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German Pages [400] Year 2004
Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben
Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 154
Vandenhoeck & Ruprecht
Jens Leberl
Domitian und die Dichter Poesie als Medium der Herrschaftsdarstellung
Vandenhoeck & Ruprecht
Verantwortlicher Herausgeber: Hans-Joachim Gehrke
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-25253-6 Hypomnemata ISSN 0085-1671 © 2004, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Hubert & Co. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort
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1. Einleitung
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2. Domitians Herrschaftsdarstellung. Die >anderen< Instrumente 2.1 Urheberschaft 2.2 Zielgruppen 2.3 Inhalte 2.3.1 Die thematischen Schwerpunkte 2.3.2 Die Expression zwischen Innovation und Epigonalität 2.3.3 Domitians Philhellenismus 2.3.4 Die Materialität der Instrumente 2.4 Omnipräsenz als Ziel der Herrschaftsdarstellung 2.4.1 Räumliche Verbreitung und zeitliche Ausdehnung 2.4.2 Der kombinierte Einsatz mehrerer Instrumente 2.5 Ausblick 3. Die Rezeption der Dichter 3.1 Rezitationen 3.2 Kleine Gedichtbroschüren (libelli) 3.3 Die Epigramm- und die Silvenbücher 3.4 Vertrieb durch den Buchhandel 3.5 Breitenwirkung 3.6 Resümee: Die Rezeption der Domitiangedichte 4. Domitian als Patron der Dichter 4.1 Die nichtkaiserliche Literaturpatronage 4.2 Der Kaiser als Patron 4.3 Das Klientelverhältnis zwischen Domitian und den Dichtem 4.3.1 Martial und Statius - keine Hofdichter 4.3.2 Domitian als Literaturpatron 4.4 Resümee 5. Die Panegyrik des Statius 5.1 Die militärische Imago des Kaisers (silv. 1,1) 5.2 Die sakrale Imago des Kaisers (silv. 4,2)
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Inhalt
5.3 Der Kaiser als Euerget der stadtrömischen Bevölkerung 5.3.1 silv. 1,6 5.3.2 silv. 2,5 5.4 Der Kaiser als Euerget der gesamten Reichsbevölkerung (silv. 4,3) 5.5 Der Erwerb von Status durch den Kaiser (silv. 4,1) 5.6 Sonderfall: Die an Domitians Umfeld adressierte Dichtung (silv. 3,4) 5.7 Resümee 6. Die Panegyrik des Martial 6.1 Die militärische Imago des Kaisers 6.2 Der Kaiser als Euerget 6.3 Zensorische Maßnahmen 6.4 Die sakrale Imago des Kaisers 6.4.l Vergleiche mit den himmlischen Göttern und deusTitulierungen 6.4.2 Befestigung der flavischen Dynastie I: Das Templum Gentis Flaviae 6.4.3 Befestigung der flavischen Dynastie II: Vergöttlichte Verwandte 6.4.4 Domitian als Herkules - Herkules als Domitian 6.4.5 Der Palast als Himmel 6.4.6 Zusammenfassung 6.5 Sonderfall: Die an Domitians Umfeld adressierte Dichtung 6.6 Resümee 6.6.1 Die chronologische Entwicklung der Panegyrik 6.6.2 Der Vergleich mit Statius 7. Schlussbetrachtung Appendix: Neueste Literatur zu Martials Kaiser-Epigrammen 8. Literaturverzeichnis 8.1 Quellen 8.2 Sekundärliteratur 9. Register 9.1 Namen- und Sachregister 9.2 Stellenregister
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181 181 198 199 215 229 241 245 245 266 280 291 293
301 306 310 317 320 322 328 328 339 342 354 358 358 360 380 380 391
Vorwort
Das vorliegende Buch ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommer 2002 vom Gemeinsamen Ausschuss der Philosophischen Fakultäten I-IV der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angenommen wurde. Die nach Abgabe der Arbeit erschienene Literatur wurde so weit wie möglich berücksichtigt. Gegen Ende meiner Arbeitsphase ist Ruurd Nautas Werk »Poetry for patrons« erschienen, dessen Untersuchungsgegenstand dem meinigen ähnelt, dessen philologischer Ansatz sich von meinem historischen jedoch unterscheidet. Umso erfreuter konnte ich feststellen, dass ich unabhängig von Nauta zu teilweise ähnlichen Ergebnissen gekommen bin. Zuletzt - fiir den geneigten Leser ist es der Beginn - gilt es, all jenen Dank zu sagen, die bei der Entstehung dieser Arbeit geholfen haben: Professor HansJoachim Gehrke hat die Anregung zu dem Thema gegeben und mir in intensiven Gesprächen viele wertvolle neue Einsichten vermittelt. Vor allem hat er es als Doktorvater verstanden, mich durch seine eigene Begeisterung fiir das Fach immer wieder aufs Neue zu motivieren. Professor Eckard Lefevre hat das Zweitgutachten übernommen und mir manch erhellenden Hinweis gegeben. Der Kreis der Assistenten und Doktoranden in den Altertumswissenschaften der Universität Freiburg bot mir stets die Gelegenheit zu wissen- und freundschaftlichem Austausch in nicht selbstverständlichem Maße: Andrea Ercolani, Andreas Grüner, Christian Mann, Peter Mittag und Gunnar Seelentag (Köln) haben einzelne Kapitel einer gründlichen Prüfung unterzogen bzw. mir durch fruchtbare Diskussionen viele Male weitergeholfen. Mit Gunnar Seelentag hat mich darüber hinaus während der gesamten Zeit der parallel voranschreitende Arbeitsprozess verbunden. Beim Korrekturlesen einzelner oder aller Kapitel standen mir zudem Silvia Wrobel, Alice Malzacher und besonders Eckhard Leberl zur Seite. In der Überarbeitungsphase gab Professor Aloys Winterling einige wichtige Fingerzeige. Die Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stifiung hat mir durch ein Promotions stipendium ein finanziell unabhängiges Arbeiten ermöglicht. Den Herausgebern der »Hypomnemata« danke ich fiir die Aufnahme in diese ehrwürdige Reihe. Der größte Dank jedoch gebührt meinen Eltern, fiir ihr Vertrauen, ihre Ermunterung und ihre Hilfe in allen Lebenslagen während Studium und Promotion. Ihnen und meiner Schwester Birgit ist dieses Buch gewidmet. Berlin, im April 2004
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1. Einleitung
Als! Titus Flavius Domitianus, der dritte Flavier auf dem römischen Thron, 96 n.ehr. von einigen seiner engsten Vertrauten umgebracht worden war, hinterließ er eine gespaltene Bevölkerung in Rom. Sueton berichtet, nach bekannt Werden der Nachricht seien die Senatoren in Jubel ausgebrochen. Sogleich hätten sie dem Ermordeten die übelsten Beschimpfungen hinterhergeschickt und eigenhändig die ersten Domitianbilder heruntergerissen und auf dem Boden zerschlagen. Die plebs urbana habe die Neuigkeit gleichgültig aufgenommen. Die Soldaten dagegen waren über den Mord sehr erbittert und versuchten, die Divinisierung des getöteten Kaisers durchzusetzen. Wenn es nicht an der geeigneten Führung gemangelt hätte, wäre das Heer sogar bereit gewesen, ihn zu rächen. 2 Ob den Einzelheiten der suetonischen Darstellung Glauben zu schenken ist, sei dahingestellt. Für ihn als Vertreter der von der senatorischen Sichtweise geprägten Geschichtsschreibung stand ein ausgewogenes und an den historischen Fakten orientiertes Bild Domitians nicht im Vordergrund. Während aber beispielsweise Plinius oder Tacitus den Flavier in Bausch und Bogen verdammen, lässt der Biograph erkennen, dass der domitianische Principat keineswegs von allen Untertanengruppen abgelehnt wurde. Es ist daher sein Verdienst, allein durch die Schilderung der Reaktionen auf Domitians Ermordung ein differenzierteres Image des Kaisers anzudeuten und außerdem den Blick auf die unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft im Imperium Romanum zu lenken. Die Senatoren, die stadtrömische Bevölkerung und das Heer - das sind die drei Gruppen, die Egon Flaig 1992 als die »maßgeblichen Sektoren des politischen Systems« Roms bezeichnete. 3 Durch unaufhörliche Kommunikation und Interaktion mit diesen drei Gruppen hatte der Princeps um Akzeptanz fiir seine Herrschaft zu werben, unerlässliche Voraussetzung fiir die Sicherung seiner Macht in einem System, das die kaiserli1 Alle Jahreszahlen beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf die nachchristliche Zeit. Antike Autoren werden nach dem Abkürzungsverzeichnis des Neuen Pauly (Bd. 3, 1997), die domitianischen Münzen durch die Angabe des Katalogs (BMC bzw. RIC, jeweils zweiter Band) und ihre Münznummer zitiert. Im Interesse der Einheitlichkeit wird in allen lateinischen Zitaten zwischen »u« und »v« unterschieden, ggf. abweichend von der zitierten Ausgabe. Alle Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, von mir. 2 Occisum eum populus indifferenter, mi/es gravissime tutit statimque Divum appellare conatus est, paratus et ulcisci, nisi duces defoissent; (. ..). contra senatus adeo laetatus est, ut repleta certatim curia non temperaret, quin mortuum contumetiosissimo atque acerbissimo adclamationum genere laceraret, scalas etiam inferri clipeosque et imagines eius coram detrahi et ibidem solo ajjligi iuberet; Suet. Dom. 23, I. 3 Flaig 1992, 12.
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Einleitung
che Position nicht in erster Linie auf rechtlich geregelte Kompetenzen und Befugnisse gründete. 4 Flaig stellte sich damit in die Tradition der Herrschaftssoziologie Max Webers. Deren Anwendbarkeit auf die Antike hatte Hans-Joachim Gehrke 1982 fiir den Hellenismus gezeigt: Von den Weberschen Typen legitimer Herrschaft kommt der Begriff des charismatischen Herrschers der Stellung des hellenistischen Königs am nächsten. 5 Aber auch das Wesen des Principats ist mit dieser Theorie am geeignetsten zu erfassen. Der charismatische Herrscher hatte seinen Machtanspruch durch ständige Leistung und Bewährung, militärisch, politisch, euergetisch, zu legitimieren. Die Kommunikation mit den Untertanen war ein wichtiger Bestandteil der kaiserlichen Aufgabe, sich in Permanenz zu bewähren. Wenn man das Akzeptanzsystem als Kategorie zur Beschreibung des römischen Principats heranzieht, rückt zwangsläufig auch die Selbstdarstellung des Kaisers ins Blickfeld. Alle seine Leistungen mussten den Untertanen vermittelt werden, sollten sie zu seiner Akzeptanz beitragen. Die Herrschaftsdarstellung des Kaisers hat Paul Veyne behandelt, der schon vor Flaig die Kommunikation des Kaisers mit der Hauptstadtbevölkerung einer ausführlichen Untersuchung unterzogen hatte. 6 Darin nennt er die kaiserliche Selbstdarstellung I 'expression de la majeste, »Ausdruck von Majestät«7. Paul Zanker verschaffte ihr 1987 mit seinem wichtigen Werk »Augustus und die Macht der Bilder« neue Bedeutung als Gegenstand des altertumswissenschaftlichen Forschungsinteresses. Für die ptolemäische Monarchie hat Gregor Weber davon gesprochen, dass einer ihrer wesentlichen Charakterzüge mit »Kategorien wie Repräsentation, Ostentation, Expression von Majestät« erfasst werden könne. 8 Die Herrschaftsdarstellung des Kaisers soll im Mittelpunkt meiner Untersuchung stehen. Veynes Begriff der >Expression von Majestät< steht fiir einen Bedeutungskomplex, der mit den Termini >monarchische PrachtentfaltungMeinungsgestaltung der Untertanen< (Veyne), >Selbstdarstellung des Kaisers< (Flaig), >Ostentation der kaiserlichen Imago< (G. Weber), >Propagierung der Monarchie< oder >repräsentative Darstellung staatlicher Macht und ihrer Träger< (Eich9) umschrieben werden kann. Die Begriffe >ExpressionHerrschaftsdarstellung< und >Ostentation< werden in dieser Arbeit im Folgenden synonym verwendet. >Expression von Majestät< scheint mir der geeignetste Terminus fiir die Beschreibung der kaiserlichen Selbstdarstellung zu sein: Die Expression ist »offensiv darstellend,
4 Zu ähnlichen Ergebnissen konunen Sünskes 1993 und Pabst 1997. 5 Gehrke 1982, 250f. 6 Le pain et le cirque. Sociologie historique d'un pluralisme politique, Paris 1976 (dt. 1988), Kap. IV. 7 Kapitel IV 8. 8 Weber 1993, 59. 9 Eich 2000.
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Einleitung
expressiv, ( ... ) nach außen hin um Zustimmung und Anerkennung werbend, d.h. ausgerichtet auf Prestige«JO. Die >Darstellung< von Herrschaft ist so viel wie ein Angebot an die Untertanen, die >Expression< dagegen ermöglicht dem Adressaten kein Ausweichen. I I Der Leser des 21. Jahrhunderts wird bei der kaiserlichen Herrschaftsdarstellung zwangsläufig auch an >Propaganda< denken. In der Tat sind die Ziele der römischen Expression und der Propaganda der Modeme identisch, nämlich die politische Meinungsbeeinflussung von Untertanen bzw. Staatsbürgern. Dennoch wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff >Propaganda< vermieden: Er ist erstens ein Anachronismus, da er im 17. Jahrhundert von der katholischen Kirche zur Bezeichnung ihrer Missionstätigkeit geprägt wurde. 12 Zweitens ist er nach den Erfahrungen mit den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts v.a. in Deutschland meist negativ besetzt. »Sein Gebrauch ist daher häufig mit der Intention verbunden, die vermutete manipulatorische Absicht einer Äußerung oder eines Textes aufzudecken und anzuprangern.«I3 Für die folgende Studie ist es jedoch notwendig, einen wertneutralen Begriff zugrunde zu legen: Ob die kaiserliche Selbstdarstellung mit seinen tatsächlichen historischen Eigenschaften oder Leistungen übereinstimmte, ist zwar nicht gänzlich ohne Belang, es steht aber nicht im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Drittens unterscheiden sich die Mittel der antiken Herrschaftsdarstellung von denen der modemen Propaganda erheblich: Das Instrument der Massenmedien stand dem römischen Kaiser nicht zur Verrugung; damit verkleinerte sich die fiir ihn erreichbare Zielgruppe bzw. er musste andere, vermittelte Wege wählen, um von den weit entfernten Reichsbewohnern wahrgenommen werden zu können. 14 Die Expression kann von den konkreten politischen Maßnahmen des Kaisers, die man als >Sachpolitik< bezeichnen könnte, nicht eindeutig geschieden werden. Eine solche Abgrenzung erscheint als nicht zulässig, denn alle politischen Schritte, die die Untertanen betreffen sollten, mussten auch öffentlich und bekannt gemacht werden, d.h. sie mussten dargestellt werden. 15 Die Grenzen zwischen tat10 Weber 1993, 67. 11 Vgl. die demnächst erscheinende Dissertation von G. Seelentag, Taten und Tugenden Traians. Aspekte der Herrschaftsdarstellung: Er wählt fiir die kaiserliche Selbstdarstellung den Begriff >ImagoExpression< ist passender für die offensiv-massivere Ausprägung der Selbstdarstellung Domitians, während >Imago< treffender die etwas zurückhaltendere Form der trajanischen Herrschaftsdarstellung umschreibt. 12 Siehe Wolfgang Schieder / Christoph Dipper, Propaganda, GG 5 (1984) 69-112, hier 69f.; vgl. Darwall-Smith 1996,32. 13 Eich 2000, 353. 14 Siehe zur Propagandaproblematik in Bezug auf die alexandrinische Hofdichtung Weber 1993, 60-68. 15 Siehe zur gedanklichen Klärung die Unterscheidung, die Bleicken (1982, 188) zwischen der kaiserlichen Selbstdarstellung und der Regierungstätigkeit, die auf dem Wege der Beantwortung von Anfragen aus der gesamten Reichsbevölkerung geschah, vornimmt. Ich fasse den Begriff der politischen Tätigkeit jedoch weiter; s. dazu das Folgende.
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Einleitung
sächlichen sachpolitischen Entscheidungen und der Ostentation der kaiserlichen Imago waren fließend. Drei Beispiele mögen den Sachverhalt verdeutlichen: 1. Wenn der Kaiser eine öffentliche Speisung in Rom durchfUhrte oder der plebs ein Geldgeschenk zukommen ließ, dann waren dies Instrumente seiner Herrschaftsdarstellung. Beides hatte aber für das Volk eine genuin materielle Bedeutung, die über das Symbolische weit hinausging. Ein Instrument der Expression konnte also auch handfeste faktische Auswirkungen haben. 2. Wenn die Soldaten den Kaiser als Feldherren in der Schlacht in Aktion erlebten, dann kamen seine militärischen / außenpolitischen Handlungen und seine Expression zur Deckung. Anders verhielt es sich mit der zeremoniellen oder architektonischen >Nachbereitung< eines kaiserlichen Kriegszugs in Rom, z.B. mithilfe von Spielen, Triumphzügen oder -bögen: Hier konnten die Leistung des Princeps, der tatsächliche Ausgang des Krieges (fern der Hauptstadt), und ihre anschließende (überhöhende) Darstellung weit auseinander klaffen. 3. Der Kaiser übernahm (zum wiederholten Male) für die ersten zwei Wochen des Jahres das Konsulat, um es dann an den Iden des Januar niederzulegen. Durch diese häufige Praxis wurde der historischen Verschiebung der Gewichte von den eminenten faktischen Auswirkungen, die das ehemals wichtigste römische Amt für die Bürger mit sich brachte, hin zu einem rein symbolischen Gehalt Vorschub geleistet. Ein ursprünglich hochpolitischer Vorgang lebte nun fast nur noch von seinem Effekt für die kaiserliche Expression. Es mag kaiserliche Handlungen gegeben haben, die rein symbolischer Natur, ohne sachpolitischen Gehalt, waren, umgekehrt eine politische Maßnahme, die nicht auch zu seiner Herrschaftsdarstellung beitrug, ist nicht denkbar. Zur Expression sind daher alle Taten und Maßnahmen des Kaisers zu zählen, durch die seine Imago in der Öffentlichkeit gestaltet wurde. Anstrengungen zur Expression der eigenen Herrschaft haben alle römischen Kaiser seit Augustus unternommen. Eine eigens dafür zuständige Institution ist uns nicht bekannt; die Herrschaftsdarstellung wird in der Obhut des sich im ersten Jahrhundert ausbildenden Kaiserhofs gelegen haben, so dass der Princeps direkten Einfluss darauf hatte. 16 Der vorliegenden Arbeit liegt die Hypothese zugrunde, dass die Maßnahmen Domitians für seine Expression massiver waren als die seiner Vorgänger. Schon sein Vater Vespasian und sein Bruder Titus hatten diesem Sektor besondere Aufmerksamkeit gewidmet, galt es doch, die fehlende dynastische Tradition der Flavier zu kompensieren. Für Domitian war eine gesteigerte 16 Vgl. Darwall-Smith 1996,33.
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Einleitung
Ostentation seiner Imago auch deshalb geboten, weil er dem Principat stärkere autokratische Züge als frühere Kaiser verlieh. Dass er sich mehr Kompetenzen und Befugnisse anmaßte, konnte nicht per se die Zustimmung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, v.a. der Senatoren, finden und musste daher expressiv >begleitet< werden. Auf welche Sektoren des politischen Systems Domitian sich dabei konzentrierte, wird die Untersuchung seiner Herrschaftsdarstellung zeigen. Ein denkbares Instrument der kaiserlichen Expression ist die Literatur. Am ptolemäischen Hof hatten sich Dichter aus ganz Griechenland eingefunden und gemeinsam mit Philosophen, Historikern, Philologen und sonstigen Wissenschaftlern Alexandria zu einem intellektuellen Zentrum von gewaltiger Strahlkraft in der gesamten griechischen Ökumene verholfen. 17 Diente der hellenistische Herrscherhof dem dritten Flavier, in dessen Herrschaft, besonders in dessen >KulturpolitikTyrannen< zurückkehre?6 V.a. Tacitus und Plinius der Jüngere hatten ein persönliches Interesse daran, diese unter Nerva und Trajan ausgegebene Deutung des domitianischen Principats zu propagieren: Einerseits hatten beide, wie viele ihrer Standesgenossen auch, unter dem Flavier eine beachtliche politische Karriere gemacht, für die sie sich nun rechtfertigen mussten; eine Zeit der Lüge und Heuchelei sei es gewesen, die man in einer Art >inneren Emigration< überdauert habe. 27 Andererseits hatte Tacitus die Möglichkeit, sein engstes persönliches Umfeld als Opfer des domitianischen Regimes hinzustellen, da sein Schwiegervater Agricola als römischer Feldherr in Britannien vom Kaiser abberufen worden war. Diese Erkenntnisse fiihrten zu einer wachsenden Skepsis gegenüber der senatorischen Tradition, in deren Folge auch die Urteile über andere Kaiser zu revidieren sind. Die Forschung sah sich nun mehr und mehr veranlasst, die Geschichte des Kaisers Domitian gegen die Sichtweise der senatorischen Überlieferung zu schreiben. Von endgültigen Ergebnissen ist sie aber immer noch weit entfernt: Domitian »remains largely an enigma«28. Zur Erhellung des Domitianbildes können daher am besten weitere Untersuchungen zu einzelnen Aspekten seines Principats beitragen, um das Gesamtbild aus möglichst vielen Details zusammenzusetzen. Deshalb nimmt sich diese Studie der Frage an, wie Domitian seine Herrschaft darstellte sowie welcher Mittel und welcher Personen er sich dabei bediente. Es soll hier die Rolle der römischen Dichter M. Valerius Martialis und P. Papinius Statius innerhalb der kaiserlichen Expression untersucht werden. Da sie zu Domitians Lebzeiten publizierten, liefern
schichte der römischen Kaiserzeit, Halle 1857; J.E. Kraus, lur Chrarakteristik des Kaisers Domitian, Landshut 1876; A. v. Domaszewski, Geschichte der römischen Kaiser, 2.Bd., Leipzig 1909, 158-167. 24 l.B. Gsell1894 und Weynand 1909; zum Mommsen-litat s. Bengtson 1979, 280f. 25 Siehe die von Umer (1993,21) angefiihrte Literatur; außerdem Waters 1964. 26 Siehe z.B. Griffin 2000, 55. 27 l.B. Plin. paneg. 76,3. 28 Vessey 1983,212.
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Einleitung
sie uns ein von der senatorischen Tradition unbeeinflusstes Zeugnis des letzten Flaviers. Parallel zu dem veränderten Domitianbild haben sich die Ansichten der Forschung über die flavischen Dichter im Allgemeinen und über deren Verhältnis zum Kaiserhof im Speziellen gewandelt. Die erstere Diskussion pendelte zwischen zwei Interpretationspolen: Martials und Statius' Gedichte an oder auf Domitian wurden einerseits als maßlose und darum abstoßende Schmeicheleien abqualifiziert, andererseits wollte man in ihnen unter der lobenden Oberfläche eine zweite Ebene versteckter Kritik erkennen. Das lange Zeit gültige Urteil, Martial sei ein »geradezu widerwärtiger Adulator«29 und ein »zynischer Bettelpoet«3o gewesen, sein Werk sei dominiert von Obszönität und serviler Gesinnung, ist inzwischen revidiert worden. Von Statius, dessen Si/vae lange bestenfalls am Rande des altertumswissenschaftlichen Blickfeldes lagen, hatte es kaum milder geheißen, dass er die Gunst Domitians »auf alle Weise zu verdienen suchte«31. Mittlerweile bewertet man diese Panegyrik differenzierter, indem man berücksichtigt, dass der römische Principat längst die in der breiten Masse unbestrittene und akzeptierte Staatsform und von den Dichtem nichts anderes als Loyalität zu ihren Repräsentanten zu erwarten war. 32 Außerdem hatte eine Epoche, in der die Grenzen zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen in der Vorstellung der Menschen fließend waren/ 3 ein anderes Verhältnis zum Adressatenlob und zur Schmeichelei; ein Maß an Panegyrik, das uns heutzutage übertrieben anmutet, kann im Rom des 1. Jahrhunderts n.ehr. durchaus als angemessen erachtet worden sein. Das entgegengesetzte Deutungsmuster will in der oft überschwänglichen Panegyrik versteckte Kritik an dem vorgeblich gepriesenen Herrscher erkennen. Gestützt auf Quintilians Ausführungen über die )verblümte Redeweise< (emphasis 34 ) unterstellten Forscher wie J. Garthwaite, F. Ahl und N. Holzberg Martial und Statius, dass ihre Hymnen den verhassten Despoten Domitian nur vordergründig lobten, auf einer zweiten Ebene jedoch voll kritischer Anspielungen seien. Diese Art der unterschwelligen Kritik, die gefahrlos, da durch die Schmeicheleien an der Oberfläche gedeckt sei, wurde als »safe criticism«, »double speak« oder »figured speech« bezeichnet. 35 Sie arbeite mit sprachlichen Bezügen und mache sich den 29 Bengtson 1979, 146. 30 See11961, 61. 31 R. Helm, P. Papinius Statius, RE 18,3, 1949, Sp. 986. Siehe außerdem Geyssens kurzen Überblick über die Literatur, die in dieser Deutungstradition steht (1996,14, Anm. 31). 32 Siehe z.B. Klug 1995, 70f. 33 S.u. S. 58. 34 Quint. inst. 9,2,65. 35 Siehe die Arbeiten von Ahl und Garthwaite sowie: Holzberg 1988, 75-85; Bartsch 1994. Eine nützliche Zusammenfassung dieser Positionen bietet Spisak 1999, 74-79. - Holzberg hat diese Position in seiner neuen Martialmonographie (2002) inzwischen revidiert; s. Appendix.
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Einleitung
thematischen Kontext zunutze, etwa indem Martial im sechsten Buch seine Lobeshymnen auf die domitianischen Sittengesetze neben satirische Beschreibungen von Sittenlosigkeit in Rom platzierte. In ähnlicher Weise wurden auch das erste, fünfte und neunte Epigrammbuch interpretiert. 36 Von den statianischen Silven rückte v.a. die Earinussilva (3,4) in den Mittelpunkt des Interesses der safe criticism-Verfechter. Statius habe Domitian nicht höher geschätzt als ein Tacitus oder Plinius. Sein Lobpreis sei so abstoßend übertrieben, dass die Falschheit offensichtlich werde. 37 Statius »is perhaps the most ironic master of court poetry in Western literature«38. Der Kaiser habe es sich aufgrund von Martials und Statius' »political insignificance as bourgeois« jedoch leisten können, diese Ironie mit einem Achselzucken hinzunehrnen. 39 Diese Art der Interpretation hat jedoch zu viele Schwächen. Sie setzt, auf die flavische Literatur bezogen, voraus, dass kein Untertan einen >Tyrannen< freiwillig und ohne Not preise, und dass Domitian seine gesamte Regierungszeit hindurch ein Tyrann gewesen sein muss. Sie missachtet, dass Martial und Statius »durch ihre soziale Stellung nicht gerade zur Opposition prädestiniert« waren: »Ein Martial hatte - auch wenn er kein von materieller Not getriebener >Bettelpoet< war - durch Kritik am Kaiser nichts zu gewinnen, ein Statius, der als professioneller Dichter auf den Hof und die Großen der Zeit angewiesen war, wohl einiges zu verlieren«4o. Die These des safe criticism ist mit dem Problem konfrontiert, dass man jede positive Aussage doppeldeutig auffassen kann. Es dürfen jedoch »die Grenzen der Objektivierbarkeit nicht aus dem Blickfeld geraten und müßte ( ... ) für solche Versuche der Text-Dekonstruktion ein theoretisches Fundament gelegt werden, das die Methode derartiger Deutungen transparent macht«41. Schließlich - und das ist der wichtigste Einwand - muss die double speakForschung die Frage beantworten, warum die Autoren hätten voraussetzen können, dass ihre Rezipienten all die versteckten Anspielungen auf den Kaiser verstehen und sich darüber amüsieren konnten, während allein der verlachte Herrscher selbst und seine Höflinge ahnungslos geblieben sein sollen. Diese wenigen Hinweise mögen genügen, um zu zeigen, dass die safe criticism-Forschung kein taugliches Instrument zur Interpretation der flavischen Pane-
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Siehe dazu die Aufsätze von Garthwaite. Ah11984, 90. Ebd. 101. Ebd. 85. Römer 1994, 101. Grewing 1997, 34f.
Einleitung
gyrik sein kann. 42 In jüngster Zeit ist diese Schule mehrfach in hervorragenden Arbeiten widerlegt worden, auf die zu verweisen ich mich begnüge. 43 Bestandteil der allgemeinen Diskussion, wie man Martials und Statius' Panegyrik zu bewerten hat, ist die spezielle Frage nach der Hofnähe oder -feme der Autoren. Bis heute dominiert die Tendenz, den beiden Poeten ein sehr enges Verhältnis zur domitianischen aula zu unterstellen, ja sie als >Hofdichter< zu bezeichnen. 44 Daraus resultiert die häufig zu beobachtende Praxis, die Dichtung mit der höfischen Expression gleichzusetzen, wie eine Argumentation von B. W. Jones bezüglich der kaiserlichen Ehefrau zeigt: Domitia »is far from prominent in the official propaganda: Statius mentions her but once ( ... ), Martial and Silius not at all«45. A. Hardie formuliert diese Sichtweise explizit: »Domitian used Martial and Statius for directly propagandist purposes ( ... ).«46 Gelegentlich differenzierte man auch zwischen den Autoren in der Beurteilung ihrer Stellung zum Kaiserhof. Martial habe nie die Nähe zu Domitian genossen, die Statius besessen habe. 47 Es gibt daher einige Stimmen, die Martial den Status als Hofdichter absprechen, da er nicht über enge Kontakte zur kaiserlichen aula verfUgt habe und uns kein Hinweis darauf vorliegt, dass er mit Domitian persönlich bekannt war. 48 K. H. Waters in seinem Unterfangen, den Flavier von dem Tyrannenverdacht zu befreien, bezog dieses Urteil auf die gesamte domitianische Dichtung: »( ... ) neither Statius, Martial, nor even Silius Italicus, was elose enough to the throne to be the vehiele for official pronouncements«49. G. Thiele war 1916 sogar so weit gegangen, den Poeten beinahe jeglichen Stellenwert in den Augen Domitians abzusprechen, so »daß die Beachtung, welche die Poesie des Statius und Martial durch den Kaiser gefunden hat, über ein flüchtiges Interesse nicht hinausging« und es auch keinerlei Zensur oder »Überwachung« durch den Hof gegeben habe. 50 Den Standort von Literatur zwischen den zwei Deutungsextremen, der Propaganda fiir den Herrscher sowie impliziter Herrschaftskritik, hat Gregor Weber 42 Davon unabhängig bleibt die Möglichkeit, dass Statius und v.a. Martial in ihren Domitiangedichten auch Ironie verwenden. Darauf wird unten aus gegebenem Anlass zurückzukommen sein. 43 Voran Römer 1994, bes. 100-113, und Nauta 2002, 412-440; außerdem Darwall-Smith 1996,271-273; Geyssen 1996, 6f.; Walter 1996, 33f.; Grewing 1997,31-35; Henriksen 1998, 1719; K10dt 1998, 29f., Anm. 67. 44 Ich zitiere beispielhaft die neueste Literatur: Martial und Statius: Scheithauer 2000, 144; Winterling 1999, 76; Christ 1995, 276: »eine oft penetrante höfische Dichtung«; außerdem Scott 1936,89; Statius: Klodt 2001,37; Mause 1994,209. 45 1992,37. 461983,46. 47 Howell 1980, 4f. - Siehe zu der Frage, ob Statius' Vater Domitians Lehrer in religiösen Dingen in der Jugend gewesen ist, Coleman 1988, xv und Geyssen 1996,2 sowie dagegen Vol\mer 1898, 16, Anm. 1. 48 Walter 1996, 21; Coleman 1986, 3101; Thiele 1916, 252. 49 1964,51. 50 1916, 259f.
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für die Dichter am Hof der ersten drei Ptolemäer untersucht. 51 Er wies nach, dass man mit bei den Deutungen der alexandrinischen Literatur nicht gerecht wird: Primär intendierte sie keine propagandistische Wirkung für die Ptolemäer beim Volk, sekundär diente sie den Königen aber sehr wohl, schließlich dokumentierte sie, dass die Autoren Mitglieder des ptolemäischen Hofes waren und vom Herrscher in nachhaltiger Weise gefördert wurden. Die Dichtung konnte den König zum Thema haben (und dabei waren auch kritische Töne möglich), sie musste aber nicht. Sie wirkte nach außen durch den Ruhm der Literaten und den des Herrschers gleichermaßen. Lässt sich Ähnliches auch von den römischen Dichtem am Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. sagen? Die vorliegende Arbeit fragt nach Martials und Statius' Stellenwert an der aula Domitians. Sie untersucht die Rolle, die die Dichtung im Rahmen der kaiserlichen Herrschaftsdarstellung spielte: Kann man von einer expression de la majeste durch die Literatur sprechen? Mit welchen Inhalten und welchen Mitteln diente oder nützte die Literatur dem Kaiser? Wurde ein solcher Beitrag zur Expression in Absprache der Autoren mit dem Hof koordiniert? Dichteten sie im Auftrag? Verpflichteten sie sich gezwungenermaßen oder gab es möglicherweise eine Art vorauseilenden Gehorsam? - Die Beziehung der Poeten zu Domitian ist das Thema dieser Studie. Davon ausgehend wird sich zeigen, ob sich im Zuge der Bearbeitung neue Erkenntnisse für das Bild Kaiser Domitians gewinnen lassen. Das Verhalten der Autoren und insbesondere die chronologische Entwicklung ihrer Panegyrik wird auf mögliche Rückschlüsse hinsichtlich des domitianischen Principats geprüft werden. Die Untersuchung widmet sich dem Verhalten der Literaten unter der Herrschaft des autokratischen Kaisers. Ihr Erkenntnisinteresse ist nicht auf die Reaktionen von Autoren nach Domitians Tod gerichtet, als man ohne Risiko offen über den Ermordeten urteilen konnte. Die Studie ist daher auf die Regierungszeit Domitians, 81-96 n.Chr., begrenzt. Sie behandelt die unter dem Princeps Domitian abgefassten Epigramme des Martial 52 sowie die Silvae des Statius. Beide Autoren erfüllen das Kriterium, dass sie in zumindest indirektem Kontakt zum Kaiser standen und ihnen somit wenigstens mittelbare Kommunikation und Interaktion mit ihm möglich war. Denn nur dann erscheint die Erörterung der Frage sinnvoll, ob, und wenn, in welcher Form der Princeps Einfluss auf die Literatur nahm. Die Reden Dios von Prusa können darüber keine Auskunft geben, da es zwischen dem fernab von Rom wandernden Philosophen und dem Kaiser keinen Kontakt gab. 51 Weber 1993. 52 Die Epigrammbücher 1-9 und 13/14 sind während des domitianischen Principats entstanden und daher Gegenstand der Studie. Das fiber spectaculorum wurde i.J. 80 geschrieben und befasst sich ausschließlich mit Titus. Die Bücher 11/12 datieren aus der Zeit nach Domitians Ermordung. Vom 10. Buch, dessen erste Auflage noch unter Domitian entstand, haben wir nur die zweite, i.J. 98 herausgegebene Auflage; auch sie muss daher unberücksichtigt bleiben.
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Sie bleiben daher außerhalb der Untersuchung, ebenso wie die Punica des Silius Italicus. Da er das Epos als Alterswerk auf seinen Ländereien in Campanien dichtete, war er in der Hauptstadt nicht mehr präsent. 53 Schließlich wurde auch darauf verzichtet, auf Statius' epische Dichtung näher einzugehen. Die Frage, ob sich in der Thebais Bezüge auf das flavische Rom finden lassen, ist beinahe so alt wie die Statiusforschung selbst. Die Mehrzahl der Interpretatoren verneint einen Zusammenhang zwischen den Protagonisten und den propagierten Ideen des Werks und dem zeitgenössischen Rom54 : »It would be wrong to see in the Thebaid any subtle political allegory. ( ... ) Search as we may, we will find nothing subversive ( ... ).«55 Jedoch wird auch rur die Thebais die Position vertreten, sie enthalte versteckte Anspielungen, welche Missstände der aktuellen Politik aufs Kom nähmen. 56 Man muss dabei nicht auf die double speakTheorie zurückgreifen; dass Statius das Thema des Bruderkampfes aufgriff und sein Epos mit fraternas acies begann, konnte seine Leser und Hörer an Lucans Proömium erinnern, das dieser mit beUa ... plus quam civilia eingeleitet hatte. Das Motiv des Bruderkampfes, aus dem Bürgerkrieg entsteht, war seit Lucan politisch negativ >besetztgezähmte Löweanderen< Instrumente
Die ausfiihrliehe Darstellung der expression de la majeste Domitians soll als Basis für die Untersuchung der Dichtung dienen. Daher werden die wichtigsten Instrumente und Medien der Herrschaftsdarstellung behandelt, die Dichtung hingegen zunächst außer Acht gelassen. Die Untersuchung strebt keine Vollständigkeit an und sie beansprucht in den Einzelheiten keine Originalität. Die Instrumente der Expression lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe bilden alle Formen der unmittelbaren Kommunikation und Interaktion des Kaisers mit den Untertanen. Dazu zählen das Auftreten des Kaisers in der Öffentlichkeit (die »direkteste Form der Selbstdarstellung«l), Triumphfeiern und alle Veranstaltungen, auf denen der Herrscherkult zelebriert wurde, des Weiteren alle Arten von Euergesien, materielle Spenden des Kaisers und die vielfältigen Spiele und Spektakel in Theater, Zirkus oder Arena. Jede dieser Maßnahmen fand, im Falle Domitians, (fast) ausschließlich in der Hauptstadt bzw. im Feld, d.h. auf militärischen Expeditionen, statt. Sie erreichten also nur die stadtrömische Bevölkerung oder diejenigen Menschen, die sich in der Gegenwart des Kaisers befanden. Allen übrigen Untertanen musste davon durch andere Medien (z.B. Münzen) berichtet werden. Folglich stehen uns dafür v.a. indirekte Quellenzeugnisse zur Verfügung. Eine Ausnahme bilden jedoch öffentliche Bauwerke, die als Euergesie für die Bevölkerung der Hauptstadt verstanden wurden. Alle Mittel und Wege der kaiserlichen liberalitas waren in hohem Maße institutionalisiert; sie wurden von den Untertanen erwartet. Aber auf das» Wie« kam es an: das Verhalten des Princeps bei der Gewährung von Wohltaten und die Nuancen, in denen sich seine Euergesien von denen der Vorgänger unterschieden. Die Formen des direkten Kontakts mit den Beherrschten hatten, bei aller Wiederholung, einen je singulären Charakter; sie waren niemals gleich. Sie mussten im Sinne der Webersehen Perpetuierung des Herrschercharismas2 ständig erneuert werden. Zu der zweiten Gruppe zählen die Instrumente, die zeitlich und/oder räumlich unbegrenzt einsetzbar bzw. (für die Untertanen) antrefibar waren. Das gilt v.a. für die Münzen und die in vielen Varianten vorhandenen Kaiserbilder sowie für die
1 Kuhoff 1993, 2l. 2 Siehe dazu Weber 1972, 142-148; Gehrke 1982,267.
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auf Münzen oder in Inschriften zu lesende Titulatur der Kaisers. Sie waren dauerhaft und nicht an einen Ort gebunden. Das gilt auch für den Herrscherkult, der durch Münzen, Statuen, Bauten oder Inschriften vermittelt wurde. Bauwerke, die neben dem Euergetismus auch andere Aussagen transportierten, kannten eine räumliche, aber keine zeitliche Grenze. Die symbolischen Eigenschaften des Kaisers, die von vorneherein durch Medien verkündet werden, waren zumindest theoretisch für die Gesamtheit der Untertanen bestimmt und auf Dauerhaftigkeit angelegt. Dafür stehen uns mit den Münzen und den Bauten direkte Quellenzeugnisse zur Verfügung, während durch die damnatio memoriae Domitians keine Statuen unverändert erhalten sind. 3 Die Münzen sind unsere mit Abstand beste Quelle für die kaiserliche Selbstdarstellung. Durch ihre große Stückzahl konnten sie viele und vielfältige Aussagen transportieren und flexibel, wie sie waren, die Untertanen am besten erreichen. Aus der unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Reichweite und dem direkten bzw. vermittelten Charakter der Herrschaftsdarstellung folgt: Die einzelnen Instrumente und Medien hatten unterschiedliche expressive Qualitäten. Entsprechend unterschieden sich die Botschaften und Wirkungen der Instrumente voneinander. Ihre Summe machte die Expression des Kaisers aus. Ist daher die Behauptung zulässig, dass sich aus den Einzelaussagen ein genau umrissenes und durch den Kaiser intendiertes Bild von sich zusammensetzte? Diese Frage soll Kapitel 2.1 über die Urheberschaft klären: Wurde die Ostentation der kaiserlichen Imago ausschließlich vom Kaiser bzw. einem Stab von Beratern4 gestaltet oder nahmen die Untertanen darauf Einfluss? - Es erschien als sinnvoll, die Untersuchung der domitianischen Herrschaftsdarstellung nicht nach Instrumenten zu strukturieren, sondern nach den Untersuchungsaspekten, die für die Behandlung der Dichtung interessieren. Nach der Frage der Urheberschaft werden die Zielgruppen unter die Lupe genommen (2.2): Lassen sich bestimmte Themen für einzelne Gruppen von Untertanen spezifizieren, und welche Gruppen wurden vom Kaiser besonders angesprochen? Ausführlich werden im Anschluss die thematischen Schwerpunkte dargestellt (2.3.1). Welche Themen gehörten zur kaiserlichen Konvention, welche ließen eine spezifische domitianische Handschrift erkennen (2.3.2)? Unter den Vorbildern ist den griechisch-hellenistischen Einflüssen ein eigenes Kapitel gewidmet (2.3.3). Einen gesonderten Blick lohnt
3 Aus Gründen der Arbeitsökonomie werden Inschriften nur vereinzelt herangezogen. In Bezug auf den Verbreitungsgrad und die Rezeption weisen sie keine sonderlich großen Übereinstimmungen mit der Dichtung auf. 4 Wenn in diesem Kapitel vom Princeps bzw. Kaiser als Urheber seiner Herrschaftsdarstellung die Rede ist, so ist hier natürlich immer ein Stab von Beratern mitgedacht. Eine weitergehende Differenzierung ist aufgrund der Quellenlage natürlich nicht möglich und eigentlich auch nicht notwendig.
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die Materialität der Instrumente, d.h. die Qualität des Materials und der künstlerischen Form, da sie den Rahmen für die Präsentation der Inhalte abgaben (2.3.4). Schließlich beschäftigen sich einige Überlegungen mit der Frage, wann und wo die Untertanen mit der Expression in Berührung kamen, wieweit diese auch in deren Alltag hineinreichte (2.4.1). Einer wirkungsvollen und omnipräsenten Expression diente nicht zuletzt der kombinierte Einsatz mehrerer Instrumente (2.4.2).
2.1 Urheberschaft Der Princeps war nieht der auetar aller Instrumente und Medien seiner Herrschaftsdarstellung. Er konnte es auch gar nicht sein, stand dem doch das Bedürfnis von Städten, Körperschaften oder Einzelpersonen, ihn zu ehren, im Wege oder regional verschiedene Vorstellungen, wie der Herrscher zu sein hatte. Bevor aber die die formale Urheberschaft der kaiserlichen Zentrale behindernden Aspekte, regionale Unterschiede, organisatorische Schwierigkeiten, Aktivitäten der Untertanen sua spante, behandelt werden, soll zunächst die in der neueren Forschung häufig diskutierte Frage des Publikums und seines Einflusses auf die kaiserliche Selbstdarstellung aufgegriffen werden. Die Einwirkung des Publikums soll exemplarisch an den Kaiserbildnissen in Rom und im Reich dargestellt werden, da dieser Bereich am besten erforscht ist und sich das hierbei erkennbare Grundmuster des Wechselspiels zwischen Herrscher und Untertanen auch bei nahezu allen anderen Instrumenten finden lässt. T. Hölscher hat den Einfluss der Untertanen anhand des Staatsdenkmals untersucht und gezeigt, dass dessen Aussage, da es sich an bestimmte Betrachter wendet, von seinem Publikum mitgeprägt ist: »Das Denkmal wird hier als Botschaft verstanden, die zwischen Urheber und Betrachter, >Sender< und >AdressatBilder vom Kaiser< existierten nicht nur in ihrem räumlichen Kontext, sondern auch in den Köpfen der Zeitgenossen. P. Zanker hat von »des champs semantiques d'images« 5 Hölscher 1984, 8. 6 Hölscher 1984, 9.
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gesprochen, Stereotypen, die die Rezeption von Bildern lenken und so den Blick auf die Wirklichkeit vorbestimmen. 7 Auf diese Stereotypen hatte der Kaiser Rücksicht zu nehmen, denn diese zu ändern war, wenn überhaupt, dann nur in einem lang andauernden Prozess möglich. Insofern ist ein Wandel der Bildinhalte, wie ihn Hölscher für die Entwicklung des Principats von Augustus zu Trajan konstatiert, zugleich als Zeichen für ein verändertes Zielpublikum zu verstehen. 8 Der Trajansbogen von Benevent richtete sich mit seinem Bildprogramm an einen Adressatenkreis, dessen Umfang die römische Staatskunst zuvor nicht gekannt hatte. »Unter Traian sind die Themen breiterer Schichten, explizit formuliert, bis in die zentralen Staatsmonumente vorgedrungen.«9 Und auch wenn diese Entwicklung vom Beginn des Principats bis ins zweite Jahrhundert, in dem sie ihre Fortsetzung fand, sicherlich nicht eingleisig und geradlinig verlaufen ist, wird man für Domitian als den fast direkten Vorgänger Trajans doch von einer ähnlichen Situation sprechen können: Der Flavier errichtete außergewöhnlich viele Bauten für Spiele, Feste und Spektakel, also Stätten für die breite Masse: außer dem fertigzustellenden Kolosseum die Naumachie, das Stadion und das Odeon. Ein neues Theater als Ort der (mehr oder minder) gehobenen Unterhaltung kam hingegen nicht dazu. Die Untertanen, so regional verschieden ihre Herrschaftsvorstellungen je sein mochten, rezipierten die Handlungen des Princeps nicht nur, sie bestimmten den Rahmen und die Bewertungskoordinaten mit. Die Ausbildung der neuen augusteischen Bildersprache etwa ergab sich, so Zanker, 10 »aus dem Ineinandergreifen von Selbstdarstellung des Herrschers und ihm dargebrachten, mehr oder weniger spontanen Ehrungen, und zwar in einem über weite Strecken hin selbstläufigen Prozeß«. Ob dem Kaiser diese Selbstläufigkeit immer bewusst war, spielt keine Rolle. Die Beeinflussung betraf nicht nur die Bild- und Baukunst, sondern auch andere Felder und Aspekte der Expression der kaiserlichen Majestät. Wenn der Princeps persönlich in der Öffentlichkeit agierte, war er selbstverständlich stets
7 Zanker 1994,289. 8 Hölscher 1984, 34. 9 Ebd. 35. Hölscher sah darin ein »Symptom fiir den sozialgeschichtlichen Wandlungsprozeß, der seit der frühen Kaiserzeit allmählich zu einer Verlagerung des öffentlichen Einflusses auf neue Schichten fiihrte« (ebd.). - P. Zanker (1994, 289) hat daraufhingewiesen, dass die staatliche Kunst nicht nur unterschiedliche Bildungsgrade und kulturelle Prägungen ihrer potenziellen Betrachter berücksichtigen musste, sondern auch die je verschiedene Konzentration und Intensität, mit der ein Betrachter >hinschauteMassenverträglichkeitanderen< Instrumente
auch von dem kommunikativen Verhalten seiner Untertanen abhängig, sei es bei Akklamationen oder Triumphfeiern, sei es bei den Spielen. Es galt für ihn, ad hoc zu reagieren, etwa auf die Sprechchöre und Wünsche des Zirkuspublikums. Es galt weiterhin, bei der Planung von Spielen und Spektakeln die Zuschauerreaktionen der letzten Veranstaltung zu berücksichtigen und den Vorlieben der Menge zu entsprechen. Die Adressaten wirkten durch ihre Erwartungshaltung und ihr Bild vom Kaiser, das reichsweit durchaus verschieden sein konnte, an der Herrschaftsdarstellung passiv mit. Ich möchte so weit gehen zu sagen, dass sie damit auch zur Legitimierung der Kaiserherrschaft beitrugen. Denn beim Herrschaftsantritt eines neuen Kaisers beteiligten sich die drei relevanten Gruppen im Staat an dessen Legitimierung durch ihre jeweiligen »Einverständnis-Erklärungen«: das Heer durch die militärische Akklamation, der Senat durch die Übertragung der Titulatur und die plebs urbana durch die lex in der Volksversammlung. I I So wie die Herrscherlegitimierung beim Machtantritt von den Untertanen mitbesorgt wurde, so verlief die Herrschaftsdarstellung auch während der Regierungszeit nicht in einer Einbahnstraße. Die Gruppen im Reich hatten daran ihren Anteil. Die kaiserliche Herrschaftsdarstellung unterlag nicht nur dem indirekten Einfluss der Untertanen, vielmehr waren verschiedene Personen und Institutionen in sie involviert, die weder auf Weisung des Princeps handelten noch ihn irgendwie repräsentierten. Dieses Phänomen fand sich im Imperium Romanum umso häufiger, je größer die räumliche Entfernung zur Hauptstadt war. Offensichtlich beschränkte der Herrscher sich oft auf »allgemein gehaltene Vorgaben wie etwa die Betonung bestimmter zeitlypischer Wertvorstellungen«12. Um deren Umsetzung kümmerte er sich nicht. Ein kaiserliches Bildnisrecht etwa, das u.a. die Genehmigung von Bildnissen sowie deren Form und Material genau geregelt hätte, hat es wohl nicht gegeben. 13 Auch ist der Kaiser keinesfalls immer um Erlaubnis gebeten worden, wenn ein Bildnis für ihn aufgestellt werden sollte, wie Tiberius' genau darauf zielendes Verbot belegt,14 und die Praxis von Städten und Truppen, nach der Ausrufung eines neuen Kaisers sofort dessen Bildnis zu errichten, ließ in Zeiten schnell wechselnder Herrscher keine Rückfrage um Erlaubnis zu. Der Kaiser
11 Flaig 1992, 193; s.a. Sünskes' These, dass das Volk »durch Demonstration von Sympathie und Legitimität (00') herrschaftslegitimierenden Einfluß zu nehmen vermochte« (1993, 6). 12 Witschel1996, 526. 13 Die Existenz eines Bildnisrechts ist in der Forschung wiederholt vertreten worden, z.B. von J.P. Rollin, Untersuchungen zu Rechtsfragen römischer Bildnisse, Bonn 1979, v.a. 94ft'. Siehe zur Gegenposition Pekäry 1985, 144f. 14 Suet. Tib. 26,1: prohibuit etiam statuas atque imagines nisi permittente se poni. Vgl. Pekary 1985, 147; dieser fuhrt allerdings Belege dafilr an, dass u.a. bei Caligula, Claudius oder Trajan wegen der Errichtung von Kaisertempeln angefragt wurde, was sich natürlich mit der damit einhergehenden Einfilhrung eines Kaiserkults erklärt (ebd.).
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hatte auf die Aufstellung seiner Bildnisse im Reich also längst nicht immer Einfluss oder Kenntnis davon. Die These vom Kaiser als >RahmengeberUrbild< ab, das wahrscheinlich von einem Hofbildhauer nach den Vorgaben des Kaisers angefertigt worden war. Wie gelangten nun die Modelle der offiziellen Porträts in die Bildhauerwerkstätten überall im Imperium Romanum? Von den Urbildern müssen sehr zahlreiche Kopien angefertigt und selbst in entlegene Gebiete des Reiches geschickt worden sein. 15 Die Organisation einer flächendeckenden Verbreitung dieser Kopien im Imperium Romanum durch den Kaiser bzw. seine Beauftragten fand allerdings nicht statt. Die Kaiser ließen zwar offizielle Bildnisse anfertigen und stellten diese den Bildhauerfirmen in Rom und im Reich zwecks Vervielfältigung zur Verftigung. Sie kümmerten sich aber trotz der hohen politisch-sakralen Bedeutung der kaiserlichen Imago nicht um die Verbreitung der Vorlagen, geschweige denn um deren Rezeption in den Provinzen. Es gab offenbar keinen mit solchen Aufgaben der kaiserlichen Selbstdarstellung betrauten Apparat. 16
Der Princeps nahm keinen Einfluss darauf, in welcher Form seine bildlichen Vorgaben in den Provinzen umgesetzt wurden. Es spricht einiges dafür, dass das bewusst unterlassen wurde, um den großen regionalen Unterschieden in Griechenland, Kleinasien oder Nordafrika Rechnung zu tragen, künstlerisch-stilistischen Traditionen genauso wie Herrschaftskonzeptionen und -vorstellungen. Denn dass die Untertanen sich grundsätzlich an den (inhaltlichen) Vorgaben des Kaisers orientierten, war selbstverständlich und brauchte nicht extra veranlasst zu werden. Für die Zeit nach Ende der julisch-claudischen Dynastie hat T. Hölscher beobachtet, dass die Monumente außerhalb Roms, die sich seit Augustus »als Kopien oder Umbildungen auf die Denkmäler der Hauptstadt« bezogen hatten, diesen Bezug nunmehr verloren. Dadurch hatte auch das geistig-kulturelle Niveau der stadtrömischen Oberschicht seinen stilbildenden Einfluss auf die Provinzbevölkerung eingebüßt. 17 Die kulturellen Identitäten der Provinzen kamen nun stärker zum Tragen.
15 Zanker 1983, 8. 16 Ebd. 44; dagegen meint Pekäry, dass »jeder neue Herrscher, auch die ersten, ihr offizielles Bildnis sofort nach Regierungsantritt mindestens in die Militärlager schicken mußten (sie!) und daß diese dann kopiert werden konnten« (1985, 24). Allerdings liefert er daftlr keinerlei Belege. S. 43 begründet er seine These: »damit die Soldaten den Eid aufihn [i.e. den Kaiser] schwören konnten«, stellt dann aber die Frage (und lässt sie unbeantwortet), ob zum Eid überhaupt ein Kaiserbildnis notwendig gewesen wäre (ebd., Anm. 16). 17 Hölscher 1984, 33f.
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Durch den kaiserlichen Verzicht auf genaue stilistische und formale Vorschriften »war es den Untertanen nun aber möglich, bei der Rezeption der Vorgaben aus der Zentrale auch eigene Vorstellungen einfließen zu lassen«18. Regional unterschiedlich stark ausgebildete ikonographische Herrscherbildtraditionen sorgten daflir, dass der Kaiser z.B. in Kleinasien als ßaO"lA.cu~ dargestellt wurde, nicht als princeps, wie es den senatorischen Vorstellungen entsprach. Das Bild vom Kaiser wurde so geformt, wie es die Untertanen in den Provinzstädten jeweils erwarteten. 19 Mit anderen Worten: Eine von der Hauptstadt aus ins Werk gesetzte Instrumentalisierung der Kaiserporträts für die expression de la majeste wäre in den Provinzen verpufft, weil sie auf die je verschiedenen Erwartungen der Provinzialen keine Rücksicht hätte nehmen können. Wenn man den Bildhauern aber ihre Freiheit ließ, konnten sie das Bild vom Kaiser in ihrem regionalen Kontext wirkungsvoll konstituieren. Chr. Witschel nennt dies ein »)Wechselspiel< zwischen zentralen Vorgaben und lokaler Rezeption«, das für ihn das Funktionieren kaiserlicher Selbstdarstellung erst garantierte, »zumal es sich des öfteren beobachten läßt, daß die Kaiser bzw. die jeweils dafur Verantwortlichen wiederum Anregungen )von unten< aufgriffen«20. Es kann also keine Rede davon sein, dass die bildliche Eigenwerbung des Princeps durch Statuen in einem umfassend durchorganisierten und kontrollierten Prozess aus der kaiserlichen )Denkfabrik< in Rom über das gesamte Reich verbreitet worden ist. Das hatte natürlich Folgen für den Herrscherkult und für die titulare Eigenwerbung des Kaisers: Nicht nur die Verehrung der Kaiserbilder, sondern auch Kultfeiern, Opfer oder Inschriften religiösen Inhalts unterlagen gleichermaßen den allgemeinen Vorgaben aus der kaiserlichen Zentrale und den regional ausgebildeten religiösen Traditionen und Gefühlen. 21 Abweichungen in der epigraphischen und numismatischen Nomenklatur Domitians dürften ebenfalls auf die regional verschiedenen Vorstellungen der Untertanen zurückzuflihren sein. Die griechischen Inschriften handhabten die Titulatur insgesamt flexibler und freier als die lateinischen. Es fallt ihr Reichtum an schmeichelnden Epitheta für Domitian und Domitia auf, ohne dass systematische Unterschiede festzustellen wären. 22 Eine Bronzemünze aus Judäa mit der ungewöhnlichen Legende t,OMET KAIL ['EPMA, in der der AYTOKP ATQP- und der LEBALTOL-Titel fehlen, unterstreicht diesen Befund: T. V. Buttrey hat angenommen, dass eine lokale Münzprägestätte nach 83 eine Domitian-Münze aus vespasianischer Zeit, als
18 Witschel 1996, 528. 19 Zanker 1983,47. 20 Witschel 1996, 528. 21 Siehe Clauss 1999,472. 22 Siehe Martin 1987, 169 und 206. Siehe zu Domitians Titulatur in ägyptischen Dokumenten Grenier 1989, 40-45 und 92-94.
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Domitian lediglich Caesar war, zum Vorbild genommen und dieser den Titel Germanicus hinzugefügt habe, der im Osten bekannt geworden war. 23 Die Untertanen in den entfernteren Provinzen antizipierten also die kaiserliche Expression und gestalteten sie nach eigenen Vorstellungen aus. 24 In den Provinzen unterlag die expression de la majeste seltener dem direkten Zugriff des Kaisers. Dies lag an unüberwindbaren organisatorisch-praktischen Hindernissen, die sofort einsichtig sind. In die meisten Gegenden seines Reiches konnte der Kaiser eben niemals gelangen (oder gelangte zumindest Domitian noch nicht). Es war aber auch in der Respektierung regionaler kultureller Unterschiede begründet, die man sich im Gegenteil zunutze machte. Neben den regional verschiedenen Herrschaftsvorstellungen und Stiltraditionen hinderten auch die teils mangelhaften Fähigkeiten der Bildhauer den Kaiser daran, seine Herrschaftsdarstellung zentral und unmodifiziert zu verbreiten. Dazu kam, dass nicht immer gute Vorlagen für die Bildnisse vorhanden waren. 25 Die direkte Einflussmöglichkeit des Kaisers auf seine eigenen Statuen blieb also auf Rom beschränkt. 26 Diese Bestandsaufnahme für den frühen Principat gilt es für spätere Zeiten zu revidieren: Seit dem dritten Jahrhundert haben wir Belege dafür, dass die neu ins Amt gekommenen Kaiser durch die Aussendung ihres >offiziellen< Bildnisses Einfluss auf die Aufstellungsbräuche der Städte im Imperium Romanum genommen haben. Da war längst (nämlich seit 68/69) die Praxis etabliert, dass jedem neuen Kaiser sofort und überall Statuen errichtet wurden, was aus Tacitus' Bericht über das VierkaiseIjahr hervorgeht. 27 Im Gegensatz zur Bild- und Baukunst fand in der römischen Münzprägung von Augustus hin zu den Flaviern eine wachsende Zentralisierung statt. Unter Domitian wurde erstmals beinahe die gesamte Münzausgabe des westlichen Imperium Romanum von der Hauptstadt aus besorgt. Die technisch-organisatorischen Schwierigkeiten, die die Verbreitung von Kaiserbildern in das ganze Imperium sowie die Einflussnahme auf Bauprojekte allüberall in den Provinzen verhinderten, fielen für das Münzwesen weg. Die Gold- und Silbermünzen wurden für das gesamte Reich in der Kapitale geprägt. Die Organisation des Aesmünzwesens
23 1990, xi. BMC Palästina, S. 244, 34-39. 24 Buttrey dagegen erklärt diesen Fall und auch »the great variety in the nomenclature in the epigraphy and papyri« mit »private carelessness or ignorance« (1990, iv), was mir als eine zu negative Wertung erscheint: Die lokalen Multiplikatoren setzten bewusste, wenn auch je verschiedene Akzente. 25 Zanker 1983,46. Vgl.a. C1auss 1999, 478f.: »Es waren ( ... ) wahrscheinlich diese eher bescheidenen Darstellungen, welche die Verbreitung des Kaiserkultes in sämtliche Bevölkerungsschichten hinein dokumentierten.« 26 V gl. Bergemann 1990, 43, der das für die Reiterstatuen zeigt. 27 Tac. hist. 3,7 und 3,12f.; vgl. Pekäry 1985,23 und 152.
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erreichte in Domitians Regierungszeit ihre volle Reife, und auch wenn vielerorts in den östlichen Provinzen Münzen herausgegeben wurden, so blieb die Zahl individuell gestalteter Exemplare gewöhnlich klein und erlangte nicht den Verbreitungsgrad ihrer römischen Pendants. 28 »From 85 to 96 the uniformity of Domitian's coinage is undoubtedly its most noticeable characteristic. The consistency of standards is almost equalled by the regularity of legend forms and typology and the methodical cycle of production in all denominations.«29 Zudem hatte schon in Neros Administration zu den Aufgaben des minister für finanzielle und wirtschaftliche Angelegenheiten auch das Münzwesen gezählt, wie Statius in seinem Trostgedicht an Claudius Etruscus über dessen Vater hervorhebt. 3D Gemeinsam mit einer verstärkten Differenzierung verschiedener Münzsorten, die zum Thema >Zielgruppen< (unten S. 38) noch behandelt werden wird, garantierte die Münzzentralisierung eine größere Kontrolle über die via Münzen vermittelte Herrschaftsdarstellung. Die effektivere Einflussnahme auf die Ikonographie ging einher mit der Münzproduktion in größeren Massen, so dass Alexandropoulos von einer »epoque de pleine maitrise dans l'utilisation politique de la monnaie« gesprochen hat. 31 P. Lummel beobachtete für die gesamte frühe und mittlere Kaiserzeit einen engen Zusammenhang zwischen den Zielgruppen der Reichsmünzen und der Politik eines Kaisers und kam zu dem Ergebnis: »Die Typen der Reichsprägungen erdachten nicht irgendwelche niederen Beamten, sondern sie entstanden in Abstimmung mit dem Kaiser.«32 Plausibel sei die Annahme, dass »nicht immer Typen, sondern oft nur allgemeine Richtlinien in der kaiserlichen Zentrale von den amid festgelegt wurden, die den Münzstätten gewisse Freiräume der Auslegung ließen«33. Zwischen den Münzen und den anderen Instrumenten der Expression sind in puncto indirekter Einflussnahme der Untertanen Parallelen denkbar. Aber auch Zeugnisse direkten korrigierenden Eingreifens durch den Kaiser sind überliefert. 34 Für das gesamte Münzwesen kann man also beinahe von einer direkten und alleinigen Urheberschaft des Kaisers sprechen.
28 Alexandropoulos 1994, 8lf.; Carradice 1983,4, der weitere Belege fur die ungleich höhere Bedeutung der westlichen Münzproduktion gegenüber der östlichen liefert (S. 2-4). 29 Carradice 1983, 143f. 30 Stat. silv. 3,3,86-105; vgl. auch Southern 1997, 60f. und Hannestad 1986,137. 31 1994, 87, vgl. auch S. 79. Carradice 1983, 148 kommt zu einem sehr ähnlichen Resümee: »The Roman Imperial coinage was, after all, produced in Rome, and it is unlikely to have been overlooked by Domitian's watchful eye.« 32 Lummel 1991, 103f. 33 Ebd. 104. Ähnlich Gmyrek 1998, 23, die resümiert: »Oberste Kontrollinstanz muß ( ... ) letztendlich der Kaiser gewesen sein.« 34 Lummel fuhrt zwei Beispiele von Caligula und Trajan an (ebd. 104).
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Wer war nun als Urheber, auctor, Stifter oder Dedikant an der expression der kaiserlichen Majestät beteiligt? - An erster Stelle natürlich der Kaiser selbst. Die alleinige Urheberschaft lag bei ihm auf all jenen Feldern, wo er persönlich in Erscheinung trat und mit dem Volk kommunizierte und interagierte. Das betraf die Feste und Spiele, Triumphfeiern, Congiarien und donativa, allgemein den Euergetismus und Elemente des persönlichen Herrscherkults; über andere Kulthandlungen, wie die Deifizierung von verstorbenen Verwandten oder die Errichtung von Tempeln, entschied er ebenfalls allein. Zwar mögen sich die Verantwortlichen der Herrschaftsdarstellung auch fiir das Auftreten des Kaisers in der Öffentlichkeit nach Vorstellungen und Anregungen >von unten< gerichtet haben - was sogar sehr wahrscheinlich ist -, das ändert aber nichts daran, dass der Monarch der alleinige auctor seines öffentlichen Agierens war. Aber auch auf jenen Feldern, die von vorneherein durch Medien vermittelt wurden und die noch mehr mit Symbolik zu tun hatten, spielte der Princeps als Urheber eine gewichtige Rolle. Wir haben schon gesehen, dass Domitian reichsweit die Richtlinien fiir das Münzwesen vorgab. Er bestand persönlich auf der durchgehenden Verwendung von Minerva-, Jupiter- und Germanicusmotiven sowie dem präzisen Erscheinen seiner jeweils aktuellen Titulatur. 35 Sueton berichtet, Domitian habe sich intensiv um seine Administration gekümmert; darunter fiel wohl auch die Oberaufsicht über die Bauprojekte: »Under the Flavians, and probably in his [i.e. Domitian] reign, the opera Caesaris (or Department ofPublic Works) increased its influence markedly and was, at the very least, consulted on all programmes of any size.«36 Als Bauherr in Rom kam ohnehin praktisch nur der Kaiser in Frage. Gerade auf dem Feld der Bauwerke als den teuersten und dauerhaftesten Repräsentationsinstrumenten konnte der Kaiser keine anderen Urheber dulden, da diese automatisch in Konkurrenz zu ihm treten mussten. Er allein bestimmte über seinen Status, indem er sich zur Übernahme der Konsulate oder zur Umbenennung der Monatsnamen entschloss, und über seine Titulatur in offiziellen Dokumenten wie Militärdiplomen und auf den Münzen aus Rom. Gelegentlich hatte aber auch der >Autokrat< Domitian auf historisch begründete Zuständigkeiten Rücksicht zu nehmen. So trat er nicht als offizieller Stifter seiner eigenen Reiterstatue auf dem Forum Romanum auf, denn das gehörte zu den alten republikanischen Vorrechten des Senats. Daher beschlossen Senat und Volksversammlung die Reiterstatue fiir Domitian, über ihre Gestaltung entschied er dann
35 Jones 1992, 79. Die seit 88 erscheinenden Typen mit der Legende Domitianus Augustus Germanicus verfolgten einen anderen Zweck (s.u. S. 61). Sie widersprachen aber nicht der These der direkten Einflussnahme Domitians. 36 Ebd. 97; Suet. Dom. 8,2.
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selbst. 37 Dem Senat stand es - neben der Aufstellung öffentlicher Kaiserstatuen zu, Triumphbögen und Tempel für konsekrierte Kaiser zu bauen. 38 Aber auch dem Titusbogen und dem Tempel für Vespasian und Titus werden Absprachen zwischen dem Senat und dem Kaiser, wenn nicht gar eine informelle kaiserliche Initiative vorausgegangen sein. 39 Es handelte sich hier also um eine inoffizielle Urheberschaft des Kaisers. Nichtsdestoweniger wird er von jedem Betrachter der Statue als der eigentliche, der wahre auctor angesehen worden sein. Diese Aussage lässt sich verallgemeinern: Der Princeps galt als Urheber der meisten Monumente, die von ihm persönlich weder in Auftrag gegeben noch bezahlt worden waren. Die eigentlichen Urheber waren dagegen andere: »Au lieu d'un commanditaire, nous en avons plusieurs: le senat, les cites, les corporations, les individus.«40 Außerhalb Roms bewilligte formal offenbar der Senat die Einführung von Spielen und einen Tempel zu Ehren des Kaisers, wie ein Beispiel aus Nikomedeia unter Commodus zeigt. Da der Antrag dafür aber von Saoteros, dem cubicularius, also dem Kammerdiener, des Commodus gestellt worden war, belegt dieser Fall die verdeckte Urheberschaft des Princeps.41 Für Kaiserstatuen, die abseits der Hauptstadt aufgestellt wurden, fungierte häufig die jeweilige Stadt als Stifterin. Die Städte entschieden über Priester aus ihren Oberschichten, die Errichtung von Tempeln und die Gestaltung des eigenen Festkalenders, alles Maßnahmen des Kaiserkults, die dieser billigte. 42 Die Provinzen waren in ihrer Selbständigkeit recht unterschiedlich: Nur im Osten ging die Initiative zu Herrscherkulten von ihnen selbst aus, da nur in deren Koina Organe existierten, die für die Ausführung der Kulte sorgen konnten. 43 Für Kaiserstatuen übernahmen auch städtische tribus oder Phylen, collegia oder andere Berufsgruppen, religiöse Vereine (wie die fratres Arvales) oder einzelne Gruppen innerhalb des Heeres die Rolle des Dedikanten. 44 Schließlich Privatleute: Wenn sie auf eigene Kosten ein öffentliches Kaiserbildnis errichten ließen, dann diente dies oft als Zeichen ihrer Loyalität zum Kaiser. Gelegentlich mag dies vom Herrscher verlangt gewesen sein, häufiger werden diese Ehrungen spontan und aus freien Stücken erfolgt sein. 45 Dann entstanden die Kaiserbildnisse selbständig und 37 Das belegt Statius' Aufforderung an Domitian am Ende von silv. 1,1: utere perpetuum populi magnique senatus munere (v. 99f.) Siehe Bergemann 1990,42. 38 Der Senat stimmte über die Vergöttlichung eines Kaisers ab, so dass ein Tempel fur einen divus ohne die Zustimmung des Senats formal nicht möglich war. Dies zeigt die Inschrift auf dem Tempel filr Vespasian und Titus: Diuo Vespasiano Augusto SPQR (CIL 6,938). 39 Siehe Darwall-Smith 1996, 32 und 233. 40 Zanker 1994,283. 41 Cass. Dio 73,12, 2; s. Pekäry 1985,4. 42 Siehe Clauss 1996,421. 43 W10sok 1978,46. 44 Pekäry 1985,7-9. 45 Ebd. 10.
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ohne Vorgabe, und der Kaiser hatte auf sie keinen Einfluss noch Kenntnis davon. Auch der Euergetismus außerhalb Roms, panis et circenses, gegeben von kaiserlichen Statthaltern, diente ohne kaiserliches Wissen der Expression der Majestät. Zu gemeinsamen Urhebern wurden der Kaiser und die Untertanen, wann immer Herrscherkult zelebriert wurde. Auf die Wohltaten des Herrschers, die das Volk auch erwartete, antwortete es mit kultischen Ehrungen als Ausdruck der Dankbarkeit. Der Herrscher reagierte darauf mit neuen benejicia. Der Kult verkörperte also den institutionalisierten Dank der Untertanen. 46 In diesem Wechselspiel hatten beide Seiten ihre erwartete Rolle zu spielen. Natürlich hatte aber auch hier der Kaiser das letzte Wort: Tiberius entschied darüber, in welchen Provinzen er seine göttliche Verehrung durch Tempel gestattete und in welchen nicht. 47 Wenn andere formale Urheber - der Senat, Provinzstädte, gesellschaftliche Gruppen, Einzelpersonen - die Errichtung von Kaiserstatuen, Kultbauten oder neue Formen der kultischen Kaiserverehrung außerhalb Roms beschlossen, wurden diese Dinge Teil der Herrschaftsdarstellung und galten »nach außen hin ( ... ) als >Werke des Kaisers«(48. Wie sah aber im umgekehrten Falle das Verhältnis zwischen dem Kaiser als dem tatsächlichen Auftraggeber und dem Ausführenden einer Statue, des Palastes oder eines Gedichtes aus? Der Künstler eines Kaiserbildnisses trat vollständig hinter sein Werk und den Abgebildeten zurück. Der Architekt des Palatins und anderer Bauten Domitians, Rabirius, ist uns wohl bekannt, wenn auch sein Licht nicht so hell wie das seines Bauherren strahlen konnte. In diesem Spannungsfeld zwischen dem Kaiser als dem tatsächlichen oder dem nur als solchen angesehenen Urheber, einem anderen Auftraggeber und dem Ausführenden (oft: Künstler) wird die Person des Dichters in den weiteren Kapiteln dieser Arbeit zu positionieren sein.
2.2 Zielgruppen Es war oben (S. 30) die Rede davon, dass der römische Kaiser zwar offizielle Bildnisse von sich als Vorlage für die Bildhauer in den Provinzen anfertigen ließ, in deren Verbreitung indes nicht eingriff. Das bedeutet, dass er sich auch um deren Rezeption im Imperium Romanum nicht kümmerte. Die Überprüfung von P. Zankers Satz: »( ... ) das gilt wohl für die meisten Bereiche kaiserlicher Repräsentation«49, führt zu der Frage: Wie zielgruppenorientiert wurden die Instrumente der
46 Clauss 1999,476. 47 Tac. ann. 4,37; vgl. Clauss 1996,432. 48 Witschel1996, 525. 49 Zanker 1983,44.
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expression de la majeste eingesetzt? Und: Wie zielgruppenorientiert waren sie überhaupt einsetzbar? Nach Zanker blieb die Selbstdarstellung des Princeps in den offiziellen Bildnissen immer an den Herrschaftsstil des Principats, wie ihn Augustus ausgebildet hatte, gebunden. Herrscherliche Posen und die Zurschaustellung von persönlichem Machtwillen hätten sich daher von selbst verboten. Da der Princeps diesen ungeschriebenen Gesetzen unterworfen gewesen sei, habe die Expression seiner Majestät gar nicht die Möglichkeit gehabt, sich an anderen Adressaten als dem Senat zu orientieren: »Die Frage nach dem Zielpublikum dieser Selbstdarstellung geht in gewisser Weise ins Leere.«50 In der Tat konnte die Bevölkerung in K1einasien oder Afrika die römische Principats-Ideologie, die den Kaiser als princeps inter pares auffasste, schwerlich nachvollziehen. Zankers Prämisse scheint mir:für Domitian dennoch nicht zuzutreffen. Domitians Verhältnis zum Senat war ja gerade deshalb getrübt, weil er auf die Befindlichkeiten der Senatoren keine ausreichende Rücksicht nahm (s.u. S. 40). Seine Anordnung, dass seine Statuen auf dem Kapitol ausschließlich aus Gold oder Silber gefertigt sein mussten,51 widersprach der Principats-Ideologie augusteischer Prägung fundamental. Augustus hatte die für ihn aufgestellten Statuen aus Silber noch einschmelzen lassen. 52 Domitians Reiterstatue, auf Senatsbeschluss errichtet, stand als erstes kaiserliches Monument überhaupt platzbeherrschend in der Mitte des Forum Romanum. Damit wurde der formelle Gleichheitsgedanke der Principats-Ideologie durchbrochen, stattdessen die wahren Machtverhältnisse symbolisiert. 53 Folglich stellt sich die Frage nach dem Zielpublikum durchaus. Wenn der kaiserliche Apparat sich aber darauf beschränkte, nur Vorlagen für Bildnisse in die Provinzen zu senden, dann doch wohl aus der Einsicht, dass regionale Bildhauer mit ihren Kopien die Herrschervorstellungen ihrer Heimat weit besser trafen und so der kaiserlichen Selbstdarstellung viel effektiver dienten. Die Zentrale in der Hauptstadt hatte nicht die Möglichkeit, das geeignete Kaiserbildnis für jede Bevölkerungsgruppe im Reich herzustellen. Also behalf man sich mit Modellbildern, die dem Kaiser einen ausreichenden Einfluss garantierten. Die genaue Ausrichtung:für die einzelnen Regionen überließ man den Untertanen selbst. Eine Spezifizierung nach gesellschaftlichen Schichten an einem Ort war dagegen mit öffentlichen Statuen kaum möglich. Denn der öffentliche Raum stand ja Angehörigen aller Schichten offen. Ein ähnliches Bild bietet der ganze Komplex des Kaiserkults. Alle Arten von Kultveranstaltungen in der Hauptstadt, Opferfeiern, Prozessionen oder die Spiele, 50 Ebd. 45. 51 Suet. Dom. 13,2. S.u. S. 79. 52 Suet. Aug. 52; Mon. Anc. 24; Cass. Dio 53,22,3; vgl. dazu Pekary 1985, 71-74. 53 Bergemann 1992,323.
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erreichten sämtliche Untertanen in Rom gleichermaßen. Auch die Senatoren nahmen daran selbstverständlich teil. Eine Spezifizierung nach gesellschaftlichen Gruppen konnte es dabei nicht geben. Auf die Ausgestaltung des Kults in den Provinzen nahm der Princeps hingegen höchstens indirekten Einfluss: Wie bei den Kaiserbildnissen, die bei Kultfeiern den Kaiser symbolisierten, musste man auch bei der Ausübung des Kults regionale Traditionen berücksichtigen, ja sie war ohne die gewachsenen lokalen Bräuche nicht vorstellbar. Allgemeine Vorgaben konnte die kaiserliche Zentrale allenfalls mithilfe der Münzen machen. Die Münzen - als »Massenkommunikationsmittel«54 das Instrument mit der größten Reichweite - ließen eine recht direkte Ansprache einzelner Adressatengruppen zu. Im Laufe des ersten Jahrhunderts wurden immer differenziertere Sorten von Bronzemünzen ausgegeben. Münzen von niederem Wert, die eine weite Verbreitung erfuhren, trugen die am einfachsten zu interpretierenden Rückseiten (z.B. eine Person in Waffen), komplexere Themen erschienen nur auf Gold- und Silbermünzen. Die reicheren Untertanen, die mit den Edelmetallstücken in Berührung kamen, erhielten so »nicht selten bessere Einblicksmöglichkeiten in die Regierungspolitik«55. Die unter Domitian weit fortgeschrittene Zentralisierung der Edelmetall-Emissionen und die erwähnte Differenzierung nach Themen ermöglichten eine recht gute Kontrolle über die Verbreitung des Herrscherbildes unter den Untertanen. Die Herrschaftsdarstellung erfuhr hier, abgesehen vom persönlichen Auftreten des Kaisers, ihre größte Treffsicherheit. 56 Der Princeps konnte und musste sich an bestimmten Vorlieben, dem jeweiligen Bildungsgrad sowie kulturellen Prägungen der einzelnen Untertanengruppen orientieren, um seine Herrschaftsdarstellung wirkungsvoll zu vermitteln. Das ungleiche Bildungsniveau musste der kaiserliche Apparat deshalb unbedingt berücksichtigen, weil die Untertanen in unterschiedlichem Maße in der Lage waren, Schriftliches zu lesen und Bilder zu interpretieren. Die Provinzbevölkerung musste auch erst einmal die lateinische Sprache beherrschen - da stieß Z.B. die zentralistische Münzausgabe an ihre Grenzen. 57 Regional- wie schichtenspezifische Unterschiede äußerten sich nicht nur im Bildungsgrad, sondern auch in der 54 WitscheI 1996, 524. 55 Kuhoffl993, 29. 56 Siehe Alexandropoulos 1994, 79 und 84. Vgl. auch Kuhoff 1993, 332. Gmyrek gibt einen kurzen Aufriss der Forschungsdebatte über die Rezeption von Münzthemen (1998, 22f.). Das gewichtigste Argument für die These, dass Münzen als Träger von einfachen Botschaften ein sehr taugliches Mittel waren, ist m.E. die große Typenvielfalt. - Natürlich waren der Differenzierung der kaiserlichen Selbstdarstellung gewisse Grenzen gesetzt: P. Lummel hat eingewandt, dass »die Münzen in der Regel universal im Umlauf waren, also ohne zentrale Steuerungsmöglichkeiten jedermann erreichen konnten« (1991, 3). Zudem überschnitten sich die Interessen und Vorstellungen der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen vielfach natürlich auch; eine Sonderrolle spielte allerdings der Senat (s. dazu unten S. 42f.); vgl. Kuhoff 1993,330). 57 Vgl. Kuhoff 1993, 331f.
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Vertrautheit mit der Politik und der republikanisch-senatorisch dominierten Herrschaftsauffassung in Rom. Die Schlussfolgerung daraus ist an sich banal: Dieselbe Aussage in der Dichtung oder einem anderen Medium der Herrschaftsdarstellung erzielte bei unterschiedlichen Zielgruppen unterschiedliche Wirkung, die sich außerdem auch aus den divergierenden kulturellen Horizonten der Adressaten erklärt: »Un paysan qui venait pour la premiere fois a Rome regardait les images d'une maniere differente d'un poete augusteen, un partisan d' Auguste differemment d'un vieil aristocrate ou de quelque etranger venant de Syrie ou de Palestine.«58 Mit dem Bauprogramm, das sich im Wesentlichen auf Rom selbst konzentrierte, konnte der Kaiser Aussagen auf mehreren Ebenen machen und so verschiedene Bildungsniveaus ansprechen. Jedermann zugänglich und sichtbar (zumindest von außen), wirkten die Bauwerke auf alle Passanten durch ihre schiere Größe und ihren Prunk. In Details konnten sie auch einem feineren ästhetischen Empfinden entsprechen. Die heute noch erhaltenen flavischen Staatsreliefs (die Reliefs des Titusbogens und von der Cancellaria) wurden aber sicherlich von allen Betrachtern, zumindest den Angehörigen der »maßgeblichen Sektoren des politischen Systems« (Flaig), verstanden. Eine geringe bis gar keine Rolle spielte das Bildungsniveau bei allen Formen der persönlichen Interaktion des Princeps mit den Untertanen, ob es sich nun um die Spiele, religiöse Feste, Congiarien oder donativa handelte. Theoretisch richtete sich die kaiserliche liberalitas an alle Reichsbewohner, hatte sie »kosmopolitischen Charakter«, de facto profitierten von ihr in erster Linie die plebs urbana und die Soldaten in Rom. 59 Die Congiarien und donativa privilegierten die römische gegenüber der Reichsbevölkerung genauso wie die in der Hauptstadt stationierten Soldaten, allen voran die Prätorianer, gegenüber dem Gesamtheer. 60 Die regelmäßige, institutionalisiertefrumentatio erhielten im 1. und 2. Jahrhundert n.Chr. rund 200.000 Römer, der ärmste Teil der Hauptstadtbevölkerung. Wichtig war nur das römische Bürgerrecht, der soziale Status spielte keine Rolle. Dieselben Adressaten kamen auch rur die Congiarien in Frage. 61 Ein großes Publikum wohnte den Spielen und Spektakeln im Kolosseum und besonders im Circus Maximus bei. Letzterer bot im 2. Jahrhundert 150.000 (nach anderen Quellen 250.000) Menschen Platz, was etwa 16-25% der Bevölkerung Roms entsprach. Das flavische Amphi-
58 Zanker 1994,289. 59 Kloft 1970, 179. S.a. Kuhoff 1993,330. 60 Kloft 1970, lOS. 61 Siehe Weeber 1994, 161 und 164.
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theater fasste wohl maximal 50.000 (nach einer spätantiken Quelle 87.000) Zuschauer. 62 Unzweifelhaft ist, dass die Spiele, Triumphzüge, religiösen Feste oder die materiellen Spenden auch die Senatoren >erreichtenanderen< Instrumente
Germanien. 85 Der Flavier ist von Mars, Minerva und der personifizierten Roma (oder Virtus)86 eingerahmt. Sie sollten das kriegerische Unternehmen göttlich überhöhen und den Sieg preisen. Die Personifikation der Victoria komplettiert den engen Kern der abgebildeten Gruppe. Sie weist auf die zentrale Aussage der militärischen Herrschaftsdarstellung hin: Domitian verkörpert den sieghaften Herrscher. Die Flavier waren die ersten, die ihre Herrschaft zuvorderst durch kriegerische Bewährung zu legitimieren versuchten. Vespasian und Titus wiesen in ihrer Herrschaftsdarstellung immer wieder auf ihren großen Erfolg, den Sieg in Judäa, hin. So standen beispielsweise in den Säulenhallen des Templum Pacis Beutestücke aus dem Tempel von Jerusalem und die Legende Iudaea capta gehörte zu den häufigsten Münztypen Vespasians. 87 Der judäische Triumph vor allem sollte die neue flavische Dynastie legitimieren, er sollte Vespasian das Charisma des siegreichen Herrschers bescheren. Angestrebt war »eine charismatische, personenbezogene und sieghaft legitimierte Herrschaft des Monarchen, ( ... ) der die charismatische Qualität durch die persönliche Leistung und die perpetuierende Inszenierung des Erfolgs zu erweisen hatte«88. Domitian knüpfte daran folgerichtig an und suchte sich bald nach Herrschaftsantritt in Germanien in ähnlicher Weise zu bewähren. Als sieghaften Herrscher zeigte ihn seine Reiterstatue auf dem Forum Romanum: Ein Vorderhuf des Pferdes trat auf den Kopf des personifizierten Rheins, pars pro toto für das besiegte Germanien. Die erhobene rechte Hand signalisierte ebenfalls das Handeln des Kaisers, das zum Sieg gefiihrt hat. 89 Darauf nahmen Domitians Münzen mit dem Schema des siegenden Reiters, der seine Lanze nach einem am Boden liegenden Gegner wirft, wiederholt Bezug. 9o Zu den Siegessymbolen auf den Münzen gehörten Iovi Victori, Fortunae Augusti, die Porta Triumphalis und der von Victoria gekrönte Domitian. Insbesondere die Untrennbarkeit von Domitian und Victoria sollte den Untertanen nahe gebracht werden. 91 Des weiteren wären der Triumphwagen, die trauernde Germania und das griechische Motiv der Athena Pro machos zu nennen. Die Triumphsymbole wurden auch in Jahren wiederholt, in denen Do-
85 Ob es sich um eine profectio oder einen adventus handelt, ist umstritten. Ebenso die Frage, auf welche militärische Unternehmung hier Bezug genommen wird. Siehe zum Forschungsstand Kleiner 1992, 191f. und Gmyrek 1998, 71-73. 86 Zu der Frage, ob es sich um Roma oder Virtus handelt, siehe Darwall-Smith 1996, 173 f. 87 Zanker 1997a, 18; s.a. Mannsperger 1974, 964; BMC II S. 115-117, Nr. 532-547 u.v.a. 88 Strobe11994, 371. 89 Stat. si1v. 1,1,50f. und 37; BMC 476t; Bergemann 1990, 8 und 165f. Vg1.a. Kolb 1995a, 375. 90 BMC 300*; 339-341; 380. 91 BMC 440; 475; 444; 401; RIC 416; BMC 303t; 381; 410; Carradice 1983, 123; Brilliant 1963, 95f. und 98.
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mitian gar keinen Triumph feierte. 92 23-malließ er sich als Imperator anrufen, eine Zahl, die von seinen Vorgängern und direkten Nachfolgern nur Claudius übertraf. 93 Verschiedene kaiserliche Zeremonien glichen sich dem Triumph an: Für die Akklamationen des Herrschers bei den Spielen oder Umzügen durch die Stadt galt dies ebenso wie fiir den Konsulatsantritt. Bei immer mehr Gelegenheiten trug der Princeps außerdem das Triumphalgewand. 94 Im römischen Stadtbild korrespondierte dem eine Vielzahl von Triumphbögen und die architektonische Dekoration, beispielsweise der Fries der Aula Regia. 95 Die Symbole der Sieghaftigkeit wurden also vom konkreten Anlass abgelöst und dem Kaiser als dauerhafte Attribute zuerkannt. Unter Domitian wurde der Kaiser apriori zum unbezwingbaren Verteidiger des Reichs. 96 So konnte er den Erwartungen und Vorstellungen breiter Bevölkerungsschichten, nicht zuletzt der hellenistisch geprägten Provinzialbevölkerung des Ostens und natürlich vor allem der Soldaten, am ehesten entsprechen. V.a. an den Erfolg in Germanien erinnerte die kaiserliche Expression immer wieder. Die bildliche Umsetzung des Sieges über die Chatten dominierte die Münzen. Seit 85 gab es eine Münzprägung mit der Legende GERMANIA CAPTA, ein anderes Motiv zeigte Domitian, wie er die Huldigungen der knienden Germania entgegennahm. Nach dem Germanenfeldzug fanden etliche imperatorische Akklamationen in Rom statt. 97 Münzprägungen, die auf die Erfolge Domitians in Britannien oder an der Donau anspielten, gab es dagegen nicht. Nach dem Donaufeldzug begnügte sich Domitian 92 damit, im Tempel des Iuppiter Capitolinus einen Lorbeerkranz niederzulegen, und verzichtete auf einen Triumph. 98 Die militärische Expression konzentrierte sich also auf den Sieg über die Germanen. Seit augusteischer Zeit galten die Germanen im römischen Bewusstsein als der gefährlichste Gegner, der aufgrund seines Charakters und seiner Bräuche 92 Die Minerva-IAthene-Münzen erschienen jährlich in vier Standardtypen: siehe dazu unten S. 50; BMC 139-144; 170*-175; 207*-213; 226t-228. Siehe A1földi 1980,95, Anm. 2 (S. 96). Dass die Athena Promachos neben ihrer militärischen v.a. auch eine griechisch-hellenistische Aussage triffi, ist unbestritten: Siehe dazu Kap. 2.3.3. 93 Claudius: 27 Akklamationen; Titus: 17 (70-81 n.Chr.), Vespasian: 20, Nero: 13, Augustus: 14 (ab 27 v.Chr.); Trajan: 13, Hadrian: 2, Antoninus Pius: 2. 94 Z.B. bei den Senatssitzungen: Cass. Dio 67,4,3. Siehe Alföldi 1980, 94-96: Zur These der Verbindung Sieg-Konsulat filhrt er Domitians Münztypen mit der Legende DOMITIANVS AVGVSTVS (Vs.) und GERMANICVS COS XlIII (bzw. XV, XVI, XVII; Rs.) an, auf denen die Typen des Triumphwagens, der trauernden Germania und der Athena Promachos inuner wieder erneuert wurden: BMC 141*-144; 170*-175; 207*-212; 226t-228 (Alföldi 1980, 95, Anm. 2). Siehe auch Kneissl 1969, 25f. 95 Suet. Dom. 13,2; s. Darwall-Smith 1996,239 und 249. 96 Bergemann 1992,324; Hannestad 1986,140. 97 BMC 294; 325; 372; 395; 299; 374; 396; Carradice 1983, 122; Christ 1995,269; Brilliant 1963,97. 98 Siehe Kneissl 1969, 49f.; 55; 57. Zum Triumphverzicht s.a. Jones 1992, 152f.; Suet. Dom. 6,1; Stat. silv. 3,3,170f.; Mart. 8,15,5f.
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schwer zu kontrollieren war. Dass mit Drusus, dessen Sohn Germanicus, Caligula, Claudius und Nero fünf prominente Vertreter des julisch-claudischen Kaiserhauses über zwei Drittel des Jahrhunderts den (Bei)Namen Germanicus trugen, zeigt den Stellenwert der Germanen in Rom. Nicht von ungefähr hat Tacitus als Objekt seiner Studie über ein fremdes, in manchem den Römern gegensätzliches Volk die Germanen gewählt. Kein anderer Gegner konnte - besiegt - dem jungen Kaiser eine größere Legitimation liefern. 99 Als Siegerbeinamen legte sich der Flavier das Cognomen Germanicus zu, aber er verzichtete - anders als nach ihm Trajan - darauf, sich beispielsweise Dacicus zu nennen. Domitians Nomenklatur zeichnete sich nach dem Sieg über die Chatten durch zwei militärisch konnotierte Charakteristika aus: IMPERATOR CAESAR DOMITIANVS AVGVSTVS GERMANICVS. IOD Erstens Germanicus: Als erster römischer Kaiser machte Domitian den Beinamen zu einem festen Bestandteil seiner Titulatur. Vom Zeitpunkt seiner Annahme 101 erschien Germanicus in allen offiziellen Inschriften und Münztitulaturen, und dies in prominenter Position: nach den drei Kaisertiteln Imperator, Caesar, Augustus, aber vor den traditionellen republikanischen Amtsbezeichnungen und Ehrentiteln. Ohne Zweifel gebührte diesem Co gnomen also eine wichtige Funktion für die Propagierung der Sieghaftigkeit des Herrschers: »(00') die umfassende Siegespropaganda Domitians schöpft die gegebenen Möglichkeiten voll aus«102. Zwar hatten mehrere Mitglieder der julisch-claudischen Dynastie den Namen Germanicus getragen, ohne ihn allerdings mit einer bestimmten Intention einzusetzen (s.o.). Domitians Annahme eines Cognomens mit militärisch-kriegerischer Aussage und seine Instrumentalisierung für die Expression war daher ohne Vorbild in Rom. 103 Das zweite Charakteristikum der domitianischen Titulatur bildet der Imperator-Name. T.V. Buttrey hat darauf hingewiesen, dass Imperator, Caesar und Au99 Vgl. Martin 1987, 182-185, der drei Antworten auf die Frage nach dem überragenden Stellenwert Germaniens zu geben sucht. Erwägenswert, und das oben Gesagte ergänzend, ist seine zweite Antwort: »En inserant le titre dans sa denomination, Domitien s'inspirait donc d'une certaine maniere de la titulature des demiers princesjulio-c1audiens.« (S. 184.) S.a. J.B. Rives, Tacitus. Germania. Translated with Introduction and Commentary, Oxford 1999,53-55. 100 Dies ist der häufigste Typ der epigraphischen bzw. numismatischen Titulatur. Gelegentlich trat die Filiationsformel DrVI VESPASIANI FILIVS hinzu. Siehe zur epigraph ischen Titulatur Martin 1987, v.a. S. 168, zur Titulatur auf den Münzen Buttrey 1990, viii. 101 Das genaue Datum der Annahme des Germanicus-Titels ist in der Forschung umstritten. Die Datierungsversuche reichen vom Zeitraum zwischen dem 9. Juni und dem 28. August 83 bis zum Herbst 83 oder gar Anfang 84. Siehe Kneiss11969, 43-48, Martin 1987, 7-10, Buttrey 1980, 52-56 und Jones 1992, 129. W. Eck wies daraufhin, dass die Annahme des Titels und der Zeitpunkt des Triumphs über die Chatten nicht notwendigerweise zusammenfallen mussten (1972, 172). 102 Kneissl 1969,53, Zitat 183; s.a. S. 182f.: Domitian - wie auch Trajan - wurde »selbst in Cursus honorum oder in Jahresdatierungen mit den [ihm] zustehenden Siegestiteln apostrophiert«. 103 Siehe ebd. 43.
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gustus in der flavischen Titulatur von Titeln zu tatsächlichen Namen wurden. 104 Der Imperator fehlte in der Nomenklatur aller julisch-c1audischen principes nach Augustus. 105 Die vier Kaiser des Jahres 69 trugen ihn dagegen begreiflicherweise. Daher kam auch keine der flavischen Nomenklaturen mehr ohne den ImperatorNamen aus. Das unterstreicht das Bedürfnis der Flavier nach militärischer Legitimierung ihrer Herrschaft, das man ebenso schon bei Augustus beobachten kann, an dessen Titulatur (inkl. des Imperator) Vespasian bewusst anknüpfte. Die flavische Nomenklatur wurde zum Vorbild für ihre Nachfolger Trajan, Hadrian und (mit Abstrichen) Nerva. An der militärischen Szenerie des Frieses Ader Cancellaria-Reliefs haben die
Götter Mars und Minerva teil. Die Reiterstatue zeigt Domitian nicht nur in kriegerischem Aufzug, sondern auch mit einem Gorgoneion um den Hals und einer Minervastatuette in der Hand. 106 In der Gestalt von Mars und v.a. Minerva, Domitians persönlicher Schutzgöttin, manifestiert sich die nahtlose Verknüpfung von militärischem und religiös-kultischem Feld, dem zweiten Hauptsektor kaiserlicher Selbstdarstellung. Gottheiten und Personifikationen standen für bestimmte Tugenden oder Eigenschaften des Kaisers. Erschienen sie etwa auf Münzen, wurde zwischen dem Kaiser auf der Vorderseite der Münze und der Gottheit auf der Rückseite ( ... ) eine enge Verbindung hergestellt, die dem Wohl des römischen Reiches dienen sollte. Kaiser und Gottheit traten quasi als Partner gemeinsam zum Schutz und zur Verteidigung des Staates auf. 107
Minerva erlangte unter Domitian überragende Bedeutung für die Ostentation des Kaiserkults. Sueton berichtet, dass Domitian Minervam ... superstitiose colebat, sie privat »abergläubisch verehrte«108. Neben der überlieferten privaten Verehrung hatte der Minervakult v.a. eine politische Funktion: Mit ihr in erster Linie überhöhte Domitian seinen autokratischen Machtanspruch religiös. 109 Es mag sein, dass Suetons Zeugnis der Wahrheit entspricht, vielleicht war es aber auch nur eine Konstruktion ex post, die aus der exzessiven Präsenz der Minerva resultierte. Es 104 Buttrey 1990, vii. 105 Obwohl Tiberius das Praenomen Imperatoris zurückgewiesen hatte, erschien es in seiner Titulatur gelegentlich; s. Kienast 1996, 77. Siehe dens. zur Titulatur aller römischen Kaiser. 106 Stat. si Iv. 1,1,37-39; vgl. Bergemann 1990,42 und 166. Eine Reihe von weiteren Beispielen fur die Verbindung von Minerva mit militärischen Aussagen findet sich auf Münzen, siehe Gmyrek 1998, 62f. 107 Gmyrek 1998, 17f., Zitat S. 18. 108 Suet. Dom. 15,3. S.a. Cass. Dio 67,1,2 und Philostr. Ap. 7,24; Minerva soll es auch gewesen sein, die Domitian während des Attentats auf ihn im Kampf um Hilfe anflehte (Philostr. Ap. 8,25). Vgl. Jones 1992, 100. 109 Vgl. Strobel 1994, 370.
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gab kaum ein Medium, das nicht Bezug auf sie genommen hätte. Ihre Beteiligung am Ensemble der Reiterstatue wurde schon erwähnt; im Palast gab es Minervas sacrarium, auf dem Forum Transitorium, dem Marsfeld und dem Forum Romanum standen Minervatempel, die von Domitian restauriert oder neu errichtet wurden. llo Das Forum Transitorium zählte aufgrund seiner die Kaiserforen verbindenden Lage wohl zu den wichtigsten neuen Bauprojekten. Die dominierende Position auf ihm war dem Minervatempel zugedacht. Beides war 96 indes noch nicht abgeschlossen. 11 I Die Minervaverehrung fand ihren Niederschlag in den verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens: Domitian veranstaltete jährlich in seiner Villa auf dem Albaner Berg die Quinquatria Minervia, das Minervafest, zu dem Jagden, Bühnenspiele und rhetorische sowie poetischen Wettbewerbe gehörten. 112 Seine neue Legion nannte er Minervia. l13 Am nachdrücklichsten unterstrich die Münzprägung Minervas herausgehobene Rolle. Auf den Gold- und Silbermünzen dominierten von 83 an die gesamte Regierungszeit Domitians hindurch vier gleichbleibende Standardtypen der Minerva: Typ 1 (Minerva Propugnatrix bzw. Athena Promachos): Minerva nach rechts ausschreitend mit erhobener Lanze in der Rechten und Schild in der Linken. Typ 2 (Variante von Typ 1): Minerva ausschreitend auf einem Schiffsbug (prora) mit erhobener Lanze und Schild, zu Füßen bisweilen die Eule. Typ 3: Minerva stehend mit Speer. Typ 4: Minerva stehend mit Speer, Donnerkeil und Schild. ll4
Dieses Minerva-Bildprogramm stellte Bezüge zur Flotte (Typ 2), zu Jupiter (Typ 4) und zur Ideologie des Kampfes gegen die Barbaren (Typ It5 her. Im Jahre 94 kam erstmals der Typ der Minerva Victrix hinzu. Minerva wurde also mit der propagierten Sieghaftigkeit verbunden. 116 Es fällt auf, dass die Münzen - im Gegensatz zu den anderen Medien der Herrschaftsdarstellung - ausschließlich eine krie110 Suet. Dom. 15,3; Aur. Vict. Caes. 12,2; MGAA IX S. 146; CIL 3 (Suppl. 1), S. 1965: Descriptum et recognitum ex tabula aenea, quae fIXa est Romae in muro post templum divi Aug(usti) ad Minervam. So die Unterschrift einer Reihe von Militärdiplomen (s. S. 1970f., 1973 usf.). Siehe zur Quellenlage bzgl. dieser drei Minervatempel Gmyrek 1998, 66-69 und Girard 1981,235-237. Cassius Dio berichtet zudem, Domitian habe eine Minervastatue in seinem Schlafzimmer aufgestellt (67,16,1). 111 Siehe Darwall-Smith 1996, 124; vgl.a. S. 115: »( ... ) the Minervan theme was so allembracing« auf dem Forum Transitorium. 112 Suet. Dom. 4,4; Cass. Dio 67,1,2. Siehe auch unten S. 77. 113 Cass. Dio 55,24,3; CIL 13,8071. Siehe Scott 1936, 179f. und Jones 1992, 100. 114 Nach Gmyrek 1998, 59f. Zur Beschreibung und Interpretation der vier Standardtypen siehe Mattingly, BMC II, 1930, lxxxv-vi und Gmyrek 1998, 59-61 (siehe dort die Nachweise [Anm. 32, 34-36]) sowie Morawiecki 1977, 185-187 und Darwall-Smith 1996, 127. 115 S.u. S. 77. 116 BMC 237; vgl. Girard 1981, 242. Auf einem Aureus von 81 war Minerva bereits mit Victoria auf der ausgesteckten Rechten erschienen (BMC 12; s.a. BMC 83 und 494).
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gerische Minerva zeigen. lJ7 Während die vier Standardtypen vom Jahr 83 an nur auf Edelmetallmüuzen erschienen,118 gab Minerva gleichzeitig in der gesamten Münzprägung die aegis an den Kaiser ab, da diese ihm göttliche Qualitäten verleihen sollte. An diese Symbolik sollten die Untertanen wohl denken, wenn sie der kaiserlichen Titulatur dominus et deus konfrontiert wurden. 1l9 Auch auf Fries A der Cancellaria-Reliefs ist die Beziehung zwischen Minerva und Domitian ein zentrales Thema: Hier scheint nicht mehr sie dem Kaiser zu helfen, der Flavier ist hier der> Herranderen< Instrumente
die neu organisierten Kultaktivitäten der sodales Flaviales verehrt. Domitian ließ so die engen Verbindungen des Göttervaters zur flavischen Dynastie betonen. l26 Zu Ehren des Iuppiter Capitolinus stiftete er die Capitolia. 127 Auch die klassischen Attribute des Göttervaters spielten in der Selbstdarstellung des Flaviers eine wichtige Rolle: Mehrere Münzserien zeigten Domitian mit Jupiters Blitzstrahl, ein Novum in der Münzprägung des Principats. Dieses Motiv sollte den Flavier als Jupiter auf Erden qualifizieren. l28 Die Münzprägung verband den Kaiser mit Jupiter und gleichzeitig mit der Sieghaftigkeit: Denn von 85 an findet sich jährlich das Motiv des Kaisers in militärischer Kleidung, einen Speer in der Linken, den Blitz in der Rechten, gekrönt von Victoria, parallel mit den Iovi Victori-Münzen, die den sitzenden Göttervater zeigen, der Victoria in der rechten, das Szepter in der linken Hand hält. l29 So berichteten die Münzen von Domitians Sieg im Krieg gegen die Chatten, seinem helium Iovis. 130 »As Jupiter had destroyed the Giants with his thunderbolt, so his warrior vicegerent Domitian wielded thunderbolt and lance against the Chatti.«l3l Das fulmen war das Instrument, mit dem man >Unruheherde< befriedete und die Ordnung wiederherstellte: Jupiter gegen die Giganten, Domitian gegen die Chatten, Trajan gegen die Daker, wie auf der Trajanssäule dargestellt. Domitian verehrte Jupiter als Göttervater und als seinen persönlichen Lebensretter (im Jahr 69). Darüber hinaus aber identifizierte er sich mit ihm. 132 Die Verbindung von Jupiter- und Kaiserkult sollte den höchsten Gott und den mächtigsten Menschen in der Vorstellung der Untertanen zu ein und derselben Person machen, den Kaiser zumindest aber in die göttliche Sphäre heben. 133
tor,Iuppiter Victor und Iuppiter Propugnator. Siehe zum Forschungsstand Darwall-Smith 1996, 112f. 126 Siehe Fears 1981,78. 127 Suet. Dom. 4,4. S.u. S. 75f. 128 Carradice 1983, 144; Darwall-Smith 1996, 113f.; C1auss 1999, 125; vgl. auch Alexandropoulos 1994, 86. Siehe zum Jupiter-Blitz Alföldi 1980,238: »Die insignienhafte Anwendung des Blitzes erlangte jedoch unter Domitianus eine neue Blüte in der Kunstsprache, ( ... ).« Unter Trajan und dessen Nachfolgern behält dieses Motiv seinen Stellenwert. 129 Domitian mit Blitz und Speer, von Victoria gekrönt: BMC 345*; 362t (Seite 377); 381; 39611; 410; 443; 465; 476. Iovi Victori: BMC 294*; 327-328; 362; 373; 395*; 406-407; 439-442; 464-464A; 474-475. Vgl. Scott 1936,92. 130 Stat. silv. 1,1,79. 131 Fears 1981,79. 132 Siehe Darwall-Smith 1996, 115; siehe zur domitianischen Beanspruchung göttlicher Qualität auch Strobel 1994, 370 m. Anm. 130. 133 Plinius wirft Domitian ex post vor, sich auf eine Stufe mit den Göttern gestellt zu haben (paneg. 33,4). Fears 1977, 224-226 sieht dagegen auch in den Münzdarstellungen Domitians mit dem Blitzstrahl keine Assimilation mit Jupiter, sondern erneut nur die Propagierung des Status als Stellvertreter auf Erden, denn der Flavier sei ohne das Szepter, das »supreme attribute« des Göttervaters, abgebildet.
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Der Gleichsetzung von allgemein göttlicher und menschlicher Sphäre dienten auch die Cancellaria-Reliefs und die Reliefs auf dem Titusbogen, denn in deren Szenerien mischen sich Götter und Menschen. 134 Die Zahl der Kombinationen von Gottheiten mit dem Kaiser nahm unter Domitian zu: Als erster Princeps war er gemeinsam mit einer Gottheit auf einer Münzseite zu sehen. 135 Die Kronen des Jupiterpriesters und des Flavischen Priesterkollegiums trugen neben den üblichen drei Bildern der kapitolinischen Trias ein viertes mit Domitian. 136 Die Opferszene des heute verlorenen sog. Nollekens-Relief aus dem Palast scheint sich durch die kaiserliche Interaktion mit Gottheiten und Personifikationen ausgezeichnet zu haben. D. Kleiner bezeichnete dies als eines der »hallmarks« domitianischer Kunst. 137 Schließlich sollte die Vielzahl kaiserlicher Statuen, die in Gruppen mit den Standbildern der himmlischen Götter zusammenstand,138 mit diesen auch gemeinsam verehrt werden. Der jüngste Flavier suchte also in seiner Herrschaftsdarstellung sehr engen Kontakt zu den Göttern, um seine Stellung auf Erden umso stärker herauszuheben: »Not only does Domitian himself appear on an unprecedented quantity of designs, but the deities which appear most commonly also had, in contemporary legend, the most intimate associations with him.«139 Nicht nur zu Minerva und Jupiter, auch zu anderen Gottheiten und Abstraktionen sollten diese engen Relationen hergestellt werden: Auf dem Kleingeld fanden sich traditionelle römische Personifikationen und Götter, z.B. Fortuna, Victoria, Virtus und Pax sowie Mars. 140 Verglichen mit der Münzprägung Vespasians und Titus', erschienen die Personifikationen unter Domitian seltener und einheitlicher. Zugleich setzten seine Münzen die unter Vespasian begonnene Entwicklung fort, die Personifikationen stärker auf die Person des Kaisers zu beziehen: FORTVNAE AVGVSTI, VIRTVTI AVGVSTI, SALVTI AVGVST., VICTORIAE AVGVSTI, PACI AVGVST., AETERNITATI AVGVST. 141 »The broad and quite inc1usive Virtues
134 Siehe Kleiner 1992, 188: »( ... ) the triumph panel of the Arch of Titus is the first monumental state relief in which the two [Götter und Menschen] coexist ( ... ).« Vgl. auch ebd. 194. 135 RIC 404; BMC 466*; s. Lummel 1991, 76. 136 Suet. Dom. 4,4. 137 1992, 183. 138 Plin. paneg. 52,3; Suet. Dom. 13,2; Cass. Dio 67,8,1. - Plinius lobt Trajan im Panegyricus daflir, dass er weitere kultische Ehren seiner Vorgänger nicht übernommen habe, z.B. das Tragen der Strahlenkrone und einen Thron aus Gold oder Elfenbein inmitten von Götterstandbildern (paneg. 52,1). Mit Clauss (1999, 128f.) und Sauter (1934, 171) beziehe ich diese Beispiele Plinius' konkret auf Domitian. 139 Carradice 1983, 148. 140 Christ 1995,277. Siehe zu den Personifikationen Scott 1936, 93-96. 141 BMC 382; 349; 352A; 315; 312; 328t; 346. Vgl. Clauss 1999,257 und Fears 1981a, 901.
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Fortuna and Virtus, rather than a number of specific imperial qualities, were invoked to proclaim the supernatural gifts ofthe emperor.«142 Am Ende stand für Domitian das Ziel, die eigene Person zu divinisieren. Unter den vielen Statuen, die in der domus Flavia auf dem Palatin standen, sind zwei (in Parma im Palazzo Famese) erhalten, ein Dionysos und ein Herkules. The artist's emphasis on the brute power of the hero [i.e. Herkules] must have been in keeping with Domitian's view of himself as dominus et deus. It was in the aula regia that Domitian, seated beneath an apse with cosmic connotations, welcomed visiting embassi es in the midst of the divi Vespasian and Titus, the Olympian deities, and heroes, like Hercules, who gained immortality through their celebrated deeds. 143
Domitians Palastanlagen, die einzelnen domus und ihre Innenausstattung, verkörperten neben den verschiedenen Tempeln am prononciertesten sein Bestreben, sich selbst zu vergöttlichen. R.H. Darwall-Smith bezeichnete den Palatin als »the greatest monument to his power«144. Diese Aussage hat für die Beurteilung der architektonischen Selbstdarstellung umso größeres Gewicht, als der jüngste Flavier den überwiegenden Teil des Palatin mit immensem Aufwand komplett umgestaltet hat, so dass nach ihm keine substanziellen Änderungen mehr vorgenommen wurden. 145 Sein neues Bauensemble, die domus Flavia und die domus Augustana, 92 fertiggestellt, umfasste mehr als die dreifache Fläche des gesamten augusteischen Palastkomplexes; einzelne Räume wie die Aula Regia wiesen eine Größe von mehr als 30m x 30m und eine Höhe von über 30m auf. 146 Diese »erste Palastanlage im modemen Sinne«147 drückte Domitians unverhülltes Herrschaftskonzept, das ihm göttliche Eigenschaften zuschrieb, aus. Dafür sorgten die beherrschende Lage auf dem Gipfel des Palatin, die ehrfurchtheischende Größe der Repräsentationsräume und die innere prachtvolle Ausgestaltung: Statuen von Göttern, dem Kaiser und seiner Familie bildeten ein Ensemble und die quasireligiöse Positionierung des (fleischlichen) Kaisers in der Apsis von Aula Regia, basilica oder triclinium zielte auf die Palastbesucher; sie sollten den Kaiser als Stellvertreter Jupiters sehen. 148 Mehr noch: »Der Kaiser an der Stirnseite der Aula Regia ist Hauptgottheit, die Götter in den seitlichen Nischen werden zu Nebengottheiten
142 Fears 1981a, 902. 143 Kleiner 1992, 183. 144 1996,207. Siehe zur domus Flavia auch Royo 1999,303-368. 145 Darwall-Smith 1996,182. 146 Siehe Klodt 2001, 37f. und 42f. 147 Kolb 1995a, 397. 148 So P. Zanker in seinem am 30.11.2001 in Freiburg gehaltenen Vortrag: »Domitians Palast als Ausdruck seines Selbstverständnisses als Kaiser«. V gl. Darwall-Smith 1996, 213 und Klodt 2001,43-45.
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degradiert.«149 Der Giebel des nordöstlichen Palastteils machte Anleihen bei der Tempelarchitektur. 15o An den Orten seiner >zwei Geburten< ließ der Fletvier Tempel errichten: Erstens baute er sein Geburtshaus in einen Tempel der gens Flavia um. Dieser Tempel, eigentlich eine Weihestätte für die kaiserliche Familie, feierte Domitian allein mindestens ebenso wie die flavische Sippe. »( ... ) Domitian agreed to share the sanctity of his birthplace with them ( ... ).«151 Zweitens entstand auf dem Kapitol, wo sich im Bürgerkrieg 69 mit seiner Rettung vor den Truppen des Vitellius seine >zweite Geburt< ereignete, ein Tempel für Iuppiter Custos, in dem ihn ein Bild auf dem Schoß des Gottes zeigte. 152 Sein eigenes Haus nannte er pulvinar. 153 Für die Sublimierung des Kaisers in die göttliche Sphäre griff Domitians Selbstdarstellung nicht nur auf die traditionellen griechisch-römischen Götter zurück, sondern auch auf den ägyptischen Kult. Das war nichts Neues: Caligula und Otho hatten Interesse an dem - hellenistisch beeinflussten - ägyptischen Kult gezeigt und in Rom waren mehrere Tempel für die ägyptischen Götter Isis und Serapis errichtet worden, unter ihnen einer auf dem Marsfeld von den Triumvirn 43 V.Chr. 154 Auch Vespasian hatte, um herrscherliches Charisma zu erlangen, sich Legenden andichten lassen, die auf Serapis zurückgriffen: Er soll einen Blinden und einen an der Hand Verkrüppelten, die auf Serapis ' göttliche Veranlassung hin in Alexandria zu ihm gekommen waren, geheilt haben. Im Serapis-Tempel soll ihm der vornehme Ägypter Basilides erschienen sein, obwohl Vespasian sich allein im Tempel befand und Basilides von Alexandria weit entfernt war. 155 Zuerst in Ägypten von seinen Truppen zum Kaiser ausgerufen (1.7.69), benutzte er den ägyptischen Kult für die Etablierung seiner Herrschaft und der flavischen Dynastie. Domitian griff die Instrumentalisierung des ägyptischen Kults wieder auf, indem er den Tempel für Isis und Serapis auf dem Marsfeld in seine Restaurierungsmaßnahmen einbezog. 156 Er ging aber über die Tradition hinaus, indem er das war ohne Vorbild - den Pamphili-Obelisk (heute auf der Piazza Navona) errichten ließ, dessen in Rom ausgeführte Inschrift sich an original ägyptische stilis-
149 Klodt 2001, 44. 150 Siehe Kolb 1995a, 397. 151 Darwall-Smith 1996, 165; s. Mart. 9,20,1-6. Vgl. Suet. Dom. 1,1. Zur Rolle der Kaiserfamilie s.u. S. 58ff. 152 Tae. hist. 3,74,1; Suet. Dom. 5; siehe Gmyrek 1998, 57, Pekliry 1985,63 und Jones 1992, 99. 153 Suet. Dom. 13,1. 154 Suet. Otho 12,1; Cass. Dio 47,15,4; s. Darwall-Smith 1996, 139f. 155 Tae. hist. 4,81f.; Suet. Vesp. 7,1-3. Sueton berichtet allerdings von der Heilung eines Blinden und eines Lahmen. S.a. Cass. Dio 66(65),8,lf. Vgl. Darwall-Smith 1996, 14lf. 156 Hier. ehron. S. 191", ed. R. Helm; MGAA IX S. 146.
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tische Traditionen hielt - und die kaum jemand in Rom verstand. Dennoch wurde viel Mühe auf sie verwandt; der Obelisk hatte also wohl als >Gesamtkunstwerk< eine nicht zu unterschätzende Aussage fiir alle Betrachter. Dass die Inschrift nur von ganz wenigen gelesen werden konnte, zeigt die Tatsache, dass der Obelisk die damnatio memoriae Domitians unbeschadet überstand. 157 Die Absicht, die Domitian mit den ägyptisch-hellenistischen Elementen des Herrscherkults verfolgte, ist klar: »Divinity accompanied kingship in Egypt«158, Domitian strebte das Ideal des hellenistischen, gottgleichen Herrschers an. Dieses Ideal konnte auch in seiner Nomenklatur zum Ausdruck kommen. Sueton berichtet, Domitian habe ein amtliches Schreiben diktiert, das mit den Worten begann: dominus et deus noster hoc jieri iubet. Daraus sei später die Gewohnheit entstanden, ihn schriftlich wie mündlich nie anders anzureden. 159 Jedoch finden sich keine ausreichenden Belege offiziellen Charakters aus Rom fiir Suetons Zeugnis. Das griechische Äquivalent zu dominus et deus, ÖEO'1t6't11~ Kat 9E6~, war sicherlich weiter verbreitet. Da aber der Großteil dieser Quellen aus Ägypten stammt, wo K6pw~ ein üblicher Zusatz zu kaiserlichen Formeln war, ist damit fiir die domitianische Handhabe nicht viel gewonnen. 160 Aber selbst die Titulierung Domitians als Gott in griechischen Dokumenten hilft nicht viel weiter, denn schon seit augusteischer Zeit konnte man häufig das Phänomen beobachten, dem Princeps mit Titeln und Formeln divinen Rang zu verleihen. 161 Wie es vermutlich wirklich gewesen ist, scheint aus den Quellen indes auch durch: Cassius Dio berichtet, der bekannte Jurist Iuventius Celsus habe vor seiner Verurteilung Domitian (erfolgreich) um Gnade angefleht und ihn dabei wiederholt mit dominus und deus angeredet, »Titeln, die bereits von anderen dem Herrscher gegenüber gebraucht wurden«.162 In der Bevölkerung, und nicht nur in der hellenistisch geprägten, kursierte durchaus die Vorstellung, der Kaiser sei göttlich. Daher ist es nicht erstaunlich, dass der Kaiser mit deus angeredet wurde und die Formel Eingang in die Epigraphik gefunden hat. Ob Domitian die Formel selbst offiziell gebrauchte, 157 Vgl. Darwall-Smith 1996, 150 und Strobel 1994, 363f. und 372. - Die Tatsache, dass die Inschrift des Pamphili-Obelisks die einzige noch in Rom vorhandene, Domitian ehrende Inschrift ist, zeigt eben auch, dass sie damals (in ihrer Unverständlichkeit) singulär war. 158 Darwall-Smith 1996, 152. Natürlich mag auch persönliche Dankbarkeit fiir Isis eine Rolle gespielt haben, als deren Priester verkleidet Domitian 69 die Flucht vom Kapitol gelungen war (Suet. Dom. 1,2). Dies fände seine Parallele in dem Tempelbau fiir Iuppiter Capitolinus. Aber dennoch wird man die gottgleiche Stellung des hellenistischen Herrschers getrost als Domitians vordringliches Interesse bezeichnen können. 159 Dom. 13,2; auch nach Cass. Dio 67,4,7 geht die Bezeichnung Domitians als »Herr und Gott« auf seine eigene Veranlassung zurück. 160 Siehe Martin 1987, 195 und Fears 1977, 191. 161 Martin 1987, 196. 162 67,13,3f. (Übers. O. Veh); s.a. Dion Chrys. 45,1. Vgl. Jones 1996, 109f. und Nauta 2002, 383.
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ist dagegen sekundär - entscheidend ist, dass er stärker als seine Vorgänger ein Klima schuf und beförderte, das die Göttlichkeitsvorstellungen in der Bevölkerung nährte. 163 Zu diesem Klima hatten die übrigen Maßnahmen seiner kultischreligiösen Expression zur Genüge beigetragen. Vermutlich wird er die Formel dominus et deus selbst nicht konsequent und regelmäßig verwendet haben. »Das Gottsein war ein notwendiger Bestandteil der Herrschaft der Monarchie ( ... ).« - Wenn man M. Clauss 164 in dieser Aussage folgt, herrschten schon vor Domitian alle römischen Kaiser als menschliche, auf Erden präsente Gottheiten. Dann relativieren sich auch solche Fragen wie die, ob Domitian sich dominus et deus nennen ließ oder nicht. Entscheidend aber bleiben für den Vergleich mit der Dichtung die Formen und Inhalte, mit denen Domitian seine Göttlichkeit propagierte, und die Intensität seiner kultisch-religiösen Herrschaftsdarstellung, die die Bemühungen seiner Vorgänger übertraf. Clauss konstatierte eine »unscharfe Trennlinie« zwischen Göttern und Menschen. Da man sich in der Antike die Götter als Menschen dachte, hatte man umgekehrt auch keine Schwierigkeiten damit, einen lebenden Menschen als Gott anzusehen, auch nicht in Rom. 165 Die Vergöttlichung stellte schon in der Republik die höchste Stufe auf der Skala menschlicher Verehrung dar, die man beispielsweise seinem Patron entgegenbrachte. Wie für so vieles in Rom, gab es auch für diese Praxis griechische Vorbilder, unterlag doch die Religiosität allgemein hellenistischen Einflüssen. 166 Diese Entwicklung setzte sich im Principat fort: Die Göttlichkeit Octavians, der schon als Triumvir göttliche Ehrungen erhalten hatte, musste nach seinem epochalen Sieg über Antonius noch weiter gesteigert und ausgeformt werden. Seine Verdienste für das Imperium, dem er Frieden und Stabilität gebracht hatte, waren so groß, dass dies nur die Leistungen einer Gottheit sein konnten. 167 Hinter dieses Vorbild konnte keiner seiner Nachfolger zurückfallen. Man dachte sich den Kaiser als Gott auf Erden, als praesens divus, wie Horaz über Augustus dichtet. 168 Mit einem entsprechenden Kult des princeps als deus praesens konnte die ungeheure Machtfülle des Herrschers in den Augen der Reichsbevölkerung einen adäquaten Ausdruck finden. ( ... ) Die Macht des princeps rückte ihn aus der Sphäre des Menschlichen hinaus: So mächtig waren nur Götter. 169
163 Vgl. Clauss 1999, 120f. 164 1999,469. 165 Ders. 1996,401. 166 Ebd. 406. 167 Ebd. 416. 168 Hor. carm. 3,5,2f. Wiederum gab es dafur ein griechisches Vorbild: Die Athener priesen in dem Hymnus auf Demetrios Poliorketes als seinen Hauptvorzug gegenüber den himmlischen Göttern die irdische Präsenz: Athen. 6,253e; vgl. Scott 1936, 137. 169 Clauss 1996,428.
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Diese ungeheure Macht ermöglichte es dem Kaiser, für die größten Wohltaten zu sorgen, er, der die Rolle des größten und wichtigsten patronus bekleidete. Der Dank des Volkes dafür bestand in einem Kult, wie er Göttern gebührte. Insofern war das helfende, schützende und euergetische Handeln des deus praesens gewisser und spürbarer als das der himmlischen Götter, die man allenfalls als Bildnis sehen konnte. 17o Wie der Kaiser wurde auch seine Familie immer wieder in den religiösen Kontext einbezogen, gestorbene Familienmitglieder wie Domitians als Kind verstorbener Sohn deifiziert. Die kaiserliche Familie als Thema der Herrschaftsdarstellung spielte für die Divinisierung des Kaisers eine wichtige Rolle, denn ein vergöttlichter Kaiser in bzw. aus einer rein irdischen Familie war nicht vorstellbar. Mehr noch, durch Staatsgötter als Ahnen steigerte sich die Göttlichkeit des Kaisers und damit auch die Sicherheit für die Untertanen, dass der Kaiser als lebende Gottheit das Wohlergehen des Imperiums und ihrer selbst garantierte. l7l Und auch im eigenen Interesse des Kaisers lag es, die Vorfahren zu konsekrieren: Denn es war in erster Linie die göttliche Abkunft, die ihn zum Princeps qualifizierte, und »wer solche nicht aufzuweisen hatte, mußte sie sich >erarbeiten< und beweisen wie Vespasian oder >konstruieren< wie Septimius Severus«172. Vespasians Söhne hatten es da einfacher: »Titus hat den Vespasian zum Gott erhoben, Domitian den Titus, aber jener, um als Sohn eines Gottes, dieser, um als Bruder zu gelten.«173 Am Anfang der Herrschaft Domitians wurde in die Legende der Bronzemünzen (in allen Werten) regelmäßig die Titulierung DIVI VESP F aufgenommen. Im Jahr 84 verschwand sie dann. Die Bezeichnung des Kaisers als divi filius diente in besonderem Maße dazu, die eigene Legitimation zur Herrschaft herauszustellen. Alle principes vor Domitian, die dynastisch mit ihrem Vorgänger verbunden gewesen waren und diesen daher divinisiert hatten, ließen auf ihren ersten Münzprägungen nach Herrschaftsantritt diese Konsekration darstellen, oft kombiniert mit der Selbstbezeichnung divi filius. 174 Offenbar verzichtete wie seine Vorgänger auch Domitian erst dann auf diese Eigenbenennung, nachdem sich seine Herrschaft etabliert hatte. 175 Die Aussage, die hinter der Konsekration des gestorbenen verwandten Kaisers und der Titulierung divi filius stand, war klar: Der von einem Gott ausgewählte Nachfolger - denn als solcher durfte sich Domitian als Caesar unter Titus und gemeinsamer Konsul mit dem 170 Ebd. 430. 171 Siehe Clauss 1999,471. 172 Ebd. 489. 173 Plin. paneg. 11,1: dicavit caelo (. ..) Vespasianum Titus, Domitianus Titum, sed ille ut dei filius, hic, ut frater videretur. 174 Siehe Gesche 1978,383. 175 Vgl. ebd. 384.
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Bruder fühlen - konnte nichts anderes als die richtige Wahl sein: Kein »anderer Bürger, kein noch so angesehenes Gremium könnte theoretisch eine bessere Wahl als der anerkannt Beste im Staate selbst treffen; nur er hatte die Divinisierung erreicht« 176. Für die Flavier hatte Domitians Bruder und Vorgänger Titus den Brauch fortgesetzt, den verwandten Vorgänger zu vergöttlichen. Domitian knüpfte daran mit Titus' Divinisierung an und dehnte sie folgerichtig auch auf die dritte flavische (Kaiser-)Generation aus, seinen vor 81 gestorbenen Sohn und seine etwa 89 gestorbene Nichte Julia. 177 Gleich zu Beginn der domitianischen Herrschaft hatte die flavische Dynastie damit auch auf diesem Feld das julisch-c1audische Vorbild erreicht: Deren drei Staatsgöttern Iulius Caesar, Augustus und Claudius konnte sie nun die konsekrierten Vespasian, Titus und Caesar (den Sohn Domitians) entgegenstellen. 178 Titus' Apotheose ist das Hauptthema des nach 81 errichteten Titusbogens. 179 Domitia, Domitians Frau, wurde v.a. als Mutter ihres deifizierten Sohnes herausgestellt und ihr Name - gemeinsam mit dem ihres Mannes - in die Gebete der Arvalbrüder aufgenommen. 18o Ein Münzmotiv zeigte sie als opfernde Vesta. 181 In den frühen Neunzigerjahren gab es eine spezielle Emission von Münzen, die die Diva Julia ehrte, und am Anfang der Regierung Domitians aurei und denarii, die den Sohn »auf dem Globus sitzend und nach den sieben Gestirnen des Himmels greifend zeigen«: D. Mannsperger sah hierin ein »geistreiche[s] Spielen mit den Motiven der Aeternitas« und interpretierte den Kaisersohn als den Ewigkeitsgott Aion. 182 Kupferprägungen unter Domitian mit der Legende AETERNITATI A VGVST. sollten diese ebenfalls auf das flavische Kaiserhaus beziehen. 183 Insgesamt drei Tempel ließ Domitian für die deifizierten Mitglieder des flavisehen Kaiserhauses erbauen (und damit mehr als alle seine Vorgänger für ihre Verwandten): Titus' Tempel für Vespasian stellte er nach dem Tod des Bruders fertig und widmete ihn um in eine Weihestätte für beide. Für dieses Unterfangen fand er Vorbilder in den Tempeln für Iulius Caesar, Augustus und Claudius vor, es war also nichts Ungewöhnliches. 184 Die Porticus Divorum mit ihren zwei Tempeln, einen für Titus und einen für Vespasian, erinnerte an deren Rolle als Tri176 Ebd. 389. 177 Zu Vespasian: CIL 6,938; Titus: Suet. Dom. 2,3; Domitians Sohn: Mart. 4,3; Julia: Mart. 6,3; 6,13. Siehe auch Darwall-Smith 1996, 163 und Jones 1992, 38-40 mit Anm. 72. 178 Siehe Clauss 1999, 122. 179 Siehe Kleiner 1992, 189. 180 Carradice 1983, 121; BMC 501; CIL 6,2060; 2064; in 2065, 2067 und 2068 wird außer Domitia und Julia auch der tota domus des Kaisers gedacht. S.a. Jones 1992, 161f. und Clauss 1999, 387-389. 181 BMC 503; siehe Carradice 1983, 121. 182 Mannsperger 1974, 965 und 966; BMC 62f.; 458-463; 471-473. Vgl. Carradice 1983,123. 183 RIC 297f.; BMC 346. 184 Siehe Darwall-Smith 1996, 154-156 und 248.
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umphatoren und Zensoren, und der Tempel der gens Flavia diente als Zentrum für den Kult der Kaiserfamilie allgemein und als Familienmausoleum. 185 Die Bedeutung der Familie für die Herrschaftsdarstellung bestand v.a. in ihrer Rolle für den Herrscherkult. Als eigenständiges Thema der Expression trat sie gegenüber den militärischen und kultisch-sakralen Inhalten in den Hintergrund. Zwar wurden die meisten Familienmitglieder mit eigenen Münzen bedacht,jedoch handelte es sich nur um kurzlebige oder einmalige Emissionen. 186 Immerhin ein oder zwei der drei uns erhaltenen Reliefs domitianischer Staatskunst erinnerten an Leistungen und Ereignisse aus der Regierungszeit Vespasians und Titus'.187 Neben dem Kaiser als Person, seinen Leistungen und Taten sowie seiner Familie thematisierte die expression de la majeste auch die Verhältnisse im Staat, konkret: die (hierarchisierten) Beziehungen zwischen Herrscher und Untertanen und die Prosperität des Reiches, in außenpolitischer, wirtschaftlicher oder kultureller Hinsicht. Die (gesellschafis}politische Ordnung und die Hierarchien im Staat dokumentierten die Untertanen selbst, wenn sie im Theater oder im Stadion die ihrem Stand gemäßen Plätze einnahmen. P. Zanker bezeichnete als »die beiden Hauptanliegen der kaiserlichen Sponsoren bei den Theaterbauten ( ... ) die Ordnung der Massen und ihre symbolische Beteiligung an der Politik«188. Der Kaiser in seiner Loge saß im Mittelpunkt und deutlich herausgehoben zugleich. Ähnlich eine Reihe von Münzrückseiten: Diese zeigten Domitian zusammen mit römischen Bürgern und Soldaten. Er sitzt erhöht über den Untertanen, die z.T. unterwürfig dargestellt sind, oder er steht im Zentrum einer Gruppe, alle Blicke auf sich ziehend. Es ist sicher kein Zufall, dass diese Bilder auch religiöse Topoi verwendeten: »The Roman citizens approach the enthroned figure of the Emperor from below, making gestures which have religious import but also demonstrate their inferiority before Domitian, who answers them with a pious gesture ofhis own.«189 Der Propagierung der kaiserlichen Macht und Autorität diente zusätzlich die Titulatur. 1. Carradice beobachtete die »inclusion and careful numeration of all the 185 Ebd. 157-159 und 163-165. 186 BMC 58-69; 249f.; 458-463; 471-473; 501-503; siehe Carradice 1983, 142-145. 187 Je nachdem, wie man Fries B der Cancellaria-Reliefs deutet: Lange glaubte man, Fries B habe Vespasians Rückkehr aus dem Krieg in Judäa und dem Bürgerkrieg (70 n.Chr.) zum ursprünglichen Gegenstand gehabt. Bis M. Bergmann, Zum Fries B der flavischen Cancellariareliefs, Marburger Winckelmann-Programm 1981, 19-31, nachwies, dass es sich wie in Fries A um ein umgearbeitetes ursprüngliches Domitianporträt handelt (S. 20-25). Demnach wäre hier ein adventus Domitians dargestellt. Vgl. Gmyrek 1998, 72. Siehe Kleiner 1992, 183. 188 1997a, 28. 189 Siehe Brilliant 1963, 98f., Zitat S. 99. RIC 375-376. Der oben (S. 52) schon erwähnte Münztyp, Domitian gekrönt von Victoria und mit dem Blitz des Jupiter, der durch seine jährliche Ausgabe eine Konstante des domitianischen Münzprogramms bildete, gehört auch in diesen Zusammenhang, legte er doch die Gleichsetzung Kaiser - Jupiter nahe (Carradice 1983, 144).
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Emperor's titles« in den Münzlegenden Domitians. 190 Das trifft :für die meisten Münzen zu; jedoch finden sich andere (v.a. aurei), die mit dem einfachen Titel Domitianus Augustus auskamen/ 91 der in seiner Wirkung und Aussage aber nicht weniger eindrucksvoll gewesen sein muss, zumal er sich auf Augustus bezog: 192 Domitian >war einfach< der erste, größte, wichtigste etc. Wurde Domitians Titulatur aber komplett genannt, dann durfte ab 85 der censor nicht fehlen. »Domitian's assumption of censorial power, followed soon after by his appointment as censor for life, was wide1y advertised on coins and inscriptions (00.).«193 Keiner von Domitians Vorgängern hatte sich den Titel des censor perpetuus angemaßt. Die Perpetuierung der Zensur Ende 85 war daher eine bedeutende Neuerung, die den Untertanen erst einmal nahe gebracht werden musste, die aber insbesondere den Senatoren nicht gefallen konnte - institutionalisierte sie doch den Einfluss Domitians auf die Zusammensetzung des Senats. 194 Diese Novität illustrierte einerseits das autokratische Principatsverständnis des Flaviers, andererseits zeigte sie den Stellenwert der Zensur :für ihn. 195 Seine Maßnahmen als Zensor könnte man zwar anders als Z.B. Statuen zur Sachpolitik zählen, aber die strikte Trennung von Sachpolitik und Herrschaftsdarstellung führt in die Irre. Die expressive Qualität der Sittengesetzgebung des Flaviers ist eindeutig, wie uns Martial demonstriert: In epigr. 6,4 listet der Dichter die domitianische Politik als Zensor gemeinsam mit den wichtigsten Feldern der Expression auf (s.u. S. 281f.). Der wichtigste Tätigkeitsbereich des Zensors war die Besserung des moralischen Zustands der Gesellschaft und ihrer Institutionen. Sueton attestiert Domitian, er habe die römischen Behörden und die Statthalter in den Provinzen derart straff geführt, dass es zu keiner Zeit ehrlichere und gerechtere Beamten gegeben habe. 196 Besondere Außenwirkung hatten die Theatervorschriften und die Ehegesetzgebung. Domitian sorgte dafür, dass die alte Sitzordnung im Theater wieder beachtet wurde, die die ersten vierzehn Reihen hinter der Orchestra den Rittern
190 Carradice 1983, 144; ebd. 142 heißt es: »(00') the titulature was reorganised to include all ofDomitian's titles, including the newly-acquired Germanicus.« 191 BMC 44*; 141 *-144; 226t-228 u.a. 192 Die augusteischen Münzen trugen i.d.R. kurze Titulaturen wie CAESAR AVGVSTVS, AVGVSTVS oder AVGVSTVS DIVI F. 193 Jones 1992, 106. 194 Vgl. ebd. 171 sowie Christ 1995,275 und 283f. 195 Buttrey 1971 zeigt, wie Domitian den Titel des censor perpetuus auf den Münzen etablierte. 196 Dom. 8,2. - Die Grenzen der Zuständigkeit zwischen den kaiserlichen Ämtern als censor und als pontifex maximus und der iuris dictio verschwanunen mehr und mehr. Deshalb spielte es keine große Rolle mehr, ob Domitian z.B. die Vestalinnen in seiner Eigenschaft als censor oder als pontifex maximus bestrafte (Dom. 8,3f.; s.u.). Sueton trägt dem in seiner Aufzählung der domitianischen Reformmaßnahmen im öffentlichen Leben Rechnung. V gl. dazu R. Bauman, The Resume ofLegislation in Suetonius, ZRG 99 (1982) 81-127, hier 117-124.
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vorbehielt. Zudem sollten alle Theaterbesucher in ausschließlich weißer Kleidung erscheinen, was der Aufführung einen sakralen Rahmen verlieh.!97 Mit der Ehegesetzgebung beabsichtigte der Flavier, römische Bürger in informellen Partnerschaften zur Eheschließung zu veranlassen und die Zahl der Ehebrüche zu verringern. Auch die Ehegesetzgebung sollte ordnenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben und die allgemeinen Sitten heben. Dasselbe Ziel strebte das Verbot der Kinderprostitution und der Kastration von Sklavenjungen an. 198 Das Edikt galt als iusta lex, weil die Kastration gegen die Natur gerichtet war.!99 Unter der Überschrift correctio morum überliefert uns Sueton eine Reihe weiterer Reformen, die z.T. speziellerer Natur waren: Domitian ließ Pamphlete gegen Männer und Frauen aus der Nobilität vernichten; er schloss einen ehemaligen Quästor aus dem Senat aus, weil er als Schauspieler aufgetreten war; Frauen von zweifelhaftem Lebenswandel entzog er das Recht auf Sänften sowie auf Erbschaften. 200 Außerdem ermahnte er Recuperatoren, sich nicht auf oberflächliche Begründungen in Prozessen einzulassen; bestechliche Richter belegte er mit einem Verweis. 20 ! Abschließend berichtet Sueton ausführlich über Domitians harte Bestrafung, die die Vestalinnen aufgrund ihres Keuschheitsvergehens ereilte. 202 Nicht nur in der Vestalinnen-Affäre bewies der Kaiser, wie ernst er seine zensorischen Aufsichtspflichten für die moralische Verfassung Roms nahm. 203 Man hat ihm daher auch ein Bestreben unterstellt, Rom wieder in den Sittenzustand der augusteischen Ära zurückzuversetzen. 204 Denn eine Reihe seiner Maßnahmen bestand darin, nicht mehr befolgte Verordnungen des Augustus zu erneuern. Da Domitian jedoch auf vielen Gebieten an die Person Augustus anknüpfte, stand für ihn wohl eher der Verweis auf Augustus an sich und dessen symbolischer Gehalt im Vordergrund. Den Senatoren führte er die wahren Machtverhältnisse auch anderweitig besonders deutlich vor Augen: Er betrat den Senat im Triumphalgewand und ließ sich von 24 Liktoren, doppelt so viele wie ein Konsul hatte, begleiten. 205 Der Prosperität des Staates gab Domitians Herrschaftsdarstellung eine zeitliche und eine örtliche Dimension: Im Jahre 88 erschien eine alle Münzwerte umfassende, außergewöhnliche Serie, die auf die Säkularfeier Bezug nahm: »( ... ) all
197 Suet. Dom. 8,3; Mart. 4,2. 198 Suet. Dom. 7,1; 8,3; Mart. 9,5(6); 7(8). 199 Sen. contr. 10,4,17; Sen. epist. 122,7; s. Coleman 1988, 107. 200 Suet. Dom. 8,3. 20 I Suet. Dom. 8,1. 202 Dom. 8,3f. 203 Siehe Garthwaite 1990, 13 und Sullivan 1991, 38. Die Zensur stand fur die römischtraditionalistischen Züge der domitianischen Herrschaft; s. Strobel 1994, 372. 204 Siehe Iones 1992, 99 und Henriksen 1998, 76. 205 Cass. Dio 67,4,3.
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the Roman coinage ( ... ) was given over to a detailed display of the various ceremonies enacted in the course ofthe Games.«206 Die ludi saeculares standen für die lange, ja ewige Dauer des römischen Imperiums. Domitian verwies mit ihnen auch auf Augustus als den Begründer des Principats, der sie 105 Jahre vor Domitian veranstaltet hatte: Fecit et ludos saeculares, computata ratione temporum ad annum non quo Claudius proxime, sed quo olim Augustus ediderat. 207 Die gewaltige räumliche Ausdehnung wurde, neben anderem, von dem oben (S. 55f.) schon behandelten Pamphili-Obelisk dokumentiert. Neben seiner Funktion, die offizielle Herrschaftsideologie Domitians zu formulieren, stand der Obelisk, von dem »Pharao Autokrator Kaisar Domitianos Sebastos, dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrscher über Ägypten und die Welt« errichtet, als ein »Zeugnis für das Heil der Welt«.208 Der »Herrscher über Ägypten und die Welt«, Domitian, zeichnete für dieses Heil verantwortlich. Die positiven Verhältnisse im Staat thematisierten auch die Personifikationen auf den Münzen. Als allgemeine Aussagen über den römischen Staat erschienen Aeternitas, Salus und Fortuna. Virtus und Fides personifizierten das Verhältnis zwischen dem Kaiser und den Soldaten bzw. den Bürgern. 209 Die Annona stand für die kaiserlichen Wohltaten am Volk. Die Moneta, unter Domitian erstmals auf römischen Münzen, symbolisierte die Verfügungs gewalt des Kaisers über das Geld. Er persönlich garantierte den Wert des Geldes als Voraussetzung für die Getreidespenden und für die Qualität des Solds der Soldaten. Der Euergetismus, ebenfalls Ausdruck der allgemeinen Prosperität, verdient, als ein eigenes Kapitel der Expression behandelt zu werden, da diese in breitem Umfang den Kaiser als Wohltäter präsentierte. Die Bedeutung des Euergetismus im römischen Leben unterstreicht Fronto in seiner Charakterisierung Trajans: Dieser habe gewusst, dass das römische Volk v.a. durch zwei Dinge, annona et spectaculeis, Getreidespenden und Spiele, bei der Stange gehalten werde. Die Herrschaftsausübung müsse sich nicht weniger auf dem Unterhaltungssektor als in den ernsthaften Geschäften bewähren. 2Io Tacitus liefert mit der Schilderung, wie Octavian 206 Carradice 1983, 123; BMC 130-138; 419-438* 207 Suet. Dom. 4,3. Domitian missachtete damit die ludi saeculares von Claudius (47 n.Chr.) und bezog sich direkt auf Augustus, obwohl er dessen Jahreszählung eben nicht einhielt. In diesem Punkt ist Sueton ungenau. 208 Zitate: Strobel 1994, 363f., hellenistische Herrschaftsideologie: ebd. 363f. und 372. Siehe zum Text des Obelisks Darwall-Smith 1996, 146f. 209 Carradice 1983, 122; Fears 1981a, 902. Mit Ausnahme der Fortuna erscheinen diese Personifikationen, auch die folgenden Annona und Moneta, fast ausschließlich auf dem Kleingeld. Diese Aussagen waren also rur die breite Masse bestimmt. 210 Front. princ. hist. 20 (ed. Michel P.J. van den Hout, Leipzig 2 1988): ... qui sciret populum Romanum duabus praecipue rebus, annona et spectaculeis, teneri; imperium non minus ludicreis quam serieis probari atque maiore damno seria, graviore invidia ludicra neglegi; ...
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in jungen Jahren seine Stellung als Princeps etablierte, ein Musterbeispiel fiir den (macht)politischen Einsatz von Euergetismus: Octavian habe die Soldaten durch Geschenke (donis) und das Volk durch eine Getreidespende (annona) fiir sich gewonnen. 211 Als wichtiges Element hellenistischer Herrscherethik gehörte die Freigebigkeit zum Erscheinungsbild des charismatischen Herrschers. 212 Die Art und Weise, wie ein römischer Kaiser seine Freigebigkeit (liberalitas) zeigte, trug daher zwangsläufig zur Darstellung seiner Herrschaft bei. Mit ihr ließ sich Prestige gewinnen, man wurde an den Leistungen des Vorgängers gemessen. Zwar hatte die liberalitas des Princeps zu Zeiten Domitians längst gewisse obligatorische Züge angenommen; die regelmäßige Getreideversorgung für die Armen etwa ging auf eine republikanische Tradition zurück, das donativum fiir die Soldaten bei Herrschaftsantritt war inzwischen mehr oder weniger institutionalisiert. »Aber die Vorstellung, daß alle diese Maßnahmen nur durch die individuelle Person des Kaisers Realität gewinnen, ist stets lebendig geblieben.«213 P. Veyne hat zwischen dem automatischen und dem individuellen Euergetismus des Kaisers unterschieden: Der Herrscher wurde automatisch zum Euergeten, denn alle seine Regierungshandlungen als Kaiser wurden per se als Wohltaten begriffen. Davon zu trennen sind seine persönlichen Vorzüge und Taten, durch die er sich von seinen Vorgängern abhob. Mit diesen individuellen euergetischen Handlungen brachte er seine Majestät zum Ausdruck. 214 Insofern lohnt ein Blick auf das Verhalten Domitians in der direkten Kommunikation mit den Untertanen, etwa im Theater oder im Zirkus, ebenso wie die Frage danach, auf welchen Wegen er liberalitas praktizierte. Zu den seit Caesar und Augustus üblichen Formen der liberalitas zählten das congiarium, das donativum, die remissio (Schuldenerlass), die Bautätigkeit, die Spiele und die Hilfe bei (Natur)Katastrophen. Gerade fiir die plebs urbana galt aber auch ein kaiserlicher Besuch in der Volksversammlung oder die Zurückverwandlung einer herrscherlichen Residenz in öffentlich zugänglichen Raum, wie von Vespasian mit Neros domus aurea praktiziert, sehr viel. 215 Dass die Spiele und Spektakel einerseits und die Congiarien und frumentationes andererseits Elemente der liberalitas waren und als solche zusammengehörten, dokumentiert Sueton in seinen Kaiserviten. Häufig handelt er diese Aspekte direkt hintereinander ab, so auch bei Domitian. 216 Da über domitianische remissiones oder Katastrophenhilfe keine Nachrichten überliefert sind, seien hier zu-
211 Tac. ann. 1,2, I. 212 Kloft 1970, 178 u. 16-34. Siehe auch Gehrke 1982, 260f. 213 Kloft 1970, 179; s.a. ebd. 104-106. 214 Veyne 1988, 564f. und 577. 215 Siehe Kloft 1970, 178f.; Yavetz 1969, 139. 216 Suet. Aug. 41-43; Claud. 21; Nero 10-12; Dom. 4.
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nächst die Spiele und dann seine Schenkungen an die Untertanen behandelt sowie anschließend einige Bemerkungen zu den als Euergesien verstandenen Bauwerken gemacht. Die Schauspiele und Spektakel waren wohl der wichtigste Weg der Wohltätigkeit gegenüber dem Volk. Fronto in seinem oben erwähnten Brief stellt den Vorzug der Spiele vor den anderen Euergesien heraus: Nur durch die Spiele werde das Volk in seiner Gesamtheit (universum) unterhalten, das Erlebnis einer Schenkung erfahre dagegen jeder für sich. 217 Domitian trug dieser Erkenntnis mit dem ersten dauerhaft errichteten Stadion in Rom Rechnung, einer Neuheit, die in ihrer Tragweite mit dem Bau des Pompeiustheaters oder des Kolosseums zu vergleichen ist,218 sowie mit dem Bau des Odeons und der Naumachie. Die Bedeutung der Spiele für das öffentliche Leben Roms zeigte sich auch darin, dass die Kaiser per Gesetz dafür sorgten, dass die von Privatleuten veranstalteten Spiele nicht prunkvoller wurden als ihre eigenen. Mit der Errichtung des Kolosseums wurden auch die Gladiatorenspiele (munera), früher eine aristokratische und damit private Domäne, mehr und mehr nur noch vom Princeps veranstaltet. Domitian beanspruchte das Monopol auf die Ausrichtung von außerordentlichen Gladiatorenkämpfen, während Privatmänner überhaupt keine munera mehr geben durften, nur Quästoren noch.2!9 Ihre Bedeutung erhielten die Spiele allerdings nicht nur durch den Unterhaltungsfaktor, sondern auch durch den Dialog zwischen dem Princeps und der plebs, der im Theater, der Arena oder dem Zirkus stattfand. Stundenlang saß der Princeps unter seinen Untertanen und schaute sich die Spiele an. Hier bot sich die Gelegenheit, dem Kaiser Zu- oder Abneigung, Ge- oder Missfallen zu bekunden. Darin repräsentierte das Publikum das Volk stets authentisch. Am ungehemmtesten verhielten sich die Zuschauer im Zirkus; hier wurde der Kaiser nicht geschont. Er antwortete mithilfe von Herolden oder großen Schrifttafeln auf die Wünsche des Volkes. Insofern war er im Theater, der Arena oder im Zirkus einer von ihnen. Aus all dem wird klar, dass die Spiele in Rom keineswegs ausschließlich Zerstreuung und Unterhaltung bedeuteten, sondern stets auch eine unübersehbare und nicht zu unterschätzende politische Funktion hatten und in man-
217 Princ. hist. 20. 218 Siehe Darwall-Smith 1996, 222. 219 Kolb 1995a, 589 und 599; Köhne 2000, 33. Cass. Dio 60,6,4f.; 68,2,2f. Eine Konkurrenzsituation mit den mächtigsten Adligen konnte der Kaiser nicht hinnehmen. Das zeigt Winterling (1999, 139f.) für das Feld der salutatio. Prominente Senatoren verzichteten auf die aristokratische Tradition aus republikanischer Zeit, große Besucherscharen zu empfangen, um nicht den Neid des Kaisers zu erregen. Oder die Kaiser wurden selbst aktiv: Claudius verbot den Senatoren die salutatio durch Soldaten (Suet. Claud. 25,1).
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chem sogar eine Art Ersatz rur die Volksversammlungen, contiones und comitia der republikanischen Epoche boten. 22o
Wie der Kaiser sich in diesem Dialog verhielt, welche Rolle er spielte, das war keineswegs ausgemacht und warf daher ein prägendes Licht auf die Herrschaft des einzelnen. Es trug wesentlich zur Herrschaftsdarstellung bei. Was berichten die Quellen über Domitians Verhalten bei den Spielen? Plinius lobt im Panegyricus Trajan dafiir, dass man ihn selbst sehe, nicht nur sein cubiculum. Trajan sitze in populo. 22I Ausgrabungen haben gezeigt, dass Trajan eine neue kaiserliche Loge im Circus Maximus erbaute, einen monumentalen Bau mit Säulenfassade. Wo hatte also Domitian gesessen? Er hatte die (südliche) Rückfront des Palasts mit einer apsidialen Kaiserloge, die sich zum Circus Maximus hin öffnete, ausstatten lassen. Durch gewaltige Substruktionen hoch über dem Circus sich erhebend, demonstrierte sie zugleich Nähe zur plebs und Distanzierung von ihr: 222 Der Kaiser als auf Erden präsente Gottheit war einerseits fiir alle sichtbar, andererseits über das Volk weit hinausgehoben. So kann Sueton durchaus von der Kommunikation mit der plebs im Kolosseum und im Stadion berichten: Domitian habe das Volk während der Gladiatorenkämpfe - wie vor ihm Caligula und Neromit Geschenken überhäufen lassen. Missilia, kleine Geschenke oder Geldstücke, ließ er in die Menge werfen. Gleichzeitig wird auch der Hintergrund des oben erwähnten plinianischen Diktums klar. Domitian soll gelegentlich (während des kapitolinischen Wettkampfs) im Dialog mit der plebs auch barsch verfahren sein und Schweigen geboten haben, wenn das Volk missliebige Wünsche an ihn herantrug. 223 Es ergibt sich also ein zwiespältiges Bild fiir das Verhalten Domitians bei den Spielen: Zwar präsentierte er sich als freigebiger Herrscher, aber er zeigte dem Volk offensichtlich in nicht immer diplomatischer Manier seine Grenzen auf und verstieß damit gegen die stillschweigende Übereinkunft der Mächtigen, im Zirkus mehr als gewöhnlich zu erdulden,224 und somit gegen das von der plebs erwartete Rollenverhalten.
220 Deininger 1979, 301, der von den Spielen an anderer Stelle (S. 287) auch von einem »fest institutionalisierte[n] Rahmen einer politischen Artikulation der plebs urbana« gesprochen hat. Schon Cicero lokalisierte den politischen Willen des Volkes an drei Orten, der Volksversammlung, der Wahlversammlung und bei den Spielen und Gladiatorenkämpfen (Pro P. Sestio 106) und prägte die Formel theatrum populusque Romanus (ebd. 116). S.a. Yavetz 1969, 18; Zanker 1994,286 und Kolb I 995a, 590. 221 Plin. paneg. 51,4-5. 222 So Zanker 2001 (0. Anm. 148); vgl. Klodt 2001,43; Humphrey 1986, 80; Kolb 1995a, 603. 223 Suet. Dom. 4,5 und 13, I; Calig. 18,2; Nero 11,2. 224 Vgl. Yavetz 1969,20.
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>Brot< bekam die römische Bevölkerung vom Kaiser in Form von tatsächlichen Getreidelieferungen und von finanziellen oder Sachspenden. Die frumentationes vermutlich erhielt jeder Empfanger fünf Scheffel Kom pro Monat225 - hatten nicht die Funktion, die Versorgung der armen Bevölkerungsschichten sicherzustellen, so wichtig diese Getreidezuteilung auch gewesen ist. J. Deininger sah in ihnen wie in den Congiarien eine »gewisse politische Privilegierung der hauptstädtischen Bürger«, von der auch Senatoren und Ritter profitieren konnten. 226 Die materielle Qualität der Geldgeschenke für die plebs urbana ist allerdings nicht gering zu schätzen. Hadrians doppeltes congiarium von 118 entsprach mehreren Monatslöhnen eines einfachen Arbeiters (auch wenn ein Geldgeschenk in dieser Höhe außergewöhnlich war).227 Der Hauptzweck der kaiserlichen Brot- und Geldspenden aber lag in der Darstellung seiner Herrschaft. Zum Anlass nahmen die Kaiser besondere Ereignisse, bedeutende Daten oder Leistungen, die ihrerseits zur expression de la majeste beitrugen: den Regierungsantritt, Hochzeiten in der kaiserlichen Familie, militärische Triumphe, Regierungsjubiläen oder die Designation des Nachfolgers. 228 Domitian - so berichtet Sueton - habe die öffentlichen Lebensmittelzuteilungen aufgehoben und dafür die von Nero abgeschaffte Tradition, ganze Mahlzeiten zu stiften, wieder ins Leben gerufen (sportulas publicas sustulit revocata rectarum cenarum consuetudine).229 Der dafür betriebene Aufwand scheint der kaiserlichen liberalitas Ehre gemacht zu haben: Sueton bezeichnet die Speisung für Senatoren, Ritter und Volk während der Gladiatorenspiele am Septimoniumfest als largissimum epulum, und das Festmahl für das Volk aus Anlass des Triumphs über die Daker 86 dauerte die ganze Nacht. 230 Domitians Freigebigkeit bei den Geld- und Sachspenden war insgesamt nicht signifikant anders als die seiner Vorgänger und Nachfolger. Er gab mehr Geld für seine drei Congiarien aus als seine Vorgänger mit Ausnahme von Tiberius und (natürlich) Augustus. Seine Nachfolger übertrafen ihn ihrerseits deutlich. Geht man von einer linear gesteigerten Entwicklung der Geldgeschenke im Principat aus und berücksichtigt man die starke Zunahme des liberalitas-Begriffs in den literarischen und epigraphischen Quellen seit den Adoptivkaisem,231 dann liegt Domitians Euergetismus ganz im Rahmen. An öffentlichen Baustiftungen verdankte die römische Bevölkerung der flavischen Dynastie schon das Kolosseum und das Templum Pacis, eine weitere reprä225 Weeber 1994,161. 226 Deininger 1979, 285f.; vgI. Weeber 1994,162. 227 SHA Hadr. 7,3. Siehe Weeber 1994,163. 228 Siehe Weeber 1994, 165 und Kloft 1970,92. 229 Suet. Dom. 7,1; Nero 16,2. 230 Suet. Dom. 4,5; Cass. Dio 67,8,4. VgI.a. 67,4,4; Stat. silv. 1,6,43f.; Mart. 8,49(50),7-10. Siehe Winterling 1999,153 u. 155f. 23 I Siehe Weeber 1994, 164 und Kloft 1970, 94.
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sentative Platzanlage neben den bereits existierenden Kaiserforen. Deren Verbindung stellte Domitian mit dem Forum Transitorium als Scharnier her und machte aus den einzelnen öffentlichen Plätzen ein kohärentes politisches Zentrum. 232 Für das Vergnügen und Wohlbefinden des Volkes schufen die römischen Kaiser repräsentativen, großzügigen, prunkvollen öffentlichen Raum. Domitian tat sich auch dabei hervor: Der Chronograph von 354 schrieb ihm Bäder, die Thermas Titianas et Traianas, zu. 233 Seine Bauten für die verschiedenen Arten von Spektakeln wurden schon erwähnt. Ebenso wie die öffentlichen Plätze machten die Kaiser diese Orte der Spiele zu »Orten der Politik«234. Denn als >Volksbautenanderen< Instrumente
17-mal übernahm der Flavier das Konsulat, das er jeweils vom 1. Januar bis zum 13. Januar oder maximal Ende Februar bekleidete. Unter Domitian waren, bis auf den Kaiser selbst, alle Konsuln, ordinarii und suffecti, in der Regel vier Monate im Amt, in Krisenzeiten (etwa im Jahr 90) zwei Monate, eine Entwicklung des 1. Jahrhunderts, um mehr Persönlichkeiten die Ehre eines Konsulats zu ermöglichen und so deren Unterstützung für den Kaiser zu gewinnen. 239 Es wurde üblich, das Jahr nach den am 1. Januar antretenden Konsuln zu benennen, auch nachdem diese das Amt aufgegeben hatten. 24o Je mehr tatsächliche Macht das Amt des Konsuln einbüßte, desto wichtiger wurden seine repräsentativen Aspekte, zumal für den Kaiser. Diese eponyrnisierende Funktion war nach Plinius auch für den Princeps eine Ehre. 241 Zehn der 15 Regierungsjahre Domitians trugen daher seinen Namen. Diese eigentliche Bedeutung des Konsulats in der Kaiserzeit war auch Sueton geläufig. Denn unmittelbar nach Domitians 17 Konsulaten kommt er auf die reichsweit durchgeführte Umbenennung der Monate September und Oktober in Germanicus und Domitianus zu sprechen. 242 Der direkte Zusammenhang der Namensgebung für ein ganzes Jahr und für einzelne Monate dürfte für den Biographen eine Selbstverständlichkeit gewesen sein. Sueton liefert auch eine Begründung, warum Domitian diese zwei Monate auswählte: quod altero suscepisset imperium, altero natus esset, da Domitian im September (81) zur Herrschaft, im Oktober (51) zur Welt gekommen war. 243 Die Begründung klingt plausibel, es werden aber auch noch andere Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Denn die Mehrzahl von Domitians Vorgängern hatte zu diesem Mittel der Expression gegriffen, Bestand hatten zu Beginn des domitianischen Principats aber nur die Änderungen von Iulius Caesar und Augustus gehabt. Um diese Reihe fortzusetzen, war Tiberius die Umbenennung des September und des Oktober angetragen worden (was dieser - wie so vieles - ablehnte), Caligula hatte
lich eine (im Vergleich zu den Vorgängern) weiter gehende Bereitschaft Domitians konzedierte er, Verehrungen als eine Gottheit zu akzeptieren. Diese Position darf indes mit M. Clauss, Kaiser und Gott (1999) als widerlegt gelten. 239 Suet. Dom. 13,3; vgl. auch Cass. Dios Zeugnis, Domitian habe sich fur zehn aufeinander folgende Jahre zum Konsul wählen lassen (67,4,3), was mit den Nachrichten der übrigen Quellen schwer vereinbar ist. Siehe Kneissl 1969,47 und Buttrey 1980,37. Siehe zur Besetzung des Konsulats Gallivan 1981, 186-220, bes. S. 195. 240 Siehe B. Kübler, Consul, RE 4,1 (1900) 1112-1138, hier 1130. 241 Plin. paneg. 58,3. 242 Dom. 13,3; vgl. Clauss 1999,244 und Hardie 1983, 194. 243 Siehe zu weiteren Quellenzeugnissen von der Änderung der Monatsnamen Scott 1936, 158-160. In der armenischen Version der Chronik des Eusebios wird berichtet, der Oktober sei in Parthenicus umbenannt worden (a.Abr. 2102). Siehe zum Zeitpunkt der Namensänderung Scott 1936, 160f.
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den September in Germanicus umgetauft. 244 Es lag also rur den Flavier nahe, ebenfalls den neunten und zehnten Monat als Träger seiner Namen auszuwählen. Jedoch erging es ihm nicht besser als Caligula oder Nero: Infolge der damnatio memoriae wurden der September und der Oktober wieder rückbenannt. 245 Auf den Kaiser als Hauptthema der Herrschaftsdarstellung wird im folgenden Kapitel über die domitianischen Innovationen zurückzukommen sein.
2.3.2 Die Expression zwischen Innovation und Epigonalität Domitian fiihrte, indem er die Nachfolge seines Vaters und Bruders antrat, die flavische dynastische Linie im Principat fort. Insofern war es nahe liegend, gerade in der Anfangszeit bewährte Elemente der flavischen Herrschaftsdarstellung aufzugreifen, um die dynastische Kontinuität und damit die eigene Berechtigung zur Herrschaft zu betonen. Da Vespasian und Titus ihrerseits natürlich auch nicht bei null angefangen hatten, fanden sich vorflavische Spuren ebenso bei Domitian. Je länger die Amtszeit dauerte, desto eigenständiger konnte die Ostentation der Imago werden und wurde sie bei Domitian auch. Die Zitate aus den Münz-Emissionen vieler Vorgänger ebenso wie die unterschiedlichen Stile der Staatsreliefs scheinen zunächst auf eklektizistische Tendenzen hinzudeuten. 246 Jedoch waren die Anleihen nicht beliebig, sondern wiesen in eine eindeutige Richtung: Es gab eine Münzreihe mit den Bildnissen von Mitgliedern der julisch-claudischen Dynastie. 247 Das Domitianporträt im Museo deI Palazzo dei Conservatori ging einen Schritt weiter, denn es verwies nicht einfach auf die Vorgängerdynastie, sondern näherte das Aussehen des Flaviers dem julischclaudischen an. Trotz Domitians tatsächlicher Kahlheit war es mit einem vollen Haarschopf ausgestattet: »Only a full cap of hair with comma-shaped locks would allow Domitian to ally hirnself with his Augustan and Julio-Claudian predecessors.«248
Der Tempel des Iuppiter Custos, Domitians Ausdruck der Dankbarkeit fiir seine Rettung im Bürgerkrieg auf dem Kapitol, folgte einem Vorbild des Augustus: 244 Suet. Tib. 26,2; Calig. 15,2; nur Nero bildete eine Ausnahme: Suet. Nero 55; Tac. ann. 16,12,3; s. Jones 1996, 114; Scott 1936,158; Coleman 1988,80. Scott diskutiert zudem die Frage, welche Monate im ägyptischen Kalender von Domitian in lI,PlLUVt1COt; und i\olLtttUVOt; umgetauft wurden (1936, 163-165). 245 Plut. Numa 19,4; Macr. Sat. 1,12,36f. 246 Kennzeichnend fiir die Münzen Domitians war »la reprise de themes appartenant desormais a une veritable tradition iconographique constitw!e des apports de chaque regne anterieur« (Alexandropoulos 1994, 82). Zu den Staatsreliefs siehe Kleiner 1992, 194: »lt is apparent from our discussion of Domitianic state relief sculpture that there was no one distinctive style used by artists and workshops in the imperial employ.« 247 RIC 453-464. Siehe Alexandropoulos 1994, 84. 248 Kleiner 1992, 177.
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Einem Blitz in Spanien knapp entronnen, hatte dieser als Dank einen Tempel ftir Iuppiter Tonans auf dem Kapitol errichtet. 249 Und die Koexistenz von Göttern und Menschen auf den Reliefs von der Cancellaria und dem Titusbogen war >>undoubtedly a result of Domitian's philhellenic leanings and Julio-Claudian pretensions«250. Alle diese Referenzen sind nicht schwer zu erklären: Augustus als das ideale Kaiservorbild und das julisch-claudische Herrscherhaus als die Principatsdynastie schlechthin hatten ftir Domitian legitimierende und die eigene Herrschaft idealisierende Funktion. 251 Ein inhaltliches Anknüpfen an den Begründer des Principats (und seine Nachfolger) stand demgegenüber im Hintergrund. 252 Sein Vater hatte ihm bereits das Vorbild geliefert: Mit der offiziellen Nomenklatur hatte dieser sich eng an die augusteische angelehnt, um den Bezug zum ersten Princeps, der nach Jahren der Wirren und Bürgerkriege ftir Frieden und geordnete Verhältnisse im Reich gesorgt hatte, demonstrativ herzustellen. Der Befestigung des flavischen Principats diente auch die Übernahme des Konsulats zu Jahresbeginn durch Vespasian und Titus, das sie weit häufiger als ihre Vorgänger oder später Trajan und Hadrian bekleideten. In diesen Dingen folgte Domitian dem familiären Beispiel. Er ließ sich ebenso oft - und ebenso kurz - zum Konsul wählen und übernahm die Titulatur ziemlich getreu (mit Ausnahme des Cognomen Germanicus, s.u. S. 72).253 So stellte auch er die Verbindung zu Augustus her und bewahrte die flavische Kontinuität. Vespasian hatte den flavischen Herrschaftsanspruch untermauert durch Münzmotive, die sich direkt an die des Bürgerkriegs von 69 anschlossen. 254 Auf Akzeptanzgewinn durch militärische Bewährung setzte auch Domitian, der zudem auf dem Feld des Kaiserkults und sogar in der Minervaverehrung flavische Vorbilder aufgriff: Minerva bzw. ihre Insignien hatten nicht erst bei Domitian, sondern
249 Suet. Aug. 29,3; s.o. S. 51f. Vgl. Darwall-Smith 1996,110. 250 Kleiner 1992, 194. 251 Die zweite große Traditionslinie, auf die Domitians Herrschaftsdarstellung zurückgriff, die griechisch-hellenistischen Vorbilder, wird im Anschluss gesondert in Kapitel 2.3.3 behandelt. 252 Auch wenn es gelegentlich Übereinstimmungen gegeben hat - etwa der demonstrative Rückbezug in der zensorischen Politik oder der Beiname Germanicus, der auf Augustus' militärisches Engagement in Gerrnanien rekurrierte (vgl. Witsche I 1997, 101) -, so kann von einer systematischen Übernahme augusteischer Sachpolitik dennoch keine Rede sein. Vgl. allerdings Jones 1992,72: »He was the new Augustus, in money, morals and religion ( ... ) as weil as in building and entertainment (where he spent lavishly).« 253 Siehe Gallivan 1981, 195f.; Martin 1987,206; Buttrey 1990, viii. Plinius kritisierte die hohe Zahl der flavischen Konsulate und warf speziell Domitian vor, durch seine ununterbrochene Folge von sieben Konsulaten (82-88) ein longum quendam et sine discrimine annum geschaffen zu haben (paneg. 58,1). Vgl.a. paneg. 58,4: Miseros ambitionis, qui ita consules semper, ut semper principes erant! Auch die nur kurzzeitige Übernahme tadelte er (65,3) und übersah dabei geflissentlich, dass auch andere Kaiser gelegentlich nur wenige Tage als Konsul amtierten, so z.B. Augustus, Tiberius oder Caligula (Suet. Aug. 26,3; Tib. 26,2; Calig. 17, I). 254 Siehe Lumme11991, 76.
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schon unter Vespasian und Titus eine wichtige Rolle gespielt. Sie waren mit dem palladium und häufiger mit der aegis zu sehen, die ihre Machtübernahme und ausübung legitimieren sollten. 255 Die Person des Kaisers als Thema der Expression bedeutete zwar keine Innovation, aber die Häufigkeit seines Erscheinens auf den Münzrückseiten hatte eine neue Qualität. Schon seit Vespasian wurden der Kaiser und seine Thronfolger auf den Rückseiten deutlich öfter abgebildet als zu julisch-claudischer Zeit. Für die domitianischen Münzen ist die kaiserliche Dominanz das Charakteristikum schlechthin?56 »Parallel dazu nimmt unter Vespasian und Domitian der militärische Habitus des Vorderseitenporträts und der ganzfigurigen Darstellungen ZU.«257 Erstmals konnte man unter Domitian auf den Münzen die Soldaten sehen, wie sie den Truppeneid vor dem Princeps ableisteten. 258 Schon im Anfangsstadium seiner Herrschaft kamen Darstellungen auf, die Domitian als siegreichen Feldherm in Germanien zeigten: »The most novel aspect ofthese new reverse types is the prominence (on sestertii) given to the Emperor hirnself, taking part in various scenes representing his victories in Germany against the Chatti.«259 Der Kaiser Domitian war überlegen und unbezwingbar: Vom Pferd herab versetzte er dem schon fallenden Gegner den entscheidenden Hieb. Die Münzen zeigten seinen Kampf als ungleiche Auseinandersetzung mit von vorneherein feststehendem Ergebnis. 260 Dieselbe Botschaft vermittelte die Titulatur Domitians, die oben (S. 48) schon behandelt wurde. Wie kein anderer vor ihm nutzte er die Nomenklatur, um an seine militärischen Erfolge in Germanien zu erinnern. Nie erschienen Siegestitel aufInschriften und Münzen häufiger als unter ihm und Trajan. 261 So hat Domitian zwar nur wenig Innovatives in die kaiserliche Titulatur eingebracht, aber das Wenige hat tiefe Spuren hinterlassen und ist von der Mehrzahl seiner Nachfolger (bis einschließlich Marc Aurel) kopiert worden. Seinem Siegerbeinamen Germanicus folgte eine lange Reihe von kaiserlichen Epitheta, die an militärische Siege erinnern sollten. Trajan beispielsweise nahm im Laufe seiner Herrschaft schon drei Siegestitel (Germanicus, Dacicus und Parthicus) an und folgte damit Domitians Vorbild nicht nur, sondern übertraf es noch. 262
255 BMC II S. 126, Nr. 586; S. 260, Nr. 188; S. 121, Nr. 565ff., S. 122, Nr. 567-571; S. 175, Nr. 741 t und 741;. Siehe Girard 1981, 241. Auf einem Sesterz von 81 nimmt dann auch Domitian das palladium (BMC 265). Siehe Girard 1981,242. 256 Siehe Carradice 1983, 148. 257 Lummel 1991,76. 258 RIC 260; 288; BMC 301-303 u.a.; vgl. Brilliant 1963, 96 und Bergemann 1990,42. 259 Carradice 1983, 143; Truppeneid: RIC 260; 288; 306 u.a. 260 BMC 339; 380; RIC 284; 344; 361; siehe Brilliant 1963,97 und Bergemann 1990,42. 261 Siehe Kneiss11969, 43 und 183; Eck 1972,171; Kienast 1996, 39. 262 Siehe Martin 1987,207 und Kneissl 1969,57.
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Die Divinisierung von Mitgliedern der kaiserlichen Familie war an sich kein neues ikonographisches Thema. »Neanmoins, le traitement iconographique de ce tMme, notamment dans le cas du fils de Domitien, represente tranant sur un globe et environne d'astres, est si nouveau que l'on ne saurait ici vraiment parler de la reprise d'un tMme ancien.«263 Der Flavier institutionalisierte den Kult der Kaiserfamilie mit größerer Selbstverständlichkeit: Die Verwandten bildeten »his own group of gods« und halfen so, den Kaiser Jupiter gleichzusetzen. 264 Das Programm Domitians zur Propagierung der eigenen Göttlichkeit war so umfassend, dass er darin alle seine Vorgänger, vielleicht mit Ausnahme des Augustus, übertraf. 265 Seine Statuen standen auf öffentlichen Plätzen oder im Palast direkt neben Götterstandbildern, was einige seiner Vorgänger vermieden. 266 Zwar wurden alle römischen Kaiser als lebende Gottheiten begriffen, aber es gab in Rom offenbar die Auffassung, dass die Göttlichkeit »durch Akkumulation entsprechender kultischer Ehrungen gesteigert werden kann«, wie ein TacitusZeugnis über Tiberius belegt. 267 Und das war wichtig, denn das Bestreben des Kaisers, seine Vorgänger in möglichst jeder Hinsicht zu übertreffen, galt natürlich auch fiir seine Göttlichkeit. 268 Außerhalb Roms, an der Via Appia, stand seit etwa 95/96 sein HerkulesTempel, und dennoch muss er in der Hauptstadt so bekannt gewesen sein wie die dort präsenten Bauten, denn Martial widmete ihm allein drei Gedichte seines neunten Buchs (64; 65; 101). In ihm befand sich eine Herkulesstatue mit Domitians Gesichtszügen. Sich auf Herkules zu beziehen hatte eine lange hellenistische Tradition, angefangen bei Alexander dem Großen über Caligula bis zu Nero, aber kein Kaiser vor Domitian hatte sich angemaßt, dem Kultbild einer Gottheit seine Züge zu verleihen. »This temple shows clearly how far Domitian had departed from the traditional reticence preferred in such matters by Roman emperors in Italy.«269 Das Neue an Domitians Herrschaftsdarstellung, auch in der Architektur, war, dass seine Person unverhüllt ins Zentrum bildlicher Botschaften wie jener der Cancellaria-Reliefs rückte. Darin ging er m.E. weiter als alle früheren Kaiser, Caligula und Nero eingeschlossen. Von seinen Vorgängern und Nachfolgern unterschied ihn außerdem die immens große Zahl von fertiggestellten oder begonnenen Bauprojekten. Er konnte dem Stadtbild seinen Stempel aufdrücken wie kaum ein
263 Alexandropoulos 1994,85; vgl. auch Darwall-Smith 1996, 154. 264 Darwall-Smith 1996, 178. 265 Vgl. Clauss 1999, 131. 266 Plin. paneg. 52,2; Cass. Dio 53,27,3; Suet. Tib. 26,1; s. Alfilldi 1980, 65f. 267 Tac. ann. 4,37; Zitat: Clauss 1999,487. 268 Siehe zu den Möglichkeiten der Steigerung Clauss 1999,492. 269 Vgl. DarwaIJ-Smith 1996, 135f., Zitat S. 136. S.a. Sauter 1934,78 u. Henriksen 1999,65.
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zweiter, weil der Brand in Rom von 80 ihm buchstäblich den Raum dazu gab: Während andere Kaiser Bauland mühevoll suchen oder kostenintensiv erwerben mussten, konnte Domitian vermutlich preisgünstig an vom Feuer zerstörte Grundstücke gelangen. Seine architektonische Herrschaftsdarstellung wirkte also schon durch ihre schiere Quantität. Darüber hinaus camouflierte er seine wirkliche Machtstellung nicht mehr, wie es Augustus und wohl noch Vespasian vorgemacht hatten, die auf traditionelle republikanische Befindlichkeiten, v.a. beim Senat, Rücksicht genommen und in ihrer Selbstdarstellung die res publica stärker in den Vordergrund gestellt hatten. 270 Im Gegenteil, Domitian suchte seine Stellung durch die Propagierung der eigenen Person zu stärken. Der Palastkomplex auf dem Palatin schuf einen Herrschaftsraum fiir den Kaiser, der damals ohnegleichen war. »Even though the Golden House [Neros] covered more space, and may have designed to be just as or even more lavish, its imagery did not attempt to exalt its owner so blatantly as the huge halls in the Forum building and the Domus Flavia did Domitian.«271 Auch das zeigt das Eigene der Herrschaftsdarstellung des jüngsten Flaviers auf dem Thron: Es war Domitian selbst.
2.3.3 Domitians Philhellenismus Domitians Philhellenismus kann in seiner Bedeutung fiir die Ausgestaltung der Herrschaft kaum hoch genug eingeschätzt werden. H. Bengtson schrieb, der Flavier sei »von der Liebe zum Hellenentum durchdrungen« gewesen, bei den Römern damit aber auf wenig Gegenliebe gestoßen: »( ... ) besäßen wir nicht die Äußerungen der Hofdichter, so wäre von der Griechenbegeisterung des Kaisers überhaupt nichts übriggeblieben.«272 Das trifft nun ganz sicher nicht zu, haben wir doch bis heute die Zeugnisse der Historiker, Münzen und der Architektur, die vom hellenistischen Charakter des domitianischen Principats künden. Die Vorliebe des Kaisers fiir das Griechische stand in einer langen römischen Tradition. Nach der Republik fanden sich hellenistische Spuren (in unterschiedlichen Ausmaßen) bei allen principes von Augustus über Nero bis zu den Flaviern, sei es in der charismatischen Herrschaftskonzeption, sei es im kulturellen Leben oder in der Architektur. Die großen öffentlichen Bauten der Kaiser thematisierten mit ihren Säulenordnungen und Kunstwerken »die Teilhabe des Volkes an der griechischen Kultur«273. Zu Vespasians Templum Pacis etwa, seiner 75 eingeweihten Platzanlage mit Tempel, gehörte neben einer lateinischen auch eine griechi-
270 Siehe Darwall-Smith 1996, 260f. 271 Ebd. 249. 272 Bengtson 1979,222. 273 Zanker 1997a, 19.
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sche Bibliothek. 274 Domitians Vater förderte -laut Sueton - als erster (primus) die Bildung, Dichtung und Künste in Rom: Lateinische und griechische Rhetoren stattete er mit einer jährlichen Pension von 100.000 Sesterzen aus. Prominente Dichter und bildende Künstler erhielten von ihm ein namhaftes congiarium bzw. hohen Lohn. Diese Ausgaben bestritt Vespasian aus demfiscus, der eigenen, kaiserlichen Schatulle. 275 Die Protegierung der Bildung, Künste und Wissenschaften hatte die Praxis der hellenistischen Herrscherhöfe zum Vorbild. Domitians Architektur setzte einen noch stärkeren hellenistischen Akzent. R.H. Darwall-Smith rubrizierte den Philhellenismus unter die wichtigsten Botschaften des domitianischen Bauprogramms.276 Mit dem Tempel für Isis und Serapis sowie dem Pamphili-Obelisk griff der Flavier auf ägyptische Götter- und Herrscherkulte zurück, die eine Jahrhunderte währende Hellenisierung erfahren hatten. Die Errichtung eines Obelisks mit Hieroglypheninschriften war in Rom ohne Beispiel,277 ebenso eine solch unverblümte Parallelisierung mit hellenistischen Herrschervorstellungen, wie sie in dem Herkules-Tempel an der Via Appia (s.o. S. 73) zum Ausdruck kam. »One may call such conduct [i. e. einen solchen Tempel zu bauen] a megalomaniac loss of touch with reality or careful exploitation of eastern attitudes towards divine kingship.«278 Jedenfalls unterstrich der Herkules-Tempel, dass sich Domitians Herrschaftsverständnis stark den hellenistischen Vorbildern angenähert hatte. Domitians Forum knüpfte an die späthellenistischen Elemente der Kaiserforen an: Es diente nicht als Versammlungszentrum politisch aktiver Bürger, sondern als Repräsentationsraum. Indem es die bestehenden Foren untereinander verband, förderte es die Abgeschlossenheit des ganzen Komplexes nach außen. Die Frontwirkung des Minervatempels unterstrich außerdem die Konzeption des Forums als Tempelplatz. 279 Mit dem Stadion und dem Odeon errichtete der Kaiser dauerhafte Veranstaltungsorte für die Capitolia. Das Neue in Rom waren nicht griechische Spiele an sich, sondern dass Domitian ihnen eine eigene feste Heimat gab und diese großzügig und prächtig ausgestaltete. 280 Hellenistische Statuen dekorierten das Stadion: 274 Kolb 1995a, 388. 275 Suet. Vesp. 18; Cass. Dio 66(65),12,la; s. B.W. Jones, Suetonius. Vespasian. Edited with Introduction, Commentary and Bibliography, Bristo12000, 101. Vespasian folgte, auch in Suetons Darstellung, trotz der Apostrophierung als primus, darin dem Beispiel des Augustus: Jener habe die Talente seiner Zeit mit allen Mitteln gefOrdert (Suet. Aug. 89,3). 276 1996, 252; neben dem Philhellenismus zählte er dazu die besondere Stellung als Kaiser, Domitians moralische Vorstellungen und den militärischen Ruhm. 277 Siehe ebd. 139 und 150-153. 278 Ebd. 136. 279 Hölscher 1984, 9f.; Paul Zanker, Forum Augustum. Das Bildprogramm, Tübingen 1970 (Monumenta Artis Antiquae 2), 6f. 280 Vgl. Junkelmann 2000,81.
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Die pergamenische sog. Pasquino-Gruppe erinnerte an Menelaos, wie er den Leichnam des Patroklos barg.28! Der Torso des Apollon Lykeios, dessen Replik möglicherweise aus der Werkstatt des Praxiteles stammte, stand im Original im Gymnasion in Athen. 282 So wie Vespasian das Kolosseum für die römischen ludi gebaut hatte, so schuf sein zweiter Sohn das Stadion und das Odeon für die griechischen Spektakel, »the final act in Rome's hellenisation«283. Augustus und die julisch-claudische Dynastie insgesamt, darunter v.a. Nero, hatten der Zahl weltweit stattfindender panhellenischer Spiele weitere hinzugefügt. Während aber etwa die Neronia den Tod Neros nicht überlebten, wurden die CapitoUa Domitians zu den einzigen dauerhaften griechischen Spielen in Rom bis zu dem Agon von Gordian III. für Minerva (vor 243).284 Ihr fester Platz in Stadion und Odeon wird ein Grund dafür gewesen sein, ein anderer ihr Prunk, ihr Luxus und ihre Vielfalt, die die griechischen Spiele auszeichneten. 285 Nach griechischer Art, more Graeco, hatten die kapitolinischen Spiele einen dreifachen Aufbau, musicum equestre gymnicum. 286 Die Konkurrenz umfasste auch griechische und lateinische Prosa. Domitian führte den Vorsitz wie ein griechischer Agonothet: crepidatus purpureaque amictus toga Graecanica, mit griechischen Sandalen und in einer purpurnen Toga nach griechischem Schnitt. Gemeinsam mit dem Flamen DiaUs und dem flavischen Priesterkollegium trug er hellenistische Priesterkränze. 287 Nach seinem Tod fanden die CapitoUa noch Jahrhunderte lang statt, sie wurden von der damnatio memoriae nicht tangiert. Das lag daran, dass sie nicht nach ihrem Schöpfer hießen und Domitians Rolle dabei verdrängt werden konnte, v.a. aber an ihrem durchschlagenden Erfolg in der ganzen griechischen Welt: Wie umfassende und weit verbreitete Siegerinschriftenfunde belegen, nahmen die prominentesten und besten Athleten und Künstler aus dem gesamten Imperium teil. »Ce concours a introduit Rome dans la vie agonistique du monde grec et en a fait une des capitales; la ville jouait alors avec eclat le röle de 1tOAtC; 'EAA1'\viC;.«288 Viele Senatoren lehnten die griechischen Wettkämpfe ab, wie bei Tacitus und Plinius zum Ausdruck kommt; man schrieb ihnen eine verweichlichende Wirkung ZU. 289 Nichts spricht aber dafür, dass die plebs urbana genauso dachte. Denn das 281 Colini 1998, 28f. m. Anm. 42. 282 Lukian. anarcho 7; S. Colini 1998,82. 283 Darwall-Smith 1996,249; Suet. Dom. 5. 284 Robert 1970, 7f. Grundlegend zu den Capitolia Caldelli 1993 und Rieger 1999. 285 Ebd. 26. 286 Suet. Dom. 4,4; siehe dazu Suetons Beschreibung der Neronia: Instituit et quinquenna/e certamen primus omnium Romae more Graeco trip/ex, musicum gymnicum equestre, quod appe//avit Neronia; (...). (Suet. Nero 12,3.) Vgl. Tac. ann. 14,20,1. 287 Suet. Dom. 4,4; S. Robert 1970, 7 und Alföldi 1980,269. - Siehe zu den Dichterkonkurrenzen auch White 1998. 288 Robert 1970, 7f., Zitat S. 8. Vgl. Darwall-Smith 1996,225. 289 Plin. paneg. 33,1; epist. 4,22; Tac. anno 14,21.
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Überleben der Capitolia über Jahrhunderte bleibt das stärkste Argument für ihre Akzeptanz auch in Rom. Die Quinquatria Minervae in der Albaner Villa, Domitians zweites großes Fest, hatten ebenfalls griechische Bezüge: Er feierte sie jährlich anlässlich der Panathenäen ~E'YaA.m~ und mit Wettkämpfen von Dichtem, Rednern und Gladiatoren, um Minerva zu ehren. 29O Der Minerva-IAthenekult, der in der domitianischen Herrschaftsdarstellung eine außergewöhnliche Rolle spielte, ist ein integraler Bestandteil seiner hellenistischen Interpretation von Herrschaft gewesen. Die vier Standardtypen in der Münzprägung verliehen der Göttin allesamt kriegerische Eigenschaften. Seit 81 gab es jährlich den Typ 1, die Darstellung der Minerva Propugnatrix bzw. Athena Promachos. Erstmals unter Claudius auf den römischen Reichsmünzen erschienen, stammte er ursprünglich aus hellenistischer Münzprägung. Die Typen 2-4 variierten den Typ der Athena Promachos (Typ 2) oder stellten sie in einem erweiterten kriegerischen Kontext dar. 291 Mit welchen Attributen Minerva durch die Quinquatria und die Capitolia (als Mitglied der kapitolinischen Trias) verehrt wurde, ist nicht überliefert. Neben den Münzen Domitians macht ein Vergleich mit dem agon Minervae Gordians III. eine ebenfalls kriegerische Bezugnalune vorstellbar: Gordian fiihrte diese griechischen Spiele vor seinem Feldzug gegen die Perser ein, um Athena Promachos als Beschützerin Athens bei Marathon (490 v.Chr.) gegen die Perser zu ehren und um Beistand zu bitten. Der agon Minervae war nach Domitians Capitolia der zweite dauerhafte, d.h. seinen Begründer überlebende, griechische Wettkampf in Rom und wie sein Vorgänger Bestandteil des festen jährlichen Turnus griechischer Spiele in der griechisch-römischen Welt. 292 Die Perser füllten für die Römer die Rolle als >Barbaren< aus. Gleiches galt für die Germanen, Domitians wichtigsten Kriegsgegner. Kein Wunder also, dass Domitian wie nach ihm Gordian auf die Gigantomachie als Sinnbild für den Kampf gegen die Barbaren, das Chaos und für Ordnung verwies: Seine zwei wichtigsten Götter, AthenelMinerva und Zeus/Jupiter, hatte die Darstellung der Gigantomachie auf dem Pergamonaltar Seite an Seite kämpfend gezeigt. Führte da nicht von Domitian eine Spur zu den Attaliden und ihren >Vorbereitungen< vor dem Kampf gegen die Galater? Sollte der Flavier Tempel für Iuppiter Victor und Iuppiter Propugnator gebaut haben/ 93 dann wäre dies ein weiterer Zusammenhang mit der durch Athena Promachos bzw. Minerva Propugnatrix verkörperten Ideologie:
290 Cass. Dio 67,1,2; s.a. Suet. Dom. 4,4. 291 Mattingly, BMC II, 1930, Ixxxvf.; s.o. S. 50. 292 MGAA IX, S. 147; Robert 1970, 12-16. S.a. Gehrke 1997,209. 293 Wie von der Forschung diskutiert wird: s.o. S. 5lf. m. Anm. 125.
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Domitians Herrschaftsdarstellung. Die >anderen< Instrumente
>Domitians Gigantomachie))Publiziert< ( ... ) war der Text nach antikem Verständnis erst dann, wenn er >allgemein zugänglich< war, d.h. wenn sich prinzipiell >jeder< eine Abschrift besorgen konnte.« Hier wird also die Stadt Rom mit >Öffentlichkeit< gleichgesetzt und den öffentlichen Bibliotheken eine Schlüsselrolle fiir die Publikation zugewiesen: In ihnen konnte man sich eine Abschrift verschaffen.
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Die Rezeption der Dichter
erörtert wird (3.5). In Kapitel 3.6 sollen diese Erkenntnisse auf die Gedichte an oder über den Kaiser bezogen werden.
3.1 Rezitationen Neben - und oft vor - der Veröffentlichung in schriftlicher Form stand der mündliche Vortrag von Dichtung. Schon in augusteischer Zeit stellten Rezitationen keine >Zweitverwertung< schriftlich herausgegebener Texte dar, sondern die Dichter konzipierten ihre Texte gelegentlich gezielt auf den mündlichen Vortrag hin, indem sie die mündliche Publikations- und Rezeptionssituation miteinbezogen. E. Lefevre fiir Horaz als Augusteer und G. Vogt-Spira fiir Petron als Autor des mittleren 1. Jahrhunderts haben dafiir Indizien zusammengestellt. 2 Ebenso finden sich diese Phänomene bei Martial. Um die »konzeptionelle Mündlichkeit« der Epigramme Martials zu belegen, fUhrt W. Bumikel eine Reihe von Argumenten fiir ihren Rezitationscharakter an, z.B. Klangfiguren, den Stil der pathetischen Rede und Deklamation, Dialogisierung oder die Inszenierung der Pointe. 3 Für Martial sei die Rezitation der »Idealfall der Rezeption« und das »Qualitätskriterium« gewesen,4 denn die von einem Plagiator miserabel rezitierten Gedichte Martials hätten begonnen, diesem zu gehören, wie Martial ihm höhnisch zuruft (1,38). Die Epigramme genauso wie die Silven als (recht) kleine Form hatten zudem eine Länge, die sich gut zur Rezitation eignete. Dies hatten sie mit den kürzeren von Ovids Metamorphosen (dank deren episodischen Charakters) oder mit Horaz' Oden gemein, und es beförderte ihren mündlichen Vortrag. Mag die Zuflucht zur kleinen Form - neben anderen Gründen - auch dem Publikumsgeschmack der Zeit geschuldet gewesen sein, der nicht zuletzt an leichter, schneller Unterhaltung interessiert war, so bleibt nichts-
2 E. Lefevre, Waren horazische Gedichte zum >öffentlichen< Vortrag bestimmt?, in: G. VogtSpira (Hrsg.), Beiträge zur mündlichen Kultur der Römer, Tübingen 1993 (ScriptOralia 47, Altertumswiss. Reihe 11), 143-157; Lefevre nennt Beispiele für recusationes und Ansprachen an Freunde in den Oden: »Wenn [Horaz] seine Gedanken >öffentlich< vorstellte, legte er vor der >Öffentlichkeit< sowohl den Adressaten als auch sich selbst fest: Er konnte einerseits Ansprüche, die an ihn gestellt wurden, leichter abwehren ( ... ), andererseits den Adressaten sozusagen vor Zeugen verpflichten, die dargestellte Sicht der Dinge zu akzeptieren ( ... ).« (S. 144.) Vogt-Spira, Indizien für mündlichen Vortrag von Petrons »Satyrica«, in: Ders. (Hrsg.), Strukturen der Mündlichkeit in der römischen Literatur, Tübingen 1990 (ScriptOralia 19, Altertumswiss. Reihe 4),183-192; VogtSpira betrachtet die Satyrica »als ein politisch gehandhabtes Mittel ( ... ), Meinung zu machen und Einfluß zu gewinnen«, was nur gelingen konnte, wenn sie dem Hof und Nero zur Kenntnis kam. »Hierfür war der übliche Weg eine Rezitation, vorzustellen in Ausschnitten und Fortsetzungen ( ... )«. (S. 187.) 3 Burnikel 1990, bes. 224-231. An Klangfiguren nennt er Beispiele u.a. für Anaphern, Alliterationen und Annominationen (S. 224-226). Es fragt sich jedoch, ob diese nicht auch einfach auf die (halb)Iaute private Lektüre der Römer zugeschnitten gewesen sein könnten. 4 Ebd. 224.
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Die Rezeption der Dichter
destoweniger die besondere Eignung der Epigramme und Silven zur Rezitation festzuhalten. 5 Neben den sprachlichen und formalen Indizien weisen einige Epigramme darüber hinaus Anzeichen für einen situativen Kontext des mündlichen Vortrags auf. Einige dieser Beispiele machen dabei deutlich, dass nicht nur die öffentliche Rezitation in der Nachfolge von Asinius Pollio fortbestand: 6,38 beschreibt eine Familienszene im Haus des Regulus, so dass es Martial vermutlich für den eigenen Vortrag als Gast ebendort gedichtet hatte. 1,44 und 9,89 hat er sicherlich beim Symposion als Bonmot zum Besten gegeben. 6 Für die augusteische Zeit hat K. Quinn vier Arten des Literaturvortrags ermittele 1. die traditionelle Lesung des Autors im kleinen Rahmen, vor Freunden und Dichterkollegen oder am Hof. Durch die Reaktionen der Freunde testete der Dichter die Qualität seiner Verse, und er ließ sich bereitwillig kritisieren. Am Hof dagegen präsentierte er nur ausgefeilte, fertige Dichtung, um den Interessen des Kaisers zu genügen und ihm zu gefallen. 2. der Literaturvortrag im Wettbewerb mit anderen Autoren, in einem halböffentlichen Rahmen. 8 3. die öffentliche Lesung des Autors selbst vor einem großen Publikum. Neben Dichterkollegen und Freunden, Mitgliedern des Hofes und dem Kaiser selbst konnten auch in einem weiteren Sinne an Literatur interessierte Römer anwesend sein. 9 Die öffentliche Autorenlesung erhielt später, im 1. Jahrhundert n.ehr., als einzige dieser vier Vortragsformen die Bezeichnung recitatio. Für ihre Entwicklung spielte Asinius Pollio eine wichtige Rolle: primus enim omnium Romanorum advocatis hominibus scripta sua recitavit. lO Worin genau Pollios Neuerung bestand - denn auch vor ihm haben Autoren ihre Werke einem Auditorium vorgetragen -, ist viel diskutiert worden; möglicherweise war er der erste, der seine Rezitationen ohne Einschränkung öffentlich zugänglich machte. 11
5 Auch die zumindest auszugsweise Rezitation der Thebais ist durch Juvenal (7,82-87; S.u. S. 92f.) bezeugt. Jedoch kam dabei ihr durchkomponierter, beziehungsreicher Aufbau natürlich nicht so sehr zur Geltung wie bei der Lektüre. Martial denkt einmal gar an die Rezitation seines gesamten zweiten Buches während eines Essens (2,1,9-10). 6 Siehe Burnike11990, 232. 7 Quinn 1982, 154. 8 Horaz spielt auf das duellum sarkastisch in der Florus-Epistel an; epist. 2,2,91-101. 9 Die Vergil-Vita berichtet, dieser habe außer am Hof auch pluribus vorgetragen (wenn auch nicht häufig), und zwar, um sein Werk dem Urteil des Publikums auszusetzen; [Suet.] Vita Verg. 33. Nach dem Zeugnis des Servius hat Vergil die Eklogen rezitiert (ad ecl. 6,11). lOSen. contr. 4 pr. 2. Die Nachricht ist nicht datiert; Binder (1995, 273) rückt sie in zeitliche Nähe zur ebenfalls durch Pollio veranlassten Gründung der ersten öffentlichen Bibliothek in Rom, bald nach Caesars Tod. 11 Siehe Quinn 1982, 159.
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4. der professionelle Literaturvortrag im Theater durch einen Künstler oder eine Künstlerin »as some kind of spectac1e« (K. Quinn). Der Dichter trat hier nicht selbst auf. 12 In welchem Rahmen trugen die domitianischen Dichter ihre Werke vor? - Martial bezeugt uns wiederholt Lesungen vor einer kleinen Gruppe, Freunden oder Gönnern. 13 Anders als Vergil, der Augustus an vier Tagen hintereinander die Georgica und später drei Bücher der Aeneis vorgetragen hatte,14 scheint Martial aber nicht am kaiserlichen Hof aufgetreten zu sein. Es finden sich keine Zeugnisse eines direkten Zusammentreffens mit Domitian, verbunden mit verbaler Kommunikation, geschweige denn Hinweise darauf, dass er im kleinen Rahmen am Kaiserhof rezitiert habe. Stattdessen spielen mehrere Epigramme mit der Form der schriftlichen Übermittlung seiner Dichtung an den Kaiser, oft über Mittelsmänner wie den Kämmerer Parthenius. 15 Von Statius ist ein persönlicher Vortrag vor dem Kaiser wahrscheinlich, die Rezitation der Silva 4,2, mit der er seinen Dank für die Einladung zum Gastmahl im Palast abstattet. 16 In seinen praefationes nennt er den Vorgang der GedichtÜbermittlung an den Kaiser tradere und dedicare;17 damit kann wohl nur die schriftliche Form der Übermittlung gemeint sein. Wenn Statius häufiger vor dem Kaiser rezitiert hätte, etwa während der Einweihungszeremonien des equus Domitiani (silv. 1,1) oder der Via Domitiana (4,3), dann hätte er seinem Leser vermutlich entsprechende Hinweise in den Gedichten oder den praefationes der Silvenbücher 1 und 4 geliefert l8 • Eine solche Gelegenheit, seinen Status herauszustellen, hätte er sich schwerlich entgehen lassen. Der Literaturvortrag im Wettbewerb mit anderen Autoren (Quinns Typ 2) lebte unter Domitian (wie schon unter Nero) wieder auf. Zwar fanden die musischen Agone der Neronia und der Capitolia Domitians nicht im Apollontempel statt und sie waren wohl mehr als nur halböffentlich. 19 Als Publikum kamen hierfür Partizipienten des römischen literarischen Betriebs, Dichter wie Mäzene, oder das Um12 Tacitus berichtet, das Volk habe sich, als es im Theater Vergils Verse hörte, komplett von den Sitzen erhoben und den »zufällig anwesenden und zuschauenden« Dichter gefeiert wie den Princeps selbst: (. ..) populus, qui auditis in theatro Vergili versibus surrexit universus et forte praesentem speetantemque Vergilium veneratus est sie quasi Augustum (dia\. 13,2). 13 Siehe z.B. die oben angeführten Belege. 14 [Suet.] Vita Verg. 27 und 32; vg\. Binder 1995,272. 15 Mart. 5,6; 12,11 (das eine frühere Erstveröffentlichung erfahren haben muss, denn zum Zeitpunkt der Edition von Buch 12 [1011102] war Parthenius bereits tot); 7,99; 2,91; 8,24; 8,82; 12,4(5). - Die Kommunikation mit dem Kaiser via Mittelsmänner ist ein deutliches Indiz filr >indirekte< Patronage durch Domitian: Siehe dazu Kap. 4.2. 16 Siehe unten S. 169. 17 Stat. silv. 1 pr. 19; 2 pr. 18; 3 pr. 19-20; 4 pr. 2-8. 18 Die These, Statius sei bei den Einweihungsfeiem aufgetreten, vertrat Coleman 1986, 3100. Zu der Vorstellung von silv. 1,1 in der Praefatio des ersten Buchs S.U. S. 146. 19 Anders dagegen die albanischen Spiele Domitians aufseinem Landsitz. S.u. S. 109.
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feld des kaiserlichen Hofes in Frage. Dennoch gab es auch Gemeinsamkeiten: Ob nun Statius (bei den kapitolinischen Spielen) oder Horaz - sie alle trugen in einem agonalen Rahmen ihre Dichtung vor und der Kaiser war mehr oder weniger stark involviert: 20 Domitian führte beim Agon Capitolinus den Vorsitz. 21 Die dominierende Rolle im soziokulturellen Leben Roms und damit auch für den Kaiser spielte die recitatio, die öffentliche Autorenlesung (Typ 3). Mit ihrer Öffnung für alle (in der Folge Asinius Pollios) nahmen die Zahl der Rezitationen und ihre Dauer zu. Der Charakter der recitatio veränderte sich: Die soziale Bedeutung begann bald die rein künstlerisch-literarische Motivik in den Schatten zu stellen. Die Bedeutung des vorgetragenen Textes trat in den Hintergrund zugunsten der Selbstpräsentation des Autors und des Publikums. Für den Dichter bot die Rezitation die direkteste Möglichkeit, mit dem Publikum in Kontakt zu kommen. 22 Eine starke Orientierung an seinem Publikum dokumentiert Martial. Durch Rezitationen könne ein Autor bekannt werden, ein bekannter Autor werde durch die Kommunikation und Interaktion mit den Zuhörern inspiriert. Das wird ihm klar, als er in der Heimat in Bilbilis den römischen Kultur- und Literaturbetrieb entbehren muss. 23 Öffentliche Rezitationen waren in Rom sehr verbreitet: Nach Plinius gab es im April fast täglich eine recitatio, Juvenal nennt die selbst im heißesten Monat August nicht aussetzenden Rezitatoren ironisch am Ende einer Klimax von Übeln in Rom, und Tacitus lässt den Aper die Dichter vor der allzu kurzen Halbwertszeit des durch eine Rezitation gewonnenen Ruhms warnen, wenn sie denn überhaupt welche gefunden hätten, die sich herabließen, ihnen zuzuhören: Der Rezitationen waren einfach zu viele, wie auch Martials wiederholte Klage über die >Massenplage< an schlechten Rezitatorenzeigt.24 Ehrliche Kritik an der Literatur war daher nicht möglich und längst nicht mehr der Hauptzweck der recitationes. Das bedeutete, dass nicht länger die vorgetragenen Werke im Mittelpunkt von Rezitationen standen, sondern die Person des Autors und sein Auftreten. 25 G. Binder hat von »eitlen Spiegelfechtereien« auf öffentlichen Lesungen gesprochen:
20 Siehe Quinns Überlegungen zu Augustus' Patronage der Dichter (1982, 148f.). Vg!. Binder 1995,287. 21 Suet. Dom. 4,4. Wenn ihm an literarischer Paneygyrik gelegen war, konnte er diese musischen Agone vielleicht nutzen, um den dichterischen Nachwuchs zu sichten und auf diese Weise geeignete Talente rur Herrscherpanegyrik auf hohem poetischen Niveau zu entdecken. 22 Der Dichter konnte eine recitatio aber auch dazu nutzen, ein bisher unpubliziertes Werk vorzustellen und so Verleger auf sich aufmerksam zu machen; s. Blanck 1992, 122. Vg!. Eich 2000,69: »Die ( ... ) öffentliche Vorlesung von neuen Büchern dürfte im wesentlichen die Aufgabe gehabt haben, den verlesenen Text bekanntzumachen, damit er später >in Händen gehalten werdeFreunde< eingefordert haben im sicheren Wissen, daß diese durch ungeschriebene Norm zu enthusiastischer Zustimmung genötigt waren. ( ... ) Rezitationen folgen gewissen Regeln, die alle Beteiligten kennen, öffentliche Lesungen stellen also eine dem Schauspiel ähnliche Veranstaltungsform dar?6
Die »dem Schauspiel ähnliche Veranstaltungsform«, die die recitatio zu einer Einrichtung gehobener Freizeitgestaltung machte, wird viele Zuschauer angezogen haben, auch solche, die des Lesens nicht kundig waren. Die Rezitation erreichte daher potenziell ein größeres Publikum, v.a. aus den weniger gebildeten Schichten, als das Buch. 27 Für das Publikum galt mehr und mehr das spectatum veniunt, veniunt spectentur ut ipsae. 28 Die Rezitationen wurden zum gesellschaftlichen Ereignis, das Amüsement garantierte, Stoff für das Stadtgespräch bot und zudem das kennen Lernen mehr oder minder leichter Literatur ermöglichte. Wenn recitationes dergestalt abliefen, dann konnten begabte Dichter und gute Rezitatoren ein großes Publikum in Rom erreichen. Und dann ließen sich in diesem zunächst unpolitischen Rahmen theoretisch vielleicht auch politische Botschaften über den Kaiser vermitteln. Weniger wohl durch die direkte, >plumpe< Panegyrik, eher durch indirekte Anspielungen, die lobende Erwähnung des Kaisers en passant und durch die vorgetragene literarische Qualität, die indirekt natürlich auch der Kaiser durch seine Patronage ermöglicht hatte. V.a. aber konnten durch die Rezitationen dem unter Domitian ohnehin angewachsenen jährlichen Kalender an Spektakeln, Spielen, Festen und Triumphen weitere Attraktionen hinzugerugt werden. In epigr. 9,83 setzt Martial die Rezitationen den Zirkusspielen Domitians, den miracula harenae, als Showveranstaltungen gleich. 29 Komplettierten also öffentliche Lesungen Statius' und Martials möglicherweise den domitianischen >EventEvent< zu schaffen in der Lage war und auch schuf: Curritur ad voeem iueundam et earmen amieae Thebaidos, laetam eum feeit Statius urbem promisitque diem: tanta duleedine eaptos
3,7,5. AufPlinius' Rolle im literarischen Betrieb der Zeit soll hier nicht näher eingegangen werden, da sie von der Martials und Statius' sehr verschieden war. 261995,290. 27 Vgl. Cavallo 1999, 75. 28 Ov. ars 1,99. 29 Siehe Binder 1995,289; vgl.a. Stat. si/v. 4 pr. 30-31, der die ioci der Silven mit sportlichen Showveranstaltungen, der sphaeromachia und dem palaris lusio, vergleicht. Martial nennt seine lascivi libelli und lusus in einem Atemzug mit den Darbietungen der Schauspieler Latinus, Thymele und Panniculus sowie den Scherzen der Soldaten beim Triumphzug gegen den Feldherm (1,4,36 und 3,86). Er begriff sich also als Teil derselben >Unterhaltungsindustrie< wie z.B. die Mimen.
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afficit ille animos tantaque libidine vulgi auditur. sed eum fregit subsellia versu, esurit, ( ... ).30
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Juvenal rühmt an Statius dessen Stimme und den Zauber seiner Dichtung, der das Publikum in seinen Bann schlug. Der Inhalt war nicht unwichtig, aber von nachrangiger Bedeutung, was zählte, war die Form, die Präsentation. Eine Statiuslesung war ein Vergnügen um ihrer selbst willen und deshalb sehr beliebt: »no doubt it is an entertainment which is more intellectually demanding than a mime show or a visit to the Circus; but it is a meaningless entertainment«3! - »meaningless« im politik- und herrschaftsbezogenen Sinne. Ob darin noch Raum fiir kritische, d.h. aristokratische, Untertöne war? Statius selbst scheint die Deutung der apolitischen Rezitation zu stützen: Er berichtet uns, dass seine Rezitationen coetus solitos nach sich zogen und er mit seinem Gesang die Zuhörer »sanft berührte«, »ergötzte«, ja sie »streichelte«(mulcerem). 32 Von Martial als Rezitator vor großem Publikum haben wir ein Selbstzeugnis: In epigr. 1,76 vergleicht er die Einträglichkeit des Dichter- mit der des Rednerund Anwaltberufs. Der Dichter ernte nur ein lautes, aber wertloses »Bravo« (magnum, sed perinane sophos, v. 10). V. 12-14 setzt er dann das Forum Romanum, den Einsatz-Ort der Anwälte und Redner, als großen öffentlichen Platz mit den pulpita nostra der Dichter gleich. Von diesen Podesten wird auch Martial öffentlich vorgetragen haben. 33 Schwer vorstellbar, dass sich Martial der Vielzahl an öffentlichen Lesungen als Aktiver gänzlich entzogen haben sollte. Der oben (S. 91) beschriebene Niedergang der Rezitationen zeigte sich aber nicht nur in der Vielzahl schlechter Rezitatoren, sondern auch im Publikumsverhalten. Plinius beklagt die desidia vel superbia der Zuhörer, die an der Literatur nicht interessiert seien, dem Vortragenden keinen Respekt entgegenbrächten und nicht einmal die Ausdauer und Konzentration fiir eine ganze Lesung besäßen34 . Man kann vermuten, dass diese Zuhörer nicht alle freiwillig zugegen, sondern »als Klienten eines (mit)veranstaltenden Patronus zum Besuch mehr oder weniger
30 luv. 7,82-87: »Man rennt zu seiner anziehenden Stimme und zum Lied der geliebten // >ThebaisOberpatron< aller römischen Literaten (s.u. Kap. 4.2). So hatte die recitatio eine soziale Funktion für den Autor, den Patron, das Publikum und den Kaiser gewonnen. Ihrer alten Rolle als Ort der Interaktion zwischen Autor und Zuhörern, die der Emendation der vorgetragenen Texte diente, entkleidet, hatte sie sich zu einem gesellschaftlichen Ereignis und einer Showveranstaltung entwickelt, in die auch Elemente des professionellen Literaturvortrags im Theater durch einen Künstler (Quinns Typ 4, s.o. S. 90) eingeflossen waren. Für die Literaten erfüllte die recitatio zudem die Funktion, am billigsten und schnellsten einem größtmöglichen Publikum Literatur bekannt zu machen - breitere Publikumsschichten hörten mehr mündliche Darbietungen von Literatur als dass sie sie lasen. 37 An seinen Zuhörer und seinen Leser denkt Martial gleichermaßen, wenn er sich auf die Zustimmung seines Publikums beruft, um gegen einen Kritiker die Qualität seiner Dichtung zu verteidigen: Lector et auditor nostros probat ... libellos (epigr.9,8l,1).
3.2 Kleine Gedichtbroschüren (libelli) Vor ihrer Veröffentlichung in den uns erhaltenen Gedichtbüchern konnte man die Epigramme und Silven nicht nur hören, sondern auch lesen. Von Martial finden sich deutlich mehr Zeugnisse für schriftliche als für mündliche Publikation und Rezeption. Im Fall seiner Epigramme ist die Frage, in welcher Form und in welchem Rahmen sie zuerst gelesen wurden, zum Gegenstand einer Forschungsdiskussion geworden, die schon auf L. Friedlaender zurückgeht. Dieser hatte Widersprüche und Ungereimtheiten in den einigen Büchern vorangestellten Vorreden sowie in manchen Präsentations-Epigrammen gesehen und gefolgert, dass nicht alle Epigramme an ihrem Platz in den uns überlieferten Büchern erstveröffentlicht worden sein können. 38 P. White hat diesen Gedanken 1974 weiterentwickelt und die These aufgestellt, Martial habe kleine Gedichtbroschüren an seine Patrone und 35 Binder 1995, 286f.; vgl.a. ebd. 304. 36 Plin. epist. 2,14,4-7. 37 Siehe Sherwin-White 1966, 115; Quinn 1982, 91. - Quinns Typ 4, der Literaturvortrag durch professionelle Rezitanten, wird fiir die flavische Zeit nicht ausfiihrIich behandelt, da er fur das Thema dieser Arbeit nicht von Bedeutung ist. 38 Friedlaender 1886 I, 52; 165.
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Gönner geschickt, so dass die Epigramme informell in kleinen Kreisen zirkulierten. Diese carmina seien später in die Epigrammbücher aufgenommen worden. Die Forschung ist dieser These im Allgemeinen gefolgt. 1995 allerdings hat D.P. Fowler dem widersprochen und dies mit der Textualität der Epigramme und der Bedeutung der artifiziell durchkomponierten Bücher als der wichtigsten Publikationsform Martials begründet. Alle Andeutungen des Dichters einer Zirkulation kleiner Gedichtsammlungen seien nur literarisches und gattungsbedingtes Spiel. White hat darauf 1996 geantwortet und seine Argumentation zugespitzt. 39 Im Folgenden sei meine Position, die im Wesentlichen P. White folgt, anhand der wichtigsten Argumente dargelegt. Liest man die uns vorliegenden Epigramm- und Silvenbücher als ganze, so findet man in ihnen etliche Gedichte, die offenkundig zu einem ganz bestimmten Anlass verfasst worden sind: Gelegenheitsgedichte. Zu diesen Anlässen zählten etwa Hochzeiten, Geburten, Geburtstage oder Todesfalle, aber auch Gastmähler oder die Saturnalien. Setzt man voraus, dass diese Gedichte zu bestimmten Gelegenheiten nicht reines literarisches Spiel der Dichter waren, sondern einen realen Anlass und reale Adressaten hatten, dann konnten sie nur in enger zeitlicher Nähe zu diesem Anlass ihre Funktion erfüllen. Nähme man nun aber mit Fowler eine Erstveröffentlichung aller Gedichte eines Buchs in der uns vorliegenden Form an, dann hätten sich alle Anlässe, auf die Bezug genommen wurde, außerordentlich rasch nacheinander ereignen müssen. Das ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Statius' viertes Silvenbuch wurde nicht vor dem Sommer des Jahres 95 herausgegeben. 40 Silv. 4,1 feierte jedoch das 17. Konsulat Domitians, das dieser - wie bei ihm gewöhnlich - schon Mitte Januar niederlegte, Statius muss sie also zum Konsulatsantritt am 1. Januar 95 fertiggestellt haben. Die Hendekasyllaben von 4,9, die Statius für Plotius Grypus dichtete und über die sie sich gemeinsam an den Saturnalien amüsierten (quos Saturnalibus una risimus, 4 pr. 24), stammten mindestens aus dem Dezember des Vorjahres. In den mehr als sechs Monaten zwischen ihren Anlässen und der Herausgabe des vierten Buchs müssen beide Silven zumindest den Adressaten, möglicherweise einer kleineren Öffentlichkeit bekannt gemacht worden sein. Die praefationes machen den Fall noch klarer: In ihnen stellt Statius die einzelnen Silven des jeweiligen Buches vor und erzählt gelegentlich ihre Entstehungsgeschichten. Seine Hymne auf die große Reiterstatue Domitians (1,1) hat er am Tag nach deren Einweihung übergeben (postero die quam dedicaverat opus, I pr. 18-19). Wir erfahren auch, dass der 1,4 zu seiner Genesung beglückwünschte Rutilius Gallicus unterdessen dennoch gestorben war (1 pr. 28). Ebenso musste der Dichter sein Gedicht über den zahmen Löwen in der Arena (2,5) dem Kaiser 39 White 1974; Fowler 1995; White 1996. 40 Das geht aus der Kombination von silv. 4,4 und der Praefatio hervor; siehe Coleman 1988, xix-xxii.
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rasch zukommen lassen, denn später hätte es seine Wirkung auf den Herrscher verfehlt. 41 Weitere Beispiele aus den Vorreden zu den Büchern 3 und 4 ließen sich anführen. 42 Alle diese Belege aus den praefationes dienen Statius der Verteidigung der Silven als (mehr oder minder) Stegreifdichtung. »This is not so much an apology for hasty workmanship as an appeal to a recognized standard which defined witty improvisation as the essential quality of light verse.«43 In den Dichterkreisen von Statius und von Martial dürfte die Improvisationsdichtung so weit verbreitet gewesen sein, dass deren wiederholte Anspielungen darauf geradezu topischen Charakter bekamen. Bei Martial finden sich dieselben Indizien: Epigr. 4,1 ist dem Geburtstag Domitians am 24. Oktober 88 gewidmet, Buch 4 erschien jedoch nicht vor dem Beginn des Jahres 89. 44 Es lagen also mehr als zwei Monate zwischen dem kaiserlichen Geburtstag und der Herausgabe des gesamten Buchs. 45 Es erscheint generell als nicht denkbar, dass Gelegenheitsgedichte für die Erstveröffentlichung in einem großen Gedichtbuch (von bei Martial bis zu über 100 Epigrammen) angesammelt wurden und also bei Martial bis zu einem Jahr zwischen den diversen Anlässen und dem Zeitpunkt der Buchveröffentlichung verstrich. 46 Diese zeitlichen Verzögerungen legen daher eine frühere, vermutlich weniger breitenwirksame Art der Publikation nahe. In Martials Büchern 1-12 finden sich rund vierzig Epigramme, die auf verschiedenste Art und Weise ein Gedichtbuch präsentieren. 47 Im Durchschnitt kommen also 3-4 Präsentationsgedichte auf jedes Buch. Sie stehen nicht nur am Anfang oder Ende, sondern sind über die gesamte Länge der Bücher verteilt. Angenommen, sie sollten das Buch, in dem sie uns überliefert sind, präsentieren, dann ist ihr Inhalt nicht immer mit ihrer Stellung im Buch zu vereinbaren. P. Whi-
41 2 pr. 16-18: eandem exigebat stilifacilitatem leo mansuetus, quem in amphitheatro prostratum frigidum erat sacratissimo imperatori ni statim tradere. 42 Buch 5 der Silven bleibt hier außer Betracht, da es erst nach Statius' Tod herausgegeben wurde. Die Praefatio unterscheidet sich signifikant von ihren vier Vorgängerinnen und ist tatsächlich wohl nur eine Einleitung zu 5,1. 43 White 1974, 42. Die Improvisationsdichtung, die zu dieser Zeit tatsächlich en vogue und auch in der alten römischen Elite nicht ohne Ansehen war, wie Plinius belegt (epist. 7,4,4-7), wird hier nur am Rande behandelt, da sie fiIr die Expression Domitians nur eine untergeordnete Rolle spielte. 44 Vgl. Friedlaender 1886 I, 55f. und White 1974,40. 45 Vgl. White 1996, 410; Fowler geht auf das Problem der zeitlichen Abstände nur sehr oberflächlich ein, indem er die ausschließliche Deutung der Gelegenheitsgedichte als Schmeicheleien gegenüber Patronen als »too simplistic« kritisiert (1995, 38). Es sei gerne zugestanden, dass die Gedichte auch noch andere Funktionen erfiillten, aber was ist damit rur die Lösung des Problems der zeitlichen Lücken gewonnen, wenn man andere, den Gedichtbüchem vorausgehende, Arten der Veröffentlichung ablehnt? 46 Zur Frage der Silven-Publikationsdaten s.o. S. 2lf. 47 White 1974,56 m. Anm. 63.
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te hat dies fiir vier Epigramme gezeigt: 4,82; 5,80; 7,26 und 11,106. So überrascht Martials Aufforderung an den scazon, den Hinkvers, von 7,26, zu Apollinaris zu gelangen und ihm hoc zu überreichen: Kann damit das siebte Epigrammbuch gemeint sein, wenn zu diesem Zeitpunkt schon ein Viertel gelesen ist? Und kurz vor Ende des fünften Buchs den Severus in futurischen Formeln um die Prüfung der Epigramme zu bitten (5,80: » ... wenn du Zeit haben wirst ... wenn du es gelesen haben wirst, wird dir das Büchlein viel schulden ... « etc.), erscheint schlicht deplatziert. 48 Fowler wandte ein, dass die Aussage dieser Epigramme nicht wörtlich zu nehmen sei, vielmehr handle es sich um ein »sophisticated play« und »bewildering paradox«, eine Argumentationsebene, mit der - so White - »one can have no wish to quarrel«49. Derartige Anomalien in den Gedichtarrangements finden sich bei Statius nicht. Keine der Silven hatte den Charakter eines Geleitgedichts oder einer Bucheinleitung. Die die Bücher 1-4 einleitenden Briefe sind auf jeden Fall fiir ihr jeweiliges Buch konzipiert und erst nach Abfassung der einzelnen Silven geschrieben worden. In diesen praefationes spricht Statius wiederholt davon, dass er die Silven ihren Adressaten schon einzeln habe zukommen lassen: serum erat continere, cum illa vos certe quorum honori data sunt haberetis. 5o Außerdem nennt er seine Silven mehrfach libellos. 51 Daher liegt der Schluss nahe, der Dichter habe sie zuerst einzeln, als libel/os, d.h. als private, informelle Gedichtbroschüren, an die Adressaten geschickt. P. White hält dafiir auch die Länge der meisten Silven fiir ausreichend. 52 Folgt man dieser Annahme, dann ergeben sich daraus auch Rückschlüsse auf die Veröffentlichungspraxis Martials. Denn da Statius und Martial oftmals denselben Adressaten zu denselben Anlässen Gedichte widmeten, muss man von einer ähnlichen Art der Veröffentlichung - man könnte hier sagen: Gedichtzustellung - ausgehen. 53 Auch bei den Epigrammen, obwohl erheblich kürzer als die Silven, ist die Einzelversendung denkbar, sei es bei Geleitgedichten fiir Präsente (wie Gemüse vom Landgut oder Rosen), sei es bei Gratulations-, v.a. aber bei Tröstungsepigrammen. 54 Was bei Statius einzelne Silven, werden bei Martial freilich häufiger kleine Zusammenstellungen von einigen Gedichten gewesen sein, die zusammen dann 48 Siehe dens. 1974, 47f. und wieder 1996, 405f. 49 Fowler 1995,46-50, Zitate S. 46 und 49; White 1996,406. 50 Silv. 1 pr. 10f.; s.a. silv. 2 pr. 10f.: ceteris indico, ne quis asperiore lima carmen examinet ... dolenti datum; silv. 4 pr. 28f.: multa ex illis iam domino Caesari dederam, et quanta hoc plus est quam edere! 51 Silv. 1 pr. 2; 16; 27; 2 pr. 15; 3 pr. 2; 11; 23. 52 1974,44: »( ... ) they could easily have been made to fill a small scroll or brochure.« 53 Siehe White 1996,411. 54 Siehe dens. 1974, 44 mit Beispielen. Letztere zwei Arten werden auch oft rezitiert (siehe dazu Kap. 3.1), zumindest die consolationes aber aus Gründen des Takts nur singulär übermittelt worden sein.
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vielleicht den Umfang einer Silva erreichten. Diese Broschüren könnte Martial aus dem Fundus seiner aktuellen Dichtung zusammengestellt und individuell auf den Geschmack des Adressaten zugeschnitten haben. Auch die separate Publikation thematischer Zyklen, z.B. des Löwe-Hase-Zyklus aus Buch 1 (6; 14; 22; 48; 51; 60; 104), ist vorstellbar. 55 Martial liefert einige Hinweise für die Plausibilität dieser These: Viele seiner Geleitgedichte, die ein Epigrammbuch dem Kaiser präsentierten, betonen - neben für Herrscherpanegyrik konventionellen Attributen wie Furchtsamkeit - die Kürze des übermittelten Buchs. Der Dichter wolle den mit den Regierungsgeschäften natürlich ungeheuer beschäftigten Kaiser nur mit einer kleinen Gedichtbroschüre behelligen: Mit epigr. 5,6 bittet Martial Parthenius, Domitians Kämmerer, jenem sein schüchternes, schmales Buch (timidam brevemque chartam, v. 7) in einer günstigen Stunde, wenn jener ihm wohlgesonnen ist, zu überreichen. 56 »Martial's insistence that his books for the emperor are only little books, in fact, differs noticeably from the way he characterizes the books he intends for the public at large.«57 Es ist nicht nur konventionelle Bescheidenheit gegenüber dem Princeps, die sich von Martials sonstigem Selbstbewusstsein bezüglich seiner imperiumsweiten Bekanntheit und Geltung unterscheidet (s.u. S. 105): Das würde das Attribut brevis für die libelli sowie die mehrfache Betonung der knapp bemessenen Zeit des Kaisers (12,11; 8,82) nicht befriedigend erklären. Auch epigr. 12,4(5) spielt auf des Kaisers (in diesem Fall: Nervas) aufgrund der Regierungsgeschäfte übervollen Terminkalender an. Darin legt ihm der Dichter eine Kurzfassung seiner Bücher 10 und 11 vor: Longior undecimi nobis decimique libelli artatus labor est et breve rasit opus. plura legant vacui, quibus otia tuta dedisti: haec lege tu, Caesar; forsan et illa leges.
(epigr. 12,4[5])
Martial hat also einen libellus, eine Auswahl von Gedichten aus seinem Oeuvre, gezielt für die Interessen bzw. Bedürfnisse eines bestimmten Adressaten zusammengestellt und diesem auf offenbar privatem Wege zukommen lassen. Man ist geneigt, von einer persönlichen »Best of«-Kompilation, einem Florilegium speziell für den Kaiser, zu sprechen. Zwar handelt es sich hier um einen ganz speziellen Adressaten und um einen Auszug aus schon veröffentlichten Büchern, den55 Nauta ist skeptischer und sieht nur wenige Anhaltspunkte fiir die Vorabübennittlung von thematischen Zyklen als Broschüren an den Kaiser: Außer dem Löwe-Hase-Zyklus kämen dafiir nur die >Rückkehr-Epigramme< aus dem Sannatenkrieg (Buch 8) und die Gedichte über den Herkules-Tempel (9,64; 65; 101) in Frage (2002,372-374). 56 Ganz ähnlich: 12,11,7: timidumque brevemque fibelZum; 8,24,1: timido gracifique fibello; 8,82,1-2: Dante tibi turba queruZos, Auguste, fibellos 11 nos quoque quod domino carmina parva damus ... ; vgl. White 1996,403. 57 Ebd.
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noch ist mit 12,4(5) erwiesen, dass es andere Formen der Publikation als die uns vorliegenden Gedichtbücher gab. 58 Dass diese libelli nicht nur, wie in diesem Fall, nach den Epigrammbüchern, aus denen sie schöpften, sondern sicherlich auch (und sogar häufiger) davor entstanden sind, legen Plinius' Zeugnisse über seine eigene Veröffentlichungspraxis nahe. Immer wieder fordert dieser in den Briefen seine Freunde auf, die mitgeschickten Reden, Traktate, aber auch unernsten, >leichten< Gedichte zu prüfen und zu kritisieren. 59 Das Bild, das wir aus Plinius' Schilderungen sowohl seiner Veröffentlichungspraxis als auch des literarischen Lebens in Rom gewinnen, lässt vermuten, dass auch Martial und Statius ihre Gedichte nach den Reaktionen ihrer Leser und Hörer für die Buch-Edition überarbeiteten. P. White nennt diese Vorabkopien »tentative libelli«60. Die Rolle, die Martials Adressaten in den Epigrammbüchern spielen, spricht auch nicht für eine Erstveröffentlichung der Gedichte in den Epigrammbüchern. Da jeweils mehrere Präsentations- oder Widmungsgedichte auf ein Buch kamen, wären die einzelnen Bücher auch je mehreren Adressaten dediziert worden. Zum Beispiel Buch 3: In epigr. 3,2 fordert Martial seinen libellus auf, sich Faustinus als Beschützer zu wählen, mit 3,5 empfiehlt er seinen parvus liber dem Iulius. Der Dichter hätte also dasselbe Buch zwei Freunden bzw. Gönnern gewidmet, während Buch 4 Dedikationsgedichte an erneut Faustinus (4,10) und an den Kaiser (4,8) enthält. Welche Bedeutung hatte eine Buchwidmung für den Patron, wenn er sie teilen musste? Und konnte der Kaiser etwa einen gleichberechtigt Geehrten neben sich dulden? Zwar finden wir verschiedene Adressaten in Gedichtkollektionen auch bei Horaz in den Oden und Episteln, in Vergils Eklogen, bei den Elegikern oder Catull,61 aber im Unterschied zu Martial verfolgte keiner dieser Autoren mit der Widmungspoesie materielle Interessen. Sie unterlagen nicht den (all)täglichen Klientenpflichten, zu denen für den Dichter auch die gelegentliche Präsentation von schmeichelnder Poesie gehörte. Nachdem Martial mit den Wid-
58 Siehe Nauta 2002,366-370, der die Epigramme spect. 35 (31); 1,44; 45; 101 und 2,91 als Belege heranzieht. 59 Detailliert schildert Plinius den Korrekturvorgang seiner Werke in epist. 7,17,7: Zuerst gehe er seinen Text still fiIr sich durch; dann lese er ihn zwei oder drei Freunden vor; später übennittle er den Text anderen, damit diese schriftlich ihre Anmerkungen anbrächten; zuletzt lese er einer größeren Zuhörerschaft vor - dies bringe ihm den größten Ertrag für die Verbesserung. Weitere Belege fiIr schriftliche Korrektur: Plin. epist. 1,2; 1,8; 2,5; 5,12; 7,20; 8,21; s.a. epist. 4,14 u. 4,18. 60 1974,44. Auch Martial fordert einmal (in der spanischen Heimat) seinen Adressaten Priscus auf, Martials Gedichte diligenter aestimare et excutere, damit er sie anschließend bedenkenlos nach Rom schicken könne (12 pr. 22-26). Zu der Frage, ob die praefatio fiIr Buch 12 konzipiert wurde oder einen infonnellen, speziell für Priscus zusammengestellten libellus einleitete, siehe Friedlaender I 65-67, II 218 und White 1974, 45f.; 1996,405 sowie für die bedenkenswerten Einwände Fowler 1995,43. 61 Vgl. Fowler 1995, 38.
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mungsepigrammen kleinere, individuell zusammengestellte Gedichtbroschüren einem Gönner oder eben dem Kaiser präsentiert hatte, konnten sie in die quasi jährlich erscheinenden Epigrammbücher aufgenommen werden und dort noch eine zweite Funktion erfüllen.62 Dasselbe lässt sich über Statius sagen: Er würdigte seine Adressaten erstens durch die ihnen direkt präsentierten Silven, zweitens berichtete er einer größeren Öffentlichkeit davon durch die Edition der Silvenbüeher. Zwei Einwände Fowlers sind allerdings bedenkenswert: Erstens könne die Behauptung mancher Epigramme poetische Fiktion sein, sie seien eine schnelle oder gar spontane Reaktion des Dichters auf aktuelle Ereignisse: almost by definition, an epigram is a short trifte dashed off rapidly in response to an event. It is important to note, however, that while this may actually be true of many epigrams, in principle it mayaiso be an example of the same sort of generic pretence that has Horace singing to the Iyre or Propertius composing outside his mistress's dOOr. 63
Wenn deshalb Martial etwa in der praefatio zu Buch 12 reklamiert, die Gedichte für Terentius Priscus paucissimis diebus geschrieben zu haben, dann muss dies nicht wörtlich zu verstehen sein. In den oben behandelten Epigrammen bzw. Silven scheint mir aus genannten Gründen aber keine (oder nicht ausschließlich) »generic pretence« vorzuliegen. Zweitens sind seine Beobachtungen über die Beziehungen und Wechselwirkungen benachbarter Epigramme in den uns vorliegenden Büchern natürlich gerechtfertigt und auch stichhaltig. 64 Dennoch schließen solche offensichtlich beabsichtigten Kompositionen Martials in den Epigrammbüchern nicht die Erstveröffentlichung der carmina in anderen Zusammenhängen oder zu anderen Anlässen aus: Vielmehr könnte der Dichter zu seinem schon vorhandenen (weil zu bestimmten Gelegenheiten gedichteten) Material bei der Konzipierung der Epigrammbücher weitere Texte hinzu und gleichsam >drum herum< gedichtet haben, z.B. 1,45 und 1,46 zu 1,44. Das bedeutet: Ein Teil der Gedichte hatte ein >Leben< vor der Aufnahme in die Epigrammbücher, ein Teil ist direkt für deren Herausgabe verfasst worden.
3.3 Die Epigramm- und die
Silvenbüche~5
Die Vergangenheit dieser schon vorab veröffentlichten Gedichte konnte durchaus recht lang sein: Martials Bitte an Parthenius, seinen libellus dem Kaiser zu emp62 Siehe dazu unten Kap. 3.3 »Die Epigramm- und die Silvenbücher«. Vgl. auch White 1974, 40. 63 Fow1er 1995, 3lf. 64 Z.B. über 1,44 bis 1,46: ebd. 43-45. 65 Siehe jetzt allg. zur Rolle des Buchs in Rom: Mazal 1999.
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fehlen (12,11), musste zum Editionszeitpunkt von Buch 12 schon einige Jahre alt sein, denn Parthenius wurde während Nervas Principat ermordet. Das Widmungsgedicht 12,2(3), das an den consul suffectus des Jahres 101, Martials Freund und Patron Stella, gerichtet ist, legt Buch 12 auf einen Veröffentlichungszeitpunkt nicht vor 101 fest. Es lagen also vier bis fünf Jahre zwischen der Abfassung der beiden Epigramme. 66 Die in den Epigrammbüchern Martials versammelten Gedichte sind folglich nicht alle in einem kontinuierlichen, zusammenhängenden Arbeitsprozess entstanden. V.a. die Gelegenheitsgedichte fiir Patrone oder Freunde zu bestimmten Anlässen sind in den kleinen Gedichtbroschüren oder durch Rezitationen erstveröffentlicht worden. Ungefähr ein Mal im Jahr gab Martial dann aus diesem Material (das aber - wie gesehen - auch noch älter als ein Jahr sein konnte) ein großes Buch heraus, das seinen Weg direkt in den Buchhandel nahm. Außer den Epigrammen an Patrone wird Martial die Gelungensten aus seinem Fundus ausgewählt haben, da das Epigrammbuch stets auch sein dichterisches Schaffen der letzten Monate (und Jahre) dokumentierte. Für die Buchpublikation dichtete er zu den bestehenden Gedichten weitere hinzu, die thematische Bezüge zu ersteren aufweisen und raffinierte, anspielungsreiche Arrangements innerhalb des Buchs ermöglichen konnten. Diese Anspielungen konnten auch durch die geschickte Gruppierung der schon vorhandenen Gedichte geschaffen werden. 67 In toto umfassten die Bücher 1-12 je ca. hundert Epigramme (mit Abweichungen von zehn Prozent mehr oder weniger), sie waren also ungefähr gleich lang. Martial hielt diese Länge fiir angemessen und zählte ihre Vorzüge fiir den Leser und den Kopisten auf: Eine Buchrolle böte zwar Platz fiir 300 Epigramme, sed quis te ferret perlegeretque, fiber (2,1 ,2)?68 In epigr. 1,66 deutet Martial an, dass er Werke in seinem scrinium habe (v. 512). Die könne er an jemanden verkaufen, der sich als Dichter mit fremden Federn schmücken wolle; Martial werde es nicht verraten. Diese Spitze gegen einen ungenannten Plagiator ist natürlich ironisch gemeint, sie macht aber klar: Martial hatte wohl jederzeit fertige Epigramme >in der SchubladeMittelschicht< von Lesern gebildet, bei der die leichte Dichtung Martials Anklang fand: »( ... ) there was a public of new readers distinct from both the high1y educated circles of literati and teachers and from the uncultivated masses, a mid-range public that even included some members of the lower c1asses.«96 G. Cavallo zählt zu dieser kulturell inhomogenen Gruppe hohe Militärs ebenso wie Kaufleute, gebildetere Landbevölkerung genauso wie wohlhabende Parvenüs und jaciles puellae. 97 Die Bildung dieser Gruppe genügte vielleicht nicht für >hohe< Poesie, sehr wohl aber für die Themen Martials. Der Spanier veröffentlichte deshalb mehrere Epigrammbücher zu den Saturnalien, weil ihm dies der geeignete 93 Mart. 5,2,1-5; 12,2(3),15; vgl. White 1974,59 u. Cavallo 1999,83. S.a. Mart. 11,24,6-8. 94 Siehe auch Cavallo 1999, 69f.: »An increase in reading in the Roman world ( ... ) between the first and the third centuries AD is an accepted fact. It is demonstrated (among other ways) by the use of scenes of reading in frescoes, mosaics and scu1pted reliefs with a frequency too high to be attributed to an iconographic stereotype alone.« 95 Siehe oben Anm. 82. Dazu Cavallo 1999,83-89. 96 Cavallo 1999,69. 97 Ebd. 77.
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Zeitpunkt für leichte Literatur schien. 98 In dem Maße, wie mittlere und niedere Gesellschaftsschichten mit ihrem Alltag in die lateinische Literatur vordrangen vor Martial schon bei Petron -, könnten sie auch mehr und mehr Interesse für diese Dichtung entwickelt haben, sofern sie lesen konnten. Oder sollte der Alltag von Rittern, Handwerkern oder Freigelassenen thematisiert worden sein, ohne dass diejenigen diese Literatur auch rezipierten?99 Die Verbreiterung des traditionellen Zielpublikums hatte neben der sozialen auch eine lokale Dimension: Noch Ovid etwa hatte sich in der Exildichtung als der in Tomis von seinem Publikum gewaltsam getrennte und damit der Inspiration entbehrende Dichter stilisiert. Er hatte seine Rezipienten also ausschließlich in Rom verortet. Zu seiner Zeit hatte die gebildete senatorische Oberschicht eine stabile, kohärente kulturelle Elite verkörpert, für deren kleinen Kreis von Mitgliedern die Autoren geschrieben hatten und der in Rom in der Regel durch mündlichen Vortrag erreichbar war. In the first century AD, that elite is no longer in political control, no longer visible at the centre of culturallife; the serious writer's potential audience is fragmented within a new social structure, and scattered physically - not merely within a huge metropolis, but throughout a vast Empire. Potentially, the audience existed; it was, by any reckoning, a large audience; but the only effective way to reach it was by publication and the distribution of individual copies. Martial seems to have been one of the few to realize this. IOO
Selbstzeugnisse von der Breitenwirkung, wie wir sie bei Martial häufig finden, fließen bei Statius spärlicher, aber es gibt sie auch. In seinem Geburtstagsgedicht auf Lucan zählt er - noch vor den Rittern und Senatoren - septem iuga Martiumque Thybrim, poetische Metapher für >ganz RomMasse< (die tatsächlich sozial nicht homogen, sondern, soweit man wenigstens die Besitzverhältnisse betrachtet, stark differenziert war) sich nicht ohne weiteres aus den Quellen ablesen ließe. Es macht m.a.W. erhebliche Schwierigkeiten, eine soziale Zäsur zwischen Lesern und Nicht-Lesern zu setzen, vor allem deswegen, weil sie von den antiken Autoren nicht deutlich empfunden wurde.« (S. 8lf.) - Natürlich hatte dieser Prozess der sozialen Ausweitung des Leserkreises Grenzen. Dass aber im Vergleich zur augusteischen Zeit eine Ausweitung stattgefunden hat, ist wohl unstrittig. S.a. oben S. 105. 100 Quinn 1982, 164f. S.a. Cavallo 1999, 68f. 101 Silv. 2,7,43ff.: »(...) non tujlumina nec gregesferarum // nec plectro Geticas movebis ornos, // sed septem iuga Martiumque Thybrim // et doctos equites et eloquente // cantu purpureum trahes senatum.«
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öffentlicht habe. 102 Eine solche Kritik war am ehesten von denen zu erwarten, die die klassische Ausbildung genossen hatten und den traditionellen literarischkulturellen Wertvorstellungen anhingen, also von Senatoren. Indes wird auch er durch öffentliche Lesungen und den Buchhandel ein ähnlich breites Publikum wie Martial erreicht haben. Das gilt wohl in erster Linie für seine Epen, seine wichtigsten Werke, die seinen Ruf begründeten. Den Silvae wird er selbst nicht dieselbe Bedeutung beigemessen haben, aber auch sie sind veröffentlicht worden. In den praefationes erläutert Statius, wie schon erwähnt, den Lesern, die mit den jeweiligen Adressaten und Anlässen nicht vertraut waren, die Entstehungsgeschichten der einzelnen Silven. Er bezeugt also indirekt, dass die Publikation in Buchform auf einen größeren Adressatenkreis zielte. P. White vertrat die Ansicht, dass Statius anders als Martial auch mit der Buchpublikation der Silven nur auf eine kleine Gruppe von Patronen zielte. Die Einleitungsbriefe seien »extremely self-conscious compositions«, die als schmeichelnde Grußworte an einzelne Patrone sich nur in diesem engen Zirkel bewegten. Nach der Adressierung der einzelnen Silven an die Gönner sei es bei der Veröffentlichung in Buchform noch einmal um dasselbe Ziel gegangen. 103 Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass die praefationes ja gerade die Funktion haben, die Silven einem größeren Leserkreis vorzustellen. Zudem scheint mir die zu derjenigen Martials analoge Veröffentlichungssituation, bestimmt durch die Institution der öffentlichen Rezitationen und die Ausdehnung des Buchhandels, für eine zumindest ähnliche Breitenwirkung der Silven und Epen zu sprechen. Martial und Statius trugen dem veränderten Zielpublikum Rechnung, denn ihre Praxis, in kleineren Kreisen oder Gruppen schon bekannt gemachte Gedichte in gewissen Zeitabständen gebündelt ein zweites Mal zu publizieren, hatte eine neue Qualität. Trotz aller Steigerungen der Zielgruppen blieb das lesende Publikum immer noch eine Minderheit (wenn sie auch durch das Rezitationspublikum größer wurde): »Not millions, not even hundreds ofthousands, perhaps at the height ofRoman civilization no more than a few tens ofthousands.«104
3.6 Resümee: Die Rezeption der Domitiangedichte Auf welchen Wegen kommunizierten die Dichter mit dem Kaiser? Und mit welchen der aufgezeigten Publikationsformen konnten die Dichter möglicherweise der Expression Domitians dienen? - Das folgende Fazit unterscheidet zwischen der privaten Kommunikation von Autor und Herrscher, an der allenfalls der kaiserliche Hof teilhatte, und einer zweiten, öffentlichen Ebene, zu der prinzipiell 102 Silv. 4 pr. 26f.: qui reprehenderunt, ut audio, quod hoc stili genus edidissem. 1031974,60f. 104 Cavallo 1999,69.
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jeder im Reich Zugang oder zumindest die theoretische Möglichkeit des Zuganges hatte. Es berücksichtigt, dass für die Darstellung der Herrschaft keineswegs nur die auf den ersten Blick panegyrischen Gedichte in Frage kamen. Es behandelt zunächst die mündliche Publikation, ehe es zu den schriftlichen Veröffentlichungsarten der Dichtung übergeht. Für Martial ist kein mündlicher Vortrag seiner Dichtung am Kaiserhof bezeugt. Statius rezitierte silv. 4,2 beim Gastmahl im Palast. Gesichert sind außerdem seine Auftritte bei den musischen Agonen der Minervaspiele in Domitians Villa bei Alba: Statius trug (mit Erfolg) in einem erweiterten höfischen Ralunen panegyrische Dichtung über die Germanas acies und Daca ... proelia Domitians vor. 105 Hier wie bei den kapitolinischen Spielen zählte der Kaiser zu den Zuhörern: Daher boten beide Veranstaltungen Gelegenheiten sowohl zur Kommunikation zwischen Herrscher und Dichter als auch zu einem Beitrag zur Herrschaftsdarstellung durch die Autoren. Ebenso wie bei den öffentlichen Rezitationen, denen der Kaiser vielleicht gelegentlich, aber gewiss nicht immer beiwohnte, war das Publikum der Capitolia größer und offener als in Domitians albanischer Villa. 106 Je stärker die Veranstaltungen auf die breite römische Öffentlichkeit ausgerichtet waren, desto unwahrscheinlicher ist es wohl, dass vorwiegend panegyrische Dichtung vorgetragen wurde. Juvenal berichtet von der Rezitation der Thebais, nicht der Silven, und sicher wollten und sollten die Zuhörer dabei v.a. gut unterhalten werden. Gleichwohlleistete die Thebais beides, Unterhaltung und auch Panegyrik. (Bei den Silven war der Akzent auf dem Herrscherlob hingegen eindeutig stärker.) Martial wird das Entertainment am ehesten mit seinen Bonmots oder Zoten erreicht haben. Wenn er ein ganzes Epigrammbuch während eines Essens rezitierte, dann ist auch dessen öffentlicher Vortrag nicht ausgeschlossen. Dann wird er vielleicht panegyrische Epigramme unter die anderen eingereiht haben, ohne sie dominieren zu lassen. Aber auch ohne explizit panegyrische Dichtung dienten die öffentlichen Lesungen dem Kaiser: durch die Präsentation hervorragender Dichtung, deren Ruhm auch auf ihren Förderer und Garanten, den Kaiser, abstrahlte, und einfach dadurch, dass sie das Publikum gut unterhielten - damit übernahmen sie eine ähnliche Funktion wie die Feste und Spektakel: Wenn es stimmt, dass die öffentlichen Rezitationen Teil des jährlichen domitianischen >EventOberpatron< Roms materiell gefördert, zur Rezitation an den Hof eingeladen oder bei den literarischen Agonen mit dem Siegespreis ausgezeichnet zu werden, bedeutete wohl die höchste Auszeichnung in einer Zeit, in der der Ruhm eines Schriftstellers nicht anhand von Verkaufszahlen ermittelt werden konnte. Martial sagt von seiner Dichtung, sie würde deshalb vom Publikum gelesen, weil Domitian sie durch seine Lektüre berühmt mache, ihr gleichsam >Leben einhauche< (omnes ... libelli mei ... propter hoc legentur. 8 pr. 3_5).46 Das machte den Kaiser als Patron für die Dichter erstrebenswert. Umgekehrt konnten die Schriftsteller wohl nicht in dem oben (S. 117) beschriebenem Maße Hilfe bei der Verbreitung und dem Schutz ihrer Werke erhoffen, außer dass das durch die Gunst des Kaisers erworbene Prestige ihren Bekanntheitsgrad natürlich beförderte. Ebenso entbehrten sie der kleinen intellektuellen Zirkel, die manche privaten Patrone um sich versammelten und in denen ihre präsentierten Werke eine konstruktive Kritik erfuhren. 47 Dergleichen fand an der kaiserlichen aula nicht statt. Den wohl größten Unterschied zwischen einem privaten und einem kaiserlichen Patronageverhältnis machte der sehr seltene oder gänzlich fehlende persönliche Umgang des Kaisers mit seinem dichtenden Klienten aus. Stattdessen lief die Kommunikation über Mittelsmänner, in der Regel Höflinge des Kaisers ab, wie Martials Epigramme an die einschlägigen Höflinge Domitians zeigen. 48 Ich möchte dieses Phänomen die >indirekte Patronage< nennen. E. Flaig und D. Barghop haben es für das senatorische Verhältnis zum Kaiser untersucht. 49 In dem Maße, wie sich jegliche Machtpotenziale im Principat auf den Kaiserhof konzentrierten, wurde es für alle Untertanen wichtiger, die kaiserliche Nähe zu suchen, um daran zu partizipieren. Dies galt auch für Patrone, die ihre Einfluss-Chancen, etwa bei der Vergabe von Ämtern oder der Gewährung von Ehrungen, wahren wollten. Für die Senatoren war ein kurzer Draht zum Kaiser gerade in Konkurrenz zu anderen patres ausschlaggebend: Die Nähe zum princeps entwickelte sich »zum Kristallisationspunkt von Prestige und überlegener gesellschaftlicher Stärke. Sie bot die Gelegenheit, mittelbar über Prestige-fördernde Ressourcen verfügen und damit in die Spitzenpositionen der aristokratischen Figuration aufsteigen zu
46 Siehe Nauta 2002,378. 47 Vgl. dazu White 1975,293 u. 300: Er kommt nach der Untersuchung der amici von Martial, Statius und Plinius zu dem Ergebnis, dass es am Ende des I Jahrhunderts keinen größeren literarischen Zirkel in Rom mehr gegeben habe, da sich die Freundeskreise der drei Literaten offenbar kaum überschnitten. - In kleinem Rabmen wird die Literaturkritik durch Freunde dagegen weiterhin stattgefunden haben. 48 Siehe unten S. I 23ff. 49 Flaig 1992, v.a. 100-126; Barghop 1994,65-79,183-192.
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Domitian als Patron der Dichter
können.«5o Aber auch für jeden anderen Untertanen konnte die Nähe zum Kaiser Schutz vor Verfolgung und andere Vorteile bedeuten. Jedoch war der direkte Draht zum Kaiser im Laufe des 1. Jahrhunderts für Patrone immer schwerer zu erlangen. Denn zu amici des Herrschers wurden neben Senatoren mehr und mehr Ritter und besonders Freigelassene. Den kaiserlichen liberti, die die Hofämter besetzten - Barghop nennt sie »Experten der Macht«51 -, fiel v.a. aus drei Gründen eine erhebliche Machtfülle zu: 1. kontrollierten sie den Zugang zum Kaiser und hatten daher die Möglichkeit zur Selektion seines sozialen Umgangs. 2. erlaubten ihnen ihre Positionen Kenntnis der reichsweiten Lage sowie Einblicke in die Mechanismen der Macht. 3. waren ihre Tätigkeiten grundsätzlich unbefristet, solange sie es sich nicht mit dem Kaiser verscherzten. 52 Auch Ritter, die Präfekturen bekleideten, konnten, sofern ihr Mandat eine gewisse Nähe zum Kaiser zuließ, etwa im Falle des praefectus praetorio, der dem kaiserlichen consilium angehörte, in eine solche Machtposition gelangen. Erstes und gleichzeitig Paradebeispiel dieses neuen Typus Machthaber in Rom wurde der Prätorianerpräfekt Sejan unter Tiberius; letzterer zog sich ab 26 für unbestimmte Zeit nach Capri zurück, so dass der Zutritt zur Macht in Rom für die Senatoren wie für alle anderen Untertanengruppen ausschließlich über Sejan lief. 53 Senatoren mußten also wohl oder übel mit diesen verachteten Emporkömmlingen Umgang pflegen und Bitten an sie richten, um ihre Patronagefunktionen wahrzunehmen oder zum Kaiser vorgelassen zu werden. Diese Status-Dissonanz machte stets böses Blut, besonders unter Claudius und Nero. Der Grund liegt ( ... ) darin, daß es für ihren Status unzumutbar war, überhaupt mit Freigelassenen Umgang zu pflegen und diese um Gefälligkeiten bitten zu müssen. 54
Der Kaiser übte also mithilfe der Höflinge eine mittelbare Patronage aus. 55 Was für die Senatoren schwer erträglich war, dürfte für die anderen Untertanen, und damit auch die Poeten, eine zwar unangenehme, aber alltägliche Situation gewesen sein, mit der man sich zu arrangieren hatte. Wie das geschah, geht aus einigen Epigrammen Martials hervor: In drei Gedichten56 bittet er, seinen libellus dem Kaiser zu empfehlen und zu überreichen, und zwar im geeigneten Moment, denn er hofft auf wohlwollende Aufnahme durch Domitian. Si non est grave nec nimis molestum, Musae, Parthenium rogate vestrum:
50 Barghop 1994,72; s.a. Flaig 1992, 114. 51 1994,186. 52 Siehe Flaig 1992, 125 und Barghop 1994, 186f. 53 Barghop 1994, 183. 54 Flaig 1992, 125. 55 Sueton betont, dass Domitian >einige der höchsten Ämter an Freigelassene und Ritter vergeben habe< (quaedam ex maximis ojjiciis inter libertinos equitesque R. communicavit. Dom. 7,2). 56 Epigr. 4,8; 5,6; 12,11.
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Domitian als Patron der Dichter sic te serior et beata quondam salvo Caesare finiat senectus et sis invidia favente felix, sie Burrus cito sentiat parentern: admittas timidam brevemque chartam intra limina sanctioris aulae. nosti tempora tu Iovis sereni, cum fulget placido suoque vultu, quo nil supplicibus solet negare. non est quod metuas preces iniquas: numquam grandia nec molesta poscit quae cedro decorata purpuraque nigris pagina erevit umbilieis. nee porrexeris ista, sed teneto sie tamquam nihil offeras agasque. si novi dominum novem sororum, ultro purpureum petet libellum.
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(epigr.5,6)
Deshalb soll der Kämmerer Parthenius (in epigr. 5,6) den Zeitpunkt, den er als Vertrauter des Kaisers natürlich kennt, wählen, da Domitian in heiterer Stimmung ist und keinem Bittenden etwas versagt (v. 9-11). Martialliefert mehrere Hinweise auf die kaiserliche Patronage: Sein Anliegen ist es, dass die Dichtung - als sein Part in dem Patronageverhältnis - den Weg intra limina sanctioris aulae 57 (v. 8) findet. Er selbst zählt zu der Gruppe der Bittsteller (supplicibus, v. 11), aber er schiebt gleich hinterher, dass seine Anliegen, vorgetragen durch seine Gedichtbücher, maßvoll und bescheiden sind (v. 12f.). Die Schlussaufforderung, Parthenius möge Domitian den libellus nicht aufdrängen, sondern ihn veranlassen, von selbst nach dem meuen Martial< zu verlangen (v. 16-19), soll wohl verhindern, dass der cliens Martial gegenüber dem Princeps aufdringlich wirkt, und möglicherweise klingt hier auch ein gewisses Selbstbewusstsein an: Er als Dichter ist eben nicht irgendein Klient, sondern kann von vorneherein auf ein bestimmtes Interesse des Herrschers bauen. 58 Dasselbe Motiv liegt dem Epigramm 4,8 zugrunde: Diesmal richtet sich die Bitte an Domitians Tafelmeister (tricliniarcha) Euphemus, da Martial die zehnte Stunde des Tages, in der der Kaiser »göttlich« speist und trinkt, als die geeignete für seine ioci ausersehen hat. Euphemus soll sie gleichsam zum Essen >servieren
hunc tua Roma legittemporibus praestat non nihil iste tuis, nec Marso nimium minor est doctoque Catullo.< hoc satis est: ipsi cetera mando deo.
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(epigr.7,99)
Wenn Martial am Hofe Domitian vorgelesen werde (v. 3f.), dann solle Crispinus als lector candidus ein gutes Wort für ihn einlegen, nämlich dass der Dichter >Beträchtliches für Domitians Zeit leiste< und sich nicht hinter Catull und Marsus zu verstecken brauche (v. 5-7). Der Schlussvers: »Das ist genug; das Übrige überlasse ich dem Gott selbst [d.i. Domitian]«, deutet doch wohl die andere Seite der patronus-cliens-Beziehung an. Er, der Dichter, hat seinen Teil erfüllt; mit cetera ist Domitians Part gemeint, nämlich sich für den poetischen Klientendienst erkenntlich zu zeigen. Ob das allerdings wirklich geschah, bleibt fraglich. Das Epigramm 5,5 variiert das Motiv der Gedichtvermittlung an den Princeps: Sextus, wohl der kaiserliche Bibliothekar,61 soll für Martials libelli einen Platz in der Bibliothek finden. Welche Bibliothek der Poet anstrebt und ob es ihm über-
59 Zu Parthenius' Schicksal nach Domitians Ermordung siehe PIR2 C 951a (S. XXlf.) und Nauta2002, 438m. Anrn. 195. 60 luv. 1,26-29; 4,1-33. Vermutlich war er unter Domitian Prätorianerpräfekt; vgl. Arthur Stein, Crispinus 5, RE 4,2 (1901) 1720f. und Galan Vi6que 2002,516 mit weiteren Literaturhinweisen. PIR2 C 1586. - Laut Nauta (2002, 344) war es rur Martial dagegen ausschließlich entscheidend, dass Crispinus zu den amici principis zu rechnen war. 61 Siehe Howell 1995 ad loc.
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Domitian als Patron der Dichter
haupt nur um eine bestimmte geht, bleibt offen, denn die Kernaussage des Gedichts ist, dass Martial auch im übertragenen Sinn in einer Reihe mit den herausragenden Epigrammatikern steht (si! loeus et nostris aliqua tibi parte libellis, // qua Pedo, qua Marsus quaque Catullus erit. V. 5f.). Der a studiis Sextus, dessen intime Nähe zum Kaiser ausführlich behandelt wird (v. 2-4), stand aber sicherlich der Bibliothek im Palast vor; der Poet nennt ihn v. I Palatinae eultor ... Minervae. Insofern kam eine Aufnahme in die kaiserliche Bibliothek der Vermittlung der Poesie an den Kaiser gleich. 62 Betrachten wir zum Vergleich epigr. 7,17: Es enthält die Aufforderung, sieben Bücher Martials in die Bibliothek seines engen Freundes Iulius Martialis einzureihen, und diese Aufforderung ergeht an die personifizierte Bibliothek selbst. Die Personifizierung ist zwar ein poetischer Kunstgriff, aber dennoch redet er den Gönner direkt an. Der Unterschied zwischen der direkten Kommunikation mit dem amieus und dem vermittelten Patronageverhältnis zum Kaiser wird hier evident. Über Statius dichtet Juvenal, er müsse hungern, wenn er nicht seinen unaufgeführten Mimus Agave an Paris verkaufe (esurit, intaetam Paridi nisi vendit Agaven, 7,87). Paris, der als Pantomime in Rom große Erfolge feierte und darüber sehr reich wurde, scheint bis zu seiner Ermordung (ca. 83) nicht nur ein Höfling gewesen zu sein, sondern auch großen Einfluss bei Hofe genossen zu haben: So hat man Juvenals Nachsatz zu der Statiusepisode verstanden: quod non dant proceres, dabi! histrio (7,90).63 Auch seine in den Quellen überlieferte Affäre mit Domitia, der Gattin des Kaisers, die ihn das Leben gekostet haben soll,64 deutet, ob sie nun den historischen Realitäten entsprach oder nicht, darauf hin, dass er enge persönliche Kontakte zur aula Domitians hatte. Denn sonst hätte man ihm diese Affäre wohl nicht andichten können. Paris betätigte sich also in der Frühphase des domitianischen Principats am Hof in der Unterstützung von Literaten, konkret des Statius. Ob er den Neapolitaner durch die Bezahlung für dessen Libretti wirklich vor dem >Verhungern< bewahrte, steht dahin. 65 Aber jedenfalls gewährte er Statius finanzielle Unterstützung für dessen poetisches Werk, so dass der klassische Austausch von Leistungen zwischen dem Klienten >Dichter< und 62 Wenn die Bitte an Sextus auch die Aufnahme in öffentliche Bibliotheken Roms implizierte, dann sollte er Martial zugleich auch bei der Veröffentlichung behilflich sein. Denn ein Platz in einer öffentlichen Bibliothek bedeutete eine wichtige Form der Publikation: Jeder konnte sich davon eine Kopie machen. Siehe S. 87 m. Anm. 1. 63 PIR2 P 128; H. Leppin, Histrionen. Untersuchungen zur sozialen Stellung von Bühnenkünstlern im Westen des Römischen Reiches zur Zeit der Republik und des Principats, Bonn 1992 (Antiquitas 1,41),68; 272-275. Mart. 11,13. Ebenso Nauta 2002,3. 64 Suet. Dom. 3,1; Cass. Dio 67,3,1. 65 VgI. Nauta 2002, 3f., der auf den Widerspruch zwischen Statius' angeblicher Armut und der Vielzahl von aristokratischen Patronen, an die jener die Silven adressiert, hinweist. Nautas Erklärung: »It seems better to suppose that Juvenal chose to use Statius, although he fitted his case badly, because he was the best-known of recent poets, so that his name had the richest resonance." (ebd. 4.) S.o. S. 118.
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dem Patron stattfand. Dabei ist es zweitrangig, ob das Geld aus der kaiserlichen Schatulle oder aus Paris' eigener Tasche floss. Eine Verständigung zwischen dem Höfling und dem Kaiser über die Förderung des Dichters wird es ganz bestimmt gegeben haben. Martial und Juvenal (über Statius) sind nicht unsere einzigen Quellen. In der vierten Ekloge des Calpurnius Siculus findet sich ein eindeutiger Hinweis auf indirekte Patronage: Er lässt den Dichter Corydon seinen Patron Meliboeus um Vermittlung seiner Dichtung bei Nero bitten: 66 Aber wenn du meine Lieder nicht als verächtlich betrachtest, bringe sie dann, Meliböus, dem Gott [d.i. Nero]; denn dir ist's gestattet, Phöbus' [d.i. Neros] Palast, sein heiliges Haus, von innen zu sehen. (at tu, si qua tamen non aspernanda putabis, ///er, Meliboee, deo mea carmina: nam tibi/as est // sacra Palatin i penetralia visere Phoebi. V. 157-
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Meliboeus ist zuvor selbst als Gönner des Dichters in Erscheinung getreten. Corydon, der in so großer Armut gelebt habe, dass er einen Umzug in die Provinz Baetica erwogen hätte, >liege nun ohne Sorgen und gesättigt im Schatten< (per te secura saturi recubamus in umbra, v. 37). Aber über die von Meliboeus garantierte Grundversorgung hinaus wünscht sich Corydon vom Kaiser einen höheren Lebensstandard. Dieser erst würde ihm ein noch vollkommeneres Dichten ermöglichen. Kein Zufall, dass hier auch der Verweis auf Maecenas erneut auftaucht (v. 160-163). Diese Konstellation finden wir bei Martial und Statius wieder: Der Grundbedarf zum Leben war für die Poeten gesichert, durch Patrone oder eigenes Vermögen. Aber die an den Kaiser gerichteten Hoffnungen zielten auf einen Standard, der ein Leben im otium mit gewissen Annehmlichkeiten möglich machte. Die Behauptung, erst damit zu noch größeren literarischen Leistungen fähig zu sein, diente vielleicht nur als Vorwand. >Klassische< Kommunikationsformen einer patronus-cliens-Beziehung fanden hier also nicht direkt, sondern auf dem Umweg über die Höflinge statt. Insofern war es nur konsequent, dass Martial poetische Schmeicheleien auch an die Höflinge sandte, um diese Verbindungen zu >ölenUnterhaltungspersonals< bei Hofe verstand sich auch nicht von selbst. Zwar konnten mit der Ausprägung des römischen Kaiserhofs im 1. Jahrhundert die an ihm lebenden und verkehrenden Personen gerade im Vergleich zu den Senatoren eine gänzlich neue und herausragende Funktion erlangen, sofern sie die Gunst des Kaisers besaßen: Das konnte die kaiserlichen Frauen, Hofastrologen oder eben auch die Literaten betreffen. 92 Im Gegensatz zu den neuen institutionalisierten Hofamtern des kaiserlichen Sekretariats, dem politische und administrative Aufgaben oblagen, stand und fiel die Bedeutung des >UnterhaltungspersonalsArmut< thematisiert (5,10; 13; 15; 16).102 Damit demonstriert er Domitian seine Qualitäten (und Vorzüge:fiir den Kaiser) sowie seine, wie er meint, nicht ausreichend gedeckten materiellen Bedürfnisse. Si qua fides veris, praeferri, maxime Caesar, temporibus possunt saecula nulla tuis. quando magis dignos licuit spectare triumphos? quando Palatini plus meruere dei? pulchrior et maior quo sub duce Martia Roma? sub quo libertas principe tanta fuit? est tarnen hoc vitium sed non leve, sit licet unum, quod colit ingratas pauper amicitias. quis largitur opes veteri fidoque sodali, aut quem prosequitur non alienus eques? Satumaliciae ligularn misisse selibrae tflammaristve togae scripula tota decem luxuria est, tumidique vocant haec munera reges: qui crepet aureolos forsitan unus erit. quatenus hi non sunt, esto tu, Caesar, arnicus: nulla ducis virtus dulcior esse potest. iarn dudum tacito rides, Germanice, naso utile quod nobis do tibi consilium.
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(epigr.5,19)
Der Gedichtanfang rühmt die Zustände unter der domitianischen Herrschaft in jeglicher Hinsicht (v. 1-6). Der Principat des Flaviers wird zum goldenen Zeitalter. 103 Die einleitenden Worte si qua fides veris kennzeichnen die nachfolgende Panegyrik als eine Spiegelung der höfischen Expression: Der Untertan Martial gibt als Adressat der Herrschaftsdarstellung, d.i. vera, dem Kaiser deren Inhalte zurück und zeigt ihm so, dass er zum (literarischen) Sprachrohr der Expression taugt. 104 Die Lobeshymne auf die domitianische Ära nimmt dabei einen Punkt ausdrücklich aus, die :fiir Klienten beklagenswerte Patronagesituation (v. 7-14). In dem Maße, in dem die positiven Zustände überhöht werden, wird auch das negative Gegenbild der aktuellen Patronage gesteigert. An der ansonsten so glücklichen Epoche haben die Klienten, speziell die Dichter, keine ungetrübte Freude aufgrund ihrer unbefriedigenden persönlichen Situation, so Martial. Für Freundschaften
101 S.u. S. 332. 102 Merli 1998, 149-151. 103 Siehe Sauter 1934,21 und Sullivan 1991, 140. 104 Vgl.a. Merli 1998, 152: »Er stellte sich dar als ein Dichter, der des Hofes würdig war C·.·)·«
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erhalte man keinen Dank, die Patrone knauserten mit ihren Gaben. Martials Schlussfolgerung: Nur der Kaiser könne - und solle daher - ein Patron für ihn sein (v. l5f.).105 Das Schlussdistichon reflektiert ironisch die Bitte um Geld; es ist dem künstlerischen Anspruch und der epigrammatischen Technik geschuldet. Nach Martials Darstellung ermöglichte die Situation der Patronage im Allgemeinen und der Literaturpatronage im Besonderen während des domitianischen Principats Autoren wie ihm kein sorgloses und materiell zufrieden stellendes Dasein. Mit epigr. 5,19 dokumentiert er uns sein intensives und durch das erste Viertel von Buch 5 sorgfältig vorbereitete Bemühen, vom Kaiser finanzielle Entlohnung für die Bereitschaft zur fortgesetzten Herrscherpanegyrik zu erlangen. J. Sullivan sieht wenig Grund zu der Annahme, dass Martials Bitten von Domitian enttäuscht worden sein könnten,106 jedoch haben wir dafür keinen Beleg. Daher wird man vielmehr vermuten dürfen, dass fast alle Bittgesuche Martials ins Leere liefen, wie er auch in epigr. 6,10 bezeugt: Darin schildert er eine kaiserliche Ablehnung (mi/ia nobis // nulla dedit, v. 3f.), um dann eine ironische Erneuerung der Bitte hinterherzuschicken (v. 12). Quintilian wurde, nachdem Vespasian ihn im Zuge des Ausbaus des öffentlichen Bildungswesens als Professor für Rhetorik bestallt hatte, von Domitian die Erziehung seiner beiden Adoptivsöhne übertragen. 107 Mit der Verleihung der insignia consularia wurde Quintilians Position sichtbar herausgestellt. 108 Das Gremium der XVviri sacris faciundis war 88, dem Jahr der Säkularspiele, mit einer Reihe von Prominenten aus der literarisch-musischen Welt besetzt. Auch das mag als Auszeichnung und Protegierung gedacht gewesen sein. 109 Vor allem sollte wohl die Einrichtung der musischen Agone bei den Capitolia und den Spielen zu Ehren Minervas der Förderung der Literatur dienen. Zwar waren die Aufsehen erregendste Neuerung der Capitolia die gyrnnischen Wettkämpfe wegen der für Rom ungewohnten Nacktheit der Athleten. Aber der Literatur kam doch ein größerer Stellenwert zu, als nur schmückendes Beiwerk zu sein, das sich etwa aus der vollständigen Übernahme des griechischen Wettkampfprogramms ergeben hätte. Ihre Bedeutung zeigte sich in der Vielzahl der musischen Disziplinen. »The introduction ofthe Alban and Capitoline Games had the effect ofbuilding up an Italian games-circuit similar to the great round of Greek games«.110 Statius' Beispiel zeigt, dass professionelle Dichter wie er diesem jährlichen
105 Dieses Gesuch wird erst dann explizit formuliert, »nachdem Martial seine eigene Rolle und sein eigenes Werk ausfuhrlieh in günstigstem Licht dargestellt hat«; Merli 1998, 152. Vgl. ähnlich Garthwaite 1998, 162. 1061991,121. 107 Quint. inst. 4 pr. 2. 108 Aus. Grat. Act. 7,31 (ed. R.P.H. Green, Oxford 1991); s.a. Coleman 1986, 3108f. 109 Vgl. Hardie 1983,45; R. Syme, Tacitus, Oxford 1958,66 m. App. 22. 110 Coleman 1986,3098. S.a. White 1998, 86f.
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Wettkamptkalender folgten und zu den Agonen in andere Städte wie Z.B. Neapel (wo die Sebasta stattfanden) reisten. Jll Das jugendliche Alter einiger Wettbewerber ließ I. Lana vermuten, es habe getrennte Konkurrenzen für erwachsene und für Nachwuchsdichter gegeben. ll2 Das bleibt fraglich, aber die Jugend der Teilnehmer könnte ein Zeichen dafür sein, dass Domitian die Literatur im Allgemeinen und Nachwuchspoeten im Besonderen fördern wollte. Es soll hier zunächst offen bleiben, welche Rolle er diesen Talenten eventuell zudachte, ob sie direkt seine Herrschaft propagieren sollten oder er sich eher indirekten Ruhm durch einen prominenten und produktiven Literaturbetrieb in seinem Principat erhoffte. Jedenfalls wurde bei den Agonen offensichtlich topische Herrscherpanegyrik vorgetragen. 113 Diesen Indizien steht Suetons harsches Urteil über Domitians angebliches Desinteresse an Poesie, Geschichte oder Rhetorik gegenüber: In seiner Jugend »heuchelte [er] mit wunderbarer Verstellungskunst Bescheidenheit und vor allem Interesse für die Poesie, mit der er sich vorher nie abgegeben hatte und die er später mit Verachtung von sich wies«. 114 »Zu Beginn seiner Regierung vernachlässigte er die freien Künste llS ( ••• ).« Er machte sich »nie die Mühe, die Geschichte, die Poesie oder auch nur die nötigsten stilistischen Regeln zu studieren. Außer den Memoiren und den Akten des Kaisers Tiberius las er nichts. Seine Briefe, Reden und Edikte ließ er durch andere abfassen«. 116
Es fragt sich allerdings, ob Sueton dem Flavier mit dieser Schilderung gerecht wird. Immerhin berichtet er auch, Domitian habe sich darum gekümmert, dass die durch Brände zerstörten römischen Bibliotheken mit großem Aufwand wiederhergestellt wurden. Er habe von überall her Exemplare der verloren gegangenen Werke zusammensuchen lassen und darüber hinaus Kopisten in die Bibliothek nach Alexandria geschickt, um dort Abschriften anzufertigen. 117 Alles in allem ein äußerst kostspieliges Unterfangen, das wohl nicht in erster Linie auf die breite Masse zielte, auch wenn prinzipiell jeder öffentliche Bibliotheken nutzen konnte. Man kann hierin wohl einen Beleg für akademisches Interesse bei Domitian er-
111 Stat. silv. 2,2,6-12. Vgl. aber White 1998, der verneint, dass die prominentesten römischen Dichter daran teilgenommen hätten; Statius sei die Ausnahme von der Regel gewesen (S. 93f.). 112 Lana 1951, 158; vgl. Coleman 1986, 3098f. 113 Siehe Coleman 1986,3099. 114 simulavit et ipse mire modestiam in primisque poeticae studium. tam insuetum antea sibi quam postea spretum et abiectum; Suet. Dom. 2,2; übers. von A. Lambert. V gl.a. Tac. ann. 4,86,2. 115 Zu den liberalia studia zählten Literatur, Rhetorik, Mathematik, Musik und Rechtswissenschaft; s. Jones 1996 ad loc. 116 liberalia studia imperii initio neglexit (. ..). numquam ... aut historiae carminibusve noscendis operam ullam aut stilo vel necessario dedit. praeter commentarios et acta Tiberi Caesaris nihillectitabat; epistulas orationesque et edicta alieno formabat ingenio; Suet. Dom. 20. 117 (.. .) bibliothecas incendio absumptas impensissime reparare curasset, exemplaribus undique petWs missisque Alexandream qui describerent emendarentque; Suet. Dom. 20.
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kennen oder zumindest für seine Absicht, durch nennenswerte Kultur- und Literaturpatronage das Ansehen seiner Herrschaft zu stärken. 118 Sueton nennt noch weitere Fakten, die sein Urteil über Domitians kulturelle Interessen fragwürdig erscheinen lassen: Der Flavier sei im Gespräch nec inelegans und bisweilen zu bemerkenswerten Sentenzen in der Lage gewesen;119 aber v.a. mit seinem ausführlichen vierten Kapitel, das die Spektakel und eben auch die musischen Agone behandelt, stellt er seine Kritik an dem angeblichen kulturellen >Banausen< Domitian stark in Frage. 120 Ziehen wir an dieser Stelle ein vorläufiges Fazit: Eine Reihe von Maßnahmen zur Patronage der Literatur und Wissenschaften deutet in der Tat darauf hin, dass Domitian sich den hellenistischen Herrscherhof als geistig-kulturellen Mittelpunkt des Reichs zum Vorbild nahm. 121 Dazu zählten die Installierung eines Quintilian als Erzieher am Hof und die Wiederherstellung der Bibliotheken, um den Intellektuellen beste Forschungsmöglichkeiten und der breiten Masse die Gelegenheit, sich zu bilden, zu garantieren. Auch seine Spiele im griechischen Stil, die Quinquatria zu Ehren Minervas im höfischen Rahmen von Alba und die Capitolia, knüpften mit ihren musischen Wettkämpfen an die hellenistische Tradition an. 122 Ist dieser Befund ausreichend für eine Klassifizierung der domitianischen Literaturpatronage als >hellenistisch