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German Pages 112 [200] Year 1986
FRIEDRICH DANIEL ERNST SCHLEIERMACHER
Dialektik (1811) Herausgegeben von ANDREAS ARNDT
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P HILOS OP H IS C HE B IB LIO T HE K B AND 386
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN: 978-3-7873-0670-1 ISBN eBook: 978-3-7873-3285-4
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INHALT
Einleitung. Von Andreas Arndt . . . . . . . . . . . . . . . IX I. Entstehung, Entwicklung und Wirkung der Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX 1. Zur Entstehung der Dialektik . . . . . . . . . . . IX 2. Zu den Voraussetzungen der Dialektik in Schleiermachers philosophischer Entwicklung bis 1811 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII 3. Zur Entwicklung der Dialektik-Konzeption seit 1811 ........................... XXVII 4. Zur Wirkungsgeschichte der Dialektik ..... XXXVI II. Die Überlieferung der Dialektik . . . . . . . . . . . . XLVII 1. Die Vorlesungen über Dialektik . . . . . . . . . . XLVII 2. Die Handschriften zur Dialektik ......... XLVIII 3. Die bisherigen Ausgaben der Dialektik LIV III. Zur vorliegenden Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . LX 1. Zur Gestaltung der Studienausgabe . . . . . . . LX 2. Die Vorlesung 1811 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXIX 3. Die Materialien zur Vorlesung 1811 LXVII a) Schleiermachers Notizen zur 12.-49. Stunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXVII b) Die Nachschrift Twesten ............. LXVIII c) Schleiermachers Notizheft „Zur Dialektik 1814." . . . . . . . . . . . . . . . LXX d) Die „Lehnsätze aus der Dialektik in der Ethik 1812/13" ............... LXXIV 4. Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXXV Auswahlbibliographie ...................... 1. Schleiermachers Werke und Briefe .......... 2. Ausgaben der Dialektik .................. 3. Sekundärliteratur .......................
LXXVII LXXVII LXXVII LXXVII
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Inhalt
Friedrich Schleiermacher Dialektik (1811)
1.-11. Vorlesungsstunde (Nachschrift Twesten)
3
Einleitung (1-6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Transzendentaler Teil (7-30) ................... 11 Wissen (7-8) .............................. 11 Denken (9-11) ............................ 14
12.-49. Vorlesungsstunde (Manuskript Schleiermacher) .................... 21 Identität des Wissens und Seins unter dem Aspekt der Begriffsbildung (12-17) ................ Identität des Wissens und Seins unter dem Aspekt der Urteilsbildung (18-20). . . . . . . . . . . . . . . . . Die Einheit des Formalen und des Transzendentalen in der Begriffs- und Urteilsbildung (20-23) .. Gott und Welt (24-28) ...................... Exkurs: Raum und Zeit (28-29) . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: über die gewöhnliche Logik (30) ........
21 25 28 31 36 37
Formaler Teil (31-49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Einleitung (31-33) ......................... Begriffsbildung (33-45) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakteristik der Begriffsklassen (34-35) ..... Begriffsbildung durch Induktion (36-43) ...... Begriffsbildung durch Deduktion (43-45) . . . . . Kombination (46-49) ......................
38 40 41 43 41 55
Schluß (Nachschrift Twesten). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Beilagen (Schleiermacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
1. Notizheft zur Dialektik (1811-1818) .......... Zur Dialektik 1814 ......................... Zur Dialektik 1818 ......................... Zur Dialektik 1811 .........................
63 63 64 64
Inhalt
2. Lehnsätze aus der Dialektik in der Ethik 1812/13 Deduction der Ethik aus der Dialektik . . . . . . . . . .
VII
80 80
Anmerkungen des Herausgebers Anmerkungen zur Vorlesung 1811 . . . . . . . . . . . . . 83 Anmerkungen zur Beilage 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Namenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
EINLEITUNG
/. Entstehung, Entwicklung und Wirkung der Dialektik 1. Zur Entstehung der Dialektik Die Vorlesungen über Dialektik, in denen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) die Grundlegung seiner philosophischen Systematik entwickelte, fallen in die Zeit seines Wirkens an der Berliner Universität, wo er, seit deren Gründung 1810, einen theologischen Lehrstuhl innehatte. Obwohl Schleiermacher von seiner Profession her Theologe war, bildete die Philosophie seit der Studienzeit in Halle (1787-1789) einen eigenständigen und gleichrangigen Bereich seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Mit den „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre" (1803) und seiner Plato-übersetzung (seit 1804) war Schleiermacher als wissenschaftlicher Schriftsteller zuerst auf dem Gebiet der Philosophie hervorgetreten und hatte auch in der Vorbereitungsphase der Berliner Universität (seit 1807) in der zu gründenden philosophischen Fakultät Vorlesungen über Ethik, Politik und Geschichte der Philosophie gehalten. 1 Durch die 1810 erfolgte Berufung zum Mitglied der philosophischen Klasse der Königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin erhielt Schleiermacher schließlich auch einen institutionellen Rahmen für diese Seite seiner Tätigkeit: Die Mitgliedschaft in der Akademie gab ihm das Recht, Vorlesungen an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität zu halten. Von diesem Recht machte Schleiermacher seit dem Sommersemester 1811 fast immer Gebrauch und behandelte neben der Dialektik die Geschichte der Philosophie sowie
1 Vgl. Rudolf Köpke: Die Gründung der Königlichen FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin. Berlin 1860, S. 58 und 140f.
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Andreas Arndt
die Disziplinen Ethik, Politik, Pädagogik, Psychologie, Ästhetik, Hermeneutik und Kritik. 2 Mit den Vorlesungen über die Dialektik im Sommersemester 1811 begann Schleiermacher seine Tätigkeit als philosophischer Lehrer an der Berliner Universität. Die systematische Bedeutung dieser Vorlesungen wird schon durch ihre unmittelbare Vorgeschichte und ihre Begleitumstände unterstrichen. Die überragende Figur an der Philosophischen Fakultät war Johann Gottlieb Fichte, zu dem sich Schleiermacher wissenschaftlich und persönlich bereits während seiner ersten Berliner Periode (1796-1802) in scharfen Gegensatz gestellt hatte. Um ein Gegengewicht zu der befürchteten Einseitigkeit der Fichteschen Philosophie zu schaffen, betrieb Schleiermacher - erfolglos - im Frühjahr 1810 die Berufung seines Freundes und vormaligen Hallenser Kollegen Henrich Steffens auf einen philosophischen Lehrstuhl. Steffens hatte sich als Mineraloge und Naturphilosoph weitgehend der Schellingschen Richtung angeschlossen und wußte sich auch mit Schleiermacher in den Prinzipien der Philosophie weitgehend einig. Schleiermacher begründete seinen Vorstoß zugunsten Steffens' mit der Absicht, „Vorlesungen über die ethischen Wissenschaften" zu halten, „für welche ich, da ich selbst allgemeine Philosophie nie vortragen werde, keine Haltung finde und sie daher lieber unterlasse". 3 Auf Steffens' Naturphilosophie, so läßt sich diese Bemerkung verstehen, hätte Schleiermacher als spekulative Grundlegung seiner Ethik verweisen können. Als sich die Möglichkeit zu einer solchen Zusammenarbeit zerschlug, erwog Schleiermacher, selbst allgemeine Philosophie unter dem Titel einer Dialektik anzukündigen. Am 29.12.1810 schrieb er an seinen Freund Gaß: „Ich bin schon angesprochen worden um die Ethik. 2 Vgl.
Hans-Joachim Birkner: Schleiermacher als philosophischer Lehrer. In: Der Beitrag ostdeutscher Philosophen zur abendländischen Philosophie. Hg. F. B. Kaiser und B. Stasiewski. Köln/Wien 1983, s. 41-54. 3 Aus Schleiermachers Leben. In Briefen. 4 Bde. Berlin 1860-1863 (im folgenden zitiert als „Briefe" mit Bandzahl), Bd. 4, S. 175 (an Nicolovius).
Einleitung
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Allein ich habe einmal verschworen, so lange Fichte der einzige Professor der Philosophie ist, kein philosophisches Collegium zu lesen; und sollte sich das bis Ostern ändern, so hätte ich Lust, erst als Einleitung zu meinen philosophischen Vorlesungen die Dialektik zu versuchen, die mir lange im Kopfe spukt." 4 Als Schleiermacher dieses Vorhaben im Sommer 1811 verwirklichte, geschah dies in bewußter Konkurrenz zu Fichte. August Twesten vermerkte am 25.3.1811 in seinen Aufzeichnungen: „Schleiermacher hat seine Dialektik in dieselbe Stunde verlegt, wo Fichte die Wissenschaftslehre liest. Er scheint es mit Fleiß getan zu haben; wenigstens will er sich auf eine Versetzung der Stunde gar nic~t einlassen. " 5 Der Erfolg gab Schleiermacher recht. Schon am 11.5. 1811 konnte er an Gaß schreiben: „Und nun gar die Dialektik; diese kostet eine schmähliche Zeit. Der Entschluß hatte lange in mir gewurmt, ich bin aber doch froh, daß er zum Durchbruch gekommen ist. Als ich anfing, waren mir erst die Hauptmassen klar, nun verarbeitet es sich allmählich mehr in's einzelne, und ich hoffe, das ganze soll gut werden. Ich lese vor sechzig Zuhörern etwa und mag wo!, die Mediciner ausgenommen, diesmal das stärkste Auditorium haben." 6 Diente demnach die erste Vorlesung wesentlich noch der Selbstverständigung, so sah Schleiermacher auch diesen Zweck im nachhinein als erreicht an. Im Juli 1812 berichtete er seinem Jugendfreund Karl Gustav von Brinckmann rückblickend über die wissenschaftliche Arbeit des Jahres 1811: „Dann habe ich auch eine Art von speculativer Philosophie vorgetragen unter dem Titel Dialektik, und ich hoffe daß schon auch das erste Mal der Grund wenigstens zu einer ziemlich klaren Darstellung gelegt ist." 7 F. Schleiermacher: Briefwechsel mit J. Chr. Gaß, hg. v. W. Gaß. Berlin 1852 (im folgenden zitiert als „Briefe Gaß"), S. 87. 5 C. F. Georg Heinrici: D. August Twesten nach Tagebüchern und Briefen. Berlin 1889, S. 158. 6 Briefe Gaß, S. 94. 7 Briefe 4, S. 186/18 7. 4
XII
Andreas Arndt
Mit der „klaren Darstellung" mag Schleiermacher bereits zu diesem Zeitpunkt nicht nÜr auf weitere Vorlesungen zur Dialektik, sondern auch auf eine Darstellung des Grundrisses seiner philosophischen Systematik im Druck angespielt haben, denn schon in der kompendienartigen Ausarbeitung seiner philosophischen Ethik 1812/13 versuchte er eine „Deduction der Ethik aus der Dialektik". Die 12 Lehnsätze aus der Dialektik umfassen in thesenartiger Form den Kern des spekulativen Programms der Dialektik. Sie sind auf der Grundlage der Vorlesung von 1811 entstanden und als die erste für den Druck bestimmte Fassung der unter dem Titel einer Dialektik vorgetragenen philosophischen Systematik Schleiermachers zu werten. Während der zweiten Vorlesung über Dialektik im Wintersemester 1814/15 dachte Schleiermacher schon bestimmt an die Ausarbeitung eines Lehrbuchs. Unter dem 29.10. 1814 schrieb er an Gaß: „Zur Dialektik schreibe ich mir nun (d.h. hintennach) vorläufige Paragraphen auf, welches doch die erste Vorbereitung zu einem künftigen Compendium ist." 8 Und in einem Brief an Blanc vom 27. Dezember desselben Jahres heißt es: „Ich arbeite an der Ethik, was aber freilich sehr langsam vor sich geht, weil ich zu gleicher Zeit bei Gelegenheit des Lesens die erste lateinische Vorarbeit mache zu meiner Edition des Paulus, und außerdem meine Dialektik in eine solche Ordnung schriftlich bringe, daß wenn ich noch einmal darüber gelesen habe, ich sie dann auch für den Druck bearbeiten kann." 9 ' Den fertigen Entwurf - mit großer Wahrscheinlichkeit das in 346 Paragraphen gegliederte Heft „Dialektik 1814" oder Teile dieses Heftes - schickte Schleiermacher seinem Freund Gaß nach Breslau. Ein Begleitschreiben Schleiermachers ist nicht überliefert, sondern nur der Brief Gaß', mit dem dieser das Heft am 31.3.1816 zurückschickte: „Dankbar überschicke ich Dir durch Herrn H. das Heft der Dialektik zurück, mein theurer Freund. Ich habe bei aller sonstigen Noth noch Zeit gefunden, es aufmerksam zu lesen 8 Briefe 9
Gaß, S. 121. Briefe 4, S. 203.
Einleitung
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und mir sogar eine kurze Uebersicht des Inhalts zu machen, und danke Dir herzlich auch für diese Belehrung. Im zweiten Theil ist mir Einiges dunkel geblieben, worüber Du meine Ungelehrigkeit nicht schelten mußt. Worauf es ankommt, glaube ich doch eingesehen zu haben und mag Dir nun auch das Heft nicht länger vorenthalten." 10 Schleiermachers Absicht, die Dialektik nach einem dritten Durchgang für den Druck zu bearbeiten, konnte jedoch· trotz der bereits vorliegenden Notizen und Entwürfe nicht verwirklicht werden. Während der dritten Vorlesung zur Dialektik im Winter 1818/19 sah sich Schleiermacher jedenfalls von diesem Vorhaben weit entfernt. An Gaß schrieb er: „Die Unechtheit des Epheserbriefes wird mir beim Lesen immer gewisser, und die Echtheit meiner Dialektik auch. Aber die hat noch lange Zeit." 11 Ähnlich zurückhaltend äußerte er sich.in einem Brief an Brinckmann Ende 1818: „[ . . . ] das Hervorbringen liegt in den Vorlesungen. Noch in den letzten Jahren habe ich eine Politik eine Dialektik eine Psychologie nach meiner eignen Weise vorgetragen, von denen ich hoffe wenn sie auf dem Papier ständen sollten sie sich Deines. Beifalls erfreuen; und im nächsten Jahre denke ich an die Ästhetik zu gehen." 12 Im Zuge der abschließenden Arbeit an seinem theologisch-dogmatischen Hauptwerk „Der christliche Glaube", an dem er seit 1818 schrieb und das 1821/22 in zwei Bänden erschien, las Schleiermacher im Sommer 1822 erneut die Dialektik. Die angestrengte Arbeit an der Dogmatik erklärt, weshalb andere literarische Pläne zurückgestellt wurden und auch bei dieser Gelegenheit eine Ausformulierung der philosophischen Systematik unterblieb. Zusätzliche Belastungen entstanden Schleiermacher durch den Druck der politischen Reaktion; er war - mit seinen Freunden Georg Andreas Reimer, Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Ernst-Moritz Arndt u.a. - als Anhänger des liberalen Reformkurses in den Sog der Demagogenverfolgungen to Briefe Gaß, S. 125. 11 Briefe Gaß, S. 160. Der Brief datiert vom 28.12.1818. 12 Briefe 4, S. 241. Der Brief ist auf den 31.12.1818 datiert.
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geraten. Die Pressionen gegen ihn erreichten einen Höhepunkt, als er 1823 nur durch Intervention Altensteins vor der Entlassung aus allen Ämtern bewahrt werden konnte. 13 In der Folge zeigte Schleiermacher oft Amtsmüdigkeit und sah sich in seiner wissenschaftlich-literarischen Produktivität gehemmt. In einem Brief an de Wette vom 30.3.1827 beklagte er seinen Zustand: „[ ... ] ich kann in meiner Person die Seltenheit eines sogenannten Gelehrten darstellen, der genau genommen weder liest noch schreibt, sondern dessen Geschäft nur darin besteht, dieselben Gedanken, die er nur bildet um sie flüchtig auszusprechen und dann auch selbst gleich zu vergessen, immer wieder aufs Neue zu erzeugen. "14 Bei der Aufnahme seiner Glaubenslehre sah sich Schleiermacher zahlreichen Mißverständnissen ausgesetzt; vor allem suchte er den Vorwurf zu entkräften, er habe die Dogmatik aus seiner philosophischen Systematik begründet. 15 Diese war nun zwar weitgehend nur aufgrund der frühen Schriften, der gedruckt vorliegenden Akademieabhandlungen und etwa zirkulierenden Hörernachschriften seiner Vorlesungen bekannt; Schleiermacher galt jedoch seit den „Reden" „Über die Religion" (1799) als heimlicher Spinozist. Diese Etikettierung mußte in den Jahren der politi13 Vgl.
Max Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin. Bd. 2, 1. Halle 1910, S. 172ff. 14 Briefe 4, S. 365. 15 Zur Rezeptionsgeschichte der ersten Auflage der Glaubenslehre vgl. die historische Einführung von Hermann Peiter in KGA, 1. Abt., Bd. 7 ,1, S. XXXV ff. Der genannte Vorwurf wurde von philosophischer Seite vor allem von Christlieb Julius Braniß vorgetragen. Eine zusammenfassende Antwort an seine Kritiker versuchte Schleiermacher in den Sendschreiben an Lücke (zuerst 1829), als er die zweite - völlig umgearbeitete - Auflage der Glaubenslehre vorbereitete, die 1830/31 erschien. Darin findet sich eine aufschlußreiche Selbstaussage zum Verhältnis von Philosophie und Theologie in seinem Werk: „Lassen Sie mich[ ... ] also bei meinem timeo Danaos et dona ferentes immer bleiben und mich freuen, daß ich dem Vorsatz treu geblieben bin, meinem eignen philosophischen Dilettantismus, und wenn ich mehr auf diesem Gebiet aufzuweisen hätte, würde meine Maxime doch dieselbe geblieben sein, keinen Einfluß auf den Inhalt meiner Glaubenslehre gestattet zu haben." (SW I. Abt., Bd. 2, S. 650).
Einleitung
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sehen Reaktion um so prekärer sein, als Spinoza im Geruch des Materialismus, d.h. Atheismus stand. So heißt es 1828 in Krugs Enzyklopädisch-philosophischem Lexikon über Schleiermacher: „Sein eignes philosophisches System hat er jedoch bisher in einer Art von Halbdunkel gehalten, aus welchem hin und wieder eine pantheistische Ansicht der Dinge hervorzuleuchten scheint." 16 Auch von theologischer Seite wurde der Vorwurf des Spinozismus erhoben, u.a. von Ferdinand Delbrück in einer 1826 erschienenen Streitschrift. In einer brieflichen Äußerung dazu an Groos vom 4.8.1826 erwog Schleiermacher, zur Offenlegung seiner philosophischen Systematik zuerst nicht die Ethik, sondern die Dialektik zu veröffentlichen: „Dann möchte ich fast die Grundzüge der Dialektik noch früher geben; durch diese würde sich dann manches Geschrei von selbst geben, und solche Antworten sind immer die besten." 17 In diesem Zusammenhang steht auch ein weiterer Brief an Groos vom 22.9.1826, den Schleiermacherteilweiseals „briefliche Zugabe" zu einer 1827 von Sack, Nitzsch und Lücke veröffentlichten Replik an Delbrück drucken ließ und in dem er seine Absicht bekundet, mit einer Dialektik hervorzutreten: „[ ... ] in der dermaligen Lage der Sache wüßte ich auch nichts zu sagen, was nicht also eben schon Twesten [ ... ] hierüber gesagt hat; positiveres wird sich nur im Zusammenhange vortragen lassen, wenn es mir gelingt wenigstens einen kurzen Abriß meiner Dialektik noch mitzutheilen. " 18 Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser erklärten Absicht 16 W.
T. Krug: Encyclopädisch-philosophisches Lexikon, Bd. III, 1828, s. 551. 17 Briefe 4, S. 357. 18 Briefe 4, S. 359; Friedrich Schleiermacher: Erklärung des Herrn Dr. Schleiermacher über die ihn betreffenden Stellen der Streitschrift. Aus einem Briefe an einen Freund am Rhein. In: Ueber das Ansehen der heiligen Schrift und ihr Verhältniß zur Glaubensregel in der protestantischen und in der alten Kirche. Drei theologische Sendschreiben an Herrn Professor D. Delbrück in Beziehung auf dessen Streitschrift, Phil. Melanchthon, der Glaubenslehrer, von K. H. Sack, C.J. Nitzsch und F. Lücke. Bonn 1827, S. 215.
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nahm Schleiermacher nach sechsjähriger Unterbrechung im Sommer 1828 die Arbeit an der Dialektik mit einer erneuten Vorlesung über diesen Gegenstand - der fünften wieder auf. Die bei dieser Gelegenheit entstandenen Notizen hatten aber, wie bei allen Vorlesungen seit 1818/19, eher den Charakter der Selbstverständigung und nicht einer für den Druck bestimmten Mitteilung. Nicht anders steht es mit den aus Anlaß der letzten Dialektik-Vorlesung 1831 entstandenen Aufzeichnungen. Immerhin sah Schleiermacher den Prozeß der Selbstverständigung soweit als abgeschlossen an, daß er - gedrängt auch durch die altersbedingte Ungewißheit der Erhaltung seiner wissenschaftlichen Arbeitsfähigkeit - an die Niederschrift der „Dialektik" ging. 1832 und 1833 arbeitete er, wie die eigenhändigen Eintragungen in seinen Notizkalendern belegen, daran, den Grundriß seines philosophischen Systems zu veröffentlichen. Es entstand eine „Einleitung", von der jedoch nur fünf Paragraphen ausgeführt wurden. Schleiermachter bediente sich dabei der formalen Gestaltungsprinzipien (thesenartige „Leitsätze" mit ausführlichen „Erläuterungen"), die er auch seinem theologisch-dogmatischen Hauptwerk, der Glaubenslehre, zugrundegelegt hatte. über die Gründe für den Abbruch der Niederschrift in dieser Form unterrichten Erinnerungen Ludwig Jonas' in einer unpubliziert gebliebenen Vorrede zu Schleiermachers akademischen Reden und Abhandlungen. Dem Bericht zufolge sagte Schleiermacher am 4.2.1834 zu Jonas, nachdem er die Vorlesungen wegen Krankheit hatte aussetzen müssen: „Wie billig habe ich meine Muße dazu benutzt, über mich selbst mit mir zu Rathe zu gehn, und da bin ich denn mit mir einig geworden einen ganz neuen Lebensweg einzuschlagen. Ich wollte nämlich, wie Du weißt, meiner Dialektik und meiner christlichen Moral die Form geben, welche die Dogmatik hat. Das habe ich aber aufgegeben. Ich werde eilen, sie etwa in die Gestalt zu bringen, die die Encyklopädie hat. So können die Sachen allenfalls noch fertig werden, anders schwerlich." 19 Auch dieses Vorhaben konnte nicht mehr ausgeführt werden. Am 12. Februar 1834 starb Schleiermacher, nachdem er noch kurz vor sei-
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nem Tode Jonas zum Verwalter seines wissenschaftlichen Nachlasses bestimmt hatte. Dabei soll er u. a. gesagt haben: „Ich übergebe Dir meine Papiere, laß Dir angelegen seyn, daraus vor Allen, so gut es sich wird machen lassen, die Dialektik, die christliche Sittenlehre und meine Ansichten über die Apostelgeschichte zusammenzustellen und in Druck zu geben. " 20 Die vonJ onas besorgte Ausgabe der Schleiermacherschen Dialektik erschien 1839. 2. Zu den Voraussetzungen der Dialektik in Schleiermachers philosophischer Entwicklung bis 1811 Wenn Schleiermacher 1810 schreiben konnte, die Dialektik spuke ihm schon lange im Kopfe, so verweist er auf die Herausbildung ihm eigener systematisch-philosophischer Auffassungen in der Auseinandersetzung mit der Philosophie seiner Zeit. Sein philosophischer Entwicklungsgang kann hier nur mit wenigen Stichworten angedeutet werden: Aneignung und Kritik der Kantischen Philosophie (letztere beeinflußt durch seinen akademischen Lehrer, den aus der LeibnizWolffischen Schule hervorgegangenen Johann August Eberhard); Rückgang auf die antike Philosophie, namentlich Aristoteles und Platon; Auseinandersetzung mit Spinoza und später, in den Kreisen der Berliner Romantik (enge Freundschaft mit Friedrich Schlegel seit 1 796), mit Leibniz, Fichte sowie Schelling. 21 Schleiermachers Hauptinteresse 19 Bruno
Weiß: Untersuchungen über Friedrich Schleiermachers Dialektik. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, NF 73, 1878, S. 13. 20 Ebd. - Vgl. auchJonas' Vorrede zu SW 3, 3, S. III. 21 Vgl. Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers. Bd. 1. Berlin 1870 (nur in dieser ersten Auflage auch der gesondert paginierte Anhang „Denkmale der inneren Entwicklung Schleiermachers"; vgl. jetzt KGA I, 1.2, auch die Einleitungen von Günter Meckenstock); Fritz Weber: Schleiermachers Wissenschaftsbegriff. Gütersloh 1973; Eilert Herms: Herkunft, Entfaltung und erste Gestalt des Systems der Wissenschaften bei Schleiermacher. Gütersloh 19 74.
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gilt dabei den Problemen der Ethik, die er jedoch nicht als eine aparte Disziplin, sondern im Blick auf ihre Fundierung im Gesamtzusammenhang des Wissens behandelt wissen wollte und selbst behandelte. In dem ersten von ihm publizierten wissenschaftlichen Werk, den „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre" (Berlin 1803) - einer negativen Grundlegung seiner eigenen ethischen Auffassungen - betrachtet er die Ethik als eine besondere Wissenschaft, deren Prinzipien ihren Ort in einer „Wissenschaft von den Gründen und dem Zusammenhang aller Wissenschaften" haben müßten; eine „solche höchste und allgemeinste Erkenntniß würde mit Recht Wissenschaftslehre genannt, ein Name, welcher dem der Philosophie unstreitig weit vorzuziehen ist, und dessen Erfindung vielleicht für ein größeres Verdienst zu halten ist, als das unter diesem Namen zuerst aufgestellte System. " 22 Mit dieser deutlichen Distanzierung von Fichte bestreitet Schleiermacher dessen System den Anspruch, die Philosophie in wirkliche Wissenschaft überführt und damit vollendet zu haben. 23 Eine solche Gewißheit in den obersten Grundsätzen des Wissens konnte es für ihn in seiner Zeit nicht geben. Bei „dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaften, und dem immer noch obwaltenden Streit über die ersten Principien," könne die Kritik nur „von einem Punkt aus, der außerhalb des streitigen Gebietes liegt, dasselbe [ ... ] vermessen." 24 Unschwer läßt sich in dieser Formulierung der später in der Dialektik ausgeführte Gedanke erkennen, das Werden des Wissens als Überwindung des sich immer wieder erneuernden Widerspruchs vom streitfreien Denken aus darzustellen. Sowenig aber der Streit um die Prinzipien der Ethik den Anspruch an diese besondere Wissenschaft widerlegen kann, sich eine systematische Form Schleiermacher: Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre. Berlin 1803, S. 20f.; zur Ethik als besonderer Wissenschaft vgl. ebd. S. 11. 23 Vgl. Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Akad. Ausg. 1, 2, S. 93 ff. 24 Schleiermacher: Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre. Berlin 1803, S. V. 22
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zu geben und ihren Ort im Zusammenhang des Wissens zu bestimmen, sowenig widerlegt die Existenz des strittigen Denkens (und damit die Charakteristik des Wissens als eines Werdenden) die Forderung nach einem System des Wissens und der Wissenschaften. Vielmehr hofft Schleiermacher, durch seine Kritik zu der Etablierung einer obersten Wissenschaft beizutragen, in welcher „jedes der Anfang sein kann, und alles einzelne gegenseitig einander bestimmend nur auf dem Ganzen beruht." 25 Spricht sich darin der systematische Anspruch der Schleiermacherschen Philosophie aus, so kritisiert er an seinen philosophischen Zeitgenossen die mangelnde Durchführung des Systems. In den „Grundlinien" von 1803 kommt er zu dem Schluß, „daß der siegreiche dynamische Idealismus, wie er sich bis jetzt gezeigt hat", - gemeint sind Fichte und Schelling - „wohl schwerlich die Ahnenprobe seiner Abstammung von einer Idee der höchsten Erkenntniß bestehen möchte, welche doch erforderlich ist, wenn ihm soll der Preis gereicht werden. Denn von beiden Darstellungen desselben, welche ebenfalls in einem wichtigen und bedenklichen Streit begriffen sind, hat die eine zwar eine Ethik aufgebaut, dagegen aber die Möglichkeit einer Naturwissenschaft bald troziger bald verzagter abgeläugnet, und die andere dagegen die Naturwissenschaft zwar hingestellt, für die Ethik aber keinen Platz finden können auf dem Gesammtgebiete der Wissenschaften. " 26 Nicht anders fällt das Urteil in Schleiermachers Gedankenheften aus. „Aus dem Idealismus sind zwei verschiedene Theorien ausgegangen. Die Fichtesche, welcher durch die ganze Anlage und Gesinnung keine Physik möglich ist; und die Schellingsche, welcher auf eben die Art keine Ethik möglich ist. Zu beweisen ist demnach, daß auch die Physik des letzten und die Ethik des ersten schlecht und leer sein muß, ohnerachtet der Bewundernswürdigkeit der Zurüstung. " 27 2s Ebd., S. 20.
Ebd., S. 48 7. 27 Denkmale, Anhang zu Diltheys „Leben Schleiermachers" (Anm. 21), S. 139, Nr. 147. 26
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Die Gliederung der Philosophie in Physik und Ethik, denen seit 1811 als drittes Hauptgebiet die Dialektik vorangestellt wird, folgt einem herkömmlichen Schema der antiken Philosophie und findet zahlreiche Entsprechungen bei den philosophischen Zeitgenossen Schleiermachers bis hin zu Hegels Unterscheidung der Philosophie der Natur und des Geistes. Wie Hegels Geistesphilosophie ist Schleiermachers „Ethik" nicht als Morallehre im engeren Sinn, sondern als überwiegend spekulative Theorie der Geschichte, der Sphären des Handelns der erscheinenden Vernunft zu verstehen. Parallel dazu soll die Physik als spekulative Naturphilosophie die Voraussetzungen des Handelns der Vernunft in der Natur entwickeln. Diese Seite der Philosophie freilich hat Schleiermacher nie ausdrücklich selbst bearbeitet, sondern immer nur im Zusammenhang mit den Darstellungen der anderen Teile seines Systems angedeutet. Mit dem Problem der Einheit von (philosophischer) Naturwissenschaft und Ethik nimmt Schleiermacher das von Kant hinterlassene Problem der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft auf und arbeitet an der Vollendung des Kantischen Systemanspruchs. Von dorther steht er ganz in der Bewegung der Philosophie seiner Zeit, ohne jedoch deren Lösungen vorbehaltlos akzeptieren zu können. Das Eigentümliche seiner Ansicht spricht er am 4.1.1800 in einem Brief an Brinckmann mit der Formel aus, er wolle den Idealismus ins Leben übertragen, sich dabei aber „die wirkliche Welt [... ] auch warlich nicht nehmen lassen". 28 Man kann darin den Anspruch erkennen, einerseits am Idealismus festzuhalten und andererseits das realistische Moment der Kantischen Begrenzung der Erkenntnis auf die Erfahrung nicht preiszugeben. Von dieser Position aus mußte Fichtes Philosophie vollständig der Kritik anheimfallen. Seinen Gegensatz zu Fichte und zugleich seine eigene Position stellt Schleiermacher in einem Brief an Friedrich Heinrich Christian Schwarz (28.3.1801) fest: „Die Vereinigung des Idealismus und des Realismus ist das, worauf mein ganzes Streben gerichtet ist, und ich habe 28
Briefe 4, S. 55.
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darauf nach Vermögen hingedeutet in den Reden sowohl als in den Monologen[ ... ] Man kann innerhalb des Idealismus [ ... ] nicht stärker entgegengesetzt sein als er [Fichte, Verf.] und ich. [ ... ] Bei dieser großen Verschiedenheit hat es mir immer für die Philosophie leid getan, daß auch vertrautere Schüler von Fichte das Meinige für das Seinige halten konnten [ ... ] Indes ist doch der Hauptpunkt unserer Verschiedenheit, daß ich nämlich die von Fichte so oft festgestellte und so dringend postulierte gänzliche Trennung des Lebens vom Philosophiren nicht anerkenne, auch im ersten Monologen schon stark genug angedeutet. " 29 Dagegen erkannte Schleiermacher - trotz der weiterhin zu beobachtenden Distanz -, daß sein ursprüngliches Urteil über Schelling in den „Grundlinien" von 1803 der Revision bedurfte; Schellings nach dem „System des transzendentalen Idealismus" ( 1800) entwickelte Identitätsphilosophie nämlich gab der „Ethik" (im Schleiermacherschen Sinne) ihren Ort im System der Wissenschaften. In seiner Rezension der „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums", in denen Schelling eine philosophische Enzyklopädie der Wissenschaften skizziert, fühlte Schleiermacher sich mit diesem insoweit einig, daß, „wenn Herr Schelling nur erst die Moral construiren, und das mit der theoretischen und praktischen Philosophie in Ordnung bringen wollte, alsdann auch die Lücken in dem System der Erkenntnisse sich ausfüllen lassen würden. Und wollte nicht die Stellung der Vernunft als Centrum der Natur, und die Rücksicht auf den Allen eingebornen Erdgeist, und noch einiges Andere ohne große Schwierigkeit hierzu führen?" 30 In der systematischen Figur der nur relativen Entgegensetzung und der Indifferenz des Idealen und Realen, wie sie dem Identitätssystem zugrundeliegt, konnte Schleiermacher eine Parallele zu seiner Absicht einer Vereinigung der idealistischen und realistischen Elemente der 29 Schleiermachers
Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Christian Schwarz. Zum Druck vorbereitet von H. Meisner, hg. H. Mulert, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 53 ( 1934), S. 260ff. 30 Briefe 4, S. 590.
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Kantischen Philosophie erkennen, die den Dualismus ebenso wie die Einseitigkeit der von Fichte geforderten Dezision zwischen Idealismus und Materialismus („Dogmatismus") vermeiden sollte. 31 Positiv entwickelte Schleiermacher seine eigenen Auffassungen zunächst in den Vorlesungen zur philosophischen Ethik, die er an der Hallenser Universität - wohin er zum Wintersemester 1804/05 berufen worden war - zweimal (1804/05 und 1805/06) vorgetragen hat. Ein Entwurf, der aufgrund der ersten Vorlesung entstand und unter Schleiermachers Freunden zirkulierte und von ihnen kopiert wurde, hat sich leider nur zum Teil erhalten. 32 Nach einem Brief Gaß' an Schleiermacher vom 13.7.1805 enthielt dieser Entwurf eine ausführliche Darstellung transzendentaler Postulate, in denen die Eigenständigkeit der Schleiermacherschen Position auch gegenüber Schelling deutlich hervortrat: „Die transcendentalen Postulate werden Sie schwerlich abkürzen können, ich dächte eher erweitern, auf allen Fall aber populärer machen müssen, für den mündlichen Vortrag nämlich. Bartholdy bemerkte besonders mit Wohlgefallen Ihre Abweichung von Schelling, dessen erste Vorlesung über das akademische Studium wir dabei zur Hand nahmen, und wünscht daß Sie sich demselben hierin nie mehr nähern möchten. " 33 Worin diese „Abweichung" im einzelnen bestanden haben mag (von einem Gegensatz kann zu diesem Zeitpunkt auch angesichts späterer Äußerungen Schleiermachers wohl nicht die Rede sein), läßt sich nur vermuten, da zu diesem Teil des ethischen Entwurfs von 1804/05 keine Zum Verhältnis Schleiermachers zu Schelling insgesamt vgl. Hermann Süskind: Der Einfluss Schellings auf die Entwicklung von Schleiermachers System. Tübingen 1909. Die Dezision fordert Fichte in seinem „ Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre". Akad. Ausg. I, 4, S. 167ff.;bes. S. 19lff. 32 Es handelt sich um die Tugendlehre von 1804/05; vgl. Schleiermacher: Werke. Auswahl, hg. 0. Braun/J. Bauer. 4 Bde„ Leipzig 1910-1913 (im folgenden als „Werke" mit Bandzahl zitiert), Bd. 2, s. 35-74. 33 Briefe Gaß, S. 25f. 3!
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weiteren Zeugnisse überliefert sind. Von dem „Brouillon zur Ethik" (1805/06) her - entstanden anläßlich der zweiten Ethik-Vorlesung - wird diese Abweichung dadurch bezeichnet, daß Schleiermacher durchgängig auf der Verendlichung der Vernunft als Individualität besteht, d.h.: den Bereich der relativen Entgegensetzung des !dealen und Realen für das Gebiet der objektiv gültigen Erkenntnis nicht verläßt, deren Einheit im Absoluten sich für ihn nur in einer ursprünglichen Anschauung analogisch vergegenwärtigen läßt. 34 Zu seinem Individualitätsprinzip bemerkt Schleiermacher selbst: „Hievon weichen gänzlich ab die gewöhnlichen Formeln der Transcendental-Philosophie, die ein allgemeines objectives Wissen abstrahirt von aller Individualität sezen will, aber auf diese Art nur eine gehaltlose und unbestimmte Form erhalten kann." 35 Für Schelling dagegen ist durch das erste Wissen, das Urwissen der unmittelbaren Identität des !dealen und Realen, „alles andere Wissen im Absoluten und selbst absolut" und kann mittelbar oder unmittelbar auf das „Urwissen" bezogen werden.36 Diese Möglichkeit einer vermittelten Beziehung des Endlichen aufs Absolute bestreitet Schleiermacher, für den man die ursprüngliche Anschauung „nicht in einen Satz zusammenfassen" kann; d.h. das Absolute läßt sich nicht unter einer Form (des Urteils z.B.) denken, die der Reflexion als vermittelnder Beziehung zugänglich wäre; vielmehr muß man, um die Einheit des relativ Entgegengesetzten zu vergegenwärtigen, „unmittelbar in der Anschauung haften bleiben. " 37 Entsprechend dem Individualitätsprinzip kann es für Schleiermacher keine Prinzipien des Wissens abstrahiert vom wirklichen Wissen, d.h. der objektiv gültigen Erkenntnis des Wirklichen in seiner Endlichkeit und je individuellen Besonderheit geben. Wenn diese Prinzipien also, seiner erklärten Absicht gemäß, als ein oberstes Wissen, ein WisVgl. Werke 2 (Anm. 32), S. 82, 96. Ebd., S. 175. 3 6 Schelling: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums. WW 1, 5, S. 216. 37 Werke 2 (Anm. 32), S. 82. 34 35
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sen des Wissens, den Zusammenhang der besonderen Wissenschaften und insbesondere der Ethik und Physik aufzeigen sollen, dann muß sich dieser Zusammenhang aus den besonderen Wissenschaften heraus entwickeln lassen und in ihnen bewähren. In diesem Sinne bestimmt Schleiermacher in seiner Vorlesung 1805/06 die Ethik als „die ganze eine Seite der Philosophie. Alles erscheint in ihr als Produciren, wie in der Naturwissenschaft als Product. Jede muß etwas anders aus der andern als positiv aufnehmen [ ... ] Sonach theilt sich alles reale Wissen in diese beiden Seiten. " 38 Von Seiten der Ethik ergibt sich die systematische Beziehung zur Naturwissenschaft daraus, daß ihr Gegenstand, das Handeln, „als Vermö~en Natur" 39 und das Subjekt des Handelns „Naturwesen" 0 ist. Der in der Ethik als Geschichtswissenschaft thematisierte Prozeß ist die „Beseelung der menschlichen Natur durch die Vernunft" als „Aufhebung der Irrationalität zwischen Natur und Vernunft" durch das „Bilden der Natur zum Organ und Gebrauch des Organs zum Handeln der Vernunft." 41 Von Seiten der Naturwissenschaft oder Naturphilosophie liegt der systematische Bezug zur Ethik darin, „daß die Natur überall für die Vernunft gebraucht werde, und daß alles, was in der Vernunft an sich liegt, auch durch die Natur der endlichen Vernunft zu Bewußtsein komme. Die Möglichkeit dieses liegt in der durch die Naturphilosophie aufgezeigten Harmonie der menschlichen Natur mit der allgemeinen"; die Natur selbst ist „ein vollkommenes Organ der Vernunft". 42 Schleiermachers Systematik des Wissens setzt, indem sie der Naturwissenschaft ihren Ort zuweist und sie der Ethik parallelisiert, eine bestimmte Auffassung der Natur voraus. Die Auffassung der Natur, auf die er sich stützt, findet er am meisten vorgebildet in der Naturphilosophie Schellingscher Prägung, mit der er von vornherein darin übereinkommt, Natur weder bloß als Objekt der Erkenntnis, tote 38 Ebd.,
S. S. 40 Ebd., S. 4! Ebd., S. 4 2 Ebd., S. 39 Ebd.,
79f. 80. 90. 87, 89f. 96, 99.
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Grundlage des an ihr bestimmenden Denkens und Handelns, zu begreifen, noch sie als Gegenstand, der durch die Vernunft allererst konstituiert wird, vorzustellen. Vielmehr hat alles Handeln und Denkeneine organische (d.h. Natur-) Basis und Seite; ebenso ist die Natur nicht das Andere zur Vernunft, sondern in ihr selbst vernunftgemäß strukturiert, weshalb sie von der menschlichen Vernunft als der eines Naturwesens angeeignet und beherrscht werden kann. 43 Bereits in der Rezension von Schellings „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" hatte Schleiermacher Anfang 1804 geurteilt, Schellings Naturphilosophie führte musterhaft das Verhältnis des Spekulativen zum empirisch-Realen vor und gebe die Mittel, die Ethik zu konstruieren und in der Durchführung dieser Konstruktion das System zu vervollständigen. 44 In den Vorlesungen zur philosophischen Ethik, die er in Halle hielt, verwirklichte er dieses Programm im Anschluß an und im Austausch mit Henrich Steffens. Die Vorlesungen beider bildeten für die Hörer ein Ganzes und Schleiermacher nahm Anteil an der Ausarbeitung von Steffens' „Grundzügen der philosophischen Naturwissenschaft", in denen sich Steffens wiederum zu Schleiermacher bekennt. 45 Den Hörern seiner Dialektik43
Ebd., S. 92, 103. - Die Rekonstruktion der Schleiermacherschen Naturauffassung hat bereits Wilhelm Dilthey als Desiderat angemahnt: „Es ist unmöglich, das System Schleiermachers darzustellen, ohne dabei von der Naturphilosophie [ ... ] auszugehen." (Leben Schleiermachers, 2 Bde., hg. M. Redeker, Berlin 1966, Bd. 2, 1, S. 451); seine eigene Skizze blieb Fragment (ebd. 451-460). Vgl. jetzt auch Ueli Hasler: Beherrschte Natur. Die Anpassung der Theologie an die bürgerliche Naturauffassung im 19. Jahrhundert. Bern/ Frankfurt a. M. 1982. 44 Vgl. Briefe 4, S. 587ff. 45 Henrich Steffens: Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft. Berlin 1806, S. XXII; zur Anteilnahme an dem Entstehen dieses Werkes vgl. Briefe 4, S. 105ff. Zum Verhältnis Schleiermachers und Steffens' in Halle vgl. Karl August Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens. Bd. 2, Berlin 1871, S. 334, wo es über Steffens' Vorlesungen heißt, sie zeigten „ihren höchsten Werth erst dann, wenn man sie mit den Schleiermacher'schen gleichsam in ein Ganzes verflacht [. . . ] und beide Männer in den Hauptsachen einverstanden und zusammenstimmend, sahen sich gern in diese Ge-
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Vorles:mg 1811 empfahl Schleiermacher die „Grundzüge" als die seinen Ansichten am meisten entsprechende Darstellung46 ; er selbst konnte als Vertreter der Naturphilosophie gelten und mit Schelling zusammen genannt werden. 47 Tatsächlich räumt Schleiermacher in der Berliner EthikVorlesung 1807 /08 der Naturphilosophie eine systematische Schlüsselstellung ein, wenn er das Verhältnis der parallelisierenden Ethik und Physik zur „ersten Philosophie" so beschreibt, daß die „reine Philosophie" als „Gegengewicht des Realen gegen den vorigen leeren Idealismus" jetzt „als Naturphilosophie herrscht". 48 Er fügt hinzu, daß über „die Grundsätze der reinen Philosophie [ ... ] alle einig sind". Die Übereinstimmung dieser Ausführungen mit seiner Rezension von Schellings „Vorlesungen" ist auffällig. Zugleich wird ein Problem erkennbar, das durch die erwähnte „Abweichung" Schleiermachers von Schelling (und Steffens) entsteht und den Einsatz der Dialektik bezeichnet. Für Schelling ist das Wissen mittelbar oder unmittelbar Wissen des Absoluten und selbst absolut; die Identität des Idealen und Realen, der Natur und Geschichte ist daher in deren Indifferenz als absolutes Wissen vollendet und insofern sind beide Seiten in ihrer Entgegensetzung gegeneinander gleichgültig. Anders bei Schleiermacher. Für ihn kann kein Wissen als absolutes Wissen gelten, da das Absolute der Reflexion des endlichen, individuellen Bewußtseins nicht zugänglich ist. Unter der Bedingung dieser Beschränkung des Wissens auf das Nicht-absolute, das Endliche, kann ihm die Indifferenz der Natur und der Vernunft meinschaft gestellt, welche für die näheren und vertrauteren ihrer Jünger in aller Kraft wirklich bestand, so daß die Theologen auch Steffens :.örten, und die Naturbeflissenen sich Schleiermacher'n anschlossen." 46 Twesten: Vorrede. In: Friedrich Schleiermachers Grundriß der philosophischen Ethik. Berlin 1841, S. XCVII. 47 Heinrici: Twesten, a.a.O. (Anm. 5), S. 142f.; 205. 48 Vgl. Andreas Arndt: Schleiermachers Philosophie im Kontext idealistischer Systemprogramme. In: Archivio di Filosofia LII, 1984, 1-3, S. 108ff.; dort finden sich Auszüge aus einer Nachschrift der Ethik-Vorlesung 1807/08.
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nur eine werdende sein; ihre Parallelität ist nicht vorab durch ein absolutes Wissen gesichert. Der Titel einer „Kunstlehre", unter dem die Dialektik von Schleiermacher seit 1811 vorgetragen wird (mit im einzelnen wechselnden Bezeichnungen), soll diesen Prozeßcharakter eines nicht-absoluten Wissens zum Ausdruck bringen. Ihr fällt die Aufgabe zu, die auf der Ebene der Ethik und Physik nur zu behauptende Parallelität und Gleichgewichtigkeit beider Seiten der Philosophie spekulativ zu begründen und darzustellen.
3. Zur Entwicklung der Dialektik-Konzeption seit 1811 Schleiermachers Selbsteinschätzung, er habe mit der ersten Vorlesung schon den Grund zu einer ziemlich klaren Darstellung seiner Dialektik gelegt, findet darin eine Bestätigung, daß die Gliederung der Vorlesung seit 1811 im großen und ganzen feststeht und nicht mehr verändert wird. Auf einen einleitenden Teil, der den Begriff und die Aufgabe der Dialektik vorläufig bestimmt und den Anknüpfungspunkt für den Fortgang der Untersuchung sichert, folgt ein zumeist so genannter „transzendentaler Teil". Dieser hat die Aufgabe, das Verhältnis des Denkens zum Wissen und der grundlegenden Formen beider zum Sein zu bestimmen. Schleiermacher gebraucht „transzendental" und „transzendent" gewöhnlich synonym. Tatsächlich treffen für die Erörterungen des transzendentalen Teils der „Dialektik" beide Bedeutungen zu, sofern in ihnen die relativen Gegensätze des Idealen und Realen im Denken imd Sein auf ihre Einheit in einem transzendenten Grund zurückgeführt werden, dieser aber gemäß der Kantischen Restriktion der Erkenntnis als Idee (Gottes und der Welt) gefaßt wird, die nicht begrifflich zu erfassen, sondern nur rein anzuschauen und analogisch zu repräsentieren ist. Die Einheit als Grund des Wissens realisiert sich im Zusammenhang des Wissens einerseits, des in ihm gewußten Seins andererseits, sowie in der wechselseitigen Verschränkung dieser relativ entgegengesetzten Seiten nur annäherungsweise in einer
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zur völligen Indifferenz/Identität gelangenden Bewegung als werdende. Von dorther ist es die Aufgabe des dritten Teils der Dialektik - des technischen oder formalen Teils - das Wissen als Werdendes unter der Voraussetzung der im transzendentalen Teil erörterten Bedingungen darzustellen. Die Formen des Denkens als Wissen, deren Beziehung zum Sein als Gewußtem durch die transzendentale Untersuchung gesichert ist, werden hier im Blick auf ihre Konstruktion thematisiert. Abweichend von der traditionellen Behandlung der logischen Formen läßt Schleiermacher der Behandlung der Begriffs- und Urteilsbildung keine Lehre vom Schluß folgen; der Schluß gilt ihm nur als eine abgeleitete Form des Urteils ohne eigenständigen Wert. 49 Stattdessen folgt die Lehre von der Kombination. Diese bezeichnet das Ineinander und das Sich-Ergänzen induktiver bzw. heuristischer sowie deduktiver bzw. architektonischer Verfahren. Unter den transzendentalen Voraussetzungen müssen sich beide Verfahren als unzureichend erweisen. Weder kann der Aufweis des Allgemeinen aus dem Einzelnen zum Abschluß gebracht noch umgekehrt die Deduktion des Einzelnen aus dem Allgemeinen zwingend vollzogen werden. Als unvollendete ergänzen sich beide Verfahren wechselseitig, um in ihrer Kombination eine Totalität darzustel-
49 Vgl.
Dia!. J, S. 268. Schleiermachers Interpretation richtet sich gegen die spekulative Überhöhung des Schlusses als Identität des Begriffs und Urteils, wie sie sich als Konsequenz des identitätsphilosophischen Programms Schellings ergab; sie geht insofern auf Kant und die ältere Tradition der formalen Logik zurück, als dieser den Schluß als Ableitung von Urteilen auseinander definiert (KdrV, B 360; Logik ed. Jäsche, §§ 50, 332). Im übrigen ist festzuhalten, daß sich diese Auffassung, wie Schleiermachers Dialektik insgesamt, nicht speziell gegen Hegels „Wissenschaft der Logik" richtet (zuerst Nürnberg 1812 - Objektive Logik-, 1813 - Subjektive Logik - und 1816 Lehre vom Begriff). Nach dem maßgebenden Dialektik-Entwurf von 1814/15, im Sommer 1815, hatte Schleiermacher die bis dahin erschienenen Teile der Logik nach seinem eigenen Bekunden „nicht angesehen". Vgl. Schleiermachers Brief an Twesten vom 5.7.1815, in: Heinrici: Twesten, a.a.O. (Anm. 5), S. 264.
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len, deren Zusammenhang provisorisch bleibt und nicht zum begrifflichen Abschluß gelangt. Mit dieser Gliederung ist aber der Rahmen erst abgesteckt, innerhalb dessen das systematische Problem der Dialektik näher bestimmt werden muß. Die Dialektik hat, so zeigte der Problemaufriß der Schleiermacherschen Philosophie, die Aufgabe, die Einheit der Ethik und Physik als der beiden obersten realen Wissenschaften zu begründen. Natur und Vernunft, Reales und Ideales sind in ihnen beiden so miteinander verwoben, daß die Physik von der Natur ausgehend deren Handeln auf die Vernunft, die Ethik von der Vernunft ausgehend deren Handeln auf die Natur darstellt. Die Parallelität beider Wissenschaften ebenso wie das Ineinanderverwobensein beider in jeder einzelnen durch das Mitgesetztsein des jeweils anderen Faktors - der Natur in der Ethik, der Vernunft in der Physik - führt aber nicht auf eine Identität bzw. Indifferenz innerhalb der je besonderen Wissenschaften, wo die Ethik in Physik umschlägt und umgekehrt. Unter der Voraussetzung des lndividualitätsprinzips soll vielmehr die Einheit so gedacht werden, daß sie die unaufhebbare Differenz einschließt und nicht tilgt. Aus dieser Problemlage ergeben sich sowohl die spezifische Aufgabe und der Begriff der Dialektik bei Schleiermacher als auch die Stellung seines Systems zu denen der zeitgenössischen idealistischen Systembildner, namentlich Fichtes, Schellings und Hegels. Die Dialektik thematisiert dasjenige Denken, das auf dem Wege ist, ein Wissen zu werden; sie tritt als Kunstlehre des Zustandebringens eines Wissens, nicht aber als dieses Wissen selbst auf. Unter der Voraussetzung der in der Endlichkeit der Individualität begründeten unaufhebbaren Differenz im Wissen selbst, sowie der durchgängigen Parallelität von Natur und Vernunft als Mitgesetztsein des jeweils anderen Faktors, kann die endliche Vernunft ihre Endlichkeit nicht ins Absolute übersteigen, um in ihr, als einer absoluten Idee oder Idee des Absoluten, den Grund der Einheit zu finden, der die Natur sowohl als auch die endlich-menschliche Vernunft übergreift. Ein Idealismus im strengen Sinne ist für Schleier-
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macher undenkbar, sei es in der Fichteschen Fassung der Transzendentalphilosophie als subjekttheoretische Konstituierung der Objektivität aus dem Selbstbewußtsein, sei es in der identitätsphilosophischen Fassung Schellings und Hegels in der Jenaer Zeit bis 1803 als Transzendierung endlicher Subjektivität im Denken zur absoluten SubjektObjektivität. so Auf der anderen Seite ist für Schleiermacher ein Materialismus genauso unmöglich, da er ihm - im wörtlichen Sinne - eine bloße „ Umkehrung" absoluter Subjektivität in absolute Objektivität wäre. Die Dialektik Friedrich Schleiermachers soll beiden Extremen zu ihrem Recht verhelfen: sowohl dem Idealismus als auch dem Materialismus. Sie versucht dies, indem sie die Entgegensetzung selbst - statt als ausschließende Alternative - als Ausdruck eines höchsten Gegensatzes im Endlichen interpretiert. Die entgegengesetzten Extreme sind so zu nur relativ entgegengesetzten Faktoren herabgesetzt. Der Grund ihres Zusammenbestehens in dem Mitgesetztsein des Gegensatzes ist die absolute Identität eines transzendentalen Grundes, der unter der Form einer dem begreifenden Denken nicht zugänglichen Idee als ohne Gegensatz vorgestellt wird. Man begreift, daß in dieser Zurückführung der Entgegensetzung des Idealen und Realen auf einen absoluten Grund nach dem Vorgang der Überwindung des cartesischen Dualismus von res cogitans und res extensa durch Spinozas Interpretation beider nicht als Substanzen, sondern als Attribute einer Substanz, Schleiermachers spekulative Philosophie in den Geruch des Spinozismus kommen konnte. Man begreift aber auch, weshalb sich Schleiermacher zu Unrecht als Spinozist bezeichnet sah. Spinozas Gedanke einer deduktiv nachvollziehbaren V erendlichung einer unendlichen Seinsmacht rührt an die Voraussetzung der bloß analogischen Repräsentanz des Absoluten im endlichen Bewußtsein. so Speziell zum Verhältnis Idealismus-Materialismus und deren Formen vgl. unteµ Beilage l, Nr. 55 sowie die 25. Stunde der Vorlesung 1811; vgl. auch ebd. Nr. 15 ff. Zur Problematik insgesamt siehe meinen in Anm. 48 genannten Aufsatz.
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Der als nur relativ zu erkennende und zu überwindende Gegensatz von Materialismus und Idealismus kommt in einer Serie von Oppositionen zum Ausdruck, die Schleiermacher kritisch aufnimmt, um ihre wechselseitige Bedingtheit aufzuzeigen: Reales und Ideales, Rezeptivität und Spontaneität, organische und intellektuelle Funktion usw. Sie sind in dem Sinne identisch, daß die eine Seite mit der anderen zugleich, aber keine ausschließlich gesetzt ist; eine ist immer überwiegend. Damit soll die Aufhebung der besonderen, lebendigen Individualität in die Einheit eines abstrakten Allgemeinen vermieden werden. Für die Dialektik als Kunstlehre, die es mit dem wissenwollenden Denken oder dem werdenden Wissen zu tun hat, ist der systematische Ort der Einheit der (relativen) Gegensätze an der unaufhebbar besonderen Individualität eines denkenden Subjekts zu problematisieren, das in dem Prozeß der Konstruktion des Wissens begriffen ist. Da ihm das Wissen nicht unmittelbar gegeben ist und keine Aufhebung seiner Besonderheit in ein allgemeines, absolutes Wissen stattfinden kann, ist es prinzipiell unvollendet und setzt zu seiner Erweiterung das Wollen des Wissens voraus. Die Einheit des Wissens und Wollens und ihr Ineinanderübergehen ist phänomenologisch der Ort, an dem sich die Einheit der relativen Gegensätze ebenso wie ihre unaufhebbare Differenz für eine Theorie des Wissens mi,tß aufweisen lassen können, die als eine Theorie endlicher Subjektivität konzipiert ist. Es dürfte nicht verfehlt sein, in der Lösung dieser Problematik, an der sich Schleiermacher und seine Interpreten gleichermaßen abmühten und abmühen, den Springpunkt seiner Dialektik zu erblicken. Das Problem wird dadurch verschärft, daß Schleiermacher - ebenso wie gegen die die Individualität vertilgende Vergottung des Allgemeinen gegen die Erhebung der endlichen Individualität zum Grund der Welt aus subjektiver Willkür polemisiert und sie vielmehr objektiv binden will, ohne sie jedoch ins Allgemeine aufzuheben. Dieses komplexe Verhältnis der Nichtidentität eines apriorischen Individuellen gegenüber dem Allgemeinen und seiner Identität als Zusammenbestehen mit anderen
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Individualitäten kann aber in seinem letzten Grund auch nicht begrifflich erfaßt werden, da sich der Grund der Einheit als das Absolute nicht begreifen läßt, ohne ein absolutes Wissen anzunehmen. Er kann also auch vom einzelnen Individuum aus nicht als ein Wissen gedacht werden, sondern ist an ein anderes Vermögen gebunden, in dem er dem Subjekt inne wird: die Anschauung oder das Gefühl. Sieht man von Präzisierungen im formalen Teil vor allem zwischen der ersten und zweiten Vorlesung sowie dem ausdrücklichen Beziehen der Einleitung auf die Identität des Denkens und Sprechens in deren letzter, für den Druck bestimmten Fassung einmal ab, so ist es dieses systematische Kernstück, das in den verschiedenen Bearbeitungsstufen der Dialektik die größten Veränderungen erfahren hat. Die Dialektik 1811 bestimmt in Übereinstimmung mit der Hallenser Vorlesung zur philosophischen Ethik 1805/06 und der zweiten Auflage der „Reden über die Religion" von 1806 Anschauung und Gefühl als zwei Vermögen einer Potenz, in denen das Individuum seiner selbst als ein individuelles Allgemeines inne wird. 51 Die Anschauung vermittelt die Individualität mit dem Allgemeinen durch die Erfahrung der Totalität, deren subjektives Innewerden auf Seiten des Gefühls fällt. In dieser Konzeption ist aber das Problem vorerst nur auf die Ebene verlagert, inwiefern Anschauung und Gefühl als Vermögen einer Potenz eine Einheit bilden. In der Vorlesung 1814/15 steht für die Funktionen der Anschauung und des Gefühls nur noch das Gefühl, das aber, dem jeweiligen überwiegen der Totalität bzw. Individualität in beiden Funktionen entsprechend, als „Bestandtheil unseres Selbstbewußtseins sowol als unseres äußeren Bewußtseins" bezeichnet wird und somit nur die vorherigen zwei Vermögen unter einen Begriff subsumiert. 52 Die Einheit beider im Gefühl läßt jedoch eine Trennung von Selbstbewußtsein und äußerem Bewußtsein nicht zu; im Handeln als dem des sich selbst bewußt werdenden Individuums müssen sie zu51 52
Vgl. unten Dialektik 1811, 27. Stunde. Dial. J, S. 152.
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sammengehen, d. h. in der Identität des Denkens und Wollens als Voraussetzung solchen Handelns ineinander übergehen. Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung seines theologisch-dogmatischen Hauptwerks „Der christliche Glaube", dessen erste Fassung 1821/22 erschien, faßte Schleiermacher beide Funktionen des Gefühls in dem Begriff eines unmittelbaren Selbstbewußtseins zusammen. 53 Die philosophische Explikation dieser Konzeption, die für die weiteren Fassungen der Dialektik maßgeblich geblieben ist, erfolgte in der Dialektik-Vorlesung von 1822. Das unmittelbare Selbstbewußtsein (= Gefühl) ist vom reflektierten Selbstbewußtsein (= Ich) zu unterscheiden. Der Reflexion zugänglich ist „nur die Identität des Subjekts in der Differenz der Momente" 54 , nicht aber der Grund dieser Einheit als Analogon des transzendentalen Grundes. Das unmittelbare Selbstbewußtsein als dieses Analogon ist verortet in der Einheit des Denkens und Wollens. Das Denken bezeichnet das Gesetztsein der Dinge in uns auf unsere, d. h. eine je individuell-besondere Weise; das Wollen das Gesetztsein unseres Seins in die Dinge auf unsere Weise. Die Identität von Denken und Wollen steht also für das Zusammengehen der ursprünglich unter Gefühl und Anschauung gefaßten Funktionen im Handeln. Was im Selbstbewußtsein identisch ist, tritt im „Leben als Reihe" in der Zeit auseinander. Im Nullpunkt des aufhörenden Denkens und anfangenden Wollens bleibt unser Sein als das Setzende übrig. Dies ist das unmittelbare Selbstbewußtsein, das, als gefühlter Grund der Reflexion, in jedem Moment des Wissens und Wollens anwesend sein muß. Diese kontinuierliche Anwesenheit des Gefühls als Selbstbewußtsein unterscheidet es von der Empfindung als einer momentanen Affektion des Subjekts. 55 53 Vgl.
Schleiermacher: Der christliche Glaube, 1. Auflage, Bd. 1., KGA I, 7, 1, S. 31 ff. - Dazu siehe auch das Blatt aus den Vorarbeiten zur Glaubenslehre in KGA I, 7, 3, S. 65 7. 54 Dia!. 0, S. 288. 55 Ebd., S. 288f.
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Das Selbstbewußtsein als Gefühl bezeichnet eine Grenze der Reflexion nicht nur im Blick auf das Vermögen des Subjekts, sondern auch objektiv im Blick auf das, was in ihm als Analogie des transzendentalen Grundes repräsentiert wird. Entsprechend den Fassungen der Theorie des Selbstbewußtseins werden in den verschiedenen Entwürfen auch die Aussagen über den transzendentalen Grund, die Ideen Gottes und der Welt, modifiziert. In der Dialektik 1811 unterscheidet Schleiermacher die Idee Gottes von der der Welt dadurch, daß die Idee Gottes als transzendent und absolut unter der Form der Identität vorgestellt wird, während die Idee der Welt die Grenze unseres Wissens bezeichnet, deren gegensätzliche Elemente in ihr als Einheit vorgestellt werden. Als endlich ist sie zugleich als in sich gegensätzlich bestimmt und kann daher ebensosehr als Totalität relativer Einheiten aufgefaßt werden. Indem sie die Beschränkung der möglichen Handlungsräume und des Wissens der Individualitäten auf die Erde signalisiert, ist sie als Einheit selbst endlich-beschränkt, d. h. auch als Idee nur ein Analogon der Idee Gottes als des absoluten und transzendenten Grundes. 56 1814/ 15 bestimmt Schleiermacher die Idee der Gottheit als Grund und Prinzip der Möglichkeit des Wissens und die Idee der Welt als Ziel und Prinzip der Wirklichkeit des Wissens in seinem Werden. 57 Beide sind nicht identisch, aber insofern Correlata, als sie auf eigene Weise transzendental sind. Die Idee der Welt steht hier für die Vielheit, während die Idee Gottes die Einheit repräsentiert. Indem sie sich als transzendentale Ideen ergänzen, wird in ihnen gleichsam noch einmal das Problem der Einheit des in sich Entgegengesetzten transzendental verdoppelt. 1822 kehrt Schleiermacher tendenziell zu der Position von 1811 zurück. Er bestimmt nun die Idee Gottes als „Einheit mit Ausschluß aller Gegensätze" und die Idee der Welt als dynamische Einheit „mit Einschluß aller Gegensätze"; beide Ideen müs-
56Vgl. Dialektik 1811, 24. sowie 27. und 28. Stunde. 57 Vgl. Dia!. J, S. 164, § 222; vgl. ebd. S. 162~166.
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sen zusammen gesetzt werden, ohne daß man zu emem „positiven Ausdruck" kommen könne. 58 So bleiben der transzendentale Grund und sein Analogon im unmittelbaren Selbstbewußtsein jenseits der Reflexion. Die Dialektik, die sich im Spannungsfeld dieser beiden Pole bewegt, weist an ihnen eine Grenze auf, die der Aufhebung der Philosophie in die Wissenschaft entgegensteht. Wo es kein Wissen des Absoluten gibt, ist auch das Wissen nicht absolut, sondern endlich. In diesem Sinne knüpft die Dialektik an die Forderung des jungen Schleiermacher an, es werde „nun einmal über die Grenze der Philosophie gesprochen werden müssen" und Raum gewonnen werden „jenseits der Philosophie für die Mystik. " 59 Diese Grenze erlaubt es Schleiermacher, den Übergang zwischen Philosophie und Theologie offenzuhalten, ohne sie als sich wechselseitig begründend zu denken oder das Gefühl als unmittelbares Selbstbewußtsein im Sinne der Dialektik mit dem religiösen Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit zu identifizieren. Ausdrücklich auf der Grundlage seiner Dialektik bestimmt Schleiermacher 1818 in einem Brief an F. H. J aco bi Religion und Philosophie als getrennte, aber einander nicht widersprechende Pole des Geistes, zwischen denen dieser oszilliere; während die Dogmatik als wissenschaftliche Auslegung des religiösen Gefühls der Philosophie die Form verdanke, führe die Philosophie dadurch an die Religion heran, „daß wir einen realen Begriff des höchsten Wesens gar nicht aufstellen können, daß aber alle eigentliche Philosophie nur in der Einsicht bestehe, daß diese unaussprechliche Wahrheit des höchsten Wesens allem unsern Denken und Empfinden zum Grunde liege; und die Entwicklung dieser Einsicht ist eben das, was meiner Überzeugung nach Platon sich unter der Dialektik dachte. " 60
58 Dial.
0, S. 303.
an E. v. Willich, Juni 1801. In: Briefe 1, S. 282. Martin Cordes: Der Brief Schleiermachers an J acobi. Ein Beitrag zu seiner Entstehung und Überlieferung. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 68, 1971, S. 210. 59 Schleiermacher
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4. Zur Wirkungsgeschichte der Dialektik Das problematische Verhältnis von Theologie und Philosophie tritt auch in der Wirkungsgeschichte der Schleiermacherschen Dialektik hervor. Sie wurde zumeist im Blick auf seine Dogmatik zur Erhellung der ihr mutmaßlich zugrundeliegenden spekulativen Prinzipien gelesen und weniger als Dokument einer originalen philosophischen Position zur Kenntnis genommen. Bis in die Gegenwart sind Interpretation und Kritik der Dialektik vorwiegend Sache der Theologie geblieben. 61 Dazu hat nicht wenig der Umstand beigetragen, daß Schleiermacher die Grundlegung seines philosophischen Systems nur auf dem Katheder vortrug und es für seine Zeitgenossen in dem erwähnten „Halbdunkel"62 bloß der mündlichen Mitteilung und der Übermittlung vom Hörensagen in Briefen und zirkulierenden Vorlesungsnachschriften beließ. Nimmt man die Hörerzahlen zum Maßstab - auch im Vergleich mit der anspruchsvollen Konkurrenz etwa Hegels63 - so kann die unmittelbare Wirkung der DialektikVorlesungen Schleiermachers nicht gering gewesen sein. Wenn Schleiermacher, nach J onas' Bericht 64 , diese Disziplin vor allem für „Weisheit suchende Jünglinge" vortrug, so dürfte der Lehrerfolg auch als Indiz dafür gelten, daß die Vorlesungen ihren unmittelbaren Zweck erfüllten. In der wissenschaftlichen Konkurrenz jedoch, den philosophischen Auseinandersetzungen seiner Zeit, blieb Schleiermachers Dialektik eine weithin unbekannte Größe. Die neueren Monographien von Wehrung, Wagner, Reuter und Barth sind als theologische Arbeiten entstanden; eine Ausnahme bildet lediglich die Studie von Kliebisch (vgl. die Auswahlbibliographie am Ende der Einleitung). 6 2 Vgl. oben Anm. 16. 6 3 Vgl. die von Hoffmeister mitgeteilten Zahlen in: G. W. F. Hegel: Berliner Schriften 1818-1831. Hamburg 1956, S. 745ff. Im Sommer 1822 las Hegel Logik und Metaphysik vor 74, Schleiermacher Dialektik vor 118 Hörern; in den entsprechenden Vorlesungen des Sommers 1828 hatte Hegel 128, Schleiermacher 129 Zuhörer. 64 Dial.J, S. IX. 61
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Dabei hatte Schleiermacher, trotz seiner erklärten Abneigung gegen jede Art von Schulbildung in der Philosophie65, auch jüngere Philosophen angezogen und beeinflußt - wenn auch nicht als „Schüler" im herkömmlichen Sinne der Übernahme einer bestimmten Lehre - denen aber die Möglichkeit fehlte, ihre Positionen unter Beziehung auf systematischen Schriften Schleiermachers zu entwickeln und darzustellen. Einer der bekanntesten von ihnen, der Philosophiehistoriker Heinrich Ritter, der die DialektikVorlesung 1814/15 gehört hatte, schrieb 1840 in seiner Rezension der J onasschen Dialektik-Ausgabe: „Als er [der Referent, d.h. Ritter] nachher Logik, wesentlich dieselbe Wissenschaft, welche hier Dialectik heißt, zu lesen anfing, wie viel würde er darum gegeben haben, wenn er dabei ein ähnliches Buch, wie das vorliegende, hätte benutzen können! [ ... ] Jetzt ist nun das damahls so sehr ersehnte Werk erschienen, wenn auch in einer mangelhaften Gestalt. Die Sehnsucht des Ref. aber hat natürlich seit jener Zeit nachgelassen. Er hat sich seinen eigenen Weg weiter vorwärts brechen müssen. Was vor 25 Jahren ihm eine bedeutende Hülfe hätte seyn können, kann jetzt ihm dergleichen nicht gewähren. " 66 Unter solchen Voraussetzungen konnte Schleiermachers Dialektik zunächst nur untergründig und auf dem Wege osmotischer Beziehungen wirken. Im Rückblick hat Friedrich Ueberweg, der sich mit seinem Ideal-Realismus selbst der Schleiermacherschen Philosophie und namentlich der Dialektik ausdrücklich angeschlossen hatte, eine Schleiermachersche „Schule" in der Geschichte der Logik erkannt, zu der er neben Ritter und Vorländer aufgrund inhaltlicher übereinstimmungen auch Trendelenburg, Beneke und Latze rechnet. 67 Ihm selbst bezeichnet die Dialektik in syVgl. seine Antrittsrede in der philosophischen Klasse der Akademie, in: SW 3, 3, S. 4. 66 H. Ritter: [Rezension Dial. J], in: Göttingische gelehrte Anzeigen. 1840, S. 1249f. 67 Fr. Ueberweg: System der Logik und Geschichte der logischen Lehren. Bonn 3 1868, §§ 33 und 34 sowie das Vorwort zur ersten Auflage, S. III f. 65
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stematischer Hinsicht „die Mitte zwischen der subjectivistisch-formalen und der metaphysischen Logik", d.h. der Kantischen Schule einerseits, der Hegelschen andererseits, „und steht im Einklang mit der logischen Grundansicht des Aristoteles. " 68 Die von Ueberweg vorgenommene Einordnung Trendelenburgs ist nicht ohne Pikanterie, gehörte er doch mit seinen „Logischen Untersuchungen" (1840) zu den wirkungsmächtigsten Wortführern der Hegel-Kritik des 19.Jahrhunderts. Ließe sie sich im Sinne eines mittelbaren Einflusses Schleiermachers auf Trendelenburg erhärten, so hätte Schleiermacher auf diesem indirekten Wege seinem wissenschaftspolitischen und wissenschaftlichen Kontrahenten Hegel im nachhinein ernsthaft und erfolgreich Konkurrenz gemacht. Tatsächlich lassen sich hierfür Belege anführen; so ist auch ein persönlicher Umgang Trendelenburgs mit Schleiermacher für die Zeit nachweisbar, als dieser an der Druckfassung der Dialektik arbeitete. 69 Mit der Grundansicht der Dialektik konnte er aber bereits vorher bekannt geworden sein. Einer von Trendelenburgs akademischen Lehrern war August Twesten, der Nachfolger Schleiermachers auf dem theologischen Lehrstuhl der Berliner Universität und vorher Professor der Theologie und Philosophie an der Universität Kiel war. 70 Twesten hatte 1811 die erste Dialektik-Vorlesung Schleiermachers gehört; 1825 veröffentlichte er eine „Logik", in der er insbesondere die Analytik darstellte, zugleich aber die Notwendigkeit einer spekulativen, „höheren" Logik betonte und in diesem Zusammenhang ausdrücklich anmerkte: „Eine solche höhere Logik würde Schleiermachers Dialektik seyn, in Ansehung deren 68 Ebd., Vorrede zur ersten Auflage, S. III. 69Unter dem 11.5.1833 notierte Schleiermacher Arbeit an der Dialektik sowie einen Besuch Trendelenburgs (Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentrales Archiv, Nachlaß Schleiermacher 453). 70Neben einer Nachschrift zum Johannesevangelium (Nr. 7) ist von der Hand Trendelenburgs im Twesten-Nachlaß (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin) unter der Nr. 34 eine Nachschrift zur Religionsphilosophie Twestens vom Sommer 1823 erhalten.
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mir der gewiß von vielen getheilte Wunsch gestattet sey, daß sie uns nicht zu lange vorenthalten werden möge! " 71 Die besondere Wertschätzung der Dialektik unter den Schülern Trendelenburgs schließlich - von denen Ueberweg und Dilthey als die prominentesten namhaft zu machen sind - unterstützt die Vermutung, es gebe neben der inhaltlichen Wahlverwandtschaft 72 auch einen von Twesten vermittelten Einfluß Schleiermachers auf Trendelenburg. Auch in dieser Wirkungsgeschichte auf dem Gebiet der Logik (die im einzelnen erst noch zu erschließen ist) wird das philosophische Feld sichtbar, auf dem sich die Rezeption des Schleiermacherschen Systementwurfs vollzog: die Philosophie des klassischen deutschen Idealismus und besonders Hegels. Hegel selbst hatte die Glaubenslehre Schleiermachers einer vernichtenden und polemischen Kritik unterzogen ;73 diese Kritik des religiösen Standpunktes bekräftigte der Hegel-Schüler Michelet 1838 auch für den philosophischen Standpunkt der Dialektik. 74 A. C. Ch. Twesten: Die Logik, insbesondere die Analytik. Schleswig 1825, S. XXXIX. 72 Vgl. Ueberweg: System, a.a.O. (Anm. 67), S. III. In der Kritik Trendelenburgs an der Verselbständigung des Logischen bei Hegel, der er das in der Anschauung und Erfahrung gegebene Außerlogische als Korrelat nachweist, will J. Schmidt (Hegels Wissenschaft der Logik und ihre Kritik durch Adolf Trendelenburg. München 1977, S. 61) einen Einfluß Schellings erkennen; genauso gut könnte dieser Gedanke von Schleiermacher stammen. 73 Vgl. G. W. F. Hegel: Vorrede zu Hinrichs' Religionsphilosophie (1822). In: Werke. Hg. Moldenhauer/Michel. Bd. 11, Frankfurt a.M. 1970, S. 42ff.; bes. S. 58f. Dazu auch R. Crouter: Hegel und Schleiermacher at Berlin. A Many Sided Debate. In: Journal of the American Academy of Religion 48 (1980), S. 19-43; W. Jaeschke: Paralipomena Hegeliana zur Wirkungsgeschichte Schleiermachers. In: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984. Hg. K.-V. Seige. Bd. 2. Berlin/New York 1985, S. 1157-1169. 74 C. L. Michelet: Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel. Bd. 2. Berlin 1838, S. 96: „Die Dialektik befindet sich bei Schleiermacher in der ganz eigenthümlichen Klemme, daß, indem sie ein Versuch ist, das höchste Wissen aufzustellen, sie zugleich selbst weiß, daß dieser Versuch nicht schon das höchste Wissen selber ist. Diese Bescheidenheit ist, der Beschaffenheit des Vorgetragenen nach, zwar sehr zu loben; doch hätte diese 71
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Das Erscheinen der Jonasschen Dialektik-Ausgabe 1839 ermöglichte es, dieses Urteil an den Texten Schleiermachers zu überprüfen. In seiner Rezension kam J. Schaller wie Michelet zu dem Ergebnis, daß sich Schleiermacher notwendig in Widersprüche verstricke, indem er sowohl den transzendentalen Grund als auch dessen Analogon im Gefühl als unmittelbarem Selbstbewußtsein der Reflexion entziehe. Da der Inhalt dieses Selbstbewußtseins nicht etwas bloß Subjektives sein solle, es als Gefühl aber nur etwas Subjektives sein könne, so sei in Wahrheit der Anspruch der (reflektierenden) Vernunft über die behauptete Grenze hinaus - „die Besonderheit der Subjectivität, in welcher das Gefühl zur Erscheinung kommt, reißt das Ansichsein des Absoluten in die Endlichkeit des Selbstgefühls hinein, macht das reine ungetrübte Licht zu einem farbigen, in welchem jenes wohl erscheint, aber sich nicht als gegensatzlose Allgemeinheit auf sich selbst bezieht. " 75 Wenige Wochen nach Schallers Rezension erschien in derselben Zeitschrift, den „Hallischen Jahrbüchern", von Ludwig Feuerbach der Aufsatz „Zur Kritik der Hegelschen Philosophie" 76 , mit dem er den Übergang auf die Positionen der materialistischen Religionskritik im „Wesen des Christentums" (1841) einleitete. In der Hegelschen Philosophie kritisierte er später alle bisherige Philosophie als eine Form des religiösen Bewußtseins, das in Gott bzw. dem Absoluten nur das entfremdete Wesen des Menschen diesem gegenüberstelle. Feuerbach - für kurze Zeit selbst Hörer Schleiermachers 77 - knüpfte dabei an Schleiermachers Religionsbegriff an, indem er die von Hegel und den Tugend dann auch so weit gehen sollen, einen solchen mislungenen Versuch lieber ganz bleiben zu lassen." Michelet urteilt aufgrund seiner Mitschriften, vor allem der Einleitung zur philosophischen Ethik; die Dialektik hatte er weder gehört noch hatte er sich eine Mitschrift verschaffen können (vgl. 95 f.). 75 J. Schaller: (Rezension Dial.J],in: Hallische und Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst 2 (1839), Sp. 1472. 76 L. Feuerbach: Zur Kritik der Hegelschen Philosophie, in: Hallische Jahrbücher 2 (1839), Sp. 1657 ff. 77 Vgl. L. Feuerbach: Briefwechsel. Bd. 1. Bearb. W. Schuffenhauer/E. Voigt. Berlin (DDR) 1984, S. 101, 401, 406.
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Hegelianern behauptete und kritisierte Konsequenz affirmierte, darin werde das Absolute zu einem Subjektiven gemacht: „Ich tadle Schleiermacher nicht deswegen, wie Hegel, daß er die Religion zu einer Gefühlssache machte, sondern nur deswegen, [ ... ] daß er nicht den Mut hatte, einzusehen und einzugestehen, daß objektiv Gott selbst nichts andres ist als das Wesen des Gefühls, wenn subjektiv das Gefühl die Hauptsache der Religion ist. Ich bin in dieser Beziehung so wenig gegen Schleiermacher, daß er vielmehr eine wesentliche Stütze, die tatsächliche Bestätigung meiner aus der Natur des Gefühls gefolgerten Behauptungen ist. " 78 In der veränderten philosophischen Diskussionssituation durch die Spaltung und Auflösung der Hegelschen Schule, in der die Berechtigung der spekulativen Philosophie überhaupt auf dem Spiel stand, mußte Schleiermachers Systemversuch zwangsläufig in die Nähe der zu seiner Zeit noch konkurrierenden Systeme der idealistischen Philosophie rücken. Wichtiger als der Vorwurf mangelnder philosophischer Originalität, den z.B. Schaller, Schmidt und Weiße in ihren Rezensionen der Dialektik erhoben 79 , wurde dabei die versuchte Ausgleichung des Gegensatzes zwischen Hegel und Schleiermacher. Daran waren die unterschiedlichsten Richtungen des Spätidealismus beteiligt. J. Schallers „Vorlesungen über Schleiermacher" (1844) versuchten - wie bereits seine Rezension der Dialektik - deren Widersprüche als aufgehoben im Hegelschen System darzustellen, d. h. faktisch: Schleiermacher gegen Feuerbach zum Kronzeugen für die Wahrheit des Idealismus zu erheben. Mit diesem Interesse kam das des spekulativen Theismus aus dem Umkreis Immanuel Hermann Fichtes überein; Christian Hermann Weiße in seiner Rezension von 1840 und Georg Weissenborn in seinen „Vorlesungen zu SchleierFeuerbach: Zur Beurteilung der Schrift ,Das Wesen des Christentums'. In: (ders.:) Gesammelte Werke. Hg. W. Schuffenhauer. Bd. 9. Berlin (DDR) 1970, S. 230. 7 9 Vgl. dazu die Auswahlbibliographie am Schluß der Einleitung. 78 L.
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machers Dialektik" (184 7) betonten das Gemeinsame der Hegelschen und Schleiermacherschen Systementwürfe in ihren religionsphilosophischen Absichten; Weissenborn unternahm es, wie Schaller, Hegels Idee der Methode mit Schleiermachers Idee Gottes zu vermitteln und versöhnte beide im spekulativen Theismus. Leopold George schließlich, der sich als Schüler Schleiermachers bekennt, versuchte von dieser Seite aus, Hegels Wissenschaft der Logik und Schleiermachers Dialektik als in ihrer wechselseitigen Kritik sich zu einem dritten philosophischen Standpunkt ergänzend darzustellen, der die Wahrheit beider bilde. 80 Während im Ergebnis der materialistischen Interpretation und Inanspruchnahme Schleiermachers durch Feuerbach mit der Kritik an der bisherigen Philosophie auch seiner Dialektik der Boden entzogen wurde, akzentuierte die spätidealistische Reaktion auf diesen Vorgang einseitig die spekulativen Momente der Dialektik im Blick auf ihre religiösen Gehalte. In der Philosophie selbst konnte sie auf diesem Wege aber keine Wirkung mehr entfalten, sondern geriet mit den Epigonen der klassischen idealistischen Philosophie weitgehend in Vergessenheit. Versuche, Schleiermachers Dialektik von ihrer spekulativen Seite her einfach wiederzubeleben, mußten wirkungslos bleiben, wie z.B. Leos Paraphrase der Dialektik in seiner Jenaer Dissertation ( 1868 ) 81 oder Brodbecks Versuch einer „Einleitung in die Philosophie. Mit Zugrundelegung von Schleiermachers Dialektik" (1881). Spätestens seit Lipsius' „Studien über Schleiermachers Dialektik" (1869) wurde die Dialektik vor allem von der Theologie zum Gegenstand der Forschung und Interpretation gemacht. Dies gilt z.B. auch für die im 20.Jahrhundert entstandenen Monographien zur Dialektik von G. Wehrung, F. Wagner, R. Reuter und U. Barth. Im Gegensatz zu der spätidealistischen Interpretation der Dialektik, die sie überwiegend von ihrer spekulativen Leopold George: Princip und Methode der Philosophie mit besonderer Rücksicht auf Hegel und Schleiermacher. Berlin 1842. 81 P. Leo: Schleiermacher's philosophische Grundanschauung. 80
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Seite her betrachtet hatte, erkannte bereits Heinrich Ritter bei aller (zum Teil schon 1839 formulierten) geradezu vernichtenden Kritik an Schleiermacher das weitertreibende Moment seiner Systematik in der intendierten Verbindung von Spekulation und Empirie und machte dies für seine philosophiehistorischen Arbeiten fruchtbar. 82 In dieser gleichsam untergründigen Wirkung spielte aber die Beschäftigung mit der Dialektik selbst keine Rolle. Auch dort, wo Schleiermacher im Gefolge Trendelenburgs ausdrücklich als Philosoph ernstgenommen wurde und am deutlichsten nachwirkte, bei Dilthey und im Umkreis seiner Lebensphilosophie, fand die Dialektik erstaunlich wenig Resonanz. An sichtbaren Dokumenten einer Beschäftigung mit ihr ist vor allem die mißglückte Dialektik-Ausgabe des Dilthey-Schülers Halpern zu nennen; Dilthey selbst hinterließ zwar eine aus seinem Nachlaß erst 1966 gedruckte, vom Umfang her einer Mo11ographie gleichkommende Abhandlung über die Dialektik, die aber über ein Referat kaum hinausgelangt. 83 Gleichwohl muß diese Abhandlung als Summe einer lebenslangen Beschäftigung mit der Dialektik ernstgenommen werden, von deren Mühen auch der Briefwechsel Diltheys mit Yorck von Wartenburg unterrichtet. Noch 1897 galt Dilthey die Dialektik als ein in ihrem Kern unverstandenes Buch. 84 Sein offenkundig gescheiterter Versuch, Schleiermachers Dialektik für die systematische Untermauerung eines an die Kantische Erkenntniskritik positiv anknüpfenden objektiven Idealismus in Anspruch zu nehmen, 85 verhinderte aber nicht, daß (auf dem Umweg 82
Vgl. dazu G. Scholtz: Zur Darstellung der griechischen Philosophie bei den Schülern Hegels und Schleiermachers. In: Philologie und Hermeneutik im 19. Jahrhundert. Hg. H. Flashar u.a. Göttingen
1979,
s.
83 W.
1,
289 ff. Dilthey: Leben Schleiermachers, a.a.O. (Anm. 43), Bd. 2,
s. 67-227.
Vgl. Dilthey/Yorck von Wartenburg: Briefwechsel 1877-1897. Halle 1923, S. 246ff. (Brief Diltheys von August/September 1897). 85 Zu Diltheys Rezeption der Schleiermacherschen Dialektik vgl. G. Scholtz: Schleiermachers Dialektik und Diltheys erkenntnistheoretische Logik. In: Dilthey-Jahrbuch 2. Göttingen 1984, S. l 7lff. 84
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über die mit dem „Leben Schleiermachers" (1870) eingeleitete Rezeption des frühen, „romantischen" Schleiermacher) der gegen eine verselbständigte Spekulation gerichtete Grundzug auch der Dialektik und insbesondere der Individualitätsgedanke eine nachhaltige Wirkung ausüben konnte. Schleiermacher wurde als einer der geistigen Ahnen des Historismus erkannt und anerkannt. 86 Im Umkreis solcher Aktualisierungen Schleiermachers entstanden auch eine Reihe historisch-kritischer Untersuchungen zur Dialektik, wobei unter den älteren noch immer auf die materialreiche Studie von B. Weiß besonders hinzuweisen ist. 87 Seit der Auseinandersetzung Diltheys mit Schleiermacher als „Klassiker" der Hermeneutik, die in den fünfziger Jahren im Gefolge Heideggers und Gadamers aufgenommen und fortgeführt wurde, bestimmt jedoch die Hermeneutik das philosophische Interesse an Schleiermacher; die Dialektik dagegen hat von der dadurch ausgelösten Konjunktur Schleiermachers in der Philosophie bisher nicht entsprechend profitiert. Trotz Kimmerles V ersuch, die Hermeneutik in den Zusammenhang des vor allem durch die Dialektik bezeichneten spekulativen Denkens zu stellen,88 sowie einer Reihe von Spezialstudien, konnte die Dialektik noch 19 5 8 zutreffend als „ wartendes Buch" 89 charakterisiert werden. Seither ist ein allmählich verstärktes Interesse an dem grundlegenden philosophischen Werk Schleiermachers zu beobachten. Neben immanent interpretierenden Untersu86 Vgl.
Friedrich Meinecke: Zur Entstehungsgeschichte des Historismus und des Schleiermacherschen Individualitätsgedankens. In: (ders.:) Werke. Bd. 4. Stuttgart 1959, S. 34lff. 87 B. Weiß: Untersuchungen über Friedrich Schleiermacher's Dialektik. in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 73 (1878), S. 1-31 und Anhang, S. 1-43; 74 (1879), S. 30-93; 75 (1879), s. 250-280; 76 (1880), s. 63-84. 88 H. Kimmerle: Die Hermeneutik Schleiermachers im Zusammenhang seines spekulativen Denkens. Phil. Diss. Heidelberg 1957 (masch.). 89 H.-J. Rothert: Die Dialektik Friedrich Schleiermachers. Überlegungen zu einem noch immer wartenden Buch. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 67 (1970), S. 183ff.
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chungen aus dem traditionellen Interesse philosophischer Theologie und Religionsphilosophie, ergaben sich auch Ansätze zu einer neuen Aktualisierung im Kontext kommunikationstheoretischer Überlegungen (Udo Kliebisch), strukturalistischer Ansätze (Manfred Frank) sowie einer an der Differenzphilosophie Derridas anknüpfenden „Philosophie des Wir" (Heinz Kimmerle). 90 Schließlich ist anzumerken, daß neuerdings die marxistische Philosophiegeschichtsschreibung der DDR die originäre Stellung der Schleiermacherschen Philosophie zwischen Frühromantik und Hegelianismus betont und sich dabei in Ansätzen auch der Dialektik zugewandt hat. 91 Eine eigene Erwähnung verdient eine Wirkung der Schleiermacherschen Dialektik über den philosophischtheologischen Bereich hinaus. In einer eingehenden Studie hat A. Lewis einen Einfluß Schleiermachers auf den Mathematiker Hermann Grassmann nachweisen können, der seine 1844 in erster Auflage erschienene „Ausdehnungslehre" an die Gestalt der Dialektik angelehnt hatte. 92 Die Einkleidung 90
U. Kliebisch: Transzendentalphilosophie als Kommunikationstheorie. Eine Interpretation der Dialektik Friedrich Schleiermachers vor dem Hintergrund der Erkenntnistheorie Karl-Otto Apels. Bochum 1980. - M. Frank: Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher. Frankfurt a.M. 1977. - H. Kimmerle: Schleiermachers Dialektik als Grundlegung theologisch-philosophischer Systematik und als Ausgangspunkt offener Wechselseitigkeit. In: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984. Hg. K.-V. Seige. Bd. 1. Berlin/New York 1985. S. 39-59. 91 G. Irrlitz: Friedrich Schleiermacher, der Universitätsmann und Philosoph. In: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984. Hg. K.-V. Seige. Bd. 2. Berlin/New York 1985, S. 1121-1144. H. Schuffenhauer: Schleiermacher. In: Philosophenlexikon. Hg. E. Lange/D. Alexander. Berlin (DDR) 1982, S. 829-832. - Jan Rachold: Einleitung. In: Schleiermacher. Philosophische Schriften. Berlin (DDR) 1984. - J. Rachold: Zwischen Kant und Hegel. Schleiermachers Konzept der Vermittlung von praktischer und theoretischer Philosophie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Archivio di Filosofia LII (1984), 1-3, S. 35ff. - In allen Arbeiten tritt aber das Interesse an der Dialektik noch zurück hinter dem an den Frühschriften und der philosophischen Ethik. 9 2 A. C. Lewis: H. Grassmann's 1844 ,Ausdehnungslehre' and
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der mathematischen Probleme in deren schwerverständliche philosophische Terminologie verhinderte freilich zunächst die Wirkung der „Ausdehnungslehre", so daß sich Grassmann später zu einer Umarbeitung entschloß. überblickt man die Wirkungsgeschichte der Schleiermacherschen Dialektik und mit ihr die seines philosophischen Systementwurfs, so zeichnet sich eine merkwürdige Paradoxie ab. In ihrer Inanspruchnahme durch den Materialismus Feuerbachs nicht weniger als in ihrer untergründigen Wirkung in der logischen Hegel-Kritik des 19. Jahrhunderts sowie in der historischen Schule und im Historismus provozierte sie Wirkungen, die mit den Grundlagen der klassischen idealistischen Philosophie zugleich ihre eigenen unterminierten. Denn sie ist auf demselben Boden wie diese entstanden und in ihm verwurzelt. Die schon vielfach festgestellten inneren Widersprüche seines Systementwurfs scheinen der Preis dafür zu sein, daß Schleiermacher versuchte, auf diesem Feld und mit dem auf ihm vorhandenen Mitteln den spekulativen Konsequenzen sowohl eines absoluten Wissens, als auch des Subjektivismus einer Begründung des objektiven Wissens durch endliche Subjektivität zu entgehen. Das Bedeutende an diesen Widersprüchen scheint darin zu liegen, daß sie auch einen Widerspruch gegen die spekulativen Systeme des deutschen Idealismus anzeigen - einen Widerspruch freilich, vorgetragen von „innen", auf der Grundlage gemeinsamer Positionen. Deren Feld überschreitet Schleiermachers Dialektik nicht, aber sie schreitet es - widersprechend und widersprüchlich - aus und treibt so über es hinaus. Ihre größte Wirkung entfaltet sie dort, wo diese Widersprüche benutzt werden, um die Grundlage, auf der sie entstehen, zu kritisieren. Von dorther wäre, vor aller aktualisierenden systematischen Schleiermacher's ,Dialektik'. In: Annals of Science 34 (1977), S. 103ff. - Hermann Grassmann: Gesammelte Mathematische und physikalische Werke. Hg. F. Engel. Bd. 1,1. Leipzig 1894. Darin S. 1-319: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehungslehre, eine neue mathematische Disciplin dargestellt und durch Anwendungen erläutert. ErsterTheil, die lineare Ausdehnungslehre enthaltend [zuerst Leipzig 1844].
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Interpretation, eine historische Aufarbeitung der Schleiermacherschen Dialektik im Feld des deutschen Idealismus vonnöten.
II. Die Überlieferung der Dialektik 1. Die Vorlesungen über Dialektik
Schleiermacher las insgesamt sechsmal über Dialektik; seine Vorlesungen wurden ausnahmslos in der philosophischen Fakultät gehalten. Die Variationen der Ankündigungen in den Lektionskatalogen der Berliner Universität sind aufschlußreich für Schleiermachers theoretisches Selbstverständnis; der folgenden Übersicht sind die Hörerzahlen, soweit sie ermittelt werden konnten, beigegeben. 93
Dialecticen s. artis philosophandi principiorum summam tradet dieb. Lun., Mart., Merc. h. V-VI." „Die Dialectik, das heißt den Umfang der Principien der Kunst zu philosophiren, lehrt Herr Schleiermacher, Mitglied der Akademie der Wissenschaften." 63 Hörer 1814/15 „F. SCHLEIERMACHER, Dr. Dialecticen docebit quinquies per hebd. h. V-VI. vespert." „Dialektik Herr Schleiermacher Mitglied der König!. Akademie der Wissenschaften, fünfmal wöchentlich von 5-6 Uhr Abends." Hörerzahl nicht bekannt 94 1818/19 „F. SCHLEIERMACHER, Dr. Dialecticen docebit quater in hebd. h. V-VI." 1811
93
„FR. SCHLEIERMACHER
Vgl. Max Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin. 4 Bde. Halle 1910, Bd. 1, S. 356; Bd. 2,1, S. 208. - Vgl. ferner die Anm. 63 zitierte Übersicht bei Hoffmeister. 94 Das Zustandekommen der Vorlesung selbst steht außer Zweifel durch das Heft Schleiermachers und das Zeugnis A. Ritters (vgl. Anm. 66).
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1822
1828
1831
Andreas Arndt „Die Dialektik Hr. Prof. Schleiermacher, Mitgl. Akad. d. W. 4mal wöchentlich von 5-6 Uhr." 96 Hörer „F. SCHLEIERMACHER, Dr. Dialecticen docebit quinquies p. hebd. hor. VI-VII. matutina." „Die Grundzüge der Dialektik, Herr Prof. Schleiermacher fünfmal des Morgens um 6 Uhr." 118 Hörer „F. SCHLEIERMACHER, Dr. Privatim Dialecticen docebit h. VI-VII. matut. quinquies p. hebd." „Die Grundsätze der Dialektik, Hr. Dr. Schleiermacher, Mitgl. d. Akad. d. Wissensch. in fünf Stunden wöchentl. v. 6-7 Uhr Morgens." 129 Hörer „F. SCHLEIERMACHER' Dr. Privatim principia dialectices tradet quinquies p. hebd. h. VII-VIII." „Die Grundsätze der Dialektik, Hr. Dr. Schleiermacher, Mitgl. d. K. Akad. d. Wiss., fünfmal wöchentl. v. 7-8 Uhr." 148 Hörer
2. Die Handschriften zur Dialektik Ludwig Jonas, dem Schleiermacher seinen wissenschaftlichen Nachlaß anvertraut hatte, und der 1839 die Dialektik im Rahmen der Sämmtlichen Werke herausgab, beschreibt in dem Vorwort seiner Ausgabe die von ihm vorgefundenen Manuskripte zur Dialektik. 95 Knapp 40 Jahre später, 1878, veröffentlichte Bruno Weiß die Ergebnisse seiner Revision des Nachlasses, aus dem er weitere Manuskripte Dia!. J, S. Vllf.;Jonas erwähnt auch die von Weiß erstmals vollständig edierten Vorarbeiten zur späten Fassung der Einleitung, nicht dagegen das unten unter Nr. 4 beschriebene Heft. Jonas zählt das Heft von 1814 nicht, dagegen die anderen Materialien in chronologischer Folge als Beilagen A-F. 95
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zur Dialektik herausgab. 96 Sie befinden sich heute im Schleiermacher-Nachlaß im Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin. 1) 36 Zettel verschiedenen Formats mit Notizen zur 12.49. Vorlesungsstunde 1811 (AdW der DDR, SN 101; veröffentlicht Dial. J, S. 315-361 als Beilage A). 2) Ein Heft, bestehend aus 140 S. 4°. Auf dem Umschlag von Schleiermacher betitelt: „Dialektik 1814". Darunter die Zusätze: „angefangen d. 24t. Oct. 1814 /geendigt d 18t. März. 1815. / 1818 angefangen d. 19t. Oct. / geendet d. / 1822, angefangen d. 15. April in5 Stunden/ wöchentlich". Das Heft ist in 229 Leitsätze der Einleitung und des ersten (transz-:ndentalen), sowie in 116 Leitsätze des zweiten (technischen) Teils gegliedert, wobei im zweiten Teil irrtümlich zwei verschiedene Leitsätze mit der Nr. 102 bezeichnet wurden. Auf diese Leitsätze bezieht sich Schleiermacher in Querverweisen und den Notizen aus anderen Jahren der DialektikVorlesungen als Paragraphen. Zusätzlich sind die Vorlesungsstunden am Rand von 1 bis 71 mit römischen Ziffern bezeichnet. Von § 86 des ersten Teils an treten zu den Leitsätzen Erläuterungen in kleinerer Schrift, die in der Theorie der Urteilsbildung im zweiten Teil von § 82 an wegfallen, obwohl der von Schleiermacher zwischen den Leitsätzen gelassene Leerraum anzeigt, daß auch hier Erläuterungen vorgesehen waren. Am Rande des Heftes finden sich Bemerkungen, die nach den Feststellungen von Weiß und Odebrecht wahrscheinlich größtenteils zu den Vorlesungen von 1818/19 und 1828 gehören. 97 Jonas hat das Heft zum grundlegenden Text seiner Edition gemacht und in 346 fortlaufenden Paragraphen abdrucken lassen, wobei er mit den Randbe96 Beilage
G und H der Dialektik von Friedrich Schleiermacher. Zur Ergänzung der Jonas'schen Ausgabe aus Schleiermacher's handschriftlichem Nachlasse hg. v. Bruno Weiß. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 73 (18 78), Anhang, S. 1-43. 9 7Vgl. Weiß: Untersuchungen, a.a.O. (Anm. 87), 1. Teil (1878), S. 14ff.; Dia!. 0., S. XXVIII f.
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merkungen uneinheitlich verfuhr und sie teils als Bestandteil des Textes, teils als Fußnoten darbot (AdW der DDR, SN 102; Dial.J, S. 1-312). 3) 15 Zettel verschiedenen Formats zur Vorlesung von 1818/19 (AdW der DDR, SN 104; abgedruckt Dia!. J, S. 362-369 als Beilage B). 98 4) Ein Heft, 15 BI. 4°. Auf dem Umschlag von Schleiermacher betitelt: „Zur Dialektik / 1814." Es enthält auf 23 beschriebenen Seiten insgesamt 171 Notizen zur Dialektik, größtenteils in aphoristischer Form. Viele sind dünn durchgestrichen, wie es Schleiermacher als Erledigungsvermerk auch in analogen Gedanken-Heften zu tun pflegte. Die ersten zehn Nummern beziehen sich durch die Überschrift und den Verweis auf den Paragraphen des unter 2) beschriebenen Heftes auf die Vorlesung 1814/15. Mindestens die folgenden beiden Nummern gehören aufgrund einer Zwischenüberschrift zur Vorlesung 1818/19. Die Zugehörigkeit der folgenden Aphorismen ist nicht auf entsprechende Weise gesichert; inhaltliche Gründe, die durch archivalische Beobachtungen gestützt werden, machen eine Datierung auf 1811 wahrscheinlich. 99 (AdW der DDR, SN 103; veröffentlicht von Weiß - siehe Anm. 96 - S. 1-18 als Beilage G). 5) Ein Heft, 35 BI. 4° (AdW der DDR, SN 105). Es enthält eine Niederschrift der (römisch numerierten) 1. bis 59. Vorlesungsstunde 1822, die fortlaufend auf die Paragraphen des unter 2) beschriebenen Heftes der Vorlesung 1814/15 Bezug nimmt (veröffentlicht Dia!. J, S. 370-441 als Beilage C; Dia!. 0, S. 48-337 als Noten zu dem aus Vorlesungsnachschriften konstituierten Text). Randbemerkungen zu den Aufzeichnungen der Vorlesung 1 822, ebenfalls numeriert von der 1. bis zur 59. Stunde, gehören zu der Vorlesung 1828 (veröffentlicht Dia!. J, S. 441-4 7 9 als Beilage D). - Nach dem Eintrag „Soweit war ich 1831 gekommen in 61 Stunden", der auf die 59. Stunde 1822 bzw. 1828 folgt, schließen sich 98 Diese Zettel beziehen sich auf das Heft von 1814 (Nr. 2). 99Vgl. III, 3 dieser Einleitung.
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in dem Heft die Paragraphen 62 bis 82 der Vorlesung 1831 an (veröffentlicht Dial. J, S. 542-567 als Schluß der Beilage E). 6) 31 Zettel verschiedenen Formats mit Aufzeichnungen zur 7. bis 61. Stunde der Vorlesung 1831 (AdW der DDR, SN 108; veröffentlicht Dial. J, S. 482-542 als Anfang der Beilage E). 7) 10 BI. 4° mit einem zusammenhängenden Entwurf der späten „Einleitung" (AdW der DDR, SN 106/1; zum Teil veröffentlicht von Weiß - siehe Anm. 96 - S. 2240 als Beilage Hd; vgl. Dial. J, S. 604-609 sowie Dial. 0, S. 3 7-44 und 4 71-480). Die Reinschrift der Einleitung selbst umfaßt 16 BI. 4° (AdW der DDR, SN 106/2); abgedruckt Dial. J, S. 5 68-604 als Beilage F; vgl. Dial. 0, s. 5-37). 8) 7 BI. verschiedenen Formats mit Vorarbeiten zu den unter 7. beschriebenen Fassungen der späten Einleitung mit 5 Texteinheiten (AdW der DDR, SN 107; veröffentlicht von Weiß - siehe Anm. 96 - S. 18-43 als Beilage Ha, Hb, He, He, Hf. Vgl. Dia!. 0, S. 3; 470-484 sowie Dial. J, S. 609f.). Nach den Feststellungen von Weiß und Odebrecht sind Ha, Hb und He als Vorarbeiten zu dem ersten zusammenhängenden Entwurf der Einleitung, He und Hf dagegen als Vorarbeiten für die Reinschrift anzusehen. 100 Untersuchungen, a.a.O. (Anm. 87), 1. Teil (1878), S. 25ff.; Dial 0„ S. 467ff. Die „Einleitung" wird gewöhnlich auf die allerletzte Lebensperiode Schleiermachers, 1833/34, datiert, wobei die oben zitierte Mitteilung von Weiß (vgl. Anm. 19) zum Beleg dient. Tatsächlich spricht Schleiermacher hier nur von einer Änderung seiner Pläne: statt der Form der Dogmatik (Leitsätze und Erläuterungen) will er nun eine kompendienartige Darstellung (wohl bloß der Leitsätze) versuchen. Die späte Fassung der Einleitung weist aber die Gestalt der Dogmatik auf. Nach den N otizheften Schleiermachers begann er die Niederschrift im Frühjahr 1832; am 1.4. notierte er: „Dialektik ins reine angefangen"; am 4.4.: „Dialektik den ersten § beendigt". Mit Beginn des Sommersemesters kommt die Arbeit anscheinend ins Stocken und wird erst im Oktober 1832 wieder aufgenommen (3.10.: „Etwas Dialektik". Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentrales Archiv, Nachlaß Schleiermacher 452). 100 Weiß:
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überblickt man die hier beschriebene Hauptmasse der Handschriften Schleiermachers zur Dialektik (einige wenige Zettel mit Dispositionen zu Vorlesungsstunden späterer Jahrgänge blieben unberücksichtigt 101 ), so ergibt sich folgende Verteilung des Materials auf die Vorlesungen: 1811 Nr. 1 und 4 (teilweise), 1814/15 Nr. 2 und 4 (teilweise), 1818/19 Nr. 2 (Randbemerkungen), 3 und 4 (teilweise), 1822 Nr. 5 (teilweise), 1828 Nr. 2 (Randbemerkungen) und 5 (teilweise), 1831 Nr. 5 (teilweise) und 6. Schon daraus läßt sich erkennen, daß das unter 2) beschriebene Heft 1814/15 bis einschließlich der Vorlesung 1828 der grundlegende Text ist; die Vorlesung 1831 geht, obwohl die Notizen in sich einen eigenständigen, zusammenhängenden Entwurf bilden, durch Verweise auf die Niederschrift von 1822 zumindest indirekt auf das Heft 1814/15 zurück. Die besondere Stellung dieses Manuskripts wird durch eine Reihe weiterer Beobachtungen unterstrichen. Die Vorlesungen von 1818/19 bis 1828 beziehen sich in allen Teilen (und nicht nur den Randbemerkungen) auf die Paragraphen des Heftes 1814/15. Im Unterschied zu den anderen Handschriften Schleiermachers - mit Ausnahme der Reinschrift der späten „Einleitung" - handelt es sich um einen der Anlage nach (als kompendienartige Ausarbeitung) für den Druck bestimmten Text, der zudem als einziger Entwurf den zweiten, technischen Teil wenigstens vollständig skizziert. Offenbar plante Schleiermacher Nimmt man das Datum des Beginns der Reinschrift zusammen mit dem Umfang der überlieferten Reinschrift der „Einleitung", so ist die bisherige Datierung wenig plausibel. Vielmehr dürfte die Einleitung im wesentlichen 1832 entstanden und allenfalls 1833 fortgesetzt worden sein. - Die Manuskripte der Vorarbeiten sind im Schleiermacher-Nachlaß nicht mehr vollständig erhalten, sondern nur Ha. He und He. 10 1 Vgl. z.B. Weiß: Untersuchungen, a.a.O. (Anm. 87), Anhang,
s.
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einen Druck seiner Dialektik zunächst auf der Grundlage des Heftes 1814/15 und sammelte dazu in den Vorlesungsnotizen der folgenden Jahrgänge weiteres Material. Die Aufzeichnungen zu den Vorlesungen 1811und1831 lassen eine solche Absicht nicht erkennen; 1811 entsteht eine erste, zum Teil provisorische Skizze der Dialektik, die noch überwiegend den Charakter der Selbstverständigung trägt; demgegenüber ist der Entwurf von 1831 nur unter der Voraussetzung der voraufgegangenen Vorlesungen zu verstehen, auf die er direkt und indirekt Bezug nimmt und kann schon seinem fragmentarischen und vielfach aphoristischen Charakter nach nicht als neues Grundheft, d. h. als Ersatz für das von 1814/15 gelten. Schleiermachers Manuskripte zur Dialektik werden durch mehrere Vorlesungsnachschriften ergänzt. Die sieben Nachschriften, die J onas zur Verfügung standen (Dial. J, S. X f.), und die er - größtenteils als Noten zum Haupttext - zur Ergänzung und Erläuterung der Schleiermacherschen Manuskripte auszugsweise hat abdrucken lassen, dokumentierten alle Vorlesungen bis auf die von 1814/15, zu der ihm kein Heft zur Verfügung stand. 162 Von diesen sieben Heften haben sich nur zwei im Schleiermacher-Nachlaß erhalten, und zwar die von Zander (1818/19) und Klamroth (1822), die auch Odebrecht vorlagen (AdW der DDR, SN 577 und 579). Nur bei zwei Heften, der Nachschrift des Predigers Schubring (1828} und der des Lic. Erbkam (1831), gibt Jonas den Jahrgang an; die übrigen von ihm erwähnten sind seither nicht mehr zugänglich (sie stammen von George, Pischon und Wigand). Zu den zwei von Jonas benutzten und im Schleiermacher-Nachlaß erhaltenen treten vier Nachschriften, die Odebrecht für seine Edition zur Verfügung standen (Dial. 0, S. XXIX-XXXII). Zwei davon, die von Kropatscheck und Saunier (beide 1822} befinden sich ebenfalls noch im Schleiermacher-Nachlaß (AdW der 102 Es
bleibt ein Rätsel, weshalb Ritter, Mitherausgeber der Sämtlichen Werke Schleiermachers, sein Heft der Vorlesung 1814/15 (vgl. Ritter: [Rezension], a.a.O. (Anm. 66), S. 1249f.) Jonas nicht zur Verfügung stellte.
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DDR, SN 578 und 580/1), die Nachschrift von Szarbinowski ( 1822) befindet sich in der Universitätsbibliothek Göttingen (Cod. M.S. philos. ls.); verlorengegangen ist dagegen die ehemals in der Bonner Universitätsbibliothek befindliche Nachschrift der Vorlesung 1818/19 von Bluhme. Die Ermittlung weiterer Nachschriften im Zuge systematischer Nachforschungen ist nicht auszuschließen; z.Zt. sind mir noch vier weitere bekannt: ( 1) Nachschrift August Twestens zur Vorlesung 1811 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Nachlaß Twesten, Erg. 2, Mappe 2; Kasten 43, Ms. „Die Dialektik"); (2) Nachschrift Gottfried Bernhardy zur Dialektik-Vorlesung 1818/ 19 (Universitätsund Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle, Yg 37 c, 4° 103 ); (3) Nachschrift Eduard Bonnell zur Vorlesung 1822 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, HS 41); ( 4) Nachschrift Carl Rudolf Hagenbach zur Vorlesung i322 (Universitätsbibliothek Basel, Q 1 44). Demnach liegen gegenwärtig mindestens Nachschriften für folgende Vorlesungen vor: 1811(1);1818/19(2);1822 (6).
3. Die bisherigen Ausgaben der Dialektik Ludwig Jonas veröffentlichte seine Ausgabe der Dialektik 1839 im Rahmen der „Sämmtlichen Werke" Schleiermachers im Reimer-Verlag Berlin. Die Dialektik erschien dort als 2. Teilband des 4. Bandes der 3. Abteilung (zur Philosophie) bzw. als „zweiten Bandes zweite Abtheilung" des literarischen Nachlasses zur Philosophie. Der erste Teilband bzw. die „erste Abtheilung" bildet die von Heinrich Ritter herausgegebene „Geschichte der Philosophie". über das Motiv der Verkoppelung beider Bände gibt Jonas in seiner knapp gehaltenen Vorrede einen Hinweis, wenn er schreibt, er habe nichts zur Findung des Urteils zurückgehalten, „was darüber gefällt werden muß, mit welchem Rechte 103Erwähnt in: G. W. F. Hegel: Naturphilosophie. Bd. 1. Die Vorlesung von 1819/20. In Verb. mit K.-H. Iltinghg. v. M. Gies. Napoli 1982, Vorbemerkung des Hg., S. XIV.
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Schleiermacher [ ... ] für einen Spinozisten gehalten wird" und dazu anmerkt: „Die Acten werden spruchreif sein, wenn auch des Verfassers Geschichte der Philosophie vorliegen wird, deren Druck sofort beginnt" (Dial. J, S. IX). Tatsächlich wurde der Druck der offenbar schon 1835 abgeschlossenen Ausgabe Ritters erst begonnen, als J onas die Dialektik fertiggestellt hatte. 104 Die vonJonas angestrebte größtmögliche Vollständigkeit in der Dokumentation der Schleiermacherschen Manuskripte ist von allen Rezensenten anerkannt worden; tatsächlich bietet J onas die Hauptmasse der Handschriften in einer fast immer sehr zuverlässigen Lesung; irreführend sind lediglich die Behandlung der Randbemerkungen im Heft 1814/15 105 sowie die weitgehenden Eingriffe in die Interpunktion; Jonas weist allerdings ausdrücklich darauf hin, daß diese auf seine Rechnung gehen und eine Interpretation darstellen, die von den Lesern in Frage gestellt werden muß (Dial. J, S. XI). J onas' Ausgabe ist keine kritische und erhebt auch nicht diesen Anspruch; durch ihre Vollständigkeit und Zuverlässigkeit im Ganzen hat sie jedoch bis heute ihren Rang als grundlegende Ausgabe der Schleiermacherschen Dialektik behaupten können, die - wohl bis zum Erscheinen einer historisch-kritischen Ausgabe - von anderen Editionen nur ergänzt und nur zum Teil ersetzt werden kann. Dazu hat auch die den Schleiermacherschen Manuskripten angemessene Gestaltung beigetragen; J onas stellt das Heft 1814/15 (s.o. Nr. 2) in den Mittelpunkt und bietet die übrigen Handschriften als „Beilagen" in einem Anhang. Seine Ausgabe trägt daher dem besonderen Charakter dieser Niederschrift Rechnung und erlaubt es gleichzeitig, die Entwicklung der Dialektik zu verfolgen. Daß Jonas' Edition trotz ihrer unbestreitbaren Verdienste vielfach kritisiert wurde, lag hauptsächlich daran, daß sie zwei miteinander nicht zu vereinbarende Ansprüche gleich104 Ritters
Vorwort zu Schleiermachers „Geschichte der Philosophie" (SW III, 4,1, S. 12) ist datiert „Kiel den 28. Sept. 1835". 105 Vgl. Anm. 97.
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zeitig befriedigen wollte: eine wissenschaftlich zuverlässige, vollständige Dokumentation der Schleiermacherschen Handschriften zu bieten und eine Ausgabe „für Weisheit suchende Jünglinge" (Dial.J, S. IX), d.h. zur Einführung in Schleiermachers philosophisches System zu sein. Letzterem Zweck sollen die zahlreichen Zusätze aus Nachschriften dienen, die, zusammen mit den Beilagen, den eigentlichen Grundtext überwuchern und die Benutzung der Ausgabe erschweren; demgegenüber bietet das knappe Vorwort keine einführenden Hinweise und Erläuterungen, so daß Bruno Weiß das Fehlen eines „Twesten der Ethik" beklagte, der der Dialektik zu einer breiteren Wirkung hätte verhelfen können. 106 Weiß selbst unterzog sich dieser Aufgabe nur im Blick auf eine Darstellung der Entstehung und Entwicklung der Dialektik, die, in mehreren Jahrgängen einer Zeitschrift in Fortsetzungen abgedruckt, aber ebenso ein esoterischer Text blieb wie die von ihm erstmals veröffentlichten Manuskripte Schleiermachers, nämlich das oben Nr. 4) beschriebene Heft mit Aphorismen und die Vorarbeiten zur späten Fassung der „Einleitung" in die Dialektik. 107 Den Antrieb zu einer Neuausgabe bildete nicht eine philologische Kritik der Editionen von Jonas und Weiß, sondern die Forderung nach einer weniger schwer zu benutzenden, „lesbareren" Ausgabe. Einen Versuch in dieser Richtung unternahm der Dilthey-Schüler Isidor Halpern, der 1901 mit einer Arbeit über den Entwicklungsgang der Schleiermacherschen Dialektik" 108 hervorgetreten war, die 106 Vgl.
Weiß: Untersuchungen, a.a.O. (Anm. 87), 1. Teil, S. 14: „Sowohl was diese Ausgabe als was die Vorrede anlangt - in Bezug auf beides -, fehlt uns für die Dialektik noch der Twesten der Ethik." Vgl. Friedrich Schleiermachers Grundriß der philosophischen Ethik; mit einleitender Vorrede von D. A. Twesten. Berlin 1841. 107 Vgl. Anm. 87. IOS 1. Halpern: Der Entwicklungsgang der Schleiermacher'schen Dialektik. Eine kritisch-vergleichende Untersuchung. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 14 (N.F. 7) (1901), S. 210ff. - Halpern hatte für diese Arbeit von Dilthey die Schleiermacherschen Manuskripte zur Dialektik erhalten, diese jedoch weder für die Interpretation noch für die Edition in irgendeiner Weise fruchtbar gemacht.
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diesen als Reifungsprozeß eines gleichwohl aufgrund seiner inneren Widersprüchlichkeit nicht zu vollendenden Systementwurfs interpretierte. Aufgrund dieser Interpretation bemängelte Halpern, daß J onas den - angeblich „schwächsten" - Entwurf von 1814 ins Zentrum gestellt habe und nicht den „reifsten" von 1831, den Halpern selbst zur Grundlage nimmt. Da dieser in sich nicht vollständig ist, ergänzte ihn Halpern „kompilatorisch" aus anderen Entwürfen. Sein Verfahren, das einen bei Schleiermacher selbst so nie vorhandenen Text herstellte, beschreibt er so: „Nicht dem kritisch-historischen Zweck wollte ich dienen, sondern dem sachlichen: ohne jegliche heterogene Tendenzen wollte ich eine vollständige, geschlossene Gestalt der Dialektik in ihrer reifsten Ausbildung herstellen. " 109 Es versteht sich, daß diese Ausgabe die Jonassche nicht ersetzen konnte; aber auch ihren sachlichen Zweck konnte sie kaum erreichen, wie ihre geringe Wirkung zeigt. Dies scheint auch daran zu liegen, daß Halpern von der falschen Voraussetzung ausging, es lasse sich eine „geschlossene" Gestalt der Dialektik herstellen, als ob das Unvollendete oder (positiv formuliert:) Offene der Form der Schleiermacherschen Dialektik nichts mit ihren systematischen Voraussetzungen zu tun habe. Das Widersprüchliche und Unfertige des Entwurfs behandelt Halpern als durch eine bloße Redaktion zu lösendes Problem, auch wenn er selbst zugesteht, „dass das System Schleiermachers überhaupt nicht vollkommen ausgebaut werden kann." 110 Diese Einsicht hinderte Halpern daran, einer Empfehlung „von kompetentester Seite" (d.h. wohl: von Seiten Diltheys) zu folgen und „eine freie Rej?roduktion der Dialektik vorzunehmen und als Text zu geben, welchem Stellen aus den Entwürfen als Belege anzuhängen wären." 111 Halperns Ausgabe hat, im Rahmen der 1910-1913 er109 Schleiermachers
Dialektik mit Unterstützung der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften hg. v. I. Halpern. Berlin 1903, Einleitung des Hg„ S. XXXIII. llOEbd. 111Ebd.
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schienenen vierhändigen Werkausgabe Schleiermachers, die Otto Braun und Johannes Bauer herausgaben, einen erheblich gekürzten Wiederabdruck erfahren, den wohl Otto Braun besorgte; im „Vorbericht" wird darauf verwiesen, daß Halpern die grundlegende Auswahl getroffen und auch sonst mit Rat geholfen habe. Zur Rechtfertigung der kompilatorischen Textgestaltung wird auf das Vorwort Halperns zu dessen Ausgabe hingewiesen.11 2 Halperns Edition erschien „mit Unterstützung" der Preußischen Akademie der Wissenschaften; ihre offenkundigen Mängel veranlaßen dieselbe Akademie knapp drei Jahrzehnte später, den Auftrag zu einer Neuausgabe zu erteilen, die Rudolf Odebrecht besorgte und die 1942 erschien.11 3 Auch Odebrecht geht es nicht um eine historisch-kritische Ausgabe im heutigen Sinne; sein Geschäft als Herausgeber sieht er vielmehr so: „Der Herausgeber ist nicht Vollzieher eines philologischen Geschäfts, durch das ein Konvolut von verstaubten Zetteln zur allgemeinen Kenntnis gebracht wird, sondern Vermittler und Neugestalter eines philosophisch bedeutsamen Sprachgeschehens. " 114 Dem liegt - bezogen auf Schleiermacher - die interpretatorische Annahme zu Grunde, „daß das Gespräch das eigentliche Geschehen der Sprache sei und die Dialektik nur in wagemutigem Zupacken des Dialog-Problems gedeihen könne." 115 Dieses „Oszillationszentrum" der Dialektik werde erst mit dem Entwurf von 1822 „souverän". Für die Edition ergeben sich daraus für Odebrecht zwei Konsequenzen. Erstens sei der Entwurf von 1822 zusammen mit der späten Fassung der „Einleitung" in den Mittelpunkt zu stellen; zweitens habe die Dialektik als „Gespräch des Gesprächs" die Hermeneutik nicht nur theoretisch zu ihrem „Gegenpol", sondern sei mit der hermeneutischen Situation des Redens so innig „durchwirkt", daß ihre 112 Werke 3 (Anm. 32), Vorbericht, S. IX f. 113 Friedrich Schleiermachers Dialektik. Im
Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Grund bisher unveröffentlichten Materials hg. v. R. Odebrecht. Leipzig 1942. l 14 Ebd., Einleitung des Hg., S. XXII. 11s Ebd., S. XXI, auch zum folgenden.
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„Verlebendigung" durch eine Rekonstruktion des Vorlesungsgeschehens zu erfolgen habe. Odebrechts Ausgabe will daher „als dokumentarischer Bericht der dialektischen Leistung Schleiermachers gelten, wie sie zur Zeit seines fruchtbarsten Schaffens als lebendiges Geschehen hervorgetreten ist. " 116 Diese Aufgabe soll dadurch gelöst werden, daß die zur Verfügung stehenden Nachschriften der Vorlesung 1822 zu einem Ganzen verschmolzen den Haupttext der Dialektik bilden, dem die späte Fassung der „Einleitung" vorangestellt und Schleiermachers eigenhändige Vorlesungsnotizen von 1822 als Fußnoten beigegeben werden. Odebrecht ist es insgesamt gelungen, einen recht zuverlässigen Text der späten „Einleit•mg" mit ihren Vorstufen sowie der Zettel Schleiermachers zur Vorlesung 1822 zu bieten und dabei die Editionen vonjonas und Weiß in einzelnen Punkten zu korrigieren und - bei Konjekturen - den Bestand des Manuskripts nachzuweisen. 117 Auch ein „lesbarer" Text ist aufgrund der Vorlesungsnachschriften entstanden, der in sich geschlossen ist und dennoch den fortlaufenden Vergleich mit den mitgeteilten handschriftlichen Notizen Schleiermachers ermöglicht. Fragwürdiger als das kompilatorische Verfahren im Umgang mit den Nachschriften sind denn auch die interpretatorischen Vorentscheidungen Odebrechts, die die Gestaltung der Ausgabe insgesamt bestimmen und deren ungeprüfte übernahme den irreführenden Eindruck vermitteln kann, es handle sich um eine kritische Ausgabe.11 8 Tatsächlich setzt sich Odebrecht über den Manuskriptbestand einfach hinweg, indem er die Zettel zur Vorlesung von 1822, die ausdrücklich als Anmerkungen zu den Paragraphen des Heftes von 1814 (oben Nr. 2) niedergeschrieben wurden, als selbständigen Text präsentiert; erst so bekommt auch seine Behauptung Plausibilität, in dem Entwurf von 116 Ebd.,
S. XXVI. ebd. die Fußnoten un.ter dem Text der Vorlesung sowie den Anhang I, S. 467-484. 118 So z.B. Karl Pohl: Studien zur Dialektik Friedrich Schleiermachers. Phil. Diss. Mainz 1954 (masch.), S. 1. 117 Vgl.
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1822 werde die eigentliche Konzeption Schleiermachers souverän. Der Benutzer kann, sofern er nicht die Jonassche Ausgabe hinzunimmt, die Verweise Schleiermachers auf das Heft von 1814 nicht überprüfen und erfährt nichts über die Grundlage der in den Notizen von 1822 nicht weiter kommentierten Abschnitte des technischen Teils, bei denen Schleiermacher offenbar direkt auf den Entwurf von 1814 zurückging. Diese Mängel sind auch nicht dadurch zu rechtfertigen, daß man mit Odebrecht den Vortrag über die Dialektik als das Zentrum des dialektisch-hermeneutischen Geschehens und damit der inhaltlichen Gestaltung der Dialektik selbst begreift, der man daher am ehesten durch die Rekonstruktion der Vorlesung zu einer adäquaten Darstellung ihres Wesens verhelfen könne. Abgesehen davon, daß der Begriff des Gesprächs bei Schleiermacher wohl mehr als nur das Sprechen in idealisierten dialogischen Situationen umfaßt, 119 gingen Schleiermachers Bemühungen schon früh in die Richtung einer selbständigen Darstellung seiner Dialektik im Druck; als erste Grundlage einer solchen Darstellung muß das kompendienartige Heft von 1814 gelten, das durch die Notizen zu den Vorlesungen 1818/19 bis 1828 präzisiert und ergänzt, aber weder in seiner Substanz geändert noch von ihnen ersetzt wird.
III. Zur vorliegenden Ausgabe 1. Zur Gestaltung der Studienausgabe Den doppelten Zweck, den Jonas mit seiner Ausgabe anstrebte, nämlich sowohl eine Einführung in die Philosophie (und speziell die Schleiermachersche) als auch einen vollständigen überblick über die handschriftlichen Materialien 119 Vgl.
dazu schon grundsätzlich F. Wagner: Schleiennachers Dialektik. Eine kritische Interpretation. Gütersloh 1974, S. 31; H.-R. Reuter: Die Einheit der Dialektik Friedrich Schleiermachers. Eine systematische Interpretation. München 1979, S. 22f.
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Schleiermachers zur Dialektik zu ermöglichen, wird sich heute keine Edition mehr setzen können. Zur Dialektik Schleiermachers gibt es heute noch weniger als 1839 einen unmittelbaren Zugang; die Vergegenwärtigung seines philosophischen Systementwurfs setzt die historische Aneignung voraus. Eine solche Aneignung kann über die fragmentarische, unfertige und teilweise widersprüchliche Gestalt, in der Schleiermacher die Dialektik hinterlassen hat, nicht einfach hinweggehen. Wenn auch die Interpretation gut beraten sein dürfte, den inneren Zusammenhang der Dialektik nicht im Sinne der Einheit eines in sich geschlossenen Systems zu lesen, 120 so gilt dies erst recht für die Edition der Handschriften. In dieser Hinsicht ist H. Ritter zuzustimmen, der Jonas' Ansicht kritisiert, „daß die Dialektik Schleiermachers dadurch, daß sie vom Urheber selbst nicht hat vollendet werden können, nur an der künstlerischen Form verloren haben möchte (S. 610). Die Form der Darstellung ist in philosophischen Dingen zu sehr mit dem Inhalte verwachsen, als daß wir die hierbey zum Grunde liegende Unterscheidung zugeben könnten." 121 Im weiteren weist Ritterd.arauf hin, daß die Schwerverständlichkeit, ja zuweilen auch Unverständlichkeit der Schleiermacherschen Notizen zum Teil auf dessen noch nicht abgeschlossenen Selbstverständigungsprozeß beruhe und nicht durch bloß redaktionelle Maßnahmen zu beheben sei. Für eine Neuausgabe der Dialektik folgt aus diesem m. E. zutreffend beschriebenen Sachverhalt, daß sie in erster Linie um eine zuverlässige und vollständige Edition der von Schleiermacher hinterlassenen Texte bemüht sein muß. Dies gilt auch für eine Studienausgabe, die zwar Hilfestellungen zum Verständnis geben kann, aber nicht in den überlieferten Manuskriptbestand eingreifen darf, um den Schein einer in sich gerundeten und „verständlicheren" Darstellung zu erzeugen. Der leichtere Zugang wäre, wie auch die 120 Vgl.
H. Kimmerle: Schleiermachers Dialektik, a.a.O. (Anm. 90). Ritter: [Rezension], a.a.O. (Anm. 66), S. 1250. Die Seitenangabe im Zitat bezieht sich auf die Dial. J. 121 A.
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Ausgaben von Halpern und Odebrecht deutlich machen, durch die Unterstellung fragwürdiger und für den Benutzer an dem ihm vorliegenden Text kaum mehr nachprüfbarer interpretatorischer Vorentscheidungen erkauft. Die historisch-kritische Edition aller überlieferten Manuskripte Schleiermachers zur Dialektik wird Aufgabe der seit 1980 erscheinenden Kritischen Schleiermacher-Gesamtausgabe sein; die Edition der Vorlesungen, der im Rahmen dieser Ausgabe eine gesonderte Abteilung gewidmet wird, ist jedoch erst für eine spätere Arbeitsphase vorgesehen. Von dorther erscheint es gerechtfertigt, dem wachsenden Interesse an Schleiermachers Philosophie insgesamt und auch an der Dialektik durch eine Studienausgabe zu entsprechen, die - im Unterschied zu der auf dem Markt z. Zt. einzig greifbaren Ausgabe von Odebrecht - so weit wie möglich auf Schleiermachers eigenhändige Aufzeichnungen zur Dialektik zurückgeht und dabei versucht, der komplexen überlieferung und den Schichten dieses Werkes gerecht zu werden. Hinsichtlich einer sinnvollen Gliederung und Anordnung der Materialien hatte Georg Wehrung bereits 1920 einen Vorschlag gemacht, der dem überlieferungsbestand weitgehend Rechnung trägt, nämlich den Entwurf von 1811 für sich voranzustellen, dann die Fassungen von 1814-1828 synoptisch nebeneinanderzuordnen und schließlich die Fassung von 1831 wiederum selbständig folgen zu lassen. 122 Wenn auch eine Synopse der Fassungen 1814-1828 schon vom Druck her nicht machbar erscheint, so ist diesem Vorschlag doch darin zu folgen, daß die Entwicklungsstufen kenntlich gemacht werden sollen. Eine vollständige Dokumentation des Entwicklungsganges der Dialektik ist Sache der Kritischen Gesamtausgabe; die vorliegende Studienausgabe beschränkt sich daher darauf, die Darstellung von 1814, die Schleiermacher bis 1828 ausdrücklich und 1831 zumindest im technischen Teil stillschweigend zugrundelegte, sowie deren Vorstufe, den ersten Entwurf von 1811, 122 Vgl.
1920,
s. 6.
G. Wehrung: Die Dialektik Schleiermachers. Tübingen
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zu dokumentieren. Beide Entwürfe werden in gesonderten Bänden veröffentlicht. Der Entwurf von 1811 ist nicht nur als ein erster systematisierender Zugriff von besonderem Interesse, er stellt auch inhaltlich eine eigenständige Fassung dar, die für sich zu studieren ist. Die fragmentarischen Aufzeichnungen Schleiermachers zu dieser Vorlesung konnten durch die Nachschrift Twestens ergänzt werden; hinzu treten die z. T. vorbereitenden Notizen Schleiermachers aus seinem Notizheft zur Dialektik sowie, als erste Ausarbeitung der systematischen Kernsätze für den Druck und zugleich als Übergang zur Darstellung von 1814, die Lehnsätze aus der Dialektik in der Ethik 1812/13. Für den zweiten Band wird das Heft von 1814 ohne die späteren Zusätze und Randbemerkungen zugrundegelegt. Bereits Jonas hatte es mit überzeugenden Gründen ins Zentrum seiner Ausgabe gestellt. Die Darstellung von 1814 bildet die zwar modifizierte, aber niemals vollständig ersetzte Fassung der Dialektik bis 1831, die in diesem Sinne für alle weiteren Vorlesungen als Bezugstext maßgeblich geworden ist. Als auf eine mögliche Drucklegung hin angelegte Darstellung, die zudem die vollständigste Fassung aller Dialektik-Entwürfe bietet, kann sie für sich gestellt und studiert werden. Sie wird ergänzt durch die späte „Einleitung", die, als Beginn der endgültigen Niederschrift der Dialektik für den Druck, die Entwicklung seit 1814 und die dabei erfolgten Änderungen der Konzeption wenigstens im Ansatz deutlich zu machen vermag. Für speziellere Interessen an der Entwicklungsgeschichte wird weiterhin J onas' Edition zu Rate zu ziehen sein (in einzelnen Fällen ergänzt durch die von Odebrecht und Weiß), die durch diese Studienausgabe nicht insgesamt ersetzt werden kann und soll. Hinsichtlich der Textgestaltung ist hier nur soviel zu bemerken, daß ein einfacher Wiederabdruck der Editionen vonjonas bzw. Weiß nicht in Frage kommen konnte; Weiß' Lesungen bedurften im einzelnen vielfacher Korrekturen und J onas räumt selbst ein, durch die Interpunktion interpretierend in die Texte eingegriffen zu haben. Die Texte waren daher an den zugrundeliegenden Handschriften zu
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überprüfen und, soweit wie im Rahmen einer Studienausgabe möglich, deren Bestand mitzuteilen. über Einzelheiten unterrichtet die editorische Notiz am Schluß dieser Einleitung.
2. Die Vorlesung 1811 Schleiermacher las im Sommersemester 1811 dreimal wöchentlich (Mo, Di, Mi von 5-6 Uhr nachmittags) über Dialektik; 11 Vorlesungsstunden von der 16. (10.6.) bis zur 46. (19.8.) hat er auf den Notizzetteln zu seiner Vorlesung datiert, und zwar jeweils die Vorlesung am Wochenanfang. In Schleiermachers Notizkalender für 1811 (AdW der DDR, SN 440) findet sich keine Eintragung zu dieser Vorlesung. Nach dem Berliner Universitäts-Kalender 1812 las Schleiermacher die Dialektik vom 22. April bis 20. August. 123 Das Datum des Vorlesungsschlusses wirft Probleme auf. Da Schleiermacher die 46. Stunde auf den 19.8. datiert hat, seine Zettel aber bis zur 49. Stunde reichen, trifft entweder das Datum des 20.8. als Beschluß der Vorlesung nicht zu, oder Schleiermacher hat die letzten Vorlesungsstunden ausgedehnt. Irrig dürfte Jonas' Annahme sein, Schleiermacher habe noch eine 50. Stunde gelesen; die von ihm aus einem Kollegheft angeführte Ergänzung zur 49. Stunde findet sich in der Nachschrift Twesten als Schluß eben dieser Vorlesungsstunde. 124 Der Beginn der Vorlesung am 22. April wird auch durch das Tagebuch Twestens belegt ( s. u.). Zu der Vorlesung 1811 sind neben den Aufzeichnungen Schleiermachers und einer Vorlesungsnachschrift (vgl. oben 11.2.) sowie den Zeugnissen in Schleiermachers Brief123 Berliner
Universitäts-Kalender auf das Schaltjahr 1812. Mit höherer Genehmigung aus officiellen Quellen hg. von J. E. Hitzig. Berlin o.J., S. 13: „Im Sommerhalbjahre 1811. sind wirklich gelesen worden: [ ... ) Von den ordentlichen Professoren: Hrn. Dr. Schleiermacher. [... ) priv. Dialektik 22. April-20. Aug." 124 Vgl. Dial. J, S. 361 (in der vorliegenden Ausgabe in der Anmerkung zur 49. Stunde).
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wechsel (vgl. oben I.l.) und den Vorlesungsankündigungen (11.1.) noch weitere Zeugnisse überliefert. August Twesten, von dem die einzige bisher bekannte erhaltene Nachschrift dieser Vorlesung stammt, hat in seinen Tagebüchern und Briefen sowie in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Schleiermacherschen Ethik (1841) zahlreiche Beobachtungen und Gedanken zu der ersten Darstellung der Dialektik festgehalten. Unter dem 22.4.[1811] notierte er in sein Tagebuch: „Heute begann denn die so lang ersehnte Schleiermachersche Dialektik. Es war eine herrliche Vorlesung. Er zeigte, wie aus der Philosophie, wenn man sie von der realen Wissenschaft trenne, oder wie dies in andern Zeiten geschehen sei, ihr wohl gar entgegensetze, nur etwas ungesundes und krüplichtes hervorgehen könne. Es sei zwar keine Wissenschaft möglich, wenn man nicht die Principien des Wissens kenne, aber sich immer mit diesen abzugeben, nur sie ergrübeln, nur sie darstellen wollen, tödte den Geist. Es war mir wie aus der Seele gesprochen. Ich überzeuge mich jetzt täglich mehr, daß ohne die vielseitigste Kenntniß des einzelnen auch eine richtige Ansicht des ganzen unmöglich sei; daß, so wie bloßes Wissen ohne Geist etwas elendes ist, so auch der größte Geist gewissermaßen Materialien bedürfe, um sich aus denselben ein Haus zu bauen. Nur wenigen ist es gegeben, aus sich selbst die Welt herauszuholen, und obgleich nur divinatorisch verfahrend doch das Rechte zu treffen. Je näher ich wahrhaft großen Männern, einem Kant, einem Schleiermacher, einem Erhard, einem Niebuhr komme, ich setze hinzu einem Goethe und Schiller, um so mehr erstaune ich nicht nur über die Kraft ihres Geistes, sondern auch über den Umfang ihrer Gelehrsamkeit. Ueberrascht hat mich die Uebereinstimmung Schleiermachers mit Reinhold in einer der wesentlichsten Lehren des letzteren, nämlich darin, daß die höchsten Principien des Wissens und der wissenschaftlichen Construction eines sind, daß die Logik sowohl, wie sie bisher getrieben ist, getrennt von der Metaphysik, als diese gesondert von jener beide leer sind und zu nichts helfen. Ich bin begierig, wie diese Gleichheit sich weiter entwickeln wird, um so mehr, da ich gewiß bin, daß
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Schleiermacher Reinholds neueste Bestrebungen nicht kannte." 125 In der Rückerinnerung schrieb Twesten unter dem Datum des 25.9.1811: „Schleiermachers Dogmatik sowohl als seine Dialektik sind für mich von dem größten Nutzengewesen. [ ... ) Seine Dialektik war eine eigentliche Anweisung zu einer Construction der Wissenschaft, und ist, da sie zugleich Schleiermachers philosophische Grundsätze enthielt, natürlich für mich von dem allergrößten Interesse gewesen. Die Dogmatik habe ich schon in Berlin größtentheils ausgearbeitet; zur Ausarbeitung der Dialektik werde ich hier nächstens schreiten. " 12 6 Besondere Erwähnung verdient noch Twestens späte Erinnerung an Schleiermachers Bezugnahme auf Steffens bei Eröffnung seiner Dialektik-Vorlesungen 1811: „Als Ausdruck des Bewußtseyns, welches Schleiermacher selbst von seinem speculativen Standpunkt hatte, mag hier erwähnt werden, daß er bey Eröffnung dieser Vorlesungen die Einleitung zu Steffens Grundzügen der philosophischer [sie!] Naturwissenschaft als diejenige Darstellung des höchsten Wissens bezeichnete, mit der er am meisten einverstanden sey. " 127 Twestens Erinnerung korrespondiert mit einem Eintrag in Schleiermachers Notizen zu den Dialektik-Vorlesungen 1811-1818 (vgl. in dieser Ausgabe Beilage 1, Nr. 2 7); sie bestätigt von der Selbsteinschätzung Schleiermachers her, daß sein philosophischer Standpunkt den Zeitgenossen zunächst als dem Umkreis der Schellingschen Naturphilosophie zugehörig erschien. So sah es auch Twesten in seiner Berliner Studienzeit; er nennt Schelling und Schleiermacher gleichrangig als die Hauptvertreter der neueren Naturphilosophie. 128 In seinem Tagebuch heißt es unter dem Datum des 26.9.1811: „Ein eigner Vortheil für mich war es in Berlin, daß ich die drei hauptsächlichsten Heinrici: Twesten, a.a.O. (Anm. 5), S. I 77. S. 205. 127 A. Twesten: Vorrede zu: Friedrich Schleiermachers Grundriß der philosophischen Ethik. Berlin 1841, S. XCVII. 128 Heinrici: Twesten: a.a.O. (Anm. 5), S. 142f. 125
126 Ebd.,
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neueren philosophischen Ansichten, die kritische, die idealistische und die naturphilosophische in Erhard, Fichte und Schleiermacher gewissermaßen personifiziert vor mir hatte. Menschen von solcher Kraft, daß ihr System und ihre Personalität eines wird, so wie diese, hat man selten vor sich. [ ... ] Von Fichte stieß mich nun beides zurück, seine Personalität - nicht als wenn ich diese nicht achten müßte, aber weil sie meinem Wesen so ganz fremd war - und zugleich das, was er als ihren Mittelpunkt selbst angab, seine Philosophie. Zu Schleiermacher hingegen zog mich beides hin."129 Zu einem anderen Urteil kam - nach einem Bericht Diltheys - Chr. J. Braniß: „ich hörte Schleiermacher und zugleich Fichte. Diese erste Vorlesung Schleiermachers über Dialektik von 1811 machte noch den Eindruck großer Unsicherheit, zumal wenn man sie mit der Fichtes verglich. "' 130 Diese Unsicherheit, die vor allem in zahlreichen Wiederholungen und einer nicht immer klaren Gliederung des Vortrags zum Ausdruck kommt, ist jedoch nur Ausdruck dessen, was den besonderen Reiz und die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung dieser Vorlesung ausmacht: mit dem ersten systematisierenden Zugriff gleichsam das Laboratorium der philosophischen Systembildung Schleiermachers vorgeführt zu bekommen.
3. Die Materialien zur Vorlesung 1811 a) Schleiermachers Notizen zur 12.-49. Stunde Die bereits oben (II.2; Nr. 1) beschriebenen 36 Zettel mit den Aufzeichnungen Schleiermachers zur 12.-49. Stunde sind großtenteils auf die Rückseiten von zerschnittenen 129 Ebd.,
S. 206. Mit Johann Benjamin Erhard (1766-1827), einem Arzt und Philosophen, der aus der Theorie Kants jakobinische Konsequenzen zog, war Twesten in seiner Berliner Studienzeit befreundet. 130 Zitiert in Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers. Bd. 2,1, a.a.O. (Anm. 43), S. 148.
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Briefen, Billets und Testaten geschrieben. Solche Zettel pflegte Schleiermacher sowohl zur Disposition seiner Vorlesungen als auch seiner Predigten zu verwenden, wobei die Aufzeichnung der Stichworte und Gliederungspunkte vor und nach dem Vortrag erfolgen konnte. Die Zuordnung der vorliegenden Zettel zur Vorlesung 1811 läßt sich eindeutig vornehmen. Einige der Brieffragmente tragen Datierungen von 1811; der Zettel vom 5 .8. ist auf die Rückseite eines Billets vom 5.8. geschrieben und schließlich hat Schleiermacher die 43. Stunde selbst auf den 12.8.11. datiert. Inhalt und Stundenfolge stimmen mit der Nachschrift Twesten überein. Jede Vorlesungsstunde ist in der Regel auf nur einer Seite eines gesonderten Zettels aufgezeichnet; lediglich der 36. Zettel enthält auf der Vorderund Rückseite Notizen zur 4 7. bis 49. Stunde. Die Zettel sind mit einer sehr kleinen, schwer zu entziffernden Schrift mit zahlreichen Kontraktionen und Kürzeln beschrieben. Bereits Jonas lagen lediglich diese Zettel vor. Es ist fraglich, ob zu den ersten Stunden weitere Zettel existiert haben. Möglicherweise legte Schleiermacher den ersten Stunden sein Notizheft (vgl. unten c) zugrunde, ohne die Stunden gesondert aufzuzeichnen. Die Zettel befinden sich im Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR, Schleiermacher-Nachlaß 101; sie sind von 1-36 foliiert.
b) Die Nachschrift Twesten Die Nachschrift umfaßt 68 Seiten 4° in der Handschrift August Detlev Christian Twestens. Twesten (1789-1876), aus Glückstadt in Holstein gebürtig, studierte in Kiel und Berlin Theologie und Philosophie, wurde 1814 a.o. Professor der Theologie und Philosophie in Kiel, 1819 Ordinarius ebendort und 1835 Nachfolger auf Schleiermachers theologischem Lehrstuhl in Berlin. Die Dialektik-Vorlesung hörte Twesten während seiner Berliner Studienzeit 1810-1811. Ein Umschlag trägt von Twestens Hand die Aufschrift „Schleiermachers Dialektik (1811 Sommer)"; Inhalt und
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Stundenfolge stimmen, soweit vorhanden, mit Schleiermachers Aufzeichnungen überein. Die 3. bis 7. Stunde hat Twesten durchgezählt, wobei er die Ziffer 4 versehentlich bei der 4. und 5. Stunde eingetragen und entsprechend falsch weitergezählt hat, so daß seine Zählung mit der 6. Stunde abschließt. Die Nachschrift besteht aus vier von Twesten gekennzeichneten, gehefteten Lagen; die erste umfaßt 8 BI. und ist auf BI. 1' mit „H. 1." gekennzeichnet; die zweite Lage umfaßt 10 BI. und trägt am oberen rechten Rand von BI. gr den Vermerk „Dialektik 2."; die dritte und vierte umfassen je 8 BI. und haben am oberen rechten Rand von BI. 19r bzw. 27r die Notizen „Dialektik 3." bzw. „Dialektik 4.". Twesten hat die einzelnen Blätter nicht gezählt. Die Schrift ist insgesamt gut lesbar; das Schriftbild weist relativ wenige Abkürzungen, Kontraktionen und Kürzel auf; Streichungen und Korrekturen sind selten. Dennoch dürfte es sich im ganzen nicht um eine nachträgliche Ausarbeitung handeln; das Schriftbild wechselt in der Regel von Stunde zu Stunde (wobei Twesten die Stunden meist durch Striche voneinander abgesetzt hat) und die häufig zu beobachtende Nachlässigkeit in der Ausformung einzelner Buchstaben deutet ebenfalls darauf hin, daß die Niederschrift vielfach während der Vorlesung erfolgte. Zur 37. Stunde findet sich die Randnotiz „Nach Ribbeck"; vermutlich benutzte Twesten hier das Kollegheft eines Kommilitonen. Neben dieser Vorlesungsnachschrift gibt es in der Handschrift Twestens zwei Doppelbogen in folio mit sieben beschriebenen Seiten, überschrieben „Die Dialektik". Dieses Manuskript wurde bereits von H. Zimmermann-Stock in seiner Kieler theologischen Dissertation von 19 7 3 der Dialektik-Vorlesung 1811 zugeordnet und veröffentlicht. 131 131 Heinz Zimmermann-Stock: Schleiermachers Christologie nach seiner Vorlesung aus dem Jahre 1811. Dargestellt anhand einer neuaufgefundenen ,Nachschrift' und ,Ausarbeitung' zu dieser Vorlesung von D. A. Twesten. Theo!. Diss. Kiel 1973, S. 267-276. - Die Lesungen Zimmermann-Stocks sind z. T. sehr unzuverlässig.
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Ein inhaltlicher Vergleich mit der Nachschrift macht deutlich, daß dieses Manuskript die erste bis elfte Vorlesungsstunde umfaßt. Vermutlich handelt es sich um den Beginn der Ausarbeitung, die Twesten im Herbst 1811 in Angriff nehmen wollte. 132 Daß die Ausarbeitung genau dort abbricht, wo Schleiermachers Notizzettel einsetzen, dürfte ein bloßer Zufall sein. Wo ein Vergleich der Nachschrift mit den Schleiermacherschen Notizen möglich ist, bestätigt sich der Eindruck, daß sich Twestens Aufzeichnungen durchweg auf einem hohen Verständnisniveau bewegen. Durch ein mehrjähriges Studium in Kiel vorbereitet, auch mit der neueren philosophischen Literatur vertraut und im persönlichen Umgang mit Erhard, Fichte und Schleiermacher gebildet, brachte er ideale Voraussetzungen für eine adäquate Rezeption des Schleiermacherschen Vortrags mit. Bedenkt man Twestens Vermittlerrolle in der Wirkungsgeschichte der Schleiermacherschen Dialektik, der wesentlich sein Eindruck der Vorlesung von 1811 zugrundelag, so gewinnt die Nachschrift über die Dokumentation des Schleiermacherschen Vortrags hinaus Interesse; sie unterstreicht ebenso die eigenständige Bedeutung der Vorlesung 1811 auch im Blick auf die Wirkung der Dialektik. Die Nachschrift und die Ausarbeitung befinden sich in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Nachlaß Twesten, Erg. 2, Mappe 2 (Ms.: „Schleiermachers Dialektik." Sommer 1811, 68 S_, 34 BI.) bzw_ Nachlaß Twesten, Kasten 43 (Ms.: „Die Dialektik", 4 BI.).
c) Schleiermachers Notizheft „Zur Dialektik 1814." Das Notizheft umfaßt 7 halbe Bogen, d. h. 14 BI. 4 °; es trägt auf dem Umschlag den Titel „Zur Dialektik 1814." Es enthält, durch Striche voneinander abgesetzt, 171 (im Manuskript nicht gezählte) Eintragungen zum Teil aphoristischen Charakters. über den letzten beiden Eintragungen 13 2 Vgl.
Heinrici: Twesten, a.a.O. (Anm. 5), S. 205.
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auf Bl. 4v (Nr. 11 und 12) findet sich die Zwischenüberschrift „Zur Dialektik 1818." Das Heft wurde erstmals von Bruno Weiß als „Beilage G" der Dialektik veröffentlicht. 133 Weiß las auf dem Umschlag versehentlich „1811" statt „1814" und zählte 172 Aphorismen, da er irrtümlich Nr. 41 als zwei getrennte Eintragungen ansah. Hinsichtlich der Datierung kam Weiß zu folgenden Resultaten: 134 1-10: 1814; 11-?: 1818; 96Schluß: 1811. Für das mittlere Stück, die Nr. 13-96, nimmt Weiß an, daß es zur Vorlesung 1818 und später gehört. Eine genauere Datierung hat - freilich ohne Vergleich mit der Handschrift - Georg Wehrung versucht (wobei er Weiß dahingehend mißversteht, daß die Aufzeichnungen 1818 bis Nr. 40 reichen und 96ff. die Vorlesung 1811 schon voraussetzen). 135 Aufgrund inhaltlicher Überlegungen kommt Wehrung zu dem Schluß, Nr. 41-82 bereiteten die Vorlesung 1811 vor, Nr. 83-86 und 96-Schluß setzten die Notizen zur Vorlesung 1811 voraus, 1-10 gehörten zur Vorlesung 1814 und 11-40 zur Vorlesung 1818. Die Nr. 87-95 sollen „vermutlich" zwischen 1818 und 1828 entstanden sein. Odebrecht weist die Ansicht Wehrungs zurück, indem er anführt, mit Nr. 41 beginne kein neuer Bogen; im übrigen läßt er die Datierung offen. 136 Tatsächlich läßt sich eine genauere Datierung nur durch die Verbindung inhaltlicher Kriterien mit archivalischen Beobachtungen erreichen. Vorausgeschickt sei eine Beschreibung des Heftes, das sich heute im SchleiermacherNachlaß befindet. Jeder der sieben halben Bogen ist in der Mitte gefalzt und umfaßt somit 2 Bl. Bogen 1-4 liegen ineinander; Bogen 5 ist nach Bogen 4 in das so gebildete Heft eingelegt, so daß die Nr. 78 auf Bogen 3 an die Nr. 77 auf Bogen 5 anschließt; Bogen 6 und 7 folgen, sie sind nicht ineinandergelegt. Auffällig ist, daß Bogen 6 im Unterschied Weiß: Untersuchungen, a.a.O. (Anm. 8 7), Anhang zum 1. Teil. 1. Teil, S. 27-31. 135 Wehrung: Dialektik, a.a.O. (Anm. 122), S. 8-11. 136 Dial. 0, Einleitung, S. XXVIII.
133
134 Ebd.,
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.zu allen anderen Bogen ursprünglich anders gefalzt war und umgefalzt wurde. Dazu paßt, daß Weiß die Bogen nach seiner Zählung der Aphorismen in einer anderen Reihenfolge vorgefunden hatte; demnach wären Bogen 6 und 7 zu vertauschen und Bogen 6 wiederum umzufalzen, so daß die nur halb beschriebene Seite mit den Aphorismen 168-1 71 am Schluß steht. Das Heft ist, beginnend mit dem Umschlag, archivalisch von 1-2 6 paginiert; vier der leeren Seiten sind nicht paginiert; die Seiten 2 3 und 2 4 wurden durch ein Versehen nicht gezählt. Bogen 1 und 2 stimmen in Wasserzeichen und Beschaffenheit des Papiers überein und bildeten nach den Schnittkanten ursprünglich ein Ganzes. Bogen 1 dient lediglich als Umschlag; vom Bogen 2 ist nur das erste Blatt beschrieben (Nr. 1-12). Die übrigen Bogen unterscheiden sich davon durch anderes Papier mit anderen Wasserzeichen; auch wechselt die Handschrift zwischen Bogen 2 und Bogen 3 auffällig. Bogen 3-5 sind durch die Beschaffenheit des Papiers, die Wasserzeichen und die Schnittkanten als ursprünglich zusammengehörig erkennbar, ebenso Bogen 6 und 7, wobei letztere sich durch helleres Papier wieder von allen anderen unterscheiden. Die auf dem 1. und 2. Bogen befindlichen Aufzeichnungen (Nr. 1-12) sind durch Schleiermachers Überschriften und den Bezug auf die Paragraphen des Heftes von 1814 eindeutig auf 1814 bzw. 1818 zu datieren. Davon abzuheben sind die Bogen 3 und 4, die durch Nr. 27 auch inhaltlich als zusammengehörig erkennbar sind. Die Auseinandersetzung mit Nr. 27 deutet dabei ebenso auf die Vorlesung 1811 wie das Konzept der ersten Stunde (41), das auf die Ankündigung der Vorlesung 1811 Bezug nimmt, indem auf die nur in dieser Ankündigung vorkommende „doppelte Benennung" eingegangen wird. Hinzu kommt die Beobachtung, daß die meisten der Notizen 13-53 den Charakter einer ersten Annäherung an die Probleme der Dialektik erkennen lassen; der Theorie des Syllogismus in Nr. 38 z.B. wurde bereits in der Vorlesung 1811 selbst widersprochen.
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All dies spricht dafür, die Nr. 13-5 3 der Vorlesung 1811 zuzuordnen. Nicht anders sind die auf Bogen 3 (nach dem eingelegten Bogen 5) befindlichen Nr. 7 8-95 zu datieren; Nr. 8 7 bringt eine Definition des Philosophierens, die sich so in keiner anderen Dialektik-Vorlesung findet, aber in der 2. Stunde der Vorlesung 1811 fast wörtlich wiederkehrt; Nr. 89 nimmt wiederum auf die nur 1811 vorkommenden „zwei Benennungen" der Dialektik in der Vorlesungsankündigung Bezug. 137 Daß die folgenden Nr. 90-95 einer späteren Vorlesung zugehören, ist schon aufgrund des Schriftbildes auszuschließen. 138 Die folgenden Nr. 96-171 ~ügen sich inhaltlich dem Duktus der Vorlesung 1811 ein, worauf bereits Weiß und Wehrung ihre Datierung gestützt haben; ein zusätzlicher Anhaltspunkt ergibt sich durch die für die 7. Stunde geplante Rekapitulation des Inhalts der 6. Stunde (Nr. 101). Faßt man die archivalischen und inhaltlichen Beobachtungen zusammen, so ergibt sich der Schluß, daß die Nr. 13-171 zur Vorlesung 1811 gehören und die beiden Bogen mit den Notizen zu den Vorlesungen 1814 und 1818 lediglich als Umschlag zur Aufbewahrung der früheren Notizen dienten. Dieser Schluß wird dadurch gestützt, daß Schleiermacher zu jedem Thema seiner Vorlesung in der Vorbereitungsphase ein solches Notizheft angelegt hat. Das Heft weist zahlreiche Bearbeitungsvermerke von Schleiermachers Hand auf. Folgende Eintragungen sind dünn durchgestrichen, wie es Schleiermacher als Erledigungsvermerk zu tun pflegte: 11; 13-19; 21-25; 30; 34; 38; 41 (bis „Philosophie"); 45-47; 54-57; 59-64; 66; 78; 81; 91-95; 97-100; 104-106; 108; 110-122 (122
Schleiermachers Notizen „Erste Vorlesung" müssen nicht notwendig auf die 1. Stunde bezogen werden; sie können auch als Hinweis auf die Planung des Beginns der Vorlesung verstanden werden. 138 Weiß: Untersuchungen, a.a.O. (Anm. 87), Teil 1, S. 31 meint, Nr. 94 der Vorlesung 1828 zuordnen zu müssen; er geht dabei von der möglichen, aber nicht zwingenden Interpretation aus, die Notiz besage, Raum = real, Zeit = ideal. 137
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nur L-3.); 124; 125; 127; 128; 130-133; 135-139; 141-144; 146; 148-150; 155-160. Mit einer Klammer am Rand versehen sind die Nr. 21; 31; 41 (bis „Philosophie"); 42; 45; 60; 63 (bis „weiß"); 83-90. Die Nr. 51 und 52 sind durch eine Klammer miteinander verbunden. Die Wiedergabe der Aphorismen entspricht ihrer Reihenfolge bei Weiß. Das Heft befindet sich im Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR, Schleiermacher-Nachlaß 103.
d) Die „Lehnsätze aus der Dialektik in der Ethik 1812/13" Die „Lehnsätze" finden sich als „II. Deduction der Ethik aus der Dialektik" in der „Einleitung" zur Ethik 1812/13. Mit dieser Vorlesung, seiner ersten zur philosophischen Ethik an der Berliner Universität, hatte Schleiermacher die Absicht verbunden, die Vorarbeit für ein zu druckendes Kompendium zu leisten. 139 Nachdem er 1811 mit der Dialektik-Vorlesung den systematischen Grund gelegt hatte, müssen diese „Lehnsätze" als die erste Formulierung der Prinzipien der Dialektik für den Druck angesehen werden. Die Wiedergabe der Lehnsätze folgt der von 0. Braun besorgten Ausgabe der „Entwürfe zu einem System der Sittenlehre". 140
139 Vgl. H.-J. Birkner: Einleitung. In: F. D. E. Schleiermacher: Ethik (1812/13). Hamburg 1981, S. XXIV. 14 Friedrich Schleiermacher: Entwürfe zu einem System der Sittenlehre. Hg. 0. Braun. In: Werke. Auswahl in vier Bänden. Hg. 0. Braun/J. Bauer. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 247f. - Wiederabdruck in: Schleiermacher: Ethik (1812/13), a.a.O. (Anm. 139), S. 7f.
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4. Editorische Notiz Die Wiedergabe der Texte (mit Ausnahme der Beilage 2) erfolgt nach den Handschriften in der jeweils erkennbaren letztgültigen Textgestalt des Manuskripts. Eingriffe des Herausgebers in den Textbestand sind (außer bei den hier genannten, stillschweigend zu behandelnden Fällen) als solche kenntlich gemacht. Dem Charakter dieser Studienausgabe entsprechend, die eine historisch-kritische Ausgabe nicht ersetzen kann und soll, wurde auf die Mitteilung von Varianten grundsätzlich verzichtet. Abkürzungen - soweit sie heute nicht mehr gebräuchlich sind -, Kontraktionen und Chiffren (z.B. 0 für Gott) wurden stillschweigend aufgelöst, wobei die übliche Schreibweise Schleiermachers bzw. Twestens zugrundegelegt wurde. In Zweifelsfällen wird der Bestand des Manuskripts nachgewiesen. Die Interpunktion in den Handschriften wurde grundsätzlich beibehalten. Lediglich wo das Zeilenende oder das Ende eines Absatzes eindeutig das Satzzeichen vertritt, wurde dieses stillschweigend gesetzt. Hervorhebungen in den Handschriften werden einheitlich durch S p e r r u n g wiedergegeben. Hinsichtlich der Orthographie wurde bei den Manuskripten Schleiermachers und der Nachschrift Twesten unterschiedlich verfahren. Während bei der Nachschrift - unter Wahrung des Lautstandes - eine vorsichtige Vereinheitlichung und Modernisierung erfolgte, wurde die Orthographie Schleiermachers beibehalten. Die Stundenzählung in Schleiermachers Aufzeichnungen zur 12.-49. Stunde wurde einheitlich in arabischen Ziffern wiedergegeben; Datierungen einzelner Vorlesungsstunden wurden als Anmerkungen Schleiermachers behandelt. Anmerkungen Schleiermachers werden einheitlich mit hochgestellten Sternchen gekennzeichnet und unter dem jeweiligen Bezugstext als Fußnote angeordnet. Textkritische Anmerkungen des Herausgebers werden durch hochgestellte Ziffern gekennzeichnet und als Fußnote auf der jeweiligen Seite unterhalb des Textes wiedergegeben. In diesen An-
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tnerkungen bezeichnet „H" die jeweils zugrundeliegende Handschrift. Seitenwechsel im Manuskript wird durch einen senkrechten Strich 1 angezeigt; Zeilenbruch durch einen Schrägstrich / . Alle Zutaten des Herausgebers innerhalb der Wiedergabe von Handschriften sind durch eckige Klammern [ ] gekennzeichnet. Dem Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin, danke ich für die hilfreiche Unterstützung bei der Arbeit im Archiv sowie für die freundliche Erlaubnis, die Ergebnisse dieser Arbeit hier veröffentlichen zu dürfen. Ebenso ist der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin für die Erlaubnis zum Abdruck der Nachschrift Twesten sowie Twestens Ausarbeitung dieser Nachschrift zu danken. - Dem Herausgeber kreis der Kritischen Schleiermacher-Gesamtausgabe Hans-Joachim Birkner, Hermann Fischer, Gerhard Ebeling, Heinz Kimmerle und Kurt-Victor Seige - sowie Heinz Wenzel vom Verlag Walter de Gruyter ist für das freundliche Wohlwollen gegenüber dem Plan einer Studienausgabe der Dialektik und das Entgegenkommen zu danken, Teile der Twesten-Nachschrift außerhalb des Rahmens der KGA vorab veröffentlichen zu dürfen. Ein besonderer Dank gilt dem Leiter der Schleiermacherforschungsstelle Berlin, Kurt-Victor Seige, für seine verständnisvolle Förderung des Projekts, sowie meinem Kollegen Wolfgang Virmond nicht nur für seine Hilfe und Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Bandes, sondern auch für die mehrjährige Zusammenarbeit in der Schleiermacherforschungsstelle Berlin, ohne die das Buch in der vorliegenden Form schwerlich zustandegekommen wäre. Heinz Kimmerle hat die Ausgabe mit angeregt und vielfach zu inhaltlichen Fragen Stellung genommen; ihm sei dafür an dieser Stelle ebenso gedankt wie Frau Isabelle Lüke für die sorgfältige Herstellung des Typoskripts. Berlin, im Mai 1985
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AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE
1. Schleiermachers Werke und Briefe Sämmtliche Werke [SW). I. Abt. Zur Theologie. II. Abt. Predigten. III. Abt. Zur Philosophie. Berlin 1834-1864. Werke. Auswahl in vier Bänden. Hg. 0. Braun/J. Bauer. Leipzig 1910-1913. Kritische Gesamtausgabe [KGA]. Hg. H.-J. Birkner/G. Ebeling/H. Fischer/H. Kimmerle/K.-V. Seige. Berlin/New York 1980ff. Briefwechsel mitJ. Chr. Gaß. Hg. W. Gaß. Berlin 1852. Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen. 4 Bde. Bd. 1 und 2 Berlin 1 1858, 2 1860. Bd. 3 und 4 Berlin 1861--1863.
2. Ausgaben der Dialektik (Dia!. J) Dialektik. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse hg. von L. Jonas. Berlin 1839 (= SW III, 4,2; Literaris~her Nachlaß. Zur Philosophie 2,2). Beilage G und H der Dialektik von Friedrich Schleiermacher. Zur Ergänzung der Jonas'schen Ausgabe aus Schleiermacher's handschriftlichem Nachlasse hg. von Bruno Weiß. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 7 3 ( 18 7 8), Anhang, S. 1-43. Schleiermachers Dialektik mit Unterstützung der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften hg. von Dr. l. Halpern. Berlin 1903. Dialektik (nach der Ausgabe von Halpern, Berlin 1903). In: Werke. Auswahl in vier Bänden. Hg. 0. Braun/J. Bauer. Bd. 3. Leipzig o.J., S. 1--117. [Dia!. 0 J Friedrich Schleiermachers Dialektik. Im Auftrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Grund bisher unveröffentlichten Materials hg. von Rudolf Odebrecht. Leipzig 1942.
3. Sekundärliteratur Die zur Zeit ausführlichste Bibliographie zu Schleiermachers Werken und der Schleiermacher-Literatur bieten die unten angeführten Ar-
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Auswahlbibliographie
beiten von T. N. Tice. An Gesamtdarstellungen zu Leben und Werk Schleiermachers sei auf Diltheys „Leben Schleiermachers" sowie die Arbeiten von Redeker, Osculati und Kantzenbach verwiesen. Eine Einführung in die Philosophie Schleiermachers stellt das Werk von Scholtz ( 1984) dar, das eine Auswahlbibliographie speziell philosophischer Literatur enthält und S. 5 ff. auch auf Artikel über Schleiermacher in Philosophiegeschich ten hinweist. Adriaanse, Hendrik Johan: Schleiermacher als Philosoph. In: Nederlands Theologisch Tijdschrift 35 (1981), S. 326-334. Arndt, Andreas: Unmittelbarkeit als Reflexion. Voraussetzungen der Dialektik Friedrich Schleiermachers. In: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984. Hg. K.-V. Seige. Bd. 1. Berlin/New York 1985, S. 469-484. Barth, Ulrich: Christentum und Selbstbewußtsein. Versuch einer rationalen Rekonstruktion des systematischen Zusammenhanges von Schleiermachers subjektivitätstheoretischer Deutung der christlichen Religion. Göttingen 1983. Bender, Wilhelm: Schleiermachers Theologie mit ihren philosophischen Grundlagen dargestellt. Bd. 1: Die philosophischen Grundlagen der Theologie Schleiermachers. Nördlingen 1876. Birkner, Hans-Joachim: Theologie und Philosophie. Einführung in Probleme der Schleiermacher-Interpretation. München 1974. -: Schleiermacher als philosophischer Lehrer. In: Der Beitrag ostdeutscher Philosophen zur abendländischen Philosophie. Hg. F. B. Kaiser, B. Stasiewski. Köln/Wien 1983, S. 41-54. Bobertag, Reinhold: Schleiermacher als Philosoph. In: Protestantische Kirchenzeitung 8 (1961) 1089-1099. Brandt, Richard B.: The Philosophy of Schleiermacher. The Development of His History of Scientific and Religious Knowledge. New York 1941. Braniß, Christlieb Julius: Ueber Schleiermachers Glaubenslehre, ein kritischer Versuch. Berlin 1824. Bratuschek, Ernst: Friedrich Schleiermacher. In: Philosophische Monatshefte 2 (1868), S. 1-22. Brodbeck, Adolf: Einleitung in die Philosophie. Mit Zugrundelegung von Schleiermachers Dialektik dargestellt. Tübingen 1881. Camerer, Theodor: Spinoza und Schleiermacher. Die kritische Lösung des von Spinoza hinterlassenen Problems. Stuttgart/Berlin 1903. Cohn, Jonas: Theorie der Dialektik. Formenlehre der Philosophie. Leipzig 1923 (bes. S. 44-50).
Auswahlbibliographie
LXXIX
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FRIEDRICH DANIEL ERNST SCHLEIERMACHER DIALEKTIK (1811)
1.-11. VORLESUNGSSTUNDE (Nachschrift Twesten)
[ 1.] über dem Systeme koordinierter Wissenschaften muß es gewisse ihnen gemeinsame Prinzipien, eine Architektonik für dieselben geben. So sehr man in allen diesen aber Einheit erwarten sollte, so wenig ist sie doch wirklich vorhanden; und ihre Verschiedenheit verbreitet ihren Einfluß über alle andren Wissenschaften. über diese ersten Prinzipien ohne Rücksicht auf das Reale zu philosophieren, scheint etwas Unerfreuliches und für die Wissenschaft Gefährliches, besonders wenn es wohl gar eine Art von Gegensatz zwischen der Spekulation und dem realen Wissen zur Folge hat. Während einige der Meinung sind, daß von der Spekulation alle wissenschaftliche Bildung anheben müsse, wollen andre sie ans Ende derselben stellen, wo sie weniger im Stande sei, von dem Wirken ins Leben hinein abzuhalten. Nur durch die Bekanntschaft mit den ersten Prinzipien wird Empirie und Schlendrian auf der einen, Willkürlichkeit auf der andren Seite vermieden. Viele Willkürlichkeit scheint nun zwar auch aus der Spekulation in neuren Zeiten hervorgegangen; dies war aber nicht ihre Schuld, sondern Schuld ihrer Isolierung, des eigentlichen Fehlers, wovor zu warnen ist. Der wissenschaftliche Geist überhaupt und 1 das Talent für die ersten Prinzipien sind nicht verschieden, das spekulative Talent steht also für sich in gar keiner Opposition mit dem Talent fürs Reale, nur seine Isolierung wirkt zerstörend, und beide sind immer nur mite~nander zu üben. 2. Der Name Dialektik ist gewählt, teils, weil ein andrer leicht die Meinung hätte erregen können, als gehöre diese Darstellung in den Kreis einer gewissen Schule, die sich diesen andern gewählt hätte, teils, um das Eigentümliche 1 (H:]
und überhaupt und
4
Dialektik 1811
derselben mit zu bezeichnen. Unter Dialektik verstehn wir nämlich die Prinzipien der Kunst zu philosophieren. Sowohl den unmittelbaren Untersuchungen über die Prinzipien des Wissens als den fragmentarischen über einzelne Gegenstände legt man den Namen des Philosophierens bei. In beiden Fällen sucht man eine Erkenntnis zu Stande zu bringen, die sich auf die Prinzipien des Wissens bezieht. Denn auch die einzelnen Gegenstände, über welche ein Nachdenken Philosophieren genannt wird, müssen von der Art sein, daß eine wissenschaftliche Ansicht dadurch bestimmt wird. Alles Philosophieren ist also ein gesetzmäßiges Konstruieren einer Erkenntnis, die allemal von der Art ist, daß eine Wissenschaft, überhaupt oder eine einzelne, dadurch bestimmt wird. Das Philosophieren ist das Zustandebringen einer Erkenntnis, verbunden mit dem klaren Bewußtsein ihrer Zustandebringung; es fällt daher in die Kategorie der Kunst. Ihr Produkt ist daher auch ein Kunstwerk; denn ein Kunstwerk ist ein Einzelnes, in dem sich das Allgemeine unmittelbar darstellt, und in dem ein Unendliches enthalten ist. In jedem Einzelnen, was auf dem Wege des Philosophierens entsteht, liegt zugleich das höchste Allgemeine, das Prinzip, nach dem es zu Stande kam; in jedem Einzelnen aber, was auf anderem 1 Wege entsteht, ist immer ein subjektives Element. Bei jeder andren Kunst tritt zwischen das Darzustellende2 und die Darstellung ein Medium, das die Reinheit derselben 3 trübt. So ist es nicht hier. Deswegen, und weil sie die Idee aller andren Künste unter sich subsumiert, ist das Philosophieren, die Produktion des Erkennens, die höchste Kunst. Sind aber die Prinzipien dieser Kunst des Erkennens und die Prinzipien des Wissens dieselben? Zwischen Wissenschaft und Kunst ist zwar ein Gegensatz, der aber immer mehr sich zu verringern scheint, je höher man aufsteigt. 2 3
[H:] dem Darzustellenden [H:] desselben
2.-3. Vorlesungsstunde
5
Man könnte sagen, etwas andres wären die Prinzip_ien, auf denen, etwas andres, nach denen man die Wissenschaft konstruiere. Dieser Gegensatz fällt aber bei den höchsten Prinzipien weg; es kann z.B. niemand die Idee von Gott haben, ohne zu wissen, wie dies Höchste dem Einzelnen eingebildet werden kann, wie die Relation desselben zur Welt sei. Mit den höchsten Prinzipien des Wissens ist zugleich die Art gesetzt, wie man es im Einzelnen anschaut und das Einzelne draus produziert. Freilich wird man die eigentlichen Prinzipien der Konstruktion von den bloß technischen Regeln unterscheiden können; aber dies. zugegeben, findet kein Gegensatz weiter statt, wenn nicht die Kenntnis eine rein negative sein soll. Das Höchste und Allgemeinste des Wissens also und die Prinzipien des Philosophierens selbst sind dasselbe. Transzendentalphilosophie und Formalphilosophie also sind, wenn sie etwas Reales enthalten sollen, dasselbe. Konstitutive und regulative Prinzipien lassen sich also nicht mit Kant unterscheiden. 3. Diesem Begriffe ganz angemessen ist der Name der Dialektik, welcher bei den Alten gerade diese Bedeutung hatte. Denn der Gegensatz zwischen der realen Wissenschaft und der Philosophie war bei den Alten nicht vorhanden. Die Philosophie befaßte bei ihnen die Ethik, Physik und Dialektik, welche letztere die Prinzipien beider enthielt. Beim Plato enthält die Dialektik sowohl die Regeln der Konstruktion der Wissenschaft, als die Lehren vom övrw~ öv und dem tX-yaßov, insofern sie noch in keines der Gebiete der beiden übrigen Disziplinen übergegangen sind. Der Name bezieht sich auf die Kunst, mit einem Andren zugleich eine philosophische Konstruktion zu vollziehen. In der sokratischen Schule trat der Dialog an die Stelle der willkürlichen Diatriben der Sophisten, und für sie waren daher die Prinzipien für diesen und [die] der Konstruktion überhaupt dieselben. Zugleich wurde dadurch die Allgemeingültigkeit dieser Prinzipien dargestellt. Die Dialektik war zugleich Kritik, und enthielt die Kriterien, nach denen man, was Wissenschaft war oder nicht,
6
Dialektik 1811
erkennen konnte. Diese Seite der Dialektik ist nur ein natürlicher Ausfluß der beiden Teile, die notwendig in der 1 Dialektik gesetzt sind. Was in neueren Zeiten Metaphysik und Logik hieß, war nichts, als diese beiden Teile der Dialektik isoliert, und deswegen ihres eigentlichen Lebens beraubt; deswegen gab es keine Brücke mehr von der Metaphysik zur Physik und Ethik; dadurch entstand der Fehler, den man durch den Namen des Transzendenten bezeichnet; sie [die Metaphysik] war in dieser Trennung etwas durchaus nicht Festzuhaltendes. Eben so leer und zu Nichts führend war auf der anderen Seite die Logik, und so folgte aus dieser Trennung der Tod der Philosophie. Die Dialektik ist also die Identität des höchsten und allgemeinsten Wissens selbst und der Prinzipien der wissenschaftlichen Konstruktion. In der Darstellung aber kann nun das Eine oder Andere relativ hervortreten, und muß es in jeder wirklichen Darstellung vermöge der besondren Natur des Darstellenden. So wird hier die Dialektik besonders aus dem Gesichtspunkte der philosophischen Kunstlehre erscheinen. 4. Die Dialektik in diesem Sinne kann mit Recht das Organon aller Wissenschaft heißen. Sie ist gewissermaßen im Verhältnis zur ganzen Wissenschaft, was das gegebene Zentrum und [die] größte Peripherie zu einer Kugel ist. Mittelst ihrer kann man jedem einzelnen Satze seinen Ort anweisen, finden, welcher organische Teil des Ganzen er ist; sie ist also insofern gewissermaßen das Supplement der Kenntnis des Ganzen. Sie ist daher nicht auf ein einzelnes Talent, sondern nur auf dem allgemeinen wissenschaftlichen Sinn basiert, und macht es möglich, das, was das Talent hervorgebracht hat, sich anzueignen. Und nur vermittels dieses Organons ist ein eigentliches Wissen möglich, zu welchem durch das bloße Talent nur eine Annäherung möglich ist. Auch ist die Dialektik es, welche die Mitteilung, den Umtausch der Ideen bedingt. Die Leichtigkeit alles Verstehens hängt von ihr ab. Denn durch sie muß man jede Vor-
3.-4. Vorlesungsstunde
7
stellung konstruieren können, und zwar so, daß man das Wahre in ihr und den Irrtum zu unterscheiden im Stande ist. Es wird sich kein Wissen aufzeigen lassen, daß nicht in unmittelbarem Zusammenhange mit diesem Organon stände, wenn es auch noch in ein wissenschaftliches Ganzes noch nicht aufgenommen ist. Daher das Interesse der Dialektik, weil jeder strebt, das Besondere, was er mittelst seines besonderen Talents gefunden hat, an das Allgemeine anzuknüpfen; es verhält sich demnach als das Allgemeine zum Individuellen; weil man mittelst ihrer aber nur reproduzieren kann, so ist sie an sich und von dem Besonderen getrennt auch nur leer. Es gibt keine solche Entgegensetzung des höchsten und des gemeinen Wissens, als oft angenommen wird. 4 Ehe wir an unser Geschäft gehn, haben wir noch einen Blick zu werfen auf den Skeptizismus, der alles Wissen leugnet. Durch dieses Let Hauptgegensatz) 3-5, 7, 9, 15f., 18, 23, 27f., 35-38, 42, 44, 48-50, 52-55, 63f., 66-70, 73, 75-78, 80f. des Allgemeinen und Besonderen 68, 75 äußerer und innerer 3 7 von Denken und Sein 18, 20, 34 von Geist und Materie 55 höchster 80 positive und negative Seite des Gegensatzes 54 relativer 9, 34, 36, 42f., 52, 54f., 74, 78 ursprünglicher 74 von Wissenschaft (Wissen) und Kunst 4, 73 Gegensatzbildung 54f. Gegenstand 16, 18, 21, 30, 3335, 4~ 43f., 47, 5~ 61, 69, 76 Geist 33 f., 55, 66 Gemeinsames (Gemeinsamkeit) 12, 23, 39, 69, 73 Gemeinschaft (gemeinschaftlich) 26f., 46, 73-75 Gemüt 69, 76 )'EVO Naturgesetz) 7f., 13, 68, 70 Gesinnung 50, 78 Gestalt 8, 23
Gewißheit 23, 31, 65, 67, 72 Glauben 8, 10 Gott 5, 23, 25, 3lf., 35, 69, 74 und Chaos 63 f. Erkennen Gottes 23, 25 Unbegreiflichkeit Gottes 74 - und Welt 31 f., 69, 73 Gottheit 25, 31, 48 Grad 26, 28, 56 Gradation 77 Grenze 12, 66 - des Wissens 35, 69 Handeln (Handlung;--> Vernunft) 17, 26-29, 77, 81 Hauptgegensatz 54 Heuristik 3 7 f., 7 5 historisch 2 5, 2 7 Höchstes 5, 8, 10, 18f., 30 Hypothese 58, 79 Ich 33 Idealismus (idealistisch) 2 lf., 68, 73f. Ideales (ideal, Idealität) 34, 46, 52f.,63, 72, 7~ 80f. Idee (iöfo) 4, 6 f., 13, 23, 31, 35, 42, 49, 66f., 69, 73f., 78 des Absoluten 29, 32f., 52f. angeborene 7 5 f. Gottes 5, 25, 31 der Welt 35, 75 des Wissens 7f., 10, 23, 33, 37, 72 Identität 6, 12f., 16-18, 20, 22f., 25, 28f., 35, 44-46, 49, 52-55, 65, 69- 71, 73, 75, 77 f., 80 des Allgemeinen und Besonderen (Einzelnen) 40f., 51, 62 von Begriff und Gegenstand 21, 29-31, 35 von Begriff und Urteil 17, 19 von Induktion und Konstruktion 43f., 47-49, 54
Sachverzeichnis von Sein und Denken 18, 32, 46, 65 f. von Sein und Wissen 21, 33, 73 Immanentes 5 7 Indifferenz 5 7, 59, 66 Individualität 42, 4 7, 73, 76 Individuelles (-> Leben) 7, 11, 39f., 57, 59, 70 Individuum 9, 51 Induktion 35, 38, 43-51, 56, 70, 76f. - und Deduktion 35f., 50-54, 70, 76- 78 influxus physicus 7 2 Instinkt 49 Irrationalität 46 f. Irrtum 7, 13, 34f., 39f., 43-50, 58, 61, 63, 65, 71-73, 75-77 Kategorischer Imperativ 13f. Kausalität 32, 63, 70 Keim 53 Klassifikation 49, 77 Kombination 16f., 19, 22, 28, 38, 46, 55-62, 64-66, 68-70 Kongruenz 13 f., 70 Konstruktion (Konstruieren; -->Ableitung, Deduktion) 47, 10, 14, 22, 25, 27f., 30, 34, 38-41, 43, 46-49, 52-54, 62, 67, 7lf., 74-78 des Seins 54f. des Wissens 8f., 28, 37, 50 der Wissenschaft 5, 21, 38 Korrelat 14 Korrespondenz von Sein und Denken 3lf. Kraft 9, 10, 36, 47 lebendige 29, 36, 49, 53 - produktive (produzierende) 23f., 42, 76 Kritik (-->Wissen) 5, 6, 46, 71 Kunst 4f., 11 f., 50, 6 7, 71, 73, 78 Kunstdarstellung 64
111
Kunstlehre, philosophische 6, 71 Kunstwerk 4, 11 Leben 3, 6, 8, 28, 51, 53 f., 56, 62, 68, 80f. allgemeines 44, 58f., 71, 74, 77 individuelles 59, 66, 68f., 71 universelles 66, 69 Lebendiges (->Kraft) 7, 15, 51, 54f. Leib 67 - und Seele 37, 80 Liebe zum Realen 5 0 f. Limitation (Beschränkung) 69, 72f. Logik 5f., 37f., 71, 75 Materialismus 32, 33, 68 - theistischer 33, 68 Materie (materiell) 14, 16, 32f., 36,51,55 absolute 64 und Form 32f. reine 34 rohe 32, 69 Maximen 11, 50 Mannigfaltiges 7, 19, 22, 34, 52 Mannigfaltigkeit 16, 24, 45, 63, 64, 80 - absolute 18, 20, 64 Masse 43 f., 76 - verworrene 44, 7 7 Mathematik (mathematisch) 13f., 37, 66 Mehr und Minder 25, 43, 54, 74, 76 - bei Plato 4lf. Meinen 8, 76 Meinung 31, 39, 76 Mensch 8, 11, 42, 45f., 48, 56, 61, 73 Metaphysik 6, 71 Methode, philosophische 64 Mitteilung (mitteilen) 6, 11 f., 45,68, 70
112
Sachverzeichnis
Modifikation 24, 42, 49, 58 Möglichkeit 18, 26f., 30 - des Irrtums 23, 40 Mythos (mythisch) 25, 32, 34, 49,65 Nachahmung 68 Nationalvernunft 45 Natur 8f., 11, 14, 34, 51, 68, 73, 78, 80f. Naturbeschreibung 49, 77 Naturgesetze 14 Naturwissenschaft 54 Negation 56, 65, 70, 78 Nichts 9, 15, 53 - absolutes 71 Nichtsein 19-21, 23, 65, 73 Nicht-Spekulatives 9 Nichtwissen 10, 23, 34, 41, 75 Notwendigkeit 13, 39, 52, 76 Objekt 12, 14, 34, 56, 63, 68f. Objektives (objektiv) 30, 34, 39, 47f., 76, 79 övrwc: öv 5 Operation des Denkens 35 - formelle 16 ~ organische 16 Organ 12, 18, 61 Organisation 63 Organisches (-+ Element, Funktion, Operation, System, Tätigkeit) 6, 16, 63, 68, 76f. Organon 6f. Parallelismus - von Wissen und Sein 21 - von Sein und Denken 64, 68 Personifizieren (Personifikation) 49, 77 Persönlichkeit (persönlich) 12f., 40,48,64 Phänomenismus 68 Phantasie (Phantasieren) 13f., 39
Philosophie (philosophisch; -+ Formalphilosophie, Kunstlehre, Methode, Transzendentalphilosophie) 5, 25, 27, 53, 65f., 69-72 allgemeine 34, 69 reale 69 und Wissenschaft 5, 71 Philosophieren 4f., 64, 71 - alsKunst 4,50,67,71,77f. Physik 5f., 24, 69, 71, 81 Physisches (physisch; -+ Wissen) 18,30,34,37,66, 72 Potenz 80 des Begriffs 40, 7 8 des Bewußtseins 8, 16 der Natur 81 des Prädikats 28 des Urteils 7 8 der Vernunft 81 Postulat 65 - Gottes 23 Prädikat 13, 19f., 26, 28, 41, 55f., 58, 61f., 66, 68, 70, 75, 79 und Subjekt 19-21, 26, 28, 41, 56-58, 68, 75 Prädizieren, absolutes 20 Praxis 22 Prinzip 3-5, 7, lOf., 16, 20, 33, 46L,50,66L,71, 76-78 der Eigentümlichkeit 39, 46f. formales 38, 71 höchstes 5, 8-10 konstitutives 5 der Konstruktion 5f., 9, 72 des Philosophierens 4f. regulatives 5, 5'2 f. des Seins 31, 6 7 des Wissens 4f., 10, 31, 64, 67 Produkt 4, 19, 63, 68 Produktion (produzieren) 4, llt, 14,22,24,27, 29,46 Produktivität (produktiv; -+Kraft) 24, 67
Sachverzeichnis Quantum 25, 36 Quantitatives 41 Qualität 79 Raum (-+ Zwischenraum) 36f., 44,65 Reaktion 3 7, 68 Reales (real; -+ Philosophie, Talent, Wissen) 3, 5, 7, 10, 14f., 20f., 30, 32, 34, 41, 43, 50, 52f., 63, 65f., 70, 72, 74, 80f. Realität 46 des Absoluten 53 - des Urteils 25 - der Vernunft 13 Regeln, technische 5 Religiöses 31f., 74 Repräsentieren (Repräsentation) 37, 40f., 44, 58, 77 Reproduzieren 7 Satz 56, 80 - identischer 38 negativer 75 - vollständiger/unvollständiger 78 Satzbildung 37f. Schein 15, 65, 70 Schweben 30, .73 - des Begriffs 17f., 73 - des Urteils 19 Seele -+ Leib und Seele Sein (Seiendes; -+ Nichtsein, ÖVTW!; llv) 12-14, 17-32, 34-36, 41-49, 52-57, 6365, 67-70, 73-78, 80 absolutes 20, 27, 31, 33, 80 besonderes 27, 28, 77 endliches 35, 80f. fließendes 28 der Gattungen 23f., 28 höchstes 19-21, 23, 73 stehendes (fixiertes, ruhiges) 28f., 43, 55, 77 und Denken -+ Korrespon-
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denz, Parallelismus, Obereinstimmung und Tun 27, 29, 44, 52-54, 76, 78 vernünftiges 35 Sinn - innerer 17 - wissenschaftlicher 6 Sinne (Sinnliches, Sinnlichkeit) 15L,36,39,43,50,69, 71 Skeptizismus (Skepsis, Skeptiker) 7L, 1~ 21,25,63,67, 72 Sophisten 5 Spekulation 3, 8 f. - leere 51 - produktive 67 Spekulatives (spekulativ;-+ NichtSpekulatives) 3, 9, 66, 71 Spezifikation 50 Spiritualismus 33 Sprache 40, 45, 59 - hebräische 40 Stehendes (-+ Beharrliches, Sein) 28f., 68 Stufen der Deduktion 52-54, 78 - der Induktion 48 f. - des Seins 29, 42, 74 Subjekt 12, 14, 17, 19f., 26, 28L,40-42,55L,58L,61L, 66,68, 70, 74, 76, 79 absolutes 63 höchstes 20 und Objekt 56, 79 und Prädikat 19-21, 26, 28, 41, 56-58, 68, 75 Subjektives (subjektiv) 11, 13, 47f., 61, 63, 69, 79 Subjektivität 48, 64 Subordination (-+ Subsumtion, Unterordnung) 42 Sustantiv 41, 76 Subsumtion (-> Unterordnung, Subordination) 7, 17 f., 28, 55, 61, 64-66, 69, 71, 74f. Sünde 48, 71, 77
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Sachverzeichnis
Syllogismus (Schluß) 17, 30, 38,63,67 Synthese (~ Urteil) 14, 18f., 40, 76 System 37, 68, 73, 76 der Anschauung 25, 55 der Begriffe 28,43, 48f., 64 der Begriffsbildung 24, 35, 5 7 der Ideen 74 der Kombination 55 organisches 1 7, 51 der Urteile 28, 63f. des Wissens 40, 72, 80 der Wissenschaften 3 Tätigkeit 8f., 39, 43, 77 - intellektuelle 63 - organische 18, 63 Talent 6f., 50, 70, 78 für das Reale 3, 66 - spekulatives 3, 71 - wissenschaftliches 51, 71 Teilhaben (Anteil haben) 24, 26f., 30, 69 Teilungsgründe des Seins 52-54 Teleologie 75 Theorie 48, 66 thesis 22 Totalität 13, 28, 33, 44, 51 f., 56, 62, 65, 71, 75, 80 der Aktionen 28, 57 des Einzelnen 22, 56 der Erkenntnis 30f. der Gemeinschaft 74f. des Seins 28, 80 des realen Wissens 46, 52 Transzendentales ( transzendental) lOf., 28, 30, 33, 62, 72 Transzendentes (transzendent) 6, 18, 31, 57 - eigentlich Transzendentes 71 Transzendentalphilosophie 5 Tun 27, 29f., 37, 44f., 49, 5254, 57, 75f., 78f. und Sein 27, 29, 44, 52-54, 76, 78
Übereinstimmung des Denkens und Seins 17, 33 Übergang (übergehen) 19, 30, 38, 42f., 48, 54 überspringen von Stufen des Induktionsprozesses 48-50, 77 Überzeugung lOf., 13 Unendliches (~ Urteil) 4, 19, 58,65 Unendlichkeit 25 Universelles (~Leben) 40, 57, 70 Unterordnung (Untergeordnetes; ~ Subordination, Subsumtion) 17 f., 22, 26-29, 32, 63,80 Unterschied 8f., 16, 34, 49, 76, 79 Urgrund des Wissens u. Seins 70 Ursache 27, 29 - und Wirkung 57, 75 Urteil 17-22, 25-30, 38, 40, 55-59, 62-64, 66, 69f., 7274, 78f. absolutes 57 allgemeines und besonderes 6lf., 79 und Begriff 17-20, 27-30, 40,55-57,59, 70, 73 bestimmtes 19f., 56, 79 einfaches u.komponiertes 57f. einzelnes 61, 75, 79 identisches 20 indirektes 74f. synthetisches 5 8 transitives und intransitives 26,58 unendliches 5 7 vollständiges und unvollständiges 56-58 Urteilsbildung 25, 38, 58 Varietät 42 verbum 41, 56, 78 - impersonalis 40, 78 - intransitivum 28 Vermögen 62
Sachverzeichnis Vernunft (-+ Nationalvernunft, Sein) 13f., 16, 30f., 39, 43f., 46f., 51, 65, 69f., 80f. allgemeine 45 Handelnd. Vernunft 14, 63, 81 irdische 77 menschliche 45 Verschiedenheit 10, 26 Verstandesdinge 15 V erstehen 6 f. Vielheit (Vieles} 45, 52, 57, 71 bestimmte 42f., 50, 71, 74, 76 unbestimmte 24, 42f., 50, 53, 55, 74, 76, 78 Vorstellender 48, 76 Vorstellung 7, 21, 24, 29, 34, 36,47,65,67, 69, 74 Wahn 70 Wahrheit (Wahres, wahr} 7, 10, 13 f., 23, 33, 44, 50, 66 f., 69f. Wahrnehmung (wahrnehmen) 16f., 22f., 39, 44f., 58, 65, 69 - chaotische 51, 74 Wechselndes 26 Wechselwirkung 13, 63 Welt 5, 8, 31f., 35, 37, 52, 63, 69f., 75 - und Gott 3 lf., 69, 73 Weltanschauung 25 Weltkörper 51 Werden (->- Wissen) 9, 20, 25, 27, 67, 70, 72, 74 Wesen (Wesentliches) 15, 26f., 29, 31,4lf.,53,5~62,65,78 Widerspruch 10, 35, 46 - Satz des Widerspruchs 69 Wirklichkeit (Wirkliches) 26, 36, 65, 70 Wirkung(-+ Wechselwirkung) 33,68 - und Ursache 57, 75 Wissen (-+ Nichtwissen) 4f., 728, 31-41, 43, 45-47, 50f.,
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53, 58, 63-65, 67-70, 7277, 80f. absolutes 8-10, 16, 22, 66, 72,80 einzelnes (besonderes) 10, 18, 80 empirisches 22, 26 endliches 12, 81 formales 51, 62, 72 höchstes 6-10 kritisches 46f. physisches 24, 35 reales 3, 10-12, 16f., 23, 32, 34-36,40, 46f., 52, 66, 72, 80 reines 8, 25, 46 relatives 45 f., 66 transzendentales 62, 72 transzendentes 18 ursprüngliches 8, 10 vollendetes 12, 25, 27, 39, 41, 61 werdendes 25, 39 Wissenschaft (->- Naturwissenschaft, Talent) 3-6, 9, 14, 21,31,38,43, 54, 64-66, 71, 74, 79 der Ideen 66 und Philosophie 5, 71 des Realen 5, 10, 66, 70, 80 Wort 40, 45 Zeichen 15 Zeit (->- Zwischenzeit) 9, 28, 36f., 42, 45, 65 Zeitlichkeit 31 f., 36, 62 Zeitpunkt 45 Zeitwort 26, 40 Zufall (Zufälliges, zufällig) 26, 31f., 34, 38, 70 Zusammenfassen 15, 18, 23 Zusammensein 27f., 32, 36, 44, 56, 58 f., 61-63, 69, 79 Zustand 26, 48, 57, 62 Zweck 11, 58 Zwischenraum 3 7 Zwischenzeit 3 7
Friedrich Schleiermacher in der Philosophischen Bibliothek Brouillon zur Ethik (1805/06) Auf der Grundlage der Ausgabe von Otto Braun herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Hans-Joachim Birkner. PhB 334. 1981. XXXIV, 163 S. Kart. 28,Dialektik (1811) Herausgegeben und eingeleitet von Andreas Arndt. PhB 386. 1986. LXXIV, 115 S. Kart. 36,Ethik (1812113) Mit späteren Fassungen der Einleitung, Güterlehre und Pflichtenlehre. Auf der Grundlage der Ausgabe von Otto Braun herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Hans-Joachim Birkner. PhB 335. 1981. XL, 324 S. Kart. 38,Ästhetik (1819 / 25) Über den Begriff der Kunst (1831132) Herausgegeben und eingeleitet von Thomas Lehnerer. PhB 365. 1984. XXXVIII, 192 S. Kart. 36,Über die Religion Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Herausgegeben von Hans-Joachim Rothert. PhB 255. Nachdruck 1970. XV, 176 S. Kart. 20,Monologen nebst den Vorarbeiten. 3. Aufl. (Nachdr. d. kritischen Ausgabe v. 1914) mit ergänzter Bibliographie. Mit Einleitung, Bibliographie, Index, Anmerkungen von Friedrich M. Schiele. Erweitert und durchgesehen von Hermann Mulert. Im Anhang: »Neujahrspredigt von 1979« und »Über den Wert des Lebens« (Auszug). PhB 84. 1978. IV*, L, 198 S. Kart. 28,-
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