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German Pages [824] Year 2006
WILHELM DILTHEY p GESAMMELTE SCHRIFTEN XXV. BAND
WILHELM DILTHEY GESAMMELTE SCHRIFTEN Von Band XVIII an besorgt von Karlfried Grnder und Frithjof Rodi
XXV. Band
% VANDENHOECK & RUPRECHT IN GTTINGEN
„DICHTER ALS SEHER DER MENSCHHEIT“
DIE GEPLANTE SAMMLUNG LITERARHISTORISCHER AUFSTZE VON 1895
Herausgegeben von Gabriele Malsch
% VANDENHOECK & RUPRECHT IN GTTINGEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber abrufbar. ISBN 10: 3–525-30327-0 ISBN 13: 978–3-525-30327-6
2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile drfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zugnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: h Hubert & Co, Gçttingen Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier.
Inhalt
Vorbericht der Herausgeberin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
„DICHTER ALS SEHER DER MENSCHHEIT“ . . . . . . . . . Thema probandi . . . . . . . . . . . . Shakespeare . . . . . . . . . . . . . . . Ueber Gotth. Ephr. Lessing . . . . . . Shakespeare und Goethe . . . . . . . . Ueber die Einbildungskraft der Dichter Schiller . . . . . . . . . . . . . . . . . Novalis . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. PHANTASIE UND DICHTUNG
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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Edition und Benutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. „Dichter als Seher der Menschheit“ Thema . . . . . . . . . . . . . . Shakespeare . . . . . . . . . . . . Lessing . . . . . . . . . . . . . . Goethe . . . . . . . . . . . . . . Schiller . . . . . . . . . . . . . . Novalis . . . . . . . . . . . . . .
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Phantasiekunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vittorio Alfieri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jean Paul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters Gustav Freytag: Technik des Drama . . . . . . . . . . .
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II. Phantasie und Dichtung Phantasiekunst . . . . . Alfieri . . . . . . . . . Jean Paul . . . . . . . . Dickens . . . . . . . . Freytag . . . . . . . . .
Inhalt
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der junge William James wurde whrend seines Aufenthalts in Berlin im Hause Herman Grimms einem Professor unbestimmbaren Alters vorgestellt. Am 17. Oktober 1867 berichtet der amerikanische Gast ber dieses Zusammentreffen und das merkwrdige Gebahren des sich in rcksichtslosem Reden, besonders ber Fragen der Religion, auszeichnenden Gelehrten – „a man of a type I have never met before.“1 Dilthey, dessen Name nicht zu verstehen war, schreibe an einem zweiten Band ber Schleiermacher, der erste sei publiziert. Diese Angabe ist zwar sachlich falsch – im Oktober 1867 kam gerade die erste Lieferung des ersten Bandes: Leben Schleiermachers heraus 2 – in gewissem Sinn trifft sie jedoch vollkommen zu. Der zweite Band Schleiermacher stand immer bevor, wie nach 1883 der zweite der Einleitung in die Geisteswissenschaften, im eigenen Bewußtsein dem Ende ganz nahe, weggeschoben, wieder aufgenommen, zeitlebens. Die Fertigstellung des ersten Bandes berspringend, sah sich Dilthey in diesem Gesprch, subjektiv sicher glaubhaft, mitten in der Arbeit am zweiten. – Ein großer Leser, unaufhçrlich schreibend oder diktierend, enthusiastisch planend, arbeitete Dilthey meist an mehreren Dingen zugleich, im Laufe der Jahre immer dringlicher bestrebt, ein Stck zum Abschluß zu bringen.3 Er publizierte stndig, lieferte wie nebenher ber viele Jahre Besprechungen und Lebensbilder fr Westermanns Monatshefte, regte an, organisierte, las in der Akademie, verçffentlichte dort und im Archiv fr Geschichte der Philosophie ergnzend wie vorarbeitend umfangreiche Abhandlungen im Blick auf die großen Ziele, die zweiten Bnde, vor allem den der Einleitung. Verhltnismßig bescheiden, großenteils fertig, leicht zu bewltigen, ab1
Brief an Alice James in: The Correspondence of William James IV, hrsg. von I. K. Skrupskelis und E. M. Berkeley, Charlottesville und London 1995, S. 213 f. Ausfhrlich zitiert von H. Nohl in: Die großen Deutschen IV, hrsg. von H. Heimpel, Th. Heuss, B. Reifenberg, Berlin [1957], S. 199. D., zu diesem Zeitpunkt Professor in Basel, war vorbergehend in Berlin. Vgl. JD 251. – Stellen aus den Texten des vorliegenden Bandes werden mit Seiten- und Anfangszeilenzahl nachgewiesen; Nachlaßstcke aus dem Anhang nur mit der Seitenzahl. 2 Vgl. Brief D.s vom (Oktober 1867) an H. von Treitschke: Hier sende ich Ihnen die erste Lieferung meines Buchs; der ganze erste Band wird Ende dieses Jahres endlich fertig werden. JD 250. Der erste Band erschien 1870. 3 Brief D.s vom [Frhjahr 1895] an den Grafen Paul Yorck von Wartenburg. B Yorck 181.
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schließend ebenfalls – so rckt in den 90er Jahren die Aufsatzsammlung: „Dichter als Seher der Menschheit“ ins Blickfeld. Sie teilte, auf eigentmliche Weise beiden verhaftet, das Los der zweiten Bnde.
Zur Geschichte des Aufsatzprojekts I. Pfingsten 1895 schien die Publikation der literarhistorischen Aufstze zum Greifen nahe.4 Ein oder zwei Bndchen waren fr Weihnachten geplant, in Taschenbuchformat, leicht zugnglich, weitere sollten folgen. Das Nebeneinander von Altem und lterem, um Neues vervollstndigt, stçrte Dilthey nicht, im Gegenteil. Erluternd schreibt er an Yorck: [. . .] wobei ich aber bei der Einheit meiner Gedanken darber von frh auf, Altes und Neues verbinden und gerade hierdurch dem Buch einen eignen Reiz der Mannichfaltigkeit und des Reichthums vielleicht geben kann. „Ihre Aufsatzreihe: Dichter als Seher der Menschheit verspricht ein Gegenstck zu Carlyles Helden zu werden“, prophezeite Yorck am 4. Juni 1895.5 Sicher wre sie ein „Gegenstck“ zu den philologisch orientierten Schriften von Michael Bernays geworden,6 deren erster Band 1895 erschien. Diltheys Plan war alles andere als ein momentaner Einfall. Er hat seine Geschichte, die nicht darauf reduzierbar ist, auf dem Wege zum einzig publizierten Aufsatzband Das Erlebnis und die Dichtung zu liegen.7 Der Briefwechsel mit Yorck bezeugt, wie der Band Konturen gewinnt – und verliert – im weiten Zusammenhang mit den historischen wie den systematischen Vorarbeiten zur Einleitung in der ersten Hlfte der 90er Jahre. Unter diesem Aspekt wird er hier erstmals herausgegeben –, ohne, um mit Dilthey zu sprechen, die Frbung jener Zeit in ihm zu tilgen.8 Er enthlt die von Dilthey fr die Wiederverçffentlichung bestimmten 4
Vgl. D.s Brief von [Pfingsten 1895] an Yorck von Wartenburg. B Yorck 183; 139, 189. B Yorck 184. M. Bernays verweist auf Carlyle, fr den der Dichter „der eigentliche Fhrer der Menschheit“ ist. Schriften I (wie die folgende Anm.), S. 95. 6 M. Bernays, Schriften zur Kritik und Litteraturgeschichte I: Zur neueren Litteraturgeschichte, Stuttgart 1895. Der Band ist E. Schmidt gewidmet, der wiederum mit D.s frhen Plnen vertraut war. Vgl. Ges. Schr. XXVI, Zu den Aufstzen, S. 491. 7 Vgl. G. Misch, Ges Schr. V, LV, obwohl er die Dichteraufstze „unter einem systematischen Gesichtspunkt“ sieht. Fr den Band: Das Erlebnis und die Dichtung greift D. zwar auf drei der alten Aufstze zurck, stellt sie aber unter einen andern Titel und arbeitet sie mehrfach um, ausgenommen die Novalisarbeit. 8 Vorrede zur geplanten zweiten Auflage der Einleitung. Einleitung 410. 5
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Aufstze ber Lessing, Goethe, Novalis in den von ihm autorisierten Erstfassungen und zu Shakespeare und Schiller eine Auswahl der dafr entstandenen Bruchstkke, Anstze, Entwrfe, Notizen, erkennbar unfertig als Zeugnisse eines gescheiterten Versuchs, den, zum andern Zeitpunkt, unter anderer Perspektive und in anderer Zusammenstellung, 1905 der geglckte und erfolgreiche, Das Erlebnis und die Dichtung, berdeckt hat.9 Titel der neuen Aufstze, Auswahl der alten, Folge aller und die sie vereinigende berschrift lagen im Frhsommer 1895 fest:10 Dichter als Seher der Menschheit – – – – – –
Shakespeare und seine Zeitgenossen Lessing ( Ueber Gotth. Ephr. Lessing. 1867) Shakespeare und Goethe Goethe ( Ueber die Einbildungskraft der Dichter. 1877) Schiller Novalis (1865)
II. Im Unterschied zur Zusammenstellung von EuD ist diese weder auf Nationalliteratur beschrnkt noch auf die Zeit, der Dilthey den Namen deutsche Bewegung (Lessing 118, 28) gegeben hat.11 Mit zwei, wenn auch nicht ausgefhrten Titeln zu Shakespeare geht sie deutlich zurck auf die andere von Dilthey favorisierte und eigens benannte Zeit, die Epoche der Phantasiekunst, und sucht in kulturhistorischem Ansatz gesellschaftliche und knstlerische Entwicklungen vergleichend zu erfassen. Der durchaus gebrauchte, spter so gngige Begriff des Erlebnisses kommt hier und da vor, fllt aber nicht sonderlich ins Gewicht. Die Konzep9
Fr die Textherstellung der aus den Hss. edierten exemplarischen Stcke zu den Komplexen: Shakespeare, Schiller; Phantasiekunst, Jean Paul ist die außerordentliche Lesefhigkeit der ersten Herausgeber immer wieder dankbar genutzt worden. Nicht aufgenommen werden Schiller (1933) und Shakespeare (1954) in der Form, die Herman Nohl ihnen gegeben hat. Der souverne Umgang mit Hss., von D. zu seinen Lebzeiten gebilligt, ja verlangt, stand hçchstens seinen nchsten Schlern zu. Das gilt z. B. fr die beiden groß angelegten Mss. zu Shakespeare; ebenso fr ein Ms. zur Phantasiedichtung, dessen erster Entwurf hier zusammengefgt und nicht teilweise zur Komplettierung eines spteren gebraucht wird. Entsprechend bleibt der von Nohl in: Shakespeare und seine Zeitgenossen aufgenommene Abschnitt aus der Abhandlung (1895) unbercksichtigt, da gedruckt in Ges. Schr. V, 281–302. 10 Aufgelistet im Brief an Yorck von Wartenburg, [Pfingsten 1895]. B Yorck 183. 11 Vgl. den Titel der Basler Antrittsvorlesung: Die dichterische und philosophische Bewegung in Deutschland 1770–1800.
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tion des Menschen oder seine ‚Entdeckung, Befreiung von theologischer Bevormundung; Ergrndung dichterischer Phantasie, Rolle des Dichters und literarischer Gattungen, Richtung der Psychologie in der neueren Zeit stehen im Mittelpunkt. Von daher ist erklrlich, daß ein zweiter hnlich konzipierter Teil, Phantasie und Dichtung, sich an das Projekt von 1895 anschließt, verstrkend, erweiternd, in thematischer und zeitlicher Nhe zu den Aufstzen der Auswahl Diltheys von 1895. Außerdem erfllt er die Aufgabe, innerhalb der Ges. Schr. andere literarhistorische Aufstze, die Dilthey teilweise als zusammenhngend galten, und Entwrfe in der von Dilthey publizierten oder nachgelassenen Gestalt zugnglich zu machen.12 In entstehungsgeschichtlicher Chronologie ergeben sich aus beiden Folgen drei Gruppierungen: Aufstze der 60er Jahre – von Berlin bis Basel – Gustav Freytag: Die Technik des Drama (1863) – Novalis (1865) – Ueber Gotth. Ephr. Lessing (1867) Aufstze der 70er Jahre – Breslau – Vittorio Alfieri (1875) – Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters (1877) – Ueber die Einbildungskraft der Dichter (1877) Unabgeschlossenes der 90er Jahre – Berlin – Shakespeare (um 1895) – Phantasiekunst (in den 90er Jahren und spter) – Schiller (um 1895 und spter) – Jean Paul (wahrscheinlich um 1904–1906)
III. Ausgangspunkt fr Entstehung und Verfolg der Idee, aus den literarhistorischen Aufstzen ein Ganzes herzustellen, ist Schleiermacher, und er stellt sich beim Abbruch der Bemhungen wieder ein. Prsent seit der Preisaufgabe von 1860, der Edition der Briefbnde 1861 und 1863, erwuchsen aus dem Umkreis der großen Biographie, ihren ersten Band begleitend, die umfangreichen Aufstze ber Novalis und Lessing fr die Preußischen Jahrbcher; der ber Goethe war mit der Ar12 Es sind drei von D. publizierte Aufstze, Vittorio Alfieri; Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters; Gustav Freytag: Die Technik des Drama in den Erstfassungen; Entwrfe zum Shakespearekomplex unter dem Titel: Phantasiekunst und zu Jean Paul.
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beit an Lessing schon geplant13: sie sollten 1867 wie 1895 der Literaturgeschichte neue Impulse geben.14 Mit dem Abschluß des Aufsatzes ber Lessing deutete Dilthey seinem Freund Wilhelm Scherer, und hier kommt wohl zum ersten Male der Plan einer Aufsatzsammlung zur Sprache, seine Absicht an. Auch im Separatvotum Hermann Useners, der sich an der Bonner Fakultt fr die Berufung Diltheys einsetzte, ist von einem Ganzen die Rede, dem das Publizierte zuzuordnen sei.15 Unter Verçffentlichungen, Vorhaben, Ankndigungen16 zwischen den 60er und 90er Jahren seien nur drei genannt, die sich mit den Sammlungs-Plnen berhren: ein weiteres Projekt; ein Rckgriff auf die Aufstze; Grnde fr die Einrichtung von Archiven fr Literatur. 1880/81 – die grçßeren literarischen Arbeiten der 70er Jahre ber Alfieri, Dickens, Goethe liegen vor – korrespondiert Dilthey mit Cotta ber Literaturgeschichte, ausgehend von Schleiermacher. Sein Brief vom 29. Dezember 1880 ist ein bemerkenswertes Dokument çkonomischer Phantasie. Dilthey mçchte Cotta davon berzeugen, daß der Verleger fr ein derartiges Unternehmen Opfer bringen msse (Zulage zum Honorar), die er, der Autor, angetan von der Aussicht, in seinem renommierten Verlag verçffentlichen zu drfen, ohnehin bringe. Notwendige Reisen, unter seiner Leitung stehende Gruppen von Mitarbeitern sieht Dilthey bereits vor sich, sich selbst beteiligt: Dazu trifft die literarische Aufgabe, um welche es sich handelt, mit einem schon lnger von mir gehegten, an mein Buch ber Schleiermacher17 sich naturgemß anschließenden Plane zusammen, fr welchen ich ein sehr bedeutendes Material, insbesondere Excerpte aus großen Aktenmassen gesammelt habe.18 Was ihm als knstlerisch gestaltetes Endprodukt vorschwebt, versucht er Cotta mit dem Hinweis auf Hippolyte Taine, und zwar auf die Origines de la France contemporaine, verstndlich zu machen.19 Den Titel des knftigen Werkes: Geschichte des gei13
Vgl. E Goethe Tg., Entstehung und berlieferung. Vgl. Wenn Sie hier sind, will ich Ihnen einen Plan vorlegen, diese Aufstze und andere, die halb fertig geschrieben daliegen, zu einem Ganzen (wie es wirklich vor den Theilen da war) zu verbinden, das fr das Studium der Literaturgeschichte von Nutzen sein kçnnte. Brief D.s vom 10. Mrz 1867 an Scherer. JD 233. Knapp 30 Jahre spter: Sie sehen es nhert sich das einem Ganzen, welches die vergleichende Literaturgeschichte von der bloßen Geschichte der Stoffe fortfhren soll zu dem tiefsten Punkte, den Bewußtseinsstellungen und der dadurch bedingten poetischen Form bis in den Dialog sc. hinein. Brief D.s vom 13. Oktober 1895 aus Brixen an Yorck. B Yorck 189. 15 Zu Scherer vgl. die vorangehende Anm.; zu Usener: Novalis Tg., Zur Rezeption. 16 Zur fortgesetzten Planung der zweiten Bnde vgl. Ges. Schr. XIX, Vorbericht. 17 D. arbeitete im Sommer 1880 an der Fortsetzung des Schleiermacher. Vgl. B Yorck 17. 18 Brief D.s an Cotta vom 29. Dezember 1880. Cotta-Archiv, Marbach/N. Den Hinweis auf den Vertrag danke ich Frau Dr. Gudrun Khne-Bertram. 19 H. Taine, Die Entstehung des modernen Frankreich, Leipzig 1877–1893. (Origines de la France contemporaine, 1875–1893.) Auf Taines Psychologie kommt D. in den 90er Jahren im sthe14
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stigen Lebens in Deutschland in der Neuzeit,20 verrt der Vertrag mit Cotta, das Cotta-Archiv jedoch nicht seine Annullierung.21 In der Festschrift fr Eduard Zeller von 1887, Bausteine fr eine Poetik, auf Literatur, ihre Entwicklung und ihre Formen bezogen, verweist Dilthey ausdrcklich auf die Goethe-Rezension und seine literarhistorischen Abhandlungen ber Lessing, Novalis, Dickens, Alfieri,22 die Ergnzungen zur vorgelegten psychologischen Grundlegung enthielten; auch auf seine Erçrterung der Schrift von Freytag.23 Diese Arbeiten (vgl. oben die beiden ersten Gruppierungen) sind ihm nicht nur gegenwrtig, sie gehçren, ununterschieden nach Anlaß, Adressaten oder Verçffentlichungsort, als besttigende Basis in die dargelegten Ausfhrungen zur Poetik. Die auffallenden Selbstverweise sind eher ein erneuter Versuch, mit der Erwhnung der Teile Zusammenhang und Umriß eines Ganzen zu skizzieren, als das Werben um Aufmerksamkeit fr die eigene Person. Nur scheinbar fern von den literarhistorischen Aufstzen bemht sich Dilthey 1889 um die Einrichtung von Archiven fr Literatur, die Grundlagen der Arbeit mit Texten bereitstellen sollten – praktische Voraussetzungen seiner in den Aufstzen entwickelten Vorstellungen. Im Januar hlt er den Erçffnungsvortrag vor einer literarischen Gesellschaft, den er in Julius Rodenbergs Deutscher Rundschau unterbringt,24 und er schreibt, vertiefend, sofort noch einmal zu diesem Thema, besorgt um die Nachlsse der Philosophen. Die Klage in der Goethe-Rezension 1877 ber die Kurzsichtigkeit der Goetheschen Erben (126, 3) wird, nach Grndung des Weimarer Archivs 1885, zur Klage ber die Zerstckelung vieler Nachlsse. Dilthey rechtfertigt seine Forderungen damit, in Sttten, die sich professionell um Ordnung und Aufbewahrung von Handschriften kmmern, Orte nationaler Identitt zu schaffen, eine andere Westminsterabtei.25 Mehr noch: Handschriften mit der Aura der Person, dem Atem der Menschen [. . .], welcher uns aus Entwrfen, Briefen, Aufzeichnungen entgegenkommt, ben ihre Wirkung auf den Leser aus, den Literarhistoriker wie den sthetiker, vermitteln ihm Kenntnis der Reali-
tik-Aufsatz wie in den Ideen zurck; die Histoire de la Littrature anglaise nutzt er fr Shakespeare, vor allem fr die Bearbeitung des Dickens-Aufsatzes. 20 Vgl. J. Schmidts Titel: Bilder aus dem Geistigen Leben unserer Zeit (wie Dickens Tg., Fußnote 1), vor allem den eigenen um 1900: Studien zur Geschichte des deutschen Geistes. 21 Bis 1883 besteht offensichtlich noch ein Kontakt zu Cotta, wie eine Postkarte D.s belegt. 22 Bausteine 211; hnlicher Verweis sthetik 266. Gleichzeitig mit dem Aufsatzplan denkt D. an eine aus dem Festschriftbeitrag zu schreibende Poetik. B Yorck 116. 23 Bausteine 223. Vgl. dazu unten Anm. 88. 24 Die 1891 auf Betreiben D.s gegrndete Literaturarchiv-Gesellschaft sammelte Nachlsse der Akademiemitglieder und anderer Wissenschaftler; nach 1945 zusammengelegt mit denen der Preußischen Akademie der Wissenschaften. 25 Ges. Schr. XV, 16.
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tt wahrhaftiger innerer Erfahrung, lassen ihn teilnehmen am Prozeß dichterischer Produktion. Fr beispielhaft hlt Dilthey die archivalische Arbeit von Taine.26 – Eindringlicher noch, wiederum mit Verweis auf Taine, begrndet er mit Hilfe der von ihm auf den Weg gebrachten Kant-Ausgabe27 die Notwendigkeit, Nachlsse von Philosophen an e i n e m Ort zu sammeln, zu bewahren und aufzuarbeiten: Die Erkenntnis der geschichtlichen Natur des Menschen, die Einsicht in die Vernderungen des ganzen Seelenlebens nach seiner vollen Lebendigkeit und Wirklichkeit, also der Blick in die Entfaltung des Einen ganzen Menschen innerhalb der Geschichte sind berall auf das Studium der geistigen Bewegungen, zumal aber auf die Geschichte der Philosophie angewiesen. Sie sttzt sich auf Biographie, die aus den Handschriften ihr Leben und ihre Flle empfngt.28
IV. 1890 holt Dilthey bei Reimer die Erlaubnis zum Wiederabdruck der Aufstze ber Novalis und Lessing ein.29 Zugleich bittet er ber den Freund, den Grafen Paul Yorck von Wartenburg, dessen Bruder Hanns, diese und den ebenfalls lange zurckliegenden Aufsatz ber Goethe durchzusehen und mitzuteilen, was zu ergnzen oder zu ndern wre.30 Zunchst sollten Dickens und der englische Roman an vorletzter Stelle stehen;31 dann Dickens auf Novalis folgen.32 Tatschlich hat 26
Ges. Schr. XV, 7; bes. 5–7. Dazu B. Erdmannsdçrffer: „ – man muß die Wissenschaft mehr von der ambulanten Seite nehmen. Freund Dilthey dagegen will nun gerade die Wissenschaft der Litteraturgeschichte durch Grndung von Archiven mehr sedentr machen. Was sagen Sie zu seinem Aufsatz? Mir scheint der Vorschlag kaum realisirbar.“ Brief vom 30. Mrz 1889 aus Heidelberg an H. Grimm. HSA 340 NL Grimm, Br 1066. 27 Vgl. F. Rodi, Dilthey und die Kant-Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, in: Ders., Das strukturierte Ganze, Weilerswist 2003, S. 153–172. 28 Ges. Schr. IV, 560, 564; bes. 558–564. 29 Undatierter Brief D.s, wahrscheinlich vom 27. Februar 1890 (Verlagsvermerk vom 28. Februar 1890), an E. Reimer mit der Bitte um ein Exemplar des Lessing-Aufsatzes: Im brigen erbitte ich mir von Ihnen die freundliche Erlaubniß diesen und den Novalisaufsatz im Druck erneuern zu drfen. Verlags-Archiv de Gruyter Berlin. 30 D. im [Dezember 1890] an Yorck: Ihr Herr Bruder wrde mir einen rechten Gefallen thun, wollte er meine Artikel ber Lessing (preuß. Jahrb. 1867), Novalis, Grimm Goetheanzeige in Zeitschrift fr Vçlkerpsychologie 1877 durchsehen und mir sagen wo er Verbesserungen und Zustze wnschen wrde. B Yorck 116. 31 Brief D.s vom 29. Februar 1892 an Yorck: Lngere Zeit hat mich die Fertigstellung der literarhistorischen Aufstze beschftigt und ich bin doch so weit daß im Frhling deren Druck anfangen kann. Sie sollen mit einem Aufsatz ber die gegenwrtige Poesie endigen, der auf einen
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Dilthey intensiv an Anfang und Schluß seines Dickens-Aufsatzes gearbeitet, kaum an Lessing, sich hauptschlich auf Streichungen konzentrierend an Goethe, berhaupt nicht an Novalis. Bis 1895 verndert sich die Zusammenstellung der Aufstze. Die Beschftigung mit den Abhandlungen fr die Fortsetzung der Einleitung verstrkte nach eigener Aussage nochmals das Interesse an Goethe, vor allem aber an Shakespeare und Schiller.33 Dilthey begann ber beide zu schreiben. Teile gelangten nacheinander in die im April in der Akademie gelesene Abhandlung (1895).34 Im Dankesbrief vom 2. Dezember 1895 fr Hermann Useners Buch: Gçtternamen,35 das den Brdern Wilhelm und Karl Dilthey gewidmet ist, schreibt Dilthey seinem Schwager: Ich bewundere den Gang Deines Lebens, in welchem Du Alles, was Du in der Begeisterung der Jugend geplant, mit fester und mnnlicher Hand zum Ende fhrst.36 Ein Satz aufrichtiger Anerkennung, um so bewegender als er zur eigenen Situation in denkbar großem Kontrast steht: Kçnnte ich von mir auch so Gutes melden! Die Aufsatzsammlung, seit 1890 kontinuierlich verfolgt, verliert sich zusammen mit den Vorbereitungen fr die Fortsetzung der Einleitung auf der Flucht in Krankheit und zu Schleiermacher. Zwar teilt Dilthey dem Freund Yorck aus Meran noch am 10. Mrz 1896 mit : Von meinen Arbeiten konnte ich hier nur die Aufstze fçrdern. Sie greifen mich am wenigsten an.37 Aber das ist nicht mehr als ein letztes Echo; an die Stelle der Einleitung und der Aufstze rckt der zweite Band des Schleiermacher: „Also den Schleiermacher haben Sie in Arbeit genommen.“ In Yorcks Brief vom 4. Mai 1896 38 meint man den Unterton verwunderten Bedauerns zu hçren. Seiner Schwester Lily besttigt Dilthey im Februar 1897 ihre Vermutung: Im brigen schließest Du richtig aus der Beschftigung mitSchlegels und Schleiermachers
ber Dickens und den englischen Roman folgt; sonst wrde das Buch der Aktualitt entbehren. B Yorck 139 f. 32 Vgl. Dickens Tg., Handschriftenbefund C 68 (215), 13v; auch Ph 323. 33 Dazu ist mir bei der Arbeit ber Geschichte der vergleichenden Wissenschaften das Stck Goethe so nahe getreten, dann bei der Arbeit ber das 16. 17. Jahrhundert Shakespeare, [. . .]. Brief D.s an Yorck [Frhjahr 1895]. B Yorck 181. 34 Erst in der Korrektur des Vortrags im August 1895 fgt D., grçßtenteils von eigener Hand, den Abschnitt ber Schiller ein. Vgl. C 28 (170), 172. Vom September und Oktober sind die Mitteilungen ber den Schiller fr die Aufstze, wenn auch vorher schon die Rede davon ist. Vgl. Schiller Tg., Entstehung und berlieferung. Die beiden Arbeiten berkreuzten sich vermutlich. 35 H. Usener, Gçtternamen. Versuch einer Lehre von der religiçsen Begriffsbildung, Bonn 1896 (vordatiert). 36 ULB Bo S 2102, 3. NL H. Usener. 37 B Yorck 208. 38 B Yorck 212.
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Plato, daß ich am II. Bande des Schleiermacher bin.39 – ußerer Anlaß fr die tiefe, anhaltende Verstimmung Diltheys und seine radikale Abwendung von langjhriger vorbereitender Arbeit ist der Ebbinghaus-Eklat. Zu den gut dokumentierten Vorgngen: Dilthey hatte mit der psychologischen Abhandlung von 1894 (Ideen), in der er sein Konzept von Psychologie, und damit den Kern seiner systematischen Arbeit fr die Fortsetzung der Einleitung, festzulegen gedachte,40 Anerkennung, aber zugleich ihn außerordentlich verletzende Kritik von seinem einstigen Berliner Kollegen Hermann Ebbinghaus erfahren, von Seiten der freilich angegriffenen experimentellen Psychologie.41 Daß dieser Vorgang auch die literarhistorischen Aufstze betrifft, belegt schon das frhe Stichwort Realpsychologie aus dem Novalis-Aufsatz, auf das sich Dilthey als auf seinen Ausgangspunkt in den Ideen beruft – selber also die Verbindung zwischen seinen systematischen Vorarbeiten fr die Einleitung und den literarhistorischen Aufstzen herstellt.42 Weitere Elemente im literaturgeschichtlichen Umkreis, die in der Spanne zwischen dem Novalis-Aufsatz und den Ideen (oder zwischen der Begriffsbildung Realpsychologie und der Begrndung einer beschreibenden Psychologie) auffallen: Physiologie, dichterische Phantasie, Biographie – unter diesen Gesichtspunkten sind sich die Aufstze ber Novalis, Alfieri, Dickens, Goethe nahe; modernes Christentum reprsentieren Novalis und Lessing; Inbegriff des Zeitalters der Phantasiekunst oder der Entdeckung des Menschen verkçrpert Shakespeare; Gattungsgeschichte des Dramas und des Romans in Abhngigkeit von politischen und gesellschaftlichen Verhltnissen wird thematisiert bei Shakespeare, Freytag, Alfieri, Schiller einerseits, bei Jean Paul und Dickens andererseits.
39 ULB Bo S 2102, 3. NL H. Usener, Brief D.s vom 26. Februar 1897 aus Berlin an Lily Usener, geb. Dilthey; nicht von D.s Hand. Vgl. Brief D.s vom 10. August 1897 aus Oberstdorf an Yorck von Wartenburg in: K. Grnder (wie E Goethe Tg., Entstehung), S. 363: Im brigen fahre ich fort, mich vom Herzen aus sehr elend zu fhlen und fange an, die Arbeit am Schleiermacherschen System durch die Fetzen von Handschriften und Vorlesungen, aus denen zu arbeiten ist, qualvoll zu finden. – Zur wiederum mehrfach unterbrochenen Fertigstellung schreibt D. vor seiner Abreise aus Berlin am 16. August 1911 an de Gruyter: Viel ber zweiten Band auch nachgedacht und gelesen. Und bei dieser Gelegenheit zeigt sich wie viel schon fertig, und daß Vorarbeiten fr Alles da sind. Verlagsarchiv de Gruyter Berlin. 40 Vgl. Austausch der Freunde ber die Ideen. B Yorck 175–180. 41 Vgl. U. Lessing, Briefe an Dilthey anlßlich der Verçffentlichung seiner „Ideen ber eine beschreibende und zergliedernde Psychologie“. In: Dilthey-Jahrbuch 3, hrsg. von F. Rodi (1985), S. 193–232. Ebbinghaus hatte sich çffentlich zu D.s Ideen geußert und D. mit seinem Brief vom 27. Oktober 1895 einen Sonderdruck geschickt. Dazu Brief Yorcks von Wartenburg an D. vom 3. November 1895. B Yorck 195. – Brief D.s vom 24. November [1907] an E. Zeller. UB Tbingen, NL Zeller. Noch zu diesem Zeitpunkt kommt D. auf den gemeinen Angriff von Ebbinghaus zu sprechen. 42 Ideen 156.
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Aspekte der Aufstze I. Die Arbeit ber Novalis, verschrnkt mit der Schleiermacher-Biographie, Rettung des in Diltheys Augen bedeutendsten Romantikers, enthlt wesentliche eigene Anstze. Dilthey reflektiert die Bedingungen welche auf die intellektuelle Kultur einer Generation (200, 14) einwirken, unter denen sich ein Dichter entwickelt ( Besitzstand; umgebendes Leben) , und versucht nach diesen Gesichtspunkten die Entwicklung Hardenbergs darzustellen. Spter zhlt zu den Untersuchungskriterien die Begabung, die Mchtigkeit des Genies (Dickens 368, 28), indirekt auch hier bercksichtigt, wenn Dilthey mit Schleiermacher von der Schwche der fortbildenden Phantasie des Novalis spricht (205, 38). Außerordentliche Beachtung kommt der Religiositt Hardenbergs zu, am auffallendsten aber ist die Hervorhebung der literaturgeschichtlich vernachlssigten oder abgelehnten Aphorismen, darunter die zu Baader. Dilthey stellt ihre Bedeutung fr die Wissenschaften des Geistes (223, 5) fest, deren Disziplinen Hardenbergs Psychologiekonzept die denkbar grçßte Einheit (225, 10) verschaffe. Er rezipiert die berlegung des Novalis: „Wir kennen nur eigentlich was sich selbst kennt. [. . .] Die Natur ist unbegreiflich per se.“ 43 Im Anschluß an Novalis definiert er den Begriff Realpsychologie: Eine Psychologie, welche den I n h a l t unserer Seele selber zu ordnen, in seinen Zusammenhngen aufzufassen, soweit mçglich zu erklren unternimmt. (224, 24). Diese Forderung an eine zeitgemße Psychologie bleibt bestehen. Psychologie rckt, sicher auch im Zuge einer allgemeinen Neigung, ins Zentrum von Diltheys Reflexionen. Ebenso hlt Dilthey mit Novalis an der Unerkennbarkeit der Natur fest, fr die nur von außen, vermittels einer Verbindung von Hypothesen, ein Zusammenhang herstellbar sei. Psychologie dagegen, mit ihr die Geisteswissenschaften, bedrfen keiner Hypothesen, weil ihre Gegenstnde von innen, als Realitt und als ein lebendiger Zusammenhang originaliter auftreten. Danach unterscheidet er, gegen die aufblhende experimentelle Psychologie gewandt, terminologisch zunchst nicht einlinig, 1877 inductive (Dickens 408, 15 und 27) von hypothetisch verfahrender, 1894 beschreibende von erklrender Psychologie. Als spter Reflex auf den NovalisAphorismus lßt sich der bekannte Satz der Ideen lesen: Die Natur erklren wir, das Seelenleben verstehen wir.44 Im Frhjahr 1867 begann Dilthey sich mit der physiologischen Optik von Her43 44
Vgl. Novalis 223, 15 und Anm. No 223, 15–17. Ideen 143 f.; auch sthetik 273 f.
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mann Helmholtz zu beschftigen.45 Die Faszination dieser Forschungen hlt einige Zeit an. Dilthey sieht ihre Modernitt, die Aussicht, Psychologie, und damit die Geisteswissenschaften, auf diesem Wege zu fçrdern. Anlßlich von Lessings sthetischer Theorie stellt er beilufig fest: Das Studium der physiologischen Bedingungen hat dann den gegenwrtigen Arbeiten ein ganz neues Fundament gegeben. (71, 7), und er macht zunchst einen tastenden Versuch, ber Bonnet Lessings Theorie der Seelenwanderung physiologisch zu explizieren. Aus Breslau schreibt er einige Jahre spter an Eduard Zeller: Ich lese Anthropologie und die physiologische Seite macht mir wieder furchtbar zu schaffen.46 Was Dilthey so anzieht an diesem Fach, lßt sich an der Empfehlung ablesen, die er Carl Justi, dem Freund aus italienischen Zeiten, fr einen Nachfolger in Kiel gibt, ein Zeugnis uneingeschrnkter Wertschtzung Wilhelm Wundts. An erster Stelle fr Berufungen an alle deutschen Universitten stehe Wundt, weil er experimentiert, mathematisch versiert, zugleich philosophisch ausgerichtet sei – wenn auch nicht so beschlagen wie Hermann Lotze –, weil er ein guter Lehrer ist, schließlich und hauptschlich, weil er die Physiologie und mit ihr die Psychologie weitergebracht habe.47 Die Breslauer Vorlesungen beweisen, daß Dilthey Wundts Grundzge der physiologischen Psychologie (1874) gebraucht hat, um die Mitte und in der zweiten Hlfte der 70er Jahre.48 So gesttzt, wiederholt er im Aufsatz ber Dickens nicht nur die Behauptung von der Rolle der Physiologie fr die moderne sthetik, er unternimmt, das Genie, die knstlerische Begabung Dickens’, von dieser Seite her zu erklren. Ist im ersten der drei Breslauer Aufstze, Vittorio Alfieri, mehrfach von Alfieris psychologischen Beobachtungen, seinem psychologischen Blick die Rede, so enthlt der Dickens-Aufsatz zwei ‚theoretische Passagen, die, mit geringer zeitlicher Verschiebung und wenig Vernderungen, als Fundament fr Grimms Vorlesungen umfunktioniert, in die Goethe-Rezension bernommen werden. Die beiden Aufstze ber das ungewohnte Doppelgestirn Dickens-Goethe enthalten die psychophysischen berlegungen Diltheys. Sie handeln von Gehçr- und vor allem von Gesichtseindrcken. Von der Empfnglichkeit fr die ersteren leitet Dilthey die 45
H. Helmholtz, vgl. Anm. Di 365, 13–18. D. aus Basel im April 1867 an H. Grimm: Dienstag fange ich an zu lesen. Vor mir liegt Helmholtz’ Optik und ich habe mich schon mit dem Physiker und dem Physiologen hier in Rapport gesetzt. HSA 340 NL Grimm, Br 932. Entdeckung von Helmholtz JD 256. Vgl. W. Wundts Erinnerung an das Jahr 1860 und den Beginn von Anthropologie, Vçlkerpsychologie, experimenteller Psychologie in: Ders., Erlebtes und Erkanntes, Stuttgart 1920, Kap. 28. 46 Brief D. s aus Breslau an E. Zeller vom 10. Dezember 1871. UB T. NL Zeller. 47 Zur Kieler Berufungsfrage sind zwei Briefe D.s vorhanden, beide ohne Datum und Ortsangabe, wohl aus Breslau um die Wende 1872/73. ULB Bo S 1703, 1. NL C. Justi. 48 Vgl. Ges. Schr. XXI, 11 f. u. ç.
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durch eine Reihe von Dichtern bezeugte, dichterisches Schaffen anregende Wirkung der Musik ab, Gesichtseindrcke und ihre Konservierung im Gedchtnis dagegen bilden den Grund aller dichterischen Produktion. Die Vorgnge der Reproduktion und Assoziation sind der kritische Punkt. Dilthey grenzt sich von der Assoziations-Psychologie Herbarts und dessen Nachfolgern ab,49 und zwar in der Frage der Reproduktion, bei der sich hypothetisches Verfahren besonders deutlich zeige. Er schlgt seinerseits eine Lçsung ber den Begriff der Metamorphose vor, mit der immer schon Schçpferisches verbunden ist. Jede Reproduktion ist bereits Metamorphose, keine Wahrnehmung wird unverndert reproduziert, so auch 1894, worin sich Dilthey brigens u. a. von William James besttigt fhlt.50 Metamorphose beschreibt das Ergebnis und umgeht das Zustandekommen einer Reproduktion. Sie ist Bedingung dichterischen Schaffens, der Idealisirung, die Dilthey zuweilen bei Dickens vermißt. Nach Art der Auffassung des Reproduktionsvorgangs unterscheidet Dilthey die oben genannten Richtungen der Psychologie. Als weitere Bedingung dichterischen Schaffens kommt die mchtige Erregbarkeit der Seele hinzu (Dickens 410, 25) oder wie Dilthey in der Goethe-Rezension in einem Exkurs ber Kant formuliert: Die Grundform der dichterischen Einbildungskraft ist also Gestaltung des in der Erfahrung Enthaltenen unter der Einwirkung einer bestimmten Art affectiver Verfassung. (E Goethe 143, 7). Psychologische Erwgung, so fhrt Dilthey weiter aus, welche von hier aufwrts, von den vollendeten Dichtungen rckwrts geht, vereinigt sich dann weiter mit biographischer Untersuchung der einzelnen Flle zur Feststellung der Weise und des Grades von Gedchtnis fr Menschen und Schicksale in Dichtern. (E Goethe 136, 36): Biographie als Gradmesser der Wahrnehmungsund Gestaltungsintensitt des Dichters – nicht als Erklrungsgrund seiner Dichtungen. Im Novalis-Aufsatz hatte Dilthey eine biographische Skizze vorgeschlagen zur Feststellung der Momente, die auf die intellektuelle Entwicklung einer Generation einwirken. In den 70er Jahren ist im Zeichen psychologischer Forschungen selbstverstndlich und bleibt es, auf vorhandene Biographien zurckzugreifen. Dilthey sttzt sich fr Dickens, Shakespeare, spter genauso fr Jean Paul massiv auf neuere Biographien, bei Alfieri und Goethe, auch in der Biographie von Dickens betont er das Autobiographische. Alfieri ganz und gar zustimmend, unausgesprochen damit auf den Novalis-Aphorismus zurckkommend, zitiert er aus der 49 Dazu Wundt: „Dass die vier Associationsgesetze der lteren Psychologie, die Verbindung durch Aehnlichkeit, Contrast, Coexistenz und Succession, nur eine drftige Subsumtion der innern Erscheinungen unter einige allgemeine Regeln darstellen, ist gegenwrtig allgemein anerkannt. Weniger einig ist man darber, was an deren Stelle zu setzen sei.“ Grundzge 796. 50 Ideen 177. Ausfhrlich zu Metamorphose: F. Rodi, Bezugspunkt Goethe: Bild-Metamorphose und ‚Bedeutsamkeit in: Ders., (wie Anm. 27), S. 85–106.
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Einleitung der Vita51: „Ich beabsichtige, mich ber viele jener Einzelzge zu verbreiten, welche, richtig verstanden, zum Studium des Menschen im Allgemeinen beitragen kçnnen; denn von diesem Gewchs kçnnen wir nicht besser die Geheimnisse im Einzelnen durchschauen, als indem Jeder sich selbst beobachtet. So ist denn auf das Studium des Menschen im Allgemeinen das Ziel dieses Werkes in erster Linie gerichtet.“ Dilthey kommentiert: Er entwikkelt den echt philosophischen Gedanken, daß wir nichts so intim kennen als uns selber, daß von nichts Anderem also ein so tiefes Studium mçglich ist. Sein Buch hat einen echt philosophischen Charakter. (284, 31). An dieser Auffassung von Biographie hlt Dilthey in den viel spteren Ausfhrungen der Ideen fest: Dieselbe ist in gewissem Verstande die am meisten philosophische Form der Historie.52
II. Selbstreflexion aus anderer Sicht, als durch die gesellschaftlich-politischen Bedingungen erzwungener Rckzug auf sich selbst, bestimmt nach Dilthey die literarische Existenz deutscher Schriftsteller, also auch die des Novalis und seiner Generation, macht ihn zum subjektiven Dichter.53 Von daher steht seine Biographie von vornherein an erster Stelle, an zweiter jedoch die Gestalt, welche das Christenthum in seinem Geiste annahm. (199, 31). Diltheys beiden Untersuchungspunkten gegenber wird man, aus dem Rckblick auf seinen Aufsatz, viel eher zum Ergebnis kommen, daß die Psychologie-Auffassung des Novalis von besonderer Bedeutung ist. Uneingeschrnkt bleibt indessen hier und im Aufsatz ber Lessing die Frage nach der Religiositt, nach dem Christenthum. Auf die auch bei den ersten Herausgebern umstrittene, von Schleiermachers Reden angeregte Schrift des Novalis, Die Christenheit oder Europa, geht Dilthey distanziert ein: Weder Lob noch Tadel noch Erklrung ist hier mçglich, (220, 51
Die Glaubhaftigkeit der Lektre der Vita in Italien und in der Originalsprache bezeugt u. a. (vgl. Alfieri Tg., Entstehung) der Brief Katharina Diltheys vom 26. September 1874 aus Regensburg am Ende einer wohl ein halbes Jahr dauernden Hochzeitsreise (Rcksicht auf ihre „zarte, angreifbare Gesundheit“) an Wilhelm Hertz in Mnchen. Deutsches Literaturarchiv Marbach/N. Der Brief belegt die im Briefwechsel mit Justi spter erwhnten venetian. Wochen. Brief D.s vom 2. November 1879 an C. Justi. ULB Bo. S 1703, 1 NL C. Justi. Vgl. Erdmannsdçrffers Bezeichnung fr D.: „Virtuos des akademischen Urlaubes“. B. Erdmannsdçrffer aus Heidelberg an H. Grimm, vermutlich erste Hlfte der 80er Jahre. HSA 340 NL Grimm, Br 1077. 52 Ideen 225. Zum Vorrang der Biographie vgl. Anm. Goe 169, 25–32. 53 Vgl. Anm. No 199, 2–10.
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13), dennoch nimmt er einige Zge der Schrift auf, deren ertrumten Gottesfrieden (218, 37) wie ein im Zeichen des Christentums geeintes Europa er von vornherein als realittsfern ansieht. Im brigen liest er in dieser Schrift die Religion einer pantheistischen Verklrung der Welt, (219, 12). In den Aphorismen zur Religion, von Dilthey als wissenschaftlicher Ausdruck im Gegensatz zum poetischen der Lieder und Romane gewertet, nimmt er ein grenzenloses Bedrfniß wahlverwandten Verstehens und Genießens der christlichen Gemthsstimmung wahr, nirgend einen Ansatz, die Geltung des Christentums [. . .] mit objectivem Geiste (228, 37) zu berprfen, eine persçnliche Schwche vielleicht, die sich andererseits als Strke erweist (207, 30) und mit der allgemeinen Entwicklung, dem modernen Verhltnis zum Christentum, bereinstimmt: Seit Kepler und Galilei, seit der Wende zum wissenschaftlichen Zeitalter, hat sich die Wissenschaft aus dem Umkreis gçttlicher Offenbarung gelçst, das Christentum im inneren Zusammenhang mit dem Gemthsleben seinen Platz gefunden, seine eigentliche Heimath, (230, 37). In dem Sinn sind die Geistlichen Lieder des Novalis Ausdruck einer das Gemth tief bewegenden individualisirten Stimmung und modern (231, 34). Fr den Fortgang des Ofterdingen geht Dilthey von der christlichen Vorstellungen widersprechenden Hypothese der Seelenwanderung aus, um die Struktur des Romans aufzudecken. Der Glaube an eine jenseitige Welt wird zurck verlegt in den Menschen als Glaube an eine bestimmte, sich von innen entfaltende Individualitt (245, 7). Dilthey erinnert an die Nhe zu Lessing, an die Erziehung des Menschengeschlechts. Auf den ersten Blick nur ist Diltheys Lessing von 1867 von nationalpdagogischen Absichten geprgt, wenn es etwas aufdringlich heißt: U n s e r Lessing (122, 19) und am Schluß des Aufsatzes: Er ist der unsterbliche Fhrer des modernen deutschen Geistes. Jedenfalls sieht sich getuscht, wer, etwa von der Freytag-Rezension ausgehend, eine breit fortgefhrte sthetische Diskussion von Dramenund Tragçdientheorie erwartet.54 Zwar knpft Dilthey an die lngst zum Allgemeingut gewordene Formel von einem Lessing fr die seiner immer bedrftigen Gegenwart an, feiert ihn als Befreier von sthetischen Normen, konzentriert sich aber weder auf den Dramatiker noch den Literaturtheoretiker,55 sondern auf den Theologen, den Religionsforscher (98, 18). Von dieser Seite her verfolgt er die Erkundung der Gestalt des Christenthums in der Novalis vorangehenden Generation. Wurzelt der Novalis-Aufsatz in der Schleiermacherbiographie, so Diltheys Lessing-Aufsatz in seinen Studien zur Geschichte des Christentums der ersten Jahr54
Die virulente, von J. Bernays ausgelçste Diskussion ber den Begriff der Katharsis wird von D. gnzlich gemieden. Zu ihrem Ausmaß: J. Bernays, Grundzge der verlorenen Abhandlung des Aristoteles ber Wirkung der Tragçdie, hrsg. von K. Grnder, Hildesheim, New York 1970. Einleitung. 55 Vgl. die diesen Sachverhalt neutralisierenden Ergnzungen in den Bearbeitungen fr EuD.
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hunderte. In Lessings Auseinandersetzung mit der Theologie, detailliert und mit großem Anteil gezeigt, verbirgt sich vielleicht noch ein letzter Abschied von ihr. Den Herausgeber und Kommentator der Reimarus-Fragmente sieht Dilthey als Befreier vom christlichen Dogma einerseits, als den Retter eines persçnlichen, den Gemtsbedrfnissen entspringenden und entsprechenden Christentums andererseits. Zwischen Orthodoxie und theologischer Aufklrung fhrt Lessings Weg in die Richtung Schleiermachers (80, 7). Dilthey bercksichtigt, teils mit philologischer Akribie, kleine und unvollendete Schriften Lessings, die von Lessing herausgegebenen Aufstze Karl Wilhelm Jerusalems und das in ihnen enthaltene Determinismusproblem, das umstrittene, zum Spinozismusverdacht und -streit fhrende Jacobi-Gesprch, Hinweise Lessings auf Johann Konrad Dippel und Charles Bonnet. Mit der Verçffentlichung der unmißverstndlich gegen das Christentum gerichteten Thesen des Hermann Samuel Reimarus setzt Lessing die Diskussion ber die wissenschaftliche Haltbarkeit der Theologie und ber die Geltung des Christentums in Gang. Als Radicalismus (90, 6) wertet Dilthey Lessings Verzicht auf den Kanon und die Grndung der Evidenz des Glaubens auf innere Erfahrung (87, 33). Er bedarf der Autoritt Lessings, um die Dignitt der bei Novalis schon festgestellten Einschtzung der inneren Erfahrung zu besttigen. Die Kanonfrage bringt die nach der Entstehung der Evangelien mit sich. Wie nach Nathan alle Religionen eines Ursprungs sind, fhrt Lessing die Evangelien, das des Johannes ausgenommen, auf ein Urevangelium zurck. Sein Bezug auf die regula fidei als einigendes Band fr die ersten Christen macht die Evangelien nicht berflssig, sie sind historisch notwendig im von ihm gedachten Plan der Erziehung des Menschengeschlechts. Zu lçsen bleibt die Frage des Determinismus oder, lutherisch gesagt, die der Unfreiheit des Willens. An Hebler, seinen Ausgangspunkt (63, 16), anknpfend, bekrftigt Dilthey: wir bedrfen einer Theodicee; (117, 40). Das Theodizeeproblem lçst Lessing mit Hilfe der Hypothese von der Seelenwanderung; sie impliziert den Gedanken einer sttigen Entwickelung. (118, 30). Dilthey geht auf die im Novalis-Aufsatz mit der Erwhnung Lessings auf ganz anderer Ebene gebrauchte Vorstellung genau ein und sucht sie mit den physiologischen Theorien der Palingnsie Bonnets, auch mit Hinweisen auf Schopenhauer und Lotze zu untermauern. Die „lteste Hypothese“ nennt sie Lessing, von der modernen Seelenwanderungslehre (120, 23) spricht Dilthey, die selbstndiges Handeln des Menschen einschließt und verbrgt, daß kein Mensch verloren gehe. Die Bahn des Einzelnen und die der Menschheit verluft sich nicht in ein Jenseits; (118, 36). Hier vor allem liegt die von Dilthey beschworene Modernitt Lessings.56
56
Vgl. D.s Wendung: Tiefe seines modernen Lebensgefhls (Lessing 101, 3–4).
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III. Intention der Abhandlung Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert von 1891/92 war: die Ausdehnung des religiçsen Universalismus im 16. Jahrhundert zu erfassen. Entschuldigend bemerkt Dilthey im Brief an Yorck: Die ganze Tragweite dieses Zusammenhangs wrde mehr hervorgetreten sein, htte ich nicht die englische Entwicklung mit Shakespeare zurckhalten mssen.57 Das fr die Einleitung gedachte Vorhaben reichte von der bildenden italienischen Kunst bis Shakespeare, Corneille und Rembrandt.58 Von hnlich breiter Anlage sind um 1895 die Stcke zu Shakespeare und der Phantasiekunst. Weniger der Einzelne in seinen Bezgen zu der ihn umgebenden und bedingenden intellektuellen Kultur steht im Mittelpunkt als diese selber. Nicht Shakespeare als objektiver Dichter beschftigt Dilthey, sondern – und das ist eine gewisse Schwerpunktverlagerung gegenber den Aufstzen der 60er und 70er Jahre – die ganze geistige Atmosphre (11, 21), die Aufschlsse ber ihn geben kann: Ich mçchte diese Verhltnisse in denen Shakespere emporkam fr die Erklrung und das Verstndniß desselben mçglichst ausnutzen. (13, 9). Noch einmal : Man muß hiermit (mit allen Forschungsergebnissen) nun das Studium der Zeit verknpfen, in welcher er sich gebildet hat. Eben in der Relation dieser Zeit mit den Werken Shakespeares werden diese uns erst begreiflich. (16, 26). Folglich enthalten die Stcke: Shakespeare und Phantasiekunst Zugnge von verschiedenen Seiten zur westeuropischen Entwicklung des 15.-17. Jh.s, im Einklang auch mit der besonderen Zuwendung zur Kunst des Quattrocento im letzten Drittel des 19. Jh.s. 59 Vieles wird erwhnt, viele Namen fallen – von bildenden Knstlern, Dichtern, Theologen, Philosophen, Herrschern – andeutend, wiederholend, sich Shakespeare nhernd, sich von ihm entfernend.60 Diltheys Gebirgsbild zur Charakterisierung der außerordentlichen Epoche Shakespeares versetzt ihn und seine Zeitgenossen auf die Hçhe zwischen die Jahrhunderte metaphysischer Hirngespinste (12, 12) 61 und die durch Kepler und Galilei begrndete 57
Brief D.s an Yorck von Wartenburg [Juni 1892]. B Yorck 146. Brief D.s an Yorck von Wartenburg vom 20. Juli 1891. B Yorck 127. 59 Vgl. z. B. die bersicht in Phantasiekunst 281–283. – D. hatte 1862 anonym J. Burckhardts Buch, Die Kultur der Renaissance in Italien (1860) besprochen. Ges. Schr. XI, 70–76. Zur Vorliebe der Zeit fr die Kunst der Renaissance: G. Passavant, Verrocchio. Gesamtausgabe, London 1969. Einfhrungsessay I. 60 Diese Epoche ist fr D. von solchem Gewicht, daß er immer wieder darauf zurckgegriffen hat: Schiller 171, 14–30; Lessing (1910), Ges. Schr. XXVI, 40; zuletzt in der Einfhrung zu EuD3 (1910). 61 Die bei D. mehrfach zu findende Wendung (Anm. Sh 19, 18–26) ist vielleicht zu seiner Zeit 58
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wissenschaftliche ra, in eine Phase der Ungebundenheit, der Unabhngigkeit, sowohl von einem religiçsen System als vom Zwang naturwissenschaftlichen Denkens, in die Zeit freier Entfaltung der Phantasie oder in Diltheys Terminologie in das Zeitalter der Phantasiekunst (281, 18). Eine neue Offenheit fhrt zu Vernderungen in Theologie und Philosophie, Kunst und Literatur. Als Wende gilt Mitte des 14. Jh.s Occams Tod und die Ausbreitung des erneuerten Nominalismus, nach welchem, in Diltheys Interpretation, den einzelnen individuellen Dingen allein Realitt zukommt. Dilthey sttzt sich zur Kennzeichnung der umstrittenen Lehre auf den sprechenden Begriff der „ Diesheit“ (25, 9).62 An den Jahrhunderten erbitterter theologischer Kontroversen interessieren ihn das Konzil von Ferrara/Florenz mit der Gestalt des Nikolaus von Kues, theologische und philosophische Schriftsteller, Außenseiter wie Sebastian Franck, die Reformatoren, zusammengefaßt: die Evolution der christlichen Religiositt (12, 20). In welche Richtung sie auch gehen mag, bei grçßter Unterschiedlichkeit in Motivation und Wirkung, sie wird erst ermçglicht durch eine gewisse Distanz zu Macht und Autoritt der Kirche. Weniges, Bewunderndes schreibt Dilthey zu Nikolaus von Kues und dem gewagten, fr sehr kurze Zeit geglckten Versuch, in der Zusammenkunft ihrer umfassend gebildeten Vertreter die Differenzen zwischen Ost- und Westkirche zu berwinden. [. . .] aus dem erweiterten Gesichtskreis des Lebens selber ist dieser religiçse Universalismus hervorgegangen. (21, 16). Zitierend bezieht sich Dilthey auf die Schrift De pace fidei, auf die Dialoge zwischen Vertretern verschiedener Religionen. Im wiederholenden Unterkapitel zu Shakespeare, S e l b s t e r k e n n t n i ß , stellt er Nikolaus und weitere Theologen/ Philosophen zusammen. Vorbereitet durch den Einfluß der rçmischen Philosophie, die neu entdeckt und erforscht wird, richtet sich die Aufmerksamkeit auf eigene Erfahrungen, die ußeren wie die inneren. Die Theologie gewinnt in der inneren Erfahrung ihren Mittelpunkt. (22, 10). Der Erfahrbarkeit Gottes durch die natrliche Vernunft im ‚Buch der Natur ohne Vermittlung von Schrift und Tradition, die der katalanische Arzt, Theologe und Philosoph Raimundus Sabundus vertritt, steht die mystische des Nikolaus von Kues gegenber. Den eigentlichen Anfang der herausgehobenen Epoche macht die bildende Kunst Italiens, Plastik und Malerei der Frhrenaissance. Zuerst ist in der bildenden Kunst ein Verstndniß des Menschen von den neueren europischen Vçlkern erreicht worden. (26, 40). Dazu die kleine Notiz: Die große Kunst entstand, das Glaubensverhltniß zur Kirche wurde so berflssig gemacht. (282, 34). Innerhalb der bersichten Diltheys zu diesem Bereich kommt Donatelein Topos. Vgl. H. Semper, Donatello seine Zeit und Schule, Wien 1875, S. 134: „[. . .] der Humanismus lehnte sich gegen die formlosen Hirngespinste scholastischer Philosopheme [. . .] auf.“ 62 Vgl. Shakespeare 17, 32 und Anm. Sh 17, 32 – 18, 1; Phantasiekunst 276, 33 – 277, 5.
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lo, Verrocchio und Leonardo grçßere Beachtung zu, sie werden etwas ausfhrlicher dargestellt im Unterkapitel zu Shakespeare: Die Epoche der großen Kunst. Dilthey rhmt Realismus und Lebendigkeit der Figuren Donatellos, der sie selber, nach Vasari, als lebendige Personen empfunden haben soll, denen nur die Sprache fehlt. Die in einer Individualitt angelegte Form zu wirken und sich zu bewegen, ist alles. (28, 16). Dieses Neue verndert die aus der antiken Tradition bekannten, nun gesammelten und studierten Figuren. Mit Jacob Burckhardts/Wilhelm Bodes Cicerone schreibt Dilthey der Reiterstatue des Colleoni von Verrocchio in Venedig zu, das großartigste Reiter-Monument der Welt zu sein.63 Strker noch als Donatellos Gattamelata in Padua, weil freistehend, von allen Seiten aufnehmbar, ist sie Ausdruck des sich seiner selbst bewußten Menschen, in seiner Selbstherrlichkeit (28, 8). Demonstrieren die Reiterstatuen Kraft, Energie, Durchsetzungsvermçgen, erfassen Verrocchio und sein Schler Leonardo in ihrer Malerei das Rtselhafte, Unergrndliche des Menschen. So entstand das grçßte, malerische Werk aller Zeiten in Bezug auf die Abstufung des Ausdrucks der Individualitt: das Abendmahl. (29, 23).64 Zum Verhltnis von dargestellten Figuren und Raum bemerkt Dilthey: berall sind sie doch in eine Art von idealem Raum hineinkonstruiert. (26, 37).65 Dem entspricht offensichtlich der Raum fr große Individualitten (254, 14) , den die reale Gesellschaft zugesteht. Dilthey bertrgt die rhythmische Darstellung der Menschen im Raum auf Literatur; vergleicht literarische Darstellungen mit der Malerei der venezianischen Schule oder mit Musik, sieht sie frei von allen Erklrungsmustern natrlicher, gesellschaftlicher, geschichtlicher Gebundenheit. Der Mensch ist ihr Ziel, nicht Natur, noch Gesellschaft, noch Geschichte. (26, 38). Diese Entwicklung hlt Dilthey fr nicht ableitbar aus einem vorangehenden Zustand oder bestimmten Bedingungen, schon gar nicht aus Hegels Annahme der vernnftigen Natur des Menschen. Die Menschen-Natur selber offenbart sich nach ihrer Inhaltlichkeit in den großen Wendungen der Geschichte. Denn die Geschichte allein zeigt, was der Mensch sei. (26, 3). Im ersten der Bruchstcke, in dem trotz seines Titels von Zeitgenossen Shakespeares auf literarischem Gebiet kaum die Rede ist, weist Dilthey einleitend Shakespeare seinen Platz in der Dichterhierarchie zu und faßt die an Dichtung gestellten Erwartungen zusammen. Zugleich ergibt sich von hier die Verbindung zu Thema probandi, dem Einleitungsfragment, und zum Titel der geplanten Auf63
Vgl. Anm. Sh 28, 29–30. Vgl. [. . .] erreichten Velasques Rembrandt und Rubens das usserste in der Erfassung der Person [. . .]. Phantasiekunst 281, 11–12. 65 Vgl. D.s Gebrauch der Raummetapher fr die von Goethe und Schiller geschaffenen Gestalten in Jean Paul 329, 30–31; auch sthetik 285. 64
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satzsammlung: So ist er der grçßte unter den Sehern der Menschheit, (7, 11) und weiter: Er ist der Seher der Individuation, er ist das Organ, durch welches wir Charaktere und Leidenschaften gewahren. (31, 4). Individuation, Herausbildung des Menschen als des besonderen einzelnen und dessen Wahrnehmung, ist ein ausgeprgtes Merkmal der eigens von Dilthey abgegrenzten und benannten Zeitspanne.66 Den Begriff Seher gebraucht er in den spteren Bearbeitungen seiner literarhistorischen Aufstze, wenn auch nicht mit dem programmatischen Elan dieser Bruchstcke. Ausdrcklich betont er, Seher nicht im Sinne des vates der Alten zu verstehen, als den Voraussehenden, den Deuter oder Wahrsager, sondern als denjenigen, der mit grçßerer Einsicht, tieferem Verstndnis begabt ist als der Durchschnitt der Menschen. Das von ihm geschaffene Werk und dessen Mitteilung weitet den Horizont der es Aufnehmenden, fçrdert ihre Verstndnisfhigkeit: Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen; und indem die Schçpfungen der großen Menschen ihn sehen lehren, lernt er verstehen, was ihn umgiebt. (31, 8).67
IV. Neben der seherischen Begabung des Dichters wirkt sich die jeweilige gesellschaftliche und politische Verfassung auf Literatur wie auf alle Kunst aus, das gilt, so von Dilthey dargelegt, vor allen andern literarischen Gattungen fr das Drama als einem Medium çffentlicher Wirksamkeit, an zweiter Stelle fr den Roman. In beiden Bereichen verndern sich seine Einschtzungen und Bewertungen, wie die Ausfhrungen zu Shakespeare und Freytag, Alfieri und Schiller, zu den Romanen Jean Pauls und Dickens’ zeigen. Das erste der drei Bruchstcke zur Phantasiekunst 68 geht von den wirtschaftlichen und politischen Verhltnissen aus, zu denen die Dichter in Beziehung stehen: Heben wir das entscheidende Moment heraus, so leben diese Dichter in vçlliger Harmonie mit der aristokratisch-monarchischen Gesellschaft, die sie umgiebt. (255, 16). Folge oder Ergebnis dieser harmonischen bereinstimmung ist die Entwicklung des großen Dramas. Italien fhrt zwar auch in literarischer Hinsicht mit Boccaccio, Dante und Petrarca die neue Entstehung der Literatur in der Nationalsprache an, da es sich aber nicht zu einer Nation, einem Nationalstaat entwickelt hat (254, 4), bildeten sich weder das Theater noch das Drama großen Stils aus. Dies war den drei nationalen Monarchien, Spanien, England und 66 67 68
Zu Shakespeare vgl. Abhandlung (1895) 288–295; zum Begriff Seher Anm. Sh 7, 11. Vgl. Abhandlung (1895) 274–280; sthetik 276. Vgl. Phantasiekunst 253–259.
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Frankreich, vorbehalten. Unter dem Einfluß der rçmischen Komçdie, der Tragçdien Senecas, der neuen italienischen Versformen entstanden die großen Dramen Lopes, Calderons, des Cervantes. Shakespeares Dramen knpfen,69 bewußt oder unbewußt, an diese Vorgnge an wie an die englische Tradition mit Marlowe, er schien alle Zeitkrfte in seiner Dichtung zu sammeln und doch etwas Zeitloses darin zu haben. (23, 24). In der vergleichenden Darstellung Shakespeares von 1877, in der Goethe-Rezension, ebenso zu Beginn des Bruchstcks Shakspere und seine Zeitgenossen weist Dilthey darauf hin, daß wenig Biographisches von Shakespeare vorhanden sei. Wenn auch die Shakespeare-Forschung danach sucht, reicht es nicht aus, die geistige Weltmacht (7, 20) zu erklren. Fr den Prototyp des objektiven Dichters, als den ihn Dilthey 1877 im Vergleich zu Rousseau und Goethe vorstellt, ist das von geringem Belang, weil er berwiegend in der Welterfahrung (157, 39) lebt und aus ihr heraus schreibt. Seine Dichtung gehçrt mit Selbstverstndlichkeit in den politischen und gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit. Nicht in sich selbst, sondern in dem was außer ihm auf ihn wirkte, lebte er. Er war ganz großes geistiges Auge. (151, 19). So charakterisiert ihn Dilthey 1877 und, leicht gesteigert, um 1895: Eben je geringer das Nachdenken ber die allgemeinen Gesetze des seelischen Lebens, die Umstnde unserer Entwicklung, unsere wirtschaftliche und sociale Gebundenheit damals waren, um so ausschließlicher und direkter richtete sich auf das Individuum das Auge Shakespeares. (30, 33). Homer verwandt, hat er in seinen Kçnigsdramen, die seiner Zeit nahe, in ihr noch wirkende, ihn umgebende englische Geschichte dargestellt, wenn auch, wie der Vergleich mit Schiller zeigt, kein historisches Drama geschaffen. Etwas hnliches als Homer fr die Griechen sind diese Kçnigs-Dramen Shakespeare’s fr die Englnder geworden. (36, 12). Seine Rçmerdramen, auf der Grundlage des Plutarch, konnten ihm jedoch nur gelingen durch die Konzentration auf die menschlichen Charaktere, die alle seine Dramen auszeichnet.70 Aus dem noch um 1895 behaupteten und als Mangel empfundenen, fehlenden Zusammenhang des deutschen politischen Lebens mit der nationalen Literatur zieht Dilthey den Schluß: Um so wichtiger ist es, daß wir Shakespeare in uns aufnehmen. (36, 37). Shakespeare ist neben Schiller der Bezugspunkt fr den jungen Dilthey, der 1863 Gustav Freytags Buch: Die Technik des Dramas rezensiert.71 Seine Erçrterung, wie er die Rezension spter nennt, geht von der Kenntnis der Berliner Bh-
69
Vgl. Phantasiekunst 279–281. Vgl. Shakespeare 9 und Schiller 181 f. 71 Einer der acht Beitrge D.s fr die nur zwei Jahre bestehende Berliner Allgemeine Zeitung J. Schmidts. 70
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nen aus und von der berzeugung ihres eingreifenden, verndernden Einflusses.72 Den Gedanken der Erziehung zu nationaler politischer Kultur, zum Staat, durch das Bewußtsein von der nationalen Geschichte hatte Dilthey anlßlich von Freytags Bildern aus der deutschen Vergangenheit bereits hervorgehoben.73 Im Theater erwartet er Fçrderung in diesem Sinne vom historischen Drama. Den Anspruch, durch Handlung Handeln zu erzeugen, erfllt, angesichts der desolaten politischen Verhltnisse, das deutsche Drama der Gegenwart nicht, noch hat es ihn je erfllt, wie es ihn erfllen sollte.74 Schiller allein bildet die Ausnahme. Freytags praktische Anleitung sieht Dilthey nun als Behelf in dieser Lage, Freytag in der legitimen, unmittelbaren Nachfolge Lessings, dessen Situation mit der seinen bereinstimmt, hinter beiden Aristoteles – Freytag sogar Lessing und Aristoteles noch berlegen in der insistierenden Bestimmung des Dramas als Handlung. Neben der pathetischeinfachen, zweckgerichteten Sicht des Dramas und hçchstem Lob fr Freytag steht Diltheys vorsichtige Kritik an der Enge der Freytagschen Schemata, die Shakespeares Lear und Hamlet ausschließen. Dilthey verteidigt – und darin bekunden sich seine eigenen Vorstellungen – den angeblich ausufernden Dramentyp mit dem Begriff der inneren Form.75 Entsprechend entkrftet er den Einwand Freytags gegen das antike Drama mit dem Hinweis auf dessen Geschichtlichkeit. Gegen Freytag geht das Tragische nicht aus dem Dramatischen von selbst hervor, sondern aus dem allezeit gleichbleibenden Wesen des menschlichen Geistes. (423, 17). Die Untersuchung, die der junge Dilthey anregen mçchte, ist eine psychologische, die gesammelte Tiefe der menschlichen Natur betreffend (423, 27), deren adquate Ausdrucksformen das Drama und die Musik seien. Beider Wirkung fhrt auf den tiefsinnigen ethischen Begriff der Katharsis zurck. (423, 40). Polemisch wendet sich Dilthey gegen die von Freytag mit großer Zustimmung aufgenommene Katharsis-Interpretation von Jacob Bernays,76 lehnt sie als drftig, medizinisch sensualistisch ab. Katharsis als reinigend, entlastend ist ihm zu wenig. Ihm fehlt die erhebende Wirkung der Tragçdie, deren Rtselhaftigkeit auf eine zu untersuchende Konstante menschlicher Empfindung zurckgehe. Die Hoffnung, daß Freytags 72 Vgl. D.s Argumentation fr Berlin als Studienort im Brief an seinen Vater aus Heidelberg (Sommer 1853). JD 8 f. 73 Rezension (1862) von Freytags Buch: Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Ges. Schr. XI, 62. 74 Die Jungdeutschen bezichtigt D. der Verwilderung, Freytag 414, 37–38; Hebbel des skeptisch-naturalistischen Secirens des innern Lebens, Freytag 415, 15–16. 75 Vgl. Anm. Ph 258, 34 – 259, 13. 76 J. Bernays, Grundzge der verlorenen Abhandlung des Aristoteles ber Wirkung der Tragçdie, Breslau 1857. – D. ußert sich zu Drama und Musik sechs Jahre nach der Abhandlung von Bernays und ein knappes Jahrzehnt vor Nietzsches Schrift: Die Geburt der Tragçdie aus dem Geiste der Musik (1872).
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Technik wirklich berbrckung sei, die Hoffnung auf das große nationale Drama hat Dilthey um 1895 aufgegeben zugunsten des Romans als der modernen literarischen Gattung. Alfieri im Konzert der europischen Dramatiker zu finden, liegt, zumindest aus heutiger Sicht, nicht sehr nahe, zumal er, im Gegensatz zu Shakespeare, auf den deutschen Bhnen wenig zu sehen war. Auf den Zeitgenossen Goethes und Schillers ist Dilthey vielleicht durch Gervinus aufmerksam geworden, der ihm trotz der klassizistischen Form seiner Tragçdien einen Neuanfang in der italienischen Literatur zugesteht.77 Vielleicht hat er 1855 Alfieris Mirra in Berlin gesehen oder unter den rund 50 Zeitungen im Caf Spargniapani 78 Cottas Morgenblatt mit einer Notiz zur Auffhrung und Herman Grimms Lob der hervorragenden schauspielerischen Leistung der Ristori in der Hand gehabt – von der ihm so wichtigen Vita ganz abgesehen.79 Vor allem sind es die politischen Bedingungen, unter denen Alfieri seine Dramen geschrieben hat, die ihn interessieren. Sie fordern zum Vergleich auf, weil sie den deutschen so hneln. Der große Unterschied jedoch besteht fr Alfieri und alle italienischen Schriftsteller darin, trotz des zerstckelten Landes in einer ununterbrochenen und ungebrochenen literarischen griechisch-rçmischen Tradition zu stehen. Nur unter dieser Voraussetzung wird das Drama mçglich und Alfieri zum Propheten des neueren Italien (316, 7). Seine Tragçdien knpfen meist an die Antike an und sind wie die Shakespeares Beweis, daß der Dramatiker in der Regel nicht Erfinder, sondern Gestalter eines bekannten Stoffes ist.80 Die Arbeit am Vorhandenen ebnet Alfieri, der spt erst das florentinische Italienisch gelernt hat und im beengten çffentlichen Leben keinerlei Handlungsspielrume zu haben glaubte, den Weg zu literarischen. Daher die Unermdlichkeit des Verwerfens und Reflektierens, in der Erwartung des – ihm nicht bermßig zuteil werdenden – literarischen Ruhms. Diesen Vorgngen wendet sich Dilthey weit mehr als Inhalt und Gestaltung der Tragçdien selber zu, vor allem, da er annimmt, in Alfieri wie in Dickens einen Autor vor sich zu haben, der sich ohne ußere Zwnge, aus sich selber entwickelt hat – anders gesagt, an dessen Autobiographie sich das Zustandekommen der Werke ohne jede Einschrnkung ablesen, der Produktionsprozeß beobachten lßt. Sein Verlauf bewegt sich parallel zu den Stationen des auf dem Hintergrund der Ethik Spinozas gedeuteten Lebensganges. 77
Vgl. G. G. Gervinus, Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts I, Leipzig 1855, S. 326 f. Vgl. JD 20. Adelaide Ristori (1822–1906), große italienische Schauspielerin. 79 B. Erdmannsdçrffer mit der bersendung seines Aufsatzes ber Alfieri am 15. Mrz 1886 an H. Grimm ber Alfieris geringe Bekanntheit: „[. . .] selbst die Vita haben merkwrdig wenig Menschen gelesen.“ HSA 340 NL Grimm, Br 1063. 80 Shakespeare 9, 1–5. 78
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Shakspeare und noch immer kein Ende.81 Seine Rçmerdramen bilden Anknpfungspunkt und Hintergrund, Wallenstein als historisches Drama zu sehen und Schiller als dessen Begrnder wie Vollender. Geschichte ist in Wallenstein nicht Staffage wie in vorangehenden Dramen. Man vergleiche, wie viel von einer historisch politischen Lage und ihrem Zusammenhang mit den Beweggrnden eines Helden in irgend einem Stcke Shakespeares vorkommt, mit dem, was Schiller dem Zuschauer so ohne alle Pedanterie, so ganz natrlich zum Verstndniss an die Hand zu geben weiss, welch’ ein Unterschied! (190, 8). Dazu war Schiller, in eine ganz ungeschichtlich stagnirende Atmosphre eingetaucht (182, 28), nur imstande dank seiner eminenten Kenntnis der historischen Vorgnge, seiner dem Drama vorangehenden Studien und seiner Geschichte des Dreißigjhrigen Kriegs. Weiter lçste ihn aus den mißlichen zeitgençssischen Umstnden die entschiedene innere Beteiligung an den von Frankreich ausgehenden Vorgngen seiner Gegenwart, und schließlich verfgte er ber eine angeborene historische Genialitt (185, 6).82 Eine weitere Mçglichkeit, neben der Alfieris, sich ber die fatale Gegenwart hinwegzusetzen. Nicht zufllig whlt Schiller eine Figur aus der Zeit des bergangs von der Phantasiekunst in die Astronomische Epoche (171, 32), und Dilthey erinnert in einem kleinen Passus ausdrcklich an die deutsche Entwicklung in dieser Zeit.83 Im Gegensatz zu Max und Thekla, in denen der Maßstab des Ideals fr die Beurtheilung der handelnden Personen gegeben sei, (186, 9) zeichnet Schiller in Wallenstein den Realisten oder – Dilthey entsprechender – Wallenstein ist ein historischer Character. Ich verstehe unter einem solchen eine Verbindung von Eigenschaften, welche durch eine geschichtliche Lage bedingt ist und nur aus ihr verstndlich wird. (190, 13). In kaum einem seiner Aufstze und Fragmente hat Dilthey so sichtbar an und mit dem Text gearbeitet wie an Wallenstein. Das in der Freytag-Rezension fr die Gegenwart der 60er Jahre so dringlich gewnschte historische Drama, das Identitt stiften und Handeln befçrdern soll, findet er in Wallenstein auf einzigartige, zugleich unwiederholbare Weise realisiert. Dieses Drama ist nicht nur philosophischer als die Philosophie sondern auch historischer als die Geschichte. (198, 29). Den schrfsten Kontrast zu Schillers Dichtung – von der Gattung abgesehen – bildet Jean Pauls literarische Welt, vorzugsweise die Welt der kleinen Leute, die sich mit ihrer bescheidenen Existenz arrangieren mssen und es tun, Spiegelbilder tatschlicher sozialer Verhltnisse. Wenn auch ein Autor von ungeheurer Beliebtheit zu Lebzeiten und bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, hat ihn Dilthey fr 81
Titel eines Shakespeare-Aufsatzes (1850) von Th. W. Danzel, der Goethes Titel leicht verndert. 82 Vgl. Schiller 182 f., 185. 83 Vgl. Schiller 171 f.
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seine Aufsatzsammlung nicht in Betracht gezogen. Wahrscheinlich hat er sich auch erst nach der nicht zu einem Ziel gelangten Bearbeitung des Dickens-Aufsatzes dazu entschlossen, ber ihn zu schreiben. Die teilweise hier wiedergegebenen eigentlich fr die Studien bestimmten Ms.-Bruchstcke sind Diltheys Biographiekonzept verpflichtet. Dilthey verknpft Jean Pauls berbordende Erfindungslust mit der Phantasiekunst. Das Neue und Eigene aber war das Zurckgreifen auf die große Phantasiedichtung des 16. Jahrhunderts etc. (329, 21). Gemessen an der sthetik Goethes und Schillers stellt er den Gegenpol dar,84 gleichwohl erfaßt er eine Seite der Eigenheiten unsres damaligen nationalen Lebens, (329, 38). Dafr bieten sich als literarische Formen Satire und Idylle an, mit der ersten der beiden findet sich Jean Paul in der Tradition Voltaires und Swifts. In seinen und Hippels Romanen sieht Dilthey den brgerlichen Roman in seiner hçchsten Steigerung (328, 36). Einfhlung und philosophische Reflexion fhren beide Autoren zu neuen Formen des Humors, die ihnen gestatten, die Welt, wie sie ist, mit Souvernitt darzustellen. (329, 14). Der durchweg von Dilthey beklagten Enge und Zerrissenheit der deutschen Zustnde gewinnt er in der Gestaltung Jean Pauls eine positive Seite ab. Diese Spielart eines verklrten Realismus verbindet Jean Paul mit literarischen Tendenzen der Gegenwart Diltheys, bezieht sich aber auf eine ganz andere gesellschaftliche Wirklichkeit als Dickens fr seine Romane um sich hat. Er ist der Dichter des deutschen Lebens. Was die brgerliche Dichtung vor ihm geleistet hat, gelangt in ihm zur hçchsten Steigerung und darin verbindet er dasselbe mit der Romantik und dann mit der modernen deutschen Dichtung. Er ist der grçsste deutsche Humorist und vermag so die Darstellung des realen Lebens zu verklren. (327, 10). Vom brgerlichen Roman unterscheidet sich der soziale Roman Dickens’, dem Diltheys intensive Zuwendung gilt und den er doch schon vor 1895 wieder aufgibt. In der Erstfassung des Dickens-Aufsatzes ist sparsam von socialen Zustnden (402, 8) die Rede, von der Gattung Roman gar nicht. Im Gegenteil, Dilthey betont: Es ist nicht meine Absicht, die Geschichte der einzelnen Werke von Dickens darzustellen; nur um das handelt es sich, was geeignet sein kann, ein Licht auf die Natur und das Genie des erzhlenden Dichters zu werfen. (392, 2). Die Werke als ein Steinbruch von Belegen fr dichterische Imagination, dazu die Biographie und, 1877, als weiteres Hilfsmittel die Physiologie der Sinne (365, 13). In den ergnzenden Bearbeitungsstcken fllt der letzte Punkt weg. Das Untersuchungsprogramm, das Dilthey im Zusammenhang mit Taine rekapituliert, hnelt sehr dem in Novalis entworfenen.85 Die Abhngigkeit der neuen Gattung von den gesellschaftlichen Verhltnissen wre leicht festzuhalten, verbn84 85
Vgl. Jean Paul 328–330. Vgl. Dickens Tg., 407, 6 (721) den zweiten Abschnitt mit Novalis 200, 14–31.
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den sich nicht damit berlegungen zur Gattung Roman,86 die Diltheys Distanzierung von Taine, dem erklrenden Psychologen, einschließen. Aber das schaffende Vermçgen und die Werke von Dickens bilden zugleich ein Glied in dem hçchst wichtigen und zusammengesetzten Vorgang, der den modernen Roman hervorbrachte. (706). Mit Unbehagen steht Dilthey zunchst diesem Roman in seiner Doppelseitigkeit gegenber, Poesie zu sein und zugleich, wie in den Fortsetzungsserien, die Dickens schrieb, unverhllt zutage tritt, vom Publikum wçchentlich oder monatlich erwartete und geforderte Ware. Dennoch bleibt er dabei: In diesem sonderbaren ja einzigen Vorgang der Entstehung der herschenden Literaturgattung nahm Dickens eine hervorragende Stelle ein. (707). So erscheint sinnvoll, in der geplanten Aufsatzsammlung Novalis neben Dickens zu stellen (708), d. h. Wilhelm Meister oder den Bildungsroman, von dem Heinrich von Ofterdingen ausgeht, neben den sozialen Roman. Gattungsgeschichtlich konzipiert sind zwei lngere Ausfhrungen: 598 b (710–719) ohne Einfgungszeichen und eins der drei Fortsetzungsbruchstcke: 602 Fortsetzung (722–727). Das erste der beiden Stcke war hçchstwahrscheinlich fr den Anfang des Abschnitts VI gedacht, vielleicht sogar als Ersatz fr VI, wenn auch ein unabgeschlossener. Das zweite ist durch eine vorangehende kleine Einfgung inhaltlich eng mit dem Schluß des Aufsatzes verknpft, bricht allerdings ebenfalls ab. Die letztgenannten beiden Ergnzungen enthalten Beobachtungen D.s zu Schreibweise und Geschichte des modernen Romans, dem lngst akzeptierten Opiumrausch (707) fr das Lesepublikum. D. stellt drei Bedingungen fr den epischen Dichter bzw. die Entstehung epischer Dichtung. Fr die erste, nicht genauer bezeichnete, ist ein Stichwort des Textes zentral: Transformation des Wirklichen; die beiden folgenden faßt Dilthey zusammen unter Objektivitt und Universalitt. (722 f.). Sie sind von vçllig anderer Art als die aus der physiologischen Disposition des Dichters hergeleiteten Charakteristika (372, 25) und bilden ein sprbares Gegengewicht. Noch strker entfernt sich Dilthey von seinem einstigen Aufsatz mit den Bemerkungen zu Geschichte und mçglicher Stellung des Romans. Er schließt nicht aus, daß der moderne Roman die Ilias der Gegenwart wird oder, noch einen Schritt darber hinaus, die Rolle bernimmt, die im 16. Jahrhundert das Drama innegehabt hat. Gewiß ist, daß das Drama Entwicklungen der Charaktere, ihr gesellschaftlich-soziales Umfeld, den politisch-geschichtlichen Kontext, worauf es dem zeitgençssischen Leser ankommt, nicht einzugliedern vermag (724) und daher durch den Roman aus seiner exponierten Position verdrngt wird. Ein eher unaufflliges Indiz: Freytags Schrift, diese „Perle von einem
86
Vgl. die erste grçßere Einfgung gleich zu Beginn des alten Aufsatzes. Dickens Tg., 365, 33 (706 f.).
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Buch“,87 wie Moritz Lazarus sie genannt hat, von Dilthey einst sehr geschtzt und ihm lange gegenwrtig, versinkt in Bedeutungslosigkeit, weil unhistorisch.88 Entstehung und Entwicklung des modernen Romans, fr Dilthey noch wichtiger als die Bedingungen des Schreibens, sieht er in Parallele zur Geschichte der Soziologie. Wie die Soziologie historische Forschungen, den Historismus, voraussetzt, so der moderne soziale Roman den historischen. Dessen Bltezeit ist das erste Drittel des 19. Jh.s mit den Romanen Walter Scotts, reprsentativ, vielfach nachgeahmt und von Dilthey ausfhrlich erwhnt. Scotts Romane gehen zurck auf die Eigentmlichkeit der schottischen Landschaft und Gesellschaft, vor allem auf das antiquarische Interesse ihres Verfassers. Er beherrsche die Kunst, ein Arrangement verschiedener Gesellschaftsschichten herzustellen, sie zueinander zu bringen. Dilthey schließt eine Beobachtung ber die Verfahrensweise der Romandichter im Gegensatz zu den dramatischen Dichtern an, die er dem Tagebuch Scotts entnimmt: Die großen Romandichter scheinen dann mit besonders wirksam schaffender Phantasie voranzuschreiten, wenn vor ihnen, wie vor den Lebenden selber, die Zukunft noch in einem gewissen Dunkel liegt. (726). Whrend das Bruchstck 602 Fortsetzung mit einem Hinweis auf die innere Form des neuen Romans und die erstaunliche Mannichfaltigkeit seiner Charaktere (727) abbricht, ist dieser Punkt in 598 b ausgefhrt und an den Romanfiguren bis zu einem gewissen Grad verifiziert. Außerdem enthlt dieses Bruchstck noch Ausfhrlicheres zur Tradition des historischen Romans und zum zeitgeschichtlichen Hintergrund. Dilthey sucht die neue innere Form, die Dickens mit seinen Romanen (er)findet, nher zu erfassen, das Bruchstck 602 Fortsetzung ergnzend : Ihr Material ist die erstaunliche Mannichfaltigkeit seiner Charaktere, jeder unbefangen gesehen, nicht construirt, Gegenstze darin durch Mittelglieder ausgeglichen, komische und ernste Zge verwebt, wie das Alles das Leben selber thut. (712). Mit dem Verweis auf Wilhelm von Humboldt spricht Dilthey von einer Welttotalitt (713), die sich in Scotts und Dickens’ Romanen entfaltet, bei letzterem bezogen auf die brgerliche Gesellschaft seiner (berwiegend Londoner) Gegenwart (714). Wie Dilthey die Erinnerungsfhigkeit des Dichters Dickens im frhen Aufsatz auf Kindheitseindrcke und -erfahrungen gegrndet hat, fhrt er nun dessen berzeugung, daß nur die socialen Eigenschaften des Menschen denselben zum Glck befhigen, darauf zurck (714, 716). Sie werden zwar Kriterium 87
M. Lazarus, Lebenserinnerungen, hrsg. von N. Lazarus und A. Leicht, Berlin 1906, S. 150. D. wiederholt wenige Punkte seiner Rezension in einer Kurzanzeige der dritten Auflage der Technik (1876). Ges. Schr. XVII, 85 f.; entlehnt Passagen in Bausteine 233 f.; weist auf seine Erçrterung hin, Bausteine 223. Dagegen: Versuche, wie der Freytags, eine Technik des Dramas zu entwerfen, kçnnen nicht gelingen. sthetik (1892) 284. 88
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fr die Gliederung der Vielfalt der Charaktere (714–716), im brigen jedoch nicht sonderlich hoch von Dilthey bewertet: Dies Ideal ist nicht mehr das unsrige. (716). Ein vergleichender Blick, wiederum auf Freytag, lßt den einmal fr vorbildlich gehaltenen Roman Soll und Haben89 unter eben dieses Verdikt fallen. Von ihm unterscheide sich Dickens durch die Gabe, die Drftigkeit der Auffassung zu schmcken und zu bekleiden. (716). In einem ganz anderen Bereich liegt die Aktualitt seines sozialen Romans. Mit großer Genauigkeit schildert Dilthey die Vernderung der Menschen, bewirkt durch die sich auf so vielen Gebieten im Umbruch befindliche, schnell wandelnde englische Gesellschaft. Dickens ist ein Typus dieses neuen Geschlechts. (717). Ihm wie Carlyle ist bewußt, daß die politischen Machtverhltnisse nicht von Dauer sind, daß die arbeitenden Massen in den socialistisch-communistischen Theorien eine Sprache gefunden haben. Dilthey konstatiert diesen Vorgang nicht nur, er erklrt daraus den Bau der Romane, die Zusammenfhrung verschiedener Personengruppen in Einer Handlung, gleichsam nach demokratischem Prinzip. Mit Meisterschaft durchgefhrt in Our mutual friend und vom erstrebten Ziel her zu sehen, eine solche Umgestaltung der Gesellschaft zu erreichen, daß die demokratische Ordnung Arbeiter und bisherige Herren verbnde. (719). Der ganze Sachverhalt fhrt auf Taine, der schon mehrfach Bezugspunkt fr Dilthey gewesen ist, und zwar auf die Histoire de la littrature anglaise, zu 599 (720). Ausdrcklich mçchte Dilthey einen Abschnitt zu Taine in seinen alten Aufsatz eingefgt wissen. Im gewhlten Zusammenhang spielt Taine Dickens gegen Balzac aus und findet bei Balzac die grçßere Kraft und Vorurteilslosigkeit der Analyse der Charaktere, der „Physiologie des Herzens“.90 Taines Urteil nimmt Dilthey zum Anlaß, seine Arbeitsschritte zu rekapitulieren (721), sich seiner Methode zu vergewissern, um ein Ergebnis zu erreichen: die Entscheidung des Processes um Dickens, der aus Taines Anklageakte entstehen mußte. Damit endet die einzufgende Passage. In einem der drei Zustze zum Schluß des ganzen Aufsatzes, Fortsetzung zur Seite 602, (728) nimmt Dilthey den Faden wieder auf und weist Taines Auffassung, so wie er sie sieht, damit eine Variante des Naturalismus, als dessen Wortfhrer er Taine versteht, mit einem eindrucksvollen Vergleich zurck. Er erlutert den Unterschied zwischen der Photographie eines Menschen und seinem Portrait. Die von Taine so gelobte Analyse von Leidenschaften bei Balzac gleicht einer unbeteiligten photographischen Aufnahme. Im Portrait dagegen werden aus subjektiver Sicht des Malers Zge weggelassen oder verbunden, es ist eine Anweisung, ein Gesicht zu verstehen, es gibt den Eindruck wieder, welchen die mit dem Gesicht Vertrauten von demselben haben. Dilthey 89 90
Vgl. JD 29. Vgl. Dickens Tg., Fußnote 40.
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fhrt fort: dies ist die Congenialitt des Knstlers mit seinem Gegenstande, vermittelst deren er gerade durch dessen freie Gestaltung die Wahrheit tiefer ausspricht, die Wirklichkeit verstndlicher macht als jede Nachbildung oder Analyse vermçchte. (728). Die Entscheidung im Taine-Dickens-Prozeß ist damit getroffen, die Umgestaltung des Aufsatzes, die Verschmelzung alter und neuer Elemente, so wenig gelungen wie die ganze Sammlung. Der Versuch, mit der an seine Gegenwart heranreichenden Geschichte des sozialen Romans eine historische Dimension in den Aufsatz zu integrieren, ist so und zu diesem Zeitpunkt bei Dilthey einmalig, entspricht seiner berzeugung, die er im Einleitungsfragment, Thema probandi, fr alle Poesie formuliert: I n i h r e r G e s c h i c h t e m a n i f e s t i r t s i c h w a s s i e i s t . Ihre Geschichte f a ß t i n s i c h w a s s i e d e n M e n s c h e n n a c h i h r e r s e h e r i s c h e n K r a f t z u s a g e n h a t . (5, 33). Diese Einsicht bedeutet Einverstndnis mit der Wandelbarkeit von Urteil und Geschmack oder das Zugestndnis, daß jede Zeit ihre sthetik entwickeln msse,91 sich in den Vernderungen ihre Eigenart zeige. Von daher ist konsequent, sich mit der neuen Form des Romans auseinanderzusetzen.92 Das frhzeitige Abbrechen der Umarbeitung kçnnte damit zusammenhngen, daß Dilthey den Vergleich von Photographie und Portrait im Naturalismus-Kapitel der sthetik-Abhandlung (1892), allerdings ohne Bezug auf den franzçsischen Naturalismus, verçffentlicht und kommentiert hat.93 Die Entscheidung gegen Taines Urteil gibt diesem Vergleich eine grçßere Schrfe, enthlt unausgesprochen die erst spter in aller Deutlichkeit mitgeteilte Ablehnung des erklrenden Psychologen und seines Untersuchungsansatzes.94 Es ist auch noch nicht von wahrer Psychologie die Rede , die Dilthey fr sich und seine Aufstze beansprucht.95 Indirekt zeigt sich seine Gegenposition in der Konzeption von Dichtung und Dichter, die eines ihnen gemßen Verfahrens bedrfen, in den auf den Maler bertragenen Forderungen der Transformation, der Wahrhaftigkeit seines Blickes, der Fhigkeit zu sehen und sehen zu lehren – Auch im Knstler ist gleichsam ein transcendentales Postulat lebendig [. . .]. (722). Der außerordentliche Anspruch an Kunst und Knstler, den Dilthey mit der Epoche der Phantasiekunst entstehen 91
Vgl. das Kap. Die Geschichtlichkeit der poetischen Technik. Bausteine 228–241. Bausteine 240 f.; auch Abhandlung (1895) 296 f. 93 Vgl. sthetik 282–284. 94 Ideen 163. 95 Was und wie ein großer Dichter die rthselhafte Individuation auf diesem Erdball, die Beziehungen von Umstnden, menschlichen Verhltnissen zu Charakter und Schicksal erblickt und bis in den Vers hinein darstellt: das kann nur durch Verbindung wahrer Psychologie mit vergleichender Literaturgeschichte und mit vergleichendem Studium der Kulturen gesehen werden. Im Brief an Yorck von Wartenburg, [Pfingsten 1895]. B Yorck 182 f. 92
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lßt, ist so schwer nachvollziehbar wie sein unbedingtes Zutrauen zur Realitt wahrhaftiger innerer Erfahrung, zur Biographie als ungetrbter Quelle der Erkenntnis, als Grundkçrper aller Geschichte und die am meisten philosophische Form der Historie.96 Verstndlich aber wird, wie unter diesen Voraussetzungen die Kritik an seinem Psychologiekonzept auch das Aufsatzprojekt zunichte machen mußte, dessen Ziel es war, dem Leser nur so viel als mçglich von dem Innersten einer wahren Philosophie zu vermitteln. 97 Mein herzlicher Dank richtet sich an alle, die – genannt und ungenannt – am Zustandekommen der beiden vorliegenden Bnde beteiligt waren. Zunchst danke ich den Herausgebern: Professor Dr. Karlfried Grnder fr die Einladung zur Mitarbeit an den Ges. Schr. und damit zugleich der Thyssenstiftung fr finanzielle Ermçglichung der sehr schwierigen anfnglichen Archivarbeiten. Professor Dr. Frithjof Rodi fr jahrelange Begleitung und den immer wieder aufgenommenen Dialog ber zu klrende organisatorische und inhaltliche Fragen zu beiden Bnden, die es schließlich geworden sind. Ohne die gleichbleibend freundliche Hilfsbereitschaft der Leiter und Mitarbeiter von Archiven und Bibliotheken wre die Edition nicht denkbar. Das gilt an erster Stelle fr das Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Hss. Diltheys), weiter fr das de Gruyter-Verlagsarchiv in Berlin, das Archiv der Universitts- und Landesbibliothek Bonn, das Hessische Staatsarchiv Marburg (Briefe Diltheys oder von Personen seiner Nhe); es gilt fr das Deutsche Literaturarchiv Marbach/N., die Stuttgarter Landesbibliothek, ganz besonders fr die Tbinger Universittsbibliothek, auf deren Bcherschtze sich Nachweise und Kommentierungen sttzen. Unentbehrlichen Rat bei allen editorischen Problemen in beiden Bnden gab Professor Dr. Norbert Oellers. Zu einzelnem haben helfend beigetragen: Dr. Gudrun Khne-Bertram mit gemeinsamem Sichten, Kontrollieren, Entziffern schwieriger Stellen der Hss. zu Alfieri, Shakespeare, Jean Paul im Berliner Archiv fr Bd. XXV und mit der Auskunft ber in Bochum aufgenommene Briefe Diltheys. Dr. Rita Unfer Lukoschiks und Dr. Francesca d’Albertos muttersprachliche und literarische Kompetenz kamen dem Aufsatz ber Alfieri zugute. Professor Dr. Lawrence Ryan beantwortete spezielle Fragen zu Hçlderlin. Zum leichten Auffinden von Literatur ber Dickens verhalf Professor Dr. Allan Robinson. Martina Davies nahm unvermeidliches Kollationieren unermdlich auf sich. Gabriele Malsch
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Ges. Schr. IV, 564 und oben Anm. 52. B Yorck 183.
,,Dichter als Seher der Menschheit“
Thema probandi.
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Ich mçchte zeigen wie im modernen Bewustsein die Poesie immer zunehmend eine selbstndigere und kraft der Zusammensetzung uns[ers] modernen Bew[ußt]seins eine gewichtigere Stellung erhlt als sie jemals vorher besaß. Die epische Poesie hatte ihren festen Hintergrund in Mythos und Sage; ihnen verlieh sie nur eindringlichste Macht etc. Das antike Drama gestaltete die Religiositt und die mythischen Gestalten rational um etc. Aber erst in der Epoche der Renaissance lçste sich die Dichtung los von jedem solchen Hintergrund etc., erst in der Epoche Schillers und Goethes erhielt sie das Bew[ußt]sein ihrer großen Funktion. Ich mçchte zeigen daß der Dichter ber die wahre Natur des Lebens in der neuern Zeit in selbstndiger Kraft etwas zu sagen hat, als: Seher. Der Dichter der Alten als Vates Seher kndete was seine Religiositt erleuchten, sinnlich machen, vertiefen konnte. Als dies Band in Euripides und der Sophistischen Epoche riß: fand er doch keine selbstndige Antwort sondern Skepticismus Pessimismus etc. etc. etc. Ich mçchte die Mittel zeigen die Art und Weise in welcher der moderne Dichter dieses ausspricht.
I Das Problem vom seherischen Charakter des Dichters.
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1. Die Frage an das Leben was es sei. Was der Mensch und was das Leben sei: diese Frage packt Jeden einmal. Aus dem Leben strebt jeder einmal zur Besonnenheit ber dasselbe emporzutauchen. Mit dem Leben ist leichter fertig zu werden wenn man eine souverne Position ber ihm ergreifen kann. 2. Der moderne Mensch befragt die Religion. Jugendeindrcke. Wie ein gold[ner] Schimmer liegt ber uns[rer] Jugend ein Band das uns an den Himmel knpft. Nun erweitert sich unser Horizont. Die Religionen – der Universalismus. Seit Friedrich II. Was ist Wahrheit? Ist Christus Prophet? oder Moses? oder Muhamet? Bodin etc. Wir werden in eine Tiefe gewiesen, welche im Menschen selbst aufgebrochen ist.
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Er befragt die Metaphysik. Zeiten ihrer Herschaft. Vernunfteinstellung des Alterthums. Gçttliches Wesen des Mittelalters. Primat des Willens. Die gçttliche Willkr. Hinnahme der Welt wie sie ist. Vernunftkritik welche Alle Metaphysik als transscendentalen Schein. Nun wendet sich der moderne Mensch auch an die Dichter. Er 8scheint berhoben einem Atheismus?9 etc. oder Schillers Gedicht8en?9 etc. aber Bilder Symbole kein E r n s t K u n s t a l s S p i e l . [1.] Da ist es nun entscheidend ob die dissonnirenden Stimmen der Religionen, der Metaphysiker, der positiven Denker betuben und verwirren, ob man sonach an solchen Antworten verzweifelt, wo denn nur noch schneidiger Wille sich anzueignen, regulirt durch die Convention zurckbleibt. Das ist die Seelenverfassung der meisten modernen Menschen. Hierber erhebt sich nur wer erkennt daß es keine Formel giebt, welche die Wahrheit enthlt. Daß jedes religiçse Dogma und jede wissenschaftliche Formel ber den Weltzusammenhang ein Symbol ist fr etwas das kein Mythos kein Dogma und kein Begriff ausschçpfen und wie es an sich ist aussprechen kann. Das Leben ist wie der Baum Ygdrasyl, die Weltesche, an deren letzten Verzweigungen dieser einzelne Mensch – Wie kçnnte er das Ganze bersehen? Und wenn nun doch Alles Bild und Symbol ist von etwas nie ganz Auszusprechendem, dann scheint der Knstler, der nur in Bildern und Symbolen spricht, die am meisten aufrichtige Sprache zu fhren. 2. Die Poesie erhlt nun eine ganz an[dere] Stellung in dem Maße, in welchem diese Einsicht wchst. Shak[espeare] konnte den Menschen seiner Zeit noch nicht Seher in dem Sinn sein als uns heute. Da er selbst von keinem Band von einzelner Religiositt oder Philosophie festgehalten war, war er der erste Seher oder Dichter in dem vollen modernen Verstande. Aber er ging in der Maske des Schauspielers etc. durch seine Zeit. a) Daß die Poesie in Symbolen den Sinn des Lebens ausspricht unterscheidet sie nicht von andern Religionen oder Metaphysik. b) Aber wie sie es thut, unterscheidet. c) Jeder versucht ja nun heute, den Dichtern solche Wahrheit und seherische Einsicht zu entlocken. Wie viele wenden sich an Goethe Strauß etc. Aber es bedarf um dieses grndlich zu thun, eine tiefe Anleitung etc.
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8B9 Dies kçnnte man auf 2 Arten thun: Man wendet sich an Universalgeschichte der Poesie. Oder an die einzelnen großen Dichter.
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Thema probandi.
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a) Daß Sh[akespeare] und Rousseau Gçthe und Schiller nicht blos ergçtzen durch Bilder, sondern in diesen etwas aussprechen, das als Weltverstndniß von denen etc. Was sie zu sagen haben, durch welche Mittel sie es aussprechen, das zu erkennen hat daher fr die, welche mit ihnen innerlich und oft verkehren einen erheblichen Werth. Die welche hierauf die Antwort suchen, wollen die folgenden einzeln herausgegriffenen Bilder dabei untersttzen. Sie zu lesen, wollen sie erleichtern. Mehr wollen sie nicht und auch das ohne Torturen und Gewaltmittel. Litteraturgeschichte – das wre ein Unternehmen viel weiter greifender Art. Der Zusammenhang, den der, welcher diese Bilder zeichnete sich von ihr entworfen hat, kann nur den Hintergrund bilden. sthetik oder Poetik ist etwas das nicht diese erst als Mittel gebraucht. Beide sind durch das Zusammenarbeiten vieler und bedeutender Krfte in den letzten Jahrhunderten in ihrer Ausbildung begriffen. Aber es versprche wenig Erfolg wollte ich von ihnen den Ausgangspunkt nehmen. Nur wiefern d a s D e n k e n b e r b e i d e d e n Hintergrund der Bilder ausmacht, mag ausgesprochen werd e n . Aber auch das nur in einer einfachen und anspruchslosen Weise. Ich glaube nicht daß die Poetik es vermag, gleichsam das Vermçgen des Menschen aus dessen Natur abzuleiten, das sich in der Poesie manifestirt. In dem menschlichen Geiste liegt ein unbezwinglicher Hang zu Hypothesen solcher Art. Durch sie begreift er ein ganzes Gebiet, besitzt es in einem System von Begriffen, aus denen er die einzelnen Erscheinungen nun erklren und Regeln der Kritik derselben und Werthbestimmungen derselben ableiten kann. In Wirklichkeit kann jedoch Geisteswissenschaft nicht aus Prinzipien ableiten, sondern sie kann nur den gegebenen Thatsachen durch umfassende Induktionen gewisse G r u n d e i g e n s c h a f t e n d e r i n i h n e n w i r k s a m e n g e i s t i g e n V o r g n g e entlocken. Wir graben in die Tiefe einem fr uns noch Incommensurablen, oder immer Incommensurablen entgegen, dem Zusammenhang des seelischen Lebens. Seine großen Zge, gleichsam seine Struktur: das ist uns bekannt, da wir es erleben und erfahren. Aber bei der nheren Analyse begegnet uns etc. Das nun auch in Bezug auf das Vermçgen der Seele etc. Auf wie viel gesicherterem Boden findet sich die Litterarhistorie. Es scheint einfach den Litterarhistoriker danach zu fragen, was Poesie sei. I n i h r e r G e s c h i c h t e m a n i f e s t i r t s i c h w a s s i e i s t . Ihre Geschichte f a ß t i n sich was sie den Menschen nach ihrer seherischen Kraft zu sagen h a t . Das kann Niemand bezweifeln. Aber eben hier stellen wir uns eine Aufgabe der wir einigermaßen genugthun zu kçnnen glauben. Von d i e s e m u n i v e r s a l h i s t o r i s c h e n Zusammenhang aus wollen wir einige Dichter nun darauf hin befragen, w a s s i e i n i h r e n B i l d e r n z u s a g e n h a t t e n , m i t w e l c h e n M i t t e l n v o n P o e s i e s i e e s a u s s p r a c h e n , in welchem
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Zusammenhang das was sie sagten zu d e m I n b e g r i f f d e s W o r t e s d e r P o e s i e selber an die Welt steht. Ein innerer, schwer faßbarer Zusammenhang dieser durch welchen jeder Dichter sich diesem Wort einzelnen Lauten anschließt, je nach der Zeit, Stellung in der Litteratur und seinem eignen Ingenium. Damit nhern wir uns der Einsicht davon, welches Verstndniß des Lebens in der Poesie berhaupt enthalten sei: was sie mithin dem der in ihr mehr als Bilder, als flchtige Unterhaltung sucht zu bieten habe.
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Shakspere und seine Zeitgenossen.
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Shakspere ist nach unserer Kenntniß der grçßte Dichter den die Menschheit hervorgebracht hat. Der Ursprung der homerischen Gedichte ist uns verborgen. Alle anderen Dichter reichen nicht an ihn heran. Goethe blickte mit Recht zu ihm als dem „Stern hçchster Hçhe“ empor und sein Faust allein trat neben Macbeth und Lear. Calderon konnte nur durch die Verblendung romantischer und katholischer Geschichtschreibung neben ihn gestellt werden. Der erfindungsreiche Lope bleibt an seherischer Tiefe des psychologischen Blicks und der gedankenmchtige Cervantes bleibt an Reichtum und Weite der Phantasie hinter ihm zurck. So ist er der grçßte unter den Sehern der Menschheit, welche das uns umgebende große Geheimniß als Dichter zu erhellen versucht haben. Jedes Mittel, diese Grçsse Shakspere’s uns verstndlich zu machen, scheint zu versagen. Von seinem Leben haben wir nur kmmerliche Nachrichten, und das wenige, was wir von demselben wissen, steht in schreiendem Contrast zu der Grçsse seiner Werke. Nur so konnte ja das litterarhistorische Mrchen aufkommen, Bacon sei der Dichter dieser Werke. Die lange und fleissige Arbeit englischer Shakspere-Gelehrten, solche Nachrichten aus dem Staub der Archive aufzustçbern, hat daher, so unschtzbar sie gewesen ist, doch zu der Erklrung nichts beitragen kçnnen, wie diese geistige Weltmacht entstand. Auch seine Werke enthalten darber keine ausreichende Auskunft. In diesen stehen Menschen, Begebenheiten und Schicksale so da, als htte die Natur selber sie hervorgebracht. Der Dichter verfhrt mit den gewaltigsten Mnnern und den gtigsten Frauen khl und unerbittlich. So viel diese Werke ber den Weltlauf offenbaren, so schweigsam sind sie ber ihren Dichter. In den Sonetten allein scheint er von sich selbst zu reden, einzelne Stellen seiner Dramen, zumal des Hamlet und des Sturm, scheinen sein Inneres zu offenbaren. Aber die Beziehungen auf ihn sind hier von soviel Streitfragen umgeben, und was wir von diesem Inneren hier zu erblicken glauben, ist so ausnehmend befremdend und rtselhaft, dass doch auch von hier aus nur ein ungengendes Licht in diese grosse Seele fllt. Nun sagen uns Werke eines Dichters berall mehr von ihm, wenn wir ihre
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chronologische Folge kennen und sie so in den Zusammenhang einer Entwicklung bringen kçnnen. Die Shakspere-Forschung hat sich ein ausserordentliches Verdienst dadurch erworben, dass sie diese Aufgabe ihrer Lçsung angenhert hat. Sie kann bei einer Anzahl von Werken die Zeit ihrer Auffhrung aus Notizen jener Tage bestimmen. In Bezug auf andere schliesst sie aus Anspielungen und Benutzungen. Register der Londoner Buchhndler-Innung und lteste Drucke setzen die Zeit fest, bis zu welcher ein Werk fertig gewesen sein muss. In noch mehreren Fllen kann festgestellt werden, dass ein Werk vor oder nach einem anderen abgefasst worden ist, ohne dass damit zugleich eine absolute Zeitbestimmung gegeben wre. Als Shakspere Macbeth die Worte aussprechen liess: „Denn die gleichwgende Gerechtigkeit zwingt uns den eignen Giftkelch an die Lippen,“ scheint ihm die Scene vorgeschwebt zu haben, in welcher Hamlet den Kçnig, „Giftmischer,“ zwingt, das von ihm selbst bereitete Gift zu trinken. Fr Charaktere und fr die Geschicke von Leidenschaften in den reifen Dramen finden sich erste Anstze in anderen. Vor allem der Styl seiner Dramen zeigt sehr grosse Verschiedenheiten. Welch ein Gegensatz besteht zwischen der sinnlichen Flle, dem ununterbrochenen Fluss, dem sanft und melodisch abfliessenden Rhytmus seiner Jugendwerke, etwa seiner grossen Liebestragçdie, und dem Styl der spteren Jahre, in welchem er mitten im Vers den Gedanken abschliesst und die Rede bricht, gedrungene dramatische Wendungen abgerissen nebeneinander hinwirft wie Tizian oder Rembrandt zuletzt ihre Farbenkleckse oder wie der spte Beethoven seine verdichteten massiven musikalischen Ideen. Diese Mittel haben schliesslich ermçglicht eine Abfolge von mehreren zeitlich zusammengehçrigen Gruppen seiner Werke zu bestimmen und so die ußeren Linien seiner Entwicklungsgeschichte festzulegen. Seinen ersten dichterischen Versuchen, die noch von lteren Stcken und von Marlowes Einfluß bedingt sind, folgen von Romeo und Richard III ab die Werke seiner Jugend, insbesondere der historische Cyclus von Richard II bis zu Heinrich V und seine heitersten Lustspiele, hierauf treten die reifen Werke seiner Mannesjahre hervor, insbesondere Julius Csar, Hamlet, Othello, Macbeth, Lear, Coriolan, Antonius und Cleopatra, den Abschluß bilden die Dramen seines frhen Lebensabends in Stratford, Sturm, Cymbeline, Wintermrchen und Heinrich VIII. Aber hiernach wird die Frage nur umso dringender, welches innere Band diese Gruppen von Werken mit einander verknpfe, und welche innere Kraft sie, gerade so wie sie sind, und gerade in der Folge, welche sie zeigen, emporgetrieben hat. Ein Rtsel besonders schwerer Art bildet der tiefsinnige Pessimismus in den Werken seiner schçnsten Mannesjahre. Neue Mittel zur Beantwortung dieser Fragen, Mittel feinster Art bietet nun die Shakspere-Forschung in der Aufsuchung der Quellen Shakspere’s fr seine
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einzelnen Werke. Es ist ein auffallender Zug im Schaffen des dramatischen Genius, daß er die Fabel einer großen Schçpfung durchgehend nicht selber hervorbringt: sie muß ihm von außen entgegentreten: er muß mit ihren harten Thatschlichkeiten wie mit einer ußeren Wirklichkeit ringen, wenn sein Drama den hçchsten Grad von Realitt erlangen soll. Wir kennen nun jetzt im Ganzen die Dramen, Novellen, Sagenbearbeitungen, Chroniken und Biographien, welche Shakspere oft bis in die Worte hinein zu Grunde gelegt hat. Wo wie in „Verlorener Liebesmhe“ eine Quelle nicht hat aufgefunden werden kçnnen, folgt daraus noch nicht, daß er den Stoff von außen entnahm. Wir kçnnen ihm nachrechnen wie er mehrere Quellen solcher Art zusammenschmolz. Wir sitzen gleichsam mit bei seiner Arbeit. Es ist eins der feinsten Hilfsmittel des Literarhistorikers, seinen Dichter so in der Thtigkeit seiner Einbildungskraft zu belauschen; wie er die einzelnen Zge umformt welche ihm berliefert sind; wie aus dem Zusammenhang des ihm vorschwebenden Traums einer Handlung ihm die Grnde hervorgehen welche solche Abweichungen bedingen. So sind seine Kçnigsdramen allesamt, wofern sie nicht, wie Kçnig Johann nur Umarbeitung eines lteren Stckes sind, auf Holinshed und Hall gegrndet, dabei hat er dann aber doch fr Richard II. vielleicht ein Gedicht und sicher fr den 1. Heinrich IV. und Heinrich V. ein lteres Stck benutzt. Da ist nun hçchst interessant zu sehen, wie ihm seine Quellen den Stoff geben, eine kernhafte Anschauung des Vorgangs zu entwickeln; eine solche ist fr Richard II., Richard III. und Heinrich IV. die souveraine Macht der genialen politischen Person gegenber der Erbsatzung, die so entstehenden Konflikte und die Rckschlge von daher gegen die genialen Usurpatoren; es ist ihm im Heinrich V. im Gegensatz hierzu die Entfaltung und das sich Ausleben eines mchtigen politischen Genies, welches durch ein gesichertes Erbrecht getragen wird; alle erheblichen Abweichungen von den Quellen findet man dann durch diese kernhafte Grundanschauung bedingt. Fr seine Rçmerdramen ist der Plutarch in der englischen bertragung von North seine einzige Quelle. Diese aber enthielt im Gegensatz zu den rohen Chroniken eine von der feinsten griechisch-rçmischen moralischen Kultur bedingte Auffassung des politischen Zusammenhangs und der Stellung einer heldenhaften Individualitt inmitten derselben. An diese schloß sich dann nun Shakspere bis in die Worte hinein durchweg an. Seine Auffassung menschlicher Dinge finden wir bei der Vergleichung am strksten darin hervortreten, daß er die in allgemeinen politischen Verhltnissen gelegenen Beweggrnde, die schon Plutarchs tiologischer Gesichtspunkt zurcktreten ließ, noch viel krftiger zurckschob, das Menschliche im Stoff zu großen Scenen heraustrieb und Plutarchs Charakteristik durch kontrastierende hart und vermittlungslos nebeneinander gestellte Zge dazu nutzte, eine tiefere Einheit der Individualitt zu
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schaffen. Seine anderen Tragçdien sind auf Quellen gegrndet, in denen der Stoff schon durch eine produktive freigestaltende Phantasie hindurchgegangen war; aber auch wo bereits eine reiche dichterische Darstellung vorlag, wie fr die Romeo- und Juliasage bekanntlich in dem großen erzhlenden Gedichte von Arthur Brooke, hat doch seine verstandesmchtige Phantasie erst von einem Kernpunkt aus die dramatische Konstruktion des Stoffes vollzogen; er zieht aus dem Stoff einfache, dem Gedchtnis leicht sich einprgende Voraussetzungen heraus, er fhrt die Handlung unerbittlich auf die geringste Zahl von erforderlichen Momenten derselben zurck, diese aber breitet er nun zu großen Scenen aus, in welche er dann seine ganze sinnlich mchtige Anschauung dieser Menschen und ihrer Relationen verlegt, diese Scenen blicken rckwrts, vorwrts, unbekmmert berlßt er ihnen den ganzen Raum, dessen sie nach ihrem Maß in seiner Phantasie bedrfen. Darum aber handelt es sich nun, diese einzelnen Einblicke in die Thtigkeit der Phantasie Shakespeares zu verbinden. Art und Macht des dichterischen Vermçgens von Shakspere sollen in ihrer Thatschlichkeit und nach ihren Bedingungen erkannt werden. Der Gesichtswinkel, unter welchem Shakspere Leben und Welt zum Verstndniß brachte soll bestimmt werden. Wie das Gesprch ber irgend einen Gegenstand mit jemandem dann viel ergçtzlicher und ntzlicher sein wird, wenn wir den Zusammenhang schon kennen, aus welchem sein Gesichtspunkt fr den Gegenstand entspringt, so wird jedes einzelne Drama Shaksperes uns um so mehr lehren, um so leichter von uns aufgefaßt werden, und heiterer, tiefer und freier auf uns wirken, je vertrauter wir schon mit der ganzen Denkart, der Phantasie und den Ausdrucksmitteln des großen Dichters sind. Und die so werthvolle entwicklungsgeschichtliche Betrachtung der Werke Shakspere’s empfngt doch von solchen Einsichten aus erst die realen großen Motive fr sein Fortschreiten, durch welche Zusammenhang in die disjecti membra poetae kommt. An diesem Punkte kann nun vielleicht ber die ausgezeichneten Arbeiten der Shakespeareforschung hinaus ein Fortschritt, wie unbedeutend er zunchst auch noch sein mag, gemacht werden. Shakspere vollendete was die Dramatiker der Generation vor ihm geleistet hatten. Er stand insbesondere ganz auf den Schultern von Marlowe. Einige Untersuchungen haben dann dargethan daß er den Montaigne mehrfach benutzte. Er hat Rabelais gekannt, der nicht nur seine humoristischen Schçpfungen zumal Falstaff beeinflußte, sondern in welchem er auch die freien Gedanken der franzçsischen Renaissance fand. Er war irgendwoher mit den damals umlaufenden Elementenlehren bekannt, mochte diese ihm Giordano Bruno oder irgend ein Anderer vermitteln. Ich glaube annehmen zu drfen daß ihm Plutarch nicht nur die Quelle seiner Rçmerdramen war, sondern daß dieser Darsteller des griechisch-rçmischen Ethos, der vom Werthe der Individualitt
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in stoisch-rçmischem Geiste ganz erfllt war, zugleich auf seine Denkart einen starken Einfluß bte. So sehen wir Shakspere in lebendiger Berhrung mit der philosophischen Schriftstellerei seiner Zeit. Auf denselben Zusammenhang deutet auch eine andere Erwgung. Er stand in einem formlosen, aber um so offneren Verkehr mit den dramatischen Dichtern und Schauspielern des damaligen London. Unter diesen hatten Green wie Marlowe die Universittsstudien durchlaufen, Marlowe hatte in seiner strmischen Art berall hin nach den großen Bildungsthatsachen der Zeit gegriffen und besonders Macchiavelli, den dann auch Shakespeare erwhnt, hat einen entscheidenden Einfluß auf ihn gebt. Ben Johnson war sein Freund im wahrsten Sinne des Wortes, er hat nicht Briefe mit ihm gewechselt wie Goethe und Schiller, aber oft hçrte man die beiden Freunde mit einander beim Becher disputiren, und es ist eine Erzhlung darber da wie verschieden dabei sich die beiden zeigten und doch wie ein ander gewachsen. Ben Johnson aber hatte in Cambridge studirt, er war ein humanistischer Gelehrter der chtesten Art: er beherrschte souvern grndliches ausgedehntes Wissen: mit den intimsten Bewegungen der Zeit, die einen Poeten interessiren konnten ist er vertraut gewesen. Wie kçnnte nun eine Herschernatur wie Shakspere, so umgeben von dieser ganzen Atmosphre, so in jedem Gesprch beinahe auf die Schriftsteller der Zeit hingewiesen, die am meisten besprochenen Werke der damaligen Schriftstellerei zur Hand zu nehmen unterlassen haben. Nun versetze man sich aber in die ganze geistige Atmosphre dieses großen Zeitalters, man erfasse dasselbe in den verschiedenen Bethtigungen seiner geistigen Kraft, man sehe die freie Macht der Phantasie auf allen Gebieten der damaligen Kultur sich ußern, man suche endlich nach den letzten Grnden dieser Macht der Phantasie in dem Zeitalter Shaksperes: und das Rthsel dieser unermeßlichen Dichtungskraft wird nicht mehr so ganz unauflçsbar erscheinen, Art und Grnzen dieses Vermçgens werden etwas mehr verstanden und auf ihre Bedingungen zurckgefhrt werden kçnnen. Man studire die Vegetation der Tropennatur sowie deren Bedingungen, und auch ihr mchtigstes Gewchs wird uns nicht ganz wunderbar mehr erscheinen. Suchen wir alle die geistigen Thatsachen auf, welche diese mchtige Dichtungskraft in ihrem Zeitalter umgeben und ber welche sie sich erhoben hat. Es wre vergeblich zu fragen, wie, wo und wann das was die geistige Atmosphre seiner Zeit bildete von ihm eingeathmet und angeeignet worden sei. Wie er in London lebte, mußte es an ihn herantreten.
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Wie ein Reisender von den vereinzelten Bergketten des sdlichen Europa sich almlig dem massigen Gebirgsstock der Centralalpen nhert, wo Monte Rosa, Finsterahorn und die hçchsten Spitzen der Berninagruppe ihre Hupter erheben, und wie er dann mlig wieder abwrts steigt bis zu der Tiefebene des Nordens: so trifft der, welcher der Geschichte der Knste unter den neueren Vçlkern Europas nachgeht, an den Grnzen der mittelalterlichen und der neueren Entwicklung dieser Nationen eine zusammenhngende und allesbeherschende Erhebung der Kunst und Poesie an. Dieselbe lagert sich zwischen zwei langen Entwicklungen, in der ersten derselben finden wir die germanischen und romanischen Nationen von der katholischen Religiositt, den metaphysischen Hirngespinnsten scholastischen Denkens und den feudalen Lebensordnungen gebunden; die andere, in welcher wir heute noch leben, begann mit Galilei und Kepler, sie machte zum Organ ihres Weltverstndnisses den wissenschaftlichen Gedanken, das Experiment und die mathematische Rationalitt, so ist sie zur Autonomie des Denkens, zur Herschaft der Causalerkenntniß ber die Natur und zu dem verwegenen Versuch einer Regelung der Gesellschaft durch rationale Prinzipien gelangt. Die hçchste Erhebung von Phantasie, Kunst und Dichtung, welche aus tiefliegenden Grnden mit einer neuen Evolution der christlichen Religiositt gleichzeitig gewesen ist und zusammen mit ihr zwischen den beiden angegebenen Entwicklungen sich findet, bereitete sich in dem Zeitalter von Petrarca, Boccaccio, Chaucer, Froissard, Lorenzo Ghiberti vor, sie ging dann in rapidem Aufstieg von Donatello, Mantegna, Verocchio zu dem Schler des Letzteren Lionardo: dann als hçchste Gipfel bei der modernen bildenden Kunst neben Lionardo Raphael, Michelangelo, Tizian, Drer, Rembrandt: an sie drngen sich dicht die großen Dichter, Ariost, Camoens, Tasso Rabelais sind noch Zeitgenossen von Michelangelo und Tizian. Und whrend nun im letzten Drittel des 16 Jahrhunderts die Kunst auf ihrem Heimathboden Italien abwrts ging, kamen eben um diese Zeit dicht hintereinander, gemeinsam bedingt von der italienischen Poesie, Cervantes, Lope, Shakspere empor. Der Todestag Michelangelo’s und der Geburtstag Shakspere’s liegen Ein Jahr auseinander. Shakspere htte noch als Knabe Tizian sehen und als Mann htte er noch Werke des Rubens, des ihm so verwandten Malers der impetuosen Affekte, sehen kçnnen. Dann gehçren der nchsten Generation Calderon, Corneille und Rembrandt an, welche beiden letzteren im selben Jahre 1606 geboren sind. Der hastige Lebenslauf von Molire begann etwas spter, endete aber noch vor dem des Corneille. Wie es
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in den großen Wechseln des geistigen Lebens çfters geschieht, sind diese letzten Reprsentanten der Herschaft der Phantasie noch gleichzeitig mit den ersten Vertretern einer rationalen Denkweise. Shakspere und Galilei sind in demselben Jahre 1564 geboren. Descartes, Calderon und Corneille sind Zeitgenossen. Das construktive Vermçgen der knstlerischen Phantasie setzte sich in Galilei und Descartes in das der wissenschaftlichen um. War doch das Leben des Galilei ganz von dem Schimmer von Musik und Freude an den bildenden Knsten noch umgeben. Ich mçchte diese Verhltnisse in denen Shakespere emporkam fr die Erklrung und das Verstndniß desselben mçglichst ausnutzen. Die hçchste im Mittelalter erreichte Kultur spricht sich dichterisch in dem Parcival und der gçttlichen Komçdie aus. In Wolfram und Dante ist ein seherisches Vermçgen. Parcival ist die tiefsinnigste deutsche Kunstdichtung vor dem Faust. Wie ein Wald, undurchdringlich dicht, breitete sich damals von Frankreich her ber die in feudalen Ordnungen lebenden Lnder die ritterliche Dichtung aus, von ihrem Ideal war der frnkische Ritter erfllt, aber es verband sich in seiner Seele mit der tiefsinnigen Innerlichkeit der germanisch christlichen Religiositt. So entsprang im Parcival die erste glanzvolle dichterische Darstellung einer Menschenentwicklung. Aus der Jugenddumpfheit schreitet der Held durch Zweifel und ziellose Abenteuer aufwrts zu dem religiçsen Ritterthum, das Wolframs Ideal war. Ein wundersames Knabenidyll dies Aufwachsen Parcivals unter den Bumen und Vçgeln des Waldes; wie er dann durch den Wald die ersten ganz gewaffneten Ritter reiten sah und so die Welt sich ihm aufthat, in die nun seine herzhafte Seele strebte wie er von der angstvollen Mutter in ein Thorengewand gesteckt wurde und so an den Artushof, den Sitz weltlicher Ritterlichkeit ritt: das unvergeßliche Symbol des germanischen „dumpfklaren“ traumbesessenen „thçrichten“ Jnglings; wie er dann nach ziellosen Abenteuern ohne es zu wollen oder zu wissen in die Burg des heiligen Gral kommt, die Frage versumt, an der sein Schicksal hngt – auch das ein tiefstes Symbol unsres Lebens –, so die Gralsburg verlßt dem Zweifel anheimfllt, nur Streben nach den Ehren und Abenteuern, weltlichen Ritterthums, dessen Typus der Ritter Gawein ist, sich selber verliert; bis er dann, durch einen Ritter in grauem Gewand an sein Ziel gemahnt, zu seinem Oheim, dem Einsiedler geleitet und von diesem ber seine Herkunft und Lebensaufgabe nun ganz aufgeklrt, vorbei an allem lockenden weltlichen Abenteuer der Gralsburg zureitet, Gawein besiegt und in der Burg sein kçnigliches Amt als Hter des Gral antritt. Die Auffassung des Lebens als einer Entwicklung fasst dasselbe als einen in sich wertvollen Zusammenhang, der einem Ziele entgegen strebt. Lebendigkeit, Prozess, eine vorwrts drngende Macht in uns erlangen in dieser Auffassung das bergewicht ber die griechische har-
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monische Substanzialitt unsrer Existenz, ber den rçmischen rationalen Zweckzusammenhang derselben. Daher hat kein Grieche oder Rçmer der klassischen Zeit dichterisch oder philosophisch das Leben als eine Entwicklung begreifen kçnnen. Erst in gewissen Begriffen der stoisch bedingten Philosophie des rçmischen Kaiserreichs und dann im Christentum sind die Keime einer solchen Lebensauffassung enthalten. Ein ethisch religiçses Erlebnis, ureigen und doch ganz universal, wird vom Christentum ber den Horizont des Bewusstseins erhoben und bleibt dann in der weiteren Entfaltung des ritterlich religiçsen Bewusstseins prsent. Nur indem wir unser Selbst hingeben, sei es an Personen oder Sachen oder Ideen, empfangen wir es als uns unverlierbar eigen zurck; durch solche Aufopferung werden wir reich und selig; indem wir uns an eine Ordnung ber uns verlieren, die im Symbol des Himmelreiches ausgedrckt ist, werden wir frei. Der weitere Verlauf dieser Darstellungen wird zeigen dass wir modernen Menschen das alles noch etwas anders fassen, die Freude an der Bethtigung unsrer Energie, die mit Arbeit und sachlicher Hingebung verbundne Befriedigung, die an das Bewusstsein der persçnlichen Wrde geknpfte stoische Zufriedenheit mit sich selbst, treten bei uns mehr in den Vordergrund. Aber entscheidend bleibt doch der ber den usseren Naturverlauf uns hinaus hebende Kern dieser Erfahrung. Der religiçs moralische Vorgang, wie er in dieser christlichen Form auftritt, hat mit der jdischen Unterordnung eines lebensschtigen Willens unter die Gesetzestafeln des Jahwe nichts zu thun. Jene Unterordnung ist Heteronomie des Geistes, und dieser moralisch religiçse Vorgang ist Autonomie desselben. Wenn nun Paulus diesen sittlich religiçsen Vorgang, in welchem der Mensch erst die Form des Lebens findet, die in sich Seligkeit ist, nach jdischen Begriffen als Wiedergeburt bezeichnet, wenn er von erblicher Sndhaftigkeit durch eine plçtzliche von aussen mechanisch bedingte Revolution des Inneren den Menschen berspringen lsst in seinen wiedergeborenen Zustand, dies alles ganz in Widerspruch mit dem tiefsinnigen Wort Christi ber die Kinder: so tritt uns in diesem germanischen Epos eine viel hçhere Auffassung des sittlich religiçsen Vorgangs entgegen; dieser Parcival, der als Knabe vom Gesang der Vçgel zu Thrnen bewegt wird, von der Mutter erbittet, dass sie nicht getçtet werden, der dann als Jngling von einem tiefen Traum, in welchem ritterliche Ehre und hçheres Leben verworren ineinander liegen, vorwrts getrieben wird der Erfllung des in ihm liegenden Lebensideals entgegen, – ist der Trger einer viel hçheren und wahreren Form von Entwicklung, die von dem germanischen Geiste, von dessen Bewustsein naturgewachsener quellender vorwrts drngender Kraft in uns, ja eines weissagenden Vermçgens in der Tiefe der Menschenseele bedingt ist. In diesem Geiste entstand nun die planvolle tiefsinnige dichterische Darstellung einer Entwicklungsgeschichte des Menschen, von ganz symbolischem
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Character im Parcival. Diesem Epos der menschlichen Entwicklung folgte dann das Drama derselben im Faust.
Motto: Reif sein ist Alles!
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Shakespeare ist geboren zu Stratford 1564, sein Vater – Diese dunklen und sprlichen Notizen mçchte man durch die Benutzung seiner Werke ergnzen, aber diese tragen einen gnzlich objektiven Charakter an sich. Wir erfahren aus „Venus und Adonis,“ seinem Jugendwerke daß er in der Poesie der Renaissance heimisch war. Wie ein Gemlde von Titian oder Giorgione strahlt dieses Werk von einer grenzenlosen Fhigkeit, alle Schçnheit des Lebens in sich zu saugen. So lßt es uns die Seelen-Verfassung seiner Jugend nachfhlen. Venus und Adonis ist 1593 erschienen. Er war damals 29 Jahre. Wir erfahren, im nchsten Jahr erschien seine „Lucretia.“ Dann erhalten wir erst in den 1609 erschienenen Sonetten wieder einen Einblick in seine seelische Verfassung. Aber von der rtselhaften Widmung ab durch den ganzen Zusammenhang dieser Sonette ist alles Problem. Wieder bemerken wir, daß er die Form der Renaissance meisterhaft beherrscht. Auch war die Zeit voll von Bewunderung seiner ersten Erzhlung und dieser Sonette. Aber das ist nun die entscheidende Frage, ob sie einen Vorgang seines Lebens oder ein Spiel seiner Imagination enthalten. Hiervon ist es abhngig, in welchem Grade das Innere des Dichters sich in ihnen aufschließt. Nun war Shakespeare 45 Jahre alt als sie erschienen. Nur noch 7 Jahre sollte er leben. Wie man sie auch fasse, sie enthalten die Summe seiner Auffassung des Lebens auf der Hçhe desselben. Schon hatte er damals seinen Landbesitz in Strattford zu einem Teil erworben. Zwar lßt sich daraus, daß er sie damals verçffentlichte nicht auf die Zeit ihrer Abfassung schließen, doch muß bei ihrer Verçffentlichung seine Auffassung des Lebens noch dieselbe gewesen sein. Ein grenzenloses Vermçgen die Schçnheit des Lebens zu empfinden und unter seinen Bitterkeiten zu leiden, spricht aus ihnen. Wie nun der Schauspieler-Stand sein reizbares Gemt, seine moralische Empfindlichkeit verletzt und seinen Stolz niederdrckt, wie andrerseits sein Stand als Schauspieler und Dichter ihn dem Genuß, dem Ruhm ohne Schranken sich hingeben lßt: erfuhr er die ganze Zweideutigkeit des Lebens: nie hat jemand das Bitter-Sße des Lebens so ausgesprochen als diese Sonette thun. Und so gelangt man nun zu einer Combination, welche eine innere, sichere berzeugung einschließt. Das Grundgefhl des Lebens, welches der Dichter dieser So-
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nette ausspricht, ist dasselbe, das in Hamlet wirkt. In diesem Werke, das unter den Dramen Shakespeare’s ganz einsam fr sich steht, in welchem durch eine unerhçrte Kunst von zuflligen, fr den dramatischen Fortgang folgelosen Situationen her, Licht in die Seele des Helden geworfen, ja Bilder seiner Zeit um ihn gestellt werden, haben wir die Auffassung des Lebens selber vor uns, zu der Shakespeare gelangte: mit vollem Bewußtsein hat er sie hineingelegt: er vermied es nicht durch umgebende Zeitbilder hinzudeuten auf die Gegenwrtigkeit des Vorgangs: wenn es plausibel ist, daß er in die alte Fabel das Schicksal des Vaters von Essex, des Gnstlings der Kçnigin, eingewoben hat, so geht auch daraus hervor, daß es die Welt seiner Zeit ist, welche er hier darstellt. Und wenn der Hamlet 1609 zuerst erschien, aber ohne den Willen des Verfassers in einer lteren Redaktion dann erst das Jahr danach in einer echten Ausgabe: so kçnnte man durch eine freilich gewagte Hypothese vermuten, daß Shakespeare dies alles erst so aussprach als bereits sein Verhltniß zum Hofe nicht mehr dasselbe war, die uns unbekannten Grnde von Lebens-Enttuschung in der Londoner Gesellschaft schon in Wirksamkeit getreten waren und er seinen aufflligen Entschluß so frh sich in die Einsamkeit von Stratford zurckzuziehen durch den ersten Bodenkauf vorbereitet hatte. Zweifellos ist nun der Lebenstiefsinn in den Reden des Shakespeare unter Narren der Ausdruck einer Seite in den Sonetten und dem Hamlet. So blicken wir in die Lebens-Ansicht, wie sie aus Shakespeares Charakter und Schicksalen entsprang, vermittelst dieser Werke. Nun aber erçffnet sich eine andere Quelle zum Verstndniß Shakespeares, welche uns ber die halben Einsichten hinausfhrt, welche die Notizen ber sein Leben und die Verbindung derselben mit dem Studium seiner Werke erçffnet. Man muß hiermit nun das Studium der Zeit verknpfen, in welcher er sich gebildet hat. Eben in der Relation dieser Zeit mit den Werken Shakespeares werden diese uns erst begreiflich. Mitten unter den anderen Werken der menschlichen Dichtkraft erscheinen sie wie ein Wunder. Seit Homer gab es nichts, das mit ihnen verglichen werden konnte, und ein Goethe hat zu Shakespeare diesem „Stern der hçchsten Hçhe“ bewundernd aufgeblickt. Es wird jedes Mittels von Studium der Zeit und der menschlichen Natur bedrfen, um dies Wunder bis zu einem gewissen Grade faßbar zu machen. Gewiß, vieles erklrt die damalige, englische Gesellschaft und der Stand des Drama, den er vorfand. Doch scheint mir, daß man, um ihn vçllig zu begreifen, den ganzen Horizont der Zeit ins Auge fassen msse, in der er sich bildete. Wir mssen zugleich das Problem allgemein fassen. Verfolgt man die Geschichte der Kunst in Europa, so ist es, als wenn ein Reisender durch die vereinzelten Erhebungen des sdlichen Europa sich allmhlig dem Gebirgs-Stock der Alpen nhert. So zusammenhngend und bermchtig ist die Kunst des 15. und
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16. Jahrhunderts. Dann geht es wieder abwrts. Die Phantasie scheint unter dem Einfluß des wissenschaftlichen Geistes abzunehmen. Man steht also vor einer allgemeinen Frage. Es handelt sich darum die dominirende Macht der Phantasie und des knstlerischen Geistes im 15. und 16. Jahrhundert verstndlich zu machen. Es fragt sich warum die hçchsten Leistungen in Malerei, Architektur und Dichtung in diese Jahrhunderte zusammengedrngt sind. Die modernen Kultur-Nationen haben sich unter dem Einfluß der rçmischen Kultur unter der Herrschaft der katholischen Kirche whrend des Bestandes des politischen Systems der Feudalitt entwickelt: dies alles umspannt von dem Gegensatz der Christenheit und der arabisch-mohamedanischen Welt. Wie ein Wald, undurchdringlich dicht, breitet sich von diesem Geist der Feudalitt getragen, ritterliche Dichtung aus, von Frankreich ausgehend, in Deutschland, in England. Das scholastische System der Kirche, getragen von der katholischen Religiositt, findet in Dantes Werk seinen hçchsten, dichterischen Ausdruck. In der grçßten, deutschen Dichtung vor Goethe, dem Parzival, treffen diese beiden, weltgeschichtlichen Tendenzen zusammen: Aus den letzten Tiefen der germanisch-christlichen Religiositt geht hier die Darstellung einer Menschen-Entwicklung hervor: die Lebendigkeit des religiçs-sittlichen Processes, in welchem die weltliche Egoitht durch die Erfahrung von der Seeligkeit der Hingabe berwunden wird, fand einen einseitigen, ersten Ausdruck in dem Symbol von der Wiedergeburt, hier in dem Parzival bildet sich ein hçherer Ausdruck aus. In England wurde das hçchste Lebens-Ideal dieser Epoche im Chaucer erreicht: hier ist eine mnnliche Religiositt und ein freier Blick in die Gestalten des Lebens als erster Ausdruck des specifischenglischen Geistes. Wie nun der Einfluß der rçmischen Litteratur zuerst in Italien, wo ihn das natrliche Band immer erhalten hatte, dann in den anderen Lndern, die Schriftstellerei immer mehr durchdringt, frbt und formt wie seit der Mitte des 14. Jahrhunderts die von ihm getragene Renaissance in ihrer Verbindung mit dem volksmßigen, die nationalen Litteraturen der modernen Vçlker ermçglicht: Ist doch zugleich diese ganze Entwicklung durch eine nderung des philosophischen und wissenschaftlichen Geistes bedingt. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts war Occam gestorben. Nun gelangte der von ihm erneuerte Nominalismus, nach welchem den einzelnen, individuellen Dingen allein Realitt zukommt, das anschauende Auffassen allein Erkenntniß ermçglicht, rasch zur Herrschaft. Die bisherige Lehre von den substantialen Formen als der hçchsten Wirklichkeit wurde von keinem der fortschreitenden Denker mehr festgehalten. Also diese Welt war nun nicht mehr der Schauplatz, in welchem die von dem gçttlichen Geiste beherbergten Arten und Gattungen abstracter und substantialer Formen des Daseins sich verwirklichen. Diese standen nun nicht mehr zwischen dem Auge des Betrachters und
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der Mannigfaltigkeit der Sachen und Personen. Auch wo von den weniger fortgeschrittenen Geistern noch die substantialen Formen in irgend einem Sinne festgehalten wurden, betonte man doch mehr das Einwohnen und Wirken der bildenden Krfte in der Natur. Aber noch vergingen mehr als 2 1/2 Jahrhunderte bis zu dem Auftreten von Galili, Kepler und Descartes. Whrend derselben gab es fr die Erklrung des Zweckmßigen und Regelmßigen in der Natur immer noch kein anderes Hilfsmittel von psychischen Krften, welche den Naturkçrpern einwohnen und Bewegung und Wachsthum derselben bewirken. berall wo man die Hierarchie der substantialen Formen aufgab, mußten diese in den einzelnen Naturkçrpern wirksamen, bildenden Krfte wie sie aus dem gçttlichen Weltgrunde hervorgehen als einziger Erklrungsgrund fr die regelmßigen Gestirnbahnen und das zweckmßige, organische Wachsthum angewandt werden. So war in diesem ganzen Zeitalter ein Panpsychismus zum hçchsten Grade von Energie entwickelt, welcher dem knstlerischen und dichterischen Auffassen der Natur innigst verwandt war. Paracelsius und Bacon sind erfllt von einer knstlerischen und dichterischen Naturanschauung. Sie blicken in die Welt wie Poeten. Das macht nun den ganzen Charakter des 16. Jahrhunderts aus, daß aus seinen großen Schriftstellern dieser Athem von Beseelung jedes Kçrpers, von wirkenden, mchtigen, das All durchwebenden Krften, auch dem Maler, dem Dichter entgegenkam: Von berall her nehmen sie dies Bewußtsein der Lebendigkeit des Universums in sich auf: Knstlerisches Schauen mußten sie sich nicht ihrer Umgebung gegenber erringen oder mhsam festhalten, es war die Lebensluft, in der sie athmeten. – In diesem Zusammenhang des Universums bildet von den Stokern und Neuplatonikern her die Sympathie, in welcher die einzelnen Dinge mit einander stehen, eine wichtige Art von Verbindung. Sie ist der Ausdruck einer Lebensstimmung und wirkt auf sie. Diese universelle Sympathie ist ein hervorragender Bestandteil in dem Lebensgefhl Shakespeares. Diese große, arische Grundempfindung, welche die indische Litteratur durchdringt in der germanischen, auch in Goethe zu einem hçchsten Ausdruck gelangte, ist in Shakespeare mchtiger als in irgend einem andern arischen Dichter. Sie empfngt in ihm den affektiven und heftigen Charakter, welcher fast in jedem englischen Schriftsteller bemerkbar ist. Jeder Eindruck ruft ihm Freude oder Schmerz hervor. In jeder menschlichen Gestalt dringt er zu etwas vor, das seinen Anteil erregt. Wie oftmals gedenkt er der Feste, Spiele und Tnze, der Maifeier des Georgstages, des Schafschurfestes, in denen germanisches Naturgefhl in seiner Heimat nachlebte. Ungebrochen lebte noch das alte, frçhliche England. Wie oft spielt er auf die alten Balladen an, in denen Sag’ und Mythos fortlebten wie sie Heide, Wald und Flur seiner Heimat umwoben. Eine solche Sage
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war die von Robin Hood, dem gechteten Bogenschtzen, in welchem der germanische Sturmgott Wotan fortlebte. Diesem Denken entsprach eine Bildlichkeit des Ausdrucks in dieser Zeit, welche der Naturforscher und Philosoph mit dem Knstler teilte. Die Sprache der grçßten, philosophischen Schriftsteller dieser Epoche, des Montaigne, Giordano Bruno und Bacon, welche damals in der ganzen Welt gelesen wurden, weicht außerordentlich ab von dem abstrakten, haarspaltenden Styl eines Scholastikers oder von der spteren, verstandesmchtigen Prosa des Descartes. Sie wirken wie Dichter durch Bilder. Diese Bilder entspringen aus einer starken, impetuosen Lebendigkeit, welche sich auszudrcken strebt. Kraftgefhl persçnlicher Art, lebendiges Verhalten zu den Krften der Natur, neu erwachte, sinnliche Wichtigkeit des Naturells bringen diesen bildlichen Ausdruck hervor. Hieraus ergab sich, daß die Dichter diese Sprache der Zeit gleichsam zu berbieten strebten. Hierzu kam, daß dieser Styl an den Hçfen noch knstlichere Formen annahm; so ist die kraftstrotzende, die Sache durch das Bild berbietende, bilderschwelgende, dichterische Sprache von Marlot, Shakespeare und Calderon entstanden. Und in dieser Zeit war nun der mchtigste Impuls, die Abstraktionen der Scholastik loszuwerden. Um die bersinnliche Welt denkbar zu machen, hatte diese Scholastik eine Hierarchie von geistigen Lebensformen entwickelt, welche von der Trinitt durch die Engel hinabreichten bis zu den Pflanzen, die den Boden der Erde bedeckten. Die Schwierigkeiten, welche das Denken auf diesem Weg vom Himmel zur Erde fand, waren durch die sonderbarsten Distinktionen, durch imaginre Begriffe von imaginren Thatsachen aufgelçst worden. Spinngewebe dieses distinguirenden Denkens begleiteten alles. Dessen war die Menschheit mde. Ein Hunger nach Wirklichkeit ward gefhlt: wie zu keiner Zeit vorher. Dieser Geist erfllte selbst die kirchlichen Schriftsteller. Pierre d’Aily leugnete die Mçglichkeit irgend eines strengen Beweises von der Existenz irgend bersinnlicher Dinge, ja selbst der Objekte außer uns. Sein Geistesfolger, Schler und Nachfolger, Johann Gerson, ist von dem Bewußtsein ganz erfllt, wie die philosophische Theologie des Mittelalters ihrem Ende zuneigt, Wissenschaft ist ihm nur auf Erfahrung gegrndet, Theologie, ein auf mystische Erfahrung gegrndetes Wissen. Raymundus von Sabunde, ein spanischer Arzt, Philosoph und Theolog, der ebenfalls in Frankreich wirkte, erkennt kein anderes Wissen an, als welches auf das eigene Zeugniß der Sachen ber sich gegrndet ist. In dem Studium der Natur findet er die notwendige Grundlage der Selbsterkenntniß, auf beiden beruht dann die Theologie. Erfahrungserkenntniß der Natur war in dieser großen Zeit der Entdeckungen und Erfindungen in bestndigem Fortschreiten begriffen. Die reale Zerlegung der Natur-Objekte wuchs in der alchymistischen Kunst das Werkzeug zur
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Darstellung quantitativer Bestimmungen ber die Natur wurde in den Arbeiten der Mathematiker immer feiner ausgebildet. Vom 14. Jahrhundert ab vermehrten sich die Anhnger der Lehre vom Beharren der Elemente in Verbindungen. Die auf Galen begrndete arabische Medizin vermehrte nicht nur den Bestand des Erfahrungswissens, sondern sie bediente sich bereits leitender Begriffe von der Zusammensetzung des Kçrpers aus unvernderlichen, chemischen Elementen. In den Berhrungen der abendlndischen Christenheit mit der arabischen Wissenschaft und im Rckgang auf die griechische war schließlich doch dieser ganze Fortschritt begrndet. Dieser Charakter von Thatschlichkeit war aber nicht nur in den wissenschaftlichen Arbeiten der sptern griechisch-rçmischen Zeit: Er ist auch in der Kunst zum Ausdruck gelangt. Die unermßliche Flle rçmischer Bildnisse, rçmischer Portraits von Kaisern und kaiserlichen Verwandten enthlt Sachen von einer tiefen Erfassung der Individualitt, wie sie erst auf Grund der Selbstvertiefung der Reflektion ber das Leben, des Studiums der geschichtlichen Persçnlichkeit an diesen Kaiserhçfen erwuchs. Geheimnisse, die zu entrtseln waren, Intriguen, die aufzulçsen waren, gespannte Augen, die an einem unergrndlichen Herrscherantlitz hafteten, – das ist der Boden, auf dem diese wahrhafte, thatschliche, rçmische Portrait-Kunst so gut erwuchs als die tacitischen Kaiser-Portraits. An solche gemahnt der oft wiederholte CaracallaKopf, so entsetzlich in seiner erlogenen Genialitt und Niedrigkeit, daß nachher nur die Judas-Kçpfe damit verglichen werden kçnnen (Grimm: Auf die julische Epoche eine Portrait-Kunst, die gleichsam den Beamten, der sich abgebildet haben wollte, mit juristischer Genauigkeit hinstellt. Sie gab außerordentlich schçne und grndliche Arbeiten, die ganz national rçmisch waren. Von manchen Arbeiten (Pferdekopf) ist nun schwer zu unterscheiden, ob sie rçmische solcher Art oder von Donatello sind. So arbeiteten Donatello und Verocchio ganz nach den damals vorhandenen rçmischen Vorbildern; sie setzten das handwerkmßig fort. So weit Grimm.) Und doch macht sich inmitten dieser Tradition ein Neues geltend. Diese Statuen des Donatello, mit denen nun die moderne Kunst beginnt, werden gestreckt. Die Jnglinge sind gestellt wie Akteurs im Cirkus. Ihre Sehnen sind markiert, Bewegung hat die ganzen Kçrper ergriffen; sie bewegen sich vorwrts wie es der geistige Zug des Knstlers ist der sie bildet. Gemildert macht sich dieser Realismus in den Thon-Skulpturen der Robbias geltend. In derselben Richtung eines lebensfreudigen Realismus geht die italienische Frh-Renaissance vorwrts. Hier wie in der Dichtung macht sich ein durchgreifendes, gesetzliches Verhltniß in der Entwicklung dieser Kunst-Periode geltend, das aus deren Lebensbedingungen entspringt. In dem Realismus liegen die lebenskrftigen Antriebe, die dann den großen Kunst-Styl hervorbringen.
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Aber noch eine andere, inhaltliche Bestimmtheit dieser Bewegung entsprang in dieser Renaissance, welche den jungen Geist der neuen europischen Vçlker zu der arabischen Kultur und dem griechisch-rçmischen Wesen in Beziehung brachte. – Es war ein großer, geschichtlicher Moment als im Gefolge des Julian Cesarini Nicolaus von Cusa nach Constantinopel kam und dann in Ferrara Plethon, Bessarion und Nicolaus, sonach Griechen und Abendlnder mit einander verhandelten. Von dem Morgenlichte der Wiederherstellung griechischen Denkens ist die große Gestalt des Nicolaus bestrahlt. Der religiçs universale Thesmus, in welchem die geschichtliche Bedeutung und der Lebensaffekt des Plethon lag, wurde nun in dieser großen Combination der Dinge von Nicolaus ausgebildet. Umspannte doch der Welthorizont dieses Mannes die arabische, griechische und west-europische Kultur: Er mußte sich zu der berzeugung von der Erleuchtung aller Nationen durch die eine Gottheit erheben. Am Hof Friedrichs II, in den Slen der Pariser Universitt, und nun in den vielfachen Begegnungen hochgebildeter Griechen mit den vornehmen, west-europischen Geistlichen, sonach aus dem erweiterten Gesichtskreis des Lebens selber ist dieser religiçse Universalismus hervorgegangen. Nicolaus lßt in einer seiner Schriften die Reprsentanten der verschiedenen Religionen sich friedlich mit einander unterhalten. „Es kann nur eine Weisheit geben, es giebt also nur eine Religion, einen Kultus aller Vernnftigen.“ Dieser religiçse Universalismus hat durch Lorenzo Medici eine dichterische Darstellung erhalten. Dieser religiçse Universalismus mußte nun dem Geiste des damaligen England ganz besonders entsprechend sein. Schon im 14. Jahrhundert zeigt Chaucer diesen Geist. Er hat am Hof und in politischen Geschften ein Leben im großen Style gefhrt. In Italien hat er mit Petrarca verkehrt, vielleicht begegnete er auch dem Bocaccio und Froissard. Das ungeheure Erzhler-Talent der Englnder kommt in den bunten Geschichten, welche er aus aller Welt entlehnt, zum ersten Male zum vollsten Ausdruck. Aber von der breiten Litteratur des ritterlichen Geistes und der Galanterie unterscheidet er sich nicht nur durch die Kraft der Beobachtung, sondern auch durch den Sinn fr ein dichterisches Ganze. Vor allem aber ist schon in ihm der Geist einer moralischen Religiositt wirksam, welcher den englischen Charakter kennzeichnet. Dasselbe in Spenza aufzusuchen Tain 297. –
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Whrend des Mittelalters war allmhlig die Vertiefung in dem religiçs moralischen Seelenvorgang gewachsen. Der Sinn fr die Innerlichkeit der Person hatte bestndig zugenommen. Im Zusammenhang dieser Bewegung war Pe-
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trarca emporgekommen. Schon in ihm trat im Zusammenhang mit der zunehmenden Kenntniß der rçmischen Philosophie, insbesondere des Seneca, eine Verweltlichung dieses Bestandes von seelischer Vertiefung ein. In der heroischen Zeit von Florenz haben dann Salutato und Leonardo Bruni im Sinne des Cicero und Seneca durch ihre philosophischen Traktate, welche religiçs moralische Selbstbetrachtungen nach der Weise der Stoiker enthielten, hçchst bedeutend in das Leben und die Litteratur eingegriffen. In derselben Richtung auf seelische Vertiefung waren die grçßten, kirchlichen Schriftsteller des beginnenden 15. Jahrhunderts Pierre d’Aily, Johann Gerson und Raimund von Sabunde wirksam, denn der Nominalismus gab nun der Theologie in der inneren Erfahrung ihren Mittelpunkt. D’Aily findet unser ganzes Wissen von den ußeren Objekten durch die Natur der Sinnesorgane und der Medien zwischen ihnen und den Gegenstnden bedingt, zudem steht es unter der Voraussetzung, daß Gott die Natur-Gesetze nicht ndern werde. Dagegen ist das im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegebene der zweifelsfreie Ausgangspunkt alles Wissens. Gerson begrndet ausschließlich auf die mystischen Selbsterfahrungen alle Theologie. Und Raimund von Sabunde sieht in Naturerfahrung und Seelenerfahrung die Quellen alles Wissens. Demselben Zuge folgt die deutsche Mystik, in welcher die ganze, seelische Vertiefung der Dichtung den Stoff der christlichen Religiositt ergreift. Und der große Nicolaus von Cusa beschreibt die Linie seines Systems um die beiden auf einander bezognen Punkte: das Ich als den Inbegriff aller inneren, und das Naturganze als den aller ußeren Erfahrung. Hieran schloß sich dann entsprechend der socialen Stufe, in welcher die festen und dichten Schlçsser mit Fenstern wie Schießscharten verlassen wurden, und das hçfische Leben des Adels begann, in den Stdten aber eine HandelsAristokratie zu Litteratur und Kunst in Verhltniß trat, die Ausbreitung von geselliger Lebensfreudigkeit und Conversation. In festlichem Treiben mischen sich Knstler, Litteraten, Gelehrte mit den Hofleuten und den großen Kaufleuten. Eine Litteratur entsteht, die sich mit der Natur des Menschen, mit den Temperamenten, den Leidenschaften, den Charakteren beschftigt; allein ber die Liebe ließe sich eine ganze Bibliothek italienischer Traktate zusammenstellen; das Hçchste in dieser Litteratur ist Montaigne. Eine Analogie drngt sich auf. So entsprang einst in den griechischen Kolonieen, als sie zu Reichtum, erhçhtem Lebensgenuß, festlichem Leben gelangt waren im Verlauf des 6. Jahrhunderts vor Christi Geburt die Gefhls-Dichtung des Alkos und der Sappho, die Reflektion ber den Menschen und das Leben, die das Zeitalter der 7 Weisen bezeichnet, und die von demselben Geiste getragene Bearbeitung der Tierfabeln durch den sop. –
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Es ist die Zeit, in welcher der ritterliche, heroische Geist, welcher die Blte des Mittelalters bezeichnet, verschmilzt mit dem neuen, hçfischen. In dieser Zeit treten ritterlicher Wagemut Spiel mit dem Leben, Freudigkeit gesellschaftlicher Sitte, Galanterie in einer hçchsten Steigerung hervor. Alle diese Einwirkungen wurden von Shakespeare mehr erlitten, unwillkrlich ohne Reflektion aufgenommen wie die Luft, die man atmet. Aber andere mchtige Einwirkungen, welche in der Zeit in Widerspruch mit einander lagen, muß er mit historischem Bewußtsein mit sich ausgekmpft haben. Jeder große Dichter ist von einem geschichtlichen Bewußtseinsvorgang getragen, welcher darber entscheidet, wie er in sich eine dramatische Welt sieht und danach die innere Form seines Drama bestimmt. Hier eben liegt das eigentliche Geheimniß, das in der besonderen Gestalt seines Drama sich offenbart. Hier eben liegt die geheimnißvolle Genesis der besonderen Gestalt eines Drama. Shakespeare hatte die mchtigen Eindrcke der Renaissance und Reformation in sich auszugleichen. Diese beiden großen Weltkrfte lagen in vielen Geistern im Streit mit einander. Daß sie in ihm zu einem inneren Einverstndniß gelangten, das hat seiner dichterischen Welt die Harmonie und die Universalitt gegeben, welche sie auszeichnet. Gervinus hat ihn als protestantischen Dichter charakterisiert, Taine sah in ihm den Dichter der Renaissance: beides einseitige Auffassungen. Eben daß seine gesunde, große, in dem Kern jedes Dings liegende Natur, – eine Natur, die in jedem Ding alles sah, was darin war, den Einseitigkeiten dieser Weltkrfte sich nicht gefangen gab, sondern das, was in dem Menschen beiden entspricht, ja, was ber sie hinausliegt, erfaßte: Ermçglichte ihm alle Zeitkrfte in seiner Dichtung zu sammeln und doch etwas Zeitloses darin zu haben. Man kann sich die Einwirkung von Marlowe auf ihn nicht groß genug denken. Sein erstes Drama: Titus Andronicus zeigt ihn ganz in dessen Bann. Dieser aber war von dem Geiste der Renaissance getragen. Gerade die ußerste Excentricitt desselben, die sich in Macchiavelli darstellt, bestimmte seinen Geist. Der Mensch als Energie, die so blind und morallos wie die Naturkraft wirkt, wie Sturm oder wie Meeresflut; die Macht oder innere positive Bedeutung, ja Heldenhaftigkeit, gewisser großer Leidenschaften; wie darin ihr Recht hervortritt, daß sie eben den Menschen dem Tod gegenber gleichgltig machen und daher ber das Schicksal stellen, diese Lebensverfassung hat das Drama Marlowes hervorgebracht und der Kern hiervon hat Shakespeare immer bestimmt. Shakespeare aber hat zwar dies als die Grundstimmung der Tragçdie immer festgehalten; er hat das Tragische immer zunchst nur aus einer notwendigen Verfassung, nicht aber als solches als Schuld abgeleitet. Das Spiel der Leidenschaft mit dem Leben, die Verbindung der Schçnheit des Lebens mit frhem, tragischem Tod, werden berall in moralischer Reflektion von ihm angewandt. Aber je mehr er im Le-
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ben fortschreitet, desto strker betont er die Verbindung des Tragischen mit den Qualen des Gewissens in den verbrecherischen Naturen, desto mehr hebt er das strahlende Glck, das mit mnnlicher Tchtigkeit und weiblicher Reinheit verbunden ist, heraus, und desto lieber geht er dem nach wie dunkle Gewalten des Lebens durch ein inneres Heldentum berwunden werden kçnnen. Es giebt in dem Menschen etwas, das ber dem Schicksal steht. Dies wird nun in einer Art von stoischer Grundempfindung dargestellt. Neben den Heroismus der Kraft tritt ein inneres Heldentum, in welchem die hçhere Wahrheit des Protestantismus enthalten ist.
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So lagert sich also zwischen die Zeit, in welcher der Mensch zu einer Hlfte in den Formen der Feudalitt und des Rittertums sich bewegte, zur andren in einer kirchlich begrndeten, scholastisch zu einer Pseudo-Wissenschaft geformten Religiositt, und die andre Zeit, die mit Galilei und Kepler begann, und in welcher die mathematische Rationalitt zum Organ des Welt-Verstndnisses wurde, eine Epoche von ganz anderem Charakter die anhebt mit Petrarca, Boccaccio, Chaucer, Froissard, Lorenzo Ghiberti, diese waren Zeitgenossen, dann etwas spter Donatello (geb. 1386-1468) und welche bis zu dem Sieg Galilei’s, der 1564 geboren ist, sonach etwa in Rembrandt (1607-1669) Calderon (geb. 1600) Corneille (geb. 1606) Milton (geb. 1608) Murillo (1617-82) Velasquez (1599-1660) dauerte. Wie es an der Wende geschichtlicher Zeiten geht: Galilei’s Gedanken wirkten schon auf Descartes und Hobbes. Das rationale Zeitalter war im Anbrechen begriffen als Rubens Calderon, Velasquez und Rembrandt, Milton noch die Welt in der flammenden Beleuchtung ihrer Phantasie zeigten. So mischen sich in der Morgendmmerung noch die Strahlen des Mondes mit denen der aufgehenden Sonne. Diese 2 großen Jahrhunderte finden sich frei von der scholastischen Architektonik des mittelalterlichen Denkens, Mensch und Natur werden ohne ein zwischenliegendes Medium abstrakter Begriffe erblickt, die sociale Vernderung, in welcher Feudalitt und Kirchenmacht der neuen Monarchie den stdtischen Republiken, der brgerlichen Arbeit in ihrer Verbindung mit der Erfindung und wissenschaftlichem Denken Platz machen, hat eine außerordentliche Anspannung aller Krfte zur Folge, dabei stehen diese modernen Vçlker noch in der ersten Kraft sinnlich-mchtiger Jugend. Sie sind der mittelalterlichen Schule und Kirche entronnen und nun gehen sie nicht, nein, sie strmen vorwrts. Alles ist Energie, vollbltige, strotzende Kraft. Und noch ist dieser selbstmchtige Geist nicht zur Bildung der neuen mathematischen, mecha-
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nischen, physikalischen Begriffe gelangt, in denen er nachher die Welt und den Menschen erblicken wird, noch wird der Mensch nicht unter den geographischen, socialen, und geschichtlichen Bedingungen mehr oder weniger als Geschçpf derselben aufgefaßt, das Universum ist noch der Schauplatz eines Gewimmels von psychischen Krften, gerade wie diese Krfte der Regelung durch die scholastische Architektonik eines aristokratisch geordneten Kraftsystems entronnen sind, treiben sie nun ungehemmt regellos ihr Spiel, und der Mensch wird noch ohne Beziehung zum Naturzusammenhang als eine fertige, bestimmte „Diesheit“ also als Individualitt auf den gçttlichen Weltgrund gezogen: er ist wie herausgeschleudert aus demselben, hineingeworfen auf die Erde, sein Schicksal zu erfllen. Das wird die Zeit sein, in welcher die Einbildungskraft regiert, die Zeit schçpferischer, aber ganz persçnlicher Politik, einer Frsten-Phantasie, die sich alles erlaubt. Die Zeit der großen Knstler und Dichter. Die Zeit auch, in welcher die selbstmchtige, religiçse Phantasie eines Luther nicht mehr von den mittelalterlichen Begriffen gehemmt und noch nicht von den modernen eingeschrnkt wird. Die konstruktive Selbstmacht der Person wird sich in dieser Zeit ußern in knstlerischem Schaffen, wie sie denn in Galilei, der selbst noch voll von knstlerischen Interessen war, und in Kepler, der doch zugleich noch ganz von der Imagination regiert war, zur konstruktiven, mathematischen Naturwissenschaft bergeht. Ich frchte nicht, mißverstanden zu werden. Keine der großen Wendungen menschlicher Geschichte kann abgeleitet, als notwendig aus den frheren Zustnden gefolgert werden. Wre der Mensch ein Vernunftwesen, wie Hegel annahm, wre der Fortgang der Vorstellungen und Begriffe das, was ihn leitete, wie eine moderne psychologische Schule annimmt, welche denn auch ihre historischen Konstrukteure gehabt hat, dann vermçchten wir jedes sptere Stadium menschlichen Geisteslebens aus einem frheren abzuleiten. Jeder erfhrt an seinem eignen Schicksal, wie wenig wir Denkapparaten gleichen. So steht auch bei jedem Wechsel des geistigen Lebens der ganze Mensch hinter dem, was geschieht. Er ist immer da mit seiner Imagination, seinen Affekten und seinen Thorheiten. Seine Natur ist immer im Begriff hervorzubrechen und jedes Gedankengebude, jedes Ordnungssystem niederzuwerfen, das er eine Zeit hindurch bewohnt hat. Es hatte sich im Mittelalter unmçglich gezeigt, ihn zu diciplinieren, die Revolutionen der spteren Jahrhunderte sollten denselben Beweis in noch strkerem Grade liefern. Niemals zu irgend einer Zeit hat er sich, gerade mit seiner innerlich bildenden, schaffenden Kraft so mchtig erwiesen als wie er damals die mittelalterlichen Ketten abstreifte und wie er ganz von neuem, im Genuß grenzenloser Freiheit mit heißem Blut, mit starken Affekten, mit schrankenloser Imagination vorwrts ging. Nicht in den frheren Zustnden lag das Gesetz dafr, wie das nun geschah, nicht in den socialen
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Bedingungen, die nun eintraten, lag der Erklrungsgrund dafr. Diese Bedingungen locken nicht anders die großen, geschichtlichen Thatachen hervor als die Strahlen der Sonne Blumengebilde erwachsen lassen. Die Menschen-Natur selber offenbart sich nach ihrer Inhaltlichkeit in den großen Wendungen der Geschichte. Denn die Geschichte allein zeigt, was der Mensch sei. Der Schauplatz dessen, was geschieht: Florenz, Rom und Venedig, dann Paris, die niederlndischen und deutschen Stdte, dann London. Die Personen in diesem großen Drama, der neue Stand, den die bewegte Zeit hervorbringt, wie einst die Ghrung in Griechenland im 5. Jahrhundert die Sophisten, der Stand der Litteraten der Renaissance. Sie lçsen die Geistlichen ab, sind aber noch sehr geneigt, Pfrnden zu erwerben. Dann Maler, Bildhauer und Architekten, die grçßten von ihnen verbinden diese knstlerischen Thtigkeiten oder streben doch selbst in baumeisterlicher Herrschaft sich die knstlerischen Rume zu schaffen, in welche sie ihre Bildwerke einordnen. Sie gelangen teilweise zu einer Art von frstlicher Existenz. Endlich die Dichter, denen es nicht so gut wurde, die meisten von ihnen haben studiert und sich so von dem Formensinn des Altertums etwas erworben. Englische Dramatiker gehen aus dem Schauspielerstand hervor, und Shakespeare erwirbt seine Wohlhabenheit durch Teilnahme an Theater-Unternehmungen. Einige spanische Dichter finden im geistlichen Stande eine Unterkunft. Hans Sachs ist der Inhaber eines Schuhgeschfts. Noch gewhrt nirgend die Litteratur die Mittel zu einem anstndigen oder gar zu einem bequemen Leben. Und die Zeit, in der dies Drama sich abspielt, erstreckt sich ber mehr als 2 Jahrhunderte. Der Gehalt dessen, was damals geschaffen wurde, ist ein Verstndniß des Menschen und der menschlichen Individuation, hinter welcher jede wissenschaftliche Analyse noch zurckbleibt und in gewissem Verstande immer zurckbleiben wird. Denn die Unergrndlichkeit des Lebens selber und der in ihr sich vollziehenden Individuation spricht aus diesen Werken. Der Hauptzug der Art des Auffassens ist eine konstruktive Energie, welche das Empirische berschreitet und entweder die erhçhte Individual-Existenz oder das Typische anstrebt. Ihr entspricht daß in den hçchsten Leistungen auch die Menschen als Energien in Bewegung, wie Kraft-Einheit aufgefaßt werden. Von ihrer Entwicklung ist noch keine Rede. Der Boden, auf dem sie erwachsen sind, wird noch nicht in seiner Beziehung zu dem Gewchs selber aufgefaßt. Sie stehen da losgelçst von dem gesellschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhang, in dem sie erwuchsen. Sie sind zu bewegten Handlungen zusammengeordnet oder in ideale Beziehungen gebracht. berall sind sie doch in eine Art von idealem Raum hineinkonstruiert. Der Mensch ist ihr Ziel, nicht Natur, noch Gesellschaft, noch Geschichte. Zuerst ist in der bildenden Kunst ein Verstndniß des Menschen von den
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neueren europischen Vçlkern erreicht worden. In dem Florenz der lteren, medicischen Zeit durchdrang ein herrisches Lebensgefhl die Menschen. Es konnte sich auch in der bildenden Kunst ußern, da sich nun die Renaissance auch auf antiquarische Fortsetzung und Sammlung antiker Kunstwerke erstreckte. Antike Sujets wurden vielfach in Holzschnitt und Stich behandelt. Seit Dantes vita nuova, Petrarca und Boccaccio sprach sich in Sonett, Novelle und Biographie eine reiche, konkrete Kenntniß des Seelenlebens aus. So entsteht eine neue Wendung in der bildenden Kunst. Die franziskanische Frçmmigkeit hatte die Starrheit der lteren Kunst in epischen Fluß aufgelçst, in Fra Angelico lçst sie ihn in eine sße, idealische Lyrik. Die Cyklen des Giotto sind wie die Ilias oder Odyssee ein berall vollendeter angemessener und ausdrucksvoller Vortrag mit einzelnen, ergreifenden, unvergeßlichen Stellen: doch nicht in diesen Stellen liegt die Grçße, sondern in dem epischen Fluß des Ganzen. Mit dieser Schule beginnt die große Fresko-Malerei, welche die Gestalten in die Gliederung eines gegebenen, architektonischen Raumes hineindenkt. Dieser Raum fordert von der Phantasie Rythmik, Wrde und Internitt der Gestalten, die den gegliederten Stein-Massen entsprechen; so drngt er die Phantasie, das dauernde im Menschen sonach das Typische hinzustellen; die Beziehungen der Gestalten symmetrisch zu regeln und sie mehr in einen idealen Raum als auf einen festen Boden zu stellen; ja die Natur selbst kann hier nur in ihren unerschtterlichen Verhltnissen, nicht in vernderten, landschaftlichen Stimmungen hingestellt werden. Eins der grçßten Beispiele in der Geschichte der Kunst, wie die Bedingungen, welche sie sich gesetzt hat, sie dann zugleich binden und beflgeln. Fast ein Jahrhundert danach lçst Fra Giovanni Angelico unter dem Einfluß derselben hçchsten, katholischen Religiositt den Stoff der christlichen Geschichte. In den Bildern, mit welchen der Mçnch von Fiesole viele Jahre hindurch Kirchen und Klçster andchtig schmckte, stellt sich uns heute noch dar, wie sich die berirdische Ordnung von der Dreifaltigkeit, der Madonna, den Engeln und Heiligen bis zu dem einfach Glaubenden in dieser hçchsten, katholischen Religiositt darstellte, aber in denselben, toskanischen Gegenden und genau zu derselben Zeit – in der ersten Hlfte des 15. Jahrhunderts war nun neben dem Mçnch von Fiesole der Geist der neueren Zeiten in Plastik und Malerei jugendmchtig hervorgetreten. Lorenzo Ghiberti und Donatello (geb. 1386) sind seine Zeitgenossen, Masaccio folgt diesen Plastikern in der Malerei auf dem Fuße, (geb. 1401) Benozzo Gozzoli (geb. 1420) Andrea del Verrocchio (geb. 1435) Sandro Botticelli (geb. 1446) Lorenzo di Credi (geb. 1459). Aber dieser ist nun bereits der Schler des Verrocchio ein Schulgenosse von Lionardo und Perugino. Als nun Donatello in Padua sein Reiterstandbild errichtete und den bronzenen Schmuck des Hochaltars im Santo bildete, wurde durch sein Atelier
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nach Padua, und somit nach Oberitalien, der kraftstrotzende Realismus dieser jungen Renaissance bertragen. Andrea Mantegna (geb. 1430) wurde hier sein Hauptvertreter. Von derselben Florentiner Frh-Renaissance und ihrem mchtigen Realismus ist dann in Umbrien Pierro della Francesco (geb. 1420) bedingt aus dessen Schule Luca Signorelli (geb. 1441) hervorging. Eine machtvolle, dramatische Bewegung geht durch seine herben, meisterhaft naturwahr hingestellten Gestalten. Das ist also der Vorgang. Der Mensch als lebendige Energie in seiner Selbstherrlichkeit wird nun zuerst in der Geschichte der Kunst hingestellt. Zu der Einwirkung der verwandten, spten, rçmischen Kunst tritt hier wie berall, wo ein ganz Neues in der Kunst entsteht, das vorandrngende Lebensgefhl der frhen Renaissance. So tritt Donatello hervor, der Schçpfer dieses neuen Begriffs vom Menschen als eine Energie. Seine Gestalten sind desselben Geschlechts als der furchtbare Johann 23., dessen Grabmal er ausfhrte, und der Sçldner-Huptling Gattamelata, dessen mchtiges Reiterstandbild er zu Padua geschaffen hat. Hier ist nun die Gestalt der Ausdruck des Willens zur Bewegung, das Fleisch fr sich ist nichts. Die in einer Individualitt angelegte Form zu wirken und sich zu bewegen, ist alles. Das Individuum ist von innen konstruirt, das Antlitz ist wie aus einem LebensMittelpunkt heraus entworfen; „sprich zu mir“ soll Donatello zu einer seiner Statuen gesagt haben. Von diesen Gestalten geht infolge ihrer Willenslebendigkeit eine Gewalt aus, durch die sie auf uns eindringen; so besonders von dem Mantuaner Reiterstandbild. Das individuelle Leben in diesen Gestalten tritt als ein von jedem Raisonnement Unerreichbares vor uns hin; wie dies in der Maria und dem Engel in der Verkndigung zu S. Croce jeder fhlen wird. Die angegebenen Daten zeigen wie von dem herrischen Florenz und dessen Bildhauer Donatello her, dieser neue Styl sich ausbreitet. Verrocchio hat in seinem Reiterdenkmal des Condottiere Coleoni den hçchsten Ausdruck der unbndigen Kraft die in den Tyrannen und Condottieren des damaligen Italien pulsiert, hervorgebracht. Der tiefste Kunstkenner unseres Jahrhunderts Jacob Burkhardt nennt es das großartigste Reiter-Monument der Welt. Denkt man an das Reiterstandbild des Francesco Sforza von Lionardo dazu, von dem leider nur die Skizzen erhalten sind, in dem bewegungsmchtigen Geiste hingestellt, der seinen hçchsten Ausdruck in Lionardo fand, dann hat man in diesen 3 Werken den eigensten Ausdruck dieser bewegungsmchtigen und kriegerischen Seite der Renaissance. – Die Unergrndlichkeit der Individualitt ist der andere Teil von knstlerischem Lebensgefhl in dieser Zeit. Er beherrscht die friedlicheren Darstellungen. Mit einer imponierenden Ernsthaftigkeit drckt sich diese Seite in Verrocchio aus. So in den beiden Bildern der Florentiner Akademie von ihm, dem lteren: Tobias mit dem Erzengel auf der Reise, aus seiner frheren Zeit, dann, der von Lionardo bermalten „Taufe Christi.“
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Daneben bricht in anderen Florentiner Bildern, insbesondere bei Signorelli wie ein Blten-Frhling voll von Lebens-Freude auf. In dieser objektiven Kunst treten alle Seiten des Lebens naiv und stylisiert hervor, die großen Zge der Individuation werden nicht einem Styl unterworfen, sondern verstrkt, ja bis zu einem Extrem gesteigert. Dies ist das Princip, welches diese Kunst mit dem Drama Shakespeares teilt. In der Wertgebung der mnnlichen Kraft verliert die Schçnheit an Bedeutung, der Liebreiz der Frauen empfngt eine hçchste Steigerung, die nie spter berboten wurde. Furchtbares, Bestes, Heiteres sprechen sich mit den strksten Accenten aus. Diese Kunstweise hat Lionardo zur hçchsten Vollendung gefhrt. Diese Objektivitt erhob Lionardo zu einem wissenschaftlichen Bewußtsein. Er war Naturforscher, er erfaßte das Princip dieser Richtung, das Verhltniß der seelischen Kraft zu dem Ausdruck der Zge, der seelischen Bewegung zu den Gebrden, die Beziehung der Bewegungen, die von einem Mittel-Punkte aus dieselben verknpft. Seine Handzeichnungen zeigen berall diese ungeheure, geistige Arbeit. Er ging zurck bis auf die wissenschaftliche Anatomie, er ging dem Problem der Bewegung als Ingenieur und Physiker nach. Er verfolgte das Geheimniß der MenschenSchçnheit bis in die Hnde. Jnglings-Schçnheit und Frauen-Schçnheit erhlt bei Verrocchio und ihm ein ußerstes, eine Verstrkung des Weichen, Traumhaften, Rtselvollen bergossen von Gracie. Dem gegenber hat offenbar sein Carton der Schlacht Angliari das Extrem bewegter, kriegerischer Energie erreicht. Dann wieder ist die Hßlichkeit, welche aus den Tiefen des Bçsen stammt, nie grçßer als in seinem Judas ausgedrckt worden. So entstand das grçßte, malerische Werk aller Zeiten in Bezug auf die Abstufung des Ausdrucks aller Individualitt: das Abendmahl. In dieser Frh-Renaissance der bildenden Kunst herrscht dieselbe naive Objektivitt, welche sich den Gegenstzen in der Individuation hingiebt und sie nur durch Verstrkung erleuchtet und verstndlich macht; es herrscht dieselbe Betonung der Kraft, der Energie zur Bewegung in der Darstellung der mnnlichen Welt, wie sie noch durch ein kriegerisches Zeitalter durch die neuen Weltbegriffe bedingt ist, die in Lionardos und Galileis Mechanik und Macchiavellis Politik zum Ausdruck gelangen. Alle diese Zge kehren in Shakespeare wieder. Sie entspringen aus den allgemeinen Bedingungen, unter denen gleicherweise die bildende Kunst und das Drama in diesem Zeitalter sich entfalteten. Die folgende Entwicklung der bildenden Kunst wendet sich in das Typische, in die Ausgleichung der Kontraste in der Individuation in einem harmonischen Styl. Man kann sagen, daß sie sptere Formen dichterischer Darstellung vorbereitet. Denn das ist nun doch schließlich das Gemeinsame in Lionardo, Tizian, Michelangelo, Drer und Rembrandt, sie stellen Bilder vom
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Menschen-Dasein hin, in denen das Organon des Verstndnisses von Menschennatur lag. In der bildenden Kunst ist der Mensch zuerst in der modernen Zeit verstanden worden. In dieser Zeit verstrkt sich auch das Gefhl der Selbstndigkeit des Menschen. Sogar die Portraitkunst hat dies Bewußtsein vom Selbstwert gesteigert. Sie hat eignes und fremdes Dasein in sthetische Freudigkeit getaucht. Ein triumphirendes Bewußtsein des Menschen von seiner Selbstherrlichkeit liegt ber dieser bildenden Kunst. Blicken die Menschen des Raphael noch nach innen, die des Donatello, Verrocchio und dann die Niederlnder blicken nach außen in einem ganz modernen Bewußtsein ihrer Macht.
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Die Individuation bei Shakespeare. Die großen Jahrhunderte, in welchen das Bewußtsein der Individuation sich auf dieser Grundlage der Philosophie ausbildete, reichen von der Ausbildung des Nominalismus bis zur Vollendung des Charakter-Lustspiels in Molire. Es ist die Zeit der Begrndung einer neuen, empirischen Psychologie, -+die Zeit, in welcher die Temperamenten-Lehre ein Gemeingut der Gebildeten war, – die Zeit, in welcher die Affekten-Lehre von den Wurzeln der Stoa aus zu der mchtigen Systematik Spinozas erwuchs, – die Zeit, in welcher das hçfische Leben in absoluten Staaten der Beobachtung des Menschen, den Reflektionen ber denselben einen erhçhten Grad von Ausbildung gab, – die Zeit, in welcher an den Wnden jedes Palastes Portraits herabsahen, welche in dem Inneren von Seelen zu lesen, aufforderten. Kein Hçfling, kein Schriftsteller, kein Staatsmann konnte ohne Betrachtungen solcher Art an diesen Bildern vorbergehen. Dies war die Zeit, in welcher Shakespeare lebte. Individuation zu gewahren, dazu forderte alles in ihm auf. Er kannte in dem damaligen London die Bilder, etc (Brandes). Jedes poetische Werk, das in seine Hand kam, wurde ihm ein Lehrmeister dieser Art zu sehen. Wir lernen alle von Knstlern und Dichtern Menschen gewahren, wir machen alle diese Schule von Menschenkenntniß durch. Die Typen, welche die Dichter entworfen haben, verfolgen uns berall, wir verstehen durch sie die Menschen besser. Eine solche Litteratur umgab nun Shakespeare. Dieses Wissen von der Individuation der Menschheit atmete er ein von berall her. Eben je geringer das Nachdenken ber die allgemeinen Gesetze des seelischen Lebens, die Umstnde unserer Entwicklung, unsere wirtschaftliche und sociale Gebundenheit damals waren, um so ausschließlicher und direkter richtete sich auf das Individuum das Auge Shakespeares.
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Von Menschen, ihren Leidenschaften und Schicksalen, von nichts anderem sprechen seine Dramen. So ist er das mchtigste Organ unseres Verstndnisses der Individuen geworden. – Darin zunchst liegt seine dauernde Wirkung in der Weltlitteratur. Er ist der Seher der Individuation, er ist das Organ, durch welches wir Charaktere und Leidenschaften gewahren. Ohne daß wir es wissen, umgeben uns bestndig sein Richard III, Othello, Hamlet, Macbeth, Desdemona, Ophelia, Miranda und lehren uns, minder ausgeprgte Gestalten des wirklichen Lebens tiefer verstehen. Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen; und indem die Schçpfungen der großen Menschen ihn sehen lehren, lernt er verstehen, was ihn umgiebt. Versuchen wir nun, Shakespeares Kunst, ein Individuum darzustellen, uns klar zu machen. Shakespeare vollendet den tiefen Zug der Zeit, zurckzugehen hinter alle ußere Form und Gestalten, hinter die starren Inhalte, welche in Wahrnehmen und Denken gegeben sind und sonach der einseitigen Intellektualitt angehçren. Die Energie, in welcher alles aufgelçst und flssig geworden ist, welche die Inhalte ergreift, fallen lßt, bestimmt: das ist fr ihn der Mensch. Die Principien der Philosophie seiner Zeit, die Coincidentia oppositorum, die Sympathie der Teile der Welt zu einander, die lebendige Einheit aller seelischen Gegenstze, der Gespenster und der inneren, furchtbaren Vorgnge, in welchen diese aus den Affekten unserer Seele aufsteigen, des Narren und des Weisen Bewußtseins ber die Welt, da es nur in dessen excentrischen Sprngen dem Spiel der Gegenstze in ihr sich annhert, der Bezauberung durch magische Krfte und der excentrischen Gewalt der Phantasie, die uns alle bezaubert, des Wahnsinns und des Sinns, der wilden Kraft und ihrer Machtlosigkeit gegen das Schwchste und Thçrichste: Dies alles ist Eins an irgend einem Punkt, an welchem im Unendlichen die Gegenstze zusammenfallen, mag man dem Gegensatz der Charaktere nachgehen oder dem Wandel in einem einzelnen Charakter. Im Leben sind diese Gegenstze, welche dem Sinn und Verstand sich ausschließen, aufgehoben. So ist in jedem Charakter fr ihn eine gebundene Energie, welche die Anlsse nur frei macht. Diese Energie steht in keinem Verhltniß zu den Umstnden, die sie in Wirkung versetzen. Mit seinem Wirklichkeitsgefhl hebt er gerade in diesem Verhltniß das, fr die Mchtigkeit der Menschennatur Entscheidende heraus. Seine Naturen bewegen sich, als ob all die Hemmungen, die uns langsame Schritte, Verweilen, Zurckgehen aufnçtigen, gar nicht in der Welt wren. Sie scheinen in einer Welt ohne Widerstnde ungestm vorwrts zu gehen. Aber diese Energie ist nicht ein bloßes, formales Vermçgen, sondern ußerung eines unsichtbaren Zusammenhangs, welcher die Motivation gerade in diesem Menschen bedingt. Jeder dieser Menschen handelt als ein Ganzes. Sucht man dies nher aufzuklren, so ist hierin eine bestimmte
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Verbindung von Zgen angelegt, welche eine Lebensmçglichkeit enthlt. Diese stellt er ganz realistisch hin. Macbeth’s Heldenhaftigkeit, sein stolzes Ehrgefhl, daß er Hexen und seinem Weibe kritiklos hingegeben ist, daß er bei lebendigem Gewissen in Blut watet, bei der Erscheinung Banquo’s nicht Herr seiner selbst ist: Was auch an diesen Zgen sich zu widersprechen scheint, – sie sind in ihm verbunden durch die Macht eines dsteren, hçchst reizbaren, rasch zur Handlung angelegten Temperaments. All das sieht man ganz realistisch. Er ist kein idealistischer Schatten, der aus einem Charakter-Merkmal abgeleitet wre, aber dies Alles ist doch nur das Außen. Immer handelt es sich in der Individuation um eine bestimmte Verbindung von Zgen in einem Individuum, welche eine Lebensmçglichkeit enthlt. In Shakespeare ist es gerade die Modulation in dieser Natur, Mçglichkeit aus einem Helden zu einem Tyrannen zu werden und doch er selbst zu bleiben, hçchste Mnnlichkeit, welcher dann doch sein Weib vorwerfen darf: „Bist du ein Mann?“. Entwerfen von Blutthat aller Art und Schauer vor dem Blut an der Hand. Niemand kçnnte dies sichtbar machen. berall umgiebt uns Halbdunkel hier, aber wir folgen gleichsam Thon auf Thon der Melodie solcher seelischen Vernderlichkeit.
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Dramatische Phantasie Shakespeares. Die Phantasie kann immer nur nach dem Schema der Welt denken, das sie sich in Selbst- und Welt-Erfahren aufgebaut hat. In dieser herrscht auch eine Logik. Von einer epischen Logik kçnnte man schwerer reden als von einer dramatischen. Das Drama fordert einen großen Verstand. Dieser bezieht sich erstens auf den Causal-Zusammenhang, durch welchen die Teile der Handlung mit einander verbunden sind. Die Verkettung in demselben besteht aus ußeren Bedingungen und den die engere Handlung ausmachenden Personen. Zweitens, sofern nun aber Bedeutung und Inhalt entsteht, ist dieser Zusammenhang ein Lebens- und Bedeutungs-Zusammenhang. So entsteht das Streben des Dramatikers seiner Welt eine Art seherlogische Einheit zu geben. Dramatische Notwendigkeit ist sonach das erste Axiom der dramatischen Logik. Dieses fordert kausale Verbindung von Charakter und einer Handlung, welche die tragische Wendung und Eintreten derselben bedingt. (Ist es so bei Calderon?) Ein 2. Axiom liegt in der Constanz der Personen. Aber die teleologische Einheit muß nicht durch die Beziehung von Schuld und Untergang hergestellt werden. Die Phantasie Shakespeares ist so dramatisch, seine Welt ist so sehr drama-
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tisch angesehen, daß seine Erzhlungen gar keinen epischen Charakter haben. Molire hat keine Erzhlung geschrieben, Schillers Geisterseher ist ganz dramatisch, nur Lyrik.
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Außer Homer und Plato giebt es wohl kaum einen Dichter, dessen Sprache ihm so ausschließlich eigen wre: Sodaß man glaubt, in jedem Satz sie zu erkennen. In ihm erreicht der Charakter der Sprache seiner Zeit, das Symbolische, Bildliche den Hçhepunkt. Dies ist darin gegrndet, daß Inneres immer im Bild, Bild immer als Inneres sich darstellt und die seelische Bewegung eine solche Totalitt in sich hat, daß das Gesichts-Bild nur vollstndig ist, wenn es auch gehçrt, gerochen und geschmeckt wird. Er springt dazu ber, was in einem Sinn gegeben ist, durch andere Sinne zu ergreifen. Eine unerhçrte Freiheit in dem Erfassen einer Erscheinung von der Grundlage verschiedener Sinne aus, tiefsinniges, analogisches Denken, welches die Verwandtschaft der Eindrcke verschiedener Sinne dunkel erfaßt, sind ihm eigen. Dies setzt voraus Bewußtsein von unergrndlicher Totalitt, der man von allen Seiten her, sich nur gleichsam annhern kann. –
Shakespear’s Styl.
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Die innere Form seiner Dramen beruht auf seinem Vermçgen das Ganze der Handlung im Bewußtsein zu haben und zugleich doch in jedem Moment in den einzelnen Figuren zu leben. Nicht durch eine ußere Rechnung verbindet er dies, sondern durch ein inneres Fortgehen im Ganzen. Nichts ist erklgelt oder an einander gepaßt. Alles wird und geht vorwrts wie die Natur. Dies war nur mçglich durch die Verbindung seines unermßlichen Verstandes mit der bung des Schauspielers, welcher tglich das Ganze und seine Rolle, die Handlung und das Erleben einer Figur zugleich im Bewußtsein hat. Daß hierzu tiefes Nachdenken ber die Form des Drama trat, beweist das Gesprch des Hamlet mit den Schauspielern. Von diesem muß man ausgehen, er muß einen Grund gehabt haben, die Konfession einmal zu thun, die in diesem Gesprch liegt. Je mehr es aus der Handlung herausfllt, desto klarer ist, wie sehr diese dichterische Konfession ihm auf dem Herzen lag.
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Einzelnes. Das Zweiheldentum bei ihm. Brutus und Csar. Charaktere, Reden sind bei ihm nicht zu einem Mittleren, zu einem Typus gemildert, gegen einander ausgeglichen. Er wollte keinen einheitlichen Kunststyl haben. Sie sind gesteigert in ihrer Sonderheit, wie die ltere, bildende Kunst thut. So auch seine Sprache. Methode Umstnde als Reagencien zu benutzen, um Charaktere sehen zu lassen. Zeit und Raum etc. 144 bei ten Brink.
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Shakespeare’s historische Stcke. 1. Die geschichtliche Lage. Damals war die Politik eine regimentale Kunst, deren Kenntniss den Kçnigen, ihren hçchsten Beamten und den vornehmsten Geistlichen ausschliesslich eigen war. Dazu stellen Chroniken, Rechtsbcher, lateinische Bearbeitungen des Aristoteles, scholastische, politische Traktate dar, wie weit der vergleichende, empirische Standpunkt des Aristoteles verstanden wurde, wie keine Art von Aufstellung des Zusammenhangs, in welchem ein Staatswesen besteht, des Verhltnisses der Krfte bestand. Bis aus den italienischen Archiven, den Akten Carls V, Franz I und der Ppste war die regimentale Kunst verborgen. So erklrt sich die Wirkung Macchiavellis auf Marlowe. Vergleiche die politischen Regeln in Essais Bacos. –
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Das Leben. Die Hauptsache that die Anschauung der Politik der Kçnigin Elisabeth. Der Kern dieser Politik traf nun ganz zusammen mit der Theorie des Macchiavelli. Das politische Leben wird durch Machtverhltnisse gebildet. Willensmacht der Person, Macht als Staatszweck, Kraftverhltnisse ringender, politischer Kçrper, Machtverhltnisse im Staat, im Norden zwischen Feudalitt, Kirche und Kçnigtum, zu welchem dann als ein noch nicht organisierter, aber an Kraft zunehmender Faktor, die Stimmung der brgerlichen Klassen der stdtischen Bevçlkerung hinzukommt. In den freien Stdten Deutschlands
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und Italiens sind es dann Machtkmpfe andrer Art zwischen andern Klassen, welche das politische Leben erfllen. Baco hat diese Begriffe angewandt auf das Verhltniss des Menschen zur Natur. Auch hier ist ihm das Ziel des Menschen ein Imperium, eine Kçnigsherrschaft. Seine von den politischen Ideen der Zeit befruchtete Phantasie lebt in Bildern der Bezwingung der Natur vermittelst der Erkenntniss des in ihr bestehenden Kausal-Zusammenhangs. Das Imperium des Menschen, der Natur Gewalt anthuen, magische Schlssel, die sie aufschliessen: In solchen Symbolen denkt er. Anwendung davon auf Politik ? Hobbes spricht, bereinstimmend mit Macchiavelli in seinen abstrakten Begriffen diese Lehre von den Machtverhltnissen aus. Bei ihm gelangen dann noch 2 andere Faktoren zur Geltung, welche sonst bei den Zeitgenossen nicht mit so klarem Bewustsein aufgefasst werden. Der eine derselben ist die Macht der rçmischen Rechts- und Staatsgedanken ber alles damalige politische Leben. Der andere liegt darin, dass in der Naturauffassung die Mechanik durch die Schule des Demokrit und die Einwirkung des Galilei ein Schema schuf, welches dem bisherigen entsprechend nur mit wirkenden Einheiten dem Anprall derselben an einander etc. operierte. Shakespeare’s Quellen.
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Mit diesem Allem waren die Quellen seiner Kçnigsdramen in bereinstimmung. (Shakespear Jahrbuch XII). Diese Quellen waren fast ausschliesslich die Chroniken von Holinshed und Hall. Da der erstere Chronist berall die Angaben des letzteren benutzt hat, so ist nicht gut festzustellen, auch ziemlich gleichgltig, wo Shakespeare die eine oder die andere Chronik gebraucht hat, doch muss, da die von ihm nachweislich benutzte Ausgabe des Holinshed vom Jahr 1586 ist, fr seine etwa frher fallenden Historien lediglich Hall seine Quelle gewesen sein. Er fand in ihnen vorzugsweise den Erbfolgestreit zwischen den Familien York und Lancaster und die Thronfolgeberechtigung beider, den Kampf der Grossen mit dem Kçnigtum, den der Kirche mit der Monarchie und den Frankreichs mit England. Alle diese Machtkmpfe sind noch im Geist eines feudalen, schlachtenfrohen Zeitalters geschrieben. Verstndniss des hinter den Einzelvorgngen liegenden allgemeineren, geschichtlichen Zusammenhangs fehlt gnzlich – (Anekdotische Zge ber die Individuen erheben sich doch zu keiner tieferen Charakteristik?)
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Geschichtlichkeit der Dramen. Hieraus ergiebt sich der Zusammenhang, welchen Shakespeare seinen geschichtlichen Dramen mitzuteilen vermochte. (Shakespeare Jahrbuch XII 248. Rmelin 132.) Die von Shakespeare behandelten Zusammenhnge sind Wille zur Macht in Kçnigen, feudalen Huptern und hohen Geistlichen. Staat als ein im Kçnig koncentrierter Machtwille. Widerstand der Grossen Erbfolgestreit zwischen den Familien York und Lancaster, Kampf mit Frankreich um die festlndischen Provincen, Kampf mit der Papst-Kirche um deren Machtbereich in England. Eine Darstellung hiervon ist fr England von der grçssten Bedeutung gewesen. Etwas hnliches als Homer fr die Griechen sind diese Kçnigs-Dramen Shakespeare’s fr die Englnder geworden. Die mnnliche Auffassung des politischen Lebens als eines Zusammenhangs von Machtfragen ist bei uns niemals in das Bewusstsein der brgerlichen Klassen gedrungen. Daß es sich in der Politik um Macht handelt, das ist den Englndern der grossen aristokratischen Epoche etwas Natrliches. Das Ringen der Stnde unter einander und mit dem Kçnigtum, der Kampf der Staaten: das ist die Form, in welcher das politische Leben sich bewegt. Die andere Seite ist in dem Bewußtsein der nationalen Gemeinsamkeit gelegen. Niemals ist dieses grosse Gefhl des Patriotismus, d. h. des Mitleidens und der Mitfreude mit dem Ganzen des eignen Volkes und Staates mchtiger ausgesprochen worden als in diesen Dramen. Indem nun aber Machtverhltniße den Inhalt des politischen Lebens bilden, tritt in dem Patriotismus das Mitgefhl mit den mittleren und unteren Klassen, die Sorge fr das gemeine Wohl ganz zurck hinter das Streben nach Machterweiterung des Ganzen, hinter die kriegerischen Gefhle. Auch von dem modernen England ist Shakespeare geschieden. Mit der Herrschaft der brgerlichen Klassen trat das Princip des Gemeinwohls in den Vordergrund. Dennoch ist in Shakespeare eine fortwirkende Kraft, durch welche eine mnnliche Betrachtung des politischen Lebens in England aufrecht erhalten wird. Bei uns ist leider zwischen dem politischen Gefhl der in Norddeutschland regierenden Klassen und unserer nationalen Litteratur ein unausgeglichener Abstand. Die aufgeweichte Sentimentalitt der Rousseau’schen Epoche hat die Litteratur zerfasert in die subjektiven Probleme. Schillers Wallenstein und Kleist’s Dramen stehen isoliert. Kleist htte die Verbindung herbeifhren kçnnen, die uns fehlt. Um so wichtiger ist es, daß wir Shakespeare in uns aufnehmen.
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Aber Alles, was außerhalb dieses engen Bezirkes liegt, auf den Shakespeare’s Lebens-Horizont das politische Grundgefhl des Zeitalters und die Chroniken ihn hinweisen: Das alles ist nicht fr ihn vorhanden. Vergebens sucht man (Rmelin 125. Ranke) in der langen Reihe dieser historischen Dramen den ganzen so bedeutenden Gehalt dieser Epoche. Der Gegensatz zwischen der angelschsischen Bevçlkerung und dem, durch die Eroberung herrschenden, normannisch-franzçsischen Element wie er von dem Sieg Wilhelms des Eroberers ber Harald ab, bestand (und in unserem Jahrhundert von Walter Scott so meisterhaft dargestellt ist). Das Eindringen des hierarchisch-ritterlichen Geistes, mit den normannischen Kçnigen und ihren ritterlichen Kriegsgefhrten die nunmehr die grossen Lehen erhielten, und der England formierte, der Verschmelzungs-Vorgang, wie er sich dann gerade auch in der Epoche, mit welcher Shakespeare’s Dramen beginnen vollzogen hat: Diese Momente alle, auf denen die englische Geschichte beruht, und welche doch auch den Charakter des grossen Adels und die Rechtsgrnde der franzçsischen Kriege erst verstndlich machen, lagen ganz jenseit des Horizontes von Shakespeare. Er war schon darum von dem geschichtlichen Verstndniß des grossen Zusammenhangs ausgeschlossen, in welchem Johann, Richard II und die Heinriche stehen. – Beginnt Shakespeare seine Kçnigsdramen mit Johann, so kam bekanntlich in dessen Regierung die Magna Charta zu Stande, welche die ganze folgende englische Geschichte bedingt. Als am 15. Juni 1215 Johann von Windsor herabkam nach der Wiese bei Runnemede, wo ihn die Barone erwarteten, da waren es eben die Momente, welche ja auch den verschwiegenen Hintergrund der Historien Shakespeare’s bilden, der Mißbrauch der kçniglichen Befugnisse, die gewaltsame Eintreibung außerordentlicher Hilfsgelder und die willkrlichen Verhaftungen, welche den Ausgangspunkt des Widerstandes bildeten und zur Vereinbarung des grossen Freibriefes fhrten. So wurde die Sicherheit der Person und des Eigentums festgestellt. Nichts kann schrfer die Grenzen in dem historischen und politischen Verstndniß Shakespeare’s bezeichnen als daß er den grossen Vorgang, durch welchen die Magna Charta entstand, in dem Kçnig Johann gar nicht berhrt. Und auch in den folgenden Kçnigsdramen hat er kein Wort fr den Fortschritt der brgerlichen Freiheit. Wie die Magna Charta selbst, so bleiben berhaupt die Rechtsmomente, auf denen der Streit zwischen dem Kçnigtum, dem Adel und der Geistlichkeit beruhte, ganz im Dunkeln. Vergebens sucht man irgend ein Verstndniß fr die Ausbildung der brgerlichen Klassen, ihrer çkonomischen Macht, ihrer korporativen Freiheit und ihrer politischen Bedeutung in diesen Historien. Neben Kçnig, Geistlichkeit und Adel giebt es in diesen Stcken nur Falstaff und seine Gesellen, Herolde, Boten, die hçchst lcherlichen Friedensrichter, Schaal und Stille, Karrikaturen brgerlicher Armseligkeit, hçchst
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lcherliche Rekruten, hçchst nichtsnutzige Gerichtsdiener etc. Ausnahmen bilden nur die historische Figur des Oberrichters, welcher in Conflikt mit dem Prinzen Heinrich geriet, von Heinrich VI ab dann mehrere brgerliche Personen (nachzusehen.) Der Krieg selbst wird ganz einseitig dargestellt. Es waren die Bogenschtzen, welche bei Asincourt den Sieg errangen ber die nun veraltende, ritterliche Waffenfhrung. Wer bemerkt die Bedeutung Wicleffs und der demokratischen, kirchlichen Bewegung? Diese Enge des Gesichtskreises macht diese Historien ausserordentlich eintçnig. Es ist sehr schwer, eine grçssere Partie derselben hinter einander zu lesen. Auch von dem englischen Feudal-Staat giebt er nur ein mangelhaftes Bild. Die Kriegsfhrung ist die von Paladinen oder Homerischen Helden. (S. 252. 325). In Wirklichkeit wurden die Schlachten von Poitiers, Azincourt, St Albans, Bosworth entschieden durch Bogenschtzen und Fussvolk. Darin lag denn die bevorstehende Macht der brgerlichen Klassen, die dann in den Puritaner-Heeren ihren Ausdruck fand. Nationales und historisches Colorit fehlen. Sollte man meinen, eben diese Einschrnkung auf das Drastische, Persçnliche, verstrke das Interesse an denselben: So ruft im Gegenteil dieselbe Ermdung hervor. Noch allgemeiner ist das Zurcktreten von historischem Zusammenhang berhaupt. Dies ist freilich in der Form des Drama mit begrndet. Diese Dramen rechnen darauf, daß die damaligen Hçrer berall Kenntnisse mitbrachten, zumal die jungen Aristokraten. Der historische Tiefsinn liegt darin, daß alle grossen Motive, welche die geschichtlichen Menschen gleichfçrmig an allen Orten und zu allen Zeiten bestimmen, hier zum Ausdruck gelangen. Eine ganze Philosophie des geschichtlichen Menschen ist da vorhanden. Die einfachen psychologischen oder politischen Motive werden mit einer unbeschreiblichen Kraft und Klarheit entwikkelt. Der Hauptsatz, daß in politischen Helden der herrschende Affekt ein Wille zur Macht ist, dringt diesen Helden aus allen Pohren, setzt ihr Blut in Bewegung. Auch im Tode ist ein Heinrich IV von keiner Jenseitigkeit berhrt. Bis zum letzten Hauch denkt er an die Erhaltung der Macht seiner Dynastie und seines Staates. Ein wiederkehrendes, primres, politisches Motiv (S. 462.) ist der Unsegen der Usurpation und der Segen der Erblichkeit, wie er im 4. Akt Heinrich IV im letzten Gesprch mit seinem Sohn klassisch ausgesprochen ist. Einen hnlichen, gesetzlichen Zusammenhang erblickt er in den Wirkungen von Blutthaten und Abfall, die auf den Thter zurckfallen. Hierbei spricht er: (S. 416.) sein philosophisches Bewußtsein ber die Notwendigkeit in den grossen Zusammenhngen der Geschichte tief aus. Diese Notwendigkeiten kann man am Vergangenen ablesen und danach den Verlauf der Dinge voraussagen. (S. 416.)
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Wenn er nun selbst vorwiegend aus Charakteren und Zufllen wgt, so heißt auch dies doch, daß so innere Notwendigkeit in’s Spiel tritt, als eine psychologisch-moralisch-politische. Wogegen die sachlichen und gleichsam technischen Zusammenhnge ganz zurcktreten. Knstlerisch macht die Enge des Horizontes die Darstellung eintçnig. Kriegserklrungen, Aufforderungen zum Zweikampf, Verhandlungen vor der Schlacht, die Schlacht selbst, der Tod des Kçnigs oder Helden in ihr, oder durch tiefgrabendes Machtsinnen erschçpft, stirbt der Kçnig, Ergreifung der Krone, Ermordung, die verschiedenen Linien der Politik oder des Krieges werden durch Boten vermittelt, welche Nachrichten berbringen. Dieselbe Eintçnigkeit besteht immer in den Theaterwirkungen. Ein Bote des Unglcks wird immer mit wilder Heftigkeit empfangen, çfters fortgeschickt und wiedergeholt. Schlachtopfer unterhalten sich immer mit ihren Mçrdern und einige der mchtigsten Effekte liegen hier. Wie bei Homer treten, wenn 2 Helden in der Schlacht zusammenstossen, Wechselreden auf. Vor grossen, moralischen Conflicten gehen immer Anzeichen in der Natur, Prophezeiungen vorher. Sterbende bertragen die politischen Ergebnisse ihres Lebens auf das nachkommende Geschlecht. In strmischen Conflicten und sich berbietenden Wechselreden treten Machtwille und Leidenschaften Stirn auf Stirn aufeinander. Ebenso treten elementare Verhltnisse zwischen der scenischen Umgebung und den Personen immer wieder hervor. Shakespeare verfgt ber die mchtigsten Naturlaute in der Schilderung der usseren Umgebung. Wie spottet er im Prolog zu Heinrich V ber die rmlichkeit seiner Bhne! Was fr Anforderungen entspringen hieraus an die Einbildung, und welche Kraft hat er, sie in Bewegung zu setzen. Dstere Schlçsser, in denen Blutthaten entstehen, Heide, auf der Hexen erscheinen, Winternacht, dann wieder laue, sommerliche Nacht als Schauplatz der Liebe.
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In den letzten Werken von Shakspere ist ein bergang zu Spenser Platonismus etc. Ende des Lebens. S o d a s r u h i g e S c h l u ß w o r t d e s S t u r m . Ebenso platonisirend die Herschaft von Liebe Versçhnung, die das Tragische aufhebt. – In Cymbeline die Sçhne mit ihrem Erzieher Symbol wie Shakspere sich frei der Rckkehr aus dem Wirrniß seines Lebens zur lndlichen Naturnhe freut, aber doch fhlt daß nur durch solche Wirrniß eine kçnigliche Seele kann zur
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Stille kommen. Auch hier Bild von Natur, Eintracht, Harmonie als letztes, wie im Sturm. Die Symbolik von Jupiter Wahrsager etc. am Schluß Cymbeline (besonders 438) „Der Himmelsmchte Finger stimmt die Saiten von Harmonien des Friedens“ ist nicht christlich, sondern u n i v e r s a l . Kann man Bewustsein dafr beweisen? Die einheitliche sthetische Stimmung, welche zugleich ein Bewustsein von der Harmonie des Lebens ist, wie dasselbe in seiner natrlichen dem Boden, dem natrlichen Gefhl nahen Beschaffenheit ist, drckt sich in einer musikalischen Einheit der Theile des Drama untereinander aus. cf Groos p 150. „Das dauernde nur freudige Gefhl“ etc. aber mehr: positives sehr gemischtes Gefhl der Harmonie der Welt, dem Humor am meisten verwandt. Es fordert die Dmpfung der Conflikte um die Auflçsung in Harmonie zu ermçglichen. Die Irrthmer und Affekte des einzelnen treten mehr in einen Weltzusammenhang. So erhlt das Schicksal hier eine verstrkte Bedeutung, aber als identisch mit Jupiter oder der Weisheit und Gte. A u s d r u c k d i e s e s Z u s a m m e n h a n g s inhaltlich nur s y m b o l i s c h m ç g l i c h , wodurch sich diese Stcke den Mrchen und Schferspielen annhern. Nur in Symbolen die großen Zusammenhnge ausdrckbar. I n n e r e F o r m die musikalische. Das Zusammenklingen der einzelnen Theile des Drama im Bewustsein ist mehr als ihre Summe. Es bringt wie die musikal i s c h e H a r m o n i e e i n n e u e s H a r m o n i e b e w u s t s e i n h e r v o r . hnlichst der venetianischen Schule.
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Das englische Drama. 1. Das ltere Drama als Volksschauspiel. Langsam war eine unbehilfliche dramatische Technik herangewachsen wie bei den anderen Vçlkern whrend des Mittelalters so auch bei den Englndern. Aus dem kirchlichen Leben ist auch das moderne Schauspiel hervorgegangen. Religiçse Stoffe waren auch hier die ltesten. Zur Veranschaulichung der großen religiçsen Handlungen wurden an den großen kirchlichen Festen Auffhrungen veranstaltet. Da sah man denn den Fall des Lucifer, die Schçpfung, den Fall und den Tod Abels, die Sndfluth und so die heiligen Geschichten in ihren Hauptvorgngen, und tiefer als auf irgend eine andre Art prgte sich das dem Bewustsein der Laien ein, leibhaftig und zum Glauben nçthigend stellte es sich hin. In allegorischen Schauspielen, den Moralitten, sah man, entsprechend den allegorischen Denkgewohnheiten der mittelalterli-
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chen Theologie und Literatur, den Teufel, den Menschen, das Laster, das Verlangen, die Heuchelei, den Geiz, die Tyrannei auftreten, komische und ernste Figuren und Szenen wechselten, unter sie mischten sich nun spter Figuren aus dem Leben oder aus der Geschichte. Diese Allegorien klingen noch nach bis in Shakspere’s Zeit; in Kyds spanischer Tragçdie spielt die Personifikation der Rache eine wichtige Rolle; in Shaksperes Titus Andronikus tritt Tamora verkleidet als Rache auf und ihre Sçhne folgen ihr, als Raub und Mord verkleidet; der zweite Theil Heinrich IV hebt an mit einem Prolog der Fama, die ganz mit Zungen bemalt ist. Gingen diese Theaterauffhrungen almlig aus dem Schatten der Kirchen auf die Marktpltze und Straßen ber, so waren die Zwischenspiele, welche das Lustspiel vorbereiteten weltlichen Ursprungs; sie erhçhten die festliche Heiterkeit am Hof oder in den vornehmen Husern. Indem der Geist der Renaissance sich mit diesen volksmßigen, naiven theatralischen Anfngen verknpfte: ents t a n d d i e e n g l i s c h e S c h a u b h n e . Seneca war das Vorbild schulmßiger Stcke von Udall, Norton und Sackville. J o h n L i l l y z u e r s t erfllte seine Dramen mit dem chten Geiste der Renaissance. 2. Dieser Anfnge bemchtigte sich der Geist der Renaissance, der zunchst aber in der Poesie in anderen Formen herangewachsen war.
Robert Green.
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Tieck Sh[akspeare]s Vorschule I das Stck: Die wunderbare Sage vom Pater Bacon. War das berhmteste und populrste seiner Stcke. 1591 in London (nach Hensloo’s Liste) aufgefhrt. Tieck: einem der Gemlde der Frhrenaissance vergleichbar, wie eine heitere Landschaft. Eduard der Prinz von Wales liebt eine Fçrsterstochter. Dies wird in einer heiteren Jagdscene offenbar und ein Plan wird ersonnen 8. . .9 Ralph Simnel des Kçnigs Narr rth ihm von Bacon Zauber ber sie zu erwerben, so will Eduard nach Oxford zu Baco und seinen Hofherrn Lacy sendet er zu der Fçrsterstochter sie aus zu forschen. Die Szene ist im leichtesten frçhlichsten Ton eines kindlichen bermuthes. Nun tritt Baco mit seinem Schler auf, fremde Doktoren sind gekommen ihn kennen zu lernen: er rhmt von sich Donner und Regen machen zu kçnnen, „ja ich ersann und schuf ein erzen Haupt“,: zur Probe lßt er durch den Teufel die Wirthin eines dieser neugierigen Dok-
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toren herausbringen: es ist das herkçmmliche Possenspiel mit dem Teufel und seinen Knsten. In einer weiteren Szene begegnet der als Landmann verkleidete Lacy der Fçrsterstochter und gewinnt ihre Liebe, die Szene hat etwas von spielendem Gefhl wie ein Schferspiel. Indeß erscheint Eduard mit seinem Hofnarren vor Bacon, zur Probe haben sie die Rollen getauscht, aber Bacon durchschaut es sofort. Baco zeigt im Spiegel Lacy und die Fçrsterstochter Margarethe als Liebende er hindert den Pater Bungay sie zu vermhlen, Eduard eilt hin, ihn zu tçdten, aber die rhrende Liebe Margarethens wendete sein Herz um, er berlßt sie dem Grafen, und begegnet sich nun mit seiner ihm bestimmten Braut. Bacon lßt das erzene Haupt reden. Nun eine schçne tiefsinnige Szene, in welcher wieder der Faustgedanke der Zeit sich ausdrckt. Es ist Nacht. 60 Tage hat Baco gewacht. In dieser Nacht soll der Kopf sprechen, sein Famulus Miles, der sich bewaffnet hat, soll bei dem Kopfe wachen: Seit sieben Jahr’n, in nekromantschen Zaubern, In Hekate’s verborgnen Lehren forschend, Schuf ich ein ungeheures Haupt von Erz Das, durch des Bçsen wunderbares Wirken, Soll seltsam neue Aphorismen knden, Und England mit ’nem Wall von Erz umgrten. Bungay und ich wachten schon sechzig Tage, Nun fordern ein’ge Ruhe unsre Geister. Wenn Argus mit den hundert Augen lebte, Sie berwachten nicht Phobertos Nacht: Nun, Miles, ruhet Baco’s Heil auf Dir. Der Ruhm, die Ehre seines ganzen Lebens Hngt am Bewachen dieses erznen Haupts; Desshalb, beim ewgen Gott beschwçr’ ich Dich, In dessen Hand der Menschen Seelen ruhn, Die Nacht zu wachen. Eh der Morgenstern Mit seinem goldnen Glanz den Nord bestrahlt, Spricht dieser Kopf. Eine sonderbare bereinstimmung. Der Kopf soll in Aphorismen sprechen. In Aphorismen hat (aber wieviel spter?) Dr Lord Bacon 8etc.?9 Der Kopf spricht: „Zeit ist’s“. Nun sollte Bacon „seinen Zauber schließen“ und die Aphorismen sollten laut werden. Aber der Famulus weckt nicht. Nun der Kopf: „Zeit wars“ endlich: „Zeit ist hin“: Da fhrt ein Blitz herab und eine Hand zerschlgt den Kopf. Bacon, außer sich, „da er den Ruhm von diesem Haupt verloren“, er ahnt: Unheil das bevorsteht, sein Zauberspiegel wird Ur-
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sache daß 2 Studenten einander tçdten, er zerbricht den Spiegel und will den Rest seines Lebens der Andacht widmen, Gott zu versçhnen. Durch den losen Faden daß Eduard Zauberhilfe bei Baco sucht sind 2 Handlungen verknpft: das Schferspiel, in welchem mit vielen mythologischen Bildern, Verkleidungen, rhrende Liebe Treue eines einfachen Mdchen, ritterliche Gesinnung des Grafen, Selbstberwindung Eduards verbunden sind und das mit einer Doppelehe glcklich schließt. Darin die merkwrdigen Verse: Lacy kann seine Bosheit nicht verbergen „wie Cassius that“ „Der Liebe Macht siegt nur durch Zrtlichkeit“ S. 24 ber Lacy (ein Shak[espeare]anklang:) „wie dem Paris gleich wie der als holder Schfer in Troyas Thal Oenonen Liebe schwur“. „An Englands Ksten deß gespaltne Klippen zur eignen kleinen Welt dies Albion machen“ (S. 25. Shak[espeare]!). S. 54 hierauf: „Boshafter Lacy, liebt er dich nicht mehr Als Alexander den Hephstion? Warst du nicht Eduards zweites Selbst?“ Dann das Thema der 8. . .9 in umgekehrter Wendung: „Miß es nach dir selbst Ob Schçnheit und der heißen Liebe Pfeil Nicht mchtig sind der Freundschaft Band zu lçsen“. Hier schon S. 55 die spielende Phantasie: Im Schiffe, das aus Cedern reich gezimmert, Die Maste hohe Fichten Libanons, Umlegt mit hellpoliertem Elfenbein, Geschmckt mit goldnen Decken Persiens, Sollst Du, wie Thetis, auf den Wogen prangen, Dass Deinem hellen Aug’ Delphine folgen, Und frohen Tanz in Purpurflut beginnen; Mit Saitenspiel und Harfenton Syrenen Dem Schiff nachziehn, Dir mit Musik zu dienen, Und Margarethe durch Gesang zu feiern. Hiermit ist nun die Sage von Bacon verbunden. Beides bildet aber einen schçnen Contrast.
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Schule Lily’s. Gelbcke I 7: Das Hofdrama Lily’s machte Schule: Peele’s Verhçr des Paris und die Schauspiele von John Day, welche die Szene in eine ferne unwirkliche Welt verlegten entstanden. Lily’s feines Ohr fr die Sprache, die dadurch bedingte Ausbildung eines rhytmisch gegliederten dramatischen Prosastyls, wie
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er dem Vorbilde der rçmischen Dichter und der italienischen und spanischen Ausbildung der Prosa entsprach, die symbolische Gestaltung der Handlung unter Benutzung der Mythologie wurden mchtige Faktoren der weiteren Ausbildung. Ein inhaltlicher Zug lag in dem Cultus des absoluten Kçnigthums: sein Alexander, der der Liebesleidenschaft entsagt um seinem Volke ganz zu leben und es zur Grçße zu fhren war das Symbol der Elisabeth und ihrer kçniglichen Grçße.
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Marlowe. Den entscheidenden Schritt hat nun doch erst Marlowe gethan. Gelbcke I 8: Das erste çffentliche Theater war 1576 erçffnet worden. 1587 erschien Marlowe’s Tamerlan. Sein Held war der Gewaltmensch, wie die rçmische Tragçdie Octavia ihn in Nero gezeichnet und die italienische Renaissanceliteratur ihn verherrlicht hatte. Die Seele seines Drama war die leidenschaftliche, massiv leidenschaftliche Handlung. Das war die Seele dieses englischen Zeitalters selber. Das absolute Kçnigthum und die Herren aus den großen Familien, welche der unstolzen Ruhmbegierde und groß gearteten Herschbegierde das Leben hintansetzten, aber auch alle Grundstze der privaten Moral opferten, die Seehelden und Abentheurer der Zeit, die Englands Seeherschaft begrndeten, ein Kaufmannstand, der, von der grçßten Handelspolitik, die je da war, geleitet, in seinen Wagnissen wetteiferte mit den Staatsaktionen, ein Publikum, das, dies Alles vor Augen, Energie, Grçße, Abenteuer, blutige Actionen forderte von seiner Unterhaltung: dem Allem entsprach Marlowe. Eine Literatur, etc. in der rçmische Dichter, die italienischen Poesien und die italienische philosophische politische Schriftstellerei herschte, erzog diese Dichter und ihr Publikum. Scrupelloser Wagemuth der mit dem T o d u m d i e h ç c h s t e n Glorien und den ußersten Lebensgenuß wettet, war das Leb e n s i d e a l d i e s e s e n g l i s c h e n Z e i t a l t e r s , angesehen nach seiner Einen Seite. Aber Marlowe’s Drama ist doch zugleich andererseits durch sein Naturell und seine literarische Entwicklung bedingt. Diese entschieden darber daß er gerade dieses Lebensideal aus den Zgen der Zeit ergriff und die homogenen Bestandtheile der damaligen Litteratur sich assimilirte. Er war seinen Zeitgenossen nicht nur der Dichter der Leidenschaft, sondern der Atheist, der diese in England fremdartige Denkart mit strmischem Affekt ergriff und in ihre letzten Lebensconsequenzen verfolgte, so sich mit dem brgerlichen Leben der
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Zeit in Gegensatz setzte und in einem wilden Leben, in einer Umgebung tief unter seinem Talente, mit rasender Eile dem Ende entgegenstrmte. Geboren im Februar 1564, etwa 2 Monate vor Sh[akespeare] in armen Verhltnissen, er hat in Cambridge studirt und dort die Magisterwrde erworben:
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Tamerlan ist ihm Symbol des Machtwillens, in urwchsiger Genialitt des Herschervermçgens erhebt er sich von niederer Herkunft zur Herschaft ber die Welt. Mit tiefem Blick sieht Marlowe in der Unerschtterlichkeit der gefaßten Entschlsse und dem fatalistischen Glauben an den eignen Stern die eigensten Zge der Herschernatur. Marlowe erkennt auch hier schon die Verwandtschaft des Ringens der Intelligenz um die Herschaft ber die Natur mit diesem Herschaftswillen: ein Blick auf dem dann sein Faust beruht; und diese Tiefe des Herscherbewustseins theilt er seinem Tamerlan zu. II 7: In der Natur berall Ringen um Macht; so streiten in uns die vier Elemente um die Herschaft; „Und unser Geist deß hohe Fhigkeit Den Wunderbau der Welt begreifen lernt Und jedes Wandelsternes Bahn zu messen, In seinem Durst nach Wissen unersttlich Und wie die Sphren rastlos in Bewegung, Befeuert uns mit unruhvollem Drange, Bis wir die reifste Frucht vom Baum der Menschheit Gepflckt, das hçchste Erdenglck erreicht, Das alles andre einschliesst: eine Krone!“ Dieser inneren Grçße entspricht die ußere Erscheinung. Sie wird so geschildert daß jeder Zug derselben Symbol des Innern ist. II 1 Bodenstedt III, 184: In Wuchs himmelaufstrebend wie seine Wnsche, die Schultern breit „daß er Wie Herkules den Atlas tragen kçnnte“, „im Rahmen seiner Augen rollt es leuchtend Als ob der ganze Himmel darin strahlte. Im vollen Glanz der Sterne,“ „Bleich ist sein Antlitz vom rastlosen Kampfe der Leidenschaften.“ „Faltet die Stirn sich ist jede Falte ein Vçlkergrab, doch wenn sie sich glttet strahlt sie lauter Freundlichkeit und Leben.“ „Lange sehnige Finger verknden ein bermaß von Kraft.“ Alles in Allem: „ein Mann zum Weltbeherschen angethan.“ Die Handlung zerfllt in einzelne grandiose Bilder, die innerlich nur durch den glhenden Athem dieses Gewaltmenschen und seinen Gang zur Weltherschaft verbunden sind. In diesen Bildern ist eine eigene
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grandiose Symbolik am meisten auffallend. Der Kçnig Mycetec flieht aus der Schlacht: in seiner Hand trgt er seine Krone: er mçchte sie verstecken: diese bildliche Verwendung der Krone, die Marlowe auch sonst liebt, ist dann von Shak[espeare] in der großen Szene genial verwerthet, in welcher Heinrich dem sterbenden Vater die Krone nimmt sie sich aufs Haupt zu setzen worauf dann der Vater wieder erwacht. Ein anderes ungeheures Bild ist wie Bayasid in seinem Kfig mitgeschleppt wird von Tamerlan, herausgelassen aus ihm Schemel seiner Fße zu sein. Wie er vor dem Angriff in weißem Zelte sitzt, folgt keine Unterwerfung, so ist Zelt und Gewand am zweiten Tage blutroth, bei fortdauerndem Widerstande „wird schwarz sein Zelt, schwarz wehen seine Banner.“ Neben diesem inneren Zusammenhang der Bilder besteht noch ein ußrer Verband in der Geschichte der Liebe zu Zenokrate: die naturstarke Hingebung des kçniglich geborenen Weibes unter die Kçnigsnatur, trotz deren niederer Abkunft und wilder Sitten ist in schçnen Szenen dargestellt. Das Ende ist die Weltherschaft des Tamerlan, der seinen Thron mit Zenokrate theilt. „Nun steig auf deinen Thron du gçttlich Weib.“ Zerfllt dies Stck in Bilder, so sind sie durch einheitlich vorwrts drngenden Affekt des Helden verbunden. Es zuerst enthlt die mit Penetration des Genies erfaßte Darstellung eines heroischen Charakters: in diesem Hauptpunkte ist Shakspere’s Vorbild mit ihm gegeben: zwischen der ungestmen Willensenergie dieses Helden und seinen Handlungen liegt keine Reflexion, keine berlegung, nichts hemmt ihren rastlosen Gang, Auftreten von Widerstand und jher Ausbruch der Willensenergien sind wie gleichzeitig. Es enthlt Gegensatz und Ergnzung dieses Extrems von mnnlicher Energie und der entsprechenden excentrischen reflexionslos hingegebenen, in Milde und Sße wie eingetauchten Frauennatur: ihn hat dann Shakspere ebenso seiner Auffassung des Kreises der Individualitten zu Grunde gelegt. Es enthlt den impetuosen strmischen Gang der Handlung, welcher die Seele des englischen Drama wurde. Dabei zerlegt es bereits diese in fr sich hçchst wirksame Bilder, in denen wie zu großen Symbolen die Stimmung des einzelnen Bildes concentrirt wird. Diesem strmischen affektiven Gang entspricht der Blankvers Marlowe’s, den Shakspere aufnimmt und fortbildet. Die Energie, welche Alles beseelt, drckt sich in dem unmßig gesteigerten Ausdruck, in den ungeheuren Bildern aus. Ein Abschluß wie der dieses Stckes, mit der Mischung tragischer und heroischer Stimmungen, wie dies Stck ihn enthlt ist ganz schon das Vorbild des Schlusses des Hamlet. Wie Zenokrate zur Herrin des Schicksals ihres besiegten Vaters, des egyptischen Sultans, von dem großen Mongolenherscher, der selber Besiegten nicht vergeben kann gemacht wird, wie sie den Vater wiederherstellt und den Thron mit Tamerlan theilt, und dann Tamerlans Schlußwort:
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Nun steig’ auf Deinen Thron, Du gçttlich Weib, Dass wir als unsre Kçnigin Dich krçnen, Zur Herrscherin Dich ber alle Reiche Und Vçlker setzen, die uns unterthan Wie Juno nach dem Sturze der Titanen, Die himmelstrmend Jupiter erlagen, So triumphierend schaut jetzt meine Liebe Auf die besiegten Feinde Tamerlan’s. Zenokrate zu huldigen, sollen Boten Von allen Vçlkern ihr Tribut entrichten, Egypter, Mohren, Perser, Babylonier, Die Vçlker von des Ganges heilgen Ufern Bis zu den fernsten Grenzen Afrika’s. Um unsre Hochzeit wrdig zu begehen, Will ich mit aller Welt heut Frieden schliessen. Erst soll Dein toter Kçnig von Arabien Mit kçniglichem Pomp bestattet werden, Dazu der Kaiser Bajasid, und seine Gemahlin, einst in stolzer Schçnheit strahlend. Und wenn die ernste Trauerpflicht vollbracht In Pomp und Ehren, wie es Frsten ziemt, Dann soll das Hochzeitsfest gefeiert werden. Als das zweite Symbol der großen Wirkungskrfte der Zeit hat dann Marlowe die Faustsage ergriffen. In ihr kann er den Willen der Zeit darstellen, die Macht ber die Natur, als geistige Herschaft ber ihre Geheimnisse und ber ihre Krfte zu erreichen. Zwischen Roger Bacon und dem Lordkanzler, der formelhaft Wissenschaft als das Mittel zur Herschaft ber die Natur erkannte, liegt dieser Faust. Und er setzte wenigstens an, eine zweite große Form von Charakter hinzustellen, die fr diese Zeit typisch war. Er hatte genug vom geistigen Leben der Zeit gesehen in sich aufgenommen, die Conception einer solchen Charakterform zu fassen. Und zweifellos wrde dies Werk sein tiefsinnigstes geworden sein, wenn nicht Natur und Ausgang dieser Sage Schwierigkeiten enthalten htten, die zu durchbrechen erst einem reiferen Geiste gelingen konnte, und wenn nicht sein eigener ungestmer Drang nach Lebensgenuß, Lebensverstndniß, Ruhm und Macht durch die Umstnde des Lebens eines damaligen englischen Dramatikers enge, rohe, burleske Formen angenommen htte, welche nur allzusehr mit dem Niederen in der Sage in bereinstimmung waren. Welch ein Contrast! Goethe brauchte da ein langes Leben um den Gehalt dieses Lebensdranges nach allen Seiten tiefsinnig zu ent-
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wickeln und dem entsprechend die Sage umzugestalten. Marlowe erweiterte nur etc., und so kann sein khner Entwurf eigentlich nur mit dem Goethes etc. verglichen werden: eine solche Vergleichung fllt dann nicht zu seinem Nachtheil aus, htte dies Drama fortschreiten kçnnen mit seinem Leben lange Jahre, dann mçchte er ganz anders etc. Goethe bedurfte dieser Zeit in einer Periode Europas in welcher die Schatten von Teufeln, Dmonen, Engeln verblaßt und die große Tendenz zur Herschaft durch das Wissen schon in vollem Siegesgang war. Als Marlowe dies Drama schrieb war Baco etc. Und Goethe durfte alle Formen hçchsten Lebensgenusses tiefsten wissenschaftlichen Denkens, eines unablssigen Strebens in seinem kleinen Lande Segen von ihm aus zu verbreiten erfahren, noch grçßere Formen um sich verwirklicht sehen. Marlowe hatte sich auch von den Gespenstern theologischer Zeiten befreit, er stand mit freier Seele da, aber hierdurch eben gerieth er berall in Conflikte mit den herschenden Gewalten, fand sich verbannt aus jeder brgerlichen oder hçfischen Sphre, in welcher Lebensdrang in grçßerem Styl Befriedigung finden konnte, in dem tollen Treiben von Wirthshausleben und niederem Lebensgenuß, burleskem Spaß nimmt Alles in ihm abenteuerliche excentrische und possenhafte Formen an. So entscheiden die Zeitalter ber die Art, wie dies große Symbol von zwei großen Dichtern erfaßt und geformt wurde. Die fundamentale Stellung Marlowe’s zu dem großen Symbol der Faustsage ist durch mehrere Stellen seines Drama bestimmt, welche in voller bereinstimmung mit den Nachrichten ber ihn und sein Leben stehen. Verachtung einer mchtigen Natur dem gegenber was die Wissenschaften boten. Oft „hat er durch Sophismen die Kçpfe deutscher Theologen verwirrt.“ Den Kern des theologischen Glaubens erkennt er in den beiden Stzen: si pecasse negamus, fallimur und stipendium peccati mors est: sonach mssen wir sndigen und wir mssen der Verdammung anheimfallen. „Welch eine Lehre!“ „Fort Theologie.“ (Akt. I Sz. 1.) Dem entspricht das Wort des Faust: „Die Hçll’ ist eine Fabel“. „Denkst du ich sei solch alberner Phantast, Nach diesem Leben ewge Qual zu trumen? Das sind nur Possen und Altweibermrchen“ (I 1 Bodenstedt 231). Die Stellung seines Denkens ist demnach die der Befragung der Vernunft, des natrlichen Lichtes, welche man zu jener Zeit in der Philosophie der Alten reprsentirt fand. Demnach erklrt er: „Mein Geist ist bei den alten Philosophen“ (Bodenstedt 219). Aber das unterscheidet ihn nun vom Geiste der Alten: „Herscher zu sein, deß Reich keine Grnzen hat als den Geist des Menschen“: Das ist das Ziel dieses modernen Menschen und Zeitgenossen Bacos. Er will „die Gottheit erringen“ 211, wie ein Mystiker, nur auf so ganz anderem Wege! (211). „Wie dieser Machtgedanke mich berauscht!“ Herschaft ber alle Krfte der Natur, Lçsung aller Zweifel, Erfindung, welche alles unterjocht ist sein Ziel (212). Er fordert die Auflçsung der seinen Wissensdurst
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beschftigenden Fragen (235). In diesem Zusammenhang prachtvolle Stellen: „sage mir wer hat die Welt erschaffen?“ Mephisto: „ich will nicht.“ „Sßer Mephistopheles sage es mir.“ Umsonst! Er ist nur verpflichtet zu sagen „was nicht gegen unsere Herschaft ist“ (236). In demselben Zusammenhang ist die tiefsinnige Auflçsung des Begriffs der Hçlle: „Die Hçlle ist berall wo die bçsen Geister und Menschen sind“ (220) 231: „Keine rtlichkeit hat sie, noch Grnze Fr Zeit und Raum; doch, wo wir sind, ist Hçlle, Und wo die Hçll ist, sind auf ewig wir. Mit einem Wort: wenn einst die Welt zerstiebt, Und alle Kreatur gelutert wird, Ist alles Hçlle was nicht Himmel ist.“ Diese Grundauffassung htte zu einer Umbildung der Sage fhren mssen. Hçlle, Satan, Mephistopheles werden Symbole, vom Dichter als solche mit Bewusstsein gebraucht. Der Lebensdrang des Menschen ist naturgemss und drfte nicht zur ewigen Verdammniss fhren. Die Magie ist Symbol der Herrschaft des Geistes ber die Natur. Marlowe hatte aus den angegebenen Grnden nicht die Macht, diese Umbildung durchzufhren. So bleibt sein Werk widerspruchsvoll, sein Faust verfllt schwchlicher Reue. S. 221, als Mephistopheles zuerst erscheint, sagt Faust: Wie? grmt der grosse Mephistopheles Sich so, beraubt zu sein der Himmelsfreuden? Komm’, lern’ vom Faust mnnliche Festigkeit Und klag’ nicht weibisch um verlorne Freuden. Geh, trag’ zum grossen Lucifer die Kunde: Sag’, Faustus ist dem ewgen Tod verfallen Durch freventliches Sinnen gegen Gott, Sag, seine Seele bergiebt er ihm, Wenn er ihn vierundzwanzig Jahre lang In allen Erdenwonnen hier lsst leben. Aber diese Gemtsverfassung durchdringt nun nicht die Scenen bei dem Papst in Rom, bei dem deutschen Kaiser; das Schattenspiel des Alexander, die Erscheinung der Helena und auch die Erhabenheit der Schlussscene hilft nicht weg ber den traurigen Ausgang. An sich ist diese Schlussscene vielleicht das grçsste, was Marlowe geschrieben hat. Wie die Scene, in der nach dem Erscheinen des bçsen und guten Engels Faust spricht: „Mein Herz ist Stein, ich kann nicht mehr bereuen,“ gewiss Shakespeare da vorgeschwebt hat, wo der Kçnig im Hamlet sich vom Betschemel erhebt und so ist der Verlauf der tragischen Seelenbewegung in diesem Schlussmonolog so scenisch stimmungsvoll eingeleitet durch den ußeren Vorgang symbolisch versinnlicht fortschreitend, wie in Shakespeares hçchsten Stellen. Der gute und bçse Engel haben Faust
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verlassen. Noch eine Stunde ist bis Mitternacht, in welcher der Vertrag auf 24 Jahre abgelaufen ist. Steht still, ihr ewig rollenden Himmelssphren, Und hemmt die Zeit, dass Mitternacht nie komme. Der dritte große Charakter den Marlowe geschaffen hat ist der verbrecherische Gewaltmensch, Barabas, im Juden von Malta. Derselbe wie er hier auftritt ist mit seinem Bruder dem heroischen Machtmenschen verwandt. In 3 Perioden sind beide geschaffen, welche die Poesie in ihrem analogischen Denken auf einander bezogen hat. In der lteren griechischen Sage sind diese Gruel, Anhufungen von Mord Blutschuld Ehebruch, Mutterehe enthalten. Auf Grund einer Sage umgiebt ihre Darstellung Euripides mit einer Atmosphre von Gewaltwillen und verbrecherischem Bew[ußt]sein. Dann in Neron Zeit – dann diese Renaissance von Italien Frankreich und England, Macchiavelli etc. Guise, Richard III etc. Aber das Werk erhebt sich nun zu einer viel umfassenderen Bedeutung 8empor?9. Die Lebensauffassung Marlowes schafft hier den ganzen tragischen Zusammenhang. Marlowe stellt im Prolog Macchiavelli als den Schriftsteller hin, aus welchem die Maximen stammen, nach denen die Menschen dieses Stckes handeln, denn das ist der Sinn dieses Prologs und der Sinn des Stckes selbst. Die Natur des Weltlaufs hat Machiavelli enthllt und nicht eine einzelne verbrecherische Natur sondern den Gewaltzusammenhang der sogenannten moralischen Welt will Marlowe darstellen. Dieser Prolog, in welchem Macchiavelli selber auftritt muß hier ganz stehen als wichtigstes Dokument fr den Einfluß des Macchiavelli auf die englischen Dramatiker. Nachdem derselbe so von Marlowe in den Vordergrund gestellt war, ist unmçglich daß nicht auch Sh[akespeare] nach ihm gegriffen htte: erwhnt wird er ja bei ihm bekanntlich. Es ist der Principe nur der 8ihn?9 besonders hlt. Daß der Weltlauf selber fr Marlowe ist wie Macchiavelli ihn darstellt: ergiebt sich, wenn man die auf der Insel Malta regierenden Krfte in Betracht zieht. Es sind die Maltheserritter, die Geistlichkeit und die reichen jdischen Kaufleute. Malteserritter. Barabas p 305 von ihnen „ja Politik ist ihres Glaubens Geist.“ (Nahm Barabas von dem Schcher das Verbrechen?) Die Juden: 292: „wir bereichern uns von allen Seiten; Das ist der Israel verheißene Segen. Und dies war Abrahams Glckseligkeit.“ „Wen ehrt man jetzt als wegen seiner Schtze?“ Das Bewußtsein herscht – daß nun die Juden in al-
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len Lndern die großen Kapitalisten sind. Er zhlt die großen jdischen Banquiers in Italien Frankreich Portugal Griechenland auf. Wer Malta regiert, Trke oder Malteser ist ihm gleichgltig. Seine Dialektik macht gegen den Vorwurf daß sein Stamm der verworfene sei geltend: „Kommt uns ihre Schuld zu bßen zu?“ 303 – p 327: „Ich bin nicht“ etc. cynisch lsterne Gemeinheit 331. Auf diesem Boden erwchst nun der Charakter des Barabas. Es ist das vollkommenste von Charakteristik was vor Sh[akespeare] da war. Name = der jdische Verbrecher. 327. 329. Auf dem Markte scheint er lssig und scherzend umherzufragen: tiefversteckt ist dadurch daß er nach einem Werkzeug fr sein Verbrechen sucht. Eine Meisterscene. 331 ff 331 cynisch lsterne Gemeinheit
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Ihr Gegenstand waren vorwiegend Stoffe, welche der Zeit bekannt waren: Griechische Sage, Rçmische Geschichte, Franzçsische Stoffe. In der Form fordert der Alexandriner eine vornehme Feierlichkeit des Ausdrucks. Diese schließt die volle Realitt, die concreten Einzelzge aus. Die Nçtigung, Handlung in Bericht umzusetzen, hçchst bedenklich. Bericht des Theramenes in der Phdra des Racine: der Freund teilt hier dem Vater Details so schrecklicher Art mit, daß jener sie nicht aussprechen, dieser sie nicht hçren drfte. Constant leitet die formale Eigenheit der franzçschen Tragçdie aus dem Bedrfnis nach Einheit ab. Die Franzosen zeichnen nur Eine Tatsache oder Leidenschaft. Sie stoßen aus den Charakteren alles aus, was nicht dient die Leidenschaft, die sie malen wollen, abzuleiten. Sie eliminieren aus dem frheren Leben ihrer Helden alles, was nicht mit der Tatsache verkettet ist, die sie darstellen wollen. So stellen sie nicht den Menschen dar, nicht ein ganzes Leben, sondern nur den Zusammenhang der Tatsache oder Leidenschaft (Damit verwandt die Unterscheidung, daß ihre Tragçdie Handlung darstellt, nicht Charaktere). Von Phdra erfahren wir durch Racine nur die Liebe zu Hippolyte. Nicht den persçnlichen Charakter derselben, wie er unabhngig von dieser Liebe besteht. Orest wird nur von Racine in seiner Liebe zu Hermione dargestellt. Und dieser Muttermçrder scheint seine That ganz vergeßen zu haben, so ist er von seiner Leidenschaft beherrscht. Diese Isolirung der Tatsache oder Leidenschaft concentrirt das Interesse auf einen einzigen Gegenstand. Sie hebt
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den Helden aus den historischen Bedingungen und macht ihn zu einem Geschçpf der dichterischen Phantasie. Die Einheit des Eindrucks wird gesteigert, indem gemischte und widersprechende Zge ausgeschieden werden. Die Nachteile sind ebenso deutlich. Der Held wird unwirklich. Denn indem man die Leidenschaft von ihm abzieht, bleibt nichts brig. Der Dichter ist auf eine eingeschrnkte Mannigfaltigkeit von Leidenschaften angewiesen. Da ist denn das Genie von Racine unerschçpflich, psychologische Unterschiede aufzufinden. Die Eifersucht der Phdra ist verschieden von der der Hermione, und die Liebe der Hermione ist eine andre wie die der Roxane. Die Verschiedenheit ist aber mehr in die Personen als in die Charaktere verlegt. 8Ohyshont?9 unterscheidet sich wenig von den andren Tyrannen auf unsrem Theater. Er bezeichnet nur eine Klasse, nicht ein Individuum. Der Zusammenhang des Ehrgeizes mit Heuchelei und Tyrannei ist typisch. Man vergleiche Richard III. Er ist schon durch seine Naturfehler, die zu der Macht selbst ber die Frauen in Contrast stehen, die so entstehende Verachtung derselben, die furchtbare Ironie von jedem andren Tyrannen verschieden. Unter diesen Bedingungen ist in Frankreich die Regel der Einheiten durchfhrbar. Ihr Vorzug liegt in der Concentration des Interesse, der Continuitt etc. Durch die Vernderung des Orts wird der Zuschauer gezwungen, seine Aufmerksamkeit von diesem centralen Interesse abzuwenden und sich ber die Ortsvernderung Rechenschaft abzulegen. Er muß neu in die Illusion sich einleben. (Die Illusion wchst von Scene zu Scene wie in Hedda Gabler durch das Einleben und Sich-Eingewçhnen an einen bestimmten Ort.) Wenn Andeutungen nçtig werden ber die Zeit, die zwischen Akten stattgefunden hat, erscheint gleichsam der Poet auf der Bhne, den Zuschauer zu benachrichtigen. Andrerseits entstehen Nachteile. Der Vorgang geht in der Natur nicht so rasch vorwrts, als er auf der Scene dargestellt werden muß.
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Allgemeines Princip. Die Discrepanz zwischen Leben und Theater zwingt in jedem System Fehler zu begehen, um Schçnheiten zu erreichen. Die Aufgabe hat auch hier eine Dialektik in sich, die Mçglichkeiten hervortreibt, deren jede in ihrer Wirkung mehrseitig ist. Auf der franzçsischen Bhne ist die Liebe nur eine Passion, die nur durch ihre Heftigkeit, Strke und Excentricitt das Interesse erregt. Die Entzckungen der Sinne, die Ausbrche der Eifersucht der Kampf der Begierden gegen die Gewissensbisse, das ist die tragische Liebe in Frankreich. Die leidenschaftlichen Heldinnen, 8Alzin, Cononaide9 haben etwas Mnnliches in sich, Kraft
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die Ereignisse zu bekmpfen, wie die Menschen und das Unglck. Es besteht ein Verhltnis zwischen ihrer naturgemßen Bestimmung und der Kraft mit der sie ausgestattet sind. Die zrtlichen Heldinnen die Berenize, Esther, Athalide sind durch ihre Schwche und Furchtsamkeit in der Mçglichkeit, ihre Gefhle zu opfern. Berenize resignirt mit Titus zu leben etc. (Hier ist die Macht der Convenienz welche die damalige Gesellschaft regirte und besonders den Frstinnen ihr Schicksal zuwies, entscheidend. Wir sehen die Liebe nur an als eine Passion derselben Art wie alle menschlichen Passionen. Ihre Wirkung ist, den Verstand zu verwirren, ihr Ziel uns Genße zu verschaffen). Die Moral des franzçsischen Theaters hat zu ihrer Grundlage nicht das sentiment, sondern die Vernunft. (Sie bewegt sich in der Convention einer Gesellschaft, welche die berschreitung der Grenzen von Regeln, die sie hervorgebracht hat, ahndet. Sie ist einstimmig mit der Ordnung der Dinge, die besteht. Gerade in der Behandlung der Liebe zeigt sich besonders deutlich, daß im Gegensatz dazu die deutsche Litteratur den durch die Aufklrung hindurchgegangenen neuen Standpunkt einnimmt). „Die Moral des franzçsischen Theaters ist viel strenger als die des deutschen.“ Die Unabhngigkeit der Thekla wrde uns choquieren. Das sentiment „kann niemals einem allgemeinen System zur Grundlage dienen und wir lieben in Frankreich nur, was eine allgemeine Anwendung gestattet. Das Princip des Nutzens regirt in unsrer Natur wie in unsrem Leben.“
Molire.
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Der grçsste, dramatische Dichter nach Shakespeare ist Molire gewesen. Wie hnlich war doch sein Leben dem Shakespeare’s! Nur alles in der Sphre der Zeit und des Hofes des franzçsischen Selbstherrschers Ludwigs 14. – Ein geborner Pariser, sein Vater Hoftapezier und kçniglicher Kammerdiener; der Nahme des Dichters Jean Baptiste Poquelin er durchlief ein Jesuiten-Gymnasium. Es war dann gewiss von grosser Bedeutung fr ihn, dass er mit mehreren Freunden gemeinsam den Unterricht des Philosophen Gassendi, des Erneuerers des epikureischen Systems genoss. Zwei dieser Schler, und zwar war Molire einer derselben machten eine bersetzung des grossen Lehrgedichts des Lucrez, welches fr alle Zeiten Notwendigkeit des Wirkens der Natur, Ausschliessung des Zweckes aus dem Spiel der Krfte und Zuflle in dieser Welt, eine naturalistische Betrachtung unseres Ursprungs und Daseins und den Kultus der Lebensfreude reprsentiert. Die bersetzung fand sich nach Molires Tod unter seinen Manuscripten; sie ging dann durch die Gleichgiltigkeit sei-
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ner Frau verloren, aber wer kann zweifeln, dass Molire in dieser Lebensepoche unter dem Einfluss von Gassendi und Lucrez die Philosophie der Diesseitigkeit und Lebensfreude, die naturalistische Auffassung der Menschennatur und die Auffassung des Lebens als unter Umstnden und Zufllen stehend, als Spiel, Situationswechsel in sich einsog, wie sie dann sein ganzes Wirken durchdringt. Daran lag nun die einheitliche Grçsse dieses Genius, dass die Macht des franzçsischen Temperaments in ihm, das im Moment lebt, diesen mit urwchsiger Frçhlichkeit erfllt, den Umstnden sich scharfsinnig, selbstthtig anpasst, und durch eine Art von animalischer Kraft und verstandesmssiger Verneinung aller Trume, Furchtphantome und Ideale seine Freiheit behauptet, in dieser Breite der epikureischen Weltansicht eine gedankenmssige Begrndung fand, und so ausgerstet dem Leben gegenbertrat als einem Spiel, mit dessen thçrichten Zufllen um das Glck. Man lese den Lucrez, um sich klar zu machen, wie tief sein bersetzer in die letzten Probleme der Philosophie eintauchen musste, um diese Aufgabe zu lçsen. Man nehme dazu, dass er das aus Neigung fr die Philosophie und fr diesen Philosophen that, – man verfolge endlich die tiefe bereinstimmung zwischen Molire’s Drama bis in dessen innere Form, welche aus thçrichten Zufllen und elementaren Leidenschaften ein Situations-Drama aufbaut, und dem epikureischen System. Dass ihm Lucrez auch spter noch zur Hand war zeigt folgender Umstand: Eine freie Bearbeitung des Lucretii De rerum natura findet sich im Misanthrope II sc. 4. in den Worten der Eliante V. 153 ff. Mahrenholtz 7. findet Molire’s Vorliebe fr das practische, werkthtige Christentum in Gassendi’s Weisungen unbegrndet, besonders aber seine Abneigung gegen Aristoteles und Descartes. S. 8. Die ltesten Biographen ber seine Studien, dass er die Dichter, besonders Terenz studierte. Da er Plautus oft benutzt hat, war dieser wohl auch dabei. Eine solche Schule hatte Molire hinter sich. Nun wollte er, wie sein Zeitgenosse Descartes von sich sagt, nur noch im Buche des Lebens lesen. Nur unsichere Berichte sind, wie bei Shakespeare, darber da, wie er zum Beruf des Schauspielers kam. Er soll in Orl ans Licentiat der Rechte geworden und in die Liste der Pariser Advokaten eingetragen worden sein. Es wird auch erzhlt, dass er Ludwig 13. in den Sden Frankreichs begleitete. Die Schauspielerin B jart soll ihn in das Comçdianten-Leben gezogen haben. Es war doch wie bei Shakespeare die eingeborene Macht seines Genies, zusammentreffend mit einem plçtzlichen, Aufsehen erregenden Aufschwung des Theaters, was ihn unwiderstehlich der Bhne entgegen fhren musste. Er war 14 Jahr alt zur Zeit der Auffhrung des Cid von Corneille, 22 als der Lgner desselben Dichters auf der Bhne erschien. Die italienische Comçdie in Paris, zog ihn an und die berlieferung mag Recht haben, dass ihn auf ihr ein vorzglicher Darsteller des Scaramouche der Bhne zugefhrt hat. Zwar genoss
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in Frankreich wie in England damals noch der Schauspieler-Stand wenig Achtung; trotzdem war der Widerstand seines Vaters und der Verwandten umsonst. Er nahm den Namen Molire an und trat in die Truppe der sehr schlecht belumdeten, rothaarigen Schauspielerin Madeleine B jart. In Paris hatten sie kein Glck, Molire ward aus der Schuldhaft nur durch die Brgschaft des Vaters befreit. Sie wurden in die Provinz gedrngt und von 1647-1658 dauern die Wanderjahre des Comçdianten. Sie waren fr ihn die Schule des Lebens, aus der er als Mann, als fertiger Dichter und als Leiter der Schauspieler-Gesellschaft hervorging. Man kann noch heute in dem „Roman comique“ von Scarron all die tolle Lebenslust und das Elend einer wandernden Truppe jener Tage verfolgen. Aber was ihn nun auch diese Jahre kosteten: keine andere Schule htte dem knftigen, grçssten Komçdien-Dichter des modernen Europa dasselbe geleistet, was dies Komçdianten-Treiben von Stadt zu Stadt in ihm wirkte. Zweierlei tritt besonders hervor. Nur so erlangte er diese Kenntniss des Lebens; diese Intimitt mit Originalen aller Art, dies zusammengefasste in immer neuer Vergleichung verallgemeinerte und vertiefte Wissen von den grossen Triebfedern der Menschennatur. Seine Phantasie lçste sich los von der Convention von Paris. Und in der Provinz fand er noch die Possen des alten Frankreich wie sie in den beiden, romanischen Lndern aus der rçmischen Posse eine eigentmliche Lebenskraft gewonnen hatten. Auch hier begegnet uns derselbe ganz allgemeine Vorgang, als wie in England in welchem das grosse Drama sich bildete. Die alte volksmssige Comçdie wurde von dem Geiste der Renaissance heraufgebildet zu dem hçheren Lustspiel des Lope Shakespeare und Molire. Wie in Italien arbeitete man auch hier die Stcke des Plautus und Terenz fr ein neues Publikum um. Dann ist es aber vor allem italienische Komçdie gewesen welche mit Katharina von Medici die Alpen berschritt und am Hof und in Paris hçchst beliebt wurde. Insbesondere in der Comedia dell’Arte.
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1. Die grosse dramatische Poesie ist von Marlov bis Corneille gebunden an die aristokratische Gesellschaftsordnung Europas, wie sie in den aristokratischen Monarchien von England, Spanien und Frankreich sich entwickelt. Die Helden dieser Stcke sind die Kçnige und die grossen kriegerischen Adeligen, welche als selbstndige Krfte noch neben dem Kçnigtum stehen. Eben in dem Kampf der grossen aristokratischen Familien untereinander und dem Kç-
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nigtum, entwickelten sich die bewussten die reflektierten Begriffe von Streben nach Macht, von Vollendung einer kriegerisch-politischen Persçnlichkeit, von Verbindung einer Schçnheit des Lebens, welche das abgesonderte Ideal dieser Klassen war, mit dem berlieferten militrisch-politischen Typus. In dieser aristokratischen Ordnung ist die Distanz bedingt, in welcher diese Gesellschaft zu den anderen Klassen steht. Diese grosse Antithese wird zum technischen Hilfsmittel um durch bestndige Contrastwirkungen der Charaktere der oberen Klassen und ihr Leben abzurcken und fr sich eben durch den Gegensatz zu steigern.
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Die Begriffe vom Leben erhalten nun eine besondere Frbung durch die rçmische Renaissance welche alles durchdringt. Die ungeheure Legende, welche Sophisten, Rhetoren und Stoiker in bezug auf das ltere Rom und auf Griechenland ausgebildet hatte, diese abstrakte virtus, dieser zeitlose Patriotismus wird zum Bestandteil wie der Erziehung so auch der Kunst. Der rçmische Panzer – eine idealisierende Fiktion – und ebenso das rçmische Gewand und die grosse rçmische Rhetorik berkleiden alles.
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3. Das aber ist nun das Bezeichnende, dass keine Distanz besteht zwischen dem Vergangenen und dem Gegenwrtigen. So entspringt als die eigentliche Grundlage der grossen Poesie in der Komçdie und in der menschlichen Tragçdie ein ideales alle Zeiten und Vçlker vermischendes Kostm, Milieu, gewisse idealisierte Lebensumgebungen, welche die Grundlage der Stimmung eines Stckes sinnlich gegenwrtig machen. So an die italienischen Novellen anknpfend das italienische Milieu, an die Sagen angeschlossen nordische Luft, von Unheimlichen bevçlkert, aus dem Nebel bermenschliche Gestalten emporwachsend, eine durchaus rein poetische und imaginre Welt. Und ganz so verhlt es sich dann mit den sogenannten historischen Dramen. Sie beruhen garnicht auf einem Bewusstsein der Verschiedenheit der Lebensbedingungen und der so erwirkten Charaktere und Conflikte. In der Imagination des Dichters werden aus Plutarch oder moderneren Quellen die zu dramatisierenden Ereignisse zusammengepackt vielleicht das vollkommenste der historischen Dramen des Jahrhunderts „Antonio und Cleopatra“ ist doch nur das Werk einer Intuition, welche sich zwar an dem Fremdartigen, anekdotisch Sinnenkrftigen des Plutarch ergçtzt; der Vorgang ist doch nur ein Ergnzen dieser Bruchstcke von Existenz, welche die Phantasie in Bewegung setzen, zu einem
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Ganzen dieser historischen Welt, das gleichsam in seine Atmosphre eingehllt ist. Die Reflexion aber ber die Lebensbedingungen solcher Menschen und solcher Conflikte hat mit solchem Schaffen nichts zu thun. Schçpfungen solcher Art waren nur damals mçglich. Denn der historische Roman beruht auf dem Kunstgriff, die Deutlichkeit geschichtlicher Personen, wie die Erzhlung und ihr D tail sie fordern, zu vermeiden; sie werden Hintergrundsfiguren. So empfngt der Dichter die Freiheit breiter Erzhlung, deren er bedarf. Das historische Drama hingegen, welches die Hauptfiguren auch in den Vordergrund stellt, kann sie nur gebrauchen, sofern das Publicum wenig von ihnen weiss, daher denn der Dichter dieselben sich frei bewegen lassen kann. Als Shakespeare die grossen monarchisch-feudalen Kmpfe, welche in der elisabethanischen Zeit gleichsam die Vorgeschichte des Kçnigstums der Elisabeth machten, zu einer grossen Legende seiner Nation auszubilden unternahm, war die Kenntnis jener Zeit aus den Chroniken legendarisch, persçnlich, anekdotisch; sie hob das Kriegerische der menschlichen Motive der Entscheidungen, die Wechselflle des Glckes so hervor, dass diese berlieferung gleichsam die erste Umdichtung jener Vorgnge ausmachte. Der Zusammenhang der wirtschaftlichen und rechtlichen Verhltnisse, der zu Grunde gelegen hatte, war ganz ins Dunkel zurckgetreten. So lebten sie auch im Volke; vornehmlich aber in den adligen Geschlechtern, welche schon damals ihre Rolle gespielt hatten. So hat er sie dargestellt.
Shak.
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Diese moralische Genialitt von Shak[espeare] hat ihn in dem Welttreiben, nach dem Punkte von dem aus er es erblickte, nach den Ressourcen die er besaß zu einer pessimistischen Auffassung der menschlichen Existenz fhren mssen. Sein großes Drama dieser Epoche hat den Vorgang zum Gegenstande, in welchem große Krfte durch eine in ihnen liegende Unangemessenheit vermittels der Leidenschaften p a t h o l o g i s c h w e r d e n . Die Ergnzung dieser tragischen Auffassung des Lebens, nach welcher wir alle von der Welt an diesen schwachen Punkten angefaßt und verdorben werden, hat zur Ergnzung nur den Humor, welcher das Vermçgen, durch excentrische Auffassung sich von dem Druck zu befreien zur Quelle hat. Diese ist im Hamlet allen Narren gegenwrtig, durch eine schrankenlose Gefhlsfreiheit der 8Auseinandersetzung?9 sich von dem Weltdruck zu befreien. Menschheit Wirken fr sie ist Leidenschaft: das Alles war ja fr ihn gegeben. Das Leben war sein Stoff, 8Sprecher?9 desselben wollte er sein.
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Die Sonnette sind das hohe Lied der Freundschaft – zugleich berschwang dieses Gefhls Hoffnung sich durch dasselbe in reiner Sphre. Negativ Lear und Hamlet Zug nach Einsamkeit, Loslçsung von diesem durchschauten Welttreiben, – Lear flieht in den Wald und Haide – dort trifft er auf Edgar – der eben ihm entflohen wie Carlyle – Positiv drckt sich das alles aus im Sturm und in Cymbeline – Daß er ein großer moralischer Mensch war, zeigt sich in der Einheit seines Lebens und seiner Poesie. Er m u ß t e seine Londoner Verhltnisse verlassen. Aufbaun des Lebens in einer Sphre in der Wirken und Leben sich naturnahe und rein gestalten kann geht durch beides hindurch.
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Bei dem Klang der ersten Verse von Tasso und Iphigenie, bei dem Beginn des Wilhelm Meister ist uns, als trten wir durch ein prachtvolles Thor, hinter welchem wir von der Gegenwart und von ihren Kmpfen ganz abgeschlossen sind, und nunmehr eine derselben heterogene Welt sich aufthut, in der Krfte unserer Seele in’s Spiel gesetzt werden, welche sonst zu ruhen pflegen. Lessing dagegen ist unseres Geschlechts. Wo Er den Faden von Ernst und Falk fallen ließ, oder vielmehr wo die Hand des Todes ihn abriß, inmitten der Untersuchung ber die Einschrnkungen unseres Wesens welche in der Natur aller gesellschaftlichen Verbindung der staatlichen wie der religiçsen gegrndet sind, und ber die anderen welche in der wechselnden inneren Verfassung dieser Verbindungen beruhen, inmitten der anderen mit dieser verknpften Untersuchung ber den Zusammenhang der besonderen Gestaltungen staatlicher und religiçser Verbindungen mit den besonderen geographisch-historischen Bedingungen unter welchen sie sich bilden: da glauben wir diesen Faden wieder aufnehmen zu kçnnen. Ja uns dnkt, daß ein Mann seiner Art unter uns sich besser, weit besser befunden htte, als in der engbrstigen Epoche, in welcher er aufwuchs, eingeklemmt zwischen Klopstock’s, Gellert’s, Kramer’s religiçse Empfindsamkeiten und die pedantischen Nachahmungen der großen Formen Corneille’s welche unseren kleinbrgerlichen Dichtern schlecht auf den Leib paßten, eingeklemmt zwischen Gelehrtenhochmuth und Predigerhochmuth. Und wer kann ein paar Seiten dieses schneidigen, nchternen, mnnlichen Menschen lesen, ohne zu fhlen daß er so, ganz wie er war, unter uns leben, schreiben, handeln kçnnte, ja daß wir ihn brauchen? Was kçnnte uns heute ein Mann sein, welcher der ungeheuren Vernderung in unserer Anschauung vom Menschen und seiner gesellschaftlichen Natur und der hierdurch bedingten Umgestaltung unseres sittlichen Ideals einen so gewaltigen und direkten Ausdruck verliehe, als er seiner Zeit im Nathan und dem Antigçtze that, zum ersten Male wieder in Deutschland seit den großen Jugendschriften Luther’s. Aber ehe ein solcher erscheint – und sicher, diese ghrenden intellektuellen
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und moralischen Zustnde werden ihn hervorbringen, gleichwie sie seiner bedrfen: soll jeder Buchstabe Lessing’s uns heilig sein. Wir durchmustern was er zurckließ nicht mit dem neugierigen Auge des Forschers, sondern mit dem ngstlichen Eifer eines Sohnes, welcher in der Hinterlassenschaft seines Vaters nach einem Geheimniß forscht, das fr ihn bestimmt war, das nur der Vater in des Sohnes Abwesenheit Niemandem anvertraute, anvertrauen durfte. Wenn sein Studium des Lebens, des vergangenen in Bchern, des gegenwrtigen unter Menschen ihn auf Resultate fhrte, die er damals nicht aussprechen durfte: uns wrde er sie nicht vorenthalten haben; wir sind die Erben seines Geheimnisses. Wenn dies so war, – wenn er wirklich seinen Zeitgenossen etwas vorenthielt, fr immer oder auch daß der Tod ihm den Mund schloß, bevor er den Moment fr gekommen erachtete, es auszusprechen! – Diese Frage giebt der Durchmusterung dessen was er zurckließ einen Reiz, dem von Fragmenten eines verlorenen Ganzen vergleichbar. Wir sind auf Ergnzung angewiesen. Und in der That sind gewichtige Grnde vorhanden, zu glauben daß er seine letzten, hçchsten Lebensresultate theils gar nicht, theils in halb verhllenden Formen seinen Zeitgenossen vorlegte. Diesen theologisch eingeschrnkten, gedrckten Zeitgenossen gegenber fhlte er sich als ein Pdagog. Schiller und Gçthe hatten diese Stellung nicht mehr. Ihm war sie natrlich, denn er war der erste Deutsche, welcher, von aller Tradition, aller Neigung wie aller Abneigung ihr gegenber vçllig befreit, sich unmittelbar dem Leben gegenber eine selbstndige und positive Lebensansicht bildete. Dies kann man selbst von dem in seiner Weltansicht so unvergleichlich originaleren Leibnitz noch nicht sagen. Als Lessing hierzu in seiner letzten Epoche fortschritt, fhlt man fçrmlich es um ihn einsamer und einsamer werden; fr diese Entdekkungsreise hatte er keinen Genossen wie einst fr seine sthetischen Streifzge, konnte er keinen haben. Wie er so ganz allein da stand, und nun den Kampf mit all’ den Richtungen aufnahm, welche von der theologischen Tradition freundlich oder feindlich, fr ihn gleichviel! ausgingen: mußte er diese isolirte Stellung verdecken, vorbergehend sich Bundesgenossen schaffen, langsam die Zeitgenossen zu sich erheben. Dies war seine Stellung, und mit ihr erklrt sich die Mçglichkeit, daß weder was vorliegt ganz so seine Meinung ist, noch in diesem vorliegenden die letzten Resultate seines Lebens niedergelegt sind. So viel nahes, leidenschaftliches Interesse unsererseits, so viel Rthselhaftigkeit seinerseits haftet an Lessing’s wissenschaftlichen Forschungen. Giebt es berhaupt in der neueren Literaturgeschichte Deutschlands einen Stoff, welcher auf strenge methodische Untersuchung Anspruch hat, so ist es dieser. Demgemß liegt denn auch eine umfangreiche Literatur ber diesen Gegenstand vor.
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Als Lessing so plçtzlich, inmitten einer schçpferischen Thtigkeit von berstrçmendem Reichthum weggerissen ward, faßte zunchst sein ltester, intimster Freund, der vortreffliche Moses Mendelssohn, die Absicht ber ihn zu schreiben. Der Plan dieser Schrift ist uns in dem Leben Lessing’s von seinem Bruder erhalten. Nur ein der menschlichen Natur Unkundiger wird gegenber zwei Mnnern, welche ihre ersten literarischen Feldzge nebeneinander machten, welche die ersten unreifen Formen ihrer Theorien austauschten, eine geschichtliche Wrdigung des einen, welcher dann mchtig voranstrebte, durch den welcher zurckblieb, wo ihn der gewaltige Freund gelassen hatte, erwarten. Was aber ein solcher Genosse, und er allein ganz geben kann, ist ein Detail von Einsicht in die intellektuelle und moralische Natur eines Genius bis hinab in die intellektuellen Manieren und moralischen Eigenheiten. Einige Grundzge dieser Art verdanken wir der Skizze Mendelssohn’s. So hebt er sehr schçn die bemerkenswerthe Sorglosigkeit hervor, mit welcher diese reiche lebhaft voranstrebende Natur Resultate im Gesprch hin warf. „Ein Exempel – sagt hierbei Mendelssohn – seine Gedanken vom Lachen und Weinen. Ich hatte die Absicht nicht, zu plndern, sondern war vielmehr einem unordentlichen Hauswirth zu vergleichen, der Sachen in Verwahrung nimmt, ohne Buch zu fhren.“ So weit geht Lessing, in Briefen an Mendelssohn diese Theorie „meine oder vielmehr Ihre Theorie“ zu nennen (12, 95). Wie sorglos dann Nicolai Lessing plnderte, ist nicht zu sagen. Aber wie wenig dieser Art tritt in der Skizze hervor, und was noch merkwrdiger ist, wie arm sind die Ausfhrungen, welche in dem Capitel der Morgenstunden ber Lessing und in der Schrift an die Freunde Lessing’s gegeben sind. Man war mit Recht grndlich enttuscht. Nur das Verhltniß zwischen Lessing und Mendelssohn schließt sich hier voll auf, in einer Weise welche dem letzteren die hçchste Ehre macht. Die sich unterordnende Verehrung des Gleichaltrigen, Mitforschenden hat etwas Rhrendes. Er will nichts sein als ein „Jnger des Propheten.“ So reizbar, bis zur Eifersucht ist diese Verehrung, diese Liebe, daß hieraus allein sich erklrt, wie ihn schmerzte daß Lessing Gedanken hegte die er ihm vorenthielt. Aus diesem selben lteren Berliner Kreis trat nun Lessing’s Bruder hervor, Karl Lessing. 1793-1795, also ein Dutzend Jahre nach Lessing’s Tode, publicirte er in drei Bnden den literarischen Nachlaß und das Leben des Bruders. Das alles wimmelt von Unwissenheiten der grçbsten Art. Jede Seite darin wrde Gotthold Ephraim zur Verzweiflung gebracht haben. Wenn die Xenien damals den Vers brachten: Edler Schatten, du zrnst? ja ber den lieblosen Bruder, Der mein modernd Gebein lsset in Frieden nicht ruhn.
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so wrde Lessing’s Zorn, nach seiner Art zu denken, wohl kaum die Verçffentlichung irgend eines Blattes von seiner Hand betroffen haben – wer mçchte Eines missen? – wohl aber das was sein leichtfertiger Bruder ber diese Bltter und ber ihn schrieb. Indessen finden sich gerade hier unter dem unntzesten Berliner Raisonnement einige werthvolle Notizen, die noch heute nicht ausgebeutet sind. Inzwischen trat dem alten Berlin, welchem Lessing’s Freunde angehçrt hatten, eine neue literarische und wissenschaftliche Schule gegenber, und sie mußte sich der Autoritt Lessing’s bemchtigen. Eben damals als das Leben Lessing’s von seinem Bruder erschien, befand sich Friedrich Schlegel in Berlin und seine jugendliche Keckheit fand hçchst natrlich, neben seinem Bruder auf dem kritischen Richterstuhl Lessing’s sich niederzulassen, der seit dessen Tode frei war. Er erhob den ersten geistvollen Widerspruch gegen die Auffassung Lessing’s, wie sie die alte Berliner Schule nunmehr wiederholt, trotz Jacobi’s Protest, dem Publikum aufgedrngt hatte. 1797, jener Biographie auf dem Fuße folgend, erschien das Fragment ber Lessing von Friedrich Schlegel, welches dann in dem kritischen Musterwerk beider Brder, den Charakteristiken und Kritiken, wiederabgedruckt und mit einer seltsamen Ergnzung versehen ward. 1804 ließ dann Friedrich Schlegel drei Bnde „Lessing’s Gedanken und Meinungen“ drucken welche eine schlecht maskirte Buchhndlerspeculation sind, trotzdem aber das Beste enthalten was bis dahin ber Lessing gesagt worden ist. Gegenber der herrschenden Ansicht, welche in Lessing einen Mendelssohn verwandten Gelegenheitsdenker sah, fand er mit Recht in ihm einen Pdagogen zu dem systematischen Denken hin. Er fand, wir htten keine deutschen Schriften, welche besser geeignet seien diesen Geist des Selbstdenkens zu erregen und zu bilden als die Lessing’schen. Und nun liegt die Bedeutung seiner Untersuchung in dem Versuch, diese erregende Kraft der Schriften Lessing’s in ihrer inneren Form aufzuzeigen. Ueber diese innere Form hatte Friedrich Schlegel damals viel gedacht: denn schon fnf Jahre lang hatten ihn platonische Untersuchungen beschftigt. Eine methodische historisch-kritische Untersuchung war in solchen Arbeiten noch gar nicht begonnen. Es ist Danzel’s Verdienst, fr das wissenschaftliche Studium Lessing’s und seiner Zeit im ersten Band seiner Biographie Lessing’s (1850) die Grundlage gelegt zu haben. Dieser Band reicht leider nur bis 1764, aber er ist das bis heute unerreichte Muster literar-historischer Untersuchung eines intellektuellen Phnomens der modernen Zeit. Was wrde der edle Danzel, welcher einige dreißig Jahre alt hinwegstarb, fr Literaturgeschichte geworden sein! In Guhrauer’s Fortsetzung (1853. 54) treten die Reste der Danzel’schen Studien – wie ber den Laocoon, ber die Philosophie Lessing’s – bedeutsam hervor; Guhrauer selber, dem Kenner von Leibnitz,
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dem umfassenden Bcherkenner, fehlten dennoch die geistige Selbstndigkeit und Klarheit Danzel’s. Lebhafte Discussionen, welche dieser umfassenden Biographie, die eine Zierde unserer Literaturgeschichte bleibt, voraufgingen und folgten, zeigten, welche Richtung das Interesse an Lessing genommen hatte: sie galten allesammt dem Denker. Guhrauer hatte sie 1841 durch seine Schrift: „Lessing’s Erziehung des Menschengeschlechts, kritisch und philosophisch erçrtert“ erçffnet. Diese Schrift veranlaßte Heinrich Ritter, den Geschichtschreiber der Philosophie, einen lange gehegten Plan, ber Lessing’s Philosophie zu schreiben, zur Ausfhrung zu bringen; seine Schrift ber Lessing’s philosophische und religiçse Grundstze erschien 1847 in den Gçttinger Studien und in selbstndiger Ausgabe. Danzel’s Stellung zu dieser Frage liegt in seiner Recension Ritter’s in der neuen Jenaer Literaturzeitung (1848 No. 172-174) und in dem was Guhrauer aus dem fertig geschriebenen Capitel ber Lessing’s Philosophie mittheilt, vor. Aus der Literatur, welche der Biographie folgte, tritt nur Eine methodische Untersuchung hervor: Hebler’s Lessingstudien (1862), das Beste was außer dem ersten Bande Danzel’s bisher berhaupt ber Lessing geschrieben ist. Die meisterhafte Charakteristik von Gervinus natrlich nehme ich aus: sie hat einen Zweck der ihr gestattet, alle Detailuntersuchungen zu berspringen. Hebler’s Schrift ist das einzige was ich fr denjenigen, der die nun folgende Darstellung kritisch prfen will, voraussetze. Was er mit der ihm eigenen ruhigen Grndlichkeit zur Evidenz gebracht hat, suche ich nicht zum zweiten Male zu beweisen. Solche Bcher drfen nicht berflssig werden. Ich wnsche fr diesen Aufsatz nichts Besseres als das Verstndniß Lessing’s um eben einen solchen Schritt weitergefçrdert zu haben, als er gethan hat. Denn es ist mir genau um dieselbe Frage zu thun, welche sich auch Hebler stellte. Unser Interesse haftet schließlich an dem Rthsel der hçchsten Lebensresultate Lessing’s. Aber der gerade Weg ist nicht immer der krzeste zu einem Ziele hin. Wir mssen uns den ganzen Gang der wissenschaftlichen Forschungen Lessing’s vergegenwrtigen, ja die Stellung welche sie in dem Zusammenhang seiner Wirksamkeit innerhalb der literarischen, dichterischen, intellektuellen Bewegung Deutschlands seit 1760 einnehmen. Durch das Zeugniß der bedeutendsten Zeitgenossen, insbesondere Gçthe’s, dessen Aeußerungen geradezu bis heute den Kanon fr die literar-historische Tragweite derjenigen Erscheinungen bilden, die in seinen Gesichtskreis fielen, ist es erhrtet, daß auf den starken Schultern Lessing’s die Umgestaltung unserer Literatur ruhte. Was in der vielzersplitterten, rastlosen, alle Interessen der Zeit umfassenden Thtigkeit des Mannes gab ihm diese Stellung? Als er um die Mitte des Jahrhunderts die literarischen Verhltnisse um sich zu beobachten begann, fand er im Vordergrund des geistigen Interesses die
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theologischen Kmpfe und die literarischen Streitigkeiten zwischen Bodmer, Gotsched, Klopstock, den lyrischen Dichtern. Die den Gang unserer Literatur beherrschende Thatsache ist, daß die Reformation in Deutschland mit einer Energie des religiçsen Bewußtseins aufgetreten war, wie in keinem anderen Lande; hieraus entsprang eine ganz einzige Herrschaft des theologischen Interesses, und sie ward auf lange hinaus erhalten durch die Abwesenheit all der anderen Motive, welche in England und Frankreich Elemente und Interessen der Aufklrung mitbestimmten. Hierdurch ist der Charakter alles dessen was naturwchsig bei uns entstand, bestimmt, von den dogmatischen Compendien und dem Kirchenlied ab bis auf Haller’s religiçses Lehrgedicht und die Messiade Klopstocks. Das grçßte literarische Ereigniß um die Mitte des Jahrhunderts, die Messiade, charakterisirt am besten die klgliche Unreife dieses deutschen Denkens und Empfindens: ein Gymnasiast faßte einen Plan und begann ein Gedicht, in welchem tchtige und ernsthafte Mnner den Ausdruck ihrer Welt- und Menschenbetrachtung fanden. Wer wird die Thatsache der ungemeinen lyrischen Energie Klopstock’s bestreiten oder die Bedeutung derselben herabsetzen wollen? Nur ist die andere nicht minder bedeutsam, daß Niemand beinahe in der Anschauungsweise und dem Gehalt des Gedichtes die unreife Jugendlichkeit unangenehm empfand, Niemand beinahe – als ein Jngling der zugleich so entschieden fr Klopstock’s lyrische Genialitt eintrat – Lessing. Dennoch war diese Grundrichtung unserer Literatur, wie sie in Klopstock culminirte, in ihrem Recht gegenber den gelehrten Experimenten der Leipziger Schule. Was sollte unserem von dem Weltleben und seinen großen bewegenden Affekten abgesperrten Volke jene Kunst der Renaissance, welche in Italien und Frankreich ihre festen Zge erhalten hatte, eine Kunst des Styls, der großen, festgegliederten, sich gesetzmßig entwickelnden Formen, was sollten uns die Helden dieser großen tragischen Kunst, Rçmer, griechische Heroen, tragische Schicksale der Kçnige! Was unter Thrnen an der Messiade ergriff, mit ruhigeren Empfindungen an Kleist’s Frhling oder Hagedorn’s zrtlichen Liedern, das war doch wenigstens natrliche Poesie: denn das war – wohl oder bel – unsere Natur. In diese Zustnde und ihre pedantische Abwickelung warf Lessing eine ganz andere Geistesform hinein: er ist das einzige norddeutsche Genie das in die Poesie mit norddeutscher Art zu empfinden mchtig eingriff, bis auf Heinrich von Kleist, welcher hierin recht eigentlich sein Nachfolger ist. Ein Naturell in welchem von dem ersten Hervortreten ab ein heller, scharfer Wille dominirt, der klar und heiter die Bewegungen der Welt um sich auffaßt und sich in ihr lebendigstes Treiben einzumischen unwiderstehlichen Trieb fhlt, dem Alles zur Handlung, zum Kampf, zum Tummelplatz lebhafter Bewegung wird, welches demgemß von Anfang an in einem Styl erscheint der einen bewegten,
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hellen, streitenden Willen der Erkenntniß in den einzelnen Akten seiner Handlung zeigt, welches mit derselben Naturnothwendigkeit von Anfang an sich der Bhne wahlverwandt fhlt, diesem idealen Spiegel des beweglichsten Lebens, zu allererst daher der komischen Bhne, der Welt von Plautus, Terenz, Molire – dies Naturell ist was Lessing als seine seltene, glckliche, in unserer beschaulichen Nation und in der beschaulichsten Epoche dieser Nation beinahe unerhçrte Mitgift in die Literatur wirft. Es ist der erbaulichste Anblick, inmitten der damaligen deutschen Literatur diese Natur sich bewegen zu sehen. Schon die nchsten norddeutschen Kreise, in denen der Jngling sich findet, die Gleim und Ramler und die anderen Lyriker sind ihm doch vçllig heterogen. Er ist unter ihnen wie unter einer Singvogelbrut ein junger Raubvogel, der weil es im Neste so der Brauch ist, seine Stimme zu kleinen Liedern bt, sich aber dabei wenig behaglich fhlt und zuweilen die sonderbarsten Gelste versprt, auf den einen oder anderen Snger zuzufahren. Noch schrfer tritt die totale Verschiedenheit seiner Natur hervor, wenn man ihn im Ganzen der damaligen Bewegung ansieht. So wunderbar fertig und geschlossen in sich von vorn herein die geistige Form dieser genialen Natur erscheint, so tastend, so experimentirend ist das Verhltniß derselben zu der Welt, auf welche sie wirken soll. Denn seine knappe schneidige Weise hatte wenig Verstndniß fr die entliehene Grandezza Gotsched’s, aber nicht viel mehr fr Klopstock’s religiçse Empfindsamkeit. Wenn Klopstock mit seraphischer Inbrunst bittet: „ach gieb sie mir, Dir leicht zu geben, Gieb sie dem bebenden bangen Herzen,“ so bemerkt der Jngling kurz dazu: „was fr eine Verwegenheit so ernstlich um eine Frau zu bitten.“ Es waren Realismus, Gesundheit, Charakter, welche der Empfindungsweise und den Zustnden, wie sie von Holstein bis in die Schweiz bestanden, keck gegenbertraten, aber in dieser Stellung zunchst isolirt erschienen. Mit Spannung fragt man sich, was eine solche Natur mit ihrem mchtigen Bedrfniß der Aktion inmitten dieser Partheien thun wird, ja man fragt wie ihr inmitten der damaligen deutschen Verhltnisse Selbsterhaltung mçglich sein wird. Denn welche ist, inmitten dieser Verhltnisse, Lessing’s Stellung? Wenn man den Schriftsteller vom wissenschaftlichen Forscher als solchem unterscheidet, so ist sein Charakterzug daß es ihm nicht ausschließlich um den Fortschritt der Wissenschaften zu thun ist, sondern zugleich um Wirkung auf die Nation. Und zugleich erhlt hiermit fr den Schriftsteller der Styl eine hervorragende Bedeutung. Lessing war vermçge der Form seines Geistes und vermçge seines Naturells ein geborener Schriftsteller, wie er ein geborener Dramatiker war. Ihm war von vorn herein natrlich die Wissenschaft in Handlung zu setzen, seinen Ideen dramatische Wirkung zu geben. Er war ein so sorgsamer Stylist, daß sich selbst von den Briefen an seine Familie Concepte
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in seinem Nachlaß gefunden haben. Er war der erste deutsche Schriftsteller in wahrem, vollem Sinn. Und unter der Macht dieses Instinktes ergriff er, neunzehn Jahr alt, ohne Geld, ohne Verbindungen, diesen Beruf seines Lebens. Welchen Muth, welchen Charakter die Aufgabe erforderte, davon haben wir einen Maßstab an seinen Zeitgenossen. Die starke Bewegung hatte eine ganze Reihe junger Mnner, zum ersten Mal in Deutschland, literarischen Beschftigungen in die Arme geworfen; aber wir sehen sie alle, wie Weiße, Engel, Moritz, Dusch, um die Mitte ihres Lebens, sich in feste Lebensstellungen, zumeist an Lehranstalten, retten. Die brigen, zumal die lyrischen Dichter, waren von vorn herein behagliche Existenzen, welche in Lebensstellungen, die ihrem inneren Beruf ganz heterogen waren, ihren Lieblingsneigungen gelegentlich nachgingen, oder sie bezogen Hofpensionen. Lessing allein fgte sich keiner Stellung, welche ihn daran hindern konnte, seinem inneren Beruf vollauf zu leben. Dieser sein Charakter und die Natur der gesellschaftlichen Elemente, auf welche er sich als Schriftsteller sttzen konnte, sind die zureichenden Erklrungsgrnde fr die Unruhe, und den ergreifenden Mangel an Glck in diesem großen Dasein. Auch er war von der Natur mit jener Heiterkeit, jenem „Himmel im Verstande“ ausgestattet, welche der unmittelbare Ausdruck einer jeden bedeutenden intellektuellen Kraft sind. Aber die Art wie Alles brach, worauf er sich sttzen wollte, formirte seinen Charakter. Diese Hinflligkeit war nicht sein besonderes Unglck: sie war in der Sache selber begrndet. Denn worauf konnte, durfte er sich denn sttzen? Betrachten wir die gesellschaftlichen Elemente, welche damals etwa einen Schriftsteller in Deutschland tragen konnten, zu einer Zeit in welcher Voltaire eine frstliche Stellung sich errungen hatte. Die althergebrachten Sttten deutscher Bildung waren die Universitten und die Hçfe. Die Universitten vertraten die Gelehrtenberlieferung, von welcher unsere Schriftsteller sich eben befreien wollten; daher haben Herder wie Lessing Universittsprofessuren ausgeschlagen. Die Beziehung von Gelehrten und Dichtern zu Hçfen, ohne die Basis einer Wirksamkeit in der Verwaltung, ist immer fr dieselben schdlich gewesen, im besten Fall ein nothwendiges Uebel und fr Lessing war sie ganz unmçglich, wie seine gelegentlichen Berhrungen mit dem Braunschweigschen Hofe beweisen. Die socialen Elemente welche einem Schriftsteller als Sttzpunkte brig blieben, der sich von Universitten und Hçfen abwandte, waren noch unfertig. Zunchst tritt die Existenz einer heranwachsenden Großstadt hervor. Berlin zhlte etwa hunderttausend Einwohner und – was wichtiger war – der siebenjhrige Krieg hatte dort einen çffentlichen Geist gebildet, der in freier Discussion politische und religiçse Fragen zu erçrtern unternahm; damit trat zu-
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gleich eine bemerkenswerthe Neigung fr Lektre discutirender ernsthafter Schriften hervor. Die spteren Regierungsjahre Friedrich’s erdrckten diesen sich kaum regenden Geist, soweit er nicht sich an der religiçsen Discussion gengte. Ohne daß er eine regelmßige Beschrnkung politischer, finanzieller, nationalçkonomischer Schriften htte eintreten lassen: lag doch sein System schwer auf der Stadt und Niemand wagte offen zu schreiben, da der einsame Lçwe in Sanssouci unberechenbar war in seinen Griffen. Lessing hat das mit einer durch persçnliches Geschick berreizten Schrfe ausgesprochen. „Sagen Sie nur ja nichts – schreibt er Nicolai – von Ihrer Berlinischen Freiheit zu reden und zu denken. Sie reducirt sich einzig und allein auf die Freiheit gegen die Religion so viel Sottisen zu Markte zu bringen als man will. Lassen Sie es aber doch einmal einen in Berlin versuchen, ber andere Dinge so frei zu schreiben als Sonnenfels in Wien geschrieben hat, lassen Sie einen in Berlin auftreten, der fr die Rechte der Unterthanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte, wie es jetzt in Frankreich und England geschieht: und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land in Europa ist.“ Ja Lessing konnte noch zwischen Berlin und Wien schwanken, literarisch dieselbe Erscheinung die wir politisch 1848 erlebten: so schwer erwuchs auch in den ersten Kçpfen unserer Nation die Einsicht in die Bedingungen des çffentlichen Geistes und die Wirkung auf die Menschen. Trotzdem war der Gedanke an Wien auch unter Kaiser Joseph nur eine ganz flchtige Illusion. Dagegen trug ihn der Geist von Berlin und Preußen, mehr als er sich selber bewußt war. Dem Idyll kleiner Hçfe und der pedantischen Luft der Universitten gegenber standen hier die Stimmungen, Interessen einer großen Stadt, der nchterne Geist der Discussion und der Analyse welcher einer solchen eigen ist. Demgemß blieb von jenem Moment ab in welchem der theologische Student Universitt, Studien, seine ganze vorgesehene Zukunft verließ um in Berlin als Schriftsteller zu leben, bis zur vollen Reife seines Lebens welche die Literaturbriefe bezeichnen, Berlin der Haltpunkt seiner Existenz. Diese Stadt bedingte den Verlauf seiner Bildungsjahre. Der Muth ist bewundernswrdig mit dem er damals ganz auf eigne Hand, ohne alle Mittel, mit Schulden belastet, neunzehn Jahre alt nach Berlin ging; aber es war natrlich daß dieser Entschluß ihn auf eine Reihe von Jahren in unruhigen hastigen Broderwerb warf; er fand eine Existenz in der Tageskritik und gab fr die Berliner Weise derselben eigentlich zuerst den Ton an. Mangel und ein immer wieder, in verschiedenen Lebensepochen, ihn bermchtig inmitten seines hastigen Schriftstellerlebens ergreifendes Bedrfniß einsamer Arbeiten trieben ihn nur auf einige Zeit nach Wittenberg, wo er sich zu seiner Rettung des Horaz sammelte, und in dem Vademecum fr Samuel Gottlob Lange jenen ersten Raubvogelgriff
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that, welcher das Entsetzen aller hçflichen Leute hervorrief. Wie er dann 1752, dreiundzwanzig Jahre alt, nach Berlin zurckkehrte, trat er hier mit Moses Mendelssohn und Nicolai zusammen, denen er im Montagsclub begegnete, und nun ward die sogenannte Berliner Schule begrndet. Danzel hat unwidersprechlich nachgewiesen, daß Lessing in diesem Verhltniß von Anfang an der bestimmende und leitende war. Aber immer noch blieben seine Experimente sich ein Verhltniß zum Publikum zu schaffen flchtig, von der Noth und dem Interesse des Augenblicks eingegeben, ohne weitertragende Berechnung. Auf der Ostermesse 1755 erschienen von ihm fnf Bnde verschiedensten Inhalts. Inzwischen faßte er eben damals einen Entschluß, welcher die Basis seiner Existenz und seiner Thtigkeit vçllig ndern zu wollen schien. Lessing’s Naturell machte ihn zum geborenen Dramatiker wie zum geborenen Schriftsteller. Er hatte soeben in einer siebenwçchentlichen vçlligen Abgeschlossenheit in einem Gartenhause zu Potsdam Miß Sara Sampson vollendet, sein erstes dichterisches Werk von wahrhaft mchtiger Wirkung. Ramler schrieb von Frankfurt wo das Stck zuerst gegeben ward: „die Zuschauer haben 3 1/2 Stunden zugehçrt, gesessen wie Statuen und geweint.“ Lessing selbst war zugegen und fr den sechsundzwanzigjhrigen Jngling war dies wohl eine Stunde freudigen Selbstgefhls, in welcher diese Seite seines Lebensberufs ihm im hellsten Lichte erschien. Fr das Verhltniß eines Dichters zum Publikum war bis in unser Jahrhundert das Theater der natrliche Schwerpunkt. So unreif die deutschen Theaterzustnde waren, so unternahm Lessing sofort den Versuch, gleichzeitig damals mit Weiße, ob sie seine dichterische Zukunft zu tragen im Stande seien. So lasen denn seine Freunde, die getreue Berliner Schule, eines Morgens mit Erstaunen, daß er Berlin verlassen habe und sich in Leipzig bei der Koch’schen Bhne befand. In seinem Kopf bewegten sich die verschiedensten Plne von Tragçdien und Komçdien, wie spter in dem Gçthe’s zur Zeit als er den Clavigo schrieb. Aber leider ist damals wie spter eine Gestaltung des deutschen Theaters nach ihrem Sinne mißglckt. Erst Schiller konnte, wenigstens zum grçßten Theil, seine Wirksamkeit und seine ußere Existenz auf das Theater stellen und dasselbe dauernd mit seinem Geiste erfllen. Zunchst, bevor Lessing noch zur Entfaltung seiner Plne kam, trieb der siebenjhrige Krieg die Koch’sche Truppe auseinander. Whrend also diese Richtung seiner Thtigkeit unterbrochen ward, um erst eine Reihe von Jahren danach wieder aufgenommen zu werden, schloß er die Zeiten der Berliner Schule, der Wirksamkeit durch Zeitschriften, durch literarische Kritik, im Bunde mit dem çffentlichen Geiste der Stadt, nunmehr ab durch die Berliner Literaturbriefe. Schon ein Jahr zuvor hatte Sulzer vorgeschlagen, Lessing mçge seine Existenz auf eine Zeitschrift grnden. Das war wenig in Lessing’s Sinn. Wohl
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aber gab der Krieg die Stimmung zu einer durchgreifenden und rcksichtslosen Aktion in der Literatur. Und so grndete Lessing fr kurze Zeit die Literaturbriefe. Nicolai erzhlt ausdrcklich: „der damalige Krieg spannte Alles mit Enthusiasmus an,“ als Erklrungsgrund fr das energische zusammengefaßte Vorgehen der Schule in dieser Zeitschrift. Lessing war dreißig Jahre alt als er 1759 dieselbe begann. In ihr erscheint er nunmehr seiner Stellung vçllig gewiß. Whrend all’ seine frheren Schriften der Vergessenheit anheim gefallen sind, beginnt mit dieser die Reihe jener Werke welche ihn zu dem unsrigen machen. Wenn Macaulay ihn den ersten Kritiker Europa’s nennt, so nahm er jetzt, mit diesem Werke, seine Stellung ein. Die Wirkung war tieferregend und revolutionr. Es ist der glnzende Abschluß seiner ersten Lebensepoche. Ziehen wir also das erste Resultat unserer Untersuchung. Whrend die ganze damalige Literatur, Klopstock und seine Freunde mit eingeschlossen, sich an die altbestehenden, aber die Bewegung streng einschrnkenden gesellschaftlichen Elemente, Hçfe und Universitten anlehnten, whrend auch die selbstndigsten unter ihnen, wie Klopstock, Haller, nur besonders begabte Reprsentanten der seit dem Pietismus Deutschland beherrschenden religiçsen Empfindsamkeit waren, und demgemß unfhig dem deutschen Geiste seine Richtung zu geben: hat Lessing, vermçge der originalen Energie des norddeutschen Elements in ihm, getragen von dem çffentlichen Geiste einer beginnenden Großstadt und eines in Kmpfen werdenden Staates, ein gesundes Lebensgefhl mit genialer Macht zum Ausdruck gebracht. Eine Analyse dieses Lebensgefhls wre eben so schwer als berflssig; Lessing’s sptere Weltansicht ist die Entfaltung desselben. Die gesellschaftlichen Bedingungen und die literarischen Partheien zerstreuen seine Existenz und ußere Wirksamkeit durch ihre Ungunst, und sthlen und sammeln zugleich durch dieselbe seinen Charakter. Und zwar ist, so lange er in dieser kritischen Zerstreuung ist, Berlin die natrliche Basis dieser Thtigkeit, Nicolai und Mendelssohn sind seine natrlichen Genossen; der Culminationspunkt dieser Thtigkeit sind die Literaturbriefe. Der genialste Kritiker Deutschlands wußte am besten, daß sich kritische Thtigkeit nicht in Permanenz erklren darf. Als seine Berliner Freunde den Ertrag seines mchtigen Auftretens behaglich einzusammeln begannen, zog er sich ganz von ihren kritischen Tribunalen zurck, ohnehin war ihm ihre kritische Klugheit, Schreiblust und Alleswisserei ber den Kopf gewachsen, besonders Nicolai’s als eines geborenen Berliners. In einer mehrjhrigen Zurckgezogenheit von aller Schriftstellerei bereitet er die zusammenhngenden und wahrhaft positiven Einwirkungen vor, vermçge deren er nunmehr die aufgeregten Lebensgeister zu leiten unternimmt. Die zweite Epoche dieses großen Daseins beginnt.
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Schon Fichte hat in seiner Schrift gegen Nicolai bemerkt, daß dies die Bedeutung seines Breslauer Aufenthaltes ist. „Daß Lessing in seiner frhen Jugend sich in einer unbestimmten literarischen Thtigkeit herumgeworfen, daß Alles ihm recht war, was nur seinen Geist beschftigte und bte, und daß er hierbei zuweilen auf unrechte Bahnen gekommen, wird kein Verstndiger leugnen. Die eigentliche Epoche der Bestimmung und Befestigung seines Geistes scheint in seinen Aufenthalt in Breslau zu fallen, whrend dessen dieser Geist, ohne literarische Richtung nach außen, unter durchaus heterogenen Amtsgeschften, die bei ihm nur auf der Oberflche hingleiteten, sich auf sich selbst besann und in sich selbst Wurzel schlug. Von da an wurde ein rastloses Hinstreben nach der Tiefe und dem Bleibenden in allem menschlichen Wissen an ihm sichtbar.“ Dem entsprechend schreibt Lessing am 5. August 1764 nach einer Fieberkrankheit: „Alle Vernderungen unseres Temperaments, glaube ich, sind mit Handlungen unserer animalischen Oekonomie verbunden, die e r n s t l i c h e E p o c h e m e i n e s L e b e n s naht heran; ich beginne ein Mann zu werden, ich schmeichle mir, daß ich in diesem hitzigen Fieber den letzten Rest meiner jugendlichen Thorheiten verraset habe.“ Nicht ganz siebzehn Jahre noch sollte er leben. Wie kurze Zeit fr das was nun geschah! Zwei Epochen in dieser folgenden Thtigkeit grenzen sich klar ab. Er begrndete zuerst die Form unserer deutschen Poesie durch seine Dichtungen, wie durch seine sthetische Theorie, welche bis Kant’s Kritik der Urtheilskraft erschien, alle sthetische, literarisch-kritische Betrachtung bestimmte und die Produktion selber in wichtigen Punkten leitete. Er ging dann dazu ber, vermçge einer noch tiefer greifenden Einwirkung, den Gehalt unseres geistigen Lebens von der theologischen Bevormundung zu befreien, und ihm einen selbstndigen Anstoß von der grçßten Tragweite zu geben, unter dessen Einwirkung wir noch heute stehen. Die praktische Bedeutung seiner sthetischen Theorien fr die Thatsache unserer classischen Literatur war ungeheuer. Sie waren eine Technik der Poesie, im wahren Verstande des Aristoteles, aber nicht, wie die aristotelische, entworfen um zu begreifen und zu genießen was vergangen war, sondern um die Zukunft zu leiten. Indessen steht weder dem Schreiber dieses der Sinn nach sthetischen Untersuchungen, noch erwartet er von seinen Lesern ein solches Interesse. Er beschrnkt sich demgemß auf eine kurze Darstellung des historischen Zusammenhangs, in welchem diese Untersuchungen stehen, da er leider weder auf eine der Literaturgeschichten noch auf Zimmermann’s Geschichte der Aesthetik verweisen kann, wegen der vielen Irrthmer und Lcken in diesen Bchern (vgl. z. B. Zimmermann 201, Hettner III. 2, 565). Das Rthsel des Schçnen und der Kunst ist durch drei ganz verschiedene Untersuchungsweisen in Deutschland der Erçrterung unterworfen worden.
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Der aristotelische Gedanke einer Technik der Knste, d. h. einer Untersuchung der Mittel, vermçge deren sie die hçchsten Wirkungen hervorrufen, herrschte bis Kant. Durch Kant trat die Verfassung des producirenden Genies selber in den Vordergrund; der tiefe Gedanke von einer besonderen Art des Genies die Welt aufzufassen ward durch ihn, Schiller, Fichte, die Romantiker und folgenden Philosophen fortgebildet und in seine historischen Consequenzen verfolgt. Das Studium der physiologischen Bedingungen hat dann den gegenwrtigen Arbeiten ein ganz neues Fundament gegeben. Lessing’s Entdeckungen sind die bleibenden Wahrheiten der ersten Untersuchungsweise. Vor seinem Geiste stand, als er den Laocoon begann, das Ganze einer die Kunst umfassenden Theorie. Eine Wiederherstellung derselben aus dem Laocoon und der Dramaturgie, zusammengenommen mit anderen Quellen, wre leicht zu geben. Sie wrde schon einen vorlufigen Beweis liefern, wie Lessing nichts weniger als ein Gelegenheitsdenker war, ja wie ein großes Geheimniß seiner schriftstellerischen Wirkung darin liegt, daß seine scheinbar zuflligen und momentanen Aeußerungen einen festen Hintergrund besitzen. Die Poetik des Aristoteles ist das Fundament der Lessing’schen Aesthetik. Von dem Hçhepunkt dieser Aesthetik, der Theorie des Tragischen, ist diese Thatsache offen daliegend; sie ist aber eben so zweifellos in Betreff des allgemeinen Aufbaus dieser Wissenschaft wie er im Laocoon vorliegt. Wie hatte Aristoteles, dieser erste große Denker, welcher die Kunst der Untersuchung unterwarf, dieses Problem aufgefaßt? Er begrndete eine Technik der dichterischen Produktion, ganz wie er eine solche des wissenschaftlichen Beweises gegeben hatte. Eine solche grndet sich auf die Untersuchung der Mittel, vermçge deren die einzelnen Knste wirken. Aus der Einsicht in die Natur dieser Mittel folgen die Gesetze, unter welchen in einer jeden einzelnen Kunst die hçchsten Wirkungen erreicht werden kçnnen. Noch in den Trmmern der Poetik erkennen wir mit wie vollkommener Deutlichkeit Aristoteles sich diese Aufgabe stellte. Aber wir sind nicht mehr im Stande zu bestimmen, in welchem Umfange er sie gelçst hat. Hier traten nun neuere Arbeiten ein, englische besonders, und Lessing durfte an ihrer Hand weiter gehen. Ich begnge mich, zwei Schriften hervorzuheben, von denen ich glaube daß er ihr Studium unmittelbar an das des Aristoteles anschloß. Der Dialog von H a r r i s ber die Kunst, sowie der andere ber Musik, Malerei und Dichtung waren vielgelesen als Lessing seinen Laocoon entwarf, wie sie denn auch in dieser Zeit zweimal in’s Deutsche bertragen worden sind. Es sind ganz aristotelische Begriffe deren Harris sich bedient, jenen Grundgedanken einer poetischen Technik in die einzelnen Knste hineinzufhren. Es ist
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als ob er den allgemeinen Theil der aristotelischen Kunstlehre herzustellen beabsichtige. Als Grundproblem ist ihm die Frage gegeben, welche denn die fundamentale Verschiedenheit der Mittel sei, durch welche die einzelnen Knste wirken. Nun ist der gesammten Kunst gemeinsam, daß sie ein Ganzes hinstellt, welches aus Theilen besteht. In dieser Ordnung der Theile zum Ganzen entdecken wir die fundamentalen Unterschiede. Wir unterscheiden eine Ordnung der Theile neben einander im Raume, und eine Ordnung nach einander in der Zeit. Im ersten Falle erscheint das Ganze als ein abgeschlossenes Werk, im zweiten als eine in der Zeit ablaufende Energie. Erçrtern wir den ersten Fall. Die Ordnung der Dinge neben einander im Raume ist das Mittel der bildenden Kunst. Sie umfaßt Alles was die Gesichtswahrnehmung darbietet, die Bewegung ausgenommen, welche das abgeschlossene Werk nicht darzustellen vermag: Dies ist der Umkreis ihrer Mittel. Dagegen wird die Aufeinanderfolge in der Zeit von unserem Gehçr aufgefaßt; Musik und Dichtung theilen sich in diesen zweiten Umkreis von Mitteln, wie ihn der Sinn des Gehçrs darbietet. Inmitten dieser Knste erlangt nun aber die Dichtung eine eximirte Stellung, vermçge der Natur der menschlichen Sprache, in welcher Tçne in Vertretung von Vorstellungen gebraucht werden. In den Umkreis jener Darstellungsmittel tritt in ihr der gesammte Umkreis der menschlichen Vorstellungen. Und so faßt dieser Umkreis die Kreise aller einzelnen Knste in sich. So weit ging Harris in der Ausfhrung des aristotelischen Grundgedankens. Zu einer wirklichen Technik ging er nicht fort. Ja er hatte sich eine Technik der Poesie unmçglich gemacht durch die vage Bestimmung ihres Umkreises, welche ganz mit der falschen Praxis einer malenden und musikalischen Poesie in Einklang war. An diesem schwachen Punkt von Harris setzte nun M e n d e l s s o h n in seinen Betrachtungen ber die Quellen der schçnen Knste und Wissenschaften ein. Er untersuchte den Unterschied zwischen Tçnen, als natrlichen Zeichen wie sie Mittel der Musik sind, und ihrer willkhrlichen Geltung, wie sie die Grundlage der Sprache als des Mittels der Poesie bildet. Und zugleich fand Mendelssohn an den brigen Punkten bereits Gesetze einer wahren Technik der Knste. So leitete er bereits aus der Natur des Umkreises von Mitteln, wie sie die bildende Kunst besitzt, die eigenthmliche Aufgabe derselben ab, den Einen fr sie allein darstellbaren Moment mit hçchstem knstlerischen Bedacht zu whlen. Also das allgemeine Problem des Laocoon war schon entdeckt, ja die Grundconception war schon gefunden, auf welcher die Lçsung desselben beruht: das Gebiet der bildenden Kunst ist das im Raume Geordnete, kçrperlich Sichtbare; das Gebiet der Poesie ist die Zeitfolge und das in ihr vermçge der Succession von Tçnen Gegebene. Es verhlt sich hier genau so, wie wir es bei Lessing’s theologischen Untersuchungen wiederfinden werden. Die Unkunde
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des wirklichen Bestandes von Untersuchungen schiebt gerade den Unterbau der Theorie Lessing’s in den Vordergrund, den er nur bernahm. Was kommt nun aber Lessing zu? Whrend Harris und Mendelssohn aus der bisher entwickelten Conception ganz falsche Schlsse gezogen hatten, grndete er auf sie die großen Stylgesetze der bildenden Kunst und der Dichtung und gab denselben hierdurch erst Fruchtbarkeit. So ward er der zweite Gesetzgeber der Knste, insbesondere der Poesie, nach Aristoteles. Jene allbekannten Gesetze der bildenden Kunst, wie das der Auswahl des fruchtbarsten Moments oder das von den Grenzen der Schçnheit, jene noch tiefer greifenden Stylgesetze der Poesie, wie das von der inneren Vollkommenheit als dem wahren Gegenstande poetischer Darstellung, das von der Auflçsung der Schçnheit in Reiz als die in Bewegung gedachte Schçnheit, das andere von ihrer Darstellung in einer Handlung – : sie alle haben auf die Phantasie und das Verfahren der Knstler und Dichter selber Einfluß erlangt. Insbesondere waren fr Gçthe und Schiller die von Lessing aufgestellten Gesetze der Dichtkunst geradezu leitend. Die Art wie diese beiden in ihrer Lyrik und ihren epischen Schçpfungen alle ruhende Erscheinung in den Zug der Bewegung und Handlung auflçsen, zuweilen mit den durchdachtesten Mitteln, entspringt nicht allein dem Instinkt des Genies, sondern der Einsicht und dem Studium, welche in diesen Punkten Lessing leitete. Es giebt ein zweites Verdienst dieser genialen Schrift, welches weit ber den Kreis von Kunststudien hinausgreift. Laocoon ist das große, erste Beispiel analytischer Untersuchungsweise auf dem Gebiet geistiger Phnomene in Deutschland. Die Thatsache ist hçchst merkwrdig, daß Lessing selber, umgeben von lauter systematischen Deduktionen auf diesem Gebiet, noch so wenig auf eine Billigung fr diese neue Untersuchungsweise zu hoffen wagte, daß er sich ihretwegen in der Vorrede entschuldigte. Fr junge Kçpfe giebt es auch heute kaum ein anregenderes Beispiel dieser Methode, obwohl Kant und Wilhelm von Humboldt in viel grçßerem Styl, in weit umfassenderen Arbeiten, mit grçßerer wissenschaftlicher Strenge die Methode gehandhabt haben. Man kann seine Flle nicht glcklicher whlen, als Lessing thut, wenn er vom Unterschied des schreienden Laocoon bei Virgil, des unterdrckten Aufschrei’s desselben in der bildenden Kunst ausgeht. Man kann nicht methodischer entgegenstehende Instanzen und bereinstimmende Flle hinzubringen, als er es thut; er ist unermdlich in der Analyse von Thatsachen, bis die erklrenden Stylgesetze ganz gesichert erscheinen. Und hier erst, nunmehr nachdem induktiv die Gesetze gefunden sind, giebt er, ganz wie die grçßten Beispiele der Naturforschung das Verfahren vorschreiben, eine umfassende erklrende Theorie, aus welcher deduktiv sich das Verfahren der einzelnen Knste ableiten lßt, um dann endlich diese Theorie in Uebereinstimmung mit einer gan-
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zen Reihe von noch gar nicht bercksichtigten Verfahrungsweisen Homer’s zu zeigen. Wie in einem unvergleichlich grçßeren Fall Newton’s Nachfolger zeigten, daß seine Gravitationstheorie auch Ebbe und Fluth und die Stçrungen der Planetenbahnen erklre, so zeigt Lessing nachtrglich, daß das gesammte instinktive Verfahren des homerischen Genius sich aus den von ihm entdeckten, in der Natur der Poesie gegrndeten Stylgesetzen erklre. Der Laocoon ward abgebrochen. Wir unterdrcken hier unsere Vermuthungen ber den weiteren Plan. Jedenfalls kann die Stellung der Dramaturgie zu der Theorie der Poesie keinem Zweifel unterliegen. Das Drama ist der Hçhepunkt der Poesie im Geiste Lessing’s. Schon Frhere haben bemerkt, wie Gervinus, der außerordentliche Kenner Lessing’s, irrt, wenn er dem Epos diese Stellung zuweist. Lessing, dem das Wesen aller Poesie Handlung war, entdeckte naturgemß in der dramatischen Handlung die vollendete Poesie. Vor dieser mnnlichen, wahren Anschauung traten all’ die damals so ppig wuchernden Zwitterarten der Kunst in’s Dunkel zurck, welche durch Beschreibung, Philosophie oder musikalischen Klang zu wirken suchten. Das Theater ward der Mittelpunkt unserer Literatur. Handlung ward bis in die Lyrik hinab berall von Gçthe und den seinen strmisch begehrt. So bestimmte die Dramaturgie die wahre Stellung des Drama. Sie faßte aber zugleich das Wesen desselben tiefer als vorher von irgend Jemandem theoretisch geschehen war. Wie man irrt, wenn man die Theorie des Laocoon fr Lessing’s originale Schçpfung giebt, weil der historische Zusammenhang hier von Lessing absichtlich verdeckt ist, so irrt man andererseits, wenn man die Theorie der Dramaturgie, darum weil hier die Autoritt des Aristoteles berall sichtlich, gleich einer Schutzwehr, vorgeschoben ist, wie eine commentirende Anwendung aristotelischer Stze behandelt. Diese Dramaturgie ist von einer viel tieferen Originalitt als der Laocoon. Das Wesen der Poesie ist Handlung; das Drama ist die vollendete, vollendet vergegenwrtigte Handlung; die Form der Handlung ist Einheit. Demgemß bedarf das Drama die strengste Einheit der Handlung, aber diese allein; aus diesem Formgesetz des Drama ergeben sich die Grenzen, innerhalb deren ein Wechsel von Zeit und Ort stattfinden darf: Einheit von Zeit und Ort sind somit secundre Forderungen der dramatischen Form. Die Wirkung dieser Stze war ungeheuer. Auch in ihnen waltete der Lessing so eigene Genius der produktiven Kritik, aufbauend und zerstçrend zugleich; denn sie befreiten von den falschen Einheiten der Franzosen, aber sie erneuerten, inmitten formloser dramatischer Experimente, das große Formgesetz der Einheit der Handlung, welches Lessing gegenber der Jugend Gçthe’s fest und hoch hielt und das dann Gçthe und Schiller nach dem Tode des großen Vorgngers in seinem unantastbaren Rechte geschtzt haben.
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Dieses Formgesetz spricht so zu sagen nur die knstlerische Bedingung aus, unter welcher eine Handlung wirkt. Daß sie eben wirkt, der Grad in welchem sie der Wirkung fhig ist: das hngt von dem Gehalt der Handlung ab. Den hçchsten Grad der Wirkung bringt die tragische Handlung hervor. Gewiß htten die meisten Denker hier nun ein construktives Verfahren versucht, durch welches die hçchste Klasse von Wirkungen bestimmt wrde, die eine Handlung auf die menschliche Natur zu ben im Stande ist. Lessing hielt auch hier streng die Linie der induktiven Forschung ein. Er untersucht alle Klassen von Wirkungen, welche die dramatische Handlung thatschlich hervorgebracht hat; ein unendliches Material steht ihm, als einem der gelehrtesten Kenner der dramatischen Literatur, welche je gelebt haben, zu Gebote; fr die hçchste Klasse von Wirkungen, welche er auf dem ganzen Gebiet der dramatischen Literatur entdeckt – die tragischen – bestimmt er durch eine wundervolle Reihe von Stzen, auf welcher Natur der dramatischen Handlung sie beruhen. Es giebt ein Kennzeichen fr die Schçpfungen des dramatischen Genies berhaupt: „die strenge Folge in den Handlungen nach dem Gesichtspunkt der Causalitt.“ Also die genial aufgefaßte Welt zeigt einen strengen ausnahmelosen Zusammenhang der Motivation: sie enthlt nirgend die Freiheit. Und zwar macht das dramatische Genie diesen nothwendigen Zusammenhang vollkommen durchsichtig. „Wir mssen bei jedem Schritt den der Poet seine Personen thun lßt, bekennen, wir wrden ihn in dem nmlichen Grade der Leidenschaft, bei der nmlichen Lage der Sache selbst gethan haben.“ Das heißt doch: der Dichter soll die Motivation in der moralischen Welt nicht nur wahr auffassen, sondern auch so darstellen, daß sie vçllig durchschaubar wird. Zwei Grundzge im Charakter der Handlung machen dies mçglich. Oder vielmehr es ist derselbe Charakter der Handlung, in zwei verschiedenen Beziehungen zum Zuschauer angesehen, welcher hier hervortritt. Isolire ich die Wirkung der Handlung auf die bloße Intelligenz des Zuschauers, so ist der Charakter der tragischen Handlung jenes Aristotelische: „die Absicht der Tragçdie ist weit philosophischer als die Absicht der Geschichte.“ Gerade dieses tiefsinnigen Wortes bemchtigt sich Lessing und erklrt es dahin: „Auf dem Theater sollen wir nicht lernen was dieser oder jener einzelne Mensch gethan hat, sondern was jeder Mensch unter gewissen gegebenen Umstnden thun werde.“ Man kann nicht khner reden in dieser Beziehung. Der ganze Zusammenhang, der von der allgemeinen menschlichen Natur durch eine Reihe von Bedingungen hindurch bis zu einer einzelnen complicirten Handlung fhrt, soll uns zur Anschauung kommen. Die Handlung der Tragçdie soll also in die Sphre des Allgemeinen und Nothwendigen, des Philosophischen erhoben werden, und sie kann es, indem hier das allgemeine Gesetz der menschlichen Leidenschaften sich nur in einem besonderen Falle
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spiegelt. Eine weittragende Aussicht erçffnet sich hier: die Tragçdie soll uns nicht Leidenschaften ohne Erklrung vorfhren, welche schon in Flammen sind, nicht Charaktere ohne Erklrung, welche schon fertig sind. Eine Leidenschaft ohne ihre Beweggrnde bleibt uns fremdartig, auch in ihren erhabensten Wirkungen nur betubend; ein Charakter ohne seine Bedingungen bleibt uns rthselhaft, auch in seiner hçchsten Machtentfaltung ein erstaunliches Phnomen. Die Tragçdie soll uns in die Mitte der Bedingungen eines tragischen Charakters und in die Genesis seiner Leidenschaft versetzen. Lessing steht hier vor einer Reihe der wichtigsten Wahrheiten ber das Verhltniß von Poesie, Philosophie und Geschichte. Vielleicht wenn er heute mit seinem alten Interesse fr die Dichtung wiedererschiene, wrde er diese vor Allem entwikkeln, um ihrer praktischen Wirkung willen. Nichts hlt unsere Poesie mehr zurck, als die halbe Bildung der meisten Poeten. Ein großer Dichter muß auch ein großer Denker sein. Wie Lessing denn schon sehr verchtlich von der Poesie der jungen Leute sprach, welche mit der Jugendeselei zumeist vorbergeht, und wie er seinem Bruder vor Allem anrieth, Moral auf’s grndlichste zu studiren, wolle er berhaupt ein ertrgliches Stck schreiben. „Du hast zu wenig Philosophie,“ sagt er ihm ein anderes Mal. Aeschylus, Sophokles, Euripides, Racine, Schiller, jeder dramatische Dichter dessen Bildungsgang wir kennen, besttigt diese Wahrheit. Indeß wer will sie unseren dramatischen Dichtern sagen? Aber der Charakter der tragischen Handlung erscheint erst ganz in ihrer Wirkung auf die Gemthskrfte des Zuschauers. Denn unsere Relation zu Charakteren, ihren Leidenschaften und den aus ihnen fließenden Handlungen ist niemals blos Vorstellung, wir verstehen nur was wir in uns nachgeschehen lassen. Dies ist das fruchtbare Princip des Weltverstandes, der geschichtlichen Anschauung, des dramatischen Schaffens und Verstehens. Dieses Princip fhrt weit ber die glatte und abstrakte speculative Vorstellung der knstlerischen Anschauung hinaus. Auch die hçchsten Wirkungen der Kunst ruhen auf den Naturgesetzen unserer Affekte, nicht in einem abstrakten Vermçgen der Vorstellungen und der Ideen. Dies ist eine der tiefsten sthetischen Einsichten Lessing’s. Lessing entband diese Einsicht aus dem Studium des Aristoteles. Es liegt hier eines der merkwrdigsten Beispiele fr die Thatsache vor, welchen Vortheil in der Erklrung wahrhaft schwieriger Ideenzusammenhnge des Alterthums der Mitforschende vor dem Philologen voraus hat. „Die Tragçdie – sagt Aristoteles – ist die Nachahmung einer Handlung von wrdig bedeutendem Inhalt, durch handelnde Personen, nicht durch Erzhlung, welche vermittelst des Mitleids und der Furcht die Reinigung derartiger Leidenschaften hervorbringt.“ Also vermittelst des Mitleids und der Furcht wirkt die Tragçdie! Les-
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sing wußte, was Niemand vor ihm vermuthet hatte: Mitleid und Furcht sind hier Ein Begriff; „diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid.“ Und er fand zugleich die strenge Begrndung dieser genialen Interpretation durch eine Stelle im zweiten Buch der aristotelischen Rhetorik. „Alles das – sagt dort Aristoteles – ist uns frchterlich, was, wenn es einem Anderen begegnet oder begegnen sollte, unser Mitleid erwecken wrde, und alles das finden wir mitleidswrdig, was wir frchten wrden, wenn es uns selbst bevorstnde.“ Die ganze Tiefe des tragischen Mitleids ward durch diese Auslegung des großen Dichters aufgedeckt. Mitempfindung, Mitfreude und Mitleid, ein Miterzittern unseres Inneren, wie eine zweite Saite mittçnt, wo eine erste stark angeschlagen ist: dieses Urphnomen der menschlichen Seele – denn jede Zurckfhrung desselben auf andere psychologische Thatsachen halten wir fr vorlufig verfehlt – ist die elementare Thatsache auf welcher die Kunst des tragischen Dichters beruht. Indem Lessing in dem Mitzittern der Affekte in dem Zuschauer die elementare Thatsache erblickte auf welcher alle tragische Wirkung beruht, mußte er in der Handlung und den Charakteren selber die freie Bewegung der Leidenschaften vertheidigen. Auch hier ist ein Punkt, an welchem seine freie große Seele eine tief einschneidende sthetische Wahrheit sah, indem sie in das Gesetz ihrer selber blickte. Schon der Laocoon spricht berall aus, wie ihm der Stoicismus der rçmischen und franzçsischen Tragçdie zuwider war. Das Stoische – sagt er – ist untheatralisch. Unser Mitleiden ist allezeit dem Leiden gleichmßig, welches der interessirende Gegenstand ußert; Bewunderung ist ein kalter Affekt. Wie mußten solche Worte wirken, inmitten der abstrakten Moral jener Zeit, welcher jede Leidenschaft Snde war! Wie mußte das Wort des Philotas befreiend wirken, welches der Ausdruck des Lessing eigenen Lebensgefhls war: „ich bin ein Mensch und weine und lache gern.“ Das Mittel dessen sich, um so die reine Empfindung von Mitleid und Furcht hervorzurufen, der Dichter bedient, angesichts der sich durchkreuzenden Mannichfaltigkeit der wirklichen Welt, ist die dichterische Abstraktion. Die Natur nach ihrer unendlichen Mannichfaltigkeit ist nur ein Schauspiel fr einen unendlichen Geist. Ohne das Vermçgen aus dieser Mannichfaltigkeit abzusondern und die Aufmerksamkeit nach Gutdnken zu lenken, wrde es fr uns gar kein Leben geben. Die Bestimmung der Kunst ist, uns in dem Reiche des Schçnen dieser Absonderung zu berheben, uns die Fixirung unserer Aufmerksamkeit zu erleichtern. Sie zeigt uns ihren Gegenstand oder ihre Verbindung von Gegenstnden so lauter und bndig, daß nichts in ihnen ist, als was die Empfindung erregt, welche sie erregen soll. Ueberblicken wir die sthetischen Entdeckungen Lessing’s, so erscheint der schçpferische Grundgedanke derselben von einer ungemeinen Simplicitt.
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Und die Anschauung dieser großen Natur vereinfacht sich noch einmal, indem wir den Zusammenhang dieses Grundgedankens mit seinen dichterischen Schçpfungen, und beider mit seinem geistigen Naturell erblicken. Aus diesem erhob sich ihm, gegenber malender, musikalischer, philosophischer Poesie, gegenber gedrckter, ngstlicher, jede Empfindung herabstimmender theologischer Moral, gegenber einem kalten, aus Tugenden des Anstandes gebildeten dichterischen Ideal, die Grundconception: im Gegensatz zu der bildenden Kunst ist das Wesen der Poesie Handlung; diese Handlung stellt innere Vollkommenheit dar; diese innere Vollkommenheit oder der wahrhaft dichterische, weil wahrhaft menschliche und wahre Charakter erscheint in der freien Bewegung großer Leidenschaften. Demgemß reformirte Lessing die Aesthetik, weil sein freier Geist eine grçßere Anschauung mçglicher dichterischer Wirkungen in sich, in den Alten, in Shakespeare fand als sie seine Zeit kannte. Ein solcher Kopf mußte wohl Dichter und Kritiker zugleich sein. Wenn er ablehnte ein dichterisches Genie zu sein, so sprach sich darin nur die Empfindung aus, daß keins seiner Werke die Anschauung mçglicher dichterischer Wirkungen die er in seiner großen Seele trug erreichte. Aber die irren sehr, welche in Gçthe’s oder Schiller’s Tragçdie diese seine Anschauung verwirklicht glauben. Noch ist die Tragçdie nicht in Deutschland gedichtet in der sein Ideal erfllt wre. Hier erscheint nun der Zusammenhang seiner Dichtungen und seiner sthetischen Entdeckungen mit seinen nunmehr folgenden theologischen und philosophischen Forschungen. Ein neues Lebensgefhl – wenn dieser Ausdruck gestattet ist – trug ihn und rang in seinen Werken nach vollem Ausdruck. Seine vollste zugleich und seine friedlichste Verkçrperung wird immer in der Dichtung sein. Aber das deutsche Publikum jener Zeit war so vollgepropft von theoretischen Lebensansichten, die auf wissenschaftliche Systeme und geltende Lehrermeinungen gegrndet waren, Moral, Theologie, philosophische Aufklrung waren so in jede Pore unserer Nation gedrungen, daß dies neue Lebensgefhl, wenn es nicht wie in Klopstock sich mit allen wissenschaftlichen Vorurtheilen vertragen und so in dumpfe Enge sich absperren lassen wollte, sich aus einander setzen mußte mit den wissenschaftlichen Grnden der bis dahin herrschenden Weltansicht. Wie wahr dies ist, zeigt die Thatsache, daß das hçchste dichterische Werk Lessing’s, der Nathan, aus der Reife der wissenschaftlichen Begriffe entsprang. Wer Minna von Barnhelm sah, der empfand sicher mit Entzcken, mit vollstem Behagen die neue Zeit; wer Nathan las, der lernte sie begreifen, lernte ihr Mitbrger zu sein. Von der Begrndung der knstlerischen Form unserer classischen Epoche durch Lessing wenden wir uns zu der Begrndung ihres Gehalts: von seiner ersten Lebenshlfte zu der zweiten.
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Die sittlichen Begriffe, die Lebensideale, die Weltansicht welche er vorfand: Alles stand unter dem Einfluß der Theologie, der orthodoxen oder der aufgeklrten. Mußte er sich nun mit der vorhandenen wissenschaftlichen Reflexion auseinandersetzen, um sein Lebensideal im Andrang der abstrakten Begriffe zu schtzen und frei zu entwickeln: so konnte dies ganz grndlich und fundamental nur geschehen, indem er sich mit der gesammten Theologie auseinandersetzte. Nur dadurch konnte er die Ueberzeugungen des Brgerstandes, die Begriffe der Gelehrten grndlich reformiren, die Nationalbildung selber leiten. Er bebte nicht vor diesem Wagniß, vor der Grenzenlosigkeit dieses Studiums zurck. Lessing’s Jugendentwickelung unterscheidet sich von der Gçthe’s und Schiller’s nicht am wenigsten durch ein starkes theologisches Interesse. Er wuchs in der Zeit auf, in welcher die ganze deutsche Bildung theologisch war. Er selber ging von der Theologie aus und fand in ihr, wie sie zwischen Geschichte, Philologie und Philosophie gestellt ist, einen combinatorischen Zug, wie er seinem Geiste zusagte. Daher einzelne gelehrte theologische Arbeiten ihn immer wieder beschftigten. Aber mehr noch: man mußte sich damals mit ihr auseinandersetzen ber diejenigen Fragen welche fr die Richtung unseres Lebens selber entscheidend sind. Diese Auseinandersetzung geschah sehr frh. Er selber hat sich einmal darber ausgesprochen wie bald man mit den Studien fertig sei, welche die Frage unserer Bestimmung betreffen. Als Merkzeichen dieser Auseinandersetzung sind drei Aufstze vorhanden. „Ueber die Herrnhuter,“ „das Christenthum der Vernunft,“ „die Entstehung der geoffenbarten Religion.“ Schon Guhrauer hat nachgewiesen, daß alle drei dieser frhen Lebensepoche Lessing’s angehçren. Hebler geht weiter; er sucht ihre chronologische Folge aufzuzeigen und begrndet auf dieselbe einen Entwickelungsgang der religiçsen Forschungen Lessing’s. So erwnscht die Auffindung eines solchen wre, finde ich doch Hebler’s Grnde durchaus nicht berzeugend. So mssen wir uns mit der Thatsache begngen: Lessing forscht bald in den Mysterien des Christenthums, um ihren Vernunftgehalt zu gewinnen; bald scheidet er die allgemeine Vernunftreligion von den verschiedenen Zustzen, durch welche aus ihr positive Religionen entstehen; bald begngt er sich, einfach auf den praktischen Gehalt des Christenthums zu verweisen: hier von Leibnitz lernend, dort von der franzçsischen Aufklrung, da von dem Gemthschristenthum angeregt, nirgend noch er selber. Erst in Breslau begann er Spinoza, Leibnitz, die Kirchenvter zu studiren: eine neue Welt that sich ihm auf. Die entscheidende Thatsache war diese, daß unter dem Einfluß der beiden großen Denker des siebzehnten Jahrhunderts eine eigene positive Weltansicht sich in ihm auszubilden begann, welche der Weltansicht der theologischen Aufklrung vçllig heterogen war. Hiervon war
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die nchste Folge, daß er in dem Streit zwischen Orthodoxie und Aufklrung eine ganz neue, eine seine Freunde mit Erstaunen erfllende Stellung einnahm. Er that das nicht auf Grund religiçser Impulse, sondern seiner an Leibnitz und Spinoza entwickelten philosophischen Einsichten. Lessing ist der erste deutsche Kopf, welcher dem Schema der Welt im Geist der theologischen Aufklrung den Rcken kehrte; er ist der erste, der auf Grund hiervon wie nach ihm Schleiermacher, Schelling, Hegel sich auf eine eigene, tiefere Weise mit dem Christenthum auseinandersetzte. Vor dieser Zeit seines Studiums der beiden genannten Denker finde ich keine Spur, daß er der Aufklrung neue Begriffe entgegengesetzt htte. Als dasselbe ihn dann lehrte, gewisse tiefsinnige Anschauungen des Christenthums – wie er sich ausdrckte – „wiederzuholen,“ nachdem er sie gleich seinen Freunden verworfen hatte: war dies keineswegs ein vorbergehendes Liebugeln mit der Orthodoxie, sondern ein bleibendes, tieferes Verstndniß der letzten Motive des christlichen Dogma. Weil er seit jenen beiden Denkern der erste war, welcher aus den tiefsten Beweggrnden der menschlichen Natur eine selbstndige positive Weltansicht ausbildete: darum verstand er auch, als der erste, die Motive des christlichen Dogma, wie es sich in einer ungeheuren Erschtterung des menschlichen Gemthslebens ausgebildet hatte; weil Schleiermacher, Fichte, Schelling, Hegel Fortbildungen dieser positiven Weltansicht unternahmen, darum setzten sie auch dies neue Verhltniß zum christlichen Dogma fort. Dies ist die geschichtliche Stellung Lessing’s, welche allein sein Verhltniß zur Aufklrung und Orthodoxie erklrt. Schwarz bezeichnet dasselbe nicht richtig, wenn er sagt, „daß er fr die Orthodoxie nur ein formelles Interesse hatte, sich an diesem großartigen Gebude aus Einem Styl in seinem antiken Formsinn erfreute, daß er aber ihrem Inhalt vçllig abgewandt war“ (S. 41). Ja wenn er sagt, Lessing habe sich „nur an die F o r m der Orthodoxie accomodirt:“ so weiß ich gar nicht mehr, was das berhaupt sagen will. Das Umgekehrte wre etwa eben so richtig oder auch unrichtig. Die positive Beziehung Lessing’s zur Orthodoxie geht davon aus, daß er vermçge seiner eigenen Weltansicht die Motive solcher Lehren, wie die von den ewigen Hçllenstrafen, von der Dreieinigkeit, zu begreifen im Stande war. Das ist doch wohl ein Verhltniß zum Inhalt des positiven Christenthums. Dagegen wßte ich wahrhaftig nicht, was dieser große analytische Kopf an der systematischen Gestalt der Orthodoxie gelernt htte oder htte lernen drfen: gelegentlich, da sein Bruder dies System als ein Flickwerk von Stmpern bezeichnet, weist er ihn auf den immensen Scharfsinn hin, der hier thtig war, aber folgt hieraus daß sein „antiker Formensinn“ zu diesem Inbegriff falscher Methodik ein Verhltniß hatte? Glcklicher Weise nicht. Es wre dieses großen methodischen Kopfs nicht wrdig.
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Lessing also – sagen wir – verstand vermçge seiner eigenen Weltansicht die Motive christlicher Dogmen, welche die Aufklrung rundweg verworfen und durch andere ersetzt hatte. In dem aufgeklrten System des Christenthums giebt es keine wichtigeren Ueberzeugungen als die Lehre von Gott und der Unsterblichkeit. Und zwar setzt dasselbe in Betreff der ersteren an die Stelle des christlichen Mysteriums von dem Dreieinigen den Begriff eines jenseit der Welt befindlichen, dieselbe von außen leitenden vollkommensten Wesens. In Betreff der zweiten an die Stelle der von der Orthodoxie einseitig aus dem Christenthum der lteren Zeit hervorgehobenen Lehre von der Ewigkeit der Strafen die dem Christenthum ebenfalls eigene von der Wiederbringung alles Willens zum Einklang mit dem ewigen Willen. In Bezug auf diese beiden Punkte stellte nun Lessing gegen die einstimmigen Urtheile der aufgeklrten Theologen seine einsame Stimme. Seine ernste Ueberzeugung, den ersten Punkt betreffend, welche den Kern seiner Abhandlung gegen Eberhard ausmacht, spricht er brieflich so aus (12, 399): „ich wrde mich von der Hauptsache gar nicht abbringen lassen, nemlich davon: die Hçlle welche Herr Eberhard nicht ewig haben will ist gar nicht und die welche wirklich ist, ist ewig.“ Das ist genau die Lehre, welche Herbart in seiner Theorie von dem nothwendigen zuknftigen Zustande der Seelen erneuert hat. Ueber den zweiten Punkt drfen wir Lessing’s ernste Ueberzeugung in dem berhmten §. 73 der Erziehung des Menschengeschlechts suchen, welchen sptere Denker fr das tiefste erklrt haben, was Lessing geschrieben habe. Er ist in dem Aufsatz ber den Streit zwischen Leibnitz und Wissowatius sehr zurckhaltend; aber klar und einleuchtend ist, daß die socinianische Lehre von Christo als einem Mittelwesen ihm als eine seichte Entstellung erscheint, welche in der Philosophie wie in der Theologie auf halbem Wege stehen bleibt, ein wahres Muster der neuesten theologischen Aufklrung. Dagegen kann seine positive Ueberzeugung erst aus der Erziehung des Menschengeschlechts ganz gewrdigt werden. Die ganz neue Stellung welche Lessing einnahm war nun wie jeder eigene Standpunkt sehr vielseitig. Von seinen praktischen Absichten hing ab, welche Wendung er ihr geben wollte. Die genannten beiden Schriften operiren von einer ganz gedeckten, fr niemanden bersehbaren Stellung aus gegen die Aufklrung. Den Beweggrund dieser Polemik hat er so klar ausgesprochen als man wnschen kann. Wir haben bemerkt wie er sich zu einer selbstndigen Weltansicht erhoben hatte. Indem er an diese die der theologischen Aufklrung hielt, entdeckte er in der letzteren – er zuerst – einen willkhrlichen, vor dem strengen Gedanken unhaltbaren Vertrag zwischen dem christlichen System und der Philosophie. Dieser Vertrag verletzte sowohl die Rechte des Denkens als die des Christenthums. War die Orthodoxie ein offener Feind der Wissenschaft gewesen, so
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drngte sich hier ein heimlicher heran, welcher die Vernunft zu bestechen versuchte. Die Lage der Wissenschaft ward hierdurch, verglichen mit ihrer Stellung zur Orthodoxie, nur verschlechtert. „Mit der Orthodoxie war man, Gott sei Dank, ziemlich zu Stande, man hatte zwischen ihr und der Philosophie eine Scheidewand gezogen, hinter welcher eine jede ihren Weg fortgehen konnte, ohne die andere zu hindern. Aber was thut man nun? Man reißt die Scheidewand nieder und macht uns unter dem Vorwande uns zu vernnftigen Christen zu machen zu hçchst unvernnftigen Philosophen.“ – „Meines Nachbars Haus (die Orthodoxie) droht ihm den Einsturz. Wenn es mein Nachbar abtragen will, so will ich ihm redlich helfen. Aber er will es nicht abtragen, er will es mit gnzlichem Ruin meines Hauses“ (der Wissenschaft) „sttzen und unterbauen. Das soll er bleiben lassen oder ich werde mich seines einstrzenden Hauses so annehmen als meines eigenen“ (Brief vom 8. April 1773, vom 2. Februar 1774). Diese erste theologische Thtigkeit Lessing’s auf Grund seiner dargestellten neuen Stellung zum Christenthum, enthielt in sich eine große Wahrheit welche er beibehielt, und ein absichtliches oder unabsichtliches Uebersehen von Thatsachen, das er sofort gut machte. Die große Wahrheit war die von der nothwendigen Trennung der Theologie und Philosophie. Der Ueberzeugungsgrund fr religiçse Wahrheiten ist ein anderer als der fr philosophische Wahrheiten. Diese wichtige Einsicht wurde ihm an dem vernnftigen Christenthum der Aufklrung deutlich, von dem er witzig bemerkte, daß man leider eigentlich von ihm weder wisse wo ihm die Vernunft noch wo ihm das Christenthum sitze. Die bersehene Thatsache war diese, daß das orthodoxe System mit der Philosophie allen Hauptproblemen des menschlichen Daseins und des Weltzusammenhanges gegenber collidirt, daß demgemß dies System niemals jenseits seiner Scheidewand die Wissenschaft frei operiren lassen kann. Entweder seine Begriffe sind die richtigen oder die der Wissenschaft. Religion, Christenthum stellen sich dem tieferen Studium in solcher Gestalt dar, daß die Wissenschaft frei neben ihnen schaltet, daß beide sich ergnzen; sie sind Lebensmchte welche einander bedrfen, einander sttzen im Kampf gegen den Egoismus, den daraus folgenden Utilismus des innerlich unerzogenen Menschen, wie §. 79 §. 80 der Erziehung des Menschengeschlechts dies mit genialem Tiefblick begrndet; aber die Orthodoxie und die Wissenschaft widersprechen sich ewig, ja sie kmpfen einen Kampf um ihr Dasein, nur eines von ihnen kann leben. Denn sie lçsen dieselben Fragen durch einander unmittelbar und berall widersprechende Begriffe. Ich sagte: er bersah diese Thatsache, absichtlich oder unabsichtlich. Genauer beleuchtet, scheint kaum ein Zweifel daß das erstere der Fall war. Er
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wollte mit gedecktem Rcken gegen die theologische Aufklrung kmpfen, es war eine erlaubte Klugheit sich nicht zwei Feinde zugleich zu schaffen. Und dieser Klugheit kam seine leidenschaftliche Abneigung gegen die seichte Aufklrung zu Hilfe, welche ihm diese eine Zeit lang als das grçßere Uebel erscheinen ließ gegenber der Orthodoxie. Wie lange diese Zeit dauerte, wann sie endete, kçnnen wir nicht sagen. Als Lessing die Fragmente des großen Werkes von Reimarus herausgab, gab er sich auch hier noch den Anschein, die Spitze seines Angriffes sei gegen die neumodischen Theologen gerichtet. Aber glaubte er ernstlich, daß dieser Anschein die Orthodoxie ber die Thatsache tuschen werde, daß ihre Existenz selber, wie durch keinen frheren Angriff, bedroht sei? Sicher nicht. Trotzdem dachte er, als er die Fragmente publicirte, an einen Kampf mit der Orthodoxie doch hçchstens wie an eine Folge die sich nicht vermeiden lassen wrde. Ihn bewegte etwas ganz Anderes. Dieser scharfsinnigste Angriff der je gegen den ganzen Zusammenhang des Christenthums gemacht worden war, beschftigte seinen eigenen Geist unablssig seitdem er ihn kennen gelernt hatte. Von seiner Verçffentlichung hoffte er eine mchtige Fçrderung der großen Streitfrage des Christenthums. So bestimmte ihn zu der Verçffentlichung, ganz seinen feierlichsten Versicherungen entsprechend, das reine Motiv der Wahrheit durch sie einen Dienst zu thun. Nicht darum war es ihm damals zu thun, die Orthodoxen ber ihre Grenzen auf den Kampfplatz zu locken. Um die große Frage selber handelte es sich fr ihn. Achteten aber die Vertheidiger des Kirchenglaubens die Grenzen freier wissenschaftlicher Forschung nicht, so war er auch darauf durch Jahre lange einsame Studien gerstet. Dies war wohl, soweit briefliche Mittheilungen erkennen lassen, das wahre Motiv dieser Herausgabe der Fragmente. Erwogen unter welchen persçnlichen Verhltnissen er ihn that, erscheint er als die schçnste und mnnlichste Handlung in diesem großen Leben. Er wußte daß sein ganzes folgendes Leben unter den Wirkungen dieser Handlung stehen wrde, und er war darauf vorbereitet. Der Wille dieser Herausgabe stand in ihm schon fest, bevor er noch jene beiden Abhandlungen gegen die Aufklrung geschrieben hatte. Er brachte die Schrift gleich als er nach Wolfenbttel ging von Hamburg dorthin mit. Trotz Nikolais und Mendelssohns Abrathen war er entschlossen sie ganz in Berlin drucken zu lassen. Auch als die Berliner Censur ihr vidi verweigerte, konnte das seinen festen Willen nicht erschttern. Er benutzte die Censurfreiheit seines Amtes um wenigstens die einzelnen Bruchstcke an’s Tageslicht zu bringen. So erschien 1774 das erste, sehr gemßigte Fragment, das unbeachtet blieb, dann 1777 jene Serie, in welcher ein Fragment die Unmçglichkeit einer Offenbarung die alle Menschen auf eine gegrndete Art glauben kçnnten, behandelte, ein anderes die Unmçglichkeit daß die Bcher des A. Test. geschrie-
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ben seien eine Religion zu offenbaren, ein drittes die Unglaubwrdigkeit der Auferstehungsgeschichte. Der Kampf um die wissenschaftliche Haltbarkeit aller Grundlagen der Theologie war damit erçffnet: allen Parteien der bisherigen Theologie der Fehdehandschuh hingeworfen. Also soweit wir sehen kçnnen gab die Ueberzeugung daß die große Frage des Christenthums in freier Forschung ausgetragen werden msse, Lessing den festen Entschluß ein auf jede Gefahr den Angriff von Reimarus gegen das Christenthum zu publiciren. Dieser Satz bedarf einer Ergnzung. Lessing war nicht ein Kopf unter der staunenden Masse welche erwartete, welchem von beiden Ringern der Sieg zu Theil werden wrde. Er war noch weniger, weit weniger ein heimlicher Anhnger von Reimarus, der zu Scheinkmpfen herausforderte gegen einen Unverwundbaren. Wir sind im Stande nachzuweisen, daß er als die Fragmente gedruckt wurden bereits in tiefem Studium dieser Schrift, die ihn Jahre lang insgeheime beschftigt hatte, eine zusammenhngende Anschauung ber Religion, Christenthum, Kirche und Rechtglubigkeit ausgebildet hatte, welche den Hintergrund seiner nunmehr folgenden Polemik bildete. Diese Thatsache ist von Wichtigkeit, weil sie beweist, daß die lange Polemik in welche er mit Gçtze verwickelt ward ihm allerdings, wie er das çfter ausspricht, lstig sein mußte: er hatte Ernsteres und Grçßeres im Hinterhalt, und es war nicht seine Schuld wenn es im Hinterhalt blieb. Wir sind ferner im Stande nachzuweisen, daß diese seine zusammenhngende Ansicht allerdings mit der von Reimarus in scharfem Gegensatze stand. Die Schrift von Reimarus hat nichts zu thun mit den Begrndungen eines aufgeklrten Christenthums wie sie damals den çffentlichen Geist beherrschten, Lessing aber als Halbwahrheiten so scharf abstießen. Sie ist gegen das Christenthum und seine Geltung gerichtet, sans phrase. Die Offenbarung ist unglaubwrdig. Denn es ist undenkbar daß die Gottheit auf dem Weg welchen diese Offenbarung nimmt, den Menschen Wahrheiten htte mittheilen wollen deren sie zu ihrer Seligkeit bedrfen. Dieser Weg ist der einer Mittheilung an einzelne Menschen. Wre auch diese Mittheilung permanent, so hinge doch ihre Annahme an einer vorsichtigen Prfung der Zeugen, deren Resultat immer problematisch sein wird. Nun ist aber dieser Weg weiter der einer Mittheilung nur in gewissen Perioden. Hier wrde selbst aus der grçßten Sicherheit im Lauf der Zeiten nur Wahrscheinlichkeit, weiter hinaus nur Sage. Und nun endlich findet sich, daß, inmitten des Anspruchs aller mçglichen Nationen auf glaubwrdige Offenbarungen, Eine vorliegt, die von Einem Punkt aus sich nur sprlich und in langen Fristen ausbreitet. Ein solcher Weg, gewhlt anstatt allgemeiner Mittheilung im Herzen aller Menschen, widerspricht der Gte, der Weisheit Gottes. Die zweite These: weder das alte noch das neue Testament tragen den Cha-
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rakter der Offenbarung an sich. Das Alte nicht: denn es enthielt nicht einmal die fr Tugend und Beseligung der Menschen nothwendigsten Einsichten von einem zuknftigen Leben und seiner Vergeltung. Auch das Neue nicht: denn eine kritische Prfung der Evangelien ergiebt das Resultat daß Jesus von Nazareth sich in den Grenzen der jdischen Religion fr den Messias der Juden hielt, den Anbruch des messianischen Reichs unter seinem Kçnigthum erwartete, in diesem Sinne in Jerusalem feierlich einzog, gegen die officiellen Machthaber çffentlich auftrat und in diesem Kampf das Leben verlor; aus der anfnglichen Hoffnungslosigkeit der Jnger erhob sich dann ihre Lehre von dem leidenden geistlichen Erlçser. Die Thatsache der Auferstehung kann dieser Auffassung gegenber nicht geltend gemacht werden, weil noch Spuren vorhanden sind daß es mit dieser sehr natrlich zugegangen. Dies was Lessing aus der Schrift von Reimarus verçffentlicht hat. Das Ganze hat Strauß spter im Auszug zugnglich gemacht. Nun die Antithese Lessing’s wie sie sich im einsamen Studium des Werkes bildete. Man verzeihe hier eine vorlufige kritische Bemerkung. Aber warum hat auch niemand von denen die viele Bogen fr Lessing’s Theologie zur Verfgung hatten hier die nçthige kritische Grundlage gegeben? Was wissen wir von Lessing’s bisherigen theologischen Vorbereitungen? Diese Studien, sofern sie eine ernstliche Beschftigung mit den Kirchenvtern unnachlßlich fordern, fallen erst in seine Breslauische Epoche. Der sehr zuverlssige Bericht Klose’s (bei Karl Lessing I, 246) sagt: „in den langen Jahren seines Aufenthalts in Breslau fing er an mit theologischen Studien sich zu befassen. Er machte einen Entwurf zu einer großen Abhandlung von den Verfolgungen und Mrtyrern der Christen und that einem Freunde den Vorschlag die Kirchenvter gemeinschaftlich zu lesen.“ Karl Lessing verlegt die Abhandlung ber die Elpistiker in diese Zeit, er bemerkt bereits daß dieselbe nicht nach 1764 entworfen sein kann, weil Heumann’s hier als eines Lebenden gedacht wird; zugleich spricht hierfr die Anekdote (Karl Lessing I, 230) auf welche Weise er den guten Leuschner auf der Breslauer Bibliothek in Verlegenheit brachte, gegen dessen Schrift er frher geschrieben. Ebenso drfen wir aber nach dem obigen Zeugniß, die Untersuchung Lessing’s „von der Art und Weise der Fortpflanzung und Ausbreitung der christlichen Religion“ in diese Breslauische Zeit setzen. Denn sie ist nichts anderes als die „große Abhandlung von den Verfolgungen und Mrtyrern der Christen.“ Hiermit stimmt, daß Lessing seinen 1760 geschriebenen Sophokles citirt und daß ihm noch derselbe, bei einer ganz heterogenen Materie, in’s Gedchtniß kam, ebenso daß Justin sehr eingehend benutzt ist, von dessen besonderem Studium Klose Erwhnung thut. Demgemß sehen wir in dieser Breslauer Zeit die Anlage weitlufiger Untersuchungen ber das lteste Christenthum, auf dem Grunde eines eingehenden
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Studiums der Kirchenvter. Die zweite Abhandlung hat die gleiche Tendenz mit jenen berhmten Capiteln Gibbons, welche mehr als ein Jahrzehnt spter publicirt wurden und ganz England in Bewegung setzten: die Ausbreitung der christlichen Kirche pragmatisch zu erklren und damit der Ueberzeugung von einer bernatrlichen Macht im Christenthum eine ihrer Hauptsttzen zu entziehn. Beide Abhandlungen beschftigen sich eingehend mit der disciplina arcani, ein Problem das sehr nahe bei dem spteren der regulia fidei liegt. Das ging alles voraus, lange bevor Lessing die Schrift von Reimarus in Hamburg erhielt. Nun regte diese ihn auf. Seit 1770 lebte er dann in der Wolfenbttler Einsamkeit unter den Schtzen der ungeheuren Bibliothek und konnte also in Muße die alten Studien fortsetzen um die neuen nunmehr so viel tiefer greifenden Zweifel zu lçsen. Eine Art von vorlufiger Revue seiner Resultate haben wir in den ungemein merkwrdigen „Theses aus der Kirchengeschichte“ mit denen keine bisherige Untersuchung ber Lessing etwas zu beginnen wußte. Die eine Hlfte des Inhalts dieser Schrift ist ihr mit der neuen Hypothese ber die Evangelisten gemeinsam; die andere mit den berhmten Thesen in der „nothwendigen Antwort.“ Und zwar kann kein Zweifel darber sein, daß die Thesen schon vor Lessing auf dem Schreibtisch lagen als er die beiden genannten Schriften entwarf. An der „neuen Hypothese“ arbeitete er nun schon im December 1777 (12, 497 vgl. 501); die nçthige Antwort ist vom folgenden Jahr; also gengt nachzuweisen, daß die Theses lter sind als die Hypothese. Und das kçnnen wir. Die Theorie der Thesen zeigt eine bemerkenswerthe Abweichung in der Annahme eines ganz kurzen Urevangeliums das nichts als eine Auslegung prophetischer Stellen gewesen war. Diese Annahme erinnert sehr an gewisse Ansichten von Reimarus und zeigt die Lessing’sche Hypothese in ihrer Entstehung. Auch die kunstvolle Composition der „Hypothese,“ verglichen mit der einfachen historischen Zusammenstellung der Theses, selbst Differenzen wie die, daß in den Thesen das lteste Evangelium mindestens 16 Jahre nach Christi Tod angesetzt wird, in der neuen Hypothese aber, wohl auf Grund der historischen Notiz von der Abfassung des Matthus vor der Missionsreise, mindestens 30 Jahre darnach, was dann an einer Stelle der spteren Schriften festgehalten wird – das alles lßt an dem wahren historischen Verhltniß keinen Zweifel. Demgemß war die historische Grundansicht Lessing’s von der Entwickelung der ersten christlichen Jahrhunderte so gut als fertig, bevor noch Angriffe ihn nçthigten in ihr einen Schutz gegen das Lutherthum zu suchen. Mit dem Anfang 1777 erschienen die Fragmente. Gegen Ende dieses Jahres geht dann die „neue Hypothese“ ihrer Vollendung entgegen. Die Angriffe von Schumann und Gçtze erschienen erst 1778. Im Juli dieses Jahres 1778 verçffentlichte er dann den Inhalt der zweiten Hlfte der Thesen in der „nçthigen Antwort“ um sich gegen die lutherische Orthodoxie zu schtzen.
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Wir haben es also hier keineswegs mit einer sophistischen Streitwendung zu thun; es war auch hier Lessing sehr ernst mit dem was er sagte. Eine tief berlegte aus unbefangenem historischem Studium entsprungene Theorie gab er hin wie einen Fechterstreich, ja behandelte sie in seinen eigenen Briefen so. Nun endlich also das interessante Resultat, die Antithese Lessing’s gegen Reimarus, wie sie fertig war, bevor noch irgend ein Gegner sich hatte vernehmen lassen, irgend ein Angriff auf ihn eingewirkt hatte, irgend ein Schrei der Entrstung ihn htte einschchtern kçnnen. Diese Antithese ist Vertheidigung zugleich und Angriff: Vertheidigung des Christenthums, Angriff gegen die Gestaltung welche dasselbe im bisherigen Protestantismus erhalten hat. Es ist durchaus keine rhetorische Wendung wenn er mehrmals, mit Leidenschaft, den Genius Luther’s fr sich aufruft gegen die historische Gestalt des Lutherthums. In der wahren Tiefe des protestantischen Geistes sucht er ein neues Fundament des Protestantismus, so scharf, so offen und gerade daß die Aufklrungstheologie seiner Zeit davor erschrak. Fr den Christen – so sagt Lessing – hat sein Glaube eine unmittelbare Gewißheit welche durch keine Grnde verstrkt, durch keine Grnde erschttert werden kann. „Was gehen den Christen der gelehrten Theologen Hypothesen und Erklrungen und Beweise an? Ihm ist es doch einmal da, das Christenthum, welches er so wahr, in welchem er sich so selig fhlet. Wenn der Paralyticus die wohlthtigen Schlge des elektrischen Funkens erfhrt, was kmmert es ihn ob Nollet oder ob Franklin oder ob keiner von beiden Recht hat?“ (10, 10). Verstehen wir Lessing recht? Es ist der im Pietismus zuerst durchgebildete Gedanke daß die Evidenz des Glaubens auf der inneren Erfahrung beruhe. Nur daß Lessing der Grenzen dieser Evidenz sich genau bewußt ist. Eine Erfahrung vermag nicht die Andere zu widerlegen, sie treten frei nebeneinander. In dem Hintergedanken des Pietismus, das Beglckende in allen anderen, von den seinigen abweichenden Ueberzeugungen werde und msse sich als eine Tuschung erweisen, und geschehe es auch erst in der Todesstunde, bersteigt dieser Ueberzeugungsgrund sich selber und im Gemthsleben bildet sich eine anmaßende Willkr und Subjektivitt, die anderen Gemthszustnden gegenber beleidigend oder lcherlich wird. Wo aber die innere Erfahrung sich der Grenzen ihrer Evidenz bewußt ist, da ist sie in ihrem Rechte. In diesem Sinn hat Gçthe, ganz bereinstimmend mit Lessing, in den Bekenntnissen einer schçnen Seele dieses ewige Recht derselben ausgesprochen. „Ich kann – so lßt er sich den Glauben ußern – von der Realitt meines Glaubens berzeugt sein. Warum sollte er nicht einen gçttlichen Ursprung, nicht einen wirklichen Gegenstand haben, da er sich im Praktischen so wirksam erweist? Werden wir durch’s Praktische doch unseres Daseins selbst erst recht gewiß.“ Es ist wichtig
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zu erkennen, wie Lessing sich der Macht wie der Grenzen dieser der inneren Erfahrung eigenen Evidenz ganz klar bewußt ist. Er vertheidigt seinen Satz an mehreren Stellen gegen Gçtze, in dem er an die E i n s c h r n k u n g desselben erinnert; diese Evidenz sei dem Christenthum brig, wenn jede andere Art von Begrndung versagen sollte; dann „bliebe dennoch die Religion in den Herzen derjenigen Christen unverrckt und unverkmmert, welche ein inneres Gefhl von den wesentlichen Wahrheiten erlangt haben“ (10, 127); denn ein jeder von diesen „fhle, daß ihn dieser christliche Lehrbegriff beruhigt“ (10, 160). Zugleich aber deutet er auch die M a c h t dieser rein subjektiven Evidenz, verglichen mit jeder Begrndung durch den Gedanken, an, wenn er sagt, ein solcher „f h l e wo andere sich zu denken b e g n g e n “ (10, 150). Unbertrefflich spricht Lessing beides, die Begrenztheit wie die Gewalt dieses Ueberzeugungsgrundes in dem Worte aus, daß unter seinem schtzenden Schilde eben nur ein einzelner Mensch, die Religion im Herzen, Raum habe (10, 163). Treten wir nun aus diesem Kreis der subjektiven Evidenz heraus: giebt es fr das Christenthum eine andere? In den Collektaneen zur Literatur (11, 371) sagt Lessing: „Wider die vielen Werke welche in neuerer Zeit fr die christliche Religion herausgekommen, gilt es, daß sie nicht allein sehr schlecht beweisen, was sie beweisen sollen, sondern auch dem Geiste des Christenthums ganz entgegengesetzt sind, als dessen Wahrheit mehr empfunden sein will, als anerkannt, mehr gefhlt als eingesehen. Dieses zu erhrten mßte man zeigen, daß die fr die Religion geschriebenen Werke der Kirchenvter nicht sowohl Behauptungen derselben als blos Vertheidigungen gegen die Heiden gewesen sind. Sie suchten die Grnde gegen sie zu entkrften, aber nicht unmittelbar Grnde fr sie festzusetzen.“ Also noch einmal die Frage: welchen Gebrauch kann die Begrndung des Christenthums von der wissenschaftlichen Evidenz, der Evidenz des Gedankens machen? Fr die Begrndung – scheint die Antwort – keine; nur fr die Abwehr wissenschaftlicher Angriffe. Ganz in diesem Sinn sagt dann Lessing bei der Publikation der Fragmente, an Vernunftwahrheiten Offenbarungswahrheiten anfgen, sei nicht anders als die Chiromantie an die Mathematik anfgen: Chiromantie und Offenbarung „grnden sich beide auf Zeugnisse und Erfahrungsstze;“ ihre Evidenz bleibt in alle Ewigkeit eine andere als die von Vernunftwahrheiten (10, 17). Ja da nunmehr weiter alle schriftliche Ueberlieferung innere Wahrheit nicht ersetzen kann (10, 10): so bleibt auch hier die ganz subjektive Evidenz der inneren Erfahrung der Ueberzeugungsgrund fr das Christenthum. Aber wie? Wir retten das persçnliche Christenthum, doch wir lassen Theologie, ja die Kirche, welche eines objektiven Ueberzeugungsgrundes zu bedrfen scheint im Stich! Ich zweifle keinen Augenblick daß Lessing ber die Un-
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mçglichkeit einer wissenschaftlichen Evidenz fr die Wahrheit des Christenthums schon damals vçllig im Reinen war. Wenn er der Vernunft offen hielt, eine Demonstration vorzulegen, daß eine Offenbarung sein kçnne, sein msse, welche es sei: so spielt dabei eine gutmthige Ironie um seine Lippen. Ueber die Bedingungen einer Kirche in seinem Zeitalter ergab sich ihm wohl auch spter durchaus kein positives Resultat, wenigstens findet sich keine Spur davon in Schriften oder Briefen; und wenn Gervinus sagt, htte Lessing lnger gelebt, htte sein Zeitalter fr kirchliche Dinge Sinn gehabt, so wrde er vielleicht dem Protestantismus von populrer constitutiver Seite eine neue Entwickelung gegeben haben, so wrde er uns durch Mittheilung einer Stelle verbinden, in welcher Lessing irgend ein Interesse fr die Bedingungen einer Kirchengrndung im Zusammenhang mit seiner Reform der Religionsanschauungen zeigte. Nichts lag Lessing ferner als das. Also er hielt sich auf der Linie der Vertheidigung. Seine Vertheidigung wollte nur das persçnliche Christenthum schtzen. Ein Angriff lag vor, welcher die Mçglichkeit der Offenbarung berhaupt, die Mçglichkeit daß das Judenthum, daß das Christenthum eine solche enthielten verneinte. Diesem Angriff gegenber ersann er die Hypothese von der Erziehung des Menschengeschlechtes; auch sie war in ihm fertig als er die Fragmente publicirte. Gott selber hatte nur die Wahl zwischen den Wegen die in der Ordnung der Welt Raum hatten; er whlte den besten, nicht den unbedingt guten, einen Weg auf welchem die Wahrheit allmhlich an alle kommt, freilich nur allmhlich, nur durch eine Reihe von Entwickelungsstufen, aber endlich doch an alle. Der Grundgedanke des Schlusses der Erziehung welcher damals noch nicht publicirt war, der Gedanke daß jeder einzelne Mensch die Bahn zu durchlaufen habe, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelange, ist die Lçsung des Problems welches Reimarus aufgab, und das Lessing hinreißend aussprach: „Weh dem menschlichen Geschlecht wenn in dieser Oekonomie des Heils auch nur eine einzige Seele verloren geht. An dem Verlust dieser einzigen mssen alle den bittersten Antheil nehmen, weil jede von allen diese einzige htte sein kçnnen. Und welche Seligkeit ist so berschwnglich, die ein solcher Antheil nicht vergllen kçnnte?“ (10, 19) – die Offenbarung gelangt auch auf dem historisch vorliegenden Weg an alle. Ebenso lçsen sich die Zweifel gegen die Offenbarung im alten Testament durch den Gedanken eines gçttlichen Erziehungsplanes, in welchem die Idee der Unsterblichkeit eine sptere Stelle hatte. Es lçsen sich die Zweifel gegen die Offenbarung des Christenthums – wenn man das neue Testament als eine historische Quelle nimmt, nicht als ein inspirirtes Ganze von Offenbarungen. Denn dies ist nun die nothwendige Ergnzung um Lessing’s Stellung ganz zu bersehen: die innere Wahrheit des Christenthums ist in der Erfahrung des
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Christen begrndet; es ist mçglich sie zu vertheidigen, zu retten den Angriffen der Wissenschaft gegenber; aber unter Einer Bedingung allein, man lasse das orthodoxe System des Protestantismus fahren! man verzichte auf die Begrndung des protestantischen Glaubens auf den Kanon, als auf ein inspirirtes Ganze gçttlicher Offenbarungen! Hier liegt der Radicalismus der Lessing’schen Theologie. Und an diesem Punkt wirkte Lessing unmittelbar auf die theologische Bewegung. Wie das mit schnellwirkenden Ideen der Fall zu sein pflegt, ist er gerade hier getragen von einer Genossenschaft Gleichstrebender, unter welchen Michaelis und Semler hervorragen. Semler wird immer der Ruhm bleiben der Reformator der protestantischen Theologie geworden zu sein, indem er die Lehre vom Kanon, das Fundament des altprotestantischen Lehrbegriffs, in jenen berhmten vier Bnden vom freien Gebrauch des Kanons vernichtete. Wer sich eingehend mit ihm beschftigt hat, muß hingerissen werden durch diese geniale Sprkraft welche so wichtige Resultate der neuesten Kritik ahnte. Welch ein Bild diese Mnner! Michaelis, wie er als armer pietistischer Student im Halleschen Waisenhause von historischen und geographischen Studien ergriffen wird, wie er dann auf der bodlejanischen Bibliothek hebrische Vokale vergleicht nach dem Verzeichniß seines Vaters, ohne Ahnung von der lcherlichen Nichtigkeit dieser Arbeit, und wie er zugleich in dieser Weltstadt endlich seine geographischen Interessen vollauf sttigen darf, wie dann aus diesen mchtigen Impulsen das „mosaische Recht“ erwchst. Und Semler dann, auch er ein armer pietistischer Theologe, den Baumgarten in seine ungeheure Bcherwhlerei hereinzieht, wie er bei dem Kanzler von Wolf mit Voltaire zu Tisch sitzt und erstaunt von der Unterscheidung von Theologie und Religion etwas vernimmt, ihm unvergeßlich, wie er in Baumgarten’s Bibliothek lebt, an dessen Nachrichten von einer Halleschen Bibliothek (Baumgarten’s eigner), an seiner Welthistorie sich bildet, wie so die Meinungen jener englischen und franzçsischen Forscher sich seiner Seele bemchtigen, wie er nun das Chaos der theologischen Meinungen nach seinen neuen Gesichtspunkten durchwhlt, berall ganze Perspektiven neuer Entdeckungen erblickt, so lange Baumgarten lebt ehrerbietig schweigt, dann endlich mit seinen Ansichten heraustritt, welche zuerst im deutschen Geist jenen historisch-kritischen Zug wecken, der sich dann auf allen Gebieten so mchtig erhob. Was war das Resultat Semler’s? Die Lehre von dem Kanon als einer Einheit, als einem Ganzen, mit jenem System ihrer Affektionen d. h. ihrer gçttlichen Eigenschaften ist ein Niederschlag aus den langjhrigen Streitigkeiten des Protestantismus mit der katholischen Kirche. Die nhere Untersuchung zeigt vielmehr daß diese Schriften des Kanon lauter einzelne Mittel waren, bei den be-
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schrnkten christlichen Gemeinden einen damaligen Endzweck zu erreichen. Daraus ergiebt sich, als Consequenz fr die geschichtliche Theologie, die Aufgabe einer literar-historischen Untersuchung dieser Schriften, ihres Ursprungs, ihrer schriftstellerischen Absicht. Denn „diese Aufstze sind so ungleichen Inhalts als die Fhigkeiten der ersten Schule ungleich waren.“ Aus dem Localen und Temporellen mssen sie begriffen werden; denn die moralische Welt ist wie die physische in verschiedne Klimate eingetheilt. Und so anticipirt denn Semler einen guten Theil der neueren Anschauung von der Entstehung des Kanons inmitten eines Parteikampfes, in welchem der Judaismus, als das geistige Klima unter welchem das Christenthum entstand, mit der ursprnglichen Fassung des Christenthums rang. Und hieran schließt sich dann die andere Consequenz fr die dogmatische Theologie. Die Bibel enthlt ihm nicht mehr die Wahrheit schlechthin; um diese zu gewinnen bedarf es einer Ausscheidung des Localen und Temporellen in ihr. Wenn Bunsen neuerdings von einer Uebertragung der Bibel aus dem Semitischen in das Japhetitische gesprochen hat, so war das ganz in Semler’s Anschauung. Die Bibel ist ganz durchdrungen von Judaismus. „Alle Meinungen welche Christus Endzweck nicht betreffen und nicht eigentlich hindern, hat Christus so wenig widerlegt als er eine Encyclopdie aller wahren Erkenntniß hat geben wollen.“ So war als Lessing auftrat bereits die Axt an die Wurzel gelegt von einer mchtigen Hand. Weder Strauß noch Schwarz wrdigen dies thatschliche Verhltniß. Jene unsterblichen Axiome Lessing’s ruhen ganz auf dem Fundament der Untersuchungen Semler’s; es ist sehr irrthmlich lauter damals neue Wahrheiten in ihnen zu finden; diese Wahrheiten bilden vielmehr den Punkt von welchem Lessing weiterging. Ich stelle die Axiome zusammen welche nur Resultate Semler’s sind: „die Bibel enthlt offenbar mehr als zur Religion gehçrt. Es ist bloße Hypothese daß die Bibel in diesem Mehreren gleich unfehlbar sei. Der Buchstabe ist nicht der Geist, und die Bibel ist nicht die Religion. Auch war die Religion ehe eine Bibel war. Das Christenthum war ehe Evangelisten und Apostel geschrieben hatten. Es verlief eine geraume Zeit ehe der erste von ihnen schrieb und eine sehr betrchtliche ehe der ganze Kanon zu Stande kam.“ Die einfachen Folgerungen aus diesen Stzen, sowie die erkenntniß-theoretische Einsicht in die Natur von Geschichtswahrheiten gehçren Lessing, und diese in den Axiomen allein. Aber Lessing hatte, um die bisherige Theorie vom Kanon ganz zu vernichten, um in die neuen Untersuchungen mchtig einzugreifen, welche eine historisch-kritische Theologie begrndeten, eine Anschauung von der ltesten Ueberlieferung des Christenthums aus dem Studium der Kirchenvter entwikkelt, die von der hçchsten Originalitt und zugleich von der hçchsten Tragweite war. Die allerlteste Form der Tradition ist die der regula fidei; diese re-
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gula beherrschte auch dann noch den Glauben als andere schriftliche Aufzeichnungen ber das Christenthum hervortraten; von diesen war die lteste das Evangelium der Nazarner, aus dem sich dann unsere drei ersten Evangelien entwickelt haben. So jene Thesen aus der Kirchengeschichte. Wir berblicken nunmehr die Antithese Lessing’s gegen Reimarus, gegen jeden grndlichen, radicalen Angriff auf das Christenthum der damals vorlag. Die Wahrheit des Christenthums ruht fr den Christen, mit einer subjektiven, aber unbedingten Evidenz, in seiner inneren Erfahrung. Dagegen ist die strenge Wissenschaft im Stande jeden bisherigen Angriff welchen strenge Wissenschaft machte in seiner Nichtigkeit aufzuzeigen. Aber freilich unter der Bedingung daß diesem Angriff die ganze Breite des Kanons als eines Inbegriffs gçttlicher Offenbarung entzogen werde. Erst nachdem das Christenthum in einer regula fidei berliefert worden war, entstanden die Evangelien, und zwar die drei ersten als freie, daher vielfach widersprechende Bearbeitungen des Nazarnerevangeliums. Also kennt man, diesem gemß, den Kanon historisch-kritisch: so lßt sich sehr wohl ein Gang der Offenbarung als einer Erziehung des Menschengeschlechts vertheidigen, in welchem Judenthum und Christenthum Stufen sind. Als Lessing die Fragmente edirte, war diese Antithese gegen dieselben ausgebildet, niedergeschrieben, mit strenger Gelehrsamkeit begrndet. Nun begreift man wohl mit welcher Erwartung, ja mit welcher Ungeduld Lessing nach den Kmpfern aussah die zu ihm hinab auf den Plan steigen wrden. Gçtze kam, ein ziemlich angesehener Theolog. Mit dem Jahr 1778 trat er gegen Lessing auf. Dieser versuchte ihn vermittelst der Axiome in den Kreis seiner scharfen Untersuchungsreihen zu bannen. Umsonst! Er sollte eine Art von Kampf durch Mißverstndnisse, triviale Einwendungen die nichts widerlegen, Consequenzen die nicht unvermeidlich sind, Persçnlichkeiten die nicht zur Sache gehçren, kennen lernen, welche ihrer Natur nach unbesiegbar scheinen, weil man nirgend sie festzuhalten im Stande ist. Wer verargt Lessing wenn er mit einer leidenschaftlichen Ungeduld diesen ergebnißlosen Kampf fhrte? Sein Genie allein war im Stande, diesem Kampf, wie er nun nach der Natur des Gegners war, die hçchste Wirkung zu geben. Er erwartete den Mann welcher ihm Gelegenheit geben wrde die Theorie des orthodoxen Systems durch seine neuen Entdeckungen zu bekmpfen; inzwischen warf er sich auf den Charakter in welchem dies System seit Luther’s Schlern schon vertheidigt worden war; sein dramatisches Genie schuf in Gçtze den Reprsentanten dieses Charakters und vçllig vertieft in diese Schçpfung, begann er mit Gçtze eine Komçdie zu spielen, der Charakter des alten Systems und der Charakter der neuen Forschung als Spieler und Gegenspieler, die ihn hinriß, in den schmerzlichsten persçnlichen Verhltnissen leidenschaftlich beschftigte.
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Der Gelehrte war wieder in den dramatischen Dichter aufgegangen, er bezeichnete diese Bltter geradezu als theatralische Arbeit (12, 501), und es war eine ganz natrliche Wendung als er diesen Streit auf dem Theater selber in Nathan dem Weisen abzuschließen den Entschluß faßte. Denn Gçtze war in demselben Augenblick verstummt, in welchem Lessing ihn bei einer Reihe von Stzen festzuhalten unternahm, die seine Theorie von der Tradition historisch-kritisch begrndeten. Das geschah gegen Ausgang des Jahres 1778 welches im Kampf gegen Gçtze verlief; seit dem August hatte er an den Nathan zu denken begonnen, den 1. December erhielt sein Bruder schon die erste Sendung fr den Druck. Im Mrz 1779 als er eben mit der Ausarbeitung des fnften Aktes beschftigt war, erschien die Streitschrift Semler’s gegen ihn, kam ihm sofort in die Hand (12, 530 vgl. 524) und versetzte ihn in eine ungeheure Aufregung. Im April 1779 ward dann auch die lange von ihm erwartete Streitschrift Walch’s ausgegeben. Wie er sich ausdrckte: „endlich lassen sich doch die großen Wespen auch aus dem Loche schrecken.“ So war der Nathan kaum vollendet als er sich, schon mit sehr schwankender Gesundheit, leidenschaftlich erregt, in den Kampf mit den gelehrtesten Theologen seiner Zeit warf, und zwar unter allen Anzeichen der Freude, daß nun endlich die Sache ernst werde. Die zweite fruchtbarere Epoche des theologischen Kampfes sollte beginnen, mit wrdigen Gegnern, um die Sache selber. Hier, am Schluß seines Lebens, ist es nur der Ton seiner Briefe der uns Aufklrung giebt und – der Befund der Sektion. Vom Sommer 1779 bis zu dem 15. Februar 1781 an welchem er starb, ist von ihm nichts erschienen als ein Bogen Fortsetzung von Ernst und Falk, die Erziehung des Menschengeschlechts, die schon vor dieser Epoche entweder ganz oder fast ganz fertig war, ein paar bibliothekarische Beitrge. Dagegen war schon im Beginn 1778 die neue Hypothese ausgearbeitet worden, fr deren Abschluß es kaum noch einer großen Anstrengung bedurfte. Und Lessing der sonst so kurzweg von seinen Arbeiten redete war selber voll von ihr; „etwas Grndlicheres glaube ich in dieser Art noch nicht geschrieben zu haben und ich darf hinzusetzen auch nichts Sinnreicheres.“ Dann im Sommer 1779 hatte er die Ausarbeitung der Briefe ber die regula fidei als lteste Gestalt der formulirten Tradition begonnen; der wichtigste Brief an Walch fand sich in seinem Nachlaß ebenfalls so gut als fertig und ist an Scharfsinn wie an Gelehrsamkeit eine eminente Arbeit. Dies Alles blieb liegen, gelehrte, epochemachende, mit der hçchsten Anstrengung des Geistes entworfene Arbeiten. Es kann kein Zweifel sein daß sich Lessing, kçrperlich ganz zerrttet, geistig tief verstimmt, nicht im Stande fhlte sie zu vollenden wie er gern wollte, sie gegen die Angriffe aufrecht zu erhalten die er erwarten mußte. Ich weiß nichts Tragischeres in der intellektuellen Geschichte als Lessing, in
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der Enge von Wolfenbttel, ganz einsam und ohne Genossen in allem was ihn bewegte, schon seit vielen Jahren, einen ungeheuren Kampf auf den Schultern und die Kraft dieser Schultern versagend – jedes Organ seines Kçrpers krank, die ußeren Verhltnisse zerrttet, berall gegen ihn das Mißtrauen der Leute die mit Gott in Frieden leben um nicht mit der Obrigkeit in Krieg zu gerathen – es ist nicht die Tragçdie der Vanini und Galilei, aber eine cht brgerliche deutsche Tragçdie. Wenden wir uns also zu den Resten seiner Arbeiten ber die Ueberlieferung des Christenthums in der ltesten Zeit, nicht wie zu Abfllen seines Lebens die liegen blieben, sondern als zu einem mchtigen Plan zu dessen Vollendung ihm die Kraft versagte. Eine chronologische Notiz ist auch hier unvermeidlich. In die Zeit nach dem Frhjahr 1779, und in Einen Plan, den er nach Vollendung des Nathan faßte, gehçren: „Bibliolatrie“ – „von den Traditoren“ – „gegen Leß“ – „Briefe an Walch.“ – Und zwar war wohl eine Schrift ber Bibliolatrie gegen Walch der erste Plan; als dann der Stoff sich hufte – oder wer weiß aus welchen anderen Ursachen? – war er Ende des Jahres zu der Form von Briefen entschlossen. Diesen aber wollte er den Aufsatz ber die Traditoren vorausschicken. Ein Brief an Leß in jener Briefreihe war ebenfalls beabsichtigt. Eine Auseinandersetzung mit Semler behielt er sich dagegen fr spter vor. Die Anmerkung von Lessing’s Bruder, die Lachmann aufnahm, ist, wie mehrere andere, ganz falsch: es handelte sich natrlich in keinem Fall um eine Fortsetzung des Streits mit Gçtze, sondern um eine Schrift gegen Walch. Daß die Schrift von den Traditoren in diese Zeit nach Ausbruch des Streites fllt, lßt sich, einem etwaigen hartnckigen Skeptiker gegenber, aus der Beziehung der Anmerkung zu §. 1 auf Walch 189. 190 beweisen. Das erste historisch-kritische Resultat Lessing’s ist: der christliche Glaube, in seinem wesentlichen Gehalt zusammengefaßt, war als regula fidei, Glaubensregel, fixirt bevor noch ein Buch des neuen Testaments existirte; ja sie ist, als die „Anordnung unter welcher die Gemeinden zusammengebracht wurden“ lter als die Kirche; als dann die Schriften des neuen Testaments nach und nach erschienen, waren sie der Lektre der Laien nur durch die Erlaubniß des Presbyters, der sie in Verwahrung hatte, zugnglich, und wurden in ihrer Geltung selber nach ihrer Uebereinstimmung mit der Glaubensregel beurtheilt; aber auch als die biblischen Schriften recipirt waren, erwies man weder die christliche Religion aus ihnen noch ließ man sie auch nur als authentischen Commentar der regula fidei gelten. Dies war die Stellung der Bibel in der Tradition der Glaubenslehre fr die ganze Epoche der constituirenden vier ersten Jahrhunderte. Die kanonischen Schriften waren nicht die Quelle, sondern nur die ltesten Belege der Glaubenslehre. Demgemß ist die regula fidei der Fels
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auf welchem die Kirche Christi erbaut worden, nicht die Schrift, nicht Petrus und dessen Nachfolger. Die Folgerung ist offenbar: sowohl die katholische als die protestantische Kirche sttzen die Glaubenslehre auf eine falsche Autoritt. Semler umkreist in seinem „freien Gebrauch des Kanons“ diese Folgerung mit Scheindistinktionen; aber auch s e i n e Schrift h a t kein anderes Resultat. Die biblischen Schriften sind Gelegenheitsschriften, welche keineswegs alle fr alle Bildungskreise Quelle des Glaubens sein kçnnen (so in der Vorrede des ersten Bandes); ihre Kanonicitt war nichts als eine Festsetzung der Cleriker, wonach diese und keine anderen Bcher zum Vorlesen und zum verbindlichen Unterricht gebraucht werden durften (Bd. I S. 12). Also mit Semler theilt Lessing den Satz daß die neutestamentlichen Schriften in den ersten Jahrhunderten nicht in solcher Autoritt standen, daß die Glaubenslehre aus ihnen geschçpft und begrndet werden mußte. Andererseits, und dies muß wohl beachtet werden, seine Theorie daß diese Glaubenslehre von den Aposteln, ja vielleicht von Christus her in Form einer Glaubensregel berliefert worden sei, fand er in jeder grndlichen katholischen Kirchengeschichte ausgefhrt, man vergleiche etwa die dreizehnte Dissertation des Natalis Alexander ber die Probleme des ersten Jahrhunderts. So war in den Thesen der nçthigen Antwort von 1778 gar nichts Lessing Eigenes. Ja man durfte ihm verdenken daß er eine Theorie erneuert hatte, in ihrem alten unhaltbaren Umfang erneuert, welche Basnage und andere protestantische Forscher mit einleuchtenden Grnden widerlegt hatten. Dort htte er schon die jetzt anerkannte Vermuthung finden kçnnen, daß diese Glaubensformel erst den Kmpfen des zweiten Jahrhunderts angehçrte, wie denn die Spuren derselben in den pseudoignatianischen Briefen am meisten instruktiv sind. Noch mehr vielleicht durfte man ihm verdenken daß er die Fragen, ob diese Glaubensregel fixirt gewesen sei bis auf das Wort, zu welcher Zeit, welchen Umfang sie damals gehabt, in einem ihm sonst ganz fremden Halbdunkel gelassen hatte. Man durfte ihm das verdenken. Obwohl zu seiner Zeit noch niemand die einfache Wahrheit in dieser Frage sah. Die Kirche der ltesten Jahrhunderte hielt nicht eine Glaubensregel zusammen, nicht ein Kanon, berhaupt keine geschriebene Lehre, sondern die apostolische Tradition, die Autoritt der Apostel, der Apostelschler, dann der Cleriker, welche an ihre Stelle traten – die Ordnung der Gemeinden also und keine Lehre. Die Bedeutung der Theorie Lessing’s liegt in ihrem negativen Theil, und so zu sagen in der allgemeinen Richtung des positiven. Die Kirche der ersten Jahrhunderte ist nicht auf die Schrift gegrndet; sie ist auf Tradition gegrndet. Daher lßt sich die Bedeutung dieser Theorie auch erst ganz bersehen in
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der vortrefflichen Kritik der Walch’schen Sammlung all der Stellen, durch welche die protestantische Dogmatik die Autoritt des Kanons in den ersten Jahrhunderten geschichtlich zu beweisen sich im Stande glaubte. Wir wrden frchten die Geduld unserer Leser zu ermden, wenn wir auf Lessing’s geniale Behandlung einzelner Stellen eingingen. Er erscheint kritisch-philologisch Walch durchaus superior und hat wenigstens den Gebrauch, welchen Walch von diesen Beweisstellen machte, gnzlich zurckgewiesen. Nur dies, weil man es zu einem Angriff auf Lessing benutzt hat: wenn Lcke Lessing wie einen Dilettanten behandeln zu drfen glaubt, und sich in diesem Verfahren darauf sttzt, daß derselbe sobald Walch’s Schrift erschienen selbst zu einer Begrenzung seiner Behauptung von der Geltung der Schrift in den ersten vier Jahrhunderten auf ihre Geltung bis zum nicnischen Concil gençthigt worden sei: so bersieht vielmehr e r , daß Lessing von vorn herein, bevor Walch’s Schrift erschien, seine Behauptung in diesen Grenzen gedacht hatte: denn er bemerkt schon 1778 (10, 247) ausdrcklich daß die Arianer diese Geltung des Kanons in die Kirche eingefhrt htten. Wir kommen zum zweiten historisch-kritischen Resultate Lessing’s, seiner Hypothese ber die Evangelien. Der geniale Kritiker selber hat sie fr seine grndlichste bedeutendste historisch-kritische Arbeit erklrt. Auch Strauß sagt: „zwei Bogen welche die fruchtbaren Keime aller spteren Forschungen ber diesen Gegenstand enthalten.“ Lessing war der erste welcher den wahren Ausgangspunkt fr alle kritische Evangelienforschung zu nutzen verstand: das merkwrdige Verhltniß der drei ersten Evangelien zu einander welchem gemß sie denselben Stoff, oft mit denselben Worten, aber mitten in dem wçrtlich Gleichlautenden dann wieder mit vielen bedeutenden und unbedeutenden Abweichungen in der Erzhlung des Faktischen, in einer ganz verschiedenen Ordnung erzhlen. Er zog einen Schluß, auf welchen alle kritischen Versuche in anderer Richtung immer wieder zurckgefhrt haben: alle drei Evangelien benutzen eine frhere Fassung des Stoffs. Und er machte dann die tiefgreifende richtige Entdeckung daß diese frheste Fassung in einem nahen Verhltniß zu dem noch zur Zeit des Hieronymus vorhandenen hretischen Evangelium der Ebioniten stehe. In der weiteren Ausbildung dieser Hypothese ist Einiges problematisch, Anderes bedarf der Ergnzung. Jede nhere Einsicht in die Parteiverhltnisse, unter denen sich die Evangelien bildeten, hat besttigt daß die lteste Fassung des evangelischen Stoffs einer Anschauungsweise angehçrte, welche die Kirche sehr bald darauf als Ebionitismus verdammte, daß also diese Fassung dem ebionitischen Evangelium nahestand von dem wir ja – man vergleiche nur Credner – Fragmente genug besitzen. Aber diese erste Fassung unterlag, bis zum ebionitischen Evangelium, wie es Hieronymus vor sich hatte, manchen
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Umgestaltungen, wir haben also auch in diesem nicht das einfache Urevangelium wie Lessing annahm. Dann bedarf Lessing’s Ansicht ber die Art wie dieses Urevangelium sich zu unseren Evangelien gestaltete der Ergnzung. Er hatte noch keine Einsicht in das Walten der mndlichen Tradition welche in der Evangelienbildung thtig war; noch keine Einsicht in die Einwirkung der Parteigegenstze auf dieselbe; endlich dachte er sich auch die Aufzeichnungen nicht mannichfaltig genug: die Flle des erregtesten Lebens in diesen christlichen Gemeinden war ihm noch nicht anschaulich genug, daher er den Vorgang der Evangelienbildung zu einfach construirte. Aus diesem Mangel entsprangen dann entschiedene Irrthmer in der Ausbildung der Hypothese. Wenn er Matthus fr den ersten Uebersetzer dieses Urevangeliums hielt: so machte er dabei aus der Nachricht des Papias ohne Nçthigung etwas vçllig anderes als sie besagt. Wenn er in der Vorrede des Lucasevangeliums anstatt verschiedenartiger Aufzeichnungen wie sie da erwhnt sind sein Urevangelium als Quelle angegeben fand, ja den Titel desselben „Erzhlung der unter uns in Erfllung gegangenen Dinge“ mitgetheilt: so that er hier der Sprache Gewalt an, ebenso ohne Nçthigung. Trotz alledem – wie genial, wie epochemachend der Griff im Ganzen und Großen war, wie wenig ihm vorzuwerfen, daß er nicht schon sah was so viel spter entdeckt wurde: das veranschaulicht am besten der erste welcher seine Hypothese fortbildete und in das Detail der gelehrten Theologie einfhrte, Eichhorn, welcher 1794 zuerst mit seiner Theorie vom Urevangelium hervortrat. Dieser hat die Anschauung der Evangelienbildung von Lessing angenommen und unternimmt nun, so viel Bearbeitungen des Urevangeliums zu construiren, daß Uebereinstimmungen und Abweichungen der Evangelien untereinander begreiflich werden: die Geschichte der Evangelienentstehung ward damit zum Rechenexempel, diese Evangelienbildung selber zu einer eintçnigen Fabrikation nach derselben Schablone. Man kann sagen daß der eminente Scharfsinn Eichhorn’s durch diese Ausfhrung die Mngel der Lessing’schen Voraussetzungen ber Evangelienbildung aufdeckte. So ward eine Theorie die auf Lessing’s Hypothese gegrndet war zum Knotenpunkt der gesammten synoptischen Kritik, durch ihren wahren methodischen Ausgangspunkt wie durch ihre Einseitigkeit. Und zugleich darf man sagen daß Lessing selber schon ber diese Einseitigkeit hinaus gewiesen hatte. Er mit seinem genialen Takt wrde diese Mngel, einer solchen Ausfhrung gegenber, sofort eingesehen haben; ja er hat Andeutungen ber eine mndliche Tradition, welche schon Herder gegenber Eichhorn’s apostolischer Kanzlei geltend machte. Erst Gieseler hat 1818 diese mndliche Ueberlieferung in die Anschauung der Evangelienbildung wirklich eingefhrt; aber htte nicht Lessing bei seiner Untersuchung der von „dem Evangelium“ handelnden Stellen, welche Walch fr die vorhan-
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denen Evangelien irrthmlich in Anspruch nahm, seine Glaubensregel zu sehr im Sinne gehabt, so wrde er die Bedeutung der mndlichen Tradition fr die Evangelienbildung hier schon begriffen haben. Begrndete Lessing solchergestalt die Kritik der drei ersten Evangelien, so durchblickt er zugleich die Bedeutung des Johannesevangeliums im Gegensatz zu den drei ersten fr die Entwickelung der christlichen Kirche. Die kritische Analyse desselben in Bezug auf seine Entstehung begann freilich erst 1820 in Bretschneider’s Probabilien. Die Einwirkung der Evangelien auf die Entwickelung der Kirche, ihr inneres Verhltniß, ihre verschiedene Absicht hat Lessing bereits in khnen aber ganz wahren Grundlinien hingestellt. Andere Untersuchungen noch haben ihn, wie sein Nachlaß zeigte, beschftigt. Schon jene Ansicht ber die epochemachende Stellung der Arianer in der Geschichte des Kanon zeigt ihn mit dieser mchtigsten Sekte des christlichen Alterthums beschftigt; andere Bruchstcke treten hinzu. Ebenso solche ber die Offenbarung Johannis. Alles Fragmente, begonnene Untersuchungen! Niemand kann erwarten daß der Mann welcher ber ihnen hinwegstarb eine abgeschlossene wissenschaftliche Ansicht vom Christenthum hatte. Lessing ist der erste Religionsforscher in großem Stil, der in Deutschland hervortrat. Denn er zuerst vereinigte hier die beiden Bedingungen dieses Studiums, historische und philosophische Forschung. Aber er begann nur. Er war wie ein Belagerer, den schon whrend er die ersten Schanzgrben nach allen Regeln der Kunst, mit allen Mitteln des Genies zieht, eine tckische Kugel trifft. Ein anderes sind diese Forschungen, ein anderes die letzten persçnlichen Anschauungen, in welchen der Forscher lebte whrend er arbeitete. Als Lessing die Fragmente 1777 verçffentlichte, erçffnete er den Kampf um die Geltung des Christenthums selber. Er fr sich dachte sich nur als Wrtel bei demselben. Er schied die Sicherheit des Christenthums in der Tiefe des Gemths wie eine Welt fr sich von den Aufgaben wissenschaftlicher Discussion und Forschung ab. Er bestimmte was gegenber dem Angriff fallen gelassen werden mßte, die alte Theorie des Kanon, damit dieser Kanon nicht das Christenthum selber in seine Niederlagen verwickele. Er deutete einen Weg an das Christenthum zu retten. Die Gegner kamen, sie griffen ihn selber an, sie wollten schlechterdings von dem Christenthum nichts wissen welches nach Zerstçrung der Autoritt des Kanon brig blieb. Er begann nunmehr, um hier eine strenge wissenschaftliche Grundlage zu schaffen, die lteste Tradition des Christenthums historisch zu durchforschen, worber er dann starb. Demgemß ist seine Anschauung vom wahren Wesen des Christenthums nicht zu voller Reife der historischen Einsicht gelangt. Nur wenn man dies nach den angegebenen Grnden begreift, kann man sich in seinen Aeußerungen ber diesen Punkt zurechtfinden.
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In der Hypothese ber die Evangelisten sagt er vom Johannes: „nur sein Evangelium gab der christlichen Religion ihre wahre Consistenz; nur seinem Evangelio haben wir es zu danken, wenn die christliche Religion, allen Anfllen ungeachtet, in dieser Consistenz noch fortdauert und vermuthlich so lange fortdauern wird als es Menschen giebt, die eines Mittlers zwischen ihnen und der Gottheit zu bedrfen glauben: das ist, ewig.“ Also hier wird der Glaube an die Unvergnglichkeit des Christenthums, ganz wie spter in dem Schleiermacher’schen Kreis auf das Bedrfniß eines Mittlers fr alle Zeiten gegrndet. Diese Anschauung ist offenbar in dem Fragment: die Religion Christi (1780) und in den betreffenden Parthien der Erziehung des Menschengeschlechts die ebenfalls erst 1780 abgeschlossen wurde ganz aufgegeben. Hier wird ausgegangen von dem Unterschied zwischen dem Christenthum insofern es Lehre Christi ist und dem Christenthum als einer Lehre von Christo, also dem Christenthum sofern Christus sein Urheber und sofern er sein Gegenstand ist. Und zwar ist nach dem Fragment die Lehre Christi mit den klarsten und deutlichsten Worten gegeben, seine Person ein Problem; dem entsprechend ist nach der „Erziehung“ diese Lehre Christi das lteste Christenthum, die Lehren, die mit Christi besonderer Wrde zusammenhngen, sind ein Zusatz „dessen Wahrheit weniger einleuchtend, dessen Nutzen weniger erheblich war,“ und der dann angesichts des neuen Evangeliums verschwinden muß. Die Unterscheidung des Evangeliums und des neuen Testaments Johannis greift hier ferner ein, um Lessing’s Anschauung so weit sie gediehen war, zu erhellen. Wir fassen dieselbe nunmehr zusammen. Das chte Christenthum ist das lteste. Der Inhalt dieses ltesten Christenthums ist „die Reinigkeit des Herzens in Hinsicht auf ein anderes Leben zu empfehlen.“ Dieser Zusatz macht das unterscheidende Wesen der Religion Christi aus, wenn man die Religionen mit einander vergleicht. Also die Frage in welcher das „Testament Johannis“ endigt, ob wir ein Recht haben eine Liebe christlich zu nennen welche auf keine christliche Glaubenslehre gegrndet sei, ist durchaus nicht schlechtweg von Lessing bejaht worden. Diese lteste Religion Christi mußte nun wohl den Zeitgenossen als eine bloße jdische Sekte erscheinen, und sie wre der Gefahr ausgesetzt gewesen, so in der Fluth des jdischen Sektenwesens wieder zu versinken, wre nicht die Anschauung des Evangeliums Johannis hervorgetreten, welche die Person des Stifters zum Gegenstand der Religion machte und Christus als einem hçheren Wesen ein Mittleramt zwischen Gott und dem Menschen gab. Hierdurch erhielt das Christenthum Consistenz, ward eine selbstndige unabhngige Religion neben dem Judenthum. Hiermit erhob sich ein Kreis von Dogmen, welcher dann, im Gegensatz zur Religion Christi, die christliche Religion bildet, die Lessing in der nçthigen Antwort (S. 240) als
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den „Inbegriff der Glaubenslehren bestimmt welche in den Symbolis der ersten vier Jahrhunderte vorhanden sind.“ Unter diesen Glaubenslehren hebt er die Lehre von der Dreieinigkeit, der Erbsnde, der Genugthuung des Sohnes hervor. Und es ist ein tiefsinniger ihm ganz eigener Gedanke wie er die historische Bedeutung dieser christlichen Religion, man verstehe wohl, nur diese, gegenber der Aufklrung vertheidigt. Die hçchste Reinheit des Herzens welche das Gute um seiner selbst willen thut entspringt erst aus der hçchsten Aufklrung. Demgemß ist das menschliche Herz auf niederen Stufen der Vernunftentwickelung selbstschtig. In dieser Zeit der Vernunftentwickelung bedarf der menschliche Geist, um nicht einem çden Materialismus zu verfallen, solche dogmatische Blçcke wie die bezeichneten Lehren sind, sie zu formen. Diese christliche Religion war also nothwendig, historisch nothwendig, um eine Zeit herbeizufhren in welcher sie berflssig wre. Kann ein Zweifel sein wo der unfertige Punkt in Lessing’s Anschauung vom Wesen des Christenthums lag? In der historischen Analyse dessen was er als die Religion Christi bezeichnet, was ihm das chte, allein gltige Christenthum ist. Es ist wunderbar wie er hier vor der Frage stand, welche fr den inneren Gegensatz in der Auffassung des Christenthums, in der Stellung zu ihm auch in den letzten Jahrzehnten entscheidend gewesen ist. Die Religion Christi verkndigt ein Himmelreich, eine jenseitige Seligkeit. Gut, auch Lessing ist von einer Fortdauer der Seele berzeugt, so fest man von unbeweisbaren Wahrheiten berzeugt sein kann; keineswegs ist er der Ansicht von Strauß welcher dieser Anschauung des Christenthums gegenber bemerkt, daß nur die religiçse Vorstellung, ihrer Unvollkommenheit gemß, die Aufhebung der Unvollkommenheit in welche das Dasein vieler einzelner Menschen unwiderruflich hinabgedrckt ist, fr diese Individuen von der Zukunft erwarte, anstatt eben nur fr das menschliche Geschlecht (Leben Jesu, Umarbeitung, S. 205). Aber das steht Lessing andererseits ganz fest: eine Sittlichkeit, welche dieses knftige Leben zu ihrem Beweggrund hat, ist noch unvollkommen. Dieser große cht religiçse Gedanke arbeitet von Spinoza und Pascal ab bis auf Schleiermacher in allen bedeutenden sittlichen Naturen. Und so wird unser Verhltniß zur Religion Christi ein anderes sein, je nachdem wir in Christi innerer Verfassung die Fortdauer als einen Beweggrund entdecken oder als eine ihn berall gleich seligen Engeln umspielende versçhnende Hoffnung. Vor dieser Frage stand Lessing still. Seine Kritik der Quellen war lange nicht zu der Feinheit gediehen hier eine zweifellose Antwort zu gestatten. Ist es die unsere? Wer wagt, nicht etwa seinen Glauben hier allein auszusprechen, nein eine wissenschaftliche Ueberzeugung streng zu begrnden? Diese Lcke in seiner Ansicht wird also berall in ihren Consequenzen zu spren sein. Aber auch so, auch ohne daß die historische Untersuchung zu ei-
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nem Abschluß gediehen war, drngte es ihn, ein „Glaubensbekenntniß“ abzuschließen welches seine letzten Ueberzeugungen auseinandersetze mit dem religiçsen Glauben. Diese Ueberzeugungen, wurzelnd in der Tiefe seines modernen Lebensgefhls, wie sie strebten sich frei zu Gedanken zu gestalten, hatten ihn gençthigt eine Auseinandersetzung mit der Theologie zu unternehmen; sie hatten ihn gezwungen sich von der Autoritt der theologischen Orthodoxie wie von der noch mehr peinigenden der theologischen Aufklrung zu befreien; nun galt es endlich inmitten ihrer dem großen Resultat all dieser Forschungen und Kmpfe seinen Platz zu geben. Nicht mehr den alten Scheideknstler, der Theologie und Wissenschaft auseinanderhlt, haben wir hier nunmehr vor uns, sondern den religiçsen Forscher welcher diesen gewaltigen Erscheinungen ihre Stellung in dem Universum der moralischen Welt anweist. Vor dem Hçhepunkt seiner Forschungen stehen wir, vor seinem Testament an uns. Unser Gesichtskreis muß sich ber das Ganze der moralischen Welt erweitern, wollen wir hier ihm folgen. Denn dies ist der Horizont unter welchen, am Abschluß seines Lebens, fr Lessing auch die Religionen, auch das Christenthum fallen. Ernst und Falk berschauen ihn, fr die Erziehung des Menschengeschlechts bildet er den Hintergrund – die Werke Lessing’s von 1779 und 1780.
II. Wir stehen vor dem Hçhepunkt der Forschungen Lessing’s, vor seinem Testament an uns. Wir folgten seiner Entwickelung, wie, seitdem er in der Muße von Breslau zu einer zusammenhngenden schçpferischen Thtigkeit sich wandte, zunchst die Form unserer Poesie von ihm reformirt ward, durch seine Schçpfungen wie durch seine sthetischen Entdeckungen; wie er von da ab der grçßeren Aufgabe sich zuwandte, die neue Empfindung des Lebens die in ihm war zu einem Lebensideal in der intuitiven Form der Dichtung, wie in wissenschaftlicher Reflexion auszugestalten und durch eine zusammenhngende Weltansicht zu begrnden; wie die Ueberreife der moralischen Reflexion in Deutschland ihn zwang diesem Lebensideal Raum zu schaffen gegenber den moralischen Begriffen der kirchlichen Orthodoxie, die mit der Enge des brgerlichen Lebens verbndet war; wie er ber diesen Kampf hinwegstarb, vor der Zeit, bevor er das letzte Wort gesprochen. Dennoch muß der Versuch gewagt werden, das Resultat dieses großen Daseins zu ziehen. Unser Gesichtskreis muß sich ber die bisher behandelten Gegenstze hinaus erweitern, wenn wir ihm hier folgen wollen. Das Universum der moralischen Welt – das ist der Horizont, unter welchen ihm, wenn er fr sich selber abschließt, auch die Religionen, auch das Christenthum fallen.
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Nachdem sich die europische Bildung lange Zeit hindurch abgeschlossen fr sich entwickelt hatte, treten zuerst im achtzehnten Jahrhundert die Kulturnationen der anderen Welttheile in unseren Gesichtskreis, ganz oberflchlich und vereinzelt noch, wie ja selbst heute die unbersehbare Wirkung dieser Erweiterung unseres Gesichtskreises noch ganz in ihrem Anfang steht. Man bemerkt wie die Franzosen von dem Gedanken der totalen Verschiedenheit in der moralischen Welt des Orients und der des Occidents ergriffen werden. Chinesische, persische Briefe, Romane welche in Asien spielen veranschaulichen das mit einer oft frivolen Paradoxie. Der Verfasser der persischen Briefe, Montesquieu, wandte sich vom Spiel zum Ernst; er entwickelte den naturgesetzlichen Zusammenhang zwischen Boden und Klima eines Landes und seinen Sitten, seiner Bildung, seiner Staatsverfassung und Religion. In der Erfindung des Nathan bediente sich Lessing der befreienden Gewalt welche dieser Erweiterung des Gesichtskreises beiwohnt. Ja Ernst und Falk erscheint dann geradezu auf die Montesquieu’schen Ideen gegrndet. „Ein ganz verschiedenes Klima, folglich ganz verschiedene Bedrfnisse und Befriedigungen, folglich ganz verschiedene Gewohnheiten und Sitten, folglich ganz verschiedene Sittenlehren, folglich ganz verschiedene Religionen.“ Und zugleich: „mehrere Staaten: mehrere Staatsverfassungen.“ Man sieht daß hier auch das Christenthum nicht ausgenommen ist als die knftige Universalreligion; es ist die europische Religion, wie Buddhismus und Muhamedanismus die asiatische. Nicht anders ist im Nathan der Zusammenstoß von Religionen, die sich unter ganz verschiedenen Zonen und Bedingungen ausgebildet haben, gedacht. Wie erçffnet es den Blick in den großen Zusammenhang der europischen Kulturgeschichte, daß eine Erfindung aus der Zeit der mittelalterlichen Erweiterung des europischen Gesichtskreises ber die muhamedanische und jdische Kultur wieder auflebt, als im achtzehnten Jahrhundert eine noch umfassendere Erweiterung desselben eintritt, daß diese Erfindung, welche als sie sich am Mittelmeer ausbildete ihren befreienden Sinn klug verbarg, nun, im Geiste eines Deutschen zur Reife gelangt, ihn in alle Weltgegenden ausstreut. Also Lessing ging von dieser vergleichenden Anschauung der totalen Verschiedenheit der Kulturkreise in der moralischen Welt aus, er nahm von Montesquieu die große Entdeckung des naturgesetzlichen Zusammenhangs in ihrer Bildung auf. Aber indem er das that bewegte ihn sein eigenes Problem, das seiner Nation in dieser Epoche, das Problem der inneren Bildung. Auf dieses zielen seine von Montesquieu weitergehenden Folgerungen. „Die brgerliche Gesellschaft kann die Menschen nicht vereinigen ohne sie zu trennen; nicht trennen ohne Klfte zwischen ihnen zu befestigen, ohne Scheidemauern durch sie hinzuziehen.“ „Ja sie setzt die Trennung auch in jedem dieser Theile gleichsam bis in’s Unendliche fort,“ indem sie die çkonomischen, die socialen, die
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politischen Verschiedenheiten der Gesellschaft hervorbringt. Jede brgerliche Gesellschaft thut das; auch die vollkommenste kann nur vereinigen durch diese Trennungen. Und so entspringt den Gliedern dieser Gesellschaft eine doppelte Aufgabe. Sie sind Brger, Glieder religiçser Gemeinschaften, und so ist ihre Aufgabe die Entwickelung der Verfassung ihres Staats, der sociale, politische, religiçse Fortschritt desselben, innerhalb der ihm eigenen Schranken. In diesem Sinne berief sich Lessing darauf, daß in den mittleren Zeiten die Landstnde zu allen wichtigen Regierungsgeschften gezogen wurden, und ihm schien, wir mßten „unaufhçrlich gegen die ungerechten Vernderungen protestiren“ welche uns dieser Rechte beraubt haben. (Guhrauer, Lessingiana Bl. f. l. U. 43, 986 f.) Sie erheben sich dann ber diese Schranken, diese Scheidungen, diese Trennung von Stnden, Nationen, Religionen, und treten als Menschen in eine umfassende Gemeinschaft. Der Gedanke der Humanitt, der einst das Herz der Besten unserer Nation hçher schlagen machte, der dann, schon in Herder’s Alter, spter immer mehr, zu einer fadenscheinigen Phrase ward, tritt hier als das Ideal Lessing’s hervor, von ihm zuerst in dieser scharfen und doch mit der wirklichen Welt versçhnten Fassung ausgedacht. Dieser Gedanke ist das Geheimniß des Jahrhunderts. Die tief zerrissene franzçsische Civilisation brachte Rousseau hervor, welcher diesen Gedanken aller bestehenden Kultur, in schneidiger Verurtheilung, entgegenwarf. Die deutsche Bildung, unvollkommen noch, aber durch ihre ganz anderen Bedingungen harmonisch und positiv geartet, hat diesen Gedanken zu einer mit allen Kulturgestalten versçhnten Weltmacht erhoben. Es kann nicht bergangen werden daß Lessing das Freimaurerwesen in Beziehung zu der Idee der Humanitt setzt. Ernst und Falk ist hierdurch fr den Freimaurerorden von großer Bedeutung geworden. Denn Herder und Gçthe gehen auf diese Beziehung ebenfalls lebhaft ein. Noch in der geheimen Gesellschaft des Wilhelm Meister klingt dieselbe nach. Das neue Lebensgefhl welches in Lessing arbeitete, als er, zwanzig Jahre alt, Theologie, dann Medicin, jede eingeschrnkte Thtigkeit verließ um seiner freien Bildung zu leben, ist nun zu einem neuen Lebensideal, welches die Deutschen seiner Zeit ergriff, gereift. Von hier aus also muß die bisherige Darstellung seiner wissenschaftlichen Forschungen in ihrer Einheit verstanden werden. Vermçge dieser Forschungen hat er aus der inneren, nur anschaulich sich selber gegenwrtigen Verfassung des Charakters dieses Ideal zu klarem Begriff entwickelt und inmitten der gesammten ihm gegenberstehenden Wissenschaft, die hinter dem Lebensgefhl der Zeit zurckgeblieben war, gerechtfertigt. Dieses ihm eigene Lebensgefhl, dieser aus demselben gebildete Charakter stehen vor uns so oft wir in dies mnnliche offene, wie durch seine bloße Klarheit heitere Gesicht blicken, so
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oft wir uns in den lebendigen, von der Leidenschaft des Denkens erregten Gang seines Styls versenken, so oft wir den Affekt der Selbstndigkeit der in seinen Helden lebt, ihre Worte so knapp, ihre Handlungen so auf der Hut gegen die Welt macht, mit ihm empfinden. Und dies Lebensgefhl selber in ihm? Stehen wir hier an der Grenze der geschichtlichen Einsicht? Der geschichtliche Forscher durchwhlt den Boden, welchen die Wurzeln einer mchtigen Eiche durchziehn, die Bedingungen ihrer Kraft in ihm zu entdecken. Er thut recht daran, es ist das khnste zu dem sich die Analyse der einzelnen Erscheinungsgruppe erheben kann! Und so bleibt hier die Aufgabe, die vernderten Bedingungen des deutschen Lebens, welche zuerst die Erscheinung eines solchen Charakters mçglich machten, in ihrem ganzen Umfang darzulegen. Aber das ist ein Gegenstand ber den man nicht in der Krze reden kann, weil die fundamentalen Ideen fr eine solche Untersuchung erst vorgelegt werden mßten. Hier also liegt die Voraussetzung unserer ganzen Darstellung. Man wird dann weiter einsehen daß die natrliche Form fr die Aussprache eines solchen neuen Lebensgefhls die Dichtung ist. Demgemß sehen wir Lessing zunchst um die Begrndung einer Dichtung in schçpferischer Arbeit und wissenschaftlicher Begrndung bemht; wir sehen ihn den wahren Gegenstand aller Poesie im handelnden Menschen, das Ideal der Handlung in der ganz freien erschtternden Aeußerung der Leidenschaft entdecken. Die anschauliche Auffassung des Lebens in der Dichtung antiquirte damit die bisherigen begrifflichen Fassungen in der von der Theologie beeinflußten Moral. Und sollte dies Lebensideal freie Luft bekommen, in welcher es zu athmen vermçchte, so konnte er sich nicht damit begngen sich dichterisch auszusprechen, ganz durchdrungen wie unsere Nation war von Schulbildung, von Begriffen, von systematischem Denken. Er mußte sich diesem allem gegenber in Begriffen wissenschaftlich rechtfertigen, von der Bevormundung der theologischen Begriffe befreien. Hier gengte nicht zwischen ihm und der Theologie eine Wand zu ziehen. Eins nur von beiden konnte leben: denn beider Dasein war die Lçsung desselben Problems vom menschlichen Leben durch ganz widersprechende Begriffe. Dieser Kampf endigte damit, daß der fundamentale Begriff der protestantischen Theologie, die Begrndung der Lehre auf einen inspirirten Schriftkanon, vernichtet, daß dagegen das Christenthum, dessen historisch-kritische Anschauung sich nunmehr aus diesem Scholasticismus erhob, in seiner ewigen Bedeutung fr die moralische Welt gewrdigt ward – nein! doch aber gewrdigt zu werden begann. Und nun gestaltete sich das letzte: dies Lebensideal suchte sich positiv zu verdeutlichen in Begriffen und ihm selber gemß den Zusammenhang der Welt zu denken. Es bezeichnet die Grenze in Lessing’s geschichtlicher Stellung, daß auch hier der Gesichts-
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punkt einer Auseinandersetzung mit der Theologie die positive Darstellung beeinflußt, daß die Probleme und Resultate der anderen Wissenschaften ihm ferner stehen. Niemand vielleicht in Deutschland, auch Gçthe nicht, hatte diesen Geierblick Welt und Menschen zu durchschauen der Lessing eigen war. Aber sein geschichtliches Studium und seine Analyse der moralischen Begriffe blieben eingeschrnkt. Daher denn Kant’s Lebensideal, obwohl es viel einseitiger, viel weniger auf eine volle reife Menschennatur gegrndet war, doch unvergleichlich eingreifender gewirkt hat: er war der Begriffe mchtig. Erst unserer Generation kann gelingen die moralischen Untersuchungen ber ihn hinauszufhren: denn wir sind zugleich der Geschichte mchtig. Wenn die folgende Darstellung also hier und da zu stammeln scheint, so ist es weil Lessing nicht berall die Sprache fand, in welcher allein wissenschaftliche Wahrheiten ausgedrckt werden kçnnen, die Sprache der Begriffe: es ist weil er sein Ideal ganz und voll nur in der anschaulichen Form des Nathan uns zurckgelassen hat, dieses unvergnglichen Gedichts, das wohl wie Iphigenien kein ernster Forscher der menschlichen Natur lesen kann ohne daß sein Auge feucht wird: so leibhaftig, so wahr erscheint in ihnen eine reine Seelengrçße, welche uns von der menschlichen Natur ber alle unsere Erfahrung hinaus besser denken lehrt. In Gçthe berhaupt setzt sich diese Verbindung von Poesie und Wissenschaft fort, durch welche Lessing unserer Literatur ihren Charakter gab. Auch seine Schçpfungen sprechen, und mit viel grçßerer Freiheit, dem Lebensgefhl der verschiedenen Epochen seines Daseins folgend, ein neues Lebensideal in seiner Entwickelung aus, was keine Dichtung bis dahin gethan hatte. Auch er bedurfte daher die Verbindung mit der Wissenschaft. Die Handlung des Nathan ist ganz eingesponnen in eine Idee welche ihr einen zweiten, allegorischen Sinn giebt. Man hat oft gefragt warum dies Gedicht so paradox anstatt mit einer Heirath mit einer Erkennungsscene endigt welche die Hauptpersonen zu Gliedern Einer Familie vereinigt. Fr den welcher die Handlung bei einer gewçhnlichen Auffhrung an sich vorbergehen lßt sind die feinen Andeutungen der Thatsache, daß Recha den Tempelherrn nicht liebt, zweifellos verloren. Aber auch wo das Verstndniß einer bedeutenderen Schauspielerin nachhilft, fhlt er sich nothwendig enttuscht, ja vçllig desorientirt, nur nicht am Schluß, sondern schon vorher. Dieser dramatische Fehler ward begangen um die allegorisch dargestellte Idee zu vollem Ausdruck zu bringen. Nicht durch den Affekt welcher die Kluft der Geburt, des Bluts, ja des religiçsen Glaubens selber berspringt, soll hier zwischen Judenthum und Christenthum das Band geknpft erscheinen; vielmehr blutsverwandt sind die Nationen, sind die großen Religionen, welche sich in die Erde theilen. Fremd, ja feindlich einander gegenbertretend, entdecken sie daß sie Eine Familie bil-
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den. Das ist das große Geheimniß welches der Schluß symbolisch ausdrckt. Auf Einem Stamm sind die religiçsen Ideen gewachsen, entsprossen aus einer Einheit des ersten Glaubens; sie bilden Eine Entwickelung der religiçsen Vernunft. Diese ihm im Banne der einzelnen Kirchen unbewußte Thatsache erhebt der Mensch zum Bewußtsein indem er sein Wesen als den Kern in allen heterogensten Kulturentwickelungen erkennt. Immer wieder spricht Lessing diesen seinen idealistischen Grundgedanken aus, welchem gemß der Kern des Menschen von den auf ihn eindringenden besonderen Kulturbedingungen ganz unabhngig, diese nur seine Umhllung sind. „Ich weiß wie gute Menschen denken; weiß daß alle Lnder gute Menschen tragen.“ – „Mit Unterschied doch hoffentlich?“ – „Ja wohl; an Farb’, an Kleidung, an Gestalt verschieden.“ Ein Wort Nathan’s als dessen energische Ausfhrung jenes berhmte von Saladin erscheint: „Bleibst du bei mir? Als Christ, als Muselmann: Gleichviel! Im weißen Mantel oder Jamerlouk; im Turban oder deinem Fetze: wie du willst! Gleichviel! Ich habe nie verlangt, daß allen Bumen Eine Rinde wachse.“ – Wie Schiller von Rousseau sagt daß er „aus Christen Menschen warb,“ so lßt Lessing Nathan ausrufen: „Ach! wenn ich einen mehr in euch gefunden htte dem es gengt ein Mensch zu heißen.“ Ein Mensch – wie entwickle ich nach Lessing den Kern dieses Worts? Das Wesen des Menschen ist, nach einer Reihe von Aeußerungen, die von dem Aufsatz ber die Herrnhuter bis zum Nathan reichen, h a n d e l n . Die menschliche Bestimmung ist nicht Speculation, nicht knstlerische Anschauung, sondern Praxis. Der große Hebel fr den Fortschritt des handelnden Menschen ist die i n t e l l e k t u e l l e Entwickelung. Lessing geht so weit, die brgerliche Gesellschaft gegenber den Uebeln welche aus ihr nothwendig folgen in erster Linie daraus zu rechtfertigen, daß in ihr allein „die Vernunft angebaut werden“ d. h. ein zusammenhngender intellektueller Fortschritt vor sich gehen kann (10, 270). Er geht so weit, den zu seiner vçlligen Aufklrung gelangten Verstand als den hervorbringenden Grund der vollendeten Form von Handlungen darzustellen (10, 326). Whrend er also in dem intellektuellen Fortschritt den alles beherrschenden Hebel alles Fortschritts berhaupt sieht, ordnet er doch diesen dem moralischen unter. Diese Unterscheidung welche dem wissenschaftlichen Denken zugesteht daß es allein eine gleichmßig wachsende Macht ist, welche einen Fortschritt zu bewirken im Stande ist, andererseits aber dem Handeln seine volle Wrde sichert, enthlt den Keim zu jeder tieferen Einsicht in die Philosophie der Geschichte. Wir fragen weiter: welcher ist der Punkt auf dem nach Lessing die intellektuelle Entwickelung die hçchste Form des Handelns hervorbringt? Nirgends
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wirkt der theologische Gesichtspunkt der Lessing’schen Studien so nachtheilig als gegenber dieser Frage nach den Grundelementen des intellektuellen Fortschritts, welche den moralischen Fortschritt bedingen. Eins aber tritt ausgebildet hervor, die große Rolle welche nach Lessing der S k e p t i c i s m u s in diesem Vorgang hat. Die positiven Religionen sprechen nicht nur religiçse Ideen aus, sondern grnden sie auf Geschichte. Diese Begrndung ist schlechterdings keiner Evidenz fhig! Denn was heißt daß ich eine historische Thatsache glaube? Sie sich gefallen lassen, gestatten daß andere historische Wahrheiten darauf gebaut werden; nichts anderes, nicht mehr. Kann doch eine Lge unter gewissen Umstnden genau eben so gut historisch bewiesen werden als eine Wahrheit. Sicher sind unter den tausend historischen Fakten an denen zu zweifeln uns weder Vernunft noch Geschichte Anlaß geben ungeschehene Dinge. „O Geschichte, o Geschichte was bist du:“ ruft Lessing aus (10, 36 f. 57 f. 301). Aus dieser Natur des geschichtlichen Faktums folgt daß es schlechterdings keinen historischen Beweis fr das Christenthum oder eine andere Religion enthlt. Diese sehr wichtige methodische Einsicht ist bekanntlich schon bei Hume vorbereitet. Demgemß sieht alle Religion sich fr ihre ber die Vernunftwahrheit hinausgehenden Theile auf das innere Zeugniß der Erfahrung angewiesen. Dasselbe ist aber schlechterdings subjektiv, und indem dieser sein Charakter verkannt wird, entsteht eine zweite Klasse falscher Begrndungen, die schwrmerische. „Den allgemeinen einzig wahren Weg nach Gott zu wissen whnen“ – hier liegt die Ueberschreitung einer berechtigten persçnlichen Erfahrung welche i h r e n Weg zu ihm gefunden zu haben die glckliche Gewißheit besitzt. Diese wissenschaftliche Skepsis bereitet die moralische Selbstndigkeit des Menschen vor, welche der hçchsten Form seines Handelns zukommt. Und welche ist – das ist unsere letzte Frage – diese hçchste Form der menschlichen Handlungen? Den Werth oder Unwerth einer Handlung bestimmen ihre Beweggrnde. Der Beweggrund der vollkommen guten Handlung ist das Gute selber. „Nein sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je berzeugter sein Verstand einer immer besseren Zukunft sich fhlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgrnde zu seinen Handlungen sich zu erborgen nicht nçthig haben wird; da er das Gute thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkhrliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem blos heften und strken sollten, die inneren besseren Belohnungen desselben zu erkennen“ – sie wird gewiß kommen, „die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums.“ Dieser Gedanke erst bricht vçllig mit der theologischen Aufklrung; er erst spricht den Kern in diesem neuen Lebensgefhl aus, welches in Deutschland mit Lessing heraustrat. Gegenber einer Transscendenz welche den gegenwrtigen
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Augenblick zum Mittel fr einen knftigen macht, welche unsere Empfindungen hinausreißt in eine ungewisse Zukunft, ist es der selbstndige Werth jedes Tages in unserem Dasein, der so nicht wiederkehrt, von dem Lessing erfllt ist. Man kann nicht schneidender das Hangen und Bangen um eine jenseitige Welt verurtheilen als Lessing thut, derselbe Lessing welcher von der Individualitt und Fortdauer der Seele in irgend einer Form vçllig berzeugt war. „So viel fngt man ziemlich an zu erkennen, daß dem Menschen mit der Wissenschaft des Zuknftigen wenig gedient sei; und die Vernunft hat glcklich genug gegen die thçrichte Begierde der Menschen, ihr Schicksal in diesem Leben voraus zu wissen geeifert. Wann wird es ihr gelingen, die Begierde, das Nhere von unserem Schicksal in jenem Leben zu wissen, eben so verdchtig, eben so lcherlich zu machen? Ueber die Bekmmerungen um ein knftiges Leben verlieren Thoren das gegenwrtige. Warum kann man ein knftiges Leben nicht eben so ruhig abwarten als einen knftigen Tag? Wenn es auch wahr wre daß es eine Religion gbe, die uns von jenem Leben ganz ungezweifelt unterrichtete, so sollten wir lieber dieser Religion kein Gehçr geben.“ Also um des Guten willen das Gute thun, um der Forschung selber willen die Wahrheit suchen, inmitten der energischen Bethtigung unserer Krfte nie auf ein abstraktes Ziel sehen, sondern auf das lebendige innere Wachsthum des Menschen selber! Der von diesen Gesinnungen erfllt war, erscheint in der intellektuellen Geschichte Deutschlands als der erste ganz mndige Mensch. Gçthe, Hegel, Schleiermacher haben diese Gesinnung weiter entwickelt. Lessing bleibt, daß er zuerst, indem er sein Leben der Unruhe, dem Kampf, der Geldnoth, der totalen Einsamkeit preisgab, die Mndigkeit des Geistes erkmpft hat. Sein Charakter wie sein Lebensideal tragen unverkennbar die Spuren dieses Kampfes. In seiner Selbstndigkeit ist etwas der Welt Trotzendes. Zuweilen rttelt er doch wie Rousseau an ihren gesellschaftlichen Bedingungen wie an eisernen Stangen. „Am Ganges, am Ganges nur giebt’s Menschen.“ „Der wahre Bettler ist doch einzig und allein der wahre Kçnig.“ „Ordnung muß also doch auch ohne Regierung bestehen kçnnen? Ob es wohl mit den Menschen dahin kommen wird?“ „Wohl schwerlich.“ „Schade.“ „Ja wohl.“ Diese trotzige Mnnlichkeit ist der hçchste Zauber in Lessing’s Stil, in den Helden seiner Dramen, in der Art wie er auf dem Boden der Erde stand und sich umsah. Ein volles Behagen an Lessing wird immer nur mnnlichen Naturen mçglich sein. So entwickelte sich aus dem Lebensgefhl Lessing’s ein Ideal welches den Charakter aller Motive des vollkommenen Handelns bestimmte. Es entwickelte sich aber in ihm zugleich eine Anschauung von der Natur der Motivation selber. Die Selbstndigkeit des mndigen Menschen bildete Lessing’s Lebensideal; die strengste Nothwendigkeit im Zusammenhang der Handlungen bildete seine Anschauung von der Natur des Willens, welcher dies Lebensideal
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verwirklichen soll. Das war kein Widerspruch. Nur die Zweideutigkeit des Wortes Freiheit kann hier einen solchen hervorbringen. Der Determinismus Lessing’s, d. h. seine Lehre daß die Vorgnge im Inneren des Menschen ebenso unabwendbar nach dem Satze vom Grunde verlaufen als der Lauf der Gestirne oder der Fall eines geschleuderten Kçrpers, und daß demgemß fr einen freien Willen der auf Grund der nmlichen Motive so und auch anders entscheiden kçnne hier nirgends ein Raum sei – der Determinismus Lessing’s stammt nicht aus einer allgemeinen Weltansicht, sondern aus dem freien, genialen Studium der moralischen Welt in welchem bei Lessing Denker und Dichter sich begegneten. Dies wird daraus sehr deutlich daß er schon in seinen Dramen und in seiner Theorie des Schauspiels ausgesprochen ist, in der letzteren mit ganz klaren und planen Worten. Nicht nur ausgesprochen, nein die ganze Dramaturgie ist von dem Gedanken durchdrungen daß das Gesetz der Causalitt auch im Inneren des Menschen ganz ausnahmlos und universell herrsche. „Das Genie kçnnen nur Begebenheiten beschftigen, die ineinander gegrndet sind, nur Ketten von Ursachen und Wirkungen. Diese auf jene zurck zu fhren, jene gegen diese abzuwgen, berall das Ungefhr auszuschließen, alles was geschieht so geschehen zu lassen daß es nicht anders geschehen kçnnte, das, das ist seine Sache (7, S. 134). Das Lehrreiche liegt nicht in den bloßen Faktis, sondern besteht in der Erkenntniß daß diese Charaktere unter diesen Umstnden solche Fakta hervorzubringen pflegen und hervorbringen mssen“ (7, 150). In der That kann unter dieser Voraussetzung allein der Zweck der Tragçdie erreicht werden, durch welchen sie philosophischer ist als die Geschichte selber: „auf dem Theater sollen wir nicht lernen, was dieser oder jener Mensch gethan hat, sondern was ein jeder Mensch unter gewissen gegebenen Umstnden thun werde.“ Ein jeder; nicht etwa der welcher Lust dazu hat, andere aber das Gegentheil. In dem genialen Kopf spiegelt sich die moralische Welt als ein unbedingt geschlossener Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen und diesen Zusammenhang macht die Tragçdie anschaulich. Ist es nçthig sich gegen die Annahme bei einem Manne von Lessing’s Wahrheitssinn zu verwahren daß das dramatische Genie ein falsches Bild der moralischen Welt entwerfe? Er wre der erste gewesen, alsdann die Schließung aller Theater zu verlangen. Aeußerungen seiner Personen sind hufig citirt worden welche mit dem Gedanken der Nothwendigkeit spielen. Uns scheint diese deterministische Ueberzeugung auch jenen Schluß der Emilia Galotti ganz zu erklren welcher so vielem Tadel unterworfen worden ist. Man wird zugestehen mssen daß dieser Schluß, die Ermordung der Emilia, nicht in dem großen Zug leidenschaftlicher Empfindung gedacht ist, in welchem etwa Shakespeare diese ungeheure tragische Verwickelung zum Abschluß gefhrt htte. Ueber Anderes wird sich
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streiten lassen. In Einem Punkt wird unsere moralische Empfindung berhaupt und ohne alle Frage verletzt. Jene Worte „ich habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes Blut als eine. Auch meine Sinne sind Sinne u. s. w.“ zerstçren das ganze Bild Emiliens. Emilie sollte in einem Augenblick der noch von Blut trieft, gegenber einem Manne der eben die Ermordung ihres Brutigams, wie sie weiß, verschuldete und sie gewaltsam, ihren edlen Eltern offen Hohn sprechend, zurckhlt, also da nach allen psychologischen Gesetzen das Freiheitsgefhl eines reinen Willens die grçßte Strke, ja eine der ganzen Welt trotzende Strke haben muß, sich vor der Wrme ihres Bluts, der Verfhrbarkeit ihrer Sinne frchten? Nein, der Dichter frchtet. Er welcher mit seiner schmerzlich tiefen Einsicht in die Natur menschlicher Motivation hinter ihr steht, er flstert ihr zu daß kein abstrakter Wille im Stande sein werde, wann erst diese jetzt jeden Nerv durchdringende heroische Stimmung der Seele vor anderen Eindrcken gewichen sei, sie so, mit dieser ganzen zweifellosen, unerschtterlichen Strke wieder aufzurufen. Und so entsteht das unsere moralische Empfindung in der Stelle Verletzende dadurch, daß hinter der Maske des reinen und darum seiner Zukunft unbewußten, heroisch bewegten Mdchens der Dichter hervorblickt, welcher, auf Grund seiner Einsicht in den Verlauf der Motivation, dem auch unsere am meisten heroischen Entschlsse nicht entnommen sind, in ihre Zukunft hinausschaut: s e i n e ernste Weisheit – vielleicht hat menschliche Weisheit keine ernstere, ja schmerzlichere Einsicht zu gewinnen als diese – rth ihr lieber zum Dolch zu greifen als in den Hnden des Prinzen zu bleiben, welche auch die festen Entschlsse dieses Augenblicks seien. In Wolfenbttel hat dann Lessing auch seinen Determinismus zum theoretischen Abschluß gebracht. In seinen Anmerkungen zu den philosophischen Aufstzen von Jerusalem bespricht er das in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug anzuschlagende Problem. Die Worte Lessing’s sind kurz und zum Theil rthselhaft. Es kommt darauf an, ihnen den mçglichsten Ertrag abzugewinnen, indem man ihre Beziehung zu dem Aufsatz selber in’s Auge faßt. Zu diesem Zweck mssen wir sie dem Leser in’s Gedchtniß zurckrufen. „Der Aufsatz – so urtheilt Lessing – zeigt wie wohl der Verfasser ein System“ (das deterministische) „gefaßt hatte, das wegen seiner gefhrlichen Folgen so verschrien ist und gewiß weit allgemeiner sein wrde, wenn man sich so leicht gewçhnen kçnnte, diese Folgerungen selbst in dem Lichte zu betrachten, in welchem sie hier erscheinen. Tugend und Laster, s o erklrt, Belohnung und Strafe h i e r a u f eingeschrnkt, was verlieren wir, wenn man uns die Freiheit abspricht? Etwas, wenn es etwas ist, was wir nicht brauchen, was wir weder zu weiterer Thtigkeit hier, noch zu weiterer Glckseligkeit dort brauchen. Etwas, dessen Besitz weit unruhiger
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und besorgter machen mßte, als das Gefhl seines Gegentheiles nimmermehr machen kann. Zwang und Nothwendigkeit, nach welchen die Vorstellung des Besten wirkt, wie viel willkommener sind sie mir als kahle Vermçgenheit, unter den nmlichen Umstnden bald so bald anders handeln zu kçnnen! Ich danke dem Schçpfer, daß ich muß, das Beste muß. Was wrde geschehen, wenn ich einer blinden Kraft unterworfen wre, die sich nach keinen Gesetzen richtet, und mich darum nicht minder dem Zufall unterwirft, weil dieser Zufall sein Spiel in mir selbst hat? Also von Seiten der M o r a l ist dieses System geborgen. Ob aber die S p e c u l a t i o n nicht noch ganz andere Einwendungen dagegen machen kçnne? Und solche Einwendungen, die sich nur durch ein zweites, gemeinen Augen eben so befremdliches System heben ließen? Das war es, was unser Gesprch so oft verlngerte und mit Wenigem hier nicht zu fassen steht.“ Jerusalem’s Aufsatz war eine Vertheidigung des Determinismus. Lessing stellt als das Verdienst des Aufsatzes hin, die Folgerungen aus der Leugnung der Freiheit beseitigt zu haben, welche diese so verschrieen machen. Dieses Verdienst betrifft nach ihm zwei Punkte, eine Erklrung von Tugend und Laster, eine Einschrnkung von Lohn und Strafe. Er bezieht sich also auf die beiden ersten falschen Consequenzen aus der Leugnung der Willensfreiheit, welche Jerusalem zurckweist. Mit dieser Leugnung – so sagt man – soll der Unterschied von Tugend und Laster aufhçren; mit ihr soll alle Verbindung zwischen unserem gegenwrtigen Zustande und unserem Zustande nach dem Tode aufgehoben sein. Indem nun Jerusalem die Tugend als Beherrschung unserer Leidenschaften, d. h. der dunklen Vorstellungen, durch die Vernunft erklrt, so erkennt man wiefern die Tugend, gleichviel wie es mit der Freiheit stehe, eine Vollkommenheit bleibt: sie ist die Strke der Vorstellungskraft. Indem dann Jerusalem Belohnungen und Strafen auf die verschiedenen Vollkommenheitsgrade der Seele in ihrer weiteren Entwickelung einschrnkt, wird die Verbindung d i e s e r knftigen Zustnde mit den gegenwrtigen sittlichen Zustnden erst recht aufgeklrt. Diese beiden Einwendungen, welche die Moral macht, hat demgemß Jerusalem zur Zufriedenheit Lessing’s abgewiesen. Lessing selbst fgt noch einen tiefen und bedeutenden Gedanken ber diese moralische Seite des Determinismus hinzu. Ein gesetzlicher Zusammenhang, welcher auf die Verwirklichung des Weltbesten gerichtet ist, ist berall eine Vollkommenheit, auch in unserer Seele; denn wo er endigt, erscheine ich schlechterdings dem Zufall unterworfen und es ist vçllig gleichgltig, ob dieser Zufall in mir selber sein Spiel hat oder in der ußeren Welt. Dem wohlthtigen Zusammenhang eines unser Laster mitumfassenden Plans wirst du entnommen und einem Zufall in dir preisgegeben. Jerusalem hatte nun aber noch eine dritte Consequenz behandelt und ber die Art, wie er diese behandelt,
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schweigt Lessing. Warum? „Es wre unpolitisch gewesen – lßt er Mendelssohn einen anderen Punkt betreffend sagen – wenn ich auf alle Blçßen meines Verfassers so deutlich gewiesen htte.“ Die Art wie Jerusalem den Vorwurf behandelt, bietet freilich eine starke Blçße. Die dritte Consequenz war diese, daß Gott selber auf diese Art zur Ursache alles moralischen Bçsen werde. Jerusalem gesteht das zu und fhrt fort: „es scheint mir fr den Schçpfer nicht unanstndiger zu sein, Wesen zu erschaffen, die aus Mangel von deutlichen Begriffen die Leidenschaften nicht besiegen, als solche, die aus einer gleichen Ursache ein Newtonsches Problem nicht auflçsen kçnnen.“ Das war keine Antwort fr einen Lessing, welcher die ernste Erkenntniß gewonnen hatte, daß, gleichviel welche unsere Speculationen, unsere Kenntnisse seien, die Beweggrnde unserer Handlungen ausschließlich unseren Werth ausmachen. Aber hatte er eine andere? In der Krze gewiß nicht. Hebler hat schon bemerkt, daß der Determinismus berall einer Theodicee bedrfe. Zu einer solchen also drngte Lessing sein Determinismus, wenn er die schrille Dissonanz von vçlligem Unwerth, grenzenlosem innerem Unglck ohne alle Schuld irgendwie versçhnen wollte. An diesem Punkte also trennte sich Lessing von Jerusalem. „Ein zweites, gemeinen Augen eben so befremdliches System“ gab es fr ihn, welches die Theodicee des Determinismus enthielt. Welche war seine Theodicee? Wir kçnnen hierauf definitiv erst antworten, indem wir die allgemeine Untersuchung beginnen: welche war die Anschauung Lessing’s von der Stellung des Menschen, wie e r ihn ansah, zu dem Zusammenhang, zu dem Plane der Welt? Alles Bisherige wre verlorene Mhe, falls nicht dies ganz klar geworden wre, daß Lessing, wie er auch gelegentlich ber diesen oder jenen Punkt philosophiren mochte, mit Hilfe der metaphysischen Begriffe bald von Spinoza, bald von Leibnitz, bald von Wolff, den bleibenden, ihm selber ganz gewissen Kern seiner Gedanken in seinem Studium der moralischen Welt und in den Folgerungen, welche sich aus diesem fr die Anschauung des Weltganzen ergaben, besaß. Er war weder Gelegenheitsdenker wie die Einen, noch ein speculativer Philosoph wie die Anderen sagen. Wenn er hie und da metaphysische Begriffe entlieh, so geschah das um den großen Zug seiner wahren Forschungen auch von anderen Seiten zu begrnden. Man findet keine Spur, daß er die falschen Leibnitz-Wolff’schen Begriffe von Wirklichkeit als Inbegriff von eigenschaftlichen Bestimmungen, von Wirklichkeit als dem Complement der Mçglichkeit oder hnliche kritisch untersucht htte: es ist eben die Metaphysik seiner Zeit, deren er sich bediente: aber htte er ihren Zusammenbruch erlebt, so wre damit fr ihn von jenem Kern seiner Gedanken nichts berhrt worden, der seine Bedeutung als eines schçpferischen Denkers ausmacht. Dieser lag in seiner intuitiven Anschauung und in seinem analytischen Studium des Menschen.
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Dies ganz verstanden, sind wir gerstet, jene Nachricht von dem Gesprch zwischen Lessing und Jakobi im Jahre 1780, welches der letztere aufgezeichnet hat als das philosophische Testament Lessing’s, und ber welches dann der denkwrdige Streit entstand, kritisch zu wrdigen. Jakobi hatte sich Lessing angekndigt, um in ihm „die Geister mehrerer Weisen zu beschwçren, die er ber gewisse Dinge nicht zur Sprache bringen kçnne.“ Es war also auf eine Discussion abgesehen, in welcher jedenfalls Spinoza eine hervorragende Rolle spielen sollte. Ich lasse Jakobi erzhlen: „Meine Reise kam zu Stande und den 5. Juli (1780) Nachmittags hielt ich Lessing zum ersten Mal in meinen Armen.“ Er bleibt zu Wolfenbttel als Lessing’s Gast. Wie dieser am folgenden Morgen auf sein Zimmer tritt, giebt er ihm Gçthe’s Prometheus zu lesen. Lessing: „ich habe kein Aergerniß genommen, ich habe das schon lange aus der ersten Hand. Der Gesichtspunkt, aus welchem das Gedicht genommen ist, ist mein eigener Gesichtspunkt. Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr fr mich. eÅn kai` pa˜n. Ich weiß nichts anderes. Dahin geht auch dies Gedicht und ich muß gestehen, es gefllt mir sehr.“ Da hatte ihn Jakobi offenbar wo er wollte. Er macht einen Sprung bei seinem Spinoza zu sein. „Da wren Sie ja – sagt er – mit Spinoza ziemlich einverstanden?“ Lessing: „wenn ich mich nach jemandem nennen soll, so weiß ich keinen anderen.“ Aber dann gleich, wie Jakobi hervorbricht, ein wie schlechtes Heil in Spinoza sei, mit der großartigen Nachlssigkeit, die sein Verhltniß zu metaphysischen Begriffen bezeichnet, so oft er sich metaphysischen Schwrmern gegenber sah: „ja, wenn Sie wollen – und doch! – wissen Sie etwas Besseres?“ Das heißt doch wohl: so lange wir keine gute Metaphysik haben – und wer weiß, ob der menschliche Kopf fr eine solche gemacht ist? – dnkt mich die Spinoza’s die beste. Sie wurden unterbrochen. Am folgenden Tag nahmen sie in Jakobi’s Zimmer das Gesprch wieder auf. Ich glaube nicht, daß Jakobi’s Bericht ber den Anfang desselben genau ist: „Ich bin gekommen – sagt Lessing – ber mein eÅn kai` pa˜n mit Ihnen zu reden. Sie erschraken gestern.“ Im Verlauf sagt Lessing: „es giebt keine andere Philosophie als die des Spinoza,“ und als Jakobi das durch den Satz begrndet: „der Determinist, wenn er bndig sein will, muß zum Idealisten werden: hernach ergiebt das Uebrige sich von selbst,“ fhrt Lessing fort: „ich merke, wir verstehen uns.“ Wie er selber aber sich zum Determinismus verhielt, spricht er auf’s Strkste aus: „Ich merke – sagt er zu Jakobi – Sie haben gern Ihren Willen frei. Ich begehre keinen freien Willen.“ Und dann als Jakobi sich scharf gegen den Determinismus ausspricht: „Sie drcken sich beinahe so herzhaft aus wie der Reichstagsschluß zu Augsburg; aber ich bleibe ein ehrlicher Lutheraner und halte an dem mehr viehischen als menschlichen Irrthum und Gotteslsterung, daß kein freier Wille sei.“
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Also die weitere Frage an das Gesprch ist wie er sich nunmehr dies aus der Einsicht in die Unfreiheit des Menschen folgende eÅn kai` pa˜n dachte. Seine Aeußerungen sind: „Spinoza war weit davon entfernt, unsere elende Art nach Absichten zu handeln fr die hçchste Methode auszugeben und den Gedanken obenanzusetzen.“ „Es gehçrt zu den menschlichen Vorurtheilen, daß wir den Gedanken als das Erste und Vornehmste betrachten und aus ihm Alles herleiten wollen; da doch Alles, die Vorstellungen mit einbegriffen, von hçheren Prinzipien abhngt. Ausdehnung, Bewegung, Gedanke sind offenbar in einer hçheren Kraft gegrndet, die noch lange nicht damit erschçpft ist.“ Dazu Jakobi’s Bericht: „Wenn sich Lessing eine persçnliche Gottheit vorstellen wollte, so dachte er sie als die Seele des Alls und das Ganze nach der Analogie eines organischen Kçrpers. Man kçnnte sich von der innerlichen Oekonomie eines solchen Wesens mancherlei Vorstellungen machen.“ So spielte er mit dem Gedanken, Tod und Leben der Individuen wie eine Expansion und Contraktion desselben vorzustellen. „Mit der Idee eines persçnlichen schlechterdings unendlichen Wesens, in dem unvernderlichen Genusse seiner allerhçchsten Vollkommenheit, konnte sich Lessing nicht vertragen. Er verknpfte mit derselben eine solche Vorstellung von unendlicher Langeweile, daß ihm Angst und Weh dabei wurde. Eine mit Persçnlichkeit verknpfte Fortdauer des Menschen nach dem Tode hielt er nicht fr unwahrscheinlich. Er sagte nur, er htte im Bonnet Ideen angetroffen, die mit den seinigen ber diesen Gegenstand, berhaupt mit seinem System sehr zusammentrfen.“ Dies der Inhalt des Gesprchs. Derselbe war so abweichend von den bisherigen Vorstellungen ber Lessing’s Philosophie, daß gerade seine nchsten Freunde, Mendelssohn voran, am Schrfsten abgestoßen wurden. Konnte er cht sein? Niemand zweifelte; gerade Mendelssohn bezeugte, es sei als hçre man die beiden reden. Aber vielleicht sprach hier Lessing gar nicht seine wahre Meinung aus? Mendelssohn berief sich auf Lessing’s Paradoxie; ihm erschienen Lessing’s Aeußerungen als „witzige Einflle“ mit denen er Jakobi unterhalten und von denen „schwer zu sagen, ob sie Schkerei oder Philosophie sein sollten.“ Wie also sollen wir uns zu diesem seltsamen Dokument verhalten? Keinesfalls so daß wir die abstrakte Frage, ob Lessing wirklich, wie Jakobi behauptet, ein Spinozist gewesen, uns vorlegen. Auf diese wird man unter allen Umstnden mit Nein antworten mssen. Wir werden vielmehr die einzelnen, mit besonnener Kritik im Geist eines Gesprchs verstandenen Aeußerungen Lessing’s, die Jakobi berliefert, mit Lessing’s sonstigen Ansichten vergleichen mssen. Ich gehe von einer Nachricht aus, von welcher zu erstaunen ist, daß sie noch nicht methodisch ausgebeutet worden ist, da sie zunchst den ganzen Zusammenhang des Gesprchs, also die Hauptsache, in berraschender Weise best-
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tigt. In der Biographie Lessing’s von seinem Bruder findet sich der erwhnte treffliche Bericht von Klose ber den Breslauer Aufenthalt desselben. „Zugleich – heißt es darin – wurde Spinoza’s Philosophie der Gegenstand seiner Untersuchungen. Er las diejenigen, welche ihn hatten widerlegen wollen, worunter Bayle nach seinem Urtheil derjenige war, der ihn am Wenigsten verstanden hatte. D i p p e l war ihm der, welcher in des Spinoza wahren Sinn am Tiefsten eingedrungen. Doch hat er hier nie das Mindeste wie gegen Jakobi auch seinen Vertrautesten geußert.“ Und wie verstand Dippel den Spinoza, er der ihn nach Lessing’s Urtheil von allen Gegnern desselben – und das hieß ja damals so viel als von allen so ziemlich welche ber Spinoza geschrieben hatten – am Besten verstand? Man sollte denken, diese Frage htte sich, Angesichts des leidenschaftlich verhandelten Problems vom Spinozismus Lessing’s, sofort aufgedrngt. Niemand hat sie gestellt. Die Antwort liegt in Dippel’s genialer Schrift fatum fatuum oder die thçrichte Nothwendigkeit. Man kann sie nicht lesen ohne nebenbei zu bemerken, wie wenig dieser bedeutende philosophische Kopf bisher noch gewrdigt worden ist. Unter anderem findet man hier eine Anticipation der Schopenhauer’schen Theorie von der secundren Bedeutung des Intellekts gegenber dem Willen. Also Dippel erklrt: Die Lugnung der menschlichen Freiheit ist der springende Punkt aus dem, Consequenz an Consequenz geschlossen, der Spinozismus sich bilden muß. Diese Lugnung trat zuerst in dem prdestinatianischen Dogma der reformirten Kirche hervor, damals als eine Sekte derselben die Nothwendigkeit noch ber den Sndenfall hinausschob. „Soweit hatte die Lehre von der fatalen Nothwendigkeit die Stufen einer unvermeidlichen und fatalen Confusion erreicht, da schrfere Vernunftgeister diese pedantischen Dispute der Priester in reifere Ueberlegung zogen.“ Diese schlossen: da die zweite Ursache, der menschliche Wille, aller Aktivitt sich selbst zu determiniren beraubt sei, so msse man Gott in Rcksicht seiner Gebote der Heuchelei beschuldigen, indem man ihn jenes Bçse eifrig verbieten lasse, dessen Urheber er sei, oder man msse glauben, daß die Religion und alle Gesetze der Politik der Fund kluger Leute gewesen. So sei der Religionsbegriff von Hobbes und Spinoza entstanden. Und zugleich der Gottesbegriff. Denn auf diesen Gutes wie Bçses hervorbringenden Gott kçnne „das Denkbild, daß er heilig und gut sei“ nicht mehr angewandt werden. Endlich die letzte Consequenz zog „der dritte Gaukler“ – Spinoza. „Dieser Dornbusch oder Spinosa sah alsobald, daß es gleichviel gesagt sein wrde, Kreaturen zu denken, welche unter der leitenden fatalen Direktion der ersten bewegenden Ursache stnden oder die erste bewegende Ursache selbst als das
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Wesen aller sogenannten Kreaturen anzugeben.“ Demnach erkannte er in diesen Kreaturen nichts als „Weisen und Stellungen des gçttlichen Wesens.“ Also der Hauptgedanke des Gesprchs zwischen Jakobi und Lessing ist anderweitig begrndet. Es ist dargethan worden, daß Lessing Determinist war; als ein solcher stellt er sich im Gesprch mit Jakobi offen dar. Es ist dargethan worden, daß Lessing den Schluß Dippel’s aus der Nothwendigkeit der menschlichen Handlungen darauf, daß dieselben in der ersten Ursache gegrndet seien, und hieraus auf eine vernderte Anschauung dieses ersten Grundes, welcher die Aktionen aller einzelnen Menschen in sich faßt, fr das wahre Fundament des Spinozismus hielt: das ist derselbe Gedankengang, in welchem Jakobi und Lessing bei jenem Gesprch zusammentreffen. Ja wenn man bisher wohl geneigt war zu glauben, Jakobi habe Lessing diesen seinen Gedankengang untergeschoben, so kçnnte man nunmehr eher dem Gedanken Raum geben, Lessing habe auf diesen Gedankengang Jakobi’s einen bestimmenden Einfluß ausgebt, da derselbe vor diesem Gesprch nirgend in Jakobi’s Schriften zu finden ist. Doch diese Frage wrde hier zu weit fhren, zumal hier auch die Einwirkung von Hemsterhuys eingreift. Fr uns fragt sich vielmehr weiter: welche ist die genauere Vorstellung Lessing’s von diesem alle Aktionen der einzelnen Menschen umfassenden und determinirenden Grunde der Dinge? Und hier bieten sich einige in einander greifende Aeußerungen dar, welche die eben hingestellte Anschauung besttigen und ihre nhere Bestimmung gestatten. Es ist ein kleiner Aufsatz Lessing’s vorhanden: „ber die Wirklichkeit der Dinge außer Gott,“ welcher eine Widerlegung der dualistischen Weltansicht aus den Voraussetzungen von Leibnitz versucht; er ist wohl aus der Breslauer Zeit; aber seine Uebereinstimmung mit §. 75 der „Erziehung“ und mit dem Bericht Jakobi’s ber sein Gesprch versichern uns, daß die hier geußerten Ueberzeugungen auch die seines letzten Lebensjahres waren. Hçren wir ihn also. Nichts ist außer Gott. Es giebt kein Dasein, das von Gott unterschieden wre. „Alle Dinge sind in ihm wirklich.“ Und zwar lßt sich das Verhltniß des einzelnen Dings zu diesem eÅn kai` pa˜n, in welchem es ist, folgendermaßen vorstellen „die Begriffe, die Gott von den wirklichen Dingen hat, sind diese wirklichen Dinge selbst.“ „Sagen, daß das Ding auch außer seinem Urbild in Gott (der Vorstellung desselben in Gott) existire, heißt dessen Urbild auf eine eben so unnçthige als ungereimte Weise verdoppeln.“ So erhalten wir einen ganz vernderten Begriff der Einheit Gottes: „Gottes Einheit muß eine transscendentale Einheit sein, welche eine Art von Mehrheit nicht ausschließt.“ So stellt also Lessing das Verhltniß der Dinge zu Gott nach der Analogie des Verhltnisses unserer Vorstellungen zu unserem vorstellenden Ich vor. Es ist
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dieselbe Analogie, durch welche noch das letzthervorgetretene System das Verhltniß Gottes zu den wirklichen Dingen aufzuklren unternommen hat (Lotze, Mikrokosmos I, S. 414-417). Dieser Pantheismus Lessing’s – wenn die Bezeichnung zutreffend erscheint – ist ganz verschieden von demjenigen, welchen Jakobi dem Spinoza zuschrieb. Lessing war nicht Spinozist im Verstande Jakobi’s, sondern, soweit er es berhaupt war, in seinem eigenen und – in einem richtigeren und tieferen. Aus Jakobi selber sind wir das zu beweisen im Stande. Er giebt die Notiz, daß „Lessing als das Dunkelste im Spinoza erwhnte, was auch Leibnitz so gefunden und ganz so verstanden htte, Theodicee §. 173.“ Und was ist dieses? Ich bersetze: „Spinoza scheint ausdrcklich eine blinde Nothwendigkeit gelehrt zu haben, indem er dem Grund der Welt Verstand und Wille absprach. Es ist wahr, daß Spinoza’s Meinung ber diesen Punkt etwas Dunkles hat. Denn er spricht Gott das Denken zu, nachdem er ihm den Verstand abgesprochen hat.“ Gerade dieser Punkt ist neuerdings Gegenstand scharfsinniger Untersuchung Trendelenburg’s geworden, auch Spinoza scheint einen von der Totalitt der denkenden Individuen unterschiedenen unendlichen Intellekt in Gott anzunehmen. Lessing faßte ihn so auf und hatte volles kritisches Recht dazu. Und daher mçchte auch das grobe Mißverstndniß Spinoza’s, wie es in der obigen angeblichen Aeußerung Lessing’s liegt: „Ausdehnung, Bewegung, Gedanke sind offenbar in einer hçheren Kraft gegrndet“ vielmehr eine falsche Erinnerung Jakobi’s sein, mit dessen bekannten ersten Thesen ber Spinoza es bereinstimmt, als ein chtes Wort Lessing’s. An diesem Punkt stimmen berhaupt die sonstigen Aeußerungen Lessing’s nicht mehr mit dem Bericht Jakobi’s berein, und wir mssen also die Expansionen und Contraktionen, die hçhere Kraft u. s. w. dahin gestellt sein lassen. Ja, indem man bemerkt, daß Lessing Jakobi ruhig sich auf Mendelssohn berufen lßt hinsichtlich des Ursprungs der prstabilirten Harmonie in Spinoza, whrend er selber doch diesem Mißverstndniß gegenber den wahren Spinoza lngst hergestellt hatte (11, 112 u. an Mendelss.); wenn man bemerkt, daß er den in dem oben benutzten Aufsatz versuchten Beweis des Pantheismus aus den Begriffen von Leibnitz ebensowenig geltend macht: so kann wohl kaum Zweifel darber sein, daß er hier sich nicht mehr von Jakobi ausholen ließ, sondern ihn ausholte und daß Jakobi aus hingeworfenen Wendungen hier mit seiner lebhaften Darstellungsgabe ganz Anderes gemacht hat, als er durfte. Wir gehen weiter. Indem wir uns diese allumfassende Gottheit vorstellen, in welcher die einzelnen Individuen wie Begriffe in einem Geiste enthalten sind, erhebt sich von Neuem jene Frage, welche sich schon gegenber der Annahme eines unfreien Willens hervordrngte; wir bedrfen einer Theodicee; wie sollen wir das Bçse
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begreifen in einer Welt, deren jeder Theil in Gott ist? Das Problem, welches der Determinismus aufgiebt, hat sich noch geschrft. Und wenn Lessing in den Bemerkungen zu Jerusalem von einem „zweiten gemeinen Augen befremdlichen System“ sprach, welches dieses Problem lçse: nun ist die Zeit zu erklren, welches System er damit gemeint haben kann. Ich denke, in diesem Zusammenhang kann kein Zweifel darber entstehen, daß Hebler die richtige Antwort gegeben hat. Der Spinozismus ist diese Lçsung nicht; er gerade giebt ja dem Problem seine ganze Schrfe. Sie liegt in Lessing’s merkwrdiger Theorie der Seelenwanderung, welche nunmehr als ein weiterer kritisch gesicherter Zug in seinem Weltbilde hinzutritt. Und zwar ein Zug von der tiefgreifendsten Bedeutung. Lessing dachte sich die Gottheit wie ein unendliches vorstellendes Wesen, in welchem alle realen Dinge den unendlich vielen einzelnen Vorstellungen zu vergleichen wren. Es gab hier nichts außerhalb der gçttlichen Nothwendigkeit, nichts, dem eine Willkr beiwohnte. Aber das Lebensideal Lessing’s, der selbstndige Mensch, welcher in wachsender Aufklrung zu steigender Vollkommenheit des Handelns voranschreitet, sucht in diesem allumfassenden gçttlichen Wesen seinen Platz. Es ist vçllig entgegengesetzt dem spinozistischen Lebensideal des in der adquaten Erkenntniß der Substanz alles unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit anschauenden und so von allen Affekten befreiten Menschen. Dieses Ideal Spinoza’s gehçrt noch dem pantheistischen System des Orients an, als seine große, auf den Gedanken gegrndete occidentalische Zusammenfassung. Lessing beginnt die lebensfreudige, vom Drang des Handelns bewegte Weltansicht, die in Hegel und Schleiermacher ihren ersten systematischen Abschluß erhielt. In der Einheit des Weltganzen erhlt diese Weltansicht doch das volle Recht der Individualitt. Und zwar geschieht dies durch den Gedanken der Entwickelung, durch welchen Leibnitz diese große deutsche Bewegung wissenschaftlich vorbereitet hat. An die Stelle des Dualismus zwischen Welt und Gott, gut und bçse, diesseits und jenseits, Himmel und Hçlle stellt Lessing, er zuerst ganz offen und ganz consequent, den Gedanken einer sttigen Entwickelung. Kein denkendes Individuum in diesem Weltganzen darf, ohne Schuld an seiner Determination wie es ist, verloren gehen. Eben dieselbe Bahn einer sttigen Entwickelung, welche das Menschengeschlecht durchluft, ist auch die jedes einzelnen Individuums. Unser Auge, das seine von Geburt und Tod umgrenzte Erscheinung umfaßt, sieht nur Einen Punkt seiner Bahn. Aber diese Bahn verluft sich nicht in ein Jenseits; ihre Punkte liegen alle nebeneinander in diesem Weltall und seinen Bedingungen, ja vielleicht auf dieser Erde selber. §. 98 „Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf einmal so viel weg, daß es der Mhe wiederzukommen et-
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wa nicht lohnet? §. 99. Darum nicht? – Oder weil ich es vergesse, daß ich schon dagewesen? Wohl mir, daß ich es vergesse. Die Erinnerung meiner vorigen Zustnde wrde mir nur einen schlechten Gebrauch des gegenwrtigen zu machen erlauben. Und was ich auch itzt vergessen muß, habe ich denn das auf ewig vergessen? §. 100. Oder weil so viel Zeit verloren gehen wrde? – Verloren? – Und was habe ich denn zu versumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?“ Hiermit stehen wir an Lessing’s letztem Wort gegenber dem abstrakten Dualismus der theologischen Aufklrung. Man mag auch hier gegenwrtig einflußreiche Systeme vergleichen, um zu erkennen, daß Lessing schlechterdings uns noch ein gegenwrtiger ist. Schopenhauer hat die Seelenwanderungslehre wiederaufgenommen. Und Lotze sagt (Mikrokosmos III, 51): „die Ahnung, daß wir nicht verloren sein werden fr die Zukunft, daß die, welche vor uns gewesen sind, zwar ausgeschieden sind aus dieser irdischen, aber nicht aus aller Wirklichkeit, und daß in welcher geheimnißvollen Weise es auch sein mag, der Fortschritt der Geschichte doch auch fr sie geschieht: dieser Glaube erst gestattet uns von einer Menschheit so zu sprechen, wie wir es thun.“ Also auch hier der Grundgedanke Lessing’s, nur mit ausdrcklicher Ablehnung, dieses Mitfortleben des Individuums mit dem sttigen Fortschritt der Menschheit als eine Seelenwanderung auf unserer Erde zu denken. Wie begrndete Lessing diese Nothwendigkeit die unendliche sttige Entwickelung der Individuen als ein Wiedererscheinen unter kçrperlichen Bedingungen, in Geburt und Tod, zu denken? Warum kçnnen diese Individuen nicht in ganz anderer Form an der Entwickelung der Menschheit theilnehmen? Auch hier ist eine wichtige Notiz vorhanden, die niemand benutzt hat. Lessing sagte, er habe „in Bonnet Ideen angetroffen, die mit den seinigen ber diesen Gegenstand (eine mit Persçnlichkeit verknpfte Fortdauer des Menschen) und berhaupt mit seinem System sehr zusammentrfen.“ Nun ist merkwrdig wie ein Mensch Bonnet’s Palingenesie kennen kann und Lessing’s Aufsatz, „daß mehr als fnf Sinne fr den Menschen sein kçnnen“ lesen, ohne erstlich die sehr ernstliche Meinung des letzteren Aufsatzes nunmehr klar zu verstehen, dann aber auf eine Vermuthung zu gerathen die freilich unbeweisbar ist, die aber mir wenigstens erst diesen Aufsatz erklrt. Lessing hat Bonnet gelesen. Er hat eine Theorie der Sinne aufgestellt welche mit der Bonnet’s genau bereinstimmt. Es ist bisher immer als eine sonderbare Paradoxie erschienen wie Lessing gerade auf diesen ihm so fern liegenden Gedanken gerieth, der bei ihm vçllig in der Luft schwebt. Die Lçsung ist ganz einfach: mit seinen Gedanken ber Seelenwanderung las er Bonnet, und er fand hier, mit dem ganzen Apparat der Naturforschung ausgerstet, einen Gedanken, welcher dieser Lehre einen wissenschaftlichen Halt zu geben versprach. So erlangte die-
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ser Gedanke Einfluß auf die nhere Ausbildung seiner Hypothese. Und da Bonnet eben wie er selber ein Schler von Leibnitz ist, so verschmolzen sich die Gedanken beider leicht genug. So entstand jener paradoxe Aufsatz. Er gehçrt also Lessing’s letzter Zeit an. Nur Ein Gedanke – mçge man dies doch klar fassen! – kann uns zwingen ber die durch ethische Motive begrndete Anschauung einer unendlichen Bahn des voranschreitenden Individuums, welche mit der des Menschengeschlechts nicht außer Beziehung steht, zu der eines Wiedererscheinens der Seele in immer neuen Lebenslufen fortzugehen: der Gedanke daß die Empfindungs- und Denkprocesse unweigerlich an physiologische Bedingungen geknpft sind. Wenn dies bewiesen wre so kçnnte zugleich knftig von Fortdauer der Seele nur noch in dieser Form die Rede sein. Und diese ist die Voraussetzung von welcher Bonnet ausgeht. Ein Physiolog von Metier, mitten in der Entwickelung des franzçsischen Materialismus stehend, leugnete er nicht die Voraussetzung daß die Funktionen des Denkens und Empfindens an physiologische des Gehirns gebunden erschienen, aber er entzog sich der materialistischen Consequenz dieses Satzes, indem er auf eine alte Anschauung zurckging welche ebenfalls in dem Bedrfniß das Fortleben der Seele anschaulich mit den Organisationen unserer Erde verknpft zu sehen gegrndet war. Und in diesem Geiste sagt auch Lessing daß die Seele erst wenn sie mit Materie verbunden ist, wenn sie einen Sinn hat, fhig ist Vorstellungen zu haben (11, 459). An diese Grundlage der modernen Seelenwanderungslehre schließt sich consequent der folgende Gedanke Bonnet’s. Empfindung und Vorstellung ist an einen Kçrper gebunden, schlechthin nur durch diese Verbindung mçglich. Ihre Hçhe dependirt zunchst von der Zahl der Sinne. Denn die Zahl der empfindbaren Qualitten, die Zahl und Dauer der Empfindungen dependirt von den Sinnen. „Wir haben nur durch die Sinne Ideen. Das Maß unserer Erkenntnißfhigkeit ist demnach begrenzt durch unsere Sinne; unsere Sinne sind es durch ihre Struktur, und diese ist es wiederum durch die Stelle welche wir im Weltganzen einnehmen.“ Und so enthlt jedes animalische Wesen eine Mçglichkeit der Perfektibilitt in der Zahl und der Natur der Sinne. Diese wachsend denken, das heißt die Vervollkommung wachsend denken. „Der Keim eines neuen Kçrpers in uns kann die organischen Elemente ganz neuer Sinne enthalten. Diese neuen Sinne werden erscheinen in Kçrpern von einer uns bisher unbekannten Beschaffenheit. Wir kennen die in der Natur verbreiteten Krfte nur durch ihre Beziehung zu den einzelnen Sinnen auf welche sie wirken. Wie viel Krfte mag es geben deren Existenz wir nicht einmal ahnen, weil es keine Beziehung zwischen den Ideen giebt die wir durch unsere fnf Sinne erlangen, und denen welche wir durch andere Sinne erlangen kçnnten.“
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Nicht in diesem Zusammenhang aber an anderer Stelle spricht Bonnet auch bereits die Phantasie Lessing’s von der elektrischen und magnetischen Materie aus. Das war der Gedanke welchen Lessing in sein System aufnahm. „Jedes Stubchen der Materie kann einer Seele zu ihrem Sinne dienen.“ „Stubchen die der Seele zu einerlei Sinn dienen machen homogene Urstoffe.“ „Ein organischer Kçrper ist die Verbindung mehrerer Sinne.“ „Wenn man wissen kçnnte, wie viele homogene Massen die materielle Welt enthielte, so kçnnte man auch wissen wie viele Sinne mçglich wren.“ Und nun fhrt er aus wie z. B. die elektrische, wie die magnetische Materie homogene Massen seien, denen gegenwrtig kein Sinn entsprche, wie also eine Erweiterung der Erscheinungswelt durch die herrlichsten Phnomene dem weiter entwickelten Individuum bevorstehe. Trumereien? Sicher! Sie haben nur eine sehr reale Grundlage an dem Gedanken, daß menschliches Empfinden und Vorstellen physiologisch bedingt sei, daß eine wachsende Erkenntniß fr diese menschliche Seele daher nur durch neue, erweiterte physiologische Bedingungen des Fortlebens mçglich sein wrde. Diese ist die durch das Studium Bonnet’s vervollkommnete Lehre Lessing’s von der Palingenesie als der einzigen Form, in welcher Menschenseelen ihre Bahn vollenden kçnnten. Man gebe ihr doch wenigstens diese ihre ernste Begrndung wie sie vor Lessing’s Geiste stand: dann spotte man, wenn man kann! Wenn auch nur in Einem ernsten Forscher, der sich von dem nothwendigen Rapport unserer intellektuellen Processe mit physiologischen Processen nun einmal berzeugt hat, das Gefhl geweckt wrde daß die gçttliche Oekonomie der Welt auch so noch unzhlige, unbegreifliche Wege habe, das unglcklichste, kçrperlich und geistig verwahrloseste Individuum seine unendliche Bahn zu innerem Frieden durchlaufen zu lassen: wer drfte dann spotten? Wir kommen zum letzten Zug in seinem Weltbilde: dem sich nunmehr ergebenden Zusammenhang dieser in Gott gegrndeten, von ihm umfaßten unendlichen Flle sich entwickelnder Wesenheiten. Lessing scheut sich nicht, wenigstens in der lteren Dramaturgie, hier von einem Plan zu reden, von dem wir nur wenige Glieder kennen, ja die Gottheit mit einem schçpferischen Genie zu vergleichen. In diesem Sinne ist dann gedacht wenn er das Thier aus der Zusammenstellung seiner Sinne in einer bestimmten Art sich construirt vorstellt. In diesem Sinne wenn er es wagt dem Plan dieses „Schçpfers ohne Namen“ in dem Fortschritt der religiçsen Ideen nachzuspren. Wenn er im Nathan die Form in welcher die Gottheit in ihrem Plane das Schicksal des Individuums vorgesehen hat, so ausdrckt:
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„Sieh! eine Stirn, so oder so gewçlbt; Der Rcken einer Nase, so vielmehr Als so gefhret; Augenbraunen die Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen So oder so sich schlngeln; Eine Linie Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Maal, Ein Nichts, auf eines wilden Europers Gesicht: – und du entkommst dem Feu’r, in Asien! Das wr kein Wunder, wunderschtiges Volk?“ Wir sind am Ende. Ich denke der Leser wird es einem Docenten, welcher auch Geschichte der Philosophie liest, Dank wissen, daß er ihn nicht mit der Streitfrage plagt, wie weit Lessing Leibnitzianer, wie weit Spinozist war. Es ließe sich darber sehr gelehrt reden. Es gengt zu wissen daß Lessing Leibnitz den Gedanken der Entwickelung, der Sttigkeit des Weltzusammenhangs, der Verknpfung vorstellender Monaden mit materiellen Monaden, eines Zusammenhangs kleinster Theile, welcher das Gute verwirklicht, verdankt, Spinoza dagegen die strenge Consequenz des Monismus. Auch mit der Frage ob Lessing Pantheist war, bemhen wir den Leser nicht; mag es gelten wenn Hebler ihn lieber einen Panentheisten nennt. U n s e r Lessing ist ein Kopf der vom Studium der moralischen Welt aus in strengem Zusammenhang ein neues Lebensideal entwickelte und den Zusammenhang der Welt dem entsprechend formte. Dieser Lessing war auch Leibnitz gegenber selbstndig. Dagegen sei noch eine andere Bemerkung gestattet. Diese Untersuchung ber Lessing hat zugleich ein ber das Studium dieses Mannes hinausgehendes Ziel vor Augen gehabt. Ein Ziel grçßer als daß diese Einzeluntersuchung mehr als einen Beitrag es zu erreichen geben kçnnte. Es handelt sich um einen nothwendigen Fortschritt in der Analyse der Entstehung unserer neueren deutschen Literatur ber die bisherigen Behandlungen hinaus. Denn man untersuche diese Behandlungen doch ob sie, auch die besten, mehr als ein Chaos zusammenstoßender Einwirkungen geben deren Produkt dann unsere neuere Literatur sein soll. Da war ein sogenanntes kritisches reformatorisches Genie, da war ein Genie lyrischer Empfindung, ein Kopf von anmuthiger Sinnlichkeit, allerhand inferiore Kçpfe: man sieht das durcheinanderwirbeln: unsere Literatur entstand. Von dem so interessanten GotschedBodmer’schen Streit zu schweigen, welcher sonderbarer Weise die grçßten Folgen gehabt haben soll. Nicht so ist unsere Literatur entstanden, die schon heute von Lessing’s Geburt bis zu dem Tode Hegel’s und Schleiermacher’s wie Ein Zusammenhang uns erscheint. Sie entsprang aus einem schçpferischen Trieb, welcher ihren
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Charakter bestimmte. Dieser lag in dem Drang der Nation ein neues Lebensideal zu gestalten, welcher in einer Reihe historischer Bedingungen gegrndet war. Dieser Drang war die sttig fortwirkende schçpferische Macht in dem Chaos von Krften, welche entbunden wurden. Hieraus folgt nun daß Lessing der wahre Trger des Geistes unserer Literatur ward, whrend Klopstock und Wieland nur Krfte waren, welche Bedingungen seiner Entwickelung schufen; ihre Werke waren kurzlebig und bilden nur den fruchtbaren Humus fr die Fortbildung dieses Geistes. Daraus folgt weiter daß die großen dichterischen Conceptionen von bleibender Art zunchst intuitive Darstellungen dieses neuen Lebensideals waren, daß sie als solche, inhaltlich, wie eine neue Philosophie wirkten. So die Minna von Barnhelm, Emilie, Nathan, dann Gçtz, die Ruber, Werther, weiterhin Faust, Wilhelm Meister, Iphigenie. Es folgt dann daß dies Lebensideal, wie es unter den Bedingungen einer berreifen Begriffskultur auftrat, sich zugleich in einer wissenschaftlichen Literatur aufzuklren und zu vertheidigen unternahm. Daher der eigene Charakter unserer Literatur daß die Dichter zugleich als wissenschaftliche Forscher auftreten, daß ihre poetische Entwickelung zugleich durch die Entwickelung ihrer Forschungen bedingt ist. Was folgte nicht alles daraus! Aber hier ist nicht der Ort, mehr als Andeutungen dieses wahren Zusammenhangs in der Entstehung unserer Literatur zu geben. Genug daß man sieht aus welchem Gesichtspunkt hier Lessing als der eigentliche Begrnder unserer Literatur dargestellt ist. In ihm ward das neue Lebensgefhl intuitiv und wissenschaftlich zum bewußten Lebensideal entwikkelt, gegenber den theologischen Begriffen der Epoche durch einen Kampf auf Tod und Leben mchtig zur Herrschaft erhoben, zu einer neuen positiven Weltansicht gestaltet. Er ist der unsterbliche Fhrer des modernen deutschen Geistes.
Shakespeare und Goethe
Ueber die Einbildungskraft der Dichter.
Mit Rcksicht auf: Herman Grimm, Goethe, Vorlesungen. 2 Bnde. Berlin, W. Hertz. 1877.
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Gern folgt der Unterzeichnete der Aufforderung, den Lesern dieser Zeitschrift zu sagen, was sie in dem Buche Hermann Grimm’s zu suchen haben: ist doch Erkenntnis großer Individuen einer der wichtigsten Teile aller philosophischen Geschichtsforschung; zumal aber an die Erforschung Goethe’s knpft sich auch in der Richtung dieser Zeitschrift ein weittragendes Interesse, da wir keinen zweiten Fall gleicher Durchsichtigkeit der Vorgnge der Phantasie in einem großen poetischen Genius haben. Bacon spricht in seinem neuen Organon von „hervorleuchtenden Instanzen“, in welchen die untersuchte Form der Natur besonders offenbar ist; inveniuntur subjecta nonnulla in quibus natura inquisita prae aliis est in suo vigore, vel per absentiam impedimenti, vel per praedominantiam virtutis; in den Geisteswissenschaften soweit sie auf Phnomene der Geschichte sich grnden mssen, tritt weiter unterscheidend hinzu, dass gewisse Phnomene sich uns bis in ein tiefes Innere durchsichtig darstellen, als blickten wir durch durchsichtige Medien, andere keiner Erhellung mehr durch irgend ein Mittel zugnglich sind. Auch dieser Unterschied constituirt praerogative, nher ausgedrckt „hervorleuchtende Instanzen“. Ist auch bei Goethe das dichterische Vermçgen in einem complicirten Falle vorhanden, das Zusammentreffen der Gewalt dieses Vermçgens in ihm und der Durchsichtigkeit desselben machen ihn zu einem Falle, ja zu dem Fall ersten Ranges. Die Goetheforschung erfreut sich gegenwrtig der frischesten Bewegung. Nachdem die Franzosen bereits mit philologischer Genauigkeit auf die Handschriften selber oder doch die kritische Benutzung der ersten Drucke fr Ausgaben ihrer großen Schriftsteller zurckgegangen waren, nachdem Lachmann’s Lessing lange umsonst als Muster jeder Edition eines deutschen Classikers dagestanden hatte, trat endlich in der letzten Zeit eine kritische Herstellung der Texte von Goethe und Schiller nach philologischer Methode hervor; vielleicht mit etwas mehr Gerusch von mancher Seite als bei einer schon frher meisterhaft gehandhabten Methode nçtig war; aber Tchtigkeit der Arbeit und
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berraschende Ergebnisse drfen wir hier mit Freude feststellen. Jeder Abschluss der Texte Goethe’s bleibt freilich so lange provisorisch, als der unselige Eigensinn der Rechtsnachfolger Goethe’s (die nichts weniger als Nachfolger seiner Denkart scheinen) das Goethesche Archiv in Weimar verschließt. Mit dieser Arbeit wird nunmehr die Grundlage fr die Aufgaben einer hçheren Kritik gewonnen. Zunchst empfangen wir klare Drucke der verschiedenen Gestalten der Dichtungen, welche sich in Handschriften erhalten haben und hiermit ist uns der Einblick in das innere Geschft der Phantasie bei unseren beiden großen Dichtern gewhrt, ein Einblick, welcher fr die allgemeine Theorie der dichterischen Phantasie ein neues Material der inductiven Bearbeitung liefert, fr das Verstndnis des besonderen Verfahrens dieser beiden großen Schriftsteller eine Grundlage schafft. Es gewhrt den unmittelbarsten Einblick in Goethe’s Leben, in dem „jungen Goethe“, dieser meisterhaften Publication, Tag fr Tag, was Goethe niederschrieb, Briefe, Verse, Werke, in der originalen Gestalt, an der richtigen Stelle zu lesen und so mit ihm die Tage und Jahre zu erleben. Wir haben alsdann den Uebergang zu der Lçsung der Aufgaben hçherer Kritik in einigen hervorragenden Arbeiten zu gewahren. Herr von Loeper hat insbesondere Dichtung und Wahrheit einer meisterhaften Untersuchung unterworfen, und aus der schriftstellerischen Composition dieses Werkes Anhaltspunkte fr die Beurteilung seiner Stellung zu den historischen Tatsachen gewonnen; hiermit ist die Grundlage fr die historische Kritik unserer Nachrichten von Goethe’s erster Epoche gegeben. Scherer und, aus seiner Schule, Erich Schmidt u. a. haben begonnen, den Vorgang der Phantasie, in welchem aus Lebenserfahrungen und der vorhandenen poetischen Welt sich einzelne Dichtungen Goethe’s entfalteten, der Untersuchung zu unterwerfen. Ich fahre nicht fort in meiner Aufzhlung. Ganz neue Quellen wie jetzt Goethe’s unschtzbares Tagebuch, Briefwechsel, Memoiren und Briefe anderer vermehren den Reichtum des Materials in’s Unabsehbare, erregen aber zugleich ein Gefhl, wie Vieles noch zurck ist, wie Ueberraschendes jeden Tag hervortreten kann. Genug: wenn in menschlichen Dingen berhaupt nichts abgeschlossen ist, hier finden wir uns von einem zwar noch unvollstndigen aber ungeheuren Quellenmaterial und von vielversprechenden Anfngen seiner Bearbeitung nach strengeren und feineren Methoden umgeben. Man sieht, was ein besonnener in historischer Methode gebter Schriftsteller sich vornehmen konnte, was er ausschließen musste. Wenn man heute oft den Wunsch nach einer großen abschließenden Biographie Goethe’s ußern hçrt, in welcher alles fr Goethe Belangreiche aus dem Quellenmaterial und den Untersuchungen ber ihn seine Stelle fnde, so kann nur Unkenntnis der Sachlage ihn hervorrufen. Schon ganz ußerlich genommen, hat eine solche durchaus auf den guten Willen der in Thringen sit-
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zenden Goetheschen Erben zu warten, welcher allein dem Material eine relative und vorlufige Vollstndigkeit geben kann. Aber sie hat, auch wann dies erçffnet sein wird, auf die monographische Arbeit der hçheren Kritik und Hermeneutik zu warten, welche ein einzelner kaum in einer gemessenen Reihe von Jahren fr sich zu vollbringen im Stande sein wrde. Ich brauche dabei das Misverstndnis wol nicht abzuwehren, als dchte ich berhaupt an eine der Auffassung nach abschließende Biographie großen Styls; jedes Zeitalter wird Goethe vorlufig noch anders ansehen, hnlich wie Kant, Mnner, fr die wir noch keinen rein geschichtlichen Gesichtspunkt haben, wie etwa fr Dante. Abschließend meine ich in Bezug auf die methodische Benutzung der vorhandenen Quellen fr Feststellung aller fr Goethe belangreichen Tatsachen niederer und hçherer Ordnung. Dagegen entspringt aus derselben Lage der Sachen ein Bedrfnis nach einer Biographie anderen Styls. Von den Gebildeten wird es auf das lebhafteste empfunden und in anderer Weise regt es sich bei den mit der Goetheforschung Vertrauten, an ihr Teilnehmenden. Es hat dem lebendig geschriebenen, aber oberflchlichen Buche eines Auslnders eine unverdiente Verbreitung gegeben. Wie schlecht es mit den Kenntnissen von Lewes bestellt ist, sieht man aus seiner Geschichte der Philosophie, welche von den grçbsten Fehlern wimmelt; wie schlecht es mit seiner Genauigkeit in der Bearbeitung des gegebenen Stoffs – einer freilich weit geringeren Eigenschaft – bestellt war, ist von den Goethekennern genugsam empfunden worden. Und es ist wol kein nationales Vorurteil, wenn wir erklren, dass gerade Goethe in dem gegenwrtigen Augenblick noch nur von den Deutschen verstanden werden kann, welche von den leisen Einflssen und Wirkungen seines Genius ganz umgeben sind. Was wir bedurften und nun empfangen, war ein Werk, welches ein Inventarium der Entwickelung und Arbeiten Goethe’s unter dem Gesichtspunkt aufnimmt, was dieser uns heute ist und sein kann – Ansicht des Wesentlichen von ihm, wie es einem heutigen Menschen erscheint, der vorurteilslos auf das Essentielle hindringt. Es ist aus verschiedenen Grnden nicht die Sache des Unterzeichneten, sich ber den Wert des in diesem Werke Gebotenen auszusprechen. Doch mag angedeutet werden, von welchen Seiten Grimm seinem umfassenden Gegenstande beizukommen sucht. Denn das ist einmal bei historischen Stoffen unser Schicksal, dass wir ein jeder gewisse Dinge, wenn es am hçchsten kommt, besser gewahren als irgend ein anderer, fr andere gerade unser Auge ein mangelhaftes Organ ist. Alles Verstehen ist begrenzt. Wenn Ranke einmal ausspricht, er mçchte sein Selbst auslçschen und die Dinge einfach so sehen wie sie gewesen sind, so drfte man mit demselben Rechte sagen, nur in der Region, in welcher unser Selbst im hçchsten Grade zu selbstndiger Ttigkeit ausgebildet
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sei, verstehe es das Vergangene. So verstand Macchiavelli die Geschichte politischer Wechselflle und Intriguen, Niebuhr die Ausbildung des rçmischen Staates, Clausewitz die Natur großer Militairs und militairischer Operationen, Schleiermacher die Bruchstcke und ungeordneten Werke der alten griechischen Denker, La Place und Humboldt den Fortschritt naturwissenschaftlicher Einsichten. Grndliche Kenntnis irgend eines Zweiges von Tatsachen und ausgebildete Uebung in seiner Auffassung bilden die Bedingung fr das wirkliche Verstehen seiner Geschichte. Was bloße Technik der Behandlung von Quellen, seien es Schriftsteller oder Archive, herausklaubt, wirft der divinatorische Blick des von der Sache Erfllten in sein Nichts zurck. Herman Grimm war von Anfang ab auf das in gewissem Sinne hçchste in der Geschichte gerichtet – den menschlichen Gehalt der Personen, die wahre Natur ihrer Verbindungen, die geselligen Zustnde und die Art, wie sich die Menschen in ihnen fhlen. Er war frh Varnhagen begegnet, welcher dieses menschliche in seinen biographischen Arbeiten darzustellen suchte; doch hat er ihn durchaus bertroffen, eine herzlose Trockenheit und Nchternheit ist in Varnhagens Versuchen, lngst Vergangenes wiederzubeleben, fhlbar, wenn er aber das von ihm selber Gesehene darstellt, bermßige Schtzung der rein geselligen Zustnde, der Art wie sich Menschen in ihnen darstellen und (wo es ihm gut scheint) Schminke und Aufputz. Vor und neben Grimm hat dann David Strauß eine hnliche Richtung eingeschlagen, aber das Uebergewicht Grimm’s wurde ganz sichtbar, als er seine Aufstze ber Voltaire neben das Buch von Strauß stellte. Was Grimm vor diesem und anderen voraus hat, ist seine dichterische Begabung, und daraus fließend etwas Divinatorisches im Blick, das in Tiefen dringt, ber welche kein Brief und keine Aeußerung directen Aufschluss gewhren. Hier, gegenber einem Dichter, wird diese Begabung und Uebung zu einem unschtzbaren Vorteil in Bezug auf das intimere Verstndnis der Gegenstnde selber. Das grçßte Hindernis fr einen Biographen Gçthe’s – was in diesem strengen Verstande Grimm brigens nicht sein will – liegt in dem, was auf den ersten Blick als außerordentliche Fçrderung erscheinen kçnnte – in der Existenz von Wahrheit und Dichtung: der kunstvollsten und gedankentiefsten Biographie die je geschrieben worden, einem der grçßten geschichtlichen Werke ber den Gang der innern europischen Bildung. In diesem Werk herscht eine Objectivitt, welche nur aus der schçnsten Uebung ganz unpersçnlicher Betrachtung der menschlichen Dinge erklrlich ist. Es ist unter den Selbstbiographien ein einziges sittliches Phnomen. Was auch Goethe Bitteres von so manchem Genossen zu leiden gehabt hatte: er hat ber sie alle so zu sprechen vermocht, dass keine Analyse spterer Zeiten, keine Aufdeckung neuer Quellen einen falschen Strich an irgend einer seiner Zeichnungen dieser Menschen
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nachweisen konnte. Und er hatte Bitteres genug zu erfahren gehabt; als er Jacobis Briefwechsel empfing, bemerkte er: „ich habe die meisten Individuen genau gekannt und mit und an einigen derselben mehr gelitten als genossen.“ Was Goethe hier dargestellt hat, ist auch von denen, welche den weiteren Gesichtspunkt des Ganges unserer ganzen deutschen Litteratur hatten, seit Gervinus nur aus den Quellen so zu sagen commentirt worden, und nur wenn einmal die Structur der europischen Geistesgeschichte wirklich durch rigorose Wissenschaft festgestellt sein wird, werden die Schilderungen Goethe’s einen Hintergrund strengerer Einsichten erhalten. Einem Biographen hat aber Goethe wirklich von Essentiellem nichts brig gelassen: die lebhafteren Farben, die drastischeren Linien der Jugendbriefe selber, welche Goethe bekanntlich nicht zur Hand hatte, ein Paar Correcturen im kleinen – und den gewagten Versuch, aus den schçnsten Erzhlungen durch Conjectur Dichtung auszuscheiden. Hier gibt Grimm zusammengedrngte Bilder, er hebt das Wesenhafte in dem weitschichtigen Stoffe heraus und ergnzt die Schilderungen Goethe’s von Zustnden und Menschen da wo Goethe sich nicht anders als andeutungsweise aussprechen konnte, wie in Bezug auf die Charakteristik Herders.* Die Arbeit des Geschichtsschreibers dieser Menschen und Verhltnisse beginnt erst, wo Goethe die Feder weglegt, wo nur sein jngst publicirtes Tagebuch und seine Tages- und Jahreshefte, sowie Correspondenzen und Memoiren uns begleiten. Hier liegt demnach auch der Schwerpunkt des vorliegenden Werkes. Die entscheidenden Lebensbeziehungen Goethe’s zum Herzog und den andern leitenden Personen der Weimarischen Regierung, zu Frau von Stein, zu Schiller, alsdann seine großen Beziehungen zur Naturwissenschaft und Philosophie, zur bildenden Kunst, zur Politik und Geschichte bilden eben so viel wichtige Capitel dieser Erzhlung. Was dem Buch jedoch seine besondere Stelle in der Goetheforschung gibt, sind nicht diese biographischen Bilder: es ist der zusammenhngende und consequente Versuch, aus dem Leben des Dichters seine Dichtungen zu erklren, das Zusammenklingen von inneren Erfahrungen in seiner Phantasie mit feinem Gehçr zu vernehmen, in welchem Motive und Charaktere sich bildeten. Dies hat niemand vor ihm so folgerichtig in Bezug auf den Inbegriff der Werke Goethes getan und das ist was die einen unter den Goetheforschern außer*) Auch Grimm vermeidet in Bezug auf Herder die Bercksichtigung seiner kçrperlichen Hypochondrie; aber die Wrde der Geschichtsschreibung wird nicht beeintrchtigt, indem man auch die uns leider nur zu wenig bekannten kçrperlichen Bedingungen der Tatsachen bercksichtigt. Gerade bei Herder sind wir durch den Anteil seines Sohnes als des ihn behandelnden Arztes an seiner Lebensbeschreibung ber den starken Einfluss seiner kçrperlichen Leiden auf seine persçnlichen Gefhle genau unterrichtet.
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ordentlich anziehen wird, den anderen das Buch antipathisch machen muss. Das Leben eines Menschen ist so wundersam verflochten mit den Schicksalen vieler anderer Menschen neben ihm, welche ihm einmal plçtzlich mit anschaulicher Macht gegenbertreten, um sich dann meist wieder in dem Getmmel der Welt zu verlieren, oder welche ihn flchtiger, vielleicht nur in der Aeußerung eines gleichgltigen Menschen in der Notiz einer von Tatsachen vollgepfropften Zeitung berhren, so verflochten mit all solchen gesehenen, in Erzhlung gehçrten, gelesenen Erlebnissen, dass es unmçglich scheint, da so die Luft voll von Keimen von Motiven und Charakteren und Fabeln ist, aus den uns gegebenen Daten ber das Leben eines Dichters die Gebilde seiner Phantasie zu erklren. Mephisto, Gretchen, das Motiv der Wahlverwantschaften kçnnen Goethe in flchtigen Lebensbegegnungen aufgegangen sein, welche fr den Aufbau seines eigenen Lebens so gut als nichts bedeuteten, welche aber eben diejenige Beschaffenheit hatten, durch die seine Phantasie in leise bildende Ttigkeit des Gestaltens geriet. Sind solche Erwgungen, die an sich berechtigt sind, auch in dem Falle, welchen Goethe bildet, zu Recht bestehend? Hier sieht man sich, um ber Grimms Methode ein haltbares Urteil zu gewinnen, auf allgemeine Untersuchungen hingewiesen; auf welche, wie neuerdings wieder Scherer hervorgehoben hat, jedes der großen Probleme der europischen Litteraturgeschichte zurckfhrt. Die Phantasie des Dichters, ihr Verhltnis zu dem Stoff der erlebten Wirklichkeit und der Ueberlieferung, zu dem, was die Dichtung vorher erarbeitet hat, die eigentmlichen Grundgestalten dieser schaffenden Phantasie und der dichterischen Werke, welche aus dieser Beziehung entspringen: das ist Anfang und Ende aller Litteraturgeschichte. Die Erforschung der dichterischen Phantasie ist die naturgemße Grundlegung des wissenschaftlichen Studiums der poetischen Litteratur und ihrer Geschichte. Denn jeder Zweig der Wissenschaften von den menschlich-gesellschaftlichen Zustnden erwchst nach seiner eigenen, durch keine Theorie vorher angegebenen Regel aus der Verknpfung philosophischer und vergleichend-historischer Einsichten. Seine Ergebnisse werden um so brauchbarer sein, je reiner die philosophischen Einsichten die Aufeinanderfolge der wirklichen wenn auch verwickelten psychischen Tatsachen ausdrcken, anstatt Erklrungen durch eine Theorie der einfachen Elemente dieser complicirten Tatsachen zu versuchen: welche Erklrungen allesammt blosse Hypothesen sind, wichtig fr den allmhlichen Aufbau einer erklrenden Psychologie durch Irrtmer hindurch, aber unberechtigt, wo es sich um solide Begrndung der Wissenschaften des geschichtlichen Lebens handelt. Wir haben nun ber den Vorgang, in welchem die einzelnen dichterischen Schçpfungen Goethe’s entstanden, den wnschenswertesten Aufschluss, Dank
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dem Interesse, welches Goethe selber in spteren Lebenstagen an den Erinnerungen ber die Entstehung seiner Werke, an dem nachtrglichen Erwgen der schçpferischen Vorgnge in ihm nahm, als Nachdenken und Betrachtung das Uebergewicht in ihm gewannen, als andererseits die sthetische Kritik der speculativen Philosophie seine Werke unter ihrer Sonde hatte. Nichts ist vielleicht in Goethe’s Erinnerungen bewundernswrdiger als die reine und sichere Wahrhaftigkeit, mit welcher er aufgefasst und aufbewahrt hat und so sind auch diese seine Mitteilungen im klarsten Einklang mit dem, was wir aus den brigen Quellen festzustellen im Stande sind. „Alle meine Gedichte, berichtet er, sind Gelegenheitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus der Luft gegriffen, halte ich nichts“. „Allgemein und poetisch wird ein specieller Fall eben dadurch, dass ihn ein Dichter behandelt“. „Was ich nicht lebte und was mir nicht auf den Ngeln brannte und zu schaffen machte, habe ich auch nicht gedichtet und ausgesprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte“. Dass aus solchen Keimen seine Schçpfungen erwuchsen, verteidigt er hartnckig gegen die Neigung, denselben Ideen unterzulegen; hieraus leitet er sehr schçn und wahr das Incommensurable in ihnen ab; hiervon geht er aus, wenn er den Unterschied seines dichterischen Schaffens von der Art wie Schiller arbeitete, darlegen will. Mit den Stzen, die er hierber hinstellt, sollte jedes Unternehmen, „die Idee“ Goethescher Dichtungen aufzusuchen, abgetan sein. „Die Deutschen machen sich mit ihren Ideen, die sie in alles hineinlegen, das Leben schwerer als billig. Habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrcken hinzugeben, euch ergçtzen zu lassen, euch rhren zu lassen, erheben, belehren, zu etwas Großem entflammen, aber denkt nicht immer, es wre Alles eitel, wenn es nicht irgend ein abstracter Gedanke oder Idee wre.“ „Das einzige Product von grçßerem Umfang, wo ich mir bewusst bin, nach Darstellung einer eingreifenden Idee gearbeitet zu haben, wren etwa meine Wahlverwantschaften. Der Roman ist dadurch fr den Verstand fasslicher geworden; aber ich will nicht sagen, dass er dadurch besser geworden wre! Vielmehr bin ich der Meinung, je incommensurabler und fr den Verstand unfasslicher eine poetische Production, desto besser.“ So erzhlt er dann von Werther: „Ich htte kaum nçtig gehabt, meinen eigenen jugendlichen Trbsinn aus allgemeinen Einflssen meiner Zeit und aus der Lecture einzelner englischer Autoren herzuleiten. Es waren individuelle, naheliegende Verhltnisse, die mich in den Zustand brachten, aus dem der Werther hervorging. Ich habe gelebt, geliebt und sehr viel gelitten! – Das war es“.
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„Der Faust ist doch etwas ganz Incommensurables, und alle Versuche, ihn dem Verstand nher zu bringen, sind vergeblich. Auch muss man bedenken, dass der erste Teil aus einem etwas dunklen Zustande des Individuums hervorgegangen“. Von Wilhelm Meister: „Die Anfnge entsprangen aus einem dunklen Vorgefhl der großen Wahrheit, dass der Mensch oft etwas versuchen mçchte, wozu ihm Anlage von der Natur versagt ist. Und doch ist es mçglich, dass alle die falschen Schritte zu einem unschtzbaren Guten hinfhren: eine Ahnung, die sich im Wilhelm Meister immer mehr entfaltet, aufklrt und besttigt, ja zuletzt in den klaren Worten ausspricht: ‚du kommst mit vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen und ein Kçnigreich fand .“ Er weist darauf hin, wie mit dem Gang seines Lebens sich auch der Plan des Meister çfter verschoben hat. „Er bleibe daher eine der incalculabelsten Productionen; ja um sie zu beurteilen, fehle ihm beinahe selber der Maßstab“. Von den Wahlverwantschaften sagt er, dass darin kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich so, wie er erlebt worden. Dasselbe von der Geschichte in Sesenheim. Der dichterische Vorgang ist in den meisten Schçpfungen Goethe’s derselbe. Ein Gemtszustand wird mit der ganzen ußeren Situation, mit Allem, was ihn von Vorstellungen, Zustnden, Gestalten umgibt, mchtig erlebt, und indem nun dem innerlich bewegten Dichter ein ußerer Vorgang entgegentritt, der geeignet ist, Gefß fr diese Herzenserfahrungen zu werden, entsteht in dieser Verschmelzung der Keim einer Dichtung, der alle charakteristischen Zge, die Totalstimmung, die Linien des Ganzen sofort in sich enthlt. Daher durfte er aussprechen, dass jede Dichtung fr ihn eine Confession, eine Beichte gewesen ist, dass er solchergestalt sich von den Zustnden, die auf ihm lasteten, innerlich befreit habe. Eine besonders auffallende Ausnahme von diesem in den meisten Dichtungen Goethes hervortretenden Verhltnis bildet Hermann und Dorothea und vielleicht hngt gerade hiermit zusammen, dass er von allen seinen Werken Hermann und Dorothea wiederzulesen am wenigsten Abneigung empfand: es war keine Confession und nichts von stofflicher Erinnerung an vergangene Zustnde haftete an diesen Versen. Ueberhaupt ist in seinen spteren Jahren, wie seine Erfahrungen sich erweiterten und naturwissenschaftliche Beobachtung ihm Gewohnheit wurde, die Gestaltung der Dichtungen in ihm nicht mehr dieselbe als die, aus welcher Werther, das im Gçtz von ihm hinzuerfundene, Clavigo, Faust, Egmont, Iphigenie, Tasso, Wilhelm Meister entsprangen. So ist in jeder Schçpfung dieser Art Goethe selbst in Mitten seiner eigenen Gestalten, hnlich, wie er geheimnisvoll sich selber in dem Gedichte Ilmenau
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erblickt und sich anredet. Das Motiv ist aus seiner eigenen Existenz geschçpft. In seinen Briefen, in seinen Gedichten ist es Gemtszustand, mit der Situation, die denselben hervorbrachte, ausklingend; in den grçßeren Werken Leben mannichfacher Art, das sich auf eine Person bezieht, die aus dem Herzblut des Dichters ihr Leben empfing. Lebenswahr sind zu allen Zeiten diese Person und das weibliche Ideal, welches ein Teil seines eigenen Gemtszustandes ist. Die ausgefhrten Nebenpersonen sind Anfangs hçchst unvollkommen, ja manchmal beinahe ungeschickt, so Albert, Carlos; der Guss aus der Verschmelzung von ußeren Erfahrungen und Arbeit der Phantasie gerth immer besser, je mehr er lernt die Gestalten der Wirklichkeit in sich aufnehmen; dennoch behalten die Antonio, Thoas, Lothario jeder Zeit etwas beinahe hçlzernes verglichen mit den Gestalten, in denen sein eigenes Blut rinnt. Ich habe diesen Tatbestand in seiner ganzen Simplicitt darzulegen versucht. Es ist etwas Einfaches in dem geistigen Leben Goethe’s berhaupt, man fhlt gleich, dass man es hier nicht mit einer complicirten Natur zu tun hat, dass vielmehr eine eigene simple Ttigkeit des bildenden Vermçgens in seinen Dichtungen wie in seinen wissenschaftlichen Arbeiten wirksam sei, und nur so ist die ungeheure Ausbreitung seiner geistigen Operationen menschlich fassbar. Nun hat man aber in Deutschland diese Art des dichterischen Gestaltens in Goethe als die Grundform poetischen Gestaltens berhaupt angesehen. Die deutsche Aesthetik entwickelte sich wie einerseits unter dem Einfluss der Analyse Kant’s so andrerseits unter der Macht der Anschauung Goethe’s und die lebendige Kenntnis von dem Verfahren der Phantasie in ihm erschien als der Schlssel fr das Verstndnis alles hçchsten dichterischen Schaffens berhaupt. Goethe selbst hat schon in Dichtung und Wahrheit diese Gestalt und Richtung seines Phantasielebens aus den geschichtlichen Bedingungen des damaligen Deutschland, aus den persçnlichsten seiner eigenen Existenz zu erklren unternommen; so wenig ist er geneigt, sie als aller Poesie eigen zu betrachten. Es ist einer der bewundernswrdigsten Kunstgriffe in Dichtung und Wahrheit: wo in dem Jngling die ersten von den Liedern und Schauspielen entstehen, welche ein ihm Eigenes enthalten und so als Zeugnisse seines dichterischen Lebens fortzudauern vermochten, unterbricht er die Erzhlung seiner persçnlichen Schicksale, und indem er die deutsche Gesellschaft und Litteratur jener Jahre in dem berhmten siebenten Buche in einer anmutigen Charakteristik einfhrt, construirt er aus dem Element des Persçnlichsten und dem der Gesellschaft, die ihn umgibt, „die Richtung, von der er sein ganzes Leben nicht abweichen konnte.“ Langsam lsst er in den ersten Bchern in dem Leser das allgemeine Bild seiner dichterischen Organisation entstehen; Grimm hat schon bemerkt, dass er hier wie in seinen Romanen und epischen
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Gedichten, seinem Lessing getreu, aus einzelnen Zgen, wie die Personen wieder auftreten, allmhlich ihr Bild entfaltet: so entsteht auch allmhlich das Bild von ihm selber. Ein außerordentliches Gedchtnis zeigt sich, als er im Zimmer des Vaters als Knabe sitzend und arbeitend, das Italienische, das der Schwester gelehrt wird, mit erlernt, ebenso nachher bei seiner Vorbereitung zum juristischen Examen in Straßburg; der sieben- oder achtjhrige Knabe ergçtzt sich an den Phantasiespielen von ihm selber eingerichteter Puppenkomçdien und nicht lange danach beginnt sein Phantasiren ber sein eigenes Leben, fr welches er ungewçhnliche Umstnde und Verwicklungen sich ausmalt; die Poesie, die ja so wenig als die Sprache im Kinde neu aufgeht, sondern als eine Art, Zustnde und Menschen zu betrachten und hinzustellen berliefert wird, geht ihm an deutschen Gedichten, an Telemach, Robinson, an den Volksbchern auf und er wchst mit Versen heran. Wenn der Knabe Mrchen erzhlt, sind es besonders eigene Abenteuer, mit denen er die Gespielen zu unterhalten liebt. Nach einander Klopstock und die franzçsische Bhne in Frankfurt geben diesem trumerischen Phantasiren neue Nahrung und die Wirklichkeit und die Bhne verschlingen sich dem Knaben in einander. Immer noch als Knabe schließt er einen ganzen Band vermischter Dichtungen ab, voran eine Bearbeitung der Geschichte Josephs: „Ich leugne nicht dass, wenn ich an ein wnschenswertes Glck dachte, dieses mir am reizensten in der Gestalt des Lorbeerkranzes erschien, der den Dichter zu zieren geflochten ist.“ Und in all diesem Fabuliren des Knaben, „innerer Ernst, mit dem ich schon frh, mich und die Welt betrachtete“, sowie ein in naturwissenschaftlichen Neigungen und religiçsen Ideen sich entfaltendes metaphysisches Bedrfnis. Wer kann sagen, wie eine solche Organisation in anderer Umgebung sich entwickelt htte? Genug, nachdem Goethe in anmutigem Tiefsinn ihre Entfaltung bis in die erste Leipziger Zeit geschildert hat, lsst er nun plçtzlich dem Jngling gegenber erblicken – eine chaotische in heftiger Krisis befindliche Litteratur und eine gesellschaftliche Ordnung, in welcher nur die Gemtsschicksale der Privatleidenschaften einen Raum hatten; das Elend dieser gesellschaftlichen Ordnung deutet er freilich nur mit Vorsicht und Bedacht, fr den der zu lesen versteht, in seiner Wirkung an. Die Erkenntnis ist in diesen jungen Kçpfen, dass nur bedeutender Stoff in naturwahrer Behandlung echte Dichtung ermçgliche. Aber dies zu finden, „war ich gençtigt, alles in mir selbst zu suchen. Verlangte ich zu meinen Gedichten eine wahre Unterlage und Reflexion so musste ich in meinen Busen greifen. Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben ber nicht abweichen konnte, nmlich Dasjenige, was mich erfreute oder qulte oder sonst beschftigte, in ein Lied, ein Gedicht zu verwandeln, und darber mit mir selbst abzuschließen; mir sowol meine Be-
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griffe von den ußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen. Die Gabe hierzu war wol Niemand nçtiger, als mir, den seine Natur immerfort aus einem Extrem in das andre warf. Alles daher, was, von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstcke einer großen Confession.“ Diese Richtung ward dann, wie das neunte Buch berichtet, durch Philosophie und sthetische Kritik jener Tage verstrkt: „Man wies uns auf die Betrachtung eines bewegten Lebens hin, das wir so gern fhrten, und auf die Kenntnis der Leidenschaften, die wir in unserem Busen teils empfanden und teils ahnten, und die, wenn man sie sonst gescholten hatte, uns nunmehr als etwas Wichtiges und Wrdiges vorkommen mussten, weil sie der Hauptgegenstand unsrer Studien sein sollten und die Kenntnis derselben als das vorzglichste Bildungsmittel unsrer Geisteskrfte angerhmt ward“. So versteht, so erklrt der Alte die besondere Weise, in welcher von Jnglingstagen ab seine Phantasie sich zur Welt der Erfahrung stellte: aus den inneren Erfahrungen des eigenen Gemts fand er sich durch sein Zeitalter gezwungen den wesentlichen Inhalt seiner Dichtung zu schçpfen. Die Lieder, die Mitschuldigen, die Laune des Verliebten entstanden damals so, als Ausdruck seiner inneren Zustnde und seiner Situation. Straßburg kam, wer denkt nicht an die Worte, mit denen er den ahnungsreichen Blick von dem Dom in das weite Land schildert, ein Sinnbild des frischen Gefhls mit dem der Jngling in das Leben blickt? Herder, Friederike, Shakespeare treten hervor und bringen mit sich Gestalten und Motive mchtigerer Dichtungen. Aber wie von da ab auch die Gestalten wechseln, der Strom des Lebens sich mchtig erweitert: mit entzckender Kunst fhrt Goethe jede neue Dichtung auf dieselbe Regel seines dichterischen Schaffens zurck, welche er vom siebenten bis neunten Buche entwickelt hat. Diese Weise dichterischen Schaffens in Goethe muss also nicht als ein Ausdruck fr das Verhalten aller dichterischen Phantasie, sie kann als ein besonderer Fall dieses Verhaltens aufgefasst werden. Das „gab mir ein Gott zu sagen was ich leide“ darf nicht unbesehen als in Tasso die allgemeine Natur des wahren Dichtens ausdrckend betrachtet werden. Wenn die deutsche Aesthetik sich der Aussprche Goethe’s bediente, an ihnen die Natur allen dichterischen Verfahrens aufzuklren, so kann hier derselbe Irrtum aus willkrlicher Einschrnkung vorgelegen haben, kraft dessen die deutsche Philosophie auch auf anderen Gebieten sich auf den Gesichtskreis des Griechischen und Deutschen einschrnkte, wie das uns z. B. Schleiermachers Kritik der Sittenlehre recht eindringlich zeigt. Wir orientiren uns also an der allgemeinen Natur der dichterischen Phantasie berhaupt und ihrer Stellung zu der Welt der Erfahrungen. Die hier vorzulegenden Stze kçnnen freilich an dieser Stelle ihre strenge Begrndung nicht finden.
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Die Phantasie des Dichters in ihrer Stellung zur Welt der Erfahrungen bildet den notwendigen Ausgangspunkt fr jede Theorie, welche die mannichfaltige Welt der Dichtungen in der Aufeinanderfolge ihrer Erscheinungen wirklich erklren will. Die Poetik in diesem Sinne ist die wahre Einleitung in die Geschichte der schçnen Litteratur, wie die Wissenschaftslehre in die Geschichte der geistigen Bewegungen. – Und zwar ist die Phantasie des Dichters, welche uns als ein Wunder, als ein von dem Alltagstreiben der Menschen gnzlich verschiedenes Phnomen gegenbertritt, nur eine mchtigere Organisation gewisser Menschen, welche in der ausnahmsweisen Strke bestimmter elementarer Vorgnge gegrndet ist; von diesen aus baut sich dann das geistige Leben seinen allgemeinen Gesetzen gemß zu einer ganz von dem Gewçhnlichen abweichenden Gestalt aus und das innere Leben in großen Dichtern ist weit abweichender von dem in dem Durchschnittsmenschen, als wir uns ohne Untersuchung die Sache vorstellen. Die Vorstellungen, welche wir von den Bildern reproduciren, welche im Sehfeld vorbergegangen sind und durch andere Eindrcke abgelçst wurden, haben in verschiedenen Individuen unter sonst gleichen Bedingungen einen ganz verschiedenen Grad von Helle und Strke, von Sinnflligkeit oder Bildlichkeit, wie dies zuerst Fechner gezeigt hat. Von den Vorstellungen als farbund lautlosen Schatten bis zu den im Sehraum bei geschlossenen Augen projicirbaren Gestalten der Dinge und Menschen erstreckt sich eine Reihe ganz verschiedener Formen von Reproduction. Und zwar vereinigen sich die schon von Johannes Mller dargelegten Phnomene des Gesichtssinnes bei hervorragenden Menschen, die Ergebnisse biographischer Untersuchung in Bezug auf die Classe der großen Dichter, die inneren Ergebnisse der Untersuchung des Gesichtssinnes zu einer sehr deutlichen Vorstellung der Art, in welcher mit dem dichterischen Vermçgen eine außerordentliche Fhigkeit, reproducirten oder frei gebildeten Vorstellungen Augenscheinlichkeit und hellste Sinnflligkeit zu erhalten oder zu verleihen, verknpft ist. Was so in einer Reihe von Fllen festgestellt und mit einiger Wahrscheinlichkeit aus ihnen als eine allgemeine Tatsache fr alle dichterische Phantasie erschlossen werden kann, scheint andrerseits als notwendiger Erklrungsgrund der vollendeten dichterischen Leistung aus dieser gefolgert werden zu mssen; bedarf doch das in Gestalten denken des Dichters berall des Sinnflligen, der Bewegung von scharf umrissenen Gestalten als seiner Grundlage. Psychologische Erwgung, welche von hier aufwrts, von den vollendeten Dichtungen rckwrts geht, vereinigt sich dann weiter mit biographischer Untersuchung der einzelnen Flle zur Feststellung der Weise und des Grades von Gedchtnis fr Menschen und Schicksale in Dichtern. Alle Phantasie ist an die Elemente gebunden, welche in der Erfahrung gegeben sind, und vermag
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nicht irgend ein Vorstellungselement, einer Empfindung entsprechend, zu schaffen, welches nicht in einer Empfindung gegeben werden kçnnte; schon Hume hat auf diesen interessanten Tatbestand die Aufmerksamkeit gelenkt. In der Poetenphantasie huft sich ein Schatz von Bildern aus der Menschenwelt und Natur an und dieser Inbegriff bildet den Erfahrungshorizont des Dichters. Da, wo Flle der Eindrcke dem Dichter zur Verfgung steht, durch außerordentliche Kraft des Erinnerns (wie denn Dichter meist gewaltige Erzhler sind), da wirkt er auch in schçpferischem Vermçgen aus diesen Fden an dem Gewebe von Situationen, Gestalten, Schicksalen, Affecten und Handlungen. Das Verhltnis zwischen der angesammelten Erfahrung und der frei schaffenden Phantasie, zwischen der Reproduction von Gestalten, Situationen und Schicksalen und ihrer Schçpfung bildet das tiefste Problem in Bezug auf die Erforschung des dichterischen Vermçgens. Die Association, welche gegebene Elemente in einer gegebenen Verbindung zur Vorstellung zurckruft, und die Einbildungskraft, welche aus den gegebenen Elementen neue Verbindungen herstellt, scheinen von einander durch die klarste Grenzlinie getrennt. Indem man die wirkliche Beziehung dieser beiden großen psychischen Tatsachen untersucht, gilt es die descriptive Methode ohne jede Einmischung erklrender Hypothesen anzuwenden, um den sicheren Zusammenhang des Tatschlichen so klar als mçglich aufzufassen, wodurch allein dem Historiker der Poesie Zutrauen entstehen kann, sich der feineren Einsichten der Philosophie anstatt der grobkçrnigen Vorstellungen des gemeinen Lebens fr seine Auffassung der Litteratur zu bedienen: denn nur durch allgemeine Vorstellungen von psychischen Tatsachen fassen wir jedes individuelle Phnomen der Geschichte auf, stellen wir es dar. Das Zutrauen der Historiker und politischen Forscher wird erscheinen mit der Sonderung einer descriptiven Psychologie von der hypothetisch erklrenden. Jene ist Grundlage der Geisteswissenschaften, diese ist schrittweise Ausbildung mçglicher Hypothesen ber den letzten Zusammenhang geistiger Tatsachen unter einander und mit denen der Natur. Solche Hypothesen sind in Bezug auf das hier vorliegende Verhltnis von Erinnerung und freier Phantasie die Annahme unbewusster Vorstellungen oder die von bloßen zurckbleibenden physiologischen Spuren, die Annahme, dass die Vorstellung, welche wir erinnern, als fixes Element dem Atom vergleichbar zurckkehre und, so zurckgekehrt, vermçge ihres Verhltnisses zu anderen Vorstellungen in Bildungsprocesse eintrete. In der von uns auffassbaren Wirklichkeit kehrt dieselbe Vorstellung so wenig in einem Bewusstsein zurck als sie in einem zweiten Bewusstsein als ganz dieselbe wieder vorkommt. So wenig als der neue Frhling die alten Bltter auf den Bumen mir wieder sichtbar macht, so wenig werden die Vorstellungen eines vergangenen Tages an dem
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heutigen wiedererweckt, etwa nur dunkler oder undeutlicher wiedererweckt. Wenn wir, in derselben Lage verharrend, das Auge, das einen Gegenstand in sich gefasst hatte, schließen, und dann, ohne Nachwirkung des Reizes selber auf der Netzhaut in Nachbildern, die Vorstellung, in welche die Warnehmung bergegangen ist, ihre hçchste Strke und Sinnflligkeit noch besitzt, dann wird in diesem Erinnerungsnachbilde, wie es Fechner bezeichnet und als fr die absichtliche Beobachtung wichtiges Zwischenglied zwischen Warnehmung und reproducirter Vorstellung erkannt hat, ein verhltnismßig nur kleiner Teil derjenigen Elemente vorgestellt, welche in dem Warnehmungsvorgang enthalten waren; und schon hier, wo doch nur eine seelenlose, tote Erinnerung stattfindet, ist bei lebhafter Anstrengung, das ganze Bild zurckzurufen, eine versuchende Nachbildung unverkennbar, deren Gelingen und Mislingen, deren Technik so zu sagen bei wiedergeçffnetem Auge gut festgestellt werden kann. – Wenn aber zwischen die Warnehmung und die Vorstellung andere Bilder sich eingedrngt haben, wirkt das Associationsverhltnis, vermçge dessen auf den Schauplatz des Bewusstseins eine Vorstellung gerufen wird, auf die Richtung, in welcher die zu reproducirende Vorstellung sich aufbaut; es wirken die Formen der Beziehung, wie Aehnlichkeit oder Contrast; es wirkt der Inhalt der Vorstellung oder des Vorstellungsinbegriffs, von welchem aus reproducirt wird; es wirken die Gefhle und Antriebe, unter deren Macht erinnert wird. So baut sich die erinnerte Vorstellung von einem bestimmten inneren Gesichtspunkte aus auf, wie die sinnliche Warnehmung von einem ußeren im wçrtlichen Verstande so zu bezeichnenden aus; sie nimmt fr diesen Vorgang nur so viel Elemente aus dem psychophysischen Tatbestande, der von der Warnehmung zurckblieb, als ihr Baumaterial zur Verwertung fr diesen Aufbau auf, als die nunmehr gegenwrtigen Bedingungen mit sich bringen, und diese erteilen dem Bilde seine Gefhlsbeleuchtung durch die Beziehung zu dem gegenwrtigen Gemtszustand in Aehnlichkeit oder Contrast; wie denn in Zeiten schmerzlichster Unruhe das Bild eines ehemaligen ruhigen und freudlosen Zustandes wie eine selige Insel sonnigsten Friedens vor uns auftauchen kann. Ja, es baut sich eine irrtmliche und ganz falsche Vorstellung auf, wenn angestrengte Aufmerksamkeit ein helleres Bild erstrebt, als der zurckgebliebene Tatbestand unter den vorhandenen psychologischen Bedingungen zu bilden gestattet, oder wo der Gesichtspunkt dahin wirkt, dass dieser Aufbau eine von der Warnehmung abweichende Gestalt empfngt. Bilder, welche Beziehungen nur wie ein augenblicklicher Sonnenblick sichtbar machen, drfen bei der vorliegenden Erçrterung außer Acht gelassen werden. – Und wenn wir nun endlich zumeist nicht Einzeleindrcke uns zurckzurufen streben, deren Erinnerung auf einen bestimmten Warnehmungsact als ein Augenblicksbild sich bezieht, sondern Vorstellungen oder Vorstellungsverbin-
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dungen, deren jede den Gegenstand in allen seinen von uns wargenommenen Lagen reprsentirt, d. h. alle Warnehmungen so in sich fasst, dass die einzelne vergessene aus ihr abgeleitet werden kann: der Aufbau einer solchen Vorstellung steht noch viel weiter ab von toter Reproduction und nhert sich noch viel mehr dem der knstlerischen Nachbildung. Kurz wie es keine Einbildungskraft gibt, die nicht auf Gedchtnis beruhte, so gibt es kein Gedchtnis, das nicht schon eine Seite der Einbildungskraft in sich enthielte. Wiedererinnerung ist zugleich Metamorphose und diese Erkenntnis lsst den Zusammenhang zwischen den elementarsten Vorgngen unseres psychischen Lebens und den hçchsten Leistungen des menschlichen schçpferischen Vermçgens sichtbar werden. Sie lsst in die Ursprnge jenes mannichfaltigen, an jedem Punkte ganz individuellen und nur einmal so vorhandenen beweglichen geistigen Lebens blicken, dessen glcklichster Ausdruck die unsterblichen Geschçpfe der knstlerischen Phantasie sind. Soll diese Ordnung von Tatsachen der Erklrung unterworfen werden, dann ist ihr mindestens ebenso angemessen als jede andere Hypothese die einfache Annahme: aus dem Materiale des Zustandes, welcher von der Warnehmung zurckgeblieben ist und der sich directer Erforschung entzieht, der aber die Bedingung der Erinnerung bildet, baut sich die Vorstellung unter Mitwirkung der gegenwrtig im Bewusstsein vorhandenen Bedingungen auf; die Reproduction selber ist ein Bildungsprocess. So lsst sich die Organisation des Dichters nach dieser Seite schon in der Mchtigkeit der einfachen Vorgnge von Warnehmung, Gedchtnis, Reproduction aufzeigen, welche Bilder mannichfachster Art, Charaktere, Schicksale, Situationen in dem Bewusstsein bewegen; in dem Erinnern selber entdecken wir eine Seite, durch welche es der Einbildungskraft verwant ist; und die Metamorphose durchwaltet das ganze Leben von Bildern in unserer Seele. Diese letztere Tatsache entfaltet sich weiter in den merkwrdigen Phnomenen der Gesichtserscheinungen. Wer htte nicht, vor dem Einschlafen, geschlossenen Auges, sich an den einfachsten Phnomenen ergçtzt, die hier sich darbieten? In dem ruhenden reizbaren Gesichtssinn erscheinen die inneren organischen Reize nunmehr als Strahlen, wallende Nebel, und aus ihnen formen und entfalten sich, ohne jede Mitwirkung einer Absicht, da wir im Gegenteil in reines ruhigstes Anschauen versenkt sind, leuchtende, farbige Phantasiebilder, die in bestndiger Abwandlung begriffen sind. Soweit reichen diese einfacheren Vorgnge. In derjenigen Metamorphose und Gestaltung, welche in der dichterischen Phantasie wirksam ist und zur Idealisirung von Menschen, Natur und Begebenheiten fhrt, sind aber noch ganz andere psychische Krfte ttig und erzeigen sich in dem Dichter mit besonderer Gewalt. Diese Krfte wirken schon in den Phantasiebildungen des Traumes, welcher der lteste aller Poeten ist, in den Visionen, von denen Goe-
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the, Tiek und andere Dichter berichten, in der Macht der dichterischen Gestalten, die sich beinahe der ußeren Gegenwart nhert, wie sie in Bekenntnissen von Ludwig, Dickens u. a. hervortritt. In all diesen Gebilden ist ein affectives Element. Das Studium der complicirteren Gestaltungen, in denen dieses Element mitenthalten ist, hat natrlich grçßere Schwierigkeit als die bisherige Erçrterung. Die besondere Art von Metamorphose, welche in der dichterischen Phantasie wirkt und zur Idealisirung von Menschen, Schicksalen, ja selbst der dem Verstande toten Natur fhrt, ist dadurch bedingt, dass die Vorstellungen hier, gnzlich abweichend von der Richtung der Erkenntnis auf Uebereinstimmung mit dem System der Erfahrungen, nur inneren Anforderungen des Gemts genugzutun ausgebildet werden, welche Anforderungen sthetisches Gefallen oder Schçnheit zum Inhalt haben. Es kçnnte seltsam scheinen, dass wir Gefallen, einen Lustzustand in uns, und Schçnheit, eine Eigenschaft von Gegenstnden, so aneinander rcken. Aber die beiden Sinne, auf deren mchtiger Entwickelung alle Kunst beruht, Gesichtssinn und Gehçr, objectiviren eben die Zustnde und lassen folgerecht auch die in ihnen entstehenden Gefhlseindrcke als Beschaffenheiten und Tatsachen erscheinen; wodurch denn auch der von Kant in den Mittelpunkt seiner Aesthetik gestellte scheinbare Widerspruch sich erklrt, dass wir das Schçne als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorstellen, whrend wir doch die Subjectivitt des Geschmacks genau genug kennen zu lernen Gelegenheit haben: vermçge eines optischen Scheines fassen wir das Schçne als eine Eigenschaft von Gegenstnden auf und kçnnen nicht anders. Welches nun die Merkmale des sthetischen Gefallens oder der Schçnheit im allgemeinsten Verstande seien, diese Frage schließt das letzte Ziel und folgerecht den Maßstab der Beurteilung fr alle Kunstwerke in sich, daher sie auch von Kant zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung gemacht wurde; jedoch verlsst man mit ihr das Gebiet des Erforschbaren und tritt in die Region ein, in welcher nur ganz allgemeine und weit umgrenzte Anforderungen allen Zeiten und jeder Hçhe individueller Cultur gemeinsam sind; es ist gnzlicher Misverstand, hier in einer Gesetzgebung einen Maßstab der Beurteilung entdecken zu wollen, umgekehrt vielmehr sind alle Merkmale des echten sthetischen Gefallens, durch welche wir inmitten des von den allgemeinsten Bestimmungen beschriebenen Kreises engere Kreise ziehn, die einen Kunstwerke aus-, die anderen einschließend, nur berechtigt als Folgerungen aus den Eindrcken in Bezug auf eben diese Werke; jede Epoche gibt sich hier in der Macht des Eindrucks, welchen Dichtungen auf alle Classen der Menschen ausben, ihr eigenes Gesetz, wie denn fr uns die sthetische Gesetzgebung der grossen classischen Epoche nicht mehr gltig ist. Hier tritt zu Tage, wie der Ausgangspunkt Kants seinen sthetischen Forschungen die
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strenge Gltigkeit erschwert; seine Aesthetik stellt neben objectiv allgemein gltigen Merkmalen des Schçnen solche auf, welche ein Ausdruck des Empfindens der classischen Epoche waren und fr unser sthetisches Genießen zu enge Grenzen ziehen; sie ist in Folge ihres Ausgangspunktes von vornherein subjectiv. Auch hier tritt die Grenze in Kants Forschungen hervor; ihm war der historische Gesichtspunkt fremd, und doch vermag erst die vergleichende historische Uebersicht die Einsicht in die Verschiedenheit der Anforderungen an das Kunstwerk wie an das Gemeinsame im Verschiedenen zu gewhren. Fr den vorliegenden Zusammenhang reicht es zu, ber das, was in der Organisation des Dichters als Bedingung der sthetischen Wirkung vorausgesetzt werden muss und in den biographischen Tatsachen sich vorfindet, das Einfache und unzweifelhaft ganz Allgemeine festzustellen. Der Zustand der hervorbringenden Phantasie und der sthetische Eindruck, so verschieden sie sind, stehen in einem gesetzlichen Verhltnis zu einander, wie auf dem Gebiet der Erkenntnis die Vorgnge der Entdeckung und die Regeln der Evidenz, wie auf dem der Sittlichkeit die sittliche Kraft und das moralische Urteil, von welchen Paaren von Tatsachen irrtmlich immer bald der eine bald der andere Teil zum ausschließlichen Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Analyse gemacht worden ist. Daher machen wir aus dem sthetischen Eindruck unwillkrlich Schlsse auf den Zustand, in welchem das Kunstwerk sich bildete, und die Wissenschaft kann dieses Schlussverfahren nur vermçge der leider seit Schleiermacher und Bçckh so vernachlssigten Hermeneutik oder Theorie des Verstehens regeln und durch die directe biographische Untersuchung ergnzen. Wenn in dem Betrachten des Kunstwerks alle Energien der reichen menschlichen Natur befriedigt sind, ohne jedes Interesse an der Herstellung irgend eines Tatbestandes, so dass kein Weg von Mitteln zum Zweck zu durchlaufen ist, der die Aufmerksamkeit auf das Ziel hinrichtet, sondern Alles Zweck ist, befriedigte Anschauung, eine Versenkung, die uns dem Gegenstande ganz hingibt und unser Selbst mit seinen persçnlichen Bedrfnissen schweigen macht: dann muss doch folgerichtig in der productiven Phantasie eine solche Gemtsverfassung ebenfalls gegenwrtig sein; in ihr entspringt die Conception des Kunstwerks, entspringen die hçchsten Momente seines Wachstums, whrend die Arbeit selber keineswegs ganz frei von der Anstrengung des Willens sein kann, der in der Herstellung eines Werkes seinen Zweck hat. Daher die Metamorphose und Gestaltung von Erfahrungselementen in dem Dichter nicht aus ihrem Verhltnis zu dem Zusammenhang der Erkenntnis ihr Gesetz schçpft, sondern aus diesem im Gemt empfangenen idealischen Bilde. Daher weiter in dem Dichter eine außerordentliche Macht der Gefhle, ein reiches Gemtsleben, wie es aus dem Hegen und Erinnern der Gefhle entspringt, das Leitende fr die Gestaltung und Metamorphose von Bildern
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wird. Ein solcher Geist lebt in dem Reichtum der Erfahrungen der Menschenwelt, wie er sie in sich findet und außer sich gewahrt und diese Tatsachen sind ihm weder Daten, welche er zur Befriedigung seines Systems von Bedrfnissen benutzt, noch solche, von denen aus er Generalisationen erarbeitet; das Dichterauge ruht sinnend und in Ruhe auf ihnen: sie sind ihm bedeutsam; die Gefhle des Dichters werden von ihnen angeregt, bald leise, bald mchtig, gleichviel wie fern dem eignen Interesse diese Tatsachen liegen oder wie lange sie vergangen sind: sie sind ein Teil seines Selbst. Kant bezeichnet richtig den Zustand des knstlerischen Genusses als interesselose d. h. von jeder Beziehung auf das Begehrungsvermçgen freie Contemplation. Er ist gegrndet in einer Befriedigung unserer nach Erfllung strebenden Energien auf dem Boden Eines unserer beiden hçheren Sinne, als welche allein ein Objectives hinstellen. Daher im wahren Kunstwerk das was den Sinnen in der Empfindung gefllt (welches Kant als das angenehme aus dem Reiche der Kunst ausschließt), das was unsere hçheren Gefhle in’s Spiel setzt, das was die denkende Betrachtung beschftigt, verknpft ist, gerade hierauf beruht, dass kein Mangel empfunden wird und die im Leben nur vorbergehende und particulare Befriedigung dauernd wird. So hat also jedes Zeitalter in seinen Gewçhnungen einen ihm eigenen Maßstab des knstlerischen Gefallens und die Geschichte des Geschmacks hat aus den Vernderungen der Cultur diesen Wechsel begreiflich zu machen. Diese Frage verwickelt sich freilich dadurch, dass fr den modernen Menschen das historische Interesse und die historische Betrachtung die etwaigen intellectuellen Mngel lterer Kunstwerke ergnzen; sie genießen die Vorteile der sinnlichen Jugend der Vçlker, und ihren Mangel an intellectuellem Gehalt wiegt ihre historische Beziehung auf, als ein hinzutretendes intellectuelles Interesse. Diese Befriedigung unserer nach Erfllung strebenden Energien ist eine Ttigkeit ohne ußeren Zweck und sie gehçrt daher, wie Schiller tiefsinnig sah, in das Reich des Spiels. Die Ideenfolge dessen, der einen Satz beweisen will, hat ihr Interesse an der erreichten Evidenz, die Arbeit dessen, der einen Vertrag herbeifhren will, gelangt erst in dem Augenblick zur Befriedigung, wenn endlich die Unterschriften gesichert sind. Das Spiel der Kunst erreicht was das Leben in den seltenen Momenten, in denen wir mit richtigem Takte seine Schçnheit preisen, gewhrt: eine Beschftigung unserer rastlosen Energien, welche lauter Genuss ist. Die Anfnge dieses Spiels kçnnen wir bis in das Leben der hçheren Tiere zurck verfolgen. Denn die hçchstorganisirten Tiere setzen schon in Nachahmung ihrer ernstlichen auf Zwecke gerichteten Lebensußerungen ihre Krfte durch einen vorgestellten Verlauf in’s Spiel und hier schon wird derjenige Affect durch einen simulirten Vorgang in Bewegung gesetzt welcher im Tier am meisten heftig arbeitet. – Knstlerisch ist nur diejenige Ttigkeit, wel-
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che ein in solcher Gemtsverfassung Geschautes herausarbeitet und daher diese Gemtsverfassung mitteilt. Die Kunst entwickelt im Menschengeschlecht die verschiedenen Formen dieser Gemtszustnde und ihre hçchste Aufgabe ist eine Schule dieser hçheren Betrachtungsweise zu sein; denn der Natur und dem Leben gegenber entwickelt sich diese Stimmung schwerer als dem Kunstwerk gegenber, die großen Dichter aber lehren uns die Welt mit Seherauge gewahren. Die Grundform der dichterischen Einbildungskraft ist also Gestaltung des in der Erfahrung Enthaltenen unter der Einwirkung einer bestimmten Art affectiver Verfassung. Die Wirkung der affectiven Zustnde auf die Gestaltung von Warnehmungs- und Vorstellungsinhalten kann in einem weiten Bereich von Tatsachen studirt werden; Furcht, Schrecken und Angst lassen so gut die falschen und tçrichten Erzhlungen entstehen, die sich in einer geschlagenen Armee verbreiten, als die Wahngebilde des Aberglaubens, die in schuldigen oder hoffnungslosen Gemtern sich entwickeln; der Hass der Parteien ruft jene seltsamen Verleumdungszeiten hervor, deren eine Keller in Zrich erlebte und in dem „verlorenen Lachen“ darstellte; die Trume des Ehrgeizes und des Egoismus entstehen so gut unter solchen Bedingungen als die Schçpfungen des Dichters. Das hier dargelegte kçnnte durch Zeugnisse belegt werden, die ich seit manchem Jahre zum Zweck einer inductiven Untersuchung der Poesie gesammelt habe; in dem vorliegenden Zusammenhang haben nur die Aeußerungen Goethes ein hçheres Interesse. Auf die Naturgrundlagen seines dichterischen Vermçgens wirft folgende Stelle der Beitrge zur Morphologie ein Licht: „Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloss, und mit niedergesenktem Haupte mir in die Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich auseinander, und aus ihrem Inneren entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wol grnen Blttern; es waren keine natrlichen Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmssig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmçglich die hervorsprossende Schçpfung zu fixiren, hingegen dauerte sie so lange als mir beliebte, ermattete nicht und verstrkte sich nicht. Dasselbe konnte ich hervorbringen, wenn ich mir den Zierrat einer buntgemalten Scheibe dachte, welche dann ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie hin sich immerfort vernderte, vçllig wie die in unseren Tagen erst erfundenen Kaleidoskope“. Wenn vor dem Einschlafen unter gnstigen Bedingungen auch anderen gelingt, in dem dunklen Sehraum die aufsteigenden farbigen Nebel zu Gestalten sich formen und abwandeln zu sehen, so erblicken wir bei Goethe hçchste Leichtigkeit und Schçnheit dieser Schçpfungen einer unwillkrlich bildenden Einbildungskraft. Diese Gabe, in einer modificirten Form, bertrgt er in den Wahlverwantschaften, welche ja
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ganz von den Darlegungen unserer physiologischen Bedingtheit auch in den hçchsten Offenbarungen unseres Gemtslebens durchdrungen sind, auf die von ihm so geliebte Gestalt der Ottilie; die Darstellung erinnert an das was Cardanus von sich erzhlt; zwischen Schlaf und Wachen blickt sie in einen mild erleuchteten Raum, in dem sie den im Krieg abwesenden Eduard gewahrt. Die Gewalt, die die Gebilde der Phantasie ber den Dichter selber ben, ist in mehreren Stellen des Tasso mit tiefer Kenntnis ausgesprochen, so: „Ich halte diesen Drang vergebens auf, der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt“ u. s. w.; dann wie er Eleonoren den knftigen Weg des Verbannten nach Neapel schildert: „verkleidet geh ich hin, den armen Rock des Pilgers oder Schfers zieh ich an u. s. w.“ – man teilt den Schauder Eleonorens, die ihn unterbricht, wie um den unheimlichen Zauber zu brechen, mit welchem ihn dies Phantasiebild umfngt. Ja Goethe hat schliesslich die Einsicht ber die Natur des Dichters, welche ihm aus solchen inneren Erfahrungen sich ergeben hatte, folgendermaßen generalisirt: „Man sieht deutlicher ein was es heißen wolle, dass Dichter und alle eigentlichen Knstler geboren sein mssen. Es muss nmlich die innere productive Kraft jene Nachbilder, die im Organe, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zurckgebliebenen Idole, freiwillig, ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervortun, sie mssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen, zusammenziehen, um aus flchtigen Schemen wahrhaft gegenwrtige Bilder zu werden“. „Ich bin, erzhlte er dem Kanzler Mller, hinsichtlich meines sinnlichen Auffassungsvermçgens so seltsam geartet, dass ich alle Umrisse und Formen auf’s Schrfste in der Erinnerung behalte, dabei aber durch Misgestaltungen und Mngel mich auf’s Lebhafteste afficirt finde“. „Ohne jenes scharfe Auffassungs- und Eindrucksvermçgen kçnnte ich ja auch nicht meine Gestalten so lebendig und scharf individualisirt hervorbringen. Diese Deutlichkeit und Prcision der Auffassung hat mich frher lange Jahre hindurch zu dem Wahn verfhrt, ich htte Beruf und Talent zum Zeichnen und Malen“. In demselben Sinn fasst Goethe in seinen Sprchen das Ziel der Poesie: „Der Dichter ist angewiesen auf Darstellung. Das hçchste derselben ist, wenn sie mit der Wirklichkeit wetteifert, d. h. wenn ihre Schilderungen durch den Geist dergestalt lebendig sind, dass sie als gegenwrtig fr Jedermann gelten kçnnen“. Der so in der Organisation des Dichters gegebene Vorgang in der Phantasie kann dann weiter nach seinem tatschlichen Verlauf in den einzelnen Fllen an vielen hinlnglich genau erhaltenen Vorgngen studirt werden, deren literargeschichtliche Ueberlieferung ihrerseits erst wieder durch die Verbindung mit der Theorie der Phantasie ihre hçhere Durchsichtigkeit und strkeres Interesse empfngt. Hier gilt es sich das Auge offen und den Sinn frei fr alle Verschiedenheiten in der Combination dieser Krfte zu halten und den Dich-
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ter, in dem die Ideen herschen, offenen Herzens so gut zu genießen als den, in welchem mchtige pathologische Zustnde leitend sind oder den, welcher in mildem Lichte ruhiger Objectivitt die Wirklichkeit hinstellt. Es gibt Dichter in denen Gestalten sich viele Jahre hindurch bewegen bevor sie heraustreten. Als einen solchen bezeichnet sich Goethe selber: „Mir drckten sich gewisse große Motive, Legenden, uralt geschichtlich Ueberliefertes so tief in die Seele, dass ich sie vierzig bis fnfzig Jahre lebendig und wirksam im Innern erhielt; mir schien der schçnste Besitz, solche werte Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen, da sie sich dann zwar immer umgestalten, doch, ohne sich zu verndern, einer entschiedenen Darstellung entgegenrcken.“ In anderen wie in Schiller ist die Entstehung einer Dichtung ein in gewaltiger und bewusster Arbeit den ganzen Menschen bewegender Process gewesen. Vielleicht teilt sich diese vorandrngende Macht des Willens auch der Handlung mit und gibt ihr die Bewegung und den großen Zug, die wir an Schiller bewundern, whrend Goethes Gestalten, auch die gewaltigsten, zu stehen scheinen. Wie aber dieser Vorgang verlaufe: in ihm weben an dem bunten Teppich mit seinen Figuren alle Krfte des ganzen Menschen. Alle Poesie ist von dem Gedanken durchdrungen; gibt es doch in dem entwickelten Menschen nur wenige Vorstellungen, welche nicht allgemeine Elemente in sich fassten; gibt es doch andrerseits in der Menschenwelt vermçge der Wirkung allgemeiner socialer Verhltnisse und psychologischer Verhaltungsweisen kein Individuum, welches nicht zugleich unter verschiedenen Gesichtspunkten reprsentativ wre, kein Schicksal, welches nicht einzelner Fall einer allgemeineren Gewohnheit von Lebenswendungen wre. Diese Bilder von Menschen und Schicksalen werden unter dem Einfluss der denkenden Betrachtung so gestaltet, dass sie, ob sie gleich nur einen einzelnen Tatbestand hinstellen, doch von dem Allgemeinen ganz gesttigt und solchergestalt reprsentativ fr dasselbe sind. Hierzu bedarf es durchaus nicht der in das dichterische Werk eingestreuten allgemeinen Betrachtungen, deren Function vielmehr ist, den Auffassenden zeitweise von dem Bann des Affects, der Spannung, der fortreißenden Mitempfindung zu befreien, indem sie zu beschaulicher Stimmung erheben. Alle Poesie zeigt ferner das Geprge des Willens, aus dem sie entsprang. Schon Kant setzte sogar die Chiffernschrift der Natur, welche aus ihren schçnen Formen besteht, mit der praktischen Vernunft in Beziehung, und Schiller verfolgte berall in der Schçnheit den Wiederschein des Sittlichen; Goethe ußerte sich „darauf kommt Alles an. Man muss etwas sein, um etwas zu machen“. „Der persçnliche Charakter des Schriftstellers bringt seine Bedeutung beim Publicum hervor, nicht die Knste seines Talents“. Wie kçnnte es auch anders sein als dass die Form des Willens das durchwaltet, was aus ihm entsprang, mag es aus den Gestalten blicken oder aus der Fhrung der Handlung oder aus Stimmung
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und Gefge. So entsteht was Schiller als Begriff (d. h. letztes Ziel) aller Poesie bezeichnet: „der kein anderer ist als der Menschheit ihren mçglichst vollstndigen Ausdruck zu geben“. Die Phantasie ist in ihrem Vermçgen auch in Bezug auf die Deutlichkeit der so entstehenden Gestalten sehr eingegrenzt. „Die Phantasie, sagte Goethe nach Eckermanns Erzhlung, kann nie eine Vortrefflichkeit so vollkommen denken als sie im Individuum wirklich erscheint. Nur vager, nebliger, unbestimmter, grenzenloser denkt sie sich die Phantasie, aber niemals in der charakteristischen Vollstndigkeit der Wirklichkeit“. Dies folgte aus frheren Erçrterungen. Ebenso ergibt sich aus der bisherigen Darlegung andererseits wie alle psychologischen Krfte bei dem Hegen und Bilden dichterischer Gestalten und Schicksale mit beteiligt sind. Das Verhltnis der Phantasie zu ihren Gestalten gleicht solchergestalt vielfach dem zu wirklichen Menschen, welche ein Teil unseres Selbst durch ihre sttige Beziehung zu dem System unserer Neigungen und Affekte geworden sind. So lebte Dickens mit seinen Gestalten als mit seinesgleichen, litt mit ihnen, wenn sie der Katastrophe sich nherten, frchtete sich vor dem Augenblick ihres Untergangs. Balzac sprach von den Personen seiner com die humaine als ob sie lebten; er analysirte, tadelte, lobte sie, als gehçrten sie mit ihm zu derselben guten Gesellschaft; er konnte lange Debatten darber fhren, was sie in einer Lage, in der sie sich befanden, am besten tun wrden. Wie Goethe von den tragischen Affecten seiner Poesie im Vorgang der Dichtung bewegt wurde, kann man erschließen aus einer Aeußerung an Schiller, er wisse nicht, ob er eine wahre Tragçdie schreiben kçnne, jedoch vor dem Unternehmen schon erschrecke er und sei beinahe berzeugt, dass er sich durch den bloßen Versuch zerstçren kçnne. Diese Bilder, welche mit jeder Regung unserer Gefhle und Neigungen verkettet sind, treten zurck, wenn die Aufmerksamkeit abgelenkt wird: alsdann sind sie wieder da, wie ein Gegenstand der durch einen anderen Gegenstand verdeckt war, wie ein Seelenschmerz und die Tatsache, auf welche er sich bezieht, von selber wieder da sind, sobald die gewaltsame Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf einen ganz anderen Gegenstand nachlsst. Auch von diesen Gestalten der Phantasie gilt, was Goethe einmal von denen des Lebens sagte: „Ich statuire keine Erinnerung in Eurem Sinne, das ist nur eine unbeholfene Art sich auszudrcken. Was uns irgend Großes, Schçnes, Bedeutendes begegnet, muss nicht wieder von außen her gleichsam erinnert, gleichsam er-jagt werden, es muss sich vielmehr gleich von Anfang her in unser Inneres verweben, mit ihm eins werden, ein neues besseres Ich in uns erzeugen und so ewig bildend in uns fortleben und schaffen“. So weicht also der Dichter in einem weit hçheren Grade von allen anderen Classen von Menschen ab als man gewçhnlich annimmt, und wir werden uns,
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einer philisterhaften Auffassung gegenber, welche sich auf biedere Durchschnittsmenschen vom dichterischen Handwerk sttzt, daran gewçhnen mssen das innere Getriebe und die nach außen tretende Handlungsweise solcher dmonischer Naturen von ihrer Organisation aus aufzufassen, nicht aber von einem normalen Durchschnittsmaß aus. Von diesem gewaltigen ganz unwillkrlichen Bautrieb aus will auch Goethes Lebensweise verstanden werden, und ich frchte, dass er sich bei Grimm den Vorstellungen der guten Gesellschaft von einem tadelfreien Manne allzusehr annhert. Grndliche und genaue Bilder der besonderen Art dichterischen Gestaltens in den einzelnen Poeten besitzt die Litteraturgeschichte noch nicht, da die grundlegende Erforschung der poetischen Phantasie, welche erst im Entstehen begriffen ist, sich mit den Untersuchungen ber die Stellung der Dichter zu ihren Stoffen, fr welche die Kenntnis der Fabeln und ihrer mannichfachen Metamorphosen noch viel zu wnschen brig lsst, verknpfen muss. Innere Erfahrung, ußerer, berlieferter Stoff aus Mythos oder Sage, Geschichte oder Dichtung: in so mannichfachem Stoff wirkt die bewegliche dichterische Phantasie. Generelle Untersuchung derselben, in der Weise dieser freilich flchtigen Darlegungen, tritt nun aber in Verbindung mit der Analyse der Verkettung dichterischer Gebilde in der Abfolge der Zeiten, wie die G e s c h i c h t e d e r s c h ç n e n L i t t e r a t u r sie versucht. Das Material ist fr beide dasselbe, und kein Fehler der Methode greift tiefer als der Verzicht auf die Breite der historischen, unter ihnen der biographischen Tatsachen fr den Aufbau der generellen Wissenschaft menschlicher Natur und ihrer Leistungen, die nun einmal nur inmitten der Gesellschaft fr uns da sind und studirt werden kçnnen. Es ist dasselbe Verhltnis, welches zwischen der generellen Wissenschaft und der Analyse der geschichtlichen Erscheinungen in Bezug auf alle anderen großen Lebensußerungen der Gesellschaft stattfindet. Die historische Analyse bedarf ihrerseits der Zergliederung und der Classification der Tatsachen, welche ihr weites Reich bilden. Wir z e r l e g e n j e d e s dichterische Werk als eine Gesammttatsache in Teiltatsac h e n ; wie wir an einem Naturkçrper seine chemische Zusammensetzung, seine Schwere, seinen Wrmezustand zergliedernd, abstrahirend unterscheiden, so sondern wir in dem dichterischen Werk Motiv, Fabel, Charaktere, Gliederung, Sprache. Wie die Naturwissenschaft erst solchergestalt sich abstracte Tatsachen aus den ganz individuellen Einzelgestalten der ußeren Welt schafft, deren Gesetzmßigkeit alsdann erforscht werden kann, so bildet die abstracte Gesammttatsache des in dem geschichtlichen Verlauf der schçnen Litteratur gelegenen Systems von Motiven oder von Charakteren eine einfachere, leichter in ihren Gesetzen zu studirende Tatschlichkeit. Didaktische Poesie ist selbstverstndlich hier nicht mit in Betracht gezogen, da sie vermçge
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ihres Begriffes eine Uebereinstimmung der Vorstellungen mit Gegenstnden anstreben muss, um lehren zu kçnnen, somit ein Zwischenglied zwischen der Dichtung und Wissenschaft bildet. Der wichtigste unter diesen Begriffen ist der des Motivs, da die anderen ihn voraussetzen. Denn die Fabel ist ein aus dem Zusammenhang des Lebens ausgesondertes Gefge von Handlungen und Zustnden, welches eine genugsame Einheit und einen befriedigenden Zusammenhang bildet, und in welchem ein Motiv anschaulich ausgedrckt ist. Unter Charakter aber verstehen wir nur einen Teil dieses Fabelgefges, also dieser Verkettung von Handlungen und Begebenheiten, dessen vorgestellte Einheit ein Mensch ist, in einem oder verschiedenen oder allen Abschnitten dieser Verkettung dargestellt, und hierdurch in dem Aufnehmenden zur Einheit der Vorstellung gelangend. Daher hat der Begriff des Motivs Goethe wie Schiller vielfach beschftigt, und Goethe gibt wenigstens fr das engere Gebiet der tragischen Dichtung eine Begriffsbestimmung. „Des tragischen Dichters Aufgabe und Theorie ist nichts Anderes als ein psychisch-sittliches Phnomen, in einem fasslichen Experiment dargestellt, in der Vergangenheit nachzuweisen. Was man Motive nennt, sind also eigentlich Phnomene des Menschengeistes, die sich wiederholt haben und wiederholen werden, und die der Dichter nur als historische nachweist“. Besonders der richtige Satz dass die Zahl solcher Motive begrenzt sei – Gozzi hatte sie gezhlt und Schiller eine Nachzhlung versucht – beschftigte Goethe. Eine besonders interessante Beziehung besteht zwischen Motiv und Fabel in Tragçdien. Wir besitzen kaum eine Tragçdie ersten Ranges, welche nachweisbar in freier Erfindung aus dem Motiv die Fabel entwickelt htte. Es scheint, dass der Charakter der Wirklichkeit, sammt dem Irrationalen, in keinen Gedanken auflçsbaren in ihr, nur demjenigen beiwohnt, was dem Dichter objectiv als Tatsache gegenbertritt, welche dann entweder fr ein den Geist des Poeten schon beschftigendes Motiv Gefß und Symbol wird, mit allen Vorzgen einer in das Motiv selber nie ganz auflçsbaren Realitt ausgestattet, oder welche die Phantasie des Dichters reizt, als ein Problem enthaltend, dessen psychologische Auflçsung alsdann die Tragçdie ist. Wirklichkeit niederen Ranges, wie sie Lustspiel, Schauspiel und Roman oft zu ihrem Gegenstande haben, kann aus dem Leben, das den Dichter umstrçmt, geschçpft werden; die Wirklichkeit des Epos und der Tragçdie ist entweder nicht in dem Erfahrungshorizont des Dichters oder ihre Hervorbringung und objective, vom Dichter unabhngige Aufstellung berschreitet die Grenzen dichterischen Vermçgens. Daher in all diesen Fllen der Vorgang in der Phantasie ein Spiel von Beziehungen zwischen einem gleich der Warnehmung selbst der Phantasie selbstndig und objectiv gegenberstehenden Stoff und dem ihr als Material vorliegenden Erfahrungskreise ist.
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Ein anderes ist Z e r l e g u n g d e s g a n z e n U m f a n g s d e r s c h ç n e n L i t t e r a t u r i n z u s a m m e n g e h ç r i g e G r u p p e n von dichterischen Werken. Wie die vergleichende Anatomie in einer Gliederung der tierischen Organismen sich Grundlagen der Untersuchung schafft, so entwirft auch sthetische Forschung in vergleichender Betrachtung zusammengehçrige Gruppen dieser Geschçpfe der Einbildungskraft, die gewissermaßen eine zweite Natur ist. Diese Einteilungen begannen bei dem Sinnenflligen der drei großen Gruppen von Inhalten der Phantasie, welche sich auch folgerecht nach der verschiedenen Stellung der dichterischen Gebilde zu dem Empfangenden sondern lassen; so entstand die Einteilung in lyrische, epische, dramatische Dichtung mit diesen Dichtungen selber; der spte Unterbegriff didaktischer Poesie bezeichnet eine verbindende Zwischengattung zwischen Wissenschaft und Dichtung, wie zwischen allen Gruppen geistiger Tatsachen solche stehen. Erst seit Schiller trat dann der Versuch auf, weiter rckwrts von dem dichterischen Werk, dem Vorgang seiner Bildung nachgehend, die affectiven Haltungen oder Stimmungen der Phantasie, deren allgemeine Natur wir ja entwickelt haben, einer Gliederung zu unterwerfen. Der Humor und das Gefhl des Erhabenen, die tragische und die komische Stimmung, die elegische Gemtsverfassung und die Rhrung, phantastische Stimmung: das Alles war lange unterschieden; aber Schiller entwickelte aus der sittlichen Natur des Menschen zwei geistige Gesammthaltungen, welche Grundstimmungen der Phantasie sind, und er ordnete einige der sthetischen Affecte dieser Einteilung unter, welche in seinem Sinne keineswegs Epochen der Litteratur bezeichnete, sondern Grundverfassungen der Dichter in ganz verschiedenen Zeiten; denn er fand schon bei den Alten sentimentale Haltung der Phantasie und bei den Neueren naive. Nach ihm ist von den ersten sthetischen Forschern dieses wichtige System von Gruppen verschieden entwickelt worden. Tut man aber noch einen Schritt weiter zurck in den Vorgang der Entstehung von dichterischen Werken, wie wir ihn darlegten, so liegt schon ein Unterschied derselben in dem Erfahrungshorizont des Dichters, welcher doch den ganzen Stoff der Poesie gibt und durch welchen daher zuerst der Charakter der Dichtung bestimmt wird. Wir blicken in die Arbeit der Phantasie an der Erfahrung bei Bildung von Dichtwerken, und wenn wir nun zugleich die oben unterschiedenen TeilInhalte des dichterischen Werkes nebeneinander bei Betrachtung dieser elementaren Vorgnge im Auge behalten, sondern sich deutlich zwei Gruppen von dichterischen Werken. Ich versuche diese fr das Verstndnis Goethes vielleicht fruchtbare Unterscheidung aus der Analyse einiger hervorragender Tatsachen abzuleiten. Eine in der letzten Zeit erschienene Biographie von Dickens gestattet uns in die Werkstatt dieses Dichters den Blick, und auch fr andere mit sthetischen
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Fragen beschftigte wird das Buch von Forster ein Ereignis gewesen sein. Er erscheint als ein Genie, dessen ganzes Leben in tatschlicher Erfahrung, in genauster unwillkrlicher Beobachtung dessen was immer neue Erfahrungskreise bieten, verluft, der so viel Beschftigungen und Lebenslagen durcheilt, als Lehrjunge, Advocatenschreiber, Reporter im Parlament und im Lande, so viel Tatsachen seiner Beobachtung zu unterwerfen in der Lage ist, die Gefngnisse und Irrenhuser der meisten Lnder Europas wie ihre gute Gesellschaft so grndlich studirt, dass wir in Deutschland von einer solchen Existenz kaum eine Vorstellung haben; dann sein Ungestm, die ungeheuren Fehlgriffe seines fieberhaft ttigen Naturells, seine Gleichgltigkeit gegen jede hçhere Ausbildung seiner eignen Persçnlichkeit, jede hçhere intellectuelle Beschftigung; und dies Alles Außenseite fr ein Leben voll Seligkeit und Leid, voll der heftigsten Affecte im Mitleben mit den Gestalten, welche aus diesem Erfahrungsmaterial geformt sind: er ist dem, was er außer sich gewahrt, ganz hingegeben. Indem wir das dichterische Schaffen des Zeitgenossen von Stuart Mill aus so genauen Mitteilungen studiren, fllt von dieser Erkenntnis auch ein Licht auf das uns anscheinend ganz unbegreifliche innere Leben und Bilden in dem Zeitgenossen des Lord Bacon. Shakespeare scheint in ein undurchdringliches Dunkel gehllt. Eifrigste Sammlung hat nur eine Anzahl von Urkunden von kirchlichen Akten und Rechtsgeschften, und ein paar polemische Stellen zeitgençssischer Schriftsteller als wirklich authentisches Material gewonnen. Es scheint, dass seine Person nicht in hohem Grade die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich zog. Seine Tragçdien bringen diejenigen zur Verzweiflung, die einen Schluss auf seine Denkart, seine religiçsen oder philosophischen Ueberzeugungen und seinen Charakter ihnen entlocken wollen. Seine Sonette sind selber ein Geheimnis, da wir weder wagen sie beim Wort zu nehmen wegen der ungeheuren Paradoxie der Gefhlsweise in ihnen, noch zaghaft darauf verzichten kçnnen, einen Kern hçchst subjectiven, persçnlichsten Empfindens in ihnen anzunehmen. Wir gehen von einigen unzweifelhaften, in seinen Werken selbst gegebenen Tatsachen in Betreff seiner Organisation aus. Shakespeare zeigt einen Umfang von genauen grndlichen und ganz positiven Warnehmungsbildern, mit welchen die Summe genauer Bilder bei keinem anderen Poeten auch nur verglichen werden kann. Man muss in ihm eine Energie der Warnehmung und des Gedchtnisses annehmen, hinter welcher selbst das, was Goethe und Dickens von sich erzhlen, weit, weit zurcksteht. Schon die Zeichen fr die Dinge beherscht er kçniglich: M. Mller hat berechnet, dass ihm etwa 15,000 Wçrter zur Verfgung stehen, beinahe doppelt so viel als Milton. Seine Kenntnis von Pflanzen und Tieren ist durch sachkundige Forscher als erstaunlich genau und umfassend erwiesen worden. Er spricht von Falken und Falkenjagd, wie einer,
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der sein Leben als Jger zugebracht hat, so dass erst die sachkundige Untersuchung eines Kenners einige dieser Stellen verstndlich gemacht hat. Er spricht von Hunden, als htte er gleich Walter Scott jeder Zeit ein paar Lieblingstiere zu seinen Fßen liegen gehabt. In einer Zeit, in welcher noch Aerzte in Bezug auf Wahnsinnige ganz von aberglubischen Vorstellungen erfllt sind, erscheint er als ein so tiefer Beobachter krankhafter Seelenzustnde, dass hervorragende Irrenrzte unserer Zeiten seine Personen studirt haben wie man Tatsachen der Natur selber studirt. Seine Kenntnis von Rechtsfllen und Rechtsgeschften ist der Art, dass hervorragende englische Juristen dieselbe nur durch die Annahme sich erklren konnten, dass er als Lehrling eines Advocaten Gelegenheit gehabt habe, sich fachmßig auszubilden. Umfang und Tiefe seiner Charakterschilderungen bezeichnen fr uns die ußerste Grenze des dichterischen Vermçgens. Eine solche Wirkung setzt als Ursache nicht nur hçchste Energie der Warnehmung und des Gedchtnisses voraus: wir mssen uns das Genie, welches dies leistet, gnzlich den Tatsachen hingegeben denken, gewarwerdend, beobachtend, sein Selbst ganz vergessend und verwandelnd in das was es erfasst. Unwillkrlich muss ich an Rankes Wort denken: ich mçchte mein Selbst auslçschen, und die Dinge sehen, wie sie gewesen sind. Nicht in sich selbst, sondern in dem was außer ihm auf ihn wirkte, lebte er. Er war ganz großes geistiges Auge. Er hatte kein Bedrfnis in sich einen Zusammenhang von energischen Ueberzeugungen zu versammeln oder ein Selbst von imponirender Macht zu gestalten: er wird als von sanfter Grazie gleich Raphael geschildert: ihm war Alles, jede menschliche Natur und Leidenschaft bis in ihre ußersten Consequenzen und geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen. Hiermit ist seine Darstellungsweise einstimmig, welche die Menschen hinstellt, wie sie der Beobachter im Leben von außen gewahrt, in vçlliger Deutlichkeit der kçrperlichen Umrisse, in Willensbewegung, ihre letzten Beweggrnde zuweilen undurchdringlich. Dieser Auffassung sind die Nachrichten ber sein Leben conform. Der rasche, beinahe fiebernde Puls seiner Helden schlgt auch in ihm, wie in Marlowe und Ben Jonson. Mit achtzehn Jahren ist er verheiratet, das Jahr darauf mit der Sorge fr eine Familie belastet (geboren 1564, verheiratet 1582, seine Tochter Susanne 26. Mai 1583, Hamnet und Judith 1585), zwischen 1585 und 1587 erscheint er in London, sich eine Existenz zu grnden, in den ersten zwanziger Lebensjahren. 1592, im achtundzwanzigsten Lebensjahre, ist er auf der Hçhe von Ruhm und Wohlstand, sodass Greene in einem Pamphlet dieser Zeit ihn als „an absolute Johannes Factotum and, in his own conceit, the only Shake-scene in a country“ bezeichnen kann. Er beginnt schon jetzt allmhlich Alles fr seine Zurckgezogenheit in Stratford vorzubereiten. 1602, im acht-
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unddreißigsten Lebensjahre, ist er bereits wolhabender Landgentleman in Stratford, obwol noch in London ttig. In den vierziger Lebensjahren finden wir ihn dann dort (der genauere Termin kann aus den bisher gefundenen Urkunden nicht erschlossen werden) in seinem stattlichen Hause, das von seinen Grten umgeben ist, ausruhend von der strmenden Hast seines Lebens; seine Laufbahn war zu Ende. Am 23. April 1616 im 53. Jahre starb er in Stratford, unmittelbar nach den Vermhlungsfesten seiner jngsten Tochter. In den beiden Punkten, von denen man zu sagen pflegt, dass sie ber das Leben entscheiden, in Ehe und Beruf, scheint raschem vordringendem Entschließen schwere Lebensmhe und Enttuschung gefolgt zu sein; herbe Empfindung des Lebens und entschiedene klare Handhabung desselben erfllen seine mnnlichen Jahre, und, seltsam es zu sagen, der Zusammenhang der Handlungen seines Lebens liegt nicht allein in seiner Poesie, sondern ebenso in dem Willen, sich und seine Familie in die wolhabende Landgentry zu erheben. Wie Dickens lernte er das Leben und die Menschen nicht als ein schwatzender und zugukkender Zuschauer kennen, sondern er spielte mit, in den bermtigsten Komçdien wie in Tragçdien, er hatte jene kraftfrohe Natur, die lieber etwas Falsches tut, als gar nichts. So hat auch der einzige in der Kenntnis des Lebens Shakespeare vergleichbare Dichter, so hat Cervantes sein Leben als Secretr eines ppstlichen Legaten, als Soldat in den verschiedensten Feldzgen, in Sclavenketten, als Schriftsteller unruhvoll durcheilt. Und gerade die bunten Erfahrungen einer bewegten mit Wirklichkeiten ringenden Jugend haben solchen Dichtern das Hauptmaterial ihres Erfahrungshorizontes geschenkt. Auch Aeschylos und Sophokles erwarben im ttigen Leben des Brgers und Soldaten ihr Verstndnis der Welt, und erst Euripides lebte in seiner Bibliothek als Litterat. Wie sein Lebenslauf ihm die ungeheure Welterfahrung zufhrte, welche seine Dramen zeigen, lsst sich noch verfolgen. Wie oft kehrt in seinen Dichtungen die Landschaft um Stratford wieder, in der er aufwuchs, mit ihren sanften Hgeln, ihrem gesttigten Wiesengrn, und den Bschen und Obstgrten, in denen die Dçrfer versteckt lagen, zwischen denen der Avon sich schlngelte; es ist der landschaftliche Hintergrund des Sommernachtstraums, des Wintermrchens. Volkspoesie und Volksfeste, das lustige Altengland werfen noch ihren heiteren Glanz ber das Land und die Einleitung der bezhmten Widerspenstigen, Vieles in den lustigen Weibern rufen uns wol Personen und Scenen aus diesen Jugendtagen zurck, Volkslieder und Sagen flogen ihm noch auf seinen Wanderungen zu. Damals prgten sich auch in seine allen Eindrcken offene Seele die Bilder der Pflanzen- und Tierwelt, in welcher der Sohn des Landbesitzers, wol auch der leidenschaftliche Jger (wer denkt nicht an die Geschichte von seinem Jagen auf dem verbotenen Grunde des nahen Landedel-
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manns) sich heiter bewegte, auch war wol hier Anlass genug fr die unzhlichen Spße auf Kosten der beschrnkten kleinen Bauern und Brger in seinen Dramen. Und in dies heitere Leben ragte hier schon die große und blutige Vergangenheit seines Landes herein; ging doch von Stratford die romantische Straße in 8 Meilen nach dem Schlosse Warwick, wo auf dem Schlosshof zwischen den massiven Trmen oder unter den Grabdenkmlern die Schatten der Vergangenheit, die Gestalt des großen Kçnigsmachers darunter, am hellen Tage umgingen. Ein paar Meilen weiter lag dann Kenilworth, das damals Leicester gehçrte, in dessen Diensten ein Verwanter Shakespeares stand, und die Erklrer haben sich gern vorgestellt, dass bei den großen Festen, welche dort der Kçnigin ihr Gnstling gab, der elfjhrige Knabe zugegen gewesen sei. Aber wie dem auch sei, das Spiegelbild des Lebens in der Dichtung ist in Stratford selber dem Knaben frh nahe getreten; in der lebensfrohen Stadt, in deren Kmmereirechnungen Sekt, Claret und Muscat keine kleine Rolle spielen, haben von 1569 bis 1587, in den frhesten Knabenjahren Shakespeares, nicht weniger als 24 Besuche von Schauspielertruppen stattgefunden und wenn wir das Theaterrepertoir jener Zeit berblicken, so waren Heinrich V., Richard III., Csar, Timon, das Stck, aus dem die bezhmte Widerspenstige sich entwickelte, in ihm enthalten. Goethe und Dickens erzhlen bereinstimmend, wie von frher Kindheit ab die Gestalten aus Dichtungen sich in ihr wirkliches Leben verwebten; „es ist mir sonderbar“, erzhlt Dickens, „wie ich mich je in meinen kleinen Leiden damit trçsten konnte, dass ich meine Lieblingscharaktere in dieselben versetzte. Ich bin eine ganze Woche lang Tom Jones (ein kindlicher Tom Jones, ein harmloses Geschçpf) gewesen. Ich habe, wie ich warhaftig glaube, meine eigene Vorstellung von Roderich Random einen ganzen Monat lang in Einem Zuge durchgefhrt. Jede Scheune in der Nachbarschaft, jeder Stein in der Kirche und jeder Fuß breit des Kirchhofs stand in meinem Geiste in einer gewissen Beziehung zu den Bchern und stellte einen in denselben berhmt gewordenen Ort dar“. Besser als einer von uns vermçchte, sprechen diese Erinnerungen aus, wie man sich denken mag, dass in Shakespeares Jugendleben sich die Gestalten aus der Sage und Bhne drngten, und auf der historischen Scene von Warwickshire sich die Personen der Vergangenheit vor ihm zu bewegen begannen. Es gibt starke Grnde anzunehmen, dass er schon in Stratford als Lehrling, der sich auf die Advocatenlaufbahn vorbereitet, die Verwicklungen des Lebens frhzeitig kennen lernte, und die geschftlichen Schwierigkeiten seines Vaters gaben ihm eine tgliche Illustration zu dem Text seiner Acten. Auch dies wie es bei Dickens spter sich wiederholte. Noch als Jngling hatte er die leidenschaftlichen Erfahrungen von Liebe und Ehe hinter sich. So kam London. Er, der in seinen Jnglingsjahren nie rckwrts sah und lieber das fraglichste tat
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als zusah (welch ein Gegensatz zu der besonnenen, seiner bewussten und im Grunde bei scheinbarer Hingabe sich selbst jederzeit ganz beherschenden Persçnlichkeit des jungen Goethe!), und der vielleicht mit manchem Manuscript in seinem Reisebndel nach London kam, grndete auf die Stellung des Theaterdichters und Schauspielers seinen Lebensplan; die Truppe des Globustheaters, in welche er eintrat, stand in nherer Beziehung zum Haushalt der Kçnigin und wurde unter Jakob durch Patent als the King’s Players in Dienst genommen. Seine Sonette sprechen ergreifend aus, welchen neuen Schatten dieser Schritt ber sein Leben warf. Was ihn hinzog, wird sichtbar, wenn man die Leidenschaft von Goethe, von Dickens fr das Theaterspielen gewahrt und an Molire und Sophokles denkt; Schauspieler und wahrer schaffender Dichter, zumal der Richtung von Shakespeare, beruhen mit ihrem Genie auf demselben Vermçgen der Phantasie in verschiedene Gestalten sich zu wandeln, und was das Wort des Dichters will, wird erst in der Leistung des Schauspielers fertige Realitt. Wichtiger ist, wie sein Beruf auf Shakespeare wirkte. Er gab ihm nicht nur Bhnenkenntnis; er scheint in ihm wie in Molire die Fhigkeit sich gnzlich in die verschiedensten Charaktere zu wandeln zur vollendeten Virtuositt ausgebildet zu haben. Man gewahrt an dem Schauspieler, dass er immer ein anderer ist und abwechselnd in verschiedenen Rollen denkt und fhlt; was hiervon in Shakespeares Natur lag, eine Versammlung von Individuen zu sein und als eine solche Welt und Leben mannichfach zu betrachten, sich selber mannichfach zu fhlen, das musste die Stellung des Schauspielers in ihm verstrken. Diese losgebundene, mit den hçchsten Kreisen und andererseits mit den unsicheren Existenzen der Stadt verknpfte Lebenslage in dem damaligen London bot eine unvergleichliche Mçglichkeit, die wechselnden Scenen des menschlichen Lebens und die mannichfachsten Charaktere in sich aufzunehmen, und die Stellung des Theaterdichters drang ihm die Feder in die Hand, zu schreiben was er schaute. Goethe spricht einmal im Gesprch mit Eckermann aus, wie er verglichen mit einem Walter Scott in Bezug auf den Stoff des Lebens selber im Nachteil gewesen sei; er habe im Wilhelm Meister zu Landedelleuten und Schauspielern greifen mssen, eine lebendige Bewegung in den Roman zu bringen; berhaupt je mehr er mit der Natur dichterischer Arbeit sich betrachtend beschftigte, desto schmerzlicher empfand er, unter wie schweren Bedingungen er gearbeitet habe. Shakespeare schrieb unter einer geschichtlichen Gunst ohne Gleichen. Was er von Rom gelesen hatte in seinem Plutarch, was in Trmmern aus der englischen Vergangenheit ihn umgab und das Zeitalter der Elisabeth mit seinen gewaltttigen Charakteren, der dramatischen Fhrung seiner Staatsaktionen und seinen blutigen Schlussscenen: das Alles musste vor dem Blick des auf das Essentielle gerichteten Genies als Eine Ordnung activer heroischer Naturen und gewaltttiger Katastrophen sich
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darstellen. Und das alles war so zu sagen auf der Straße sichtbar. Durch diese Straßen sah man die Kçnigin nach dem Tower reiten, auf ihrer Barke fuhr sie die Themse entlang, Shakespeare sah alle die damals Geschichte machten unmittelbar vor sich auf der Bhne; die Kçnigin soll ihn einmal gençtigt haben, indem sie etwas, da er vorberging, fallen ließ, seine Rolle zu unterbrechen und er gab es ihr mit improvisirten Versen zurck. Die frischen Farben des Lebens, wie es im Mittelalter sich entfaltet hatte, das Persçnliche und Sinnfllige in den verschiedenen Schicksalen, und darauf gerichtet das moderne, an den Humanisten, Naturforschern und Politikern geschulte Auge: das ist Shakespeares Stellung. Hiermit stimmt dann schließlich das Wenige zusammen, was wir von seiner Bildung wissen. Unter den Shakespeareforschern ist die Zeit gnzlich vorber, in der man ein naturwchsiges Genie in ihm zu erblicken glaubte; aber welcher Art seine Bildung war, mçchte man sich vorstellen kçnnen, nicht bloß welchen Umfangs. Wenn Ben Jonson ihm wenig Latein und noch weniger Griechisch zuspricht, so will das im Sinne des in seiner classischen Bildung schwelgenden Nebenbuhlers verstanden sein; es war genug fr ihn, den Atem des Altertums auch in seinen Sprachen und in der sprachlichen Frbung seiner Litteratur zu empfinden, im brigen las er seinen Plutarch (den er vor allen Alten liebte) und seinen Ovid in Uebersetzungen; er stand darin nicht wesentlich anders als auch Schiller. Man hat Spuren gefunden, dass er franzçsische Schriftsteller, von denen keine damals existirende englische Uebertragung hat nachgewiesen werden kçnnen, Rabelais insbesondere, gelesen und benutzt; Montaigne las er freilich in der Uebertragung Florio’s, mit dem er in persçnlicher Beziehung stand. Auch scheint er italienische Schriften im Original zu benutzen im Stande gewesen zu sein. Aber nichts ist gewisser, als dass Shakespeare kein wissenschaftliches Interesse im strengen Sinne hegte, und dass er kein Bedrfnis besaß vom Zusammenhang der Naturerscheinungen sich irgend eine folgerichtige Vorstellung zu bilden. Es ist ein sonderbarer Aberglaube einer Anzahl von Commentatoren Shakespeares, freilich nicht Shakespeares allein, dass jeder bedeutende Mensch durchaus ber die einschneidendsten allgemeinen Fragen und die letzten Probleme eine Ansicht haben msse, und der Erfolg der unter dem Einfluss dieses Aberglaubens angestellten Untersuchungen ist komisch genug gewesen; jeder hat seine eigene Ansicht irgendwo in Shakespeare wiedergefunden. Die Mehrzahl gescheiter Menschen, mit denen wir leben, hat gar keine definitive Ansicht weder ber die Gottheit noch ber die Fortdauer des Menschen noch ber irgend einen der Cardinalpunkte, in Bezug auf welche man Dichter dem Kreuzverhçr zu unterwerfen sich gewçhnt hat. Und was von gescheiten Dutzendmenschen gilt, das gilt doppelt von dem Genie, dessen Wesen Pene-
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tration, Concentration ist. Shakespeare gar, der mit den Augen aller Menschenarten in die Welt sah, ist viel zu frei in geistesmchtiger Versenkung in Denkarten und Charaktere aller Art gewesen: ich glaube, ihm wre wie ein Gefngnis erschienen, sich in Einer Geisteshaltung einzuschließen. Wohl interessirten ihn selbst Feinheiten der Gedankendialektik, aber nur als intellectuelle Frbung von Charakteren, als intellektuelles Material fr das Spiel der Affecte. Shakespeares frhes, wahrhaft durchdringendes Nachdenken, welches sich auch der Hlfsmittel der wissenschaftlichen Analyse bedient, muss man an einem ganz anderen Punkte suchen als an dem die nachforschen, welche alle Menschen nach Einem Humanittsschema abarbeiten. Dahin leitet schon die in der Tat fr sein historisches Verstndnis entscheidende Entdeckung seiner intimen Beschftigung mit Montaigne. Dieser Punkt liegt in der Analyse der menschlichen Charaktere und Affecte. Glaubt man, dass solche Prparate so zu sagen der Hauptaffecte als sie in seinen großen Dramen vorliegen, ein bloßes Geschenk natrlicher Genialitt gewesen seien? Es muss inzwischen einer Einzeluntersuchung an anderem Orte vorbehalten bleiben, zu zeigen, wie die Ergebnisse einer weitverbreiteten Litteratur jener Tage ber Affecte und Charaktere ihm zuflossen. Genug auch sein Bedrfnis und seine Arbeit einer verstandesmßigen Zergliederung richtete sich auf diejenigen Tatsachen, in denen er lebte, in denen er mit der ausschließlichen Penetration des Genies seine geistige Existenz fhrte: die Natur der Menschen, die Verschiedenheit ihrer Charaktere und Denkarten, ihre Affecte und die aus ihnen fließenden Schicksale. Wenn man in einem Querschnitt (wie der Botaniker sie fr die Stmme gewaltiger Bume glttet) das Wachstum der Gesellschaft untersucht, so zeigt sich eine Uebereinstimmung oder Harmonie zwischen den scheinbar heterogensten Elementen desselben socialen Kçrpers: eine Tatsache, auf welche Comte den Begriff seiner socialen Statik gegrndet hat. Der Einfluss gewisser leitender wissenschaftlicher Begriffe eines Zeitalters erstreckt sich in die Anordnung der Begriffe auf entfernten Gebieten, welche in keiner directen Beziehung zu jenen stehen. Der Culturgrad eines Landes und die Form seiner dauernden Regierung stehen in einem notwendigen Verhltnis von Verwantschaft unter einander. So besteht auch eine Uebereinstimmung zwischen der poetischen Litteratur einer Nation in einem gegebenen Zeitalter und der wissenschaftlichen Gesammtbewegung. Die intellectuellen Neigungen des englischen Geistes in dem Zeitalter des Lord Kanzlers Bacon wird man demgemß in Uebereinstimmung mit den dargelegten Grundzgen der dichterischen Individualitt Shakespeares zu finden erwarten drfen. Der Empirismus und die ihm entsprechende inductive Neigung hat sich in England mit derselben Folgerichtigkeit entwickelt, welche diese Nation in der Ausbildung ihrer Verfas-
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sung gezeigt hat, Plato und Aristoteles ben dort seit den Zeiten Bacons keine Art von autoritativem Einfluss auf die Neigungen des Denkens, und mit einer unvergleichlichen frischen Unbefangenheit leben der einfache Beobachter wie der methodische Forscher in der Warnehmung, in dem Studium der natrlichen und gesellschaftlichen Tatsachen, welche sie umgeben. Diese intellectuelle Richtung war nie ohne Gegenstrçmungen unter den englischen Forschern, aber sie war jederzeit die herschende Strçmung. Offenbar correspondirt mit derselben die dichterische Art die Welt zu betrachten in einem Shakespeare und Ben Jonson, einem Smollet, Fielding und Richardson, einem Dickens, Thackeray und Walter Scott. Entgegengesetzte Richtungen in der Poesie, wie sie insbesondere unter deutschem Einfluss Byron, Shelley und Coleridge vertraten, haben niemals dem englischen Geiste entsprochen und demgemß niemals einen leitenden Einfluss auf denselben gewonnen, ganz in derselben Weise als dies in Bezug auf die philosophische Richtung eines Hamilton und Carlyle sowie ihrer Vorgnger und Nachfolger der Fall ist. Wenn nun aber der Empirismus und die inductive Neigung, wie sie die englischen Denker neben denen anderer Vçlker vertreten, als die eine der beiden großen Richtungen des wissenschaftlichen Geistes in Bezug auf die Gewinnung und den Beweis seiner Einsichten betrachtet werden muss, so wrde die Anwendung desselben Classenbegriffs auf die in der Dichtung ihr correspondirende Gestaltungsweise eine bereilte Analogie sein. Es gibt innerhalb der Dichtung keinen Empirismus, ja streng genommen keinen Realismus, es gibt innerhalb ihrer keine inductive Richtung des Geistes, im Unterschied von anderen poetischen Gestaltungsweisen. Wir haben erkannt, dass die Phantasie nur aus dem Material der Erfahrung baut, und wenn man etwa Dichter, welche von Ideen ausgehen, von denen unterscheiden wollte, welche von Erfahrungen ausgehen, so wrden schon die geringe Zahl von Kunstwerken der letztern Classe und die Tatsache, dass keines von erstem Rang unter ihnen ist, zeigen, wie wenig ein solcher Gegensatz demjenigen correspondirend sein kann, welcher den wissenschaftlichen Geist von Europa seit Jahrtausenden in zwei Lager geteilt hat. Der Aufbau von Gestalten in der Phantasie und die Erforschung sowie der Beweis von Wahrheiten in dem Verstande sind ihrer Natur nach ganz verschieden, und daher kçnnen die Richtungen, in welchen sich diese zwei Classen von Vorgngen vollziehen, einander wohl correspondiren, aber sie kçnnen nicht auf dieselbe Weise definirt und dem entsprechend bezeichnet werden. Die Phantasie baut ihre Gestaltungen aus der ußeren und aus der inneren Erfahrung auf; mannichfach verschlingen sich diese beiden Arten von Erfahrung und alles was wir Verstehen nennen, beruht auf dieser Verflechtung; jedoch wird ein Dichter entweder vorherschend in der Welterfahrung leben, alle Krfte seines Geistes dem was um ihn in Welt und Leben geschieht entgegenstreckend, oder
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wie wir dies an Goethes Beispiel sahen, von dem Leben im eignen Inneren, von den Zustnden des eigenen Gemts, von der Welt der Ideen und Ideale in ihm wird er bewegt und strebt sie auszusprechen. Jener ist mit allen Sinnen und Krften darauf gerichtet, Leben aller Art, Charaktere aller Classen in sich zu hegen, zu genießen, zu gestalten, dieser blickt immer wieder in sich selber, und was die Welt ihn lehrt, mçchte er schließlich benutzen, sein Selbst zu erhçhen und zu vertiefen. Knstlerische Gebilde außer sich hinzustellen ist dem Einen das hçchste geistige Geschft seines Lebens; dem Anderen bleibt doch das Letzte, das eigene Leben, die eigene Persçnlichkeit zum Kunstwerk zu formen. Die dichterische Richtung Goethes mag zunchst an einigen verwanten Erscheinungen verdeutlicht werden. In dem neueren Europa schuf zuerst Jean Jacques Rousseau in der neuen Heloise ein siegreich wirkendes Kunstwerk auf dem Weg einer Entfaltung von Gestalten aus dem Reichtum eigenen inneren Erlebens und Denkens, ohne eine hervorragende Neigung zu Warnehmung und Beobachtung anderer Menschen und ihrer Zustnde. Durch das unselige Leben dieses mchtigen Mannes geht die Unfhigkeit irgend einen Menschen in seinem wahren Wesen zu erfassen, als ein in den complicirten Zustnden des damaligen an problematischen Naturen und raffinirter Menschenkenntnis berreichen Paris unsgliches Unglck. Wie sein leidenschaftliches Gemt ihm die Menschen vorspiegelte, so waren sie fr ihn; er lebte ganz in sich selber. So ist es fr die Erforschung der Phantasie von außerordentlichem Interesse, die Bildungsgeschichte seines großen Werkes zu verfolgen und wir sind durch seine Confessionen und seine Briefe dazu in Stand gesetzt. Er stand in seinem 44. Lebensjahr als er die Einsiedelei im Park von La Chevrette am 9. April 1756 bezog; „erst mit diesem Tag“, meinte er, „habe ich angefangen zu leben“. In dieser, bei totaler Ruhe der Seele, vom Zauber der Natur und Einsamkeit umgeben, sah er seine Phantasie mit unwiderstehlicher Gewalt in Gestalten wirken, seinen Grundstzen wie seinem Willen entgegen, da Romanschriftstellerei ihn in Widerspruch mit sich selber und seinen eigensten Ueberzeugungen brachte. Der fundamentale Vorgang aber war, dass er dasjenige, was ihm von Glck, von beseligenden, seinen Gefhlen und seiner tiefen Leidenschaftlichkeit entsprechenden Situationen und Gestalten vorschwebte, aus den verschwimmenden Nebeln der Trumerei zu greifbaren Gestalten verdichtete und formte. Dieser Vorgang ist in allen großen Dichtern mitwirkend und auch Miranda und Hermione sind verkçrperte Trume der Sehnsucht. Aber in Rousseau war er leitend und den ganzen Roman in seiner frhesten Form beherschend. Seit seiner Jugendzeit wirkte seine Phantasie auf diese Weise; er erzhlt im vierten Buch der Confessionen wie in der freien Natur er sich zu solchem trumerischen Dichten jederzeit angeregt fand, „dann
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gebiete ich freischaltend ber die ganze Natur; mein Herz, von Gegenstand zu Gegenstand eilend, versammelt herliche Bilder um sich und berauscht sich in entzckenden Gefhlen. Wenn ich sie nun zu meinem inneren Ergçtzen in Gedanken ausfhre, welche Kraft des Pinsels, welche Farbenfrische, welche Strke des Ausdruckes verleihe ich ihnen! Von dem Allem, sagt man, ist in meinen Werken anzutreffen, die doch gegen die Neige meiner Jahre geschrieben sind.“ Die Epoche des Lebens, in welcher er sich befand, gaben solchen Trumen eine ungeheure Gewalt. „Ich sah mich auf der Neige der Jahre, eine Beute schmerzlicher Krankheit, und, wie ich meinte, nahe dem Ende des Laufes, ohne auch nur eine der Freuden, nach denen mein Herz drstete, voll genossen, ohne die regen Empfindungen, welche in diesem Herzen ruhten, je ausgestrçmt, ohne jene berauschende Wonne geschmeckt, ja nur gekostet zu haben, die meine Seele erfllte, aber, ohne Gegenstand, immer zurckgepresst blieb, und nur in meinen Seufzern sich Luft machen konnte.“ „Sterben ohne gelebt zu haben“: eine Vorstellung von erschtterndem Wehe. In solcher Gemtsverfassung belebte er die einsame und bezaubernde Natur um ihn, majesttische Bume, Grser und purpurnes Haidekraut, eine Scene, welche geschaffen schien fr die Verwirklichung all seiner Trume von Glck, mit Bildern desselben; „ich erfllte sie mit Wesen nach meinem Herzen; ich schuf mir ein goldenes Zeitalter nach meinem Geschmack, indem ich mir die Erlebnisse frherer Tage, an welche sich sße Erinnerungen knpften, in’s Gedchtnis zurckrief und mit lebendigen Farben die Bilder des Glckes ausmalte, nach welchen ich mich noch sehnen konnte“. Das war es; Bilder seiner Erlebnisse aus Jugendtagen geben seiner Phantasie den Stoff, ein Gemlde zu entwerfen, welches all das Glck, nach dem er sich noch sehnen konnte, in sich fasste. Auch spricht er aus, wie das geschah. „Ich stellte mir Liebe und Freundschaft, die beiden Ideale meines Herzens, in den entzckendsten Bildern vor und schmckte sie mit allen Reizen des schçnen Geschlechts, welches ich stets verehrt hatte. Ich dachte mir lieber zwei Freundinnen als Freunde, weil, wenn sie sich seltener finden, sie dann auch um so liebenswrdiger sind. – Ich stattete sie mit Gestalten aus, die zwar nicht vollkommen, aber nach meinem Geschmack waren. Ich gab der einen einen Geliebten, welchem die andere eine zrtliche Freundin und selbst noch etwas mehr war. Ich duldete aber weder Eifersucht noch Zwistigkeiten, weil es mir schwer wird, mir irgend eine peinliche Empfindung vorzustellen. Bezaubert von meinen beiden lieblichen Vorbildern identificirte ich mich mit ihrem Geliebten und Freunde so viel als mçglich. Ich machte ihn aber jung und liebenswrdig und gab ihm berdies alle Tugenden und Fehler die ich mir selbst eigen wusste.“ Und diesem Allem gab er den Genfer See zur mchtig mitwirkenden Scene, der seit lange mit all seinen Trumen von Glck verwebt war; „wenn der heiße
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Wunsch nach dem glcklichen und sßen Leben, das mich flieht und fr das ich mich geboren fhle, meine Einbildungskraft entzndet, so nimmt er immer das Waadtland, den See, diese entzckenden Landschaften zum Schauplatz.“ Es ist jetzt von Erich Schmidt genauer dargelegt worden, wie diese Gestalten, gleich den Schatten Homers, Leben tranken aus „einigen Jugenderinnerungen“ – Rousseau bezeichnet sie selber nher – und aus den damals wie das Leben selber die Menschen beschftigenden Gestalten Richardsons, – denn durch die ganze Litteratur geht ein Strom der Einwirkung von Dichter auf Dichter –; zugleich wirkte ein historischer Stoff gestaltend auf die so entstehenden genaueren Bilder, die Geschichte von Ablard und Heloise, welche einst eben in diesem Paris und seinen Umgebungen sich ereignet hatte. So begann er, ohne Folge und Verknpfung, zerstreute Briefe auf das Papier zu werfen; „als ich mich anschickte, sie zu verbinden, geriet ich oft in große Verlegenheit; es ist nicht sehr glaubhaft, aber wahr, dass die beiden ersten Teile fast gnzlich auf diese Art geschrieben sind, ohne dass ich einen wohlberlegten Plan gehabt htte, ja, ohne dass ich noch voraus sah, ich wrde mich versucht fhlen, ein ordentliches Werk daraus zu machen.“ Im Winter 1756/57, als ihn die Jahreszeit in’s Zimmer bannte, begann er Folge und Ordnung in diese Bltter zu bringen, um eine Art von Roman aus ihnen zu machen. Da trat die Grfin d’Houdetot in sein Leben, als die Erfllung seiner Trume, als die Wirklichkeit des Schattens, den er Julie genannt hatte, und hiermit begann seit Frhjahr 1757 die zweite Epoche der Ausbildung seines Romans, welche bis zu seinem Abschluss und Erscheinen 1761 dauerte. Diese hat fr uns nicht mehr dasselbe Interesse, zumal wir die Umgestaltung, welche sich mit dem Roman vollzog, doch im einzelnen nicht mehr erkennen kçnnen. Die Hauptvernderung war, dass nunmehr die Stellung der Rousseau’s Gemtsleben vertretenden Figur zu der verheirateten Frau und die so sich ergebenden Conflicte von Liebe und Freundschaft entsprechend dem was er erlebte und sich als Erlebnis gemß seiner Weltunkenntnis zusammenphantasirte an die Stelle der Lebensbeziehungen zu dem frher entworfenen Mdchenideal trat. Auch scheint eine Zerlegung dessen was er in sich fand und als einander heterogen fhlte in mehrere Personen stattgefunden zu haben, wie sie spter bei Goethe so deutlich zu bemerken ist. Blickt man zurck in die Litteratur aus dem Heroenzeitalter der neueren Vçlker, so tritt an diesem Punkte ein bemerkenswerter Unterschied der romanischen und deutschen Dichter hervor. Wir empfangen neuerdings einen immer genaueren Einblick in die romanische Erzhlungspoesie, aus der unser ritterliches Epos schçpfte, und wenn wir auch gerade fr die beiden genialsten unter unseren ritterlichen Epikern, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg den Vergleich mit ihren Quellen immer noch nicht anzustellen
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in der Lage sind: der Gegensatz beider Dichtungsweisen ist doch sehr sichtbar und in Zusammenhang damit kann das dichterische Verfahren dieser beiden mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit erschlossen werden. Gottfrieds Subjectivitt durchdringt sein ganzes Gedicht. In den herlichen Worten, in denen er die Epiker des Rittertums (den grçßten ausgenommen) und seine Lyriker feiert, preist er auf Goethesche Art die Dichtung, dass sie in jedem die Jugend erneuert und den Mut des Daseins, die Freude am Leben erweckt: das war sein Ideal von der Dichtung, im Gegensatz gegen Wolframs wilde und dunkle Mre. Man mçchte glauben, dass er seinen Stoff ergriff, weil er das Gefß seines hellen Lebenssinns, vielleicht selbst persçnlicher Zustnde und Erlebnisse sein konnte. In zwei Stellen des Tristan finde ich die Hindeutung, dass der Dichter selber Lust und Leid der Liebe erfahren, im Anfang und in dem berhmten Gesang, welcher das Liebesleben in tiefster Natureinsamkeit schildert; eine andere entgegenstehende Aeußerung erscheint in diesem Zusammenhang als ein neckisches Spiel Gottfrieds. Ein sicheres Gefhl reichen Lebensgenusses, entschiedene Neigung fr kluge, ja listige Handhabung des Lebens, Verachtung des Charakters der Frauen und entzckte Hingabe an ihren Liebreiz geben seinem Werke das Geprge der romanischen Novelle; „so lang ihm scheint des Lebens Tag, soll er mit den Lebend’gen leben;“ jedoch ist dies in Gottfried mit ungemeiner psychologischer Tiefe, mit Darstellung von Herzenszustnden aus reichster Erfahrung verbunden, gerade die Grundempfindung des Werkes, die schon in der Einleitung sich ankndigt und berall bedeutungsvoll wiederkehrt, auch das Leid der Liebe sei Seligkeit, ist echt germanisch. Diese Verbindung gibt dem Gedicht etwas rtselhaftes und ganz individuelles. Von dieser gemischten Grundempfindung des Lebens aus ist dann das Ganze in einer durchsichtigen Einfachheit der Handlung gestaltet, die nach allen Analogien bei seiner Quelle nicht vorausgesetzt werden darf. Wie Rousseaus Werk ruht es ganz auf dem Interesse an dem Liebespaar und seinen Schicksalen. Spielender Reiz, Freude an listigem Schwank, lsslichste Lebensphilosophie, leichtverhehlter Hass gegen die kirchliche Macht und ihre Einmischung in die Rechtsordnung, leichtverhehlter Spott ber die Ideale des Rittertums, welcher schon Cervantes und Ariost vorbereitet, beides um so wirksamer, mit je berlegenerem Weltsinn es spielend sich geltend macht, besondrer Geschmack an der Rechtsseite aller Verhltnisse und an Wendungen einer Art von juristischer Dialektik: all diese Zge, welche von innen auf eine Lebensstellung Gottfrieds deuten, wie man sie auch aus ußeren Anzeichen erschließen zu drfen glaubte, treten mit subjectiver Souvernitt des Gefhls und der Persçnlichkeit aus dem Epos hervor. – Wolframs unvergleichlich hçherstehendes dichterisches Vermçgen erscheint in seinen Dichtungen weit mannichfaltiger. Die stolze mnnliche machtvolle Persçnlichkeit des gering-
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begterten Ritters auf seiner stillen frnkischen Burg, der sich vor Frsten nicht beugt, und der selbst von der Geliebten nicht um seiner Liebe willen geliebt sein mçchte, sondern um seiner mutigen kampffrohen Ritterlichkeit willen, gleich seinen Helden, erkennen wir deutlicher als die Gottfrieds. Schon die Einleitung des Parcival kndigt an, dass ein Ideal vor den Leser gestellt werden soll, es ist das Ideal schçnsten ritterlichen Lebens, wie es dem vom Glck Uebersehenen in der einsamen Seele lebte. Und dies Ideal wird in einer Entwickelung dargestellt, welche in gewissem Grade als Spiegel der inneren Kmpfe dessen betrachtet werden muss, der es erdichtete. Dieses Epos birgt in sich einen Entwickelungsroman, so gut als der Wilhelm Meister, und mit derselben Kunst wie dort sind zu Contrastverstrkung und Ergnzung Charaktere neben die Hauptfigur gestellt. Eine solche Einheit des Lebens, wie sie Wolfram von der Jugenddumpfheit durch Zweifel und ziellose Abenteuer zu der mnnlich besonnenen Hingabe an den hçchsten Lebensberuf des fr Gott streitenden Ritters darstellt, ist einzig in der ganzen mittelalterlichen Litteratur so weit wir sie kennen, und sie ist ohne tiefe persçnliche Erfahrung, gedankenschweres Erleben gar nicht zu denken. So arbeiten unsere beiden großen ritterlichen Epiker in den ihnen vorliegenden romanischen Stoff persçnliches Erlebnis und eine selbstndig erarbeitete zusammenhngende Ansicht des Lebens. Wir wenden uns zu Goethe. Schiller in seinem Aufsatz ber naive und sentimentale Dichtung gibt Goethe eine eigentmliche Stellung. Auf zwei Arten kann sich nach ihm der poetische Genius ußern. Der Mensch ist entweder noch sinnliche ungeteilte harmonische Natur, in welcher die Gefhle noch ganz aus dem Gesetz der Notwendigkeit, die Vorstellungen noch ganz aus der Wirklichkeit entspringen, oder diese sinnliche Einheit ist in ihm aufgehoben und er kann nur als moralische Einheit, d. h. als frei nach Einheit strebend, sich ußern. In jenem ersten Zustande natrlicher Einfalt, in welchem der Mensch noch mit all seinen Krften zugleich d. h. als harmonische Einheit wirkt, mithin das Ganze seiner Natur sich in der Wirklichkeit vollstndig ausdrckt, ist das Tun des Dichtens vollstndige Nachahmung des Wirklichen; dagegen in dem Zustand der Cultur, in welchem das harmonische Zusammenwirken seiner ganzen Natur eine bloße Idee ist, ist des Dichters Tun die Erhebung der Wirklichkeit zum Ideal oder die Darstellung des Ideals. Das eine ist das Verfahren des naiven, das andere des sentimentalen Dichters. Dieser Unterschied ist nach Schiller nicht ein Unterschied der Zeit, sondern ein solcher der Manier und es gibt naive Dichter bis in die neuesten Zeiten, sentimentale unter den Alten. „Jene rhren uns durch Natur, durch sinnliche Wahrheit, diese durch Ideen.“ Die Einteilung Schillers geht aus von einem Gegensatz der Stimmung gegenber der Wirk-
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lichkeit, und diese Stimmung ist das Ergebnis der persçnlichen Cultur des Dichters, welche in den meisten Fllen durch die Lage der Cultur berhaupt bedingt ist, in anderen sich ihrem Einfluss entzieht und unabhngig von ihr gestaltet. In Goethe sieht nun Schiller den bis dahin einzigen Fall eines naiven Genies, welches einen sentimentalen Stoff zu seinem Gegenstande hat. Denn Werther, Tasso, Wilhelm Meister, Faust sind Charaktere, welche der modernen Welt der Entzweiung von Sinnen und Vernunft, von Notwendigkeit und Freiheit angehçren, so zu sagen also ein sentimentalischer Gegenstand; der Gegensatz dieser Charaktere gegen die tatschliche Welt ist der Vorwurf dieser Dichtungen; und „es verlohnte wohl der Mhe eine psychologische Entwicklung dieses in vier so verschiedenen Arten specificirten Charakters zu versuchen“, d. h. es ist Eine Grundform eines mit der Wirklichkeit im Kampf befindlichen Charakters, welche all diesen bis dahin (1795) von Goethe geschaffenen Dichtungen zu Grunde liegt. War wirklich Goethe selber naiv, dagegen Werther, Faust, Tasso sentimental? War in ihm die Natur unentzweit, in vçlliger sinnlicher Harmonie und der innere Kampf, in welchem das Ideal im Gegensatz zur Wirklichkeit entspringt, nur in seinen Gestalten? Wer die Briefe Goethes aus den ersten Weimarer Jahren, an Jakobi, Lavater, Frau von Stein, Auguste Stolberg, ganz nachzuverstehen vermag, den Kampf um Luterung, in welchem Iphigeniens reiner Blick den Sieg bedeutet, der wird Schiller so nicht verstehen kçnnen, wird die Anwendung des Begriffs des Naiven auf Goethe in einem engeren Sinne bei ihm annehmen mssen, in welchem es das Auge fr die Wirklichkeit, die sinnliche Kraft, das realistische Genie bedeutet. Es ist dargelegt worden, wie Goethe selber aus den geschichtlichen Bedingungen seiner Epoche und der deutschen Gesellschaft es erklrte, dass er im eigenen Busen die großen Vorwrfe seiner Dichtung suchen musste, sie in einer handelnden Welt um sich nicht suchen durfte; dargelegt, wie sehr er in spteren Jahren dies als die geschichtliche Schranke begriff, unter welcher er gedichtet hatte. Er war nicht durch die Natur seines Genius ein subjectiver Dichter, wie Jean Jacques, sondern vermçge des Einflusses seiner geschichtlichen Lage. Und unablssig drang er, unter der Einwirkung des naturforschenden Geistes, dem entgegengesetzten Verfahren entgegen und bemchtigte sich in Hermann und Dorothea desselben. Dies sind die Grenzen, innerhalb deren er zu den Dichtern gerechnet werden muss, welche von dem eigenen Inneren, den eigenen Erlebnissen ausgehen, nicht von der Versenkung in Menschen und Schicksale außer ihnen. Sollte sich die Auffassung Goethes in dem hier vorgelegten Zusammenhang bewahrheiten, so wre durch sie die Fragestellung begrndet, welche dem ganzen Buch von Hermann Grimm zu Grunde liegt. Und so drften wir hoffen, indem wir die bildende Kraft der dichterischen Phantasie in philosophischer
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Untersuchung bis in die verschiedenen Stellungen verfolgten, welche sie zur Wirklichkeit einnimmt, bis in die Stellung, welche einzelne Dichter, Goethe unter ihnen, eingenommen haben, den Grundgedanken des vorliegenden Werkes in einen allgemeinen Zusammenhang gesetzt und in demselben gerechtfertigt zu haben. Von den gewonnenen Gesichtspunkten aus wrde eine Untersuchung dessen was bisher in dieser Richtung zur Aufhellung der Entstehung Goethescher Werke geleistet ist von Interesse sein, eine Untersuchung, welche von Goethes eignen Aeußerungen ber seine dichterische Organisation und ihre Wirkungsweise ausginge, die außerordentlich reichen Mitteilungen in Wahrheit und Dichtung und an anderen Stellen Goethes mit einem in diesen Erscheinungen bewanderten Blicke verknpfte, und zeigte wie unter den gegebenen geschichtlichen Bedingungen dieser wunderbare Genius sich entfaltet hat. Grimm konnte nach seiner umfassenden Absicht nur in Grundzgen, zum Teil selbst nur in Andeutungen hinstellen; seinen Grundgedanken wrde nach unserer Ueberzeugung jede Nachuntersuchung nur besttigen kçnnen. Die am meisten ausgefhrte Stelle, in welcher Grimm den Gegenstand darlegt, in der vorletzten seiner Vorlesungen, wirft eine interessante Frage auf und gibt eine so paradoxe Lçsung derselben, dass wir ber diesen Punkt uns einige Bemerkungen erlauben, zumal die Auffassung Goethes in der obigen Stelle von Schiller bereits eine andere Auflçsung der Aufgabe in sich enthlt. Grimm sagt (und ich gestatte mir dabei einige Verkrzungen): „Wir waren bei der Betrachtung des dichterischen Schaffens Goethes stets zu dem Fundamentalsatze zurckgekehrt: es sei als eine ewige Confession aufzufassen. Eine Uebertragung seines Lebens in dichterische Form. Daraus entnahmen wir die Berechtigung, besonders die Frauengestalten seiner Dichtungen auf lebende Urbilder zurckzuleiten.“ Er kommt dann auf die Mnner und fhrt fort: „Whrend Goethes Frauen durch diese Besonderheit nun die feinen Unterschiede, wie das Leben selber sie sonst allein hervorbringt, als ein Vorteil verliehen worden sind, ist Goethes mnnlichen Figuren der Umstand nachteilig geworden, dass sie smmtlich auf Goethes eigne Person zurckzufhren sind. Es scheint immer derselbe etwas verschwommene Charakter in anderer Verkleidung wiederzukehren. Indem Goethe bald diese bald jene Seite seiner Natur bei der Anlage zum Ausgange nahm, wohnt seinen mnnlichen Gestalten etwas Fragmentarisches inne. Sie runden sich nie ganz ab. Erst aus Goethe selber wird ihre Existenz erklrbar. Fassen wir sie jedoch als Incarnationen Goethes, der in stets wechselnden Verhltnissen immer nur in eigener Person wieder auftritt, so fehlt ihnen namentlich eine gewisse rohe Kraft, ohne die ein voller Mann gar nicht zu denken ist. Goethe selber war anders. Warum haben seine poetischen Abbilder sammt und sonders diesen Zusatz von mondscheinhafter Blsse, whrend der Dichter selber so gesund und wetterbraun umherging?“
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Die Frage ist sehr schçn gestellt; Grimm antwortet: „Wir haben bei jenen Figuren Faust als unsichtbaren Doppelgnger zu denken. Faust der Goethe niemals losließ so lange er atmete war der ltere Bruder dieser ganzen Gesellschaft, der immer die besten Bissen vorab bekam und der fr sie alle einstehen muss.“ Die Charaktere des wahren Kunstwerks entwickeln sich in der Phantasie unter der Einwirkung des Motivs, welches dem Dichter vorschwebt, und der Fabel in welcher er das Motiv darstellt. Goethe, gemß seiner dargelegten Richtung, schçpft die Motive seiner Werke aus dem eignen Inneren, seinen Schmerzen und Kmpfen. Die Genesis eines Werkes darf nicht in der Entstehung seiner Charaktere gesucht werden; die Wechselwirkung zwischen den Teil-Inhalten des werdenden Werkes, dem Motiv, den Charakteren und der Fabel muss von dem Litterarhistoriker verfolgt werden. Der Kampf, welcher die bewegende Springfeder jedes dichterischen Werkes so gut ist als des Lebens selber, entspringt bei Goethe im eigenen Inneren des Menschen und was fr ihn seit der Epoche innerer Luterung, welche die ersten Weimarer Jahre zu einem sittlichen Schauspiel machen, das sich zu Spinozas Ethik wie lebendiger Vorgang zur Regel verhlt, am meisten bezeichnend ist: auch die Lçsung dieses Kampfes vollzieht sich beinahe in allen Fllen in dem Inneren des Menschen selber. Der tiefe Blick der Liebe in den Zusammenhang der Natur, in welchen der Mensch mit seinem Schicksal gestellt ist, macht jedem auf seiner Stufe eine Versçhnung mit dem Leben mçglich oder wo er selber sie blind nicht zu ergreifen vermag, da ist sie doch in dem Gemt des forschenden Dichters. Das ist auch das Tyrtische in seiner Poesie, dessen Goethe sich den „Lazaret-Poeten“ gegenber, wie er sie nannte, gern gerhmt hat. An diesem Punkte mag man auch die Grenzen von Goethes Dichtung verstehen, ohne welche die wunderbare Macht derselben nicht wre. Die Einen preisen und beneiden Goethe als einen Gnstling des Glckes, die Andern berufen sich auf sein bekanntes Wort, wie wenige Tage seines Lebens er rein glcklich gewesen sei. Die Einen tadeln, dass er kein Herz fr den wirklichen Schmerz in seinen Dichtungen zeige, den Anderen erscheint er als ein Mitfhlender jedes Leids. Goethe dichtete die Kmpfe, welche er erlebt, in einer Tiefe erlebt hatte, von der seine Briefe so gut als seine Dichtungen reden; aber wenn er einmal sagt, er solle Iphigenie reden lassen als ob kein Strumpfwirker zu Apolda hungere, so liegt darin die Empfindung, dass er seine Poesie abschloss von den am meisten naturwchsigen Schmerzen, welche aus dem elementaren Kampf um Existenz, um Macht, dem Ringen der Willen in der Gesellschaft untereinander hervorgehen: die Kmpfe die im Inneren der Menschen entspringen, in diesem Inneren ausgekmpft werden und in ihm endigen, hat er gelebt und gedichtet. Er konnte nicht anders, er verteidigte sich einmal damit: er habe nie etwas gedichtet, das er nicht gelebt habe. Die andere Grenze: er webt seine Fi-
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guren als ein Dichter der inneren Welt nicht aus einem System von Beweggrnden und Handlungen, an Menschen außer sich beobachtet, sondern aus Gefhlen, Ideen, Neigungen, Lebensentscheidungen, in sich selber erfahren. Daher erklrt sich was Grimm in zutreffender Kritik heraushebt: „nur die seltsamsten Lebenswege htten diese Charaktere zu dieser unendlichen Zartheit der Empfindung leiten kçnnen. Welche aber waren es? Erst aus Goethe selbst wird ihre Existenz erklrbar. Alle diese Figuren scheinen nur in den Momenten gleichsam lebendig zu sein, in denen Goethe sie handelnd vor uns erscheinen lsst.“ Und eben hieraus erklrt sich was Grimm an Goethe sogar Shakespeare gegenber preist: „Shakespeares Gestalten haben etwas uhrenartiges. Man sieht oft nur allzugenau die sich bewegenden Rder statt menschlichen Blutumlaufs. Goethes Gestalten sind aus einer anderen Welt als die Shakespeares, Goethe lsst uns in ihre Seele blicken, als wren es nicht Uhren, sondern Pflanzen von Glas, deren Gefße wir durchsichtig vor Augen haben und in denen wir die Sfte steigen und niedergehen sehen.“ Der Unterschied ist in dem des Verfahrens der Phantasie bei Aufbau der Charaktere gegrndet. Der eine construirt aus herschenden Affecten und Motiven eine Person und deren Handlungen. Der andere setzt ganz lebendige Einzelteile nebeneinander. Die Phantasie ist eben nicht allmchtig wie unphilosophische Schwrmer annehmen. Die Gefahr des einen Verfahrens ist das Knstliche, dem Prparat oder der Maschine Analoge, die des anderen das Incohrente. Die Gestalten des Einen entbehren der zarten Rundung des Lebens selber; sie scheinen oft nur aus Muskeln, Knochen und Bndern aufgebaut. Die des Anderen sind im Augenblick ihres Erscheinens von zarter Lebenswahrheit, aber wie dies schon Julian Schmidt gezeigt hat, zwischen ihren inneren Zustnden und den Handlungen, welche doch zur Fortbewegung der Dichtung notwendig sind, herscht nicht stets ein plausibler Zusammenhang, wenn auch nicht die unertrgliche Discrepanz zwischen den Gefhlen und Handlungen Rousseauischer Figuren hier vorliegt. In dieser Verbindung erscheint nun auch die von Grimm gestellte Frage vielleicht einfacher auflçsbar, als er annahm. Seine Hauptfiguren, welche so zusammengesetzt sind, vorwiegend doch aus lyrischen Momenten in einem weitesten Sinn, Situationen nmlich und dem Spiel der Gefhle und Neigungen, das in ihnen entspringt, entbehren des zusammenhngenden Willens und Verstandes, der in Goethe selber war; und er bedarf im erwogenen Ganzen seines Kunstwerks sie auch nicht anders: vermçge seines jedesmaligen Motivs zerlegt er, was in ihm eins ist. Auch bildet Faust keine Ausnahme in Bezug auf Charakteristik, er ist nur der Gipfelpunkt dieser Kunst. In Goethes flchtigsten Zetteln, in seinen lyrischen Gedichten erscheint sein wunderbares Vermçgen, Zustnde mit ihrem tatschlichen Hintergrund als Bilder aufzustellen, auf das zarteste auszudrk-
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ken und in Tropen zu veranschaulichen. Dann stellt er was ihn bewegt, in dem großen Tropus einer Handlung dar, welche in schçner Verkleidung das innerste Erleben auszusprechen gestattet. Lauter und rein, wie die Natur selber, stellt er dies alles hin; nie ist jemand wahrer gewesen. So wird Goethe, in seinen Selbst-Darstellungen aufgefasst, das verkçrperte Ideal seines Zeitalters und Faust ist der umfassende Tropus, in welchem er sein ganzes Leben erblikken ließ. Jedoch empfngt dieses allgemeine Verhltnis erst seinen Inhalt durch das was Goethes ganzes inneres Leben ausmacht: betrachtende Stimmung, welche jedes Begebnis und jede Tatsache in ihrem Zusammenhang mit dem Ganzen der Natur oder Welt gewahren und fhlen will. Hier liegt das Versçhnende und die Welt Verklrende seiner Poesie neben dem Dichterischen seiner Naturauffassung. Ein unerschtterlicher innerlich beglckender Glaube an den dichterischidealen Zusammenhang der Welt tritt mit patriarchalischem Behagen und Humor in seinen aufgezeichneten Gesprchen hervor, an die Tischreden Luthers zuweilen gemahnend, mit dem er wahrhaft nher verbunden ist als mit der krnkelnden sthetischen Religion von David Strauß, die ihn zu einem ihrer Heiligen machen wollte. Riemer bezeichnet einmal in dieser Richtung als „Goethes ganze Dichtart“: „das Gedachte und Gedichtete in und als Wirklichkeit zu sehen und zu finden, wenn man die Welt mit Liebe betrachtet.“ Je lter er wird, desto strker wird sein Bedrfnis, dem Ganzen, von dem er ausgeht, immer mehr Tatsachen zu unterwerfen; dies ungeheure betrachtende Vermçgen schien auf die Welt gekommen zu sein, jeden Tatbestand auf derselben seiner Betrachtung zu unterziehen und sein Tod ist nur ein von der Natur befohlenes Aufhçren einer Operation, die so noch immer weiter zu gehen angelegt war. Grimm vergleicht ihn mit Voltaire in der Art wie er Alles was von Tatsachen, Menschen und Gedanken von ihm zu seiner Zeit vorgefunden wurde, commandirte. Freilich wie verschieden war er von dem Wesen mit hundert Augen, das als Voltaire heute sich Newtons bemchtigte, die Natur zu verstehen, morgen Bolingbroke ergriff, die Geschichte zu revolutioniren, das nach allen Seiten zu blicken scheint, jede Bewegung in seinem Umkreis zu gewaren und zu ntzen, ein Proteus, der immer ein Andrer ist, nie er selber; denn was er ist, weiß er jederzeit klug zu verstecken durch etwas was mehr ist als er selbst, was tiefer zu blicken vermochte, was vornehmer und edler dachte; der Voltaire, der mit sich selbst redet, ist ein Andrer als der zu seinem europischen Publicum spricht. Dagegen blickt uns aus allem was Goethe je erfunden und gedacht hat, immer dasselbe reine und unergrndlich tiefe Dichterauge entgegen. Er ist in seinen geheimsten Gedanken derselbe, der in der Iphigenie redet. Und wie viel er auch lernte, er ordnete es dem Ganzen der Ansicht unter, von dem er ausging. In dieser Ansicht sind in ihm der Dichter und der be-
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trachtende Geist eins. Denn die Wissenschaft ist analytisch, sie zerlegt die Welt als Erfahrung in ihre Elemente, aber in dem betrachtenden und dichtenden Geiste ist der Zusammenhang der Welt als ein individueller verstanden und daher, bildlich zu sprechen, ist diesem der individuelle Genius der Welt gegenwrtig. Wenn der Verstand die Welt analysirt, um das gesetzliche Verhalten ihrer Elemente zu finden, so strebt die Contemplation, die Ordnung ihrer Formen und die Physiognomie alles Tatschlichen gewahr zu werden. Sie hat einen Inhalt, welcher dem Verstand als solchem unerreichbar ist: denn die Analyse endigt bei dem gesetzlichen Verhalten zwischen Elementengruppen, sie zerlegt, sie zerstçrt. Daher Goethes weltgeschichtliches Schicksal war, die mechanische Naturwissenschaft zu hassen und zu bekmpfen, ohne dass er doch nach der Lage der Zeiten und seiner Kenntnisse die Irrung aufzuheben vermocht htte, welche hier einen unlçsbaren Conflict sah. Wie er der Naturforschung in ihre einzelnen Probleme folgte, nicht als Naturforscher selbst, sondern als ein contemplativer, im Ganzen der Natur jedem Tatbestand seine Stelle zuweisender Geist: dies ganz darstellen, heißt ihn heute im hçchsten Sinne dem Zeitalter nahe bringen. Denn die philosophische Interpretation Goethes durch Schelling und spter durch Schopenhauer ist hçchst unvollkommen gewesen. Andrerseits erçffnet sich von hier aus der Zusammenhang dieser Richtung der Poesie mit parallelen Richtungen des wissenschaftlichen Geistes. So treten einander zwei Gruppen von Dichtern entgegen, ineinander bergehend und vielfach miteinander verbunden, wie alle Gruppen auf dem Gebiet geschichtlicher Gestaltungen; nur den, der auf alles Verstndnis dieser, wie es aus der Uebersicht ihrer Gliederung entspringt, kleinmtig und mit der armseligen ußerlichen Tatschlichkeit begngt verzichtet, kann dies doch abschrecken. Die Einen leben vor allem in den eigenen Zustnden und Ideen, diese stellen sie dar in ihren Werken, und sie ergreifen ußere Erfahrung, Tatsachen der Geschichte, Sagen und Nachrichten aller Art als Vehikel der Darstellung des eigenen Inneren. Goethe hat an sich selber dieses Verfahren oft und gern betrachtet und geschildert, er hat sich auch zu einem Zeitgenossen wie Byron darum so hingezogen gefhlt, als einen ihm Ebenbrtigen ihn darum mit Begeisterung gepriesen, weil in ihm mitten in der so anders gearteten englischen Gesellschaft einsam, mit pathologischer Gewalt ein Genius in derselben Richtung voranschritt. Wie ganz anders haben sich in der anderen Gruppe großer Dichter ihre Werke gebildet! Die geheimnisvolle Fhigkeit, die mannichfaltigen Bilder von Individuis und ihren Schicksalen um sich her in sich lebendig zu machen, sie mit sich reden zu machen, Handlungen zu erblikken, deren sie fhig wren, mchtige Worte zu hçren, die sie auszusprechen vermçchten: diese, ihre Aeußerungen bilden das Geschft ihres Lebens. Ihre Phantasie ist der Schauplatz auf welchem Gestalten, welche das Leben ihnen
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in unvollkommner Entwicklung zeigt, geboren werden, mchtigste Entfaltung erlangen, um dann wieder anderen Platz zu machen. Die Fhigkeiten, welche diesen beiden Richtungen zu Grunde liegen, sind in jedem großen Dichter verbunden, aber keine menschliche Kraft wrde zureichen, sie beide zum ußersten zu entwickeln. Es geschieht dass das letztere Vermçgen in großen Dichtern dem mchtigen Drang untergeordnet ist, mit seinen eigenen Zustnden sich zu beschftigen, sie sich darzustellen, den Zusammenhang des eigenen Wesens auszubilden. Wenn aber ein Mensch krzerer Hand mit seinen eigenen Entschlssen, seinem Charakter und der Ausbildung seiner Person verfhrt, wenn er jene Sehkraft fr die Zustnde der verschiedensten Charaktere unablssig, unbeirrt durch die Bedrfnisse persçnlicher Entwicklung ausbildet: alsdann entspringt was einem Shakespeare und Calderon zu leisten vergçnnt war. Und wenn die Art des Schaffens und der Lebensfhrung dieser Großen fr uns von Dunkel umgeben ist, dann besitzen wir in genauen Mittheilungen ber einen Dichter wie Dickens, der ihnen zwar nicht gleich war, aber doch ein echter und großer Dichter, nur dass die Notwendigkeit Poesie als ein aufreibendes Handwerk zu treiben ihn herabdrckte, ein Material, das fr das Studium dieser Gruppe von hohem Werte ist: wie er sein Leben durchstrmte, wie wenig er nachdachte, gerade ber das, was ihn selber betraf, die Fehlgriffe seines Lebens, die hieraus entsprangen, das unersttliche Bedrfnis seiner Phantasie nach immer neuen Eindrcken, neuen Schaupltzen der Beobachtung. Daher richtet sich auch den Dichtern jener ersten Classe gegenber ein weit mchtigeres Interesse auf ihre Persçnlichkeit, ihre Bildung und ihr Leben als dies gegenber denen der anderen der Fall ist. Zumal wenn wir Goethe lesen, tritt das Interesse an jedem einzelnen Werk zurck hinter dem an der Persçnlichkeit, welche in allen Werken gegenwrtig ist. Und kein Scheltwort, welches von Briefen und biographischen Bemhungen weg auf die Dichtungen hinweist, wird dies Verhltnis umzukehren und Leben, Natur und Entwicklung Goethes zu Mitteln, seine Werke zu verstehen, herabzudrcken im Stande sein. Denn was der Mensch in der Arbeit seines Lebens schließlich gewollt hat, das ist es auch was, wann sein Tag vorber gegangen ist, uns zu sich hinzieht und unseren Blick letztlich festhlt.
Schiller.
Es war in der Geschichte unserer Literatur der grçßte Moment, als in jenem Gesprch etc. Goethe und Schiller sich zusammen fanden und ihre Freundschaft anhob. Sie kamen von ganz verschiedenen Regionen und nun begegnete sich ihr Weg. Goethe war von dem Gefhl seines eigenen Wesen und dem Streben es zu gestalten, dazu fortgeschritten in dem Erfassen des Nothwendigen etc. Schiller etc. Schillers Brief spricht dies vollkommen aus. Sie sind wie zwei Strçme, welche Fluß auf Fluß in sich aufgenommen haben und sich nun vereinigen. Das aber, war nun die große Combination, welche in unsre geistige Geschichte Einheit gebracht hat. Die Freundschaft Goethes und Schillers, ihr planmßiges Zusammen Wirken ist der Beginn des Strebens ein Reich der geistigen Kultur, eine Art von Imperium zu grnden. Durch Schiller verknpfen sich die Tra[ns]cendental Philosophie und die Geschichte mit dieser geistigen Kultur; mit Goethe sind Natur-Philosophie und Romantische-Schule verbunden. Von diesen Krften ging eben als die franzçsische Revolution alles zu berfluthen schien, schon eine Gegenwirkung in einem engeren Kreise aus: nicht eine Restauration: vielmehr (Scherer 584) nahm die große von Rousseau der politischen Theorie getragene Richtung auf die Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft vom Gedanken der freien Person aus, hier eine andre Wendung, als dies in Frankreich geschehen war. Das natrliche System hatte in den verschiedenen Lndern nach der Natur der religiçsen Bedingungen, unter denen es sich entwickelt hatte, ganz verschiedene Folgen gehabt; in Italien und Spanien war es von dem Jesuitismus erstickt worden; in England hatte die von Anfang an in diesem Lande noch vor der Reformation, wirksame, moralische und active Gestaltung der Frçmmigkeit, welche in dieser die Voraussetzung der Action fr das protestantische Reich Gottes sah, auch das natrliche System dieser Seelenverfassung eingeordnet. Der protestantische Glaube hatte hier, mit der Selbstregierung des souvernen Volkes, eine Verbindung eingegangen, durch welche jede einzelne Person auch in ihrer religiçsen Gebundenheit, oder eben in Folge derselben, sich als eine freie Kraft empfand, welche gestaltend zu wirken habe. Hllen dieser Religiositt fielen; aus dem Puritaner wurde der Lattitudinarier, aus diesem der Deist.
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In Frankreich hatte sich durch die Maßregeln Ludwig XIV. ein Bruch vollzogen, durch welchen herrschender, religiçser Brauch und Sitte sich ganz trennten, von den weltlichen Krften, die den Menschen die Gesellschaft und den Staat zu gestalten strebten; hiervon war die Folge, daß das natrliche System sich an die Gleichheit der einzelnen Personen unangesehen ihre moralisch, religiçse Inhaltlichkeit hielt und da nun auch, durch die Entfaltung der Selbstherrschaft die geschichtlich gegebenen Unterschiede ihren ursprnglichen socialen Werth verloren. Der religiçs ethische Hintergrund der großen cartesianischen Schulen in Wissenschaft und Litteratur verschwand und die mechanistische Betrachtung trat in Verbindung mit dem zersetzenden Geist einer mßigen Gesellschaft; dies waren die Umstnde unter denen die abstracten Plne einer gleichen Mitwirkung aller Personen an der Regierung der Gesellschaft zur Herrschaft gelangen. In Deutschland hatte das natrliche System unter dem Einfluß von Luther und Melanchthon unter den Bedingungen der einzelnen Staaten und der Stdte wieder eine andere Richtung in Bezug auf die Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft erhalten. Der grçßte productive systematische Kopf der mittelalterlichen Welt war ein Deutscher Albert von Bollstdt gewesen. Der grçßte Mystiker der Epoche Eckhart. Dieser Richtung entspricht in der Poesie, eine Darstellung der idealen Inhaltlichkeit, auch in ihrem unbewußten, tiefen Weben durch Wolfram und Walther in welcher sogleich der eigenthmliche Vorzug des deutschen Geistes zur Geltung gelangt. Diese Seelenverfassung unseres Volkes, ermçglichte den religiçsen Genius Luthers; in diesem, ergriff und gestaltete der religiçse Prozeß die ganze Person in all ihren elementaren, natrlichen Regungen. In Melanchthon wurde der ideale Gehalt der alten Welt in seiner Uebereinstimmung mit dem der christlichen zum Mittelpunkt alles hçheren Unterrichtes gemacht. Der schçnste Ausdruck dieser alle Stimmungen der Menschennatur umfassenden religiçsen Idealitt, waren Bach und Hndel; auch sie schufen unvergngliche Typen, ideale Innerlichkeit, welche alle Stimmungen und Regungen der Seele in freier Innerlichkeit umfaßt. Der Reflex dieser Seelenverfassung in der wissenschaftlichen Welt, ist die große Astronomische Epoche des 16. Jahrhunderts, von Kepler von Kopernikus bis Galilei, in welcher die Deutschen Fhrer gewesen sind. Ihr Reflex in der Philosophie ist die Lehre des Leibniz von den Monaden als Spiegeln der Welt je nach ihrem Standort und der Harmonie des Universums welche aus einem ganz inneren teleologischen Prinzip ihnen ihre Stellung in dem schçnen Weltall zuweist. In diesem Zusammenhang kam Herder empor, welcher von der Poesie aus den Geist der Vçlker erfaßte und Winkelmann, der im Plato das Organ fand zum Verstndnis der antiken Kunst. So waren nun Goethe und Schiller nur die hçchste Blte langen nationalen Wachstums, das aber war
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nun entscheidend, daß durch ihre Verbindung die Mçglichkeit entstand die Seelenverfassung von Winkelmann Herder Goethe Schiller und den Transscendentalphilosophen zur Grundlage der nationalen Kultur eines ganzen Jahrhunderts zu machen. Eine solche Leistung wre unmçglich gewesen wenn nicht das Zeitalter Rousseaus das Unvermçgen der vorhandenen Gesellschaft den Menschen zu befriedigen tief gefhlt und erkannt htte. Die so entstehende Stimmung, welche Deutschland in Sturm und Drang ergriffen hatte, bildete die Atmosphre des jungen Goethe und des jungen Schiller. Der Conflict der natrlichen Forderungen des Menschen mit der Convention war nach verschiedenen Seiten aufgefaßt, das Thema von Gçtz, Werther, den Rubern, Kabale und Liebe, daß sie aus einer Epoche herkamen, welche in der Auflehnung gegen das Bestehende, die strksten Antriebe zu einer neuen Gestaltung des Lebens in sich schloß, gab ihrem inneren Streben die Energie. Sie fanden sich von gesellschaftlichen Verhltnißen umgeben, in denen die Nation von der wirthschaftlichen Gebundenheit zur freien modernen Ordnung von der frstlichen Gewalt zur Betheiligung der brgerlichen Classen an der Regierung; von der Vorherrschaft des Adels und der Hçfe zu der, der brgerlichen Stnde berging. In den Kmpfen, die so entstanden, erçffneten sich weite Ziele des Fortschreitens. Vor allen Andern, lebte Schiller in dieser Bewegung; von ihr wurde er empor getragen. Er kam aus engen Verhltnißen, er erfuhr an sich selbst den Druck der patriarchischen Frstenmacht, aber schon drang in die Militair Anstalt der Widerstand von Schubart und Moser gegen diese frstliche Gewalt; er theilte sich Schiller und seinen Genossen mit. Es giebt Naturen, die nur gerade aufgerichtet ber die Erde gehen kçnnen, denen das Leben anders keinen Werth htte. In jedem Satz Schillers ist von Anfang an, dies schlanke hoch aufgerichtete, das wie die Flamme empor schlgt. Diese bezwingende Hoheit seiner Seele macht sich schon in seinem Verhltniß zu Streicher, in seiner Flucht, in seinem Verhltniß zu Kçrner geltend. Dem entsprach, daß er sich als eine gestaltende Macht fhlte; aller Stoff lag unter ihm, er formte ihn nach seinem Willen, er erfllte ihn mit dem Gehalt seiner Seele. So entstand eine eigenthmliche Lyrik; aus ihr spricht ein großer Willensmensch, nichts von dem unwillkrlichen Weben der Gefhle, das Goethes Versen einen solchen Zauber mittheilt und selbst in denen, von Herder und Lenz empfunden wird, ist in ihnen zu spren. Die Bewegung der Seele, die in ihnen ausgesprochen wird, ist in einer großen, ganz bewußten, von Gedanken gebundenen Intention enthalten. Daher herrscht eine Einheit in ihnen, die bis zur Einfçrmigkeit geht. Daher ist der Haupteindruck seines Wesens Grçße. Keiner unsrer Schriftsteller kommt der einheitlichen Willensmacht handeln-
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der Natur in seinem Kern so nahe als er. Daher ist er einer der ersten Dramatiker aller Zeiten. Eben durch die Grundeigenschaft, daß der Athem einer großen Seele in dem einfachen, schlanken einheitlichen, impetuosen und doch einheitlichen, vorwrtsdringen der Handlung sich ausspricht. Ferner darin, daß er wußte, wie Helden zu muthe ist. Aus dieser Form seines Geistes entsprang zugleich, daß seinem Gedankengehalt eine Richtung auf das Wollen, Gestalten, beiwohnt. Hier aber treffen wir nun auf den Zug in welchem seine geistige Anlage und die Seelenverfassung seiner Zeit sich begegnen und der nun seinem Wesen sein Geprge giebt. Dies ist ein ursprngliches Bedrfniß seiner Seele durch große, objective Ziele, durch einen, ber die Person hinausgehenden Gehalt, sich zu erweitern. Hierin sondert er sich von dem jugendlichen Goethe. War es ursprngliche Anlage, hatte der Contrast des Zugs von Grçße in ihm unter geringen, ja qulenden ersten Lebensverhltnissen hierauf gewirkt – und darauf deutet der Anfang des Gedichtes Resignation und seine ersten ußerungen ber Goethe: dazu kam noch, daß er nicht wie Goethe in der Sturm und Drangzeit des subjectiven Gefhlslebens aufwuchs, sondern ein Jahrzehnt darnach von derjenigen ergriffen wurde, die auf sociale und politische Freiheit gerichtet war. Es ist immer etwas in ihm, das ber seinem persçnlichen Schicksal steht. Etwas, das bei zartester Berhrbarkeit durch Resignation auf Flle des persçnlichen Lebens und Genießens das Leben formt. Er schrieb einmal an Schlegel, daß er in den Kreis seines Lebens, Niemand kçnne eintreten laßen, dem er nicht gnzlich vertraut. Hieraus bildete er sich die Art von Glck, die ihm eigen war. Kant bezeichnet einmal „Zufriedenheit“, als das Ziel des Lebens; dasselbe persçnlich genommen. Dazu kommt nun aber, die positive wechsellose Freude, die aus der bestndigen Gegenwart großer Gedanken und im geistigen Machtgefhl entspringt. „Sie sind der glcklichste Mensch!“ schreibt Humboldt aus Rom in seinem letzten Brief an Schiller. „Sie haben das Hçchste ergriffen, und besitzen Kraft, es festzuhalten. Fr Sie braucht man das Schicksal nur um Leben zu bitten, die Kraft und die Jugend sind Ihnen gewiß.“ Hierauf antwortet Schiller: „Ihr Wirkungskreis kann Sie nicht so sehr zerstreuen und der meinige mich nicht so beschrnken, daß wir einander nicht immer in dem Wrdigen und Echten begegnen sollten. Und am Ende sind wir ja Beide Idealisten und wrden uns schmen, uns nachsagen zu lassen, daß die Dinge uns formten und nicht wir die Dinge. – Die tiefen Grundideen der Idealphilosophie bleiben ein ewiger Schatz, und schon allein um ihretwillen muß man sich glcklich preisen, in dieser Zeit gelebt zu haben.“ Hieraus ergiebt sich, als Grundzug seiner Poesie, daß er der Dichter des Ideals ist. Die Form seines persçnlichen Lebens ist die Erweiterung der Seele, durch einen ber die Person hinaus reichenden Gehalt, der in den Willens-
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zusammenhang der Person aufgenommen ist. Ein solcher aber, ist das Ideal. In diesem Idealismus war er, eins mit dem Mittelpunkt seines Zeitalters. Dieser lag in dem freudigen Fortschreiten zur Verwirklichung der Wrde, Freiheit und Schçnheit des Menschen, welche mit Hnden zu greifen das Zeitalter glaubte. Anfang der Knstler, „Wie schçn, o Mensch.“ Hieraus ergeben sich, die einzelnen Stellungen Schillers zu den Krften, welche die Zeit bewegen, als eine handelnde, aus einem geistigen Gehalt heraus handelnde Natur, wird er zu jeder großen Kraft der Zeit, eine Stellung nehmen; ihrer sich bedienen, vermittelst ihrer wirken. Er wird in der Poesie dem Drama, den denkbar mchtigsten Gehalt geben; dieser liegt aber in dem Ringen heldenhafter Naturen in der Geschichte. Er wird die Lyrik zum Ausdruck und Symbol des hçchsten Ideen-Gehalts seiner Zeit machen und eine unvergngliche Bildersprache, fr diese Trancendental-Philosophie finden. Er wird in der Geschichte nicht, wie seine Zeitgenossen einen pragmathischen Zusammenhang, sondern Spiel und Gegenspiel, der grçßten ideellen Krfte erblicken und sich der Zeit bemchtigen, in welcher die geistigen Krfte deren letzte Form, die Trancendental Philosophie war, am Werke gewesen sind. Und er wird in der Trancendental-Philosophie selbst mit dem unfehlbaren Blick des Genie’s, den entscheidenden Punkt ergreifen, den sie fr den Knstler und den Weltbrger darbietet: der menschliche Geist, ist eine, aus eigner Tiefe heraus, einheitlich, gestaltende Macht ber den Stoff des Wirklichen, welche im Denken denselben construirt; im sthetischen Vermçgen, ihn beseelt und im Handeln, ihm seine Form des Ideals und der Freiheit aufprgt.
I Die Jugend-Epoche Schillers, in welcher er sich in dieser Denkart empor arbeitete, durcheilt rasch den Weg zu einer solchen Herrschaft umfassender Ideen ber den Geist. Geboren 1759 ist er nach Schul- und Wander Jahren 1789 zur inneren und ußeren Lebenvollendung gelangt. Er lßt sich als Professor der Geschichte in Jena nieder den 11. Mai 1789 er heirathet ein Jahr darauf und in Jena und Weimar verfließt von da ab in tiefer Ruhe sein Leben. Das aber giebt nun dieser Entwicklungszeit ihren Character, daß sie in die Epoche einer ungeheuren moralischen Revolution fllt. Das 17. Jahrhundert hatte sich fr die Erkenntniß der Natur, von allen Voraussetzungen zu befreien. Dieselbe mußte ganz neu aufgebaut werden. Bruno, Descartes, Galilei und Bacon durchleben in sich diese Epoche einer [intel]lectuellen Revolution. Nachdem der Mensch seine Mndigkeit erlangt hatte, nachdem das Natur er-
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kennen sein stolzes Gebude errichtet hatte, nachdem Analysis und Experiment zum Menschen selbst vorgedrungen waren: trat eine zweite revolutionre Gehrung in Europa ein, welche sich auf die bisherigen moralischen Voraussetzungen des Aufbaues von Gesellschaft, Staat und Kirche richtete. Man hatte genug den Menschen analysirt, jetzt gerieth das Leben die Gesellschaft die Art wie der Mensch sich in ihr gebunden fand, selber in Bewegung. Der Mensch fragte nach den Bedingungen, unter welchen er das Glck die Vollkommenheit und die Freiheit seines Daseins erreichen kçnne, auf welche er, nach dem natrlichen System ein Recht hatte, und zu der er, nach der analytischen Philosophie des Menschen angelegt war. So wurde jede Voraussetzung des bisherigen Bestandes der Gesellschaft in Familienleben, Arbeitsgemeinschaft, Staat und Kirche in Frage gestellt, aufgewhlt, nicht nur in int[el]lectuellem Interesse, sondern im Interesse der Gestaltung des Zusammenlebens der Menschen. In mitten der theoretischen Speculationen ber diese Gegenstnde, nach und neben Turgot, Helvetius, Hume, Adam Smith erhebt sich Rousseau. In Deutschland ußerte sich diese Bewegung in der Periode von Sturm und Drang; in dem nun Schiller von derselben ergriffen wurde, fand er sich einer unermeßlichen dramatischen Problematik gegenber. Die Ruber sind der vollkommenste Ausdruck, dieses revolutionren Zustandes, ihr Ideal ist die Anarchie: Sie gehen von Rousseau fort, zur Forderung einer Befreiung von allen gesellschaftlichen Fesseln, fr welche sie ein dichterisches Symbol in der Freiheit der Wlder suchen; gleichsam eine Verwirklichung des Rousseauschen Naturzustandes mitten in der Civilisation. Die einzelnen Probleme, die hier enthalten sind, behandeln dann die anderen Dramen. Da nun die grçßten derselben, nur innerhalb der staatlich-geschichtlichen Welt zum Austrag gelangen, vollzog Schiller seinen Uebergang in die Historie. Diese große Bewegung, war nun aber von der Philosophie getragen. Alle großen Vernderungen des 17. und 18. Jahrhunderts, standen unter dem Einfluß des natrlichen Systems. Alle ersten Analysen von Wirtschaft, Recht, Religion und Staat, waren von Philosophen ausgefhrt worden. Das neue Ringen des Lebensgefhls nach Lçsung alter Fesseln der Menschheit war philosophisch schließlich begrndet. Das gab nun Schiller sein Uebergewicht ber die andern Strmer und Drnger, daß er von Anfang an in philosophischen Ideen lebte. Humboldt schr^eibt: In der Vorerinnerung zu seinem Briefwechsel S. 4. „Dies Dichtergenie war auf das engste an das Denken in allen seinen Tiefen und Hçhen geknpft, es tritt ganz eigentlich auf dem Grunde einer Intellektualitt hervor, die Alles, ergrndend, spalten und Alles, verknpfend, zu einem Ganzen vereinen mçchte. Darin liegt Schillers besondere Eigenthmlichkeit.“ „Was jedem Beobachter an Schiller am meisten als characteristisch bezeichnend auffallen mußte, war, daß in einem hçheren und prgnanteren
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Sinn, als vielleicht je bei einem Andern, der Gedanke das Element seines Lebens war.“ Diese natrliche Anlage war durch die philosophische Gehrung genhrt worden, die in der militrrztlichen Akademie, Schiller und seine Genossen vorfanden. Und in der von den Schotten genhrten popular Philosophie Abels, an dem die Akademie mit Begeisterung hing, finden wir die Stichworte der ersten philosophischen Epoche Schillers Glckseligkeit, Vollkommenheit, Liebe als Grundtrieb des sittlichen Universums wieder. Neben ihm bestimmte ihn Ferguson Grundstze der Moral-Philosophie, von Garve 1772 bersetzt. Nach Minor S. 211 ist Schiller mit Shaftesbury erst spter bekannt geworden. In Schiller verbinden sich aber diese Elemente vermittelst eines Gefhls von der gçttlichen Schçnheit der Welt und einer, dem entsprechenden, panteistischen Formel; auch hier zeigt sich dies wieder als der ursprngliche Glaube, germanischer Dichter und Denker, strkstes Gefhl von der Unendlichkeit des Lebens, dem Werth jeder Gestalt in ihr, daher der Gçttlichkeit, des Universums. Der Ausdruck hiervon, sind seine lyrischen Gedichte; in denselben konnte ein Gedankengehalt darum Poesie werden, weil in ihm das lebendige Verhalten einer großen, willensmchtigen Person sich aussprach. Daher schuf derselbe sich einen Bilderkreis in welchem er sich ausdrckte. Er bersetzte die im stammverwandten M[yth]os enthaltenen Bilder von der Alllebendigkeit und Schçnheitsherrlichkeit des Universums der Welt gleichsam in ihren ursprnglichen Sinn zurck. Er [er]griff von Anfang an ebenso das poetische und bildliche der astronomischen Weltansicht der modernen Zeit. Die Lehre von der Harmonie des Unendlichen des Universums. Er nahm die Grundvorstellung einer Einheit der [Gra]vitation als der physischen Grundkraft des Universums mit der Sympathie, Hingabe oder Liebe als der moralischen aus der von Shaftesbury bestimmten Tradition der Philosophie auf und bildete hieraus gleichsam einen neuen philosophischen Mytos. In dem Gedicht der Anthologie: Das Geheimniß der Reminicenz bedient er sich [der] schon in Platos „Gastmahl“ angewandten philosophischen Symbole fr die Wahlverwandtschaft in der Liebesleidenschaft: „Waren unsre Wesen schon verflochten? War es darum, daß die Herzen pochten? Waren wir im Strahl erloschner Sonnen In denTagen lang begrabner Wonnen Schon in Eins geronnen?“ Ein andres Bild: „mit der Liebe Flgel eilt die Zukunft in die Arme der Vergangenheit; lange sucht der fliehende Saturnus seine Braut, die Ewigkeit. Einst, so hçrt ich das Orakel sprechen, einstens hascht Saturn die Braut: Wel-
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tenbrand wird Hochzeitfackel werden, wenn mit Ewigkeit die Zeit sich traut.“ Er nahm ebenso das von Bruno ab in Leibniz ausgebildete Symbol, der Gçttlichkeit der Menschennatur, nach welchem die menschliche Monade ein Spiegel Gottes ist, auf: eine schon in der Lehre von Microkosmus und Makrokosmus vorbereitete Anschauung: auch sie ward ihm zum philosophischen Mytos. So haben Plato, Dante und Giordano Bruno hnlich aus den vorhandenen religiçsen und metaphysischen Lehren, sich einen zusammenhngenden Kreis von Symbolen gebildet. Wie wir von Plato her kennen, daß seine philosophischen Myten einen einheitlichen Kreis bilden, welcher aus dem Vorhandenen gestaltet ist, so ist etwas hnliches auch nach zu weisen von Schiller. Schmidt S. 35. „Oft widerfhrt mir“, schreibt er viele Jahre spter, „daß ich mich der Entstehungsart meiner gelungensten Producte schme. Man sagt gewçhnlich, daß der Dichter seines Gegenstands voll sein msse, wenn er schreibt. Ich glaube aber es ist nicht immer die lebhafte Vorstellung eines Stoff’s sondern nur ein Bedrfniß nach Stoff, ein unbestimmter Drang nach Ergießung strebender Gefhle, was Werke der Begeisterung erzeugt. Das Musikalische eines Gedichts schwebt mir weit çfter vor die Seele, wenn ich mich hinsetze, es zu machen, als der klare Begriff vom Inhalt, ber den ich kaum mit mir einig bin.“ Ein gewisser Mangel an schçpferischer Phantasie ist im Vergleich zu Dante und Plato bei Schiller bemerkbar. Es fehlt das Vermçgen, den großen Gedichten vçllige, bildliche Einheit zu geben. In der Art wie Schiller ber die verschiedensten Formen seinen Lebensgehalt zur Geltung zu bringen, schaltete, war er einer der wirksamsten Schriftsteller; sein dichterisches Vermçgen, war manchmal lange Zeiten hindurch, nur das wichtigste Hlfsmittel fr ihn, sich auszusprechen. In den Gedichten seiner ersten Periode, die man in der Anthologie findet, herrscht, wie in dem Monolog von Franz Mohr eine Geistesverfassung, welche das ursprngliche Recht auf Glck und freie Entfaltung der hçchsten Lebenstriebe bald enthusiastisch auf den Naturzusammenhang selbst, zurckfhrt; bald der Weltordnung selbst gegenber titanisch geltend macht. Der hçchste Ausdruck der ersten Stimmung ist das Gedicht: „Freundschaft“. „Freundlos war der große Weltenmeister, Fhlte Mangel – darum schuf er Geister, Selge Spiegel, seiner Seligkeit! Fand das hçchste Wesen schon kein Gleiches Aus dem ganzen Kelch des Seelenreiches Schumte ihm – die Unendlichkeit.“ Der hçchste Ausdruck der anderen Stimmung sind: Freigeisterei der Leidenschaft und Resignation. Das erstere Gedicht entfaltet aus der Stimmung,
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das ihr entsprechende Bild einer dmonischen Gottheit, die Entsetzen und Thrnen als Opfer genießt. Das Andre spricht in einer weicheren Stimmung, den furchtbaren Widerspruch, zwischen dem christlichen Ideal und der lebendigen Menschennatur aus: „Da steh ich schon auf deiner Schauerbrcke, Ehrwrd’ge Geistermutter – Ewigkeit. Empfange meinen Vollmachtsbrief zum Glcke, Ich bring ihn unerbrochen dir zurcke, Mein Lauf ist aus. Ich weiß von keiner Seligkeit.
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Zwei Blumen blhen fr den weisen Finder, Sie heißen Hoffnung und Genuß. Wer dieser Blumen Eine brach, begehre Die andre Schwester nicht. Genieße, wer nicht glauben kann. Die Lehre Ist ewig wie die Welt. Wer glauben kann, entbehre. Die Weltgeschichte, ist das Weltgericht. Du hast gehofft, dein Lohn ist abgetragen, Dein Glaube war dein abgewognes Glck. Du konntest deine Weisen fragen, Was man von der Minute ausgeschlagen, Giebt keine Ewigkeit zurck.“ Derselbe Widerspruch gegen das christliche Ideal ist in dem 3. Gedicht: „Der Kampf“. Nein, lnger werd ich diesen Kampf nicht kmpfen, Den Riesenkampf der Pflicht. Kannst du des Herzens Flammentrieb nicht dmpfen, So fordre, Tugend, dieses Opfer nicht. Geschworen hab ich’s, ja, ich hab’s geschworen, Mich selbst zu bndigen. Hier ist der Kranz, er sei auf ewig mir verloren! Nimm ihn zurck und laß mich sndigen! Schmidt S. 150 daß sich Schiller lange mit einem Epos Julian trug. Das positive Ideal des Lebens in seinem Zusammenhang mit dem gçttlichen Universum, sprechen dann drei philosophische Dichtungen aus. Die Gçtter
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Griechenlands, Das Lied an die Freude und Die Knste. Gçtter Griechenlands 1787 oder 1788. Erste Redaction fiel positiver im Sinn der Wiederherstellung einer Weltansicht der Lebensfreude [aus]. Es fehlt dieser Elegie nur der Ausdruck davon, daß diese wieder hergestellt wird, in dem Panteismus der freudigen Gestaltung des Lebens. Gleichzeitig Goethes julianischer Haß gegen das Christenthum. Schmidt 159. Beide Gedichte, einheitlicher in der Stimmung als „Die Knstler“. Diese 9. November 1788 Entwurf dann lange Umarbeitung. Jetzt hat er dem alten Gçtterglauben seine Stelle angewiesen und in einer Art von Geschichtsphilosophie seine eigene Gefhlslage in der Gegenwart begrndet. Wir gehen durch die Schçnheit, zur Wahrheit und Freiheit. Dieselbe Seelenverfassung als Don Carlos. „Wie schçn o Mensch, mit deinem Palmenzweige Stehst du an des Jahrhunderts Neige In edler, stolzer Mnnlichkeit, Mit aufgeschloßnem Sinn, mit Geistesflle, Voll milden Ernst’s, in thatenreicher Stille, Der reifste Sohn der Zeit, Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze, Durch Sanftmuth groß und reich durch Schtze, Die lange Zeit dein Busen dir verschwieg, Herr der Natur, die deine Fesseln liebet, Die deine Kraft in tausend Kmpfen bet Und prangend unter dir aus der Verwildrung stieg!“ Das Gedicht nhert sich einem großen, zusammenhngenden Bilde. Die Bewegung der Geschichte deckt sich mit der in Schillers Geiste. Dieser geschichtliche Fortgang durch die Kunst zum Ideal und zur Freiheit ist das Gesetz des Schaffens in seinem eigenen Geiste, daher theilt er nicht eine Lehre mit; er entwirft kein Lehrgedicht; er spricht das durch das geschichtliche Bewußtsein erweiterte Ideal seiner Zeit aus. Er spricht, die in ihr enthaltene Function des Knstlers aus, von welcher er ganz erfllt ist. Hiermit vollzog er einen dauernden Fortschritt in der menschlichen Kultur. Er zuerst hat der Kunst ihr Bewußtsein unermeßlich gesteigert etc. Zwei Aufgaben lagen, als er diesen Punkt erreicht hatte, vor ihm; er mußte sein Knstler Bewußtsein, wie er war, wissenschaftlich aufklren, und dadurch die stolze neue Stellung des Dichters definitiv feststellen. Er mußte sich als Knstler dieser Art in Werken aussprechen.
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II Schillers Wander und Entwicklungsjahre sind zu Ende. Das Jahr seiner Niederlaßung in Jena und Verheirathung bildet den Abschluß dieses raschen und strmischen Drama. Das Ziel, das seiner Natur entsprach, ist nun erreicht. Persçnliche Lebensverhltniße, welche eine innere Ruhe ernçthigen, wodurch dann das Leben in den hçchsten Ideen und deren knstlerische Darstellung ruhige und freie Bahn haben. Am 11 Mai 1789 trat der nunmehr fast dreißig jhrige sein Amt an als Professor in Jena und am 22 Februar 1790 verheirathete er sich. Nun waren die Bedingungen da, sich die grndliche Durchbildung zu erwerben, welche die Hast des Lebens, ihm bis dahin versagt hatte. Das bedeutete aber fr seinen, im weitesten Sinne, knstlerischen Geist, welcher Stoff nicht aufnehmen konnte ein Anderes. Er konnte nun der großen Potenzen der Zeit, einerseits der die Politik begrndenden Geschichte, andrerseits der Trancendental-Philosophie sich bemchtigen. Ruhig und hell gingen ihm nun die Tage dahin. Eine große Zukunft schien sich ihm sicher zu nhern. Aber der Gang seines Lebens, hatte Bitterniß genug, auch in dies ruhige Glck gemischt. Grade hier, wo er Goethe immer im Gesichtskreis hatte, mußte er doppelt empfinden, wie hart ihn das Leben gefhrt; bei seiner tiefen Aufrichtigkeit gegen sich selbst, sagte er sich, wie sich das Versumte nie ganz werde nachholen lassen. Und er fand sich fr die nchsten Jahre noch an Brodarbeit gefesselt. Anfang Mrz 1789 schrieb er an Kçrner: „Wie muß ich bis auf die Minute noch kmpfen! Einholen lßt sich alles Verlorne fr mich nun nicht mehr – nach dem dreißigsten bildet man sich nicht mehr um – und ich kçnnte ja selbst diese Umbildung vor den nchsten drei oder vier Jahren nicht mit mir anfangen weil ich 4 Jahre wenigstens meinem Schicksale noch opfern muß. Aber ich habe noch guten Muth und glaube an eine glckliche Revolution fr die Zukunft.“ Dann aber brach, als ein Jahr nach seiner Verheirathung vorber gegangen war, die furchtbare Lungenkrankheit Weihnachten 1790 bei ihm aus, von der er nicht mehr genaß. Die letzte und schlimmste Folge der vergangenen Kmpfe der Nachtarbeiten, der unbehteten und ungepflegten Existenz eines Idealisten. Dies sind die Umstnde welche die lange Stokkung seiner dichterischen Productivitt erklren. Am 12. September 1788 sonach bald nach Goethes Rckkunft aus Italien, waren Schiller und er einander in Rudolstadt im Hause der Frau von Lengefeld begegnet. Sie waren damals unbestritten die beiden ersten Schriftsteller der Nation. Nun waren sie çrtlich einander so nahe gerckt, daß an ein Ausweichen nicht zu denken war. Aber von ganz entgegen gesetzten Regionen herkommend, hatte ihre Bahn den Punkt noch nicht erreicht an dem sie zusammentrafen. Goethe war ausgegan-
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gen, von der Entfaltung und Bildung der eignen Person. Seine Poesie war wie ein Ausathmen dieser großen Persçnlichkeit gewesen. Was ihn umgab, hatte er als individuelle Kraft genommen, und als solche sich anzueignen gesucht. Immermehr mit den Jahren hatte er empfunden, daß unsre persçnliche Vollendung, durch Vertiefung in große, ber uns hinausreichende Objecte und Arbeit fr etwas, das nicht wir selbst sind, bedingt ist. In der Natur hatte er das ihm entsprechende unvergngliche Object gefunden. Aus ihr hatte er einen reinen Begriff typischer Form fr seine Poesie abgeleitet. Schiller war als Mensch und Dichter von dem unpersçnlichen Leben in den großen Gedanken der Menschheit ausgegangen. Er fhlte sich wie sein Posa als ein Brger, der zur Freiheit fort schreitenden universalen Menschheitsgemeinschaft. Er hatte darin mitten in der grçßten Stille des Lebens ein Verhltniß von Genossenschaft mit allen Fortschreitenden von unmittelbarer Sympathie mit dem deutschen Publikum. Er erfllte die Theater mit dem Lrmen seiner Stcke, Gedichte wie die Gçtter Griechenlands theilten den großen Gehalt seiner Ideen im Impetus berall hin mit. Diese beiden Menschen konnten an diesem Punkte ihrer Bahn einander schlechterdings nicht innerlich verstehen; sie stießen sich ab. Daß Goethe als der glckliche und mchtige, das auch ußerlich kenntlich machte, gab vorbergehend Schillers Gefhl hiervon einen sehr bitteren Beigeschmack.
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Im Wallenstein schuf Schiller das historische Drama. Hiermit vollzog sich einer der Fortschritte in der Entwicklung der Poesie, welche dauernd in der Menschheit fortwirken. Historisches Drama, geschichtlicher Roman, ja die Geschichte selbst wurden durch Schillers Drama beeinflusst. Schiller hat der Lçsung dieser Aufgabe die grçsste Anstrengung seines Lebens gewidmet: Im Mai 1796 entschied er sich fr den Wallenstein und legte den Plan der Ritter von Maltha zurck, und 1799 ist dann das Werk erschienen. Mit welcher Ehrfurcht betrachtet man heute den stillen Garten mit dem Gartenhuschen ber dem Flsschen, wo Schiller dies Werk vollbracht hat. Es gab vor dieser Zeit Stcke genug, welche geschichtliche Stoffe behandelt haben. Aber das geschichtliche gab hier nur Scene und Umgebung fr einen allgemein menschlichen Character und die aus ihm fliessenden Schicksale. Wenn Shakespeare in seinen Rçmerdramen geschichtliche Charactere darstellte, so dramatisierte er seinen Plutarch: Den Zusammenhang des geschichtlichen Charakters mit einem bestimmten historischen Milieu hat er niemals
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dargestellt. Sein Blick breitete sich aus ber die Menschen seiner Zeit, die Unterschiede des Klima der Nation und der Stnde hat er meisterhaft dargestellt: aber die Verschiedenheiten der geschichtlichen Lagen waren ihm nicht so bekannt, daß er Charakter und Schicksal der geschichtlichen Menschen daraus begreiflich zu machen vermocht htte. Das aber setzte sich nun Schiller zur Aufgabe. Auch war zwischen Shakespeare und ihm Niemand, der diese Aufgabe gelçst htte. War doch das erforderliche dichterische Verfahren auch von dem ganz verschieden, welches er selber und Gçthe in ihren historischen Stkken bisher angewandt hatten. An Gçthe’s Egmont hatte er nachgewiesen, wie Gçthe anstatt den inneren Zusammenhang durch seine Erfindungen einfacher und folgerichtiger zu gestalten vielmehr durch die Erfindung der Liebschaft mit Clrchen denselben zerstçrt hatte. Mit dem Sarkasmus, der aus dem Bewußtsein seiner berlegenheit in geschichtlichem Sehen floß, hat er die Verfehlung Gçthe’s nachgewiesen. Von seinem eigenen Carlos urtheilte er jetzt, daß er in diesem Jugendwerke auf Einzelheiten das entscheidende Gewicht gelegt und die fehlende Wahrheit durch schçne Idealitt zu ersetzen gesucht hatte. Nun erkannte er, daß das historische Drama von einer großen Realitt ausgehen msse und durch Nothwendigkeit, Stetigkeit und Bestimmtheit den Charakter des Helden mit den geschichtlichen Bedingungen in Zusammenhang bringen msse. Zum ersten Male stellte er sich, wie Shakespeare gethan hatte, seinem Stoffe mit objektiver Klte gegenber. Eine historische Totalitt hinzustellen, vor welcher alle Einzelschçnheiten zurcktreten, das war die Aufgabe, welche er sich setzte. Sie war so mchtig und umfassend, daß er die Verbindung von drei Stcken bedurft hat, um sie zu lçsen. Die angeborene Grçße des Willens in ihm, die ungeheuren Weltvorgnge denen er aus der Ferne mit leidenschaftlicher Seele folgte: diese beiden Momente haben ihm die Schçpfung des geschichtlichen Drama ermçglicht, da er doch selber in eine ganz ungeschichtlich stagnirende Atmosphre eingetaucht war. Er beklagte selbst, daß ihn „eigene Erfahrung nicht mit Menschen und Unternehmungen aus dieser Classe bekannt machte.“ „Das weitlufige und freudlose Studium der Quellen ist mir zu diesem bloß objektiven Verfahren unentbehrlich: denn ich mußte die Handlung, wie die Charaktere aus ihrer Zeit, ihrem Lokal und dem ganzen Zusammenhange der Begebenheiten schçpfen“. Auch htte er das berhaupt nicht leisten kçnnen wre ihm nicht aus seiner Thtigkeit als Professor der Geschichte das 17te Jahrhundert und der dreißigjhrige Krieg vertraut gewesen; daher fr sein specielles Quellenstudium nunmehr berall eine gediegene Grundlage vorhanden war. Die vollendete Meisterhaftigkeit mit welcher er seine Aufgabe lçste, war hierdurch bedingt; nun kamen ihm die Jahre zu gute, in denen er vornehmlich mit diesem großen Jahrhundert sich beschftigt hatte.
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Diesen Zusammenhang des Wallenstein mit den grossen Ereignissen seiner eigenen Zeit hat er in dem prachtvollen Prolog selbst ausgesprochen. Sein Drama verlsst „den engen Kreis des Brgerlebens“ und sucht „einen hçheren Schauplatz, nicht unwert des erhabnen Moments der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen“. Und jetzt an des Jahrhunderts ernstem Ende, Wo selbst die Wirklichkeit zur Dichtung wird, Wo wir den Kampf gewaltiger Naturen Um ein bedeutend Ziel vor Augen sehn, Und um der Menschheit grosse Gegenstnde, Um Herrschaft und um Freiheit, wird gerungen, Jetzt darf die Kunst auf ihrer Schattenbhne Auch hçhern Flug versuchen; ja, sie muss, Soll nicht des Lebens Bhne sie beschmen. Das Thema seiner Dichtung ist das Rtsel der grçssten deutschen Persçnlichkeit des dreissigjhrigen Krieges. Auf dem Hintergrund der miteinander ringenden geschichtlichen Krfte ist es doch dieser Mensch und sein Schicksal, das Geheimniss, das Furchtbare, in das sein Character und sein Schicksal eingehllt ist gleichsam, was den Gegenstand ausmacht. So beschreibt der Prolog die Weltlage. Sechzehn Jahre des dreissigjhrigen Krieges sind vorber. Auf diesem finstren Zeitgrund malet sich Ein Unternehmen khnen bermuts Und ein verwegener Character ab. Ihr kennet ihn, den Schçpfer khner [Heere], Des Lagers Abgott und der Lnder Geissel, Die Sttze und den Schrecken seines Kaisers, Des Glckes abenteuerlichen Sohn, Der von der Zeiten Gunst emporgetragen, Der Ehre hçchste Staffel rasch erstieg, Und, ungesttigt immer weiter strebend, Der unbezhmten Ehrsucht Opfer fiel. Ist nun so diese Person der eigentliche Gegenstand des Drama, so begegnen sich zwei verschiedne Interessen in ihr, die Art, wie sie zur Geltung gelangen, bestimmt den Character des Drama als eines historischen oder eines menschlich typischen. Auch an der geschichtlichen Gestalt haben die menschlich typischen Zge das Interesse des Dichters wie das seiner Zuschauer. Man kçnnte
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zunchst sagen, dass der Dichter seine grosse Person darum aus der Historie nimmt, weil Grçsse ihm hier leibhaftig, wirklich, individuell und in ihren Wirkungen entgegentritt. Wir werden doch nur da an Grçsse glauben, wo sie sich geschichtlich als solche erwiesen hat. So nimmt auch Schiller zunchst sein Interesse am Wallenstein. „Nur der grosse Gegenstand vermag den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen.“ (Prolog). Oder noch tiefer im, noch mehr in Schillers eigenst grossem Geiste die nchsten Worte: „Im engen Kreis verengert sich der Sinn, es wchst der Mensch mit seinen grçssern Zwecken.“ Gerade in der mchtigen Inhaltlichkeit des Lebens, in der Erfllung mit den grossen Objecten, welche die Geschichte ausmachen, sieht Schiller die Natur des heldenhaften Mannes. Gerade der Gegensatz der Mnner, welche durch diese Inhaltlichkeit geschichtlich sind und Geschichte machen, und der Frauen, die geschichtslos und darum naiv und natrlich vollkommen sind, geht durch alle Dichtungen Schillers hindurch. Hiermit stimmt seine sthetische Theorie berein. In der Abhandlung ber das Pathetische findet er den Unterschied des sthetischen von dem moralischen Verhalten darin, dass das erstere uns befreit durch die Darstellung eines absoluten Vermçgens, wogegen uns das letztere bindet durch die Darstellung eines unbedingten Gesetzes. „Dort stellen wir das sinnlich beschrnkte Individuum und den pathologisch-afficierbaren Willen dem absoluten Willensgesetz und der unendlichen Geisterpflicht, hier hingegen stellen wir das absolute Willensvermçgen und die unendliche Geistergewalt dem Zwange der Natur und den Schranken der Sinnlichkeit gegenber. Daher lsst uns das sthetische Urteil frei, und erhebt und begeistert uns, weil wir uns schon durch das blosse Vermçgen, absolut zu wollen, schon durch die blosse Anlage zur Moralitt gegen die Sinnlichkeit in augenscheinlichem Vorteil befinden.“ So bereitet die Darstellung des absoluten Willensvermçgens im Drama und die Herbeifhrung der erhabenen Gemtsverfassung hierdurch den moralischen Zustand vor. In diesen Stzen hat Schiller unbertrefflich den Grund dargelegt, aus welchem die ungeheure Willensmacht von Prometheus zu dipus von da zu Richard III. und den anderen Machtmenschen Shakespeare’s das hçchste Object des Drama bilden. Und wenn er drei Jahre vor dem Beginn des Wallenstein diese Stze niederschrieb, so erkennt man nunmehr, warum er gerade aus dem von ihm beherrschten Gebiete des 17 Jahrhunderts diesen Menschen nahm. Neben ihm hat ihn dann auch Gustav Adolf beschftigt; aber das dmonische des Machtwillens drckt sich doch noch furchtbarer und pathetischer in der Figur des Wallenstein aus. So hat er in ihm schlechthin das grçsste Object des Drama zum Gegenstand genommen, nach seinem Begriff und nach dem jeder echten Poetik, nur dass man das Verhltniss des grossen Willens zum moralischen Process doch wohl noch positiver fassen muss als Schiller that; denn dieser Wille, welcher sich selbst
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dem Tod zum Trotz durchsetzt, in seiner Folgerichtigkeit und Constanz unerschtterlich ist von jedem Schicksal und in den grossen Inhalten der Welt und der Historie lebt, ist selbst ein mchtiger Teil jeder moralischen Action: Solchen Willen hervorzubringen, solche Herrscherpersonen mçglich zu machen, dazu ist zu einem grossen Teil alle Historie da. Nun aber wurde Schiller durch eine angeborene historische Genialitt, nach welcher er alle Dichter unsres Volkes berragt, darauf gefhrt, dass ein solcher dmonischer Wille, als welcher mit den grossen Objecten der Herrschaft und Freiheit zu thun hat, sonach von den grossen Inhalten erfllt ist, auch nur in seinem Zusammenhang mit der geschichtlichen Inhaltlichkeit verstanden werden kann, auf welche sich sein Wirken grndet. Ruhte doch die Grçsse seines eignen Wesens eben darauf, dass er immer in der Hingabe an grosse allgemeine Zwecke das Glck seines Lebens gefunden hat. So war in ihm ein angebornes, instinctives naturstarkes Verhltniss zu der geschichtlichen Welt. Welch’ ein Gegensatz zwischen ihm und Gçthe, dessen Natur auch in allem Erfassen von Inhalten schliesslich nur der Erweiterung des eigenen Daseins dabei froh wurde, und eben in diesem gesteigerten persçnlichen Bewusstsein sein Glck fand. Das ist der Gegensatz, der dann zwischen den beiden grçssten deutschen Dramen, dem Wallenstein und dem Faust besteht. So musste Schiller sich die Aufgabe stellen, von den grossen geschichtlichen Potenzen welche die Lage des Helden bilden, bis zu dessen geschichtlicher Seelenverfassung und seinem Schicksal, genau, bestimmt, folgerichtig, lckenlos vorwrts zu schreiten. Nach dieser Seite hin haben alle Stcke vor dem Wallenstein verglichen mit ihm etwas zusammenhangsloses, geschichtlich unbestimmtes in den Motiven historisch Kindliches. Schiller schreibt allein und er zuerst wie ein grosser historischer Kopf, der zugleich ein echter Dichter ist. Sicher bleibt er in der poetischen Gestaltungskraft, in der Macht der Phantasie weit zurck hinter Shakespeare. Die Abhngigkeit der Zeit von den Kriegen, seine idealistische sthetische Theorie hemmten vielfach die reife Durchfhrung seiner grossen Conception des historischen Drama, aber vieles von dem, was man an diesem Werke ausgesetzt hat, stellt sich doch als ein blosses Missverstndniss der Leser und auch der Schauspieler dar. Man kann sagen, dass auch niemals Wallenstein so aufgefhrt worden ist, wie Schiller ihn intentioniert hat. Wir werden sehen, dass die Breite seines Temperaments, in der alles menschliche anklingt, von dem Dichter eben als Geheimniss seines Zaubers gedacht ist. Nicht aber ist die Meinung dass in diesen weichen menschlichen Worten Wallenstein seine wirkliche Seelenstimmung aussprche. Er scheint sich Max ohne Rest, hinzugeben und findet er schon den Gedanken lcherlich, seine Tochter ihm zu geben. Das Ineinandergreifen dieses allgemein menschlichen und des historischen
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Sehens und Gestaltens in dem großen historischen Drama ist durch Zeitalter Dichter . . . Stoff verschieden. Das aber entspringt nun aus dieser großen humanistischen Epoche daß das Menschliche in seiner lebendigen Totalitt stets als die Grundlage aller geschichtlichen Bedingtheit gefhlt wird. Wie die historische Singularitt mit dem allgemein Menschlichen in einem großen Charakter zusammenhngt, haben Goethe Schiller Kleist stets darzustellen gesucht. Und so mchtig ist dieser humanistische Grundzug in Schiller daß er menschliche Idealitt, in irgend einer Form seinem historischen Gemlde einzuweben sucht. In Max und Thekla ist gleichsam der Maßstab des Ideals fr die Beurtheilung der handelnden Personen gegeben, und ihre Gesprche und Handlungen sind so geleitet daß sie einen solchen Maßstab enthalten. Die Handlung verluft in dem Gegensatz der großen geschichtlichen Potenzen der katholisch çsterreichisch bairisch jesuitischen Politik und der Politik Gustav Adolphs und der protestantischen Frsten. Whrend aber in Karlos (wie auch in den Rubern und Kabale und Liebe auf allgemein menschlichem Gebiet), Maria Stuart Tell dieser große Gegensatz in verschiedenen Formen das Thema des Drama selber bildet, ist er hier nur der Hintergrund desselben. Nur leise klingt der Kontrast des schweren Gewissensernstes in dem schwedischen Unterhndler zu der jesuitischen Scrupellosigkeit der çsterreichischen Politiker an. Nichts von dem was ihm sonst so nahe lag eingemischt. Der Kampf den hier Wallenstein fhrt geht um die Herschaft. Und das Werkzeug desselben ist berall die Armee. Es ist erstaunlich wie Schiller sich in den soldatischen Geist einzuleben wußte. Die Grundlage der Erklrung von Wallensteins „Verbrechen“ ist daher die Darstellung dieser Armee, nach ihrer Stellung zu Wallenstein, zu sterreich. So begegnet zunchst sein „Schattenbild“ in ihr, „Sein Lager nur erklret sein Verbrechen.“ Piccolomini I 4: Max: Wir haben des schçnen Lebens Kste nur wie ein umirrend Rubervolk befahren. Die Lage. Piccolomini I 3 Questenberg: Der Reichsfeind an den Grnzen Meister des Donaustroms, Innen Aufruhr, die Stnde schwierig. Und nun die Armee vom Kaiser losgerissen, „ein furchtbar Werkzeug – dem Verwegensten der Menschen blind gehorchend hingegeben.“ Die Fhrer der Armeen erhalten in dieser Lage, die der lange Krieg herbeifhrte, Selbstndigkeit. Sie streben danach, Reichsfrsten zu werden. Piccolomini IV 4: so die Schweden der Prinz von Weimar will sich am Main ein Frstenthum grnden. Der Mansfeld und der Halberstdter wrden bei lngrem
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Leben das auch gethan haben. Unter ihnen ist Wallenstein durch sein Heer der mchtigste. Sein Plan ist selbstndig den Frieden herbeizufhren, und dafr will er als Herscher von Bçhmen unter den Reichsfrsten sitzen. Er hat sich schon in Besitz desselben gesetzt. Er vertrgt die Glaubenstyrannei von Wien und den Jesuiten nur schwer. II 6 Die Stimmung des Heeres ist nun daß er ihm wirklich Oberhaupt ist. Er selbst hat durch seinen Vertrag mit dem Kaiser und seine durch diesen ermçglichten Maßregeln diesen Zustand herbeigefhrt. Das Heer ist sein Werkzeug. Indem er nun so etc., wird er zu selbstndigem politischem Handeln vorwrts gedrngt. Hier greift die Kriegsfhrung jener Tage ein, die sich in ihm verkçrpert. Sie kann nicht losgelçst werden von den politischen Operationen. Und die Verhandlungen mit Sachsen und Schweden mssen ihn dem kaiserlichen Hof verdchtig machen. Dieser kaiserliche Hof und Regierung seinerseits (Piccolomini I 3) zeigt sich zu subaltern, mit dem Recht der angebornen Genialitt rechnen zu kçnnen. „Der seltne Mann braucht seltenes Vertrauen.“ Es schreckt sie Alles was eine Tiefe hat. Das Spiel des Pater Lamormain, der Spanier und Baiern hinter der Bhne kommt dazu. Der Neid der Hçflinge. Die Auslegungen seiner Handlungen durch die die selbst nichts leisten. Das Werkzeug des Hofs ist Piccolomini. Der Hof kann nur durch Schleichwege sein Ziel erreichen. Und Piccolomini ist die Person fr diese. Ein Italiener bei dessen „Staatskunst“ man sogleich an Machiavelli denken muß. (Piccolomini V, 3). Sein heimliches Spiel gegenber seinem Sohn macht ihn kinderlos. Einige auf das Landeswohl bezgliche Erwgungen (Piccolomini I 1) erscheinen schliesslich doch nur fiscalischer Natur. Die Armee fhlt ihren Gegensatz gegen den Hof, welcher den Krieg erregt, und ihr den Sold vorenthlt. Sie fhlt auch den Gegensatz gegen die geistlichen Hintermnner der Regierung. Indem nun dieser Hof . . . dieser Mann zusammentreffen entsteht folgende Lage. Der Hof wnscht ihn aus der Fhrung zu verdrngen. Die Armee die Wallenstein geschaffen will er nun, nachdem diese Gustav Ad[olf] besiegt und seinen Tod herbeigefhrt hat, aus ihrer Fhrung verdrngen. Er frchtet Wallenstein. Gerade darum kann er nur heimlich und auf Schleichwegen procediren. Und zwar muss Wallenstein aus Bçhmen entfernt, seine Armee muss verringert werden. Dabei ist im Hintergrund, aber Wallenstein sogleich am Beginn des Stckes und der Handlungen bekannt daß man Ferdinand, den jungen Kçnig von Ungarn „des Kaisers Sçhnlein“ ihm zum Nachfolger bestimmt hat (Piccolomini I 5). Er soll durch diesen Prinzen, der bei dem Heer er-
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scheint, allmhlich verdrngt werden. Die Anklagen gegen ihn, durch welche man diese Eingriffe rechtfertigt, sind die Preisgebung Regensburgs, die Freigebung des gefangenen Matthias Thurn, das berflssige Verweilen in Bçhmen und die Schonung Sachsens (Piccolomini II, 7.). Der heimlichen Verhandlungen mit Schweden und Sachsen wird keine Erwhnung gethan, weil Wallenstein sie ableugnen konnte, da er nichts schriftliches an Schweden oder Sachsen abgab. Sonach sendet der Hof nunmehr Questenberg mit folgenden Bedingungen: 1) Bedingungen des Hofs an Wallenstein. a) Vor Ostern soll Regensburg „vom Feind gesubert sein“ b) er soll 8 Regimenter dem Infanten abtreten der mit spanischen Truppen durch Deutschland nach den Niederlanden zieht. 2) Die eventuelle chtung Wallensteins und bergang des Comando an Octavio Piccolomini, falls Wallenstein dem Kaiser nicht gehorcht. Dem entspricht Piccolomini II 1 der Eindruck der Herzogin in Wien: feierliche Fçrmlichkeit am Hofe – Schweigen – wie Wallenstein sagt: „Die Sonnen also scheinen uns nicht mehr.“ Spanien und Baiern klagen ihn an. Sein schnelles Glck hat ihn dem Haß der Menschen blosgestellt.
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Die Mçglichkeiten, welche vor Wallenstein liegen. Wallenstein kann nun in dieser Lage entweder dem Hof zuvor kommen, seine Stelle niederlegen, seine Aussichten auf Bçhmen zunchst aufgeben und sich auf seine Gter zurckziehn. Die Grfin Terzky (Tod I, 7) zeigt ihn sich selbst in einer solchen Lage: er wird jagen, bauen etc. Oder er stellt sich ausschliesslich auf das Heer. Dieses wrde eine solche Position acceptieren; er wrde dann also weder abdanken, noch [auf] die Bedingungen des Kaisers eingehn. Das wre nun dann die Aufgabe so in einer Art von Neutralitt und Selbstndigkeit sich zu halten. Oder endlich er verbindet sich mit den Schweden. Die erste dieser Mçglichkeiten ist durch die Herrschernatur Wallensteins ausgeschlossen. „Wenn ich nicht wirke mehr, bin ich vernichtet.“ (Tod I. 7). ber die zweite Mçglichkeit finde ich in dem Stck keine Auseinandersetzung; immer wieder wird betont, dass dem Geist der Armee dies entsprechen wrde und in ihr kein Hinderniss liegt; das Hinderniss muss so nach in den politischen Bedingungen liegen, unter denen Wallenstein und diese Armee steht. Erwgt man wie lange sie auf Sold wartet, so wrde der Versuch, den Krieg durch den Krieg zu nhren, alle Reichsstnde gegen Wallenstein aufgebracht haben. Und wenn diese neutrale Armee sich nur die Aufgabe stellen konnte, den Frieden zu erzwingen, so musste die Lçsung dieser Aufgabe die Armee berflssig machen. Damit aber war die Basis der Macht Wallensteins
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aufgehoben. So ward er der dritten Mçglichkeit entgegengedrngt als welche ihm allein ein Leben nach seiner Natur mçglich machen konnte. Seine Entschließungen. 5
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Die Entschließung, welche zwischen diesen Mçglichkeiten whlt, der folgerichtige Zusammenhang in welchem Wallenstein zu der dritten Mçglichkeit gedrngt wird und aus ihr folgend die blutige Katastrophe: das ist der Gegenstand des großen Drama. Sonach finden wir schon im ersten Akte des Stcks, gleich bei seinem ersten Auftreten, nach dem Gesprch mit der eben angekommenen Herzogin, deren Erzhlung mit all seinen Berichten bereinstimmt, ihn einem Entschluß entgegen gedrngt (Piccolomini I 2) „o sie zwingen mich, sie stoßen gewaltsam, wider meinen Willen mich hinein.“ Er sagt zu sich selber (Piccolomini I 5) als Schluß aus der Lage: „Drum keine Zeit verloren“. Aber er entschließt sich zunchst nur zu einem ersten Schritt, der die erste Mçglichkeit ausschließt und ihm zwischen den beiden andern noch die Wahl offen lßt. Das ist ja die große Aktion in den Piccolomini daß er sich dem Heer gegenber zum Bleiben verpflichtet und dessen Verpflichtung bei ihm Stand zu halten erhlt. Warum er nun so vorschreitet . . . von da ab weiter das folgt aus seinem Charakter, zusammengenommen die dargestellte Lage. Dieser muß nun also ins Auge gefaßt werden. Der Character Wallensteins.
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In dieser Lage tritt uns nun, lange vorbereitet, erst am Beginn des zweiten Actes der Piccolomini Wallenstein selbst gegenber. Sein Schattenbild war immer gegenwrtig, der Zuschauer erwartete ihn bestndig. Schon diese lange Erwartung, dass er immer gegenwrtig war in seinen Wirkungen und nun endlich in „lebender Gestalt“ dem Zuschauer gegenber tritt, muss die Wirkung ausserordentlich steigern. Dmonischer Machtwille und ungeheures schçpferisches Vermçgen: so erschien er in seinem Wirken. Seni’s astrologische Manipulationen gehen vor ihm her, Geheimniss umgiebt ihn, die Haupteindrcke, die er hervorrufen soll, sind so ihm voraufgehend. Es ist der Moment, in welchem er nach langem Zçgern die erste Entscheidung zu treffen gençtigt ist. Von diesem Moment bis zu seiner Ermordung ist nur noch eine kurze Spanne Zeit. Die innere Notwendigkeit, welche zu seinem Entschluss fhrt und seinen Untergang herbeifhrt, wird also nicht in den Momenten ihrer Entstehung entwickelt, sondern sein Character kommt analytisch zur Darstellung. In den Gesprchen und Handlungen wird derselbe gleichsam rckwrts aufgewickelt
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und zwar so, dass in einer wunderbar poetischen Wendung die Bilder seiner Jugend unmittelbar vor seinem Tode auftauchen. Insbesondere wird durch die Eindrcke andrer Personen ber ihn ein immer tieferes Verstndnis seines Characters herbeigefhrt. Es ist eine nie dagewesene Kunst, mit welcher all die Thatsachen und Zusammenhnge, deren es zum Verstndniss dieser Notwendigkeit bedarf, zufllig, ganz natrlich, nacheinander hervortreten, und nur wer dies D\’etail so als Meister beherrschte, war einer solchen Leistung fhig. Man vergleiche, wie viel von einer historisch politischen Lage und ihrem Zusammenhang mit den Beweggrnden eines Helden in irgend einem Stcke Shakespeares vorkommt, mit dem, was Schiller dem Zuschauer so ohne alle Pedanterie, so ganz natrlich zum Verstndniss an die Hand zu geben weiss, welch’ ein Unterschied! Wallenstein ist ein historischer Character. Ich verstehe unter einem solchen eine Verbindung von Eigenschaften, welche durch eine geschichtliche Lage bedingt ist und nur aus ihr verstndlich wird. Und hier habe ich mich mit der gewçhnlichen Auffassung dieses Characters auseinanderzusetzen. Es ist die Regel, dass Wallensteins zçgerndes, tastendes Vorgehen als usserung eines schwankenden Characters aufgefasst wird. Man kann Schiller nicht grndlicher missverstehen. Eben aus den Quellen selbst entstand ihm dies Bild des Mançvrierens, Tastens, des Anknpfens von Fden, die er das Bewusstsein hat immer wieder fallen lassen zu kçnnen; des Zauderns und Passens auf den Moment. Eben diese Eigenschaften sind bezeichnend fr die ganze Kriegskunst der damaligen Zeit und bertragen sich ebenso auf die politische Technik derselben. Es ist in diesem grossen 17. Jahrhundert etwas Rechnendes, eine Art von mathematischer Verfassung, des militrischen und politischen Geistes, wie das der Epoche der mathematischen Naturwissenschaft entspricht. Ein grosser Rechenknstler war der Frst Von jeher; Alles wusst er zu berechnen, Die Menschen wusst er, gleich des Brettspiels Steinen Nach seinem Zweck zu setzen und zu schieben.
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Dasselbe Verfahren wendet er auf dem politischen Gebiet an; so im Zusammentreffen mit Gustav Adolf. Vergebens lockt man ihn zur Schlacht; er grbt Sich tief und tiefer nur im Lager ein, Als glt es, hier ein ewig Haus zu grnden. Verzweifelnd endlich will der Kçnig strmen; Zur Schlachtbank reisst er seine Vçlker hin.
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So ist nun die Verbindung dieses kçniglichen Machtwillens und Organisationsvermçgens mit solchem Mançvrieren, Zaudern, anspinnen und fallen lassen schon historisch bedingt durch den rechnenden Geist des Jahrhunderts. Eine weitere in noch strengerem Sinne historische Verbindung von Zgen ist die Verknpfung dieses ungeheuren rechnenden Vermçgens mit astrologischem Glauben. Wie durch einen unterirdischen Gang, welchen die Geschichte gegraben hat, sind durch den mathematischen Character der Zeit und die auf ihn gegrndete Herrschaft der Astronomie, das aber doch noch in einem Zeitalter, das seelische Krfte in den Gestirnen annahm, politisch militrische Genialitt und astrologischer Glaube in eine mçgliche Verbindung getreten. In keiner anderen Zeit und beinahe in keinem anderen Lande war diese Verbindung mçglich, als in zeitlicher und çrtlicher Nhe Keppler’s. Dieser grçsste deutsche Zeitgenoss Wallensteins, dessen Eroberungen in den Regionen des Himmels lagen, ein Hofastrolog, verband ebenfalls mit berragender rechnender Genialitt Astronomie, Glaube an die seelischen Mchte in den Gestirnen und darauf gegrndet astrologischen Aberglauben. – Schiller packt auch hier den Zusammenhang in seiner letzten Tiefe, in welchem das Kçnigliche in diesem Aberglauben, das Naturphilosophische und das Mathematische verbunden ist. Die Geisterleiter, die aus dieser Welt des Staubes Bis in die Sternenwelt, mit tausend Sprossen Hinauf sich baut, an der die himmlischen Gewalten wirkend auf und nieder wandeln. Die Kreise in den Kreisen, die sich eng Und enger ziehn, um die centralsche Sonne Die sieht das Aug’ nur, das entsiegelte Der hellgebornen heitern Joviskinder. Piccolomini III 4 und schließlich knpft Schiller mit tiefstem Bewustsein, wie es aus der Anwendung seiner Transs[zendental]philosophie auf diesen Glauben entspringt, denselben an das Bewustsein der Alllebendigkeit der Natur und ihres universalen Zusammenhangs in welchem Max und Thekla auch ihre seelische Einheit gegrndet finden. „Es ist ein holder“ etc. Aus diesen Zgen ergiebt sich nun, gleichsam die Objektivitt des rechnenden Kopfes welchem auch die Menschen nur Ziffern in seinem Calcl sind. „Die Menschen wußt’ er gleich des Brettspiels Steinen nach seinem Zweck zu setzen und zu schieben.“ Immer geringer denkt der große Realist im Lauf der Zeit von den Menschen. „Der Mensch ist ein nachahmendes Geschçpf, und, wer der Vorderste ist, fhrt die Herde.“ (Tod III 4). Sie werden ihm unter die-
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sem Gesichtspunkt Mittel zu seinen Zwecken, ja er gelangt dazu sie durch ihre Schwchen an seinen Fden leiten zu wollen, er scheut selbst Hinterlist nicht, sie in seine Hand zu bekommen. Woraus dann im Widerspruch zu der Breite seines Temperaments eine besondre Unbegreiflichkeit seiner Natur sich ergiebt. Die Menschen sind ihm feste Grçßen. Er bezeichnet sie in seinem Calcl in einer festen Weise. Er sollte sich sowol in Piccolomini als in Butler, selbst in seiner nchsten Umgebung verrechnen. Der letzte hiermit zusammenhngende Zug ist seine religiçse Indifferenz (Tod IV 2). Der große Realist, welcher ber dem Schachbrett der europischen Politik sitzt betrachtet auch die religiçsen Krfte nur als Faktoren in seiner Rechnung. Er ist als Jngling, nach seinem Sturz aus dem Fenster, zum Katholicismus bergetreten. Nicht daß er nun religiçs oder philosophisch ber die religiçsen Gegenstze sich erhoben htte. Als praktischer Politiker nimmt er sie als Krfte unter anderen Krften, und so sind sie etwas außer ihm. Ich hasse Die Jesuiten – Lgs an mir, sie wren lngst Aus Reiches Grnzen – Meßbuch oder Bibel! Mir ists All Eins – Ich habs der Welt bewiesen – In Glogau hab ich selber eine Kirche Den Evangelischen erbauen lassen. Der Realist, welcher die Menschen an ihren Schwchen zu fassen gewohnt ist um sie zu beherschen, der gewaltige Heerfhrer, der zwischen den religiçsen Partheien sich einen Weg suchen mçchte, hat auch die Confessionen als Krfte außer sich, er selbst nur Machtwille und ungeheurer Verstand, sie zu beherschen. Sein Glaube ist das Geschçpf seines Machtwillens. Zumal seit dem Regensburger Reichstag ist es der Zusammenhang der menschlichen Schicksale mit den Gestirnen. Vor seiner Ermordung – wer gedchte nicht des Faust! – umgiebt ihn etwas Gespenstiges, Luft voll von Ahnung. – Sein Stern hat sich verdunkelt – der Jupiter.
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Mir ducht wenn ich ihn she wr mir wohl. Es ist der Stern der meinem Leben strahlt, Und wunderbar oft strkte mich sein Anblick. Es ist etwas Kçnigliches in seinem Glauben. Er fhlt sich als durch die Constellation seiner Geburt mit Jupiter verbunden, ber die erhoben, die „nur in der Erde finster whlen.“ Zu diesem kçniglichen Glauben gehçrt auch:
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Schiller.
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Wie sich der Sonne Scheinbild in dem Dunstkreis Malt eh sie kommt, so schreiten auch den großen Geschicken ihre Geister schon voran. Es machte mir stets eigene Gedanken, Was man vom Tod des vierten Heinrich liest. Der Kçnig fhlte das Gespenst des Messers Lang vorher in der Brust, eh sich der Mçrder Ravaillac damit waffnete. Das Wirken der geschichtlichen Umstnde, unter denen er wirkt auf diesen Charakter. Sein Plan. Dies ist die Verbindung von Zgen, welche nach Schiller den geschichtlichen Charakter des Wallenstein machen. Indem derselbe nun aber an einem bestimmten Punkte der geschichtlichen Welt in Aktion tritt, empfngt Wallenstein eine planvoll wirkende Inhaltlichkeit des Wesens und Wirkens, welche wir in der Regel mit dem Charakter eines Menschen ungesondert zusammen vorstellen, die aber doch noch etwas auch von seinen i n h a l t l i c h e n Z g e n wie religiçse Indifferenz, gesondertes ist, da es als sein Plan, sein planmßiges Wirken außer ihm heraustritt. Dieser Charakter hat sich gleichsam objektivirt in der Armee, welche er dem Kaiser geschaffen hat und die er beherscht. Daher die Darstellung dieses Heeres die Grundlage bildet. Wie sich in diesem Heer sein Charakter ausdrckt, so bestimmt diese Herschermacht auch wieder seinen Charakter. Diese beinahe schrankenlose Macht muß ungeheure Plne in einem solchen Geiste hervorrufen. Diese Plne waren zugleich in bereinstimmung mit den Intentionen aller großen Heerfhrer der Zeit. Unter den großen Heerfhrern der Zeit ist er von den Deutschen der Gewaltigste. Wie die Condottiere Italiens, wie die Fhrer der Armeen auf deutschem Boden theilweise denkt er daran ein Frstenthum zu erlangen. Er will unter den Reichsstnden sitzen. Er will Bçhmen behalten. Um so mehr wird er hierzu angetrieben als sein Vertrag mit dem Kaiser ihm eine unumschrnkte Vollmacht verliehen hat. Diese Plne fr ihn selbst nçthigen ihn nun dazu, seine Armee selbstndig zu behaupten und in den Operationen derselben seine eigenen Interessen zu verfolgen. In der Weise, in welcher er das that macht der Regensburger Reichstag einen Einschnitt. Zugleich brachte derselbe in seinem Verhltniß zum Kaiser, von welchem doch seine Lebenshaltung abhing, und sonach in seiner Seelenverfassung selber eine durchgreifende Vernderung hervor.
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Vor diesem Reichstag sah er sich als den Heerfhrer des Kaisers an, der mit seinem Heer ber die Reichsstnde hinwegschritt, jedes deutsche Land sich kraft dieser Stellung preisgegeben ansah: nur den Kaiser und sich als dessen Heerfhrer strebte er zu erheben: (Tod I 7): „Du hattest jeden Stand im Reich beleidigt“ etc. Im Namen des Kaisers hatte er so gewirtschaftet, „dem Thron zu dienen auf des Reiches Kosten“ Piccolomini II 7. Auf dem Regensburger Frstentag Da brach es auf! Da lag es kund und offen aus welchem Beutel etc. Piccolomini II 7. Zugleich mußte der Regensburger Tag seine innere Entwicklung bestimmen. Tod III 3 „Seit dem Unglckstag von Regensburg ist ein unsteter etc. argwçhnisch finster – dunkle Knste“. Sein Plan, als Frst unter den Reichsstnden muß nun unter anderen Umstnden verwirklicht werden. Das innere Verhltni[s] zum Kaiser ist zerstçrt. Beziehungen zu Sachsen und Schweden sind whrend seines Weilens in Bçhmen eifrig gepflegt worden. Wie seine Tochter ihn (mit 50 Jahren!) unverndert findet, wie er sich Gordon gegenber jugendlich fhlt, so sind auch seine Plne dieselben geblieben, nur ihre Dimensionen wachsen. Er will in seinem Heer eine Macht etabliren, welche selbstndig zwischen den kmpfenden Monarchien steht und den Frieden herbeifhrt. Als Reichsstand will er die Interessen des Reiches durch die Herbeifhrung eines ihm entsprechenden Friedens wahren; und so als ein verdientes Glied des Reichs unter den Reichsstnden sitzen. (Piccolomini I 4 Schluß:): „an Europas großem Besten liegt ihm mehr als an ein paar Hufen Landes die sterreich mehr hat oder weniger.“ „Darum schont er die Sachsen und sucht beim Feind Vertrauen zu erwecken“. Piccolomini II 5 „Das Reich soll mich als seinen Schirmer ehren ja reichsfrstlich mich erweisend, will ich wrdig mich bei des Reiches Frsten niedersetzen.“ Daher soll keine fremde Macht im Reich Wurzel fassen. Am wenigsten die Schweden. Er haßt sie im Grund so gut als sterreich. Sie sollen aus dem Reiche. Piccolomini V 1: Er will mithin dem Reich Frieden schenken, und zwar will er ihn dem Kaiser aufzwingen. Er mçchte auftreten als „Friedensfrst“ (Tod V 1): Sein eigenes Ziel, Reichsfrst und Regent von Bçhmen zu werden, verbindet sich hiermit untrennbar. Nur als Reichsfrst hat er dies Reichsinteresse, und dieses Interesse ist es das ihm diese Stellungsnahme ntzlich macht. Es wre unmçglich seine Plne und die allgemeinen zu trennen. Seine Tochter will er frstlich vermhlen. Er glaubt wol einen Moment daß er nur ihr zu Liebe sein Ziel sich gesetzt habe. Seine breite Menschlichkeit und sein Machtwille sind in jedem Moment miteinander verbunden. Noch als er zu den Schweden berzugehen im Begriff ist, empfindet er tief, welches Unglck er ber den vaterlndischen Boden heraufrufe. Darin liegt nun aber die Schwche dieser Position daß er ein Heer, das er im Namen des Kaisers leitet gegen ihn benutzen will. Und sucht er nun in den
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Schweden einen Sttzpunkt so sind auch diese von ihrem Interesse geleitet und es erscheint cimrisch, sie zu benutzen und um ihren Vortheil sie zu bringen. Seine Schuld. 5
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Indem seine Politik all die Fden zusammenhielt, deren sie hiernach bedurfte, indem er Bçhmen festhielt, mit Sachsen und Schweden unterhandelte, seinem Hass gegen Bayern als den persçnlichen Feind nachgab, seine militrischen Operationen hiervon leiten liess, rief dies alles den Verdacht des Kaisers wach, seine persçnlichen Feinde schlossen sich gegen ihn zusammen, der Kaiser betrachtete seine Verbindlichkeit gegen ihn als aufgehoben, und so fasste er die Entschlsse, welche seine Entfernung herbeifhren sollten. Damit entstand die Lage, die wir geschildert haben, und mit welcher das eigentliche Stck beginnt. Der nchste und nothwendige Schritt den nun Wallenstein sofort thut ist der Vollzug der Verpflichtung der Fhrer der Armee gegen ihn. Seine Umgebung, Illo, die Terzky’s, im Einverstndniß mit Oxenstierna und Arnheim, wollen daß er sogleich, unter der Gunst des Moments die Verhandlungen mit jenen zum Abschluß bringe. Es ist geschichtlich daß Wallenstein auf die gnstige Sternconstellation wartete(?). Wallenstein ist entschlossen sich nicht absetzen zu lassen, aber er wartet im brigen. Hier ist undurchdringlich, ob er blos um dieser Constellation der Gestirne willen diesen Moment versumt, in dem alle Hauptfhrer, erregt vom Plan der Absetzung um ihn versammelt sind, oder ob das Gefhl daß er das ußerste erwarten msse, ehe er zu der dritten Mçglichkeit greife, ihn bestimmt. Vielleicht weiß er es selbst nicht, welcher dieser Beweggrnde ihn regirt. (Piccolomini II 6). Der „Tod“ beginnt, Wallenstein mit Seni in Constellation vertieft, die Constellation auf die er wartete ist da, jetzt muß gehandelt werden etc (I, 1): in diesem Moment kommt die Nachricht daß sein Unterhndler Sesin ergriffen ist und sonach der Hof seine Beziehungen zu Sachsen und Schweden kennen wird. Wallenstein weiss jetzt (Tod I 3) „dass das Vertrauen nicht mehr herzustellen ist“, „ich werde ein Landsverrter ihnen sein und bleiben.“ Dies ist der erste der tragischen Momente, welche ihn in die dritte Mçglichkeit hinbertreiben. Diesen tragischen Zusammenhang verstrkt es nun aber, dass in der Welt Wallensteins auch ausser ihm berall gewissenlose Selbstsucht regiert. Daher denn nun aus diesem Zusammenwirken selbstschtiger Handlungen von hier ab die tragische Notwendigkeit immer zunimmt. (Tod III 18) „Unglcklich schwere Thaten sind geschehen, Und eine Frevelhandlung fasst die andre In enggeschlossner Kette grausend an.“
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Tragisch ist fr Schiller immer die grosse Combination von Schicksal, d. h. usseren Umstnden und Character, welche den Menschen seinem Verderben entgegentreiben. Prolog: „Die Kunst sieht den Menschen in des Lebens Drang und wltzt die grçssre Hlfte seiner Schuld den unglckseligen Gestirnen zu.“ Das ist das Menschliche seiner Auffassung im Unterschied von Shakespeare, bei welchem der Held durch die innere Gewalt einer abstracten Leidenschaft vorwrts getrieben wird. Aus den Umstnden, welche Schiller als Schicksal bezeichnet, entspringt inmitten einer grossen menschlichen Lebendigkeit Kraft der in ihr herrschenden Beweggrnde, eine Notwendigkeit (Tod III 10). „Wie? sollt’ ich’s nun im Ernst erfllen mssen, Weil ich zu frei gescherzt mit dem Gedanken? Verflucht wer mit dem Teufel spielt!“ Ein weiteres Moment liegt darin, dass diejenigen, welche er ganz zu leiten glaubt, in gemeiner Kurzsichtigkeit ihn selbst regieren. Aber eben in diesem entscheidenden Momente lsst er sich eben nicht von den Umstnden fhren. „Ich bin es nicht gewohnt, dass mich der Zufall blind waltend, finster herrschend, mit sich fhrt.“ (Piccolomini I 6). In dem grossen Monolog gelangen alle Momente seiner Lage zur Erwgung. Er hçrt Wrangel. Nur umso deutlicher wird ihm, dass er sich nicht wie jener kçnigliche Bourbon den Feinden seines Volkes verkaufen kann. Es ist ein Weib, die Grfin Terzky, deren berredungskunst das Elementare in seiner Natur, den Machtwillen und seine Consequenzen ihm zum vollen Bewusstsein bringt (Piccolomini I 7). „Eh mich die Welt mit jenen Elenden Verwechselt, die der Tag erschafft und strzt: Eh spreche Welt und Nachwelt meinen Namen Mit Abscheu und Friedland sei die Losung Fr jede fluchenswerte That.“ Ihm wird durch sie sein eigner harter Realismus, nach welchem Krfte in der Welt entscheiden, und die Natur seiner Relation zu sterreich, welche ebenfalls ausschliesslich durch die Beziehungen von Noth, Bedrfniss und Kraft bedingt gewesen sind, klar. Er vollzieht den Vertrag mit Wrangel:
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„Geschehe denn, was muss. Recht stets behlt das Schicksal, denn das Herz In uns ist sein gebietrischer Vollzieher.“ In dem Gesprch mit Max II 2 bringt er diesem gegenber diesen seinen realistischen Machtwillen als Rechtfertigung seines Handelns von Neuem zur
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Geltung. Er weiß daß dieser ihn regiert, und daß die Lage daher Vereinigung mit den Schweden fordert. II 2 Gte bei den Worten (). In den Sachen sie nicht. Hart im Raum etc. Der Kampf aller herscht (). Da seine Natur Zwecke in sich enthlt, gehçrt sie der Erde. Er handelt wie Csar: „Ich spre was in mir von seinem Geist.“ Die Peripetie ist hier. Wallenstein zeigt sich von diesem Moment ab, nachdem der Entschluss gefasst, als heroischer, kçniglicher, unerschtterlicher Machtwille. Aber das ihn umgebende Spiel der Krfte, Intriguen und Leidenschaften wendet sich nun Schritt fr Schritt gegen ihn. Eben in dieser Lage zeigt sich seine Grçsse. So verlassen, muss er den Rest seiner Armee hinberfhren zu den Schweden. Schluss von (Tod III 10) „Nacht muss es sein, wo Friedlands Sterne strahlen,“ „Notwendigkeit ist da.“ Er fhlt in sich das schaffende Vermçgen (13) eine neue dritte Armee zu bilden 15. „Ich fhl’s, dass ich der Mann des Schicksals bin.“ Er muß alle, die mit ihm verbunden waren, ins Verderben reissen. Das ist gerade das furchterregend Tragische, das nun als eine neue Seite seiner Natur hervortritt, dass er sein ganzes Haus wie das seines Gegners in seinen Sturz hinabzieht. Max prophezeite dem Octavio, Schluss der Piccolomini: „Dieser Kçnigliche, wenn er fllt, wird eine Welt im Sturze mit sich reissen.“ Wie ein Stern, der aus seinem Geleise tritt und sich brennend auf eine nchste Welt strzt, zerstçrt er alle, die auf ihm leben und wohnen. Wie er eine Welt geschaffen, so zerstçrt er eine solche. Immer zunehmend offenbart sich von der Peripetie ab nunmehr Schillers Bewusstsein von dem Sinn des Lebens, als welches schliesslich das hçchste ist, was die Tragçdie ausspricht. Schiller bezeichnet als Schicksal das Eingreifen der Umstnde in die seelische Lebendigkeit, durch welches diese Kraft ihrer Eigenart in eine bestimmte Richtung gençtigt wird. Die Lehre der Transcendentalphilosophie vereinigt sich in ihm mit der Schicksalslehre der Alten, aber nicht usserlich, sondern er erlebt tief und wahr den Zusammenhang der menschlichen Dinge. (Tod IV 8) Butler: „Nicht mein Hass macht mich zu seinem Mçrder.“ „Sein bçses Schicksal,“ „Es denkt der Mensch die freie That zu thun“ „Umstnde schaffen aus der eignen Wahl ihm furchtbare Notwendigkeit.“ Andrerseits, „Den Menschen macht sein Wille gross und klein und weil ich meinem treu bin, muss er sterben.“ Letzter Act, Scene 5, Wallenstein: „Htt’ ich vorher gewusst, was nun geschehen“ u. s. w. Blindheit der Menschen. Tod II, 7: Die verschiednen Ansichten, denen man Handlungen unterwerfen kann. Max zeigt seinem Vater, dass er von unseliger Falschheit geleitet wurde; dies ist eine mçgliche Ansicht der Sache. Und zwar ist wie bei Shakespeare der Tod nicht Folge der Schuld. Gerade Max und Thekla sterben frh im Vollgefhl eines reinen Glcks und sind darum nicht zu beklagen. Es ist derselbe Gedanke den Shakespere zur Geltung bringt nur hier bewußter philosophisch, von der Gebrech-
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lichkeit aller Idealitt und Schçnheit auf dieser Welt. Das kndigt sich in dem elegischen Lied Theklas an. Dann (Tod letzter Akt Szene 12): Was ist das Leben ohne Liebesglanz Ich werf es hin da sein Gehalt verschwunden und Schluß was ist das Schicksal? etc. D a s i s t d a s L o s d e s S c h ç n e n a u f der Erde. Dieser Satz spricht philosophisch das aus was realistisch: Antastbarkeit Zerbrechlichkeit, das Flchtige des Idealen auf dieser Welt. Schiller verstrkt das philosophische Bew[ußt]sein vom Sinn der Welt, indem er seine großen und idealen Personen ausstattet mit dem Vermçgen zu sagen was sie leiden, auszusprechen den Sinn dessen was ihnen Charakter und Schicksal bereiten. Shak[espeare] steigert die Phantasiemacht an Personen, Schiller und Goethe nach ihrem Zeitalter ihre menschliche (transs[zen]dentalphilosophische) Besonnenheit. Und hier mag von der Natur der Transscendentalphilosophie geredet werden. Sie ist Bew[ußt]sein des Menschen von sich und dem Leben aus hçchster sokratischer Besonnenheit auf einer hçheren Stufe. Ihr letzter Ausdruck ist die Philosophie der Selbstbesinnung und des Lebens in welcher auch der Poesie ihr Recht wird . An diese allgemeine Auffassung des Lebens schliesst sich nun aber auch hier die historische. Im Unterschied von Shakespeare hat Schiller ein geschichtliches Bewusstsein ber den Zusammenhang des Lebens. Dieses manifestiert sich in dem strengen Nachweis der Notwendigkeit, welche die Glieder der Handlung von den Bedingungen aufwrts verbindet. Wie aus den geschichtlichen Bedingungen die Charactere abgeleitet werden, so auch das Schicksal. Das Drama zeigt eine ganze geschichtliche Welt nach ihren causalen Beziehungen. So lehrt es uns die geschichtliche Welt verstehen, und zwar sind es grosse durchgreifende [gegen]stzliche Verhltnisse, welche sich in dieser Welt manifestieren. Dieses Drama ist nicht nur philosophischer als die Philosophie sondern auch historischer als die Geschichte. Ein solches grosses gesetzliches Verhltniss ist, dass es Helden giebt, welche fr sich und aus sich zum Schicksal fr eine ganze Welt werden. Ein anderes solches Verhltniss ist in der tragischen Ironie enthalten, nach welcher wir uns dann am sichersten dnken, wenn ber uns von anderen Hnden die Wrfel geworfen werden. Wieder ein anderes liegt in dem furchtbaren Contrast der Notwendigkeit sich zu entscheiden und der menschlichen Unwissenheit. Dies sind Zusammenhnge, welche in der Geschichte darum auftreten, weil sie ganz menschlich ist. Vielleicht ist nichts in Rankes Schriften ergreifender, als dass er solche Bezge zuweilen zu Worte kommen lsst, weil die sonst nur der Dichter ausspricht. Er war eben der Erbe unserer dichterischen Epoche.
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Homer und Shakespeare, Cervantes und Gçthe scheinen in ihrer anschaulichen Erkenntniß die Welt aufzufassen wie sie an sich ist; die Natur selber blickt aus ihren Augen, sie, welche mit einem allumfassenden Sinne, ohne Vorliebe und ohne Ausschließung, in einem Meere von Farben und Gestalten wirksam ist. Weit von ihnen ab stehen andere, welche die Welt wie durch ein brechendes und absorbirendes Medium erblicken; alle Dinge nehmen die Farbe ihres Gemths an. Gerade darum aber ist uns zu ihnen ein persçnlicheres, vertraulicheres Verhltniß mçglich. Denn jene großen objektiven Dichter haben wie die Kçnige keine Freunde. Novalis zeigt uns alle Dinge in einem ihm eigenen Lichte. Indem wir nur seinen Namen uns zurckrufen, so umfngt uns die Welt, wie sie ihm erschien, wie ein abendstilles Thal einen Wanderer, der mit den letzten Strahlen der Sonne vom Gebirge hinabsteigt: stille, warme Luft ringsum: in weißem, mattem Glanze steht an dem noch blulichen Himmel der Mond: traulich umschließen uns die Berge, aber sie engen uns nicht ein: kein Gedanke kommt uns daß jenseits ihrer Pfade nach unruhigen Stdten und Lndern laufen. Alles vereinigt sich zu diesem Eindruck, seine Denkart, sein Schicksal, die Verhltnisse in denen er lebte. Er war so fern von dem Lrm des Tages. Kein Bedrfniß, nichts Niedriges berhrte ihn so lange er lebte. Eben kaum gereift, erlebt er jene glcklichen Jenaer Tage, in denen die romantische Weltansicht in ihrer Blthe stand, in denen Friedrich und Wilhelm Schlegel, Ludwig Tieck und Schelling den Traum einer neuen Poesie und Philosophie trumten. Er prgt dem, was damals geschah, etwas von seiner vornehmen, tiefen Seele auf, bevor er das dreißigste Jahr erreicht hat stirbt er. Ueber seinem Andenken liegt ein Schimmer von Poesie, der auch aus allen Worten seiner Freunde glnzt so oft sie von ihm reden. Demgemß haftete an ihm von Anfang an ein ganz persçnliches Interesse. Und dieses war nicht der letzte Grund der Thatsache, daß seine Schriften die weitaus verbreitetsten und gelesensten aus der romantischen Schule sind. Zu diesem Interesse trat ein zweites an der besonderen Gestalt, welche das Christenthum in seinem Geiste annahm. Diesem Interesse entspricht es wenig, daß die Bruchstcke seiner Werke, wie sie die zwei Bnde seiner Schriften enthal-
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ten, in Rcksicht auf ihre Absicht und den ihnen zu Grunde liegenden Plan noch so gut als ununtersucht sind. Diese Untersuchung kçnnte wohl den Literarhistoriker reizen. Was mich auf Novalis fhrt ist die weiter greifende Hoffnung, an ihm einige der wichtigeren Motive der Weltansicht aufzuklren, welche in der auf Gçthe, Kant und Fichte folgenden Generation hervortritt. In einem nher zu bestimmenden Sinne kann man den umlaufenden Namen der Romantik fr diese Weltansicht in Anspruch nehmen. Falls man nicht vorzieht dem Mißbrauch der seit mehr als einem halben Jahrhundert mit diesem Namen getrieben worden ist, einmal dadurch ein grndliches Ende zu machen, daß man sich seiner entledigt. Hierbei fragt sich nun vor Allem, wie die Betrachtung eines einzelnen Mannes eine Einsicht in die allgemeinen Motive der intellektuellen Kultur seiner Generation erçffnen kçnne. Ganz unzhlig und grenzenlos sind die Bedingungen welche auf die intellektuelle Kultur einer Generation einwirken. Es sei gestattet dieselben in zwei Faktoren zu zerlegen. Zunchst tritt gewissermaßen der Besitzstand der intellektuellen Kultur hervor, wie er sich zu der Zeit vorfindet in welcher diese Generation sich ernsthaft zu bilden beginnt. Indem sich das heranwachsende Geschlecht des angesammelten geistigen Gehalts bemchtigt und von ihm aus fortzuschreiten sucht, befindet es sich dabei unter den Einflssen des zweiten der Faktoren, in welche wir die Bedingungen zerlegen: des umgebenden Lebens, thatschlicher Verhltnisse, gesellschaftlicher, politischer, unendlich vielartiger Zustnde. Durch diesen werden nun den Mçglichkeiten weiterer Fortschritte, die von jeder frheren Generation aus sich darbieten, bestimmte Grenzen gezogen. Hierbei ist aber die wahre Natur unseres Verfahrens mit den geschichtlichen Bedingungen hervorzuheben. Wir lassen nmlich den allergrçßten Theil derselben ganz außer Rechnung, und behandeln eine begrenzte Reihe, die wir aus ihnen ausheben, ohne Weiteres als die Totalitt derselben. Wenn wir also den Anspruch machen, sie durch unsere Analyse darzustellen, so kann schon aus diesem Grunde dieser Anspruch nur auf eine sehr approximative Richtigkeit gehen. Wir erklren nur aus den hervorragendsten Bedingungen. Aber wir erklren nicht durch sie allein. Die Bedingungen enthalten nicht den vollen Erklrungsgrund intellektueller Phnomene. Vielmehr ist das Verhltniß dieses, daß sich nur unter ihnen, das heißt unter ihrer Voraussetzung die Bildung einer Reihe von Individuen vollzieht, welche der geistigen Kultur einer Zeit ihren Charakter geben. Und hiermit scheinen wir nun ganz der Willkr der schaffenden Natur bergeben zu sein, aus deren rthselhaftem Schooße die Individuen in einer bestimmten Auswahl und Reihenfolge sich erheben. Oder lge hier doch in den Bedingungen eine Bestimmung? In bescheidenster Vorsicht kçnnen wir diese Bestimmung wenigstens in negativer
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Form hinstellen, als Grenze. Die Bedingungen schließen die Variabilitt dessen was sich bildet in bestimmte Grenzen ein. Welche Methode folgt nun hieraus fr das Studium der intellektuellen Kultur einer Epoche? Wir drfen hier nur andeuten. Ein hçchst fruchtbarer Begriff, ber den freilich eingehender zu reden wre, ist hier der der Generation. Der glcklichste Fall ist, wo eine solche Generation in so deutlicher Abgrenzung auftritt, daß es sich geradezu um ihr Studium handelt. In diesem Falle sind wir hier. A. W. Schlegel, Schleiermacher, Alexander v. Humboldt, Hegel, Novalis, Friedrich Schlegel, Hçlderlin, Wackenroder, Tieck, Fries, Schelling: sie alle zeigen in dem ersten Jahrzehnt ihres Auftretens in ihrem intellektuellen Charakter auf’s Schrfste die Wirksamkeit der Bedingungen, unter welchen sie gemeinsam erwachsen waren. Eine hçchst verderbliche Illusion findet sich nun bei denen, welche auf Grund eines so tiefgreifenden Einflusses der Bedingungen aus ihnen die geistige Kultur einer Generation ableiten zu kçnnen hoffen. Ich leite ab, indem ich aus der Verbindung der Ursachen eine Folge berechne. Dieses Verfahren ist der geschichtlichen Forschung schlechterdings verschlossen. Sie erklrt, d. h. sie geht umgekehrt von den Phnomenen aus. Sie ist demnach der hçchsten wissenschaftlichen Vollendung, welche sich im Stande zeigt aus den zusammenwirkenden Ursachen einen gewissen Umkreis von Phnomenen zu erklren, schlechterdings nicht fhig, auch nicht unter Voraussetzung der grçßten Steigerung ihres wissenschaftlichen Charakters. Was uns hierber so leicht tuschen kann, ist die Form der historischen Darstellung. Diese schreitet berall mit der Zeit vorwrts, ableitend, aus Ursachen Folgen entwickelnd, wo mçglich aus der Gesammtheit eines urschlichen Zustandes die des dadurch bedingten. Dies Verfahren ist sehr geschickt unsere Phantasie in die Stimmung zu versetzen, in welcher sie die historischen Ereignisse vor ihren Augen entstehen zu sehen glaubt. Die Wissenschaft muß erkennen, daß dies Verfahren auf einer Illusion beruht. Der Gang unserer historischen Forschung und strengen Erkenntniß ist dem viel hnlicher, welchen Hippel in einem knftigen Roman zu appliciren versprach: er wollte einmal rckwrts, immer tiefer in die Vergangenheit hinein, vom Tode der Geburt, von den Folgen den Ursachen entgegen seinen Weg nehmen. Demgemß kçnnen wir fr das Studium einer schwierigeren Epoche intellektueller Kultur nur in der wechselnden Betrachtung der Individuen und ihrer Bedingungen einerseits, des Complexes vorhandener Bedingungen und ihrer Folgen andererseits voranschreiten. Die glatte Darstellung ist nichts als eine Tuschung, wenn auch eine angenehme. Unter solchem Gesichtspunkt erscheint vielleicht die biographische Skizze die wir hier entwerfen nicht unntz fr das Studium der Generation, welcher Novalis angehçrt und die in Liebe und Haß uns noch immer beschftigt.
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Friedrich von Hardenberg ist im Jahre 1772 geboren, in einem Jahre mit Friedrich Schlegel; beide ein Jahr vor Wackenroder und Tieck, zwei Jahre nach Hçlderlin. Was ihn von diesen verwandten Naturen gleich von Anfang unterschied war, daß seine Verhltnisse ihn an die Welt knpften und ihn von jener rein literarischen Existenz zurckhielten, welche gerade damals und in diesen Kreisen sich in weiter Ausdehnung auszubreiten begann. Seine Lebensverhltnisse sind wie ein Nachklang der Gçthe’schen, nur in einer einfacheren und stilleren Sphre wiederkehrend. Dahin wirkte schon seine zarte kçrperliche Organisation. Sie hielt ihn zunchst dergestalt zurck, daß sein Geist erst mit seinem neunten Jahre wie aus einem Schlummer zu erwachen schien. Sie ließ ihn dann als er sich seiner selbst und seiner Umgebung bewußt zu werden begann, kampflos in dem Geiste einer heiteren Herrnhutischen Frçmmigkeit, der im Hause herrschte, sich ruhig fhlen. So wuchs er in dem anmuthigen Weißenfels auf, wo sein Vater im Oberbergcollegium saß. Ein Jahr brachte er dann bei einem Oheim, dem Landcomthur von Hardenberg zu, auf einem Gute im Braunschweig’schen, weit ber sein Alter hinaus in Verkehr mit bedeutenden Mnnern. Bilder eines festen, glcklichen, bedeutenden Lebens umgaben ihn berall. Es war selbstverstndlich, nach den patriarchalischen Gewohnheiten dieser in Thringen sitzenden Beamtenaristokratie, daß er sich irgend einem Fache der Verwaltung widmete, mit aller Muße fr seine persçnliche Ausbildung, mit der ruhigen Aussicht auf eine seinen Talenten und seinen Familienverbindungen entsprechende Stellung, wie das den Beamtenverhltnissen jener Tage einen solchen Reiz giebt, in denen man noch nicht an der unvermeidlichen Leiter bureaukratischer Carrire nebeneinander emporkletterte. Mit so klarer, geschlossener Aussicht auf das zuknftige Leben trat er 1790, achtzehn Jahre alt, in die leidenschaftliche Ghrung von Jena, das ein paar Meilen von seinem stillen Weißenfels ablag. Er sah sich zum ersten Male ohne Hofmeister und Fhrer. Ein paar Briefe an Schiller, Reinhold und dessen Frau sind vorhanden, die von seiner damaligen heiteren und unbefangenen Existenz den lebhaftesten Begriff geben. Er ergriff die Philosophie Kant’s wie sie Reinhold lehrte, die Dichtung Schiller’s mit voller Begeisterung. Die geistigen Vorzge dieser Kreise im Gegensatze gegen das provinzielle Beamtenthum, in welchem er bis dahin gelebt, ergreifen seinen lebhaften Geist. „Was die Geburt mir versagte, hat das Glck mir gegeben,“ schreibt er der Frau Professorin. „Ich vermisse in meinem Geburtskreise, was ich in einer fremden Mitte beisammen sehe. Ich fhle daß es nhere Verwandtschaften giebt als die das Blut knpft.“ Der Gedanke regte sich in ihm wie in so vielen Jnglingen, inmitten dieser begeisterten Bewegung sein ganzes Leben auf die Wissenschaften und die Poesie zu grnden. Er sprach mit Schiller darber. Soweit wir sehen kçn-
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nen, hat Schiller Niemanden zu einer schriftstellerischen Existenz ermuthigt der ihn um Rath anging. Ein unbndiger Drang hatte ihn selber wie andere Mnner von großem und leidenschaftlichem Naturell in Strme und auf unsichere Wellen getrieben. Aber mitten in seiner Jugendghrung hatte er schon mit ungemeinem Weltverstande die Bedrfnisse eines ruhigen, geordneten Daseins erwogen. Dieser Weltverstand erscheint jetzt, ganz im Gegensatz gegen die Gestalten seiner inneren Welt, in seinen Briefen als ruhige und beinahe scharfe Klte. Er bestimmte Novalis, seinem Wunsch zu entsagen. „Sie machten mich auf den mehr als alltglichen Zweck aufmerksam, den ein gesunder Kopf sich hier (in einem bestimmten zuknftigen Beruf) whlen kçnne und msse, und gaben mir damit den letzten entscheidenden Stoß, der wenigstens meinen Willen sogleich fest bestimmte und meiner herumirrenden Thtigkeit eine zu allen meinen Verhltnissen leicht bezogene und passende Richtung gab.“ Es scheint kaum ein ernsthafter Kampf gewesen zu sein, denn sein fgsamer, allen Contrasten und Kmpfen abgeneigter Geist erkannte sehr leicht, wie ein Ruf des Schicksals aus allen seinen Verhltnissen unverkennbar deutlich zu ihm spreche. Indeß scheint er diese zwei Jenaer Jahre in jener begeisterten, beinahe trunkenen Dmmerung der Seele durchlebt zu haben, welche uns spter wie ein Traum erscheint und in der doch allein die fruchtbaren Elemente eines idealen Lebensgehaltes sich bilden. Schiller, die Philosophen Reinhold und Schmid beherrschten ihn ganz. Dabei ist der Unterschied des Tones hçchst bemerkenswerth, in welchem etwa Hçlderlin und in welchem unser Hardenberg mit Schiller verkehrt. Gleich von vorn herein geschieht es auf einem unbefangenen Fuße. Er tritt auf und spricht, wie einer der schon festen Boden unter den Fßen fhlt. Wie glcklich ist doch zu preisen, wessen Leben auf dem begrenzten Schauplatz seiner Heimath verluft! Ueberall ergiebt sich ihm von selbst der natrlichste Standpunkt den Menschen gegenber. Die Qual von Verhltnissen, die rein auf intellektuelle Schtzung gegrndet sind, die Qual all’ der Schwankungen des Selbstgefhls, welche sie aufrufen, ist ihm erspart. Und ohne viel Suchen und Entbehren umfangen ihn die natrlichsten Verhltnisse: er wchst ihnen mit einem vorausahnenden Behagen entgegen. In solcher ruhigen Erwartung begab sich unser Hardenberg 1792 nach Leipzig, mit dem Entschluß dort nach einer gnzlich vernderten Lebensordnung zu leben. Da und in Wittenberg beschftigten ihn folgerichtige juristische, mathematische und chemische Studien, wie er ihrer fr seine knftige Stellung in der Verwaltung bedurfte. In Leipzig begegnete ihm auch der Erfinder der Naturphilosophie, der jugendliche Schelling, wie eine Vorbedeutung knftiger Zeiten. In Tennstdt, das ein paar Meilen westlich von Weißenfels, mitteninne zwi-
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schen Thringer Wald und Harz, in anmuthiger Gegend liegt, trat er dann in die kurschsische Verwaltung ein. Nach dem Wunsche des Vaters ward er dort von dem Freunde desselben, dem Kreisamtmann Just, in die Verwaltung eingefhrt. Wir verdanken diesem Manne den Abriß einer Biographie Hardenberg’s, in welchem sein eigner herzlicher und krftiger Charakter auf das einfachste und schçnste heraustritt. Es ist bemerkenswerth, wie er, man mçchte sagen mit Verehrung von Hardenberg’s Talent fr die Geschfte spricht. Auch hier tritt die ruhige Nachhaltigkeit desselben hervor; er scheut nicht, eine Arbeit zwei- dreimal umzugestalten, ganze Seiten von gleichbedeutenden oder abweichenden Wçrtern aufzuzeichnen, um Abwechselung und Prcision des Ausdrucks auch fr seine Geschftsaufstze in die Gewalt zu bekommen. Und mitten in Geschften begleiteten ihn dann wieder die alten wissenschaftlichen Lieblingsneigungen. So lebte er ruhig der Zukunft entgegen. Er fand spter, sein Verstand habe sich damals nach und nach immer unumschrnkter ausgedehnt und das Herz aus seinem Besitze verdrngt. Da geschah, daß eine zufllige Begegnung auf einer Geschftsreise mit dem alten Freunde das Alles plçtzlich umgestaltete und eine Empfindung in ihm wachrief, die danach – man kann beinahe sagen – der Inhalt seines ganzen Lebens wurde. Im Frhjahr 1795 sah er auf dem Tennstdt benachbarten Gute Grningen Sophie von Khn. Sie hatte dreizehn Jahre beschlossen; er selber zhlte dreiundzwanzig: ihr erster Anblick entschied fr sein ganzes Leben. „Alle diejenigen“ – erzhlt Tieck – „welche diese wunderbare Geliebte unseres Freundes gekannt haben, kommen darin berein, daß es keine Beschreibung ausdrcken kçnne, in welcher Grazie und himmlischen Anmuth sich dieses berirdische Wesen bewegt und welche Schçnheit sie umglnzt, welche Rhrung und Majestt sie umkleidet habe.“ Es ist, als ob auch Tieck sie schilderte wie sie in der Poesie seines Freundes lebt – Mathilde, Cyane, ja die ihm beinahe in der Gestalt der Himmels-Kçnigin vorschwebte. An diesem Punkte sind wir im Stande, in das innerste Verfahren von Hardenberg’s dichterischer Phantasie zu blicken. Blow hat eine Charakteristik Sophiens von Novalis selber mitgetheilt, und zwar aus der Zeit ihrer Krankheit; also so wie ihr Bild berhaupt zur Zeit ihres Lebens ihm vor der Seele stand. Diese Charakteristik zeigt die interessanteste, anmuthigste Natur, die man sich denken kann – aber sie ist voll von pikanten beinahe capriciçsen Zgen. Sie ist mit hçchster Aufrichtigkeit, fr seine eigene intimste Betrachtung gemacht. Die abgerissenen Worte geben ein unbertrefflich anschauliches Bild. „Ihre Frhreife. Sie wnscht Allen zu gefallen. Ihr Gehorsam und ihre Furcht vor dem Vater. Ihre Decenz und doch ihre unschuldige Treuherzigkeit. Ihr Steifsein und ihre Schmiegsamkeit gegen Leute, die sie einmal schtzt oder die sie frchtet. Artigkeit gegen Fremde. Wohlthtigkeit. Hang zum kindischen Spiel. Anhnglichkeit an Wei-
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ber. Geschftigkeit im Hause. Liebe zu ihren Geschwistern. Musikalisches Gehçr. Hang zu weiblichen Arbeiten. S i e w i l l n i c h t s s e i n . S i e i s t e t w a s . Sie macht nicht viel aus Poesie. Offenheit. Sie scheint noch nicht zum eigentlichen Reflectiren gekommen zu sein. Kam ich doch auch erst in einer gewissen Periode dazu. Ihr Betragen gegen mich. Ihr Schreck vor der Ehe. Ihr Tabak rauchen. Ihre Anhnglichkeit an die Mutter als Kind. Ihre Dreistigkeit gegen den Vater. Ihre Gespensterfurcht. Ihre Wirthschaftlichkeit. Talent nachzumachen. Sie ist mßig, wohlthtig. Sie ist irritabel, sensibel. Ihr Hang gebildet zu sein. Ihr Abscheu vor dem Vexiren. Ihre Achtsamkeit auf fremde Urtheile. Ihr Beobachtungsgeist. Kinderliebe. Ordnungsgeist. Herrschsucht. Ihre Sorgfalt und Passion fr das Schickliche. Sie will haben, daß ich berall gefalle. Sie hat es bel genommen, daß ich mich zu frh an die Eltern gewandt habe und es mir zu bald und zu allgemein merken lassen. Sie will sich nicht durch meine Liebe geniren lassen. Meine Liebe drckt sie oft. Sie ist kalt durchgehends. Ungeheure Verstellungsgabe, Verbergungsgabe der Weiber berhaupt. Sie glaubt an kein knftiges Leben, aber an die Seelenwanderung. Schlegel interessirt sie. Sie kann zu große Aufmerksamkeit nicht leiden und nimmt doch Vernachlssigung bel. Sie frchtet sich so sehr vor Spinnen und Musen. Sie will mich immer vergngt. Die Wunde soll ich nicht sehen. Sie lßt sich nicht dutzen. Sie denkt mehr ber Andere als ber sich nach.“ Man kann den anmuthigsten Capricekopf nicht anschaulicher sehn. Aber nachdem sie ihm genommen war, wuchsen diese halb kindlichen, ungleichmßigen Zge in seiner Seele gewissermaßen aus. Der Tod that hier was in Dante’s Phantasie schon die Entfernung vorbereitete. Sie wuchsen in seiner Seele aus zur vollen Idealitt einer reifen ausgeglichenen Natur. Vergleicht man nun aber die Charakteristik Mathildens mit dieser Schilderung: so sieht man wohl, wie seiner Phantasie eine energische concrete Gestaltungskraft abging. Alles ist nur in eine grenzenlose Innigkeit aufgelçst. Schleiermacher macht aus dieser Charakteristik Mathildens einen hçchst scharfsinnigen Schluß, so scharfsinnig, daß man ihn ohne diese Mittheilung, die er noch nicht besaß, fr ganz evident halten wrde. „Ich glaube nicht, daß er seine Geliebte richtig gewhlt oder vielmehr gefunden hatte, ich berzeuge mich fast, sie wrde ihm zu wenig gewesen sein, wenn sie ihm geblieben wre. Meinen Sie nicht auch, daß man dies aus seiner Mathilde schließen kann? Scheint Sie Ihnen nicht im Vergleich mit der Art wie alles Andere ausgestattet ist, etwas zu drftig fr den Geist? Und wrde er nicht eine andere haben schildern mssen, wenn ihm sein Gemth mit dem Bilde einer reicheren Weiblichkeit wre erfllt gewesen? Damit trçste ich mich wenigstens fr ihn.“ Sein Tadel trifft die fortbildende Phantasie Hardenberg’s, nicht den Gegenstand derselben. Dieser Frhling und Sommer von 1795, welchen er noch in Tennstdt ver-
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lebte, war wie die Blthezeit seines Lebens. Ein Blatt von seiner Hand aus dieser Zeit giebt ein anschauliches Bild, wie er es so zwischen Tennstdt und Grningen hin und her trieb, welche zwei Stunden von einander lagen. In der Morgenstunde war er hinbergeritten, durch Feld und Gewsser, das Grninger Schloß vor Augen. Im Dorfe, dicht am Thorweg, der in die Oekonomie droben fhrt, hlt er und fragt nach Jemandem, der einen Brief auf’s Schloß trge. Es macht ihm ein heimliches Vergngen, daß die Leute in ihm einen Verehrer der Damen auf dem Schlosse errathen. „Ich schlich mich langsam zum Dorfe hinaus, jenseits des Wassers sah ich das gelbe Schloß sehnsuchtsvoll an – und trabte von dannen. Alle zehn Minuten hielt ich und sah mich um. Die Gegend ist mir so lebendig geworden, ich wollte sie im Kopfe zeichnen.“ In seinen einfachen Worten liegt etwas von dem Glanze, der auf den Weg fllt, welchen der Beglckte in Morgenfrhe und Dmmerung und in hellen Nchten in solchen Stimmungen hin- und wiedergeht. Wie der Herbst kam erhielt er das Jawort. Die Kleine verbelte es ihm ein wenig, daß er es der Mutter zu frh gesagt. Die Metamorphose vom Verehrer zum erklrten Brutigam scheint ihr nicht ganz behaglich gewesen zu sein. Ihn aber drngte es voran und so kamen nun seine Wnsche ganz mit denen seines Vaters in Einklang. Er wollte zunchst in den Geschften der kurfrstlichen Salinen arbeiten. Ehe er Tennstdt verließ, ließ er sich daher in dem benachbarten Langensalza von Mingleb in der Halurgie unterrichten; es waren nur zehn bis zwçlf Tage, in denen er den ganzen Unterricht gefaßt hatte und ein so competenter Richter als Mingleb nannte spter Hardenberg’s Namen nie anders als mit Ehrerbietung. Im Februar 1796 trat er dann unter der Leitung seines Vaters sein Noviziat in den kurfrstlichen Salinen an. Das erwnschteste Glck schien ihm ruhig entgegenzuwachsen. Da kam die Nachricht, im Sommer 1796, daß Sophie in Jena sei und sich dort habe operiren lassen. Es war ihr Wille gewesen, daß er die Krankheit – sie litt an einem gefhrlichen Lebergeschwr – und die Operation erst erfahren sollte, wenn sie vorber seien. Er eilte nach Jena. Auch seine Eltern und seine beiden Brder waren um die Leidende, an welcher Alle unaussprechlich hingen. Eine zweite Operation ward nçthig; sie trug Alles mit unbeschreiblicher Geduld. Ungeheilt kehrte sie nach dem geliebten Grningen zurck. Hardenberg suchte vergebens Trost in eigenen medicinischen Studien; sein Wissen sagte ihm nun, wie es mit ihr stand. Aber ihm war als kçnne er sie nicht verlieren: wenn er nur wolle, kçnne der Mensch auch dem Tode trotzen. Sie starb am 19. Mrz 1797. Niemand wagte dem in Weißenfels Abwesenden die Nachricht mitzutheilen; endlich bernahm es sein Bruder. Er verbrachte seine Tage einsam, in sein Zimmer verschlossen. Dann reiste er nach Tennstdt ihrem Grabe nher zu sein. Drei Jahre war sie sein stndlicher Gedanke gewe-
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sen. Sie allein hatte ihn an das Leben, an das Land, an seine Beschftigungen gefesselt. Es schien ihm, als habe er sich selbst fast nicht mehr. „Es ist Abend um mich geworden, whrend ich noch in die Morgenrçthe hineinsah.“ Es wird immer wieder das hçchste Interesse des mit dem Studium des menschlichen Geistes Beschftigten auf sich ziehen, wie aus den originalen Impulsen der menschlichen Natur unsere Denkart von den hçchsten Dingen sich bildet. Gewaltige Erschtterungen des ganzen Bestandes von Glck und Hoffnung eines Menschen, dergleichen hier eine vorlag, nehmen eine große Stelle in dem Hervortreten und den Umwandlungen religiçser Stimmungen ein. Nicht daß dann in solchen Lagen immer ganz neue Ueberzeugungen entstnden. Indem das Gemth in ihnen alle Bewegungen, die der Tag mit sich bringt, weit unter sich fhlt, indem es sich durch seinen Schmerz wie in eine absolute Einsamkeit versetzt fhlt, hinausstarrend in eine grenzenlose Oede, sieht es sich nunmehr ganz allein sich selbst gegenber und in den wesentlichen Bestimmtheiten seines Daseins; die ewigen Bezge seiner Existenz treten aus diesem Dunkel. So geschah das einer Natur wie Augustin, welche Leidenschaften und Weltverhltnisse so gewaltsam umsponnen hatten. Das Schicksal gab nun seiner Seele Freiheit, Einsamkeit und das Bedrfniß, ihre Gestalt und ihre wesentlichen Verhltnisse gewahr zu werden. Aber in anderen Fllen bestimmt ein solches erschtterndes Geschick auch den G e h a l t der religiçsen Denkart. Wßten wir nichts von einem Manne, als daß dies bei ihm geschah: so wrde dies allein schon eine gengende Probe davon sein, daß ihm das Hçchste, die Objektivitt, versagt gewesen sei. Das Schicksal seines Lebens war fr Novalis nicht, wie fr groß und rein intellektuell angelegte Naturen, nur ein Motiv zu umfassender Contemplation. Es nahm ihn gefangen. Es gab seiner Denkart ihre Farbe; es bestimmte den Inhalt seiner religiçsen Welt. Nur theilweise hat er sich spter davon befreit. Sein Schicksal schnitt die Entscheidung darber ab, ob er vermocht htte, sich zu reinerer Objektivitt, von diesen bermchtigen Eindrcken sich befreiend, zu erheben. Auch hier liegen Strke und Schwche einer bedeutenden Natur an demselben Punkte. Er war in der That eine subjektive, wenn nicht geradezu eine pathologische Natur, bestimmten Gemthseindrcken hingegeben bis zur Vergessenheit der Totalitt der Erscheinungen, welche die Welt ausmachen. Das war es was ihn, wie Hçlderlin, von vorn herein von Naturen wie Gçthe’s oder Schillers schied. Aber er lebte, litt, gestaltete seine Seele als ein freier Mensch, welcher sich dem Allem auf die natrlichste Weise hingab, mit voller Wahrheit der Empfindung auch in den sonderbarsten Gemthszustnden, er lebte nicht um doch einen Stoff fr seine Verse zu haben; er litt nicht um davon fr die rhrende Theile seiner Werke Nutzen zu ziehen; er gestaltete nicht seine Seele um sie dann in Bchern vorlegen zu kçnnen. Daß ihm diese Gefahr im-
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mer fern blieb, unterscheidet ihn von den Jean Paul, A. W. Schlegel, selbst von Tieck. Und so kam es daß die nun zu erzhlenden Gemthszustnde und religiçsen Stimmungen in ihm wahrhaft und ursprnglich hervortraten, von den anderen Romantikern aber wie eine zu variirende und zu arrangirende Melodie behandelt wurden. In der Zeit ihrer letzten Krankheit schrieb er, er lebe wie ein verzweifelter Spieler, dessen ganzes Wohl und Wehe davon abhange ob ein Blthenblatt in diese oder jene Welt falle. Dann ein paar Wochen nach dem Tode Sophiens an dieselbe Freundin: „Das Blthenblatt ist nun in die andere Welt hinber geweht, der verzweifelte Spieler wirft die Karten aus der Hand und lchelt, wie aus einem Traum erwacht, dem letzten Ruf des Wchters entgegen und harrt des Morgenroths, das ihn zum frischen Leben in der wirklichen Welt ermuntert. Ich habe noch Einiges zu vollenden – dann mag die Flamme der Liebe und Sehnsucht auflodern und dem geliebten Schatten die liebende Seele nachsenden. Sie umgiebt mich unaufhçrlich – Alles was ich noch thue, thue ich in ihrem Namen. Sie war der Anfang – sie wird das Ende meines Lebens sein.“ – Und noch aufrichtiger, tiefer sich aufschließend schrieb er an Just, den alten Freund in Tennstdt: „Wenn ich bisher in der Gegenwart und in der Hoffnung irdischen Glckes gelebt habe, so muß ich nunmehr ganz in der chten Zukunft und im Glauben an Gott und Unsterblichkeit leben. Es wird mir sehr schwer werden mich ganz von dieser Welt zu trennen, die ich so mit Liebe studirte, die Recidive werden manchen bangen Augenblick herbeifhren; aber ich weiß daß e i n e K r a f t i m M e n s c h e n i s t , d i e u n t e r s o r g s a m e r P f l e g e s i c h z u e i n e r s o n d e r b a r e n E n e r g i e e n t w i c k e l n k a n n . Sie wrden Mitleid mit mir haben, wenn ich Ihnen von den Widersprchen der zeitherigen Stunden erzhlen wollte.“ Am 14. April, kein Monat vorber seit dem Tode Sophiens, starb auch sein Bruder Erasmus. Von dieser Zeit ab haben wir Tagebuchbltter von Hardenberg, die nach den Tagen seit Sophiens Tode zhlen. Sie sind dunkel. Das erklrende Wort liegt in seiner sicheren Erwartung, daß er an einem bestimmten Tage dieses Jahres sterben werde, und zwar nach seinem eigenen Entschluß, natrlichen Todes; allein durch die Gewalt der Sehnsucht sich mit ihr zu vereinigen. Man kann nicht umhin hierbei an den Abschluß der Wahlverwandtschaften, an Ottiliens in freiwilligem Entschluß herbeigefhrtes Ende, an Eduard’s schmerzliche Kmpfe zu denken, welcher ihr auch hierin nachzufolgen gedachte und endlich nachfolgte. Ich weiß nicht ob eine Mittheilung ber diese Absicht von Novalis die Erfindung Gçthe’s veranlaßte oder ob hier ungesucht Dichtung und Wirklichkeit sich begegnen. Denn auch darin wiederholt die Dichtung den Zug des Lebens, daß Naturell und der Instinkt des Lebens sich gegen diese Absicht bestndig erhoben. Dieser Kampf zwischen einem im tiefsten Schmerze gefaßten Entschluß
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und der menschlichen Natur, welche nach einer glcklichen Mitgabe berall nach Ausgleichung der Zustnde strebt, hat etwas Ergreifendes. „Den 18. April: Frh mancherlei Gedanken ber Sie und mich. Der Zielgedanke stand ziemlich fest.“ „Den 19.: Frh Mancherlei wegen des Entschlusses gewankt und geschwankt. Im Ganzen der Tag heiter und ruhig.“ „Den 21.: an Sophie hab’ ich oft, aber nicht mit Innigkeit gedacht, an Erasmus kalt.“ „Den 24.: Sophien wirds immer besser gehen. Ich muß nur immer noch mehr in ihr leben. Nur in ihrem Angedenken ist mir wahrhaft wohl.“ Am 26.: wirft er sich vor, er sei fast lustig gewesen. Ein paar Tage darauf, er habe zu lebhaft gestritten whrend des Essens. Den Tag darauf: er habe sehr lustig mit der Kreisamtmnnin gesprochen, weshalb er Abends seine Lieblingsbilder nur in der Ferne gesehen habe. Er schmt sich, jetzt zu sehr in der Stimmung des Alltagslebens zu sein. „O daß ich so wenig in der Hçhe bleiben kann.“ Hatte er dann wieder recht lebhaft ihr Bild vor sich gehabt, im Profil, neben sich auf dem Kanapee, im grnen Halstuch: dann fand er am folgenden Tage doch eine sonderbare Furcht in sich vor dem gefhrlich krank werden. „Ich muß mich noch immer nicht ganz an meinen Entschluß gewçhnen kçnnen. So fest er zu sein scheint, macht mich doch das zuweilen argwçhnisch, daß er in so unerreichbarer Ferne vor mir liegt, mir so fremd vorkommt.“ So widerstrebte er, auf den Entschluß jener leidenschaftlichen Stunden sich stellend, der jetzt doch dem tglichen Leben gegenber ihm selber fremd erschien, den heilenden Mchten des Lebens. Er flchtete sich nach Grningen, wo ihr Grab allen seinen Empfindungen unmittelbare Gewalt gab. Da hatte er denn aufblitzende EnthusiasmusMomente; er blies das Grab wie Staub vor sich hin; Jahrhunderte waren wie Momente, ihre Nhe war fhlbar, er glaubte sie solle nunmehr hervortreten. Wie aber dann selbst da diese Gemthsbewegungen nachlassen, berlegt er, daß er durch seinen Tod der Menschheit eine solche Treue bis in den Tod sichere; er mache ihr gleichsam eine solche Liebe mçglich. Und nach Tennstdt zurckgekehrt, fhlt er nun bereits, daß sein Entschluß den Kampf mit der Vernunft nicht bestehen kçnne; dann, mit einer natrlichen Sophistik des Herzens, stellt er sich die Maxime fest: „Bei meinem Entschluß darf ich nur nicht zu vernnfteln anfangen: Jeder Vernunftgrund, jede Vorspiegelung des Herzens ist schon Zweifel, Schwanken und Untreue.“ Und dann erscheinen doch Erwgungen, die offenbar ohnmchtig gegen dieses Vernnfteln ankmpfen. Die schçnsten wissenschaftlichen und andere Aussichten drften ihn nicht auf der Welt zurckhalten; sein Tod solle ja nicht Nothmittel, sondern chte Aufopferung sein. – So unentbehrlich als es scheine seien einander die Menschen doch nicht; seine Mutter genieße ihn wenig, auch sein Vater. Immer wieder sagt er sich daß sein Entschluß unwandelbar sei, daß er ihn nicht dem Verlauf neuer Ueberlegungen aussetzen drfe. So schließen diese
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Bltter mit dem Anfang des Juli 1797. Belehrender als unzhlige Legenden zeigen sie, welche Krfte unserer Seele einwohnen sich von der Welt, ja dem Leben selber loszureißen, welche andere ihnen bestndig entgegenwirken. Wer kann sagen wie der Streit derselben geendigt htte, wenn er in einer einsamen Klosterzelle gekmpft worden wre! So aber trat die Welt zwischen seinen Entschluß und seinen wahrhaften vom Tag und seinen Eindrcken bestimmten Zustand. Es ist der treffendste Ausdruck dieses psychologischen Zustandes, daß sein eigener Wille ihm ganz fremd, der Tag seiner Verwirklichung ganz außerhalb dieser rasch ablaufenden Tage zu liegen schien. Aus dem Entschluß zu sterben entwickelte sich ein Phantasieleben in der jenseitigen Welt. Mit Absicht, mit tglich sich wiederholender Anstrengung hatte er die Intensivitt der Phantasiebilder des Jenseits in sich genhrt, wie einst die Heiligen gethan hatten. Wie die Absicht zu sterben zurcktrat, fand sich seine Empfindung in einer Verbindung mit der jenseitigen Welt, mit der abgeschiedenen Geliebten, welche an seinem Leben zehrte. Sein ußeres Ansehn begann sich um diese Zeit zu ndern. Als Friedrich Schlegel ihn im Sommer 1798 wiedersah, schrieb er: „er hat sich merklich gendert, sein Gesicht selbst ist lnger geworden und windet sich gleichsam von dem Lager des Irdischen empor, wie die Braut zu Korinth. Dabei hat er ganz die Augen eines Geistersehers, die farblos grade aus leuchten.“ Einen Ausdruck dieser Leiden von einer unheimlichen Gewalt besitzen wir in den Hymnen an die Nacht. Tieck stellt dieselben, obwohl mit schwankenden Ausdrcken, in welchen er in solchen Fllen Meister ist, in den Herbst des Todesjahres von Sophie (1797); Just, der genauer zu sein pflegt, erst in das folgende Jahr; aus inneren Anzeichen lßt sich darthun, daß sie nicht nach dem Sommer entworfen sein kçnnen, sollten sie auch spter Ueberarbeitungen erfahren haben. Diese Ueberarbeitung meint man im Styl zu empfinden, der etwas von der Frbung Schleiermacher’s an sich trgt, auch das letzte Gedicht erscheint als ein fremdartiger, der Zeit seiner geistlichen Lieder angehçriger Zusatz. Das Ganze erschien erst im Sommer 1800 im Athenum. Welches auch der nher bestimmte Zeitpunkt ihrer Abfassung sei: sie konnten nur aus der Vertiefung in die Schmerzen dieser ersten Zeiten geschrieben sein, sie sind das wahrhafte Bild derselben. Sie haben etwas, das mehr Grauen erwecken kçnnte, als die schrecklichste Geschichte. Wie ein langsam hingezogener, rthselhafter Klageton, der mitten in der Nacht vernommen wird, so scheint aus dem gepreßten Herzen des Einsamen dieser Ausdruck der Todessehnsucht zu brechen. Ganz fremdartig; an uns herantretend, wie sein dunkler Entschluß vorher an seine Umgebungen; von einer grenzenlosen Traurigkeit. Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Daseins reden Schriften aller Zeit-
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alter. Hier liegt der Zug in dem Charakter der Welt, durch welchen dieselbe als schlechterdings rthselhaft erscheint. Daher die menschliche Phantasie unermdlich ist diesem Leben imaginre Zustnde gegenberzustellen. Die Nacht der Bewußtlosigkeit, der Schooß des Weltalls, die affectlose Ruhe der Seligen: in all’ diesen Conceptionen ergreift uns daß die Leidenschaften, daß die Spannungen des Willens, daß das klare, scharfe Licht, welches uns die Grenze unserer Wnsche zeigt, hier endigen. Eine solche Conception sind diese Hymnen an die Nacht. Jenseits des Landes, wo das Licht in ewiger Unruhe hauset, dehnt sich zeitlos und raumlos die Herrschaft dieser Nacht aus, deren dmmernder Schatten nur, nicht ihre Wirklichkeit die Nacht und der Schlaf sind, welche allen Menschen gemein. Die irdische Fluth bricht sich an dem Fuße des Hgels, und in dessen dunklem Schooße quillt diese krystallene Woge der unendlichen Nacht; gemeinem Sinne unvernehmlich; aber wer von ihr trank, ist ewig ihr eigen: da ist Vergessenheit aller Schmerzen, wundersame Einigung mit der Geliebten, unaussprechlich dmmernde Begeisterung. Ihm selber aber kam in der Zeit seiner unsglichen Schmerzen, aus blauen Fernen, von den Hçhen seiner alten Seligkeit ein Dmmerungsschein, Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kam ber ihn; er stand am Hgel der Geliebten, der Hgel ward zur Staubwolke und durch die Wolke sah er ihre verklrten Zge. „In ihren Augen ruhte die Ewigkeit; ich faßte ihre Hnde.“ Krankhafte wissenschaftliche Phantasien beschftigten ihn um dieselbe Zeit. Die Entdeckung des Galvanismus bewegte in diesen Jahren die wissenschaftliche Welt ber ganz Europa hin. In dem Laboratorium des Bologneser Anatomen Galvani waren durch den sonderbarsten Zufall von der Welt abgehutete Froschschenkel mit einer Elektrisirmaschine in Berhrung gekommen: sofort hatten diese Glieder die lebhaftesten Zuckungen gezeigt, als ob sie Leben erhielten: Galvani’s und Volta’s Untersuchungen hatten seit dieser Begebenheit im Jahre 1790 die wissenschaftliche Welt leidenschaftlich bewegt. In Deutschland hatte sich Ritter mit tief eingreifenden Entdeckungen angeschlossen. Hardenberg war sicher damals schon mit ihm befreundet. Keine wissenschaftliche Thatsache hat je verwegenere Schlsse und trbere Trumereien hervorgerufen als diese und die benachbarte des magnetischen Schlafs. Friedrich Schlegel bezeichnet den Galvanismus des Geistes als eine von Hardenberg’s Lieblingsideen, im Sommer 1798. „Wie nun seine Theorie der Zauberei, jener Galvanismus des Geistes und das Geheimniß der Berhrung sich in seinem Geiste berhren, galvanisiren und bezaubern, das ist mir selbst noch ziemlich geheim. Unterdessen ist der Galvanismus des inneren Menschen fr mich, wie Kant sagen wrde, ein artiger Gedanke und das Uebrige hoffe ich durch die sokratische Tortur zu erfahren.“ In diesem Sinne erklrte Hardenberg das Denken fr eine Galvanisation. Eine Berhrung unseres Geistes mit einer ge-
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heimnißvollen Kraft finde da statt. Der geistige Verkehr, die Liebe, die Religion – Alles ward ihm zu einer Art von Zauberei. Nun machten sich aber doch bereits neue Elemente seines Lebens geltend, um ihn aus so pathologischen Zustnden zu einer allgemein religiçs-wissenschaftlichen Ansicht zu erheben. Er hatte die erste Zeit nach dem Tode Sophiens ruhelos, bald bei den Seinen, bald auf kleinen Reisen zugebracht. Mit dem Ende des Jahres 1797 war er nach Freiberg gegangen, um sich auf dieser hohen Schule des churschsischen Bergwesens, die damals von europischem Rufe zu werden begann, fr die Bergwerksverwaltung zu vervollkommnen. Ein neues gewaltiges Ferment trat hier in seine naturphilosophischen Studien. Der geniale Ritter hatte ihm in Jena das Problem des Galvanismus nahe gebracht. Hier trat ihm nun der große Mineraloge und Geologe Werner entgegen, vor dessen wunderbar gebten Sinnen das Reich der Steinwelt als ein geordnetes System sich aufthat und die Tiefen der Erde ihre Geschichte zu erçffnen begannen. Wir werden zeigen, wie die Lehrlinge von Sais aus diesen Anregungen erwuchsen. In dieser begeisterten Hingabe an Werner und die Geologie lag fr ihn eine Art Befreiung aus so ngstigenden krankhaften Zustnden. Und noch im Jahre 1798 gewann Julie von Charpentier, die Tochter des Berghauptmanns in Freiberg, sein Herz und damit vollendete sich eine Umgestaltung der Empfindungsweise gegenber Sophien, welche fr sein Leben wie fr seine Poesie bedeutsam ist. Auch mitten in dem entwickeltsten Phantasieleben mußte sich das Bild Sophiens in seiner Seele verwandeln. Es verlor alle Individualzge welche sich auf die Verhltnisse der Erde bezogen. Was war nun ihre halb kindische Sprçdigkeit, ihr Wunsch daß er gefalle, ihr bermthiges Spiel mit dem Vater? Aus dem Innersten ihres Bildes erhob sich tiefste Innigkeit: diese verzehrte nun jeden Zug der der Welt gehçrt hatte: nur durch sie durfte er ja mit ihr in Gemeinschaft zu stehen hoffen. Religiçse Motive boten sich dar fr dies Verhltniß zu einer Abgeschiedenen. Sie trat gewissermaßen in die religiçse Weltordnung ein und vertrat ihm jene berirdische Weiblichkeit, welche in der gnadenreichen Himmelskçnigin dargestellt ist. Glanz und Freude der Welt, sein Glck und Schicksal auf ihr, rhrten sie nicht an. So fand Dante zwei Jahre nach dem Tode Beatrice’s seine Gemma. Aus seinem individuellen Schicksal erhob sich seine Verehrung Maria’s wie ein subjektives mythologisches Gebilde. Und wie er so einem neuen Leben mit erwachenden Sinnen entgegenging, traten ihm die Freunde entgegen, in deren Gemeinschaft er seinen Ideenkreis vollenden, durch deren Anregung der Poet in ihm sich erheben sollte. Jene kurze Blthe der Romantik, welche das Jahr 1799 bezeichnet, durchlebte er mit ihnen.
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Nichts ist falscher als zu glauben, daß man es in der Romantik mit einer einzelnen Richtung zu thun habe. Mit gewissen Modifikationen ist sie, wie wir schon hervorgehoben, nichts als die Generation, welche in den neunziger Jahren heraustrat und von 1790 bis 1800 jene entscheidende Lebensepoche durchmachte, welche zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahre liegt. Die Elemente intellektueller Kultur, die damals aus der frheren Generation vorlagen, waren in erster Linie die Poesie von Gçthe und Schiller, die philosophische Revolution, in der Kant, Jacobi, Schiller und Fichte hervorgetreten waren, die gewaltige Bewegung und Ghrung in den Naturwissenschaften. Hçchst merkwrdig aber waren die Bedingungen, unter welchen nun diese Generation sich dem Erbe der vorhergegangenen gegenber befand. Die erste und wichtigste ist rein negativer Natur: die Abwesenheit aller strkeren Impulse, welche aus dem Leben selber gekommen wren. Der naturwissenschaftlichen Bewegung kam keine Industrie, kein Bedrfniß der Entdekkungen, kein Handelsstand, der diesem in der Wissenschaft ihm allerverwandtesten Element mit Theilnahme gefolgt wre, entgegen. Ebenso standen der philosophischen Revolution Politik, Unterrichtswesen, Religion in vçlliger Unbeweglichkeit gegenber, da sie doch allein in der Einwirkung auf die sociale, moralische und politische Welt gesund zu bleiben vermag. Die Dichter fanden keine große Stadt, von deren Schaubhne herab sie zu wirken vermocht htten. Dafr alles in kleine Kreise zerfallend: eine gengsame, mßig begterte, vom Durst nach Geld und Genuß, mit dem der Weltverkehr erfllt, noch nicht ergriffene Bevçlkerung: in einem Grade, wie auf gleicher Kulturstufe wohl nie eine zweite es war, von einer nach innen gewandten Bildung befriedigt. Wie man diese Lage empfand und mit Bewußtsein aufnahm zeigen parallele Stellen aller hier in Betracht kommender Mnner. Ich citire hier nur Novalis (die Christenheit II, 203): „Deutschland geht einen langsamen aber sicheren Gang vor den brigen europischen Lndern voraus. Whrend diese durch Krieg, Spekulation und Partheigeist beschftigt sind, bildet sich der Deutsche mit allem Fleiß zum Genossen einer hçheren Epoche der Kultur, und dieser Vorschritt muß ihm ein großes Uebergewicht ber die anderen im Laufe der Zeit geben.“ Vçllig schloß sich diese Bildung von der großen Masse der Bevçlkerung und ihren Bedrfnissen ab. Kann man billigerweise die Mnner anklagen, welche unter diesen Bedingungen, mit ungemeinem Talent, unsere intellektuelle Kultur fortzubilden unternahmen? Ihre ruhelosen, zerstreuten Anstze, ihre Paradoxie, die Knstlichkeit ihres Strebens: das Alles, verglichen mit der grandiosen Ruhe in welcher Gçthe und Kant athmeten, ist ein erschtterndes Schauspiel. Am erschtternsten darum, weil hier die Nothwendigkeit geschichtlicher Bedingungen wie mit eisernen Armen edle bedeutende Krfte umfangen hlt. Innerhalb der
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Grenzen, in welche sie diese Bedingungen bannten, haben sie Ungemeines geleistet. Nur muß man sich ihre Stellung gegenber den Elementen der intellektuellen Kultur, die sie vorfanden, hçchst verschieden denken. Die Ausgangspunkte eines A. W. Schlegel und eines Hardenberg, Friedrich Schlegel’s und Tieck’s waren vçllig heterogen. Ohne alle Frage stand Novalis geistig Hçlderlin viel nher als etwa seinem Freunde A. W. Schlegel. Tieck hat nie mit Friedrich Schlegel mehr als ußere Berhrungspunkte gehabt. Wenn man nun solche vçllige Heterogeneitt gewahrt: so wird die Frage hçchst interessant, wie denn hier ein geschlossener Kreis entstehen konnte, ein Schutz- und Trutzbndniß, eine Schule. Wir sind durch neuere Publikationen von Briefen in der Lage diese Frage zu beantworten. Insbesondere enthlt Holtei’s Herausgabe von Tieck’s Briefnachlaß hierber interessante Aufschlsse, wie sehr man auch in derselben Sachkenntniß und Genauigkeit vermißt. August Wilhelm Schlegel, ein paar Jahre lter als seine Freunde, bildete den ußeren Vereinigungspunkt. Die Horen und die Jenaer Litteraturzeitung zogen ihn aus einer hollndischen Hauslehrerstellung nach Jena. Das sthetische Bedrfniß des Publikums hatte, besonders in den Horen, sehr gnstige buchhndlerische Verhltnisse fr diese Jahre geschaffen. So durfte er seine Existenz seiner unendlich gewandten Feder anvertrauen. Er war die eigentlich journalistische Natur des Kreises, sein Genie in Kritik und Nachdichtung, in allem Nachschaffen und Nachverstehen, in allem Empfinden, Beurtheilen, Nachgestalten unvergleichlich. – Allmhlig zog er seinen Bruder aus dessen philologischen Studien in diese allgemeine Schriftstellerstellung nach sich. Eine vçllig andere Natur. Unter tiefen Ideen schwerringend mit dem Ausdruck und eigentlich niemals, mitten unter Stylisten, ein guter Stylist. Ein Kopf von genialer Produktivitt, der durch eine folgerichtige, aber grenzenlose Ausbreitung seiner Studien, vermçge deren seine schwerfllige Feder mit den buchhndlerischen Verhltnissen in den unglcklichsten Conflikt kam, seine ußere Existenz von vorn herein zerrttete. Sein Ausgangspunkt lag in den sthetischen Ideen Schiller’s und der Philosophie Fichte’s. – Die Verbindung Friedrich Schlegel’s mit Hardenberg war schon vom Jahre 1792 oder 1793, in dem sie sich wohl in Leipzig begegneten. Es scheint daß sie sich dann çfter wieder sahen. So als Friedrich Schlegel im Sommer 1798 in Dresden war. Daß sie sich weniger persçnlich als in den Ideen nahe standen zeigt eine Aeußerung Friedrich Schlegel’s Schleiermacher gegenber. „Du wrdest Hardenberg sehr wohl thun und ich fhle deine Wehmuth sehr gut. Was mich betrifft, so habe ich’s schon sehr lange nur mit seinem Geist zu thun, in den sich vielleicht keiner so finden kann wie ich, und das scheint er auch zu wissen. Uebrigens sehe
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ich ganz hartherzig zu.“ Das Athenum ergab dann eine regelmßigere Beziehung. – Sonderbarer Weise war auch fr Tieck, als dieser nun zu diesem Kreise hinzutrat, wieder Friedrich Schlegel, der ihm heterogenste, der erste Anknpfungspunkt. So sehr war ein bloßer Zufall hier in den ersten Anknpfungen thtig. Tieck’s Briefe ber Shakespeare, die Friedrich Schlegel fr das Reichhardtsche Journal Lyceum wnschte, boten die Anknpfung. Friedrich Schlegel bittet ihn zu sich. „Mein Interesse an Ihnen und an der Poesie ist zu ernst. So etwas zerstreut sich gleich wenn mehrere da sind. Ich bin in solchen Angelegenheiten sehr fr die Zweisprach.“ Auch nach Wackenroder, dessen Herzensergießungen in diesem Jahre erschienen waren, erkundigte er sich. Man sieht in eine eben anhebende Bekanntschaft zweier Mnner, welche kein stark ausgesprochener Zug der Natur einander entgegentrieb. – Eine Nachschrift fgt hinzu, daß sein Bruder August Wilhelm große Freude an Tieck’s Wirken und den persçnlichen Nachrichten ber ihn habe. Es ist dann ein Brief A. W. Schlegel’s vorhanden, der die Uebersendung der Volksmhrchen beantwortet und mit der Recension A. W. Schlegel’s im Athenum interessante Vergleichungspunkte bietet, die als erstes bedeutendes Wort ber Tieck’s Poesien bekannt geworden ist. Viel entschiedener als in dem Athenum spricht er es in diesem Briefe aus, wie die Form der Prosa Tieck’s aus dem Studium Gçthes, seines Wilhelm Meister und des Mrchens, in einem verwandten Geiste entsprungen sei. Das ungçthische Experiment, in altem Kostm und alter Sprache unsre moderne Empfindungsweise darzustellen, wie in der schçnen Magelone geschieht, mißfllt ihm; dagegen stellt er den blonden Eckbert, der zu allererst von Tieck’s Werken den Spuren der Gçthe’schen Prosa treu folgt, am hçchsten. Die Vollendung der erzhlenden Prosa und des Lieds, eine poetische Richtung, in welcher die Phantasie frei, ohne moralische Nebengedanken herrscht, das ist was ihn an Tieck anzieht. Wie er dagegen in dem, worin Tieck von Gçthe’s Bahn ausweicht, ihm ganz fremd und ablehnend gegenbersteht, zeigt die Art, in der er Tieck’s Mrchenstoffe entschuldigt und kaum ußerlich zu entschuldigen weiß.* So lose waren die ersten Fden geflochten. Nicht nur daß man manche Divergenz der Richtung scharf empfand; es bestand auch keine herzlichere persçnliche Beziehung. Was zusammenhielt waren die Vortheile eines Schutz-
*) Ich fge hier zu den hierhergehçrigen bei Holtei undatirten Briefen die Data hinzu, deren Begrndung der Kenner selbst finden wird. Der Brief A. W. Schlegel’s III, 225 gehçrt in das Jahr 1797; der Friedrich’s III, 311 in dasselbe Jahr. Der Brief von Novalis I, 305 ist bei Tieck (Vorrede zu Novalis Schriften XXII) datirt: 23. Februar 1800 (was brigens in Widerspruch mit Kçpke’s Leben Tieck’s S. 267, der Datirung der Melusine, steht). Auch der andere Brief Hardenberg’s I, 308 gehçrt in das Jahr 1800.
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und Trutzbndnisses gegen die abgelebten, aber unsterblichen Richtungen der Nicolai, Huber, Schtz. Hier bot das Athenum einen Vereinigungspunkt. Besonders August Wilhelm Schlegel, der den lebhaftesten Sinn fr Ausflle, Bndnisse, Cooperationen, kurz fr litterarische Strategik besaß, war unermdlich in neuen Erfindungen, mehr zum Aerger der Gegner als zum Nutzen der Freunde. Er empfand an diesen Operationen ein ganz uneigenntziges Vergngen. Aus diesen leichteren Beziehungen erwuchs nun seit dem Sommer 1799 das innigste Zusammenleben. Es waren die letzten Monate von Fichte’s Anwesenheit in Jena. Noch wirkte neben ihm Schelling im glcklichsten Einverstndnisse: er gedachte die Wissenschaftslehre durch die Naturphilosophie zu ergnzen. Zu der ghrenden Bewegung des philosophischen Geistes kamen die Berhrungen mit den Dichtern von Weimar; mehrmals im Jahre suchte hier auf dem stillen Schlosse Gçthe eine arbeitsame Einsamkeit, fern vom Hofleben. So war Jena wie die zweite Hauptstadt des deutschen Geistes; ganz besonders geeignet demnach fr das bermthige Treiben der neuen Schule, die hier wie auf einem neutralen Boden, ohne sich mit der Weimarer Gesellschaft Gçthe’s zu berhren, mit diesem ihrem Haupte, dem „Statthalter der Poesie auf Erden“ sich begegnete. Bevor Tieck sich neben A. W. Schlegel und Schelling hier dauernd niederließ, kam er im Sommer von Giebichenstein herber, wo er bei Reichardt ein paar Wochen lebte. Er hatte im Jahr zuvor A. W. Schlegel in Berlin kennen gelernt; nun wollte er nur auf einem flchtigen Besuch bei ihm einen Blick in diese Welt thun. Friedrich Schlegel hatte ihm ein Jahr zuvor gemeldet, wie ihm die Volksmhrchen zwei neue Freunde gewonnen htten, Novalis und Schelling. Jetzt traten ihm beide entgegen. Fr Novalis und Tieck war das Zusammentreffen entscheidend. Hatte Friedrich Schlegel sich mit den Ideen von Novalis berhrt: so traf diese Begegnung mit Tieck die innerste Tiefe seines dichterischen Gemths. Gleich am ersten Abend schlossen sie sich gegeneinander auf; beim Klange der Glser tranken sie Brderschaft. Mitternacht war herangekommen; die Freunde traten hinaus in die Sommernacht. Wieder ruhte der Vollmond, des Dichters alter Freund seit den Tagen der Kindheit, magisch ber den Hçhen um Jena. Sie erstiegen den benachbarten Hausberg und wanderten in die Sommernacht hinein. In solchen Stunden muß in ihnen beiden der Geist der romantischen Poesie, wie er ihnen von da ab gemeinsam vor der Seele stand, sich zu vollem Bewußtsein erhoben haben. Als man bei dem nahenden Morgen Abschied nahm, sagte Tieck: „jetzt werde ich den getreuen Eckart vollenden.“ Noch an demselben Tage theilte er ihn den Freunden mit. Ich glaube daß einige Zeilen des Phantasus, welche viele Jahre danach geschrieben sind, dem Andenken an diesen Abend gewidmet sind. In der ruhi-
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gen Einsamkeit des Gartens, da ein glnzender Sternenhimmel ber der Landschaft steht, lustwandeln die Freunde und Ernst sagt: „Diese heilige ernste Ruhe weckt im Herzen alle entschlafenen Schmerzen die zu stillen Freuden werden, und so schaut mich jetzt groß und milde mit seinem menschlichen Blick der edle Novalis an, und erinnert mich jener Nacht, als ich nach einem frçhlichen Feste in schçner Gegend mit ihm durch Berge schweifte, und wir, keine so nahe Trennung ahnend, von der Natur und ihrer Schçnheit und dem Gçttlichen der Freundschaft sprachen. Vielleicht da ich so innig seiner gedenke, umfngt mich sein Herz so liebend wie dieser glhende Sternenhimmel.“ Wie es in Novalis Epoche machte, davon ist ein Brief an Tieck vom 6. August 1799 ein merkwrdiges Document: „Deine Bekanntschaft hebt ein neues Buch in meinem Leben an. Du scheinst mir jeden in der Blthe zu berhren und verwandt zu sein. Du hast auf mich einen tiefen, reizenden Eindruck gemacht. Noch hat mich keiner so leise und doch so berall angeregt wie Du. Jedes Wort von Dir versteh ich ganz. Nirgend stoß ich auch nur von Weitem an. Nichts Menschliches ist Dir fremd. Du nimmst an Allem Theil und breitest Dich leicht wie ein Duft gleich ber alle Gegenstnde und hngst am liebsten doch an Blumen.“ Das war mehr als die bisherigen Jenaer Verhltnisse der Romantiker. Hier begegneten sich, wie in der Freundschaft zwischen Friedrich Schlegel und Schleiermacher, zwei wahrhaft wahlverwandte Naturen. Hardenberg erwiderte den Besuch in Giebichenstein. Auf der Rckreise verweilte dann Tieck ein paar Tage, auf Hardenberg’s Einladung, in Weißenfels. Auch ihn ergriff der stille, praktisch fromme, innerlichst vornehme Geist in diesem Hause, der ber den Freund eine solche Macht gewonnen hatte. Der alte Hardenberg stand wie ein Patriarch in der Mitte seiner Familie. Tieck fand leicht in der Neigung fr die alte Zeit einen Berhrungspunkt. Es charakterisirt den alten Herrn sehr hbsch, wie ihn Tieck einst im Nebenzimmer auf eine nicht eben glimpfliche Weise schelten und zrnen hçrte. „Was ist vorgefallen?“ fragte er besorgt einen eintretenden Bedienten. „Nichts,“ erwiderte dieser trocken. „Der Herr hlt Religionsstunde.“ Die Trennung Tieck’s von dem Freunde dauerte nicht lange. Im October siedelte er mit seiner Frau und der eben gebornen Tochter Dorothea nach Jena ber und blieb da bis Ende Juli 1800. Im August oder beginnenden September war bereits Friedrich Schlegel ebenfalls zu den Freunden bergesiedelt. Im October folgte ihm dann Dorothea. Er brachte die Reden ber Religion mit, welche eben damals anonym erschienen waren und sicher von dem Kreise unbemerkt vorbergegangen wren, htte nicht Friedrich Schlegel so begeistert auf sie aufmerksam gemacht. Sie fanden Hardenberg beinahe zurckgezogen von den Uebrigen mit Tieck
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und dessen Frau verbunden. „Er ist – schreibt Dorothea – so in Tieck, mit Tieck, fr Tieck, daß er fr nichts Anderes Raum findet. Er sieht wie ein Geisterseher aus, und hat sein ganz eignes Wesen fr sich allein, das kann man nicht leugnen.“ Aber die Reden ber Religion ergriffen ihn gewaltig. Wie Tieck seine Poesie wieder erweckte, so brachten sie seine religiçsen Ideen in Ghrung. Seine Begeisterung bewegte den ganzen Kreis in enthusiastischer Zustimmung und heftigem Gegensatz. Die scharfe Dorothea bemerkte, Tieck treibe die Religion wie Schiller das Schicksal; Hardenberg glaube, Tieck sei ganz und gar seiner Meinung, sie wolle aber wetten was einer wolle, sie verstnden sich selbst nicht und einander nicht. Wie noch vor den zusammenhngenden und geschlossenen Wirkungen einer bedeutenden Schrift erste Eindrcke und Anregungen vorauszueilen pflegen: so traten aus dieser Ghrung zunchst ein Aufsatz von Novalis ber das Christenthum und die Ideen Friedrich Schlegel’s hervor. Schelling setzte sich in einem merkwrdigen Gedichte, dem epikurischen Glaubensbekenntnisse von Hans Widerborst, den Reden ber Religion und der Begeisterung der Freunde welche sie hervorgerufen hatten, sehr derb entgegen. Das Athenum sollte das nun Alles friedlich neben einander sehen. August Wilhelm erhob Bedenken, wurde aber berstimmt. Die Sache, welche fr die ußere Stellung der Schule nicht ohne Bedeutung war, bewegte die Freunde lebhaft. August Wilhelm provozirte auf Gçthe. „Dieser – schreibt er an Schleiermacher – ist denn sehr in die Sache eingegangen und hat mit umstndlicher und grndlicher Entwicklung gegen die Aufnahme und fr mich entschieden. Ich wollte daß Sie die schçnen Reden, die er mir bei diesen und anderen Gelegenheiten gehalten, mit htten anhçren kçnnen, es wrde Sie entzckt haben.“ Auch Schleiermacher war gegen den Druck gewesen. Das Fragment trgt die Bezeichnung: die Christenheit oder Europa. Der Gesichtspunkt einer Einheit aller europischen Staaten, durch das Christenthum getragen, spricht sich darin aus. Ich wßte nicht daß er vordem mit solcher Klarheit gefaßt worden wre. Als einen Grundcharakter jener Epoche, in welcher das christliche Europa gegen den eindringenden Islam kmpfte, hat ihn Ranke durchgefhrt. Die ganze Geschichtschreibung der Romantik beruhte aber darauf, diesen vorbergehenden Zustand als den einzig mçglichen hinzustellen, von welchem Reformation, Rationalismus, Wissenschaften, weltliche Gesichtspunkte der Politik uns nun abgefhrt htten. Die gewaltige mit jedem Tage anwachsende auf realen Grundlagen sich aufbauende Einheit der Interessen, welche die Civilisation schafft, tritt hier zurck hinter einem ertrumten Gottesfrieden unter dem Schutze religiçser Ueberzeugung, welcher weder je bestand noch der durchschnittlichen menschlichen Natur nach auch nur einen Tag auf Bestand rechnen kçnnte. Es ist das die historische Anschau-
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ung, welche der heiligen Allianz ein christliches Gewand lieh. Diese unhistorische Anschauung tritt nun in diesem flchtigen Entwurf von Novalis zuerst in unserer protestantischen Litteratur auf. Er sieht das Christenthum in voller Macht und Herrlichkeit wirksam im Mittelalter. Es ist charakteristisch wie er es auffaßt. Ein großes Interesse verband, unter Einem Oberhaupte, dies weite geistliche Reich; seine Verwaltung in den Hnden eines mit voller Unabhngigkeit, hçchster Bildung, großer Welterfahrung begabten Standes. Sie predigten nichts als Liebe zu der heiligen, wunderschçnen Frau der Christenheit; sie erzhlten von lngst verstorbenen himmlischen Menschen; in den geheimnißvollen Kirchen, mit Bildern geschmckt, mit sßen Dften erfllt, von heiliger Musik belebt, wohnte eine erhabene Heiterkeit. Es ist die Religion einer pantheistischen Verklrung der Welt, die er hier nur in Bildern und Geschichten poetisch ausgeprgt wiedererkennt. Rom, der Ort an welchem alle weisen und ehrwrdigen Menschen aus Europa sich sammelten, war weise und in seinem Rechte, indem es freche Ausbildungen menschlicher Anlagen auf Kosten des heiligen Sinnes hinderte, unzeitige gefhrliche Entdeckungen, wie diese, daß die Erde ein unbedeutender Wandelstern sei. Es wird nicht deutlich wie nun ein so glcklicher Zustand sich ndern konnte und zu welcher Zeit. Lange vor der Insurrektion, welche im Protestantismus ausbrach, soll er stillschweigend verloren gegangen sein. Schon die Abschaffung der Priesterehe soll nur eine kluge Maßregel gewesen sein, den Leichnam der Verfassung noch zusammenzuhalten. Da scheint denn freilich als ob er außer aller Zeit gelegen htte. Und aus welchen Ursachen entsprang die Aenderung? die Menschheit war fr dies Reich nicht reif, nicht gebildet genug. Und doch auf der anderen Seite, als die Bildung voranschritt, zeigte gerade sie wenigstens die temporelle Schdlichkeit der Kultur auf einer gewissen Stufe fr den Sinn des Unsichtbaren. So geschah, daß der Protestantismus frevelnd die Einheit der Kirche zerriß; ein falsches landesherrliches Kirchenthum grndete; den rohen abstrakten Entwurf der Religion in den biblischen Bchern canonisirte; den einzelnen mchtigen Staaten Raum ließ, sich des vakanten Universalstuhls zu bemchtigen; endlich von der genialen Klugheit des Jesuitenordens bedrngt und zurckgedrngt wurde. Die Gelehrten und die Geistlichkeit stehen immer in einer geheimen Opposition: denn sie streiten um Eine Stelle. Gott ward durch die Aufklrung zum mßigen Zuschauer des großen rhrenden Schauspiels gemacht, das die Gelehrten auffhrten, der mechanischen Welt. Aber nichts ist vergnglich was einmal die Geschichte ergreift. Es geht in immer reicheren Gestalten aus seinen Verwandlungen erneut hervor. Wir stehen vor einer neuen Weltinspiration. Die Wissenschaft hat sie vorbereitet, in-
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dem sie die Heiligkeit der Natur, die Unendlichkeit der Kunst, die Nothwendigkeit des Wissens, die Achtung des Weltlichen und die Allgegenwart des wahrhaft Geschichtlichen zur Anerkennung brachte. „Also kommt auch, ihr Philanthropen und Encyclopdisten, in die friedenstiftende Loge und empfangt den Bruderkuß, streift das graue Netz ab und schaut mit junger Liebe die Wunderherrlichkeit der Natur, der Geschichte und der Menschheit an.“ „Das Christenthum ist dreifache Gestalt. Eine ist das Zeugungselement der Religion, als Freude an aller Religion. Eine das Mittlerthum berhaupt, als Glaube an die Allfhigkeit alles Irdischen, Wein und Brod des ewigen Lebens zu sein. Eine der Glaube an Christus, seine Mutter und die Heiligen. Whlt, welche ihr wollt, whlt alle drei; es ist gleich viel.“ Aus dem Schooße eines ehrwrdigen europischen Conciliums wird die Christenheit aufstehn. Weder Lob noch Tadel noch Erklrung ist hier mçglich, nicht einmal Beantwortung der Frage, was hier Paradoxie und was innere Ueberzeugung war, ohne daß wir Novalis’ Stellung in der philosophischen und poetischen Bewegung jener Tage berblicken. Aber dahin fhrt uns nun ohnehin der Gang unsrer Erzhlung. Die geistlichen Gedichte Hardenberg’s, die Ideen und die Rede ber die Mythologie von Friedrich Schlegel, sogar katholisirende Anwandlungen seines kritisch klaren Bruders, die christliche Wendung in Tieck’s Gedichten: all das entsprang in dieser Ghrung in krzester Frist. Wie ein Nchterner unter Trumenden erscheint in ihr der Mann, welcher dieser religiçsen Begeisterung den ersten strksten Impuls gegeben hatte und in dessen tiefernster Seele diese wie andre Richtungen seiner Generation einen gesammelten, energischen, mnnlich zusammengefaßten Ausdruck fand. Schleiermacher setzte Hardenberg’s Auffassung die khle historische Wahrheit entgegen, daß das Papstthum das Verderben des Katholicismus sei. Novalis selber stand an der abschließenden Wendung seines Geistes. Was er in momentaner Bewegung, unter dem Einflusse, den neue berraschende Wendungen des geistigen Lebens auch auf weniger der Paradoxie zuneigende Naturen zu erlangen pflegen, mit dem Uebermuth einer radikalen Opposition gegen alle herrschenden Ansichten niedergeschrieben hatte: trat nun in den Zusammenhang seiner Ideen zurck, welcher es begrenzte und in die Region poetischen Traumlebens erhob. In diesem Herbst 1799 begann er den Ofterdingen. Seine Weltansicht ist fr uns gewissermaßen in einem doppelten Ausdruck vorhanden; sie erscheint, ihrer Natur nach, unter zwei Gestalten: als ein Zusammenhang philosophischer Ideen und als eine dichterische Anschauung der Welt. Es ist fr den Geist seiner Zeit charakteristisch, daß, Schiller’s grçßerer viel gewaltigerer Entwicklung entsprechend, erst nachdem jene philosophische Gestalt einen gewissen Abschluß erlangt hatte, die dichterische hervortrat.
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Denn offenbar ist das Philosophische was wir von Novalis besitzen, im Sommer 1799 abgeschlossen. „Unter Speculanten war ich ganz Speculant geworden“ schreibt er an Tieck etwas spter. Nun hatte sich die Poesie erhoben. Und die kurzen anderthalb Jahre hindurch, welche ihm noch vergçnnt waren, die lngste Zeit darunter in solchen Zustnden, daß er Lesen, Denken, Schreiben, Alles sich versagen mußte, herrschte sie unumschrnkt. Von seinen poetischen Plnen allein waren die hoffnungsvollen Phantasien seiner letzten Wochen erfllt. Jene Fragmente demnach, welche sich in seinem Nachlasse vorfanden und von denen zuerst Friedrich Schlegel eine Reihe herausgegeben hat, dann Blow eine andere, gehçren der nun dargestellten Lebensepoche an. Von ihnen ist zunchst zu reden; aber nicht, wie bisher geschah, mit verzweifelten Aussprchen ber ihre Paradoxie oder in kahlen Aufzhlungen. Hardenberg wollte in einer Encyclopdie dem Grundgedanken der Zeitphilosophie die Summe der erworbnen Anschauungen unterwerfen. Es war das der innerste Drang der philosophischen Zeitgenossen. Friedrich Schlegel trug sich jahrelang mit derselben Absicht. Schelling verwirklichte sie in seinem „philosophischen Studium“ durch einen ersten Entwurf. Hegel erst vollendete in seiner Weise was ihnen allen vorschwebte. Die Aufzeichnungen Hardenberg’s enthalten die Gedankenkeime eines solchen Ganzen. In ihnen liegt seine Bedeutung fr den wissenschaftlichen Geist seiner Zeit. Wir kçnnen hier nicht darstellen wie sie sich zu den gleichzeitigen Aeußerungen Friedrich Schlegel’s, Schleiermacher’s, Schelling’s verhalten. Die Jahre von der Wirksamkeit Fichte’s in Jena bis zur Gestaltung der Naturphilosophie und dann einige Jahre spter der Philosophie der moralischen Welt sind eine Periode ungeheurer Ghrung, khnster Entwrfe, die positiven Wissenschaften der Natur und des Geistes den Prinzipien der Wissenschaftslehre zu unterwerfen. In solchen Epochen soll man nicht pedantisch Priorittsfragen nachgehen, berall die Ideen aus Einem Kopfe in den anderen bergehen sehen wollen. Wir haben eine belehrende Analogie an der Gegenwart. Das natrliche Problem, welches aus der gegenwrtigen Lage unsrer Wissenschaften entspringt, den geschichtlichen Wissenschaften eine strengere wissenschaftliche Grundlage zu geben, ruft an den verschiedensten Punkten, in ganz verschiednen Lndern, vçllig unabhngig von einander, verwandte Lçsungsversuche hervor. In vielen, die heute noch nicht ber diese Frage das Wort ergreifen, sind doch auch solche Versuche vielfach erwogen worden. Wenn Jemand mit einem Lçsungsversuche heraustritt: so wre sehr unbillig, seine Gedanken zu behandeln als Modifikationen, Umgestaltungen der von anderen geußerten. Die Bedingungen, unter welchen nun damals diese Mnner nebeneinander ihre Ideen ausbildeten, lagen in der Philosophie Fichte’s, in dem Sieg einer dynamischen Naturerklrung durch Kant und einer Reihe naturwissenschaftli-
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cher Fortschritte, welche dieses Uebergewicht auch empirisch zu begrnden schienen, in der sthetischen Kultur, welche sich mit Fichte’s Philosophie auseinanderzusetzen suchte. Diese Bedingungen, welche in der damaligen intellektuellen Kultur lagen, brachten zunchst naturphilosophische Versuche hervor. Man hat Novalis als einen Vorlufer der Schelling’schen Naturphilosophie dargestellt, ja ihn unter die Quellen gerechnet aus welchen Schelling, in dem nun einmal nichts original sein soll, geschçpft habe. So thut z. B. Noack in seiner Schrift ber Schelling. Das ist eine ganz unbewiesene Annahme. In dem was Novalis selbst 1798 von Ideen verçffentlicht hat, befindet sich gar nichts Eigenthmliches zur Naturphilosophie. Die in den Lehrlingen von Sais herrschende Naturbetrachtung ist poetisch ganz original; aber mußte Schelling den Gedanken, daß die entschleierte Natur der Geist sei, von Novalis erhalten? Vielmehr die Schrift von der Weltseele ist mit Novalis’ Entwurf der Lehrlinge gleichzeitig, berhaupt mit seinen Freiberger Naturstudien. Beide sahen die Natur mit dem Auge des Fichte’schen Systems: dieselben Bedingungen brachten in beiden dieselbe Form des Pantheismus hervor. Ich kann aber auch in dem, was dann spter als seine Studien in Freiberg reifer wurden entstand, wenig sehn, was dem festeren Bau einer Naturphilosophie htte eingefgt werden kçnnen. Die Hymnen auf die Mathematik sind ganz unfruchtbar, da hier mit einem mystischen Begriff gespielt wird: einer chten Mathematik, die im Morgenlande zu Hause sei, in Europa aber zur bloßen Technik ausgeartet sei. In derselben Weise werden die Theorien des Galvanismus und der Brown’schen Heilmethode durch eine grenzenlose Verallgemeinerung zum leeren, durch kein besonnenes Studium gesttzten Spiel mit den Anschauungen der Reize, der Erregungen, der Galvanisation. Wo dagegen in die Tiefe dringende Bemerkungen auftreten: da gehçren sie einer dichterischen Anschauung der Natur an. Zuweilen scheinen sie geradezu Stoff seiner poetischen Arbeiten zu sein, daher sie denn auch, mitten unter wissenschaftlichen Notizen, viele Mißverstndnisse erregt haben. Ueberall aber durchdringt ein Geist dichterischer Gestaltung seine Theorien. So wenn er etwa sagt: mit der Welt entsteht die Begierde, ein Hang zum Zerfließen oder die Schwere. Diese naturphilosophischen Ideen sind daher viel mehr ein Glied in der Entwicklung dichterischer Naturanschauung. Diese Entwicklung gehçrt zu den am meisten bezeichnenden Zgen unserer modernen Dichtung. Wie in ihr wissenschaftliches Naturstudium und dichterische Naturanschauung zusammengingen, wie in Gçthe beides vereinigt war, wie die Poesien von Novalis und Steffens diesen Weg verfolgten und Tieck, obwohl positiven Studien gegenber ungeduldig, ihnen in diesen Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Naturstudium zu folgen suchte, wie auf der anderen Seite Alexander
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von Humboldt und Johannes Mller, die grçßten Naturforscher von der freien Naturanschauung dieser Epoche einen Anstoß zu ewiger Bewegung erhielten – : diese Wechselwirkung gab unsrer Dichtung wie unsrer Naturforschung in dieser Epoche gleicherweise ihr Geprge. Dagegen finde ich die Gedanken Hardenberg’s ber die Wissenschaften des Geistes von hervorragender Originalitt. Seine Ideen verdienen hier neben denen von Friedrich Schlegel und Schleiermacher, inmitten der Ghrung um die Wende des Jahrhunderts, ihren Platz. Insbesondere dadurch, daß er, vermçge der weiten Umschau, welche ihm seine naturwissenschaftlichen Studien gaben, fr die Wissenschaften des Geistes einen fruchtbaren Einheitspunkt ergriff, ganz abweichend von denen der Systeme Schleiermacher’s und Hegel’s und uns Heutigen weit nher gelegen. So paradox es erscheint: dem Gesichtspunkt, welchen er faßte, entspricht am meisten das System Schopenhauer’s, auf seinen ursprnglichen Wurf im Ganzen angesehen. Wir kennen eigentlich nur das, was sich selbst kennt. Von diesem tiefsinnigen Gedanken aus erscheint die Consequenz natrlich: die Natur ist unbegreiflich per se. Sie ist es gar nicht aus einem zuflligen Grunde, sondern sofern das Licht des Bewußtseins sie nur von außen trifft. Sie erscheint nun aber als ein Universaltropus des Geistes, das heißt als ein symbolisches Bild desselben. Demgemß ist sie durch diesen allein verstndlich. Und wie nun Hardenberg in Betreff des innersten Geheimnisses unsrer selbst in unaufhçrlichen Vermuthungen begriffen ist: so sieht er auch das diesem entsprechende Innerste der Natur wie in den wechselnden Beleuchtungen solcher auf- und absteigender letzter Conceptionen. „Die Welt ist eine sinnlich wahrnehmbare, zur Maschine gewordene Einbildungskraft.“ Dann wieder erscheint ihm das Herz als der Schlssel der Welt. Oder er findet, daß wir immer zuletzt an den Willen stoßen, als hervorbringenden Grund. Dieser Wechsel, vermçge dessen das ganz von einander abstehende wie Schatten in einander verfließt, liegt in der Natur dieser Conceptionen. Er erscheint schon in Jakob Bçhme, dessen Einfluß hier, wie in Schelling’s spterer Epoche und in Schopenhauer sichtbar ist. Ganz deutlich ist nur die negative Erkenntniß, daß die Welt, wie wir sie nicht anders als nach Analogie unsres Ich aufzufassen vermçgen, nicht aus der Vernunft, als dem Grundcharakter desselben erklrt werden kçnne, sondern aus einer ghrenden Tiefe desselben, welche, uns selber Geheimniß, in Wille oder Einbildungskraft mindestens ebenso primr hervorbreche. Das Problem der Welt lçst sich uns demnach, soweit es berhaupt auflçsbar ist, durch die Anschauung unsres eignen Inneren. Das wunderbarste, das ewige Phnomen ist das eigne Dasein. Das grçßeste Geheimniß ist der Mensch sich selbst. Die Wissenschaft aber, welche es mit diesem hçchsten Phnomen zu thun hat, ist die R e a l p s y c h o l o g i e . „Baader ist ein realer Psycholog und
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spricht die chte psychologische Sprache. Reale Psychologie ist vielleicht auch das fr mich bestimmte Feld.“ An anderen Stellen bezeichnet er dieses grundlegende Studium, auf welchem die Wissenschaften des Geistes in erster Linie beruhten, auch als A n t h r o p o l o g i e . Vor Allem ist ihm Anthropologie die Basis der Menschengeschichte. Er findet daß der hçchste Gehalt der Geschichte die Auflçsung dieser unendlichen Aufgabe sei, das Geheimniß zu enthllen, welches der Mensch sich selber ist. Er anticipirt hier vçllig Hegel’s Gedanken daß der Hçhepunkt aller Geschichte die werdende Selbsterkenntniß des menschlichen Geistes sei. Er findet auf der anderen Seite, daß die reale Psychologie oder Anthropologie den unendlichen Gehalt der menschlichen Natur nur an seiner Entwicklung in der Geschichte zu studiren vermag. Hiermit anticipirt er einen uns nahe liegenden Standpunkt. In sehr bemerkenswerther Weise zeigt dieser Gedanke einer Realpsychologie die innere Verwandtschaft der Bestrebungen dieser Epoche, in ihrem Ursprung, mit denen der Gegenwart. Wir bedurften lange Zeit die schrfste Empfindung des Gegensatzes dieser seit Fichte hervorgetretenen verschiedenartigen Arbeiten gegenber einer wahrhaft exakten Psychologie. An dem Punkte angelangt, die Erklrung aller seelischen Phnomene aus den Gesetzen, nach welchen sich in der Seele Vorstellungen zu einander verhalten, als unzureichend anzuerkennen, sind wir in der Lage, den innersten Gehalt von Bestrebungen gerechter zu wrdigen, von denen ganz gleichmßig, bei der grçßten Verschiedenheit der Ideenkreise, geniale Naturen wie Schleiermacher, Hegel, Schopenhauer bewegt wurden. Was heißt Realpsychologie? Eine Psychologie, welche den I n h a l t unserer Seele selber zu ordnen, in seinen Zusammenhngen aufzufassen, soweit mçglich zu erklren unternimmt. Indem ich die Gesetze erforsche, nach welchen Empfindungen sich in Vorstellungen ausbilden und Vorstellungen sich zu einander verhalten: so finde ich nichts als F o r m e n , innerhalb derer die Seele thtig ist. Liegt in diesen Formen der zureichende Erklrungsgrund fr die Verwandlung der Empfindungen, in welchen unsre Seele auf die Reize antwortet, in das zusammenhngende Ganze menschlicher Weltansicht? Angeborene Ideen, Kategorien und Grundstze haben die beiden großen lteren deutschen Philosophen diesen Gesetzen als einen zweiten Faktor gegenbergestellt. Die Bedeutung des Problems wird aber erst in seinem ganzen Umfang gesehen, sobald man erkennt, daß die Phnomene des Willens und der Gefhle auf die Verhltnisse der Vorstellungen nicht zurckfhrbar sind. Wenn Spinoza von der Selbsterhaltung ausgeht, wenn Kant in dem Sittengesetz eine eigene aus dem Vorstellungsleben nicht erklrbare Wurzel unserer moralisch-religiçsen Weltansicht annimmt: so ergiebt sich von hier aus eine noch viel weiterreichende Erklrung des Inhaltes unserer Seele. In dieser Richtung weiterschrei-
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tend, erblicken wir Schleiermacher, Hegel, Schopenhauer. Es sind Anfnge. Wir heute mssen unsern eigenen Weg uns bahnen, aber doch mit dem Gefhl, daß andere vor uns mit diesen hçchsten Problemen rangen, mit bestndigem Rckblick auf ihre Arbeiten, so ganz unvollkommen auch die Methode derselben war. Demgemß ist von ungemeinem Interesse zu sehen, wie, unter dem Gesichtspunkte einer solchen Realpsychologie, Hardenberg mit dem wunderbaren Reichthum und der Rthselhaftigkeit der Phnomene rang, welche der menschliche Geist, die Menschengeschichte darbietet. Sein Gesichtspunkt selber gab ohne Weiteres ganz verschiednen Disciplinen die denkbar grçßte Einheit. Die Ethik, die Religionsphilosophie, die Aesthetik, die Philosophie der Geschichte, sie alle betrachten von verschiedenen Seiten dasselbe grenzenlose Gewebe von Erscheinungen. Es war schon fr sich von großem Werthe, unbeirrt von knstlichen Trennungen und der sich an sie knpfenden Tradition die inneren Zusammenhnge selber zu berblicken. Eine solche aus dem Zusammenhang des seelischen Gehaltes selber sich zwanglos, mit klarer Grçße entwickelnde Einheit, ungehindert von willkhrlichen Abgrenzungen der Fcher, giebt dem Werke Schopenhauer’s von 1818 ein so knstlerisches Geprge, daß selbst die Einsicht in die Willkhr, welche diesen Zusammenhang ersann, die Freude an dem freien und großen Geiste der Architektur des Ganzen nicht ganz zu vernichten vermag. Aber diese Einheit der seelischen Phnomene lag nur in Hardenberg’s Wnschen; wer kann sagen wie viel ihm hier in reiferen Jahren gelungen wre? In dem was wir haben ist noch lauter Schwanken. Am besten verdeutlicht diese Wnsche und diese Unsicherheit folgende Aufzeichnung: „Sonderbar daß das Innere der Menschen nur so drftig betrachtet und so geistlos behandelt worden ist. Die sogenannte Psychologie gehçrt auch zu den Larven, welche die Stellen im Heiligthume eingenommen haben wo chte Gçtterbilder stehen sollten. Wie wenig hat man noch die Physik fr das Gemth, und das Gemth fr die Außenwelt benutzt. Verstand, Phantasie, Vernunft, dies sind die drftigen Fachwerke des Universums in uns. Von ihren wunderbaren Vermischungen, Gestaltungen, Uebergngen kein Wort. Keinem fiel es ein, noch neue ungenannte Krfte aufzusuchen und ihren geselligen Verhltnissen nachzuspren.“ Aber es scheint als ob auch diese noch schwankenden Anschauungen dahin neigten, wie bei Fichte, Schelling, Schopenhauer geschah, im Willen den elementaren Grund des menschlichen Daseins zu erblicken. „Im Grunde lebt jeder Mensch in seinem Willen.“ Demnach vermag der Mensch was er will; ja von der unwandelbaren Richtung unsres freien Willens scheint sogar die Form unsrer Fortexistenz abhngig zu sein.
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Hardenberg versucht nun die Natur des Willens durch den aus Brown’s physiologischem System aufgenommenen Begriff der Erregbarkeit, des Verhltnisses zu den Reizen zu beleuchten. Die Mannichfaltigkeit der Reize wchst mit der Hçhe der Organisationen; auf ihr beruht unsere Freiheit. Je einfacher der Mensch lebt und gereizt wird, desto mehr ist er gebunden, unfrei. Demgemß ist die Seele um so strker, erregbarer, je complicirter, mannichfaltiger sie ist. Widerstandskraft und Auswahl den Reizen gegenber ist das Resultat einer solchen Bildung des Willens. Dagegen bestimmt der zufllige Reiz den Ungebildeten; er sucht in dem so ihn berhrenden Gegenstande alles, denn er fhlt durch denselben sein unendliches Wesen in dunkler Ahnung. Daher denn auch dem Menschen ein leidenschaftlicher Zustand um so ahndungsvoller und behaglicher dnkt je schwcher er selber ist. Von hier aus unterscheidet er Unlust als M a n g e l an Trieb, Kraft, Reiz, Stoff vom Schmerz als einem heftigen Untrieb oder G e g e n t r i e b . Die Natur des Schmerzes beschftigt ihn bestndig, entsprechend den starken subjektiven Impulsen seines Nachdenkens, welche ihn auch auf die Natur der Krankheit immer wieder zurckfhrten. „Es ist die Mçglichkeit eines unendlich reizenden Schmerzes da.“ Sehr nahe streift er in diesem Suchen an den wichtigen Gedanken, daß Lust und Unlust doch nur eine sehr rohe und unangemessene Bezeichnung fr das Eigenthmliche in der Welt unserer Gefhle sind. Von demselben Punkte aus experimentirt er, so zu sagen, mit den Verhltnißbeziehungen zwischen Reiz, Erregung und Trieb. Sehr tief berhrt er hier die Bedeutung der Illusion fr die Geschichte unseres Willens; die Befriedigung ist ihm die Auflçsung eines illusorischen Problems, „die Selbstverbrennung einer Illusion.“ Er verfolgt den Gedanken von der Bedeutung dieser Tuschungen ohne jeden Anklang an die pessimistische Folgerung, welche Schopenhauer spter aus ihm zog. Vielmehr enthlt ein kleiner anmuthiger Dialog die entgegengesetzte romantische Consequenz. Es gilt das Leben wie eine schçne genialische Tuschung, wie ein Drama anzusehen: dann, im vollen Bewußtsein der zeitlichen Illusion, welche das Leben ist, haben wir schon hier im Geiste absolute Lust und Ewigkeit. Aber mitten in aller Selbstbetrachtung bleibt der menschliche Geist sich selber ein Rthsel. „Die Geschichte der Philosophie als der Wissenschaft im Großen, der Litteratur als Substanz enthlt die Versuche der idealen Auflçsung dieses idealen Problems – dieser gedachten Idee.“ Demgemß ist die wahrhafte Weltgeschichte nichts als die Auflçsung der unendlichen Aufgabe, welche fr den Menschen in dem Geheimniß seines eignen Wesens liegt. Hieraus folgt daß erst in dem Augenblick die Erhebung der Geschichte zu wahrhaft wissenschaftlichem Begreifen mçglich ward, in welchem der menschliche Geist sich selber durchdrang, in sich selber den typischen Keim einer unermeßlichen
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Welt fand und nunmehr in der Entfaltung desselben in dem Verlauf der Weltgeschichte ein eignes durchaus erklrbares Ganze erkannte. Aus diesem Wesen der menschlichen Seele folgt die hçchste Aufgabe unserer intellektuellen und moralischen Kultur. „Die hçchste Aufgabe der Bildung ist sich seines transscendentalen Selbst zu bemchtigen, das Ich seines Ichs zugleich zu sein.“ „Man muß nothwendig erschrecken, wenn man einen Blick in die Tiefe des Geistes wirft. Der Tiefsinn und der Wille haben keine Grenzen. Es ist damit wie mit dem Himmel. Ermdet steht die Einbildungskraft still – hier stoßen wir nun auf die geistige Lebens-Constitutionslehre und das Moralgesetz erscheint hier als das einzige wahre große Graderhçhungsgesetz des Universums, als das Grundgesetz der harmonischen Entwickelung.“ Welche Bedeutung kann nun im Zusammenhang solcher Ideen der Religion und dem Christenthum zukommen? Hier muß sich entscheiden, welche Stellung jene subjektiven Motive einer Abwendung von der Welt und die Fortgestaltung derselben zu einem katholischen Ideal im Ganzen seines Denkens haben konnten. Hier muß sich entscheiden, ob Tieck Recht hatte, wenn er alle katholischen Folgerungen aus Hardenberg’s Wirken herb abweist und seine Stellung vçllig von der Friedrich Schlegel’s absondert. Was Hardenberg vor dem Erscheinen der Reden ber Religion verçffentlicht hat: geht nur in Einem Punkte untersuchend auf das Wesen der Religion ein. Nichts sei zur wahren Religion unentbehrlicher als ein Mittelglied das uns mit der Gottheit verbinde. In der Wahl derselben msse der Mensch schlechterdings frei sein. Hier erçffne sich eine Entwicklung, die von Fetischen, Gestirnen, Thieren weiterschreite zu Helden, Gçtzen, Gçttern, endlich einem Gottmenschen. Er versteht nun unter Pantheismus die Idee, daß Alles Organ der Gottheit, Mittler sein kçnne, indem der Glaubende es dazu erhebe, unter Monotheismus dagegen den Glauben, daß es nur Ein solches Organ in der Welt fr uns gebe. Von diesem Gedanken gehen verwandte Ideen in den Reden ber Religion aus. Andererseits aber rief nun diese Schrift erst in Novalis ein zusammenhngendes Nachdenken ber Religion und Christenthum hervor. Und zwar sucht dasselbe, abweichend von der Richtung der Reden, vermçge einzelner psychologischer Intuitionen sich dem Ganzen dieser Phnomene zu nhern. Er bezeichnet das Herz gleichsam als das religiçse Organ. „Indem das Herz, abgezogen von allen einzelnen wirklichen Gegenstnden, sich selbst empfindet, sich selbst zu einem idealischen Gegenstande macht entsteht Religion.“ Auch hier also ist die Gottheit der Schatten, welchen das Ich wirft. Von Fichte bis auf Feuerbach ist dieser Gedanke immer wieder ausgefhrt worden. „Noch ist keine Religion. Man muß eine Bildungsschule chter Religion erst stiften.“ Es giebt aber keine Religion die nicht Christenthum wre. Die
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Grundzge der Religion sind im Christenthum sehr tief verwirklicht. Auch hier das merkwrdige, diese romantische Religion bezeichnende Schwanken. Von einer neuen Bibel, von ganz neuen Evangelien spricht Hardenberg; er scheint in Erwartung ganz neuer religiçser Entwicklungen; und dann erblickt er doch wieder in den Grundzgen des Christenthums die Grundzge aller Religiositt berhaupt. Gerade an diesem am meisten von Hardenberg erwogenen Punkte widersprechen sich am strksten seine Aeußerungen aus verschiednen Zeiten, welche leider in den Fragmenten ganz willkhrlich durcheinandergeschoben sind. Der Grundcharakter des Christenthums ist Negativitt. „Absolute Abstraktion, Vernichtung des Jetzigen, Apotheose der Zukunft, dieser eigentlich besseren Welt: dies ist der Kern der Geheiße des Christenthums.“ Das Christenthum steht in Opposition mit Wissenschaft und Kunst und eigentlichem Genuß. Es ist der Keim alles Demokratismus, indem es auf den bloßen guten Willen im Menschen und seine eigentliche Natur, ohne alle Ausbildung, Werth legt. Ein zweiter Grundzug ist eine unendliche Wehmuth. Sollen wir Gott lieben, so muß er hilfsbedrftig sein, wie er im Christenthum erscheint. Wenn schon diese letzte Ansicht wieder auf die Reden ber Religion hinweist: so ist das noch mehr in Bezug auf die specifischen Dogmen des Christenthums der Fall. Auch ihm ist alles Wunder, oder, mit einer anderen Wendung, wahrhafte Ueberzeugung, diese hçchste Funktion unseres Gemths und unserer Personalitt, das einzige wahre Gott verkndende Wunder; der Wunder hçchstes, in verwandter Wendung, eine tugendhafte Handlung, als ein Aktus der freien Determination; jeder Tod soll ein Versçhnungstod sein; kurz das Historische des Christenthums allgegenwrtig. Er berschreitet diese Linie noch in paradoxen Bemerkungen, nach welchen Christi Geschichte ebensosehr ein Gedicht sei, der Inhalt der Bibel auffallende Aehnlichkeit mit einem Mhrchen habe: eine Bibel sei die hçchste Aufgabe der Schriftstellerei. Dann aber ruft er sich – jenen eigenen phantastischen Hang pflegend der mit seinem Geschick und seiner Krankheit, aber nicht mit seinen Ideen zusammenhing – selber zu: ich muß ordentlichen Aberglauben zu Jesus haben. Der Aberglaube ist berhaupt nothwendiger zur Religion als man gewçhnlich glaubt. Nur durch jenen realistischen Trieb, demgemß er auch den Zusammenhang zwischen Religion und Wollust mehrmals hervorhebt, hngen solche Gedanken mit seinen brigen zusammen. Will man so sein innerstes Verhltniß zum Christenthum erfassen: so tritt zunchst ein grenzenloses Bedrfniß wahlverwandten Verstehens und Genießens der christlichen Gemthsstimmung gegenber hervor. Da ist kein Bemhen um kritische Wahrheit; keine Andeutung wre zu finden daß er die Geltung des Christenthums inmitten unserer modernen Kultur jemals mit objek-
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tivem Geiste erwogen htte. Ein dem Christenthum wahrhaft wahlverwandter Geist mçchte von den wunderbaren Krften desselben so viel in sich aufnehmen, als ihm wie er nun einmal ist mçglich ist. Hieraus entsprang fr das historische Verstndniß des Christenthums ein ungemeiner Impuls. Man kann sagen, daß die Vertiefung des Gemths in die christliche Epoche mit ihm und seinem Freunde Friedrich Schlegel begann. Und zwar geschieht diese Vertiefung so zu sagen mit grçßerer historischer Wahlverwandtschaft in ihm als in irgend einem seiner Freunde. Denn dieselbe gab nur einem Elemente Gestalt das schon in ihm lebte, ja das sich zum Herrn seines Lebens gemacht hatte. Er lebte in der jenseitigen Welt. Sie war in Wirklichkeit die Heimath seines Herzens. Das gab seinem Christenthum gegenber dem seiner objektiv auffassenden Freunde und Genossen, insbesondere Schleiermacher’s ein ganz verschiedenes, ganz eigenartiges Geprge. Wie er demnach das Christenthum ergriff, war es ihm ein Mittel, alle Tiefe und Flle des Herzens, mit welcher er an der geheimnißvollen Welt hing die ihm Heimath war, aus grenzenloser Weite der Phantasie zu bestimmtem Bild und abgegrenztem Glauben zusammenzuziehen. Wie die Kirche Mittel fand, die grenzenlos schweifende Andacht und Sehnsucht des Herzens an bestimmte Gegenstnde und Formeln zu haften: ein solches Allerheiligstes, an welches sich seine Empfindungen knpfen drften, war hier das Christenthum. Das unbestimmte Antlitz der jenseitigen Welt schien in ihm aus der Dmmerung hervorzutreten. War er ein glubiger Christ? darauf soll man nun einmal schlechterdings mit einem frçhlichen Ja oder einem runden Nein antworten kçnnen. Man sollte vielmehr ein fr alle Mal davon ausgehn, daß wir Modernen uns zum Christenthum vollkommen anders verhalten als in den sechzehnhundert Jahren vor der Begrndung des wissenschaftlichen Geistes geschah. Die Summe von Begebenheiten, welche berliefert wurde, der innerliche Gehalt eines tausendjhrigen Gemthslebens der vom ersten Beginn ab darin lebendig sproßte und blhte sind auch den Tiefstreligiçsen unter den Vertretern der modernen Wissenschaft, sie sind auch den Pascal, Leibnitz, Schleiermacher, Fichte, Niebuhr, Savigny niemals eine Macht gewesen welche ihr Dasein gefangen nahm: ich wage zu behaupten daß nicht nur in dem historischen und ideellen Gehalt welcher aufgenommen wurde ein Unterschied war, sondern auch, was viel wichtiger scheint, in der F o r m d e r U e b e r z e u g u n g . Auf einem ganz Europa umspannenden Schauplatz, in einer beispiellosen Succession der genialsten wissenschaftlichen Krfte, wie sie eine solche Basis allein mçglich macht, hat der moderne wissenschaftliche Geist von der Entdeckung der Mechanik des Himmels ab bis auf diesen Tag, an welchem die Krfte der Gesellschaft und der Geschichte unser begeistertes Studium be-
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schftigen, seine siegende Laufbahn begonnen. Wir wissen daß die Zukunft sein ist. Wir wissen daß er bestimmt ist die Welt umzugestalten. Die einsame Seele des Forschers ist seit jener Zeit erfllt von dem edelsten Machtgefhl des Menschen. Die Erscheinungen Gesetzen unterwerfen, vermçge dieser Gesetze den Gang der Erscheinungen zu lenken, zu solchen M i t t e l n dem Menschen, auch dem letzten, das volle vorurtheilslose Selbstgefhl seiner B e s t i m m u n g geben, das will dieser siegreiche Geist der sich mit Kepler und Galilei seine Grundlage schuf. Von ihm erfllt sein, das heißt leben. Keine wahrhaft krftige, die Wissenschaften in ihrer Grçße zu fassen befhigte Intelligenz hat anders als im Vollgefhl dieser Bewegung gelebt. Bald in zrnender Leidenschaft, bald in heiterer Sammlung, in allen Formen, in allen Begrenzungen, war sie der Lebensinhalt jedes wahrhaft fruchtbaren intellektuellen Kopfes seit zwei Jahrhunderten. Demgemß konnte auch das Christenthum nur unter dem Gesichtspunkt dieses Interesses aufgefaßt werden. Die Beleuchtung der christlichen Thatsachen und Dogmen war also bedingt durch die Stelle in dem Gang und den Kreisen dieses wissenschaftlichen Geistes, von welcher aus dieselben gesehen wurden. Die Philosophen suchten den Wiederschein der Ideen in den Dogmen und Thatsachen; also fiel fr sie die dogmatische Form und die historische Fakticitt in verschwimmende Dmmerung. Die Historiker waren erfllt von den Wirkungen des Christenthums, von seiner geschichtlichen Macht; die Thatschlichkeit der berlieferten Historie desselben ward von den Niebuhr, Mçser, Savigny mit Sehnsucht und Piett behandelt, nie aber mit dem festen Glauben, dessen Maßstab sie von anderen Theilen der Geschichte her besaßen. Bei den Naturforschern steht das Christenthum am Rande des Horizontes ihrer Forschung; wie diese sich erweiterte ist es immer mehr zurckgedrngt worden. Ein Maßstab methodisch gewonnener, strengbegrndeter Gewißheit ergiebt sich aus dem wissenschaftlichen Studium; seitdem eine mathematische Naturwissenschaft, eine kritische geschichtliche Methode bestehn: kann nichts diesen Maßstab strengen Wissens mehr erschttern. Dagegen war bis zum Eintreten dieser Thatsache das Verhltniß der Ueberzeugungsgrade geradezu das entgegengesetzte: alle menschliche Wissenschaft mußte der gçttlichen Offenbarung gegenber vçllig ungewiß und wie Schatten schwankend erscheinen. Aus diesem neuen Verhltniß ergeben sich die modernen Religionstheorien nicht nur der Philosophen, sondern ebenso der protestantischen Theologie, welche das Mittelalter, ja welche auch Luther nicht einmal verstanden htte. Historie und Dogma treten in ihnen zurck hinter den ganz inneren Zusammenhang mit dem Gemthsleben und indem so das Christenthum in seiner wahren Heimath, gleich einem zurckgedrngten Welteroberer, sich festigt und seine Grenzen aufrecht erhlt: treten jene khlen Ueberzeugungsgrade zurck hinter den ganz heterogenen
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Gesetzen, welche im Gemth gelten, Gesetzen, welche in den Erscheinungen von Liebe, Sehnsucht, Bedrfniß, Friede des Herzens berall von der Beziehung der Ideen auf den in Lust und Leid, in Verlangen und Trieb bewegten Mittelpunkt unseres Daseins bestimmt werden. Dieses moderne Verhltniß zum Christenthum muß begriffen sein, indem man unternimmt einen aus der Zahl der intellektuell begabten Mnner zu wrdigen, welche ein bestimmtes Verhltniß zum Christenthum auszusprechen und zu fixiren bestrebt waren. Sonst ensteht jenes Nergeln, Beschnffeln, Bemngeln innerster Ueberzeugungen, welches das Verhltniß des Menschen zu den letzten Geheimnissen der Welt, dies Verhltniß das uns so klein macht und so groß, in flacher kritischer Zusammenstellung contrastirender Aeußerungen vçllig verkennt. Indem dies bei Novalis erwogen wird, werden nicht nur bereits erwhnte contrastirende Aeußerungen verstndlich, sondern auch der grçßte Gegensatz, der zwischen seinen dargestellten wissenschaftlichen Gedanken ber Religion und Christenthum und seinen „geistlichen Gedichten.“ In jedem zugleich natrlichen und tiefen Gemth regen sich zu Zeiten Bedrfniß, Sehnsucht, Hingabe, welche dann in anderen Tagen wieder wie ganz ferne stehn. Maria, Christus, die Auferstehung waren fr Novalis nicht Glaubensartikel: alles was ber die Natur moderner christlicher Ueberzeugungen gesagt ist gilt auch fr ihn. Eben darum wrde man freveln sie als poetische Gestalten fr ihn zu betrachten. Aber in tiefbewegten Stunden, da er in den nchtlichen Himmel einer jenseitigen Welt hinausblickte: formte sich das Chaos unendlicher Welten fr ihn zu diesen Sternbildern, zu denen der einsam Dahinschreitende als zu leitenden Schtzern sehnschtig emporblickte. Diese Lieder werden leben, ewig wie das Christenthum. Was sie von denen der großen geistlichen Liederdichter des 16. und 17. Jahrhunderts unterscheidet, ist eine Simplifikation und Verinnerlichung des Stoffs, welche auf dem vernderten Verhltniß zu demselben beruht. Jene alten geistlichen Lieder, wie denn die ersten in dem Drang reformatorischen Glaubenseifers, als Bekenntnisse, hervortraten, standen der Predigt ganz nahe: Ermahnung, Geschichte, Bekenntniß begegneten sich in ihnen; in der Flle des Glaubensgehaltes berhren sie das Mannichfaltigste. Diese „geistlichen Gedichte“ von Novalis sind Lieder im wahren Sinne des Worts: empfangen aus einer das Gemth tief bewegenden individualisirten Stimmung: ihr Inhalt ist eine ganz einfache, von der Phantasie in unbestimmter Weise getragene Anschauung, so verschwimmend, als ob diese Stimmung sie emporgetragen htte und sie dann wieder mit ihr versinken und sich auflçsen mßte, einer Vision zu vergleichen. Diese einfache, von der Stimmung emporgetragene Anschauung ist bald der sßeste Friede in der Anschauung Christi, des Freundes der Seelen: „endlich
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kommt zur Erde nieder aller Himmel selges Kind.“ Bald das wehmthig heimliche Gefhl wie er auf einsamen Pfaden, fern von der Menge, ihm folgt; „von Liebe nur durchdrungen, hast du so viel gethan, und doch bist du verklungen, und keiner denkt daran.“ Und dann wieder die rhrendste Empfindung des Mitleids mit ihm, wie sie in alten Bildern so wundersam ausgedrckt ist, in denen man Maria ber ihn gebeugt sieht, ihre Thrnen rinnen, unwillkhrlich drngen sie uns nach den Augen, da wir in dies gramzerstçrte Gesicht blicken. „Ewig seh’ ich ihn nur leiden, ewig bittend ihn verscheiden. O daß dieses Herz nicht bricht.“ Aber ber alles geht ein Zauber der einfachsten, reinsten Empfindung, der ber die Lieder an Maria gebreitet ist: wie ihm, seit er sie sah, der Welt Getmmel gleich einem Traum verwehte und nun ewig ein unnennbar sßer Himmel im Gemthe steht; wie er sie anfleht, nur einmal ihm ein frohes Zeichen zu geben, oft in Trumen sei sie ihm erschienen, in Kinderzeiten: „Unzhligmal standst du bei mir, Mit Kindeslust sah ich nach dir, Dein Kindlein gab mir seine Hnde, Daß es dereinst mich wieder fnde! Du lcheltest voll Zrtlichkeit Und kßtest mich: o himmelsße Zeit
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Fern steht nun diese selge Welt – “ Indem wir von diesen Liedern reden, wenden wir uns von dem wissenschaftlichen Ausdruck seiner Weltansicht zu dem dichterischen. Sie begannen seine dichterische Epoche, damals als er Tieck kennen lernte. Und zwar entstanden sie, wie der Aufsatz ber die Christenheit, unter dem Eindruck der Reden ber Religion. Im Herbst 1799 las er sie den Freunden vor und Friedrich Schlegel fand, daß sie das Gçttlichste seien was er je gemacht, mit nichts habe die Poesie drin Aehnlichkeit als mit den innigsten und tiefsten unter Gçthe’s frheren kleinen Gedichten. „Die Ironie dazu ist – schrieb er an den Freund dessen Reden diese Bewegung angefacht hatten – daß Tieck, der kein solch Lied herausbringt, wenn er auch Millionen innerliche Burzelbume schlgt, nun auch solche Lieder machen soll; dann nehmen sie noch Predigten dazu und lassen’s drucken.“ Auch Tieck erwhnt des wunderlichen Unternehmens, indem er aber ber seinen eignen Antheil stillschweigend hinweggeht: die Predigten htten die wichtigsten Momente und Ansichten des Christenthums enthalten sollen. Ich beziehe auf diesen Plan einige Bemerkungen in dem von Blow verçffentlichten Nachlaß (III, 171, 194, 5, 267, 317 vgl. II, 263). Selbst die Lavater’schen Lieder enthielten noch zu viel Moral und Asce-
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tik; „die Lieder mssen weit lebendiger, inniger, allgemeiner und mystischer sein.“ Auch die Predigten mßten schlechthin nicht dogmatisch, sondern unmittelbar, zur Erregung des heiligen Intuitionssinns, zur Belebung der Herzensthtigkeit sein. Predigten und Lieder kçnnen Geschichten enthalten; diese wirken vorzglich religiçs. In diesem Sinne nennt er die Predigten auch Legenden: diese seien der eigentliche Stoff derselben. Solche chte Legenden oder Predigten seien Nassir und Zuleima, die Bekenntnisse einer schçnen Seele und das Heimweh. Man sieht wie der Plan gedacht war fr welchen allerdings Tieck ein wunderlicher Genosse gewesen wre. Man sieht auch, wie, die Verschiedenheit der Natur miterwogen, dieser Plan dem der Visionen verwandt war, welchen Schleiermacher nach den Reden faßte. Es war kein Zufall, sondern lag in der Natur der Sache, daß alle Plne dieser Art, dem innersten religiçsen Leben einen ganz freien, man mçchte sagen litterarischen Ausdruck zu geben wieder niedersanken. Die geistlichen Lieder von Novalis, die Predigten von Schleiermacher ruhten auf dem inneren Zusammenhang mit der christlichen Gemeinde. Die Form nun, in welcher Novalis seiner Weltansicht den adquaten dichterischen Ausdruck zu geben gedachte war die des Romans. Seit dem Erscheinen des Wilhelm Meister war dieser Gedanke, mit dem Studium des wunderbaren Buches, in ihm aufgewachsen; nach einigen Bruchstcken eines frheren Planes, der Lehrlinge von Sais, ergriff er den Stoff des Ofterdingen, seines einzigen grçßeren, obwohl unvollendeten Werkes. Von Wilhelm Meister aus kann daher allein seine dichterische Stellung begriffen werden. Hier tritt uns aber entgegen, daß die Einwirkung dieses großen Werkes auf die dichterische Produktion jener Jahre in keiner Darstellung in ihrer vollen Bedeutung erscheint. Werden wir berhaupt jemals die Mittel finden, die Einwirkung wissenschaftlich darzustellen, welche die Phantasie einer Epoche durch ein Kunstwerk empfngt? Die Litteraturgeschichte hat bisher dies Problem nicht einmal klar gesehn: seine Lçsung liegt in der Zukunft der Psychologie, welche freilich heute noch weit von der Einsicht in die Gesetze der Phantasie entfernt ist. Wir sehen nur gewissermaßen von außen, historisch, wie gewisse Gestalten und Entwicklungsformen in verschiednen Modifikationen die Phantasie einer Epoche ganz erfllen, wie andererseits eine bestimmte Form, in welcher die Phantasie die Gegenstnde concipirt sich fortpflanzt. Es wre schon ein ungemeiner Fortschritt, wenn wenigstens dieser historische Gesichtspunkt in’s Auge gefaßt und durchgefhrt wrde. Wir haben es hier nur mit einer Seite der Einwirkungen des Wilhelm Meister zu thun, mit seinem Einfluß auf die Dichtung der Romantiker. Und hier erscheinen nun in Bezug auf die Gestalten und Entwicklungsfor-
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men der Sternbald von Tieck und der Florentin von Dorothea Veit recht geeignet dies Verhltniß zu veranschaulichen. Wilhelm Meister enthlt gewissermaßen den Grundriß des Sternbald; die Bildungsgeschichte eines vermçge der Kunst aufstrebenden Brgersohns, die ihn durch verschiedene Abentheuer hindurch in die vornehme Gesellschaft fhrt, das Schema dieser Verhltnisse, die flchtige Erscheinung eines Mdchens, welche sich in seine Jugendtrume verwebt am Beginn, dann durch mannichfache Schicksale hindurch das Wiederfinden und die Vereinigung; ja um die Aehnlichkeit zu vollenden, diese Vereinigung durch die Schwester, eine Grfin vermittelt, in deren Schçnheit schon in Vorausahnung die Geliebte verehrt wird. Das schçne, fr eine solche Bildungsgeschichte geradezu classische Motiv durch das flchtige frhe Erscheinen der Geliebten der Entwicklung und ihrer Darstellung im Voraus Einheit und Zusammenhang, durch ihr Verschwinden dann wieder Freiheit fr die mannichfaltigsten Verhltnisse, endlich durch das Wiederfinden einen gewissermaßen providenziellen Abschluß zu geben: hat sich seit Wilhelm Meister so tief in die Phantasie der Romandichter geprgt als ob die Natur selber darauf fhre, weil es so einfach ist. Auch die Gruppirung des Titan, dieses einzigen vollendeten Kunstromans von Jean Paul in großem Styl, der in so bewußter Nebenbuhlerschaft des Wilhelm Meister gearbeitet ist, folgt demselben Schema, mit einiger Modifikation der Erfindung. Im Florentin ist man wie zwischen den Schatten der Gçthe’schen Gestalten. Die Klostergeschichte Florentin’s ist aus der Geschichte des Harfners und des Marchese entstanden; Clementine ist die zweite schçne Seele, ihr Verhltniß zu dem Hause, wie sie aus der Entfernung alles leitet, die Verwirklichung des hçchsten Kunstsinns in ihrer Umgebung, das alles ist aus der Anschauungswelt der Familie, welcher der Oheim, Natalie und die schçne Seele angehçren, wie in eins gezogen. So klingt denn auch in dem Heinrich von Ofterdingen Manches nach. Insbesondere ist die Gestalt der Morgenlnderin eine wenig verhllte Modifikation Mignon’s. Unvergleichlich wichtiger ist aber, wie das Verfahren der Phantasie, die Form, in welcher die Erscheinungen concipirt und dargestellt werden, von Wilhelm Meister aus diese romantischen Kreise bestimmt. Und so hervorragend erschien gleich damals diese knstlerische Eigenthmlichkeit des Romans, daß die wahrhaft befhigten Kritiker, wie Schiller, Friedrich Schlegel, gleich von vorn herein diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund stellten. Und diesem war denn auch, noch bevor Friedrich Schlegel’s Kritik erschien, ein tiefdringendes Studium von Novalis gewidmet. Wie dies Studium seine Entwicklung seit 1796 begleitete, gab ihm freilich die wachsende Divergenz der Standpunkte eine andere Richtung. Aber fr seine eigne und die romantische Dichtung war jener erste Gesichtspunkt der wichtigste.
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Es sei sonderbar – hiervon geht er aus – daß in der Natur nur das Grelle, das Ungeordnete, Unsymmetrische, Unwirthschaftliche nicht mißfalle und hingegen bei allen Kunstwerken Milde, schickliches Verlaufen, Harmonie und richtige gefllige Gegenstze unwillkhrlich gefordert werden. Die Erzhlung enthalte oft eine gewçhnliche Begebenheit, aber sie unterhalte. Sie unterhalte die Einbildungskraft im Schweben oder im Wechsel, setze sie in einen knstlichen febrilischen Zustand und entlasse sie, wenn sie vollkommen sei, mit erneutem Wohlgefhl. Und zwar sei der Vorgang eine Auffassung des Eigenthmlichen dergestalt daß es schçpferisch in das Allgemeine erhoben werde – Auffassung des Eigenthmlich-Allgemeinen, des Nothwendig-Zuflligen. Sehr schçn, sagt er in dieser Beziehung, Alles Vollendete spreche nicht sich allein, es spreche seine ganze mitverwandte Welt aus, daher schwebe um das Vollendete jeder Art der Schleier der ewigen Jungfrau. Zeigt sich hier bereits, wie Novalis den dichterischen Charakter des Wilhelm Meister begriff und mit seiner Denkart verschmolz, so ist fr seine Entwicklung entscheidend, wie ihn eine Seite dieses Romans ergriff, welche auch Schiller bemerkt hatte. Ein Roman msse ganz Poesie sein; diese aber sei eine harmonische Stimmung unseres Gemths, in welcher sich alles verschçnere, jedes Ding seine gehçrige Ansicht, alles seine passende Begleitung und Umgebung finde. Demgemß erscheine in einem poetischen Buche alles so natrlich, zugleich aber – und das ist der entscheidende Punkt, so wunderbar: man glaube es kçnne nicht anders sein und als habe man nur bisher in der Welt geschlummert und gehe einem nun erst der rechte Sinn der Welt auf. Diese Empfindungsweise drckt unser Verhltniß gegenber dem Individuell-Allgemeinen, dem Nothwendig-Zuflligen genau aus. Aber in dem romantischen Geiste gewann die knstlerische Behandlung ber den Realismus das Uebergewicht. So erschien ihm das Gefhl des Fremdartigen, weit von der wirklichen Welt Abstehenden als das Grundgefhl der Poesie. Es sei seltsam daß in einer guten Erzhlung etwas Heimliches sei, etwas Unbegreifliches. Die Geschichte scheine noch unerçffnete Augen in uns zu berhren und wir stnden, indem wir aus ihrem Gebiete zurckkmen, in einer ganz anderen Welt. Die Kunst auf eine angenehme Art zu befremden, einen Gegenstand fremd zu machen und doch bekannt und anziehend: das sei die romantische Poetik, d. h. hier die Poetik des Romans. So richtig dies einen Grundzug des in W. Meister beginnenden modernen deutschen Romans bezeichnet: so war doch die Ueberspannung dieser Idealisirung, mit welcher dann eine ausschließende Vorliebe fr dies Gefhl des Fremdartigen, Heterogenen verknpft sein mußte, ein offenbarer Irrweg der Romantik. Die normale dichterische Stimmung ward damit verkehrt. Indem Novalis, welcher in den hier gegebnen Stzen den Mittelpunkt seines dichterischen Ideals sah, diesen Weg verfolgte, mußte er bald ge-
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wahren, wie weit er sich von Wilhelm Meister entfernte. Sein Urtheil ber denselben schrfte sich. Er gedachte gegen ihn zu schreiben. Einzelne Bruchstcke sind aus seinem Nachlaß erhalten (II, 181, 2, 228 III, 164, 171, 179, 181, 2, 285). Es scheint mçglich die Kritik gewissermaßen wieder herzustellen. Die Philosophie und Moral des W. M. sind romantisch. Das Gemeinste wird wie das Wichtigste mit romantischer Ironie angesehn und dargestellt, die Verweilung ist berall dieselbe (auch Schiller bemerkte in verwandtem Sinne, der Ernst sei in diesem Roman ein Spiel und das Spiel der wahre und eigentliche Ernst.) Die Accente sind nicht logisch, sondern metrisch und melodisch, wodurch eben jene wunderbare romantische Ordnung entsteht, die keinen Bedacht auf Rang und Werth, Erstheit und Letztheit, Grçße und Kleinheit nimmt. Eine merkwrdige Eigenheit Gçthe’s bemerkt man dabei in seinen Verknpfungen kleiner unbedeutender Vorflle mit wichtigeren Begebenheiten. Er scheint keine andere Absicht dabei zu hegen als die Einbildungskraft auf eine poetische Weise mit einem mysteriçsen Spiel zu beschftigen. Wie nun aber Schiller dem Wilhelm Meister den einzigen Vorwurf machte daß bei dem großen und tiefen Ernst der in dem Einzelnen herrsche und durch den es so mchtig wirke, die Einbildungskraft zu frei mit dem Ganzen zu spielen scheine und sogar Ursache ward, daß dem Abb e und Serlo im letzten Buche noch Einiges in den Mund gelegt ward, was dem Leser das Ganze in strengerem realistischen Zusammenhang erscheinen lassen soll: so war dagegen Novalis und seinen Freunden dieses romantische Element, welches in dem Unaufgeklrten, dem Zufall, der Bedeutung der die Einbildungskraft reprsentirenden Gestalten waltet, noch zu sehr unterdrckt, ja an diesem Punkte entwikkelte sich ein leidenschaftlicher Gegensatz. Nach Novalis hat insbesondere Bettina von Arnim diesen Gegensatz mit den beredtesten Worten ausgedrckt. Wilhelm Meister’s Lehrjahre sind prosaisch und modern; das Romantische geht darin zu Grunde, auch die Naturpoesie, das Wunderbare. Er ist eine poetisirte brgerliche und husliche Geschichte, in welcher das Wunderbare ausdrcklich als Poesie und Schwrmerei behandelt wird. Man erinnert sich, daß Schiller gerade die Einsicht bewunderte, wie „nur im Schooße des dummen Aberglaubens die monstrçsen Schicksale ausgeheckt werden, welche Mignon und den Harfenspieler verfolgen.“ Novalis erfaßt denselben Punkt, aber zieht die entgegengesetzte Consequenz. Der Geist des Buchs ist knstlerischer Atheismus. Ja es ist geradezu ein Candide, gegen die Poesie gerichtet. Und nun sehr richtige Einwendungen im Einzelnen, die Oberaufsicht, welche der Abb e fhrt ist lstig und komisch; der Thurm in Lothario’s Schlosse ist ein großer Widerspruch mit ihm selbst. Es lßt sich fragen wer am meisten verliert, ob
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der Adel, daß er zur Poesie gerechnet, oder die Poesie, daß sie vom Adel reprsentirt wird. Der Held retardirt das Eindringen vom Evangelium der Oekonomie und die çkonomische Natur ist endlich die wahre, brigbleibende. Wilhelm Meister ist ganz ein Kunstprodukt, ein Werk des Verstandes. Als Knstler ist Gçthe nicht zu bertreffen. Was uns an Schriften fesselt ist allemal die Melodie des Styls; Wilhelm Meister’s Lehrjahre sind ein mchtiger Beweis dieser Magie des Vortrags, dieser eindringenden Schmeichelei einer glatten, geflligen, einfachen und doch mannichfaltigen Sprache. Wer diese Anmuth des Sprechens besitzt, kann uns das Unbedeutendste erzhlen und wir werden uns angezogen und unterhalten finden. Wir stehen hier dicht vor dem Ofterdingen. Eine wunderbare Reproduktion des Gçthe’schen Styls, bertragen auf eine ganz von der Imagination geschaffne, wunderbare, fremdartige, ganz typische Welt. Er sagt es geradezu: Gçthe wird und muß bertroffen werden, aber nicht als Knstler, oder doch nur um sehr wenig; denn seine Richtigkeit und Strenge ist vielleicht schon meisterhafter als es scheint, sondern nur wie die Alten bertroffen werden kçnnen, an Gehalt und Kraft, an Mannichfaltigkeit und Tiefsinn. Diese Bemerkungen sind geschrieben whrend er am Ofterdingen arbeitete; wenigstens kehren sie fast wçrtlich in einem Briefe an Tieck aus dieser Zeit wieder, in welchem er berichtet, er habe schon die ganze Recension im Kopfe. In einer seiner paradoxen Antithesen, die widerstrebendes fr den Moment verknpfen, setzt er dieser gehalten realistischen Gçthe’schen Ansicht der Welt seine poetische Stimmung entgegen, wie er sie in Jacob Bçhme ausgedrckt finde! „Welch heitre Frçhlichkeit nicht dagegen im Bçhme und diese ist es doch allein, in der wir leben wie der Fisch im Wasser. Ich wollte noch viel Dir sagen, denn es ist mir Alles so klar und ich sehe so deutlich die große Kunst, mit der die Poesie durch sich selbst im Wilhelm Meister vernichtet wird und whrend sie im Hintergrund scheitert, die Oekonomie sicher auf festem Grund und Boden mit ihren Freunden sich gtlich thut und achselzukkend nach dem Meere sieht.“ Diese poetische Frçhlichkeit herrscht in der That im Ofterdingen, im Sternbald, im Florentin und bildet einen entschiednen Contrast gegen Gçthe’s reife, ruhig heitre Weltbetrachtung. Deutlicher als die blichen umfnglichen Herzensergsse ber den Geist der Romantik zeigt diese Reihenfolge der Wirkungen Wilhelm Meister’s auf Novalis Eine Seite der entstehenden romantischen Dichtung. Seine Worte sprechen ganz die Wirkung aus, welche diese im Meister herrschende Weise die moralische Welt aufzufassen und darzustellen auf seine dichterische Generation hatte. Will man diese Wirkung mit Hnden greifen, so vergleiche man Tieck’s frhere Erzhlungen und Romane mit dem Sternbald. Nichts liegt zwischen ihnen als der Wilhelm Meister. Aber dieser hatte die ganze Form ge-
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ndert, unter welcher die moralische Welt aufgefaßt wurde. Gçthe’s Roman giebt nichts weniger als ein objektives Bild derselben. Die Gewalt des Naturells, Leidenschaften, welche sich bis zum Verbrechen steigern, Neigungen und Gewohnheiten, welche die Menschen schlecht oder lcherlich machen, die harten Linien, welche individuelle Lage und Arbeit in ihre Zge graben, all das ist in den Hintergrund dieser Welt geschoben oder aus ihr ausgeschlossen. Der sprçde Stoff des Lebens ist ausgeschieden. Was hiervon noch in den ersten, frher geschriebenen Bchern lag, erhlt durch die letzten wenigstens eine neue idealisirende Beleuchtung. In diesen haben wir es nur mit der rein menschlichen Bildung, der Ausbildung der Individualitt, in verschiednen Lebensaltern, Stadien derselben, Lagen, zu thun. Die philosophische Betrachtung des wahren Menschen und seiner Bildung herrscht hier und giebt dem Ganzen seinen Gesichtspunkt. An diesem Punkte ist leicht zu sagen was unter der sogenannten sthetischen Weltansicht Gçthe’s und der Romantiker zu verstehen sei. Kann die moralische Welt sthetisch betrachtet werden? Man mçge die Frage umkehren: kann eine sthetische Welt einen moralischen Gehalt in sich schließen? Sie kann es. Nichts ist falscher als die Ansicht, Wilhelm Meister sei eben darum nicht unmoralisch, weil ein Gedicht mit Moral nichts zu schaffen habe. Die Composition enthlt ein moralisches Urtheil. Aber in welchem Sinne? da, wo die unbedingten sittlichen Gesetze unserer Existenz endigen, beginnen andere, welche in unserem besonderen Verhltniß zum Leben gegrndet sind, Gesetze der menschlichen Lagen. Von hçchster Bedeutung sind hier die Gesetze der Lebensalter und der Geschlechter, weil diese die von der Natur gegebnen Lagen bezeichnen, gegen welche sich aufzulehnen frevelhaft oder lcherlich ist. Keine Moral, in ihren ehernen Formen, vermag diese Gesetzgebung des fließenden Lebens adquat auszudrcken. Die Dichtung giebt ihr den Ausdruck. Die Epoche der sthetischen Ansicht der moralischen Welt machte gegenber verhrteten Doktrinen der Moral dieses Recht freier concreter Anschauung in der That geltend und begann damit eine Revolution unsrer moralischen Denkweise, welche Schleiermacher, Herbart, Hegel philosophisch abzuschließen gedachten, welche aber noch in vollem Flusse ist. Hier liegt auch der Keim der Lucinde von Friedrich Schlegel. Unmittelbar an die angedeutete Richtung des Wilhelm Meister schließt sich diese leidenschaftliche Verirrung. Mit wahrhafter kritischer Genialitt zeigt Friedrich Schlegel’s Abhandlung ber Wilhelm Meister, wie die kunstreiche Composition des Buchs in einer positiven moralischen Ansicht abschließt, die sich in dem Oheim, in Lothario, in Natalie, man mçchte sagen krystallisirt. Wenn er Werth darauf legte, daß diese Abhandlung Ironie enthalte: so geschah das, weil er sich wohl bewußt war, die Straffheit einer Composition, welche von dieser moralischen
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Ansicht aus gestaltet worden wre, Gçthe an vielen Punkten nur untergelegt zu haben. Das hieß: fr ihn war die Aufgabe einer sthetischen Darstellung der moralischen Welt in Wilhelm Meister noch nicht voll verwirklicht. Und so schloß sich sein eignes poetisches Experimentiren hier an. So schloß sich an Wilhelm Meister der doktrinre oder der Tendenzroman an. Er schloß sich an die moralphilosophische Seite des Werks, welche in der That in den beiden letzten Bchern vorherrscht. In diesen fand daher auch Fr. Schlegel folgerecht den Hçhepunkt des Romans, obwohl ja ganz offenbar, eben wegen dieser philosophischen Intention, die reine dichterische Kraft in ihnen abnimmt. Tieck und Novalis behandeln diesen Grundzug des Wilhelm Meister unbefangener. Sie nehmen diese dichterische Verallgemeinerung der Individualitten, diese Darstellung der verschiednen Standpunkte, unter denen uns die Welt erscheint, ebenfalls auf. Ja Novalis wenigstens fhrt das Typische in der Composition viel weiter und dem entsprechend nehmen die rein betrachtenden Gesprche einen noch breiteren Raum ein. Aber beide erhalten sich die freie Ausbreitung nach allen Seiten, welche der dichterischen Gemthsstimmung wesentlich ist. Dagegen bilden beide jenen Zug des Fremdartigen in der Erscheinung der Welt unter dem Einfluß von Motiven, welche in dieser Generation hinzutraten, wie in der dargestellten Theorie, so auch in ihren Werken aus. Die auf Gçthe folgende Generation wuchs unter dem Einfluß einer abstrakten, ganz idealistischen Philosophie auf; sie nhrte sich an Dichtungen; sie hat nie zum Leben ein ganz unmittelbares dichterisches Verhltniß gewonnen. Demgemß erhielt die Kunstform, die Doktrin, die Idealisirung nothwendig das Uebergewicht ber das Reale. Sie hatten wenig neue Anschauung der realen Welt mitzutheilen; sie hatten aber eine Steigerung der Kunstform ihnen eigen. Hierin unterscheiden sie sich ganz wesentlich von der folgenden dichterischen Generation, in welcher Kleist und Arnim hervortraten. Dieser gesteigerten Kunstform, diesem durchgebildeten Idealismus entsprach das erwhnte merkwrdige Gefhl und Darstellungsmittel, die Fremdartigkeit der Welt herauszuheben. Es war als ob sie durch ein gefrbtes Glas die Welt shen. So geben sie denn der Welt die Farbe ihrer Subjektivitt, werden nicht mde, sie wunderbar zu finden, fremdartig, seltsam. Sie schweben zwischen der Wirklichkeit der Dinge und ihrer philosophischen, ihrer Kunststimmung. Das waren die Bedingungen, das war die Grundrichtung von Novalis, in welcher Heinrich von Ofterdingen sich gestaltete. In bewußtester Nebenbuhlerschaft mit Gçthe, wie denn nach seiner Absicht schon Druck und ganze ußere Erscheinung des Buchs den Ofterdingen wie ein Gegenstck des Meister erscheinen lassen sollten.
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Neben Gçthe’s Meister wirkte, wie er selber Tieck schrieb, dessen Sternbald am meisten auf seinen Ofterdingen. Dieser Roman ist sehr berschtzt worden: neben den Mhrchen oder Genoveva darf er nicht stehn, ja Lovell ist von einer weit grçßeren Originalitt. Aber gerade weil Tieck hier so sehr in den Gestalten Wilhelm Meister’s weiterdichtet, unter welche Scenen und Figuren des Ardinghello sich mischen: ist doppelt merkwrdig, wie er eine solche Wirkung ben konnte. Er steht zu den lteren Erzhlungen Tieck’s im schroffen Gegensatz. In William Lovell lßt sich die Nachwirkung des Styls, der Naturanschauung, der Stimmungen des Werther berall bemerken. Das Schema der Handlung fr diese innere Welt muß dann Schiller’s Geisterseher herleihen. So ist auch hier seine Phantasie in den Banden fremder Dichtung. Aber die Misanthropie, ja die Menschenverachtung und der Weltschmerz, welche durch dies Buch wehen, sind die eigenthmliche Stimmung seiner Jugendpoesie; Schauer, Bangen, Grauen die Eindrcke, ber welche seine Phantasie eine unbeschrnkte Macht hat. Man muß dann die von Schauern durchwehten Mhrchen vergleichen, seine Abhandlung ber das Wunderbare in Shakespeare’s Poesie, welche er seiner Bearbeitung des Sturms beigab und welche ihn ganz mit dem Studium des Dmonischen und seiner Wirkungen beschftigt zeigt. Das war die Heimath seiner Phantasie. Und nun kam in Sternbald die Nachbildung von Gçthe’s heitrer Welt und knstlerischer Lebensanschauung. Sie entsprach dem Geiste der Zeit ganz anders. Auch hier die Phantasie herrschend, aber hier die heiterste, in welcher Sehnsucht, Liebe, Flle des Lebensgefhls, die fr die romantische Dichtung so charakteristische Wanderlust durcheinander spielen. So lag hier fr den Ofterdingen nicht ein Vorbild, aber eine neue starke Anregung. Heinrich von Ofterdingen zeigt nun einen ungemeinen Fortschritt gegenber den Lehrlingen von Sais. Diese entstanden aus den Anregungen des Freiberger Aufenthaltes, wahrscheinlich dort selbst noch. Der Grundgedanke der Lehrlinge ist eine tiefsinnige Zusammenfassung der Naturansicht Fichte’s. Dieser Grundgedanke lßt sich aus dem im Nachlaß mitgetheilten Plan der Fortsetzung (III, 125) nicht erkennen, dagegen ist derselbe bereits, wie im Ofterdingen nach seinen Grundlinien in einem eingeflochtenen Mhrchen anticipirt. Man kann nichts Anmuthigeres lesen als das Mhrchen von Rosenblthchen und Hyacinth, wie sie sich liebten, ohne es selber recht zu wissen, wie die Veilchen und Erdbeere und die Thierchen des Gartens es sahen und ausplauderten, wie sie glcklich waren; wie aber der wunderliche Hyacinth seltsamen Dingen nachhing, wie einst aus fremden Landen ein Mann kam, seinen langen weißen Bart auseinanderthat und bis tief in die Nacht erzhlte und wie nun alle Ruhe vorber war und Hyacinth sich aufmachte, im Tempel der Isis das Antlitz der Natur zu schauen; nach langen Wanderungen kam er
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an; er stand vor der himmlischen Jungfrau; da hob er den Schleier und – Rosenblthchen sank in seine Arme. Im lieblichsten parodischen Scherz ist hier das gesagt, auf welches alle einzelnen Andeutungen der Erzhlung selber zielen. Der Tempel zu Sais ist auch ihr Hintergrund, das verschleierte Bild von Sais; die Lehrlinge der Tempelschule die Helden. Das Geheimniß der Natur soll begriffen werden. In dem Lehrer ist Werner’s Gestalt idealisirt; seine wissenschaftliche Methode ist in eine naive Mystik bertragen. Es ist bekannt, daß der intellektuelle Charakter dieses großen Mineralogen und Geologen in einer ungewçhnlich scharfen und umfassenden ußeren Unterscheidungskraft, in einer ungemeinen Verschrfung und Vermehrung der bisher aufgestellten Merkmale, in einem damit zusammenhngenden umfassenden classifikatorischen Geiste beruhte. So prgte er dem was vordem ein Aggregat zerstreuter Bemerkungen gewesen war den Charakter der Wissenschaft auf. Mir scheint unzweifelhaft, daß diese Art von Genialitt Novalis bei seiner Schilderung vorschwebte: „oft hat er uns erzhlt, wie ihm als Kind der Trieb die Sinne zu ben, zu beschftigen und zu erfllen keine Ruhe ließ.“ „Er sammelte sich Steine, Blumen, Kfer aller Art und legte sie auf mannichfaltige Weise sich in Reihen, stieg in Hçhlen, sah wie in Bnken und in Schichten der Erde Bau vollfhrt war.“ In abstrakten Zgen wird das Bild jener Schule entworfen, welche damals, eine Zeit hindurch, ber ganz Europa ihre Terminologie und ihre Jnger ausbreitete. Und nun erhebt sich unter diesen Lehrlingen, welche das verschleierte Geheimniß der Natur vor Augen haben, der Kampf der Naturansichten. Was ist die Natur? ein wundersames Gemth, das sich nur dem Dichter aufschließt – ein der Ordnung entgegenschreitendes Ganze – eine furchtbare verschlingende Macht, gewissermaßen ein entsetzliches Thier – aufblhende Vernunft – so kreuzen sich die Reden ber den geheimnißvollen, verschleierten Grund der Dinge. Und unter den Streitenden in sich selber gekehrt der Held des Romans, der Lehrling, welcher bestimmt ist, nach dem Tode des Lehrers das große Wunder zu entschleiern. Es ist Novalis selber, wie er damals dachte, der Novalis den wir auch aus den Fragmenten ganz so kennen lernten, Novalis wie er in Freiberg sann. „So wie dem Lehrer ist mir nie gewesen. Mich fhrt alles in mich selbst zurck. Mich freuen die wunderlichen Haufen und Figuren in den Slen, allein mir ist als wren sie nur Bilder, Hllen, Zierden, versammelt um ein gçttlich Wunderbild, und dieses liegt mir immer in Gedanken. Sie such’ ich nicht, in ihnen such’ ich oft. Es ist als sollten sie den Weg mir zeigen, wo in tiefem Schlaf die Jungfrau steht, nach der mein Geist sich sehnt. Und wenn kein Sterblicher nach jener Inschrift dort den Schleier hebt, so mssen wir Unsterbliche zu werden suchen; wer ihn nicht heben will ist kein chter Lehrling zu Sais.“
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Das ist der Punkt der Lçsung. Dem Schler Fichte’s erscheint das Ich als die entschleierte Natur, das Ich in seinem unsterblichen Charakter, das heißt als vernnftiger Wille. Und diese Lçsung, auf welche der Roman zustrebte, wie sie das Mhrchen parodisch enthlt, ist ernsthaft in dem Distichon Hardenberg’s ausgesprochen:
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Einem gelang es, – er hob den Schleier der Gçttin von Sais – Aber was sah er? – er sah – Wunder des Wunders, sich selbst. Und von dieser Einsicht aus klrt sich nun das in dem Entwurf der Fortsetzung angedeutete Detail auf. In Trumen sollte ihm die Isis erscheinen; er sollte nun den Sinn der Welt sehn, wie ihn die Religionen immer neu ausprgen, sollte durchschauen wie in den griechischen Gçttern, wie in den Kosmogonien der Alten, wie in dem indischen Mythos berall der Mensch als das gelçste Rthsel der Natur gefeiert wird. Es ist zu vermuthen daß Novalis in seiner spteren Epoche diesen Grundgedanken wie die lehrhafte Unform, in welcher seine Ausfhrung begonnen war, umgestaltet htte. Als er Jakob Bçhme las und am Ofterdingen arbeitete, schrieb er Tieck, ihm sei, da er nun den Bçhme erst kennen gelernt, um so lieber, daß die Lehrlinge bisher geruht htten, die nun auf eine ganz andre Art erscheinen sollten. „Es soll ein cht sinnbildlicher Naturroman sein. Erst muß Heinrich fertig sein. Eins nach dem anderen; sonst wird nichts fertig. Drum sind auch die Predigten liegen geblieben und ich denke sie sollen nichts verlieren.“ Im Frhjahr 1799 war ihm in der Bibliothek des Generals von Funk die Sage von Ofterdingen in die Hand gefallen, dieser selber hatte eine Geschichte des Kaisers Friedrich II. geschrieben und die glnzendste Zeit des mittelalterlichen Geistes die sich damit vor ihm aufthat, mußte wohl einen Dichter sofort ergreifen, der im Gegensatz gegen die von Gçthe aufgefaßte moderne, realistische Welt nach einem wahrhaft poetischen Anschauungskreis suchte. Er fand ihn in dieser gewaltigen Zeit. Das traf zusammen mit dem Wiederaufwachen der Poesie in seiner Seele, welche er Tieck’s Anwesenheit verdankte. In der glcklichsten Stimmung begann er das Werk. In tiefer Einsamkeit, auf der churschsischen Saline in Artern, einem einsamen Ort in der gldnen Au in Thringen am Fuße des Kyffhuser Berges, wohin ihn seine Geschfte fhrten, begann er gegen den Winter 1799 den Ofterdingen. Am 5. April 1800 war der erste Band vollendet. Er war im vollen Gefhl seiner Kraft. Der Ofterdingen erschien ihm als ein erster Versuch in jeder Hinsicht, die erste Frucht der wiedererwachten Poesie. Der Kopf wimmelte ihm von Ideen zu Romanen und Lustspielen. Mir scheint wahrscheinlich, mit den Jahren der Reife wrde der Ueberschwang einer mystischen Phantasie sich gemßigt haben. Wer kann
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sagen, welche Frchte ein Geist getragen htte, der eben erst in die Jahre der Blthe trat? Aber an dieser Blthe nagte bereits der Wurm der unheilbarsten, hoffnungslosesten Krankheit. Es ist nicht zu bestimmen, wann er den zweiten Theil begann. Sein Beginn ist vielleicht in der Melodie seines Styls das Vollendetste was Novalis geschrieben hat, manches Sptere hat etwas von der farblosen Stille des Krankenzimmers, dann auch von der formlosen Gedehntheit eines ersten Entwurfs. Um billig zu sein mssen wir erwgen, daß in dieser Fortsetzung nicht nur ein Fragment vorliegt, sondern auch ein bloßer erster Entwurf. Trotz dieses fragmentarischen Zustandes erscheint mir dieser Roman als das Bedeutendste was diese erste Generation der Romantik hervorgebracht hat. Eine wahrhaft zauberische Melodie der Sprache umgiebt mit unsglichem Reiz den Tiefsinn einer einsamen, vornehmen, dem Grçßten ernsthaft zugewandten Seele. „Nicht mit andchtigerer Wehmuth“ – so schließt Tieck seine Mittheilung – „wrde er ein Stckchen von einem zertrmmerten Bilde des Raphael oder Correggio betrachten.“ Unwillkhrlich drngt eine solche Empfindung, aus dem brig Gebliebenen sich das Ganze wieder vorzustellen wie es einst vor Hardenberg’s Seele stand. Und indem man das versucht, findet man mit Erstaunen einen viel klareren Zusammenhang als die Litterarhistoriker bisher aufzeigen. Wenn Tieck nach seiner Art diesen Zusammenhang im Halbdunkel verschwimmen lßt: so htte doch die Litteraturgeschichte besser diesen in’s Auge gefaßt als immer wieder in Schilderungen einer Poesie zu schwelgen, in welcher Wasser und Himmel in Einem blauen Meere unterschiedlos verschwimmen sollen. Es ist die Geschichte eines Dichters. Der erste Band umfaßt in großen, aber ganz einfachen Zgen alles Glck eines ruhig umschrnkten Daseins, das die Wellen des geschichtlichen Lebens noch nicht umsplen. Die rhrende Enge eines mittelalterlichen Hauses zu Eisenach; darin aufwachsend ein Sohn, in welchem sich verwirklichen soll was einst in der feurigen Seele des Vaters arbeitete; das ganze geheimnißvolle Glck seines Lebens steht dem Jngling im Traum vor der Seele, in jener vielbesungenen und vielangefochtenen wundersamen blauen Blume; wie Wilhelm Meister trgt er eine Ahnung der ganzen Welt in seinem Herzen. Diese Ahnung scheint sich zu verwirklichen; indem er zum erstenmale aus der Enge des Hauses hinaustritt, auf die Reise zum Großvater nach Augsburg, scheinen ihm die wichtigsten Eindrcke des Lebens entgegenzukommen, in dem morgenlndischen Mdchen der geschichtliche Kampf seiner Zeit, in dem Bergmann die Geheimnisse der Natur, in jener Hçhle aber, wo ihm der Graf von Hohenzollern begegnet, das Rthsel seines eignen Daseins. Das Buch seines Lebens liegt da vor ihm in geheimnißvollen Bildern, das Gesetz des menschlichen Schicksals bewegt seine Seele, eine neue
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Epoche in seinem inneren Leben beginnt. Raschen Schritts scheint er der Vollendung desselben entgegenzuschreiten, wie er nun in dem Dichter Klingsohr die Gestalt seines vollendeten Lebens, in Mathilden alles Glck der Gegenwart und Zukunft umfaßt. Er erscheint als eine jener glckseligen Naturen, denen, wie sie ruhig und sicher voranschreiten, alles Glck des Lebens in jugendlicher Flle entgegenkommt. Das schien einst Hardenberg’s eigenes Loos. Ich glaube daß der zweite Band in der That so beginnen sollte wie nun der Anfang vorliegt. Wir finden Heinrich wieder als Pilgrim, auf dem Wege nach Rom, wie er noch einmal auf Augsburg mit unaussprechlicher Traurigkeit zurckblickt, ein Bild in welchem das ganze, tiefe Leid des Dichters einen berwltigenden Ausdruck gefunden hat. Der Zusammenhang scheint zweifellos, indem man den ahnenden Traum Heinrich’s (I, 145) mit den schmerzlichen Empfindungen vergleicht, mit welchen er nun hinabblickt: „dort lag Augsburg mit seinen Thrmen, fern am Gesichtskreis blinkte der Spiegel des furchtbaren geheimnißvollen Stromes“ – in seinen Wellen hat er Mathilden verloren, da er sie kaum besaß. Das Schicksal Heinrich’s ist das des Dichters und es macht die grçßte Wirkung, daß alles was mit Mathildens Tode zusammenhngt dunkel gehalten ist, als ob der Dichter in die Nacht dieser Stimmungen weder sich noch den Leser hinabreißen mçchte, im harmonischen Gange seiner romantischen Geschichte. Leise und allmhlig, mit tiefer Kunst, hat uns der Dichter in seine Welt gefhrt, eine Welt in welcher gewissermaßen der metaphysische Zusammenhang des menschlichen Lebens zu Tage liegt. Denn dieser ist, richtig verstanden, der Sinn seiner sthetischen Form. Er unterbricht nicht gelegentlich mit Trumen, Wundern und Abentheuern seine Geschichte, sondern er lßt den metaphysischen Zusammenhang derselben immer deutlicher hervortreten. Daraus folgt aber daß hier die Verknpfung nur aus der unbewußten Empfindung in die Klarheit ußerer Erscheinung erhoben wird. Somit folgt, daß die Continuitt in dem Leben des Helden nicht vernichtet, sondern vielmehr dergestalt verstrkt wirkt, daß nunmehr die Entwicklung des inneren Schicksals, welche in der Tiefe des Gemths vor sich geht, aus dieser zu klarer Bewußtheit erhoben wird. Wenn also ein Dichter das Recht hat, unsre Seele, wie fest sie auch selber in ihrem eignen Gehalt ruhen mag, eine Zeit hindurch zum Spiegel seiner eignen Weltansicht zu machen, falls nur diese menschlich und tief ist: dann scheint mir auch diese Form, mitten unter unzhligen andren, welche ohnehin zu viel poetische und philosophische Tiefe fordert als daß ihre Ausbreitung zu frchten wre, in vollem Rechte zu sein. Wer als ein Dichter drfte den metaphysischen Zusammenhang des Lebens zu deuten unternehmen? die wahre und strenge Philosophie verschmht, da sie ein strenges Maß der Erkenntniß in sich enthlt, in diesen dunklen Regio-
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nen mit ihm zu wetteifern. Sie vermçchte ohnehin nicht, in solchem Halbdunkel, wie es hier uns umgiebt, diesen Zusammenhang bald hervortreten zu lassen als kçnnte man ihn mit Hnden greifen, dann wieder plçtzlich vçllig zu verbergen. Ein lçsendes Wort lßt sich sagen. Dieser metaphysische Zusammenhang wird durch eine Hypothese vorgestellt, an welcher auch Lessing’s nchterner Geist mit besondrer Vorliebe hing: die Hypothese vom Kreislauf der Seelen in der Zeit und ihrer Daseinsform von Geburt und Tod. Mit dieser Hypothese, die man etwas ungeschickt als die der Seelenwanderung bezeichnet, ist der Glaube an eine bestimmte, sich von innen entfaltende Individualitt und an eine durch die Vergangenheit bestimmte Ordnung in den Beziehungen der Seelen zueinander, in jeder neuen Form ihres Daseins, verbunden. Er war Novalis frh nahgetreten; einst hatte er von Mathilden niedergeschrieben daß sie an die Seelenwanderung glaube; in den Gesprchen mit ihr hatte ihn dieser Gedanke beschftigt; es mag ihn mit geheimem Zauber gelockt haben ihn zum Hintergrund dieses Denkmals seiner Schicksale zu machen. Mit dieser Einsicht kommen wir nun dem fragmentarischen Charakter dieses Werks zu Hlfe und damit kann denn ein wirklicher Einblick in den Plan gewonnen werden, der allen bisherigen Kritikern des Werkes fehlte. Die Episode des ersten Bandes, in welcher der Graf von Hohenzollern auftritt, enthlt gewissermaßen den Einschlag zu dem offenliegenden Faden der Erzhlung. In frher Jugend hatte eine heiße Schwrmerei ihn in die Einsamkeit des Einsiedlers gezogen. Da er aber bald empfand daß man eine Flle von Erfahrungen dahin mitbringen msse, daß ein junges Herz nicht allein sein kçnne, ja daß der Mensch erst durch vielfachen Umgang mit seinem Geschlecht eine gewisse Selbststndigkeit erlange – die treffendste Kritik des Mçnchthums durch diesen „katholischen“ Schwrmer – : so warf er sich aus seiner jugendlichen Einsamkeit in die Gefahren und Wechsel des Kriegs. Da er endlich, nach vielen Jahren, mit seiner Gattin und zwei Kindern, welche diese ihm bereits geboren hatte, zurckkehrte, einem Sohn und einer Tochter, starb der Sohn ihm hinweg; die Tochter, schon im Todtengewçlbe beigesetzt, ward von dem Arzte Sylvester gerettet und sie ist es welche nun, als Cyane, dem Pilgrim erscheint, am Beginn des zweiten Bandes. Heinrich aber ist, im Kreislauf der Seelen, in seiner frheren Daseinsform, jener frhverstorbne Sohn des Grafen von Hohenzollern gewesen (vgl. I, 109 ff. 223. 242). Der fragmentarische Charakter des Werkes zwingt, diesen Faden so ganz nchtern abzuwickeln, damit der Leser ihn erblicke: ein Verfahren mit welchem man j e d e m Dichter sonst Unrecht thut; ja geradezu die innere Construktion seiner Schçpfung zerstçrt, die man bloszulegen behauptet. Nunmehr wird verstndlich, wie der arme Pilgrim, da ihm, inmitten der Felsen seine schmerzlichen Erinnerungen sich erheben, da die Geliebte trç-
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stend erscheint und Cyane neben ihm steht und ihn zu Sylvester fhrt, nunmehr einen ganz neuen Blick in sein Schicksal thut, welcher ihn zu der Zukunft vorbereitet, der er entgegengeht. Mitten in dieser Situation, da eben Sylvester seine Geschichte zu erzhlen begonnen hat, die so viele Rthsel ihm lçsen muß, endigt, was wir von Novalis’ eigner Hand besitzen. Zu dem Entwurf der Fortsetzung, wie ihn Tieck mittheilt, besaß dieser eine dreifache Quelle: Briefe, Aufzeichnungen, Erzhlungen da er im Sommer 1800, als Novalis sich mit der Fortsetzung trug, diesen sah. An einem entscheidenden Punkt mssen wir die richtige Auffassung, auf Grund des Romans selbst, in Frage stellen; an vielen anderen zweifeln wir: im Ganzen bleiben wir auf ihn gewiesen. Eine ergreifende Erfindung folgt. Cyane sendet Heinrich nach einem entlegenen Kloster, das von Abgeschiednen bewohnt wird. „Lebst Du hier ganz allein?“ hatte sie Heinrich gefragt. „Ein alter Mann ist zu Hause (Sylvester), doch kenne ich noch viele die gelebt haben.“ (I, 222). Er vernimmt ihren fernen Gesang. Er hat so unter Todten gelebt und selbst mit ihnen gesprochen. Es ist als ob Person, Leben, Geschichte geworden wren jene schmerzhaftesten Zustnde des Dichters, in denen er mit der Verlornen lebte und sprach, in der Welt der Abgeschiednen zu Hause war, jene Tage deren Nachklang die Hymnen an die Nacht sind. Wessen Phantasie so wie die seine an die Thore der metaphysischen Welt geklopft hat, vom Bedrfniß des eignen Herzens dahin gezogen: der hat auch das Recht die Todten reden zu lassen. Und wie ihm selbst einst aus dem tiefsten Ausgestalten seiner Schmerzen und des Todes das Leben sich wieder erhoben hatte: so wendet sich nun sein Heinrich, aus dem Kloster der Todten kommend, mit verndertem Sinne der Welt in ihren grçßten Zusammenhngen zu. Wie der Pilgrim seine Reise fortsetzt, ergreift ihn in Norditalien der Geist des Kriegs; ein neuer Faden knpft sich an, indem er, in dieser seiner kriegerischen Epoche, in Pisa Heinrich, den Sohn Friedrich’s II. sieht und sein Freund wird. Von Italien wird er nach Griechenland verschlagen, wo die Kunst sich ihm çffnet; von Griechenland zieht ihn die Sehnsucht nach dem Morgenlande, der Heimath der Religion und intuitiver Weisheit. Er erreicht endlich Rom, den Mittelpunkt der damaligen Welt und kehrt nunmehr, in reifer Mnnlichkeit alle Erfahrungen seiner Zeit umfassend, nach Deutschland zurck, wo nun am Hofe Friedrich’s II. der tiefste Einblick in das gewaltige handelnde Leben des deutschen Geistes in dieser Epoche gegeben werden sollte. Die Wanderjahre sind vorber. Er wendet sich zurck in die Tiefe des eignen Gemths, welche allein die Welt erklrt, aber auch nur dem, den ihre Fluth wirklich umsplt hat. Die Erfindung ist hier an dem Punkte angelangt, an welchem die Ofterdingensage sich anschließen kann. Wir wissen nicht, wie
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Klingsohr, Heinrich, Wolfram nebeneinandergestellt worden wren. Der Mittelpunkt des ganzen Werkes, das metaphysische Wesen des menschlichen Schicksals, das Verhltniß der unsichtbaren und sichtbaren Welt, sollte hier plçtzlich, als Thema des Wettstreits, in poetischer Verklrung, selber hervortreten. Ich vermuthe, gegen Tieck’s Darstellung, daß zwischen dem was bis dahin geschah und der Welt, welche sich nunmehr aufthut, in Novalis’ Geiste eine klare Grenze bestand. Das irdische Leben Heinrich’s ist zu Ende. Das folgt aus der ganzen Weise, in welcher das Wunderbare bis dahin behandelt war, mit einer freilich nur subjektiven Evidenz. Wo aber Heinrich, dort im Gebirg, Mathildens Worte vernimmt (S. 218), sagt sie es auch ausdrcklich, daß sie ihn erst nach seinem wirklichen Tode („bis du auch stirbst“) wiedersehen werde. Diese Wiedervereinigung ist daher von dem Vorhergehenden durch die Scheidewand des Todes getrennt; was nun erzhlt wird, sind trumerische Anschauungen, die ber das gegenwrtige Dasein Heinrich’s in das verschwimmende Dunkel blicken. Ist dies richtig, dann ist der Verkehr mit einer Welt der Abgeschiednen und des Wunders in diesem Roman auf jene Epoche beschrnkt, in welcher Mathildens Tod ihn zum Reich der Abgeschiednen mit aller Kraft leidenschaftlicher Sehnsucht hinabreißt. Dieser Abschluß, der uns in das Land der Zukunft blicken lßt, knpft an das wundervolle Mhrchen des ersten Bandes an. Dasselbe schließt sich unmittelbar an den Charakter des von Gçthe gedichteten. Wie weit steht es von den Mhrchen Tieck’s! In dem von Novalis spricht sich eine durchgefhrte Naturphilosophie aus; die Poesie eines trumenden Pantheismus spricht aus den Mhrchen Tieck’s. Aus den Schauern der Natur selber erheben sich Gestalten; wie einem ganz einsamen Wanderer im nchtlichen Walde Phantasie und Grauen einen Schatten der ber seinen engen Pfad fllt in ein Thier verwandeln, wie es sich nhert in einen Menschen, in einen nchtlichen Spuk: so erscheinen aus dem rthselvollen von Schrecken erfllten Schooße der Natur Gestalten, die sich verwandeln, die aber in allen Wandlungen mit dem geheimnißvollen Blick uns ansehen, welcher die Seele dieses alle Schrecken und alle Lust der Welt in sich bergenden, dmonischen Pan enthlt. Naturpoesie ist der tiefste Zug dieser Epoche. Aber die Natur von Novalis ist ein Weltgemth, die von Tieck eine dmonische Phantasie. Unter ihrem Stern sind seine Menschen geboren, deren Seele ein Spiel elementarer Stimmungen ist: Andacht und Grauen, Wanderlust und innre Heimathlosigkeit, eine grenzenlose Wehmuth, solche elementare Gewalten bilden den inneren Kern derselben. Fernab stehen die sittlichen, die geschichtlichen Mchte, Wille und Weltverstand: diese Menschen wollen nicht, die Natur in ihnen bewegt sich. Daher lag in der Weltansicht von Novalis ein Gegensatz gegen Tieck, der sich immer
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klarer htte entfalten mssen. Die Natur ist ihm eine Ordnung und Entwicklung der Welt, deren innerstes Geheimniß das unsres eignen Gemthes ist. Dies Geheimniß lçst allein die Poesie. So durfte er die Einheit von Poesie und Wissenschaft als den Grundgedanken seiner Weltansicht bezeichnen. Und hier liegt der Grund, aus welchem ihm sein Roman wie von einem Mhrchen umgeben ist. Dies Mhrchen ist Mythologie d. h. die Verkçrperung einer die Natur erklrenden Weltansicht. Dies erklrt den Zusammenhang des Abschlusses des Ofterdingen mit dem Mhrchen. Eine von Tieck mitgetheilte Aufzeichnung zeigt daß in dieser Fortsetzung die Gestalten des Romans in die des Mhrchens aufgelçst werden sollten; was Tieck dann im Einzelnen mittheilt, klingt geradezu wie eine Fortsetzung des Mhrchens. Wie kann man denken, diese Dinge, die sich dergestalt an das Mhrchen anfgen, seien eine einfache Fortsetzung der Geschichte? Wie kann man andrerseits dem Mhrchen einen ganz durchgedachten Sinn absprechen, da Figuren und Begebenheiten des Romans sich spter mit ihm verschlingen, um den letzten Sinn des Ganzen auszusprechen? Eine andre Sache ist, eine Auslegung zu geben. Indem man das methodisch thut, verwandelt man die Anmuth des Mhrchens in eine frostige Allegorie. Gerade darum, weil die Abstrakta und ihre Verknpfung der Anschauung des Dichters nicht gengen, greift er zu dieser Form; wie also drfte man hoffen, in ihnen den ganzen Sinn festzuhalten? Dagegen wer mit der Naturphilosophie vertraut ist, deren magnetische und galvanische Theorien berall zu Grunde liegen, wird den ihm vorschwebenden Sinn leicht in allem Einzelsten fassen; kaum ein Wort in demselben bleibt dunkel. Fr den Sinn des Romans ist der Grundgedanke entscheidend. Die Weltepoche in der wir leben zeigt die Herrschaft einer anmaßenden Verstandeswissenschaft (des Schreibers) ber die Erde; aus ihr zu erlçsen, ist die Aufgabe der Poesie (der Fabel); sie, welche sich mit der allumfassenden Weisheit nicht messen darf, welche ehedem den verehrten Mittelpunkt der Welt ausmachte (Sophie), ist der Welt allein gelassen, eine neue Epoche herbeizufhren. Das glckselige Geschft der Mhrchenphantasie ist nun, diese Zukunft zu erkennen, in der das Todtenreich vernichtet sein wird, der Wechsel von Geburt und Tod (die alten Schwestern) dessen ewiger Grund unsre Affekte sind (die Taranteln) endigt, das Reich des Mondes aus dem ewig die Phantasie quillt (Ginnistan und ihr Vater) sich dem Tag vermhlt und den Tod selber zu seinem Spiele macht, die ewig schaffende mtterliche Gewalt (die Mutter) im ganzen All lebendig gegenwrtig, Empfindung und Seele ber alles verbreitet: Gegrndet ist das Reich der Ewigkeit; In Lieb’ und Frieden endigt sich der Streit;
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Eine Reihe neuer Dichtungen schwebte vor seiner Seele, als er an diesem Roman arbeitete. Er sah sich der Vereinigung mit Julie von Charpentier nahe, da ihm eine Amtshauptmannsstelle zu Theil geworden war. Es fehlte ihm nichts zu seinem Glck als davon Besitz zu nehmen. Aber schon seit lngerer Zeit waren die Zeichen jenes grausamsten Leidens aufgetreten, das so lange und so sicher mit dem Tode droht, und als er im Anfang November erfuhr, daß ein jngerer Bruder von vierzehn Jahren durch Unvorsichtigkeit ertrunken sei, zog ihm der plçtzliche Schreck einen heftigen Blutsturz zu, worauf seine Aerzte gleich erklrten, daß sein Uebel unheilbar sei. Wozu die Stadien aufzhlen? Er starb am 28. Mrz 1801, ruhig einschlafend: alle die ihm die Nchsten waren um sich, auch Friedrich Schlegel unter ihnen. So ging er hinweg, in der Gçtterdmmerung der Jugend, die schwrmerische Seele voll von Plnen des Glcks und der Dichtung, als ob er, gleich seinem Helden, nur einen grçßeren Schauplatz fr eine im lebendigsten Wachsthum begriffene Kraft betrte. Wer kann sagen, was ihm noch geglckt wre? Gçthe hat gesagt, mit der Zeit htte er ein Imperator werden kçnnen, der die poetische Litteratur beherrscht htte. Es scheint daß er, wie Tieck, durch die Gewalt seiner persçnlichen Erscheinung noch mehr fesselte als durch seine Schriften. Wir haben eine Schilderung derselben von Steffens. „Wenige Menschen hinterließen mir fr mein ganzes Leben einen so bedeutenden Eindruck. Sein Aeußeres erinnerte dem ersten Eindruck nach an jene frommen Christen, die sich auf eine schlichte Weise darstellen. Sein Anzug selbst schien diesen ersten Eindruck zu untersttzen, denn dieser war hçchst einfach und ließ keine Vermuthung seiner adlichen Herkunft aufkommen. Er war lang, schlank, und eine hektische Constitution sprach sich nur zu deutlich aus. Sein Gesicht schwebt mir vor als dunkel gefrbt und brnett. Seine feinen Lippen, zuweilen ironisch lchelnd, fr gewçhnlich ernst, zeigten die grçßte Milde und Freundlichkeit. Aber vor Allem lag in seinen tiefen Augen eine therische Gluth. Er konnte, besonders in grçßeren Gesellschaften oder in Gegenwart von Fremden, lange stillschweigend, in Nachdenken versunken, dasitzen. Nur wo ihm verwandte Geister entgegenkamen gab er sich ganz hin. Dann aber sprach er gern und ausfhrlich und erschien im hçchsten Grade lehrhaft.“ Die Generation in der er lebte, brachte drei hervorragende Dichter hervor: ihn, Tieck und Hçlderlin. Diese drei stehen weit nher bei einander als etwa Novalis und Tieck bei Friedrich oder August Wilhelm Schlegel. Wenn sich Hçlderlin in das Griechenthum versenkte, jene beiden in das Mittelalter: so bemerkt man doch daß es das neuplatonische Griechenthum war, welches er
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reproducirte, das ja dem Mittelalter verwandt genug ist. Und so zeigt nichts so sehr die zufllige Abgrenzung der sogenannten romantischen Schule, als daß Hçlderlin ganz einsam stand, kein Widerhall jenen unsterblichen Gedichten antwortete, welche eine Erneuerung der griechischen Lyrik vollbrachten, die August Wilhelm Schlegel vorschwebte; wie begeistert htte dieser ihn begrßen mssen, der eine ihm so heterogene Erscheinung als Tieck war auf den Schild erhob! Diese Generation ist dann durch wenig Jahre, aber durch eine vçllige Vernderung der Bildungsbedingungen von Kleist und Arnim, den beiden grçßten Dichtern der Nachgçtheschen Zeit in Deutschland, gesondert. Unser Studium der Gesetze, welchen auch die scheinbar regellosen Gestaltungen der Phantasie unterworfen sind, hat, wie es scheint, in dieser Entwicklung einen seiner am tiefsten unterrichtenden Stoffe. Wie konnte auf die Dichtung Gçthe’s und Schiller’s dieser jhe Absturz, diese ganz heterogene Entwicklung, diese schrankenlose Herrschaft der Subjektivitt, der Phantasie, der Hingabe an die Natur, ja fesselloser Willkhr folgen? Sollten wir hierber mehr sagen, so mßten wir auch von einer Darstellung der Entwicklung, des Lebensinhaltes und der dichterischen Form von Tieck und Hçlderlin ausgehen kçnnen. Dann wrde sich zeigen, welche Erfolge gewisse Bildungsbedingungen dieser Generation hatten, wie sich die Verschiedenheit der Individualitten zu diesen Bedingungen, welche sie begrenzten und theilweise bestimmten, verhielt, – kurz eine wissenschaftliche Untersuchung wre mçglich. Einer solchen Untersuchung sind die allgemeinen Schlagwçrter, welche seit lnger als einem halben Jahrhundert auf die sogenannten Romantiker herniederregnen, nur hinderlich. Bis aber jemand sich dieser genauen wissenschaftlichen Untersuchung unterzieht, werden wir es wenigstens fr einen Gewinn halten, wenn einer oder der andre, auf Grund dieser Darstellung, einmal zu Novalis griffe, in der Voraussetzung daß seine Fragmente vielleicht doch nicht so vçllig willkhrlich und zusammenhangslos, sein Ofterdingen nicht so grenzenlos verschwommen sei, als es den bisherigen Kritikern Hardenberg’s erschienen ist.
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Vornehmlich die historischen Momente gelangen in der großen Phantasiekunst zum Ausdruck. Das Lebendige, das aus ihnen hervorging, kann weder zeitlich-rumlich genau abgegrnzt noch in allgemeinen Begriffsbestimmungen umschrieben werden. In den historischen Momenten selbst waren Gegenstze angelegt, vor allem aber strebt jede geschichtliche Daseinsgestalt als ein hçchst Lebendiges und doch inhaltlich Bestimmtes, ihre Einseitigkeit aufzuheben. Nur indem wir die sthetischen Werthe ins Auge fassen, die damals entstanden und zu denen selbst Goethe als zu „Sternen hçchster Hçhe“ emporblickte, kann das tiefste Wesen dieser Dichtung sichtbar gemacht werden. Auch sind es diese gewesen, an welche die Wirkung auf unsere Nation sich geknpft hat.
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Die Entwickelung dieser neuen Kunst und Dichtung folgt der Linie, in welcher Industrie und Handel zunehmen, die Geldwirtschaft steigt, die Staaten sich in starkem Bewußtsein ihrer selbst zusammenfassen. In Italien setzt Kaiser Friedrich II. zuerst die Herrschaft der Kçniglichen Gewalt durch und zerstçrt den alten Lehnsstaat. Unter den Tyrannen und Republiken erhebt sich dann als das erste große, ganz moderne Staatswesen die Republik von Venedig. Dann gelangt die spanische Monarchie, die am Schluß des 15. Jahrhunderts sich consolidiert hatte, im 16. unter Karl V. und Philipp II. zur Herrschaft ber die Welt, stçßt dann aber im letzten Drittel desselben auf den Widerstand der Niederlande und Englands. In dem Zeitalter der Kçnigin Elisabeth ist England erfllt von dem Bewustsein seiner fortschreitenden Seemacht, dann unter den Stuarts absorbiren es innere Kmpfe. Die Entscheidung lag noch in dem Ringen der habsburgischen Monarchie mit Frankreich und den Niederlanden. Das bergewicht Frankreichs entscheidet sich dann unter Richelieu, Mazarin und Ludwig 14 im Verlauf des dreißigjhrigen Kriegs. Diesen Weltverhltnissen entspricht die Blthe von Kunst und Literatur in Ita-
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lien, nebeneinander kommt dann die große Dichtung in Spanien und England empor, und im Gefolge der franzçsischen Machtentwicklung bildet sich die franzçsische große Dichtung aus. In Italien war es zu keiner Zusammenfassung der Nation in einem Staatsganzen gekommen. Keine Hauptstadt, kein herschender Mittelpunkt des gesellschaftlichen Geistes und des Theater bildet sich. Die hçchste Manifestation der Dichtung des Theater gelangte zu keiner folgerichtigen Entwicklung. Die Literatur gewann kein Verhltniß zum Ganzen des nationalen Lebens. Wie ganz anders entfaltete sie sich in den drei großen Monarchien, welche dann emporkamen! Gemeinsam ist allen daß die Monarchie eine Staatskunst ausgebildet hatte, welche einen hohen Grad intellektueller Entwicklung forderte; die Hçfe waren Mittelpunkte einer Gesellschaft geworden, welche in kunstvollen Formen sich bewegte und fr die Kunst zu leben und sich darzustellen den Sinn aufs ußerste entwickelte. Und berall war Raum fr große Individualitten, welche nun gerade in so hoher geistiger Bildung zu bestimmtestem persçnlichen Geprge sich zu entfalten vermochten. In Spanien und in Portugal ist es die berseeische Kolonial- und Eroberungspolitik, welche einen weiten Spielraum gewhrt; in dem ungeheuren Reich Karls und des zweiten Philipp ist fr seine Officiere und Staatsmnner freier Raum. In England ist es neben den Abenteuern zur See die Selbststndigkeit des hohen Adels der Krone gegenber. In Frankreich wurde erst unter Mazarin mit dem pyrenischen Frieden 1659 die Macht des großen Adels ganz gebrochen. Eben in diese Epoche, welche mit der Vernichtung der Fronde und den Siegen ber die spanische Monarchie abschließt, fllt nun die Hçhezeit in der Dichtung des Corneille. Durch die ganze große Dichtung in den drei nationalen Monarchien geht zunchst ein dominirender Grundzug. Sie ist von dem Staatsgefhl getragen, welches in diesen emporstrebenden nationalen Monarchien alle Klassen der Gesellschaft durchdrang. Und wie die staatliche Souvernitt sich in dem Monarchen verkçrperte damals, sind alle großen Dichter der Epoche von der Verehrung fr die Monarchie durchdrungen. Die spanische Tragçdie lçst die schwersten, scheinbar unheiligen Konflikte durch die im Kçnig verkçrperte Gerechtigkeit. Das Ideal Shakespeares ist Heinrich V., in welchem sich die großen Staatsinteressen verkçrpern, und der hierdurch Adel und Geistlichkeit etc. Das Ideal Corneilles ist die Unterordnung jedes Interesse und jeder Leidenschaft unter das Staatswohl. In dem Rçmertum findet er dies sein Ideal verwirklicht. Und sein schçnstes Stck, der Cinna, zeichnet in Augustus das Ideal eines Monarchen, in welchem der Staat wirklich verkçrpert ist, und der die besiegte Aristokratie durch staatskluge Milde versçhnt. Auch Shakespeares letztes und hçchstes Ideal war der rçmische Heroismus. In allen Zeiten ist es die kçnigliche Gewalt die gesucht wird.
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Die großen Dichter der Zeit stehen im Verhltnis zu den Hçfen, oder sie suchen doch ein solches Verhltnis. Hier waren die großen Edelleute, nach deren Beifall und Patronat sie strebten. Hier hatten sich die Sitten ausgebildet und der Geschmack sich entwickelt, wie die Verschmelzung der ritterlichen Gewçhnungen mit der Stellung des Hofmanns und mit den geistlichen Interessen der Renaissance sie hervorbringen mußten. Richelieu selber lebte im nchsten Verkehr mit den dramatischen Schriftstellern und suchte auf ihre Arbeiten einzuwirken. Philipp III. von Spanien etc. Eine Gesellschaft von buntester Mannigfaltigkeit ist an diesen Hçfen vereinigt. Der Purpur der Kardinle mischt sich hier mit dem Prunk der großen Adligen. Die hçchsten Richter und Beamten von denen, zumal in Spanien, manche auch aus dem brgerlichen Stande hervorgegangen waren, mischen sich mit der Aristokratie der Geburt. Diese Gesellschaft war es, in welcher die Sitten sich entwickelten, die Probleme des Lebens sich erhoben, die Charaktere auftreten, die der Gegenstand der Dichter sind. Heben wir das entscheidende Moment heraus, so leben diese Dichter in vçlliger Harmonie mit der aristokratisch-monarchischen Gesellschaft, die sie umgiebt. Hier sind ihre Ideale. Diese Welt erfllt ihre ganze Phantasie. Sie wollen sie durch ihre Leistungen ergçtzen, sie sind von ihren Ideen beherrscht. Nur in einem Punkt verhalten sie sich kritisch, aber es ist derselbe Punkt, in welchem ihre jungen Freunde und Beschtzer nicht anders standen, in welchem auch die Staatsmnner, zu denen sie emporblicken, einig mit ihnen sind; Cervantes ist voll von Ironie ber die Geistlichkeit, wie er denn auch im Leben selber sich nicht zurckhaltend genug fr sein persçnliches Glck sich ber sie ausgesprochen zu haben scheint. In den historischen Tragçdien Shakespeares erscheinen die geistlichen Wrdentrger in einem blen Lichte.
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Mçgen nun diese Dichter die Gegenwart darstellen oder in eine noch so ferne Vergangenheit zurckgreifen: aus dieser Gesellschaft schçpfen sie immer den Stoff ihrer Darstellung. In ihr finden sie die Charaktere, die ihnen als Modelle dienen. Und hier vornehmlich sind die Lebensprobleme, die sie behandeln. Sie reichen von dem Ringen der Staaten untereinander, dem Kampf der frstlichen Gewalten gegen die Vasallen, dem Conflikt zwischen Lehnstreue und persçnlicher Ehre, der Aufopferung fr die christliche Idee bis zu den Conflikten mehr persçnlicher Art, welche alle aber doch ebenfalls in der hçheren Gesellschaft, ja zumeist am Hof oder in frstlichen Familien sich abspie-
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len. Und unter dieser Welt bewegt sich denn eine zweite als deren Gegenbild. Die unteren Klassen, wie sie im Bauer, im Brger, im Zigeuner oder Vagabunden sich darstellen, bilden den wirksamsten Contrast zu jener oberen Gesellschaft. Ganz verschieden ist die Art, wie sie dargestellt werden. Bei den Spaniern macht das intimste Gefhl fr Glck und Tchtigkeit lndlichen Daseins sich geltend. Ihre Bedienten wissen wie die des rçmischen Lustspiels ihre Herren zu leiten. Shakespeare dagegen lßt mit aristokratischer Herbigkeit etc. Und bei den Franzosen bleiben in der Tragçdie nur vertraute Dienerinnen und Sklavinnen aus dem Volke zurck. Das brgerliche Leben fllt dem Lustspiel anheim.
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3. Diese Gesellschaft war nun aber der reichste und glcklichste Stoff, den die Poesie finden konnte. Es ist der bergang aus den feudalkirchlichen Zustnden zu den großen Monarchien. Das bunte Bild selbstndiger politischer Krfte, welches dem Zuschauer die feudal-kirchlichen Lebensordnungen darboten, verbindet sich in dieser Zeit mit dem Glanz der Hçfe. Die Entdeckungen neuer Lnder haben allen Abenteurern die Bahn geçffnet. Venedig, das Papsttum, Spanien, England, Frankreich ringen miteinander. Eine kraftstrotzende, von Krieg und Abenteuern erfllte Welt. Die farbenprchtigste Aller Zeiten. Diese Dichter hatten ein Publikum das nach großen Emotionen verlangte. Die Bhne freischaltend mit Raum und Zeit und daher fhig, die buntesten Verwicklungen und Abenteuer darzustellen. Die geistlichen Schauspiele hatten, als sinnfllige Vergegenwrtigung dessen was die mittelalterliche Frçmmigkeit in tiefster Innerlichkeit verehrte, an Wirkung grçßter Art gewçhnt. Sagen, Chroniken, Novellen, Plutarch, die Zeitgeschichte boten ihr die buntesten Stoffe. Die epische Dichtung war noch heimisch in der ritterlichen Welt. Dichtungen und prosaische Ritterbcher ließen die Phantasie noch an den Gestalten derselben sich ergçtzen. Und die Dichter selber? Sie bilden sich durch Teilnahme an diesem Leben und oft durch den seltsamsten und abenteuerlichsten Gang ihrer Schicksale. Ariosto lernt das leidenschaftliche, von Intriguen und Abenteuern erfllte Leben der italienischen Hçfe kennen, in den Diensten des Cardinals Ippolito von Este, desselben, der seinen natrlichen Bruder Giulio aus Eifersucht der Augen beraubte. In seinen Diensten lernte er Hof und Lager Julius II. kennen, er focht in der Schlacht gegen die Venetianer auf dem Po, und zeichnete sich bei der Eroberung einer venezianischen Galere aus; verwaltete
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dann im Dienst des Herzogs Alfonso von Ferrara, der mit der Lucrecia Borgia verheiratet war, eine verwilderte Landschaft zur Zufriedenheit seines Herrn, um dann schließlich Theater und Feste Ferraras zu leiten. Als Abenteurer aus edler Familie hat Camoens in Marocco, Indien und auf den ostafrikanischen Besitzungen seines Landes Krieg, Gefangenschaft, Schiffbruch erduldet. Cervantes hat als Sekretr eines ppstlichen Legaten, als Soldat in den verschiedensten Feldzgen, in Sklavenketten das abenteuerlichste Leben hinter sich als er zu schreiben begann, und seine schriftstellerische Thtigkeit wurde auch danach von Geschften unterbrochen. Camoens hat ein Auge im Krieg verloren und Cervantes ward eine Hand verstmmelt. – Shakespeare wird wie von fiebernder Hast durch das Leben getrieben. Mit achtzehn Jahren ist er verheirathet, das Jahr darauf mit der Sorge fr eine Familie belastet, dann erscheint er in seinen ersten zwanziger Jahren in London sich eine Existenz zu grnden. Er ringt sich aus einer desparaten Lebenslage empor, im achtundzwanzigsten Jahre ist er auf der Hçhe von Ruhm und Wohlstand. Als Schauspieler, Dichter, Theaterleiter im Zeitalter der Elisabeth und mit Hof und Adel in Beziehungen hatte er stets vor Augen dies Leben von London, in welchem die Intriguen und die Feste des Hofes, der Machtkampf des Staats, die religiçs sittlichen Gegenstze sich mischten. Seine Lage brachte ihn mit den hçchsten Kreisen und mit den unsicheren und zweifelhaften Existenzen in Theaterwesen und Literatur in Verbindung. Und wie damals auf der Straße so vieles vom çffentlichen Leben sich abspielte, war er der Zuschauer der Feste und der Tragçdien dieser einzigen und blutigen Zeit der Elisabeth. Aus solchem Stoff des Lebens haben die grçßten Dichter jener Tage sich ihre Dramen, Epen und Romane zurechtgeschnitten.
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Einem solchen Publikum und Dichtern von solchem Lebensgang war Drama oder Roman zunchst da, um das Bedrfnis nach Neuem, Außerordentlichem und Starkem, nach Emotion, Rhrung und Spannung zu befriedigen. Man sucht Scenen auf, die dem genug tun. Jede Szene ist der starke Ausdruck einer Lebensstimmung und enthlt die Kraft, sie mitzutheilen. Der Zusammenhang solcher Szenen in tragischer Begebenheit oder dramatischer Handlung ruft eine zweite Classe starker sthetischer Wirkungen hervor: Man erfreut sich an den so entstehenden Contrasten, an den Verwandtschaften, an der Verschlingung dieser Momente in der Wirklichkeit. Und wenn die Dichtung der vorhergegangenen Zeiten an solchen starken Accenten und ihrer
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spannenden Verknpfung sich vergngt hatte: so entsteht nun die moderne Dichtung berall durch die Einwirkung der neu erweckten Dichter des Alterthums und der Schriftsteller der Renaissance auf die Phantasie, wie das Leben und die vorhandene Dichtung in jeder der drei Nationen, welche zunchst die große Dichtung hervorbrachten, sie gebildet hatte. So lehren nun die Vorbilder der Alten, welche man jetzt mit grçßerem Verstndnis und umfassenderer Kenntnis studierte, festeren Zusammenhang, klareren Plan in das bunte Leben zu bringen. Und die Entwickelung der romantischen Poesie in jedem Lande wird einen Fortschritt in der Technik zeigen, diese mannigfaltigen, starken Scenen in kunstvolle Verbindung zu bringen. Die Lehrmeister dieser Kunst waren die rçmische Comçdie und fr die Tragçdie Seneca. Dieser ist vornehmlich von Euripides beeinflußt. Er steht an dichterischer Kraft und Kunst hinter seinem nchsten Vorbild Euripides weit zurck. Aber die rçmische Willensmacht, die bis zur Brutalitt geht, spricht sich doch eigentmlich aus in seinen Gewaltmenschen, insbesondere in der Darstellung der Machtweiber, die ihm in dem damaligen Rom berall vor Augen waren; ergreifender als bei irgend einem Griechen nach Aischylos ist das Grausen vergegenwrtigt, das die Totenerscheinungen umgiebt, der Spuk und Zauber, der in die Wirklichkeit hineinreicht. Seine Medea tritt neben die des Euripides mit einer ihr eigenen Strke, und seine Oktavia ist als Darstellung der zeitgençssischen Geschichte in der Vergegenwrtigung der politischen Lage von eigener Kraft. Auch hier aber zeigt sich nun, wie die Renaissance die Kunstformen der alten Welt berall benutzt, aber nur, um fr den eigenen Gehalt neue Formen hervorzubringen. Aus solchen Zgen des Zeitalters ergiebt sich daß die nchste und naturgegebene Absicht der Dichtung, Freude an der Mannichfaltigkeit des Lebens durch dessen Darstellung hervorzurufen in der ganzen Poesie gleichsam ihren Grundton ausmacht. Als Stoff eine bunte romantische Welt. Als Organ der Poesie eine naturmchtige Einbildungskraft. Die neue Art zu sehen und darzustellen ußerte sich zunchst in der bildenden Kunst. Maler und Bildhauer erfassen zunchst das Individuell-Besondere der Erscheinung, die Bewegung in ihrer Kraft und Grazie, Flle, Zierlichkeit und Glanz der Wirklichkeit. Dann aber tritt die Freude am Detail, der Wettstreit der Umgebung und Bekleidung mit der bedeutsamen Schçnheit des Menschen zurck. Die innere Form der großen Kunst entsteht. Ihre Grundeigenschaften sind: klare Linien, Weitrumigkeit, welche den Gestalten die Mçglichkeit freier Bewegung, vornehmer Abstnde und Verhltnisse gewhrt, machtvolle Bildung der Gestalten, systematische Anordnung derselben und Einschrnkung ihrer Beziehungen auf das innerlich Notwendige, Wirkung durch den Contrast. Dieser Stil erreichte in den ersten Dezennien des 16. Jahrhunderts seinen Hçhepunkt
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und ging dann von den letzten Zeiten des Michelangelo ab durch die bertreibung besonders wirksamer Ausdrucksmittel dem Verfall entgegen. Es ist der erste Fall einer einheitlichen Kunstform, die aus einer modernen Seelenverfassung hervorging, neu im Sehen von Wirklichkeit, in Eindrucksfhigkeit durch die Gegenstnde und in den Mitteln der Darstellung. So wirkte er auf die Kunstform auch der Poesie. Er bestimmte Winckelmann vornehmlich durch die Vermittlung von Raffael Mengs. In der Auffassung der Werke seiner Maler und Architekten ist dann der große Stil der Dichtung in Goethe zur Vollendung gelangt. Wie verwandt ist er doch diesen Italienern in seiner inneren Form! Rhythmische Anordnung der notwendigen Gestalten in weitem Raum, ideelle Beziehungen nach Verwandtschaft und Contrast, Sparsamkeit, die mit Wenigem Vieles erreicht, Notwendigkeit und Gesetzlichkeit in dem inneren Nexus und Struktur, in Typen durchsichtig dargestellt. Dieselbe neue Art zu sehen und darzustellen entwickelt sich dann dichterisch zugleich in Epos und Roman, in Tragçdie und Comçdie.
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Die innere Form der erzhlenden Dichtung in den hçchsten Kunstwerken dieser Epoche zeigt gemeinsame Zge, welche die Schçpfungen dieses Zeitalters der Phantasie ebenso von Homer und Virgil als von Rousseau, Gçthe oder Dickens unterscheiden. Die erzhlende Dichtung unterscheidet sich vom Drama dadurch zunchst, daß der Vorgang selbst sich nicht vor einem Zuschauer abspielt, sondern zwischen ihm und dem aufnehmenden Publicum der Erzhler steht. Sein Kunstgenie ist das Medium, das zwischen dem Gegenstande und der aufnehmenden Person sich befindet. In dem modernen Roman tritt vielfach das Streben hervor, die Eigenheit des Erzhlers auszulçschen gleichsam und die Sache selbst reden zu lassen. Rousseaus Heloise und Goethes Werther sind nur die hervorragendsten Beispiele der damaligen Tendenz, in Briefen oder Tagebchern die Dokumente selbst vorzulegen, welche direkt in die Innerlichkeit der Personen blicken lassen. Damit begann die Umformung des Romans in das Moderne. Die Zergliederung des Seelenlebens, seine allgemein-menschliche Struktur, danach dann die innere Struktur des menschlichen Einzelwesens gelangen zur Darstellung. Die großen Erzhler der Renaissance zeigen in keinem Zuge ein solches Streben der Zergliederung und der Belehrung. Sie wollen ergçtzen, und so tritt auch die Kunst des Erzhlers zwischen den Gegenstand und den Leser, durch diese bewußte, ihrer Mittel sichere Kunst unterscheidet sich die
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Erzhlungsdichtung der Renaissance von der des Mittelalters. Ranke hat einmal dargestellt, wie die mittelalterliche Dichtung, die den Sagenkreis des großen Karl und seiner Paladine darstellte, in der Renaissance sich umbildete, bis im Epos des Ariosto dieser Stoff seine hçchste Kunstform empfing. Ariosto bedient sich der Vorlagen des Ovid und Vergil; die Anschauungen der Alten von Schçnheit und Tugend durchdringen ihn; er lernt von Bembo die Sprache correkter formen und giebt in bestendiger Durcharbeitung seinen Stanzen ihre schlanke, freie Bewegung. Das Wesentliche aber ist doch die neue innere Form, in der ihm Bojardo schon vorangegangen war. Der im Mittelalter ernstlich unter religiçsen und ritterlichen Gesichtspunkten aufgefaßte Stoff ist nun dem souvernen Spiel der Phantasie anheimgegeben. Es herrscht nun die Freude an der bunten Flle der Erfindung und an der sinnlichen Vergegenwrtigung des lebendigen Geschehens, die sich nicht genug tun kann im Detail der ußeren Erscheinung. Der Zusammenhang ist nicht logisch-causal, sondern er empfngt sein Gesetz aus der Phantasie, welche die Figuren kommen und gehen lßt, den Faden der Erzhlung fallen lßt und aufnimmt, wie sie es bedarf. Welche Wirklichkeit steht nun dieser Kunst zur Verfgung! Noch klingt Kampfesfreude, Frauenliebe und Herrendienst der ritterlichen Zeit nach; die berseeischen Entdeckungen und Eroberungen schließen eine Welt auf, die der Phantasie berschwnglich genug tut; das heimische Leben selber ist noch von romantischen Elementen ganz durchzogen; vornehmlich aber pulsiert in diesen Menschen selbst noch unmittelbares, reflexionslos-starkes Leben. Aus diesem Inbegriff sondert nun die erzhlende Dichtung eine Begebenheit als ein Gefge von Vorgngen, das nicht durch einen großen Willen dem Ziel entgegengefhrt wird, sondern im Zusammenwirken vieler Personen und ußerer Umstnde abluft. Nie seit den Tagen des Homer ist nun die Stimmung und die Kunst, welche dieses Thema verlangt, so wirksam gewesen als in Ariosto, Cames und Cervantes. Sie whlen einen breiten, hçchst mannigfaltigen Stoff. Und die außerordentliche Macht, mit welcher ihnen dieser in allen seinen Teilen sinnlich-anschaulich gegenwrtig ist, die Freiheit, mit ihm zu schalten, welche noch mit keinen strengen Anforderungen an Wirklichkeit sich plagt, geben ihnen das Bewußtsein von Souvernitt der Phantasie, das bald als romantische Ironie, als Spiel mit dem Gegenstande in Ariosto oder als bermut des Humors in Cervantes hervortritt. Diese Stimmung teilt sich dem Leser mit, und er findet sich mit Behagen in einen Zustand ruhiger Beschau lebendiger, sinnlicher Betrachtung versetzt. Keine heftige Spannung treibt ihn vorwrts, nur Neugier und Erwartung wie die Schicksalsverwicklungen sich lçsen werden. Stil und Sprache sind der Ausdruck dieser zusammenfassenden Beschaulichkeit und teilen sie mit. Die Stanze des Ariost zerlegt den Vorgang in einzelne Anschauungsmomente, deren jedes sich in ruhigem Beha-
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gen ausbreitet. Und Cervantes hat nach dem Vorgang der Italiener seit Boccaccio einen Prosastil des Romans ausgebildet, der ohne poetischen Flitter in eine poetische Sphre erhebt: Perioden, in denen die Anschauungskraft ein Sinnliches zusammenhlt, und die so in sich die beschauliche Stimmung ausdrcken: natrliche Verbindung derselben unter einander: Musik der Sprache. Fassen wir nun die Beschaffenheit der Teile ihrer Begebenheit und den Charakter ihrer Verknpfung zu einem Ganzen ins Auge! Nie kann es sich in der Erzhlung um ein blosses Abbild der Wirklichkeit handeln: sie muß die fr das Gefhl toten Glieder ausscheiden und aus den eindruckskrftigen Momenten in weiser konomie eine Verbindung herstellen, welche den Schein des Lebens hervorruft. Nie hat eine erzhlende Dichtung den logischen Zusammenhang der Handlung so zurckgestellt hinter die Anforderungen der Phantasie in Auswahl und Verbindung der Teile, wie dies diese große Phantasiekunst getan hat. Sie ist unersttlich in der Anhufung wirkungskrftiger Scenen. Das in der Begebenheit Enthaltene gengt ihr nicht. Die Episoden Ariostos und die eingelegten Novellen von Cervantes erhçhen die Mannigfaltigkeit ihrer Gedichte. Nach großen Scenen wird gegliedert. Wie oft beginnt Ariost einen Gesang mit einer allgemeinen Betrachtung und bezeichnet damit einen Einschnitt der Erzhlung! Selbst aus dem strengeren Gefge des „Befreiten Jerusalem“ konnten einzelne Teile zu selbstndigem Vortrag abgesondert werden. Den Zusammenhang in dieser bunten, schier endlosen Flle der Abenteuer diktiert nicht der Verstand, welcher den urschlichen Beziehungen des Wirklichen nachgeht, sondern die Phantasie. Er ist nicht logisch, sondern malerisch oder musikalisch. Whrend der Dichter ganz den sthetischen Wert und die knstlerische Wirkungskraft des einzelnen Vorgangs auszunutzen strebt, empfindet er doch in jedem Moment das Verhltnis des Tons der einzelnen Scene zur Melodie des Ganzen. Von Boccaccio bis Ariost haben die Italiener diese Form vollendet und sie wurden die Lehrmeister der knstlerischen Erzhlung in diesem ganzen Zeitalter. Am Beginn des „rasenden Roland“ erscheint Angelica durch den Wald dahinreitend. Rinaldo und der maurische Held Ferragu sind zur Stelle. Sie kmpfen um das Mdchen, das entflieht, vereinen sich dann, es zu suchen. Wie der Maure seinen Helm im Fluß sucht, taucht allsogleich ein gespenstiges Haupt aus dem Fluß empor. Das Mdchen indes hat sich auf seiner Flucht zum Schlaf niedergelegt, und sogleich ist wieder einer ihrer ritterlichen Liebhaber zur Stelle. Die Personen kommen irgendwoher, und die Hauptsache ist, daß sie da sind, wenn der Dichter sie braucht. Die Scenen folgen einander, als wren sie nur da, um die Flle des Lebens sehen zu lassen. Die großen Gegenstze der maurischen und frnkischen Krieger, weiblicher Schçnheit, Hilflosigkeit und List und mnnlicher Tapferkeit, zarter und starker Stimmungen
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treten in immer neuen Gestalten auf. Wie Ariosto berhaupt mit der gleichzeitigen Malerei der Hochrenaissance am meisten Verwandtschaft zeigt, so berechnet er berall die Wirkungen von Verwandtschaft und Contrast. Die Charaktere treten fertig in ihrer Struktur uns entgegen. Das Interesse des Dichters an ihrer Wesenheit geht nur soweit, als der knstlerische Zweck es erfordert. Das Wesentliche ist dem Dichter immer, wie die Abfolge von Charakteren und Bildern verschiedenen Gefhlswertes eine eigene Art musikalischer Wirkung des Ganzen zur Folge hat. Zu dieser sind alle Teile abgestimmt. Und Stil und Sprache verbinden sie alle unter einander. Dagegen ist der urschliche Zusammenhang der Begebenheiten nicht nur dem sthetischen Gesetz der Darstellung aufgeopfert, sondern geradezu aufgelçst durch die Tendenz, das Haus der Este zu verherrlichen. Und wie nun diese italienischen Erzhler durch ihre Kunstform dies ganze Zeitalter beeinflußt haben, so hat zugleich die Souvernitt der Phantasie, die mit dem Leben zu spielen scheint, auf die Folgezeit gewirkt. Denn eben hierin lag etwas ganz Modernes. So hat Ariosto insbesondere den Oberon Wielands bestimmt und weniger sichtbar, aber tiefer den Don Juan Byrons. Von Ariostos Kunstform ist die des Cames bedingt. In seinen Lusiaden hat das große heroische Epos als Kunstgedicht den Hçhepunkt in diesem Zeitalter erreicht. Die Ausbildung der spanischen Weltmacht ist begleitet von einer Litteratur eigensten nationalen Geprges. Die Entstehung der Monarchie begleitet die Romanzen vom Cid. Die Abenteuer und Kmpfe im neuentdeckten Weltteil hat dann Ercilla zum Gegenstande eines umfassenden epischen Gedichtes gemacht. Sie gaben dem großen Stil der Erzhlung einen neuen Stoff von solcher Macht, als seit Vçlkerwanderung und Kreuzzgen keiner dagewesen war. Ercilla hat an den Feldzgen in Chile teilgenommen, und dort entstanden schon die Anfnge seines Werkes; die ganze Poesie der spanischen Konquistadoren kam zum Ausdruck in seinem Gedichte; indem er von den Italienern Kunstform und Versmaß entnahm, hat er doch leider auch die epische Maschinerie und ihre allegorischen Figuren nicht entbehren zu drfen geglaubt. Der Portugiese Cames hat wie Ercilla aus eigener Anschauung erzhlt. Der Krieg hat ihn erzogen. In den afrikanischen Kmpfen verlor er ein Auge. Sechzehn Jahre hindurch hat er dann als Soldat und im Verwaltungsdienst in Asien gelebt. Im Sden selbst schuf er sein Gedicht. Er erlebte noch den Niedergang seiner Nation und in dem Moment, als die spanischen Truppen Portugal besetzten, ist er gestorben. Auch er ist durch die Schule der italienischen Erzhlungsform gegangen. Am Beginn seines Epos spricht er die Hoffnung aus, den Ariosto zu besiegen: denn anstatt der Taten erdichteter Helden stelle er Wirklichkeit dar, welche an Grçße jene noch bertreffe. Aber die innere Form, die das romantische Epos der Italiener schuf, wird hier erfllt von na-
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tionalem Bewußtsein und erweitert durch die Grçße des Gegenstandes. Der Atem des Meeres und der Duft und sdliche Glanz Indiens liegen ber dem Gedichte. Ohne Zweifel ist es das bedeutendste heroische Epos, das die Modernen hervorbrachten. Wie Ariost an die malerische Kraft der Venezianer gemahnt, so ist auch das malerische Element in der Darstellung des Cames von Meer und sdlichem Lande beraus stark. Seine Wirkung war damals europisch, hat sich dann aber doch nur in Portugal behauptet. Die Epen, welche die Frhzeit der Nation begleiten, traten wie gigantische Geschçpfe einer frheren Welt in unsre Zeit. Der Tiefsinn, der in Mythos und Sage wirksam ist, gelangt in ihnen zum Ausdruck. In diesem modernen heroischen Kunstepos liegt etwas Halbschlchtiges. Der Tiefsinn einer mythen- und sagenbildenden Zeit wird hier ersetzt durch eine frostige, bersinnliche Maschinerie. Wie Virgil ihr Vorbild war, hat er auch hierin verderblich auf sie gewirkt. So treten auch in Cames hçchst frostig mythologische Gestalten zwischen die historische Realitt als ein ihr ganz fremder Bestandteil. In dieser Geschichte der Erzhlungskunst dieser Epoche bildet doch den Hçhepunkt die Schçpfung der großen Prosadichtung der Novellen und des Romans, und in diesen der Don Quixote des Cervantes. Jenseit des Gebietes der Historie und der mit ihr verbundenen Mythen und Sagenwelt erstreckt sich das Privatleben. Dort ist ein Zusammenhang, der schließlich in Leben und Machtkmpfen der Nationen gegrndet ist: hier empfngt das immer Wiederkehrende seine sthetische Bedeutung nur indem es in sinnlicher Kraft das Seelenbewegende allgemeingiltig darstellt das im Leben enthalten ist. Als die Prosadichtung in Italien zur Kunstform durch Boccaccio erhoben wurde, fand sie einen unermeßlichen Stoff in den Novellen vor. Diese heben das Einzig-Seltsame in Betragen, Entscheidung, Lebenswendung heraus das dann doch mit der menschlichen Natur in innerem Zusammenhang steht. Der damals entstehende strkere Sinn fr den Eigenwerth der Persçnlichkeit verstrkte das Interesse an diesen Stoffen. So gewann die Kunstform der Novelle in der prosaischen Kunstdichtung breiten Raum. Die Phantasie wird hier befriedigt durch die berraschende Wendung, welche den Vorgang aus dem gewçhnlichen Tageslauf als ein Außerordentliches heraustreten lßt und der Sinn der Zeit fr die Bedeutung des Persçnlichen, indem auch diese Wendung als eine ußerung der menschlichen Natur verstanden wird. Eben indem die Stadien einer Schicksalswendung so verstndlich verbunden sind, werden die Novellen zur Fundgrube fr die dramatischen Dichter der Zeit. Die Prosadichtung der Renaissancezeit erstreckt sich vornehmlich auf zwei Klassen. Die eine derselben ist die Auflçsung des ritterlichen Romans in Prosa, die andere umfasst jede Art von erzhlender Darstellung zeitgençssischen Lebens, oder zeitlosen menschlichen Daseins. Jene enthielt den Stoff fr die
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knstlerische Darstellung des Ariosto und Tasso. In dieser hat Boccaccio den Liebesroman und die Novelle zur Kunstform erhoben. Eine ausgebreitete Novellenlitteratur entstand, in ihr zunchst sprach sich die Auffassung des Lebens whrend der italienischen Frhrenaissance aus. Ist doch auch in der Malerei dieser Zeit ein novellistisches Element. Auch bildete Boccaccio die Form der Verknpfung von Novellen durch einen erzhlenden Rahmen aus und diese Verbindung kehrt dann in verschiedenen Formen bei den Meistern der Erzhlungskunst wie Cervantes und Gçthe und Tieck wieder. Seine Darstellung der Pest in Florenz 1348 und der Gesellschaft, die sich zusammenfindet um erzhlend und hçrend die Not der Zeit zu vergessen ist ein Muster der neuen Erzhlungskunst durch ihre regelmßige und strenge Form. Daneben ist auch das Schfergedicht von Sannazago in seiner Arkadia 1502 teilweise in der neuen Kunstprosa hçchst wirksam fortgebildet worden. Indem nun die italienische Kunst den cht realistischen Geist der Spanier beeinflußte entstand auf dem Hçhepunkt der spanischen Macht in der Zeit Karls V und Philipp II neben den heroischen epischen Dichtungen der spanische Prosaroman. Mendoza hat in seinem Schelmenroman das Leben seines spitzbbischen Helden in wirksamste Kontraste zu den ihn umgebenden spanischen Lebensordnungen gesezt. Cervantes hat dann die hçchsten Werke der prosaischen Erzhlungskunst in diesem Zeitalter der Phantasie hervorgebracht. Cervantes verbindet mit der hçchsten realistischen und malerischen Energie der Phantasie eine ber die Grenzen des spanischen Nationalgeistes jener Zeit hinausreichende Lebensweisheit. Sie stammt aus einer Lebenserfahrung, die zu bewußter Nachdenklichkeit erhçht war durch die Litteratur seiner Zeit. Mehr als ein halbes Jahrhundert vor ihm hatte der hervorragendste spanische Denker Vives seine merkwrdigen Schriften verçffentlicht, welche in vçlliger Freiheit des Geistes die neue Menschenkunde und Lehre von der Lebensfhrung begrndet haben. In derselben Richtung schrieben Montaigne in Frankreich, Cardano, Telesio in Italien. Diese Studien breiteten sich in der Litteratur und der Gesellschaft jener Tage berallhin aus. Der Blick fr die physiognomische Erscheinung des Menschen fr die Zeichensprache seiner Gebrden, die Temperamente und individuellen Verschiedenheiten, der in dieser Litteratur sich bildete, tritt uns nun auch bei Cervantes entgegen. Und ebenso macht sich in dieser Litteratur ein Ideal ruhiger Weisheit voller Lebensfhrung geltend gleich weit entfernt von sinnendem Affekt wie von Askese, welches die Werke Cervantes berall erfllt. Der Nachweis, daß Cervantes diese geistige Cultur der Zeit in sich aufgenommen hat, wre die nchste Aufgabe. Cervantes hat die Universitt Salamanca besucht, dann in Madrid in litterarischen Beschftigungen gelebt. Er war bei der Verçffentlichung von Gedichten auf den Tod der Kçnigin Elisabeth durch den Humanisten Lopez de Hoyos beteiligt (als dessen Schler wird
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er bezeichnet). Sonach wird er in Besitz der humanistischen Bildung der Zeit gewesen sein. Er hat dann den Kardinal Aquaviva als dessen Sekretr nach Rom begleitet, wo doch wiederum die Atmosphre der humanistischen Litteratur ihn umgab. Von 1588 ab lebte er in Sevilla (Stern 210 „mit den zahlreich geistig bedeutenden und knstlerisch gestimmten Persçnlichkeiten Sevillas“). All dies ging vorauf der Verçffentlichung des 1. Teils des Don Quixote 1605. Wie Shakespeare erlangte er frhe Lebenserfahrung von sehr gemischter Art. Und auch er scheint durch das Ungestm seines Wesens in der Jugend zu mehr Lebenserfahrung, als ihm angenehm war, gekommen zu sein. Er wurde wegen eines Streithandels als junger Mensch aus Madrid ausgewiesen. So tritt durch den universalen Charakter der Lebensauffassung Cervantes aus dem Rahmen der nationalen dichterischen Litteratur Spaniens heraus. Hiervon war die Folge, daß sein Roman eine europische Wirkung damals ben und in den dauernden Bestand der Weltlitteratur bergehen konnte. Das Außerordentliche liegt in der Erfindung selber, eine edle, hochbegabte, ja im brigen weise Persçnlichkeit, welche nur sich bis zur Verrckung eingesponnen hat in jene romantische Ritterwelt; sie ist ihrer Sache vollkommen sicher. Und indem sie gegen die geregelte Ordnung der Dinge anstçßt, entsteht nun aus dieser erhabenen Charaktergrçße und Intelligenz ein sich immer weiter ausbildendes System von Einbildungen, welche aufrecht erhalten werden mssen durch die allersubtilsten Erfindungen. Das Grçßte aber ist nun: die excentrische Phantasie stellt in S. Pansa gleichsam die Quintessenz einer sich selbst berfliegenden Einbildungskraft als Contrastfigur gegenber, der vulgre, sinnlich geartete, buerliche Verstand, wird vollkommen psychologisch richtig nur durch den Eindruck der großen Persçnlichkeit in seinem eignen festen, eingeschrnkten Gefge aufgelçst und fortgerissen. So entsteht eine doppelte Reihe von Vorgngen: die Abenteuer selber und der Aufbau der Einbildungen, welche eben durch die Abenteuer immer neu erregt werden – ergçtzliche luftige Spinnewebe, die ber der Wirklichkeit schwebt. Von besonderer Wirkung ist die Auflçsung der Illusion von der Statthalterei bei Sancho, die aber den auf die Anhnglichkeit an seinen Herrn gegrndeten Glauben an diesen nicht aufhebt. Der ganze Vorgang aber wird in eine allgemeinere Bedeutung erhoben, indem die hohe Weisheit des Cervantes, die aus seinen schmerzlichen Lebenserfahrungen entsprang, darin zum Ausdruck kommt, daß niemand, der lebt, vom Wahne frei ist. Es wird nicht nur die Phantasie, welche in den Idealen des Rittertums enthalten war, in ihrem komischen Widerspruch gegen die verstndige und verstandesmßig-geordnete Welt dargestellt, sondern vielmehr jede Illusion einer edlen Natur ber sich selbst und ihr Werk in der Welt, jeder Widerstreit von Ideal und Wirklichkeit.
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Die Technik des Romans zeigt zunchst bestimmte und auffllige Schranken. Der Conflikt, auf dem er beruht, wird nicht in einer Steigerung durchgefhrt, fhrt auch keine komplicierteren Verknpfungen der Handlung herbei; vielmehr wie die Ritterromane und ritterlichen Epen besteht auch dies ihr komisches Ebenbild aus Abenteuern. Diese umfassen das ganze Leben des Don Quixote. Ursprnglich freilich war es nur auf eine bestimmte Reihe derselben abgesehen. Der Schluß des 1. Teiles zeigt, daß eine Fortfhrung der Abenteuer bis zum Tode des Don Quixote nicht beabsichtigt war; aber zweifellos ist trotz mancher bertreibungen des 2. Bandes, die aus dem Spiel der vornehmen Gesellschaft mit den beiden entspringen und aus dem Rahmen selbst herausfallen, die Fortfhrung bis zum Tod des Don Quixote knstlerisch richtig. Das Aneinanderreihen der Abenteuer hat nun einen eigenen knstlerischen Reiz. Die Vorgnge treten von außen an den Helden heran. Dies entspricht der Wahrheit des Lebens. Der Leser selber erfreut sich an der berraschung und an die Stelle der Spannung tritt die angenehme Erwartung neuer ergçtzlicher Bilder. Es wird aber die Eintçnigkeit dadurch vermieden, daß erstlich in tiefer Naturwahrheit beide Helden sich immer neu darstellen, und niemand je voraussagen kann, was sie tun werden, dann aber die Abenteuer selbst und die aus ihnen entstehenden innerlichen Vorgnge insbesondere die Gesprche der beiden Helden stets nebeneinander hergehen. Ebenso ist der Gegensatz des Humanistischen und Romantischen ein bestndiger Reiz. In diesen Gesprchen erscheint die mimische Begabung einer Zeit der abstraktes Denken fremd war, in welcher Nachbilden des Lebendigen in sich selbst den grçßten Teil des Denkens fr sich in Anspruch nahm in einer so ursprnglichen Kraft, daß außer Shakespeare nichts damit verglichen werden kann in der Litteratur aller Zeiten. Ein Gesprch wie das zwischen Sancho und seinem Weibe, was zu geschehen htte, wenn erst Sancho im Besitz seiner Insel wre, hat in der herzensguten, lchelnden Betrachtung der Welt in der zartesten komischen Kraft, die jede bertreibung vermeidet, in einer Mimik, die immer ergçtzlich ist, im Roman nicht seinesgleichen. Nur die Scenen zwischen dem jungen Kaufmannssohne Wilhelm Meister und der Schauspielerin Marianne sind dieser Stimmung vergleichbar. Eine weitere Wirkung beruht darauf, daß diese Scenen das ganze spanische Leben umfassen. Der Pfarrer, der Barbir, der Licentiat, Schfer, Zigeuner, Reisende, Kaufleute, wandernde Schauspieler, Lçwenwrter, Puppenspieler, der große Adel und seine Umgebung – alles erscheint nach und nach, und die Novellen erweitern noch den Gesichtskreis. Die Einschiebung dieser Novellen war ebenfalls ein Kunstmittel, das auf Goethe und seine Schule in Deutschland wirkte. Vollkommener aber ist doch die Technik da, wo Cervantes das Novellistische in die Handlung selbst verflicht. Ein weiterer, außerordentlich wirksamer Zug dieses Romans der Phantasie
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liegt in dem malerischen Sehen des Cervantes. Die Bestimmtheit und malerische Kraft, mit welcher die beiden Hauptpersonen physiognomisch und mimisch gezeichnet sind, hat immer wieder die Maler gelockt, sie darzustellen. Jede Scene ist auf eine malerische Wirkung berechnet. Das Begrbnis des liebenden Schfers durch die andren Ziegenhirten an der Stelle, wo er zum ersten Mal Marcela, die ihn verschmhte, erblickt hat, das Erscheinen der abenteuerlichen Gestalt des Don Quixote zwischen den Schfern mit ihren schwarzen Schafpelzen und den Krnzen auf dem Haupt, die Recitation seiner letzten Gedichte und nun plçtzlich das Erscheinen der Schferin Marcela selbst auf dem Felsen ber dem Grabe. Wie Don Quichote an das Meer kommt. Eine solche große scenische Wirkung geht dann in das Erhabene ber wo der nrrische Don Quichote und der verrckte Cardenio sich begegnen (aufsuchen!) vergleichbar der großen Szene im Lear wo die drei Narren auf der Haide erscheinen, der wirkliche, der verstellte und der Weise im Narrenkleid. Alles erhoben zur hçchsten sinnlichen Deutlichkeit, das aber ist das Entscheidende daß jede Szene beinahe von malerischer Wirkung ist. Cervantes sieht mit dem Auge eines großen Malers. Es ist die Zeit in welcher die venezianische Schule sich der Darstellung des weltlichen Lebens bemchtigt hatte, Spanien unter seinen beiden letzten weltherschenden Kçnigen von Gemlden erfllt war und die knstlerische Begabung der Nation fr Farbe, Licht- und Luftwirkungen und Wirklichkeitsmalerei unter solchen Einflssen sich zu entfalten begann. Cervantes ist der am meisten malerische unter allen Erzhlern der Weltliteratur bis Walter Scott. Die letzte hçchste, aus dem ganzen Wesen des Cervantes hervorgehende Wirkung im Roman des Cervantes ist dann darin gelegen daß alle Seelenbewegungen in seinem Roman zusammengehalten sind von der betrachtenden Ruhe des Erzhlers. Diese theilt sich dem Leser mit auch da, wo die Handlungen Rhrung, Furcht und Schrecken hervorbringen. So entsteht eines jener gemischten Gefhle welche fr die romantische sthetische Wirkung berhaupt so charakteristisch sind. Auch die Novelle wird von Cervantes zur hçchsten Wirkung erhoben durch diese seine Technik des Erzhlens. Eben durch die Verbindung der Darstellung hohen Seelenadels, rhrender Szenen mit den hçchsten malerischen Wirkungen der Szenerie hat das Zigeunermdchen nicht seines Gleichen, und diese Geschichte der Preciosa hat ebenfalls außerordentliche Wirkungen auf die folgende Kunst hervorgebracht.
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Renaissance und nationales Leben. Die Form dieser Dichtung entsprang aus der Entwickelung des Formensinnes in der italienischen Renaissance, durch welchen nun Stoffe und Gebilde der mittelalterlichen Welt zu bewußter Kunst erhoben wurden. Auf dem Boden Italiens, auf welchem die Tradition rçmischen Kunstverstandes heimisch war, entwickelte sich bewußtes knstlerisches Auffassen und Darstellen zuerst. Hier entstand im Zusammenhang mit der provencalischen Dichtung die neue Form der Lyrik in Dante und Petrarka, in der schon die innere Gesetzlichkeit der neuen Kunst zum Ausdruck kommt. Die innere Gesetzlichkeit der neuen Kunst hat hier ihren ersten Ausdruck. Ein ber dem Gefhl schwebendes Bewußtsein, welches dieses zum musikalischen Ausdruck bringt, ist ihr Wesen: die rythmische Anordnung der Glieder, ihr gegenstzliches Verhltniß, ihre Beziehungen auf einander durch die Verschlingungen des Reimes, die Concentration des Gedankens – dies sind die Kunstmittel, welche die Naturlaute des Gefhls in die Sphre einer vornehmen vom Leben abgesonderten Phantasie erheben, welcher der Inhalt dieser Dichtungen angehçrt. Dieser Lyrik entspricht die Kunstform der neuen Malerei, rythmische Anordnungen der notwendigen Gestalten im weiten Raum, ideelle Beziehungen nach Verwandtschaft und Contrast, Sparsamkeit, die mit Wenigem Vieles erreicht, Notwendigkeit und Gesezlichkeit, die in Typen sich ußert – das sind die Zge, in denen der neue Kunstverstand von Lionardo, Raffael und Michelangelo sich malerisch ußert. Und dieselbe innere Form bestimmt nun auch die erzhlende Dichtung Italiens. Ranke hat einmal dargestellt, wie die mittelalterliche Dichtung, die den Sagenkreis des großen Karl und seiner Paladine darstellte, sich in der Zeit der Renaissance umbildete, bis dieser Stoff im Kunstwerk des Ariosto seine hçchste Kunstform empfing. Die Stanzen des Ariosto zerlegen den epischen Vorgang in einzelne Anschauungsmomente, deren jeder sich in ruhigem Behagen ausbreitet. Die einzelnen Gesnge sind meist durch einleitende Betrachtungen von einander abgegrenzt und so zu eigenen Ganzen erhoben. Und der Zusammenhang dieses Ganzen liegt nicht in einem verstandesmßigen Nexus der Begebenheiten nach Ursache und Wirkung, vielmehr ist er ein rein malerischer: unzhlige Nancen von Kampf und Liebe sprechen ein einziges Grundthema in immer neuen Abwandlungen aus: das Recht der Starken, den Zauber und die List der Frauen, das Unberechenbare und Tçrichte in ihrer Liebesentscheidung. So herrscht in der Beziehung der Teile dieses Gedichtes nicht Causalzusammenhang: die Personen kommen und verschwinden nach dem Bedrfnis der Composition: Ariosto lßt den Faden der Handlung fallen, um ihn an einer beliebigen Stelle wieder aufzunehmen: leuchtende, far-
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bige Fden sind zu malerischer Wirkung verwoben: das Gesetz des Contrastes und der Verwandtschaft dieser anschaulich leuchtenden Kampf- und Liebesgeschichten regiert. Die freiere Kunstform Tizians herrscht. Und dieselbe Kunstform bemchtigt sich in Italien auch der Prosa. Die Herrschaft des knstlerischen Bewußtseins ußert sich in der Periode, welche zu einem Bilde die Glieder zusammenfaßt, in dem Rhythmus und der Melodie der Sprache, durch welche diese der Darstellung in Versen analog ist. Aber mehrere Umstnde wirkten dahin zusammen, daß eine wirkliche Verschmelzung dieser Kunstformen mit den Naturkrften nationalen Lebens in Italien sich nicht vollzog. Ein zerrissenes Land, geteilt in ppstliche Herrschaft, stdtische Gemeinwesen und Tyrannenhçfe ohne nationalen Zusammenhang, das hier nur in der Renaissance-Kultur selber eine geistige Einheit besaß. Diese Cultur selber lagerte sich in einer oberen Schicht der Hçfe, Geistlichen, Gelehrten ber dem Volke und ganz von seinen Bedrfnissen abgetrennt. Die Litteratur war halb lateinisch, halb Internationalsprache. Was der große Lorenzo oder die ritterlichen Epen oder die Komçdien von Volksmßigem aufnahm, wurde sofort unter dem Gesichtspunkt der ironischen, vornehm-genießenden Stimmungen dieser oberen Gesellschaft gebracht. Kein großes nationales Kraftgefhl, keine mit dem Leben der Nation verbundenen Stoffe verknpften Stnde und einzelne Territorien. Keine Hauptstadt war vorhanden, kein Theater, das dem gemeinsamen Bedrfnis des Volkes und der Aristokratie entsprochen htte. So brachte Italien kein Werk ersten Ranges in dieser Epoche der Phantasiekunst hervor. Erst in Spanien, England und Frankreich entstanden die Werke, welche großen Kunstverstand mit der volksmßigen Kraft einheitlicher Nationalstaaten verknpfen. Romanzen, Ritterromane, der dramatische Roman (Caelestina), geistliche Schauspiele und Epen des fnfzehnten und beginnenden sechzehnten Jahrhunderts atmen noch den mittelalterlichen Geist. Die Weltmonarchie Karls V. verknpfte Italien mit Spanien. Seine Staatsmnner und Offiziere waren in Genua und Venedig ebenso zu Hause als in Madrid. Es begann die Verschmelzung der neuen italienischen Kultur mit dem spanischen Geist. Sie vollzog sich unter Karl V. und in den ersten Jahren Philipps II. Der herrschende wissenschaftliche Geist Vives gehçrt der Regierung Karls V. an. Die bertragung der Renaissance, welche er in den Wissenschaften reprsentiert, fand eben unter dieser Regierung auch auf dem Gebiet der Dichtung statt. Eine eigentmliche Verknpfung der großen Kulturmomente der Zeit vollzog sich unter dem genialen Kaiser (1516–56), der ausschließlich von den Gesichtspunkten der neuen weltlichen Politik bestimmt war. An seinem Hof war die vollkommenste Kapelle der Zeit, welche die Musik der Niederlande reprsentierte. Die venezianischen Maler, vornehmlich Tizian, genossen die Gunst des Kaisers. Der
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Ritter wandelte sich jetzt um in den Kavalier. Es entsprach nun dem inneren Gesetz, nach welchem gerade in der neuen Kunstform der Lyrik die Umformung des poetischen Stils in Italien sich vollzogen hatte, daß eben mit der bertragung der neuen lyrischen Formen die neue spanische Poesie begann. Sie vollzog in den Dichtungen von Boscan, Garciloso de la Vega, der am Hofe Karls und in Staatsmtern lebte. Der genialste Reprsentant dieser Epoche war Mendoza, einer der bedeutendsten spanischen Diplomaten Karls V., Humanist, Dichter und Geschichtsschreiber. Er beschrieb aus eigenem Erlebniß den großen Aufstand der Morisken von 1568-1570 unter dem Einfluß der rçmischen Geschichtschreibung des Tacitus und Sallust. Seine Dichtung gehçrte ebenfalls der italienischen Schule. Wie nun aber die neue Monarchie, die sich auf das Heer, die Steuern, die weltliche Rechtspflege und die Inquisition sttzte, doch durch die Macht der adligen Grundherren den Zusammenhang der Geistlichen mit dem Volke, die einflußreiche Stellung der brgerlichen Beamten in Justiz und Verwaltung mit dem Volksleben selbst im engsten Zusammenhang verblieb: so hat sich auch die spanische Litteratur aus der Erhçhung des Volksmßigen durch die neuen Kunstformen entwickelt. Realistische, burleske Schilderung des Volkslebens herrscht sowohl in den Schelmenromanen, deren erster 1554 noch unter der Regierung Karls V. entstand, als in dem neuen weltlichen Theater des Lope de Rueda, der unter derselben Regierung mit seiner Truppe auf Mrkten und auf Kirchenfesten umherzog: auf seinen Brettern, die ein paar Spannen ber der Erde ber ein paar Bnke gelegt wurden, wurden jene derben Volkspossen gespielt, die dann in den Zwischenspielen des Cervantes ihre hçchste Entwickelung gefunden haben. Und dasselbe nationale Element machte sich in der Araucana, dem Epos der spanischen Herrschaftskriege gegen die indianischen Sdamerikaner geltend, welches ebenfalls noch unter Karl V. begonnen wurde. Das Bedrfnis starker Eindrcke, bunten Scenenwechsels, der Mischung des Erhabenen und Burlesken wirkte in einer ghrenden Bewegung zusammen mit dem Vorbild des kunstgerechten Drama von Seneca und seinen italienischen Nachbildnern, mit der Verwertung der italienischen Versformen, mit der Benutzung des rçmischen Lustspiels, bis dann in dem Zusammenwirken dieser Elemente das große Drama des Cervantes, Lope und Calderon entstand. Und ebenso bereitete die realistische Prosaerzhlung den Boden, auf welchem der große Prosaroman der Zeit und die knstlerische Novelle sich entwickeln sollten. Der Ausgangspunkt lag in dem spanischen Schelmenroman „Das Leben des Lazarillo de Tormes“. Indem er als Selbstbiographie auftritt, stellt er aus dem Gesichtspunkt dieser Schelmenwelt mit außerordentlicher Realistik die oberen Stnde, insbesondere die Geistlichkeit so dar, wie sie in der Dienerstube und im Auge eines in alle Arten von Spitzbberei eindringenden Beobachters sich darstellt. Auch hier ent-
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stand die vollendete Phantasiedichtung aus der Verschmelzung dieser realistischen, auf dem Boden des Volkslebens stehenden Kunst mit dem großen italienischen Stil; der Don Quixote des Cervantes und seine Zigeunerin haben hierdurch eine Lebenskraft, welche sein Schferroman und seine nordische Liebesgeschichte nicht haben gewinnen kçnnen. Aus derselben Verbindung der großen nationalen Momente, welche alle Kreise der Nation zu bewegen vermochten, mit der italienischen Kunstform ist dann das große heroische Epos als Kunstgedicht auf der pyrenischen Halbinsel entstanden. Die Ausbildung der spanischen Weltmonarchie ist begleitet von einer epischen Litteratur eigensten nationalen Geprges. Die Romanzen vom Cid begleiten die Ausbildung der Monarchie. Die Abenteuer und Kmpfe im neuentdeckten Weltteil sind dann von Ercilla zum Gegenstand eines umfassenden epischen Gedichtes gemacht worden. Der große Stil der Erzhlung erhielt hier einen neuen Stoff von solcher Macht, wie er seit der Vçlkerwanderung und den Kreuzzgen nicht dagewesen war. Der Portugiese Cames hat wie Ercilla aus eigener Anschauung erzhlt. Der Krieg hat ihn erzogen. In den afrikanischen Kmpfen verlor er ein Auge. Sechzehn Jahre hindurch hat er dann als Soldat und im Verwaltungsdienst in Asien gelebt. Im Sden selbst schuf er seine Lusiaden. Er erlebte noch den Niedergang seiner Nation, und in dem Moment, als die spanischen Truppen Portugal besetzten, ist er gestorben. Auch er ist durch die Schule der italienischen Erzhlungsform gegangen. Am Beginn seines Epos spricht er die Hoffnung aus, den Ariost zu besiegen: denn anstatt der Taten erdichteter Helden stelle er Wirklichkeit dar, welche an Grçße jene noch bertreffe. Aber die innere Form, die das romantische Epos der Italiener schuf, wird hier erfllt von nationalem Bewußtsein und erweitert durch die Grçße des Gegenstandes. Der Atem des Meeres und der Duft und sdliche Glanz Indiens liegen ber dem Gedichte. Ohne Zweifel ist es das bedeutendste heroische Epos, das die Modernen hervorbrachten. Wie Ariost an die malerische Kraft der Venezianer gemahnt, so ist auch das malerische Element in der Darstellung des Cames von Meer und sdlichem Lande beraus stark. Seine Wirkung war damals europisch, hat sich dann aber doch nur in Portugal behauptet. Die Epen, welche die Frhzeit der Nation begleiten, traten wie gigantische Geschçpfe einer frheren Welt in unsre Zeit. Der Tiefsinn, der in Mythos und Sage wirksam ist, gelangt in ihnen zum Ausdruck. In diesem modernen heroischen Epos liegt etwas Halbschlchtiges. Der Tiefsinn einer mythen- und sagenbildenden Zeit wird hier ersetzt durch eine frostige, bersinnliche Maschinerie. Wie Virgil ihr Vorbild war, hat er auch hierin verderblich auf sie gewirkt. So treten auch in Cames hçchst frostig mythologische Gestalten zwischen die historische Realitt als ein ihr ganz fremder Bestandteil.
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So entsteht der Charakter der spanischen Litteratur. Sie umfaßt die ganze Wirklichkeit des nationalen Lebens. Sie beruht auf einer Einheit des nationalen Geistes von eigensinniger Energie. Mit liebevollem Stolz blicken diese Dichter auf das spanische Leben, mit Humor mit Enthusiasmus, ja schließlich mit fanatischer Einseitigkeit religiçsen und nationalen Gefhls. Dies Leben aber enthlt einen Reichtum gefhlsstarker malerischer Momente. Sie erfassen es in der Gegenstzlichkeit der regierenden Classen und des Volkes. Sie stellen nur Wirkliches dar, aber sie erheben jedes Wirkliche ber sein Maß, bis in die Bizarrerie. Sie erschçpfen den Gefhlsgehalt jeder Scene und sie geben die volle malerische Erscheinung. Die Entstehung der Leidenschaften, die Charaktere, das Verhltnis der Menschen zu ihren Lebensbedingungen, die reale Inhaltlichkeit der wirklichen Welt sind fr sie nicht vorhanden. Der Zusammenhang, den ein Werk darstellt, ist nicht logisch, nicht urschlich. Intrigue, seltsame Handlung, berraschung, Schicksalsverflechtung, worin sie leben, sind mit keinem tieferen Nachdenken ber das menschliche Schicksal verknpft. Das religiçse Drama berschreitet nirgends die Grenzen der katholischen Devotion. Und Cervantes tritt aus den Schranken dieser spanischen Litteratur heraus. Dieselbe bertragung des Altertums, der italienischen Renaissance und nun auch schon spanischer Vorbilder auf eine lebensmchtige Nation, in welcher ein einheitlicher Volksgeist die Stnde verband, auf die Stoffe und Formen volksmßiger Art vollzog sich in der englischen Phantasiedichtung. Eine Nation, welche soeben sich zur Weltstellung erhoben hat und vom Gefhl ihrer Macht durchdrungen ist, bemchtigt sich jugendfrisch der Stoffe aus den verschiedensten Zeiten. Das altenglische Theater hat auf der Grundlage der Litteratur ber den Menschen und des angesammelten Reichtums von Bildern des Menschenlebens und der Historie als Kern des Menschenlebens Wille, Affekt und Leidenschaft hingestellt: das Leben erscheint hier als eine Energie, die wie die Einheit in der Handlung von der Willensbestimmtheit durch Leidenschaft bis zum Ende geradlinig geht: in einer Handlung wird eine Lebendigkeit erfaßt, die weder dem Causalgesetz unterthan ist noch unter den Begriff abstrakter Freiheit gestellt ist: diese Lebendigkeit ist die ußere Erscheinung dessen, was innen Verantwortlichkeit ist.
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Die europischen Grundlagen der Kultur des achtzehnten Jahrhunderts. 1.
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Die moderne Zeit beginnt in Italien, hier zuerst ermçglichen die wirtschaftlichen und politischen Verhltnisse in entwickelten Einzelstaaten, die Ausbildung einer Kultur auf den Grundlagen einer nationalen Sprache; die Politik lçst sich von den kirchlichen Grundlagen los; die antike Welt wird nach der inneren Verwandschaft dieser Freistaaten und Dynastenhçfe innerlich angeeignet, so gewinnt der italienische Mensch ein unmittelbares Verhltniss zur Wirklichkeit, die Darstellungsformen des Altertums werden von ihm entsprechend seiner Art zu fhlen und zu sehen umgebildet, die Persçnlichkeit selber vermag sich unabhngig von den mittelalterlichen Schranken zu entfalten. Eine rein weltliche von Interesse geleitete Politik findet ihren Reflex in einer politischen und historischen Litteratur, welche ber das von den Alten Aufgenommene hinaus, deren Einsicht in den gesetzlichen Zusammenhang des politischen Lebens fortbildet. Die moralischen Traktate und die philosophischen Diskussionen geben diesen modernen Menschen ein starkes Bewusstsein ihrer Innerlichkeit, indem dieselbe Gesinnung, die Gesinnung, deren Zusammenhang mit der Lebensauffassung zur Klarheit erhebt; denn der Mensch lebt nur aus sich selbst im Gefhl seiner Wrde und Kraft, wo er sein Verhltniss zu den hçchsten Dingen selbst eigen, auch durch das Denken bestimmt. Die grçsste geschichtliche Leistung des 15. und 16. Jahrhunderts in Italien waren die Schçpfungen der bildenden Kunst. Maler und Bildhauer erfassen, das individuell besondere der Erscheinungen, die Bewegung in ihrer Kraft und ihrer Grazie, die Flle, den Reichtum und den Glanz der Wirklichkeit; sie gewinnen die Ausdrucksmittel fr diese malerischen und plastischen Aufgaben. Die grosse Persçnlichkeit Lionardo’s steigert alles vorhandene durch eine unersttliche Freude an der Erfassung der Struktur aller Wirklichkeit, die Kunst wird ihm zum Organ dies wesenhafte sichtbar zu machen, die Liebe mit der er die ganze Natur umfasst, die Freude des gewahrens und darstellens breiten einen einzigen Glanz von Glck und Schçnheit ber alles aus, was er darstellt, indem seine Genialitt die angemessensten Mittel der Darstellung erreicht. Jedes Ding, jede Individualitt in ihrer eigensten Art hinzustellen, entspringt ihm doch zugleich aus der Durchbildung seiner Persçnlichkeit zum hçchsten Bewusstsein ihrer selbst und ihrer Macht zu sehen, zu begreifen in strksten Sensationen sich anzueignen und so zu gestalten, als wre es nie vorher gesehen worden. Ein vornehmer Stil, der in der grossen ausladenden Form in der ge-
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fassten, von innen beherrschten und eben darum freien lssigen Bewegung, in der Auswahl des bedeutenden, seiner stillen, innerlichen Erscheinung sich ussert; wenn in Lionardo noch der Sinn fr das Eigene und Mannigfaltige der Erscheinung in Gleichgewicht ist, mit dem Zug der auf die Darstellung des in dem vornehmen Lebensgefhl gegrndeten Kunstideals enthalten war, so erreicht in Michelangelo und Rafael dieser Zug eine so ausschliessende Macht, dass nun alles zierliche, die Freude am Detaill, der Wettstreit der Umgebung und Begleitung mit der bedeutsamen Schçnheit des Menschen zurcktritt. Die grosse klare harmonische Linie die Weitrumigkeit, welche den Gestalten die Mçglichkeit freier Bewegung vornehmer Abstnde und Verhltnisse gewhrt, die machtvolle Bildung der Gestalten, die innere Verbindung gegenwirkender und doch einheitlicher, bedingter Bewegung die rhythmische Anordnung der Gestalten, die Einschrnkung ihrer Beziehungen auf das innerlich notwendige, die Wirkung grosser Contraste, das sind einige Grundeigenschaften des grossen malerischen und plastischen Stils der in den ersten Decenien des 16. Jahrhunderts seinen Hçhepunkt erreicht, um dann in den letzten Zeiten des Michelangelo durch die bertreibung besonders wirksamer Ausdrucksmittel dem Verfall entgegenzugehen; oder anders angesehen in andere Formen berzugehen. Dieser grosse Stil der Malerei ist nun der erste Fall einer einheitlichen Kunstform die aus einer modernen Seelenverfassung hervorgegangen, ein neues Sehen von Wirklichkeiten, eine neue Eindrucksfhigkeit von den Gegenstnden, und folgerecht, ein neues System von Mitteln der Darstellung in einem ganzen Gebiete der Kunst zur Geltung bringt. Hierdurch wurde dieser Stil eine historische Macht, welche auf die Entstehung der grossen Kunstformen in allen spteren Zeiten gewirkt hat; vornehmlich aber werden wir sehen wie derselbe, den grossen Stil der spteren Periode Goethe’s seit der italienischen Reise bedingt hat; denn wie wren ohne diesen Stil Malerei und aesthetische Principien von Raffael Mengs, wie Winkelmann ohne diese, und wie ist dann wieder Goethe in Italien von dieser aesthetischen Richtung bedingt, und unter dem Einfluss der grossen Maler und Architekten die schliesslich von der griechischen Kunst und ihrem Ausleger Plato hinberleiten in die neueren Zeiten. Rhythmische Anordnung der notwendigen Gestalten in einem weiten Raum ideelle Beziehungen von Verwandtschaft, Stufenfolge der Jahre oder andere Zustndlichkeiten und der Contrastwirkungen nach Gestalt, Bewegung und Affekt, Einheit, Sparsamkeit, die mit wenigem Vieles erwirkt, Notwendigkeit und Gesetzlichkeit, die den innern Nexus und die Struktur lckenlos, durchsichtig darstellt: mag dieser in Lionardo in der Struktur des Antlitzes, oder der Hand in Michelangelo in dem Wert der Gelenke, in Tizian in Licht, Schatten und Farben sich erweisen; endlich in dieser Einschrenkung die Aufgabe, doch den ganzen Reichtum der Wirklichkeit zu
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reprsentieren durch das Typische und durch die allmhlige Bevorzugung und Beherrschung der grçsseren Complicationen zumal in Bewegung und Farbenwirkung: dies sind die Mittel des grossen Stils, in welchem das moderne Streben nach einem gesteigerten menschlichen Dasein zum Ausdruck kommt. Wie wunderbar hngen doch die menschlichen Dinge zusammen! In den griechischen Gçtterbildern und den Gçtter- und Heroendramen war eine solche Steigerung und Idealisierung, das Ausdrucksmittel fr Gçttlichkeit und Gottverwandschaft – dies tiefste griechische, religiçse Gefhl; aus dem scheinlosen, niedrigen, herben, leidvollen, entkçrpert geistigen, wie es in der christlichen Grundanschauung enthalten war, ist im Geiste der Renaissance, welcher durch Platon’s Begriff von der Darstellung der Idee von den schçnen Gestalten einen tieferen Hintergrund erhielt, in den antiken Gçtterbildern einer Ordnung vorbildlicher Idealgestalten, schrittweise allmhlig, die Darstellung der heiligen Geschichten und ihrer Gestalten, durch erhçht menschliche Typen geworden. Der Christus von Lionardo und Tizian, die Maria von Raffael, der Gottvater Michelangelo’s, der Liebe seelige Johannes – dies sind die hçchsten Typen dieser neuen Kunst; und darin unterscheiden sie sich vom antiken Kreis der Gçtter und Heroen, dass aus der zu berwindenden Gegenstzlichkeit jener lteren streng religiçseren Darstellungen und Reprsentation des hçheren Menschentums eine Tiefe hervorgeht, welche eben durch das Streben das gegensetzliche zu vereinen, eine innere Complication auszudrcken, in ein Unendliches zurckzuweisen scheint. Diese Steigerung aber, alle Kunstmittel ihres Ausdrucks wurden in’s besondere in der venezianischen Schule bertragen auf ideale Darstellungen der Wirklichkeit oder Zustandsbilder, die gern die Erhçhung und die Darstellung des Nakten durch Anlehnung an Gçtter- und Heroengeschichten motivierte, auf Staatshandlungen, Feste und Gastmhler, schliesslich auf Portraits in diesem allen genoss sich das machtvolle venezianische Staatsleben in seinem Glanz und seiner Wrde, und hiermit war doch erst die Erhçhung des Menschen, durch die Anwendung des grossen Stils auch stofflich zur vçlligen Durchfhrung gelangt. Die italienische Renaissance breitete sich ber Europa aus, die frstlichen Hçfe, welche die Erhçhung ihres Daseins ber das vulgre Menschenloos hinaus in Festen, Auffhrungen, Kunst wie in Machtlehre genossen, fanden in ihr die Lebensform. Ja, je mehr sich nun diese Kunst von den spten Tagen des Michelangelo ab in die extreme Energie der Bewegung des Contrastes, des Affektes steigerte in zunehmender Willkr sich loslçste vom natrlichen Maass des Menschendaseins, vom notwendigen inneren Zusammenhang in der Architektur, vom natrlichen Fluss der Rede im Drama, desto mehr gelangte das persçnliche Machtgefhl hier zum Ausdruck. Wer mçchte sagen, wie sich die Kultur der Renaissance weiter entwickelt
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htte, wenn nicht eine andere entgegengesetzte Kraft in’s Spiel getreten wre? Verweltlichung des lteren religiçsen Gehaltes berall, Eingewçhnung in antikes Lebensverhalten, der Mensch der Gewalt ber dem das Schicksal und die Sterne walten und eine bestndige Anpassung der leitenden kirchlichen Personen an diese Lebensknstler, diese Vermittler stoischer und epikurischer Moral, Verherrlichung der Kirche durch die Knste, Benutzung der neuen politischen Denkweise des Machiavelli, und der Venezianer durch die ppstlichen Staatsmnner, die Verkçrperung der vorsichtigen kritischen Vernunft in Erasmus: in all diesem schien eine Anpassung der kirchlichen Organisation an eine neue Stufe der Bildung sich vorzubereiten, in welcher Lebensschçnheit, Vernunft, Geltung, Vertiefung in die diesseitigen Lebensbedrfnisse, Pflege der Knste und Wissenschaften und Milderung der Sitten sich allmhlig verwirklichen. In dem kirchlichen Kultus, lag eine Verwandschaft mit dem Kultus der sichtbaren Schçnheit, die Italiener waren zufrieden, im Papsttum ein ungeheures Machtmittel fr ihr politisch wirtschaftliches Leben zu besitzen und fhlten sich dieser Organisation verwandt. Aber die innere Lge in dieser Kultur kam berall zum Vorschein, wo religiçse Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit des Denkens an die Macht der kirchlichen Organisation an die Privilegien des ppstlichen Hofs, der Bischçfe und der Mçnche rhrten, jedesmal reckte sich diese Organisation empor und schlug den Wiederstand nieder; schon damals musste das Papsttum entweder so in Geltung bleiben wie es war, oder die neue Kultur musste es auf Tod und Leben bekmpfen. Die Ketzer Savonarola, Wiklef, Huss und schliesslich Luther und Zwingli mussten niederfahren. II. Der Gegenstoss, der alles vernderte kam von den nordischen Vçlkern. Das innerliche, unsichtbar formlose, das von der nordischen Natur ausstrahlt. In der Mystik war das persçnliche Verhltniss der einzelnen Seele zum gçttlichen Zusammenhang ergriffen worden. Sie ist die Form, in welcher die Persçnlichkeit und ihr Recht zusammenhngen mit der Unsichtbarkeit der christlichen Weltordnung, sie war da als objektive Mystik wo das Verhltniss des Ganzen und des Teils bestimmend war fr das des Individuums zum unsichtbaren Zusammenhange und seinem Ausdruck in der Sichtbarkeit. Von Cusa erhielt diese deutsche Mystik ihren hçchsten Ausdruck, eine andere Form kam aus der franciskanischen Religiositt in welcher das practische Verhltniss des unendlichen Willens zur gçttlichen Personalitt eingetaucht war in die passive fhlende Sphre und indem nun diese Mystik die den Weltzusammenhang zerbricht und nur Willensverhltnisse gewahrt metaphysischen Hintergrund in
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Occam und dem Nominalismus fand, entstand Mystik der Seelenfhrung, der Lebenspracis in welcher in einem mystischen Halbdunkel das Gewebe und die Struktur der Relationen, die von einem quellenden allwirksamen Grunde ausgehen, sich kreuzen mit dem Durchbrechen jedes Nexus notwendiger Art, durch die Macht der Person. Hier war die gemeinsame Wurzel des Spiritualismus und zugleich des eigensten Lebensgefhls von Luther. Und an diesem Punkte vollzog sich nun der Zusammenstoss dieser furchtbaren Ernsthaftigkeit und Tapferkeit der germanischen Seele die mitten in den Bezgen zu einer unsichtbaren Welt die mitten in den unsichtbaren Bezgen ihrer Macht alles zu durchbrechen und dem Verhltniss zu ihnen eigenste Gestalt zu geben, zusammentraf mit der sittlichen Lsslichkeit und den ruhigen Anerkennungen des weltlichen Nexus, welchen die usserlichen Begriffe eines erworbenen geistlichen Schatzes, eines Besitzrechtes der Kirche an ihn, einer magischen bertragung einer Person geschaffen hatte. Unter diesem Punkte wiederholte sich noch einmal die Frage an die Kirche, ob sie die Fhigkeit bessse, im Sinne der Ursprnglichkeit des Christentums und der modernen Selbststndigkeit der Person endlich der Anforderung ihre Bruche zu regeln nach dem Maassstab des ursprnglichen Christentums, sich zu reformieren. Es war ein entscheidender Moment fr das Schicksal der christlichen Kirchen in Europa. Nicht auf die Evangelien konnte Luther sich sttzen: in der Lehre des Paulus von der Rechtfertigung des Glaubens im Gegensatz zur Werkheiligkeit lag eben jenes religiçse Bewusstsein des Subjektes, welchem die in Christus lebendigen Beziehungen gegenstndlich geworden waren und so das Subjekt die ausschliessende Entscheidung seines Verhltnisses zum Unsichtbaren seines eigenen Erlebnisses zu diesem allein fand. Eben diese Vernichtung aller usseren Relationen in denen der Mensch sich befindet wenn nichts mehr fr ihn ist als allein das Geheimniss der unsichtbaren Welt und die einsame Seele, war es, fr das die Kirche einen Raum finden musste, wenn sie nicht ihre ganze Innerlichkeit in Paulus Augustin Franz von Assisi dem heiligen Bernhard, den grossen Mystikern der Christenheit opfern wollte. Sie konnte es nicht, sie durfte es nicht wollen, Luther fand sich, indem kein Mitgefhl in seinen inneren Kmpfen in der rçmischen Organisation entgegentrat, zurckgestossen auf sich selbst, er musste fortgehen Schritt fr Schritt zum Bruch mit der Kirche. Sein Appell an den Papst, seine Anrufung an Canzleien verliefen ganz so, wie jede frhere Reformation sowie jede knftige wird verlaufen mssen. Es herrscht in der grossen Organisation eine Notwendigkeit, die jede Gegenwirkung lhmt. So kam es, es war der Segen des deutschen Geistes, dass er jede Halbheit, jede Vermittlung ablehnte, wo es sich um den tiefen Ernst des Gewissens, des Sterbens und der Seeligkeit handelte. Loslçsung von Rom Heiligung des wirklichen Lebens, das in seiner ganzen Flle von diesem Geiste religiçs gefasst
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war, schliesslich das Recht des Erlebnisses, alle Lebensusserungen zu bestimmen in einer reinen Wahrhaftigkeit die als solche das letzte Princip aller Wissenschaft ist – dies waren die grossen Momente von denen eine Flut von Licht und begeistertem Leben ausging. Die Spiritualisten, Zwingli, Melanchthon traten in diese Bewegung ein. Jeder neue Tiefblick in die Krfte des Lebens ist unermesslich fruchtbar und seine Consequenzen erstrecken sich auf alle Gebiete desselben. Der Universalismus von Sebastian Frank und von Melanchthon, die neue Belebung des Rechtes der Gemeinden in Oberdeutschland und in der Schweiz, die Erkenntniss dass das Historische selbst nur Symbol, einzelner Ausdruck des Erlebnisses in seinen zeitlosen Relationen ist und das Dogma nur Form desselben; die historische Kritik, welche in diesen Ideen ihren Massstab hat – all dieses waren nur einzelne Konsequenzen einer vernderten Stellung des religiçsen Bewusstseins, das in dem Erlebnisse des Glaubens seinen letzten, ja, den einzigen unerschtterlichen Maassstab gefunden hatte. Und es war nun von weltgeschichtlicher Bedeutung, das der romanische Geist Kalwins die ussere Stellung der neuen Kirchen durch seinen Sinn fr die Organisation, fr die Aktualitt der politischen Lage sicherte. So wurden die neuen Kirchenbildungen widerstandsfhig gegenber der Welt in Waffen und den Combinationen der Politik, die sich gegen sie erhoben. Die Reformation ist die am meisten in die Tiefe und in die Weite reichende Schçpfung des deutschen Geistes. Aus seinen letzten Tiefen entspringt sie, und alles Eigene deutscher Leistung, unsere lyrisch-musikalische Kraft unsre Philosophie und unser geschichtliches Bewustsein werden sich als verwandt mit ihr und in historischem Zusammenhang mit ihr zeigen. (andere Bltter die spter hier!) Die ganze europische Politik, die Gruppirung der Mchte, die Allianzen, die großen Kriege sind in erster Linie von dem Gegensatz beherscht, der zwischen den protestantischen und katholischen Staaten, zwischen katholischen Frsten und protestantischen Unterthanen nunmehr entstand. Mit ihm verbindet sich der zwischen dem großen Adel und der frstlichen Gewalt in den verschiedenen Formen die er annahm. Und zwar waren durchweg die bestehenden politischen Gewalten noch in Verbindung mit der bestehenden Kirche: die popularen Strçmungen waren auf die Ausbreitung des Protestantismus gerichtet. 3. Aus dem Zusammenwirken der Krfte dieser außerordentlichen Zeit entsprang die große Phantasiekunst als Dichtung. Unter dem Feuer derselben verschmolzen die formlose Dichtung in den nationalen Sprachen und die
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Kunst der Sprache und des Styls in der lateinischen Kunstprosa und Poesie der Zeit. In Italien zuerst entstand in der nationalen Sprache die Umgestaltung des Styls der Prosa, deren die Dichtung fr ihren mittleren Ton und fr die neue Form der kunstmßigen Prosadichtung bedarf. Die ciceronianische harmonische, construktive Periode wurde durch Boccaccio umgeformt in das Bildmßige Anschauliche, unter dem Bedrfniß der Erzhlung. Dante und Petrarca schufen die neuen Versformen der Lyrik und der poetischen Erzhlung; franzçsische Renaissance die neue reflektierende Prosa, bertragung der italienischen Novellenstoffe, der Reflexion ber den Menschen und des Stils auf das englische Drama. Die Kunstform des Drama muss die Wirklichkeit des Lebens umsetzen, so dass sie den Bedingungen einer Bhne entspricht. Sie muss also auf diesem Raum und in der Zeit eines Theaterabends eine Handlung darstellen, die in einer lngeren Zeit und an verschiedenen Orten sowie in einer Folge unzhliger kleiner Vernderungen stattfindet; so entsteht eine ideale Folge von Handlungsmomenten in einem idealen Raum und einer ebensolchen Zeit. Als nun die englische Bhne diese Aufgabe zu lçsen unternahm, fand sie die Formen der tragischen Handlungen und der Komçdie bereits durch eine lange geschichtliche Entwicklung ausgebildet vor. Die Tragçdie muss der Dichter von der Katastrophe aus in ihre Teile gliedern, gleichviel welche Scenen ihm zuerst in seinem wachen Traum erschienen sein mçgen; vielleicht hat Shakespeare, als er von dem Stoff von Kçnig Lear ergriffen wurde, zuerst die Scene gesehen in welcher die drei Narren, der wahnsinnige Kçnig der verstellt wahnsinnige, der Narr von Metier auf der Heide sich begegnen; selbst Scenen scheinen in ihrer Wirkungskraft einzelner Bilder erschienen zu sein: die Formarbeit lag aber immer auch so: in der Katastrophe und ihrer Motivierung. Nun war ihm, wie seinen Zeitgenossen die Tragçdie des Seneca Vorlage der Kunstformen, ebenso hatte das Lustspiel durch die Rçmer und Italiener seine ausgebildete Form erhalten. Die Frage ist nun, wie er in der Wirklichkeit in dem Stoff mehr zu sehen gelernt hat als irgend ein Frherer, wie er eindrucksvollere Momente ihr abgewann, und welche ussere Mittel der Darstellung er erfand. Denn in diesen Momenten ist der neue Stil enthalten, den er fr das Drama geschaffen hat. Shakespeare hat zunchst die usserste Freiheit in der Wahl seines Stoffes, wo er individuelles Leben findet in den Historien in der Sage, in der Novelle, greift er zu. Hierin hat er dieselbe Vielseitigkeit und Freiheit wie die Malerei seinerzeit, Rubens insbesondere. Es scheint ein Gesetz der dramatischen Arbeit, dass sie da am fruchtbarsten ist, wo sie die grossen tragischen Wirkungen nicht frei erfindet, sondern aufnimmt, wie sie schon einmal durch den Kopf eines ersten Arbeiters gegangen sind; gerade die Bedingtheit und Unbiegsamkeit eines schon einmal geformten Stoffes zwingt den Dramatiker, allen Reiz dem Wiederstand der Zuflligkeit
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des Gegebenen zu entlocken, in dem Partikularen das Allgemeine zu sehen, und das Notwendige im bunten Wechsel, der Begebenheiten. Es ist nun Shakespeare eigen, nicht von innen mit Freiheit aus seinem Stoff die Handlung zu konstruieren, vielmehr gleicht er in seinem hellsehenden Zustande einem Zuschauer, der Gebrden sieht, Worte vernimmt, seine Helden durchschreiten das Theater, er scheint von dem Zusammenhang in ihrem Innern der Motivation, die ihre Handlungen bestimmt, in diesen von ihm hervorgebrachten Gestalten nur so viel zu sehen als ein solcher Zuschauer. Dieses Arbeiten von der usseren Scene in den inneren Zusammenhang musste dem Schauspieler natrlich sein, der in der bestndigen bersetzung in Gebrde und Wort und wieder rckwrts in ein Inneres tglich sich bte. Das scenisch Ausdrucksvolle in diesem Sinne ist der Ausgangspunkt seiner Bhnentechnik. So ist er jedem Dramatiker vor oder nach ihm darin berlegen, alle seine dichterischen Intentionen sind vçllig bertragbar in den Wechsel der Gebrde, der Stellungen der Personen zu einander auf der Bhne, dem Tonwechsel ihrer Rede. Er scheint keinen inneren Vorgang sich vorzustellen, der nicht auf diese Weise ausdrckbar wre. Und gerade das Zufllige, Plçtzliche, die kleinen von der Natur selbst hervorgebrachten Wendungen in Gesprch und Handlungen, die durcheinander laufenden Fden die vielfachen Wechsel des Ortes und der Zeit erforderlich machen, die bergnge von der mittleren Lebenshaltung in das Niedrige und in das Erhabene die strksten Steigerungen in jeder dieser Richtung die das usserste des Ausdrucks erreichen, die starken Gegenstze, die das Leben in eine Scene vereinigt, nimmt er in den Rahmen seiner Handlung allesammt auf. Nun ist aber die Motivierung der Katastrophe nur in einem Zusammenhang mçglich, dessen Glieder durch ihre Notwendigkeit einleuchtend sind und dies ist davon abhngig, dass typische Momente in diesen Zusammenhang eingehen; diese liegen fr Shakespeare im Zusammenhang der Leidenschaft, die in einem Charakter sich abspielt und in derem inneren Verhltniss zur Katastrophe. Aber der Nexus, der das Aktuelle, Momentane, Bunte, Auseinanderfallende zur Motivierung der Katastrophe verbindet, liegt ihm hierin, er wirft das schrfste Licht auf diesen, er bedient sich des Kunstmittels, dieselbe Leidenschaft, die verwandten affektiven Zustnde, in einer zweiten ja in einer dritten Handlung darzustellen, und dadurch das Auge des Zuschauers auf den Mittelpunkt noch strker hinzuweisen; beleuchtet die besondere Motivation in der einzelnen Person durch Contrastfiguren. Sonach liegt das neue Sehen, das in ihm auftritt, die Erweiterung des Einblicks in die geistige Welt, deren Organ er war, in dem Sinn fr die Abstufung der Individualitten, allgemein ausgedrckt, in dem Sinn fr die Individuation in der geistigen Welt und in dem Gewahren derjenigen Verbindung affektiver Zustnde, welche den gesetzms-
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sigen Verlauf einer Leidenschaft ausmachen, es sind gleichsam die Gelenke, auf denen die Vorwrtsbewegung der Leidenschaft bis zur Katastrophe beruht, welche von ihm blosgelegt werden. Eben hier war nun aber das Gebiet welches in seiner Zeit theoretisch bearbeitet zu werden begann. Unzhlige Schriften ber Charaktere ber die Leidenschaften ber einzelne von ihnen, insbesondere ber die Liebesleidenschaft Tabellen und Klassifikationen der Affekte nahmen in der Litteratur der Zeit einen immer breiteren Raum ein. Wir wissen, dass Shakespear Montaigne las und benutzte; dieser war einer der grçssten Menschenkenner aller Zeiten. Sein Zeitgenosse Bacon hat eben diese Probleme tiefdringender im Grunde als die Naturwissenschaft behandelt. Eben in derselben Zeit erreichten Velasques Rembrandt und Rubens das usserste in der Erfassung der Person und die pragmatische Geschichtsschreibung fhrte die grossen Staatsbegebenheiten vornehmlich auf die Charaktere und Leidenschaften der Handlungen zurck. Wie htte dies auch anders sein kçnnen die frstliche Macht das hçfische Leben das Verhltniss der grossen zu den Kçniglichen Personen, standen im Vordergrund dessen, was damals geschah. Das spanische Drama.
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Der große Styl der Dichtung hat in diesem Zeitalter der Phantasiekunst eine zweite Form in Spanien gefunden. Diese Dichtung ist der allseitige Ausdruck des spanischen Geistes. Die Gegenstze eines reichen nationalen Lebens, das in einer Weltmacht sich damals ausbreitete und der sich ausbildenden katholischen absoluten Monarchie bestimmen Charakter und Gang dieser Dichtung. So mußte der Mittelpunkt die Aufopferung an diese katholische Monarchengewalt sein etc. Niederlndische Poesie Das franzçsische Drama Corneille’s Die deutsche Dichtung des siebzehnten Jahrhunderts Der poetische Styl des siebzehnten Jahrhunderts in seinen allgemeinen Formen.
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Die Poetik von Scaliger, Vida, Heinsius. Alberti, Drer. Von der bildenden Kunst und Architektur geht die erste Technik der Kunst aus, als Begleiterin der großen Produktion im Zeitalter des classischen Styls. Allgemeine Grundzge des Barockstyls in allen Gebieten der
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Kunst. Grundzug das innere Verhltniß des rçmischen Styls in der Kaiserzeit zu dem der an den Hçfen der modernen Selbstherscher sich bildet. Der Gegensatz des Lebens an den Hçfen zu dem der ihnen unterworfenen Classen. Scaliger: Tragçdie = Kçnige – Komçdie = unterworfene Classen. Begleitung der tragischen Handlung durch das was in der unteren Schicht geschieht. Jene wird knstlich in Sprache, und Gesinnung gesteigert und so abgesondert, diese wird grotesk herabgedrckt. Die verschiedenen Formen dieses berladenen und gesteigerten Styls. 4. Die Wissenschaften des 17 Jahrhunderts Wie die bildende Kunst und die Architektur durch die Steigerung im Barock bis an die letzten Grnzen des Eindrucksvollen, wo dieses von der Naturwahrheit sich ganz loslçst, verfllt, so vollzieht sich in der Dichtung derselbe Verlauf. Derselbe ist dadurch politisch bedingt daß die Lebensstimmung im absoluten Staat unwahr wird, je mehr dieser seine Funktion nicht mehr erfllt. Abgelçst wird diese Poesie sobald in den niedergehaltenen brgerlichen Classen eine selbstndige Gefhls- und Ideenwelt sich ausbildet. Vornehmlich lag in der Wissenschaft eine innere zunehmende Kraft, die auch in der Kunst neue Stylprinzipien zur Geltung brachte. Die Leitung des Lebens durch die Wissenschaft vollzog sich zuerst auf dem Gebiet der Leitung der Gesellschaft. Die Sophisten und Sokrates. Platon. Die Voraussetzung der angebornen Ideen fr die Construktion der Erkenntniß wird i n d e r r ç m i s c h e n T h e o r i e benutzt, in diesen Ideen die zureichenden Prinzipien fr die Regelung aller Hauptgebiete des Lebens zu erblicken. Der mittelalterliche Realismus erstrebte auf derselben Grundlage, die christlichen Heilsgter wissenschaftlich zu begrnden und indem nun fr die Leitung der Gesellschaft die kirchliche Organisation sich gebildet hatte, schien eine allgemein-gltige Begrndung durch hçchste Vernunftprinzipien fr die Leitung der abendlndischen Christenheit durch die kirchliche Organisation mçglich zu sein. Dieser imposante Zusammenhang lçste sich auf. 1) Die Unbeweisbarkeit der Prinzipien wurde im Ringen mit morgenlndischen offenbar. 2) Die große Kunst entstand, das Glaubensverhltniß zur Kirche wurde so berflssig gemacht. 3) Das so entstehende System verfiel dem Schicksal jedes Vernunftsystems der religiçsen Wahrheiten: es fhrte zur Consequenz des Panentheismus. Die von der Kirche abgelçste Jurisprudenz, Politik und Moral sttzte sich zunchst auf die r ç m i s c h e n I d e e n welche in der Renaissance zur Her-
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schaft gelangten. Die werdenden nationalen Staaten fanden in diesen Begriffen die Hilfsmittel der Begrndung und ihres Aufbaus. Diese Prinzipien erfuhren nun aber ihre Grundlegung in dem n a t r l i c h e n S y s t e m , das in der Natur des Menschen und seiner Lebensbezge seine ersten Vorstellungen. Die so entstehenden n e u e r e n G e i s t e s wissenschaften hatten eine doppelte Funktion. Sie gestalteten die alte Gesellschaft, die mit dem natrlichen System einen spruch fand. Und sie wurden benutzt zum Aufbau der neuen. Es war das reformirte rçmische System. Affektenlehre. In den Wissenschaften 8. . .9 die Menschennatur Grundlage. Die neue Anthropologie des 17. Jahrhunderts. Die Mehrseitigkeit in der Erklrungsmethode. Grnzen des Verfahrens. Bacon bertrug diese zu seiner Zeit giltige Tendenz durch Erkenntniß die Gesellschaft zu leiten auf die Natur. Hier çffnete sich das Thor in die Macht die auf Wissen gegrndet ist. Die neue Naturwissenschaft. Concept darstellen. Die beiden Welten nebeneinander – Metaphysik als neue Grundlegung ihres Zusammenhangs. Was analytisch sich nun untersuchen ließe. Struktur dieser Systeme Harmonie. In dieser Metaphysik war berall implicite das kritische Verhalten zu Recht, Religion Sitte Staat Kunst enthalten. Der construktive Geist und der Muth des Aufbaus. Das 18. Jahrhundert.
Vittorio Alfieri.
Es giebt fr Jemanden, der sein Auge an geschichtlichen und psychologischen Phnomenen gebt hat, wenig so Bezauberndes, als in einem fremden Lande, das man liebt, seine großen Schriftsteller zu lesen, dieselbe Luft athmend, die sie einst geathmet, von denselben großen Eindrcken umgeben, Charaktere um sich, welche die Familienhnlichkeit mit ihnen sichtbar an sich tragen. Unter den Orangenwldern und den Ruinen Italiens trumend, lesend, sinnend, habe ich mich in Alfieri versenkt; es sind dieselben entzckenden Grten und Villen, in denen lustwandelnd er seine berhmten Werke geschrieben; es sind dieselben italienischen Naturen, die er zu gewaltigen tragischen Personen erhçht hat; indem ich sein Leben lese, das er selber geschrieben, glaube ich den Athem seiner großen Natur zu empfinden. Dieses Leben Alfieri’s, von ihm selber geschrieben, gehçrt zu den anmuthigsten und interessantesten Bchern, die in irgend einer Sprache geschrieben sind. Alfieri ist in Bezug auf die am meisten bezaubernden Zge des italienischen Charakters, wie Carlyle das zu bezeichnen pflegt, ein representative man, ein typischer, d. h. sie in großen, klaren Zgen darstellender Charakter. Plato hat entwickelt, daß die Grundzge des Menschen mit einer grçßeren und gewaltigeren Schrift in die Natur und Geschichte des Staates eingegraben seien; mit solchen gewaltigeren Zgen schreibt die Natur, wo sie große Menschen bildet, und von ihnen lesen wir ab, was verworren und schwach entwikkelt in der Menge sich regt. Von dieser Thatsache hat Alfieri selbst, wie er denn ein eminent philosophischer Kopf ist, ein ganz klares Bewußtsein, und sie ist es, welche ihn zu seiner Darstellung seines eigenen Lebens und Charakters bestimmt hat. „Ich beabsichtige, mich ber viele jener Einzelzge zu verbreiten, welche, richtig verstanden, zum Studium des Menschen im Allgemeinen beitragen kçnnen; denn von diesem Gewchs kçnnen wir nicht besser die Geheimnisse im Einzelnen durchschauen, als indem Jeder sich selbst beobachtet. So ist denn auf das Studium des Menschen im Allgemeinen das Ziel dieses Werkes in erster Linie gerichtet.“ Er entwickelt den echt philosophischen Gedanken, daß wir nichts so intim kennen als uns selber, daß von nichts Anderem also ein so tiefes Studium mçglich ist. Sein Buch hat einen echt philosophischen Charakter.
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Alfieri ist seinem Ursprunge nach ein Piemontese wie Cavour und wie die grçßten Politiker und festesten Charaktere des neuen Italien. Die Mutter war aus einer savoyischen Familie, der Maillard de Tournon, der Vater ein stolzer Piemontese von altem Adel und von Vermçgen, der fern von dem Hof und dem Ehrgeiz in Asti saß und dort, fnfundfnfzig Jahre alt, sich mit einer jugendlichen Frau vermhlte. Er ist geboren, wo der schumende Wein der Italiener wchst, in Asti, den 17. Januar 1749. Der Vater starb, die Mutter heirathete wieder und so entwickelte sich der Knabe ganz selbstndig. Ich liebe nicht gerade Kinder- oder Erziehungsgeschichten; selbst ein solcher Virtuose auf diesem Gebiet, als Dickens ist, hat etwas Unbefriedigendes in diesen Partien. Nicht als ob die Entwicklung eines jugendlichen Geistes des Interesses ermangelte, aber dies Gemisch aus eigenen abgeblaßten Erinnerungen und Beobachtungen von Außen, welches hier geboten werden kann, behlt stets etwas Unbefriedigendes. Die psychischen Vorgnge in Kindern sind uns fast so rthselhaft in spteren Jahren als die in Thieren. Alfieri hebt mit feinem Blick einige psychologische Zge heraus, welche hinlnglich sicher und genau festgestellt werden kçnnen, und vermeidet es, ein Seelengemlde entwerfen zu wollen, welches doch nie auf Wahrhaftigkeit Anspruch erheben kçnnte. So erzhlt er zunchst seine erste Kinderinnerung; wer weiß nicht, wie einem Blitz gleich irgend ein spterer Eindruck das Dunkel dieser schlafenden Vorstellungen aus der Kinderzeit erhellt, so daß ein Streifen von Licht eine Anzahl solcher Vorstellungen zu erhellen scheint; die anderen aber bleiben unbewegt in ihrem Dunkel. Dieser Vorgang nimmt Alfieri’s tiefes psychologisches Interesse in Anspruch. Ein Oheim bildete seine lteste Erinnerung, dessen alterthmliche Schnabelschuhe allein ihm im wachen Gedchtniß geblieben waren. „Viele Jahre danach, das erste Mal, daß mir gewisse schnabelfçrmige Schuhe vor die Augen kamen, wie sie mein Oheim getragen, der nun schon lange todt war, und wie ich sie nicht mehr gesehen hatte, seitdem ich zu denken begonnen, rief mir der plçtzliche Anblick dieser schon lange außer Brauch gekommenen Stiefel mit einem Schlag alle jene ersten Empfindungen zurck, die ich erfahren beim Empfange der Liebkosungen und des Confects meines Oheims: seine Bewegungen, seine Art sich zu betragen und der feine Geschmack des Confects stellten sich mir auf das Deutlichste und mit Einem Schlage vor die Einbildungskraft. Ich habe diesen Kinderzug niedergeschrieben, da er dem gewiß nicht ganz unntzlich ist, der ber den Mechanismus unserer Ideen speculirt und ber die Verknpfung unserer Vorstellungen mit unseren Empfindungen.“
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Dann nach seinem fnften Jahre gedenkt er als der ersten sehr starken Aeußerung seiner Gefhle des heftigen Schmerzes, in den ihn die Trennung von seiner Lieblingsschwester versetzte; auch hier macht er eine schçne psychologische Beobachtung, er findet diesen Schmerz dem vçllig hnlich, in dem er sich im Jnglingsalter lange nachher von einem geliebten Mdchen trennte und von einem sehr geliebten Freunde. „Bei der Erinnerung dieses meines ersten Schmerzes im Gemth habe ich spter hierin den Beweis dafr gefunden, daß smmtliche Zuneigungsarten im Menschen, wie verschieden sie sonst auch seien, dieselbe Sprungfeder haben.“ Ich bergehe die anderen Kindheitserinnerungen. Alfieri beginnt mit seinem Uebergange zur „Akademie“ in Turin im neunten Jahre seine zweite Lebensepoche. Nun geht es mit der Post nach Turin, und der bermthige kleine Junker bezahlt doppeltes Futter an den ersten Postillon, „damit hatte ich denn auch das Herz des zweiten Postillons gewonnen, er fuhr dann wie der Blitz, indem er mir nur von Zeit zu Zeit durch Augenzwinkern und Lcheln andeutete, ich wrde ihm auch dasselbe durch den Conducteur verabreichen lassen; dieser aber, alt und beleibt, hatte sich schon auf der ersten Station erschçpft mit seinen Erzhlungen dummer Geschichten, um mich zu trçsten, und nun schlief er hartnckig oder schnarchte wie ein Ochse. Mir aber machte das Dahinfliegen der Postkalesche ein Vergngen, desgleichen ich nie genossen hatte. So kam ich nach Turin.“ In Turin durchlief er dann die Akademie, in der damals wenig gelernt worden zu sein scheint. Ich hebe das Bild hervor, das er von dem Unterricht in der „Philosophie“, d. h. der sogenannten aristotelischen Logik giebt. Es war nach der Mahlzeit; „wir Schler alle, eingewickelt in unsere betreffenden Mntel, schliefen snftiglich, und man vernahm von smmtlichen Philosophen keinen Laut als die Stimme des schlfrigen Professors, der ebenfalls eigentlich schlummerte, und die verschiedenen Tçne der Schnarcher, die einen hoch, die anderen tief, die anderen in Mittellage: und das Ganze machte ein wundervolles Concert.“ Sehr bemerkenswerth ist, welche Eindrcke es waren, die in dieser Zeit zuerst in dieser leidenschaftlichen Natur dichterische Ideen erwachen ließen. Es war die Musik. Das Verhltniß Alfieri’s zur Musik ist sehr analog dem, welches ein deutscher Dichter zu dieser Kunst hatte, der die am meisten verwandten Zge mit Alfieri zeigt. Ich meine Heinrich von Kleist. Beide waren Junker vom reinsten Geblt, der eine aus dem nchternen Norden Italiens, der andere aus dem nçrdlichen deutschen Beamten- und Militrstaat; Beide waren aufgewachsen in einer Art von Mißachtung aller intellectuellen Leistungen; in Beiden war die Leidenschaft, der glhende Affect die Seele ihrer Dichtungen; von diesem wurden Beide zu jenen Dramen gefhrt, in denen mchtige Lei-
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denschaften gewissermaßen austçnen. Dies bestimmte fr Beide sowohl die dstere Frbung ihrer Weltansicht, als die Neigung zu der tiefinnerlichen Kunst der Affecte. Alfieri erzhlt, wie ihn die Musik einer opera buffa, der ersten Oper, die ihm entgegentrat, ergriff. „Der Schwung und der Wechsel in dieser gçttlichen Musik machten mir den lebhaftesten Eindruck, indem sie so zu sagen eine tiefe Spur von Harmonie in meinem Ohr und meiner Einbildungskraft zurckließ, indem sie jede innerste Fiber in mir erregte, unter solchen Anzeichen, daß ich mehrere Wochen versenkt blieb in eine außerordentliche, aber nicht unangenehme Melancholie. Von daher entsprang mir denn eine vçllige Unlust und Abneigung gegenber meinen gewçhnlichen Studien, aber zur selben Zeit ein eigenthmliches Aufwallen von phantastischen Ideen, unter deren Einfluß ich htte Verse machen kçnnen, htte ich sie zu machen gewußt. Und dies war das erste Mal, daß eine solche von Musik in mir hervorgebrachte Wirkung sich mir bemerklich machte, auch blieb sie lange eingeprgt in meinem Gedchtniß, weil sie sehr viel strker war als jede andere, die ich vordem erfahren. Keine Sache erregt mir mehr Affecte, mannigfaltigere, ergreifendere. Und beinahe alle meine Tragçdien sind von mir ausgesonnen worden entweder bei dem Anhçren der Musik oder wenige Stunden danach.“ Das ist derselbe affectvolle Mensch, der gleich darauf erklrt: „Frische Luft und Bewegung sind immer meine Lebenselemente gewesen; die mchtigste Sprungfeder in mir die Liebe zum Lob und zum Ruhm.“ In dieser Zeit machte er denn auch sein erstes Sonett. Das Studienjahr der Physik und Ethik verlief nicht besser als das der Philosophie. Obwohl er Physik bei dem vorzglichen Physiker Beccaria hçrte, faßte er fr sie nicht das geringste Interesse. Mit fnfzehn Jahren kam er dann in die oberste Classe der Akademie, auf deren Freiheiten er sehnlich gewartet hatte. Diese Freiheiten bestanden aber, da man fr den fnfzehnjhrigen vornehmen Junker eine schrfere Bewachung eintreten ließ, in einem bestndigen Wechsel von Versuchen, Ausgnge aus den Mauern der Akademie sich auf eigene Hand zu suchen, und lngeren Zeiten strengen Arrestes. Und da der kleine Junker so obstinat war, zu erklren, im ersten Moment, in dem er den Arrest verließe, wrde er sich wieder seines Rechtes bedienen, sich in Turin frei zu bewegen, blieb er schließlich gnzlich im Arrest drei Monate hindurch. Nun erschien denn vçllig sein unbeugsamer Eigensinn; „ich ließ mich nicht mehr kmmen, kleidete mich nicht mehr an und war wie in einen Waldmenschen verwandelt. Es war mir verboten, die Kammer zu verlassen; aber man ließ ein paar Freunde von draußen mich besuchen, die treuen Genossen meiner heroischen Unternehmungen zu Pferde. Aber ich blieb jederzeit taub und stumm, lag immer ausgestreckt und antwortete Niemandem eine Silbe, was
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man mir auch sagte. Und so blieb ich ganze Stunden, die Augen an den Boden geheftet, thrnenschwer, ohne daß ich doch eine einzige Thrne htte vergießen kçnnen.“ Und nun welche Contraste in dieser strmischen Natur. Im Begriff, lieber zu Grunde zu gehen, als den Schulmeistern nachzugeben, wird er durch die Hochzeit seiner Schwester mit dem Grafen von Cuniscana befreit; durch die Vermittlung des Grafen entlßt man ihn aus dem Arrest und gesteht ihm die Freiheiten zu, die er gefordert hatte. „Auch kam es durch diese Hochzeit zum Ankauf meines ersten Pferdes, das ich mit auf das Landgut des Grafen brachte. Es war dies Pferd ein wunderschçnes sardinisches Thier, weiß, von edler Gestalt, vor Allem der Kopf, der Hals mit seiner Mhne und die Brust. Ich liebte es mit einer Art Tollheit, und noch jetzt kann ich mich nicht an dasselbe erinnern ohne die lebhafteste Gemthsbewegung. Meine Leidenschaft fr dasselbe ging bis zu solchen Anzeichen, daß mir meine ganze Ruhe geraubt war, Appetit und Schlaf genommen, so oft es irgend unpßlich war, was oft genug geschah, weil es sehr feurig und zugleich zart war, und wenn ich es unter mir hatte, hinderte mich meine leidenschaftliche Liebe zu ihm gar nicht, es zu qulen und bel zu behandeln.“ Und kaum nun im Besitz seiner Freiheit, sieht man den kleinen Junker von der Akademie, der damals fnfzehn Jahre alt war, sich acht Pferde halten, eine Carosse bauen lassen, in immer neuem Putz auf neuen Pferden Turin und seine Umgegend mit jungen vornehmen Englndern durchrasen. Man wird an Jugendgeschichten von Leonardo da Vinci und Lord Byron erinnert. In dieser Zeit hat er zwei Jahre hindurch kein Buch geçffnet außer ein paar franzçsischen Romanen und der einen oder anderen Schrift von Voltaire. So verließ er die Akademie und trat im September 1766 in ein Regiment in Asti, aber Subordination war nicht in seinem Sinn, ungebundenes Reiseleben stand ihm vor der Seele. Aber der siebzehnjhrige Junge wußte wohl, daß kein Vormund der Welt ihn wrde haben allein Europa durchreisen lassen. So schloß er sich denn einem englischen Brenfhrer an, der schon einen Flamnder und einen Hollnder mit sich durch Europa fhrte, und obwohl mhsam, erlangte er vom Kçnig, der schon mit einigem Argwohn diesen obstinaten Charakter verfolgte, den Urlaub zu seiner ersten großen Tour. Mit ihr tritt er nach seiner Theilung der Lebensabschnitte in die dritte Epoche seines Lebens, in sein Jnglingsalter.
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Die Menschen des Affects, die groß wurden durch intellectuelle oder knstlerische Werke, sind einen ganz verschiedenen Weg gegangen. Die einen verbrachten ihre Entwicklung im ungestmen Kampf ihres beschaulichen Vermçgens und ihrer strmischen Leidenschaft. Solche Naturen waren Rousseau, Goethe, Schiller, Schopenhauer. Dann aber giebt es einige, welche in ungebrochener strmischer Lebensfreude ihre Jnglingsjahre begannen, wenig angerhrt von der Reflexion. Eine solche Natur war Alfieri. „Den Morgen des 4. October 1766 begann ich mit meinem unaussprechlichen Entzcken, nachdem ich die ganze Nacht phantasirt hatte in thçrichten Gedanken, ohne nur die Augen zu schließen, die so lange ersehnte Reise. Wir waren im Innenwagen mit vier Herren, eine Kalesche mit zwei Dienern, zwei andere auf dem Kutschersitz unseres Wagens und mein Kammerdiener zu Pferde als Courier. Es war das mein neuer Kammerdiener Franz Elia, der schon etwa zwanzig Jahre bei meinem Oheim in Diensten gestanden hatte und mit ihm gereist war, zweimal in Sardinien, alsdann in Frankreich, England und Holland. Ein Mensch vom feinsten Kopf, einer ungewçhnlichen Thtigkeit, der mehr als unsere anderen vier Diener zusammengenommen werth war, er wird von Stund’ an der erste Held in der Komçdie dieser meiner Reisen sein, ja ich finde, daß er in ihr geradezu der einzige und wahre ‚Steuermann ist, wenn man die gnzliche Unfhigkeit von uns anderen in Acht nimmt, von denen die Einen Kinder waren, die Anderen vor Alter kindisch geworden.“ Was fr eine Reise war das. Alfieri’s einziges Vergngen bestand darin, zu Pferde oder im Wagen die Gegenden zu durchjagen; er meint, von einer Art Unvermçgen, an irgend einem Orte zu bleiben, sei er damals besessen gewesen. Dazu kam ein Zug, der ganz aus seiner stolzen Natur entsprang und an die Empfindungsweise seines Landsmannes Cavour erinnert; er ist bezeichnend fr jene Zeiten. Er kauderwelschte bald Englisch, bald Franzçsisch; war er doch aus einer zweisprachigen Landschaft und einer zweisprachigen Stadt: das Italienische stellte er sich an gar nicht zu verstehen. Er selbst mag seine Beweggrnde darstellen. „Indem ich den Grund hervorsuche, finde ich ihn in einer mir eigenen falschen Eigenliebe, ich hatte seit mehr als zwei Jahren mit Englndern gelebt, hatte jederzeit ihre Macht und ihren Reichthum rhmen hçren und ihren politischen Einfluß gesehen, und auf der anderen Seite sah ich das ganze Italien todt, die Italiener getheilt, schwach, erniedrigt und Sklaven: und so schmte ich mich ausnehmend, Italiener zu sein und zu erscheinen. An keiner ihrer
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praktischen Angelegenheiten wollte ich Antheil nehmen oder von ihr Kunde haben.“ Als man ihm in Mailand auf der Ambrosianischen Bibliothek ein eigenhndiges Manuscript des Petrarca zeigte, warf er es hin „als ein echter barbarischer Allobroger“, indem er erklrte, daß ihm an dergleichen nichts lge. Dennoch bewegte es ihn mchtig, als er in Florenz vor dem Grabmal des Michel Angelo stand. „Bei dem guten Andenken eines solchen Mannes machte ich die Ueberlegung, daß unter den Menschen keine wahrhaft großen aufstehen als nur die wenigen, die irgend etwas, das fr immer dasteht, von sich zurcklassen. Aber eine solche isolirte Reflexion, in der Mitte einer ungeheuren Zerstreuung des Geistes, wie die war, in der ich bestndig lebte, war nur ein Tropfen im Meer.“ Einen Monat blieb er in Florenz damals, um Englisch zu lernen, whrend das toscanische Italienisch in seiner Herrlichkeit spurlos an ihm vorberging, ein merkwrdiges Beispiel jener Hartnckigkeit der Italiener des norditalischen Gebirges; an ihm, der bestimmt war, in dieser Sprache der grçßte neuere Poet zu werden. Doch kam auch er klopfenden Herzens nach Rom, er schlief die Nacht nicht vor dem Tage, an dem er die heilige Stadt der Italiener betrat, mit ihren immensen Erinnerungen, die doch auch sein Herz hçher klopfen machten. So durchreiste er sein Vaterland und wußte sich zuletzt auch von seinem Brenfhrer und den zwei anderen Knaben in Neapel zu befreien, da ihm nichts mehr im Sinne lag, als in vçlliger Freiheit zu reisen; er nahm den sardinischen Minister in Neapel so fr sich ein, daß dieser ihm bei dem Kçnige diese Gunst bewirkte; ja, er machte diesem einen solchen Eindruck von Talent und Sicherheit, daß derselbe auf eine diplomatische Laufbahn Alfieri’s bedeutende Hoffnungen setzte, was denn dessen Phantasie mitten in seinem gedankenlosen Treiben ganz wohl gefiel. „Ich verschloß diese Wnsche ganz in mich selbst, ußerte sie gegen Niemanden, wer es auch sein mochte, und begngte mich inzwischen damit, eine regelmßige und schickliche Lebensweise in Allem einzuhalten, welche vielleicht ber mein Alter war. Aber in diesem diente mir meine Natur noch mehr als mein Wille, da ich immer ernst in meiner Art mich darzustellen und zu benehmen war, ich kçnnte sagen geordnet mitten in meiner Verworrenheit. Ich lebte aber inzwischen gnzlich und in Allem unbekannt mit mir selber; traute ich mir doch keine wahre Fhigkeit fr irgend eine Sache der Welt zu, hatte ich doch keinen entschiedenen Antrieb als zu einer bestndigen Melancholie, fand ich doch niemals Friede noch Ruhe und wußte nie, wonach mich eigentlich verlangte. Ich folgte blind meiner eigenen Natur, obwohl ich sie in Nichts erkannt oder studirt hatte.“
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Von Italien ging er 1767 nach Frankreich. Einer der Grnde, die ihn zu der Reise nach Frankreich bestimmt hatten, war der Wunsch, das Theater zu genießen; nun gewahrte er aber schon in Marseille, daß die Eindrcke des franzçsischen Theaters ihm nicht in jeder Beziehung genugthaten. Und zwar hatte er an der Komçdie eine viel reinere Freude als an der Tragçdie; er, der bestimmt war, die italienische Tragçdie eigentlich zu begrnden. „Indem ich jetzt darber nachdenke, scheint es mir, daß eine der vorzglichsten Ursachen dieser meiner Gleichgltigkeit gegen die Tragçdie daraus entstand, daß es in allen franzçsischen Tragçdien ganze Scenen, ja, hufig auch solche Acte giebt, welche Nebenpersonen Raum geben und dadurch nur den Sinn und das Herz erkalteten, indem sie ohne alle Nothwendigkeit die Handlung verlngern oder sie, um besser zu reden, unterbrechen.“ Einen anderen Grund erblickt er in den einfçrmigen Versen und der unmelodischen Sprache der franzçsischen Tragçdie. Auch entstand in ihm selbst nicht der flchtigste Gedanke daran, selbst fr das Theater zu schreiben. An einem nebeligen und kalten Tage des August 1767, in einer seiner melancholischen Launen betrat er Paris und richtete sich in einem Hotel des Faubourg St. Germain ein, und so lange er damals in Paris war, sah er die Sonne nicht. „Nun waren,“ fgt er charakteristisch hinzu, „meine moralischen Urtheile, die mehr dichterisch als philosophisch waren, stets nicht wenig von dem Einfluß der Witterung abhngig. Dieser erste Eindruck von Paris wirkte so stark auf mich, daß noch heute (nach 23 Jahren) er mir dauernd vor den Augen und der Einbildungskraft steht.“ Auch das drckte auf seine Stimmung, daß der sardinische Gesandte gerade nicht anwesend war: denn der Junker von achtzehn Jahren ließ sich berall sofort zunchst durch den Gesandten seines Kçnigs bei Hofe vorstellen. Viel besser gefiel ihm England, wo die Freiheit und Gerechtigkeit in der Staatsverwaltung ihn anzog, und Holland, in dessen Stille zuerst die Beschftigung mit Bchern und Ideen sich in ihm erhob. Nach zweijhriger Abwesenheit kehrte 1769 der junge Alfieri nach Turin zurck, kçrperlich gereift, aber in seiner wissenschaftlichen Entwicklung beinahe auf der Stelle, auf welcher er bei der Abreise gestanden hatte. Dennoch war wenigstens ein Gefhl von Leere, ein Bedrfniß, sich geistig auszubreiten, in ihm wach geworden. Er hatte in Genf Rousseau, Montesquieu, Helvetius gekauft, in diese vertiefte er sich nun. Seine eigene leidenschaftliche Empfindung erfllte ihn mit einer, wie mir scheint, gesunden Abneigung, als er Rousseau’s neue Heloise las. „Ich fand in diesem Buch eine solche Manierirtheit, Spitzfindigkeit, Affectation von Gefhl bei wenig wirklichem Gefhl, große Wrme, die vom Kopf
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ausgeht, in doch grçßerer Klte des Herzens, daß ich nicht im Stande war, den ersten Band zu beenden.“ Eben so gesund war seine Begeisterung fr Montesquieu. „Aber das Buch der Bcher fr mich, welches mich manche Stunden wahrhaft durchjagen ließ von Entzcken und Glckseligkeit, war Plutarch, das Leben der wahrhaft großen Mnner. Und jede von diesen Biographien, wie den Timoleon, den Csar, Brutus, Pelopidas, Caton und Andere, las ich wenigstens vier- oder fnfmal mit einer solchen Verzckung von Ausrufungen, Thrnen und Gemthsbewegungen, daß, wenn Einer im benachbarten Zimmer mich vernommen htte, er vermuthet htte, ich sei toll geworden. Indem ich gewisse große Zge solcher außerordentlicher Menschen las, sprang ich oft auf in heftigster Bewegung, oder außer mir und vor Schmerz oder Wuth rannen meine Thrnen, mich in Piemont geboren zu sehen, und in Zeiten und unter einer Regierung, wo man nichts Großes zu reden oder zu thun vermochte.“ Schiller hat in seinen Rubern eine Stelle, welche der Ausdruck derselben mchtigen und schmerzlichen Gemthsbewegungen ist: er spricht dort fast wçrtlich denselben heftigen und schmerzlichen Affect angesichts des Plutarch aus. Die Tragçdie, welche Heroen darstellt, die Tragçdie von Schiller und Alfieri, entspringt aus einer großen Seele, welche selber heldenhaft ist und ein Heldenleben zu leben vermocht htte in anderen Zeiten, in anderer geschichtlicher Lage. Und hier erkennt man den Zusammenhang der Naturgrundlage mit der geschichtlichen Mission dieser beiden großen Tragçdiendichter: einem zerstckelten Vaterlande, in dem keine Bhne fr politische Handlung war, hielt Jeder von ihnen auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, Heldenthum und Grçße der Seele vor, die in ihnen war und gern in Handlungen entstrçmt wre: da sie nicht Helden werden konnten in ihren Zeiten, fhrten sie ihr Volk heroischen Zeiten entgegen. In solchen Beschftigungen wuchs nun seine Schweigsamkeit, Schwermuth, seine Verachtung jedes gemeinen Vergngens. Verschiedene Anschlge wurden gemacht, ihn in die regulren Bahnen seiner Standesgenossen zu lenken, aber sie gingen in Rauch auf. Eine Heirath mit einer vornehmen Erbin hatte er schon acceptirt, aber die Erbin zu ihrem und seinem Glck schlug ihn aus; eine diplomatische Carriere gefiel ihm auch ganz gut, aber mit der reichen Heirath war auch die Basis der diplomatischen Laufbahn ihm unter den Fßen weggezogen. So begann er denn wieder sein altes unruhiges Reiseleben; er vermochte jhrlich ber 2500 Zechinen aus seinen Gtern zu verfgen, und so schien er sich reich genug zu sein, seine persçnlichen Bedrfnisse damit sein Leben lang zu befriedigen. Auf den Plutarch folgten von Neuem die Erfahrungen von Hçfen und Ln-
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dern, diesmal bis Rußland und Schweden. Er scheint sie nun mit anderen Blicken betrachtet zu haben. Seine junkerliche Unbefangenheit war nicht mehr dieselbe, er hatte seinen Plutarch nicht umsonst gelesen. Die zwei grçßten handelnden Menschen, welche er damals in Europa sehen konnte, waren Friedrich der Große und Katharina von Rußland. Friedrich sah er mit einer Art von leidenschaftlichem Abscheu, und den Anblick von Katharina mied er gnzlich. Die absolute Regierung und der Militarismus als ihre Grundlage waren der Gegenstand seines heftigsten Hasses geworden. Im Mai 1769 hatte er die Reise begonnen. Außer dem Plutarch begleiteten ihn bestndig die Essays von Montaigne; als er die eingefgten Stellen las, fand er nicht allein, daß er sein weniges Latein ganz vergessen hatte, selbst die Stellen aus italienischen Dichtern bersprang er, weil auch die kleinsten Stcke ihn Mhe gekostet haben wrden, sie genau zu verstehen. „Beim Eintreten in die Staaten des großen Friedrich fhlte ich meinen Abscheu vor dem infamen militrischen Metier sich verdoppeln und verdreifachen, da es die einzige Basis des Absolutismus ist. Ich wurde dem Kçnig vorgestellt. Ich fhlte, als ich ihn sah, gar keine Regung von Bewunderung oder Respect, sondern nur Indignation oder vielmehr Wuth: Gemthsbewegungen, welche sich jeden Tag in mir nur verstrkten und vervielfltigten bei dem Anblick so vieler und verschiedener Dinge, die nicht so standen, wie sie htten stehen sollen, die falsch waren und Angesicht und Ruf des Wahren fr sich in Anspruch nahmen. Der Minister des Kçnigs, der mich vorstellte, fragte, warum ich, als in Diensten meines Kçnigs, nicht an diesem Tag Uniform angelegt htte. Ich antwortete: weil es mir scheine, daß an diesem Hof berflssig genug Uniformen seien. Der Kçnig sagte nur die vier herkçmmlichen Worte; ich beobachtete ihn tief, indem ich meine Augen respectvoll in die seinen senkte, und dankte dem Himmel, daß er mich nicht als seinen Sklaven hatte geboren werden lassen. Ich ging aus dieser großen Caserne Preußen im November mit so viel Abscheu, als sich ziemt.“ In Rußland stellte er sich der „berchtigten Autokratin Katharina“ gar nicht vor. „Und schließlich habe ich denn wirklich nicht das Angesicht dieser Kçnigin gesehen, welche die Fama in unseren Tagen so sehr in Anspruch genommen hat. Indem ich nun nach dem wahren Grunde einer solchen unnçthig scheuen Auffhrung suche, bin ich bei mir selber berzeugt, daß er in einer reinen Intoleranz von unbeugsamem Charakter und dem reinsten abstracten Tyrannenhaß lag, der sich dazu auf eine Person richtete, welche unter der Beschuldigung des furchtbarsten Verbrechens stand, der Anklage von verrtherischem Meuchelmord eines waffenlosen Gatten. Und ich erinnerte mich sehr wohl, gehçrt zu haben, daß unter den vielen Vorwnden, welche von den Vertheidi-
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gern eines solchen Verbrechens vorgebracht wurden, auch der angefhrt wurde, daß Katharina II. beim Antritt der Herrschaft außer so vielen Schden, die ihr Gemahl dem Staate zugefgt, auch theilweise die Rechte der Humanitt herstellen wollte, die so grausam verletzt waren durch die allgemeine und gnzliche Sklaverei des russischen Volkes, indem sie eine gerechte Verfassung gbe. Aber da ich es in einer dergestalt gnzlichen Sklaverei seit den fnf oder sechs Jahren der Herrschaft dieser philosophirenden Klytmnestra sah, und da ich den fluchwrdigen Soldatengeist sich auf dem Throne von Petersburg vielleicht noch entschiedener festsetzen sah als auf dem von Berlin: so war das ohne Frage der Grund, der mich eine solche Verachtung vor diesem Volk, einen solchen Abscheu vor seinen verbrecherischen Herrschern empfinden ließ.“ So war um diese Zeit schon aus dem piemontesischen Junker der leidenschaftliche Republikaner geworden durch den Einfluß der alten Heldengeschichte seines Vaterlandes und Griechenlands, der in den Tragçdien hervortritt. Tyrannenhaß erfllte seine ganze Seele. Dieser hat eine besonders stolze Form bei den Mitgliedern alter Geschlechter wie bei Lord Byron und Alfieri; sie fhlen sich den europischen Dynastien gegenber ein wenig ihres Gleichen; ihr Haß empfngt durch ihre Stellung etwas von persçnlichem Zorn, von stolzem Krieg. Menschen, welche von dem Leben, von Reisen, von Erkenntniß der Welt aus ihr selber ausgehen, und denen nur wenige Bcher durch die Hand gehen, sind doch nicht so abhngig, als man denkt, von einem Zufall, der ihnen dies oder jenes Buch entgegenbringt. Alfieri ist von zwei Bchern am meisten bestimmt worden: von Plutarch und von Montaigne. So verschieden sie sind, entsprachen sie zusammen dem idealistischen und doch zugleich nachdenklich und ein wenig dster forschenden Zuge seiner Natur. Andererseits pflegen sie dann, was ihnen so entspricht, viel strker in sich aufzunehmen, viel strker davon angeregt zu werden in ihrer eigenen Productivitt als diejenigen, die methodisch die Ideen der verschiedensten Schriftsteller gegen einander abwgen. Ohne es zu wissen, hatte Alfieri in Plutarch die Stoffe und die Grundideen seiner meisten Tragçdien, in Montaigne die Stimmung, so zu sagen, seines Charakters allmlig ausgebildet.
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III. Die Lebensereignisse standen bevor, welche Alfieri bestimmen sollten, sich intellectueller Vertiefung und dichterischer Production zuzuwenden. Ein so strmischer, jeder Erziehung ermangelnder, von jeder ußeren Schulung un-
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abhngiger Charakter konnte nur durch den natrlichen Verlauf der Leidenschaften selber zur intellectuellen Ruhe gelangen. Es giebt Naturen von heftigen Leidenschaften, welche durch eine ernste intellectuelle oder moralische Erziehung geraden Weges auf echte und bleibende Lebensziele gerichtet werden, denen sie aus ganz eigenem Antriebe zustreben. Solche waren auf ganz verschiedenen Gebieten Platon, Fichte, der Minister v. Stein und einige große englische Staatsmnner. Es giebt andere Naturen von heftigen Leidenschaften, welche durch die Noth, die Rcksichten des Ehrgeizes, der Familie, der çffentlichen Meinung großen Zielen stetig zugewendet werden. Beinahe alle leidenschaftlichen Naturen sind in dem einen oder dem anderen der beiden Flle oder çfter noch nach der Lage der Welt in beiden zugleich. Alfieri war ohne alle Erziehung, nach außen gnzlich unabhngig, ganz frh in der Zeit der hçchsten Gewalt der Leidenschaften Herr seines eigenen Schicksals. Das große Drama der Leidenschaften und ihres Schicksals spielt sich daher ganz rein in seinem Leben ab. Dies ist in erster Linie das Interesse, welches dies Leben einflçßt, ein unvergleichliches, welches noch weit ber das Interesse an ihm als einem hervorragenden italienischen Dichter hinausreicht. Spinoza hat die innere Entwicklung der Leidenschaften und schließlich die Befreiung von ihnen zum Gegenstand seines unsterblichen Werkes gemacht, das eine andere Art von divina comedia ist, durch Hçlle und Fegefeuer in das Paradies geleitend. Ein Beispiel zu den ewigen Gesetzen, die er fand, ist Alfieri’s Leben. Es ist einer jener seltenen Flle, in denen ein psychologisches Grundverhltniß ganz ungestçrt sich darstellt. Es ist, was Baco einen hervorragenden Fall fr die inductive Forschung nennt. Die Affecte in Alfieri treten wechselnd hervor: eine unbndige Sucht, sich unter seines Gleichen auszuzeichnen, rastlose Unruhe, die ihn von Ort zu Ort treibt, ein unbedingtes Bedrfniß der Unabhngigkeit. Jeder von ihnen hat seine Geschichte, und ein tragisches Genie, ein Genie des feinsten und tiefsten Verstndnisses von Leidenschaften schreibt in seiner Selbstbiographie in anmuthigsten Zgen ihre Geschichte. So wie sein stolzes Unabhngigkeitsbedrfniß zuerst in seiner Schulzeit ihn bis zur Tollheit stçrrisch macht, dann, da er Soldat wird, sich gegen die Subordination empçrt, auf Reisen ihn seinem guten Brenfhrer unertrglich macht, endlich vermçge erster umfassender Generalisationen ihn mit Haß gegen die absoluten Hçfe Europa’s erfllt, der dann in den wunderlichsten Formen hervorbricht. Alle Affecte in ihm aber gingen unter, wie es schien, zu der Zeit, als die Liebe sich in ihm erhob. Die Verwicklungen, die aus ihr entstehen, zeigen ein tragisches Antlitz neben einem komischen, wie die Alten die Bhne darstellten und die tragische Dichtkunst, wie sie Euripides und Aristophanes an einander koppelten, um das Drama des Lebens und seiner Leidenschaften in seiner Totalitt auszusprechen.
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Diese Verwicklungen sind ganz verknpft mit der Entfaltung seines Genius: er selber stellt in ihnen die Macht der Leidenschaften ber sein Gemth dar in drei großen Acten gewissermaßen, im vierten dann die Peripetie, die er als liberazione vera bezeichnet: wie Spinoza auf die „menschliche Knechtschaft“ durch die Affecte die Befreiung folgen lßt, so zhlt Alfieri bis zur „dritten Fesselung in den Banden der Liebe“, der dann die „wahre Befreiung“ folgt, die auch bei ihm in der intellectuellen Betrachtung liegt. So berhren sich der Denker und der Dichter. Die drei Geschichten in ihrem aufsteigenden Gange ihm nachzuerzhlen, werde ich nicht wagen. Man hat nur die Wahl, sie ganz zu bersetzen, da sie wie Novellen des Cervantes klingen, oder ber sie nur sehr summarisch zu erzhlen. Denn das Wesentliche ist nach meinem Gefhl eben ihre Doppelbeleuchtung: in den großen Verwicklungen dieser menschlichsten und gewaltigsten aller Leidenschaften ist das Tragische und das Komische jedesmal unabtrennbar verknpft, und so sieht es Alfieri. Er sieht es wie ein Shakespeare, natrlich geringerer Art. Er sieht es hier tiefer als in irgend einer seiner Tragçdien. Denn Niemand vermçchte irgend eine andere Geschichte so tief und wahr zu sehen als die seines eigenen Lebens. Anmuthig und leise hebt die erste Geschichte an, mehr eine tiefe, selige Trumerei, eine jener Trumereien ohne Abschluß, ja selbst ohne die Absicht eines Abschlusses, deren ewiger Typus Straßburg und Sesenheim in „Dichtung und Wahrheit“ ist. – Dies war auf der ersten Reise Alfieri’s, und an dem Punkte der Lebensgeschichte, an welchem wir jetzt stehen, da Alfieri die nordischen Staaten auf seiner zweiten Reise verlßt und den Boden Englands betritt, hebt eine zweite Geschichte an von wildem und strmischem Charakter, echte Leidenschaft und eigensinnige Tollheit seltsam verbunden: jede Spur von Rcksicht auf seine eigene Zukunft ist in ihr untergegangen, und erst als seine Ehre selber getroffen wird, erhebt sich in ihm Stolz und Bewußtsein seiner Person, und er zerreißt seine Fesseln. Er wandelt in ihnen wie ein Schlaftrunkener am Abgrunde des Tragischen und ist zugleich komische Person. Schon bei seinem ersten englischen Aufenthalte war er einer vornehmen englischen Dame von solcher Schçnheit begegnet, daß der Gedanke an sie ihm den englischen Boden selber lieber machte, ohne daß seine Empfindung mehr als eine glckliche Trumerei gewesen wre. „Aber bei dieser Rckkehr, da ich schon etwas die Ideen eines Edelmannes angenommen hatte und in dem fr Liebe empfnglichsten Lebensalter stand, auch noch nicht vçllig wiederhergestellt war von dem ersten Sturme dieser unseligen Krankheit, so fiel ich nun in dies andere Netz und versetzte mich in eine Leidenschaft von solchem Wahnsinn, daß ich jetzt noch am ganzen Leibe zittere, wenn ich daran denke.“
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Alfieri liebt diese Wendung, welche in der That geeignet ist, die Strke der Affecte auszudrcken: daß nach vielen Jahren die Vorstellung des Gegenstandes noch das Gemth erschttert und zittern macht. Es giebt in David Copperfield eine hnliche Stelle: wo Dickens in dieser Art von Biographie den furchtbaren Tod seines Jugendfreundes erzhlen will, berichtet er, wie schon beim Beginn seiner Erzhlung der Gedanke an diese Stelle derselben vor ihm bengstigend gestanden, wie ein Bergesgipfel sich aufthrmend, den er nicht berklimmen zu kçnnen glaubte. Wunderbar schildert er dann seinen Zustand vor der Katastrophe. „Der Zustand meiner Seele war so thçricht und so wahnsinnig, daß ich mich ganz und gar nicht darum kmmerte, was etwa sich ereignen kçnnte, indem ich doch eigentlich Alles im Geiste voraussah.“ Ein Duell, ein entsetzlicher Proceß, eine noch entsetzlichere Enttuschung und das Furchtbarste von Allem: die Erfahrung an ihm selber, daß selbst die klarsten demthigendsten Einsichten keine Macht ber seine Leidenschaft hatten; endlich entfloh er. Damals, in Seelenzustnden, in denen kaum irgend ein Gegenstand von außen ihn zu beschftigen die Macht gehabt htte, auf der Reise von England nach Paris und Spanien, vertiefte er sich zuerst in die großen Dichter und Schriftsteller seines Vaterlandes, welche unvergngliche Darstellungen der menschlichen Leidenschaften und Triebfedern und ihrer Geschichte hinterlassen haben. Dante, Petrarca, Ariost, Tasso, Bocaccio und Macchiavelli wurden seine Lieblinge. „Es war mein Mißgeschick, doch vielleicht ein Glck fr Andere, daß ich gar kein Mittel und keine Mçglichkeit hatte, in Versen meine verschiedenen Gedanken und Affecte festzuhalten; denn in dieser Einsamkeit und bestndigen Bewegung wrde ich eine wahre Sndfluth von Versen ausgestrçmt haben: so unendlich waren meine melancholischen und moralischen Reflexionen, wie auch die bald schrecklichen, bald frçhlichen, bald gemischten und kindischen Bilder, die meinem Geist erschienen. Aber da ich gar keiner Sprache mchtig war und keinen Gedanken daran hatte, ich mßte oder kçnnte irgend etwas in Prosa oder in Versen schreiben, begngte ich mich, es in meiner Seele zu bewegen, und das eine Mal unaufhaltsam zu weinen, ohne zu wissen, worber, das andere Mal ganz ebenso zu lachen: zwei Dinge, die man, wenn kein schriftstellerisches Werk aus ihnen entspringt, fr reine Tollheit (pazzia) hlt, und die es auch sind; wenn aber solche Werke daraus entspringen, als Poesie betrachtet werden, und es auch wirklich sind.“ Das ist die Poesie, wie ein italienisches Naturell sie empfindet. Diesen Gemthszustand stellt am besten ein Vorgang dar, den er selber spter nur dadurch verstand, daß seine Gemthsbewegungen, genhrt durch ein-
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sames Brten ber seinen Erlebnissen und Ideen, einen solchen Grad erreicht hatten, daß der geringste Anlaß ausreichte, eine Explosion herbeizufhren. Sein Kammerdiener Elia, aus treu seinem Hause ergebener Familie, an Jahren und Erfahrung ihm weit berlegen, hatte ihn durch alle Abenteuer seiner Reisejahre begleitet und ihn behtet, wie nur bei sdlichen Nationen Diener ihre Herren hten; es ist dort ein anderes familires Verhltniß zwischen Herren und Dienern, wie jedes gute italienische Lustspiel es zeigt. Da dieser eines Abends beim Ordnen der Haare ihm eins oder ein paar ausriß, schleuderte er ihm einen Leuchter an den Kopf, so daß eine tiefe Wunde entstand. Der Diener springt auf ihn zu, er selber greift nach dem Degen, und nur die durch den Tumult herbeigezogenen Spanier trennen sie. Dann lßt er den Italiener ruhig neben sich im Zimmer schlafen wie sonst, obwohl er wohl weiß, wie bedroht sein Leben ist, und smmtliche Spanier ihn schon in Gedanken verloren gaben. „Diese Mischung von Wildheit und Edelmuth von uns Beiden wird nicht leicht Einer verstehen kçnnen, der nicht Erfahrung ber die Sitten und das Blut von uns Piemontesen hat.“ So kehrte er nach Turin zurck. Als sein Vormund ihm wieder den Vorschlag einer diplomatischen Carriere machte, antwortete er ihm, er habe die Kçnige in der Nhe gesehen, und er wrde auch den Großmogul nicht reprsentiren wollen, geschweige denn den kleinsten aller Kçnige Europa’s; da der Vormund kçniglicher Kammerherr war, kam er nie wieder auf dies Thema zurck. So richtete er sich denn ein schçnes Haus in Turin ein, trieb da sein Wesen mit vornehmen Genossen und „fiel zum dritten Mal in die Netze der Liebe“. „Meine neue Flamme war eine Dame, ausgezeichnet von Geburt, aber nicht von allzu gutem Ruf in der vornehmen Welt, und etwa neun oder zehn Jahre lter als ich.“ Er empfand seine Liebe zu ihr als eine Art von Knechtschaft, je lnger, desto mehr. Er empfand das Unwrdige und unterlag ihm doch. Zweimal unternahm er, sich zu befreien, das zweite Mal erst gelang es ihm, und in diesen Zeiten großer Kmpfe und tiefsten Mißvergngens mit seiner Lage entstanden seine ersten Versuche, in einer dichterischen Welt auf kurze Zeit die wirkliche zu vergessen. Wie er zuerst dazu kam, etwas vom Tragçdiendichter in sich zu empfinden, ist ganz in seiner Manier. Die Dame lag lange krank, und er war stndlich um sie, ohne daß ihr Zustand ihm gestattet htte, viel mit ihr zu reden. „In einer dieser gewiß wenig erfreulichen Sitzungen von Langeweile ergriffen, griff ich nach fnf oder sechs Blttern Papier, die mir in die Hand fielen, und fing so an, aufs Gerathewohl, ohne irgend einen Plan entworfen zu haben, eine Scene zu skizziren, soll ich sagen, von einer Tragçdie oder Komçdie, von einem Act oder fnfen oder zehn? Aber Alles in Allem waren es eben Worte in
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der Manier eines Dialogs und in der Manier von Versen zwischen einem gewissen Photino, einer Dame und einer Kleopatra. Und mir scheint, indem ich ihn heute untersuche, dieser mein plçtzlicher Einfall um so seltsamer, als ich etwa sechs oder mehrere Jahre kein italienisches Wort mehr geschrieben, selten und wenig und mit langen Zwischenrumen etwas gelesen hatte.“ Er hat die Probe mitgetheilt, wie er sagt, nicht ohne bei dem Abschreiben zu lcheln, und er bemerkt mit Recht, daß in diesem Versuche die betreffende Kçnigin eben so gut htte einen beliebigen anderen kçniglichen Tragçdiennamen tragen kçnnen; er gab dem Stoffe diesen Namen, da er in einem Vorgemache vor einiger Zeit Antonius und Kleopatra dargestellt und diese Scene in seinem Gedchtniß gehaftet hatte. In der That unterscheidet sich das Bruchstck, das Alfieri mittheilt, wenig von ganz gewçhnlichen franzçsischen Tragçdien, ihren Helden und ihren Vertrauten. Alfieri sah spter sehr wohl ein, daß die Kleopatra ein sehr mangelhafter tragischer Stoff sei; aber wie die ersten Scenen aus der Empfindung seines eigenen Zustandes entsprungen waren, hielt diese Empfindung ihn auch lange danach noch fest bei diesem Stoff. Ein Jahr ruhte das Fragment. „Es kam dann ein Tag, an dem inmitten meiner fast ununterbrochenen Thorheit und meiner Einsamkeit, wie ich die Augen aufschlug, mir sofort wie ein Licht die Aehnlichkeit meines Herzenszustandes mit demjenigen des Antonius aufging und ich zu mir selber sagte: dieses Unternehmen fortsetzen, es anders machen, wenn es so nicht bleiben kann, aber Alles in Allem in dieser Tragçdie die Affecte entwickeln, welche mich zerreißen, und sie in diesem Frhling von den hiesigen Schauspielern auffhren lassen! Kaum hatte ich diese Idee gefaßt, als ich (als htte ich in ihr das Mittel meiner Heilung gefunden) anfing, Bltter abzundern, zuzufgen, Alles in Allem wie ganz toll mit dieser meiner mißrathenen Tragçdie Kleopatra zu wirthschaften.“ So entstand Alfieri’s Tragçdie als eine Art von Selbstbekenntniß seines leidenschaftlichen Inneren, wie aus dieser glhenden Natur die erste Schçpfung hervorgehen mußte, nicht ein Kunstwerk, sondern eine formlose, aber mchtige Aeußerung seiner Affecte, seiner Leiden, seines Geschickes. Und eigenthmlich war sie mit dem verflochten, was er seine „wahre Befreiung“ nennt. Im Gefhl des Unwrdigen seiner Leidenschaft hatte er schon damals, aber umsonst, einen Fluchtversuch gemacht. Nun schloß er sich in sein Haus gnzlich ein, brtete ber seinen Ideen. Damals hat er denn auch, um sich selber zu binden in seinem Entschlusse der Welt gegenber, whrend der Zeit des Carnevals auf einem Maskenball als Improvisator eine fçrmliche Anklageacte gegen die Liebe in Versen vorgetragen. Er erzhlt denn auch diese Geschichte als ein „authentisches Denkmal seiner Unerfahrenheit in Allem, was sich ziemt und schickt“.
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So entstand die Cleopatra terza, die Ausarbeitung der genannten Tragçdie, welche 1775 niedergeschrieben und im selben Jahre zu Turin aufgefhrt wurde. Was er davon mittheilt, ist wie eine Scene am Turiner Hofe; Frstengewohnheiten, Tyrannenhaß, die politischen Ideen, die in seiner feurigen Seele ghrten. Die Tragçdie gefiel dem Publicum, „und von diesem verhngnißvollen Abend ab drang mir in alle Adern eine solche Hitze, ein ungestmes Verlangen, eines Tages verdienterweise echten dramatischen Ruhm zu erlangen, daß nie ein Liebesfieber mich mit solcher Gewalt bestrmt hatte.“ An diesem Punkte berschlgt er die Mittel, welche ihm damals zur Verfgung standen. „Ein entschlossener, obstinater, ungebndigter Geist, ein Herz bis zum Ueberfließen voll von Affecten jeder Art, unter welchen in bizarrer Mischung berwogen die Liebe mit all ihren Tollheiten und ein tiefer, wilder Abscheu gegen jede Art von Tyrannei.“ Keine Kenntniß der tragischen Kunst außer schwachen Erinnerungen an das franzçsische Theater, vor Allem keine wahre Kenntniß der Sprache, in welcher er dichtete. Und wie ihm hiervon die Einsicht aufging, faßte er einen Entschluß, der ein Ausdruck seiner gewaltigen Willenskraft war. „In dem Alter, in welchem ich mich befand, denkend und empfindend wie ein Mann, mußte ich wieder lernend mit den Elementen beginnen wie ein Schulknabe.“ So begann er zuerst in Turin, dann im Sommer dieses Jahres 1775 begab er sich in ein ganz kleines Dorf am Fuße des Monginevro, las und commentirte fr sich die großen italienischen Schriftsteller, vor Allem die ltesten. Es war ihm wie eine Entdeckung, daß ihr Studium einen Reichthum, eine Krze, Eigenthmlichkeit, eine Macht des Colorits zu verleihen vermçchte, dergleichen keiner der Schriftsteller Italiens aus den letzten Generationen zeigte. Und so ward ihm zum Segen, daß er Italienisch nicht aus den Autoren seiner Zeiten aufwachsend gelernt hatte, sondern es nun, einer fremden Sprache gleich, aus den großen kraftvollen Schriftstellern der gewaltigen italienischen Zeiten lernte. Dies Italienisch war adquat seinem eigenen mnnlichen und leidenschaftlichen Geiste. Von da ging er zur lateinischen Sprache zurck und bemchtigte sich nun derselben durch hartnckigsten Fleiß in wenigen Monaten. Dann aber begab er sich nach Toscana, um dort den lebendigen Klang des schçnsten Italienisch auf sich wirken zu lassen. Zweimal in diesen Jahren begab er sich zu diesem Zwecke in die ersten Stdte Toscana’s und in Siena schloß er damals eine Freundschaft, die fr ihn von hçchstem Werthe war. „Mehr als einmal habe ich von dem trefflichen Francesco Gori Gandellini in Siena in verschiedenen meiner Schriften geredet, und das sße und theure Andenken an ihn wird nie aus meinem Herzen schwinden. Eine große Aehnlichkeit unserer Charaktere, dasselbe Denken und Empfinden und ein beiderseitiges Bedrfniß, das von denselben Leidenschaften berstrçmende Herz
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auszuschtten, vereinten uns zu einer wahren und warmen Freundschaft. Dieses heilige Band reiner Freundschaft war und ist allerwege nach meiner Art zu denken und zu leben ein Bedrfniß ersten Ranges; aber meine zurckgezogene und strenge und rauhe Natur macht mich und wird mich, so lange ich lebe, wenig geeignet machen, sie Anderen einzuflçßen, und ber alles Maß darin zurckhaltend Anderen die meinige darzubringen. Daher habe ich denn im Laufe meines Lebens nur außergewçhnlich wenige Freunde gehabt, aber ich rhme mich, daß sie alle vorzglicher und der hçchsten Achtung wrdiger als ich selber waren. Und zwar habe ich in der Freundschaft nie etwas Anderes gesucht als gemeinsame Bekmpfung der beiderseitigen menschlichen Schwchen, so daß Verstand und Wohlwollen des Freundes in mir die nichtlçblichen verminderten und verbesserten, oder im Gegensatze dazu die wenigen lçblichen verstrkten und erhçhten, aus welchen der Mensch Nutzen fr sich und Ehre fr Andere zu ziehen vermag. Eine solche Schwche ist die, Autor werden zu wollen. Und in Bezug auf diese vor Allem haben die edlen und begeisterten Rathschlge von Gandellini mir sicher nicht kleine Hlfe und Antrieb gewhrt. Das lebhafteste Bedrfniß, welches mich ergriff, mir die Achtung dieses seltenen Mannes zu verschaffen, gab mir plçtzlich gewissermaßen eine ganz neue Elasticitt des Geistes, eine Lebhaftigkeit des Intellects, welches mich keine Ruhe finden ließ, bevor ich Werke geschaffen hatte, die mir seiner wrdig erschienen.“ Die Bedingungen erfllten sich nun, unter welchen er sein Leben verbringen, seine Werke schreiben sollte. Seine innere Befreiung war vollendet. Die Traditionen seines Standes, die thçrichte Gewalt seiner Affecte, die Fehler seiner Erziehung hatte er hinter sich gelassen und aus seiner großen Seele war unter der Einwirkung der Alten ihm eine Lebensaufgabe erwachsen, wie sie in Zeiten, in denen ein heldenhaftes Leben ihm verschlossen, allein fr ihn geeignet war. Mit hellen Augen erkannte er nun, welche Elemente der ußeren Welt geeignet waren, ihn mit vollem Herzen dieser Aufgabe leben zu lassen, welche in Widerspruch mit derselben standen und, wie eng sie auch mit seiner Existenz verbunden waren, schlechterdings beseitigt werden mußten. Mit einer seines Namens wrdigen Energie schnitt er in die gegebenen Verhltnisse.
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Man muß sich die Lage des damaligen Europa vergegenwrtigen: der Absolutismus hatte in diesen siebziger Jahren in Europa seinen Hçhepunkt erreicht. Alfieri, wie er dachte, sah berall Tyrannen, in Paris, Petersburg, Berlin, den schlimmsten, weil er klein war, in Turin. Und er war an diese Dyna-
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stie als piemontesischer Junker von ansehnlichem Grundbesitz und Officier seiner Armee angeschmiedet. Dabei leuchteten in England, und heller in Nordamerika die Strahlen der aufgehenden Sonne der Freiheit. Dies war die Zeit, in welcher die absolute und tyrannische Frstengewalt edlen Naturen in Europa am meisten unertrglich wurde. Alfieri hat sein Gefhl dieser europischen Tyrannenwelt gegenber damals in einer Brandschrift: „Della tirannide“ ausgesprochen. Sie war die Aeußerung einer Seele, die von Kindheit ab „die Pfeile dieser entsetzlichen und ganz allgemeinen Unterdrckung empfunden hatte“. Sie war nicht ausgerstet mit dem Material historischer Begrndung, welches er ihr spter zu geben vermocht htte; nichts desto weniger that er gut, sie in spteren Jahren ganz so zu verçffentlichen, wie sie damals geschrieben war. Denn die ganze glhende Leidenschaft pulsirte in ihr, von der er gegen den europischen Absolutismus erfllt war. „In diesem glhenden Alter war urtheilen und schließen nichts Anderes in mir als reines gewaltiges Empfinden.“ Dieselbe Leidenschaft pulsirt in der „Virginia“, die er damals schrieb; er selber sagt, sie sei mit seinem Herzblut geschrieben; in den anderen republikanischen Tragçdien, die er bald darauf concipirte. Sie war die Seele seines Lebens. Und seltsam! Auch das husliche Glck, das er sich nunmehr grndete – wenn man es so bezeichnen darf – stand in Einklang mit der Grundempfindung seiner großen Seele, dem Haß gegen die Unterdrckung und zeigt die gewaltige subjective Willkr in diesem Charakter. Die Liebe zwischen Alfieri und der Grfin von Albany ist ein Theil jener merkwrdigen Geschichte von Leidenschaften, wie Petrarca’s Liebe zu Laura, Goethe’s zu Frau von Stein, an welche jederzeit das Interesse des Publicums sich halten wird. Die Grfin Albany war um diese Zeit in Florenz erschienen, 25 Jahre alt damals, „ein sßes Feuer in den schwrzesten Augen, gepaart, was so selten vorkommt, mit der weißesten Haut und blonden Haaren, gab ihrer Schçnheit einen eigenthmlichen Zauber, von dem man getroffen und besiegt werden mußte“; sie liebte die Knste und Literatur und pflegte sie. Alfieri sah sie im Theater. Es war noch nicht lange her, daß seine Verwandten bei einem seiner Besuche in Turin ihn mit einem jungen Mdchen bekannt gemacht hatten, die alle die Eigenschaften besaß, welche ein Edelmann in seiner Lage sich wnschen konnte, und die ihm nicht abgeneigt erschien. „Aber acht Jahre mehr, die ich nunmehr zhlte, das ganze Europa, das ich inzwischen gut oder schlecht gesehen, die Liebe zum Ruhm, die mich ergriffen hatte, die Leidenschaft fr die Studien, die Nothwendigkeit, frei zu sein oder mich frei zu machen, damit ich ein unerschtterlicher und wahrhafter Schriftsteller sein kçnne: alle diese anspornenden Krfte trieben mich voran, und es rief laut in meinem Herzen, daß unter einer Tyrannei schon bergenug und zu viel ist allein zu leben, daß man aber
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unter ihr Gatte oder Vater weder werden kann noch darf.“ Und so eilte er weg von Turin nach Verona, von da nach Florenz, wo ihm die schçne Fremde begegnete. Diese Liebe stand in Einklang mit allen großen Affecten seines Lebens. „Da ich am Ende von zwei Monaten sah, daß diese meine wahre Geliebte der Art war, daß ich in ihr, anstatt wie in allen anderen Durchschnittsfrauen ein Hinderniß des literarischen Ruhmes, eine Stçrung in ntzlichen Beschftigungen, eine Stçrung in meinen Gedanken zu finden, vielmehr einen Sporn und ein Beispiel in jedem edelsten Thun finden durfte: da, in seinem vollen Werth einen solchen Schatz erkennend, gab ich mich ihr hin, ohne Rast, ohne Rckhalt, grenzenlos.“ Von da ab begann er, an der Befreiung der Grfin Albany von den unwrdigen Sclavenketten, die sie trug, zu arbeiten. Es begannen große Opfer fr ihn und berschwngliche Seligkeiten. Um so energischer verfolgte er nun den Gedanken, sich von all den Banden frei zu machen, welche in seiner Lage als piemontesischer vornehmer Grundbesitzer und dem persçnlichen Verhltniß zu dem „kleinen Tyrannen“, das damit verknpft war, lagen. Er bedurfte eines jhrlich erneuerten Gesuchs, um im Auslande leben zu drfen. Er bedurfte der Censur fr jede Schrift, die er im Kçnigreich drucken lassen wollte, einer besonderen Erlaubniß, wenn dies außerhalb desselben geschehen sollte. Nun waren aber die Schriften, die eben damals entstanden, der Art, daß sie auf solche Weise berhaupt niemals zum Druck gelangen konnten. Er mußte whlen, entweder piemontesischer Vasall oder freier Schriftsteller zu sein. Es gab einige andere Mittel, sich von seinem piemontesischen Grundbesitz frei zu machen, er aber whlte das radicalste und offenste. Seinen ganzen Grundbesitz ließ er als Geschenk seiner Schwester bertragen und erhielt von dieser 14 000 Lire jhrliche Rente, oder, wie er etwas darauf die Sache fixirte, ein Capital von 100 000 Lire und eine jhrliche Rente von 9000. Es ist ganz im Stil seiner Tyrannenfurcht, daß er das Capital alsdann in einer franzçsischen Leibrente anlegte, „nicht als ob ich dem allerchristlichsten Kçnig mehr getraut htte als dem sardinischen Kçnig“, aber weil ihm, wenn er so sein Einkommen in zwei Hlften unter den beiden Tyrannen anlegte, die Gefahr seiner Lage auch auf die Hlfte reducirt schien. Der Kçnig von Sardinien besttigte den Vertrag, Alfieri meinte, sie seien beide außerordentlich zufrieden mit dem Handel gewesen, den sie so gemacht: „Er mich zu verlieren, ich mich selber wiederzufinden.“ Zu dieser Zeit gab er nun auch, zunchst veranlaßt durch eine vorbergehende Befrchtung fr einen Theil seines Einkommens, die letzten Gewohnheiten des piemontesischen Junkers auf. Er vertheilte seine Pferde unter seine Freunde, schenkte seine Hof- und Prunkkleider an seinen Kammerdiener; von da ab trug er ganz gleichmßig einen einfachen blauen Anzug in den Morgenstunden, einen schwarzen vom Diner ab. Zugleich nahm er die ußerste M-
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ßigkeit an, Wein und Kaffee berhrte er nicht mehr und beschrnkte sich auf ganz einfache und gesunde Speisen in gleichfçrmiger Folge. Er selber findet, daß er damals einen Anfall von Geiz gehabt habe, den er erst spter berwunden; indessen begann er schon damals eine ungeheure Bibliothek sich anzulegen, die beinahe Alles umfaßte, was in italienischer Sprache sich erhalten hatte. Nun kamen Tage tiefster Ruhe, Jahre vollster und fruchtbarster Arbeit. In den Jahren 1778, 1779, 1780 schrieb er eine ganze Reihe von Tragçdien und die hçchst merkwrdige Abhandlung del principe e delle lettere „ber den Frsten und die Literatur“. Die meisten dieser Tragçdien haben antike Stoffe und diese Stoffe waren seinem Stil und seiner Denkweise ohne Frage am meisten angepaßt. Seine Biographie zeigt die merkwrdige Thatsache, daß er selten eine Tragçdie in einer Folge der Zeit zu Ende fhrte. Er entwarf den Plan, legte sie zurck, scheint auch oft prosaische Ausarbeitung und Versification ganz getrennt und in verschiedenen Zeiten durchgefhrt zu haben, wie Goethe bei seiner Iphigenie. Sie zeigt die andere merkwrdige Thatsache, daß er bei Stoffen, welche Neuere vor ihm behandelt hatten, die Maxime streng durchfhrte, erst nach der Vollendung seiner eigenen Dichtung die Tragçdien Anderer zu lesen. Inzwischen lagen in seiner Liebe fr die Grfin Albany Ursachen zu großen Strmen, welche nunmehr ber sein Leben kamen. Sie war sehr unglcklich verheirathet; Alfieri lebte neben ihr in Florenz auf gesellschaftlichem Fuße. Inzwischen wurden die Verhltnisse der Grfin nicht mehr zu ertragen. „Es ist genug zu sagen, daß ich die Dame meines Herzens von der Tyrannei eines unsinnigen und bestndig betrunkenen Herrn befreite, ohne daß ich in irgend einer Weise ihren Ruf compromittirt oder von irgend einer Seite das Decorum Aller verletzt htte.“ Im Verlauf dieser Verhltnisse brachte er das Jahr 1781 in sehr bewegten Stimmungen in Rom und Neapel zu. In der ewigen Stadt vollendet er die erste Serie seiner Tragçdien, vierzehn der Zahl nach. Dort wagte er zum zweiten Male, nach dem Versuch seiner Jugend, nun seine Tragçdien zur Auffhrung zu bringen. Es spielte da eine Privatgesellschaft im Palast des spanischen Gesandten und die dort auftretende Herzogin von Zagarolo schien ihm ganz geeignet, vor einer vornehmen Gesellschaft eine seiner Tragçdien zur Auffhrung zu bringen. Die Tragçdien Alfieri’s sind auf dem Boden der alten und der franzçsischen Schule erwachsen. Aber sie unterscheiden sich von der letzteren und selbst von denen der Griechen und des Seneka durch einige bemerkenswerthe Eigenschaften, die der Ausdruck der großgearteten Seele dieses Dichters sind. Als sie zuerst im Druck hervortraten, traf sie vor Allem der Vorwurf der Hrte, der Dunkelheit, der Excentricitt. Diese Vorwrfe bezeichnen genau den Punkt,
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an welchem Alfieri absichtlich sich von den Traditionen des franzçsischen und italienischen Theaters schied. Dieses Theater mit seinen Vertrauten, seinen in die ernste politische Tragçdie eingeschobenen Galanterien, seiner Diction, welche in der Schçnheit der einzelnen Empfindung und des einzelnen Gedankens gewissermaßen ruhte, stand im Widerspruch mit der Natur Alfieri’s, welche heldenhaft und aus einem Gusse war und nicht anders schaffen konnte, als in demselben Stil. Demgemß ist die Seele seiner Tragçdie die heftigste Leidenschaft, und zwar ganz fern von den conventionellen Empfindungen der franzçsischen und bisherigen italienischen Tragçdie, Leidenschaft, welche den vulcanischen Bewegungen der siebziger Jahre in Europa entsprechend war; in erster Linie ein unbezeichenbarer Haß gegen die absoluten Regierungen fast aller europischen Lnder, und ein großer Theil seiner Stoffe stellt diesen Affect in die Mitte seiner Tragçdie; alsdann mnnlicher Stolz, Unabhngigkeitssinn und eine Liebe, welche, wie in der Medea und der Cleopatra, in ihren vulcanischen Ausbrchen nichts gemein hat mit der hçfischen Empfindung des Corneille, Racine und ihrer Nachfolger. Dem entspricht, daß die Tragçdie alsdann in ihrer Composition so geartet ist, daß sie mit einer bewundernswrdigen einheitlichen Gewalt dem Affect Ausdruck giebt; also er ließ ganz wenige Personen auftreten und fhrte die Handlung zwischen ihnen auf ihre allereinfachste Gestalt zurck, gewissermaßen auf den reinen Typus von Handlung, welcher in der berlieferten Geschichte lag. Und endlich ergab sich aus diesem Charakter seiner Tragçdie ein ganz neuer Stil, welcher sich besonders zu der italienischen Manier, Verse gewissermaßen abzusingen, in schneidigen Gegensatz stellte. Nicht umsonst hatte er die Sprache der Prosaiker und Dichter des 14. und 15. Jahrhunderts studirt; sein Grundgedanke war, im Gegensatz zu dem verwaschenen und verflachten Stil der Italiener seiner Zeit, zu dem harten, eigentlichen, anschaulichen kurzen Ausdruck der Zeiten zurckzukehren, in welchen noch mnnliche Kraft, kriegerischer Muth und erhabene Geistesrichtung in seinem Vaterlande zu finden gewesen waren. Es ist in diesen Tragçdien etwas von dem Stile der ersten Renaissance, etwas von der Mchtigkeit des Palazzo Strozzi, und schon dieser Stil war ein wichtiges Anzeichen einer neuen gesunden Bewegung der Geister in Italien. Nur war, was in der großen Zeit der Frhrenaissance als von Schçnheit gesttigte Kraft erscheint, hier nicht ohne die Beimischung der eigenthmlichen piemontesischen Wildheit des Charakters. Diese Macedonier Italiens zeigen dieselben Zge, welche in den Zeiten von Philipp und Alexander bei diesem nçrdlichen Gebirgsvolk Griechenlands und seinem leidenschaftlich bewegten Hof erscheinen und von denen in den Bacchen des Euripides, der wildesten Tragçdie des ganzen Alterthums, eine deutliche Vorstellung zurckgeblieben ist. Von diesem piemontesischen Kreis ging nach allen Richtungen hin die Befreiung Ita-
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liens aus, aber es bleibt jederzeit in diesen Mnnern etwas, was dem eigentlichen italienischen Geiste fremd ist. So wird man begreifen, daß Alfieri, welcher ein sehr klares Bewußtsein seines Gegensatzes zu dem herrschenden italienischen Geiste hatte, nur sehr zçgernd mit seinen Werken heraustrat und nur sehr langsam mit ihnen zu voller Geltung gelangte. Dieses Zçgern war in ihm verstrkt durch eine so leidenschaftliche Liebe zum Ruhm, wie sie nur einigen romanischen Geistern eigenthmlich ist, bei uns und in England aber kaum nachempfunden werden kann. Sein Geist war unaufhçrlich beschftigt sich Mçglichkeiten von Niederlagen vorzustellen. Er whlte demgemß eine Tragçdie von weniger heftigen Affecten, seine Antigone, und er ging von der ganz richtigen Annahme aus, wenn die vereinfachte Form in dieser Beifall erlangen kçnnte, so wrde derselbe den bewegten Tragçdien noch weit sicherer sein. Die Tragçdie gefiel und so wagte er denn 1783 „la terribile prova dello stampare“. Es geschah das acht Jahre nachdem seine erste Tragçdie vollendet war. Und zwar wagte er es zunchst nur mit vier Tragçdien, deren Druck in einigen Monaten zu Rom unter seiner Aufsicht vollendet wurde. Er verbrachte diese Monate in einem fieberhaften Zustande und nochmals htte er gern sein Manuscript wieder zurckgenommen, wenn Scham ihn nicht abgehalten htte. Der Papst, Pius VI., welcher der Auffhrung der Antigone beigewohnt hatte, empfing den italienischen Dichter in einer besonderen Audienz, in welcher er ihm viel Schmeichelhaftes ber seine verschiedenen Tragçdien sagte und den eben erschienenen Band entgegennahm. Alfieri konnte nie ohne Schamgefhl von dieser Audienz reden, in welcher die Liebe zur Grfin Albany, die damals in Rom war, und deren Schicksal in den Hnden des Papstes lag, ihn zu einem wunderlichen Schritte verleitete. Als der Papst, welchen er als Papst nicht achtete und in seiner Stellung zur Literatur sehr gering anschlug, ihn mit hçflichem Interesse fragte, ob er nicht noch andere Tragçdien gedichtet, sprach ihm Alfieri von seinem Saul und erbat sich von dem Papst die Gnade, ihm diese Tragçdie widmen zu drfen. Seine Heiligkeit verbat sich das rundweg mit der Erklrung, daß er die Widmung von Theaterstcken nicht anzunehmen vermçge, und der Dichter wußte nicht, was darauf antworten. Die Urtheile, welche er ber diese zuerst verçffentlichten Dichtungen empfing, waren wenig ermuthigend. Aber er lernte bald den Werth von Zeitungskritiken richtig anschlagen und war entschlossen, auf dem begonnenen Wege ferner zu gehen. So verçffentlichte er denn bald darauf einen zweiten Band, der sechs andere Tragçdien enthielt. Der Stil dieser Tragçdien zeigt einen Fortschritt verglichen mit dem der ersten vier. Die Dunkelheit und Hrte, welche die vier zuerst erschienenen Tragçdien, Cleopatra, Filippo, Polinice, Antigone zeigen, und welche auch die Kritik bitter genug hervorhob, ist nicht
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wenig gemildert in den Werken, welche nunmehr hervortraten. Es sind, so weit ich sehen kann ohne die lteren Ausgaben zur Hand zu haben: Agamemnon, Orest, Virginia, die 1777 nach jener Auffhrung der Antigone entworfen worden sind, alsdann, zwei Jahre spter 1779 entworfen, Rosmunda, Ottavia und Timoleon. Das Ideal von Alfieri, „einfache Wrde“ ist in ihnen mehr erreicht als in den frheren. Doch sind alle diese zehn Tragçdien von Alfieri selber auf dem spteren Standpunkt von Meisterschaft fr seinem Ideal nicht entsprechend erklrt worden: wie sie ohne die bewußte Sorgfalt und Meisterschaft der spteren Jahre von Anfang ausgearbeitet waren, erwies sich als unmçglich, ihnen durch nachtrgliche Umarbeitungen die Tiefe zu geben, die schon im ersten Entwurf eines Kunstwerkes liegen muß. Aber dieser wunderbare Mensch, der eben noch eine Lebensordnung einfachster Art und hçchster Arbeitsamkeit befolgt hatte, als gedchte er sie keinen Tag zu verlassen, findet sich plçtzlich wieder von seinem heißen Blut und seinen vornehmen Gewohnheiten umhergetrieben. Zehn seiner Tragçdien waren gedruckt, die vier anderen handschriftlich vollendet und damit die Vierzehnzahl, die er sich vorgenommen, geschlossen. Die Art, wie die vier ersten aufgenommen wurden von der Kritik, behagte seinem aristokratischen Geiste sehr wenig; die Mhsale des Druckens eben so wenig. Nun sah er 1783 einen Winter vor sich, getrennt von der Grfin Albany, und „verzweifelt ber eine solche Lage der Dinge, da ich keinen Frieden fand, keinen Ort der mich htte fesseln kçnnen, dachte ich daran, eine lange Reise nach Frankreich und England zu machen, nicht als wre in mir irgend eine Sehnsucht oder eine Neubegier danach brig geblieben; es war nur, um berhaupt zu gehen; ich wußte kein anderes Heilmittel, keine andere Erleichterung meiner Schmerzen zu finden.“ Er ließ den Dichter zurck und trumte wieder acht Monate lang von nichts als von Pferden und ihren verschiedenen Vorzgen, allein und ausschließlich mit den Gedanken daran beschftigt, sie zu kaufen, begab er sich auf eine achtmonatliche Reise nach London; „und in solchen Thorheiten,“ fgt er selber hinzu, „verbrachte ich wohl acht und mehr Monate, nichts thuend, studirend, kaum etwas lesend, und an nichts Anderes denkend als an die ferne Geliebte.“ Ja durch Frankreich reisend, eilte er „in der hçchsten Wuth darber, in dem Fall zu sein, dies allerantitoscanischste Nasengegurgel wieder hçren und wieder reden zu mssen.“ Kaum ist er in London acht Tage, so beginnt schon der lebhafteste Pferdehandel und er kaufte in jenen Monaten dort fr sich vierzehn Pferde. „Entweder ich hatte mit meinen Pferden zu thun oder ich schrieb Briefe, Briefe, Briefe.“ Nur zuweilen empfand er behaglich die Ironie, welche darin lag, daß er genau so viel Pferde sich hier gekauft als er in Italien Tragçdien geschrieben. Mit dieser „Cavalleria“ machte er nun die wunderlichste Rckreise. „Es ist leichter die Orte dieser Reise anzugeben als sie
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auszufhren mit einer solchen Zahl von Bestien. Jeden Tag, jeden Schritt erhielt ich Irrsale und Verdruß. Bald war das eine krank, dann wollte das andere nicht fressen, das andere hatte sich die Beine vertreten, und was weiß ich: es war ein Ocean von Leiden.“ Am schwersten aber trug er, der die aristokratische Schçnheit und den Adel dieser herrlichen Thiere empfand, wie nur irgend ein ostpreußischer Junker es kann, wie die Thiere auf den Schiffen, beim Ein- und Auspacken jedem Stck Vieh gleich von rohen Hnden behandelt wurden. Einen wahrhaft epischen Eindruck aber hatte er von seinem Marsch mit den vierzehn großen schweren Thieren ber die Alpen zwischen Laneborgo und Novalesa, auf schmalen Wegen, unter bestndigen Gefahren fr die edlen mchtigen Thiere. Mit großem Behagen hat er seine Anordnungen bei dieser Expedition beschrieben wie Livius den Uebergang des Hannibal ber die Alpen, und es scheint, daß er fast mit so viel Stolz auf diese Expedition geblickt hat als auf die den vierzehn Pferden entsprechenden vierzehn Tragçdien. So kam er nach Turin. Es war unvermeidlich, daß er seinem „Tyrannen“ sich vorstellte, der vergeblich sich durch den Minister in diesen Tagen noch einmal bemhte, ihn fr den diplomatischen Dienst zu gewinnen. Er weigerte es, wurde aber trotzdem von Vittore Amadeo II. sehr verbindlich empfangen. „Trotzdem, wenn man ewig und lebhaft empfindet, daß es von ihrem absoluten Willen abhngt, ob sie schdigen oder wohlthuen wollen, muß man sich entsetzen und fliehen. Und so that ich nach so viel Tagen, als gengten, meine Verwandten und Bekannten in Turin wiederzusehen.“ Es ist in dieser Empfindung etwas von dem Stolz des Junkers, der sich schlechterdings strubt, sich einem der neuen Tyrannen zu unterwerfen – indem dies Gefhl sich mit dem großen radicalen Gedanken der Freiheit, der das 18. Jahrhundert beherrschte, mischte, entsprang jener persçnliche politische Haß, der Byron und Alfieri gemeinsam ist, vermçge ihrer gleichen Lage und zusammen mit so vielen anderen politischen Empfindungen; daher denn Byron selber gern sich mit dem großen Tragiker Italiens verglichen hat. In diesen Tagen ward denn auch in Turin die Virginia des piemontesischen Dichters aufgefhrt und sie hatte ein Schicksal mit der Cleopatra: einmal wiederholt, alsdann von der Bhne verschwunden, vom Publicum mit Theilnahme aufgenommen, von der Kritik mit ganz entgegengesetzten Urtheilen bedacht, wie das so geschieht, wo neue Richtungen auftreten; „an diesem Tage,“ fgt Alfieri hinzu, „begann zum großen Theil mein Ekel am Ruhm, der dann immer wuchs.“ Er wollte fortfahren, „um sich selber genug zu thun und der Kunst die in ihn gelegt war“; das Urtheil der Generation, in der er lebte, ließ er nunmehr unter sich, als ihm gnzlich gleichgltig. Es ist die Empfindung, die Schopenhauer hatte. So verließ er Turin und kam bei seinem Freunde Gori an: dies Zwischenspiel war vollendet.
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Inzwischen hatte die Grfin Albany vom Papst die Erlaubniß erhalten, nach Baden und der Schweiz zu reisen, ihrer Gesundheit willen, die von den Strmen ihrer Befreiung angegriffen war. Sie sollte dicht bei Alfieri vorberreisen. „Ich erwog, frchtete, hoffte, wollte, wollte wieder nicht: wechselnde Empfindungen, die den wenigen wahrhaft Liebenden wohl bekannt sind: doch siegte zuletzt die Pflicht, die Liebe zu ihr und ihrem Ruf, die grçßer war als die zu mir selber.“ Erst am Rhein traf er mit der Grfin wieder zusammen nach einer Trennung von sechszehn Monaten; dieselben Wochen brachten ihm freilich den Verlust seines Freundes Gori in Siena. Zwei Jahre hatte er damals keine Tragçdie mehr gearbeitet und er hatte an seinem Entschluß festgehalten, die Vierzehnzahl derselben nicht zu berschreiten. Bei verschiedenen Gelegenheiten macht er auf ein Verhltniß aufmerksam, welches zwischen seiner Kunst und seinem Gemthsleben bestand und das auch Beethoven an sich beobachtete. Nur wenn die wechselnden Stimmungen der Liebe ihn erfllten, fand er sich aufgelegt zu Dichtungen. Diesmal zeigte sich dies Verhltniß merkwrdig genug. Kaum fnfzehn Tage war er mit der Grfin vereinigt, als in ihm, ohne daß er es gewollt oder gesucht htte, ganz von selber drei Tragçdien aufgingen: Agide, Sofonisba und Mirra. Die beiden ersten Stoffe hatten ihm schon frher im Sinne gelegen, nun plçtzlich nehmen sie in seiner Phantasie eine so greifbare Gestalt an, daß er ihren Plan niederschreiben mußte. Die dritte, Mirra, kam ihm erst in diesen Tagen in den Sinn; „ich nahm in den Metamorphosen des Ovid diese glhende und wahrhaft gçttliche Anrede der Mirra an ihre Amme in die Hand, sie ließ mich in Thrnen ausbrechen, und wie ein plçtzliches Licht gleichsam stand vor mir die Idee, sie in eine Tragçdie zu bringen.“ Es war ein Problem schwierigster Art: wie die Gluth einer verbotenen Liebe, ohne Zwischenfall, fnf Acte hindurch, und berall die Mçglichkeit, den Zuhçrer mit zu erschttern durch die gewaltigsten Strçme von Leidenschaft, die, verschwiegen, doppelt mchtig wirkt. Daher er an dieser Tragçdie mit ganz besonderer Begeisterung arbeitete. „Diese drei neuen tragischen Geburten entfachten in mir wieder die Liebe zum Ruhm, den ich sonst nicht mehr gewnscht hatte, es sei denn, um ihn mit Jemandem zu theilen, der mir theurer als der Ruhm selber wre. So verbrachte ich denn glckliche arbeitsame Tage, von keiner Bitterkeit getrbt.“ Den kommenden Winter 1785, whrend er in Pisa weilte, die Grfin in Bologna, schrieb er einen Panegyrikus auf Trajan; seine Entstehung ist charakteristisch genug; er las den des Plinius. „Da ich nun einige Seiten gelesen und selbst nicht den Plinius der ‚Briefe
darin fand, noch weniger einen Freund des Tacitus, als welchen er sich bekannte, fhlte ich im Innersten meines Herzens eine Erschtterung von Un-
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willen; ich schlug das Buch zu, sprang vom Bett auf, wo ich gelegen, um zu lesen, griff zornig nach der Feder und mit lauter Stimme sagte ich zu mir selber: ‚Mein Plinius, wenn du wirklich der Freund, der Nebenbuhler, der Bewunderer des Tacitus wrest, siehe, dann httest du so ber Trajan schreiben mssen. Und ohne zu warten oder nachzudenken, schrieb ich, wie einer inneren Gewalt folgend.“ So entstand vom 13. bis zum 17. Mrz diese Schrift, die dann mit ganz geringfgigen Abnderungen gedruckt ward. Alsdann arbeitete er weiter an dem Buche Del principe e delle lettere. Reiseleben und Arbeit und Trennung von der Geliebten und Wiedersehen wechseln in den folgenden Jahren. 1787 ließ er bei Didot eine Ausgabe seiner neunzehn Tragçdien drucken, nachdem er alle Tragçdien von Neuem durchgearbeitet und zuletzt noch Sofonisba und Brutus in Verse gebracht hatte. Die letzten neun Tragçdien stellte er selber weit ber die lteren, und wenn sonst Dichter in der Schtzung ihrer Werke leicht irrten, dem Alfieri hat hierin die Literaturgeschichte Recht gegeben. Maria Stuarda, Congiura dei Pazzi, Don Garcia und Saul waren zwar zur selben Zeit in erster Niederschrift vollendet, in welcher die zehn lteren Tragçdien gedruckt wurden, aber da sie lange lagen, wurden sie allmlig zu immer reinerer Gestalt von ihm durchgebildet. Hçher noch stehen die fnf letzten Tragçdien Agide, Sofonisba, Mirra, Bruto I und II, Abell. Diese sind erst nach dem Jahre 1784 von ihm entworfen in einer Zeit, in welcher er seine Laufbahn als Tragiker schon geschlossen zu haben glaubte. Die italienische Kritik stellt den Saul und Brutus unter allen seinen Tragçdien am hçchsten, und die Gestalten, die er hier schuf, sind in der That die gewaltigsten Charaktertypen Alfieri’s. In dem Stil dieser letzten Tragçdien erreichte er die „einfache Erhabenheit“ und „leichte Krze“, welche sein Ideal war, im Vers die „Harmonie, welche ohne Einfçrmigkeit oder zu vollen Klang doch sß und anmuthig mit Mannigfaltigkeit und Wrde erscheint“. In Rcksicht des Stils stellte Alfieri selbst Bruto II und Sofonisba am hçchsten. Und er bemerkt, was den Stil betrifft, gelegentlich mit Recht: „Wenn die berhmten Franzosen wie Voltaire und Rousseau htten den grçßten Theil ihres Lebens verbringen mssen in verschiedenen Lndern, in welchen ihre Sprache unbekannt und vernachlssigt gewesen wre, und Niemanden gefunden htten, mit welchem sie htten reden kçnnen, so htten sie vielleicht nicht die zhe Beharrlichkeit gehabt aus einfacher Liebe zur Kunst und nur zu ihrer eigenen Befriedigung, wie ich es gethan habe und zwar viele Jahre hindurch. Wer liest denn heute noch und empfindet wahrhaft Dante oder Petrarca? Wenn es hoch kommt, Einer von Tausend. Trotzdem ziehe ich selber es vor und zwar weitaus vor, in einer gewissermaßen todten Sprache zu
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schreiben und fr ein todtes Volk, und mich begraben zu sehen, bevor ich todt bin.“ Whrend so Alfieri, seinen Freund Caluso und die Grfin Albany neben sich, an die Gesammtausgabe seiner Schriften dachte, ward er infolge eines Sturzes vom Pferde von einer tçdtlichen Krankheit ergriffen, und es schien, als sollte er seinen Werken nicht mehr die letzte Vollendung geben. „Es war mir schmerzlich genug, sterben zu sollen, die Grfin zu verlassen, meinen Freund, und da ich, so zu sagen, kaum die Grundlage eines Ruhmes gelegt hatte, fr den ich zehn und mehr Jahre hindurch so viel leidenschaftliche Unruhe und Arbeit erduldet hatte: denn ich fhlte sehr genau, daß von all diesen Schriften, die ich in solchem Zustande zurckließ, keine durchgearbeitet und vollendet war, wie ich es mir zutraute, htte ich die nothwendige Zeit gehabt. Doch strkte mich auf der anderen Seite nicht wenig, frei zu sterben und neben den beiden von mir am meisten geliebten Personen, deren Liebe und Achtung zu verdienen ich mir bewußt war.“ Er genas und durfte selbst die Vollendung seiner Werke fr den Druck unternehmen, ein Geschft, welches ihn drei Jahre in Paris in angestrengtester Arbeit festhalten sollte. Endlich 1789 war der Druck seiner Tragçdien in sechs prachtvollen Bnden vollendet, zugleich der Druck der beiden Prosawerke ber das Verhltniß des Frsten zur Literatur und ber den Absolutismus in zwei weiteren Bnden.
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Und nun hatte im April des Jahres 1789 die franzçsische Revolution begonnen mit der Berufung der Stnde; unter dem Drucke der Befrchtung, daß er unter solchen Umstnden die Verçffentlichung seiner Werke nicht zu Ende bringen kçnnte, hatte er hastig die Herausgabe derselben vollendet; der Eindruck dieses tiefdenkenden Zuschauers ist von ihm so ausgesprochen: „Lnger als ein Jahr sah und beobachtete ich so schweigend den Fortgang all der beweinenswerthen Wirkungen der wissenschaftlichen gebildeten Unfhigkeit dieser Nation, zu handeln, welche ber Alles wohl zu plaudern versteht, aber nichts zu einem guten Ausgange zu fhren vermag, weil sie gar nicht das Geschft des praktischen Menschen versteht, wie dies scharfsinnig unser politischer Prophet Machiavelli beobachtet und gesagt hat. Deswegen beklagte ich es auf das Tiefste, da ich bestndig die heilige und erhabene Sache der Freiheit in solcher Weise verrathen, befleckt und von diesen Halbphilosophen in Mißcredit gebracht sah; ich war entrstet, jeden Tag so viele halbe
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Lichter, so viel halbe Verbrechen, nirgends aber etwas Ganzes zu erblicken, es sei denn die vçllige Unfhigkeit, zu handeln; und endlich erschrak ich, schließlich militrische Gewalt und advocatische Zgellosigkeit als Basis der Freiheit stupide hingestellt zu sehen. Und ich hatte keinen anderen Wunsch, als fr immer dies Spital zu verlassen, in welchem Unheilbare und Thoren zusammengesperrt sind.“ Dies ist ein anderes Urtheil ber den Ablauf der franzçsischen Revolution und mehr bereinstimmend mit den neueren unparteiischen Untersuchungen als dasjenige, welches phantastische franzçsische Darstellungen und die ersten Zusammenfassungen derselben in Deutschland zum großen Schaden unserer politischen Entwicklung unter uns herrschend gemacht haben. Ihn hielt die Lage der Grfin Albany in Paris zurck, und damals in trbem Vorgefhl hereinbrechenden allgemeinen europischen Unglckes begann er daselbst die Geschichte seines Lebens zu schreiben. Es waren das seit dem Abschluß der Gesammtausgabe unfruchtbare und wenig erfreuliche Zeiten, unterbrochen nur durch eine kurze gemeinsame Reise in England und in Holland. Sie hatten sich in Paris auf die Dauer niedergelassen, seine ungeheure Bibliothek war dort in seinem Hause untergebracht. Als aber der 10. August 1792 kam, als die Nationalversammlung unter die Gewalt der Volksmassen kam und dem Kçnige der Proceß gemacht wurde, war er entschlossen, nicht einen einzigen Tag zu bleiben. Es war damals noch mçglich fr eine so reich begterte Familie, ohne besondere Schwierigkeiten von Seiten der Behçrden das Land zu verlassen, und nachdem die Psse visirt waren, gestattete die Nationalgarde Alfieri und der Grfin, dieses „ungeheure Gefngniß von Frankreich“ zu verlassen. Aber die Volksmassen empfanden schon anders, und es ist merkwrdig, den leidenschaftlichsten und khnsten aller Gegner des Absolutismus in dem damaligen Europa in Berhrung mit dem Pçbel von Paris zu sehen. „Es war da nahe bei der Barriere von Paris eine berchtigte Kneipe, aus welcher in einem Zug etwa ein Dreißig von diesen Henkern aus dem Pçbel hervorkrochen, ohne Hemd, betrunken, rasend. Sobald sie die zwei Carossen sahen und die vielen Karren mit Koffern und ein Geleit von zwei Kammerfrauen und drei Dienern, schrieen sie, alle Reichen wollten sich aus Paris flchten und ihre smmtlichen Schtze mitnehmen, ihnen aber ihr Elend und ihren Jammer dalassen. Und so kam es denn zu einem Streiten zwischen den wenigen und traurigen Wchtern der Barriere von der Nationalgarde mit diesen vielen und traurigen Schelmen; denn die Einen wollten uns herauslassen, die Anderen uns zurckbehalten. Ich aber sprang aus der Carosse in den Haufen hinein, bewaffnet mit meinen smmtlichen sieben Pssen, und begann mehr als sie Alle zusammen zu streiten, zu lrmen und zu brllen: das Mittel, mit
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dem man immer die Franzosen berzeugt. Einer nach dem Anderen ließ von Solchen, die lesen konnten, die Beschreibung unserer betreffenden Personen vergleichen. Ich voll von Zorn und Wuth, entweder in diesem Augenblick die ungeheure Gefahr, welche bestand, gar nicht kennend oder in meiner Leidenschaft verachtend, nahm schließlich meinen Paß in die Hand und rief mit lauter Stimme: ‚Hier seht, hier mein Name Alfieri, Italiener und nicht Franzose, groß, mager, blaß, rothhaarig; wir wollen passiren und werden es im Namen des Teufels. Die Posse dauerte lnger als eine halbe Stunde. Ich zeigte ein entschlossenes Benehmen, und dies rettete mich.“ So verließ er, die Pferde im Galopp, Paris, von dem Pfeifen und den Flchen des Pçbels begleitet, und er bemerkt mit Recht, daß, wenn sie damals zu den „Narren und Schelmen“ des Stadthauses zurckgebracht worden wren, sie vielleicht auf der Guillotine geendigt htten. So trennten sich von einander der piemontesische Junker, der in Tragçdien und Prosa seit vielen Jahren unablssig gegen die absoluten Regierungen und fr republikanische Freiheit wie ein Rçmer gekmpft hatte, und der Pariser Pçbel, der von da ab im Namen der Freiheit Frankreich beherrscht hat. Alfieri selber aber entwarf damals, nach Florenz zurckgekehrt, eine Schrift, die er „Miso gallo“ nennen wollte, ber die Vorgnge in Frankreich. An diesem Werke hat er dann bis 1797 gearbeitet, und so großen Werth legte er auf dasselbe, daß er bei der Invasion der Franzosen zehn Copien des Manuscriptes an verschiedenen Orten niederlegte, damit es unter allen Umstnden erhalten bliebe. Zweisprachig, wie er geboren war, hatte er begonnen mit Vorliebe fr Frankreich und endigte mit dem leidenschaftlichsten Haß.
VI. Als er damals nach Toscana zurckkehrte, war seine eigentliche Laufbahn vollendet, die des großen tragischen Dichters. Er war damals 46 Jahre alt. Wie alt waren doch die großen griechischen Tragiker, als sie die tragische Kunst mit dem Leben zugleich Nachfolgenden zurckließen! Aber sie verbrachten ihr Leben in der thatkrftigen Wechselwirkung mit einer großen Bhne und einem begeisterten Publicum, dessen Siegeskrnze sie begeisterten. Alfieri war vielleicht der einzige große tragische Dichter, der jemals lebte, welcher fr sich selber, in tiefer Einsamkeit, oft in der Fremde sann und dichtete, ohne daß im Theater ihm seine Gestalten lebendig entgegengetreten wren. Dies ist sein tragisches Schicksal. Und daher auch erklrt sich, daß er auf der Hçhe der Kraft der tragischen Kunst entsagte.
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Als er zu schreiben begann, wußte er wenig; nun erst begann er zu lernen. Er glich darin dem Philosophen Schelling bei uns, der auch begann mit der Production und dann erst in spteren Jahren lernte, schwieg und lernte. Er begann in lateinischen Wortbertragungen Homer, Hesiod, die drei Tragiker, Aristophanes, Anakreon zu lesen. Damals erst beschftigte er sich eingehend mit jenen großen Tragikern, deren Stoffe und Compositionsweise ihn beherrscht haben. Er begann Griechisch zu lernen. Die Alceste des Euripides, dieses modernste aller Stcke der griechischen Zeit, beschftigte ihn vielfach, und er bertrug sie. Zugleich aber regte sie ihn zur letzten seiner Tragçdien an. Entgegen seinen festen Vorstzen schrieb er noch einmal im Wetteifer mit dem „am meisten tragischen“ der griechischen Tragiker eine Alceste seconda. Whrend er diesen seinen friedlichen Beschftigungen oblag, rckte die Revolution, welcher er entflohen war, in seine Stille zu Florenz. Ende December 1798 hatten die Franzosen Lucca besetzt und bedrohten nun Florenz, dessen Occupation man tglich erwarten durfte. Alfieri hatte seinen Haß, ja, seine Verachtung dieser Nation nichts weniger als verhehlt; „demgemß ordnete ich Alles so an, daß ich unbefleckt, frei und geachtet leben kçnne, oder gercht sterben, wenn es sein mßte.“ Damals schrieb er sich selber seine herrliche Grabschrift in lapidarem Latein, die ich so bersetze: „Hier findet endlich Ruhe Vittorio Alfieri aus Asti, leidenschaftlicher Knstler, wahrhaftig, darum den Mchtigen wie den Sklaven verhaßt, der Menge, da er nie Staatsdienste that, unbekannt, wenigen Vorzglichen genehm, von Niemandem als vielleicht von sich selbst ungeachtet.“ Den 25. Mrz 1799 kam dann die von Tag zu Tag erwartete Invasion der Franzosen, „von derselben Farbe und im selben Stil als alle Operationen dieser Sklaven.“ Alfieri hatte seine Bcher eingepackt und fortgesandt, er selbst mit der Grfin begab sich auf sein Landhaus vor der Stadt, ihr Haus in Florenz ließen sie den Franzosen zur Beute. „So proclamirten sie denn in Florenz dieselbe Sorte von Freiheit, die schon in Frankreich bestand.“ Es war Alfieri ein Triumph, sagen zu drfen, er habe seine Augen nicht mit dem Anblick eines einzigen Franzosen befleckt. Der Jubel war unbeschreiblich, als endlich die Oesterreicher erschienen, und die Stadt die Franzosen los ward. Aber die Schlacht von Marengo gab ganz Oberitalien wieder in die Hnde der Franzosen. Niemand konnte sagen auf wie lange. Dies waren die Umstnde, in welchen er den Plan faßte, einen ganz neuen, schwierigen, weitaus sehenden Weg zu beschreiten. Mitten in dem Elend, das nun ber Italien hereinbrach, fand er Trost in dem Entwurf einer Reihe von Komçdien; es waren sechs zunchst. Dieses wre in Deutschland einer Natur wie Alfieri nicht mçglich gewesen, da hier eine Mçglichkeit thtigen Widerstandes war: Italien konnte nichts thun, als erwarten, was ihm geschehe. Die
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sechs Komçdien wurden entworfen, und er war in ihrer Ausarbeitung begriffen, als er die Abnahme seiner Krfte infolge unmßigen Arbeitens in diesen Jahren fhlte. Er verdoppelte seine Anstrengungen, um die Komçdien noch zu vollenden, an denen sein ganzes Herz hing. So kam ein neuer Anfall von Podagra, vergebens versuchte er, durch beinahe gnzliche Enthaltung von Speisen die Kraft zur Arbeit sich noch eine Zeit hindurch zu erhalten, indem er hierbei einer ganz falschen Theorie folgte. Er starb in der Nacht auf den 8. October 1803 wenige Minuten vor Tagesanbruch in den Armen der Grfin Albany. In Santa Croce zu Florenz liegt er begraben, wo so viele berhmte Mnner ruhen, nicht weit auch von dem Grabmal des großen Michel Angelo.
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In dem neuen Italien sind von Zeit zu Zeit Schriftsteller aufgetreten, welche deutlicher als die politische Geschichte dieses Landes und der gegenwrtige Charakter seiner Bewohner die Continuitt zeigen, welche die sogenannte rçmische Geschichte und die sptere Geschichte Italiens zu einem großen Ganzen verbindet. Der rçmische Staat hat durch politischen und militrischen Geist zuerst das zersplitterte Italien zu einem großen centralisirten Staate geeinigt; es war dann die große Schçpfung von den Zeiten der Gracchen ab, Gleichheit der politischen Rechte allen Brgern dieses Gesammtstaates, welcher Provinz sie auch angehçrten, zu erwirken; von da ab waren die Bedingungen geschaffen fr selbstndige Stadtentwicklungen innerhalb dieses Territoriums. Und so erhoben sich mitten im Untergange des rçmischen Reiches selbstndige Gewalten an verschiedenen Punkten dieses nunmehr seines Hauptes beraubten Rumpfes, und der Glanz des spten Mittelalters und der Renaissance liegt in der unendlichen Mannigfaltigkeit des Lebens, der politischen Formen, zusammen mit dem Reichthum, welchen die çkonomischen Bedingungen jener Zeit ber Italien verbreiteten. Als aber dann die absoluten Staaten sich bildeten und ihre centralisirte Macht in Italien auf einander stieß, dazwischen der ppstliche Staat mit seiner besonderen Anziehungskraft: sank die Nation und erhob sich zugleich zum zweiten Male der politische Gedanke einer nationalen Einheit. Abermals war es ein militrischer Staat, welcher bestimmt war, ja, naturgemß allein in der Lage war, einen Gedanken zu verwirklichen, welchen die Patrioten Italiens durch Schriften, durch Revolution, durch geheime Bnde, durch Dolch und durch Gift herbeifhren zu kçnnen geglaubt hatten. Eine Armee und die von ihr getragene geniale Politik des
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Grafen Cavour thaten, was all’ jene Mittel vorbereiten, aber nicht leisten kçnnen. Dies muß man erwgen, wenn man den grçßten tragischen Dichter Italiens in einer Stellung verstehen will, die durchaus nicht nur literarisch, sondern eben so, ja, vielleicht in hçherem Sinne politisch war. Dante und Alfieri sind Naturen, in denen der alte rçmische Geist dieses Landes wieder Sprache und mchtigsten Ausdruck gewann, und so sind sie die Propheten des neueren Italien geworden. Alfieri hat zweimal abgelehnt, in die politischen Geschfte seines despotisch regierten Landes einzutreten; aber er durfte sich wohl sagen, daß er auch politisch mehr durch seine Tragçdien wirken wrde, als damals in der gedrckten Lage des piemontesischen Staates er selber wie der ganze Geist des 18. Jahrhunderts im Widerspruch mit den Maximen der piemontesischen Regierung zu leisten vermocht haben wrde. Da die Umstnde seiner heldenhaften Natur den Schauplatz des thtigen Lebens versagten, wandte er sich zur Bhne. Er stellte handelnde Naturen dar, weil fr ihn selbst kein Spielraum zum Handeln da war. Und er ergriff dies Mittel, nachdem er lange Jahre in zielloser Leidenschaftlichkeit von Land zu Land gewandert war, unfhig, dem piemontesischen Staate zu dienen, und unfhig, thatlos zu leben. Er erinnert hierin an Lessing und an Heinrich von Kleist, deren Charaktere im Leben und auf der Bhne dieselbe ungestme Reizbarkeit, dieselbe Freude an der Action als solcher, denselben Willen, zu handeln, zeigen. Unter allen Knsten ist die dramatische die am meisten mnnliche. In den Italienern sind Grundzge, welche sie von allen Angehçrigen anderer Nationen augenfllig scheiden, und ich komme darauf zurck, daß die grçßten Geister unter ihnen von der Aufrichtung der rçmischen Republik an bis auf die neuesten Zeiten eine augenfllige nationale Aehnlichkeit zeigen, angesichts deren es ber die rçmische Geschichte hinaus eine zusammenhngende continuirliche Geschichte Italiens giebt. Dies erscheint schon darin, daß solche Geister wie Dante, Petrarca, Machiavelli, Alfieri sich selber jederzeit in dieser historischen Continuitt gefhlt haben. Es erscheint alsdann in der Verwandtschaft der Charaktere. Der Grundzug liegt in dem Ungestm der Affecte. Der Mensch in seinen verwickelten Relationen zu anderen Individuen entwickelt naturgemß einen Inbegriff von Bedrfnissen, Wnschen, Begehrungen, Leidenschaften, zusammenhngendem Willen, etwas durchzusetzen, und in diesem Inbegriff verluft sein Leben. Er entwickelt sich und steigt mit seiner Organisation selber, concentrirt sich, sinkt und endet mit deren Untergange. Nennen wir einmal alle Theile dieses Inbegriffs mit Spinoza Affecte, so liegt in der Strke und in der Vertheilung derselben das Eigenthmliche des menschlichen Charakters.
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Denn nicht dies unterscheidet einen Charakter von dem anderen, daß andere Affecte in ihm auftreten, in uns Allen arbeiten dieselben Affecte und aus denselben bildet sich das Gewebe eines jeden Menschenschicksals. Diese Verschiedenheit der Strke aber in der Vertheilung begreifen, heißt den Charakter von Individuen, von Epochen und Nationen verstehen. Fragt man sich nun, was allen großen Charakteren Italiens im Unterschied von denen anderer Lnder eigen ist, so gelangt man zunchst zurck auf den eben ausgesprochenen Grundzug. Dies lßt sich am populrsten durch den Gegensatz zu einer anderen psychologischen Totalvorstellung erlutern. Die Italiener sind gemthlos. Unter Gemth und Gemthlichkeit verstehen wir eine sehr reiche und breite Vertheilung der Affecte auf den ganzen Inbegriff von Lebensbeziehungen, in welchen das Dasein eines Individuums verluft. Jean Paul hat vielleicht das Aeußerste geleistet in knstlerischer Darstellung von Naturen, welche in jede, auch die kleinste, auch die unscheinbarste, auch die am meisten vorbergehende Lebensbeziehung Wnsche, Empfindungen hineinlegen und solchergestalt den Inbegriff, so zu sagen, ihrer Willenskrfte vertheilen an die Vielheit der gegenwrtigen Lebensbeziehungen. Solche Naturen haben ein Herz fr jedes Kleidungsstck und jeden Theil ihres Hausraths, fr die Natur, welche sie umgiebt, fr den Winkel, in dem sie leben, fr den wenn noch so kleinen Beruf, in dem sie aufwuchsen, fr jeden Menschen in diesem Winkel. Dies so genommen, sind die Italiener in jeder Epoche der rçmischen und der neueren Geschichte durchaus gemthlos. Ihre Affecte sind concentrirt, und jenseits derselben herrscht nur der Verstand. Daher sie auch die Natur gar nicht lieben, wie wir es thun. Daher ihre Wissenschaft jederzeit einen praktischen Zug hat. Und zwar kann man weiter gehen und die Lebensbeziehungen bezeichnen, auf welche sich ihr Affect zumeist concentrirt. Der italienische Charakter in seinen hervorragenden Individuen ist beherrscht von der Liebe zum Ruhm, von Frauenliebe, von Freundschaft, von der Liebe zum Besitz und von Patriotismus. Er zeigt einige der unedlen Affecte nicht, welche den Charakter der nçrdlichen Lnder entstellen, wie die, bei Mahlzeiten und beim Trinken mehr als billig zu verweilen. Er zeigt noch mehrere der Affecte nicht oder in geringerer Strke, welche bei den nçrdlichen Vçlkern von erster Strke sind. Das Leben in der Familie und die zrtlichen und treuen Gesinnungen, welche in ihr entspringen, und die bei den nçrdlichen Vçlkern strker als alle anderen sind, haben bei den Italienern eine geringere Gewalt, und bei ihren großen Charakteren erscheinen sie nicht als herrschende Affecte. Dies ist sicher der am meisten durchgreifende Unterschied zwischen den Neigungen beider Nationen, wenn man den Inhalt derselben vergleicht. Alsdann aber unterscheiden sich die Italiener durch die Form und die Vertheilung ihrer Affecte sichtbar von
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den anderen Nationen. Ihre Neigungen und ihr Gemthsinteresse verbreiten sich keineswegs ber den Inbegriff ihrer Lebensbeziehungen; die Concentration giebt andererseits ihren Affecten eine weit grçßere Strke: hieraus ergiebt sich, daß sie eben so stark und ausschließlich und von allem Gemthsinteresse unbeirrt hassen, als sie lieben. Odio und vendetta nehmen einen großen Platz ein im italienischen Geiste. Dies sind Andeutungen, welche einigermaßen die Continuitt im Charakter zeigen kçnnen, welche die Italiener zeigen, seitdem sie in die Geschichte treten. Der Leser verzeihe diese abstracte Erçrterung, welche nunmehr mçglich macht, das Wesen der Tragçdie Alfieri’s und ihre Bedeutung wirklich zu verstehen. Was ntzen unbestimmte Schilderungen! Alfieri lebt in dem großen Gefhl der Einheit seines poetischen Schaffens mit dem classischen Alterthume, nicht wie Goethe etwa als mit einem Hohen, Fremden, sondern als mit seiner eigenen nationalen Vergangenheit. Und auch die Griechen, die zum Theil in Italien sich angesiedelt hatten, zum Theil an anderen Ksten desselben Mittelmeeres, sind in sein Heimathgefhl und sein historisches Bewußtsein mit aufgenommen. Wuchtiger als die sdlichen Italiener in seinen Affecten, ein rothhaariger, großgewachsener piemontesischer Junker, ist er doch eben nur durch dies ganz singulre Ungestm derselben von seinen brigen Landesgenossen unterschieden. Die drei am meisten leidenschaftlichen Naturen dieser Epoche, von denen zwei die einzigen Genies sind, welche in der ganzen franzçsischen Revolution hervortraten, sind Italiener: neben Alfieri Buonaparte und der Graf Mirabeau. Sie zeigen eine unverkennbare Familienhnlichkeit in der Massivitt der großen Affecte, Buonaparte und Mirabeau auch in der bewußten Continuitt mit dem rçmischen Leben: denn Buonaparte hat rçmische Manieren der Verwaltung, rçmischen Stil der Kunst den Franzosen mit superiorem Geist aufgeprgt. Die Familie Mirabeau war zu lange in Frankreich, um dieses Gefhl der Continuitt sich zu erhalten. Die Tragçdie Alfieri’s spricht in den Formen des großen classischen Alterthums, im Stil des Tacitus die Welt der Affecte aus, welche er in Plutarch nur wiederfand, wie sie in seiner großen italienischen Seele sich bewegten. Hieraus ergiebt sich im Großen und Ganzen der Charakter der Tragçdiendichtung Alfieri’s. Aber die Bedingungen, unter denen er thtig war, die literarischen Einflsse, unter denen er stand, der Gang, den seine Erziehung genommen hatte, sind mitwirkende Factoren, welche bei der Erklrung dieser ganz singulren Schçpfungen mit ins Auge gefaßt werden mssen.
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VIII.
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Die Italiener sind ganz wie die Griechen von der hçchsten Originalitt in der Gestaltung neuer schriftstellerischer Formen. Die Gesprche des Giordano Bruno, die einzelnen Werke des Machiavelli, Dante’s Gedicht sind in der Form von der hçchsten Originalitt. Dies entspringt naturgemß aus der außerordentlichen Begabung dieser Nation fr die Form und den Stil. Es ist in dieser Beziehung interessant, Alfieri etwa mit Goethe zu vergleichen. Goethe erscheint alsdann ganz mit der inneren Poesie und dem wissenschaftlichen Verstndniß der Phnomene beschftigt, Alfieri ist nichts als Knstler, und whrend der Inhalt seiner Tragçdien mit einer von ihm weiter nicht untersuchten geheimnißvollen Gewalt aus seinem leidenschaftlichen Inneren strçmt, ist er ein ganzes Leben hindurch beschftigt, der Gliederung der Form, dem Stil und der Versification derselben die hçchste Vollendung zu geben. In spteren Jahren kam Goethe dazu, seine Verse zum ersten Male metrisch anzusehen, und auch alsdann berließ er es lieber in der Metrik durchgebildeten Freunden, sie mit ihm gemeinsam durchzugehen. Alfieri dagegen hat sich mit der Metrik des tragisch italienischen Verses in nie ermdender Arbeitsamkeit beschftigt. Hiervon liegt ein Theil der Ursache in der Stellung des zwiesprachigen Piemontesen, der das Toscanische wie eine fremde Sprache lernte und meist in fremden Lndern gelebt hat. Aber der Hauptpunkt ist doch das unbedingte Vorwiegen des knstlerischen Bewußtseins in ihm. Seine Gesinnungen, sein Studium des Menschen, seine Lebensansicht bleiben naiv, seine Form allein ist bewußt. Ganz das Gegentheil hiervon fand bei Goethe statt. Hiermit hngt zusammen die eigenthmliche Technik seiner Arbeit. Wer selber auf irgend einem Gebiete productiv ist, weiß, wie die Technik der Arbeit zuerst selber entspringt aus den inneren, meist unbewußten Absichten und Ideenrichtungen und aus von Außen bedingten Gewçhnungen, alsdann herrschend wird in einem Geiste und in hohem Grade die Natur seiner Schçpfungen bedingt. Eine methodische Literaturgeschichte sollte diese Technik jederzeit der Analyse der Schçpfungen mit zu Grunde legen. Aber wie unsere Literaturgeschichte einmal ist noch ohne strengere wissenschaftliche Methode, geht sie selbst an den ausdrcklichen Erklrungen der productiven Kçpfe ber die Technik ihrer Arbeiten achtlos vorber. Also Alfieri hat beinahe alle seine Werke seit dem Filippo so hervorgebracht, daß er dreimal, jedesmal nach Verlauf eines Zwischenraumes, ihre Ausbildung aufnahm. Wenn ein Stoff in ihm aufging, so hat er ihn oft lange mit sich umhergetragen, besonders in der spteren Zeit çfter ging er ihm sogleich in einer Gliederung von Personen und Scenen auf, welche unmittelbar und sofort in hçchster Deutlichkeit vor seiner
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Seele stand. In jedem Falle war das Erste, was er zu Papier brachte, die Gliederung der Tragçdie, in welcher von Scene zu Scene in kurzen Worten der Verlauf der Handlungen und Reden entworfen wurde. Es waren das zwei oder drei kleine Seiten, welche enthielten, was er das Ideale seines Sujets nannte. Wenn er dann eine lngere Zeit danach, und zwar so viel, als gengte, damit die Eintheilung der Scenen ihm wieder ganz unbekannt geworden war, diese Bltter zur Hand nahm: „dann fhlte ich angesichts der Beschreibung von Scene auf Scene plçtzlich mein Herz und meinen Sinn von einem Tumult der Gedanken und der Affecte erfllt, welcher, so zu sagen, mit lebendiger Kraft mich zum Schreiben hinzwang.“ So oft die Bltter mit solcher Macht nicht auf ihn wirkten, vernderte oder verbrannte er sie. Und nun ergriff ihn der Stoff, ergriffen ihn die Bilder der einzelnen Scenen mit einer solchen Gewalt, daß er jetzt in Prosa in e i n e m Zuge, ohne nur ein Interpunctionszeichen zu setzen oder irgend einen Satz zu ndern, die ganzen Tragçdien vom ersten bis zum letzten Satz in wenigen Tagen niederschrieb, zumeist einen Act an einem Tage, und er erzhlt, daß fast immer am sechsten Tage die Tragçdie solchergestalt „zwar nicht gemacht, aber zur Welt geboren worden sei“. Dann erst wieder in einer spteren Zeit nahm er die so mehr gewordene als gemachte Tragçdie zur Hand, um sie nun entweder, wenn sie nicht hinlnglich sein Gemth bewegte, zu vernichten, oder aber die Einzelarbeit des Knstlers an ihr zu beginnen, die langsame, mhsame Arbeit ihrer Ausgestaltung in Versen, auf welche alsdann immer wieder neue Durcharbeitungen und Umgestaltungen folgten. Er hat seine neun letzten Tragçdien nur darum fr die besten erklrt, weil die Verzçgerung ihres Druckes ihm die Zeit zu immer neuen Umgestaltungen ihrer dichterischen Ausfhrungen gelassen hat. Alfieri hat sich sehr schçn und tief ber die Vortheile dieses Verfahrens ausgesprochen. Jedes Wort, jeder Gedanke und jede Handlung des fnften Actes ist solchergestalt auf das Strengste verkettet mit jedem Gedanken und Wort des vierten und so rckwrts bis zum ersten Vers. Und hieraus entspringt Spannung bei dem Zuhçrer, Leidenschaft der Handlung in der Tragçdie selbst. Die Gewalt des Affects, die Schranken der Handlung, die ungestm vorandrngende Bewegung in dem Ganzen entwickeln sich bei der ersten Niederschrift ganz schrankenlos, ganz ungestçrt, von der mhsamen, nur in einer ruhigen Seele gedeihenden Einzelarbeit am einzelnen Gedanken und am Vers unbeeintrchtigt. Und ebenso andererseits ist die Arbeit, das knstlerische Walten und Bilden ungestçrt von der innerlich vorandringenden Gewalt, welche in der Ausbildung der Handlung selber liegt, und von der Furcht, den leidenschaftlichen Zug des Ganzen ber der Einzelarbeit zu verlieren. So kann man mit Recht sagen, daß zwei große Vorzge der Tragçdien Alfieri’s, welche beide tiefer in seinem Wesen gegrndet sind, durch seine Technik verstrkt
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werden, die strengste und gebundenste Einheit einer in jher Steigerung der Leidenschaft und der Spannung verlaufenden Handlung und andererseits die durchdachteste und knstlerisch vollendetste Durcharbeitung von Stil, Satz und Vers im Einzelnen. Sieht man dann weiter rckwrts auf das Verhltniß des ersten Entwurfes zur Niederschrift, so entspringt Alfieri’s Technik aus einem eigenthmlichen Geheimniß aller dramatischen Poesie.
IX.
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Die tragische Dichtung bei allen echten Dichtern hat so gut als gar keine neuen Begebenheiten erfunden oder auch nur aus dem Leben selber entnommen. Sie unterscheidet sich dadurch gnzlich von aller erzhlenden Poesie, daß sie beinahe durchweg eine schon gedruckt vorliegende Begebenheit zu ihrer Voraussetzung hat. Dies hngt offenbar mit der Natur der dramatischen Phantasie berhaupt zusammen. Die hçchste Deutlichkeit des Sehens und die dem Leben selber hnliche Bewegung der Gestalten ist eine Eigenschaft, welche die Bhne zu einem Schauplatze der Wirklichkeit macht und den Zuschauer eine zweite Art von thatschlichem Leben erblicken lßt. Diese Sinnflligkeit des realen Lebens entspringt in der Natur des Dichters nur dann, wenn ihm von vornherein der Vorgang als ein ihm fremdes wirkliches Geschehen, als sein Gegenstand, nicht als seine Schçpfung gegenbertritt. Die Natur der dramatischen Poesie fordert von der Tragçdie eine solche Folgerichtigkeit des Verlaufs, daß eine erfundene Handlung jederzeit todt und mechanisch als eine bloße theatralische Fiction sich darstellen wrde. Nur der Proceß, durch welchen frei und mit einer gewissen Willkrlichkeit gebildete Begebenheiten dem Gesetze des Dramas unterworfen werden, giebt der Tragçdie die Wahrheit des Lebens. Hier liegt nun ein Grund, aus welchem die Tragçdien von Shakespeare und den anderen großen Dramatikern des sechzehnten Jahrhunderts in Spanien und England einen ganz anderen Charakter zeigen als die griechische und franzçsische Tragçdie und die Tragçdie Alfieri’s. Die Fabeln der griechischen Tragçdie waren von Anfang durch den mythologischen Vorgang mindestens hindurchgegangen und daher ohne die zuflligen Wendungen des realen Lebens. Die erste Generation der attischen Tragiker war ihnen gegenber noch in einem natrlichen Verhltniß, dagegen von der Generation des Sophokles ab empfing man sie meist schon, wie sie durch die dramatische Phantasie hindurchgegangen waren. Und dies Verhltniß steigert sich noch in der rçmischen Tragçdie des Seneca, in der franzçsischen und italienischen, welche ent-
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weder von den Alten oder von den Tragikern anderer Nationen ihre Stoffe empfingen. Dies war denn auch Alfieri’s Fall. Und hieraus entspringt gegenber der massiven Lebenswahrheit der Englnder und Spanier eine todte Gleichfçrmigkeit der Action, in welcher das Sprçde, Particulare und Geheimnißvolle, welches Vorgnge und Charaktere des realen Lebens zeigen, aufgezehrt ist vom dichterischen Proceß. Ich weiß wohl, daß ein eben so mchtiger wirkender Grund fr diesen durchgreifenden Unterschied in dem Ideal der tragischen Form liegt, welches die Griechen entwickelt, die Franzosen und Italiener aufgenommen haben. Aber dieser Punkt ist bis zum Ueberdruß in der Literaturgeschichte aus einander gesetzt worden. Dagegen glaube ich in dem Dargelegten einen zweiten, nicht wie jener offen daliegenden, aber sehr wichtigen Erklrungsgrund zum ersten Mal aufgedeckt zu haben. Alfieri also, indem er den scenisirten Entwurf sich selber fremd werden ließ, verschaffte sich knstlich, so zu sagen, den Vortheil, den Stoff in einer der Erzhlung hnlichen Gestalt wie ein objectives Ereigniß auf seine Phantasie wirken zu lassen. So steigerte er die Lebendigkeit des Vorganges und die lebenswahre Macht der Charaktere und der Leidenschaften in seinen Tragçdien, und er hat die Franzosen in dieser Beziehung weit berboten. Aber die wichtigsten Nachtheile, welche in der Natur seiner Stoffe lagen, konnte er nicht berwinden. Ja, er hat sie durch sein Verfahren ber das Maß dessen, was in den guten franzçsischen Tragçdien vorliegt, gesteigert. Seine Gegner bezeichneten dies als uniformita, Einfçrmigkeit, und er selber war scharfblickend genug, diesen ungemeinen Fehler seiner Tragçdien klar zu sehen und offen zuzugestehen. Diese Einfçrmigkeit war darin schon gegrndet, daß er Stoffe aufnahm, welche schon in dem dramatischen Proceß ihr singulres, massives, reales Leben verloren hatten. Es ist in dieser Beziehung bezeichnend, daß die italienischen Kritiker einstimmig Brutus und Saul als seine hçchsten Schçpfungen erklren, zwei Tragçdien, welche entstanden waren bei der Lectre der Bibel und des Plutarch; hier liegt auch der Vorzug gegrndet, den die Congiura de’ Pazzi an dramatischem Leben besitzt. Alsdann aber ließ seine Methode raschesten Niederschreibens der Erfindungskraft schlechterdings keinen Raum, sich in lebenswahren und fr sich erfreulichen Erfindungen zu entfalten. So kommt es, daß Alfieri das Verfahren der Alten noch steigerte und dahin gelangte, so zu sagen, den Extract eines Stoffes, die einfachste Form der Verkettung von Leidenschaften und Handlungen in ihm in krzester Form zur Darstellung zu bringen.
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Es ist sehr wunderlich, wenn italienische Kritiker und Literarhistoriker – ich nenne hier nur Paolo Emiliani-Giudici – Alfieri als unabhngig vom Einfluß der Alten und der Franzosen hinstellen, als habe er zum zweiten Male die von diesen erfundene dramatische Form nachtrglich gefunden. Der genannte Literarhistoriker unternimmt, dies biographisch dadurch zu beweisen, daß er im Beginne seiner Laufbahn kaum die Namen von Sophokles und Euripides gewußt und „keine einzige franzçsische Tragçdie gelesen habe“. Der Beweis ist unglaublich oberflchlich. Lange Zeit hindurch hatte Alfieri das franzçsische Theater in Italien, in Paris, die Theater aller Lnder mit ganz besonderem Vergngen besucht. Er erwhnt selbst, daß er sich beim Beginne seiner eigenen dramatischen Laufbahn nur wenig dieser Tragçdien noch erinnerte: aber das classische Ideal der Tragçdie empfing er durch Tradition. Nur daß er es umnderte ganz in seinem eigenen großen italienischen Geiste! Und daß er bei dieser Umgestaltung desselben, v i e l l e i c h t ohne es zu wissen, durch die unbewußte Macht seiner nationalen Charakterbeschaffenheit es ganz im Sinne der Alten simplificirte, aber noch weit ber die Alten hinaus zu einer Einfachheit der Handlung, welche die Tragçdien Alfieri’s inmitten der ganzen Entwicklung der tragischen Formen zu einer singulren Erfindung macht. Als Alfieri auftrat, stand die tragische Dichtung Italiens unter der Herrschaft der Franzosen und der Alten. Ihre grçßte Leistung war bekanntlich die Merope des Scipione Maffei, welche 1814 zuerst in Modena ber die Scene ging und, eines jener seltenen Beispiele eines plçtzlichen ungeheuren Ruhmes, in kurzer Zeit auf den Theatern aller Lnder vorgestellt und von den grçßten Kritikern und Dichtern bewundert wurde. Maffei bewunderte das franzçsische Theater, aber er erkannte scharfsichtig genug einige der wichtigsten Fehler desselben. Und damit begann die Befreiung des italienischen Theaters von den Fehlern der Franzosen. Die Kritik htte umsonst geredet, wenn nicht das große Beispiel der Merope auf der Bhne sie untersttzt htte. An der Spitze der Kritiker, welche damals in Italien wie zur selben Zeit bei uns die Literaturbriefe und Lessing gegen den franzçsischen Geschmack sich erhoben, stand Gravina. Im Gegensatze zu diesen Bestrebungen vertrat leidenschaftlich den franzçsischen Geschmack Pier Jacopo Martello, welcher franzçsische Tragçdien bersetzte und kritisch vertheidigte, ja, welcher sogar fr den Alexandriner eintrat. Inmitten dieser Bewegung erhob er sich als ein hçchst denkwrdiger Mann, welcher ber die Linien, die Maffei der Tragçdie vorschrieb, hinausging. Er ist der wahre Vorlufer von Vittorio Alfieri. Er war einer der her-
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vorragendsten Gelehrten seiner Zeit und ist bekannt dadurch, daß Newton und Leibnitz ihn zum Schiedsrichter in ihrem großen Handel ber die Erfindung des Infinitesimalcalculs machten. Einer der angesehensten Menschen von Italien, bereits 50 Jahre alt, faßte er den Gedanken, die tragische Bhne zu reformiren. Ihr Stoff sollten die Jahrbcher der rçmischen Geschichte sein, ihre Form eine vereinfachte Handlung von großem politischen Interesse. So schuf er eine Tragçdie, welche die Continuitt mit der großen Vergangenheit der Nation festhielt und von einer moralisch politischen Grundstimmung erfllt war. Er hatte in England die Rçmertragçdien Shakespeare’s gesehen; indem er nun auf die echten Quellen und den geschichtlichen Geist seiner Zeiten grndlicher zurckgriff, schrieb er seine eigenen vier Rçmertragçdien: Giunio Brutto, Marco Brutto, Cesare, Druso. Und nicht weniger als diese Tragçdien wirkte sein gelehrtes Vorwort, in welchem er seine Theorie der dramatischen Dichtkunst entwickelte. Inzwischen hat er wie Schiller bei uns dem Publicum inmitten der historisch politischen Tragçdie ein Zugestndniß machen zu mssen geglaubt, indem auch er gleich den Franzosen Liebesepisoden einwob. Dies waren die Vorgnger, welche Alfieri vorfand, als er nunmehr seine originale Form der italienischen Tragçdie ausbildete. Er nderte zunchst die franzçsische Tragçdie darin ab, daß er die Zahl der Personen einschrnkte auf die wirklich handelnden, welche gegen einander in leidenschaftlicher Bewegung begriffen sind. Demgemß schloß er schonungslos zwei Classen von Personen aus, welche durch alle franzçsischen Tragçdien hindurchgehen, die Classe der Vertrauten, die nur bestimmt scheint, den Stimmungen der Helden einen Widerhall zu geben, ihre Monologe in Dialoge zu wandeln, und die Classe der episodisch benutzten Personen. Was die erste Classe anbetrifft, fand er mit Recht, daß ihr Herumschwatzen auf dem franzçsischen Theater ein Hauptgrund fr die erkltende Wirkung seiner Stcke sei. Wenn er in Bezug auf die zweite Classe den Einwand, daß solchergestalt Abwechselung und eine Art vorbergehende Befreiung von der Spannung der Leidenschaft in die Tragçdie komme, zurckwies, wenn er in den verschiedenen Graden der Leidenschaft Wechsel genug fand: so war dies ein Irrthum, und Schiller und Shakespeare mit ihren Episoden werden seiner Einfçrmigkeit gegenber Recht behalten. Hiermit hngt zusammen, daß er alle Episoden schonungslos ausschloß, wie die franzçsische Bhne dem classischen Ideal diesen Gebrauch eingefgt hatte, hierin wohl hauptschlich unter dem Einfluß der Spanier. Daher er fand, es gelte den tragischen Sujets gegenber, nicht sie, wie die Franzosen gethan, durch Erfindungen, wenn auch noch so poetischer Natur, zu bereichern, sondern alle erfindende Kraft in die Vereinfachung zu legen, welche die nothwendigen Momente der Action aus der Ueberlieferung des Stoffes herstelle.
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Alsdann entfernte er aus der Tragçdie alle jene bei den Franzosen schablonenartig gebrauchten Mittel, welche diese Tragçdie so conventionell gemacht haben. Ist es doch zuweilen, wenn man franzçsische Stcke sieht, als bestnden die Verwicklungen des Lebens aus einem Mechanismus von einem halben Dutzend immer wieder sich wiederholender Vorgnge. Da sind zunchst die Briefe, die plçtzlich auf dem Theater berreicht werden, um Wendungen herbeizufhren. Alfieri rhmte sich gern, daß in seinen neunzehn Tragçdien ein einziger Brief vorkomme und zwar in Bruto II, ohne ein fr den Fortgang der Handlung ganz unentbehrlicher Bestandtheil zu sein, da er leicht durch ein anderes Mittel htte ersetzt werden kçnnen. Da sind alsdann die schon beim Euripides bis zum Ueberdruß ermdenden Erkennungszeichen, durch welche plçtzlich unbekannte Personen entdeckt oder auch durch welche ihre Identitt constatirt wird. Es giebt dann bei Alfieri nicht jene hinter Tapeten oder Gebschen versteckten Personen, welche Geheimnisse erlauschen, von deren Entdeckung zum großen Theil der Verlauf der Handlung abhngt. In der That ist dies nur ein Lustspielmotiv und wird jederzeit in der Tragçdie einen Beigeschmack des Lcherlichen und des Verchtlichen haben. Da werden weiter von der Schaar der Personen, welche entweder selbst ber ihre Abkunft unwissend sind oder sie Anderen verbergen, nur diejenigen zugelassen, welche wie in der Merope nach dem Thatbestand einer in der Sache gegrndeten Nothwendigkeit so sind. Da giebt es ferner – und hier unterscheidet sich Alfieri auch von Shakespeare – keine Gespenster, die sichtbar werden oder reden, keine Blitze oder Donner, keine Hlfe vom Himmel, keine berflssigen Mordthaten, keine Drohungen mit sonderbaren Todesarten, die gar nicht erforderlich sind. Dagegen beginnt seine Exposition sofort anstatt mit einem berflssigen Dialog zwischen berflssigen Personen mit der bewegten Handlung selber, und er lßt nie einen Vorgang erzhlen, den er auf der Bhne zeigen kann, ist dies aber ausgeschlossen, alsdann bedient er sich nie eines indifferenten Berichterstatters, sondern eines der handelnden Menschen. Freilich treten in solchen Tragçdien zwei fundamentale Fehler auf: der hufige Monolog und die Einfçrmigkeit im Ton und in der Spannung. Dies sind in der Krze die Vernderungen, durch welche Alfieri aus der herrschenden Tragçdie seiner Zeit seine eigene originale Schçpfung entwickelte, eine auf die einfachste gerade Entwicklungslinie zurckgefhrte leidenschaftliche Handlung, abspielend zwischen wenigen Personen und in krzester Zeit.
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XI. Alfieri hat, da er sich und seine Nation in Continuitt mit den rçmischen Zeiten wußte und gleich seinem Lieblingsschriftsteller Machiavelli in dem geschichtlichen Bewußtsein der Continuitt eines der grçßten Mittel fr die Erweckung des politischen Gefhls und der mnnlichen Gesinnung in seiner Nation sah, das Drama der Alten erneuert und die Einheit der Handlung, welche die Seele desselben ist, seinem radicalen Geiste gemß in ihren ußersten Consequenzen verfolgt. Er hat so Kunstwerke großen Stils und eine ganz originale Form der Tragçdie geschaffen. Aber er that mehr. Pietro Giordani, ein italienischer Philologe unseres Zeitalters, erklrte, Alfieri wolle vielmehr als ein Philosoph betrachtet und gewrdigt werden denn als ein Knstler. Versteht man großen politischen Blick, eine ungemeine psychologische Tiefe, welche selbst den Grundgesetzen des Seelenlebens mit Vorliebe nachgeht und eine auf Ideen gegrndete Ansicht ber das Leben, die Staaten und das, was die Grçße des Menschen ausmacht, unter dem, was jener Gelehrte als Alfieri’s Philosophie bezeichnet, so liegt hierin in der That der Schwerpunkt seines Wesens. Ich habe dargelegt, wie sein Leben gewissermaßen die dramatische Veranschaulichung jenes großen moralischen Vorganges der Entwicklung der Leidenschaften, ihrer Herrschaft und der endlichen Befreiung von dieser Herrschaft ist, wie ihn Spinoza in seiner Ethik theoretisch entwickelt hat. Alle seine Affecte gingen schließlich unter in dem einen großen Willen, seinem Vaterlande eine Sprache zu schaffen, in welcher es dem ungestmen Willen der Freiheit und der Macht Ausdruck zu geben vermçchte, und in dem Haß gegen die Tyrannen und Sklaven in den verschiedenen Lndern Europa’s, als deren schlimmste ihm der Pçbel Frankreichs erschien, der mit sklavischen Gesinnungen den Herrn spielen wollte, und dann der große Tyrann, welcher die Erbschaft des Pçbels antrat. Durch diese Gesinnung tritt er neben Dante, und diese Beiden haben das neue Italien vorbereitet. Es ist dasselbe Grundverhltniß, welches sich bei uns Deutschen wiederholt hat. Die decentralisirten Vçlker brachten zuerst in der Literatur und Wissenschaft eine geistige Einheit der Nation und eine Grçße der nationalen Gesinnung hervor, welche zu neuen Parteien, zu geheimen Bndnissen, zur Begeisterung der Jugend fhrte, endlich aber dahin, daß zwei Militrstaaten im Inneren dieser beiden Lnder vermçge ihrer Armeen und der auf sie gegrndeten Politik, getragen von den Gesinnungen, Einheitsstaaten grndeten.
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I. Einleitung
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Von der Grundlage der deutschen Gesellschaft und ihres geistigen Lebens aus waren ganz verschiedene Mçglichkeiten von Poesie gegeben. Die strkste Kraft neben Goethe und Schiller, die solch eine andre Mçglichkeit verwirklichte, nicht unabhngig von diesen beiden und doch im schrfsten Gegensatz gegen sie, ist Jean Paul gewesen. Ein merkwrdiges Schauspiel, wie dieser außerordentliche Geist große Momente, die in der Zeit lagen, zur Geltung brachte, ohne doch zu einem dauernden Kunstwerk dieselben vereinigen zu kçnnen. Er ist der Dichter des deutschen Lebens. Was die brgerliche Dichtung vor ihm geleistet hat, gelangt in ihm zur hçchsten Steigerung und darin verbindet er dasselbe mit der Romantik und dann mit der modernen deutschen Dichtung. Er ist der grçsste deutsche Humorist und vermag so die Darstellung des realen Lebens zu verklren. Und hierin hat er an Keller, Rabe, Wildenbruch, Immermann Nachfolger und blieb doch unerreicht. Er hat den musikalischen Stil gegenber der plastisch-formstrengen, verstandesstarken Form von Lessing, Goethe und Schiller geschaffen. Und hierin erçffnet er die Bahn, in welcher Hçlderlins Hyperion, Tiecks Sternbald, Novalis’ Ofterdingen weiterschreiten, und leitet zu der heutigen modernen Dichtung hinaus. Er hat die Befreiung der Phantasie von der Macht des Verstandes und der Wissenschaft gnzlich durchgefhrt. Und mehr als dies alles bedeutet, dass dieser Sohn des Volkes und der Armut zuerst in der ganzen Geschichte der modernen Dichtung das Herz des einfachen Menschen und die Schçnheit Kraft und Tiefe des niederen und armen Lebens entdeckt. Am schçnsten erfasst er es da, wo, wie in ihm selber, Seelentiefe niedergedrckt ist durch geringe sociale Stellung und Armut. Aber er geht auch tiefer hinab zu der Putzmacherin, der mhsam arbeitenden Hausfrau, dem armen Schulmeister. Hierin hat er seines Gleichen neben sich nur an Pestalozzis unsterblichem Roman „Lienhard und Gertrud.“ (1781) In einem andren leichteren Stil sind Hebels Alemannische Gedichte (1803) daneben zustellen, in denen das Kind des Dorfes die innigste Verwandtschaft mit dem Volk seines heimatlichen badischen Oberlandes zeigt. Pestalozzi ist der erste und Jean Paul der tiefste unter diesen. Mit ihnen
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beginnt das Hinabsteigen der Dichtung mit demokratischem Bewußtsein in die einfache Welt, in der Leidenschaften, Schicksale, Charaktere deutlicher aus unsrem elementaren Leben hervorgehen, Liebe zum Volke als eine treibende Kraft in Dichtern. Dem großen Streben entspricht nicht das Gelingen. In aller Flle empfindet man zugleich, dass ein Letztes fehlt. Diesem Stil fehlt die Festigkeit. Wir finden uns auf einer immer wogenden unruhigen See, kurze Wellenstçsse dringen auf uns ein. Ein Schwanken und Taumeln kommt ber uns. Dann wieder ein berdruß, welchen diese bestndige, unruhige Bewegung hervorbringt. Lichtenberg sagt von ihm: „Jean Paul ist zuweilen kaum ertrglich, und wird es noch weniger werden, wenn er nicht bald dahin gelangt, wo er ruhen muß. Er wrzt alles mit Cayenneschem Pfeffer, und es wird ihm begegnen, was ich einst S. weißsagte, er wird, um sich kalten Braten schmackhaft zu machen, geschmolzenes Blei oder glhende Kohlen dazu essen mßen. Wenn er wieder von vorne anfngt, wird er groß werden u. s. w.“ Grillparzer XVII. 79/80. „Jean Paul ist in Gedanken, ja in seinen Empfindungen erhaben, aber seine Phantasie ist gemein, sie malt nur niedrige Gegenstnde mit Wahrheit, und gerade die Phantasie ist das Spiegelbild des Menschen. Gedanke und Empfindung zeigen nur, was er sich bestrebt, zu sein; die Einbildungskraft giebt wieder, was er ist.“ Seine Phantasie ist unfhig zur Darstellung ußerer Zustnde. So malt er Ursachen ins kleinste und deutet dann die Wirkungen nur klein an. Er ist Miniaturmaler. Er ist herrlich im Abspiegeln kleiner Zustnde. Das Anziehendste sein Verstand und Humor. Nicolai selbst ber Titan: nur einzelne Stellen seiner Werke verdienten auf die Nachwelt zu kommen: das brige msse als caput mortuum zurckbleiben und vergessen werden. Es lagen in dem deutschen Leben verschiedene Mçglichkeiten dichterischer Entwickelung. Wie es wirtschaftlich, social und politisch eng, philistrçs oder excentrisch mhsam oder in leeren Hofformen verlief, wie es keinen Raum enthielt fr große Krfte: war zuerst seine Reform in der Aufklrung und seine Bekmpfung in Sturm und Drang ergriffen worden. Dann die berschreitung in einem Reiche der vollendeten Menschlichkeit, in welchem alle Wirklichkeit erhçht, gereinigt und verklrt wurde. Schon hier wurden in der deutschen Wirklichkeit selbst in ihrer Grundlage im deutschen Wesen poetischer Stoff, poetische Charaktere und Situationen gefunden. Ein andrer Weg wurde vom brgerlichen Roman und seiner hçchsten Steigerung in Hippel und Jean Paul ergriffen. Das Sich-Einleben in das Kleine, Bedingte dieses Lebens bildet nach unsrer Geschichte einen eigenen Zug unsres Daseins der voll von Poesie ist. Das Gemt findet ein warmes Nest in einer Wirklichkeit, deren Einschrnkung ihm congenial ist. So entspringt die idyllische Grundstimmung und der
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Zweig von Litteratur, der ihr ausschließender Ausdruck ist. Und wie nun diese eingeschrnkte Welt damals mit der Schrankenlosigkeit unsrer intellektuellen und sthetischen Bewegung in Gegensatz trat, endliche Wirklichkeit und unendliches Ideal: so entsprang hieraus die satirische, die elegische Grundstimmung als hçchste Form die humoristische Lebensanschauung. Hier erschien etwas, das der klassischen Richtung fehlte, warme Einfhlung in unsre bescheidene Landschaft, in die eingeschrnkten Daseinsformen voll menschlicher Tiefe, in denen Bauern und Brger, Schulmeister und Landgeistliche damals dahinlebten, Reaktion gegen den Druck und die Leere der oberen hçfischen Gesellschaft. Dieser Zug geht durch das ganze brgerliche Drama und den brgerlichen Roman dieser Zeit. Und wenn nun diese Stimmungen etwas Gebundenes hatten, wenn sie sonach der großen Poesie Goethes und Schillers gegenber inferior erschienen und nur dem drftigen Durchschnitt der brgerlichen Klassen Befriedigung boten: so brechen Hippel und Jean Paul in Kraft einer souvernen philosophischen Weltanschauung zu neuen Formen des Humors durch und ermçglichen sich so, diese Welt darzustellen und doch ber derselben zu stehen. Sie bringen sie unter Gesichtswinkel, unter denen die Realitt dieser Welt mitten in ihrer Beschrnktheit sichtbar wird. Endlich wurde von der Romantik eine letzte Mçglichkeit ergriffen. Sie hatte zur Voraussetzung alles, was in den vorhergegangenen Stellungen enthalten war. An jede derselben haben Romantiker sich angeschloßen. Das Neue und Eigene aber war das Zurckgreifen auf die große Phantasiedichtung des 16. Jahrhunderts etc. Die deutsche Dichtung enthielt noch andre Mçglichkeiten großer sthetischer Werte. Goethe und Schiller schufen den großen Stil: ihr Gegenstand war Menschheit und Menschlichkeit: ihr Weg sich selber zu voller Menschlichkeit zu bilden, um einen dauernden Gehalt in reiner Form ausdrcken zu kçnnen. So mußten sie ber das deutsche Leben hinausgehen und eine Welt hervorbringen, in welcher allgemein-menschliche oder geschichtliche Idealitt der Wirklichkeit einwohnt. Sie stellen ihre Gestalten in freie Luft, in weiten Raum. Hinter ihnen liegt die negative Stellung der Aufklrung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Denn die Wirklichkeit, die tatschliche Umgebung um sie her in ihrer Beschrnktheit ist nicht da fr sie, weil sie eben nur das Menschlich-Große zur Darstellung bringen. Hierdurch wurden sie die Schçpfer eines neuen Ethos, und dieses forderte reine und ideale Formen des Ausdrucks. Eine unermeßliche Wirkung ist hiervon ausgegangen. Nichts Großes ist ohne Grenzen. Ihre Stellung bedingte ein khles Verhltnis zu den beschrnkenden Eigenheiten unsres damaligen nationalen Lebens, in denen doch ein wesenhaftes Moment deutschen Geistes enthalten ist. Die Struktur des Einzelmenschen verflchtigte sich im Proceß, der menschliche
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Typen herausbildete: Das Zusammengesetzte Excentrische, Groteske in Situationen und Menschen, in welchem das Zusammentreffen von Zufall und originaler Anlage zusammenwirkt, verdampfte und verflchtigte in der Darstellung innerer Gesetzlichkeit. Die Eigenheit deutschen Gemtes transformirte sich zu einer khleren Art von Idealitt. Wie dies auch von hervorragenden Geistern damals außerhalb des geschloßenen klassischen Kreises empfunden wurde, davon sind berreiche Zeugnisse im Briefwechsel jener Tage berall enthalten. Am schrfsten und tiefsten gelangte es in dem Kreis von Jacobi, Herder und Jean Paul zum Ausdruck welche eben die tiefe Abneigung gegen die beiden großen Classiker zusammengehalten hat. Hier ist die Poesie Jean Pauls gegrndet, ihre außerordentliche Wirkung auf das Lesepublicum jener Tage und ihr Verhltnis zu unsrer spteren Litteratur. Es ist in Jean Paul fr uns Heutige ein ganz modernes Moment: Realismus, Humor, Erfassung psychischer Einzelstrukturen, zuweilen ein musikalischer Stil von unvergnglichem Reiz. Von ihm gehen Fden zu Tieck, Eichendorf, Brentano, Arnim, Gottfried Keller. Er suchte poetische Werte zur Geltung zu bringen, die außerhalb des Horizontes von Goethe und Schiller lagen: eine große Wirkung ging hiervon aus: zu Werken von unvergnglichem Werte vermochte er nicht sich zu erheben. Eine unbesiegbare Excentricitt seines Gemtes und seiner Phantasie hinderte dies und zwar liegt nicht hier ein bloßer Mangel, sondern eine positive unbndige, ins Grenzenlose wirkende Eigenheit des Gemtes und der Phantasie.
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II. Lebensbedingungen. I. Lebensbedingungen und seelische Struktur 1. Die Bedingungen a. Die socialen. Das Bewußtsein der deutschen gesellschaftlichen Verhltnisse. Von dem Geburtsjahr Jean Pauls 1763 bis zum Jahr 1796, sonach bis ber das Erscheinen des Hesperus (1795) hinaus haftet Jean Paul, die Leipziger Studienjahre abgerechnet, an der Scholle seiner Heimat. Hier hat sonach seine ganze Entwickelung stattgefunden bis zum Erscheinen des Hesperus, in welchem er im wesentlichen fertig vor uns steht. Die Lebensbedingungen dieser Zeit waren sonach entscheidend. Die Orte, an denen er sich aufhlt, gehçren dem (Frstentum) Bayreuth an. Dort regierte seit 1735 der Markgraf Friedrich, der mit der Schwester Friedrichs des Großen, der berhmten Bayreu-
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Jean Paul.
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ther Markgrfin verheiratet war. Derselbe hat bis zum Geburtsjahr Jean Pauls, 1763, regiert. Er war von der Bauleidenschaft der damaligen Frsten beseßen. Aus seiner Zeit stammen die ber die Bedeutung seines Territoriums weit hinaus gehenden glanzvollen Bauten: das Neue Schloß und das Opernhaus. Bayreuth wurde (wann? 1769?) mit Ansbach verbunden und schließlich fielen whrend der Zeit, von der wir sprechen, 1791 beide Frstentmer durch Abtretung an Preußen. Zu dieser Welt (Bayreuth und den Nachbarstaaten) blickte nun Jean Paul von seinen Kindertagen ab empor aus einer gedrckten Lebenslage, die seine Stimmung mit der so vieler gedrckter Brger und Kleinbeamten verband. Sein Großvater war Lehrer in Neustadt, der Vater (N. 77.) Tertius und Organist in Wunsiedeln, wo Jean Paul 21. Mrz 1763 geboren wurde, kam dann als Pfarrer nach dem Dorf Joditz, das eine Meile unterhalb von Hof gelegen ist und dann 1776 nach dem Marktflecken Schwarzenbach, der 2 Stunden sdlich von Hof an der Saale liegt. Die Freifrau von Plotho (N. 88) hatte eben das Patronatsrecht aus zu ben und die Stelle zu besetzen, und sie freute sich, „dem rmlichen Schwarzrock“, den sie hoch schtzte, die Stelle zuzuwenden. Jean Paul selbst leitet aus diesen Verhltnissen „die verdichtete Menschenliebe“ in ihm ab. „Lasse sich doch kein Dichter in einer Hauptstadt gebren und erziehen, sondern womçglich in einem Dorfe, hçchstens in einem Stdtchen!“ „Im Dorfe liebt man das ganze Dorf, und kein Sugling wird da begraben, ohne daß jeder dessen Namen und Krankheit und Trauer weiß . . . Dieses herzliche Teilnehmen an jedem, der wie ein Mensch aussieht, welches daher sogar auf den Fremden und Bettler berzieht, brtet eine verdichtete Menschenliebe aus und die rechte Schlagkraft des Herzens.“ Er sah von unten nach oben zu dem grflichen Schloße in Schwarzenbach und dem Hof des Kleinstaates empor. Zu Lebzeiten des Vaters Geldsorgen, und der Druck auf dem Hause aus dem Gesundheits-Zustand des Vaters. Und dann nach dessen schon 1779 erfolgten Tod der Anfang jenes Elendes, jener ußersten Armut, die nun lange Jahre die Begleiterin des genialen Knaben und Jnglings gewesen ist. So entwickelte sich in Jean Paul die Liebe zu dem unteren Volk und das Missbehagen den kleinen Frsten gegenber. Ein weiteres Moment wird durch den socialen Kreis bestimmt, in welchem er sich befindet. Die Tradition der Familie fhrt ihn zur Theologie und seine Gçnner und Freunde gehçren vorwiegend dem Stande der Geistlichen und Lehrer an. Wohlwollendes Sich-Einleben in die einfachen Menschen, wie es dem geistlichen Stande jener Zeit eigen ist, wird durch diesen Umgang ihm zur anderen Natur. So entspringt die politische Grundrichtung seines Lebens und in ihr angelegt die Zweiseitigkeit von Idyll und Satire gegen die Hçfe, auf welcher
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schließlich auch die Gliederung seiner Romane nach diesen beiden socialen Schichten beruht. b) Wissenschaftlich-litterarische Bedingungen. Diese totale Unbefriedigung, die Bitterkeit und Verachtung gegenber der bestehenden Ordnung der Dinge, die in seinem trumerischen Geiste liegende Unmçglichkeit, ber den Druck derselben, wie Klinger oder Schiller taten, sich handelnd zu erheben, ist nun in ihm verbunden mit der Flucht in eine ideelle Sphre. In jedem armen gedrckten Theologen und Geistlichen jener Tage vollzog sich dieselbe. Und wie die von Lessing und Herder reformierte Theologie der Aufklrung geartet war, wiess sie ihn auf die philosophischen Studien, die nun das bergewicht in seinem Geist erlangten. Mit den philosophischen und litterarischen Neigungen, die so sich in ihm ausbildeten, fand er bald in Leipzig ein Pfarramt unvertrglich. Den grçßten Einfluß bte auf seine Universittszeit in Leipzig Platner, der Verfaßer der Aphorismen, deren erster Band 1776 und deren zweiter ein Jahr nach seiner Ankunft 1782 erschien. Zu untersuchen: 1) wie Platners Leibnitzianismus auf den kosmischen Standpunkt Jean Pauls wirkte. 2) Die psychophysischen Theorien Jean Pauls von ihm bedingt sind. Jedenfalls ist die Gewçhnung Jean Pauls, das Physiologische und Pathologische, zu betonen sowie sein Nachdenken darber durch Platner bedingt, welcher zunchst Professor der Medizin und Physiologie gewesen ist etc. Religiçs ist sein Standpunkt durch die Aufklrung bestimmt. Auch hier verhlt er sich polemisch gegen die bestehenden Ordnungen. (N. 102) Die physische Beschaffenheit des Bodens bedingt die Religion, die auf ihm erwchst. Daher sind alle Religionen gut an dem Ort, den ihnen die Vorsehung bestimmte. In diesem Satz und in allen theologischen Hauptstzen ist Jean Paul von Lessing bestimmt. Aus diesen Anfngen erwachsen entscheidende Zge d e r W e l t a n s c h a u u n g Jean Pauls. Philosophie und Theologie der Aufklrung bestimmen sein unverrcktes Festhalten an Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. Und zugleich ist von Anfang an dieser Glaube eingefgt in eine kosmische Weltanschauung. Die Wrde des Menschen und zugleich doch seine Stellung in einem Winkel dieses Universums und die Schranken seines Wollens und Erkennens, die daraus fließen, das Gefhl der Corruptibilitt verbunden mit dem eines schlechthinigen Wertes – hier liegen die Widersprche in seiner Seelenverfassung und hier ist auch der eigene Zug von Tatlosigkeit gegrndet, der aus der Stellung des Menschen in einem geringfgigen Winkel des Universums hervorgeht.
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III. Seelische Struktur. II. Seelische Struktur.
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[1] Durch die Familie Jean Pauls geht musikalische Begabung. Der Großvater hatte als Lehrer auch musikalische Aufgaben. In dem Vater war das musikalische Talent berwiegend: er war ein beliebter Kirchenkomponist: er hat mitgewirkt in der Kapelle des Frsten Thurn und Taxis (N. 76/77.) Jean Paul selbst bte die Musik etc. Seine Schriften sprechen seine Liebe zur Musik an unzhligen Stellen aus. Er ist der musikalische Dichter dieses Zeitalters. Ich entwickele die Zge dieses Musikalischen in seiner Form. Ich gehe von einem Beispiel aus. Der Schauplatz einiger Scenen im Titan ist die Isolabella auf dem Lago maggiore. Die ruhigen edel geformten Linien der Berge, die klare Gliederung des Landes bilden den unterscheidenden Charakter dieses Sees im Unterschied von den andren Alpenseen. Luft, Wasser, Vegetation wirken damit zusammen. Jean Paul hatte niemals diese Gegenden gesehen, so wenig als Schiller die Schaupltze des Tell am Vierwaldstdtersee. Welch ein Unterschied aber! Schiller baut seine Handlung auf die bestimmteste Vorstellung der Lage aller einzelnen Orte auf. Die Scenerie Jean Pauls ist ohne jede gegliederte Sichtbarkeit, die Handlung mit ihr nicht verbunden. Nur das Zusammenzittern und -klingen der Gefhle, welche die Flle der Natur in diesen Gegenden, der Zauber des Lichtes, die sdliche Vegetation hervorbringen, wird ausgedrckt. Er versetzt uns ganz in die Stimmung, welche die Gegenwart dieser Landschaft in uns erweckt, ohne daß von der Gliederung des Bodens oder der maßvollen Formenbestimmtheit dieser Vegetation eine Anschauung in uns entsteht. Allgemeiner ausgedrckt: dieser musikalische Stil will nirgend zuerst und vornehmlich die Gegenstnde sehen laßen, sondern er malt das Gefhl, das sie hervorrufen. Die Subjektivitt dessen, der sie nachlebt und von ihnen ergriffen wird, wird dargestellt, und so verschwimmen die klaren Linien der Gegenstnde selbst. Anrede an seine Helden, Ausrufungen, Fragen bilden die zitternde Bewegung der Seele ab, welche große Charaktere, rhrende Schicksale hervorrufen. Musikalisch ist auch die bestndige Anwendung harmonischen Zusammenklingens der Eindrcke des Gesichtes, des Gehçrs, der Erinnerung, das Verschwimmen und Verwehen der Bestimmtheit in dem so entstehenden Gesamteindruck. Ja, man kann sagen, dass er seine Romane componirt wie der Musiker eine Symphonie: so wechseln darin Adagio, Scherzio nmlich geradezu zu einem solchen musikalischen Eindruck zusammengesetzte Scenen. Kein andrer deutscher Dichter neben ihm oder vor ihm in der neueren Zeit hat sich einer solchen musikalischen Form der Composition bedient. Und von ihm haben die Romantiker hierin gelernt.
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2. Gegen diese Mittel seiner poetischen Form tritt die Macht des Verstandes ganz zurck. Und auch das ist in der Struktur dieses Geistes gegrndet. Verstand, der nach causalen Beziehungen begreift und erklrt, rationaler Wille, der klare Zwecke im System der Mittel dem Causalzusammenhang einordnet, sonach verstandesmßige Energie, die das Leben formt und den Charakter fest gestaltet diese Krfte, durch welche Goethe das Dmonische in ihm bezwang und Schiller sein Leben regelte, treten in dem Leben dieses genialen Phantasiemenschen gnzlich zurck. In seinem Stbchen neben dem surrenden Spinnrad der Mutter die lustigen und rhrenden Bilder von seiner immer lebendigen Phantasie sich vorgaukeln zu laßen, durch Thrnen lchelnd, kaum imstande mit der Feder den Eingebungen dieser Einbildungskraft zu folgen – er hat viele Jahre lang nichts andres sich gewnscht als dies. Diesem Drang, zu sammeln, zu imaginiren, zu schreiben, hat er alle seine Lebensverhltnisse dienstbar gemacht. Nie war ausschließlicher einem Menschen die schriftstellerische Ttigkeit schlechthiniger Zweck seiner Existenz. Seine ersten Werke entstehen in Not rgsten Grades, aber keine Rechnung auf schriftstellerischen Erfolg fhrt ihm dabei die Feder. Mit rhrender Unbehilflichkeit sucht er dann fr die Manuscripte ein kleines Honorar. Sein Leben so einzurichten, daß auch nur eine freiere Bewegung in der Welt ihm daraus entstnde, daran denkt er whrend dieser ganzen Zeit nicht. Die Freunde, die kleinen Liebestndeleien, die heiteren Wanderungen ber Berg und Tal, die dieses Schriftstellerdasein erheitern, gengen seinem bescheidenen Sinn. Er sucht nicht die Gunst der Großen, sondern behandelt sie hart in seiner satirischen Laune. In seinem Leben herrscht die Unordnung, die sein trumerisches Phantasiedasein hervorbringt mitten in der pedantisch abgezirkelten Moralitt seines Daseins. Und sein Lernen ist von Anfang an derselben Art. Neben Gymnasium und Universitt geht immer sein autodidaktisches Treiben einher. Er durchdringt nicht irgend einen Kreis von Gegenstnden in ruhiger, genauer, regelmßiger Arbeit und gewinnt eine Erkenntnis dieses Kreises fr sich oder die Welt, ihm gengt aus diesem Kreise Merkwrdigkeiten, Vergleichungen, Curiositten, geniale Einflle in seine Sammelbcher zu bringen. So gewinnt sein Leben weder Gestalt, noch entstehen aus seinen Studien feste Einsichten in den Zusammenhang der ihn umgebenden Wirklichkeit. Und doch ist sein Genie so allseitig und mchtig, daß er auch aus diesen Raubzgen die genialsten Blicke mitbringt. Wo sein Denken sich einbohrt, zeigt er einen Scharfsinn, der dem Schillers durchaus nicht nachsteht. Auch hierin ist etwas, das divinatorisch ber seine Zeit hinausweist. Er ist der erste unsrer Schriftsteller, der vollkommen im Litteratenberuf aufgeht. Er ergreift ihn als Student und außer kurzen Hofmeisterzeiten war jeder Tag seines Lebens diesem Beruf gewidmet. Er schreibt immer und berall – Notizen,
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Excerpte, Zusammenhnge. Jeden in ihm aufstehenden Gedanken hlt er fest, um ihn nicht zu verlieren und er freut sich an dem bunten Reichtum dieses geistigen Schatzes. Wenn er Liebesverhltnisse pflegt, so ist immer in ihm etwas, das zuschaut, um sie in seinen Romanen unterzubringen. Seine Freundschaften nutzt er fr seine Schriftstellerei. Er liest nicht, um sich zur Reife zu bringen oder Gegenstndliches zur Erkenntnis zu bringen: er hat keine Zeit zu so langwierigem Tun: immer begleitet ihn der Gedanke an schriftstellerische Verwendung. Welch ein Gegensatz zu Schiller, der in der Mitte seiner Laufbahn doch auch von der Not des Lebens bedrngt Jahre und Zwecke opferte, sich reif zu machen, um dann das Hçchste ihm Erreichbare zu leisten, ohne je dabei durch den Gedanken an schriftstellerische Brauchbarkeit gestçrt zu werden! Blickt man von hier auf die beiden Hupter unsrer Dichtung zurck, so versteht man noch besser den Sinn des mchtigen Willens in ihnen, der durch persçnliche Reife zu schriftstellerischer Vollendung ringt. So entsteht der vitiçse Cirkel in seinem Leben. Schreiben ist ihm wie Atmen. Freudige Lebensbettigung. Aber nur, weil er sich im Schreiben gehen lßt. Es ist die ußerungsweise dieser so seltsam und phantasiemßig wirkenden seelischen Struktur, in welcher allein sie freie Bahn vor sich hat. So saugt der Schriftsteller den Menschen auf. Das Leben gewinnt keine Form. Es fehlt der rationale Wille, der dem Charakter Einheit, Bestimmtheit, Kraft zu herrschen verschaffte. Ein solcher Wille wrde den Lebenszustand aufheben, in welchem allein er sich produktiv und glcklich fhlt. Und wie er ihm fehlt, vermag er auch seinen Werken, feste und reife Formen nicht mitzuteilen. „Wenn ich“, gesteht er, „meinem Geist und Kçrper eine Ruhe von drei Tagen geben will, so drngt am zweiten schon eine unbezwingliche Bruthitze wieder ber mein Nest voll Eier oder Kreide. Der arme Paul wird es so forttreiben, bis die gequlte, fieberhafte Brust von der letzten Erdscholle gekhlt ist.“ Eine solche bestndige Ttigkeit der Phantasie forderte Reizmittel. Er hat selber gestanden etc. Und es wre sonderbar gewesen, wenn man die Anwendung dieser Reizmittel nicht an einer berhitzung seiner schaffenden Phantasie gesprt htte. Auch mußte eine Ttigkeit solcher Art den Dichter frh erschçpfen. Er war [42] Jahre alt, als er die Flegeljahre abbrach, und von da ab ist deutlich der Niedergang seines Schaffens zu bemerken. Welch ein Gegensatz auch hier gegen Goethe, der in langen Pausen seine Phantasie ruhen ließ. Ein solcher Schriftsteller konnte keine Entwickelung haben. Wir bemerken eine Zunahme der Virtuositt der Darstellung aufwrts bis zu den Flegeljahren als seinem vollkommensten Werk. Versuche treten hervor, eine harmonische Weltanschauung zu gewinnen. Sie haben doch keine dauernde Form gewonnen.
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So treten die Kategorien der Ursachen, welche der gegenstndlichen Erkenntnis der Dinge zu Grunde liegen und des Zweckes, welcher von der Ursache zum objektiven Handeln fhrt, zurck gegen die Beziehungsformen, in welchen sich das Spiel der von der Stimmung beherrschten Phantasie ußert. Alles Denken in ihm ist beherrscht von der schrankenlosen Ttigkeit der Vergleichung. In diesem Kopf ist unendlich viel Einzelnes aufgespeichert grenzenlose Mçglichkeiten sind Alles mit Allem zu vergleichen. Dahinter liegt das metaphysische Bewußtsein von der Verwandtschaft aller Dinge mit einander. Aus der Vergleichung des Abgelegensten mit einander entspringen seine Phantasiespiele, sein Witz, das Groteske seiner Darstellung. Schon in Leipzig bemerkt er in seinen Studienbchern „eine tiefere Einsicht in die Natur wird uns wahrnehmen lassen, daß um alles und durch alles in der Welt ein geheimes Band sich schlingt, und daß die hnlichkeiten, die der Witz an den Dingen bezeichnet, vor scharfen Augen bestehen und sich als Gleichheiten darstellen.“ Dann wieder steigert er das Gefhlsmßige in den gegenstndlichen Eindrcken durch die Vergleichung. Und er geht hier bis zur ußersten Geschmacklosigkeit, indem er den Eindruck der Natur zu steigern sucht durch die Vergleichung mit Produkten der Kunst. Hierin liegt ein Zug von Rokokokunst, der auch in seiner Neigung zum Grotesken sich ußert. Wie denn auch in seinen Naturscenerien die Eremitage bei Bayreuth nicht selten ihm Vorbild ist.
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IV. Weltanschauung Jean Pauls. Die Weltanschauung Jean Pauls. Gesellschaftliche, wissenschaftliche Lebensbedingungen, Struktur der Seele wirken zusammen und es entsteht Jean Pauls Lebensideal und Weltanschauung. Jean Paul begann als Schriftsteller in der Mannigfaltigkeit litterarischer ußerungen und der Kampf um eine Weltanschauung und ein Ideal des Lebens tritt bei ihm mit derselben Strke auf als das Streben poetischer Darstellung. Auf der Universitt suchte er sich einen Weg zu bahnen zwischen dem Fanatismus des kirchlichen Dogmas und dem Atheismus, der ihm als ein nachtgeborenes Ungeheuer erscheint (N. 115, 116.) Als Jean Paul diese Frage sich zuerst vorlegte, war die Philosophie noch jenseit der kritischen Bewegung (1781) und seine philosophische Arbeit vollzog sich in der Auseinandersetzung mit derselben. Die Motive seines Denkens
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aber lagen nicht in dieser, sondern in seinen Intuitionen ber Gott und Welt. In einem Leipziger Aufsatz „Etwas ber die Menschen“ fordert Jean Paul eine Menschenwissenschaft oder Selbsterkenntnis. Er erkennt die Schwierigkeit derselben. „Der Mensch ist eine Vereinigung von Widersprchen; er ist Narr und Weiser, lcherlich und ehrwrdig, Gottloser und Heiliger.“ In der Auffassung des Menschen ist weder der rein realistische noch der rein idealistische Standpunkt berechtigt. Von jenem aus erscheinen Herrlichkeit und Grçße der Menschennatur. Dieser zeigt in Eigennutz das letzte und strkste Motiv. „Die Thorheiten sind die Federn auf dem Kleide des Weisen“. Nun entstanden von 1783–89 die Auswahl der Teufelspapiere. In einer Erçrterung ber die Tugend tritt uns hier Kant entgegen. „Kant, der endlich sich und die ganze Nachwelt zum ersten Grundsatz der Moral durcharbeitete, tritt wie ein belehrender Engel unter Zeitgenossen, vor denen franzçsische Philosophie und abmattende Verfeinerung und Mode mit vergiftendem Atem predigen.“ Die Tugend trgt ihre Gewißheit in sich selbst. Was Seelengrçße, hoher Geist, Verachtung des Irdischen ist, faßt nur der, in welchem ihre Anlagen sind. Man kann nur die Erklrer der Tugend aus dem Streben nach Glckseligkeit oder gar dem Egoismus widerlegen, um freie Bahn fr das Erlebnis derselben zu schaffen. Spott ber die philosophischen Lehrgebude. „Ein gutes philosophisches Lehrgebude ist nichts als eine Bilderblinde, in die ein Mensch sich selbst als eine Statue hineinstellt, um von unzhligen angebetet und angeschaut zu werden“. Aber tiefer reichten als Momente einer z e r r i s s e n e n S e e l e n s t i m m u n g die Position der Welt gegenber wie sie Voltaire Swift nicht Hippel reprsentiren – Skepticismus, Misanthropie als der Ertrag der neuen kritischen Seelenverfassung in einer Reihe großer Kçpfe. In diesen Schriften lebte er und sie ersetzten ihm die Lebenserfahrung. Diese Zeit der Skepsis, des persçnlichen Elends, des furchtbaren Gefhls von der Unberechtigung des Gegensatzes des hçfischen Luxus in Bayreuth und des Hungers im Huschen der Pfarrerswitwe an der Stadtmauer ist naturgemß die Zeit seiner Satiren. Ihr gezwungener, papierener Spaß, das Grau in Grau dieser Ironie, in welcher in der Redefigur der ironischen Umkehrung das Schlechte gepriesen und das Treffliche verlacht wird, ist doch zuweilen durchbrochen von zuckenden Blitzen seines Genies. Auswahl aus des Teufels Papieren 334 (ob in Erstausgabe?) „Keine Kunst erzieht die Rousseaus und Sidney’s oder erzieht sie. Ebenso giebt es gewissermaßen auch ein Genie zur Tugend; vom Himmel fallen sie herab, nicht aus Nilschlamm keimen sie auf. Sie sehen die Erde nicht als Stoff zur Freude sondern zur Tugend an.“ In den ersten Jahren in Hof schreibt er an Oerthel begeistert ber Kant. Sein Herz gebe seinem Kopf wenig nach. Eben daß er sich ber den Skeptizis-
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mus von Hume erhebt, weiß er zu wrdigen. Eben damals oder etwas spter empfiehlt er dem Pfarrer Vogel Kants Metaphysik der Sitten und Kritik der praktischen Vernunft. Kant sei ein ganzes strahlendes Sonnensystem. Auch seinen Freund Hermann erfllte die Kantische Philosophie mit Begeisterung. In den Anhngen der Auswahl aus des Teufels Papieren ist besonders der Essay ber die Tugend ganz vom Geiste Kants bestimmt. Tugend, Wahrheit und Schçnheit sind ihm wie Kant ein Unbedingtes, das der Seele immanent ist. Daher ist das Unbedingte der Sinnenwelt immanent und die Garantie einer bersinnlichen idealen Ordnung. Bis zu diesem Punkte wird Jean Paul von dem Geist der Aufklrung fortgefhrt. In seinen Schlerjahren hatte er sich in die theologische Metaphysik eingelebt, die mit Substanzen operiert. Der Leibnitzianismus in Platner trat ihm nahe. Sein unendlich empfnglicher und universaler Geist nahm die verschiedenen Systeme in sich auf, vor allem aber haben die Schriftsteller der franzçsisch-8inficirten9 Aufklrung Bayle, Voltaire, Swift ihn zum Skeptizismus gefhrt. Kant verdankte er dann die Befreiung seiner positiven, auf das Hohe im Menschen gegrndeten Natur. Aber auch an ihm hat die Aufklrung ihr Werk gethan, auf eine dauernde Weise. Er ist und bleibt ein Sohn derselben. Er verwirft gnzlich die Geltung irgend einer einzelnen positiven Religiositt, ihrer Erzhlungen und ihrer Dogmen. Seine Religiositt ist ganz universal. Ebenso fest beruht er auf der Geltung der Ideen der franzçsischen Revolution. Alles, was mnnlich, gesund, deutsch, kraftvoll in seinem Geiste ist, stellte sich in dieser seiner Jugendepoche fest. In der Aufklrung und deren Verhltnis zur christlichen Theologie waren nun auch zunchst die bestimmteren Zge seiner Weltanschauung gegrndet. Sie verluft wie die der deutschen Rationalisten und Kants in dem Zusammenhang der Begriffe des Hçheren in der menschlichen Natur, seines Zusammenhangs mit einer persçnlichen Gottheit, der Geltung der drei metaphysischen Ideen der Schçpfung. Indem nun aber seit dem Auftreten der 3 Kritiken Kants die große deutsche philosophische Bewegung in ganz verschiedene Richtungen auseinanderging, und die in Kant vollzogene Wendung ganz verschiedene Combinationen einging, wurde Jean Pauls starkes philosophisches Interesse mannigfach bedingt, und es entstand ein hçchst kompliziertes Verhltnis desselben zur Philosophie der Zeit. Er blieb einverstanden mit Kant in der großen Wendung, die dieser der Philosophie gegeben hatte. Die Ideen der Freiheit, Unsterblichkeit, der Gottheit kçnnen nicht durch Vernunftschlsse abgeleitet werden, vielmehr beruht ihre Sicherheit fr das Denken in dem Rckgang auf die innere Erfahrung,
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und zwar weisen diese ein Unbedingtes in uns auf, das von den Bedingtheiten der Natur unabhngig ist. Von hier ab aber trennte er sich von dem KantFichteschen Idealismus; er verwarf die Mçglichkeit, dies Unbedingte in uns begrifflich auszusprechen. Die formale Beschaffenheit desselben, auf welche Kant sich zurckgezogen hatte, schien ihm den lebendigen Reichtum der Persçnlichkeit auszuhçhlen, ja zu vernichten. Hierin traf er nun zusammen mit den beiden Hauptgegnern der Philosophie Kants und Fichtes, mit Jacobi und Herder. Und wenn Schelling und Hegel durch Fichte zum Pantheismus fortschritten, und die Grundlagen der Philosophie durch formale unbedingte Begriffe construirten, so mußte Jean Paul diesen Denkern noch ferner stehen, als dem grossen Kant, in dessen Verehrung er doch immer beharrte. In der ganzen Position der Zeit gegenber trat Jean Paul mit Herder und Jacobi in ein Triumvirat. Sie fhlten sich als Verbndete, insbesondere fand Jean Paul in Jacobi gleichsam die Rckendeckung seiner ganzen philosophischen Position. Aber diese Position war aus seinem eigensten Leben hervorgegangen, sie war da, sobald er dasselbe zum Bewußtsein erhob und sie trug ganz eigene Zge. Diese gilt es nunmehr in ihrer Eigenheit aufzufassen. Wir gehen von dem ber seine Struktur und Lebensbedingungen Gesagten aus. Ein bloßer Schriftsteller; und zwar arbeitet er berall mit der Phantasie und deren Formen regieren bei ihm; er entleert das Leben durch Mangel an Zusammenhang in demselben; aus Steigerungen des Phantasielebens, welche er durch Reizmittel erhçht, verfllt er in Kraftlosigkeit derselben, die Seligkeiten der Phantasie wechseln mit der Noth eines ohne festes Zweckbewußtsein gefhrten gleichsam ungeformten Lebens: denn die Gefahr der Phantasienaturen Lebensgestaltung zu versumen erreicht in ihm und den Romantikern den hçchsten Punkt. Hierdurch empfngt nun die Anerkennung einer bersinnlichen Ordnung in der Aufklrung und in Kant eine eigene seelische Gewalt. Und diese Gewalt wird getragen durch objektive in der Zeit liegende Momente. Das eine ist die politische Armseligkeit, das andere die Lage des Geistes. Durch die Phase d e r n o r d i s c h p r o t e s t a n t i s c h e n R e l i g i o s i t t , i n w e l c h e r der autoritative und concrete Gehalt der protestantischen Glubigkeit von der Wissenschaft zerstçrt ist und die Sehnsucht, das inhaltsleere Verlangen nach einem Unbedingten, welches außerhalb der Relativitt der Erscheinungen dawre und wirksame Glaubenskraft wre, strker ist als die wissenschaftliche Mçglichkeit der Begrndung eines solchen Unbedingten. Das Unbedingte-Rationale von Kant entsprach der subjektiven Lebendigkeit von Jakobi Herder und Jean Paul nicht, und so tritt uns hier eine neue geistige Welt entgegen. Der sptere Herder etc. Jakobi etc. Doch auch unter diesen ist Jean Paul eigen durch das unendliche Gefhl von der Korruptibilitt des Lebens, welchem der
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Bestand mit dem objektiven Willen verloren ist, von der Leere die aus dem Wechsel entspringt. Die Messerscheide der Gegenwart ist ihm Nichts verglichen mit der Erinnerung und der Hoffnung. Kindheit und Jenseit erfllen sein Gemth. So entspringt die von der Zeit und Struktur bestimmte energische lebendige Erneuerung eines großen durch alle Zeiten gehenden Gefhls. D a s L e b e n wie es ist wre unertrglich ohne Gott und Unsterblichkeit. In jedem Leben treten aus undankbarer Mhe Stimmungen die entweder pessimistisch sind oder so den Optimismus erzwingen. Starkes wissenschaftliches Denken drngt sie zurck. In Jean Paul gewinnen sie schrankenlose Gewalt. Er ist des Glckes so bedrftig.
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* (Hesperus S. 214.) „Ein verschleiertes Auge hinter der Zeit, ein unendliches Herz jenseits der Welt. Es gibt eine hçhere Ordnung der Dinge, als wir erweisen kçnnen – es gibt eine Vorsehung in der Weltgeschichte und in eines jeden Leben, welche die Vernunft aus Khnheit lugnet und die das Herz aus Khnheit glaubt – es muss eine Vorsehung geben, die nach andern Regeln, als wir bisher zum Grunde legten, diese verwirrte Erde verknpft als Tochterland mit einer hçhern Stadt Gottes – es muss einen Gott – eine Tugend und eine Ewigkeit geben.“
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* Brief ber die Philosophie (1799) Zwei Arten philosophischer Kçpfe, die Positiven wie Leibnitz, Plato, Herder, Jacobi. „Der positive Kopf – gewçhnlich der Baumeister einer langen philosophischen Schulbank – wird wie der Dichter der Vater einer, mit der ußern erzeugten, inneren Welt und stellet wie dieser einen metamorphotischen Spiegel auf, vor welchem die verrenkten verwickelten Glieder der Wirklichkeit in Eine leichte runde Welt zusammengehen; die Hypothese des Idealismus, der Monaden, der vorherbestimmten Harmonie, des Spinozismus sind Geburten Eines genialischen Augenblicks, nicht hçlzerne Schnitzwerke der logischen Mhe. Nur verwechsle nicht die schulgerechte Erziehung dieser Kinder mit der poetischen Erzeugung derselben“ (XIII. 310). Die negativen Kçpfe klren die gegebenen Ideen auf. Zu ihnen gehçrt die Kantische Schule. Sie dulden nichts Unerklrliches. Sie leiten aus Worten ab. Sie verdicken Worte zu Sachen. Ein solches Wort ist bersinnliche Welt mit Freiheit und empirische
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mit Notwendigkeit. Hier ist nur eine Frage benannt, aber nicht beantwortet. Ebenso a priori der Raumanschauung. Hierher rechnet er auch Fichte. „Fichte ist ein großer Philosoph von zweischneidigem Scharfsinn, dessen fester gleich den alten Deutschen mit Ketten aneinander geschlossener Phalanx demosthenisch daherdringt.“ Er empfiehlt in der Philosophie „die hçhere poetische Freiheit“. Sie wird gewonnen durch das Studium aller Systeme sowie der Wissenschaften. Physiker, Geschichtsschreiber und Dichter schtzen vor der Einseitigkeit der Philosophie. Auf der hçchsten Stufe nehmen alle Wissenschaften und Zustnde die poetische Verklrung an. „Die Dichter hngen den Kopf wieder mit dem Herzen zusammen.“ Der hçchste Typus des Philosophen ist in Herder. Er hat keinen Gedanken und keine Kenntnis, einsam. Seine Vçlkergeschichte bringt eine hçhere Duldung hervor, als das Jahrhundert kennt. Eine Melodie geht durch sein Ideal. * Kant, Fichte. Er hebt wie Jacobi am Idealismus immer nur heraus, daß „der echte Idealist alles selber macht, bis zu den Sternen, dem Homer und Goethe.“ Er hat daher keinen Grund, demtig zu sein. Er sondert Kant von den Kantianern und behandelt ihn mit Ehrfurcht. Die Kantianer kçnnen als Gegenfssler der Glckseligkeitslehre aus dem Vergngen andrer Leute nicht mehr machen als aus ihrem eigenen und opfern also Fremdes ebenso wie Eigenes auf. Es wre Heteronomie, wollten sie die materielle Absicht fremder Beglckung haben. Sie suchen sich selbst und andren nichts zu verschaffen als das hçchste Gut und tun es durch die einzigmçglichen Mittel, durch Discurse und Manuscripte. „Ihre Freigebigkeit besteht nicht in einer elenden malerischen Gabe, sondern in einer Ermunterung zur Freigebigkeit: der Ermunterte ermuntert fort und so jeder den anderen und kein Heller wird dabei ausgegeben.“ Fata und Werke 1798. * Jean Paul 1799 Wir sind in einer großen Revolution. „Es werden Jahrzehnte kommen, worin Chemie und Physik und Geogonie und Philosophie und Politik verschworen den heiligen Isis-Schleier der stillen hohen Gottheit fr eine Gestalt selber und die Isis hinter ihm fr Nichts ausgeben werden. Das der Nemesis gehorsame Herz, das bescheidnere frçmmere Zeiten erzogen haben, wird zagen vor
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einer frechen, ruchlosen Titanenzeit, worin nur Handel und Scharfsinn gebieten und worin ein geistiges Faustrecht zu Gerichte sitzt. Die jetzige Zeit wird von revoluzionairen Schatten bewohnt, die, wie die homerischen, nicht eher Kraft und Rede haben, als bis sie Blut getrunken.“ (XIII.198) * Diese moralische Revolution ging zu den Kritikern herab, die den Dichter vor der Moral warnten. Aber das Menschenherz verstubt, doch nie sein Ziel. „Jeder verbessere und revoluzioniere nur vor allen Dingen statt der Zeit sein Ich; dann gibt sich Alles, weil die Zeit aus Ichs besteht.“
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* Religion 1798 „Ich nannte noch das Sonnen-System der berirdischen Hoffnungen, nmlich die Religion (worunter ich das Leben fr die Unsterblichkeit und die Gottheit meine) die in sehr tatenvollen arbeitenden Zeiten, unter dem Treiben der Plane, unter dem Strmen aller Krfte sich wie am Tage der gestirnte Himmel am ersten verhllt: nur im Frieden und in der Stille çffnet diese leise Gçttin ihre Lippe und ihr Herz. O diese Trçsterin und Schutzheilige der Leidenden sucht jetzt selber bei Leidenden Schutz; – an Deinem so oft von ihr erquickten und geheilten Herzen, du sanftes stilles Geschlecht, liegt sie nun angeschmiegt“ (XIV,15).
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V. Der Ausdruck seiner Weltanschauung in dem Gehalt seiner Poesie und die Stufenfolge. Seine S a t i r e u n d s e i n I d y l l als die beiden Seiten seines Gewahrens und Darstellens treten zuerst einzeln auf. Die Macht Rousseaus in der Sturmund Drang Zeit manifestirt sich auch hier. Die Satire richtet sich gegen die Cultur der hçhren Stnde, wie sie an den Hçfen regiert. Das Idyll sucht die Natur in einfachen Lebensverhltnissen auf, in denen die ursprnglichen Zge unsres Wesen, sein Verhltnis zum Boden, vor allem aber zu bescheiden rechtschaffen und bequem lebenden Gemeinschaften sich darstellt. Sein natrlicher Mensch ist, seiner Philosophie gemß, froh, in der Einschrnkung von sitt-
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lichen Beziehungen bestimmt, vor allem aber von keiner Art von Sucht nach Ehre oder Besitz vorangetrieben, sondern in ruhesamer Daseinsfreude, von wohlwollendem Gefhl und heiterer Phantasie bestimmt, des Tages sich erfreuend. Aus diesem seinem Kreis tritt der berbildete Mensch heraus, er fttert seine Leidenschaften und lsst sie gern anwachsen. Sein Roman ist die Entgegensetzung von Natur und hçfischer berbildung.
VI. Stil und innere Form seiner Dichtung.
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Ironie Ein Beispiel dieser Art von Ironie ist, wenn er sagt: „Denn eben da (gemeint die Hçfe) ist’s, wo man ber den grossen Wert der Unwahrheit so wie ber 20 andre Punkte der Moral mehr, am allergesundesten denkt; es ist daselbst kein bçhmisches Dorf und keine auffallende Wahrheit mehr, dass der Mensch die Wahrheit eben so schwer reden als finden kçnne und fr die freiwillige Verbreitung oder Erschaffung eines Irrtums eben so viel Toleranz verdiene als fr die Annahme desselben.“ *
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Entstehung seines Stils. Schon in der Auswahl aus des Teufels Papieren hat er (IV 332) den Witz als unvollkommenes Gewahren einer metaphysischen Analogie aufgefaßt, welche alle Teile der Welt mit einander verbindet. „Vielleicht sehen hçhere Wesen das buntfarbige Band, womit der Witz spielend unhnliche Dinge zusammennht, mit beiden Enden um die halbe Schçpfung laufen und sich schlingen.“ *
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8Geprgt9 durch Satire der Aufklrung Styl T e u f e l s p a p i e r e . Seine Formen der Satire zwischen dem Erhabenen, Grotesken, Komischen. So sein Bericht dessen, was er Schlafende reden hçrte, wo der Gegensatz des Verborgenen in der Seele zu dem Tagesbetragen und Tageswerken. Er bringt einzeln seine Sammlungen und Ideencomplexe in eine poetische Form. So eine Sammlung von 8Zusammenknften?9. Seine Satire gegen das Hofleben ist aus derselben Aufklrungstradition. Sie ist aus Papier fabricirt. 318 ber Wahrheitsliebe der Hof und Weltleute. „Am
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Hof fllt jeder so gut er kann seinen Nchsten und dessen Verwandte an; die Krieger sind ber der Erde, der Krieg ist unter der Erde und der Mineur der einen Parthei grbet oft dem Mineur der andern entgegen.“ * Eine Figur wird dadurch lcherlich gemacht, daß sie den Widerspruch in ihrer eigenen Existenz nicht gewahrt. So sieht ein Advokat wie die Gerechtigkeit die Erde verlsst, und setzt sich dann mit Gemtsruhe an eine wichtige juristische Arbeit.
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* S t i l (M e t a p h e r ) Von dieser freien metaphysischen, der musikalischen Bedeutung der Metapher macht Jean Paul eine Anwendung zur Verteidigung seiner nach einem musikalischen Gesetz durch Stimmung oder Farbe vermittelten Gleichnisse. „Unsere inneren Zustnde kçnnen wir nicht philosophischer und klarer nachzeichnen, als durch Metaphern, d. h. durch die Farben verwandter Zustnde. Die engen Injurianten der Metaphern, die uns statt des Pinsels lieber die Reißkohle gben, schreiben der F a r b e n g e b u n g die Unkenntlichkeit der Z e i c h n u n g zu; sie solltens aber blos ihrer Unbekanntschaft mit dem Urbilde schuldgeben. Wahrlich, der Unsinn spielt Versteckens leichter in den gerumigen a b g e z o g e n e n Kunstwçrtern der Philosophen – da die Worte wie die sinesischen Schatten mit ihrem Umfang zugleich die Unsichtbarkeit und die Leerheit ihres Inhalts vermehren – als in den engen grnen Hlsen der Dichter. Von der Stoa und dem Portikus des Denkens muß man eine Aussicht haben in die epikurischen Grten des Dichtens.“ (Hesperus Bd V. S. 144)
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Den s t i l i s t i s c h e n Mangel, welcher in der Reflexion des Dichters auf den Charakter des Dargestellten mitten in der Darstellung entspringt, hat Jean Paul 1819 in der Vorrede zur dritten Auflage des Hesperus angedeutet: „Seit mehreren Jahren haßt der Verfasser in seinen lteren Werken einen Fehler in hohem Grade, den er bei Ernst Wagner, Fouqu u. a. hufig wiederholt, oder nachgeahmt angetroffen, nmlich den Fehler der eigenen schriftstellerischen Austrommelsucht oder Vorsprecherei der Empfindungen, welche der Gegenstand haben und zeigen soll, aber nicht der Dichter. Z. B. „erhaben ruhig antwortete Dahore.“ – Wozu erhaben beifgen, da es berflssig, anmaßend und
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vorausnehmend ist, sobald die Antwort wirklich erhebt, oder, wenn sie es nicht tut, alles noch erbrmlicher ausfllt?“ *
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Es giebt große Schriftsteller deren Gemth pathologisch ist wie Hçlderlin. In Jean Paul ist angeboren und anerzogen eine Art von Herschaft der Ideenassociation ber die Verstandeskategorie der Causalitt und die objektive Willenskategorie des Zweckes. Daher er tiefstes Gefhl und klarstes Bild durch Einfgung von Bildern, Antithesen Vergleichungen berldt und so seine schçnsten Stellen verdirbt. Er verdirbt Charaktere durch etc.
VII. Jean Pauls Entwickelungsgang. Der Entwickelungsgang.
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Hieraus ergiebt sich der Entwickelungsgang Jean Pauls. Er beginnt auf der Schule mit philosophischen Aufstzen ber Vorsehung, Gottesbegriff, Religion, Genie, philosophisches Studium. Dieselben sind in einem planen Stil geschrieben. Er erklrte sich damals ausdrcklich gegen Gleichnisse, die dem strengen Nachdenken nicht angemeßen sind. Die Beschftigung mit den Problemen der Philosophie bildet den Ausgangspunkt in der Entwickelung dieses Dichterphilosophen. Er sagt einmal in einem Brief an Jacobi bei ihm sei Philosophie eher gewesen als Dichtkunst wie bei den Deutschen. Sein Verkehr mit dem Mitschler Oerthel bringt ihm Sigwart, Werther, Sterne nahe und aus dieser Sentimentalittsperiode entspringt sein Roman in Briefen Abaelard und Heloise. Derselbe steht besonders unter dem Einfluß von Sigwart. Seine Lektre auf dem Gymnasium ist ordnungslos und umfaßt schon Hippel, Helvetius, die wichtigsten deutschen Dichter, da er in der Bibliothek des Pfarrers Vogel seine grenzenlose litterarische Neubegier befriedigen kann. 1781 Student der Theologie in Leipzig. Die ußerste Armut, vçllige Unbehilflichkeit dem Leben gegenber machen ihn heftig gegenber den Seinen, selbst der Mutter. Er verliert sich ganz in einsames Lesen und Schreiben. Kein Freund, der ihm berlegen wre, ist da, ihn zu beraten. Sein Gefhl warnt ihn ein çffentliches Amt zu suchen, so wie sein Wesen und seine Stimmung sind. Unter den Professoren gewinnt nur Platner Einfluß auf ihn. Auch ber diesen urteilt er in derselben Schrfe und Hrte des Einsamen wie ber seine Mutter.
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Platner sich zu nhern wagt er nicht. Zwei Jahre hindurch hçrt er ihn, und er stellte ihn neben Lessing. In diesem Hungernden, Frierenden, Einsamen, der ohne viel Scrupeln Schulden macht, weil er eben muß, den eben die ganze Misere seines Lebens von der Welt getrennt, der aber mitten in ihr glcklich ist zu lesen und zu schreiben, ist schon entschieden, dass er sich als Schriftsteller versuchen wird. Er schreibt ein Buch, um Bcher kaufen zu kçnnen. Er will das Publikum belehren, um selbst in Leipzig etwas lernen zu kçnnen. Er scheut sich seinem Gçnner Vogel diesen seinen Entschluss auszusprechen. Und in diesem ersten Jahre von Leipzig vollzieht sich auch eine innere Vernderung, welche schon durch die Lektre der Satiren und Romane im letzten Gymnasialjahr vorbereitet war. Die großen Schriftsteller der Aufklrungszeit beherrschen ihn jetzt ganz. Die zerrissene Stimmung der Welt gegenber in Voltaire und Swift wird die seine. Sein persçnliches Elend lsst ihn die Welt Grau in Grau erblicken. Er rcht sich an ihr in seiner Satire. Diese zerrissene, skeptische Stimmung eines Menschen, der in diesem Winkel eines Weltwinkels der Erde sitzt und es lcherlich findet, aus diesem Winkel die Welt selbst, wie sie ist, sehen zu wollen, bemchtigt sich ganz seiner. Ekel an der tollen Maskerade der Welt ergreift ihn. Er ist voll von Spott ber die Systemsucht der Philosophen. Das Leben ist leer, die Wahrheit unerreichbar. Die kleinstaatliche Willkr um ihn her, den Anspruch des Christentums auf allgemeine religiçse Geltung verwirft er. Er empfindet es stark, wie in diesem armen einsamen Stubenleben der ewige Hin- und Hergang von strahlendem Feuer des Kopfes und Herzens zu finsterster Klte das Gefhl der Unbestndigkeit der menschlichen Dinge in ihm hervorruft. Solange er in dieser seelischen Verfassung verharrte, musste er in der Bahn von Voltaire, Swift weitergehen. Eben dass die Satire sich steigert zum Zweifel am Sinn der Welt selber, an ihrer Verstndlichkeit, ist es, was ihn wie Voltaire und Swift von den Satirikern vorher und neben ihm unterscheidet. Ein Jahr, nachdem er in Leipzig angelangt war, schickt er an seinen Gçnner, den Pfarrer Vogel, ein Manuscript „Lob der Dummheit“. Eine Satire, welche von Erasmus und den Satirikern des 18. Jahrhunderts beeinflusst ist. Die Dummheit redet und zeigt, wie sie die Wohltterin der Menschen sei. Der so oft behandelte Gedanke, wie viel Glck die Dummheit in der Welt bewirke, wird mit all den blichen Ausfllen gegen Frsten, Hçflinge, Theologen und pedantische Gelehrte durchgefhrt. Er lsst das Manuscript dem Professor Seidlitz vorlegen, ohne Erfolg. In neuen sechs Monaten wurde das Manuscript umgeschmolzen und es entstanden nun die Grçnlndischen Prozesse oder Satirische Skizzen. Es erschien bei Voß 1783 und das Honorar fristete ihm das Leben einige Zeit. Es ist die Atmosphre des Nathan, der ersten Schillerischen Dramen. Die Scherze ber das Heiraten und die Weiber, ber die Stutzer, die
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Theologen, den Ahnenstolz, im Geschmack der Rabener und Liscow, werden dort durchbrochen von politischer Polemik großen Stils. Diese seine stoische Lebensverfassung, wie sie in derselben Epoche in Meditationen nach der Art des Marc Aurel sich aussprechen sind auch in der Auswahl aus des Teufels Papieren enthalten. „Die philosophischen Trostgrnde vermindern nicht sowohl unsre Leiden, als sie unsere Freuden vermehren, indem sie uns im Glck die Hoffnung seiner Dauer und sorgenfreien Genuss gewhren und die Furcht des bels durch das Versprechen seiner leichten Erduldung abweisen.“ Als er das Buch seinem Gçnner Vogel sandte, fgte er hinzu er sei kein Theologe mehr. Er wird zunchst festgehalten in dieser dstren Region der Satire durch seine Lebensverhltnisse. Whrend eines Ferienaufenthalts zwischen dem ersten und zweiten Bande fllt eine Liebesgeschichte in der Heimat, ein Verhltnis, das leicht geknpft und nicht schwer gelçst wird, wie so manches seiner spteren Jahre. Auf seine Lebensstimmung zeigt es keinen Einfluß. Sein Buch hat keinen Erfolg. Anknpfungen an Schriftsteller und Buchhndler bleiben ohne erheblichen Erfolg. Damals, 1784, schrieb er ein „Andachtsbchlein“, in welchem er in der Manier der Stoa auf die eigene Standhaftigkeit sich zurckzieht. So wenig man nach Ehre unter Papageien, Affen Wçlfen sucht, sollte man unter den ihnen hnlichen Menschen sie suchen. Es war die Zeit dicht vor der Krisis, das Honorar lange verbraucht, die Schulden immer wachsend, die Mutter selbst ganz mittellos. Er entfloh vor seinen Glubigern im Herbst 1784 und ließ sich nun in Hof bei der Mutter nieder mit erfrorener rechter Hand. Mit einem entliehenen Mantel kam er in den Novembertagen 1784 in das Haus der Mutter in das Huschen hinter der Stadtmauer, wo die Mutter mit den Brdern wohnte. Es beginnt nun die Zeit seines Lebens, in welcher der Contrast zwischen der ußeren Misere und der zunehmenden stillen, nur von wenig Freunden erkannten Entfaltung seines Genius am furchtbarsten auftritt, die Zeit, in welcher sein Gemt Fden zog sich zu verbinden mit guten, einfachen Mdchen, die ihn anbeten, mit einfachen, ihm treu ergebenen Freunden, meist Geistlichen der aufgeklrten Richtung, die Zeit, in welcher in solchen Beziehungen bescheidener Art seine im Weltleben so bescheidene Seele sich erweitert, sich erwrmt, ber das Elend sich erhebt: sie findet sich selbst im Gegensatz gegen die Zerrissenheit der nun berwundenen Jahre: Kant, Herder, Jacobi treten in seinen Horizont: und schließlich befreit sich diese gedrckte, gequlte Seele von der Zerrissenheit der Jnglingsjahre und den unglcklichen grauen satirischen Bemhungen derselben. Es ist kein Idyll nach der Weise der Voßischen Luise oder von Hermann und Dorothea was an dem Huschen an der Stadtmauer sich abspielt. Wohl
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war da eine schattige Holunderlaube, es waren der Pfarrer und Candidaten, wie bei Voß, mit denen er an sommerlichen Pltzen schwrmte. Auch Mdchen traten dann spter hinzu, die enthusiastisch seinen Clavierphantasien und seinen dichterischen Worten lauschten. Aber was fr Dissonanzen, was fr ein letztes Elend in diesem Huschen! Zuweilen bildeten Brod und Salat die einzige Nahrung der Familie. Und was fr innere Conflikte! Die Familie des ehrsamen und tchtigen Pfarrers brach in sich zusammen. Gerade der beste unter den Sçhnen neben unsrem Dichter ertrug in seinem weichen Gemt die Familienleiden nicht und suchte den Tod in der Saale. Ein andrer Sohn verfiel dem Dmon des Spiels; er hat den Pult des Dichters erbrochen, entfloh mit dem entwendeten Geld und starb frh im Elend. Die Mutter, eine rhrende Gestalt, zu der Jean Paul immer wieder zurckkehrt, war dem allen nicht gewachsen. Treu hat sie tagtglich Ordnung, Sauberkeit aufrecht zu erhalten gesucht, etwas lrmend, wie es scheint, mit ihrem Putzen und Waschen, eine hilflose Gestalt. So herrscht bei Jean Paul die graue zerrissene Stimmung der Welt gegenber, deren Ausdruck seine Satiren sind. Auch unter den Freunden geht dieser Zug zu satirischer Schriftstellerei um. Der Pfarrer Vogel schrieb damals seine Raffinerieen unter lebhaftem Anteil Jean Pauls. Ein andrer Freund, der Aktuar Vogel in Schwarzenbach verçffentlichte 1786 Satiren, in denen nach dem Motto Heilmittel der Seele dargeboten wurden. Der ganze Freundeskreis war bei dieser Schrift beteiligt. Mit 7. Beitrgen auch Jean Paul: So verbreitet ist in diesem Kreise das Bewußtsein von der Krankheit dieser Zeit und dem Beruf der Satire, an ihrer Heilung mitzuwirken. Neue satirische Manuscripte entstanden. Vergeblich suchte ihr Verfasser in Briefen von weltunerfahrener Aufrichtigkeit und im Stil seiner damaligen Schriftstellerei bei hervorragenden Schriftstellern Interesse an diesen Manuscripten zu erregen. Damals schrieb er auch zuerst an Herder, doch ohne Erfolg. Eine Zeitlang fand er im Hause des Kammerrats von Oerthel auf Tçpen auf Empfehlung des Sohnes seines Freundes Unterkunft als Lehrer des jngsten Sohnes. Hofmeisterei war ja der Unterschlupf der armen Litteraten der Zeit. Damals begannen in dem jungen Schriftsteller pdagogische Ideen sich zu entwickeln. Er sollte in der pdagogischen Bewegung der Zeit eine hervorragende Rolle spielen. Die meisten bedeutenden Schriftsteller der Zeit haben ja in diese Bewegung irgendwie eingegriffen. Viele satirische Manuscripte aus dieser Zeit haben in seinem Nachlaß sich vorgefunden. Archenholz hat eines derselben in seiner Zeitschrift abgedruckt. Als Auswahl aus des Teufels Papieren fanden die wertvollsten dieser Satiren endlich einen Verleger. Zweierlei hebt diese Produkte seiner satirischen Epoche auf diesem Hçhepunkt ber alles heraus, was bis dahin in Deutschland in der Satire geleistet war. Die rcksichtslose Heftigkeit im An-
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griff auf die kleinstaatlichen Hçfe und das souverne Spiel des Geistes mit der Welteinrichtung selber, das dann auch in der grotesken Form Ausdruck findet. Auch hier ist viel harmloser Rabenerscher Spaß, besonders ber die Frauen und die Ehe. Welche Stimmung aber, welche gnzliche Verachtung der kleinen Hçfe, ihrer Minister und Edelleute atmet diese Schrift! Die Form ist zumeist der Schein der Begeisterung fr dies Leben, der freien Raum bietet, seine ganze Nichtsnutzigkeit sehen zu lassen. Er erzhlt mit Begeisterung von den segensreichen Einrichtungen der Frsten, welche das berflssige Geld der Untertanen dem Staatskçrper zufhren, vor Allem aber sich selbst als dem Haupt desselben, die Qulerei der Bauern bei den frstlichen Jagden; werden Soldaten in die Fremde verkauft, so schtzt sie das vor dem Hungertod. Er schreibt eine Naturgeschichte der Edelleute, die in gewißen Lebensjahren als Zugvçgel nach Paris wandern und nichts zurckbringen als einen zerrtteten Kçrper und eine atheistische Philosophie. Als ein grotesker Direktor von Ungeheuern will er „einen alten guten Staatsmann in eine Hyne verwandeln; einen Hofmann in eine bunte stille Schlange und einen Consistorialsekretr in einen jdischen Juwelenhndler.“ Er zeigt einen „nackten Oberprsidenten vor, an dessen Kçrper mehr als 100 Hnde herunter hingen, mit deren jeder er den Unterthanen etwas Weniges nahm, um dem Frsten etwas Geringes davon abzugeben“. Die Deutschen sind ohne Nationalstolz, sie tragen wie Bediente den andren Nationen deren abgelegte Kleider nach, sie ben sich ohne Murren immer mehr Steuern tragen zu kçnnen, wie Milo durch tgliches Tragen eines Kalbes sich fhig machte, auch den Ochsen spter zu tragen. Das Außerordentliche in dieser politischen Satire ist nicht Sachkenntnis oder Detail, sondern die erschreckende Stimmung eines jungen Menschen, der aus seinem stillen Winkel die frstliche Aussaugung um sich her erblickt, die so entstehende Misere am eigenen Leibe und dem der Seinen erfhrt und keine Spur von Achtung fr diese Ordnung der Dinge brigbehlt. „Um der Frsten willen,“ so faßt er sein Ergebnis zusammen, „sind die Unterthanen da, nicht aber um ihrer selbst willen.“ Einen besonders scharfen politischen Aufsatz hat damals Archenholz in seine Zeitschrift aufgenommen. Jean Paul bewunderte denselben, weil er in seiner Darstellung Englands die deutsche Nation aus ihren monarchischen Ketten und Bandagen aufzurtteln suchte, durch das Beispiel eines Volkes, das sich frei bewegt. Jean Paul hatte sich in Tçpen als Hofmeister tief unglcklich gefhlt. Seine Lage war noch schlimmer, als er nun 1789 nach Hof zurckkehrte. Endlich im Frhling 1790 begann die Wendung seines Lebens, seiner Stimmung der Welt gegenber, und seiner Schriftstellerei sich zu vollziehen. Die Freunde Vogel und Vçlkel in Schwarzenbach und der Amtsverwalter Cloeter bertrugen ihm den Unterricht ihrer Kinder. „Die Winkelschule“, die so entstand ließ
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seine Ideen ber die Entwickelung der Kinder sich entfalten. In dieser Zeit pdagogischer Reformen hat nun Jean Paul als ein Geistesverwandter von Pestalozzi grndlich mit dem alten Unterrichtswesen abgerechnet. Er ging wie Herder von dem Eigenwert der Kindheit aus. „Ist denn die Kindheit nur der mhselige Rsttag zum genießenden Sonntag des spteren Alters, oder ist sie nicht vielmehr selber eine Vigilie dazu, die ihre eigenen Freuden bringt?“ Die Kindheit kann sich nur ausleben, wenn eine ihr geeignete Nahrung im Unterrichtstoff ihr dargeboten wird: Als ein ganz moderner Mensch will er das Franzçsische dem Lateinischen voraussenden. Da wir den Geist der Alten in uns aufgenommen haben, sind ihre Sprachen und ihre Litteratur nur in eingeschrnktem Maß uns noch erforderlich. Philosophie und Bibelkunde sind die ungeeignetste Nahrung der kindlichen Seele. Naturgeschichte, Geographie, Historie, Mathematik sind dieser Stufe angemeßen. Nun lehrten ihn seine Erfahrungen die Entwickelung des Menschen als eine Erziehung aufzufaßen. Und seine erste große Dichtung, die unsichtbare Loge, entstand ihm aus dem Plan eines pdagogischen Romans. Freuden und Leiden des Schulmeisters in der Enge der Kleinstadt wurden ihm das Vorbild seiner Idyllen. Tiefer aber reicht die nderung seiner ganzen Lebensstimmung unter dem Einfluß der neuen Umgebung. Wie ein Meteor war in der frheren Zeit sein hochbegabter Jugendgenosse Hermann an ihm vorbergegangen, „von der Natur geliebt, vom Glck gehaßt“ zwischen unbndigem Arbeitsdrang und Elend aller Art socialem, kçrperlichem, seelischem hin- und hergeworfen. Eine große Seele, die ihren Adel verbarg hinter einem zweiten Ich, das sie doch hasste, jungfruliche Reinheit, verhllt hinter Cynismus, frh zerstçrt durch sein Verhltnis zur Welt – so ist er das Urbild von Leidgeber, Schoppe Vult, – Freunde von geringerer Begabung, aber welche unter seinem Einfluß sprachen und schrieben wie er selbst. Zum ersten Mal umgab ihn die Verehrung treuer Freunde. Zu den Eltern seiner Zçglinge redlichen, krftigen, lauteren Menschen trat vornehmlich der Sohn eines çrtlichen Geistlichen Georg Christian Otto, der in mittleren Lebensverhltnissen nur seinen Studien, einer etwas dnnen Schriftstellerei, vor allem aber dem Freunde lebte, dessen Werke er, wie Kçrner die Schillers mit der Empfnglichkeit verwandter Geistesart und mit bescheidener Kritik begleitet hat. Eine Atmosphre entstand um den jungen Dichter, in der er sich freudig dessen, was er war, bewußt wurde. Anmutige Mdchen brachten in diesen Frhling seiner Seele einen Zauber, den er von da ab nicht entbehren konnte. In dem Schwarzenbach nahen Hof war ein Mdchenkreis, der sich schwrmend an ihn anschloß. Amoene und Caroline Herold, Friederike Otto, Helene Kçhler. Der Mittelpunkt war die Tochter des Postmeisters Renata Wirth. Die Liebe zu ihr bildet den Mittelpunkt der ersten Zeit in Schwarzenberg. In der Dmmerung horchen die Mdchen sei-
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nen Phantasien in Tçnen und in Worten. Die Natur selbst gewinnt neuen Zauber, indem er ihnen da begegnet. Er bedarf der Liebe, brgerliche Ehrbarkeit und dichterische Tndelei mischen sich in dem Erlebnis der Annherung und dann wieder der Entfremdung. Denn er bedarf mehr noch der Freiheit und des Wechsels. Nun tauchen aus solchem Leben die weiblichen Gestalten seiner ersten Romane auf. In den Liebestraum mit Renaten treten andre Mdchen. Knstler haben ihre eigene Moral Frauen gegenber. In dieser Zeit aber gibt den Liebesverhltnissen der Dichter einen besonderen Charakter die Ehrfurcht vor den Frauen, der Glaube, daß sie die Erzieher der Mnner sind, das Verstndnis fr den Eigenwert des weiblichen Wesens, der in Reinheit und hingebender Gte gelegen ist. In niemand war dies Gefhl strker als in Jean Paul. So wurde er der Dichter der Frauen. Sie erçffneten sich ihm lieber als irgend einem anderen Zeitgenossen. Er genoß ihre Freundschaft und Liebe in volleren Zgen als selbst Goethe. Die eigene Mischung brgerlicher Ehrbarkeit mit jenem eigenen Leichtsinn, der jeder zusammenhngenden, gebundenen zweckmßigen Lebensfhrung abhold war, trieb ihn in immer neue Verhltnisse, zumeist in mehrere zugleich. So excentrisch als er hat niemand die Gte der Mdchennatur, ihr unsinnliches Hingebungsbedrfnis, ihre reine Torheit dargestellt. Und noch ein andres Moment ndert in diesen Jahren die Lebensverfassung Jean Pauls. Die skeptische Zerrissenheit des Denkens macht einer Philosophie des Sittlichen Platz, die sich zunchst an Kant nhrt. Dann aber hçchst reizbar und empfnglich die verschiedensten Anregungen aus dem Idealismus jener Tage entnimmt. So endigt nun die Zeit der Satire. Es beginnt die Darstellung der ihn umgebenden idyllischen Wirklichkeit. Aber wie verschieden ist sie von den anmutigen idyllischen Bildern, wie sie sonst die Dichter jener Tage ausgemalt haben: das Gegenbild dessen, was der Sohn der Armut erlebt hatte: tiefer in dem, was er von Schçnheit des Lebens in dieser Armut erblickte, rhrender in der Liebe zu den Helden und Heldinnen dieses Glckes im Winkel, entzckend in der Flle der Zge, aber wahr auch in der Darstellung der Wirkung der Lebensenge auf diese Dinge, wahr bis zur Grausamkeit. Flbel, Freudel und Wuz, diese 3 komischen Erzhlungen von Jean Paul treten sogleich im ersten Jahre seines Schwarzenbachischen Aufenthalts hervor. In ihnen sogleich, in den ersten Versuchen seiner Erzhlungskunst, ein gnzlich Neues. Ein Pechvogel, der im Kampf mit kleinen, qulenden Dmonen lebt, ein pedantischer Rector, der eine Schulreise mit seinen Primanern und seiner Tochter macht, vor allem aber der vergngte Elementarschulmeister Wuz, als die Verkçrperung aller Anweisungen Jean Pauls und seiner Freunde im Kampf mit dem Leben, diesem so viel Freuden als mçglich abzugewinnen, der Virtuos der kleinen Freuden – hier werden Wunderlichkeiten
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und Heimlichkeiten, die der Enge des deutschen Lebens entspringen, mit einem freudigen Auge und mit einer mikroskopischen Darstellungskunst sichtbar gemacht. Wir verlassen die grosse Heerstraße auf welcher dem Poeten mchtige Leidenschaften, starke Menschen, harte Conflikte begegnen, wir folgen ihm in Seitenpfade, zu verborgenen Winkeln, in kleine Dçrfer und Stdtchen, wo seltsame Originale uns begegnen, wo die Freuden des Lebens ruhiger, bescheidener, geringer, aber ohne Aufregung, Anstrengung und Reue sind.
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[VIII.] Jean Paul Die Charaktere Jean Pauls und der hohe Mensch. D i e u n s i c h t b a r e L o g e (1793) Bd I. S. 284 ff. (Ausgabe von G. Reimer 1847). „Gewiße Menschen nenn’ ich hohe oder Festtagmenschen und in meiner Geschichte gehçren Ottomar, Gustav, der Genius, der Doktor darunter, weiter niemand. Unter einem hohen Menschen mein’ ich nicht den geraden ehrlichen festen Mann, der wie ein Weltkçrper seine Bahn ohne andre Abirrungen geht als scheinbare – noch mein’ ich die feine Seele, die mit weissagendem Gefhl alles glttet, jeden schont, jeden vergngt und sich aufopfert, aber nicht wegwirft – noch den Mann von Ehre, dessen Wort ein Fels ist und in dessen von der Centralsonne Ehre brennenden und bewegten Brust keine andern Gedanken und Absichten sind als Thaten außer ihr – und endlich weder den kalten von Grundstzen gelenkten Tugendhaften, noch den Gefhlvollen, dessen Fhlfden sich um alle Wesen wickeln und zucken in der fremden Wunde und der die Tugend und eine Schçne mit gleichem Feuer umfaßt – auch den bloßen großen Menschen von Genie mein’ ich nicht unter dem h o h e n und schon die Metapher deutet dort wagrechte und hier steilrechte Ausdehnung an. Sondern den mein’ ich, der zum grçßern oder geringern Grade aller dieser Vorzge noch etwas setzt, was die Erde so selten hat – die Erhebung ber der Erde, das Gefhl der Geringfgigkeit alles irdischen Thuns und der Unfçrmlichkeit zwischen unserem Herzen und unserem Orte, das ber das verwirrende Gebsch und den ekelhaften Kçder unsres Fußbodens aufgerichtete Angesicht, den Wunsch des Todes und den Blick ber die Wolken. Wenn ein Engel sich ber unsern Luftkreis stellte und durch dieses trbe mit Wolkenschaum und schwimmendem Kot verfinsterte Meer herniedershe auf den Meergrund, auf dem wir liegen und kleben – wenn er die tausend Augen
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und Hnde she, die gerade aus w a g r e c h t nach dem Inhalt der Luft, nach Geprnge, fangen und starren; wenn er die schlimmern she, die s c h i e f niedergebckt werden gegen den Fraß und Goldglimmer im morastigen Boden, und endlich die schlimmsten, die l i e g e n d das edle Menschengesicht durch den Kot durchziehen; – wenn dieser Engel aber unter den Seetieren einige aufrecht gehende hohe Menschen zu sich aufblicken she – und er wahrnhme, wie sie gedrckt von der Wassersule ber ihrem Haupte, umstrickt vom Geniste und Schlamm ihres Fußbodens, sich durch die Wellen drngten und lechzten nach einem Athemzuge aus dem weiten ther ber ihnen, wie sie mehr liebten, als geliebt wrden, das Leben mehr ertrgen als gençßen, gleich fern von stehendem Emporstaunen und rennendem Geschftleben Hnde und Fße dem Meerboden ließen und nur das aufwrts steigende Herz und Haupt dem Aether außer dem Meere gben und auf nichts shen als auf die Hand, die das Gewicht des Kçrpers, das den Tucher mit dem Boden verbindet, von ihm trennt und ihn aufsteigen lßt in sein Element . . . o dieser Engel kçnnte diese Menschen fr untergesunkene Engel halten und ihre Tiefe bedauern und ihre Thrnen im Meer . . . Kçnnte man die Grber eines Pythagoras (dieser schçnsten Seele unter den Alten) – Platos – Sokrates – Antonins (aber nicht so gut des großen Kato oder Epiktets) – Shakespeares (wenn sein Leben wie sein Schreiben war) – J. J. Rousseaus und hnlicher in Einen Gottesacker zusammenrcken: so htte man die wahre Frstenbank des h o h e n A d e l s der Menschheit, die geweihte Erde unsrer Kugel, Gottes Blumengarten im tiefen Norden. – Aber warum nehm’ ich mein weißes Papier und durchstech’ es und bestreu’ es mit Kohlenstaub oder Dintenpulver, um das Bild eines hohen Menschen hineinzustuben, indeß vom Himmel herab das große nie erblassende Gemlde herunter hngt, das Plato in seiner Republik vom tugendhaften Manne auf die Leinwand trug?“ Jacobi und Hamann
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D i e u n s i c h t b a r e L o g e (Bd I. S. 191, G. Reimer 1847) „Friedrich Jacobi in Dsseldorf. Wer an seinem Woldemar – das Beste, was noch ber und gegen die Enzyklopdie geschrieben worden – oder an seinem Allwill – wodurch er die Strme des Gefhls mit dem Sonnenschein der Grundstze ausgleichet – oder an seinem Spinoza und Hume – das Beste ber, fr und gegen Philosophie – die zu große Gedrungenheit (die Wirkung der ltesten Bekanntschaft mit allen Systemen) oder den Tiefsinn oder die Phantasie oder einige Zge, die gewiße s e l t n e r e Menschen heben, bewundert: einem solchen wird dabei das erste Anbellen, unter welchem Jacobi in den Tempel des deutschen Ruhmes treten mußte, sehr widrig ins Ohr fallen; aber er muß
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sich nur erinnern, daß in Deutschland (nicht in andern Lndern) neue Kraftgeister immer an der Tempelschwelle anders empfangen werden (z. B. von bellenden Dreikçpfen) als im Tempel selber, wo die Priester sind; und sogar einem Klopstock, Goethe, Herder ging es nicht anders. Aber vollends Du, armer H a m a n n in Kçnigsberg! Wie viele Mardochais haben in der allgemeinen deutschen Bibliothek und in andren Journalen an deinem Galgen gezimmert und an deinem Hngstrick gesponnen! – Inzwischen bist Du doch glcklicher Weise nur scheintot vom Galgen gekommen.“
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Er liebt das Spiel mit dem Tode, Fiktion des Todes, Leichenpredigten, selbst solche, die ein Lebender sich selber hlt. Er versenkt sich gern in Wert und Bedeutung des Schmerzes. Und auch seine geliebte Musik hat ihm ihren wahren Stoff an diesem: „so ersetzt sie als knstlicher Schmerz den wahren.“
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* Diese innere Abneigung gegen jedes brgerliche Verhltnis und die in ihm gegebenen festen Zweckzusammenhnge geht so weit bei dem Dichter daß er findet „ein Mensch von Talenten und ein Brger von Talenten hassen einander gegenseitig“ und dem Helden des Hesperus zuschreibt, daß er es „lcherlich findet, auf der Erde ernsthaft zu sein“.
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* A l l g e m e i n e s b e r P h i l o s o p h i e (Hesperus VI. 120 ff.) „Jeder Mann von Genie ist ein Philosoph.“ Es schadet nichts, daß durch ein neues großes System jedesmal eine gewiße Einseitigkeit des Blicks in die Kçpfe kommt. „Jeder kalte Philosoph ist desto einseitiger, je einsichtiger er ist.“
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* „Ordnung, unverwandtes Augenmerk auf das vorgesetzte Ziel ist meine Sache nicht; ich springe lieber als ich gehe.“
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Jean Paul.
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P h i l o s o p h i e d e r G e s c h i c h t e (Hesperus 1794, S. 104 ff.) Jean Paul leugnet die Mçglichkeit, den Fortschritt des Menschengeschlechts zu erweisen und auch dies dient ihm, seinen Glauben an einen unsichtbaren Zusammenhang des Lebens auf der Erde mit einer hçheren Ordnung der Dinge zu begrnden, der andre Regeln als die von uns erkennbaren. Die Bewegungen in der Natur wiederholen sich in bestndigem Kreislauf. Der Mensch allein ist vernderlich, und zwar in gerader Linie oder im Zickzack. Und zwar muß aus der Ungleichheit der Vçlker in Macht, Reichtum und Kultur durch die geschichtlichen Prozeße allmhlich ein Gleichgewicht sich bilden. Dann wird das Gute sich regelmßiger und schneller entwickeln kçnnen. Unaufhebbar aber ist der Tod der Einzelwesen, der Vçlker, schließlich des Menschengeschlechts, wenn die Erdkugel verstiebt. So ist schließlich ein Endzweck der Geschichte nicht aufzeigbar. Und so trçstet uns in dieser bestndigen Korruptibilitt der Welt nur „ein verschleiertes Auge hinter der Zeit, ein unendliches Herz jenseits der Welt.“ Zu Grunde liegt nach Briefwechsel I 87 ff. der Plan einer Schrift von Otto ber das Gleichgewicht der europischen Staaten. Ist sie erschienen? *
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Transcendenz. Schluß von „Unsichtbare Loge“ „Tief im Menschen ruht etwas Unbezwingliches, das der Schmerz nur betubt, nicht besiegt. – Darum dauert er ein Leben aus, wo der Beste nur Laub statt Frchte trgt, darum wacht er fast die Nchte dieser westlichen Kugel hinaus, wo geliebte Menschen ber die liebende Brust in ein weit entlegenes Leben wegziehen und dem jetzigen bloß das Nachtçnen der Erinnerung hinterlassen.“ *
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Hesperus VII, 75 ff. Er erwhnt an Victor ein psychisches Phnomen, daß offenbar seiner eigenen Erfahrung angehçrt. Auf jedem Balle versetzen ihn in der Nacht die Tçne und Bewegungen in eine schwermtige Stimmung. „Das Bewegen der Menschen stellt ihm ihr Vorberflattern, ihr Fliehen in die Grber dar.“ Wenn er in der Nacht an Husern stehen blieb, wurde ihm das Vorberschweben der freudigen Menschen zum Gaukeln von Irrlichtern auf dem Kirchhof. Wenn im Tanz ein Paar nach dem andern ausschied, gedachte er des Lebens, „in das
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wir ausziehen mit Trommeln, und von tausend Spielkameraden eingefaßt, und in dem wir fortrcken, jedes Jahr verarmend, jede Stunde einsamer, und worin wir zu Ende laufen, von allen verlaßen, außer einem gemietheten Mann, der uns eingrbt hinter das Ziel.“ Zwischen dem ewigen und unendlichen Grunde der Dinge und den einzelnen vergnglichen Erscheinungen stehen ihm nicht wie fr Goethe die ewigen Gesetze und Formen, die in ihnen enthaltenen Werte, Zusammenhang und Entwickelung in ihnen eine Welt als Ausdruck des Unendlichen, in der das Individuum wirkt und die es begreift: es ist die furchtbare Wirkung eines zerstreuten, zerpflckten, unsteten Naschens in allen Wissenschaften, daß nichts Festes in seiner Seele davon zurckbleibt und hiervon ist die furchtbare Folge: anstatt der Erkenntnis ein Spiel aus Associationen, eine Flucht mannigfacher Bilder, ein Vergleichen von allem mit allem, in das er umsonst einen tiefen metaphysischen Sinn zu legen sucht, und eine Flucht des Gemtes aus dieser Summe von Vergnglichkeiten, aus dem Druck dieser harten, unverstandenen Dinge an das Herz der Gottheit.
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* Jean Paul rckt die Dichtung der Philosophie und den Wissenschaften nher als irgend ein Poet vor ihm. In jedem wahren Dichter ist ein Philosoph enthalten. „Die Dichter wren nichts als betrunkene Philosophen – wer aber aus ihnen nicht philosophieren lern’, lern’ es aus Systematikern eben so wenig – die Philosophie mache nur die Silberhochzeit zwischen Begriffen, die Dichtkunst aber die erste – leere Worte gebe es, aber keine leere Empfindungen – der Dichter msse, um uns zu bewegen, bloß alles Edle zum Hebel nehmen, was auf der Erde ist, die Natur, die Freiheit, die Tugend und Gott; und eben die Zauberstbe, die magischen Ringe, die Zauberlampen, womit er uns beherrsche, wirken endlich auf ihn selber zurck.“
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* Die Entstehung neuer Stimmungen. 1. Jean Paul entdeckt den Zauber derjenigen Stimmungen, in welchen Eindrcke verschiedener Art zu derselben Gefhlsweise zusammenwirken, so daß das Erlebte durch die umgebenden Eindrcke traumhaft wird, die verschiedenen Arten von Eindruck in einander fließen und verzittern und das Gefhl sich weit ausbreitet wie ins Grenzenlose. Victor findet Clotilde. „Jetzt legte er den schçnen Weg schweigend und geheiligt zurck – der Mond hing wie ein bethauter mit weißen Blten berlegter Morgen vom Himmel herab – der
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Frhling bewegte seine Auen und seine Blumen unter dem Schleier von Schnee – das Entzcken schlug in Victors Herzen, schwoll in seiner Brust, glnzt’ in seinem Auge – aber die Sprachlosigkeit der Ehrfurcht herrschte ber das Entzcken. Sie kamen an. Und als beide im Zimmer der Harmonika, wo er Abends vor Schmerzen ihre Hand ergriffen hatte, einander einsam gegenber standen, so verndert, so selig zum erstenmale, zwei solche Herzen, sie wie ein Engel, der vom Himmel niedersank, er wie ein Seliger, der aus der Erde auferstand, um dem blçden Engel an das Herz zu fallen und mit ihm sprachlos in den Himmel zurckzugehen . . . welche Stunde!“
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Sein Bekenntnis, welches im Hesperus Emanuels Brief ber Gott enthlt, (VI. 232 ff.) beruht auf dem Fortgang von der bestndigen Vergnglichkeit, die an allen Punkten des Universums stattfindet. Das Universum bildet seinen Ausgangspunkt. Es ist grenzenlos. An jedem Punkte desselben ist Vernderung. Der Tod ist in ihm da. So fordert das Gemt in diesem Wechsel ein Festes, Allerhaltendes, und zwar ein Gemt und Herz der Welt, welches unsrem Gemte die Ruhe im Wechsel gewhrt. Gott ist „der grçßte Gedanke“. Und „das Herz allein denkt den grçßten Gedanken.“ Nicht der Gedanke erreicht Gott, sondern das Herz. Das Unendliche ist dem Gedanken unerreichbar.
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D i e k r i t i s c h e P h i l o s o p h i e (Hesperus VI. 120) Von Kant spricht er auch jetzt mit Ehrfurcht. In seiner Schule aber entstand nach ihm ein Verfahren, das durch die Combination von Kunstwçrtern neue Wahrheiten hervorbringen zu kçnnen glaubt. Philosophische Kunstwçrter aber sind ebenfalls Bilder, ihre Verbindung ein Bilderstil, nur daß diese Bilder zerfloßen und entfrbt sind. Die philosophischen Handwerker, die Kant ausnutzen, scheiden das unfaßliche Geistliche aus diesem System aus und behalten nur diese Methode, Kunstworte zu combinieren brig.
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* Alle Romane Jean Pauls haben dasselbe Thema – eine Bildungsgeschichte. Hierin sind sie alle Fortsetzungen des Goetheschen Wilhelm Meister, ebenso wie die besten Romane der romantischen Dichter. Und so zeigt sich, wie die Selbstbiographie die psychologische Vertiefung und die Geschichte des See-
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lenlebens die gemeinsame Grundlage des deutschen Romanes auf seinem Hçhepunkt ist. Es zeigt sich, dass sie alle mit der Philosophie des Menschen im Grunde zusammenhngen. Die Verschiedenheit dieser Philosophie muß sich demnach in diesen Romanen abspiegeln. Jean Paul zumal fhlte sich als philosophischer Dichter. Seine vier großen Romane behandeln dasselbe Thema einer Entwickelungsgeschichte in einer Abfolge, welche das allmhliche Ausreifen seiner Lebenserfahrung und Philosophie darstellt. Er versucht eine immer neue Lçsung der Aufgabe. „Die unsichtbare Loge“ erschien 1793. Ihr Ursprung aber geht zurck in den Frhling 1791. Lngst hatte ihm sein Freund Vogel zu einem philosophisch-pdagogischen Roman geraten. Die Anregungen seines Unterrichtes in Schwarzenbach ließen ihn nun diese Idee ergreifen. Sein Erzhlertalent hatte er im Wuz erprobt. In Jahresfrist entstand das erste Manuscript. Er bezeichnete damals das Werk als „eine romantische Biographie.“ Und dies drckt genau die andre Seite seines Planes aus, eine Lebensentwickelung in Romanform zu geben. Ein Jahr dauerte „die konvulsivische Geburtszeit“ des Romans; er schrieb zuerst alle 2 Tage, schließlich „brtete er tglich 2mal daran“. An der Wiege dieses Romans stehen die Lebenslufe von Hippel, die seit 1778 erschienen, der Sigwart Millers von 1776, Sterne, dessen Hauptwerk 1774 von Bode bersetzt worden war. Er empfand selbst hart, daß er die obersten Stnde, die er selber garnicht gesehen zu schildern bernehmen mußte. Ja er konnte keinen Charakter seiner Umgebung verwerten. Indes benutzte er fr den Commerzienagenten Rçper, den Vater seines Jugendfreundes Oerthel, bei dem er Hauslehrer gewesen war. Der Titane Ottomar und der cynische Humorist Fenk enthalten Zge von Herrmann. Frst und Hof erhielten ihre Frbung durch das, was er von dem Markgrafen Alexander vernahm. Und die Scenerien sind den eigenen Umgebungen entnommen. Die Fden der Geschichte selbst sind unbeholfen und phantastisch gewoben wie in jedem spteren Romane. Eine Erziehung des Helden unter der Erde durch einen Herrnhuter ist ein Gegenbild der pdagogischen Phantasien Rousseaus. Die nchsten Knabenjahre empfangen ihr Leben aus seinen eigenen Erinnerungen. Fr den Hof, in den er nun seinen Helden eintreten lßt, stand ihm nur von außen zugetragener Stoff aus seiner Umgebung zur Verfgung. Das Liebesverhltnis mit Beaten mit seinen Hinderungen, Verlegenheiten, der inneren Unsicherheit in demselben, andrerseits dem zarten sittlich-menschlichen Dufte war seinen eignen Erfahrungen entnommen. Der Eintritt in eine geheime Verbindung war, aus deren Bedeutung in der damaligen Zeit entnommen und wenn man aus dem Titel schließen darf, sollte diese in der Bildungsgeschichte des Helden nach dem Gesamtplan des plçtzlich abgebrochenen Romanes noch eine wichtige Rolle spielen. Schillers
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Geisterseher von 1789 bewegt sich in derselben Sphre und 2 Jahre nach der unsichtbaren Loge begann Goethes Wilhelm Meister, der einen hnlichen Gebrauch von den geheimen Verbindungen jener Tage macht. Die Seele des Ganzen aber stammte aus seiner Philosophie: eine religiçse Erziehung bildet in dem Helden eine weltfremde Frçmmigkeit aus. Die Welt, in die er dann eintritt, stçßt ihn ab und befremdet ihn. Der Schluß des Romans zeigt ihn in derselben Weltflucht, welche die damalige religiçse Philosophie Jean Pauls enthielt. Die Charaktere desselben enthalten in einer ersten Form mehrere der Typen, die sich in seinen Romanen allmhlich auswachsen. Die innere und ußere Form des Romans, wie sie aus dem Stil seiner Satiren herauswchst, zeigt strker als jedes sptere Werk die Willkr der Phantasie. An der Discussion darber mit seinem Freund Otto zeigt sich, daß er ganz absichtlich diesen Stil ausbildete, der die gegenstndliche Form der Erzhlung verschmht, um „Empfindungen und Wahrheiten darzustellen“. Er fand es leicht, den Leser durch bloße Geschichte zu interessieren, aber zugleich „einer menschlichen Anstrengung unwrdig“: „mir ist mein zu schwerer Zweck, Empfindungen und Wahrheiten darzustellen lieber als jeder andre, den ich besser erreichte.“ Ebenso ist der bestndige Wechsel des Ernsten mit dem Komischen, die berladung des Stils, das Netz von Vergleichungen und Antithesen, das die Sachen berspinnt, in diesem Roman strker noch als in den spteren. Besonders grotesk ist dann der Humor, mit welchem er selber in den Roman eintritt und sich nun selber in eine komische Figur verwandelt. Aber das Verstndnis dieser seltsamen großen Dichternatur fr die sonderbaren Gnge der menschlichen Seele, die Beleuchtung der Innenwelt durch den Humor treten in unsre Litteratur hier mit einer Macht, welche seine Vorgnger, den „Anton Reiser“ von Moritz und die Lebenslufe Hippels hinter sich lßt. *
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Das Musikalische. „Wenn mich eine Empfindung ergreift, daß ich sie darstellen will, so dringt sie nicht nach Worten, sondern nach Tçnen, und ich will auf dem Klavier sie aussprechen.“ „Alles ist bei mir Tçnen, nicht Schauen.“ „Wie oft war es dem Verfasser in der hebenden Stunde so, als mßt’ er sich durchaus ins Metrum strzen, um nur fliegend fortzuschwimmen!“ * Z u r P o l i t i k . (Nerrlich S. 206 in der Unsichtbaren Loge. Die Satire auf die Frsten).
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[XII.] Anfang des F o r t g a n g s v o n d e r W e l t a n s c h a u u n g z u r Charakteristik der Dichtung. Die Mischung der Gefhle in der Dichtung mit den Eindrcken verschiedener Provenienz und schließlich mit der Sehnsucht ergiebt bei Jean Paul die Grundstimmung der hohen Menschen, die das Lebensideal des Hesperus bilden. Sein Viktor Horion wird so in seiner Stimmung charakterisiert. (Hesp. Bd 6, S. 91) „Horion zitterte einsam, ohne seine Geliebten zu sehen, in einer finstren Laube, in welche ein einziger verdorrter Zweig das Licht des Mondes und seiner jagenden Wolken einließ. Nichts rhrte ihn unter einer Musik allezeit mehr, als in die laufenden Wolken zu sehen. Wenn er diese Nebelstrçme in ihrer ewigen Flucht um unser Schatten-Rund begleitete mit seinen Augen und mit den Tçnen, und wenn er ihnen mitgab alle seine Freuden und Wnsche: dann dacht’ er, wie in allen seinen Freuden und Leiden, an andre Wolken, an eine andre Flucht, an andre Schatten, als an die ber ihm, dann lechzte und schmachtete seine ganze Seele; aber die Saiten stillten das Lechzen, und die Tçne lçseten die drckenden Trnen von der vollen Seele los. Theurer Viktor! im Menschen ist ein großer Wunsch, der nie erfllt wurde: er hat keinen Namen, er sucht seinen Gegenstand, aber alles, was du ihm nennst und alle Freuden sind es nicht; allein er kommt wieder, wenn du in einer Sommernacht nach Norden siehst oder nach fernen Gebirgen, oder wenn Mondlicht auf der Erde ist, oder der Himmel gestirnt oder wenn du sehr glcklich bist. Dieser große ungeheure Wunsch hebt unsern Geist empor aber mit Schmerzen. Aber diesen Wunsch, dem nichts einen Namen geben kann, nennen unsre Saiten und Tçne dem Menschengeiste – der sehnschtige Geist weint dann strker und kann sich nicht mehr faßen und ruft in jammerndem Entzcken zwischen die Tçne hinein: ja, alles was ihr nennt, das fehlet mir . . . Der rtselhafte Sterbliche hat auch eine namenlose ungeheure Furcht, die keinen Gegenstand hat, die bei gehçrten Geistererscheinungen erwacht und die man zuweilen fhlt, wenn man nur von ihr spricht.“ Es ist die Furcht vor dem Wirklichen selbst, dem Bekannten und dem Unbekannten.
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[XIII.] Anfang der Anwendung der Weltanschauung Jean Pauls auf die Dichtung.
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Im Jahre 1795, in dem Vorwort zum Quintus Fixlein hat sich Jean Paul ber A b s i c h t u n d Z u s a m m e n h a n g s e i n e r S c h r i f t s t e l l e r e i ausgesprochen. Und an keiner Stelle seiner Werke kann ihr tiefes Verhltnis zur damaligen Verfassung des deutschen Geistes klarer aufgefaßt werden. In diesem ist seine Flucht vor der „ganzen ußeren Welt mit ihren Wolfgruben, Beinhusern und Stangen“ bedingt. Wie er nun einmal durch seine engen Verhltnisse in diesem deutschen Leben und vielleicht auch durch eine Anlage seiner Natur bedingt war, hat die unbestimmte Furcht vor der Welt, die nach ihm in jedem Menschen liegt, in besonderer Strke sich entwickelt. So „konnte er nie mehr als 3 Wege glcklicher (nicht glcklich) zu werden, auskundschaften.“ „Der erste ist, so weit ber das Gewçlke des Lebens hinaus zudringen, daß man die ganze ußere Welt unter seinen Fßen wie ein eingeschrumpftes Kindergrtchen liegen sieht. Der zweite ist: gerade herabzufallen ins Grtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, daß, wenn man aus seinem warmen Lerchennest heraussieht, man ebenfalls keine Wolfgruben, Beinhuser und Stangen, sondern nur hren erblickt, deren jede fr den Nestvogel ein Baum, und ein Sonnen- und Regenschirm ist. Der dritte endlich – den ich fr den schwersten und klgsten halte – ist der: mit den beiden andern zu wechseln.“ Der Dichter bestimmt diese Wege zum Glck nmlich: Tief aber auch einseitig im Sinn der Herrschaft eines weltverachtenden Ideals bestimmt er den ersten Weg, wie der Held, der Reformator und das Genie ihn gehen. Der subjektive Idealismus, wie er in Fichte seinen schrfsten Ausdruck fand, wird hier in seiner Ablçsung von dem Gesetz der Wirklichkeit zum Princip der Willkr und Heldentum und Genie rcken in die Nhe der fixen Idee. „Der Held – der Reformator – Brutus – Howard – der Republikaner, den brgerliche Strme – das Genie, das artistische bewegen – kurz jeder Mensch mit einem großen Entschluß oder auch nur mit einer perennirenden Leidenschaft, alle diese bauen sich mit ihrer innern Welt gegen die Klte und Glut der ußern ein, wie der Wahnsinnige im schlimmern Sinn: jede fixe Idee, die jedes Genie und jeden Enthusiasten wenigstens periodisch regiert, scheidet den Menschen erhaben von Tisch und Bett der Erde – gleich dem Paradiesvogel schlft er fliegend und auf den ausgebreiteten Flgeln verschlummert er blind in seiner Hçhe die untern Erdstçße und Brandungen des Lebens im langen schçnen Traum von seinem idealischen Mutterland . . . Ach! Wenigen ist dieser Traum bescheert!“ Die vollkommenste Darstellung eines solchen glcklichen Idealisten, der dahingetragen wird hoch ber den „Hundgrotten und
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Stechdornen und Teufelsmauern der Erde“ und den auch die „Vampyre“ nur vorbergehend aus seinem idealischen Traume aufwecken, sind Albano und Walt, die Helden seiner beiden großen Romane. Idealische Menschen aber welche dem Kampf mit dem wirklichen erliegen sind seine Liane und sein Schoppe ja auch der Ritter Gaspar. Den andren Weg zum Glcke gehen die Helden seiner Idyllen. Diese Weltflucht in ein warmes kleines Nest ist ja das eigenste Glck des deutschen Mittelstandes und der deutschen Armut in jenen Tagen. Nie vor ihm ist ihr Glck so dargestellt worden aber er ließ zugleich den bitteren Spott durchfhlen in der nachfolgenden Schilderung. „Diese Himmelfahrt ist aber nur fr den geflgelten Teil des Menschengeschlechts, fr den kleinsten. Was kann sie die armen Canzleiverwandten angehen, deren Seele oft nicht einmal Flgeldecken hat, geschweige etwas darunter – oder die gebundnen Menschen mit den besten Bauch- Rcken- und Ohrenstoßfedern, die im Fischkasten des Staates stille stehen und nicht schwimmen sollen, weil schon der ans Ufer lang gekettete Kasten oder Staat im Namen der Fische schwimmt? Was soll ich dem stehenden und schreibenden Heere beladener Staats-Hausknechte, Kornschreiber, Canzellisten aller Departements fr einen Weg, h i e r selig zu werden, zeigen? Blos meinen zweiten; und das ist der: ein zusammengesetztes Mikroskop zu nehmen und damit zu ersehen, daß ihr Tropfe Burgunder eigentlich ein rotes Meer, der Schmetterlingsstaub Pfauengefieder, der Schimmel ein blhendes Feld und der Sand ein Juwelenhaufe ist.“ Das Idyll eines solchen Glckes hatte Jean Paul in seinem Schulmeisterlein Wuz dargestellt und es ist nun das Thema seines Quintus Fixlein. „Die Absicht, warum ich Fixleins Leben in die Lbecksche Buchhandlung geschickt, ist eben in diesem Leben – daher ichs in diesem Billet wenig brauche – der ganzen Welt zu entdecken, daß man kleine sinnliche Freuden hçher achten msse als grosse, den Schlafrock hçher als den Bratenrock, daß man Plutos Quinterne seinen Auszgen nachstehen lassen mße, einen NNd’or dem Notpfennig, und daß uns nicht große, sondern nur kleine Glckszuflle beglkken. – Gelingt mir das, so erzieh’ ich durch mein Buch der Nachwelt Mnner, die sich an allem erquicken, an der Wrme ihrer Stuben und ihrer Schlafmtzen – an ihrem Kopfkissen – an den heiligen 3 Festen – an den abendlichen moralischen Erzhlungen ihrer Weiber, an dem Tage, wo eingeschlachtet, eingemacht, eingepçkelt wird. Die nçtigste Predigt, die man unsrem Jahrhundert halten kann, ist die, zu Hause bleiben.“ Dies Glck des Idylls findet dann auch in grçßeren Werken seine Stelle und eben durch den Contrast gibt es der Unruhe des leidenschaftlichen Lebens strkere Wirkung. Und auch hier kann die umgebende Unruhe der Welt oder der zurckgezogenen Leidenschaft der Seele solcher idyllischen Helden das ganze kleine Glck berfluten und zerstçren. Dies geschieht in . . . u. s. w.
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Und der dritte Weg? In dem Idyll selbst, das folgt, hat er noch einmal die Stimmungsgrundlage desselben geschildert. „Kleine Freuden laben wie Hausbrod immer ohne Ekel. Man muß dem b r g e r l i c h e n Leben und seinen Mikrologieen einen knstlichen Geschmack abgewinnen. Jede Minute, Mensch, sei Dir ein volles Leben! Verachte die Angst und den Wunsch, die Zukunft und die Vergangenheit! Genieße Dein Sein mehr als Deine Art zu sein und der liebste Gegenstand Deines Bewußtseins sei dieses Bewußtsein selber! Mache Deine Gegenwart zu keinem Mittel der Zukunft, denn diese ist ja nichts als eine kommende Gegenwart, und jede verachtete Gegenwart war ja eine begehrte Zukunft. Verachte das Leben, um es zu genießen; – besichtige die Nachbarschaft Deines Lebens, jedes Stubenbrett, jede Ecke und quartiere Dich, zusammenkriechend, in die letzte und huslichste Windung Deines Schneckenhauses ein.“ Der kçnigliche Weg des Menschen, welcher den Kampf mit dem Widerstand der stumpfen Welt durchfhrt und gerade durch objektives Verstndnis der Weltwirklichkeit in ihr Ideen verwirklicht, die sie weiterfhren, ist Naturen von der Art Jean Pauls versagt. In seine erste Jugend fiel noch das Leben des großen Kçnigs, und er war Zuschauer der kurzen machtvollen Laufbahn Schillers: das Leben beider war nicht Glck in seinem Sinne: seine wehleidige, ausweichende Natur konnte nicht einmal das Bild eines solchen Lebens ertragen. Ihm blieb nur als sein Ideal der Wechsel zwischen jenen beiden Wegen zum Glck, von denen er sprach, und die Ausgleichung oder das Gleichgewicht, das in diesem Wechsel entsteht. Seinen idealischen Naturen „fehlt çfter der Spielraum der Kraft“: „nur der kleinste Teil des Lebens gibt einer armen Seele Revolutionen, Wormser Reichstage und Kriege mit Xerxes und es ist so frs Ganze auch besser“. „Der zwote ist nicht gut fr den Menschen, der hier auf der Erde nicht bloß den Obstbrecher, sondern auch die Pflugschar in die Hnde nehmen soll.“ Zwischen beiden muß der Mensch wechslen. Und wie er sich nun diesen Wechsel denkt, das ist recht bezeichnend fr sein deutsches Wesen. Sein Held soll „aus dem Wege des genialischen Glcks in den des huslichen einbeugen.“
Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters.
Ueber die Natur der dichterischen Genialitt ist in Deutschland, seitdem durch Baumgarten eine Wissenschaft der Aesthetik gegrndet wurde, außerordentlich viel verhandelt worden; ist doch kaum ein Gegenstand von grçßerem Interesse fr den Menschen als der geheimnißvolle Ursprung der hçchsten Schçpfungen des menschlichen Geistes. Wie wir andchtig ber Gletscher und Schnee hinweg uns der geheimnißvollen Werksttte der Natur nhern, wo, von Wolken umgeben, von einem ewigen Niederschlag genhrt, die mchtigen Strçme ihren Ursprung nehmen, welche unseren Continent durcheilen: so fhlen wir uns geheimnißvoll hingezogen zu den Ursprngen jener hçchsten geistigen Krfte, welche der menschlichen Gesellschaft inmitten des rastlosen Wetteifers der Existenzen Anschauungen ihres Daseins, welche sie ber sich selber erheben, gewhren. Das Problem der dichterischen Genialitt wurde denn auch durch Kant als letzte und hçchste Aufgabe der von ihm vollbrachten Analyse der sthetischen Urtheilskraft behandelt, und es war kein Geringerer als Schiller, welcher diesen Theil der Untersuchungen Kant’s fortfhrte. Indem Schiller von dem Gegensatz der naiven und sentimentalen Dichtung ausging, betrat er den Weg, aus der historischen Entwicklung der Dichtung die von Kant gegebene philosophische Auffassung zu besttigen und zu erweitern. An den von ihm aufgestellten Gegensatz der naiven und sentimentalen Dichtung schloß sich der Versuch von Friedrich und August Wilhelm Schlegel, die Epochen der Poesie und den Gang ihrer Entwicklung festzustellen. Dieser Versuch und der von Winckelmann auf dem Gebiete der bildenden Knste waren die Anfnge der Philosophie der Geschichte unter uns. Sie blieben aber auch leitend fr alle Arbeiten ber die Natur und das Wesen des dichterischen Vermçgens, also fr unsere Aesthetik. Ein Inbegriff leitender Wahrheiten ist hierdurch fr das Verstndniß des dichterischen Vermçgens festgestellt worden. Aber die Ergebnisse blieben unvollkommen durch den Mangel einer strengen Methode, durch die zu große Enge des Untersuchungsgebietes und durch die damalige Lage der allgemeinen
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Wissenschaft von psychischen Vorgngen, welche zu jener Zeit unter hemmenden Vorurtheilen armselig daniederlag. Das Glck dagegen, welches den Untersuchungen jener Zeit zu Theil ward, das nicht hoch genug angeschlagen werden kann, und das allen Untersuchungen dieser Art zu jener Zeit eine vornehme Grçße giebt, lag in dem Zusammentreffen der analytischen Arbeiten Kant’s und der Anschauung des Goethe’schen Genius, in welchem die ganze Natur der Dichtung wie in einer selbstndigen und ganz umfassenden Offenbarung sich aufzuschließen schien. Schiller, Humboldt, Schelling, Schopenhauer empfingen von hier aus die wichtigen Aufschlsse, welche ihre Arbeiten uns gewhren. Heute ist den sthetischen Untersuchungen eine strengere und mehr exacte Methode mçglich geworden durch die Entwicklung von zwei Hlfsmitteln. Das eine von ihnen liegt in der Physiologie der Sinne, denn alle Kunst bedient sich sinnlicher Eindrcke nicht blos als gleichgltiger Zeichen fr die Hervorrufung von Vorstellungen, sondern gerade die Natur dieser sinnlichen Mittel ist es, auf deren Benutzung ein großer Theil ihrer Wirkung beruht. Daher denn das Studium der Physiologie, insbesondere des Auges und des Ohres, die Grundlage jeder exacten Wissenschaft der Knste sein muß. Ein anderes mchtiges Hlfsmittel aber liegt fr uns in dem umfassenden, vergleichenden Studium der Kunstwerke aller Zeiten und Vçlker, in welchem das Material fr eine inductive Aesthetik liegt. Und zwar dieses Material erlutert durch alle Mittel historischer Kenntniß der Dichter selber. Es giebt Flle, welche einen Thatbestand, der Gegenstand der Forschung ist, in besonderer Deutlichkeit zeigen. Solche Flle haben fr die Induction ein hervorragendes Gewicht. Ein solcher Fall ist der berhmte Brief von Mozart, welcher den Einblick in die Art seines Schaffens erçffnet. Ein solcher Fall ist das Gesprch Michel Angelo’s mit Vittoria Colonna ber die Malerei. Ein Fall geringerer Art waren die in dem Nachlaß von Otto Ludwig enthaltenen Selbstbekenntnisse. Fr die Natur des erzhlenden Dichters mçchte es keinen gleich instructiven Fall geben, als derjenige ist, den die Mittheilungen ber Dickens fr uns bilden. In Dickens wirkt das Genie des erzhlenden Dichters mit einer wunderbaren Ursprnglichkeit, so gut als gar nicht durch irgend eine andere mitwirkende geistige Richtung modificirt. Es ist das Verdienst von John Forster,* das Material ber Dickens in ruhiger Thatschlichkeit mitgetheilt zu haben. Der Dichter selber hatte seine Biographie begonnen, doch ward diese dann in David Copperfield verarbeitet, und er hatte Forster dazu ausersehen, sein Leben zu schreiben. *) Charles Dickens’ Leben. Von John Forster. Ins Deutsche bertragen von Friedrich Althaus. Vom Verfasser autorisirte Uebersetzung. 2 Bnde. Berlin, R. v. Decker.
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„Du kennst mich,“ schrieb er ihm, „in Bezug auf diesen Gegenstand besser, als ein anderer Mensch mich kennt oder mich je kennen wird.“ Diese vertrauteste persçnliche Freundschaft machte Forster ungesucht und naturgemß zu seinem Biographen, so Manches man auch in anderer Rcksicht an seinem werthvollen Werke vermissen mag.
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I. Das Leben von Dickens bis zu dem Punkte, an welchem er seines Berufes inne wurde, was in seinem 21. Lebensjahre geschah, ist bis zum Erscheinen des Buches von Forster in ein mysteriçses Dunkel gehllt gewesen. Man wußte wohl in England, daß sein Roman David Copperfield zu einem großen Theil die Geschichte seines eigenen Lebens enthalte. Es gab Personen, welche den Knaben in einem Waarenhause am Strande in niedrigen Beschftigungen gesehen hatten. Es gab andere, welche auf der Schule in Hampstead-Road dann in einer spteren Zeit neben ihm gesessen hatten. Und von der Zeit nach dieser, in welcher er in der Galerie der Berichterstatter des Parlaments seinen Sitz hatte, sprach er selber spter gern, indem er inmitten von Journalisten sich als einen langjhrigen Collegen bezeichnete. Aber Niemand kannte ganz das Gewebe aus bitterster Noth, tiefen Demthigungen und langsamem, willensstarkem Aufsteigen, welches diese Epoche seines Lebens bildet. Und doch wird man bei ihr Auskunft ber die Natur und Entwicklung seines genialen Vermçgens suchen. Denn sofort, wie er auftrat, in seinen Londoner Skizzen und in seinen Pickwickiern, waren die am meisten hervorragenden Fhigkeiten des großen Erzhlers vollkommen entwickelt. Das stimmt auch mit seinen eigenen merkwrdigen Aeußerungen ber die Zeit, in welche zurck er sein ganz wunderbares Vermçgen der Auffassung von Charakteren und Begebenheiten zurckzuverfolgen vermochte. Er lßt sein Abbild im Copperfield noch Erinnerungen aus der Zeit haben, in welcher es begann, gehen zu lernen. „Das ist,“ fgt er hinzu, „vielleicht Einbildung, obgleich ich glaube, daß das Gedchtniß der meisten Menschen weiter in die Kindheit zurckgehen kann, als man gewçhnlich glaubt; ebenso, wie ich glaube, daß die Beobachtungsgabe bei vielen Kindern in Schrfe und Genauigkeit ganz wunderbar ist. Ich glaube sogar, daß man von den meisten Erwachsenen, die in dieser Hinsicht stark sind, eher sagen kçnnte, sie htten diese Fertigkeit verloren, als sie htten sie erlangt, um so mehr, als diese Mnner wenigstens eine gewisse Frische und
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Sanftmuth und eine Fhigkeit, sich ber etwas zu freuen, besitzen, Eigenschaften, die sie ebenfalls aus der Kindheit behalten haben.“ Dies bezog sich nur auf die Bewußtheit und deutliche Auffassung von Zustnden in einer außerordentlich frhen Zeit des Lebens und auf das Gedchtniß, welches ja nichts als die Folge der Lebendigkeit und Strke von Eindrkken ist. Aus seinem zehnten oder elften Jahre aber haben wir ein hçchst merkwrdiges Zeugniß von ihm selber fr die damals schon vorhandene Tiefe und Sicherheit in seinen Schlssen von wenn auch flchtigen Eindrcken auf Charaktere, sowie von seinem außerordentlichen Interesse hieran, welches ja nur die andere Seite dieses Vermçgens ist. Er beobachtet eine Scene im Gefngniß und bemerkt dazu – es ist das ein Fragment aus der von ihm begonnenen Selbstbiographie – : „Was komisch und was pathetisch in dieser Scene war, bemerkte ich, wie ich aufrichtig glaube, in meiner Ecke damals eben so gut, als ich es jetzt bemerken wrde, ob ich es nun zeigte oder nicht. Ich entwarf mir meinen eigenen kleinen Charakter und meine eigene Geschichte von einem Jeden, der seinen Namen auf das Stck Papier setzte. Ich kçnnte dies jetzt vielleicht mit mehr Naturwahrheit thun, aber nicht mit mehr Ernst und tieferem Interesse. Ihre verschiedenen Eigenthmlichkeiten in Kleidung, Gesichtsbildung, Gang, Manier prgten sich meinem Gedchtniß unauslçschlich ein. Ich freute mich sehr, es zu sehen, als das beste Schauspiel, das je gespielt wurde; ich dachte nachher bei den Tçpfen mit Schuhwichse gar oft daran zurck. Wenn ich whrend Herrn Pickwick’s Gefangenschaft mit dem Auge meines Geistes in das Fleetgefngniß hineinblickte, so glaube ich kaum, daß ein halbes Dutzend Leute aus jenem Haufen von Marshalsea fehlten, der bei dem Klange von Capitn Porter’s Stimme noch einmal hereindefilirte.“ Die Bemerkungen von Dickens ber sich selber sind der treue Ausdruck eines thatschlichen Verhltnisses. Jean Paul setzt in seiner Vorschule der Aesthetik das Wesen des Genies in die Besonnenheit, und dies ist vollkommen wahr, nur zu allgemein. Die ganze Außenwelt ist fr den gewçhnlichen Menschen, wenn wir ihn einmal als gar nicht nachdenklich vorstellen, nichts als eine Mannigfaltigkeit von Daten, welche er allesammt zur Befriedigung des Systems seiner Bedrfnisse benutzt; diese Daten haben ihren Zweck in der Orientirung des Menschen fr die Befriedigung seiner Bedrfnisse. Wie Jemand eilig durch eine Straße geht, um in einem entfernten Hause ein Geschft zu verrichten, und alle Huser und Grten, an denen er vorbereilt, ihm nur eben so viel Zeichen sind, an denen er seinen Weg abmißt und feststellt, so geht der gewçhnliche Mensch durch das Leben, immer nur von dem einen großen Geschft erfllt, entweder seine Bedrfnisse zu befriedigen oder, was Andere nennen, voranzukommen, sein Glck zu machen. Dagegen gleicht das Genie ei-
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nem Reisenden, welcher unbekmmert um ein Ziel Alles, was ihm begegnet, um sein Selbst willen betrachtet und jeden Eindruck als eine Nachricht auffaßt ber das Innere der Dinge. Das Auffassen selber ist sein Geschft, es ist daher besonders fhig, sich zu freuen, im Moment zu leben, dem Eindruck sich frisch, ganz und unbefangen hinzugeben. Daher erklrt sich, daß es immer, und wo es auch auftrete, als Genie fr Poesie, Philosophie und Wissenschaften ganz nothwendig von e i n e m Zuge begleitet ist, mehr von der Kindernatur sich bewahrt zu haben inmitten der Berechnungen des Lebens, wie Dickens es von sich hervorhebt. Denn dieser ist es vergçnnt, ohne Berechnungen und Plne in Anschauung und Empfindung, in lebhaft hingegebener Betrachtung zu leben. So sagt Schlichtegroll’s Nekrolog von Mozart: „Er wurde frh in seiner Kunst ein Mann, in allen brigen Verhltnissen aber blieb er stets ein Kind.“ Und von Goethe sagten Herder und Andere tadelnd, er sei ewig ein großes Kind (Riemer I, 184). Andererseits erklrt sich aus dem Interesse und der Energie der Eindrcke das wunderbare Gedchtniß fr dieselben, und so mçchten wohl die großen Erzhler und Dramatiker wie Dickens naturgemß auch eine frheste Erinnerung haben. Worauf nun der betrachtende Blick des Genies sich vorherrschend richte, darber entscheiden bestimmte Factoren. Die Merkmale des Genies lassen sich allgemein aufstellen, aber es giebt kaum ein allgemeines Genie, soweit wir die Geschichte geistiger Schçpfungen bersehen. Denn die Richtung des Interesses umgrenzt naturgemß einen bestimmteren Kreis von Eindrcken, denen das Anschauen von vornherein hingegeben ist. Nur Leonardo erscheint als eine Art von Ausnahme; wie er die bildenden Knste, Architektur, Musik, Dichtung, Wissenschaften umfaßte, schien sein Vermçgen unbegrenzt. Das Genie empfngt das Maß seiner Grçße naturgemß aus dem Verhltniß von Intensitt und von Ausbreitung seines Vermçgens; diese beiden Factoren bedingen zusammen das Maß seiner Mchtigkeit, wenn auch nicht immer seines geschichtlichen Einflusses. Organisation und Umstnde geben diese bestimmte Richtung. Fr die erstere sind die Verhltnisse uns bis jetzt noch in Dunkel gehllt. Die Beziehungen der Vernderungen, welche bei geistiger Thtigkeit im Gehirn vorgehen zu dem wunderbar verschlungenen Bau dieses geheimnißvollen Organs und zu seiner Ernhrung, liegen fr uns noch im Dunkel. Ebenso haben wir ber das Verhltniß specifischer Begabungen zu den Sinnen des Auges und Ohres noch keine strengen Wahrheiten. Jedoch liegen auf diesem letzteren Gebiet eine Anzahl von Thatsachen vor, welche geeignet erscheinen, ein erstes Licht in das Dunkel ursprnglicher dichterischer Anlagen zu werfen. Wir gewahren in einer langen Reihe von Fllen, daß Musik einen die dichterische Stimmung begnstigenden Einfluß hat. Wir wissen von Otto Ludwig
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und von Heinrich v. Kleist, daß die Musik in dem Aufbau ihrer Dramen und Erzhlungen eine wichtige Rolle spielte, und Niemand kann die berhmten Stellen Shakespeare’s ber die Musik lesen, ohne das besonders innige Verhltniß dieses Dichters zu der Kunst der inneren Welt zu bemerken, whrend die bildende Kunst ihm infolge der historischen Bedingungen, unter denen er in England lebte, fern stand. Selbst von Goethe, dessen Dichten eine Art von Schauen und Sehen war, finde ich in seinem Tagebuche bemerkt, daß er in jener Epoche, in der Iphigenie entstand und Meister sich ausbildete, Musiker in sein Gartenhaus zu sich bat, als er eines neuen Anstoßes seines Gemthslebens bedurfte, und daß dann rascher die Bilder und Scenen bestimmte Gestalt und Energie der Empfindung gewannen. Und dies ist natrlich. Denn das Gehçr ist fr uns das Thor, durch welches die inneren Zustnde außer uns vorwiegend in unser eigenes Innere eintreten. Weil in der Sprache, mag sie auch nur Vorstellungen mittheilen wollen, ein bewegtes Innere in den Variationen des Tones, seinen Hebungen und Senkungen klingt und unser Gehçr sich von Kind an gewçhnt, die Beziehungen solcher Unterschiede auf Gemthszustnde aufzufassen und, was untrennbar damit zusammenhngt, mitzuempfinden, empfngt die Musik Schemata solcher Beziehungen und wirkt in ihnen schçpferisch. Diese so gestiftete Verbindung zwischen Tonverhltnissen und den Bewegungen des Inneren macht das Wesen der Musik aus, ber welches so viel gestritten worden ist. Es liegt neben der von Helmholtz aufgedeckten physiologischen Grundlage derselben in der Analyse des Gehçrs eine andere physiologische Grundlage, deren Untersuchung Gegenstand weiterer Forschung sein wird, in der Analyse der Tonbildung. Hier erkennt man also die innerste Verwandtschaft, welche zwischen der Musik und der Dichtung besteht, rcksichtlich ihrer Mittel des Ausdrucks, rcksichtlich der schematischen Bilder von Tonfolgen, welche Sprache und Musik gemeinsam sind, und ihrer bestndigen Association mit Bildern innerer Zustnde, rcksichtlich endlich dieser Erregung innerer Gemthszustnde. Und diese Verwandtschaft macht sich demnach in einer gleichen Neigung von Musikern und Dichtern, von Gehirneindrcken zu einer Welt von Gefhlen erregt zu werden, geltend. Aber weit entschiedener noch tritt bei einigen großen Dichtern eine ursprngliche Mchtigkeit der Organisation in Bezug auf Aufnahme von Gesichtseindrcken hervor. Denn die Natur der dichterischen Phantasie in ihrem eigentlichsten Verstande steht hiermit in Zusammenhang. Sie ist zunchst nichts Anderes als ein besonders hohes Maß von u ß e r e r V e r s i n n lichung bloßer Vorstellungen. Wir verlegen Empfindungen aus uns heraus, und es entstehen ußere Objecte. So lange die Empfindung andauert, steht das Object vor uns, sobald wir aber das Auge wegwenden von der Landschaft, die im Sonnenlicht vor uns
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schimmert, sobald also das Licht nicht mehr in derselben Weise unsere fr es empfindsame Netzhaut afficirt, ist das Bild außer uns vorber; nur in den Phnomenen der Nachbilder erleben wir, nachdem die ußere Ursache fr die Vernderungen in unserer Netzhaut nicht mehr wirkt, doch eine Fortdauer ihres vernderten Zustandes und, dadurch bedingt, dann eine Fortdauer des ußeren Bildes. Von diesem Fall aber abgesehen, ist mit dem Aufhçren der Wirkung der ußeren Ursache auf unsere Netzhaut das Bild der Außenwelt vorber, d. h. anders ausgedrckt: ein im ußeren Sehfelde erscheinendes Bild ist im Durchschnitt, d. h. unter mittleren physiologischen Bedingungen gebunden an einen bestimmten vernderten Zustand unserer Netzhaut, und dieser vernderte Zustand ist wieder seinerseits im Durchschnitt, d. h. unter den meist herrschenden physiologischen Bedingungen, gebunden an eine ußere Ursache. – Ein Reich besonderer Flle wird demnach durch den Inbegriff derjenigen Thatsachen gebildet, in welchen Bilder im Sehfelde gesehen werden, ohne daß ußere Ursachen eine bestimmte Affection der Netzhaut hervorriefen. Das Reich solcher Flle ist das des Traumes der Thatsachen ber Somnambule, der Visionen, der phantastischen Gesichtserscheinungen und einiger Formen des Wahnsinns. Die Bilder ußerer Dinge, zu denen sonst das Gehirn sein Material vom Auge her empfngt, sind hier nur mit im Gehirn stattfindenden Zustandsvernderungen verbunden, so wie das sonst bei Vorstellungen der Fall, die bekanntlich nicht wirklich in den ußeren Sehraum versetzt werden. – Natrlich geschieht dies sehr schwer am hellen Tage, daß wir so zu sagen bloße Vorstellungen im Sehraum gewahr werden, denn dieser ist dann jederzeit erfllt von den Bildern, die durch ußere Gegenstnde hervorgerufen sind. Aber man sagt ja, daß am Abend die Flgel der Phantasie sich mchtiger zu regen beginnen, wann die Bilder der Außenwelt an ihrer Deutlichkeit verlieren und nicht mehr mit so lebendigem und farbenvollem Wechsel die Seele beschftigen. Schließt sich aber das Auge ganz oder ist es von Dunkel umgeben, dann beginnen jene besonderen Zustnde unseres psychischen Lebens Raum zu erlangen, einen Außenraum fr die Uebertragung der Bilder eines erregten inneren Vorstellungsvermçgens. Ich habe dies besonders hervorgehoben, weil ich sehr bald daran die Erklrung eines der merkwrdigsten Documente ber die Natur dichterischen Schaffens knpfen werde: es betrifft das nchtliche Herumschweifen von Dickens in den Straßen von London, whrend die Gestalten seiner großen Dichtungen neben ihm her zu schreiten und aus dem Dunkel zu ihm zu reden schienen. Zunchst aber bedarf es noch einiger weiterer Schritte theoretischer Natur. Die Vorstellungen, welche zurckbleiben, nachdem das Bild im Sehfelde vorbergegangen ist, und die alsdann unter bestimmten psychischen Bedingungen reproducirt werden, haben in verschiedenen Individuen ein ganz ver-
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schiedenes Maß von Deutlichkeit und von Annherung an das vorbergegangene Bild, in Bezug auf ihre Bildlichkeit so zu sagen. In dem einen Menschen sind sie nur in schwacher Frbung, in verworrenen Linien, in dem anderen steigern sie sich bis beinahe zur Sinnflligkeit des ußeren Bildes. Alle indessen in Allen werden vorgestellt in der Richtung des Blickes, da, wo auch das Object erscheinen wrde, und demgemß analog in dieser Beziehung den im Sehfelde erscheinenden Bildern selber. Den Grad ihrer Verschiedenheit auch in demselben Individuum kann man sich verdeutlichen, wenn man einen Gegenstand, etwa einen Baum, vor dem Fenster klar auffaßt und danach das Auge schließt. Alsdann erscheint er dem Vorstellen genau an derselben Stelle und in einem ziemlich hohen Grade von Annherung an das Außenbild selber. Wie anders ist dann, nachdem man lngere Zeit im Zimmer sich bewegt hat, das Bild des Baumes, wenn man es reproducirt! So schwindet die Deutlichkeit eines Bildes außerordentlich rasch, unmittelbar nachdem der Eindruck erfahren wurde. – Das Vermçgen, diese Deutlichkeit beizubehalten, nennen wir Gedchtniß; eigentlich wre Gedchtniß doch nichts Anderes als der Grad von Deutlichkeit einer Vorstellung, welche nicht wieder reproducirt wurde, nach Ablauf einer bestimmten Zeit, gemessen an der Deutlichkeit der Vorstellung unmittelbar nach dem Verschwinden des Außenbildes. Wenn wir nun die Grade in der Annherung einer Vorstellung an alle Eigenschaften des ihr zu Grunde liegenden Bildes unterscheiden, so wird diesen Graden zugleich auch das Gedchtniß fr die in Frage stehende Vorstellung entsprechen. Daher Genialitt in Schçpfung von Bildern, Begebenheiten und Charakteren jederzeit begleitet ist von dem Gedchtniß fr dieselben. Anhufung eines solchen Schatzes von Vorstellungen im Inneren ist die eine Seite der dichterischen Phantasie, d. h. des Genies fr Darstellung einer objectiven dichterischen Welt. Es ist aber noch ein anderer psychischer Thatbestand hiermit in einer gesetzmßigen Beziehung. – Das Maß des Interesses, d. h. der Lust, mit welcher diese Bilder gesehen und als Vorstellungen reproducirt werden, steht in einem bestimmten gesetzlichen Verhltniß zu dem Maß ihrer Lebhaftigkeit. Dies kann durch einen einfachen Versuch verdeutlicht werden. Wir kçnnen zu gleicher Zeit die Gegend vor unserem Fenster gewahren, eine Musik hçren, welche von dort heraufklingt, den Geschmack der Cigarre und ihren Geruch gewahr werden – ja wir kçnnen sogar die Empfindung von Zahnschmerzen daneben haben; anders ausgedrckt: wir kçnnen gleichzeitig uns der Empfindungszustnde unserer smmtlichen Sinne bewußt sein. Aber nun versuche man einmal, die Melodie, welche heraufklingt, das Zusammenwirken der Instrumente in vollstndiger Deutlichkeit aufzufassen: sofort werden die Eindrcke aller anderen Sinne undeutlich bis zu einem Punkte, an welchem sie
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unter die Schwelle des Bewußtwerdens alsdann herabsinken. Das psychische Wirken, welches die Thtigkeit unseres Gehirns und unseres Nervensystems begleitet, vermindert sich nothwendig nach irgend einem festen Verhltniß in seinem Umfang, whrend seine Concentration wchst. Demnach kann umgekehrt die hçchste Deutlichkeit nur da vorhanden sein, wo das Gewahrwerden des Bildes von dem hçchsten Grade von Interesse begleitet war und eben ein solcher Grad von Interesse Grund zu hufigen und lebhaften Reproductionen wird. – Wir erhalten demnach als einen dritten Grundzug des Genies in einer bestimmten Richtung schçpferischen Gestaltens die Strke des natrlichen Interesses fr die Gruppe von Bildern, um welche es sich handelt. Der Begriff dieses natrlichen Interesses kann aber umgesetzt werden in den der Lustgefhle, welche eine bestimmte Classe von Bildern und Vorstellungen begleiten. Keine Absicht, gewahr werden zu w o l l e n , scharf aufmerken zu w o l l e n , kann diese natrliche Gesetzmßigkeit, durch welche die begleitenden Lustgefhle die Aufmerksamkeit concentriren, ersetzen. – Ich bemerke schon hier, daß Dickens, weil er so schwer litt unter der Willkr, welche ihm eine seinem ausgeprgten Genie unangemessene Richtung der Aufmerksamkeit aufzwingen wollte, Zeit seines Lebens einen so leidenschaftlichen Haß gegen jene Schuldisciplin hegte, welche die Entwicklung dieser natrlichen, auf Lustgefhlen beruhenden Aufmerksamkeit gewaltsam unterdrckt und noch gewaltsamer zu ersetzen sucht durch eine erzwungene und knstliche Concentration der Aufmerksamkeit des jugendlichen Geistes. Sein Haß gegen die Schuldressur und die Mißhandlung der Kinderseele wird bei ihm zu einem der wichtigsten socialen Grundgedanken seiner Schriften. Das Genie des erzhlenden Dichters wird nun nach seinen Ausgangspunkten deutlicher geworden sein. Es ist zunchst ein besonders hohes Maß von ußerer Versinnlichung bloßer Vorstellungen. Dies ist gegrndet auf das Interesse, mit dem irgend ein Theil ußerer Bilder gesucht, aufgefaßt, verarbeitet, reproducirt wird. Die natrliche Aeußerung hiervon ist eine wunderbare Treue des Gedchtnisses fr diesen Kreis von Bildern. Dies Alles hat das Genie des erzhlenden Dichters mit dem Maler und bildenden Knstler gemein. Ich zweifle keinen Augenblick, daß ein gewisser voller, umfassender, ruhender Blick als eine in die Augen fallende physiognomische Eigenthmlichkeit großen erzhlenden Dichtern und großen bildenden Knstlern gemeinsam sein, bei ihnen gemeinsam sehr bemerkbar hervortreten wird. An dem Bilde des jugendlichen Dickens ist dieser Zug hçchst auffallend, ebenso wie er es an dem von Goethe und W. Scott ist. – Dem erzhlenden Dichter aber eignet als unterscheidendes Merkmal seiner ursprnglichen Richtung die Mchtigkeit in dem Mitempfinden der inneren Zustnde der Menschen, der Menschenwelt. Diese ist naturgemß verknpft mit der Mchtigkeit der Gemthszustnde
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berhaupt. – Aus diesen Elementen muß sich unter allen Umstnden seine Genialitt zusammensetzen, und das, was man wohl im engeren Sinne Genie nennt, das erfindende Vermçgen des Erzhlers, ist jederzeit ein Effect irgend einer Mischung der hier zusammengestellten psychophysischen Anlagen. Die Aeußerungen von Dickens geben die merkwrdigsten thatschlichen Belege zu dem hier entwickelten Zusammenhange. Von seiner Neigung, menschliche Situationen und Charaktere aufzufassen und sich zu verdeutlichen, waren schon Aeußerungen vorgelegt. Diese seine Neigung aber wurde außerordentlich gefçrdert dadurch, daß er die großen erzhlenden Schriftsteller seiner Nation in frhesten Jahren in die Hand bekam, und daß die Beschftigung mit diesen und andererseits mit der wirklichen Welt in seinem Kindergeist gar kein Gegengewicht hatte in irgend einer durch die Schule ihm zugefhrten Nahrung. So verschmolz die Wirklichkeit der Dinge und die poetische Welt jener erzhlenden Dichter ihm zu einer Welt geradezu genialer Imagination, vom frischesten Morgenlicht ersten Anschauens gesttigt, in welcher sich dann auch der grçßte und schçnste Theil seiner Romane bewegt. Nie gab es einen Dichter, welcher das Leben der Kindheit und der ersten Jugend mit solcher Tiefe erfaßt htte, weil niemals so bewußt, mit solcher dichterischen Beobachtung diese Zustnde erfahren wurden als von ihm. Und nie hat ein Dichter in solchem Grade den Stoff seiner Schçpfungen aus den Erfahrungen der Kindheit und der Jugend geschçpft wie Dickens. Den Ursprung dieser dichterischen Welt beschreibt er in einer Stelle des Copperfield, welche auch Forster als ein biographisches Document anerkennt. Es bezieht sich auf seine Kinderjahre bis zum neunten: „Mein Vater hatte eine kleine Bchersammlung in einem kleinen Zimmer im oberen Stock gelassen, zu dem ich Zutritt hatte (denn es stieß an mein eigenes), und um das Niemand sonst im Hause sich je bekmmerte. Aus diesem gesegneten kleinen Zimmer kamen Roderich Random, Peregrine Pickle, Humphrey Clinker, Tom Jones, der Vicar von Wakefield, Don Quichote, Gil Blas und Robinson Crusoe hervor, eine glorreiche Schaar, um mir Gesellschaft zu leisten. Sie hielten meine Phantasie lebendig und meine Hoffnung auf etwas jenseits jenes Ortes und jener Zeit – sie und die ‚arabischen Nchte und die ‚Erzhlungen der Genien – und fgten mir kein Uebel zu; denn was etwa Uebles an ihnen war, war nicht fr mich da; ich wußte nichts davon. Es ist mir sonderbar, wie ich mich je in meinen kleinen Leiden (die fr mich große Leiden waren) damit trçsten konnte, daß ich meine Lieblingscharaktere in denselben personificirte. Ich bin eine ganze Woche lang Tom Jones (ein kindlicher Tom Jones, ein harmloses Geschçpf) gewesen. Ich habe, wie ich wahrhaftig glaube, meine eigene Vorstellung von Roderich Random einen ganzen Monat lang in einem Zuge durchgefhrt. Ich verschlang mit gierigem Behagen
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einige Bnde Reisebeschreibungen – ich vergesse nicht, welche – die in jenen Bcherbrettern waren, und ich erinnere mich, daß ich viele Tage lang in meiner Region unseres Hauses umherwanderte, bewaffnet mit dem Mittelstck aus einem alten Stiefelblock, als vollkommene Personification eines Capitns der britischen Marine, der Gefahr luft, von Wilden berfallen zu werden und entschlossen ist, sein Leben so theuer als mçglich zu verkaufen. Wenn ich daran denke, so steigt vor meiner Seele immer das Bild eines Sommerabends auf; die Jungen spielen auf dem Kirchhof, und ich sitze auf meinem Bett, wie auf Leben und Tod lesend. Jede Scheune in der Nachbarschaft, jeder Stein in der Kirche und jeder Fußbreit des Kirchhofs stand in meinem Geiste in einer gewissen Beziehung zu den Bchern und stellte einen in denselben berhmt gewordenen Ort dar. Ich habe Tom Pipes den Kirchthurm hinaufklettern sehen, ich habe Strap belauscht, wie er mit seinem Ranzen auf dem Rcken an dem Gartenthor ausruht, und ich weiß, daß Commodor Trunnion seinen Club mit Herrn Pickle in der Gaststube unserer kleinen Dorfkneipe hatte.“ Als er nach London bersiedelte, verschmolzen diese Eindrcke mit denen der wunderbaren Contraste von Armuth und Reichthum, der aufregenden Romantik dieses Ortes. Und es war fr die ganze Richtung seiner Poesie von entscheidender Bedeutung, daß er in der armseligen Vorstadt, in die sie zogen, von den Eindrcken der Armuth und des Kampfes um die Existenz ganz umgeben war. „Ich verstand sie damals,“ so ußerte er sich çfter spter, „sicherlich eben so gut als jetzt.“ Es standen oben am Ende von Bayham Street damals einige Armenhuser, die Dickens noch nach siebenundzwanzig Jahren wiedersah, und diese aufzusuchen und von dort aus ber die Erdhaufen und Felder zu blicken und die Kuppel der Paulskirche darber durch den Rauch aufdmmern zu sehen, war ihm ein Vergngen, das ihm Stunden lang Stoff zum Nachdenken bot. Dann ein Spaziergang durch die Stadt, besonders in die Nhe des Covent Garden und des Strandes, erfllte ihn mit wahrhaftem Entzkken. Der abstoßende District von St. Giles bte indeß die allergrçßte Anziehungskraft auf ihn aus. Wenn er seine Bekannten und Freunde verfhren konnte, mit ihm durch Seven-Dials zu gehen, war er außer sich vor Freude. „Großer Gott,“ rief er spter oft aus, „was fr wilde Visionen von Ausgeburten der Schlechtigkeit, des Mangels und des Bettlerthums steigen aus diesem Orte in meinem Geiste empor!“ Ein Buch von Colman, welches eine Beschreibung des Covent Garden Markt enthielt, machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er hinschlich, den Ort mit dem Buche zu vergleichen. Was er von seinem Gedchtniß fr Scenen des Lebens erzhlte, gehçrt zu den auffallendsten Thatsachen hierber. Oft erzhlte er Forster, er erinnere sich des kleinen Gartens vor dem Hause in Portsea, das er zwei Jahre alt verließ, und wo er in Begleitung seiner Schwester und von etwas Eßbarem in der
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Hand umherlief, whrend ein Kindermdchen durch ein niedriges, mit der Gartenflche fast auf demselben Niveau liegendes Kchenfenster ihn beobachtete. Einst trug man ihn auf den Platz hinaus und zeigte ihm, wie dort die Soldaten exercirten, und ebendenselben Platz erkannte er zu der Zeit, da er „Nickleby“ schrieb, bei einem Ausfluge mit Forster wieder, nachdem ein Vierteljahrhundert verstrichen war, da er ihn als Kind gesehen hatte. Nur daß er spter, entsprechend dem Verhltniß des Kindes zu Gegenstnden, Alles in Dimensionen sah, welche weit hinter seinen Erinnerungen zurckstanden; er war dann erstaunt, die Hochstraße von Rochester als eine Gasse wiederzufinden, das Rathaus, nach welchem er sein Bild vom Palast des Aladin gemodelt hatte, als einen elenden kleinen Haufen von Ziegelsteinen. Besonders interessant fr das Studium der Natur des Erzhlergenies sind aber die Aeußerungen, welche das selbstndige Leben seiner dichterischen Gestalten zeigen; nhern sich dieselben doch geradezu Realitten der Außenwelt und erhalten dadurch etwas von der Natur der Visionen. Als er in seiner Geschichte „Der Rarittenladen“ sich dem Ende einer Lieblingsgestalt, der kleinen Nell, nherte, kostete es ihn die schmerzlichste Ueberwindung. Er bediente sich aller mçglichen Entschuldigungen, seine Hand davon abzuhalten, und dehnte die Zeit, innerhalb welcher es vollendet werden mußte, bis an die ußerste Grenze aus. „Fertig!!“ schrieb er am 7. Januar an Forster. „Was denkst du?! Ich werde nicht vor Mittwoch Abend fertig sein. Ich fing erst an, und glaube mir, ber diesen Theil der Geschichte kann man nicht rasch hinwegeilen. Ich glaube, es wird herrlich werden – aber ich bin der Elendeste der Elenden. Es wirft den furchtbarsten Schatten ber mich, und das Hçchste, was ich thun kann, ist, mich berhaupt fortzubewegen. Ich bebe viel mehr, mich dem Orte zu nhern, als Kit, viel mehr als Mr. Garland, viel mehr als der einzelnstehende Herr. Ich werde mich lange nicht davon erholen; Niemand sie entbehren, wie ich sie entbehren werde. Es ist so tief schmerzlich fr mich, daß ich meinen Kummer nicht auszudrcken vermag. Alle Wunden bluten von Neuem; wenn ich nur daran denke, wie ich es thun soll, was das wirkliche Thema sein wird, weiß Gott. Ich kann mir nicht den Trost des Schulmeisters vorpredigen, so sehr ich’s auch versuche.“ Und nachdem die Geschichte zu Ende gebracht ist: „Es macht mich tief traurig, zu denken, daß alle diese Leute mir nun auf immer verloren sind, und mir ist, als kçnnte ich nie wieder in einem anderen Kreise von Charakteren heimisch werden.“ Als er dann spter in Genua an jener merkwrdigen Geschichte „Die Sylvesterglocken“ schrieb, bemerkte er: „Dieses Buch hat (ob in Hadschi Baba’s Sinne, kann ich nicht sagen, aber
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jedenfalls im wçrtlichen Sinne) mein Gesicht in einem fremden Lande gebleicht. Meine Wangen, die anfingen, sich auszufllen, sind wieder eingefallen; meine Augen sind unermeßlich groß geworden; mein Haar ist sehr dnn; und der Kopf unter dem Haar ist heiß und schwindelig. Lies die Scene am Ende des dritten Theiles zweimal. Ich mçchte sie nicht zweimal schreiben. Seit ich am Ende des zweiten Theiles das ausdachte, was im dritten geschehen muß, habe ich so viel Kummer und Gemthsbewegung ausgestanden, als wre die Sache etwas Wirkliches, und bin bei Nacht davon aufgewacht. Ich mußte mich einschließen, als ich gestern damit fertig war, denn mein Gesicht war zu dem doppelten seiner Grçße angeschwollen und gewaltig lcherlich.“ Die Bedingungen aber, unter welchen seine Gestalten Leibhaftigkeit gewannen, selbstndige Existenz außer ihm und Bewegung, wurden ihm selber – und es ergriff ihn das als eine merkwrdige Thatsache und ein geistiges Phnomen – damals zuerst deutlich, als er sich lngere Zeit von London entfernt hatte und in der wunderbaren Einsamkeit des Genfer Sees ber seinem Dombey brtete. Damals, am 30. August 1846, schrieb er an Forster: „Die Schwierigkeit, mit dem, was ich einen schnellen Schritt nenne, vorzurcken, ist ungeheuer, es ist beinahe eine Unmçglichkeit. Vermuthlich ist dies theilweise die Wirkung von zwei Jahren des Ausruhens und theilweise der Abwesenheit der Straßen und vieler Menschengestalten. Ich kann dir nicht beschreiben, wie sehr ich diese entbehre. Es scheint, als gben sie meinem Gehirn eine Nahrung, die es, wenn es an der Arbeit ist, nicht entbehren kann. Eine oder zwei Wochen kann ich an einem einsamen Orte (wie in Broadstairs) wunderbar schreiben, und ein Tag in London erfrischt mich und bringt mich wieder in Gang. Aber die Mhe und Arbeit, Tag fr Tag ohne diese laterna magica zu schreiben, ist unermeßlich!!! Ich sage dies keineswegs in niedergeschlagener Stimmung, denn wir fhlen uns hier vollkommen behaglich, und der Ort gefllt mir sehr, und die Leute sind noch freundlicher und mçgen mich noch lieber leiden als in Genua. Ich erwhne es nur als eine merkwrdige Thatsache, zu deren Entdeckung sich mir bis jetzt noch niemals Gelegenheit geboten hat. M e i n e Gestalten scheinen geneigt, still zu stehen, wenn kein Menschengewhl sie umwogt. Ich schrieb in Genua sehr wenig (nur die Sylvesterglocken), und es kam mir vor, als empfnde ich dort einen derartigen Einfluß – aber, o Himmel! ich hatte doch wenigstens eine halbe Meile von allnchtlich erleuchteten Straßen zum Umherwandern und ein großes Theater, wo jeden Abend gespielt wurde.“ Drei Tage danach fgt er zu diesem Selbstbekenntniß noch die folgende Aeußerung: „Die Abwesenheit zugnglicher Straßen ist mir jetzt, wo ich so viel zu thun habe, noch immer in eigenthmlicher Weise lstig. Es ist wirklich ein geistiges
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Phnomen. Vermuthlich wrde ich, wren Straßen hier, dieselben nicht bei Tage durchwandern, aber Nachts fehlen sie mir unbeschreiblich. Es scheint, als kçnne ich meine Gespenster nicht anders los werden, als indem ich sie im Menschengewhl verliere. Aber, wie du sagst, es giebt Straßen in Paris und zwar gute gedankenerweckende Straßen, und Ausflge nach London werden dann sehr leicht sein.“ Die Trume von Dickens nahmen bisweilen eine solche Lebhaftigkeit an, daß er noch einige Zeit danach zweifelhaft war, ob nicht eine Vision stattgefunden habe.
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Diese Erçrterungen mssen das Interesse an dem Leben von Dickens bis zu dem Zeitpunkt, an welchem sein erstes Werk heraustrat, bedeutend verstrken. Denn von diesem Leben wird man Aufschluß nicht nur ber die Bedingungen der Gestaltung seines Charakters, sondern auch ber das Material und den geistigen Gehalt seiner Dichtungen erwarten mssen. Der Zeitraum, welchen wir damit umfassen, bildet die erste Epoche in dem Leben von Dickens, und diese Epoche schließt mit dem Hervortreten der Londoner Skizzen, welchen dann die Pickwickier auf dem Fuße folgten. Dickens liebte es, dem Vorbilde des Tristram Shandy folgend, die Ankunft seiner Helden in dieser Welt mit einem besonderen Feuerwerk von Humor und Philosophie ber das Leben zu feiern. Wir aber sind nur zu einer sehr schlichten Erzhlung in der Lage. Charles Dickens wurde am Freitag den 7. Februar 1812 in Landport auf Portsea geboren. Sein Vater war damals Beamter bei dem Zahlamt der Marine. Seine Mutter war die Schwester eines Marinebeamten. Von acht Kindern starben zwei im jugendlichen Alter. Von den berlebenden war Charles das zweite. Von Portsmouth zog die Familie nach London, von da nach Chatham. Charles war ein sehr kleiner und sehr krnklicher Knabe, heftigen Krampfanfllen unterworfen. Die Behandlung von seinen Eltern war nicht sonderlich freundlich. So suchte er in einer einsamen und liebeleeren Kindheit bei den Dichtern Ersatz, und sie waren ihm eine Schaar von Freunden zu der Zeit, als er keinen einzigen Freund hatte. Als er von Chatham nach London kam, herausgerissen ward aus der idyllischen Welt, welche er mit den Gestalten seiner Trume bevçlkerte, wurden die ußeren Lebensbedingungen fr ihn noch trostloser, ja vçllig verzweifelt; um mit einem Wort ein Licht in diese seine Lebensbedingungen zu werfen:
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die Schicksale des berhmten Ehepaars Mr. und Mrs. Mikawber waren die seiner eigenen Eltern, und die Leiden des kleinen David Copperfield waren seine Leiden. Ich weiß keinen strkeren Beweis fr die furchtbare Gewalt, mit welcher diese Zustnde auf seinem Gemth lasteten, als die Thatsache, daß er sie lange allen ihm nchststehenden Personen gegenber verschwieg, daß er die Straße und das Haus mied, welche die Zeugen seiner schlimmsten Demthigung gewesen waren. Nie wich das furchtbare Gefhl jener Zeiten aus seinem Herzen. Sie zogen in einem der rmsten Theile der Londoner Vorstdte in eine elende Wohnung, und dort verfiel der Knabe in eine verwahrloste Lage, welche er selber spter sich nie ganz zu erklren vermochte. Schließlich wird man auf den Charakter seines Vaters verwiesen, ber welchen er sich Forster gegenber sehr zurckhaltend, aber doch in der Zurckhaltung deutlich genug folgendermaßen aussprach: „Ich weiß, daß mein Vater ein so warmherziger und edler Mensch war als irgend einer, der lebte. Sein ganzes Benehmen gegen seine Frau, seine Kinder, seine Freunde, so wie ich mich desselben erinnere, ist ber alles Lob erhaben. Bei mir hat er, wenn ich als Kind krank war, Tage und Nchte gewacht. Er unternahm nie ein Geschft, einen Auftrag oder eine Verantwortlichkeit, ohne sie eifrig, gewissenhaft, pnktlich, ehrenhaft zu erfllen. Er war immer unermdlich fleißig. Er war in seiner Weise stolz auf mich und bewunderte meinen komischen Gesang sehr. Aber bei der Leichtigkeit seines Temperaments und seinem Mangel an Geldmitteln schien er um diese Zeit jeden Gedanken an meine Erziehung vçllig verloren und sich der Vorstellung, daß ich irgend welche Ansprche an ihn habe, entschlagen zu haben. So sank ich dazu herab, daß ich Morgens seine und meine Stiefel putzte und mich bei den Geschften des kleinen Hauses ntzlich machte und nach meinen jngeren Brdern und Schwestern sah (es waren unserer jetzt im Ganzen sechs) und die klglichen Bestellungen ausrichtete, die bei unserer klglichen Lebensweise auszurichten waren.“ In Betreff dieses Charakters und der ganzen Auffassung der Verhltnisse seines elterlichen Hauses stehen wir vor einer kritischen Frage. Die Verhltnisse seines Vaters und seiner Mutter sind die von Mr. und Mrs. Mikawber. Eine geheimnißvolle „Urkunde“, die, wie er spter erfuhr, ein Vergleich mit Glubigern gewesen war, spielte in den Verhltnissen seines Vaters dieselbe Rolle als in denen der Familie Mikawber. Wie Mrs. Mikawber „eine Anstrengung machte“ und eine Pension fr junge Damen einrichtete, so erklrte auch Mrs. Dickens, als die Verhltnisse immer drckender wurden, die Zeit sei fr sie gekommen, sich zu bemhen, „sie msse etwas thun.“ Man rechnete auf die Verbindungen der Familie in Indien, und es war ein ganz Mi-
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kawber’scher Schluß, auf welchen die Familie ihre Hoffnungen setzte: die Leute in Indien schickten ihre Kinder zur Erziehung immer nach England, indem man also eine Schule fr diese Kinder einrichtete, msse man reich werden. Wie aber, nachdem Mrs. Mikawber ihr Messingschild angeheftet hatte, Niemand erschien, an der Thr zu pochen, als unbezahlte Bcker und Fleischer, so ging es auch, nachdem ein großes Messingschild an einem hierzu gemietheten Hause Mrs. Dickens’ Institut angekndigt hatte; Dickens selber erzhlt: „Ich gab an sehr vielen anderen Thren sehr viele Circulare ab, die auf die Verdienste des Instituts hinwiesen; doch Niemand kam je in die Schule, noch erinnere ich mich, daß Jemand sich bereit erklrte, zu kommen, oder daß die geringsten Vorbereitungen gemacht wurden, Jemanden zu empfangen. Aber ich weiß, daß wir uns sehr schlecht mit dem Fleischer und dem Bcker verstanden, daß wir sehr oft nicht zu viel zum Mittagessen hatten, und daß endlich mein Vater verhaftet wurde.“ „Endlich kamen,“ heißt es im Copperfield, „Mr. Mikawber’s Bedrngnisse zu einer Krisis, und er wurde eines Morgens frh verhaftet und in das KingsBench-Gefngniß gebracht. Als er fortging, sagte er zu mir, daß der Gott des Tages jetzt fr ihn versunken sei – und ich glaube wirklich, ihm und mir war das Herz gebrochen. Aber ich hçrte spter, daß er vor dem Mittag noch ganz fidel eine Partie Kegel spielte.“ An diesem Punkt empfinde ich wenigstens am deutlichsten die Mißachtung, die Dickens seinem Vater gegenber empfand, und welche die obigen Worte vergebens verschleiern. Es ist wiederum eine Scene aus dem Leben seines Vaters, die Dickens hier schildert, eine Scene, welche damals ihm furchtbar und tragisch war und eben darum bei verndertem Gesichtspunkt, als die Vorherverkndigung sich nicht verwirklichte, ihm komisch wurde. Als derselbe in das Schuldgefngniß abgefhrt wurde, lauteten seine letzten Worte dahin, daß die Sonne auf immer ber ihm untergegangen sei. „Ich glaubte damals wirklich,“ so erzhlte Dickens spter seinem Freunde, „sie wrden mein Herz brechen.“ Alsdann folgte die berhmte Scene, welche ebenfalls beinahe wçrtlich in das unsterbliche elfte Capitel des Copperfield aufgenommen wurde; in der Selbstbiographie lautete sie (und man mag Copperfield damit vergleichen): „Mein Vater erwartete mich in der Wohnung des Thrhters, und wir gingen in sein Zimmer hinauf (in dem zweitobersten Stockwerk) und weinten laut. Und er rieth mir, wie ich mich entsinne, mir die Warnung zu Herzen zu nehmen und zu bedenken, daß, wenn Jemand zwanzig Pfund jhrlich Einkommen habe und neunzehn Pfund neunzehn Schilling und sechs Pence davon ausgebe, es ihm gut gehen werde, wenn er aber einen Schilling mehr ausgebe, so werde er ins Elend gerathen.“
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Dann ein Capitn Porter, der im Roman als Capitn Hogkins eingefhrt wird. Dann das zigeunerhafte Mittagsmahl, instar omnium, im Schuldgefngniß. Elende tgliche Kmpfe. Er trgt die paar Romane, die sein Vater besaß und als seine „Bibliothek“ zu bezeichnen pflegte, zum Antiquar, einen nach dem anderen. Er wird mit Trçdlern und Pfandleihern auf eine sehr unbehagliche Art vertraut. In den beiden Wohnzimmern des ausgeleerten Hauses schlgt endlich die Familie gewissermaßen ihr Lager auf, Tag und Nacht. Alles, wie es im Copperfield beinahe wçrtlich aus dem Fragment der Selbstbiographie entnommen ist. Und dann, und dann – dann kam der letzte Act fr den Knaben, der am meisten Beschmung nicht nur fr das Kinderherz, sondern auch fr den Mann noch viele Jahre nachher in sich zu fassen schien. Wer erinnert sich nicht, wie der Knabe Copperfield als kleines Knechtchen in dem Waarenlager von Murdstone & Grimby dazu verwandt wird, Flaschen auszusplen und mit Zetteln zu bekleben, zu korken, zu siegeln. Und wie er mit zwei, drei anderen Kindern in vçlliger Verwahrlosung Tag fr Tag unter unsglichen Seelenqualen in diesem einfçrmigen Geschft verbringt. Das Leben ist in der That manchmal abenteuerlicher als der Roman. Dieser Knabe ist Charles Dickens; ja die Umstnde seines Geschfts waren noch komischer und armseliger; ich verweise hier auf den Theil der Selbstbiographie, der von Forster abgedruckt ist. Es bestand eine Concurrenz mit „Warrens’ Schuhwichse, Nr. 30 Strand“; ein gewisser Jonathan Warren behauptete, der ursprngliche Erfinder des Recepts gewesen zu sein und hatte dies nebst seinem Namen fr eine Leibrente verkauft. Es war auch ein Nr. 30, Hungerfordstairs, Strand (das letzte Wort wurde in den Inschriften und Annoncen groß geschrieben, das vorher sehr klein); lange Jahre mied es Dickens, die Straße wieder zu betreten, und machte lieber Umwege. Dort saß Charles Dickens als ein armer kleiner Sclave fr sechs Schillinge die Woche in dem wackeligen, von Ratten erfllten Hause und – doch er erzhle selber – „bedeckte Schuhwichsetçpfe mit einem Stck Oelpapier, dann mit einem Stck blauen Papier, band einen Faden darum und schnitt dann das Papier ringsum genau und nett, bis es so schmuck aussah wie ein Salbetopf aus einem Apothekerladen.“ „Keine Worte kçnnen die geheime Seelenqual ausdrcken, die ich erduldete, als ich zu dieser Kameradschaft herabsank, diese alltglichen Gefhrten mit denen meiner glcklicheren Kindheit verglich und meine frheren Hoffnungen, ein gelehrter und berhmter Mann zu werden, in meiner Brust zusammenstrzen fhlte. Der tiefe Schmerz, den ich bei dem Gedanken empfand, vçllig verwahrlost und hoffnungslos zu sein, die Scham ber meine Lage, das Elend meines jungen Herzens bei dem Gedanken, daß Tag auf Tag Alles, was ich gedacht und gelernt und woran ich Freude gehabt und was meine Phanta-
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sie und meine Nacheiferung begeistert hatte, mir entschwand, um nie wiederzukehren, lßt sich nicht beschreiben. Mein ganzes Wesen war so von dem Schmerz und der Demthigung dieser Gedanken durchdrungen, daß ich selbst jetzt, berhmt, geliebt und glcklich, wie ich bin, in meinen Trumen oft vergesse, daß ich ein liebes Weib und Kinder habe – selbst jetzt, da ich ein Mann bin und trostlos in jene Zeit meines Lebens zurckwandere.“ Dies ist der ußerste Punkt von Herabwrdigung und Gefhl derselben in dem Leben von Dickens. Oft, so jung und kindisch war er noch, wenn er Morgens zu seinen Schuhwichsetçpfen ging, vermochte er nicht dem in dem Conditorladen zu halbem Preise ausgestellten abgestandenen Gebck zu widerstehen und gab das Geld dafr aus, mit dem er sein Mittagessen bestreiten sollte; oder er machte, wenn er kein Geld hatte, einen Gang durch den Covent-Garden-Markt und starrte die Ananas an; am Sonnabend Abend ging er in Schaubuden, um das „fette Schwein“, den „wilden Indier“ oder die „kleine Dame“ zu sehen. Ein besonderes Vergngen aber waren fr ihn die Scenen und Personen in dem Schuldgefngniß, und besonders drastisch war es, als sein Vater eine Petition um ein Geldgeschenk fr die Gefangenen abgefaßt hatte, das sie in den Stand setzen sollte, bei Sr. Majestt herannahendem Geburtstag Sr. Majestt Gesundheit zu trinken; diese war dann auf einem großen unter dem Fenster befindlichen Bgelbrett ausgebreitet, und die abenteuerlichen Gestalten der Schuldgefangenen traten nach einander zum Unterschreiben ein. „Ich entwarf mir meinen eigenen kleinen Charakter und meine eigene Geschichte von einem Jeden, der seinen Namen auf das Stck Papier setzte.“ Er war, wie er selbst erzhlt, solch ein kleines Kerlchen mit einem armen weißen Hut, kleiner Jacke und Barchenthosen, daß oft, wenn er in ein Bierhaus kam, um die Wurst und das Brot mit einem Glase Ale oder Porter herabzusplen, die Leute es ihm nicht geben wollten. Aus dieser Existenz ward Charles Dickens mit zwçlf Jahren endlich gerettet, da die Verhltnisse seines Vaters sich besserten. Es geschah nicht auf so drastische Weise als bei dem kleinen Copperfield, welcher zu der Tante Betsey entfloh – die Thatsache selber war in beiden Fllen dieselbe; er besuchte endlich eine Schule. Es scheint nicht, daß er aus ihr viel mitbrachte. Erfindung einer Sprache, die durch Hinzufgung einiger gleichlautender Buchstaben entstand, und vermçge deren sie auf den Straßen fr Auslnder gehalten wurden, Erzhlung von Geschichten aus dem Stegreif und Abrichtung von weißen Musen, welche Rder drehten und Leitern hinaufliefen: dies scheinen ihm angenehmere Beschftigungen gewesen zu sein, als der Unterricht ihm gewhren konnte, und er selber meinte spter, daß die Jungen die Muse besser unterrichtet htten als der Lehrer die Jungen. Der Eigenthmer, ein unwissender Tyrann, dessen Hauptbeschftigung im Prgeln bestand, hat die Ehre genossen, im Cop-
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perfield unzhligen Menschen zur Erheiterung zu dienen; auch der unschtzbare Mr. Squeers im Nickleby trgt einige Zge dieses Originals. Dickens erweiterte alsdann seine Erfahrungen ber englische Privatschulen noch an einem weiteren Ort, ber welchen wir keine Nachrichten haben. Und wieder that sich ein neuer Bezirk der englischen Gesellschaft vor dem scharfen Auge des Knaben auf. Er war etwa fnfzehn Jahre alt, als er die Laufbahn des Advocatenschreibers betrat. Und ein Herr Blackmore – es war der zweite Advocat, bei dem er eintrat, denn Dickens vermannigfaltigte auch auf diesem Gebiet ohne besondere Absicht seine Erfahrungen – hat spter darber berichtet, daß zu dieser Zeit mehrere Begebenheiten in dem Breau vorfielen und Personen da verkehrten, welchen die Ehre zu Theil wurde, in Pickwick und Nicholas Nickleby aufgenommen zu werden. Die Stellung, von der aus der große Menschenerforscher hier die bunte Welt des Advocatenbreaus studirte, war die eines Breaujungen. Es ist das in der humoristischen Classification der Advocatenschreiber im Pickwick die unterste Classe, nicht Schreiber mit Aussicht auf Advocatur, nicht besoldete Schreiber oder auch nur bloße Abschreiber, sondern „Breaujungen in ihren ersten Ueberrçcken, die eine angemessene Verachtung fr Jungen fhlen, die in die Schule gehen, sich Nachts, wenn sie nach Hause gehen, auf gemeinsame Kosten Wrste und Porter kaufen und denken, daß das Leben eine herrliche Sache ist“. Die Varietten des Genus Schreiber und Advocatengehlfe von dem biederen Traddle bis auf Uriah Heep bildeten jederzeit eine seiner Specialitten. Und abermals ein neuer Bezirk der englischen Gesellschaft! Sein Vater war parlamentarischer Berichterstatter fr Zeitungen geworden, und Dickens bereitete sich nun mit der ihm eigenen gewaltthtigen Energie auf diese hçhere Stufe von Thtigkeit vor. Denn die Verstrkung dieser Energie war eine der wichtigsten Folgen der nun vergangenen Jahre voll Erniedrigung und Kampf. Wenn er im Copperfield als eine charakteristische Eigenschaft des Schuldners im Gefngniß heraushob, daß derselbe unermdlich gewesen sei in allen Angelegenheiten, welche fr ihn nicht von Nutzen sein konnten, so kmpfte Dickens gegen das, was als Erbtheil hiervon in seinem Blute sein mochte, mit unbeugsamem Willen an. Und wenn er so frh als wenig Menschen die Ursache eines verfehlten Lebens in den Charakteren, auf den Gesichtern der Schuldgefangenen studirt hatte, darunter das Antlitz seines eigenen Vaters, so blieb von daher etwas Hartes und Aggressives in ihm, in seinen Entschließungen etwas, das zuweilen wie Wildheit erschien, in seiner Natur etwas, das seine Entschlsse, besonnene wie bereilte, unberwindlich machte; Forster erzhlt, wie diese Zge selbst den Freund zuweilen erschreckten. Mit unbndigem Selbstvertrauen verband sich in solchen Momenten eine beinahe weibliche Empfindlichkeit. Noch im Juni 1862 schrieb er an Forster:
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„Ich muß dich bitten, einen Augenblick still zu stehen und zu dem zurckzukehren, was du von den Tagen meiner Kindheit weißt, und dich fragen, ob es nicht natrlich ist, daß etwas von der Sinnesweise, welche damals in mir entstand und sich unter glcklicheren Verhltnissen verlor, whrend der letzten fnf Jahre wieder aufgetaucht ist. Das nie zu vergessende Elend jener Tage brachte eine gewisse scheue Empfindlichkeit in einem gewissen schlecht gekleideten, schlecht genhrten Kinde hervor, das mir in dem nie zu vergessenden Elend dieser spteren Zeit wieder zurckgekehrt ist.“ Doch macht man von diesem praktischen Ungestm seines Charakters sich erst den richtigen Begriff, wenn man die Anlage zu demselben in seiner mchtigen Organisation, in seiner außerordentlichen psychischen Erregbarkeit sich verdeutlicht; als Kind litt er an Krmpfen; nachdem er sich krftig entwickelt hatte, kannte er kein anderes Ausruhen von geistigen Anstrengungen als den Uebergang zu kçrperlichen; die Gewaltthtigkeit seiner plçtzlichen Entschlsse, wie er halb Europa durcheilt, um seinen Freunden in London eine seiner Dichtungen vorzulesen, um dann Tags darauf die Rckreise anzutreten: dies Alles erinnert an Alfieri oder an Goethe’s brausende Jugendjahre. Er war eine mchtige Natur, welche in ihrem ganzen Bezirk keine Schwierigkeit anerkannte. Und dieser selben Natur war es gegeben, sich selber und Alles um ihn mit einer unerhçrten Genauigkeit zu beobachten, in dem Interesse des Beobachtens plçtzlich wieder Alles zu vergessen, was auf sein persçnliches Geschick sich bezog, mit unerhçrter Treue des Gedchtnisses ber den Erlebnissen aus allen Bezirken der Londoner Gesellschaft zu schalten. Gerade auf dem Zusammenwirken dieser beiden Seiten seiner mchtigen Natur beruht bei ihm wie bei Goethe und Alfieri die Macht des erzhlenden Dichters. Also er begann nun Punkte, fliegenbeinhnliche Zeichen, Raketen in ihrem seltsamen Zusammenhange mit Vorstellungen seinem Gedchtniß einzuprgen, und dazwischen saß er im britischen Museum, um die Fragmente von Kenntnissen, welche der verworrene Gang seines Lebens ihm zugefhrt hatte, durch ein leidenschaftliches Studium zu vervollstndigen. Er war der Copperfield, der von sich sagen durfte: „Was ich in meinem Leben zu thun versucht habe, habe ich mit ganzem Herzen versucht, gut zu thun. Wenn ich mich einer Aufgabe widmete, so widmete ich mich ihr ganz. Nie nur eine Hand an das zu legen, worauf ich mein ganzes Selbst wirken lassen konnte, und nie meine Arbeit zu unterschtzen, was sie auch sein mochte, das waren, wie ich jetzt finde, meine goldenen Regeln.“ Und auch die Dora fehlt ihm nicht! Von den vielen Menschen, welche sich an der kleinen Dora und ihrem Wachtelhndchen Jip ergçtzt haben, einer der schçnsten humoristischen Darstellungen der Liebe, wußten wenige zu Dick-
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ens’ Lebzeiten, daß Dora eine wirkliche Person, daß sie die große Liebe von Dickens war, die zu erlangen er die ungestmen Anstrengungen gemacht hatte, die ihn aus seiner Niedrigkeit emporgefhrt haben. Die Mittheilungen, welche Forster macht, reichen nicht zu, das Verhltniß des Originals zu dem berhmten humoristischen Bilde festzustellen. Auch erscheint es gefhrlich, solche Schlsse zu wagen, wenn man z. B. erwgt, welche ganz von der Wirklichkeit ferne Gestalt die Jugendgeliebte von Novalis in dem Ofterdingen empfing, wie fern die Goethe’schen Gestalten den Personen stehen, welche zu ihnen die Anregung gaben. Vergleicht man inzwischen das sonstige Verhltniß der durch Dickens selber garantirten persçnlichen Erlebnisse mit den Darstellungen des Copperfield, nimmt man hinzu die Aeußerung von ihm, nach welcher er diesen Theil des Copperfield als die treue Reproduction vergangener Zustnde betrachtete, so fhlt man sich unwiderstehlich getrieben, die Dora des Romans nur aus dem humoristischen Lichte zu rcken, in das sie gestellt ist, und mçchte dann in ihr die wirkliche Dora erkennen. Das Auffallende der Liebe zu dieser Kindernatur mit Kinderverstand, kindlichem Egoismus und kindlichem Liebreiz ward auch damals von seinem Freunde Forster empfunden, als dieser die wirkliche Dora kennen lernte und nun bemerkte, daß diese Capitel des Copperfield eine thatschlichere Grundlage hatten, als er hatte glauben wollen. Es schien Forster, nachdem dies Wiedersehen stattgefunden hatte, als berschtze sein Freund die Gefhle jener Zeit, aber die Antwort von Dickens war eine von jenen, die zuweilen ergreifend bei ihm hervortreten; es ist, als blicke man in das Innere dieser vulcanischen Natur: „Wenn du meine eigenen Gefhle meinst und dich nur besinnen willst, von welch verzweifelter Intensitt meine Natur ist, daß ich vier Jahre lang jeden anderen Gedanken aus meinem Geiste ausschloß, zu einer Lebenszeit, wo vier Jahre vier mal vier Jahren gleich sind, und daß ich mit einem Eifer zur Ueberwindung aller Schwierigkeiten daran ging, der mich wirklich in jenem Zeitungsleben emporhob und ber die Kçpfe von hundert Leuten hinwegtrug – dann hast du Unrecht, weil dies nicht bertrieben werden kann. Ich bin in der That seitdem ber mich selbst erstaunt gewesen! – Und so litt ich und so arbeitete ich und so hmmerte ich und schmiedete ich an den tollsten Romanen, die je in eines Knaben Kopf kamen und sich darin festsetzten, daß es mir noch jetzt meine Selbstbeherrschung raubt, die Ursache von diesem Allen zu sehen. Ohne einen Augenblick aufrichtig zu glauben, daß es besser gewesen wre, wir htten uns nie getrennt, verstehe ich nicht, weshalb eine solche Gemthsbewegung mich ergreift. Niemand kann sich im Allerentferntesten vorstellen, welchen Schmerz die Erinnerung mir in Copperfield verursachte. Und gerade wie ich dies Buch nie çffnen kann, wie ich irgend ein anderes Buch çffne, kann ich (selbst als Vierundvierziger) dies Gesicht nicht sehen oder diese Stimme
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hçren, ohne daß ich in der wildesten Weise ber die Asche jener ganzen Jugend und Hoffnung dahinschwrme.“ Sie war nicht Frau v. Stein, sie hatte auch wenig Aehnlichkeit mit den Frauen, welche Lord Byron oder Alfieri begeistert haben. Der Knabe, der in London den Kampf um die Existenz gekmpft hatte und dessen ungestme Mnnlichkeit sich jetzt eben einen Platz in dieser harten Welt errang, immer noch ein Knabe dem Gemth nach, wilden und bizarren Trumen unterthan und dann wieder von Allem entzckt, was im Leben Spiel und leichte Anmuth und reizender Schein ist, zugleich aber mnnlich durchaus in hartnckigem Selbstvertrauen, welches nicht bedurfte, an irgend Jemanden sich anzulehnen, sondern stolz darauf war, Andere sttzen und tragen zu kçnnen – dieser Knabe, an dem zudem die bittere Erinnerung vergangener Niedrigkeit haftete, mußte wohl eine Dora lieben, wie sie ihm, als einer hçheren Lebensstellung angehçrig, entgegentrat aus einer gesellschaftlichen Sphre, in welcher die Arbeit ausgeschlossen war, eine Natur, welche des starken Arms bedurfte und welche zum Lohn fr alle Anstrengungen das Leben mit einer Poesie von Kindlichkeit, scherzendem Spiel und bezaubernder Anmuth zu verklren versprach. Dickens, wie er damals war, bedurfte nicht einer Frau, die seine Kmpfe theilte und das Ringen seines Geistes verstand; er hatte allein gekmpft bis dahin, sein Leben hatte keinen Raum fr ruhige innere Bildung und die gemeinsame stille Arbeit geistiger Fortentwicklung. Dies ist, was man wird sagen kçnnen, um seine Liebe zu verstehen; auch dann wird man nur verstehen, was eben Wirklichkeit ist, und daß dies htte sein mssen, wird Niemand sagen kçnnen. Auch kam eine Zeit, in welcher er ganz anders empfand, und die Gestalten von Frauen, welche spter in seinem Leben auftreten, zeigen ein anderes Geprge. Dem entsprach die humoristische Stimmung, in welcher er selber spter diese Liebe betrachtete, als er am Copperfield arbeitete. Damals, als er den Copperfield schrieb, empfand er dies Alles: „Welche Widersprche und Inconsequenzen in mir waren, wie es deren so viele in uns giebt; was vielleicht anders und besser htte sein kçnnen, was ich gethan und worin ich der eigenen Stimme meines Herzens ungehorsam geworden – von alle dem wußte ich nichts.“ „Welch eine mßige Zeit, welch eine kçrperlose, glckliche, thçrichte Zeit! Von allen meinen Zeiten, welche der Gott der Zeit in seiner Faust hlt, giebt es keine, ber welche ich bei einem einzigen Rckblick halb so viel lcheln, an die ich halb so zrtlich denken kann.“ In diesem Lichte sah er diese Zeit, als er spter mit seiner Frau in dem Hause seiner jugendlichen Dora einen fçrmlichen Besuch machte, und damals vermochte er ihren ausgestopften Liebling „Jip“, dem er in der Vorhalle begegnete, mit stillem Gleichmuth zu betrachten. Als er zu dieser Zeit den Roman
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„Little Dorrit“ begann, entwarf er noch einmal in der Flora desselben ein Bild ihres Wesens. Es ist in diesen humoristischen Darstellungen etwas, was an die Stimmung erinnert, in welcher Thackeray in seinem berhmtesten Roman seinen edelsten Charakter ein Leben hindurch um den Besitz einer Frau ringen lßt, deren Natur sich ihm dann als gerade so endlich und eingeschrnkt zeigte, wie Alles das war, wonach in dieser Welt der Eitelkeiten Andere neben ihm gerungen haben. Fr eine Grundauffassung jedoch in Dickens’ Leben und Dichtungen bleibt dieser erste Vorgang bezeichnend. Er geht berall aus von einem starken Gefhl des Gegensatzes in Natur, Bildung, Lebensaufgabe der Mnner und der Frauen; im Gegensatz zu Mnnlichkeit und Genialitt, als dem Ideal des Mannes, schrnkt er berall das der Frau auf innige hingebende Gte ein. Die Frau, welche mit selbstthtiger Energie im Leben mitzuringen Neigung hat und keines Mannes bedarf, erscheint ihm nur in der humoristischen Gestalt der – – „Miß Trotwood“. Dies waren die Gefhle, welche die ersten Bemhungen von Dickens begleiteten, als Berichterstatter und Stenograph englischer Bltter thtig zu sein. In den Stellungen, welche er hier nach einander hatte, lag ein grndliches realistisches Gegengewicht gegen die Poesie seiner Liebe. Es ist, als ob das Schicksal ihn besonders geleitet htte, ihn fr seine Aufgabe vorzubereiten, der epische Darsteller der Zustnde Englands in der ersten Hlfte unseres Jahrhunderts zu werden. Nun lernte er nach einander die Gerichtshçfe und die politischen Kçrperschaften seines Landes auf das Grndlichste kennen. Fast zwei Jahre lang fungirte er als Berichterstatter fr eins der Bureaux in Doctors’ Commons; die vernichtende Kritik, welche er in seinem Copperfield gegen diese Institution eines halb kirchlichen Gerichtshofes schleuderte, ruht auf dieser Grundlage. Es ist die Kritik des Dichters und des Humoristen, welche durch die Hinstellung der Charaktere selber, durch die Schilderung der „Familienzusammenknfte“ dieser ehrwrdigen Kçrperschaft gebt wird; aber so ungestm ist sein Haß, daß er persçnlich heraustritt und mit Mr. Spenlow persçnlich anbindet in jener wundervollen Verspottung der Schlußweise englischer Conservativer: „Unter dem Registraturamt sei das Land groß und glcklich gewesen. Treibe man also einen Keil in das Registraturamt, dann wrde das Land aufhçren, groß und glcklich zu sein.“ Von da gelangt er auf die Galerie der Berichterstatter im Parlament. Man muß sich immer wieder sagen, daß unsere deutschen Verhltnisse keine Analogie fr eine so frhe Selbstndigkeit darbieten: als dies geschah, war Dickens neunzehn Jahre alt. Eine neue Gruppe von Thatsachen begann sich ihm hiermit zu erschließen. Es waren nicht nur die Sitzungen des Parlaments, ber die er Bericht erstatte-
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te, sondern berall im Lande, wo ein wichtiger Wahlkampf stattfand, waren diese Berichterstatter zu finden. Und das zu einer Zeit, in welcher die Fahrten durch das Land mit Abenteuern aller Arten verbunden waren. „Ich habe,“ erzhlte er spter, „die Kosten fr ein halbes Dutzend Umstrze binnen einer Zeit von einem halben Dutzend Mal so viel Meilen zu berechnen gehabt. Ich habe Ersatz zu fordern gehabt fr den Schaden, den das Herabtrçpfeln des Wachses von einer lodernden Kerze meinem Ueberrock zufgte, wenn ich in den frhesten Morgenstunden in einem schnell dahinfliegenden Wagen schrieb. Ich habe wohl fnfzigmal whrend einer einzigen Reise fr alle mçglichen Beschdigungen Kosten berechnen mssen, solcher Art waren die Folgen der gewçhnlichen Schnelligkeit, mit der wir uns fortbewegten. Ich habe fr zerbrochene Hte, zerbrochenes Gepck, zerbrochene Sthle, zerbrochenes Pferdegeschirr Kosten berechnet – fr Alle außer einem zerbrochenen Kopf, fr den sie ungern bezahlt haben wrden.“ Whrend eines Wahlkampfes in Devonshire schrieb er eine Rede des Lord John Russel inmitten eines lebhaften Handgemenges auf. Diese Berufsthtigkeit hatte fr ihn einen Zauber, den er noch in spten Zeiten empfand und noch 1865 erklrte er, daß er morgen wieder damit anfangen kçnnte. Whrend langweiliger Tischreden sah man seine Hand, mit imaginren Aufzeichnungen beschftigt, auf dem Tischtuch hinund hergehen. Es gab, erklrte ein Zeuge dieser Tage, nie einen solchen Stenographen. Er bildet sich aber zugleich in Betreff dessen, w a s er stenographirte, eine Ueberzeugung, welche er im Verlauf seines Lebens niemals gendert hat: „Prophezeiungen, die niemals in Erfllung gehen, Versprechungen, die niemals gehalten werden, Auseinandersetzungen, die nur den Zweck haben, zu mystificiren.“ Sein Haß gegen „die parlamentarischen Dudelscke“ geht durch alle seine Schriften. Auch in dieser Beziehung ward er ein mchtiges Werkzeug im Dienste des Radicalismus und er und Thackeray zusammen haben nicht weniger den Aberglauben an das Parlament untergraben als John Stuart Mill, Buckle und George Grote. Im Copperfield schildert er mit Jubel, wie er „in einer freudevollen Nacht“ zum letzten Male die abgeleierten parlamentarischen Melodien niedergeschrieben habe. Er rechnete im Ganzen die parlamentarische Intelligenz gewçhnlichen Schlages dem Gesammtbegriff des Pickwick’schen Verstandes unter und er fand schon im Nicholas Nickleby Gelegenheit, seinem Haß gegen das Parlamentstreiben Ausdruck zu geben. Schon im Jahre 1833, damals 21 Jahr alt, trat er vor dem Publicum auch als Schriftsteller auf; das Entwerfen humoristischer Skizzen war unter dem Einfluß seiner großen Vorbilder schon ganz frh von ihm versucht worden; als Knabe in Chatham hatte er die Gewohnheit, Geschichten aus dem Stegreif zu erfinden, kleine komische Lieder vorzutragen und versuchte sich mit einer
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Tragçdie; in der Schule blieb das Improvisiren von Geschichten ihm eine Lieblingsbeschftigung; so war das Fabuliren mit ihm herangewachsen, und als er seine erste Londoner Skizze „Mr. Minns und sein Vetter“ eines Abends im Jahre 1833 verstohlen in einen dunklen Briefkasten eines dunklen Postbureaus mit der Adresse fr ein damaliges Magazin steckte, so war dies nur der erste Versuch, Lieblingsbeschftigungen vor das Publicum zu bringen, die ihm von frhen Kinderjahren her vertraut waren. Die Jahre der Vorbereitung waren nunmehr vorber. Spter fragte einmal ein Freund seinen Vater: „Wo hat Ihr Sohn denn seine Erziehung erhalten, Mr. Dickens?“ – „Nun Sir, man kann sagen – ha, ha, – daß er sich selbst erzogen hat!“ Es war eine echt Mikawber’sche Antwort.
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III. Dickens legte jederzeit hervorragendes Gewicht darauf, daß er die Wirklichkeit des englischen Lebens darstellte. Wie bestimmte Bedingungen der Cultur Wirkungen von historischer Tragweite hervorbringen, das suchen wir in Archiven; wie sie aber auf die Gefhlsweise und das Handeln der Privatpersonen einwirken, darber wird man jederzeit bei dem echten Erzhler in erster Linie eine Antwort suchen. Diesem Geiste des Dickens’schen Romans entspricht es, daß Skizzen den Ausgangspunkt seiner Schriftstellerei vor dem Publicum bildeten. Nachdem sie ein Jahr hindurch in einem Journal erschienen waren, wurden dieselben dann in zwei Bnden an einen jungen Verleger verkauft. Sie enthielten den ersten frischen Erguß seines Genies, ein von der schrfsten Beobachtungsgabe entworfenes Bild des alltglichen London mit seinen Lichtund Schattenseiten, seinem Humor, seinem Glanz und seinem tiefen Elend. Whrend diese Skizzen das Interesse der Journalleser erregten, ward die junge Verlagshandlung Chapman & Hall auf das hervortretende Talent aufmerksam, und es ward eine Verbindung geknpft, welche viele Jahre hindurch, obwohl mit Unterbrechungen, andauern sollte. Aus den Vorschlgen dieser Verlagshandlung gingen die Pickwickier hervor, und es ist von großem Interesse, die Enstehung des Planes von diesem humoristischen Roman zu bemerken, zumal spter im Interesse des Zeichners Seymour diesem die Erfindung der populrsten aller Dickens’schen Gestalten zugeschrieben wurde. Der berhmte Zeichner hatte den Plan, fr eine Reihe von Kupferstichen einen Text schreiben zu lassen, in dem ein Nimrod-Club den Faden des Zusammenhanges bilde, ein Club, dessen Mitglieder auf die Jagd, den Fischfang sc. gehen und hier berall wegen ihres Mangels an Geschick in Verlegenheit
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gerathen. Dies war der Ausgangspunkt fr den Plan der Pickwickier. Dickens verwarf einen Gedanken, der nicht mehr neu und seinem Geiste nicht homogen war; aber auf der Grundlage dieses Planes erhob sich die Idee des englischen Don Quixote, welcher fr die Neigung persçnlicher Feststellung von Thatsachen fr mçgliche Inductionen dieselbe humoristische Darstellung giebt als der spanische Romanheld fr die absterbende verzerrte Phantasiewelt des Ritterthums. Der Club und die Gestalt von Mr. Winkle sind Reste des ursprnglichen Planes. Diese Entstehung der Pickwickier muß man sich gegenwrtig erhalten, um das Buch, welches die ungeheure Popularitt von Dickens begrndet hat, richtig zu beurtheilen. Es erschien in monatlichen Heften, und er selber wußte am Anfang eben so wenig als einer seiner Leser, wo und wie es enden sollte. Denn zunchst hatten nur komische Zeichnungen durch unterhaltende Romanskizzen auf eine belustigende Weise mit einander verknpft werden sollen. Indem aber die Genialitt von Dickens, whrend er voranschritt und whrend die steigende Theilnahme des Publicums an sein Ohr drang, ihrer selbst sich bewußt wurde, indem die Flle seiner Erfahrungen noch mit der ersten Frische der mchtigen Eindrcke seiner Jugend in Ernst und Humor ihren Platz in der Geschichte einzunehmen begann, entstand ein Werk, welches dem Geist der englischen Humoristen und des alten England nher steht als irgend eines seiner spteren. Schon mit dem Auftreten von Sam Weller hatte das Werk begonnen, die çffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; es war dies mit dem vierten oder fnften Heft gewesen; als er aber in dem fnfzehnten Heft Pickwick und Sam Weller zu Insassen des Schuldgefngnisses machte, als die ganze Gewalt der mchtigsten unter seinen Jugenderinnerungen, in den lebendigsten Gestalten und Scenen unablssig vor ihm stehend, ihn ergriff: da entstand zuerst jene Mischung von Humor und tragischer Empfindung, durch die er fr den Roman dasselbe Ideal wenigstens aufstellte, welches Shakespeare fr das Theater verwirklichte. Er selber hatte, als er an diesen Scenen schrieb, ein Gefhl davon. Als Forster in diesen Tagen anfragen ließ, wo sie sich fr einen beabsichtigten Spazierritt treffen sollten, antwortete er: „Hier. Ich bin in Pantoffeln und Jacke und kann gerade wie jener Staar, den man so selten citirt, nicht hinauskommen. Ich komme, Gott sei Dank, vorwrts wie ein brennendes Haus und meine, daß der nchste Pickwick alle anderen schlagen soll. Ich werde dich unverzglich erwarten, und wir wollen zusammen in den Stall gehen. Wenn du Jemand in der Paulskirche kennst, so mçchte ich, daß du hinschicktest und bitten ließest, sie sollen die Glocke nicht so luten lassen. Ich kann kaum meine eigenen Ideen hçren, wenn sie mir in den Kopf kommen, und sagen, was sie bedeuten.“
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Von da ab stieg mit jedem Heft die Popularitt eines Werkes, das doch gnzlich auf Spannung verzichtete; stieg bis zu dem Grade, daß Kaufleute den Namen desselben zu Etiquetten gebrauchten, jedes Heft desselben in London von dem ganzen Publicum besprochen wurde und vierzigtausend Exemplare versendet wurden. Carlyle erzhlte eine Geschichte, welche das veranschaulicht: „Ein Archidiaconus wiederholte mir neulich Abends mit seinen eigenen ehrwrdigen Lippen eine seltsame profane Geschichte von einem feierlichen Geistlichen, der einer kranken Person geistlichen Trost gespendet hatte, und der, nachdem er seiner Meinung nach in befriedigender Weise damit zu Ende gekommen war und das Zimmer verließ, die kranke Person ausrufen hçrte: ‚Nun, Gott sei Dank, Pickwick wird jedenfalls in zehn Tagen erscheinen! “ Die Jugendwerke großer Dichter umgiebt ein eigenthmlicher Reiz. Neben dem Copperfield und selbstverstndlich nach ihm haben die Pickwickier vielleicht die grçßte Aussicht, in der Erinnerung der Nation jederzeit fortzuleben. Alle anderen großen Werke von Dickens stellen den Kampf des Edlen mit dem Gemeinen und wirklich Bçsen in dem gegenwrtigen Stadium der englischen Civilisation dar. Nur einmal, im Copperfield geschah dies so, daß die Schatten des Lebens mit jedem Schritt, welchen die Geschichte und ihr Held voranthut, weiter zurckweichen. Das Bçse selber, in Uriah Heep personificirt, wird in seiner Geltung vernichtet, indem es komisch erscheint; lange bevor das knstliche Netz der widrigen Spinne zerstçrt ist, fhlen wir deutlich, daß es zerrissen werden kann und wird; lange bevor, ehe die Intriguen vernichtet sind, ist der Intrigant fr uns zugleich eine komische Figur, der Humor herrscht siegreich durch das gesunde Gefhl von der Macht der wahren Intelligenz, die immer gut ist, ber die halbe, scheinbare. In dieser Freiheit der humoristischen Betrachtung stehen die Pickwickier allein neben dem Copperfield. Sie bewegen sich noch nicht in dem Gegensatz und Kampf, sie bauen sich noch nicht wie Dickens’ sptere Romane in Spiel und Gegenspiel auf. Der frçhliche Lebensmuth, wie er Dickens in dieser ersten Zeit des Sieges ber das Elend seiner Jugend erfllte, webt hier in der Flle humoristischer Gestalten, in Charakteren, welche das Schçnste des altenglischen Geistes darstellen, insbesondere in dem edlen Sancho des irrenden Ritters, in Samuel Weller. Dies war die Zeit, in welcher sein Leben nach allen Seiten in mchtigem Gange unaufhaltsam der glcklichsten Ausbreitung entgegenzugehen schien. Am 2. April 1836 hatte er sich mit Katharina, der ltesten Tochter George Hogarth’s, eines Mitarbeiters an dem Morning Chronicle, verheirathet. Beinahe ber Nacht war er eine der berhmtesten Personen von England geworden. Zu dieser Zeit hatte er auch in Forster einen hingebenden Freund gefunden. In weiten Ritten und Fußwanderungen durchschweifte er mit ihm die
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Umgebung von London, er durcheilte mit seiner Frau die Niederlande, und whrend er an den letzten Heften der Pickwickier arbeitete, waren zwei neue Romane in ihm aufgegangen, zuerst Oliver Twist, dann Nicholas Nickleby. Zahllose Gestalten umdrngten ihn und strebten gewissermaßen nach Wirklichkeit. Aber gerade in diesem Uebergefhl jugendlicher Krfte, unbekannt, wie es scheint, mit der buchhndlerischen Welt, bernahm er Verpflichtungen, welche ihn zu einer rastlosen und aufreibenden Art von Thtigkeit zwangen und dadurch gleich an diesem Beginn seiner Laufbahn die ruhige knstlerische Auffassungsweise in ihm nicht zu voller Entwicklung gelangen ließen. Er wrde gelacht haben, wenn ihn beim Beginn seiner wunderbaren literarischen Laufbahn Jemand mit den unglcklichen Schriftstellern frherer Tage verglichen htte, welche zumeist in der Sclaverei der Buchhndler schmachteten, und doch hatte er selber sich bereits, als die Pickwickier vollendet waren, in eine Art Knechtschaft verkauft. Whrend Monat fr Monat die Hefte der letzten Hlfte der Pickwickier erschienen, liefen gemß einem neuen Vertrag monatliche Hefte von Oliver Twist neben diesen her, und zwar ohne daß er dem Drucker auch nur eine Woche in einem der beiden Werke vorauf gewesen wre. Seine Londoner Skizzen mußte er, nachdem er dieselben fr ein Honorar von etwa 150 Pfund verkauft und sein Buchhndler bereits ungeheuren Vortheil aus denselben gezogen hatte, fr 2000 Pfund zurckkaufen. Einen weiteren Roman hatte er ebenfalls schon 1837 contractlich zu einem nahen Termin versprochen, und so mußte whrend der Ausarbeitung des Oliver Twist bereits wieder ein weiterer Roman ausgearbeitet werden. Die Gewohnheit, in monatlichen Heften seine Romane zu schreiben, zusammen mit der Hast seiner Production, war von großem Einfluß auf die innere Form seiner Werke. Ein jedes dieser Hefte forderte eine Wirkung fr sich, jedes mußte sich auf irgend eine Art des Publicums bemchtigen. Jedesmal sah er sich vor der Aufgabe, concentrirte Wirkungen, humoristischer oder rhrender oder mchtiger Art, auf sein Publicum hervorzurufen. So oft die Hauptpersonen auftraten, mußten ihre charakteristischen Zge dem Publicum gewissermaßen ins Gedchtniß zurckgerufen werden. Zugleich aber fand er sich von dem lebendigsten Antheil an dem Geschick seiner Personen umgeben, sie wurden ihm so zu sagen Realitten, wie sie im Publicum als solche galten, er sah ihre Schicksale unzhlige Gemther bewegen. Und er ward davon angefeuert wie ein Erzhler, der sich von gespannten, horchenden Gesichtern rings umgeben sieht.
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IV. Es ist nicht meine Absicht, die Geschichte der einzelnen Werke von Dickens darzustellen; nur um das handelt es sich, was geeignet sein kann, ein Licht auf die Natur und das Genie des erzhlenden Dichters zu werfen. Gleichzeitig mit der letzten Hlfte der Pickwickier war Oliver Twist entworfen und begonnen worden. Es ist die Geschichte eines im Armenhause geborenen Knaben, eine Geschichte voll von Elend und Verbrechen, ein getreuer Abdruck moralischer Mißbruche, welche er beobachtet hatte, insbesondere in der Gemeindeverwaltung. Man hat Dickens vorgeworfen, daß er in diesem Roman die Hçhlen des Verbrechens zum Gegenstande der Dichtung gemacht habe; aber er durfte mit Recht erwiedern, daß er versucht habe, gerade dadurch der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen, indem er die Katastrophe des Verbrechens darstellte. Auch unterscheidet sich diese seine Darstellung von der, welcher wir in neueren franzçsischen Romanen begegnen. Denn das Verbrechen erscheint hier in keinem Augenblicke heroisch, und auch bevor er entdeckt ist, erscheint der Verbrecher jederzeit in seiner ganzen Unseligkeit. Whrend der Oliver sich seinem Abschluß nherte, erschienen schon die ersten Hefte von Nicholas Nickleby. Das freie Spiel des Humors war hier zum ersten Male bei Dickens verwebt in die planmßige Form eines Romans. Um diesen merkwrdigen Roman, welcher damals ganz England elektrisirte, richtig zu beurtheilen, muß man Dickens selber ins Auge fassen, wie er damals war. Das Schema des Romans ist das des Copperfield, anderer seiner Hauptromane, es ist die Geschichte eines aus der Armuth sich langsam und mhevoll erhebenden Jnglings, seine eigene Geschichte. Dieser aber ist dadurch Spannung verliehen, Einheit der Handlung gegeben, daß nicht nur der im wirklichen Leben sich unendlich zersplitternde, unberschaubare Gegendruck unzhliger Krfte den Aufstrebenden hemmt: eine Intrigue, welche sich in einer Person concentrirt, tritt dem Handelnden gegenber, und nun beginnen Spiel und Gegenspiel. So ist der Vortheil des dramatischen Schemas in dem Roman benutzt. Die gegenwirkenden Personen sind in Nickleby Squeers und Ralph, welche das Gegenspiel gemeinsam lenken. Smike ist ein Gesicht, geschaut von einem großen Dichter, um alles Elend der Verwahrlosung und Grausamkeit, das hlfloser Jugend widerfhrt, zusammen, auf einmal, ergreifend, unvergeßlich auszusprechen. Dies ist eine Schçpfung echter dichterischer Phantasie, durch welche der Dichter der Nell und der unsterblichen Tante im Copperfield sich ankndigt. Eine Schçpfung der Phantasie ist auch Ralph, ein Charakter, an dessen Auftreten sich in dem Roman jederzeit Interesse heftet: seine
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Katastrophe war das erste jener gewaltigen tragischen Bilder des Unterganges einer mchtigen bçsen Natur, welche eine so hervorragende Stelle in Dickens’ Erzhlungen haben. Unwillkrlich erinnert hier noch Manches an das große Schema solcher Gestalten auf dem Theater: an Richard III. Man vergleiche nur zwei Stellen: „Eine Nacht nach der anderen kommt und geht und ich habe keine Ruhe. Schlafe ich auch, so kann ich doch den Schlaf keine Ruhe nennen, der stets durch Trume gestçrt wird, in welchen dieselben verhaßten Gesichter mich umringen und dieselben verhaßten Menschen bei Allem, was ich thue und sage, zugegen sind und immer zu meinem Nachtheil. Welche Ruhe habe ich im Wachen, da mich unablssig diese schweren Schatten von, ich weiß nicht, was – verfolgen? Ich muß Ruhe finden. Ungestçrte Ruhe nur eine Nacht hindurch, und ich wrde wieder ein Mann sein!“ Alsdann bei der Nachricht, daß Smike sein Sohn gewesen sei: „Er meinte bei sich, der angebliche Tod seines Kindes und die Flucht seiner Frau htten dazu beigetragen, ihn zu dem rauhen, mrrischen und herben Mann zu machen, der er sei; so schien er sich einer Zeit zu erinnern, in welcher er nicht so reich und hartherzig gewesen, und es kam ihm vor, als habe er anfangs den Nicholas nur deshalb gehaßt, weil er jung und galant und vielleicht dem jungen Manne hnlich war, der ihm die Gattin entfhrt und dadurch ihn in Schande und Geldverlust gebracht hatte.“ Diese beiden Stellen erinnern an zwei Monologe Richard’s III., in welchen man in der That den großen Typus solcher Naturen wie Ralph oder Uriah Heep sehen muß. In Bezug auf Ralph macht Dickens auch noch einen ausdrcklichen Versuch der Analyse, wie er in spteren Werken kaum noch bei ihm vorkommt: „Bei seinem finsteren Ernst, seiner hartnckigen Verstocktheit und seiner Verschlossenheit lag ihm im Leben und weiter hinaus nichts am Herzen als die Befriedigung zweier Leidenschaften: der Habsucht, der ersten und vorherrschenden Begierde in seinem Wesen, und des Hasses, der zweiten. Da er sich bemhte, sich nur als einen Menschen anzusehen, so wurde es ihm nicht schwer, seinen eigentlichen Charakter vor der Welt im Allgemeinen zu verbergen, und im Herzen pflegte er jeden schlechten Plan und freute sich darber.“ Und endlich Squeers! Diese Figur ist der Anklageact eines Dichters. Die billigen Schulen in Yorkshire waren durch einen Rechtsfall des Jahres 1836 Gegenstand der çffentlichen Aufmerksamkeit geworden. In Dickens selber war damals eine Jugenderinnerung aufgetaucht: „Ich kann mich noch darauf besinnen, wie es kam, daß ich von den Schulen in Yorkshire hçrte, als ich ein nicht sehr krftiges Kind war und an einsamen
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Stellen bei Rochester-Castle saß, den Kopf voll von Partridge, Strap, Tom Pipes und Sancho Pansa; aber ich weiß, daß ich meine ersten Eindrcke davon damals empfing.“ Nachdem Dickens die Arbeit an seinem Roman begonnen hatte, reiste er selber mit dem hervorragenden Zeichner seines Romans nach Yorkshire, und der Inbegriff seiner Erfahrungen ist concentrirt in der Schilderung dieser Anstalt. Er selber erklrte in seinem Nachwort, „daß Squeers und dessen Schule schwache und ungengende Schilderungen von dem sind, was wirklich existirt, wenn man es auch fr unmçglich hlt, daß in A c t e n so entsetzliche Details von Vernachlssigung, Grausamkeit und Krankheit vorliegen, wie sie ein Romandichter nie zu erdenken wagen wrde, und daß, seit er diese Abenteuer schrieb, ihm aus Quellen, an deren Zuverlssigkeit durchaus nicht zu zweifeln ist, Schilderungen von Schndlichkeiten und Grausamkeiten zugekommen sind, die man in hnlichen Schulen verbte, und welche diejenigen weit berbieten, die in dem vorliegenden Werke vorkommen.“ Schrfste Auffassung der Wirklichkeit, ein aus wahrem Uebermuth der Seele entsprungener unerschçpflicher Humor und ein leidenschaftlicher Affect, welcher sich gegen alle Arten von Unterdrckung und Heuchelei wendet: dies sind die Grundzge in dem Dickens jener Jahre. Der Dichter in ihm hatte sich noch nicht ganz entwickelt, er selber noch so unfertig, was er erlebt hatte, noch so nahe, die Kenntniß einer hçheren Art von geistigem und gesellschaftlichem Leben noch so unvollkommen: unter solchen Umstnden fehlt den Dichtungen jener Jahre noch alle Idealitt. Der Dichter, welcher die wunderbare Schilderung des Sturmes im Copperfield geschaffen hat, kndigt sich nur erst von ferne in der Darstellung des letzten Ganges von Ralph (der brigens durch seine Kirchhofsscene wieder an Shakespeare erinnert) und seines Endes an. Eines aber ist besonders charakteristisch. Auch Schiller in seiner ersten unreifen Epoche zeigt eine khne Technik in der Entwicklung solcher Figuren wie Franz Moor oder des Mohren im Fiesco; dagegen in der Gestaltung edler Charaktere erscheint er unreif und bertrieben im hçchsten Grade. Ebenso hierin fehlt auch Dickens, und eben hierin zeigt sich am deutlichsten der Mangel wahrer Idealitt. Daher von Squeers und Ralph zu Uriah Heep kein sehr betrchtlicher Schritt ist, aber ein unermeßlicher von den Gebrdern Cheeryble zu der wunderbaren Darstellung thtiger Gte in der Tante, von der passiven, durch vieles Leid durchgeschleiften Gestalt Kthchens zu dem gesttigten Mdchenideal der Agnes. Die Geschwister Murdstone, mit denen sich wiederum ein Schulmeister verbindet, sind die Reprsentanten so zu sagen einer niederen Sphre von Gegnern, im zweiten Stadium entsteht dann in Uriah Heep der wrdigere und mchtigere Gegenspieler. Mit dieser dramatischen Form ist die Darstel-
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lung des Lebens als eines unablssigen Kampfes unterdrckter Gte und Redlichkeit gegen das gewaltthtige Bçse verbunden. Aber das Leben, welches dieses Schema erfllt, ist im Nicholas noch ein unvergleichlich unvollkommneres als im Copperfield. Dies ist nicht in Bezug auf die Genauigkeit des Sehens gemeint oder in Bezug auf die Fhigkeit, das Gesehene in lebendigsten Gestalten sich vor dem Leser bewegen zu lassen. In dieser Beziehung kann der Roman kaum berboten werden. Die Familie Nickleby glaubt jeder Leser so gut zu kennen als seine eigene. Die Dotseboys, Kenwigs, Crummles, Mantalinis sind handgreifliche Wirklichkeiten mitten in der possenhaftesten Ausfhrung. Aber es fehlt dem Dichter, welcher alle diese Figuren mit einem unglaublichen Geschick wie an Drhten erscheinen und abspazieren lßt, an der Idealitt und Grçße, welche einem so ungeheuren Talent entsprechend wren, es herrscht eine Freude an der possenhaften Auffassung des Ordinren. Der Dichter erscheint in einer gewissen Familiaritt mit den Mantalinis und der Mrs. Nickleby. Er erregt den Verdacht, mehr als billig Interesse an Naturen solcher Art zu haben. Sicher ist Mrs. Nickleby in Bezug auf possenhafte Darstellung eines alltglichen Charakters eine unglaubliche Leistung. Jedermann hat eine Person dieser Art gesehen, und Niemand htte geglaubt, daß es mçglich sei, sie in einem Roman auftreten zu lassen, ohne daß jeder Leser verzweifelt das Buch weglegt. Associationen von Vorstellungen, welche von keinem Verstande mehr geleitet scheinen, wann Schlsse auftreten Winkelzge des Denkens, das am hellen Tage blind erscheint, dies Alles in einer auf sich Alles beziehenden und von ihrer Wrde und Ueberlegenheit erfllten Natur: die bloße Vorstellung, daß man im Leben zuweilen mit solchen Naturen zu thun gehabt hat, erregt entsetzliche Rckerinnerungen und Befrchtungen. Nur die Kunst eines Dickens konnte eine solche Natur komisch wirken lassen, doch auch sie konnte nicht verhindern, daß Langeweile und gelinder Verdruß zumeist zugleich, selbst wo man lcheln muß, ihre Begleiter sind. Eine noch unangenehmere Empfindung, die zuweilen an Ekel streift, begleitet die inneren huslichen Schicksale des bewundernswrdigen Backenbarts Mantalini und seiner Gemahlin. Auch wird dies Alles nicht aufgewogen durch die Idealitt der in ein hçheres dichterisches Licht gerckten Figuren. Die Schwester des Helden, in der Passivitt, mit welcher sie den Angriffen des Verbrechens, der Verleumdung, der tiefsten Ruchlosigkeit ihr gutes Gemth und ihre unendliche Geduld gegenberstellt, ist wohl ein Gegenstand fr Mitleid, aber nicht ein solcher fr ideales Interesse irgend einer Art. Die Gebrder Cheeryble sind der wunderlichste Fehlgriff im ganzen Roman. Dickens versichert, daß sie aus dem Leben gegriffen seien, doch wird Niemand glauben, daß zwei so arglose Creaturen mit ihrem arglosen Buchhalter zusammen im Kampfe mit dem englischen Leben zu großen Handelsherren geworden seien,
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sie haben etwas von zwei harmlosen neben einander zwitschernden Vçgeln. Diese eintçnige Steigerung bloßer Gte, ohne Schneidigkeit des Charakters, eintçnig in immer neuen Fllen exemplificirt, erinnert mehr an den Ton, in welchem fr milde Stiftungen Geld gesammelt wird, als an die Beschaffenheit eines Mannes, der in London oder Manchester sich aus der Armuth erhoben hat. Und endlich Nicholas selber ist eine absolut langweilige und gleichgltige Figur. Es bleiben zwei Figuren; auf diese concentrirt sich in der That alles große Interesse des Romans: Squeers, der Schulmeister in Yorkshire, und Ralph, der Wucherer in London. Inzwischen durchlebte Dickens in diesen Jahren, in welchen seine Jugendkraft auch den grçßten Anstrengungen gewachsen schien, die glcklichsten Zeiten. Nichts bte auf ihn einen grçßeren Reiz als zwischen angestrengter Arbeit der Genuß des Mßiggangs, in welchem seine Seele sich mit neuen Bildern erfllte, ein Kreis von Knstlern und Schriftstellern, inmitten deren Witz und bermthige Laune herrschten. Da waren die beiden hervorragenden Knstler Maclise und Edwin Landseer, Dichter und Schriftsteller wie Ainsworth und Thackeray, vor Allem sein Freund und Biograph Forster. Weite Ritte, athletische Wettkmpfe, kçrperliche Anstrengungen aller Art waren fr seine mchtig angelegte Organisation die liebste Erholung nach ungeheuren geistigen Anstrengungen. Der tollste Uebermuth des Humors wurde in diesen Jahren von ihm in das Leben bertragen. So erschreckte er eine Zeit hindurch seine Freunde, indem er eine hoffnungslose Liebe zu der Kçnigin Victoria simulirte. „Ich bin,“ schrieb er am 12. Februar 1840 mit ergçtzlicher Naturwahrheit, „vçllig in Elend versunken und kann nichts thun. Ich habe Oliver, Pickwick und Nickleby gelesen, um meine Gedanken fr den neuen Aufschwung zu sammeln, aber Alles umsonst: Mein Herz ist in Windsor, Mein Herz ist nicht hier, Mein Herz ist in Windsor, Schmachtend nach Ihr. Ich sah die Verantwortlichkeit heute Morgen und brach in Thrnen aus. Die Gegenwart meiner Frau ist mir lstig. Mir ekelt vor meinen Eltern. Ich verabscheue mein Haus. Ich fange an Gedanken zu haben an den Regents-Canal, an die Rasirmesser oben, an den Apotheker unten an der Straße, Gedanken, mich an Mrs. -ss Tische zu vergiften, mich an dem Birnbaum im Garten aufzuhngen, mich der Nahrung zu enthalten und mich zu Tode zu hungern.“ Sein Aufenthalt wechselt um diese Zeit zwischen einer Wohnung in Lon-
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don, zwischen einem Hause mit großem Garten und zwischen dem Leben am Meere, fr welches seine ruhelose leidenschaftliche Natur eine besondere Sympathie hatte. Lebte er nicht am Meere, so war er viel zu Pferde in den Straßen der Vorstdte. Alles, was ihm damals begegnete, wurde durch seinen Humor verklrt. So hatte er in Bezug auf das Rauchen eines Stallschornsteins mit zweien seiner Nachbarn Streitigkeiten, welche sein Stallknecht Topping, ein ußerst absurder kleiner Mensch mit flammend rothen Haaren, durch geheime Bemhungen, zwischen den Parteien zu verhandeln, so verwickelte, daß ein Proceß vor der Thr stand. Eine Scene aus diesem Krieg schildert er Forster folgendermaßen: „Ich will dir meinen letzten Bericht ber den Schornstein in Form einer Anrede Topping’s geben, die er neulich Abends auf unserem Rckwege von dem kleinen Hall in Norwood an mich richtete, wo er und Chapman und ich den ganzen Tag umhergewandert waren, whrend Topping Cate, Mrs. Hall und deren Schwestern nach Dulwich fuhren. Man hatte Topping im Hause tractirt, und er war gerade betrunken genug, um mittheilsam zu sein. ‚Mit Verlaub, Sir, aber der Herr im anstoßenden Hause, Sir, scheint ganz beruhigt und vergngt ber den Schornstein. – ‚Ich glaube doch nicht, Topping. – ‚Ja, Sir, ich glaube es wirklich. Heute Morgen kommt er in den Hof hinaus und sagt: ‚Kutscher, sagt er (stelle dir das Bild eines großen fetten Mannes vor, das durch dies Bild heraufbeschworen wird), ‚ist das Euer Rabe, sagt er, ‚oder ist es Mr. Dickens’ Rabe? sagt er. ‚Meines Herrn Rabe, sage ich. ‚Gut, sagt er, ‚es ist ein schçner Vogel. Ich denke, es wird jetzt mit dem Schornstein so gehen, Kutscher – nun die Fuge von der Rçhre abgenommen ist, sagt er. ‚Ich hoffe es, Sir, sage ich; ‚mein Herr ist ein Herr, der keinem Herrn Unannehmlichkeiten verursacht, wenn er es vermeiden kann, und meine Madame frchtet sich so davor, ein Bischen Feuer zu haben, daß an dem Sonntag unser Bischen Kalbfleisch, oder was es sonst ist, immer besonders nach dem Bcker geschickt wird. ‚Der verfluchte Schornstein, Kutscher, sagt er, ‚jetzt raucht er wieder. ‚Er raucht nicht nach Ihrer Seite hin, Sir, sage ich. ‚Das ist wahr, Kutscher, sagt er, ‚und so lange er nach irgend einer anderen Seite raucht, ist Alles in Ordnung, und ich bin zufrieden. Natrlich wird nun der Mann von der anderen Seite ber mich herfallen und zwar hçchst wahrscheinlich mit einem Proceß, in dem er sich beschwert, daß der Schornstein in sein Gewchshaus hineinraucht.“ Zwei Romane entstanden in dieser Zeit, welche die Richtung auf Ueberschreitung humoristischer Darstellung des gewçhnlichen Lebens, auf freiere Entwicklung dichterischer Imagination zeigen, Barnaby Rudge und der Rarittenladen. Barnaby Rudge berschreitet den Umkreis der frheren Darstellungen
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durch den Stoff und die Zeit, in welche die Begebenheiten verlegt sind. Der Gegenstand dieses Romans war schon 1837, whrend er noch an den Pickwikkiern schrieb, gewhlt worden; erst 1841 ward die Ausarbeitung wieder ernsthaft aufgenommen. Auch der Plan dieses Romans scheint erst whrend des Drngens der Ausarbeitung genauer festgestellt worden zu sein; ein starker Beweis fr dieses Verfahren von Dickens, da derselbe mehrere Jahre hindurch den Stoff mit sich umhergetragen hatte. Den 29. Januar 1840 schreibt er: „Ich ging gestern nicht aus, sondern saß und dachte den ganzen Tag. Ich ersann ein gutes Theil von Barnaby, indem ich meine Gedanken fest auf ihn richtete.“ Ein Rabe, der damals die Familie ergçtzte, ward in den Plan mit aufgenommen. Der Roman spielt in einer Epoche, in welcher brutale Gesetze die unbedeutendsten Vergehungen gegen das Eigenthum blutig bestraften; er verknpft sociale Zustnde Londons und politische Begebenheiten mit der Darstellung rhrender Schicksale. Einen hnlichen Stoff hat neuerdings Gottfried Keller in seinem Dietegen gewhlt. Die Fabel selber tritt im Verlauf zurck hinter der hinreißenden Schilderung der großen Unruhen von dem ersten leisen Murren des Sturmes bis zu der furchtbaren Katastrophe, und so geschah es, daß dieser Stoff ihn wie von selber mchtig ber die Art von humoristischen Zeichnungen hinaushob, mit welcher er seine Laufbahn begonnen hatte. In noch ganz anderer Art geschah dies durch die rhrende Geschichte, welche er zuerst in einer Zeitschrift als eine flchtige Skizze begann und deren Stoff alsdann seine Seele so mchtig einnahm, daß derselbe, wie er weiter schrieb, auswuchs zu einer großen ergreifenden Erzhlung: ich spreche von dem Rarittenladen. Es giebt vielleicht keine Figur in allen Werken von Dickens, welche von einem so strahlenden Scheine der Poesie umgeben wre als die kleine Gestalt Nelly’s; umsonst sucht man in seinen frheren Werken etwas, was nur entfernt in Bezug auf schlichte und poetische Darstellung des Idealen im Menschen mit der Darstellung dieses Kindes vergleichbar wre. Als die Kunde von dem Tode des großen englischen Erzhlers ber den Ocean kam und Bret Harte, der amerikanische Dichter, sich getrieben fand, in einigen ergreifenden Versen ein Lager in den fernen Wldern zu schildern, welches den Erzhlungen des heimgegangenen Dichters lauscht, da war es die Geschichte der kleinen Nelly, welche er mit diesem Bilde verwob. Die Lebensgeschichte von Dickens giebt uns Aufschluß ber die tiefe, von Geheimniß umgebene Quelle, aus welcher seine Einbildungskraft schçpfte. Eine jngere Schwester seiner Frau, Mary, die bei ihnen gewohnt und mehr noch durch ihre schçne Seele als durch ihre persçnlichen Reize sich zum Ideal seines Lebens gemacht hatte, war ihm 1837 entrissen worden im Alter von
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siebzehn Jahren. Die von ihm verfaßte Grabschrift lautet: „Jung, schçn und gut, zhlte Gott sie im Alter von siebzehn Jahren seinen Engeln zu.“ Die ungestme Gewalt seines Gefhles fr sie bricht bei Gelegenheit des Todes eines jngeren Bruders seiner Frau 1841 in einem Briefe an Forster hervor. Es handelte sich darum, den freien Begrbnißplatz an ihrer Seite, welchen er fr sich bestimmt hatte, dem jngeren Bruder zu berlassen. An Forster, welcher auch „diesen grçßten Kummer seines Lebens“ kannte, schreibt er: „Da keine Schritte hinsichtlich des Begrbnisses gethan waren, hielt ich es fr das Beste, die Sache sofort in die Hand zu nehmen, und selbst du httest mir den Gang nach dem Kirchhofe nicht ersparen kçnnen. Es ist ein großer Schmerz fr mich, Mary’s Grab herzugeben, grçßer, als ich es auszudrcken vermag. Ich dachte daran, sie nach den Katakomben bringen zu lassen und nichts davon zu sagen, dann aber erinnerte ich mich, daß die arme alte Dame auf ihren eigenen Wunsch neben ihr begraben wird, und konnte nicht das Herz fassen, sowie sie in die Erde versenkt ist, ihre Enkelin von ihr zu entfernen. Das Verlangen, bei ihr begraben zu werden, ist bei mir noch eben so stark als vor fnf Jahren, und ich weiß (denn ich glaube nicht, daß es je eine Liebe gab wie die, welche ich zu ihr fhle), daß es nie abnehmen wird. Ich frchte, ich kann nichts thun. Glaubst du, daß es mçglich ist? Sie wrden sie am Mittwoch entfernen, wenn ich mich entschließen sollte, es thun zu lassen. Ich kann den Gedanken, von ihrem Staube ausgeschlossen zu sein, nicht ertragen, und doch fhle ich, daß ihre Geschwister und ihre Mutter ein besseres Recht haben, an ihrer Seite zu ruhen, als ich. Es ist nur ein Gedanke. Ich denke weder, noch hoffe ich (was Gott verhte), daß unsere Geister sich je dort vereinigen werden. Ich sollte Herr darber werden, aber es ist sehr schwer. Ich habe dies nie bedacht, und nun es so plçtzlich und nachdem ich krank gewesen, kommt, regt es mich tiefer auf, als es sollte. Es ist, als verlçre ich sie zum zweiten Male.“ Der Zusammenhang dieser seiner ersten rein poetischen Schçpfung mit dem grçßten Schmerze seines Lebens ist in einem Briefe vom 7. Januar 1841 klar ausgesprochen, dessen Anfang ich schon mitgetheilt habe; er schildert die Furcht, mit welcher er sich der Darstellung des Todes der kleinen Nelly nhert: „Alte Wunden bluten,“ so fhrt er dann fort, „von Neuem, wenn ich nur daran denke, wie ich es thun soll, was das wirkliche Thun sein wird, weiß Gott. Ich kann mir nicht den Trost des Schulmeisters vorpredigen, ob ich es auch versuche. Meine theure Mary starb erst gestern, wenn ich an diese traurige Geschichte denke.“ Dieses weibliche Ideal, welches in reiner sanfter Gte einen Quell andauernder und umsichtiger Kraft besitzt, erscheint mit einigen anderen Zgen gemischt wieder in der Florence des Dombey, der Agnes des Copperfield und in
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der kleinen Doritt. In allen diesen Gestalten ist es von einer ergreifenden Poesie umgeben. Unwillkrlich gedenkt man der Rolle, welche Beatrice in dem Leben Dante’s, welche ein frh verstorbenes anmuthiges Kind in dem von Novalis einnahm. Diese Gestalten wuchsen mit den voranschreitenden Jahren ihrem Dichter, als ob sie Leben besßen und Antheil nhmen an der reifenden Kraft der Schicksale des Lebens.
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V. Wir treten in die Reisejahre von Dickens. Es ist ein naturgemßes Bedrfniß des erzhlenden Dichters, den Kreis seiner Anschauungen zu erweitern, und dies Bedrfniß wird um so gewaltiger sein, je mehr aus den Quellen des realen gesellschaftlichen Lebens seiner Zeit seine Imagination sich nhrt. Goethe, als er die Enge seiner Umgebung empfand, empfand eine unbezwingliche Sehnsucht nach dem Lande, wo die großen Denkmale der Kunst, die Erinnerungen an die untergegangene Cultur der Mittelmeerstaaten zusammen wohnen. Der Englnder des 19. Jahrhunderts umspannte mit seinen Reisephantasien die neue und die alte Welt zugleich; sein mchtiger und excentrischer, immer noch gesammelter Bildung entbehrender Geist verband abenteuerliche praktische Plne mit einem inneren, nicht mehr zurckzuhaltenden Bedrfniß nach ergreifenden neuen Eindrcken. Und so sehen wir ihn zunchst Amerika durchjagen, alsdann nach einer nicht langen Rast Italien aufsuchen, und abermals, nachdem er seine Eindrcke des englischen Lebens einige Zeit hindurch erneuert hatte, die Schweiz und Frankreich aufsuchen. Diese Zeit seiner Reisen umfaßt die Jahre von 1842 bis 1847. Schon im Jahre 1839 hatte er den Plan gefaßt, eine Zeitschrift in dem Charakter der berhmten Wochenschriften des 18. Jahrhunderts herauszugeben und nach Amerika zu gehen, um fr diese Zeitschrift eine Anzahl Artikel zu schreiben, ber die Orte, ber den Charakter der Bevçlkerung, ber die Vergangenheit des Landes. Dann schreibt er 1841: „Visionen von Amerika spuken noch bei mir Tag und Nacht. Cate geberdet sich aufs Trbseligste, wenn ich die Sache erwhne.“ Der Plan wurde genhrt durch herzliche Zuschriften aus allen Theilen der Vereinigten Staaten, insbesondere durch das freundschaftliche Entgegenkommen Washington Irving’s. Seine Popularitt hatte eine Hçhe auch jenseits des Oceans erreicht, daß sein gerade dem Excentrischen und Neuen zugewandter Geist auf sie den Plan grnden konnte, durch Vorlesungen in den großen Stdten jenseits des Oceans eine Grundlage seiner Existenz zu gewinnen, durch welche er von der Sclaverei allmonatlicher Hefte von Romanen endlich erlçst wrde. So ward der Entschluß gefaßt.
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Er befand sich von da ab in seinem gewçhnlichen Fieber, bis alle Schwierigkeiten gewaltsam beseitigt waren. Die Kinder wurden bei Freunden untergebracht, die Vertrge mit den Buchhndlern geschlossen; das Alles geschah in wenigen Tagen. „Die amerikanischen Prliminarien sind nothwendigerweise außerordentlicher Art und zerstçren bei einem Menschen von meinem Temperament Ruhe, Schlaf, Appetit und Arbeit, bis sie entgltig geordnet sind.“ Eine Krankheit, die ihn berfiel, vermochte die dringende Eile in ihm nicht zu dmpfen. Am 4. Januar reiste er ab und sah am 17. Januar 1842 die Ufer jenseits des Oceans. Am 28. Januar traf er in Boston ein. Wo er auf der Straße erschien, umdrngten ihn Menschenmassen, und Beifallsrufe begleiteten ihn, wenn er ins Theater ging; aus dem fernen Westen von den einsamen Blockhusern, Hunderte von Meilen her, kamen Deputationen. Es bestand zwischen dem Radicalismus des großen Englnders, welcher gegen die herrschenden Gesellschaftsclassen seines Vaterlandes mit urwchsiger Leidenschaft aufgetreten war, und der geistigen Strçmung in den Vereinigten Staaten eine natrliche Gemeinschaft. Hervorragende Amerikaner heben gerade dies hervor, daß die Erzhlungen von Dickens die Tendenz haben, die gefhllose Gleichgltigkeit, welche gegen die unterdrckte Masse geherrscht hat, in eine traurige und zornige Mitempfindung ihrer Noth und ihres Wehes zu verwandeln. Diese gegenseitige Sympathie erfuhr aber eine gewaltsame Unterbrechung, als er in New-York eine Agitation zu Gunsten eines internationalen Vertrages zum Schutze des literarischen Eigenthums begann. Die amerikanischen Zeitungen fielen mit der ihnen eigenthmlichen Rcksichtslosigkeit ber ihn her. Whrend alle amerikanischen Schriftsteller von Bedeutung auf seiner Seite standen und nur erschreckt waren ber die Khnheit, mit welcher er in diesem Punkte den Vorurtheilen des souvernen Pçbels entgegentrat, ließ dieser ihn keinen Tag im Irrthum ber eine seiner hervorragendsten Eigenthmlichkeiten, seinen vermeintlichen Interessen gegenber keine Art von Respect vor geistiger Bedeutung zu bewahren. Unwillkrlich erinnert man sich der Debatte, welche wir selber in Betreff geistiger Urheberrechte erlebt haben. „Anonyme Briefe, mndliche Abrathungen, Angriffe in den Zeitungen, die Colt (einen Mçrder, der hier große Aufmerksamkeit erregt) im Vergleich zu mir als einen Engel erscheinen lassen, Behauptungen, ich sei kein Gentleman, sondern nichts als ein feiler Schurke, verbunden mit den unerhçrtesten Mißdeutungen ber die Absicht und den Zweck meines Besuches in den Vereinigten Staaten, strçmten tagtglich auf mich ein. Das Festessen-Comit (das, wie du dich erinnern mußt, aus den ersten Mnnern Amerika’s besteht) wurde dadurch so in Schrecken gesetzt, daß sie mich anflehten, die Sache nicht weiter zu verfolgen, obgleich sie ohne Ausnahme mit mir bereinstimmten.“ Aber Dickens war nicht der Mann, von solchen Drohungen sich schrecken
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zu lassen. Er antwortete, daß er in Amerika selber wie in England die Sache weiter verfolgen wrde, und er sprach weiter furchtlos bei çffentlichen Gelegenheiten fr den internationalen Vertrag mit gesteigerter Energie. Am meisten empçrte es ihn, daß die Buchhndler, die ihn nachgedruckt hatten, sich ein Verdienst daraus machten, ihn durch die Verçffentlichung seiner Bcher populr gemacht zu haben. Es begann sich nunmehr eine Umstimmung in Betreff seiner Beurtheilung Amerika’s geltend zu machen; er erkannte nun mit schmerzlicher Enttuschung, was er freilich aus der Verfassung und den socialen Zustnden des Landes sich auch vorher htte verdeutlichen kçnnen, daß in keinem Lande auf der Erde ein geringerer Grad von Meinungsfreiheit bestnde, als in den Vereinigten Staaten. Und er begann auch zu bemerken, daß in der Art, wie man ihn aufnahm, wie man in schwindlerischen Erfindungen den Eindruck beschrieb, den die amerikanische Gesellschaft auf ihn gemacht habe, Eitelkeit vorherrschend war. „Mein Urtheil ber den Nationalcharakter,“ so schrieb er an Forster damals, „halte ich noch zurck, ich sage nur ganz leise, daß ich fr einen hierher kommenden Radicalen zittere, wenn er nicht aus Grundsatz, aus Vernunft und Nachdenken und aus Rechtsgefhl radical ist. Wre er irgend etwas Anderes, so frchte ich, er wrde als Tory heimkehren. – Ich werde von jetzt an innerhalb zweier Monate nichts weiter ber diesen Punkt sagen, als dieses: daß ich frchte, daß der schwerste je gegen die Freiheit gefhrte Schlag von diesem Lande gefhrt werden wird, durch das Fehlschlagen seines Beispiels fr die Erde.“ In diesen Tagen war es, daß Carlyle zuerst mannhaft fr ihn eintrat und den Grund zu einem Verhltniß von Freundschaft und Dankbarkeit gegen diesen großen Schriftsteller und Menschen gelegt wurde, dessen Charakter Dickens mit Recht hçher stellte als den irgend eines anderen lebenden Englnders. Mit der Carlyle eigenen urwchsigen Deutlichkeit subsumirt er die Nothwendigkeit eines solchen internationalen Vertrages unter das Gebot: du sollst nicht stehlen. Durch Nachdruck von Bchern eines Englnders in Amerika oder umgekehrt eines amerikanischen Schriftstellers in England sich mit billiger Bildung zu versehen, erklrte er fr gerade so bequem und gerade so moralisch als die Gewohnheit der Grenzbewohner zwischen Schottland und England in alten Zeiten, sich mit Rindfleisch zu versehen, indem man es lebendig aus den anliegenden Thlern stahl. Endlich nach langen, mhseligen Reisen durch die Provinzen der Vereinigten Staaten, nach einer Zeit ernstlicher Beobachtungen der socialen Zustnde dieses stammverwandten Landes und ihrer Grnde, nachdem er in den Gefngnissen die Verbrecher, in der Schule Knaben und Schulmeister, in der gesetzgebenden Versammlung die Politik des Landes, in dem fernen Westen die
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Ansiedler in ihren Blockhusern und die geheimnißvolle Gewalt der Wildniß beobachtet hatte, trat er am 7. Juni 1842 nach beinahe halbjhrigem Aufenthalte in Amerika die Rckreise an. „Indem die Zeit nher kommt, ergreift uns ein fieberisches Verlangen nach der Heimath. – Ksse unsere lieben Kleinen fr uns. Wir werden uns bald wiedersehen, so Gott will, und froher sein, als wir je in unserem Leben waren. – O die Heimath – die Heimath – die Heimath – die Heimath!!!“ Zwei Arbeiten empfingen ihren Anstoß auf dem Boden von Amerika. Er faßte das Resultat seiner Tagebcher und Briefe in seiner Schrift ber die amerikanischen Zustnde zusammen; doch muß man immer die Verçffentlichung eines Theiles seiner Briefe, welche wir jetzt in dem ersten Bande seiner Biographie erhalten haben, zu dem Buche ber die Amerikaner hinzunehmen: denn die erste Frische und den ganz natrlichen Ausdruck seiner Wahrnehmungen findet man in dieser. Alsdann aber mischten sich die neuen Eindrcke mit dem ersten Plane des Martin Chuzzlewit. Dieser Roman war 1841 von ihm ins Auge gefaßt worden; doch hatte der Vertrag damals den Beginn seiner zwanzig Hefte erst auf den November 1842 festgesetzt. Es war sein Zweck, in diesem Roman die Selbstsucht in der Mannigfaltigkeit ihrer Gestalten zu vergegenwrtigen und daher war Pecksniff der Mittelpunkt desselben, sofort als er ihn begann und ber den Verlauf der Geschichte noch sehr ungewiß war. Das Schema ist wieder das des Nickleby. Abermals that er einen Schritt in Bezug auf die Freiheit der Phantasie, Charaktere von tiefer liegenden Sprungfedern aus vorstellig zu machen. Und zugleich that er abermals einen Schritt in Bezug auf den freien Gang der Imagination, welche Schilderungen ersten Ranges hier hervorbrachte. In Bezug auf Beides war seine amerikanische Reise fr ihn von großer Bedeutung gewesen. Aber er ging weiter; indem er die Scene nach Amerika selber hinberzutragen sich entschloß, benutzte er unmittelbar seine amerikanischen Erfahrungen. Der Sturm des Unwillens, welchen sein Buch ber Amerika hervorgerufen hatte, wurde in solchem Maße verstrkt, daß er an eine çffentliche Erklrung ber sein Verhltniß zu den Amerikanern dachte. Auch in England selber trafen ihn nunmehr große Enttuschungen. Dieser Roman, welcher viel tiefer als einer seiner frheren in die gesellschaftlichen Laster des England seiner Zeit schnitt, welcher die unsterblichen Reprsentanten der Selbstsucht und Heuchelei, Pecksniff und Madame Gamp, dem Publicum brachte, blieb weit hinter dem erwarteten Erfolg, dem Erfolg seiner frheren Werke zurck. Ja er mußte erleben, was ganz gut mit dem Geiste der im Roman geschilderten Gesellschaften bereinstimmte, daß seine Verleger, nachdem sie sich an frheren Romanen bereichert hatten, sich nunmehr anschickten eine von ihm der Beachtung kaum gewrdigten Clausel des letzten Contractes gegen ihn in Anwendung zu bringen.
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Dies waren die Umstnde, unter welchen er plçtzlich mit dem Plane hervortrat, von Neuem England zu verlassen und nunmehr den europischen Continent kennen zu lernen. Er rechnete auf die Erweiterung des Gesichtskreises, welchen er hierdurch gewinnen wrde, und der Erfolg seiner amerikanischen Reise hatte die Richtigkeit einer solchen Rechnung schon bewahrheitet. Er rechnete alsdann darauf, daß seine Ausgaben auf dem Continente nicht mehr als die Hlfte seiner Ausgaben in England betragen wrden. Nicht minder mchtig aber winkte im Hintergrunde ein Bedrfniß nach großen Eindrkken, großen Scenen und neuen mchtigen Anstçßen. So trat er denn eine neue Reise an, deren nchstes Ziel Italien war. Am 14. Juli 1844 kamen sie in Marseille an. „Von fremdartigen und ganz neuen Verhltnissen umgeben, ist mir zu Muthe, als htte ich einen neuen Kopf neben meinem alten“; alsdann langte er am 16. Juli in Genua an, wo er in der Vorstadt Albano fr die Sommermonate Wohnung nahm. Er erlebte nunmehr, wie er es charakteristisch ausdrckt, daß das Blaue des Mittelmeeres die tiefste und wunderbarste Farbe in der ganzen Natur ist. Nachdem er den Sommer in der Umgebung Genua’s zugebracht hatte, bezog er im Winter den Palazzo Peschiere. Als er ber die stattlichen alten Terrassen, die auf beiden Seiten mit antiken Statuen besetzt waren, hineinzog, spielten smmtliche sieben Springbrunnen in dem Garten und die Sonne schien hell auf seine Camelienhaine und Orangenbume. Von seinem Arbeitszimmer aus berblickte er den Hafen von Genua bis auf den Leuchtthurm, der in dunklen Nchten wie durch Zauberei bei seinem jedesmaligen Aufflammen die ganze Vorderseite des Palastes erleuchtete. Dort war es auch, wo die Idee seines neuen Weihnachtsbuches: „Die Sylvesterglocken“ ihm aufging, als das Klingen und Schallen aller Kirchthrme Genua’s mit einem plçtzlichen Luftzug an einem Morgen berwltigend auf ihn eindrang. Dort, in dem weiten Palaste, dem Denkmale eines ungeheuren vergangenen Luxus und Reichthums, schrieb er dies Buch, das recht eigentlich zum Schutze der Armen geschrieben war. „Und die Moral von Allem ist, daß er eben so gut wie jeder andere Mensch seinen Antheil am neuen Jahre hat, und daß es keiner geringen Mißhandlung bedarf, ehe die menschliche Gestalt in den Armen zerstçrt wird, daß selbst inmitten ihrer wilden Schlechtigkeit sie noch etwas Gutes triumphirend in ihrem Herzen behaupten kann, wenn auch alle Aldermen in der Welt „Nein“ sagen, wie er durch das Leiden seines eigenen Kindes erfahren hat, und daß die Wahrheit Vertrauen zu ihnen ist, nicht Zweifel oder Unterdrckung.“ Er schrieb dies Buch mit einer inneren Leidenschaft, daß er sagen durfte, es habe sein Gesicht in einem fremden Lande gebleicht. Und hier tritt wieder ganz deutlich das Wilde und Unbezhmbare in dieser
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gewaltigen Organisation hervor. Er reist durch Italien nach London, um seinen Freunden die Sylvesterglocken vorzulesen, um den unmittelbaren Eindruck dessen, was er gethan, zu erleben, und verlßt dann sofort wieder England, um nach Genua zurckzukehren. Noch ist eine Skizze erhalten, in welcher man ihn bei Forster auf dem Lehnstuhle mit seinem Manuscripte erblickte, neben ihm das sinnende Gesicht von Carlyle, andere Freunde rings um ihn. Nach einer strmischen Reise von Marseille aus befand er sich am 22. December 1845 wieder in Genua. Nun sah er Rom und Neapel. Es war ganz in seinem Charakter, daß das Elend und der Schmutz von Neapel ihn mit tiefem Widerwillen erfllten. Ueber den St. Gotthard kehrte man zurck und Ende Juni 1845 traf er wieder in England ein. Es ist schwer, sich darber zu entscheiden, ob dies als das Ende der Jahre des Reisefiebers betrachtet werden kann, denn Dickens blieb nicht ein Jahr in England, dann trieben ihn widerwrtige Verhltnisse hinweg, welche ihm seine Beziehungen zu dem englischen Publicum verleideten. Der Druck, welchen die Nothwendigkeit unaufhçrlicher Production auf ihn ausbte, hatte ihn schon vordem zu Versuchen gefhrt, auf eine Zeitschrift seine Existenz mitzubegrnden; jetzt trat er in ein Zeitungsunternehmen ein. Es ist derselbe Druck, welchem die Romanschriftsteller auch bei uns in Deutschland unterliegen. Die Zeitung, an deren Begrndung er mit thtig war, ist die Daily News und von Dickens’ Hingabe an alle Gedanken der Reform und der Fçrderung der niederen Classen empfing dieses Blatt einen Anstoß zu seiner Richtung. Doch gab er schon nach wenigen Tagen die aufreibende oberste Leitung des Blattes auf. Er war sofort entschlossen, wieder in das Ausland zurckzukehren. Mit dem Beginn des Juni verließ er England und ber den Rhein begab er sich nach Lausanne, wo er sich in einer reizenden Villa niederließ. In den Zeiten der Muße konnte Niemand mehr als er die Natur genießen, whrend er zwischen der Arbeit nach Menschengedrnge und den Straßen verlangte. Er blieb in Lausanne vom 11. Juni 1846 bis in den November desselben Jahres hinein. Hier entwarf und schrieb er das neue Weihnachtsbuch – denn er hatte England daran gewçhnt, daß er alljhrlich mit einer Festnovelle erschien – und begann einen neuen großen Roman. Einen hçchst interessanten Einblick in die Art, wie die kleine Dichtung in ihm erwuchs, interessant fr die allgemeine Frage der Entstehung solcher Werke, erhalten wir in einem Briefe vom 22. Juni 1846: „Eine wunderlich, schattenhaft unbestimmte Idee arbeitet in mir, daß ich ein großes Schlachtfeld irgendwie mit meiner kleinen Weihnachtsgeschichte in Verbindung bringen kçnnte. Gestaltlose Visionen der Ruhe und des Friedens, welche in spteren Zeiten darber walten, wenn das Korn und Gras ber den Erschlagenen
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wchst und die Leute am Pfluge singen, schweben so bestndig vor mir, daß ich nicht umhin kann zu denken, es mçge etwas Gutes darin zum Vorschein kommen, wenn ich hier deutlicher sehe.“ Nicht weniger interessant ist die an Unvermçgen grenzende Schwierigkeit, gleichzeitig mit dem Beginn des großen Romans die Novelle zu schreiben. Und nach außergewçhnlichen Anstrengungen die Schwchlichkeit dieser Novelle, welche daraus entsprang, daß der strkere Bruder alle Krfte seiner Imagination an sich zog. Nach Vollendung des dritten Heftes vom neuen Roman traf er am 20. Nov. 1846 in Paris ein, wo er drei Monate verweilte. Auch hier war es das Studium der Orte, an welchen Verbrechen und Unglck studirt werden kçnnen, das ihn besonders anzog; er ging ziemlich oft nach der Morgue; auch die Gefngnisse besuchte er wieder hier. Als an einem der Hefte seines neuen Romans zwei Seiten fehlten, strmte er selber nach London, sie dort zu schreiben und sofort zurckzukehren. Bald darauf kam er wieder nach England, wo er im Frhjahr 1847 zu London ein Haus miethete; dies war das wirkliche Ende seines Reisefiebers.
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VI. Die Epoche der Reife in dem Schaffen von Dickens hebt an. Die Neigung zu wilden excentrischen oder niedrigen Charakteren, zu dem Seltsamen und Wunderlichen, welches vorbergehende Anomalien in den Lebensbedingungen hervorbringen, die feste und leichte Hand fr die Abrundung von Scenen und die sinnfllige Deutlichkeit der Charaktere: dies Alles entsprang in Dickens aus dem Gange seines frheren Lebens und aus der Natur seiner ersten Beschftigungen. Auch darin war er ganz Journalist und Reporter in dieser frheren Epoche, daß der Gedanke an die Wirkung auf den Leser ihn auch in der innersten Werksttte dichterischen Schaffens niemals auf eine lngere Dauer verließ; wollte man Schopenhauer glauben, so wren Naturen solcher Art niemals große Dichter; in Wirklichkeit hat auch Shakespeare die Wirkung jeder seiner Scenen auf den Zuschauer zugleich mit der Scene selber gesehen. Immer kehren bei Dickens von der ersten Conception seiner Werke ab Stellen wieder, die seine dichterischen Gedanken nach der Gewalt ihrer Wirkung abmessen. Allen Schriftstellern solcher Art eignet es, daß sie gern zu starken Wirkungen greifen und sicher ist dies der grçßte Fehler von Dickens. Fr einen kleinen Kreis, whrend es gegenber der großen Masse seiner Landsleute ein großer Vorzug war. Ein Anderes kam dazu. Die monatliche oder gar wçchentliche Herausgabe einzelner Hefte mußte ihm wn-
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schenswerth machen, jedem solcher Hefte ein eigenes selbstndiges Schwergewicht zu verleihen; auch glaube ich, daß sich hieraus seine Manier entwickelt hat, bei dem Wiederauftreten seiner Figuren gewisse stehende charakteristische Seiten derselben zu wiederholen, was gegenber Lesern sehr zweckmßig war, welchen seit Monaten diese Figuren aus dem Gedchtniß verschwunden waren. Ich muß aber, um das Specifische in dem Genius von Dickens zu verdeutlichen, wieder anknpfen an die frheren allgemeinen Erçrterungen. Das leidenschaftliche Interesse, die Strke und Dauer anschaulicher Eindrcke von Handlungen und Schicksalen der Menschen, ihrer Art zu erscheinen, der Widersprche ihres Lebens, komischer Seiten ihres Wesens: dieses Alles wird in verschiedenen Kçpfen auf ganz verschiedene Weise sich ußern. Es ist ein Denken in Charakteren, Schicksalen und Begebenheiten anstatt in abstracten Stzen, dies ist dasselbe in einem Dickens wie in einem Goethe oder Cervantes; es ist die Natur des erzhlenden Genies. Das Ergebniß einer solchen Natur wird berall sein, daß die Imagination immer wieder zu solchen Bildern zurckkehrt, daß sie in ihnen lebt, daß solche Bilder ein zweites Leben durch sie empfangen, daher fr jeden großen Dichter die Gestalten reale Wahrheit haben, die er darstellt. Nun aber wirken alle Verschiedenheiten der Natur von Dichtern auf die besondere Weise hin, wie solche Gestalten sich in ihnen formen und außer ihnen herausgestellt werden. Nennen wir dies einmal inneres Verfahren des Dichters oder die innere Form seiner Werke und ihre ußere Technik. Hiervon ist denn zu unterscheiden, gemß den frher entwickelten Stzen, der Inbegriff der Erfahrungen, welche den Inhalt seines ganzen Schaffens bilden, welchen wir als den Erfahrungshorizont eines Dichters bezeichnen. Und Niemand glaube, hiermit die Sache erschçpft zu haben, wenn er nicht den Begriff der Erfahrungen im weitesten Verstande nimmt: die wichtigsten unter ihnen sind jene inneren, welche sich aus dem eigenen Handeln und der Anschauung desselben gestalten. Es kann sein, daß das Specifische des dichterischen Genius in nichts liegt als in der Strke, der Genauigkeit, dem Gefhlsgehalt, in dem damit verbundenen Grad von Interesse all derjenigen Eindrcke, die sich auf Charaktere und Schicksale beziehen, zusammenhngend damit in der Realitt und Sinnflligkeit aller hierauf bezglichen Bilder. Dies ist vielleicht, was den Dichter zum Dichter macht, denn auch die Macht der Erregung in dem lyrischen Dichter ist bedingt durch die Strke der Gefhle, welche durch Eindrcke hervorgerufen werden. Jedenfalls ist es in erster Linie dasjenige, was die Grundlage des epischen und dramatischen Dichters bildet. Bietet uns nun unsere heutige Psychologie Mittel, von diesen Elementen ab den Weg der dichterischen Imagination zu verstehen, vermçge dessen Gestal-
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ten Leben empfangen, welche andere sind als die der Wirklichkeit? Dieser Wirklichkeit gehçren doch alle Elemente; ihr gehçren die mçglichen Arten ihrer Verknpfung. Was ist in dem Menschen, hinausreichend ber die Association, als welche doch immer wieder nur dieselben Elemente in denselben Verbindungen zurckruft? Von der gewçhnlichen starren Fassung der Associationsgesetze fhrt kein Weg zu der Erklrung der Imagination eines Dichters oder eines Knstlers. Aber diese Gesetze sind auch nur der unvollkommene Ausdruck eines Thatbestandes, der in Wirklichkeit unvergleichlich lebensvoller und schçpferischer ist. Wie die Sinneswahrnehmung, als sie nher untersucht wurde, sich weit mehr schçpferisch und lebendig darstellte, als man vorher annahm, so verhlt es sich auch mit der Association. Wir sagen, daß unter gewissen Bedingungen ein Eindruck den anderen zurckrufe, und daß dieser letzte alsdann reproducirt werde. Die Feststellung der Bedingungen, unter welchen das geschieht, bildet eine der wichtigsten Aufgaben der inductiven Psychologie: so mçchte ich dieselbe lieber, als mit dem Namen der empirischen bezeichnen. Denn die Erklrung dieser Thatsache bildet den Gegenstand einer tiefer liegenden, mit Hypothesen arbeitenden Psychologie. Ob dieselben bald Aussicht haben werden, aus dem Zustande bloßer Hypothesen in den eines Ableitens aus nothwendigen Annahmen zu kommen, kçnnte bezweifelt werden, wenn man die jetzige Lage der Sache unparteiisch erwgt, denn es ist klar, daß man den Thatbestand der Reproduction einer Vorstellung ganz ebenso aus dem Reste eines physiologischen Vorganges, welcher nur als solcher fortdauert, als aus einer weiterlebenden unbewußten Vorstellung erklren kann. Dies ist heute die Sachlage; aber der Gang der Wissenschaft kann an irgend einem anderen Punkte einmal zur Entscheidung dieser großen psychologischen Grundfrage fhren. Gleichviel; die inductive Psychologie begngt sich mit der Feststellung der psychischen Thatbestnde, ohne heute schon irgend eine Erklrung als die allein mçgliche zu behaupten. Aber die Thatsache selber ist vorlufig nicht genau beschrieben. Und weil sie das nicht ist, weil die starre Fassung des Gesetzes der Association nur hellere oder dunklere Reproductionen derselbigen Vorstellung kennt, darum besteht zwischen der Theorie der Association und der Thatsache der schçpferischen Einbildungskraft eine Kluft, welche der Wirklichkeit des Vorganges fremd ist. In Wirklichkeit besteht zwischen reproducirten Vorstellungen und zwischen Imaginationen eine Reihe von stetigen Mittelgliedern, denn in Wirklichkeit kehrt dieselbe Vorstellung so wenig in einem Bewußtsein zurck, als sie in einem anderen Bewußtsein als ganz dieselbe wieder vorkommt. Streng genommen werden Vorstellungen berhaupt nicht reproducirt. Eine Vorstellung ist, was von einer Wahrnehmung, wenn sie vorbergegangen ist, zurckbleibt.
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Fechner unterscheidet in seiner Psychophysik Erinnerungsnachbilder von den Nachbildern einerseits, andererseits von den Erinnerungsbildern. Unter einem Erinnerungsnachbild versteht er die Vorstellung von einem Gegenstande, welche entsteht, wenn nach momentaner scharfer Anschauung sofort das Auge geschlossen und weggewandt wird. Alsdann entsteht eine Vorstellung, die in Zeichnung und Farbe zunchst alle bloßen Erinnerungsvorstellungen bertrifft und nur allmlig in das Undeutlichere verschwimmt. Schon dies Erinnerungsnachbild ist verschieden von der Anschauung selber. Und zwar kann diese Verschiedenheit nicht als Verdunkelung gefaßt werden; es ist nicht nur, daß die einzelnen Elemente der Anschauung an Bestimmtheit verlieren; vielmehr gehen berhaupt von diesen Elementen viele unter und schon in dem Erinnerungsnachbild ist nur ein verhltnißmßig kleiner Theil der Empfindungselemente mit vorgestellt, welche den vollen Eindruck ausmachen. Diese Auswahl aus den die Wirklichkeit bildenden Empfindungselementen ist so einerseits ein Ergebniß der Geschichte einer jeden Anschauung in der Seele, andererseits liegt ja in ihr die erste Bedingung fr jedes knstlerische Nachbild der Wirklichkeit, die erste Bedingung dessen, was wir als Idealisirung bezeichnen. In dem bloßen Erinnerungsbilde, welches im Vorstellungsverlaufe reproducirt wird, nachdem zwischen der Anschauung und seinem Eintreten andere Bilder auf dem Schauplatz der Seele schon sichtbar waren, treten weitere Abnderungen hinzu. Das Associationsverhltniß, vermçge dessen eine Vorstellung auf den Schauplatz gerufen wird, wirkt auf das Verhltniß, nach welchem Theile reproducirt und andere bergangen werden. Die rumliche Association reproducirt besonders lebhaft die Raumverhltnisse; rufen Aehnlichkeit oder Gegensatz eine Vorstellung zurck, so wird das Aehnliche oder das Entgegengesetzte besonders lebhaft in seinen Theilen hervorgerufen, whrend Anderes zurcktritt. Und eine solche Vorstellung erweist sich bei jeder weiteren Reproduction als mitwirkend. Mehr noch; in dem Streben nach deutlicher Vorstellung erleiden die Bilder auch Abnderungen in ihren Elementen; je nach den Einflssen, welche bei dem Vorstellen thtig sind. Und was wir in dem Verlaufe unseres geistigen Lebens zu reproduciren suchen, was insbesondere von den Erfahrungen der menschlichen Welt von uns reproducirt wird, das sind vor Allem Gesammtvorstellungen, welche unsere einzelnen Wahrnehmungen schon zusammenstellen vermçge eines die Elemente verknpfenden, also bildenden phantasievollen geistigen Actes. Was andererseits eine Vorstellung in uns bei ihren Reproductionen von weiteren Abnderungen erfhrt, ist durch unzhlige mitwirkende Elemente bedingt: durch unsere allgemeinen Gesichtspunkte, durch andere Vorstellungen oder Bilder, auf welche sie bezogen wird, durch die wechselnden Frbungen, Licht und
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Schatten, welche die Stimmungen unseres Gemthes auf sie werfen. Indem unter all diesen Einwirkungen Vorstellungen reproducirt und Gesammtvorstellungen gebildet werden, sind diese abweichend von den Wahrnehmungen selber durch die Aussonderung einer Gruppe von Elementen, aus denen sie gebildet werden, sowie durch die Art der Nachbildung dieser reproducirten Elemente selber, welche sich oft sehr weit von den Wahrnehmungen entfernen, welche zu Grunde liegen. Was aber so umbildend wirkt, ist theils die Richtung der Aufmerksamkeit, welche bestimmte Empfindungselemente erhlt, theils der Einfluß anderer Wahrnehmungen, Vorstellungen und Begriffe, theils endlich sind es die Gefhlserregungen, unter deren Macht wieder vorgestellt wird; und so ist schließlich alle Reproduction von Wahrnehmungen und Vorstellungen nach dem inneren Gesetz der bestimmten Seele sich vollziehende M e t a m o r p h o s e . Es giebt kein Gedchtniß, welches nicht auch Einbildungskraft wre, so wie es keine Einbildungskraft giebt, welche nicht auch Gedchtniß wre. Und diese Metamorphose i d e a l i s i r t , ohne jede besondere Absicht, ohne daß die Seele sich dem Geschft der Umgestaltung von Bildern mit Bewußtsein hingbe, unter bestimmten Bedingungen. Wo diese Bedingungen eintreten in einer Seele, wo die Metamorphose unabsichtlich im Laufe dessen, was man Gedchtniß nennt, Gestalten hervorbringt, welche sich zu der Wirklichkeit so verhalten, daß sie die knstlerische Darstellung vorbereiten, da ist eine zweite Bedingung der dichterischen Einbildungskraft erfllt. Strke des Gedchtnisses und Sinnflligkeit des Schauens und Interesse an der Menschenwelt machen so gut den Historiker, den philosophischen Erforscher menschlicher Zustnde als den Dichter. Diesem letzteren aber eignet eine mchtige Erregbarkeit der Seele, mit einem Spiele von Gefhlen die Flle der Lebenseindrcke zu begleiten, durch welche das entsteht, was wir als dichterische Darstellung der wirklichen Welt bezeichnen. Denn das Wesen der Kunst darf nicht, wie von Seiten der idealistischen Aesthetik geschieht, in dem hçchsten Ideal derselben, dessen wir heute fhig sind, gesucht werden. Dies ist ein Fehler, welcher allen allgemeinen Theorien der moralischen Welt eigen ist, die von deutschen Philosophen in der jetzt abgelaufenen Epoche entworfen sind. Es ist nicht gestattet, das, was in irgend einem Zweige der moralischen Welt sich unter den gnstigsten Bedingungen geschichtlich entwickelt hat, als Antrieb zurckzuverlegen in die ganze Reihe der diesen Zweig ausmachenden Erscheinungen; die Kunst ist berall, wo etwas, sei es in Tçnen oder in einem festeren Material, hingestellt wird, welches weder die Wirklichkeit abbilden oder erklren, noch selber in Wirklichkeit bergefhrt werden soll; sie ist also berall, wo eine Vorstellung in irgend einem Material fixirt, als solche, abgesehen von jeder Beziehung zur Wirklich-
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keit, das Interesse des Anschauenden befriedigt. Bloße in irgend einem Material fixirte Vorstellung, welche als solche interessirt; dies bildet berall ihre Natur. Von den Gçtzenbildern der Neger, welche mit abschreckender Treue die Eigenthmlichkeiten der afrikanischen Race wiedergeben, von den Umrissen von Menschen, Rennthieren, Seehunden und Walfischen, mit welchen die Eskimos ihre Waffen bedecken, von den graziçsen Spiralen und geometrischen Mustern, welche die Polynesier entwerfen, bis zu den hçchsten Schçpfungen Shakespeare’s, Michel Angelo’s Goethe’s und Raphael’s ist ein umfassendes Reich sich fortbildender umwandelnder Darstellung, welcher Ein Merkmal gemeinsam ist, daß eben Darstellung als solche Befriedigung gewhrt. Fragt man nun, wie dies berhaupt mçglich sei, so ist die ganze Voraussetzung diese, daß Vorstellungen ganz an und fr sich eine angenehme Erregung in dem Beschauer hervorbringen, der sie in irgend einem Material ausgedrckt findet. In dem Gewebe unseres geistigen Lebens laufen die Fden sehr verschlungen. Freude an der treuen Abbildung eines Wirklichen, welche der Neigung das Wirkliche zu erfassen eingeordnet ist, waltet hier berall; aber das mchtigste aller Motive liegt in der Verknpfung von Vorstellungen mit der Erregung unseres Gemthes. Was sind denn die Elemente aller Dichtung des Tragischen, des Erhabenen, des Rhrenden, des Komischen Anderes als die verschiedenen Weisen, in welchen unser Gemth von menschlichen Schicksalen und Gestalten erregt werden kann? So viel solcher Formen, so viel Urelemente so zu sagen der inneren Poesie des menschlichen Herzens und der poetischen Gestalten, welche durch die Weltgeschichte schreiten. Die besonderen Aufgaben des großen genialen Erzhlers haben in besonders augenflliger Weise zur Voraussetzung, daß die Welt von Handlungen und Charakteren, in welchen er lebt, von leidenschaftlichen Bewegungen seines Gemths begleitet sei. Hier also wird eine neue Grundeigenschaft in dem Genius des großen Erzhlers erwartet werden mssen. Die Mchtigkeit, in welcher die Menschen und die Vorgnge, in Wirklichkeit und in Vorstellung, von seinem Gemth ergriffen werden, wie sie tragisch, erhaben, komisch, rhrend seine Seele bewegen: dies setzt einige besondere Zge in seiner Organisation voraus. Ist doch das Ursprngliche in dem Interesse, das eine Erzhlung einflçßt, dies, daß sie berhaupt eine starke Wirkung auf das Gemth hervorbringt. Das vielverschlungene Gewebe der Handlungen muß in ihm wie in dem Hçrer wechselnde, aber immer starke Wirkungen hervorbringen. Um so mehr, je breiter und realistischer er die Charaktere und Begebenheiten in sich trgt und darzustellen Antrieb findet. Der breiten moralischen Welt gegenber ist keine Mçglichkeit einer einfachen Stimmung. Es eignet jedem Knstler, daß er in Wahrnehmungen und Vorstellungen ohne Rcksicht auf die praktische Tragweite dessen, was um ihn vorgeht, auch
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ohne Rcksicht auf das theoretische Verstndniß irgend eines Theiles der Wirklichkeit lebt. Es ist ihm eigen, daß an und fr sich Wahrnehmungen und Vorstellungen irgend eines Theiles der Welt sein Gemth bewegen, erfllen, befriedigen, beseligen. Es muß ihm eignen, daß seine Gefhle und inneren Bewegungen stark und tief, daß sie aber nicht an seine persçnlichen Interessen gebunden sind, sondern auf die objective Welt sich beziehen.
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Gustav Freytag: Technik des Drama. Leipzig, S. Hirzel. 1863.
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Wenn uns der große Gesichtspunkt der aristotelischen Poetik noch nicht ganz verloren ging, welcher die Kunst als ein Mittel fr die Erziehung des Menschen zum Staat ansah, dann muß wohl jeder Schritt, den wir in der Durchbildung eines nationalen Drama’s voranthun, mehr als ein anderer im Bereiche der Kunst mit besonderer Freude begrßt werden. Denn in diesem weiten Bereich ist es das Vorrecht des Drama’s allein, mit voller Souverainitt den ganzen Kreis von Gemthszustnden h a n d e l n d e r M e n s c h e n zu beherrschen. Mçgen wir uns in der Lyrik oder der Musik der freien Flle unseres Empfindungslebens erfreuen, oder im Roman der ganzen immer steigenden Breite unserer Lebenserfahrung: der Glanz, der von diesen Kunstformen sich ber unser Privatleben ergießt, ist wie ein alter lieber Besitz, den wir mit den Jahren wachsen sehen; aber das Drama allein trifft den Lebensnerv unserer Zeit, handelnde Charaktere, große çffentliche Fragen, die Kmpfe einer ber das Privatleben hinaus reichenden Leidenschaft. Es trifft ihn um so strker, je reiner und schrfer es die Grenzen seines wahren Wesens einhlt. Die Tendenz-Dramen Gutzkow’s, Mosenthal’s, Wolffsohn’s zeigen nur die vagen politischen Velleitten ganz unpolitischer, d. h. in unsichere Reflexionen versunkener Naturen; darum tritt hier a u c h i n d e r F o r m spielende Dialektik an die Stelle einer Rede, die H a n d l u n g ist, Empfindsamkeit und rhrende Situationen an die Stelle groß gedachter tragischer Ausgnge, sogenannte Principienkmpfe an die Stelle kmpfender Leidenschaft. Dagegen zeigt das Drama Shakespeare’s und Schiller’s alle großen Krfte des Willens in hçchster Anspannung durch starke Motive. Es thut es, ohne es besonders zu wollen, indem es allein dem Zug echt dramatischer Empfindungsweise folgt. Und so ruft es ohne jede kokettirende Absicht alle mnnlichen Empfindungen in dem Zuschauer wach. Denn genau so scharf das Drama sein innerstes Wesen ergreift, in dem Maße hat es eine mnnliche Grçße, welche keine andere Kunst kennt. Auch die Stoffe des weicheren Empfindungslebens, der Liebe, der Eifersucht,
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erhebt es zu dieser ihm eigenthmlichen Grçße: es bewirkt dies bei j e d e m Stoff, den es berhrt. Aber es hat auch nach dieser seiner Natur eine sehr entschiedene Disposition fr b e s t i m m t e Stoffe: ein Punkt, der in unserer letzten literarischen Periode in Vergessenheit zu kommen schien. Man dachte ber Shakespeare hinaus noch nher zum Herzen der Zuschauer zu dringen, indem man die stoffliche Begrenzung aufgab, welche dieser rein aus seinem wunderbaren Knstlerverstande heraus gefunden hatte. Aber schon heute sind alle Versuche wie weggeweht, das Drama auf die Conflicte des Privatlebens zu bauen; seitdem unser Volk die wahre Heimath mnnlicher Empfindung in dem Leben fr den Staat kennen gelernt hat, ist wohl kaum Gefahr, daß Schicksalstragçdien oder Familienrhrstcke je wieder das Uebergewicht gewinnen ber den Zug des Drama, den es in Aeschylus bei seinem Beginn so mchtig empfand, und den Shakespear und Schiller dann mit dem klarsten Bewußtsein einschlugen. Man hçrt jetzt nicht selten von politisch leidenschaftlichen Naturen ber Poesie und Musik als Lieblingsneigungen der Deutschen bittere Spottreden; die Paradoxieen Platon’s beginnen Beifall bei unseren Zeitgenossen zu finden; wenigstens in Bezug auf p r o d u c t i v e Bethtigung hat Gervinus dieser Empfindung in seinem berhmten Vorwort schon vor Jahren den ersten starken Ausdruck geliehen: ohne freilich die genießende und betrachtende Beschftigung mit der Kunst in sein scharfes Urtheil mit einzuschließen. Aber d i e s Ideal muß doch auch auf dem Wege der Mnner liegen, welche unser ganzes Leben in den Staat mçchten aufgehen lassen, daß auch unter uns, wie einst in der schçnsten griechischen Zeit, von der Bhne herab aus den Gestalten und Geschichten der Vergangenheit Wnsche, Wollen und Leidenschaften unserer Tage zu unserem Volke sprchen. D i e s e Kunst htte die Kraft und Mnnlichkeit in sich, ein Bestandtheil unserer nationalen Erziehung zu werden. Ein Gefhl hiervon beherrscht unser Publikum, das sich, so oft es auch getuscht ist, zu jedem historischen Drama mit Eifer hindrngt; es beherrscht nicht minder unsere Dichter, welche wenigstens mit dem V e r s u c h alle ihre Laufbahn beginnen, etwas, dieses Interesses Wrdiges zu schaffen: fast allen freilich versagt gar bald die Kraft. Zugleich aber mit diesem Gefhl ist das andere lebendig, daß unser Drama einer Reform bedrfe, solle es ein so hohes Ziel sich zu stecken wagen drfen. Es ist wahr, daß Manches aus der Misre des Drama unserer letzten Decennien heute unmçglich wre, allein durch den vernderten Charakter der Zeit, der von selber auf den Kern des Drama hindrngt. Dennoch finden nach der Verwilderung des Drama Bhnen und Dichter langsam die Wege, auf die bereits Geschmack und Neigung des Publikums hintreiben; wie neulich mit Recht bemerkt wurde, die Leistungen der Bhne sind weit hinter dem Geschmack
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des Publikums zurckgeblieben. Es geht hierin, wie auf allen Gebieten des gegenwrtigen geistigen Lebens, besonders dem der Politik – die exacten Wissenschaften bilden vielleicht die einzigen Ausnahmen – : das Urtheil berwiegt die schçpferische Kraft, das in der Masse lebendige Bedrfniß das gestaltende Genie. So kçnnte sich auch ein schaffender dramatischer Dichter kein Publikum denken, dessen Pulse ihm strker entgegenschlgen, wenn er sein Herz zu treffen weiß, aber der Dichter fehlt uns bis heute; wir sollen an uns selber die Unwahrheit des einst als so tief angepriesenen Hegel’schen Satzes empfinden, daß jedes Bedrfniß einer Zeit den rechten Mann hervorbringe. So sehen wir uns noch immer von den seltsamsten Versuchen umgeben, welche an das kritische Urtheil der Zuschauenden weit nicht heranreichen. Haben wir doch neulich auf unserer Bhne das Schauspiel der Entdeckung einer neuen philosophischen Schule und des mit seinen Schlern im Gesprch ber Wissen und Sein lustwandelnden Sokrates genossen. Ein so starkes und cht dramatisches Talent, wie Hebbel, steckt noch tief in dem grbelnden, skeptisch-naturalistischen Seciren des innern Lebens, welches die Nation lngst abgethan hat. Denn ihrer Natur nach haften große Talente fest in dem erreichten Vorstellungskreis, whrend die Masse neuen Zgen gern und leicht nachgiebt. Und ist es nicht natrlich, daß dies Uebel von der Poesie aus schwer heilbar erscheint, da sein Sitz fr die Poesie selber gar nicht zu erreichen ist? Von Lessing ab war die Reform des Drama bei uns ein Stichwort aller wahren Dichter. Und gleich Lessing kannte das einzige Mittel dieser Reform, wie er denn an jener gewaltigen Stelle am Schluß der Dramaturgie der schmerzlichen Empfindung, daß der Mangel unsers Drama hier mit dem Grundmangel unsers nationalen Lebens zusammenhnge, einen so ergreifenden Ausdruck gab. Unsere wachsende Kenntniß der vergangenen Literatur giebt zu seinen kurzen Stzen nur einen schlagenden Commentar. Die Blthe des Drama war berall an einen Ort geknpft, wo politisches und gesellschaftliches Leben einer Nation zusammengedrngt waren, wo von selbst Dichter von Dichter die Tradition seiner Erfahrungen, seiner Enttuschungen und seines Gelingens, seiner Fehler und seiner gefundenen Kunstmittel berkam; an einen Ort, wo der Dichter Empfindungsweise und Geschmack einer ganzen Nation lebendig vor Augen hatte. Wir haben aus der Schwche eine Tugend gemacht; die großdeutsche Schule und manche Literar-Historiker sprechen viel von dem Gewinn so mannigfaltiger Cultur-Mittelpunkte, welche eine vielfache Gestaltung der Kunst gestatteten. Es wre vermessen, an Goethe und Schiller die Folgen dieser vielgerhmten provinziellen Entwickelungen nachweisen zu wollen. Aber in der darauf folgenden Zeit liegen sie vor Jedermanns Augen. Es ist ein abgenutztes und thçrichtes Spiel mit constructiven Prinzipien, wenn man die „Eigenartigkeit der germanischen Race“ und unsern Gegensatz gegen die romanische hier
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auffhrt. Zwei berhmte sddeutsche Schulen der Poesie an den beiden Sammelpunkten des Partikularismus liefern zu diesen großen Reden einen sehr prgnanten Commentar. Lßt sich doch selbst bis in unsere Entwickelung der Malerei hinein, die scheinbar von dieser Frage so weit abliegt, der entscheidende Nachtheil unserer Zersplitterung verfolgen. Htte Deutschland zu Holbein’s und Drer’s Zeiten eine Hauptstadt gehabt, wie Rom und Paris, so wrde schwerlich der sich erhebende germanische Kunstgeist in den Niederlanden ein Asyl haben suchen mssen. So, ohne Kaiser im Lande, ohne gebildeten Adel, ohne Selbststndigkeit der Politik, fand ein Drer keinen seiner wrdigen Wirkungskreis, italienische und franzçsische Kunst berschwemmten Deutschland. Wir verfielen einer fremden Technik, weil uns die Concentration materieller und geistiger Krfte fehlte, welche allein fr ein so gewaltiges geistiges Gebiet Großes zu schaffen vermag. Auch in der Kunst, berall, wo es mehr bedarf, als die vereinzelte Arbeit eines isolirten Kopfes, leiden wir, wie in Politik und Industrie, unter der berwltigenden Concurrenz der in sich gesammelten Nationen. Es ist keine willkrliche Neigung unserer Intendanzen, daß das englische und franzçsische Theater bei uns in einem Grade vorherrscht, wie es in London oder Paris unerhçrt wre. Wenn Lessing diesen Zusammenhang bereits begriff, welchen auch das ber Hoffen reiche Emporkommen gewaltiger poetischer Krfte nach seinem Tode im Ganzen und Großen nicht zu durchbrechen vermochte: so ergriff er auch bereits das einzige Mittel, welches einen, wenn auch schwachen Ersatz fr eine einheitliche Bhne zu bieten vermag: die t h e o r e t i s c h e E i n h e i t . Schon er faßte einen Zusammenhang von R e g e l n ins Auge, welcher den Dichtern den Zusammenhang der T r a d i t i o n zu ersetzen vermçchte. Und Schiller und Gçthe in ihrer fr unser Theater thtigsten Zeit waren ganz, wie er, unablssig auf das Handwerk der Kunst gerichtet, mit bewußtem Verzicht auf alle, in ihrer dem Theater ferner stehenden Zeit, versuchte Kunsttheorien. Dann, in der romantischen Zeit, faßte man den seltsamen Gedanken, ber diese formale Grundlage des Drama’s, der Poesie hinaus, ihr in einer allgemeinen materiellen Grundlage, die man bald als Mythologie, bald als Erneuerung der nationalen und christlichen Einheit des Mittelalters auffaßte, den Halt und die feste Tradition zu gewhren, die man an der Bhne der Alten und Shakespeare’s so sehr bewundern mußte. Aber wohl nie war eine deutsche poetische Schule den seelischen Vorgngen, welche das Wesen dramatischer Poesie ausmachen, so fern gewesen, als diese Epigonen Goethes. So konnte jene Mißgeburt von christlich-religiçsen und Schicksals-Tragçdien entstehen: die grçßte Verwirrung in der ganzen Geschichte des Drama. Und so konnte als ein wahres dramatisches Genie mitten unter diesen erschien, die geschichtliche Aufgabe desselben verfehlt werden; das eigentlich Dramatische seines Talentes blieb un-
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verstanden und ward durch die Neigung jenes Zeitalters immer wieder beeintrchtigt; es ist wie das Gold, dessen glnzende Adern aus den unreinen Mischungen der damaligen Romantik doch immer wieder voll und stark hervorbrechen; aber wer htte damals ein Auge dafr gehabt: aus einem tragischen Dichter ward unter solchen Umstnden der Held einer dunkeln Tragçdie, deren Zusammenhang wir auch heute nur noch halb errathen. Die Romantiker irrten: die Einheit der Weltansicht kann nur die freie That eines einheitlichen Volkslebens sein, sie kann niemals gelehrt werden, und am wenigsten aus Vorbildern der Vergangenheit. Was aber mitgetheilt werden kann, ist die sthetische Form des Drama. Nicht, als ob man sie wie ein Schema fr eine gerichtliche Verhandlung dem Dichter in die Hnde geben kçnne, damit er Akt fr Akt seinen Stoff danach abhandele; aber es ist mçglich, ihm zu zeigen, welche Bedingungen der dramatischen Wirkung zum Grunde liegen und welche Formen die einmthige Arbeit der grçßten Dichter gefunden, diesen Bedingungen zu gengen. Und wenn es zu nichts Anderem diente, als um zu lehren, von welcher Art ein Stoff sein msse, um sich der dramatischen Wirkung zu fgen. Es ist mçglich, diese Form in bestimmten Regeln zusammenzustellen. Das hat schon Lessing, dessen freier Geist berall die klare Regel liebte, unbertrefflich ausgesprochen, ohne damit der hereinbrechenden Verwirrung dramatischer Begriffe durch die Original-Genies steuern zu kçnnen. Schon er empfand, daß an diesem Punkt die Strke des auf Aristoteles, wenn auch auf dem falsch verstandenen, ruhenden franzçsischen Drama liege. „Den englischen Stcken“, sagte er, „fehlten zu augenscheinlich gewisse Regeln, mit welchen uns die franzçsischen so bekannt gemacht hatten. Was schloß man daraus? Dieses, daß sich auch ohne diese Regeln der Zweck der Tragçdien erreichen lasse. Ja, daß diese Regeln wohl schuld sein kçnnten, wenn man ihn weniger erreiche. Und das htte noch hingehen mçgen. Aber mit diesen Regeln fing man an alle Regeln zu vermengen, und es berhaupt fr Pedanterie zu erklren, dem Genie vorzuschreiben, was es thun und was es nicht thun msse. Kurz, wir waren auf dem Punkte, uns alle Erfahrung der vergangenen Zeit muthwillig zu verscherzen und lieber von den Dichtern zu verlangen, daß jeder die Kunst aufs Neue fr sich erfinden solle.“ Unter dem Schutz dieser Worte und dieser Denkart steht auch die Absicht der Freytag’schen Schrift. Ihr kommt das außerordentliche Wachsthum unserer historischen Kenntniß zu Gute, indem sie die Richtung Lessings wieder aufnimmt. Wir wissen jetzt, daß die ganze Geschichte des Drama’s Lessings Satz besttigt. Freytag selbst bemerkt hierber treffend: „Der Dichter der Gegenwart ist geneigt, mit Verwunderung auf eine Methode der Bearbeitung herabzusehen, welche den Bau der Scenen, die Behandlung der Charaktere, die Reihenfolge der Effekte nach einem berlieferten System fester, technischer
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Regeln einrichtete. Leicht dnkt uns solche Beschrnkung der Tod eines freien knstlerischen Schaffens. Nie war ein Irrthum grçßer. Gerade ein ausgebildetes System von Detailvorschriften, eine sichere, in nationaler Gewohnheit wurzelnde Beschrnkung der Wahl der Stoffe und Bau der Stcke sind zu verschiedenen Zeiten die beste Hlfe der schçpferischen Kraft gewesen. Ja sie sind, so scheint es, nothwendige Vorbedingungen jener reichlichen Productivitt, welche uns in einigen Perioden der Vergangenheit rthselhaft und unbegreiflich erscheint.“ Vielleicht, daß heute die Zeit fr ein Unternehmen gnstiger ist, welches damals Lessing fallen ließ. Von dem Plane des großen Mannes blieb uns nichts, als die Theorie der Handlung in der Dramaturgie, und die drei Dramen, in welchen er die geschlossensten Handlungen und die straffsten Charaktere geschaffen hat, welche unsere Literatur bis heute aufzeigen kann. Die gemeinsamen Regeln und Handgriffe der dramatischen Technik, welche dann spter Schiller und Goethe bei ihren dramatischen Arbeiten aufstellten, waren zu sehr nach der Analogie der franzçsischen Bhne gebildet, als daß fr uns darin eine Grundlage zu suchen wre. Hierin knpft vielmehr Freytag an Lessing an, daß in A r i s t o t e l e s die Grundlage der dramatischen Theorie liege. Auch er will nur von dem falsch verstandenen Aristoteles an den richtig zu verstehenden appelliren. Verging aber Lessings gerusch- und mhevolles Leben auch in dieser Frage in Kmpfen und Polemik gegen das falsche Verstndniß, so durfte Freytag den Versuch machen, von einem ruhigeren aus eine positive Technik aufzustellen. Man darf fast sagen, dies Buch knpfe unmittelbar an den Schluß der Dramaturgie an. Als Lessing dort im Ueberdruß eine Arbeit unvollendet verließ, die er mit leidenschaftlicher Begeisterung begonnen hatte, warf er in seiner knappen und paradoxen Weise einige Stze hin von der wahren Technik des Drama’s, wie sie sich aus dem richtig verstandenen Aristoteles ableiten lasse. Manchen wichtigeren Gedanken nahm er mit sich ins Grab, keinen vielleicht, den er lnger, tiefer, allseitiger durchdacht gehabt htte. Es finden sich nur ganz drftige Spuren dieses Systems in seinen Schriften. Freytag mußte hier von Neuem beginnen, und mit Hlfe der vielfachen jngsten Studien ber die Aristotelische Theorie hat er e i n a u f d e m g r i e c h i s c h e n P h i l o s o p h e n r u h e n d e s S y s t e m d e r d r a m a t i s c h e n T e c h n i k aufgestellt, welches uns fr die Reform des Drama von durchgreifender Bedeutung zu sein scheint.
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Wenn Freytag auf der Grundlage des Aristoteles und Lessing zum ersten Male den Versuch macht, aus dem Wesen der dramatischen Handlung ihre Gesetze abzuleiten: so thut er dies, wie wir ausgefhrt haben, in erster Linie im Interesse der dramatischen Kunst selber. Es ließe sich genau formuliren, was fr die Reform des Drama unserer Zeitgenossen als Ideal vor Augen steht: es ist die von Shakespeare gestaltete historische Tragçdie, aber aus der vorherrschend naturalistischen Region der Leidenschaften und des Ehrgeizes, in der sie doch bei dem großen Dichter bleibt, durch Schillers Vorbild herausgehoben, welcher zuerst das Resultat moderner geschichtlicher Betrachtung fr die dramatische Kunst zog, indem er Spiel und Gegenspiel aus dem Gegensatz historischer Ideen gestaltete. In dieser Richtung bewegen sich alle dramatischen Versuche der jngsten Zeit; es leidet keinen Zweifel, daß das Gefhl der Dichter, und das Bedrfniß der Zuschauer hier bereinstimmt. Aber Freytag bemerkte mit Recht, daß die d r a m a t i s c h e F o r m keineswegs durch diese Vorbilder so bestimmt und fehlerlos festgestellt sei, als der Gehalt des Drama. Besonders die historischen Schauspiele Shakespeare’s haben von Goethe’s Gçtz bis auf unsere neuesten Kaiser-Tragçdien die Dichter in Bezug auf die dramatische Form irre geleitet; sie schienen das Aneinanderreihen dramatischer Scenen zu bedeutungsvollen historischen Bildern zu vertheidigen: eine Methode deren Carricatur uns zumal von den zweiten Berliner Bhnen herab in den sogenannten vaterlndischen Stcken tagtglich bis zum Ekel vor Augen steht. Es gilt dieser Richtung gegenber hervorzuheben, daß Shakespeare selber ber diese Methode dramatisirter Historie, wie sie seiner lteren Zeit eigen war, sich spter durchaus erhob. Und es gilt zugleich darauf aufmerksam zu machen, wie ganz anders sich unser belesenes Publikum zu historischen Stoffen verhlt, als das englische jener Zeit, welches nur aus drftigen Chroniken sprliche Umrisse seiner vaterlndischen Geschichte kannte. Mit dem Fortschritt historischer Kunst entbehrt nothwendig das historische Drama immer mehr den Reiz erster knstlerischer Vergegenwrtigung vergangener Tage. Es vermag diesen Reiz nur durch die Grçße der Kunstform zu ersetzen. Daher gengt jener Eindruck des „Dramatischen“ in einem historischen Stoffe, wie ihn alle großen historischen Wendepunkte, in welchen die Leidenschaft sich entbindet, und eine neue Zeit die letzten Trger der alten vernichtet, niemals fr die Gestaltung eines echten historischen Drama. Der Neigung aller beginnenden Dichter fr Stoffe dieser Art tritt hier mit Recht die strenge Forderung entgegen, schon an den stofflichen Keim des Drama sofort den Maßstab der hçchsten dramatischen Form zu legen. Und wenn dies Buch mit seiner Dar-
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stellung der Gesetze dramatischer Form nichts vermçchte, als die Wahl der Stoffe nach diesem wirklich knstlerischen Gesichtspunkt zu leiten, so wre schon dies fr die tastenden Anfnge unseres historischen Schauspiels ein vollwiegendes Verdienst. Diesen Zweck der Schrift muß man im Auge haben, um fr ihre Theorie der dramatischen Formgesetze den richtigen Gesichtspunkt zu fassen. Man wrde ihr Unrecht thun, wollte man den Maßstab einer rein theoretischen Leistung an sie anlegen. Aber man thte doch nur ihrer Form und der Begrenzung ihrer Gedanken Unrecht. Hinter der scheinbar leichten Verknpfung der einzelnen Abschnitte liegt fr denjenigen, welcher in den Theorien selber bewandert ist, ein strenger Zusammenhang der Gedanken. Aber dieser Zusammenhang fhrt uns freilich nur bis zu den großen problematischen Voraussetzungen einer Aesthetik des Drama. Hier wo sich die Wege der sthetischen Schule scheiden, ergreift das Buch einen fr seinen nchsten Zweck nothwendigen Ausweg, e s u n t e r s c h e i d e t z w i s c h e n K u n s t - P h i l o s o p h i e u n d t e c h n i s c h e r T h e o r i e . Dies wre unbedingt verwerflich, wenn es hieße: zwischen Gehalt und Form, zwischen Wesen des Drama und knstlerischer Gestalt. Aber Freytag meint es anders. Der Bescheidenheit seines Vorworts, nach dem er „zumeist solche Erfahrungen aufzuzeichnen wnschte, wie sie der Schaffende auf der Bhne erwirbt“, „jngeren Kunstgenossen einige Handwerksregeln berliefern“ wollte, steht doch der innere Zusammenhang seiner Schrift entgegen. Er nimmt in der That so viel von kunstphilosophischen Voraussetzungen ber das Wesen des Drama und insbesondere der Tragçdie auf, als ihm zuzureichen scheint, die Form derselben daraus abzuleiten. Diese Voraussetzungen sind dieselben, welche Lessing dem Aristoteles entnahm. Zunchst fr das Wesen des Drama. Dasselbe ist H a n d l u n g : „dramatisch sind diejenigen starken Seelenbewegungen, welche sich bis zum Willen und Thun verhrten, und diejenigen Seelenbewegungen, welche durch ein Thun aufgeregt werden; also die inneren Prozesse, welche der Mensch vom Aufleuchten einer Empfindung bis zum leidenschaftlichen Begehren handelnd durchmacht, sowie die Einwirkungen, welche eigenes und fremdes Handeln in der Seele hervorbringen; also das Wirken einer Action und ihre Folgen auf das Gemth.“ Weder Begebenheiten also noch Gefhle sind Gegenstand des Drama, sondern die Entstehung der Begebenheit aus dem leidenschaftlich bewegten Charakter und der Fortgang des Gefhls zu Wille und Action. Diese active Thtigkeit der Charaktere in ihrem einheitlichen Zusammengreifen zu einer Begebenheit ist die Handlung. Was diese Begriffsbestimmungen ber die von Aristoteles und Lessing hinaushebt, ist das hinzutretende psychologische Verstndniß, welches den Charakter der Handlung bereits i n d e r e r s t e n s c h e i n b a r p a s s i v e n F o r m d e r G e f h l e erkennt. Freytag be-
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merkt, daß es das Drama mit einer bestimmten Form des gesammten geistigen Lebens zu thun habe: den handelnden Menschen. Und es ist eine schçne Folgerung aus diesem Satz, daß das Drama an eine bestimmte Stufe in der Entwickelung der Vçlker gebunden sei, weil der Sinn fr diese Gemthsprozesse erst auf ihr erwchst. Wo diese Stufe erst einmal erreicht war, da hat sich, wie bei den Griechen und Germanen, in einer wunderbaren Schnelligkeit die dramatische Form bis zur Vollendung entwickelt. Aus dem dargestellten Wesen des Drama folgen die G r u n d g e s e t z e desselben. Freytag stellt deren vier auf: drei aristotelische und ein von ihm hinzugefgtes: Einheit, Wahrscheinlichkeit, Wichtigkeit und Grçße, endlich Bewegung und Steigerung. Es ist die Frage, ob die Hinzufgung dieses Gesetzes wirklich etwas Neues enthlt. „Die dramatische Handlung muß alles fr das Verstndniß Wichtige darstellen“: dies enthlt bereits das erste Gesetz der in sich geschlossenen Einheit. Sie muß es „in starker Bewegung der Charaktere, in fortlaufender Steigerung der Wirkungen“: dies lßt sich offenbar aus der Verbindung jener Einheit mit der Wichtigkeit und Grçße der Handlung ableiten. Wir haben in diesem letzten Gesetze bereits einen kurzen Ausdruck fr die Form dramatischer Gliederung, wie sie aus den drei aristotelischen Gesetzen folgt. Denn dies ist nun das Eigenthmlichste der Freytag’schen Theorie, wie er, geleitet von den Bruchstcken der aristotelischen ein ins Einzelnste gehendes Bild der dramatischen Gliederung entwirft. Dies Bild ergiebt sich aus dem allgemeinen Wesen des Drama und dem der hçchsten besonderen Gestalt desselben, der Tragçdie. Denn an diesem Punkt mssen zum zweitenmale kunstphilosophische Voraussetzungen in den Gang der technischen Begriffe hereingezogen werden, um den vollkommenen Begriff der hçchsten dramatischen Form zu gewinnen. Man kçnnte zwar leicht einige Stellen und gerade sehr schçne und zutreffende Stellen des Freytag’schen Buchs dahin verstehen als ob von selber aus den Gesetzen des Drama das Tragische in demselben folge. Es sei natrlich, erklrt Freytag, daß die Vorstellungen des Dichters von menschlicher Freiheit und Abhngigkeit, sein Verstndniß des großen Weltzusammenhanges die Gestalt bestimmen, in welcher der im Drama dargestellte Kampf verlaufe. Es sei deutlich, daß in der Herleitung von Schuld und Vergeltung, solle er das Drama befriedigen, sich der Dichter als ein Mann von gutem Urtheil und richtiger Empfindung bewhren muß. Aber ebenso deutlich sei, daß Empfindung und Urtheil der Dichter in den verschiedenen Jahrhunderten verschieden, und in den einzelnen Dichtern verschieden nancirt sein werde. „Offenbar wird derjenige nach der Ansicht seiner Zeitgenossen am besten das Schicksal seiner Helden leiten, der in seinem eigenen Leben hohe Bildung, umfassende Menschenkenntniß und einen mnnlichen Charakter entwickelt hat. Denn
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was aus dem Drama herausleuchtet, ist nur der Abglanz seiner eigenen Auffassung der grçßten Weltverhltnisse. Es lßt sich nicht lehren, es lßt sich nicht in das einzelne Drama hineinfgen, wie eine Rolle oder Scene. Deshalb wird hier als Antwort auf die Frage, wie ein Dichter seine Handlung zusammenfgen msse, d a m i t s i e i n d i e s e m S i n n e t r a g i s c h w e r d e , der ernst gemeinte Rath gegeben, daß er darum wenig zu sorgen habe. Er soll sich selbst zu einem tchtigen Manne machen, dann mit frçhlichem Herzen an einen Stoff gehen, welcher krftige Charactere in großem Kampf darbietet, und soll die wohltçnenden Worte Schuld und Reinigung, Luterung und Erhebung Anderen berlassen. Es ist zuweilen unklarer Most in ehrwrdige Schluche gefllt. Was in Wahrheit dramatisch ist, das wirkt in ernster stark bewegter Handlung tragisch, wenn der ein Mann war, der es schrieb; wo nicht, zuverlssig nicht.“ Goldene Worte gegenber den sich gegenseitig berbietenden Theorien des Tragischen, welche schon seit der Braut von Messina mitten im Schaffen die Unbefangenheit auch großer Dichter immer wieder gestçrt haben. Aber sie drfen nicht den Schein erregen, als ob die vollkommene dramatische Form ein unwandelbares Gefß fr den wechselnden tragischen Inhalt sei, ein Kçrper, in welchen dann wie ein Funke der beseelende Geist des Tragischen falle, so daß man in der Theorie der vollkommenen dramatischen Form den Begriff des Tragischen als eine kunst-philosophische Frage ruhig zur Seite liegen lassen drfe. Diese vollkommene Form ist unbedingt an eine bestimmende tragische Empfindungsweise gebunden. Das zeigt schon die historische Betrachtung. Mustert man nicht nur eine Anzahl sophokleischer und euripideischer Stcke, die Shakespeare’s und einige neuere, sondern Aeschylos, einige Anfangs- und Endstcke des Sophokles, Calderon und Goethe, so ergiebt sich zweifellos, daß der dramatische Gang a u c h n a c h d e r S e i t e d e r F o r m d u r c h d i e A u f f a s s u n g d e s T r a g i s c h e n b e d i n g t i s t , und die sthetische Betrachtung kann diese Thatsache nur verdeutlichen. Es ist schlechtweg unmçglich, was man bei Freytag versucht finden kçnnte, aus dem ersten Gesetz „fortlaufender Steigerungen der Wirkungen“ die vollkommene tragische Form erklren zu wollen, und ebenso ungengend dnkt uns das Hinzubringen unserer modernen Weltansicht zu dieser Form. Vielmehr kçnnte man der Ansicht sein, daß die moderne Weltansicht nur in innerlicher Weise denselben Gedanken der Shne und Befreiung des Geistes wieder aufnehmen msse, welcher in seiner ußerlichen Form so vielen antiken Tragçdien und Schauspielen Calderons zu Grunde liegt. Es kçnnte scheinen, als ob das Selbstgefhl des modernen Geistes in einer solchen Form seine hçchste Befriedigung finden mßte. Ja, dieser Gedanke ist gar nicht Theorie mehr. Goethe in seiner gewaltigsten Zeit verfolgte in dem Plan des Prometheus und in der zweiten Ausfhrung des Faust-Fragments eben diesen Gedanken, die Selbst-
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gewißheit des aus eigener Kraft versçhnten menschlichen Geistes in diesen mythischen Gestalten darzustellen. In milderen Formen hat er dann in jener in sich gefaßten, von einer tiefen Resignation erfllten Zeit vor der italienischen Reise demselben Gedanken in Iphigenia und Tasso den klassischen Ausdruck geliehen. In der Resignation findet der Geist sich selbst wieder. Und dann in der letzten Bearbeitung des Faust versuchte er auch in sptern Jahrn das Hindurchdringen des menschlichen Geistes aus der Gefangenschaft eines unbestimmten Wahrheitsdranges und peinigender Begierde zu der Freiheit schaffender Thtigkeit dramatisch darzustellen. Es ist eine durchaus von Shakespeare’s Gliederung der Tragçdie vçllig abweichende Form, in welcher die geistige Richtung unsers grçßten Dichters hierin Ausdruck sucht. Wir folgern hieraus, was auch Freytag schwerlich leugnen wird, und was keiner Stelle seiner Schrift widerspricht, obwohl die eine oder andere einem andern Zuge folgt. Das Tragische ist weder die selbstverstndliche Folge der vollendeten dramatischen Form, noch ist es diese Form in ihrer Beseelung durch die wechselnden Weltauffassungen der Zeitalter und Dichter. Es hat vielmehr seinen Ursprung in dem allezeit gleichbleibenden Wesen des menschlichen Geistes. Es ist eine aus diesem nothwendig entspringende Gestalt dramatischer Darstellung. Es ist selbstverstndlich, daß diese Stze nur eine Aufgabe bezeichnen, nicht einen Lçsungsversuch. Das intimste Studium tragischer Wirkungen und zugleich der menschlichen Seele kçnnen nur schrittweise dazu fhren, dies wunderbare Phnomen tragischer Wirkung auf seinen Erklrungsgrund in dem menschlichen Geist zurckzufhren. Wenn mit irgend einer sthetischen Aufgabe, so mçchten wir es mit dieser ernst genommen sehen. Hier ist einer der wenigen Punkte, in denen die sthetische Betrachtung es mit der geheimsten Tiefe der menschlichen Natur zu thun hat. Vielleicht giebt es nur zwei knstlerische Formen, in welchen die gesammelte Tiefe der menschlichen Natur einen erschçpfenden und geschlossenen Ausdruck findet: die Musik und das Drama. Und in ihrer hçchsten, der symphonischen Form, stellt die Musik an den Erforscher des menschlichen Geistes dieselbe Frage, welche das Drama in der tragischen: warum wir freiwillig in der Kunst die schmerzliche Bewegung suchen, die wir im Leben meiden, warum das innerliche Nachleben der tiefsten schmerzlichsten Bewegungen, deren unser Geist fhig ist, uns mit der Stimmung der Erhebung, das heißt aufsteigender, anschwellender, befriedigender Empfindung erflle. Der tiefe Geist des A r i s t o t e l e s , der uns bei jeder neuen Prfung mit neuem Staunen erfllt, hat bereits die analoge Wirkung dieser beiden knstlerischen Formen in’s Auge gefaßt, obwohl die Musik ihm in so unvollkommener Gestalt vorlag. Die gemeinsame Wirkung von Musik und Drama in ihrer hçchsten Form fhrt er auf den tiefsinnigen ethischen Begriff der Katharsis zurck.
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Und hier mssen wir doch gegen einen Punkt des Freytagschen Buchs vorlufig protestiren, auf den wir, bei seiner Auffassung des antiken Drama, noch einmal zurckzukommen gedenken. Freytag hat B e r n a y s ’ Wiederherstellung der verlorenen Abhandlung des Aristoteles ber Wirkung der Tragçdie benutzt, welche diesen tiefsinnigen Begriff der Katharsis auf den einer Reinigung des Gemths von seinen Affekten durch Entladung derselben, auf Grund des herbeigezogenen medicinischen Begriffs der Katharse, reducirt. Wir begreifen die unbedingte Sicherheit schwer, mit welcher diese Auslegung der Aristotelischen Poetik hier als eine unfehlbare Entdeckung zu Grunde gelegt wird. Einige der bedeutendsten Kenner des Aristoteles mißbilligen sie entschieden; keiner unter ihnen ist ihr bis heute beigetreten, Spengel hat in einer meisterhaften Untersuchung seine Grnde wider dieselbe dargelegt. Auf keinen Fall also ist sie reif, vor einem grçßeren Publikum als unfehlbare Grundlage aufgestellt zu werden. Wo es sich um einen aristotelischen Begriff handelt, sind wir gewohnt, seinen Wurzeln bei Plato nachzugehen, und der platonische Begriff der Katharsis, wie er nach seinem historischen Gewicht fr die Erklrung des aristotelischen der erste ist, fgt sich auch so viel tiefer und angemessener in die aristotelische Welt der Zwecke und des Ethos, daß wir ganz andere sehr berwiegende Grnde fr die echte Reproduction aristotelischer Gedanken in den von Bernays zusammengestellten Stellen haben mßten, als der spte und unphilosophische Charakter der Schriftsteller bietet, denen er sie entnimmt. Gesetzt aber, sie enthielten die wahre Ansicht des Aristoteles, so wrde diese weder fr das Verstndniß der alten Tragçdie, noch fr die Erklrung der tragischen Empfindung einen wahren Erklrungsgrund darbieten. Man wrde annehmen mssen, daß zur Zeit des Aristoteles jener tiefe Verstand des Tragischen verloren gegangen sei, welcher den Aeschylos bewegte und auch den Sophokles bestimmte. Eine Annahme, welche freilich gerade die Art, wie die drei tragischen Dichter der Griechen in der Poetik erwhnt werden, vçllig widerlegt. Daß aber diese Theorie der Katharsis fr unser heutiges Verstndniß des Tragischen werthlos sein wrde, das hat auch Freytag vçllig anerkannt. Die Gemthsbewegungen verlaufen nicht nach der Analogie des drftigen medicinischen Recepts, welches jene neuplatonischen Stellen enthalten. Von der einzelnen Furcht und dem einzelnen Mitleid befreien wir uns allerdings, indem sie in der Aeußerung ihr Ziel erreichen. Aber Furcht und Mitleid und jede andere leidenschaftliche Gemthsbewegung, als bleibender Zug des Geistes gedacht, kçnnen a n s i c h nur wachsen durch jede einzelne Aeußerung. Wie die Vorstellungen durch Reproductionen sich im Geiste befestigen, so die Affecte durch wiederholte Aeußerung. Hierauf beruht alle sittliche Gewçhnung. Es muß daher unvermerkt eine begleitende Vorstellung zu diesem drftigen Satz hinzutreten, wenn irgend etwas Sinnvolles dabei gedacht wer-
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den soll: die Vorstellung von dem idealen, allgemein gltigen Charakter jener tragischen Gemthsbewegungen, welcher die Wirkung derselben auf den menschlichen Geist total ndert. Damit treten wir aber bereits aus dem Gedankenkreis dieser Ansicht, nach welcher die Affecte der Furcht und des Mitleids durch ihre Aeußerung gestillt werden, heraus. Dieser Ansicht steht eine andere schroff gegenber, als deren consequentesten Vertreter wir S c h o p e n h a u e r betrachten kçnnen; fr diese beruht die Wirkung aller knstlerischen Form in der affectlosen Ruhe der Intelligenz, welche sie in uns erzeuge. Ueber alle unruhige Bewegung unseres Willens und das bunte Wirrsal der Welt, das nur in der Erscheinung ist, erhaben, genießt die in sich gesammelte und beruhigte Intelligenz wie ein Schauspiel die ewigen Ideen. Eine Ansicht, welche den Eindruck wiederspiegelt, den die auf die Anschauung berechneten Werke der bildenden Kunst unfehlbar in jedem edlen Gemth hervorrufen. Aber die eigenthmliche Wirkung der hçchsten musikalischen und dramatischen Form trifft sie nicht. Wir sehen davon ab, daß Schopenhauer die innere Nothwendigkeit und causale Verknpfung, welche fr die Tragçdie von so entscheidender Bedeutung ist, als der niederen Atmosphre der Erscheinungswelt angehçrig hinter sich zurck lßt, wo er sich der Welt der Kunst nhert. Diese metaphysische Theorie steht in keinem nothwendigen Zusammenhang mit jenem eigenthmlichen AperÅu ber das Wesen der Kunst. Aber die Ansicht Schopenhauer’s trifft nicht das eigentlich zu erklrende Phnomen: das Gemth des Zuschauers ist nicht ein solcher schmerzloser Spiegel der tragischen Idee. Dies Phnomen ist vielmehr eine gewaltige Gemthsbewegung, welche dennoch gleichsam den Mittelpunkt unserer Existenz nicht berhrt, ein schmerzlicher Affect, welcher uns dennoch erhebt. Es handelt sich um eine Untersuchung, welche der c o m p l i c i r t e n T h a t s a c h e d e s T r a g i s c h e n gerecht wird. Es liegt nahe zu sagen, daß der tragische Ausgang des wahren Schauspiels durch die Thatsache bedingt sei, daß der Charakter in seiner hçchsten Aeußerung nur da erscheint, wo der Kampf um seine Existenz alle Spannkraft des Willens in ihm aufruft, alle Gewalt des Empfindungslebens in ihm entbindet, die tiefsten Wurzeln seines geistigen Daseins bloslegt. Zu sagen, daß dann in dem tragischen Ausgang eine Loslçsung der menschlichen Natur von all’ den Voraussetzungen, durch welche der Zusammenhang des Lebens unser Denken und Empfinden begrenzt, vor sich gehe, welche die erhabendste Stimmung hervorruft, deren die Kunst fhig ist. Dann ergiebt sich von selber, aus dem Bedrfniß strenger causaler Verknpfung, daß eine Wendung dieses tragischen Ausganges zum Guten entweder jene durchlebten Stimmungen bei uns selbst zu einer Art von Tuschung machen wrde, deren wir uns nachtrglich schmten, oder daß von vornherein gewissermaßen ber den Faden jenes tragischen Ausgangs andere einer glck-
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lichen Wendung hinliefen, welche jene Enttuschung uns ersparten, aber dabei auch die volle Hingabe an die tragische Empfindung von vornherein bei uns unmçglich macht. Fhrt man uns erschtternde Verwicklungen eines h a n d e l n d e n , nicht, wie Goethe thut, eines empfindenden Charakters, vor Augen, so kçnnen sie fr uns schlechterdings nur mit dem Untergang desselben endigen. Aber auch indem wir diesen Ausgangspunkt fr die Erklrung der tragischen Empfindung verfolgen, sehen wir doch die zu lçsende Frage nur noch in der Ferne vor uns, denn auch solche Betrachtungen erklren noch nichts von den spezifischen, tragischen Empfindungen und den ihnen zu Grunde liegenden Bedrfnissen der menschlichen Natur. Indeß ermçglichen sie uns doch den Durchblick zu e i n i g e n E r s c h e i n u n g e n , deren verwickelter Natur uns Freytag nicht scheint gerecht geworden zu sein. Es gibt einen merkwrdigen Unterschied der tragischen Form, welche doch sonst einen so regelmßigen Verlauf zeigt, einen Unterschied, der bei dem vollkommensten tragischen Dichter, bei Shakespeare, jedem Unbefangenen bei der ersten Lectre in die Augen fllt, und den man doch niemals zu erklren versucht hat. Man hat vorgezogen in diesem Punkte da, wo die scheinbar strkste Abweichung von der normalen Form bei Shakespeare vorliegt, ihn zu tadeln, anstatt bei dem großen Dichter nach tiefer liegenden Grnden eines durchgehenden Verfahrens zu suchen. Wir meinen den Gegensatz der sich im Bau der Stcke zeigt, wenn man der Linie nachgeht, die von der einfachen straffen Gestalt des dramatischen Baues im Macbeth bis zu der hçchst verwickelten und scheinbar auseinanderfallenden des Lear hinfhrt. Man sollte denken, es mßten verschiedene Dichter oder mindestens ganz verschiedene Bildungsstufen desselben Dichters sein, welche einen solchen Gegensatz der Methode dramatischer Technik erklren. Denn Lear und Hamlet zeigen nicht nur einen Reichthum von Episoden und scharf aufgesetzten Contrasten gegen die tragische Grundstimmung, welcher sich aus der bloßen Absicht, die Thesis durch die Antithesis zu erleuchten, keineswegs erklrt – eine Absicht, von der ohnehin die Kunsttheoretiker einen hçchst bertriebenen und wohlfeilen Gebrauch machen – , sondern sie enthalten vollkommen durchgefhrte zweite Handlungen, welche den strengen Zusammenhang berall durchbrechen, und von denen zu denken, daß sie um einer bloßen Contrastwirkung da seien, schlechterdings unmçglich scheint. Ohnehin glte es ja eben zu erklren, warum diese Contrastwirkung in diesen Stcken so unmßig gesucht, in anderen so streng vermieden sei. Es kommt offenbar darauf an, den Zusammenhang einzusehen, durch welchen d i e s e Verschiedenheit der inneren Form mit einigen anderen v e r b o r g e n e n zusammenhngt. Denkt man sich nun die Handlung des Hamlet oder des Lear in ihrem einfachen Verlauf der des Macbeth und Coriolan gegenber gestellt, so springt eine durch-
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greifende Verschiedenheit in die Augen. Nicht blos, daß jene erstere die strenge, causale Verkettung der zweiten Klasse durchaus nicht zeigt, ihre Natur lßt auch dieselbe durchaus nicht zu. Denn was auch Freytag sagen mçge: sie sind im ganz anderen Sinne Seelengemlde, als man dies von jenen ersteren sagen kann. Viel mehr als dort ist hier die Handlung, jedes Wollen selber nur Mittel, das Empfindungs- und Gedanken-Leben zum vollen Ausdruck zu bringen. In einer viel willkrlicheren Weise werden hier Affecte und Gedanken des Zuschauers in Bewegung gesetzt, als dort. Dieser verschiedene Charakter fordert eine ganz verschiedene Behandlung, falls nicht ein wesentliches Moment der tragischen Wirkung verfehlt werden sollte. Denn whrend der sich steigernde Verlauf von Mitleid und Furcht unser Gemth gefangen nimmt, bedarf er schlechterdings eines Elementes in der Handlung, welches das Gemth b e f r e i e ; diese unaufhçrliche Befreiung unsers Gemths von der Spannung des Affects, welche keineswegs nur durch den Schluß herbeigefhrt werden soll, sondern in dem Charakter der H a n d l u n g s e l b e r liegen muß, liegt in jenen Stcken von e i n f a c h e m Bau in der allgemein gltigen Form der strengsten causalen Verknpfung, welche unsere Intelligenz unaufhçrlich in die freie Sphre des Allgemeinen erhebt, whrend wir dem gewaltigen Gang der Affecte folgen. Dieses Mittels der Befreiung entbehrt die andere Klasse von Stcken durchaus. Der furchtbare Verlauf der Handlung wrde uns, da er durchaus nicht streng motivirt ist, nur mit Grausen und Schauder erfllen, wenn nicht die Anschauung eines Allgemeinen von einer anderen Seite her unser Gemth befreite, und zwar, wenn dort in der nothwendigen Succession der Handlungen das Befreiende lag: so tritt hier ein eigenthmliches Verhltniß der Theile der Handlung in den Vordergrund, sofern sie nicht im strengen Causal-Nexus verlaufen, sondern ein inneres Verhltniß darstellen. Es ist bekannt, daß die Untersuchung ber dies i n n e r e , nur zuweilen ußerlich Ursache und Wirkung in sich verknpfende V e r h l t n i ß d e r T h e i l e d e s D r a m a , gewissermaßen die i n n e r e F o r m desselben, die neuere Aesthetik vielfach beschftigt hat, und zwar knpft diese Untersuchung fast berall an die vielseitigste und tiefste Verknpfungsweise, welche die Poesie kennt, eben jener zweiten Klasse von Shakespeare’s Dramen. Daß mit dem Hegel’schen Begriff der Idee eben nur ein Bild und ein zusammenfassender Begriff, nicht ein wirkliches Verstndniß gefunden sei, ist offenbar. Es ist ein entschiedener Fortschritt, diesem gegenber auf den alten Gedanken zurckzukehren, daß der schçpferische Theil des Drama in der Handlung liege. Aber doch in der poetisch aufgefaßten, d. h. nicht nur in einer bestimmten Form, sondern m i t e i n e m b e s t i m m t e n , d a s E i n z e l n e a s s i m i l i r e n d e n G e h a l t . Schon H e r d e r machte auf das aufmerksam, was auch Freytag hervorhebt, daß in den hçchsten Shakespeare’schen Dramen jeder Character, jede Scene bereits in ei-
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ner so bestimmten eigenen Frbung erscheine, daß man sich keine Versetzung eines Characters oder einer Scene aus einem in ein anderes Stck denken kçnnte. Diese geheimnißvolle Seele des Drama, seine innere Form verhlt sich zwar zu der Handlung keineswegs wie Idee und Ausdruck, wie Inneres und Aeußeres; aber ebensowenig erwchst sie etwa eben nur aus der geformten Handlung oder theilt sich nur nebenbei als Individualitt des Dichters dieser mit. Unter allen dichterischen Werken tritt sie aber am selbstherrlichsten, mit der freiesten Willkr schaltend in den genannten Shakespeare’schen Dramen, z. B. Hamlet und Lear auf. H i e r b e s t i m m t s i e d a s G e f g e d e s B a u e s . Freytag hat vermieden, diesen großen dramatischen Werken den Vorwurf dramatischer Formlosigkeit geradezu zu machen. Aber dieser Vorwurf wre die Consequenz seiner Theorie, wenn wir annehmen drften, daß diese Theorie in einem Buch ber die T e c h n i k des Drama vollstndig entwickelt sei. Denn aus Contrasten und complementren Farben wird man niemals diese Erscheinung erklren kçnnen, daß das innere Gefge eines Drama durch n e b e n e i n a n d e r hergehende, nur mechanisch zusammengekettete Bestandtheile gebildet ist. Wenn er diese Ansicht theilte, so htte er darin an unsern großen Dichtern sehr entschiedene Bundesgenossen. Zu den bekannten Stellen ber diesen Punkt sind noch neuerdings in den vor Kurzem verçffentlichten Gesprchen Goethe’s mit Boisser e (Sulpiz Boisser e I., 262, 282) zwei merkwrdige Aeußerungen Goethe’s hinzugekommen: „Die Einheit des Gedankens, die lebendige Gliederung, durch den Gegensatz zur Identitt, das ist es, was allen Kunstwerken zu Grunde liegen muß. Das ist, was die Franzosen mechanisch ergriffen haben in ihrem Schauspiel, und was Shakespeare nicht hat und warum seine Stcke in dieser Hinsicht bei aller Poesie nichts taugen.“ Dann bei einer andern Gelegenheit spricht er von der Einheit und dem glcklichen Maßhalten der Griechen. „Ja, in allem, auch in ihrem Theater; nehmen wir Calderon, Shakespeare dagegen, diesem letzteren fehlt die Einheit, er war von seiner Zeit abhngig so gut wie Jeder. Die Schlegel mçgen sagen was sie wollen. S h a k e s p e a r e i s t m e h r e t h i s c h u n d p h i l o s o p h i s c h a l s d r a m a t i s c h .“ Man kçnnte sich solchen Urtheilen unserer großen Dichter gegenber auf die gewaltige dramatische Wirkung dieser Shakespeare’schen Stcke berufen, von der jene noch keine rechte Erfahrung hatten, die aber die Theatergeschichte seitdem ganz unbestreitbar festgestellt hat. Daß sie diese Wirkung nicht trotz jener ihrer inneren Form, sondern im vollen Zusammenhange mit ihr ben, dieses ließe sich nur durch eine genaue Analyse ihrer dramatischen Wirkung feststellen. Wir mssen das Urtheil der Erinnerung unserer Leser von ihren persçnlichen Eindrcken hierber berlassen. Um es noch einmal zusammenzufassen: es scheint uns, daß man nicht die dramatische Handlung im großen Styl zuerst entwickeln kçnne und dann das
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Tragische nur wie eine Gemthsverfassung des Dichters dieser Entwicklung hinzufgen, daß vielmehr erst aus dem erkannten Wesen des Tragischen die dramatische Form im großen Styl folgt; es scheint uns daher, daß die Handlung nicht das volle Wesen des Dramatischen bezeichne, daß sie vielmehr an sich nur Spannung hervorbringe, Dramen aber, deren Charakter Spannung ist, nicht befriedigen, daß die Befreiung des Gemths, welche ein eben so wesentliches Element der tragischen Katharsis ist, dem Drama großen Styls eben so wesentlich ist als die Spannung; es scheint uns endlich, daß das Gefge des Drama durch d i e s e Seite desselben eben so wesentlich bestimmt sei, als durch die andere. Diese Stze stellen e i n e r Abstraktion eine andere gegenber: eine Untersuchung wrde wahrscheinlich dahin fhren, daß das Wesen des Drama ein einheitliches ist; Spannung und Befreiung nur Abstractionen seiner wahren Wirkung. Wozu wir es versuchen, in solchen, wie wir selbst am besten wissen, sehr abgerissenen Andeutungen auf eine Ergnzung der grundlegenden Gedanken, auf welche Freytag die Technik des Drama gebaut hat, hinzudeuten? Sicher sind Gedanken hnlicher Art einem Manne, der diesen Gegenstand seit so vielen Jahren bedenkt, oft genug durch den Sinn gegangen. Sehr mçglich, daß er sie zu Gunsten einer einschneidenden Wirkung, welche stets nur durch die einseitige Schrfe erreicht wird, zurckdrngte. Hatte man bisher die Form der geschlossenen Handlung zum grçßten Schaden unserer dramatischen Dichtung auf’s grçblichste vernachlssigt und verkannt; hatte man sich ber diesen schwachen Punkt durch das Gerede vom historischen Schauspiel und von den Ideen hinweggeholfen, so muß es diesem Unwesen gegenber zum entscheidenden Gewinn werden, die strenge dramatische Form der Handlung in den Vordergrund zu rcken. Durch irgend etwas die Spitze dieses Gegensatzes gegen jene dramatische Verwilderung abzustumpfen, wre Unrecht. Mçchte dies Buch in der ganzen schneidigen Consequenz seines Grundgedankens ein Handbuch dramatischer Dichtung und Kritik werden. Aber mçchte doch auch nicht verkannt werden, daß sich Freytag selber Grenzen der Untersuchung absichtlich gesteckt hat, welche aus dem Zweck derselben folgten. Wir frchten, daß unter derbern Hnden ungeschickter Nachbeter dieser feine, mit einer bewunderungswrdigen Kunst gefgte Gedankenbau einer dramatischen Technik in seinen wohldurchdachten Grundlinien und Begrenzungen verrckt werden mçchte; ja daß aus der T e c h n i k des Drama eine T h e o r i e des Drama werden kçnnte. Eine seltsame Ideenscheu versucht jetzt an den verschiedensten Punkten der Aesthetik die schçne Form aus dem ußeren Gefge der Dinge zu erklren. Diese Ideenscheu wenigstens soll sich nicht auf die mißverstandenen Resultate des vorliegenden Buchs berufen drfen.
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[III.] Die Gliederung der Tragçdie. Es hat eine Zeit gegeben, in welcher der Gedanke allen Objecten seine vorausbestimmten Schemata aufdrckte. Die Welt schien zu verarmen, indem sie als die unendliche Verwirklichung eines einzigen drftigen Schema’s erschien. Wer vermçchte die Musik zu ertragen, wenn sie nichts wre als Variationen eines einzigen Thema? Die musikalischen Gesetze sind ewig dieselben und einfach, aber sie enthalten nur die Mçglichkeiten fr den unergrndlichen Reichthum der Tongebilde, welche erst Musik sind, whrend jene nur die Mçglichkeit der Musik gewhren. So baut sich nach einfachen Gesetzen der Seele eine unendlich reiche geistige Welt auf, nach einer langen ruhmreichen Geschichte kaum erst in ihren Anfngen begriffen, nicht auf einen Tag voraus zu berechnen. Sie auf Schemata zu bringen, welche jeder Tag durch eine neue Erscheinung zerstçrt, ist die Arbeit des Sysiphus; fr alle Zeit hoffentlich ist der philosophische Geist ihrer entledigt. Aber aus den Banden des schematisirenden philosophischen Geistes erhebt sich der f o r s c h e n d e , welcher gewissermaßen einer Naturgeschichte der geistigen Welt nachgeht. Wie sich die Naturforschung ihre Methoden ausbildete, auf langen Irrungen, in der pfadlosen unbegrenzten Weite der Induction durch die idealen Gedanken von der Symmetrie und dem Zusammenhange der Welt als ihre Hypothese geleitet: so wird die Wissenschaft der geistigen Welt allein und ausschließlich von einer hnlichen Voraussetzung aus, welche die fortschreitende Untersuchung umbilden mag, ihre weit verschlungenen Wege antreten kçnnen. Es ist nicht mehr das sprçde unbiegsame Schema, welches diese untersuchende Methode leitet, aber der Glaube an die symmetrische Schçnheit und Ordnung der geistigen Welt ist derselbe geblieben. Auch die Aesthetik hat diese beiden Epochen durchlebt. In keiner Wissenschaft, außer der Philosophie der Geschichte, hat die constructive Methode der Hegel’schen Philosophie so befruchtend, ja schçpferisch gewirkt als in ihr. Die Aesthetik Hegel’s und die Vischer’s bleiben unvergngliche Denkmale dieser Periode der Wissenschaft. Ihre Resultate sind unverloren fr eine Methode, welche der inneren Structur der Kunstformen mit unbefangenem Untersuchungsgeist wie Naturobjekten gegenbertritt. Ueberall schweben sie der Untersuchung als großartige Hypothesen vor, die aus einer so tiefen und grndlichen Beschftigung mit der Poesie erwuchsen, wie sie jener sthetischen Epoche natrlich war, unter uns bereits das Vorrecht weniger sthetischer Forscher wird. In der Methode aber leitet uns berall vorherrschend das
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Vorbild des Aristoteles und die Analogie der Naturforscher. Gerade fr das Drama ist hier die Lage des Aesthetikers am gnstigsten. Denn das Bruchstck von der Poetik des Aristoteles, das uns erhalten ist, ist gerade hier verhltnißmßig am vollstndigsten, und Methode und Resultate desselben sind hier bis auf Hegel unablssig vor den Augen der Kritiker gewesen und auch die Hegel’sche Aesthetik verstand sie zu benutzen. So war gerade dieser Gegenstand vielleicht der gnstigste fr eine Untersuchung im heutigen Geist unserer Wissenschaften. Und es ist wohl außer Zweifel, daß diese sthetische Methode kein zweites in seiner Art so abgerundetes fertiges Muster aufzuzeigen hat, als diese Technik des Drama. Wir versuchen die Grundgedanken derselben in der Krze zusammenzufassen, nachdem wir ber die Basis dieser Untersuchung und ber die allgemeinen Voraussetzungen derselben unsere Ansicht in dem vorigen Artikel ausfhrlich entwickelt. Aus den Gesetzen der dramatischen Handlung, wie sie Aristoteles aufstellte und Freytag zu vervollstndigen suchte, ergiebt sich die Grundform des Drama: d i e H a n d l u n g v e r l u f t i n S p i e l u n d G e g e n s p i e l . Denn der Held muß ein starkes Leben in sich steigernder Handlung entwickeln; er bedarf einer gegenspielenden Gewalt, welche durch menschliche Vertreter sichtbar gemacht wird. Aber diese gegenspielende Gewalt soll das Interesse fr den Helden nicht paralysiren, sondern nur, indem sie ihn in Handlung setzt, ermçglichen. Diese zwei Haupttheile des Drama – Spiel und Gegenspiel – sind durch einen Punkt der Handlung, welcher in der Mitte ders e l b e n l i e g t , f e s t v e r b u n d e n . Diese Mitte, der Hçhepunkt des Drama, ist die entscheidende Stelle der Construction; bis zu ihm steigt, von ihm ab fllt die Handlung. Und zwar kçnnen sich von dieser entscheidenden Stelle der Construction ab Spiel und Gegenspiel auf z w i e f a c h e W e i s e v e r t h e i l e n . Entweder d a s S p i e l h e r r s c h t i m e r s t e n T h e i l e v o r : dann steigert sich in diesem die leidenschaftliche Spannung des Helden aus den innern Impulsen seines Charakters bis zur That; von da ab beginnt dann die Umkehr; was er that, wirkt nun auf ihn zurck; indem er der auf ihn eindringenden Reaction der Außenwelt allmlig unterliegt, fllt die Leitung der Handlung von der Umkehr ab dem Gegenspiel zu. Oder d a s G e g e n s p i e l b e r w i e g t i m e r s t e n T h e i l : dann wird der Held von der sich steigernden Thtigkeit ihm gegenberstehender Gewalten bis zum Hçhepunkt fortgetrieben; von der Umkehr ab, die damit beginnt, herrscht dann die Leidenschaft des Helden. Diese Aufstellung zweier Grundgestalten der dramatischen Form ist eine der seltenen wirklichen sthetischen Entdeckungen. Obwohl Aristoteles die entscheidende Bedeutung der P e r i p e t i e bereits begriffen hat, so gehçrt doch diese Aufstellung einer doppelten dramatischen Construction von dem Hçhe-
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punkte aus Freytag ausschließlich an. Die entscheidende Frage, welche der Dichter hiernach an seinen Stoff zu stellen hat, ist: ob sich in ihm auf die erste oder zweite Weise Spiel und Gegenspiel zur einheitlichen Handlung gliedern lassen. Was die Vortheile des Baues betrifft, so ertheilt Freytag der ersten Klasse ohne Frage mit vollkommenem Recht den Preis, wie denn merkwrdiger Weise alle großen Tragçdien Shakespeare’s mit Ausnahme des Othello und Lear ihr angehçren. Es ist bedeutungsvoll fr die deutsche Bildung des vorigen Jahrhunderts, welcher hartes Selbstvertrauen und schneller Entschluß zur That so sehr fehlten, daß bei weitem die meisten Tragçdien unserer Poesie der zweiten Klasse angehçren; selbst die Helden Schiller’s werden zumeist mehr durch ußere Verhltnisse, als durch rcksichtsloses Fordern fortbewegt. Indem so die beiden Hlften der Handlung in Einem Punkte, dem Hçhenpunkte, zusammenschießen, erhlt das Drama so zu sagen einen p y r a m i d a l e n B a u : es steigt von der Einleitung ab durch die wachsende Wirksamkeit des erregenden Moments bis zum Hçhepunkt und fllt von diesem ab bis zur Katastrophe. So treten zwischen die drei ursprnglichen Theile, des Aufsteigens, des Hçhepunkts und der Katastrophe, zwei andere, der Steigerung und des Fallens. Diese f n f T h e i l e gliedern sich wieder in Scenen und Scenengruppen, nur daß der Hçhepunkt gewçhnlich in e i n e Hauptscene gefaßt ist. Zwischen diese fnf Theile treten sondernd und verbindend drei wichtige scenische Punkte: nmlich zwischen Einleitung und Steigerung das erregende Moment, zwischen Hçhepunkt und Umkehr das tragische Moment, als Beginn der Reaction, zwischen Umkehr endlich und Katastrophe als Hlfsmittel des Bau’s das Moment der letzten Spannung. So daß also acht Stellen des Drama zu unterscheiden sind. Und zwar hat eine jede von diesen acht Stellen wiederum nach ihrer Lage in dem Ganzen der dramatischen Structur ihre besondere Gestaltung. Es kçnnte scheinen, als ob wir durch die Aufstellung solcher Formgesetze einer neuen Herrschaft des Schematismus verfielen, und Freytag ist diesem Schein so wenig aus dem Wege gegangen, daß er sich nicht scheut durch mathematische Figuren die Structur der Dramen zu versinnbildlichen, so wie die Logik die Formen von Urtheil und Schluß in mathematischen Schematen vorstellt. So wenig, daß er einen bis zu der Anordnung der Scenen gegliederten Typus des vollkommenen Drama aufstellt. Mit dem Behagen des bhnenerfahrenen Technikers und des scharfen Kopfs legt er diese fein ausgesponnenen Formgedanken dem Publikum vor. Er rechnet darauf nicht mißverstanden zu werden. Wie der Maler in der Anatomie nicht das Geheimniß der Schçnheit begreift, ja mit den strengen normalen Proportionen, die sie aufstellt, mit knstlerischer Freiheit schaltet, so kann kein ins einzelste durchgefhrtes Formgesetz den knstlerischen Geist im Einzelnen leiten wollen.
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Aber er begreift das Gesetz der Sache, welchem er unbewußt folgt, besser in seinem hçheren Recht, wenn aus ihm ein anschaulicher Typus der Form entwickelt wird. So kçnnen wir sagen, daß der vollkommene Typus grçßerer rein lyrischer Gedichte von Goethe darin gefunden sei, daß die Empfindung von einer Situation aus beginnend sich in sich selber vertieft. Aber hiermit ist doch nur eine Aufklrung ber den vollkommenen lyrischen Vorgang, nicht ein bindendes Gesetz gegeben. Die Aesthetik, gleich wie die Ethik, hat es nicht mit Naturgesetzen, sondern mit Musterbildern zu thun. Von der Flle interessanter Regeln, welche sich fr die acht Stellen des Drama ergeben, heben wir nur einige Hauptpunkte hervor. Die E i n l e i t u n g analysirt die Voraussetzungen der Handlung. Es ist ein schçner Handgriff der modernen Dichter, in einer ersten Scene, wie in kurzer Ouvertre, die eigenthmliche Stimmung des Stcks darzustellen; so erscheint in dem heitern Glanz des frstlichen Gartens, der ruhigsten Unterhaltung der geschmckten Frauen, den bekrnzten Dichterbildern der gemßigte Gang und das milde Licht, das ber Tasso ausgebreitet ist. Der genialste Erfinder ist auch hier Shakespeare: in Romeo Tag, offene Straße, Hndel und Schwerterklirren der feindlichen Parteien; in Hamlet Nacht, der spannende Commandoruf, das Erscheinen des Geistes; in Macbeth Sturm, Donner, auf wster Haide die Hexen, und wieder in Richard III. ein einzelner Mann auf der Bhne, der souveraine Bçsewicht, sich selbst den Prolog sprechend. Wenn das Drama von diesem einleitenden Accord zur Exposition selber fortschreitet, so geschieht dies am besten ohne Scenenwechsel; vermied diesen Shakespeare nicht, so lag hierfr, wie berhaupt fr die Flle kurzer wechselnder Scenen bei ihm der Grund darin, daß auf der Bhne seiner Zeit die Scenen nicht durch Decorationswechsel zerschnitten wurden. Auf diese ausgefhrte Scene folgt dann am besten ein kurzer Uebergang in das erste Moment der Bewegung. – Die zweite Stelle der Handlung bildet das e r r e g e n d e M o m e n t . Dies dem Drama seine Richtung gebende Motiv darf weder unbedeutend sein, noch durch die Strke seines Hervortretens bereits ber das Schicksal des Helden entscheiden. Seine Form und Stellung sind durch die Structur des Ganzen bestimmt; am bedeutsamsten natrlich tritt es in der Klasse von Stcken hervor, in welcher das Spiel die aufsteigende Handlung bestimmt. Bald als ausgefhrte Scene, bald in wenige Worte zusammengefaßt, bald als Uebergang der Einleitung zur erregenden Handlung. – Die Handlung ist in Bewegung gesetzt, die S t e i g e r u n g verluft nun bis zum Hçhepunkt; ob in einer oder mehreren Stufen, hngt von Stoff und Behandlung ab. In jedem Fall verlangt jede Stufe fr sich eine einheitliche Gruppirung in der Scenenbildung. In Julius Csar z. B. besteht die Steigerung in e i n e r Stufe, der Verschwçrung, welche mit der vorbereitenden und der Contrastscene – Brutus und Porcia – eine schçn gegliederte Sce-
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nengruppe bildet, an die sich dann sofort das Scenenbndel des Hçhepunkts, die Mordscene, anschließt. Dagegen verluft die Steigerung in Romeo und Julie in vier Abstzen: der Maskenball, zwei Vorscenen und eine Hauptscene; die Gartenscene, eine Vor- und Hauptscene; die Trauung, vierscenig; Tybalt’s Tod; eine Actionsscene. Ein bewundernswrdig schçn berechneter Scenenbau: im Maskenball kleine Scenen in rascher Folge, in der Gartenscene ein ausgefhrtes großes Bild der Liebenden, welche dann in der Scenengruppe der Trauung im schçnen Abstich dagegen zurcktreten, in Tybalt’s Tod der starke Absatz, welcher zu den leidenschaftlichen Scenen des Hçhepunktes hinberfhrt. – Der H ç h e p u n k t des Drama ist die Stelle des Stckes, in der das Resultat des aufsteigenden Kampfes stark und entschieden heraustritt. Er erscheint daher fast immer in der Form einer groß ausgefhrten Scene, an welche sich die kleineren Verbindungsscenen von der Steigerung und der fallenden Handlung her anlegen. Von hçchster Bedeutung in den Stcken activer Helden; in denen, welche durch das Gegenspiel steigen, bezeichnet er die wichtige Stelle, wo dasselbe den Helden berwltigt hat. Muster solcher hçchsten poetischen Steigerung sind die Httenscene in Lear und die Banketscene in Macbeth. – Das t r a g i s c h e M o m e n t , wo es in die Handlung aufgenommen wird, giebt dem Stck gewissermaßen eine zweite Spitze; am besten erscheint es noch mit dem Hçhepunkt verbunden und von den folgenden Momenten des Gegenspiels durch einen Einschnitt – unsern Actschluß – abgesetzt. Und zwar kçnnen diese beiden großen contrastirenden Scenen des Hçhepunkts und des tragischen Moments entweder in eine einzige ineinander gefgt oder durch ein Zwischenglied verbunden werden. Ein glnzendes Beispiel des ersten Falles ist die Scene des Coriolan, in welcher vor den Augen des Zuschauers der Hçhepunkt, die Ernennung Coriolan’s zum Consul, zum tragischen Moment der Verbannung in einem einzigen mchtigen Fortgang hingefhrt wird. Dagegen ist in Julius Csar die Gruppe der Mordscene von der Redescene zwischen Brutus und Antonius abgesondert, zwischen beiden liegt die ausgefhrte Unterredung der Verschworenen mit Antonius. – Der schwierigste Theil des Drama ist die Scenenfolge der f a l l e n d e n H a n d l u n g oder der U m k e h r , zumal bei den Stcken activer Helden, in welchen die eingeschlagene Richtung der Hauptcharaktere in ihrer That endigt. Soll daher die dramatische Wirkung im Steigen begriffen bleiben, so ist hier die grçßte Kunst der Technik nothwendig: Einschrnkung der Zahl der Personen, Zusammenschließung der Wirkungen in große Scenen, alle Mittel der Concentration. Und zugleich, was das mehr Innere der Form betrifft, da nun der Zusammenhang der Begebenheiten, die Absicht des Dichters dem Zuschauer vor Augen sind, darf der Zuschauer nun nicht mehr durch kleine Kunstmittel, sorgfltige Ausfhrung, hbsches Detail aufgehalten werden: nichts als große
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Zge, große Wirkungen, auch die Episoden, die noch gewagt werden, von Bedeutung und Energie. Daraus ergiebt sich auch, daß die fallende Handlung nicht so viel Abschnitte vertrgt als die aufsteigende. – Indem nun der Hçrer unaufhaltsam dem Ende entgegengefhrt wird, ist es bedenklich, in der Katastrophe zu raffiniren und Effecte hervorzusuchen. Shakespeares große Manier erscheint auch darin, daß er die Katastrophe leicht, kurz, wie nachlssig hinwirft, als das nothwendige Ergebniß des gesammten Stckes. Wenn nun das Gewicht des unglcklichen Geschickes bereits lange und schwer auf einem Helden lastet, die gerhrte Empfindung des Hçrers Rettung wnscht, whrend seine vernnftige Erwgung die Nothwendigkeit des Unterganges empfindet: dann ist ein altes anspruchsloses Mittel des Dichters, die schmerzlichste Spannung noch fr einen Augenblick zu unterbrechen, dem Gemth des Hçrers noch auf einige Momente Aussicht auf Befriedigung zu gçnnen. Dem bereits vor Augen liegenden Gange der Katastrophe wird noch einmal ein leichtes Hinderniß in den Weg geworfen. Dies ist der M o m e n t d e r l e t z t e n S p a n n u n g . Brutus muß erklren, daß er sich selbst zu tçdten fr zu feig halte, der sterbende Edmund muß den Mordbefehl gegen Lear widerrufen, Kreon das Todesurtheil der Antigone; sogar Richard III. erhlt noch die Nachricht, daß die Flotte des Richmond durch Strme zerschlagen ist. – Mit der K a t a s t r o p h e endigt das Drama. Sie vernichtet den Helden, um so unerlßlicher, je tiefer der Kampf aus seiner befangenen Leidenschaft entsprang, und sein Tod schneidet dem Zuhçrer die umherschweifenden Bilder knftiger Mçglichkeiten seines Lebens ab, welche ihm die Befriedigung eines sicheren Abschlusses entziehen. Ueber seinem Ende muß in dem Zuschauer die Empfindung von dem Vernnftigen und Nothwendigen solchen Unterganges lebendig werden: kurz, einfach, schmucklos, in raschem Verlauf. Es ist vorzugsweise Sache des Scharfsinns, Einleitung und spannendes Moment zu erfinden, Sache der poetischen Kraft, den Hçhepunkt muthig herauszutreiben; fr die Schlußkatastrophe bedarf es ein mnnliches Herz und einen souverainen Sinn. Dies etwa sind die Grundzge des Ideals dramatischer Form, welche Freytag entworfen hat. Schon sie ruhen auf den Bedingungen unserer modernen Bhne. Mehr aber noch die Behandlung und innere Gliederung der Scenen selber. Es ist einer der schçnsten Punkte des Freytag’schen Buchs, wie er die Grundzge jenes Ideals dramatischer Handlung auch an der antiken Tragçdie nachweist. Und einige der wesentlichen Vorzge dieses antiken Drama haben sich auch der sptern Entwicklung des germanischen in großen Zgen eingeprgt: die Einwirkung desselben auf einheitlich kunstvollen Bau und idealen Gehalt der Tragçdie ist berall zu empfinden. Aber das dramatische Ideal, wie w i r , als Germanen und als Moderne, es verstehen, fand doch seine volle Entwicklung erst bei den Englndern und bei uns, hier daher mssen wir seine
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weitere Entwicklung aufsuchen. Whrend bei den Griechen die Handlung in Pathosscenen, Botenscenen, Dialogscenen, den Reden und Verkndigungen offizieller Personen an den Chor verluft, fand die moderne Bhne weit freiere, mannigfaltigere Formen, weit vielfachere Mittel der Wirkung. Noch Shakespeare freilich ist von dem Bau seiner Bhne in der Construction seiner Stcke abhngig. Denn da der vordere Spielraum bei ihm keinen Vorhang hatte, und daher die Einschnitte im Stck nur durch Pausen bezeichnet werden konnten, so war ihm nicht mçglich, in die Mitte einer Situation einzufhren oder dieselbe unvollendet abzubrechen; seine Personen mssen vor dem Auge des Publikums auftreten, bevor sie vor diesem reden, und ebenso wieder abgehen; sogar die Todten mssen am Ende des Stckes in angemessener Weise hinausgetragen werden. Mit diesem Nachtheil war freilich ein nicht gering zu achtender Vortheil verknpft. Da nur die innere Bhne der Scenerie wechselte, der vordere Raum immer derselbe blieb, und der Vorhang niemals fiel, so war hier alles beweglicher und leichter, ein rascheres Kommen und Gehen; die grçßere Zahl der Einschnitte stçrte weniger, kleine Scenerien wechselten leicht; was bei uns zuweilen als Zersplitterung der Handlung erscheint, war dort leichte Beweglichkeit. Es ist bekannt, wie oft Kenner Shakespeare’s, Tieck zumal, auf die eigenthmlichen Vorzge dieser Bhnen-Einrichtung hingewiesen haben. Es wre wohl eine antiquarische Spielerei, sie bei uns wieder einzufhren, aber es blieb freilich dem knstlerischen Tiefsinn der Berliner Intendanz vorbehalten, einen neuen Vorhang zu erfinden und die Stcke Shakespeare’s scenenweise zu zerschneiden. Das Entscheidende fr die Umgestaltung des Baues im nachshakespeareschen Drama war die Einfhrung des Vorhangs. Mit ihm ergab sich eine bestimmte Theilung der Handlung in Akte. Nunmehr erhielt gewissermaßen jeder einzelne Akt den Charakter einer geschlossenen Handlung: ein kleiner Stimmung gebender Vorschlag, eine kurze Einleitung, ein strker hervortretender Hçhepunkt, ein wirksamer Abschluß wurden fr ihn nothwendig. Und zugleich wurde es mçglich, fnfmal im Stck fr Beginn und Ende den Vortheil des fallenden und aufgehenden Vorhangs dazu zu benutzen, mitten in eine Situation einzufhren und mitten in einer Situation zu schließen. Die Zahl dieser Akte erhielt bald eine feste Begrenzung, welche die Dichter nur selten und zu ihrem Nachtheil verlassen haben. Denn die Fnfzahl derselben liegt in der Natur der dramatischen Handlung selber, wie sie oben dargelegt wurde; Einleitung, Steigerung, Hçhepunkt, Umkehr und Katastrophe bilden die fnf nothwendigen Theile des Drama. Und wie im Bau der Acte, so lßt sich auch in dem der Scene eine bestimmende innere Form nachweisen. Die verbindenden Scenen freilich erhalten ihre Form durch ihr besonderes Verhltniß zu den ausgefhrten, diese aber
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zeigen eine regelmßige Architektur. „Ein spannendes Moment muß die ausgefhrte Scene einleiten, die Seelenprozesse in ihr mssen mit einiger Reichlichkeit in wirksamer Steigerung dargestellt werden, das Resultat derselben energisch, in treffenden Schlgen angedeutet sein, von ihrem Hçhenpunkte aus, auf welchen sie reichlich ausgefhrt schweben, muß schnell und kurz der Schluß folgen.“ Wie das Drama selber, so verluft die ausgefhrte vollendete Scene in fnf Theilen, wenn man sie rein fr sich betrachtet. Hufig freilich wird durch die Richtung auf das Folgende dieser pyramidale Bau durch den Durchschnitt einer anschlagenden Welle umgendert. Es ist, wie wir wohl fhlen, nur ein drftiges Schema der von Freytag aufgestellten technischen Theorie, was wir dem Leser zu bieten vermçgen. Dies Schema kçnnte ihn leicht zu der Tuschung verleiten, als ob hier drre, farblose Regeln der Composition einander drngten. Aber die Flle der einzelnen geistvollen Bemerkungen, wie sie nur einem solchen dramatischen Dichter und Kenner der Bhne zu Gebote stehen, das unendlich feine Auge fr die technischen Mittel und die knstlerischen Schçnheiten der gesammten ausgedehnten dramatischen Literatur, wie sie nur die Verbindung jener Uebung mit reichem und genauen Wissen giebt, geben auch diesen Partien des Buches einen außerordentlichen Reiz. Die wissenschaftlichen Arbeiten Freytags, dies Buch wie die Bilder aus der deutschen Vergangenheit, haben sichtlich in ihrer Entstehungsweise etwas von der Art knstlerischer Production. In ihrem allmhligen Wachsthum verschlingt sich in die grundlegenden Gedanken eine Flle von Beobachtungen, Bildern, Erfahrungen, ein Reichthum herzlichen Empfindens: so baut sich ein scheinbar leichtgefgtes, in der That kunstvolles Ganzes auf. Und es ist immer der ganze Mann, der aus ihm zu uns redet.
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Es giebt historische Gebiete, auf denen die Arbeit von Jahrhunderten eine vollstndige Erndte gehalten zu haben scheint. Die Literatur des Alterthums ist das lteste und vieldurchsuchteste Gebiet historischer Forschung, an welchem sich fr alle anderen Gebiete der Geschichte die Methode erst heraufbildete. Seit mehr als 300 Jahren wird sie durchforscht und ihre Denkmler haben sich seit jener Zeit nur sprlich vermehrt. Und dennoch, sobald ein neuer Gesichtspunkt diese lange durchsuchten Stoffe berhrt, scheint es uns, als ob wir sie heute zum ersten Male verstnden. Es ist wie ein immer neuer Sieg des Gedankens ber die empirische Masse. So geschah es auch Freytag, als er mit den in unserm vorigen Artikel ent-
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wickelten Grundgedanken ber die Technik des Drama an die alte Literatur herantrat, daß sich ihm eine ganz neue Beleuchtung des alten Gegenstandes ergab. Man bemerkt noch an der liebevollen Ausfhrlichkeit der Darstellung, wie diese Episode seines umfassenden Stoffs ihm ein ganz besonderes Interesse abgewann. Wir stimmen nicht berall mit seinen Resultaten berein, auch hier scheint er uns, dem Zug der heutigen Stimmung folgend, allzuscharf lteren Auffassungen gegenberzutreten. Aber die Uebersicht, welche er gewinnt, erscheint uns dennoch als hçchst bedeutend. Wer zu der Betrachtung der Alten von einer Uebersicht ber die gesammte Geschichte dramatischer Formen kommt, den wird immer zunchst der merkwrdige Unterschied des griechischen und germanischen Drama beschftigen. Schon der erste, der, Lessings Spuren folgend, der Entwickelung des Drama nachging, H e r d e r , den man immer als den Bahnbrecher einer allgemeinen Literaturgeschichte wird in hçchsten Ehren halten mssen, hat dies Verhltniß in seinem Grundzug erfaßt. Als er 1773 jenen merkwrdigen Versuch ber Shakespeare schrieb, der mit der begeisterten Anrede an seinen Freund, den Nachfolger Shakespeare’s, der eben damals ber den Gçtz von Berlichingen sann, schließt: da ging er bereits von dem Gegensatz dieser beiden Grundformen aus. „Sophokles’ Dramen und Shakespeare’s Dramen sind zwei Dinge, die in gewissem Betracht kaum den Namen gemein haben.“ In ihrem Ursprung liegt die Ursache ihres Gegensatzes. „Die griechische Tragçdie entstand gleichsam aus einem Auftritt aus dem Impromptu des Dithyramb – des mimischen Tanzes des Chors.“ Erhabenheit des Ausdrucks, Einheit in Handlung, Ort und Zeit erwuchsen daraus von selbst. Ihre Entwickelung war demnach wachsende Vervielfltigung, nicht Simplificirung. Shakespeare fand ein schaulustiges Volk, die mannigfaltigste, bunteste Welt in Historie, Gesellschaft und Dichtung, Freude an Gewaltthat, Kampf und Kmpfen auf Leben und Tod. „Wie vor ein Meer von Begebenheit, wo Wogen in Wogen rauschen, so tritt man vor seine Bhne.“ Spter hat dann Herder in den „Frchten aus den sogenannten goldnen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts“, literar-historischen Versuchen, in welchen er sich mit den Romantikern berhrt, diese Gedanken weiter entwickelt. Von ihnen geht auch Freytag mit vollem Rechte aus. „Whrend die griechische Bhne aus der lyrischen Darstellung leidenschaftlicher Empfindungen sich entwickelte, ist die germanische aus der epischen Schilderung der Begebenheiten heraufgekommen. Beide haben einige Traditionen ihrer ltesten Zustnde bewahrt; die griechische blieb ebenso geneigt, die Augenblicke der That in den Hintergrund zu drngen, als die deutsche frçhlich war, Balgerei und Gewaltthat abzubilden.“ Kothurn, Maske und Theatercostm verboten sogar jede heftige Kçrperbewegung und jeden Ausdruck leidenschaftlicher Spannung. „Aeschylos scheint auch nach dieser Rich-
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tung Einiges unternommen zu haben, der kluge Sophokles ging gerade soweit, als er durfte. Er wagte noch, die Antigone aus dem Hain von Kolonos durch einen bewaffneten Haufen fortreißen zu lassen, aber er wagte n i c h t m e h r in der Elektra den Aegysthos auf der Bhne zu tçdten, Orestes und Pylades mssen ihn mit gezogenem Schwert hinter der Scene verfolgen!“ Offenbar bildete Sophokles den Charakter maßhaltender Ruhe, der in den Bedingungen der griechischen Bhne lag, weiter aus, wenn auch das von Freytag angefhrte Beispiel nicht zutrifft. Denn bekanntlich fllt auch bei Aeschylos der Aegisthos hinter der Bhne; der Chor horcht auf und fragt „was geschieht im Palast“? Auch darin mçchten wir Freytag nicht Recht geben, daß hier nothwendig der Zuhçrer s e h e n muß, daß sich die Handlung vollendet. „Aegisthos, meint er, kçnnte, wenn auch von zwei Mnnern verfolgt, sich doch ihrer erwehren oder entfliehen u. s. w.“ Die Bhne hat Mittel, dieselbe Gewißheit und denselben Eindruck auch auf diesem Wege zu erreichen. Aegisth ergiebt sich so willig und geknickt in sein Loos, daß der Zuschauer an seinem Tod nicht zweifeln kann; auch wird er bei Sophokles nicht „verfolgt“, sondern von beiden Freunden zum Tode hinweggefhrt. Bei Aeschylos aber ist jener wunderbare Botenbericht des Sklaven an die heraustretende Klytmnestra erschtternder im Eindruck, als jede Mordscene auf der Bhne: „Der Todte mordet die Lebenden“. In der That hat auch Freytag selber bemerkt, wie z. B. gerade in der Ermordung Duncan’s h i n t e r der Bhne, in der furchtbaren Spannung der Zuschauer, whrend das Theater wie von Blut riecht, die hçchste denkbare Wirkung liegt. Freytag hat dann einen zweiten Gegensatz zwischen griechischen und germanischen Dramen aufgestellt, unter dem Einfluß, wie uns dnkt, von Bernays’ Erklrung des Aristoteles, deren nachtheilige Wirkung auf seine Auffassung wir an den verschiedensten Stellen verfolgen zu kçnnen glauben. Im Zusammenhang mit dem eben erwhnten lyrischen Ursprung des antiken Drama erscheint ihm die W i r k u n g d u r c h G e m t h s b e w e g u n g e n u n d i h r e D a r s t e l l u n g e n als wesentlicher Charakter desselben. „Das musikalische Element waltete nicht nur in dem Chor, auch dem Helden steigerte sich auf Hçhepunkten die rythmisch bewegte Sprache leicht zum Gesang, und die Hçhepunkte waren hufig durch breit ausgefhrte Pathosscenen bezeichnet.“ Und nun fhrt er fort: „Dagegen aber war in der antiken Tragçdie eine andere Wirkung nur unvollstndig entwickelt, welche unserm Trauerspiel unentbehrlich ist. Die dramatischen Ideen und Handlungen der Griechen entbehren eine vernnftige Wendung, d. h. eine Fgung der Begebenheiten, welche aus der Anlage und der Einseitigkeit der dargestellten Charaktere vollstndig erklrt wird.“ Und dann an einer anderen Stelle, indem er den Zusammenhang dieses Gedankens mit dem von Bernays’ offener durchblicken lßt: „Aus diesen Grnden gilt von jener Definition des Aristoteles der letzte Satz nicht oh-
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ne Einschrnkungen fr unser Drama; ihm wie uns ist Hauptwirkung des Drama die Entladung von den trben und beengenden Stimmungen des Tages, welche uns durch den Jammer und das Frchterliche in der Welt kommen.“ (Nicht die aristotelische Erklrung.) „Aber wenn er diesen Befreiungsprozeß an anderer Stelle“ (dies ist die Hypothese von Bernays) „dadurch zu erklren weiß, daß der Mensch das Bedrfniß habe, sich gerhrt und erschttert zu sehen, und daß die gewaltige Befriedigung und Sttigung dieses Bedrfnisses ihm innere Freiheit gebe, so ist diese Erklrung allerdings fr uns nicht unverstndlich, aber sie nimmt als den letzten inneren Grund dieses Bedrfnisses p a t h o l o g i s c h e Z u s t n d e an, wo wir frçhliche Rhrigkeit des Hçrers erkennen.“ Sind hier nicht zwei sehr verschiedene Punkte nicht gehçrig von einander gesondert? Der Gedanke, daß das antike Drama sich in der Darstellung pathologischer Zustnde, nicht in der einer Weltordnung bewege; und der andere Gedanke, daß die der griechischen Tragçdie zu Grunde liegende Weltordnung keine in unserm modernen Sinne vernnftige sei. Der erste scheint uns ber das wahre Sachverhltniß weit hinauszuschießen. Mag die Freude an epischer Flle der Handlung, oder an lyrischer Tiefe der Empfindung berwiegen, beides wird in dieser hçchsten poetischen Kunstform nur auf der Grundlage einer zusammenhngenden Weltansicht ber vereinzelte Effekte zu der großen tragischen Wirkung sich erheben. Und dem, was sich so aus der Sache erwarten lßt, entspricht auch durchaus unsere obwohl sprliche geschichtliche Ueberlieferung. In der uns erhaltenen großen Trilogie ist Aeschylos ganz und gar von dem Drange bewegt, eine Weltordnung darzustellen. Geschichte und Mythos bildet er nach ihr um. Eine ganz andere Frage freilich ist die nach der Vernnftigkeit dieser Weltordnung, „d. h. einer Fgung der Begebenheiten, welche aus der Anlage und Einseitigkeit der dargestellten Charaktere vollstndig erklrt wird.“ Hieße dies ein Gleichgewicht zwischen der Natur der dargestellten Charaktere und ihrem Schicksal, so wrde damit das Wesen des Tragischen verkannt. Denn diesem kann man nicht rger Unrecht thun, als wenn man es auf die Kategorien von Schuld und Strafe bringt. An einem hochberhmten Beispiel der Erklrung Shakespeare’s kann man die Consequenz dieser Methode erkennen. Heißt es aber eine berall durchsichtige Causalitt, heißt es, daß jedes Schicksal zwar nicht aus dem Charakter, rein fr sich genommen, wohl aber aus einem tieferen Zusammenhange der Dinge folge, und daß dieser tiefere Zusammenhang der Dinge dem sittlichen Bewußtsein genge: so hat freilich dieser Zusammenhang, wie ihn die Tragiker dachten, Zge an sich, welche unser gegenwrtiges Bewußtsein unmçglich befriedigen kçnnen. Aber doch Zge, welche auch in uns noch stark anklingen. Vor Allem der Gedanke, der sich aus dem genealogischen Charakter der Mythen entwickelte, wie die Wurzeln des tragischen Schicksals bis in Geburt und
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Familienzusammenhang des Menschen zurckreichen, und dann wieder der andere, daß zwar kein Mensch furchtbares Schicksal, auch nicht ein unverschuldetes, durch den Willen abzuwehren vermçge, daß es aber wohl durch den Willen des Menschen und der Gçtter eine endliche Befreiung im beruhigten Geist gebe. Gedanken, welche zwar mit dem frçhlichen Selbstgefhl, welches Freytag dem modernen Menschen zueignet, einen starken Contrast bilden: aber der mßte keinen Sinn fr die Tiefen Shakespeare’s haben, der nicht in seinen grçßten Stcken, zumal im Hamlet, solche dunkle Gedanken und Empfindungen auf sich eindringen fhlte. Die Ideal-Welt, von der Freytag redet, kann nicht einfach um die Hlfte unseres Daseins verkrzt sein, damit dann die andere sich klar und heiter zeigt. Dagegen die Motivirung aus Charakteren, obwohl sie, wie Freytag selber bemerkt (S. 37), auch bei den Alten zuweilen vorkommt, ist in der That bei ihnen nicht absichtlich zu suchen, wenn man sich nicht den freien Blick fr den inneren Gang der Handlung bei ihnen verwirren will. Zumal nicht bei Aeschylos. Und wenn Freytag hervorhebt, wie in den Hiketiden der schwankende Charakter des Kçnigs von Argos so stark hervorgehoben sei, daß man deutlich erkenne, wie der Dichter in dem verlorenen folgenden Stck die Auslieferung der schutzflehenden Danaiden darauf gegrndet habe: so bersieht er, daß d i e s e r Kçnig von Argos, Pelasgos, nach Pausanias und Apollodor nicht der ausliefernde ist; er giebt vielmehr seine Herrschaft an Danaos ab. Ueberhaupt treten bei Aeschylos berall die Menschen gegen die Gçtter zurck; es ist Gçttergeschichte, in deren Angeln sich seine Dramen bewegen. Freytag weist mit Recht darauf hin, daß die Darstellung der Gçtter durch einen innern Widerspruch einer Dialektik anheimfalle, durch welche die Gçtter entweder Abstractionen bleiben oder Menschen werden. Nur daß er uns doch auch hier dem griechischen Geist nicht gerecht zu werden scheint, wenn er z. B. in der Athena im Prolog des Ajax „eine starre Abstraction in Liebe und Haß“ erblickt. Wir erwhnen nur die Eine Stelle: „Wie der Tag sich neigt und wiederum heraufkommt, so ist alles Menschliche. Die Mustervollen lieben die Gçtter, nur die Schlechten hassen sie“. Es zusammenzufassen: dem griechischen Drama so gut als dem germanischen liegt der Gedanke einer Weltordnung zu Grunde. Diese Weltordnung ist nicht im modernen Sinne vernnftig, d. h. rationell; sie ist das Erzeugniß der griechischen Religion, und theilt die inneren Widersprche derselben. Sie verfolgt den Zusammenhang des Schicksals weniger in den Individuen als in den Geschlechtern. Aber weil sie ihn im griechischen Geiste verfolgt, wie wir im germanischen: so erfllte sie die Zuschauer jener Zeit mit derselben Erhebung, wie uns die unsrige. Denn auch uns lçst sich das Tragische nicht in einen reinen, klaren Zusammenhang von Charakter und Schicksal auf.
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Obwohl die antike Tragçdie strker als die unsrige durch das bloße Ausstrçmen der leidenschaftlichen Empfindung wirkte, so wrde doch in ihr so wenig als in der unsrigen die Entladung von Mitleid und Furcht fr sich erhebend wirken. Von den gewaltigen Empfindungen einer starken Seele mitbewegt zu werden: das ist zu allen Zeiten die Grundlage des Tragischen, weil es die Seele ausweitet durch die Theilnahme an mchtigen Schicksalen eines gewaltigen Menschen. Aber wenn auf das Drama irgend einer Zeit, so passen sicher auf das der Griechen die schçnen Worte des lteren Erklrers der Poetik, Gottfried Hermann’s, welcher den Aristoteles durch Kant offen ergnzt, wie Bernays versteckt durch den Sensualismus: „Nicht durch Mitleid und Furcht wird eine solche Reinigung des Gemths bewirkt, sondern durch die Erhabenheit, welche Aristoteles, da er ihrer doch vor Allem zuerst in der Definition der Tragçdie htte gedenken mssen, von Allem am wenigsten berhrt hat. Denn durch sie geschieht es, daß wir uns grçßer fhlen als Mitleid und Furcht. Das aber heißt Reinigung der Affecte, von ihnen berhrt, nicht von ihnen besiegt werden. Wrde dies, wie Aristoteles meint, schon durch jene Affecte fr sich bewirkt, dann mßten auch die Dramen die Menschen erheben, die Iffland fr Weiber und weibische Mnner schreibt.“ Die Befreiung der Gemther, welche Freytag in der Tragçdie vermißt, sucht er denn im hinzugefgten Satyrspiel. Denn er nimmt die Meinung auf, daß dieses ein ußerliches Mittel gewesen sei, um die Erfrischung hervorzubringen, welche fr uns in der Tragçdie selber liegt. Diese Erklrung kann unmçglich das Motiv treffen, aus welchem das Satyrspiel entstanden ist. Denn dies mßte man doch bei den ltesten Tragikern suchen. Von Aeschylos aber ist das ganz ohne Frage, was bei Sophokles erst zu untersuchen wre, daß seine Stcke in sich selber die Befreiung des Gemths enthielten; und zwar in einer weit strker wirkenden Form als die unsrige. Nur die Sieben gegen Theben kçnnen hier ein Bedenken erregen. Aber trotz solcher Zweifel ist der Gedanke, welchen Freytag aus seinen allgemeinen Uebersichten ber den Gegensatz griechischer und germanischer Dramatik zu der Analyse der Sophokleischen Stcke nach ihrem Bau hinzubringt, wie uns dnkt, in seinen genauer festgestellten Grenzen durchaus richtig. Die lyrische Form und der dem Sagenkreis entnommene Stoff schrnken das griechische Drama auf eine Reihe bestimmter Wirkungen ein, und bestimmen im Voraus sein rasches Sinken nach Sophokles. Schon Otfried Mller nannte die Perser eine Kantate. Freytag bemerkt mit Recht, daß die ltesten Stcke des Sophokles zwischen Oper, Oratorium und Schauspiel stnden. Nicht nur an die Chçre ist hierbei zu denken; groß angelegte, breit ausgefhrte Gefhlsscenen (Pathosscenen) concentriren in sich die rhrenden Wirkungen der griechischen Tragçdie. Diesem langathmigen Ausstrçmen innerer
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Empfindung opferten die schwcheren Dichter Einheit und Wahrscheinlichkeit der Handlung. Noch schrfer als diese Form begrnzt der Stoff die griechische Tragçdie. Aber auch hier sind Grçße und Schwche an e i n e m Punkt. Die merkwrdige historische Erscheinung, daß der von Phrynichos und Aeschylos eingeschlagene große Weg, die Geschichte dramatisch zu gestalten, so vçllig verlassen wurde, zeigt uns, wie die religiçsen Stoffe einem tiefen Bedrfniß des griechischen Geistes entsprachen. Und man braucht nur die Perser dieses letzteren zu lesen, und dort der Umwandlung des Verhltnisses zwischen Dareios und Xerxes nachzugehen, wie sie sich in den Reden des aus seinem Grabmal aufsteigenden Schattens von Dareios so merkwrdig ausspricht: um zu erkennen, wie sogar die Geschichte hier nur im religiçsen Lichte den Dichter beschftigt. Und ebenso die andere historische Erscheinung, daß spter Agathon’s Versuch, nach weltlichen Stoffen und freier Erfindung zu greifen, abermals ohne Einfluß blieb. Trotzdem: die Widersprche dieser Sagenstoffe mußten mit der wachsenden logischen Bildung immer mehr den Zusammenhang der Dramen zerreißen; ihre Einfçrmigkeit mußte die Dichter zu bertreibenden und willkrlichen Wendungen steigern; die harten Zge der Urzeit in ihnen zwangen, die feinen, tiefgehenden, modernen Empfindungen auf die wildesten und unnatrlichsten Handlungen und Conflikte zu bauen. Empfindsamkeit und Zusammenhangslosigkeit mußten bald genug dies auf Sagenstoffe gebaute Drama zerstçren. Neben dem lyrischen Ursprung wirkten aber auf die Form des Schauspiels noch einige andere nationale Eigenschaften der Griechen. Wie aus jenem die Klasse der Pathosscenen entsprang, so erwuchsen die Botenscenen aus der alten Freude des Volkes an epischen Gedichten, die Dialogscenen aus dem spteren leidenschaftlichen Geschmack an politischen und Gerichts-Verhandlungen, welchen Aristophanes so bitter geißelte. Die kunstvolle Ausbildung der griechischen Gerichtsreden, die feine sophistische Dialectik derselben spiegelt sich in einer ganz eigenthmlichen Ausbildung des Dialogs. Gleich gemessene Reden stehen einander gegenber, dann folgen Schlagverse, etwa je vier gegen vier, je zwei gegen zwei, je einer gegen einen; das letzte Wort, ein geringes Uebergewicht an Versen giebt den Ausschlag. Auch hier entwickeln sie dialektisch, wo wir psychologisch entwickeln. In anderer Weise griffen die Gewohnheiten der Schauspielkunst in den Bau des Drama ein. Sie bestimmten die geringe Anzahl der Personen. Zugleich aber auch ein gewissermaßen typisches Verhltniß derselben zu einander, welches mit der Einwirkung unserer Rollenfcher verglichen werden kann. Freytag macht, unseres Wissens zuerst, noch auf eine andere Art von Wirkung aufmerksam, die aus dieser bestimmten geringen Zahl von Schauspielern erwachsen sei. Indem die Continuitt des Darstellers in der Verschiedenheit der Rol-
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len durchschien, seien diese letzteren so in der Empfindung des Hçrers gewissermaßen zusammengeschmolzen und die Dichter htten nun diesen Umstand zu besonderen dramatischen Wirkungen benutzt. Wenn Antigone zum Tode abgefhrt war, so „klang aus den Drohworten des Teiresias an Kreon hinter der vernderten Tonlage dieselbe erregte Menschenseele heraus“ und derselbe Klang rhrte dann in dem Todesbericht des Exangelos abermals das Gemth der Hçrer. So kehrte die zum Tode gefhrte Antigone immer wieder auf die Bhne zurck. Ja sogar eine Art von Vorausankndigung nimmt Freytag an, wenn in den Trachinierinnen der Herold des Herakles, Lichas, bereits mit der Stimme des Helden redet. So fein diese ganze Ansicht ausgedacht ist, und so wahrscheinlich es ist, daß Wirkungen solcher Art unwillkrlich gelegentlich vom Hçrer empfunden wurden: so scheint uns doch weder die Oekonomie der Rollenvertheilung, noch die großartige Einfachheit der griechischen Bhne Effekte dieser Art als einen festen Bestandtheil der dramatischen Technik zugelassen zu haben. Nun am Schluß unserer Besprechungen, kçnnen wir auf die meisterhafte Untersuchung ber dramatische Charaktere nur hinweisen. Der Standpunkt einer Technik des Drama erweist sich hier besonders fruchtbar, indem er an die Stelle einer direkten Reihe von Regeln die Frage stellt, wie der Dichter verfahren msse, um im Hçrer den lebendigen Eindruck von Charakteren hervorzurufen. Auch im Leben gestalten wir aus Handlungen und Reden, die uns sichtbar werden, ein Bild der Seele, die uns verborgen bleibt. Es gilt also, die Verfahrungsweise unseres Geistes, die ihm aus dem Leben Gewohnheit ist, auf der Bhne in Thtigkeit zu setzen. Aus diesem Verhltniß ergiebt sich eine Reihe hçchst interessanter dramatischer Regeln und Beobachtungen.
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Anhang
Inhalt des Anhangs
Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Textgeschichte und Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I.
„DICHTER ALS SEHER DER MENSCHHEIT“ Thema probandi. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Shakespeare Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463 463 471
Ueber Gotth. Ephr. Lessing. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
493 493 494 509
Shakespeare und Goethe Ueber die Einbildungskraft der Dichter. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
561 561 561 563
Schiller. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
587 587 594
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Inhalt des Anhangs
Novalis. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
608 609 609
II. PHANTASIE UND DICHTUNG Phantasiekunst Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
648 648 651
Vittorio Alfieri. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
661 661 662
Jean Paul. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
683 683 686
Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriftenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
704 704 730
Gustav Freytag: Technik des Drama. Entstehung und berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
756 756
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
756
Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
Edition Die Rekonstruktion der von D. geplanten Aufsatzsammlung „Dichter als Seher der Menschheit“, ergnzt um einen zweiten Teil, Phantasie und Dichtung, bringt das Nebeneinander von abgeschlossenen und unfertigen Texten aus verschiedenen Arbeitsphasen mit sich. Soweit berschaubar, existiert von den Aufstzen dieses Bandes, die D. selber publiziert hat, ein einziges Manuskript, das zu Vittorio Alfieri. Es dient gelegentlich als Beleg und zur Verdeutlichung der bersetzungsfrage. Textgrundlage bilden fr diesen wie fr die andern von D. verçffentlichten Aufstze die autorisierten Erstdrucke, fr alle Entwrfe sind es die Handschriften. Der Nachlaß bietet außer den Aufsatzfragmenten Bearbeitungsanstze einiger Publikationen – marginal fr Lessing, ausfhrlicher zu E Goethe, am ausfhrlichsten zu Dickens. Die erste Bearbeitung von E Goethe wird, gegen die sehr wahrscheinliche Zugehçrigkeit, in den Bd. XXVI einbezogen als erste Stufe zu den drei folgenden Umgestaltungen fr EuD. Das Vorhandene zu Lessing und Dickens erscheint unter Handschriftenbefund. Die Manuskriptlage fr die von D. in den 90er Jahren ausdrcklich benannten Aufsatzprojekte ( Shakespeare und seine Zeitgenossen; Shakespeare und Goethe; Schiller), fr eine Einleitung ( Thema probandi), den Komplex zur Phantasiekunst und den spten Jean Paul ist ußerst unterschiedlich. Whrend zu Shakespeare und Goethe bis jetzt kein Material auffindbar war, ist es vielfltig vorhanden zu Shakespeare und seinem Umkreis, so daß der von D. dafr vorgesehene Titel nicht mehr zutrifft, an seine Stelle tritt, vereinfachend: Shakespeare. Eine hnliche Funktion erfllt fr Entwrfe zu Kunst und Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, Shakespeare nahe, der Titel: Phantasiekunst. Von diesen Bereichen heben sich die Materialsammlungen zu Schiller und Jean Paul insofern ab, als D. Schiller in einem zweiten Anlauf, Jean Paul von vornherein fr die Studien zur Geschichte des deutschen Geistes vorgesehen hat. Die Wiedergabe der Schillermanuskripte begngt sich mit einer Reduktion auf das in etwa verbrgt um 1895 Entstandene; die der Konzepte zu Jean Paul auf eine exemplarische Prsentation des Gesammelten in der Reihenfolge der Aufbewahrungsumschlge. Ausgewhlte vereinzelte Stcke finden Aufnahme unter Handschriftenbefund. Der Abschnitt Textgeschichte umfaßt fr jede Arbeit Informationen zu: Entstehung, berlieferung, Textwiedergabe; gegebenenfalls zu Handschriftenbefund und Rezeption. Bei der Beschreibung der Hss. wird unterschieden zwischen ‚paginiert (handschriftlich, zur Hs. gehçrend) und ‚beziffert (Archivierung, Blattnummer). Von den in diesen Bereich einbezogenen Textstcken erhalten lediglich die Umarbeitungsanstze zu Dickens erklrende Fußnoten. Die Anmerkungen zu den Texten selber bestehen hauptschlich aus Literaturnachweisen, Erluterungen, Querverweisen innerhalb der Einzeltexte, untereinander und ber den Band hinausgehend. Dazu kommen Hinweise auf Randnotizen D.s, weitere Vermerke (etwa Fortsetzungsankndigungen u. .), eventuell auf vorgenommene Korrekturen. Fr die Literaturbelege werden zumeist die von D. angegebenen, erschließbar oder wahrscheinlich von ihm benutzten Werke und Ausgaben mit ihren Eigentmlichkeiten herangezogen.
450
Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
Einzelnes zur Herstellung von Texten und Anmerkungen Vorformen in den Hss. werden in der Regel vernachlssigt; Ausnahme bilden auffallende Differenzen (z. B. seherlogisch statt teleologisch) oder durch Streichung entstandene Unklarheiten. Richtigstellung korrekturbedrftiger Angaben (z. B. falsche Daten, Titel, Namen, Zitate; Verwechslung von Personen und Sachverhalten) in D.s eigenen oder von ihm bernommenen Texten geschieht in den Anmerkungen. Hçr- oder Lesefehler in Hand- und Druckschriften (z. B. Hussow statt Rousseau) werden im Text mit Nachweis korrigiert, offensichtliche Hçr-, Schreib- oder Druckfehler (z. B. griechirsche oder Methapher) stillschweigend. Entsprechend gilt fr Unstimmigkeiten in Genus, Kasus, Numerus Korrektur im Text mit Nachweis; so auch fr eindeutig vergessene Wçrter (z. B. Artikel); Doppelungen (z. B. zu zu) fallen stillschweigend weg. In Druck- und Handschriften verwendete erkennbare Abkrzungen (z. B. Gotth. Ephr.) gehçren unverndert in den Text; handschriftliche Krzel und private Zeichen D.s oder anderer Schreiber (z. B. iht fr Einheit, waagerechter Strich mit Punkt fr ‚ber und ‚unter usw.) mssen aufgelçst werden, eingeschlossen individuelle Abkrzungen von Artikeln, Pronomina, Konjunktionen. Grammatikalisch und orthographisch durch Parallelen oder den Kontext nicht eindeutig festlegbare Wçrter stehen in spitzen Klammern mit Fragezeichen (z. B. ). Spitze Klammern und Pnktchen, weisen auf Unleserliches hin. Pnktchen in eckigen Klammern dienen dem Nachweis von Textkrzungen, [. . .]. Eckige Klammern kennzeichnen in wenigen Fllen Wortvervollstndigungen (z. B. Sh[akespeare]) oder -ergnzungen, und zwar in heute blicher Schreibung. Bei Nachweis und Korrektur von D.s Zitaten in den Anmerkungen wird je nach Zahl der Abweichungen von der Quelle der ganze Text der Vorlage wiedergegeben oder die Korrektur auf die entsprechenden Einzelwçrter begrenzt. Schrgstriche zeigen Abstze oder Versgrenzen an; Verweise von Anmerkung zu Anmerkung innerhalb eines Aufsatzes werden mit ‚oben und ‚unten bezeichnet (z. B.: wie oben Anm. 9, 17–18); alle andern mit den entsprechenden Krzeln. Titel und Texte von Nach- und Hinweisen entsprechen den Vorlagen. Differenzen in der Orthographie zwischen gedruckten Texten, selbst innerhalb gedruckter Texte (z. B. echt und cht; Goethe und Gçthe); die schwankende Schreibung im Ms. eines einzigen Schreibers, sei es D. oder ein anderer, erst recht von einem Schreiber zum andern, zeitbliche Erscheinungen (z. B. That, Paradoxieen) bleiben unkommentiert erhalten, ebenso bleibt es die emphatische Großschreibung. Der Geminationsstrich, das x, die Unterscheidung der s-Zeichen im Fraktursatz kçnnen nicht bernommen werden; sonstiger, auch unblicher Gebrauch von s, ss, ß besteht weiter. Die teilweise ungewohnte, zuweilen wohl dem Satzrhythmus oder dem Diktat folgende Interpunktion wird in der Regel nicht verndert; fehlende Kennzeichnung von Zitaten und Titeln nicht ergnzt, ausgenommen Teile paariger Zeichen (Anfhrungszeichen, Klammern) und Schlußpunkte bei folgender Großschreibung oder folgendem Absatz. Die unterschiedliche Handhabung der Anfhrungszeichen in Hand-, Druckschriften oder von D. zitierten Texten (einfach, doppelt, nur oben, liegend) wird nicht beachtet, erhalten jedoch eine gewisse Inkonsequenz der Apostrophierung. Gerade im Schriftbild sind alle Texte des Autors, eigene und zitierte, kursiv die brigen. Gesperrte Partien der gedruckten Aufstze bleiben gesperrt, unterstrichene Stellen in den Handschriften werden es. Andere Arten der Hervorhebung (Fettdruck, verschiedene Schriften und Schriftgrade) fallen weg.
Abkrzungen und Siglen H h hH
eigenhndige Handschrift Diktat oder Abschrift Diktat mit eigenen handschriftlichen Zustzen
Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
E EH EN D1 . . .
autorisierter Erstdruck Erstdruck mit handschriftlichen Ergnzungen Erstdruck aus dem Nachlaß alle andern Drucke
BBAW DLA HSA UB T ULB Bo
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Deutsches Literaturarchiv Marbach/N. Hessisches Staatsarchiv Marburg Universittsbibliothek Tbingen Universitts- und Landesbibliothek Bonn
Abh., Abhlgn Abs. Abt., Abtlgn Anm. Bd., Bde Bl. ders. d. i. e ebd. eingf. erg. gesp. gestr. hrsg. Hs., Hss. korr. Ms., Mss. o. J. r R lR oR rR uR Slg. Sp. St. Tg. Tl., Tle u. ç. v v V
Abhandlung, Abhandlungen Absatz Abteilung, Abteilungen Anmerkung Band, Bnde Blatt derselbe das ist entstanden ebenda eingefgt ergnzt gesperrt gestrichen herausgegeben Handschrift, Handschriften korrigiert Manuskript, Manuskripte ohne Erscheinungsjahr recto, Blattvorderseite Rand linker Rand oberer Rand rechter Rand unterer Rand Sammlung Spalte Stck Textgeschichte Teil, Teile und çfter verçffentlicht direkt auf die Blattzahl folgend: verso, Blattrckseite Vers
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Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
Mehrfach genannte Werke Wilhelm Diltheys Abhandlung (1895 ) sthetik Alfieri Al in Anmerkungsverweisen Archive A
Archive R Aufbau Basler Antrittsvorlesung
Bausteine B Haym
B Scholz
B Yorck
DHe Dickens Di in Anmerkungsverweisen DM
E Goethe Goe in Anmerkungsverweisen Einleitung EuD1–3 EW
[ber vergleichende Psychologie] Beitrge zum Studium der Individualitt (1895/96). Ges. Schr. V, 241–316. Die drei Epochen der modernen sthetik und ihre heutige Aufgabe (1892). Ges. Schr. VI, 242–287. Vittorio Alfieri. WM 38 (1875), S. 324–335; 425–443. Ges. Schr XXV, 284–326. Archive der Literatur in ihrer Bedeutung fr das Studium der Geschichte der Philosophie (1889). Ges. Schr. IV, 555–575 (Archiv-Fassung). Archive fr Literatur (1889). Ges. Schr. XV, 1–16 (Rundschau-Fassung). Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (1910). Ges. Schr. VII, 77–188. Die dichterische und philosophische Bewegung in Deutschland 1770–1800. Antrittsvorlesung in Basel Anfang Juli 1867 (Nachlaß). Ges. Schr. V, 12–27. Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine fr eine Poetik (1887). Ges. Schr. VI, 103–241. Briefe Wilhelm Diltheys an Rudolf Haym 1861–1873. Mitgeteilt von E. Weniger, Berlin 1936 (= Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse Nr. 9), S. 3–48. Briefe Wilhelm Diltheys an Bernhard und Luise Scholz 1859–1964. Mitgeteilt von S. von der Schulenburg, Berlin 1933 (= Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse IX), S. 416–471. Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg 1877–1897, hrsg. von S. von der Schulenburg, Halle 1923. Die Jugendgeschichte Hegels (1905). Ges. Schr. IV, 1–282. Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters. WM 41 (1877), S. 482–499; 586–602. Ges. Schr. XXV, 364–412. Von deutscher Dichtung und Musik. Aus den Studien zur Geschichte des deutschen Geistes, hrsg. von G. Misch und H. Nohl, Leipzig 1933. (Nachlaß.) Enthlt u. a. Schiller 325–427; Jean Paul 428–463. Ueber die Einbildungskraft der Dichter. Mit Rcksicht auf: Herman Grimm, Goethe, Vorlesungen. ZV X (1878), erstes Heft (1877), S. 42–104. Ges. Schr. XXV, 125–169. Einleitung in die Geisteswissenschaften (1883). Ges. Schr. I. Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing. Goethe. Novalis. Hçlderlin, Leipzig 1906 [recte 1905]. 21907. 31910. Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn (1886). Ges. Schr. VI, 90–102.
Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
Freytag Fr in Anmerkungsverweisen Gang Gesichtserscheinungen Goethe (1910) Goe (1910) in Anmerkungsverweisen Ges. Schr. I–XXIV
Hçlderlin (1910) Hç in Anmerkungsverweisen HW Ideen JD
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Gustav Freytag: Technik des Drama. In: Berliner Allgemeine Zeitung am 26. und 29. Mrz, 3. und 9. April 1863 (anonym). Ges. Schr. XXV, 413–444. Gang der neueren europischen Literatur. Einleitung aus EuD3 (1910). Ges. Schr. XXVI, 1–11. Phantastische Gesichtserscheinungen von Goethe, Tieck und Otto Ludwig. WM 20 (1866). Ges. Schr. XV, 93–101. Goethe und die dichterische Phantasie. Aus EuD3. Ges. Schr. XXVI, 113–172. Wilhelm Dilthey, Gesammelte Schriften, XII Bde, Leipzig und Berlin 1914–1936. Fortgesetzt mit den Bden XIII.1 und 2 (1970); XIV.1 und 2 (1966), hrsg. von M. Redeker. Ab Bd. XV hrsg. von K. Grnder, seit 1977 hrsg. von K. Grnder und F. Rodi, Gçttingen 1970 ff. Benutzt werden: I (51959); II (41940); III (51976); IV (1921); V (71982); VI (61958); VII (71979); VIII und IX (21960); XI (21960); XII (1936); XIII (31979); XIV (1966); alle weiteren Bnde in ihren Erstauflagen. Friedrich Hçlderlin. Aus EuD3 . Ges. Schr. XXVI, 224–296. Hçlderlin und die Ursachen seines Wahnsinnes. WM 22 (1867). Ges. Schr. XV, 102–116. Ideen ber eine beschreibende und zergliedernde Psychologie (1894). Ges. Schr. V, 139–240. Der junge Dilthey. Ein Lebensbild in Briefen und Tagebchern 1852–1870. Zusammengestellt von C. Misch geb. Dilthey, Leipzig und Berlin 1933. Nachlaß. Fassung in Ges. Schr. XXV, 327–363.
Jean Paul JP in Anmerkungsverweisen Leben Schl Leben Schleiermachers (1870). Ges. Schr. XIII und XIV. Lessing Ueber Gotth. Ephr. Lessing. PJ 19 (1867), S. 117–161; Le in Anmerkungsverweisen 271–294. Ges. Schr. XXV, 59–123. Lessing (1910) Gotthold Ephraim Lessing. Aus EuD3. Le (1910) in Anmerkungsverweisen Ges. Schr. XXVI, 12–112. Novalis Novalis. PJ 15 (1865), S. 596–650. No in Anmerkungsverweisen Ges. Schr. XXV, 199–250. Novalis (1910) Novalis. Aus EuD3. Ges. Schr. XXVI, 173–223. No (1910) in Anmerkungsverweisen Ph Die große Phantasiedichtung, hrsg. von H. Nohl, Stuttgart 1954. Sammelband, enthlt, bearbeitet, u. a.: Die Technik des Dramas 132–159. Vittorio Alfieri 187–228. Charles Dickens 254–317. Aus dem Nachlaß: Die große Phantasiedichtung 6–52. Shakespeare und seine Zeitgenossen 53–87. Phantasiekunst Nachlaß. Fassung in Ges. Schr. XXV, 253–283. Pha in Anmerkungsverweisen
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Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
Schiller Schi in Anmerkungsverweisen Shakespeare Sh in Anmerkungsverweisen Studium
Thema probandi Thema in Anmerkungsverweisen
Nachlaß. Fassung in Ges. Schr. XXV, 170–198. Nachlaß. Fassung in Ges. Schr. XXV, 7–58. ber das Studium der Geschichte der Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und dem Staat (1875). Ges. Schr. V, 31–73. Thema probandi. Nachlaß. Fassung in Ges. Schr. XXV, 3–6.
Mehrfach verwendete Ausgaben und Literatur Athenaeum B Kçrner Bodenstedt III Bçhm I-III
B Otto CLi
Constant
Copperfield
Danzel
Danzel/Guhrauer
DC
Di Leben I-III
Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, 3 Bde (1798–1800). Schillers Briefwechsel mit Kçrner. Von 1784 bis zum Tode Schillers. 2 Bde, hrsg. von K. Goedeke, Leipzig 21874. Shakespeare’s Zeitgenossen und ihre Werke. In Charakteristiken und Uebersetzungen von F. Bodenstedt III, Berlin 1860. Friedrich Hçlderlin. Gesammelte Werke, 3 Bde, Jena und Leipzig 1905. Bd. I und III hrsg. von W. Bçhm; Bd. II hrsg. von P. Ernst. Jean Pauls Briefwechsel mit seinem Freunde Christian Otto, 4 Bde, Berlin 1829–1833 (ohne Herausgeber). Friedrich Hçlderlins Leben. In Briefen von und an Hçlderlin, bearbeitet und hrsg. von C. C. T. Litzmann, Berlin 1890. (Druckberwachung und Vorwort von B. Litzmann, dem Sohn.) B. Constant de Rebecque, Wallstein, Tragdie en cinq actes et en vers, prcde de quelques rflexions sur le thatre allemand (1809), hrsg. von J.-R. Derr, Paris 1965. Lebensgeschichte und Erfahrungen David Copperfield’s des Jngern I und II. In: Boz’s (Dickens) smmtliche Werke III, Leipzig o. J. und IV, Stuttgart 1855. Th. W. Danzel, Gotthold Ephraim Lessing, sein Leben und seine Werke. Nebst einigen Nachtrgen zur Lachmann’schen Ausgabe. I, Leipzig 1850. Th. W. Danzel, Gotthold Ephraim Lessing, sein Leben und seine Werke II = G. E. Guhrauer, Gotthold Ephraim Lessing’s Leben und Werke in der Periode vollendeter Reife. 2 Abtlgn, Leipzig 1853/54. Ch. Dickens, The personal History, Adventures, Experience, and Observation of David Copperfield the Younger, 3 Bde, Leipzig 1849/50. J. Forster, The Life of Charles Dickens (1872–1874). Charles Dickens’ Leben. In’s Deutsche bertragen von F. Althaus, 3 Bde, Berlin 1872–1875.
Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
Dramaturgie Dubos DuW Eckermann I-III Elze E. Schmidt Fçrster I-IV Gervinus I–V und V (41852)
Goe W
Grenzboten
Grimm, Goethe Grundzge Hegel W
HeN Holtei I-IV Jacobi JP aW I–XVI JP Werke I–XXXIII Kant W Lessings Geist
455
G. E. Lessing, Hamburgische Dramaturgie (1767–1769). Buchausgabe 1769. LLa VII. J.-B. Du Bos, Rflexions critiques sur la Posie et sur la Peinture (1719). Paris 71770. Reprint Gen ve 1967. J. W. Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (v 1811–1833), hrsg. von G. von Loeper. Goe W 20–23. J. P. Eckermann, Gesprche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 3 Tle, hrsg. von K. Eckermann, Leipzig 41876. K. Elze, William Shakespeare, Halle 1876. E. Schmidt, Richardson, Rousseau und Goethe, Jena/Leipzig 1875. E. Fçrster, Denkwrdigkeiten aus dem Leben von Jean Paul Friedrich Richter, 4 Bde, Mnchen 1863. G. G. Gervinus, Historische Schriften II–VI = Geschichte der deutschen Dichtung I–V. = Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen I–V, Leipzig 1835–1842. Titel der Bde IV und V: Neuere Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. D. benutzt fr Jean Paul Bd. V in der vierten Auflage. Goethe’s Werke. Nach den vorzglichsten Quellen revidirte Ausgabe, 36 Tle, hrsg. von W. Frhn von Biedermann u. a. Berlin: Hempel [1868–1879]. Die Grenzboten. Zeitschrift fr Politik und Literatur (1841–1922). Von 1848–1857 hrsg. von G. Freytag und J. Schmidt. H. Grimm, Goethe, Vorlesungen gehalten an der Kgl. Universitt zu Berlin, 2 Bde, Berlin 1877 [recte 1876]. W. Wundt, Grundzge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1874. Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollstndige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten: Ph. Marheineke u. a. I-XIX, Berlin 1832–1845. 1887. Hegels theologische Jugendschriften, hrsg. von H. Nohl, Tbingen 1907. Briefe an Ludwig Tieck, hrsg. von K. von Holtei, 4 Bde, Breslau 1864. [F. H. Jacobi,] Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, Breslau 1785. Jean Paul’s ausgewhlte Werke, [hrsg. von E. Fçrster?], 16 Bde, Berlin: Reimer 1847–1849. Jean Paul’s smmtliche Werke, hrsg. von E. Fçrster, 33 Bde, Berlin: Reimer 1840–1842. Immanuel Kant’s Smmtliche Werke, 11 Bde, hrsg. von K. Rosenkranz und F. W. Schubert, Leipzig 1838–1842. Lessings Geist aus seinen Schriften, oder dessen Gedanken und Meinungen zusammengestellt und erlutert von Friedrich Schlegel. Neue unvernderte Ausgabe. 3 Bde, Leipzig 1810.
456 Lessings Leben
Li I-II
LLa LM
Mendelssohn Schriften Nerrlich N HKA I-V
Nickleby
PJ
S1 I und II S1 III
S3 I und II
S4 I und II
S5 I und II
Schaubhne I Schi W
Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
Gotthold Ephraim Lessings Leben, nebst seinem noch brigen litterarischen Nachlasse, 2 Bde, hrsg. von K. G. Lessing, Berlin 1793/95. Bd. 3: G. E. Lessings Nachlaß zur Deutschen Sprache, alten Literatur, Gelehrten- und Kunst-Geschichte, hrsg. von G. G. Flleborn, Berlin 1795. Hçlderlins gesammelte Dichtungen. Neu durchgesehene und vermehrte Ausgabe in zwei Bnden. Mit biographischer Einleitung hrsg. von B. Litzmann, Stuttgart [1897]. Gotthold Ephraim Lessings smmtliche Schriften, 13 Bde, hrsg. von K. Lachmann, Berlin 1838–1840. Gotthold Ephraim Lessings smtliche Schriften, hrsg. von K. Lachmann. Dritte auf’s neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch F. Muncker, 23 Bde, Leipzig 3 1886–1924. Moses Mendelssohn’s gesammelte Schriften I-VII, hrsg. von G. B. Mendelssohn, Leipzig 1843–1845. P. Nerrlich, Jean Paul. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1889. Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, 5 Bde, hrsg. von P. Kluckhohn und R. Samuel. I (31977); II (31981); III (21983);IV (21975); V (1988). Leben und Abenteuer des Nicolaus Nickleby. Herausgegeben von Boz, dem Verfasser der Pickwicker. bersetzt von K. H. Hermes und A. Diezmann, I-VII, Braunschweig 1838/39. Preußische Jahrbcher 1–15 (1858–1865), hrsg. von R. Haym; fortgesetzt bis 240 (1935). Hrsg. u. a. von W. Wehrenpfennig und H. von Treitschke. Novalis Schriften, hrsg. von F. Schlegel und L. Tieck, 2 Bde, Berlin 1802. Novalis Schriften, hrsg. von L. Tieck und E. von Blow, dritter Bd., Berlin 1846. (Mit der Biographie Hardenbergs von C. A. Just aus Schlichtegrolls Nekrolog.) Novalis Schriften, hrsg. von L. Tieck und F. Schlegel, 2 Bde, Berlin 31815. (Tiecks Vorrede zu dieser Auflage enthlt eine knappe Biographie Hardenbergs.) Novalis Schriften, hrsg. von L. Tieck und F. Schlegel, 2 Bde, vermehrte Aufl., Berlin 41826. (Mit der Erstverçffentlichung des Aufsatzes: Die Christenheit oder Europa.) Novalis Schriften, hrsg. von L. Tieck und F. Schlegel, 2 Bde, Berlin 51837. (Enthlt die Vorreden zu S1, S3, S5. In der letzten begrndet Tieck die Unterdrckung des Aufsatzes: Die Christenheit oder Europa.) Alt-Englische Schaubhne I, bersetzt und hrsg. von E. von Blow, Berlin 1831. Enthlt: Ch. Marlow, Der Jude von Malta. Friedrichs von Schiller smmtliche Werke, 18 Bde, Stuttgart und Tbingen 1822–1826.
Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV
Schleiermacher I-IV
Schopenhauer Welt Schwab
Steinmetz
Suphan Technik Theol. Nachl. Unterhaltungen Vita Vorschule I-II WA
WM
Zinkernagel
ZV
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Aus Schleiermachers Leben. In Briefen. Bde I und II, [hrsg. von H. Grfin Schwerin und E. von Willich], Berlin 1858. Die Bde III und IV, vorbereitet von L. Jonas, hrsg. von W. Dilthey, Berlin 1861/63. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, 2 Bde, Leipzig 31859. Friedrich Hçlderlin’s smmtliche Werke, 2 Bde, hrsg. von Ch. Th. Schwab, Stuttgart und Tbingen 1846. Der zweite Bd. enthlt: Hçlderlin’s Leben. Lessing – ein unpoetischer Dichter. Dokumente aus drei Jahrhunderten zur Wirkungsgeschichte Lessings in Deutschland, hrsg. von H. Steinmetz, Frankfurt/M., Bonn 1969. Herders Smmtliche Werke, hrsg. von B. Suphan, 33 Bde, Berlin 1877–1913. G. Freytag, Die Technik des Dramas, Leipzig 1863. Gotthold Ephraim Leßings theologischer Nachlaß, [hrsg. von K. G. Lessing], Berlin 1784. Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich v. Mller, hrsg. von C. A. H. Burkhardt, Stuttgart 1870. Vita di Vittorio Alfieri scritta da esso, Firenze 1853. Shakspeare’s Vorschule, 2 Bde, hrsg. von L. Tieck, Leipzig 1823/29. Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen Weimar. Vier Abtlgn (1887-1919). Benutzt werden Bde aus Abt. I (1887-1919) und Abt. IV, Briefe (1887-1912). Westermann’s Jahrbuch der Illustrirten Deutschen Monatshefte 1–44 (1856–1878), dann Westermanns illustrierte Monatshefte bis 1921, schließlich bis 1987 Westermanns Monatshefte. F. Zinkernagel, Die Entwicklungsgeschichte von Hçlderlins Hyperion. In: Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Vçlker IC, hrsg. von A. Brandl u. a., Straßburg 1907. Zeitschrift fr Vçlkerpsychologie und Sprachwissenschaft 1–20 (1860–90), hrsg. von M. Lazarus und H. Steinthal.
Textgeschichte und Anmerkungen
I. „DICHTER ALS SEHER DER MENSCHHEIT“ Thema probandi. Entstehung und berlieferung Mçglicherweise ist dieser Entwurf angeregt durch P. Yorck von Wartenburgs Bemerkung am 4. Juni 1895: „Ihre Aufsatzreihe: Dichter als Seher der Menschheit verspricht ein Gegenstck zu Carlyles Helden zu werden.“ B Yorck 184. D. hat 1890 einen Aufsatz ber Carlyle publiziert (Ges. Schr. IV, 507–527), ohne genauer auf die Vorlesungen einzugehen, auf die er sich 1875 im Aufsatz ber Alfieri indirekt bezogen hatte. Die bersetzung dieser Vorlesungen erschien 1893 in zweiter Auflage. Ihr entnimmt D. vielleicht neben dem verwandten Ansatz das von Carlyle besonders geschtzte Bild vom Baum Ygdrasil. Vgl. Thomas Carlyle ber Helden, Heldenverehrung und das Heldenthmliche in der Geschichte. Deutsch von J. Neuberg, Berlin 21893, S. 28 f. u. ç. H: EN:
Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey C 71, angebunden an C 70 (217). Ph 2–4, innerhalb des Vorberichts von H. Nohl.
Textwiedergabe nach H. Handschriftenbefund Die vier von D.s Hand beschriebenen Seiten bieten mit ihren Korrekturen, Verschiebungen, Neuanfngen ein unbersichtliches Bild. Die vorgeschlagene Textfolge lßt sich zwar begrnden, aber nicht mit vçlliger Sicherheit behaupten. Entgegen dem sonstigen Verfahren werden in diesem Fall der wohl ursprngliche und von D. gestrichene Anfang aufgenommen, ein kleines interlinear in den Text eingefgtes Schema, dem Text nahe, aber von D. nicht in Beziehung zu ihm gesetzt, außerdem in den Anmerkungen einige Vorformen und Ergnzungen. Zwei weitere Einleitungsanstze, Einleitung und sthetik, gehçren aller Wahrscheinlichkeit nach in die Planungsphase des Aufsatzprojekts und werden hier wiedergegeben. Thema probandi. C 71, 7r-8v Ms. angebunden an C 70 (217), von D.s Hand, dazugehçrig zwei kleine Stcke. C 71, 7r Linke Sp. neben dem Textbeginn (Thema probandi 3, 2–10), wohl ursprnglicher Anfang, gestr.: Was der Mensch und das Leben sei, diese Frage legt sich jeder Tieferdenkende zu irgend einer Zeit vor. Dann wendet er sich an die Religion oder an die Wissenschaft. Die Antwort der Religionen ist eine sehr verschiedene. In jedem Fall ist es in letzter Instanz die innere Erfah-
Thema probandi.
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rung, welche deren Richtigkeit zu erproben hat. Die Wissenschaft hat nur sofern eine Antwort als sie auf das metaphysische Bewustsein zurckweist – wiederum die innere Erfahrung. C 71, 7r Im Ms. innerhalb des Textes (Thema probandi 4, 12–16) die folgende interlineare Einfgung: Auflçsung des Problems vom seherischen Charakter des Dichters. 1) a) Skepticismus. Naturalismus. Da ist doch Wirklichkeit wenn ich abmale. E s g i e b t keine Formel = Wahrheit. b) D a s e i n z i g e c o n c r e t W i r k l i c h e i n i n n e r e r E r f a h r u n g , . c) Dogma Symbol. Renaissance Kant. Aber auch Beobachtung ein Symbol. Die Antinomien der symbolischen Begriffe ber das Wirkliche selbst die psychologischen Begriffe haben diesen symbolischen Charakter als der entnommen. d) Incommensurabilitt des Concreten Wirklichen. C 66 (213), 3 und 2 Diktiert, von derselben Hand wie das Ms. Shakespeare; auf gefaltetem Doktordiplom vom Januar 1895, ohne Korrekturen D.s, bricht ab. EN: Ph 2. Einleitung. Zwischen dem Leben, Denken und Dichten großer Poeten ist ein Zusammenhang. Dieser erstreckt sich von den allgemeinen Begriffen einer Zeit, welche in deren Wissenschaften und Philosophie enthalten sind bis auf die Verbindung der Scenen in einem Drama und die Form der Verse. Er [korr. zu: Es] bringt das Lebens-Ideal des Dichters hervor, durch welches derselbe mit der ganzen moralischen Welt seiner Zeit im Verhltniß steht. Es [zuerst: Er] ußert sich in einer bestimmten Art jene sonderbare Verflechtung von Umstnden, Individuen und Schicksalen, welche das Leben ist, aufzufassen. Diesen Zusammenhang mçchte ich hier sehen lassen. Wie sonderbar irren die, welche das Geschft des Litterar-Historikers als eine bequeme Art von Arbeit ansehen; vielmehr kann kaum jemand hoffen fr dies Geschft eine hinreichende Ausrstung zu besitzen. Nur aus einer universal-historischen bersicht ber die Litteratur kann er durch ein vergleichendes Verfahren Grenzen und Charakter der einzelnen dichterischen Zeitalter erfassen. Kultur, Wissenschaften, Knste und Philosophieen der Zeit, deren Dichter er behandelt muß seine Kenntniß umfassen. Er muß das Instrument der Psychologie und der mit ihr verbundenen sthetik zu gebrauchen wissen. Glcklich, wer auch nur einem Teil solcher Anforderungen zu gengen vermag! So werden gewiß andere das, was mir vorschwebte, bald besser zu leisten vermçgen C 71, 2r angebunden an C 70 (217). Die Notizen von D.s Hand stehen in Zusammenhang mit seinem Aufsatz: Die drei Epochen der modernen sthetik und ihre heutige Aufgabe von 1892 (Ges. Schr. VI, 242–287) und gehçren vermutlich in die Zeit der Lektre von K. Groos, Einleitung in die Aesthetik, Giessen 1892 und H. Usener, Gçtternamen, Bonn 1896. Beide Bcher beurteilt D. kurz im Brief vom 10. Mrz 1896 an Yorck von Wartenburg. B Yorck 209 f. Der Begriff Wucherung stammt von Usener, der „Formale wucherung“ (Usener S. 6) und „Begriffliche wucherung“ (Usener S. 48) unterscheidet. sthetik. 1. a. Hat man die richtige sthetische Methode, so wird es mçglich das Errungene zusammen zu arbeiten: damit nicht jeder seines eignen Weges gehe. Es m ß e n V e r e i n i g u n g s p u n k t e f r d i e s t h e t i k g e s c h a f f e n w e r d e n . Dieses wie Poetik. 1. b. Die sthetik kann nicht wie Groos will construktiv aus der Psychologie das sthetische Vermçgen ableiten, sondern sie kann nur aus der A n a l y s i s der sthetischen Natureindrcke, Werke und Stimmungen, aus der V e r g l e i c h u n g , aus umfassenden I n d u k t i o n e n (wie in
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Textgeschichte und Anmerkungen
Mythologie Usener) einige e r m ç g l i c h t e W i r k u n g e n manche allgemeine Einsichten ableiten, von denen abzuwarten ob sie je die Natur des sthetischen erschçpfen. 2. So kçnnen die derzeit so erlangten Einsichten auch fr F ç r d e r u n g d e r P s y c h o l o g i e gebraucht werden. Energie. Beschreibungen der hier stattfindenden Vorgnge. 1. Wucherung 2. die Stellungen Processe in denen Heldenlieder sich ausbilden (Verstrkung etc.), zusammen wachsen zu grçßerem Ganzen, Macht des Verhltnisses von Ganzem und Theil, Zusammenklingen der Theile im Ganzen, das sich ausgestalten des von der Wirklichkeit durch Abstraktion los gelçsten. Insufficienz der Kategorie Association (gegen Groos etc.) sie sagt gar nichts. 3. Der Grund der sthetischen Wirkungen ist gelegen in einer solchen V e r b i n d u n g der durch den Stoff und Gegenstand, sofern derselbe v o m Z w e c k z u s a m m e n h a n g d e s s t h e t i s c h a u f f a s s e n d e n S u b j e k t e s m i t d e r W i r k l i c h k e i t l o s g e l ç s t ist, daß das sthetisch auffassende Subjekt dadurch i n s e i n e r g a n z e n T o t a l i t t b e f r i e d i g t w i r d . Der so hervorgerufene Zustand selbst ist also in der S p h r e d e s S p i e l s derselbe als welcher in der Sphre des Wirklichkeitslebens die V o l l b e f r i e d i g u n g d e s L e b e n s ist. Aus der Verwandtschaft der beiden Zustnde ergiebt sich daß die Vollbefriedigung des Lebens, welche als solche ein Zustand erreichter Freiheit ist, ihren Ausdruck, in Geselligkeit, Festen, Spiel sucht. Hier begegnen sich auch die an die F r e i h e i t v o m Z w e c k z u s a m m e n h a n g d e s L e b e n s , welchen die r e l i g i ç s e n F e s t e h e r b e i f h r e n , sich anschließenden F e s t e u n d S p i e l e . Denn auch das religiçse Fest entnimmt den Menschen dem Zweckzusammenhang in dem er sonst thtig begriffen ist. So sind r e l i g i ç s e F e s t e , f e s t l i c h e M a h l z e i t e n , H o c h z e i t , V o l k s f e s t e , h ç f i s c h e F e s t l i c h k e i t e n aller Art, berhaupt das dieser Freiheit des Hohen des Lebens dienende h ç f i s c h e L e b e n , die Stellen des Lebens an denen aus diesem selbst die Kunst sich entwickelt: wie a n d e r e r s e i t s im Leben des G e i s t e s die H o c h m o m e n t e d e r g e s u n d e n Existenz l y r i s c h e P o e s i e u n d M u s i k hervorrufen, welche ursprnglich eins sind. Unter diesen großen sthetischen Wirkungsmitteln, Wirkungsprinzipien ist ein besonders interessantes als durch alle Kunst hindurchgehend das der musikalischen Harmonie hnliche Ordnen der Theile im Sinn eines Zusammenklingens, wodurch Wirkung etc. Es ist ein Hauptsitz dessen was mit r o m a n t i s c h e r P o e s i e bezeichnet wird. So bilden Personen eines Stcks von Sh[akespeare] eine Welt fr sich. Szenen klingen gerade durch ihre Gegenstzlichkeit zu hçhern Einheiten zusammen. Hçchstes die parallelen Handlungen, als eine besondere Eigenthmlichkeit der romantischen Poesie. ußerstes im Lear.
Anmerkungen 3, 2–10 Ich mçchte bis daß der Dichter: Vgl. oben unter Handschriftenbefund den gestrichenen Ansatz. 3, 4 gewichtigere: Im Ms. wegen der Korrekturen versehentlich gestr. Vgl. unten Anm. 5, 1–2. 3, 7 rational: Darauf folgt, in den Satz nicht zu integrieren: im. 3, 9 in der Epoche: Artikel ergnzt. 3, 10 der Dichter: Angeglichen, zunchst: die Poesie, gestr. nur Poesie. 3, 12 Seher: Vgl. den Titel der vorliegenden Sammlung und D.s Erklrung dazu: Unter Seher ver-
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stehe ich den Dichter sofern er auf eine uns unfaßbare, nicht am Gngelband der Logik fortgehende Weise den Menschen, die Individuation, den Zusammenhang, den wir Leben nennen, und der aus Umstnden, Relationen der Menschen, individueller Tiefe, Schicksal gewebt ist, darstellt. B Yorck 183. Vgl. Thema probandi 3, 18; 4, 23–26; 4, 31–32; 5, 35; Shakespeare 7, 11 und Anm. 3, 14 Sophistischen Epoche: D.s Abkrzung Sophist Epoche dem Satzzusammenhang entsprechend aufgelçst. D. spricht an anderer Stelle vom Zeitalter der Sophisten. Einleitung 174–179; 219–222. 3, 21 dem Leben: Angepaßt, Satzanfang zunchst: ber das Leben. 3, 26 an den Himmel: Artikel ergnzt. 3, 28 Muhamet: Vgl. Anm. Le 102, 21. 3, 28 Bodin: J. Bodin, Jurist und Staatsrechtslehrer, setzte sich fr die Souvernitt des Staates ein; die Religionen vergleichend, gelangte er zur Auffassung, daß sie nebeneinander geduldet werden sollten. Vgl. Ges. Schr. II, 145–153. 4, 4 transscendentalen Schein: Auflçsung der Abkrzung transsc ( c ist kaum wahrnehmbar) nach D.s und nach der zeitgençssischen Schreibung. Vgl. Kants Wendung vom „transscendentalen Schein [. . .], wodurch Metaphysik von je her getuscht [. . .].“ Prolegomena (1783), § 13, Anm. III. Kant W III, 50. 4, 12–16 Menschen bis ist wie: Zwischen den Zeilen die interlineare Einfgung, vgl. oben unter Handschriftenbefund. 4, 14 jede wissenschaftliche Formel: An D.s Korrektur angeglichen, im Ms. zunchst: jeder wissenschaftliche Satz, nicht ganz gestr. Zum Stichwort Formel vgl. JD 82 f. und Einleitung 95–98. 4, 17 Ygdrasyl, die Weltesche: In der germanischen Mythologie der heilige Baum, dessen Wurzeln die Erde durchdringen und dessen Krone in den Himmel reicht. Vgl. Carlyle, oben unter Entstehung und berlieferung. 4, 22 Die Poesie: D.s Angabe 2. kçnnte sich auf die interlineare Einfgung beziehen, die mit 1) beginnt, ergbe aber keinen schlssigen Zusammenhang. 4, 25 einzelner: Entspricht D.s Abkrzung, wenn auch irgendeiner besser wre. 4, 26 vollen modernen Verstande: Darber die Notiz: Hamlet: Schauspiel als Spiegel der Zeit etc. 4, 29 andern Religionen: Unsichere Lesung, kçnnte einer Religion heißen. 5, 1–2 Daß bis Weltverstndniß: Vgl. Thema probandi 3, 2–4; Bausteine 237: Da die Religion den Halt metaphysischer Schlsse auf das Dasein Gottes und der Seele verloren hat, ist fr eine große Anzahl gegenwrtiger Menschen nur noch in der Kunst und der Dichtung eine ideale
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Textgeschichte und Anmerkungen
Auffassung von der Bedeutung des Lebens vorhanden. Das Gefhl durchdringt die Poesie, daß sie die authentische Interpretation des Lebens selber zu geben habe, [. . .]. 5, 10 Der Zusammenhang, den: Angepaßt, Ms.: Das Bild, das. Nur Bild gestr. 5, 24–27 In Wirklichkeit bis entlocken: Zu Induktionen (Z. 25–26) als Methode in den Naturwissenschaften Freytag 430, 20; im Blick auf Bacon vgl. Alfieri 295, 23–24; in den Geisteswissenschaften: vorbildlich Lessings Untersuchungsmethode im Laokoon, Lessing 73, 21 – 74, 6 und Anm.; zu induktivem Verfahren in der Psychologie vgl. Dickens 408, 14–18 und Anm.; Tg. Di 365, 21–22; in der sthetik vgl. oben Handschriftenbefund, sthetik 1. b. Dazu Ges. Schr. XX, 232–234. 5, 27–28 noch Incommensurablen: Vgl. oben Handschriftenbefund C 71r; Ideen 240 im Schlußsatz der als Antwort auf die Kritik von H. Ebbinghaus formulierten Anmerkung; dazu D.s Frage im Brief an Yorck vom 22. Januar 1896 aus Meran nach dessen Urteil ber diesen Satz, der nach Yorcks Antwort vom 1. Februar 1896 beibehalten werden sollte. B Yorck 206 f. Dazu auch Tg. Di, Handschriftenbefund, 602 Fortsetzung. 5, 31 begegnet: D.s Abkrzung ist nicht entnehmbar, ob die Verbform im Singular oder Plural stehen soll. 5, 33–36 I n i h r e r G e s c h i c h t e bis h a t : Parallel dazu die Rolle der Geschichte fr den Menschen: Shakespeare 26, 5 und Anm.; Novalis 224, 9–12 und Anm. 6, 4 Litteratur: Ms. sehr undeutlich.
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Shakespeare Entstehung und berlieferung Die nhere Beschftigung D.s mit Shakespeare geht sicher zurck auf seine Besprechungen des Shakespeare-Jahrbuchs von 1876 und des großen Buchs ber Shakespeare von K. Elze (Ges. Schr. XVII, 91 f.; 100); sie schlgt sich in den eigenen Schriften unmittelbar nieder im Shakespeare-Abschnitt der Erstfassung des Goethe-Aufsatzes, der Rezension von 1877 (E Goethe 150–158). Auf den Brief des Grafen P. Yorck von Wartenburg vom 8. Juni 1892 zu D.s Abhandlung Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert (Ges. Schr. II, 1–89) antwortet D.: Die historische Werthung der verschiedenen Erscheinungen des 16. Jahrhunderts war mir ja nicht das Wesentliche, sondern die Aufdeckung der thatschlichen Ausdehnung des religiçsen Universalismus im 16. Jahrhundert. Die ganze Tragweite dieses Zusammenhangs wrde mehr hervorgetreten sein, htte ich nicht die englische Entwicklung mit Shakespeare zurckhalten mssen. B Yorck 146. Im [Frhjahr 1895] an Yorck: Dazu ist mir bei der Arbeit ber Geschichte der vergleichenden Wissenschaften das Stck Goethe so nahe getreten, dann bei der Arbeit ber das 16. 17. Jahrhundert Shakespeare, daß ich wieder versuche ein Stck zum Abschluß der: „Dichter als Seher der Menschheit“ in der ersten Hlfte zu machen, damit ein oder zwei Bndchen zu Weihnachten erscheinen kçnnten. B Yorck 181 f. [Pfingsten 1895] wiederum an Yorck: Ich htte Ihnen auch so gern vorgelesen was ich jetzt ber Shakespeare schreibe. Zugleich gibt D. zwei Titel zu Shakespeare an: Shakespeare und seine Zeitgenossen; Shakespeare und Goethe. B Yorck 182 f. Ein Echo darauf, besonders auf D.s Vorstellung von Shakespeare, enthlt der Brief Yorcks an D. vom 4. Juni 1895. B Yorck 184 f. Im [Juni 1895] D. an Yorck: Mit der psychologischen Abhandlung geht es langsam langsam! Mit dem Shakespeare wenig schneller! B Yorck 186. – Im Akademie-Vortrag D.s vom 25. April 1895 ist ein Teil des vierten Kapitels, Die Kunst als erste Darstellung der menschlich-geschichtlichen Individuation, Shakespeare gewidmet (vgl. unten Anm. 26, 25). Yorck, der ein Revisionsexemplar des Vortrags erhalten hatte – die Abhandlung wurde erst im Mrz 1896 ausgegeben –, schreibt D. am 21. Oktober 1895 unter viel Lobendem: „Shakespeare und Schiller sind die Glanzpunkte.“ B Yorck 191. Mehr ber Shakespeare hat D. fr eine Publikation nicht fertiggestellt. H, hH, h: EN:
Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey C 69 (216) und 70 (217). Ph 53–87.
Textwiedergabe nach H, hH, h. Handschriftenbefund Die Notizen zur Entstehung deuten bereits darauf hin, daß Shakespeare whrend der 90er Jahre in verschiedenen Zusammenhngen fr D. erneut prsent wird: als Beitrag zum geschichtlichen Teil der Fortsetzung der Einleitung (dazu diente u. a. Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert); in zwei um 1895 neu geplanten Arbeiten fr die Sammlung der literarhistorischen Aufstze; als von D. verçffentlichte Darstellung in der Abhandlung (1895) unter dem Stichwort Individuation. Außerdem gehçrt er zum großen Thema der Phantasiekunst. Schon von daher ist die Handschriftenlage kompliziert. D.s Anstze zu verschiedenen Zeiten fr verschiedene Kontexte sind zunchst wahrscheinlich von ihm selber mehrfach ineinander geschoben worden. Allerdings ist auch dieser Zustand, den die Archivierung des Nachlasses widerspiegeln mßte, nicht mehr wahrnehmbar. Nicht zu entscheiden ist, ob P. Ritter nach der ersten Aufnahme des Materials sich bemht
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Textgeschichte und Anmerkungen
hat, inhaltlich zusammengehçrige Stcke wieder zusammenzulegen oder der erste Herausgeber der Aufstze zu Phantasiedichtung und Shakespeare, H. Nohl. Im Bestreben, aus der Papiermasse, von der D. selbst spricht (B Yorck 190), einigermaßen geschlossene Texte zu gewinnen, hat Nohl in jedem Fall den gesamten Bestand zu Phantasiedichtung und Shakespeare durchgesehen, vielleicht Zusammengehçriges zusammengelegt, teilweise aber fr seinen Druck auch getrennt und thematisch kombiniert, so daß die Faszikel anderes enthalten als von Ritter 1935 deklariert, diese Umordnung aber nicht etwa mit der Reihenfolge der einzelnen Stcke in Nohls Verçffentlichung von Ph bereinstimmt. Ausschlaggebend fr die Edition eines Teils dieses entstehungsgeschichtlich und in seinem Bestand unbersichtlichen Materials wre der Titel in der Mitteilung an Yorck (B Yorck 183) und im Ms. ( Shakspere und seine Zeitgenossen, C 70, 193, von D.s Hand), das allerdings neben vielen andern vermutlich fr einen grçßeren Zusammenhang gedachten Teilstcken steht. Daraus ergibt sich eine Auswahl zum Komplex Shakespeare, keine chronologisch oder thematisch festgelegte Folge. Unterstrichen wird dieser Sachverhalt durch einen von drei auffindbaren Entwrfen zu Shakespeare und seinen Zeitgenossen und einen kleinen weiteren Ansatz zu Shakespeare von D.s Hand als letzte Dokumente. Die unterschiedliche Schreibung von Shakespeares Namen in eigenhndig verfaßten und diktierten Texten geht wahrscheinlich auf die Uneinigkeit ber diesen Namen in der wissenschaftlichen Literatur zurck. (Vgl. z. B. A. Brandl, Shakspere, Berlin 1894.) Abkrzungen ( Sh. oder Shak.) werden, abgesehen von der letzten (beispielhaften) berschrift dieses Komplexes, in eckigen Klammern nach heute blicher Schreibung ergnzt. Shakspere und seine Zeitgenossen. C 70 (217), 193r-198v; 175r-176v; 220r, 222v, 223r Das Ms. stammt berwiegend von D.s Hand, steht auf zerschnittenen Doktordiplomen in DIN A4-Format, einige von 1894 und 1895, ist paginiert von 1–11, aber nicht fortlaufend beziffert. Es enthlt eine doppelte Seite 9 (C 70, 219r, 220r), deren Anfangszeilen an ein nicht feststellbares Ms. anknpfen (zur Shakespeare-Forschung). Der mit I berschriebene Text dieser Seite ist durchweg von D.s Hand, stimmt mit dem Schluß des unten ebenfalls ergnzend wiedergegebenen Ms. C 70, 178r-181v; 199r-205r berein, setzt es ein Stck fort und bricht ab. C 70 (217), 219r, 220r I Die neueren europischen Vçlker haben ihre Bildungszeit unter der Leitung der Kirche durchlaufen. Sie haben die hçchste Kultur, zu der sie in diesem mittelalterlichen Stadium gelangt sind, in zwei mchtigen Dichtungen ausgesprochen. In Wolfram und Dante ist ein seherisches Vermçgen wirksam, das sie zu den Wortfhrern des mittelalterlichen Geistes macht. Der Parcival des Wolfram von Eschenbach ist unstreitig die tiefsinnigste deutsche Kunstdichtung vor Goethe. Wie ein Wald, undurchdringlich dicht, breitete sich von Frankreich aus ber die in feudalen Ordnungen lebenden europischen Lnder die ritterliche Dichtung aus. Von dem Ideal dieses ritterlichen Lebens, wie es die romanischen Poeten zuerst ausgesprochen haben war der frnkische Ritter Wolfram erfllt. Aber dasselbe verband sich in seiner Seele mit der tiefsinnigen Innerlichkeit der germanisch christlichen Religiositt. So entsprang in dem Parcival die erste dichterische Darstellung einer Menschenentwicklung. Aus der Jugenddumpfheit schreitet der Held durch Zweifel und ziellose Abenteuer aufwrts zu dem religiçsen Ritterthum, in welchem das Ideal des Dichters dann realisirt ist. Die Auffassung des Lebens als einer Entwicklung hat zu ihrer Voraussetzung einen innerlich werthvollen Zusammenhang desselben, der sich in einem Lebensideal vollendet. Nun ist im Christenthum ein ethisch religiçses Erlebniß, ureigen und doch ganz universal, welches den Keim einer solchen Auffassung des Lebens als einer Entwicklung enthlt. Wir empfangen unser Selbst erst als uns unverlierbar eigen, indem wir es hingeben;
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wir werden selig durch Aufopferung; wir werden frei indem wir uns an eine Ordnung ber uns, die wir im Symbol des Himmelreichs vorstellen, verlieren. Der religiçs moralische Vorgang, welcher hiermit beschrieben wird, hat mit der jdischen Unterordnung des Willens unter ein ihm fremdes Gesetz schlechterdings nichts zu thun. Jene Unterordnung ist Heteronomie des Geistes, dieser moralisch religiçse Vorgang ist Autonomie. Die Erfahrung der Seligkeit, welche mit diesem Vorgang verbunden ist, der gnzlichen Irrationalitt, verglichen mit den Vorgngen der Natur, welche in ihm liegt, wirft nun tiefe Schatten auf das menschliche Dasein vor diesem Zustande. Unser Dasein wird hçchst lebendig als ein Vorgang, ein Proceß aufgefaßt, welcher zu diesem moralisch religiçsen Zustande fhrt. In einem tiefen germanischen Geiste, welcher in dem Bewustsein der quellenden, naturwchsigen Kraft in uns lebte, entstand aus solchem Keim diese typische dichterische Entwicklungsgeschichte des Menschen, wie dann wieder in einem noch grçßeren germanischen Dichter, in Goethe, dem Epos der menschlichen Entwicklung ihre Darstellung im Roman Wilhelm Meister und im Drama Faust folgte. Wie anders spiegelt sich die mittelalterliche Welt in Dante, dem grçßten Dichter Italiens und einem der grçßten der Welt. Das Jenseits, die das Mittelalter beherschende Macht, bildet den Gegenstand Dantes. Der Aufbau dieses Jenseits in Hçlle, Fegefeuer und Himmel, ein Gesammtbild zu dem Aristoteles, Alexandrien, Maler und Dichter des lteren Mittelalters beigetragen hatten, liegt vor ihm wie der Plan einer modernen Weltstadt, in deren Getmmel der Reisende sich bewegt. Das Geheimnißvollste steht vor dieser romanischen Phantasie in scharfumrissenen Linien. Das Beides macht nun eben den unergrndlichen Zauber dieser gçttlichen Komçdie aus daß der symbolische Charakter aller dieser scharfumrissenen Jenseitsbilder dem Dichter zugleich bewußt ist. Die symbolische Beziehung zwischen den Formen der Schuld und denen der Strafen, die wir jetzt in der alten christlichen Literatur schon aufzeigen kçnnen, bilden nur ein einzelnes Moment einer Symbolik, welche die ganze Form und Lebensordnung dieses Jenseits schließlich in die mystische Innerlichkeit zurckbersetzt. Und selbst in dieser unterscheidet man Der Text Shakspere und seine Zeitgenossen ist in anderer Reihenfolge der Teilstcke mit einigen Abweichungen noch einmal vorhanden. Er ist ebenfalls paginiert von [1]–11, diktiert, wahrscheinlich dem Schreiber des Ms. Shakespeare, von D. korrigiert, auf Doktordiplomen, eins darunter von 1895, und demonstriert bis hin zum Motto, das auch ber dem Text Shakespeare steht, das Spiel mit Versatzstcken. Das Ms. bricht ab. C 70 (217), 178r-181v; 199r-205r Shakspere und seine Zeitgenossen. Motto: Reif sein ist Alles. Wie ein Reisender von den vereinzelten Berg-Ketten des sdlichen Europa sich allmhlig dem massigen Gebirgs-Stock der Central-Alpen nhert, wo Monte Rosa, Finsterahorn und die hçchste Spitze der Bernina-Gruppe ihre Hupter erheben, und wie er dann wieder hinabsteigt bis zu den Tiefebenen des Nordens: So trifft der, welcher der Geschichte der Knste unter den neueren Vçlkern Europas nachgeht, an der Grenze der mittelalterlichen und der neueren Entwicklung dieser Nation eine zusammenhngende, allesbeherrschende Erhebung der Kunst und Poesie an, welche jeden mit neuem Staunen erfllt, der sich ihr nhert. Diese massige Erhebung von Phantasie, bildender Kunst und Poesie lagert sich zwischen die lange Entwicklung, in welcher die germanischen und romanischen Nationen in ihrem Denken, Bilden und Dichten von der katholischen Religiositt, von den metaphysischen Hirngespinsten des scholastischen Denkens und den rohen und harten Lebensordnungen der Feudalitt gebunden waren, und der anderen, neuen Zeit, welche in Galilei und Kepler begann, zum Organ des Weltverstndnisses den wissenschaftlichen Gedanken, die mathematische Rationalitt und das Experiment machte, und so zur Herrschaft ber die Natur, zur Autonomie des Denkens und zu dem khnen Versuch ei-
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ner Regelung der Gesellschaft aus rationalen Principien gelangt ist. Diese hçchste Erhebung von Phantasie, Kunst und Dichtung bei den neueren Vçlkern bereitet sich in dem Zeitalter von Petrarca Boccaccio, Chaucer, Froissard, Lorenzo Ghiberti vor: in rapidem Aufstieg geht es dann von Donatello zu Mantegna und Verrocchio, und von letzterem zu seinem Schler Lionardo hin: In diesem ist eine hçchste Steigerung erreicht. Wie hçchste Gipfel der bildenden Kunst ragen nun Lionardo, Raphael, Michelangelo, Tizian, Drer, Rembrandt hervor: Dicht an sie drngen sich dann die großen Dichter; Ariost, Camo ns, Tasso und Rabelais sind noch Zeitgenossen von Michelangelo und Tizian. Whrend nun im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts die bildende Kunst Italiens abwrts ging, wachsen eben um diese Zeit dicht hintereinander Cervantes, Lope Shakspere empor. Der Todestag Michelangelos und der Geburtstag Shaksperes liegen ein Jahr auseinander. Shakspere htte noch als Knabe Tizian sehen kçnnen. Dann gehçren der nchsten Generation Calderon, Corneille und Rembrandt, welche beiden letzteren im selben Jahre 1606 geboren sind, an. Der hastige Lebenslauf Molires begann etwas spter, endete dann aber noch vor dem des Corneille. Wie es in den großen Wechseln des geistigen Lebens çfters geschieht, sind diese letzten Reprsentanten der Herrschaft der Phantasie noch gleichzeitig mit den ersten großen Vertretern einer rationalen Denkweise. Shakspere und Galilei sind in demselben Jahre 1564 geboren. Descartes, Calderon und Corneille sind Zeitgenossen. Ich mçchte diese Verhltnisse, in welchen Shakspere emporkam, fr die Erklrung und das Verstndniß desselben mçglichst ausnutzen. Shakspere ist der grçsste Dichter, den die Menschheit hervorgebracht hat. Der Ursprung der Homerischen Gedichte ist uns verborgen. Alle anderen Dichter aber reichten nicht an ihn heran. Gçthe blickte mit Recht zu Shakspere als dem „Stern der hçchsten Hçhe“ empor. Calderon konnte nur durch die Verblendung romantischer und katholischer Geschichtsschreibung neben Shakspere gestellt werden. Selbst Cervantes bleibt an Macht der Phantasie und Lope an Tiefe des psychologischen Blicks und an Weltverstand weit weit hinter ihm zurck. So ist er der grçsste unter den Sehern der Menschheit, welche in Individuen, Begebenheiten und Schicksalen den Gehalt der Wirklichkeit uns erschlossen haben. Jedes Mittel, diese Grçsse Shakespere’s uns verstndlich zu machen, scheint zu versagen. Von seinem Leben haben wir nur kmmerliche Nachrichten, und das Wenige, was wir wissen, steht in schreiendem Kontrast zu der Grçsse seiner Werke. Daher hat die lange und fleißige Arbeit englischer Shaksperegelehrter, Nachrichten ber ihn aufzustçbern und der Kritik zu unterwerfen, so unschtzbar sie gewesen ist, nichts zu der Erklrung beitragen kçnnen, wie diese Weltmacht entstand. In seinen Werken stehen Menschen, Begebenheiten und Schicksale so da, als htte die Natur selbst sie hervorgebracht. Die gewaltigsten Menschen und die unerhçrtesten Schicksale sind objektiv, ja khl in ihnen hingestellt. Soviel sie ber die Wirklichkeit des Weltlaufs offenbaren so schweigsam sind sie ber die innere Verfassung ihres Dichters. Und wo Shakspere, wie in den Sonetten und in einzelnen Stellen des Hamlet und des Sturms, sein Inneres zu offenbaren scheint, da ist doch die Auslegung von soviel Streitfragen umgeben, und was wir von diesem Inneren zu erblicken glauben, ist so befremdend und rtselhaft, daß auch von hier nur ein ungengendes Licht in diese grosse Seele fllt. Nun hat die Shakspere-Forschung sich dadurch ein grosses Verdienst erworben, daß sie ber die Abfolge seiner Werke, schon jetzt in den grossen Zgen eine ausreichende und sichere Erkenntniss gewonnen hat. Wir kçnnen Gruppen von Werken unterscheiden und zeitlich bestimmen. Und da diese ihrem Charakter nach sehr verschieden sind, kçnnen wir in eine innere Entwicklung Shakspere’s hineinblicken. Fr die Auflçsung des grossen Rtsels dieser Existenz ist hierdurch von der Shakspere-Forschung unseres Jahrhunderts ein erster grosser Schritt gethan worden. Aber diese chronologischen Untersuchungen enthalten naturgemss in Bezug auf den inneren Zusammenhang und die Total-Leistung dieses Lebens nur benutzbare Thatsachen, Fragen, AusgangsPunkte fr die Untersuchung. Nun ist der Shakspere-Forschung noch ein weiterer Schritt gelun-
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gen. Es ist einer der entscheidenden Zge in dem dichterischen Schaffen des dramatischen Genius, daß er durchgehend die Fabel einer grossen Schçpfung nicht selber hervorbringt, sondern sie muß ihm von Aussen entgegentreten. Er muß mit ihren harten Thatschlichkeiten wie mit einer usseren Wirklichkeit ringen. Wir kennen nun jetzt durchgehend die Dramen, Novellen, Sagen, Bearbeitungen Chroniken und Biographieen, welche Shakspere oft bis in die Worte hinein zu Grunde gelegt hat; wir kçnnen ihm nachrechnen, wie er mehrere Quellen solcher Art zusammenschmolz. Wir sitzen gleichsam mit bei seiner Arbeit. Es ist eines der feinsten Hilfsmittel des Litterar-Historikers, seinen Dichter zu beobachten, wie er die einzelnen Zge, die ihm berliefert sind, umformt, um den Grnden nachzugehen, aus denen er das thut. Endlich haben wir gelernt noch tiefer in die gestaltenden Krfte, welche in Shakspere wirksam waren, hineinzublikken, indem wir wenigstens Etwas von dem Einfluß anderer Dramatiker und Schriftsteller auf ihn feststellen kçnnen. Wie mchtig bedingten ihn doch die Dramatiker der Zeit, der große Marlowe vor Allen. Welch ein Licht hat [sic] in die verborgene Tiefe, in welcher sich seine Gestalten bildeten, wenn die Lektre des Montaigne aus Stellen seiner Dramen nachgewiesen werden konnte. Hier ist nun der Punkt, an welchem die weitere Untersuchung wird einsetzen kçnnen. Auch hier ist uns nur eine Thatsache gegeben, die uns den großen Dichter in einer lebendigen Beziehung zu der philosophischen Schriftstellerei seines Zeitalters zeigt. Wir lernen daß der Schauspieler und Theaterdichter den Einfluß der großen geistigen Bewegung seines Zeitalters erfahren hat. Hinzu fgen wir in Gedanken seinen intimen Verkehr mit seinen dramatischen Genossen. Er verkehrte in der franken mnnlichen Weise jener Tage mit dem mchtigen Marlowe, und dieser hatte wie Green die Universittsstudien durchlaufen, er besaß die Bildung der Zeit und war mit Macchiavelli wohlbekannt. Ben Johnson war sein wahrer Freund, die beiden wechselten nicht Briefe miteinander wie Goethe und Schiller, aber liebten bei dem Becher zu disputiren, und dieser Ben Jonson hatte in Cambridge studirt und er war ein humanistischer Gelehrter, dem ein grndliches und ausgedehntes Wissen zur freiesten Verfgung stand und den wir gerade mit den intimsten Bewegungen der Zeit, welche auf die Poesie wirken konnten, vertraut finden werden. Wie kçnnte eine Herschernatur wie Shakespeare, welcher ein einziges Vermçgen, sich anzueignen und in Besitz zu nehmen besaß, den nun diese Atmosphre von philosophischer Schriftstellerei der Renaissance umgab, mit diesen Genossen so gelebt haben, ohne eins oder das andre der damals am meisten besprochenen Werke dieser Schriftstellerei in die Hand zu nehmen. Indem man dies Alles erwgt, findet man sich doch gençthigt noch zu anderen Hilfsmitteln fr das Verstndniß und die Erklrung dieses grçßten Dichters der Menschheit fortzugehen. Alle die Hilfsmittel, die angewandt worden sind, ermçglichen nicht, sich das Wunder einer solchen Erscheinung faßbar zu machen. Nun versetze man sich aber in die ganze Atmosphre dieses großen Zeitalters, man erfasse dasselbe in den verschiedenen Bethtigungen seiner geistigen Kraft, man verfolge die freie Macht der Phantasie in demselben, wie sie gleichmßig auf allen Gebieten seiner Kultur sich ußert, man suche endlich nach den letzten Grnden dieser Macht der Phantasie in dem Zeitalter: und dann werden die einzelnen Forschungen ber ihn sich wie von selber zu einem Ganzen zusammenschließen, Art und Kraft seines Genius werden [bricht im fortlaufenden Text ab wegen unkoordinierter Einfgung.] Es bedarf hierzu schließlich zweier Verfahrungsweisen, welche aus der universal-geschichtlichen Betrachtung ihre Kraft und ihre Hilfsmittel entnehmen. Nur die Vergleichung der dichterischen Schulen untereinander ermçglicht die Eigentmlichkeit einer jeden derselben festzustellen, ihre besondere Kraft und ihre Grenzen, die innere Form und die ussere Technik deutlich sehen zu lassen. Und dann kann diese besondere Gestalt des geschichtlichen Lebens der Poesie nur aus ihren Beziehungen zu den anderen, gleichzeitigen usserungen derselben KulturEpoche verstndlich und erklrlich gemacht werden. Die Verbindung von vergleichender und
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kultur-geschichtlicher Methode fhrt allein zum vollen Verstndniß eines grossen Dichters oder einer hervorragenden, dichterischen Schule. I. Die neueren, europischen Vçlker haben ihre Bildungszeit unter der Leitung der Kirche durchlaufen. Die hçchsten, dichterischen Schçpfungen, zu welchen sie in dieser Epoche sich erhoben, waren der Parzival des Wolfram von Eschenbach und die divina commedia von Dante. Wie ein Wald, undurchdringlich dicht, getragen vom Geiste der Feudalitt, verbreitet sich von Frankreich aus die ritterliche Dichtung. Aus der katholischen Religiositt entspringt eine Philosophie-Theologie, mystische Schriften, erbauliche Dichtung. Diese beiden, weltgeschichtlichen Tendenzen treffen in dem Parzival zusammen, unstreitig der grçssten deutschen Kunstdichtung vor Goethe. Aus den Tiefen der germanisch-christlichen Religiositt geht hier die erste, dichterische Darstellung einer Menschenentwicklung hervor. Von der Jugend-Dumpfheit schreitet der Held durch Zweifel und ziellose Abenteuer zu dem religiçsen Rittertum aufwrts und verwirklicht damit das Ideal des Dichters. Seine Gestalt wird erlutert Shakespeare. C 70 (217), 404r; 398r; 399r; 182r; 183v; 184r mit 184v; 185v; 207r mit 207v und 206v; 206r; 186r; 189v mit 186v, 189r, 187r; 188v; 190r; 191v; 208r; 209v; 210r; 211v; 212r; 213v; 214r; 215v; 216r; 217v Durchgehend Diktat, ein Schreiber, keine Korrekturen oder Zustze D.s, mehrere lange Einfgungen; paginiert von [1]–23. Das Ms. steht auf Doktordiplomen, zu DIN A4-Bçgen gefaltet, teils innen und außen beschrieben, einige von 1893, 1894, 1895. der Anfang, C 70, 404r, setzt sich auf C 70, 398r fort. Die Rckseite, C 70, 404v, enthlt einen weiteren Ansatz, C 70, 215r eine Notiz, beides wird hier mitgeteilt. C 70 (217), 404v Wir wissen wenig von Shakespeares Leben, schon hierin zeigt sich der objektive Dichter, der sich hinter seinen Werken verbirgt; auch von seinen Werken weisen nur vielleicht die Sonette und der Hamlet auf dies innere Leben hin. Es war kein Interesse an diesem Leben vorhanden. Auch ist es eine sonderbare unterwertige, man mçchte sagen unterirdische Litteratur, in der zuweilen Nachrichten ber ihn oder Anspielungen auftauchen. Man weiß nicht, wieviel man ihnen glauben soll. Es kommt darin als ein andrer Grundzug zum Vorschein, daß in jenen Tagen kein Bewußtsein von dem hohen Werte der Funktion eines dramatischen Dichters in der englischen Gesellschaft vorhanden war. Lachen und Heiterkeit zu erwecken, zu unterhalten und zu rhren, ein aus den obersten und untersten Stnden gemischtes Publikum anzuziehen: das war damals noch die einzigste Aufgabe dieses dramatischen Dichters. Theatralische, raffinirte Kunst und sthetische Naivitt gehen so zusammen. Was wir inhaltlich von Shakespeares Leben wissen, zeigt ihn aus einer hçheren Lebensschicht herausgeworfen als Schauspieler, als Theaterunternehmer. Nichts in seinem Leben deutet auf den herrschenden Eindruck einer großen Natur, nichts von außergewçhnlicher Bildung und Macht umgiebt ihn, so erhlt die Entstehung der grçßten Dramen, welche geschrieben worden sind, etwas Unfaßbares. Auch gewhren seine Werke kein zureichendes Mittel zur Aufklrung dieses geistigen Wunders. So suchen wir denn in dem geistigen Charakter der Zeit, in der er lebte, des Zustandes seiner Nation, der Lage der Poesie derselben, Erklrungsgrnde. Diese allgemeinen Thatsachen sind die Einzigen, die offen daliegen. Es muß versucht werden, wieviel Kraft zu erklren in ihnen liegt. C 70 (217), 215r Nach Fçrster 361 [recte 161] , beziehungsweise Vasari die neue Kunst-Weise des Masaggio als Terribilit . Den Gestalten fehlt nichts als die Sprache. 162. Masaggio dringt aus der ußeren Erscheinung der Formen auf ihr inneres Gefge.
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Die Individuation bei Shakespeare. C 70 (217), 382r-388r Diktat oder Abschrift, paginiert von 1–4, auf Doktordiplomen zu DIN A4-Format geschnitten, nur die Rckseiten beschrieben, drei von 1894. Diesem Ms. geht ein Blatt, Doktordiplom von 1895, von der Hand eines anderen Schreibers voraus: C 70 (217), 381r Individuen. Shakespeare nach Ludwig richtig von den individuellen Zgen immer bergang zu den allgemein menschlichen in einer Natur. Dies scheint mir fr die Darstellung das Correlat der theoretischen Formel. Vom Schreiber der Individuation folgt ein einzelnes Blatt, unpaginiert, C 70 (217), 389r Dramatische Charaktere. Jedes Drama stellt in seinen Charakteren eine Welt als einen Inbegriff auf einander bezogener Personen dar. Die einzelnen Individuen werden stets dadurch dargestellt, daß ein Zusammenhang von Eigenschaften, welche eine Verbindungs-Mçglichkeit haben, hingestellt wird. Diese VerbindungsMçglichkeit wirkt um so bedeutender, je mehr diese Eigenschaften auseinander liegen, ja den Schein des Widerspruchs hervorrufen. Wie sie dann doch andrerseits als ein Zweckzusammenhang, als eine einheitliche, seelische Macht wirken, erhalten sie so Realitt und typischen Charakter zugleich. Die hçchsten Beispiele solcher Kunst sind Hamlet Don Quixote und der Misanthrop von Molire. Bedingung des Individuations-Bewußtseins: Bedingung Stoa. Ausbildung in der großen Epoche von der Diesheit des Occam ab. Gleichzeitig in der Psychologie jener Zeit, in der bildenden Kunst und der Dichtung. Dramatische Phantasie Shakespeares. C 70 (217), 466r Ein einzelnes Blatt in einem Umschlag, ohne jeden weiteren Anhaltspunkt, Diktat. Shakespeares Sprache. C 70 (217), 375r; 376v Diktat, auf Doktordiplom o. J., unpaginiert, zusammengelegt mit: Shakespeare’s Styl. C 70 (217), 377r Diktat; die Bezeichnung dieses Abschnitts mit III. 2. deutet auf einen grçßeren, nicht identifizierbaren Zusammenhang hin. Es folgt auf demselben Blatt ein kleiner Abschnitt, der sich auf C 70, 378v fortsetzt mit: E i n z e l n e s . Shakespeare’s historische Stcke. C 70 (217), 355r-372v Diktat, ohne Korrekturen D.s, mit Hçrfehlern (z. B. Usorpation), Streichungen, Verbesserungen; auf Doktordiplomen von 1894 und 1895, paginiert von 1–18. Letzte Werke Shaksperes. C 70 (217), 505r, 505v Von D.s Hand, keine ußeren Anhaltspunkte außer einem Zitat aus: K. Groos, Einleitung in die Aesthetik, Giessen 1892. Dazu, leicht gekrzt und verndert, vermutlich Versuch einer Abschrift von Nohls Hand.
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C 70 (217), 600v, 600r, 601r Letzte Werke Sh[akespeare]s. bergang zu Spensers Platonismus. Ende des Lebens. So sein ruhiger Schluß des Sturm. Ebenso platonisirend die Herrschaft der Liebe, die das Tragische aufhebt. Symbolik. Im Cymbeline. Die einheitlich sthetische Stimmung, die zugleich ein Bewußtsein von der Harmonie des Lebens ist, drckt sich in einer musikalischen Einheit der Theile des Dramas untereinander aus. Positives sehr gemischtes Gefhl der Harmonie der Welt, dem Humor am meisten verwandt. Es fordert Dmpfung der Conflikte, um seine Auflçsung in Harmonie zu ermçglichen. Der Irrthum und Affekt treten mehr in einen Weltzusammenhang. So erhlt das Schiksal hier eine verstrkte Bedeutung, aber als identisch mit [Lcke] und Gte. Ausdruck dieses Zusammenhangs inhaltlich nur s y m b o l i s c h m ç g l i c h , wodurch sich diese Stcke den Mrchen annhern. Nur in Symbolen große Zusammenhnge ausdrckbar. Innere Form die musikalische, das Zusammenklingen der einzelnen Theile des Drama im Bewußtsein ist mehr als ihre Summe. Es bringt, wie musikalische Harmonie, neues Harmoniebewußtsein hervor. hnlich die venetianische Schule. Das englische Drama. C 70 (217), 502r, 502v Ms. von D.s Hand, auf der Vorderseite linksspaltig beschrieben, rechts oben nicht kontinuierlich entzifferbare Literaturangaben aus Taine, bzw. Seitenangaben und Anmerkungen D.s. Robert Green. Schule Lily’s. Marlowe. C 70 (217), 478r, 478v; 480r-488v Ms. von D.s Hand, unpaginiert, Zitate von fremder Hand eingefgt; zwei unbezifferte Bltter mit Literaturangaben dazwischenliegend. Auf den letzten beiden Seiten wird das Ms. eine Art Lckentext; D. notiert in weiten Abstnden schwer lesbare Stichwçrter und Seitenangaben. Die Franzçsische Tragçdie. C 70 (217), 544r-547r Diktat auf Doktordiplomen, zwei von 1894. Diesem Text nahe, daher von Nohl ohne berschrift angefgt (Ph 86 f.), ist der hier folgende: C 69 (216), 137r-139v; [140r, 140v]; 141r, 141v Diktat, ohne Korrekturen D.s, ohne zeitliche Anhaltspunkte; strker auf das 18. Jh. als auf das klassische bezogen. Franzçsische Entwickelung. Die Litteratur der klassischen Zeit im Drama geht von der Sonderung der Darstellung des heroischen Lebens und der brgerlichen Existenz aus. Hier ist eine Scheidung in der Seele des Franzosen angelegt, welche seine private von seiner çffentlichen Existenz sondert, sowie auf andren Gebieten die Trennung der weltlichen Krfte der Nation von den Kirchlichen eintritt. Der franzçsische Mensch lebt seit dem 18. Jahrhundert in dem Gelten-Lassen, Balancieren der verschiedenen Seiten. Hiermit hngt zusammen, daß die große Phantasie sich nicht entwickeln kann. Das Privatleben steht unter dem Gesichtspunkt des Besitzes, des Genußes, der Geltung des Nutzens. Ich habe chansons des 17. und 18. Jahrhunderts eine Reihe gehçrt, welche die litterarische Form fr die franzçsische Heiterkeit so regeln, daß durch das Hingleiten des Dichters in einer anmutigen Form ber den Genuß seine Tragik die Gegenstze der Existenz die Form gleichsam Herrin bleibt ber die Emotionen des Lebens. Dieselbe Methode der Andeutung, des Spiels, des Dahingleitens ber die Unebenheiten des Lebens hat Lafontaine in seinen Erzhlungen ausgebildet. In der Grundstimmung verwandt ist Molire, der alle Excentrizitten der Lei-
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denschaft an der raison und der Moral des Mittelmaßes mißt. Hierin liegt das Unpolitische seiner Komçdie, das A. W. Schlegel empfand. Die Form, in welcher in der Klassischen Zeit der franzçsische Mensch in der heroisch-aristokratischen Tragçdie sich zu der ffentlichkeit verhlt, setzt sich dann im 18. Jahrhundert um in eine starke Initiat[ive], welche fr die Menschheit, das menschliche Geschlecht wirken will, dieses bestndig vor sich sieht. Ihr strkster Ausdruck ist das Verhalten der Helden der franzçsischen Revolution im çffentlichen Leben. Mirabeau in seinen Briefen an Sophie wechselt mit der Anrede an sie und einem „Vous“, das adressirt ist an die Menschheit. Seine Reden. Die Revolution ist von Anfang an Propaganda. Frage nach dem Ursprung dieser von da ab den franzçsischen Geist beherrschenden Ideen. Eine Art Fortsetzung der Eroberungssucht. Ein Systematisiren des Geistes, nachdem die Natur systematisirt unter einen obersten Begriff. Man hat im Salon alle Formen menschlichen Daseins beobachtet, zergliedert und bildet nun einen Gesamtbegriff, der aber ber das bedenkliche Resultat hiervon hinausgeht zu einem Ideal. Niemand glaubt, daß die einzelnen viel taugen, die fhrenden Geister aber glauben an die Idee der Menschheit. Hiervon ist nun die eigentliche und letzte Ursache, daß die Ideen des Fortschritts und der Gemeinsamkeit vermittelst der Vernunft im Kampf des 18. Jahrhunderts gegen das Bestehende in der Umsetzung der Interessen in die Region der Gesellschaft eine neue praktische Wendung nehmen. Die gesellschaftliche Ordnung ist schlecht; da aber der Mensch gut ist, muß das Ziel in einer idealen Ordnung des menschlichen Geschlechts liegen. Wie alle diese Begriffe generell gedacht sind, empfngt auch die aus ihnen fließende Tendenz etwas Generelles. Der englische Geist nimmt in seinen praktischen Ideen eine Frankreich ganz entgegengesetzte Wendung. Verbindung des Sinnes fr Realitt mit dem Festgewachsen-Sein in den konkreten Verhltnißen der Familie, des Kreises und der Nation. Das Prinzip des Interesse ist wegen der Homogeneitt der Individuen in bezug auf die so entstehenden Verhltniße ganz generell. Dagegen das Princip des Wohlwollens ist in den Verhltnissen der Strke und Ausdehnung sowohl abgestuft nach den Verhltnissen der Nhe und Verwandtschaft als abgegrenzt. Shaftesbury grundlegend in dem Ideal der Ausbildung der Persçnlichkeit als eines unbedingten Wertes und ihres Wirkens in den concreten Sphren. Dieses Wirken ist eben die Form, in der die Persçnlichkeit etc. Individualitt. Molire. C 70 (217), 4r-9v Diktat auf Doktordiplomen, teils von 1894 und 1895, paginiert von 1–5. berschrift auf C 70, 1 und C 70, 2. Shakespeare und Zeitgenossen. C 70 (217), 602r-603v; 334r-335v Diktat oder Abschrift, ohne Paginierung. Shak. C 70 (217), 476r, 476v Von D.s Hand, ohne Kennzeichen oder Paginierung, Beispiel fr weitere Anstze.
Anmerkungen 7, 6 „Stern hçchster Hçhe“: Nach Goethes Gedicht: Zwischen beiden Welten (v1820): „Lida! Glck der nchsten Nhe, / William! Stern der schçnsten Hçhe, / Euch verdank’ ich, was ich bin.“ Goe W 1, 199.
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7, 7–8 Calderon bis werden: Zu romantischer [. . .] Geschichtschreibung vgl. z. B. A. W. Schlegel, Vorlesungen ber dramatische Kunst und Litteratur II (wie Anm. Fr 416, 28–34), S. 160–163 ber „das romantische Princip“ in den Dramen Shakespeares und Calderons. Zu Calderon: „Er ist folglich als der letzte Gipfel der romantischen Poesie zu betrachten.“ Ebd. S. 398. hnlich Eichendorff, der ebenfalls Calderon neben Shakespeare stellt. Zur Geschichte des Dramas (wie Anm. Fr 415, 34–35), S. 45–63. 7, 11 unter den Sehern: Vgl. Shakespeare 13, 12–13; 31, 4; 32, 29 (seherlogische Einheit); Thema probandi 3, 12 und Anm.; E Goethe 143, 2–7 und Anm.; Ges. Schr. XXVI, Anm. Hç 224, 15. 7, 16–17 Nur bis Werke: Das Mrchen stammt von der Amerikanerin Miss D. Bacon und wird dargelegt in ihrem Buch: The Philosophy of the Plays of Shakespeare unfolded, London 1857. Nach Elze 311 f. 7, 23 Natur selber: hnlich in Goethes Rede: Zum Schkespears Tag. Goe W I, S. LXV (innerhalb der Einfhrung: Goethe’s Leben und Werke). 7, 26 den Sonetten: Dazu Anm. Goe 150, 26–29. Vergleich mit den Sonetten G. Brunos und Ph. Sidneys. Ges. Schr. II, 307 f. 8, 11–12 „Denn bis Lippen,“: Macbeth I, 7. So zitiert bei B. ten Brink, vermutlich von ihm selbst bersetzt. Shakspere (wie unten Anm. 34, 10), S. 39. 8, 13 „Giftmischer,“: Hamlet V, 2. Den Zusammenhang zwischen Hamlet und Macbeth stellt B. ten Brink her. Shakspere (wie unten Anm. 34, 10), S. 40. 8, 19 Liebestragçdie: Romeo und Julia gehçrt zu den frhen Werken und ist wahrscheinlich 1595/96 entstanden, Erstdruck 1597. 8, 27–28 Richard III: Frhes Historiendrama Shakespeares, wohl von 1592/93; vgl. Shakespeare 52, 13–16. 8, 28 der historische Cyclus: Korr. aus den historischen Cyclus. 8, 37 Pessimismus: Vgl. Shakespeare 57, 25. 9, 9 den Stoff von außen entnahm: Sinngemß: den Stoff nicht von außen entnahm. 9, 12 seinen Dichter: Korr. aus seine Dichtern. 9, 17 Kçnig Johann: Geschichtsdrama, vermutlich zwischen 1594 und 1597 entstanden, eine Bearbeitung des 1591 anonym erschienenen Dramas: The Troublesome Raigne of John King of England. 9, 17–18 Holinshed und Hall: R. Holinshed verçffentlichte 1577: Chronicles of England, Scotland, and Ireland; zweite, von Shakespeare benutzte Auflage 1587. – E. Hall, The Union of the Two Noble and Illustre Families of Lancaster and York, bekannt als Hall’s Chronicle, erschien 1548. Vgl. Shakespeare 35, 21–27.
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9, 18–20 dabei bis benutzt: Angaben nach Elze 390–393. D. nennt hier das erste des 1596/97 entstandenen Doppeldramas: Heinrich IV. Er kommt wiederholt auf das zweite zurck, vgl. Shakespeare 38, 30–34; 41, 8; 46, 1–6. 9, 29 North: Sir Th. North, The Lives of the Noble Grecians and Romanes (1579). North bersetzte Plutarch nach der bersetzung ins Franzçsische von J. Amyot. Vgl. Anm. Goe 155, 19–21. 9, 37 tiologischer Gesichtspunkt: Ursprung, Herkunft betreffender Gesichtspunkt neben dem moralischen, der Plutarchs Parallelbiographien bestimmt. 10, 5 Arthur Brooke: The Tragicall History of Romeus and Juliet (1562). Das Versepos Brookes und weitere Quellen fr Romeo und Julia nennt Elze 403. 10, 28 disjecti membra poetae: Horaz, Satiren I4, 62. Wçrtlich: die Glieder des zerrissenen Dichters. 10, 33–34 Montaigne, Rabelais: Vgl. Anm. Goe 155, 24–25. Anm. Goe 155, 21–23. 10, 35 Falstaff: Sir John Falstaff, clowneske Figur aus Shakespeares Dramen: Heinrich IV., Die lustigen Weiber von Windsor. 10, 37 Elementenlehren: Theorien ber die Grundbestandteile der Welt, hufig vier: Feuer, Wasser, Erde, Luft; so bei Chinesen, Indern, Griechen und in der frhen Neuzeit. Nikolaus von Kues z. B. nimmt vier Elemente an, B. Telesio dagegen zwei: Wrme und Klte; G. Cardano (vgl. Anm. Goe 144, 4) drei: Erde, Wasser, Luft. G. Bruno bestimmt das Element als „minimum“ (nach R. Eisler, Wçrterbuch der philosophischen Begriffe, 41927). 11, 6 Green wie Marlowe: Vgl. D.s Entwrfe innerhalb der Teilstcke zu Shakespeare; zu Green auch Anm. Goe 151, 37–39. 11, 8 Macchiavelli: Vgl. unten Anm. 50, 17; auch Anm. Al 326, 2–8. Erwhnung bei Shakespeare, Die lustigen Weiber von Windsor III, 1: „Am I a Machiavel?“, d. h. skrupellos. 11, 10 Ben Johnson: Diese Schreibung noch in der ersten Auflage von EuD. Zur Rolle fr Shakespeare vgl. Anm. Goe 151, 31–32. 11, 12–13 Erzhlung: Vermutlich die Beobachtung der Freunde im Gesprch, dargestellt von Th. Fuller, berichtet bei Taine: Shakespeare wird mit einem wendigen englischen Kriegsschiff, Jonson mit einer schwerflligen spanischen „Galleone“ verglichen. Taine, Geschichte I (wie unten Anm. 23, 19), S. 423 f. 12, 4 Finsterahorn: Finsteraarhorn, hçchster Gipfel im Berner Oberland, Wasserscheide zwischen Aare und Rhone. D. gebraucht Gebirgsbilder verschiedentlich. Vgl. oben unter Handschriftenbefund den Anfang von Shakspere und seine Zeitgenossen; Shakespeare 16, 37 – 17, 1; Novalis 199, 11–17; Dickens 364, 8–12. 12, 9–17 Dieselbe bis Natur: hnliche Gliederungen: Shakespeare 16, 37 – 17, 1; 24, 25 – 26, 5; Ges. Schr. II, 323 f.
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12, 17–18 Regelung der Gesellschaft: In den Staatsutopien, z. B. in F. Bacons Entwurf Nova Atlantis/New Atlantis (1627). 12, 18 – 13, 8 Die hçchste bis umgeben: Zur bildenden Kunst vgl. Shakespeare 24, 10–26; 26, 40 – 30, 10. Die oft unsicheren Lebensdaten werden im Personenregister gegebenenfalls korrigiert und ergnzt. Zu D.s Zusammenstellung von Namen und Daten vgl. seinen Begriff der Generation. Anm. No 201, 4–5. 12, 20 Evolution der christlichen Religiositt: Vgl. Shakespeare 25,14–16 (Luther); Phantasiekunst 276, 26 – 278, 25. 12, 22–23 Chaucer, Froissard: Zu beiden Schriftstellern vgl. Shakespeare 21, 23–26 und die entsprechenden Anmerkungen. 12, 23 Lorenzo Ghiberti: Hauptarbeiten Ghibertis sind die Tren des Baptisteriums zu Florenz. An der ersten, die 1424 fertiggestellt wurde, war u. a. sein Schler Donatello beteiligt. D. sieht beide am Beginn der neueren Zeiten, der Frhrenaissance. Vgl. Shakespeare 27, 31–37. 12, 31–32 Der Todestag bis auseinander: Beides 1564, das Geburtsdatum Shakespeares ist allerdings nicht gesichert. Dieser Zusammenhang auch bei G. Brandes: „In demselben Jahre, in welchem Michel Angelo in Rom starb, wurde William Shakespeare in Stratford upon Avon geboren.“ Brandes, Shakespeare (wie unten Anm. 30, 27), S. 1. 13, 4–6 Descartes bis um: D. betont mehrfach die Position Descartes’ und Galileis auf der Grenze zwischen dem Zeitalter der Phantasie und dem wissenschaftlichen. Vgl. Shakespeare 18, 5; 19, 8; 24, 21–25. 13, 11 – 15, 2 Die hçchste bis Faust: Rckgang auf das MA, besonders Wolfram, zur Verdeutlichung Shakespeares, verkrzt Shakespeare 17, 15–22, wie zu der Goethes. E Goethe 161, 38 – 162, 17. 13, 26–27 Symbol bis Jnglings: Parzival III. 121–127. 14, 6 religiçses Erlebnis: D.s Begriff Erlebnis findet sich frh im Bereich des Religiçsen (1862). Ges. Schr. XI, 68. Weiteres Anm. Goe 141, 12 – 142, 8. 14, 23–28 Wenn nun Paulus bis Zustand: Vgl. 2. Korinther 5, 17(„neue Kreatur“); Titus 3, 5 („Bad der Wiedergeburt“), u. ç. Nochmalige Anspielung auf Paulus: Shakespeare 17, 21. 15, 3 Motto bis Alles!: Edgar gegen Glosters Selbstmordabsicht: „Ripeness is all.“ King Lear V, 2. 15, 7 objektiven Charakter: Dazu E Goethe 150, 19–29; zur Unterscheidung von subjektiven und objektiven Dichtern und Dichtungen vgl. Novalis 199, 2–10 und Anm.; Anm. Goe 135, 13–16. 15, 8 „Venus und Adonis,“: Versepos, entstanden 1592, gewidmet dem Earl of Southampton und, wie Lucrece, sehr erfolgreich. 15, 9 Titian oder Giorgione: Vgl. venetianische Schule, unten Anm. 40, 23.
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15, 13 Lucretia: Lucrece, auch: The Rape of Lucrece, Versepos, erschienen 1594. 15, 15 Widmung: Die Widmung der Sonette stammt von dem Herausgeber und Verleger Th. Thorpe, richtet sich an eine nicht mit Sicherheit identifizierbare Person, spricht von der Unsterblichkeit des Dichters. Entstehungszeit vor 1598. 15, 28–33 Wie nun bis Sonette thun: Vgl. Anm. Goe 154, 8–9. 16, 9 des Vaters von Essex: Gemeint ist Walter Devreux, 1st earl of Essex, bei dessen Tod 1576 der Verdacht aufkam, er sei von Leicester, der die Witwe spter heiratete, vergiftet worden. 16, 11–13 Und wenn bis Ausgabe: Die erste Ausgabe des Hamlet, eine Art Raubdruck, erschien 1603. D.s Angabe fr die eigentliche geht auf Elze zurck, sie kam 1605 heraus. 16, 20–22 So blicken bis Werke: Zur Frage des Verhltnisses von Leben und Werk vgl. E Goethe 169, 25–32 und Anm. 16, 31 „Stern der hçchsten Hçhe“: Vgl. oben Anm. 7, 6. 17, 19 Egoitht: Seit Anfang des 19. Jh.s Lehnbildung nach egoity, in der Bedeutung von Selbstheit wie auch Egoismus. 17, 22–25 In England bis Geistes: Zu Chaucer vgl. Shakespeare 21, 23–32 und unten Anm. 21, 23–24. 17, 32 – 18, 1 Occam bis Personen: W. von Ockham, Theologe und Philosoph; gehçrte dem Franziskanerorden an. Sein Werk umfaßt Schriften zu Philosophie, Theologie und Politik. D. bezieht sich auf Ockhams Unterscheidung zweier Erkenntnisweisen, der „abstraktiven“ und der „intuitiven“. Die erste betrifft Allgemeinbegriffe, die nur im Denken gegeben sind, die zweite die Erfahrung des Einzeldings, dessen Wirklichkeit sie verbrgt. Vgl. oben Handschriftenbefund, C 70 (217), 389r: Diesheit des Occam; Shakespeare 25, 9; Einleitung 323 f., 350. 17, 35–36 Lehre von den substantialen Formen: Vgl. Die Auflçsung der metaphysischen Stellung des Menschen zur Wirklichkeit. Einleitung 351–373. 18, 7 Hilfsmittel von: Ergnzungsbedrftig, etwa: Hilfsmittel [als die Annahme] von oder [als die Vorstellung] von. 18, 13–14 Panpsychismus: Zu diesem Stichwort: Die Autonomie des Denkens, der konstruktive Rationalismus und der pantheistische Monismus nach ihrem Zusammenhang im 17. Jahrhundert (1893). Ges. Schr. II, 283–285. 18, 15–16 Paracelsius: Richtig: Paracelsus, d. i. Theophrast von Hohenheim, Arzt, Naturforscher und Alchemist, Theologe. Zahlreiche Schriften auf diesen Gebieten. Das sie umfassende Wissenschafts- und Naturverstndnis zeigt sich etwa in: Paragranum, letzte Bearbeitung von 1530. Danach beruht die Medizin auf Philosophie, Astronomie, Alchemie und virtus. Alchemie erschließt die Natur, ist deren „vollendung“. Paragrama III. Smtliche Werke, I. Abt. 8, hrsg. von K. Sudhoff, Mnchen 1924, S. 181.
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18, 26 Sympathie: Bis in die Neuzeit Begriff der Naturphilosophie; bei Cicero der Zusammenhang der Dinge, unabhngig von gçttlichen Krften, „in ea [natura] iste quasi consensus, quam oumpa´heian Graeci vocant“. De natura deorem III, 28. In der stoischen Kosmologie Wirkung der Naturkrfte aufeinander (z. B. Ebbe und Flut); weiter Bezeichnung fr magische Krfte der bereinstimmung. 18, 36–37 des Georgstages: Georg der Drachentçter, einer der vierzehn Nothelfer, sein Tag ist der 23. April; Nationalheiliger der Englnder. 19, 1 Robin Hood: Ursprnglich ein Waldkobold. Legendrer Held englischer Volksballaden des 14. und 15. Jh.s, bekannt durch seine großen Taten mit Hilfe des langen Bogens; Gegner des besitzenden Klerus, edler Ruber, der den Reichen nimmt, um den Armen zu geben. 19, 16 Marlot: Flschlich fr Marlowe. 19, 18–26 Und in bis mde: hnliche Bilder zur Bezeichnung scholastischer Metaphysik in Shakespeare 12, 12; Ges. Schr. XXVI, Gang 2, 15–17. 19, 19 Um: Korr. aus Und. 19, 28–29 Pierre bis uns: P. d’Ailly, Theologe, Philosoph, Gelehrter; theologisch-politisch von Einfluß als Bischof und Teilnehmer am Konstanzer Konzil (1414–1418); der Lehre Ockhams nahe. Umfangreiche Verçffentlichungen, u. a. zur Evidenz ußerer Wahrnehmung. Vgl. Shakespeare 22, 11–16. 19, 30–33 Sein bis Wissen: J. Gerson, auf Versçhnung und Ausgleich in den kirchlichen Auseinandersetzungen bedachter Theologe. 1395 Nachfolger von P. d’Ailly als Kanzler von Notre-Dame; sucht die scholastische Theologie durch eine mystische zu ersetzen. D. spielt vermutlich auf Gersons Abhandlung: De mystica theologia (1408) an. Vgl. Shakespeare 22, 17–18. 19, 33 Raymundus von Sabunde: Raimundus Sabundus, Ram n Sibiuda, katalanischer Philosoph, Theologe, Arzt. Seine Schrift: Liber creaturarum sive de homine (1484) erhielt erst spter den Titel: Theologia naturalis. Zu allen, auch den Glaubenserkenntnissen, kçnne der Mensch gelangen, ohne Offenbarung, ber das Buch der Natur. 20, 4 Galen: Griechischer Arzt und medizinischer Schriftsteller des 2. Jh.s aus Pergamon; kaiserlicher Leibarzt in Rom. Faßte die Ergebnisse der griechischen Medizin und eigene Beobachtungen in umfangreichen Schriften zusammen. 20, 15 Reflektion: Mehrfach wiederholt, ungebruchliche Ableitung von reflektieren. 20, 19–20 die tacitischen Kaiser-Portraits: Gemeint sind die nicht vollstndig erhaltenen Annales des C. Tacitus; sie umfassen die Jahre 14–68 mit Tiberius, Claudius, Nero. 20, 20–21 Caracalla-Kopf: Rçmische Marmorbste, die Marcus Aurelius Antoninus darstellt, rçmischer Kaiser (211–217), Caracalla genannt nach dem von ihm eingefhrten keltischen Kapuzenmantel, Caracalla.
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20, 22 Judas-Kçpfe: Vgl. unten Anm. 29, 25. 20, 22–29 (Grimm bis Grimm.): H. Grimm kommt mehrfach auf Donatello zu sprechen. Vgl. Leben Michelangelo’s I ( 51879), S. 422 f. Ders., Italienische Portraitbsten des Quattrocento. PJ LI (1883), 403–405, mit Stichworten D.s, ohne den entsprechenden Text: „Er berbietet alle Andern um sich her. Wenn wir nur genauer zusehen, selbst Verrocchio. Er grndet die realistische Schule, aus der Michelangelo hervorgegangen ist.“ Ebd. 407. „Diese alexandrinische Kunst ist es gewesen, aus der die ltesten Bsten und Statuen rçmischer Feldherrn und Staatsmnner hervorgegangen sind und von der auch noch das Portrait der julischen Kaiserzeit beherrscht wird. Dann erst setzt die, in kahlerer Weise die ganz intime Aehnlichkeit hervorbringende Sculptur der spteren Kaiserzeit ein, [. . .].“ Ebd. 413 f. – Die monatlichen Mitteilungen Grimms in zwei Jahrgngen, ber Knstler und Kunstwerke (1865 und 1867), enthalten einiges zu Verrocchios und Leonardos Reiterstandbildern, nichts zum Portrait und seiner Tradition. D.s Angabe nicht ermittelt. 20, 31 Donatello: Vgl. Shakespeare 28, 11–26 und die entsprechenden Anmerkungen. 20, 35 der Robbias: Zur Knstlerfamilie der Robbias gehçrt an erster Stelle Luca della Robbia, dann sein Neffe Andrea. Luca bertrug die von Gebrauchskeramik her bekannte Zinnglasur (Fayence) auf Tonfiguren und Reliefs. 21, 5 Julian Cesarini: G. Cesarini aus altrçmischem Adelsgeschlecht, Kardinal, befreundet mit Nikolaus von Kues. Legat in Deutschland; Prsident des Basler Konzils, von dem er sich 1437 trennte, als keine Aussicht auf Reform bestand. 1438 in Ferrara bei der Erçffnung des neuen Konzils spielte er eine entscheidende Rolle in der Diskussion um die Union der Ost- und Westkirche. 21, 5 Nicolaus von Cusa: Nikolaus Krebs aus Kues an der Mosel, Mathematiker, Jurist, Philosoph, Theologe, Bischof und Kardinal. Zu seinen vielseitigen Ttigkeiten gehçrte, als ppstlicher Gesandter 1437/38 den Kaiser von Byzanz, Johannes VIII. Palaiologos, und die Vertreter der Ostkirche von Konstantinopel nach Italien zu den Unionsverhandlungen in Ferrara/Florenz zu geleiten. Ein Teil seiner Schriften gilt dem Frieden unter den großen Religionen. Vgl. unten Anm. 21, 17–20; auch 22, 21–24. 21, 6 Plethon: Deckname fr Georgios Gemistos, byzantinischer Philosoph, lehrte die Philosophie Platons; vertrat die Griechen auf dem Konzil von Ferrara/Florenz (1438/39). 21, 6 Bessarion: Metropolit von Nica, Kardinal, Humanist. Wortfhrer der byzantinischen Bischçfe auf dem Konzil zu Ferrara/Florenz, proklamierte mit dem Kardinal Cesarini 1439 die Einigung; spter in Rom, versammelte Gelehrte in der sog. Akademie. Verteidigte Platon, bersetzte die Metaphysik des Aristoteles. 21, 14 Hof Friedrichs II.: Friedrich II., deutscher Kaiser und Kçnig von Sizilien, trennte Religion und Staatsgewalt, war persçnlich nicht glubig im kirchlichen Sinn, vertraute dem Rat von Astrologen, umgab sich mit Gelehrten, versuchte in der Kunst an die Antike anzuknpfen. 21, 14 Pariser Universitt: Gemeint sind vor allem P. d’Ailly und J. Gerson. Vgl. oben Anm. 19, 28–29 und 19, 30–33. 21, 17–20 Nicolaus bis Vernnftigen.“: Die erwhnte Schrift: De pace fidei (1453); das Zitat
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klingt mehrfach an und ist wahrscheinlich von D. zusammengesetzt aus: „Non potest esse nisi una sapientia.“ (IV.) und: „Una est igitur religio et cultus omnium intellectu vigentium, [. . .].“ (VI.). Die lateinischen Stellen nach: Nikolaus von Kues, Philosophisch-Theologische Schriften III, hrsg. von L. Gabriel, Wien 1967. 21, 21 Lorenzo Medici: Lorenzo de’ Medici, genannt il Magnifico. Herrscher und Fçrderer von Kunst und Wissenschaft in Florenz. Stiftete die Kunstakademie, gehçrte wie z. B. Pico della Mirandola und N. Machiavelli einem Kreis von Bewunderern der griechischen Philosophie an; war selbst Schriftsteller, schrieb in verschiedenen Dichtungsgattungen, zu verschiedenen Zeiten auch religiçse Poesie. 21, 23–24 Chaucer: G. Chaucer, Dichter, bersetzer, Diplomat; gilt als Begrnder der englischen Dichtung. Lyrik und Prosa; Hauptwerk der unvollendete Zyklus von Vers- und Prosaerzhlungen nach dem Vorbild Boccaccios: The Canterbury Tales, teilweise entstanden vor 1380, publiziert um 1478. 21, 26 Froissard: J. Froissart, in hçfischen Diensten, Dichter und Chronist der Ereignisse in Westeuropa zwischen 1325 und 1400: Croniques de France, d’Angleterre, d’Escoce, d’Espaigne, de Bretagne, de Gascongne, de Flandres, et Lieux circunuoisins, 4 Bde, entstanden zwischen 1373 und 1400. 21, 33 Spenza: Gemeint ist E. Spenser, dem H. Taine einen Abschnitt in seiner Histoire widmet. „Spenser fhrt zu Milton und indirekt zum Puritanismus, wie P l a t o zu V i r g i l und indirekt zum Christenthum gefhrt hat. Die sichtbare Schçnheit ist bei Beiden vollkommen, sie pflegen jedoch hauptschlich die moralische Schçnheit.“ Taine, Geschichte I (wie unten Anm. 23, 19), S. 289 f. – Ein Werk Spensers: The Faerie Queene 1–6 (1590–1596), Epos auf Kçnigin Elisabeth und Leicester, unvollendet. 21, 33 Tain 297: Vermutlich bezieht sich D. mit der angegebenen Seite auf das Urteil Taines ber Spenser und dessen Werk: „Er ist ein Seher [voyant], kein Philosoph.“ Geschichte I (wie unten Anm. 23, 19). 22, 4 Salutato: Hçrfehler. C. Salutati war Gelehrter und Kanzler der Republik Florenz. Er verfaßte moralphilosophische Traktate, forschte nach alten Texten, entdeckte Briefe Ciceros; forderte Ttigkeit und Verantwortung der Gemeinschaft gegenber. 22, 4 Leonardo Bruni: Kanzler von Florenz und Gelehrter wie Salutati, bersetzer aus dem Griechischen ins Lateinische. Schrieb ber Geld, Arbeit, Besitz, ber die Stellung des einzelnen zur Gemeinschaft. 22, 7–16 In derselben bis Wissens: Vgl. Shakespeare 19, 26–37 und die entsprechenden Anmerkungen. 22, 21–24 Und der große bis Erfahrung: Nikolaus von Kues bereitet nach D. den europischen Pantheismus vor. Ges. Schr. II, 324 f. 22, 37–38 Alkos und der Sappho: Alkaios wie Sappho, berhmt durch ihre Lyrik, stammen aus adligen Familien auf Lesbos.
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22, 38–39 Zeitalter der 7 Weisen: Im 5. Jh. v. Chr. erscheint in verschiedener Gestalt der Typ einer Erzhlung, die auf die Frage nach dem Weisesten antwortet. Zur Gruppe der sieben gehçren in der Regel Thales und Solon. 23, 18 sie auszeichnet: Korr. aus: sich auszeichnen. 23, 18 Gervinus: G. G. Gervinus, Shakespeare, 4 Bde, Leipzig 1849–1850. Ders., Hndel und Shakespeare. Zur sthetik der Tonkunst, Leipzig 1868. Der dritte Teil des letztgenannten Buchs heißt: Hndel und Shakespeare. Eine Parallele. D. kçnnte auf eine Stelle wie diese anspielen: „Beide erhielten sich gleichmßig in aller Reinheit die protestantische Geistesfreiheit und Unbefangenheit, die sie ber die Engen und Vorurtheile des Zeitalters hinaushob.“ Ebd. S. 339. 23, 19 Taine: Vgl. H. Taine, Histoire de la Littrature anglaise I, Paris 1863. Das Kapitel ber Shakespeare ist Teil des zweiten Buchs: La Renaissance. So auch in der von D. aller Wahrscheinlichkeit nach hier wie fr Dickens benutzten bersetzung. H. Taine, Geschichte der englischen Literatur I, bearbeitet von L. Katscher, Leipzig 1878. Dazu Taine als Psychologe. Ideen 163. 23, 25–35 Marlowe bis bestimmt: Vgl. Shakespeare 8, 27; 10, 32 und D.s Darstellung der Dramen Marlowes. Shakespeare 44–51. 23, 26 Titus Andronicus: Erstdruck 1594. Mord- und Rachedrama. Vgl. Shakespeare 41, 6–8. 24, 10–26 D i e E p o c h e bis Sonne: Zur bildenden Kunst hnlich: Shakespeare 12, 18 – 13, 8; 26, 40 – 30, 10. 25, 9 „Diesheit“: Vgl. oben Anm. 17, 32 – 18, 11. 25, 21–23 Keine bis werden: Seine berzeugung vom Verlauf der Geschichte hat D. frh in Novalis 201,12–28 dargelegt. 25, 23 Hegel: Vgl. z. B. der Mensch als „der denkende Geist“. Philosophie des Geistes III, § 381. Hegel W VII.2, 24. D. zur von Hegel bestimmten Geschichtsauffassung in den Tagebchern (1859). JD 82. 25, 25 moderne psychologische Schule: Gemeint sein kçnnte die auf das Experiment gegrndete Richtung der Psychologie, wie sie W. Wundt oder H. Ebbinghaus vertraten. 26, 5 Denn die Geschichte: Vgl. Shakespeare 31, 8–10; weitere Angaben zu D.s Geschichtsauffassung Anm. Thema 5, 33–36. 26, 22–24 Drama sich, und der: Reflexivpronomen wie Artikel ergnzt. 26, 25 Individuation: Vgl. Shakespeare 30, 11 – 32, 18; die zur Zeit der Arbeit an Shakespeare im April 1895 in der Akademie gelesene und 1896 verçffentlichte Abhandlung: Beitrge zum Studium der Individualitt, darin bes. IV. Die Kunst als erste Darstellung der menschlich-geschichtlichen Welt in ihrer Individuation. Abhandlung (1895) 273–303; auch oben Tg., Entstehung und berlieferung.
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27, 9–10 Fra Angelico: Die Bilder des Dominikanermçnchs Giovanni Angelico da Fiesole sind stark religiçs bestimmt und noch der Gotik verhaftet. Dazu auch Shakespeare 27, 24–34. 27, 10 Cyklen des Giotto: Zyklen Giottos z. B. von S. Francesco in Assisi oder S. Croce in Florenz. 27, 16–17 Internitt: Internitas, zu internus (Thesaurus linguae latinae), Inneres, Seele, Geist – vorausgesetzt, es liegt kein Hçrfehler vor, Verwechslung mit ternitt. 27, 39 – 28, 2 Als nun bis bertragen: Neuartig und aufsehenerregend war die von Venedig in Auftrag gegebene Reiterstatue des venezianischen Feldherrn Erasmo da Narni, genannt Gattamelata, auf der Piazza del Santo zu Padua. Fr den Hochaltar im Santo, in S. Antonio, arbeitete Donatello 1451–1455. 28, 2 Andrea Mantegna: Zunchst in Padua, dann Hofmaler in Mantua, La Camera degli Sposi. 28, 4 Pierro della Francesco: Hçrfehler. Piero della Francesca. Eines seiner Hauptwerke ist die Darstellung der Legende vom heiligen Kreuz im Freskenzyklus von S. Francesco zu Arezzo. 28, 13 der furchtbare Johann 23.: Bedeutend unter den Grabmlern, die Donatello schuf, ist das fr Johannes XXIII. im Baptisterium zu Florenz. Der als rcksichtslos geltende, auf dem Konstanzer Konzil abgesetzte Gegenpapst starb in Florenz. 28, 17–20 Das Individuum bis haben: D. entnimmt den Ausspruch Donatellos sehr wahrscheinlich E. Fçrster, Geschichte der Italienischen Kunst III, Leipzig 1872, S. 64: „[. . .] wie er denn selbst eine seiner Statuen angeredet haben soll: ‚So sprich doch! warum sprichst du denn nicht? wobei dann das, was die Statue gesprochen haben wrde, vollkommen Nebensache war; genug: sie war zum Sprechen wahr!“ Zu Fçrster, der wohl, wie blich, auf G. Vasari zurckgriff, vgl. oben unter Handschriftenbefund D.s Notiz C 70 (217), 215r und die Besprechung von Fçrsters Werk. Ges. Schr. XVII, 90 f. 28, 22 Mantuaner Reiterstandbild: Versehentlich fr Paduaner Reiterstandbild. 28, 22–24 Das individuelle bis wird: Die Verkndigung in S. Croce zu Florenz ist ein frhes Werk Donatellos und zeigt bereits den „Naturalismus“, von dem Fçrster spricht. Fçrster III (wie oben Anm. 28, 17–20), S. 66. 28, 26–29 Verrocchio bis hervorgebracht: Andrea del Verrocchio, Schçpfer der Reiterstatue des venezianischen Condottiere Bartolommeo Colleoni, unvollendet. Fçrster nennt das Werk „eine bewundernswerthe Arbeit, die außerordentliche Kunstkrfte und die grndlichsten Naturstudien, namentlich des Pferdes, voraussetzt!“ Fçrster III (wie oben Anm. 28, 17–20), S. 114. 28, 29–30 Jacob Burkhardt: J. Burckhardts ußerung ist in seinen einschlgigen Bchern – Der Cicerone (1855); Die Kunst der Renaissance in Italien (1867) – nicht zu finden. Zurckhaltend urteilt er im Cicerone: „[. . .] wir drfen glauben, dass Coleoni sich zu Pferde vollkommen so stmmig gespreizt ausnahm; aber auch das Bedeutende des Kopfes und der Geberde – mag sie auch keine glcklichen Linien bilden – ist mit grosser Sicherheit wiedergegeben.“ J. Burckhardt, Der Cicerone, hrsg. von B. Roeck u. a., Mnchen, Basel 2001, S. 482. – Bode nennt den Colleoni „unbestritten das Meisterwerk unter allen noch erhaltenen Reiterstandbildern“. W. Bode, Italienische Bildhauer der Renaissance, Berlin 1887, S. 88. Spter: „Der Colleoni gilt heute als das großartigste Reitermonu-
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ment aller Zeiten; [. . .].“ Ders., Die Italienische Plastik, Berlin 21893, S. 111. – Von der vierten Auflage an bearbeitete Bode mit Burckhardts Zustimmung den Cicerone und nderte das Urteil ber den Colleoni fr diese und die weiteren Auflagen (Hinweis bei G. Passavant, Verrocchio, London 1969, S. 74): „Auch wie es jetzt vor uns steht, darf das Werk den Anspruch erheben, das grossartigste Reitermonument der Welt genannt zu werden.“ J. Burckhardt, Der Cicerone II, bearbeitet von W. Bode u. a., Leipzig 41879, S. 363. 28, 31 Reiterstandbild des Francesco Sforza: Von Leonardos Reiterstandbild sind Studien erhalten (um 1490); das bewunderte Modell wurde zerstçrt, zur Ausfhrung des Entwurfs kam es nicht. 28, 38–40 So bis Christi.“: Verrocchios Taufe Christi von etwa 1475 befand sich in der Sammlung der Akademie zu Florenz (heute Uffizien). Der linke der beiden Engel soll ein erster Versuch Leonardos gewesen sein, der bei Verrocchio in die Lehre ging. Die bermalungsthese bei Bode, Italienische Bildhauer (wie oben Anm. 28, 29–30), S. 112. – Ob Tobias mit dem Erzengel, entstanden zwischen 1470 und 1475 (heute London, National Gallery), von Verrocchio stammt, ist unsicher. 29, 21 Carton: Zeichnung auf starkem Papier oder Pappe, die als Modell, Vorlage dient, besonders fr Freskomalerei, auch Gobelins. 29, 21 Schlacht Angliari: Hçrfehler. Das 1505 begonnene Fresko im Saal des Großen Rates sollte den Sieg der Florentiner 1440 bei Anghiari ber die Mailnder darstellen. Es wurde nicht vollendet, das einst Vorhandene ist nicht erhalten, lediglich erschließbar aus Studien und Kopien. 29, 25 das Abendmahl: Im Refektorium von S. Maria delle Grazie in Mailand, entstanden 1495–97. Der von Leonardo gewhlte Augenblick nach Christi Voraussage des bevorstehenden Verrats (Joh. 13, 21) erklrt die bewegte Gestik der Jnger (Joh. 13, 22) im Kontrast zur Figur des Judas. Vermutlich kannte D. die Beschreibungen von E. Frantz: Das Heilige Abendmahl des Leonardo da Vinci, Freiburg Br. 1885. 30, 7–10 Blicken bis Macht: Wohl Verwechslung Raphaels mit Fra Angelico, vgl. Shakespeare 12, 23–26. 30, 16 Temperamenten-Lehre: Auf Hippokrates zurckgehende Annahme der Medizin vom Zusammenhang der Kçrpersfte mit Wesen und Charakter des Menschen. 30, 17 Affekten-Lehre In der Stoa ausgebildet, Affekte teils als zu heilende Krankheiten aufgefaßt. Zu D.s anhaltender Beschftigung mit diesem Thema vgl. die Abhandlung: Die Funktion der Anthropologie in der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts (1904). Ges. Schr. II, 416–492. 30, 22 Seelen: Korr. aus Slen. 30, 27 (Brandes): G. Brandes, William Shakespeare, Paris, Leipzig, Mnchen 1896. Gemeint ist vielleicht die von Brandes imaginierte Ankunft Shakespeares in London. Ebd. S. 17–21. 30, 28 – 31, 10 Wir lernen bis umgiebt: Belehrt werden, lernen und verstehen durch die Kunst auch Abhandlung (1895) 274–276; Ges. Schr. XXVI, Goethe (1910) 128, 38 – 129, 1; 137, 25–27; Hçlderlin (1910) 282, 22–33.
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31, 4 Seher der Individuation: Vgl. oben Anm. 7, 11. 31, 8–10 Der Mensch bis umgiebt: Vgl. Shakespeare 26, 5 und Anm. 31, 17–18 Coincidentia oppositorum: Zusammenfallen der Gegenstze. Das Gottes- und Wirklichkeitsverstndnis betreffender Begriff des Nikolaus von Kues. Vgl. oben Anm. 21, 5. D.s Auffassung des Begriffs in Ges. Schr. II, 324. 32, 14 „Bist du ein Mann?“: Macbeth III, 4. Lady Macbeth zu Macbeths Reaktion auf das Erscheinen von Banquos Geist. 32, 15 Blut an der Hand: Lady Macbeth in Macbeth V, 1. 32, 29 seherlogische Einheit: Die Formulierung fllt besonders auf, da im Ms. korrigiert aus: teleologische Einheit, von der in der Notiz ebenfalls die Rede ist (Shakespeare 32, 33–34). Vgl. D.s Erwhnung von Hçlderlins Begriff: „poetische Logik“. HW 115. 33, 2 Schillers Geisterseher: Bezugspunkt im Zusammenhang mit der Entwicklung des Romans. Novalis 240, 10; Jean Paul 358, 37 – 359, 3. – Aus dem Ms. ist nicht ersichtlich, ob ber Lyrik weiteres gesagt werden sollte. 33, 6 in jedem Satz: Zur Erkennbarkeit Shakespeares vgl. Freytag 427, 38 – 428, 3 und Anm. 33, 19 innere Form: Dazu D.s Abschnitt in Phantasiekunst 259–267; Anm. Le 62, 28. 33, 23 wie die Natur: Vgl. oben Anm. 7, 23. 33, 27–28 Gesprch des Hamlet: Befragung der Schauspieler: Hamlet II, 2. 34, 10 ten Brink: B. ten Brink, Shakspere. Fnf Vorlesungen aus dem Nachlaß, Straßburg 1893. „Bei dem Studium der Zeitrechnung in Shaksperes Werken, womit die neuere englische Forschung sich besonders gerne befaßt, stellt es sich heraus, daß in einer Reihe seiner Dramen, vielleicht in der Mehrzahl, eine doppelte Zeitrechnung herrscht. Besonders deutlich tritt uns dies in K ç n i g L e a r entgegen.“ Ebd. S. 143 f. „Die Idealitt des Raums, welche die damalige englische Bhne charakterisirt, und die die Idealitt der Zeit zum nothwendigen Correlat hat, die Fhigkeit des damaligen Dramas, eine ausgedehnte Handlung in ihrem ganzen Verlauf in sich aufzunehmen, gestatteten Shakspere, auch in der Tragçdie dem inneren Triebe zu folgen, der ihn vor allem zu der psychologischen Seite seiner Aufgabe hinzog.“ Ebd. S. 144. 34, 16 Traktate: Nach Traktate das Verb vervollstndigt. 34, 20 Ppste: Zu ergnzen etwa: [Dokumente bekannt wurden,]. 34, 21 Wirkung Macchiavellis: Von D. mehrfach erwhnt: Shakespeare 11, 7–10; 23, 25–29; 50, 17–31; 50, 25–28. Vgl. Anm. Al 326, 2–8. 34, 22 Essais Bacos: F. Bacon, Essayes. Religious Meditations. Places of Persuasion and Dissuasion
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(1597). Im Titel einer der umgearbeiteten Ausgaben kommt der beratende Charakter des Buchs noch strker zum Ausdruck: The Essayes or Counsels, civill and morall (1625). 35, 3–9 Baco bis denkt er: Vgl. den Untertitel beider Teile des Novum Organum (wie Anm. Goe 125, 10–23): Aphorismen ber die Interpretation der Natur und die Herrschaft des Menschen. 35, 10–18 Hobbes bis operierte: Philosoph, Staatstheoretiker, zeitweise Sekretr bei F. Bacon. Th. Hobbes entwickelt seine Auffassung vom Menschen, von der Natur, dem Staat in dem dreiteiligen philosophischen Werk: Elementorum philosophiae. De homine (1658); De corpore (1656); De cive (1642). D. zu Hobbes in Ges. Schr. II, 360–390. 35, 16 Schule des Demokrit: Vgl. Demokrits Lehre von den Atomen und der Zurckfhrung sinnlicher Eindrcke auf mathematische Grçßen. Einleitung 169–173. 35, 21–27 (Shakespear-Jahrbuch XII) bis sein: Fast wçrtlich aus W. Kçnigs Aufsatz (wie unten Anm. 36, 3), S. 232. 35, 21–27 Diese Quellen bis sein: Zu Holinshed und Hall vgl. oben Anm. 9, 17–18. 35, 29 Thronfolgeberechtigung: Korr. aus Thronfolgeberichtigung. 36, 3 Shakespeare Jahrbuch XII 248: Mit der angegebenen Seite bezieht sich D. auf: W. Kçnig, Shakespeare’s Kçnigsdramen, ihr Zusammenhang und ihr Werth fr die Bhne. In: Jahrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft XII (1877), hrsg. von K. Elze, S. 228–260. Kçnig geht der Frage nach, inwieweit Shakespeare „knstlerisch vollendete Dichtungen aus der Gattung der Historien“ geschaffen, „in welchem Maße er das Ideal eines historischen Dramas erreicht hat“. 36, 4 Rmelin 132: D. hat, wie aus dem zweiten Hinweis auf Rmelin (unten Anm. 37, 4) zu erschließen ist, die zweite Auflage von Rmelins Buch (1866) benutzt. G. Rmelin, Shakespearestudien, Stuttgart 21874. Die angegebene Seite ist die letzte des VII. Kapitels: Zu den englischen Historiendramen. S. 120–132. Es geht in diesem letzten Teil um Richard III. und Abweichungen vom historischen Stoff. „Man mçchte glauben, Shakespeare habe einen Vorgnger, der schon dasselbe Thema behandelt hatte, noch berbieten wollen, oder es habe eine Wette gegolten, ein unlçsbar scheinendes Problem zu lçsen.“ 36, 27 Gefhle: In der Hs. Strich unter dem Text, als Notiz zu weiterer Arbeit: Anordnung muß so gemacht werden, daß 1. Patriotismus, 2. Machtgefhle. Dazu ergnzend mit Einfgungszeichen: Dies patriotische Gefhl, dies dichterische Sich-Einleben in die Heimat wird gesteigert durch den Schimmer poetischer Verklrung der Vergangenheit, welcher die Namen der Provinzen, Stdte und Familien umgiebt. Shakespeare fr die Englnder, was Homer fr die Griechen. Er schuf eine grandiose Sage vom englischen Kçnigtum, die mit dem Zeitalter der Elisabeth abschließt. C 70, 362v und 361v. 36, 34 aufgeweichte Sentimentalitt: Dazu die Darstellung Rousseaus als Prototyp des subjektiven Dichters. E Goethe 158, 12 – 160, 33. 36, 35–36 Schillers Wallenstein: Zu Shakespeare, Schiller und zum historischen Drama vgl. Schiller 181, 24 – 186, 11; Freytag 419, 5–35; Abhandlung (1895) 297–302.
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37, 4 Rmelin 125: „Die englische Geschichte jenes Zeitalters von Kçnig Johann bis zu Heinrich VIII., die Shakespeare in seinen Dichtungen umfaßt, enthlt noch eine große Menge wichtiger Dinge, die unserem Dichter ganz fern lagen.“ Rmelin, Shakespearestudien (wie oben Anm. 36, 4). 37, 4 Ranke: L. von Ranke, Englische Geschichte (wie Anm. Goe 127, 37 – 128, 1), S. 97: „Die parlamentarischen oder religiçsen Fragen berhrt der Dichter beraus selten: und es darf bemerkt werden, daß er in Kçnig Johann der großen Tendenzen, die zur Magna Charta fhrten, so gut wie nicht gedenkt; dagegen lebt und webt er in den persçnlichen Gegenstzen des alten Vasallenstaates, den gegenseitigen Rechten und Pflichten in demselben.“ Zu Ranke vgl. Anm. Schi 198, 37–40. 37, 7–9 Sieg bis dargestellt ist): Der Sieg Wilhelms ber Harald II., Kçnig der Angelsachsen, 1066 in der Schlacht von Hastings ist von E. R. Bulwer-Lytton dargestellt worden: Harold the Last of the Saxon Kings (1848). 37, 19–27 Beginnt bis fhrten: Die Magna Carta oder Great Charter, Johann ohne Land auf der Wiese Runnymede bei Windsor abgezwungen, begrenzte die Macht des Kçnigs, Grundlage der englischen Verfassung. 37, 40 – 38, 2 Schaal bis Oberrichters: Shallow und Silence, Friedensrichter auf dem Lande, auch die Figur des Oberrichters stammen aus dem zweiten Teil des Doppeldramas Kçnig Heinrich IV. 38, 5 Asincourt: Vgl. Shakespeare, Heinrich V (Urauffhrung 1599). IV, 1–8. Im englischen Text: Agincourt. Schlacht bei Azincourt 1415, Sieg Heinrich V. mit Hilfe seiner leicht beweglichen Bogenschtzen ber das schwerfllige franzçsische Ritterheer. 38, 6 Bedeutung Wicleffs: J. Wycliffe/Wiclif, Theologe in Oxford, gegen Besitzansprche der Kirche und Formen kirchlichen Lebens (z. B. Beichte, Zçlibat). 1383 wurde seine Lehre in Oxford verworfen; sie fand Anklang in Bçhmen. Nach seinem Tode Verurteilung als Ketzer auf dem Konstanzer Konzil 1415, als der von ihm beeinflußte J. Hus/Huß verbrannt wurde. 38, 11–13 Die Kriegsfhrung bis Fussvolk: Die Ausgabe, deren Seitenzahlen D. angibt, konnte fr diese und die folgenden Stellen (38, 32; 38, 37; 38, 40; 40, 4) nicht herausgefunden werden. Als Ersatz dienen die Angaben entsprechender Akte und Szenen der Dramen, auf die sich D. bezieht. – Die Schlachten: Poitiers 1356, Frankreich unterliegt im Rosenkrieg. Azincourt vgl. oben Anm. 38, 5. St. Albans: zwei Schlachten whrend der Rosenkriege zwischen York und Lancaster. Bosworth 1485, Heinrich Tudor siegt ber Richard III. 38, 17–18 Ermdung: Korr. aus Ermidung. 38, 33 Segen der Erblichkeit: Kçnig Heinrich IV., zweiter Teil. IV, 4. 38, 35–36 Einen hnlichen bis zurckfallen: Vgl. den Eingangsmonolog Macbeths zu I, 7, teilweise zitiert in Shakespeare 8, 11–12. 39, 23–24 Wie bis Bhne!: Eingangsprolog zu Heinrich V., gesprochen vom Chor. 39, 30 Spenser: Zu Spensers Platonismus vgl. Taine: „Man fhlt, im Gegentheil, daß es in Wahrheit nur Eine Welt gibt: die P l a t o ’ s und der Dichter; daß die Dinge der Wirklichkeit nur deren ver-
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stmmelte, unvollstndige, beschmutzte Umrisse sind, elende, auf dem Pfade der Zeit umhergestreute Mißgeburten, die den Thonstcken gleichen, die der Knstler halbfertig geformt in seinem Atelier liegen lßt.“ Geschichte I (wie oben Anm. 23, 19), S. 301. 39, 31 S c h l u ß w o r t d e s S t u r m : Shakespeares Komçdie wurde 1611 bezeugt aufgefhrt. Versçhnende Schlußworte spricht Prospero. 39, 34 Cymbeline: Mrchenhaftes Romanzendrama Shakespeares, entstanden 1608/09. – Die Sçhne des Kçnigs Cymbeline werden von dem gechteten Bellarius, der sie als Kinder geraubt hat, in der Einsamkeit der Natur erzogen. 40, 3–5 Die Symbolik bis u n i v e r s a l : Cymbeline V, 5; das Zitat beschließt die Traum- und Schriftdeutung des Wahrsagers. 40, 9–10 in einer musikalischen Einheit: Dazu Tg. Thema, Handschriftenbefund, sthetik; Ges. Schr. XXVI, Goethe (1910) 139, 3–13 (Shakespeare-Abschnitt); D.s Symphonie-Vergleich fr den Roman von Dickens und Jean Paul, Tg. Di, Fußnote 47; auch innere Form, Shakespeare 40, 19–22 und Anm. 40, 10–12 cf Groos bis verwandt: Groos (wie oben unter Handschriftenbefund, Letzte Werke Shaksperes.). Die angegebene Stelle stammt aus dem Abschnitt: Gefhlsgehalt: „Es treten hier also in der That zwei Arten von Gefhlen in Wirkung, die man sorgfltig unterscheiden muß: 1) Die wechselnden, bald freudigen, bald schmerzlichen Gefhle i n n e r h a l b der sthetischen Anschauung, 2) das dauernde, nur freudige, nie schmerzliche Gefhl, welches in der Lust a n der sthetischen Anschauung besteht.“ 40, 16–17 Z u s a m m e n h a n g s inhaltlich: Zwischen den beiden Wçrtern gestrichene Buchstaben, darber wohl noch einmal, spter eingefgt: inhaltlich. 40, 19–22 I n n e r e F o r m bis h e r v o r : Vgl. oben unter Handschriftenbefund, Letzte Werke Sh[akespeare]s; Anm. Sh 40, 9–10; Phantasiekunst 258, 34 – 259, 13. 40, 23 der venetianischen Schule: Mçglich wre, hier an die venezianische Musikerschule zu denken. In Phantasiekunst 267, 17 ist, ebenfalls vergleichend, jedoch eindeutig venezianische Malerei gemeint. Vgl. Ges. Schr. XXVI, Gang 4, 21–22. Im Mittelpunkt der Schule von Venedig stehen Giorgione und Tizian, von D. mehrfach genannt, es folgen u. a. Tintoretto und Veronese. 41, 5 Kyds spanischer Tragçdie: The Spanish Tragedie, einzig erhaltenes Drama von Th. Kyd, um 1586 geschrieben, Erstdruck 1592. Rachetragçdie, sehr erfolgreich. 41, 6 Titus Andronikus: Vgl. oben Anm. 23, 26. 41, 8 Heinrich IV: Vgl. oben Anm. 9, 18–20. 41, 16 Udall, Norton, Sackville: N. Udall, Dramatiker, schrieb um 1552 fr eine College-Auffhrung die erste englische Komçdie: Ralph Roister Doister. Th. Norton, Jurist und Dichter, verfaßte zusammen mit Th. Sackville, Earl of Dorset, ebenfalls Jurist und Dichter, die erste Blankverstragçdie nach einem Drama Senecas, aufgefhrt 1561/62: The Tragedie of Gorboduc.
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41, 16 J o h n L i l l y : Vgl. unten Anm. 43, 31. 41, 23–24 Tieck bis Bacon: Shakspeare’s Vorschule I, hrsg. von L. Tieck, Leipzig 1823, S. 1–112: Die wunderbare Sage vom Pater Baco. Ein Schauspiel von Robert Green. 41, 25 Hensloo’s Liste: Tieck ber Green: „Das berhmteste und populrste seiner Schauspiele war der P a t e r B a c o , im Jahr 1591 (wie wir aus Henslow’s Liste sehn) in London gespielt, aber gewiß nicht dazumal zuerst; das Stck mag schon alt gewesen und vielleicht um 1588 oder noch frher geschrieben sein.“ Vorschule I, S. XVIII. Vorrede. – Ph. Henslowe war Theaterbesitzer und -unternehmer; sein Tagebuch ist die wichtigste Quelle fr die Theatergeschichte der elisabethanischen Zeit. 41, 25–26 Tieck bis Landschaft: Vgl. Tieck: „Dieses Stck gleicht in seiner lieblichen Harmonie manchem jener alten Gemlde, aus einer Zeit, bevor die Kunst ihre hçchste Vollendung erreicht hatte.“ Tieck spricht auch von „dieser heitern Landschaft“. Vorschule I, S. XIX. Vorrede. 41, 34 „ja bis Haupt“: Vorschule I, 14: „Ja, ich ersann und schuf ein erzen Haupt,“. 42, 14–31 Seit bis Kopf: Vorschule I, 83. Statt Phobertos (Z. 23) : „Phobetors“. Statt Heil (Z. 24): „Wohl“. Im brigen im Wortlaut bereinstimmend. 42, 34 Der bis schließen“: Vorschule I, 84; Baco zuvor: „Erwecke mich, dann schließ ich meinen Zauber,“ ebd. 83. 42, 36 „Zeit bis hin“: Vorschule I, 85. 42, 37–38 „da er bis verloren“: „Denn Baco hat nun nie mehr frohen Tag, / Da er den Ruhm von diesem Haupt verloren.“ Vorschule I, 88. 43, 8 Lacy bis that“: Eduard zu Lacy: „Nicht kannst du, Lacy, deine Bosheit bergen, / Noch so, wie Cassius that, den Trug verhllen,“. Vorschule I, 53. 43, 8–9 „Der Liebe bis Zrtlichkeit“: Margarethe zur Verteidigung Lacys. Vorschule I, 56. 43, 9–11 ber bis schwur“: Margarethe ber Lacy: „Dem Paris gleich, wie der als holder Schfer / In Troja’s Thal Oenonen Liebe schwur.“ Vorschule I, 24. 43, 11–12 „An bis machen“: Heinrich III. bei der Begrßung der Eleonore von Castilien: „Willkomm’, ihr Herr’n, willkomm’ des Westlands Kçn’ge / An Englands Ksten, deß’ gespaltne Klippen / Zur eignen kleinen Welt dies Albion machen:“. Vorschule I, 25. 43, 12–14 „Boshafter bis Selbst?“: Eduard: „Boshafter Lacy, liebt ich dich nicht mehr, / Als Alexander den Hephstion? [. . .] War’st du nicht Eduards zweites Selbst?“ Vorschule I, 54. 43, 15–16 „Miß bis lçsen“: Margarethe: „Drum, wrd’ger Eduard, miß es nach dir selbst, / Ob Frauengunst den Mann zum Fall nicht zwinge, / Ob Schçnheit und der heißen Liebe Pfeil / Nicht mchtig sind, der Freundschaft Bund zu lçsen.“ Vorschule I, 55. 43, 18–27 Im bis feiern: Dem Wortlaut nach ebd.
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43, 31 Gelbcke I 7: Die Englische Bhne zu Shakespeare’s Zeit I, bersetzt von F. A. Gelbcke, Einleitungen von R. Boyle, Leipzig 1890. D.s Angabe bezieht sich auf die Allgemeine Einleitung, in der von der Entwicklung des Theaters die Rede ist. „Aus dieser ausgesprochenen Vorliebe entstand, was wir in Ermangelung einer bessern Bezeichnung ‚das Hof-Drama nennen wollen, dessen eigentlicher Reprsentant Lilly war. [. . .] Peele’s ‚Verhçr (arraignment) des Paris ist ein Beispiel, wie Lilly’s Vorgang Nachfolge fand. Aber Peele’s Hand war zu ungeschickt, als daß er mit Lilly’s anmuthiger und fein zugespitzter Prosa htte wetteifern kçnnen. Lilly selbst stiftete keine eigentliche Schule, doch kçnnen wir seinen Einfluß in den anmuthigen Theaterstcken John Day’s erkennen, der seine handelnden Personen in eine weit entlegene Welt versetzt, die durch ihre Unwirklichkeit nur um so reizvoller wird.“ 43, 31 Hofdrama Lily’s: J. Lyly, Lyriker, Dramatiker, Romancier; vielseitig, angesehen. Schuf eine Art romantischer Komçdie. A most excellent comedie of Alexander, Campaspe, and Diogenes (1581). 43, 31 Peele’s Verhçr: G. Peele, Schauspieler und Bhnenautor. The Araygnement of Paris (1584). 43, 32 John Day: Dramatiker, bekannt durch seine Verssatire: The Parliament of Bees, erste erhaltene Ausgabe 1641. 44, 10–11 Gelbcke I 8: D.s Beschreibung, die auf den Nachweis folgt, lehnt sich an die Allgemeine Einleitung an. Vgl. Gelbcke I (wie oben Anm. 43, 31), S. 8 f. 44, 12 Tamerlan: Ch. Marlowe, Tamburlaine the Great, uraufgefhrt 1587/88, Erstdruck von 1590. 44, 12 Gewaltmensch: Am rR: Eurip.? Zeitalter der Sophisten NB? 44, 13 Octavia: Tragçdie, in deren Mittelpunkt die Grausamkeit Neros steht, verschiedentlich bestritten, ob Seneca dem Jngeren zuzusprechen. 44, 17–19 das Leben bis Englands Seeherschaft: Am lR auf C 70, 480v: G. p 9: Reisegefhrten eines Frobisher, Davis Cavendish, Drake, Raleigh, Grenville –, die blutige Colonisation der Spanier – die blutige Natur der Neger etc. – Vgl. Gelbcke I (wie oben Anm. 43, 31), S. 9: „An die Wunder gewçhnt, von welchen die Reisegefhrten eines Frobisher, Davis, Cavendish, Drake, Raleigh, Grenville und anderer berichtet hatten, erhitzt von den Greuelthaten, welche von und an den Spaniern und wilden Negern verbt worden waren, fand diese Zuhçrerschaft an der Geschichte eines scythischen Schfers, der sich die halbe Welt durch barbarische Grausamkeit unterwarf, nichts Unwahrscheinliches und Abstoßendes, [. . .].“ 45, 3 etwa 2 Monate: Am rR: Gelbcke I, 111. Aus dem biographischen Text, der Marlowes Drama: Eduard II. in Gelbckes Band I (wie oben Anm. 43, 31) vorausgeht: „Marlowe wurde ungefhr zwei Monate vor Shakespeare, im Februar 1564, in der Stadt Canterbury als der Sohn armer Aeltern geboren, [. . .].“ 45, 8–10 Mit bis Herschernatur: Durch Streichungen unrichtiges Satzgefge korrigiert; [Glauben] ergnzt aus der vorangehenden gestrichenen Stelle. 45, 13–15 II 7 bis Herschaft: Wçrtlich: „Wie die Natur uns aus vier Elementen / Erschuf, die sich
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um Herrschaft in uns streiten, / So lehrt sie uns zum Hçchsten aufzustreben,“. Bodenstedt III, 187. Die von D. zitierte Stelle schließt sich unmittelbar an. 45, 16–24 „Und unser Geist bis Krone!“: Am rR: Bodenst. III 187. Nachweis fr Tamerlans Monolog aus II, 7. Vgl. die vorangehende Anm. Einige Abweichungen in der Interpunktion; der letzte Vers des Zitats: „Das alles Andere einschließt: eine Krone!“ 45, 27–34 In Wuchs bis angethan.“: Zu D.s Wiedergabe aus Tamerlan II, 1 vgl. „Er ist / Von hohem Wuchs und mchtiger Gestalt, / Aufstrebend himmelan wie seine Wnsche. / So wohlgefgt und fest sind seine Glieder, / Die breiten Schultern so gewaltig, daß er / Wie Herkules den Atlas tragen kçnnte. / Im Rahmen seiner Augen rollt es leuchtend / Als ob der ganze Himmel darin strahlte / Im vollen Glanz der Sterne; und ein Schein / Geht davon aus, der seine Schritte leitet / Zum Thron des Ruhmes und der Weltherrschaft. / Bleich ist sein Antlitz vom rastlosen Kampfe / Der Leidenschaften. Wenn in Falten sich / Die hohe Stirne legt, wird jede Falte / Ein Vçlkergrab. Doch wenn die Stirn sich glttet, / So strahlt sie lauter Freundlichkeit und Leben. [. . .] Und Arm’ und Finger hat er, lang und sehnig, / Die Muth und bermßige Kraft verknden. / Ein Mann zum Weltbeherrschen angethan, / So steht vor uns der mchtige Tamerlan.“ Bodenstedt III, 184 f. 46, 1–6 Der Kçnig bis erwacht: Aus: Tamerlan II, 4; berichtet in Bodenstedt III, 186. Die entsprechende Szene in Heinrich IV., zweiter Teil. IV, 4. 46, 6–8 Ein anderes bis zu sein: Tamerlan IV, 2; berichtet in Bodenstedt III, 192. 46, 8–10 Wie bis Banner.“: Tamerlan IV, 1. „Folgt hierauf dann nicht blinde Unterwerfung: / Wird schwarz sein Zelt, schwarz wehen seine Banner, [. . .].“ Bodenstedt III, 192. 46, 16 „Nun bis Weib.“: Vgl. Tamerlans Schlußwort, Shakespeare 47, 1–22, und die folgende Anm. 47, 1–22. 47, 1–22 Nun bis gefeiert werden: Abschließender Monolog Tamerlans. Bodenstedt III, 198 f. Kleine Abweichungen von der Vorlage in Orthographie und Interpunktion. Außerdem: Statt unsre (Z. 2): „unsere“. Statt die uns unterthan (Z. 4): „die mir unterthan“. Statt heilgen (Z. 12): „heiligen“. Statt begehen (Z. 14): „begehn“. 47, 26 Zwischen Roger bis Lordkanzler: Fausts Wissensdrang bei Marlowe bildet, so D., eine Brcke zwischen R. Bacons Kritik an der Wissenschaft und F. Bacons auf Herrschaft des Menschen und Beherrschung der Natur gerichtete Wissenschaftsauffassung. Zu F. Bacon vgl. oben Anm. 35, 3–9; Anm. Goe 125, 10–23. 47, 28 dieser Faust: Ch. Marlowe, The tragicall History of D. Faustus, entstanden vermutlich um 1592, erster bekannter Druck: London 1604. 48, 23–24 Oft bis verwirrt.“: Bodenstedt III, 213. Faust: „Und ich, der oft durch feine Syllogismen / Verwirrt die Kçpfe deutscher Theologen,“. 48, 24–28 Den Kern bis Sz. 1.): Wçrtlich: „Die Bibel Hieronymi – prf’ sie wohl. / Stipendium peccati mors est: ha! stipendium! / Der Tod ist Lohn der Snde; schwer zu fassen / Si pecasse negamus, fallimur, et nulla est in nobis veritas, / Behaupten wir, von Snde frei zu sein – / So tuschen
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wir uns selbst und keine Wahrheit / Ist in uns . . . Nun, denn m s s e n wir ja sndigen, / Und folglich sterben. Ja, auf ewig sterben! / Welch eine Lehre! Che sera, sera: / Was sein wird, wird sein; – fort Theologie!“ Bodenstedt III, 210. 48, 28–31 Dem entspricht bis 231): Aus dem Dialog Fausts mit Mephistopheles. Denkst Du, ich sei solch alberner Phantast, / Nach diesem Leben ewige Qual zu trumen? / Das sind nur Possen und Altweibermrchen.“ Bodenstedt III, 231. 48, 35–37 „Herscher bis erringen“: Vgl. „Kçnigen und Kaisern / Gehorcht man blos in ihrem eignen Land, / Doch wer h i e r i n zum Herrscher wird, deß Reich / Hat keine Grenze als den Geist des Menschen, / Ein guter Zaubrer ist ein halber Gott; / Drum strebe, solche Gottheit zu erringen!“ Bodenstedt III, 211. 49, 1–4 In diesem bis (236): „Nun sage mir, wer hat die Welt erschaffen? – Ich will nicht. – Sßer Mephistopheles, sag’ es mir. [. . .] Ja, was nicht gegen unsre Herrschaft ist.“ Bodenstedt III. 49, 5–6 „Die Hçlle bis (220): Mephistopheles: „Was? Hier ist Hçlle, ich bin nicht aus ihr.“ Bodenstedt III, 220. 49, 6–9 „Keine bis ist.“: Antwort auf Fausts Frage: „Doch w o ist die Hçlle? – Tief in dem Schoße dieser Elemente, / Wo wir gepeinigt sind und immer bleiben: / Denn keine Oertlichkeit hat sie, noch Grenze / In Zeit und Raum; doch, wo w i r sind, ist Hçlle, / Und wo die Hçll’ ist, sind auch ewig w i r . / Mit Einem Wort: Wenn einst die Welt zerstiebt / Und alle Kreatur gelutert wird, / Ist Alles Hçlle, was nicht Himmel ist.“ Bodenstedt III, 231. 49, 18–27 Wie? bis leben: Einige orthographische Abweichungen; bricht im Satz ab. Statt vom Faust (Z. 20): „von Faust“. Bodenstedt III, 221. 49, 33–35 „Mein Herz bis erhebt: Zum zitierten ersten Vers vgl. einen weiteren dieser Redepartie: „Ich bin entschlossen, Faust soll nicht bereuen.“ Bodenstedt III, 234. Die von D. genannte Parallele: Hamlet III, 3. 50, 3–4 Steht bis komme: Im Wortlaut wie die Vorlage. Bodenstedt III, 302. 50, 14 Guise: Geschlecht lothringischer Herzçge, in politische und religiçse Machtkmpfe verwickelt. D. spielt wahrscheinlich auf Henri I. de Lorraine, Herzog von Guise an, Fhrer der Katholischen Liga und mitverantwortlich fr die Bartholomusnacht. 50, 17 Marlowe bis Macchiavelli: Ch. Marlowe, The Famous Tragedy of the Rich Iew of Malta, uraufgefhrt 1589 oder 1590; Erstdruck 1633. In: Alt-Englische Schaubhne I, bersetzt und hrsg. von E. von Blow, Berlin 1831. Ch. Marlow, Der Jude von Malta. Erster Akt. Machiavel kommt als Prolog. Schaubhne I, 285. 50, 25–28 Nachdem bis hlt: Zur Vertrautheit Shakespeares mit Machiavelli vgl. oben Anm. 34, 21. N. Machiavelli, Il Principe (wie Anm. Al 319, 3–5). 50, 29 Daß der Weltlauf: Am rR Literaturangabe D.s: Alt-Englische Schaubhne bersetzt von Blow I. Vgl. oben Anm. 50, 17.
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50, 33–34 Malteserritter bis Geist.“: Barabas ber die Malteser: „Ja, Politik ist ihres Glaubens Geist, / Nicht Einfalt, wie sie glauben machen wollen.“ Schaubhne I, 305. 50, 35 (Nahm bis Verbrechen?): Vielleicht Anspielung darauf, daß in der Passionsgeschichte Schcher als die gewçhnlichen Ruber und Verbrecher dargestellt werden, Barabas dagegen eher zu den Aufstndischen gehçrt. 50, 36–38 Die Juden bis Schtze?“: D. zitiert Barabas mit kleinen Abweichungen: „Und wir bereichern uns von allen Seiten: / Das ist der Israel verheißne Segen, / Und dies war Abrahams Glckseligkeit.“ Schaubhne I, 292. 50, 36 Israel: Am rR: p. 308 Bewußtsein „aus feinrem Stoff“ zu sein, durch die angeborne Kunst zu rechten berlegen zu sein. Barabas setzt sich von seinen Glaubensbrdern ab, die ihn seiner Verluste wegen bedauern: „Nein, Barabas ist beßrem aufbewahrt, / Aus fein’rem Stoff als der gemeine Mann, / Der alles nach der Gegenwart ermißt.“ Schaubhne I. 50, 37 Abrahams Glckseligkeit.“: D. notiert auf der linken Seite: Erluterungen p 327: In Florenz etc. Barabas: „In Florenz lernt’ ich meine Hnde kssen, / Die Schultern zucken, nennen sie mich Hund, / Und tief wie ein Barfßermçnch mich bcken,“. Schaubhne I, 327 f. 50, 37–38 „Wen bis Schtze?“: Schaubhne I, 292. 51, 1–2 Er zhlt bis auf: Vgl. Schaubhne I, 293. 51, 3–5 Seine Dialektik bis 303: Im Zusammenhang: „Doch wre, sprecht, der Stamm, woraus ich bin, / Auch ganz und gar in Sndigkeit verworfen, / Kommt mir es, ihre Schuld zu bßen zu?“ 51, 5 p 327 bis etc.: D. bezieht sich auf die Erklrung von Barabas: „Ich bin nicht von dem Stamme Levy’s, ich, / Der bald Beleidigungen kann vergessen.“ 51, 5–6 cynisch bis 331: Die Voraussage, sein Verhalten werde seine Frchte tragen, bezieht Barabas auf die Nonnen, denen sein Haus gegeben worden ist: „So mag es sein, daß sie einst Frchte tragen,“. D. wiederholt Urteil und Seitenangabe. Shakespeare 51, 13. 51, 10–12 Auf dem Markte bis 331 ff.: Lange Szene auf dem Sklavenmarkt, wo Barabas das geeignete Werkzeug findet. 51, 17 Alexandriner: „La pompe insparable des Alexandrins ncessite dans l’expression une certaine noblesse soutenue.“ Constant 52. D. sttzt sich in seinem Abschnitt zur franzçsischen Tragçdie weitgehend auf B. Constants berlegungen zum franzçsischen und deutschen Theater. Die von D. gebrauchte Ausgabe nicht ermittelt; Nachweise beschrnken sich auf grçßere Zusammenhnge aus den Rflexions. 51, 20 Theramenes: J. Racine, Ph dre (1677) V, 6. Thram ne berichtet vom Tod Hippolytes, des Sohnes von Thse. 51, 23–24 Constant bis ab: „Cependant, malgr les gÞnes qu’elles imposent et les fautes qu’elles peuvent occasionner, les units me semble une loi sage.“ Constant 60.
Shakespeare
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51, 24–29 Die Franzosen bis Leidenschaft: „Les FranÅais [. . .] ne peignent qu’un fait ou une passion.“ „Les FranÅais ont un besoin d’unit qui leur fait suivre une autre route. Ils repoussent des caract res tout ce qui ne sert pas faire ressortir la passion qu’ils veulent peindre: ils suppriment de la vie antrieure de leurs hros tout ce qui ne s’encha ne pas ncessairement au fait qu’ils ont choisi.“ Constant 60 f. 51, 33 Orest: Eine der vier Figuren, zwischen denen sich Racines Liebestragçdie Andromaque (1668) abspielt. 52, 9 Roxane: Eiferschtige Geliebte in Racines Tragçdie Bajazet (1672). 52, 9–12 Die bis Individuum: „Cependant la diversit me semble plut t encore dans la passion, que dans le caract re de l’individu. [. . .] Celui de Polyphonte convient presque tous les tyrans mis sur notre thtre, tandis que celui de Richard III, dans Shakespear, ne convient qu’ Richard III.“ „Polyphonte est un genre, Richard III un individu.“ Constant 62. Der in der Hs. nicht identifizierbare Polyphonte ist der tyrannische Herrscher aus Voltaires Drama Mrope (1744). 52, 13–16 Richard III. bis verschieden: Vgl. oben Anm. 8, 27–28. 52, 22 Hedda Gabler: In H. Ibsens Drama von 1890 gibt es keinen Ortswechsel. 52, 36 – 53, 1 Die bis Unglck: „Nos hrones passionnes, Alzire, Amnade , Adlade du Guesclin, ont quelque chose de mle, on sent qu’elles sont de force combattre contre les vnemens, contre les hommes, contre le malheur.“ Constant 65. Hauptfiguren aus Voltaires Tragçdien: Alzire ou les Amricains (1736); Tancr de (1760); Adlade du Guesclin (1734). 53, 3–4 Berenize, Esther, Athalide: Zwei der „hrones tendres“ stammen aus Racines gleichnamigen Tragçdien: Brnice (1671), Esther (1689); Atalide aus der oben (Anm. 52, 9) genannten Tragçdie Bajazet. 53, 16–17 „Die Moral bis deutschen.“: „La morale du thtre en France est beaucoup plus rigoureuse que celle du thtre en Allemagne.“ Constant 66. 53, 17–18 Die Unabhngigkeit bis choquieren: „Les spectateurs franÅais n’auraient pu tolrer dans une jeune fille cette exaltation, cette indpendance, d’autant plus trang re nos ides, qu’il ne s’y mÞle aucun garement, aucun dlire. Nous aurions t choqus de cet oubli de toutes les relations, [. . .].“ Ebd. 53, 18–21 Das sentiment bis Leben.“: „[. . .] mais il [l’enthousiasme] ne peut jamais servir de base un syst me gnral, et nous n’aimons en France que ce qui peut Þtre d’une application universelle. Le principe de l’utilit domine dans notre littrature comme dans notre vie.“ Ebd. 53, 29 Gassendi: P. Gassendi war ab 1645 Mathematikprofessor am Coll ge royal in Paris. Anhnger Galileis und Montaignes. Unwahrscheinlich, daß Moli re von ihm unterrichtet wurde, auch wenn Philinte im Misanthrope (1667) an ihn erinnert. 53, 32 Lucrez: Zur angeblichen Nachdichtung einiger Teile aus dem didaktischen Gedicht: De rerum natura des Lukrez vgl. unten Anm. 54, 20–22.
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54, 20–22 Eine bis 153 ff.: D. zhlt die Verse der angegebenen Szene; in gewohnter Zhlung umfaßt die theaterwirksame Redepartie der Eliante die Verse 711–730, besagt, daß Liebe ihren Gegenstand verschçnt und geht zurck auf Lukrez, De rerum natura IV, 1155–1170. 54, 22 Mahrenholtz 7: R. Mahrenholtz, Moli re’s Leben und Werke vom Standpunkt der heutigen Forschung, Heilbronn 1881, offensichtlich Abschnitt VII des Buchs. Danach ist Gassendis Einfluß nicht gesichert (S. 155 f.); ebensowenig die Ablehnung von Aristoteles und Descartes (S. 28 f. und S. 277). 54, 26 Terenz: Mahrenholtz referiert und kommentiert: „Dem Dichter Moli re wird hier, die rechte Mitte zwischen Plautus und Terenz’, also die Vermittlung zwischen der roheren Posse und der feineren Komçdie zugewiesen, [. . .].“ Mahrenholtz (wie die vorangehende Anmerkung), S. 8. 54, 28 Descartes bis lesen: Der biblische Ausdruck: Buche des Lebens (Ps 69, 29) ist kaum gemeint. Bei Descartes: „livre du monde“ oder liber mundi im Discours de la Mthode (1637): „Mais aprs que i’eu employ quelques annes a estudier ainsi dans le liure du monde, & a tascher d’acquerir quelque experience, ie pris vn iour resolution d’estudier aussy en moy-mesme, [. . .].“ In: Descartes, Oeuvres VI, hrsg. von Ch. Adam und P. Tannery, Paris 1902, S. 10. Eine weitere Stelle S. 9; beide in der lateinischen bersetzung (1644) auf S. 544 und 545. J. H. von Kirchmann bersetzt: „in dem grossen Buche der Natur“ und „in dem Studium des Buches der Welt“. Philosophische Bibliothek XXV, hrsg. von J. H. von Kirchmann, Berlin 1870, S. 25 und 26. Vgl. D.s Darstellung der Affektenlehre des Descartes. Ges. Schr. II, 483–492. 54, 37 Auffhrung bis Lgner: Le Cid (1637), Tragikomçdie nach spanischer Vorlage; Le menteur (1644), Komçdie. 54, 40 Scaramouche: Figur der Commedia dell’arte, seit Mitte des 17. Jh.s auf der franzçsischen Bhne. Karikiert den wortstarken spanischen Adeligen. 55, 10 Scarron: P. Scarron, Le Roman comique (1651–57)); zweiteiliges Romanfragment nach dem Vorbild des Schelmenromans; zwei Liebespaare reisen mit einer Schauspielertruppe. 55, 26 Katharina von Medici: Eine Truppe italienischer Schauspieler wurde von Heinrich III., dem Sohn Katharinas, 1577 nach Paris geholt. 56, 33 „Antonio und Cleopatra“: Shakespeares Tragçdie Antony and Cleopatra entstand um 1606/07. 58, 4–5 Lear bis Carlyle: ber Carlyles Rckzug in die Einsamkeit vgl. Ges. Schr. IV, 514. Carlyle lebte von 1826–1834 in Schottland, nach D., wie im Exil.
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Ueber Gotth. Ephr. Lessing. Entstehung und berlieferung Wer wird uns L e s s i n g auslegen? Diese Frage D.s leitet Notizen zur Bedeutung Lessings ein, die bereits auf den knftigen Aufsatz hinweisen. 24. Januar 1864, JD 187. Erfllt von den politischen Ereignissen 1866, berichtet D. seinem Vater Mitte Juni von den Schwierigkeiten, in dieser Situation Vorlesungen zu halten und fhrt fort: Daneben bin ich sehr fleißig in den letzten Wochen, habe einen großen Essay ber Lessing beinahe fertig und bin, so gut es geht, am Schleiermacher, damit, sobald der erste Sonnenstrahl von Friede da ist, er sich aus dem Manuskript entpuppen kann. JD 215. Seinem Freund und Schwager H. Usener kndigt er Mitte Dezember 1866 an: Nchstens kann ich Dir das erste Stck von 5 Druckbogen, preußisches Jahrbcher-Format, ber Lessing schicken. JD 225. An E. Reimer schreibt D. undatiert (die Datierung auf 17. 12. 1866 von fremder Hand ist vermutlich das Eingangsdatum): Verehrtester Freund, der – sonst sehr gnstige – Verlauf der Angelegenheit von welcher ich Ihnen neulich sprach, macht mir sehr wnschenswerth, ja von Bedeutung, daß m e i n L e s s i n g b e r h a u p t a u f d e n F e b r u a r v e r s c h o b e n w e r d e auch d e r e r s t e T h e i l . Ich schreibe heute noch in diesem Sinne an Wehrenpfennig und werde ihm proponiren, im Fall daß das Heft nicht ohnehin besetzt ist, Scherers Aufsatz ber Abraham, der 2 Bogen hat, einzurcken. Verlagsarchiv de Gruyter Berlin. W. Wehrenpfennig schließt seinen Brief vom 5. Januar 1867 an Reimer mit folgender Anweisung: „Februarheft bitte ich mit Dilthey und zwar zu 2/3 anzufangen, alles brige liegt bereit oder ist bald zu erwarten.“ Am 13. Januar 1867 vergewissert er sich noch einmal bei Reimer: „Dilthey wird zugestimmt haben daß sein Aufsatz grçßerentheils ins Februarheft und der Rest in’s Mrzheft kommt.“ Verlagsarchiv de Gruyter Berlin. D. antwortet am 10. Mrz 1867 auf nicht erkennbare Vorschlge W. Scherers: An Lessing konnte ich leider nichts mehr ndern – die Lcke Bonnet betreffend natrlich ausgenommen. Sobald der zweite Theil da ist, erhalten Sie das Ganze. JD 233. E: EH: H: D1: D2: D3: D3:
PJ XIX, 2 und 3 (1867), S. 117–161 und S. 271–294. Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey D 5 (274). Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey D 7 (274). EuD1, S. 1–136. EuD2, S. 1–158. EuD3, S. 17–174. In weiteren unvernderten Auflagen bis zur heutigen, EuD16.
Textwiedergabe nach E. Handschriftenbefund Entwrfe fr diesen Aufsatz oder die Druckvorlage sind nicht vorhanden, nur zwei bescheidene Anstze einer Weiterarbeit: schwer lesbare Randnotizen D.s auf der ersten Seite des ersten Teils, PJ XIX, 2. D 5 (274), ohne nhere Angaben und eine ebenfalls eigenhndige Ergnzung einer bestimmten Stelle dieses Teils. Sie bezieht sich auf S. 137 der PJ, bezeichnet durch die letzten Wçrter des vorangehenden Abschnitts ( erfllt wre.), der Fortsetzungshinweis bleibt unklar. Das unbezifferte Blatt ist eingelegt in einen Sonderdruck der Antwort auf Rçßlers Rezension, D 7 (274). Da die wenigen Zustze in EuD1 zwar anklingen, nicht aber in den betreffenden Zusammenhngen stehen, ist zu
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vermuten, daß sie einer ersten Phase der Arbeit an den Aufstzen in den 90er Jahren angehçren. Dafr sprche die Beschftigung mit den mçglichen Sinnen des Menschen, auch die Anspielung auf zu edierende Schriften Kants. 59 oR : Locke, Buch 2, Capitel 2 § 3: „Htten die Menschen nur 4 Sinne so wrden alle Gegenstnde des 5ten so weit außer der Sphre unsrer Kenntniß und Einbildungskraft liegen, als jetzt die Objekte des 6ten, siebten, achten Sinns nur immer sein mçgen etc.“ Mçglichkeit daß Wesen mit mehren hier fr Voltaire nchste Quelle. 59, 1–2 zwischen berschrift und I. die Notiz: geschrieben 1866. Dazu: Theorie des Fortschritts zuerst entwickelt von Turgot (cf. Oeuvres, war damals 20 Jahre alt, als diese . ber Condorcet etc. cf Comte). Dieses zu Clemens Alex[andrinus]. 59 rR: In Lessing sieht man, was ein bedeutender Mensch, der nicht gerade von Natur genialer Dichter ist leistet. zu sagen durch Reflexion. Vgl. den unbewußten Vorgang in Gçthe, dann aber auch Schillers Operationen, mit denen die Lessings große hnlichkeit haben. Vgl. ihn besonders mit Diderot und Voltaire. 78, 20 nach erfllt wre: Die Grnzen seiner poetischen Technik sind, wie die seiner Theorie, eben darin gegrndet daß er der Dichter der deutschen Aufklrung gewesen ist. Grnzen die wie berall durch starke Seiten bedingt sind. Die Einheit in den Charakteren der Aufklrung ist durch die Formirung des Charakters zu persçnlicher Vollendung vermittelst des allgemeinen, umfassenden – des philosophischen Denkens bestimmt. Unter allen Charakteren der Aufklrungszeit zeigt keiner eine so vollendete Einheit des Kopfes und des Herzens, ein solches Ausstrahlen von Lauterkeit der Gesinnung und wahrhaften, durchsichtigem Gedanken als Lessing. Wenn einmal der mnnliche lebensfreudige Kant der mittleren Lebensjahre aus den Manuscripten auferstehen wird, dann werden Er und Friedrich der Große als Reprsentanten dieser deutschen Aufklrung mit Lessing zusammenstehen, der Kçnig, der Dichter-Schriftsteller und der Philosoph. Gehalten in sich durch den herschenden Verstand, vorwrts vermittelst desselben dringend einer Zukunft entgegen, die ihnen als vollkommene Aufklrung erschien: so stellen sie sich im Handeln, im Dichten wie im Philosophiren dar. Das ist das Lebensideal der Zeit. Von ihm ist nun Lessings Technik abhngig. Sie erfaßt nicht die Bedingtheit der Handlung durch Sitten und Kultur, durch die Naturseite des Menschen. Was heute unwiderstehlich die Augen der Poeten auf sich zieht und ihre Auffassung bestimmt, diese natrliche und soziale Gebundenheit des Menschen in seinen hçchsten Handlungen, ist ja nirgend ganz von ihm bersehen, Tellheim und sein Wachtmeister, der Prinz und sein Marnelli fhren eine ganze Atmosphre mit sich. Aber sein Interesse, sein Herz gehçren dem feinen Spiel sittlicher Gefhle, welche als in der praktischen Vernunft des Menschen gegrndet angesehen werden. Ja, Lessing etc.
Zur Rezeption Schon im Mrz rt D. im Brief an seine Mutter: Lessing muß Papa zusammenheften lassen, damit er lesbar wird. Er thut hier sehr gute Wirkung, wie noch nichts, was ich geschrieben. JD 236. Am 28. Mrz 1867 setzt sich Wehrenpfennig bei Reimer fr die sofortige Zahlung des Honorars ein: „Dilthey ist in großer Geldklemme, sein Baseler Gehalt wird ihm halbjhrlich postnumerando gezahlt und so petitionirt er bei Ihnen um Auszahlung seines Honorars zum 1 April. Ich bitte Sie recht dringend, ihm zu willfahren, der Eßay ber Leßing war brillant, ich hçre von allen Seiten die
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gnstigsten Urtheile. Wir mßen uns, glaube ich, den Mann warm halten. Die beiden Theile seines Eßay’s betragen 68 1/2 Seite, macht zu 22 r (weniger werden wir fr d i e s e Arbeit nicht rechnen drfen) 94 rth. Nochmals ich bitte, daß Sie sich erweichen laßen.“ Verlagsarchiv de Gruyter Berlin. Eine erste Kritik des Aufsatzes erschien im September: C. Rçßler, Neue Lessingstudien, PJ XX, 3 (1867), S. 268–284. D. reagierte darauf im Oktober: Zu Lessing’s Seelenwanderungslehre, PJ XX, 4 (1867), S. 439–444. Etwa gleichzeitig, anlßlich der bersendung der ersten Lieferung Leben Schl bemerkt er im undatierten Brief an Treitschke: Die Seelenwanderungssnde bitte ich mir nicht anzurechnen: es ist nicht m e i n Geschmack. Es scheint, Rçßler traut Lessing wirklich zu, er habe so was in sich gefhlt, als ob er schon einmal als Jude irgendwo fromm und schlau geschachert habe. JD 251. Im Separatvotum vom 10. Dezember 1867 fhrt H. Usener D.s Aufstze ber Novalis und Lessing an. Vgl. Novalis Tg. , Zur Rezeption. Auf Rçßlers Einwnde und seine Erwiderung verweist D. in Einleitung 102 und geht ber zwei Jahrzehnte spter nochmals darauf ein in seinen Anmerkungen zu EuD1. Beide Texte werden hier zugnglich gemacht. Constantin Rçßler Neue Lessingstudien. Die Erziehung des Menschengeschlechts. Beinah dreißig Jahre sind verflossen, seit Gervinus seine berhmte Charakteristik Lessing’s schrieb und die Deutschen warnte, ihrem Lessing das Schicksal zu bereiten, welches dieser an Klopstock so wenig beneidenswerth gefunden. „Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein.“ Man darf jetzt wohl sagen, daß die Bitte im Namen Lessing’s nicht vergeblich erneuert worden ist. Unter dem Geschlecht, welches seit jener Mahnung heraufgekommen, ist Lessing nicht blos gerhmt, sondern viel gelesen worden. Eine Lessingliteratur ist entstanden, die unter zahlreicher Spreu den musterhaften Anfang einer Lebensbeschreibung und sonst manche gediegene Forschung enthlt. Lessing’s schçnste Dichtung hat allein eine Literatur hervorgerufen, die wenigstens davon Zeugniß giebt, daß man angefangen hat, nicht blos Lehre und Tendenz des Gedichts zu ergreifen, sondern auch den poetischen Zauber desselben zu empfinden. Allerneuestens ist dieser Zauber mit der Bewegung eines aufrichtigen Enthusiasmus verkndet worden. Bei alledem scheint es noch keineswegs an der Zeit, fr das Lessingthema die Aufschrift zu whlen „Lessing und kein Ende.“ Solche Aufschrift zeigt eine Entschuldigung und die Meinung an, daß der behandelte Gegenstand wohl nchstens erschçpft sein mçchte. Die fruchtbare Periode des Lessingstudiums geht vielleicht erst an. Mit vollem Recht ist an dieser Stelle vor einiger Zeit bemerkt worden (Preußische Jahrbcher, Februar 1867. W. Dilthey ber Gotth. Ephr. Lessing), daß gerade wir, gerade jetzt, Lessing brauchen, daß er unseres Geschlechtes, daß der Faden seiner letzten Untersuchungen heute unmittelbar wieder aufzunehmen ist. Wir werden diesen Ausspruch sogleich verstehen, wenn wir uns vergegenwrtigen, daß die letzten Jahre dieses großen vereinsamten Lebens von demselben Problem erfllt sind, welches theoretisch und praktisch das unmittelbare Problem des heutigen Geschlechtes geworden ist. Lessing lebte mannigfach bewundert, aber undeutlich erkannt unter seinen Zeitgenossen. An ihm erfllte sich, was so oft eine Redensart, in den allerseltensten Fllen eine Wahrheit ist, daß er ber seiner Zeit stand als ein Lehrer nicht blos seiner, sondern noch mehr der Folgezeiten: „ein Brger derer, welche kommen werden.“ Der Mann selbst freilich, der bis an sein Lebensende mit unzerstçrbarer Hoffnung der Gegenwart zugewandt blieb, wre zu bescheiden gewesen fr den Stolz, die Zukunft zu erleuchten, und zu stolz fr die Bescheidenheit, der Gegenwart nicht helfen zu kçnnen.
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Das Problem, welches die reife Lebenszeit Lessing’s durchzieht und das Ende derselben ausschließlich bewegt, ist aber kein anderes, als die große Frage: wo findet das sittliche Leben der Menschheit den festen Ankergrund f r d a s a l l g e m e i n e V e r s t n d n i ß , wenn der scheinbare Ankergrund außernatrlicher Thatsachen – die angeblich von der Geschichte berliefert – vor der Kritik verschwindet, ja wenn es ausgemacht ist, daß historische Thatsachen, gleichviel ob erdichtet oder wahrheitsgemß berichtet, in keinem Fall der Beglaubigungsgrund nothwendiger Vernunftwahrheiten sein kçnnen? Dieses Problem hat seit Lessing freilich die tiefsten Geister unablssig, aber nur individuell, nur esoterisch beschftigt. Von jetzt an ist es die dringende Angelegenheit der Menschheit, die hçchste praktische Frage geworden, die ber die Sicherheit, ber die Fortdauer und Fortentwickelung unserer ganzen Cultur entscheidet. Lessing hat fr dieses Problem, wie schon unsere Fassung andeutet, nicht blos eine theoretische Lçsung gesucht, d. h. eine solche Lçsung, die den denkenden Geist auf der Hçhe, wohin ausnahmsweise Fhigkeiten tragen, befriedigen kçnne. Lessing hat gefhlt, gewußt, daß die Antwort auf die hçchste Frage der Menschheit ein allgemein zugngliches, d. h. auch der einfachen Denkweise erreichbares Verstndniß zulassen muß, wenn anders die Antwort der Menschheit, und nicht blos den Halbgçttern helfen soll. In diesem Sinn hat Gervinus gewiß Recht mit der Annahme, in Lessing wrde unter anderen Zeitbedingungen Trieb und Fhigkeit hervorgetreten sein, dem Protestantismus von populr-constitutiver Seite eine neue Entwickelung zu geben. Es erscheint allzu ngstlich, auf den Urkundenbeweis zu dringen, daß Lessing an einer besonderen Stelle fr die Bedingungen einer Kirchengrndung im Anschluß an seine eigenen Religionsanschauungen Antheil verrathen habe. Der Beweis ist geliefert, weil der Mann einen Heldenkampf unternahm, einer Kritik unbefangenes Gehçr zu verschaffen, die ihm selbst in keiner Weise gengte, nur zu dem Zweck, in das allgemeine Bewußtsein die Erkenntniß einzufhren, daß mit historischen Thatsachen Vernunftwahrheiten ebenso wenig beseitigt wie gesttzt werden kçnnen: daß das Zufllige nicht der Begrnder des Ewigen sein, aber ebenso wenig das Ewige mit seinem vergnglichen Schein begraben kann. Wer bezweifelt, daß es um d i e s e Wahrheit Lessing zu thun, daß b e i d e Seiten derselben ihm gleich wichtig gewesen? Der Glaube hat das Recht, sich von den ußeren Thatsachen der Natur und Geschichte unabhngig zu fhlen. Dies war Lessing’s Ueberzeugung. Aber um jene Unabhngigkeit behaupten zu kçnnen, muß der Glaube von fremden Thatsachen gereinigt sein. Die Menschheit hat des Glaubens, der mit solchen Thatsachen vermischt war, einst bedurft, sie bedarf bald des r e i n e n Glaubens und sie wird des G l a u b e n s – der Zuversicht des, das man nicht sieht – immer bedrfen, wenn nicht etwa die Sinne das ganze Leben der Menschheit schon jetzt umspannen sollen oder dereinst umspannen werden. Vielleicht ist in diesen Worten die Summe der Lessing’schen Ueberzeugung angegeben, die indeß erst durch eingehende Erluterung verstanden werden kann. Wodurch ist das Problem, welches Lessing’s Geist zuerst mit voller Deutlichkeit ergriff, heute die dringende Angelegenheit der Menschheit geworden? Weil der menschliche Verstand die Erscheinungen der Natur und Geschichte in einem Umfang, wie noch nie, durchdringt. Weil in einem Umfang, wie noch nie, der menschliche Geist die Krfte der Natur dienstbar gemacht hat und dienstbar zu machen fortfhrt. Weil mit einer Selbstndigkeit des Bewußtseins, wie noch nie, der menschliche Geist sich anschickt, die Gebilde und Ordnungen des menschlichen Gemeinlebens nach seinem Sinn und Willen einzurichten. Und auf dieser Hçhe der Selbstndigkeit sollte der menschliche Geist zweifeln drfen, ob die Materie, die er zu tglich erneutem Staunen sich unterwirft, vielmehr ihn beherrscht, ob er, wie von außen, so in sich selbst frei sein soll, frei ist und fr ewig sich frei zu halten das Recht hat? Noch nie ist das freie Lebensgefhl der Menschheit in so weite Schichten gedrungen, und der menschliche Geist sollte das Banner seiner Freiheit, d. i. der ihm inwohnenden hçheren und gesetzmßigen Bildungskraft, nicht berallhin sichtbar
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aufpflanzen, ja aufzupflanzen verpflichtet sein, wenn er jene Massen nicht dem Taumel und einer schlimmeren Versunkenheit, als die frhere Dumpfheit war, widerstandslos berliefern will? Ein neues Erwachen geht durch die Culturvçlker. Den erhçhten sittlichen Bedrfnissen gengen die alten Sttzen nicht mehr. Dies wird in den Lndern des rçmischen Glaubens am deutlichsten und am schwersten empfunden. Zeigte der deutsche Protestantismus heute ein anderes Bild, Einheit und Sicherheit anstatt Zerfahrenheit und Zweifel, wre der wissenschaftliche Erwerb, den er gesammelt, wre dieser Erwerb gesichtet und gestaltet, um den Nationen als Leitstern zu dienen; die Vçlker wrden nach seinem Brot die Arme ausstrecken, die romanischen Vçlker, wie die im Glauben halbromanischen Angelsachsen. Statt dessen kann der deutsche Protestantismus den Zweifel nicht verbergen, ob er die Leitung des eigenen Volks behalten wird. Und doch muß er sie behalten, denn er enthlt noch immer das Salz der sittlichen Welt. Aber das Salz muß sich erfrischen und befreien. Noch keiner hat das Reinigungswerk in so großem und richtigem Sinn begonnen, wie Lessing. Darum ist mit Recht gesagt worden: jeder Buchstabe Lessing’s soll uns heilig sein. Wir setzen hinzu: jeder Buchstabe Lessing’s, der jener großen Frage gewidmet ist, soll uns lebendig werden und uns wohlverstanden vor dem Geiste stehen. Es fehlt noch viel daran. Vor Gervinus wurde Lessing bewundert und wenig gelesen. Seitdem liest man ihn, um zu bewundern, noch ehe man verstanden hat. Ein solches Lesen und eine solche Bewunderung fhren hergebrachterweise dahin, daß die Leser den Schriftsteller sagen lassen, was ihnen beliebt. Es steht fest, daß der Schriftsteller vortrefflich ist, das Allervortrefflichste ist aber die eigene Meinung. Also stimmt der Schriftsteller mit dem Leser, nicht umgekehrt. Diese Hochschtzung eines gefeierten Schriftstellers mag aufrichtig gemeint sein, ist aber von der wahren Achtung weit entfernt und entstellt das wahrhafte Wirken eines tiefen Geistes. Wir brauchen den l e b e n d i g e n Lessing und darum wird er noch anders gelesen werden, als bisher. In die Arbeit unserer Tage hineingezogen, wird der Meister vielleicht weniger ergebene Zuhçrer, aber desto verstndnißvollere Freunde zhlen. Wie mangelhaft Lessing bisher noch gelesen worden ist, dafr bietet einen auffallenden Beleg eine seiner paradoxesten Meinungen, die er am Schluß einer seiner am einstimmigsten gefeierten Schriften vorgetragen. Ich meine den Glauben an die Seelenwanderung, wie ihn die letzten Stze der „Erziehung des Menschengeschlechts“ aufstellen. Wie kommt dieser Glaube, der am Ende einer wunderbar tiefsinnigen Gedankenreihe mit einem eigenthmlichen Feuer, mit der Parrhesie einer innigen, unwiderstehlich hervorbrechenden Ueberzeugung vorgetragen wird, in die Lessing’sche Gedankenwelt? Wie schließt er sich an die Stze der „Erziehung des Menschengeschlechts?“ Wie viele unter den Bewunderern Lessing’s haben sich diese Frage aufgeworfen, oder wenigstens eingesehen, daß sie aufgeworfen zu werden verdient! Gewçhnlich ist man ber jene auffllige Meinung stillschweigend hinweggegangen mit kluger oder mit nichtssagender Miene, wie man ber eine wunderliche Arabeske hinweggeht, die ein Maler oder Kalligraph als Auslufer anbringt. Solch leeres Phantasiespiel soll Lessing angebracht haben am Ausgang einer Schrift, die man von jeher angestaunt hat um der Kunst willen, mit der sie strenge Gebundenheit des Gedankens und feurige Beweglichkeit des Ausdrucks vereinigt! Ein dunkler Ehrenmann unter Lessings’s Verehrern drckte vor Jahren in einem verschollenen Aufsatze sich ungefhr aus: es sei ein liebenswrdiger Zug an Lessing, dem reinen Verstandesmenschen, daß er am Horizont seines Geistes eine schwrmerische Wolke habe aufsteigen lassen. – Wenn das nicht eine Bewunderung ist, deren Gegenstand man bedauern mçchte! Das Mrchen von Lessing’s bloßer Verstandesbegabung hat der bescheidene Mann selbst seinen Verehrern hinterlassen, die sich verpflichtet halten, es auf’s Wort zu glauben. Mit dem Verfahren aber, aus Bescheidenheit sich gelegentlich selbst herabzusetzen, ist Niemand bler gefahren als Lessing. Ihm selbst hat die Nachwelt geglaubt, daß er keineswegs ein Genie gewesen, und der edelsten Tochter seiner Phantasie hat die Nachwelt etwas weit Schlimmeres geglaubt. Davon vielleicht bei anderer Gelegenheit.
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Was die Vision betrifft, zu welcher die großartige Betrachtung in der „Erziehung des Menschengeschlechts“ sich erhebt, so haben selbst einsichtige Prfer mit schwer begreiflicher Leichtigkeit oder Zaghaftigkeit sich des Eingehens auf dieselbe entschlagen. Cuno Fischer giebt in seinem Leibniz einen Abriß der Lessing’schen Religions- und Geschichtsanschauung, worin die Hauptgedanken Lessing’s mit der jenem Schriftsteller eigenen Einfachheit und Durchsichtigkeit zusammengefaßt sind. Allein fr Lessing’s Anschauung ber die Seelenfortdauer ist nur der Aufsatz ber die fnf Sinne benutzt. Die Schlußstze der „Erziehung des Menschengeschlechts“ werden behandelt, als wren sie nie geschrieben. Und doch ist die Vorstellung von der Seelenfortdauer in jenem Aufsatz und in diesen Schlußstzen durchaus nicht dieselbe. Der Widerspruch beider Vorstellungsweisen, der so augenfllig ist, daß er fast nicht dargethan zu werden braucht, muß entweder durch bisher unerkannte Zwischenglieder aufgehoben oder an seiner Quelle begriffen werden. Der Erste, welcher die Frage, wie jene Schlußstze in die Lessing’sche Gedankenwelt kommen, mit einiger Grndlichkeit zu beantworten gesucht hat, ist Dilthey in dem Eingangs erwhnten Aufsatz gewesen. Aber es ist eine geschichtliche Erfahrung, die darum nicht minder richtig ist, weil sie zuerst von einem Witzbold erkannt worden: das erste Verstndniß ist in der Regel ein Mißverstndniß. Dilthey bringt die Schlußstze der „Erziehung des Menschengeschlechts“ in folgende Verbindung mit dem Lessing’schen Ideengang. Lessing ist Determinist in Bezug auf die sittliche Selbstbestimmung des Menschen. Der Determinismus ist aber eine grausame Weltanschauung, wenn er den Individuen, denen er die sittliche Unvollkommenheit auferlegt, zugleich den Weg versperrt, diese Unvollkommenheit zu berwinden. Deshalb verlangt Lessing die Seelenfortdauer. Der moderne Geist kann aber das Seelenleben nicht mehr von einem Kçrper trennen. Also fordert Lessing den Wiedereintritt der Seele in das irdische Leben, in mehr als Eine individuelle irdische Existenz. Diese Schlußreihe macht einen betrchtlichen Sprung. Um die sittliche Unvollkommenheit zu berwinden, muß die Seele ber die Schranken E i n e s individuellen Daseins fortdauern. Es sei so. Aber muß sie deshalb in das irdische Dasein zurckkehren? Dilthey bejaht dies, weil die moderne Anschauung die Seele nicht mehr ohne Kçrper denken kçnne. Aber deshalb braucht die Seele nicht in das irdische Dasein zurckzukehren, sie kann sich ebenso gut auf einen anderen Weltkçrper begeben. Dies war sogar die Lieblingsvorstellung der Aufklrung zu Lessing’s Zeiten geworden. Wenn Lessing diese Vorstellung fallen ließ, so muß er ganz besondere Grnde gehabt haben. Man darf nicht sagen, jene Vorstellung von der Wanderung der Seele durch andere Weltkçrper sei zu phantastisch. Denn offenbar ist die Wiederkehr der Seele in verschiedene irdische Existenzen noch weit phantastischer. Phantastisch ist eine Vorstellung in dem Grade, als ihre Bestandtheile der Analogie mit beglaubigten Thatsachen ermangeln. Das Phantastische hçrt auf, ein Vorwurf zu sein, wenn die Vorstellung durch einen vernnftigen Zusammenhang gefordert wird. Es kommt darauf an, zu wissen, ob Lessing einen inneren Grund gehabt hat, von zwei Formen einer Hlfsvorstellung die phantastischere aufzustellen. Die Vorstellung von der Wiederkehr der Seele ist, wie phantastischer, so auch bedenklicher. Jedenfalls ist sie weit mehr geeignet, das gesunde Denken und Empfinden zu verwirren. Ist die abgeschiedene Seele einmal auf der Reise nach den Fixsternen begriffen, mag sie in das Erdenleben nicht mehr verlockend noch bengstigend eingreifen. Die Vorstellung der irdischen Seelenwanderung aber scheint angethan, dem individuellen Dasein alle wohlthtigen Schranken zu entziehen. Verdankt sie doch unverkennbar dem Reiz der Phantasie, fremdartige Lebensformen zu durchdringen, zum Theil ihre Entstehung. Sehen wir zu, ob Lessing eine so befremdende Annahme aus dem Bedrfniß seiner Zeitgenossen geschçpft hat.
Ueber Gotth. Ephr. Lessing.
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Lessing’s Denken ist durch die Lehre Leibniz’ befruchtet worden. Dieses Verhltniß ist hinlnglich bekannt. Jene Lehre enthielt den Gedanken der ewigen Seelenfortdauer und verband damit die Forderung der unaufhçrlichen Seelenentwickelung oder Metamorphose. Leibniz unterschied jedoch mit Nachdruck von der seiner Lehre unentbehrlichen Metamorphose die sogenannte Metempsychose. Die letztere hat Leibniz ausdrcklich verworfen. Folgendes ist der Unterschied zwischen Metamorphose und Metempsychose. Metamorphose ist die Vorstellung, daß mit der inneren Entwickelung der Seele auch die ußeren Organe bis zu vçllig neuen Formen umgebildet werden. Metempsychose, in dem Sinn, wie Leibniz sie verwirft und wie sie einigen Philosophen des Alterthums zugeschrieben wird, ist die Vorstellung, daß die Seele unter Bewahrung ihrer Eigenthmlichkeit in verschiedene Kçrperund Daseinsformen eingehen kçnne. Wenn man sich freilich erinnert, daß die mehr poetisch als philosophisch vorgetragenen Lehren der Pythagorer und Plato’s ber die Seelenwanderung den Gedanken festhalten, daß die Seele je nach ihrem Verhalten in verschiedene Daseinsformen versetzt werde, so scheint der Gegensatz zwischen Metamorphose und Metempsychose zu verschwinden. Als einziger Unterschied zwischen Leibniz und den alten Philosophen scheint zu bleiben, daß ersterer die Continuitt der Seelenvernderung mit wissenschaftlicher Strenge aufgestellt hat. Lessing benutzt die Vorstellung der Seelenwanderung zunchst nur fr die aufsteigende Entwickelung der Seele, und war also nicht gençthigt, der Seele eine mehrmalige irdische Verkçrperung zuzuschreiben. Um so mehr htte er sich der von Leibniz eingefhrten, von Lessing’s Zeitgenossen mit Vorliebe gehegten Vorstellung von der Wanderung durch die Weltkçrper anschließen kçnnen. Wenn Lessing fr seine Vorstellung den Ausdruck Metempsychose einmal (in dem Aufsatz „Daß mehr als fnf Sinne fr den Menschen sein kçnnen“) ausdrcklich adoptirt, so hat er dabei an einen Gegensatz gegen die Metamorphose, wie sie Leibniz versteht, in keiner Weise gedacht. Lessing’s Metempsychose soll nicht bedeuten, daß die Seele in einer ihr fremden Daseinsform gefangen gehalten werden kçnne. Das Rthsel aber, weshalb Lessing nicht nach Leibniz’ und der eigenen Zeitgenossen Vorgang sich mit der Fortdauer der Seele unter unbestimmten Entwickelungsbedingungen begngte, sondern ausdrcklich irdische Entwickelungsbedingungen forderte, ist uns bis hieher noch nicht gelçst. Das Dunkel scheint zuzunehmen, wenn wir den Aufsatz in Betracht ziehen „Daß mehr als fnf Sinne fr den Menschen sein kçnnen.“ Dieser Aufsatz stimmt vielleicht mit Leibniz’ Metamorphose der Seele. Mit der Vorstellung von der irdischen Wiederkunft der Seele – man merke wohl, die „Erziehung des Menschengeschlechts“ setzt diese Wiederkunft in den Zeitraum derjenigen einheitlichen Geschichtsentwickelung, von welcher u n s e r e Gegenwart und u n s e r e Vergangenheit Epochen bilden! – ist die Vorstellung jenes Aufsatzes zwar nicht unvertrglich, insofern beide Vorstellungen ganz verschiedene Entwickelungsepochen der Seele betreffen kçnnen, aber der Aufsatz scheint der ersteren Annahme auch in keiner Weise zur Sttze oder zur Erleuchtung zu dienen. Es ist auffllig, daß Dilthey, whrend Andere die Schlußstze der „Erziehung des Menschengeschlechts“ nicht beachten, diese Stze ebenso wie den Aufsatz ber die fnf Sinne hervorhebt, und doch den Unterschied beider Vorstellungen bersieht. Die Ungeheuerlichkeit drfen wir Lessing nicht zutrauen, daß er innerhalb derjenigen Entwickelungseinheit, welche durch unsere Gegenwart hindurchgeht, eine die ganzen Bedingungen unseres Daseins ergreifende Vernderung unserer kçrperlichen Organisation angenommen habe. Zum Ueberfluß spricht die „Erziehung des Menschengeschlechts“ mit den deutlichsten Ausdrcken von einer Wiederkehr der Seele unter denselben Bedingungen kçrperlicher Organisation, und nur unter verschiedenen Bedingungen der moralischen Reife. Wenn also Dilthey meint, daß Lessing durch die Seelenwanderungshypothese, wie sie ihm in der „Erziehung des Menschengeschlechts vor Augen stand, auf den Gedanken ber die Vermehrung der Sinne gefhrt worden sei, so lßt Dilthey gnzlich im Dunkeln, inwiefern der letztere Gedanke jene Hypothese bekrftigen oder ihre Denkbarkeit erleichtern konnte. Sind aber die letzten Stze der „Erziehung des Menschengeschlechts“ vielleicht spter ge-
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Textgeschichte und Anmerkungen
schrieben, als das Fragment ber die Sinne, so kçnnte es scheinen, als habe Lessing von der in diesem Fragment enthaltenen Gedankenreihe sich wieder abgewendet. Die Frage nach dem Ursprung der Seelenwanderungshypothese in der Gestalt, welche sie in der „Erziehung des Menschengeschlechts“ hat, ist die dringlichere und die wichtigere. Denn einmal findet sich diese Gestalt in einer Schrift, die Lessing selbst, wenn auch nicht unter seinem Namen, der Oeffentlichkeit bergeben. Der Aufsatz ber die Sinne dagegen ist ein nach Form und Inhalt unvollendetes Bruchstck, von dem unsicher ist, wie es Lessing verwerthet htte. Die ersterwhnte Gestalt der Hypothese erscheint ferner am Schluß einer Abhandlung, die unbestritten als eines der reifsten und bedeutendsten Erzeugnisse des Lessing’schen Geistes sich bekundet. Um das Rthsel zu lçsen, schlagen wir unsererseits den natrlichsten Weg ein. Wir wollen nicht unbeachtete Notizen und entlegene Beziehungen aufsuchen, so verdienstlich ein solches Bestreben ist und so aufrichtig wir fr dasselbe Dilthey Dank wissen. Wir fragen vor Allem: wie fgen jene merkwrdigen Stze sich an die Schrift, in der sie stehen? Um diese Frage zu beantworten, untersuchen wir nichts weiter als die grammatische Verbindung der Stze und den logischen Zusammenhang der Gedanken. Die Betrachtung ist zu der Aussicht auf die Zeit der Vollendung gelangt, „da der Mensch, je berzeugter sein Verstand einer immer besseren Zukunft sich fhlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgrnde zu seinen Handlungen zu erborgen nicht nçthig haben wird.“ Die Zeit der Vollendung wird bezeichnet als die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, als das dritte Weltalter der sittlichen Bildung der Menschheit, deren Stufen das Judenthum, das Christenthum, wie es bisher verstanden wurde, und das neue Evangelium bilden. Lessing stellt die Mçglichkeit auf, daß gewisse Schwrmer des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten und nur darin irrten, daß sie den Anbruch desselben so nahe verkndigten. „Der Schwrmer thut oft sehr richtige Blicke in die Zukunft. Er wnscht diese Zukunft beschleunigt und wnscht, daß sie durch ihn beschleunigt werde. Wozu sich die Natur Jahrtausende Zeit nimmt, soll in dem Augenblicke seines Daseins reifen. Denn was hat er davon, wenn das, was er fr das Bessere erkennt, nicht noch bei seinen Lebzeiten das Bessere wird? Kçmmt er wieder? Glaubt er wieder zu kommen? – Sonderbar, daß diese Schwrmerei allein unter den Schwrmern nicht mehr Mode werden will!“ Hier taucht zuerst der Gedanke der Seelenwanderung auf. Aber dieses Auftauchen ist nur das Vorspiel der wirklichen Einfhrung. Jener Gedanke erscheint hier nur in Folge einer Ideenassociation. Die Ungeduld des Schwrmers wird erklrt und dabei entsteht die Frage, ob diese Ungeduld einen ausreichenden Grund habe. Solche Gedankenvorspiele gehçren zur Kunst eines ganz lebendigen Styles. Der Gedanke wird sogleich durch ernsthafte Boten verkndigt werden. Der Seher des neuen ewigen Evangeliums will an diesem Glauben nicht verzweifeln, wenn auch der Schritt, den die Vorsehung geht, ein unmerklicher ist, ja selbst wenn er scheinen sollte zurckzugehen. Denn dieser unmerkliche Schritt hat eine tiefe Nothwendigkeit. „Du hast auf deinem ewigen Wege so viel mitzunehmen, so viel Seitenschritte zu thun! – Und wie? Wenn es nun gar so gut als ausgemacht wre, daß das große langsame Rad, welches das Geschlecht seiner Vollkommenheit nher bringt, nur durch kleinere, schnellere Rder in Bewegung gesetzt wrde, deren jedes sein Einzelnes eben dahin liefert?“ Hier haben wir ein Bild, dessen Sinn kein anderer sein kann, als der, daß die Entwickelung der Individuen die B e d i n g u n g ist fr den Fortschritt des Menschengeschlechts. Soll das aber nur eine Tautologie sein? Soll es weiter nichts bedeuten als: das Fortschreiten der Individuen ist das Fortschreiten des Menschengeschlechts; denn die Individuen sind das Menschengeschlecht? Wer kann bei Lessing auch nur im Vorbergehen an eine solche Trivialitt denken? Das Bild selbst widerspricht der Tautologie und der folgende erluternde Satz schließt sie aus.
Ueber Gotth. Ephr. Lessing.
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Dieser Satz oder die Erluterung des Bildes lautet: „Nicht anders! Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der frher, der spter) erst d u r c h l a u f e n h a b e n .“ Man merke wohl auf dieses „d u r c h l a u f e n h a b e n .“ Dilthey macht daraus ein bloßes „D u r c h l a u f e n .“ Das ndert aber den Sinn vollstndig und fhrt zu der von uns verworfenen Tautologie. Was heißt das nun: „die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch erst durchlaufen haben?“ – Gleich die ganze Bahn? Schwerlich wohl. – Der Sinn kann nur sein: das Menschengeschlecht als solches kann keinen Fortschritt machen, kann in kein hçheres Stadium seiner Entwickelungsbahn eintreten, bevor eine gengende Anzahl von Individuen auf den neuen Schritt gehçrig vorbereitet sind. Warum aber setzt der Culturfortschritt der Menschheit eine gengende Anzahl vorbereiteter Individuen, warum gar die Fortdauer und die Seelenwanderung voraus? Dies ist nicht gesagt. Wir treffen hier auf einen unvollstndigen Schluß, d. h. auf einen Schluß, von dem eine Prmisse nicht ausgedrckt ist. Ein solcher Schluß heißt Enthymem, oder auch die verschwiegene Prmisse heißt Enthymem. Welches ist nun das nicht ausgedrckte Enthymem? Besinnen wir uns aus dem von Lessing verehrten Aristoteles, in welchen Fllen das Enthymem zulssig ist. Es ist zulssig, wenn die nicht ausgedrckte Prmisse berhaupt bekannt oder wenn die Wiedererwhnung derselben durch den Zusammenhang der vorliegenden Rede berflssig gemacht wird. Wie so ist es nun selbstverstndlich, daß der Fortschritt der Menschheit, d. h. die Aufnahme eines hçheren Sittenprincips in dieselbe, nur mçglich ist, wenn das letztere auf vorbereitete Individuen stçßt, d. h. solche Individuen, welche die frheren Stadien selbst durchlaufen haben? An sich ist dies nicht selbstverstndlich. Also muß es durch den Zusammenhang der ganzen vorliegenden Rede selbstverstndlich sein. Wovon handelt diese Rede? Doch davon, daß eine Offenbarung nicht mçglich ist als Tradition eines hçheren Inhaltes ohne Rcksicht auf die Beschaffenheit der Individuen, welche den Inhalt aufnehmen sollen. Offenbarung ist nur mçglich als Erziehung, d. h. als stufenweise Anpassung des Inhaltes an die Fhigkeiten der Individuen, denen die Offenbarung zu Theil wird. Mit anderen Worten: die Erziehung des Menschengeschlechts ist ein leeres Wort ohne die Identitt d e s e r z o g e n e n S u b j e c t e s . Darum muß die Menschheit aus perennirenden Individuen bestehen, oder mssen wenigstens die Trger und Empfnger des wirklichen, nicht blos ußerlichen Fortschritts der Menschheit perennirende Individuen sein. Darum muß es eine Fortdauer, darum eine Seelenwanderung, d. i. eine Einkehr der Seele in verschiedene auf einander folgende kçrperliche Existenzen geben. Man darf nicht einwenden, die berhmte Abhandlung, mit der wir es hier zu thun haben, gebrauche den Ausdruck „Erziehung“ nur als Bild, nur in Folge eines theilweise exoterischen Vortrags. Gewiß ist der Vortrag in der „Erziehung des Menschengeschlechts“ theilweis exoterisch. Aber wenn wir auch an die Stelle der Erziehung von außen die eigene Entfaltung einer immanenten Anlage der Menschheit setzen wollen – der Grundgedanke der Abhandlung bleibt unantastbar, daß der Mensch nichts werden kann durch bloße Ueberlieferung, sei sie gçttlich oder menschlich, d a ß d i e h ç h e r e Cultur voraussetzt eine hçher entwickelte Natur. Nur als Bedingung einer Wahrheit von unschtzbarem Werth und von hçchster Ueberzeugungskraft, als Bedingung der Anschauung nmlich von dem organischen Fortschritt der sittlichen Bildung des Menschengeschlechts konnte Lessing eine so phantastische und gefhrliche Vorstellung wie die Seelenwanderungshypothese gestatten, ja mit einer beinahe verklrten Zuversicht sich aneignen. Er, der es nothwendig fand, die Menschen ebenso von der Nachfrage nach ihrem Schicksal im knftigen Leben abzuhalten, als von der Begierde, ihre diesseitige Zukunft voraus zu wissen. Er, der im Stande
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Textgeschichte und Anmerkungen
war, die Frage aufzuwerfen: „warum kann man ein knftiges Leben nicht ebenso ruhig abwarten, als einen knftigen Tag?“ Dem das sentimentale Interesse an der Unsterblichkeit so fremd war, daß er einer Religion, die uns von jenem Leben zweifellos unterrichten wrde, lieber kein Gehçr schenken mochte. Was aber den Beweggrund jener Vorstellung betrifft, so darf man nicht sagen, daß die Vorstellung dem Beweggrund nicht genug thue, weil zwischen den verschiedenen Lebenslufen einer und derselben Seele doch selbst nach Lessing’s Eingestndniß keine Continuitt der Erinnerung stattfindet. Auch innerhalb des Lebenslaufes, den wir bersehen, vergessen wir oft die Eindrcke, die Erfahrungen, die unsere Seele formen und ihre Richtung dauernd bestimmen; vergessen wir meist die Mittel, an denen unsere Seelenkrfte sich gebt haben. Grade der psychologisch so schwierige Begriff der Anlage ist es, dessen Erklrung Lessing bei seiner Hypothese hçchst wahrscheinlich mit vorgeschwebt hat. Aber hinter der Lçsung des Rthsels, wie Lessing zu der Seelenwanderungshypothese kommt, wenn die Lçsung uns geglckt sein sollte, thut sich sogleich ein anderes Rthsel auf. Mit welchen Augen hat man bisher die „Erziehung des Menschengeschlechts“ gelesen, daß dieser wichtige Gedanke, der freilich halb zwischen den Zeilen, aber dessen bedeutendere Hlfte doch a u f den Zeilen steht, aller Welt unverstndlich geblieben und daher entgangen ist? Das zweite Rthsel glaube ich folgendermaßen lçsen zu kçnnen. Die „Erziehung des Menschengeschlechts“ erschien kurz vor Lessing’s Tode. In der unmittelbaren Folgezeit wurde sie nur von unebenbrtigen Kçpfen beachtet, weil die großen Geister dieser Zeit mit ihren eigenen Aufgaben zu thun hatten. Erst nachdem das Geschlecht der Heroen, deren Zug Lessing erçffnete, von der Weltbhne abgetreten, beginnt der allgemeine Geist sich in ruhiger Betrachtung der hohen Werke zu sammeln. Als die „Erziehung des Menschengeschlechts“ zuerst mit der Andacht eines nachgeborenen Geschlechtes gelesen wurde, waren die Gedanken des letzten der Geistesheroen des achtzehnten Jahrhunderts, nmlich Hegel’s, in Tausenden von Atomen durch die geistige Atmosphre verbreitet. Hegel aber hatte den Gedanken der organisirenden Allgegenwart des Geistes in smmtlichen Elementen des Lebens auf die Hçhe des Zeitbewußtseins gestellt. Lessing hatte nur von einer fortschreitenden Fhigkeit des Menschengeschlechts, die Motive des sittlichen Handelns immer reiner zu fassen, gesprochen. Zu diesem Fortschritt bedurfte er identischer Individuen, weil nur in solchen die sittliche Kraft continuirlich wachsen kann; weil ohne Wachsthum der sittlichen Kraft der hçhere Inhalt des Sittengesetzes, mag er kommen woher er will, die Menschheit nicht vorwrts bringen kann. Nach der Hegel’schen Anschauung dagegen prgt sich das Sittengesetz nicht blos in der innern Moralitt eines Geschlechts aus, die freilich nicht vererbt werden kann. Als ein Theil der geistigen Schçpfung, deren Organ eine bestimmte Generation ist, steht das Sittengesetz im Zusammenhang mit a l l e n Lebensußerungen einer Generation, mit dem Privatleben und mit dem Staate, mit der Technik wie mit der Aesthetik, mit der Empfindung wie mit der Wissenschaft. So wird freilich nicht die innere Moralitt vererbt, aber die Bedingungen eines hçheren Lebens, welche die Arbeit einer Generation erworben, gehen dennoch in tausend Atomen, in der Vernderung des Empfindens, Wissens, Kçnnens, Begehrens auf das nchste Geschlecht ber. So erscheint nun der Gedanke einer continuirlichen Entwickelung des Menschengeschlechtes auch bei der Discontinuitt der Generationen durch die bloße Continuitt der Tradition als ein ganz natrlicher, der gar keine Schwierigkeit verbirgt. Jene Anschauung, die vor Hegel nicht existirte, ist der heutigen Generation bereits zur Anlage geworden, so daß sie alles Ernstes glaubt, dieselbe als selbstverstndliche Mitgift auf die Welt gebracht zu haben, und behaglich den Mann von Oben herab behandelt, der mit diesem Prometheusfunken eine unaufhaltsame Flamme der fruchtbarsten Erkenntniß entzndet hat. Nicht einmal ein Lessing besaß diese Anschauung. Htte er sie gehabt, so htte er schwerlich den Seelenwanderungsglauben zu erneuern sich so sehr gedrungen gefhlt.
Ueber Gotth. Ephr. Lessing.
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An diesem wie an manchem andern Beispiel wird deutlich, was von der subalternen Rede zu halten ist, die einem Hegel womçglich alle eigenen Gedanken absprechen mçchte. Die Hegel’sche Philosophie der Geschichte soll ihrem Grundgedanken nach der „Erziehung des Menschengeschlechts“ entlehnt sein und soll das Original womçglich verdorben haben. – Fahrt hin in eurer Pracht! Und doch mssen wir uns hten, da wo ein Lessing eine Lcke gefunden, gar nichts von einer solchen zu erblicken. Wie vollzieht sich denn nach unseren vollstndigen Begriffen die Fortentwickelung des Menschengeschlechts? Sind es immer hnlich begabte Individuen, die nur darum vorwrts gelangen, weil jede Generation ein hçher bearbeitetes Erbe empfngt? Demnach kçnnten wir also einem beliebigen Kaffernstamm die Schtze unserer Cultur berliefern, natrlich nicht blos theoretisch, sondern mit allen praktischen Handhaben, und dieser Stamm wrde das Erbe ebenso gut vervollkommnen, als wir und unsere Sçhne es hoffen? Von dieser Vorstellung wird Niemand etwas hçren wollen, auch unter der Bedingung nicht, daß alle Kaffernsprçßlinge auf unsern Boden, in unsere Verhltnisse verpflanzt werden. Natur und Cultur bedingen sich gegenseitig, so viel ahnt man wohl. Aber kommen wir denn weiter mit der Vorstellung, die Germanen des Tacitus, in die heutigen Verhltnisse versetzt, d. h. die damalige unerwachsene Jugend, wrde das Erbe des neunzehnten Jahrhunderts aufnehmen und die Arbeit desselben ohne Rckfall weiter fhren? Man braucht dergleichen nur auszusprechen, um es zurckzuweisen. Dann bietet sich die Vorstellung dar, daß die kçrperliche Natur im Wechsel der Generationen umgebildet und mit ihr die geistige fr verschiedenartige Culturaufgaben empfnglich gemacht wird. Soll mit dieser Vorstellung Ernst gemacht werden, so muß an die Physiologie vor Allem die Frage ergehen, ob ihre neuesten Fortschritte sie mit irgend einem Grad von Wahrscheinlichkeit zu der Hoffnung berechtigen, jemals das g a n z e Seelenleben aus den kçrperlichen Organen und aus deren Unterschieden ableiten zu kçnnen. Wenn die Physiologie diese Frage nicht bejaht – und schwerlich wird sie es kçnnen und schwerlich wrde sie mit der Bejahung Glauben finden, und noch weniger wrde sie dieselbe zu beweisen im Stande sein – so bleiben nur noch zwei Vorstellungen brig. Entweder die schçpferischen Seelen werden fr die Aufgaben jeder Culturepoche durch ein Wunder eigens geschaffen; oder endlich es giebt einen Prozeß, eine Entwickelung des Seelenreiches, die als Ganzes nicht der Sinnenwelt oder doch nicht unserer Sinnenwelt angehçren, von denen die Erscheinungen des Seelenlebens in der jetzigen Sinnenwelt nur Bruchstcke sind. Damit stehen wir wieder bei Lessing’s Hypothese. Es braucht nicht gesagt zu werden, wie viele Erscheinungen des Seelenlebens, z. B. die oft sich kundgebende wunderbare Selbstndigkeit desselben, das Hervortreten edler Naturen aus der versunkensten Umgebung, das Aufsteigen des Genius zu wahlverwandten Regionen aus der fremdartigsten Entfernung (Winckelmann und viele andere Beispiele) nur durch eine hnliche Hypothese fr jetzt irgend einer Erklrung zugnglich werden. Noch strker fesselt uns die Lessing’sche Hypothese, wenn wir gewahren, daß der große Mitgeborne Lessing’s und der ihm in seinem Jahrhundert einzig ebenbrtige Denker dieselbe Hypothese, natrlich in seiner Weise, aufgestellt hat. Oder ist es nicht ein verwandtes Bedrfniß des Verstehens, welches Kant auf die Lehre vom intelligiblen Charakter gefhrt hat? Der empirische Charakter ist unfrei, der Mensch aber ist verantwortlich. Er ist es nur, wenn der empirische Charakter durch den intelligiblen bedingt, wenn der empirische Charakter nichts als die endliche Erscheinung des intelligiblen ist. Doch bersehen wir nicht den tiefgreifenden Unterschied zwischen Lessing und Kant. Der letztere lehrte, daß die bersinnlichen Begriffe des menschlichen Geistes Formbegriffe sind, deren Stoff aus
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der sinnlichen Anschauung genommen werden muß, weil alle menschliche Anschauung auf ursprnglichen intellectuellen Anschauungen – Raum und Zeit – beruht und an dieselben immerdar gebunden bleibt. Die Anschauung, die sich in Raum und Zeit bewegt, ist aber eben die sinnliche. Wenn Kant in der Lehre von dem intelligiblen Charakter zu der bersinnlichen Ursache einer sinnlichen Erscheinung aufsteigt, so hat er das volle Bewußtsein, daß nach seinen eigenen Grundbegriffen jene bersinnliche Ursache in ihrem bestimmten Wesen nie Gegenstand der menschlichen Erkenntniß werden kann. Lessing scheint fr die Erkennbarkeit der Seele wenigstens vorlufig eine ebenso unberschreitbare Schranke, aber auf dem diametral entgegengesetzten Wege festzustellen. Die Seele wirkt in der Sinnenwelt durch Vermittlung des Kçrpers. Der zur Seele gehçrige Kçrper ist ein Theil der Sinnenwelt; die Anlagen und Krfte, welche die Seele individualisiren, was sind sie anders als idealisirte Sinnlichkeit? Die Verbindung des Verstandes und der Sinnlichkeit war fr Kant ein unlçsbares Rthsel, aber er leugnete sie nicht. Kant besttigte das Zusammensein von Denken und Sinnlichkeit, aber allerdings auf seine Weise, d. h. nicht als Vereinigung entgegengesetzter Substanzen, sondern als Vereinigung entgegengesetzter Vernunftkrfte. Fr Lessing war die Seele nicht in dem Begriff unsinnlich wie fr Kant, wie der Aufsatz zeigt: „daß mehr als fnf Sinne fr den Menschen sein kçnnen.“ Die Frage nach dem Quell des Denkens und nach dem Ursprung der Seele in dem Ganzen des menschlichen Wesens, nach dem nou˜ß poivtiko´ß, um mit Aristoteles zu reden, ist mit einer solchen Anschauung von der Seele noch gar nicht berhrt. Dagegen ist gewiß, daß bei weitem nicht der ganze Seeleninhalt aus den Sinnen folgt. Hier kommt uns eine Vermuthung entgegen, von der wir sehr gut wissen, daß sie nur eine Vermuthung, nicht ein auf urkundliche Prmissen gesttzter Schluß ist. Sollte Lessing nicht auf den Gedanken, daß mehr als fnf Sinne fr den Menschen sein kçnnen, durch das Bedrfniß gefhrt worden sein, die unserer jetzigen Wahrnehmung entzogenen Ursachen des Seelenlebens, auf deren Hineinwirken in unsere Welt wir durch unabweisbare Schlsse gefhrt werden, als erreichbar vorzustellen fr eine vervollkommnete Anschauung, fr eine Vereinigung der jetzt vielleicht an verschiedene Zustnde der Seele vertheilten Sinne? Dagegen, daß sein Glaube an das selbstndige Seelenreich mit Fug in Geisterseherei und Gespensterwesen entstellt werden kçnne, ist Lessing gesichert durch seine Definition der Seele als eines einfachen Wesens, welches unendlicher Vorstellungen fhig ist. Ich unterlasse ein ausfhrliches Eingehen auf die Frage, welche Wirkung die Beachtung der Lessing’schen Hypothese auf unsere psychologischen und ethischen Gesichtspunkte haben kçnnte. Bekanntlich ist Schelling hnlichen Gedanken mit Vorliebe nachgegangen. Aber der mythologische Nebel, in welchen er nach seiner Weise dieselben einhllte, hat das Betreten hnlicher Wege in den belsten Leumund gebracht. Und doch wird das Bedrfniß immer mchtiger, die Seele entweder definitiv in den Kreis der gewçhnlichen Naturerkenntniß einzubeziehen oder ihr eine fr unsere Sinne definitiv unnahbare Region zuzuerkennen. Das Grundprincip des Materialismus ist leicht zu widerlegen, denn es enthlt einen augenflligen Widerspruch. Daß die Materie gedacht wird, muß der Materialismus zugeben, weil es so zu sagen eine sinnfllige Erscheinung ist. Damit nimmt der Materialismus den Satz an: die Materie denkt sich selbst. Sind wir erst so weit, begreifen wir leicht, daß die Materie vielmehr eine Bestimmung des Denkens ist. Gerade der selbstzufriedene Idealismus aber strzt uns immer wieder in den Materialismus. Wenn Alles in gleichem Grade Idealitt ist, dann kann ebenso gut Alles Materie sein, und das große Problem wird zum Wortstreit. Es handelt sich darum, die U n t e r s c h i e d e der Idealitt zu begreifen und fr die Erkenntniß
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abzugrenzen. Vergçnnen wir der Seele, wie es die veralteten und naiven Vorstellungen auf ihre Art gethan haben, ein selbstndiges Element, so versetzen wir sie damit auch wiederum in eine selbstndige, wenn auch nur indirekt zugngliche Beobachtungssphre. Damit ist fr den nchsten Fortschritt vielleicht viel gewonnen. Es ist ja der gewçhnliche Lauf der Wissenschaft, daß sie suchend nach einer absoluten Grenze, nur eine relative Grenze, nur ein neues Zwischenglied findet. Aber ein solches Zwischenglied, annhernd bestimmt, vermag oft eine Revolution hervorzubringen und nicht nur die Bahn der Erkenntniß zu reguliren, sondern eine Flle praktischer Wohlthaten auszuschtten. Zu Lessing’s Seelenwanderungslehre. Erwiderung von Wilhelm Dilthey. Herr Professor Rçßler bestreitet im Septemberheft dieser Jahrbcher meine Auffassung der Seelenwanderungslehre Lessing’s, wie er sie in dem Versuch ber Lessing und seine Stellung in unserer Literatur (Febr.- und Mrzheft der Jahrbcher) dargelegt findet. Ich bin weit entfernt davon, durch eine methodische Einzeluntersuchung der Frage auf die von ihm gegebene Lçsung antworten zu wollen. Gerade ber diesen Punkt haben wir so ausgezeichnete ltere Arbeiten, daß es wichtigere Dinge fr uns giebt als sie zu revidiren. Denn ich kann die Bedeutung der Seelenwanderungslehre Lessing’s, zumal der Lehre von der Wiederkehr der Seele auf u n s e r e Erde, in den weiteren Ablauf u n s e r e r geschichtlichen Entwickelung, durchaus nicht so hoch anschlagen als Herr Professor Rçßler thut. Wenn ich auf den geistvollen Aufsatz hier etwas erwidere: so geschieht es zur Ehrenrettung jener vortrefflichen lteren Arbeiten, der Lessingliteratur berhaupt. Denn es stnde freilich schlecht um die Guhrauer, Danzel, Ritter, Strauß, Kuno Fischer, wenn Lessing’s bekannteste Schriften bisher nur „mangelhaft gelesen“ worden wren (S. 272), wenn es nur der Einsicht in die „grammatische Verbindung der Stze und den logischen Zusammenhang der Gedanken“ an einer der berhmtesten Stellen Lessing’s bedurfte, hier noch ganz neue Rthsel zu entdecken und zu lçsen (S. 276). Man kennt den Schluß von Lessing’s Erziehung des Menschengeschlechts, die zehn letzten Paragraphen. Mit scheinbarer Paradoxie tritt hier plçtzlich die Seelenwanderungslehre hervor. An dieser Stelle soll nun ein auffallender Beleg vorliegen, wie schlecht Lessing bisher gelesen worden sei. „Wie kommt dieser Glaube, der am Ende einer wunderbar tiefsinnigen Gedankenreihe mit der Parrhesie einer unwiderstehlich hervorbrechenden Ueberzeugung vorgetragen wird, in die Lessing’sche Gedankenwelt? Wie schließt er sich an die Stze der Erziehung des Menschengeschlechts?“ Niemand soll bisher auch nur mit einiger Grndlichkeit diese Frage zu beantworten versucht haben; mir wird die Ehre zu Theil als der bezeichnet zu werden, welcher zuerst diesen Versuch gemacht und dem er – als dem Ersten, mißglckt sei. So wird denn von Herrn Professor Rçßler erst die Lçsung gegeben. Wenn der Herr Verfasser von dieser Thatsache der Lessingliteratur so in Staunen gesetzt wird, daß er in ihr ein neues Rthsel findet, und eine neue Theorie zu seiner Lçsung aufstellt: so ist dies Staunen sehr natrlich und gegrndet; gegrndeter als – die Thatsache selber. Denn kurz und gut: die Theorie ist berflssig; ich muß auf die Ehre verzichten, dies Problem zuerst „mit einiger Grndlichkeit“ behandelt zu haben, er auf die Ehre es gelçst zu haben. Dabei haben wir beide den Triumph ber den Scharfsinn unserer Vorgnger besser denken zu kçnnen. Denn gleich die allererste von den Arbeiten ber Lessing, welche ich als fr das Verstndniß des großen Mannes grundlegend hervorgehoben habe, Guhrauer’s Schrift ber die Erziehung des Menschengeschlechts (1841), stellt genau diese Frage nach dem strengen logischen Zusammenhang der Schrift; und zwar fllt fr sie der Schwerpunkt dieser Frage in das Problem eben dieses Zusammenhangs der letzten Paragraphen mit dem Ganzen; ja sie findet in demselben den erklrenden Mittelpunkt der Schrift und wenn sie ein Vorwurf treffen kann, so ist es nur dieser,
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die Strenge dieses Zusammenhangs berspannt zu haben. Mit der an ihm bekannten wahrhaft gelehrten Umsicht sucht Guhrauer zugleich die Stellung dieses ganzen logischen Zusammenhangs in Lessing’s Gedankenwelt zu bestimmen. Und zwar leitet er aus diesem Zusammenhang die Form der Seelenwanderungslehre ab, welche in der Erziehung vorliegt, vermçge deren der Mensch die Stufen der Erziehung des Menschengeschlechts in wiederholter Erdenentwickelung durchluft. Danzel’s erste Erçrterung ber Lessing knpft an Guhrauer’s Arbeit. Gerade hier nahmen die Lessingstudien ihren Ausgangspunkt. So trifft also Herr Professor Rçßler auf dieser wsten Insel, die er in Beschlag nimmt als ob sie nur von Wilden bewohnt wre, unverhofft auf recht ausgedehnte Ansiedlungen. Vielleicht aber hat Guhrauer das Schicksal gehabt, welchem ich unterlegen sein soll, vielleicht war sein erstes Verstndniß eben – ein Mißverstndniß. Guhrauer hat vielmehr das ganze wesentliche Resultat der Rçßler’schen „Lçsung des Rthsels.“ Dies Resultat lautet bei Rçßler: „Offenbarung ist nur mçglich als Erziehung d. h. als stufenweise Anpassung des Inhalts an die Fhigkeit der Individuen, denen die Offenbarung zu Theil wird. Die Erziehung des Menschengeschlechts ist ein leeres Wort ohne die Identitt des erzogenen Subjekts. Darum mssen Trger und Empfnger der Offenbarung perennirende Individuen sein“ (278). Dieser Grundgedanke anders ausgedrckt: „der Mensch kann nichts werden durch bloße Ueberlieferung, die hçhere Kultur setzt voraus eine hçher entwickelte Natur.“ Es lautet bei Guhrauer: „Jede Religion ist d a d u r c h eine seligmachende, daß sie d i e s e l b e Seele auf eine hçhere Religion in einem knftigen Erdenleben innerhalb der Gattung v o r b e r e i t e t , daß keine Seele verloren gehe. Das ist der tiefere Sinn, daß die Offenbarung Erziehung ist“ (107). Denn „es giebt drei allgemein menschliche Stufen der sittlichen Entwickelung, die sich so aufeinander beziehen, daß die hçchste die beiden frheren als B e d i n g u n g e n voraussetzt, so wie die mittlere an sich die unterste“ (100. 101). „Die menschliche Natur ist von solcher Beschaffenheit, daß kein Mensch diese drei Stufen der Vollkommenheit im Laufe Eines irdischen Lebens hintereinander berschreiten kann“ (102). Und zwar lßt der Grund hiervon in der Beschaffenheit unserer Natur sich nher so bestimmen: „Dies ist der Schlssel zu allen Fragen: jeder Mensch kommt so oft wieder, bis er die hçchste Stufe der Speculation d u r c h e i g e n e A n s t r e n g u n g o d e r L e i d e n erlangte.“ So viel ich sehe giebt Herr Professor Rçßler zu Guhrauer’s Auffassung zwei Zustze oder Abnderungen. Ich muß gestehen, daß ich beide vorlufig nicht fr Verbesserungen halten kann, so sehr sie das Interesse der Freunde Lessing’s erregen mssen. Doch mag der Leser selber urtheilen. Er geht davon aus, daß es sich nicht einfach darum handle, wie Lessing die Lehre von der Seelenwanderung d. h. der Wanderung derselben durch verschiedene Kçrperentfaltungen (man entschuldige den Ausdruck, welcher die Metamorphose von Leibn. syst. nouv. d. l. nat. §. 6 miteinschließen soll) im Wechsel von Geburt und Tod begrndet habe; es gelte den Grund, aus welchem er die mehrmalige Wiederkehr auf u n s e r e Erde, in u n s e r e geschichtliche Entwickelung angenommen habe. Oder sollte Rçßler den specifischen Begriff der Seelenwanderung bei Lessing auf diese Wiederkehr zur Erde beschrnken wollen? Das wrde durch den Zusatz zu dem Aufsatz ber die fnf Sinne widerlegt, in welchem die dort entwickelte Theorie als Metempsychose d. h. Seelenwanderung bezeichnet wird. Dies Zugestndniß also vorausgesetzt ist die Frage von ihm gewiß richtig gestellt, wie denn auch Vorgnger wie Guhrauer das Problem in diesem ganzen Umfang sahen. Wir fragen also mit Rçßler: wie begrndete Lessing diese Lehre von einer çfteren Wiederkehr der Seele auf u n s e r e Erde, in u n s e r e geschichtliche Entwickelung? Hier giebt Rçßler zu den bisherigen Lçsungen des Problems z. B. der Lçsung bei Guhrauer zunchst folgenden Zusatz. Ihm scheint, daß die volle Schlußkraft der Lessing’schen Begrndung erst durch Hinzufgung folgender Zwischenglieder eingesehen werde: d a r u m bedrfe es nach Lessing fr die Er-
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ziehung des Menschengeschlechts identischer Individuen, weil Lessing „nur von einer fortschreitenden Fhigkeit des Menschengeschlechts gesprochen habe, die Motive des sittlichen Handelns immer reiner zu fassen,“ „die sittliche Kraft aber nur in identischen Individuen continuirlich wachsen kçnne“ (S. 280). Ich weiß nicht, ob er dies Glied des Schlusses, daß der moralische Fortschritt, etwa im Unterschied vom intellektuellen, erlebt sein wolle in eigener Entwickelung, Lessing’s bewußter Begrndung wirklich zuschreibt, oder es nur als eine diesem unbewußte Voraussetzung ergnzt. Ich lege also keinen Werth darauf, daß kein Wort davon bei Lessing steht, obwohl man mit unausgesprochenen oder gar unbewußten Gliedern Lessing’scher Schlsse doch wohl vorsichtig sein muß. Aber diese Sonderung der sittlichen Entwickelung ist berhaupt nicht Lessingisch, an dieser Stelle am allerwenigsten angebracht. Denn Lessing’s „Erziehung“ betrifft gar nicht „nur eine fortschreitende Fhigkeit des Menschengeschlechts die Motive des sittlichen Handelns immer reiner zu fassen,“ wie Rçßler S. 260 meint. Oder gehçrt es nicht zu dieser Erziehung, wenn es von Gott heißt: § 13 „indem er fortfuhr, sich ihm als den mchtigsten von allen zu bezeugen, gewçhnte er es allmhlich zu dem Begriffe des Einigen?“ Und § 16 sagt er geradezu: w e i l das Volk noch s o u n g e s c h i c k t z u a b g e z o g e n e n G e d a n k e n war, ist es damals nur der Erziehung durch unmittelbare sinnliche Strafen und Belohnungen fhig gewesen. Umfassender spricht dann § 17 beides, die intellektuelle u n d die moralische Verfassung des Volkes, welche nicht sofort (in E i n e m Leben fr das Individuum) die hçchsten Wahrheiten zu ergreifen gestattete, so aus: „Es w u ß t e von keiner Unsterblichkeit der Seele; es s e h n t e sich nach keinem knftigen Leben. Ihm aber nun schon diese Dinge zu offenbaren, welchen s e i n e V e r n u n f t noch so wenig gewachsen war: was wrde es bei Gott anders gewesen sein, als der Fehler des eitlen Pdagogen, der sein Kind lieber bereilen und mit ihm prahlen, als g r n d l i c h unterrichten will.“ Und zwar hat Lessing Recht: dieser Schluß wird nicht einmal zwingend durch den ihm fremdartigen Zusatz. Alsdann aber fhrt er die Begrndung dieser Lehre von der Wiederkehr auf unsere Erde auf Ein Motiv zurck und findet dies Motiv in Wortlaut und Zusammenhang von § 92. 93 ausgedrckt. Lessing hat die drei Epochen der Erziehung entwickelt. Das g a n z e menschliche Geschlecht muß auf die dritte Stufe erhoben werden. Gott k a n n nicht anders wollen. Nur b e r e i l e n wollten die Schwrmer diesen das ganze Menschengeschlecht umfassenden Plan. Ich aber (der ich ihn durchblicke) kann nicht verzweifeln ber den unmerklich langsamen Schritt (da ich den Grund dieser Langsamkeit, des zeitweiligen Rckgangs begreife). „Du hast auf deinem Wege so viel mitzunehmen, so viel Seitenschritte zu thun! Und wie? Wenn es nun gar so gut als ausgemacht wre, daß das große langsame Rad, welches das Geschlecht seiner Vollkommenheit nher bringt, nur durch kleinere, schnellere Rder in Bewegung gesetzt wrde, deren jedes sein Einzelnes eben dahin liefert? Nicht anders! Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der frher, der spter) erst durchlaufen haben.“ Ich denke, das heißt ganz einfach: diese Unmerklichkeit im Fortgang der Erziehung ist begreiflich; denn diese Erziehung hat so v i e l mitzunehmen, demgemß so v i e l Seitensprnge zu thun, ja sie hat a l l e einzelnen Individuen mitzunehmen, a l l e an das Endziel zu bringen; jeder einzelne Mensch muß innerhalb dieser Entwickelung des Ganzen die Epochen seiner eignen durchlaufen haben, bevor mit der Vollkommenheit des Geschlechts diese Entwickelung abgeschlossen sein darf. Mit dieser natrlichen Gedankenfolge vergleiche man den Schluß welchen hier Rçßler entdeckt: der langsame Schritt der Erziehung ist begreiflich; denn die Entwickelung der Individuen ist die B e d i n g u n g fr den Fortschritt des Menschengeschlechts; d. h. dieser Fortschritt kann nur bewerkstelligt werden durch eine gengende Anzahl hinlnglich vorbereiteter Individuen; diese Vorbereitung aber – und damit ergnzt er den Schluß aus dem Zusammenhang der Schrift – kann nicht durch eine Ueberlieferung, sondern nur durch ein Durchleben der frheren Stufen erzielt werden: denn – und damit greift endlich jener obige erste Punkt ein
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– diese Entwickelung ist eine sittliche. Ich finde also, die Stelle sagt: der langsame Gang der Erziehung ist begreiflich aus der Endabsicht derselben, Alle mitzuumfassen in ihrem Plan; Herr Professor Rçßler: dieser Gang ist begreiflich aus dem urschlichen Verhltniß, welchem gemß fr jeden neuen Fortschritt eine gengende Anzahl Individuen erst durch Durchleben frherer Stufen vorbereitet sein muß. Gesetzt nun auch, ein Leser fnde diese Auslegung Rçßler’s allein mçglich und zwingend: so wrde doch auch dieser schwerlich ihm darin beistimmen, daß er nun auf diesen Schluß die Stellung der Lehre von der Rckkehr der Seelen auf die Erde in Lessing’s Gedankenwelt ausschließlich grndet; in § 90. 98 der Erziehung, sowie dem Fragment ber Campe’s philosophische Gesprche hat man, ich glaube mit Recht, weitere Beweggrnde gefunden. Doch ich gestehe, ich denke berhaupt ein wenig ketzerisch ber diese ganze Theorie. Welche Beweggrnde Lessing auch fr die Lehre von der çfteren Wiederkehr der Seele auf d i e s e Erde hatte: so sind sie doch auch auf seine begeistertsten Freunde ohne Wirkung geblieben. Ja ich glaube kaum, daß das Interesse (und dieses wre ja bedeutend genug), Lessing’s eigene Beweggrnde tiefer zu durchblicken als den lteren Auslegern geglckt ist, nach der Lage der Quellen Aussicht auf einen bemerkenswerthen Erfolg hat. Ganz anders steht es mit der Lehre von den Wanderungen der Seelen auf verschiedenen Weltkçrpern. Diese erwuchs im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert auf dem Grunde der astronomischen Entdeckungen, der sittlichen Bedrfnisse, physiologischer Annahmen welche besonders Leibnitz zur Geltung brachte, ganz naturgemß zu einer bemerkenswerthen Macht. Es wre hçchst interessant, die Kmpfe um die Verwerthung des neuen astronomischen Weltbildes fr die Entwickelungsgeschichte des Menschen, die ernsthaften, stark wirkenden Anschauungen von Fontenelle und Leibnitz, den bermthigen Spott Voltaire’s, besonders in einer seiner geistvollsten Erfindungen, dem Micromegas, den ganzen Verlauf dieser aufregenden Debatten darzustellen. Hier steht Lessing mitten in den Bewegungen des Jahrhunderts. In diesem Sinne habe ich in meinem Versuch, der ja Lessing als den Fhrer der großen und fruchtbaren intellektuellen Bewegung Deutschlands, welche mit dem dichterischen Aufschwung verknpft war, zum Gegenstande hatte, zur Aufklrung des Zusammenhangs dieser kosmischen Seelenwanderungslehre in Lessing einen Beitrag zu geben versucht; daneben das große, so erfolgreich von ihm entwickelte Motiv hervorgehoben, welchem gemß die Arbeit des Einzelnen am geschichtlichen Fortschritt uns erst verstndlich wird, wenn derselbe einst mittheilnehmen wird an der errungenen hçheren Stufe. Rçßler’s Einwendungen gegen meine Darstellung kann ich nicht berechtigt finden. Das was die Frheren bewiesen hatten, ist vorausgesetzt. Daß ich den Unterschied der Seelenwanderung durch die Bedingungen verschiedener Weltkçrper (oder auch Erdepochen) hindurch, wie sie der Aufsatz . d. fnf Sinne lehrt, und der çfteren Rckkehr auf u n s e r e Erde, wie sie die Erziehung lehrt, nicht bersehen habe, ist selbstverstndlich; aber der Zusammenhang der verschiedenen Aeußerungen (mit Beachtung von 11, 455) zeigt ja die Einheit der Vorstellung, in welcher Lessing offenbar Beides zusammenfaßte (geg. Rçßl. 265). Diese umfassende Anschauung der Seelenwanderung, in welcher die drei Stufen der Erziehung so zu sagen eine einzelne Epoche bezeichnen, war es, deren „allgemeine Denkbarkeit“ durch den Aufsatz ber die fnf Sinne erleichtert ward (geg. Rçßl. 276). D i e s e Anschauung wird auch durch die von Rçßler S. 273 ausgezogene Schlußreihe begrndet; soll die besondere Anschauung ber die Epochen der Erziehung gegenwrtiger Menschheit begrndet werden, so muß man in diese Schlußreihe die S. 289 angedeuteten, bei Aelteren entwickelten Glieder hineinnehmen: so weit eben hier berhaupt eine Schlußreihe herstellbar ist. Fr die Anregung dieser letzteren Frage, fr die hçchst scharfsinnige Entwickelung einer Schlußreihe, welche vor Lessing’s Geist in irgend einer Form wohl stand, welche aber auch an sich selber viel zu denken giebt, sind wir Herrn Professor Rçßler zu wahrem Dank verpflichtet.
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Ein Nachklang im Brief E. Schmidts an W. Scherer vom 23. Juli 1881 ber K. Fischers Reaktion auf D.s Aufsatz: „Wie hat er sich ber Diltheys schçne Lessingstudie lustig gemacht!“ In: Wilhelm Scherer Erich Schmidt Briefwechsel, hrsg. von W. Richter und E. Lmmert, Berlin 1963, S. 169. ber zehn Jahre spter bleibt Schmidt nicht nur bei seinem Urteil, sondern gibt zugleich einen Hinweis auf D.s Plan der Verçffentlichung der literarischen Aufstze: „Dilthey, Preußische Jahrbcher 1869 [recte 1867] 19, 117, 271, sehr bedeutend fr Aesthetik, Theologie, Philosophie; soll in einer Sammlung 1892 neu erscheinen.“ E. Schmidt, Lessing II, Berlin 1892, S. 785.
Anmerkungen 59, 3–7 Bei dem Klang bis pflegen: Wie in Novalis 199, 2–10 dient Goethe zur Abgrenzung; die Beschreibung der Wirkung seiner Dichtung hier als Folie, um Lessings Aktualitt zu unterstreichen. Zur Relevanz lterer Literatur, auch der Lessings, fr die Gegenwart vgl. D.s Rezension: Die neuesten literarhistorischen Arbeiten ber das classische Zeitalter unserer Dichtung. WM 20 (1866); Ges. Schr. XI, 195–204 (gekrzt). 59, 8 – 60, 10 Lessing bis Geheimnisses: D.s Urteil ber Lessing steht in der mit Herders Wrdigung vom Mrz 1781 beginnenden, ber F. Schlegels Arbeiten (Lessing 62, 9–30) sich fortsetzenden Tradition der Lessingverehrung (vgl. Steinmetz). Zur Vereinnahmung Lessings fr die eigene Gegenwart im Zeichen von Nchternheit, Gesundheit, Realismus vgl. Lessing 65, 24–27 und den Schlußabschnitt dieses Aufsatzes; Freytag 418, 9–24; Basler Antrittsvorlesung 16 f.; Leben Schl XIII,1. 184–191. 59, 8–9 den Faden bis abriß: Das Ms. von: Ernst und Falk. Gesprche fr Freymurer hatte M. Mendelssohn bereits 1777 gelesen. (Vgl. Brief Mendelssohns vom 11. November 1777 an Lessing. LLa XIII, 593–595.) Lessing verçffentlichte die ersten drei Gesprche mit einer Widmung fr Herzog Ferdinand von Braunschweig 1778 anonym. Die beiden letzten erschienen im Herbst 1780 ebenfalls anonym und wahrscheinlich ohne sein Zutun nach einer fehlerhaften Abschrift; eine bessere Fassung, die Kopie Hamanns, kam 1781, kurz nach Lessings Tod heraus. LLa X, 252–280, 286–307. – Die Wendung vom Fallenlassen des Fadens bei Lessing in: Leibnitz (wie Anm. Le 81, 14). LLa IX, 149. 59, 9–10 inmitten der Untersuchung: Die „Nachricht“ (vgl. LLa X, 307) von einem sechsten Gesprch am Schluß des fnften der Freimaurergesprche und die dort ebenfalls erwhnten „critischen Anmerkungen“ – das Ergnzungsproblem ist nicht vçllig geklrt – kçnnten D. den Eindruck des Abbruchs der Arbeit vermittelt haben, der in diesem Zusammenhang kaum aufrechtzuerhalten ist, sich aber fr ihn zu einer durchgngigen Figur entwickelt (vgl. Lessing 61, 1–2; 98, 16 – 18, 98, 35–37; 101, 32–33). 59, 10–16 Untersuchung bis bilden: D.s Hinweise beziehen sich vor allem auf das zweite der Freimaurergesprche (wie oben Anm. 59, 8–9). LLa X, 261–273. 59, 18 in der engbrstigen Epoche: Zu diesem Topos vgl. F. Schlegel, der von „einer ungnstigen und seichten Epoche“, ihrer „Nullitt und Gemeinheit“ spricht. Lessings Geist I, 5 und 43; Goethes Rede von der „nullen Epoche“ (DuW 7. Buch) und sein Bedauern, daß Lessing „in einer so erbrmlichen Zeit leben mußte“ (7. Februar 1827, Eckermann I, 234).
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59, 19–22 eingeklemmt bis Predigerhochmuth: D. nennt Schriftsteller, die als Autoren der Bremer Beitrge zueinander in Beziehung standen. F. G. Klopstock verçffentlichte in der sich von Gottsched distanzierenden Zeitschrift die ersten Gesnge seines Messias (wie Anm. Le 64, 10–11). Ch. F. Gellert war mit seiner Fabel-, Lustspiel-, Romandichtung um die Jahrhundertmitte der bekannteste und angesehenste Schriftsteller; J. A. Cramer, tatschlich Prediger, ausschließlich Verfasser religiçser Lyrik. Vgl. Lessing 69, 13–22; zur allgemeinen Charakteristik auch DuW 7. Buch. 59, 20–22 Nachahmungen bis paßten: Orientierung am klassizistischen franzçsischen Theater und einen strikten Regelkanon hatte J. Ch. Gottsched empfohlen: Versuch einer critischen Dichtkunst (1730). Vgl. D. zu Lessings Dramentheorie. Lessing 74, 19 – 78, 14. 59, 24–26 Und wer bis brauchen?: Vgl. Anm. Le 68, 39–40. 59, 30 im Nathan: G. E. Lessing, Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht, in fnf Aufzgen, Berlin 1779. LLa II, 190–362. 59, 30 und dem Antigçtze: Artikel korr. aus der. 59, 30 Antigçtze: Auf die zweite Publikation der Reimarus-Fragmente 1777 (vgl. Anm. Lessing 83, 6–9) folgten 1778 die Auseinandersetzungen mit dem Hamburger Hauptpastor J. M. Goeze, greifbar in den mit Anti-Goeze betitelten Schriften. Zu Lessings ersten Reaktionen auf Goeze vgl. Anm. Le 88, 5–8. Die elf Stcke des Anti-Goeze erschienen von April bis Juli 1778 in Braunschweig. Der Bogen fr ein zwçlftes ist erhalten; die von Herzog Ferdinand von Braunschweig verhngte Zensur verhinderte sein Entstehen. LLa X, 166–234. – Lessing publizierte unter Umgehung der Zensur 1778 noch zwei weitere Schriften gegen Goeze: Gotth. Ephr. Leßings nçthige Antwort auf eine sehr unnçthige Frage des Hrn. Hauptpastor Goeze in Hamburg, Berlin und Hamburg 1778. LLa X, 239–244. Die zweite Schrift ließ Lessing ohne weitere Angaben in Hamburg drucken: Der nçthigen Antwort auf eine sehr unnçthige Frage des Herrn Hauptpastor Goeze in Hamburg. Erste Folge. LLa X, 245–251. 59, 31 Jugendschriften Luther’s: D. betont genauso die Nhe Lessings zu Friedrich II. Vgl. Leben Schl XIII,1. 188; Ges. Schr. III, 172. Zu D.s Lutherbild: Ges. Schr. II, 53–63; 211–224. 60, 23 Lebensansicht: D. spricht wechselnd von Lebensansicht, -gefhl, -ideal; auch Weltansicht (Novalis 233, 17). Eine kurze Erklrung von Lebensideal in Basler Antrittsvorlesung 16. Lessing ist nach D. der erste Trger eines neuen Lebensideals und folglich noch ein Gegenwrtiger. Leben Schl XIII,1. 184; weitere Stellen Anm. Le 103, 29 – 104, 4. 60, 27 keinen Genossen wie einst: Gedacht ist besonders an M. Mendelssohn (vgl. Lessing 61, 1–30), den Lessing 1754 in Berlin kennenlernte, aber auch an den ihm zu Ende desselben Jahres bekannt werdenden F. Nicolai. Zeugnis gemeinsamer Arbeit mit Mendelssohn ist die Abhandlung: Pope ein Metaphysiker! (1755) LLa V, 1–36; wichtig der Briefwechsel mit beiden Freunden 1756/57 ber das Trauerspiel. Alle drei sind beteiligt an Nicolais Projekt: Bibliothek der schçnen Wissenschaften und freyen Knste; bei Nicolai erscheinen: Briefe, die Neueste Litteratur betreffend (wie Anm. Le 67, 29–30), deren Hauptautor zunchst Lessing ist. Vgl. auch Anm. Le 68, 3. 61, 4–5 Der Plan bis erhalten: Unter der berschrift „Hauptzge“ steht Mendelssohns Skizze im Abschnitt Ueber Lessings Philosophie und Theologie in: Lessings Leben II, 14–19. K. G. Lessing be-
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grndet die Aufnahme des Schemas: „Niemand htte wohl seinen gelehrten Charakter besser geschildert als Moses Mendelssohn, der sich vorgenommen, sein Leben zu beschreiben. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, seinen dazu entworfenen Plan, der mir glcklicher Weise in die Hnde gerathen ist, hier einzuschalten: von Wort zu Wort, wie er sich auf einem besondern halben Bogen befindet.“ Ebd. 14. 61, 14 Sorglosigkeit: „Ist es Reichthum oder Bescheidenheit, daß er es nie sich merken ließ, wenn er bestohlen ward?“ Lessings Leben II, 16. 61, 15–19 „Ein Exempel bis fhren.“: Statt – sagt hierbei Mendelssohn – (Z. 15–16): „hiervon“. Lachen, Weinen (Z. 16) gesperrt. Nach nicht (Z. 17) kein Komma; nach plndern (Z. 17) Strichpunkt. Statt Hauswirth (Z. 18): „Hauswirthe“. Statt ohne Buch zu fhren. (Z. 18–19): „ohne Buch darber zu fhren, und daher in Gefahr kommt, sich fremdes Gut anzumaßen.“ Ebd. 61, 20 „meine oder vielmehr Ihre Theorie“: Mendelssohn erwhnt diese Briefstelle in seiner Skizze (vgl. oben Anm. 61, 4–5) genauer. Lessings Leben II, 18. Im von D. angegebenen Brief Lessings an Mendelssohn vom 14. September 1757 aus Leipzig heißt sie: „Mit der Stelle aus dem Spinoza haben Sie Recht. Ein abermaliger Beweis, wie obenhin ich alles anzusehen gewohnt bin! Wenn Ihnen mehr aufstoßen sollte, was mit meiner (oder vielmehr mit Ihrer) Erklrung des Lachens einige Verwandschaft hat, so merken Sie es ja fleißig an.“ LLa XII, 95. 61, 20–21 Wie bis sagen: Vgl. Lessing 69, 31–36; außerdem D.s Urteil ber Nicolai im Kommentar zur Verçffentlichung des Briefes A. W. Schlegels vom 28. Dezember 1799 an L. F. Huber (1861). Ges. Schr. XVI, 229–234; Leben Schl XIII,1. 208–212. Zu Nicolais bernahme Lessingscher Ansichten ber Orthodoxie und Neologie in seinen Roman: Sebaldus Nothanker (1773–1776) zurckhaltender Danzel/Guhrauer II,2. 130 f. 61, 23 Capitel der Morgenstunden: M. Mendelssohn, Morgenstunden, oder Vorlesungen ber das Dasein Gottes (1785). Kap. XV: Lessing. – Dessen Verdienst um die Religion der Vernunft. – Seine Gedanken vom geluterten Pantheismus. Mendelssohn Schriften II, 361–372. 61, 24 Schrift an die Freunde Lessing’s: M. Mendelssohn, An die Freunde Lessing’s. Ein Anhang zu Herrn Jacobi’s Briefwechsel ber die Lehre des Spinoza (1786). Mendelssohn Schriften III, 1–36. Mendelssohn antwortet damit auf F. H. Jacobis Schrift: Ueber die Lehre des Spinoza (= Jacobi), das Manuskript war vier Tage vor seinem Tod abgeschlossen (Todestag 4. Januar 1786) und wurde von J. J. Engel verçffentlicht. 61, 24–30 Man bis vorenthielt: Die Knappheit der Schriften Mendelssohns ber Lessing (vgl. oben Anm. 61, 4–5, 61, 23; 61, 24) hngt damit zusammen, daß an die Stelle der geplanten Biographie, in die Jacobi Lessings angeblichen Spinozismus einbezogen wissen wollte, die Morgenstunden rckten (bersendung an Jacobi mit Brief vom 4. Oktober 1785), der Versuch Mendelssohns, ohne Rcksicht auf die Begegnung zwischen Lessing und Jacobi das Spinozismusproblem zu klren. Die gleichzeitig erscheinende Schrift Jacobis: Ueber die Lehre des Spinoza (= Jacobi), am 30. September 1785 an Mendelssohn geschickt, fhrte zu Mendelssohns Entgegnung: An die Freunde Lessings (wie oben Anm. 61, 24). Mendelssohn, der darin auf die Phasen des Austauschs mit Jacobi ber Spinoza eingeht, legt dar, daß und warum er fr unmçglich halte, von Lessing getuscht worden zu sein. Er beruft sich gegen Jacobi auf „den Weg der Demonstration“ und auf die Vernunft. Mendelssohn Schriften III, 36. Vgl. die Briefe Mendelssohns vom 8. Oktober 1785 an Nicolai; vom 16. Oktober
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1785 an Kant und vom 21. Oktober 1785 an E. Reimarus. Mendelssohn Schriften V, 634; 637 f.; 723 f. 61, 28 „Jnger des Propheten.“: D. entnimmt die zitierte Wendung einem undatierten, bald nach Lessings Tod verfaßten Brief an K. G. Lessing. Fr Mendelssohn hat Lessing mit dem Nathan den Hçhepunkt seines Schaffens erreicht: „Er konnte nicht hçher steigen, ohne in eine Region zu kommen, die sich unsern sinnlichen Augen vçllig entzieht; und dieß that er. Nun stehen wir da, wie die Jnger des Propheten, und staunen den Ort an, wo er in die Hçhe fuhr und verschwand.“ Mendelssohn Schriften V, 582; vgl. Lessings Leben I, 452. 61, 31–34 Aus bis grçbsten Art: Lessings Leben. Titel unter Abkrzungen und Siglen; trotz aller Kritik unersetzliche Quelle fr alle Interpreten. 61, 37–38 Edler Schatten bis ruhn: Musenalmanach fr das Jahr 1797, hrsg. von F. Schiller, Tbingen [1796], S. 288. berschrift: L***. Statt in (Z. 38): „im“. 62, 9–10 Eben bis Berlin: F. Schlegel lebte von Juli 1797 bis September 1799 in Berlin, also nach dem Erscheinen der Publikation von K. G. Lessing. D.s Beschftigung mit F. Schlegel steht im Zusammenhang mit der Preisschrift fr die Schleiermacher-Stiftung von 1860: Das hermeneutische System Schleiermachers in der Auseinandersetzung mit der lteren protestantischen Hermeneutik (Leben Schl XIV,2. 595–787; bes. 670–677) und seiner Edition der Bde III (1861) und IV (1863) des Schleiermacherbriefwechsels. 62, 13–14 Auffassung bis wiederholt: Ohne auf Jacobis Schrift, Ueber die Lehre des Spinoza, einzugehen, hlt der Bruder Karl Gotthelf daran fest, daß Lessing „als Lutheraner“ geboren und es geblieben sei. Vgl. Lessings Leben I, 430; 441 -447. Dazu auch Mendelssohn Anm. Le 61, 24–30 und Nicolai Anm. Le 83, 32–35. 62, 14–15 Jacobi’s Protest: Der Protest richtet sich gegen Mendelssohn, der Jacobis ihm durch E. Reimarus vermittelte berzeugung, Lessing sei Spinozist gewesen, nicht ohne weiteres angenommen hatte. Jacobi beantwortete Mendelssohns Fragen çffentlich mit einer Darstellung des Gesprchs zwischen Lessing und ihm: Ueber die Lehre des Spinoza (= Jacobi), erschienen ohne Verfasserangabe, Jacobi unterzeichnete jedoch den Vorbericht. Begegnung mit Lessing: Jacobi 11–44. Vgl. Anm. Le 61, 23 und Anm. Le 61, 24–30. D.s Sicht der Begegnung Lessings mit Jacobi. Lessing 113, 1 – 116, 17. 62, 16 Fragment ber Lessing: F. Schlegel, Ueber Lessing. In: Lyceum der schçnen Knste, hrsg. von J. F. Reichardt, I, 2 (1797), S. 76–128. 62, 17–19 Musterwerk bis versehen ward: A. W. und F. Schlegel, Charakteristiken und Kritiken, 2 Bde, Kçnigsberg 1801. Ueber Lessing in: I, 170–281. Dem leicht abweichenden Wiederabdruck des Lyceum-Fragments: Ueber Lessing (wie oben Anm. 62, 16) folgen nach einer berleitung ein Sonett (Etwas das Lessing gesagt hat.), Fragmente, abschließend die Elegie Herkules Musagetes. Ebd. S. 271–281. 62, 19–22 1804 bis gesagt worden ist: Lessings Gedanken und Meinungen aus dessen Schriften zusammengestellt und erlutert von Friedrich Schlegel, 3 Bde, Leipzig 1804. Unvernderte Ausgabe
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mit dem Titel: Lessings Geist aus seinen Schriften, oder dessen Gedanken und Meinungen, Leipzig 1810. 62, 22–26 Gegenber bis die Lessing’schen: Vgl. F. Schlegel: „ [. . .] Lessings Philosophie scheint man nur als Veranlassung der Jakobischen, oder gar nur als Anhang der Mendelsohnschen [sic] zu kennen!“ Ueber Lessing (wie oben Anm. 62, 16), S. 91. Geist des Selbstdenkens: „Schwerlich aber sind noch andre deutsche Schriften besser geeignet, diesen Geist des Selbstdenkens zu erregen und zu bilden, als die Lessingschen.“ Lessings Geist I, 7. 62, 26–30 Und nun bis beschftigt: „Diese ganz specifische Kraft, das Selbstdenken zu erregen, haben die Lessingschen Schriften und Gedanken nicht durch ihren Inhalt allein, sondern auch durch ihre Form. Und ich gestehe, daß diese und der vortreffliche Styl nicht wenig dazu beigetragen haben, mich zu dieser Arbeit zu bestimmen.“ Lessings Geist I, 8. Bei der Beschreibung der „Form“ bezieht sich F. Schlegel vergleichend auf die „Schriften der alten Philosophen, besonders die Platonischen“. Ebd. I, 14. Zu Lessing: „Die Form aber dieses Ganzen kann man so beschreiben. Er geht berall aus von einem gegebenen lebhaften Interesse; seyen es nun geschnittne Steine, oder Schauspiel, oder Freimaurerei, was grade der Zufall an die Tagesordnung gebracht hatte; er wußte schon berall hçhere Ideen anzuknpfen. Dieses Interesse faßt er in seiner grçßten Lebhaftigkeit auf, und beginnt von da aus zu schaffen, zu wirken und um sich zu greifen. Lebhafte Widerlegung der geltenden Vorurtheile, neue Beispiele, wo von Theorie die Rede ist, speculative Ansichten, wo man nur vom Einzelnen zu hçren erwartete, erregen und erhalten berall, das Leben, die Mannichfaltigkeit und das Interesse. Immer tiefer dringt sein Denken ein, immer weiter greift es um sich; fand man schon in seinen ersten Schritten Paradoxie, so tritt er weiterhin mit einer ganz andern khnern, wirklich so zu nennenden auf. Ueberall aber, im Ganzen wie im Einzelnen dieses Ganges zeigt sich eine ihm ganz eigenthmliche Combination der Gedanken, deren berraschende Wendungen und Configurationen sich besser wahrnehmen als definiren lassen.“ Ebd. I, 16 f. Schlegel gebraucht auch die Wendung „innere Form seines Denkens“. Ebd. I, 18. Vgl. „Dieselbe Form grade ist die des Plato [. . .].“ Charakteristiken (wie Anm. Le 62, 17–19) I, S. 269 f. 62, 28 in ihrer inneren Form: Der durch Shaftesbury im 18. Jh. verbreitete Begriff „inward form“ (The Moralists; a philosophical Rhapsody, 1709. III, 2) als wirkende Kraft wurde von Herder und Goethe auf das Kunstwerk bertragen, von W. von Humboldt in die Sprachwissenschaft einbezogen. Ausgehend von Schleiermachers Hermeneutik erwgt D. bereits 1859 die Brauchbarkeit des von F. Schlegel verwendeten Begriffs fr die neuere Philologie (JD 90–95), beurteilt dessen Erprobung an Lessing (vgl. oben Anm. 62, 26–30) zurckhaltend (Leben Schl XIV,2. 673 f.), hlt ihn (vgl. Materialien fr den Akademie-Vortrag von 1898 : Der Platon Schleiermachers) fr einen der leitenden Begriffe dieser hçheren Philologie. Leben Schl XIII,2. 43 und 45; vgl. auch Ges. Schr. IV, 363 f. (ADB-Artikel Schleiermacher von 1890); Ges. Schr. VIII, 91–93 (Typen der Weltanschauung 1911). Fr die Aufstze vgl. Anm. Ph 258, 34 – 259, 13. 62, 32–34 Danzel’s Verdienst bis zu haben: Danzel, Titel unter Abkrzungen und Siglen. 62, 38–40 Guhrauer’s Fortsetzung bis bedeutsam hervor: Danzel/Guhrauer, Titel unter Abkrzungen und Siglen. Guhrauer betont die Selbstndigkeit seiner Untersuchung und bemerkt im Vorwort, daß in Danzels Nachlaß lediglich zwei Kapitelbruchstcke vorhanden seien. Sie betreffen die von D. genannten Themen; aufgenommen wurden Teile ber Lessings Philosophie im ersten Kap. des vierten Buches.
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Textgeschichte und Anmerkungen
63, 6–8 Guhrauer bis erçffnet: G. E. Guhrauer, Lessing’s Erziehung des Menschengeschlechts kritisch und philosophisch erçrtert , Berlin 1841. 63, 8–12 Diese Schrift bis Ausgabe: H. Ritter, Ueber Lessing’s philosophische und religiçse Grundstze in: Gçttinger Studien , 2. Abt., II (1847), S. 151–221; die selbstndige Verçffentlichung ebenfalls Gçttingen 1847. 63, 12 Danzel’s Stellung: Danzels Rezension erschien unter der Rubrik Literaturgeschichte in drei Fortsetzungen in: Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung VII (1848), Nr. 172–174 (19.–21. Juli), S. 686–695. Zu Ritter, der „ein fçrmliches System“ der Philosophie Lessings konstruiere: „Nur schade, dass zu einer getreuen Reproduction einer geistigen Erscheinung nicht blos eine Darlegung ihres Stoffes, sondern auch die Mittheilung einer Anschauung von der Form, in der sie aufgetreten, erforderlich ist.“ S. 690. 63, 14–15 Guhrauer bis mittheilt: Danzel/Guhrauer II,2. 106–108. Das von Guhrauer aufgenommene Nachlaßfragment Danzels enthlt die Versicherung, nicht „aus Lessings spekulativen Aeußerungen ein eigentliches philosophisches System herauszuklauben“. Danzel fhrt fort: „[. . .] dagegen lassen sich bei ihm auch in diesem Falle der innere Gang seines Geistes und die Veranlassungen, welche den einzelnen Aeußerungen zu Grunde liegen, mit ziemlicher Sicherheit nachweisen.“ Ebd. 108. 63, 16 Hebler’s Lessingstudien: C. Hebler, Lessing-Studien, Bern 1862. 63, 18 Charakteristik von Gervinus: Gervinus IV, 318–413. Der Zweck, den Gervinus verfolgte, bestand wohl darin, Lessing als „das eigentliche Revolutionsgenie“ (S. 321) und als „Muster“ (S. 413) zu prsentieren. 63, 26–28 Denn bis Lessing’s: Die Frage nach dem Rthsel der hçchsten Lebensresultate Lessing’s fand D. wahrscheinlich in den Tlen IV und V der Lessing-Studien Heblers: Lessing’s Stellung zum Christenthum (S. 76–115) und Lessing’s Philosophie (S. 116–143). Hebler formuliert das Problem des Determinismus (vgl. Lessing 112, 13–14 und Anm.) und seine Lçsung durch die Seelenwanderung (vgl. Lessing 118, 6–11 und Anm.), bestimmt Lessings Pantheismus (vgl. Anm. Le 122, 17–19); grenzt im brigen Lessings gegen Schleiermachers Christentum ab und erwgt, Lessing einen „christlichen Nicht-Christen“ zu nennen. Hebler 103. 63, 28–32 Aber bis einnehmen: Zu D.s methodischem Ansatz auch Lessing 66, 24–36; Novalis 201, 3–40; 213, 10–33. – Zur Wendung von der literarischen, dichterischen, intellektuellen Bewegung Deutschlands vgl. Lessing 118, 26–28, dazu 122, 37 – 123, 18; Basler Antrittsvorlesung, bes. 13 f.; Leben Schl XIII,1. 183–207. 63, 33–37 Durch bis ruhte: Kanon- und epochebildend wirkte das 7. Buch von DuW (vgl. E Goethe 128, 29 – 129, 9); dort und im 8. und 11. Buch einige der vielen ußerungen Goethes zu Lessing. 64, 1 theologischen Kmpfe: Auseinandersetzung des berlieferten Christentums mit der Aufklrung. Gegen Deismus und Atheismus auf der einen, Orthodoxie auf der andern Seite sucht die Vernnftige Orthodoxie, Offenbarung und Vernunft miteinander zu vereinen, die Neologie, an der Offenbarung als Besttigung der natrlichen Vernunft festzuhalten. Die Position der Neologen fhrt
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zur Bibelkritik, wie sie in verschiedenen Bereichen von J. A. Ernesti, J. D. Michaelis und J. S. Semler gebt wird. – Im Rckblick auf die Kontroversen seines Bruders spricht K. G. Lessing von „zwei Hauptpartheyen“: „Beyde legen zwar die Bibel zum Grunde, nur mit dem kleinen Unterschiede, daß die Bibel von der einen der Vernunft, von der andern aber die Vernunft der Bibel untergeordnet wird. Man kçnnte daher die ersten Vernunfttheologen, die andern Bibeltheologen nennen.“ Theol. Nachl. 4. – In den Briefen an den Bruder Karl Gotthelf kommt Lessing mehrfach auf seine Position zu sprechen; seine Distanz zu neueren Richtungen wie zur alten Orthodoxie zeigt sich im Brief vom 20. Mrz 1777 aus Wolfenbttel: „[. . .] weil es im Grunde allerdings wahr ist, daß es mir bey meinen theologischen – wie Du es nennen willst – Neckereyen oder Stnkereyen, mehr um den gesunden Menschenverstand, als um die Theologie zu thun ist, und ich nur darum die alte orthodoxe (im Grunde tolerante) Theologie, der neuern (im Grunde intoleranten) vorziehe, weil jene mit dem gesunden Menschenverstande offenbar streitet, und diese ihn lieber bestechen mçchte. Ich vertrage mich mit meinen offenbaren Feinden, um gegen meine heimlichen desto besser auf meiner Hut seyn zu kçnnen.“ LLa XII, 482. Vgl. Lessing 81, 29 – 82, 14 und 82, 39 – 83, 5. 64, 1–2 Streitigkeiten bis Dichtern: Die 1740 beginnenden, ber die Jahrhundertmitte andauernden Auseinandersetzungen zwischen Leipzig und Zrich, zwischen Gottsched und den Schweizern J. J. Bodmer und J. J. Breitinger, um den Begriff der Naturnachahmung in der Poesie. Die Zricher schtzen Milton und den frhen Klopstock, pldieren fr das Wunderbare, die poetische Malerei, die dichterische Phantasie. – Zu Gottsched vgl. Anm. Le 59, 20–22. Zu den lyrischen Dichtern vgl. Anm. Le 67, 40. Gedacht ist vermutlich auch an die zweite Hallenser Dichtergruppe mit Gleim (vgl. Anm. Le 65, 9–11), J. P. Uz und J. N. Gçtz. 64, 10 Haller’s religiçses Lehrgedicht: A. von Haller, Versuch schweizerischer Gedichte, Bern 1732. Haller diente das Gedicht zur Vermittlung philosophischer und religiçser berzeugungen. Die vielfach umgearbeitete und ergnzte erste Ausgabe seiner Gedichte enthlt sein berhmtes Lehrgedicht: Die Alpen. 64, 10–11 die Messiade Klopstocks: Die ersten Gesnge von F. G. Klopstocks Messias lagen 1748 vor, die letzten erschienen 1773. 64, 11–21 Das grçßte bis Lessing: D. bernimmt offensichtlich Danzels vernichtende Kritik des Messias und auch dessen Interpretation der ußerungen Lessings zu diesem Werk. Vgl. Danzel 206–210. – Lessing hat mehrfach ber Werke Klopstocks geschrieben, z. B. Ueber das Heldengedicht der Messias (1751). LLa III, 308–328. 64, 29 Kleist’s Frhling: E. Ch. von Kleists Hexameterdichtung Der Frhling, Zeugnis einer sich verndernden Naturauffassung, erschien 1749. 64, 29–30 Hagedorn’s zrtlichen Liedern: F. von Hagedorn verçffentlichte ab 1742 in mehrfachen Ausgaben Oden und Lieder. 64, 32–35 In bis Nachfolger ist: Weitere Erwhnung H. von Kleists in Anm. Fr 416, 38 – 417, 6. 65, 9–11 Schon bis heterogen: Lessing kannte W. L. Gleim seit 1755, K. W. Ramler seit 1752 und stand – das schrnkt D.s Urteil ein – bis in seine letzte Lebenszeit mit beiden in Verbindung. Vgl. seine Besprechung der Kriegslieder Gleims: Vorbericht zu den Preussischen Kriegsliedern in den Feldzgen 1756 und 1757 von einem Grenadier (1758). LLa V, 101–104. Zur Patriotismuskritik vgl.
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Brief vom 16. Dezember 1758 aus Berlin an Gleim. LLa XII, 125 f. – 1759 gab er Logaus Sinngedichte zusammen mit Ramler heraus; 1774 begrßte er dessen Lyrische Blumenlese und sagte zu den gemeinsamen Plnen: „Ich sehe auf meinem ganzen Felde nichts als Dornen; und einmal ist es nun mein Feld. Umsonst erinnern Sie mich unserer gemeinschaftlichen Entschlsse, ein blumenreicheres anzubauen. Es hat nicht seyn sollen! Mit mir ist es aus; und jeder dichterische Funken, deren ich ohnedies nicht viel hatte, ist in mir erloschen.“ Brief Lessings vom 12. November 1774 aus Wolfenbttel an Ramler. LLa XII, 422. 65, 11–15 Er ist bis zuzufahren: Zu D.s Bild vgl. den Brief von J. H. Voß vom 12. August 1776 aus Wandsbeck an den ihm befreundeten Theologen E. Th. J. Brckner: „Lessing hat einen Blick, wie ich noch nie gesehn habe, in seinen blauen Augen, einen rechten Geierblick.“ In: Briefe von Johann Heinrich Voß I, hrsg. von A. Voß, Halberstadt 1829, S. 196. Wiederholung des Raubvogelbilds Lessing 67, 40; „Geierblick“ Lessing 105, 4. 65, 21–24 Wenn Klopstock bis bitten.“: F. G. Klopstocks Ode: An Gott, authentische Fassung 1752. Lessings Besprechung vom 7. Dezember 1751 in der Berlinischen privilegirten Zeitung bezieht sich auf einen nicht von Klopstock autorisierten Druck. Sie endet: „Was fr eine Verwegenheit, so ernstlich um eine Frau zu bitten!“ LLa III, 192. 66, 7–9 wie Weiße bis retten: Lebensstellungen: Ch. F. Weiße, Steuereinnehmer in Leipzig und spterer Gutsbesitzer; J. J. Engel, Professor am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin; K. Ph. Moritz, Lehrer in Potsdam und Berlin, Professor an der Akademie der bildenden Knste; J. J. Dusch, Professor und spterer Direktor am Gymnasium in Altona. 66, 17 Mangel an Glck: Zu dieser Stilisierung vgl. Steinmetz 32 f. 66, 19 „Himmel im Verstande“: Aus einer ußerung Jacobis ber Spinoza, von ihm selbst wiedergegeben im rekonstruierten Gesprch mit Lessing: „Eine solche Ruhe des Geistes, einen solchen Himmel im Verstande, wie sich dieser helle reine Kopf geschaffen hatte, mçgen wenige gekostet haben.“ Jacobi 28. D. gebraucht diese Wendung auch fr den erstrebten eigenen Zustand. JD 266. 66, 24–36 Betrachten wir bis unfertig: Zu D.s Hinweis auf die gesellschaftlichen Elemente vgl. Lessing 63, 28–32. 66, 25–26 Voltaire bis errungen hatte: Voltaire kam 1750 auf Einladung Friedrich II. nach Potsdam, das er 1753 bereits wieder verlassen mußte. Lessing erhielt 1751 von ihm den Auftrag, mehrere seiner Essays zu bersetzen; sie erschienen 1752. 66, 29–30 daher bis ausgeschlagen: Herder erhielt 1775 einen vorlufigen Ruf nach Gçttingen, nahm aber das Angebot der Generalsuperintendentur in Weimar an. Lessing soll eine Professur fr Eloquenz in Kçnigsberg abgelehnt haben (vgl. ADB). Zum Unbehagen am „Professoriren“ (es geht um die Stelle des alten Professors Heinius, Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums und Direktor der phil. Klasse der Akademie der Wissenschaften) vgl. den Brief K. G. Lessings vom 18. Mrz 1775 aus Berlin und Lessings Antwort vom 26. Mrz 1775 aus Dresden. LLa XIII, 526 und LLa XII, 429. 66, 33–34 Berhrungen mit dem Braunschweigschen Hofe: Die Verbindung zum Braunschweiger Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand stellte J. A. Ebert her, durch den Lessing im September
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1769 die Bibliothekarstelle in Wolfenbttel angeboten bekam. Amtseinfhrung im Mai 1770. Die Beziehungen zum Hof waren wechselhaft; Lessing hoffte umsonst auf einen anderen Wirkungskreis. 67, 7–8 Lessing bis Geschick: Gedacht ist vermutlich an die vergeblichen, von E. Ch. von Kleist 1757 unternommenen Versuche, Lessing eine Stelle zu verschaffen; vor allem an die Ablehnung Friedrich II. im Februar 1765, ihn, wie vorgeschlagen, zum Bibliothekar der Kçniglichen Bibliothek in Berlin zu machen. 67, 8–17 „Sagen bis Europa ist.“: Brief vom 25. August 1769 aus Hamburg an Nicolai. Lessing reagiert auf eine spçttische Anmerkung Nicolais vom 8. Juli 1769 ber die „Freyheit zu denken“ in Wien (LLa XIII, 181), wo Klopstock um diese Zeit eine Akademie einzurichten plante und von wo Lessing Angebote des Theaters erwartete. Statt „Sagen bis denken. (Z. 8–10): „Sonst sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freyheit zu denken und zu schreiben ja nichts.“ Statt Freiheit gegen die (Z. 10–11): „Freyheit, gegen die“. Nach bringen (Z. 11): Komma. Nach will. (Z. 26) berspringt D. den Satz: „Und dieser Freyheit muß sich der rechtliche Mann nun bald zu bedienen schmen.“ Statt so frei zu schreiben als (Z. 12–13): „so frey zu schreiben, als“. Nach geschrieben hat, (Z. 13): „lassen Sie es ihn versuchen, dem vornehmen Hofpçbel so die Wahrheit zu sagen, als dieser sie ihm gesagt hat;“. Statt jetzt (Z. 15): „itzt sogar“. Statt England (Z. 15–16): „Dnemark“. Statt in Europa (Z. 17): „von Europa“. LLa XII, 233 f. 67, 13 Sonnenfels: J. von Sonnenfels war seit 1763 Professor in Wien und setzte sich, von Gedanken der Aufklrung bestimmt, als Jurist fr Rechtsreformen ein. 67, 17–22 Ja bis Illusion: Der Gedanke an Wien ist keine ganz flchtige Illusion. Am 13. April 1769 berichtete Lessing Nicolai: „daß mir von Wien aus sehr ansehnliche Vorschlge gemacht werden.“ (LLa XII, 230). 1775 war er auf Empfehlung dort, allerdings auch, um Eva Kçnig zu treffen. – Die Anspielung auf 1848 betrifft die in der Frankfurter Nationalversammlung diskutierte Frage, ob das Staatsoberhaupt von sterreich oder Preußen gestellt werden sollte, die großdeutsche oder kleindeutsche Lçsung vorzuziehen sei. Vgl. die Einstellung D.s zu Preußen im Schleswig-HolsteinKonflikt im Juni 1866. JD 214 f. – Joseph II., seit 1765 an der Regierung, verwirklichte brigens seine Reformen erst ab 1780, nach dem Tode seiner Mutter Maria Theresia. 67, 27–36 Demgemß bis Ton an: Lessing gab im November 1748 sein Studium auf und ging nach Berlin, wo er sich mit mehreren großen Unterbrechungen vor allem zwischen 1748 und 1760 aufhielt. Er schrieb von 1748–1755 Kritiken fr die Berlinische privilegirte Zeitung und bernahm ab 1751 die Redaktion des Gelehrten Artikels dieses Blattes. 67, 29–30 die Literaturbriefe: Briefe, die Neueste Litteratur betreffend, Berlin 1759–1765. LLa VI, 1–281. Ein Projekt mit M. Mendelssohn, F. Nicolai, Lessing, spter Th. Abbt u. a. Lessing bestritt etwa ein Fnftel aller Beitrge. 67, 39 Wittenberg: Von Dezember 1751 bis November 1752 lebte Lessing in Wittenberg. Er erwarb den Magistertitel mit Vorarbeiten zu einer Biographie J. Huartes, den er auch bersetzte. Daneben betrieb er kirchengeschichtliche Studien, las Horaz mit seinem Bruder Theophilus und plante eine çffentliche Kritik der Horazbersetzung von S. G. Lange. 67, 39 Rettung des Horaz: Titel: Rettungen des Horaz. Schrifften 3, Berlin 1754. Die Arbeit steht
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im Zusammenhang weiterer „Rettungen“ verkannter oder umstrittener Schriftsteller, z. B. des H. Cardanus; sie bezieht sich auf S. G. Langes bersetzung. LLa IV, 5–43. 67, 40 Vademecum: Ein VADE MECUM fr den Hrn. Sam. Gotth. Lange, Pastor in Laublingen, in diesem Taschenformate ausgefertigt von Gotth. Ephr. Lessing, Berlin 1754. LLa III, 405–445. Lange gehçrte mit I. J. Pyra und G. F. Meier zum Hallenser Dichterkreis, der Kritik an Gottsched bte und den Schweizern nahestand (vgl. Anm. Le 64, 1–2). Mit der fehlerhaften Horazbersetzung Langes hatte sich Lessing seit ihrem Erscheinen 1752 beschftigt. 68, 3 Montagsclub bis begrndet: Nach seiner Rckkehr aus Wittenberg im November 1752 schloß sich Lessing dem 1749 gegrndeten Berliner Montagsklub an, wo er K. W. Ramler und J. G. Sulzer begegnete. 1754 begann erst die Freundschaft mit M. Mendelssohn und F. Nicolai, die Lessing einige Zeit durch philosophische und literarische Interessen eng verbunden waren, es in freundschaftlichem Austausch weiterhin blieben. Vgl. Anm. Le 60, 27. 68, 4–6 Danzel bis leitende war: Vgl. Danzel 267–281; 354–366; 387–392, der allerdings beiden Seiten, also auch Mendelssohn wie Nicolai, gerecht zu werden sucht. Zu Mendelssohn bes. Danzel 348–354. 68, 9–10 Ostermesse bis Inhalts: G. E. Leßings Schrifften, 6 Tle, Berlin 1753–1755. 68, 12–15 Lessing’s Naturell bis Wirkung: Im Januar 1755 ging Lessing fr sieben Wochen nach Potsdam, um an einem Trauerspiel zu arbeiten: Miß Sara Sampson. In: Schrifften 6, Berlin 1755. LLa II, 1–89. 68, 15–20 Ramler bis erschien: Die Urauffhrung der Miß Sara Sampson durch die Ackermannsche Gesellschaft fand am 10. Juli 1755 in Frankfurt/Oder statt. Lessing nahm mit Ramler daran teil. K. W. Ramler berichtet darber im Brief vom 25. Juli 1755 aus Berlin an J. W. L. Gleim: „Herr Leßing hat seine Tragçdie in Franckfurt spielen sehen und die Zuschauer haben drey und eine halbe Stunde zugehçrt, stille geseßen wie Staten, und geweint. Knftig wird er in reimfreyen Jamben dichten.“ Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler, hrsg. von C. Schddekopf, 2 Bde, Tbingen 1906/07. II, 206. D. zitiert vermutlich nach Danzel 313, der wohl den Brief zur Hand hatte. 68, 23 Weiße: Ch. F. Weiße (vgl. Anm. Le 66, 7–9), seit 1746, der ersten Studienzeit Lessings in Leipzig, mit ihm befreundet, vielseitiger Schriftsteller, schrieb und bersetzte wie Lessing zunchst fr die Auffhrungen der Neuberschen, spter fr die der Kochschen Schauspielertruppe. 68, 24–26 So bis befand: Am 18. Oktober 1755 meldete die Berlinische privilegirte Zeitung Lessings Ortswechsel von Berlin nach Leipzig, wo er vermutlich Verbindung zu der Kochschen Gesellschaft aufnahm. Vgl. Danzel 319. 68, 32–38 Zunchst bis Literaturbriefe: Vom Ausbruch des Siebenjhrigen Krieges wird Lessing auf einer Bildungsreise als Begleiter Ch. G. Winklers berrascht. Beide kehren im September 1756 nach Leipzig zurck. In die Jahre 1756/57 fllt der Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai ber das Trauerspiel. Zu Berliner Literaturbriefe vgl. Anm. Le 67, 29–30 und unten Anm. 69, 2–7. 68, 39–40 Schon bis grnden: Vgl. Brief J. G. Sulzers vom 22. Mai 1757 an E. Ch. von Kleist: „Es jammert mich recht, daß ein Mann wie Lessing noch um seine Versorgung soll bekmmert seyn,
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und daß auch das Wenige, was er verlangt, fr ihn unmçglich wird. Hier mçchte sich schwerlich eine Bedienung fr ihn finden. Aber ich stehe in der Meynung, daß es leicht mçglich wre, sich hier durch die Feder ein gewisses sehr solides Etablissement zu verschaffen. Ich habe schon lange die Idee von einer Art gelehrter Zeitung, die aber anders, als alle andern wre, wodurch ein Betrchtliches kçnnte erworben werden. [. . .] Ich htte grosse Lust, den Ton der Superioritt ber die andern Deutschen anzunehmen, der dem nicht unhnlich wre, den die Franzosen ber andere annehmen. Dazu nun haben wir solche Mnner, wie Lessing, nçthig!“ In: Briefe der Schweizer Bodmer, Sulzer, Geßner, hrsg. von W. Kçrte, Zrich 1804, S. 285 f. Sulzers Brief steht im Zusammenhang mit den Bemhungen Kleists, Lessing eine Stelle zu verschaffen. Vgl. Anm. Le 67, 7–8. Der letzte Satz ist eine frhe Fassung des durch Goethe bekannten und bis ins 20. Jahrhundert gern gebrauchten Topos. Vgl. Lessing 59, 24–26; Steinmetz 254. 69, 2–7 Und so bis gewiß: D. konzentriert seine Darstellung auf Lessing. Vgl. Bericht Nicolais, der die Literaturbriefe (wie Anm. Le 67, 29–30), allerdings im Rckblick, aus dem gemeinsamen Gesprch der Freunde hervorgehen lßt: „Endlich fiel mir ein: Wir haben so oft gesagt, man sollte schreiben, was wir sagen. Wir wollen also in Briefen niederschreiben was wir in unsern tglichen Unterredungen sagen, wollen uns keinen bestimmten Zweck vorstellen, wollen anfangen, wenn es uns gefllt, aufhçren, wenn es uns gefllt, reden, wovon es uns gefllt; gerade so wie wir es machen, wenn wir zusammen plaudern. / Dieser Vorschlag gefiel Lessingen, und er ward auf der Stelle nher bestimmt. Der damalige Krieg spannete alles mit Enthusiasmus an.“ Aus: Schreiben an den Hrn. Professor Lichtenberg in Gçttingen. In: Gçttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur, hrsg. von G. Ch. Lichtenberg und G. Forster, III, 3 (1783), S. 396. Nach etwa einem Jahr intensiver Mitarbeit hat sich Lessing mehr und mehr von dem Unternehmen zurckgezogen. Vgl. Lessing 69, 31–39. 69, 9 Wenn bis nennt: Th. B. Macaulay, The life and writings of Addison (1843). In: Ausgewhlte Schriften geschichtlichen und literarischen Inhalts V. Dt. von F. Steger u. a. (= Smmtliche Werke XVII), Braunschweig 41861, S. 137–232. Macaulay bemerkt zum Problem der Kenntnis der Nachbarliteraturen, daß vor sechzig oder siebzig Jahren nur wenige „die leiseste Ahnung hatten, daß Wieland einer der ersten Schçngeister und Dichter und Lessing ohne alle Frage der erste Kritiker Europa’s ist.“ S. 155 f. Vgl. D.s Aufsatz: Zur Charakteristik Macaulays (1860). Ges. Schr. XVI, 1–28. 69, 18–22 dem deutschen Geiste bis Ausdruck gebracht: Betonung nationaler Verdienste Lessings bestimmt die Lessingverehrung des 19. und der ersten Hlfte des 20. Jahrhunderts. Vgl. Steinmetz 36–41. 69, 36–37 Zurckgezogenheit: Lessing lebte als Gouvernementssekretr des Generals von Tauentzien von 1760–1765 in Breslau und verçffentlichte wenig whrend dieser Zeit. 70, 1–12 Schon Fichte bis sichtbar.“: J. G. Fichte, Friedrich Nicolai’s Leben und sonderbare Meinungen. Ein Beitrag zur LitterarGeschichte des vergangenen und zur Pdagogik des angehenden Jahrhunderts, hrsg. von A. W. Schlegel, Tbingen 1801. Zweite Beilage, S. 97 f. Im Zusammenhang: „Daß L e s s i n g – wir beziehen uns hier allenthalben auf die frhern Schriften desselben und die von seinem Bruder herausgegebne Lebensbeschreibung und Briefwechsel, und wnschten, daß der Leser, der ein Urtheil in dieser Sache begehrt, damit sehr bekannt wre, – daß, sage ich, Lessing in seiner frhen Jugend sich in einer unbestimmten litterarischen Thtigkeit herumgeworfen, daß alles ihm recht war, was nur seinen Geist beschftigte und bte, und daß er hiebei zuweilen auf unrechte Bahnen gekommen, wird kein Verstndiger lugnen. Die eigentliche Epoche der Bestimmung und Befe-
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stigung seines Geistes scheint in seinen Aufenthalt in Breslau zu fallen, whrend dessen dieser Geist, ohne litterarische Richtung nach außen, unter durchaus heterogenen Amtsgeschften, die bei ihm nur auf der Oberflche hingleiteten, sich auf sich selbst besann, und in sich selbst Wurzel schlug. Von da an wurde ein rastloses Hinstreben nach der Tiefe und dem Bleibenden in allem menschlichen Wissen an ihm sichtbar; und eine der deutlichsten Erscheinungen dieser Vernderung war eine sich durchaus nicht verbergende Verachtung gegen Nicolai’s Person, und ganzes Werk, und Wesen, indeß er die gutmthige Beschrnktheit Mendelsohns [sic] fortdauernd mit schonendem Stillschweigen trug.“ 70, 12–17 Dem bis verraset habe.“: Brief vom 5. August 1764 aus Breslau an K. W. Ramler. Statt unseres (Z. 13): „unsers“. Statt verbunden, die (Z. 14–15): „verbunden. Die“. Sperrung (Z. 15) von D. Statt naht (Z. 15): „nahet“. Statt werden, ich schmeichle (Z. 16): „werden, und schmeichle“. LLa XII, 164. 70, 20–27 Er begrndete bis heute stehen: D. nennt die beiden Schwerpunkte seiner Untersuchung in dieser Fassung: Theoretische wie praktische Begrndung der deutschen Literatur durch Lessing, gewichtiger die Befreiung von der theologischen Bevormundung. Die Bedeutung der theologischen Auseinandersetzungen wohl zuerst bei H. Gelzer, Die neuere Deutsche National-Literatur nach ihren ethischen und religiçsen Gesichtspunkten. Zur innern Geschichte des deutschen Protestantismus I, Leipzig 21847, S. 258–299. 70, 36–37 Zimmermann’s Geschichte der Aesthetik: R. Zimmermann, Aesthetik, 2 Bde, Wien 1858/65. ber Lessing in: I (Geschichte der Aesthetik als philosophischer Wissenschaft), S. 188–203. Zu D.s Hinweis auf Zimmermann 201 (Z. 38): Zimmermann spricht Lessing ab, „eine allgemeine Theorie des Schçnen und der Kunst“ entwickelt zu haben; Lessings Werke sieht er als „Fundgrube fr den Knstler und praktischen Aesthetiker, whrend sie dem Philosophen des Schçnen und der Kunst verhltnissmssig geringere Ausbeute gewhren.“ Ebd. I, 201. 70, 38 Hettner III. 2, 565): H. Hettner, Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts III = Die deutsche Literatur im achtzehnten Jahrhundert. = Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert II. Das Zeitalter Friedrichs des Großen, Braunschweig 1864. Hettner stellt fest, daß Lessings berlegungen den von Horaz berkommenen Satz: „Ut pictura poesis“ aufheben, er fhrt fort: „Es ist eine berraschende, aber eine unzweifelhafte geschichtliche Thatsache, daß der Grundgedanke des Lessing’schen Laokoon, die scharfe Betonung des verschiedenartigen Darstellungsmaterials der Dichtung und der bildenden Kunst, nicht von Lessing selbst, sondern von Moses Mendelssohn stammt.“ Dazu D.s Urteil, Lessing 72, 25 – 73, 6. 70, 39 – 71, 8 Das Rthsel bis gegeben: Zu D.s Phasen der Geschichte der sthetik vgl. Gesichtserscheinungen 93; Dickens 364, 4 – 365, 21; E Goethe 133, 19–25; Bausteine 109–127; sthetik 247–270. 71, 7–8 Das Studium bis gegeben: Zum Studium der physiologischen Bedingungen vgl. Gesichtserscheinungen; Dickens 365, 13–18; 369, 32 – 373, 4 und 407, 7 – 411, 10; E Goethe 136, 1 – 142, 8. 71, 10 Laocoon: G. E. Lessing, Laokoon: oder ber die Grenzen der Malerey und Poesie, Berlin 1766. LLa VI, 372–546. Lessing plante eine Fortsetzung, auch eine Umarbeitung des ersten Teils, zu beidem ist es nicht gekommen (vgl. Anm. Le 74, 7–8).
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71, 12 Dramaturgie: G. E. Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 2 Bde, Bremen 1769. LLa VII, 1–460. 71, 22–28 Wie hatte Aristoteles bis kçnnen: Vgl. die allgemeinen Kapitel 1–5 der Poetik des Aristoteles; auch Bausteine 109–114. 71, 32–35 Hier bis anschloß: In den Schriften von Harris und Mendelssohn, die D. als Beispiele hervorhebt, sieht er das Problem des Laocoon (Lessing 72, 35–39) – Trennung der Knste – bereits enthalten. Lessing war mit Mendelssohns berlegungen selbstverstndlich vertraut; eine gewisse bereinstimmung mit Harris scheint fr die Zeitgenossen offensichtlich gewesen zu sein. Herder bezieht Aristoteles wie Harris als Vorgnger Lessings in seine Laokoonbesprechung ein: Kritische Wlder. Erstes Wldchen. Herrn Leßings Laokoon gewidmet (1769). Suphan III, 1–188. Vgl. Kap. 19 ber Harris mit D.s Hinweisen (Lessing 72, 2–20). Zu Herder kritisch Danzel/Guhrauer II,1. 80 f. 71, 36–38 Der Dialog bis bertragen worden sind: J. Harris, Three treatises. The first concerning art. The second concerning music, painting, and poetry. The third concerning happiness, London 1744. Drey Abhandlungen die erste ber die Kunst, die andere ber die Music, Mahlerey und Poesie, die dritte ber die Glckseeligkeit. Aus dem Englischen, von [J. G. Ph. Mchler], Danzig 1756. D. faßt einige Stellen aus den ersten beiden Abhandlungen zusammen. Aus dem ersten Dialog: „Now these Productions [. . .] all consist of a certain Number of Parts. [. . .] these Parts will be either co-existent, or not; and if not co-existent, then of course successive“; die Unterscheidung zwischen „work“ und „energy“. Zitiert nach 41783, S. 31 f. und S. 33. Die weiteren Zuordnungen stammen aus dem zweiten Dialog; Poetry „will, in a manner, include all things“. Ebd. S. 57 f. Eine weitere bersetzung erschien erst 1780. 72, 25–34 Mendelssohn bis whlen: M. Mendelssohn, Ueber die Hauptgrundstze der schçnen Knste und Wissenschaften (1757). Mendelssohn Schriften I, 279–305. „Die Zeichen, vermittelst welcher ein Gegenstand ausgedrckt wird, kçnnen entweder natrlich oder willkrlich sein. Natrlich sind sie, wenn die Verbindung des Zeichens mit der bezeichneten Sache in den Eigenschaften des Bezeichneten selbst gegrndet ist. Die Leidenschaften sind, vermçge ihrer Natur, mit gewissen Bewegungen in den Gliedmaßen unseres Kçrpers, so wie mit gewissen Tçnen und Geberden verknpft. Wer also eine Gemthsbewegung durch die ihr zukommenden Tçne, Geberden und Bewegungen ausdrckt, der bedient sich der natrlichen Zeichen. Hingegen werden diejenigen Zeichen willkrlich genannt, die vermçge ihrer Natur mit der bezeichneten Sache nichts gemein haben, aber doch willkrlich dafr angenommen worden sind. Von dieser Art sind die artikulirten Tçne aller Sprachen, die Buchstaben, die hieroglyphischen Zeichen der Alten, und einige allegorische Bilder, die man mit Recht zu den Hieroglyphen zhlen kann.“ Ebd. 290 f. – „Die natrlichen Zeichen, deren man sich in den schçnen Knsten bedient, wirken entweder in die Werkzeuge des Gehçrs, oder in die Werkzeuge des Gesichts. Fr die brigen Sinne sind uns noch keine schçne Knste bekannt. Das erstere thut die Musik, das letztere aber alle brigen schçnen Knste.“ Ebd. 292. – „Da der Maler und Bildhauer die Schçnheiten in der Folge neben einander ausdrcken, so mssen sie den Augenblick whlen, der ihrer Absicht am gnstigsten ist.“ Ebd. 294. 73, 7–14 Jene allbekannten Gesetze bis Einfluß erlangt: Mçgliche Belegstellen fr D.s Stichwçrter aus dem Laokoon (wie Anm. Le 71, 10): Kap. II und XX („Schçnheit“); Kap. III („jener einzige Augenblick“); Kap. IV („Vollkommenheit“); Kap. XVI („Handlungen“); Kap. XXI („Schçnheit“, „Reitz“).
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Textgeschichte und Anmerkungen
73, 14–16 Insbesondere bis leitend: Zur befreienden Wirkung des Laokoon auf den jungen Goethe vgl. DuW 8. Buch. Schiller beruft sich ausdrcklich auf Lessings Kommentar des Geschehens bei Vergil in seiner Abhandlung: Ueber das Pathetische. Schi W XVII, 278 f. 73, 21 – 74, 6 Es giebt bis erklre: D.s besonderes Interesse gilt Lessings Untersuchungsmethode, dem induktiven Vorgehen und seiner Nhe zum Verfahren der Naturwissenschaften. Vgl. auch Lessing 75, 5–14. 73, 26–27 neue Untersuchungsweise bis entschuldigte: Lessings Hinweise zu Ziel und Entstehung des Laokoon (wie Anm. Le 71, 10), indirekt zur Untersuchungsweise, in der Vorrede: „Diesem falschen Geschmacke, und jenen ungegrndeten Urtheilen entgegen zu arbeiten, ist die vornehmste Absicht folgender Aufstze. Sie sind zuflliger Weise entstanden, und mehr nach der Folge meiner Lectre, als durch die methodische Entwickelung allgemeiner Grundstze angewachsen. Es sind also mehr unordentliche Collectanea zu einem Buche, als ein Buch. Doch schmeichle ich mir, daß sie auch als solche nicht ganz zu verachten seyn werden. An systematischen Bchern haben wir Deutschen berhaupt keinen Mangel. Aus ein Paar angenommenen Worterklrungen in der schçnsten Ordnung alles, was wir nur wollen, herzuleiten, darauf verstehen wir uns, Trotz einer Nation in der Welt.“ LLa VI, 374 f. 73, 30–33 Man bis ausgeht: D. erwhnt nicht, daß Lessing ausdrcklich an J. J. Winckelmanns Schrift: Gedanken ber die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst (1755) anknpft. Ihr entnimmt er sowohl die Gegenberstellung der Marmorstatuen der rhodischen Bildhauer Agesandros, Polydoros, Athenodoros mit der Geschichte des Laokoon bei Vergil (Aeneis, zweiter Gesang) als auch den Vergleich mit dem Philoktet des Sophokles. LLa VI, 375–377. – Vom Eindruck, den der Laokoon auf Lessing machte, so daß er schließlich den Titel fr seine Untersuchungen abgab, berichtet S. B. Klose. Lessings Leben I, 245 f. 74, 7–8 Der Laocoon bis Plan: Vgl. Anm. Le 71, 10. Material zur Fortsetzung ist verçffentlicht in: Laokoon. Neue vermehrte Auflage, hrsg. von K. G. Lessing, Berlin 1788. 74, 10–12 Schon Frhere bis zuweist: Der vermeintliche Irrtum findet sich in Gervinus’ LessingKapitel: „So sehen wir Lessing sich nach zweitausend Jahren an Aristoteles Poetik anreihen, dem nur Epos und Drama die chten und reinen Gattungen waren, d. h. eben diese, die nur Handlungen zum Gegenstand haben. Nur mit dem Unterschiede, daß Aristoteles dem Drama den Vorzug gibt, Lessing aber, wie wir schon einigemale anfhrten, seinem noch weiter getriebenen Purismus zufolge dem reinen gesprochenen Gedichte, dem Epos; obgleich er wohl fhlte und auch darin Beispiel und Muster ward, daß das Drama allein an der Tagesordnung war.“ Gervinus IV, 356. Erklrt in Danzel/Guhrauer II,1. 57 mit dem Hinweis auf Kloses Bericht ber Lessings Vorliebe fr das Epische. Lessings Leben I, 248. 74, 12–13 Lessing bis vollendete Poesie: Vgl. Laokoon (wie Anm. Le 71, 10), Kap. XVI: „Gegenstnde, die auf einander, oder deren Theile auf einander folgen, heissen berhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.“ LLa VI, 464. Dazu Lessing 74, 28–29; 78, 8; 104, 19–20. – Im Brief vom 26. Mrz 1769 aus Hamburg an Nicolai anlßlich der Rezension des Laokoon von Ch. Garve legt Lessing noch einmal den unterschiedlichen Zeichengebrauch in Poesie und Malerei dar, aus dem sich schließlich der Vorrang des Dramas ergibt: „Die Poesie muß schlechterdings ihre willkhrlichen Zeichen zu natrlichen zu erheben suchen; und nur dadurch unterscheidet sie sich von der Prose, und wird Poesie. Die Mittel, wodurch sie dieses thut,
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sind der Ton, die Worte, die Stellung der Worte, das Sylbenmaß, Figuren und Tropen, Gleichnisse u. s. w. Alle diese Dinge bringen die willkhrlichen Zeichen den natrlichen nher; aber sie machen sie nicht zu natrlichen Zeichen: folglich sind alle Gattungen, die sich nur dieser Mittel bedienen, als die niedern Gattungen der Poesie zu betrachten; und die hçchste Gattung der Poesie ist die, welche die willkhrlichen Zeichen gnzlich zu natrlichen Zeichen macht. Das ist aber die dramatische; denn in dieser hçren die Worte auf, willkhrliche Zeichen zu seyn, und werden natrliche Zeichen willkhrlicher Dinge. Daß die dramatische Poesie die hçchste, ja die einzige Poesie ist, hat schon Aristoteles gesagt, und er giebt der Epopee nur in so fern die zweyte Stelle, als sie grçßten Theils dramatisch ist, oder seyn kann. Der Grund, den er davon angiebt, ist zwar nicht der meinige; aber er lßt sich auf meinen reduciren, und wird nur durch diese Reduction auf meinen, vor aller falschen Anwendung gesichert.“ LLa XII, 225 f. 74, 28–33 Das Wesen bis dramatischen Form: Zur Einheit der Handlung vgl. Dramaturgie 46. St. LLa VII, 207 f. 74, 35–36 denn sie bis Franzosen: Die falschen Einheiten der Franzosen bei N. Boileau, L’Art potique (1674), Chant III. 74, 36–38 aber sie bis hoch hielt: Zu Experimente vgl. Freytag 417, 23–32. 75, 15–17 Es bis Causalitt.“: D. verwendet diese Stelle bereits in einer nicht in Ges. Schr. XI aufgenommenen Passage seiner Rezension der Literaturgeschichten J. Schmidts und H. Hettners (wie Anm. Le 70, 38), um Hettner zu korrigieren: Nur ein Versehen sei gestattet zu berichtigen, da Nichts unbedeutend ist, das Lessing betrifft. Ich meine die Auseinandersetzung S. 550 bis 556, welche einen Grundfehler der Dramaturgie auseinanderzusetzen unternimmt. Sie culminirt in der Behauptung: „daher auch bei Lessing nirgends die leiseste Spur von der Einsicht in die Nothwendigkeit der festen und urschlichen Verbindung von Schuld und Katastrophe.“ Bei Lessing hiervon keine Spur? Fr welchen es gradezu den Charakter des dramatischen Genies ausmachte: „strenge Folge in den Handlungen nach dem Gesichtspunkte der Causalitt!“ Mçchte doch diese ganze Auseinandersetzung einer Revision unterworfen werden. WM (wie Anm. Le 59, 3–7), S. 488 f. Dem nicht wçrtlich aufgefundenen Zitat entspricht in der Dramaturgie: „Das Genie kçnnen nur Begebenheiten beschftigen, die in einander gegrndet sind, nur Ketten von Ursachen und Wirkungen.“ Dramaturgie 30. St. LLa VII, 134. Vgl. auch 32. St. und 34. St. LLa VII, 142 f.; 151 f. 75, 20–22 „Wir mssen bis gethan haben.“: Dramaturgie 32. St. D. krzt und verndert Lessings Satz ber das Vorgehen des Dichters: „[. . .] daß wir bey jedem Schritte, den er seine Personen thun lßt, bekennen mssen, wir wrden ihn, in dem nehmlichen Grade der Leidenschaft, bey der nehmlichen Lage der Sachen, selbst gethan haben [. . .].“ LLa VII, 143. 75, 30–31 „die Absicht bis Geschichte.“: Dramaturgie 19. St.: „Die Absicht der Tragçdie ist weit philosophischer, als die Absicht der Geschichte; und es heißt sie von ihrer wahren Wrde herabsetzen, wenn man sie zu einem bloßen Panegyrikus berhmter Mnner macht, oder sie gar den Nationalstolz zu nhren mißbraucht.“ LLa VII, 85. Vgl. Kap. 9 der Poetik des Aristoteles. 75, 32–34 „Auf dem Theater bis werde.“: Dramaturgie 19. St. Nach lernen (Z. 32) Komma. Statt sondern bis werde.“(Z. 33–34): „sondern was ein jeder Mensch von einem gewissen Charakter unter gewissen gegebenen Umstnden thun werde.“ LLa VII, 85.
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Textgeschichte und Anmerkungen
76, 12–21 Nichts hlt bis sagen?: Aus dem kritischen Urteil ber Dramatiker und Dramendichtung seiner Gegenwart (vgl. Lessing 78, 18–20) hat sich D.s Anerkennung der Schrift Freytags (vgl. etwa Freytag, 437, 10–25) und die Forderung einer neuen Poetik entwickelt. Bausteine 103–109. 76, 16–17 wie er bis schreiben: Brief vom 28. Oktober 1768 aus Hamburg an K. G. Lessing: „Nimm mir meine Erinnerung nicht bel. Studiere fleißig Moral, lerne Dich gut und richtig ausdrcken, und kultivire Deinen eigenen Charakter: ohne das kann ich mir keinen guten dramatischen Schriftsteller denken.“ LLa XII, 211. 76, 17–18 „Du bis Philosophie,“: Brief vom 6. Juli 1769 aus Hamburg an K. G. Lessing. Nach Philosophie,: „und arbeitest viel zu leichtsinnig.“ LLa XII, 231. 76, 36–40 „Die Tragçdie bis hervorbringt.“: Vgl. Lessings Wiedergabe der Tragçdiendefinition des Aristoteles (Poetik, Kap. 6): „Die Tragçdie, sagt er, ist die Nachahmung einer Handlung, – die nicht vermittelst der Erzehlung, sondern vermittelst des Mitleids und der Furcht, die Reinigung dieser und dergleichen Leidenschaften bewirket.“ Dramaturgie 77. St. LLa VII, 346. 76, 40 – 77, 2 Also bis Mitleid.“: In der Besprechung der Auffhrung von Chr. F. Weißes Drama: Richard III. (Dramaturgie 74.–79. St.) erlutert Lessing die Tragçdiendefinition des Aristoteles, weshalb er von „Furcht“ und nicht von „Schrecken“ spricht. „Schrecken“ sei in „Mitleid“, Lessings zenralem Begriff, enthalten und drcke nicht den Bezug auf uns selbst aus. LLa VII, 331–358. „Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid.“ Dramaturgie 75. St. LLa VII, 336. 77, 2–7 Und bis bevorstnde.“: Statt „Alles das – sagt dort Aristoteles – (Z. 4–5): „Alles das, sagt er,“. Statt Anderen (Z. 5): „andern“. Nach begegnet (Z. 5): „wre,“. Nach erwecken wrde (Z. 6) Doppelpunkt statt Komma. Statt bevorstnde (Z. 7): „bevorstnde“. Ebd. 338. 77, 9–11 Mitempfindung bis Seele: Vermutlich angelehnt an Schopenhauers „ethisches Urphnomen“, das Mitleid. A. Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, Leipzig 21860, S. 209 und 212. 77, 11–13 denn jede bis verfehlt: Versteckte Anspielung auf die im Freytag-Aufsatz zurckgewiesene These von J. Bernays. Vgl. Freytag 424, 1 – 425, 5; 439, 38 – 440, 15, 442, 9–10. 77, 20–24 Schon bis Affekt: Lessing bedauert den Verlust eines Laokoon-Stckes von Sophokles, auf das es nur Hinweise gibt, und bemerkt: „So viel bin ich versichert, daß er den Laokoon nicht stoischer als den Philoktet und Herkules, wird geschildert haben. Alles Stoische ist untheatralisch; und unser Mitleiden ist allezeit dem Leiden gleichmßig, welches der interessirende Gegenstand ussert. Sieht man ihn sein Elend mit grosser Seele ertragen, so wird diese grosse Seele zwar unsere Bewunderung erwecken, aber die Bewunderung ist ein kalter Affekt, dessen unthtiges Staunen jede andere wrmere Leidenschaft so wie jede andere deutliche Vorstellung, ausschliesset.“ Laokoon (wie Anm. Le 71, 10), erstes Kap. LLa VI, 379 f. 77, 25–27 Wie bis gern.“: D. zitiert einen Satz des Kçnigs Aridus: „Ich bin ein Mensch, und weine und lache gern.“ Philotas 7. LLa II, 109. 78, 15–18 Wenn bis erreichte: Anspielung auf Lessings berhmten Ausspruch ber sich selbst im
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letzten Abschnitt der Dramaturgie, beginnend: „Ich bin weder Schauspieler, noch Dichter.“ LLa VII, 448. 78, 18–20 Aber die bis erfllt wre: Zur zeitgençssischen Tragçdie vgl. Freytag 415, 9–16. 78, 26–27 vollgepropft: Nd. proppen ist der Stçpsel, Pfropfen; vgl. proppevoll. 79, 1–10 Die sittlichen Begriffe bis zurck: D.s berzeugung von der leitenden Funktion Lessings (vgl. 69, 13–22; 69, 31–39; 123, 26–27) findet hier ihren vorlufigen Hçhepunkt. Zum Stichwort Nationalbildung (Z. 8) vgl. den von D. so geschtzten Danzel: „Schon das Wort national kann hier eine falsche Vorstellung erwecken, indem es nmlich den Schein einer Absicht in den Vorgang hineintrgt.“ Danzel 457. 79, 12–17 Er wuchs bis beschftigten: Zu Lessings Lektre theologischer Schriften vgl. Bibliolatrie (wie Anm. Le 94, 12–15). Erster, historischer Abschnitt. LLa XI, 542. „Der bessere Theil meines Lebens ist – glcklicher oder unglcklicher Weise? – in eine Zeit gefallen, in welcher Schriften fr die Wahrheit der christlichen Religion gewissermaßen Modeschriften waren. [. . .] Was Wunder also, daß meine Lektre ebenfalls darauf verfiel, und ich gar bald nicht eher ruhen konnte, bis ich jedes neue Produkt in diesem Fache habhaft werden und verschlingen konnte.“ 79, 22–23 „Ueber die Herrnhuter,“: Genauer Titel: Gedanken ber die Herrnhuter. Theol. Nachl. 255–268; nach K. G. Lessing von 1750, umstritten, wahrscheinlich die erste theologische Schrift. LLa XI, 22–30. 79, 23 „das Christenthum der Vernunft,“: Das Christenthum der Vernunft. Theol. Nachl. 219–226; nach dem Zeugnis Ch. N. Naumanns (Brief vom 1. Dezember 1753 aus Bautzen an den Theologen Th. A. Mller) muß das Fragment 1753 bereits vorhanden gewesen sein. LLa XI, 604–607. 79, 23–25 „die Entstehung bis angehçren: Genauer Titel: Ueber die Entstehung der geoffenbarten Religion. Theol. Nachl. 249–254; nicht genau datierbar, vermutlich aus der Breslauer Zeit, in der sich Lessing Ende 1762 kirchengeschichtlichen und religionskritischen Studien zuwendet. LLa XI, 607–608. Guhrauer pldiert wie D. fr einen frheren Entstehungstermin. Vgl. Danzel/Guhrauer II,2. 218, Anm. 79, 25–27 Hebler bis Lessing’s: Zur Datierung der drei Fragmente vgl. Hebler 22–40. Zu Entwickelungsgang vgl. Der Geistesgang Lessing’s als Religionsforschers. Hebler 41–75. 79, 36 Spinoza, Leibnitz, die Kirchenvter: D. sttzt sich auf den Bericht S. B. Kloses ber Lessings Breslauer Ttigkeiten. Zur Lektre der Kirchenvter vgl. Lessing 85, 21–26 und Anm. Zur Beschftigung mit Spinoza sagt Klose: „Imgleichen wurde Spinoza’s Philosophie der Gegenstand seiner Untersuchungen. Er las diejenigen, welche ihn hatten widerlegen wollen, worunter Bayle nach seinem Urtheil derjenige war, welcher ihn am wenigsten verstanden hatte. Dippel war ihm der, welcher in des Spinoza wahren Sinn am tiefsten eingedrungen. Doch hat er hier nie das mindeste, wie gegen Jakobi, auch gegen seine Vertrautesten geußert.“ Lessings Leben I, 246. Dazu die Nachlaßverçffentlichungen: Spinozisterei (vgl. Anm. Le 116, 23–28; Anm. Le 117, 28–30) und Leibnitzisterei. Lessings Leben II, 164–171; 172–191.
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Textgeschichte und Anmerkungen
80, 9–15 Vor dieser Zeit bis Dogma: D. bezieht sich auf den Brief Lessings vom 9. Januar 1771 aus Wolfenbttel an M. Mendelssohn. Lessing spielt auf sein Studium Fergusons an. „Wenn man lange nicht denkt, so kann man am Ende nicht mehr denken. Ist es aber auch wohl gut, Wahrheiten zu denken, sich ernstlich mit Wahrheiten zu beschftigen, in deren bestndigem Widerspruche wir nun schon einmal leben, und zu unsrer Ruhe bestndig fortleben mssen? Und von dergleichen Wahrheiten sehe ich in dem Englnder schon manche von weitem. Wie auch solche, die ich lngst fr keine Wahrheiten mehr gehalten. Doch ich besorge es nicht erst seit gestern, daß, indem ich gewisse Vorurtheile weggeworfen, ich ein wenig zu viel mit weggeworfen habe, was ich werde wieder holen mssen. Daß ich es zum Theil nicht schon gethan, daran hat mich nur die Furcht verhindert, nach und nach den ganzen Unrath wieder in das Haus zu schleppen. Es ist unendlich schwer, zu wissen, wenn und wo man bleiben soll, und Tausenden fr einen ist das Ziel ihres Nachdenkens die Stelle, wo sie des Nachdenkens mde geworden.“ LLa XII, 281. Zu Fergusons Werk vgl. Anm. Schi 176, 4–9. 80, 23–26 Schwarz bis (S. 41): C. Schwarz, Gotthold Ephraim Lessing als Theologe, Halle 1854. Die angegebene Stelle: „Daß er fr die Orthodoxie nur ein formelles Interesse hatte, sich an diesem großartigen Gebude aus Einem Styl in seinem antiken Form-Sinn erfreute, daß er aber ihrem Inhalt vçllig abgewandt war, dafr bedarf es keiner einzelnen Belege; nicht nur der Streit mit Gçze, die ganze folgende Entwickelung wird dies besttigen.“ 80, 26–28 Ja bis sagen will: Schwarz scheidet Lessings Position von der der theologischen Aufklrer: „Sie accommodirten sich an den Inhalt, er nur an die F o r m .“ Ebd. S. 42. 80, 35–37 gelegentlich bis tthig war: Vgl. Brief vom 2. Februar 1774 aus Wolfenbttel an K. G. Lessing: „Darin sind wir einig, daß unser altes Religionssystem falsch ist: aber das mçchte ich nicht mit Dir sagen, daß es ein Flickwerk von Stmpern und Halbphilosophen sey. Ich weiß kein Ding in der Welt, an welchem sich der menschliche Scharfsinn mehr gezeigt und gebt htte, als an ihm.“ LLa XII, 410. 80, 37–38 „antiker Formensinn“: Vgl. oben Anm. 80, 23–26. 81, 14 Abhandlung gegen Eberhard: G. E. Lessing, Leibnitz von den ewigen Strafen. In: Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schtzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbttel. Erster Beytrag, Braunschweig 1773. LLa IX, 149–177. Lessings Publikation enthlt die unverçffentlichte Vorrede von Leibniz (Leibnitii Praefatio von 1708) zur Schrift des Altdorfer Mediziners und heimlichen Sozinianers E. Soner, Demonstratio theologica et philosophica quod æterna impiorum supplicia non arguant Dei justitiam, sed injustitiam (1654). Darber hinaus verteidigt sie Leibniz gegen Angriffe des aufgeklrten Theologen J. A. Eberhard in dessen Buch: Neue Apologie des Sokrates, oder Untersuchung der Lehre von der Seligkeit der Heiden I, Berlin 1772. 81, 13–17 Seine bis ewig.“: Brief vom 14. Juli 1773 aus Wolfenbttel an den Bruder K. G. Lessing. D. verwechselt die Zuordnung zu den vorher genannten Punkten: Lehre von Gott und der Unsterblichkeit (Lessing 81, 4–5). Statt ich (Z. 15): „Denn ich“. Jeweils Komma nach Hçlle (Z. 16), will (Z. 17) , nicht (Z. 17), die (Z. 17). LLa XII, 399. 81, 18–19 Herbart bis hat: Zu Unsterblichkeit (Lessing 81, 5) kçnnte sich D. auf das letzte Kapitel von J. F. Herbart, Lehrbuch zur Psychologie (1816) beziehen: Psychologische Betrachtungen ber die Bestimmung des Menschen. Es handelt von der ber das irdische Leben hinausgehenden Verfas-
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sung des Menschen (§§ 246–252): „Die Bestimmung des einzelnen Menschen kann nicht auf das irdische Leben beschrnkt sein, da die Seele ewig ist.“ (§ 246). In: Smmtliche Werke V, hrsg. von G. Hartenstein, Leipzig 1850, S. 171. 81, 19–22 Ueber bis geschrieben habe: G. E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, Berlin 1780. LLa X, 308–329. Im § 73 geht es um „die Lehre von der Dreyeinigkeit“ (um D.s ersten Punkt). Zur Diskussion um diesen Paragraphen vgl. Hebler 29–36. Sowohl dort (S. 33) als auch bei Guhrauer (wie Anm. Le 63, 6–8), S. 115 ist einer der Denker zitiert, Schelling: „Bekanntlich hat schon Lessing in der Schrift: Erziehung des Menschengeschlechts, die philosophische Bedeutung dieser Lehre zu enthllen gesucht, und was er darber gesagt hat, ist vielleicht das Speculativste was er berhaupt geschrieben.“ F. W. J. Schelling, Vorlesungen ber die Methode des academischen Studium, Tbingen 1803, S. 184 (Achte Vorlesung. Ueber die historische Construction des Christenthums). 81, 22–27 Er ist bis Aufklrung: G. E. Lessing, Des Andreas Wissowatius Einwrfe wider die Dreyeinigkeit. In: Zur Geschichte und Litteratur (wie Anm. Le 81, 14). Zweyter Beytrag, Braunschweig 1773. LLa IX, 263–295. Wissowatius (Andras Wiszowaty) ist Herausgeber einer großen Sammlung sozinianischer Schriften – Bibliotheca fratrum Polonorum (nach1656) – darunter die Fausto Sozzinis (Faustus Socinus), der der religiçsen Strçmung ihren Namen gab. Die Sozinianer (= fratres Poloni) bestreiten die Gottheit Christi und die Dreieinigkeit. Leibniz hatte sich mit der Defensio Trinitatis per nova reperta logica (nach Lessing 1668; sptestens 1669) gegen Wissowatius gewandt. Lessing macht die ußerungen beider zugnglich und verteidigt Leibniz. D. zum Sozianismus Ges. Schr. II, 138–144. 81, 39 – 82, 2 Dieser Vertrag bis versuchte: Vgl. Anm. Le 64, 1. 82, 3–14 „Mit der Orthodoxie bis 1774): Beide Zitate stammen aus dem Brief vom 2. Februar 1774 aus Wolfenbttel an den Bruder K. G. Lessing. LLa XII, 409 f. Statt Gott sei Dank, ziemlich zu Stande, (Z. 3–4): „Gott sey Dank, ziemlich zu Rande;“. Statt die Scheidewand nieder (Z. 6–7): „diese Scheidewand nieder,“. Nach Vorwande und machen (Z. 7 und 8) Komma. Klammerzustze (Z. 9 und 11) von D. Statt droht (Z. 9): „drohet“. Vor er (Z. 11): „sondern“. Nach es und Hauses (Z. 11) Komma; ebenso nach lassen (Z. 12) und annehmen (Z. 13). Auf die Position zwischen „Orthodoxen“ und „neumodischen Geistlichen“ wird allerdings auch im Brief vom 8. April 1773 hingewiesen. LLa XII, 394–396. 82, 21–24 Diese wichtige Einsicht bis Christenthum sitze: Vgl. Schlußbemerkung Lessings zum vernnftigen Christentum anlßlich der Verçffentlichung des ersten der Reimarus-Fragmente: Von Duldung der Deisten (wie Anm. Le 83, 6–9). „Schade nur, daß man so eigentlich nicht weiß, weder wo ihm die Vernunft, noch wo ihm das Christenthum sitzt.“ LLa IX, 421. 82, 33 Utilismus: Mitte des 19. Jh.s noch nicht verzeichnet, 1903 im Brockhaus unter Utilitarismus; von dieser Wortbildung verdrngt durch den Einfluß J. S. Mills. 82, 34–35 wie bis begrndet: Vgl. Die Erziehung des Menschengeschlechts (wie Anm. Le 81, 19–22). LLa X, 326. Lessing verteidigt „Speculationen“ (§§ 78, 79) als notwendige bungen des Verstandes, die schließlich bewirken, „die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben“ (§ 80). 83, 6–9 Als Lessing bis gerichtet: Manuskriptteile des ersten Entwurfs der Apologie oder Schutz-
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schrift fr die vernnftigen Verehrer Gottes (vermutlich von 1750) des Hamburger Gymnasialprofessors und Orientalisten H. S. Reimarus waren Lessing durch dessen Kinder um 1770 zugnglich geworden. Er verçffentlichte ein erstes Fragment unter dem Titel: Von Duldung der Deisten: Fragment eines Ungenannten. In: Zur Geschichte und Litteratur (wie Anm. Le 81, 14). Dritter Beytrag, Braunschweig 1774. Sein Begleittext LLa IX, 416–421. – Im Vierten Beytrag vom Januar 1777 folgte: Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenannten, die Offenbarung betreffend. Einleitung und Kommentare Lessings zu den folgenden fnf Stcken. LLa X, 8–32. 1. Von Verschreyung der Vernunft auf den Kanzeln. 2. Unmçglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegrndete Art glauben kçnnen. 3. Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer. 4. Daß die Bcher A. T. nicht geschrieben worden, eine Religion zu offenbaren. 5. Ueber die Auferstehungsgeschichte. In der Einleitung kndigt Lessing „einige Winke“ an (LLa X, 9), die er den Fragmenten folgen lßt. Er nennt sie in Der nçthigen Antwort (wie Anm. Le 59, 30, Antigçtze) „Gegenstze“. LLa X, 247. Nach dem vierten dieser „Gegenstze“ fgt er die ersten 53 Paragraphen der Erziehung des Menschengeschlechts ein. Aus seinen einfhrenden Stzen dazu kçnnte man schließen, daß das Manuskript 1777 abgeschlossen vorlag; vollstndig erschienen ist diese Schrift erst 1780 (vgl. Anm. Le 81, 19–22). – Im Frhsommer 1778 verçffentlichte Lessing ein letztes Fragment des Reimarus: Von dem Zwecke Jesu und seiner Jnger. Noch ein Fragment des Wolfenbttelschen Ungenannten, Braunschweig 1778. Vorrede des Herausgebers LLa X, 234–238. 83, 18–22 So bestimmte bis ihn: Zu Wahrheit vgl. den ersten und siebenten Anti-Goeze (wie Anm. Le 59, 30). LLa X, 168, 208; Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft (wie Anm. Le 86, 38). LLa X, 33; auch Lessings Brief vom 10. Januar 1779 aus Wolfenbttel an Herder. LLa XII, 520. Außerdem „Geist der Prfung“. Von dem Zwecke Jesu und seiner Jnger (wie oben Anm. 83, 6–9), Vorrede. LLa X, 236. Dazu auch unten Anm. 83, 32–35. 83, 25 briefliche Mittheilungen: D. kçnnte sich auf den Brief vom 9. Januar 1771 aus Wolfenbttel an M. Mendelssohn zum Manuskript des „Ungenannten“ beziehen (LLa XII, 280–283); auch auf die Briefe vom 2. Februar 1774 (LLa XII, 409 f.) und 20. Mrz 1777 (LLa XII, 482 f.) aus Wolfenbttel an den Bruder Karl Gotthelf ber die Beschftigung mit theologischen Fragen. 83, 27 ihn: Sinngemß zu ersetzen durch: [diesen Schritt]. 83, 32–35 Trotz Nikolais bis erschttern: Zu Nicolais Position vgl. seine Notiz aus dem Rckblick zu: Lessings Predigt ber zwei Texte. In: Berlinische Monatsschrift XVII, 1 (1791). Anm. zu S. 35: „Lessing war berhaupt nicht allein sehr dafr, jedem in theologischen Sachen seine subjektive Ueberzeugung zu lassen; sondern – man mag es mir nun glauben oder nicht, – er wollte auch nicht, daß in der Dogmatik Aenderungen gemacht wrden, ob er gleich dabei den Weg zur freiesten Untersuchung offen gehalten wissen wollte. Daß dies Lessings Meinung war, kann ich mit vçlliger Gewißheit behaupten, da ich und Moses so oft mit ihm ber diesen Gegenstand disputirt haben, besonders im Jahre 1776 oder 1777, da wir ihm ernstlich die Herausgabe der bekannten Fragmente widerriethen.“ hnlich in: Gotthold Ephraim Lessings Briefwechsel mit Karl Wilhelm Ramler, Johann Joachim Eschenburg und Friedrich Nicolai, Berlin und Stettin 1794 (= Lessings Schriften 27), S. 250 f. (=Anm. Nicolais zu seinem Brief an Lessing vom 19. August 1769, dem er einen berblick ber Lessings Entwicklung anfgt). Zu den Einwnden Mendelssohns vgl. dessen Brief vom 29. November 1770 aus Berlin an Lessing, in dem er seine Vorbehalte gegen das ihm von Lessing berlassene Manuskript des Reimarus ußert. LLa XIII, 257–259. – Zur Frage der Zensur: Ch. F. Voß, der Lessing
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befreundete Berliner Verleger, war bereit, die Fragmente zu drucken, falls sie die theologische Zensur passierten, was nicht erfolgte. Vgl. Anm. zum Brief Mendelssohns. Ebd. S. 257 f. Vgl. auch den Brief des Bruders Karl Gotthelf vom 26. November 1774 aus Berlin an Lessing. LLa XIII, 518 f. 83, 35 – 84, 2 Er benutzte bis Auferstehungsgeschichte: Zu den einzelnen Fragmenten vgl. die bersicht Anm. Le 83, 6–9. 84, 27–39 Die Offenbarung bis Weisheit Gottes: D. bezieht sich auf das zweite der 1777 von Lessing herausgegebenen Fragmente des Reimarus: Unmçglichkeit einer Offenbarung (wie Anm. Le 83, 6–9). 84, 40 – 85, 12 Die zweite These bis zugegangen: D. sttzt sich fr die zweite These auf das vierte und fnfte der 1777 von Lessing herausgegebenen Fragmente des Reimarus (wie Anm. Le 83, 6–9). 85, 14 Strauß: D. F. Strauß, Hermann Samuel Reimarus und seine Schutzschrift fr die vernnftigen Verehrer Gottes, Leipzig 1862. Strauß brachte in der Rolle „eines Dolmetschers, eines Mittelsmanns“ (S. VIII) durch ausfhrliche Inhaltsangaben und Zitate die Schrift von Reimarus, den er als seinen „Vorgnger“ betrachtet (S. V), wieder in Erinnerung. Erste vollstndige Verçffentlichung: H. S. Reimarus, Apologie oder Schutzschrift fr die vernnftigen Verehrer Gottes, hrsg. von G. Alexander, Frankfurt/M. 1972. 85, 21–22 Bericht Klose’s: S. B. Klose, Rektor der Schule zum Heiligen Geist in Breslau und Verwalter der Bibliothek zu St. Bernhardin, machte Lessing mit den Bibliotheken Breslaus vertraut; er verçffentlichte vor allem zur Geschichte Schlesiens. 85, 21–26 Bericht Klose’s bis zu lesen.“: Lessings Leben I, 246: „In den letzten Jahren seines Aufenthalts zu Breslau fing er an, mit theologischen Untersuchungen sich zu befassen. Er machte einen Entwurf zu einer großen Abhandlung von den Verfolgungen und Mrtyrern der Christen, und that einem seiner Freunde den Vorschlag, die Kirchenvter gemeinschaftlich zu lesen.“ 85, 26–27 Abhandlung ber die Elpistiker: G. E. Lessing, Ueber die Elpistiker. Nachlaßverçffentlichung in: Lessings Leben II, 119–147. K. G. Lessings Datierung (ebd. 92) und damit D.s, nmlich nicht nach 1764, also etwa 1763, gilt gegen Heblers Versuch, auf 1755 zu datieren (vgl. Hebler 25) als die wahrscheinlichere (vgl. LM 14, 297). LLa XI, 51–64. – Die Bezeichnung Elpistiker fr eine Gruppe von Philosophen stammt, so Lessing, von Plutarch. Im Schema zu seiner Abhandlung und in der begonnenen Ausfhrung geht es um die Frage, ob die Elpistiker Christen gewesen seien, was Lessing bestreitet. Vgl. unten Anm. 85, 28–31; 1764 (DBE). 85, 28 weil Heumann’s: Ch. A. Heumann, Rektor in Gçttingen, bedeutender Gelehrter. Schriften zu Theologie und Kirchengeschichte; Philologie und Schule. Er starb 1763 (ADB). 85, 28–31 zugleich bis geschrieben: J. Ch. Leuschner, Rektor des Magdalenischen Gymnasiums und zweiter Kustos der çffentlichen Bibliothek in Breslau, Herausgeber und Autor eines Sammelbandes ber die Elpistiker (De secta Elpisticorum variorum opuscula, Leipzig 1755), den Lessing am 5. April 1755 in der Berlinischen privilegirten Zeitung (LLa V, 47–49) angezeigt und kritisch beurteilt hatte. Der Anekdote nach soll Lessing Leuschner in der Bibliothek ein Buch nach dem andern zum Beweis der Berechtigung seiner Kritik vorgelegt haben, whrend Leuschner, Lessing rechtgebend,
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eins nach dem andern so schnell wie mçglich wieder wegrumte. Lessings Leben I, 230 f. Offensichtlich hat der persçnliche Austausch Lessing zu einer eigenen Arbeit ber die Elpistiker angeregt, die Entwurf geblieben ist. 85, 32–38 die Untersuchung bis Erwhnung thut: G. E. Lessing, Von der Art und Weise der Fortpflanzung und Ausbreitung der christlichen Religion. In: Theol. Nachl. 191–218. LLa XI, 64–81. Der in dem Aufsatz (LLa XI, 70) erwhnte, 1760 von Lessing geschriebene erste Teil einer Arbeit ber Sophokles, bildet den terminus post quem. (Sophokles. Erstes Buch. Von dem Leben des Dichters, hrsg. von J. J. Eschenburg, Berlin 1790. LLa VI, 282–368.) – Zur bereinstimmung dieses Aufsatzes mit der von Klose genannten „Abhandlung von den Verfolgungen und Mrtyrern der Christen“ (Lessing 85, 24–25) vgl. Danzel/ Guhrauer II,2. 104. Zu Justin vgl. unten Anm. 85, 37–38. 85, 33–34 setzen: Korr. aus setzt. 85, 37–38 ebenso bis thut: „In Justin dem Mrtyrer fand er, nach seiner Versicherung, ganz andere Religionsstze, als in den neueren Zeiten im Gange waren.“ Lessings Leben I, 246. Justin der Mrtyrer aus Sichem in Palstina war Platoniker, wurde Christ, lehrte als Wanderprediger und erlitt um 165 in Rom den Mrtyrertod. Erhaltene Schriften: Apologie fr die Christen und Dialog mit dem Juden Tryphon. Darin u. a. Angaben zum Abendmahl, der Verehrung Christi. 86, 1–6 Die zweite Abhandlung bis entziehn: Zur Verwandtschaft der Schrift: Von der Art und Weise der Fortpflanzung und Ausbreitung der christlichen Religion mit jenen berhmten Kapiteln Gibbons vgl. E. Gibbon, The History of the Decline and Fall of the Roman Empire (1776–1788). Bes. Kap. 15: Fortschritte der christlichen Religion und Gesinnungen, Sitten, Zahl und Lage der ersten Christen. Aus: Gibbon’s Geschichte des allmligen Sinkens und endlichen Unterganges des rçmischen Weltreiches II, dt. von J. Sporschil, Leipzig 41862, S. 160–231. Dazu D.s Aufsatz: Eduard Gibbon (1866). Ges. Schr. XV, 75–92; bes. 85–87; auch Ges. Schr. III, 245–247; JD 124 f. 86, 6–7 Beide bis liegt: Lat. arcanum = Geheimnis. Arkandisziplin allg. Geheimlehre; bis in die erste Hlfte des 5. Jh.s der (heute bestrittene) Brauch, Formeln und wesentliche Handlungen wie Abendmahl, Taufe vor Ungetauften geheimzuhalten. Im IV. Hauptstck (= Von der Lehrart der ersten Christen) der Schrift Von der Art und Weise der Fortpflanzung (wie oben Anm. 85, 32–38) versteht Lessing unter der „doctrina arcani“ die geheimgehaltenen „Lehrstze“ der ersten Christen. Theol. Nachl. 197–200. LLa XI, 67–69. In Lessings Elpistikern werden die „geheimen Lehren“ nur am Rande erwhnt. Lessings Leben II, 121. LLa XI, 52. 86, 7 regula fidei: Korr. aus reguli fidei, bis um 200 nicht wçrtlich oder schriftlich festgehaltene Glaubensregel. Lessing spricht von der „regula fidei“ als „Inbegrif aller Glaubens-Lehren“ in: Theses (wie unten Anm. 86, 13), § 12. LLa XI, 594. Sie ist ihm „Inbegriff jener Glaubensbekenntnisse“, die den Schriften des N. T. vorausgingen. Leßings nçthige Antwort (wie Anm. Le 59, 30), §§ 1–7. LLa X, 241. 86, 13 „Theses aus der Kirchengeschichte“: Zuerst verçffentlicht in: Theol. Nachl. 73–82. Gilt in bereinstimmung mit D. (vgl. Lessing 86, 17–36) als Vorstufe der Neuen Hypothese (wie die folgende Anm.), liegt vermutlich vor der zweiten Fragmentenpublikation. LLa XI, 593–598. 86, 15 mit der neuen Hypothese: G. E. Lessing, Neue Hypothese ber die Evangelisten als blos menschliche Geschichtschreiber betrachtet. Diese Schrift kndigt Lessing zwar am 19. Dezember
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1777 allgemein, am 25. Februar 1778 bereits mit ihrem Titel in Briefen an seinen Bruder Karl Gotthelf an, verçffentlicht wurde sie erst in: Theol. Nachl. 45–72. LLa XI, 495–514. Vgl. Lessing 86, 19–20 und Anm. 86, 16–17 in der „nothwendigen Antwort.“: D. gebraucht den Titel der vorletzten Schrift gegen Goeze (vgl. Anm. Le 59, 30) hier leicht verndert, weiter unten richtig (Lessing 86, 20 und 40; 95, 20; 99, 40). 86, 19–20 An bis vgl. 501): Die angegebenen Belegstellen (LLa XII, 497, 501), die Neue Hypothese betreffend, stammen aus den Briefen an K. G. Lessing vom 19. Dezember 1777 und 25. Februar 1778 (vgl. oben Anm. 86, 15 und Anm. Le 93, 29–31). 86, 36 Mit bis Fragmente: Zu den Fragmenten vgl. Anm. Le 83, 6–9. 86, 38 Angriffe von Schumann und Gçtze: Angriffe beider begannen bereits Ende 1777. J. D. Schumann, Ueber die Evidenz der Beweise fr die Wahrheit der christlichen Religion, Hannover 1778 (recte 1777). Lessing reagierte auf Schumann mit den Schriften: Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft und Das Testament Johannis. Ein Gesprch – beide anonym 1777 in Braunschweig erschienen. LLa X, 33–39; 39–46. J. M. Goeze verçffentlichte vom Dezember 1777 bis August 1778 seine Schriften gegen Lessing. Vgl. Anm. Le 92, 23–24. 87, 5–11 Nun endlich bis erhalten hat: Das Resultat der Theses (wie Anm. Le 86, 13), die „Religion Christi“ existiere in der regula fidei vor den Evangelien und habe „ihre Glaubwrdigkeit aus sich selbst“ (§ 4 und § 20. LLa XI, 593, 595), erlutert D. weitlufig mit Lessings ußerungen zu den Fragmenten, aus Schriften gegen Goeze und auf dem Umweg ber Semler, ehe er wieder darauf zurckkommt. Lessing 87, 17 – 91, 40. 87, 11–16 Es ist bis erschrak: Vgl. den ersten Anti-Goeze (wie Anm. Le 59, 30): „Der wahre Lutheraner will nicht bey Luthers Schriften, er will bey Luthers Geiste geschtzt seyn; und Luthers Geist erfodert schlechterdings, daß man k e i n e n Menschen, in der Erkenntniß der Wahrheit nach seinem eigenen Gutdnken fortzugehen, hindern muß.“ LLa X, 168. 87, 19–23 „Was gehen bis Recht hat?“: Einleitung zur Verçffentlichung der Fragmente von 1777 (vgl. Anm. Le 83, 6–9), von D. leicht verndert. „Aber was gehen dem [sic] Christen dieses Mannes [des Ungenannten] Hypothesen, und Erklrungen und Beweise an? Ihm ist es doch einmal da, das Christenthum, welches er so wahr, in welchem er sich so selig fhlet. – Wenn der Paralyticus die wohlthtigen Schlge des Elektrischen Funkens erfhrt: was kmmert es ihn, ob Nollet, oder Franklin, oder ob keiner von beyden Recht hat? –“ LLa X, 10. 87, 34–40 In diesem Sinn bis recht gewiß.“: Am Schluß des sechsten Buches von Wilhelm Meisters Lehrjahren, in den Bekenntnissen einer schçnen Seele, geht es um Erziehung und Toleranz im Praktischen. D. verkrzt den ersten und letzten Satz. Von „Ich (Z. 36) bis sein.“ (Z. 37): „Diese Art, die Kinder von mir zu entfernen, betrbt mich desto mehr, je mehr ich von der Realitt meines Glaubens berzeugt sein kann.“ Von Werden (Z. 39) bis gewiß.“ (Z. 40) : „Werden wir durchs Praktische doch unseres eigenen Daseins selbst erst recht gewiß: warum sollten wir uns nicht auch auf eben dem Wege von jenem Wesen berzeugen kçnnen, das uns zu allem Guten die Hand reicht?“ Goe W 17, 395 f.
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88, 5–8 „bliebe bis beruhigt“: Aus Lessings ersten, in Braunschweig 1778 erschienenen Schriften gegen Goeze (zu den weiteren vgl. Anm. Le 59, 30): Eine Parabel. Nebst einer kleinen Bitte, und einem eventualen Absagungsschreiben an den Herrn Pastor Goeze, in Hamburg. LLa X, 121–132. Axiomata, wenn es deren in dergleichen Dingen giebt. Wider den Herrn Pastor Goeze, in Hamburg. LLa X, 133–165. Das erste Zitat stammt aus der Bitte. Statt „bliebe (Z. 5): „Ich habe gesagt, wenn man auch nicht im Stande seyn sollte, alle die Einwrfe zu heben, welche die Vernunft gegen die Bibel zu machen, so geschftig ist: so bliebe“. Nach Wahrheiten (Z. 7): „derselben“. Das Satzgefge endet nach haben“ (Z. 7). LLa X, 127. Das zweite Zitat ist eine aus dem Zusammenhang gelçste Stelle der Axiomata. Sie heißt vollstndig: „Aber der Theolog soll uns Christen sein gelehrtes Bibelstudium nur nicht fr Religion aufdringen wollen. Er soll nur nicht gleich ber Unchristen schreyen, wenn er auf einen ehrlichen Layen stçßt, der sich an dem Lehrbegriffe begngt, den man lngst fr ihn aus der Bibel gezogen, und diesen Lehrbegriff nicht sowohl deßwegen fr wahr hlt, weil er aus der Bibel gezogen, sondern weil er einsieht, daß er Gott anstndiger, und dem menschlichen Geschlechte ersprießlicher ist, als die Lehrbegriffe aller andern Religionen; weil er fhlt, daß ihn dieser christliche Lehrbegriff beruhiget.“ LLa X, 159 f. 88, 11 „f h l e bis b e g n g e n “: Die verndernd zitierte Stelle steht in den Axiomata in folgendem Zusammenhang: „Ich will Einwrfe gegen den minder wichtigen Theil der Bibel auf ihren wahren Belang herabsetzen. Das ist meine Absicht. Und nur in dieser Absicht sage ich, daß derjenige, dessen Herz mehr Christ ist, als der Kopf, sich ganz und gar an diese Einwrfe nicht kehre; weil er f h l e , was andere sich zu d e n k e n begngen; weil er allenfalls die ganze Bibel entbehren kçnnte.“ Abweichende Sperrung (Z. 11) von D. LLa X, 150. 88, 12–15 Unbertrefflich bis 10, 163): In der von D. zusammengefaßten Stelle aus den Axiomata formuliert Lessing einen Goeze zugetrauten Satz („Gefhl ist ein stroherner Schild.“), um darauf zu antworten: „Von Stroh mçchte er daher auch immer seyn: denn es giebt dort mehr stroherne Schilde. Wenn er nur nicht zugleich so schmahl wre! Aber da hat nur eben ein einzelner Mensch, die Religion im Herzen, darunter Raum.“ LLa X, 163. 88, 17–26 In den Collektaneen bis festzusetzen.“: Gotthold Ephraim Lessings Kollektaneen zur Literatur, hrsg. und weiter ausgefhrt von J. J. Eschenburg, 2 Bde, Berlin 1790. „Wider bis eingesehen. (Z. 18–22): „R e l i g i o n , christliche. Wider die vielen Werke, welche in neuerer Zeit fr dieselbe herausgekommen, gilt es, daß sie nicht allein sehr schlecht beweisen, was sie beweisen sollen, sondern auch dem Geiste des Christenthums ganz entgegen sind, als dessen Wahrheit mehr empfunden seyn will, als anerkannt; mehr gefhlt, als eingesehen.“ Nach erhrten (Z. 22), derselben (Z. 24) Komma. Statt blos (Z. 24): „bloß“. Die Wçrter gegen und fr (Z. 25 und 26) gesperrt. LLa XI, 371. 88, 30–35 Ganz in diesem Sinn bis (10, 17): Das teils berichtete Zitat stammt aus dem Begleittext zum ersten der fnf 1777 verçffentlichten Reimarus-Fragmente (vgl. Anm. Le 83, 6–9): „Ich halte es kaum der Mhe werth, mich vor dem Verdachte zu bewahren, als wolle ich hiermit zu verstehen geben, daß die Beweise fr die Offenbarung und die Beweise fr die Chiromantie von einerley Gewichte wren. Sie sind freylich nicht von einerley Gewichte; ihre specifiquen Gewichte haben schlechterdings kein Verhltniß gegen einander: aber beider Beweise sind doch aus der nehmlichen Klasse; sie grnden sich beide auf Zeugnisse und Erfahrungsstze.“ LLa X, 17. 88, 35–37 Ja bis Christenthum: D. bezieht sich auf die allgemein kommentierenden Bemerkungen zu den fnf Reimarus-Fragmenten (vgl. Anm. Le 83, 6–9). „Die Religion ist nicht wahr, weil die
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Evangelisten und Apostel sie lehrten: sondern sie lehrten sie, weil sie wahr ist. Aus ihrer innern Wahrheit mssen die schriftlichen Ueberlieferungen erklrt werden, und alle schriftliche Ueberlieferungen kçnnen ihr keine innere Wahrheit geben, wenn sie keine hat.“ LLa X, 10. 89, 7–13 Gervinus bis zeigte: Gervinus IV, 409: „Wenn er lnger gelebt htte, wenn noch Kraft und Trieb in der Nation gewesen wre, Religionsdinge in demselben Eifer wie 200 Jahre vorher zu betreiben, und wenn dann nicht politische und andere Entwickelungen stçrend hereingetreten wren, so htte Lessing dem Protestantismus nicht allein von wissenschaftlicher Seite, sondern vielleicht sogar von popularer constitutiver Seite eine neue Entwicklung gegeben.“ 89, 17–19 Diesem bis publicirte: Zur Verçffentlichung der Erziehung des Menschengeschlechts vgl. Anm. Le 81, 19–22; 83, 6–9; 89, 23–25. 89, 23–25 Der Grundgedanke bis publicirt war: Lessings Schrift: Die Erziehung des Menschengeschlechts erschien vollstndig, ohne Verfasserangabe im Frhjahr 1780 bei Voß in Berlin (vgl. die vorangehende Anm.). 89, 28–32 „Weh dem bis vergllen kçnnte?“: Zitat aus Lessings „Gegenstzen“ zum zweiten der Reimarus-Fragmente (vgl. Anm. Le 83, 6–9). Statt Weh (Z. 28): „Denn weh“. Statt Geschlecht wenn (Z. 28): „Geschlechte, wenn“. Oekonomie des Heils (Z. 28–29) und sowohl einzigen als alle (Z. 29–30) fett gedruckt. Statt Verlust (Z. 29): „Verluste“. Statt sein (Z. 31): „seyn“. LLa X, 19. 89, 38 ein inspirirtes Ganze: Grimm (1878) verzeichnet den zweifachen Gebrauch der Substantivierung: ein großes Ganzes und ein großes Ganze. Vgl. Lessing 90, 5. 90, 11–14 Semler bis vernichtete: Joh. Salomo Semlers Abhandlung von freier Untersuchung des Canon, 4 Bde, Halle 1771–1775. D. ber Semler in der Preisschrift (wie Anm. Le 62, 9–10). Vgl. Leben Schl XIV,2. 627–639. 90, 17–22 Michaelis bis sttigen darf: ber den Besuch der çffentlichen Schule des Waisenhauses ab 1729 – dort wie spter an der Universitt war S. J. Baumgarten sein Lehrer –, ber seine Studentenjahre, den Aufenthalt in London und Oxford von 1741 bis 1742, ber die mhselige Lektre hebrischer Handschriften in der Bodleianischen Bibliothek berichtet J. D. Michaelis in: Lebensbeschreibung von ihm selbst abgefaßt, Rinteln und Leipzig 1793, S. 3–38. Vgl. Leben Schl XIV,2. 627–629. 90, 22–23 das „mosaische Recht“: J. D. Michaelis, Mosaisches Recht, 6 Tle, Frankfurt/M. 1770–1775. 90, 23–26 Und Semler bis vernimmt: D. verschiebt die Vorgnge, ber die Semler in seiner Autobiographie berichtet. Der Unterschied zwischen Theologie und Religion war dem jungen Semler, der lngere Zeit im Hause S. J. Baumgartens lebte, bereits vor dem erwhnten Gesprch bewußt. Vgl. D. Joh. Salomo Semlers Lebensbeschreibung von ihm selbst abgefaßt, 2 Tle, Halle 1781/82. Hier I, S. 107 f. 90, 25 Kanzler von Wolf: Ch. Wolff wurde durch den Einfluß der pietistischen Geistlichkeit aus Halle vertrieben und 1740 von Friedrich II. als Professor und Vizekanzler der Universitt zurckberufen. 1743 bis zu seinem Tode (1754) war er Kanzler. ber das Gesprch zwischen Wolff, Vol-
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taire und Baumgarten berichtet Semler: „Alle Theologische technische Kunst wurde in ihren rechten Plaz gewiesen; daß sie dem Christen keinesweges wichtig seie; daß sie dem gelerten Stande schon an sich selbst, und nach ihrer Absicht, und der Geschichte nach, als besonder Eigenthum gehçret; keinesweges aber die allgemeinen Grundsze der Religion ausmache, oder gçttliche seligmachende Belehrungen besser enthalte.“ Ebd. S. 108. 90, 27–28 Nachrichten bis eigner): Die Monatsschrift: Nachrichten von einer Hallischen Bibliothek erschien in 48 Stcken von 1748–1751 in Halle. Sie enthlt vor allem den Bestand lterer Bcher aus S. J. Baumgartens Bibliothek. 90, 28 an seiner Welthistorie: Unter Beteiligung anderer Wissenschaftler publizierte Baumgarten: Uebersetzung der algemeinen Welthistorie, die in Engeland durch eine Geselschaft von Gelehrten ausgefertiget worden [. . .]. Genau durchgesehen und mit hufigen Anmerkungen vermeret von S. J. Baumgarten, Halle 1744–1756. Nach Baumgartens Tod (1757) setzte Semler dieses Werk fort. 90, 30–35 wie er bis mchtig erhob: Semler nahm auf S. J. Baumgartens Wunsch hin eine Professur in Halle an. Mit dem Lehramt verschrfte sich fr ihn der Zwiespalt zwischen Religion und Theologie (vgl. oben Anm. 90, 25). Nicht ohne Widerstreben behielt er Baumgartens Lehrweise bis zu dessen Tod bei. Vgl. Lebensbeschreibung (wie Anm. Le 90, 23–26) II, Halle 1782, S. 119, 145 f. Er vertiefte seine historisch-theologischen Untersuchungen und bemhte sich um die Verbesserung des Unterrichts. 90, 36 – 91, 14 Die Lehre bis in ihr: D.s Zusammenfassung der ihm wichtigen berzeugungen Semlers lehnt sich, teils wçrtlich, an verschiedene Texte Semlers an, ohne daß die Herkunft immer eindeutig festzulegen wre. 90, 36–39 Die Lehre bis Kirche: „Ich kam gleichwol mehrmalen auf die Gedanken, daß die theologischen Streitigkeiten der Protestanten mit den rçmischen (auch unter sich sehr verschiedenen) Gelerten, eben ber scripturam sacram, viel zu lange fortgesezt worden, und sie folglich hier gleichsam uns den Weg versperret htten, ber die Historie der Bibel, als Buch, und schriftlicher Aufsatz, nach und nach freie Vorstellungen zu samlen [. . .].“ Semler, Lebensbeschreibung (wie Anm. Le 90, 23–26) II, S. 122 f. 90, 39 – 91, 1 Die nhere bis erreichen: „[. . .] so wenig konte ich doch mich davon berzeugen, daß diese Bcher, die durchaus nur als besondre einzele Mittel bey den so sehr verschiedenen Gemeinden, einen damaligen Endzweck zunchst befçrdern solten, hintennach eine solche Beschaffenheit wirklich bekommen htten, daß sie ohne allen Unterscheid von allen noch so verschiedenen Zeitgenossen, Lesern und Lehrern gleich gut, in ihrer ganz andern Lage, angewendet werden kçnten, ja so gar msten.“ Semler, ebd. S. 150. 91, 2–4 Daraus bis Absicht: „Denn, daß die besondre Uebung und Geschicklichkeit, welche man Critik nent, durchaus bey der Bibel nicht solle und drfe angewendet werden, so ntzlich sie bey allen alten menschlichen Bchern immer seyn mçge: habe ich mir durchaus nicht beibringen lassen [. . .].“ Semler, ebd. S. 125. 91, 4–5 „diese Aufstze bis waren.“: Semlers Satz: „Es waren also diese Aufsze freylich so ungleichen Inhalts, als die Fhigkeiten der ersten Schler ungleich waren, fr welche sie bestimmt wurden.“ Die Wçrter so ungleichen Inhalts (Z. 4–5) sind im Druck hervorgehoben. D. Joh. Salomo Semlers
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letztes Glaubensbekenntniß ber natrliche und christliche Religion, hrsg. von Ch. G. Schtz, Kçnigsberg 1792, S. 38. 91, 5–7 Aus dem Localen bis eingetheilt: Semler spricht von einer „Geographie der Theologie“ und davon, „daß jedes besondere Zeitalter durchaus nur eine Localtheologie habe samlen oder aufstellen kçnnen“. „Localtheologie“ im Druck hervorgehoben. Semler, Lebensbeschreibung (wie Anm. Le 90, 23–26) II, S. 222 und 224. 91, 12–14 Die Bibel bis in ihr: „Um sehr wichtiger Grnde willen habe ich so lange einen wrdigen Auszug aus der Bibel gewnscht, um eine Menge localer, vorbergehende, Ideen aus den Vorstellungen eines denkenden gebten Christen wegzuwischen [. . .].“ Semler, ebd. S. 285. 91, 14–16 Wenn Bunsen bis Anschauung: Ch. C. J. Bunsen, Vollstndiges Bibelwerk fr die Gemeinde, 3 Abtlgn, 1–9, Leipzig 1858–1870. Teilweise von Bunsen selbst, teilweise von H. J. Holtzmann in unkontinuierlicher Folge herausgegeben. In der großen Einleitung des Werkes zu Text und berlieferung der Bibel spricht Bunsen, dem es um eine der Forschung adquate Bibelbersetzung fr die Gemeinde – nicht fr die Gelehrten – geht, von den Einschrnkungen der bersetzerttigkeit Luthers: „Die Sprache mußte damals das semitische Element in sich aufnehmen, und es war gut zu versuchen, wie weit sie sich dasselbe aneignen konnte.“ I, 1 Die Bibel (1858), S. LXXXIV. Zugleich stellt er „unleidliche Hebraismen der lutherschen Bibelbersetzung“ fest I, 1. S. LXXXVII, die durch neue bersetzungen zu vermeiden seien, und betont die Geschichtlichkeit der Bibel: „Die einfachste Weise, anschaulich zu machen, wohin die weltgeschichtliche Betrachtung in dieser Beziehung fhrt, scheint ein semitisch-japhetisches Wçrterbuch zu sein.“ III, 9 Bibelgeschichte (1865), S. 27. – Japhet, nach der Vçlkertafel (1. Mos. 10) einer der Sçhne Noahs, wird als Stammvater der nçrdlichen, indogermanischen Vçlker betrachtet. 91, 17–19 „Alle Meinungen bis wollen.“: Das unvermittelt angefgte Zitat ber den „Hauptzwek“ Christi stammt aus: Joh. Salomo Semlers Vorbereitung zur theologischen Hermenevtik, Halle 1760, S. 82 f. „Alle brigen Vorstellungen und Meinungen, welche seinen Zwek nicht betreffen und nicht eigentlich hindern, hat er so wenig widerlegt, als eine Encyclopdie aller wahren Erkentnissen so dieser oder ienen Geselschaft der Menschen nzlich seyn mçgen, oder die einzigen Handgriffe in den Knsten und Arbeiten der Menschen geben wollen.“ 91, 21–22 Weder Strauß bis Verhltniß: D. F. Strauß, Das Leben Jesu (1835/36), Leipzig 1864, S. 80–89. In dieser von D. benutzten Umarbeitung (vgl. Lessing 100, 27–28) geht Strauß auf Lessings Neue Hypothese (wie Anm. Le 86, 15) ein, ohne Semler zu erwhnen. – Schwarz, Lessing als Theologe (wie Anm. Le 80, 23–26), S. 54–61, bergeht Semler nicht, bezieht sich allerdings hauptschlich auf dessen Schrift gegen die Reimarus-Fragmente, Beantwortung (wie Lessing 93, 10–13 und Anm.). 91, 26–32 „die Bibel bis zu Stande kam.“: Stze Lessings, die in den allgemeinen Bemerkungen zur Verçffentlichung der Reimarus-Fragmente von 1777 (vgl. Anm. Le 83, 6–9) stehen. Von Goeze teilweise in seinem ersten Zeitungsartikel vom Dezember 1777 gegen Lessing als „Axiome“ kritisiert, von Lessing in seinen Axiomata (wie Anm. Le 88, 5–8; vgl. Anm. Le 92, 24–25) leicht verndert aufgenommen und einzeln kommentiert, schließlich von D. aus diesem Zusammenhang gelçst und zu einem Zitat zusammengezogen: I–III, V und VI, einzeln notiert: „Die Bibel enthlt offenbar mehr, als zur Religion gehçret.“ – „Es ist bloße Hypothese, daß die Bibel in diesem Mehrern gleich unfehlbar sey.“ – „Der Buchstabe ist nicht der Geist, und die Bibel ist nicht die Religion.“– „Auch
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Textgeschichte und Anmerkungen
war die Religion, ehe eine Bibel war.“ – „Das Christenthum war, ehe Evangelisten und Apostel geschrieben hatten. Es verlief eine geraume Zeit, ehe der erste von ihnen schrieb; und eine sehr betrchtliche, ehe der ganze Kanon zu Stande kam.“ LLa X, 136, 138, 141, 143. 91, 40 – 92, 4 Die allerlteste Form bis Kirchengeschichte: D. kommt auf die Theses (wie Anm. Le 86, 13) zurck, und zwar auf die „regula fidei“ (§§ 12–23), die vor jedem Evangelium da war (vgl. Anm. Le 86, 7 und 87, 5–11), und auf eine schriftliche Textsammlung, die den Evangelien vorausgegangen sein muß (§§ 33–42). Lessing bezeichnet sie als das „Evangelium der Nazarener“ (§ 38) oder „Evangelium der Apostel“ (§ 39). LLa XI, 593–598. 92, 3 Nazarner: Nazarener, eigentlich Nazarer, Beiname fr Christus; Bezeichnung fr eine Gruppe von Judenchristen; unklar, ob auf Nazareth bezogen oder auf eine vorchristliche religiçse Gemeinschaft der Nazorer. 92, 23–24 Gçtze bis auf: Goezes erste selbstndige Verçffentlichung gegen Lessing (nach zwei Zeitungsartikeln vom Dezember 1777 und Januar 1778): J. M. Goeze, Etwas Vorlufiges gegen des Herrn Hofraths Leßings mittelbare und unmittelbare feindselige Angriffe auf unsre allerheiligste Religion, und auf den einigen Lehrgrund derselben, die heilige Schrift, Hamburg 1778. Vgl. dazu Anm. Le 59, 30 ( Antigçtze). 92, 24–25 Dieser bis zu bannen: Die Axiomata (wie Anm. Le 88, 5–8; vgl. auch oben Anm. 91, 26–32) erschienen anonym als Antwort auf Goezes ersten Zeitungsartikel vom Dezember 1777, in dem er die allgemeinen Anmerkungen Lessings zu den Reimarus-Fragmenten von 1777 beanstandet. Die Erluterungen Lessings, der alle von Goeze mißbilligten Stze kommentiert, sind inhaltlich der Neuen Hypothese (wie Anm. Le 86, 15) verwandt. 92, 39–40 in den schmerzlichsten persçnlichen Verhltnissen: Eva Lessing starb am 10. Januar 1778. 93, 1–4 Der Gelehrte bis faßte: Die von D. angegebene Textstelle aus dem Brief Lessings vom 25. Februar 1778 aus Wolfenbttel an seinen Bruder Karl Gotthelf lautet: „Besonders freue ich mich, daß Du das haut-comique der Polemik zu goutiren anfngst, welches mir alle anderen theatralischen Arbeiten so schal und wßrig macht.“ LLa XII, 501. Lessing antwortet damit auf den Brief des Bruders vom 7. Februar 1778, der die Duplik besttigt und dazu geschrieben hat: „Du hast eine theologische Komçdie gegeben“. LLa XIII, 601. – Eine Duplik, erschienen im Januar 1778 (LLa X, 46–121), gehçrt in die erste Phase der Auseinandersetzung um die Reimarus-Fragmente und antwortet auf die Schrift von J. H. Reß, Die Auferstehungsgeschichte Jesu Christi gegen einige im vierten Beytrage zur Geschichte und Litteratur aus den Schtzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbttel gemachte neuere Einwendungen vertheidiget, Braunschweig 1777. 93, 9 den 1. December: Lessing schickt den Anfang des Nathan mit einem vom 1. Dezember 1778 datierten Brief aus Braunschweig an den Bruder Karl Gotthelf. LLa XII, 515. In LM XVIII, 294 ist der Brief auf den 7. Dezember oder einen der folgenden Tage angesetzt. 93, 10–13 Im Mrz bis Aufregung: D. entnimmt Lessings Aufregung, auch die Angabe zur Arbeit am Nathan dem Brief vom 14. Mai 1779 aus Wolfenbttel an E. Reimarus. LLa XII, 530. Lessing richtet sich gegen: Joh. Salomo Semlers Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten insbesondere vom Zweck Jesu und seiner Jnger, Halle 1779. Semlers Vorrede zu dieser Schrift, die Anfang April
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erschien, stammt vom Mrz 1779. – Die zweite Seitenangabe D.s bezieht sich auf den Brief vom 16. Mrz 1779 an den Bruder Karl Gotthelf und belegt eine weitere Manuskriptsendung zum Nathan. LLa XII, 524. 93, 13–14 Im April bis Walch’s ausgegeben: Ch. W. F. Walchs kritische Untersuchung vom Gebrauch der heiligen Schrift unter den alten Christen in den vier ersten Jahrhunderten, Leipzig 1779. Entgegen D.s Annahme, erschien die Schrift des Gçttinger Kirchenhistorikers Walch erst zur Michaelismesse. Sie knpft an Semler und an Leßings nçthige Antwort (wie Anm. Le 59, 30) an. S. 23–25. 93, 14–15 Wie er bis schrecken.“: Brief vom 16. Dezember 1778 an E. Reimarus: „Endlich lassen sich die grossen Wespen doch auch aus dem Loche schrecken.“ LLa XII, 517. Der Satz drckt Lessings Erwartungen aus, ist nicht Reaktion auf Semlers (vgl. oben Anm. 93, 10–13) und Walchs (vgl. oben Anm. 93, 13–14) Schriften. 93, 22 Befund der Sektion: Der Sektionsbericht von Hofrat Sommer erschien als Anhang zur „Nachricht von Lessings Tod [. . .]“ in: Gçttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur, hrsg. von G. Ch. Lichtenberg und G. Forster, II, 1 (1781), S. 150–152; auch in: Lessings Leben I, 431–434. 93, 26–28 Dagegen bis bedurfte: Zur Neuen Hypothese vgl. Lessing 86, 15 – 87, 4 und Anm. 86, 15. 93, 29–31 „etwas Grndlicheres bis Sinnreicheres.“: Brief Lessings vom 25. Februar 1778 an den Bruder Karl Gotthelf zur Neuen Hypothese (wie Anm. Le 86, 15). LLa XII, 501. Satzbeginn und Kommata nach „haben“ und „hinzusetzen“ (Z. 30) nicht beachtet. 93, 31–34 Dann im Sommer bis Arbeit: Die einzelnen, in diesen Zusammenhang gehçrenden Schriften werden in Anm. Le 94, 12–15; 94, 15–19 genannt. Sie entstanden als Reaktion auf Walchs kritische Untersuchung (wie Anm. Le 93, 13–14), allerdings erst ab Herbst 1779. 94, 6 Vanini und Galilei: G. C. L. Vanini wurde 1619 in Toulouse als Atheist verurteilt und verbrannt, G. Galilei 1633 zum Widerruf der Lehre vom heliozentrischen Weltbild gezwungen. 94, 8–14 Wenden bis gehçren: Mit dem unstimmigen entstehungsgeschichtlichen Hinweis ( nach dem Frhjahr 1779; Walchs Buch erschien im Herbst; vgl. oben Anm. 93, 13–14) zu den vier Entwrfen (Lessing 94, 8–26) setzt D. den Beginn zu einem mchtigen Plan (94, 10) an. 94, 12–15 In die Zeit bis Walch.“: Die nicht von Lessing selbst verçffentlichten Schriften sind: G. E. Leßings Bibliolatrie. Theol. Nachl. 83–92. LLa XI, 537–551. – Von den Traditoren. In einem Sendschreiben an den Herrn Doktor Walch. Theol. Nachl. 93–100. LLa XI, 553–556. – Gegen eine Stelle aus Leß von der Wahrheit der christlichen Religion. Neueste Ausgabe S. 44. (Lessing bezieht sich mit diesem Titel auf: G. Less, Beweiß der Wahrheit der Christlichen Religion, Bremen 1768, und zwar auf die vierte Auflage von 1776; 51785). Theol. Nachl. 185–190. LLa XI, 558–560. – G. E. Leßings sogenannte Briefe an verschiedene Gottesgelehrten, die an seinen theologischen Streitigkeiten auf eine oder die andere Weise Theil zu nehmen beliebt haben.Theol. Nachl. 113–154. LLa XI, 560–589, enthalten nur: Sogenannte Briefe an den Herrn Doktor Walch. 94, 15–19 Und zwar war wohl bis beabsichtigt: Lessing teilt seine Plne im Brief vom 12. Dezem-
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Textgeschichte und Anmerkungen
ber 1779 seinem Bruder Karl Gotthelf mit: „Ich bin jetzt mit: So genannten Briefen an verschiedene Theologen, denen an meinen theologischen Streitigkeiten Antheil zu nehmen beliebt, beschftigt.“ LLa XII, 534. Er will Ostern (also 1780) eine erste „Verschickung“ mit Briefen an Walch herausgeben; eine zweite soll Briefe an Leß und Reß (vgl. oben Anm. 94, 12–15 und 93, 1–4) enthalten. Als Ankndigung des Unternehmens ist fr Januar die Schrift: Von den Traditoren (wie oben Anm. 94, 12–15) vorgesehen. 94, 19–20 Eine bis spter vor: Zu einer Entgegnung auf die Schrift Semlers, die Lessing sehr erregte (vgl. Anm. Le 93, 10–13), ist es nicht gekommen, von zwei kleinen Notizen abgesehen. Theol. Nachl. 34 f. LLa XI, 536 f. 94, 20–23 Die Anmerkung bis Walch: D. verschrft den Sachverhalt. Lachmann bernimmt als Anmerkung zu Bibliolatrie die Nachricht ber die Manuskriptlage von K. G. Lessing, der eine „Fortsetzung“ der Schriften gegen Goeze erwgt, aber „auch zu einem eignen Werke Bestimmtes“ in diesem Text sieht. LLa XI, 537. 94, 23–26 Daß bis beweisen: Die Schrift: Von den Traditoren (wie oben Anm. 94, 12–15) ist an Walch gerichtet, D.s Hinweis erhrtet lediglich den Sachverhalt. Lessings Anmerkung zum § 1 seiner Schrift lautet: „Aber, sagt Herr D. Walch, diese Stelle ist auch die einzige. Alle andere reden unbestimmt, ohne die Personen anzugeben, von denen die Bibel mit Gewalt abzufodern.“ Theol. Nachl. 97. LLa XI, 554. Er bezieht sich damit auf Walchs kritische Untersuchung (wie Anm. Le 93, 13–14), S. 189: „Die Gesetze, durch welche das Ausliefern der Bibeln unter dem K. Diokletiano befohlen worden, werden in unsern Quellen verschieden angegeben. Die meisten und glaubwrdigsten reden unbestimmt, ohne die Personen anzugeben, von denen die Bibeln mit Gewalt abzufordern: eine einzige nennet Bischçfe und Presbyters, aus deren Hnden sie zu verlangen seyn.“ Walch sucht mit diesem Punkt zu beweisen, daß Bibeln allgemein zugnglich waren. Die Verdeutlichung des Auslieferungsproblems der Bibeln setzt sich bei Walch auf der angegebenen S. 190 fort. 94, 27 – 95, 2 Das erste bis Nachfolger: D. bezieht sich fr den ganzen Passus auf die ersten Paragraphen von: Leßings nçthige Antwort (wie Anm. Le 59, 30). Vgl. „§. 3. Diese Regula fidei war, ehe noch ein einziges Buch des Neuen Testaments existirte.“ „§. 4. Diese Regula fidei ist sogar lter als die Kirche. Denn die Absicht, zu welcher; die Anordnung, unter welcher eine Gemeinde zusammengebracht wird, ist ja wohl frher als die Gemeinde.“ „§. 6. „Diese Regula fidei also ist der Fels, auf welchen die Kirche Christi erbauet worden, und nicht die Schrift.“ „§. 7. Diese Regula fidei ist der Fels, auf welchen die Kirche Christi erbauet worden; nicht Petrus und dessen Nachfolger.“ LLa X, 241. 95, 4–8 Semler bis Bandes): Aus Semlers Widmung des ersten Bandes der Abhandlung (wie Anm. Le 90, 11–14) fr den Abt Jerusalem: „Man wird am ersten und meisten stutzen, ob ich nicht auf diese Art das sogenannte principium cognoscendi ungewis mache, oder aufhebe. Allein nichts weniger; man muß nur sich nicht daran stossen, daß ich von mehrern Bchern behaupte, daß manche Leser fhigere, oder gebtere, sie gar wol nicht fr solche halten kçnnen, woraus sie moralischen Unterricht ferner nemen solten zu ihrer Besserung. Es kçnnen hingegen auch solche Bcher von andern Lesern, oder bey andern Menschen, die eine geringere Kentnis haben, noch behalten und genutzt werden.“ [S. 12 f.] 95, 9–11 ihre Kanonicitt bis (Bd. I S. 12): Die angegebene Stelle aus Semlers Abhandlung (wie Anm. Le 90, 11–14): „Damit nun eben in Absicht dieser Bcher, welche in den Kirchen zum Vor-
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lesen und predigen gebraucht wurden, eine Gleichfçrmigkeit und Uebereinstimmung erhalten wrde, und man sich von den so genannten ketzerischen Partheyen im Lesen eben sowol, als im Singen und der Liturgie merklich genug unterscheiden mçchte: so haben endlich die Bischçfe mehrerer Kirchen und Provinzen sich mit einander, theils mndlich, theils schriftlich vereiniget, was fr Bcher, aus dem so genannten alten und neuen Testament, canonicam lectionem ausmachen sollen.“ 95, 14–19 Andererseits bis Jahrhunderts: Die große Kirchengeschichte des Dominikanerpaters Natalis Alexander erschien zwischen 1676 und 1689 in Paris unter dem Titel: Selecta Historiae Ecclesiasticae Capita, Et in loca ejusdem insignia Dissertationes Historicae, Chronologicae, Criticae, Dogmaticae. Die dreizehnte Dissertation im ersten Band, Saeculi I. Pars prior, Paris 1676, handelt von den Nachfolgern Petri (De proximis sancti Petri successoribus in Antiochena Sede & Romana), die Dissertatio XI von der berlieferung der Glaubenslehre [. . .] in Form einer Glaubensregel (De Symbolo Apostolorum). Entscheidend die Conclusio: „Symbolum, quod Apostolicum appellatur, ab Apostolis traditum est.“ S. 457. 95, 21–36 Ja man bis Lehre: J. Basnage stammt aus einer in seiner Zeit berhmten Familie hugenottischer Theologen, ist Verfasser zahlreicher kirchengeschichtlicher Arbeiten, teilweise gleichermaßen anerkannt von Katholiken und Protestanten. Histoire de l’Eglise, Depuis Jesus-Christ jusqu’ present, 4 Tle, Rotterdam 1699. Festlegung der Glaubensformel im 2. Jh. nicht ermittelt. Lessing setzt sich mit dieser Frage auseinander, vgl. Von der Art und Weise (wie Anm. Le 85, 32–38). Sowohl er als auch Semler berufen sich auf das 8. Buch der Histoire. Semler referiert in Abhandlung (wie Anm. Le 90, 11–14) III, S. 3–187 aus mehreren Kapiteln; Lessing einige Stellen in der Historischen Einleitung in die Offenbarung Johannis (wie Anm. Le 98, 15). LLa XI, 599 f. Beiden geht es allerdings um das allmhliche Zustandekommen des Kanons. 95, 26–30 in den pseudoignatianischen Briefen bis hatte: Ignatius, Bischof von Antiochien, erlitt zu Beginn des 2. Jh.s unter Trajan in Rom den Mrtyrertod. Die Textgeschichte seiner sieben Briefe ist bestimmt von der Frage nach ihrer Echtheit (heute gelten alle als echt). D. geht wahrscheinlich von der Edition Ch. C. J. Bunsens aus: Die drei chten und die vier unchten Briefe des Ignatius von Antiochien, Schriften der Akademie von Ham[burg] I, 2. Hamburg 1847. Spuren etwa in der Aufforderung: „Studete igitur firmari in dogmatibus Domini et Apostolorum [. . .]“, wobei die „Satzungen“ unbestimmt bleiben, es um die Einigkeit der Gemeinde geht. Brief an die von Magnesia XIII, S. 130. Lessing bezieht sich im zweiten der Sogenannten Briefe an den Herrn Doktor Walch (wie Anm. Le 94, 12–15) auf Ignatius (Theol. Nachl. 122–124), den er neben anderen fr seinen „Satz (daß die Grundlehren unsers Glaubens nicht aus der Schrift gezogen sind, so deutlich sie auch immer darinn enthalten seyn mçgen, und daß die Schrift folglich der einzige Grund derselben nicht ist )“ anfhrt. Theol. Nachl. 122. LLa XI, 566. 95, 37 – 96, 7 Die Bedeutung bis zurckgewiesen: Lessing ber Walch vgl. Anm. Le 94, 12–15 . 96, 7–12 Nur dies bis worden sei: Lckes Schrift ist enthalten in: Ueber das Ansehen der heiligen Schrift und ihr Verhltniß zur Glaubensregel in der protestantischen und in der alten Kirche. Drei theologische Sendschreiben von K. H. Sack, C. I. Nitzsch, Fr. Lcke, Bonn 1827. Lckes Sendschreiben S. 107–210. Er bezeichnet Lessing als „eigentlich nicht vçllig einheimisch“ in theologischen Auseinandersetzungen (S. 118). Beim Erscheinen des Buches von Walch (vgl. Anm. Le 93, 13–14) habe er seine These, „daß die christl. Religion in den ersten vier Jahrhunderten aus den Schriften des N. T. nie erwiesen“, auf das Konzil von Nika begrenzt. (S. 121).
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Textgeschichte und Anmerkungen
96, 12 zum nicnischen Concil: Das Konzil von Nika fand 325 statt. Im Symbolum Nicaenum, dem Glaubensbekenntnis der Ostkirche, wurde die Wesenseinheit des Sohnes mit dem Vater gegen die Arianer behauptet, die die Gçttlichkeit Christi bestritten. 96, 13–16 so bersieht bis eingefhrt htten: Lcke (wie oben Anm. 96, 7–12) beruft sich, um eine Unsicherheit Lessings zu beweisen, auf Leßings nçthige Antwort § 5 (wie Anm. Le 59, 30), in der Lessing von den „Christen der ganzen ersten vier Jahrhunderte“ spricht, denen die regula fidei ausreichend gewesen sei (LLa X, 241); im zweiten der Sogenannten Briefe (wie Anm. Le 94, 12–15) begrenze er deren Geltung auf das Konzil von Nika (§ 4. LLa XI, 586 f.). Das geschehe, so D.s Einwand, bereits in: Der nçthigen Antwort, also vor Erscheinen von Walchs Buch. D.s Belegstelle enthlt keine zeitliche Begrenzung, aber es ist die Rede von der Rolle der heiligen Schrift auf dem Konzil. Die Arianer htten aus ihr die Gçttlichkeit Christi bewiesen haben wollen, whrend es fr die „rechtglubigen Vter“ auf die „Wahrheit“ ankam, „die sich von Christo unmittelbar herschreibe“. LLa X, 250. 96, 18–19 Der geniale Kritiker bis erklrt: Zu Lessings eigener Einschtzung der Neuen Hypothese (wie Anm. Le 86, 15) vgl. Lessing 93, 29–31. 96, 19–21 Strauß bis enthalten.“: Der vollstndige Satz: „Um von diesem Standpunkt aus das Verhltniß der Evangelien zu einander begreiflich zu machen, ihre Zusammenstimmung wie ihre Abweichung, ihr Gemeinsames wie das jedem Eigenthmliche zu erklren, schrieb Lessing seine ‚Neue Hypothese ber die Evangelisten als blos menschliche Geschichtschreiber betrachtet (1778); ein Schriftchen von zwei Bogen, welche aber die fruchtbaren Keime aller spteren Forschungen ber diesen Gegenstand enthalten.“ Das Leben Jesu (wie Anm. Le 91, 21–22), S. 81 f. 96, 31–32 Evangelium der Ebioniten: Ebioniten oder Nazarener (Nazarer, vgl. Anm. Le 92, 3). Lessing sttzt sich auf die Erwhnung des Nazarenerevangeliums bei Hieronymus, eine nicht zuverlssige Quelle. Neue Hypothese (wie Anm. Le 86, 15), §§ 16–18. LLa XI, 499 f. Vgl. Anm. Le 91, 40 – 92, 4. 96, 39 Credner: K. A. Credner, Beitrge zur Einleitung in die biblischen Schriften I: Die Evangelien der Petriner oder Judenchristen, Halle 1832. Enthlt Bruchstcke der Ebionitischen Schriften S. 268–436. 97, 11–13 Wenn er bis als sie besagt: Zu Matthus, den Lessing als ersten bersetzer des Evangeliums aus dem Hebrischen ins Griechische sieht, vgl. Neue Hypothese (wie Anm. Le 86, 15), §§ 26–43. LLa XI, 501–507; zur Nachricht des Papias §§ 37–40. Diese Nachricht aus der Kirchengeschichte des Eusebius, die eigentlich von dem Presbyter Johannes stammt, schreibt Matthus das hebrische Original zu. 97, 13–17 Wenn bis Nçthigung: Lessings Feststellungen zu Lukas: Neue Hypothese (wie Anm. Le 86, 15), §§ 44–48. Die von D. zitierte und kritisierte Stelle findet sich in Lessings Anm. zu § 45 als mçglicher Titel der bersetzung „jener hebrischen Quelle“, die Lukas seiner Ansicht nach vorlag. Damit setzt sich Lessing bewußt vom blichen Verstndnis des Eingangssatzes ab („Sintemal sichs viele unterwunden haben [. . .]“, zitiert in Anm. zu § 47). 97, 20–23 das veranschaulicht bis hervortrat: J. G. Eichhorn, Allgemeine Bibliothek der biblischen Litteratur V, 5. Leipzig 1794, S. 761–996: Ueber die drey ersten Evangelien. Einige Beytrge zu ih-
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rer knftigen kritischen Behandlung. Eichhorn stellt „die Hypothese von einer gemeinschftlichen Quelle“ („Urschrift“) auf, die die drei ersten Evangelisten unterschiedlich gebraucht haben. Ebd. S. 775; 780. 97, 36 Andeutungen bis mndliche Tradition: Vgl. z. B. Neue Hypothese (wie Anm. Le 86, 15), § 4 und Anm.: „[. . .] so ist natrlich, daß man sich alles von Hand zu Hand reicht [. . .] welches endlich schriftlich geschehen muß, wenn die mndliche Mittheilung nicht mehr reichen will.“ LLa XI, 497. Auf diesen Zusammenhang verweist Strauß, Das Leben Jesu (wie Anm. Le 91, 21–22), S. 82. 97, 36–37 Herder bis geltend machte: D. spielt vermutlich auf das Ende des zehnten Gesprchs aus Herders Schrift: Vom Geist der Ebrischen Poesie (1782) an. Herder geht von mndlicher berlieferung aus. In der Frage der Unterscheidung der „Sagen“, die von Jehovah und von Elohim reden, bezieht er sich auf J. G. Eichhorn, Einleitung ins alte Testament (1780–1783) und bemerkt: „Der Unterschied insonderheit in den ltesten Stcken fllt in die Augen und er ist von einem neuern Schriftsteller mit einer Genauigkeit durchgefhrt worden, die kaum etwas brig lßt; wenn nicht allenfalls die zu große Genauigkeit der Hypothese selbst schadet. Es werden durch sie Stcke zerrißen, die offenbar zusammen gehçren, auch wahrscheinlich aus Einer Zeit und vielleicht von Einer Hand sind.“ Suphan XI, 448. 97, 37–39 Gieseler bis eingefhrt: J. C. L. Gieseler, Historisch-kritischer Versuch ber die Entstehung und die frhesten Schicksale der schriftlichen Evangelien, Leipzig 1818, bes. § 5 mit der berschrift: In dem frhesten apostolischen Zeitalter ist das Evangelium zum Behuf der Lehrvortrge nicht aufgeschrieben, sondern nur mndlich fortgepflanzt. 97, 39 – 98, 3 aber bis begriffen haben: Im zweiten der Sogenannten Briefe (wie Anm. Le 94, 12–15) geht Lessing auf alle von Walch angefhrten Stellen ein, die fr den Gebrauch des neuen Testaments durch die ersten Christen sprechen sollen. LLa XI, 563–584. Der diesem Brief angefgte Abschnitt: Ausschweifung ber das Glaubens-Bekenntniß der ersten Christen, LLa XI, 584–588, besttigt D.s Ansicht, daß Lessing auf seine Glaubensregel festgelegt war. 98, 4–6 Begrndete bis Kirche: Nachdem Lessing die drei Evangelien Matthus, Markus und Lukas auf eine Quelle zurckgefhrt hat, stellt er diesem Komplex das Johannesevangelium gegenber. Vgl. Neue Hypothese (wie Anm. Le 86, 15) §§ 50–64. „Daß wir sonach nur zwey Evangelia haben, den Matthus und Johannes, das Evangelium des Fleisches und das Evangelium des Geistes [. . .].“ § 64. LLa XI, 513. Das Johannesevangelium sei fr das Bestehen der christlichen Religion unerlßlich gewesen (D. zitiert die entsprechende Stelle, den § 63, Lessing 99, 1–6). Vgl. auch Theses (wie Anm. Le 86, 13) §§ 46–50. LLa XI, 597 f. 98, 6–8 Die kritische Analyse bis Probabilien: C. Th. Bretschneider, Probabilia de Evangelii et Epistolarum Joannis, Apostoli, indole et origine, Lipsiae 1820. 98, 12–14 Schon bis beschftigt: Zu epochemachende Stellung der Arianer vgl. Anm. Le 96, 13–16. Die Bruchstcke richten sich gegen die Schriften der Neologen J. G. Tçllner (Theol. Nachl. 235–236) und W. A. Teller (Theol. Nachl. 237–238), die den Arianismus kritiklos betrachten. LLa XI, 447–449. 98, 15 Offenbarung Johannis: G. E. Lessing, Historische Einleitung in die Offenbarung Johannis.
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Theol. Nachl. 105–112. LLa XI, 599–602; handelt von der allmhlichen Bildung des Kanons. Lessing beruft sich zunchst auf Basnage, vgl. Anm. Le 95, 21–36. 98, 27 Wrtel: Alth. wartal (custos). Grimm (1922) verzeichnet Belege von Goethe bis G. Keller in der Bedeutung Wrter. D. bernimmt vermutlich Lessings Sprachgebrauch, der in der Einleitung zur Duplik (wie Anm. Le 93, 1–4) den „Wrtel“ als Gerichtsperson sieht, die streitende Parteien zur Ordnung ruft – eine Rolle, die er allerdings fr sich ablehnt. LLa X, 47. 98, 28–33 Er bis retten: Zur Mçglichkeit, das Bestehen des Christentums zu sichern, vgl. Lessing 82, 15–38; Novalis 227, 19 – 232, 21. 98, 35–37 Er bis starb: D. verkrzt zugunsten der Situationsschilderung. Untersuchungen ber das lteste Christentum setzt er selbst, mit Recht, fr Lessings Breslauer Zeit an. Vgl. Lessing 85, 19 – 86, 1. 99, 1–6 In der Hypothese bis ewig.“: Neue Hypothese (wie Anm. Le 86, 15). D. zitiert den ganzen § 63, ohne den Satzbeginn zu beachten. Von Consistenz (Z. 2) bis fortdauert und (Z. 4): „Consistenz: nur seinem Evangelio haben wir es zu danken, wenn die christliche Religion in dieser Consistenz, allen Anfllen ungeachtet, noch fortdauert, und“. Nach wird (Z. 5) Komma. Das Wort „ewig“ (Z. 6) ist fettgedruckt. LLa XI, 513. 99, 6–8 Also bis gegrndet: Zum Bedrfnis eines Mittlers vgl. Novalis 227, 21–28 und Anm.; Leben Schl. XIII,1. 422–426. 99, 9 die Religion Christi (1780): G. E. Lessing, Die Religion Christi. Theol. Nachl. 101–104. LLa XI, 603 f. Die acht Paragraphen enthalten die Unterscheidung (die D. in Lessing 99, 11–14 anfhrt): „Religion Christi“ und „christliche Religion“; die erste sei die, „die jeder Mensch mit ihm gemein haben kann“ (§ 3). Vgl. unten Anm. 99, 11–16. 99, 10–11 in den betreffenden Parthien bis aufgegeben: Zur Entstehung der Erziehung des Menschengeschlechts vgl. Anm. Le 83, 6–9 und Anm. 89, 23–25. Von Christus als dem „Lehrer“ handeln die §§ 58–61. LLa X, 321 f. 99, 11–16 Hier wird bis Problem: D. bezieht sich auf die §§ 6, 7, 1 der Religion Christi (wie oben Anm. 99, 9): „Kaum lassen sich die Lehren und Grundstze beyder in einem und ebendemselben Buche finden. Wenigstens ist augenscheinlich, daß jene, nemlich die Religion Christi, ganz anders in den Evangelisten enthalten ist als die Christliche.“ „Die Religion Christi ist mit den klarsten und deutlichsten Worten darinn enthalten;“ „Ob Christus mehr als Mensch gewesen, das ist ein Problem.“ LLa XI, 603. 99, 16–20 dem entsprechend bis muß: Vgl. Die Erziehung des Menschengeschlechts (wie Anm. Le 81, 19–22) §§ 58–63. Das von D. zitierte Satzfragment steht im § 63: „Daß sie aber diese Eine große Lehre noch mit andern Lehren versetzten, deren Wahrheit weniger einleuchtend, deren Nutzen weniger erheblich war: wie konnte das anders seyn?“ LLa X, 322. D.s Wendung: angesichts des neuen Evangeliums (Z. 20) spielt auf den § 86 an. 99, 21–23 Die Unterscheidung bis erhellen: Das Epitheton neuen (Z. 21) ist hier wohl versehentlich stehengeblieben in D.s beilufigem Hinweis auf Lessings Unterscheidung zwischen dem kano-
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nischen Evangelium des Johannis (vgl. Lessing 99, 1–6 und 99, 31–37) und der von Hieronymus berlieferten Legende, die Lessing mitteilt (LLa X, 46). Der Satz des alten Johannes – „Filioli diligite alterutrum.“ – wird Gegenstand des Gesprchs: Das Testament Johannis (wie Anm. Le 86, 38). Lessing hlt das Gebot des Testaments – er bersetzt: „Kinderchen liebt euch!“ – offensichtlich fr urchristlich, fr „Religion Christi“, wenn auch das Evangelium des Johannes fr das Bestehen der christlichen Religion unentbehrlich war. 99, 25–26 Der Inhalt bis zu empfehlen.“: Erziehung (wie Anm. Le 81, 19–22), aus § 61: „Eine innere Reinigkeit des Herzens in Hinsicht auf ein andres Leben zu empfehlen, war ihm allein vorbehalten.“ LLa X, 322. 99, 28–31 Also die Frage bis bejaht worden: Das Testament Johannis (wie Anm. Le 86, 38). Im Verlauf des Dialogs wird die Frage gestellt, ob das Liebesgebot des alten Johannes nicht die christliche Religion ausmache, und unentschieden darauf geantwortet: „– So ist die christliche Liebe nicht die christliche Religion?“ „Ja und Nein.“ LLa X, 44. 99, 31–37 Diese bis Menschen gab: D. paraphrasiert die §§ 62 und 63 der Neuen Hypothese (wie Anm. Le 86, 15). LLa XI, 513. 100, 1–2 „Inbegriff bis sind.“: Lessing antwortet in der von D. herangezogenen Stelle auf die Frage Goezes, was fr eine Religion er unter der christlichen verstehe: „Denn kurz: ich antworte auf die vorgelegte Frage so bestimmt, als nur ein Mensch von mir verlangen kann; daß ich unter der Christlichen Religion alle diejenigen Glaubenslehren verstehe, welche in den Symbolis der ersten vier Jahrhunderte der Christlichen Kirche enthalten sind.“ D. kontaminiert die Antwort mit dem § 1 („Der Inbegriff jener Glaubensbekenntnisse heißt bei den Vtern Regula fidei.“). Leßings nçthige Antwort (wie Anm. Le 59, 30). LLa X, 240. Lessing spricht in der darauf folgenden letzten Schrift gegen Goeze im Blick auf diese Stelle von seiner „Erklrung“. Der nçthigen Antwort (wie Anm. Le 59, 30). LLa X, 245. Relevant fr D.s Stichwort „Glaubensbekenntniß“ (101, 1), nennt er im Brief vom 25. Januar 1780 (bis 1879 unrichtig auf 25. Juni datiert) an Herder vermutlich diese ußerungen, also seine „Erklrung“, sein „eignes Glaubensbekenntniß“ (LLa XII, 541) – nicht die Erziehung, die, halb verçffentlicht, vielleicht vollstndig vorlag, aber erst Ende April 1780 erschien. Vgl. unten Anm. 101, 1. 100, 4–13 Und es bis wre: Vgl. dazu die §§ 77–81 der Erziehung (wie Anm. Le 81, 19–22). LLa X, 326. 100, 22–28 keineswegs bis S. 205): Mit der angegebenen Seitenzahl bezieht sich D. auf folgende Stelle bei Strauß: „Das innere bersinnliche Glck, das in der Empfnglichkeit fr das Hçhere von selbst schon liegt, erscheint als ein knftiger Lohn, und in der That muß ja auch der Widerspruch des Innern und Aeußern sich lçsen, das in der Menschheit geweckte neue geistige Leben auch den ußern Weltzustand sich angemessen gestalten; aber das erfolgt natrlich und allmhlig, wenn auch nie vollkommen, in dieser Welt, und wird nur von der religiçsen Vorstellung als wunderbare Ausgleichung in einer knftigen erwartet.“ Das Leben Jesu (wie Anm. Le 91, 21–22). 101, 1 „Glaubensbekenntniß“: Eine Vokabel Lessings. F. Schlegel verwendet sie in seiner Einleitung zu Lessings Erziehung des Menschengeschlechts. Lessings Geist III, 19 und 21. So auch D., vielleicht auf Grund der falschen Datierung des Briefes an Herder (vgl. oben Anm. 100, 1–2) oder der Darstellung Guhrauers in Lessing’s Erziehung (wie Anm. Le 63, 6–8), S. 13 f., revidiert in Danzel/
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Guhrauer II,2. 156, Anm. In diesen Umkreis gehçren D.s Wendungen vom hçchsten Lebensresultate (Lessing 60, 17), vom großen Resultat (Lessing 101, 8), vom Hçhepunkt seiner Forschungen (Lessing 101, 12–13), vom Testament. 101, 13 Testament: Vgl. Lessing 101, 21–22; das philosophische Testament Lessing 113, 3. D. verbindet mit diesem Wort die beiden Teile seines Aufsatzes und wiederholt zugleich den Anspruch der eigenen Gegenwart auf Lessing. 101, 17–19 Ernst bis 1780: Zu Entstehung und Verçffentlichung der beiden spten Schriften vgl. Anm. Le 59, 8–9; Anm. Le 81, 19–22 und Anm. Le 83, 6–9. 101, 21–38 Wir bis fallen: Die beiden Abschnitte leiten zusammenfassend den einen Monat spter erschienenen zweiten Teil dieses Aufsatzes ein. 101, 22–23 Muße von Breslau: Vgl. Anm. Le 69, 36–37. 101, 25–32 wie er bis war: D.s Ansatz fr die Beschreibung der besonderen literarischen Entwicklung in Deutschland seit Lessing. Vgl. Lessing 104, 5 – 105, 10; Anm. Le 105, 20–25. 102, 5–9 Man bemerkt bis Paradoxie: Die literarische Entdeckung des Orients beginnt Ende des 17. Jh.s. Montesquieu steht mit den Lettres persanes schon in einer gewissen Tradition der Lust am Exotischen, mehr noch der kritischen Sicht des Okzidents mit dem (fiktiven) unbefangenen Blick des Orientalen. 102, 9–12 Der Verfasser bis Religion: Von Ch. de Secondat, Baron de la Br de et de Montesquieu erschienen anonym: Lettres persanes, Kçln 1721. Die von D. genannten und bei Lessing beobachteten Zusammenhnge (vgl. Lessing 102, 13–19) werden in Montesquieus Werk: De l’esprit des lois (1748) entwickelt. Vgl. D.s sptere ußerung zu Montesquieu. Ges. Schr. III, 233–235. 102, 15–19 „Ein bis Staatsverfassungen.“: D. sttzt sich auf: Ernst und Falk (wie Anm. Le 59, 8–9), auf das zweite Gesprch. Statt Ein (Z. 15): „Viele von den kleinern Staaten wrden ein“. Nach Religionen (Z. 18): „haben“. LLa X, 268. Die zitierte Stelle (Z. 19) im Zusammenhang: „Eines ist zuverlssig eben so unmçglich, als das andere. Ein Staat: mehrere Staaten. Mehrere Staaten: mehrere Staatsverfassungen. Mehrere Staatsverfassungen: mehrere Religionen.“ LLa X, 269. 102, 19–21 Man bis Religion: Zum Stichwort Universalreligion vgl. D.s Entwurf ber die Emanationssysteme JD 84–87; zu Muhamedanismus das Portrait Mohammed (1875). Ges. Schr. XV, 173–177. 102, 21 Muhamedanismus: Von arab. Muhammad. Bis ins 19. Jh. sind die Wçrter Muhammedanismus und Mohammedanismus gebruchlich. 102, 24–30 Wie bis ausstreut: D. scheint Erfindung (Z. 25 und 28) doppeldeutig zu gebrauchen, sowohl auf poetische Fiktion als auch auf realhistorische Vorgnge anzuspielen. Mit Erfindung, die ihren befreienden Sinn klug verbarg (Z. 29) kçnnte der um 1120 gegrndete Templerorden gemeint sein, der wegen Ketzerei, u. a. Zweifeln an der Dreieinigkeit, angeklagt und 1312 aufgelçst wurde. Sie verschmilzt mit der Erfindung des Nathan (vgl. die Formulierung Lessing 102, 13), zu der die Figur des Tempelherrn und als wesentlicher Bestandteil die Parabel von der Unerweisbarkeit
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der alleinigen Geltung einer der drei Religionen gehçrt. Die Ringparabel ist in den mittelalterlichen Gesta Romanorum und durch Boccaccio berliefert, von Lessing aufgenommen und umgestaltet worden. Vgl. Danzel/Guhrauer II,2. 205–207. 102, 35 Problem der inneren Bildung: Dem Begriff D.s haftet einerseits noch seine Herkunft aus der religiçsen Sphre an, andererseits ist er verknpft mit der Vorstellung organischen Wachstums vgl. das lebendige innere Wachsthum (Lessing 108, 19). Andeutungsweise zum Umfeld z. B. Semler ber Baumgarten: „Er sezte die Kraft oder den wahren Charakter des Christentums in die innere Bildung der Seele [. . .]“. In: Lebensbeschreibung (wie Anm. Le 90, 23–26) II, S. 3. In diesem Sinn neben anderen Bedeutungen noch bei Goethe: „innerlichste und eigentlichste Bildung“ Jung-Stillings. DuW 9. Buch. Nach Kant wre Kultur, zu der „die Idee der Moralitt gehçrt“, auf dem Weg „der inneren Bildung der Denkungsart“ erreichbar und unterschieden von „Civilisirung“ als „der ußeren Anstndigkeit“. In: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbrgerlicher Absicht (1784), 7. Satz, Kant W VII, 329. – Zur nationalen Frbung des Begriffs Bildung vgl. F. Schlegel: „Lessing und Goethe, die haben die Bildung der Deutschen gegrndet“. Charakteristiken (wie Anm. Le 62, 17–19) I, S. 273 (Herkules Musagetes); so und in Varianten in den großen Literaturgeschichten. Gervinus spricht von „der deutschen Bildung und Aufklrung“, Gervinus IV, 318; 321. D. gebraucht Bildung im vorliegenden Aufsatz in den Zusammensetzungen: Nationalbildung (79, 8), europische Bildung (102, 1), deutsche Bildung (103, 21); freie Bildung (103, 31); im Zusammenhang mit Wilhelm Meister spricht er von der rein menschlichen Bildung. Novalis 238, 9–13. Zur spteren Verwendung des Begriffs in der Pdagogik vgl. Ges. Schr. VI, 56–82. 102, 36–39 „Die bis hinzuziehen.“: Ernst und Falk (wie Anm. Le 59, 8–9), zweites Gesprch. Statt Die brgerliche Gesellschaft (Z. 36–37): „Nun sieh da das zweyte Unheil, welches die brgerliche Gesellschaft, ganz ihrer Absicht entgegen, verursacht. Sie“. Nach vereinigen (Z. 37) und nicht trennen (Z. 37–38) Komma. Statt hinzuziehen (Z. 39): „hin zu ziehen“. LLa X, 269. 102, 39–40 „Ja bis fort,“: Der von D. seinem Zusammenhang angepaßte Satz heißt: „Nein; die brgerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Theile gleichsam bis ins Unendliche fort.“ Ebd. 103, 6–11 In bis 43, 986 f.): D. zitiert aus einem fr die Kollektaneen (wie Anm. Le 88, 17–26) bestimmten, von J. J. Eschenburg nicht verçffentlichten Artikel zum Stichwort: Deutsche Freiheit. Der von D. verkrzte Satz heißt: „Sollten wir wenigstens nicht in unsern Schriften unaufhçrlich gegen diese ungerechten Vernderungen protestiren, anstatt durch schmeichelnde Nachsicht und Entschuldigung der Großen ihre Thathandlungen recht sprechen?“ G. E. Guhrauer, Lessingiana. In: Bltter fr literarische Unterhaltung. Nr. 246 (1843), S. 986. 103, 13–18 Der Gedanke bis ausgedacht: Vgl. Herder, Ueber das Wort und den Begriff der Humanitt in: Briefe zu Befçrderung der Humanitt (Dritte Slg. 1794), 27.–29. Brief. Suphan XVII, 137–147. F. Schlegel, mit dem D. bereinstimmt, zu Toleranz, Aufklrung und Humanitt: „Man darf nur sehen, in welcher Dignitt diese Begriffe auf Lessing und seine sptern Schriften allein anwendbar sind, um diesen so schndlich misbrauchten und dadurch in Verachtung gerathenen Begriffen ihre Wrde und Bedeutung wieder zu geben.“ Lessings Geist III, 13 f. 103, 18–21 Die bis entgegenwarf: Rousseaus Kritik in: Discours sur les sciences et les arts (1750); Discours sur l’origine de l’ingalit parmi les hommes (1755) wie das Konzept des Emile (1762) richten sich gegen Gesellschaft und Kirche – weniger im Namen der Humanitt als durch den Entwurf ei-
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nes Gegenbildes, des „tat naturel“, zum herrschenden, korrumpierten „tat civil“. Lessing kndigt den Discours von 1755 am 10. Juli 1755 in der Berlinischen privilegirten Zeitung als Werk eines Autors an, der „graden Weges auf die Wahrheit zugehet“. LLa V, 57. Auffllig D.s Gegenberstellung: franzçsische Civilisation (Z. 19) und deutsche Bildung (Z. 21), vgl. dazu Anm. Le 102, 35. 103, 26–27 Denn bis lebhaft ein: ußere Zugehçrigkeit zum Freimaurerwesen: Herder war 1766 Mitglied der Rigaer Loge geworden, wandte sich aber nach seiner Frankreichreise (1769/70) von der Institution ab. Goethe gehçrte seit 1780 zur Loge in Weimar (vgl. Symbolum, Dem wrdigen Bruderfeste). – Herder, mit Lessings Ernst und Falk bereits im Manuskript bekannt, setzt das zweite Gesprch fort unter dem Titel: Gesprch ber eine unsichtbar-sichtbare Gesellschaft in: Briefe zu Befçrderung der Humanitt (Zweite Slg. 1793), 26. Brief. Suphan XVII, 123–132. D. bezieht sich außerdem auf die Gesellschaft vom Turm in Goethes Wilhelm Meister (1795/96). 103, 29 – 104, 4 Das neue Lebensgefhl bis empfinden: Parallelstellen zu Lebensgefhl und -ideal. Lessing 69, 22–24; 77, 25–27; 78, 23–35; 79, 1–10; 101, 3–9; 101, 25–33; 104, 5–39; 107, 37–40; 108, 25–26; 108, 35 – 109, 2; 118, 15; 122, 19–22; 123, 8–26. 104, 5 – 105, 10 Und dies bis mchtig: D. verbindet Rck- und Ausblick mit der Reflexion auf die eigene Methode und Position. Im Vergleich dazu Novalis 201, 3–40. – Ein unzureichendes geschichtliches Studium (105, 5) stellt D. fest, Mangel „an historischem Sinn und an historischer Kenntniß der Poesie“ bemerkt bei aller Bewunderung fr Lessing F. Schlegel. Charakteristiken (wie Anm. Le 62, 17–19) I, S. 222. 104, 22 antiquirte: antiquiren = veralten lassen, fr veraltet erklren; aufheben, abschaffen. Illustrirtes Konversations-Lexikon (Spamer’s Lexikon), Leipzig und Berlin 1870. 105, 4 Geierblick: Vgl. Lessing 65, 11–15 und Anm. 105, 13–19 es ist bis lehrt: Weitere Hinweise auf Nathan: Lessing 93, 4; 105, 26 – 106, 4; 108, 28–33; 121, 38 – 122, 9; vgl. auch JD 119. 105, 20–25 In Gçthe bis Wissenschaft: Immer wieder betont (Lessing 78, 21–37; 101, 25–29; 104, 17–29; 123, 8–18), ist die Verbindung von Dichtung und Wissenschaft charakteristisch fr das Werk Lessings wie fr die von ihm ausgehende weitere literarische Entwicklung. Vgl. Anm. No 223, 3–4; Basler Antrittsvorlesung 13 und 20 f.; Ges. Schr. XV, 211 f. ( Heinrich Heine); Schiller 179, 34–37. 105, 25 er bedurfte daher die Verbindung: Bedrfen mit Akk. der Person oder Sache ist gelufig bei Lessing, Schiller, im 19. Jh. 105, 26 – 106, 4 Die Handlung bis Vernunft: Die Unangemessenheit der letzten Szene des Nathan gebe dem Drama den Schluß eines „brgerlichen Familienstcks“, so kritisiert F. Th. Vischer (sthetik III, 2. Stuttgart 1857, § 914). In bereinstimmung mit D. und Vischers Vorwurf entkrftend, weist D. F. Strauß auf die „symbolische Bedeutung der Personen und Schicksale“ des Stcks hin, das er als „ein didaktisches Drama“ bezeichnet. Vortrag: Lessing’s Nathan der Weise, Berlin 1864, S. 72 und 75. 106, 10–13 „Ich weiß bis verschieden.“: D. zitiert aus Nathans Gesprch mit dem Tempelherrn
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(II, 5): „Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß, / Daß alle Lnder gute Menschen tragen. / Mit Unterschied, doch hoffentlich? / Ja wohl; / An Farb’, an Kleidung, an Gestalt verschieden.“ Nathan (wie Anm. Le 59. 30). LLa II, 248 f. 106, 14–17 „Bleibst bis wachse.“: Saladin und der Tempelherr (IV, 4): „Bliebst du wohl bey mir?/ Um mir? – Als Christ, als Muselmann: gleich viel! / Im weißen Mantel, oder Jamerlouk; / Im Tulban, oder deinem Filze: wie / Du willst! Gleich viel! Ich habe nie verlangt, / Daß allen Bumen Eine Rinde wachse.“ Ebd. 308. 106, 15 Jamerlouk: Hçr- oder Lesefehler. Jamerlonk aus: Jaghmrlik. Nach Lessings Vorstellung und Erklrung: „das weite Oberkleid der Araber“. Vgl. Brief vom April 1779 aus Wolfenbttel an den Bruder Karl Gotthelf. LLa XII, 528. „Tulban“: ltere Form fr Turban von pers. dulband. 106, 17–18 Wie Schiller bis warb,“: „Rousseau – der aus Christen Menschen wirbt.“ Zeile aus der 7. Str. von Schillers Gedicht: Rousseau. Anthologie auf das Jahr 1782, hrsg. von E. Blow, Heidelberg 1850, S. 32. 106, 18–19 „Ach! bis heißen.“: Aus dem Gesprch zwischen Nathan und dem Tempelherrn (II, 5): „Ah! wenn ich einen mehr in Euch / Gefunden htte, dem es gngt, ein Mensch / Zu heissen!“ LLa II, 250. 106, 20–24 Das Wesen bis Praxis: Anspielung auf: „Der Mensch ward zum Thun und nicht zum Vernnfteln erschaffen.“ In: Gedanken ber die Herrnhuter (wie Anm. Le 79, 22–23). LLa XI, 23. Vgl. Nathan (I, 2) zu: „andchtig schwrmen“ und „Gut handeln“. LLa II, 205; Ernst und Falk (wie Anm. Le 59, 8–9). Erstes Gesprch, das „die Freymurer“ und „Thaten“ zum Thema hat. LLa X, 256 f. 106, 26–30 Lessing bis (10, 270): Die zitierten Wçrter gehçren in eine Redepassage Falks aus dem zweiten der Gesprche (wie Anm. Le 59, 8–9): „Wenn die brgerliche Gesellschaft auch nur das Gute htte, daß allein in ihr die menschliche Vernunft angebauet werden kann: ich wrde sie auch bey weit grçssern Uebeln noch segnen.“ LLa X, 270. 106, 30–32 Er geht bis 10, 326): Die Wendung von der „vçlligen Aufklrung“ des Verstandes stammt aus § 80 der Erziehung (wie Anm. Le 81, 19–22). LLa X, 326. 107, 13–16 „O Geschichte bis enthlt: „O Geschichte! O Geschichte! Was bist du?“ Aus: Ernst und Falk (wie Anm. Le 59, 8–9). Fnftes Gesprch. LLa X, 301. Zu den weiteren Verweisen: „Das ist: zufllige Geschichtswahrheiten kçnnen der Beweis von nothwendigen Vernunftswahrheiten nie werden“. Aus: Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft (wie Anm. Le 86, 38). LLa X, 36. Außerdem: „Aber auf die historische Wahrscheinlichkeit dieser Wunder die Wahrheit der Religion grnden: wenn das richtig, wenn das auch nur klug gedacht ist!“ Aus: Eine Duplik (wie Anm. Le 93, 1–4). LLa X, 57. 107, 5–19 Die bis angewiesen: Vgl. etwa in Kap. X, Of Miracles, aus D. Hume, An Inquiry Concerning Human Understanding (1748): „And as the evidence derived from witnesses and human testimony is founded on past experience, so it varies with the experience, and is regarded either as a proof or a probability, [. . .].“ Dazu: „Our most holy religion is founded on Faith, not on reason [. . .].“ The Philosophical Works IV, Boston, Edinburgh 1854, S. 127; 149.
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107, 21–22 „Den bis whnen“: Rechas Charakteristik Dajas (Nathan V, 6): „Ist eine von den Schwrmerinnen, die / Den allgemeinen, einzig wahren Weg / Nach Gott, zu wissen whnen!“ LLa II, 349. 107, 30–37 „Nein bis Evangeliums.“: Aus Erziehung (wie Anm. Le 81, 19–22):- „§. 85. Nein; sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je berzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fhlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgrnde zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht nçthig haben wird; da er das Gute thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkhrliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem blos heften und strken sollten, die innern bessern Belohnungen desselben zu erkennen. §. 86. Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbchern des Neuen Bundes versprochen wird.“ LLa X, 327. 108, 6–16 „So bis geben.“: Aus dem schwer datierbaren Nachlaßfragment : Daß man die Menschen eben so von der Begierde ihr Schicksal in jenem Leben zu wissen, abhalten solle, als man ihnen abrth zu forschen, was ihr Schicksal in diesem Leben sey. Lessings Leben II, 243 f. Statt sei (Z. 8): „sey“. Statt vor aus zu wissen geeifert. Wann (Z. 10): „vorauszuwissen, geeifert. Wenn“. Statt unserem (Z. 11): „unserm“. Nach machen? (Z. 12) fehlt ein Satz. Nach abwarten (Z. 14) Komma. Nach Tag? (Z. 14) berspringt D. zwei Stze. Nach wre (Z. 14–15) Komma. LLa XI, 611 f. 108, 28–29 „Am Ganges bis Kçnig.“: Al-Hafi : „Am Ganges, / Am Ganges nur giebts Menschen.“ Nathan: „Der wahre Bettler ist / Doch einzig und allein der wahre Kçnig!“ (Nathan II, 8). LLa II, 258 f. 108, 29–31 „Ordnung bis wohl.“: D. zitiert aus Ernst und Falk (wie Anm. Le 59, 8–9). Zweites Gesprch: „Ordnung muß also doch auch ohne Regierung bestehen kçnnen. [. . .] Ob es wohl auch einmal mit den Menschen dahin kommen wird? Wohl schwerlich! Schade! Ja wohl!“ LLa X, 262 f. 109, 3–15 Der Determinismus bis herrsche: Den Begriff Determinismus, von Lessing nicht gebraucht (vgl. Hebler 151), wendet D. auf Lessings Dramentheorie an (Lessing 109, 13–33; vgl. 75, 15–18) und setzt ihn fr seine Interpretation der anstçßigen Stelle der Emilia (Lessing 109, 34 – 110, 24) voraus. Das theologisch-philosophische Problem des Widerstreits von Determination und Handlungs- und Willensfreiheit wird im Zusammenhang mit den Aufstzen K. W. Jerusalems (Lessing 110, 25 – 112, 19) und dem Gesprch zwischen Lessing und Jacobi (Lessing 113, 30–40) thematisiert. 109, 15 ausnahmlos: Grimm (1854) verzeichnet nach „Ausnahme“ das zugehçrige Adj. lediglich in der von D. gebrauchten Form. 109, 15–20 „Das Genie bis 134): Dramaturgie 30. St. Zum ersten zitierten Satz vgl. Anm. Le 75, 15–17. Der folgende: „Diese auf jene zurck zu fhren, jene gegen diese abzuwgen, berall das Ungefehr auszuschliessen, alles, was geschieht, so geschehen zu lassen, daß es nicht anders geschehen kçnnen: das, das ist seine Sache, wenn es in dem Felde der Geschichte arbeitet, um die unntzen Schtze des Gedchtnisses in Nahrungen des Geistes zu verwandeln.“ LLa VII, 134. 109, 20–22 Das Lehrreiche bis 150): Dramaturgie 33. St. D. verndert leicht: „Zweytens, weil das Lehrreiche nicht in den bloßen Factis, sondern in der Erkenntniß bestehet, daß diese Charaktere un-
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ter diesen Umstnden solche Facta hervor zu bringen pflegen, und hervor bringen mssen.“ LLa VII,150. 109, 22–24 In der bis selber: Vgl. Lessing 75, 30–31 und Anm. 109, 24–27 „auf bis werde.“: Etwas korrekter: Lessing 75, 32–34 und Anm. 109, 28–30 In dem genialen Kopf bis anschaulich: Vgl. Lessing 75, 17–20. 109, 30–33 Ist es bis verlangen: Zur Frage der Schließung aller Theater vgl. Lessings Anspielung auf Solon, der Thespis die Tragçdien verboten haben soll, weil sie die Tatsachen verflschten. Dramaturgie 32. St. LLa VII, 142. 109, 36 Emilia Galotti: Lessings Emilia Galotti wurde am 13. Mrz 1772, anlßlich des Geburtstags der Herzogin Philippine Charlotte von Braunschweig uraufgefhrt. LLa II, 114–189. 110, 2–4 Jene Worte bis Emiliens: Emilia im Dialog mit Odoardo (V, 7): „ Ich habe Blut, mein Vater; so jugendliches, so warmes Blut, als eine. Auch meine Sinne, sind Sinne.“ Ebd. 187. 110, 26–28 In seinen bis Problem: Philosophische Aufstze von Karl Wilhelm Jerusalem, hrsg. von G. E. Lessing, Braunschweig 1776. Zustze des Herausgebers S. 103–116. LLa X, 1–7. Zu D.s Darstellung vgl. Heblers Kapitel: Lessing und Jerusalem, oder Lessing’s Gedanken ber Willensfreiheit, dem D. weitgehend folgt. Hebler 144–164. 110, 32 – 111, 13 „Der Aufsatz bis steht.“: D. gibt Lessings Kommentar zu Jerusalems Aufsatz: Ueber die Freyheit wieder, dem dritten der Philosophischen Aufstze (wie oben Anm. 110, 26–28), S. 111–113: „Der d r i t t e Aufsatz zeiget, wie wohl der Verfasser ein System gefaßt hatte, das wegen seiner gefhrlichen Folgerungen so verschrieen ist, und gewiß weit allgemeiner seyn wrde, wenn man sich so leicht gewçhnen kçnnte, diese Folgerungen selbst in dem Lichte zu betrachten, in welchem sie hier erscheinen. Tugend und Laster s o erklrt; Belohnung und Strafe h i e r a u f eingeschrnkt: was verlieren wir, wenn man uns die Freyheit abspricht? Etwas – wenn es Etwas ist – was wir nicht brauchen; was wir weder zu unserer Thtigkeit hier, noch zu unserer Glckseligkeit dort brauchen. Etwas, dessen Besitz weit unruhiger und besorgter machen mßte, als das Gefhl seines Gegentheils nimmermehr machen kann. – Zwang und Nothwendigkeit, nach welchen die Vorstellung des Besten wirket, wie viel willkommner sind sie mir, als kahle Vermçgenheit, unter den nehmlichen Umstnden bald so, bald anders handeln zu kçnnen! Ich danke dem Schçpfer, daß ich m u ß ; das B e s t e muß. Wenn ich in diesen Schranken selbst so viel Fehltritte noch thue: was wrde geschehen, wenn ich mir ganz allein berlassen wre? einer blinden Kraft berlassen wre, die sich nach keinen Gesetzen richtet, und mich darum nicht minder dem Zufalle unterwirft, weil dieser Zufall sein Spiel in mir selbst hat? – Also, von der Seite der Moral ist dieses System geborgen. Ob aber die Speculation nicht noch ganz andere Einwendungen dagegen machen kçnne? Und solche Einwendungen, die sich nur durch ein zweytes, gemeinen Augen eben so befremdendes System heben liessen? Das war es, was unser Gesprch so oft verlngerte, und mit wenigen [sic] hier nicht zu fassen stehet.“ 111, 20–23 Mit bis sein: Aus Jerusalems Aufsatz: Ueber die Freyheit. Wçrtlich: „Sind unsere Handlungen nicht frey, sagt man, so hçrt aller Unterscheid zwischen Tugend und Laster auf; so hçrt alle Verbindung zwischen unserm gegenwrtigen Verhalten, und unserm Zustande nach dem Tode
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auf; und so ist Gott die unmittelbare Ursache alles moralischen Bçsen, welches wir in der Welt antreffen.“ Philosophische Aufstze (wie oben Anm. 110, 26–28), S. 31. 111, 23–26 Indem bis Vorstellungskraft: Vgl. unten Anm. 112, 4–9. 111, 34 des Weltbesten: Korr. aus der Weltbesten. 112, 1–3 „Es wre bis htte.“: Der zitierte Satz stammt von Lessing, der damit in seinem Brief vom 16. Juli [Juni] 1776 aus Braunschweig an Mendelssohn entschuldigt, aus einer „Anmerkung“ Mendelssohns zum ersten der Aufstze des jungen Jerusalem (Daß die Sprache dem ersten Menschen durch Wunder nicht mitgetheilt seyn kann) nicht mehr entnommen zu haben. Nach gewesen (Z. 1) Komma. Gedankenstriche und Einschub fallen weg. LLa XII, 457. 112, 4–9 Die dritte bis kçnnen.“: Vgl. Jerusalem, aus seinem Aufsatz Ueber die Freyheit: „Daß Gott selbst die Ursache alles moralischen Bçsen ist, lßt sich zwar nicht lugnen. Da aber das moralische Bçse nichts anders ist, als eine Unvollkommenheit, die aus der eingeschrnkten Vorstellungskraft der vernnftigen Geschçpfe entsteht; so scheint es mir auch fr den Schçpfer nicht unanstndiger zu seyn, Wesen zu erschaffen, die aus Mangel von deutlichen Begriffen, ihre Leidenschaften nicht besiegen, als solche, die, aus einer gleichen Ursache, ein Neutonisches Problem nicht auflçsen kçnnen.“ Philosophische Aufstze (wie Anm. Le 110, 26–28), S. 53 f. 112, 13–14 Hebler bis bedrfe: „Es lßt sich gegen den Determinismus, und zwar gerade gegen denjenigen, welcher, wie der Jerusalem’sche und Lessing’sche, auf Gott zurckgeht, einwenden: er sei unvereinbar damit, daß so viele Menschen ihre Bestimmung verfehlen. Der Indeterminist wird kurz antworten: daran seien diese Menschen selbst Schuld. Der Determinist hingegen ist zu einer Theodicee gençthigt.“ Hebler 158. 112, 18 „Ein zweites bis System“: D. nimmt bereits Zitiertes auf. Vgl. Lessing 111, 10–11 und Anm. Le 110, 32 – 111, 13. 112, 24–40 Alles bis Menschen: Zur Frage einer philosophischen Position Lessings vgl. Anm. Le 63, 12 und 70, 36–37. – Das Stichwort Gelegenheitsdenker (Z. 30), von D. offensichtlich negativ gesehen (vgl. Lessing 62, 23; 71, 14), verwendet Hebler so: „Lessing war ein Gelegenheitsdenker in dem großen Styl, wie sogar Leibnitz noch ein solcher heißen mag, und wie Goethe ein Gelegenheitsdichter war, d. h. das gerade Gegentheil dessen, was man mit dem Ausdruck gewçhnlich meint, das Gegentheil eines Menschen, dessen Kopf auf Bestellung und Anstellung fungirt.“ Hebler 116 f. 113, 1–4 Dies bis wrdigen: F. H. Jacobi traf im Juli (5.–11. in Wolfenbttel) und August (erste Augusthlfte in Braunschweig und in Halberstadt bei Gleim) 1780 mit Lessing zusammen. Aus Jacobis Verçffentlichung des entscheidenden Gesprchs mit Lessing ergab sich die Auseinandersetzung mit Mendelssohn, der sog. Pantheismus-Streit, der sich fortsetzte in Jacobis Kontroverse mit Schelling (vgl. Anm. Le 117, 32–35). Im Austausch mit Lessing ging es einmal darum, wie Spinoza zu verstehen sei, zum andern um den Spinozismus Lessing’ s (Lessing 115, 13) – fr Jacobi gleichzusetzen mit Fatalismus und Atheismus. 113, 5–7 Jakobi bis kçnne.“: Jacobi berichtet: „[. . .] wo ich mich sehnte, in ihm die Geister mehrerer Weisen zu beschwçren, die ich ber gewisse Dinge nicht zur Sprache bringen kçnnte.“ Jacobi 10 f.
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113, 8–10 „Meine bis Armen.“: „Meine Reise kam zu Stande, und den fnften Julius Nachmittags hielt ich Leßingen zum erstenmal in meinen Armen.“ Jacobi 11. 113, 12 Gçthe’s Prometheus: Jacobi besaß eine handschriftliche Fassung der noch ungedruckten Hymne Goethes, die er fnf Jahre nach dem Gesprch mit Lessing ohne Wissen des Verfassers auf einem extra eingefgten Blatt in seiner Schrift verçffentlichte. Vgl. dazu DuW 15. Buch. Goethe beschftigte sich wiederholt mit Spinoza, besonders Mitte der 80er Jahre. Zu seiner Studie nach Spinoza vgl. D.s Aufsatz: Aus der Zeit der Spinozastudien Goethes (1894). Ges. Schr. II, 391–415. 113, 12–17 „ich habe bis sehr.“: Die Teile von Lessings Redepartien: „Ich habe kein Aergerniß genommen; ich habe das schon lange aus der ersten Hand.“ „Der Gesichtspunkt, aus welchem das Gedicht genommen ist, das ist mein eigener Gesichtspunkt . . . Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr fr mich; ich kann sie nicht genießen. Ke`n kai` pa˜n! Ich weiß nichts anders. Dahin geht auch dieß Gedicht; und ich muß bekennen, es gefllt mir sehr.“ Jacobi 12. Zu Lessings Ablehnung der „orthodoxen Begriffe“ eines persçnlichen, außerweltlichen Gottes vgl. Lessing 114, 15–17; zur pantheistischen Formel vom All-Einen, in deren Richtung Goethes Prometheus gehe, vgl. Lessing 116, 23–40. 113, 18–19 „Da bis einverstanden?“: Reaktion Jacobis: „Da wren Sie ja mit Spinoza ziemlich einverstanden.“ Jacobi 12. 113, 19–24 Lessing bis Besseres?“: Vgl. „Leßing: Wenn ich mich nach jemand nennen soll, so weiß ich keinen andern. Ich: Spinoza ist mir gut genug: aber doch ein schlechtes Heil das wir in seinem Namen finden! Leßing: Ja! Wenn Sie wollen! . . . Und doch . . . Wissen Sie etwas besseres?“ Ebd. 113, 27–30 Am folgenden Tag bis gestern.“: „So bald wir allein waren, und ich mich an die andre Seite des Tisches, worauf Leßing gesttzt war, niedergelassen hatte, hub er an: Ich bin gekommen um ber mein Ke`n kai` pa˜n mit Ihnen zu reden. Sie erschracken gestern.“ Jacobi 13. 113, 31 „es giebt bis Spinoza,“: „Es giebt keine andre Philosophie, als die Philosophie des Spinoza.“ Ebd. 113, 32–33 „der Determinist bis selbst,“: Vgl. Jacobis Part: „Denn der Determinist, wenn er bndig seyn will, muß zum Fatalisten werden: hernach giebt sich das Uebrige von selbst.“ Jacobi 14. 113, 34 „ich merke bis uns.“: Lessings Antwort: „Ich merke wir verstehen uns.“ Ebd. 113, 35–36 „Ich merke bis Willen.“: „Leßing: Ich merke, Sie htten gern ihren Willen frey. Ich begehre keinen freyen Willen.“ Jacobi 19. 113, 37–40 „Sie bis Wille sei.“: „Leßing: Sie drcken sich beynah so herzhaft aus, wie der Reichstagsschluß zu Augsburg; aber ich bleibe ein ehrlicher Lutheraner, und behalte ‚den mehr viehischen als menschlichen Irrthum und Gotteslsterung, daß kein freyer Will sey, worein der helle reine Kopf Ihres Spinoza sich doch auch zu finden wußte.“ Jacobi 30. Zur Charakterisierung Spinozas vgl. Anm. Le 66, 19. – Die auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 vorgelegte Confessio Augustana gesteht in ihrem 18. Artikel eine gewisse Willensfreiheit zu. Dieser Punkt findet lobende Beachtung in der katholischen Widerlegung, der Confutatio (3. August 1530), die Luthers und Melanchthons Leugnung der Willensfreiheit ausdrcklich verurteilt. Lessing bezieht sich auf den Reichstagsabschied
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Karl V. von 1530: „§. 43. Ferner/ als etliche halten/ daß kein freyer Will sey/ sc. Dieweil dann derselbe Irrthum mit seinem Anhang nicht menschlich/ sonder mehr viehisch/ und ein Gottslsterung ist/ soll der auch nicht gehalten/ gelehrt/ noch gepredigt werden.“ In: Aller des Heiligen Rçmischen Reichs gehaltenen Reichs-Tge, Abschiede [. . .], Franckfurt am Mayn 1720, S. 249. 114, 3–9 „Spinoza bis erschçpft ist.“: Lessings Stze: „Er war aber fern unsere elende Art, nach Absichten zu handeln, fr die hçchste Methode auszugeben, und den Gedanken oben an zu setzen.“ Jacobi 20. „Es gehçrt zu den menschlichen Vorurtheilen, daß wir den Gedanken als das erste und vornehmste betrachten, und aus ihm alles herleiten wollen; da doch alles, mit samt den Vorstellungen, von hçheren Prinzipien abhngt. Ausdehnung, Bewegung, Gedanke, sind offenbar in einer hçheren Kraft gegrndet, die noch lange nicht damit erschçpft ist.“ Jacobi 19 f. 114, 10–13 „Wenn bis machen.“: D. fgt den ersten und letzten Satz eines Abschnitts zusammen: „Wenn sich Leßing eine persçnliche Gottheit vorstellen wollte, so dachte er sie als die Seele des Alls; und das Ganze, nach der Analogie eines organischen Kçrpers.“ Jacobi 34. „Man kçnnte sich aber von der innern Oekonomie eines solchen Wesens mancherley Vorstellungen machen.“ Jacobi 35. 114, 13–15 So bis vorzustellen: Vermutlich bezieht sich D. auf Lessings an Jacobi gerichtete Frage: „Erinnern Sie sich einer Stelle des Leibnitz, wo von Gott gesagt ist: derselbe befnde sich in einer immerwhrenden Expansion und Kontraktion: dieses wre die Schçpfung und das Bestehen der Welt?“ Jacobi 22. 114, 15–22 „Mit der Idee bis zusammentrfen.“: Statt Lessing (Z. 17): „Leßing“. Statt Langeweile (Z. 18) bis wurde (Z. 19): „Langerweile, daß ihm angst und weh dabey wurde.“ Die Wendung „unendlicher Langerweile“ ist fettgedruckt. Nach Tode (Z. 20) Komma. Statt nur (Z. 20): „mir“. Nach Bonnet (Z. 21): „,den er eben jetzo nachlse,“. Statt seinigen (Z. 21): „seinen“. Vor berhaupt (Z. 22): „und“. Statt sehr (Z. 22): „ungemein“. Jacobi 36 f. 114, 21 Bonnet: Ch. Bonnet verçffentlichte, ausgehend von Studien zur Insektologie und Botanik, beeinflußt von Leibniz, naturhistorische und -philosophische Schriften. Lessing kannte Bonnet frh durch Mendelssohns Kritik des Essai de psychologie (1755); vgl. den Brief Lessings vom 18. Februar 1755 aus Potsdam an Mendelssohn. LLa XII, 29. Gedanken zur Fortdauer des Menschen nach dem Tode (114, 19–20) finden sich in Bonnets Palingnsie philosophique (wie Anm. Le 119, 29) II, S. 127–446 (Part. 16–22): Ides sur l’Etat futur de l’Homme. Zu Lessings Bonnet-Lektre vgl. Anm. Le 119, 33–34. 114, 23–25 Derselbe bis abgestoßen wurden: Vgl. D.s Urteil ber die Reaktion Mendelssohns. Lessing 61, 28–30 und Anm. Le 61, 24–30. 114, 26–27 Niemand bis reden: ußerungen dieser Art sind vor dem Druck der Schrift Jacobis bei E. Reimarus und Herder nachzuweisen, nicht bei Mendelssohn. E. Reimarus teilt im Brief vom 14. November 1783 Jacobi das Urteil ihres Bruders ber Jacobis Bericht mit: „Er findet das Gesprch hçchst interessant; ist, im philosophischen Verstande, usserst davon erbaut; sagt, wie ich, es wre als ob man sie beyde wirklich reden hçrte, mit alle dem Scharfsinn und eigenthmlicher Laune.“ In: F. H. Jacobi, Werke IV, 2. Hrsg. von F. Kçppen, Leipzig 1819, S. 188. Herder bemerkt im Brief vom 6. Februar 1784 an Jacobi zu dessen Manuskript: „Uebrigens ist Lessing so dargestellt, daß ich ihn reden sehe und hçre.“ In: Aus Herders Nachlaß, hrsg. von H. Dntzer und F. G. von Herder II, Frankfurt/M. 1857, S. 256. Nach der Publikation von Jacobis Schrift empfiehlt Herder deren Lek-
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tre. Vgl. Gott (1787/1800), drittes Gesprch; das vierte beginnt: „Hier haben Sie Ihr kleines Buch mit Dank wieder. Man hçrt Leßing reden, wenn er auch nur Sylben hervorbringt [. . .].“ Suphan XVI, 494 f. Mendelssohns Erklrung des Gesprchs: „Sie wissen, daß unser Freund mehr Vergngen fand, einen ungereimten Satz mit Scharfsinn behaupten, als die Wahrheit schlecht vertheidigen zu hçren. Er spielte daher vollkommen den aufmerksamen Schler, widersprach nie, sondern stimmte in Alles mit ein, und suchte nur den Discurs, wenn er ausgehen wollte, durch Witzelei wieder in den Gang zu bringen.“ An die Freunde Lessings. Mendelssohn Schriften III, 12. 114, 27–30 Aber bis sollten.“: D. zitiert aus Mendelssohns Satz: „Ich bergehe eine Menge von witzigen Einfllen, mit welchen unser Lessing Sie in der Folge unterhlt, und von denen es schwer ist, zu sagen, ob sie Schckerei oder Philosophie sein sollen.“ An die Freunde Lessings’s. Mendelssohn Schriften III, 22. 114, 32 behauptet: Korr. aus behaupte. 115, 2–8 „Zugleich bis geußert.“: Lessings Leben I, 246. Vgl. den Text in Anm. Le 79, 36. 115, 5 Bayle: In seinem Dictionnaire stellt Bayle in einem ausfhrlichen Artikel Spinoza als „Juif de naissance, & puis deserteur du Judasme, & enfin Athe“ vor. Den Substanzbegriff Spinozas bestreitend, verteidigt er sich selbst bereits gegen den Vorwurf, Spinoza nicht verstanden zu haben. P. Bayle: Dictionnaire historique et critique (1697) IV, Basel 61741, S. 253–271. 115, 9–14 Und bis gestellt: J. K. Dippel (Pseudonym: Christianus Democritus), Theologe, Arzt, Alchemist, war mehr wegen seines Verhaltens als wegen seiner Schriften gegen die kirchlich anerkannte Lehre (z. B. gegen die Bibel als Offenbarung Gottes) mancherlei Verfolgungen ausgesetzt. Er verbrachte einige Jahre im Gefngnis, lebte an wechselnden Orten in Deutschland, den Niederlanden, Dnemark, Schweden und entwickelte sich unter dem Einfluß G. Arnolds zum entschiedenen Pietisten. – Der von Klose angegebenen Spur (Lessing 115, 2–7) ist Danzel ansatzweise nachgegangen. Vgl. Danzel/Guhrauer II,2. 111 (Bruchstck Danzels zu Lessings Philosophie). D. weist selbst in einer nicht in die Ges. Schr. XI aufgenommenen Stelle seiner Rezension: Die neuesten literarhistorischen Arbeiten auf die Bercksichtigung Dippels bei Hettner hin: Ich finde vortrefflich, wenn Hettner hervorhebt, daß Arnold’s Ketzerhistorie das erste deutsche Geschichtswerk sei, daß hier zuerst ein Werk auftrete, das von der zwingenden Einheit eines festen Grundgedankens getragen sei. Aber die Schatten, die Schatten in diesem durch Gelehrsamkeit wie durch wahre Leidenschaft ausgezeichneten Werk! Dagegen geschieht vielleicht dem dritten unter den geschilderten Gliedern der politischen Bewegung, neben Spener und Arnold, einestheils zu viel Ehre durch diese Stellung, wenn man auf den religiçsen Gehalt seines Wesens sieht, anderntheils doch zu viel Abbruch in Bezug auf seine philosophische Stellung. Es will doch etwas sagen, wenn Lessing findet, von allen Gegnern Spinoza’s habe Dippel diesen großen, so schwer faßbaren Denker am Besten verstanden. Und Lessing hat Recht. Aber ber seinen polemischen Scharfsinn und die wahrhaft leidenschaftliche, witzige Energie seiner Polemik hinaus enthalten seine Schriften tiefgedachte, metaphysische Ideen, welche in Jacob Bçhme’s Weg weitergehen. So daß seine Stellung vielleicht doch einige Zge im Bilde fordert, die sie von Spener und Arnold schrfer abheben. WM (wie Anm. Le 59, 3–7), S. 487. 115, 15–16 Die Antwort bis Nothwendigkeit: Dippels Schrift: Fatum Fatuum, das ist / Die thçrige Nothwendigkeit / oder Augenscheinlicher Beweiß / Daß alle / die in der Gotts-Gelehrtheit / und Sitten-Lehre der vernnfftigen Creatur die Freyheit des Willens disputiren / durch offenbahre Folgen
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gehalten sind / die Freyheit in dem Wesen GOttes selbst aufzuheben / oder des Spinosæ Atheismum fest zu setzen. Wobey zugleich die Geheimnsse der Cartesianischen Philosophie entdecket / und angewiesen / wie absurd diese Gauckeley sich selbst vernichtige / und was fr Schaden dardurch im gemeinen Wesen gestifftet worden. In aufrichtiger Liebe zur freyen Warheit ausgefertigt Durch Christianum Democritum. Amsterdam 1709. Im Schlußabschnitt – Erinnerung an die vermuthliche Gegen-Schreiber – nennt Dippel seinen Namen in latinisierter Form, Dippelius. 115, 18–20 Unter bis Willen: Schopenhauer im Zusammenhang mit der Lehre von der Metempsychose oder Palingenesie: „Die hier ausgesprochene große Wahrheit ist auch nie ganz verkannt worden, wenn sie gleich nicht auf ihren genauen und richtigen Sinn zurckgefhrt werden konnte, als welches allein durch die Lehre vom Primat und metaphysischen Wesen des Willens, und der sekundren, bloß organischen Natur des Intellekts mçglich wird.“ Schopenhauer Welt II, 575 im Kap. 41: Ueber den Tod und sein Verhltniß zur Unzerstçrbarkeit unsers Wesens an sich. Zur erwhnten Schopenhauer’schen Theorie vgl. D.s Aufsatz Arthur Schopenhauer (wie Anm. No 223, 8–14), S. 54. 115, 21–25 Also bis hinausschob: D. paraphrasiert den Titel vom Buch Dippels, der zunchst noch weiter zurckgeht auf „Augustini prædestination“. Fatum Fatuum (wie oben Anm. 115, 15–16), Zweyte Abtheilung / Worin die absurditt des Fati aus den Verfechtern selbst an Tag geleget wird. S. [55], 57; dann ber Luther und Calvin zur Teilung der „prædeterminanten in zwey classes“ kommt, von denen die einen „die Wahl zur Verdammnuß und zur Seeligkeit noch vor dem Fall und die Schçpffung selbst stellten“. S. 59. 115, 25–28 „Soweit bis zogen.“: „So weit hatte nun die Lehre von der fatalen Nothwendigkeit die Stuffen einer unvermeidlichen und fatalen confusion erreichet; da schrffere Vernunffts-Geister diese pedantische dispfflte der Priester in reiffere Uberlegung zogen / und erwegten [. . .].“ D. zitiert nur die erste Hlfte des Satzgefges. Ebd. 115, 29–33 Diese bis gewesen: D. referiert mit leichten Vernderungen: „Hier sahe man nun zwey extrema vor Augen: entweder muste man GOtt selbst einer Heucheley beschuldigen / und ihn zum Urheber machen alles Bçsens / das er doch so eyfrig verbietet / oder man muste glauben / daß die Religion, und alle Gesetze der Politie ein Fund kluger Menschen gewesen / die durch diesen Betrug / und die aus solchem Betrug erfolgte Denckbilder / von Furcht und Hoffnung / von Tugend und Laster / von Bçsen und Guten / ihren eigenen Vortheil gesucht / und unter diesem heiligen prætext die andere sich unterthnig gemacht.“ Ebd. S. 60. 115, 34 Spinoza: Gemeint ist hier Descartes; von Hobbes und Descartes spricht Dippel zunchst, darauf von Spinoza. Vgl. unten Anm. 115, 37. 115, 35 Bçses: Korr. aus Bçsen. 115, 35–36 „das bis sei“: Verkrzt, verndert, aus einem grçßeren Satzzusammenhang: „[. . .] und daß man ohnmçglich diese confusion einem Ursprung kçnne zuschreiben / wann man von diesem Ursprung das Denck-Bild hat / daß er heilig / frey / gerecht und weiß sey / [. . .].“ Fatum fatuum (wie oben Anm. 115, 15–16) II, S. 60. 115, 37 „der dritte Gaukler“: Nach Hobbes und Descartes wird Spinoza von Dippel als „ein dritter Gauckler“ abgehandelt. Ebd. II, S. 75.
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115, 37 – 116, 1 „Dieser bis anzugeben.“: „Dieser Dorn-Busch oder Spinosa, sahe alsobald / daß es gleichviel gesagt wrde seyn / Creaturen zu machen / die keine eigene Bewegung haben / und nur leidende unter der fatalen direction der ersten bewegenden Ursach stnden; und die erste bewegende Ursach selbst / als das Wesen aller sogenannten Creaturen anzugeben; so daß nichts zu sehen und zu finden wre / als GOtt und dessen Wesen selbst / wie es sich auf unterschiedene Weise modificiret / oder auf dem Theatro zum Anschauen stellet: [. . .].“ Ebd. II, S. 76. 116, 1–2 Demnach bis Wesens.“: „Daß man deßwegen in Ansehung der unterschiedenen Weisen und Stellungen des Gçttlichen Wesens / die man biß hieher flschlich geglaubet hat / sonderliche substantien zu seyn / besser und grndlicher spreche / die Dinge werden geschaffen / als sie sind geschaffen worden / indem der actus der Schçpffung in alle Ewigkeit einerley sey / und nimmer angefangen / oder aufgehçret; [. . .].“Ebd. II, S. 78. 116, 5–11 Es ist bis zusammentreffen: D. betont das bereinstimmende Spinozaverstndnis von Dippel und Lessing. Die andere Seite: whrend Lessing und selbst Jacobi, der Spinozas Philosophie nicht akzeptiert, ihn aufs hçchste achten, setzt ihn Dippel in seinem Pamphlet aufs ußerste herab – „ein degenerirter Jud“. Ebd. II, S. 76. 116, 11–16 Ja bis zu finden ist: Zur Frage, wer wen ausholte vgl. Lessing 117, 26–35. 116, 16–17 Doch bis eingreift: In den Komplex der Auseinandersetzungen Jacobis mit Mendelssohn ber sein Gesprch mit Lessing gehçren der Bericht ber Lessings durch Jacobi bewirkte Lektre einiger Schriften von F. Hemsterhuis, darunter Ariste (Jacobi 38–41), und der Austausch zwischen Jacobi und Hemsterhuis ber Spinoza (Jacobi 56–113). Jacobis Bekanntschaft mit Hemsterhuis war vermittelt durch Amalie von Gallitzin, zu deren Kreis in Mnster beide gehçrten. Vgl. D.s Rezension: Die Frstin Galitzin (1875). Ges. Schr. XV, 178–183. 116, 23–28 Es ist bis waren: Lessings Fragment: Ueber die Wirklichkeit der Dinge außer Gott stammt aus der Zeit der Beschftigung mit Spinoza in Breslau (vgl. Anm. Le 79, 36). Nachlaßverçffentlichung in: Lessings Leben II, 164–167; dort als erstes von zwei Stcken unter der berschrift: Spinozisterei. LLa XI, 111 f. Es kçnnte fr einen weiteren Brief zum Thema Spinoza an Mendelssohn gedacht sein (vgl. Anm. Le 117, 28–30). Mendelssohn hatte Mai/Juli 1763 ausfhrlich an Lessing geschrieben (LLa XIII, 121–128), u. a. auch zu Spinoza (ebd. S. 126–128), und damit auf den Brief Lessings vom 17. April 1763 aus Breslau (LLa XII, 155–157) geantwortet, der Fragen zu Spinoza enthielt. 116, 26 §. 75: Gemeint ist § 73 der Erziehung, LLa X, 324 f.; vgl. die folgende Anm. 116, 31–38 „Alle bis ausschließt.“: D. kombiniert verschiedene Stellen des Aufsatzes: Ueber die Wirklichkeit der Dinge außer Gott (wie oben Anm. 116, 23–28) mit § 73 der Erziehung (wie Anm. Le 81, 19–22), wobei er ihnen grçßere Bestimmtheit gibt, als sie im fragenden und abwgenden Stil Lessings haben. D.s verkrztes Zitat (Z. 31) ist in folgendem Satz enthalten: „Ist aber ein Begriff davon in ihm; so ist die Sache selbst in ihm; so sind alle Dinge in ihm selbst wirklich.“ Der darauffolgende von D. halb zitierte Satz (Z. 33–34) betrifft die Sicht der Philosophen: „Wenn sie aber bloß dieses wollen, warum sollen nicht die Begriffe, die Gott von den wirklichen Dingen hat, diese wirklichen Dinge selbst seyn?“ Das nchste Zitat (Z. 34–36) setzt die Frage voraus: „Welche Bestimmung hat das Wirkliche außer ihm, wenn nicht auch das Urbild in Gott zu finden wre?“ Daran schließt sich der von D. verkrzte, vernderte und mit dem Klammerzusatz versehene Satz: „Folglich ist die-
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Textgeschichte und Anmerkungen
ses Urbild das Ding selbst, und sagen, daß das Ding auch außer diesem Urbild existire, heißt, dessen Urbild auf eine eben so unnçthige als ungereimte Weise verdoppeln.“ LLa XI, 111. Im letzten Zitat (Z. 37–38) zieht D. § 73 der Erziehung heran. Er lçst einen Nebensatz aus einem lngeren Satzgefge, das Lessing als Frage formuliert: „[. . .] daß auch seine Einheit eine transcendentale Einheit seyn msse, welche eine Art von Mehrheit nicht ausschließt?“ LLa X, 324. 116, 40 – 117, 3 Es ist bis 417): H. Lotze: Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit. Versuch einer Anthropologie, 3 Bde, Leipzig 1856–1864. Die von D. angegebene Passage steht im Kapitel: Von den ersten und den letzten Dingen des Seelenlebens. Ein Ausschnitt zu dieselbe Analogie: „Wir bedenken nicht, daß alle Verhltnisse und Beziehungen wahrhaftes Dasein zunchst nur in der Einheit des beobachtenden Bewußtseins haben, das von einem Element zum andern bergehend, die getrennten durch seine zusammenfassende Thtigkeit umspinnt, und daß jede wirksame Ordnung, jedes Gesetz, welches wir unabhngig von unserem Wissen zwischen den Dingen uns vorstellen mçchten, in ganz gleicher Weise nur Dasein haben kann in der Einheit des Einen, welches sie alle verbindet. Nicht der nichtige Schatten einer Naturordnung, sondern nur die volle Wirklichkeit eines unendlichen lebendigen Wesens, dessen innerlich gehegte Theile alle endlichen Dinge sind, kann die Mannigfaltigkeit der Welt so verknpfen, daß die Wechselwirkungen ber die Kluft hinberreichen, welche die einzelnen selbstndigen Elemente von einander ewig scheiden wrde.“ I, S. 414 f. 117, 8–10 Aus Jakobi bis §. 173.“: In der von D. mißverstndlich wiedergegebenen, das Gesprch raffenden Anmerkung Jacobis heißt es: „Was unmittelbar hier folgt, wurde herbeygefhrt, indem Leßing als des Dunkelsten im Spinoza erwhnte, was auch Leibnitz so gefunden und nicht ganz verstanden htte (Theod. §. 173.).“ Jacobi 15. 117, 11–15 „Spinoza bis hat.“: G. W. Leibniz: Essais de Thodice (1710), 2 Bde, Amsterdam 1747. Der von D. verkrzend bersetzte Abschnitt des § 173 vollstndig: „Spinosa est all plus loin: il paroit avoir enseign expressement une necessit aveugle, ayant refus l’entendement et la volont l’auteur des choses, et s’imaginant que le bien et la perfection n’ont rapport qu’ nous, et non pas luy. Il est vray que le sentiment de Spinosa sur ce sujet a quelque chose d’obscur. Car il donne la pense Dieu, apr s luy avoir t l’entendement, c o g i t a t i o n e m , n o n i n t e l l e c t u m c o n c e d i t D e o .“ Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz I–VII, hrsg. von C. J. Gerhardt, Berlin 1875–1890. Hier VI (1885), S. 217. 117, 15–18 Gerade bis anzunehmen: F. A. Trendelenburg: Ueber die aufgefundenen Ergnzungen zu Spinoza’s Werken und deren Ertrag fr Spinoza’s Leben und Lehre. In: Ders., Historische Beitrge zur Philosophie III, Berlin 1867, S. 277–398; bes. S. 376–398. Vgl. D.s Mitteilung Weihnachten 1866 im Brief an den Bruder vom Gesprch mit Trendelenburg ber die noch ungedruckte SpinozaAbhandlung. JD 226 f. 117, 19–21 wie es bis gegrndet“: D. knpft an Zitiertes an, vgl. Lessing 114, 3–9 und Anm. 117, 21–23 vielmehr bis bereinstimmt: Als die ersten Thesen bezeichnet D. vermutlich entsprechende Stellen aus Jacobis Brief an Hemsterhuis. Vgl. „Von den verschiedenen Aeusserungen des Seyns fließen einige unmittelbar aus seinem Wesen. Dergleichen sind das absolute und reelle Continuum der Ausdehnung und des Denkens.“ Jacobi 62. Die ganze Passage (vgl. Anm. Le 114, 3–9) nennt Mendelssohn einen von Lessings „Luftsprngen“. Jacobi, Werke (wie Anm. 114, 26–27) IV, 2. S. 82. Jacobi nimmt sie, veranlaßt durch Herder, noch einmal auf. Ebd. S. 88.
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117, 27–28 daß Lessing bis Spinoza: Berufung Jacobis auf Mendelssohn: „Mendelssohn hat çffentlich gezeigt, daß die Harmonia praestabilita im Spinoza steht.“ Jacobi 24. Quelle fr Jacobi sind die Philosophischen Gesprche (1755) Mendelssohns; vgl. Schlußabschnitt des ersten: „Sagen Sie mir, wrden diese Leute, wenn Leibnitz frei gestanden htte, daß er das Wesentliche seiner Harmonie von Spinosa entlehnte, wrden diese Leute nicht schon in dem Namen ‚Spinosa die Widerlegung derselben zu finden geglaubt haben?“ Mendelssohn Schriften I, 202. 117, 28–30 er selber bis Mendelss.): D. verweist auf den aus dem Nachlaß publizierten Text: Durch Spinoza ist Leibnitz nur auf die Spur der vorherbestimmten Harmonie gekommen. Es ist das zweite der mit Spinozisterei berschriebenen Stcke (vgl. Anm. Le 79, 36 und 116, 23–28). Untertitel: (An Moses Mendelssohn). Lessings Leben II, 167–170. LLa XI, 112 f. – Der Brief Lessings vom 17. April 1763 aus Breslau an Mendelssohn (vgl. Anm. Le 116, 23–28) stimmt weitgehend damit berein. Lessing knpft an das erste der Philosophischen Gesprche Mendelssohns an (vgl. oben Anm. 117, 27–28); der Fragmenttitel gibt seine Ansicht wieder. brigens fand dieser Disput rund zwanzig Jahre vor dem Gesprch Lessings mit Jacobi statt. LLa XI, 112. 117, 32–35 so kann bis durfte: Anspielung auf die vielleicht ber Hebler 117 vermittelte Formulierung Schellings: „Ohne auf die Frage einzugehen: wer von beyden eigentlich den andern ausholte, (nmlich w i r k l i c h ), leuchtet so viel hervor: Leßing, wie es im augenblicklichen Erguß des Gesprchs geschieht und seine besondere Art noch berdieß mit sich brachte, drckt vieles schneidend und entscheidend aus, was immer noch, wie man sagt, cum grano salis verstanden werden muß.“ In: F. W. J. Schelling’s Denkmal der Schrift von den gçttlichen Dingen sc. des Herrn Friedrich Heinrich Jacobi und der ihm in derselben gemachten Beschuldigung eines absichtlich tuschenden, Lge redenden Atheismus, Tbingen 1812, S. 46. 118, 3–4 „zweiten bis System“: Vgl. Lessing 111, 10–13; Anm. Le 110, 32 – 111, 13. 118, 6–11 Ich denke bis Bedeutung: „Das ‚zweite System ist ganz einfach die Lehre von der Seelenwanderung selbst.“ Hebler 157. 118, 18–23 Es bis Zusammenfassung: Hinweis auf die von Spinoza in Ethica (wie Anm. No 224, 36–37) V, bes. Propositio 36–42 entwickelten Vorstellungen; D. erwhnt sie in seiner Habilitationsschrift (1864). Ges. Schr. VI, 22. Seine Darstellung Alfieris, Gewinn der Freiheit durch berwindung der Affekte, ist daran orientiert. Vgl. Anm. Al 295, 17–21. 118, 26–28 Und zwar bis hat: Leibniz zum Gedanken der Entwickelung: „Car des choses plus releves que celles que nous pouvons connoistre dans ce present train de vie, se peuvent developper un jour dans nos ames, quand elles seront dans un autre estat.“ Nouveaux Essays (1765) I, 1. §. 5. Die phlosophischen Schriften (wie oben Anm. 117, 11–15) V (1882), S. 76. Der Begriff gehçrt zur Prformationstheorie Bonnets. Vgl. Anm. Le 120, 33–40. 118, 28 deutsche Bewegung: Vgl. intellektuelle Bewegung Lessing 63, 31–32; den Titel der Basler Antrittsvorlesung 12, synonym: geistige Bewegung, ebd. 13; Ges. Schr. XI, 118 (Schlosser); außerdem politische Bewegung Anm. Le 115, 9–14. – Bewegung ist seit der Julirevolution in Frankreich gebruchlich im sozialen/politischen Bereich; vgl. z. B. die Arbeit von L. Stein, Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage (1850); L. Eckardt, Deutschçsterreich in seinen Beziehungen zu Deutschland. Eine den Fhrern der deutschen Bewegung gewidmete Denkschrift (1863). Von da wohl bertragen auf Kultur- und Literaturgeschichte, „die geistige Be-
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wegung“ z. B. bei J. Schmidt, Geschichte der Deutschen Literatur seit Lessing’s Tod I (51866). Vorrede. Entsprechend in D.s Einleitung zu Schleiermacher. Ges. Schr. XIII,1. S. XXXVI und XLIII f.; auch Novalis 202, 39; 216, 220, 15–16. 118, 38 – 119, 7 §. 98 bis mein?“: D.s leicht vernderte Wiedergabe der letzten Paragraphen von Lessings Erziehung. Vgl. „§. 98. „Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf Einmal so viel weg, daß es der Mhe wieder zu kommen etwa nicht lohnet? §. 99. Darum nicht? – Oder, weil ich es vergesse, daß ich schon da gewesen? Wohl mir, daß ich das vergesse. Die Erinnerung meiner vorigen Zustnde, wrde mir nur einen schlechten Gebrauch des gegenwrtigen zu machen erlauben. Und was ich auf itzt vergessen muß, habe ich denn das auf ewig vergessen? §. 100. Oder, weil so zu viel Zeit fr mich verloren gehen wrde? – Verloren ? – Und was habe ich denn zu versumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?“ LLa X, 329. 119, 11–12 Schopenhauer bis wiederaufgenommen: Vgl. Das Kap. Ueber den Tod in Schopenhauer Welt II (wie Anm. Le 115, 18–20). 119, 12–18 Und Lotze bis thun.“: Mikrokosmus (wie Anm. Le 116, 40 – 117, 3) III (1864). Zitat aus dem zweiten Kapitel: Der Sinn der Geschichte. Großschreibung des Zitatanfangs. Nach daß (Z. 15) und uns (17) Komma. 119, 26–28 „in Bonnet bis zusammentrfen.“: D. nimmt die bereits angefhrte Stelle leicht verndert und mit kommentierendem Einschub wieder auf. Vgl. Lessing 114, 20–22 und Anm. Le 114, 15–22. 119, 29 Bonnet’s Palingenesie: Ch. Bonnet, La Palingnsie philosophique, ou Ides sur l’tat pass et sur l’tat futur des tres vivans, 2 Bde, Geneve 1769. 119, 29–30 Lessing’s Aufsatz bis lesen: Daß mehr als fnf Sinne fr den Menschen seyn kçnnen. Nachlaßverçffentlichung in: Lessings Leben II, 192–197. Eine genauere Datierung als die von D. angenommene (Lessing 120, 3–4) ist nicht mçglich. LLa XI, 458–460. 119, 33–34 Lessing bis gelesen: Jacobi, Kenner Bonnets, gibt Hinweise auf Lessings Bonnet-Lektre: „Die Schrift des Bonnet, welche Leßing damals nachgelesen, ist wohl keine andre, als die Ihnen wohl bekannte Palingenesie gewesen; und der VII. Abschnitt des I. Theils, in Verbindung mit dem XIII. Hauptstcke des IV. Abschnittes der Contemplation de la nature, worauf Bonnet sich daselbst bezieht, wird vermuthlich die Ideen, welche Leßing meinte, in sich haben.“ Jacobi 37. Betrifft der genannte Abschnitt der Contemplation de la nature, 2 Bde, Yverdon 31767 die zunehmende Vervollkommnung des Menschen („vous irez ternellement de perfection en perfection“ I, S. 126), so der „VII. Abschnitt des I. Theils“ der Palingnsie (wie oben Anm. 119, 29) das in vernderter Form angenommene Fortleben der Tiere (On comprend de reste par tout ce que je viens de crayonner, qu’il ne faudroit pas s’imaginer, que les Animaux auront dans leur Etat Futur la mÞme Forme, la mÞme Structure [. . .] que nous leur voyons dans leur Etat actuel.“ I, S. 184). 120, 20–22 Und bis 11, 459): D. bezieht sich mit der angegebenen Stelle (LLa XI, 459) auf das Fragment: Daß mehr als fnf Sinne (wie oben Anm. 119, 29–30), besonders auf Punkt 11: „Sobald die Seele Vorstellungen zu haben anfing, hatte sie einen Sinn, war sie folglich mit Materie verbunden.“
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120, 24–28 Empfindung bis Sinnen: Der Darstellung D.s entspricht eine Stelle der Analyse abrge de l’Essai analytique, die der Palingnsie vorausgeht: „Un Etre-mixte ne sent & n’apperÅoit qu’ l’aide des Sens. Toutes ses Sensations, toutes ses Perceptions sont toujours dans un rapport dtermin au nombre & la qualit de ses Sens.“ In: Palingnsie (wie Anm. Le 119, 29) I, S. 37. 120, 28–31 „Wir bis einnehmen.“: „Nous n’avons des Ides que par les Sens: c’est en comparant entr’elles les Ides sensibles, c’est en gnralisant que nous acqurons des Notions de diffrens genres. Notre capacit de conno tre est donc limite par nos Sens; nos Sens le sont par leur structure; celle-ci l’est par la place que nous occupons.“ Bonnet zitiert in diesem Falle aus den Darlegungen eines „Anonyme“, mit dem er offensichtlich bereinstimmt. Palingnsie (wie Anm. Le 119, 29) II, S. 408 f. 120, 33 das heißt die Vervollkommung: Grimm (1956) verzeichnet das Substantiv in dieser Form, gebraucht z. B. von Herder, neben Vervollkommnung; das korr. aus daß. 120, 33–40 „Der Keim bis erlangen kçnnten.“: D.s Zitat stimmt bis auf den Anfang weitgehend mit Nr. 779, Kap. XXV von Bonnets Essai analytique sur les Facults de l’Ame, Kopenhagen 1760 berein. „Il est de mÞme possible que nous acquerrions de nouveaux Sens, par le dveloppement du Germe dont je parlois [. . .]. Ces nouveaux Sens nous manifesteront dans les Corps des Propriets qui nous seront tojours inconnues ici bas. [. . .] Nous ne connoissons les diffrentes Forces rpandus dans la Nature, que dans le rapport aux diffrens Sens sur lesquels elles dployent leur action [. . .] Combien est-il de Forces dont nous ne soupÅonnons pas mÞme l’existence, parce qu’il n’est aucun rapport entre les Ides que nous acquerrons par nos cinq Sens, & celles que nous pourrions acqurir par d’autres Sens!“ S. 501 f. Bonnet nimmt diese Stelle ohne das erste Satzgefge in der Palingnsie auf, aus der D. vermutlich zitiert, Bonnets dort einleitenden Abschnitt auffallend verkrzend; er heißt: „Il ne nous est pas non plus fort difficile de concevoir, que le Germe du Corps spirituel, peut contenir d s prsent les Elmens organiques de nouveaux Sens, qui ne se dvelopperont qu’ la Rsurrection.“ Palingnsie (wie Anm. Le 119, 29) II, S. 420. 121, 1–3 Nicht bis Materie aus: Bonnet spricht vom „Secret de la composition du Fluide magntique, du Fluide lectrique“, hebt andererseits die Erweiterung der Erkenntnisse durch die Erfindung des Mikroskops hervor. Palingnsie (wie Anm. Le 119, 29) II, S. 36. Vgl. die folgende Anm. 121, 2 Phantasie Lessing’s: „[. . .] so kçnnen und werden gewiß, z. E. der elektrischen Materie, oder der magnetischen Materie ebenfalls besondre Sinne entsprechen, durch welche wir es unmittelbar erkennen, ob sich die Kçrper in dem Stande der Elektricitt, oder in dem Stande des Magnetismus befinden [. . .].“ Daß mehr als fnf Sinne (wie Anm. Le 119, 29–30). Aus Punkt 17. LLa XI, 459; bei Bonnet in dieser Form nicht ermittelt. 121, 4–13 „Jedes bis bevorstehe: D. geht leicht verndernd in willkrlicher Reihenfolge auf die Punkte 12–17 des Fragments ein: Daß mehr als fnf Sinne (wie Anm. Le 119, 29–30): „Stubchen, die der Seele zu einerley Sinne dienen, machen homogene Urstoffe.“ (14) „Denn ein organischer Kçrper ist die Verbindung mehrerer Sinne.“ (aus 12) „Wenn man wissen kçnnte, wie viel homogene Massen die materielle Welt enthielte: so kçnnte man auch wissen, wie viele Sinne mçglich wren.“ (15). LLa XI, 459. Zu 121, 9–13 vgl. oben Anm. 121, 2. 121, 21–23 Man gebe bis kann!: Wie wichtig D. die hier entwickelte Vorstellung von der Palingenesie war, zeigt der sptere Verweis auf gerade den Punkt seines Aufsatzes und die davon ausgehende Kontroverse mit C. Rçßler (Tg. Le, Zur Rezeption) in Einleitung 102.
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Textgeschichte und Anmerkungen
121, 32–35 Lessing bis vergleichen: Der von D. angedeutete Zusammenhang handelt von den Charakteren dramatischer Figuren, ihrer „innern Wahrscheinlichkeit“ oder der bereinstimmung mit der Rolle, die sie in der Geschichte gespielt haben. „[. . .] daß, ob sie schon nicht aus dieser wirklichen Welt sind, sie dennoch zu einer andern Welt gehçren kçnnten; zu einer Welt, deren Zuflligkeiten in einer andern Ordnung verbunden, aber doch eben so genau verbunden sind, als in dieser; zu einer Welt, in welcher Ursachen und Wirkungen zwar in einer andern Reihe folgen, aber doch zu eben der allgemeinen Wirkung des Guten abzwecken; kurz, zu der Welt eines Genies, das – (es sey mir erlaubt, den Schçpfer ohne Namen durch sein edelstes Geschçpf zu bezeichnen!) das, sage ich, um das hçchste Genie im Kleinen nachzuahmen, die Theile der gegenwrtigen Welt versetzet, vertauscht, verringert, vermehret, um sich ein eigenes Ganze daraus zu machen, mit dem es seine eigene Absichten verbindet.“ Dramaturgie 34. St. LLa VII, 151 f. 121, 35–37 In diesem Sinne bis vorstellt: Nicht ermittelt. Anklnge bei Bonnet: „La construction des Machines animales“. Palingnsie (wie Anm.Le 119, 29) I, S. 195. 121, 37–38 In diesem Sinne bis nachzuspren: Die von D. gebrauchte Wendung (Z. 37–38) ist oben Anm. 121, 32–35 im Zusammenhang zitiert. LLa VII, 152. 122, 1–9 „Sieh! bis Volk?“: Nathan zu Rechas Wunderglauben (I, 2). Nach Augenbraunen (Z. 3) Komma. Statt Eine (Z. 5): „eine“. Statt Maal (Z. 6): „Mahl“. Statt entkommst dem Feu’r (Z. 8): „entkçmmst dem Feur“. Der letzte Vers: „Das wr’ kein Wunder, wunderscht’ges Volk?“ LLa II, 202. 122, 12–17 Streitfrage bis Monismus: Vgl. dazu D.s sptere Sicht (1901), in der Lessing „nur die abschließende Formulierung“ der Ergebnisse seiner Vorgnger Spinoza und Leibniz zugesprochen wird. Ges Schr. III, 241 f. 122, 17 Monismus: Vgl. zu der von D. fr Lessing in Anspruch genommenen Widerlegung der dualistischen Weltansicht Lessing 116, 24–25; 118, 28–31. 122, 17–19 Auch bis nennt: Lessings Beziehung zu Leibniz und Spinoza abwgend, bemerkt Hebler: „Durch dieses Alles gewinnt nun schließlich auch jener Pantheismus oder besser: Panentheismus Lessing’s eine etwas andere Bedeutung.“ Hebler 137. Zu D.s Verwendung des Begriffs Panentheismus vgl. seine Abhandlung: Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert (1891/92). Ges. Schr. II, 65, 77. 122, 23–28 Diese bis hinaus: Zu D.s Ziel vgl. Novalis 200, 11 – 201, 40; 233, 27–37; 249, 35– Schluß. 122, 34–36 Von bis soll: Zu Gottsched und Bodmer vgl. Anm. Le 64, 1–2. 122, 37 – 123, 18 Nicht so bis bedingt ist: Weitere Belegstellen zu Epochengrenze und Literaturgeschichte Anm. Le 63, 28–32. 123, 12–18 Es folgt bis bedingt ist: Zum Charakter unserer Literatur vgl. Anm. Le 105, 20–25. 123, 26–27 Er bis Geistes: Vgl. den Anfang dieses Aufsatzes, dazu Steinmetz 39 und 42.
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Ueber die Einbildungskraft der Dichter. Entstehung und berlieferung Erste Erwhnung eines geplanten Aufsatzes ber Goethe in einem Brief an E. Reimer, undatiert, vermutlich nach dem Tod des Vaters, Sptsommer 1867: Ich werde im Winter ber Lessing Schiller und Gçthe lesen, sodaß Sie nach Vollendung des ersten Bandes einen (hoffenlich sehr glnzenden!) Essay ber Gçthe erhalten werden fr die Jahrbcher. Verlags-Archiv de Gruyter Berlin. D. an M. Lazarus am 2. Dezember 1876 aus Breslau: Gern lçse ich mein Versprechen und schreibe fr die Zeitschrift eine Anzeige des Grimm’schen Buches. In: Moritz Lazarus und Heymann Steinthal II, 2, hrsg. von I. Belke, Tbingen 1986, S. 789. Am 6. Februar 1877 bemerkt H. Grimm, benachrichtigt von der Geburt Clara D.s: „brigens erwarte ich den ‚Goethe nun um so sicherer [. . .].“ Dilthey-Nachlaß, Niederschsische Staats- und Universittsbibliothek Gçttingen. Autographenmappe Clara Misch, geb. Dilthey. Auf den bald erscheinenden Aufsatz bezieht sich Steinthal am 26. August 1877 im Brief an H. Usener: „Dilthey, von dem das nchste Heft unserer Zeitschrift (das wohl noch im September erscheinen wird) einen lngeren Aufsatz ber die Phantasie des Dichters bringen wird, erwhnt darin, daß die Frage um die Interpretation seit Schleiermacher und Bçckh nicht vorgerckt sei.“ In: Moritz Lazarus und Heymann Steinthal (wie oben), S. 505. Mit seinem Brief vom 15. November 1877 aus Breslau schickt D. einen Separatabdruck an den Grafen P. Yorck von Wartenburg: Hier, verehrter Graf, prsentiert sich die „Einbildungskraft“ schchtern als jemand, von dem man bei flchtiger Begegnung eine zu gute Meinung gefaßt hat. In: K. Grnder, Zur Philosophie des Grafen Paul Yorck von Wartenburg, Gçttingen 1970, S. 258. E: EH: D1: D2: D3: D3:
ZV X (1878), Heft 1 [1877], S. 42–104. Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey D 161 (288). EuD1, S. 137–200. EuD2, S. 159–248. EuD3, S. 175–267. In weiteren unvernderten Auflagen bis zur heutigen, EuD16.
Textwiedergabe nach E. Handschriftenbefund Die vermutlich erste Bearbeitung des Goethe-Aufsatzes von D.s Hand in einem gebundenen Separatabzug, D 161 (288), wird im Bd. XXVI der Ges. Schr. bercksichtigt. Vgl. Zu Edition und Benutzung des Bandes XXV.
Zur Rezeption Unter ersten ußerungen zu D.s Rezension der Vorlesungsreihe H. Grimms finden sich briefliche Urteile, direkt von P. Yorck von Wartenburg und vermittelt durch den Brief von M. Lazarus an P. Heyse. Sie sind zugleich Beleg fr die Erscheinungszeit der Arbeit D.s. Den Briefwechsel zwischen dem Grafen Yorck von Wartenburg und Dilthey erçffnet der Brief Yorcks vom 23. November 1877: [. . .] Ihre Abhandlung ber die dichterische Einbildungskraft war mir in ihren Grundzgen, theilweise auch in der Ausfhrung bekannt. Die Lektre der vollendeten Arbeit in dem meinem
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Denken entsprechenden langsamen Tempo hat mir einen neuen und ungleich grçßeren Genuß gewhrt. Ich wnschte an Ihrer Arbeit nichts anders als es ist. Auch wo, wie bei dem Passus ber Wolfram und Gottfried, der Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen kein nothwendiger zu sein scheint, ist mit so feinem, sinnigem Verstndniß die Seele der Erscheinung berhrt, daß der scheinbare berfluß nichts als Gewinn ist. berdem ist das Problem weit und in seiner ganzen Complexitt – allein richtig – gefaßt, – so bleibt nur eine Unverhltnißmßigkeit brig, die zwischen Veranlassung und Leistung. Das Beste an dem Grimmschen Buche ist Ihre Arbeit hervorgerufen zu haben. – Ihre Arbeit ist mir werth durch das, was ausgesprochen ist, nicht minder aber durch das, was zwischen den Zeilen steht, durch ihre vorurtheilsfreie Methode, die dem Vorwurfe selbst entnommen, nicht von Außen herangebracht ist, wie durch ihr Ergebniß. Wichtiger vielleicht ist die Durchfhrung ersterer innerhalb eines Gebietes der Geisteswissenschaft. Allein d i e Besorgniß kçnnte wach werden, daß der Vortrag ein zu esoterischer sei, um wie wnschenswerth, ja nothwendig, zu znden. Jener Charakter aber entspricht dem Wesen der Leistung. Vornehmes trgt vornehm Gewand und die Perlen taugen nicht als Mastfutter. Die ruhige Entschiedenheit, mit der Sie allen Hypothesenkram zur Seite schieben, das sittliche Verhalten dem Probleme gegenber, die Grazie, mit der ohne jegliche Verletzung der Person durch positive Leistung Kritik gebt wird, sind gleich erfreulich und nachahmenswerth. Ich habe seit langer Zeit nichts gelesen, in dem die Person des Schriftstellers, die gegenwrtig sich stets in den Vordergrund zu stellen pflegt, so ganz aufginge in der Sache. Wenn Sie von Goethe mit Recht sagen, in selbstloser Betrachtung sei er gleichsam ganz Auge gewesen, wenn Sie solche Stimmung in ruhiger Klarheit preisen, so darf ausgesprochen werden, daß aus gleichem Verhalten, aus gleicher Stimmung ihre Arbeit hervorgegangen ist. Hier ist besser als es Ranke in seinen großen Arbeiten gelungen, dessen Objektivitt mehr oder weniger Hegelscher Art ist, das Selbst ausgelçscht und die Sache zum Reden gebracht worden, zugleich aber das Selbst in hçchstem Grade lebendig gewesen, indem es die Sache erlebte. Kurzum die Arbeit ist nicht nur ihrem Gegenstande nach sondern an sich poetisch, obschon der Gang der Untersuchung streng analytisch ist, in wissenschaftlicher Hinsicht ihr grçßter Vorzug. Hier ist ein Beispiel streng analytischer Methode, an dem die Naturwissenschaftler ein Vorbild nehmen mçgen. Die Synthesis aber ist auch hier wie berall das Erste, nur daß sie die Zusammenfassung und -Schauung der Sache selbst ist, kein Theil sondern die sachgemße Voraussetzung der analytischen Untersuchung, whrend sie in unserer gesammten N a t u r w i s s e n s c h a f t , in so fern sie nicht in die Grenzen der Mathematik gehçrt, als außer der Sache liegende und deshalb willkrliche Hypothese auftritt, welche als Theil der folgenden Zerlegung die Analysis zur Unwahrheit macht. Hier ist ein thatschlicher Protest der Empirie gegen den Empirismus. Vorstehendes in Eile als Ausdruck meiner Freude. Ein Mehreres mndlich zu guter Stunde. [. . .]. B Yorck 2. Ebenso anerkennend muß sich P. Heyse ber D. und das ganze Heft der ZV geußert haben, wie aus dem Brief von Lazarus an Heyse vom 22. Dezember 1877 hervorgeht: [. . .] Dass Dir unser Heft so gut gefallen, hat mich recht gefreut. Deine Hoffnung aber auf die anderen Sachen von Dilthey wirst Du, frchte ich, nicht befriedigt finden. Nur vielleicht der Aufsatz ber Dickens in Westermanns Monatsheften, den ich aber noch nicht gelesen, da mir erst vor wenigen Tagen zugekommen, drfte von gleicher Art sein. Sonst hat er vordem nicht so voll ins Leben gegriffen, keine wahrhaft psychologische Schau gehabt; ich glaube auch, dass dies der Grund ist, weshalb er mich 10–12 Jahre auf einen Beitrag zur Zeitschrift immer wieder nur vertrçstet hat. Was aber sagst Du dazu, dass nicht blos Herrmann Grimm [sic!] sehr unzufrieden damit ist – dies mag hingehen, denn von ihm ist ja nicht allzuviel und nicht so die Rede in dem Aufsatz, wie er es wnschen mochte – sondern wie dieser mir sagt, auch Julian Schmidt und Wilh[elm] Scherer fnden die Arbeit ‚sehr
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unbedeutend, eigentlich leer[]; denn – ipsissima verba! – denn ‚von naiven und sentimentalen Dichtern htte man immer schon geredet. [. . .]. Moritz Lazarus und Heymann Steinthal (wie oben unter Entstehung), S. 677.
Anmerkungen 125, 2–3 Mit Rcksicht bis 1877: H. Grimm, Goethe, Vorlesungen gehalten an der Kgl. Universitt zu Berlin, 2 Bde, Berlin 1877. Nach Grimms Angaben (21880 Vorbemerkung) erschienen die Vorlesungen vom WS 1874/75 und SS 1875 bereits 1876. Vgl. die folgende Anm. 125, 4–5 Gern bis haben: Vgl. Entstehung dieses Aufsatzes, Brief D.s an M. Lazarus vom 2. Dezember 1876 mit der Zusage, Grimms Buch anzuzeigen. – Die Schreibung des Vornamens von W. Grimms ltestem Sohn Herman wird von D. und andern Autoren inkonsequent gehandhabt. 125, 6–7 ist doch bis Geschichtsforschung: Zu Erkenntnis großer Individuen als Gegenstand der philosophischen Geschichtsforschung (Z. 6–7) vgl. E Goethe 169, 25–32 und Anm. 125, 8 Richtung dieser Zeitschrift: D. war mit den Herausgebern der ZV in den 50er und 60er Jahren befreundet und beurteilte Plan und Ziel dieser Zeitschrift skeptisch (JD 51, 69; B Scholz 442). M. Lazarus und H. Steinthal suchten Vçlkerpsychologie als Wissenschaft zu begrnden, die teilhat an Psychologie, Anthropologie und Geschichte, neben der individuellen „die Psychologie des gesellschaftlichen Menschen oder der menschlichen Gesellschaft“ sei. Vgl. den gemeinsamen Einleitungsaufsatz in ZV I (1860), S. 5. Dort auch ein Hinweis auf „Gçthe, diese Persçnlichkeit von seltener Kraft und Grçße“. S. 55. 125, 10–23 Bacon bis Ranges: Die zitierte lateinische Stelle ist ein abgeschlossener Satz. Statt inveniuntur subjecta: „Inveniuntur autem subjecta“. Komma nach impedimenti von D. „Es finden sich aber auch Gegenstnde, in denen die untersuchte Eigenschaft durchaus vorherrschend ist, und dies entweder aus Mangel an Hindernissen oder aus ihrer alle anderen Eigenschaften berstrahlenden Kraft.“ F. Bacon, Novum Organon II, Aphorismus XXIV. Neues Organon II, hrsg. von W. Krohn, Hamburg 1990, S. 385. D.s Beispiel fr diese Erscheinung ist an erster Stelle Goethe; aber auch Alfieri und Dickens gehçren dazu. Vgl. Anm. Al 295, 23–24; Dickens 365, 22–24. 125, 14 Geisteswissenschaften: Auch E Goethe 137, 28. D. wechselt zwischen Wissenschaften des Geistes, Novalis 223, 5–6, und Geisteswissenschaften, Brief an den Bruder vom Mrz 1868, JD 256; Leben Schl XIII,1. 207; 380. 1875 spricht er von moralisch-politischen Wissenschaften, Studium 31 u. ç., und schwankt zwischen dieser Bezeichnung und Geisteswissenschaften noch in den Notizen zur Fortsetzung der Studium-Abhandlung. Ges. Schr. XVIII, 221. – W. Wundt setzt 1874 in seinen berlegungen zur Position der Psychologie „Natur- und Geisteswissenschaften“ einander gegenber. Grundzge 4. 125, 27–28 Lachmann’s Lessing bis Classikers: Die Lachmannsche Ausgabe (LLa), von D. fr seinen Lessingaufsatz intensiv genutzt, galt als Muster einer Edition. So Guhrauer, der in seiner Lachmann gewidmeten Schrift die Neuerung, einen deutschen Autor wie einen antiken zu edieren, besonders hervorhebt. Lessing’s Erziehung (wie Anm. Le 63, 6–8), Widmung. Vgl. unten Anm. 126, 12–16.
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125, 29–30 Herstellung bis Methode: Gemeint sind die sog. Hempelsche Ausgabe der Werke Goethes und Goedekes Ausgabe von Schillers Werken: Schillers smmtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. von K. Goedeke u. a., 17 Bde, Stuttgart 1867–1876. – Goethe’s Werke. Nach den vorzglichsten Quellen revidirte Ausgabe, 36 Tle, hrsg. von W. Frhn von Biedermann u. a. Berlin: Hempel [1868–1879]; vgl. D.s Anzeige (1878) von Tl. 33, den Schriften zur Morphologie, Mineralogie, Geologie. Ges. Schr. XVII, 181. 126, 1–4 Jeder Abschluss bis verschließt: hnlich D.s Klage in seiner Besprechung: Goethe und Corona Schrçter (wie unten Anm. 126, 26–30), S. 199 f. Der Nachlaß Goethes blieb gesperrt bis 1885, bis zum Tode des Enkels Walther von Goethe, und fiel dann testamentarisch an die Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar. Im selben Jahr Grndung des Goethe-Archivs, das D. den ersten bedeutenden Sammelpunkt fr deutsche literarhistorische Forschung nennt. Archive R 8. 126, 12–16 Es bis zu erleben: Der junge Goethe. Seine Briefe und Dichtungen von 1764–1776. Mit einer Einleitung von M. Bernays, 3 Bde, Leipzig 1875. Bernays bezieht sich wie D. (E Goethe 125, 27–29) auf das Vorbild Lachmanns und rechtfertigt „die Anwendung der philologischen Methode“. I, S. VI f. An der Edition, deren Grundlage die Sammlung des Verlegers S. Hirzel ist, war er vermutlich strker beteiligt als er einrumt. I, S. LXII, dazu sein Brief vom 20. Mrz 1876 an H. Uhde und Frau. Vgl. D.s Kurzbesprechung (1876). Ges. Schr. XVII, 22 f. 126, 18–22 Herr von Loeper bis gegeben: Goethe’s Dichtung und Wahrheit. Nach den vorzglichsten Quellen revidirte Ausgabe. Mit Einleitung und Anmerkungen von G. von Loeper, 4 Tle, Berlin [1876]. 126, 22–26 Scherer bis unterwerfen: W. Scherer, Goethe-Philologie aus: Im neuen Reich. Wochenschrift fr das Leben des deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst, hrsg. von K. Reichard, VII (1877) I, S. 161–178. Scherers Aufsatz erschien im Januarheft. Außer Anmerkungen zu Neuerscheinungen, die auch D. erwhnt, enthlt er bereits eine kurze Besprechung der Vorlesungen H. Grimms. D. bezieht sich vermutlich auf Scherers Feststellung zu Loepers Edition von DuW (vgl. die vorangehende Anm.): „Dergestalt nhert sich die Exegese der Lçsung zweier Aufgaben: sie will an Goethes Erzhlung historische Kritik ben und sie will den Entstehungsproceß des Werkes in der Seele des Autors erforschen: die hçchste Aufgabe einer jeder [sic] kunstmßigen Interpretation.“ S. 171. 126, 23 Erich Schmidt: E. Schmidt, Richardson, Rousseau und Goethe, Jena/Leipzig 1875. Schmidt untersucht „die literarischen Voraussetzungen von Goethes Werther“ oder „das Erlernte“, nachdem die „Erlebnisse“ zur Genge beachtet worden seien. S. 1. Vgl. E Goethe, 160, 4–11 und D.s Anzeige des Buchs (1876). Ges. Schr. XVII, 23. Zur Erforschung der dichterischen Phantasie: E. Schmidt, Heinrich Leopold Wagner, Jena 1875. Von Goethe ausgehend spricht Schmidt Wagner „die erfinderische, schaffende Phantasie“ ab und fhrt fort: „Es gehçrt zu den interessantesten Aufgaben literarhistorischer Betrachtung, denn sie erçffnet einen tiefen Einblick in das innerste Wesen und die Anlagen des Dichters, zu verfolgen, wie ein Dichter zu seinem Stoff und zu der Auffassung dieses Stoffes gefhrt wird.“ S. 46. 126, 26–30 Ganz neue Quellen bis kann: Vor hundert Jahren. Mittheilungen ber Weimar, Goethe und Corona Schrçter aus den Tagen der Genie-Periode. Festgabe zur Skularfeier von Goethe’s Eintritt in Weimar (7. November 1775) von R. Keil. I, Leipzig 1875, enthlt: Goethe’s Tagebuch aus den Jahren 1776–1782. D. weist im Aufsatz ber Dickens auf das Tagebuch hin. Vgl. Dickens
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369, 6–11 und Anm.; außerdem D.s Besprechung: Goethe und Corona Schrçter (1876). Ges. Schr. XV, 199–204. 127, 3–4 hçheren Kritik und Hermeneutik: Vgl. E Goethe 141, 19–24 und Anm. 127, 16–18 Es bis gegeben: G. H. Lewes, Goethe’s Leben und Werke (1855), bersetzt von J. Frese, 2 Bde, Stuttgart 111877. Vgl. D.s Anzeige (1877). Ges. Schr. XVII, 122. 127, 18–20 Wie bis wimmelt: G. H. Lewes, Geschichte der Philosophie von Thales bis Comte (1845/46). Erster Bd: Geschichte der alten Philosophie. Dt. nach 31867, Berlin 1871, von D. 1874 angezeigt. Ges. Schr. XVII, 321 f. Zweiter Bd.: Geschichte der neueren Philosophie. Dt. nach 41871, Berlin 1876, von D. 1877 anzeigt Ges. Schr. XVII, 101. bersetzer nicht genannt. 127, 26–30 Was bis hindringt: D. hlt an der in den 60er Jahren formulierten berzeugung von einer gewissen berholtheit der klassischen deutschen Literatur (Anm. Le 59, 3–7) und ihrer sthetik fest (vgl. E Goethe 140, 36 – 141, 5; Dickens 410, 29 – 411, 10; auch Bausteine 105 f.). 127, 31–34 Es ist bis sucht: D.s Zurckhaltung als Rezensent erklrt sich vielleicht aus persçnlicher und sachlicher Nhe zu Grimm (vgl. Anm. E Goethe 129, 29–130, 1) oder aus der Konzentration auf die eigenen berlegungen. 127, 37 – 128, 1 Wenn Ranke bis Vergangene: „Ich wnschte mein Selbst gleichsam auszulçschen, und nur die Dinge reden, die mchtigen Krfte erscheinen zu lassen, die im Laufe der Jahrhunderte mit und durch einander entsprungen und erstarkt, nunmehr gegen einander aufstanden und in einen Kampf geriethen, der, indem er sich in blutigen und schrecklichen Schlgen entlud, zugleich fr die wichtigsten Fragen der europischen Welt eine Entscheidung in sich trug.“ L. von Ranke, Englische Geschichte vornehmlich im siebzehnten Jahrhundert (31870). In: Ders., Smmtliche Werke XV, Leipzig 1870, S. 103. Gegen Rankes Position fhrt D. eine Reihe von Gewhrsleuten an (E Goethe 128, 1–8), deren subjektive Zuwendung zu den Gegenstnden Verstehen erst ermçgliche. Gebrauch des Zitats zur Veranschaulichung der Wahrnehmungsfhigkeit Shakespeares E Goethe 151, 18–19. Wiederholung dieses Ausspruchs: Einleitung 94, Ges. Schr. XIX, 293; Abhandlung (1895) 281 f. Zu weiterer Erwhnung Rankes vgl. Anm. Schi 198, 37–40. 128, 1–2 So bis Intriguen: hnlich zu Machiavelli JD 186; zur Bedeutung Machiavellis fr die italienische Geschichte Alfieri 326, 2–8 und Anm. 128, 2 Niebuhr: B. G. Niebuhr hielt an der seit November 1810 bestehenden Berliner Universitt Vorlesungen zur rçmischen Geschichte; aufsehenerregend, weil Zweifel an der Zuverlssigkeit der bisherigen Geschichtsschreibung Niebuhr dazu fhrten, Geschichte zu rekonstruieren, Analyse des Quellenmaterials mit Erzhlung zu verbinden. Rçmische Geschichte, 2 Bde, Berlin 1811/12. Vgl. Anm. No 230, 22. 128, 3 Clausewitz: C. von Clausewitz hat selbst nichts publiziert; seine Frau Marie gab die Schriften heraus unter dem Gesamttitel: Hinterlassene Werke des Generals Carl von Clausewitz ber Krieg und Kriegfhrung, 10 Bde (1832–1837). 128, 4–5 Schleiermacher bis Denker: Schleiermachers Arbeit betrifft Chronologie und bersetzung der platonischen Dialoge. Vgl. Leben Schl XIII,2. 37–75.
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128, 5 La Place: P. S. Marquis de Laplace, fhrender Mathematiker und Astronom, stellte u. a. die Bewegungen der Himmelskçrper dar; entwickelte die Laplacesche Differentialgleichung. 128, 5 Humboldt: A. von Humboldt, Geograph, Naturforscher, Begrnder der Pflanzengeographie; machte mit dem Botaniker A. Bonpland ausgedehnte Expeditionen in Sdamerika. Vgl. Voyage aux rgions quinoxiales du Nouveau Continent (1805–1834). 128, 10–14 Herman Grimm bis fhlen: Fast bereinstimmend mit D.s Urteil in seiner Rezension von 1876 ber H. Grimms Sammelband mit Arbeiten zu Literatur – darunter Alfieri, Shakespeare – und Kunst: Fnfzehn Essays. Neue Folge, Gtersloh 1875: berall ist es Herman Grimms strkste Seite, das Menschliche in den Personen und den Zusammenhang der gesellschaftlichen Zustnde mit den knstlerischen Leistungen darzulegen. Ges. Schr. XVII, 33–35. 128, 14 Er war bis begegnet: H. Grimm ber seine Beziehung zu Varnhagen in der Besprechung: Herrn von Varnhagen’s Tagebcher (1862) in: Fnfzehn Essays. (Zweite vermehrte Aufl. der Neuen Essays), Berlin 21874, S. 365. „Ich habe Herrn von Varnhagen lange Jahre gekannt, ihn nicht oft, zusammengerechnet aber viel gesehen, lange und gern mit ihm gesprochen.“ 128, 14–20 welcher bis Aufputz: Beispiel zahlreicher Verçffentlichungen biographischer Art ber die verschiedensten Personen: K. A. Varnhagen von Ense, Biographische Denkmale, 5 Bde, Berlin 1824–1830. 128, 20–23 Vor und bis stellte: D. F. Strauß, Voltaire. Sechs Vortrge, Leipzig 1870. H. Grimm, Voltaire und Frankreich in: Fnfzehn Essays. (wie oben Anm. 128, 14), S. 1–105; der Aufsatz ber Voltaire ist in den Essays erst in dieser Auflage erschienen. D. nimmt 1879 den Vergleich der beiden Darstellungen noch einmal auf in seiner Besprechung des achten bis elften Bandes der Gesammelten Schriften von Strauß. Ges. Schr. XVII, 227–229. 128, 23–28 Was Grimm bis Gegenstnde selber: Voraussetzung des Verstehens: Grndliche Kenntnis und der divinatorische Blick (E Goethe 128, 6–10); vgl. D.s Kritik an Immermann, dem der seherische Sinn fr den typischen Gehalt der ihm begegnenden Geistesformen fehle (JD 148); die Interpretation erfordere etwas Genialisches, so in Abhandlung (1895) 278, oder V i r t u o s i t t (Hermeneutik). Ges. Schr. V, 319. Vgl. auch E Goethe 141, 19–24 und Anm. 128, 29–34 Das grçßte Hindernis bis europischen Bildung: Andeutung der Rolle von DuW in Lessing 63, 33–37. Vgl. zu D.s Urteil seinen spten Versuch einer Einleitung fr EuD3: Gang der neueren europischen Literatur. – Wahrheit und Dichtung (Z. 32 u. ç.) ist ein Titelvorschlag Riemers, wurde von Goethe gendert, von Riemer nach Goethes Tod doch verwendet und von einigen Ausgaben bernommen, nicht von Loeper (Anm. Goe 126, 18–22). 129, 1–3 Und er bis genossen.“: Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel, 2 Bde, Leipzig 1825/27. Goethe zur Lektre dieses Briefwechsels am 11. April 1827, Eckermann I, 236. Eine Rezension Goethes erschien erst 1833 aus dem Nachlaß; dort die von D. seinem Satz angepaßte Stelle: „Da ich die meisten Individuen genau gekannt, mit und an einigen derselben mehr gelitten als genossen habe, so zeichnen sie sich in diesen Briefen mir recht deutlich auf.“ Goe W 29, 220. 129, 4–9 Was Goethe bis erhalten: Das Ungengen an der Literaturgeschichte seit Gervinus bekundet sich in D.s der Schleiermacherbiographie vorausgehendem Wunsch, eine Geschichte der ro-
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mantischen Schule schreiben zu wollen (JD 137; auch 171); strker im Aufsatz ber Lessing (Lessing 122, 23–39); auch im Plan der Verbindung seiner Aufstze zu einem Ganzen (10. Mrz 1867 an Scherer). JD 233. Entgegen dem Konzept der „National-Literatur der Deutschen“ (Gervinus), richtet sich D.s Interesse auf die Structur der europischen Geistesgeschichte (Z. 7) und deren Begrndung durch rigorose Wissenschaft (Z. 7–8). 129, 12–14 und den bis auszuscheiden: Vermutlich Anspielung auf Grimms Verfahren, Friederike Brion in DuW als Kunstfigur, als Erzeugnis dichterischer Phantasie zu begreifen. Vgl. Grimm, Goethe I, 68–88 (4. Vorlesung). 129, 17–18 Charakteristik Herders: Zu Herder vgl. Grimm, Goethe II, 104–106 (18. Vorlesung). 129, 20–22 sein jngst publicirtes Tagebuch bis begleiten: Tagebuch vgl. Anm. Goe 126, 26–30; die Tag- und Jahreshefte, von Goethe als Ergnzung der autobiographischen Schriften konzipiert, erschienen zuerst 1830 in der Ausgabe letzter Hand. 129, 29 – 130, 1 es ist bis machen muss: Auffallend, daß D. in seiner Beschreibung von Grimms Ansatz und Methode von inneren Erfahrungen (Z. 31) spricht, eher nebenbei von gelesenen Erlebnissen (E Goethe 130, 8), Grimms Terminus „innere Erlebnisse“ aber nicht aufnimmt. Vgl. „Keines [seiner Werke] das nicht innere Erlebnisse Goethe’s enthielte, von den Hnden seiner Phantasie umgeformt, bis das Individuelle herausgearbeitet und in allgemeine Linien aufgelçst worden ist.“ Grimm, Goethe I, 24 (2. Vorlesung). 130, 17–21 Hier bis zurckfhrt: Zu Scherer vgl. Anm. Goe 126, 22–26. 130, 21–38 Die Phantasie bis handelt: Mit seinem Untersuchungsansatz, der die Favorisierung einer beschreibenden Psychologie im Gegensatz zur erklrenden enthlt (dazu auch E Goethe 137, 17–30), entfernt sich D. von Grimms Darstellung, um sie beurteilen, in einen allgemeinen Zusammenhang (E Goethe 164, 4) stellen zu kçnnen. Nach teilweise in den Aufsatz ber Dickens schon einbezogenen berlegungen zur dichterischen Phantasie kommt er auf Grimm zurck (E Goethe 163, 37 – 164, 15). 130, 39 – 132, 18 Wir haben bis Sesenheim: Goethes ußerungen zum dichterischen Verfahren bilden den Ausgangspunkt fr die allgemeinen Anmerkungen zur dichterischen Phantasie; sie sind Grundlage und vernderbare Verschiebemasse fr alle weiteren Fassungen von E Goethe fr EuD1–3. 131, 10–12 „Alle bis nichts“: Einschub (Z. 10) von D., ebenfalls die Kommata (Z. 12). 18. September 1823, Eckermann I, 38. 131, 12–13 „Allgemein bis behandelt“: Statt dass ihn ein Dichter (Z. 13): „daß ihn der D i c h t e r “. Ebd. 131, 13–16 „Was bis liebte“: Statt auf den Ngeln (Z. 14): „auf die Ngel“. Komma nach gemacht (Z. 16) von D. 14. Mrz 1830, Eckermann III, 218. 131, 22–23 Mit den Stzen bis abgetan sein: Ausfhrlicher Bausteine 206–208; dort auf Hegels Einfluß zurckgefhrt und das Ungengende der Suche nach der Idee an Hamlet gezeigt. Vgl. O.
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Ludwig, der in seinem Entwurf ber Hamlet von der „Idee des Hauptcharakters und damit des ganzen Stcks“ spricht. O. Ludwig, Shakespeare-Studien, hrsg. von M. Heydrich, Leipzig 1872, S. 46. 131, 23–28 „Die Deutschen bis wre.“: Im Wortlaut: „Die Deutschen sind brigens wunderliche Leute! Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie berall suchen und berall hineinlegen, das Leben schwerer als billig. Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, e u c h d e n E i n d r c k e n h i n z u g e b e n , euch ergçtzen zu lassen, euch rhren zu lassen, euch erheben zu lassen, ja euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermuthigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wre alles eitel, wenn es nicht irgend abstracter Gedanke und Idee wre!“ 6. Mai 1827, Eckermann III, 118. 131, 28–34 „Das einzige bis besser.“: Genau: „Das einzige Product von g r ç ß e r m Umfang, wo ich mir bewußt bin nach Darstellung einer durchgreifenden Idee gearbeitet zu haben, wren etwa meine ‚Wahlverwandtschaften. Der Roman ist dadurch fr den Verstand faßlich geworden; aber ich will nicht sagen, daß er dadurch b e s s e r geworden wre! Vielmehr bin ich der Meinung: j e i n commensurabler und fr den Verstand unfaßlicher eine poetische Production, d e s t o b e s s e r .“ 6. Mai 1827, Eckermann III, 119. 131, 35–40 „Ich bis war es“: Unverkrzt: „Auch htte ich kaum nçthig gehabt, meinen eigenen jugendlichen Trbsinn aus allgemeinen Einflssen meiner Zeit und aus der Lektre einzelner englischer Autoren herzuleiten. Es waren vielmehr individuelle, nahe liegende Verhltnisse, die mir auf die Ngel brannten und mir zu schaffen machten, und die mich in jenen Gemthszustand brachten, aus dem der ‚Werther hervorging. Ich hatte gelebt, geliebt und sehr viel gelitten! Das war es.“ 2. Januar 1824, Eckermann III, 29. 132, 1–4 „Der Faust bis hervorgegangen“: Goethes abschließende Anmerkung: „Der ‚Faust“, fuhr er fort, „ist doch ganz etwas Incommensurables, und alle Versuche, ihn dem Verstande nher zu bringen, sind vergeblich. Auch muß man bedenken, daß der erste Theil aus einem etwas dunkeln Zustande des Individuums hervorgegangen. Aber eben dieses Dunkel reizt die Menschen, und sie mhen sich daran ab, wie an allen unauflçsbaren Problemen.“ 3. Januar 1830, Eckermann II, 115 f. 132. 5–12 Von Wilhelm Meister bis fand .“: D. zieht den Abschnitt zusammen: „Die Anfnge Wilhelm Meister’s hatten lange geruht. Sie entsprangen aus einem dunkeln Vorgefhl der großen Wahrheit, daß der Mensch oft etwas versuchen mçchte, wozu ihm Anlage von der Natur versagt ist‚ unternehmen und ausben mçchte, wozu ihm Fertigkeit nicht werden kann; ein inneres Gefhl warnt ihn abzustehen, er kann aber mit sich nicht ins Klare kommen und wird auf falschem Wege zu falschem Zwecke getrieben, ohne daß er weiß, wie es zugeht. [. . .] Und doch ist es mçglich, daß alle die falschen Schritte zu einem unschtzbaren Guten hinfhren – eine Ahnung, die sich im Wilhelm Meister immer mehr entfaltet, aufklrt und besttigt, ja sich zuletzt mit klaren Worten ausspricht: ‚Du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis’, der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Kçnigreich fand.“ Tag- und Jahres-Hefte. Bis 1786. Goe W 27, 6. Vgl. 18. Januar 1825, Eckermann I, 135. 132, 12–15 Er weist bis Maßstab“: „Die Reinschrift des letzten Buches von Wilhelm Meister ging endlich ab an den Verleger. Seit sechs Jahren hatte ich Ernst gemacht, diese frhe Konzeption auszubilden, zurechtzustellen und dem Drucke nach und nach zu bergeben. Es bleibt daher dieses eine der inkalkulabelsten Produktionen, man mag sie im Ganzen oder in ihren Theilen betrachten; ja,
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um sie zu beurtheilen, fehlt mir beinahe selbst der Maßstab.“ Tag- und Jahres-Hefte. 1796. Goe W 27, 40. 132, 16–18 Von den Wahlverwantschaften bis Sesenheim: D. bernimmt weitgehend Eckermanns Text: „Von seinen ‚Wahlverwandtschaften sagt er, daß darin kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich so, w i e er erlebt worden. Dasselbe von der Geschichte in Sesenheim.“ 17. Februar 1830, Eckermann II, 127. 132, 25–28 Daher bis befreit habe: Vgl. E Goethe 135, 3–4 und Anm. Goe 134, 35 – 135, 4. 132, 28–33 Eine besonders bis Versen: Vgl. „‚Hermann und Dorothea“, sagte er unter anderm, „ist fast das einzige meiner grçßern Gedichte, das mir noch Freude macht; ich kann es nie ohne innigen Antheil lesen. Besonders lieb ist es mir in der lateinischen Uebersetzung; es kommt mir da vornehmer vor, als wre es, der Form nach, zu seinem Ursprunge zurckgekehrt.“ 18. Januar 1825, Ekkermann I, 135. 132, 33–38 Ueberhaupt bis entsprangen: Die Leiden des jungen Werthers (1774); Gçtz von Berlichingen (1773); Clavigo (1774); Faust (Anfnge 1773–1775; vgl. Anm. Fr 422, 39–40); Egmont (Anfnge 1775; v 1788); Iphigenie (vgl. Anm. Fr 423, 4); Tasso (Anfnge 1780/81; v 1790); Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96). 132, 39 – 133, 1 So ist bis anredet: Ilmenau am 3. September 1783. Goethes Gedicht zum Geburtstag Carl Augusts enthlt die Wendung an sich selbst: „Sei mir gegrßt, der hier in spter Nacht / Gedankenvoll an dieser Schwelle wacht!“ Goe W 1, 110. 133, 4–5 Herzblut des Dichters: Vgl. Gesprch ber Werther: „Das ist auch so ein Geschçpf“, sagte Goethe, „das ich gleich dem Pelikan mit dem Blute meines eigenen Herzens gefttert habe.“ 2. Januar 1824, Eckermann III, 28. 133, 8 so Albert, Carlos: Nebenpersonen aus Werther und Clavigo. 133, 11 Antonio, Thoas, Lothario: Gestalten aus Tasso, Iphigenie, Wilhelm Meister. 133, 19–20 Nun bis angesehen: Hegel bezieht sich in seiner Aesthetik durchgehend auf Goethe; vgl. z. B. seine Bestimmung der knstlerischen Phantasie. Aesthetik, Hegel W X, 1. S. 362–365. – J. St. Zauper, Grundzge zu einer deutschen theoretisch-praktischen Poetik aus Goethe’s Werken (1820). Neue durchgesehene und vermehrte Auflage, Wien 1840. Zauper macht den Versuch, verschiedene Formen der Dichtung an den Werken Goethes zu erklren. 133, 20–25 Die deutsche bis berhaupt: Zur Entwicklung der deutschen sthetik vgl. Dickens 364, 4 – 365, 33; Bausteine 115–123; auch sthetik 266–269. 133, 37–38 „die Richtung bis konnte.“: Im Wortlaut: „diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben ber nicht abweichen konnte“. DuW 7. Buch, ausfhrlicher zitiert unten Anm. 134, 35 – 135, 4. 133, 40 – 134, 2 Grimm bis entfaltet: Vgl. im Abschnitt Goethe’s Menschendarstellung: „Die Kunst, Menschen in dieser Weise aus scheinbaren Fragmenten zusammenzufgen, so aber, daß am
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Abschluß auch nicht die kleinste Lcke unausgefllt brig bleibt, hat Goethe im hçchsten Maaße besessen. Hier gewahren wir recht, wie Dichtung und Geschichtsschreibung zusammenfallen.“ Grimm, Goethe I, 205 (9. Vorlesung). 134, 3–6 Ein außerordentliches bis Straßburg: „Mein Vater lehrte die Schwester in demselben Zimmer Italienisch, wo ich den Cellarius auswendig zu lernen hatte. Indem ich nun mit meinem Pensum bald fertig war und doch still sitzen sollte, horchte ich ber das Buch weg und faßte das Italienische, das mir als eine lustige Abweichung des Lateinischen auffiel, sehr behende.“ DuW 1. Buch. Goe W 20, 28. Zum juristischen Examen vgl. DuW 11. Buch. Goe W 22, 25–28. 134, 7–8 Puppenkomçdien: Vgl. DuW 2. Buch. Goe W 20, 44. 134, 10–11 Poesie bis wird: Gewçhnung des Kindes an Sprache und Variationen ihres Klanges auch Dickens 369, 11–29. 134, 12–13 Telemach bis heran: Goethe ber die Lektre von Fnlons Tlemaque (1699); Defoes Robinson (1719/20), der Volksbcher DuW 1. Buch. Goe W 20, 30. 134, 13–15 Wenn bis liebt: An der entsprechenden Stelle in DuW ist die Rede von einem Pylades genannten Freund: „Diesen sowie andre Wohlwollende konnte ich sehr glcklich machen, wenn ich ihnen Mrchen erzhlte, und besonders liebten sie, wenn ich in eigner Person sprach, und hatten eine große Freude, daß mir als ihrem Gespielen so wunderliche Dinge kçnnten begegnet sein [. . .].“ DuW 2. Buch. Goe W 20, 45. 134, 17–19 Immer bis Dichtungen ab: „Als das Werk fertig war – denn es kam zu meiner eignen Verwunderung wirklich zu Stande –, bedachte ich, daß von den vorigen Jahren mancherlei Gedichte vorhanden seien, die mir auch jetzt nicht verwerflich schienen, welche, in ein Format mit Joseph zusammengeschrieben, einen ganz artigen Quartband ausmachen wrden, dem man den Titel ‚Vermischte Gedichte geben kçnnte, welches mir sehr wohl gefiel [. . .].“ DuW 4. Buch. Goe W 20, 132 f. 134, 19–22 „Ich bis geflochten ist.“: Im Satzzusammenhang: „Wie man jedoch eher an den Lohn denkt, den man erhalten mçchte, als an das Verdienst, das man sich erwerben sollte, so leugne ich nicht, daß, wenn ich an ein wnschenswerthes Glck dachte, dieses mir am Reizendsten in der Gestalt des Lorbeerkranzes erschien, der den Dichter zu zieren geflochten ist.“ DuW Ende des 4. Buchs. Goe W, 20, 151. 134, 22–23 „innerer Ernst bis betrachtete“: „[. . .] vielmehr zeigte sich der innere Ernst, mit dem ich schon frh mich und die Welt betrachtete, auch in meinem Aeußern [. . .].“ DuW 2. Buch. Goe W 20, 60. 134, 35 – 135, 4 Aber bis Confession.“: „Denn bei der großen Beschrnktheit meines Zustandes, bei der Gleichgiltigkeit der Gesellen, dem Zurckhalten der Lehrer, der Abgesondertheit gebildeter Einwohner, bei ganz unbedeutenden Naturgegenstnden war ich gençthigt, Alles in mir selbst zu suchen. Verlangte ich nun zu meinen Gedichten eine wahre Unterlage, Empfindung oder Reflexion, so mußte ich in meinen Busen greifen; forderte ich zu poetischer Darstellung eine unmittelbare Anschauung des Gegenstandes, der Begebenheit, so durfte ich nicht aus dem Kreise heraustreten, der mich zu berhren, mir ein Interesse einzuflçßen geeignet war. [. . .] Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben ber nicht abweichen konnte, nmlich dasjenige, was mich er-
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freute oder qulte oder sonst beschftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darber mit mir selbst abzuschließen, um sowol meine Begriffe von den ußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen. Die Gabe hierzu war wol Niemand nçthiger als mir, den seine Natur immerfort aus einem Extreme in das andere warf. Alles, was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstcke einer großen Konfession, welche vollstndig zu machen dieses Bchlein ein gewagter Versuch ist.“ DuW 7. Buch. Goe W 21, 65. 135, 6–12 „Man bis angerhmt ward“: Teil eines Satzgefges. „[. . .] man wies uns auf die Betrachtung eines bewegten Lebens hin, das wir so gerne fhrten, und auf die Kenntniß der Leidenschaften, die wir in unserem Busen theils empfanden, theils ahneten, und die, wenn man sie sonst gescholten hatte, uns nunmehr als etwas Wichtiges und Wrdiges vorkommen mußten, weil sie der Hauptgegenstand unserer Studien sein sollten und die Kenntniß derselben als das vorzglichste Bildungsmittel unserer Geisteskrfte angerhmt ward.“ DuW 9. Buch. Goe W 21, 130. 135, 13–16 So versteht bis zu schçpfen: Vgl. oben Anm. 134, 35 – 135, 4 und D.s daraus folgende Einordnung Goethes in die auf ihr Inneres gerichtete Gruppe von Dichtern, der die an der Außenwelt orientierte gegenberstehe. Variierend wiederholt: E Goethe 149, 1–36; 157, 35 – 158, 9; 168, 21 – 169, 24; dazu die Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Dichtern Novalis 199, 2–10 und Anm. 135, 17–18 Die Lieder bis Situation: Goethes erste Verçffentlichung von Gedichten: Neue Lieder in Melodien gesetzt von Bernhard Theodor Breitkopf (1769), das sog. Leipziger Liederbuch; seine ersten dramatischen Versuche: Die Mitschuldigen (e 1768/69); Die Laune des Verliebten (e 1767/68). 135, 18–21 Straßburg bis blickt?: Vgl. „Und so sah ich denn von der Plattform die schçne Gegend vor mir, in welcher ich eine Zeit lang wohnen und hausen durfte: die ansehnliche Stadt, die weitumherliegenden, mit herrlichen dichten Bumen besetzten und durchflochtenen Auen, diesen auffallenden Reichthum der Vegetation, der, dem Laufe des Rheins folgend, die Ufer, Inseln und Werder bezeichnet. [. . .] Ein solcher frischer Anblick in ein neues Land, in welchem wir uns eine Zeit lang aufhalten sollen, hat noch das Eigne, so Angenehme als Ahnungsvolle, daß das Ganze wie eine unbeschriebene Tafel vor uns liegt.“ DuW 9. Buch. Goe W 21, 132. 135, 21 Herder, Friederike: Begegnung mit Herder im September 1770 (DuW 10. Buch); mit Friederike Brion im Oktober 1770 (DuW 10. und 11. Buch). 135, 23–26 Aber bis entwickelt hat: Vgl. die Selbstaussagen Goethes Anm. Goe 134, 35 – 135, 4; 135, 6–12. 135, 29–31 Das „gab bis betrachtet werden: „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, / Gab mir ein Gott, zu sagen, wie ich leide.“ Tasso V, 5; Goe W 7, 295. D. kçnnte nach den von Goethe selber als Motto fr seine Elegie gebrauchten Versen zitieren: „Gab mir ein Gott, zu sagen, was ich leide.“ Goe W 1, 187. Nochmals aufgenommen Schiller 198, 10. 135, 31–37 Wenn bis zeigt: Zur Orientierung der deutschen sthetik an Goethe vgl. E Goethe 133, 19–20 und Anm. – Zu D.s Hinweis auf die Wiedererneuerung der bildenden Ethik der Alten bei Schleiermacher (Leben Schl XIV,1. 340) vgl. Anm. No 221, 24. 136, 1–6 Die Phantasie bis Bewegungen: Dieser Passus bildet den bergang von den Selbstzeug-
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nissen Goethes zu allgemeinen Erklrungen des Phantasievorgangs. D. nimmt ihn als Selbstzitat in Bausteine 108 auf; mit kleinen Abweichungen leitet er alle drei Bearbeitungen von E Goethe fr EuD1–3 ein. 136, 5–6 Geschichte der geistigen Bewegungen: Zu diesem Terminus vgl. Anm. Le 118, 28. 136, 6–10 Und zwar bis gegrndet ist: Die entsprechende Annahme ( mchtigere Organisation) Dickens 369, 32–37; vgl. Gesichtserscheinungen 101; EW 92; Bausteine 131 f. 136, 15 – 139, 34 Die Vorstellungen bis sind: Die allgemeinen Ausfhrungen zur dichterischen Phantasie stimmen in etwa mit Dickens 369, 32 – 373, 4 und 407, 7 – 412, 6 berein; auf einzelne Punkte wird im folgenden verwiesen. 136, 15–19 Die Vorstellungen bis Fechner gezeigt hat: Vgl. Dickens 370, 38 – 371, 7und Anm. 136, 22–23 Und zwar bis Gesichtssinnes: Beilufiger Hinweis auf J. Mller: Ueber die phantastischen Gesichtserscheinungen (wie Anm. Di 370, 13–22). Vgl. Anm. No 223, 1. 136, 39 – 137, 3 Alle Phantasie bis gelenkt: Vermutlich folgender Zusammenhang im Kap. II, Of the Origin of Ideas, von D. Hume, An Inquiry (wie Anm. Le 107, 5–19), S. 17: Ausgehend von der scheinbar unbegrenzten Macht der „imagination“, bemerkt Hume: „But though our thought seems to possess this unbounded liberty, we shall find upon a nearer examination, that it is really confined within very narrow limits, and that all this creative power of the mind amounts to no more than the faculty of compounding, transposing, augmenting, or diminishing the materials afforded us by the senses and experience.“ 137, 4–10 In der Poetenphantasie bis Handlungen: hnlich Dickens 371, 15–27; das Stichwort Erfahrungshorizont (Z. 5) wird wiederholt E Goethe 149, 30; bei Dickens 407, 25–26, dazu Anm. Di 407, 16–29. Zu Erinnern, Gedchtnis EW 96 f.; Bausteine 132. 137, 11–17 Das Verhltnis bis Grenzlinie getrennt: Um das Verhltnis von Reproduction, Association und Schçpfung - Ausgangspunkt fr D.s Untersuchungen – geht es ebenso in Dickens 408, 6–40. 137, 17–30 Indem bis denen der Natur: Wie im Dickens-Aufsatz folgt auf die Formulierung des Grundproblems der Hinweis auf die Methode – hier einer descriptiven (Z. 27) dort einer inductiven Psychologie (Dickens 408, 14–18), die im Goethe-Aufsatz explizit den Geisteswissenschaften (Z. 28) zugeordnet wird. 137, 30 – 138, 1 Solche Hypothesen bis wiedererweckt: Hypothesen fr das Zustandekommen von Erinnerung auch Dickens 408, 21–24 und Anm.; 410, 16–28. D.s Blttermotiv (Z. 38–40) zur Veranschaulichung seiner These von der Unwiederholbarkeit einer Vorstellung aufgenommen in Einleitung 377; EW 99. 138, 2–14 Wenn wir bis werden kann: Fechners Unterscheidung genauer referiert Dickens 409, 1–7; ber Erinnerungsnachbilder vgl. die Anm. dazu; auch Bausteine 133.
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138, 14–35 Wenn aber bis empfngt: Weitere, die erinnerte Vorstellung verndernde Momente ebenfalls Dickens 409, 25 – 410, 1. 138, 38 – 139, 26 Und wenn bis unserer Seele: Begriff der Metamorphose bereits in Dickens; vgl. 410, 1–15 und Anm. 139, 26–28 Diese letztere bis Gesichtserscheinungen: Mçgliche versteckte Anspielung auf den eigenen Aufsatz, Gesichtserscheinungen, und damit auf die Arbeit des in E Goethe 136, 23 flchtig erwhnten J. Mller (wie Anm. Di 370, 13–22). Gesichtserscheinungen dienen hier als Beleg fr die Wirkungsweise der Metamorphose und Ansatz zur Erklrung der Idealisirung (E Goethe 140, 8). 139, 28–34 Wer htte nicht bis begriffen sind: Verkrztes Selbstzitat aus Gesichtserscheinungen 96, dort nach J. Mller (wie Anm. Di 370, 13–22), S. 18. 139, 35–39 Soweit bis Gewalt: Idealisierung bewirkt durch Metamorphose auch Dickens 409, 8–18 und 410, 16–28. 139, 39 – 140, 3 Diese Krfte bis hervortritt: D. hat zwei der hier angedeuteten Visionen, von denen Goethe spreche, bereits in Gesichtserscheinungen 93 f. zitiert und nimmt sie in E Goethe 143, 24 – 144, 6 auf – beide bei J. Mller (wie Anm. Di 370, 13–22), S. 22 f. und 27 f. Tieck ebenfalls in Gesichtserscheinungen 94 f. Zu Ludwig vgl. Anm. Di 365, 27–28; zu Dickens z. B. Dikkens 405, 34 – 406, 3. 140, 3–13 In all bis Inhalt haben: D., der zunchst affectives Element (Z. 3–4) als Strke des natrlichen Interesses, als die begleitenden Lustgefhle beschrieben hat (Dickens 371, 28 – 372, 15), sucht hier den Vorgang ber Kant zu klren – ein Weg, der in der Bearbeitung fr EuD aufgegeben wird. Vgl. Kant: „Um zu unterscheiden, ob etwas schçn sey oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand aufs Object zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstande verbunden) aufs Subject und das Gefhl der Lust oder Unlust desselben.“ Kritik der Urtheilskraft (1790), § 1. Kant W IV, 45 f. Vgl. Bausteine 118 f. 140, 13–15 Es kçnnte bis rcken: Vgl. Kant: „Geschmack ist das Beurtheilungsvermçgen eines Gegenstandes, oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Missfallen, o h n e a l l e s I n t e r e s s e . Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heisst schçn.“ Kritik der Urtheilskraft, Ende des § 5. Kant W IV, 55. 140, 15–24 Aber bis anders: Vgl. „Denn das, wovon Jemand sich bewusst ist, dass das Wohlgefallen an demselben bei ihm selbst ohne alles Interesse sey, da kann derselbe nicht anders als so beurtheilen, dass es einen Grund des Wohlgefallens fr Jedermann enthalten msse. Denn da es sich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes berlegtes Interesse) grndet, sondern der Urtheilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstande widmet, vçllig f r e i fhlt, so kann er keine Privatbedingungen als Grnde des Wohlgefallens auffinden, an die sich sein Subject allein hinge, und muss es daher als in demjenigen begrndet ansehen, was er auch bei jedem andern voraussetzen kann; folglich muss er glauben, Grund zu haben, Jedermann ein hnliches Wohlgefallen zuzumuthen. Er wird daher vom Schçnen so sprechen, als ob Schçnheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urtheil logisch (durch Begriffe vom Objecte eine Erkenntniss desselben ausmachen) wre; ob es gleich nur sthetisch ist und blos eine Beziehung der Vorstellung des Ge-
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genstandes aufs Subject enthlt; darum, weil es doch mit dem logischen die hnlichkeit hat, dass man die Gltigkeit desselben fr Jedermann daran voraussetzen kann.“ Ebd. § 6. Kant W IV, 55 f. 140, 36–39 jede Epoche bis gltig ist: Zu eigenes Gesetz vgl. Anm. Goe 142, 18–21. 140, 39 – 141, 6 Hier bis der historische Gesichtspunkt fremd: Entsprechend Bausteine 120; vgl. D.s Urteil ber Lessings der Theologie verhaftete Position. Lessing 104, 39 – 105, 10. 141, 12 – 142, 8 Der Zustand bis Selbst: Die von D. festgestellte Korrespondenz zwischen der Gemtsverfassung (Z. 31) des Produzierenden und des Rezipierenden (Z. 12–14; 19–20) fhrt auf der Seite des letzteren zur Hermeneutik als Methode des Erschließens, auf der Seite des ersten zur Conception des Kunstwerks als Prozeß, Erfahrungen, welcher Art auch immer, bedeutsam (142, 5) werden zu lassen. Vgl. Blick fr das Wesenhafte. EW 95, Bausteine 188; Wirkung der Bedeutsamkeit des Objekts (Bausteine 192), die ihren Ursprung im Erlebnis (ebd. 192, 194) habe. Fr den ganzen Zusammenhang: Bausteine 190–197. D. verwendet zwar in E Goethe die Vokabeln erleben, Erleben, Erlebnis – z. B. Stoff der erlebten Wirklichkeit (E Goethe 130, 31–32); Reichtum eigenen inneren Erlebens (ebd. 158, 14); persçnliches Erlebnis Gottfrieds und Wolframs (ebd. 162, 18–19) – Erlebnis ist aber noch nicht der den schçpferischen Vorgang kennzeichnende Begriff. Vgl. Anm. Di 371, 29 – 372, 15. 141, 19–24 Daher bis ergnzen: D. zum Kolleg bei A. Boeckh JD 10; zu D.s frher HermeneutikPreisarbeit Anm. Le 62, 9–10. Bedeutung der Hermeneutik fr die Geisteswissenschaften in: Das natrliche System der Geisteswissenschaften (1892/93). Ges. Schr. II, 115. Mit Schleiermachers Hermeneutik-Vorlesungen (1829 und 1830) und Boeckh beginnt D.s Akademie-Vortrag Der Platon Schleiermachers (1898). Leben Schl XIII,2. 38–39. Zu Schleiermacher auch in: Die Entstehung der Hermeneutik (1900). Ges. Schr. V, bes. 326–331. Biographische Notiz zu Boeckh, dem Schler F. A. Wolfs und Schleiermachers, Leben Schl XIII,2. 144 f. – Aus Boeckhs vielfach gehaltenen Vorlesungen: „Hiernach scheint die eigentliche Aufgabe der Philologie das Erkennen des vom menschlichen Geist P r o d u c i r t e n , d. h. des E r k a n n t e n zu sein.“ Encyklopdie und Methodologie der philologischen Wissenschaften, hrsg. von E. Bratuscheck, Leipzig 1877, S. 10. D.s sptere Kritik des oben zitierten Satzes in: Ges. Schr. V, 336. 142, 9–11 Kant bis Contemplation: „Dagegen ist das Geschmacksurtheil blos c o n t e m p l a t i v , d. i. ein Urtheil, welches, indifferent in Ansehung des Daseyns eines Gegenstandes, nur seine Beschaffenheit mit Gefhl der Lust und Unlust zusammenhlt. Aber diese Contemplation selbst ist auch nicht auf Begriffe gerichtet; denn das Geschmacksurtheil ist kein Erkenntnissurtheil [. . .].“ Kritik der Urteilskraft, § 5. Kant W IV, 53. Vgl. auch oben Anm. 140, 15–24. 142, 13–18 Daher bis dauernd wird: Vgl. „Das Wohlgefallen am Angenehmen ist mit Interesse verbunden. Angenehm ist das, was den Sinnen in der Empfindung gefllt.“ Ebd. § 3, berschrift und erster Satz. Kant W IV, 48. 142, 18–21 So hat bis zu machen: Den jeder Zeit eigenen Maßstab des knstlerischen Gefallens betont D. wiederholt. Vgl. E Goethe 140, 36 – 141, 8; Dickens 410, 29 – 411, 10; auch die Einschtzung des fr D. gegenwrtigen Zustands. Bausteine 104 f. 142, 26–28 Diese Befriedigung bis Spiels: D. bezieht sich auf den 15. der Briefe Schillers Ueber die sthetische Erziehung des Menschen (1795). Vgl. „Denn, um es endlich auf einmal herauszusa-
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gen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und e r i s t n u r d a g a n z M e n s c h , w o e r s p i e l t .“ Schi W XVIII, 79. Vgl. EW 98. 142, 35–40 Die Anfnge bis arbeitet: Nicht ermittelt. 143, 2–7 Die Kunst bis die Welt mit Seherauge gewahren: Zur Rolle des Sehers vgl. Thema probandi 3, 12 und Anm.; Shakespeare 7, 12 und Anm. 143, 14–16 der Hass bis darstellte: G. Keller, Das verlorne Lachen, die letzte Novelle im zweiten Teil des Zyklus Die Leute von Seldwyla (1874). Im zitierten Titel verlorenen korr. aus: verlorene. 143, 19–22 Das hier bis Interesse: Grundstock von D.s Sammlung bilden die Beispiele aus J. Mllers Buch (wie Anm. Di 370, 13–22), gebraucht und schon ergnzt fr Gesichtserscheinungen; erweitert, umgruppiert, angepaßt fr E Goethe, EW; Bausteine; schließlich fr die Bearbeitungen von E Goethe fr EuD 1–3. 143, 24–35 „Ich hatte bis Kaleidoskope“: Aus: Das Sehen in subjektiver Hinsicht, von Purkinje (1819). „Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloß und mit niedergesenktem Haupte mir in der Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich aus einander, und aus ihrem Innern entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wol grnen Blttern; es waren keine natrliche Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmßig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmçglich, die hervorquellende Schçpfung zu fixiren, hingegen dauerte sie so lange, als mir beliebte, ermattete nicht und verstrkte sich nicht. Dasselbe konnt’ ich hervorbringen, wenn ich mir den Zierrath einer buntgemalten Scheibe dachte, welcher denn ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie sich immerfort vernderte, vçllig wie die in unsern Tagen erst erfundenen Kaleidoskope.“ Zur Naturwissenschaft (Zur Naturwissenschaft berhaupt, besonders zur Morphologie II, 2). Goe W 34, 126. 143, 39 – 144, 6 Diese Gabe bis gewahrt: Vgl. „Wenn sie sich Abends zur Ruhe gelegt und im sßen Gefhl noch zwischen Schlaf und Wachen schwebte, schien es ihr, als wenn sie in einen ganz hellen, doch mild erleuchteten Raum hineinblickte. In diesem sah sie Eduarden ganz deutlich und zwar nicht gekleidet, wie sie ihn sonst gesehen, sondern im kriegerischen Anzug, jedesmal in einer andern Stellung, die aber vollkommen natrlich war und nichts Phantastisches an sich hatte, stehend, gehend, liegend, reitend. Die Gestalt, bis aufs Kleinste ausgemalt, bewegte sich willig vor ihr, ohne daß sie das Mindeste dazu that, ohne daß sie wollte oder die Einbildungskraft anstrengte.“ Die Wahlverwandtschaften, II. Tl., 8. Kap. letzter Abschnitt. Goe W 15, 187. 144, 4 Cardanus: Daß D. den Philosophen, Arzt, Mathematiker H. Cardanus/G. Cardano hier und in EuD1–3 erwhnt, in Gesichtserscheinungen 97 die entsprechenden Vorgnge bersetzend berichtet, geht auf J. Mller zurck (wie Anm. Di 370, 13–22), S. 25 f. Mller zitiert aus De subtilitate (1551). Cardano wiederholt die Beschreibung im 37. Kapitel seiner Vita (1575/76) als eine seiner „Eigentmlichkeiten“, die sich in seinem vierten Lebensjahr zeigte: „Ich sah verschiedenartige Bilder, und zwar war es etwas wie luftige Kçrper, die aus ganz kleinen Ringen zu bestehen schienen, wie wir sie bei einem Kettenpanzer haben, obschon ich bis dahin noch nie einen solchen Panzer gesehen hatte. Die Bilder bewegten sich von der unteren rechten Ecke des Bettes an in einem Halbkreis herauf und senkten sich langsam wieder nach links herunter, bis sie vçllig verschwanden. Es waren Bilder von Burgen, Husern, Tieren, Pferden mit Reitern [. . .]. Aus: Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung, bers. von H. Hefele, hrsg. von F. Kemp, Mnchen 1969,
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S. 126. Auf die Vita bezieht sich D. u. a. in der Akademie-Abhandlung Die Funktion der Anthropologie (1904). Ges. Schr. II, 429–432. 144, 6–13 Die Gewalt bis umfngt: Das erste der beiden Zitate aus Tasso V, 2; das zweite: „Verkleidet geh’ ich hin, den armen Rock / Des Pilgers oder Schfers zieh’ ich an.“ Tasso V, 4. Goe W 7, 285 und 287. 144, 15–21 „Man sieht bis zu werden“: Vgl. „Hier darf nun unmittelbar die hçhere Betrachtung aller bildenden Kunst eintreten; man sieht deutlicher ein, was es heißen wolle, daß Dichter und alle eigentliche Knstler geboren sein mssen. Es muß nmlich ihre innere produktive Kraft jene Nachbilder, die im Organ, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zurckgebliebenen Idole freiwillig, ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervorthun, sie mssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen und zusammenziehn, um aus flchtigen Schemen wahrhaft gegenstndliche Wesen zu werden.“ Das Sehen (wie oben Anm. 143, 24–35), S. 127. 144, 21–29 „Ich bin, bis Malen“: Zu dem Kanzler F. von Mller: „Ich bin hinsichtlich meines sinnlichen Auffassungsvermçgens so seltsam geartet, daß ich alle Umrisse und Formen aufs schrfste und bestimmteste in der Erinnerung behalte, dabei aber durch Mißgestaltungen und Mngel mich aufs lebhafteste afficirt finde. [. . .] Denn ohne jenes scharfe Auffassungs- und Eindrucksvermçgen kçnnte ich ja auch nicht meine Gestalten so lebendig und scharf individualisirt hervorbringen. Diese Leichtigkeit und Prcision der Auffassung hat mich frher lange Jahre hindurch zu dem Wahne verfhrt, ich htte Beruf und Talent zum Zeichnen und Malen.“ Unterhaltungen 107, vom 17. Mai 1826. 144, 30–33 „Der Dichter bis kçnnen“: Statt Das hçchste (Z. 30): „Das Hçchste“. Statt dass (Z. 32): „daß“. Sprche in Prosa. Nr. 671, Anfang. Goe W 19, 140 f. 145, 5–10 „Mir drckten sich bis entgegenrcken.“: Vgl. „Mir drckten sich gewisse große Motive, Legenden, uraltgeschichtlich Ueberliefertes so tief in den Sinn, daß ich sie vierzig bis funfzig Jahre lebendig und wirksam im Innern erhielt; mir schien der schçnste Besitz, solche werthe Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen, da sie sich denn zwar immer umgestalteten, doch ohne sich zu verndern, einer reineren Form, einer entschiednern Darstellung entgegenreiften.“ Aus: Bedeutende Fçrderniß durch ein einziges geistreiches Wort. Goe W 27, 352. 145, 32–34 Schon Kant bis in Beziehung: „Wen also die Schçnheit der Natur unmittelbar interessirt, bei dem hat man Ursache, wenigstens eine Anlage zu guter moralischer Gesinnung zu vermuthen. Man wird sagen: diese Deutung sthetischer Urtheile auf Verwandtschaft mit dem moralischen Gefhl sehe gar zu studirt aus, um sie fr die wahre Auslegung der Chiffernschrift zu halten, wodurch die Natur in ihren schçnen Formen figrlich zu uns spricht.“ Kritik der Urtheilskraft, § 42. Kant W IV, 168. 145, 35–38 „darauf bis Talents“: „Ja, mein Guter“, sagte Goethe, „hierauf kommt alles an. Man muß etwas s e i n , um etwas zu machen.“ 20. Oktober 1828, Eckermann II, 27. „Ueberhaupt, der persçnliche Charakter des Schriftstellers bringt seine Bedeutung beim Publikum hervor, nicht die Knste seines Talents.“ 30. Mrz 1824, Eckermann I, 99. In dieser Folge auch in Bausteine 128. 146, 1–3 So entsteht bis geben“: Aus: Ueber naive und sentimentalische Dichtung. „Wendet man nun den Begriff der Poesie, der kein andrer ist, als d e r M e n s c h h e i t i h r e n m ç g l i c h s t v o l l -
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s t n d i g e n A u s d r u c k z u g e b e n , auf jene beyden Zustnde an, so ergibt sich, daß dort in dem Zustande natrlicher Einfalt, wo der Mensch noch, mit allen seinen Krften zugleich, als harmonische Einheit wirkt, wo mithin das Ganze seiner Natur sich in der Wirklichkeit vollstndig ausdrckt, die mçglichst vollstndige N a c h a h m u n g d e s W i r k l i c h e n – daß hingegen hier in dem Zustande der Kultur, wo jenes harmonische Zusammenwirken seiner ganzen Natur blos eine Idee ist, die Erhebung der Wirklichkeit zum Ideal, oder, was auf eins hinausluft, d i e D a r s t e l l u n g d e s I d e a l s d e n D i c h t e r m a c h e n m u ß .“ Schi W XVIII, 243 f. 146, 5–9 „Die Phantasie bis Wirklichkeit“: Diese Stellungnahme zum Urteil ber eine Sngerin berichtet der Kanzler von Mller. „Ganz natrlich, sagte Goethe, denn die Phantasie kann sich nie eine Vortrefflichkeit so vollkommen denken, als sie im Individuum wirklich erscheint. Nur vager, neblicht, unbestimmter, grenzenloser denkt sie sich die Phantasie. Aber niemals in der karakteristischen Vollstndigkeit der Wirklichkeit.“ Unterhaltungen 81, vom 8. Mrz 1824. 146, 15–17 So bis Untergangs: Vgl. Dickens ußerungen vor Beendigung der Erzhlungen Der Rarittenladen (Dickens 375, 12–37) und Die Sylvesterglocken (Dickens 375, 38 – 376, 10), nochmals zitiert EW 97. 146, 17–21 Balzac bis wrden: Hinweis auf Balzacs Eigenart in EW 97 f., ausfhrlicher mit Quellenangabe D.s in Bausteine 133. Die Stelle in E Goethe ist der von de Boismont nahe, die D. angibt. Boismont zitiert aus dem großen Essay H. Taines ber Balzac (1858): „Il s’enivre, dit M. Taine, de son œuvre, il en comble son imagination, il est hant de ses personnages, il en est obsd, il en a la vision, ils agissent et souffrent en lui, si prsents, si puissants, que dsormais ils se dveloppent d’euxmÞmes avec l’indpendance et la ncessit des Þtres rels.“ A. B. de Boismont, Des Hallucinations, Paris 31862, S. 464. 146, 21–25 Wie Goethe bis zerstçren kçnne: „Ich kenne mich zwar nicht selbst genug, um zu wissen ob ich eine wahre Tragçdie schreiben kçnnte; ich erschrecke aber bloß vor dem Unternehmen, und bin beinahe berzeugt daß ich mich durch den bloßen Versuch zerstçren kçnnte.“ Brief Goethes vom 9. Dezember 1797 an Schiller. Briefwechsel (wie Anm. No 234, 34) I, S. 414. 146, 32–38 „Ich statuire bis schaffen“: D. weicht in der Mitte des Zitats vom Text des Kanzlers von Mller ab, vgl. von muss (Z. 34) bis Ich (Z. 37): „muß nicht erst von Außen her wieder e r i n n e r t , gleichsam e r - j a g t werden, es muß sich vielmehr gleich vom Anfang her in unser Inneres verweben, mit ihm eins werden, ein neueres besseres Ich“. Unterhaltungen 72, vom 4. November 1823. 146, 39 – 147, 5 So bis Durchschnittsmaß aus: Von D. mehrfach betonte Normalitt und zugleich vçllige Andersartigkeit des Dichters. E Goethe 136, 1–14; EW 92 und 94; Bausteine 131 f. 147, 8–14 Grndliche bis muss: Wiederholter Hinweis auf das Desiderat einer Erforschung der dichterischen Phantasie als Grundlegung des wissenschaftlichen Studiums der poetischen Litteratur und ihrer Geschichte. Vgl. E Goethe 130, 21–38; auch Gesichtserscheinungen 93; Dickens 365, 11–22. 147, 20–25 Das Material bis kçnnen: Zum Vorrang der Biographie vgl. E Goethe 169, 25–32 und Anm.
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147, 28 – 148, 40 Die historische Analyse bis Erfahrungskreise ist: Elemente literaturwissenschaftlicher Untersuchung ausfhrlicher Bausteine 215–228. 148, 15–19 „Des tragischen Dichters bis nachweist“: Zwei aufeinanderfolgende Sprche zusammnengezogen: „Des tragischen Dichters Aufgabe und Thun ist nichts Anderes als ein psychisch-sittliches Phnomen, in einem faßlichen Experiment dargestellt, in der Vergangenheit nachzuweisen.“ Nr. 772. Die zweite Hlfte von D.s Zitat ist Nr. 773. Sprche in Prosa. Goe W 19, 165 f. 148, 20–21 Besonders bis Goethe: Entsprechend Bausteine 216 f. Gemeint ist wohl zunchst die Begrenzung auf „fnferlei Arten“ von Motiven in: Ueber epische und dramatische Dichtung. Goe W 29, 224 f. Die Motivzhlung C. Graf Gozzis, des Verfassers von Mrchenkomçdien im Stile der Commedia dell’arte, und Schillers Nachzhlung entnimmt D. den Gesprchen mit Goethe: „Gozzi habe behauptet, es gbe nur 36 Motive zu einem Trauerspiel.“ So Kanzler von Mller, Unterhaltungen 60, vom 25. September 1823. „Gozzi habe die Meinung gehabt, es gebe nur sechsunddreißig tragische Situationen; Schiller habe geglaubt, es gebe mehr, allein es sei ihm nicht einmal gelungen, nur so viele zu finden.“ Eckermann II, 126, vom 14. Februar 1830; unter diesem Datum etwas verndert wiederholt in Eckermann III, 203, besttigt von den allerdings erst 1929 erschienenen Aufzeichnungen Sorets. Vgl. F. Soret, Zehn Jahre bei Goethe, zusammengestellt, bersetzt und erlutert von H. H. Houben, Leipzig 1929, S. 376. Dort der Hinweis auf G. Polti, der keinen Beleg bei Gozzi angibt, jedoch annimmt, Gozzi habe alle 36 Situationen zu benennen gewußt und seinerseits nun versucht, sie zu veranschaulichen. G. Polti, Les trente-six situations dramatiques, Paris 1895. Nachweis bei Gozzi nicht ermittelt. 149, 3–7 Wie bis zweite Natur ist: Unklare Konstruktion, der entsprechende Satz in Bausteine: Wie wir an einem Naturkçrper Dichtigkeit, Schwere, Wrmezustand trennen und nun diese allgemeinen Eigenschaften aller Kçrper isoliert untersuchen, wie wir die Funktionen des tierischen Stoffwechsels, der Empfindung und der willkrlichen Bewegung in der Physiologie des tierischen Kçrpers sondern und studieren: so trennen wir an dem dichterischen Werke S t o f f , poetische Stimmung, Motiv, Fabel, Charaktere, Handlung und Darstell u n g s m i t t e l . Bausteine 215 f. Dort fehlt allerdings die Wendung eine zweite Natur; vgl. dazu zweites Leben in Dickens 407, 18. 149, 13–26 Erst seit Schiller bis naive: Diesen Passus ber Schillers Unterscheidung zwischen naiven und sentimentalischen Dichtern (vgl. Di 364, 19–22) nimmt D. fast wçrtlich in Bausteine 211 auf mit dem Hinweis auf seine literarischen Aufstze (E Goethe, Lessing, Novalis, Dickens, Alfieri). – Die Stelle ist zusammen zu sehen mit E Goethe 162, 22 – 163, 36. Beide dienen der Verdeutlichung von D.s Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Dichtern, die er, hinter Schiller einen Schritt weiter zurck (E Goethe 149, 27–28) gehend, auf den Erfahrungshorizont (E Goethe 148, 34–35; 149, 30; auch 137, 4–10), die geschichtlichen Bedingungen (E Goethe 163, 25) grndet. Vgl. Anm. Goe 135, 13–16. 149, 26–27 Nach ihm bis worden: Nachfolge Schillers nicht belegbar, korrigiert in Bausteine 121. 149, 39 – 150, 1 Eine bis gewesen sein: Forsters Dickens-Biographie, die D.s Aufsatz ber Dickens weitgehend bestimmt, nachgewiesen in Dickens 365, 34–37 und Anm. Dickens 365, 34–35. 150, 1–14 Er erscheint bis hingegeben: Dickens reprsentiert in D.s Augen den Dichter, dessen
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Werke auf der Erfahrung der Außenwelt beruhen und dessen Leben einen Schluß auf das so unbekannte Shakespeares zulasse. Vgl. E Goethe 150, 15–18; Bausteine 212. 150, 15–18 Indem bis Bacon: Diese etwas undeutliche Parallelisierung erlutert D. im weiteren Text, E Goethe 156, 24–38, mit Hilfe von Comtes Begriff der socialen Statik. Zu Mill vgl. D.s Skizze fr WM (1876). Ges. Schr. XV, 245–250; zu Bacon D.s Abhandlung Das natrliche System der Geisteswissenschaften (1892/93). Ges. Schr. II, 260–263; 447; auch E Goethe 125, 10–23 und Anm. 150, 19 – 156, 23 Shakespeare bis Schicksale: Fr die erste umfangreichere Passage ber Shakespeare hat D. das von ihm angezeigte neuste Buch benutzt: K. Elze, William Shakespeare, Halle 1876. (Kurzbesprechung 1877. Ges. Schr. XVII, 100; die hauptschlichen bernahmen aus dem von D. sehr gelobten Werk werden angegeben.) Whrend D.s Shakespeareabschnitt in den Bearbeitungen von E Goethe fr EuD1–3 fast unverndert bleibt, gelangt eine stark verkrzte Fassung zusammen mit der ber Rousseau in Bausteine 136 f. Die von D. um 1895 geplanten und teilweise begonnenen Aufstze: Shakespeare und seine Zeitgenossen und Shakespeare und Goethe – vgl. B Yorck 181 und 183 – werden nicht abgeschlossen; ein dem Kontext angepaßtes Konzentrat aus diesem Material findet sich in Abhandlung (1895) 288–295. 150, 26–29 Seine Sonette bis anzunehmen: Shake-speare’s sonnets, hrsg. von Th. Thorpe (1609); mehrfach bersetzt und gedeutet im Laufe des 19. Jh.s. Thesen zum autobiographischen Hintergrund wie zur Traditionsgebundenheit dieser Dichtungen in Einleitung und Anmerkungen der D. vermutlich bekannten bersetzung von O. Gildemeister, Shakespeare’s Sonette, Leipzig 1871. 150, 37–38 M. Mller bis Milton: Wiederholt in Bausteine 132. Wortschatzberechnungen und Vergleiche ausfhrlich in Elze 449; dort auch der Nachweis der Zhlung M. Mllers. „Shakspeare, who displayed a greater variety of expression than probably any writer in any language, produced all his plays with about 15,000 words. Milton’s works are built up with 8,000; and the Hebrew Testament says all that it has to say with 5, 642 words.“ In: M. Mller, Lectures on the Science of Language I, London 41864, S. 278. Lecture VII. 150, 38–40 Seine Kenntnis bis erwiesen worden: Zur ungewçhnlichen „Naturkenntniss Shakespeare’s“ vgl. Elze 451–457. 151, 2–4 Er spricht bis liegen gehabt: Elze vergleicht Shakespeare hufig mit Scott, so auch im Blick auf die „Liebhaberei fr Hunde“. Elze 454. 151, 4–8 In einer Zeit bis studirt: Zur Beobachtung krankhafter Seelenzustnde ausfhrlich Elze 460–466. 151, 18–19 Unwillkrlich bis sind: Zu Ranke vgl. E Goethe 127, 37 – 128, 1 und Anm. 151, 31–32 Marlowe und Ben Jonson: Zeitgenossen Shakespeares, beide Dramatiker. Ch. Marlowe, vor allem der Tragçdie zugewandt, schrieb u. a. ein Faustdrama, bersetzte außerdem Ovid. Vgl. D.s Entwurf ber Marlowe in Shakespeare 44–51. Ben Jonson, zunchst Schauspieler und Bhnenautor, war besonders erfolgreich im Bereich der Komçdie. Kritiker und wohl auch Freund Shakespeares vgl. Anm. Goe 155, 15–17.
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151, 32–37 Mit achtzehn bis Wohlstand: Daten und entsprechender Kommentar bei Elze 82; 84; 93 f.; 129; 131. 151, 37–39 Greene bis kann: „Yes trust them not: for there is an vpstart Crow, beautified with our feathers, that with his Tygers hart wrapt in a Players hyde, supposes he is as well able to bombast out a blanke verse as the best of you: and beeing an absolute Iohannes fac totum, is in his owne conceit the onely Shake-scene in a countrey.“ R. Greene, Groats-VVorth of Witte (1592), Reprint New York 1966, S. 45 f. Vgl. Elze 131 f. 151, 39 – 152, 7 Er bis Tochter: Vgl. das VIII. Kapitel bei Elze: Zurckgezogenheit in Stratford und Tod. Elze 551–616. 152, 19–21 Cervantes bis durcheilt: Das Leben des um einiges lteren Erzhlers M. de Cervantes war bewegter und unglcklicher als das Shakespeares. Aus der Kritik der Ritterbcher seiner Zeit ergab sich das Bild ihrer Gesellschaft in seinem Hauptwerk, dem Don Quixote (1605/15). Vgl. Phantasiekunst 264–267. 152, 23–25 Auch Aeschylos bis Welt: Zum ttigen Leben dieser Dichter vgl. auch Bausteine 136. 152, 27–37 Wie bis Wanderungen zu: Landschaft um Stratford (Z. 29), das lustige Altengland (Z. 33) , teils wçrtlich nach Elze 53 f. 152, 39 – 153, 1 (wer bis Landedelmanns): Die Anekdote von Shakespeare als Wilddieb im Park des Sir Thomas Lucy erzhlt z. B. N. Drake, Shakespeare and his Times, Paris 1843, S. 196 f.; erklrt als Erfindung N. Delius, Der Mythus von William Shakspere. Eine Kritik der Shakspere’schen Biographie, Bonn 1851, S. 22 f.; hlt fr wahrscheinlich Elze 113–129. 153, 3–8 Und in bis umgingen: Verkrzt und leicht umgestellt nach Elze 57 f. Mit der Gestalt des großen Kçnigsmachers (Z. 7) ist Richard Neville Earl of Salisbury gemeint, der in den Auseinandersetzungen zwischen Lancaster und York 1461 seinen Vetter Edward IV. zum Kçnig proklamierte; spter Henry VI. untersttzte. 153, 8–12 Ein paar bis gewesen sei: Zu Kenilworth, den von Leicester fr Elisabeth veranstalteten Festen, dem bei Leicester in Diensten stehenden Verwandten Shakespeares vgl. Elze 62 f. 153, 12–19 Aber wie bis enthalten: Informationen zu den Lustbarkeiten, vor allem zu den Theaterauffhrungen in Stratford bei Elze 65 f. Zum Theaterrepertoire ausfhrlicher und mit den von D. genannten Spiegelungen einzelner Stcke in denen Shakespeares Elze 71–74. 153, 21–29 „es bis Ort dar“: Zur Wirkung der Lektre auf Dickens als Kind ausfhrlicher: Dikkens 373, 25 – 374, 15. 154, 7–8 wurde bis in Dienst genommen: Das Patent Jakob I. fr The King’s Players ist datiert vom 17. Mai 1603. Elze 272. 154, 8–9 Seine Sonette bis warf: Vgl. Anm. Goethe 150, 26–29. Shakespeares Klage in den Sonetten (29 und 111) ber die Stellung der Schauspieler erwhnt Elze 260, jedoch nicht im Zusammenhang mit Jakobs Patent. Vgl. auch die Klage ber das Leben und Verstummen der Kunst in Sonett 66.
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154, 28–34 Goethe spricht bis habe: Davon ist die Rede im Gesprch mit dem Kanzler von Mller. „Goethe bemerkte, daß er zu Marienbad und Karlsbad von keinem andern Autor als von Byron und Walter Scott habe sprechen hçren. Aber Scotts Zauber, fuhr er fort, ruht auch auf der Herrlichkeit der drei brittischen Kçnigreiche und der unerschçpflichen Mannichfaltigkeit ihrer Geschichte, whrend in Deutschland sich nirgends zwischen dem Thringer Wald und Meklenburgs Sandwsten ein fruchtbares Feld fr den Romanschreiber findet, so daß ich in Wilhelm Meister den allerelendesten Stoff habe whlen mssen, der sich nur denken lßt; herumziehendes Komçdiantenvolk und armselige Landedelleute, nur um Bewegung in mein Gemlde zu bringen.“ Unterhaltungen 54 f., vom 17. September 1823. 154, 35–36 in seinem Plutarch: Vgl. unten Anm. 155, 19–21. 155, 1–4 Und das bis Bhne: Angelehnt an Elze 145. 155, 4–6 die Kçnigin bis zurck: Nach Elze taucht die Anekdote vom Handschuh der Kçnigin, den Shakespeare whrend der Vorstellung von Heinrich IV. aufhob und mit Versen zurckgab, erst im 18. Jh. auf. Elze 224. 155, 15–17 Wenn Ben Jonson bis verstanden sein: Bezieht sich auf den Vers: „And though thou hadst small Latin, and less Greek,“ aus: B. Jonson, To the Memory of My Beloved, The Author, Mr. William Shakespeare, And What He Hath Left Us. Einleitend zu: Mr. William Shakespeare’s Comedies, Histories, and Tragedies, 1623. In: Poems, hrsg. von I. Donaldson, London. New York. Toronto 1975, S. 309. 155, 19–21 im brigen bis Schiller: D. sttzt wahrscheinlich sein Urteil auf die Untersuchung von N. Delius, Shakespeare’s Coriolanus in seinem Verhltniss zum Coriolanus des Plutarch. In: Jahrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft XI (1876), S. 32–58; von D. angezeigt (1877). Ges. Schr. XVII, 91 f. Delius geht davon aus, daß einzige Quelle fr alle drei Rçmerdramen Shakespeares die bersetzung des Plutarch von Th. North war. Vgl. Anm. Sh 9, 29. Schiller las allerdings Plutarch und Ovid im Original. 155, 21–23 Man hat bis benutzt: Elze 438 f. nennt solche Spuren u. a. aus F. Rabelais’ großem Werk ber Gargantua und Pantagruel (1532–1564). 155, 24–25 Montaigne bis stand: M. de Montaigne, Les Essais (1580/88), bersetzt von J. Florio, The Essayes (1603). Florio, Sohn nach London geflchteter Waldenser, war als bersetzer und Sprachlehrer ttig. Vgl. Elze 166 f. 155, 40 das gilt: Korr. aus: dass gilt. 156, 9–10 welche bis Humanittsschema abarbeiten: Dazu Lessing 103, 13–18 und Anm. 156, 24–28 Wenn man bis gegrndet hat: A. Comte, Cours de Philosophie positive IV, La partie dogmatique de la philosophie sociale (1839). 50. Vorlesung mit dem Titel: Considrations prliminaires sur la statique sociale, ou thorie gnrale de l’ordre spontan des socits humaines. Der Begriff der „statique sociale“ bezieht sich auf den Ausgleich zwischen den Zielen des Individuums (la vie individuelle), der Familie (la vie domestique) und der Gesellschaft (la vie sociale). Zur Soziologie Comtes vgl. Einleitung 105–108.
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156, 35–38 Die intellectuellen Neigungen bis drfen: Vgl. E Goethe 150, 15–18. 157, 8–10 Shakespeare bis Scott: Mit Einschrnkung drei Generationen englischer Autoren. Zu Ben Jonson vgl. Anm. Goe 151, 31–32; zu Smollett und Fielding, die von Dickens als Kind gelesen wurden, vgl. E Goethe 153, 21–29; Anm. Di 373, 28–29 und 373, 29–30; zu Richardson vgl. E Goethe 160, 7 und Anm.; zu Thackeray, dem Zeitgenossen von Dickens, vgl. Anm. Di 386, 2–7; zu Scott, lter als die beiden letzteren, Tg. Di, Handschriftenbefund 598 b und 602 Fortsetzung. 157, 11 Byron, Shelley und Coleridge: Vermutlich Anspielung auf die gegenseitige Wertschtzung Goethes und Byrons vgl. Anm. Goe 168, 30–34; auf P. Shelleys Vorliebe fr griechische Philosophie und die S. T. Coleridges fr die Dichtung Schillers, dessen Wallenstein er bersetzte. 157, 14–15 Hamilton und Carlyle: W. Hamilton wie Th. Carlyle rezipierten die Philosophie Kants; zu Hamilton vgl. D.s Jahresbericht (1890).Ges. Schr. XV, 328 f. Auch die kurze Charakteristik in : Die drei Grundformen der Systeme in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts (1898). Ges. Schr. IV, 536 f. Ausfhrlich ber Carlyle, nebenbei auch ber Hamilton, in Thomas Carlyle (1890). Ges. Schr. IV, 507–527. 157, 35 – 158, 9 Die Phantasie bis formen: Nochmaliger Hinweis auf die verschiedene Disposition der Dichter. Vgl. Anm. Goe 135, 13–16. 158, 12–16 In dem bis Zustnde: Rousseaus Nouvelle Hlose (wie Anm. Al 291, 37–38). 158, 23–24 seine Confessionen und seine Briefe: D.s Abschnitt ber Rousseau (E Goethe 158, 12 – 160, 33) bleibt fast unverndert erhalten in den Bearbeitungen von E Goethe fr EuD1–3. J.-J. Rousseau, Les Confessions (e 1765–1770; v 1781/88). Einen Hinweis auf die große Bedeutung der Confessions gibt D. in der frhen Besprechung von F. Brockerhoff, Jean Jacques Rousseau I, Leipzig 1863. Ges. Schr. XVI, 429–435. D.s Titel: Rousseaus Entwicklungsgeschichte (1863). 158, 25–27 Er bis leben“: Mit diesen von D. leicht vernderten Angaben erçffnet Brockerhoff den zweiten Band seiner Biographie, Jean Jacques Rousseau II (1868). Quelle des Zitats: Brief Rousseaus vom 26. Januar 1762 an Ch.-G. de Lamoignon de Malesherbes. „Je n’ai commenc de vivre que Le 9 Avril 1756.“ 158, 36 Miranda und Hermione: Gestalten Shakespeares aus: Der Sturm; Wintermrchen. 158, 39 – 159, 7 er erzhlt bis sind.“: E. Schmidt 91. Confessions IV. Buch. D. bezieht sich in seiner Skizze ber Rousseau ausdrcklich auf E. Schmidt (E Goethe 160, 4–11) und dessen Buch (wie Anm. Goe 126, 23). Da D. in der Wahl seiner Zitate wie in den bersetzungen weitgehend mit ihm bereinstimmt, wird die jeweilige Fundstelle bei Schmidt angegeben, der keine Quelle nennt und wahrscheinlich selbst bersetzt hat; dazu das entsprechende Buch der Confessions, der franzçsische Text nur in einigen Fllen. 159, 8–14 „Ich sah bis konnte.“: E. Schmidt 86 f. Confessions IX. Buch. D. verkrzt das Satzgefge der Vorlage um den Anfang. 159, 14–15 „Sterben bis haben“: E. Schmidt 87. Confessions IX. Buch. Der Satz Rousseaus, von
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Schmidt vollstndig zitiert: „Dvor du besoin d’aimer sans jamais l’avoir pu bien satisfaire, je me voyois atteindre aux portes de la vieillesse, et mourir sans avoir vcu.“ 159, 15–23 In solcher bis sehnen konnte“: Sowohl die Landschaftsszenerie als das Zitat stammen aus dem Brief an Malesherbes (wie oben Anm. 158, 25–27); beides zitiert bei Brockerhoff II, S. 7 f. 159, 26–38 „Ich stellte mir bis eigen wusste.“: E. Schmidt 92 f. nur der Anfang. Confessions IX. Buch. Vollstndig bei Brockerhoff II (wie oben Anm. 158, 25–27), S. 40; von D. leicht gekrzt; Ideale (Z. 27) statt „Idole“(„idoles“) bei Brockerhoff und E. Schmidt. 159, 40 – 160, 4 „wenn bis Schauplatz.“: E. Schmidt 94. Confessions IV. Buch. 160, 4–11 Es ist bis ereignet hatte: E. Schmidt 83–114. Schmidt entwickelt aus den Confessions, daß die Konzeption zur Nouvelle Hlose ein aus Erinnerungen entstandener Phantasieentwurf ist, also nicht Niederschlag eines Liebeserlebnisses, verarbeitete Biographie. Als „Erlerntes“ kommen einflußnehmend die Gestalten aus den Romanen Richardsons hinzu, aus der franzçsischen Geschichte die Abaelards und Heloisas. 160, 7 Gestalten Richardsons: S. Richardson ist der Verfasser brgerlicher empfindsamer Briefromane von großem Erfolg, z. B. Pamela (1740); Clarissa (1748). 160, 10 Ablard und Heloise: Liebespaar im Frankreich des 12. Jh.s. Abaelard, ein umstrittener Theologe, Heloisa, seine Schlerin und Geliebte, spter Priorin eines Nonnenklosters – beide historische Figuren. Die Echtheit ihrer lateinisch berlieferten und vielfach bersetzten Briefe ist zuweilen bestritten worden, ohne der Wirkung ihrer Geschichte Abbruch zu tun. 160, 13–17 „als ich bis zu machen.“: E. Schmidt 95. Confessions IX. Buch. D. bernimmt nur die zweite Hlfte des langen Zitats bei E. Schmidt. 160, 34 – 162, 20 Blickt bis des Lebens: An D.s Blick auf das Heroenzeitalter der neueren Vçlker fllt die Trennung der romanischen und deutschen Dichter voneinander auf; dann das Bestreben, in diesen Dichtungen persçnliche Erlebnisse zu sehen. Vgl. Erlebnisse (161, 10–11); aus reichster Erfahrung (161, 21); persçnliche Erfahrung (162, 16); persçnliches Erlebnis (162, 18–19). 160, 36 – 161, 1 Wir bis Lage sind: Quellen sind die Artusromane des Chrtien de Troyes, besonders Perceval (vor 1190), an den Wolfram mit seinem Parzival (zwischen 1200 und 1210) anknpft, und Bruchstcke eines Tristanepos des Thomas von Britanje, auf den sich Gottfried beruft (V 150). 161, 4–9 In den bis Mre: Gottfried von Straßburg, Tristan (um 1210). Im literarischen Exkurs Gottfrieds, der die Darstellung von Tristans Schwertleite unterbricht (V 4621–4820) wird Wolfram zwar nicht namentlich genannt, aber als „vindære wilder mære“(V 4665) wohl deutlich kritisiert. Wolfram selber redet zu Beginn des 10. Buchs seines Parzivals von „wilden mæren“ (X. 503, 1). ber die Lyriker sagt Gottfried: „ir stimme ist lter unde guot, / si gebent der werlde h hen muot / und tuont rehte in dem herzen wol.“(V 4759–4761). 161, 11–14 In zwei Stellen bis schildert: Gemeint ist offensichtlich Gottfrieds Anrede der „edelen
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Textgeschichte und Anmerkungen
herzen“ im Prolog des Tristan (V 45–130) und der Abschnitt ber die Minnegrotte (V 16679–17274). 161, 18–19 „so lang bis leben;“: Gottfried von Straßburg, Tristan V 1872–1873 „die w le und er daz leben ht, / s sol er mit den lebenden leben,“. D. bergeht die Situation, den Tod Riwalins und Blancheflurs, der Eltern Tristans. Die bersetzung ist vielleicht angelehnt an die Bearbeitung von W. Hertz (1877): „So lang ihm noch das Leben tagt, / Soll er mit den Lebengen leben“. 161, 31–32 leichtverhehlter Spott bis vorbereitet: Zu Cervantes vgl. Anm. Goe 152, 19–21. L. Ariost, Orlando furioso (1516, spter erweitert), teilweise ironische Schilderung des vergangenen Rittertums. Vgl. Phantasiekunst 260–262. 162, 22–38 Schiller bis den Alten: Anknpfung an die Unterscheidung zweier Gruppen von Dichtern und Dichtung. Vgl. E Goethe 149, 13–26 und Anm. D. referiert aus Schillers Abhandlung, vgl. Schi W XVIII, 241–244. In Goethes Werther finden sich nach Schiller beide Richtungen ebd. 244. 162, 38–39 „Jene bis Ideen.“: Der vollstndige Satz: „Jene rhren uns durch Natur, durch sinnliche Wahrheit, durch lebendige Gegenwart; diese rhren uns durch Ideen.“ Ueber naive und sentimentalische Dichtung. Schi W XVIII, 244 f. 163, 10–12 „es bis versuchen“: Schiller abschließend zu den vier genannten Werken: „[. . .] es verlohnte wohl der Mhe, eine psychologische Entwickelung dieses in vier so verschiedene Arten specificirten Charakters zu versuchen.“ Ueber naive und sentimentalische Dichtung. Schi W XVIII, 280. 163, 15–18 War bis Gestalten?: D.s Bezugspunkt: „[. . .] dieses gefhrliche Extrem des sentimentalischen Charakters ist der Stoff eines Dichters geworden, in welchem die Natur getreuer und reiner als in irgend einem andern wirkt, und der sich unter modernen Dichtern vielleicht am wenigsten von der sinnlichen Wahrheit der Dinge entfernt hat.“ Ebd. 279. 163, 24–29 Es ist bis hatte: Zu Goethes Selbstdarstellung vgl. E Goethe 133, 26–38. 163, 37 – 164, 15 Sollte bis kçnnen: Rckbesinnung auf Grimm, vgl. E Goethe 130, 17–19, der durch D.s Ausfhrungen gerechtfertigt (164, 4–5) sein soll. 164, 21–26 Grimm sagt bis zurckzuleiten.“: Statt Goethes (Z. 22): „Goethe’s“. Statt: Uebertragung (Z. 23–24): „bertragung“. Grimm, Goethe. II, 268 (24. Vorlesung). 164, 26–32 „Whrend bis wiederzukehren: Statt Goethes (Z. 27; 29; 30): „Goethe’s“. Statt Vorteil (Z.28): „Vortheil“. Statt nachteilig geworden, dass (Z. 29–30): „nachtheilig geworden, daß“. Ebd. 164, 32–35 Indem bis erklrbar: Nach ganz ab. (Z. 34) berspringt D. einige Stze. Grimm, Goethe II, 269 (24. Vorlesung). 164, 35–38 Fassen bis anders: „Fassen wir sie nun jedoch als Incarnationen Goethe’s, der in stets wechselnden Verhltnissen immer nur in eigner Person wieder auftritt, so fehlt ihnen smmtlich aber auch dann eine gewisse rohe Kraft, ohne die ein voller Mann nicht zu denken ist. [. . .] Goethe selber aber war doch anders.“ Ebd.
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164, 38–40 Warum bis umherging?“: Grimm, Goethe II, 270 (24. Vorlesung). 165, 1–4 „Wir haben bis muss.“: „Wir haben uns bei all jenen Figuren Faust als unsichtbaren Doppelgnger zu denken! Faust, den Goethe niemals los ließ so lange er athmete, war der ltere Bruder dieser ganzen Gesellschaft, der immer die besten Bissen vorab bekam und der fr sie alle einstehen muß.“ Ebd. 165, 15–17 Epoche bis verhlt: Im Zeichen von Spinozas Ethik hat D. die Entwicklung Alfieris gesehen und dargestellt. Vgl. Anm Al 295, 17–21. 165, 23–24 Das ist bis gerhmt hat: „Ich will ihre Poesie die L a z a r e t h - P o e s i e nennen; dagegen die echt t y r t i s c h e diejenige, die nicht blos Schlachtlieder singt, sondern auch den Menschen mit Muth ausrstet, die Kmpfe des Lebens zu bestehen.“ 24. September 1827, Eckermann I, 262. – Tyrtaios, Elegiendichter des 7. Jh.s v. Chr., ermutigte, sich zu bewhren, im Kampf wie im Leben. 165, 28–29 sein bekanntes Wort bis sei: „Man hat mich immer als einen vom Glck besonders Begnstigten gepriesen; auch will ich mich nicht beklagen und den Gang meines Lebens nicht schelten. Allein im Grunde ist es nichts als Mhe und Arbeit gewesen, und ich kann wohl sagen, daß ich in meinen fnfundsiebzig Jahren keine vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Es war das ewige Wlzen eines Steins, der immer von neuem gehoben sein wollte.“ 27. Januar 1824, Eckermann I, 76. 165, 32–35 aber wenn bis Schmerzen: Vgl. Brief vom 6. Mrz 1779 an Ch. von Stein: „Hier will das Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der Kçnig von Tauris soll reden als wenn kein Strumpfwrcker in Apolda hungerte.“ Goethes Briefe an Frau von Stein I, hrsg. von A. Schçll, Frankfurt/M. 3 1899, S. 160. 165, 39–40 er habe bis gelebt habe: Vgl. E Goethe 131, 10–16. 166, 4–9 „nur bis erscheinen lsst.“: Der Zitatanfang ist Satzbeginn. Statt diese Charaktere (Z. 5): „sie“. Statt selbst (Z. 6): „selber“. Statt lsst (Z. 9): „lßt“. Grimm, Goethe II, 269 (24. Vorlesung). 166, 10–15 „Shakespeares bis sehen.“: In Grimms Zusammenhang: „Goethe rhmt Shakspeare nach, man sehe in die Seele seiner Gestalten hinein wie in glserne Uhren. Darin liegt ein hohes Lob, aber ein begrnztes. Goethe spricht damit etwas aus, das mit dem Vergleiche vielleicht nicht gemeint war, fr mich aber darinliegt: Shakspeare’s Gestalten haben etwas Uhrenartiges. Man sieht oft nur allzu genau die sich bewegenden Rder statt menschlichen Blutumlaufes.“ D. berspringt ein langes Satzgefge. Statt Goethes bis Uhren (Z. 12–13): „Goethe’s Gestalten sind aus einer andern Welt als die Shakspeare’s, Goethe lßt uns in ihre Seele blicken als wren es nicht Uhren“. Grimm, Goethe I, 205 f. (9. Vorlesung). 166, 24–27 Julian Schmidt bis Zusammenhang: Annhernd J. Schmidts Urteil ber Faust, den er nicht fr „ein dramatisches Kunstwerk“ hlt. Seine Begrndung: „Der dramatische Gang im Großen und Ganzen ist unsicher; [. . .] Unter diesem Mangel leiden auch die Charaktere selbst, denn Charaktere expliciren sich nur handelnd.“ PJ XXXIX, 4 (1877), S. 371. 167, 15–16 Tischreden Luthers bis ist: Die Tischreden sind von Schlern und Anhngern gesammelte ußerungen Luthers in Tischgesprchen; zuerst herausgegeben 1566 von J. Aurifaber (Goldschmidt).
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Textgeschichte und Anmerkungen
167, 16–18 als bis machen wollte: Anspielung auf das letzte Buch von D. F. Strauß, Der alte und der neue Glaube, Leipzig 1872, bes. auf die dort behauptete Nhe von Kunst und Religion (S. 293–296) und den Abschnitt ber Goethe (S. 302–322). D. hat H. Ulricis Kritik dieses Werks von 1873 im selben Jahr angezeigt. Ges. Schr. XVII, 319 f. Sein Verdikt ber Strauß widerspricht sonstigen ußerungen. Vgl. Ges. Schr. XVII, 60 f.; 112–114; 164 f.; 194; 202–204; 227–229; auch Lessing 96, 19–21 und Anm. 167, 18–20 Riemer bis betrachtet.“: Die zitierte Stelle ist eine Anmerkung zu Goethes Gedicht: Amor, als Landschaftsmaler. „Wie das Gedicht von jeher mein Liebling war, so gefiel es auch Meyern ber die Maaßen: denn es ist ein Symbol von Goethe’s ganzer Dichtart, das Ideeelle zu realisiren, das Gedachte und Gedichtete i n und a l s Wirklichkeit zu sehen und zu finden, wenn man die Welt mit Liebe betrachtet; [. . .].“ F. W. Riemer, Mittheilungen (wie Anm. Di 368, 13–14) II (1841), S. 527. 167, 26–28 Grimm bis commandirte: Grimm faßt seinen Vergleich Goethes mit Voltaire formelhaft zusammen: „Voltaire zerstçrte, Goethe hat aufgebaut.“ Grimm, Goethe I, 5 (Einleitung). 167, 30 Bolingbroke: H. St. John, 1st Viscount Bolingbroke, Staatsmann, politischer und philosophischer Schriftsteller. Maßgeblich beteiligt am Abschluß des Vertrags von Utrecht (1713); Verlust des politischen Einflusses unter George I. Voltaire gehçrte zu seinen Freunden. 168, 10–13 Daher Goethes bis Conflict sah: Gedacht ist an Goethes Newton-Polemik, seine Ablehnung der Spektralanalyse des Lichts, der physikalischen Optik. 168, 17–18 Denn bis gewesen: Die Naturphilosophie des jungen Schelling war Goethes Naturauffassung nahe; Schopenhauer rezipierte Goethes Farbenlehre und knpft in seiner eigenen Schrift ber das Sehn und die Farben (1816) an Goethe an. 168, 30–34 er hat bis voranschritt: Vgl. „Byron konnte gewissermaßen nicht wieter gehen. Er hatte den Gipfel seiner schçpferischen Kraft erreicht, und was er auch in der Folge noch gemacht haben wrde, so htte er doch die seinem Talent gezogenen Grenzen nicht erweitern kçnnen.“ 18. Mai 1824, Eckermann III, 39. „Er ist ein großes Talent, ein g e b o r e n e s , und die eigentlich poetische Kraft ist mir bei niemand grçßer vorgekommen als bei ihm. In Auffassung des Aeußern und klarem Durchblick vergangener Zustnde ist er ebenso groß als Shakspeare.“ 24. Februar 1825, Eckermann I, 142 f. „Die Englnder“, sagte er unter anderm, „mçgen auch von Byron halten was sie wollen, so ist doch so viel gewiß, daß sie keinen Poeten aufzuweisen haben, der ihm zu vergleichen wre. Er ist anders als alle brigen und meistentheils grçßer.“ 26. Mrz 1826, Eckermann I, 173. 168, 21 – 169, 24 So treten bis Fall ist: Abschließende Gegenberstellung der zwei Gruppen von Dichtern (vgl. Anm. Goe 149, 13–26), daraus abgeleitet der Vorrang der Person vor dem Werk bei der ersten Gruppe. 169, 25–32 Zumal bis festhlt: Zum Interesse [. . .] an der Persçnlichkeit und ihrer Biographie, der wechselseitigen Ergnzung von Werk und Biographie, dem Vorrang der Biographie vgl. JD 5; Novalis 201, 33–36; Lessing 103, 29 – 104, 12; Alfieri 295, 15–17; Dickens 392, 2–4; Shakespeare 16, 20–22; Antrittsrede in der Akademie (1887). Ges. Schr. V, 10 f.; Ideen 225; Abhandlung (1895) 266 f.; Ges. Schr. VII, 246–251; Lessing (1910) in Ges. Schr. XXVI, 43, 8–11. 169, 32 festhlt: Darauf folgt in einer Zeile die Unterzeichnung des Aufsatzes: Breslau, April 1877. Wilhelm Dilthey.
Schiller.
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Schiller. Entstehung und berlieferung ber die Entstehung eines Schiller-Manuskripts gibt der Briefwechsel mit dem Grafen P. Yorck von Wartenburg Auskunft; zunchst mit der ermutigenden Aufforderung Yorcks am 31. Mai 1894: „Schreiben Sie Ihren Schiller. Das ist lebendige Geschichte.“ B Yorck 175. Pfingsten 1895 teilt D. den Plan seiner Aufsatzsammlung mit, in der ein Aufsatz ber Schiller an fnfter Stelle stehen soll. B Yorck 183. Im September aus Bad Kreuth: Ich habe hier einen großen Schiller fr die Aufstze geschrieben. Immer mehr tritt fr diesen eine eigene Beziehung von Studium der Lagen des Bewußtseins, seherischer Stellung der Dichter in ihnen und vergleichender Literaturgeschichte in den Vordergrund. B Yorck 187. Am 13. Oktober 1895 aus Brixen: Dann habe ich fr die Verbindung meiner literarhistorischen Aufstze zu einem Ganzen ber Schiller als den Begrnder des historischen Drama das Erforderliche geschrieben. B Yorck 189. Lnger als an Shakespeare hat D. an Schiller weitergearbeitet, weil er den in keiner Weise abgeschlossenen Aufsatz nach dem Scheitern seiner Sammlung von 1895 fr die Studien zur Geschichte des deutschen Geistes bestimmte (vgl. DM VI). Obwohl dieses Projekt auch aufgegeben wurde, schrieb D. bis 1906, vermutlich noch spter ber Schiller (vgl. DM 465 f.). Hotelbriefpapier, auf dem sich einzelne Stcke finden (Nnalphorn, Flhli-Ranft; H tel Central, Zrich), gibt hier und da ungefhre Anhaltspunkte fr ihre Entstehung. H. Nohl ist wohl in der Hauptsache verantwortlich fr Sichtung und Publikation des Materials (vgl. H. Nohl, Friedrich Schiller, Frankfurt/M. 1954, Vorwort). Er hat es, piettvoll wie radikal im Umgang mit den Hss., geordnet – korrigierend, auswhlend, zusammensetzend, ergnzend. Wallensteinpapiere hat D. selbst fr eine Teilverçffentlichung in der Abhandlung (1895) verarbeitet, sie stehen hier, weil mit Sicherheit aus der Zeit um 1895, im Mittelpunkt. H, Hh, hH: EN: D1: D2:
Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey A 63 (64) und 64 (65). DM 325–427. DM (21957), S. 325–427. W. Dilthey, Schiller. Mit einem Vorwort von Herman Nohl, Gçttingen 1957, 1959; aus DM (21957).
Textwiedergabe nach H, Hh, hH. Handschriftenbefund Die Hss. zu Schiller liegen in zwei Konvoluten, ihrer letzten Bestimmung gemß, in der Abteilung A des NL Dilthey in kleineren und grçßeren, meist von fremder Hand beschrifteten Umschlgen, etwa nach der Ordnung, die die Herausgeber, G. Misch und H. Nohl, fr DM gewhlt haben. Sie sind durchweg wenig bearbeitet und unkoordiniert, teils diktiert, teils von D. geschrieben. Die Wiedergabe innerhalb der Rekonstruktion des Aufsatzprojekts: „ Dichter als Seher der Menschheit“ beschrnkt sich auf zwei grçßere zusammenhngende Mss.: Schiller (zur Biographie und frhen Lyrik) und Wallenstein (das historische Drama). Hinweise am Rand der Hss., soweit entzifferbar, erscheinen in den Anmerkungen; zwei kleine Ergnzungen mit unsicherer Zuordnung ber Lyrik, eine grçßere zu Wallenstein unter Handschriftenbefund. Der Ansatz einer bersicht, beide Schwerpunkte besttigend, ein weiterer: Das Drama Schillers, und ein mit Wallenstein verbundenes Bruchstck, Philosophische Periode, gehen dem Wallensteinkomplex voraus.
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Textgeschichte und Anmerkungen
Schiller. A 63 (64), 16r-36r Im Umschlag: Schiller I, diktiert, paginiert von 1–39, auf großformatigen gelblichen Blttern ohne weitere Kennzeichen; meist rechtsspaltig beschrieben, auf den linken Spalten von D.s Hand Stichwçrter zur Gliederung einer vielleicht vorgesehenen Ausfhrung, die unerwhnt bleiben. Das Ms. ist unbearbeitet, enthlt ungewçhnlich viele Hçr-, Schreib- und grammatikalische Fehler, verrt Unkenntnis von Namen, Begriffen, Wçrtern, hat eine hçchst eigenwillige Interpunktion, wohl den Sprechpausen folgend, kurz: macht es unmçglich, die vorgesehenen Editionsrichtlinien strikt einzuhalten. So werden hier alle Eigennamen ohne Nachweis korrigiert; weitere Stellen, deren Aufschlsselung meist Nohls Phantasie und Vertrautheit mit D.s Sprachgebrauch zu verdanken ist, nur in gravierenden Fllen zur Veranschaulichung nachgewiesen. Die Interpunktion bleibt in der Regel erhalten. 181, 20 Beigeschmack: Das Ms. endet an dieser Stelle, es folgt ein unpaginierter Abschnitt, ohne erkennbare Zugehçrigkeit, vom Schreiber des gesamten Ms. A 63 (64), 37r, 37v Das Gedicht „Die Knstler“, bezeichnet den Hçhepunkt der ganzen jugendlichen Epoche; enthlt bereits die Grundgedanken seiner spteren Aesthetik. [1.] Die Kunst ist das Organ der Humanisirung und bereitet daher die Wahrheit und die Freiheit vor. 2. Hieraus ergiebt sich die weltgeschichtliche Betrachtung derselben. 3. Sie ist das Organ der Weltbeseelung. 4. Schein, Gestalt, Form herrschen in ihr. Der Reichthum eines, von allen Krften der Zeit erfllten Gemthslebens die innere Theilnahme am Fortschritt der Menschheit, die Allseitigkeit der Interessen ist nie von Schiller spter bertroffen oder auch nur erreicht worden. So beweist diese Dichtung daß Schiller vor seinem Studium Kant’s aus seiner eignen Natur heraus seine Grundgedanken ergriffen hatte. Er zeigt dieselbe Unabhngigkeit von Kant, als Goethe von Spinoza. 181, 20 Beigeschmack: Eine weitere Notiz vom Schreiber des gesamten Ms. Schiller: A 63 (64), 39r Wie eine Abendstimmung ber dem stillen Thal von Jena, liegt es ber diesen Gedichten. In der Vergangenheit liegt die Epoche hçchster menschlicher Vollendung. Mit der Jugend ging vorber die Zeit der Ideale. Ideal und Leben beruhen auf einer abstracten Trennung des kmpfenden Willens und der sthetischen Seelenverfassung; hierin zeigt dieses Gedicht: Schopenhauer im Keim. In Wirklichkeit sind beides nur 2. Seiten; derselben menschlichen Entwicklung. A 63 (64), 121r, 122r Anfang einer bersicht, die auf ein ausgedehntes Vorhaben schließen lßt, zugleich die Folge Lyrik, historisches Drama besttigt, von D.s Hand, paginiert 1–2; im Umschlag 63, 120 mit der Aufschrift: Schiller. Erster Abschnitt: Bedingungen, Genie und Entwicklung. Schiller. Erstes Capitel. 1. Seine Mission. Er schafft die Gedankenlyrik und das neue historische Drama. Sein Wesen ist die Grçße, welche in der Unterwerfung der Wirklichkeit unter ein Ideelles enthalten ist. So Zusammenhang seiner Entwicklung, dieses zu sehen, dh. in der Wirklichkeit sein Wirken zu gewahren, das Eindruckskrftige das hierin liegt zu packen und die Darstellungsformen desselben zu finden. Die ungeheure Wirkung auf seine Zeit beruhte also darauf daß die Epoche, in welcher das
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souverne Denken in der Revolution, dem Sturm und Drang, der neuen Philosophie und Geschichte die Deutschen erfaßte, durch ihn dieses Alles in Gemth und Phantasie aufnahm. Seine dauernde Wirkung beruht darauf daß die Formen welche er hierfr geschaffen sich fortentwikkeln. Daß immer in der Jugend dieses Aufgehen der Macht solcher idealen Momente durch ihn vermittelt wird. Schiller. Erstes Capitel. 2. Zusammenhang seiner Entwicklung. Er erfaßte diese Ideen zunchst in den gesellschaftlichen Verhltnissen seiner Zeit. So entstand seine Gedankenlyrik und sein soziales und politisches Drama. So haftete ihm aber Unklarheit an. Ihm selber unbewußt lag eben in seinem Grundzug das Streben, nicht zu rasten bis er im historischen und philosophischen Bewustsein z u r H e r s c h a f t b e r d i e I d e e n s e i n e r Z e i t g e l a n g t w a r . Spter hatte er von diesen Nothwendigkeiten seiner Natur nicht immer klares Bewu[ßt]sein. Und er bemerkte doch auch zugleich was er verloren hatte. Auf seiner Hçhe fand er die Klarheit ber seinen großen Styl der auf das Nothwendige und Allgemeine ging. Und an diesem Punkte begegnete er Goethe. D a h e r 3 P e r i o d e n seiner Entwicklung. A 63 (64), 123r folgt der vorangehenden Teilbersicht, isolierter Kapitelbeginn von D.s Hand, unpaginiert, mit Streichungen und Einfgungen, Fortsetzung oder Zusammenhang nicht ersichtlich. Das Drama Schillers. Die Malerei stellt ußere Wirklichkeit dar und nur mittelbar die innere und ihre Erscheinung in Ton und Gebrde. Das Drama ist die kçnigliche Kunst die alle Manifestationen der inneren Welt auf dem Hintergrund der ußeren darstellt. So ist es die Darstellung des Lebens, wie es unter menschlichem Gesichtspunkt erscheint, nmlich als das Treiben der Menschen auf dem Hintergrund von Gesellschaft und Natur. Shak[espeare] schon daß Leben Bhne < etc? oder u?> die Malerei wirft die ußere dreidimensionale Wirklichkeit mit ihren Raumabstnden, die bestndig in Bewegung ist und auf alle Sinne gleichzeitig wirkt, auf die unbewegliche stumme Flche der Leinwand. Das Drama muß einen Inbegriff von innerer und ußerer Wirklichkeit in dem engen Raum einer Bhne und auf einen Abend zusammengezogen dar[stellen]. Und die Lçsung dieser Aufgabe ist technisch am schwersten im historischen Drama. Denn je weiter die Wirkung von Aktionen greifen soll auf dem Gebiet ußerer Willensbethtigung desto mehr muß in Raum und Zeit sie sich erstrecken. Historische Aktionen verlaufen in weiterem Raum und bedrfen der Ausdehnung in der Zeit. Das historische Drama Schillers macht grçßere Anforderungen an die technische Bewltigung dieser Schwierigkeiten als irgend ein frheres. Denn dasselbe begngt sich nicht mit der Darstellung der Willensrelationen großer Persçnlichkeiten, sondern es will die historischen Krfte unpersçnlicher Art, welche den Lauf der Geschichte bestimmen, die Machtmittel, die wirkenden Ideen, die zu Grunde liegenden Volkszustnde zur Darstellung bringen. A 64 (65), 137r-141v Kleines Ms., berschrift und erster Teil von D.s Hand, dann Diktat, einmal von D. unterbrochen; gekennzeichnet: Schiller 5–7. Philosophische Periode. Schiller hat in dieser Periode die Aufgabe gelçst, von dem neuerrungenen transscendentalen Standpunkt aus, die Stellung der Kunst in dem inneren Zusammenhang des menschlichen Bewustseins zu bestimmen. In dem Fortgang vom sinnlichen zum sittlichen Bew[ußtsein] will er den Punkt bezeichnen, an welchem mit Nothwendigkeit die Kunst hervortrete. Nachdem die
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Transscendentalphilosophie in dem synthetischen Vermçgen des Menschen, das in der transscendentalen Einheit seines Wesens gegrndet ist, den Einheitspunkt der verschiedenen Kritiken Kants gefunden hat: ist es das gemeinsame Problem von Schiller, Schelling, Hegel etc. den inneren Zusammenhang der großen Leistungen des menschlichen Bew[ußtseins] zu entdecken. Es ist nicht Schiller allein der auf diesem Wege ist und das construiren aus den letzten Bedingungen der Menschennatur ist nicht sein eigenthmlicher Fehler, sondern der dieser ganzen ghrenden Epoche. Aber es ist doch auch der innerste Zug dieses gestaltenden Geistes, der sich seines schçpferischen Vermçgens bewußt ist was darin sich ußert. Was in Kant auseinanderfiel als Sinnlichkeit, welche receptiv in Empfindungen den Stoff der Wirklichkeit erwirbt und als Spiel der Begierden, das wird hier zusammengefaßt als sinnlicher Trieb. Die Fassung als Trieb Fichte? Dieser Trieb setzt den Menschen in die Schranken der Zeit und macht ihn zur Materie dh. zu dem vernderlich die Zeit erfllenden Realen, das in sich beschrnkt ist. Was bei Kant synthetisches Vermçgen und moralische Anlage ist, wird von Schiller einheitlich als Formtrieb bestimmt. War die vorherige Vereinigung der beiden Kritiken nur durch einen dunklen und problematischen Begriff mçglich, war sie ein leeres Spiel einer die Grenzen der Erfahrung berschreitenden Speculation, so sind wir mit diesem neuen Begriff auf festem Boden, sowohl geschichtlich als psychologisch. Geschichtlich genommen ist es der Platonismus, der hier regiert. Es ist die schon in Kant angelegte Umsetzung des metaphysischen Dualismus von Materie und Form, es ist sonach die Verschmelzung des transcendentalen Standpunktes mit dem Formsinn und der Gestaltlichkeit des griechischen Geistes, was nun regiert. „Briefe XII. Obgleich der sinnliche Trieb dort allein die Anlagen der Menschheit weckt und entfaltet, so ist er es doch allein, der ihre Vollendung unmçglich macht. Mit unzerreisbaren Banden fesselt er den hçher strebenden Geist an die Sinnenwelt und von ihrer freiesten Wanderung ins Unendliche ruft er die Abstraction in die Grenzen der Gegenwart zurck.“ Die Begriffe der Einheit der Person, der Harmonieen, der Form, des unendlichen Strebens vereinigen sich so zu einer Einheit welche von der Vernunft des Plato und Aristoteles nur durch den modernen Begriff des unendlichen Strebens, also der Anlage zur Entwicklung sich unterscheidet. Die ganze Bildlichkeit dieses Begriffes, welche das Ideal und die Gestalt herausholt, befhigt ihn in den lyrischen Gedichten Schillers Gegenstand der Poesie zu werden und in seiner Philosophie die Erklrung der Dichtung zu ermçglichen. Indem nmlich Schiller (Brief 13) beide Triebe nicht in kantischer Weise einander subordiniert sondern coordiniert, muss die volle Menschheit in dem Vermçgen liegen, sich seiner Freiheit bewusst zu sein und zur selben Zeit sein Dasein zu empfinden sich als Materie zu fhlen und als Geist zu wissen. Jeder Gegenstand, welcher diesen sthetischen Zustand hervorbringt, wird dem Menschen zum „Symbol seiner ausgefhrten Bestimmung,“ zu einer „Darstellung des Unendlichen“ (ein Begriff ) Brief 14. Ist fr die Identittsphilosophie diese sthetische Verfassung die absolute, so ist sie fr Schiller ein Glied in der Entwicklung des Bewustseins. „Das Gemth geht also von der Empfindung zum Gedanken durch eine mittlere Stimmung ber, in welcher Sinnlichkeit und Vernunft zu gleicher Zeit thtig sind“ (Brief 20.) sthetische Freiheit, erfllte Unendlichkeit, hohe Gleichmtigkeit und Freiheit des Geistes, mit Kraft und Rstigkeit verbunden: das ist die knstlerische Stimmung, das Kunstgeheimnis des Meisters ist die Form durch die Form zu vertilgen. Dieser Zustand ist nun nach Schiller das notwendige Mittelglied zwischen dem sinnlichen und dem vernnftigen Menschen. (23) In ihm legt der Geist seine Selbstndigkeit in das Wandelbare und seine Unendlichkeit in das Sinnliche. Diese Verfassung des Menschen ussert sich in der Freude am Schmuck, im Tanz, der Musik, der schçnen Gestaltung der Umgebung, der Idealisierung der Liebe, dem bergang aus dem dynamischen Staat, (ein tiefer Begriff Schillers)
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zum Vernunftstaat, der Entstehung der Harmonie der Gesellschaft. (27) „Es giebt keinen anderen Weg, den sinnlichen Menschen vernnftig zu machen, als dass man denselben zuvor sthetisch macht.“ Diese Begriffe sind fr Gçthe das Mittel geworden, seinem Faust einen einheitlichen Zusammenhang zu geben, eine Entwicklung des Faust nachtrglich zu construieren und so den Faust zu einem Reprsentanten des Menschen, ja der Menschheit selbst zu machen. Gerade in der Verbindung der Bruchstcke des Faust, welche singulare Zustnde darstellten, mit diesem allgemein menschlichen liegt ein Teil der Macht dieses Werkes und seiner Unergrndlichkeit. Nun wurde die Vermhlung mit der Helena zu einer notwendigen Stufe in seiner Entwicklung und sein thtiges Wirken fr das Allgemeine ging nun aus dieser Stufe hervor, das unendliche Streben, das in ihm gelegen hatte, gelangt nun auf dieser weitesten Stufe zur Erfllung. Ebenso empfing Wilhelm Meister seine letzte Einheit von diesen Ideen aus. Von denselben Begriffen aus hat dann Schiller, er als der erste, die Function des Knstlers in der menschlichen Gesellschaft zum ersten Male in ihrer Bedeutung erkannt. Eine unermessliche Steigerung des Bewusstseins des Knstlers ber sich selbst ist von hier ausgegangen. Gçthes Dichtung und Schillers Denken wurden fr die Menschheit ein untrennbares Ganze, die Welt schien nun zum ersten Male zu wissen, was die Kunst in ihr bedeute. Alles was die Romantiker, was Schelling und Hegel, hierber sagten, was von Nation zu Nation ging und den Stolz des schçpferischen Knstlers ins Unermessliche steigerte ist hieraus hervorgegangen. Endlich sind nun aber diese Gedanken der Schlssel zu dem nun folgenden grossen Schaffen Schillers selbst, von ihnen ist sein Wallenstein getragen. Wallenstein. A 63 (64), 70r-85r; 90r, 90v; 95r-110v Der Umschlag A 63 (64), 69 trgt, von der Hand des Schreibers des darin enthaltenen Ms. die Aufschrift: W a l l e n s t e i n ., umgeben von Bleistiftnotizen D.s. Den Inhalt bildet ein fortlaufendes nach Bçgen von I–XV paginiertes Ms. mit einer Verschiebung innerhalb (101r, 101v. zwischen 103v und 104r), dazu Ergnzungen zum Bogen VIII. Es beginnt ohne berschrift, ist einem weiteren Schreiber und Katharina D. diktiert und teilweise von D. selbst geschrieben, darunter sehr schwer und nicht lesbare Bleistiftabschnitte. A 63 (64), 91r-94r, 86r-89v Die ergnzenden Stcke zu Wallenstein sind bezeichnet mit VIIIa, VIIIaa, VIIIaaa, VIIIb, sie sind nicht in den Bogen VIII integriert. Wie Schiller seinen Character und seine Handlung aufbaut, das ist gnzlich verschieden von dem Verfahren Shakespeares. In Shakespeares Zeitalter herrscht der Affect, die Gewalt entsprechend in der damaligen psychologischen Auffassung, die Lehre von den Temperamenten, von den Affecten und von den Charactertypen. So zeigt er einen Menschen in dem Augenblick, in welchem eine Leidenschaft sich seiner bemchtigt. Dasselbe ist nun wie ein Apparat, in welchem diese Leidenschaft abluft. Alle Lebendigkeit scheint sich in diese nun concentriert zu haben. Schiller ist der Sohn eines Zeitalters, in welchem Humanismus und Transcendentalphilosophie regieren. So giebt er in seiner reifen Entwicklung jedem Character als Grundlage die freie Lebendigkeit einer ganzen Menschennatur. Und er lsst Leidenschaft, Handlung Schuld und Untergang nur in der lebendigen Bethtigung des ganzen Willens, in welcher alle Krfte rege werden und alle Seiten einer reichen Menschennatur in Wirksamkeit treten, entstehen. Wie oft ist der Monolog des Wallenstein und der des Tell getadelt worden. Sie entspringen doch gerade aus dem Bewusstsein von der freien Lebendigkeit der Menschennatur, als in welcher auch bei grosser Gewalt eines Beweggrundes doch die ganze Breite der Existenz anklingt, mithandelt, Geltung fordert, an der entscheidenden Stelle des Lebensweges. In seinen Briefen spricht er es ausdrcklich aus und in dem Prolog sagt er es ausdrcklich. Die Kunst soll diesen furchtbaren Helden und sein Verbrechen „dem Herzen menschlich nher bringen“. „Sie, die alles begrenzt
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und bindet, fhrt jedes usserste zur Natur zurck.“ Und nie hat er einem seiner Helden eine grçssere Breite der Menschennatur, eine universelle Gefhligkeit solcher Art gegeben, wie dem Wallenstein. Aber weder der Leser noch der Schauspieler mçge sich tuschen. Dies Vermçgen, sich in jeden und alles temperamentvoll hineinzugeben, ist es eben, auf welchem sein Zauber ber die Gemther und seine Herrschaft ber die Menschen be[ruht]. In jedem Gefhl solcher Art besitzt er doch immer zugleich sich selbst und seinen harten Herrscherwillen. Vielleicht ist nie in einer Scene diese dmonische Verbindung von Eigenschaften, welche die universelle Herrschaft eines Geistes ber seine Zeit bedingt, so dargestellt worden, als in den Unterredungen Wallensteins mit den Krassieren. (Tod III 15) In der ersten Unterredung mit Max (II 2), dann in der zweiten (III 18) und in einer anderen Tonart in der Verhandlung mit Questenberg in Gegenwart der Generle (Piccolomini II 7). Es giebt einen Moment, da er seine Tochter zuerst wiedersieht (Piccolomini II 3), in welchem der eiserne Mann glaubt, er habe gelebt, seiner Tochter „Kçnigs Schmuck um die schçne Stirn zu flechten.“ Aber in all diesen Gesprchen sollte der Schauspieler die „Masken“ Wallensteins von seinen Intentionen sondern, nie darf ein Hausvater oder treuherziger Freund aus Wallenstein werden. Es ist vollstndig wahr, und es ist tief ergreifend, wie Wallenstein (Tod III 8) sein Gefhl fr Max ausspricht. „Denn ber Glck, geht doch der Freund, der’s fhlend erst erschafft, der’s teilend mehrt,“ aber ebenso wahr ist dass ihm die Hoffnung von Max auf seine Tochter als etwas unfassbares erscheint. Diese Zweideutigkeit seiner Natur, diese bestndige Gegenwart eines eigenschtigen Willens mitten in der Hingabe der Gefhle zeigt sich dann von der tragischen Seite in der Bewillkommnung Butlers in Eger (Tod III 10). Was fr Herztçne! „Komm an mein Herz, Du alter Kriegsgefhrte“, und dann „Weisst Du’s schon, der Alte hat dem Kaiser mich verraten.“ Auch Gordon spricht von seiner: „Grçsse, seiner Milde, und seines Herzens liebenswerten Zgen.“ Wie tief die Bewegungen seines eigenen Herzens sind, zeigen die Worte an die Herzogin ber Thekla: „Es giebt Schmerzen, wo der Mensch sich selbst nur helfen kann: ein starkes Herz will sich auf seine Strke nur verlassen.“ (Tod IV 9) Diese breite Menschlichkeit ist in der ganzen Handlung gegenwrtig, wie sie in seinen Entschlssen mitwirkt, kommt in dem grossen Monolog (Tod I 4), welcher der Vereinbarung mit den Schweden voraufgeht, zum Vorschein. Die gehçrte zu dem Schatz von Mitteln, den er sich fr seine Zwecke bereit gehalten hatte. Jetzt sucht er vor seinem eigenen Gewissen sich zu rechtfertigen; er bringt sich auch die ungeheure Macht der kaiserlichen Autoritt und der Gewçhnung an Gehorsam zum Bewusstsein; er findet sich an der Grenze, die zwei Lebenspfade scheidet. So ist in dem Menschen bei grossen Entscheidungen der Inbegriff aller Momente, die ganze Vergangenheit gegenwrtig. Aus der Tiefe des unbewussten Zusammenhangs unseres Seelenlebens tauchen die Bilder davon auf. Schliesslich entscheidet doch die Richtung welche unser Character schon genommen hat. Wallenstein war eine Willensnatur, eine Herrscherseele. (Piccolomini I 4) Im Bewusstsein der Macht zu leben und zu wirken war ihm allein Glck. Ihn umgab wie alle kçniglichen Naturen Einsamkeit und Schweigen. Auch fr die, die ihm am nchsten standen, war er unfassbar. Immer spann er in dieser Einsamkeit Plne, welche die ganze politische Welt seiner Zeit umfassten. Gordon erzhlt wie er schon als zwanzigjhriger Edelknabe am Hof von Burgau diese angeborene Kçnigsnatur zeigte. Ernst ber seine Jahre, auf grosse Dinge allein gerichtet, ging er schon damals einsam durch die Genossen, ausschweifend grosse Gedanken erfllten ihn schon, die wie Wahnsinn erscheinen konnten. Zumal nachdem er im Fensterbogen eingeschlafen vom zweiten Stock herab gestrzt war ohne eine sichtbare Beschdigung, hielt er sich fr vom Schicksal zu grossen Dingen ausersehen. Von da ab glaubte er an seinen Stern. Noch ausschweifender wurden seine Gedanken ber seine Zukunft. Hier mag ausnahmsweise eine Erzhlung Schillers aus der Geschichte des dreissigjhrigen Krieges eingeschaltet werden, wie er nach dem
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Regensburger Tag auf seinen Gtern lebte. „Sechs Barone und ebenso viele Ritter mussten bestndig seine Person umgeben, um jeden Wink zu vollziehen – zwçlf Patrouillen die Runde um seinen Palast machen, um jeden Lrm abzuhalten. Sein immer arbeitender Kopf brauchte Stille; kein Gerassel der Wagen durfte seiner Wohnung nahe kommen, und die Strassen wurden nicht selten durch Ketten gesperrt. Stumm, wie die Zugnge zu ihm war auch sein Umgang. Finster, verschlossen, unergrndlich, sparte er seine Worte mehr als seine Geschenke, und das Wenige, was er sprach, wurde mit einem widrigen Tone ausgestossen. Er lachte niemals, und den Verfhrungen der Sinne widerstand die Klte seines Blutes. Immer geschftig und von grossen Entwrfen bewegt, entsagte er allen leeren Zerstreuungen, wodurch andere das kostbare Leben vergeuden. Einen durch ganz Europa ausgebreiteten Briefwechsel besorgte er selbst; die meisten Aufstze schrieb er mit eigener Hand nieder, um der Verschwiegenheit anderer so wenig als mçglich anzuvertrauen. Er war von grosser Statur und hager von gelblicher Gesichtsfarbe, rçtlichen kurzen Haaren, kleinen aber funkelnden Augen. Ein furchtbarer zurckschreckender Ernst sass auf seiner Stirne, und nur das bermass seiner Belohnungen konnte die zitternde Schaar seiner Diener zurckhalten.“ So hat er Schiller vor der Seele gestanden. Ich hebe dies heraus, jede Stelle seines Drama lsst sich so verstehen, dass sie mit diesem Bilde in Einklang bleibt. Zu Terzky sagt er einmal: „Ich wsste nicht, dass ich mein Innerstes Dir aufgethan.“ Die Grfin sagt zu Thekla, die sich vorgenommen hat, fr ihre Liebe zu ihm zu sprechen, sie mçchte sich wohl schçne Worte ausdenken, wenn sie allein sei, aber vor ihn mçge sie doch hintreten: „Tritt vor sein Auge hin, das fest auf Dich gespannt ist und sag nein! Vergehen wirst Du vor ihm, wie das zarte Blatt der Blume vor dem Feuerblick der Sonne.“ Als Questenberg ihn tadelt, daß er erscheine „als wr er mit seiner Wrde schon geboren“, macht [Max] in seiner Antwort das angeborene Recht der Kçnigsgenialitt Wallensteins geltend. Ganz wie Shakespeares Heinrich IV auf dieser steht. „Mit jeder Kraft zu herschen sei er geboren“; „und mit der Kraft noch obendrein, b u c h s t b l i c h z u v o l l s t r e c k e n d i e N a t u r , dem Herschtalent den Herschplatz zu erobern“ (Piccolomini I 4). Auch in seinen Verhandlungen mit Schweden und Sachsen ist etwas von der „Freude meine Macht zu kennen“(Piccolomini I 5). Ein „kçnigliches Gemth und eine offne Hand“ schreibt ihm der Jugendgefhrte zu (Tod IV 2). Er beschließ[t] fr sich allein (Piccolomini I 4). Nie hat er Rath bedurft (Tod V 1). Er findet sich zu Jupiter in Verhltniß. Er weiß sich als „der gefrchtete Gebieter seiner Armee.“ In den Grnzen der feinsten Formen hat er sich seine Frau ganz unterworfen (Piccolomini III 5. Tod III 3). Die Herzogin daß seit dem Unglckstag von Regensburg „ein unsteter, ungeselliger Geist, argwçhnisch, finster ber ihn gekommen“. Er ist absolut furchtlos. Selbst sein Aberglaube hat etwas Kçnigliches. Wie schildert ihn die Herzogin! Sie erschien sich in dieser Ehe wie an ein feuriges Rad gefesselt. So ist sie am Rand eines Abgrunds schwindelnd hingerissen worden. Er war ihr immer eine Unfassbarkeit. Und Max sagt von ihm „Wie er sein Schicksal an die Sterne knpft, so gleicht er ihnen auch in wunderbarer, geheimer, ewig unbegriffner Bahn. Schiller dringt nun tiefer in die Herschernatur als Shakspere vermochte durch den Begriff des schçpferischen Vermçgens. Er gebraucht den transscendentalen Idealismus als Mittel des Verstndnisses fr die praktische Genialitt. Er berschreitet die Grnzen der sthetischen Auffassung der Genialitt, indem er in der praktischen Welt die Grundbestimmung der Transscendentalphilosophie gebraucht. Tod III 13: Wallenstein, verlassen von dem grçßten Theil seiner Armee, findet in sich selbst das schaffende Vermçgen, das schon zweimal eine Armee aus dem Nichts hervorgerufen hat. „Es ist der Geist der sich den Kçrper baut.“ „Innen im Marke lebt die schaffende Gewalt, die sprossend eine Welt aus sich geboren.“ Ein „Schçpfungswort“ liegt in ihm. Die ußerung dieser schaffenden Kraft war die Organisation seines Heeres. Er empfing dies Heer nicht sondern schuf es. Aus Menschen aller Lnder hat er es organisirt zu einer lebendi-gen wirksamen Einheit. Der Geist hat sich in diesem Heer seinen Kçrper geschaffen.
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Alle fhrt an gleich gewaltgem Zgel Ein Einziger etc (Piccolomini I 2). Als eine solche organisatorische Macht weiß er jeden an seine Stelle zu setzen. Er kennt die Menschen, und er weiß sie zu gebrauchen. Er benutzt auch ihre Schwchen, aber das ist doch das Wesentliche, er gebraucht die positive Kraft in ihrer Art und giebt ihr dadurch das Gefhl ihres Werthes. „Eine Lust ists, wie er alles weckt etc. (Piccolomini I 4) So wird er von selbst „zum Mittelpunkt fr viele tausende“ (ebds.). Demnach ist er ebensowohl Politiker als Feldherr, ja diese beiden Eigenschaften sind nach seiner Lage untrennbar miteinander verbunden. Eben in ihrer Verbindung findet er die Macht Gustav Adolfs mit Recht hauptschlich gegrndet. Sein schçnstes Wort ist wohl: „Ein Kçnig aber, einer der es ist Ward nie besiegt noch als durch Seinesgleichen.“
Anmerkungen Mit Hilfe eines Lektrezettels, A 63 (64), 145r, zu: Die Braut von Messina, lßt sich sagen, daß D. eine frhe Cotta-Ausgabe benutzt haben muß (Schi W). Sie wird fr Zitate ohne Angaben herangezogen, auch fr den Nachweis der zitierten Gedichte. In Wallenstein gibt D. meist Akt und Szene an. Diese Angaben werden korrigiert, ergnzt, ebenfalls nach der genannten Ausgabe belegt mit Nachweis der Abweichungen vom Wortlaut. 170, 2–4 Es war bis anhob: Satzende ihre Freundschaft anhob. Korr. aus: ihrer Freundschaft erhob. – Gesprch ber die Urpflanze whrend eines zuflligen Zusammentreffens auf einer Tagung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena am 20. Juli 1794. 170, 7 Schillers Brief: Gemeint ist Schillers Brief an Goethe vom 23. August 1794. 170, 18 (Scherer 584): W. Scherer, Geschichte der Deutschen Litteratur, Berlin 31885, S. 584 f. Schillers Stellung zur Franzçsischen Revolution: „Noch immer verband er politische Zwecke mit seiner Dichtung. [. . .] Aber fortgesetzte innere Wandelungen leiteten ihn mehr und mehr von solchen Tendenzen ab. Die franzçsische Revolution erfllte ihn mit Schrecken; [. . .] die Majestt der Menschennatur wollte er nicht beim großen Haufen suchen; die Ereignisse der Zeit raubten ihm alle politischen Hoffnungen ‚auf Jahrhunderte, wie er sagte; jedem Versuch einer Staatsverbesserung, meinte er, msse die Veredelung des Characters der Menschheit vorhergehen, und daran mitzuarbeiten sei die Aufgabe der Kunst, von der er jetzt immer reinere und hçhere Vorstellungen faßte.“ 170, 18–19 Rousseau der politischen Theorie: Nach Nohl korr. aus: Hussow der Politischen Kolonie. 170, 21 Das natrliche System: Bezeichnung D.s, vor allem im Zusammenhang mit den Vorarbeiten fr den zweiten Band der Einleitung, der Abhandlung: Das natrliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert (1892/93). „Es liegen nach diesem System in der Menschennatur feste Begriffe, gesetzliche Verhltnisse, eine Gleichfçrmigkeit, welche berall dieselben Grundlinien von wirtschaftlichem Leben, rechtlicher Ordnung, moralischem Gesetz, Schçnheitsregeln, Gottesglauben und Gottesverehrung zur Folge haben muß.“ Ges. Schr. II, 91. Vgl. B Yorck 118, 127, 166.
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170, 33 Lattitudinarier: Latitudinarier, hier die gemßigte Partei der anglikanischen Kirche, die verschiedene Glaubensrichtungen gelten lassen wollte. 171, 18 Albert von Bollstdt: Albertus Magnus, stammte aus dem Geschlecht der von Bollstdt. Philosoph und Theologe, Dominikaner; in Paris, Kçln, Rom, kurze Zeit Bischof von Regensburg; großer Gelehrter, berhmt u. a. seine Aristoteles-Kommentare. 171, 19 Eckhart: Meister Eckart/Eckehart, Dominikaner, lehrte in Paris und Straßburg, Prediger in Kçln, als solcher besonders wirkend. Begrndete eine auf die unmittelbare, die mystische Beziehung der Seele zu Gott gerichtete Theologie. 171, 20 Inhaltlichkeit: Entsprechend zu 171, 29 und 30 ist wahrscheinlich eher an Innerlichkeit gedacht; vgl. Inhaltlichkeit in D.s Wortgebrauch innerhalb dieses Entwurfs: Schiller 184, 9 und 12; 185, 10; 193, 15–16. 171, 21 Wolfram und Walther: Zu Wolfram E Goethe 161 f.; Shakespeare 13–15; ausfhrlicher DM 107–130; zu Walther DM 72–94. 171, 22–27 Diese bis gemacht: D. ber Entstehung und Wirkung der Reformation in Phantasiekunst 276–278, dazu die entsprechenden Anm. 171, 28–29 Bach und Hndel: Vgl. Die große deutsche Musik des 18. Jahrhunderts. DM 189–298. 171, 32–37 Epoche des 16. Jahrhunderts bis zuweist: Kopernikus, Kepler, Galilei reprsentieren Die neue Naturwissenschaft, der D. einen Abschnitt in der Abhandlung: Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert (1893) widmet. Ges. Schr. II, 257–260. Zu Keplers Vorstellung von der Harmonie des Universums (Harmonices Mundi libri V. 1619), an die Leibniz anknpfe, und zu Galilei vgl. Der entwicklungsgeschichtliche Pantheismus (1900). Ges. Schr. II, 344–347. Vgl. auch Freytag 430, 16–27. 171, 34–37 die Lehre bis zuweist: „Or cette L i a i s o n ou cet accommodement de toutes les choses crees chacune et de chacune toutes les autres, fait que chaque substance simple a des rapports qui expriment toutes les autres, et qu’elle est par consequent un miroir vivant perpetuel de l'univers.“ Aus der sog. Monadologie § 56. Zu Harmonie des Universums vgl. Leibniz, Essais de Thodice § 62: „Ainsi tant d’ailleurs persuad du principe de l’H a r m o n i e en general, et par consequent de la p r e f o r m a t i o n et de l’Harmonie pretablie de toutes choses entre elles, [. . .].“ Die philosophischen Schriften (wie Anm. Le 117, 11–15) VI (1885), S. 616 und S. 136. Vgl. Freytag 430, 18–27 und Anm., auch D. in : Die Funktion der Anthropologie in der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts (1904). Ges. Schr. II, 465–471. 171, 37–38 Herder bis erfaßte: Zu denken wre an Ossian und die Lieder alter Vçlker (1770). Alte Volkslieder (1774). Weitere Sammlungen der Lieder verschiedener Vçlker 1778/79. 171, 38–39 Winkelmann bis Kunst: J. J. Winckelmanns Studium der Alten geht zunchst von Homer aus; in seiner Schrift: Gedancken ber die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst (1755) beruft er sich auf die Anfnge der platonischen Dialoge, die griechisches Leben vergegenwrtigen.
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172, 11 Gçtz bis Liebe: Die Jugendwerke Goethes und Schillers mit der Verschiebung, die ihr Altersunterschied ausmacht: Gçtz von Berlichingen (1773); Werther (1774); Die Ruber (1781); Kabale und Liebe (1784). 172, 23–24 Militair Anstalt bis Moser: 1773 Eintritt Schillers in die Militr-Akademie des Herzogs Carl Eugen auf der Solitude bei Stuttgart. Ch. F. D. Schubarts politische Gedichte vermittelte wohl J. F. Abel (vgl. unten Anm. 176, 4–9). Schiller las einige auf der Flucht aus Stuttgart. – K. F. von Moser, aus Stuttgart stammend, Jurist und politischer Schriftsteller; Minister in hessischen Diensten, bekannt als Gegner despotischer Frsten und hçfischer Verschwendung. 172, 25–26 gerade: Nach Nohl korr. aus: Berather. 172, 29 Streicher: Schiller berließ die Vorbereitung der gemeinsamen Flucht von Stuttgart nach Mannheim im September 1782 seinem Freund A. Streicher, der, zeitlebens Schiller verehrend, in einem nachgelassenen Werk darber berichtete: Schiller's Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim 1782 bis 1785, Stuttgart, Augsburg 1836. 172, 30 Kçrner: Die lebenslange Freundschaft begann mit einem Brief des Oberkonsistorialrats Ch. G. Kçrner in Dresden, der Damen Dora und Minna Stock und L. F. Hubers von Juni 1784 (vgl. B Kçrner I, 1) und einer darauf folgenden Einladung nach Leipzig. Schiller nahm das Freundschaftsangebot samt materieller Untersttzung an. Mit Kçrner verband ihn ein fortgesetztes Gesprch. 172, 35–36 Herder und Lenz: Sowohl J. G. Herder als auch J. M. R. Lenz schrieben Gedichte, beide sind als Lyriker wenig bekannt. 173, 15–16 Resignation bis Goethe: Resignation (1786). Die erste Strophe: „Auch ich war in Arkadien geboren Auch mir hat die Natur An meiner Wiege Freude zugeschworen; Auch ich war in Arkadien geboren Doch Thrnen gab der kurze Lenz mir nur.“ Schi W I, 161. Zu Goethe vgl. unten Anm. 180, 16–27. 173, 21–23 Er schrieb bis vertraut: Brief Schillers an A. W. Schlegel, undatiert, wohl vom 1. Juni 1797. Erluternd zur Aufkndigung ihrer durch die Horen geschaffenen Beziehung: „In meinem engen Bekanntschaftskreise muß eine volle Sicherheit und ein unbegrnztes Vertrauen seyn, und das kann, nach dem was geschehen, in unserm Verhltniß nicht statt finden.“ Briefe Schillers und Goethes an A. W. Schlegel, hrsg. von E. Bçcking, Leipzig 1846, S. 19. 173, 24–25 Kant bis genommen: Vgl. Kritik der praktischen Vernunft, Erstes Hauptstck. § 3, Anmerkung II. „Glcklich zu seyn, ist nothwendig das Verlangen jedes vernnftigen, aber endlichen Wesens, und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermçgens. Denn die Zufriedenheit mit seinen ganzen Daseyn ist nicht etwa ein ursprnglicher Besitz, und eine Seligkeit, welche ein Bewusstseyn seiner unabhngigen Selbstgenugsamkeit voraussetzen wrde, sondern ein durch seine endliche Natur selbst ihm aufgedrungenes Problem, [. . .].“ Kant W VIII, 133 f. 173, 27–37 „Sie sind bis zu haben.“: Brief W. von Humboldts aus Rom vom 22. Oktober 1803. Kleine Abweichungen in der Interpunktion, D. berspringt einige Stze, der letzte Satz: „Die Kraft
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und die Jugend sind Ihnen von selbst gewiß.“ Briefwechsel (wie unten Anm. 175, 34 – 176, 2), S. 325. – Brief Schillers aus Weimar vom 2. April 1805. „Fr unser Einverstndniß sind keine Jahre und keine Rume; Ihr Wirkungskreis kann Sie nicht so sehr zerstreuen und der meinige mich nicht so sehr vereinseitigen und beschrnken, daß wir einander nicht immer in dem Wrdigen und Rechten begegnen sollten.“ Im zweiten Satz des Zitats Komma nach formten. Ebd. S. 326. Die zweite Hlfte des Zitats ist Teil eines Satzgefges und beginnt: „aber die tiefen Grund-Ideen“. Statt ihretwillen (Z. 36–37): „ihrentwillen“. Ebd. S. 328. 173, 35 Dinge: Am lR von A 63 (64), 23v: Julian Schmidt 252. Geschichte der Deutschen Litteratur IV, Berlin 1890, S. 251 f. Die in der vorangehenden Anm. nachgewiesenen Zitate aus den letzten Briefen zwischen W. von Humboldt und Schiller sind in diesem Fall der Literaturgeschichte J. Schmidts entnommen, zwar gekrzt, aber genau. 174, 6 Anfang der Knstler: Die Knstler (1789). D. zitiert die erste Strophe im weiteren Verlauf seiner Ausfhrungen, vgl. Schiller 179, 13–24. 174, 16 Spiel und Gegenspiel: Von D. mehrfach gebrauchtes Begriffspaar aus der Dramentheorie. Freytag 431, 15–36; Anm. Di 390, 29. 174, 29–30 Er bis 1789: Schillers unbesoldete außerordentliche Professur fr Philosophie in Jena umschloß Geschichte. Schiller zog zum genannten Zeitpunkt um, hielt am 26. Mai 1789 seine Antrittsvorlesung: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? 174, 35–36 Bruno bis Bacon: Die von D. genannten Philosophen und Naturforscher der ersten Hlfte des 17. Jahrhunderts fhren, in D.s Terminologie, die Entwicklung des natrlichen Systems oder die Autonomie des Menschen herbei. Stichwortartig: Bruno verteidigt das kopernikanische Weltbild (La cena de le ceneri 1584); Descartes beschreibt die Methode wissenschaftlichen Forschens (Discours de la mthode 1637); Galilei sucht die Erddrehung physikalisch zu beweisen (Dialogo 1632); Bacon eine neue Art der naturwissenschaftlichen Forschung zu begrnden (Instauratio magna 1605–1627). 175, 15 Turgot bis Rousseau: Das 18. Jahrhundert kennzeichnet nach D. das Interesse an Formen des Zusammenlebens in Staat und Gesellschaft, bercksichtigt z. B. in: A. R. J. Turgot, Rflexions sur la formation et la distribution des richesses (1769/70); C.-A. Helvtius, De L’esprit (1758); D. Hume, A Treatise of Human Nature (1739/40); A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776); J. J. Rousseau, Du contrat social (1762). 175, 34 – 176, 2 Humboldt bis war.“: Der angegebenen Seite nach hat D. die von Cotta erweiterte Ausgabe des von W. von Humboldt herausgegebenen Briefwechsels benutzt: Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. Humboldt. Zweite vermehrte Ausgabe, Stuttgart 1876. Anfang des ersten Zitats: „Aber dieß Dichtergenie“; das zweite Zitat steht auf S. 5 f. 176, 4–9 Und in bis bersetzt: J. F. Abel, seit 1775 Professor fr Philosophie und Moral an der Militr-Akademie des Herzogs Carl Eugen. 1777, als Schiller mit dem Medizinstudium beginnt, bernimmt Abel den Philosophieunterricht fr die Mediziner. 1778 Lektre von Ch. Garves Anmerkungen zu Ferguson. A. Ferguson, Institutes of Moral Philosophie (1769). Adam Fergusons Grundstze der Moralphilosophie bersetzt und mit einigen Anmerkungen versehen von Ch. Garve, Leipzig 1772.
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176, 9–10 Nach Minor bis geworden: J. Minor, Schiller. Sein Leben und seine Werke I, Berlin 1890. Auf der von D. angegebenen Seite zu Shaftesbury: „Der feine sinnliche Shaftesbury, welcher die Tugend mit der Schçnheit identifiziert, das Gute in dem Schçnen bereits enthalten findet und mit seinem heidnischen Enthusiasmus fr das alte Griechentum dem Dichter der Gçtter Griechenlands vorarbeitet, ist Schiller jedesfalls erst spter bekannt geworden, obwohl gerade im Jahre 1779 eine sehr gute deutsche Uebersetzung erschienen ist.“ Gemeint ist die L. Ch. H. Hçltys: Des Grafen von Shaftesbury philosophische Werke, 3 Bde, Leipzig 1776–1779. Zum Einfluß von Shaftesbury vgl. Schiller 176, 24–28. 176, 13 Formel: Nach Nohl korr. aus: Formen. 176, 21 des Universums: Auf der linken Spalte des Blatts A 63 (64), 28v: Dieses Lebensgefhl spricht sich bildlich in der besonderen Art von Verbindung des Monoteismus, mit den Gçttergestalten in der lteren Zeit. Dann in der Verbindung desselben mit der Gegenwart Gottes in der Welt, in der neueren Zeit aus. 176, 28–29 Anthologie: In der von ihm herausgegebenen Anthologie auf das Jahr 1782 verçffentlichte Schiller eine Reihe seiner frhen Gedichte. 176, 28–36 In dem bis geronnen?“: Das Geheimniß der Reminiscenz (1782). Die von D. zitierte Strophe ist die vierte. Statt begrabner (Z. 35): „verrauschter“. Schi W I, 79. D. erinnert an Symposion 191 d 3 – 193 d 5, die Rede des Aristophanes ber die wiedergewonnene ursprngliche Einheit der Liebenden durch Eros. 176, 37 – 177, 1 „mit der bis traut.“: Die zitierten Verse sind zwei Strophen aus Schillers Gedicht: Fantasie an Laura (1782). Schi W I, 75. 177, 8 von Symbolen: Auf der linken Spalte des Blatts A 63 (64), 29v Zitat, weitgehend in Gedichtform notiert: Ein anderer philosophischer Mytos in den Knstlern. „Als der Erschaffende von seinem Angesichte / Den Menschen in die Sterblichkeit verwies / Und eine spte Wiederkehr zum Lichte / Auf schwerem Sinnenpfad ihn finden hieß / Als alle Himmlischen ihr Antlitz von ihm wandten, / Schloß sie, die Menschliche, allein / Mit dem Verlaßenen Verbannten / Großmthig in die Sterblichkeit sich ein. / Hier schwebt sie mit gesenktem Fluge / Um ihren Liebling, nah am Sinnenland; / Und malt mit lieblichem Betruge / Elysium auf seine Kerkerwand.“ Schi W I, 172, dort im ersten der diktierten Verse: „vor seinem Angesichte“. – Der Beginn des Gedichts wurde bereits erwhnt, vgl. oben Anm. 174, 6, die erste Strophe wird zitiert Schiller 179, 13–24. 177, 10–19 Schmidt bis bin.“: Das Zitat stammt aus: J. Schmidt, Geschichte der Deutschen Litteratur III, Berlin 1886, ist von ihm (mit erheblichen Abweichungen von B Kçrner I, 452 f.) zusammengesetzt aus Schillers Brief an Ch. G. Kçrner vom 25. Mai 1792; genauer hlt sich D. an Schmidt. Zum „Musikalischen“ vgl. Dickens 368, 39 – 369, 11 und Anmerkungen. 177, 27 Monolog von Franz Mohr: Die Ruber I, 1. Die Szene beschließend, formuliert Franz Moor seine Ansprche. 177, 31–37 „Freundschaft“ bis Unendlichkeit.“: D. zitiert die letzte Strophe des Gedichts: Die Freundschaft (1782). Die beiden letzten Verse:
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„Aus dem Kelch des ganzen Seelenreiches Schumt i h m – die Unendlichkeit.“ Schi W I, 102. 177, 38–39 Freigeisterei bis Resignation: Beide Gedichte hat Schiller in seiner Zeitschrift Thalia 1786 verçffentlicht. 178, 5–23 „Da steh bis zurck.“: D. zitiert hier aus dem Erstdruck des Gedichts Resignation in der Thalia die dritte Strophe, kombiniert die letzten beiden Verse der 18. Strophe mit der 19. und fgt die zwanzigste und abschließende an. Die sonst aller Wahrscheinlichkeit nach von ihm gebrauchte Ausgabe (vgl. „Der Kampf“) enthlt die zweite, um zwei Strophen gekrzte Fassung (1800), in der die dritte Strophe deutlich vom Thalia-Druck abweicht. Verschiebung des weiter zitierten Textes auf die 16., 17., 18. Strophe. 178, 25–33 „Der Kampf“ bis sndigen!: D. erwhnt Freigeisterei der Leidenschaft (1786), nennt einige Gesichtspunkte (Schiller 177, 38 – 178, 2), zitiert jedoch, ohne Strophentrennung, die ersten beiden Strophen nach der zweiten, 1800 unter dem Titel Der Kampf erschienenen Fassung – von ihm als solche wahrscheinlich nicht erkannt, da er von einem 3. Gedicht (178, 24) spricht. Schi W I, 160. 178, 34 Schmidt bis Epos Julian: Vgl. Schmidt (wie oben Anm. 177, 10–19): „Lange trug sich Schiller mit einem Epos J u l i a n , in welchem die Contraste des Christenthums und des Heidenthums sich unmittelbar berhren sollten.“ 178, 36 – 179, 2 drei philosophische bis 1788: An die Freude (1786); Die Gçtter Griechenlandes (1788); als drittes Gedicht gemeint: Die Knstler (1789). 179, 5–6 Goethes julianischer Haß bis 159: Vgl. Schmidt (wie oben Anm. 177, 10–19): „Wenn G o e t h e ’ s Stimmung gegen das Christenthum sich allmlig zu einem ‚fast Julianischen Haß verhrtete, so erlebte H e r d e r in der nmlichen Zeit eine hnliche Wandlung.“ 179, 7–8 Diese bis Umarbeitung: D. kombiniert mçglicherweise Daten aus dem Briefwechsel mit Kçrner. Am 20. Oktober 1788 kçnnte Schiller von einer ersten Fassung des Gedichts Die Knstler geschrieben haben (B Kçrner I, 227), am 9. Februar 1789 stellt er Kçrner die Bearbeitung vor (B Kçrner I, 273 f.). Das Gedicht erschien im Mrzheft 1789 des Teutschen Merkur. 179, 13–24 „Wie schçn bis stieg!“: Zitat der ersten Strophe von Schillers Gedicht: Die Knstler. Schi W I, 170. Vgl. oben Anm. 179, 7–8; 177, 8. 179, 34–37 Zwei Aufgaben bis aussprechen: Zur Verbindung von Dichtung und Wissenschaft, nach D. kennzeichnend fr die deutsche literarische Entwicklung, vgl. Lessing 105, 20–25 und Anm. 180, 5 ernçthigen: Hçrfehler: ermçglichen. 180, 16–27 Aber der bis Zukunft.“: Brief Schillers vom 9. Mrz 1789 aus Weimar an Ch. G. Kçrner. Schiller geht von Goethe aus, der erste Satz des Zitats ist verkrzt. Statt „Wie (Z. 21): „Dieser Mensch, dieser Goethe ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so oft, daß das Schicksal mich
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hart behandelt hat. Wie leicht ward s e i n Genie von seinem Schicksal getragen, und wie“. Statt die (Z. 21): „diese“. Statt Verlorne (Z. 22): „Verlorene“. Ziffer (Z. 25) ausgeschrieben; nach Muth (Z. 26) Komma. B Kçrner I, 288. 180, 27–29 Dann aber bis genaß: Erster Anfall einer schweren Lungen- und Rippenfellentzndung am 3. Januar 1791. 180, 32–34 Am bis begegnet: Die Begegnung Schillers mit Goethe fand am 7. September 1788 statt, wie von D. beschrieben. Vom 12. September 1788 stammt Schillers Brief an Kçrner aus Rudolstadt ber dieses Zusammentreffen. B Kçrner I, 218 f. 181, 26–28 Im Mai bis erschienen: Schiller am 21. Mrz 1796 aus Jena an W. von Humboldt: „Ich bin jetzt wirklich und in allem Ernst bei meinem Wallenstein und habe die letzten fnf Tage dazu angewendet, die Ideen zu revidiren, die ich in verschiedenen Perioden darber niederschrieb.“ Briefwechsel (wie oben Anm. 175, 34 – 176, 2), S. 292. Am 17. Mrz 1799 wurde der dritte Teil, Wallensteins Tod, abgeschlossen, uraufgefhrt am 20. April in Weimar. 181, 27–28 Plan der Ritter von Maltha: Schillers Plan stammt von 1788, er nahm ihn intensiver nach der Beendigung des Wallenstein auf, ohne ihn auszufhren. Die Maltheser. Schi W X, 309–345. D. sttzt sich vielleicht auf Schillers Brief an Goethe vom 18. November 1796: „Recht ungeduldig bin ich, mit meiner tragischen Fabel von Wallenstein nur erst so weit zu kommen, daß ich ihrer Qualification zur Tragçdie vollkommen gewiß bin; denn wenn ich es anders fnde, so wrde ich zwar die Arbeit nicht ganz aufgeben, [. . .] aber ich wrde doch die Maltheser noch vorher ausarbeiten, [. . .].“ Briefwechsel (wie Anm. No 234, 34) I, S. 244. 181, 28–30 Mit bis vollbracht hat: Vgl. Brief Schillers an Goethe aus Jena vom 2. Mai 1797: „Ich begrße Sie aus meinem Garten, in den ich heute eingezogen bin.“ Briefwechsel (wie Anm. No 234, 34) I, S. 303. Schiller hatte 1797 einen an der Leutra gelegenen Garten mit Gartenhaus erworben, in dem er die Sommermonate 1797 bis 1799 verbrachte. 181, 34–36 Wenn Shakespeare bis Charakters: Am lR auf A 63 (64), 70v von D.s Hand: Was das große Drama bedarf, große Verhltniße in denen ein heroischer Charakter sich auszuathmen vermag war zunchst in Sage, Mythos und Geschichte gegeben. – Ms. von Charakters bis Jahrhundert (182, 40) von Katharina D.s Hand. 182, 9–14 An Gçthe’s bis nachgewiesen: Schillers Rezension des Egmont erschien am 20. September 1788 in der Allgemeinen Literatur-Zeitung. Ueber E g m o n t , Trauerspiel von Goethe. Schi W XVIII, 455–471. Seine Kritik wird deutlich im Vergleich der literarischen Figur mit der historischen, der er den Vorzug gibt. 182, 14–17 Von seinem eigenen Carlos bis gesucht hatte: Brief Schillers vom 21. Mrz 1796 aus Jena an W. von Humboldt: „Vordem habe ich, wie im Posa und Carlos, die fehlende Wahrheit durch schçne Idealitt zu ersetzen gesucht, hier im Wallenstein will ich es probiren und durch die bloße Wahrheit fr die fehlende Idealitt (die sentimentalische nmlich) entschdigen.“ Briefwechsel (wie oben Anm. 175, 34 – 176, 2), S. 293. 182, 29–34 Er beklagte bis schçpfen“: Brief Schillers an Ch. G. Kçrner vom 28. November 1796 aus Jena, großenteils ber Wallenstein: „Aber zu diesem bloß objectiven Verfahren war und ist mir
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das weitlufige und freudlose Studium der Quellen so unentbehrlich; denn ich mußte die Handlung wie die Charaktere aus ihrer Zeit, ihrem Local und dem ganzen Zusammenhang der Begebenheiten schçpfen, welches ich weit weniger nçthig htte, wenn ich mich durch eigne Erfahrung mit Menschen und Unternehmungen aus diesen Classen htte bekannt machen kçnnen.“ B Kçrner II, 234. 182, 34–37 Auch htte bis vorhanden war: Schillers Geschichte des Dreyßigjhrigen Kriegs erschien in Fortsetzungen von fnf Bchern von 1790–1792. 183, 3–5 „den engen Kreis bis bewegen“: Aus dem Prolog zu Wallenstein, gesprochen zur Wiedererçffnung des Theaters in Weimar und Urauffhrung von Wallensteins Lager am 12. Oktober 1798: „Die neue Aera, die der Kunst Thaliens Auf dieser Bhne heut beginnt, macht auch Den Dichter khn, die alte Bahn verlassend, Euch aus des Brgerlebens engem Kreis Auf einen hçhern Schauplatz zu versetzen, Nicht unwerth des erhabenen Moments Der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen:“ Schi W VI, 7. 183, 6–14 Und jetzt bis beschmen: Ebd. 183, 21–31 Auf diesem bis Opfer fiel: Prolog. Statt finstren (Z. 21): „finstern“. Schi W VI, 8. 184, 5–8 „Nur bis Zwecken.“: Knpft an die oben Anm. 183, 3–5 wiedergegebene Stelle unmittelbar an: „Denn nur der große Gegenstand vermag Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen; Im engen Kreis verengert sich der Sinn Es wchst der Mensch mit seinen grçßern Zwecken.“ Schi W VI, 7. 184, 18–26 „Dort bis befinden.“: Schillers Abhandlung: Ueber das Pathetische, die auf eine Abhandlung Vom Erhabenen (1793) zurckgeht, wurde 1801 verçffentlicht; abgebrochener Satz. Schi W XVII, 292 f. 184, 34–35 Neben bis beschftigt: Vgl. Schillers Darstellung Gustav Adolphs in seiner Geschichte des Dreyßigjhrigen Kriegs, bes. im zweiten und dritten Buch. 185, 40 Das Ineinandergreifen: Von hier an setzt D. das Ms. selbst fort bis: Seine Schuld (Schiller 195, 3). 186, 24–27 Die Grundlage bis Verbrechen.“: Aus dem Prolog. „Doch in den khnen Scharen, Die sein Befehl gewaltig lenkt, sein Geist Beseelt, wird euch sein Schattenbild begegnen, [. . .] Denn seine Macht ist’s, die sein Herz verfhrt: Sein Lager nur erklret sein Verbrechen.“ Schi W VI, 9.
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Textgeschichte und Anmerkungen
186, 28–29 Piccolomini I 4 bis befahren: Max Piccolomini: „Wir haben Des schçnen Lebens çde Kste nur Wie ein umirrend Rubervolk befahren, [. . .].“ Schi W VI, 93. 186, 31–34 Piccolomini I 3 bis hingegeben.“: Verkrzte Wiedergabe von Questenbergs Beschreibung der Situation, mit dem Zitat endend. Schi W VI, 85. 186, 36 – 187, 4 Piccolomini IV 4 bis gesetzt: Szene zwischen Buttler und Illo, der Buttlers Einstellung zu Wallensteins Plnen erkundet. Schi W 171–175. 187, 6 II 6 Die: Illos Bericht und Wallensteins Forderung einer schriftlichen Verpflichtung seiner Generle. Piccolomini II, 6: „Es ist nur Eine Stimme unter Allen: Du drfst das Regiment nicht niederlegen.“ Schi W VI,115. 187, 15–20 Dieser bis leisten: Zitat in Piccolomini I, 4. Max zu Questenberg: „Der seltne Mann will seltenes Vertrauen.“ „Ja! so sind sie! Schreckt Sie alles gleich, was eine Tiefe hat; Ist ihnen nirgends wohl, als wo’s recht flach ist.“ Schi W VI, 91. 187, 23–24 „Staatskunst“ bis V, 3): Das Wort gebraucht Octavio Piccolomini, sich seinem Sohn Max gegenber verteidigend. Schi W VI, 211. 187, 26 (Piccolomini I 1): Die Beziehung Wallensteins zum Kaiser aus der Sicht der Generle. Schi W VI, 69–73. 187, 39–40 „des Kaisers Sçhnlein“ bis I 5): Wallensteins Einschtzung seiner Situation in Piccolomini II, 5: „Des Kaisers Sçhnlein, der ist jetzt ihr Heiland.“ Schi W VI, 110. 188, 1–11 Die Anklagen bis zieht: Anklagepunkte und Forderungen bringt Questenberg in Gegenwart der Generle vor. Schi W VI, 121–134. 188, 9 Bedingungen des Hofs: Stelle von D.s Hand, mit Streichungen und Verschiebungen, einiges nicht zuzuordnen oder nicht lesbar. 188, 12–13 chtung bis gehorcht: Den Inhalt des betreffenden Papiers vertraut Octavio seinem Sohn an. Piccolomini V, 2. Schi W VI, 203 f. 188, 14–17 Dem entspricht bis blosgestellt: Bericht der Herzogin vom Wiener Hof und entsprechende ußerung Wallensteins Piccolomini II, 2. Schi W VI, 101–105. 188, 21–28 Die Grfin bis (Tod I. 7): Zitat aus dem Dialog mit der Grfin Terzky, Antwort Wallensteins auf die Mçglichkeit, sich auf seine Besitzungen zurckzuziehen. Schi W VI, 244. 189, 10–12 Entschluß bis hinein.“: Die Unterredung mit der Herzogin findet in Piccolomini II, 2 statt, vgl. oben Anm. 188, 14–17. Zitat Schi W VI, 105.
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189, 12–13 Er sagt bis verloren“: Piccolomini II, 5. Schi W VI, 110. 189, 22 In dieser Lage: Die so beginnende diktierte Passage steht auf der linken Spalte, rechts von D.s Hand Bleistiftnotizen, nicht kontinuierlich zu entziffern, beginnend mit: Tod V 3 „Denn du bist unser Licht und unsre Sonne.“ So die Grfin Wallenstein. Schi W VI, 412. 189, 23 Schattenbild: Vgl. oben Anm. 186, 24–27. 189, 28–29 Seni’s astrologische Manipulationen: Vgl. Wallensteins Tod I, 1. 190, 13–15 Wallenstein bis wird: Vgl. mit diesem Untersuchungsansatz den viel frheren Novalis 200, 14–31. 190, 27–30 Ein grosser Rechenknstler bis schieben: Buttler im Dialog mit Gordon. Wallensteins Tod IV, 8. Schi W VI, 377. 190, 29 Die Menschen: Neben dem Zitat auf der rechten Spalte des Blatts A 63 (64), 96r, unter der Angabe Tod IV 8): Fr diese Rechnung hat er einen sicheren Ansatz in einem Glauben, der aus seiner Astrologie folgt, der aber hier zugleich durch die Lehre der Transcendentalphilosophie auf die Tiefe des Bewusstseins zurckbezogen wird (Tod II 3). „Des Menschen Thaten und Gedanken u. s. w. die innere Welt sein Microcosmus u. s. w. Zitierte Wendungen aus Wallensteins Begrndung seines Vertrauens zu Octavio Piccolomini. Schi W VI, 263. 190, 33–37 Vergebens lockt bis hin: Die Piccolomini II, 7. Questenberg ber Wallensteins Taktik; abgebrochenes Satzgefge. Schi W VI, 122 f. 191, 4–16 Eine weitere bis Aberglauben: J. Kepler, Mathematiker und Astronom dreier Kaiser (das sind: Rudolf II., Matthias, Ferdinand II.), Nachfolger Tycho de Brahes am Prager Hof Rudolf II., zustndig auch fr astrologische Fragen. Dem historischen jungen Wallenstein stellte er das Horoskop (1608), spter wiederholt. Nach Ablehnung eines Angebots von Ferdinand II. (unter der Bedingung, katholisch zu werden) zuletzt im Dienste Wallensteins in Sagan. Tod in Regensburg, wo Kepler sich vergeblich bemhte, auf dem dortigen Kurfrstentag (vgl. unten Anm. 193, 35–36) seine Geldforderungen einzuholen. 191, 20–27 Die Geisterleiter bis Joviskinder: Die Piccolomini II, 6. Aus Wallensteins Antwort auf Illos Aufforderung zu handeln. Statt centralsche (Z. 25): „centralische“. Schi W VI, 119. 191, 28–32 Piccolomini III 4 bis etc.: Thekla zum von Max ihr erklrten Sternenglauben ihres Vaters: „Es ist ein holder, freundlicher Gedanke, Daß ber uns, in unermessnen Hçh’n, Der Liebe Kranz aus funkelnden Gestirnen, Da wir erst wurden, schon geflochten ward.“ Schi W VI, 151 f. 191, 35–38 „Die Menschen bis (Tod III 4): Zum ersten Zitat vgl. Schiller 190, 27–30 und Anm., das zweite aus Wallensteins Reaktion auf das Verhalten seiner Generle nach Unterschreibung des sie verpflichtenden Papiers. Schi W VI, 294.
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Textgeschichte und Anmerkungen
192, 8–12 Der letzte bis bergetreten: Von der Konversion des Pagen Wallenstein nach dem wohlbehalten berlebten Sturz berichtet Gordon, rckblickend, im Dialog mit Buttler. Schi W VI, 359 f. 192, 16–21 Ich hasse bis lassen: Wallenstein zum Brgermeister von Eger. Wallensteins Tod IV, 3. Schi W VI, 361 f. 192, 26–28 Zumal bis Gestirnen: Regensburger Reichstag vgl. unten Anm. 193, 35–36. 192, 31–33 Mir ducht bis Anblick: Wallensteins Tod V, 3. Schi W VI, 413. 192, 34–36 Es ist bis whlen.“: Wallenstein sucht Illo die Abhngigkeit des Menschen von der Konstellation seiner Geburtsstunde zu erklren. Die Piccolomini II, 6. Der entsprechende Vers: „Nur in der Erde magst du finster whlen,“. Schi W VI, 119. In diese Redepartie Wallensteins gehçrt das Zitat: Schiller 191, 20–27. 193, 1–8 Wie sich bis waffnete: Wallensteins Tod V, 3. Aus dem letzten Dialog mit der Grfin Terzky, von Wallenstein zu ihrer Beruhigung gesagt. D. berspringt einen Vers nach voran (Z. 3). Schi W VI, 417. 193, 30 Er will bis sitzen: Reichsfrstenrat oder Frstenbank: Vereinigung der Frsten und Reichsgrafen zur Durchsetzung ihrer Interessen gegen Kaiser und Kurfrsten. 193, 35–36 der Regensburger Reichstag: Kurfrstentag zu Regensburg von Juli bis November 1630. Maximilian von Bayern erreichte die Entlassung Wallensteins, um die zunehmende Macht des Kaisers, Ferdinand II., zu schmlern. 194, 1–5 Vor diesem bis etc.: Die Grfin Terzky: „Muß ich dich dran erinnern, wie man dir Zu Regensburg die treuen Dienste lohnte? Du hattest jeden Stand im Reich beleidigt; Ihn groß zu machen, hattest du den Haß Den Fluch der ganzen Welt auf dich geladen;“. Schi W VI, 245. 194, 5–9 „dem Thron bis bestimmen: Piccolomini II, 7. Wallenstein zu Questenberg: „Doch auf dem Regensburger Frstentag Da brach es auf! Da lag es kund und offen, Aus welchem Beutel ich gewirthschaft’t hatte. [. . .] Nein, Herr! Seitdem es mir so schlecht bekam, Dem Thron zu dienen, auf des Reiches Kosten, Hab’ ich vom Reich ganz anders denken lernen.“ Schi W VI, 127 f. 194, 9–10 Tod III 3 bis Knste: Die Herzogin ber Wallenstein: „Doch seit dem Unglckstag zu Regensburg, Der ihn von seiner Hçh’ herunterstrzte, Ist ein unsteter, ungesell’ger Geist Argwçhnisch, finster, ber ihn gekommen. [. . .] Wandt’ er sein Herz den dunkeln Knsten zu,“. Schi W VI, 291 f.
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194, 21–23 „an Europas bis erwecken“: Max zu Octavio zur Verteidigung Wallensteins: „Warum? Weil an Europa’s großem Besten Ihm mehr liegt, als an ein Paar Hufen Landes, Die Oestreich mehr hat oder weniger – Ihr macht ihn zum Empçrer, und, Gott weiß! Zu was noch mehr, weil er die Sachsen schont, Beym Feind Vertrauen zu erwecken sucht.“ Schi W VI, 96. 194, 24–28 Piccolomini II 5 bis Reiche: „Mich soll das Reich als seinen Schirmer ehren, Reichsfrstlich mich erweisend, will ich wrdig Mich bey des Reiches Frsten niedersetzen. Es soll im Reiche keine fremde Macht Mir Wurzel fassen, und am wenigsten D i e Gothen sollen’s, [. . .].“ Schi W VI, 112. 194, 28–29 Piccolomini V 1 bis aufzwingen: Schi W VI, 199. 194, 29–30 Er mçchte bis (Tod V 1): Die Bezeichnung „Friedensfrst“ verbindet Buttler mit dem Befehl zum Mord: „Sie seh’n im Herzog einen Friedensfrsten Und einen Stifter neuer goldner Zeit.“ Schi W VI, 400. 195, 17–18 Es ist bis (?): Dieser Satz ist im Ms. eingeklammert, von D. oder den Herausgebern Misch und Nohl? In Schillers Bericht ber die Ereignisse vor Wallensteins Ermordung ist mehrfach vom unbeirrten Sternenglauben die Rede, der durchaus zeitblich war. Geschichte des Dreyßigjhrigen Kriegs. Viertes Buch. Schi W XV, 210–257. Vgl. Schiller, 191, 4–16 und Anm. zu Kepler. 195, 24 (Piccolomini II 6): Unterredung Wallensteins mit Terzky und Illo. D. bezieht sich auf Wallensteins Zçgern, Stze wie: „Die Zeit ist noch nicht da.“ Schi W VI, 118. 195, 25–26 Der „Tod“ bis (I, 1): Wallenstein angesichts der Sternkonstellation: „Jetzt muß Gehandelt werden, schleunig, eh’ die GlcksGestalt mir wieder wegflieht ber’m Haupt:“ Schi W VI, 218 f. 195, 29–30 „dass bis bleiben.“: „Nicht herzustellen mehr ist das Vertrau’n, Und mag ich handeln, wie ich will, ich werde Ein Landsverrther ihnen seyn und bleiben;“. Schi W VI, 223. 195, 35–38 (Tod III 18) bis an.“: Satz Max Piccolominis. Statt geschehen (Z. 36): „geschehn“. Schi W VI, 335. 196, 3–4 Prolog: „Die Kunst bis zu.“: Statt Die Kunst (Z. 3): „Sie“. Schi W VI, 9. 196, 7–9 Aus den Umstnden bis (Tod III 10): Vgl. zu diesem Text Schiller 197, 10–13 mit den entsprechenden Zitaten.
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196, 10–17 „Wie? bis fhrt.“: Beide Zitate aus Wallensteins Tod I, 3. Schi W VI, 223 f. Statt fhrt (Z. 17): „fhre“. 196, 17–20 (Piccolomini I 6) bis kann: Gemeint ist Wallensteins Tod I, 6: „Wie war’s mit jenem kçniglichen Bourbon, Der seines Volkes Feinden sich verkaufte, Und Wunden schlug dem eignen Vaterland?“ Schi W VI, 238. Charles de Bourbon, Konnetabel von Frankreich, schloß wegen der Ansprche Ludwig XII. auf das Erbe seiner Frau ein geheimes Bndnis mit Karl V., das entdeckt wurde. Flucht, vergeblicher Kampf gegen Frankreich um Marseille; Tod bei der Belagerung von Rom. 196, 22–34 (Piccolomini I 7) bis Vollzieher.“: Beide Zitate wiederum aus Wallensteins Tod I, 7. Nach Abscheu (Z. 26) fehlt: „aus“. Schi W VI, 244 und 249. 196, 35 – 197, 7 Max II 2 bis Machtwille: Die schwer entzifferbaren Andeutungen und das Zitat aus dem Dialog mit Max in Wallensteins Tod sind Teile der Rechtfertigung Wallensteins. „Leicht bey einander wohnen die Gedanken; Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen, Wo Eines Platz nimmt, muß das Andre rcken;“. Schi W VI, 256. 197, 4–5 „Ich bis Geist.“: Wallensteins Tod II, 2. Schi W VI 258. 197, 10–11 Schluss bis da.“: Reaktion Wallensteins auf die Nachricht vom Verlust der Regimenter und von seiner chtung. Schi W VI 314. 197, 12–13 Er bis bilden: Monolog Wallensteins, Vergegenwrtigung seiner Situation. Wallensteins Tod III, 13: „Da steh’ ich, ein entlaubter Stamm! Doch innen Im Marke lebt die schaffende Gewalt, Die sprossend eine Welt aus sich geboren.“ Schi W VI, 317. 197, 13 „Ich bis bin.“: Wallensteins Tod III, 15. Schi W VI, 327. 197, 17–18 „Dieser bis reissen.“: Die Piccolomini V, 3. Schi W VI, 212. Statt: Dieser (Z. 17): „Denn dieser“. 197, 28–31 (Tod IV 8) bis Notwendigkeit.“: Aus Buttlers Rechtfertigung des geplanten Mords im Dialog mit Gordon: „Doch nicht mein Haß macht mich zu seinem Mçrder. Sein bçses Schicksal ist’s. [. . .] Es denkt der Mensch die freye That zu thun, Umsonst! Er ist das Spielwerk nur der blinden Gewalt, die aus der eignen Wahl ihm schnell Die furchtbare Nothwendigkeit erschafft.“ Schi W VI, 378. 197, 31–33 „Den Menschen bis sterben.“: Buttler in Wallensteins Tod IV, 8. Schi W VI, 379.
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197, 33–34 „Htt’ ich bis geschehen“: Wallensteins Tod V, 5. Wallensteins Antwort auf die Warnungen Senis und Gordons. Statt geschehen (Z. 34): „geschehn“. Schi W VI, 425. 197, 34–37 Tod II, 7 bis Sache: Letztes Gesprch Octavios mit Max. Schi W VI, 278–283. 198, 2 Lied Theklas: Nimmt ihren Entschluß zu sterben vorweg. Die Piccolomini III, 7. Schi W VI, 158. 198, 2–6 Dann (Tod bis E r d e : Die letzten Verse von Theklas Monolog, Wallensteins Tod IV, 12: „ – Da kommt das Schicksal – Roh und kalt Faßt es des Freundes zrtliche Gestalt Und wirft ihn unter den Hufschlag seiner Pferde – – Das ist das Loos des Schçnen auf der Erde!“ Schi W VI, 395. 198, 10 Vermçgen bis leiden: Vgl. Tasso V 3432–3433; nher an den von Goethe fr das Motto zu seiner Elegie (Trilogie der Leidenschaft) leicht abgewandelten Versen. Vgl. Anm. Goe 135, 29–31. 198, 29–30 Dieses Drama bis Geschichte: Formelhaft D.s Dichtungskonzeption in Anlehnung an Aristoteles, Poetik 9 („Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung das Besondere mit.“ (bersetzung M. Fuhrmann). 198, 37–40 Vielleicht bis Epoche: D. beruft sich auf seinen Lehrer Ranke im Novalis-Aufsatz (Novalis 218, 30–32 und Anm.); widerspricht der von Ranke erstrebten Forschungshaltung des Historikers (E Goethe 127, 37 – 128, 1 und Anm.); sieht seine Darstellungskunst in Abhngigkeit von Scott (Tg. Di, Handschriftenbefund, Fußnote 12); erwhnt Rankes Bemerkungen zu Shakespeare (Shakespeare 37, 4 und Anm.); verweist auf Rankes frhe Forschungen zum Rolandslied (Phantasiekunst 260, 1–4 und Anm.) und schreibt ihm hier offensichtlich die Fhigkeit zu, Geschichte so darstellen zu kçnnen wie sie in Schillers Wallenstein erscheint, historischer als die Geschichte.
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Textgeschichte und Anmerkungen
Novalis. Entstehung und berlieferung Zum Angebot, eine Biographie Schleiermachers zu schreiben, bemerkt D. Anfang 1861, mitten in der Arbeit an der Edition des Schleiermacher-Briefwechsels, im Brief an die Eltern : Ich muß freilich sagen, daß, wenn mir der noch vorhandene Nachlaß von Friedrich und A. W. Schlegel, der bei Windischmann, Bçcking u. a. sich befindet, wo mçglich auch noch was von Novalis sich zusammenbringen lßt, geçffnet wrde, ich weit lieber mit diesem und dem Schlm. zusammen eine Geschichte der romantischen Schule aus den ungedruckten Quellen schriebe. JD 137. Anfang Juli 1861 aus Altwasser in Schlesien im Brief an den Vater: Auch Novalis habe ich bei mir, ber den ich des leidigen Geldes halber Haym einen Aufsatz geben will. JD 159. R. Haym erhlt jedoch zunchst aus dem Umkreis des Novalis: Ein Brief A. W. Schlegel’s an Huber. PJ VIII, 3 (1861); Schleiermacher’s politische Gesinnung und Wirksamkeit. PJ X, 3 (1862); außerdem Friedrich Christoph Schlosser. PJ IX, 4 (1862). In der die PJ betreffenden Verlagskorrespondenz zwischen W. Wehrenpfennig, dem auf Haym folgenden Redakteur, und E. Reimer erscheint der Novalis erst zwischen April und Juni 1865. Erhalten sind die Briefe Wehrenpfennigs. Verlagsarchiv de Gruyter Berlin. Wehrenpfennig an Reimer in einem undatierten Brief, vermutlich dem ersten, der den Novalis-Aufsatz betrifft: „Von Dilthey erhalte ich eine Arbeit ber Novalis, sie sollte eigentlich in’s Maiheft, und damit er in der Vollendung der Arbeit nicht erschlafft, wollen wir ihm lieber noch nicht verrathen, daß er bis Juni warten muß.“ Am 18. April 1865: „Mit der Aufnahme der Diltheyschen Arbeit in das Maiheft muß ich mich einverstanden erklren obwohl dies uns wegen des Dante in Verlegenheit bringt. [. . .] Ich kann aber gegen den Druck der Diltheyschen Arbeit wenig sagen da ich ihn ihm eigentlich versprochen hatte, und nur zu fest darauf baute, daß er nicht fertig werden wrde.“ Postskriptum: „Ich bitte freundlichst, mir Dilthey’s Aufsatz nach vollzogener Correctur, die er sicher selbst besorgen will, zuzuschikken.“ Am 20. April 1865 jedoch: „[. . .] und so bleibt nichts brig, als Dilthey um Geduld bis zum 1 zu ersuchen. [. . .] In dem beiliegenden Billet, das ich Sie freundlichst bitte, Dilthey baldigst zuzustellen ersuche ich denselben bis zum 1 zu warten. Er hat nicht den geringsten haltbaren Grund dies zu verweigern und wird es auch sicher aus einfacher Freundschaftsrcksicht gegen mich nicht thun. Nur bitte ich nach Vollendung des Dante seinen Aufsatz, der dann an die Spitze des [Juni]heftes kommt, sofort setzen zu laßen, und ihm nach vollendetem Satz und v o r Pfingsten freundlichst das Honorar vorauszuzahlen.“ Im Brief vom 25. April 1865: „Als ersten Aufsatz des Juniheftes wrden wir Novalis von Dilthey nehmen. Er hat sich mit der Verzçgerung des Druckes einverstanden erklrt.“ Am 8. Mai: „Was nun unser Juniheft betrifft, so wrden feststehen die Aufstze ber Novalis [. . .].“ Am 13. Mai hat sich die Folge auf Vorschlag von Reimer, wie dem Brief zu entnehmen ist, gendert: „Wir werden also im Juniheft 1, Camorra von Hinschius 2 , Novalis von Dilthey und 3, das Consularwesen von Lammers und zwar in K l e i n d r u c k haben.“ D. schreibt am 29. Mai an W. Scherer: Den Novalis denk ich Ihnen schicken zu kçnnen; ich habe aber beim Corrigieren einen Schrecken ber den andern gehabt; in seiner Langenweile ist der apathische Zustand, in dem ich ihn, nach den bertriebenen Winteranstrengungen schrieb, auf das adquateste ausgedrckt. . . . JD 199. Am 4. Juni Wehrenpfennig an Reimer: „Haben Sie wohl die Freundlichkeit, an Dilthey’s Honorar zu denken? Er scheint es zu wnschen. Bei der Lnge seiner Arbeit werden 21r pro Bogen gengen.“ Verlagsarchiv de Gruyter Berlin. D. an H. Usener undatiert, aus Berlin, vor dem 20. August, dem geplanten Abreisedatum nach Biebrich: Novalis kriegst Du nur in Biebrich. ULB Bonn S 2102,3.
Novalis.
E: D1: D2: D3: D3:
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PJ XV, 6 (1865), S. 596–650. EuD1, S. 201–282. EuD2, S. 249–329. EuD3, S. 268–348. In weiteren unvernderten Auflagen bis zur heutigen, EuD16.
Textwiedergabe nach E. Zur Rezeption Im Separatvotum vom 10. Dezember 1867 zu D.s Gunsten als Nachfolger von Ch. A. Brandis schreibt Usener: „Die verçffentlichten Aufstze ber Novalis und Lessing sind nur Bruchstcke dieser tiefgreifenden Studien und werden wenigstens dem, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht, mehr sein als litterarhistorische Eßays.“ ULB Bonn, Personalakt Brandis; auch JD 254. Das Urteil Hayms: „Die eingehendste Behandlung hat Novalis in dem schon frher citirten geistvollen Aufsatz von Dilthey in den Preuß. Jahrbchern 1865, Bd. XV, S. 596 ff. erfahren, welchem die obige Darstellung fortwhrend zur Seite bleibt.“ Die Romantische Schule (wie Anm. No 199, 30), S. 325. Haym geht anerkennend, korrigierend, widersprechend auf D.s Aufsatz ein. Vgl. bes. die Kritik an D.s Interpretation der Fragmente (ebd. S. 353 f.) und an der Rolle, die D. der Metempsychose in Hardenbergs Roman zuschreibt (ebd. S. 386). Die Besprechung der Publikation: Eine Nachlese zu Novalis’ Leben und Schriften erçffnet Haym mit folgendem Hinweis : „Vor nunmehr acht Jahren hat W. D i l t h e y in diesen Jahrbchern den Versuch gemacht, Novalis, den vielgenannten Dichter und Propheten der Romantik, dem gegenwrtigen Geschlecht von Neuem zu empfehlen, indem er zuerst statt phrasenhafter, bald bewundernder, bald verwerfender Charakteristik eine wahrhaft litteraturgeschichtliche Analyse seines Geistes gab.“ PJ XXXI, 5 (1873), S. 563. Welchen Eindruck Hayms ußerungen auf D. machten, zeigt sein Dank fr die wenigen einleitenden Stze von 1873 (B Haym 34); vor allem die Rckerinnerung nach ber 30 Jahren an Hayms Einwnde in der Romantischen Schule und der Versuch, durch eine spte Widerlegung Hayms die ehemalige eigene Position zu erklren. Vgl. D.s Anmerkungen zu Novalis in Ges. Schr. XXVI.
Anmerkungen 199, 2–10 Homer bis Freunde: So auch Novalis 239, 31–35. Die Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Dichtern und Dichtungen (vgl. Novalis 207, 19–35; Sh 15, 7) gehçrt in den Umkreis des Problems dichterischer Phantasie. Hinweis D.s auf diesen den literarhistorischen Aufstzen gemeinsamen Aspekt in Bausteine 211 f. Vgl. E Goethe 135, 13–16 und Anm. – Goethe als objektiver Dichter fllt an dieser Stelle im Novalis-Aufsatz fr EuD (1905, 1907, 1910) weg, vermutlich, weil er Shakespeare gegenber in E Goethe und den folgenden Bearbeitungen als subjektiv durch die historischen Gegebenheiten erklrt wird (E Goethe 163, 29–31). Zum Bezug auf Schiller vgl. E Goethe 149, 13–26 und Anm. 199, 13 Wanderer: Zu Abwandlungen des Bildes vom Wanderer im Gebirge vgl. Anm. Sh 12, 4. 199, 19–20 Er bis lebte: Vgl. Novalis 229, 10–11. Material fr diese Vorstellung von Novalis bei Just S1 III, 44: „Und so schuf er sich in der sichtbaren Welt eine unsichtbare.“; Tieck S5 I Vorrede (zu S3) XXXI: „Ihm war es zur natrlichsten Ansicht geworden, das Gewçhnlichste, Nchste als ein Wunder, und das Fremde, Uebernatrliche als etwas Gewçhnliches zu betrachten; so umgab ihn das
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Textgeschichte und Anmerkungen
alltgliche Leben selbst wie ein wundervolles Mhrchen, und jene Region, die die meisten Menschen nur als ein Fernes, Unbegreifliches ahnden oder bezweifeln wollen, war ihm wie eine liebe Heimath.“ hnlich der von D. ebenfalls herangezogene, als Mithandelnder (Leben Schl XIII,1. S. XLIV) geschtzte Steffens (wie Anm. No 249, 21), S. 320 f.: „Das ganze Dasein lçste sich fr ihn in eine tiefe Mythe auf. Gestalten waren ihm beweglich wie die Worte, und die sinnliche Wirklichkeit blickte aus der mythischen Welt, in welcher er lebte, bald dunkler, bald klarer hervor.“ 199, 21 Jenaer Tage: 11.–14. November 1799. Zum Kreis der Genannten gehçrte noch J. W. Ritter (Novalis 211, 21 – 212, 18 und Anm. No 211, 29–30). Novalis las bei diesem Treffen Die Christenheit oder Europa (Novalis 218, 11 – 220, 12) und einige Geistliche Lieder (Novalis 231, 13 – 233, 16). 199, 26 aus allen Worten seiner Freunde: Dazu die Erinnerung Tiecks (Novalis 217, 2–9), seine Darstellung in S5 I Vorrede (zu S3), bes. XXVII–XXIX; dagegen F. Schlegel an Schleiermacher (Novalis 210, 17–20), D. Veit an Schleiermacher (Novalis 218, 1–4 und Anm.). 199, 30 aus der romantischen Schule: Gelufiger Begriff, verbunden mit H. Heines Artikeln ber zeitgençssische deutsche Literatur: Die romantische Schule, Hamburg 1836 (recte 1835); K. Rosenkranz, Ludwig Tieck und die romantische Schule in: Hallische Jahrbcher (1838); schließlich R. Haym, Die Romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes, Berlin 1870 (fast gleichzeitig mit D.s Schleiermacher-Biographie); vgl. Mißbrauch, Anm. No 200, 8–9; Schutz- und Trutzbndniß, Anm. No 214, 10–11. 199, 31–32 das Christenthum in seinem Geiste: Dem gilt D.s Interesse (vgl. Novalis 228, 36 – 233, 16). Novalis grenzt selbst im Brief vom 26. Dezember 1798 an Just dessen „Theologie des historisch-kritischen Verstandes“ von seiner eigenen, der „Phantasie“ entspringenden „Religionsansicht“ ab. S1 III, 38 f. Zu diesem zentralen Punkt vgl. Lessing 92, 5–18; 98, 24–35; die Kapitel ber Entstehung und Wirkung der Reden Schleiermachers (wie Anm. No 217, 37) in Leben Schl XIII,1. 383–458. 199, 33 zwei Bnde: S1–5 I und II in den Auflagen von 1802. 1805. 1815. 1826. 1837; dazu andernorts erschienene Ausgaben der Berliner Auflagen. D. benutzt S5 I und II; S1 III; S4 I fr den Aufsatz: Die Christenheit oder Europa. 200, 3–6 Diese Untersuchung bis hervortritt: Die Unterscheidung zwischen zwei Untersuchungsanstzen macht D. zunchst in den Notizen zum Doppelverfahren, dem philologischen und dem historischen, JD 150 f. (Tagebuch von 1861); vgl. auch E Goethe 125, 6–7. 200, 8–9 Mißbrauch bis mit diesem Namen: Gedacht sein kçnnte an: H. Heines Reduktion der Romantik auf „Wiedererweckung der Poesie des Mittelalters“ in: Die romantische Schule (wie Anm. No 199, 30), S. 7; Th. Echtermeyers und A. Ruges Kritik an „Unfreiheit“ und „Willkr“ der Romantik, exemplarisch bei Novalis; vgl. Der Protestantismus und die Romantik in: Hallische Jahrbcher, Nr. 268 (1839), Sp. 2144; Eichendorffs Interpretation der Romantik als „Zeichen eines fast bewußtlos hervorbrechenden Heimwehs des Protestantismus nach der Kirche“ in: Ueber die ethische und religiçse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland, Leipzig 1847, S. 281. – „Stichwort der Parteien“ nennt J. Schmidt diesen Begriff in der Einleitung zu Geschichte der Romantik in dem Zeitalter der Reformation und der Revolution. Studien zur Philosophie der Geschichte I, Leipzig 1848, S. VII; hnlich bedeutet er fr H. Hettner „ein reines Parteiwort“ in: Die roman-
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tische Schule in ihrem inneren Zusammenhange mit Gçthe und Schiller, Braunschweig 1850, S. 1 f. Vgl. auch Anm. No 216, 2 zu Nicolai und Huber. 200, 11–25 Hierbei bis gezogen: Fehlendes zu (Z. 16) ergnzt. - Zu den genannten Faktoren, Besitzstand (Z. 16) und Wirkung des umgebenden Lebens (Z. 21–23), vgl. Lessing 63, 39 – 64, 31. 200, 25–31 Hierbei bis Bedingungen: D.s Hinwendung zur Geschichte ist begleitet vom Bewußtsein, sie nicht in ihrer Totalitt (Z. 28) oder objektiv erfassen zu kçnnen. Vgl. Novalis 201, 12–32; E Goethe 127, 34 – 128, 10. 201, 4–5 fruchtbarer Begriff: Begriff der Generation von D. mehrfach erwogenes Hilfsmittel zur Darstellung d e s V e r l a u f s g e i s t i g e r B e w e g u n g e n (Studium 36). Vgl. Friedrich Christoph Schlosser in: PJ IX, 4 (1862), S. 374 f. (Ges. Schr. XI, 106 f.); Basler Antrittsvorlesung 14; Studium 36–42, dazu Ges. Schr. XVIII, 48 f.; Einleitung 34; Archive R 5 f.; Archive A 562–564. D. spricht in diesem Sinne auch von Gruppe oder Durchschnitt. Einleitung 383. 201, 8–9 A. W. Schlegel bis Schelling: Vgl. das Kap. Die romantischen Genossen. Leben Schl XIII,1. 281–307. J. F. Fries gehçrt nicht dazu, er lebte als Student und Professor in Jena, arbeitete in der Tradition Kants. Unter seinen Schriften: Reinhold, Fichte und Schelling (1803); Handbuch der psychischen Anthropologie (1820/21). D.s Hinweis auf ihn in Leben Schl XIII,1. 100. 201, 12–21 Eine hçchst verderbliche Illusion bis Charakters: Zur Vergleichbarkeit der Verfahren in den Naturwissenschaften und den moralisch-politischen oder Geisteswissenschaften: Studium 45–57; Einleitung 3–26; Abhandlung (1895) 259–269. 201, 22–32 Form der historischen Darstellung bis Weg nehmen: Leicht gekrzt aufgenommen in Studium 38. 201, 30 Hippel: Die Ankndigung, spter „B e r g a b “ zu erzhlen, steht im Eingangskapitel von Th. G. von Hippels Buch: Lebenslufe nach aufsteigender Linie (1778–81) I, 1. Leipzig 1859, S. 1:„Ich werde von der Zeit, da mein Vater Pastor in Curland war, anfangen und bei seiner Wiege aufhçren, und so soll’s auch mit meinem Großvater werden, der in meiner Geschichte eher sterben als geboren werden soll.“ 201, 38 biographische Skizze: D.s Darstellung Hardenbergs findet sich komprimiert wieder in: Die romantischen Dichter (wie Anm. No 249, 35 – 250, 31); Leben Schl XIII,1. 300–305; 448–451. – Seit 1859, dem Versuch ber Schleiermacher (wie Anm. No 221, 24) und der geplanten, teilweise realisierten Reihe ber die deutschen Historiker (vgl. Anm. No 230, 20–24), entwikkelt D. die Konzeption von der Biographie als eines Instruments zur Erfassung der Wirklichkeit eines geschichtlichen Ganzen und als Hilfsmittel fr die weitere Entwicklung einer wahren Realpsychologie (Anm. No 223, 8–14). Einleitung 33 f. Vgl. B Haym 10; Leben Schl XIII,1. S. XXXIII, dazu Ges. Schr. V, 10 f.; Ideen 224 f.; Abhandlung (1895) 266; Ges. Schr. VII, 246–251; auch Ges. Schr XIX, 27. 201, 39–40 Liebe und Haß: Die in ihr Gegenteil verkehrte Maxime des Tacitus: „neque amore [. . .] et sine odio“. Historiae I, 1. D. charakterisiert mit dieser Formel auch das Verhalten von Dickens gegenber der Gesellschaft. Bausteine 212.
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202, 12 in dem Geiste einer heiteren Herrnhutischen Frçmmigkeit: D. sttzt sich auf Just: „Der fromme Sinn, der im lterlichen Hause herrschte, hatte frh bedeutenden Einfluß auf ihn, [. . .].“ S1 III, 6. Tieck ber den Vater: „Sein frommer Sinn machte ihn zum Mitglied der Herrnhutischen Gemeine, doch blieb sein Wesen heiter, derb und bieder.“ S5 I Vorrede (zu S3) X. Vgl. Steffens’ Eindruck von Hardenberg. Novalis 249, 21–34. 202, 14 Weißenfels: Die Familie zog 1786 von Oberwiederstedt, dem Geburtsort Hardenbergs, nach Weißenfels. Vgl. N HKA V, 367. 202, 15 Landcomthur von Hardenberg: F. W. von Hardenberg, ein Bruder des Vaters. 1782 lebte der Neffe Friedrich, begleitet von C. Ch. E. Schmid (vgl. Anm. No 203, 21), einige Zeit bei ihm auf Schloß Lucklum, in der Nhe von Wolfenbttel, Verwaltungssitz des Deutschen Ordens. Vgl. N HKA V, 366. 202, 29 Ein paar Briefe: S1 III, 127–160; außerdem drei Briefe ohne Nennung des Adressaten in S4 II, 209–214. (vgl. Anm. No 207, 2–3). 202, 29–32 Reinhold bis lehrte: K. L. Reinhold, Briefe ber die Kantische Philosophie 1–8 in: Der Teutsche Merkur, August 1786; Januar bis September 1787. Reinhold ging 1787 mit seiner Frau Sophie nach Jena, wo er bis 1793 lehrte. Die nach D. fr Reinholds Frau bestimmten Briefe sind an W. von Thmmel gerichtet. 202, 34–38 „Was die Geburt bis knpft.“: Brief ohne Datum und Adressatenname. Nach N HKA IV, 165 vom Februar 1796 an W. von Thmmel, nicht an Reinholds Frau Sophie. Nach gegeben (Z. 35) statt Zeichen und Einschub D.s: Gedankenstrich. Nach fhle und giebt (Z. 37): Komma. D. bricht die lange Satzreihe nach „knpft“ ab. S1 III, 145. 203, 8 Er bestimmte Novalis: Um Untersttzung angegangen wurde Schiller von C. Ch. E. Schmid, dem ehemaligen Hofmeister im Hause Hardenberg, der Schiller im Brief vom 1. Juli 1791 im Auftrag des Vaters bat, den jungen Hardenberg den vterlichen Wnschen entsprechend zu beraten. Der Brief wurde erstmals verçffentlicht von K. Hoffmeister, vgl. Anm. No 220, 34–40. 203, 8–14 „Sie machten bis Richtung gab.“: Brief vom 22. September 1791 an Schiller. Statt Sie machten (Z. 8–9): „Denn Sie machten“. Klammerzusatz (Z. 10) von D. S1 III, 131. 203, 17 zwei Jenaer Jahre: Novalis begann sein Studium in Jena im Oktober 1790 und verbrachte knapp ein Jahr dort. Vgl. unten Anm. 203, 33–37. 203, 21 Schmid: C. Ch. E. Schmid, Freund Schillers, einige Zeit Hofmeister Hardenbergs, ab 1793 Professor fr Philosophie in Jena. Er vermittelte wie K. L. Reinhold die Philosophie Kants. Unter seinen Schriften: Empirische Psychologie (1791). Zur Rolle fr Novalis vgl. oben Anm. 203, 8. 203, 33–37 In solcher bis bedurfte: Novalis immatrikulierte sich Ende Oktober 1791 an der Universitt Leipzig. D.s Angabe stimmt mit der Tiecks, S5 I Vorrede (zu S3) XII, berein. Vgl. dagegen Brief vom 5. Oktober 1791 an Reinhold: „Ich werde in drei Wochen nach Leipzig abgehen, und nach einer gnzlich vernderten Lebensordnung zu leben dort anfangen.“ S1 III, 141. Novalis ging 1793 nach Wittenberg.
Novalis.
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203, 37–38 In Leipzig bis Schelling: Im Januar 1792 traf Novalis mit F. Schlegel in Leipzig zusammen; die erste Begegnung mit Schelling fand dort 1797 statt. 204, 3–6 Just bis heraustritt: A. C. Just, Kreisamtmann in Tennstedt, vterlicher Freund und erster Biograph Hardenbergs. Sein Nachruf aus Schlichtegrolls Nekrolog von 1805 steht in S1 III, 1–44 unter dem Titel: Ueber das Leben Friedrichs von Hardenberg. Just benutzte die unverçffentlichte Biographie K. von Hardenbergs, die auch Tieck fr seine Darstellung in S5 I Vorrede (zu S3) IX– XXXII gebrauchte. Vgl. N HKA IV, 981 f. D. lehnt sich an Just und Tieck an. 204, 6–11 Es bis bekommen: „Ich sollte sein Lehrer und Fhrer werden; aber er ward mein Lehrer.“ So Just ber Hardenberg, von dessen „Forschungsgeiste“ wie Ausdauer im Entwerfen von „Geschftsaufstzen“ er spricht. S1 III, 10 f. 204, 19–20 Im Frhjahr 1795 bis Khn: Novalis lernte Sophie von Khn am 17. November 1794 kennen. 204, 21–26 „Alle bis umkleidet habe.“: Einschub und Zeichen (Z. 22) von D. Nach diejenigen (Z. 21–22): Komma. Statt unseres Freundes (Z. 22): „unsers Freundes“. Nach bewegt (Z. 25): Komma. S5 I Vorrede (zu S3) XIV. 204, 27 Mathilde, Cyane: Figuren aus Hardenbergs Roman Heinrich von Ofterdingen. 204, 29 – 205, 39 Verfahren von Hardenberg’s dichterischer Phantasie bis Gegenstand derselben: Die Frage nach dem Verfahren der dichterischen Phantasie oder Einbildungskraft, Mçglichkeiten, sie zu beantworten, und Zweifel eben daran beschftigen D. Vgl. zunchst Novalis 233, 27–37; 249, 35 – 250, 31; dann bes. Gesichtserscheinungen; Dickens 368, 18 – 373, 4: 407, 7 – 412, 6; E Goethe 130, 21–38; 136, 1 – 143, 18; EW; Bausteine 127–184. 204, 30–32 Blow bis stand: K. E. von Blow, Schriftsteller, Mitherausgeber und Bearbeiter von S1 III. Vgl. sein Vorwort S1 III, S. VII– XIV. 204, 30 – 205, 20 Charakteristik Sophiens bis ber sich nach.“: Die einzelnen Partien des von D. gekrzten Textes werden nach der Vorlage korrigiert in ihren Zusammenhang gestellt: „Klarisse. (Novalis erste Braut, Sophie von Khn.) / Ihre Frhreife. Sie wnscht allen zu gefallen. Ihr Gehorsam und ihre Furcht vor dem Vater. Ihre Decenz und doch ihre unschuldige Treuherzigkeit. Ihr Steifsinn und Ihre Schmiegsamkeit gegen Leute, die sie einmal schtzt, oder die sie frchtet. Ihr Betragen in der Krankheit. Ihre Launen. Wovon spricht sie gern. Artigkeit gegen Fremde. Wohlthtigkeit. Hang zum kindischen Spiel. Anhnglichkeit an Weiber. Ihre Urtheile. Gesinnungen. Anzug. Tanz. Geschftigkeiten im Hause. Liebe zu ihren Geschwistern. Musikalisches Gehçr. Ihre Lieblinge. Geschmack. Religiositt. Freier Lebensgenuß. Liest sie gern. Hang zu weiblichen Arbeiten. S i e w i l l n i c h t s s e i n . Sie i s t e t w a s . Ihr Gesicht, ihre Figur, ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre politische Lage. Ihre Bewegungen. Ihre Sprache, ihre Hand. Sie macht nicht viel aus Poesie. Ihr Betragen gegen andre, gegen mich. Offenheit. Sie scheint noch nicht zu eigentlichem Reflektiren gekommen zu sein. Kam ich doch auch erst in einer gewissen Periode dazu. Mit wem ist sie zeitlebens umgegangen. Wo ist sie gewesen. Was ißt sie gern. Ihr Betragen gegen mich. Ihr Schreck vor der Ehe. Ich muß sie recht nach ihren Eigenheiten fragen. So auch die M(utter). Ihre Art sich zu freuen, zu betrben. Was ihr am meisten von Menschen und Sachen gefallen. Ist ihr Temperament erwacht? Was sie zur Just gesagt hat. Ihr Tabakrauchen. Ihre Anhnglichkeit an die Mutter als Kind. Ihre Dreistigkeit gegen
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den Vater. Ihre Confirmation. Sie hat von der Ma ch re einmal Schlge gekriegt. Ihre Gespensterfurcht. Ihre Wirthschaftlichkeit. Wie sie der Dieb hat halten wollen. Gesicht bei Zoten. Talent nachzumachen. Ihre Wohlthtigkeit. Urtheile ber sie. Sie ist mßig, wohlthtig. Sie ist irritabel, sensibel. Ihr Hang gebildet zu sein. Ihre Abscheu vor dem vexiren, dem Getrtsche. Ihre Achtsamkeit auf fremde Urtheile. Ihr Beobachtungsgeist. Kinderliebe. Ordnungsgeist. Herrschsucht. Ihre Sorgfalt und Passion fr das Schickliche. Sie will haben daß ich berall gefalle. Sie hat es bel genommen, daß ich mich zu frh an die Aeltern gewandt habe und es mir zu bald und zu allgemein merken lassen. Sie hçrt gern erzhlen. Sie will sich nicht durch meine Liebe geniren lassen. Meine Liebe drckt sie oft. Sie ist kalt durchgehends. – Ungeheure Verstellungsgabe, Verbergungsgabe der Weiber berhaupt. Ihr feiner Bemerkungsgeist. Ihr richtiger Takt. – Alle Weiber haben das was Schlegel an der schçnen Seele tadelt. Sie sind vollendeter als wir. Freier als wir. Gewçhnlich sind wir besser. Sie e r k e n n e n besser als wir. Ihre Natur scheint unsre Kunst, unsre Natur ihre Kunst zu sein. Sie sind geborne Knstlerinnen. Sie individualisiren, wir universalisiren. Sie glaubt an kein knftiges Leben, aber an die Seelenwanderung. Schlegel interessirt sie. Sie kann zu große Aufmerksamkeit nicht leiden und nimmt doch Vernachlssigung bel. Sie frchtet sich so sehr vor Spinnen und Musen. Sie will mich immer vergngt. Die Wunde soll ich nicht sehn. Sie lßt sich nicht dutzen. Lieblingsessen: Krutersuppe. Rindfleisch und Bohnen. Aal. Sie trinkt gern Wein. Sieht gern etwas, liebt die Komçdie. Sie denkt mehr ber andre als ber sich nach.“ S1 III, 115–117. 205, 23–24 Der Tod bis vorbereitete: Anspielung auf Beatrice, die aus der Ferne geliebte schçne Florentinerin. In Dantes Vita nova (1293) wird sie zur Allegorie der Liebe. Vgl. dazu Anm. No 212, 33. 205, 21–28 Aber bis aufgelçst: Zur Phantasie des subjektiven Dichters vgl. Novalis 199, 2–10 und Anm. 205, 28–38 Schleiermacher bis ihn.“: Schleiermacher anlßlich der Lektre des gerade in S1 I erschienenen Romans Heinrich von Ofterdingen ber Novalis am 29. Juli 1802 an Eleonore G[runow]. Zwischen wre. (Z. 33) und andere (Z. 36): „Meinen Sie nicht auch, daß man dieses aus seiner Mathilde schließen kann? Scheint Sie Ihnen nicht im Vergleich mit der Art, wie alles Andre ausgestattet ist, etwas zu drftig fr den Geist? und wrde er nicht eine Andre“. Schleiermacher I, 325. 206, 8–11 „Ich schlich bis zeichnen.“: In S1 III, 48 unter dem Vermerk: „(Dies Blatt scheint in der ersten Zeit der Bekanntschaft mit Sophien in Tennstedt geschrieben zu sein.)“ 206, 15 Jawort: Inoffizielle Verlobung am 15. Mrz 1795. 206, 20–23 Ehe bis Mingleb: Gemeint ist Wiegleb. Die fehlerhafte Form des Namens bernimmt D. von Just; dazu, fast wçrtlich, das Urteil ber Novalis. S1 III, 14. – J. Ch. Wiegleb, Apotheker in Langensalza, bekannt durch zahlreiche Schriften zur Chemie, unterrichtete Novalis im Januar 1796 vierzehn Tage in Halurgie (Salzwerkskunde). 206, 34 in eigenen medicinischen Studien: So berichtet Just. S1 III, 16. 206, 40 Drei Jahre: Nach D.s eigenen Angaben wren es zwei Jahre (vgl. Novalis 204, 19–20). D. bernimmt die Zahl der Jahre aus dem Brief von Novalis an Woltmann (vgl. die folgende Anm.). Tatschlich von November 1794 bis Mrz 1797.
Novalis.
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207, 2–3 „Es ist bis hineinsah.“: Brief vom 22. Mrz 1797 [an K. L. Woltmann]. S5 II, 292. Mit zwei weiteren Briefen vom 14. April und 3. Mai 1797 ohne Nennung des Adressaten schon in S4 II, 209–214. Erstdruck in: Zeitung fr die elegante Welt Nr. 250 (Dezember 1810). Vgl. N HKA IV, 813 f. 207, 16 einer Natur wie Augustin: Hinweis auf die Entwicklung des Augustinus, die zu seiner Taufe (387) und nderung seiner Lebensweise fhrte. Confessiones, achtes Buch, V, 10 – XII, 29. 207, 19–35 Aber bis schied: Zur unerreichbaren Objektivitt vgl. Novalis 199, 2–10 und Anm. 207, 34 wie Hçlderlin: Zu Hçlderlin als subjektivem Dichter vgl. Gesichtserscheinungen 100 f. und HW, bes. 110 f. 207, 35–40 Aber bis kçnnen: Wahrhaftigkeit betont auch J. Schmidt in seiner Geschichte der Deutschen Literatur (wie Anm. No 221, 10–12), S. 421 f. 208, 1 Jean Paul: ber J. P. F. Richter schrieb D. vermutlich erst um 1906 fr die von ihm geplanten Studien zur Geschichte des deutschen Geistes (Nachlaßverçffentlichung in DM 428–463). S. 327–363 dieses Bandes. Jean Paul wird ebenfalls als subjektiver Dichter gesehen, aber mit positiver Bewertung seines Humors. Zu D.s Lektre von Jean Paul vgl. B Scholz 445. 208, 6–8 In der Zeit bis falle: Brief vom 8. Februar 1797 [an W. von Thmmel]: „Daß wir dann endlich aufhçren mçgen fr Sophiens Tage zu zittern, daß ich nicht mehr wie ein verzweifelter Spieler lebe, dessen ganzes Wohl und Weh davon abhngt, ob ein Blthenblatt in diese oder jene Welt fllt.“ S1 III, 156. 208, 9–16 „Das Blthenblatt bis sein.“: Brief vom 13. April 1797 [an W. von Thmmel]. Statt andere (Z. 9): „andre“. Nach geweht (Z. 10): Gedankenstrich und neuer Satzanfang. Nach Hand (Z. 10): Komma. Nach ermuntert (Z. 12–13) berspringt D. einen lngeren Abschnitt. Statt zu vollenden (Z. 13): „zu verrichten“. Nach nachsenden. (Z. 14–15): „Der Augenblick des Wiedersehens ist der freudigste Aufblick, den ich noch unter dieser Sonne habe.“ S1 III, 157 f. 208, 18–26 „Wenn ich bis wollte.“: Brief vom 29. Mrz 1797 an Just, enthalten in Justs Biographie (vgl. Anm. No 204, 3–6). Statt Glckes (Z. 19): „Glcks“. Statt nunmehr (Z. 19): „nunmehro“. Nach werden (Z. 21): Komma. Statt studirte, (Z. 21–22): „studierte;“. Von D. bangen Augenblick (Z. 22) korr. aus „langen Augenblick“, bereinstimmend mit N HKA IV, 214. Nach herbeifhren (Z. 22): Gedankenstrich statt Semikolon. Nach weiß (Z. 23): Komma. Sperrungen (Z. 23–24) von D. Nach kann. (Z. 24): Gedankenstrich. Statt Mitleid (Z. 25): „Mitleiden“. S1 III, 19. 208, 22 Recidive: Rckflle. 208, 25–26 der zeitherigen Stunden: Wortbildung zeitherig zu zeither konkurrierend mit seitherig zu seither; im letzten Drittel des 19. Jh.s nach Grimm (1956) ausgestorben. 208, 26–27 Am bis Erasmus: Der um zwei Jahre jngere Bruder Hardenbergs starb am 14. April 1797 an Tuberkulose. 208, 28 Tagebuchbltter: Aus Novalis Tagebuche seiner letzten Lebensjahre. S1 III, 45–80.
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Textgeschichte und Anmerkungen
208, 33 Wahlverwandtschaften: Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften erschien 1809 in Tbingen. 208, 36 Mittheilung ber diese Absicht: Novalis war beeindruckt von Goethes Teilnahme an Sophie, er begegnete Goethe 1798 und 1799 (vgl. N HKA IV, 24* f.); ber eine Mitteilung seines Todesentschlusses ist nichts auszumachen. 209, 2–40 „Den 18. bis drfe: Im folgenden werden die von D. vernderten Zitate im Wortlaut seiner Textvorlage angegeben, bernommene, aber nicht als Zitate gekennzeichnete Stellen nachgewiesen und einige Stze ergnzt. 209, 2–4 „Den 18. bis fest.“: „Tennstedt, 18. April 1798 [recte 1797], den 31. Tag nach Sophiens Tode. / Frh mancherlei Gedanken ber Sie und ber mich. Philosophie. Heiter und leicht. Der Zielgedanke stand ziemlich fest.“ S1 III, 49. 209, 4–5 „Den bis ruhig.“: „19: 32. / Frh Mancherlei wegen des Entschlusses gewankt und geschwankt, dann Philosophie. [. . .] Im Ganzen den Tag heiter und ruhig.“ S1 III, 49. 209. 5–6 „Den 21. bis kalt.“: „21: 34. / An Sophie hab’ ich oft, aber nicht mit Innigkeit gedacht, an Erasmus kalt.“ S1 III, 50. 209, 6–8 „Den 24. bis wohl.“: Statt Den 24. (Z. 7): „24: 37.“ Statt wirds (Z. 7): „wird’s“. S1 III, 51. 209, 8–9 Am bis gewesen: „26: 39. / Ich habe zwar mit Rhrung nicht an Sie gedacht, ich bin fast lustig gewesen; aber doch gewissermaßen ihrer nicht unwerth.“ S1 III, 51. 209, 9–10 Ein paar Tage bis Essens: „29: 42. / Abends etwas zu lebhaft gestritten whrend des Essens.“ S1 III, 52. 209, 10–13 Den Tag darauf bis kann.“: „30. Apr., 43: bis 4. Mai: 47. / Spt sprach ich sehr lustig mit der Kreisamtmnnin, weshalb ich auch Abends meine Lieblingsbilder nur in der Ferne sah. [. . .] Jetzt schein ich ebenfalls kalt und z u s e h r i n d e r S t i m m u n g d e s A l l t a g s l e b e n s z u s e i n . [. . .] O, daß ich so wenig in der Hçhe bleiben kann!“ S1 III, 52 f. 209, 13–15 Hatte er bis Halstuch: „5: 48. / Spt recht lebhaft Ihr Bild vor mir gehabt, im profil, neben mir auf dem Kanapee, im grnen Halstuch, in charakteristischen Situationen und Kleidern fllt sie mir am leichtesten ein.“ S1 III, 54. 209, 15–19 fand er bis vorkommt.“: „7: 50. / Frh war ich etwas sinnlich, auch fand ich eine sonderbare Furcht in mir, vor dem gefhrlich krank werden. Sie schien wenigstens da zu sein.“ Im unmittelbar anschließenden Zitat (Z. 16–19) ist so fremd (Z. 19) gesperrt. S1 III, 54 f. 209, 23–25 Da hatte bis hervortreten: „13: 56. / Abends ging ich zu Sophien. Dort war ich unbeschreiblich freudig. Aufblitzende Enthusiasmus-Momente. Das Grab blies ich wie Staub vor mich hin. Jahrhunderte waren wie Momente, ihre Nhe war fhlbar, ich glaubte, sie solle immer vortreten.“ S1 III, 56.
Novalis.
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209, 26–28 Wie aber bis mçglich: „19: 62. / Beim Grabe fiel mir ein, daß ich durch meinen Tod der Menschheit eine solche Treue bis in den Tod versichere. Ich mache ihr gleichsam eine solche Liebe mçglich.“ S1 III, 58. 209, 31–33 „Bei meinem Entschluß bis Untreue.“: Das Zitat steht unter: „22: 65.“ Doppelpunkt nach anfangen (Z. 32) statt Punkt von D. S1 III, 59. 209, 35–37 Die schçnsten bis Aufopferung sein: „26: 69. / An Sie hab’ ich fleißig gedacht, besonders ist mir lebhaft geworden, daß mich die schçnsten wissenschaftlichen und andere Aussichten nicht auf der Welt zurckhalten mssen. Mein Tod soll Beweis meines Gefhls fr das Hçchste sein, chte Aufopferung, nicht Flucht, nicht Nothmittel.“ S1 III, 61. 209, 37–38 So unentbehrlich bis Vater: „31. Mai, 1. 2. Juni: 74. 75. 76. / Die Menschen scheinen einander unentbehrlicher als sie sind. Meine Mutter genießt mich wenig, so auch mein Vater. Meine Geschwister, nehmlich die beiden ltern, werden mich vermissen lernen.“ S1 III, 63. 210, 1 Anfang des Juli 1797: Die letzte Eintragung von 1797 steht unter dem Datum: „6: 110. Montag 3. Juli.“ S1 III, 69. Es folgen einige sptere Notizen. 210, 16–17 Als Friedrich Schlegel bis wiedersah: Das Wiedersehen fand am 25./26. August 1798 in Dresden statt. Vgl. Novalis 214, 35 und Anm. 210, 17–20 „er hat bis leuchten.“: Undatierter Brief F. Schlegels an Schleiermacher. Statt „ er (Z. 17): „Er“, Satzanfang. Nach empor (Z. 19): kein Komma. Statt Dabei (Z. 19): „Dabey“. Statt grade aus (Z. 20): „geradeaus“. Schleiermacher III, 76 f. 210, 20–30 Einen Ausdruck bis Zusatz: Zur Entstehungsgeschichte der Hymnen an die Nacht vgl. Tieck S5 I Vorrede (zu S3) XVIII f. und Just S1 III, 31 f. Just gibt die Daten der Verçffentlichung an. D. nimmt das Datierungsproblem sogar noch einmal auf in: Leben Schl XIII,1. 302. Die handschriftliche Fassung der Hymnen, von denen sich Teile auf die Vorgnge des Jahres 1797 beziehen, wurde wohl im Januar 1800 abgeschlossen. Vgl. N HKA I, 115–119. 210, 28 Frbung Schleiermacher’s: Verbindung zu Schleiermacher bes. durch die Reden ber Religion Anm. No 218, 4. 210, 30 im Athenum: Die revidierte Fassung der Hymnen an die Nacht wurde im August 1800 verçffentlicht in: Athenaeum III, 2 (1800), S. 188–204. 211, 8–20 Jenseits bis Zge: Diesen Abschnitt formuliert D. in Anlehnung an die zweite, dritte und vierte der Hymnen an die Nacht. 211, 8–9 Jenseits bis hauset: Vgl. den letzten der zitierten Stze unten Anm. 211, 11–15. 211, 9–11 dehnt sich bis gemein: Der entsprechende Teil der zweiten Hymne: „Zugemessen ward dem Lichte seine Zeit; aber zeitlos und raumlos ist der Nacht Herrschaft. – Ewig ist die Dauer des Schlafs. Heiliger Schlaf! beglcke zu selten nicht der Nacht Geweihte in diesem irdischen Tagewerk. Nur die Thoren verkennen dich, und wissen von keinem Schlafe, als dem Schatten, den du in jener Dmmerung der wahrhaften Nacht mitleidig auf uns wirfst.“ S5 II, 3 f.
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Textgeschichte und Anmerkungen
211, 11–15 Die irdische Flut bis Begeisterung: Aus der vierten Hymne: „Weit und ermdend ward mir die Wallfahrt zum heiligen Grabe, drckend das Kreuz. Die krystallene Woge, die, gemeinen Sinnen unvernehmlich, in des Hgels dunkelm Schooße quillt, an dessen Fuß die irdische Flut bricht, wer sie gekostet hat, wer oben stand auf dem Grenzgebirge der Welt, und hinbersah in das neue Land, in der Nacht Wohnsitz: wahrlich der kehrt nicht in das Treiben der Welt zurck, in das Land, wo das Licht in ewiger Unruh hauset.“ S5 II, 5. 211, 15–20 Ihm selber bis Zge: Entsprechungen in der dritten Hymne: „Einst da ich bittre Thrnen vergoß, da in Schmerz aufgelçst meine Hoffnung zerrann, und ich einsam stand am drren Hgel, der im engen, dunkeln Raum die Gestalt meines Lebens barg; einsam, wie noch kein Einsamer war, von unsglicher Angst getrieben, kraftlos, nur ein Gedanke des Elends noch: – wie ich da nach Hlfe umherschaute, vorwrts nicht konnte und rckwrts nicht, und am fliehenden, verloschnen Leben mit unendlicher Sehnsucht hing: – da kam aus blauen Fernen, von den Hçhen meiner alten Seligkeit ein Dmmerungsschauer, und mit einemmale riß das Band der Geburt des Lichtes Fessel. Hin floh die irdische Herrlichkeit, und meine Trauer mit ihr, zusammen floß die Wehmuth in eine neue, unergrndliche Welt; du Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kamst ber mich: die Gegend hob sich sacht empor, ber der Gegend schwebte mein entbundener, neugeborner Geist. Zur Staubwolke wurde der Hgel, durch die Wolke sah ich die verklrten Zge der Geliebten.“ S5 II, 4 f. 211, 20 „In bis Hnde.“: D.s Zitat schließt unmittelbar an den Text oben Anm. 211, 15–20 an, bricht im Satz ab. Statt Hnde. (Z. 20): „Hnde, und die Thrnen wurden ein funkelndes, unzerreißliches Band.“ S5 II, 5. 211, 24 Galvani: Die beschriebene Beobachtung ließ L. Galvani auf tierische Elektrizitt schließen. De viribus electricitatis in motu musculari (1791). 211, 27 Volta’s Untersuchungen: A. Volta wies 1796 die Ursachen fr die von Galvani beobachtete sog. tierische Elektrizitt nach. Er entdeckte die Berhrungselektrizitt. 211, 29–30 Ritter bis befreundet: J. W. Ritter, Physiker, lebte als Privatgelehrter in Jena. Novalis kannte Ritters Schrift: Beweis, daß ein bestndiger Galvanismus den Lebensprocess in dem Thierreich begleite. Nebst neuen Versuchen und Bemerkungen ber den Galvanismus, Weimar 1798. Er schtzte Ritters Art der Naturbetrachtung, kennengelernt hat er ihn 1799. Vgl. Anm. No 199, 21. 211, 32 des magnetischen Schlafs: Gehçrt in den Zusammenhang der von F. A. Mesmer u. a. auf den sog. tierischen Magnetismus gegrndeten Heilverfahren. Schlaf, auch ohne Magnet, durch Handbewegungen bewirkt, ist eine Vorform der Hypnose. 211, 32–34 Friedrich Schlegel bis 1798: Undatierter Brief F. Schlegels an Schleiermacher, wçrtlich: „Er sucht auch auf dem chemischen Wege ein Medicament gegen die Kçrperlichkeit (mittelst der Ekstase), die er denn doch fr eine Sommersproße in dem schçnen Geheimniß der geistigen Berhrung hlt. Ich werde mich aus maieutischer Machtvollkommenheit mit ihm in eine absolute Correspondenz setzen ber den Galvanismus des Geistes, eine seiner Lieblingsideen. Ich werde ganz bescheiden auftreten, nur als Prophet; er selbst wird den Zauberer vorzustellen die Ehre haben.“ Schleiermacher III, 77. D. gibt dort in einer Anm. den genauen Stellennachweis fr den Aphorismus ber das Denken (wie unten Anm. No 211, 39 – 212, 1); außerdem zitiert er, allerdings mit einem Lesefehler, den Aphorismus S5 II, 143: „Der Zauberer ist Poet. Der Prophet verhlt sich zum Zauberer, wie der Mann von Geschmack zum Dichter.“
Novalis.
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211, 34–39 „Wie nun bis erfahren.“: D.s Zitat schließt unmittelbar an den letzten Satz des Schleiermacherbriefs in der vorangehenden Anm. an. Statt Zauberei (Z. 34): „Zauberey“. Nach berhren (Z. 36) Komma von D. Statt inneren (Z. 37): „innern“. D. bernimmt die Sperrung von artiger (Z. 38) nicht. Statt das Uebrige (Z. 38): „das brige“. Nach hoffe ich (Z. 38): „– um doch auch wie [A. H. J.] Lafontaine zu jeanpaulrichterisiren –“. Schleiermacher III, 77. 211, 39 – 212, 1 In diesem Sinne bis statt: „Unser Denken ist schlechterdings nur eine Galvanisation, eine Berhrung des irdischen Geistes, der geistigen Atmosphre, durch einen himmlischen, berirdischen Geist.“ D. verkrzt. Novalis fhrt fort: „Alles Denken u. s. w. ist also an sich schon eine Sympraxis im hçheren Sinn. Die Denklehre entspricht der Meteorologie.“ S5 II, 159. 212, 8 Freiberg: Sitz der 1765 gegrndeten Bergakademie, um 1800 berhmt vor allem fr Mineralogie, Geognosie und Bergbau. Vgl. Steffens (wie Anm. No 249, 21), S. 20, 203 f. Novalis geht im Dezember 1797 nach Freiberg und hçrt Vorlesungen bei A. G. Werner. 212, 11–18 Der geniale Ritter bis Zustnden: Die zeitliche Folge der Begegnungen stimmt nicht (vgl. Anm. No 211, 29–30 und 212, 8), D.s Schluß ist unwahrscheinlich. 212, 13 Werner: A. G. Werner, Lehrer in Freiberg, Begrnder der Mineralogie. Ein wichtiges Werk: Oryktognosie, oder Handbuch fr die Liebhaber der Mineralogie (1792); Theorie der Basaltentstehung (Neptunismus); Arbeiten zur Bergwerkskunde. Vgl. auch Novalis 241, 6–13. 212, 16 die Lehrlinge von Sais: Um Ostern 1798 beginnt Novalis die Arbeit an seinem Roman Die Lehrlinge zu Sais. Das Romanfragment wurde 1802 zuerst verçffentlicht in: S1 II, 159–246; in der von D. benutzten Auflage: S5 II, 54–104. D.s durchweg ungenauer Gebrauch des Titels geht vielleicht auf die schwankende Bezeichnung bei Tieck zurck, z. B. S5 I Vorrede (zu S5) XXXV. 212, 19 Julie von Charpentier: Novalis verlobte sich im Dezember 1798 mit Julie, der Tochter des Geologen, Berghauptmanns und Lehrers an der Bergakademie Freiberg J. F. W. von Charpentier. 212, 28 Religiçse Motive: „Ich habe zu Sophie Religion, nicht Liebe. – Absolute Liebe, vom Herzen unabhngig, auf Glauben gegrndet, ist Religion.“ S1 III, 73. 212, 33 Dante bis Gemma: Beatrice soll um 1290 gestorben sein. Das Datum der Heirat Dantes mit Gemma Donati ist ungesichert. Nachweislich haben aber die Familien Donati/Alighieri bereits 1277 einen Ehevertrag fr ihre Kinder geschlossen, wie eine Urkunde ber die Mitgiftvereinbarung belegt. 212, 34–35 subjektives mythologisches Gebilde: Vgl. D.s Kommentar zu Geistliche Lieder (Novalis 231, 13 – 232, 29) und sein Ergebnis der Untersuchung des Ofterdingen (Novalis 248, 1–7). 212, 36–40 Und wie bis mit ihnen: Vgl. Jenaer Tage Novalis 199, 20–23. 213, 10 – 214, 2 Hçchst merkwrdig bis geleistet: Zum Zusammenhang von ußeren Bedingungen und nach innen gewandter Bildung vgl. Ges. Schr. XI, 111 ( Friedrich Christoph Schlosser); Freytag 415, 19 – 416, 18; Basler Antrittsvorlesung 14–16; Leben Schl XIII,1. S. XXXVI–XL; E Goethe 163, 24–36; Archive R 2.
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Textgeschichte und Anmerkungen
213, 27–32 (die Christenheit II, 203) bis Zeit geben.“: „Deutschland geht einen langsamen aber sichern Gang vor den brigen europischen Lndern voraus. Whrend diese durch Krieg, Spekulation und Parthey-Geist beschftigt sind, bildet sich der Deutsche mit allem Fleiß zum Genossen einer hçhern Epoche der Cultur, und dieser Vorschritt muß ihm ein großes Uebergewicht ber die Andere im Lauf der Zeit geben.“ Aus: Die Christenheit oder Europa. Ein Fragment. (Geschrieben im Jahre 1799.) S4 I, 203. Der Aufsatz bildet eine Art Anhang zum ersten Band der 4. Auflage der Schriften, S4 I, 187–208. Dieser hçchst merkwrdige Aufsatz und seine Druckgeschichte beschftigten D. schon im Zusammenhang mit der Ausgabe der Briefe Schleiermachers. Schleiermacher III, 133 Anm.; vgl. N HKA III, 497–506; zum ganzen Text: Novalis 219, 4 – 220, 12. 213, 37 – 214, 2 das Alles bis geleistet: Goethe selber beklagt bereits den fehlenden „Mittelpunkt gesellschaftlicher Lebensbildung“ und verteidigt die unter den gegebenen Umstnden hervorgebrachten literarischen Leistungen in: Literarischer Sansculottismus (1795). Zu D.s Positionierung Goethes vgl. Freytag 415, 36–38; E Goethe 163, 24–36. 214, 10–11 Schutz- und Trutzbndniß, eine Schule: Nach dem von D. verçffentlichten Brief A. W. Schlegels vom 28. Dezember 1799 an L. F. Huber stammt diese Bezeichnung von Huber und lautet vollstndig: „Schutz und Trutzbndniß zu gegenseitigem Lob“. PJ VIII, 3 (1861), S. 233. D.s Kommentar ohne den Brief Schlegels auch in B Haym, Beilage I. D. verwendet trotz harter Kritik an Huber dessen Formel. Zur Bildung einer Schule vgl. das Kap. Die romantischen Genossen in: Leben Schl XIII,1. 281–312, bes. 286. 214, 12 Publikationen von Briefen: Indirekter Hinweis auf die von D. selbst edierten und fr den vorliegenden Aufsatz herangezogenen Briefe: Schleiermacher III und IV. 214, 13–15 Insbesondere bis vermißt: K. von Holtei, Jurist, Theaterdichter, Regisseur, Romanautor, publizierte aus Tiecks Nachlaß: Briefe an Ludwig Tieck, 4 Bde, Breslau 1864. D. kritisiert, korrigiert (vgl. seine Anm. zu Novalis 215, 30; Leben Schl XIII,1. 281) und nutzt diese Neuerscheinung. 214, 16–18 August Wilhelm Schlegel bis Jena: A. W. Schlegel lebte seit Juni 1796 in Jena. Von 1796 bis 1799 war er Mitarbeiter der Allgemeinen Literatur-Zeitung. Vgl. Anm. No 216, 2 zu Schtz. 214, 17 Die Horen: Von Schiller publizierte Zeitschrift, erschien 1795–97 bei Cotta. 214, 17 Jenaer Litteraturzeitung: Gemeint ist die Allgemeine Literatur-Zeitung, 1785 von F. J. Bertuch mit Wieland und Ch. G. Schtz gegrndet, bis 1804 in Jena, ab 1804 in Halle herausgekommen. 1804 begann die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung zu erscheinen. 214, 32–34 Die Verbindung bis begegneten: Vgl. Anm. No 203, 37–38. 214, 35 Sommer 1798: Zusammentreffen von Novalis, Schelling, Caroline und den Brdern Schlegel in Dresden, Besuch der Antikensammlung und der Gemldegalerie am 25./26. August 1798. 214, 37 – 215, 1 „Du bis hartherzig zu.“: Undatierter Brief F. Schlegels an Schleiermacher. Du (Z. 37) bei Schlegel gesperrt. Nach thun (Z. 38): Komma. Statt deine (Z. 38): „Deine“. Statt ich's (Z. 39): „ichs“. Schleiermacher III, 81.
Novalis.
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215, 5–7 Tieck’s Briefe bis zu sich: Tieck hatte Briefe ber Shakespeare fr Reichardts Zeitschrift Lyceum (vgl. Anm. Le 62, 16) versprochen. Sie erschienen in: Poetisches Journal, hrsg. von L. Tieck, I, 1 (1800), S. 18–80 unter dem Titel: Briefe ber W. Shakspeare. 215, 6–9 Anknpfung bis Zweisprach.“: Vgl. den undatierten Brief F. Schlegels an Tieck [Anfang Nov.(?) 1797]. Holtei III, 311 f. Zitat: Statt Ihnen und (Z. 7): „Ihnen oder“. Nach gleich (Z. 8): Komma. Statt Zweisprach (Z. 9): „Zweysprach“. Ebd. 312. 215, 9 Wackenroder: W. H. Wackenroder, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, Berlin 1797 (recte 1796). 215, 14–15 Brief A. W. Schlegel’s: Vom 11. Dezember [1797] an Tieck. Holtei III, 225–228. D. faßt den Brief ber die Volksmhrchen, eng an den Text angelehnt, zusammen (Novalis 215, 18–30). 215, 15 Volksmhrchen: [L. Tieck], Volksmhrchen, 3 Bde, Berlin 1797, erschienen unter dem fingierten Herausgebernamen Peter Leberecht. 215, 16 Recension A. W. Schlegel’s: Sie steht unter Beytrge zur Kritik der neuesten Litteratur in: Athenaeum I, 1 (1798), S. 167–176. 215, 23–25 den blonden Eckbert bis am hçchsten: Der blonde Eckbert, erschienen in Tiecks Volksmhrchen (wie oben Anm. 215, 15) I, S. 191–242, zeige, so A. W. Schlegel in seiner Rezension (vgl. die vorangehende Anm.), den Einfluß von Goethes Wilhelm Meister und dem Mrchen am deutlichsten. 215, 30 * Ich fge bis 1800: D.s Datierungsvorschlge in seiner Anm. haben sich besttigt. Vgl. fr die Briefe Schlegels: Ludwig Tieck und die Brder Schlegel, hrsg. von E. Lohner, Mnchen 1972; fr die Briefe von Novalis: N HKA IV. – Die Datierung von Holtei I, 305–308 auf 23. Februar 1800 entnimmt D. Tiecks Vorrede zur dritten Auflage der Schriften, die er in S5 I, S. XXII liest. Tieck druckt dort einen Teil des Briefes ab. Der Widerspruch mit Kçpke’s Leben Tieck’s S. 267 besteht darin, daß Novalis sich im Februarbrief bereits auf Tiecks Sehr wunderbare Historie von der Melusina bezieht, whrend Kçpke (wie Anm. No 216, 29–38) ihre Entstehung erst auf den „Frhling des Jahres 1800“ ansetzt. Sie ist enthalten im Sammelband Tiecks: Romantische Dichtungen II, Jena 1800, S. 331–464. 216, 2 Nicolai: Tieck bersetzte und schrieb fr Ch. F. Nicolai, den einflußreichen Berliner Buchhndler, Verleger, Schriftsteller der Aufklrung, den Herausgeber der Allgemeinen deutschen Bibliothek. Allerdings entsprach Tieck bald nicht mehr dem Geschmack seines Auftraggebers, dessen Satire: Vertraute Briefe von Adelheid B** an ihre Freundin Julie S**, 1799 anonym erschienen, sich gegen die neue literarische Richtung wendet. 216, 2 Huber: L. F. Huber, Kritiker und Theaterschriftsteller, ließ nach dem Bruch A. W. Schlegels mit der Allgemeinen Literatur- Zeitung in diesem Blatt Kritiken gegen die neue Schule (Leben Schl XIII,1. 523 f.) und ihre Zeitschrift, das Athenaeum, erscheinen. Vgl. Anm. No 214, 10–11. 216, 2 Schtz: Ch. G. Schtz, Professor der Beredsamkeit, Mitbegrnder und langjhriger Redakteur der Allgemeinen Literatur-Zeitung, ließ ein Lob der Satire Nicolais (vgl. oben Anm. 216, 2 zu
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Textgeschichte und Anmerkungen
Nicolai) auf die Autoren des Athenums zu und bewirkte so den Bruch A. W. Schlegels mit der Zeitung im November 1799. Vgl. B Haym 40 f., Beilage I. 216, 9–10 Fichte’s Anwesenheit: Fichte war seit 1794 Professor in Jena. Wegen des einleitenden Aufsatzes Ueber den Grund unsers Glaubens an eine gçttliche WeltRegierung, zu: F. K. Forberg, Entwickelung des Begriffs der Religion, in: Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten, hrsg. von J. G. Fichte und F. I. Niethammer, VIII, 1 (1798) des Atheismus verdchtigt, wurde er 1799 entlassen. 216, 10–12 Noch bis ergnzen: F. W. J. Schelling wurde 1798 nach Jena berufen. An Fichtes Wissenschaftslehre (vgl. Anm. No 242, 1–7, auch 221, 39) anknpfend, sucht er ihn zu ergnzen u. a. mit: Ideen zu einer Philosophie der Natur (wie Anm. No 222, 12–17). Vgl. D.s spten Entwurf zu Hegel und Schelling in: Die Jugendgeschichte Hegels (1905). Ges. Schr. IV, 191–212. 216, 18–19 „Statthalter bis Erden“: „Gçthe ist jetzt der wahre Statthalter des poetischen Geistes auf Erden.“ S1 III, 164, enthalten in: Vermischte Bemerkungen, der Grundlage fr Blthenstaub. Dort dann Teil eines Fragments (106): „Daher wird Goethe, der jetzt der wahre Statthalter des poetischen Geistes auf Erden ist, so gemein als mçglich behandelt [. . .].“ Athenaeum I, 1. S. 103 f. 216, 20–22 Bevor Tieck bis lebte: Tieck lebte seit Oktober 1799 fr einige Monate in Jena; den Sommer verbrachte er bei Reichardt, dem Schwager seiner Frau, auf dessen Landsitz Giebichenstein bei Halle/Saale. 216, 24–26 Friedrich Schlegel bis Schelling: Vgl. Brief F. Schlegels vom 27. Juli 1798 an Tieck: „Das muß ich Ihnen doch noch sagen, daß Sie von wegen der Volksmhrchen zwey Freunde haben, die Sie nicht kennen: N o v a l i s und der Philosoph und Physiker S c h e l l i n g , von dem ich Ihnen sagte.“ Holtei III, 314. 216, 26 Fr Novalis und Tieck: Die erste Begegnung Tiecks mit Novalis fand am 17. Juli 1799 statt. 216, 29–38 Gleich bis den Freunden mit: Gekrzt und leicht verndert bernommen aus: R. Kçpke, Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mndlichen und schriftlichen Mittheilungen I, Leipzig 1855, S. 248. 216, 37–38 den getreuen Eckart: Der getreue Eckart und der Tannenhuser, Mrchen Tiecks, zuerst erschienen in dessen Sammelband Romantische Dichtungen I, Jena 1799, S. 423–492. 217, 2–9 „Diese bis Sternenhimmel.“: Redepartie Ernsts im einleitenden Teil der die Dichtungen verbindenden Gesprche in Tiecks dreibndigem Phantasus. Statt weckt (Z. 3): „erweckt“. Statt ahnend (Z. 7): „ahndend“. D. lßt das Komma weg nach: Schmerzen (Z. 3), Vielleicht (Z. 8), liebend (Z. 9). Phantasus I, Berlin 1812, S. 133. 217, 10–18 Wie es bis Blumen.“: Brief Hardenbergs vom 6. August [1799] an Tieck. D. ergnzt die Angabe Holteis um die Jahreszahl. „Deine Bekanntschaft hebt ein neues Buch in meinem Leben an. – An Dir hab’ ich so manches vereinigt gefunden – was ich bisher nur vereinzelt unter meinen Bekannten fand. – Wie meine Julie mir von allen das Beste zu besitzen scheint, so scheinst auch Du mir jeden in der Blthe zu berhren und verwandt zu seyn. Du hast auf mich einen tiefen, reitzen-
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den Eindruck gemacht. – Noch hat mich keiner so leise und doch so berall angeregt wie Du. Jedes Wort von Dir versteh’ ich ganz. Nirgend stoß ich auch nur von weiten an. Nichts menschliches ist Dir fremd – Du nimmst an allem Theil – und breitest Dich leicht wie ein Duft gleich ber alle Gegenstnde und hngst am liebsten doch an Blumen.“ Holtei I, 305. 217, 29–31 „Was ist bis Religionsstunde. “: Nach „Nichts,“ (Z. 30) vertauscht D. die Zeichen. Kçpke, Tieck (wie Anm. No 216, 29–38), S. 249. 217, 35 Im August bis September: F. Schlegel kam im September 1799 von Berlin nach Jena. 217, 37 Reden ber Religion: F. Schleiermacher, ber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verchtern, Berlin 1799 (anonym). Vgl. das Kapitel Erste geschichtliche Wirkung der Reden in: Leben Schl XIII,1. 442–458. 218, 1–4 „Er ist bis leugnen.“: Brief D. Veits vom 15. November 1799 an Schleiermacher. Dorothea teilt ihren Eindruck von Novalis mit, der sich ein paar Tage in Jena aufhlt (vgl. Anm. No 199, 21). „Ich rede nur von der reinen Anschauung, zum Gesprch bin ich gar nicht mit ihm gekommen, ich glaube aber e r vermeidet es; er ist so in Tieck, mit Tieck, fr Tieck, daß er fr nichts anders Raum findet. Enfin, mir hat er’s noch nicht angethan. Er sieht aber wie ein Geisterseher aus, und hat sein ganz eignes Wesen fr sich allein, das kann man nicht lugnen.“ Schleiermacher III, 132. 218, 4 Aber bis gewaltig: Novalis ließ sich die noch nicht ausgelieferte Schrift Schleiermachers aus Berlin kommen und beschftigte sich Sept./Okt.1799 intensiv damit. Vgl. Brief F. Schlegels vom 20. September an Schleiermacher. Schleiermacher III, 121. Gleichzeitig kommentierte er die Fragmentsammlung Ideen von F. Schlegel (wie unten Anm. 218, 14). Vgl. N HKA III, 481–487. 218, 7–10 Die scharfe Dorothea bis nicht: Die von D. berichtete Textstelle aus dem Brief D. Veits vom 15. November 1799 an Schleiermacher folgt unmittelbar auf das Zitat Novalis 218, 1–4 (vgl. oben Anm. 218, 1–4) und heißt wçrtlich: „Das Christenthum ist hier l’ordre du jour; die Herren sind etwas toll. Tieck treibt die Religion wie Schiller das Schicksal; Hardenberg glaubt Tieck ist ganz und gar seiner Meinung; ich will aber wetten was einer will, sie verstehen sich selbst nicht, und einander nicht.“ Schleiermacher III, 132. 218, 13 Aufsatz von Novalis: Die Christenheit oder Europa. Vgl. Anm. No 213, 27–32. 218, 14 Ideen Friedrich Schlegel’s: Ideen, eine Fragmentsammlung mit der Schlußwidmung „An Novalis“, verçffentlicht in: Athenaeum III, 1 (1800), S. 4–33. 218, 14–17 Schelling bis entgegen: Der genaue Titel von Schellings Gedicht heißt: Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Widerporstens. Schelling verçffentlichte es nur zum Teil und ohne Titel in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift fr spekulative Physik I, 2 (1800), S. 152–155. D. hat es vermutlich im Ms. gelesen, gegen seine Absicht jedoch nicht im Anhang zu seinen Briefbnden publiziert, vgl. Schleiermacher III, 134. Vollstndig in: Aus Schellings Leben. In Briefen [hrsg. von G. L. Plitt] I, Leipzig 1869, S. 282–289. 218, 18–21 August Wilhelm bis Gçthe: Brief A. W. Schlegels vom 16. Dezember 1799 an Schleiermacher: „Daß die Nicht-Einrckung des Aufsatzes von Hardenberg und des Widerporst beschlossen
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Textgeschichte und Anmerkungen
worden, wird Friedrich gemeldet haben. Ich war schon frher dieser Meynung, wurde aber berstimmt und provocirte auf Goethe.“ Schleiermacher III, 143. 218, 21–25 „Dieser bis entzckt haben.“: Schließt an die Textstelle in der vorangehenden Anm. unmittelbar an. Einschub mit Zeichen (Z. 21) von D. Statt denn (Z. 22): „dann“. Nach eingegangen (Z. 22): Komma. Statt bei (Z. 24): „bey“. Statt anderen (Z. 24): „andren“. Schleiermacher III, 143. 218, 30–32 Als einen Grundcharakter bis durchgefhrt: Im Zusammenhang mit der Christianisierung der Normannen: „Wie wirksam und fr die Weltgestaltung entscheidend erscheint auch in diesen Ereignissen der Begriff der Religion. Die gesammte Entwicklung des Abendlandes hngt davon ab, daß Gallien nicht ebenfalls unter die Herrschaft der Saracenen gerieth, welche Spanien so manches Jahrhundert hat ertragen mssen.“ L. Ranke, Franzçsische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert I, Stuttgart und Tbingen 1852, S. 17 f. Zu Ranke vgl. JD 30, 283, 306 (Anm. 5); Ges. Schr. V, 9; Anm. Schi 198, 37–40. 218, 32 Geschichtschreibung der Romantik: Vgl. etwa die 1810 in Wien gehaltenen Vorlesungen F. Schlegels, Ueber die neuere Geschichte, Wien 1811. Schlegel sieht die Geschichte durchweg im europischen, nicht nur christlich bestimmten Rahmen. 218, 40 – 219, 3 Es ist bis Litteratur auf: Vgl. Anm. No 213, 27–32. D.s distanzierte Beurteilung der Schrift Hardenbergs rckt sie allerdings politisch in den Zusammenhang der spteren Restauration, whrend seine mit Tieck bereinstimmende Kennzeichnung des Fragments als flchtigen Entwurf ihm wiederum seine Bedeutung nimmt. Vgl. Tiecks Verteidigung der Unterdrckung dieser Arbeit in der fnften Auflage der Schriften mit der Erinnerung an die erste Lesung (Anm. No 199, 21): „Wir fanden die historische Ansicht zu schwach und ungengend, die Folgerungen zu willkhrlich, und die ganze Abhandlung schwach, so daß sehr leicht die Blçßen von jedem Kundigen entdeckt werden konnten.“ S5 I Vorrede (zu S5) XXXV f. Tatschlich wurde sie Hauptangriffspunkt fr die Kritik Echtermeyers und Ruges in: Der Protestantismus (wie Anm. No 200, 8–9), Sp. 2138–2141. Hettner resmiert seine kommentierende Zusammenfassung: „Hier in Novalis springt uns der Katholizismus sogleich, wie Athene bei ihrer Geburt aus Jupiters Haupte, fertig entgegen, kampfgerstet und siegestrunken.“ Die romantische Schule (wie Anm. No 200, 8–9), S. 167. 219, 4 – 220, 12 Er sieht bis Christenheit aufstehn: D. konzentriert sich in seiner partiell wçrtlichen Wiedergabe des Aufsatzes Die Christenheit oder Europa vor allem auf die erste Hlfte (Novalis 219, 4–37). Mit einer Reminiszenz aus dem Anfang („vergnglich ist nichts was die Geschichte ergriff“, vgl. unten Anm. 219, 38–40), leitet er den kurzen Abschnitt ber die zweite Hlfte ein (Novalis 219, 38 – 220, 12). 219, 5–8 Ein bis Standes: „E i n großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. – Ohne große weltliche Besitzthmer lenkte und vereinigte E i n Oberhaupt, die großen politischen Krfte.“ S4 I, 189. 219, 8–9 Sie bis Christenheit: Wçrtlich bernommen. Statt Christenheit; (Z. 9): „Christenheit, die mit gçttlichen Krften versehen, jeden Glubigen aus den schrecklichsten Gefahren zu retten bereit war.“ S4 I, 190. 219, 9–10 sie bis Menschen: D. nimmt nur den ersten Teil des neu beginnenden Satzes auf und baut ihn in seine Satzreihe ein. Statt sie (Z. 9): „Sie“. Statt Menschen; (Z. 10): „Menschen, die
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durch Anhnglichkeit und Treue an jene selige Mutter und ihr himmlisches, freundliches Kind, die Versuchung der irdischen Welt bestanden, zu gçttlichen Ehren gelangt und nun schtzende, wohlthtige Mchte ihrer lebenden Brder, willige Helfer in der Noth, Vertreter menschlicher Gebrechen und wirksame Freunde der Menschheit am himmlischen Throne geworden waren.“ Ebd. 219, 10–12 in den bis Heiterkeit: Vgl. „Mit welcher Heiterkeit verließ man die schçnen Versammlungen in den geheimnißvollen Kirchen, die mit ermunternden Bildern geschmckt, mit sßen Dften erfllt, und von heiliger erhebender Musik belebt waren.“ Ebd. 219, 15–17 in seinem Rechte bis Entdeckungen: Vgl. „Mit Recht widersetzte sich das weise Oberhaupt der Kirche, frechen Ausbildungen menschlicher Anlagen auf Kosten des heiligen Sinns, und unzeitigen gefhrlichen Entdeckungen, im Gebiete des Wissens. So wehrte er den khnen Denkern çffentlich zu behaupten, daß die Erde ein unbedeutender Wandelstern sey [. . .].“ S4 I, 191. 219, 19–23 Es wird bis zusammenzuhalten: „Unendliche Trgheit lag schwer auf der sicher gewordenen Zunft der Geistlichkeit.“ Darin liegt nach Novalis einer der Grnde fr die Vernderung: „Nur kluge, also auch nur zeitliche, Maaßregeln hielten den Leichnam der Verfassung noch zusammen, und bewahrten ihn vor zu schleuniger Auflçsung, wohin denn z. B. die Abschaffung der Priester-Ehe vorzglich gehçrte.“ S4 I, 193. 219, 25–26 die Menschheit bis genug: „Noch war die Menschheit fr dieses herrliche Reich nicht reif, nicht gebildet genug.“ S4 I, 192. 219, 35–37 Gott bis Welt: „Gott wurde zum mßigen Zuschauer des großen rhrenden Schauspiels, das die Gelehrten auffhrten, gemacht, welcher am Ende die Dichter und Spieler feierlich bewirthen und bewundern sollte.“ S4 I, 200. 219, 38–40 Aber nichts bis Weltinspiration: Zusammenfassung von: „Was jetzt nicht die Vollendung erreicht, wird sie bei einem knftigen Versuch erreichen, oder bei einem abermaligen; vergnglich ist nichts was die Geschichte ergriff, aus unzhligen Verwandlungen geht es in immer reicheren Gestalten erneuet wieder hervor. Einmal war doch das Christenthum mit voller Macht und Herrlichkeit erschienen, bis zu einer neuen Welt-Inspiration herrschte seine Ruine, sein Buchstabe mit immer zunehmender Ohnmacht und Verspottung.“ S4 I, 193. 219, 40 – 220, 3 Die Wissenschaft bis brachte: Konzentrat aus: „Die tiefe Bedeutung der Mechanik lag schwer auf diesen Anachoreten in den Wsten des Verstandes; das Reizende der ersten Einsicht berwltigte sie, das Alte rchte sich an ihnen, sie opferten dem ersten Selbstbewußtsein das Heiligste und Schçnste der Welt mit wunderbarer Verlugnung, und waren die Ersten die wieder die Heiligkeit der Natur, die Unendlichkeit der Kunst, die Nothwendigkeit des Wissens, die Achtung des Weltlichen, und die Allgegenwart des wahrhaft Geschichtlichen durch die That anerkannten, und verkndigten, und einer hçhern, allgemeinern und furchtbarern Gespensterherrschaft, als sie selbst glaubten, ein Ende machten.“ S4 I, 204 f. 220, 3–6 „Also kommt bis Menschheit an.“: Statt Encyclopdisten (Z. 4): „Encyklopdisten“. Nach ab (Z. 5): Komma. S4 I, 205. 220, 7–11 „Das Christenthum bis gleich viel.“: Statt dreifache Gestalt (Z. 7): „dreifacher Gestalt“. Statt sein (Z. 10): „seyn“. Nach whlt (Z. 10) Komma von D. Nach drei (Z. 11): Komma
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statt Semikolon. Statt gleich viel. (Z. 11): „gleichviel, ihr werdet damit Christen und Mitglieder einer einzigen, ewigen, unaussprechlich glcklichen Gemeinde.“ S4 I, 207. 220, 11–12 Aus dem Schooße bis aufstehn: Vgl. „Aus dem heiligen Schooße eines ehrwrdigen europischen Consiliums wird die Christenheit aufstehn, und das Geschft der Religionserweckung, nach einem allumfassenden, gçttlichem Plane betrieben werden.“ S4 I, 208. 220, 18 Die geistlichen Gedichte: Gemeint sind: Geistliche Lieder. Vgl. Novalis 231, 33 – 233, 16. Die Lieder I–VII wurden verçffentlicht in: Musen-Almanach fr das Jahr 1802, hrsg. von A. W. Schlegel und L. Tieck, Tbingen 1802, S. 189–204. Die Lieder VIII–XV zusammen mit I–VII in S1 II, 123–158. 220, 18 die Ideen: Nachgewiesen in Anm. No 218, 14. 220, 18–19 Rede ber die Mythologie: Ein Teil aus F. Schlegels Gesprch ber die Poesie. Athenaeum III, 1 (1800), S. 94–105. Vgl. Freytag 416, 28–34. 220, 19–20 katholisirende Anwandlungen bis Gedichten: Steffens sieht darin A. W. Schlegels, Tiecks, Hardenbergs Entdeckung des Katholizismus und die Verehrung der Madonna „mit aller Illusion der Dichtkunst“ (wie Anm. No 249, 21), S. 240. Vgl. A. W. Schlegels Sonette im Gesprch Die Gemhlde, Athenaeum II, 1 (1799), mit einigen Ergnzungen unter dem Titel Geistliche Gemhlde in: Gedichte (1800); Tiecks Stabat mater (1802), angeregt von Pergolesi, einbezogen in die verbindenden Gesprche des Phantasus (wie Anm. No 217, 2–9) II (1812), S. 442–445. 220, 21–25 Wie bis fand: Als ein Nchterner wird Schleiermacher hier und Leben Schl XIII,1. 453 charakterisiert. D. gebraucht die Bezeichnung des Aristoteles fr Anaxagoras, der seinen Vorgngern gegenber als nchtern erschien, weil er die Vernunft als Ursache der Ordnung und Schçnheit des gesamten Kosmos annahm. Metaphysik A. 3, 984 b 17. D. ber Anaxagoras: Ges. Schr. XX, 37; Einleitung 158–169. 220, 25–27 Schleiermacher bis sei: Im undatierten Brief an Schleiermacher erwhnt F. Schlegel, daß „beyde Geisteswerke“, Hardenbergs Christenheit und Schellings Widerporst (vgl. Anm. No 218, 14–17 und 218, 18–21), nicht erscheinen werden, spielt an auf Schleiermachers bereinstimmung in dieser Sache mit Goethe und fhrt fort: „Wie Du das Pabstthum (obgleich es mir ein großes gçttliches Naturprodukt zu seyn scheint) fr das Verderben des Katholicismus hltst, kann ich mir gleichsam sehr gut denken.“ Schleiermacher III, 139. 220, 34 In diesem Herbst bis Ofterdingen: Novalis begann die Arbeit an seinem Roman Heinrich von Ofterdingen Ende November 1799 in Artern. 220, 34–37 Seine Weltansicht bis Welt: Zu Weltansicht vgl. Anm. No 233, 17. Zu doppelten Ausdruck vgl. Anm. No 223, 3–4. 220, 34–40 Seine bis hervortrat: Zur Nhe beider Dichter, vor allem zum Einfluß Schillers, den Tieck im Lebensbericht (Vorbericht zu S3) bergangen habe, vgl. K. Hoffmeister, Novalis und Schiller. Das Verhltniß beider Dichter. (Nach bisher ungedruckten Briefen des erstern.) In: Morgenblatt fr gebildete Leser, 38. Jahrgang, Nr. 52–57 (29. Februar bis 6. Mrz 1844).
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221, 1–2 Denn offenbar bis abgeschlossen: Die Fragmente und Studien vom Sommer 1799 bis zum Ausbruch der Krankheit im Herbst 1800 widerlegen den Eindruck D.s. Vgl. N HKA III, Abtlg. XII. 221, 2–3 „Unter Speculanten bis geworden“: Novalis’ Brief vom 23. Februar 1800 an Tieck (zur Datierung: Anm. No 215, 30). Statt Speculant (Z. 2): „Speculation“. S5 I Vorrede (zu S3) XXII. 221, 8–10 Jene Fragmente bis eine andere: Die Auswahl der ersten Sammlung in S1 II, 247–552 stammt von F. Schlegel, die Anordnung von Tieck. Vgl. S5 I Vorrede (zu S1) V–VIII. Fr die zweite in S1 III, 161–324 hat Blow versucht, den „eignen Papieren“ des Novalis zu folgen. Vgl. Vorwort S1 III, S. X. 221, 10–12 Von ihnen bis Aufzhlungen: Von Paradoxie redet A. F. Ch. Vilmar: „eine Sammlung von abgerißenen Sentenzen, welche oft tief und scharf, mitunter jedoch paradox, nicht ganz selten auch unklar sind.“ In: Geschichte der deutschen National-Literatur II, Marburg 71857, S. 282. J. Schmidt macht fr „manche Paradoxie“ der Fragmente die Herausgeber verantwortlich. Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert I, London, Leipzig, Paris 21855, S. 423, Anm. 221, 12–14 Hardenberg bis unterwerfen: „Materialien zur Encyclopaedistik“ enthlt das Allgemeine Brouillon, entstanden zwischen September 1798 und Mrz 1799, D. in verstreuten Fragmenten zugnglich. Vgl. N HKA III, Abtlg. IX. 221, 15–16 Friedrich Schlegel bis Absicht: „denn sie [die Encyklopdie] ists doch eigentlich, die mir seit Jahren die meiste Zeit kostet.“ Undatierter Brief F. Schlegels an Schleiermacher. Schleiermacher III, 152. Vgl. „Diese Bildungslehre, diese Physik der Fantasie und der Kunst drfte wohl eine eigne Wissenschaft sein, ich mçchte sie E n c y k l o p d i e nennen: aber diese Wissenschaft ist noch nicht vorhanden.“ Ueber Lessing in: Charakteristiken (wie Anm. Le 62, 17–19) I, S. 259 f. 221, 16–17 in seinem „philosophischen Studium“: D.s Verkrzung entspricht wahrscheinlich: Ueber das Studium der Philosophie insbesondre, d. i. die sechste der 1802 in Jena gehaltenen Vorlesungen Schellings, gemeint sind sicher die Vorlesungen insgesamt (wie Anm. Le 81, 19–22). Aus der ersten, Ueber den absoluten Begriff der Wissenschaft: „Sie erkennen aus dem eben Gesagten schon, daß eine Methodenlehre des akademischen Studium nur aus der wirklichen und wahren Erkenntniß des lebendigen Zusammenhangs aller Wissenschaften hervorgehen kçnne [. . .].“ S. 7. Vgl. D.s Publikation von Schleiermachers Rezension der Schrift Schellings. Schleiermacher IV, 579–593. 221, 17–18 Hegel bis vorschwebte: „Als E n c y c l o p d i e wird die Wissenschaft nicht in der ausfhrlichen Entwicklung ihrer Besonderung dargestellt, sondern ist auf die Anfnge und die Grundbegriffe der besondern Wissenschaften zu beschrnken.“ Encyklopdie der philosophischen Wissenschaften (1817, 31830), § 16. Hegel W VI, 23. 221, 20–22 In ihnen bis verhalten: Diese Beziehungen werden angedeutet in Leben Schl XIII,1. 368–382. 221, 23 Wirksamkeit Fichte's in Jena: Dazu Anm. No 216, 9–10. 221, 24 Philosophie der moralischen Welt: Hçchstwahrscheinlich die Schleiermachers in: Monologen (1800), vgl. Leben Schl XIII,1. 462–479; weiter in: Grundlinien einer Kritik der bisherigen
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Sittenlehre (1803), entstanden in Auseinandersetzung mit Kant und Fichte; dazu Novalis 238, 30–31, und Anm. No 238, 30–32; E Goethe 135, 36. – De principiis ethicis Schleiermacheri (1864) ist das Thema von D.s Dissertation, teilweise deutsch in: Leben Schl XIV,1. 339–357. Sein erster Versuch ber Schleiermacher in WM (1859). Ges. Schr. XV, 17–36, vgl. bes. S. 27, 29; D.s Manuskripte zu Schleiermachers Ethik. Leben Schl XIV,1. 231–338; Einleitung 112. 221, 29–35 Wir bis erwogen worden: Dazu besttigend Entwrfe D.s um 1865/66. Ges Schr. XVIII, 1–16; vgl. Vorbericht zu Bd. XVIII, S. XIX–XXIV. 221, 39 Philosophie Fichte’s: Die Wirkung Fichtes dokumentiert der einleitende Satz des F. Schlegel zugeschriebenen Athenaeum-Fragments: „Die Franzçsische Revoluzion, Fichte's Wissenschaftslehre, und Goethe's Meister sind die grçßten Tendenzen des Zeitalters.“ Athenaeum I, 2 (1798), S. 56. Vgl. auch Anm. No 242, 1–7; D.s Darstellung des Einflusses Fichtes auf Schleiermacher: Leben Schl XIII,1. 353–368. 221, 39–40 Sieg einer dynamischen Naturerklrung: „Dynamik“, bestimmt von zwei Krften, „Attraktion“ und „Repulsion“, ist einer der vier Aspekte (neben „Phoronomie“, „Mechanik“, „Phnomenologie“) unter denen Kant die Materie sieht. Damit werden die Naturerscheinungen erfaßt, in deren Bereich der Naturwissenschaftler seine Experimente und Berechnungen anstellt. Vgl. Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaft (1786). Zweites Hauptstck, Metaphysische Anfangsgrnde der Dynamik. Kant W V, 342–396. 221, 40 – 222, 1 Reihe naturwissenschaftlicher Fortschritte: Dazu zhlt D. fr die Zeit um 1800: Galvanismus (vgl. Anm. No 211, 24); die Theorien Werners (vgl. Anm. No 212, 13) und die Forschungen C. F. Kielmeyers: Ueber die Verhltniße der organischen Krfte unter einander in der Reihe der verschiedenen Organisationen, die Geseze und Folgen dieser Verhltniße. Rede (1793). Leben Schl XIII,1. 371. Der Hinweis auf Kielmeyer ist mçglicherweise angeregt von Schelling, der ihn im Zusammenhang mit den Entdeckungen der Neuzeit ausdrcklich nennt. Vgl. Von der Weltseele (wie Anm. No 222, 11–17), S. 298. 222, 8 Noack: L. Noack, Schelling und die Philosophie der Romantik. Ein Beitrag zur Culturgeschichte des deutschen Geistes, Berlin 1859. Nach Noack wirkte Schelling durch „absichtsvolles Anbequemen an Vorgefundenes“ (S. 69). Er sei von Fichte ausgegangen wie Novalis (vgl. S. 202–209), dessen Fragmente „nur einer weitern Aus- und Durchfhrung bedurften, um zu dem zu werden, was S c h e l l i n g mit seiner Naturphilosophie beabsichtigte.“ (S. 209). Zu D.s Kritik an Verfahren dieser Art vgl. Lessing 122, 29–39. 222, 9–11 In dem bis Naturphilosophie: Mit den Verçffentlichungen von Novalis sind gemeint: Blthenstaub in: Athenaeum I, 1 (1798), S. 70–106. Blumen in: Jahrbcher der Preußischen Monarchie, Juniheft (1798), S. 184 f. Glauben und Liebe, ebd. Juliheft, S. 269–286. 222, 11–17 Die in den Lehrlingen bis hervor: Zur Vorstellung, daß die entschleierte Natur der Geist sei vgl. Novalis 242, 1–7. Schelling gebraucht das Motiv konventioneller im Zusammenhang mit der „Erforschung der Natur“: „Einzelne haben in dieser Beschftigung [. . .] nicht aufgehçrt, auch die verschleyerte Gçttin anzubeten.“ In: Ideen zu einer Philosophie der Natur, Leipzig 1797, S. XV. An anderer Stelle, nach den Grnden der Irritabilitt fragend: „[. . .] ihre Ursachen entdecken hieße das Geheimniß des Lebens enthllen, und den Schleyer der Natur aufheben.“ In: Von der Weltseele – eine Hypothese der hçhern Physik zur Erklrung des allgemeinen Organismus, Hamburg
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1798, S. 290. Mit der letztgenannten Schrift beschftigte sich Novalis im September 1798, einige Monate nach Beginn der in Etappen entstandenen, unvollendeten, nicht von ihm publizierten Lehrlinge (wie Anm. No 212, 16). Vgl. Schillers Gedicht Das verschleierte Bild zu Sais (1795). 222, 21–22 einer chten Mathematik bis sei: „Im Morgenlande ist die chte Mathematik zu Hause. In Europa ist sie zur bloßen Technik ausgeartet.“ S5 II, 148. 222, 23–24 der Brown’schen Heilmethode: Nach der Theorie des schottischen Mediziners J. Brown beruht das Prinzip des Lebens auf Reizbarkeit gegen ußere Einflsse. Krankheiten, eingeteilt in „sthenische“ und „asthenische“, lassen sich bessern durch Vermehrung oder Verminderung des Reizes. Browns Methode wurde um 1800 in Deutschland von einer Reihe von rzten vertreten. Sein Werk: Elementa medicinae (1780), System der Heilkunde, bersetzt von C. H. Pfaff, Kopenhagen 1796. Novalis: „Brown ist der Arzt unserer Zeit.“ S1 III, 250; zu Brown S5 II, 142 f. u. ç. 222, 31–32 mit der Welt bis Schwere: Selbstndiges Fragment, also Satzanfang. Nach Begierde (Z. 32): Doppelpunkt. Nach Zerfließen (Z. 32): Komma. S5 II, 156. 222, 38 Steffens: H. Steffens, Naturforscher und Schriftsteller, besuchte Jena, war dem Kreis der Romantiker nahe, besonders Schelling, dessen Schrift Von der Weltseele (wie Anm. No 222, 11–17) er besprach, hielt sich lngere Zeit in Freiberg auf, wo er im August 1799 Novalis begegnete. 1804 Professor fr Mineralogie in Halle. Neben wissenschaftlichen Arbeiten schrieb Steffens Romane und Novellen. Vgl. Anm. No 249, 21; 249, 21–34; Leben Schl XIII,2. 112–117 u. ç. 222, 38–40 Tieck bis suchte: Diese Information entnimmt D. vermutlich dem undatierten Brief F. Schlegels an Schleiermacher: „Tieck war schon vor dem Lesen meines Gesprchs voll von Philophysik; indessen hat das Philo bey ihm zu sehr das Uebergewicht.“ Schleiermacher III, 154; zu Schlegels „Gesprch“ vgl. Anm. No 220, 18–19. 223, 1 Johannes Mller: Professor der Anatomie und Physiologie, ab 1833 in Berlin. Versuchte, ausgehend von Goethes Morphologie, Naturbetrachtung mit exakter Analyse zu verbinden. D. nimmt Mllers Ansicht von der bereinstimmung wissenschaftlicher und dichterischer Phantasie auf; vor allem den Begriff Metamorphose. Leben Schl XIII,1. 198 f., 201; Dickens 410, 7–15; E Goethe 139, 5–20. 223, 3–4 Wechselwirkung bis Geprge: Wechselwirkung von Dichtung und Forschung als Signum der Epoche Novalis 220, 34–37; 232, 22–23; Anm. Le 105, 20–25. Vgl. auch Anm. No 248, 1–7. 223, 5–6 Wissenschaften des Geistes: Einige Daten zu D.s allmhlicher Entscheidung fr den Begriff Geisteswissenschaften Anm. Goe 125, 14. 223, 8–14 Insbesondere bis im Ganzen angesehen: Den Einheitspunkt (Z. 10) sieht D. bei Novalis (vgl. die Komposition von Fragmenten Novalis 223, 15 – 224, 12) in der Betonung der Selbsterkenntnis und der damit geforderten Psychologie, vgl. bes. Novalis 223, 37 – 225, 5. „Reale Psychologie“ vermutet Novalis bei Baader und sieht sie mçglicherweise als das ihm „bestimmte Feld“. D.s an Novalis angelehnte Wortbildung Realpsychologie (223, 40) wird erklrend aufgenommen in Leben Schl XIII,1. 380 mit ausdrcklichem Bezug auf Novalis und weist voraus auf die Entwicklung eines Psychologiekonzepts als Grundlage fr die Wissenschaften des Geistes. D. gebraucht den
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Textgeschichte und Anmerkungen
Begriff in Einleitung 34 und Ideen 156. – Novalis’ Auffassung des Willens, „als wenn dies berall der eigentliche und nothwendige Anfang wre“ (vgl. Anm. No 223, 26–27), legt die Beziehung zu Schopenhauer nahe, fr den der Wille „das Ding an sich“ ist, „ein wirklich Ursprngliches“. Schopenhauer Welt I, § 55, S. 337 und 342. D. hebt die Sonderung von Willen und Intellekt in einem mit Novalis fast gleichzeitigen Aufsatz ber Schopenhauer hervor, rechnet ihn im brigen zu den vçllig subjektiven Naturen: Arthur Schopenhauer (1864). Ges. Schr. XV, 53–74, hier 54 f. 223, 15 – 224, 12 Wir kennen bis Standpunkt: Dieser Abschnitt setzt sich aus gekennzeichneten und ungekennzeichneten Zitaten, berichteten Textstellen und kommentierenden Stzen D.s zusammen. Die Textelemente von Novalis werden, soweit erkennbar, nachgewiesen, ohne daß damit ersichtlich wird, ob sie aus grçßeren Zusammenhngen stammen oder fr sich bestehen. 223, 15–17 Wir bis per se: „Wir kennen nur eigentlich was sich selbst kennt. Was sich nicht begreifen lßt, ist im unvollkommnen Zustande, es soll allmlig begreiflich gemacht werden. Die Natur ist unbegreiflich per se.“ S1 III, 312. 223, 18–20 Sie erscheint bis Bild desselben: „Die Welt ist ein Universaltropus des Geistes, ein symbolisches Bild desselben.“ S1 III, 249. 223, 24–25 „Die Welt bis Einbildungskraft.“: „Eine sinnlich wahrnehmbare, zur Maschine gewordene Einbildungskraft ist die Welt.“ S5 II, 202. 223, 25–26 Dann bis Welt: „Das Herz ist der Schlssel der Welt und des Lebens.“ S1 III, 252. 223, 26–27 Oder er findet bis Grund: „Wie stoßen immer zuletzt an den Willen, – die willkhrliche Bestimmung – als wenn dies berall der eigentliche und nothwendige Anfang wre.“ S1 III, 287. 223, 29–30 Er bis ist: Mit den Schriften J. Bçhmes beschftigte sich Novalis zu Beginn des Jahres 1800. Vgl. Brief vom [23. Februar 1800] an Tieck, durch den er Bçhme kennengelernt hat: „Jacob Bçhm lese ich jetzt im Zusammenhange und fange ihn an zu verstehn, wie er verstanden werden muß.“ Holtei I, 307. 223, 37–39 Das wunderbarste bis sich selbst: Zitat der ersten beiden Stze eines lngeren Fragments, das D. Novalis 224, 5–7 fortsetzt, genau unten Anm. 224, 5–7. S1 III, 234. 223, 40 – 224, 2 „Baader bis Feld.“: Statt ist vielleicht auch (224, 1): „ist auch vielleicht“. S1 III, 206. 224, 4–5 Vor Allem bis Menschengeschichte: Vgl. aus einem lngeren Fragment: „So wie die Anthropologie die Basis der Menschengeschichte, so ist die Physik der Mathematik die Basis der Geschichte d[er] Mathematik.“ S5 II, 199. 224, 5–7 Er findet bis selber ist: Interpretierende Fortsetzung der Novalis 223, 37–39 bernommenen Stze eines Fragments. Im Wortlaut: „Die Auflçsung dieser unendlichen Aufgabe in der That ist die Weltgeschichte.“ S1 III, 234. Das folgende Teilstck: Novalis 226, 33–35. 224, 7–9 Er bis sei: Vgl. „Die Weltgeschichte stellt nun den Stufengang der Entwickelung des Princips, dessen Gehalt das Bewußtseyn der Freiheit ist, dar.“ [. . .] Die dritte Stufe ist die Erhebung aus
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dieser noch besondern Freiheit in die reine Allgemeinheit derselben, in das Selbstbewußtseyn, und Selbstgefhl des Wesens der Geistigkeit.“ Philosophie der Geschichte. Hegel W IX, 54. Einleitung. 224, 9–12 Er bis Standpunkt: In der Interpretation der Psychologieauffassung des Novalis Anklang der spteren Position D.s: „Denn die Geschichte allein zeigt, was der Mensch sei.“ Shakespeare 26, 5 und Anm.; Ideen 180. „Was der Mensch sei, sagt nur die Geschichte.“ Ges. Schr. IV, 529. „Was der Mensch sei, sagt ihm nur seine Geschichte.“ Ges. Schr. VIII, 226. 224, 17–20 An dem bis als unzureichend anzuerkennen: Gedacht ist wohl vor allem an Herbart, der in seiner Psychologie die Beziehung der Vorstellungen zueinander, wie sie „sich verdunkeln, schwinden, wiederkehren“, zu klren, die „Mechanik des Geistes“ in Analogie zur „Mechanik der Kçrper“ zu berechnen sucht. J. F. Herbart, Psychologie als Wissenschaft (1824) in: Smmtliche Werke V, hrsg. von G. Hartenstein, Leipzig 1850, §§ 37–40. 224, 24 – 225, 1 Was heißt Realpsychologie? bis Schopenhauer: Mit der Verdeutlichung des Begriffs Realpsychologie vertieft D. den Widerspruch gegen die Vorstellungsgesetze (224, 26–31), denen Herbart auch Willen und Gedchtnis unterwirft (vgl. unten Anm. 224, 34–36), um sich in eine ltere Tradition zu stellen. 224, 31–32 Angeborene Ideen: Nach Leibniz das Bestndige, unabhngig von den Bewußtseinsakten. „Et je croy que cette qualit de nostre ame en tant qu’elle exprime quelque nature, forme ou essence, est proprement l’ide de la chose, qui est en nous, et qui est tousjours en nous, soit que nous y pensions ou non.“ Discours de mtaphysique (1686) XXVI. Die philosophischen Schriften (wie Anm. Le 117, 11–15) IV (1880), S. 451. 224, 32 Kategorien: Vgl. Kants Tafel der Kategorien („Quantitt“, „Qualitt“, „Relation“, „Modalitt“) in: Kritik der reinen Vernunft (1781), Von den reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien. Kant W II, 79. 224, 34–36 Die Bedeutung bis sind: Vgl. Herbart, daß „zwei der allerwichtigsten psychologischen Gegenstnde“, Gedchtnis und Wille, „allein aus dem Vorstellen abgeleitet werden mssen, und ganz und gar nicht als besondre Seelenkrfte angesehen werden drfen“. Psychologie (wie oben Anm. 224, 17–20), § 37. 224, 36–37 Wenn Spinoza bis ausgeht: „Conatus sese conservandi primum, & unicum virtutis est fundamentum.“ (Das Bestreben, sich zu erhalten, ist die erste und einzige Grundlage der Tugend.) Corollarium zu Propositio 22 der Pars IV von B. Spinozas Ethica, verçffentlicht aus dem Nachlaß 1677. 224, 37–39 wenn Kant bis annimmt: Vgl. Kritik der praktischen Vernunft (1788) , Von der Deduction der Grundstze der reinen praktischen Vernunft. „Dagegen giebt das moralische Gesetz, wenn gleich keine A u s s i c h t , dennoch ein schlechterdings aus allen Datis der Sinnenwelt und dem ganzen Umfange unseres theoretischen Vernunftgebrauchs unerklrliches Factum an die Hand, das auf eine reine Verstandeswelt Anzeige giebt, ja diese sogar p o s i t i v b e s t i m m t und uns etwas von ihr, nmlich ein Gesetz, erkennen lsst.“ Kant W VIII, 157 f. 225, 15–21 Eine bis vermag: Zum knstlerischen Geprge des Werkes von Schopenhauer vgl. D.s Aufsatz: Arthur Schopenhauer (wie Anm. No 223, 8–14), bes. S. 66–68.
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Textgeschichte und Anmerkungen
225, 25–34 „Sonderbar bis nachzuspren.“: Statt Sonderbar daß das Innere (Z. 25–26): „Sonderbar, daß das Innre“. Statt Heiligthume (Z. 28): „Heiligthum“. Nach haben (Z. 28): Komma. Nach aufzusuchen (Z. 33): Komma. Nach nachzuspren. (Z. 33–34): „Wer weiß, welche wunderbare Vereinigungen, welche wunderbare Generationen uns noch im Innern bevorstehn. –“ S5 II, 133. 225, 37–38 „Im Grunde bis Willen.“: Nach Willen. (Z. 38): „Ein fester Vorsatz ist das Universalberuhigende Mittel.“ S1 III, 189. 226, 1–3 Hardenberg bis beleuchten: Zu Brown vgl. Anm. No 222, 23–24. 226, 4–6 Je bis unfrei: „Je einfacher der Mensch lebt und gereizt wird, desto mehr bindet er sich an etwas.“ S1 III, 273. 226, 6–12 Demgemß bis selber ist: Vgl. „Es ist mit dem Volke wie mit den Weibern – Es hat fr alles Leidenschaft was seine Aufmerksamkeit an sich zieht. Es sucht in diesem Gegenstande alles, denn es fhlt durch denselben sein unendliches Wesen in dunkler Ahndung. Je schwcher der Mensch, desto mchtiger, ahndungsvoller und behaglicher dnkt ihm ein leidenschaftlicher Zustand. Es ist ihm genug, daß er geweckt und gerhrt wird – was ihn weckt und rhrt ist ihm einerlei – er ist noch nicht gebildet genug, um irgend eine Wahl zu treffen und die erregenden Gegenstnde zu ordnen und zu unterscheiden, oder gar manchem seine Aufmerksamkeit und Theilnahme zu versagen.“ S1 III, 200 f. 226, 13–17 Von hier bis zurckfhrten: Vgl. „Zorn ist ein heftiger Unwillen, Enthusiasmus ein heftiger Willen. Schmerz vielleicht ein heftiger Untrieb oder Gegentrieb. Wollust ein heftiger Trieb. Alle Unlust entsteht von Mangel – Mangel an Trieb, Kraft, Reiz, Stoff. In jeder wahren Krankheit ist ein Mangel und daraus entsteht die Unlust jeder Krankheit. Daher sagt man auch: Was fehlt dir?“ S1 III, 284 f. 226, 17–18 „Es ist bis da.“: S1 III, 191. 226, 22–25 Sehr tief bis Illusion.“: „Die Selbstauflçsung des Triebes, diese Selbstverbrennung der Illusion, des illusorischen Problems ist eben das Wollstige der Befriedigung des Triebes.“ S1 III, 272. 226, 26–27 pessimistische Folgerung bis zog: „daß diese Menschenwelt das Reich des Zufalls und des Irrthums ist“ fhrt Schopenhauer zur Folgerung, „jede Lebensgeschichte“ sei „eine Leidensgeschichte“, der vermutlich jeder Mensch „gnzliches Nichtseyn“ vorzçge. Schopenhauer Welt I, § 59, S. 382. 226, 28 Dialog: Gemeint ist der vierte von fnf Dialogen, innerhalb der ersten Zusammenstellung der Fragmente. S5 II, 214–216. Vgl. die folgende Anm. 226, 28–31 Es gilt bis Ewigkeit: Die letzten ußerungen im vierten Dialog, die D. berichtend zusammenfaßt: „Ja, Lieber, und hier an den Sulen des Herkules lassen Sie uns einander umarmen, im Genuß der Ueberzeugung, daß es bei uns steht, das Leben wie eine schçne genialische Tuschung, wie ein herrliches Schauspiel zu betrachten, daß wir schon hier im Geist in absoluter Lust und Ewigkeit seyn kçnnen, und daß gerade die alte Klage, daß alles vergnglich sey, der frçhlichste aller Ge-
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danken werden kann und soll. / Diese Ansicht des Lebens, als zeitliche Illusion, als Drama, mçge uns zur andern Natur werden. Wie schnell werden dann trbe Stunden vorber fliegen, und wie reizend wird uns nicht so die Vergnglichkeit vorkommen. –“ S5 II, 215 f. 226, 33–35 „Die Geschichte bis Idee.“: D. setzt das bereits an zwei Stellen (Novalis 223, 37–39; 224, 5–7) in Teilstcken verwendete Fragment fort. Statt Litteratur (Z. 34): „Literatur“. S1 III, 234. 226, 35 – 227, 2 Demgemß bis Ganze erkannte: Zu Mensch und Geschichte: Novalis 223, 37–39; 224, 5–7. Zum Wortgebrauch Ganze vgl. Anm. Le 89, 38. 227, 4–6 „Die hçchste Aufgabe bis zu sein.“: Erster Teil des Fragments. Nach ist (Z. 5): Komma. Statt sein (Z. 6): „seyn“. S5 II, 106. 227, 6–11 „Man muß bis Entwickelung.“: D. zitiert verkrzend. Nach still – (Z. 8): „und nur ihre momentane Constitution wird damit indicirt.“ Statt hier stoßen wir nun auf die geistige Lebens-Constitutionslehre (Z. 9): „Hier stoßen wir auf die Mçglichkeit von Geisteskrankheiten, Geistesschwchen – kurz auf die geistige Lebens- und Constitutionslehre“. Statt einzige (Z. 10): „einzig“. Nach Universums (Z. 11): Gedankenstrich statt Komma. S1 III, 291. 227, 16–18 Hier bis absondert: Vgl. S5 I Vorrede (zu S5) XXXIV–XLII. Tieck erklrt die um Hardenbergs angeblichen Katholizismus entstandene Diskussion aus der Verçffentlichungsgeschichte des Aufsatzes Die Christenheit oder Europa (nicht verçffentlicht im Athenaeum, vgl. Anm. No 218, 18–21; ohne Tiecks Wissen erschienen in S4) und rechtfertigt zugleich seine Unterdrckung in S5. Schuld an der Verçffentlichung in S4 gibt er dem konvertierten Bruder K. von Hardenberg und F. Schlegel (die sich vergeblich um den Druck in S2 und S3 bemht hatten, daher verfgte der Verleger Reimer ber eine Abschrift und brachte sie in S4 unter. Vgl. N HKA III, 501–504). Vor allem aber weist Tieck das von Falk berlieferte Goethe-Diktum von der Konversion Hardenbergs zum Katholizismus entschieden zurck. Vgl. Anm. No 249, 18–19; Novalis 245, 25–26. 227, 19 Reden ber Religion: Vgl. Anm. No 217, 37. 227, 21–28 Nichts bis gebe: Das vor Schleiermachers Schrift verçffentlichte Fragment ber Religion stammt aus Blthenstaub (wie Anm. No 222, 9–11), S. 90–93. Die von D. aus dem langen Fragment in Auswahl referierten Teile werden nach dem Wiederabdruck in S5 II, 256–258 und zur besseren bersicht etwas ausfhrlicher wiedergegeben: „Nichts ist zur wahren Religiositt unentbehrlicher als ein Mittelglied, das uns mit der Gottheit verbindet. [. . .] In der Wahl dieses Mittelglieds muß der Mensch durchaus frei seyn. [. . .] Je selbststndiger der Mensch wird, desto mehr vermindert sich die Quantitt des Mittelgliedes, die Qualitt verfeinert sich, und seine Verhltnisse zu demselben werden mannigfaltiger und gebildeter: Fetische, Gestirne, Thiere, Helden, Gçtzen, Gçtter, Ein Gottmensch. [. . .] Ich bediene mich hier einer Licenz, indem ich Pantheismus nicht im gewçhnlichen Sinne nehme, sondern darunter die Idee verstehe, daß alles Organ der Gottheit, Mittler seyn kçnne, indem ich es dazu erhebe: so wie Monotheismus im Gegentheil den Glauben bezeichnet, daß es nur Ein solches Organ in der Welt fr uns gebe, [. . .].“ 227, 22 derselben: Vgl. den entsprechenden Text oben Anm. 227, 21–28, nach dem es [desselben] heißen mßte.
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227, 34 Er bis Organ: „Alle unsre Neigungen scheinen nichts als angewandte Religion zu seyn; das Herz scheint gleichsam das religiçse Organ.“ S5 II, 262. 227, 34–36 „Indem bis Religion.“: Ebd. Gehçrt in das Fragment, dessen erster Satz in der vorangehenden Anm. wiedergegeben ist. Nach macht (Z.36): Komma. 227, 39–40 „Noch bis stiften.“: Nach stiften. (Z. 40): „Glaubt ihr, daß es Religion gebe? Religion muß gemacht und hervorgebracht werden durch die Vereinigung mehrerer Menschen. –“ S5 II, 260. 227, 40 Es bis wre: „Es gibt keine Religion die nicht Christenthum wre.“ S1 III, 195. 228, 3 Von einer neuen Bibel: Vgl. Novalis 228, 28–29 und Anm. 228, 3–6 Evangelien bis berhaupt: „In den Evangelien liegen die Grundzge knftiger und hçherer Evangelien.“ S1 III, 199. 228, 10 Der Grundcharakter bis Negativitt: „Die Meinung von der Negativitt des Christenthums ist vortrefflich; das Christenthum wird dadurch zum Rang der Grundlage der projectirenden Kraft eines neuen Weltgebudes und Menschenthums erhoben, eines lebendigen moralischen Raums.“ S5 II, 264. 228, 10–12 „Absolute Abstraktion bis Christenthums.“: Ebd. Der Anfang zu diesem Fragmentausschnitt ist in der vorangehenden Anm. zitiert. Statt Abstraktion (Z. 10–11): „Abstraction“. Statt besseren (Z. 11–12): „bessern“. D. bricht den Satz ab. 228, 12–16 Das Christenthum bis Werth legt: Die von D. verarbeiteten Teile des Fragments werden so wiedergegeben, wie sie bei Novalis aufeinander folgen: „Die christliche Religion ist auch dadurch vorzglich merkwrdig, daß sie so entschieden den bloßen guten Willen im Menschen und seine eigentliche Natur, ohne alle Ausbildung, in Anspruch nimmt, und darauf Werth legt. Sie steht in Opposition mit Wissenschaft und Kunst und e i g e n t l i c h e m G e n u ß . [. . .] Sie ist der Keim a l l e s D e m o k r a t i s m u s , die hçchste Thatsache der Popularitt.“ S5 II, 265. 228, 16–17 Ein zweiter Grundzug bis erscheint: „Die Religion enthlt unendliche Wehmuth. Sollen wir Gott lieben, so muß er hlfsbedrftig seyn. In wie fern ist im Christianismus diese Aufgabe gelçst?“ S5 II, 261. 228, 18–20 Wenn bis Fall: Zur bereinstimmung mit Schleiermacher vgl. bes. Leben Schl XIII,1. 396–410. 228, 20–25 Auch ihm bis allgegenwrtig: In diesem Abschnitt verknpft D. vier Fragmente. Nur die entsprechenden Partien werden wiedergegeben: 228, 20–22 Auch bis Wunder: „Kçnnen Wunder Ueberzeugung wirken? Oder wre nicht wahrhafte Ueberzeugung, diese hçchste Function unsers Gemths und unsrer Personalitt, das einzige, wahre, Gott verkndende Wunder?“ S5 II, 253. 228, 22–24 der Wunder bis Determination: „Der Wunder hçchstes ist eine tugendhafte Handlung, ein Actus der freien Determination.“ S5 II, 254. 228, 24 jeder Tod bis sein: „Das Leben eines wahrhaft kanonischen Menschen muß durchgehends
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symbolisch sein. Wre unter dieser Voraussetzung nicht jeder Tod ein Versçhnungstod? – mehr oder weniger, versteht sich – [. . .].“ S1 III, 237 f. 228, 24–25 kurz bis allgegenwrtig: „Das Christenthum ist durchaus historische Religion, die aber in die natrliche der Moral und die knstliche der Poesie oder die Mythologie bergeht.“ S1 III, 230. 228, 26–35 Er bis zusammen: Schlagwortartig, aber auch genau wiedergebend, nimmt D. mehrere Fragmente in diesem Abschnitt auf: 228, 27 Christi Geschichte: „Die Geschichte Christi ist eben so gewiß ein Gedicht wie eine Geschichte; und berhaupt ist nur d i e Geschichte eine Geschichte, die auch Fabel seyn kann.“ S5 II, 268. 228, 27 der Inhalt der Bibel: „Hçchst sonderbar ist die Aehnlichkeit unsrer heiligen Geschichte mit Mrchen: anfnglich eine Bezauberung, dann die wunderbare Versçhnung u. s. w. die Erfllung der Verwnschungsbedingung.“ S5 II, 268. 228, 28–29 eine Bibel bis Schriftstellerei: „Eine Bibel ist die hçchste Aufgabe der Schriftstellerei.“ S5 II, 268. 228, 31–33 ich bis glaubt: Vollstndiges Fragment, Satzbeginn: „Ich“. S1 III, 259. 228, 34 Religion und Wollust: „Es ist wunderbar genug, daß nicht lngst die Association von Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und ihre gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat.“ S5 II, 246. Dazu: „Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust.“ S5 II, 264. 228, 36 – 233, 16 Will man bis Gemeinde: Die Einstellung der Modernen zum tradierten Christentum zeigt D. bei Novalis am Unterschied der ußerungen zur Religion und zu den Geistlichen Liedern (Novalis 231, 13–25). Um das moderne Verhltniß zum Christenthum (231, 5) geht es D. ebenfalls in der Darstellung Lessings als Retter des Christentums, eines Gemtschristentums. Vgl. Lessing 87, 9 – 90, 5; 98, 24–33; 104, 32–37; dazu in Leben Schl XIII,1 das Kap. Inhalt und Bedeutung der Reden ber die Religion. 229, 10–11 Er lebte bis Herzens: Zum Novalisbild vgl. Anm. No 199, 19–20. 229, 36 – 230, 8 Auf einem bis heißt leben: Bekenntnis zur uneingeschrnkten wissenschaftlichen Forschung hier im Zusammenhang mit moderner christlicher Religiositt; in Distanzierung zur Philosophie Hegels in Freytag 430, 16–27. 230, 20–24 Die Historiker bis besaßen: D.s Interesse fr Historiker und historische Forschung spiegelt sich in der 1859 geplanten Reihe ber die deutschen Historiker (JD 64), zunchst begonnen mit F. Ch. Schlosser in PJ (1862), dann weitgehend realisiert fr WM 1865–66 (Johannes von Mller, Barthold Georg Niebuhr, Friedrich Christoph Schlosser, Friedrich Christoph Dahlmann), im Umkreis also der Entstehung des Novalis. Ges. Schr. XI, 77–185. 230, 22 Niebuhr: B. G. Niebuhr, Staatsmann, Altertumsforscher und Historiker, begrndete die philologisch-kritische Methode der Geschichtswissenschaft. Vgl. Anm. Goe 128, 2. Ges. Schr. XI, 93–104. Ges. Schr. III, 269–275. 230, 22 Savigny: F. K. von Savigny, Rechtsgelehrter, Begrnder der historischen Schule der Rechtswissenschaft. Vgl. Ges. Schr. XVI, 409–412.
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230, 22 Mçser: J. Mçser, Politiker, Publizist, Historiker, vgl. Ges. Schr. III, 248–257. 231, 8 Nergeln: Nach Grimm (1889) nord- und mitteldeutsch, bei Goethe, Heine u. a. D. spricht von polemischen Nergeleien im Schlosser- Aufsatz, PJ IX, 4 (1862), S. 377. (Abdruck in Ges. Schr. XI unvollstndig). 231, 16 seinen „geistlichen Gedichten.“: Nheres Anm. No 220, 18. 231, 26–38 Diese Lieder bis vergleichen: Dazu der Abschnitt Das Kirchenlied in: Leibniz und sein Zeitalter (1900). Ges. Schr. III, 76–79. 231, 40 – 232, 1 „endlich bis Kind.“: D. zitiert die beiden ersten Verse der zweiten Strophe des zweiten der Geistlichen Lieder: „Endlich kommt zur Erde nieder / Aller Himmel sel’ges Kind, /.“ S5 II, 23. 232, 2–4 „von Liebe bis daran.“: Die Verse 5–8 der zweiten Strophe des sechsten der Geistlichen Lieder: „Von Liebe nur durchdrungen / Hast du so viel gethan, / Und doch bist du verklungen, / Und keiner denkt daran.“ S5 II, 29. 232, 8–9 „Ewig bis bricht.“: Die Verse 1–3 der zweiten Strophe des achten der Geistlichen Lieder: „Ewig seh ich ihn nur leiden, / Ewig bittend ihn verscheiden. / O! daß dieses Herz nicht bricht, /.“ S5 II, 32. 232. 10–12 Lieder an Maria bis steht: D. bezieht sich auf das fnfzehnte und letzte der Geistlichen Lieder. S5 II, 43: Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich ausgedrckt, Doch keins von allen kann dich schildern, Wie meine Seele dich erblickt. Ich weiß nur, daß der Welt Getmmel Seitdem mir wie ein Traum verweht, Und ein unnennbar sßer Himmel Mir ewig im Gemthe steht. 232, 14–21 „Unzhligmal bis Welt – “: Sechste und Anfang der siebenten Strophe des vierzehnten der Geistlichen Lieder. Nach fnde (Z. 17): Semikolon statt Ausrufungszeichen. Nach Zeit (Z. 19): Ausrufungszeichen. Statt selge Welt – (Z. 21): „sel’ge Welt, /.“ S5 II, 42 f. 232, 22–23 Indem bis dichterischen: Zur Unterscheidung zwischen einem doppelten Ausdruck der Weltansicht vgl. Anm. No 223, 3–4; zu Weltansicht Anm. No 233, 17. 232, 23–26 Sie begannen bis Freunden vor: Wiederholende Verknpfungen. Zu Tieck vgl. Novalis 217, 10–21; zu den Freunden Anm. No 199, 21. 232, 26–29 Friedrich Schlegel bis Gedichten: Undatierter Brief F. Schlegels an Schleiermacher: „Auch christliche Lieder hat er uns gelesen; die sind nun das gçttlichste was er je gemacht. Die Poesie darin hat mit nichts Aehnlichkeit, als mit den innigsten und tiefsten unter Goethens frheren kleinen Gedichten.“ Schleiermacher III, 134.
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232, 29–33 „Die Ironie bis drucken.“: Ebd. Nach ist (Z. 29): Komma. Einschub und Gedankenstriche (Z. 29–30) von D. Nach machen (Z. 32): „wollen“. Statt dazu und lassen’s drucken. (Z. 33): „ dazu, und lassens drucken, und Hardenberg denkt Dir das Ganze zu dediciren.“ 232, 33–36 Auch Tieck bis enthalten sollen: „Diese Lieder waren der Anfang eines christlichen Gesangbuches, zu welchem der Dichter ebenfalls Predigten ber die wichtigsten Momente und Ansichten des Christenthums schreiben wollte.“ S5 I Vorrede (zu S1) V. 232, 36–38 Ich bis 263): Die den Plan der Verçffentlichung von Liedern und Predigten betreffenden Fragmente aus S1 III, 171, 195, 317 nimmt D. in seinen Text Novalis 232, 40 – 233, 8 auf; sie werden an den entsprechenden Stellen nachgewiesen. Die brigen seien hier genannt: S1 III, 194: „Predigten mssen Associationen gçttlicher Inspirationen, himmlischer Anschauungen sein.“ S1 III, 267 und S5 II, 263 stimmen in dem die Predigt betreffenden Schlußabschnitt dem Wortlaut nach berein: „Die Predigt muß pantheistisch seyn; angewandte, individuelle Religion, individualisirte Theologie enthalten.“ S5 II, 263. 232, 38 – 233, 5 Selbst bis religiçs: „In den meisten Lavaterschen Liedern ist noch zu viel Irdisches und zu viel Moral und Ascetik; zu wenig Wesentliches, zu wenig Mystik. Die Lieder mssen weit lebendiger, inniger, allgemeiner und mystischer sein. – Die Predigten mssen auch schlechthin nicht dogmatisch, sondern unmittelbar, zur Erregung des heiligen Intuitionssinnes, zur Belebung der Herzensthtigkeit sein. Predigten und Lieder kçnnen Geschichten enthalten. Geschichten wirken vorzglich religiçs. [. . .].“ S1 III, 317 f. 233, 5–6 In diesem Sinne bis derselben: „Predigten sollten eigentlich Legenden heißen, denn der eigentliche Stoff der Predigten ist der Legendenstoff.“ S1 III, 195. 233, 6–8 Solche bis Heimweh: „Nessir und Zulima, die Bekenntnisse einer schçnen Seele und das Heimweh sind chte Legenden oder Predigten.“ S1 III, 171. Novalis bezieht sich auf: Nessir und Zulima (1782), anonym, von J. G. Jacobi. Bekenntnisse einer schçnen Seele, das sechste Buch aus Goethes Wilhelm Meister (1795/96). Das Heimweh, 4 Bde (1794–96) von J. H. Jung-Stilling. 233, 10 Visionen: Stichwort in undatierten Briefen F. Schlegels von 1799 an Schleiermacher. Es geht um erwnschte oder geplante Beitrge fr das Athenaeum. „Von Dir ist wohl nichts zu hoffen? V i s i o n e n oder dergleichen wren mir jetzt das liebste.“ Schleiermacher III, 104, dazu 114, 139. 233, 17 Weltansicht: Vgl. D.s Ziel, Novalis 200, 5; auch 220, 34; 232, 23 u. ç. Der Terminus, zuerst wohl im Titel des dritten von Schleiermachers Monologen, bei D. durchweg in Freytag, Lessing, Leben Schl. Daneben gebraucht D. Weltanschauung, nach Grimm (1955) eine Wortprgung Kants. JD 84, Ges. Schr. XVIII, 208; ausschließlich in Jean Paul. Zu Lebensansicht, -gefhl, -ideal vgl. Anm. Le 60, 23 und 103, 28 – 104, 4. 233, 18–26 Seit bis erscheint: Zu Hardenbergs Beschftigung mit Wilhelm Meister vgl. Just S1 III, 12: „Sein liebstes Buch aus dem Gebiet des Schçnen war damals 1795 Gçthens Wilhelm Meister; diesen kannte er fast auswendig, und ich glaube, man wird es in seinem Ofterdingen vielleicht bemerken, daß Willhelm Meister sein Liebling war.“ Vgl. dazu Novalis 234, 36 – 237, 35. 233, 27–37 Werden wir bis wrde: Zur Lçsung des Phantasieproblems vgl. Dickens 365, 11–33.
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Textgeschichte und Anmerkungen
234, 1 der Sternbald: L. Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen, 2 Bde, Berlin 1798. 234, 1 der Florentin: Florentin, hrsg. von F. Schlegel, Lbeck und Leipzig 1801. D. hat durch die Edition (Schleiermacher III) den Arbeitsprozeß an Dorotheas Roman, wie er sich in ihren und F. Schlegels Briefen an Schleiermacher spiegelt, verfolgen kçnnen. Schleiermacher III, 138, 147; 135 f. 149 f. 234, 17–20 Auch bis Erfindung: Jean Paul (J. P. F. Richter), Titan, 4 Bde, Berlin 1800–1803. 234, 34 Kritiker, wie Schiller: Schillers Kritik des Wilhelm Meister ist enthalten im Briefwechsel mit Goethe vom Dezember 1794 bis Oktober 1796. Vgl. Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe in den Jahren 1794 bis 1805, hrsg. von H. Hauff, 2 Bde, Stuttgart und Augsburg 21856. 234, 34 Friedrich Schlegel: Schlegels Schrift ber Goethe’s Meister wurde im Athenaeum I, 2 (1798), S. 147–178 verçffentlicht. 234, 36 – 237, 35 Und diesem bis Dichtung: Referierend und kommentierend stellt D. in diesem großen Abschnitt ußerungen Hardenbergs zur Poetik und zu Wilhelm Meister zusammen. Die zweite Hlfte (Novalis 236, 2 – 237, 30) bildet eine Art Rekonstruktion der von Novalis geplanten Rezension von Goethes Roman. Der Text von Novalis erscheint zunchst in indirekter Rede; nach den Stellenangaben (236, 3–4) weitgehend zitiert, ohne Kennzeichnung. 235, 1–4 Es sei bis werden: „Sonderbar, daß in der Natur uns das Grelle, das Ungeordnete, Unsymmetrische, Unwirthschaftliche nicht misfllt und hingegen bei allen Kunstwerken Milde, schickliches Verlaufen, Harmonie und richtige gefllige Gegenstze unwillkrlich gefordert werden.“ S1 III, 167. 235, 4–8 Die Erzhlung bis Wohlgefhl: „Die Erzhlung enthlt oft eine gewçhnliche Begebenheit, aber sie unterhlt. Sie erhlt die Einbildungskraft im Schweben oder im Wechsel, setzt sie in einen knstlich febrilischen Zustand und entlßt sie, wenn sie vollkommen ist, mit erneutem Wohlgefhl.“ S1 III, 168. 235, 8–10 Und zwar bis Nothwendig-Zuflligen: Dieser Satz kçnnte in Anlehnung an S5 II, 219 formuliert sein: „Der Sinn fr Poesie hat viel mit dem Sinn fr Mysticismus gemein; er ist der Sinn fr das Eigenthmliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnißvolle, zu Offenbarende, das Nothwendig- Zufllige.“ 235, 11–13 Alles Vollendete bis Jungfrau: „Alles Vollendete spricht sich nicht allein, es spricht seine ganze mitverwandte Welt aus. Daher schwebt um das Vollendete jeder Art der Schleier der ewigen Jungfrau, den die leiseste Berhrung in magischen Duft auflçst, der zum Wolkenwagen des Sehers wird.“ S5 II, 218. 235, 17 Schiller bemerkt hatte: Schiller an Goethe zu Wilhelm Meister am 9. Dezember 1794: „Denn ich finde auch nicht etwas darin, was nicht in der schçnsten Harmonie mit dem lieblichen Ganzen stnde.“ Briefwechsel (wie Anm. oben 234, 34) I, S. 36. Vgl. auch Schillers Brief an Goethe vom 7. Januar 1795. 235, 17–23 Ein Roman bis Welt auf: „Ein Roman muß durch und durch Poesie sein. Die Poesie
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ist nehmlich wie die Philosophie eine harmonische Stimmung unseres Gemths, wo sich alles verschçnert, wo jedes Ding seine gehçrige Ansicht, alles seine passende Begleitung und Umgebung findet. Es scheint in einem echt poetischen Buche alles so natrlich und doch wunderbar, man glaubt, es kçnne nicht anders sein und als habe man nur bisher in der Welt geschlummert und gehe einem nun erst der rechte Sinn fr die Welt auf.“ S1 III, 176 f. 235, 28–31 Es sei seltsam bis Welt: „Es ist seltsam daß in einer guten Erzhlung allemal etwas Heimliches ist – etwas Unbegreifliches. Die Geschichte scheint noch unerçffnete Augen in ins zu berhren und wir stehn in einer ganz andern Welt, wenn wir aus ihrem Gebiete zurckkommen.“ S1 III, 171. 235, 31–33 Die Kunst bis Poetik: „Die Kunst auf eine angenehme Art zu befremden, einen Gegenstand fremd zu machen und doch bekannt und anziehend, das ist die romantische Poetik.“ S5 II, 225. 236, 2 Er bis schreiben: Brief Hardenbergs vom [23. Februar 1800] an Tieck: „Ich habe die ganze Recension im Kopfe –“. Holtei I, 307. Vgl. Novalis 237, 20. 236, 3–5 Nachlaß bis herzustellen: Auf die von D. nicht in seinen Herstellungsversuch (Novalis 236, 6 – 237, 30) der ungeschriebenen Rezension aufgenommenen, sondern nur mit Seitenzahlen angegebenen ußerungen Hardenbergs (II, 228; III, 171, 179, 181, 285) sei kurz hingewiesen: S5 II, 228: In einem lngeren Fragment ber Romanschreiber und Romandichter heißt es: „[. . .]so im Wilhelm Meister: Sinn fr schçne Kunst und Geschftsleben streiten sich um ihn; dies kann unmçglich bleiben.“ S1 III, 171: Beginn eines umfangreichen Textes ber Goethe als Physiker, Naturforscher, Dichter (S1 III, 171–175); er schließt mit Bemerkungen zu Wilhelm Meister, aus denen D. Novalis 237, 4; 237, 4–5 und 237, 14–17 einiges aufnimmt. S1 III, 179: „Die Gçthesche Reise mit Kraus enthlt einen interessanten Beitrag zur Kunst das gewçhnliche Leben zu poetisiren.“ S1 III, 181: Zwei unterschiedliche Beobachtungen zu Wilhelm Meister: „Die geognostische oder Landschaftsphantasie wird im Meister gar nicht berhrt.“ „Gesprch, Beschreibung und Reflexion wechseln im Meister mit einander ab.“ S1 III, 285: „In Gçthes Styl ist die Monotonie und Simplizitt der großen Welt – nothwendige, aber ußerst einfache Etikette.“ 236, 6 – 237, 30 Die Philosophie bis Meere sieht.“: Bruchstcke der „Recension“ oder Kritik (236, 4) werden mit Kommentaren und Hinweisen durchsetzt. 236, 6–13 Die Philosophie bis nimmt: „Die Philosophie und Moral des Romans sind romantisch. Das Gemeinste wird wie das Wichtigste mit romantischer Ironie angesehen und dargestellt. Die Verweilung ist berall dieselbe. Die Accente sind nicht logisch, sondern metrisch und melodisch – wodurch eben jene wunderbare romantische Ordnung entsteht, die keinen Bedacht auf Rang und Werth – Erstheit und Letztheit – Grçße und Kleinheit nimmt.“ S1 III, 182. 236, 8–10 (auch Schiller bis Ernst.): Vgl. Brief Schillers vom 28. Juni 1796 an Goethe: „Wie es auch sey, so viel ist gewiß, daß der Ernst in dem Roman nur Spiel und das Spiel in demselben der wahre und eigentliche Ernst ist, daß der Schmerz der Schein, und die Ruhe die einzige Realitt ist.“ Briefwechsel (wie Anm. No 234, 34) I, S. 159 f.
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Textgeschichte und Anmerkungen
236, 13–16 Eine merkwrdige Eigenheit bis beschftigen: Statt Gçthe's (Z. 13): „Gçthes“. Nach man (Z. 13) dabei von D. eingefgt. Nach hegen (Z. 15): Komma. D. nimmt nur das erste Drittel des Fragments auf. S1 III, 164. 236, 16–22 Wie nun aber bis lassen soll: Vgl. dazu den Brief Schillers vom 9. Juli 1796 an Goethe, Briefwechsel (wie Anm. No 234, 34) I, S. 185–189. 236, 20 Serlo: Verwechselt mit Jarno. 236, 26–28 Nach Novalis bis ausgedrckt: Bettine kritisiert Goethes Roman: „[. . .] die meisten Menschen ngstigen mich drinn, [. . .] ich mçchte zum Wilhelm Meister sagen: komm, flchte dich mit mir jenseits der Alpen zu den Tyrolern, [. . .] Ja, wenn etwas noch aus Dir werden soll, so mußt Du deinen Enthusiasmus an den Krieg setzen, [. . .].“ Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde II, Berlin 1835, S. 34 f. (20. Mrz). 236, 29–32 Wilhelm Meister’s bis behandelt wird: „Wilhelm Meisters Lehrjahre sind gewissermaßen durchaus prosaisch und modern. Das Romantische geht darin zu Grunde, auch die Naturpoesie, das Wunderbare. Das Buch handelt bloß von gewçhnlichen Dingen, die Natur und der Mysticismus sind ganz vergessen. Es ist eine poetisirte brgerliche und husliche Geschichte, das Wunderbare darin wird ausdrcklich als Poesie und Schwmerei behandelt.“ S5 II, 182. 236, 33–35 „nur bis verfolgen.“: Vgl. den Brief Schillers vom 2. Juli 1796 an Goethe. D. paßt die etwas vernderte Briefstelle seinem Satz an: „Nur im Schoos des dummen Aberglaubens werden diese monstrosen Schicksale ausgeheckt, die Mignon und den Harfenspieler verfolgen.“ Briefwechsel (wie Anm. No 234, 34) I, S. 164. 236, 36–37 Der Geist bis Atheismus: Weiteres Teilstck, an den Text oben Anm. No 236, 29–32 anschließend, genau: „Knstlerischer Atheismus ist der Geist des Buchs.“ S5 II, 182. 236, 37 Ja bis gerichtet: „Wilhelm Meister ist eigentlich ein Candide, gegen die Poesie gerichtet; das Buch ist undichterisch in einem hohen Grade, was den Geist betrifft, so poetisch auch die Darstellung ist.“ S5 II, 182. – Candide ou l’Optimisme (1759), Roman Voltaires, persifliert optimistische Aufklrungsentwrfe zugunsten praktischen Tuns. 236, 38–40 die Oberaufsicht bis selbst: Vollstndiger Satz aus dem oben in Anm. No 236, 37 begonnenen Fragment, von D. in den eigenen Satz eingefgt. Nach fhrt (Z. 39): Komma. Statt Lothario’s (Z. 39): „Lotharios“. S5 II,182. 236, 40 – 237, 3 Es lßt bis brigbleibende: Weiterer Ausschnitt aus dem oben in Anm. No 236, 37 begonnenen Fragment. Nach fragen (Z. 40): Komma. Nach wird (237, 2): „Die Einfhrung Shakspeares macht eine fast tragische Wirkung.“ Nach Oekonomie (Z. 2–3): Komma. Statt brigbleibende (Z. 3): „brig bleibende“. S5 II, 183. 237, 4 Wilhelm bis Verstandes: Ein Satz aus dem großen Fragment ber Goethe (vgl. Anm. No 236, 3–5). „So ist Wilhelm Meister ganz ein Kunstprodukt – ein Werk des Verstandes.“ S1 III, 173. 237, 4–5 Als bis bertreffen: Dieser Satz gehçrt in etwas anderer Form in den Abschnitt Novalis 237, 14–17. Wçrtlich: „Gçthe wird und muß bertroffen werden, – aber nur wie die Alten ber-
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troffen werden kçnnen, an Gehalt und Kraft, an Mannichfaltigkeit und Tiefsinn – Als Knstler eigentlich nicht, oder doch nur um sehr wenig, denn seine Richtigkeit und Strenge ist vielleicht schon meisterhafter als es scheint.“ S1 III, 175. 237, 5–6 Was bis Styls: Anfang des Fragments: „So sonderbar, als es manchem scheinen mçchte, so ist doch nichts wahrer, als daß es nur die Behandlung, das Aeußere, die Melodie des Styls ist, welche zur Lectre uns hinzieht, und uns an dieses oder jenes Buch fesselt.“ S5 II, 181. 237, 6–10 Wilhelm bis finden: Schließt unmittelbar an den Text in der vorangehenden Anm. an, bricht im Satzgefge ab. „Wilhelm Meisters Lehrjahre sind ein mchtiger Beweis dieser Magie des Vortrags, dieser eindringenden Schmeichelei einer glatten, geflligen, einfachen und doch mannigfaltigen Sprache. Wer diese Anmuth des Sprechens besitzt, kann uns das Unbedeutendste erzhlen, und wir werden uns angezogen und unterhalten finden; diese geistige Einheit ist die wahre Seele eines Buchs, wodurch uns dasselbe persçnlich und wirksam vorkommt.“ S5 II, 181. 237, 14–17 Gçthe bis Tiefsinn: Der genaue Text findet sich oben in Anm. 237, 4–5. 237, 18–20 Diese bis Kopfe: Zum Brief Hardenbergs an Tieck, in dem einige Aphorismen anklingen, und zur Rezension des Wilhelm Meister vgl. Anm. No 236, 2; auch Novalis 237, 24–30 und Anm. 237, 24–30 „Welch bis sieht.“: „Welch heitre Frçhlichkeit herrscht nicht dagegen in Bçhm, und diese ist’s doch allein, in der wir leben, wie der Fisch im Wasser. – Ich wollte noch viel darber sagen, denn es ist mir alles so klar und ich sehe so deutlich die große Kunst, mit der die Poesie durch sich selbst im Meister vernichtet wird – und whrend sie im Hintergrunde scheitert, die Oeconomie sicher auf festem Grund und Boden mit ihren Freunden sich gtlich thut, und Achselzuckend nach dem Meere sieht.“ Holtei I, 307 f. 238, 30–32 Revolution bis abzuschließen gedachten: Zu Schleiermacher vgl. Anm. No 221, 24. Die Allgemeine praktische Philosophie (1808) J. F. Herbarts mit ihrem Ausgangspunkt vom Geschmack hat D. in seiner Habilitationsschrift, Versuch einer Analyse des moralischen Bewußtseins (1864), beschftigt. Ges. Schr. VI, 41–50. Hegels System der Sittlichkeit (e 1802/03; v 1893), D. vielleicht durch die Darstellungen von Rosenkranz und Haym bekannt, aufgenommen spter in: Die Jugendgeschichte Hegels (1805). Ges. Schr. IV, 184–187. 238, 33 Lucinde: F. Schlegel, Lucinde, Berlin 1799. Vgl. Leben Schl III,1. 496–516. 238, 35–36 Friedrich Schlegel’s Abhandlung: Vgl. Anm. No 234, 34. 238, 38–39 Wenn bis Ironie enthalte: Vgl. den undatierten Brief F. Schlegels an Schleiermacher: „Gott sey Dank, Du findest Ironie im Uebermeister. Das andre giebt sich. Du machst mir Lust, bald wieder ein Stck zu fertigen (denn zwey Portionen drften es noch werden), weil Du dieses so gar sehr als Vorrede ansichtigst.“ Schleiermacher III, 80. 239, 2–9 Das hieß bis abnimmt: Der Begriff Tendenzroman (Z. 5), den D. fr F. Schlegels poetisches Experimentiren (Z. 4) verwendet (vgl. auch Novalis 239, 21–28), geht vielleicht zurck auf einen zeitgençssischen Einteilungsversuch der Romane in: historische, Tendenz- oder Lehrromane und humoristische Romane (G. Weber, Die Geschichte der deutschen Literatur, Leipzig 51857,
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Textgeschichte und Anmerkungen
S. 92). Einteilungskriterium ist der Wirklichkeitsgehalt, an dem es dem Tendenzroman, wie z. B. Goethes Werther, vçllig fehle. Vgl. dagegen Tendenz-Dramen, Freytag 413, 19–20 und Anm. 239, 7–9 In diesen bis abnimmt: F. Schlegel ber die einzelnen Bcher des Wilhelm Meister: „so ist Grçße der eigentliche Karakter des letzten“. Vgl. die beiden letzten Abschnitte seiner Kritik im Athenaeum (wie Anm. No 234, 34). 239, 27–28 Hierin bis hervortraten: Zu Kleist und Arnim vgl. B Scholz 452–454; Kleist Anm. Fr 416, 38 – 417, 6. 239, 37–40 In bewußtester Nebenbuhlerschaft bis sollten: Vgl. Brief A. W. Schlegels vom 13. Juni 1801 an Tieck: „[. . .] und ich weiß, daß es Hardenberg besonders darauf ankam, das Buch ganz in der Gestalt des W. M. gedruckt zu sehen.“ Holtei III, 254. A. W. Schlegel fhrte Verhandlungen mit Unger, Verleger des Wilhelm Meister. Der Roman erschien jedoch 1802: In der Buchhandlung der Realschule (spter Reimer). Vgl. N HKA I, 186. 240, 1–2 Neben bis Ofterdingen: Dazu die Briefe Hardenbergs vom [23. Februar 1800] und vom 5. April [1800] an Tieck. Im Februarbrief urteilt Novalis ber Heinrich von Ofterdingen: „Er wird mancherley Aehnlichkeiten mit dem Sternbald haben – nur nicht die Leichtigkeit.“ Holtei I, 306. Im April, nach Abschluß des ersten Teils ber die Arbeit daran: „Deine Schriften sind mir seitdem viel lehrreicher geworden, und ich lese sie nie, ohne neuen Genuß und neue Entdeckungen.“ Holtei I, 310. 240, 3 Genoveva: L. Tieck, Leben und Tod der heiligen Genoveva, verçffentlicht in: Romantische Dichtungen II (wie Anm. No 215, 30), S. 1–330. 240, 3 Lovell: L. Tieck, Die Geschichte des Herrn William Lovell, Berlin und Leipzig 1795/96. 240, 6 Ardinghello: J. J. W. Heinse, Ardinghello und die glckseligen Inseln, 2 Bde, Lemgo 1787 (anonym). 240, 10 Schiller’s Geisterseher: Der Geisterseher, Leipzig 1789 (Buchausgabe). 240, 16 Abhandlung: Der Sturm. Ein Schauspiel von Shakspear, fr das Theater bearbeitet von Ludwig Tieck. Nebst einer Abhandlung ber Shakspears Behandlung des Wunderbaren, Berlin und Leipzig 1796. Tiecks Untersuchung gilt den Mitteln, mit denen Shakespeare das Wunderbare im Sturm gestaltet. 240, 27–28 Diese bis noch: Novalis begann das Studium an der Bergakademie zu Freiberg im Dezember 1797 und kehrte im Mai 1799 nach Weißenfels zurck, Beginn der Lehrlinge zu Sais 1798, vgl. Anm. No 212, 16. 240, 28–29 Der Grundgedanke bis Fichte’s: Vgl. D.s Erklrung: Novalis 242, 1–7, auch die Anm. 240, 30 – 241, 6 Dieser bis begriffen werden: Zu den Nachlaßnotizen vgl. Novalis 242, 8–13 und Anm. – Das Mrchen von Hyazinth und Rosenblthe wird von einem der Lehrlinge erzhlt und ist besonders fr den „Grbler“ unter ihnen gedacht. S5 II, 75–81. D. dient es spter als Beleg folgender These: S o t r i f f t d i e M e t a p h y s i k a m E n d p u n k t e i h r e r B a h n mit der E r -
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k e n n t n i s t h e o r i e z u s a m m e n , welche das auffassende Subjekt selber zu ihrem Gegenstand hat. Einleitung 405 f. 241, 6–13 Lehrer bis Wissenschaft auf: ber Werner vgl. Novalis 212, 12–18 und Anm. No 212, 13. 241, 15–16 „oft bis Ruhe ließ.“: Bei Novalis Satzanfang. Nach erfllen (Z. 16) Komma. S5 II, 55. 241, 16–19 „Er bis war.“: D. setzt zwei Textstellen zu einem Satz zusammen. Nach Art (Z. 17): Komma. Statt mannichfaltige (Z. 17): „mannigfache“. Nach Reihen (Z. 18) endet der Satz, es folgt: „Auf Menschen und auf Thiere gab er Acht, am Strand des Meeres saß er, suchte Muscheln. Auf sein Gemth und seine Gedanken lauschte er sorgsam. Er wußte nicht, wohin ihn seine Sehnsucht trieb. Wie er grçßer ward, strich er umher, besah sich andre Lnder, andre Meere, neue Lfte, fremde Steine, unbekannte Pflanzen, Thiere, Menschen; stieg in Hçhlen, sah wie in Bnken und in bunten Schichten der Erde Bau vollfhrt war, und drckte Thon in sonderbare Felsenbilder.“ S5 II, 56. 241, 19–21 In bis ausbreitete: Gemeint ist die durch Werner vertretene neptunistische Theorie zur Bildung der Erdrinde und der Gebirge, auch des Basalt, aus Ablagerungen von Gewsssern, im Gegensatz zur These der Vulkanisten. 241, 32–40 „So bis Sais.“: D.s Zitat setzt sich aus drei Textstellen zusammen. Nach zurck (Z. 33): „Was einmal die zweite Stimme sagte, habe ich wohl verstanden.“ Nach ist (Z. 34 und Z. 36): Komma. Nach sehnt. (Z. 38) folgt ein lngerer Abschnitt, den D. berspringt, um den Schluß des ersten Kapitels anzufgen. Statt Und (Z. 38): „Auch ich will also meine Figur beschreiben, und“. Nach Sterblicher und dort (Z. 38): Komma. Nach will (Z. 39): Komma. S5 II, 58, 58 f., 60. 242, 1–7 Dem Schler Fichte’s bis selbst: Im Herbst 1795 beschftigte sich Novalis grndlich mit der Philosophie Fichtes, dem er im Mai zusammen mit Hçlderlin im Hause Niethammer begegnet war. ber den Eindruck Fichtes auf Novalis berichtet Just S1 III, 13. Fichte-Studien bilden die erste große Gruppe seiner philosophischen Arbeiten, sie beziehen sich vor allem auf drei Schriften Fichtes: Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792); Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie (1794); Grundriss des Eigenthmlichen der Wissenschaftslehre, in Rcksicht auf das theoretische Vermçgen (1795). 242, 6–7 Einem bis sich selbst: Statt von (Z. 6): „zu“. S1 III, 109. 242, 8–13 Und bis gefeiert wird: Die hier interpretierend wiedergegebenen Stichworte zur Fortsetzung des Romans, auf die D. mit Belegstelle (Novalis 240, 31) hinweist, lauten: „(Beabsichtigte Fortsetzung der Lehrling zu Sais?) / Verwandlung des Tempels zu Sais. Erscheinung der Isis. Tod des Lehrers. Trume im Tempel. Werkstatt des Archus. Ankunft der griechischen Gçtter. Einweihung in die Geheimnisse. Bildsule des Memnon. Reise zu den Pyramiden. Das Kind und sein Johannes. Der Messias der Natur. Neues Testament und neue Natur als neues Jerusalem. Cosmogenien der Alten. Indische Gottheiten.“ S1 III,125 f. D. korrigiert in: Kosmogonien. 242, 18–21 „Es soll bis verlieren.“: Brief Hardenbergs vom [23. Februar 1800] an Tieck. „Es soll ein chtsinnbildlicher Naturroman werden. Erst muß Heinrich fertig seyn – Eins nach dem Andern, sonst wird nichts fertig. Darum sind auch die Predigten liegen geblieben und ich denke sie sollen nichts verlieren.“ Holtei I, 307.
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242, 22–27 Im Frhjahr bis suchte: K. W. F. von Funk, Generalleutnant, Historiker, Schriftsteller, Verfasser der Geschichte Kaiser Friedrich II. (1792), war Novalis befreundet. Seit 1796 lebte er in Artern, wo sich Novalis 1799 çfter auf seinen Inspektionsreisen aufhielt. Durch Funk wurden ihm historische Kenntnisse vermittelt. Die Sage von Heinrich von Ofterdingen lernte er vermutlich aus J. Rothes Dringischer Chronik kennen. Zur Entstehungs- und Druckgeschichte des Romans vgl. N HKA I, 183–192. D.s Angaben stammen von Tieck. S5 I Vorrede (zu S3) XXI f. 242, 31 gldnen Au: Goldene Aue, fruchtbares Tal zwischen Harz und Kyffhuser, zwischen den Orten Nordhausen und Sangershausen-Artern. Tieck spricht von der „gldnen Aue“. S5 I Vorrede (zu S3) XXI. 242, 33 Am 5. April 1800: Vgl. Brief Hardenbergs vom 5. April [1800] an Tieck: „Fertig bin ich mit dem ersten Theile meines Romans.“ Holtei I, 309. 242, 36–37 Der Kopf bis Lustspielen: Brief Hardenbergs an Tieck vom [23. Februar 1800]: „Ich werde mannigfachen Nutzen von meinem Roman haben – der Kopf wimmelt mir von Ideen zu Romanen und Lustspielen.“ Holtei I, 306 f. 243, 4–9 Es bis Entwurf: Novalis hat vermutlich Juli/August und im September 1800 an dem Entwurf der Fortsetzung des Heinrich von Ofterdingen gearbeitet (vgl. N HKA I, 186). Er steht unter der berschrift: Heinrich von Ofterdingen. Zweiter Theil. Die Erfllung. S5 I, 209–239. 243, 14–16 „Nicht bis betrachten.“: Tiecks Bericht ber die Fortsetzung des Ofterdingen (S5 I, 239–257) endet: „Vielleicht rhrt manchen Leser das Fragmentarische dieser Verse und Worte so wie mich, der nicht mit einer andchtigern Wehmuth ein Stckchen von einem zertrmmerten Bilde des Raphael oder Corregio betrachten wrde.“ S5 I, 257. 243, 18–24 Und indem bis sollen: Unter den Literarhistorikern findet Gervinus z. B. in dem Roman „ein herrschendes Zwielicht“. Gervinus V, 590; J. Schmidt sieht sich alles „im Nebel“ oder „reinen Aether der bersinnlichen Welt“ verflchtigen. Geschichte (wie Anm. No 221, 10–12), S. 425, 428; Vilmar, Geschichte (wie Anm. No 221, 10–12) erklrt ihn fr „knstlerisch mislungen“. 243, 32 blauen Blume: Vgl. den Anfang des Ofterdingen: „[. . .] aber die blaue Blume sehn’ ich mich zu erblicken.“ S5 I, 5. Das weit ber den Roman hinaus verbreitete Sinnbild geht vielleicht auf Tiecks Stanzen zurck: Der Traum. Eine Allegorie (1798), verçffentlicht in: Phantasien ber die Kunst, fr Freunde der Kunst, Hamburg 1799. Tieck lßt die Motive Stern und sich verwandelnde Blume ineinander bergehen: „Wir sehen kleine blaue Strahlen rinnen“; „Wir sehnten uns nur zu der Blume hin“. 244, 12 Traum Heinrich’s: Traum vom Tod Mathildes. S5 I, 144–146. 244, 13–15 „dort bis Stromes“: D.s Zitat beginnt mit dem Satzanfang und bricht im Satzgefge ab. Nach furchtbaren (Z. 14–15): Komma. Statt Stromes (Z. 15): „Stroms“. S5 I, 216. 245, 4–11 Dieser metaphysische Zusammenhang bis verbunden: D. sttzt seine Hypothese auf den Bericht Tiecks zur Fortsetzung des Ofterdingen (S5 I, 240–254); das Stichwort gibt eins der Blthenstaub-Fragmente: „Die Fantasie setzt die knftige Welt entweder in die Hçhe, oder in die Tiefe, oder in der Metempsychose zu uns. [. . .].“ Athenaeum I, 1 (1798), S. 74. Zu Lessing (Z. 5) vgl.
Novalis.
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Lessing 118, 6 – 122, 9. D. spricht von seiner Wiederherstellung des Zusammenhangs dieses Romans in Leben Schl XIII,1. 449, Anm. 245, 12 Mathilden: D. verwechselt die literarische Figur mit der realen, Mathilde mit Sophie, zu deren ußerung vgl. Novalis 205, 16. 245, 20–25 In frher Jugend bis erlange: Vgl. den Bericht des Einsiedlers, den D. weitgehend bernimmt. S5 I, 107. 245, 25–26 die treffendste Kritik bis Schwrmer: Zu D.s ironischer Widerlegung des Konversionsverdachts vgl. Novalis 227, 16–18 und Anm. 245, 32–34 Heinrich bis 242): Die von D. angegebenen Stellen aus S5 I beziehen sich auf Friedrich und Maria von Hohenzollern. 246, 7 Erzhlungen: Aus „Gesprchen“ und „hinterlassenen Papieren“ sucht Tieck den Fortsetzungsentwurf des Ofterdingen zu rekonstruieren. S5 I, 240. 246, 13–14 „Lebst Du bis allein?“: Statt Du (Z. 13): „du“. S5 I, 222. 246, 14–15 „Ein alter Mann bis haben.“: Ebd. Klammerzusatz (Z. 14) von D. Statt kenne (Z. 15): „kenn’“. Nach viele (Z. 15): Komma. 246, 16 Er hat bis gesprochen: Aus Tiecks Bericht zur Fortsetzung des Ofterdingen: „Jetzt sollte sich eine ganz neue Periode des Werkes erçffnen: aus dem stillsten Tode sollte sich das hçchste Leben hervorthun; er hat unter Todten gelebt und selbst mit ihnen gesprochen.“ S5 I, 247 f. 246, 26–29 Wie bis Freund wird: Ebd. 248. 246, 29–36 Von bis sollte: Zu Heinrichs Weg ber Griechenland, das Morgenland, Rom nach Deutschland vgl. S5 I, 248–250. 246, 37–39 Er wendet sich bis umsplt hat: „Nachdem nun Heinrich auf eine neue und grçßere Weise als im ersten Theile, in der E r w a r t u n g , wiederum die Natur, Leben und Tod, Krieg, Morgenland, Geschichte und Poesie erlebt und erfahren hat, kehrt er wie in eine alte Heimath in sein Gemth zurck. Aus dem Verstndniß der Welt und seiner selbst entsteht der Trieb zur Verklrung; die wunderbarste Mrchenwelt tritt nun ganz nahe, weil das Herz ihrem Verstndniß vçllig geçffnet ist.“ S5 I, 250. 246, 40 – 247, 5 Wir wissen bis hervortreten: „In der Manessischen Sammlung der Minnesnger finden wir einen ziemlich unverstndlichen Wettgesang des Heinrich von Ofterdingen und Klingsohr mit andern Dichtern; statt dieses Kampfspieles wollte der Verfasser einen andern seltsamen poetischen Streit darstellen, den Kampf des guten und bçsen Princips in Gesngen der Religion und Irreligion, die unsichtbare Welt der sichtbaren entgegen gestellt.“ Ebd. 247, 10–12 Mathildens Worte bis werde: „Mein Kindlein hat den Tod berwunden, hrme dich nicht, ich bin bei dir: du wirst noch eine Weile auf Erden bleiben: aber das Mdchen wird dich trçsten, bis du auch stirbst, und zu unsern Freuden eingehst.“ S5 I, 218.
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Textgeschichte und Anmerkungen
247, 20–23 Dieser Abschluß bis Tieck’s!: Goethes Mrchen erschien 1795 in Schillers Horen (wie Anm. No 214, 17). 248, 1–7 Die Natur bis Weltansicht: Zu Einheit von Poesie und Wissenschaft vgl. Novalis 222, 26 – 223, 4. Zu ihrer Wechselwirkung Anm. No 223, 3–4. 248, 9–25 Eine von Tieck bis entscheidend: „Dieses ist die Auflçsung des ganzen Werks, die E r f l l u n g des Mrchens, welches den ersten Theil beschließt. Auf die bernatrlichste und zugleich natrlichste Weise wird alles erklrt und vollendet, die Scheidewand zwischen Fabel und Wahrheit, zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist eingefallen: Glauben, Phantasie und Poesie schließen die innerste Welt auf. / Heinrich kommt in Sophiens Land, in eine Natur, wie sie seyn kçnnte, in eine allegorische, nachdem er mit Klingsohr ber einige sonderbare Zeichen und Ahndungen gesprochen hat.“ S5 I, 251. – D.s berlegungen beziehen sich auf diese Stelle und richten sich zugleich gegen Hettners u. a. Ablehnung der Allegorie: „Nirgends feste Gestaltung. Ueberall die sßeste Lyrik und die frostigste Verstandesallegorie bunt durcheinander, bis zuletzt [. . .] Alles in eine einzige große bodenlose Allegorie zusammenfließt.“ Die romantische Schule (wie Anm. No 200, 8–9), S. 84. 248, 25–37 Die Weltepoche bis verbreitet: D. gibt in Grundzgen Klingsohrs Mrchen wieder, das den ersten Teil des Romans beschließt. S5 I, 167–208. 248, 38 – 249, 2 Gegrndet bis Herzen: S5 I, 208. 249, 5 Amtshauptmannsstelle: Novalis wurde am 6. Dezember 1800 zum Amtshauptmann ernannt. 249, 9–10 ein jngerer Bruder bis ertrunken sei: Tod B. von Hardenbergs am 28. Oktober 1800. 249, 12 am 28. Mrz: Novalis starb am 25. Mrz 1801. 249, 18–19 Gçthe bis htte: D. spielt auf die von J. Falk berlieferte, von Tieck leicht verndert zitierte ußerung Goethes an (vgl. Anm. No 227, 16–18): „ ‚Novalis war noch keiner, (Ein Imperator nehmlich) aber mit der Zeit htte er auch einer werden kçnnen. Schade nur, daß er so jung gestorben ist, zumal, da er noch außerdem seiner Zeit den Gefallen gethan, und katholisch geworden ist. “ S5 I Vorrede (zu S5) XL. Tiecks Quelle: J. Falk, Goethe aus nherm persçnlichen Umgange dargestellt, Leipzig 1832, S. 99 f. 249, 21 Wir bis Steffens: Zu Steffens vgl. Anm. No 222, 38. Seine Schilderung in: Was ich erlebte IV, Breslau 1841, S. 320–325. 249, 21–34 „Wenige Menschen bis lehrhaft.“: Ebd. D. kompiliert drei Textstellen: „Wenige Menschen hinterließen mir fr mein ganzes Leben einen so tiefen Eindruck.“ S. 323. „Sein Aeußeres erinnerte dem ersten Eindruck nach an jene frommen Christen, die sich auf eine schlichte Weise darstellen. Sein Anzug selbst schien diesen ersten Eindruck zu untersttzen, denn dieser war hçchst einfach, und ließ keine Vermuthung seiner adligen Herkunft aufkommen. Er war lang, schlank, und eine hektische Constitution sprach sich nur zu deutlich aus. Sein Gesicht schwebt mir vor als dunkel gefrbt und brnett. Seine feinen Lippen, zuweilen ironisch lchelnd, fr gewçhnlich ernst, zeigten die grçßte Milde und Freundlichkeit. Aber vor Allem lag in seinen tiefen Augen eine therische Glut.“ S. 320. „Er konnte, besonders in grçßeren Gesellschaften oder in Gegenwart von Fremden, lange still-
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schweigend, in Nachdenken versunken, dasitzen. Ein zartes Gefhl schien ihm die Gegenwart verschlossener, und innerlich entfremdeter Naturen zu verrathen; nur wo ihm verwandte Geister entgegenkamen, gab er sich ganz hin. Dann aber sprach er gern und ausfhrlich, und erschien im hçchsten Grade lehrhaft.“ S. 322. 249, 35 – 250, 31 Die Generation bis erschienen ist: D. stellt sich noch einmal eindeutig gegen die gngige Sicht der Romantik. Wie sehr er sie zu ndern suchte, beweist in großem Stil seine zu diesem Zeitpunkt in Arbeit befindliche Biographie Schleiermachers, auf deren Hintergrund der Novalis-Aufsatz entstanden ist. Um Interesse werben die kleinen Arbeiten: Hçlderlin und die Ursachen seines Wahnsinnes (HW) von 1867 und von 1868 Die romantischen Dichter. I. Ludwig Tieck. II. Novalis. Ges. Schr. XV, 117–149.
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Textgeschichte und Anmerkungen
II. PHANTASIE UND DICHTUNG Phantasiekunst Entstehung und berlieferung Im Zuge der Planung fr den zweiten Band der Einleitung ließ D. 1891/92 die Abhandlung Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert erscheinen. Sie sollte zusammen mit weiteren Teilstcken den zweiten Band einleiten: Hierauf folgt dann die Darstellung der durch diese Analysen sc. der europischen Menschheit ermçglichten freien und lebendigen Darstellung des Menschen in der Geschichtschreibung und der Kunst, als hçchster Ausdruck aller dieser Gedankenarbeit, reichend von der bildenden italienischen Kunst bis Shakespeare, Corneille und Rembrandt. B Yorck 127. Nach H. Nohl rckt dieses Vorhaben in den Zusammenhang mit dem um 1895 geplanten Shakespeare-Aufsatz (Ph 319) und verselbstndigt sich. Daß die ursprngliche Bestimmung D. im Blick geblieben sein muß, zeigen eine Reihe von Hss. auf Doktordiplomen von 1904. Eventuell besteht auch eine Beziehung zu der 1904 erschienenen Abhandlung: Die Funktion der Anthropologie in der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts, damit wiederum zur Einleitung (vgl. Ges. Schr. II, Vorwort). Im Gegensatz zu den Hss. fr den Shakespeare-Aufsatz berschreiten die zur Phantasiekunst die Spanne um 1895 deutlich, sind von D. nicht fr die Aufsatzsammlung gedacht, vermutlich berhaupt nicht fr eine selbstndige Verçffentlichung. Nohl hat aus dem umfangreichen Material einen Aufsatz konstruiert mit dem Teil eines Shakespeare-Manuskripts, Die Epoche der großen Kunst, und dem eindeutig Shakespeares Zeitgenossen zuzuordnenden Entwurf ber Marlowe. Umgekehrt ist das sichtlich dem Phantasiekomplex zugehçrige, nach 1900 entstandene Ms. Die europischen Grundlagen der Kultur des achtzehnten Jahrhunderts ( 1–3) grçßtenteils in den von ihm redigierten Shakespeare-Aufsatz gelangt unter dem neuen Titel: Renaissance und Reformation. Proben aus dem Vorrat der Bruchstcke stehen am Beginn des zweiten Teils von Band XXV nebeneinander, korrespondierend mit der Zusammenstellung zu Shakespeare und wie diese nicht als fortlaufender Text zu lesen. Sie zeigen eine dreifache Zuwendung D.s zu der ihn faszinierenden Epoche der großen Kunst und Literatur im westlichen Europa. H, Hh, h: EN:
Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey C 69 (216) und angebundenes Bndel. Ph 6–52.
Textwiedergabe nach H, Hh, h. Handschriftenbefund Eine gewisse Ordnung nach Zusammengehçrigkeit muß der Archivierung und Bezifferung des Nachlasses zur Phantasiekunst gefolgt sein. Wieweit von P. Ritter bei der Anlage von Verzeichnissen (1935) vorgenommen, wieweit von H. Nohl bei der Herstellung seines Aufsatzes oder von einem anderen ist nicht feststellbar. Das Material befindet sich in zwei Faszikeln, die, zusammengebunden, unter der Signatur C 69 (216) laufen. Der angebundene ist auf Nohls Aufsatz ausgerichtet und enthlt Bltter aus dem Faszikel C 70 (217), dessen Schwerpunkt Shakespeare ist. Zu dem mit 5. bezeichneten Teil einer Hs., dem Nohl die berschrift: Innere Form und Technik auf den verschiedenen Gebieten der Dichtung (Ph 37–45) gegeben hat, finden sich mit einiger Schlssigkeit die vorangehenden Teile [1]-5. Sie ergeben einen bescheidenen, zumindest teilweise frhen Entwurf. Zwei sptere Bruchstcke – Renaissance und nationales Leben und Die europischen Grundlagen der
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Kultur des achtzehnten Jahrhunderts – schließen sich an, eine einzelne Notiz ohne berschrift geht voraus; zwei ihr hnliche Anstze werden hier, unter Handschriftenbefund, mitgeteilt. 253, 2–12 Vornehmlich bis geknpft hat: C 69 (216), [149] Von D.s Hand, nur mit 5. berschrieben, also aus grçßerem, aber nicht eruierbarem Zusammenhang, unpaginiert und unbeziffert. Der Lage nach: C 69 (216), [149], folgend auf C 69 (216), 148. Mçgliche Fortsetzung auf C 69 (216), 150–152 nicht entziffert. Wohl eine Vorform zu C 69 (216) [149], Einzelblatt von D.s Hand, bricht ab. C 69 (216), 148 1. Die große Phantasiekunst kann nicht in abstrakten Begriffen umschrieben werden; ja ihr rumlicher zeitlicher Umfang kann nicht umgrnzt werden. Dies ist die Folge davon daß verschiedene Momente zusammenwirken, deren jedes einen eigenen Umkreis beschreibt innerhalb der Sphre die in Italien 13 ? aus ersten Formen hervorgeht und im 17 in Frankreich in andere Formen bergeht. Damit beschreiben wir die Natur einer jeden historischen Daseinsweise oder Lebensgestalt die einen Zeitraum erfllt. So versuchen wir auch nicht das Zusammenwirken dieser Momente in dem Styl der so entstand in Begriffen zu umschreiben. Die verschiedenen Momente des allseitigen Lebens der Zeit wirken auf die Dichtung und Vielleicht als Anfang gedacht, ebenfalls von D.s Hand, schwer lesbar: C 69 (216), 14 Zeitalter der Phantasie: Diese Kunst und Dichtung entstand in der Epoche, in welcher die politischen Krfte der mittelalterlichen Welt sich noch in ihren Eigenrechten und ihrem Eigenleben behaupteten, die Monarchie aber sich ber sie erhob, und in verschiedenen Formen in diesen Lndern, Italien, Spanien, England, Frankreich, Niederlande ein Gemeingeist der Nationen, ein politisches und Bildungscentrum entstanden war, whrend zugleich Mannichfaltigkeit und Glanz, Eigenkraft und Eigenwille der Stnde fortbestand. Die Stnde hatten einen scharf abgegrnzten Charakter. Bauer, stdtische Brger, der große Adel, der Kçnig und sein Hof – das waren lauter abgegrnzte Gestalten unterschieden in ihrer Tracht, ihren Sitten, in dem Charakter der Personen. In Spanien die lndliche Bevçlkerung. In England der unkriegerische Brger mit seinem Maulwerk, in den Niederlanden dagegen der seiner selbst frohe Brger etc. Die Gesellschaft, welche ihrer Vorrechte und ihres Reichthums genoß und auf Tapferkeit, Lehnsverhltnis etc. gegrndet war, stand gut. So bei großem Gegensatz Dualitt – Distanz – Es gab organ Verhltnisse, in welchen ein großes politisches Leben pulsirte – Nationalgefhl, das in Kmpfen die großen Staaten – so war noch ein ber die Einzelnen hinausreichend große oder neue politische Kmpfe. Phantasiekunst [I.] –5. Da die einzelnen Manuskriptteile nicht mit den bezeichneten Abschnitten bereinstimmen, mssen weiterhin Seite und Zeile des Textteils angegeben werden. 253, 15 – 256, 13 Die Entwickelung bis finden konnte: C 70 (216), 53–61 Diktat mit Korrekturen und Partien von D.s Hand, auf Doktordiplomen, darunter von 1893, 1900, 1901, paginiert: zu 181–10. Der Text enthlt die Abschnitte 2. und 3. Deutlicher Einschnitt auf dem Bl.: zu 1810, Verweis auf p 18. und die Notiz von D.s Hand: hier beginnt Abs. 2. Gemeint ist offensichtlich, mit dem auf p 18 (C 70, 45) unter 2. stehenden Text fortzusetzen, der damit unter Punkt 3. des laufenden Ms. rckt. Der auf dem Bl.: zu 1810 verbleibende Text wird hier wiedergegeben:
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C 70 (216), 62–63 Eben in dem bergang aus der feudal-kirchlichen Ordnung zur selbstherrlichen Monarchie bietet die regierende Gesellschaft das bunteste Bild, das irgend eine Zeit der neueren Vçlker darbot. Der hohe Adel, die vornehme Geistlichkeit sind noch durch Besitz, Einfluß, die Macht großer Namen bei dem Volke und den Einfluß der geistlichen Wrde auf dasselbe ausgezeichnet. Das bunte Bild dieser Gesellschaft mischt sich nun mit dem Glanz des Hofs und dem Ansehen des Selbstherrschers. Eine besondere Frbung aber empfngt die Gesellschaft dieser Zeit dadurch, daß die See sich nun geçffnet hat. Die Entdeckungen neuer Lnder, die Colonisation und Eroberungen haben allen Abenteurern die Bahn freigemacht. Eigentmliche herrschende Positionen bilden sich in fernen Weltteilen. Die Kmpfe der Spanier mit der mohamedanischen Welt dauern fort. Welch ein Raum war hier nun fr die Entwickelung von Charakteren, welche mit allen Mitteln politischen Verstandes, der Intrigue, der Tapferkeit auf den weiten Kriegsschaupltzen, in den Kolonien, an den Hçfen sich zur Geltung brachten. Es folgen nicht kontinuierlich lesbare Bleistiftnotizen D.s. 256, 14 – 258, 29 Es ist der bergang bis Einbildungskraft: C 70 (216), 45–50 Diktat mit Zustzen von D.s Hand, auf Doktordiplomen, eins von 1898, paginiert von 18–22a. Der weitere neue Abschnitt innerhalb dieses Teils, auf C 70, 48, ist mit gestrichenem 2., mit 3. und, vermutlich zuletzt, mit 4 berschrieben, der Umgruppierung entsprechend. 258, 29 – 259, 15 Die neue Art zu sehen bis in Tragçdie und Comçdie: C 69 (216), 106–108 Diktat von der Hand des Schreibers der beiden vorangehenden Ms.-Teile, keine Korrekturen D.s, paginiert von 28–30, nachtrglich von 58–60, ein Doktordiplom von 1893, wiederum mit 4. berschrieben und wohl dem Abschnitt aus dem vorangehenden Ms.-Zusammenhang zuzuordnen. Auf dem letzten Blatt der Beginn von Abschnitt 5 (C 69, 108). 259, 17 – 267, 36 Die innere Form bis Kunst hervorgebracht: C 69 (216), 108–112; 4–9; 38–40; 42; 93–103 Diktat, teils von Katharina D.s Hand, zwei weiteren Schreibern, kleinere Teile und Ergnzungen von D; paginiert von 30–55, nachtrglich von 60–75, also nicht vollstndig doppelt paginiert; das pag. Bl. 35/65 ist unbeziffert. Nicht in den laufenden Text einbeziehbar ist das abbrechende Stck: C 69 (216), 41 Boccaccio, Petrarca und Ariosto sind die Reprsentanten der eigentlichen italienischen Kunstform. Diese besteht in der bewussten Kunst, welche den Gegenstand mit berlegenheit, ja mit suverner Freiheit formt. Den subjectivsten Gehalt erhebt Petrarca in die strengste Form. Inhaltlich ist es aber das neue Gefhl von Eigenwert, persçnlicher Eigentmlichkeit, die Freude am Mannichfaltigen des Lebensschicksals, was hier hervortritt, und in letzter Instanz beruht dies alles auf dem Zurcktreten der in der stndischen Gliederung bedingten Regelhaftigkeit des mittelalterlichen Lebens. Der ritterliche Roman, wie er aus Frankreich kam, ist einfçrmig mitten in der Hufung der Abenteuer eben durch die Eintçnigkeit des Lebens selbst und der Ideale desselben. Sie wird zuerst durchbrochen durch die Darstellung der Lebensschicksale, Renaissance und nationales Leben. C 70 (216), 117–135 Diktat, anfangs von der Hand Katharina D.s, dann ein weiterer Schreiber; kaum Korrekturen D.s. Paginiert von 291–15, 30–33, Teilstcke auf Doktordiplomen von 1897, 1898, 1901. Unvermittelter Anfang, berschrift auf dem vorangehenden Bl. C 70, 116, nicht von D.s Hand.
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Die europischen Grundlagen der Kultur des achtzehnten Jahrhunderts. C 70 (217), 72–103 Grçßtenteils Diktat, auffallend fehlerhaft. Punktuell kleine Korrekturen vielleicht von D. Ein Abschnitt und teils berschriftartige Notizen am Ende des Ms. ganz von D.s Hand. Letztere stehen auf Briefpapier des Hotels Nnalphorn in Flhli-Ranft mit vorgedruckter Datumzeile: 190 . Durchgehend paginiert von 1–33. Das Ms. liegt in dem an C 70 (217) angebundenen Bndel.
Anmerkungen 253, 9 „Sternen hçchster Hçhe“: Vgl. Anm. Sh 7, 6. 253, 18 Friedrich II.: Vgl. Shakespeare 21, 14 und Anm. 253, 20 Republik von Venedig: Venedig hatte seit dem Sieg ber Genua 1380 die Vorherrschaft im çstlichen Mittelmeer, seit dem frhen 13. Jh. eine strenge oligarchische Verfassung. Verlust der viel bewunderten Selbstndigkeit unter Napoleon; unabhngige Republik 1848–1849. 253, 22 Karl V. und Philipp II.: Karl V. wird 1516 Kçnig von Spanien, von 1519–1556 ist er Kaiser eines unbertroffen großen Reiches. Nach seiner Abdankung erhlt sein Sohn Philipp II. Spanien, die Niederlande, Teile Italiens, Burgund. 253, 29 Richelieu, Mazarin: Richelieu, Herzog und Kardinal, Minister unter Ludwig XIII. Sein Ziel: die Vormacht Frankreichs in Europa. Kardinal G. Mazarin, sein Nachfolger ab 1643, bernahm die Regierung whrend der Minderjhrigkeit Ludwig XIV. 254, 21 pyrenischen Frieden: Friede, der 1659 den Krieg zwischen Spanien und Frankreich beendet, Machtzuwachs fr Frankreich. 254, 23 Fronde: Aufstnde des franzçsischen Hochadels gegen den minderjhrigen Ludwig XIV. und Mazarins Absolutismus. Der erste Aufstand 1648/49; ein zweiter fhrt zur Besetzung von Paris, in das Ludwig XIV. 1652 wieder einziehen konnte. 254, 32 Heinrich V.: Kçnig von England, plante, durch die Eroberung Frankreichs die innenpolitische Situation zu festigen. Sein Sieg von 1415 bei Azincourt ber das grçßere franzçsische Heer dargestellt von Shakespeare, vgl. Anm. Sh 38, 5. 254, 36 Cinna: P. Corneille, Cinna ou la Clmence d’Auguste, aufgefhrt 1642. 255, 8 Philipp III.: Sohn Philipp II., seit 1598 Kçnig von Spanien, sein Zeitalter war das ‚goldene fr Kunst und Literatur. 255, 13 war es, in: Diktat auf C 70, 58: ist es, in. Korrektur D.s: war , kombiniert mit dem Diktat. 255, 19 beherrscht: Am rR von C 70, 59 schwer lesbare Ergnzung oder Umformulierung D.s, nicht bercksichtigt.
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255, 22–26: Cervantes bis Lichte: Vgl. die Rolle des Pfarrers als Begutachter von Ritterbchern. Don Quichote I, 6; in Heinrich VIII. Warnung vor dem Priester I, 1. 256, 7–9 Shakespeare bis brgerliche: Am rR unleserliche Bleistiftnotiz D.s. 256, 13 konnte: Einfgungszeichen D.s (C 70, 62), Verweis auf p 18 als Fortsetzung. 256, 14 Es ist: Am rR von p 18 (C 70, 45) nicht vollstndig entzifferbare Bleistiftnotiz D.s, unbercksichtigt. 256, 26 Plutarch: Zu Plutarch als Quelle vgl. Anm. Al 292, 4–15. 256, 29 – 257, 25 Und die Dichter bis zurechtgeschnitten: Die bewegten Lebenslufe von Ariosto, Cames, Cervantes, Shakespeare werden ergnzt durch den Ercillas. Phantasiekunst 262, 22–31. 256, 33 Ippolito von Este: Kardinal, in dessen Diensten Ariosto Sekretr und Gesandter mit oft schwierigen Missionen war. Ihm ist Der rasende Roland gewidmet. I, 3. 256, 33 Giulio: Ungestraft ließ Ippolito d’Este seinem ‚natrlichen Bruder Giulio die Augen ausstechen, weil er eine von beiden „geliebte Dame schçn genannt hatte“. (Meyer 1847). 256, 34–35 Julius II.: Papst von 1503–1513, eigentlicher Begrnder des Kirchenstaats; Kampf gegen Venedig und gegen die Franzosen in Oberitalien; Fçrderer der Knste. 256, 35 Schlacht gegen die Venetianer: Kampf Ferraras im Auftrag des Papstes Julius II. gegen Venedig und Sieg ber die venezianische Flotte 1509. 257, 1–3 Alfonso bis leiten: Alfonso I., Bruder des Kardinals Ippolito, nimmt Ariost, der Ippolito nicht nach Ungarn folgen will und entlassen wird, 1518 in seine Dienste, macht ihn zum Gouverneur der nçrdlich von Lucca gelegenen Provinz Garfagnana, dann zum Leiter des hçfischen Theaters. 257, 3–5 Als Abenteurer bis erduldet: Der Name des portugiesischen Dichters, auf dessen so bewegtes wie unglckliches Leben D. hinweist, erscheint in der Schreibung als Camoens und Cames. 257, 10–23 Shakespeare bis Elisabeth: hnlicher Lebensabriß E Goethe 151 f., Bausteine 136. 258, 8 der romantischen Poesie: Romantisch ist hier im ursprnglichen Sinn zu verstehen: romanhaft, phantastisch, abenteuerlich. 258, 10 Verbindung: Darber in der Hs. unkoordiniertes Satzfragment – bis dann von Corneille ab die – von D.s Hand. 258, 11–21 Seneca bis Kraft: Das umfangreiche Werk Senecas umfaßt neben philosophischen Schriften zehn Tragçdien, neun gehen auf griechische Sagen zurck, dazu gehçrt Medea. Einzig Octavia, die nicht mit Sicherheit Seneca zugeschrieben wird, beruht auf rçmischer Geschichte. 258, 34 – 259, 13 Die innere Form bis dargestellt: D. nennt charakteristische Zge der inneren Form in der bildenden Kunst der Renaissance, bertragbar auf Poesie. Vgl. Phantasiekunst 259,
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17 – 260, 9; 262, 39 – 263, 1; 268, 22–23; 271, 24–26. Zur Herkunft des Begriffs Anm. Le 62, 28. Zu seiner Anwendung auf literarische Gattungen Anm. Fr 426, 37–38; Shakespeare 33, 19; Shakespeare 40, 19–22 und Anm., dazu Anm. Sh 40, 9–10 (Drama); Anm. Di 407, 22–23 (Roman). Ges. Schr. XXVI, Hçlderlin (1910) 288, 11–24 und Anm. (Lyrik). 259, 6–7 Winckelmann bis Mengs: A. R. Mengs, europaweit bekannter Maler seiner Zeit, arbeitete in Dresden und Madrid als Hofmaler; in Rom als Direktor der Accademia di S. Luca. Freund J. J. Winckelmanns, den er 1756 mit Rom vertraut machte, mit dem zusammen er ein Werk ber die griechischen Knstler plante – Ansatz fr Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (1764), die Mengs gewidmet ist. Mengs als der Anregende in dieser Freundschaft, so gesehen von Goethe, Winckelmann und sein Jahrhundert (1805). Zu Winckelmann vgl. Anm. Di 364, 25–26. 259, 19 ebenso: In der Hs. eben. 260, 1–4 Ranke bis empfing: D. bezieht sich auf Rankes Abhandlung: Zur Geschichte der italienischen Poesie. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5. November 1835.] Historischphilosophische Abhandlungen der Kçniglichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1835. Berlin 1837, S. 401–485. Ranke geht von den Reali di Francia und einem von ihm gefundenen Fortsetzungs-Ms. aus, verfolgt dann Aufnahme und Bearbeitung von Motiven aus der Karlsepik von L. Pulci ber M. M. Bojardo und L. Ariost bis T. Tasso. Zu Ranke vgl. Anm. Schi 198, 37–40. 260, 4 Epos des Ariosto: L. Ariosto, Orlando Furioso (e 1505–1515; v 1516, erste Fassung). 260, 6 Bembo: D. spielt auf das sprachkritische Werk Bembos an. P. Bembo, Prose della volgar Lingua (1525), an der Wende vom lateinisch- zum nationalsprachigen Humanismus. 260, 9 Bojardo: M. M. Boiardo, L’ Orlando Innamorato (1486; vollstndig 1506). 260, 39 Stanze des Ariost: Die italienische Stanze besteht aus acht elfsilbigen jambischen Versen mit Einschnitt nach dem sechsten; findet sich im 13. Jh. in religiçser Dichtung, von Boccaccio verwendet, Strophenform in den Epen von Boiardo, Ariosto, Tasso, Cames, Lope de Vega, auch in Byrons Don Juan. 261, 19–20 des „Befreiten Jerusalem“: T. Tasso, La Gerusalemme Liberata (autorisierte Fassung 1581). 261, 30 – 262, 1 Am Beginn bis auf: Als Beispiel fr die Flle immer neu auftauchender Gestalten nimmt D. den ersten Gesang, Str. 5–39 des Orlando Furioso. Angelica, Tochter des Kçnigs Galafron, ist mit ihrem Bruder beauftragt, das Reich Karls zu vernichten. Um sie bewerben sich Roland, Rinald, einer der Sçhne Haimons, auch der als Spanier geltende Maure Ferragu. Das Gespenst im Fluß ist der von Ferragu getçtete Bruder Angelicas. 262, 4–8 Das Interesse bis des Ganzen: Am rR (C 69, 5) Zusatz oder Notiz von D.s Hand, der Anfang: A. W. Schlegel: Leichtsinn in der Composition. Scheinbarer Reichthum durch willkrliche Umordnung.
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262, 16 Oberon Wielands: Ch. M. Wieland, Oberon. Ein Gedicht (1780); Ritterabenteuer, ausgehend von Karl dem Großen. 262, 17 Don Juan Byrons: G. G. N. Byron, Don Juan. Satirisches Epos, sechzehn Cantos (1819–1824), unvollendet. 262, 18 Lusiaden: L. Vaz de Cames, Os Lusadas (1572). Entstehung teilweise whrend Cames Verwaltungsbeamter in Indien war. 262, 22 Romanzen vom Cid: Cid (Herr) ist der maurische Beiname des spanischen Ritters Rodrigo (Ruy) Daz de Vivar, der 1094 Valencia eroberte. Von 1140 oder 1200 stammt das Poema del Cid, in dem er als Sieger ber die Mauren und Nationalheld gefeiert wird. Daneben entstehen Romanzen vom Cid, erste Sammlung 1551. 262, 22–31 Die Abenteuer bis geglaubt: A. de Ercilla y ZfflÇiga, La Araucana, drei Tle (1569, 1578, 1589). Ercilla stellt in seinem Versepos als erster die spanische Konquista dar, den Kampf gegen die aufstndischen Araucaner im sdlichen Chile und ihre schließliche Unterwerfung. Er nahm mit kçniglicher Erlaubnis an der Hilfsexpedition teil, die 1555 begann, 1563 kehrte er nach Spanien zurck. In seinem Epos distanziert er sich inhaltlich von Ariosto, dem er formal verpflichtet ist: „Nicht die Damen, die Liebe noch die hçfische Art der verliebten Ritter besinge ich, [. . .] sondern den Mut, die Kmpfe, die Heldentaten jener tapferen Spanier, die dem ungebeugten Nacken Araucos mit dem Schwert ein hartes Joch auferlegten.“ Araucana I, 1. Replik auf Orlando Furioso I, 1. Zitiert nach: B. Held, Studien zur Araucana des Don Alonso de Ercilla, Frankfurt/Main 1983, S. 155. 262, 37–39 Am Beginn bis bertreffe: Vgl. die vorangehende Anm. und: Die Lusiaden des Luis de Camons. Verdeutscht von J. J. C. Donner, Stuttgart 1833, S. 6: „So hçre! Nicht mit leerem Thatgeprnge, Mit schnçder Fabeln, eitler Sagen Lug, Lob ich Dein Volk [. . .]. Der Deinen Werke blh’n in solcher Menge, Dass sie, die wahren, ber Trum’ und Trug, Ob Roger, Roland, Rodomont sich heben,“ I, 11. Angeredet wird Sebastian, der letzte Herrscher Portugals, bevor es 1580 von Philipp II. annektiert wurde. 263, 12–13 Wie bis gewirkt: Vergils Bucolica und Georgica, seine Aeneis galten bis zur Wiederentdeckung Homers im 18. Jh. als vorbildlich. 263, 18 Don Quixote des Cervantes: M. de Cervantes Saavedra, El Ingenioso Hidalgo Don Quixote de la Mancha, 2 Tle (1605/15). 263, 23 – 264, 2 Als die bis erhoben: G. Boccaccio, Il Decamerone (e 1349–1353); mit seinem Liebesroman ist vermutlich Il Fiocol (e um 1340) gemeint. 264, 5–8 Auch bis Tieck wieder: Boccaccios Anlage seiner Novellensammlung spiegelt sich in Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795) und im Phantasus Tiecks (1812–1816).
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264, 12 Schfergedicht von Sannazago: Hçrfehler. Die autorisierte Fassung von I. Sannazaros Arcadia erschien 1504. 264, 16–19 Mendoza bis gesezt: Gemeint ist D. Hurtado de Mendoza, Dichter, Diplomat, Historiker, dem der erste spanische Schelmenroman nur mit Vorbehalt zugeschrieben werden kann: La vida de Lazarillo de Tormes, anonym (1554). Vgl. unten Anm. 270, 6–10. 264, 24–27 Mehr bis begrndet haben: J. L. Vives, humanistischer Philosoph, befreundet mit den Humanisten der ersten Hlfte des 16. Jh.s, z. B. Erasmus. Unter seinen umfangreichen den Wissenschaften und der Lebensfhrung geltenden Schriften die zur praktischen Psychologie: De Anima et Vita libri tres (1538). 264, 28 Montaigne; Vgl. Anm. Goethe 155, 24–25; Ges. Schr. II, 36–38 u. ç. 264, 28 Cardano, Telesio: Sowohl G. Cardano als auch B. Telesio sind Philosophen und Naturforscher. D. handelt ber beide, auch ber Vives, im zweiten Kapitel seiner Abhandlung: Die Funktion der Anthropologie in der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts (1904). Ges. Schr. II, 422–437. Zu dem universal gelehrten Cardano vgl. auch Anm. Goe 144, 4. 264, 38 – 265, 1 Madrid bis bezeichnet): Der Madrider Schulrektor L pez de Hoyos gab 1568 Berichte ber Krankheit und Tod Elisabeths, Gemahlin Philipp II. von Spanien, heraus. Darin verçffentlichte der junge Cervantes erste Gedichte. 265, 2 Kardinal Aquaviva: Der rçmische Kardinal G. Acquaviva hielt sich 1568 als ppstlicher Gesandter in Madrid auf. Vermutlich wurde Cervantes von ihm nach Rom mitgenommen. 265, 4–6 (Stern bis Sevillas“): A. Stern, Geschichte der neuern Litteratur I-VII (1882–1885). Das verkrzte Zitat stammt aus Bd. II. Hochrenaissance und Reformation, Leipzig 1882. Der ganze Satz auf der von D. angegebenen Seite: „Seine bescheidene Stellung verhinderte den Verkehr mit den zahlreichen geistig bedeutenden und knstlerisch gestimmten Persçnlichkeiten Sevilla’s nicht, aber leider trafen ihn bald neue herbe Mißgeschicke.“ 265, 30–33 Von bis aufhebt: Don Quichote stellt einem benachbarten Bauern die Statthalterei auf einer Insel in Aussicht, wenn er sich entschlçsse, sein Schildknappe zu werden. Don Quichote I, 7. Auflçsung der Illusion durch Angleichung an Quichote z. B. I, 26. 266, 24 in Anspruch nahm: Das Verb fehlt in der Hs. 266, 26–30 Ein Gesprch bis seinesgleichen: Das Gesprch zwischen Sancho, der Frau und Kind ohne Abschied verlassen hatte, und Hanne Pansa (wie sie an dieser Stelle genannt wird) findet bei der Rckkehr, dem Abschluß des ersten Buches statt. Don Quichote I, 52. 266, 30–32 Nur die bis vergleichbar: J. W. Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96), Gesprche Wilhelms mit Mariane in den ersten Kapiteln des ersten Buches. 267, 4–10 Das Begrbnis bis Grabe: Das Begrbnis des Hirten Gris stomos, Don Quichote I, 13; Lektre seiner Gedichte zu Beginn von I, 14, danach Erscheinung der Schferin Marcela auf einem Felsen ber der Grabstelle und ihre Verteidigungsrede.
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267, 12 Don Quichote bis aufsuchen!): In der Sierra Morena findet Don Quichote ein Bndel mit Goldstcken und einem Manuskript, vgl. I, 23; Begegnung mit dem Besitzer, dem ebenfalls durch die Lektre von Ritterromanen verwirrten Cardenio, und Auseinandersetzung ber eine Frage des Ritterromans Amadis I, 24. 267, 13 der großen Szene im Lear: Zusammenkunft der drei Narren auf der Haide – Hofnarr, als wahnsinnig auftretend Edgar, Lear – in Lear III, 4. Vgl. Phantasiekunst 279, 18–26. 267, 17–21 Es ist bis begann: Zu venezianische Schule vgl. Anm. Sh 40, 23. 267, 31–36 Auch die bis hervorgebracht: Neben den in seinen Roman eingestreuten Geschichten hat Cervantes eine Sammlung von zwçlf Novellen verçffentlicht, Novelas Ejemplares (1613). La gitanilla, Das Zigeunermdchen, die Geschichte der bezaubernden Zigeunerin Preciosa, ist die erste. 268, 7–22 Hier entstand bis malerisch ußert: Eine der wenigen Stellen im vorliegenden Zusammenhang, an der von der Lyrik Dantes und Petracas, auch allgemein von Lyrik die Rede ist. Wie fr Drama und Epos/Roman greift D. vergleichend zu Malerei und Musik. Vgl. Phantasiekunst 279, 6–7. 268, 23–26 Ranke bis empfing: Dazu oben Anm. 260, 1–4. 268, 26 – 269, 3 Die Stanzen bis regiert: D.s Beobachtungen am ersten Gesang des Orlando furioso in Abwandlung von Phantasiekunst 261, 30 – 262, 12. 269, 15 der große Lorenzo: Vgl. Anm. Sh 21, 21. 269, 26 der dramatische Roman (Caelestina): Bei A. Stern (wie oben Anm. 265, 4–6), S. 177: „Der vielberhmte dramatische Roman ‚C e l e s t i n a oder die Tragikomçdie von Calisto und Melibea (von R o d r i g o C o t a aus Toledo und F e r n a n d o d e R o j a s aus Montalvan am Ausgang des 15. und Eingang des 16. Jahrhunderts geschrieben) schloß sich in seiner berwiegend epischen Darstellungsweise wohl an die lang gedehnten dramatischen Gebilde des Mittelalters an, [. . .].“ Sterns Fußnote: „Deutsche Uebertragung: ‚Celestina, dramatische Novelle. Von E. v. Blow (Leipzig 1843).“ Das Prosawerk in Dialogform, vermutlich teilweise von F. de Rojas, erschien 1499 ohne Titel und Verfasser, 1501 als Comedia de Calisto y Melibea, schließlich unter dem Namen der Hauptperson, der Kupplerin Celestina. 269, 32–33 Der herrschende bis Karls V. an: D. bezieht sich auf das Hauptwerk des J. L. Vives, De diciplinis libri XX (1531) – Zwanzig Bcher ber Wissenschaften –, das eine auf den Menschen bezogene Wissenschaft und Philosophie fordert. Vgl. auch oben Anm. 264, 24–27. 269, 37 genialen Kaiser (1516–56): Angabe der Regierungszeit von Karl V. Vgl. auch oben Anm. 253, 22. 269, 39 Musik der Niederlande: Eine Reihe niederlndischer Musiker bestimmten das Musikleben am kaiserlichen Hof, der Komponist N. Gombert war seit etwa 1537 Hofkapellmeister Karl V. Gombert schrieb Messen, Motetten, Chansons. 269, 40 Tizian: Tiziano Vecellio war zeitlebens Venedig verbunden, wurde 1533 von Karl V. zum
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Hofmaler ernannt, malte ihn (vgl. das D. sicher vertraute Bildnis von 1548 in der Alten Pinakothek Mnchen) wie auch Philipp II. 270, 5 Boscan: J. Boscn, Lyriker wie Garcilaso de la Vega, fhrte zusammen mit ihm italienische lyrische Formen in die spanische Lyrik der Renaissance ein, verfaßte Sonette und Kanzonen, vermittelte zudem italienische Hofkultur durch die bersetzung von B. Castigliones Cortegiano (1534). 270, 5 Garciloso: Hçrfehler. Garcilaso de la Vega genoß großes Ansehen am Hof Karl V. als vorbildlicher Hofmann. Wegen Teilnahme an einer dem Kaiser mißliebigen Hochzeit verbannt; Aufenthalt in Italien. Vertrautheit mit den italienischen lyrischen Formen, die er im Spanischen vervollkommnete. 270, 6–10 Der genialste bis Sallust: D. Hurtado de Mendoza, La guerra de Granada (e um 1573, v1627), Darstellung des Moriskenaufstands, der Unverhltnismßigkeit des Kampfes, mit Sympathie fr die moriskische Kultur. Vgl. auch oben Anm. 264, 16–19. 270, 9 Aufstand der Morisken: Mauren, Minderheit, vor allem in den Provinzen Valencia und Granada, mehrfache Aufstnde, Moriskenkrieg (1568–1571). 270, 19–24 in dem bis haben: Lope de Rueda, Dramatiker, zog mit einer Wanderbhne durch Spanien, verfaßte Szenen fr zwei bis drei Personen, pasos, realistisch, komisch, oft auf den Dialog beschrnkt, Vorlufer der entremeses. Entremes, Intermezzo, Zwischenspiel. Paso, Gesang, ursprnglich Darstellung der Leiden Christi, Passionsprozession. Seit dem 16. Jh. kurze dramatische Stcke fr den Marktplatz. 270, 25 Araucana: Vgl. oben Anm. 262, 22–31. 270, 32–33 Drama des Cervantes, Lope und Calderon: L. F. de Vega Carpio und P. Calder n de la Barca bertrafen Cervantes an Vielfalt und Flle ihrer dramatischen Produktion. 270, 35–40 Der Ausgangspunkt bis darstellt: Der Schelmenroman wird von D. in unterschiedlichem Zusammenhang erwhnt (Phantasiedichtung 270, 18 und 264, 16–19), „Das Leben des Lazarillo de Tormes“ hier nicht mehr D. Hurtado de Mendoza zugeschrieben. Vgl. oben Anm. 264, 16–19. 271, 3–5 der Don bis kçnnen: Zigeunerin vgl. oben Anm. 267, 31–36. M. de Cervantes, La Galatea (1585); Los trabaios de Persiles y Sigismunda (1617). 271, 10 Romanzen vom Cid: Vgl. oben Anm. 262, 22. 271, 11–15 Die Abenteuer bis war: Zu Eroberungskriegen in Sdamerika und Begrndung kolonialer Macht vgl. das Epos Ercillas oben Anm. 262, 22–31. 271, 16–40 Der Portugiese Cames bis Bestandteil: Weitgehende bereinstimmung mit Phantasiekunst 262, 18 – 263, 15. Vgl. dort die entsprechenden Anm. 272, 17 Und Cervantes: In der Hs. mit Bleistift ohne Streichung korr. in: Nur Cervantes.
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273, 1–2 Die bis Jahrhunderts: Diese berschrift steht in der Hs. unter I., Indiz fr ein groß angelegtes Vorhaben, fr das auch die Notizen am Schluß des Ms. sprechen. 274, 19–32 Dieser grosse bis neueren Zeiten: Der im ersten Bruchstck hergestellte Zusammenhang zwischen Mengs, Winckelmann, Goethe in ihrer Beziehung zur italienischen Renaissancekunst (Phantasiekunst 259, 2–9) ist hier weniger bersichtlich dargestellt, wird ergnzt durch Platon, auf den D. selbst erluternd hinweist (Phantasiekunst 275, 5–14). 275, 23 in der venezianischen Schule: Artikel fehlt in der Hs. 275, 33 in Machtlehre: in der Hs.: in machtleere. 276, 9 Erasmus: Theologe, Philologe und philosophisch-theologischer Schriftsteller war Erasmus von Rotterdam, der sich den Vormanen Desiderius gab. Er versuchte eine Erneuerung des Christentums durch den Rckgang auf die Quellen, Evangelien wie Kirchenvter. D. ber den Voltaire des 16. Jahrhunderts in Ges. Schr. II, 42–45. 276, 13–14 mit dem Kultus: Artikel ergnzt. 276, 22–24 Die Ketzer bis niederfahren: Lesung des letzten Verbs uneindeutig. – Fr grundlegende Reformen der Kirche trat G. Savonarola in zahllosen Bußpredigten ein, verband seine religiçs- theologischen Vorstellungen mit gesellschaftlicher Neuordnung, setzte sie in Florenz teilweise um, bis sein Ansehen schwand, er Predigtverbot erhielt – die erste Stufe zu Prozeß und Hinrichtung. Zu Wiclef und Hus vgl. Anm. Sh 38, 6. Zu Luther und Zwingli Anm. Ph 277, 33–35 und 278, 4. 276, 27–34 In der Mystik bis Ausdruck: Gott als absolute Wahrheit, fr die die Unterscheidungen von grçßer und kleiner, zutreffend fr alles Endliche, nicht gelten, ist fr die Vernunft unfaßbar. In der coincidentia oppositorum (vgl. Anm. Sh 31, 17–18) sieht Nikolaus ein methodisches Mittel, sich das Ganze vorzustellen, in der sokratischen Einsicht vom Nichtwissen, der docta ignorantia, eine Stufe mçglicher Annherung an den verborgenen Gott. Mystische Schrift: De visione dei (e 1453, v 1488). Vgl. auch Anm. Sh 21, 5. 276, 35 franciskanischen Religiositt: Auf Franz von Assisi zurckgehend, rigoros den christlichen Geboten verpflichtet. Vgl. unten Anm. 277, 29. 276, 38 metaphysischen: Lesung H. Nohls, Hs.: mit den phisischen. 277, 1 Occam: Zu Ockham vgl. Anm. Sh 17, 32 – 18, 1. 277, 29 in Paulus Augustin: Beide halten den Moment innerer Umkehr und vollkommener Gewißheit fest. Paulus, Gal. I, 11–24; A. Augustinus, Confessiones (e 397–401) VIII, 29. (Augustin greift, nachdem er von einer Stimme die Aufforderung ‚tolle, lege gehçrt hat, zu den Paulusbriefen). 277, 29 Franz bis Bernhard: G. Bernadone, genannt Francesco, Wanderprediger in der Nachfolge Christi; fr seine Anhnger verfaßte er 1210 vom Papst angenommene Regeln des Zusammenlebens, begrndete so einen neuen Orden. – Bernhard aus dem Kloster Citeaux verhalf seinem Orden, den Zisterziensern, mit der Grndung von Clairvaux (Auftrag von 1115) zu Ansehen und Verbreitung. Karge Lebensfhrung, mystische Verehrung der Maria und Christi.
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277, 33–35 Sein bis mssen: Mit Appell meint D. wohl die bersendung der Schrift: Von der Freiheit eines Christenmenschen, begleitet von einem Brief Luthers (1520) an Papst Leo X. Unter den Canzleien, die fr Urkunden und Schriftverkehr zustndig waren, wre die Cancellaria Apostolica zu nennen; ber die kaiserliche gingen vermutlich die an Karl V. gerichteten Reformvorschlge Luthers von 1520: An den christlichen Adel deutscher Nation. Zum frhen Luther vgl. Ges. Schr. II, 53–63. 278, 4 die Spiritualisten, Zwingli, Melanchthon: Die spiritualistische Richtung der deutschen Reformationsbewegung (Ges. Schr. II, 81), der D. auch S. Franck zurechnet geht, von der Universalitt der Offenbarung aus (Ges. Schr. II, 224), sieht sie ber die Bibel hinausreichend. Zwingli fhrte 1525 die Reformation in Zrich ein; Differenz zu Luther in der Frage des Abendmahls, das Zwingli symbolisch auffaßt. Zu Zwingli vgl. Ges. Schr. II, 63–70, 224–229, auch 153–161. Zu Melanchthon vgl. unten Anm. 278, 7–8. 278, 7 Der Universalismus von Sebastian Frank: Abgelehnt, verboten, verfolgt, war S. Franck zunchst katholischer Priester, protestantischer Prediger, von dem sich Luther distanzierte. Von der Kirche nicht geduldet, vertrat er ein ber alle Konfessionen hinweg geltendes individuell erfahrbares Christentum, Toleranz, Gewaltlosigkeit. Wirkend als eindrucksvoller Redner; geschichts- und religionsphilosophische Schriften. Vgl. Ges. Schr. II, 80–82. 278, 7–8 Melanchthon: Der Universalismus Ph. Melanchthons, Professor der griechischen Sprache in Wittenberg und Mitstreiter Luthers, war gesellschaftlich weitgehend anerkannt. Melanchthon beteiligte sich an Luthers Bibelbersetzung, an der Formulierung der Confessio Augustana (vgl. Anm. Le 113, 37–40), verteidigte den von Luther abgelehnten Aristoteles, nherte sich Calvin und dem Katholizismus. Schriften zu Ethik, Erziehung und Bildung. Vgl. Ges. Schr. II, 162–202. 278, 8–9 Belebung bis Schweiz: Demokratische Anstze in den Urkantonen, bestrkt durch die Reformation Zwinglis und Calvins in Zrich und Genf (vgl. unten Anm. 278, 15–16). In Oberdeutschland die allerdings meist zu ihren Ungunsten ausgehenden Aufstnde der Bauern 1525. 278, 9–14 Erkenntniss bis gefunden hatte: Der Zusammenhang zwischen Glaubenserlebnis und historischer Kritik oder der Einsicht in die von Menschen abhngigen, vernderbaren kirchlichen Institutionen, den D. herstellt, kçnnte z. B. in Luthers Berufung auf Off. 5, 10 gesehen werden: „Du hast uns gemacht durch dein Blut zu Priestern und Kçnigen.“ (An den christlichen Adel deutscher Nation.) 278, 13–14 Erlebnisse bis letzten: Uneindeutige Korrektur (C 70, 88), ließe auch die Lesung zu: Erlebnisse des Glaubenden seinen letzten. 278, 15–16 der romanische Geist Kalwins: J. Calvin, franzçsischer Herkunft, getauft Jean Cauvin, Jurist und Theologe. Grundlage seiner Lehre: Institutio religionis Christianae (1536); vereinfachte Kirchen- und Gottesdienstordnung (keine Altre, Bilder, Beichte), kirchliche Verfassung (Gemeinde whlt ihre Organe; harte Strafen), zunchst in Genf, rasche Verbreitung der reformierten Lehre weltweit. 278, 20 – 279, 6 Die Reformation bis der: Abschnitt von D.s Hand (C 70, 89–90) mit Streichungen und Korrekturen.
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279, 35 – 280, 2 Es scheint bis Begebenheiten: Zur Frage des Stoffs fr den Dramatiker vgl. Shakespeare 10, 1–13. 281, 9–10 Sein Zeitgenosse Bacon bis behandelt: Vgl. Anm. Sh 34, 22. 281, 16 geschah: Ende des Diktats. Weitere Notizen (C 70, 97–103), in die der dritte Abschnitt, der Ansatz fr einen vierten, mit ihm der gesamte Entwurf: Die europischen Grundlagen der Kultur des achtzehnten Jahrhunderts mnden, sind von D.s Hand. 281, 30 Poetik von Scaliger: J. C. Scaliger, Dichter und Arzt; Herausgeber, bersetzer, Kommentator von Theophrast und Aristoteles. Von Einfluß: Poetices libri VII (1561) mit den von D. genannten Charakteristika der Tragçdie und der Komçdie (Phantasiedichtung 282, 5–9). 281, 30 Vida: M. G. Vida, Theologe und neulateinischer Dichter, sein poetologisches Werk an Horaz angelehnt: De arte poetica III (1527). 281, 30 Heinsius: D. Heinsius, klassischer Philologe, lehrte an der Universitt Leiden mit großem Erfolg, schrieb lateinische Dramen, darauf bezogen eine theoretische Schrift: De tragoediae constitutione liber (1611). 281, 31 Alberti: L. B. Alberti, Architekt und Kunsttheoretiker, studierte die Antike in Rom und suchte sie in seiner Architektur zu vermitteln. Unter seinen Bauten hat Vorbildcharakter S. Andrea in Mantua. Schriften: Della pittura (1540); De re aedificatoria (1485). 282, 33 : D. gebraucht fr das Substantiv eine nicht sicher lesbare Abkrzung: Vf. oder Pf.? 283, 4 dem n a t r l i c h e n S y s t e m : Vgl. Anm. Schi 170, 21. 283, 6 n e u e r e n G e i s t e s wissenschaften: Zu diesem Begriff bei D. vgl. Anm. Goe 125, 14.
Vittorio Alfieri.
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Vittorio Alfieri. Entstehung und berlieferung In den Briefen A. Glasers an Dilthey findet sich am 13. Februar 1875 die Mitteilung: „Heine und Alfieri geben zusammen wohl 4–5 Bogen. [. . .] Den Alfieri habe ich schon zum Satz gegeben und ich hoffe, ihn bald zu bringen.“ Am 15. Mrz 1875 kndigt Glaser in einer „Rechnungsaufstellung“ an: „Die Correctur zu Alfieri erhlst Du in 8–10 Tagen. Die Setzer schreien um Zulage bei Deinen Manuscripten!“ Der Aufsatz wird in der Abrechnung vom 21. September 1875 noch einmal erwhnt. NL Dilthey, C 108 (257). H: E:
D1:
Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey C 66 (213). WM XXXVIII (1875) in zwei Heften: Juni XXXVIII, 225 (Dritte Folge VI, 33), S. 324–335, Juli XXXVIII, 226 (Dritte Folge VI, 34), S. 425–443 unter D.s Namen. Ph 187–228, mit Eingriffen des Herausgebers.
Textwiedergabe nach E. Handschriftenbefund Das Manuskript dieses Aufsatzes im Faszikel C 66 (213) ist, soweit bersehbar, als einziges der publizierten literarischen Aufstze fast vollstndig erhalten. Es steht unter Ausnutzung aller Rnder in kleinster Schrift auf pergamentartigen dnnen Doppelbçgen [I] – VIII, die, nachlssig gefaltet, so beziffert wurden, daß Blatt- und Textfolge nicht bereinstimmen. An erster Stelle enthlt das Bndel auf der Rckseite eines Doktordiploms von 1895 eine Einleitung (C 66, 3 und 2), vermutlich fr den vorliegenden Band (vgl. Tg. Thema, Handschriftenbefund); zwischen den Manuskriptblttern ein Briefkonzept, datiert vom 1. April 1875, zwei Druckschriften von 1893 und 1897; einzelne Notizen, ein weiteres Ms. Gang der neuern europischen Litteratur – sehr Unterschiedliches. Bis zum Anfang des IV. Bogens stammt das Ms. von D.s Hand, der zweite Teil enthlt einige Passagen von fremder Hand. Die Unterschiede zum verçffentlichten Text betreffen weniger den Inhalt als Schreibgewohnheiten – u. statt und –; Stilistisches wie Wortfolge im Satz, Vermeidung von Wortwiederholungen, leicht abweichende Sprachformen – Hofe statt Hof, andre statt andere –; eine ebenfalls leicht abweichende Orthographie und Interpunktion. Die Gliederung in die Abschnitte I–XI des publizierten Aufsatzes fehlt noch, das Ms. bricht mitten im Satz ab (vgl. Anm. Al 326, 26), einige Zeilen im spteren vierten Abschnitt sind weggelassen worden (vgl. Anm. Al 302, 5). Dieses Ms. ist insofern unschtzbar, als aus ihm hervorgeht, daß D. eine italienische Vita Alfieris gebraucht, also selbst oder mit Hilfe bersetzt hat, ohne auf die einzige frhe bersetzung (1812) von L. Hain zurckzugreifen, die vom Text seiner Zitate durchweg abweicht. Neben bernommenen italienischen Dramentiteln, Wendungen wie liberazione vera (296, 3–4) oder la terribile prova dello stampare (306, 14), sprechen fr eine eigene bersetzung einige Unsicherheiten im Ms.: offene Stellen mit Fragezeichen; wçrtliche und damit falsche oder vçllig falsche bersetzungen; unbersetzte oder mißverstandene Wçrter und Sachverhalte. Einige Proben: – il solo e vero Nocchiero Ms.: der einzige u. wahre Nochio . . . (?) E: der einzige und wahre ‚Steuermann (289, 20–21)
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Textgeschichte und Anmerkungen
– „quindici giorni“ Ms.: fnfzehn Tage E: fnfzehn Tage (309, 16) – „a tal segno che per pi settimane io rimasi immerso“ Ms.: unter solchen Anzeichen (? 35) daß ich lnger als eine Woche eingetaucht blieb E: unter solchen Anzeichen, daß ich mehrere Wochen versenkt blieb (287, 8–9) – „Ora questo tossiva, or quello non volea mangiare: l’uno azzoppiva, all’altro si gonfiavan le gambe, all’altro si sgretolavan gli zoccoli; e che so io: “ Ms.: Bald war das eine krank, dann wollte das andere nicht fressen, das andere hatte sich die Beine es folgt eine Leerzeile vertreten, und was weiß ich: E: Bald war das eine krank, dann wollte das andere nicht fressen, das andere hatte sich die Beine vertreten, und was weiß ich: (308, 2–3) Im letzten Beispiel wird die Leerzeile nicht ausgefllt und die falsche bersetzung nicht korrigiert; im vorletzten die fragliche, falsche bersetzung beibehalten. An solchen brchigen Stellen zeigt sich die nicht ganz gelingende Arbeit an der italienischen Vorlage, die allerdings unmçglich wre ohne weitgehende Sprachbeherrschung. Der Gebrauch einer italienischen Literaturgeschichte fr dieses Ms., darber hinaus die Quellenangaben in einer spteren Passage ber Machiavelli (vgl. Ges. Schr. II, 24–35), Besprechungen, nicht nur Italien betreffender, sondern italienischer Literatur (Ges. Schr. XVII, 381) bezeugen berdies D.s Vertrautheit mit dem Italienischen. Bleibt die Frage, welche Ausgabe der Vita D. benutzt hat. Drei Stellen des Ms. enthalten Seitenzahlen, eine deutlich ( 35, vgl. die Beispiele oben), zwei nicht sicher lesbar. Die berprfung von zehn in der Bundesrepublik vorhandenen Ausgaben zwischen 1806 und 1874 hat ergeben, daß die von 1853 am wahrscheinlichsten Arbeitsgrundlage fr D. war: auf Seite 35 findet sich die problematische Wendung (a tal segno). Die beiden andern Seitenangaben liegen, soviel ist bei aller Undeutlichkeit erkennbar, nher an den entsprechenden Stellen dieser Ausgabe als an denen weiterer verfgbarer Ausgaben. Abweichend vom sonst gehandhabten Verfahren erscheint bei diesem Sonderfall in den Nachweisen kommentarlos der italienische Text. Das Ms. wird an einigen Stellen herangezogen.
Anmerkungen Zitate aus Alfieris Autobiographie werden nach der in Florenz 1853 erschienenen Ausgabe nachgewiesen (vgl. dazu oben Handschriftenbefund), Lebensabschnitt und Kapitel ergnzend angefgt. 284, 2–12 Es giebt bis empfinden: D. hielt sich lnger, vom November 1868 bis Mitte April 1869, in Italien auf (JD 262–268) und wieder im Sptsommer 1874. Glaubhaft also, daß er die Vita di Vittorio Alfieri da Asti scritta da esso dort gelesen hat. Zu ihrer Entstehung vgl. Alfieri 312, 12–14; beendet wurde die in vier Lebensabschnitte gegliederte Vita 1803, aus dem Nachlaß in Florenz 1806 verçffentlicht (Angabe: Londra 1804). 284, 16–17 wie Carlyle bis Charakter: Th. Carlyles Vorlesungen On Heroes, Hero-Worship, and the Heroic in History (1841) waren Vorbild fr R. W. Emersons Reihe Representative Men (1850),
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auf die D. anspielt. Emersons Essays ber Goethe und Shakespeare wurden 1857 von H. Grimm bersetzt, dessen Vortragskunst D. bereits 1861 mit der Emersons vergleicht. Ges. Schr. XVI, 210. 284, 18–20 Plato bis seien: Vgl. Platon, Politeia II, 368 d – 369 a. Was Gerechtigkeit sei, lßt sich nach Sokrates am großen Gebilde des Staates leichter untersuchen als am einzelnen Menschen. 284, 25–31 „Ich bis gerichtet.“: „[. . .] ma intendo di estendermi su molte di quelle particolarit, che, sapute, contribuir potranno allo studio dell’uomo in genere; della qual pianta non possiamo mai individuare meglio i segreti che osservando ciascuno se stesso. [. . .] Allo studio dunque dell’uomo in genere principalmente diretto lo scopo di questa opera.“ Vita 3 (Introduzione). 284, 31–33 Er bis mçglich ist: „E di qual uomo si pu egli meglio e pi dottamente parlare, che di se stesso? quale altro ci vien egli venuto fatto di maggiormente studiare? di pi addentro conoscere?“ Ebd. Vgl. Alfieri 296, 17–18. 285, 2 Cavour: Graf C. B. di Cavour, in Turin geboren, liberaler Politiker, Mitbegrnder der Zeitung: Il Risorgimento. 1852 Ministerprsident von Piemont-Sardinien; mit großem diplomatischem Geschick maßgeblich an der Einigung Italiens (1860/61) beteiligt. Vgl. Alfieri 315, 32 – 316, 2. 285, 2–9 Die Mutter bis selbstndig: Vgl. Vita 5 f. (I, 1). Das genaue Datum von Alfieris Geburtstag ist der 16. Januar, der 17. ist der Tauftag. 285, 10–15 Ich liebe bis Unbefriedigendes: D. kannte Forsters Biographie ber Dickens (vgl. Anm. Di 365, 34–35) vermutlich noch nicht, durch die ihm die Rolle von Kindheit und Kindheitserinnerungen fr die Entwicklung des Schriftstellers bewußt wurde. Vgl. Dickens, bes. die beiden ersten Abschnitte. 285, 15–16 Die bis Thieren: hnlich W. Wundt, Beitrge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, Leipzig und Heidelberg 1862, S. XV. 285, 27–38 „Viele Jahre bis Empfindungen.“: „Molti anni dopo, la prima volta che mi vennero agli occhi certi stivali a tromba, che portano pure la scarpa quadrata a quel modo stesso dello Zio morto gi da gran tempo, n mai pi veduto da me da che io aveva uso di ragione, la subitanea vista di quella forma di scarpe del tutto oramai disusata, mi richiamava ad un tratto tutte quelle sensazioni primitive ch’io avea provate gi nel ricevere le carezze e i confetti dello Zio, di cui i moti ed i modi, ed il sapore perfino dei confetti mi si riaffacciavano vivissimamente ed in un subito nella fantasia. Mi sono lasciata uscir di penna questa puerilit, come non inutile affatto a chi specula sul meccanismo delle nostre idee, e sull’affinit dei pensieri colle sensazioni.“ Vita 7 f. (I, 2). 286, 7–9 „Bei bis haben.“: „Dalla reminiscenza di quel mio primo dolore del cuore, ne ho poi dedotta la prova che tutti gli amori dell’uomo, ancorch diversi, hanno lo stesso motore.“ Vita 8 (I, 2). 286, 11 „Akademie“: Es handelt sich um die Militr-Akademie in Turin. 286, 12–21 Nun geht bis Turin.“: „Eccomi or dunque per le poste correndo a quanto pi si poteva; in grazia che io al pagar della prima posta aveva intercesso presso al pagante Fattore a favore del primo Postiglione per fargli dar grassa mancia; il che mi avea tosto guadagnato il cuor del secondo. Onde costui andava come un fulmine, accennandomi di tempo in tempo con l’occhio e un sorriso, che gli
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farei anche dare lo stesso dal Fattore; il quale per esser egli vecchio ed obeso, esauritosi nella prima posta nel raccontarmi delle sciocche storiette per consolarmi, dormiva allora tenacissimamente e russava come un bue. Quel volar del Calesse mi dava intanto un piacere, di cui non avea mai provato l’eguale: [. . .] arrivai finalmente a Torino verso l’una o le due ore dopo mezzo giorno.“ Vita 21 (II, 1). 286, 24 „Philosophie“ bis Logik giebt: Gedacht ist vermutlich an den Anfngerkurs, der eine Einfhrung in die formale aristotelische Logik umfaßte. Die Klassen in Philosophie und Physik waren Voraussetzung fr einen Abschluß. 286, 25–30 „wir bis Concert.“: „[. . .] noi tutti scolari, inviluppati interamente nei rispettivi mantelloni, saporitissimamente dormivamo; n altro suono si sentiva tra quei Filosofi, se non se la voce del Professore languente, che dormicchiava egli pure, ed i diversi tuoni dei russatori, chi alto, chi basso, e chi medio; il che faceva un bellissimo concerto.“ Vita 33 (II, 4). 286, 31 – 287, 4 Sehr bis ergriff: Zur Bedeutung der Musik fr den Schriftsteller vgl. Dickens 368, 39 – 369, 31. – Kleist schreibt am 21. Mai 1801 an W. von Zenge ber die bewegende Wirkung der Musik, spter gestaltet in der Legende: Die Heilige Ccilie oder Die Gewalt der Musik (1810/11). D. bezieht sich außerdem vielleicht hier wie Dickens 369, 1–2 auf den in Bausteine 182 zitierten Brief an M. von Kleist [Berlin, Sommer 1811], in dem Kleist die Musik „als die Wurzel“ aller Knste bezeichnet. Vgl. EW 101. Zu Kleist vgl. Anm. Fr. 416, 38 – 417, 6. 287, 5–19 „Der Schwung bis Stunden danach.“: „Il brio, e la variet di quella divina musica mi fece una profondissima impressione, lasciandomi per cos dire un solco di armonia negli orecchi e nella imaginativa, ed agitandomi ogni pi interna fibra, a tal segno che per pi settimane io rimasi immerso in una malinconia straordinaria ma non dispiacevole; dalla quale mi ridondava una totale svogliatezza e nausea per quei miei soliti studj, ma nel tempo stesso un singolarissimo bollore d’idee fantastiche, dietro alle quali avrei potuto far dei versi se avessi saputo farli, [. . .] E fu questa la prima volta che un tale effetto cagionato in me dalla musica, mi si fece osservare, e mi rest lungamente impresso nella memoria, perch’egli fu assai maggiore d’ogni altro sentito prima. [. . .] Nessuna cosa mi desta pi affetti, e pi varj, e terribili. E quasi tutte le mie tragedie sono state ideate da me o nell’atto del sentir musica, o poche ore dopo.“ Vita 35 f. (II, 5). Auf den letzten Satz verweist D. in Bausteine 182. 287, 20–22 „Frische bis Ruhm.“: „[. . .] l’aria aperta ed il moto mi sono sempre stati elementi di vita.[. . .] la potentissima molla dell’amore di lode e di gloria.“ Vita 36 f. (II, 5). D. kombiniert Aussagen aus ganz verschiedenen Zusammenhngen. 287, 23 In bis Sonett: Vgl. Vita 37 (II, 5). 287, 24–26 Das Studienjahr bis Interesse: Vgl. Vita 38 (II, 5). G. B. Beccaria, der Lehrer Alfieris, Physiker, seit 1748 Professor in Turin; Forschungen und Schriften zur Elektrizitt. 287, 31–34 Und da bis hindurch: D.s Zusammenfassung entspricht in etwa: „Alla per fine dichiarai in uno degli arresti, che mi ci doveano tenere in perpetuo, perch appena sarei stato liberato, immediatamente sarei tornato fuori da me; [. . .] Dopo tutte queste mie arroganze mi tocc un arresto cos lungo, che ci stetti da tre mesi e pi, [. . .].“ Vita 48 f. (II, 8). 287, 35 – 288, 3 „ich bis kçnnen.“: „Non mi lasciava pi pettinare, n mi vestiva, ed era ridotto
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come un ragazzo salvatico. Mi era inibito l’uscire di camera; ma lasciavano pure venire quei miei amici di fuori a visitarmi; i fidi compagni di quelle eroiche cavalcate. Ma io allora sordo e muto, e quasi un corpo disanimato, giaceva sempre, e non rispondeva niente a nessuno qualunque cosa mi si dicesse. E stava cos delle ore intere, con gli occhi conficcati in terra, pregni di pianto, senza pur mai lasciare uscir una lagrima.“ Vita, 49 (II, 8). 288, 9–18 „Auch bis behandeln.“: „E da questo ne nacque la compra del mio primo Cavallo, che venne anco meco nella villeggiatura di Cumiana. Era questo Cavallo un bellissimo Sardo, di mantello bianco, di fattezze distinte, massime la testa l’incollatura ed il petto. Lo amai con furore, e non me lo rammento mai senza una vivissima emozione. La mia passione per esso and al segno di guastarmi la quiete, togliermi la fame ed il sonno, ogni qual volta egli aveva alcuno incommoduccio; il che succedeva assai spesso, perch egli era molto ardente, e delicato ad un tempo; e quando poi l’aveva fra le gambe, il mio affetto non m’impediva di tormentarlo e malmenarlo anche tal volta quando non volea fare a modo mio.“ Vita 50 (II, 9). 288, 22–23 Man bis erinnert: Eine gewisse jugendliche Orientierungslosigkeit war vielleicht allen gemeinsam; bei Leonardo aus der vielseitigen, knstlerischen wie mathematisch-technischen Begabung resultierend; vgl. Dickens, 368, 23–25. Alfieri und Byron verbinden der soziale Stand und die damit verknpften Ansprche und Mçglichkeiten. Vgl. Th. Moore, Letters and Journals of Lord Byron: with Notices of his Life, Francfort/M. 1830; zu Alfieri und Byron auch Alfieri 294, 15–19; zu Byrons Sicht Alfieris Anm. Al 308, 27–29. 288, 23–25 In bis Voltaire: „[. . .] ma da quasi due anni io non apriva pi nessun libro, eccettuati di radissimo alcuni Romanzi Francesi, e qualcuna delle Prose di Voltaire, che mi dilettavano assai.“ Vita, 52 (II, 10). 288, 28–31 Aber bis fhrte: „E siccome era troppo certa cosa, che in et di anni 17 e mesi ch’io allora mi aveva, non mi avrebbero mai lasciato andar solo, m’ingegnai con un Ajo Inglese Cattolico, che guidava un Fiammingo, ed un Olandese a far questo giro, [. . .].“ Vita, 54 (II, 10). Abgesehen davon, daß D. die Konfession des Englnders weglßt, bersetzt er „Ajo“ scheinbar abwegig; es heißt Erzieher, Hauslehrer oder, der Zeit entsprechend, Hofmeister. Brenfhrer (295, 33) kçnnte jedoch ironisch den Kontext treffen: ein so ungebrdiges Geschçpf wie der junge Alfieri bedarf eher eines Tierbndigers als eines Hofmeisters. 288, 30–31 Flamnder: Meyers Lexikon nennt noch 1926 unter Flamen fr die sich von den franzçsischen Wallonen abgrenzende Bevçlkerung niederfrnkischer Herkunft die weiteren Bezeichnungen: Flaminge, Flamnder, Flamlnder. 289, 9–23 „Den Morgen bis kindisch geworden.“: „La mattina del d quattro Ottobre 1766, con mio indicibile trasporto, dopo aver tutta notte farneticato in pazzi pensieri senza mai chiuder occhio, partii per quel tanto sospirato viaggio. Eramo una Carrozzata dei quattro padroni, ch’io individuai, un Calesse con due servitori, du’altri a cassetta della nostra carrozza, ed il mio Cameriere a cavalllo da Corriere. [. . .] Era questo mio nuovo Cameriere, un Francesco Elia, stato gi quasi vent’anni col mio Zio, e dopo la di lui morte in Sardegna, passato con me. Egli aveva gi viaggiato col sudetto mio Zio, due volte in Sardegna, ed in Francia, Inghilterra, ed Olanda. Uomo di sagacissimo ingegno, di un’attivit non comune, e che valendo egli solo pi che tutti i nostri altri quattro servitori presi a fascio, sar d’ora in poi l’eroe Protagonista della Commedia di questi miei viaggi; di cui egli si trov
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immediatamente essere il solo e vero Nocchiero, stante la nostra totale incapacit di tutti noi altri otto, o bambini, o vecchi rimbambiti.“ Vita 56 (III, 1). 289, 33 – 290, 2 „Indem bis Kunde haben.“: „Esaminando poi la ragione di una s stolta preferenza, ci trovai un falso amor proprio individuale, che a ci mi spingeva senza ch’io pure me ne avvedessi. Avendo per pi di due anni vissuto con Inglesi; sentendo per tutto magnificare la loro potenza e ricchezza; vedendone la grande influenza politica: e per l’altra parte vedendo l’Italia tutta esser morta; gl’Italiani, divisi, deboli, avviliti e servi; io grandemente mi vergognava d’essere, e di parere Italiano, e nulla delle cose loro non voleva n praticar, n sapere.“ Vita 59 f. (III, 1). 290, 3–5 Als bis nichts lge: „E mi ricordo tra l’altre, che nella Biblioteca Ambrosiana, datomi in mano dal Bibliotecario non so pi quale Manoscritto autografo del Petrarca, da vero barbaro Allobrogo, lo buttai l, dicendo che non me n’importava nulla.“ Vita 57 (III, 1). Die Biblioteca Ambrosiana ist mit der Pinacoteca Ambrosiana Anfang des 17. Jh.s in Mailand von Kardinal F. Borromeo gegrndet worden. – Allobroger, ursprnglich: die Fremden, ein keltischer Volksstamm im Nordosten der Gallia Narbonensis zwischen Genfer See und Rhone, Gebiet des spteren Savoyen, aus dem Alfieris Mutter stammte. G. Parini nannte Alfieri vor Verçffentlichung der Vita, vor Alfieris selbstkritischer Bezeichnung, in der Ode XV: Il Dono „il fero Allobrogo“; als „Allobrogo feroce“ bei G. Leopardi in der Canzone Ad Angelo Mai (V 155); von daher in literarischem Umkreis gebruchlich. 290, 5–13 Dennoch bis Meer.“: „La tomba di Michelangelo in S.a Croce fu una delle poche cose che mi fermassero: e su la memoria di quell’uomo di tanta fama feci una qualche riflessione: e fin da quel punto sentii fortemente, che non riuscivano veramente grandi fra gli uomini, che quei pochissimi che aveano lasciata alcuna cosa stabile fatta da loro. Ma una tal riflessione isolata in mezzo a quell’immensa dissipazione di mente nella quale io viveva continuamente, veniva ad essere per l’appunto come si suol dire, una goccia di acqua nel mare.“ Vita 58 (III, 1). 290, 18–21 Doch bis machten: „Partii dunque per Roma, con una palpitazione di cuore quasich continua, pochissimo dormendo la notte, e tutto il d ruminando in me stesso e il S. Pietro, e il Coliseo, ed il Panteon; cose che io aveva tanto udite esaltare; [. . .].“ Vita 60 (III, 1). 290, 29–40 „Ich bis hatte.“: „Limitando il mio desiderio in me stesso, non l'esternai con chi che sia, e mi contentai di tenere frattanto una condotta regolare e decente per tutto, superiore forse alla mia et. Ma in questo mi serviva la natura mia assai pi ancora che il volere; essendo io stato sempre grave di costumi e di modi (senza impostura per), ed ordinato, direi, nello stesso disordine; ed avendo quasi sempre errato sapendolo./ Io viveva frattanto in tutto e per tutto ignoto a me stesso; non mi credendo vera capacit per nessuna cosa al mondo; non avendo nessunissimo impulso deciso, altro che alla continua malinconia; non ritrovando mai pace n requie, e non sapendo pur mai quello che io mi desiderassi. Obbedendo ciecamente alla natura mia, con tutto ci io non la conosceva n studiava per niente; [. . .].“ Vita 64 (III, 2). 291, 7–12 „Indem bis unterbrechen.“: „Riflettendovi poi in appresso, mi parve che l'una delle principali ragioni di questa mia indifferenza per la tragedia, nascesse dall’esservi in quasi tutte le tragedie francesi delle scene intere, e spesso anche degli atti, che dando luogo a personaggi secondarj mi raffreddavano la mente ed il cuore assaissimo, allungando senza bisogno l'azione, o per meglio dire interrompendola.“ Vita 73 (III, 4). Vgl. Alfieri 325, 27–33. 291, 20–24 „Nun bis steht.“: „Ed i miei giudizj morali, pi assai poetici che filosofici, si risentiva-
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no sempre non poco dell’ influenza dell’atmosfera. Quella prima impressione di Parigi mi si scolp s fortemente nel capo, che ancora adesso (cio 23 anni dopo), ella mi dura negli occhi e nella fantasia,[. . .].“ Vita, 75 (III, 5). 291, 35–36 Er bis nun: „Nel passar di Ginevra io avea comprato un pieno baule di libri. Tra quelli erano le opere di Rousseau, di Montesquieu, di Helvetius, e simili.“ Vita 83 (III, 7). 291, 37–38 Rousseau’s neue Heloise: J. J. Rousseau, Julie ou La Nouvelle Hlose, Amsterdam 1761. Zu Rousseau vgl. E Goethe 158, 12 – 160, 33. 291, 39 – 292, 2 „Ich bis beenden.“: „[. . .] io trovava in quel libro tanta maniera, tanta ricercatezza, tanta affettazione di sentimento, s poco sentire, tanto calor comandato di capo, e s gran freddezza di cuore, che mai non mi venne fatto di poterne terminare il primo volume.“ Vita 84 (III, 7). 292, 4–15 „Aber bis vermochte.“: „Ma il libro dei libri per me, e che in quell’inverno mi fece veramente trascorrere dell’ore di rapimento e beate, fu Plutarco, le vite dei veri Grandi. Ed alcune di quelle, come Timoleone, Cesare, Bruto, Pelopida, Catone, ed altre, sino a quattro e cinque volte le rilessi con un tale trasporto di grida, di pianti, e di furori pur anche, che chi fosse stato a sentirmi nella camera vicina mi avrebbe certamente tenuto per impazzato. All’udire certi gran tratti di quei sommi uomini, spessissimo io balzava in piedi agitatissimo, e fuori di me, e lagrime di dolore e di rabbia mi scaturivano del vedermi nato in Piemonte ed in tempi e governi ove niuna alta cosa non si poteva n fare n dire, ed inutilmente appena forse ella si poteva sentire e pensare.“ Vita 84 (III, 7). – In seinen Biographien, Vitae Parallelae (um 105–115), Quelle fr viele Gestalten der Tragçdien Alfieris, stellt Plutarch bedeutende Griechen und Rçmer einander gegenber. 292, 16–19 Schiller bis aus: „Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Seculum, wenn ich in meinem Plutarch lese von großen Menschen.“ Schiller, Die Ruber I, 2. Schi W III, 27. 292, 19–28 Die Tragçdie bis Zeiten entgegen: Wiederholte Figur D.s von der Literatur als Handlungsersatz und ihrer die Zukunft beeinflußenden Wirkung. Vgl. Alfieri 301, 22–32; 316, 14–16. 292, 37 Zechinen: Goldmnzen, ab 1284 in Venedig geprgt mit den Abbildungen Christi und des Heiligen Markus, bis um 1800 in Gebrauch. Zecchino, abgeleitet von Zecca, der Mnzsttte; nach der Umschrift auch Dukat. 293, 9–13 Außer bis verstehen: „Mi riuscivano in ci di non picciolo ajuto [. . .] i sublimi Saggi del familiarissimo Montaigne, [. . .] Ma mi facea bens molto scorno quell’incontrare ad ogni pagina di Montaigne uno o pi passi latini, ed essere costretto a cercarne l’interpretazione nella nota, per la totale impossibilit in cui mi era ridotto d’intendere neppure le pi triviali citazioni di prosa, non che le tante dei pi sublimi poeti.“ Vita 87 (III, 8). – M. de Montaigne, Essais, Bordeaux 1580. 293, 14–29 „Beim bis ziemt.“: „All’entrare negli Stati del gran Federico, che mi parvero la continuazione di un solo corpo di guardia, mi sentii raddoppiare e triplicare l’orrore per quell’infame mestier militare, infamissima e sola base dell’autorit arbitraria, [. . .] Fui presentato al Re. Non mi sentii nel vederlo alcun moto n di maraviglia n di rispetto, ma d’indegnazione bens e di rabbia: moti che si andavano in me ogni giorno afforzando e moltiplicando alla vista di quelle tante e poi tante diverse cose che non istanno come dovrebbero stare, e che essendo false si usurpano pure la faccia e la fama di vere. Il Conte di Finch, Ministro del Re, il quale mi presentava, mi domand perch io,
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essendo pure in servizio del mio Re, non avessi quel giorno indossato l’uniforme. Risposigli: perch in quella Corte mi parea ve ne fossero degli uniformi abbastanza. Il Re mi disse quelle quattro solite parole di uso; io l’osservai profondamente, ficcandogli rispettosamente gli occhi negli occhi; e ringraziai il Cielo di non mi aver fatto nascer suo schiavo. Uscii di quella universal caserma prussiana verso il mezzo Novembre, abborrendola quanto bisognava.“ Vita 89 (III, 8). 293, 30 – 294, 11 der „berchtigten Autokratin Katharina“ bis ließ.“: D. trennt den zusammengehçrenden Text. „[. . .] e neppure mi volli far presentare a quella famosa Autocratrice Caterina Seconda: ed in fine neppure vidi materialmente il viso di codesta Regnante, che tanto ha stancata a’ giorni nostri la Fama. Esaminatomi poi dopo, per ritrovare il vero perch di una cos inutilmente selvaggia condotta, mi son ben convinto in me stesso che ci fu una mera intolleranza di inflessibil carattere, ed un odio purissimo della tirannide in astratto, appiccicato poi sopra una persona giustamente tacciata del pi orrendo delitto, la mandataria e proditoria uccisione dell’ inerme marito. E mi ricordava benissimo di aver udito narrare, che tra i molti pretesti addotti dai difensori di un tal delitto, si adduceva anche questo; che Caterina Seconda nel subentrare all’ impero, voleva, oltre i tanti altri danni fatti dal marito allo Stato, risarcire anche in parte i diritti dell’umanit lesa s crudelmente dalla schiavit universale e totale del popolo in Russia, col dare una giusta costituzione. Ora, trovandoli io in una servit cos intera dopo cinque o sei anni di regno di codesta Clitennestra filosofessa; e vedendo la maladetta gena soldatesca sedersi sul trono di Pietroborgo pi forse ancora che su quel di Berlino; questa fu senza dubbio la ragione che mi f pur tanto dispregiare quei popoli, e s furiosamente abborrirne gli scellerati reggitori.“ Vita, 94 f. (III, 9). 294, 15–19 Dieser bis Krieg: Von Byrons persçnlich motiviertem Haß auf die englische Gesellschaft, mitbewirkt durch deren Reaktion auf die Scheidung seiner Ehe, ist die Rede in D.s spterer Kurzbesprechung (1877) einer autobiographischen Darstellung. Ges. Schr. XVII, 105 f. 294, 35 – 295, 23 Ein so bis darstellt: Die Besonderheit einer weitgehend von jeder Erziehung unbeeinflußten Entwicklung betont D. fr Alfieri wie fr Dickens. Vgl. Alfieri 285, 8–9; Dickens 373, 7–24. 295, 15–17 Dies bis hinausreicht: Zu D.s grçßerem Interesse am Leben als an der Dichtung der von ihm besprochenen Autoren vgl. Anm. Goe 169, 25–32. 295, 17–21 Spinoza bis Leben: D.s Vergleich der Stationen in Dantes Divina Commedia mit Abschnitten aus der Ethik Spinozas bezieht sich auf die Teile IV und V der Ethica (wie Anm. No 224, 36–37): De Servitute Humana, seu de Affectuum Viribus und De Potentia Intellectus, seu de Libertate Humana. Vgl. Alfieri 296, 4–8; 316, 38 – 317, 5; 326, 17–20. (D. schreibt im Ms. commedia.) Vgl. auch die Anwendung dieses Musters auf Goethe. E Goethe 165, 12–19. D.s Beschftigung mit der Affektentheorie und Spinoza geht in die Kieler Zeit zurck. Vgl. Brief an Scherer vom 2. Juni 1870. JD 287. 295, 23–24 Es ist bis nennt: Induktion als Methode der Naturerforschung bei Bacon: die Ableitung von Grundstzen aus Einzelerfahrungen. Bacon unterscheidet verschiedenartige Flle (instantiae), von denen die prrogativae instantiarum aus unterschiedlichen Grnden eine Sache in solcher Deutlichkeit zeigen, daß nicht viele weitere Einzelerfahrungen notwendig sind, um eine Gesetzmßigkeit erkennen zu kçnnen. F. Bacon, Novum Organum (1620) II, ab Aphorismus XXI. Zieht D. Bacon hier heran, um eher beilufig den hervorragenden Fall der psychischen Entwicklung Alfieris zu bezeichnen, so beruft er sich ausfhrlicher auf ihn zur Charakterisierung von Goethes dichterischer
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Phantasie. E Goethe 125, 10–14. Zu Bacon vgl. Ges. Schr. XXIII, 268–274; zu Induktion Anm. Thema 5, 24–27. 295, 25 – 299, 27 Die Affecte bis wirthschaften.“: Im Leben Alfieris sieht D. den die Ethik Spinozas veranschaulichenden Fall (vgl. Alfieri 326, 17–20); in Analogie zum Verlauf eines Dramas in seinen drei Liebeserlebnissen eine Steigerung bis zur Peripetie (296, 3) , zur berwindung der Affekte und dem Beginn der Dichtung. Vgl. oben Anm. 295, 17–21. 296, 3–4 liberazione vera: Teil der Kapitelberschrift Vita 137 (III, 15). 296, 4 „menschliche Knechtschaft“: vgl. oben Anm. 295, 17–21. 296, 5–6 „dritten bis Liebe“: „Poco dopo essere rimpatriato, incappo nella terza rete amorosa.“ Teil der Kapitelberschrift Vita 124 (III, 13). 296, 11 Novellen des Cervantes: M. de Cervantes, Novelas Ejemplares, Madrid 1613. Zwçlf Novellen, auf deren Originalitt und Unabhngigkeit von italienischen Vorbildern Cervantes selbst hinweist. 296, 17–18 Denn Niemand bis Lebens: Vgl. Anm. Al 284, 31–33. 296, 19–22 die erste bis ist: „Primo intoppo amoroso.“ Teil der Kapitelberschrift Vita 77 (III, 6); die eigentliche Geschichte Vita 79–83. Zu Sesenheim vgl. E Goethe 135, 18–26. 296, 22 – 297, 16 an dem Punkte bis entfloh er: „Secondo fierissimo intoppo amoroso a Londra.“ Kapitelberschrift Vita 98 (III, 10); die eigentliche Geschichte Vita 98–113. 296, 35–40 „Aber bis denke.“: „Ma in questo ritorno, ingentilitomi io d’alquanto, ed essendo in et pi suscettibil d’amore, e non abbastanza rinsavito dal primo accesso di quell’infausto morbo, [. . .] caddi allora in quest’altra rete, e con s indicibil furore mi appassionai, che ancora rabbrividisco pensandovi adesso che lo sto descrivendo nel primo gelo del nono mio lustro.“ Vita 98 (III, 10). 297, 3–8 Es bis glaubte: D. bezieht sich, Dickens’ Bild verndernd, auf den ersten Abschnitt des Kapitels Tempest in David Copperfield. Vgl. „I now approach an event in my life, so indelible, so awful, so bound by an infinite variety of ties to all that has preceded it, in these pages, that, from the beginning of my narrative, I have seen it growing larger and larger as I advanced, like a great tower in a plain, and throwing its fore-cast shadow even on the incidents of my childish days.“ DC III, 310. 297, 8–12 Wunderbar bis voraussah.“: „Ma lo stato dell’animo mio era s pazzo e frenetico, ch’io nulla curava qualunque cosa potesse accadere, prevedendole pure tutte.“ Vita 102 (III, 10). 297, 22–23 Dante bis Lieblinge: Vgl. Vita 115 (III, 12). D. betont den Vorteil der sprachlichen und literarischen Bildung Alfieris durch die frhe italienische Literatur. Vgl. Alfieri 300, 25–29; 305, 24–29. 297, 24–37 „Es war bis wirklich sind.“: „Disgrazia mia (ma forse fortuna d’altri) che io in quel tempo non avessi nessunissimo mezzo n possibilit oramai di stendere in versi i miei diversi pensieri,
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ed affetti: che in quelle solitudini e moto continuato avrei versato un diluvio di rime: infinite essendo le riflessioni malinconiche e morali, come anche le imagini e terribili, e liete, e miste, e pazze, che mi si andavano affacciando alla mente. Ma non possedendo io allora nessuna lingua, e non mi sognando neppure di dovere n poter mai scrivere nessuna cosa n in prosa n in versi, io mi contentava di ruminar fra me stesso, e di piangere alle volte dirottamente senza saper di che, e nello stesso modo di ridere: due cose che se non sono poi seguitate da scritto nessuno, son tenute per mera pazzia, e lo sono; se partoriscono scritti, si chiamano Poesia, e lo sono.“ Vita 117 (III, 12). Im Ms. fehlt der Klammerzusatz (Z. 35), das italienische Wort. 298, 14–16 „Diese bis hat.“: „Questo reciproco misto di ferocia e di generosit per parte di entrambi noi, non si potr facilmente capire da chi non ha esperienza dei costumi e del sangue di noi Piemontesi.“ Vita 119 (III, 12). 298, 17–22 Als bis zurck: Vgl. Vita 124 f. (III, 13). 298, 23 „fiel bis Liebe“: Vgl. oben Anm. 296, 5–6. 298, 24–26 „Meine bis ich.“: „Era la mia nuova fiamma una donna, distinta di nascita, ma di non troppo buon nome nel mondo galante, ed anche attempatetta; cio maggiore di me di circa nove in dieci anni.“ Vita 128 (III, 13). 298, 36 – 299, 5 „In bis gelesen hatte.“: „In una di queste poco certo divertenti sedute, io mosso dal tedio, dato di piglio a cinque o sei fogli di carta che mi caddero sotto mano, cominciai cos a caso, e senza aver piano nessuno, a schiccherare una Scena di una non so come chiamarla, se Tragedia, o Commedia, se d’un sol atto, o di cinque, o di dieci; ma in somma delle parole a guisa di dialogo, e a guisa di versi, tra un Fotino, una Donna, ed una Cleopatra [. . .] E mi pare, ora esaminandola, tanto pi strana quella mia subitanea impresa, quanto da circa sei e pi anni io non aveva mai pi scritto una parola italiana, pochissimo e assai di rado e con lunghissime interruzioni ne avea letto.“ Vita 131 (III, 14). 299, 6 die Probe: Cleopatra Prima. Vita 131–136 (III, 14). 299, 18–27 „Es bis wirthschaften.“: „Venne poi dunque quel giorno, in cui, fra quelle mie smanie e solitudine quasi che continua, buttandovi gli occhi su, ed allora soltanto quasi come un lampo insortami la somiglianza del mio stato di cuore con quello di Antonio, dissi fra me stesso: Va proseguita quest’impresa; rifarla, se non pu star cos; ma in somma sviluppare in questa tragedia gli affetti che mi divorano, e farla recitare questa primavera dai Comici che ci verranno. Appena mi entr questa idea, ch’io (quasich vi avessi ritrovata la mia guarigione) cominciai a schiccherar fogli, rappezzare, rimutare, troncare, aggiungere, proseguire, ricomin- ciare, ed in somma a impazzare in altro modo intorno a quella sventurata e mal nata mia Cleopatra.“ Vita 140 f. (III, 15). 299, 27 wirthschaften.“: Ende des ersten Teils, mitten im dritten Abschnitt, mit der Notiz: (Schluß folgt.); der zweite Teil ist dementsprechend mit (Schluß.) berschrieben. 299, 32–33 „wahre Befreiung“: Vgl. Anm. Al 296, 3–4. 299, 39–40 „authentisches bis schickt“: „[. . .] un autentico monumento della mia imperizia in og-
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ni convenienza e decenza, [. . .].“ Vita 146 (III, 15). Die entsprechenden Verse gibt Alfieri an dieser Stelle wieder. 300, 5–8 „und bis hatte.“: „Ma, da quella fatal serata in poi, mi entr in ogni vena un s fatto bollore, e furore di conseguire un giorno meritamente una vera palma teatrale, che non mai febbre alcuna di amore mi avea con tanta impetuosit assalito. “ Vita 157 (III, 15). Die ersten beiden Szenen der Cleopatra Terza sind in Vita III, 15 enthalten. 300, 10–13 „Ein bis Tyrannei.“: „Un animo risoluto, ostinatissimo, ed indomito; un cuore ripieno ridondante di affetti di ogni specie, tra’quali predominavano con bizzarra mistura l’amore e tutte le sue furie, ed una profonda ferocissima rabbia ed abborrimento contra ogni qualsivoglia tirannide.“ Vita 158 (IV, 1). 300, 17–19 „In bis Schulknabe.“: „Cosa oltre ogni dire dolorosa e mortificante, nell’et in cui mi trovava, pensando e sentendo come uomo, di dover pure ristudiare, e ricompitare come ragazzo.“ Vita 159 (IV, 1). 300, 21 Monginevro: Colle del Monginevro, an der Grenze zwischen dem Piemont und der Dauphin, nordçstlich von BrianÅon, angeblich Ort der Alpenberquerung Hannibals. Alfieri verbrachte, wie er berichtet, in diesem Gebirge, im Flecken Cezannes fast zwei Monate. 300, 36 – 301, 21 „Mehr bis erschienen.“: „Fra questi poi primeggiava di gran lunga il degnissimo Francesco Gori Gandellini, di cui pi d’una volta mi occorso di parlare in varj miei scritti, e la di cui dolce e cara memoria non mi uscir mai del cuore. Una certa somiglianza nei nostri caratteri, lo stesso pensare e sentire (tanto pi raro e pregevole in lui che in me, attese le di lui circostanze tanto diverse dalle mie) ed un reciproco bisogno di sfogare il cuore ridondante delle passioni stesse, ci riunirono ben tosto in vera e calda amicizia. Questo santo legame della schietta amicizia era, ed tuttavia, nel mio modo di pensare e di vivere un bisogno di prima necessit: ma la mia ritrosa e difficile e severa natura mi rende e render finch’io viva, poco atto ad inspirarla in altrui, e oltre modo ritenuto nel porre in altri la mia. Perci nel corso del mio vivere pochissimi amici avr avuti: ma mi vanto di averli avuti tutti buoni e stimabili assai pi di me. N io mai altro ho cercato nell’amicizia se non se il reciproco sfogo delle umane debolezze, affinch il senno e amorevolezza dell’amico venisse attenuando in me e migliorando le non lodevoli, e corroborando all’incontro e sublimando le poche lodevoli, dalle quali l’uomo pu trarre utile per altri ed onore per se. Tale la debolezza del volersi far autore. Ed in questa principalmente, i consigli generosi ed ardenti del Gandellini mi hanno certo prestato non piccolo soccorso ed impulso. Il desiderio vivissimo ch’io contrassi di meritarmi la stima di codesto raro uomo, mi diede subito una quasi nuova elasticit di mente, un’alacrit d’intelletto, che non mi lasciava trovar luogo n pace, s’io non procreava prima qualche opera che fosse, o mi paresse degna di lui.“ Vita 184 (IV, 4). F. G. Gandellini war ein fr Kunst und Literatur interessierter Seidenfabrikant. 302, 2–3 Dabei bis Freiheit: Vgl. Bill of Rights, das englische Staatsgrundgesetz von 1689; Alfieri nher die amerikanische Unabhngigkeitserklrung von 1776. Die Verfassungen der Bundesstaaten, die Menschen- und Brgerrechte enthielten, wurden aufeinander abgestimmt in den Articles of Confederation von 1777. 302, 5 unertrglich wurde: In der Hs. (C 66, 21) folgt darauf unmittelbar: Es war dasselbe Grundverhltniß wie es heute auf socialem Gebiet besteht, wo die Mißstnde den hçchsten
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Punkt erreicht haben und zugleich ein Gefhl derselben sich gewaltig bemerklich macht, ja die Vorstellung von einer anderen Existenz. 302, 7 Brandschrift: V. Alfieri, Della Tirannide, 2 Bde, Kehl 1789. Entstanden 1777. 302, 7–9 Sie bis hatte“: „Fu quello uno sfogo di un animo ridondante e piagato fin dall’infanzia dalle saette dell’abborrita e universale oppressione.“ Vita 185 (IV, 4). 302, 14–15 „In bis Empfinden.“: „Ed in quella bollente et il giudicare e raziocinare non eran fors’altro che un puro e generoso sentire.“ Vita 186 (IV, 4). 302, 15–18 Dieselbe bis concipirte: Die 1777/78 entstandene Tragçdie Virginia wurde verçffentlicht in: Tragedie, Siena 1783. Die bersetzung entspricht nicht ganz der Wendung: „[. . .] soggetto che mi andava veramente a sangue.“ Vita 183 (IV, 4). 302, 22–25 Die Liebe bis wird: L. von Stolberg-Gedern, Grfin von Albany, war verheiratet mit dem englischen Thronprtendenten Ch. E. Stuart. D. zhlt sie und Alfieri zu seiner eigenen Reihe exemplarischer Paare. 302, 26–29 „ein sßes bis mußte“: „Un dolce focoso negli occhi nerissimi accoppiatosi (che raro addiviene) con candidissima pelle e biondi capelli, davano alla di lei bellezza un risalto, da cui difficile era di non rimanere colpito e conquiso.“ Vita 188 (IV, 5). 302, 34 – 303, 1 „Aber bis darf.“: „Ma ott’anni di pi ch’io m’aveva, e tutta l’Europa quasi ch’io avea o bene o male veduta, e l’amor della gloria che m’era entrato addosso, e la passion dello studio, e la necessit di essere, o di farmi libero, per poter essere intrepido e veridico autore, tutti questi caldissimi sproni mi facean passar oltre, e gridavanmi ferocemente nel cuore, che nella tirannide basta bene ed anche troppo il viverci solo, ma che mai, riflettendo,vi si pu n si dee diventare marito n padre.“ Vita 183 f. (IV, 4). 303, 4–10 „Da bis grenzenlos.“: „Avvistomi in capo a due mesi che la mia vera Donna era quella, poich in vece di ritrovare in essa, come in tutte le volgari donne, un ostacolo alla gloria letteraria, un disturbo alle utili occupazioni, ed un rimpicciolimento direi di pensieri, io ci ritrovava e sprone e conforto ed esempio ad ogni bell’opera; io, conosciuto e apprezzato un s raro tesoro, mi diedi allora perdutissimamente a lei.“ Vita 189 (IV, 5). 303, 13 – 304, 6 Um so bis erhalten hatte: Zusammenfassung des Kapitels: Donazione intera di tutto il mio alla Sorella. Seconda avarizia. Vita 189–196 (IV, 6). 303, 15 „kleinen Tyrannen“: Im entsprechenden sechsten Kapitel des vierten Teils (vgl. die vorangehende Anm.): il Re, D.s. bersetzung ist also emphatisch. Vgl. Alfieri 308, 15–16 und Anm.; auch Alfieri 301, 34 – 302, 5. 303, 28–29 „nicht bis Kçnig“: „Non gi ch’io mi fidassi molto pi nel Cristianissimo che nel Sardo Re; [. . .].“ Vita 193 (IV, 6). 303, 33–34 „Er bis wiederzufinden.“: „[. . .] ed ambedue fummo contentissimi: egli di perdermi, io di ritrovarmi.“ Vita 192 (IV, 6).
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304, 9–10 Abhandlung bis Literatur“: V. Alfieri, Del Principe e delle Lettere, Kehl 1795. Entstanden 1777–1786. 304, 12–19 Seine bis lesen: Ausfhrlich zu Alfieris Arbeitsweise: Alfieri 319, 33 – 321, 6. Die Arbeitstechnik der Dichter sollte nach D. Gegenstand der Literaturgeschichte sein. Alfieri 319, 29–33. 304, 23–27 „Es bis htte.“: „Mi basti il dire, che io salvai la Donna mia dalla tirannide d’un irragionevole e sempre ubriaco padrone, senza che pure vi fosse in nessunissimo modo compromessa la di lei onest, n leso nella minima parte il decoro di tutti.“ Vita 201 f. (IV, 8). 304, 29 die erste Serie seiner Tragçdien: Von den vierzehn ersten Tragçdien Alfieris wurden zehn in drei Bnden verçffentlicht: I. Filippo, Polinice, Antigone, Virginia (Siena 1783). II. Agamemnone, Oreste, Rosmunda (Siena 1783). III. Ottavia, Timoleone, Merope (Siena 1785). Vgl. Alfieri 306, 14–19; 306, 36 – 307, 5. 304, 37 des Seneka: Eine der neun erhaltenen Tragçdien des L. A. Seneca ist Agamemno, Alfieris Sujet, vgl. die vorangehende Anm. 304, 38–40 Als bis Excentricitt: „[. . .] e tutte concordavano nel biasimare quasi che esclusivamente il mio stile, tacciandomelo di durissimo, oscurissimo, stravagantissimo [. . .].“ Vita 217 (IV, 10). 305, 7–10 Demgemß bis entsprechend war: Zu D.s Einordnung Alfieris in eine europische Bewegung des Aufbegehrens, des „odio purissimo della tirannide“ (Anm. Al 293, 30 – 294, 11), vgl. den Ansatz, Literaturentwicklung im europischen Zusammenhang zu sehen im viel spteren einleitenden Kapitel zu EuD3. 305, 16 Corneille, Racine: P. Corneille begrndet die klassische franzçsische Tragçdie des 17. Jh.s, die mit J.-B. Racine ihren Hçhepunkt erreicht. 305, 31 Palazzo Strozzi: Den Auftrag zu diesem Renaissancebau in Florenz, mit dem D., vergleichend, Alfieris Stil charakterisiert, gab F. Strozzi d. . 1489 an B. da Maiano. 305, 35–39 Diese Macedonier bis ist: D.s Vergleich bezieht sich auf Philipp II. von Mazedonien (382–336 v.Chr.) und dessen Sohn Alexander den Großen (356–323 v. Chr.). Die Bacchen des Euripides wurden 406 v. Chr. aufgefhrt und handeln von der Rache des mißachteten Gottes Dionysos an Pentheus, dem Kçnig von Theben: er wird von seiner Mutter getçtet. 305, 39 – 306, 2 Von bis fremd ist: Zu D.s These von den Krften der Befreiung Italiens vgl. Alfieri 285, 2–3; zur weiteren Charakteristik Alfieris auch 318, 12–29. 306, 10–13 Er bis sicherer sein: „A quest’effetto prescelsi l’Antigone, riputandola io l’una delle meno calde tra le mie, e divisando fra me e me, che se questa venisse a riuscire, tanto pi il farebbero l’altre in cui si sviluppano affetti tanto pi varj e feroci.“ Vita 210 (IV, 10). 306, 14 „la bis stampare“: „Insuperbito non poco dal prospero successo della recita, verso il principio del seguente anno 1783 mi indussi a tentare per la prima volta la terribile prova dello stampare.“ Vita 211 (IV, 10). Vgl. oben Anm. 304, 29.
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306, 19–32 Der Papst bis antworten: Teilweise wçrtliche Wiedergabe von Alfieris Bericht. Vita 212 (IV, 10). 306, 33–36 Die Urtheile bis gehen: Zu den Urteilen vgl. oben Anm. 304, 38–40. 306, 36 – 307, 5 So bis Timoleon: ber die Verteilung der Tragçdien auf drei Bnde vgl. oben Anm. 304, 29. Cleopatra, die erste Tragçdie Alfieris, wurde nicht aufgenommen, sondern erst aus dem Nachlaß verçffentlicht. 307, 5–6 Das Ideal bis frheren: Alfieris Ideal ausfhrlicher: Alfieri 310, 25–30 und Anm. Al 310, 14–24. 307, 6–11 Doch bis muß: Nicht ganz entsprechend: Parere (wie Anm. Al 310, 14–24) II, S. 559. 307, 20–26 „verzweifelt bis finden.“: „[. . .] io disperatissimo di tal cosa, e non ritrovando mai pace, n luogo che mi contenesse, pensai di fare un lungo viaggio in Francia ed in Inghilterra, non gi che me ne fosse rimasto n desiderio n curiosit, che me n’era gi saziato d’entrambi dal secondo viaggio, ma per andare; che altro rimedio o sollievo al dolore non ho saputo ritrovar mai.“ Vita 223 (IV, 11). 307, 29–32 „und bis Geliebte.“: „Ed in s fatte inezie consumai ben otto e pi mesi, non facendo pi nulla, n studiando, n quasi pure leggendo, [. . .] e non pensando ad altro che alla lontana mia Donna, [. . .].“ Vita 224 (IV, 11). 307, 32–34 Ja bis mssen.“: „Bens arrabbiatissimo io in me stesso di essermi rimesso nel caso di dover riudire e riparlare quell’antitoscanissimo gergo nasale, [. . .].“ Vita 225 (IV, 12). 307, 36–37 „Entweder bis Briefe.“: „[. . .] o me ne stava co’miei cavalli, o scrivendo lettere su lettere su lettere.“ Vita 226 (IV, 12). 307, 40 – 308, 4 „Es bis Leiden.“: „Ma molto pi facile e breve il dire per iscritto tal gita, che non l’eseguirla, con tante bestie. Io provava ogni giorno, ad ogni passo, e disturbi e amarezze, [. . .] Ora questo tossiva, or quello non volea mangiare: l’uno azzoppiva, all’altro si gonfiavan le gambe, all’altro si sgretolavan gli zoccoli; e che so io: egli era un oceano continuo di guai, ed io n’era il primo martire.“ Vita ebd. Das Ms. enthlt nach Beine (308, 3) eine nicht sicher lesbare Seitenangabe und eine Leerzeile, eine Lcke in der bersetzung. 308, 8–15 Einen wahrhaft bis Tragçdien: „Ma la pi ardua ed epica impresa mia con quella carovana fu il passo dell’Alpi fra Laneborgo, e la Novalesa.“ Vita 227 (IV, 12). Der Zug ging vom heutigen Lanslebourg in Savoyen ber den Mont Cenis nach Novalesa. Alfieri verweist selber auf Hannibal, der etwas sdlicher (vgl. Anm. Al 300, 21) die Alpen berquert haben soll. Seine Beschreibung, Vita 227 f. (IV, 12), nimmt sich neben der des Titus Livius, Rçmische Geschichte XXI, 32–38, bescheiden aus. 308, 15–16 So bis vorstellte: Text der Vorlage: „Un altro amarissimo boccone che mi convenne inghiottire in Torino, fu di dovermi indispensabilmente presentare al Re, [. . .].“ Vita 230 (IV, 13); vgl. Anm. Al 303, 15. Es handelt sich um Vittore Amadeo III. (308, 18–19).
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308, 19–23 „Trotzdem bis wiederzusehen.“: „Con tutto ci quando si pensa e vivamente si sente che il loro giovare o nuocere pendono dal loro assoluto volere, bisogna fremere, e fuggire. E cos feci io dopo alcumi giorni, quanti bastarono per rivedere i miei parenti e conoscenti in Torino, [. . .].“ Vita 231 (IV, 13). 308, 27–29 Haß bis verglichen hat: Zu Byron vgl. Anm. Al 288, 22–23; 294, 15–19. Byrons bewundernde Achtung Alfieris: Childe Harold’s Pilgrimage IV, 54. Unter Alfieris Dramen galt sie vor allem der Tragçdie Mirra. Byron vergleicht die eigene Schreibart in seinem Drama Marino Faliero der Alfieris, Brief vom 28. September 1820 an J. Murray. 308, 34–37 „an bis war“: „Ma da quel giorno cominci in gran parte quel mio disinganno di gloria, in cui mi vo di giorno in giorno sempre pi confermando. [. . .] per avere morendo, o invecchiando la intima consolazione di aver soddisfatto a me stesso, ed all’arte quant’era in me.“ Vita 232 (IV, 13). 308, 38–39 Es bis hatte: Gemeinsam ist beiden die berzeugung, fr die Nachwelt zu arbeiten, von ihr anerkannt zu werden. Alfieri widmet z. B. Bruto Secondo: Al Popolo Italiano Futuro; sieht sich in den Augen knftiger Generationen als Vates: „Gli odo gi dirmi: O Vate nostro, in pravi / Secoli nato, eppur create hai queste / Sublimi et, che profetando andavi.“ (Misogallo, Conclusione). Vgl. Schopenhauers Verse: „Mçgt euch drum immer wie ihr wollt gebrden: / Des Werkes Leben kçnnt ihr nicht gefhrden. / Aufhalten kçnnt ihr’s, nimmermehr vernichten: / Ein Denkmal wird die Nachwelt mir errichten.“ In: Arthur Schopenhauer. Von ihm. Ueber ihn. Ein Wort der Vertheidigung von E. O. Lindner und Memorabilien, Briefe und Nachlassstcke von J. Frauenstdt, Berlin 1863, S. 345. D. zitiert Schopenhauers Verse ausfhrlicher in seiner Rezension dieses Buches. Ges. Schr. XVI, 356–370. 309, 4–7 „Ich bis selber.“: „Desiderava, temeva; sperava, voleva, disvoleva: vicende tutte ben note ai pochi e veraci amatori: ma vinse pur finalmente il dovere, e l’amore di essa e del di lei decoro, pi che di me.“ Vita 234 (IV, 13). 309, 10–18 Zwei bis Mirra: „Ritrovatomi cos di bel nuovo interissimo di animo di cuore e di mente, non erano ancor passati quindici giorni dal d ch’io era ritornato alla vita rivedendola, che quell’istesso io il quale da due anni non avea mai pi neppere sognato di scrivere oramai altre tragedie; quell’io, che anzi, avendo appeso il coturno al Saffll, mi era fermamente proposto di non lo spiccare mai pi; mi ritrovai allora, senza accorgermene quasi, ideate per forza altre tre tragedie ad un parto: Agide, Sofonisba, e Mirra.“ Vita 236 (IV, 14). – Daß Beethoven „n i e o h n e e i n e L i e b e “ lebte, bezeugen seine Biographen F. G. Wegeler und F. Ries, Biographische Notizen ber Ludwig van Beethoven, Coblenz 1838, S. 42–44; 117–119. Vgl. das Portrt L. Uhlands (1871), in dem D. wie hier auf Beethoven verweist. Ges. Schr. XV, 164. – Den Zusammenhang zwischen Kunst und Gemthsleben kçnnte er den wegen ihrer Echtheit umstrittenen Briefen Beethovens vom 11. August 1810; 10. Februar 1811; 15. August 1812 an Bettine Brentano entnehmen, verçffentlicht in ihrem Buch Ilius Pamphilius (1848); vielleicht auch aus einer der Auflagen des ihm bekannten Werkes von A. B. Marx, Ludwig van Beethoven, Berlin 1859 (21863, 31875). Vgl. JD 117. 309, 22–25 „ich bis bringen.“: „Mi capit alle mani nelle Metamorfosi di Ovidio quella caldissima e veramente divina allocuzione di Mirra alla di lei Nutrice, la quale mi fece prorompere in lagrime, e quasi un subitaneo lampo mi dest l’idea di porla in tragedia:[. . .].“ Vita 237 (IV, 14). Vgl. Ovid, Metamorphosen X, 300–514.
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309, 31–34 „Diese bis getrbt.“: „Questi tre nuovi parti tragici mi raccesero l’amor della gloria, la quale io non desiderava per altro fine oramai, se non se per dividerla con chi mi era pi caro di essa. Io dunque allora da circa un mese stava passando i miei giorni beati, e occupati, e da nessunissima amarezza sturbati, [. . .].“ Vita 237 (IV, 14). 309, 36 – 310, 6 Panegyrikus bis folgend.“: „Inoltratomi per alcune pagine, e non vi ritrovando quell’uomo stesso dell’epistole, e molto meno un amico di Tacito, qual egli si professava, io sentii nel mio intimo un certo tal moto d’indegnazione; e tosto, buttato l il libro saltai a sedere sul letto, dov’io giaceva nel leggere; ed impugnata con ira la penna, ad alta voce gridando dissi a me stesso: ‚Plinio mio, se tu eri davvero e l’amico, e l’emulo, e l’ammiratore di Tacito, ecco come avresti dovuto parlare a Trajano. E senza pi aspettar, n riflettere, scrissi d’impeto, quasi forsennato, [. . .].“ Vita 240 (IV, 15). V. Alfieri, Panegirico di Plinio a Trajano (e 1785, v 1787), ausgelçst von C. Plini Caecili Secundi Panegyricus (wohl 101 n. Chr.) auf Trajan. Plinius d. J. schuf mit der Ausarbeitung seiner Antrittsrede als Konsul (100 n. Chr.) das Muster der Gattung Lobrede. 310, 10–21 1787 bis Abell: Vgl. Vita 249 (IV, 16). Die sechsbndige Ausgabe bei Didot in Paris kam zwischen 1787 und 1789 heraus. Außer den zehn ersten Tragçdien (vgl. Anm. Al 304, 29) enthlt sie: Maria Stuarda, Congiura de’ Pazzi, Don Garzia, Saul, Agide, Sofonisba, Bruto Primo, Mirra, Bruto Secondo. Abele (e 1786/1790), von Alfieri als „Tramelogedia“ bezeichnet, wurde aus dem Nachlaß verçffentlicht. 310, 14–24 Die letzten bis am hçchsten: Nach dem Erscheinen der ersten vier Bnde seiner Tragçdien schrieb Alfieri eine Kritik aller: „Continuata tutto l’88 la stampa, e vedendomi oramai al fine del quarto volume, io stesi allora il mio parere su tutte le tragedie, per poi inserirlo in fine dell’edizione.“ Vita 256 (IV, 18). Vgl. Parere dell’autore in: V. Alfieri, Tragedie II, Florenz 1855, S. 514–564. Dieser Kritik, und zwar dem Kapitel ber den Stil, entnimmt D. sowohl Alfieris Einstufung seiner Tragçdien als auch das Ideal seines Stils. „Credo di scorgere una terza tinta di stile nelle prime quattro inedite: Maria Stuarda, Congiura de’ Pazzi, Don Garza e Saffll.“ Wiederum einen andern Stil als die ersten vierzehn Tragçdien haben nach Alfieri die folgenden: „La loro dicitura mi pare pi liscia, pi maestosamente semplice, e pi facilmente breve; [. . .] In queste si anche molto pi badato a combinare una certa armonia di verso, che senza riuscire uniforme, n troppo suonante, apparisse pure dolce e lusinghiera, con variet e grandezza. E fra quest’ultime cinque, le due che mi pajono avvicinarsi il pi alla idea dell’autore, sono la Sofonisba, e il Bruto secondo: [. . .].“ Ebd. S. 562. 310, 32 – 311, 2 „Wenn bis todt bin.“: „E certo, se questi ultimi famosi uomini francesi, come Voltaire e Rousseau, avessero dovuto gran parte della loro vita andarsene erranti in diversi paesi in cui la loro lingua fosse stata ignota o negletta, e non avessero neppur trovato con chi parlarla, essi non avrebbero forse avuto la imperturbabilit e la tenace costanza di scrivere per semplice amor dell’arte e per mero sfogo, come faceva io, ed ho fatto poi per tanti anni consecutivi, [. . .] chi oramai in Italia, chi che veramente e legga ed intenda e gusti e vivamente senta Dante e il Petrarca? uno in mille, a dir molto. Con tutto ci, io immobile nella persuasione del vero e del bello, antepongo d’assai (ed affero ogni occasione di far tal protesta), di gran lunga antepongo di scrivere in una lingua quasi che morta, e per un populo morto, e di vedermi anche sepolto prima di morire, allo scrivere in codeste lingue sorde e mute, francese ed inglese, [. . .].“ Vita 251 (IV, 17). 311, 3–6 Whrend bis geben: Vom Pferd gestrzt ist Alfieris Freund, der Abt T. V. von Caluso. Al-
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fieri berichtet allerdings zugleich von seiner kurze Zeit danach beginnenden schweren Erkrankung an der Ruhr. Vita 251 f. (IV, 17). 311, 7–15 „Es bis war.“: „Doleami assai di morire, lasciando la mia Donna, l’amico, ed appena per cos dire abbozzata quella gloria, per cui da dieci e pi anni io aveva tanto delirato, e sudato: che io benissimo sentiva che di tutti quegli scritti ch’o lascierei in quel punto, nessuno era fatto e finito come mi parea di poterlo fare e finire, avendone il dovuto tempo. Mi confortava per altra parte non poco, giacch morir pur dovea, di morire almen libero, e fra le due pi amate persone ch’io m’avessi, di cui mi pareva d’avere e di meritare l’amore e la stima; [. . .].“ Vita 252 (IV, 17). 311, 18–21 Endlich bis Bnden: Vgl. oben Anm. 310, 10–21 und Vita 256 (IV, 18); Die Prosawerke: Del Principe e delle Lettere vgl. Anm. Al 304, 9–10; Della Tirannide vgl. Anm. Al 302, 7. 311, 23–24 Und bis Stnde: Die Generalstnde kamen in Versailles am 5. Mai 1789 zusammen. 311, 28 – 312, 6 „Lnger bis sind.“: „Io dunque oramai da pi d’un anno vo tacitamente vedendo e osservando il progresso di tutti i lagrimevoli effetti della dotta imperizia di questa nazione, che di tutto pu sufficientemente chiacchierare, ma nulla pu mai condurre a buon esito, perch nulla intende il maneggio degli uomini pratico; come acutamente osserv gi e disse il nostro Profeta politico, Machiavelli. Laonde io addolorato profondamente, s perch vedo continuamente la sacra e sublime causa della libert in tal modo tradita, scambiata, e posta in discredito da questi semifilosofi; stomacato del vedere ogni giorno tanti mezzi lumi, tanti mezzi delitti, e nulla in somma d’intero se non se l’imperizia d’ogni parte; atterrito finalmente dal vedere la prepotenza militare, e la licenza e insolenza avvocatesca posate stupidamente per basi di libert; io null’altro oramai desidererei, che di poter uscire per sempre di questo fetente spedale, che riunisce gli incurabili e i pazzi.“ Vita 257 f. (IV, 19). 312, 7–11 Dies ist bis haben: Gemeint sein wird: H. von Sybel, Geschichte der Revolutionszeit, großangelegt, erschienen zwischen 1853 und 1879 in mehreren Auflagen. Vgl. D.s Kurzbesprechung. Ges. Schr. XVII, 191 f.; die ersten Zusammenfassungen waren vermutlich die sowohl in der Originalsprache als auch in bersetzungen sehr verbreiteten Darstellungen von Mignet und Thiers. F. A. Mignet, Histoire de la Rvolution franÅaise depuis 1789 jusqu’ en 1814 (1824). L. A. Thiers, Histoire de la Rvolution franÅaise (1823; 1824–1827), von R. Mohl bersetzt zwischen 1825 und 1828 unter dem Titel: Geschichte der franzçsischen Staatsumwlzung. 312, 12–14 Ihn bis schreiben: „[. . .] l’aver molti tristi presentimenti; e il credermi (lo confesser ingenuamente) di avere pur fatto qualche cosa in questi quattordici anni; mi hanno determinato di scrivere questa mia vita, [. . .].“ Vita 259 (IV, 19). 312, 18–20 Als aber bis wurde: Mit dem 10. August 1792 begann die zweite Revolution: Erstrmung der Tuilerien durch die Massen der Pariser Vorstdte, Gefangennahme des Kçnigs und der kçniglichen Familie. 312, 24–25 dieses „ungeheure Gefngniß von Frankreich“: „[. . .] di quell’immensa prigione, [. . .].“ Vita 274 (IV, 22). 312, 29 – 313, 9 „Es war bis rettete mich.“: „Ma v’era accanto alla Barriera una Bettolaccia, di dove sbucarono fuori ad un tratto una trentina forse di manigoldi della plebe, scamiciati, ubriachi, e
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furiosi. Costoro,viste due carrozze, che tante n’avevamo, molto cariche di bauli, e imperiali, ed una comitiva di due donne di servizio, e tre uomini, gridarono che tutti i ricchi se ne volevano fuggir di Parigi, e portar via tutti i loro tesori, e lasciarli essi nella miseria e nei guai. Quindi ad altercar quelle poche e triste guardie con quei molti e tristi birbi, esse per farci uscire, questi per ritenerci. Ed io balzai di carrozza fra quelle turbe, munito di tutti quei sette passaporti, ad altercare, e gridare, e schiamazzar pi di loro; mezzo col quale sempre si viene a capo dei Francesi. Ad uno ad uno si leggevano, e facevano leggere da chi di quelli legger sapeva, le descrizioni delle nostre respettive figure. Io pieno di stizza e furore, non conoscendo in quel punto, o per passione sprezzando l’immenso pericolo, che ci soprastava, fino a tre volte ripresi in mano il mio passaporto, e replicai ad alta voce; ‚Vedete, sentite; Alfieri il mio nome; Italiano e non Francese; grande; magro; sbiancato; capelli rossi; son io quello, guardatemi: ho il passaporto: l’abbiamo avuto in regola da chi lo pu dare; e vogliamo passare, e passeremo per Dio. Dur pi di mezz’ora questa piazzata, mostrai buon contegno, e quello ci salv.“ Ebd. 313, 12 „Narren und Schelmen“: „birbi della Municipalit“. Vita 275 (IV, 22). D. betont durch Doppelung. Vgl. „quei molti e tristi birbi“ in der vorangehenden Anm. 313, 18–23 Alfieri bis bliebe: Eine Skizze der gegen die Revolution gerichteten Schrift Misogallo erschien unter dem Titel: Contraveleno Poetico per la pestilenza corrente (1799), der vollstndige Text dagegen erst 1814. Vgl. Vita 277 f. (IV, 23); zu den Rettungsaktionen des Manuskripts Vita 292 (IV, 27). 314, 3–7 Er bis beherrscht haben: „Fin dal 96 quando stava leggendo, com’io dissi, le traduzioni letterali, avendo gi letto tutto Omero, ed Eschilo, e Sofocle, e cinque tragedie di Euripide, giunto finalmente all’Alceste, di cui non avea mai avuta notizia nessuna, fui s colpito, e intenerito, e avvampato dai tanti affetti di quel sublime soggetto, [. . .].“ Vita 284 (IV, 26). Die Lektre von Pindar und Anakreon ging voraus. Alfieri las wçrtliche bersetzungen (Z. 4). 314, 7–11 Die Alceste bis seconda: Alkestis, die lteste der erhaltenen Tragçdien des Euripides, aufgefhrt 438 v. Chr. Ergebnis der Griechischstudien Alfieris ist neben der bersetzung seine Alceste seconda, erschienen 1805 mit der falschen Angabe: Londra 1804. Vita 284–286 (IV, 26). 314, 16–18 „demgemß bis mßte.“: „Disposi dunque tutto per vivere incontaminato, e libero, e rispettato, ovvero per morir vendicato se fosse bisognato.“ Vita 292 (IV, 27). 314, 20–23 „Hier bis ungeachtet.“: Alfieri hat fr sich und die Grfin Albany eine Grabinschrift entworfen. Sie lautet fr ihn: „QVIESCIT HIC TANDEM/ VICTORIVS ALFERIVS ASTENSIS/ MVSARVM ARDENTISSIMVS CVLTOR/ VERITATI TANTVMMODO OBNOXIVS/ DOMINANTIBUS IDCIRCO VIRIS/ PERÆQUE AC INSERVIENTIBVS OMNIBVS/ INVISVS MERITO/ MVLTITVDINI/ EO QVOD NVLLA VNQVAM GESSERIT/ PVBLICA NEGOTIA/ IGNOTVS/ OPTIMIS PERPAVCIS ACCEPTVS/ NEMINI/ NISI FORTASSE SIBIMET IPSI/ DESPECTVS/ VIXIT ANNOS . . . MENSES . . . DIES . . ./ OBIIT — DIE. . . MENSIS . . ./ ANNO DOMINI MDCCC . . .“ Vita 293 (IV, 27). 314, 25–26 „von bis Sklaven.“: „[. . .] sendo tutte le operazioni di codesti schiavi di un solo colore ed essenza.“ Vita 297 (IV, 27).
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314, 28–29 „So bis bestand.“: „Intanto si proclamava in Firenze quella stessa libert, ch’era in Francia, [. . .].“ Vita 299 (IV, 28). 314, 31–33 Der Jubel bis Franzosen: Im zweiten Koalitionskrieg (1799–1802) gegen Frankreich wurden die Franzosen von den sterreichern und Russen in Italien mehrfach geschlagen; dagegen siegte Napoleon 1800 bei Marengo. 314, 38–40 Dieses bis geschehe: Mit der Mçglichkeit thtigen Widerstandes sind vermutlich die preußischen Reformen und die spteren Befreiungskriege gegen Napoleon gemeint. 314, 40 – 315, 4 Die sechs bis Herz hing: Alfieri ging ganz nach der mitgeteilten Arbeitsweise vor. Vgl. Alfieri, 304, 12–19; Vita 308, 310, 313. (IV, 29 und 30). Die sechs Commedie sind: L’Uno; I Pochi; I Troppi; L’Antidoto, eine politisch ausgerichtete Tetralogie; traditioneller: La Finestrina und Il Divorzio. 315, 10–11 In bis Angelo: Vgl. Anm. Al 290, 5–13. Das klassizistische Grabmal fr Alfieri von A. Canova ist nahe dem Michelangelos, dem Kenotaph fr Dante, auch dem Grab Machiavellis. 315, 17–21 Der bis erwirken: Die Einigung Italiens unter der Vorherrschaft Roms geht auf Appius Claudius zurck, der 312 v. Chr. censor war. 133–121 v. Chr. fand die Revolution der Gracchen statt mit der Forderung nach Gterverteilung und Gewhrung der vollen Brgerrechte fr alle Latiner, des latinischen Rechts fr alle italischen Bundesgenossen. 315, 32 – 316, 2 Abermals bis kçnnen: Anspielung auf Einigungbestrebungen im Italien des 19. Jh.s: z. B. auf die nationalen Programmschriften M. d'Azeglios; auf die Revolutionen in Neapel 1820 und 1821 im Piemont; auf den Geheimbund der Carboneria und den spteren La giovine Italia; die Ermordung Rossis, des Ministers Pius IX. Zu Cavour vgl. Anm. Al 285, 2. 316, 3–8 Dies bis geworden: Die Erhçhung Alfieris zum Propheten entspricht dessen Selbstverstndnis (vgl. Anm. Al 308, 38–39), stimmt mit Emiliano-Giudicis Urteil berein (wie Anm. Al 323, 2–9) II, S. 404 f., unterstreicht D.s Interesse an der Vita (vgl. Alfieri 295, 15–17) und deutet eine Sichtweise an, wie sie im viel spteren Titel der vorliegenden Aufsatzsammlung zum Ausdruck kommt. 316, 14–16 Da bis war: Nochmalige Aufnahme der Rede von Literatur und Theater als Ersatz fr fehlende Handlungsspielrume vgl. Alfieri 292, 19–28; 301, 22–32; auch Novalis 213, 10–25. 316, 22–23 Unter bis mnnliche: Zum Vorrang des Dramas vgl. Freytag 413, 12–19 und 30–31; Lessing 74, 9–17. 316, 24–32 In den bis Charaktere: Das Bewußtsein geschichtlicher Kontinuitt zeichnet nach D. die Italiener besonders aus. Vgl. Alfieri 318, 12–17 und 30–32; 326, 2–8. 316, 38 – 317, 5 Nennen bis verstehen: D.hat die individuelle Entwicklung Alfieris zu Beginn seines Aufsatzes auf Spinozas Affektenlehre bezogen (vgl. Alfieri 295, 17–21 und Anm.; Alfieri 326, 17–20) und grndet hier, wiederum von Spinoza ausgehend, die Verschiedenheit von Individuen, von Epochen und Nationen (317, 5) auf die unterschiedliche Vertheilung der Affekte, mit dem Ziel, Alfieris Tragçdie aus dem nationalen Charakter zu erklren. Zur Affektenlehre vgl. Die Funk-
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tion der Anthropologie in der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts (1904). Ges. Schr. II, 416–492. 317, 12–21 Jean Paul bis Winkel: Jean Pauls berzeugung vom Vorzug, in einem kleinen Ort geboren zu werden, gilt fr ihn wie fr seine literarischen Figuren. Jean Paul 331, 18–25. 318, 5 Odio und vendetta: Alfieri gebraucht dieses Wortpaar in etwas anderer Zusammensetzung: „Ira, vendetta“, neben „libertade, amore“ im Sonetto XXVII, Tardi or me punge del Saper la brama, als Beweggrund fr sein Schreiben. Gelufig ist „odio purissimo della tirannide“ (Anm. Al 293, 30 – 294, 11); das Wortpaar Odio und vendetta vielleicht durch die italienische Oper vermittelt; vgl. z. B. den Prolog zu Attila von Verdi. 318, 12–20 Alfieri bis unterschieden: Zur Beziehung Alfieris zum classischen Alterthume vgl. oben Anm. 316, 24–32. 318, 20–23 Die drei bis Mirabeau: Die Patrizierfamilie Buonaparte lebte, aus der Provinz La Spezia stammend, seit dem 16. Jh. auf Korsika, das bis 1768 zu Genua gehçrte. H.-G. Riqueti, Marquis de Mirabeau ist ein Nachkomme der florentinischen Riquetti, die sich im 13. Jh. bereits in Frankreich befanden. 318, 33–37 Hieraus bis mssen: Gesichtspunkte zur Untersuchung intellektueller Phnomene ausfhrlicher Novalis 200, 11 – 201, 40. 319, 3–5 Die Gesprche bis Originalitt: D. denkt vermutlich an die Dialoge G. Brunos in: De la Causa, Principio et Uno (1584), vgl. Ges. Schr. II, 297–311; sicher an N. Machiavellis Werke: Il Principe (e 1513, v 1532) und Discorsi sopra la prima Deca di Tito Livio (e 1519, v 1531), auch an die Komçdie La Mandragola. Vgl. Ges. Schr. II, 24–35. 319, 13–16 In bis durchzugehen: In metrischen Fragen beraten wurde Goethe z. B. von Herder fr die Versfassung der Iphigenie, vgl. Briefe an Herder vom Herbst 1786; die Hexameter des Epos Hermann und Dorothea begutachteten im Frhjahr 1797 u. a. Schiller und W. von Humboldt; vgl. Brief Goethes an Schiller vom 18. Februar 1797. 319, 20–23 Aber bis bewußt: Vgl. unten Anm. 322, 2–26. 319, 29–33 Eine bis vorber: Zu neuen Sicht- und Arbeitsweisen in der Literaturgeschichte vgl. Lessing 122, 23 – 123, 18; Novalis 200, 3 – 201, 40; Dickens 364, 29 – 365, 33. 319, 33 – 321, 6 Also bis Poesie: Nochmals ausfhrlich die Schreibgewohnheit Alfieris, vgl. Alfieri 304, 12–19. Vita 181–183 (IV, 4). 320, 7–10 „dann bis hinzwang.“: „[. . .] alla descrizione di ciascuna scena mi sentiva repentinamente affollarmisi al cuore e alla mente un tumulto di pensieri e di affetti che per cos dire a viva forza mi spingessero a scrivere, [. . .].“ Vita 182 (IV, 4). 320, 16–17 daß bis sei“: „[. . .] e quasi sempre nel sesto giorno la tragedia era, non dir fatta, ma nata.“ Ebd.
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321, 6–25 Geheinmiß bis Lebens: Als Gegenpol zu D.s Konzeption der dramatischen Phantasie vgl. seine Ausfhrungen zum Genie des erzhlenden Dichters: Dickens, 369, 32 – 373, 4. 322, 2–26 Und hieraus bis verloren hatten: Vgl. Alfieris Kapitel Invenzione in: Parere dell’autore: „Se la parola invenzione in tragedia si restringe al trattare soltanto soggetti non prima trattati, nessuno autore ha inventato meno di me; [. . .] Se poi la parola invenzione si estende fino al far cosa nuova di cosa gi fatta, io son costretto a credere che nessuno autore abbia inventato pi di me; [. . .]“ Alfieri, Tragedie (wie Anm. Al 310, 14–24), S. 550 f. – Im Kapitel Sceneggiatura: „Il difetto principale, che io rilevo nell’andamento di tutte le presenti tragedie, si l’uniformit.“ Ebd. S. 558. Den Kritikpunkt uniformita (Z. 22) betont Alfieri selbst; todte Gleichfçrmigkeit (Z. 3–4) findet sich in etwa bei A. W. Schlegel, der Alfieri scharf kritisiert und von „der tçdtendsten Einfçrmigkeit“ seiner Nachahmer spricht. Vgl. Vorlesungen (wie Anm. Fr 416, 28–34) I, S. 356–360; 367. 322, 26–30 Es ist bis besitzt: Vgl. Alfieri 310, 23–25; P. Emiliani- Giudici zu Saul als das beste Drama Alfieris. Storia (wie unten Anm. 323, 2–9) II, S. 398. 323, 2–9 Es ist bis oberflchlich: P. Emiliani-Giudici: Storia della Letteratura Italiana, 2 Vol., Firenze 41865. D. bezieht sich auf folgende Stelle: „[. . .] non conosceva forse n anche i nomi di Eschilo, Sofocle ed Euripide, nemmeno conosceva la drammatica struttura delle loro produzioni per vie indirette, imperciocch , tranne qualche dramma di Metastasio, non aveva letta nessuna delle tragedie francesi, risulta che Alfieri creasse per la pura forza – mi si conceda il dirlo – instintiva del suo ingegno quella idea.“ Ebd. II, 395 f. Der Lezione Vigesima dieser Literaturgeschichte, die die vorangehende Stelle enthlt, entnimmt D. hçchstwahrscheinlich auch die Daten zur Entwicklung der Tragçdie in Italien im zehnten Abschnitt seines Aufsatzes. Zu seinem Urteil ber Emiliani-Giudici vgl. seine eigenen Beobachtungen: Alfieri 300, 13–15. 323, 22–29 Ihre bis Franzosen: F. S. Maffei, Merope, Venedig 1714, aufgefhrt 1713 in Modena. Die einzige Tragçdie Maffeis, im Zusammenhang mit Erneuerungsbestrebungen des italienischen Theaters zu sehen und sowohl gegen die grzisierende Tragçdie G. V. Gravinas als auch die im franzçsischen Stil gehaltene P. J. Martellos gerichtet. Maffeis theoretische Verteidigung: Dei teatri antichi e moderni (1753). 323, 30–33 An bis Gravina: G. V. Gravina schrieb Tragçdien im Stil des Sophokles; die wichtigste seiner zahlreichen theoretischen Schriften: Della Ragion Poetica libri due, Rom 1708. Gravinas Kritik geht den Literaturbriefen Lessings voraus. Vgl. Anm. Le 67, 29–30. 323, 33–36 Im Gegensatze bis eintrat: P. J. Martello, Theaterautor, bersetzer, orientiert an der franzçsischen Klassik, von der er sich in der Frage der drei Einheiten distanziert, dagegen den Alexandriner verteidigt. Verzicht auf das Illusionstheater. Unter zahlreichen Dramen: Alceste und Ifigenia, beide 1709. 323, 36 – 324, 16 Inmitten bis einwob: Der hervorragende Gelehrte, Schlichter im Streit zwischen Newton und Leibniz, Kenner der Rçmertragçdien Shakespeares und Verfasser vier eigener Tragçdien ist A. Conti. D. ordnet die in der Darstellung Emiliani-Giudicis auf Conti zutreffenden Angaben flschlicherweise Martello zu. Vgl. Storia (wie oben Anm. 323, 2–9) II, S. 363–365. Das Ms. entlastet D. bis zu einem gewissen Grade. Diese Stelle ist diktiert; außerdem heißt der erste Satz im Ms.: Inmitten dieser Bewegung erhob sich ein hçchst denkwrdiger Mann, welcher ber die Linien, die Maffei der Tragçdie vorschrieb hinausging. Der Name Conti erscheint nicht, htte aber nach
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Textgeschichte und Anmerkungen
diesem Satz durchaus folgen kçnnen. Wer im Druck durch die beiden eingefgten Wçrter ( er und als) die Verbindung zu Martello eindeutig festgelegt hat, ist nicht zu ergrnden. 324, 11–12 vier Rçmertragçdien bis Druso: A. Conti, Giulio Cesare (1726); Marco Bruto (1742); Giunio Bruto (1743); Druso (1748). Alle zusammen publiziert unter dem Titel: Quattro Tragedie, Firenze 1751. 324, 12–16 Und bis einwob: D. nimmt Emiliani-Giudicis Hinweise mit einigen Abweichungen auf. Vgl. „Nel leggere le dotte prefazioni ch’egli fa precedere a ciascuna di quelle, si rimane maravigliati alla giustezza delle dottrine che il Conti espose intorno all’arte. [. . .] Non per band dal suo ordito drammatico i teneri sentimenti; anzi invent incidenti amorosi, non come episodii di solo abbellimento, ma come tinte artificiosamente adoperate a dare stacco alla figura principale.“ Storia (wie oben Anm. 323, 2–9) II, S. 364 f. 324, 17 – 325, 38 Dies bis Zeit: Im zweiten Teil des X. Abschnitts folgt D. weitgehend den Ausfhrungen Alfieris in Parere dell’autore (wie Anm. Al 310, 14–24); einige Stellen daraus werden im folgenden nachgewiesen. 325, 7–10 Alfieri bis kçnnen: „Una sola letterina ci vedo introdotta in tutte le diciannove tragedie; ed nel Bruto secondo, a fine di attestare la nascita di Bruto.“ Tragedie II (wie Anm. Al 310, 14–24), S. 553. 325, 23–26 Da bis sind: „Non vi s’introducono n ombre visibili e parlanti, n lampi, n tuoni, n ajuti del cielo; non vi si vedono uccisioni inutili, o minaccie di uccisioni non naturali, n necessarie; [. . .].“ Ebd. 325, 27–31 Dagegen bis Menschen: „E mi tocca qui di osservare per incidenza, che la esposizione d’una tragedia non riuscir mai difficile a quell’autore che avr concepito una semplice azione, e che spogliatala di tutto l’inutile, l’ander sempre spingendo ad un solo fine per la pi naturale e spedita via.“ Ebd. S. 556. 326, 2–8 Alfieri bis verfolgt: Machiavelli (vgl. Anm. Al 319, 3–5) stellt in den Discorsi den Bezug zu seiner Gegenwart her. Beispiel ungebrochenen Traditionsbewußtseins ist weiter das letzte Kapitel von Il Principe, das mit Versen aus Petrarcas Canzone, Italia mia, schließt – bedeutend geworden whrend des Risorgimento (vgl. Anm. Al 285, 2), im Kampf gegen die çsterreichische und franzçsische Herrschaft und um die Einheit Italiens. Zu Continuitt vgl. Alfieri 316, 24–32. 326, 9–11 Pietro bis Knstler: Vermutlich verdankt D. dieses Urteil ber Alfieri dem vom ihm kritisierten Literarhistoriker Emiliani-Giudici, der auf P. Giordani verweist, allerdings nur mit der Nennung des Namens: „Coteste osservazioni faceva forse in mente sua un dottissimo filologo, or sono pochi anni rapito alle italiche lettere, allorch affermava che l’Alfieri va considerato come filosofo, non mai come artista.“ Storia (wie Anm. Al 323, 2–9) II, S. 376; das von Emiliani-Giudici zitierte Urteil konnte nicht nachgewiesen werden. 326, 26 dann: An dieser Stelle bricht das Ms. unvermittelt ab. Satzschluß und die folgenden Stze sind wahrscheinlich erst bei der Korrektur von D. ergnzt worden.
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Jean Paul. Entstehung und berlieferung Hinweise D.s zur Planung eines Aufsatzes ber Jean Paul oder zur Entstehung der Entwrfe fehlen bisher. G. Misch und H. Nohl halten 1906 als Entstehungsjahr fr „wahrscheinlich“. DM 467. hH: EN:
Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey A 65 (66). DM 428–463.
Textwiedergabe nach hH. Handschriftenbefund Das Konvolut A 65 (66) umfaßt Materialien in 18 als Umschlge genutzten Doppelbçgen, denen ein Einzelblatt vorangeht. Es enthlt berwiegend Diktate, wohl von Clara D.s Hand mit Zustzen D.s. Der gesamte Bestand ist mit Bleistift von 1–285 durchnumeriert (bis 105 auf den Rckseiten), vielleicht von P. Ritter, vermutlich eher von G. Misch und H. Nohl. Von Ritter stammt mit Sicherheit die Angabe von 1912 auf dem Konvolutumschlag vorn innen: „Diese Mss. lagen im Turm, unter dem Zettel: ‚Zusammenhngendes Concept der Geschichte der d[eutschen] Dichtung.“ Im Handschriftennachweis der Herausgeber von DM heißt es hnlich: „Fortlaufendes Manuskript, wahrscheinlich 1906 (auf Doktordiplomen v. J. 1903–1906) geschrieben, A 65, 1–105. Im Abdruck ist in der Einleitung einiges zusammengestellt und dann die Anordnung etwas zusammengezogen.“ Der Vergleich von Hss. und EN besttigt die letzte Mitteilung; die vorangehenden weniger. Zwar enthlt der erste Teil der Materialien zwei paginierte in etwa zusammengehçrige Komplexe, 1–48 (A 65, 2 – 57, 72) und 1–25 (A 65, 77–105), sie werden jedoch mehrfach durch zustzliche Notizen unterbrochen. Das Konzeptpapier, oft beidseitig beschriebene Doktordiplome von 1894–1904, eine Rechnung und ein Brief von 1904, Hotelbriefpapier, ergibt eine weite Zeitspanne fr die mçgliche Entstehung; auf das Jahr 1906 verweist eine nicht fr Notizen gebrauchte Postkarte. Die nur von I–VII bezeichneten Umschlagaufschriften, teils von Mischs Hand, bilden eine Art Gliederung dieses in Anstzen entworfenen Aufsatzes, fr den viel nicht zugeordnete Exzerpte und Notizen vorhanden sind. Da einer gewissen Orientierung dienlich, werden im Text Umschlagaufschrift (links) und Textberschrift, falls vorhanden, (Mitte) bernommen. Die Zhlung wird in ekkigen Klammern fortgesetzt, das Material einiger ausgewhlter Umschlge exemplarisch wiedergegeben. Die Komplexe mit eigener Paginierung bleiben erhalten; unterbrechende Zustze werden, wie das unpaginierte erste Blatt, unter Handschriftenbefund aufgenommen, Angaben am Rand dagegen in den Anmerkungen. I. Einleitung A 65 (66), 2–6, 8–15 Diktat, paginiert von 1–8, zwei Bltter von D.s Hand. Dem ersten Umschlag, Doktordiplom von 1904, geht ein unpaginiertes Blatt voraus, ohne Zuordnungshinweis, auf der Rckseite mit Bleistift als 1 beziffert, also A 65, 1. Es wird zusammen mit A 65, 7 und den dazugehçrigen Blttern hier wiedergegeben. A 65 (66), 1 Jean Paul war in der Macht der Phantasie und der Tiefe des Gemtes den beiden andern großen Dichtern gleich. Aber ihm fehlte das Eisen im Blut, den Kampf mit dem niederdrckenden deutschen Leben aufzunehmen und durchzufhren, sonach ein Ideal zu bilden, das diesseitig wre, handfest und lebensstark, eine Form zu finden, die der Ausdruck solcher Energie
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der Seele wre. So entstand kein Werk, das die Jahrhunderte mit sich forttragen, aber er wurde der Entdecker einer Welt von Empfindungen, die eben in diesem Druck, in diesem Spiel mit dem Leben, in diesem Ausweichen gegenber der Wirklichkeit entstanden. A 65 (66), 7; 117–118 Der Text auf A 65, 7 von D.s Hand unterbricht, wenn auch mit 1c paginiert, durch seinen in der berschrift sichtbaren eigenen Ansatz den Zusammenhang des sich von 1bbb (A 65, 6) auf 1d (A 65, 8) einigermaßen schlssig fortsetzenden Diktats, gehçrt nach Papier (Hotelbriefbçgen Nnalphorn, Flhli-Ranft), Schrift und einer Notiz von fremder Hand zu A 65, 117 und 118 des neunten Umschlags : Jean Paul und der humoristische Roman Das deutsche Leben in seiner Einschrnkung, Unfreiheit, Armuth mußte entweder berschritten und, zum Verstndniß des geschichtlich Großen ins allgemein menschliche erhoben oder es mußte in seiner Gemthskraft erfaßt, in seiner musikalischen Lebendigkeit ergriffen und in der Einschrnkung derselben, die von außen sie zur Sentimentalitt herabdrckte, in den Humor erhoben werden. Nur auf diesen beiden Wegen konnte die große deutsche Kunst entstehen. Der zweite Weg aber konnte nur in den Formen von Roman und Idylle eingeschlagen werden. Voß, Hippel, Jean Paul sind die hçchsten Reprsentanten dieser Form. Dort wird die idealistische Weltanschauung welche den deutschen Geist beherschte in einer strengen reinen idealisirenden Form zum Ausdruck gelangen, hier in einer realistischen. Das Gemth und der Humor zerbrechen jede Form. Der deutsche nationale Roman der in Sigwart etc. in der Formlosigkeit des Gemthes sich ausgebreitet und unser beschrnktes Leben mit Liebe, realer Deutlichkeit, Optimismus dargestellt hatte, konnte nur im Humor zur sthetischen Freiheit sich erheben, und indem so der humoristische Roman Swift Fielding Sterne in Deutschland fortsetzte, haben die Bedingungen, auf die er hier traf, ihn auf eine neue Stufe erhoben. Die Philosophie des Bewustseins, welche auch die Dichtung in Kant und Schiller zum Bewustsein ber ihre Funktion erhob, hat auch Recht und Bedeutung des Humors aufgeklrt und im Humor eine Form der Weltanschauung erkannt. Und da das Bewustsein vom unbedingten Werthe des Gemthes dieses gerade in seiner Einschrnkung und Armuth vorfand, so wurde in dem Widerspruch des unbedingten Gemthes mit der Endlichkeit in welcher es erscheint, der Unendlichkeit des Gehaltes und der endlichen Bedingungen sowie der endlichen Denk- und Lebensform des Verstandes der Widerspruch gefunden, welchen der Humor ausspricht. II. Lebensbedingungen. A 65 (66), 16–25 Diktat, paginiert von 9–17a, auf Doktordiplomen, eins von 1904. III. Seelische Struktur. A 65 (66), 26–29, 31–41 Diktat, paginiert von 18–32; unter dem Konzeptpapier ein Doktordiplom von 1903. A 65, 30, paginiert 21a, enthlt eine nicht zugeordnete Notiz von D.s Hand: A 65 (66), 30 Struktur Unter Aphorismen: „Noch haben wir kein poetisches und musikalisches Genie vereint in Einem Kopfe gefunden – wird das Hçchste geschehen? Und er erhoffe Mozart und Goethe einmal in einer Person vereinigt seien. Er sprach es selbst aus gemeines Singen und Spielen aus der Ferne erweiche und beglcke ihn, wogegen wirklicher Kunstgenuß ihn nur befriedige. „Heilige Tonkunst, Du allein bist regelmßig auf der unregelmßigen Erde und wer Dich liebt und bt spricht die Gottheit aus er gehorcht.“
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IV. Weltanschauung Jean Pauls. A 65 (66), 42–45, 47–57, 72, 59–64 Diktat mit kleinen Einschben D.s; unter dem Konzeptpapier Doktordiplome von 1896, 1897, 1901; zunchst paginiert von 33–48; die regelmßige Paginierung hçrt mit 48 (A 65, 72) auf, die weiteren Konzeptpaginierungen sind unklar, der Gesamtbestand dieses Umschlags setzt sich mit Einzelnotaten fort bis A 65, 64, wobei A 65, 46 unpaginert im Textzusammenhang steht, A 65, 58r und 58v nicht kontinuierlich lesbar sind. A 65 (66), 46 Auch die Doppelseitigkeit des Menschenlebens, auf welcher dauernd die dualistische Weltanschauung von Jean Paul beruht, ist schon in der Auswahl aus des Teufels Papieren pag. 339 ausgedrckt: „Der Mensch hat die schwere Doppelrolle auf der Erde zu machen, dass er seinen Geist erhebt, indem er seine Bedrfnisse abfttert, und gleich den Gemsen am Berge aufwrts klettert, indem er frisset – oder auch die, dass er das Erdenleben in das knftige einwebt, wie der Mond, indem er um diese kothige Erde luft, doch auch die Sonne mit umschifft.“ V. Der Ausdruck seiner Weltanschauung in dem Gehalt seiner Poesie und die Stufenfolge. A 65 (66), 65r, 65v Doktordiplom von 1896 als Umschlag, Diktat, unpaginiert. VI. Stil und innere Form seiner Dichtung. A 65, (66), 66, 68, 70, 73–76 Der Inhalt des sechsten Umschlags besteht aus einzelnen Notizen auf gesonderten Blttern, einiges von D.s Hand, meist diktiert. A 65, 67 fehlt, A 65, 72 gehçrt oben in Weltanschauung; A 65, 69 und 71 von D.s Hand nicht kontinuierlich lesbar. VII. Jean Pauls Entwickelungsgang. A 65 (66), 77–88, 90–105 Fortlaufendes Diktat, auf Doktordiplomen, eins von 1902. In das von 1–25 paginierte Ms. sind zwei unpaginierte Bltter eingeschoben (A 65, 83 und 89), von denen nur das erste in den Text einbezogen werden kann. A 65 (66), 89 „ Wenn auch die S a t i r e seltener die Laster als die Thorheiten forttreibt, so thut sie doch den Lastern von Zeit zu Zeit soviel Schimpf an, als nçtig ist, dass ein ehrlicher Mann mit ihnen, ausser im ußersten Notfall, nichts zu schaffen haben mag und sie verachtet, indem er sie gebraucht.“ (Auswahl aus des Teufels Papieren S. 16.) [VIII.] Jean Paul A 65 (66), 106r, 106v; 107r; 108r, 108v Diktat oder Exzerpte, paginiert 1–2, dazu ein unpaginiertes Blatt (A 65, 108r, 108v). [X.] Jean Paul. A 65 (66), 119–121, 123–134 Zwischen einzelnen Notaten der Ansatz zum Roman Jean Pauls, A 65, 131r, 131v; 132r, 132v, paginert 1–2. [XII.] Keine Umschlagberschrift, sondern folgende, vermutlich diktierte Notiz: Besser in die Weltanschauung selbst: Diese Grundstimmung seiner Seele, den Zug in ihr ber das Leben selber hinaus hat Jean Paul im „Hesperus“ den Helden desselben Victor, der ganz er selbst ist, aussprechen lassen mit ergreifender Kraft. A 65 (66), 142r, 142v Diktat, auf Doktordiplom von 1896. [XIII.] Anfang der Anwendung der Weltanschauung Jean Pauls auf die Dichtung. A 65 (66), 143r-146r Diktat, paginiert von 1–4, auf Doktordiplomen, eins von 1896.
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Anmerkungen Zitate werden nach den von D. angegebenen Ausgaben nachgewiesen (JP Werke und JP aW). Fr die Datierung der frhen Aufstze und wenige Stellen wird die Ausgabe P. Nerrlichs herangezogen, fr den gesamten Text dessen von D. viel genutzte Biographie (Nerrlich). Daten erwhnter Briefe, sie sind meist in: Wahrheit aus Jean Paul's Leben zuerst abgedruckt, stammen aus: Die Briefe Jean Pauls I, hrsg. von E. Berend, Mnchen 1922. 327, 3 – 340, 11 Von der bis bedrftig: Das erste kontinuierlich zu lesende Ms., dem im vierten Umschlag bereits Einzelnotizen folgen (340, 13 – 342, 21). 327, 14–15 Keller bis Immermann: Die Autoren dieser Reihe werden von D. nicht hufig erwhnt. Zu Keller vgl. Dickens 398, 15–16 und Anm.; Ges. Schr. XVII, 216; sthetik 245. W. Raabe gehçrt zur Generation D.s, ihm bekannt als Mitautor in WM. Von E. Wildenbruch, dem Dramatiker, ist çfter die Rede im Briefwechsel mit P. Yorck von Wartenburg, dessen Schwager er war. ber Immermann vgl. Ges. Schr. XV, 211–213. 327, 17–19 Und hierin bis hinaus: Zur Abhngigkeit der Romane Hçlderlins, Tiecks und Novalis’ von Jean Paul vgl. den frher festgestellten Einfluß Goethes auf Novalis und Tieck. Novalis 233, 18 – 238, 13. 327, 27–29 Hierin bis (1781): J. H. Pestalozzi, Lienhard und Gertrud. Ein Buch fr das Volk, Berlin, Frankfurt, Leipzig 1781–1787. Vgl. den Abschnitt ber Pestalozzi in D.s Artikel: Svern. Ges. Schr. IV, 471–473. 327, 29–32 In einem andren bis zeigt: J. P. Hebel, Alemannische Gedichte, Karlsruhe 1803. 328, 10–15 Lichtenberg bis u. s. w.“: „Jean Paul ist doch zuweilen unertrglich, und wird noch unertrglicher werden, wenn er nicht bald dahin gelangt, wo er ruhen muß. Er wrzt Alles mit Cayennischem Pfeffer und es wird ihm begegnen, was ich einst Sprengeln weissagte, er wird, um sich kalten Braten schmackhaft zu machen, geschmoltzenes Bley oder glhende Kohlen dazu essen mssen. Wenn er wieder von vornen anfngt wird er groß werden.“ So bei A. Leitzmann (1908), Aphorismen L, 589. Vgl. Lichtenbergs entgegengesetztes Urteil im Brief an J. F. Benzenberg vom [Juli 1798]. 328, 16–23 „Jean Paul bis Humor: Auf der rechten Hlfte von A 65, 5 (pag. 1bb) mit Einfgungszeichen notiert, teils zitiert, teils referiert (mit falscher Bandangabe) aus: Grillparzers smtliche Werke, hrsg. von A. Sauer, Stuttgart o. J. [1892–1894], Bd. XVIII, S. 79 f. Das Zitat stammt von 1843. Nach bestrebt (Z. 19) kein Komma. Statt giebt (Z. 19): „gibt“. Zu 328, 20–23 Seine bis Humor: Vgl. die Aufzeichnung Grillparzers von 1820–1821: „Jean Pauls Phantasie, so herrlich im Abspiegeln innerer Zustnde, ist aber beinahe gar nicht geeignet zum Darstellen ußerer Handlungen, er bergeht sie daher auch hufig ganz kurz, und indes er die Ursachen bis ins kleinste ausmalt, werden die Wirkungen oft nur leicht angedeutet. [. . .]. Er neigt zur Miniaturmalerei hinber, [. . .]. Was mich an Jean Paul berhaupt anzieht, ist sein Verstand und sein Humor; [. . .].“ Ebd. 328, 24–26 Nicolai bis werden: Von D.s Hand, A 65, 6 (pag. 1bbb), eingegliedert in seinen Text. Vgl. Nerrlich 160: „Nach dem Erscheinen des Titan meinte Nicolai, daß immer nur einzelne Stellen in den Werken Jean Pauls auf die Nachwelt zu kommen verdienten, das brige dagegen als caput mortuum zurckbleiben und vergessen werden msse.“ Geht zurck auf eine sehr ausfhrliche Rezen-
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sion in der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek, gezeichnet Wd.: „Der feine Sinn und die Herzlichkeit, welche in vielen einzelnen Stellen so sehr gefallen, werden dann, (wie schon der Anfang gemacht worden ist) in einen Eprit [sic] de Jean Paul ausgezogen, allenfalls citirt werden, wie die Sprche todter Weisen, und das caput mortuum, dessen so viel zurckbleibt, wird weggeworfen und vergessen werden.“ Neue ADB 64 (1801), S. 89 f. Dazu Brief Jean Pauls aus Meiningen vom 1. Februar [1802] an Ch. Otto: „In der allgemeinen Deutschen Bibliothek hat mich Nikolai bis auf ein Paar Knochen aufgefressen. Ich antworte dem Klffer nichts.“ B Otto IV, 70. D. zu Titan Novalis 234, 17–20. 328, 26 vergessen werden: Auf Nicolais Urteil folgt von D.s Hand A 65, 7 (pag. 1c). Vgl. oben unter Handschriftenbefund A 65, 7; 117 und 118. 328, 34 poetischer Stoff korr. aus poetische Stoff. 328, 36 Hippel: Zu Th. G. von Hippels Roman und seiner Erzhltechnik vgl. Anm. No 201, 30. 329, 21–23 Das Neue bis etc.: Ungewçhnliche, wenn auch von D. nicht weiter verfolgte Verbindung Jean Pauls mit dem Zeitalter der Phantasie. 330, 5 von hervorragenden: In dieser Wendung von erg. 330, 8 Jacobi: F. H. Jacobi, zunchst Kaufmann, vor allem Schriftsteller und Philosoph. Zu seiner Rolle im Streit mit M. Mendelssohn um Lessings angeblichen Pantheismus vgl. Lessing 113, 5 – 114, 37 und die entsprechenden Anm. 330, 13–15 Es bis Reiz: Zu Realismus und Humor vgl. oben Handschriftenbefund A 65, 7; 117 und 118. 330, 15–16 Eichendorf: J. von Eichendorff, von D. in hnlicher Weise herangezogen im HçlderlinAufsatz. Ges. Schr. XXVI, 288. 330, 29 Hesperus: J. Paul, Hesperus oder 45 Hundsposttage. Eine Biographie, Berlin 1795. 330, 34 – 331, 7 Bayreuth bis Preußen: Markgrafschaft oder Frstentum Bayreuth wurde 1735– 1763 von Markgraf Friedrich regiert, verheiratet mit Wilhelmine, der berhmten Bayreuther Markgrfin.Tatschlich wurde Bayreuth 1769 noch einmal mit Ansbach vereinigt, spter, wie angegeben, von dem Markgrafen Karl Alexander an Preußen abgetreten. Bauten: Opernhaus (1744–1748); Das Neue Schloß (1753/54; Erweiterung 1759). 331, 11 Tertius: Der dritte Schullehrer. D. entnimmt die Daten zur Herkunft Jean Pauls der von ihm angegebenen Quelle, die er hier und çfter mit N. abkrzt: P. Nerrlich, Jean Paul. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1889, S. 77. 331, 12 Wunsiedeln: Allgemein: Wunsiedel, so bei Nerrlich u. a.; bei Jean Paul in der ersten Vorlesung zu seiner Autobiographie „Wonsiedel“. 331, 13 Joditz: Pfarrdorf nordwestlich von Hof; Schloß, Patrimonialgericht.
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331, 15–17 Die Freifrau bis zuzuwenden: Davon berichtet Nerrlich: „Lngst hatte sie die Gelegenheit herbeigewnscht, dem ‚rmlichen Schwarzrock einen besonderen Beweis ihres Vertrauens und ihrer Dankbarkeit zu geben; sie bertrug ihm daher die Stelle, und er siedelte, wie bereits angedeutet, am 9. Januar 1776 nach Schwarzenbach ber; damit aber beginnt auch eine neue Periode im Leben Jean Pauls.“ Nerrlich 88. 331, 18–25 Jean Paul bis Herzens.“: D. zitiert nach Nerrlich 90 (bernimmt: „Dieses herzliche Teilnehmen“). Betont vorangestellt: die verdichtete Menschenliebe (Z. 18–19) statt: „eine verdichtete Menschenliebe“. Jean Paul hat den Beginn einer Autobiographie in drei Vorlesungen entworfen, erschienen in: Wahrheit aus Jean Paul's Leben I, Breslau 1826. Die angefhrte Stelle steht in der zweiten Vorlesung, ebd. S. 30, abgedruckt in der von D. auch benutzten Ausgabe, JP aW XVI, 19 f. Statt womçglich (Z. 20): „wo mçglich“; kein Ausrufungszeichen am Satzende. Statt Im Dorfe (Z. 21): „Aber im Dorfe“. Kein Komma nach Dorf (Z. 21). Statt Trauer weiß . . . Dieses herzliche Teilnehmen (Z. 22–23): „Trauer weiß; Joditzer haben sich alle in einander hineingewohnt und hineingewçhnt; – und dieses herrliche Theilnehmen“. Statt Bettler (Z. 24): „den Bettler“. Nach aus (Z. 25) Komma. 331, 32 gegenber: Darauf folgendes aus gestr. 332, 6 Klinger oder Schiller: M. Klinger, Schiller, beide Dramatiker, und Jean Paul ist gemeinsam, aus armen Familien zu kommen. 332, 13–15 Den grçßten bis erschien: E. Platner, Arzt und Philosoph, seit 1770 zunchst Professor der medizinischen Fakultt in Leipzig, spter auch der philosophischen. Philosophische Aphorismen Platners erschienen in zwei Teilen in den von D. angegebenen Jahren. 332, 15–21 Zu untersuchen bis etc.: In Platners Anthroplogie fr Aerzte und Weltweise (1772) und in seinem ganzen Werk steht die Beziehung zwischen Kçrper und Seele im Mittelpunkt. 332, 22–27 Religiçs bis bestimmt: Nerrlich sieht Jean Paul in den frhen Aufstzen in bereinstimmung mit Lessing und fhrt fort: „Er begngt sich aber damit nicht, sondern hebt hervor, daß die Religion eines jeden Volkes durch die physische Beschaffenheit des Landes, das Klima, berhaupt die Individualitt bedingt sei, er nennt es verkehrt, den Anhnger einer bestimmten Religion mit einem andern Maßstabe als dem dieser Religion selbst zu messen.“ Nerrlich 101 f. Vgl. ber die Religionen in der Welt. Jean Pauls Werke I (wie unten Anm. 345, 13–15), S. 12–14 und Lessing 102. 332, 34–35 schlechthinigen: Auch 334, 15. Korrekt nach Grimm (1899). 333, 4–6 In dem Vater bis (N. 76/77.): ber musikalische Begabung und Ttigkeit J. Ch. Ch. Richters, Jean Pauls Vater, bei Nerrlich, wie angegeben: „Frhzeitig schon offenbarte sich in dem Knaben das hervorragende Talent fr Musik, welches ihn spter zu einem beliebten Kirchenkomponisten machte; noch im Anfange des folgenden Jahrhunderts hçrte Jean Pauls Freund Christian Otto in der Wunsiedler Kirche seine Kompositionen. In der Kapelle des musikkundigen Frsten Thurn und Taxis fand er whrend seiner Mußestunden die Gelegenheit zur Ausbildung dieses Talentes, zugleich auch die Mittel fr seinen Unterhalt.“ 333, 10–11 Der Schauplatz bis maggiore: Vgl. die berfahrt nach Isola bella zu Beginn des Titan in: Erste Jobelperiode. 1. Zykel. JP Werke XV, 17 f.
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333, 30–38 Musikalisch bis bedient: Entsprechender Vergleich fr die Romantechnik von Dickens. Tg. Di, Handschriftenbefund: 602 Fortsetzung. 333, 38 gelernt: Damit endet A 65, 29 (pag. 21), angefgt ist eine Passage von D.s Hand, A 65, 30 (pag. 21a), die mit ihren Zitaten die Beziehung Jean Pauls zur Musik unterstreicht, wegen ihrer eigenen berschrift nicht in den Textzusammenhang einbezogen wird. Vgl. oben Handschriftenbefund. 335, 24–27 „Wenn bis gekhlt ist.“: Am rR (A 65, 37) der Bleistiftvermerk: Gervinus V 206. D. entnimmt das Zitat aus Gervinus V (41853) mit verndertem Einschub und vernderter Interpunktion. Quelle nicht ermittelt. 335, 28 Reizmittel: Am rR (A 65, 38) wiederholter Hinweis: Gerv. 206, der sich offenbar auf Reizmittel bezieht: „[. . .] er trank nicht beim Mahl, um nicht die Kraft durch Trinken o h n e S c h r e i b z w e c k abzustumpfen, aber er trank, um zu schreiben, um die Seele von der sie niederhaltenden Materie zu befreien; er ward ein Trinker aus schriftstellerischem Instinkt.“ Gervinus V (41853). 335, 32 Er bis alt: Das Ms. enthlt eine deutliche Lcke fr die Altersangabe. 336, 2 zu Grunde liegen: Grunde nicht klar lesbar, eher: Grenze. 336, 11–15 „eine bis darstellen.“: Bis auf die Großschreibung zu Satzbeginn bereinstimmend mit Nerrlich 133. Vgl. Jean Paul 343, 18–22 und Anm. Nerrlichs Quelle nicht gefunden. 336, 20 in seinen Naturscenerien: Aus in seine Naturscenerien korr. 336, 20 Eremitage: Lustschloß in der Nhe Bayreuths. Altes Schloß (1715–1718), Neues Schloß (1749–1753). 336, 31–32 nachtgeborenes Ungeheuer: Nerrlich 115 hat seine von D. leicht vernderte Wendung „nachtgebornes Ungeheuer“ aus: Vergleichung des Atheism mit dem Fanatism: „Beide Ungeheuer hat die Nacht geboren, beide fliehen vor dem Tag.“ Jean Pauls Werke I (wie unten Anm. 345, 13–15), S. 78. 336, 33–34 jenseit der kritischen Bewegung: Vor dem Erscheinen der Kritiken Kants: Kritik der reinen Vernunft (1781); Kritik der praktischen Vernunft (1788); Kritik der Urteilskraft (1790). – Grimm (1877) verzeichnet „jenseit“ neben „jenseits“, ebenso fr das Substantiv, vgl. Jean Paul 340, 3. 337, 2–5 In einem bis Heiliger.“: Vgl. Nerrlich 116 f. Titel von Jean Pauls Aufsatz: Etwas ber den Menschen. „In allen Wissenschaften giebt’s Gelehrte, allein die Menschenwissenschaft hat keine; [. . .].“ Unter einer Reihe gegenstzlicher Bestimmungen des Menschen: „Er ist das Geschçpf, welches die Fhigkeit besitzt, das Unvereinbare zu vereinigen, – das Geschçpf, welches Narr und Weiser, Gottloser und Heiliger zugleich ist.“ Jean Pauls Werke I (wie unten Anm. 345, 13–15), S. 17 und 28. 337, 9 „Die bis Weisen“: ber die „Thorheiten“: „Sie sind die Federn auf dem Kleide des Weisen, er kehret sie nie alle ab; sie sind die Lappen auf dem Harlekinskleid des Unweiseren.“ Ebd., S. 32.
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337, 10 Nun bis Teufelspapiere: J. P. F. Richter, Auswahl aus des Teufels Papieren, [Beckmann in Gera] 1789. Angaben aus: JP Werke IV, 5, Anm. 337, 11–15 „Kant bis predigen.“: Auswahl aus des Teufels Papieren. Erste Zusammenkunft mit dem angenehmen Leser XIII. Ernsthafter Anhang. Ueber die Tugend. Kant (Z. 11) gesp. Statt Grundsatz (Z. 12): „Grundsatze“. Statt Atem (Z. 14): „Athem“. JP Werke IV, 168 f. 337, 20–22 „Ein gutes bis werden“: Am rR (A 65, 44) Stellenangabe: Auswahl aus des Teufels Papieren, Bd. IV. 211. Das Zitat steht in: Zweite Zusammenkunft mit dem Leser I. Mein Auto-dafee im Kleinen. Bilderblinde (Z. 20): gesp. Statt hineinstellt (Z. 21) und angeschaut (Z. 22): „hineinstellet“ und „angeschauet“. 337, 23–27 Aber bis Lebenserfahrung: Absatzanfang von D.s Hand. 337, 24 Swift: J. Swift, Theologe, auf soziale Verhltnisse konzentrierter Satiriker. 337, 33 Genies: Darauf folgt, im Ms. unpaginiert, A 65, 46. Vgl. oben Handschriftenbefund. 337, 34–38 Auswahl bis Tugend an.“: Kleiner Abschnitt von D.s Hand. Nach Angabe des Herausgebers (JP Werke IV, 5) hat es keine weitere Ausgabe dieses Werkes gegeben. Die verkrzte, falsch zitierte Stelle stammt aus: Zweite Zusammenkunft mit dem Leser XIII. Ernsthafter Anhang, in den ich gegen das Ende einen poetischen gemischt habe. Sie heißt: „Keine Kunst erzieht die Rousseau’s, die Sidnei’s, und keine verzieht sie. Eben so gibt es gewissermaßen auch ein Genie zur Tugend; vom Himmel fallen sie herab, nicht aus Nilschlamm keimen sie herauf, jene Menschen, die ohne den gewçhnlichen Hunger nach dem irdischen Kçder, ohne Halblust, ohne Eitelkeit, ohne gebieterische Leidenschaft fr irgend etwas, mit vielleicht bermchtiger Phantasie in der Welt weniger das Vergngen suchen als verbreiten, und die Erde nicht als Stoff der Freude, sondern als Stoff der Tugend achten und unter der gefrornen Verpuppung Flgel fr einen fremden Frhling nhren.“ JP Werke IV, 334. 337, 39 – 338, 1 In den bis wrdigen: Nerrlichs Bericht: „K a n t s H e r z , schreibt er das eine Mal, gebe seinem Kopfe wenig nach, ebenso rhmt er die jngst erst in der Berliner Monatsschrift erschienenen ‚Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbrgerlicher Absicht; er tadelt Platner, welcher ihn mit Hume verglichen, und erhebt sich gegen die thçrichte Behauptung, daß er ein Skeptiker sei.“ Nerrlich 147. Vgl. Brief Jean Pauls an seinen Freund A. L. von Oerthel vom 9. Februar 1785. 338, 1–3 Eben bis Sonnensystem: Nerrlich ber die Empfehlung fr den Pfarrer Vogel: „[. . .] er empfiehlt ihm dringend, denn K a n t sei kein Licht der Welt, sondern ein ganzes strahlendes Sonnensystem auf einmal, dessen Grundlegung zu einer Metaphysik der Sitten und die Kritik der praktischen Vernunft.“ Nerrlich 151. Vgl. Brief Jean Pauls aus Tçpen vom 13. Juli 1788. 338, 4–5 Auch bis Begeisterung: ber Jean Pauls Freundschaft mit J. B. Hermann vgl. Nerrlich 152–154. Zu Hermanns Kantbegeisterung: „Er besuchte vornehmlich die Vorlesungen Kstners und Lichtenbergs und verkndete begeistert den Sieg der Kantischen Philosophie; ]. . .].“ Nerrlich 153. 338, 6–10 In den bis Ordnung: Zu den Anhngen vgl. Jean Paul 337, 11–19 und oben Anm. 337, 11–15.
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338, 16 : Lesung von Misch/Nohl, so unsicher wie andere Leseversuche. 338, 16 Bayle: Zu D.s Bezug auf P. Bayle vgl. Anm. Le 115, 5. 338, 31 Indem bis Kants: Zu den Kritiken Kants vgl. oben Anm. 336, 33–34. 339, 6–8 Hierin bis Herder: Vgl. D. zu Jean Pauls Brief ber die Philosophie. Jean Paul 340, 23 – 341, 14 und unten Anm. 340, 24–25; 341, 11–14. Brief Jean Pauls an Jacobi vom 15. Mai 1799. JP Werke XXIX, 258–262. 339, 18 – 340, 11 Wir bis bedrftig: Von D.s Hand. 339, 19 und zwar: Vorangehendes der von D. versehentlich nicht gestr. 339, 29 getragen: Steht ber ungestrichenem: verstrkte. 339, 33 inhaltsleere: Am rR (A 65, 57): cf Hegel. 340, 3 Jenseit: Vgl. zu D.s Sprachgebrauch oben Anm. 336, 33–34. 340, 11 bedrftig: Auf den zusammenhngenden Text folgen die Bltter A 65, 58–64, teils von D.s Hand, teils diktiert, mit einzelnen Angaben, Bemerkungen, Auszgen. Nicht kontinuierlich lesbar ist A 65, 58, von D.s Hand mit Auszgen aus Jean Pauls sptem Werk: Selina, oder ber die Unsterblichkeit der Seele. 340, 13–21 (Hesperus S. 214.) bis geben.“: Hesperus, 24. Hundsposttag. Sechster Schalttag. Ueber die Wste und das gelobte Land des Menschengeschlechts. Schlußabschnitt. Statt muss (Z. 18 und 20): „muß“. JP Werke VI. 340, 23 Brief ber die Philosophie: Jean Pauls Brief ber die Philosophie, den D. zusammenfaßt, gehçrt zu: Jean Paul’s Briefe und bevorstehender Lebenslauf. JP Werke XIII, 308–320. 340, 24–25 Zwei Arten bis Jacobi: „Es gibt zwei sehr verschiedene philosophische Kçpfe, die ich, da Kant gern die negativen und positiven Grçßen in die Philosophie herein htte, mit Vergngen in beide zerflle. [. . .] Kçpfe also wie Leibnitz, Plato, Herder, Jakobi etc. kann ich positive heißen, [. . .].“ Ebd. 310. 340, 24 philosophischer Kçpfe: Korr. aus: philosophischer Kçpfen. 340, 25–33 „Der bis 310): Statt inneren (Z. 27): „innern“. JP Werke XIII, 310. In einem metamorphotischen Spiegel (Z. 27–28) sieht man sich verzerrt. 340, 33 – 341, 2 Die negativen bis Raumanschauung: D. spielt auf folgende Stellen an: „Ein negativer Kopf, mein Hans, hat mehr Scharfsinn als wir beide, [. . .]. Er gibt uns, statt der vorigen dunkeln Ideen, klare, aber keine neuen; weil nur das ins Klare zu setzen ist, was eben schon da saß im Dunkeln. Ebd. 310 f. „Kann der negative Kopf eine Sache nicht zu einem Wort verdnnen: so verdickt er wenigstens ein Wort zu einer Sache; und da hebt sein eigentliches Leben erst recht an. Die Taufe irgend einer Schwierigkeit gilt stets fr die Erklrung derselben. Z. B. durch das Simultaneum
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Textgeschichte und Anmerkungen
der bersinnlichen Welt, worin der Mensch frei handelt, mit der empirischen, worin er nothwendig agiert, ist die schwierige Frage nur anders benannt, aber nicht anders beantwortet als vorher; indeß setzet der Haufe auf diese Gebude wieder neue; und das oft gebrauchte Wort wird endlich eine feste Sache und das dunkle durch Wiederholung ein klares. So ist die Raum-Anschauung a priori ein Wort wie Dichtigkeits- oder Farben-Anschauung a priori, weil Du keinen Kçrper ohne Ort, aber auch keinen ohne Dichtigkeit, ohne Farbe denken kannst.“ JP Werke XIII, 315. 341, 3–5 Hierher bis daherdringt.“: Jean Paul spricht ber sich, als den Vater, in der dritten Person: „Vor einigen Tagen ertappte er einen großen Philosophen von zweischneidigem Scharfsinn, dessen fester gleich den alten Deutschen mit Ketten aneinander geschlossener Phalanx demosthenisch daherdringt, dennoch ber folgendem Fehler, den F i c h t e schrfer ahnden wrde, htt’ ihn nicht – Fichte begangen. Er nimmt (aber mit andern Worten) nach Maßgabe der drei Tonsysteme drei wunderbare Harmonien an ohne einen Harmonisten, der sie gestiftet – [. . .].“ Ebd. 317. Zu Fichte: Clavis Fichtiana (1800). JP Werke XVII. 341, 6–9 Er bis Philosophie: „Beschtze gegen die Despotie jedes Systems Deine hçhere poetische Freiheit durch das Studium aller Systeme und unhnlicher Wissenschaften. [. . .] Und gehe besonders nie unter Philosophen, ohne eine Kronwache von Physikern, Geschichtsschreibern und Dichtern um Dich zu haben.“ JP Werke XIII, 318. 341, 9–11 Auf bis zusammen.“: Vgl. „Alle Wissenschaften und Zustnde nehmen auf ihrem hçchsten Tabor die poetische Verklrung an, wie alle Gçtter nach Makrobius nur Verkleidungen des Apollo sind. Die Dichter hngen den Kopf wieder mit dem Herzen zusammen; und ohne sie wird Deine Philosophie, die mehr die Freuden als Leiden wegzudisputieren versteht, blos zu einem hellen Mittag, wo kein R e g e n b o g e n mçglich ist, und doch die schwersten Gewitter.“ Ebd. 318 f. 341, 11–14 Der hçchste bis Ideal: D.s Zusammenfassung von Jean Pauls Brief ber die Philosophie endet, verkrzt, mit der Apotheose Herders. „O Paul, wenn Du einmal die hohe Welt dieses Genius ersteigst, der keinen Gedanken und keine Kenntniß einsam hat, sondern jeden Wellenring zur Planisphre macht – [. . .] so wirst Du auf einem Gebirge sein, die Vçlker unten werden n h e r und v e r b u n d e n um Dich liegen, und eine hçhere Duldung, als das Jahrhundert kennt, wird dieser Vçlker- und Zeiten-Maler Deinem Herzen geben – [. . .] und Melodien werden Dich umwehen [. . .] und gib dann, wie ich, dem Menschen, den Du am innigsten liebst und ehrst, nie einen andern Namen als – Herder! – “ Ebd. 319 f. 341, 17–19 Er hebt bis zu sein: „‚Wie? da der chte Idealist alles selber macht, alle Sterne am Himmel und die physische und gelehrte Welt; da er die Werke der besten Autoren geschrieben, vom Homer bis Gçthe; [. . .] – ein Narr, sag ich, wr’ der ganze Gott, wenn er eine demthige Haut wre [. . .].“ Konjektural-Biographie. Sechste poetische Epistel. JP Werke XIII, 377 f. 341, 21–26 Die Kantianer bis Manuscripte: D. verndert durch Umstellen und Krzen. Vgl. „Als Gegenfßler der Glckseligkeitslehre kçnnen sie aus dem Vergngen anderer Leute nicht mehr machen als aus ihrem eignen, und opfern also fremdes eben so kalt wie eignes auf. Sie wrden sich daher schmen – denn es wre Heteronomie – in ihrer f o r m a l e n Tugend die materielle Absicht fremder Beglckung mehr wie der eignen zu haben; sie suchen andern (wie sich) nichts zu verschaffen als das einzige und hçchste Gut (Moralitt), und thun es durch die einzig-mçglichen Mittel, durch Diskurse und Manuskripte.“ Jean Paul’s Fata und Werke vor und in Nrnberg. Siebentes Werk vor Nrnberg. bergeordneter Titel: Palingenesien. JP Werke XIV, 123 f.
Jean Paul.
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341, 26–29 „Ihre bis ausgegeben.“: Vgl. „Und so erreichen sie leicht den hçchsten Gipfel der Moralitt, indem sie [. . .] z. B. ihre Freigebigkeit nicht in einer elenden materiellen Gabe, sondern in einer Ermunterung zur Freigebigkeit bestehen lassen: der Ermunterte ermuntert fort, und so immer jeder den andern, und kein Heller wird dabei ausgegeben.“ Ebd. 124. 341, 31 – 342, 4 Jean Paul bis 198): Bis Physik (Z. 33) von D.s Hand. Zitat aus der Vorrede zu: Jean Paul’s Briefe und bevorstehender Lebenslauf. Satzanfang von Es bis Isis-Schleier: „Es werden einige Jahrzehende kommen – denn mehre vertrgt das unsterbliche Herz des Menschen nicht – worin Chemie und Physik und Geogonie und Philosophie und Politik verschworen den Isis-Schleier“. Komma nach frechen (342, 1) von D.; Schatten (Z. 3) und Blut (Z. 4) gesp. JP Werke XIII, 198. Geogonie/Geogenie: Theorie von der Erdentstehung. 342, 6–10 Diese bis besteht.“: Verkrzte Zusammenstellung aus weiteren Abschnitten der Vorrede (vgl. die vorangehende Anm.). „ ‚Diese moralische Revoluzion (eine politische ist mehr die Tochter als Mutter einer moralischen), dieser Uebermuth des Geistes der Zeit geht bis zu den Kritikern herab, die den Dichter vor der Moral warnen und die es lieber haben, daß er, wenn er doch einmal sich mit Stoff befngt, das kleinere Uebel whle und eher zu tief in den unsittlichen greife als in den sittlichen. [. . .] Inzwischen wird auch diese Zeit ihre Sonnenwende finden. Das Menschenherz verstubt, aber nie sein Ziel.“ In D.s Zitat statt Alles (Z. 9–10): „alles“. Ebd. 198 f. 342, 12–21 Religion bis 15): Zitat aus: Offner Brief an Leibgeber anstatt der Vorrede. Der Brief leitet Jean Paul’s Fata und Werke ein. Nach der Klammer (Z. 15) Komma. Statt tatenvollen (Z. 15): „thatenvollen“; gestirnte Himmel (Z. 16–17) gesp. Statt Deinem (Z. 19): „deinem“. Bricht ab. JP Werke XIV, 15. 343, 7 Stil bis Dichtung: Unter dieser Umschlagberschrift finden sich nur einzelne Notizen, A 65, 66–76, vgl. Handschriftenbefund, nicht alle entzifferbar. Misch/Nohl verwenden die berschrift und setzen darunter eine Kombination aus A 65, 131–132 und 204. DM 450–453. 343, 10–15 „Denn bis desselben.“: Auswahl aus des Teufels Papieren. Zweite Zusammenkunft mit dem Leser X. Ironischer Anhang 3. Ueber die Wahrheitsliebe der Hof- und Weltleute. Klammerzusatz (Z. 10) von D. Statt grossen Wert der Unwahrheit so wie ber 20 andre Punkte (Z. 10–11): „großen Werth der Unwahrheit, so wie ber zwanzig andere Punkte“. Der letzte Teilsatz (Z. 13–15): „daß der Mensch die Wahrheit eben so wenig und eben so schwer r e d e n als f i n d e n kçnne und fr die freiwillige V e r b r e i t u n g oder E r s c h a f f u n g eines Irrthums eben so viel Toleranz verdiene als fr die A n n a h m e desselben.“ JP Werke IV, 319. 343, 18–22 Schon in bis schlingen.“: Ebd. XIII. Ernsthafter Anhang, in den ich gegen das Ende einen poetischen gemischt habe. Statt „Vielleicht sehen (Z. 20): „Daher sehen vielleicht“. Statt schlingen.“ (Z. 22): „schlingen; daher mag ihnen oft unser Scharfsinn Witz, und unser Witz Scharfsinn dnken.“ JP Werke IV, 332. Vgl. Jean Paul 336, 11–15. 343, 22 schlingen.“: Es folgen weitere Notizen von D.s Hand, A 65, 69–71, von denen nur A 65, 70 (343, 24 – 344, 3) wiedergegeben werden kann. 343, 25–28 Styl bis Tageswerken: Von D.s Hand. Anspielung auf: Erzhlung dessen, was ich einige Schlafende reden hçrte. In: Auswahl aus des Teufels Papieren. Zweite Zusammenkunft mit dem Leser VIII. JP Werke IV, 295–301.
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Textgeschichte und Anmerkungen
343, 32 – 344, 3 „Am bis entgegen.“: Beginn des Abschnitts: Ueber die Wahrheitsliebe der Hofund Weltleute (wie oben Anm. 343, 10–15): „Am Hofe fllet jeder, so gut er kann, mit Druckkugeln, die Belidor aussann, seinen Nchsten und dessen Verwandte an; die Krieger sind ber der Erde, der Krieg ist unter der Erde und der Mineur der einen Partei grbet oft dem Mineur der andern entgegen, und beide hçhlen hart neben einander, – aber das ist auch das einzige, was man gegen den Hof aufbringen kann.“ JP Werke IV, 318 f. 344, 5–8 Eine bis Arbeit: Anspielung auf die Szene: Himmelfahrt der Gerechtigkeit in: Auswahl aus des Teufels Papieren. Erste Zusammenkunft mit dem angenehmen Leser IV. JP Werke IV, 72–74. 344, 14–24 „Unsere bis Dichtens.“: Hesperus. 8. Hundsposttag. Statt inneren (Z. 14): „innern“. Apostroph in solltens (Z. 18). Statt a b g e z o g e n e n (Z. 20): „a b g e z o g n e n “. Statt Umfang (Z. 21): „Umfange“. JP Werke V, 144 f. „Injurianten“ zu: iniuria/Injurie, Ehrverletzung; „sinesische Schatten“: chinesische Schatten, Figuren im Schattenspiel. 344, 28 – 345, 2 „Seit bis ausfllt?“: Hesperus. Vorrede zur dritten Auflage. Statt mehreren (Z. 29) und lteren (Z. 29): „mehren“ und „ltern“. Statt u. a. (Z. 30): „und andern“. Dahore und erhaben (Z. 34): gesp. Statt tut (345, 2): „thut“. JP Werke V, 7. Ernst Wagner, Romanschriftsteller, Zeitgenosse Jean Pauls, von ihm geschtzt und gefçrdert. 345, 4 Es bis Hçlderlin: Vgl. das pathologische Interesse [. . .] an diesem Fall, an Hçlderlin. HW 102. 345, 13 – 352, 8 Hieraus bis Reue sind: Dieser Teil stellt den zweiten geschlossenen Textkomplex dar, A 65, 77–105, abgesehen von einem eingeschobenen Blatt, paginiert 1–25; diktiert. 345, 13–15 Er beginnt bis Studium: Zu den Aufstzen gehçren u. a. nach: Jean Pauls Werke I, hrsg. von P. Nerrlich, Berlin und Stuttgart [1884] die folgenden: ber die Religionen in der Welt (1779). Etwas ber den Menschen (1781). Vgl. ober Anm. 337, 2–5. Vergleichung des Atheism mit dem Fanatism (1781). Dazu oben Anm. 336, 31–32. 345, 19–20 Er sagt bis Deutschen: Brief Jean Pauls an F. H. Jacobi vom 3. Dezember 1798: „Bei mir war, wie bei den Deutschen, Philosophie frher als Dichtkunst; Planeten sieht man Abends frher, als Sonnen, wiewol hier, wie berall im Universum (nur Gott ausgenommen), nur die S t u f e unterscheidet, und nicht die A r t .“ JP Werke XXIX, 252. 345, 20–21 Sein Verkehr bis nahe: ber den Mitschler A. L. von Oerthel aus Tçpen, Sohn eines Gutsbesitzers, vgl. Nerrlich 105. Lektre: J. M. Miller, Siegwart. Eine Klostergeschichte (1776); J. W. Goethe, Die Leiden des jungen Werthers (1774); L. Sterne, The Life and Opinions of Tristram Shandy Gentleman 1–9 (1759–1767). 345, 22–23 Abaelard und Heloise: Der erste Romanversuch Jean Pauls entstand im Sommer 1781. Nerrlich 105–108. 345, 23–26 Seine Lektre bis kann: Zu Pfarrer Vogel aus Rehau und dessen Bibliothek vgl. Nerrlich 97 f. Unter den Bchern: C. A. Helvetius, De l’homme, de ses facults intellectuelles et de son ducation (1772). Vgl. den Brief Jean Pauls an den Pfarrer Vogel vom 3. April 1781.
Jean Paul.
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345, 32 Platner: Vgl. oben Anm. 332, 13–15. 346, 3 Scrupeln: Wortbildung in Grimm und Duden nicht nachgewiesen. 346, 29–35 Ein Jahr bis durchgefhrt: bersendung des Manuskripts von: Lob der Dummheit (1781) an Pfarrer Vogel mit Brief vom 8. Mrz 1782. Vgl. Nerrlich 117. 346, 31 Erasmus: Von Einfluß: Moriae encomium Erasmi Roterodami declamatio, Paris o. J. [1511], Lob der Torheit. 346, 35–39 Er lsst bis Zeit: ber den nicht antwortenden Ch. G. Seydlitz, Professor der Philosophie, berichtet Jean Paul im Brief an den Pfarrer Vogel vom 20. Februar 1783. Umarbeitung des Ms. zu: Grçnlndische Prozesse, oder satirische Skizzen (1783–1784). Vgl. Nerrlich 125 f. 346, 38 bei Voß 1783: Am rR (A 65, 82): Gçdeke gibt 1783–84 an. In JP Werke IX, 3 und bei Nerrlich – davon geht D. aus – ist fr beide Bde der Grçnlndischen Prozesse 1783 als Erscheinungsjahr angegeben, der zweite erschien 1784. 347, 1 Rabener und Liscow: Am rR (A 65, 82): vgl. Satire ber den Ahnenstolz, wo viel derber. Das dritte Kapitel der Grçnlndischen Prozesse enthlt: Ueber den groben Ahnenstolz. Ein Brief. JP Werke IX, 90–97. Zu G. W. Rabener und Ch. L. Liscow, Jean Paul vorausgehende Satiriker, vgl. Nerrlich 119 f. 347, 4 Marc Aurel: Marcus Aurelius, seit 161 rçmischer Kaiser; Betrachtungen „An sich selbst“. 347, 5–8 „Die philosophischen bis abweisen.“: Auswahl aus des Teufels Papieren (wie oben Anm. 343, 18–22). Statt sowohl unsre Leiden (Z. 5–6): „sowol unsere Leiden“. Statt Genuss und bels (Z. 7–8): „Genuß“ und „Uebels“. JP Werke IV, 336. 347, 9–10 Als er bis mehr: Jean Pauls Brief an den Pfarrer Vogel vom 20. Februar 1783 (vgl. oben Anm. 346, 35–39) enthlt die Mitteilung: „[. . .] denn ich bin ia kein Teolog mer, sondern aus dem Paullus ist Saulus geworden.“ Briefe I, hrsg. von E. Berend, S. 64. Vgl. Nerrlich 136. 347, 17–20 Damals, bis suchen: Das Andachtsbchlein von 1784 erschien in: Wahrheit aus Jean Paul's Leben III (1828): „Strebet man nach Ehre unter Papageien, Affen, Wçlfen? warum unter ihnen ganz hnlichen Menschen?“ Ebd. S. 299; auch JP aW XVI, 152, Nerrlich 141. So wenig bis Papageien (Z. 19) : Im Ms. fehlendes man erg. 347, 22–26 Er entfloh bis wohnte: 1784 Flucht Jean Pauls aus Leipzig mit extra gekauftem Zopf, von seinem Freund Oerthel geliehenem Mantel, unter dem Namen seines Freundes Hermann. Nerrlich 142. 347, 39–40 Es ist bis abspielt: J. H. Voß, Luise (1783); J. W. Goethe, Hermann und Dorothea (1798). 348, 4–15 Aber bis Gestalt: Zu den huslichen und familiren Verhltnissen in Hof nach der Rckkehr Jean Pauls aus Leipzig vgl. Nerrlich 143–146. Pult (Z. 10) kann n. und m. sein.
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Textgeschichte und Anmerkungen
348, 18–19 Der Pfarrer bis Pauls: E. F. Vogel, Raffinerien fr raffinirende Theologen, 2 Bde, Berlin, Frankfurt, Leipzig 1785–1786. Vgl. Nerrlich 147. 348, 19–22 Ein andrer bis Paul: Mixturen fr Menschenkinder aus allen Stnden, von verschiedenen Verfassern (Jean Paul Friedr. Richter, Joh. Sam. Vçlkel, Kletter, Erhard Friedr. u. Joh. Wilh. Vogel). Frankfurt u. Leipzig (Lbeck’s Erben in Bayreuth) 1786. Anonym. Angaben nach GV, D.s nach Nerrlich 148. 348, 27–28 Damals bis Erfolg: Zu den ersten unbeantwortet gebliebenen Briefen an Herder, mit dem Jean Paul spter eng verbunden war, vgl. Nerrlich 149; Brief Jean Pauls aus Hof an Herder vom 11. September 1785. 348, 28–32 Eine Zeitlang bis entwickeln: Jean Paul unterrichtete in Tçpen bei Hof den jngsten Sohn des Kammerrats von Oerthel. Nerrlich 149. 348, 35–37 Viele bis abgedruckt: Am rR (sptere?) Bleistiftnotiz (A 65, 91): Welche Abhdlg. in Archenholz? Bei Archenholtz erschien: Launigte Phantasie in: Neue Literattur und Vçlkerkunde II, 1 (Mai), hrsg. von J. W. von Archenholtz, Dessau und Leipzig 1788, S. 418–437. Vor der Schlußanmerkung gezeichnet: J. P. F. Hasus. – Unter dem Titel: Scherzhafte Phantasie von J. P. F. Hasus in: Herbst-Blumine I, 4. JP Werke XXX, 56–72. Erwhnt bei Nerrlich 151. 348, 37–38 Als Auswahl bis Verleger: Vgl. oben Anm. 337, 10. 349, 14–17 Als bis Juwelenhndler.“: Auswahl aus des Teufels Papieren. Erste Zusammenkunft mit dem angenehmen Leser III. Von den fnf Ungeheuern und ihren Verhltnissen, wovon ich mich anfnglich nhren wollen. „So gut nun der Teufel Mißgeburten zusammensetzen kann; [. . .] so gut hoff’ ich [. . .] einen alten guten Staatsminister in eine Hyne zu verwandeln, oder einen Hofmann in eine bunte stille Schlange, oder einen Konsistorialsekretair in einen jdischen Juwelenhndler, oder einen Wiener Autor in einen spaßenden Hasen.“ JP Werke IV, 70 f. 349, 17–20 Er zeigt bis abzugeben“: „In meiner Gegend ist es etwas Bekanntes, daß ich vor wenigen Jahren im Schlammbade zu St. Amand einen gewissen nackten Kammerprsidenten berfiel, an dessen Kçrper, die Wahrheit zu sagen, mehr als hundert Hnde herunter hingen, mit deren jeder er den Unterthanen etwas Weniges nahm, um den Frsten mit seinen zwei natrlichen etwas Geringes davon abzugeben; sie waren ihm alle, wie dem Tausendfuße seine zahlreichen Fße, erst lange nach der Geburt hervorgewachsen.“ Ebd. 69. 349, 28–30 „Um der Frsten bis willen.“ Verkrztes Zitat, vermutlich aus Nerrlich 156 f. oder aus: Scherzhafte Phantasie (vgl. oben Anm. 348, 35–37). „Es wre langweilig, wenn ich hier mich und den Leser und den Rezensenten mit der Wiederholung der Grnde qulen wollte, warum die Unterthanen blos um des Frsten und nicht um ihrentwillen da sind, [. . .].“ JP Werke XXX, 68. 349, 30–31 Einen bis aufgenommen: Vgl. oben Anm. 348, 35–37. 349, 31–34 Jean bis frei bewegt: J. W. von Archenholz, England und Italien, 2 Bde, Leipzig 1785.
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349, 38–40 Die Freunde bis ihrer Kinder: Jean Paul unterrichtete zwei Kinder des Pfarrers J. S. Vçlkel, eins des Aktuars J. W. Vogel und fnf des Amtsverwalters J. G. Cloeter. 349, 40 „Die Winkelschule“: Vgl. „Der Verfasser dieses stand einmal einer Winkelschule von zehn Kindern seiner Freunde drei Jahre lang vor; [. . .].“ Levana § 138. JP Werke XXIII, 94. 350, 4–6 „Ist denn bis bringt?“: D. bernimmt das Zitat wahrscheinlich aus Nerrlich 163. Quelle ist: Die unsichtbare Loge. Sechzehnter Sektor. Erzieh-Vorlegbltter. „Ueberhaupt: ist denn die Kindheit nur der mhselige R s t t a g zum genießenden S o n n t a g des sptern Alters, oder ist sie nicht vielmehr selber eine V i g i l i e dazu, die ihre eignen Freuden bringt?“ JP aW I, 157. 350, 6–13 Die Kindheit bis angemeßen: Zu diesem Programm ebd. 153–169. 350, 15–16 Und seine bis Romans: Die unsichtbare Loge. Eine Biographie. 2 Bde, Berlin 1793. 350, 19–22 Wie ein bis hergeworfen: Zu Hermann vgl. oben Anm. 338, 4–5. D.s Wendungen sind Teile eines von Nerrlich zitierten Ausspruchs: „ ‚Er starb, ruft Jean Paul aus, ‚von der Natur geliebt, vom Glck gehaßt.“ Nerrlich 154. 350, 25 Urbild bis Vult: Leidgeber, gemeint ist Leibgeber, Gestalt aus Jean Pauls Siebenks (vgl. auch oben Anm. 342, 12–21); Schoppe aus Titan; Vult aus den Flegeljahren. 350, 29–33 Georg Christian Otto bis begleitet hat: Mit Otto war Jean Paul seit der Schulzeit befreundet, wurde von ihm beraten und untersttzt. Den Briefwechsel zwischen den Freunden erçffnet Jean Pauls Brief vom 15. Juli 1790 aus Schwarzenbach mit dem Satz: „Ich will Dich zum Rezensenten machen: weiter steht nichts im Briefe.“ B Otto I, 3. Vgl. unten Anm. 355, 17–18. Dazu Nerrlich 171–173. 350, 31–32 wie Kçrner die Schillers: Zur Freundschaft zwischen Schiller und Ch. G. Kçrner vgl. ihren Briefwechsel. 350, 40 Schwarzenberg: Versehentlich fr: Schwarzenbach. 351, 16 trieb ihn in immer: Fehlendes in ergnzt. 351, 32 Flbel, Freudel und Wuz: Des Amts-Vogts Josuah Freudel Klaglibell gegen seinen verfluchten Dmon. Des Rektors Florian Flbel’s und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg, beide im Anhang zu: Leben des Quintus Fixlein, Bayreuth 1795. JP Werke III. Leben des vergngten Schulmeisterlein Maria Wuz in Auenthal. Eine Art Idylle, Berlin 1793 (in: Die unsichtbare Loge). JP Werke II oder JP aW II. Vgl. Nerrlich 185–191. 352, 10 – 353, 27 Die Charaktere bis trug?“: Die unsichtbare Loge. Fnf und zwanzigster oder XX. Trinitatis-Sektor. Extrablatt. Statt „Gewiße Menschen nenn’ ich hohe (Z. 13): „Gewisse Menschen nenn’ ich h o h e “. Nach Doktor (Z. 14): im Ms. fehlendes „darunter“ in den Text eingefgt. Nach niemand (Z. 15) Absatz. Statt andre (Z. 16): „andere“. Statt Centralsonne und andern (Z. 20–21): „Zentralsonne“ und „anderen“. Statt umfaßt (Z. 24): „umfasset“. Nach an (Z. 27) Absatz. Statt unsres (Z. 31): „unsers“. Statt Kot Z. 34 und 353, 5): „Koth“. Statt herniedershe (Z. 34): „hernieder she“. Statt Inhalt (353, 1): „Inhalte“. Statt Seetieren (Z. 5): „Seethie-
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Textgeschichte und Anmerkungen
ren“. Nach sie (Z. 7) Komma. Statt lechzten (Z. 9): „lechzeten“. Statt ther (Z. 9 und 13): „Aether“. Nach liebten (Z. 10) Komma von D. Statt gençßen (Z. 10): „gençssen“. Statt lßt (Z. 15): „lsset“. Statt untergesunkene (Z. 16): „untergesunkne“. Platos, Shakespeares, Rousseaus (Z. 18, 19, 20) mit Apostroph. Statt unsrer (Z. 22): „unserer“. Nach Manne (Z. 27): „aus seinem Herzen“. D. gibt fr diesen und den folgenden Ausschnitt ausdrcklich eine andere als die sonst benutzte Ausgabe an: JP aW I, 284–286. 353, 18 Antonins: Antoninus Pius, rçmischer Kaiser von 138–161, als gerecht und friedliebend geltend. 353, 28 – 354, 8 Jacobi bis gekommen.“: berschrift von D. Bei Jean Paul eine Anmerkung im Zeitungartikel Nr. 21. Achtzehnter Sektor. Statt Jacobi (Z. 28, 30, 37): „Jakobi“. Kein Komma nach Beste (Z. 30). Statt gewiße (Z. 36): „gewisse“. Statt Goethe (354, 4): „Gçthe“. Statt Du (Z. 4 und 7): „du“. Statt andren (Z. 6): „andern“. Statt scheintot ( Z. 8): „scheintodt“. JP aW I, 191 f. – Werke Jacobis: Woldemar (1779; weitere Fassung 1794); Aus Eduard Allwills Papieren (1775; Eduard Allwills Briefsammlung 1792). Ueber die Lehre des Spinoza vgl. Anm. Le 61, 24–30. David Hume ber den Glauben oder Idealismus und Realismus (1787). – Zerberus, der den Eingang zum Hades bewachende dreikçpfige Hund, gewhrte nur den Toten freundlich Einlaß. 354, 5–8 H a m a n n bis gekommen.“: J. G. Hamann wurde von F. Nicolai, der die Allgemeine deutsche Bibliothek herausgab, vielfach angegriffen. – An den von Haman fr Mardochai errichteten Galgen kam schließlich Haman selber, der die Vernichtung der Juden im Reich Ahasvers angeordnet hatte (Buch Esther). 354, 9 [X.] Jean Paul: Die Folge von Textstellen und D.s Anmerkungen dazu in diesem Umschlag beginnt mit dem Satz: Bei Herzog Georg von Sachsen Meiningen galt Jean Paul viel. In den Jahren seines Meininger Aufenthalts (1801–1803) und darber hinaus stand Jean Paul dem Herzog nahe. Vgl. Nerrlich 418–429. 354, 12–13 Er liebt bis hlt: Die Leichenrede auf sich selber hlt Viktor. Hesperus. 28. Hundsposttag. Zweiter Osterfeiertag. JP Werke VII, 54–60. 354, 14–16 Er bis wahren.“: ber den Zusammenhang von Musik und Schmerz Klotilde im Hesperus. 28. Hundsposttag. Dritter Osterfeiertag. „Da der Schmerz den Menschen veredle und ihn durch die kleinen Schnitte, die er ihm gebe, so regelmßig entfalte, wie man die Knospen der Nelke mit einem Messer aufritze, damit sie ohne Bersten aufblhen: so ersetzt die Musik als knstlicher Schmerz den wahren.“ JP Werke VII, 68. 354, 16–20 Diese bis sein“: Viktor denkt ber „ußere Wrde“ nach. Hesperus. 26. Hundsposttag: „[. . .] er war zufrieden, daß er eine hçhere in seinem Innern hatte, und fand es lcherlich, auf der Erde ernsthaft zu sein, und zu gering, stolz auszusehen. Vielleicht konnten sich eben deshalb Viktor und Schleunes nicht leiden; ein M e n s c h von Talenten und ein B r g e r von Talenten hassen einander gegenseitig.“ JP Werke VII, 17. Vgl. Viktor in seiner Leichenrede (wie oben Anm. 354, 12–13): „Leute von wahren Talenten sollten sich betrinken, um das Leben aus dem rechten Licht zu sehen und es uns nachher zu melden. – Am allerelendesten aber (so daß das m e n s c h l i c h e Leben dagegen noch passabel ausfllt) ist das b r g e r l i c h e , auf das ich Jahre lang losziehen kçnnte, [. . .].“ JP Werke VII, 59.
Jean Paul.
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354, 22 A l l g e m e i n e s bis 120 ff.): Hesperus. 20. Hundsposttag. Fnfter Schalttag. JP Werke VI, 120–123. 354, 23 „Jeder bis Philosoph.“: „Jeder Mann von Genie ist ein Philosoph, aber nicht umgekehrt – [. . .].“ Ebd. 122. 354, 24–26 Es schadet bis ist.“: Im Zusammenhang: „Obgleich durch jedes neue große System eine gewisse E i n s e i t i g k e i t des Blicks in alle Kçpfe kçmmt – zumal da jeder kalte Philosoph gerade desto e i n s e i t i g e r ist, je e i n s i c h t i g e r er ist – so verschlgt's doch nichts; denn große Wahrheit-Barren gehen nur durch das gemeinschaftliche Whlen des ganzen Denker-Gewerks hervor.“ Ebd. 354, 28–29 „Ordnung bis gehe.“: Tagebuchnotiz vom 9. August 1782. „Ich mag nicht erst mhsam einem schicklichen Anfang nachjagen; – also gleich zu dem, was sich mir am ersten darbietet. Ordnung, unverwandtes Augenmerk auf das vorgesetzte Ziel ist meine Sache nicht; ich springe lieber als ich gehe, obwohl jenes mehr als dieses den Leser ermdet.“ JP aW XVI, 158. Der zweite Satz, nicht ganz vollstndig, bei Nerrlich 201. 355, 2–16 P h i l o s o p h i e bis Welt.“: Sowohl Erscheinungsdatum als auch Seitenzahl sind falsch (vgl. D.s richtige Angabe Jean Paul 330, 29 und Anm.). Der Relativsatz (Z. 6) ist unvollstndig, die Lesung des Pronomens unsicher. Die referierten geschichtsphilosophischen berlegungen machen den Sechsten Schalttag des 24. Hundsposttags im Hesperus aus und enden mit dem schon ausfhrlich zitierten Trost (Jean Paul 340, 14–21). JP Werke VI, 204–214. 355, 17–18 Zu Grunde bis erschienen?: D. bezieht sich auf Jean Pauls Brief an Ch. Otto vom 1. Januar 1792 aus Schwarzenbach. Otto hatte im Brief vom 5. Dezember 1791 Jean Paul seinen Plan einer „Geschichte des Gleichgewichts von Europa“ mitgeteilt (B. Otto I, 79–86) und ein Teilmanuskript geschickt, auf das Jean Paul eingeht. B Otto I, 87–89. Vermutlich dieses und andere Aufstze Ottos sind unter dem Pseudonym Christianus in K. L. Woltmanns Zeitschrift: Geschichte und Politik erschienen; sptere Bcher unter dem zweiten Pseudonym Georgius. Vgl. ADB (1887). 355, 20–26 Transcendenz bis hinterlassen.“: Unter diesem Stichwort zitiert D. die Hlfte des letzten Abschnitts der Idylle: Leben des vergngten Schulmeisterlein Maria Wuz in Auenthal, die Die unsichtbare Loge beschließt. Der Satz ist abgebrochen. Statt Unbezwingliches (Z. 22) und Beste (Z. 23): „unbezwingliches“ und „beste“. Statt bloß ( Z. 26): „blos“. Statt hinterlassen.“ (Z. 26): „hinterlassen, wie durch Islands schwarze Nchte Schwanen als Zugvçgel mit den Tçnen von Violinen fliegen – - Du aber, den die zwei schlafenden Gestalten geliebt und in dem sie mir ihren und meinen Freund zurck gelassen, du mein mit ewiger Hochachtung geliebter Christian O., bleibe hienieden bei mir!“ JP aW II, 318. 355, 29 – 356, 4 Er erwhnt bis Ziel.“: Teils referierender, teils kommentierender Abschnitt, ausgehend von einer Stelle im Dritten Osterfeiertag aus dem 28. Hundsposttag des Hesperus. Beide Zitate in diesem Abschnitt lßt D. mitten im Satzgefge beginnen. Statt stellt (Z. 32): „stellte“. Nach wir (356, 1): „alle“. Statt verlaßen (Z. 3): „verlassen“. JP Werke VII, 76. 356, 20–27 „Die Dichter bis zurck.“ Hesperus . 23. Hundsposttag, ber Viktor. Statt „Die Dichter (Z. 20): „Seine Meinung war: ‚Die Dichter“. Statt lern’, lern’ (Z. 21): „lerne, lern’“. Statt gebe (Z. 23): „geb’“. Statt bloß (Z. 24): „blos“. Silberhochzeit, Worte, Empfindungen (Z. 22, 23) gesp. JP Werke VI, 172.
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Textgeschichte und Anmerkungen
356, 34 – 357, 9 „Jetzt bis Stunde!“: Ein nicht weitergefhrter Ansatz (vgl. 1.) zu Erleben und Stimmung. Schreibung der Namen in der von D. gebrauchten Ausgabe: „Viktor“, „Klotilde“. Zitat aus dem Dritten Osterfeiertag (vgl. Jean Paul 355, 29 – 356, 4). Nach Entzcken (357, 4) drei Punkte. JP Werke VII, 81 f. 357, 11–19 Sein bis unerreichbar. Der Brief Emanuels ber sein Gesprch mit dem blinden Julius beschließt den 25. Hundsposttag des Hesperus. D.s Formulierungen lehnen sich besonders an zwei Stellen an: „‚Gott ist die Ewigkeit, Gott ist die Wahrheit, Gott ist die Heiligkeit – er hat nichts, er ist alles – das g a n z e H e r z fasset ihn, aber kein G e d a n k e ; und E r d e n k t n u r u n s , w e n n w i r I h n d e n k e n .“ „Julius: ‚ich werde den grçßten Gedanken des Menschen immer denken [. . .].“ JP Werke VI, 234. 357, 22–29 Von Kant bis brig: Vgl. „Ich habe neulich in den Geburttabellen der gelehrten und lehrenden Republik nachgesehen und die jungen K n t c h e n aufgezhlt, die der alte Kant, sonst unverheirathet wie sein Vetter Newton, seit zehn Messen gezeugt hat. [. . .] Solche Handwerker [. . . ] sind am besten im Stande, das System auszubreiten, weil sie das Unfaßliche, das Geistige davon abzuscheiden und das Volkmßige und Kçrperliche, d. h. die Wçrter, fr Leser, die sonst einfltig, aber doch nicht ohne kritische Philosophie sterben wollen, auszuziehen wissen.“ Fnfter Schalttag. 20. Hundsposttag des Hesperus. JP Werke VI, 121. 357, 31 – 358, 3 Alle Romane bis zusammenhngen: Zu Bildungsgeschichte vgl. Hçlderlin (1910). Ges. Schr. XXVI, 252–254; zu Selbstbiographie vgl. Ges. Schr. VII, 199–202. 358, 9 „Die unsichtbare Loge“: Vgl. oben Anm. 350, 15–16. 358, 13 im Wuz: Vgl. oben Anm. 351, 32. 358, 13–14 Er bis Biographie.“: Vgl. Brief Jean Pauls vom 2. Februar 1792 an Ch. Otto: „In der knftigen Woche, wo ich nichts zu thun habe, will ich ber meinen und alle Romane reden. – Apropos: auf dem Titel des meinigen steht mit: ‚r o m a n t i s c h e B i o g r a p h i e .“ B Otto I, 90. Von dem „Wçrtchen: R o m a n t i s c h “ rt Otto im Brief vom 22. Mrz 1792 ab: „Jetzt fllt mir nur noch das ein, daß Du das Wçrtchen: R o m a n t i s c h , wohl von dem Titel weglassen mußt, weil es zu verbraucht und durch das Romanschreiber-Wesen schon in zu schlimmen Ruf gekommen ist.“ Ebd. 113. Im Brief vom 12. Juli 1792 erwgt Jean Paul noch mehrere Titel: „(N. B. gleichwohl soll unter jedem Titel das Wort ‚B i o g r a p h i e stehen, [. . .].)“ Ebd. 114 f. 358, 16–17 Ein Jahr bis daran“: „Endlich ist nach einem Jahr die konvulsivische Geburtzeit meines Romans vorber. [. . .] und ich, der ich sonst alle zwei Tage schrieb, brtete tglich zweimal daran.“ B Otto I, 90 f. 358, 18–20 An der Wiege bis war: Zu Hippels Roman vgl. Anm. No 201, 30; zu Miller und Sterne oben Anm. 345, 19–20. L. Sterne, The life and opinions of Tristram Shandy aus dem Englischen von J. J. Ch. Bode, Berlin 1774–1776, gleichzeitig bei Campe in Hamburg. 358, 21–23 Er empfand bis verwerten: Brief Jean Pauls vom 2. Februar 1792 an Ch. Otto. „Ich wollte noch tausend Dinge sagen: – meine unvortheilhafte Lage fr einen Romanschreiber – daß ich ferner keinen einzigen lebendigen Charakter brauchen kann, kaum etwas vom alten O e r t h e l –
Jean Paul.
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daß ich leider die obersten Stnde, die ich selber nicht gesehen, zu schildern mich erfrechte u. s. w.“ B Otto I, 92. 358, 23–24 Indes bis war: Daß der Kammerrat von Oerthel das Vorbild fr den Commerzienagenten von Rçper abgab, besttigt Nerrlich 150. 358, 27 Markgrafen Alexander: Vgl. oben Anm. 330, 34 – 331, 7. 359, 11–17 An der bis erreichte.“: Aus dem Brief Jean Pauls vom 11. Mrz 1792 an Ch. Otto : „Es ist so leicht, den Leser zu interessiren – ohne Witz, ohne Empfindung, ohne Wahrheit, durch bloße Geschichte, [. . .] so leicht also und von der andern Seite so unwrdig einer menschlichen Anstrengung, daß mir mein zu schwerer Zweck, Empfindungen und Wahrheiten darzustellen, lieber ist, als jeder andre, den ich besser erreichte.“ B Otto I, 103. 359, 25 „Anton Reiser“: K. Ph. Moritz, Anton Reiser, 4 Tle, Berlin 1785–1790. 359, 28–34 Das Musikalische bis fortzuschwimmen!“: Die ersten beiden Zitate in Gervinus V (41853), 214, berichtend. Quelle: Wahrheit aus Jean Paul's Leben II (1827), S. 102, Aphorismen unter der Rubrik: Musik. Bei D. kleine orthographische Abweichungen davon im ersten Zitat, das zweite heißt: „A l l e s ist bei mir Tçnen nicht Schauen, wenn ich stark getrunken; ich hçre mich oder das Innere ewig; und denke klar darber.“ Das dritte stammt aus Vorschule der Aesthetik, § 86. JP Werke XVIII, 387. Ausrufungszeichen am Schluß und Verkrzung des zweiten Zitats wie Nerrlich 207, wahrscheinlich D.s Quelle. 359, 36 Nerrlich S. 206: „Eben dieser Realismus nun hat dem Dichter der Unsichtbaren Loge auch die wider Adel, Hçflinge und Frsten geschleuderten Pfeile in die Hand gedrckt: wir vernehmen hier den Herausgeber der Grçnlndischen Prozesse und Teufelspapiere.“ 360, 8–32 Sein Viktor bis spricht.“: Zitat aus dem 19. Hundsposttag des Hesperus. Statt finstren (Z. 10): „finstern“. Vor Wnsche (Z. 15) fehlt „seine“. Statt andre (Z. 16): „andere“. Statt lechzte (Z. 17): „lechzete“. Nach Lechzen, (Z. 18) ist einzufgen: „wie die kalte Bleikugel im Mund den Durst ablçscht,“. Statt Trnen (Z. 19): „Thrnen“. Nach los. (Z. 19): Absatz. Statt aber alles, was du ihm nennst (Z. 21): „aber alles was du ihm nennest“ Statt kommt (Z. 22): „kçmmt“. Nach gestirnt (Z. 24) und empor (Z. 25) Komma. Statt Schmerzen. (Z. 25): „Schmerzen: a c h ! w i r w e r d e n h i e n i e d e n l i e g e n d i n d i e H ç h e g e w o r f e n g l e i c h F a l l s c h t i g e n .“ Statt faßen (Z. 28): „fassen“. Statt ja, alles was ihr nennt, das fehlet mir. . . . (Z. 29): „ja alles, was ihr nennt, das fehlet mir. . . .“ Danach Absatz. Der letzte Satz des Zitats: „Der rthselhafte Sterbliche hat auch eine namenlose ungeheure Furcht, die keinen Gegenstand hat, die bei gehçrten Geistererscheinungen erwacht, und die man zuweilen fhlt, wenn man nur von ihr spricht. . . .“. JP Werke VI, 91 f. 361, 3 – 363, 30 Im Jahre bis einbeugen.“: Die erste Vorrede zu: Leben des Quintus Fixlein von 1795 heißt: Billet an meine Freunde anstatt der Vorrede. Statt So bis auskundschaften (Z. 11–13): „Ich konnte nie mehr als drei Wege, glcklicher (nicht glcklich) zu werden, auskundschaften.“ Statt „Der erste bis sieht (Z. 13–15): „Der erste, der in die Hçhe geht, ist: so weit ber das Gewçlke des Lebens hinauszudringen, daß man die ganze ußere Welt mit ihren Wolfgruben, Beinhusern und Gewitterableitern von weitem unter seinen Fßen nur wie ein eingeschrumpftes Kindergrtchen liegen sieht. – “ Statt hren (Z. 18): „Aehren“. Nach ist. (Z. 19) und wechseln.“ (Z. 21)
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Textgeschichte und Anmerkungen
Gedankenstrich. Statt perennirenden Leidenschaft (Z. 29–30): „perennierenden Leidenschaft (und wr’ es die, den grçßten Folianten zu schreiben)“. Statt fixe Idee (Z. 31): „f i x e Idee“. Statt Bett der Erde – (Z. 33): „Bett der Erde, von ihren Hundsgrotten und Stechdornen und Teufelsmauern – –“. Nach fliegend (Z. 34) Komma. Von Traum (Z. 36) bis bescheert!“ (Z. 37) heißt der Text: „Traume von seinem idealischen Mutterland. . . . Ach! wenigen ist dieser Traum bescheert und diese wenigen werden so oft von fliegenden Hunden geweckt! – “. Die „ fliegenden Hunde“ sind die von D. erwhnten „Vampyre“ (362, 1). JP Werke III, 4 f. 362, 2–3 Albano und Walt: Albano ist eine der Hauptpersonen des Titan, Walt der Flegeljahre. 362, 4–5 Liane bis Gaspar: Alle drei Personen gehçren in den Titan; Schreibung: „Gaspard“. 362, 9–16 „Diese Himmelfahrt bis schwimmt?: In Billet (wie oben Anm. 361, 3 – 363, 30): „Theil“ (Z. 10); „Kanzleiverwandten“ (Z. 11). Nach Bauch- (Z. 13) Komma. Statt Ohrenstoßfedern Z. 13): „Ohrenfloßfedern“. JP Werke III, 6. 362, 16–22 Was soll bis ist.“: D. verkrzt den ersten Satz (Z. 16–18): „Was soll ich dem stehenden und schreibenden Heere beladener Staat-Hausknechte, Kornschreiber, Kanzellisten aller Departements und allen im Krebskober der Staat-Schreibstube auf einander gesetzten Krebsen, die zur Labung mit einigen Brennesseln berlegt sind, was soll ich solchen fr einen Weg, h i e r selig zu werden, zeigen? -“ Statt rotes (Z. 20): „rothes“. Statt Schmetterlingsstaub (Z. 20): „Schmetterlingstaub“. Ebd. 362, 23–35 „Die Absicht bis bleiben.“: „Die Absicht, warum ich F i x l e i n s Leben in die Lbeksche Buchhandlung geschickt, ist eben, in diesem Leben – daher ich’s in diesem Billet wenig brauche – der ganzen Welt zu entdecken, daß man kleine sinnliche Freuden hçher achten msse als große, den Schlafrock hçher als den Bratenrock, daß man Pluto’s Q u i n t e r n e seinen A u s z g e n nachstehen lassen msse, einen NNd’or dem Nothpfennig, und daß uns nicht große, sondern nur kleine Glckzuflle beglcken. – – Gelingt mir das: so erzieh’ ich durch mein Buch der Nachwelt Mnner, die sich an allem erquicken, an der Wrme ihrer Stuben und ihrer Schlafmtzen – an ihrem Kopfkissen – an den heil. drei Festen – an bloßen Aposteltagen – an den abendlichen moralischen Erzhlungen ihrer Weiber, wenn sie Nachmittags als Ambassadricen einen Besuch auf irgend einem Wittwensitz, wohin der Mann nicht zu bringen war, gemacht hatten – am Aderlaßtage dieser ihrer Novellistinnen – an dem Tage, wo eingeschlachtet, eingemacht, eingepçkelt wird gegen den grimmigen Winter und so fort. Man sieht, ich dringe darauf, daß der Mensch ein Schneidervogel werde, der nicht zwischen den schlagenden Aesten des brausenden, von Strmen hin und her gebognen unermeßlichen Lebensbaumes, sondern auf eines seiner Bltter sich ein Nest aufnhet und sich darin warm macht. – Die nçthigste Predigt, die man unserem Jahrhundert halten kann, ist die, zu Hause bleiben.“ JP Werke III, 6 f. „Quinterne“: Gewinn im Lotto bei fnf gezogenen und bezahlten Nummern (Meyer 1850). „NNd’or“: Napolon, Goldmnze im einstigen Wert von 20 Francs. 363, 2–13 „Kleine bis ein.“: Aus dem letzten Kapitel des Quintus Fixlein. D. bricht den ersten Satz ab und berspringt einen Passus: Statt Ekel. (Z. 3): „Ekel, große wie Zuckerbrod zeitig mit Ekel. – [. . .]“ Von Mikrologieen bis abgewinnen. (Z. 4): „Mikrologieen, wofr der Pfarrer einen angebornen Geschmack hat, einen knstlichen abgewinnen, indem man es liebt, ohne es zu achten, indem man dasselbe, so tief es auch unter dem m e n s c h l i c h e n stehe, doch als eine andere Verstung des menschlichen so poetisch genießet, als man bei dessen Darstellungen in Romanen thut. [. . .].“ Nach Leben (Z. 5) Gedankenstrich. Nach Vergangenheit! (Z. 6) fehlt bei D. ein Gedankenstrich und ein
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weiteres Satzgefge. Nach sein (Z . 7) Komma. Zwischen selber! Mache (Z. 7–8) Gedankenstrich. D. lßt Ausrufungszeichen und Gedankenstrich nach Zukunft (Z. 10) weg und berspringt wieder einige Stze. Von genießen; bis ein.“ (Z. 10–13): „ genießen! – Besichtige die Nachbarschaft Deines Lebens, jedes Stubenbret, jede Ecke, und quartiere Dich zusammenkriechend in die letzte und huslichste Windung Deines Schneckenhauses ein! “. JP Werke III, 222 f. 363, 22–30 Seinen idealischen bis einbeugen.“: D. kehrt zum Billet, der ersten Vorrede des Quintus Fixlein, zurck und paßt Teile aus den Schlußabschnitten seinen Ausfhrungen an. „Noch çfter fehlet der Spielraum der Kraft: nur der kleinste Theil des Lebens gibt einer arbeitenden Seele Alpen – Revoluzionen – Rheinflle – Wormser Reichstage – und Kriege mit Xerxes, und es ist so frs Ganze auch besser; [. . .].“ „Der vorige z w e i t e ist nicht gut fr den Menschen, der hier auf der Erde nicht blos den Obstbrecher, sondern auch die Pflugschaar in die Hnde nehmen soll.“ JP Werke III, 7. „Kann er das, kann er so schçn aus dem Wege des genialischen Glcks in den des huslichen einbeugen: so ist er wenig verschieden von mir selber, – der ich jetzt – [. . .].“ JP Werke III, 8.
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Textgeschichte und Anmerkungen
Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters. Entstehung und berlieferung Im Briefwechsel A. Glasers mit Dilthey findet sich der bisher einzige Hinweis auf die Entstehung des Aufsatzes ber Dickens. Glaser beendet seinen Honorarfragen betreffenden Brief vom 1. Mrz 1876 mit dem Satz: „Auf den Dickens bin ich sehr gespannt.“ Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey C 108 (257). E:
EH, H, h: D1:
WM XLI (1877) in zwei Heften: Februar (XLI, 245 = Dritte Folge IX, 53), S. 482–499. Mrz (XLI, 246 = Dritte Folge IX, 54), S. 586–602 unter D.s Namen. Archiv der BBAW zu Berlin, NL Dilthey C 68 (215). Ph 254–317, auf der Grundlage von E, EH, H, h.
Textwiedergabe nach E. Handschriftenbefund Das Konvolut C 68 (215) des Dilthey-Nachlasses umfaßt Hand- und Druckschriften. Den wichtigsten Bestand bilden die Hefte Nr. 53 und 54 der dritten Folge IX von WM, die den Erstdruck von D.s Aufsatz mit Streichungen, Korrekturen, Zustzen an den Rndern und auf eingelegten Blttern enthalten (EH, h). Dazu kommen weitere handschriftliche Notizen D.s und Diktate zu Dickens, durchschossene Teile der Aufstze J. Schmidts ber Dickens von 1871 und 18781; zwei Entwrfe, die Straßburger Universitt betreffend. Das Material ist von 1–332 beziffert, allerdings unzuverlssig. Der Ziffer 4 werden u. a. die relevanten Seiten 482–499 des Februar-Heftes von WM untergeordnet mit dazwischenliegenden Blttern von D.s Hand. P. Ritter hat auf einem innen in den Konvolutumschlag eingeklebten, vom 20. Juli 1935 datierten Zettel eine Art Sicherung unternommen, die alle von D. bearbeiteten Bltter der ersten Aufsatzhlfte, handschriftliche wie Druckbltter, zusammenfaßt als 4 a-i, ohne Kennzeichnung auf den Blttern selber. – Der zweiten, genauer, wenn auch nicht vçllig bersichtlich aufgenommenen Aufsatzhlfte aus dem Mrzheft gehen lose Seiten aus beiden Teilen des Druckmanuskripts in ungeordneter Folge voraus. Sie enthalten drei Notizen D.s. Mehrere Fortsetzungsentwrfe fr die letzten Seiten des VI. und abschließenden Abschnitts des Aufsatzes dokumentieren Anstrengung und Mißlingen, den Text von 1877 weiter- und umzuschreiben. Dem Einfgungszeichen am Ende des VI. und letzten Abschnitts (602 WM, S. 412, 6 dieser Ausgabe) stehen drei als Fortsetzung bezeichnete, aber nicht explizit zugeordnete Stcke und ein wiederum fr sich notierter Schluß gegenber. hnlich experimentierend wirken die Entwrfe fr den Beginn dieses VI. Abschnitts (598 WM, S. 406, 18 dieser Ausgabe). Der umfangreichste, im Faszikel nicht fortlaufende Entwurf 598 b – von D. auseinandergenommen oder von H. Nohl? – lßt sich wieder zusammenfgen. Er enthlt einen Datierunghinweis mit der Erwhnung von H. Grimms Bnden ber Homer, die 1890/95 erschienen sind. Er wird sehr wahrscheinlich aus dem Anfang der 90er Jahre stammen, da der Dickens-Aufsatz in D.s Plan von 1895 schon nicht mehr auftaucht. Unter den zusammenhanglosen Notizen sttzt eine (C 68, 13v) in Kombination mit B Yorck 139 f. 1 J. Schmidt, Charles Dickens, in: Ders., Bilder aus dem Geistigen Leben unserer Zeit. Neue Folge [II], Leipzig 1871, S. 1–118. Dazu einige Seiten eines weiteren Aufsatzes ber Dickens in: Ders., Portraits aus dem neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1878, S. 261–281.
Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters.
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ber die literarhistorischen Aufstze diese Annahme: Ein Aufsatz ber die gegenwrtige Poesie soll sie beschließen, der auf einen ber Dickens und den englischen Roman folgt; [. . .]. Brief D.s vom 29. Februar 1892. In relativer Chronologie lßt sich außerdem eine Bearbeitungsfolge vermuten: Das Ms. 598 b muß vor der Umformulierung seines Anfangs fr das kleine Ms. zu S 598, eine korrigierte Abschrift mit Einfgungszeichen, entstanden sein. Ebenso muß dieses Ms. 598 b dem Ms. 602 Fortsetzung vorausgegangen sein, weil D. einige Partien (ber den Roman und Scott) und zwei von mehreren kaum lesbaren Randnotizen aus 598 b in 602 Fortsetzung eingearbeitet hat. Wahrscheinlich hat D. erst nach Notierung und Einfgung des neuen Anfangs, zu S 598, das Ausgangsmanuskript mit 598 b bezeichnet. Schwerpunktmßig ergeben sich zum Schlußabschnitt des publizierten Aufsatzes zwei Textgruppen mit zwei bzw. vier Stcken der Aus- und Umarbeitung, in denen sich, unvermeidlich, einiges wiederholt. Die Wiedergabe der minimalen und grçßeren Texteingriffe und Ergnzungen D.s in und fr den gesamten Aufsatz konzentriert sich auf die beiden Aufsatzhlften, dem Textverlauf und der Lage im Faszikel C 68 folgend. Zustzlich werden exemplarisch einige nicht ausdrcklich auf den Text des Aufsatzes bezogene Stcke aufgenommen. Damit ergeben sich drei Blçcke: Bearbeitung der ersten Aufsatzhlfte, weitere Materialien, Bearbeitung der zweiten Aufsatzhlfte. Ein Einzelblatt von D.s Hand geht den drei Blçcken voraus, zwei weitere folgen ihnen. C 68 (215), 2r Notiz von D.s Hand, einzelnes Blatt, ohne Hinweis. In einer der Großstdte wandere ich, es ist Abend, Arbeiter eilen nach Hause, Vergngung kommen, Flaneurs streifen umher. Eine Fluth von Menschen aller Art wie aus dunklem Quell kommt immer neu, verschwindet, einer neuen Platz zu machen. So ist es in Dickens Romanen, das sind nicht dieselben Personen, wie manche Wunschbilder, die immer wieder in den Bchern beschrieben werden. Aus unbe Fernen strçmen sie immer neu und anders hinzu und verlieren sich wieder. (Die letzten drei Zeilen sind nicht kontinuierlich entzifferbar.) Vgl. Ph 310. C 68 (215), 4 D.s Arbeit an der ersten Hlfte des Aufsatzes gilt der Einleitung und den Abschnitten I. und II. (482–499 WM – alle Seiten samt eingelegten handschriftlichen Zustzen unter C 68, 4) und betrifft die S. 364–388 dieses Bandes. Diesem Komplex zuzuordnen sind drei Randnotizen auf einzelnen Druckblttern, C 68 (215), 10v; 11v; 13v. 364, 4–8 Ueber bis Geistes. Gestr. 364, 12 geheimnißvoll gestr., am rR: unwiderstehlich 364, 13–14 inmitten bis Existenzen gestr., am rR: ihre Richtung gegeben, sie mit Ideen erfllt oder ihr 364, 15 gewhren. Das gestr., am rR: gewhrt haben. So wurde auch nach manchen Arbeiten von Englndern und Franzosen das 364, 16 wurde denn auch gestr. 364, 29 leitender gestr., am lR: sicherer 364, 29 hierdurch fr Einfgungszeichen dazwischen, am lR: damals 364, 30 – 365, 10 Aber bis gewhren. Korrekturen am lR und Ende des Abschnitts, der folgendermaßen umgeformt wird: Ein seltenes Glck waltete ber den Untersuchungen jener Zeit, Alle damaligen sthetischen Untersuchungen haben von daher eine vornehme Grçße. Dies Glck lag in dem Zusammentreffen der analytischen Arbeiten Kant’s und der Anschauung des Goethe’schen Genius, in welchem die ganze Natur der Dichtung wie in einer selbstndigen und ganz umfassenden Offenbarung
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Textgeschichte und Anmerkungen
sich aufzuschließen schien. Schiller, Humboldt, Schelling, Schopenhauer empfingen von hier aus die wichtigen Aufschlsse, welche ihre Arbeiten uns gewhren. Andrerseits blieben doch die damaligen Ergebnisse unvollkommen durch den Mangel einer strengen Methode, durch die zu große Enge des Untersuchungsgebietes und durch die damalige Lage der allgemeinen Wissenschaft von psychischen Vorgngen, welche zu jener Zeit unter hemmenden Vorurtheilen armselig daniederlag. 365 11 und mehr exacte gestr. 365, 13 Sinne, denn korr., am lR: Sinne. Denn 365, 18 muß. Ein erg. am lR: muß. An dieses Studium schließt sich die Erforschung der elementaren Vorgnge, in denen das knstlerische Schaffen gegrndet ist. Ein 365, 19 umfassenden gestr. 365, 20 Vçlker, in welchem das Material korr. am lR: Vçlker. In diesen Kunstwerken haben wir das Material 365, 21 liegt gestr. 365, 21–22 Und bis selber. Umformulierung am uR: Und zwar muß dieses Material durch alle Mittel historischer Kenntniß der Dichter selber interpretirt [werden]. Auf dem Zusammenwirken dieser beiden Methoden beruht nun die Ausbildung der neuen sthetik, deren auch unser Kunstleben so dringend bedarf. In dem ungeheuren Reiche der Thatsachen, welche der Kunst angehçren oder auf sie Licht werfen, giebt es nun einzelne, welche die Natur knstlerischen Bildens besonders deutlich und hell sichtbar machen. Es sind gleichsam prrogative Instanzen fr die große hier stattfindende Induktion. 365, 22–24 Es bis Gewicht. gestr. 365, 34 – 366, 5 Es bis mag. Beide Abstze mit Anmerkung gestr. 365, 33 modificirt. Anschließend statt des gestrichenen letzten Absatzes der Einleitung am rR: Er empfand so stolz und stark genug die Macht dieser dichterischen Phantasie ber sein Leben, um sich darber auszusprechen. Er war naiv und edel genug dies ganz wahrhaft zu thun. Es folgt die Anweisung: Nun Blatt 1. Das ist ein mit vier Spalten beschriebener eingelegter Halbbogen, einspaltig fortgesetzt auf einem Ergnzungsblatt, von D.s Hand, unpaginiert und unbeziffert. ber der ersten Spalte oben links die Aufschrift: Blatt 1. Aber das schaffende Vermçgen und die Werke von Dickens bilden zugleich ein Glied in dem hçchst wichtigen und zusammengesetzten Vorgang, der den modernen Roman hervorbrachte. Es giebt wenig Vorgnge in der europischen Literatur, welche fr das Leben der breiten Schichten unsrer Gesellschaft von gleicher Bedeutung wren, als dieser. Es ist unermeßlich was heute tglich von Romanen consumirt wird.2 Aus den Leihbibliotheken wandern tglich unzhlige schmutzige Exemplare auf die Sophas der unzhligen mßigen Frauen unsrer sogenannten europischen Gesellschaft. Auf geheimnißvolle Weise verschwinden Einige von ihnen in die Zimmer der Tçchter. Andere verlieren sich in Bedientenstuben, in die Kammer der Nhterin, in die Chambres garnies der Commis, der Kaufmannsdiener. Leidenschaften die im Leben versagt sind werden in dieser Lektre nachgetrumt. Hauff erzhlt wie Jemand seine drftige Mahlzeit durch die Lektre von Romanen, die opulente Mahlzeiten mit Champagner berichten, sich erhçht: so wird die Bettelsuppe eines drftigen Lebens durch das Nacherleben von Genssen, Leidenschaf-
2
Zu Romanlektre als Ersatz vgl. W. Dilthey, Selbstbekenntnisse eines Phantasiemenschen (1870), unter dem Pseudonym Georg Steven. Ges. Schr. XV, 356.
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ten und Schicksalen Aller Art, zumal aber der hçheren Stnde aufgebessert.3 Ist das Alles ein Glck? Oder wird die Schlaffheit, die in Gefhlen schwelgt, ohne zu Handlungen bergehen zu kçnnen nicht besonders in der gebildeten Frauenwelt nicht durch die Romanleserei unermeßlich gesteigert? Welchen Antheil von Schuld tragen diese Romane an der furchtbaren Zunahme von Nervenberreizung, von abgespannter Passivitt in der gebildeten Frauenwelt? Glck oder Unglck; das moderne Leben ist ohne diesen Opiumrausch schon nicht mehr zu denken. In der Natur der Entstehung des modernen Romans lag von Anfang an diese Doppelseitigkeit, ja Zwiespltigkeit seiner Natur er war Poesie und große Poeten haben an seiner Schçpfung mitgewirkt, und er erhielt doch seine Nahrung aus dem Unterhaltungsbedrfniß. Auch die grçßten Dichter dieser Classe von Literatur standen im Dienste eines lesehungrigen Publikums. In diesem sonderbaren ja einzigen Vorgang der Entstehung der herschenden Literaturgattung nahm Dickens eine hervorragende Stelle ein. Und auch hiervon muß nun erzhlt werden. 366, 8–9 bis zum bis Forster gestr., am rR: zu seinen Lebzeiten 366, 20 ihr gestr., am lR: dieser ersten Epoche seines Lebens, 366, 24–25 ber die Zeit, in welche gestr., am lR: darber wie weit 366, 28 lernen. Kein Abs. 367, 2 haben.“ Kein Abs. 367, 8 von wenn auch flchtigen Eindrcken gestr. 367, 11 dazu – es korr. am rR: dazu Folgendes. Es 367, 12 Selbstbiographie – : Kein Abs. 367, 30–31 Menschen, wenn bis vorstellen, nichts korr. am rR : Menschen zunchst nichts 368, 14 (Riemer I, 184). Anweisung am lR: + Citat in Anmerkung 368, 16–17 Dickens bis haben. Teils gestr., am lR erg.: Dickens sich naturgemß auch durch das zurckreichen der Erinnerung in eine sehr frhe Zeit auszeichnen. 368, 38 ursprnglicher dichterischer Anlagen gesp. 369, 11 das Gehçr gesp. 369, 33–34 Aufnahme von Gesichtseindrcken gesp. 369, 37 V o r s t e l l u n g e n . Kein Abs. 369, 38 Empfindungen gesp. 373, 24 Kinderjahre bis zum neunten korr. am rR: Kinderzeit bis zum neunten Jahre. 375, 39 bemerkte er: Kein Abs. 376, 16 Forster: Kein Abs. 382, 40 Forster: Kein Abs. 383, 31 durfte: Kein Abs. Die diesem Bereich zugehçrigen drei einzelnen Druckseiten stammen aus dem Abschnitt I. (C 68, 10v; 11v; 13v), von D.s Randnotizen sind nur zwei lesbar. 3
W. Hauff, Controvers- Predigt ber H. Clauren und den Mann im Monde, Stuttgart 1827 (recte 1826), S. 42–47. Am Beispiel eines Verarmten, der, „das herrliche ‚Vergißmeinnicht von H. Clauren“ lesend, sein trockenes Brot ißt, kritisiert Hauff ein „Reizmittel fr Mnner“, die ausgedehnte Darstellung von Speisefolgen in den Trivialromanen Claurens (d. i. Hofrat C. G. Heun). Vgl. Bausteine 193.
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C 68 (215), 10v S. 486 WM, am rR und uR ohne Einfgungszeichen; entsprechende Position S. 370, 34 dieses Bandes. Alle Stellen, nebst ihrer Erklrung, beziehen sich auf seine Beobachtung des Contrastes seiner Thtigkeit in großen Stdten und in der Natur. Nur im Menschengewhl b e w e g e n sich seine Gestalten; und zugleich nur in ihm v e r l i e r t e r s i e dh. seine Phantasie empfngt abwechselnd durch die Bilder dieser laterna magica neue Zge und Stimmung fr das Weiterleben seiner Gestalten, und Abgewçhnung von ihnen. – Die Thatsache daß er gerade die Nacht liebt (auch besttigt durch eine spte Erzhlung wie man ihn berall in London eiligen Schrittes an den seltsamsten Orten sah in der Nacht), wird von ihm nirgend besonders erklrt: der Grund liegt aber in dem Obigen daß die Nacht die Stimmung der Phantasie durch Abnahme der Deutlichkeit der Dinge der Phantasie freiere Bewegung lßt. C 68 (215), 13v S. 490 WM, am uR, ohne erkennbaren Zusammenhang mit einer Textstelle; in etwa uR von S. 375 dieses Bandes. Es ist natrlich daß bei den Englndern zuerst die moderne Odyssee und Ilias auftrat: das Leben eines Menschen, der durch die moderne Gesellschaft sich hindurchkmpft. Es ist natrlich daß der eigentliche Kampf mit realen Faktoren in dieser ber die Welt herschenden Nation das bergewicht hatte. Bei uns ward im deutschen Roman dieser Kampf innerlich. (Daher will ich in meiner Sammlung Novalis neben Dickens in dieser Richtung stellen). D in großen Stdten entwickelt den Egoismus der Individualitt. Der folgende Block betrifft weder die Arbeit am ersten noch am zweiten Teil des Aufsatzes unmittelbar, sondern bietet stellvertretend fr viele eine Notiz D.s und zwei Diktate, die dokumentieren, daß die Beschftigung mit Dickens offensichtlich ber das Erscheinen des Sammelbandes: Das Erlebnis und die Dichtung (1905) hinausgeht. E. Schramm schrieb fr D. seit 1906. C 68 (215), 159r Einzelnes Blatt, ohne jeden Anhaltspunkt, innerhalb einer Folge von Notizen, vermutlich alle unter: Zu Dickens und Poesie der Gegenwart. (C 68, 148), von D.s Hand. Mçglicher Beginn von Abschnitt VI. des Aufsatzes? Vgl. unten C 68 (215), 238r und 238v. Von diesen Voraussetzungen aus versuche ich nun das Schaffen von Dickens auf dem Hçhepunkt seines Daseins darzustellen und zu interpretiren. Diesen Hçhepunkt bezeichnen die einzig schçne Novelle: der Rarittenladen und Kopperfield sein großer Roman, d e r Roman von Dickens: in welchem derselbe die Erfahrungen seines Lebens niedergelegt hat: ein Werk das noch heute hinter dem von Guizot4 und W. Meister den nchsten Platz behauptet. C 68 (215), 165r-166v Von der Hand E. Schramms, wohl Diktat, mit Streichungen, ohne Korrekturen D.s Dickens. Das Eigentmliche von Dickens liegt darin, daß er jeden Roman zusammensetzt aus Gruppen ganz heterogener Art, entsprechend den Momenten der sozialen Welt. Jede solche Gruppe ruft eine bestimmte Stimmung hervor. Er verwendet sie, um diese Stimmung aufs strkste hervorzubringen. Er hlt diese Stimmung mit innerer Konzentration fest. Unter ihrem Einfluß gestaltet seine Phantasie die Gruppe bis zum Exzentrischen. Die Charaktere zeigen immer dieselbe 4
F. Guizot, Mmoires pour servir l’histoire de mon temps, 8 Bde, Leipzig 1858–1867. D. hat 1860 und 1862 anonym den dritten und fnften Band der Memoiren angezeigt. Ges. Schr. XVI, 96–99; 83–90.
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unvernderte Exzentrizitt. Und in dem inneren Zusammenklang dieser Stimmungen, der dem Verhltnis zur Welt entspricht, liegt die hçchste Wirkung seiner Romane. Innerer Gegensatz zu Cervantes und Goethe. Verwandtschaft mit Shakespeare. C 68 (215), 175r-182v Von E. Schramms Hand, Diktat, Halbbçgen paginiert von 1–4, im eigenen Umschlag (C 68, 174) mit der Aufschrift: D i c k e n s . Dickens. Der Roman „Unser gegenseitiger Freund“ ist 1864–65 erschienen. Er ist der letzte, den Dickens vollendet hat. Fnf Jahre spter starb er, mitten in einem neuen Roman begriffen. Wie der letzte unvollendete, so ist auch dieser analytisch, das Geheimnis eines Mordes, dann der Inhalt des letzten Testamentes ber ein großes Vermçgen, schließlich das Rtsel der Sinnesnderung im [unvollstndiger Satz.] Das, was zur Erkenntnis gelangt, bezieht sich alles auf das Schicksal eines großen Vermçgens. Den Mittelpunkt bilden in der psychologischen Entwicklung die Folgen, welche die Erwartung desselben, die Verhltnisse, die aus dem Testament ber es entspringen, fr die Hauptpersonen hat. Aber auch hier ist der Faden der einheitlichen Handlung verbunden mit einem loseren umgebenden Gewebe. Dieses ermçglicht eine große Anzahl von Personen auftreten zu lassen, und so reprsentiert dieser Roman vollstndiger als irgend ein frherer die englische Gesellschaft, aufgefaßt unter einem gewissen Gesichtspunkt und dem entsprechend in einem dadurch bedingten Umfang. Das Geld und die gesellschaftliche Stellung, zu welcher sein Besitz benutzt werden kann, ist ein Faktor, der alle Zustnde der Gesellschaft modifiziert. Dies zeigt der Roman durch alle Stnde hindurch, in der Mannigfaltigkeit der verschiedensten Charaktere. Auf dem Fluß fischen Menschen niederster Ordnung nach Leichen und rauben sie aus. Dieselbe Gier nach Geld treibt einen elenden Eckensteher und Verkufer von gedruckten Versen. Gemßigter und klger geht ihm der Anfertiger anatomischer Prparate nach. Groteske Figuren, welche schreckenerregend etc. reprsentieren. In einer zweiten Region sieht man in der Familie des kaufmnnischen kleinen Angestellten in einer feineren Art dasselbe Gift von Geld- und Ehrsucht wirken. Und dann wieder in einer dritten, die sich an die gute Gesellschaft herandrngt, ja mit der vornehmen Beziehungen zu finden weiß, macht sich listiger, verhehlter dieselbe Gier, dieselbe Ehrsucht geltend. Diesem allen gegenber tritt nun eine Reihe von moralischen Charakteren auf, im Mittelpunkt die Erben selber. Auch hier in der niederen Sphre ein einfacher Handlungsbeamter, der in seiner Bedrfnislosigkeit des Geldes entbehren kann. Seine Tochter, die sich ber ihr ußerliches Wesen erhebt. In einer hçheren Sphre der Erbe des Vermçgens, der ideale Held des Romans, dann die Tochter des Flußfischers, die eine innere große Anlage zu diesen Personen gesellschaftlich emporhebt. Die Kraft des Guten verbindet diese Personen untereinander. Es ist ein genialer Zug, wie d i e s e s h i e r h e r a u s t r i t t . Es ist das eine der grçßten Wahrheiten der sozialen Welt, dieses Sichfinden, diese Verbindung, dieses Zutrauen zueinander, die daraus entspringende Freudigkeit des Lebens, die unabhngig von jedem ußeren Glanz ist. Es vollendet die Rhrung, welche diese Verhltnisse hervorbringen, daß auch der ußere Erfolg diesen Menschen nicht ausbleibt. Jede Gruppe von Personen in einer einzelnen Sphre hat ihre eigene Atmosphre. Der Fluß und die Verbrechen auf ihm, das dumpfe Leben, Graben und Whlen im Mllhaufen vor dem alten Hause, das Haus der Puppenschneiderin etc. Aber darin liegt nun auch hier wieder der eigentmliche Kunstgriff des Dichters, daß er zwar das Furchtbare vollstndig in seiner grotesken Grçße darstellt, aber doch das lodernde Feuer des hußlichen Herdes, ruhige Umgebungen, Zauber der Natur immer wieder den Leser zum Behagen zurckfhrt. Ohne Zweifel ist dieser Roman schon Zeichen der abnehmenden Kraft des Dichters. Vieles ist knstlich, gesucht, maniriert. Insbesondere daß Boffin die Geldgier nur heuchelt und so eine letzte berraschung herbeigefhrt wird, berhrt als ußerste Maniriertheit in der Erfindung.
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D.s Arbeit an der zweiten Hlfte des Aufsatzes, den Abschnitten III. – VI., (586–602 WM), betrifft S. 388–412 dieses Bandes. Das erste Blatt des Druckexemplars ist unbeziffert (587 und 588 WM). D.s Bearbeitung wird ergnzt durch eingelegte handschriftliche Bltter, der ganze Komplex: C 68, 232v–246v. 389, 14 sollen. Indem: Zwischen beiden Wçrtern gerader Strich, von D. verwendetes Einfgungszeichen, ohne Randanmerkung oder auffindbaren Zusatztext. 389, 17 mit der: Zwischen beiden Wçrtern weiteres Einfgungszeichen D.s, ohne Randanmerkung oder Zusatztext. 389, 32 er: Kein Abs. 390, 5–6 veranschaulicht: Kein Abs. 390, 14 und selbstverstndlich nach ihm gestr. 390, 33 Weller. Anschließend am rR: Dieser Roman hat noch die Form des lteren englischen, ein Held der von Abenteuer zu Abenteuer vorwrts geht, Szenen des Lebens, lustig und tragisch, die ihn umgeben; sinnlich krftiger Lebensmuth in Allem. 393, 5 Stellen: Kein Abs. 393, 14 sei: Kein Abs. 393, 26 vorkommt: Kein Abs. 393, 38 aufgetaucht: Kein Abs. 397, 10 folgendermaßen: Kein Abs. 399, 31–32 nhert: Kein Abs. 404 Am oR Bleistiftnotiz: Berufung auf Carlyle? 406, 18 Die bis an. Gestr. C 68 (215), 238r, 238v Halbbogen von D.s Hand mit Einfgungszeichen und der Angabe: zu S 598 (statt S. 406, 18 dieser Ausgabe). Der Hçhepunkt im Schaffen von Dickens ist erreicht. Es geschieht çfter daß ein Genie ganz frh in gebahnten Wegen Außerordentliches leistet. Wie Mozart und Raphael in den Knsten, wie Hume, Schelling und Schopenhauer in der Philosophie. So hat Dickens in dem Roman durch seine Pickwiker frh ein Hçchstes erreicht. Doch gelang ihm dies damals, weil er in der Romanform von Fielding und Smollet, deren Gestalten und Formen frh seine Phantasie erfllt hatten, weiterdichtete. Danach aber fand er langsam, in immer neuen Anstrengungen, eine neue Form fr denjenigen Roman, welcher die mitlebende Gesellschaft darstellt. Den Hçhepunkt dieser Epoche seines Schaffens bildet der Copperfield. C 68 (215), 264r-267v; 270r, 270v; 269r; 262r, 262v; 268r, 268v; 277r, 277v; 280r-294v; 297r Halbbçgen 1–12, nur teilweise zusammenliegend, ohne Einfgungszeichen. Von D.s und Katharina D.s Hand. Unstimmigkeiten mancher Stze nicht ohne weiteres korrigierbar, viele der verschiedenartigen Zustze nicht entziffer- und aufnehmbar. ber der ersten Spalte: 598 b Der Hçhepunkt im Schaffen von Dickens ist erreicht. Es geschieht çfters daß ein Genie in gebahnten Wegen ganz frh Außerordentliches erreicht. Wie Mozart und Raphael in den Knsten, wie Hume in der Philosophie. So hat Dickens in dem Roman durch seine Pickwiker frh ein Hçchstes erreicht, aber dies gelang ihm, weil er in der lteren Romanform von Fielding Smollet und Sterne deren Gestalten und Formen seine Phantasie frh erfllt hatten weiterdichtete. Dann aber findet er langsam, in immer neuen Anstrengungen eine neue Form des Romans, welche die mitlebende Gesellschaft darstellt. Der Rarittenladen, Dombey, Copperfield entste-
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hen in dieser Epoche seines schaffenden Vermçgens Copperfield bildet den Hçhepunkt. Die nchsten Romane halten sich noch auf demselben. Der moderne Roman ist in seiner grandiosen Intention, so unvollkommen dieselbe auch erreicht wird, der chte Erbe der epischen Poesie. Diese war das Abbild der kriegerischen Epoche von Vçlkern: ein Spiegel ihres ganzen Lebens fr sie in dieser Zeit. Man kann schon aus der Natur des dichterischen Vorgangs annehmen, daß diese vielleicht hçchste poetische Schçpfung nicht ohne Betheiligung von tiefem und deutlichem Kunstverstand sich bildete. Die tiefen knstlerischen Absichten, die reife Technik in der Ilias ist neuerdings von Hermann [sic] Grimm5 berzeugend nachgewiesen worden. Dieselbe Aufgabe vollbringt in der Epoche der Industrie, des Handels, der entwickelten Civilisation und Wissenschaft fr eine unvergleichlich zusammengesetztere Gesellschaft der moderne Roman. Daher diese Gesellschaft seiner bedarf, nach ihm sucht, in manchen denkwrdigen Anfngen nach ihm griff: mit dem vorwrts drngenden Gefhl der unermeßlichen Aufgabe, mit daran gesetzter verzehrender Anstrengung, mit erfindender, alle technischen Schwierigkeiten berwindender Schçpferkraft hat doch erst das neunzehnte Jahrhundert ihn hervorgebracht. Er ist das Werk dieser in die gesellschaftliche Wirklichkeit vertieften Zeit. Dieselbe Epoche, welche die Sociologie, welche die Analysis der Gesellschaft in allen ihren Zweigen, mit dem Bewußtsein des inneren Zusammenhanges aller Erscheinungen derselben, hervorbrachte, hat auch den socialen Roman geboren. Er trgt im guten und Schlimmen die Marke dieser wissenschaftlich in die Gesellschaft vertieften Epoche an sich. Er wre ohne die Bedrfniße, die drngenden Fragen und den wissenschaftlichen Geist dieser Zeit nicht zu denken. Wie aber diese sociologischen Untersuchungen und Ideen nur auf dem Boden entstehen konnten, den das geschichtliche Studium zubereitet hatte, so wuchs auch die Intention und Technik des socialen Romans aus dem historischen. Walther Scott6 ist der Schçpfer der Technik des modernen Romans. Dieselbe Generation, welche die Poesie des selbstherrlichen Individuums, wie die neue Heloise, der Werther und Faust sie reprsentiren, endigen sah und in Nacht pessimistisch absterben sah in Byrons excentrischer Grçße, hat auch den Aufgang dieser neuen Art von Poesie in seinem Freunde Walther Scott schon erblicken kçnnen.7 Die Zeit dieses neuen historischen Romans die drei ersten Decennien unsres Jahrhunderts. Der Fhrer Walther Scott, an ihn schließt sich Victor Hugo mit ursprnglicher poetischer Begabung an; viele Talente dritten und vi[e]rten Ranges folgen. Historische Romane berschwemmen die Literatur. Das Neue ein prosaisches Epos, welches die ganze Gesellschaft einer vergangenen Zeit, in ihren verschiedenen Stnden, als eine lebendige Einheit gleichsam in ihrer localen und temporalen Frbung, Ordnung und inneren Verfassung hinstellte. Dieser große Wurf gelang anscheinend mhelos unter der Gunst glcklichster Umstnde. In Schottland fhlten sich die Stnde in engem nationalem Verwandtschaftsgefhl einander nahe. Dort waren noch Familie, Clan, Stamm, Volk lebendige, einander verknpfte Einheiten. Zwischen dem Gutsherrn und dem Landmann ein natrliches Band. Die alte in Balladen berlieferte, in Sagen die Gegenden und Schlçsser und Kirchen des Gebirgslands umrankende Geschichte reichte in die Gegen-
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H. Grimm, Homer Ilias, 2 Bde, Berlin 1890/95. Grimms vergleichender Hinweis auf Dickens: „Homer’s Kunst in dieser Richtung ist unerschçpflich. Er arbeitet wie ein Moderner.“ Ebd. I, 37 f. 6 D. schreibt Scotts Vornamen durchweg mit th. 7 W. Scott ußerte sich anerkennend zu Canto I und II von Byrons Childe Harold’s Pilgrimage (1812), rezensierte Canto III. Von der berlegenheit dieser Dichtung ber seine Versepen berzeugt, wandte er sich mit Waverley (unten Fußnote 8) – Name fr eine ganze Romanserie – dem historischen Roman zu. Bis zu Byrons Tod bestand eine freundschaftliche Beziehung zwischen beiden Dichtern.
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wart. Walther Scott selbst, geboren 1771, stammte aus einem glorreichen Clan, der in den Grnzkriegen gegen die Englnder tapfer zu fechten gewohnt gewesen. Lange bevor er sein erstes grçßeres Gedicht verçffentlichte, hatte er als Gentleman auf seinem Landsitz, in obrigkeitlichem Amt, bekannt und geliebt in der ganzen Gegend, gewaltet. Er kannte seine Landsleute, er ging den Antiquitten der Heimath nach, er vergaß keine Ballade, die ihm zu getragen worden war. So hat er, als er sich von der Erzhlung in Versen zum Roman wandte, diese großen, wahren, ergreifenden, die ganze schottische Gesellschaft umfassenden Gemlde mit einer wunderbaren Leichtigkeit, mit einer unerhçrten Geschwindigkeit aus dem Schatze seiner Seele hingeschttet. Die eigenthmliche schottische Kultur in einem bestimmten Stadium derselben war ihm von Gerth, Rstungen, Waffen, Wohnhusern bis in das Innre der Sitten und Charaktere gelufig. Dieser kraftvolle, gesunde, phantasiemchtige Schotte verstand das Leben aller Classen und Perioden seines Volkes durch ein kunstloses Mitleben und Nachfhlen. 1705 begann und 1714 verçffentlichte er den Waverley, der die Zeiten der Vter und Großvter seiner Generation schilderte.8 Er schrieb den Roman ohne auch nur einen Plan aufzuzeichnen. In der Vorrede des Alterthmlers sagt er dann, ihm habe mehr daran gelegen, die Sitten sorgfltig zu schildern, als der Erzhlung eine vollendete Form zu geben.9 Almlig aber entstand ihm eine neue innere Form des Romans.10 Ihr Material ist die erstaunliche Mannichfaltigkeit seiner Charaktere, jeder unbefangen gesehen, nicht construirt, Gegenstze darin durch Mittelglieder ausgeglichen, komische und ernste Zge verwebt, wie das Alles das Leben selber thut. Diese Kunst, die Farben zu mischen und das warme Kolorit des Lebens selber den Kçpfen mitzutheilen, sehen zu lassen, schon in dem ersten Auftritt ein Bild zu gewahren, wirkt mit besondrer Kraft in seinen historischen Portraits. Seine Elisabeth, sein Jakob I, sein Karl II und nicht minder sein Karl der Khne und sein Ludwig XI, sind Meisterstcke: von der sinnesmchtig hingestellten Erscheinung blickt man in die mannichfachen Krfte der Seele, deren letzte Einheit ein Rthsel bleibt, wie jedes volle Individuum.11 Macaulay, wie Ranke lernten von dieser Kunst.12 Diese Mannichfaltigkeit von Personen wird in eine sinnlich deutliche Umgebung gestellt: der neue Sinn der englischen Europa-Wanderer, deren berhmtester Byron war, fr die
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D. verschiebt die Daten um 100 Jahre. Scott verçffentlichte Waverley, seinen ersten Roman, 1814 anonym. Trotz grçßten Erfolgs in England und auf dem Festland wahrte er zehn Jahre die Anonymitt seiner Publikationen. 9 W. Scott, The Antiquary (1816). Der Alterthmler. Neu bersetzt von Oelckers in: Ausgewhlte Werke von Walter Scott, Bde 24–26, Mannheim 1841. „Ich ließ es mir angelegener sein, die Sitten genau zu schildern, als eine kunstreiche, verwickelte Erzhlung zu schaffen, und habe nur zu bedauern, daß ich mich unfhig fhlte, b e i d e Erfordernisse eines guten Roman’s zu vereinigen.“ Vorwort Bd. 24. 10 Zum Begriff innere Form vgl. unten Tg. Di, Handschriftenbefund C 68 (215), 263r; 303r; Anm. Di 407, 22–23. 11 Die Portraits sind in folgenden Werken Scotts enthalten: Elisabeth in: Kenilworth (1821); Jakob I in: The Fortunes of Nigel (1822); Carl II in: Peveril of the Peak (1823); Ludwig XI in: Quentin Durward (1823); Karl der Khne in: Anne of Geierstein (1829). 12 Th. B. Macaulay, Politiker und Staatsmann, Historiker, Essayist und Dichter. Sein großes Werk: History of England (1849–1861). D. beschreibt die Beziehung zu Scott, die Nhe von Geschichtsschreibung und historischem Roman in einem frhen Artikel (anonym): Zur Charakteristik Macaulays (1860). Ges. Schr. XVI, 1–28; vgl. JD 83 f., 149; Lessing 69, 9 und Anm. – Der junge D. nahm an Seminaren L. Rankes teil, um dessen Methode kennenzulernen. JD 283. Vgl. Ges. Schr. XI, 215–219; Anm. Schi 198, 37–40.
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großen Szenerien der Historie wird ein Bestandtheil dieser Kunst. Nun fgt es die Natur der Historie selber daß diese Personen sich oftmals wie von selber in zwei miteinander ringende Mchte ordnen, wie Cavaliere und Rundkçpfe, Kçnigstreue und Puritaner. So empfngt die Handlung in seinen vollendetsten Werken die dramatische Form einer in Spiel und Gegenspiel13 sich steigernden Aktion. Gern macht er einen Jngling zu seinem Helden der inmitten dieses Spiels und Gegenspiels beweglich, gefhlvoll, nicht selten mit gediegener Charakteranlage vorwrts schreitet und dessen wechselnde romantische Schicksale so bedingt sind. Innerhalb dieser zusammengesetzten Handlung wechseln nach dem Gesetz der Contrastwirkung komische und ernste Szenen. Und sie breiten sich zu einem die ganze Gesellschaft einer Zeit umfassenden Gesammtbilde aus: in solchen Gemlden erscheint eine Welttotalitt, wie das Humboldt als episches Grundgesetz nachwies.14 Diese Kunstform des historischen Romans ist von der Generation Dickens und Balzac auf die Darstellung der Gesellschaft ihrer eigenen Zeit bertragen worden. Als Walther Scott 1832, bald nach Goethe, starb, war der historische Roman auf seiner Hçhe. In England selbst Cooper Bulwer, Marryat in Frankreich M rim e, Balzac, Alfred de Vigny, vor Allen Victor Hugo, in Italien der herliche Manzoni, bei uns Tieck in seinem Cevennenaufruhr, Wilibald [sic] Alexis und geringere Talente wie Hauff, Zschokke, Steffens, Spindler.15 In
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Zu diesem Begriffspaar vgl. unten den vorletzten Absatz dieses Bruchstcks 598 b; Anm. Di 390, 29. 14 Humboldts Forderung an den epischen Dichter: „Aus der Totalitt seiner Darstellung muß die Ruhe, die er bewirkt, hervorgehen, und diese Totalitt ist also das zweite Erforderniß seiner Gattung.“ W. von Humboldt, Aesthetische Versuche ber Goethe's Hermann und Dorothea (1799), Braunschweig 41882, Abschnitt LVIII, S. 119. Vgl. Spielhagens Wendung: „die Welt in ihrer Totalitt“ (wie unten Fußnote 48), S. 139. 15 D. beginnt die Reihe der Romanciers, berwiegend aus der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts, mit dem amerikanischen Autor, J. F. Cooper, bekannt zunchst durch The Spy (1821), dann durch die Lederstrumpferzhlungen und -romane (1823–41). E. G. Bulwer-Lytton, Diplomat und Schriftsteller. Unter seinen zahlreichen historischen Romanen: The Last Days of Pompeii (1834). F. Marryat, Kapitn, durch Schilderung von Seeabenteuern erfolgreich, auch als Jugendschriftsteller, z. B. Masterman Ready; or The Wreck of the Pacific (1841/42). P. Mrime, Verfasser von Novellen, archologischer und historischer Studien, sein historischer Roman: Chronique du r gne de Charles IX (1829). H. de Balzac stellte seine auf die soziale Wirklichkeit konzentrierten Romane unter den Gesamttitel La Comdie humaine (1842–1848); von D. erwhnt: Le p re Goriot (1834/35) im Zusammenhang mit Taine. Tg. Di, Handschriftenbefund 407, 6 ( zu 599). A. de Vigny, schrieb neben Gedichten und Dramen den historischen Roman: Cinq-Mars ou une Conjuration sous Louis XIII (1826). Unter V. Hugos vielfltiger, umfangreicher literarischer Produktion: Notre-Dame de Paris. 1482 (1831). A. Manzonis Hauptwerk: I Promessi sposi (1825/26). Als „Roman“ von L. Tieck selbst bezeichnet, blieb Der Aufruhr in den Cevennen (1826) unvollendet. W. Alexis (d. i. G. W. H. Hring), Jurist, freier Schriftsteller, Redakteur verschiedener Zeitungen, Verfasser von Romanen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte nach dem Vorbild von Scott; z. B. Die Hosen des Herrn von Bredow (1846).
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Rcksicht auf seine Technik hatte er in Viktor Hugo einen ebenbrtigen Nachfolger gefunden. So mußte auch die epische Darstellung der Gegenwart dieselbe Kunstform sich anzueignen verstehen. Niemand, auch Balzac nicht hat das mit solcher Genialitt gethan als Dickens. Auch Dickens, wie jeder wahre und große Dichter dieses neuen Romans geht in seinem Interesse und in seiner Technik von den Charakteren aus. Diese bilden in seinen grçßten Romanen, wie Copperfield Rarittenladen und unser gemeinsamer Freund16 in Abstufungen, Contrasten eine Totalitt, die den Menschen selber in der gegebenen Zeit der Gesellschaft zu reprsentiren geeignet ist. Nie hat ein Dichter die breite Mannichfaltigkeit menschlicher Charaktere der brgerlichen Welt so zu umfassen verstanden. Aber mitten in dem scheinbar unermeßlichen Reichthum seiner Erfindungen bemerkt man hier schon die festen Grnzen, welche seine Lebenserfahrungen ihm ziehen und die er nicht zu berschreiten strebt. Er ist der Dichter der brgerlichen Gesellschaft seiner Zeit. Er berließ Bulwer die hçhre Gesellschaft in welcher dieser heimisch war. Er verzichtete auch auf die Darstellung intellektuell hervorragender Naturen wie Bulwer vor und die Elliot17 unter Anderen nach ihm sie gaben. Ihm hatte der Gang seines Lebens das arbeitsame geschftige London von den untersten bis zu seinen hçchsten Stufen zum Schauplatz seiner Erfahrungen und seiner Erfindungen gemacht. [Von hier an Diktat.] In der unerhçrten Flle von Charakteren, die er geschaffen, treten einige Classen hervor wie solche bei einem jeden Dichter nachgewiesen werden kçnnen. Scharf trennen sich die Menschen, in welchen nur harter Wille ohne Gefhle von Sympathie mit der Gesellschaft, ja in verschiedenen Graden auch ohne Rechtschaffenheit dieser gegenber sich gleichsam in dem verworrenen Ringen der Existenzen seinen einsamen Weg bahnt. Nach seiner Art, die moralische Welt anzusehen ruhen nur diese Personen auf sich selbst, unbedrftig Andrer. Denn dies ist nun das Eigenthmliche in der Ansicht von Dickens ber die moralische Welt: er ist ganz davon erfllt, daß nur die socialen Eigenschaften des Menschen denselben zum Glck befhigen; alle seine Erfahrungen scheinen ihn dahin gefhrt zu haben daß nur in der Arbeit fr Andere im Hegen von Sympathie und dem sich Ausstrecken nach Sympathie Glck des Lebens zu finden sei; die Energie des Willens und der Leidenschaft, die sich in ihrem Begehren abschließt ist ihm in all ihren Formen sowohl in der Vergewaltigung der Menschen zum eigenen Nutzen als in dem sentimentalen Streben nach persçnlichem Glck im Widerspruch mit der Natur des Menschen und der Constitution der Gesellschaft. Diese Betonung der socialen Gefhle als des Kernes von Morali-
W. Hauff wandte bewußt Scotts Schreibweise an: Lichtenstein. Romantische Sage aus der wrttembergischen Geschichte (1826). H. Zschokke (d. i. J. H. D. Schock), Theaterdichter, Theologe, Pdagoge, volkserzieherisch engagiert, unter seinen Schriften der Roman: Das Goldmacherdorf (1817). H. Steffens vgl. Anm. No 222, 38. Sein großes biographisches Werk: Was ich erlebte, 10 Bde (1840–1844), vgl. Anm. No 249, 21. K. Spindler, deutscher Schriftsteller in der Schweiz lebend, schrieb nach dem Vorbild Scotts Kulturbilder, Novellen und Romane, z. B. Der Bastard (1826). 16 Zu Copperfield vgl. Anm. Di 365, 35–37; Rarittenladen Anm. Di 375, 16; unser gemeinsamer Freund: Our Mutual Friend, Dickens letzter vollendeter Roman erschien in monatlichen Lieferungen von Mai 1864 bis November 1865 und in diesem Monat auch als Buch. 17 G. Eliot (d. i. Mary Ann Evans), begann ihre literarische Arbeit mit der bersetzung von D. F. Strauß’ Werk: Das Leben Jesu (vgl. Anm. Le 91, 21–22); war einige Zeit Mitherausgeberin der Westminster Review (vgl. unten Fußnote 29); stellt in ihren Romanen, der erste ist Adam Bede (1859), die Gesellschaft Mittelenglands dar.
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tt und Glck ist der chte Ausdruck des englischen Geistes, wie dies die Moralsysteme von Locke, Shaftesbury Hume, Adam Smith ebenfalls bezeugen.18 So stellt denn Dickens denen, die gewaltsam oder listig oder sentimental sich selber wollen diejenigen gegenber, welche von socialen Gefhlen bestimmt sind. Die Zahl der Charakterformen auf beiden Seiten ist wunderbar groß. Da sind in dieser Hçlle von Dickens zunchst die Habgierigen: im Ringen der brgerlichen Gesellschaft ist dieser Typus des Egoismus der dominirende. Die Klte um sie, das Insichzusammengezogene weiß er jeder Scene mitzutheilen. An ihrer ußersten Grenze stehen die Verbrechernaturen. Sie hatten schon das Studium des Reporters beansprucht. Auch in spteren Jahren liebte Dickens Gerichtshçfe und Gefngnisse aufzusuchen; bis zu seiner Zeit hatte Niemand Portrts derselben entworfen wie das von Riderhood von Carker oder von dem Juden Fagin. Diesen stehen zu nchst die Hab- und Herrschschtigen deren gegen alle socialen Gefhle stumpfe Brutalitt sich besser in den Schranken der Rechtsordnung zu halten versteht. Der erste Typus derselben war Ralph Nickelby. Unablssig aber hat Dickens den Ausartungen einer auf freie Concurrenz gegrndeten Gesellschaft gegenber die Unterdrckung der Schwachen durch die brutale oder listige Macht des Capitals, und des scrupellosen Verstandes gekennzeichnet. Diese Menschenclasse sitzt bei ihm gleichsam bestndig auf der Anklagebank. Zuweilen verknpft sich in den Charakteren dieser Art der Niederschlag des positiven und nationalçkonomischen Geistes, wie in Tom Gradgrind besonders aber in Bounderby. Eine besondere Abtheilung dieser brutalen Classe bilden die Schulmeister, (wie in Oliver Twist!). Eine neue Classe bilden dann in dem puritanischen Lande die Heuchler. Ihr Reprsentant ist Pecksniff. Er ist der Tartffe der englischen brgerlichen Gesellschaft jener Tage. Seine Heuchelei bezieht sich nicht auf die Religiositt. Dies gehçrte dem Zeitalter Ludwig XIV und der Pompadour an. Er heuchelt die socialen Gefhle, die Humanitt, das Leben fr Andere.19 Und wiederum ein andrer Typus ist der herrschschtige Stolz in Dombey. Aber nicht den Stolz des geborenen Aristokraten schildert Dickens, sondern den kalten Hochmuth in der brgerlichen Aristokratie der Millionre. Ein weiterer Typus: die sinnlische20 Leidenschaft, die zum Verbrechen vorantreibt. Der Schulmeister Bradley Headstone und der Disponent21 Carker. [Von hier bis zum Absatzende Einschub D.s.] An der Grnze dieser Gruppe stehen die Charaktere, welche in weichlichem Egoismus, unter einem erheblichen Aufwand von Gefhlen, im Grunde nur ihr eigenes Glck suchen, doch ohne jene unwillkrlich antipathischen Regungen gegen Glck, Jugend, Schçnheit, welche fr die bisherigen Classen dieser Gruppe so charakteristisch sind. Man sieht daß diese Charaktere gemischt sind. So kçnnen die Einen von ihnen ge-
18 Mit dem verkrzten Hinweis auf die englische Moralphilosophie spielt D. vermutlich auf folgende Werke an: J. Locke: An Essay concerning Human Understanding (1689/90). Vgl. Anm. Di 369, 28. – A. A. Cooper, Graf Shaftesbury geht von dreierlei affections aus: die dem allgemeinen oder dem eigenen Wohl dienen oder keinem von beidem. Sittlichkeit bestehe im richtigen Verhltnis und der natrlichen Entfaltung der Neigungen der ersten beiden Gruppen. Die Sammlung seiner Schriften: Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times (1711). – D. Humes Lehre von den Passions ist im zweiten und dritten Buch von A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to Introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects, London 1739/40 entwickelt. – A. Smiths Werk The Theory of Moral Sentiments (1759) setzt Mitgefhl und Sympathie voraus bei der Beurteilung der Handlungsweise anderer und der eigenen. Vgl. Ges. Schr. VI, 31–33 u. ç. 19 Le Tartuffe ou L’Imposteur (1664/69), Komçdie Moli res, gehçrt in das Zeitalter Ludwig XIV, dem nicht die Pompadour sondern Mme de Maintenon zuzuordnen wre. 20 Hçchstwahrscheinlich hat D. so gesprochen, seine Frau Katharina hier nach Gehçr geschrieben. 21 Geschftsfhrer.
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reinigt und vertieft werden durch das Schicksal, andre gehen tragisch unter. In Copperfield, harten Zeiten, dem gemeinsamen Freunde sind Jnglinge solcher Art mit großer Feinheit gezeichnet. Bella in dem gemeinsamen Freunde hat hnliche Zge. Geht man nun zu den Charakterformen ber, in denen die socialen Gefhle vorherrschen, so tritt hier ein hçchst merkwrdiger Grundzug von Dickens hervor, Dickens ganze Liebe gehçrt den Charakteren in welchen diese Gefhle noch mit naiver Kraft wirken. So tief fand er sich angeekelt von der Gesellschaft seiner Zeit, daß er jenseit dieses gesellschaftlichen Systemes in der Nhe der Natur, in der Einfachheit des Herzens das Gute zunchst sucht: Niemand hat weder vor ihm noch nach ihm das Blumenhafte, Gefhlstiefe, Rhrende des Kinderherzens darzustellen verstanden wie er. Die kleine Dorrit wird leben so lange die englische Sprache besteht. Hieran schließen sich die Mdchen und Frauen, die er am liebsten noch nahe dem Kindesalter sucht und darstellt. [Ende des Diktats.] Naturen, die nur in andren leben und ihr Glck finden kçnnen, hat hier Dickens bewundernswrdig fein und tief gezeichnet. Er trifft den Kern wahrer Weiblichkeit und wenige Dichter sind in diesem Tiefblick mit ihm zu vergleichen. Luterung des Herzens durch frhe schmerzliche und schwere Eindrcke ist rhrend tief und wahr in seiner Esther in Bleakhouse, in Lizzie im gemeinsamen Freund, in der Sissy in den harten Zeiten dargestellt. Besonders tief ist in der Agnes die geluterte feste in anderen lebende Frauennatur dargestellt. In andren Fllen versetzt er diesen Charakter mit bizarren oder starken oder humoristischen Zgen, und steigert durch solchen Contrast noch den Eindruck. So die Pegotty, die Frau Boffin. Dies sein Ideal ist von Natur weiblich, und so oft er es in Mnnerkleider steckt, entsteht Unangemessenheit oder Langeweile, das nur durch humoristische Zge Interesse empfangen kann. Samuel Pickwick, John Jarndyce, die Brder Cheeryble, der alte Herr im Rarittenladen, Tom Pinch sind so aus sozialen Gefhlen, Aufopferung, Resignation ohne alle Beimischung grçblich irdischer Art zusammengesetzt. Daneben stehn doch Figuren, welche eine strkere Beimischung von Eisen haben. So die unbertreffliche Tante im Copperfield. Alle diese Charaktere gehen zusammen in einer Welt, in welcher Familie, Eigenthum, Lebensstellung, der Comfort eines glcklichen huslichen Herdes und eine gesunde maßvolle wirtschaftliche Thtigkeit als das normale Ziel menschlichen Daseins aufgefasst wird. Es ist das Ideal einer auf die Entfaltung selbstndiger Krfte gestellten Gesellschaft. Ein Ideal in welchem selbstndiges wirtschaftliches Wirken mit den socialen Gefhlen verbunden ist. Dies Ideal ist nicht mehr das unsrige. Es ist langweilig, und durch den biederen Roman Soll und Haben22 geht ein solcher Hauch. Dickens aber hat eine grnzenlose Fhigkeit durch interessantes Detail auch die Drftigkeit der Auffassung zu schmcken und zu bekleiden. Die Art der Verbindung dieser Charaktere, ihr gemeinsames Medium, ist Gehalt oder Inhalt des Werkes: dies Alles ist bedingt d u r c h d i e I n t e n t i o n d e s D i c h t e r s , d i e i m Z u s a m m e n h a n g s e i n e s g a n z e n S e e l e n l e b e n s e n t s p r i n g t . Durch die Erfahrungen seines Lebens war ihm deutlich geworden, daß das Leben von einem Fond sozialer Gefhle zehrt. In seiner kraftvollen gefhlsmchtigen Natur liegt d a ß G e f h l e u n d A n t r i e b e , w e l c h e d i e Seele erweitern, Arbeit, Sorge fr Andere, Hingabe von Weib und Kind an die mnnliche Kraft ihm Glck, Befriedigung, gesundes Lebensbehagen g e w h r e n . Egoistische Enge, Neid, Geiz, Hochmuth ordinre Sinnlichkeit sind Leidenschaften, deren bloße Vorstellung ihn einengt. Der Mann, der durch seine Arbeit Glck, Segen Lebensfreude verbreitet, ist sein Lebensideal. Und dies das Lebensideal des ihn umgebenden aufstrebenden englischen Brgerthums. Ein tiefes Mitgefhl mit jeder niedergehaltenen Kraft, ein
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G. Freytags Roman, fr den jungen D. der erste cht deutsche (JD 29), erschien 1855 in Leipzig und erreichte 1893 die 40. Auflage.
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mnnlicher Haß gegen jeden Druck, den Erziehung auf die Kindheit, rohe Capitalsmacht auf die Armen, brutale Hrte und Klte auf die Schwcheren bt, erfllt seine mnnliche, muthige Seele. Er ist ein Glied des aufstrebenden Brgerthums jener Tage, das durch ehrliche begabte Arbeit emporkommt, und er fhlt sich als solches. Eine Zeit von Charakter, in welcher Georg Canning,23 dessen Vater vom kleinen Adel verschuldet gestorben, dessen Mutter auf der Bhne hatte auftreten mssen, von 1822–1827 die englische Politik leitete, der Schriftsteller Macaulay zu den hçchsten Wrden aufstieg. Dickens war im achtzehnten Jahre, als die Julirevolution 1830 stattfand; der Untergang des Adels und die Herschaft der Bourgoisie [sic] in Frankreich enthielten das Programm einer neuen Zeit. Und dieser tiefe Einschnitt in die europische Geschichte war doch naturgemß bedingt durch eine almlig zunehmende Vernderung der Gesellschaft von viel tieferer Art. Herschaft ber die Natur durch die Wissenschaft, Industrie, Handel stiegen unaufhaltsam zu leitender Stellung empor; der alte Gegensatz von Adel und Brgerthum verlor zunehmend an Bedeutung, der neue Gegensatz von Capital und Arbeit machte sich geltend. Die sociale Frage trat hinter den Fragen der letzten Jahrhunderte nun almlig hervor. Nun kam ein neues Geschlecht empor, welches diese Vernderung noch in sich aufnahm, und Dickens gehçrte zu diesem neuen Geschlecht, wie JSt. Mill24 und Carlyle neben ihm in England. Diese neuen Menschen wissen, daß in den popularen Krften nun die Entscheidung ber alle Dinge liegt. Die alte Verehrung oder der alte bittere Haß gegen Kçnigthum oder Priesterthum liegen hinter ihnen. Auch dies sind ihnen Thatsachen, deren Werth nur aus ihrer Stellung zu der Gesellschaft dh. dem Volke und dessen Bedrfnissen und Idealen beurtheilt werden kann. Ein khnes Geschlecht, dem der ungeheure Schauplatz dieser europischen Gesellschaft, die weiten Ziele in ihr Arbeitsamkeit, erfindsame Energie, Gleichgltigkeit gegen alle alten Formen angesichts der unerhçrten Aufgaben geben. Dickens ist ein Typus dieses neuen Geschlechts. Die ganze Gesellschaft liegt vor ihm als Reich von Erfahrungen von Darstellungen, und auf diese Gesellschaft in all ihren Schichten von der vornehmen Frau bis zu dem Haus und dem bescheidenen Kamin des Arbeiters. In Heften Monat fr Monat erschienen hier seine Romane. Ihre Form war die eindringlichste, die bis dahin irgend ein Romanschriftsteller gefunden. Und vor ihm lag in diesem zur Riesenstadt rasch anwachsenden London [der] Extrakt aus der ganzen englischen brgerlichen Gesellschaft von den großen Leitern der City bis zu den Lasttrgern an der Themse, ja den Leichenfischern und dunkelen Existenzen dort. Mit dem Aufsteigen des Kolonialreiches wuchsen nun im Schoos dieser Stadt Habsucht ohne Grnzen, Verbrechen huften sich und erfllten die Zeitungen. Und noch ein Anderes. Die Julirevolution war das Signal fr politische und sociale Kmpfe, in denen Dickens, der selbstgemachte khne Jngling, der als Reporter in Alles blickte, sofort seine Parthei nehmen mußte. In Frankreich war die Kurbel der allmchtigen Verwaltungsmaschine in die Hand der Bourgoisie [sic] gekommen, und sie verstand sie zu gebrauchen, wie vordem der hohe Adel und das Priesterthum. Das Gold herschte, der Durst nach ihm, der Balzac verzehrte, und die Macht desselben. In dem dunklen Acheron der arbeitenden Massen aber ghrten dieselben Leidenschaften und Wnsche, stumm vordem, nun gaben ihnen die socialistisch-communistischen Theorien25 eine Sprache. In dieselbe
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G. Canning, Außenminister von 1807–1809 und noch einmal 1822; Fhrer des Unterhauses, gegen die Politik der Heiligen Allianz, untersttzte nationale und liberale Bewegungen in Europa. 1827, kurz vor seinem Tod, Premierminister. 24 Zu JSt. Mill vgl. Anm. Di 387, 29–30. 25 Im Zusammenhang mit der Julirevolution 1830 sind zunchst die Frhsozialisten gemeint: L. Blanc, der als Politiker zum Sturz der Monarchie beigetragen hat; der Sozialphilosoph Ch. Fourier und sein Entwurf kleiner autarker Gemeinschaften; P.-J. Proudhon mit der Kritik am Eigentum.
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Bewegung trat England ein, die alte parlamentarische Adelsherschaft, die große Zeit der Pitt26 und Burke27 nun zu Ende. Der englische Radikalismus war schon vorbereitet durch den einsamen Utilitarier Bentham und durch seinen Freund James Mill,28 der nun einen Kreis junger Leute um sich sammelte. Der Edinburgh reviev [sic] , dem alten Organ der Whigs trat nun das Organ der Radikalen, die Westminsterreviev gegenber.29 Mills Sohn, George Grote,30 Ricardo31 wirkten, Brougham32 ward von hier beeinflußt. Das große Dogma war: mit dem Fall der parlamentarischen Oligarchie, mit der Durchfhrung eines demokratischen Stimmrechtes werde nach der angenommenen Kraft der Vernunft ber den menschlichen Geist die Leitung der Angelegenheiten in die Hand der Einsichtigsten gelangen. In der Criminaljustiz, im Erziehungswesen begannen Reformen, nach Kmpfen, die England in seiner Tiefe erzittern ließen, ward 1832 die Parlamentsreform durchgesetzt.33 Der Chartismus34 aber zeigte sofort weitergehende Ziele. Aufhebung der Kornzçlle gelangte 1849 zu vollstndigem Abschluß.35 Inmitten einer so bewegten Gesellschaft arbeitete Dickens, wie ein kraftvoller Schwrmer. Er hatte ein starkes Gefhl fr Alles was cht und wirklichkeitsgemß in all diesen Bewegungen war. Er hatte als Reporter im Parlament das Scheinwesen in diesem verachten lernen. Er trat gegen das Schuldge-
Vielleicht auch Anspielung auf K. Marx, Das Kapital (1867), 21873, von D. im Literaturbrief (1878) fr WM kurz besprochen. Ges. Schr. XVII, 186 f. 26 W. Pitt d. J., seine Ziele in der Innenpolitik: Strkung Englands und Fçrderung des Handels nach der Niederlage im amerikanischen Krieg; außenpolitisch: Herstellung eines europischen Gleichgewichts nach der Franzçsischen Revolution, Sicherung der englischen Kolonien. 27 E. Burke, Politiker, Publizist, Schriftsteller. Einflußreich sein gegen die Franzçsische Revolution gerichtetes Buch: Reflections on the Revolution in France (1790). 28 J. Bentham, so D., geht fr seine Arbeiten von dem psychologischen Axiom aus, daß der Beweggrund aller Handlungen der Menschen darin liege, das Vergngen zu erlangen und die Pein zu vermeiden [. . .]. Studium 43; vgl. Ges. Schr. X, 30–32. – Zu J. Mill und dessen Bedeutung fr die englische Psychologie vgl. Ges. Schr. XV, 245 f.; auch Ideen 160. 29 The Edinburgh Review, schottische kulturpolitische Zeitschrift, gegrndet 1802, bestand bis 1929. Politisch den Whigs nahe, einflußreich auch durch ihren Literaturteil. Zu den Autoren gehçrten Scott und Macaulay. The Westminster Review: Vierteljahrsschrift, gegrndet von J. Bentham 1824 in London, bestand bis 1914, vertrat einen radikalen Liberalismus. Mitarbeiter waren die Mills, G. Eliot, G. H. Lewes, J. A. Froude. 30 Zu George Grote vgl. Anm. Di 387, 29–30. 31 D. Ricardo, Volkswirtschaftler, Theoretiker der klassischen englischen Nationalçkonomie. Begann unter dem Einfluß von A. Smiths Schrift: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) zu schreiben, wurde fhrend in Wirtschaftsfragen, verfaßte u .a., von J. Mill ermutigt: Principles of Political Economy and Taxation (1817). 32 H. P. Brougham, Rechtsanwalt, Politiker und Schriftsteller, Mitbegrnder der Edinburgh Review (vgl. oben Fußnote 29). 33 Durchgesetzt von der Whig-Regierung, betraf die Parlamentsreform die Neuverteilung der Mandate zugunsten der Industriestdte. 34 Erste englische Arbeiterbewegung; Name von W. Lovetts Schrift: People's Charter (8. Mai 1838) abgeleitet. Forderung einer Parlamentsreform; des allgemeinen, gleichen, geheimen Wahlrechts. 35 Die von Napoleon verfgte Kontinentalsperre fhrte zu einer Teuerung, die weite Bevçlkerungsschichten traf. Mit der Wiedereinfuhr von Getreide sanken die Preise, im Interesse der Landbesitzer und Pchter Einfhrung von Getreideschutzzçllen, die 1846 abgeschafft wurden.
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fngniß die schlechten Schulen, die Armenhuser, die verwickelte und undurchsichtige Jurisprudenz und die so bedingte Rechtsprechung (mit Bentham) auf vor allem aber war er berall gegenwrtig wo es sich um die Verstrkung des Sinnes fr das Recht des Arbeiters handelte. In diese Stellung von Dickens brachte seine zunehmende Liebe zu Carlyle und dessen Schriften einen Zusammenhang welcher eben durch eine chte Wahlverwandtschaft bedingt war. Der Schotte und das Londoner Kind sind durch Humor, durch Freude an allem Wahrhaften, Starken und Gtigen im Leben, durch tiefes, oft excentrisch tiefes Gefhl verbunden. Beide wollten Wirklichkeiten gewahren, und fanden diese vor Allem in der Menschenwelt. Bei Carlyle war dies gegrndet in seiner tiefen Transscendentalphilosophie und Dickens, dem es aus dem Leben seiner Imagination entsprang, vertiefte sich gern durch Carlyle. Beide sahen die starken Realitten der Menschenwelt den Lebenshunger, die unermeßliche Verdauungskraft von Besitz und Herschaft in vielen Individuis, klaren Auges, in der Tiefe derselben aber als etwas Unberwindliches Gewissen, wahre Arbeit, Aufopferung, ein die menschliche Gesellschaft Verbindendes, das ber das Individuum hinausreicht; dies als nicht secundr, sondern ursprnglich im Willen liegend, ja schließlich der Kern dieses sonst so problematischen Lebens. Hier empfing der Humor von Dickens eine eigene Vertiefung, mehr noch seine Sentimentalitt Verinnerlichung. Dickens betonte mehr das Sympathische in dieser moralischen Anlage, Carlyle mehr das Heroische. Und beide gingen muthigen Herzens einer gnzlichen Umgestaltung der Gesellschaft entgegen, sie sahen am Horizonte ein fernes Land der Zukunft, in welchem auf der wahrhaften Arbeit, dem menschlich-umfassenden und vertieften Glauben, der Entwicklung aller Regungen von Sympathie und Pflicht die demokratische Ordnung Arbeiter und bisherige Herren verbnde. Beide arbeiteten in ihren Schriften an diesem Weltbesten.36 Von hier aus ist nun der Bau der Romane von Dickens verstndlich. In denselben wird die Darstellung ganz verschiedener socialer oder anders formirter Gruppen der Vereinigung in Einer Handlung entgegengefhrt. Und zwar wird in der Regel durch Spiel und Gegenspiel einheitliche Spannung, Verknpfung der Interessen, Mçglichkeit einer einheitlichen Auflçsung herbeigefhrt. Ich gehe von den Meisterwerken in formaler Beziehung aus, als welche ich Copperfield und unser gemeinsamer Freund betrachte. Und zwar ist der erstere Roman einheitlicher, der zweite aber in der Technik eine verwickelte Handlung zu beherschen das Hçchste was Dickens leistete. Die Gruppe der Leichenfischer, die Gruppe Boffin, die Familie Bella's, die Gruppe Weech37 u. Co., die beiden Advokaten, der Schulmeister: in diesem Allem sind hçchst mannichfache Schattirungen der Art wie Menschen in verschiedenen gegebenen Lagen ihren Weg im Leben machen. Leichte dnne Fden gehen zunchst von der einen zur anderen, werden vermehrt, verknoten sich zu festeren Bndern; man sieht Rockesmith und Bella in der Mitte von diesem Allem. Man fhlt wie berall in diesen Verhltnissen Habsucht, Sinnlichkeit, Brutalitt ringen mit den edleren Naturen: Alles in einer inneren Beziehung zu dem Testament. Diese tritt dann immer klarer hervor.
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Zu Dickens und Carlyle vgl. Dickens 402, 24–35; zu Carlyles Transzendentalphilosophie, der Rezeption und Wirkung der Philosophie Kants, vgl. D.s Aufsatz: Thomas Carlyle (1890). Ges. Schr. IV, 507–527. Zu Umgestaltung der Gesellschaft vgl. Forsters Bericht eines Freundes: „Dickens habe glhend eine Zeit herbeigewnscht und derselben zuversichtlich entgegengesehen, wo ein engeres Band, als das gegenwrtig bestehende, die verschiedenen Klassen des Volkes verbinden, e i n Band die hçchsten wie die niedrigsten umfassen werde.“ Di Leben III, 463. 37 Richtig: Silas Wegg aus: Unser gemeinsamer Freund, Straßenhndler und Balladenverkufer.
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406, 23 aus dem Gange: Einfgung am rR: aus dem Einfluß seiner Vorbilder, dem Gange 406, 34 Dickens. Fr einen kleinen Kreis, korr. am rR: Dickens; wenigstens fr den sehr feinfhligen Leser, 407, 2 auch erg. am uR: so war er bestrebt die Theile seiner Handlung gleichsam scenisch zu gestalten. Auch 407, 6 waren. Daran anschließend: C 68 (215), 239r-242v, 247r Drei von D. bezeichnete Halbbçgen seiner Hand mit Einfgungszeichen (599 WM), nicht vollstndig beschrieben: zu 599. Endlich ward der rasche Wechsel komischer und ernster Szenen durch diese Rcksichten auf den Leser begnstigt. Solche und andere Eigenthmlichkeiten seiner Technik wurden nun aber in den Zusammenhang einer mchtig wirkenden Kunstform aufgenommen und eben hierdurch entstand das Wirkungsvolle seiner Technik. Sie ist hierdurch der von Balzac durchaus berlegen. Es wre unmçglich, Dickens Leistungen auf dieser Hçhe seines Schaffens zu wrdigen, ohne sich mit dem großen franzçsischen Schriftsteller auseinanderzusetzen, welcher in seiner bahnbrechenden Geschichte der englischen Literatur Dickens seine Stelle im englischen, im Roman berhaupt zu bestimmen gesucht hat. Taine erkennt die Energie der Einbildungskraft von Dickens vollkommen an.38 Aber Balzac, die Sand, Stendhal sind nach ihm Dickens darin berlegen, daß sie „die Kunst mehr lieben als die Menschen.“ „Sie finden nur Gefallen daran die Triebfedern der Leidenschaften spielen zu sehen, große Systeme von Begebenheiten zu combiniren, gewaltige Charaktere zu construiren. Sie schreiben nicht aus Sympathie fr die Elenden, sondern aus Liebe zum Schçnen“.39 Liest man le Pre Goriot von Balzac so tritt das Mitgefhl zurck hinter den Genuß der Erfindungsgabe und die gleichsam wissenschaftliche Freude ber diese Kraft der Analyse, diese Physiologie des Herzens.40 „Balzac hat die Leidenschaften als Krfte betrachtet und da er glaubt daß die Kraft schçn sei“, hat er sie durch ihre Darstellung innerhalb des ganzen Kausalzusammenhangs, in welchem sie auftritt, vertheidigt.41 So hat Dik38
H. Taine, Histoire de la Littrature anglaise, 4 Bde, Paris 1863/64. Der vierte Band von 1864 ist ein Ergnzungsband, Les Contemporains, und beginnt mit Dickens, dem fnften Buch des Gesamtwerks. Die von D. benutzte bersetzung hat eine andere Band- und Kapitelaufteilung: Geschichte der englischen Literatur III: Die Neuzeit der englischen Literatur, bearb. von G. Gerth, Leipzig 1880. Wrdigung von Dickens’ Phantasiekraft S. 203–214. 39 D. verweist am rR des Ms. C 68, 240r auf 221 bei Taine, er referiert und zitiert verkrzend: „Balzac, George Sand, Stendhal haben auch das menschliche Elend geschildert; ist es mçglich zu schreiben, ohne es zu schildern? Aber sie suchen es nicht, sie finden es; sie denken nicht daran, es vor uns aufzurollen; sie gingen anderswohin, sie haben es auf ihrem Wege angetroffen. Sie lieben die Kunst mehr als die Menschen.“ D.s zweites Zitat folgt direkt mit kleinen orthographischen Abweichungen. Taine, Geschichte III (wie oben Fußnote 38). 40 Im Wortlaut: „Wenn man l e P r e G o r i o t (von Balzac) vollendet, ist einem das Herz von den Qualen dieser Agonie gebrochen; aber die erstaunliche Erfindungsgabe, die Masse der Begebenheiten, die Flle allgemeiner Ideen, die Kraft der Analyse versetzen uns in die Welt der Wissenschaft, und unsere schmerzlich erregte Sympathie beruhigt sich bei dem Anblicke dieser Physiologie des Herzens.“ Taine, Geschichte III (wie oben Fußnote 38), S. 221. 41 Zum Zitat ber Balzac die weitere Seitenangabe D.s (rR C68, 240) : 232. Der ganze Zusammenhang wçrtlich: „George Sand hat nur eine Leidenschaft, Balzac hat sie alle verherrlicht. Er hat sie als Krfte betrachtet, und da er glaubt, daß die Kraft schçn sei, so hat er sie durch ihren [sic] Ursachen
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kens nicht vermocht, die Geschichte von Leidenschaften zu schreiben. Dies ist schließlich darin gegrndet, daß der nordische, dstere, leidenschaftliche, von moralisch-religiçsen Ideen beherschte Geist des Englnders sich nicht zu der moralisch vorurtheilslosen Physiologie der Charaktere und Leidenschaften zu erheben vermag, welche Taine vor Allem an Balzac bewundert. Die glnzende Kritik die Taine aus diesem Gesichtspunkt sowol an Dickens als an Thakeray bt, versteht man erst ganz, wenn man seine philosophischen und sthetischen Arbeiten hinzunimmt, auf denen sie schließlich beruht. Taine ist der sthetiker des damals in Frankreich von großen Schriftstellern geschaffenen Naturalismus.42 Die Schilderungen der Zusammenknfte dieser Schule zeigen uns Taine als mit den Huptern derselben in Zusammenhang. Taine ist in diesem Processe Parthei. Ist es der Literaturgeschichte nicht mçglich ein Urtheil herbeizufhren? Jedenfalls kann es nur geschehen, wenn wir mit unserer Analyse vordringen bis zu den Stellen des Sachverhaltes, welche die Entscheidungsgrnde fr ein solches Urtheil mçglicherweise enthalten. Die wissenschaftliche Analysis eines Dichters, seiner Werke und seiner Stellung in der Literatur fordert ein zusammengesetztes Verfahren. Man muß zunchst die in ihm wirkende Phantasiethtigkeit in ihren individuellen Zgen studiren. Hierzu ist glcklicherweise in den Briefen und dem Tagebuch von Dickens ausreichender Stoff vorhanden. Man muß andrerseits die Lage der Kultur und Literatur studiren, die ihn bedingte, ihm seinen Stoff an Menschen und Begebenheiten, seine Aufgabe gab. Der Stoff fr dies Studium ist unermeßlich. Hieraus muß man dann seine Technik, den Kreis seiner Charaktere, die besondre Art von Verbindung derselben zu einem Bilde der Welt, die in dem Tiefsten seines Wesens gegrndet ist, zu erklren unternehmen. Der Anfang dieses Aufsatzes versuchte die Natur und das Genie des erzhlenden Dichters zu analysiren. Er wies alsdann an Dickens die Hauptzge der epischen Imagination auf. Dann wies er nach wie dem Hauptbedrfniß der epischen Imagination, zu erleben, zu erfahren, eine Welt von Erfahrungen zu umschreiten, die harte Schule des Lebens vorzglich entsprach, durch welche dieser große Dichter gegangen ist. Nun mag der Leser eine Fortfhrung dieser psychologischen Analyse des erzhlenden Dichters gestatten. Ihr Ziel ist das Verstndniß der epischen Kunstform, der Einblick in deren Verschiedenheiten und die Stellung von Dickens inmitten derselben, und so die Entscheidung des Processes um Dickens, der aus Taines Anklageakte entstehen mußte. 407, 7–8 Ich bis Erçrterungen. Gestr. 408, 4–5 denselben Verbindungen: Am rR einfçrmigen, einzufgen. 411, 10 gewhrt. Anzuschließende Ergnzung am rR: Wir kommen mit einem Hunger nach Eindrcken auf die Welt. Kinder werden nicht mde, Mrchen zu vernehmen. Der Orientale lauscht der endlosen Verkettung der Geschichten. Die Helden der Germanen oder Griechen vertheidigt, mit ihren Verhltnissen umgeben, in ihren Wirkungen entwickelt, bis zum Aeußersten getrieben und so sehr vergrçßert, daß er daraus erhabene Ungeheuer macht, die systematischer und wahrer sind als die Wahrheit.“ Taine fhrt fort: „Wir heißen es nicht gut, daß ein Mensch sich darauf beschrnke, nur ein Knstler zu sein.“ Geschichte III (wie oben Fußnote 38), S. 232. 42 Taine fhrt literarische Werke wie geschichtliche Entwicklungen auf drei Faktoren zurck: la race (Herkunft), le milieu, le moment. Sein Verfahren hat die Generation um 1880 beeinflußt, vor allem Zola. Vgl. D.s Unterscheidung zwischen dem materialistischem Roman der Franzosen und dem sozialen von Dickens Bausteine 241; auch sthetik 242–246, 286 f.
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verschçnern das Mahl mit epischer Dichtung. berall rufen die Eindrcke der Wirklichkeit in Bildern Befriedigung hervor. Darunter Hinweis D.s: Abs.! Fragt etc. 411, 16 berall; aber korr. am rR: berall. Aber 411, 23 schreiten. Anzuschließen: C 68 (215), 244r-245v Vierseitig beschriebener Halbbogen von D.s Hand mit zahlreichen, nicht immer angeglichenen Korrekturen. Einfgungszeichen: zu S. 601 unten. Mannichfach sind die gesetzlichen Verhltnisse, nach welchen nun mit einem Thatbestand eine befriedigende Erregung des Gefhls verbunden ist. Schließlich ist das alle diese sthetischen Bestandtheile einigende und beherschende Prinzip: eine Transformation des Wirklichen, welche aus einer machtvollen Seele entsprungen ist und tiefer, mchtiger, wahrhafter als den Dutzendmenschen gegeben ist, das ausspricht, wodurch die Wirklichkeit unser Seelenleben steigert, unser Gemth befreit und ihm das Gegebene verstndlich macht, wird auch dem Genießenden die Seele erweitern, die Kraft zu sehen und zu leben ihm erhçhen, und ihm ein Schlssel zur Wirklichkeit werden. Wodurch das schließlich geschehe, ist nicht auf eine Formel zu bringen.43 Darin aber fehlte die speculative sthetik, daß sie eine solche Formel suchte. Es ist eben der Genius, der dies persçnlich und geschichtlich fr einen geschichtlichen Kreis vollbringt. Ihm ist eigen, seine Gefhle, seine Phantasien seine Ideale mit der Natur der Dinge in einem wahren Zusammenhang zu verbinden. Er glaubt nicht an seine Bilder allein, sondern mehr an die Art seines Sehens, an eine Wahrhaftigkeit seines Blickes, dem entsprechend an etwas das im Grunde der Dinge seinen Gefhlseindrcken, seiner Umgestaltung und Erhçhung des Wirklichen, dem in seinen Werken geschaffenen, im Gemth begrndeten und das Gemth Bewegende Zusammenhang, Antrieb und Recht verleiht. Auch im Knstler ist gleichsam ein transscendentales Postulat lebendig, das Bedingung, Berechtigung seines Werkes in dieser Welt enthlt. 411, 27 sei. Danach Einschub, notiert am lR und oR Er soll eindrucksvoll darstellen. Er soll den Durst der Seele nach Eindrcken befriedigen. Daß er n i c h t e i n f a c h b e s c h r e i b e n , e r z h l e n , sondern unsre Seele m i t d e n E i n d r c k e n d e s s e n , w a s e r e r z h l t u n d b e s c h r e i b t , erfllen, so beleben und erweitern will: das ist d e r e r s t e G r u n d z u g d e s e p i schen Dichters. 411, 38–39 Stimmung. bis Es eignet: Am lR, Bleistift: Stimmung. Vor Allem, je realistischer er auffaßt, desto mehr wird er des Humors bedrfen, das Niedrige, Kleine, Zufllige zu beleben und zu verklren. Aber alle diese Stimmungen mssen schließlich aus e i n e m einheitlichen Grundgefhl des Lebens ausstrahlen. Dabei eignet es 412, 6 beziehen. Das einfache Einfgungszeichen nach dem letzten Wort des Aufsatzes bezieht sich wahrscheinlich auf das Stichwort am lR: Belege; fr das doppelte unter der letzten Zeile findet sich keine entsprechende Kennzeichnung auf den drei Fortsetzungsbruchstcken oder dem Passus Schluß. C 68 (215), 248r-261v und 263r Der umfangreichste Ansatz, paginierte Halbbçgen, bezeichnet als Blatt 1–7, korrespondiert erkennbar mit dem ersten Einschub S. 602 WM (vgl. oben 411, 27) und ist damit dem bearbeiteten gedruckten Text nahe. Durchweg von D.s Hand. Aufschrift: 602 Fortsetzung. In letzter Instanz ist es eine moralische Eigenschaft, welche dieses Verhalten ermçglicht. Es ist die Kraft die Menschen und Dinge nicht unter dem Gesichtspunkt der eigenen Interessen, sondern unter dem ihrer Bedeutung,44 wie sie sich in einem freien Gemthe spiegelt, zu fhlen
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Zum Stichwort Formel vgl. Thema probandi 4, 13. Im Ms. zuerst: unter dem ihres eigenen Werthes.
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und zu gewahren. In diesem Verhalten liegt die O b j e k t i v i t t des Epikers. Und diese bildet den z w e i t e n G r u n d z u g chter epischer Poesie. Diese Objektivitt ist gnzlich verschieden von der des wissenschaftlichen Denkers. Sie ist nicht Freiheit von den Einflssen des Gemths in der Auffassung der Dinge, sondern die Freiheit der Seele von der Beachtung der eigenen Interessen, jene Gemthshaltung, die in Spinozas amor dei intellectualis,45 in Goethes Resignation einen Ausdruck gefunden hat. Sie besteht darin, daß das Bedeutsame Werthvolle in jedem Ding, in jedem Menschen durch die Einschmelzung der empirischen Wirklichkeit in dem Schmelztiegel der Imagination rein, hellstrahlend hervortrete. Sie ist also eins mit der Lebendigkeit, der Bedeutsamkeit, dem Wirklichkeitsgehalt in Figuren, Szenen und Gliederung des Ganzen. Der Gott des Knstlers will Glck, Entfaltung, Bedeutung, die im Gemthe erfahren werden berall verbreiten, und die epische Imagination ist wie das Auge dieses Gottes. Nie strker als in der epischen Poesie der Griechen war die Freude des objektiven Anschauens ber die Welt verbreitet. Aber auch die Ilias ist von einem Ideale erfllt und zeichnet Ideale. Achill und Thersites sind Schçpfungen der Phantasie, welche die starke Freude an dem Heroischen und Kçniglichen und die starke Verachtung der Menge und der Interessen derselben ausdrcken. Und je complicirter dann almlig die Welt geworden ist, je realistischer die Dichter in deren contrastirende und zusammengesetzte Zge eindringen mssen, desto mannichfacher mssen die Stimmungen sein, in denen der Dichter ihre Bedeutung erfaßt, zu desto schrferen Contrasten muß die Einbildungskraft sie herausarbeiten. Und um so entschiedener besteht nun die Objektivitt des Dichters darin, daß alle diese Stimmungen, daß aller Wechsel und alle Contraste der Eindrcke, der Figuren und Szenen der Ausdruck einer freien großen Seele sind, die in jeder Stimmung, in jeder Umbildung von Wirklichkeit sich in chter Sympathie mit allen Wirklichkeiten erweist. In diesen Kontrasten, in diesen Steigerungen, im bermuth des Humors und in der Hoffnungslosigkeit der Tragik muß ein chtes, wahres, richtiges, gesundes Gefhl des Lebens sich aussprechen, sodaß durch dies Alles das Leben tiefer verstndlich wird. In abstrakten Worten kann dies Gefhl des Lebens nicht ausgesprochen werden. Abstrakte Begriffe oder Regeln erreichen es nicht. Es ndert sich nach Zeiten und Vçlkern. Und es hat doch immer ein gemeinsames Gesetz in dem, was wir Gesundheit, oder Kraft, nennen: Worte ohne genau definirbare Bedeutung. All dies aber kann der Dichter nur offenbaren, indem er Gestalten hinstellt, handeln, leiden und ihr Schicksal finden lßt und diese Schicksale verknpft.46 Hieraus entspringt nun der d r i t t e G r u n d z u g d e s w a h r e n e p i s c h e n D i c h t e r s . Er bedarf ein Gleichgewicht, eine Allseitigkeit in den Eindrcken, den Stimmungen, den Figuren. Dies stammt schließlich daraus daß er das Grundgefhl des Lebens voll aussprechen will. Dieses ist aber nur im Akkord und in der Melodie, welche die einzelnen Tçne zu einem genugsamen Ganzen verknpft. Und je reicher, contrastvoller das Leben, um so vielstimmiger wechselreicher, Allegro, Andante Scherzo verbindend diese Sinfonie, die sein Ausdruck ist.47 Der Dichter, der sich im Epos oder Roman dem Leben in seiner Flle hingiebt, wird durch das in dieser Stellung liegende epische Gesetz zu immer weiterer Ausdehnung des Kreises seiner Gestalten getrieben. Er kann nicht ruhen bis der ganze Kreis seiner Erfahrungen in diesen Gestalten reprsentirt. So mçgen wir diesen dritten Grundzug als die U n i v e r s a l i t t des epischen Dichters be-
45 Spinozas Begriff stammt aus seiner Ethik (wie Anm. No 224, 36–37) und wird dargelegt in V, Propositio 32–37. Vgl. Anm. Le 118, 18–23. 46 Nach verknpft zunchst als Anfang des neuen Abschnitts: Was der Metaphysiker aussprechen mçchte, den Zusammenhang des Wirklichen, in welchem jedem Ding seine Bedeutung zu gestr. C 68 (215), 250r. 47 Symphonie-Vergleich auch in Jean Paul 333, 30–38.
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zeichnen. Diese ist auch erforderlich, damit der Leser, welcher eine lngere Zeit hindurch in dieser Welt des Erzhlers lebt, den Eindruck der Vollstndigkeit und Objektivitt dieser Welt empfange. Daher liegt immer, wie Spielhagen mit der intimen Einsicht des Dichters ausgefhrt hat, in dem Epos oder Roman etwas Incommensurables, da das Streben nach Universalitt mit der Begrnzung der Kunstform im Streite liegt und in den großen Romanen wie Don Quijote, Simplicissimus, Meister – einen der Anlage entsprechenden Abschluß unmçglich macht.48 Davon hngt nun die Bedeutung des modernen Romans ab, wie weit ihm gelungen ist oder gelingen kann diese Aufgabe zu lçsen, die Epopoe des modernen Menschen, seine Ilias und Odyssee zu sein. Geschhe das jemals, so wrde dieser Roman „dem Jahrhundert und Kçrper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zeigen“49 und er wrde neben das große Drama des 16 Jahrhunderts, welchem dies damals gelang, gleichwerthig treten. Ja in einem Kernpunkt berlegen. Denn wir begehren heute zu sehen wie ein Mensch ward, wir wollen die Bedingungen, die Epochen, die inneren Vernderungen seiner Existenz erblicken. Und kein Drama vermag in der Condensation seiner Handlung, unter den Bedingungen eines sichtbaren Verlaufs, diese Aufgabe zu erfllen. Welche unermeßlichen Schwierigkeiten aber ringsum! Das moderne Leben ist in technischer Arbeitstheilung zu einer unermeßlich complicirten und zugleich mechanischen urschlichen Verkettung der Vorgnge und Handlungen gelangt: Sein Schauplatz hat sich in’s Unermeßliche ausgedehnt. Es lßt eine Mannichfaltigkeit individueller Charaktere entstehen, die grnzenlos ist. Es hat zu Springfedern Motive, die in die tiefsinnigste intellektuelle Arbeit und die technisch schwierigsten politischen Aktionen zurckreichen. Unermeßlich Alles, sprçde fr die Poesie, dort nchterner Mechanismus, hier ußerste intellektuelle Komplikation! Und nun das Gefhl des Lebens im Dichter umgeben von einander widersprechenden Lebensauffassungen. Mçchte er ihrer in abstraktem Denken Herr werden, dann verfllt er wie Schiller der verzehrenden Speculation oder wie Goethe breitestem wissenschaftlichem Studium oder wie Balzac dilettantischem Gebrauch der vorhandenen Wissenschaft. Strebt er wie Dickens oder Thakeray dies stçrende Allgemeine von sich abzuhalten, wie soll er dann von ußerer Anpassung an das Geltende sich frei halten! Und nun ist die erzhlende, recitirende epische Poesie zu einer Buchdichtung, die auf die stille Lektre rechnet geworden. Die metrische Form ist der Verwicklung eines von prosaischen Elementen erfllten Lebens und der Herschaft der Druckerpresse ber uns Alle zum Opfer gefallen. In unwiderstehlicher Entwicklung ist nun die musikalische Form der epischen Dichtung, die zunchst nach dem Wegfall des Metrums noch bei Boccaccio, Cervantes Goethe fortbestand untergegangen, und eine neue Form bildet sich aus, welche bedingt ist von der Aufgabe, aus stummen Wortbildern Phantasiebilder von mçglichster Energie
48 Am rR der Hinweis: In den schçnen Beitrgen zur Theorie und Technik des Romans 1883. S. 133 ff. F. Spielhagen, Beitrge zur Theorie und Technik des Romans, Leipzig 1883. Auf den von D. angegebenen Seiten, im Essay: Der Ich-Roman (1882), stellt Spielhagen unter Berufung auf F. Schlegel und W. von Humboldt vier „Fundamentalstze der Theorie der epischen Dichtkunst“ auf. Aus dem „Widerspruch“ zwischen „Ausdehnung“ und „Grenze“ folge der geringere „Kunstwert“ epischer Werke gegenber lyrischen und dramatischen, der nur durch die Objektivitt der Darstellung kompensiert werden kçnne. Vgl. Bausteine 223. 49 Dieser Ausspruch steht in Spielhagens Aufsatz: Finder oder Erfinder? (1871). Spielhagen erinnert den Leser: „[. . .] daß die Gemeingltigkeit meiner Stze sich allerhçchstens auf diejenigen meiner Kollegen erstrecken kçnnte, welche mit mir es sich zur Aufgabe gesetzt haben: in ihren Romanen ‚dem Jahrhundert und Kçrper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen; [. . .].“ Beitrge (wie oben Fußnote 48), S. 12.
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entstehen zu lassen. Neue Mittel mußten gefunden werden, neue Gefahren machten sich geltend. Der unermdliche Lesehunger eines mßigen europischen Publikums hat thatschlich allen großen epischen Talenten etwas Geschftliches, Hastiges mitgetheilt. Und doch, wir drfen es mit Stolz sagen, zeigt der moderne Roman eine großartige, dem wahren Ziel moderner epischer Poesie sich nhernde Entwicklung. Glcklich der Genius, der die reife Frucht dieser Entwicklung wird pflcken drfen! Wol waren – weder Dickens noch Balzac die Glcklichen, denen dies gelungen ist. Obwol das Urtheil begeisterter Zeitgenossen denn [sic] Einen oder den andren von beiden dafr erklrte. Aber in ihrer Epoche entsprang doch aus dem Sittenroman, aus dem Bildungsroman ein allseitigeres Streben, die ganze Gesellschaft eines zeitlich, rumlich und sozial gegebenen Lebens von ihren Bedingungen aufwrts abzubilden. Hilfsmittel zur Lçsung dieser Aufgabe wurden ersonnen. Dies waren wichtige Schritte auf einem langen Wege. Das Epos war einst das Abbild der kriegerischen Epoche von Vçlkern gewesen: ein Spiegel ihres ganzen Lebens fr sie. Ein solches Bedrfniß ist immer da. Soweit diese Aufgabe in einer Epoche der Industrie, des Handels, der entwickelten Civilisation und Wissenschaft lçsbar ist, sucht fr diese unvergleichlich zusammengesetztere Gesellschaft der moderne Roman sie zu lçsen. Daher diese Gesellschaft seiner bedarf und nach ihm sucht. Die Aufgabe entspricht dem in die gesellschaftliche Wirklichkeit vertieften neunzehnten Jahrhundert. Dieselbe Epoche, welche die Analysis der Gesellschaft in ihren verschiedenen Kultursystemen mit dem Bewustsein des inneren Zusammenhang [sic] aller Erscheinungen dieses Ganzen erfllte, welche die Soziologie hervorbrachte, hat auch den sozialen Roman geboren. Ohne die Bedrfnisse, Fragen und wissenschaftliche Tendenz dieser Zeit wre er nicht zu denken. Hier aber sieht man nun in den allgemeinen Zusammenhang, welcher den Gang des Romans in unsrem Jahrhundert beeinflußte. Der Roman des individualistischen 18 Jahrhunderts war von Freude an Darstellung des Menschen, der Sitten, der Charaktere bis in ihre Sonderbarkeiten hinein erfllt. Seine hçchste Blthe war der Bildungsroman, der Emil Rousseaus, der Wilhelm Meister Goethes. Dann von der Rckwirkung ab, welche die franzçsische Revolution hervorrief, erhob sich die historische Schule. Wie die Soziologie nur aus ihrem Boden hat entstehen kçnnen, so erwuchsen auch Intention und Technik des socialen Romans aus dem historischen. Walther Scott ist der Schçpfer der Technik des historischen Romans und hat damit auch dem socialen Roman Ziel, Kunstgriffe und Hilfsmittel vorbereitet. Dieselbe Periode, welche die Poesie des selbstherlichen Individuums, wie die Heloise und der Emil, Nathan, Werther und Faust sie reprsentiren, in Lord Byron’s excentrischer Grçße untergehen sah, brachte auch das Haupt dieser neuen Art von historischer Poesie, seinen Freund Walther Scott schon hervor. Wie der Mond noch am Himmel sichtbar ist, whrend ein neuer Tag aufdmmert. Die Zeit die drei ersten Decennien unsres Jahrhunderts. Dem Fhrer Walther Scott folgen Viktor Hugo und viele Talente dritten und vierten Ranges. Historische Romane berschwemmen nun die Literatur. Dies neue Epos will die Gesellschaft einer vergangenen Zeit in ihrer localen und temporalen Verfassung Frbung und Stimmung, nach den verschiedenen diese Gesellschaft ausmachenden Krften und Stnden darstellen. Eine wunderbare Gunst der Umstnde kam bei dieser Schçpfung der großen doch begrnzten Begabung Walther Scotts zu Hilfe. In Schottland waren noch Familie, Clan, Volk lebendige Einheiten; zwischen dem Gutsherrn und seinen Hintersassen bestand noch ein natrliches Band; die Lebensverhltnisse der historischen Zeiten wirkten lebendig in die Gegenwart; und die Gegenden, die Schloßruinen, die Kirchen des Gebirgslandes waren von Sagen und geschichtlichen Traditionen umrankt. Hier war Walther Scott 1771 geboren; er stammte aus einem glorreichen Clan; lange ehe sein erster Roman erschien, hatte er als Gentleman auf seinem Landsitz gewaltet; er kannte seine Landsleute, er ging auf der Jagd, auf lustigen Fahrten, in Amtsgeschften den Alterthmern, den Sagen, den Balladen, den Menschen seiner geliebten Heimath nach. Und als er nun von der Erzhlung in Versen zum Roman sich
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wandte, standen seinem wunderbaren Gedchtniß zahllose Bilder dieser eigenthmlichen schottischen Kultur von Gerth Rstungen Waffen Wohnhusern bis in das Innere der Sitten und Charaktere zur Verfgung. Durch ein kunstloses Mitleben und ein heiteres cht episches Fabuliren vermochte dieses saftstrozende lebensfrohe, in Schauen, Erzhlen, Fabuliren naiv schaffende Genie das Leben aller Classen seines Volkes neu erwachen zu lassen. Ein epischer Snger der alten Zeit schien in ihm wiederaufgelebt zu sein. Wre er nicht lahm gewesen htte er vielleicht lieber selber Kriegsruhm erworben. Mit einer unerhçrten Leichtigkeit, Geschwindigkeit und Flle fabulirender Kraft hat seine lebensfreudige Phantasie Kmpfe, Mahlzeiten, Liebe und Feste, die ewigen Objekte der epischen Poesie dargestellt. 1705 begann er seinen ersten Roman, ließ den Anfang in einer Schublade liegen, bekam ihn nach Jahren in die Hand und, schrieb ihn nun in krzester Zeit und verçffentlichte ihn 1714. Und hier tritt nun eine merkwrdige Eigenschaft von Phantasie und Technik dieser neuen epischen Dichtart hervor. Der dramatische Dichter geht von einer klar skizzirten Fabel aus. Ja der dramatische Dichter scheint da seine Kraft am intensivsten in Wirkung zu bringen, wo der sprçde Stoff, wie ihn Leben, Historie, Sage oder Novelle liefern ihn zwingt harte Thatschlichkeit zu verinnerlichen. Die großen Romandichter scheinen dann mit besonders wirksam schaffender Phantasie voranzuschreiten, wenn vor ihnen, wie vor den Lebenden selber, die Zukunft noch in einem gewissen Dunkel liegt. Sie lassen die Menschen gleichsam whrend des Schreibens sich ausleben; die Welt breitet wie sie voranschreiten, sich immer reicher vor ihnen aus; neue Personen treten aus ihrer Phantasie in den Verlauf; der Fluß der Erzhlung wird immer breiter; das ist nun ihr Geheimniß, verschieden bei jedem Dichter, bei jedem Werk, wie in dem ersten Plan, der Helden und Grundidee umfaßt, doch ein Gesetz wirksam ist, das Alles zur Einheit schließlich verbindet. So findet sich in Walther Scott’s Tagebuch ein merkwrdiges Selbstbekenntniß ber die Art seines Arbeitens. Es ist bei Gelegenheit des Woodstock. „Ich habe nicht die geringste Idee, wie ich die Katastrophe herbeifhren soll. – Ich konnte niemals einen Plan entwerfen, oder wenn ich ihn entworfen, daran festhalten; bei der Komposition wurden einzelne Passagen ausgedehnt, andere abgekrzt oder ausgelassen, und Personen wurden bedeutend oder unbedeutend gemacht, nicht nach ihrer Stellung im ursprnglichen Entwurf des Werkes, sondern je nach dem Erfolg (oder seinem Gegentheil), mit welchem ich mich im Stande sah, sie durchzufhren. Ich bemhte mich nur, das was ich eben schrieb, anziehend zu machen, und berließ das brige dem Schicksale“.50 Wir werden genau dasselbe Verfahren bei Dickens bemerken. Und mir scheint, daß eben aus diesem Zusammenwirken einer frei dem Leben selber gleich den Werth der Personen, Szenen und inneren Handlungen erfahrenden Phantasie mit dem inneren vorschwebenden Zusammenhang der Romanerzhlung ihre innere Lebendigkeit entspringt. Wie viel lebendiger als die streng vorbedach-
50 Scott notiert die angegebene Stelle am 12. Februar 1826 in seinem Journal (1890) nach Beendigung des zweiten Bandes von Woodstock. „Now I have not the slightest idea how the story is to be wound up to a catastophe. [. . .], I never could lay down a plan – or, having laid it down, I never could adhere to it; the action of composition always dilated some passages, and abridged or omitted others; and personages were renderd important or insignificant, not according to their agency in the original conception of the plan, but according to the success or otherwise with which I was able to bring them out. I only tried to make that which I was actually writing diverting and interesting, leaving the reste to the fate.“ The Journal of Sir Walter Scott, Edinburgh 1950, S. 100. D. konnte auf die allerdings mit seinem Text nicht bereinstimmende bersetzung zurckgreifen in: Denkwrdigkeiten aus Walter Scott’s Leben. Nach „Lockhart’s Memoirs of the Life of Sir W. Scott“ und den besten OriginalQuellen bearbeitet von M. Brhl, 5 Bde, Leipzig 1839–1841. Zitat, unbeholfen bersetzt, in V, 97 f.
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te Fhrung der Handlung in den Wahlverwandtschaften ist die freie im Wilhelm Meister. Scotts Romane gleichen seiner großen architektonischen Bogen 7 bricht hier ab; ein einzelnes handschriftlich nicht gekennzeichnetes Blatt (C 68, 263r) bietet eine ebenfalls abbrechende Fortsetzung: Dichtung, dem Schlosse Abbotsford in Bezug auf dies planlose Wachsthum.51 Nun aber die andere Seite. Scott sagte wol, er kçnne sich der Zeit nicht entsinnen wo er ohne Luftschlçsser gewesen; ohne Luftschlçsser schien ihm das Leben kein Leben zu sein.52 Seine Romane waren ihm geliebte Luftschlçsser gewesen, ehe er die Feder ansetzte. So wirkten Plan und freier Gang epischer Phantasie zusammen. In der Breite der ersten Theile, in den Nachlssigkeiten des Styls erkennt man die Folgen seiner Art zu schreiben. Dennoch entstand in diesen Werken eine innere Form des historischen Romans, welche einen erheblichen Fortschritt in der dichterischen Technik bedeutete. Das Material fr diese Form ist in der erstaunlichen Mannichfaltigkeit seiner Charaktere: jeder unbefang C 68 (215), 273v, 273r Von D.s Hand, auf zerschnittenem Doktordiplom: Schluß. Die Poesie hat eine unermeßliche Funktion in der Gesellschaft. Man lernt nun nur von der Gegenwart, von den Mitlebenden. Wenn heute die Menschen von [Lcke in D.s Text] , so haben sie dieses Alles aus Tolstoi, Zola etc. Die Ideen werden so vermittelt. Unaussprechlich wichtig ist fr die englische Kultur jener Tage gewesen, daß trotz der Korruption in aristokratischen und Millionrkreisen, Carlyle, Dickens Thakeray Macaulay eine hçhere Ansicht der Menschen zu Grunde legten, in der Gesellschaft die Krfte heraushoben, welche die Verbesserung, die Vermehrung von wahrem Glck in ihr enthielten. Es muß zugestanden werden, daß ihre Analyse der Passionen und der aus ihnen entspringenden Entzckungen und Zerstçrungen weit zurckbleibt hinter etc. Aber die Totalitt die sie darstellen ist wahrer als die welche irgend einer der Naturalisten nach ihnen gegeben hat. Und Eins hat Dickens dargestellt so innig wahr tief ergreifend wie Niemand vor oder nach ihm: das einfache Glck des huslichen Herds. Seine Kinder die in diesen Herd blicken wie Lizie oder in harten Zeiten53 und darin das Bild der Zukunft sehn, seine einfachen Menschen – wie ein Symbol ist die stille Flamme des Kamins etc fr Alles was die Gesellschaft erhellt erwrmt und den Mnnern die Kraft giebt, ordnend und bildend in der Gesellschaft zu wirken.
51 Scott erwarb den westlich von Melrose gelegenen Landsitz Abbotsford 1811, ließ ihn bis in die 20er Jahre erweitern und zum Schloß umgestalten, einem Monument der Stilmischungen. 52 Vermutlich Anspielung auf eine Tagebuchstelle vom 27. Dezember 1828 [recte 1825]: „Ich habe eine Zaubermtze getragen, [. . .] Seit ich fnf Jahr alt war, erinnere ich mich nicht der Zeit, wo ich nicht irgend eine ideelle Rolle zu meiner eignen einsamen Unterhaltung zu spielen gehabt htte.“ Denkwrdigkeiten (wie oben Fußnote 50) V, S. 65. Vgl. Journal (oben Fußnote 50), S. 50. 53 Nohls Lesung: in frohen oder in harten Zeiten (Ph 317) ist nicht verifizierbar. Trotz der falschen Schreibung von Lizzie liegt nher, die Stelle auf die beiden Romane zu beziehen, die D. in der Bearbeitung besonders bercksichtigt: Unser gemeinsamer Freund (wie oben Fußnote 16); Harte Zeiten (Hard Times for these Times, erschienen vom 1. April bis 12. August 1854, anschließend als Buch.). Beide enthalten entscheidende Kaminszenen mit dem Blick in die Zukunft: Lizzie Hexam entwirft ein Wunschbild von sich selbst (vgl. 11. Kap. des zweiten Buchs von Unser gemeinsamer Freund); Louisa Gradgrind aus Harte Zeiten sieht am Ende des Romans die knftige Entwicklung fr Sissy Jupe, das Zirkuskind, voraus.
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C 68 (215), 276r, 276v und 275r Zwei Bltter von D.s Hand, der Eingangspassage ber den epischen Dichter im Entwurf: 602 Fortsetzung nahe , deutlich auf das Stichwort: objektive Welt des gedruckten Textes bezogen, berschrieben: 602 Forts. Aber das Verhalten des epischen Erzhlers steht nicht unter der allgemeinen Regel rein anschauend zu sein. Die objektivste epische Poesie, von der wir wissen, das griechische Epos ist doch von einer lebhaften Freude an allem Heldenhaften, von starker Verachtung der Menge und der Interessen derselben erfllt. Achill wie Thersites als Schçpfungen der Phantasie erweisen das. Und je realistischer der Dichter, je complicirter die Welt wird, desto mehr besteht die Objektivitt des Dichters darin, daß die Stimmungen, unter denen seine Bilder stehen, der Ausdruck eines freien großen Gemthslebens sind, das in chter Sympathie mit allen Wirklichkeiten steht. Sie mssen der Natur dieser Wirklichkeit angemessen sein. Ein chtes wahres richtiges Gefhl des Lebens muß sich in ihrer Mannichfaltigkeit aussprechen. Dies Gefhl des Lebens selber ist eben in abstrakten Worten unaussprechbar. Kein Begriff und keine Regel erreicht es. Es ndert sich nach Zeiten und Vçlkern. Und es hat doch immer in Gesundheit und Harmonie, Worten ohne nher definirbare Bedeutung ein gemeinsames Gesetz. C 68 (215), 298r-301v Halbbçgen 1–2, Diktat von Katharina D.s Hand, ergnzt und in den letzten drei Spalten fortgesetzt von D. Inhaltlich bezieht sich dieser Text auf die Ergnzung: zu 599, vgl. oben C 68 (215), 239r–247r, das Urteil Taines ber Dickens. Fortsetzung zur Seite 602 Aus diesen Gesetzen der Phantasie ergiebt sich daß ein wahrer Dichter niemals jene bloße Analysis von Leidenschaften vollzieht, welche Taine fr sein auszeichnendes Merkmal hlt. Schon das Portrait unterscheidet sich von der Photographie dadurch, daß von einem Eindruck aus Zge verbunden und verstrkt ausgeschaltet oder gemindert werden. Hierdurch wird es eine Anweisung, ein Gesicht zu verstehen, es giebt den Eindruck wieder, welchen die mit dem Gesicht Vertrauten von demselben haben. In dem Grade aber, in welchem ein Dichter seine Bilder der Umformung frei berlßt die aus der Tiefe des Gemthes stammt entspringt hieraus nicht eine Nachbildung oder Analysis der Wirklichkeit, sondern eine in allen Krften, die die Welt zusammensetzen, gesteigerte, ein gesteigertes Reich derselben. [Einfgung D.s von Es giebt bis ebenfalls ab.] Es giebt also in der Phantasie des schaffensmchtigen Dichters immer nur von dem Gemth aus wirkende Umgestaltung. Die Trennung des praktischen vom sthetischen Menschen ist nirgend im wahren Dichter. Balzac hat ein anderes Ideal des Lebens als Dickens; aber von diesem hngt der Gang seiner Phantasie ebenfalls ab. Davon wird nun Alles abhngen, in wiefern diese in den Bildern wirksame Energie des Gemthes im Stande ist, deren wahrhaftigen Charakter dh. na der Wirklichkeit selbst [ dh. bis selbst: Zusatz D.s] zu steigern; dies ist die Congenialitt des Knstlers mit seinem Gegenstande, vermittelst deren er gerade durch dessen freie Gestaltung die Wahrheit tiefer ausspricht, die Wirklichkeit verstndlicher macht als jede Nachbildung oder Analyse vermçchte. Gelingt dies, dann werden die Menschen durch seine Augen sehen, mit ihm weinen und lachen und durch ihn lernen, die Welt lieb zu gewinnen, oder auch an ihr zu verzweifeln. Diese Congenialitt von Dickens mit seinem Objekte, den Englndern seiner Tage hat ihn zu dem gelesensten Schriftsteller seiner Zeit gemacht. Dickens war ein Mensch von außerordentlichster Lebenskraft. Man sagte wohl von ihm, daß die Kraft von einem Dutzend Menschen in ihm vereinigt sei. Seine Erholungen bestanden in dem Wechsel ungestmer Thtigkeit. Spatziergnge von vielen Stunden am liebsten zur Nachtzeit, Theaterspielen, Reisen viele Tage hindurch, dergleichen war ihm Bedrfniß. Diese innere Unruhe trieb ihn auch quer durch England und durch Amerika Tags zu reisen Abends mit ungeheurer Anstrengung Vorlesung zu halten Nachts wieder zu reisen, unaufhaltsam ausruhend
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nur wenn die ußerste Erschçpfung eintrat. Mit derselben unaufhaltsamen Leidenschaft des Herzens schrieb er, es kam wohl vor, daß er um Forster Carlyle und einigen Freunden ein Weihnachtsbuch vorzulesen aus Paris (?)54 nach London kam um gleich darauf wieder zurckzureisen, excentrisch berließ er sich solchen Launen, nichts hemmte diesen inneren leidenschaftlichen Drang bis der Herzmuskel versagte und dieses ruhelose Treiben zu Ende ging: Dem entspricht, daß sein Sehen affektiv war. Er erzhlte seinem Freunde den einfachsten Vorgang aus seinem Leben. Die Bilder steigern sich in etwas Ungemessenes. „Ich mache meilenweite Spatziergnge in’s Land hinein und Du kannst Dir kaum vorstellen, an was fr verlassenen Wllen und stillen kleinen Kirchhçfen vorbei oder wie ich ber rostige Zugbrcken oder stagnirende Grben [von hier an D.s Hand] in der verfallenden Stadt aus- und eingehe.“ Dies schreibt er aus einer franzçsischen Provinzialstadt. (Forster III 471).55 Wohin diese excentrischen englischen Naturen, die Marlowe, Shakespeare, Milton, Dickens, Carlyle blicken, scheinen die Wiesen grner als irgendwo in der Welt, die Felsen drohender, die Menschen in unerhçrter Selbstlosigkeit hinschmelzend oder in unzhmbarer Wildheit vorwrts schreitend. Und in welche Lage ihre Geburt sie versetzt, eine unzhmbare Energie treibt sie ihren hohen Zielen entgegen, von Erlebniß zu Erlebniß: sie verachten die Schwierigkeiten. Dieser Grundzug ihrer Phantasie, dieser Affekt im Auge wrde jedem anderen Gegenstand etwas Unangemessenes mittheilen: indem die Sitten und Charaktere der Landesgenossen dargestellt werden, fhrt er zu einer Steigerung des Bezeichnenden in diesen Charakteren, welche zuweilen der Manier von Hogarth56 sich annhert aber die bestimmenden Richtungen in diesen Charakteren hçchst energisch ausdrckt. C 68 (215), 302r Einzelblatt, Notiz von D.s Hand. Periode des Verfalls. Frh hatte die Phantasiekraft von Dickens abzunehmen begonnen. Das Leben selbst hat auch des Lebens Freudigkeit ihm der er komische etc. – Er begann zu knsteln. Aber zu derselben Zeit – wie bei allen großen Dichtern dieser Prozeß verluft – lernte er spielend die Technik handhaben und vertiefte sich ihm sein Verstndniß des inneren Zusammenhangs der Gesellschaft in der er lebte. Immer mehr verstand er Carlyle. Die Typen dieser Zeit sind: Harte Zeiten, und die 2 Stdte57 sie bezeichnen den Hçhepunkt des Einflußes von Carlyle. C 68 (215), 303r Einzelblatt von D.s Hand. Die Litteraturgeschichte soll die bestehende Gesellschaft einer Zeit zu ihrer Grundlage haben; aus dieser entspringen die Strebungen, die Ideale, die Gemthskrfte, die dem Dichter sein Material sind. Ihre andere Grundlage ist der Genius mit den ihm eingeborenen Krften der Phantasie, mit allem Eigenthmlichen derselben. In dem Zusammenwirken dieser Krfte entsteht die innere Form, der innere Bau, die der Charaktere, deren Umbildungen. Bis in die fein-
54 Vgl. Dickens 404, 40 – 405, 8 und Anm. Di 383, 14–16. Dickens kam von Genua und hielt sich auf dem Rckweg in Paris auf. 55 Bis auf kleine orthographische Abweichungen ist das Zitat richtig. 56 Dickens kannte und bewunderte die satirischen Serien des Malers und Kupferstechers W. Hogarth und bezog sich selbst auf Hogarths Sicht der Gesellschaft. Sein Werk wurde seit den 30er Jahren des 19. Jh.s mit dem Hogarths verglichen, brigens auch von Taine, Geschichte III (wie oben Fußnote 38), S. 224. 57 A Tale of Two Cities in: All the Year Round vom 30. April bis 26. November 1859, anschließend Buchausgabe.
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sten Zge der Technik muß der Litterarhistoriker nun die Gebilde die so entstehen zu erfassen wissen.
Anmerkungen 364, 1–3 Charles bis Dichters: Der berschrift folgen in WM Verfasserangabe, (Von W. Dilthey.), und Nachdruckverbot: Nachdruck wird gerichtlich verfolgt. Reichsgesetz Nr. 19, v. 11. Juni 1870 (vgl. Anm. Di 401, 29–30). Diese drei Teile erscheinen vollstndig weder hier noch vor dem dritten Abschnitt, dem Beginn der zweiten Hlfte des Aufsatzes. 364, 4–5 seitdem bis wurde: A. G. Baumgarten ordnete die sthetik den philosophischen Wissenschaften zu und ist zugleich Verfasser der Aesthetica, 2 Bde, Frankfurt a. O. 1750/58. Vgl. sthetik 252. 364, 15–17 Das bis behandelt: Vgl. Kants Kritik der Urteilskraft (1790), bes. §§ 46–49. „G e n i e ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel giebt. Da das Talent, als angebornes productives Vermçgen des Knstlers, selbst zur Natur gehçrt, so kçnnte man sich auch so ausdrcken: G e n i e ist die angeborne Gemthsanlage (ingenium), d u r c h w e l c h e die Natur der Kunst die Regel giebt.“ § 46. Kant W IV, 176. Auch: Dickens 365, 2–8 und Tg. Di, Handschriftenbefund 364, 30 – 365, 10; Gesichtserscheinungen 93; E Goethe 133, 19–25; sthetik 268. 364, 19–22 Indem bis erweitern: Ueber naive und sentimentalische Dichtung erschien in den Horen (wie Anm. No 214, 17) 1795/96 in drei Teilen, unter voneinander abweichenden Titeln. – Als Moment der historischen Entwicklung interpretiert D. offensichtlich Schillers Entgegensetzung der Alten und Modernen und die daraus folgende Unterscheidung von Dichtern und Dichtung: „Sie werden entweder Natur s e y n , oder sie werden die verlorne s u c h e n . Daraus entspringen zwey ganz verschiedene Dichtungsweisen, [. . .]. Alle Dichter [. . .] werden, je nachdem die Zeit beschaffen ist, in der sie blhen, [. . .] entweder zu den n a i v e n oder zu den s e n t i m e n t a l i s c h e n gehçren.“ Schi W XVIII, 236. 364, 22–25 An bis festzustellen: Zu denken wre an F. Schlegels Arbeit: Ueber das Studium der griechischen Poesie (1797), bereits vor Schillers Abhandlung (vgl. die vorangehende Anm.) entstanden; an seine 1812 in Wien gehaltenen Vorlesungen: Geschichte der alten und neuen Literatur (1815); an A. W. Schlegels Berliner Vorlesungen ber schçne Litteratur und Kunst von 1801–1804 (1884), D. bekannt durch den Schleiermacher- Briefwechsel (vgl. Schleiermacher III, 290); auch an A. W. Schlegels Vorlesungen ber dramatische Kunst und Litteratur (wie Anm. Fr 416, 28–34). 364, 25–26 Winckelmann bis uns: J. J. Winckelmann, Geschichte der Kunst des Alterthums (1764). Ausgehend von der Frage nach dem Ursprung der Kunst, verfolgt Winckelmann deren Entwicklung von der gyptischen bis zur rçmischen, wobei sein Hauptinteresse der griechischen gilt. „Der beste Schlßel“, so A. W. Schlegel, sei Winckelmanns Werk fr die Kenntnis „der griechischen Bildung, und ist sehr tauglich, auch zum Verstndniß ihrer Poesie vorzubereiten [. . .].“ Vorlesungen (wie Anm. Fr 416, 28–34) I, S. 45 f. Vgl. Anm. Le 73, 30–33; sthetik 267–269. – Anfnge der Philosophie der Geschichte kçnnten die Werke Winckelmanns und der Schlegels insofern sein, als sie, in D.s Terminologie, historische Forschung in philosophischer Absicht bieten. Studium 35 f.; Ges. Schr. XVIII, 43 f.
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364, 27–28 Sie bis Aesthetik: Dieser Auffassung entspricht F. Schlegels Ziel seines Aufsatzes Ueber das Studium (wie oben Anm. 364, 22–25), formuliert im Brief vom 5. April 1794 an seinen Bruder August Wilhelm: „Die Geschichte der Griech.[ischen] Poesie ist eine vollstndige Naturgeschichte des Schçnen und der Kunst daher ist mein Werk – Aesthetik.“ Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe III, 23. S. 188. – In A. W. Schlegels Berliner Vorlesungen sah D. auch spter eine durchgefhrte sthetik in unserem Verstande. Bausteine 118. 365, 13–18 Das eine bis muß: D.s intensives Studium der Physiologie findet in Basel statt (vgl. JD 240) und sttzt sich vor allem auf H. Helmholtz, Handbuch der physiologischen Optik, Leipzig 1867; Ders., Die Lehre von den Tonempfindungen, als physiologische Grundlage fr die Theorie der Musik, Braunschweig 1863. 31870. Vgl. Dickens 369, 21–24; dazu: D.s Besprechung: Zur Theorie der Musik (1863). Ges. Schr. XVI, 320–327. Helmholtz und Fechner (vgl. Anm. Di 369, 39 – 370, 13) erscheinen als Garanten fr die Anwendbarkeit des Experiments in den Wissenschaften des Geistes. Ges. Schr. VI, 7; Ideen 164 f. 365, 18–21 Ein bis liegt: Vgl. Tg. Di, Handschriftenbefund 365, 21–22; zum Festhalten D.s an der komparativen Methode hinsichtlich des vorliegenden Bandes B Yorck 183. 365, 22 Kenntniß der: korr. aus Kenntniß den. 365, 22–33 Es giebt bis modificirt: Indirekter Hinweis auf Bacon. Vgl. Anm. Al 295, 23–24; Anm. Goe 125, 10–23. Eine Reihe von Fallbeispielen, die Einblick in den je individuellen knstlerischen Schaffensprozeß gewhren, erscheint hier zum ersten Mal in einem von D. mit seinem Namen gezeichneten Aufsatz (eingefhrt in Gesichtserscheinungen 93–95). Sie bleibt, in unterschiedlicher Zusammensetzung, Bestandteil weiterer Arbeiten zu Poetik und Literatur, Beleg induktiven Vorgehens. Vgl. E Goethe 139; 143–146; EW 100 f.; Bausteine 178–184. 365, 25–26 Brief von Mozart bis erçffnet: Obwohl enttuscht von Jahns Mozartbiographie (vgl. JD 117), kennt D. wahrscheinlich aus ihr oder einer der dort genannten Quellen den so interessanten wie seiner Echtheit wegen umstrittenen Brief Mozarts an einen Baron von P. ber den Entstehungsprozeß seiner Kompositionen. Mozart berichtet, unterwegs oder nachts „da kommen mir die Gedanken stromweis und am besten. [. . .] und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, [. . .]. Alles das Finden und Machen gehet in mir nur wie in einem schçnstarken Traum vor: [. . .] Wenn ich nun hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sack meines Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier, [. . .].“ O. Jahn, W. A. Mozart III, Leipzig 1858, S. 424 f. 365, 26–27 Gesprch bis Malerei: Das Gesprch ist im Kapitel Vittoria Colonna von H. Grimms zweibndiger Biographie: Leben Michelangelo’s (1860/63) enthalten und D. von daher wohl vertraut (vgl. B Scholz 450 f.). Michelangelo verteidigt seine Einsamkeit, „die Mhe, etwas Vollendetes zu schaffen; denn Gott ist die Vollendung, und wer ihr nachstrebt strebt dem Gçttlichen nach. Die wahre Malerei ist nur ein Abbild der Vollkommenheit Gottes, ein Schatten des Pinsels mit dem Er malt, eine Melodie, ein Streben nach Einklang.“ II, 371. – D. suchte seit 1861 Grimms Bekanntschaft, die Scholz 1864 vermittelt hat. JD 162, 185. 365, 27–28 Ein Fall bis Selbstbekenntnisse: Die von D. mehrfach herangezogenen Selbstbekenntnisse O. Ludwigs wurden von G. Freytag verçffentlicht, und zwar innerhalb seines Beitrags: Aus
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dem Arbeitszimmer des Dichters Otto Ludwig. Grenzboten XXV, I.2 (1866) 51–54. Vgl. unten Anm. 368, 40 – 369, 2; Gesichtserscheinungen 95; EW 101; Bausteine 182 f. 365, 30–33 In Dickens bis modificirt: Mit seiner unverbildeten Kindheit erscheint Dickens so prdestiniert fr D.s Untersuchungen wie Alfieri. Vgl. Dickens 373, 8–13; Alfieri 294, 34 – 295, 24. 365, 34–35 Es bis haben: Die Angabe der bersetzung von Forsters Biographie (The Life of Charles Dickens, 1872–74) ist leicht zu korrigieren und zu ergnzen. Statt Ins (Anm. Z. 1): „In’s“. In Klammern zu setzen: Vom Verfasser autorisirte Uebersetzung. Die bersetzung umfaßt 3 Bde (1872. 1873. 1875). Den dritten Band hat D. fr seine Publikation wenig genutzt; vgl. den auffallend unschlssigen Abbruch dieses Aufsatzes, dazu die Erwhnung erst in Tg. Di, Handschriftenbefund C 68 (215), 298r-301v. D. bezieht sich auf Forsters Buch in: Balzac (1876), PH 237; sieht es als Ereignis: E Goethe 149, 39 – 150, 1. 365, 35–37 Der Dichter bis schreiben: David Copperfield (1850), der stark autobiographische Roman Ch. Dickens’, kam in monatlichen Lieferungen zwischen Mai 1849 und November 1850 heraus. Nach Forsters Mitteilung ist das autobiograpische Bruchstck in das elfte Kapitel des Romans eingegangen. Vgl. Dickens 379, 31–33. – Dickens sah seit 1848 in dem Freund J. Forster seinen Biographen. Di Leben I, 19. Anm. 366, 1–2 „Du bis wird.“: Zitat dem Text angepaßt, es heißt: „‚Du kennst mich besser, schrieb er, denselben Gegenstand wieder aufnehmend, am 6. Juli 1862, ‚als irgend ein anderer Mensch mich kennt, oder je kennen wird.“ Ebd. 366, 11–13 Es bis gesehen hatten: Nach diesen niedrigen Beschftigungen erkundigte sich Forster, er kommentiert: „[. . .] ich fhlte, daß ich gegen meine Absicht eine schmerzliche Stelle in seinem Gedchtniß berhrt hatte [. . .].“ Ebd. 27. 366, 13–14 Es bis gesessen hatten: D. entnimmt diese Information dem von Forster zitierten Brief eines O. P. Thomas vom Februar 1871, der mit Dickens 1824–1826 die Schule Ecke Granby Street und Hampstead Road besuchte. Di Leben I, 55. 366, 15–16 Galerie bis Sitz hatte: Vgl. „Dickens war neunzehn Jahre alt als er endlich in der Galerie der Berichterstatter im Parlament seinen Sitz nahm.“ Beginn des Kapitels: Die Galerie der Berichterstatter und die Zeitungsliteratur. Ebd. 71–81. 366, 21–22 Londoner Skizzen: Die gesammelten Feuilletons von 1833 bis 1836 erschienen in zwei Bnden unter dem Titel Sketches by Boz (1836). 366, 22 in seinen Pickwickiern: The Posthumous Papers of the Pickwick Club (1837), zunchst 1836/37 in einzelnen Heften verçffentlicht. 366, 26 – 367, 2 Er lßt bis haben.“: „Das ist vielleicht Einbildung, obgleich ich glaube, daß das Gedchtniß der meisten Menschen weiter in die Kinderzeit zurckgehen kann, als man gewçhnlich glaubt; ebenso wie ich glaube, daß die Beobachtungsgabe bei vielen kleinen Kindern in Schrfe und Genauigkeit ganz wunderbar ist. Ich glaube sogar, daß man von den meisten Erwachsenen, die in dieser Hinsicht stark sind, eher sagen kçnnte, sie htte[n] diese Fhigkeit nicht verloren, als sie htten sie erlangt, um so mehr, als diese Mnner wenigstens eine gewisse Frische und Sanftmuth und eine
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Fhigkeit, sich ber etwas zu freuen, besitzen, Eigenschaften, die sie ebenfalls aus der Kindheit behalten haben.“ Copperfield I, 16. D. zitiert nach: Lebensgeschichte und Erfahrungen David Copperfield’s des Jngern I und II. In: Boz’s (Dickens) smmtliche Werke III, Leipzig o. J. und IV, Stuttgart 1855. D. hat allerdings den zweiten Bd. dieser offensichtlich vom Verlag Zieger, Leipzig zu Hoffmann, Stuttgart bergegangenen Ausgabe nicht benutzt (dazu Anm. Di 383, 26–37). Vgl. Di Leben I, 2. 367, 3 – 373, 4 Dies bezog bis psychophysischen Anlagen: Ausgehend von Dickens’ Gedchtnis ber Jean Pauls Begriff der „Besonnenheit“, die Wirkung der Musik, den Zusammenhang von Sprache und Musik, ber Gehçreindrcke, zu Gesichtseindrcken kommend (369, 33–34), versucht D. die psychophysischen Anlagen (373, 4) des Genies darzulegen, mit Bezug auf Helmholtz und Fechner, unausgesprochen auch auf J. Mller und W. Wundt, im folgenden nachgewiesen, soweit erkennbar. Fortsetzung der allgemeinen Erçrterungen 407, 7 – 412, 6. 367, 3–6 deutliche Auffassung bis Eindrcken ist: Zur wiederholt betonten Fhigkeit des Genies, Eindrcke aufzunehmen und zu behalten vgl. Dickens 367, 40 – 368, 17; 369, 32 – 371, 27; 407, 30–38. 367, 13–26 „Was bis hereindefilirte.“: Kleine Abweichungen von der Vorlage in Sprachform, Schreibung und Interpunktion, ein Lesefehler. Statt eben so (Z. 14): „ebenso“. Statt eigene (Z. 16): „eigne“. Statt und tieferem (Z. 18): „und mit tieferem“. Nach Manier (Z. 20), nach ich (Z. 22), nach Gefangenschaft (Z. 23) Komma. Statt sehr (Z. 21): „mehr“. Statt ich dachte (Z. 21): „und ich dachte “. Statt Herrn (Z. 23): „Mr.“. Statt hereindefilirte (Z. 26): „herein defilirte“. Di Leben I, 44 f. 367, 28–30 Jean Paul bis allgemein: Vgl. Vorschule der Aesthetik (1804), § 12, Besonnenheit. D.s Vorbehalt richtet sich vermutlich gegen Jean Pauls „hçhere Besonnenheit, die, welche die innere Welt selber entzweiet und entzweitheilt in ein Ich und in dessen Reich, in einen Schçpfer und dessen Welt.“ JP Werke XVIII, 57. Dem gegenber betont er im Bild des Reisenden (Dickens 367, 40 – 368, 3) die Fhigkeit des Genies, die erfahrbare Außenwelt um ihrer selbst willen zu sehen, hierin Schopenhauer nahe, der „Besonnenheit“ im § 12 Jean Pauls so interpretiert: „Dem Genie hingegen, dessen Intellekt vom Willen, also von der Person, abgelçst ist, bedeckt das diese Betreffende nicht die Welt und die Dinge selbst; sondern es wird ihrer deutlich inne, es nimmt sie, an und fr sich selbst, in objektiver Anschauung, wahr: in diesem Sinne ist es b e s o n n e n .“ Schopenhauer Welt II, 435. Kap. 31. 367, 40 – 368, 3 Dagegen bis Dinge: Vergleich des Genies mit einem Reisenden wiederholt in E W 97; Bausteine 133; von Schopenhauer ebenfalls verwendet, allerdings karikierend fr den Menschen, der, dem Willen unterworfen, seine Ziele blindlings verfolgt. Schopenhauer Welt II, 434. Kap. 31. 368, 11 Schlichtegroll's Nekrolog von Mozart: Nekrolog auf das Jahr 1791, II, 2 (1793), S. 82–112. Genauer Wortlaut: „Denn so wie dieser seltne Mensch frh schon in seiner Kunst M a n n wurde, so blieb er hingegen – dieß muß die Unpartheylichkeit von ihm sagen – fast in allen brigen Verhltnissen bestndig K i n d .“ Ebd. S. 109. Zur Kindlichkeit des Genies vgl. Bausteine 133. 368, 13–14 Und bis 184): Nach der von D. angegebenen Quelle notiert Goethe selber die Ansicht Herders. „ ‚H e r d e r hat wohl Recht zu sagen, daß ich ein großes K i n d bin und bleibe, und jetzt ist
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es mir so wohl, daß ich ungestraft meinem kindischen Wesen (nmlich u n e r k a n n t herumzugehen) folgen kann. [Mscpt. des Reisetagebuchs. Mnchen d. 6. Sept. 1786.].“ In: F. W. Riemer, Mittheilungen ber Goethe I, Berlin 1841, S. 184. Anm. 368, 40 – 369, 2 Wir bis spielte: Ludwig in seinem Selbstzeugnis: „Mein Verfahren ist dies: Es geht eine Stimmung voraus, eine musikalische, die wird mir zur Farbe, dann seh’ ich Gestalten, [. . .].“ Freytag, Aus dem Arbeitszimmer (wie oben Anm. 365, 27–28), S. 51, dazu Freytags Kommentar S. 54–56. Zu Kleist vgl. Anm. Al 286, 31 – 287, 4. 369, 2–6 Niemand bis stand: In vielen Dramen Shakespeares spielt Musik eine Rolle, z. B. in ihrer Wirkung auf die innere Befindlichkeit (Twelfth Night or What You Will: „If music be the food of love, play on;“ I, 1.); die Figuren des Dramas bewegend und den Verlauf des Geschehens gliedernd im Zusammenspiel von Prospero und Ariel (The Tempest I, 2; II, 1; III, 3; IV, 1; V, 1). 369, 6–11 Selbst bis gewannen: Goethe’s Tagebuch aus den Jahren 1776–1782 (wie Anm. Goe 126, 26–30), S. 179 enthlt nur den Hinweis: „Frh Iphigenie angefangen dictiren.“ Keil zitiert jedoch aus Briefen an Ch. von Stein, auf die sich D. bezieht. Nach Keil: „Musik habe ich mir kommen lassen die Seele zu lindern und die Geister zu entbinden.“ [14. Februar 1779]. „Meine Seele lçst sich nach und nach durch die lieblichen Tçne aus den Banden der Protokolle und Akten. Ein Quatro neben in der grnen Stube, sitz’ ich und rufe die fernen Gestalten leise herber. Eine Scene soll sich heute absondern denk’ ich.“ 22. Februar 1779. Ebd. S. 180. Anm. 369, 11–13 Denn bis eintreten: Vgl. „Unmittelbar theilt sich aber der innere Mensch dem Ohre mit, und zwar durch den T o n s e i n e r S t i m m e .“ R. Wagner, Das Kunstwerk der Zukunft, Leipzig 1850, S. 38. 369, 13–31 Weil in bis geltend: Mit der Feststellung, daß Sprache auch Emotionen zum Ausdruck bringe, wendet sich D. zunchst vermutlich gegen Schopenhauers Auffassung von „Rede“: „Es ist die Vernunft, die zur Vernunft spricht, sich in ihrem Gebiete hlt, und was sie mittheilt und empfngt, sind abstrakte Begriffe, nichtanschauliche Vorstellungen, [. . .].“ Schopenhauer Welt I, 47. § 9. Zur Gewçhnung, von den Variationen des Tones auf Gemthszustnde zu schließen vgl. Tonwechsel beim Kind. Bausteine 179; sthetik 275. Gegen die Verwandtschaft von Sprache und Musik: E. Hanslick, Vom Musikalisch-Schçnen, Leipzig 1854, S. 48–52. D er Streit um das Wesen der Musik (369, 20) betrifft wahrscheinlich die von Hanslicks These, Musik stelle keine Gefhle dar, ausgelçste musik-sthetische Debatte. Helmholtz, ihn besttigend, sieht in der Musik den Ausdruck der „G e m t h s s t i m m u n g “, nicht des Gefhls. Vgl. Tonempfindungen (wie Anm. Di 365, 13–18), S. 397–400. Zur zeitgençssischen Diskussion vgl. das Kapitel Die Musik in: H. Lotze, Geschichte der Aesthetik in Deutschland, Mnchen 1868, bes. S. 478–502. 369, 28 Association: Der Begriff geht auf J. Locke zurck, eingefgt in die vierte Auflage von: An Essay concerning Human Understanding (41700), 2. Buch, Kap. 33, Of the Association of Ideas. Locke unterscheidet natrliche Verbindung von Ideen und Ideenassoziation durch Gewçhnung oder Zufall. D. gebraucht den Begriff hier u. ç. auch unabhngig von den Gesetzen der Assoziationspsychologie, die er ablehnt. Vgl. Dickens 408, 6–40. 369, 32–37 Aber bis V o r s t e l l u n g e n : Zur Mchtigkeit der Organisation in Bezug auf Aufnahme von Gesichtseindrcken vgl. Gesichtserscheinungen 99; 101. E Goethe 139, 21 – 140, 6; Bausteine 132 u. ç.
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369, 38–39 Wir bis Objecte: Helmholtz etwas ausfhrlicher: „Wir benutzen die Empfindungen, welche Licht in unserem Sehnervenapparate erregt, um uns aus ihnen Vorstellungen ber die Existenz, die Form und die Lage usserer Objecte zu bilden. Dergleichen Vorstellungen nennen wir G e s i c h t s w a h r n e h m u n g e n .“ Handbuch (wie Anm. Di 365, 13–18), S. 427. D. knpft daran an. Ges. Schr. XVIII, 80 f. 369, 39 – 370, 13 So lange bis Ursache: D. bezieht sich hier außer auf Helmholtz (vgl. die vorangehende Anm.) auf Fechners Unterscheidung von Nachbildern, Erinnerungsbildern und Erinnerungsnachbildern. G. Th. Fechner, Elemente der Psychophysik, 2 Bde, Leipzig 1860. Fechner: „Die einmal von Aussen gemachten Sinneseindrcke bestehen auch nach Wegfall des usseren Reizes noch eine gewisse Zeit als Nachbilder, Nachklnge, allgemein als Nachempfindungen fort, [. . .].“ Sie sind verbunden „mit einem Gefhle der Receptivitt,“ [. . .] „indess die Erinnerungs- und Phantasiebilder mit dem Gefhle geringerer oder grçsserer Spontaneitt noch lngere Zeit nach vorausgegangenen sinnlichen Einwirkungen theils unwillkhrlich durch Vorstellungsassociation entstehen, theils willkhrlich hervorgerufen, wieder verbannt und abgendert werden kçnnen.“ II, 469. Zu Erinnerungsnachbildern vgl. Dickens 409, 1–7 und Anm.; außerdem E W 97; Bausteine 133. 370, 13–22 Ein Reich bis werden: Vgl. Gesichtserscheinungen 99–101. D.s frhe Schrift klingt hier ebenso an wie die ihr zugrunde liegende Quelle, J. Mllers Untersuchung: Ueber die phantastischen Gesichtserscheinungen, Coblenz 1826. Vgl. auch Fechners Abschnitt: Unwillkhrliche Hallucinationen und Illusionen. Psychophysik (wie oben Anm. 369, 39 – 370, 13) II, S. 504–515; zu J. Mller Anm. No 223, 1. 370, 25–31 Aber bis Vorstellungsvermçgens: Zu den in der Dunkelheit hervortretenden „phantastischen Gesichtserscheinungen“ vgl. J. Mller (wie oben Anm. 370, 13–22), S. 21 f.; W. Wundt, Grundzge der physiologischen Psychologie, Leipzig 1874, S. 649 unter: Hallucinationen. D. hat Wundts Werk 1876 als in hohem Grade zu empfehlen angezeigt. Ges. Schr. XVII, 71. 370, 31–36 Ich bis schienen: Vgl. Dickens 376, 17 – 377, 6. Forster kommentiert einen Brief Dickens’ vom 8. Oktober 1844 aus Genua: „Er sehnte sich nach den Londoner Straßen. Er entbehrte seine gewohnten langen nchtlichen Spaziergnge, ehe er etwas anfing, so sehr, daß es ihm, wie er sagte, schien, als sei er mit Schweigen geschlagen.“ Di Leben II, 120. Vgl. Balzac (1876). Ph 237. 370, 38 – 371, 7 Die bis selber: Vgl. Fechners Beobachtungen im Zusammenhang mit Nachbildern, Erinnerungsbildern. Psychophysik (wie oben Anm. 369, 39 – 370, 13) II, S. 469–478. 371, 15–27 Das Vermçgen bis Welt: Zu Gedchtnis vgl. D.s Psychologievorlesungen Ges. Schr. XXI, 7–9; 88–90; 239–241; 313–316; auch F. Th. Vischer ber Grundeigenschaften des Begabten: „Allseitige, unbefangene Erregbarkeit, besondere Schrfe und Wrme, Flle und treue Aufbewahrung im Gedchtnisse zeichnen den Letzteren [. . .] aus und die Menge des Gesammelten wird an sich schon ein Vorschub fr die hçhere Verarbeitung.“ Aesthetik oder Wissenschaft des Schçnen I, 2. Reutlingen und Leipzig 1848, § 386. 371, 29 – 372, 15 Das Maß bis ersetzen: In D.s Beschreibungsvokabular dichterischer Anlagen (Dickens 368, 38) fehlt das Wort Erlebnis; wenngleich erleben (370, 3), Erlebnisse (383, 22) beilufig vorkommen; so auch Alfieri 298, 1; E Goethe 130, 8; 163, 35; bewußt gebraucht wird es in Bausteine 132–137. Zu Lust als einem (schçpferische) Ttigkeit begleitenden Gefhl vgl. Ges. Schr. XVIII, 65 f.
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372, 25 – 373, 4 Das Genie bis Anlagen: Zu D.s drei Charakteristika des epischen Dichters: ein besonders hohes Maß von u ß e r e r V e r s i n n l i c h u n g b l o ß e r V o r s t e l l u n g e n (Dickens 369, 36–37) ; Gedchtniß (Dickens 371, 15–16) ; Strke des natrlichen Interesses (Dickens 372, 9–10) vgl. die spter formulierten drei Grundzge des epischen Dichters. Tg. Di, Handschriftenbefund 411, 27 und 412, 6. 373, 25 – 374, 15 „Mein bis Dorfkneipe hatte.“: In diesem langen Zitat hat D. vor allem Sprachform und Schreibung einiger Wçrter verndert, außerdem den Text etwas gekrzt. Statt oberen (Z. 26): „obern“. Komma nach der Klammer (Z. 27) von D. Statt Crusoe (Z. 30): „Cruso“. Statt ‚arabischen Nchte (Z. 32): „‚Arabischen Nchte.“ Statt an (Z. 34): „in“. Statt nichts davon.(Z. 34): „Nichts davon. Ich wundere mich jetzt, wie ich inmitten meines verworrenen Brtens ber wichtigern Gegenstnden Zeit fand, diese Bcher so zu lesen wie ich sie las.“ Statt Lieblingscharaktere (Z. 36): „Lieblings-Charaktere“. Statt personificirte. (Z. 37): „personificirte . . .“. Statt eigene (Z. 39): „eigne“. Statt nicht (374, 1): „jetzt“. Nach waren (Z. 2) Semikolon. Statt unseres (Z. 3): „unsres“. Statt Personification (Z. 4): „Personifikation“. Statt britischen (Z. 5): „brittischen“. Nach werden (Z. 5): Komma. Statt verkaufen (Z. 6): „verkaufen . . .“. Komma nach Kirchhof (Z. 8) von D. Statt Bett (Z. 8): „Bette“. Statt den (Z. 11): „diesen“. Statt hinaufklettern sehen, (Z. 12): „hinauf klettern sehen;“. Statt weiß (Z. 14 ): „w e i ß “. Statt Herrn (Z. 15): „Mr.“. Statt unserer (Z. 15): „unsrer“. Di Leben I, 8 f. Vgl. Copperfield I, 71–73. 373, 28–29 Roderich bis Clinker: Titelfiguren folgender Werke von T. Smollett: The Adventures of Roderick Random (1748); The Adventures of Peregrine Pickle (1751); The Expedition of Humphrey Clinker (1771). 373, 29–30 Tom bis Crusoe: Autoren und Werke zu den genannten Personen: H. Fielding, The History of Tom Jones, a Foundling (1749); O. Goldsmith, The Vicar of Wakefield (1766); M. de Cervantes, El Ingenioso Hidalgo Don Quixote de la Mancha (1605/15), 1755 bersetzt von Smollett; A.-R. Lesage, Histoire de Gil Blas de Santillane (1715–35), 1748 bersetzt von Smollett; D. Defoe, The Life and Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe, of York, Mariner (1719/20). 373, 32–33 ‚arabischen bis Genien : The Arabian Nights, nach der franzçsischen bersetzung im 18./19. Jh. mehrfach ins Englische bersetzt. – The Tales of the Genii (1764), als bersetzung aus dem Persischen ausgegeben, verfaßt von J. Ridley. 373, 37 – 374, 15 Ich bis Pickle: Hugh Strap ist der Gefhrte von Smolletts Roderick Random; Tom Pipes, Commodor(e) Trunnion und Herr Pickle stammen aus Smolletts Roman Peregrine Pickle. Vgl. oben Anm. 373, 28–29. 374, 21–22 „Ich bis jetzt.“: Statt so ußerte er sich çfter spter (Z. 21): „hat er oft zu mir gesagt“. Di Leben I, 16. 374, 22–31 Es bis Freude: Paraphrase von Forsters Text: „Am obern Ende von Bayham Street standen damals (und standen noch, als ich vor fast siebenundzwanzig Jahren die Straße wieder mit ihm besuchte) einige Armenhuser, und dorthin zu gehen und von dieser Stelle aus ber die Erdhaufen und Felder die Kuppel der Paulskirche durch den Rauch aufdmmern zu sehen, war, wie er mir erzhlte, ein Vergngen fr ihn, das ihm fr Stunden unbestimmten Nachdenkens Nahrung bot. Ein Spaziergang in die wirkliche Stadt, besonders in die Nhe von Covent Garden und des Strand, er-
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fllte ihn mit wahrhaftem Entzcken. Aber die mchtigste Anziehungskraft bte der abstoßende Distrikt von St. Giles auf ihn aus. Wenn er nur die Personen, die mit ihm spazieren gingen, bewegen konnte, ihn durch Seven-Dials zu fhren, war er außer sich vor Freude.“ Ebd. 18. 374, 32–34 „Großer bis empor!“: Nach Gott (Z. 32) Ausrufungszeichen statt Komma. Statt er spter oft (Z. 32): „er oft“. Statt steigen (Z. 33): „stiegen“. Statt Orte (Z. 33): „Ort“. Ebd. 374, 34–36 Ein bis vergleichen: D. verkrzt Forsters Text, der von Bchern berichtet, die Dickens als Kind in London geliehen bekam, u. a. G. Colman, d. J., Broad Grins, London 1802. „Dies letztere gefiel ihm sehr und eine Beschreibung des Covent-Garden-Markts in dem ‚der Aeltere Bruder betitelten Abschnitt brachte einen so lebhaften Eindruck auf ihn hervor, daß er sich auf eigne Hand nach dem Covent-Garden-Markt schlich, um ihn mit dem Buche zu vergleichen.“ Di Leben I, 20. 374, 38 – 375, 3 Oft bis beobachtete: In D.s Vorlage: „Er erzhlte mir oft, er erinnere sich des kleinen Gartens vor dem Hause in Portsea, das er verließ als er zwei Jahre alt war und wo er, von dem Kindermdchen durch ein niedriges mit der Gartenflche fast auf demselben Niveau liegendes Kchenfenster beobachtet, mit etwas zu essen in der Hand, in Begleitung seiner lteren Schwester umherlief.“ Ebd. 2. 375, 3–6 Einst bis hatte: Unmittelbar an den Text der vorangehenden Anm. anschließend: „Eines Tages trug man ihn aus dem Garten hinaus, um ihm zu zeigen, wie die Soldaten exercirten und ich entsinne mich, daß er, als wir zu der Zeit da er ‚Nickleby schrieb, zusammen in Portsmouth waren, die Gestalt des Paradeplatzes genau wieder erkannte, den er ein Vierteljahrhundert vorher an derselben Stelle als Kind gesehen hatte“. Ebd. 2 f. 375, 5 „Nickleby“: Ch. Dickens, The Life and Adventures of Nicholas Nickleby (1839), zunchst 1838/39 in Fortsetzungen erschienen. D. benutzte die fast gleichzeitig bei G. Westermann herausgekommene bersetzung von K. H. Hermes (Bd. I und II), fortgesetzt von A. Diezmann: Leben und Abenteuer des Nicolaus Nickleby. Herausgegeben von Boz, dem Verfasser der Pickwicker, I–VII, Braunschweig 1838/39. 375, 6–11 Nur bis Ziegelsteinen: Von D. verkrzter Abschnitt ber die Enttuschung, daß die aus der Kindheit erinnerten Bilder mit der Wirklichkeit nicht bereinstimmen. Di Leben I, 7. 375, 15–17 Als bis Ueberwindung: Forster zur Gestalt der Nell und der Beendigung des Buchs: „Schnell, wie das Leben der kleinen Nell sich nun abkrzte, htte das sterbende Jahr sein Ende sehen kçnnen, aber bei keinem andern Werke kostete es Dickens eine so schmerzliche Ueberwindung zum Schlusse zu kommen, als bei diesem.“ Ebd. 182. 375, 16 „Der Rarittenladen“: The Old Curiosity Shop, Teil von Master Humphrey’s Clock, 3 Bde (1841), in Folgen 1840/41, selbstndige Verçffentlichung 1841. 375, 17–20 Er bis aus: Fast wçrtlich bernommen, schließt unmittelbar an den Text oben Anm. 375, 15–17 an. Komma nach abzuhalten (Z. 18) von D. Statt welcher (Z. 19): „deren“. Di Leben I, 182. 375, 21–33 „Fertig!!“ bis versuche.“: „‚Fertig! anwortete er mir am Freitag, 7. Januar. ‚Fertig!!! Was denkst Du? Ich werde nicht vor Mittwoch Abend fertig sein. Ich fing erst gestern an und, glaube
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mir, ber diesen Theil der Geschichte kann man nicht rasch hinwegeilen. Ich glaube, es wird herrlich werden – aber ich bin der Elendeste der Elenden. Es wirft den furchtbarsten Schatten ber mich und das Hçchste, was ich thun kann, ist, mich nur berhaupt fortzubewegen. Ich bebe viel mehr, mich dem Orte zu nhern, als Kit, viel mehr als Mr. Garland, viel mehr als der einzelnstehende Herr. Ich werde mich lange nicht davon erholen. Niemand wird sie entbehren, wie ich sie entbehren werde. Es ist so tief schmerzlich fr mich, daß ich meinen Kummer nicht auszudrcken vermag. Alte Wunden bluten von Neuem, wenn ich nur daran denke, wie ich es thun soll; was das wirkliche Thun sein wird, weiß Gott. Ich kann mir nicht den Trost des Schulmeisters vorpredigen, ob ich es auch versuche. “ Ebd. 182 f. 375, 27–28 Kit bis Herr: Der freundliche Herr Garland und seine Frau kmmern sich um Kit, Christopher Nubbles, Ladenjunge im Rarittenladen und Freund Nells. Der Single Gentleman, der fr Nell sorgt, ist, unerkannt, der Bruder ihres Großvaters. Rarittenladen (wie oben Anm. 375, 16), bes. Kap. 70–71. 375, 35–37 „Es bis werden.“: Statt tief traurig (Z. 35): „tieftraurig“. Komma nach sind (Z. 36) von D. Statt anderen (Z. 36): „andern“. Di Leben I, 184. 375, 38–39 „Die Sylvesterglocken“: Das in Genua entstandene Buch: The Chimes: a Goblin Story of some Bells that Rang an Old Year out and a New Year in (1844). 375, 40 – 376, 10 „Dieses bis lcherlich.“: Statt Sinne (Z. 40 und 376, 1): „Sinn“. Komma nach anfingen (Z. 2) von D. Statt Haar (Z. 4): „Haare“. Statt schwindelig (Z. 4): „schwindlig“. Statt Theiles (Z. 5): „Theils“. Nach schreiben (Z. 5): „ . . . Du wirst sehen, daß ich den Namen Lilian fr Jessie substituirt habe. Er klingt besser und paßt besser fr meine Musik. Ich erwhne dies, damit Du Dich nicht wunderst, wen und was ich mit diesem Namen meine. Morgen werde ich von Neuem anfangen (eine große Grimace erçffnet den neusten Theil, und er endet voll Heiterkeit und Glck) und sptestens nchsten Montag hoffe ich fertig zu sein. Vielleicht am Sonnabend. Ich hoffe das kleine Buch wird Dir gefallen.“ Nach ich (Z. 6) und Theiles (Z. 6): Komma. Statt doppelten (Z. 10): „Doppelten“. Nach seiner (Z. 10): „gewçhnlichen“. Di Leben II, 133 f. 375, 40 – 376, 1 (ob bis Sinne): Hadschi Baba ist der Icherzhler in: J. J. Morier, Hajji Baba in England (1828). Die von Dickens ironisch gebrauchte Redewendung geht zurck auf den Befehl des Schahs, den er Hajji Baba gibt, dem Begleiter einer persischen Gesandtschaft an den englischen Kçnigshof: „Geh, leiste uns gute Dienste, arbeite fleißig, damit des Schach’s Antlitz weiß im fremden Lande erscheine.“ In der bersetzung: Begebenheiten des Hajji Baba von Ispahan in England. Aus dem Englischen des J. Morier, Stuttgart und Tbingen 1829, S. 43. Vgl. die Wiederholung Di 404, 37–39. 376, 15–16 Dombey: Dealings with the Firm of Dombey and Son, Wholesale, Retail, and for Exportation (1848), in Lausanne begonnen, zunchst in Folgen verçffentlicht. 376, 17–36 „Die bis wurde.“: Statt „Die Schwierigkeit, mit (Z. 17): „Aber die Schwierigkeit mit“. Statt beinahe (Z. 18): „beinah“. Statt dir (Z. 20): „Dir“. Statt fr (Z. 25): „auf“. Statt laterna (Z. 25): „Laterna“. Nach unermeßlich (Z. 26): zwei Ausrufungszeichen. Komma nach behaglich (Z. 27) von D. Statt noch niemals (Z. 30): „nie eine“. Kommata nach geneigt und stehen (Z. 31) von D. Sylvesterglocken (Z. 32–33) gesperrt, kein Komma nach der Klammer (Z. 33) und keins nach aber (Z. 34). Di Leben II, 254 f.
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376, 37–38 Drei bis Aeußerung: Wçrtlich: „Dann, drei Tage spter, kam eine Art Nachtrag zu dem vorher gemachten Bekenntniß, den man mit demselben Interesse lesen wird.“ Ebd. 256. 376, 39 – 377, 6 „Die bis sein.“: Statt wo (Z. 39): „da“. Statt du (377, 4): „Du“. Statt giebt (Z. 4): „gibt“. Nach Paris (Z. 4) Komma. Ebd. 377, 7–9 Die Trume bis habe: Dickens’ Brief vom 30. September 1844 ber seinen Traum von Mary, der verstorbenen Schwester seiner Frau, endet: „[. . .] und ich mçchte wissen, ob ich es als einen Traum, oder als eine wirkliche Vision betrachten soll.“ Ebd. 127. 377, 17 Londoner Skizzen: Vgl. Anm. Di 366, 21–22. 377, 18 Pickwickier: Vgl. Anm. Di 366, 22. 377, 19–21 Dickens bis feiern: L. Sterne, The Life and Opinions of Tristram Shandy Gentleman 1–9 (1759–1767). So gibt z. B. David Copperfields Geburt am Freitag um Mitternacht Anlaß zu mancherlei Prognosen. Vgl. Copperfield I, 1. 377, 21 – 378, 14 Wir bis aussprach: D. folgt in seiner schlichten Erzhlung teils wçrtlich, teils zusammenfassend, der ersten Hlfte des Kapitels Kindheit aus Forsters Biographie. Di Leben I, 1–16. 378, 15–30 „Ich bis waren.“ : Die ersten Stze (Z. 15–18): „ ‚Ich weiß, daß mein Vater ein so warmherziger und edler Mensch ist, als irgend Einer, der je in der Welt lebte. Sein ganzes Benehmen gegen seine Frau, seine Kinder und seine Freunde, soweit ich mich desselben erinnere, ist ber alles Lob erhaben. Bei mir hat er, wenn ich als Kind krank war, Nacht und Tag, unermdet und geduldig, viele Tage und Nchte gewacht.“ Statt seinem (Z. 23): „dem“. Vor entschlagen (Z. 25): „vçllig“. Statt Morgens (Z. 26): „morgens“. Statt jngeren (Z. 27): „jngern“. Klammer (Z. 28): „(es waren unser jetzt im ganzen sechs)“. Statt unserer (Z. 29): „unsrer“. Ebd. 16 f. 378, 33–34 Die Verhltnisse bis Mikawber: Dazu Forster: „Die frhsten Eindrcke, die er [Dickens] in London empfing und behielt, bezogen sich auf die Geldverlegenheiten seines Vaters, und damals hçrte er zuerst von der ‚Urkunde reden, welche in Wahrheit die Krise in den Verhltnissen seines Vaters bezeichnete, die in der Dichtung denjenigen Mr. Micawber’s zugeschrieben wird.“ Ebd. 14 f. – Mr. Micawber, Gestalt aus David Copperfield, geht von einer Anstellung zur andern, kommt wegen Schulden ins Gefngnis. 378, 36 – 379, 7 Wie bis erzhlt: Dem Versuch der Mutter, „Mrs. Dickens’ Institut“ zu grnden (Di Leben I, 21 f.), entspricht die vergebliche Einrichtung von „Mrs. Micawber’s Pension fr junge Damen“. Copperfield I, 202. 379, 8–14 „Ich gab bis wurde.“: Statt anderen (Z. 8): „andern“. Statt hinwiesen; doch (Z. 9): „hinwiesen. Doch“. Komma nach erklrte (Z.10) von D. Statt Mittagessen (Z. 13): „Mittagsessen“. Di Leben I, 22. 379, 15–20 „Endlich bis spielte.“: Einschub (Z. 15) mit den entsprechenden Zeichen von D. Statt Micawber’s (Z. 15): „Micawbers“. Vor gebracht (Z. 17): „in dem Borough“. Copperfield I, 210.
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379, 26–30 Als bis brechen.“: Forster: „[. . .] und die letzten Worte, welche sein Vater zu ihm sagte, als er schließlich in das Schuldgefngniß nach Marshalsea abgefhrt wurde, lauteten dahin, daß die Sonne auf immer ber ihm untergegangen sei. ‚Ich glaubte damals wirklich, sagte Dickens zu mir, ‚sie wrden mein Herz brechen.“ Di Leben I, 22. 379, 31–33 Alsdann bis vergleichen): Vgl. „Eilftes Kapitel. Ich fange auf eigene Hand zu leben an und finde keinen Gefallen daran.“ Copperfield I, 196–215; die berhmte Scene: I, 210 f. 379, 34–40 „Mein bis gerathen.“: Komma nach Thrhters (Z. 34) von D. Statt jhrlich (Z. 37): „jhrliches“. Statt Schilling (Z. 38): „Schillinge“. Di Leben I, 22 f. 380, 1–3 Dann bis Schuldgefngniß: D. verkrzt die Essensszene, die sich an die Begegnung mit dem Vater anschließt. Ebd. 23 f. Capitn Porter, im Roman „Kapitn Hopkins“. Copperfield I, 211. 380, 2 instar omnium: Lat. so gut wie alle. 380, 3–9 Er trgt bis ist: D. faßt die letzten Ereignisse des ersten Kapitels der Biographie Forsters zusammen. Di Leben I, 24 f. 380, 9–12 Und bis schien: Die entsprechende Stelle bei Forster heißt: „Dies Alles ist nur das Vorspiel zu dem, was jetzt erzhlt werden soll.“ Ebd. 25. 380, 13–20 Wer bis armseliger: Forster geht von dem Vergleich Copperfields mit Dickens aus: „Denn der arme kleine Junge, mit guten Fhigkeiten und einer gefhlvollen Natur, der im Alter von zehn Jahren in einen ‚arbeitenden Knecht im Dienste von Murdstone und Grinby verwandelt wurde und dem es schon sehr seltsam vorkam, wie man sich seiner in einem solchen Lebensalter so leicht hatte entledigen kçnnen, war in der That er selbst.“ Ebd. 27. Sowohl bei Forster als in der bersetzung des Copperfield findet sich die Schreibung „Grinby“ und „Grimby“. 380, 20–21 ich verweise bis ist: Das autobiographische Fragment ist von Forster mit kleinen Ergnzungen versehen. Di Leben I, 28–53. 380, 21–26 Es bis klein): Forster zitiert: „Diese Spekulation war eine Concurrenz mit ‚Warrens Schuhwichse, Nr. 30, Strand’ – die damals sehr berhmt war. Ein gewisser Jonathan Warren (der berhmte hieß Robert), wohnhaft Nr. 30, Hungerfordstairs, oder Hungerfordmarket, Strand (denn ich vergesse, wie es damals hieß), machte den Anspruch, der ursprngliche Erfinder oder Eigenthmer des Schuhwichse-Recepts gewesen und von seinem berhmten Verwandten abgesetzt und schlecht behandelt worden zu sein. Endlich machte er Anstalten, sein Recept und seinen Namen und sein Nr. 30, Hungerfordstairs, Strand (Nr. 30 Strand sehr groß und die dazwischen liegende Adresse sehr klein geschrieben), fr eine Leibrente zu verkaufen [. . .].“ Ebd. 29. 380, 29–32 „bedeckte bis Apothekerladen.“: Bis auf den letzten Teilsatz paßt D. das Satzgefge seiner Konstruktion an, es heißt: „Meine Arbeit bestand darin, daß ich die Schuhwichse-Tçpfe bedeckte, zunchst mit einem Stck Oelpapier und dann mit einem Stck blauem Papier, einen Faden darum band und dann das Papier ringsum genau und nett abschnitt,“. Ebd. 30. 380, 33 – 381, 6 „Keine bis zurckwandere.“: Statt frheren (Z. 35): „frhen“. Statt Scham (Z. 38): „Schaam“. Nach gelernt (Z. 40) Komma. Statt und was meine (40): „und meine“. Komma
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nach glcklich (381, 4) von D. Nach bin (Z. 6) Gedankenstrich. Statt zurckwandere (Z. 6): „zurckwandre“. Di Leben I, 31 f. 381, 7–27 Dies bis wollten: Die Details dieses Abschnitts hat D. dem von Forster zitierten autobiographischen Fragment (vgl. oben Anm. 380. 20–21) entnommen. Ebd. 34–45. 381, 22–23 „Ich bis setzte.“: Statt eigene (Z. 22): „eigne“. Ebd. 45. 381, 24–27 Er bis wollten: D.s Grundlage: „‚Ich war solch ein kleines Kerlchen, mit meinem armen weißen Hut, kleiner Jacke und Barchenthosen, daß oft, wenn ich an die Barre eines Bierhauses kam, um die Wurst und das Brot, die ich in der Straße gegessen, mit einem Glase Ale oder Porter herunter zu splen, die Leute es mir nicht geben wollten.“ Di Leben I, 41 f. 381, 30 Tante Betsey: Betsey Trotwood, Copperfields Großtante, zu der er flieht; mehrfach von D. erwhnt. Vgl. Dickens 386, 12–15 und Anm.; 392, 36. 381, 32–39 Erfindung bis Jungen: ber Erfindung einer Geheimsprache und Erzhlen aus dem Stegreif berichtet der ehemalige Mitschler von Dickens, Mr Thomas (vgl. Anm. Di 366, 13–14). Di Leben I, 56. ber den Unterricht und die Tiere, besonders die Muse, die im Schulzimmer gehalten wurden, hat Dickens selber in den Household Words (1850) geschrieben. D. sttzt sich auf Forsters Bericht. Di Leben I, 54. 381, 39 – 382, 1 Der bis dienen: Mr. Jones, in dessen Institut Dickens zwei Jahre verbrachte (vgl. Di Leben I, 53), ist das Vorbild fr Mr. Creakle des Copperfield und wohl auch fr Squeers (vgl. Anm. Di 392, 31). 382, 5–20 Und bis ist“: ber Dickens’ Stellung als Advokatenschreiber in seinem Bro hat sich Forster von E. Blackmore berichten lassen. Di Leben I, 62 f. Forster fgt dem Brief die Stelle ber die „Rangordnungen der Advokatenschreiber“ aus Pickwick an, um Dickens’ Position zu erlutern: Statt Breaujungen (Z. 17): „Breau-Jungen“. Ebd. 63. 382, 21 Traddle: Thomas Traddles, so der genaue Name, Mitschler und spter bester Freund Copperfields, wird Rechtsanwalt. 382, 22 Uriah Heep: Versucht durch Selbsterniedrigung Macht in Wickfields Anwaltbro zu erlangen, wo Copperfield ihm als Fnfzehnjhriger zuerst begegnet, wird schließlich von Mr. Micawber entlarvt. Vgl. Dickens 390, 20. 382, 34–40 so blieb bis Empfindlichkeit: D. bernimmt weitgehend Forsters Text, der strker als vom Erbtheil (Dickens 382, 31) von Dickens’ Willen ausgeht, „n i c h t d a s z u s e i n , was die Umstnde sich verschworen aus ihm zu machen.“ Er fhrt fort: „Nach dieser Richtung war zu solchen Zeiten sogar etwas Hartes und Aggressives in ihm; in seinen Entschließungen Etwas, das fast wie Wildheit klang, Etwas in seiner Natur, das seine Entschlsse unberwindlich machte, so bereilt auch die Ansichten sein mochten, unter deren Einfluß er sie gefaßt hatte. [. . .] und wenn ich in solchen Momenten eine strenge und selbst kalte Abschließung des Selbstvertrauens mit einer fast weiblichen Empfindlichkeit und der verlangenden Sehnsucht nach Sympathie seltsam vereinigt sah, schien es mir, als wre sein gewçhnlicher Drang nach allem Guten und Edlen augenblicklich in der plçtzli-
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chen, harten und unerbittlichen Empfindung dessen untergegangen, was das Schicksal ihm in jenen frhen Jahren bereitet.“ Di Leben I, 50 f. 383, 1–8 „Ich bis ist.“: Statt bitten, einen (Z. 1): „bitten,’ schrieb er mir im Juni 1862, ‚einen“. Statt du (Z. 2): „Du“. Statt dich fragen (Z. 2): „Dich zu fragen“. Statt das mir (Z. 7): „die mir“. Ebd. 51 f. 383, 14–16 Gewaltthtigkeit bis anzutreten: Anspielung auf Dickens’ Reise im November 1844 von Genua ber Parma, Venedig, Verona, Mailand, den Simplon, Freiburg, Straßburg nach London, um am 2. Dezember einem Kreis von Freunden Die Sylvester-Glocken kurz vor ihrem Erscheinen (Weihnachten 1844) vorzulesen. Die Lesung fand im Hause Forsters statt, zu den Freunden gehçrte Th. Carlyle. Dickens reiste sofort zurck und lebte nach einem kurzen Aufenthalt in Paris ab 22. Dezember wieder in Genua. Vgl. Dickens 404, 40 – 405, 8. Forster dokumentiert die Reise mit Briefen, die Lesung mit der Zeichnung eines der Zuhçrer. Di Leben II, 135–155. 383, 17 Alfieri: Vgl. z. B. Alfieris Aufbruch nach England und seine Rckkehr. Alfieri 307, 11 – 308, 15. 383, 26–37 Also bis Regeln.“: D. spricht zunchst vom Stenographieren, von den Vorbereitungen, die Dickens trifft, um parlamentarischer Berichterstatter zu werden. Dazu gehçrte, wie Forster berichtet, daß er „ein fleißiger Besucher in dem Lesezimmer des Britischen Museums“ wurde. Das Zitat bernimmt D. vermutlich von Forster: Komma nach konnte (Z. 35) von D. Statt goldenen (Z. 36): „goldnen“. Di Leben I, 65. Vgl. „My meaning simply is, that whatever I have tried to do in life, I have tried with all my heart to do well; that whatever I have devoted myself to, I have devoted myself to completely; [. . .] Never to put one hand to anything, on which I could throw my whole self; and never to affect depreciation of my work, whatever it was; I find, now, to have been my golden rules.“ DC III, 80 f. Da die Fortsetzung des Copperfield (vgl. Anm. Di 366, 26 – 367, 2) in der von D. benutzten bersetzung nicht auffindbar war, werden alle Stellen des zweiten Bandes nach der fast simultan bei Tauchnitz erschienenen englischen Ausgabe nachgewiesen: Ch. Dickens, The personal History, Adventures, Experience, and Observation of David Copperfield the Younger, 3 Bde, Leipzig 1849/50 (DC). 383, 38 – 384, 3 Und auch bis haben: Forster: „Auch er hatte seine Dora, scheinbar in derselben hoffnungslosen Hçhe; erstrebt als das einzige zu erreichende und noch unerreichbarere Ziel – [. . .].“ Di Leben I, 67. 384, 7 Jugendgeliebte bis Ofterdingen: Vgl. Anm. Di 400, 3 und Novalis 204–211. 384, 18–20 als bis wollen: Forster: „[. . .] bis das plçtzliche Wiedererscheinen der wirklichen Dora in seinem Leben, fast sechs Jahre nachdem ‚Copperfield geschrieben war, mich berzeugte, daß jene Kapitel seines Buches eine thatschlichere Grundlage hatten, als ich hatte glauben wollen.“ Di Leben I, 67. 384, 24 – 385, 2 „Wenn bis dahinschwrme.“: Das Briefzitat, das D., von kleineren Auslassungen abgesehen, vollstndig wiedergibt, beginnt mit dem Satz: „ ‚Ich verstehe nicht ganz, was Du damit sagen willst: ich berschtze die Strke der Gefhle der Zeit vor fnfundzwanzig Jahren.“ Die Anredeformen (Z. 24) werden großgeschrieben. Nach meinst (Z. 24) Komma. Statt ist, daß (Z. 25): „ist und daß dies anfing, als ich in Charley’s Alter war; daß“. Statt anderen (Z. 26): „andern“. Statt
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vier mal (Z. 27): „viermal“. Komma nach sind (Z. 27) von D. Nach hinwegtrug (Z. 29) Komma. Statt Und (Z. 31): „und“. D. ergnzt ich nach hmmerte (Z. 32) und korrigiert „ein solche“ der Vorlage in eine solche (Z. 36). Statt Allerentferntesten (Z. 37): „allerentferntesten“. Statt in Copperfield (Z. 38): „in ‚Copperfield“. Statt gerade (Z. 38): „grade“. Nach nie (Z. 39): „so“. Statt anderes (Z. 39): „andres“. Statt dahinschwrme (385, 2): „dahin schwrme'“. Ebd. 67 f. Charley ist Dickens’ ltester Sohn. 385, 29–33 „Welche bis nichts.“: Vgl. „Whatever contradictions and inconsistencies there were within me, as there are within so many of us; whatever might have been so different, and so much better; whatever I had done, in which I had perversely wandered away from the voice of my own heart; I knew nothing of.“ DC III, 30 f. 385, 33–36 „Welch bis kann.“: Vgl. „What an idle time! What an unsubstantial, happy, foolish time! Of all the times of mine that Time has in his grip, there is none that in one retrospection I can smile at half so much, and think of half so tenderly.“ DC II, 315. 385, 37 – 386, 2 In bis Wesens: Angelehnt an Forsters Bericht. Di Leben I, 68 f. 386, 1 „Little Dorrit“: Erschien 1857, zunchst in monatlichen Fortsetzungen von 1855 bis 1857. 386, 2–7 Es bis haben: D. spielt an auf W. M. Thackerays Roman: Vanity Fair. A Novel without a Hero (1847/48). Im Mittelpunkt des Romans stehen die beiden Frauen Becky Sharp und Amelia. D. bezieht sich auf Rawdon Crawley, der die viel umworbene Becky heiratet und sich desillusioniert von ihr trennt. 386, 12–15 Die Frau bis „Miß Trotwood“: Forster bezeichnet Betsey ohne die geringste Abwertung als „rauh, eckig, berspannt, aber die Großmuth und Rechtschaffenheit selbst“, fortschrittlich in ihrem Engagement fr Mr. Dick. Di Leben III, 17 f. Vgl. Dickens 381, 30; 392, 36. 386, 23–25 Fast bis Commons: Wçrtlich angelehnt an Forster. Di Leben I, 67. Doctors’ Commons: umgangssprachlich fr die bis um die Mitte des 19. Jh.s bestehende Vereinigung verschiedener Gerichtshçfe in der Nhe von St Paul’s Cathedral. Vgl. Copperfield I, 437 f. u. ç. 386, 25–29 die vernichtende Kritik bis wird: Vgl. Mr. Spenlows „Lobrede auf die Commons“, seine Schilderung der Verfahrensweise als „ein hbsches, ruhiges Familienpartiechen“. Copperfield I, 494. 386, 32–34 „Unter bis zu sein.“: Vgl. „Under the Prerogative Office, the country had been glorious. Insert the wedge into the Prerogative Office, and the country would cease to be glorious.“ DC II, 302 f. 387, 3–14 „Ich habe bis wrden.“: Nach Forster stammt diese Passage von 1845. Einschub (Z. 3–4) mit den entsprechenden Zeichen von D. Statt dahinfliegenden (Z. 8): „dahin fliegenden“. Statt fnfzigmal (Z. 9): „fnfzig Mal“. Statt Komma nach mssen (Z. 10) Gedankenstrich. Vor Folgen (Z. 10): „gewçhnlichen“, das wegfllt vor Schnelligkeit (Z. 11). Statt zerbrochene Sthle, zerbrochenes Pferdegeschirr (Z. 12–13): „zerbrochne Sthle, zerbrochnes Pferdegeschirr“. Statt Alle (Z. 13): „Alles,“. Statt außer einem (Z. 13): „außer fr einen“. Statt fr den (Z. 14): „das einzige, wofr“. Di Leben I, 73.
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387, 14–21 Whrend bis Stenographen: Die Informationen dieses Abschnitts sind einer von Forster teilweise zitierten Rede Dickens’ entnommen, die er 1865 anlßlich eines Essens des Newspaperpressfund hielt (Gesellschaft zur Untersttzung bedrftiger Berichterstatter Londoner Zeitungen), und Forsters kommentierenden Ergnzungen. Ebd. 74–76. 387, 23–26 „Prophezeiungen bis mystificiren.“: Vgl. „Night after night, I record predictions that never come to pass, professions that are never fulfilled, explanations that are only meant to mystify.“ DC III, 106. 387, 26–27 Sein bis Schriften: Vgl. „One joyful night, therefore, I noted down the music of the parliamentary bag-pipes for the last time, and I have never heard it since; [. . .].“ DC III, 188. Zu Gesellschaft und Parlament vgl. Forster III, 450–454. 387, 29–30 John Stuart Mill, Buckle und George Grote: ber Mill, den Philosophen, und Grote, den Historiker, hat D. im Dezember 1876 und im Mrz 1877 unter dem Pseudonym Karl Elkan knappe Charakteristiken verçffentlicht und beider Radikalitt und politisches Engagement dargestellt. Ges. Schr. XV, 245–250; 251–258. Im Gegensatz zu Dickens waren beide neben ihren schriftstellerischen Ttigkeiten politisch aktiv. H. Th. Buckles History of Civilization in England (1857–1861), radikal in der Sicht historischer Entwicklungen unter naturwissenschaftlichen Gesetzen, rezensierte D. (1861 und 1862 anonym) in der bersetzung von A. Ruge, Ges. Schr. XVI, 51–56 und 100–106, und kritisierte, Geschichte als exakte Wissenschaft, nach dem Verhltnis von Ursache und Wirkung aufzufassen. Ges. Schr. XVI, 101, vgl. JD 124. 387, 30–32 Im bis habe: Vgl. oben Anm. 387, 26–27. 387, 34–35 er fand bis geben: Das Parlamentstreiben verkçrpert Mr Gregsbury, ausgestattet mit „einem ertrglichen Vorrathe von tçnenden Sentenzen ohne Sinn, kurz mit Allem, was zu einem guten Parlementsgliede [sic] erforderlich ist.“ An seinen Ansprchen und seinem Unverstndnis scheitert Nicklebys Bemhen, eine Stelle zu finden. Nickleby II, 159; 157–178. 387, 36 – 388, 7 Schon bis waren: Zum Schreiben, Singen, Erzhlen, zur Tragçdie und zum Theaterspielen vgl. Di Leben I, 10, 56, 59 f. 388, 3–7 Londoner Skizze bis waren: Die erste der Skizzen, A Dinner at Poplar Walk, spter umbenannt in Mr. Minns and his cousin, erschien in der Dezembernummer des Monthly Magazine von 1833. Di Leben I, 72. 388, 9–11 Spter bis Antwort: Nach Nun (Z. 10) Komma. Nach ha (Z. 10) jeweils Ausrufungszeichen statt Komma; nach hat (Z. 11) Ausrufungszeichen von D. Ebd. 64. 388, 14–18 Wie bis suchen: Zur Bedeutung der Archive fr den Literarhistoriker (Archive R); fr den Philosophiehistoriker (Archive A). Zu Wirkung erzhlender Literatur: Novalis 233, 17 – 234, 40. 388, 18–24 Diesem Geiste bis Elend: Die erste Reihe der Londoner Skizzen (wie Anm. Di 366, 21–22) kaufte Dickens’ erster Verleger J. Macrone. Vgl. Di Leben I, 82. 388, 25–32 Whrend bis wurde: Die Verlagshandlung Chapman und Hall gewann Dickens als
Charles Dickens und das Genie des erzhlenden Dichters.
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Textschreiber fr die Stiche von R. Seymour. Die Erfindung der Gestalt Pickwicks wurde von den Erben Seymours fr ihn in Anspruch genommen, zugleich beanspruchte sie E. Chapman. Di Leben I, 83–87. 388, 33 – 389, 8 Der bis Planes: Teilweise wçrtlich bernommene Textpassagen. Seymours Idee war, „daß ein Nimrod-Club, dessen Mitglieder auf die Jagd, den Fischfang und so fort gehen und durch ihren Mangel an Geschick in Verlegenheiten gerathen, das beste Mittel zur Einfhrung derselben sein wrde.“ Dem widersprach Dickens. Er hielt fr besser, „wenn nicht der Text aus den Bildern, sondern die Bilder aus dem Texte hervorgingen“; der Pickwick Club und Mr. Winkle sind aus Dickens’ Perspektive Zugestndnisse an Seymour. Ebd. 85 f. 389, 21–23 Schon bis gewesen: D. sieht die Sachverhalte etwas anders als Forster: „Erst nach dem vierten oder fnften Hefte von ‚Pickwick (in dem letzteren war Sam Weller zuerst aufgetreten) fing ‚der Buchhandel an, dessen Bedeutung zu wrdigen [. . .].“ Ebd. 96. 389, 23–29 als bis verwirklichte: Pickwick und sein Diener Sam Weller geraten ins Schuldgefngnis wegen der Weigerung, Schadenersatz fr ein angebliches Heiratsversprechen zu zahlen. Vgl. bes.: „Er hatte, in der Vermischung von Humor und Tragçdie, noch nichts so Bemerkenswerthes geleistet als seine Darstellung dessen was die arme Seite eines Schuldgefngnisses in den Tagen war, [. . .].“ Di Leben I, 102. 389, 33–40 „Hier. bis bedeuten.“: Statt „Hier. Ich (Z. 33): „ ‚Hier, war seine Antwort. ‚Ich.“ Statt kann gerade (Z. 33): „kann, grade“. Der Vergleich ein brennendes Haus (Z. 35) in Anfhrungszeichen. Pickwick (Z. 35) gesp. Statt anderen (Z. 35–36): „andern“. Anredeformen (Z. 36, 37, 38) sind großgeschrieben. Komma nach erwarten (Z. 36) und sagen (Z. 40) von D. Ebd. 390, 1–5 Von bis wurden: Forsters Text, leicht gekrzt und umgestellt. Ebd. 104. 390. 5–12 Carlyle bis erscheinen!’“: Statt Carlyle erzhlte eine Geschichte, welche das veranschaulicht: „Ein Archidiaconus (Z. 5–7): „ ‚Ein Archidiakonus schrieb mir Carlyle spter,“. Statt eigenen (Z. 7): „eignen“. Nach Geschichte (Z. 8) Doppelpunkt. Komma nach hatte (Z. 9) von D. Nach er und nach (Z. 10) Komma. Nach erscheinen!' (Z. 12): „ – Das ist furchtbar.“ Ebd. 104 f. Zu Carlyle vgl. Dickens 402, 24–35. 390, 20 Uriah Heep: Vgl. Anm. Di 382, 22. 390, 29 Spiel und Gegenspiel: Zur Anwendung dieses dramatischen Prinzips im Roman vgl. Dickens 392, 25–31; Tg. Di, Handschriftenbefund 406, 18 im Entwurf 598 b; außerdem Freytag 419, 11 u. ç. 390, 33 insbesondere bis Weller: Den Vergleich der Figuren von Cervantes und Dickens bernimmt D. von Forster: „Sam Weller und Pickwick sind der Sancho Pansa und Don Quixote von London und es ist ebenso wenig wahrscheinlich daß sie verschwinden werden, als die alte Stadt selbst.“ Di Leben I, 106. Vgl. Dickens 389, 3–7. 390, 36–37 Am bis verheirathet: Althaus, der bersetzer von Forsters Dickens-Biographie, gleicht den Vornamen der Tochter G. Hogarths nur partiell ans Deutsche an: Katharine. Di Leben I, 83. ber die Begegnung mit Hogarth, Jurist, Musikkritiker, Journalist vgl. ebd. 80 f.
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Textgeschichte und Anmerkungen
390, 39–40 Zu bis gefunden:1837 beginnt die Freundschaft zwischen Dickens und Forster, zu der Dickens ihm schrieb: „ ‚Es muß schlimm gehen ehe irgend etwas außer dem Tode die Zhigkeit eines Bandes lockert, das jetzt so fest geschlungen ist. “ Forster fgt hinzu: „Es blieb ungeschwcht, bis der Tod kam.“ Di Leben I, 95; vgl. 101; 118 u. ç. 390, 40 – 391, 1 In bis Niederlande: Forster beschreibt Dickens’ Vorliebe fr Spaziergnge und -ritte. Ebd. 106–108. Nach Forster reiste Dickens 1837 mit seiner Frau nach Flandern. Ebd. 110. 391, 2–3 zwei neue bis Nickleby: ber Oliver Twist (1838) und Nicholas Nickleby (wie Anm. Di 375, 5) hatte Dickens Zeitschriftenvertrge abgeschlossen. The Adventures of Oliver Twist, or, The Parish Boy’s Progress erschien in Folgen 1837/38. 391, 10–15 Er bis verkauft: D. bernimmt den Text Forsters in verkrzter, leicht modifizierter Form. „Er wrde gelacht haben, wenn bei diesem Beginn jener wunderbaren literarischen Laufbahn, da sein Genius von Allen ohne Rckhalt anerkannt wurde, da er jung, allgemein beliebt und glcklich war, Jemand ihn mit dem unglcklichen Schriftsteller frherer Tage verglichen htte, dessen gewçhnliches Schicksal es war, in eine Sklaverei verkauft zu werden, aus der er sich in seinem spteren Leben umsonst zu befreien bemhte. Das sollte nicht sein Schicksal sein, aber etwas davon zu erdulden, war ihm dennoch bestimmt. Er hatte sich, ohne es zu wissen, in eine Art Knechtschaft verkauft und mußte seine Freiheit nach betrchtlichen Leiden um einen schweren Preis zurckkaufen.“ Di Leben I, 95. 391, 19–21 Seine bis zurckkaufen: Angaben ber Honorar und Rckkauf ebd. 82; 98. 391, 21–24 Einen bis werden: Der 1837 versprochene Roman ist Barnaby Rudge (vgl. Di Leben I, 109), zunchst als Teil von Master Humphrey’s Clock (wie Anm. Di 375, 16) 1841 erschienen; zwischen diesem und Oliver Twist (vgl. oben Anm. 391, 2–3) liegt Nicholas Nickleby. 391, 26–27 innere Form: Vgl. Dickens 407, 22–23 und Anm. 391, 32–35 Zugleich bis bewegen: Vgl. Dickens’ Preface zu David Copperfield vom Oktober 1850: „Yet, I have nothing else to tell, unless, indeed, I were to confess (which might be of less moment still) that no one ever believe this Narrative, in the reading, more than I have believed it in the writing.“ DC III, Preface VIII. 392, 2–9 Es bis Gemeindeverwaltung: Zur Realitt der dargestellten Verhltnisse bemerkt Forster: „Zu der Zeit, von welcher ich rede, waren die in ‚Pickwick geschilderten Schuldgefngnisse, die in ‚Oliver angeklagte Gemeindeverwaltung, und die in ‚Nickleby bloßgestellten Schulen von Yorkshire, Alles wirkliche Existenzen, die jetzt keine lebendigere Existenz besitzen, als in den Formen, welche er ihnen verlieh.“ Di Leben I, 131. 392, 10–15 Man bis begegnen: Forster weist auf Dickens’ Verteidigung des Oliver Twist hin; vergleicht mit lteren franzçsischen und englischen Werken. D. bernimmt den Text teilweise. Ebd. 133–135. 392, 15–17 Denn bis Unseligkeit: Vgl. Forster: „[. . .] ist es das hervorragende Verdienst des Buches, daß das Laster darin nirgends anziehend gemacht ist. Das Verbrechen stellt sich ebenso tief wider-
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wrtig dar, als es tief elend und unglcklich ist. Nicht nur wenn seine Enthllung kommt, [. . .], sondern in den leichteren Stellen [. . .] ist dies in emphatischer Weise der Fall.“ Ebd. 133. 392, 29–30 Spiel und Gegenspiel: Vgl. Anm. Di 390, 29. 392, 31 Squeers und Ralph: Der brutale Schulmeister Wackford Squeers und der erfolgreiche Geldverleiher Ralph Nickleby sind Gegenspieler Smikes, des als tot ausgegebenen Sohns von Ralph, und Nicholas Nicklebys. 392, 32–35 Smike bis auszusprechen: Vgl. „In Smike erschien das erste jener pathetischen Bilder, welche die Welt mit Mitleid erfllten fr die Leiden, welche Grausamkeit, Unwissenheit, oder Verwahrlosung der Jugend zufgen kçnnen.“ Di Leben I, 141. 392, 36 Nell und der unsterblichen Tante: Vgl. Dickens 375, 15–20 und Anm. Di 375, 15–17; Anm. Di 386, 12–15. 393, 6–13 „Eine Nacht bis sein!“: Statt anderen (Z. 6): „andern“. Nach geht (Z. 6) Komma. Statt Nachtheil (Z. 10): „Nachtheile“. Statt diese schweren Schatten von, ich weiß nicht, was – verfolgen? (Z. 11–12): „dieser schwere Schatten von – ich weiß nicht was – verfolgt?“ Komma nach hindurch (Z. 12–13) von D. Nickleby VII, 6 f. 393, 15–21 „Er bis hatte.“: Statt herben (Z. 16): „harten“. Statt der er sei; so schien er sich (Z. 17): „der er sei. Er schien sich“. Statt reich (Z. 18): „rauh“. Statt Nicholas (Z. 19): „Nicolaus“. Statt und Geldverlust (Z. 21): „und in Geldverlust“. Nickleby VII, 93. 393, 22 Diese bis Richard’s III.: Bis zu einem gewissen Grad sind mit den zitierten Stellen aus Nickleby die Monologe I, 1 und V, 3 von Shakespeares Drama vergleichbar. 393, 27–34 „Bei bis darber.“: Vgl. „Bei seinem finstern Ernste, seiner hartnckigen Verstocktheit und seiner Verschlossenheit lag ihm im Leben weiter hinaus nichts am Herzen, als die Befriedigung zweier Leidenschaften, der Habsucht, der ersten und vorherrschenden Begierde in seinem Wesen, und des Hasses, der zweiten. Da er sich bemhete, sich nur als einen Menschen anzusehen, wie die Menschen eigentlich sind, so wurde es ihm nicht schwer, seinen eigentlichen Charakter vor der Welt im Allgemeinen zu verbergen, und im Herzen pflegte er jeden schlechten Plan, der entstand, und freuete sich darber.“ Nickleby V, 125. 393, 35–37 Die bis geworden: Vgl. Forster: „Bald nach der Unterzeichnung des Contracts [ber Nickleby], noch ehe das Weihnachtsfest von 1837 vorber war, reiste er mit Hablot Browne nach Yorkshire, um sich die billigen Schulen dieser Grafschaft anzusehen, denen ein Rechtsfall des vorigen Jahres die çffentliche Aufmerksamkeit in peinlicher Weise zugewandt hatte, [. . .].“ Di Leben I, 145. 393, 37 – 394, 3 In bis empfing.“: Forster bringt dieses Zitat in einer Anmerkung zum Text der vorangehenden Anm. Statt noch (Z. 39): „nicht“. Ebd. 394, 7–15 „daß bis vorkommen.“: Forster weist auf das Vorwort zu Nickleby hin, fr das ein Brief an ihn mit Eindrcken von der Reise nach Yorkshire verarbeitet worden sei. Di Leben I, 145. Die von D. benutzte bersetzung enthlt, wie er angibt, die zitierte Stelle im Nachwort. Nickleby VII, 151 f.
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Textgeschichte und Anmerkungen
394, 16–23 Schrfste bis Idealitt: Vermißt D. Idealitt, so sieht Forster in den frhen Werken Mngel „in Bezug auf Phantasie und Erfindungsgabe“. Di Leben I, 144. 394, 23–27 Der bis an: Die Schilderung des Sturmes findet sich in Copperfield im Kapitel Tempest. DC III, 310–324; das Ende Ralphs in Nickleby VII, 88–101. 394, 27–32 Auch Schiller bis Idealitt: Beispiele fr die gelingende Darstellung des Bçsen: Franz Moor, Gegenfigur zu seinem Bruder Karl, im Drama Die Ruber (1781) und die Gestalt des Mohren aus: Die Verschwçrung des Fiesko zu Genua (1783). 394, 34–36 Cheeryble bis Agnes: Vgl. die Wiederholung: Dickens 395, 36 – 396, 6. Forster ber die Brder: „Die Brder Cheeryble brachten alle milden Stiftungen mit sich.“ (Original: all the charities). Di Leben I, 141. Zur Tante vgl. Dickens 386, 12–15. Kthchen, Kate, ist die Schwester Nicholas Nicklebys. vgl. Dickens 395, 33–36. Agnes, die zweite Frau David Copperfields, stellt das Muster aller weiblichen Tugenden und wahrer Idealitt dar. 394, 37 Die Geschwister Murdstone: Edward Murdstone, der Stiefvater Copperfields, und seine Schwester Jane; beiden ist David im Wege. 395, 7–8 Die bis eigene: Vgl. „Jeder schien unverzglich die Familie Nickleby ebenso gut zu kennen als seine eigene.“ Di Leben I, 141. 395, 8–14 Die bis Ordinren: D. hebt das Possenhafte und mangelnde Idealitt besonders hervor. Vgl. „Dotheboys, mit Allem was es, wie ein Bild Hogarths, zugleich lcherlich und schrecklich machte, wurde ein Familienausdruck. Einander folgende Gruppen von Mantalinis, Kenwigs, Crummles stellten jede ihre kleine Welt der Wirklichkeit dar, berall aufgehellt von Wahrheit und Leben, von vortrefflichen Beobachtungen, von den seltsamsten Possen und grenzenlosem Scherz und Heiterkeit.“ Ebd. Dothboys Hall ist die von Squeers geleitete Schule in Yorkshire, in der Nicholas auf Betreiben seines Onkels angestellt wird. 396, 16 Maclise: D. Maclise, Maler und Illustrator, außerordentlich von Dickens geschtzt, portrtierte Dickens fr einen Kupferstich zu Nickleby; Di Leben I, 151 f.; 153 f., illustrierte seine Werke. 396, 16 Edwin Landseer: Zeitgençssisch bekannter Knstler, gehçrte zum Freundeskreis um Dickens und arbeitete auch fr ihn. Ebd. 154. 396, 16–17 Ainsworth: W. H. Ainsworth, Schriftsteller, Freund, Mitarbeiter, auch Rivale von Dickens’. 396, 17 Thackeray: Vgl. Anm. Di 386, 2–7. 396, 24–37 „Ich bis hungern.“: Der Briefanfang: „ ‚Ich bin vçllig in Elend versunken, schreibt er mir am 12. Februar, ‚und kann Nichts thun. Ich habe ‚Oliver, ‚Pickwick und ‚Nickleby gelesen, um meine Gedanken fr den neuen Aufschwung zu sammeln, aber alles umsonst: Mein Herz ist in Windsor, / Mein Herz ist nicht hier; / Mein Herz ist in Windsor, / Schmachtend nach I h r . / Ich sah die Verantwortlichkeiten heute Morgen und brach in Thrnen aus.“ Nach an (Z. 34) Komma. Statt Regents-Canal (Z. 34): „Serpentine, an den Regents-Kanal“. Statt an der (Z. 35): „in der“. Vor s
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(Z. 36) Apostroph. Statt Tische (Z. 36): „Tisch“. Nach hungern (Z. 37) Komma, kein Redeschlußzeichen, da der Satz nicht beendet ist. Di Leben I, 191 f. 397, 11–35 „Ich bis hineinraucht.“: Das lange Zitat ist leicht gekrzt und verndert. Statt dir meinen (Z. 11): „Dir, schreibt er, ‚meinen“. Statt unserem Rckwege (Z. 12): „unserm Rckweg“. Statt Cate (Z. 14): „Kate“. Statt fuhren (Z. 15): „fuhr“. Statt tractirt, und (Z. 15–16): „traktirt und“. Kein Punkt nach Schornstein (Z. 18). Statt doch (Z. 18): „das“. Statt sagt: (Z. 19): „sagt,“. Kutscher (Z. 20) gesp. Alle einfachen Anfhrungszeichen fr die berichtete Rede sind von D., die Redepartien des Nachbarn in der Vorlage gesp. Statt dir (Z. 20): „Dir“. Statt Bild (Z. 21): „Wort“. Statt dem Sonntag (Z. 27): „den Sonntagen“. Nach wieder. (Z. 30) Gedankenstrich. Statt anderen (Z. 31): „andern“. Komma nach Ordnung (Z. 32) von D. Statt ich bin (Z. 32): „bin ich’s“. Statt von der anderen (Z. 32–33): „auf der andern“. Ebd. 193 f. W. Hall ist Teilhaber des Verlags Chapman and Hall. Vgl. Anm. Di 388, 25–32. 398, 7–10 Den 29. bis richtete.“: Der Brief stammt aus dem Jahr 1841. Statt dachte (Z. 8): „d a c h t e “ . Statt Tag. (Z. 8): „Tag, ohne eine Zeile, oder einen Strich durch ein t oder einen Punkt ber ein i zu schreiben.“ Der Kurztitel (Z. 9) steht in Anfhrungszeichen. Nach richtete. (Z. 10) bricht D. das Satzgefge ab. Di Leben I, 205. 398, 11 Ein Rabe: Von dem Raben ist bereits die Rede gewesen, vgl. Dickens 397, 21–23. Forster teilt den Beschluß mit, ihn „zu einer hervorragenden Gestalt in ‚Barnaby zu machen“. Di Leben I, 205. 398, 15–16 Einen bis gewhlt: G. Kellers Novelle Dietegen erschien erstmals 1874 in der zweiten um diese und andere Novellen vermehrten Auflage des Zyklus Die Leute von Seldwyla. Sie spielt im 15. Jh., zur Zeit der Auseinandersetzung der Schweiz mit Burgund, der Schlacht bei Murten. D. bezieht sich auf die Ruechensteiner, mit ihrer Lust an Bestrafung und ihrer mçrderischen Gesetzgebung, Gegenbild der Seldwyler. 398, 22–30 In bis wre: Zur von D. hochbewerteten Figur Nells aus dem schon erwhnten Rarittenladen vgl. Dickens 375, 15–17 und Anm. 398, 30–35 Als bis verwob: Forster berichtet, daß Dickens kurze Zeit vor seinem Tod mit Skizzen B. Hartes bekannt wurde und sie schtzte. Ohne von dieser Anerkennung zu wissen, schrieb Harte ein Gedicht zu Dickens Tod. Althaus, bersetzer der Biographie Forsters, gibt das Gedicht mit dem Titel: Dickens im Lager in der bersetzung F. Freiligraths wieder. Di Leben I, 187–189. D. hat die vierte Strophe im Blick: „Und nun – die Schatten dunkelnd Das Feuer minder grell Laut las er vor das Buch, darin der Meister Schrieb von der kleinen Nell.“ 398, 38 – 399, 2 Eine bis zu.“: D. bernimmt neben der von Forster mitgeteilten Grabinschrift fr Mary auch einigen Text. Statt Seele (Z. 39 ): „Natur“. Statt war ihm 1837 entrissen worden im Alter von siebzehn Jahren. (Z. 40–399, 1): „starb mit einer furchtbaren Plçtzlichkeit, die ihn eine Zeitlang vollstndig niederbeugte.“ Dazu setzt Forster als Anmerkung die Grabinschrift: Statt im Alter (Z. 2): „in dem frhen Alter“. Ebd. 94.
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Textgeschichte und Anmerkungen
399, 7 „diesen bis Lebens“: Forster berichtet von einer Krankheit Dickens’ im Herbst 1841: „[. . .] und kaum hatte er das Krankenzimmer verlassen, als ihn ein Schmerz traf, der ihn bis in die Tiefe des grçßten Kummers seines Lebens bewegte; [. . .]. Ebd. 261 f. 399, 8–27 „Da bis Male.“: D. lßt den Einschub mit den entsprechenden Zeichen nach waren (Z. 8) weg: „schrieb er am 25. October, als Antwort auf meine Anerbietung von Diensten, die ich etwa leisten kçnnte,“. Statt du (Z. 9): „Du“. Komma nach grçßer (Z. 11) von D. Statt eigenen (Z. 14): „eignen“. Komma nach wird (Z. 14) von D. Statt eben so stark als (Z. 16–17): „ebenso stark, als“. Statt du, daß (Z. 19): „Du daß“. Nach weder (Z. 23) kein Komma. D. bergeht die Sperrung von dort (Z. 24), setzt nach bedacht (Z. 26) und auf (Z. 27) ein Komma, lßt es nach plçtzlich (Z. 26) weg wie auch das Ausrufungszeichen nach sollte (Z. 27). Statt zweiten Male (Z. 27): „zweitenmale“. Di Leben I, 262 f. – Die alte Dame (Z. 13) ist die Mutter von Mrs. Hogarth. 399, 33–37 „Alte bis denke.“: Der letzte Satz enthlt die Verbindung zwischen literarischer und realer Person des mit einigen Abweichungen schon gebrauchten Zitats. (Dickens 375, 30–33). Einschub mit entsprechenden Zeichen (Z. 33) von D. Nach soll (Z. 34) Semikolon. Ebd. 182 f. 399, 40 in der Florence des Dombey, der Agnes: Die von Dombey (vgl. Anm. Di 376, 15–16) mißachtete Tochter seiner ersten Frau. Zu Agnes vgl. Anm. Di 394, 34–36. 400, 1 Dorrit: Amy Dorrit, Titelfigur des Romans Little Dorrit (1857), geboren im Marshalsea Gefngnis, sorgt als Kind nach dem Tod der Mutter fr die Familie. 400, 2 Beatrice: Vgl. Anm. No 205, 23–24. 400, 3 anmuthiges Kind: Sophie von Khn, Hardenbergs erste Verlobte, deren Rolle D. in seinem Novalis-Aufsatz dargestellt hat; bereits erwhnt Dickens 384, 7. 400, 8 – 406, 16 Wir bis Reisefiebers: Der ganze V. Abschnitt ist vornehmlich den Reisen Dickens’ gewidmet, die gesamte Darstellung bricht mit dem Jahr 1847 ab, weder die weitere Biographie noch sptere Werke, von David Copperfield abgesehen, kommen zur Sprache. Die bersicht ber die Reisen lehnt sich wie alles Vorangehende an die bersetzung der Biographie von Forster an; punktuelle wçrtliche bereinstimmungen werden nicht nachgewiesen. 400, 19–23 Und bis 1847: Dickens brach am 4. Januar 1842 zu seiner ersten Amerikareise auf und kehrte im Juli dieses Jahres zurck. 1844 geht er nach Italien, ist 1845 fr einige Zeit in England, um 1846 in der Schweiz zu leben; ein Vierteljahr in Paris schließt sich an, 1847 ist er wieder in England. 400, 24–28 Schon bis Landes: ber die neuartige Zeitschrift und ihre Inhalte existiert ein schriftliches Dokument. Di Leben I, 166–169. Die Zeitschrift sollte anfangen wie der Spectator, Artikel enthalten „ber die Orte und die Leute die ich sehe, mit Hineinziehung lokaler Erzhlungen, Traditionen und Legenden, nach der Weise von Washington Irving’s ‚Alhambra.“ Di Leben I, 168. 400, 28–30 „Visionen bis erwhne.“: Brief vom 13. September 1841 an Forster. „Visionen von Amerika spuken noch bei mir, Nacht und Tag. Es wrde traurig sein, sollte diese Gelegenheit unbenutzt vorbergehen. Kate geberdet sich aufs trbseligste, wenn ich die Sache erwhne.“ Ebd. 256.
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400, 30–37 Der Plan bis gefaßt: Zu W. Irvings Brief ber Nell und den Rarittenladen und ber weitere Zuschriften aus Amerika ebd. 257 f. 401, 4–6 „Die bis sind.“: Statt entgltig (Z. 6): „endgltig“. Di Leben I, 260. 401, 9–12 Wo bis Deputationen: Aus dem Bericht Dickens’ von seinem Empfang in Boston sei die hier anklingende Stelle zitiert: „Ich habe Deputationen aus dem fernen Westen gehabt, die mehr als dreihundert Meilen hierher gereist sind: von den Seen, den Flssen, den Hinterwldern, den Blockhusern, den Stdten, den Fabriken und den Dçrfern. Autorittspersonen haben mir aus fast smmtlichen Staaten geschrieben.“ Ebd. 274. 401, 29–30 Unwillkrlich bis haben: Das Urheberrechtsgesetz, seit 1815 Aufgabe des Deutschen Bundes, wurde besonders in den 60er Jahren diskutiert, in Anlehnung an das preußische Gesetz von 1837 zum Schutze gegen Nachdruck am 11. Juni 1870 vom Norddeutschen Bund beschlossen und 1871 als Reichsgesetz bernommen. Vgl. Anm. Di 364, 1–3. 401, 30–39 „Anonyme bis bereinstimmten.“: Die von Forster mitgeteilten Briefe Dickens vom Februar 1842 aus New York bekunden die kritische Sicht Amerikas, die Dickens gewinnt und der D. zustimmt. Statt Besuches (Z. 35): „Besuchs “. Statt du dich (Z. 36): „Du Dich“. Statt Amerika's besteht) (Z. 37): „Amerikas besteht),“. Der letzte Nebensatz ist gesp. Di Leben I, 293. 402, 6–11 Es bis Staaten: Aus dem von D. schon herangezogenen Brief (Anm. Di 401, 30–39) vom 24. Februar 1842: „Ich glaube, es existirt kein Land auf der Erde, wo weniger Meinungsfreiheit in Bezug auf Gegenstnde herrscht, ber die eine bedeutende Meinungsverschiedenheit besteht, als in diesem. Ich schreibe diese Worte mit Widerstreben, Enttuschung und Schmerz, aber ich glaube daran vom Grund meiner Seele.“ Ebd. 292. 402, 15–23 „Mein bis Erde.“: Einschub (Z. 15–16) mit den entsprechenden Zeichen von D. Nach zurck (Z. 16) Gedankenstrich statt Komma. Statt hierher (Z. 16): „hieher“. Statt Radicalen und radical (Z. 17; 18): „Radikalen“; „radikal“. Statt Anderes (Z. 18–19): „Andres“. Vor Ich (Z. 19) Pnktchen statt Gedankenstrich. Ebd. 301. 402, 24–35 In bis stahl: D. faßt die von Forster abgedruckte Stellungnahme Carlyles, datiert: Templand, 26. Mrz 1842, zusammen. Di Leben I, 306 f. 403, 3–7 „Indem bis Heimath!!!“: Dem Ton des Briefs entsprechend ist fieberisches zu sperren, der Gedankenstrich nach Heimath und waren (Z. 4; 6) durch Pnktchen zu ersetzen. Statt unsere und unserem (Z. 4 und 6): „unsre“; „unserm“. D. verkrzt die Wiederholungen von Heimath und der Ausrufungszeichen am Schluß um je drei. Ebd. 391. 403, 8–21 Zwei bis ungewiß war: Die erste der Arbeiten: American Notes for General Circulation, 2 Bde (1842). Dazu zhlt D. die Briefe aus Amerika an Forster, enthalten in Di Leben I, 265–391. Das neue Werk, ber das Kontrakte 1841 abgeschlossen werden und das 1842 beginnen sollte (vgl. Dickens 403, 16–18) erschien in einzelnen Teilen von Januar 1843 bis Juli 1844: The Life and Adventures of Martin Chuzzlewit (1844). Di Leben II, 22–24. 403, 26–28 Aber bis Erfahrungen: Bei Dickens’ Entschluß, seinen Protagonisten Martin nach Amerika gehen zu lassen, ging es nach Forster um „die Herausforderung, seine N o t e n zu bewahr-
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heiten, die ihm jede Post von schonungslosen Kritikern jenseits des atlantischen Oceans gebracht hatte.“ Di Leben II, 42. 403, 28–31 Der Sturm bis dachte: Vgl. Di Leben II, 29. 403, 31–36 Auch bis zurck: Vgl. „Chuzzlewit war hinter allen in Bezug auf seinen Verkauf gehegten Erwartungen zurckgeblieben. Obgleich bei weitem das vorzglichste von Dickens’ bis dahin geschriebenen Werken, hatte das Publikum sich in weit geringerer Anzahl als um irgend einen seiner Vorgnger darum geschaart.“ Ebd. 41. 403, 36–40 Ja bis bringen: Zu den Vertragsmodalitten vgl. Di Leben II, 42 f. 404, 1–10 Dies bis Italien war: Vgl. Brief Dickens’ vom 1. November 1843 an Forster. Ebd. 44–47. 404, 11–13 „Von bis alten“: „‚Von fremdartigen und ganz neuen Verhltnissen umgeben, schrieb mir Dickens aus Marseille, ‚ist mir zu Muthe als htte ich einen neuen Kopf neben meinem alten.“ Ebd. 88. 404, 14–16 Er bis ist: Aus dem Brief Dickens’ vom 3. August 1844 an Forster: „Aber die Landschaft ist herrlich, und zu gewissen Zeiten, Abends und Morgens, bertrifft das Blau des Mittellndischen Meeres jede Vorstellung und Beschreibung. Ich glaube, es ist die tiefste und wunderbarste Farbe in der ganzen Natur.“ Di Leben II, 93. 404, 25–28 Dort bis eindrang: Forster berichtet von der Titelsuche fr das neue Weihnachtsbuch, die zunchst nicht durch die Glocken Genuas befçrdert wird: „Eines Morgens hatte er sich hingesetzt, zur Arbeit entschlossen, obschon gegen seine Neigung, denn Alles lud zum Mßiggange ein, als ein solches Luten von Glocken sich aus der Stadt erhob, daß es ihn fast ‚toll machte. [. . .] Nie vorher hatte er so gelitten und nie litt er wieder so; [. . .].“ Ebd. 119 f. Der Titel (vgl. Anm. Di 375, 38–39) fand sich zwei Tage spter. 404, 30–37 „Und bis Unterdrckung.“: Statt eben so (Z. 31): „ebenso“. Statt sie (Z. 33): „sich“. Statt ihrem (Z. 34): „ihren“. Nach hat (Z. 36) Semikolon. Statt Zweifel oder Unterdrckung (Z. 37): Zweifel, oder Unterdrckung, oder Abpolirung. “ Ebd. 131 f. Aldermen, die lteren, Ratsherren. 404, 37–39 Er bis gebleicht: Entsprechend Dickens 375, 40 – 376, 2. Vgl. Anm. Di 375, 40 – 376, 1. 404, 40 – 405, 8 Und bis Genua: Statt 1845 (Z. 8): „1844“. Vgl. Anm. Di 383, 14–16. 405, 15–25 Der Druck bis zurckzukehren: Zur Episode der Grndung der Daily News, deren Leitung Dickens kurze Zeit bernahm, bevor Forster an seine Stelle trat, vgl. Di Leben II, 191–196. 405, 29 Menschengedrnge: Dickens whrend der Arbeit an den Sylvesterglocken in Genua: „Und mir fehlt eine menschenbelebte Straße, in die ich mich Nachts hineinstrzen kann. Und ich mçchte
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so zu sagen ‚an Ort und Stelle sein.“ Ebd. 127. Vgl. Dickens 376, 17 – 377, 6; auch 370, 31–36 und Anm. 405, 36 – 406, 3 „Eine bis sehe.“: Brief Dickens’ vom 22. Juni 1846 an Forster. Statt wunderlich, schattenhaft (Z. 36–37): „wunderliche, schattenhafte,“. Statt spteren (Z. 39): „sptern“. Statt hier (406, 3): „sie“. Nach sehe. (Z. 3) Pnktchen. Di Leben II, 205. 406, 4–5 gleichzeitig bis schreiben: Der Roman ist Dombey (wie Anm. Di 376, 15–16); die Novelle The Battle of Life (1846). Ebd. 215 f. 406, 12–14 Als bis zurckzukehren: Den „Zufall“ der fehlenden Seiten erwhnt Forster nur kurz. Ebd. 307 f. 406, 14–16 Bald bis Reisefiebers: Forster macht diesen Einschnitt nicht, zumal sich Dickens zwischen 1853 und 1870 wiederum lngere Zeit in der Schweiz, in Italien, Frankreich, Amerika aufhlt. 406, 24–28 Auch bis Dichter: Vgl. Schopenhauer: Vom Genie. Dessen Ttigkeit bestehe darin, „z w e c k l o s die Welt rein objektiv aufzufassen.“ Schopenhauer Welt II, 429. Kap. 31. 407, 7–8 Ich bis Erçrterungen: Mit allgemeinen Erçrterungen ist der Abschnitt Dickens 367, 27 – 373, 4 gemeint. 407, 16–29 Das Ergebniß bis gestalten: D. unterscheidet von der inneren Form den Erfahrungshorizont (Dickens 407, 25–26; E Goethe 137, 5). Vgl. Die Unterlage aller wahren Poesie ist sonach Erlebnis, lebendige Erfahrung, seelische Bestandteile aller Art, die mit ihr in Beziehung stehen. Bausteine 128; D. spricht auch vom E r f a h r u n g s k r e i s , ebd. 185. 407, 22–23 die innere Form: Vgl. Dickens 391, 26–27; Tg. Di, Handschriftenbefund, Fußnote 10; Anm. Ph 258, 34 – 259, 13. 407, 30–38 Es kann bis bildet: Vgl. die Grundzge des erzhlenden Dichters Dickens 372, 25 – 373, 4. 408, 3–7 Was bis Knstlers: Assoziationsgesetze, Regeln, nach denen Vorstellungen assoziiert und reproduziert werden, sind seit Locke und Hume unterschiedlich formuliert worden. In der Hauptsache, auch von D. bercksichtigt: hnlichkeit, Kontrast, Kontiguitt, Ursache–Wirkung. Zu D.s Ablehnung der gewçhnlichen starren Fassung der Associationsgesetze vgl. die bereinstimmung mit J. Mller: Ueber die phantastischen Gesichtserscheinungen (wie Anm. Di 370, 13–22), § 168; Wundt, Grundzge 796. 408, 14–18 Die Feststellung bis Psychologie: Zu D.s Abgrenzung einer induktiven Psychologie von einer empirischen vgl. die Sonderung einer descriptiven Psychologie von der hypothetisch erklrenden, E Goethe 137, 27–28; oder die einer beschreibenden, induktiv vorgehenden von erklrender, deduktiv verfahrender Psychologie. Ges. Schr. XVIII, 70–72; Ideen. 408, 21–24 denn bis erklren kann: Vgl. D.s Breslauer Vorlesungen. Ges. Schr. XXI, 3. Wundt erwgt drei Antworten auf die Frage, „wie berhaupt eine Reproduction dem Bewusstsein entschwun-
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dener Vorstellungen mçglich sei“ (nur scheinbare Verdrngung der Vorstellungen aus dem Bewußtsein; Zurckbleiben von Resten; Disposition zur Erneuerung) und neigt zur dritten Annahme. Grundzge 789 f. 408, 30–34 Und bis fremd ist: Vgl. E Goethe 137, 14–17. Durch verschiedene Grade der „Hemmung“ bewirkte „Verdunkelung“ und „Erhellung“ der Vorstellungen nimmt Herbart an. Psychologie (wie Anm. No 224, 17–20), § 40. 408, 39–40 Eine Vorstellung bis zurckbleibt: D. ausfhrlicher: Vorstellungen (d. h. erinnerte Wahrnehmungen oder Teile derselben, oder Verknpfungen dieser Teile) beziehen sich auf Wahrnehmungen. Wenn die Wahrnehmung vorbergegangen ist und andere Eindrcke ihr Vorstellungsnachbild verdrngt haben, entsteht, gemß den inneren Bedingungen des Bewußtseins [. . .] die Vorstellung, [. . .]. Ges. Schr. XVIII, 81 f. Vgl. ebd. 91–109; auch die Unterscheidungen von Helmholtz, Handbuch (wie Anm. Di 365, 13–18), S. 435. 409, 1–7 Fechner bis verschwimmt: Fechner: „Ich erhalte ein Erinnerungsnachbild, wenn ich irgend einen Gegenstand, hellen oder dunklen, farbigen oder nicht farbigen, m o m e n t a n scharf anschaue, dann sofort die Augen schliesse oder wegwende, [. . .] Ich sehe dann das Bild einen Moment ziemlich deutlich mit der Zeichnung und selbst Farbe des angeschauten Objectes, wie ich es nie von Gegenstnden, die ich vor lngerer Zeit gesehen, zu erhalten vermag; nur verlçscht seine Bestimmtheit und Farbe sehr schnell und macht der gewçhnlichen Undeutlichkeit Platz.“ Psychophysik (wie Anm. Di 369, 39 – 370, 13) II, S. 492. 409, 8–22 Schon bis hinzu: Vgl. Wundt: „Erinnerungsbilder nennen wir endlich speciell diejenigen reproducirten Vorstellungen, in denen sich frhere Wahrnehmungen, abgesehen von der viel geringeren Intensitt ihrer Empfindungsbestandtheile, in annhernd unvernderter Form dem Bewusstsein erneuern. [. . .] Namentlich ist jedes Erinnerungsbild zugleich Phantasiebild, da in demselben nicht nur Bestandtheile der ursprnglichen Anschauung weggelassen, sondern auch meistens solche aus mehreren Wahrnehmungen des nmlichen Gegenstandes vereinigt sind.“ Grundzge 643 f. 409, 22–31 Das Associationsverhltniß bis thtig sind: Vgl. oben Anm. 408, 3–7. 409, 32–36 Und was bis geistigen Actes: Vgl. Wundt: „In Phantasiebildern kçnnen sich Vorstellungsgruppen und Erlebnisse an einander reihen, die, obgleich sie vollstndig aus Bestandtheilen frherer Anschauungen bestehen, doch in dieser Verbindung niemals wirklich gewesen sind. Aus solchen willkrlichen Bildungen der Phantasie schçpft die knstlerische Gestaltungskraft.“ Grundzge 646. 410, 1–15 Indem bis wre: Den Begriff Metamorphose, dem D. alle Reproduction von Wahrnehmungen und Vorstellungen (410, 11–12) unterordnet, gebraucht er, wenn auch nicht programmatisch, in Gesichtserscheinungen 96. Dazu: J. Mller, Ueber die phantastischen Gesichtserscheinungen (wie Anm. Di 370, 13–22), Tl. III. Das Eigenleben der Phantasie. Vgl. Breslauer Vorlesungen: [. . .] so daß jede Reproduktion zugleich Metamorphose ist. Ges. Schr. XXI, 18; E Goethe 138, 38 – 139, 20; EW 99 f.; B Yorck 58. 410, 16–28 Und diese Metamorphose bis bezeichnen: hnlich E Goethe 140, 7–13; vgl. D.s Kritik an Dickens 395, 26 – 396, 9. Zu Idealisierung auch Lotze, der sie mit Vischer zunchst als gewçhnlichen Vorgang der Abstraktion auffaßt. Zur „sthetischen“ werde sie durch neue Verbindungen zu einem „Ganzen“. Geschichte der Aesthetik (wie Anm. Di 369, 13–31), S. 449–452.
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410, 29 – 411, 10 Denn bis gewhrt: Abgrenzung von der idealistischen Aesthetik und Pldoyer fr ein umfassendes Reich sich fortbildender umwandelnder Darstellung (411, 8–9) wiederholt D. fast wçrtlich in Bausteine 129 f. Vgl. E Goethe 127, 26–30 und Anm. Anstze eines so weiten Kunstbegriffs erscheinen wohl erstmals im Urteil Drers ber die auf seiner Reise in die Niederlande (vgl. Freytag 416, 5–11 und Anm.) in Brssel 1520 besichtigten, im Jahr zuvor von Cortez erbeuteten mexikanischen Goldschtze: „Dann ich hab darin gesehen wunderliche knstliche ding und hab mich verwundert der subtilen ingenia der menschen in frembden landen.“ Albrecht Drer’s Tagebuch der Reise in die Niederlande, hrsg. von F. Leitschuh, Leipzig 1884, S. 58; bekannt vor der vollstndigen Edition. Vgl. auch Hegel, Aesthetik, Hegel W X, 1. S. 6. 411, 11 – 412, 6 Fragt man bis sich beziehen: Die Bestimmung der Wirkung von Kunst, vornehmlich der Poesie, als Erregung unseres Gemthes (vgl. die Formel des Novalis: „Posie = Gemtherregungskunst.“) fhrt zur korrespondierenden Disposition des Erzhlers, greifbar in seiner Biographie. 412, 6 sich beziehen: Anschließend die Mitteilung: (Ein zweiter Artikel folgt spter.) Die Aussicht auf eine Fortsetzung steht im Widerspruch zur Ankndigung: (Schluß) am Beginn des zweiten Teils und zur Sachlage. D. hat den Aufsatz ber Dickens vermutlich um 1892 aufgenommen und ergnzt. Vgl. Tg. Di, Handschriftenbefund, allgemeine Beschreibung.
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Gustav Freytag: Technik des Drama. Entstehung und berlieferung Bisher hat sich weder eine Erwhnung der Arbeit an der Rezension des Buches von Freytag gefunden noch gibt es handschriftliche Notizen. E:
D1:
D2: D3:
Berliner Allgemeine Zeitung, hrsg. von J. Schmidt, in vier Folgen: Morgenausgaben vom 26. Mrz (Nr. 143), 29. Mrz (Nr. 149), 3. April (Nr. 157), 9. April (Nr. 163) 1863, anonym. W. Dilthey, Die Technik des Dramas, hrsg. von H. Nohl, Shakespeare-Jahrbuch 69, NF 10 (1933), S. 27–60, auf der Grundlage von E, mit Eingriffen und einer aktualisierenden Anmerkung des Herausgebers. W. Dilthey, Die Technik des Dramas, Ph 132–159, wie D1, mit leichten Abweichungen, ohne Herausgeberanmerkung. Reprint von D1 als Anhang zu: Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, Reprint von 13 1922, WBG Darmstadt 1965, S. 317–350. Weitere Nachdrucke 1969, 1975, 1992.
Textwiedergabe nach E. Anmerkungen 413, 1 Gustav Freytag: Die Technik des Dramas, Leipzig 1863. Teilabdruck unter: Das Schaffen des dramatischen Dichters. Grenzboten XX, 2. (1861). – Der von D. vernderte Titel vor den folgenden drei Fortsetzungen seiner Besprechung wird nicht wiederholt. 413, 5–7 Wenn bis ansah: In den berlieferten Kapiteln der Poetik des Aristoteles ist der große Gesichtspunkt nicht enthalten. D. entnimmt ihn dem achten Buch der Politik, ihm gegenwrtig durch die Schrift von Bernays (vgl. Freytag 424, 3–7 und Anm.). Aristoteles spricht dort ber Erziehung fr und durch den Staat (VIII, 1), ber die Rolle der Musik – nicht der Kunst – in diesem Prozeß, ber verschiedene Melodien, auch solche von kathartischer Wirkung (VIII, 3; VIII, 5–7). Vgl. Freytag 423, 35–40 und Anm.; zum spteren Urteil D.s ber Aristoteles Bausteine 103 f., 109–114. 413, 19–20 Die Tendenz-Dramen bis Wolffsohn’s: Stcke aller drei Autoren, noch Zeitgenossen D.s, wurden in Berlin aufgefhrt (im Friedrich-Wilhelmstdtischen Theater z. B.). K. F. Gutzkow war zugleich bekannt als Verfasser von Romanen und zeitkritischen Essays. S. H. Ritter von Mosenthal schrieb außer Theaterstcken auch Operntexte. W. Wolf(f)sohn bersetzte russische Literatur. Ironisch bezeichnet Gutzkow im Vorwort zu Zopf und Schwert (1844) „politische Winke“ als „sogenannte ‚Tendenz“. Das Tendenzdrama, knstlerisch „verurtheilt“ wegen seines Ziels, die Lebenswirklichkeit beeinflussen zu wollen, charakterisiert der D. vermutlich bekannte Theaterkritiker H. Th. Rçtscher: Dramaturgisches. Was versteht man unter einem Tendenz-Drama? Hat dasselbe eine knstlerische Berechtigung? Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitung), Nr. 167 vom 20. Juli 1862. 413, 25–26 das Drama Shakespeare’s und Schiller’s: D.s Beschftigung mit Shakespeare und Schiller geht zurck in seine Studienzeit ( Shakespearekrnzchen 1854, JD 24; Tagebcher JD 119 u. ç. Schillerlektre 1859, JD 76 u. ç.), wird in vielen Arbeiten sichtbar, z. B. E Goethe 150–158 (Shakespeare); 162 f. (Schiller) und erreicht einen gewissen Hçhepunkt im gescheiterten Versuch der
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90er Jahre, groß angelegte Essays ber beide zu schreiben; wesentliche Zge konzentriert in Abhandlung (1895) 288–295; 297–302. 413, 30–31 Denn bis kennt: Zu D.s Sicht des Dramas vgl. Alfieri 316, 22–23. 414, 9–10 seitdem bis gelernt hat: Wohl Anspielung auf die schrittweise Regierungsbernahme in Preußen durch den Prinzen Wilhelm seit 1857, den Beginn der Neuen ra, und auf zahlreiche kulturelle wie nationalpolitische Veranstaltungen, z. B. die Schiller-Gedenkfeiern 1859 oder die Jahrhundertfeier fr Jean Paul 1863 im Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt am Main. 414, 17 Paradoxieen Platon’s: Platon bt bis zum Verbot gehende Kritik an bestimmten Dichtern und Formen der Dichtung (Epos und Drama). Politeia II, 376 e – 383 c; III, 386 a – 396 e; X, 595 a – 608 b. 414, 18–21 wenigstens bis einzuschließen: Aus der Einleitung: „Ich erkenne im ganzen Umfange, wie vergebens wir Neueren, sobald von productiver Thtigkeit die Rede ist, uns mit den Alten zu messen streben [. . . ].“ Gervinus I, 6. 414, 21–23 Aber bis aufgehen lassen: Dazu Gervinus: „[. . .] wir wollen nicht glauben, daß diese Nation in Kunst, Religion und Wissenschaft das Grçßte vermocht habe und im Staate gar Nichts vermçge. [. . .] Der Wettkampf der Kunst ist vollendet; jetzt sollten wir uns das andere Ziel stecken [. . .].“ Gervinus V, 735. 414, 27–32 Ein Gefhl bis Kraft: Zum favorisierten historischen Drama z. B. J. Mosens Forderung, daß „die moderne Tragçdie die eigentliche historische werden“ msse. Ders., Theater, Stuttgart und Tbingen 1842, Vorwort XIX. H. Hettner erçffnet sein Buch: Das moderne Drama, Braunschweig 1852 mit dem Kapitel: Das historische Drama und die Gegenwart. D. bergeht die Ausfhrungen Freytags dazu (bes. Technik 233–249). Was die praktischen Versuche betrifft, mag er an den ihm bekannten E. Tempeltey und dessen Drama Hie Welf – hie Waiblingen (1859) gedacht haben. JD 117, 120. 414, 33–38 Zugleich bis die Wege: Freytags Technik ging R. Gottschall voraus mit: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit (1858) und der Forderung, „den modernen Geist aus der jungdeutschen Ghrung, Zersplitterung und Formlosigkeit [. . .] zu retten [. . .]“. Vorwort VII. Vgl. D.s Kurzrezension (1877) der vierten Auflage von Gottschalls Poetik. Ges. Schr. XVII, 169. 414, 38 – 415, 1 bereits Geschmack bis zurckgeblieben: Das Interesse des Berliner Publikums und der Presse am Theater drckt sich in Leser- und Rezensentenbeitrgen in der Vossischen und Spenerschen Zeitung aus. Dazu: G. Walther, Das Berliner Theater in der Berliner Tagespresse 1848–1874, Berlin 1968, bes. S. 169–174. Die Bemerkung ber den Publikumsgeschmack im Wortlaut nicht gefunden. 415, 8–9 Unwahrheit bis hervorbringe: Hegel einleitend zu den Vorgngen der Reformation: „Solche Begebenheit ist auch nicht an e i n Individuum gebunden, wie hier zum Beispiel an Luther, sondern die großen Individuen werden durch die Zeit selbst erzeugt.“ Philosophie der Geschichte, Hegel W IX, 416.
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415, 11–14 Haben bis genossen: Vgl. L. Eckardt, Sokrates (1858). Eckardts der „religiçsen Wiedergeburt der Menschheit“ gewidmetes Drama entspricht D.s Beschreibung wenig; nher kme ihr A. Oehlenschlger, Sokrates (1836). Sokrates redet dort mit seinen Schlern allerdings ber Tod und Unsterblichkeit. Unter lteren Dramen handlungsarm Voltaires Socrate (1759). 415, 14–16 Ein so bis hat: Das bis auf die Arbeit an Demetrius, ber der Hebbel 1863 starb, abgeschlossene dramatische Werk wird von D. auch spter kaum beachtet. Vgl. sthetik 246. 415, 20–25 Von Lessing bis Ausdruck gab: Dramaturgie, 101.–104. St. „Ueber den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind! Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern blos von dem sittlichen Charakter.“ LLa VII, 452. 415, 27–33 Die Blthe bis hatte: Zu Drama und Gesellschaftsordnung vgl. Shakespeare 44, 10–29; 55, 31 – 56, 9. 415, 33–34 die großdeutsche Schule: Anhnger einer Politik, die sterreich an der Spitze Deutschlands sehen wollten, whrend die Kleindeutschen einen Bund unter Fhrung Preußens mit Ausschluß sterreichs befrworteten. 415, 34–35 Gewinn so mannigfaltiger Cultur-Mittelpunkte: „In Deutschland dagegen fehlt, mit einer wahrhaften Hauptstadt, auch jederlei Centralisation der Gesellschaft, ihrer politischen, sthetischen und religiçsen Ansichten. Das ist im Allgemeinen ganz gut; denn diese Mannichfaltigkeit eigenthmlicher Stammes-Individualitten, dieser bestndige Kampf scharfer Gegenstze, erhlt wach und frisch [. . .].“ Dieser Vorteil, so J. von Eichendorff, gelte allerdings nicht fr das Drama. Zur Geschichte des Dramas, Leipzig 1854, S. 208. 415, 39–40 „Eigenartigkeit bis Race“: Vgl. Gottschall, der durchaus die Nachteile der „Vielstaaterei“ fr das Theater sieht: „Dagegen ist nicht zu verkennen, daß die zahlreichen Mittelpunkte des deutschen Theaterlebens auch den Dichtern wieder mancherlei Chancen bieten [. . .] und vor Allem jene nicht uniformirte, frischkrftige Selbststndigkeit der germanischen Volksstmme fçrdern, welche zur Eigenthmlichkeit ihres Volksgeistes gehçrt.“ R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hlfte des neunzehnten Jahrhunderts II, Breslau 21861, S. 277. 416, 1 sddeutsche Schulen der Poesie: Die Schwbische Schule mit L. Uhland, J. Kerner, K. Mayer, G. Schwab. – Die Krokodile, seit den 50er Jahren des 19. Jh.s bestehender loser Zusammenschluß von Dichtern in Mnchen um P. Heyse und E. Geibel, der die erste Publikation dieses Kreises herausgab: Ein Mnchner Dichterbuch (1862). 416, 5–11 Htte bis Deutschland: A. Drer reiste 1520 fr ein Jahr in die Niederlande. Einer seiner Grnde war, nach dem Tod Kaiser Maximilians eine Begegnung mit Karl V., dem neuen Herrscher, zu erreichen und seine Geldangelegenheiten zu klren. Auf dieser Reise sah er den mexikanischen Goldschatz (vgl. Dickens 410, 29 – 411, 10 und Anm.). Seine Kunst fand viel Anerkennung, die ihr aber auch in der Heimat zuteil wurde. H. Holbein d. J. nahm 1526 seinen Weg ber Antwerpen nach England, wo er spter lebte. 416, 25–28 Und Schiller bis Kunsttheorien: Goethe, zu dessen çffentlichen Aufgaben die Theaterleitung gehçrte, arbeitete seit 1798 mit Schiller zusammen an der Regie der Weimarer Auffhrungen.
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416, 28–34 Dann bis mußte: D. bezieht sich auf die im Gesprch ber die Poesie von F. Schlegel enthaltene Rede ber die Mythologie (vgl. Anm. No 220, 18–19) und vermutlich auf die letzte von August Wilhelm Schlegel’s Vorlesungen ber dramatische Kunst und Litteratur (1808), 2 Bde, hrsg. von E. Bçcking, Leipzig 31846. „[. . .] daß wir Deutsche, wenn wir die Lehren der Geschichte nicht beßer bedenken als bisher, in Gefahr sind, wir, ehedem das erste und glorwrdigste Volk Europas, dessen frei gewhlter Frst ohne Widerspruch fr das Oberhaupt der gesammten Christenheit anerkannt ward, ganz aus der Reihe der selbstndigen Vçlker zu verschwinden.“ Ebd. II, 433. Vgl. auch Die Christenheit oder Europa, Novalis 218, 13 – 220, 12. 416, 36 Epigonen: Von D. unterschiedlich gebraucht: abgelehnt fr die eigene Gegenwart (1866), Ges. Schr. XI, 195; angewendet auf Immermann, Laube, Heine (1876), Ges. Schr. XV, 212. Mit der Klassifizierung der Romantiker ist D. H. Hettner nahe, der sie als „Epigonen der Sturm- und Drangperiode“ bezeichnet. Die romantische Schule (wie Anm. No 200, 8–9), S. 47. Mit der Wendung Epigonen Goethes kçnnte sich D. besonders auf die Rezeption des Wilhelm Meister beziehen, vgl. Novalis 233, 23 – 237, 10. 416, 36–38 So konnte bis Drama: Zu den D. vertrauten religiçsen romantischen Dramen gehçrt: Leben und Tod der heiligen Genoveva (1800) von L. Tieck; vgl. Novalis 240, 3 und Anm. – Die Folge der Schicksalsdramen erçffnete Der vierundzwanzigste Februar (aufgefhrt 1809, v 1815) von Z. Werner, den J. Schmidt „als Reprsentanten einer falschen dramatischen Richtung“ scharf kritisiert. Grenzboten X, 2 (1851) 441. 416, 38 – 417, 6 Und so bis errathen: Gemeint ist H. von Kleist, der am 21. November 1811 am Wannsee bei Berlin Selbstmord beging. Vgl. JD 118 f., 181; B Scholz 453 f.; Novalis 239, 27–28; Lessing 64, 32–35; Alfieri 286, 31 – 287, 4 und Anm. 417, 7–8 Einheit bis Volkslebens: Vgl. Freytags Begriff der „Volksseele“, von D. betont aufgenommen in seiner Rezension (1862, anonym) von Freytag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit (dritte Auflage 1861 und Neue Bilder 1862), Ges. Schr. XI, 62; gebraucht fr die Charakterisierung der Poesie L. Uhlands (1871), Ges. Schr. XV, 163; erlutert in Studium 62 f. Anm. 417, 18–21 Das hat bis steuern zu kçnnen: Ablehnung der Regeln z. B. in Goethes Rede Zum Schkespears Tag (1771). 417, 23–32 „Den englischen bis solle.“: D. zitiert leicht verndernd aus Lessings Dramaturgie, 101.–104. St. „Den englischen Stcken fehlten zu augenscheinlich gewisse Regeln, mit welchen uns die Franzçsischen so bekannt gemacht hatten. Was schloß man daraus? Dieses: daß sich auch ohne diese Regeln der Zweck der Tragçdie erreichen lasse; ja daß diese Regeln wohl gar Schuld seyn kçnnten, wenn man ihn weniger erreiche. / Und das htte noch hingehen mçgen! – Aber mit d i e s e n Regeln fing man an, a l l e Regeln zu vermengen, und es berhaupt fr Pedanterey zu erklren, dem Genie vorzuschreiben, was es thun, und was es nicht thun msse. Kurz, wir waren auf dem Punkte, uns alle Erfahrungen der vergangnen Zeit muthwillig zu verscherzen; und von den Dichtern lieber zu verlangen, daß jeder die Kunst aufs neue fr sich erfinden solle.“ LLa VII, 454. 417, 37 – 418, 8 „Der Dichter bis erscheint.“: Statt der Bearbeitung herabzusehen (Z. 38–39): „der Arbeit hinabzusehen“. Statt Effekte (Z. 40): „Effecte“. Nach fester (Z. 40) und sichere (Z. 418, 3) kein Komma. Statt Gerade (Z. 2): „Grade“. Statt der Wahl (Z. 4): „in Wahl“. Statt
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Vorbedingungen (Z. 6): „Vorbedingung“. Statt Productivitt (Z. 6–7): „Produktivitt“. Technik, Einleitung 2. 418, 9–10 Vielleicht bis fallen ließ: Vgl. die entsprechende Wendung D.s in Lessing 59, 8–9. 418, 11 Theorie der Handlung: Lessing geht von der Definition der Tragçdie als Nachahmung einer geschlossenen Handlung aus, wie sie Aristoteles Poetik 6 zusammenfassend formuliert. Vgl. Lessing 74, 9–40. 418, 11–12 drei Dramen: Minna von Barnhelm (1767), Emilia Galotti (1772), Nathan der Weise (1779). 418, 13–17 Die bis wre: Der Austausch zwischen Schiller und Goethe ber die Gesetze des Epos und Dramas fand 1797 statt. Ueber epische und dramatische Dichtung von Goethe und Schiller, verçffentlicht 1827 von Goethe. hnlich D. lastete ein anonymer Rezensent zeitgençssischer Dramen die „Verwilderung“ der Theater (vgl. D.s Sprachgebrauch Freytag 414, 37–38 und 429, 27) auch Schiller und Goethe an, deren „ideale Kunstform [. . .] nicht aus der innern Natur des deutschen Geistes hervorging [. . .].“ Grenzboten XV, 1 (1856) 449. Vgl. das vernderte Urteil D.s Bausteine 112–114. 418, 17–18 Hierin bis liege: Freytags bewußter Rckgriff auf Aristoteles: Technik, Einleitung 4. 418, 24–28 Als bis ableiten lasse: Vermutlich Anspielung auf Lessings Behauptung im 101.–104. St. der Dramaturgie, ein Drama besser als Corneille machen zu kçnnen: „Ich werde es zuverlßig besser machen; – und mir doch wenig darauf einbilden drfen. Ich werde nichts gethan haben, als was jeder thun kann, – der so fest an den Aristoteles glaubet, wie ich.“ LLa VII, 455. 418, 32 Studien ber die Aristotelische Theorie: J. Bernays’ These zur Interpretation des aristotelischen Begriffs der Katharsis (vgl. unten Anm. 424, 3–7) fhrte zu auffallend vielen Schriften ber die Poetik des Aristoteles. Die ersten (von A. Stahr und L. Spengel) wurden mit Bernays’ Schrift von F. Ueberweg besprochen: Zeitschrift fr Philosophie und philsophische Kritik, hrsg. von I. H. Fichte u. a., NF 36 (1860), S. 260–291. 419, 2–5 Wenn bis selber: Freytag beginnt sein Buch mit dem Kapitel: Die dramatische Handlung. Technik 7–90. 419, 5–12 Es bis gestaltete: Zu Schiller als dem Begrnder des historischen Dramas vgl. Archive R 2; Abhandlung (1895) 297–302; Schiller, bes. 181–183 (Wallenstein). 419, 14–16 Aber Freytag bis Drama: „Daß die Technik des Dramas nichts Feststehendes, Unvernderliches sei, bedarf kaum der Erwhnung.“ Technik 1; zu Shakespeare ebd. 159–165, zu Schiller 173–178. 419, 18–20 Kaiser-Tragçdien bis vertheidigen: Wahrscheinlich die in acht Bnden innerhalb der Werke erschienene Serie: Die Hohenstaufen, ein Cyclus historischer Dramen (1837–1843) von E. Raupach, der in bewußter Ablehnung aristotelischer Regeln dialogisierte Geschichte bot und diese Art des historischen Dramas als nationales Bildungsmittel verstand. Vgl. Technik 22.
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419, 21 von den zweiten Berliner Bhnen: D. h. von allen Privattheatern, die Kçniglichen Bhnen (Oper, Schauspielhaus) ausgenommen, deren Generalintendantur das Repertoire der zugelassenen kleinen Bhnen bis zur Einfhrung der Gewerbefreiheit 1869 kontrollierte. 419, 22 vaterlndischen Stcken: Als vaterlndisch galt L. Uhlands Drama Ernst, Herzog von Schwaben (1818); D. zeitlich nher z. B. die 1859/60 vom Friedrich-Wilhelmstdtischen Theater herausgebrachten Lustspiele: Vor Roßbach von A. Ellmenreich; Wie geht's dem Kçnige? von A. Mller. 419, 23–35 Es bis Drama: Technik 36. Freytag sah in den Rçmerdramen Shakespeares die berwindung des Dramentyps, der Geschichte erzhlt und einem gewissen Informationsbedrfnis dient. 420, 13–16 Hier bis T h e o r i e : „Was ich Ihnen darbiete, soll kein sthetisches Handbuch sein, ja es soll vermeiden, das zu behandeln, was man Philosophie der Kunst nennt.“ Technik, Widmung [II]. 420, 19–21 „zumeist bis berliefern“: Wçrtlich: „Zumeist solche Erfahrungen wnschte ich aufzuzeichnen, wie sie der Schaffende whrend der Arbeit und auf der Bhne erwirbt, oft mit Mhe, auf Umwegen, spt fr beglckenden Erfolg. [. . .] Die folgenden Bltter suchen also zunchst einen praktischen Nutzen, sie berliefern jngern Kunstgenossen einige Handwerksregeln in anspruchsloser Form.“ Technik ebd. 420, 27–33 „dramatisch bis Gemth.“: „D r a m a t i s c h sind diejenigen starken Seelenbewegungen, welche sich bis zum Willen und zum Thun verhrten, und diejenigen Seelenbewegungen, welche durch ein Thun aufgeregt werden; also die innern Prozesse, welche der Mensch vom Aufleuchten einer Empfindung bis zu leidenschaftlichem Begehren und Handeln durchmacht, sowie die Einwirkungen, welche eigenes und fremdes Handeln in der Seele hervorbringt; also das Ausstrçmen der Willenskraft aus dem tiefen Gemth nach der Außenwelt und das Einstrçmen bestimmender Einflsse aus der Außenwelt in das Innere des Gemths; also das W e r d e n einer Aktion und ihre F o l g e n auf das Gemth.“ Technik 16. 421, 2–7 Und bis entwickelt: Technik 20 f. Zur Abhngigkeit der poetischen Gattungen von einer bestimmten Entwicklungsstufe vgl. Hegel: „Das Drama ist das Produkt eines schon in sich ausgebildeten nationalen Lebens.“ Aesthetik, Hegel W X, 3. S. 481. 421, 8–11 G r u n d g e s e t z e bis Steigerung: Technik 73. Als von Freytag entwickelt, erwhnt sie D. in Bausteine 197. 421, 9 drei aristotelische: Vgl. Aristoteles, Poetik 7–9. 421, 12–15 „Die dramatische Handlung bis Wirkungen“: Bei Freytag das vierte der „Gesetze der dramatischen Handlung“: „Sie muß alles fr das Verstndniß Wichtige in starker Bewegung der Charaktere, in fortlaufender Steigerung der Wirkungen darstellen.“ Technik 73. 421, 29–37 Es sei bis werde: Wçrtlich: „Da der Dichter seine Handlung frei zur Einheit fgt und diese Einheit dadurch hervorbringt, daß er die Einzelheiten der dargestellten Begebenheiten in vernnftigen innern Zusammenhang setzt, so ist allerdings klar, daß sich auch die Vorstellungen des Dichters von menschlicher Freiheit und Abhngigkeit, sein Verstndniß des großen Weltzusammenhanges, seine Ansicht ber Vorsehung und Schicksal in einer poetischen Erfindung ausdrcken ms-
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sen, welche Thun und Leiden eines bedeutenden Menschen in großen Verhltnissen aus dem Innern desselben herleitet. Es ist ferner deutlich, daß dem Dichter obliegt, diesen Kampf zu einem Schluß zu fhren, welcher die Humanitt und Vernunft der Hçrer nicht verletzt, sondern befriedigt. Und daß es fr die gute Wirkung seines Dramas durchaus nicht gleichgltig ist, ob er sich bei Herleitung der Schuld aus dem Innern des Helden und bei Herleitung der Vergeltung aus dem Zwange der Handlung als ein Mann von gutem Urtheil und richtiger Empfindung bewhrt. Aber ebenso deutlich ist, daß Empfindung und Urtheil der Dichter in den verschiedenen Jahrhunderten verschieden, und in den einzelnen Dichtern verschieden nancirt sein werden.“ Das in D.s Text folgende Zitat schließt unmittelbar an. Technik 74 f. 421, 37 – 422, 13 „Offenbar bis nicht.“: Nach Scene (422, 3) Absatz. Sperrungen (Z. 5) von D. Statt Manne (Z. 7): „Mann“. Statt Charactere (Z. 8): „Charaktere“. Nach Worte (Z. 9); Erhebung (Z. 9): Most (Z. 10) Komma. Statt Anderen (Z. 10): „Andern“. Statt stark bewegter (Z. 11): „starkbewegter“. Technik 75. 422, 13–16 Goldene bis gestçrt haben: Schiller begann die Arbeit an der Tragçdie Die Braut von Messina im Sptsommer 1802 und schloß sie am 1. Februar 1803 ab. Die dem Drama vorausgehende Abhandlung Ueber den Gebrauch des Chors in der Tragçdie entstand dagegen erst im Mai/Juni 1803 – zur Verdeutlichung fr die Leser, ohne Einfluß auf den Schaffensprozeß. 422, 25 Calderon: Auf P. Calder n de la Barca haben Lessing und Herder hingewiesen, bekannter wurde er zu Beginn des 19. Jh.s durch die bersetzungen A. W. Schlegels. Vgl. Anm. Sh 7, 7–8. 422, 29–30 aus bis Wirkungen“: D. zitiert aus Freytags viertem Gesetz. Vgl. oben Anm. 421, 12–15. 422, 39 Plan des Prometheus: Fragment gebliebenes Drama, wahrscheinlich 1773 entstanden, von Goethe 1830 verçffentlicht. 422, 39–40 in der bis Faust-Fragments: Da die Abschrift des sog. Urfaust erst 1887 entdeckt wurde, ist hier wohl die dem Fragment (1790) folgende Verçffentlichung gemeint: Faust, I. Teil (1808). 423, 4 Iphigenia: 1779 entstand die erste Prosafassung der Iphigenie auf Tauris, vor Goethes Italienreise eine erste Versfassung und eine zweite Prosafassung; in Italien die zweite Versfassung. 423, 4 Tasso: Von einer unvollendeten Prosafassung des Torquato Tasso von 1780/81, also vor der italienischen Reise, ist nichts erhalten. 423, 5–9 Und bis darzustellen: Gemeint ist: Faust, der Tragçdie zweiter Teil, Goethes Bestimmung gemß nach seinem Tode publiziert. 423, 27–29 Vielleicht bis Drama: Zu Ausdrucksmçglichkeit in Tragçdie und Musik vgl. Ges. Schr. XXVI, 281, 28–36 (Hçlderlin 1910); zur Wirkung von Musik auf den Schriftsteller Anm. Al 286, 31 – 287, 4. 423, 28–29 Ausdruck: Auch 427, 6; unterscheidet sich hier zwar vom sonst im Sinne einer Formulierung, einer ußerung gebrauchten Wort, wird aber erst im Zusammenhang mit Erleben und
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Verstehen in den spten Schriften zum festen Begriff D.s. Vgl. Ges. Schr. V, 319; bes. VII, 191–251. 423, 29–35 Und bis erflle: Aristoteles erklrt die Freude an der Darstellung von Dingen, die in der Wirklichkeit nicht gern gesehen werden, als Freude an der Nachahmung. Poetik 4. Freytag spricht von der „Aufregung der produktiven Krfte“ im „nachschaffenden Hçrer“. Technik 82. 423, 35–40 Der bis zurck: Beobachtung der kathartischen Wirkung von Musik und Drama bei Aristoteles in Politik VIII, 7 (vgl. oben Anm. 413, 5–7) und Poetik 6. 424, 3–7 Freytag bis reducirt: Freytag verweist (Technik 76, Anm.) im Abschnitt Was ist tragisch? mit bewundernder Anerkennung auf die „Hlfe“ der Schrift von J. Bernays, Grundzge der verlorenen Abhandlung des Aristoteles ber Wirkung der Tragçdie, Breslau 1857. Im Anschluß an Lessings Deutung der aristotelischen Tragçdiendefinition und Goethes Zweifel an der moralischen Wirkung von Kunst, ausgehend vom achten Buch der Politik des Aristoteles (vgl. oben Anm. 413, 5–7), erklrt Bernays die Katharsis der Tragçdie nicht als ethischen Begriff (Freytag 423, 40), sondern als medizinischpsychischen. 424, 7 Katharse: Von Katharsis, Reinigung jeder Art, besonders im religiçsen und medizinischen Bereich; bei Aristoteles die Wirkung der Musik und der Tragçdie. Die im achten Buch der Politik (vgl. oben Anm. 423, 35–40) angekndigte nhere Erluterung der speziellen Wortbedeutung fehlt in der Poetik. Das von D. mit merklich pejorativem Unterton gebrauchte Wort Katharse ist als medizinischer Terminus nicht nachweisbar, (vielleicht von ihm selber zur Abgrenzung gebildet in Analogie etwa zu Synthesis/Synthese). Katharsis, dagegen ist, von der Literaturwissenschaft abgesehen, heute in der Psychoanalyse blich; das Dictionnaire de la Psychanalyse (Roudinesco/Plon 1997, dt. 2004) beruft sich auf J. Bernays. 424, 10–22 Einige bis entnimmt: Ueberweg (vgl. oben Anm. 418, 32) beurteilt die These von Bernays abwgend. D. folgt in der Hauptrichtung ihrer Zurckweisung von L. Spengel in der großen Gegendarstellung: Ueber die KAHARSIS TWN PAHVMATWN, ein Beitrag zur Poetik des Aristoteles. Gelesen den 8. Mai 1858. Abhandlungen der Philosoph.-Philologischen Classe der Kçniglich Bayerischen Akademie der Wissenschaften IX (1859). Denkschriften XXXVI (1863). Spengel zieht zur Interpretation des Begriffs Katharsis mehrfach Platon heran, auf den auch D. verweist (Freytag 424, 14–18). 424, 17 des aristotelischen: Korr. aus: der aristotelischen. 424, 27–29 Eine Annahme bis widerlegt: Aristoteles fhrt folgende Werke der drei Tragiker an: Prometheus von Aischylos; Kçnig dipus, Antigone von Sophokles; Medea, Iphigenie bei den Taurern von Euripides – keins im Zusammenhang mit dem Begriff Katharsis. Herder bespricht in der von D. erwhnten Schrift (wie unten Anm. 438, 29–32), S. 206–228 Werke des Aischylos und des Sophokles, um den strittigen Begriff zu verdeutlichen; seiner Ansicht nach wirke die Tragçdie wie „Shngesnge“. Ebd S. 218. 424, 29–31 Daß bis anerkannt: Freytag zu Katharsis als einem „Kunstausdruck“ des Aristoteles: „Diese besonderen Wirkungen, welche der scharfsinnige Beobachter an seinen Zeitgenossen wahrnahm, sind nicht mehr ganz dieselben, welche die Auffhrung eines großen dramatischen Kunstwerks
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auf unser Publikum ausbt, aber sie sind ihnen nahe verwandt, und es lohnt, den Unterschied zu beachten.“ Technik 77. 424, 32 jene neuplatonischen Stellen: Bernays beruft sich auf Texte der Neuplatoniker Porphyrios und Proklos, und zwar auf die Beantwortung der Fragen des Porphyrios durch Abammon/Jamblichos und auf die Vorlesungen ber Platons Politeia von Proklos – Schriften, die ergnzende Passagen zur Poetik des Aristoteles enthalten oder zumindest die Vertrautheit mit einer vollstndigeren Poetik des Aristoteles bezeugen. 424, 33–39 Von der bis Gewçhnung: Frhe Erwhnung der Reproductionen von Vorstellungen, die D. im Zusammenhang mit dichterischer Phantasie beschftigten. Vgl. Dickens 370, 38 – 371, 27 und 408, 6 – 410, 28; E Goethe 137, 11 – 139, 20. 425, 6–12 Dieser Ansicht bis Ideen: Vgl. zu D.s Darstellung: „Dieser Zustand [„der sthetischen Betrachtungsweise“] ist aber eben der, welchen ich oben beschrieb als erforderlich zur Erkenntniß der Idee, als reine Kontemplation, Aufgehen in der Anschauung, Verlieren ins Objekt, Vergessen aller Individualitt, Aufhebung der dem Satz vom Grunde folgenden und nur Relationen fassenden Erkenntnißweise, wobei zugleich und unzertrennlich das angeschaute einzelne Ding zur Idee seiner Gattung, das erkennende Individuum zum reinen Subjekt des willenlosen Erkennens sich erhebt, und nun Beide als solche nicht mehr im Strome der Zeit und aller anderen Relationen stehen.“ Schopenhauer Welt I, § 38, S. 231 f. 425, 20 eigenthmlichen AperÅu: Gemeint sein kçnnte: „Jedes Kunstwerk ist demgemß eigentlich bemht, uns das Leben und die Dinge so zu zeigen, wie sie in Wahrheit sind, aber, durch den Nebel objektiver und subjektiver Zuflligkeiten hindurch, nicht von Jedem unmittelbar erfaßt werden kçnnen. Diesen Nebel nimmt die Kunst hinweg.“ Ueber das innere Wesen der Kunst. Schopenhauer Welt II, Kap. 34, S. 462. 425, 32 Zu sagen: Parallelkonstruktion zu Freytag 425, 27: Es liegt nahe zu sagen. 426, 17 – 427, 32 Man bis Dramen: D. erklrt die von einem strengen Bau abweichenden Dramen Shakespeares mit Hilfe von Shaftesburys Begriff der „inward form“ (vgl. Anm. Le 62, 28). Mit der Rechtfertigung dieser Dramenform steht er in einer gewissen Tradition. F. Schlegel ber Hamlet: „Im Hamlet entwickeln sich alle einzelnen Theile gleichsam nothwendig aus einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt, und wirken wiederum auf ihn zurck. Nichts ist fremd, berflssig, oder zufllig in diesem Meisterstck des knstlerischen Tiefsinns.“ Friedrich Schlegel’s smmtliche Werke V, Wien 1823, S. 64 (Ueber das Studium der griechischen Poesie). A. W. Schlegel zu Lear, ausgehend vom Tadel an der Vermengung verschiedener Geschichten: „Allein Einheit ist immer da, wenn alles Eingeflochtne zur Verwicklung und Auflçsung beitrgt. Und mit welcher sinnreichen Kunst greifen die beiden Haupttheile der Composition in einander!“ Vorlesungen (wie oben Anm. 416, 28–34) II, S. 261. 426, 37–38 Verschiedenheit der inneren Form: Zu diesem Begriff: Freytag 427, 29; 428, 3; 428, 35; 436, 39; Anm. Ph 258, 34 – 259, 13. 427, 3–5 Denn was bis kann: Freytags Kritik betrifft außer Lear und Hamlet auch andere Dramen Shakespeares; bezieht sich auf berflssige Szenen, die er fr zeitbedingte Zugestndnisse an die Zuschauer hlt. Technik 160–165.
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427, 32–34 Daß bis offenbar: „Sprechen wir im Allgemeinen vom Handeln, so hegt man gewçhnlich die Vorstellung, als sey dasselbe von der unberechenbarsten Mannigfaltigkeit. Fr die Kunst jedoch bleibt der Kreis der fr ihre Darstellung gemßen Handlungen im Ganzen begrenzt. Denn sie hat nur den durch die Idee nothwendigen Kreis des Handelns zu durchschreiten.“ Aesthetik, Hegel W X, 1. S. 281. 427, 38 – 428, 3 Schon bis kçnnte: D. denkt an folgende Stelle im Aufsatz Herders ber Shakespeare: „Alles im Spiel! zu Einem Ganzen sich fortwickelnd – zu einem V a t e r- und K i n d e r- K ç n i g s - und N a r r e n - und B e t t l e r - und E l e n d -G a n z e n zusammen geordnet, wo doch berall bey den Disparatsten Scenen Seele der Begebenheit athmet, wo Oerter, Zeiten, Umstnde, selbst mçchte ich sagen, die heidnische S c h i c k s a l s - u n d S t e r n e n p h i l o s o p h i e , die durchweg herrschet, so zu diesem Ganzen gehçren, daß ich Nichts verndern, versetzen, aus andern Stcken hieher oder hieraus in andre Stcke bringen kçnnte. Und das wre kein Drama? Shakespear kein dramatischer Dichter?“ (wie unten Anm. 438, 15–16), S. 95 f.; und: „Htte ich doch Worte dazu, um die einzelne Hauptempfindung, die also jedes Stck beherrscht, und wie eine Weltseele durchstrçmt, zu bemerken.“ Ebd. S. 101. Vgl. Lessing: „Auf die geringste von seinen Schçnheiten ist ein Stmpel gedruckt, welcher gleich der ganzen Welt zuruft: ich bin Shakespears!“ Dramaturgie, 73. St. LLa VII, 329. 428, 17–18 Wenn bis Bundesgenossen: Goethe kritisiert Shakespeare als „Theaterdichter“ in: Shakespeare und kein Ende, Teil III (1826). Schiller nimmt seine Kritik am Nebeneinander unterschiedlicher Szenen allerdings zurck. Vgl. Ueber naive und sentimentalische Dichtung (1795/96). Schi W XVIII, 237 f. 428, 18–25 Zu bis taugen.“: Sulpiz Boissere, 2 Bde, hrsg. von M. Boissere, Stuttgart 1862. Eintragung Anfang August 1815. Nach Gliederung (Z. 22) kein Komma. Nach hat (Z. 25) Komma. Ebd. I, 262. 428, 27–31 „Ja, bis d r a m a t i s c h .“: Ebd. I, 282. Eintragung unter dem 21. [September 1815]. „Ja, in Allem, auch in ihrem Theater; nehmen wir Calderon, Shakespeare dagegen; diesem Letztern fehlt die Einheit; er war von seiner Zeit abhngig, so gut wie Jeder, die Schlegel mçgen sagen was sie wollen. Shakespeare ist mehr episch und philosophisch als dramatisch.“ Sperrungen von D. Vgl. D.s Aufstze (1863) anlßlich der Tagebcher Boisseres. Ges. Schr. XVI, 293–311. 430, 4–16 Es hat bis entledigt: Kritik an Hegel, die bereits vor Hegels Tod einsetzt, nimmt um 1840 zu. Vgl. unter den Junghegelianern z. B. L. Feuerbach, Zur Kritik der Hegel’schen Philosophie (1839); D.s Lehrer A. Trendelenburg, Die logische Frage in Hegel’s System (1843); D.s Tagebuchnotiz (Mrz 1859) zu Hegels in gradlinig fortschreitender Dreiheit der Momente sich vollziehenden Dialektik. [. . . ] Diese vernnftige Gestaltung der Welt erwies sich als Illusion in Natur und Geschichte. JD 82; dazu Einleitung 104 f.; dagegen D.s Anerkennung der Leistung Hegels fr den Fortschritt der historischen Wissenschaften in: Ferdinand Christian Baur (1865). Ges. Schr. IV, 423; auch Freytag 430, 28–32. 430, 18 Naturgeschichte der geistigen Welt: Vgl. J. Schmidts Wendung von der „Naturgeschichte des Geistes“ im abschließenden Kapitel seiner Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod III, Leipzig 51867, S. 532. 430, 18–27 Wie sich bis derselbe geblieben: Zu Symmetrie und dem Zusammenhange der Welt
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(Z. 20–21) und zu Glaube an die symmetrische Schçnheit (Z. 26) vgl. Keplers, Newtons und Leibniz’ Vorstellung von einer den Kosmos durchwaltenden Harmonie; vgl. Schiller 171, 32–37 und Anm., dazu Einleitung 362–365; sthetik 248–251; Ges. Schr. III, 65 f. 430, 20 Induction: Vgl. Anm. Thema 5, 24–27. 430, 28 diese beiden Epochen: Zur spteren Einordnung Hegels in die Epochen der sthetik vgl. sthetik 268 f. 430, 31–38 Die Aesthetik bis wird: Aesthetik, Hegel W X, 1–3 (1835–1838). F. Th. Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schçnen, 3 Tle (1846–1858). 430, 33 der inneren Structur der Kunstformen: Im Unterschied zur Wendung von der inneren Structur der Kunstformen der eindeutig auf den Bau des Dramas bezogene Gebrauch des Wortes: Freytag 432, 26; 432, 31; 433, 31 – so auch bei Freytag. Technik 100. D. bernimmt den Begriff, Bonnet zitierend, fr die Struktur der Sinne, Lessing 120, 30. bertragen auf weitere Bereiche: Structur der europischen Geistesgeschichte, E Goethe 129, 7. Ein dauernder Zweckzusammenhang aber bringt [. . .] eine Struktur hervor [. . .]. Einleitung 71, 75. S t r u k t u r des Seelenlebens, Bausteine 167. Ich gehe von der Struktur des Seelenlebens [. . .] aus. B Yorck 90. Das Kap. Die Struktur des Seelenlebens, Ideen 200–213. Der Abschnitt: Seelische Struktur, Jean Paul 333–336. Vgl. den Begriff in Ges. Schr. VII, 3–69; VIII, 82–84. 431, 11 – 435, 31 Wir bis entworfen hat: Wie von D. angegeben, berwiegend referierende Passage mit kleinen Umstellungen der fast wçrtlichen Textbernahme aus Freytags zweitem Kapitel: Der Bau des Dramas. Zu einer gewissen Orientierung werden die Seitenzahlen fr einzelne Abschnitte angegeben. Sperrungen bis 432, 18 stammen von D., die weiteren bis 435, 29 bernimmt D. von Freytag. 431, 15–22 Aus bis ermçglichen: Vgl. Technik 91 f. 431, 22–33 Diese bis Gegenspiel zu: Vgl. Technik 92 f. 431, 33–36 Oder bis Helden: Vgl. Technik 93 f. 431, 38 – 432, 1 Obwohl bis an: Zur Peripetie bei Aristoteles, Poetik 10 und 11. Hinweis auf Freytags Beobachtung in Bausteine 222 f. 432, 4–7 Was bis angehçren: Freytags Urteil: Technik 94. 432, 7–11 Es bis fortbewegt: Vgl. Technik 96. 432, 12–27 Indem bis Gestaltung: Vgl. Technik 100 f. 432, 12–13 Hçhenpunkte: D. bernimmt hier Freytags Wortgebrauch. Technik 100 u. ç. 432, 28–34 Es bis aufstellt: Solche Figuren finden sich Technik 100 und 177. 432, 31 so wie: Korr. aus sowie. 433, 9 – 435, 29 Von bis Sinn: D. folgt, Freytags Hervorhebungen bernehmend, in großen Zgen dem zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels: Fnf Theile und drei Stellen des Dramas. Vgl. Technik 101–120. 435, 33–35 Es bis nachweist: Hinweis auf Freytags dritten Abschnitt des zweiten Kapitels: Der Bau des Dramas bei Sophokles. Technik 121–156. Vgl. JD 123 f. 435, 38 – 436, 4 Aber bis Wirkung: Zu den Bestandteilen des antiken Dramas vgl. Technik 125.
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Freytag stellt dem Abschnitt: Der Bau des Dramas bei Sophokles (Technik 121–156) den folgenden: Das Drama der Germanen (Technik 157–165) ohne Wertung gegenber. D. ausfhrlich zu dieser Unterscheidung Freytag 438, 9 – 442, 18. 436, 5–18 Noch bis Beweglichkeit: Zur Shakespearebhne Technik 157–159. 436, 18–20 Es ist bis haben: L. Tieck etwa in: Briefe ber W. Shakspeare (wie Anm. No 215, 5–7), S. 75–80 oder in: Shakspeare’s Vorschule I, hrsg. von L. Tieck, Leipzig 1823, Vorrede XII– XIV. 436, 21–23 aber bis zerschneiden: Theatergeschichtlich interessante Anspielung auf den Vorschlag vom 14. Mai 1857 in der Spenerschen Zeitung, mit einem Zwischenaktvorhang den Kulissenwechsel zu verbergen (Das Ei des Columbus in der Theaterwelt) und die diesen Fortschritt bezweifelnden Entgegnungen vom 27. und 31. Mai. – Vielleicht bezieht sich D. aber nur auf Technik 167 oder Freytags dezidierte Ablehnung der tatschlich eingefhrten Neuerung als „Uebelstand“ in den Grenzboten XX, 2 (1861) 227. 436, 24–37 Das bis Drama: Vgl. Technik 166–168. 436, 38 – 437, 1 Und bis Architektur: Vgl. Technik 182. 437, 1–6 „Ein bis folgen.“: Ebd. Statt Seelenprozesse (Z. 2): „Seelenprocesse“. Nach sein (Z.4): Semikolon. Statt auf welchen sie reichlich ausgefhrt schweben (Z. 5): „ auf welchem sie reichlich ausgefhrt schwebt“. Statt folgen.“ (Z. 6): „folgen; denn ist einmal ihr Resultat erreicht, die Spannung gelçst, dann wird jedes unntze Wort zu viel.“ 437, 19–21 Die bis Production: Wissenschaftliche Arbeiten Freytags sind seine Dissertation, De initiis scenicae poesis apud Germanos (1838), die Habilitationsschrift, De Hrosuitha poetria (1839), Beitrge zum Grimmschen Wçrter buch. Bilder aus der deutschen Vergangenheit (1859–1867) vgl. oben Anm. 417, 7–8. 438, 12 Lessings Spuren: Dazu gehçrt außer in der Dramaturgie (vgl. oben Anm. 427, 38 – 428, 3) Lessings berhmte Wrdigung Shakespeares im 17. Literaturbrief vom 16. Februar 1759. LLa VI, 41–43. 438, 13–14 H e r d e r bis mssen: Vgl. D. ber Herder als Begrnder unserer historischen Schule. Bausteine 120 f. 438, 15–16 Als er bis schrieb: J. G. Herder, Shakespear. In: Von Deutscher Art und Kunst. Einige fliegende Bltter. Hamburg 1773, S. 71–113. Keine Angabe von Herausgeber und Verfassern. 438, 16–18 der mit bis schließt: „Glcklich, daß ich noch im Ablaufe der Zeit lebte, wo ich ihn begreifen konnte, und wo du, mein Freund, der du dich bey diesem Lesen erkennest und fhlst, und den ich vor seinem heiligen Bilde mehr als Einmal umarmet, wo du noch den sssen und deiner wrdigen Traum haben kannst, sein Denkmal a u s u n s e r n R i t t e r z e i t e n in unsrer Sprache, unserm so weit abgearteten Vaterlande herzustellen. Ich beneide dir den Traum, und dein edles deutsches Wrken laß nicht nach, bis der Kranz dort oben hange.“ Ebd. S. 112.
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Textgeschichte und Anmerkungen
438, 19–20 „Sophokles’ bis haben.“: „Also Sophokles Drama und Shakespears Drama sind zwey Dinge, die in gewissem Betracht kaum den Namen gemein haben.“ Ebd. S. 76. 438, 21–23 „Die griechische Tragçdie bis Chors.“: „Die griechische Tragçdie entstand gleichsam aus Einem Auftritt, aus den Impromptus des Dithyramben, des mimischen Tanzes, des C h o r s .“ Ebd. 438, 28–29 „Wie bis Bhne.“: D. verndert oder mißversteht Herders Satz, er heißt: „Wie vor einem Meere von Begebenheit, wo Wogen in Wogen rauschen, so tritt vor seine Bhne.“ Ebd. S. 93. 438, 29–32 Spter bis entwickelt: Vgl. Frchte aus den sogenanntgoldenen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts (1801–1803). In: Johann Gottfried von Herder’s smmtliche Werke. Zur schçnen Literatur und Kunst XVII, hrsg von J. G. Mller, Tbingen 1830, Das Drama, S. 206–284. Vgl. oben Anm. 424, 27–29. Ergnzend zu Shakespeare: „Keines deiner Stcke ist dem andern gleich; in jedem haucht ein andrer Welt-, Zeit- und Lebensgeist; das Band der Begebenheiten ward immer anders geschlungen, anders geleitet; und doch ist's allenthalben nur d e i n u n s t e r b l i c h e r G r i f f e l , der von den Tafeln des Verhngnisses uns diese Gemhlde darstellte, und uns e r i n n e r e s A u g e i h n e n a u f s c h l o ß .“ Ebd. S. 251. 438, 33–38 „Whrend bis abzubilden.“: Nach bewahrt (Z. 36): Komma. Statt drngen (Z. 37): „drcken“. Technik 66. 438, 40 – 439, 5 „Aeschylos bis verfolgen!“: Statt gerade soweit, als (439, 1–2): „grade so weit als“. Nach noch (Z. 2) kein Komma. Sperrung (Z. 3) von D. Statt Aegysthos (Z. 4): „Aegisthos“. Statt hinter der Scene verfolgen!“ (Z. 5): „hinter die Scene verfolgen.“ Ebd. 439, 5–9 Offenbar bis Palast“?: Vgl. das zweite Drama der Orestie des Aischylos, Weihgußtrgerinnen, V 871. 439, 10–13 Auch bis u. s. w.“: Der halb zitierte Satz heißt: „Denn dies ist eine der dramatischen Stellen, wo der Zuschauer s e h e n muß, daß sich die Handlung vollendet.“ Das darauf folgende Zitat in D.s Text ist ohne Einschub und entsprechende Kommata zu lesen. Technik 67. 439, 14–17 Aegisth bis hinweggefhrt: D. verdeutlicht die Schlußszene der Elektra wohl wegen seiner mißverstndlichen Lesung des Freytagschen Textes. Vgl. oben Anm. 438, 40 – 439, 5. 439, 19 „Der Todte mordet die Lebenden“: Aischylos, Orestie, Weihgußtrgerinnen, V 886. 439, 19–22 In der bis liegt: Shakespeare, Macbeth, II, 1–3. Dazu Technik 68. 439, 29–32 „Das bis bezeichnet.“: Im Wortlaut: „Das musikalische Element dauerte nicht nur in den Chçren, auch dem Helden steigerte sich auf Hçhenpunkten die rhythmisch bewegte Sprache leicht zum Gesange und die Hçhenpunkte waren hufig durch breit ausgefhrte Pathosscenen bezeichnet.“ Technik 79. 439, 33–38 „Dagegen bis wird.“: Ebd. Statt entbehren (Z. 35): „entbehrten“. Statt Wendung (Z. 36): „Weltordnung“. Freytag 440, 13: Weltordnung.
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439, 39 – 440, 4 „Aus bis kommen.“: Nach Drama (Z. 440, 1): Punkt und Großschreibung. Statt des Drama (440, 1–2): „des Dramas“. Technik 81. 440, 4–11 „Aber bis erkennen.“: Ebd. Nach Befreiungsprozeß (Z. 4–5) und Stelle (Z. 5): Gedankenstrich, ohne Klammerzusatz und entsprechende Anfhrungszeichen. Nach allerdings (Z. 8): „auch“. Statt inneren (Z. 9): „innern“. Sperrung (Z. 10) von D. Statt des Hçrers (Z. 10): „der Hçrer“. 440, 22–23 In der bis darzustellen: Fast vollstndig erhalten sind die drei Dramen der Orestie des Aischylos: Agamemnon, Weihgußtrgerinnen, Eumeniden (458 v. Chr.). 440, 25–27 „d. h. bis erklrt wird.“: Ausfhrlicher zitiert Freytag 439, 33–38, hier ein Teil dem Satz angepaßt. Statt einer (Z. 25): „eine“. Nach und (Z. 26): „der“. 440, 30–32 An bis erkennen: Gemeint ist G. G. Gervinus, Shakespeare, 4 Bde, Leipzig 1849–1850. Gervinus spricht von „Snden“ und „Strafe“ in seiner Interpretation von Richard III. (II, 136); hnlich in der von Hamlet (III, 295 f.). 441, 12–21 Dagegen bis Danaos ab: Hiketiden, Die Schutzflehenden (463? v. Chr.), das einzige erhaltene Drama der Danadentrilogie des Aischylos. Das Zçgern des Kçnigs von Argos, Pelasgos, dem Freytag eine aus dem Charakter motivierte weitere Entwicklung der Trilogie entnimmt (Technik 37), entsteht durch seinen Entschluß, die Entscheidung ber die Aufnahme der mit ihrem Vater Danaos geflchteten Danaden dem Volk zu berlassen. Wegen des Verlusts der anschließenden Dramen bleiben Annahmen ber den weiteren Verlauf in jedem Fall Hypothese. D.s Quellen fr seine Argumentation gegen die Motivirung aus Charakteren stimmen weder in sich noch mit dem Verlauf des Dramas von Aischylos berein: Pausanias berichtet, Danaos habe den Kçnig Gelanor (d. i. Pelasgos bei Aischylos) der Herrschaft beraubt, Apollodor, sie sei Danaos von Gelanor bertragen worden. Vgl. Pausanias, Beschreibung von Griechenland I, bersetzt von J. H. Ch. Schubart, Stuttgart 1857, S. 139. Apollodor’s Mythologische Bibliothek, bersetzt von Ch. G. Moser, Stuttgart 1828, S. 78. 441, 24–29 Freytag bis erblickt: Bezug auf folgende Stelle in Freytags Abschnitt Wahrscheinlichkeit der Handlung: „Wenn die Gçtter auf der Bhne mehr vorstellen sollten, als von der Maschine herab einen Befehl aussprechen, so mußten sie entweder ganz Menschen werden mit allem Schmerz und Zorn, wie Prometheus, oder sie sanken unter den Adel der Menschennatur hinab, ohne daß der Dichter es verhindern konnte, zu starren Abstraktionen in Liebe und Haß, wie Athene im Prolog des Aias.“ Technik 50. 441, 29–31 Wir bis sie“: Im Prolog von Sophokles’ Drama Aias (wohl 442 v. Chr.) zeigt Athene Odysseus den von ihr getuschten Aias, um die Macht der Gçtter zu demonstrieren. Ihre von D. zitierte Mahnung (V 131–133) beschließt den Prolog. 442, 8–9 Gottfried bis ergnzt: Die Beziehung zu Kant liegt in Hermanns Begriff der „sublimitas“, der Erhabenheit. Vgl. I. Kant, Beobachtungen ber das Gefhl des Schçnen und Erhabenen (1764); Kritik der Urtheilskraft (1790), erster Tl., 2. Buch, Analytik des Erhabenen. Kant W IV, z. B. § 52. 442, 10–18 „Nicht bis schreibt.“: Vgl. Aristotelis de arte poetica liber cvm commentariis Godofredi Hermanni, Lipsiae 1802, S. 115: „Non enim per miserationem et terrorem istiusmodi purgatio ani-
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Textgeschichte und Anmerkungen
mi perficitur, sed per sublimitatem, quam quum omnium maxime in tragoediae definitione commemorare Aristoteles deberet, omnium minime tetigit. Hac enim fit, ut et miseratione et metu maiores nos esse sentiamus, nec percelli nos his animi motibus patiamur. Id vero est animi commotiones purgatas habere, tangi iis, nec vinci. Quod si, ut putat Aristoteles, per ipsas illas commotiones hoc efficeretur, etiam fabulae, quas nunc mulierculis et eviratis scribit Ifflandius, homines reddere deberent celsiores.“ 442, 19–23 Die bis entstanden ist: Angelehnt an Freytag: „Die Satyrspiele waren ein ußerliches Mittel, um die Erfrischung hervorzubringen, welche fr uns in den Wirkungen der Tragçdie selbst liegt.“ Technik 81. 442, 27 Sieben gegen Theben: Aischylos, Die Sieben gegen Theben (467 v. Chr.). 442, 35–36 Schon bis Kantate: Aischylos, Perser (472 v. Chr.). Dazu: K. O. Mller, Geschichte der griechischen Literatur II, hrsg. von E. Mller, Breslau 1841, S. 81 f. „Das lteste unter den erhaltenen Werken sind wahrscheinlich die Ol. 76, 4, v. Chr. 472, aufgefhrten P e r s e r , ein in seiner Art ganz einziges Stck, das, wie es dasteht, auf den ersten Anblick mehr wie eine Trauer-Cantate auf das Unglck der Perser als wie ein tragisches Drama erscheint. Doch verndert sich das Urtheil sogleich, wenn man auf die trilogische Composition Rcksicht nimmt, die auch in dem Drama selbst, wie wir es vor uns haben, durchblickt.“ 442, 36–37 Freytag bis stnden: Von „den ltesten Stcken des Aeschylos“ sagt Freytag: „Sie haben eine Schçnheit, Grçße und eine so mchtige dramatische Bewegung, daß sich ihnen weder in unsern Oratorien noch Opern Vieles an die Seite setzen lßt.“ Technik 122. 442, 38 – 443, 2 Nicht bis Handlung: Ebd., eng an Freytags Text angelehnt. 443, 4 Phrynichos: Attischer Tragçdiendichter, um 500 v. Chr., gestaltete in seinen Dramen, von denen kaum etwas erhalten ist, auch Stoffe aus der zeitgençssischen Geschichte. 443, 7–12 Und bis beschftigt: Vgl. Aischylos, Perser, V 681–842. Dareios interpretiert die Niederlage seines Sohnes Xerxes als durch Maßlosigkeit verschuldete Strafe des Zeus. 443, 13 Agathon's Versuch: Agathon, Tragçdiendichter der zweiten Hlfte des 5. Jh.s v. Chr. Seine freien Erfindungen von Aristoteles anerkannt. Poetik 9. 443, 26–27 Geschmack bis geißelte: Zur Verspottung von Richtern und Gerichtsverhandlungen vgl. Aristophanes, Die Wespen (422 v. Chr.). 443, 27–33 Die kunstvolle bis entwickeln: Fast wçrtlich nach Freytag, Technik 124. Schlagverse auch bei Freytag, vielleicht in Analogie zu Schlagreim gebildet; gemeint ist die fr das antike Drama charakteristische Zeilenrede oder Stichomythie. 443, 37 – 444, 3 Freytag bis benutzt: Bei Freytag: „Aber eine zweite Eigenthmlichkeit dieser feststehenden Rollenvertheilung war, daß die Continuitt des Darstellers bei seinen einzelnen Partien durchschien und als etwas Gehçriges und Wirksames auch vom Hçrer empfunden ward. Der Darsteller wurde auf der attischen Bhne zu einer idealen Einheit, welche ihre Rollen zusammenhielt; ber der Illusion, daß verschiedene Menschen sprchen, blieb dem Hçrer die Empfindung, daß sie im
Gustav Freytag: Technik des Drama.
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Grunde ein und derselbe waren. Und diesen Umstand benutzte der Dichter zu besondern dramatischen Wirkungen.“ Technik 131 f. 444, 3–8 Wenn bis zurck: Wçrtlich: „Wenn die Antigone zum Tode abgefhrt war, klang aus den Drohworten des Teiresias an Kreon hinter der vernderten Tonlage dieselbe bewegte Menschenseele heraus, und derselbe Klang, dasselbe geistige Wesen rhrte in den Worten des Exangelos, welcher das traurige Ende der Antigone und des Hmon berichtete, wieder das Gemth der Hçrer. Antigone kehrte, auch als sie zum Tode abgegangen war, immer wieder auf die Bhne zurck.“ Technik 132. 444, 8–10 Ja bis redet: Sophokles, Die Trachinierinnen (409 v. Chr.). Technik 134. Vorausankndigung ist hier die Gegenwart des abwesenden Helden im Gesprch der andern. 444, 17 dramatische Charaktere: Nicht nur das vierte Kapitel, Die Charaktere, sondern auch das vorangehende, Bau der Scenen, wird weitgehend, die folgenden, Vers und Farbe, Der Dichter und sein Werk, werden vollkommen bergangen.
PERSONENREGISTER Das Register umfaßt, ohne Anspruch auf absolute Vollstndigkeit, Personennamen und wenige andere, z. B. mythologische. Alle stammen aus den Texten Diltheys, und zwar aus beiden Hauptteilen und dem Anhang. Werke eines Autors, dem ein Aufsatz gewidmet ist, oder die hufig vorkommen, werden getrennt aufgenommen, allgemeine Bezeichnungen (wie z. B. Tochter) oder literarische Personen (z. B. Cyane) gelegentlich, notiert hinter der Seitenzahl.
Ablard / Abaelard, Petrus (1079–1142) 160, 345 Abel 40 Abel, Jakob Friedrich (1751–1829) 176 sop (6. Jh. v. Chr.) 22 Aeschylos / Aischylos (525/24–456 v. Chr.) 76, 152, 184 (Prometheus), 258, 414, 422, 424, 438, 439, 440, 441, 442, 443 Agathon (2. Hlfte 5. Jh. v. Chr.) 443 Ail(l)y, Pierre d’ (1350–1420) 19, 22 Ainsworth, William Harrison (1805–1882) 396 Albany, Grfin von s. Stolberg-Gedern Albert von Bollstdt, d. i. Albertus Magnus (um 1200–1280) 171 Alberti, Leon Battista (1404–1472) 281 Alexander III. von Mazedonien, der Große (356–323 v. Chr.) 305 Alexander, Markgraf von Ansbach-Bayreuth (1736–1806) 358 Alexander, Natalis / Noel (1639–1724) 95 Alexis, Willibald (1798–1871) 713 Alfieri, Giulia 286 (Lieblingsschwester), sptere Grfin von Cumiana 288, 303 Alfieri, Vittorio (1749–1803) 284–326, 383, 385 – Abell / Abele 310 – Agamemnon / Agamennone 307 – Agide 309, 310 – Alceste seconda 314 – Antigone 306, 307 – Brutus / Bruto I und II 310, 322, 325 – Del principe e delle lettere 304, 310, 311
Della tirannide 302, 311 Don Garcia / Garzia 310 Filippo 306, 319 Kleopatra 299; Cleopatra 300; 305, 306, 308 – Komçdien / Commedie 314 f. – La Congiura de’ Pazzi 310, 322 – Maria Stuarda 310 – Mirra 309, 310 – Miso gallo / Il Misogallo 313 – Orest / Oreste 307 – Ottavia 307 – Panegyrikus / Panegirico di Plinio a Trajano 309 f. – Polinice 306 – Rosmunda 307 – Saul 306, 310, 322 – Sofonisba 309, 310 – Timoleon / Timoleone 307 – Virginia 302, 307, 308 – Vita 312 (Geschichte seines Lebens) Alfonso von Ferrara / Alfonso I. d’Este (1476–1534) 257 Alkos / Alkaios (um 600 v. Chr.) 22 Althaus, Friedrich (1829–1897) 365 Anakreon (Mitte 6. Jh. v. Chr.) 314 Antonin / Antoninus Pius (86–161) 353 Apollodor (2. Jh. v. Chr.) 441 Aquaviva / Acquaviva, Giulio Antonio (?–1481) 265 Archenholz, Johann Wilhelm von (1745–1812) 348, 349 – – – –
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Personenregister
Ariost / Ariosto, Ludovico (1474–1533) 12, 256, 260, 261, 262, 264, 268, 271, 297, 466, 650 Aristophanes (um 445–386 v. Chr.) 295, 314, 443 Aristoteles (384–322 v. Chr.) 34, 54, 70, 71, 74, 75, 76 f., 157, 413, 417, 418, 419, 420, 421, 423, 424, 431, 439 f., 442, 465, 590 Arnim, Achim von (1781–1831) 239, 250, 330 Arnim, Bettina von, geb. Brentano (1785–1859) 236 Augustin, Aurelius (354–430) 207, 277 Baader, Franz Xaver Benedikt (1765–1841) 223 f. Bach, Johann Sebastian (1685–1750) 171 Bacon, Francis, Lord Verulam (1561–1626) 7, 18, 19, 34, 35, 42, 47 (Lordkanzler), 48, 125, 150, 156 f., 174, 281, 283, 295, 706 (prrogative Instanzen) Bacon, Roger (zwischen 1214 und 1220–1292) 47 Balzac, Honor de (1799–1850) 146, 713, 714, 717, 720, 721, 724, 725, 728 Basnage, Jacques (1653–1723) 95 Baumgarten, Alexander Gottlieb (1714–1762) 364 Baumgarten, Siegmund Jacob (1706–1757) 90 Bayle, Pierre (1647–1706) 115, 338 Beatrice (la donna di Dante) 212, 400 Beccaria, Giovanni Battista (1716–1781) 287 Beethoven, Ludwig van (1770–1827) 8, 309 Bjart, Madeleine (1618–1672) 54, 55 Bembo, Pietro (1470–1547) 260 Bentham, Jeremy (1748–1832) 718, 719 Bernays, Jacob (1824–1881) 424 f., 439, 442 Bernhard, der heilige / Bernard de Clairvaux (1090–1153) 277 Bessarion, Basileios (1403–1472) 21 Boccaccio, Giovanni (1313–1375) 12, 21, 24, 27, 261, 263, 264, 279, 297, 466, 650, 724 Bode, Johann Joachim Christoph (1730–1793) 358 Bodenstedt, Friedrich von (1819–1892) 45, 48 Bodin, Jean (1529/30–1596) 3
Bodmer, Johann Jakob (1698–1783) 64, 122 Bçckh, August (1785–1867) 141 Bçhme, Jakob (1575–1624) 223, 237, 242 Bojardo / Boiardo, Matteo Maria (1441?–1494) 260 Boissere, Sulpiz (1783–1854) 428 Bolingbroke, Henry Saint-John (1678–1751) 167 Bonnet, Charles (1720–1793) 114, 119–121 Boscn, Juan (zwischen 1487 und 1492–1542) 270 Botticelli, Sandro (1445–1510) 27 Brandes, Georg / Georg Morris Cohen Brandes (1842–1927) 30 Brentano, Clemens (1778–1842) 330 Bretschneider, Karl Gottlieb (1776–1848) 98 Brink, Bernhard ten (1841–1892) 34 Brion, Friederike (1752–1813) 135 Brooke, Arthur (?–1563) 10 Brougham, Henry Peter (1778–1868) 718 Brown, John (1735–1788) 222, 226 Browne, Hablot (1815–1882) 394 (Zeichner) Bruni, Leonardo (1369–1444) 22 Bruno, Giordano (1548–1600) 10, 19, 174, 177, 319 Brutus / Decimus Iunius Brutus Albinus (um 84–43 v. Chr.) 361 Buckle, Henry Thomas (1821–1862) 387 Blow, Karl Eduard von (1803–1853) 204, 221, 232 Bulwer / Bulwer-Lytton, Edward George (1803–1873) 713, 714 Bunsen, Christian Carl Josias von (1791–1860) 91 Buonaparte, Napoleone / Napoleon I. (1769–1821) 318 Burke, Edmund (1729–1797) 718 Burckhardt, Jacob (1818–1897) 28 Byron, George Gordon Nol (1788–1824) 157, 168, 262, 288, 294, 308, 385, 711, 713, 725 Calder n de la Barca, Pedro (1600–1681) 7, 12, 13, 19, 24, 32, 169, 270, 422, 428, 466 Caluso, Tommaso Valperga von s. Valperga Calvin, Johannes / Jean Cauvin (1509–1564) 278
Personenregister Camoens / Cames, Lus Vaz de (1524–1580) 12, 257, 260, 262 f., 271, 466 Campe, Joachim Heinrich (1746–1818) 508 Canning, George (1770–1827) 717 Caracalla, d. i. Marcus Aurelius Antoninus (186–217) 20 Cardanus, Hieronymus / Cardano, Girolamo (1501–1576) 144, 264 Carl V. / Kaiser Karl V. (1500–1558) 34, 253, 254, 264, 269, 270 Carl August, Herzog, spter Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757–1828) 129 (Herzog) Carlyle, Thomas (1795–1881) 58, 157, 284 (C. flschlich statt Emerson), 390, 402, 405, 710, 717, 719, 727, 729 Cavour, Camillo Benso Graf (1810–1861) 285, 289, 316 Cervantes Saavedra, Miguel de (1547–1616) 7, 12, 152, 199, 255, 257, 260, 261, 263, 264, 265–267, 270, 271, 272, 296, 394 (Sancho Pansa), 407, 466, 469 (Don Quixote), 709, 724 Cesarini, Julian / Giuliano (1398–1444) 21 Chapman, Edward (1824–1880) 388, 397 Charpentier, Johann Friedrich Wilhelm von (1738–1805) 212 (Berghauptmann) Charpentier, Julie von (1776–1811) 212, 249 Chaucer, Geoffrey (um 1343–1400) 12, 17, 21, 24, 466 Cicero, Marcus Tullius (106–43 v. Chr.) 22 Clausewitz, Carl von (1780–1831) 128 Clemens Alexandrinus / Titus Flavius Clemens Alexandrinus (2. Jh. n. Chr.) 494 Cloeter, Johann Gottfried (1741–1822) 349 Col(l)eoni, d. i. Bartolommeo Coleone (1400–1475) 28 Coleridge, Samuel Taylor (1772–1834) 157 Colman, George (1762–1836) 374 Colonna, Vittoria (1490–1547) 365 Comte, Isidore Marie Auguste FranÅois-Xavier (1798–1857) 156, 494 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat Marquis de (1743–1794) 494 Constant de Rebecque, Henri Benjamin (1767–1830) 51 Conti, Antonio (1677–1749) 323 f. Cooper, James Fenimore (1789–1851) 713
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Corneille, Pierre (1606–1684) 12, 13, 24, 54, 55, 59, 254, 281, 305, 466 Correggio, d. i. Antonio Allegri (1489?–1534) 243 Credi, Lorenzo di (1459/60–1537) 27 Credner, Karl August (1797–1857) 96 Cumiana, Giacinto di (Hochzeit mit Giulia Alfieri 1764) 288 Cuniscana s. Cumiana
Dante Alighieri (1265–1321) 13, 17, 27, 127, 177, 205, 212, 268, 279, 297, 310, 316, 319, 326, 400, 464, 465, 468 Danzel, Theodor Wilhelm (1818–1850) 62 f., 68, 505, 506 Day, John (1574–1640?) 43 Defoe, Daniel (1660–1731) 134 (Robinson), 373 Demokrit (460–371 v. Chr.) 35 Descartes, Ren (1596–1650) 13, 18, 19, 24, 54, 174, 466 Dickens, Catherine, geb. Hogarth (1815–1879) 390, 396 (Frau), 400 (Cate) Dickens, Charles (1812–1870) 140, 146, 149 f., 152, 153, 154, 157, 169, 259, 285, 297, 364–412, 705, 706 f., 708–729 – American Notes 403 (Schrift) – Barnaby Rudge 397 f. – David Copperfield 297, 365, 366, 373, 378, 379 f., 381 f., 383 f., 385, 386, 387, 390, 392, 394, 395, 399, 708, 710, 711, 714, 716, 719 – Der Rarittenladen 375, 392 (Nell), 397, 398, 399 (Nelly), 708, 710, 714, 716 – Die Sylvesterglocken 375, 376, 404 f. – Eine Geschichte aus zwei Stdten 729 – Geschfte mit der Firma Dombey und Sohn 376, 399, 405 (Roman), 710, 715 – Harte Zeiten. Fr diese Zeiten 716, 727, 729 – Leben und Abenteuer Martin Chuzzlewits 403 – Leben und Abenteuer Nikolas Nicklebys 375, 382, 387, 391, 392 f. (Ralph), 393 f. (Squeers), 394 (Ralph), 394–396 (Cheeryble), 403, 716 – Little Dorrit 386, 400, 716
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Personenregister
– Londoner Skizzen / Skizzen von Bos 366, 377, 388, 391 – Oliver Twist 391, 392, 396, 715 – Pickwickier / Die nachgelassenen Aufzeichnungen des Pickwick-Klubs 366, 377, 382, 388, 389 f., 391, 392, 396, 398, 716 – Unser gemeinsamer Freund 709, 714, 716, 719, 727 (Lizzie) – The Battle of Life 405 f. (Weihnachtsgeschichte) Dickens, Elizabeth, Mutter von Dickens (1789–1863) 377, 378 f. Dickens, John, Vater (1785–1851) 373, 377, 378 f., 382, 388, 396 (Eltern) Diderot, Denis (1713–1784) 494 Didot, FranÅois-Ambroise, Verleger (1730–1804) 310 Dippel, Johann Konrad (1673–1734) 115 f. Donatello, d. i. Donato di Niccolo di Betto Bardi (1386–1468) 12, 20, 24, 27, 28, 30, 466 Dorothea s. Veit Drer, Albrecht (1471–1528) 12, 29, 281, 416, 466 Dusch, Johann Jakob (1725–1787) 66 Eberhard, Johann August (1739–1809) 81 Eckhart / Meister Eckhart (um 1260–1328) 171 Eckermann, Johann Peter (1792–1854) 146, 154 Eichendorff, Joseph von (1788–1857) 330 Eichhorn, Johann Gottfried (1752–1827) 97 Elisabeth I. von England (1533–1603) 34, 44, 57, 154 (Kçnigin), 155, 253, 257 Elisabeth von Valois, Kçnigin Spaniens (1545–1568) 264 Elliot / Eliot, George, d. i. Mary Ann Evans (1819–1880) 714 El(l)menreich, Albert (1816–1905) 419 (vaterlndische Stcke) Emerson, Ralph Waldo (1803–1882) 284 (flschlich Carlyle genannt) Emiliani-Giudici, Paolo (1812–1872) 323 Engel, Johann Jakob (1741–1802) 66 Epiktet (um 50–135) 353 Erasmus von Rotterdam (1466/1469–1536) 276, 346 Ercilla y ZfflÇiga, Alonso de (1533–1594) 262, 271
Essex, Walter Devreux 1st earl of (1541–1576) 16 Este, Haus der 262 Euripides (um 480–406 v. Chr.) 3, 50, 76, 152, 258, 295, 305, 314, 323, 325, 422
Fechner, Gustav Theodor (1801–1887) 136, 138, 409 Fnelon, FranÅois de Salignac de la Mothe(1651–1715) 134 (Telemach) Ferdinand II., deutscher Kaiser (1578–1637) 186 (Kaiser), 187, 193 f., 195 Ferdinand III., Sohn von Ferdinand II. (1608–1657) 187, 188 (Infant) Ferguson, Adam (1723–1816) 176 Feuerbach, Ludwig (1804–1872) 227 Fichte, Johann Gottlieb (1762–1814) 70, 71, 80, 200, 213, 214, 216, 221, 222, 224, 225, 227, 229, 240, 242, 295, 339, 341, 361, 590 Fielding, Henry (1707–1754) 157, 373 (Tom Jones), 684 Fischer, Kuno (1824–1907) 505 Florio, Giovanni / John (1553–1625) 155 Fçrster, Ernst (1800–1885) 468 Fontenelle, Bernard Le Bovier de (1657–1757) 508 Forster, John (1812–1876) 150, 365, 366, 374, 375, 378, 380, 382, 384, 389, 390, 396, 397, 399, 402, 405, 729 Fouqu, Friedrich de la Motte (1777–1843) 344 Fra Angelico / Fra Giovanni da Fiesole (um 1400–1455) 27 Fran(c)k, Sebastian (1499–1542) 278 Franklin, Benjamin (1706–1790) 87 Franz I., Kçnig von Frankreich (1494–1547) 34 Franz von Assisi / Franziskus, d. i. Giovanni Bernadone (1181/82–1226) 276 (franziskanisch), 277 Freytag, Gustav (1816–1895) 417–444, 716 (Soll und Haben) Friedrich II., rçmischer Kçnig und Kaiser (1194–1250) 21, 242, 246, 253 Friedrich II. von Preußen (1712–1786) 3, 67, 293, 363, 494
Personenregister Friedrich, Markgraf von Bayreuth (1711–1763) 330 Fries, Jakob Friedrich (1773–1843) 201 Froissar(d)t, Jean (1337–um 1410) 12, 21, 24, 466 Funk, Ferdinand Karl Wilhelm (1761–1828) 242 Galen (129–210) 20 Galilei, Galileo (1564–1642) 12, 13, 18, 24, 25, 29, 35, 94, 171, 174, 230, 465 Galvani, Luigi (1737–1798) 211 Gandellini, Francesco Gori (1739–1784) 300 f., 308, 309 Garcilaso de la Vega (um 1501–1536) 270 Garve, Christian (1742–1798) 176 Gassendi, Pierre (1592–1655) 53, 54 Gattamelata, d. i. Erasmo da Narni (um 1370–1443) 28 Gelbcke, Ferdinand Adolf (1812–1892) 43, 44 Gellert, Christian Frchtegott (1715–1769) 59 Gemma, d. i. Gemma Donati 212 Gerson, Johann / Jean (1362–1429) 19, 22 Gervinus, Georg Gottfried (1805–1871) 23, 63, 74, 89, 129, 414 Ghiberti, Lorenzo (1378–1455) 12, 24, 27, 466 Gibbon, Edward (1737–1794) 86 Gieseler, Johann Karl Ludwig (1792–1854) 97 Giordani, Pietro (1774–1848) 326 Giorgione / Giorgio da Castelfranco (1477/78–1510) 15 Giotto di Bondone (1266–1337) 27 Giulio, Halbbruder Ippolito I. d’Este 256 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig (1719–1803) 65 Goethe, Cornelia (1750–1777) 134 (Schwester) Goethe, Johann Caspar (1710–1782) 134 (Vater) Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832) 3, 4, 5, 7, 11, 16, 17, 18, 47, 48, 60, 63, 73, 74, 78, 79, 87, 103, 105, 108, 125–169, 170, 171 f., 173, 179, 180, 182, 185, 198, 199, 200, 202, 207, 208, 213, 215, 216, 218, 222, 232, 237, 238 f., 242, 249, 250, 253, 259, 264, 274, 289, 302, 318, 319, 327, 329, 330, 334, 335, 341, 351, 354, 356, 365, 368, 369, 372, 383, 400, 407, 411,
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415, 416, 418, 422, 426, 428, 433, 464, 465, 466, 467, 468, 494, 588, 589, 591, 684, 705, 709, 713, 723, 724 – Clavigo 68, 132, 133 (Carlos) – Die Laune des Verliebten 135 – Die Leiden des jungen Werthers 123, 131, 132, 133 (Albert), 163, 172, 240, 259, 345, 711, 725 – Die Mitschuldigen 135 – Die Wahlverwandtschaften 130, 131, 132, 143 f., 208, 727 – Egmont 132, 182 – Faust 7, 13, 15, 123, 130, 132, 163, 165, 166, 167, 185, 192, 422, 423, 465, 591, 711, 725 – Gçtz von Berlichingen 123, 132, 172, 419, 438 – Hermann und Dorothea 132, 163, 347 – Iphigenie auf Tauris 59, 105, 123, 132, 133 (Thoas), 163, 165, 167, 304, 369, 423 – Mrchen 215, 247 – Prometheus 113 (Gedicht), 422 (Drama) – Torquato Tasso 59, 132, 133 (Antonio), 135, 144, 163, 423, 433 – Wahrheit und Dichtung / Dichtung und Wahrheit 128, 133, 135 (9. Buch), 164, 296 – Wilhelm Meisters Lehrjahre 59, 103, 123, 132, 133 (Lothario), 154, 162, 163, 215, 233 (Bekenntnisse), 233–238 (WilhelmMeister-Rezeption), 240, 243, 266, 357, 359, 369, 465, 591, 708, 724, 725, 727 Gçtze / Goeze, Johann Melchior (1717–1786) 59 (Antigçtze), 84, 86, 88, 92, 93, 94 Goldsmith, Oliver (1728–1774) 373 (Vicar von Wakefield) Gottfried von Straßburg (2. Hlfte 12.–Anfang 13. Jh.) 160 f. Got(t)sched, Johann Christoph (1700–1766) 64, 65, 122 Gozzi, Carlo (1720–1806) 148 Gozzoli, Benozzo (1420–1497) 27 Gracchen, die Brder Gaius (154–121 v. Chr.) und Tiberius (162–133 v. Chr.) Sempronius Gracchus 315 Gravina, Gian Vincenzo (1664–1718) 323 Green / Greene, Robert (1558–1592) 11, 41–43, 151, 467
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Personenregister
Grillparzer, Franz (1791–1872) 328 Grimm, Herman (1828–1901) 20, 125, 127, 128, 129, 130, 133, 147, 163–167, 711 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (um 1622–1676) 724 (Simplicissimus) Groos, Karl (1861–1946) 459, 460 Grote, George (1794–1871) 387, 718 Guhrauer, Gottschalk Eduard (1809–1854) 62, 63, 79, 103, 505, 506 Guise, vermutlich: Henri I. de Lorraine, duc de Guise (1550–1588) 50 Guizot, FranÅois (1787–1874) 708 Gustav Adolf / Gustav II. Adolf, Kçnig von Schweden (1594–1632) 184, 186, 187, 594 Gutzkow, Karl Ferdinand (1811–1878) 413 Hagedorn, Friedrich von (1708–1754) 64 Hall, Edward (1497–1547) 9, 35 Hall, William (1801–1847) 388, 397 Haller, Albrecht von (1708–1777) 64, 69 Hamann, Johann Georg (1730–1788) 353 f. Hamilton, William (1788–1856) 157 Hndel, Georg Friedrich (1685–1759) 171 Hannibal (247/46–183 v. Chr.) 308 Harald / Harold II., angelschsischer Kçnig (um 1022–1066) 37 Hardenberg, Auguste Bernhardine von (1749–1818) 209 (Mutter des Novalis) Hardenberg, Bernhard von (1787–1800) 249 (jngerer Bruder) Hardenberg, Erasmus von (1774–1797) 208, 209 Hardenberg, Georg Philipp Friedrich von / Novalis (1772–1801) 199–250, 384, 400, 708 – Die Christenheit oder Europa 218–220, 232 – Die Lehrlinge zu Sais 212, 222, 233, 240–242 – Geistliche Lieder 210, 220, 231 f., 233 – Heinrich von Ofterdingen 204 (Mathilde, Cyane), 205, 220, 233, 234, 237, 239, 240, 242–249, 250, 327, 384 – Hymnen an die Nacht 210, 211, 246 Hardenberg, Gottlob Friedrich Wilhelm von (1728–1800) 202 (Oheim) Hardenberg, Heinrich Ulrich Erasmus von (1738–1814) 202 (Vater), 206, 209, 217
Harris, James (1709–1780) 71 f., 73 Harte, Bret (1836–1902) 398 Hauff, Wilhelm (1802–1827) 706, 713 Hebbel, Christian Friedrich (1813–1863) 415 Hebel, Johann Peter (1760–1826) 327 Hebler, Carl (1821–1898) 63, 79, 112, 118, 122 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831) 25, 80, 108, 118, 122, 201, 221, 223, 224, 225, 238, 339, 415, 427, 430, 431, 590, 591 Heinse, Wilhelm Johann Jakob (1746–1803) 240 (Ardinghello) Heinsius, Daniel (1580–1655) 281 Helmholtz, Hermann (1821–1894) 369 Heloisa (1099–1164/63?) 160, 259, 345 Helvetius, Claude-Adrien (1715–1771) 175, 291, 345 Hemsterhuys / Hemsterhuis, Franz / Frans (1721–1790) 116 Hensloo / Henslowe, Philip (um 1550–1616) 41 Herbart, Johann Friedrich (1776–1841) 81, 238 Herder, Gottfried (1774–1806) 129 (Anm.) Herder, Johann Gottfried (1744–1803) 66, 97, 103, 129, 135, 171 f., 330, 332, 339, 340, 341, 347, 348, 350, 354, 368, 427, 438 Hermann, Gottfried (1772–1848) 442 Hermann, Johann Bernhard (1761–1790) 338, 350, 358 Herold, Amoene (1774–?) 350 Herold, Caroline (1779–?) 350 Hesiod (um 700 v. Chr.) 314 Hettner, Hermann (1821–1882) 70 Heumann, Christoph August (1681–1764) 85 Hieronymus (nach 340–420) 96 Hippel, Theodor Gottlieb von (1741–1796) 201, 328, 329, 337, 345, 358, 359, 684 Hobbes, Thomas (1588–1679) 24, 35, 115 Hçlderlin, Friedrich (1770–1843) 201, 202, 203, 207, 214, 249 f., 327, 345 Hogarth, George (1783–1870) 390 Hogarth, Mary (1820–1837) 398 f. Hogarth, William (1697–1764) 729 Holbein, Hans d. J. (1497/98–1543) 416 Holinshed, Raphael (um 1525–1580?) 9, 35 Holtei, Karl von (1798–1880) 214, 215 (Anm.)
Personenregister Homer (9. oder 8. Jh. v. Chr.) 16, 33, 36, 39, 74, 160, 199, 259, 260, 314, 341, 466 (Homerische Gedichte), 711 (Ilias), 723 (Ilias) Horaz / Quintus Horatius Flaccus (65–8 v. Chr.) 67 Houdetot, Elisabeth Comtesse d’ (1730–1813) 160 Howard, Luke (1772–1864) 361 Huber, Ludwig Ferdinand (1764–1804) 216 Hugo, Victor (1802–1885) 711, 713, 714, 725 Humboldt, Alexander von (1769–1859) 128, 201, 223 Humboldt, Wilhelm von (1767–1835) 73, 173, 175, 365, 706, 713 Hume, David (1711–1776) 107, 137, 175, 338, 715 Hurtado de Mendoza, Diego (1503–1575) 264, 270 Huss / Hus, Jan (um 1370–1415) 276 Ibsen, Henrik (1828–1906) 52 (Hedda Gabler) Iffland, August Wilhelm (1759–1814) 442 Immermann, Karl Leberecht (1796–1840) 327 Ippolito I. d’Este (1479–1520) 256 Irving, Washington (1783–1859) 400 Jacobi, Friedrich Heinrich (1743–1819) 62, 113 f., 115, 116, 117, 129, 163, 213, 330, 339, 340, 341, 345, 347, 353 f. Jahwe 14 Jakob I., Kçnig von Schottland, England und Irland (1566–1625) 154 Jean Paul, d. i. Johann Paul Friedrich Richter (1763–1825) 208, 234, 317, 327–363, 367, 683–685 – Abelard und Heloise 345 – Andachtsbchlein 347 – Auswahl aus des Teufels Papieren 337, 338, 343, 347, 348, 685 – Brief ber die Philosophie 340 – Des Amt-Vogts Josuah Freudel Klaglibell gegen seinen verfluchten Dmon 351 – Des Quintus Fixlein Leben 361, 362 – Des Rektors Florian Flbel’s und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg 351
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– Die unsichtbare Loge 350, 352, 353, 355, 358, 359 – Etwas ber den Menschen 337 – Flegeljahre 335 – Grçnlndische Prozesse 346 – Hesperus 330, 340, 344, 354, 355, 357, 360, 685 – Jean Paul’s Fata und Werke 341 – Leben des vergngten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal 351, 362 – Lob der Dummheit 346 – Titan 234, 333 – Vorschule der Aesthetik 367 Jerusalem, Karl Wilhelm (1747–1772) 110–112, 118 Jesus von Nazareth, Christus 3, 14, 28 (Taufe Christi), 81, 85, 86, 91, 95, 99, 100, 220, 228, 231, 275 (Leonardos), 277 Johann 23., Papst (?–1419) 28 Johannes, Evangelist 99, 275 (in der Kunst) Johnson / Jonson, Ben (1572/73–1637) 11, 151, 155, 157, 467 Joseph II., Kaiser (1741–1790) 67 Judas 20, 29 Julius II., Papst (1443–1513) 256 Just, Coelestin August (1750–1822) 204, 208, 210 Just, Rahel (1757–1833) 209 (Kreisamtmnnin) Justin Martyr (2. Jh. n. Chr.) 85 Kalwin s. Calvin Kant, Immanuel (1724–1804) 70, 71, 73, 127, 133, 140 f., 142, 145, 173, 200, 202, 213, 221, 224 (lterer Philosoph), 337–339, 341, 347, 351, 357, 364, 365, 442, 459, 494, 588, 590, 684, 705 Karl der Große (747–814) 260, 268 Katharina von Medici (1519–1589) 55 Katharina II. von Rußland (1729–1796) 293 f. Kato / Cato, Marcus Porcius (234–149 v. Chr.) 353 Keller, Gottfried (1819–1890) 143, 327, 330, 398 Kepler, Johannes (1571–1630) 12, 18, 24, 25, 171, 191, 230, 465 Kis 132 Kleist, Ewald Christian von (1715–1759) 64
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Personenregister
Kleist, Heinrich von (1777–1811) 36, 64, 186, 239, 250, 286 f., 316, 369, 416 f. (dramatisches Genie) Klinger, Friedrich Maximilian (1752–1831) 332 Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724–1803) 59, 64, 65, 69, 78, 123, 134, 354 Klose, Samuel Benjamin (1734–1798) 85, 115 Kçhler, Helene (1769–1847) 350 Kçnigsmacher s. Richard Neville Kçpke, Ernst Rudolf (1813–1870) 215 (Anm.) Kçrner, Christian Gottfried (1756–1831) 172, 180 Kopernikus, Nikolaus (1473–1543) 171 Kramer / Cramer, Johann Andreas (1723–1788) 59 Khn, Sophie von (1782–1797) 204 f., 206 f., 208 f., 210, 212, 245, ( Mathilde, gemeint: Sophie), 400 (Kind) Kyd, Thomas (1558–1594) 41
Lachmann, Karl (1793–1851) 94, 125 Lafontaine, Jean de (1621–1695) 470 Landseer, Edwin Henry (1802–1873) 396 Lange, Samuel Gotthold (1711–1781) 67 Laplace, Pierre Simon Marquis de (1749–1827) 128 Lavater, Johann Caspar (1741–1801) 163, 232 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 60, 62, 79, 80, 81, 112, 116, 117, 118, 120, 122, 171, 177, 224 (lterer Philosoph), 229, 324, 340, 506, 508 Leicester, Robert Dudley Earl of (um 1533– 1588) 153 Lengefeld, Louise Juliane Eleonore Friederike von (1743–1823) 180 Lenz, Jacob Michael Reinhold (1751–1792) 172 Lesage, Alain-Ren (1668–1747) 373 (Gil Blas) Leß, Gottfried (1736–1797) 94 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 59–123, 134, 245, 316, 327, 332, 346, 415, 416, 417, 418, 419, 420, 438, 494, 505–509 – Antigçtze / Anti-Goeze 59
– Die Erziehung des Menschengeschlechts 81, 82, 89, 93, 99, 101, 116, 118 f., 505, 506 f., , 508 – Emilia Galotti 109 f., 123, 494 (Prinz) – Ernst und Falk 59, 93, 101, 102, 103 – Fragmente 83, 84, 86, 88, 89, 92, 98 – Hamburgische Dramaturgie 71, 74–78 – Laocoon / Laokoon 62, 71, 73 f., 77 – Literaturbriefe / Briefe, die Neueste Litteratur betreffend 68, 69, 323 – Minna von Barnhelm 78, 123, 494 (Tellheim) – Miss Sara Sampson 68 – Nathan der Weise 59, 78, 93, 102, 105 f., 121 f., 123, 346, 725 – Philotas 77 – Sophokles 85 Lessing, Karl Gotthelf (1740–1812) 61, 76 (Bruder), 80, 85, 93, 94, 115 Leuschner, Johann Christian (1719–1792) 85 Lewes, George Henry (1817–1878) 127 Lichtenberg, Georg Christoph (1742–1799) 328 Lil(l)y / Lyly, John (1554?–1606) 41, 43 f. Lionardo / Leonardo da Vinci (1452–1519) 12, 27, 28, 29, 268, 273 f., 275, 288, 368, 466 Liscow, Christian Ludwig (1701–1760) 347 Livius, Titus (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) 308 Locke, John (1632–1704) 494, 715 Loeper, Gustav von (1822–1891) 126 Lope de Rueda (1510–1565) 270 Lope de Vega / Flix Lope de Vega Carpio (1562–1635) 7, 12, 55, 270, 466 L pez de Hoyos, Juan 264 Lorenzo de’ Medici, il Magnifico (1449–1492) 21, 269 Lotze, Rudolf Hermann (1817–1881) 117, 119 Lucrecia / Lucrezia Borgia (1480–1519) 257 Lucrez / Titus Lucretius Carus (um 94–55 v. Chr.) 53, 54 Ludwig XIII. (1601–1643) 54 Ludwig XIV. (1638–1715) 53, 171, 253 Ludwig XVI. (1754–1793) 312 (Kçnig) Ludwig, Otto (1813–1865) 140, 365, 368, 469 Lcke, Friedrich (1791–1855) 96 Luther, Martin (1483–1546) 25, 59, 87, 92, 167, 171, 230, 276, 277
Personenregister Macaulay, Thomas Babington Lord (1800–1859) 69, 712, 717, 727 Macchiavelli / Machiavelli, Niccol (1469–1527) 11, 23, 29, 34, 50, 128, 187, 276, 297, 316, 319, 326, 467 Maclise, Daniel (1806?–1870) 396 Macrone, John, Verleger (1809–1837) 388 Maffei, Francesco Scipione (1675–1755) 323 Mahrenholtz, Richard (1849–1909) 54 Maillard de Tournon / Maillard di Tournon 285 Mantegna, Andrea (1431–1506) 12, 28, 466 Manzoni, Alessandro (1785–1873) 713 Marc Aurel / Marcus Aurelius (121–180) 347 Mardochai / Mordechai 354 Maria, Mutter Jesu 28, 212, 219, 220, 231 f., 275 (Raffaels) Marlowe, Christopher (1564–1593) 8, 10, 11, 19, 23, 34, 44–51, 55, 151, 467, 729 – Der Jude von Malta 50–51 – Faust 47–50 – Tamerlan 45–47 Marryat, Frederick (1792–1848) 713 Martello, Pier Jacopo (1665–1727) 323 f. (M. flschlich statt Antonio Conti) Masaccio, Tommaso di Ser Giovanni Cassai (1401–um 1428) 27, 468 Matthus, Evangelist 86, 97 Mazarin / Giulio Mazarini (1602–1661) 253, 254 Melanchthon, Philipp / Philipp Schwarzerdt (1497–1560) 171, 278 Mendelssohn, Moses (1729–1786) 61, 62, 68, 69, 72, 73, 83, 112 (flschlich fr Lessing), 114, 117 Mendoza s. Hurtado de Mendoza Mengs, Anton Raphael (1728–1779) 259, 274 Mrime, Prosper (1805–1870) 713 Michaelis, Johann David (1717–1791) 90 Michelangelo Buonarroti (1475–1564) 12, 29, 259, 268, 274, 275, 290, 315, 365, 466 Mill, James (1773–1836) 718 Mill, John Stuart (1806–1873) 150, 387, 717, 718 (Sohn von James Mill) Miller, Johann Martin (1750–1814) 345 (Siegwart), 358, 684 (Siegwart) Milo von Kroton 349 Milton, John (1608–1674) 24, 729
781
Mingleb s. Wiegleb Minor, Jacob (1855–1912) 176 Mirabeau, Gabriel-Honor Riquetti, comte de (1749–1791) 318, 471 Mçser, Justus (1720–1794) 230 Moli re, d. i. Jean-Baptiste Poquelin (1622–1673) 12, 30, 33, 53–55, 65, 154, 466, 469, 470, 715 (Le Tartuffe) Montaigne, Michel Eyquem, Seigneur de (1533–1592) 10, 19, 22, 155, 156, 264, 281, 293, 294, 467 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Br de et de (1689–1755) 102, 291, 292 Morier, James Justinien (1780?–1849) 375 f. (Hadschi Baba), 404 Moritz, Karl Philipp (1756–1793) 66, 359 Mosenthal, Salomon Hermann Ritter von (1821–1877) 413 Moser, Karl Friedrich von (1723–1798) 172 Moses 3 Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791) 365, 368, 684 Mller, Arthur (1830–1873) 419 (vaterlndische Stcke) Mller, Friedrich Theodor Adam Heinrich von, Kanzler (1779–1849) 144 Mller, Johannes (1801–1858) 136, 223 Mller, Max (1823–1900) 150 Mller, Otfried (1797–1840) 442 Muhamet / Mohamed 3, 102 (Muhamedanismus) Murillo, Bartolom (getauft 1618–1662) 24 Nero, Lucius Domitius Ahenobarbus (37–68) 50 Nerrlich, Paul (1844–1904) 359 Newton, Sir Isaac (1643–1727) 74, 167, 324 Nicolai, Friedrich (1733–1811) 61, 67, 68, 69, 70, 83, 216, 328 Nicolaus von Cusa / Nikolaus von Kues / Nikolaus Chryfftz oder Krebs (1401–1464) 21, 22, 276 Niebuhr, Barthold Georg (1776–1831) 128, 229, 230 Noack, Ludwig (1819–1885) 222 Nollet, Jean Antoine (1700–1770) 87 North, Sir Thomas (1535–1603?) 9
782
Personenregister
Norton, Thomas (1522–1584) 41 Novalis s. Hardenberg Occam / Ockham, Wilhelm von (um 1285–1349) 17, 277, 469 Oerthel, Adam Lorenz von (1763–1786) 337, 345, 358 Oerthel, Johann Georg von (1728–1804) 348, 358 Otto, Friederike (1769–1855) 350 Otto, Georg Christian (1763–1828) 350, 355, 359 Ovid / Publius Ovidius Naso (43 v. Chr.–17/18 n. Chr.) 155, 260, 309 Pan 247 Papias, Bischof (2. Jh. n. Chr.) 97 Paracelsius / Paracelsus, d. i. Theophrast von Hohenheim (1493–1541) 18 Pascal, Blaise (1623–1662) 100, 229 Paulus, Apostel 14, 277 Pausanias (2. Hlfte 2. Jh. n. Chr.) 441 Peele, George (1556–1596) 43 Perugino, d. i. Pietro Vannucci (um 1445/48–1523) 27 Pestalozzi, Johann Heinrich (1746–1827) 327, 350 Petrarca, Francesco (1304–1374) 12, 21 f., 24, 27, 268, 279, 290, 297, 302, 310, 316, 466, 650 Petrus, Apostel 95 Philipp II. von Mazedonien (um 382–336 v. Chr.) 305 Philipp II., Kçnig von Spanien (1527–1598) 253, 264, 269 Philipp III., Kçnig von Spanien (1578–1621) 255 Phrynichos (um 500 v. Chr.) 443 Pier(r)o della Francesca (zwischen 1410/1420–1492) 28 Pitt, William d. J. (1759–1806) 718 Pius VI. (1717–1799) 306 Platner, Ernst (1744–1818) 332, 338, 345 f. Plato / Platon (427–347 v. Chr.) 33, 62, 157, 171, 176, 177, 274, 275, 282, 284, 295, 340, 353, 414, 424, 590 Plautus (um 250–184 v. Chr.) 54, 55, 65
Plethon, d. i. Georgios Gemistos (1355/1360–1452) 21 Plinius / Gaius Plinius Caecilius Secundus, d. J. (61/62–113/114) 309 f. Plotho, Charlotte Wilhelmine Eleonore, Freifrau von, geb. von Bodenhausen 331 Plutarch (um 46–125 n. Chr.) 9, 56, 154, 155, 181, 256, 292 f., 294, 318, 322 Proteus 167 Pythagoras (2. Hlfte 6. Jh. v. Chr.) 353 Raabe, Wilhelm (1831–1910) 327 Rabelais, FranÅois (um 1494/95–um 1553) 10, 12, 155, 466 Rabener, Gottlieb Wilhelm (1714–1771) 347, 349 Racine, Jean (1639–1699) 51, 52, 76, 305 Ramler, Karl Wilhelm (1725–1798) 65, 68 Ranke, Leopold (1795–1886) 37, 127, 151, 198, 218, 260, 268, 712 Raphael / Raffael(l)o Santi (1483–1520) 12, 30, 151, 243, 268, 274, 275, 411, 466 Raupach, Ernst (1784–1852) 419 (Kaisertragçdien) Raymundus von Sabunde / Raimundus Sabundus / Ram n Sibiuda (?–1436) 19, 22 Reichardt, Johann Friedrich (1752–1814) 215, 216 Reimarus, Hermann Samuel (1694–1768) 83, 84 f., 86, 87, 92 Reimer, Georg Ernst, Verleger (1804–1885) 353 Reinhold, Karl Leonhard (1758–1823) 202, 203 Reinhold, Sophie, geb. Wieland (1768–1837) 202 (Frau) Rembrandt van Rijn (1606–1669) 8, 12, 24, 29, 281, 466 Ricardo, David (1772–1823) 718 Richard Neville Earl of Warwick und Salisbury, The Kingmaker (1428–1471) 153 Richardson, Samuel (1689–1761) 157, 160 Richelieu, Armand-Jean Du Plessis de (1585–1642) 253 Richter, Heinrich (1770–1789) 348 (Selbstmord) Richter, Johann Christian Christoph (1727–1779) 331 (Vater Jean Pauls), 333
Personenregister Richter, Johann Paul Friedrich s. Jean Paul Richter, Johannes (1687–1763) 331 (Großvater), 333 Richter, Samuel (1778- 1807) 348 (Spieler) Richter, Sophie Rosine (1737–1797) 334 (Mutter Jean Pauls), 345, 347, 348 Ridley, James (1736–1765) 373 (Tales of the Genii) Riemer, Friedrich Wilhelm (1774–1845) 167, 368, 707 Ritter, August Heinrich (1791–1869) 63, 505 Ritter, Johann Wilhelm (1776–1810) 211, 212 Robbia, Andrea della (1435–1525) 20 Robbia, Luca della (1400–1481) 20 Robin Hood 19 Rockenthien, Rudolf Johann (1755–1820) 204 (Vater, richtig: Stiefvater Sophie von Khns), 205, 212 Rockenthien, Sophie Wilhelmine, verw. von Khn (1752–1800) 205 (Mutter), 206 Rçßler, Konstantin (1820–1896) 495, 505, 506, 507, 508 Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778) 5, 36, 103, 106, 108, 158–160, 161, 163, 166, 170, 172, 175, 259, 289, 291, 310, 337, 342, 353, 358, 711 (La Nouvelle Hlose), 725 Rubens, Peter Paul (1577–1640) 12, 24, 279, 281 Rmelin, Gustav (1815–1889) 36, 37 Sachs, Hans (1494–1576) 26 Sackville, Thomas (1536?–1608) 41 Sallust / Gaius Sallustius Crispus (86–35 v. Chr.) 270 Salutato / Salutati, Coluccio (1331–1406) 22 Sand, George, d. i. Aurore Dupin (1804–1876) 720 Sannazago / Sannazaro, Iacopo (1456–1530) 264 Sappho (um 600 v. Chr.) 22 Saturnus 176 Saul 132 Savigny, Friedrich Karl von (1779–1861) 229, 230 Savonarola, Girolamo (1452–1498) 276 Scaliger, Julius Caesar (1484–1558) 281, 282 Scarron, Paul (1610–1660) 55
783
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1775–1854) 80, 168, 199, 201, 203, 216, 218, 221, 222, 223, 225, 314, 339, 365, 590, 591, 706 Scherer, Wilhelm (1841–1886) 130, 170 Schiller, Johann Christoph Friedrich (1759–1805) 3, 4, 5, 11, 33, 36, 60, 68, 71, 73, 74, 76, 78, 79, 106, 125, 129, 131, 142, 145, 146, 148, 149, 155, 162 f., 164, 170–198, 202, 203, 207, 213, 214, 218, 220, 234, 235, 236, 250, 289, 292, 324, 327, 329, 330 (Classiker), 332, 333, 334, 335, 346, 350, 363, 364, 365, 394, 413, 414, 415, 416, 418, 419, 432, 467, 494, 588–594, 684, 706, 724 – Der Geisterseher 33, 240, 358 f. – Die Braut von Messina 422 – Die Ruber 123, 172, 175, 177 (Franz Moor), 186, 292, 394 (Franz Moor) – Die Verschwçrung des Fiesko 394 – Don Karlos 179, 181 (Posa), 182, 186 – Kabale und Liebe 172, 186 – Maria Stuart 186 – Wallenstein 36, 53 (Thekla), 181–198, 591–594 – Wilhelm Tell 186, 333, 591 Schlegel, August Wilhelm (1767–1845) 62, 173, 199, 201, 208, 214, 215, 216, 218, 220 (Bruder), 249 f., 364, 428, 471 Schlegel, Friedrich (1772–1829) 62, 199, 201, 202, 205, 210, 211, 214, 215, 216, 217, 218, 220, 221, 223, 227, 229, 232, 234, 238 f., 249, 364, 428 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (1768–1834) 80, 99, 100, 108, 118, 122, 128, 135, 141, 201, 205, 210, 214, 217, 218, 220, 221, 223, 224, 225, 229, 233, 238 – Reden ber die Religion / ber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verchtern 217, 218, 227, 228, 232, 233 Schlichtegroll, Adolf Heinrich Friedrich (1765–1822) 368 Schmid, Carl Christian Erhard (1761–1812) 203 Schmidt, Erich (1853–1913) 126, 160 Schmidt, Julian (1818–1886) 166, 177, 178, 179
784
Personenregister
Schopenhauer, Arthur (1788–1860) 115, 119, 168, 223, 224, 225, 226, 289, 308, 365, 406, 425, 588, 706 Schubart, Christian Friedrich Daniel (1739–1791) 172 Schumann, Johann Daniel (1714–1787) 86 Schtz, Christian Gottfried (1747–1832) 216 Schwarz, Carl (1812–1885) 80, 91 Scott, Sir Walter (1771–1832) 37, 151, 154, 157, 267, 372, 711–713, 725–727 Seidlitz / Seydlitz, Christian Gottlieb (1730–1808) 346 Semler, Johann Salomo (1725–1791) 90 f., 93, 95 Seneca, Lucius Annaeus (etwa 4–65) 22, 41, 258, 270, 279, 304, 321 Seymour, Robert (1798?–1836) 388 f. Sforza, Francesco (1401–1466) 28 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper Earl of (1671–1713) 176, 471, 715 Shakespeare / Shakspere, William (1564–1616) 4, 5, 7–40, 41, 43, 45, 46, 49, 50, 51, 53, 54, 55, 55–58, 78, 109, 135, 150–158, 166, 169, 181, 182, 184, 185, 190, 196, 197 f., 199, 240, 254, 255, 256, 257, 265, 266, 279, 280 f., 296, 321, 324, 325, 353, 369, 389, 406, 411, 413, 414, 416, 419, 422, 423, 426–428, 433, 435, 436, 438, 440, 441, 460, 465–468, 469, 589, 591, 593, 709, 729 – Antonius und Cleopatra 8, 56 – Coriolan 8, 426, 434 – Cymbeline 8, 39, 40, 58, 470 – Das Wintermrchen 8, 152, 158 (Hermione) – Der Sturm 8, 39, 58, 158 (Miranda), 240, 466, 470 – Der Widerspenstigen Zhmung 152, 153 – Die lustigen Weiber von Windsor 152 – Ein Sommernachtstraum 152 – Hamlet 8, 16, 31, 33, 46, 49, 57, 58, 426 f., 433, 441, 466, 468, 469 – Julius Caesar 8, 34, 153, 433 f., 435 (Brutus) – Kçnig Heinrich IV. 9, 37, 38, 41, 46, 593 – Kçnig Heinrich V. 8, 9, 39, 153, 254 – Kçnig Heinrich VI. 38 – Kçnig Heinrich VIII. 8
– Kçnig Johann 9, 37 – Kçnig Lear 8, 58, 267, 279, 426 f., 432, 434, 435, 460 – Kçnig Richard II. 8, 9, 37 – Kçnig Richard III. 8, 9, 31, 50, 52, 153, 184, 393, 433, 435 – Lukretia/Lucrece 15 – Macbeth 8, 31, 32, 426, 433, 434, 439 (Duncan) – Othello 8, 31, 432 – Romeo und Julia 8, 10, 433, 434 – Sonette 15 f., 58, 154, 466, 468 – Timon von Athen 153 – Titus Andronicus 23, 41 – Venus und Adonis 15 – Verlorene Liebesmh’ 9 Shelley, Percy Bysshe (1792–1822) 157 Sidney, Sir Philip (1554–1586) 337 Signorelli, Luca (Mitte 15. Jh.–1523) 28, 29 Sisyphus / Sysiphus 430 Smith, Adam (1723–1790) 175, 715 Smollett, Tobias George (1721–1771) 157, 373 (Roderich bis Clinker), 374 Socinus, Faustus (1539–1604) 81 (socinianisch) Sokrates (469/470–399 v. Chr.) 282, 353, 415 Sonnenfels, Joseph von (1733–1817) 67 Sophokles (um 496–406 v. Chr.) 76, 152, 154, 184 (dipus), 321, 323, 422, 424, 435 (Kreon), 438, 439, 442, 444 (Antigone) Spengel, Leonhard (1803–1880) 424 Spenser / Spencer, Edmund (um 1552–1599) 21, 39, 470 Spielhagen, Friedrich (1829–1911) 724 Spindler, Karl (1796–1855) 713 Spinoza, Baruch (1632–1677) 30, 79, 80, 100, 113 f., 115, 117, 118, 122, 165, 224, 295, 296, 316, 326, 588, 723 Steffens, Henrik (1773–1845) 222, 249, 713 Stein, Charlotte von, geb. von Schardt (1742–1827) 129, 163, 302, 385 Stein, Heinrich Friedrich Karl, Reichsfreiherr vom und zum (1757–1831) 295 Stendhal, d. i. Marie-Henri Beyle (1783–1842) 720 Stern, Adolf (1835–1907) 265 Sterne, Lawrence (1713–1768) 345, 358, 377 (Tristram Shandy), 684
Personenregister Stolberg, Auguste zu (1753–1835) 163 Stolberg-Gedern, Luisa von, Grfin von Albany (1752–1824) 302 f., 304, 306, 307, 309, 311, 312, 314, 315 Strauß, David Friedrich (1808–1874) 4, 85, 91, 96, 100, 128, 167, 505 Streicher, Johann Andreas (1761–1833) 172 Sulzer, Johann Georg (1720–1779) 68 Swift, Jonathan (1667–1745) 337, 338, 346, 684 Tacitus, Cornelius (etwa 55–116/20) 20 (tacitisch), 270, 309 f., 318 Taine, Hippolyte (1828–1893) 21, 23, 720, 721, 728 Tasso, Torquato (1544–1595) 12, 264, 297, 466 Telesio, Bernardino (1509–1588) 264 Terenz / Publius Terentius Afer (um 195–159 v. Chr.) 54, 55, 65 Thackeray, William Makepeace (1811–1863) 157, 386, 396, 721, 724, 727 Thmmel, Wilhelmine Katharina von (1766–1832) 202 (Professorin, Verwechslung mit Sophie Reinhold), 208 (Freundin) Thurn und Taxis 333 Tieck, Amalie, geb. Alberti (1769–1837) 217 (Frau Ludwig Tiecks) Tieck, Dorothea (1799–1841) 217 (Tochter) Tieck, Ludwig Johann (1773–1853) 41, 140, 199, 201, 202, 204, 208, 210, 214, 215, 216, 217, 218, 220, 221, 227, 232, 233, 234, 237, 239, 240, 242, 243, 246, 247 f., 249 f., 264, 327, 330, 436, 713 Tizian, d. i. Tiziano Vecellio (1476/77 oder 1489/90–1576) 8, 12, 15, 29, 269, 274, 275, 466 Tolstoi, Lev Nikolajewitsch Graf (1828–1910) 727 Trajan / Marcus Ulpius Traianus (98–117) 309 Trendelenburg, Friedrich Adolf (1802–1872) 117 Turgot, Anne Robert Jacques (1727–1781) 175, 494 Tyrtaios (7. Jh. v. Chr.) 165 (das Tyrtische) Udall, Nicholas (1504?–1556) 41 Usener, Hermann (1834–1905) 460
785
Valperga di Caluso, Tommaso (1737–1815) 311 Vanini, Giulio Cesare Lucilio (1585–1619) 94 Varnhagen von Ense, Karl August (1785–1858) 128 Vasari, Giorgio (1511–1574) 468 Veit, Dorothea Friederike, geb. Mendelssohn, spter Schlegel (1763–1839) 217, 218, 234, 237 (Florentin) Velasquez, Diego Rodriguez (1599–1660) 24, 281 Verrocchio, Andrea del (1435–1488) 12, 20, 27, 28, 29, 30, 466 Vigny, Alfred de (1797–1863) 713 Virgil/Vergil / Publius Vergilius Maro (70–19 v. Chr.) 73, 259, 260, 263, 271 Victoria / Alexandrina Victoria, Kçnigin des United Kingdom (1819–1901) 396 Vida, Marco Girolamo (1490–1566) 281 Vischer, Friedrich Theodor (1807–1887) 430 Vittore Amadeo II. (V. A. II. flschlich statt V. A. III.), Kçnig von Piemont-Sardinien (1726–1795) 308 Vives, Juan Luis (1492–1540) 264, 269 Vçlkel, Johann Samuel (1748–1795) 349 Vogel, Erhard Friedrich (1750–1823) 338, 345, 346, 347, 348, 349, 358 Vogel, Johann Wilhelm, Aktuar (1753–1806) 348 Volta, Alessandro (1745–1827) 211 Voltaire, d. i. FranÅois-Marie Arouet (1694–1778) 66, 90, 128, 167, 288, 310, 337, 338, 346, 494, 508 Voß, Christoph Friedrich (1722–1795) 346 (Berliner Verleger) Voß, Johann Heinrich (1751–1826) 347 f., 684 Wackenroder, Wilhelm Heinrich (1773–1798) 201, 202, 215 Wagner, Ernst (1769–1812) 344 Walch, Christian Wilhelm Franz (1726–1784) 93, 94, 96, 97 f. Wallenstein / Waldstein, Albrecht von (1583–1634) 183 f. Walther von der Vogelweide (um 1170–um 1230) 171 Weiße, Christian Felix (1726–1804) 66, 68
786
Personenregister
Werner, Abraham Gottlob (1749–1817) 212, 241 Werner, Zacharias (1768–1823) 416 (Schicksalstragçdien) Wicleff / Wiclif, John (um 1320–1384) 38, 276 Wiegleb, Johann Christian (1732–1800) 206 Wieland, Christoph Martin (1733–1813) 123, 262 Wildenbruch, Ernst von (1845–1909) 327 Wilhelm I., der Eroberer (1027?–1087) 37 Wilhelmine Friederike Sophie, Markgrfin von Bayreuth (1709–1758) 330 f. Winckelmann, Johann Joachim (1717–1768) 171 f., 259, 274, 364 Wirth, Renata (1775–1848) 350 f. Wissowatius, Andreas / Wiszowaty, Andras (1608–1678) 81 Wolf / Wolff, Christian Freiherr von (1679–1754) 90, 112
Wolffsohn / Wolfsohn, Wilhelm (1820–1865) 413 Wolfram von Eschenbach (um 1170–nach 1220) 13–15, 160, 161 f., 171, 247, 464, 468 Wotan 19
Xerxes I. (um 519–465 v. Chr.) 363
Zagarolo, Ottavia Odescalchi Rospigliosi duchessa di 304 Zimmermann, Robert (1824–1898) 70 Zola, Emile Edouard Charles Antoine (1840–1902) 727 Zschokke, Heinrich, d. i. Johann Heinrich Daniel Schock (1771–1848) 713 Zwingli, Huldrych / Ulrich (1484–1531) 276, 278
Im Personenregister von Bd. XXVI der Ges. Schr. sind zu korrigieren: – Geburtsdaten von Dickens, 1812 (statt 1811). – von Lessing, 1729 (statt 1724). – von Petrarca, 1304 (statt 1307).
– Verwechslung Hagedorns mit seinem Bruder, dem Kunsthistoriker; es handelt sich um: Hagedorn, Friedrich von (1708–1754).