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German Pages 1014 [1031] Year 1962
WILHELM MERK
Deutsches Verwaltungsrecht Erster Band
Deutsches Verwaltungsrecht Von
Dr. Wilhelm Merk em. o. ö. Professor für Öffentliches Recht an der Universität Tübingen
Erster Band
DUNCKER & HUMBLOT j BERLIN
Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1962 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin SW 61 Printed in Germany
© 1962
Vorwort Die nachstehende Arbeit über "Deutsches Verwaltungsrecht" ist hervorgegangen aus Vorlesungen, die ich in ähnlicher Weise des öfteren an den Universitäten Kiel und Tübingen gehalten habe. Es liegt ihr eine längere Beschäftigung mit dem Gegenstand in Forschung und Lehre zugrunde; zugute gekommen ist ihr auch eine frühere langjährige praktische Tätigkeit im höheren staatlichen Verwaltungsdienst in geradezu allen Zweigen der öffentlichen inneren Verwaltung, in der Bezirksverwaltung und im Ministerium mit der sich daraus ergebenden vielseitigen praktischen Anschauung und Erfahrung. Vorangegangen ist dieser Arbeit eine Schrift über "Die Grundgedanken des neuen deutschen Verwaltungsrechts" im Umfang von rund 500 Seiten, die am 31. Mai 1944 abgeschlossen wurde. Sie enthielt einen Vergleich des damals geltenden Verwaltungsrechts mit der früheren Zeit. Zu meinem großen Bedauern erhielt der Verlag, dem ich sie zum Druck übergab, die damals benötigte Druckgenehmigung nicht. Die Veröffentlichung dieser Arbeit, die jetzt nur noch rechtsgeschichtliche Bedeutung besitzt, behalte ich mir für einen späteren Zeitpunkt vor. Das Bedürfnis für eine möglichst umfassende, eindringende und klar aufgebaute Bearbeitung des Verwaltungsrechts wird auch heute noch nicht in Abrede zu stellen sein; eine etwa den großen Lehrbüchern des bürgerlichen Rechts vergleichbare Darstellung des heutigen Verwaltungsrechts ist zur Zeit nicht vorhanden, wenn es auch an Lehrbüchern kürzeren oder mittleren Umfangs nicht fehlt. Jene Vorlesungen sind s. Zt., als ich sie als junger Privatdozent sozusagen von einem Tage zum anderen zum ersten Male vertretungsweise zu übernehmen hatte, begreiflicherweise vor allem ausgegangen von der grundlegenden und geistvollen Behandlung des Verwaltungsrechts durch den Altmeister der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft, Otto Mayer ("Deutsches Verwaltungsrecht", 3. Aufl. 1924), unter Berücksichtigung aber auch des sonstigen verwaltungsrechtlichen Schrifttums, wie im übrigen selbstverständlich auch der einschlägigen Gesetzgebung und Rechtsprechung. Dieser ursprüngliche Ausgangspunkt ist in mancher Hinsicht auch im vorliegenden Werke noch erkennbar. Wenn ich auch so zunächst namentlich an Otto Mayer, dem ich wertvolle Anregungen und Einsichten verdanke, in der Art der Behandlung des Gegenstandes unter rechtswissenschaftliehen Gesichtspunkten mit
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Vorwort
der Darstellung der hauptsächlichsten Rechtsgebilde oder Rechtserscheinungen des Verwaltungsrechts anknüpfte und bestrebt war, sein Wirken an einem deutschen Verwaltungsrecht in meiner Weise fortzuführen, so ergab sich mir doch von Anfang an Anlaß, im ganzen wie im einzelnen, eigene Wege zu gehen. Das gilt nicht nur mit Bezug auf den Aufbau der Darstellung des Verwaltungsrechts, sondern auch in sachlicher Hinsicht in den verschiedensten Punkten, was im einzelnen hier nicht näher ausgeführt zu werden braucht. Außerdem waren aber auch die seither in vieler Beziehung eingetretenen wesentlichen Änderungen der Verhältnisse zu berücksichtigen, wie, kurz gesagt, der Übergang vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat ergibt. Wenn Otto Mayer noch 1924 sagen zu können glaubte: "Groß Neues ist ja seit 1914 und 1917" (d. h. seit Erscheinen der 2. Auflage seines Werks) "nicht nachzutragen"- somit für die Weimarer Zeit gegenüber der Zeit des Kaiserreichs ---.:., so trifft dies für die Gegenwart im Verhältnis zu seiner Zeit jedenfalls nicht mehr zu, mag auf dem Gebiete desVerwaltungsrechts auch Manches aus der früheren Zeit noch in unsere Zeit hineinragen. Somit konnte es sich für mich nur darum handeln, ausgehend von der geltenden Gesetzgebung das deutsche Verwaltungsrecht nach meiner Art und nach meinen Kräften unter gebührender und dankbarer Heranziehung des anderwärts in Wissenschaft und Rechtsprechung bisher schon wertvoll Geleisteten neu zu bearbeiten. Dies galt für die Vorlesung und gilt auch für das daraus hervorgegangene Buch. Jeder nach seiner Art! Das Werk des Altmeisters in seiner Art und für seine Zeit sei aber dabei wegen seines dauernden Wertes in allen Ehren gehalten. Das vorliegende Buch beschränkt sich auf die Darstellung der allgemeinen Lehren des deutschen Verwaltungsrechts oder des Allgemeinen Verwaltungsrechts, also, wie bereits bemerkt, auf eine Behandlung der öffentlichen Verwaltung unter rechtswissenschaftliehen Gesichtspunkten, d. h. unter Ausscheidung von Verwaltungslehre und Verwaltungspolitik, von einzelnen mehr gelegentlichen Bemerkungen abgesehen. Es will die hauptsächlichsten allgemeinen, dem Verwaltungsrecht eigentümlichen, Rechtsgebilde, die sich bei einer denkenden Durchdringung des großen für die öffentliche Verwaltung in Betracht kommenden Rechtsstoffs ergeben, in begrifflich-systematischer Weise, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden geschichtlichen Entwicklung und mit rechtsvergleichenden Hinweisen, vorführen. Vgl. des Näheren u. §§ 1 und 7. Es war bei dieser Darstellung der Allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts entsprechend der sich danach ergebenden Aufgabe nicht die Absicht, nach Art eines Handbuchs den gegebenen Rechtsstoff in allen wichtigen Einzelheiten mit den derzeit gültigen gesetzlichen Vorschrif-
Vorwort
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ten unter Anführung sämtlicher einzelnen Änderungen, zumal im Hinblick auf die vorhandenen mustergültigen Gesetzessammlungen, darzulegen, wie es sich auch bei einer Darstellung des Besonderen Verwaltungsrechts nicht vermeiden läßt. So ist denn bei den Gesetzesanführungen, namentlich bei den minderwichtigen und vielmals geänderten Vorschriften, verschiedentlich der Zusatz "mit späteren Änderungen" ("m. spät. Änd. ") gemacht worden. Auch wollen die jeweiligen Belege keineswegs erschöpfend sein; es sollten die Rechtssätze der Gegenwart, wie auch z. T. der Vergangenheit, mehr nur zum beispielhaften Beleg bei der Vorführung der hauptsächlichsten Rechtsgebilde dienen. Im übrigen lag es nicht in meinem Sinne, mich in allzu weit getriebene Verallgemeinerungen und abgezogene Betrachtungsweisen ohne genügende Heranziehung der Rechtssätze und ohne ausreichende Rücksicht auf praktische Bedürfnisse zu verlieren, noch auch mich andererseits mit einer bloß mehr oder weniger unsystematischen Aneinanderreihung von Einzelheiten der Rechtsätze oder auch von einzelnen Rechtsgebilden zu begnügen. Vielmehr sollten in einer gewissen eigenartigen Verbindung von Allgemeinem und Einzelnem unter einer übersichtlichen Aufgliederung der Darstellung und Gewinnung möglichst klarer Abgrenzungen die wesentlichen Grundgedanken der hauptsächlichsten Rechtsgebilde unter Erläuterung durch die einzelnen Rechtssätze des ungeheuren Rechtsstoffes herausgestellt werden. Wegen des Fehlens einer eingehenden Darstellung des Besonderen Verwaltungsrechts der Gegenwart schien es mir jedoch angebracht, an einzelnen Stellen mehr auf Einzelheiten einzugehen, als es sonst der Fall gewesen wäre. Daß im übrigen außer der Gesetzgebung und dem einschlägigen Schrifttum auch die Rechtsprechung, insbesondere der höchsten Gerichte auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts, dabei aber namentlich auch die noch verwertbare Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts (Bd. 1 bis 106) heranzuziehen war, bedarf wohl keiner besonderen Hervorhebung; der Raumersparnis halber sind die angeführten Gerichtsentscheidungen jeweils möglichst unmittelbar hinter die zugehörigen Ausführungen gesetzt worden. Um den Umfang des Werkes nicht allzusehr anschwellen zu lassen, mußte im allgemeinen auf weitläufige Auseinandersetzungen mit abweichenden Ansichten verzichtet werden. Auch konnten von dem unabsehbaren Schrifttum unter Verzicht auf Vollständigkeit nur die Schriften angeführt werden, die für den betreffenden Abschnitt von besonderer Bedeutung waren oder für eine weitergehende Beschäftigung in Betracht kommen. Aus dem gleichen Grunde sind die Lehrbücher des Verwaltungsrechts im allgemeinen nicht jeweils zu den einzelnen Abschnitten angeführt worden, sondern nur dort, wo zu ihrer
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Vorwort
Erwähnung besonderer Anlaß gegeben war; auf sie sei hier ein für alle Mal verwiesen. Vgl. u. § 17. Das Buch will in erster Reihe zur Vertiefung und Ergänzung der Vorlesungen über Verwaltungsrecht an den Hochschulen beitragen. Es dürfte darüber hinaus aber auch für die in der praktischen Verwaltung Stehenden, insbesondere die angehenden Verwaltungsbeamten, von Wert sein, die nicht aufgehen wollen in der Beschäftigung mit den praktischen Einzelfällen des täglichen Lebens mit der Sicht lediglich auf die in Betracht kommenden einzelnen Rechtsätze, sondern noch etwas übrig haben für einen Blick auf die großen Zusammenhänge im Verwaltungsrecht: handelt es sich doch gegenüber der großen Fülle der Verwaltungsgesetze mit ihren mehr oder weniger in stetem Flusse befindlichen einzelnen Rechtsätzen sozusagen in gewissem Sinne um die Aufsuchung und Gewinnung eines ruhenden Pols in der Erscheinungen Flucht. Wenn auf diese Weise der Sinn und das Verständnis für die Bedeutung der Allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts gefördert werden kann, soll es mir nach dieser Arbeit an einem überaus spröden Stoff eine Freude sein. Das Werk ist in 2 Bände eingeteilt. Der Erste Band enthält die Einleitung, das 1. Buch: "Die allgemeinen Grundlagen der öffentlichen Verwaltung", das 2. Buch: "Die Träger der öffentlichen Verwaltung" und das 3. Buch: "Die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung", 1. Hauptstück: "Die Tätigkeitsformen der öffentlichen Verwaltung". Der Zweite Band bringt den Schluß des 3. Buches mit dem 2. Hauptstück: "Die Tätigkeitsgebiete der öffentlichen Verwaltung", das 4. Buch: "Die Rechtsverhältnisse in der öffentlichen Verwaltung" und das 5. Buch: "Der Rechtsschutz in der öffentlichen Verwaltung". Das Sachverzeichnis für das ganze Werk befindet sich amSchlusse des 2. Bandes. Tübingen, den 21. Dezember 1961 Wilhelm Merk
Inhaltsverzeichnis Einleitung § 1. Der Gegenstand und die Aufgabe der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Der Gegenstand (S. 3) rung des Stoffes (S. 12)
II. Die Aufgabe (S. 7) -
III. Die Gliede-
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Erstes Buch
Die allgemeinen Grundlagen der öffentlichen Verwaltung Erster Abschnitt
§ 2. § 3.
§ 4.
§ 5. § 6. § 7.
Die begrifflichen Grundlagen: Verwaltung und Verwaltungsrecht Die Verwaltung im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die öffentliche Verwaltung (S. 17) - II. Die Begriffe der öffentlichen Verwaltung (S. 18) Die Trennung der Gewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Lehre von der Trennung der Gewalten (S. 24) - II. Die Würdigung der Lehre von der Trennung der Gewalten (S. 32) - III. Die Durchführung der Gewaltentrennung in den Verfassungsurkunden (S. 45) Die Staatstätigkeiten: Gesetzgebung, Rechtspflege und Vollziehung (Regierung und Verwaltung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Gesetzgebung (S. 54) - Il. Die Rechtspflege (S. 61) - III. Die Vollziehung (Regierung und Verwaltung) (S. 86) Das Verhältnis der Verwaltung zu den übrigen Staatstätigkeiten . . I. Das Verhältnis der Verwaltung zur Gesetzgebung (S. 115) II. Das Verhältnis der Verwaltung zur Rechtspflege (S. 116) Der Zuständigkeitsstreit zwischen Verwaltung und Rechtspflege . . I. Begriff und Wesen (S. 135) - II. Geschichtliche Entwicklung (S. 138) - III. Neueres Recht (S. 141) Das Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verwaltungsrecht (S. 160) - II. Das Verwaltungsrecht und die Verwaltungstätigkeit (S. 173)
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53 114 135 159
Zweiter Abschnitt
Die geschichtlichen Grundlagen: die Entwicklung der öffentlichen Verwaltung § 8. Die geschichtliche Entwicklung im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Die Landeshoheit und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Verwaltungsrechts (S.179) - II. Die Entwicklungsstufen des deutschen Verwaltungsrechts (S. 187) § 9. Der Lehens- und Ständestaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Die Ordnung der Verwaltung im allgemeinen (S. 198) - II. Der Rechtsschutz der Ordnung der Verwaltung (S. 206) § 10. Der unbeschränkte Fürstenstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Die Verwaltung im allgemeinen (S. 213)- Il. Der Rechtsgedanke im unbeschränkten Fürstentaat (S. 217)
Inhaltsverzeichnis
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§ 11. Der liberale Verfassungs- und Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die geistesgeschichtlichen Grundlagen (S. 234) - II. Die Ordnung der Verwaltung im allgemeinen (S. 241)- III. Der Rechtsschutz der Ordnung der Verwaltung (S. 250) § 12. Der nationalsozialistische Führerstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Im allgemeinen (S. 257) - II. Die Verfassung und Verwaltung (S. 262) - III. Das Ende (S. 277) § 13. Der soziale Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Im allgemeinen (S. 279) - li. Die Verfassung und Verwaltung (S. 284)
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257 279
Dritter Abschnitt Die rechtlichen Grundlagen: die Quellen des Verwaltungsrechts § 14. Die Quellen des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I. Die Rechtsquellen des Verwaltungsrechts im allgemeinen (S. 286) - li. Das gesetzte Recht (S. 289) - III. Das Gewohnheitsrecht (Das ungesetzte Recht) (S. 331) § 15. Der Geltungsbereich der Rechtssätze des Verwaltungsrechts . . . . 339 I. Der zeitliche Geltungsbereich (S. 339) - II. Der räumliche Geltunsbereich (S. 345) - III. der persönliche Geltungsbereich (S. 348) § 16. Die Auslegung und Anwendung sowie die Fortbildung des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Die Auslegung der Rechtssätze (S. 349) - II. Die Anwendung der Rechtssätze (S. 361) - III. Die Fortbildung des Rechts (S. 361) Vierter Abschnitt Die wissenschaftlichen Grundlagen: die Verwaltungsrechtswissenschaft § 17. Die Entwicklung der Verwaltungsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . 363 I. Die Zeit des Lehens- und Ständestaats (S. 363) - II. Die Zeit des unbeschränkten Fürstenstaats (S. 364) - III. Die Zeit des liberalen Verfassungs- und Rechtsstaats (S. 366)- IV. Die Zeit des nationalsozialistischen Führerstaats (S. 370) - V. Die Zeit des sozialen
Rechtsstaats (S. 371)
Zweites Buch
Die Träger der öffentlichen Verwaltung Erster Abschnitt Die Träger der öffentlichen Verwaltung im allgemeinen § 18. Die öffentlich-rechtliche Verwaltungsträgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Die öffentlich-rechtliche Verwaltungsträgerschaft im allgemeinen (S. 375} - II. Besondere Formen der öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgerschaft (S. 395} § 19. Die bürgerlich-rechtliche Verwaltungsträgerschaft . . . . . . . . . . . . . . I. Die bürgerlich-rechtliche Verwaltungsträgerschaft (S. 406) II. Übergangsformen (Zwischenbildungen} (S. 419)
375
406
Zweiter Abschnitt Der Staat § 20. Die Staatsverwaltung im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Amt und Behörde (S. 421) - II. Die Amts- und Behördenordnung (S. 435)
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Inhaltsverzeichnis
XI
§ 21. Die geschichtliche Entwicklung des staatlichen Behördenaufbaus
464 I. Die Entwicklung in den deutschen Ländern (S. 464) - II. Die Entwicklung im Reich nach der Gründung des neuen Deutschen Reichs i. J. 1871 (S. 512) § 22. Der gegenwärtige staatliche Behördenaufbau im Bund und in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 I. Die Verwaltung durch Bund und Länder im allgemeinen (S. 524) - Die bundeseigene Verwaltung (S. 529) - III. Die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder (S. 533) - IV. Die landeseigene Verwaltung (S. 538) § 23. Der Staatsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 I. Im allgemeinen (S. 542) - II. Die Beamten (S. 544) - III. Die Angestellten und Arbeiter (S. 597) - IV. Die Personalvertretung (S. 600)
Dritter Abschnitt Die Selbstverwaltung § 24. Die Selbstverwaltung im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Die Selbstverwaltung im unechten (oder staatsbürgerlichen) Sinne (S. 604) - II. Die Selbstverwaltung im echten (oder körperschaftlichen) Sinne (S. 615) § 25. Die gebietliehe Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Gemeinden (S. 625) - II. Die Gemeindeverbände (S. 691) § 26. Die berufliche Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Geschichte (S. 720) - II. Geltendes Recht (S. 724) § 27. Die einzelzweckliehe Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Im allgemeinen (S. 731) - II. Das Anwendungsgebiet (S. 733)
604
625 719 731
Vierter Abschnitt Privatpersonen als Träger öffentlicher Verwaltung § 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Das verliehene öffentliche Unternehmen (S. 739) erscheinungen (S. 759)
II. Übergangs-
739
Drittes Buch
Die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung § 29. Die allgemeinen Grundsätze für die Tätigkeit der öffentlichen Ver-
waltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 I. Der Grundsatz der Volksoberherrlichkeit und der Volksherrschaft (S. 772) - II. Der Grundsatz der sozialen Rechtsstaatlichkeit (S. 773) Erstes Hauptstück Die Tätigkeitsformen der öffentlichen Verwaltung
Erster Abschnitt Die Verwaltungshandlungen im allgerneinen § 30. Die Verwaltungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Im allgemeinen (S. 789) - II. Die Verwaltungsrechtsgeschäfte (S. 803) - III. Die Verwaltungsentscheidung (S. 812) - IV. Abschließende Bemerkungen (S. 812)
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XII
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Abschnitt Die Verwaltungsverfügung § 31. Die Verwaltungsverfügung im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814 I. Begriff und Wesen der Verwaltungsverfügung (S. 814) - II. Die Arten der Verwaltungsverfügung (S. 819) § 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838 I. Die Zuständigkeit (S. 838) - II. Die Verwaltungsverfügungsfähigkeit (S. 839) - III. Die Form (S. 840) - IV. Der Inhalt (S. 845) -V. Nebenbestimmungen (S. 847) -VI. Gültigkeitsvoraussetzungen (S. 862) - VII. Die Wirksamkeit (S. 865) - VIII. Die Fehlerhaftigkeit (S. 869) - IX. Die Rechtskraft (S. 884) - X. Die Widerruflichkeit (S. 886) Dritter Abschnitt Der Verwaltungsvertrag § 33. Der Verwaltungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Im allgemeinen (S. 903) - II. Im einzelnen (S. 904) Vierter Abschnitt Die Verwaltungsentscheidung § 34. Die Verwaltungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Im allgemeinen (S. 913) - II. Das Anwendungsgebiet (S. 915)
903
913
Fünfter Abschnitt
Das allgemeine Verwaltungsverfahren § 35. Das Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Im allgemeinen (S. 919)- II. Das Verwaltungsverfahren bei Verwaltungsbescheiden (Verwaltungsverfügungen und Verwaltungsentscheidungen) (S. 920) - III. Das Verfahren beim Verwaltungsvertrag (S. 945)
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Sechster Abschnitt ch als bemerkenswert angeführt: Wenn den Beamten die Freiheit ihr·er politischen Gesinnung und die Vereinsfreiheit gewährleistet wird, wie nach Art. 130 Weim.RV, so ist jedem Beamten die Freiheit gewährleistet, sich nach außen hin zu einer politischen Auffassung zu bekennen, wie sie von einer bestimmten politischen Partei vertreten wird. Danach ist eine dienststrafrechtliche Bestrafung eines Beamten wegen des bloßen Bekenntnisses zu einer politischen Partei jedenfalls ausgeschlossen; ein Dienstvergehen, das zur Dienstentlassung führen könnte, würde ein Beamter erst dann begehen, wenn er die Erreichung der auf gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung gerichteten Ziele der Partei, zu der er sich bekennt, durch bestimmte ("positive") Handlungen zu fördern versucht (OVG Bd. 77, S. 195). Das gilt- jedoch vorbehaltlich der §§ 52 f. BBG, § 35 BRRG - auch heute noch, soweit die betr. Partei nicht verfassungswidrig ist, was ggf. das BVerfGericht festzustellen hat (vgl. Art. 21 GG), wie dies bezüglich der Sozialistischen Reichspartei durch Urt. v. 23. Okt. 1952 (BVerfGE, Bd. 2, S. 1 ff.) u. bezügl. der Kommunistischen Partei Deutschlands durch Urt. v. 14. Aug. 1956 (BVerfGE Bd. 5, S. 85 ff.) geschehen ist. Bezeichnenderweise ist durch die VO v. 23. Juli 1953 (BGBl. I, S. 661) ,der in der Bestimmung der 1. Durchf.VO z. G zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen vom 17. Mai 1950 in Nr. 1, Satz 2 zu § 3 DBG enthaltene Satz: "Er (d. h. der Beamte) darf daher in der Öffentlichkeit nicht als aktiver Anhänger einer bestimmten politischen Partei oder eines bestimmten politischen Programms hervortreten" gestrichen worden (desgl. i. d. Fassung der Bek. d. VO v. 29. Juni 1937, v. 28. Okt. 1950, BGBl. I, S. 734 zu § 3 Ziff. 1 Satz 2). Vgl. im übrigen insb. noch Art.18 GG wegen der Verwirkung von Grundrechten. Siehe auch noch aus der früheren Rechtsprechung Pr.OVG Bd. 77, S. 516, Bd. 78, S. 446 ff., 455, Bd. 83, S. 436, Bd. 85, S. 455.
DieBeamten
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Hinsicht (vgl. insbesondere § 839 BGB und Art. 34 GG), in strafrechtlicher Hinsicht oder in dienststrafrechtlicher Hinsicht nach sich ziehen. In strafrechtlicher Hinsicht kommen insbesondere die Bestimmungen wegen Verbrechens oder Vergehens im Amt (vgl. § 331 ff. StGB) in Betracht: es kann sich handeln entweder um strafbare Handlungen, die nur ein Beamter begehen kann (z. B. sog. passive Bestechung usw.) - echte Amtsverbrechen -, oder um solche, die auch ein Nichtbeamter begeh·~n kann, beim Beamten aber wegen der ihm zustehenden öffentlichen Ge:walt eine schwerere Straftat darstellen, wie z. B. Unterschlagung oder Körperverletzung im Amte usf., -unechte Amtsverbrechen-. Bei der bürgerlich-rechtlichen Haftung ist anstelle des Beamten die Haftung des Staates oder der öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Anstalt getreten, in deren Dienst der Beamte steht, wenn einem Dritten in Ausübung der öffentlichen Gewalt unter Verletzung einer ihm gegenüber obliegenden Amtspflicht widerrechtlich Schaden zugefügt wird, während bei der Ausübung privatwirtschaftlicher Tätigkeit unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen u. U. neben der Haftung des Beamten eine solche seines Dienstherrn sich ergeben kann (§§ 89, 31 BGB; vgl. u. § 64). In jedem Falle, in dem der Beamte die ihm obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt, begeht er ein Dienstvergehen. Eine nähere tatbestandsmäßige Aufgliederung und Abgrenzung der Pflichtverletzungen im einzelnen- vergleichbar insbesondere den einzelnen Straftatbeständen des StGB - besteht nicht, sondern, ähnlich wie beim völkerrechtlichen Unrecht, nur ein allgemeiner Tatbestand des sog. Dienstvergehens; jede schuldhafte, vorsätzliche oder fahrlässige, Verletzung einer Dienstpflicht, gleichviel welcher Art, ist ein Dienstvergehen. Ein Dienstvergehen kann auch bei Ruhestandsbeamten oder früheren Beamten mit Versorgungsbezügen in gewissen Fällen in Betracht kommen, wie insbesondere, wenn er sich gegen die freiheitliche volksherrschaftliche Grundordnung im Sinne des GG betätigt oder an Bestrebungen teilnimmt, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit des Bundesfreistaats zu beeinträchtigen, die Vorschriften über die Verletzung der Amtsverschwiegenheit oder über die Annahme von Belohnungen oder Geschenken verletzt oder einer in bestimmten Fällen vorgesehenen erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis schuldhaft nicht nachkommt (vgl. §§ 61, 49, 77 BBG). Die dienststrafrechtliehen Folgen sind für die Bundesbeamten jetzt durch die BundesdisziplinarG (BDO) i. d. F. vom 28. November 1952 (BGBl. I S. 761), abg. durch G vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 551), vom 1. Juli 1957 (BGBl. I S. 667), vom 21. August und vom 8. September 1961 (BGBl. I S. 1361, 1665) mit der DurchfVO vom 28. März 1953 (BGBl. I S. 92), abg. durch VO vom 31. August 1953 (BGBl. I S. 1310), geregelt. Danach bestimmt die zuständige Behörde
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§ 23. Der Staatsdienst
(BGBL I S. 1310), geregelt. Danach bestimmt die zuständige Behörde nach pflichtmäßigem Ermessen - also ohne Verfolgungspflicht - unter Berücksichtigung des gesamten dienstlichen und außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten, ob wegen eines Dienstvergehens einzuschreiten ist 67 • Als Dienststrafen kommen je nach der Schwere des Dienstvergehens in Betracht: Warnung, d. h. die Mißbilligung eines bestimmten Verhaltens - Tuns oder Unterlassens - des Beamten, verbunden mit der Aufforderung, dies künftig zu vermeiden; Verweis, d. h. der Tadel eines bestimmten Verhaltens des Beamten; Geldbuße (bis zur Höhe der einmonatlichen Bezüge des Beamten); Gehaltskürzung, d. h. bruchteilmäßige Verminderung der jeweiligen Dienstbezüge um höchstens 1/s und auf längstens 5 Jahre; Versagung des Aufsteigens im Gehalt- d. h. in höhere Dienstaltersstufen unter Ausschluß von Beförderungen - , Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe; Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt; Entfernung aus dem Dienst mit dem Verlust auch des Anspruchs auf Dienstbezüge, d. h. auf alle dem Beamten auf Grund seines Amtes zustehenden Bezüge und auf Versorgung sowie der Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel zu führen, desgl. die Dienstkleidung zu tragen, und zwar mit Bezug auf alle Ämter, die der Bestrafte im unmittelbaren oder mittelbaren Bundesdienst bei Rechtskraft des Urteils bekleidet68 • Bei Ruhestandsbeamten kommt anstelle der Gehaltskürzung und der Entfernung aus dem Dienste nur Kürzung und Aberkennung des Ruhegehalts als Dienststrafe in Betracht69 • In einem und demselben Dienststrafverfahren darf -außer der Versagung des Aufsteigens im Gehalt und der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe, was nebeneinander verhängt werden kann - nur eine der obenerwähnten Dienststrafen verhängt werden. Mißbilligende Äußerungen eines Dienstvorgesetzten, die nicht ausdrücklich als Warnung oder Verweis bezeichnet werden, Zurechtweisungen, Ermahnungen, Rügen usw. sind dagegen keine Dienststrafen (§ 5 BDO). Zu unterscheiden ist im übrigen zwischen einem dienststrafrechtliehen Einschreiten eines Vorgesetzten und dem förmlichen Dienststrafverfahren. Während Warnung, Verweis und Geldbuße auch der Dienstvorgesetzte durch Dienststrafverfügung {"Disziplinarverfügung") verhängen kann, können Gehaltskürzung, Versagung des Aufsteigens im Gehalt, Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe, Versetzung 67 Sind bei einem Dienstvergehen, das keine schwerere Dienststrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte, mehr als 5 Jahre verstrichen, so ist eine Bestrafung nicht mehr zulässig. § 3 Abs. 2 BDO. 68 Die früher noch als Ordnungsstrafe vorgesehen gewesene Arreststrafe gegen untere Beamte ist z. B. in Preußen durch G v. 25. März 1917 (G S. 49) beseitigt worden. Vgl. Helfritz, a. a. 0., S. 75. 69 Dagegen wird ein z. Z. des Eintritts in den Ruhestand schwebendes Dienststrafverfahren in seinem Fortgang nicht gehindert (§ 12 BDO).
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in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, Entfernung aus dem Dienst, Kürzung und Aberkennung des Ruhegehalts nur von den Dienststrafgerichten im förmlichen Dienststrafverfahren verhängt werden (§ 11 BDO). Gegen einen Beamten auf Widerruf, der sich eines Dienstvergehens schuldig macht, findet kein förmliches Dienststrafverfahren statt; hier kommt ggf. der einfachere Weg der Entlassung in Betracht. Die Dienststrafgerichte sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen: Die Mitglieder der Bundesdienst~trafgerichte üben ihre Tätigkeit in richterlicher Unabhängigkeit aus. Dienststrafgerichte sind die "Bundesdisziplinarkammern" 70 und der- beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin errichtete- "Bundesdisziplinarhof" 71 • Es handelt sich bei den Dienststrafgerichten um eine besondere Art von Verwaltungsgerichten. Beim Bekanntwerden von Tatsachen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, veranlaßt der Dienstvorgesetzte die erforderlichen Vorermittlungen, auf Grund deren Ergebnis er entweder das Verfahren einstellt oder im Rahmen seiner Zuständigkeit eine Dienststrafe ausspricht oder die Entscheidung der vorgesetzten Dienstbehörde oder der Einleitungsbehörde herbeiführt. Das förmliche Dienststrafverfahren gliedert sich in die Untersuchung 72 - als Vorverfahren - und in das Verfahren vor dem Dienststrafgericht. Die Untersuchung wird durch schriftliche, dem Beschuldigten zuzustellende Verfügung der Einleitungsbehörde eingeleitee3 ; im Falle der Einleitung des förmlichen Dienststrafverfahrens ist der Beamte vorläufig des Dienstes zu entheben. Einleitungsbehörden sind im allgemeinen die für die Dienstaufsicht zuständigen obersten Bundesbehörden oder dazu ermächtigte unmittelbar nachgeordnete oder die für die Ernennung zuständigen Behörden. Die Einleitungsbehörde kann im 70 Mitglieder der Bundesdisziplinarkammer sind der Vorsitzende, seine Stellvertreter, rechtskundige und andere Beisitzer. Die Mitglieder müssen auf Lebenszeit ernannte Bundesbeamte sein, die das 35. Lebensjahr vollendet haben; der Vorsitzende, seine Stellvertreter und die Rechtskundigen müssen auf Grund der vorgeschriebenen Prüfungen die Fähigkeit zum Richteramt an einem allg. Verwaltungsgericht oder einem ordentlichen Gericht haben, §§ 35 ff. BDO. Sie entscheiden in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, von denen einer rechtskundig sein muß. 71 Er gliedert sich in Disziplinarsenate, die in der Hauptverhandlung mit 3 richterlichen Mitgliedern einschl. des Vorsitzenden und 2 weiteren Mitgliedern entscheiden. Zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung dient der "Große Disziplinarsenat" (§ 42). Wegen der richterlichen Beamten vgl. die besondere Regelung in § 108 BDO. 72 Das Untersuchungsverfahren ist aber nicht zwingend, vgl. sofort (§ 44 BDO). 73 Auch der Beamte kann die Einleitung des förmlichen Verfahrens gegen sich beantragen, um sich von dem Verdacht eines Dienstvergehens zu reinigen. Lehnt die Einleitungsbehörde die Einleitung ab, so hat sie ihm bekanntzugeben, daß ein Grund für die Einleitung nicht vorliegt (§ 28 Abs. 2 BDO).
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Einvernehmen mit dem Bundesdisziplinaranwalt von der Untersuchung absehen, weil sie den Sachverhalt für aufgeklärt ansieht; sonst bestellt sie einen Beamten als Untersuchungsführer, der in voller Unabhängigkeit die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und das Ergebnis der Einleitungsbehörde vorzulegen hat. Gegebenenfalls verfaßt der Bundesdisziplinaranwalt eine Anschuldigungsschrift, welche die Tatsachen, die ein Dienstvergehen darstellen, und dieBeweismittel anführt; mit dem Eingang der Ansehuldigungsschrift ist das Verfahren bei der Disziplinarkammer anhängig. Die Hauptverhandlung ist nicht öffentlich und das auf Grund freier Beweiswürdigung ergehende Urteil kann nur auf Bestrafung, Freispruch oder Einstellung des Verfahrens lauten. Es wird durch Verlesen der Urteilsformel und Mitteilung der wesentlichen Urteilsgründe verkündet; es ist schriftlich abzufassen und zu begründen. Dem Beschuldigten und dem Bundesdisziplinaranwalt sind Ausfertigungen des Urteils mit Gründen zuzustellen. Dem Beschuldigten, der im Dienststrafverfahren verurteilt wird, sind die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise aufzuerlegen. Gegen das Urteil kann binnen 2 Wochen nach seiner Zustellung Berufurig an den Bundesdisziplinarhof eingelegt werden74 • Gegenüber rechtskräftigen Entscheidungen eines Bundesdienststrafgerichts ist unter bestimmten Voraussetzungen die Wiederaufnahme eines Verfahrens zulässig @§ 83 ff. BDO). Hinsichtlich der rechtskräftig gegen Bundesbeamte ausgesprochenen Dienststrafen hat der Bundespräsident ein Begnadigungsrecht75 • Es handelt sich auch bei der Dienststrafe - wie bei der strafrechtlichen Strafe - um ein Übel, das dem Betroffenen zugefügt wird; aber ihr Hauptzweck ~st nicht die Zufügung eines Übels wegen einer in der Vergangenheit liegenden gemeinschaftswidrigen, vom Strafgesetz mißbilligten Handlung, eines Tuns oder Unterlassens, die dem Schutze der allgemeinen Rechtsordnung dient, sondern vor allem die Aufrechterhaltung der inneren Zucht und Ordnung innerhalb der Verwaltung des öffentlichen Dienstes und die Sicherung der Erfüllung der Dienstpflichten durch erziehende oder reinigende Maßregeln, weshalb man auch von bessernden Dienststrafen - wie im allgemeinen - und von reinigenden Dienststrafen - wie bei der Dienstentlassung- sprechen kann78 • 74 Für Personen, die, ohne in das Beamtenverhältnis berufen worden zu sein, ehrenamtlich tätig sind, gilt die BDO nicht. Die für Ehrenbeamte (§ 149 DBG) geltenden besonderen Vorschriften über die Erhebung von Bußen und über das Ausscheiden bleiben unberührt (Durchf.VO zur BDO v. 28. März 1953, BGBl. I, S. 92, zu § 1). 75 Vgl. die AnO des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes v. 10. Dez. 1952 (BGBL I, S. 790). 76 Vgl. dazu Laband, StaatsR d. D.Reichs Bd. 1, S. 485; Schön, Die rechtl. Natur der Disziplinarbestrafung der Staatsbeamten, in VerwArch. Bd. 19, S. 180
ff .. 240 f.
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Der Zweckgedanke steht hier im Vordergrunde im Gegensatz zur Strafe im Sinne des Strafrechts; deshalb gilt der Grundsatz: "Nicht zweimal wegen desselben" (ne bis in idem) im Verhältnis zwischen strafrechtlicher Strafe und Dienststrafe nicht. Es kann daher wegen derselben Handlung ein strafrechtliches und ein dienststrafrechtliches Verfahren in Frage kommen, weil sie ganz verschiedene Zwecke verfolgen. Während bei den leichteren Dienstvergehen die geringeren Dienststrafen in ihrer Abstufung genügen, ist die schwerste Dienststrafe - die Entfernung aus dem Dienste- zur Ausmerzung unwürdiger Beamten bestimme7 ; durch die Einrichtung des Dienststrafverfahrens wird das Pflichtbewußtsein im Beamtenturn mit wacherhalten, aber zugleich auch ein Schutz der Beamten gegen unwürdige Vorwürfe oder willkürliches oder ungerechtes Verhalten von Vorgesetzten, wie insbesondere bei der Entlassung, erzielt (Pr. OVG Bd. 22 S. 424, Bd. 96 S. 240, Bd. 97 S. 241). Deshalb findet bezüglich der Dienststrafe auch keine Verjährung staW8 , was jetzt bezüglich der geringeren Dienstvergehen eine Abschwächung erhalten hat, wonach, wenn seit einem Dienstvergehen, das keine schwerere Dienststrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte, mehr als 5 Jahre verstrichen sind, eine Bestrafung nicht mehr zulässig is.t (§ 3 Abs. 2 BDO). Einen gewissen Ausgleich bietet im übrigen aber der Ermessensgrundsatz mit Bezug auf die Verfolgung, insofern keine Verfolgungspflicht besteht. Bezü~lich des Verhältnisses zwischen Dienststrafverfahren und Strafverfahren mit Bezug auf dieselbe Handlung gilt der Grundsatz, daß, wenn gegen den eines Dienstvergehens Beschuldigten wegen derselben Tatsache die öffentliche Klage im strafgerichtlichen Verfahren erhoben ist, ein Dienststrafverfahren zwar eingeleitet, es aber bis zur Beendigung des strafgerichtliehen Verfahrens ausgesetzt werden muß. Ebenso muß ein bereits eingeleitetes Dienststrafverfahren ausgesetzt werden, wenn während seines Laufes die öffentliche Klage erhoben wird. Mit Zustimmung des Bundesdisziplinaranwalts kann das Dienststrafverfahren fortgesetzt werden, wenn die Sachaufklärung gesichert ist oder im strafgerichtliehen Verfahren aus Gründen nicht verhandelt werden kann, die in der Person des Beschuldigten liegen. Wird der Beschuldigte im strafgerichtliehen Verfahren freigesprochen, so kann wegen der Tatsachen, die Gegenstand der strafgerichtlichen Untersuchung waren, ein Dienststrafverfahren nur dann eingeleitet oder fortgesetzt werden, wenn diese Tatsachen, ohne den Tatbestand eines Strafgesetzes zu erfüllen, ein Dienstvergehen darstellen. Für die Entscheidung im Dienststrafverfahren sind die tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtliehen Urteils bindend, auf denen die Vgl. Helfritz, a. a. 0., S. 74. Vgl. 0. Mayer, a. a. 0., Bd. 2, S. 199 f., Helfritz, a. a. 0., S. 76, Heyland, D. BeamtenR, S. 234. 11
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Entscheidung des Strafgerichts beruht; das Bundesdienststrafgericht kann jedoch die nochmalige Prüfung solcher Feststellungen beschließen, deren Richtigkeit seine Mitglieder übereinstimmend bezweifeln (§ 13 BDO). Neben den dienststrafrechtliehen Folgen kann sich aus der Verletzung von Amts- oder Dienstpflichten eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Dienstherrn ergeben. Verletzt ein Beamter schuldhaft, d. h. vorsätzlich oder fahrlässig, seine Amtspflicht, so hat er dem Dienstherrn, dessen Aufgabe er wahrgenommen hat, den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen7g; so z. B. bei unmittelbarer Schadenszufügung, Unterschlagung von amtlichen Geldern usw., aber auch bei mittelbar dem Dienstherrn - durch unmittelbar einem Dritten gegenüber - zugefügten Schaden in Ausübung dienstlicher Verrichtungen wegen der Nachteile, für die der Dienstherr aufzukommen hat. Haben mehrere Beamte gemeinschaftlich den Schaden verursacht, so haften sie als Gesamtschuldner80. Hat der Dienstherr einem Dritten Schadensersatz geleistet (vgl. Art. 34 GG in Verbindung mit§ 839 BGB), weil der Beamte in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt seine Amtspflicht verletzte, so hat der Beamte dem Dienstherrn den Schaden nur insoweit zu ersetzen, als ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit, d. h. eine besonders schwere Vernachlässigung der gebotenen Sorgfalt (vgl. RGZ Bd. 75 S. 435), zur Last fällt 81 . Leistet der Beamte dem Dienstherrn Ersatz und hat dieser einen Ersatzanspruch gegen einen Dritten, so geht der Ersatzanspruch auf den Beamten über(§ 78 BBG, § 46 BRRG). Entsprechend geregelt ist die Haftung beim Soldaten(§ 24 SoldG v. 19. März 79 Vgl. Brand, DBG (4. Aufl.), S. 239. Wird ein Beamter wegen Erstattung eines fehlenden Geldbetrages in Anspruch genommen, so kommt die Beweislastregel des § 282 BGB erst dann zur Anwendung, wenn die Entstehung des Fehlbetrags erwiesen und nur deren Ursache ungeklärt ist. 80 Auf der anderen Seite hat ein Beamter, der aus einer auf Anordnung, Vorschlag oder Veranlassung seines Dienstvorgesetzten übernommenen Tätigkeit im Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder in einem sonstigen Willensträger einer Gesellschaft, Genossenschaft oder eines in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmens haftbar gemacht wird, gegen den Dienstherrn einen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens. Ist der Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt worden, so ist der Dienstherr nur dann ersatzpflichtig, wenn der Beamte auf Anordnung eines Vorgesetzten gehandelt hat (§ 12 DBG = § 67 BBG). 81 Verjährung der Ersatzansprüche des Dienstherrn gegen den Beamten in 3 Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Dienstherr von dem Schaden und der Person des ErsatzpflichtigenKenntnis erlangt hat, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis aber in 10 Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Ersatzanspruch des Dritten diesem gegenüber von dem Dienstherrn anerkannt oder diesem gegenüber rechtskräftig festgestellt und der Dienstherr von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat; im Falle der Haftung nach Art. 34 GG in 3 Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Ersatzanspruch des Dritten diesem gegenüber von dem Dienstherrn anerkannt oder diesem gegenüber rechtskräftig festgestellt ist und der Dienstherr von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat.
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1956, BGBl. I S. 114, i. d. F. v. 28. März 1960, BGBl. I S. 206) und beim Ersatzdienstpflichtigen (§ 19 ErsDienstPflG v. 16. Jan. 1960, BGBl. I S. 10). Gegen einen Beamten, Angestellten oder Arbeiter im Dienste des Bundes, der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten, Stiftungen des öffentlichen Rechts, der infolge schuldhaften Verhaltens für einen Fehlbestand im öffentlichen Vermögen seiner Verwaltung haftet, ist neben der Verfolgung im vorgesehenen Rechtsweg ein besonderes vereinfachtes Erstattungsverfahren vorgesehen. Als Fehlbestand in diesem Sinne gilt hierbei nur ein infolge schuldhafter Verletzung von Dienstpflichten verursachter kassen- oder bestandsmäßiger sowie ein infolge fehlerhafter Rechnungsweise oder unterlassener oder unzureichender rechnerischer Nachprüfung verursachter Aufwand und ein infolge vorsätzlicher strafbarer Handlung - z. B. Unterschlagung - verursachter Vermögensschaden. Vgl. das ErstattungsG (G über das Verfahren über die Erstattung von Fehlbeständen an öffentlichem Vermögen) vom 18. April1937 i. d. F. d. Bek. im BGBl. 1951 I, S. 109 mit der DurchfVO vom 29. Juni 1937 (RGBl. I S. 723 i. d. F. d. Bek. i. BGBl. 1951 I S. 111) 82 • Weiter kann der Dienstherr ein Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrecht insoweit geltend machen, als die Dienstbezüge pfändbar sind, oder darüber hinaus, soweit er einen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung hat (§ 84 BBG). Im übrigen können sich auch noch sonstige vermögensrechtliche Nachteile bei nicht gehöriger Erfüllung der Dienstpflichten für den Beamten ergeben. Bleibt der Beamte in seinen Leistungen hinter dem billiger Weise von ihm zu fordernden Maße zurück, so konnte ihm nach § 21 DBG das nach den Dienstaltersstufen des Besoldungsrechts vorgesehene Aufsteigen im Gehalt in jeder Dienstaltersstufe bis zu 2 Jahren durch Entscheidung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr dazu bestimmten Dienstbehörde versagt werden, ohne daß eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung hierbei vorzuliegen brauchte; eine entsprechende Vorschrift findet sich im BBG nicht vor. Wegen der Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst vgl. o. Buchst. bb 1). 82 Nach Feststellung des Sachverhalts erläßt die zuständige Verwaltungsbehörde einen Erstattungsbeschluß, mit dem in § 5 d. G bezeichneten Mußinhalt, der mit der Zustellung an den Erstattungspflichtigen im Verwaltungswege vollstreckbar ist. Von einem Erstattungsbeschluß ist abzusehen, wenn der Fehlbestand ersetzt ist oder der Wert den Betrag von 100 DM nicht übersteigt, wenn nicht aus besonderen Gründen das Erst.Verf. durchgeführt werden soll; es kann davon abgesehen werden, wenn der Fehlbestand nur infolge leichter Fahrlässigkeit verursacht worden ist oder der Erstattungspflichtige schriftlich erklärt, daß er sich zum Ersatz verpflichte und der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwerfe (§ 6). Gegen den Erstattungsanspruch kann der Erstattungspflichtige Einwendungen gegen seine Erstattungspflicht im Wege der Klage vor dem Verwaltungsgericht geltend machen. (vgl. dazu§ 13).
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2) Die Rechte der Beamten Aus dem Beamtenverhältnis ergeben sich nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. Insofern ist es ein auf Gegenseitigkeit und wechselseitiger Treupflicht (so auch BGHZ Bd. 30 S. 236) beruhendes Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Beamten, das an das alte Gefolgschafts- und Vasallenverhältnis erinnert. Als persönliche öffentliche Rechte des Beamten kommen vor allem in Betracht: aa) Das Recht auf Schutz und Fürsorge Der Beamte hat Anspruch aufFürsorgeundSchutz in seiner amtlichen Tätigkeit und in seiner Stellung als Beamter; der Dienstherr hat im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl des Beamten und seiner Familie, auch für die Zeit nach Beendigung des Beamtenverhältnisses zu sorgen (vgl. § 79 BBG) 83 • Die der Eigenart des öffentlichen Dienstes entsprechende Anwendung der Vorschriften des MutterschutzG auf Beamtinnen84 und der Vorschriften des SchwerbeschädigtenG auf schwerbeschädigte Beamte und Bewerber wird durch RechtsVO der Bundesregierung geregelt. Aus der Schutz- und Fürsorgepflicht des Dienstherrn ergibt sich u. a., daß er "den Beamten ggf. zu beraten und ihn über die Rechtsfolgen und die Tragweite der ihm anheimgestellten Anträge und Entschließungen aufzuklären" hat (BGHZ Bd. 14 S. 130; Bd. 7 S. 74); ferner daß er ihn, soweit es die Dienstverrichtung gestattet, tunliehst gegenüber Gefahren für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit schützt, ähnlich wie dies für den bürgerlich-rechtlichen Arbeitgeber, sei es bürgerlich-rechtlich (§ 618 BGB) oder öffentlich-rechtlich (§ 120 a GewO) gilt. So würde sich z. B. eine Schadensersatzpflicht für ihn ergeben aus schuldhafter Verletzung dieser Fürsorgepflicht als einer Amtspflicht aus § 839 BGB, Art. 34 GG, wenn er einen Beamten mit einem Angestellten im selben Arbeitszimmer beläßt, obwohl er weiß, daß der Angestellte an einer ansteckenden Krankheit (Lungenschwindsucht) leidet, ihn aber aus Mitleid im Dienste behält, so daß der Beamte irrfolge Ansteckung erkrankt (vgl. dazu BGHZ Bd. 21 S. 219, Bd. 29 S. 310, wonach kein selbständiger unmittelbarer Schadensersatzanspruch neben § 839 BGB, der in 30 Jahren verjähren würde- vgl. auch (abw.) BGHZ 83 Der Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst erhält nach § 79 a BBG einen Unterhaltszuschuß in Höhe von mind. 30 °/o des Anfangsgrundgehalts der Eingangsgruppe der Laufbahn, ggf. nebst Kinderzuschlägen; vgl. auch §54 BRRG. Vgl. auch noch § 9 G über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst vom 30. März 1957 (BGBl. I, S. 295). 84 Vgl. auch die VO über den Mutterschutz für Beamtinnen vom 19. Juli 1954 (BGBl. I, S. 214), abg. durch VO v. 22. Sept. 1958 (BGBl. I, S. 672), .insb. wegen der Nichtbeschäftigung, u. U. während der ganzen Schwangersch·aft, im übrigen 6 Wochen vor und 6 bzw. 8 Wochen- ggf. noch länger- nach der Niederkunft.
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Bd.14 S. 137- und vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen wäre, angenommen werden kann). Dagegen besteht kein Recht am Amte selbst ~ wovon man im Lehnsstaate mit seiner privatrechtsartigen Auffassung der Amtslehen sprechen kann (so auch RGZ Bd. 134 S. 14) -;es handelt sich nicht um einen dem Beamten zur Wahrnehmung seiner besonderen Belange eingeräumten Willensmachtkreis, sondern um eine rechtliche Stellung, die ihm zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben eingeräumt ist, bei der die Pflichtstellung durchaus im Vordergrunde steht. Von einem persönlichen öffentlichen Recht kann daher keine Rede sein. Dies zeigt sich insbesondere auch darin, daß der Beamte -ohne Entschädigung (wie im Falle der Enteignung i. S. des hierbei entwickelten Eigentumsbegriffs i. w. S.) - aus dienstlichen Gründ·=n versetzt oder auch bei einer Veränderung oder Auflösung der Behörde, der er angehört, in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weiter, daß ihm aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung seiner Dienstgeschäfte von der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Behörde verboten werden kann (vgl. § 60 BBG usf.). Selbst bei den Richtern kann von einem persönlichen öffentlichen Recht auf ein bestimmtes Amt oder auf Belassung im Amt - nämlich im Hinblick auf die persönliche richterliche Unabhängigkeit, d. h. daß sie nicht wider ihren Willen versetzt oder abgesetzt werden können - nicht g·=sprochen werden: diese ist, wie früher bereits erwähnt, nur zur Ermöglichung einer unparteiischen Rechtspflege, und nicht zum eigenen Vorteil, gewährt und besteht bei einer Änderung der Einrichtung der Gerichte nicht (vgl. jetzt §§ 30 ff. DRichterG v. 8. Sept. 1961). Wohl kann man - aber auch nur -von einer gewissen rechtlich·=n Sicherung mit Bezug auf die Innehabung des Amtes gegenüber willkürlicher Entfernung aus dem Amte sprechen85 • Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang noch auf den strafrechtlichen Schutz, den der Beamte genießt gegenüber Beleidigungen während der Ausübung des Amtes od·~r mit Bezug auf die Ausübung des Amtes (§ 196 StGB), gegen Widerstand bei rechtmäßiger Amtsausübung- bei den sog. Vollstreckungsbeamten (§ 113 a. a. 0.)-odergegen das Unternehmen der Nötigung zu einer Amtshandlung durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt(§ 114 a. a. 0.). bb) Vermögensrechtliche Rechte, nämlich auf Dienst- und Versorgungsbezüge 1') Zu den vermögensrechtlichen Ansprüchen der Beamten gehören vor allem die Ansprüche auf Dienstbezüge nach näherer gesetzlicher 85 Neuerdings ist noch z. B. in dem württ.-hoh. BeamtenG vom 8. April 1948 ein Recht auf das Amt ausdrücklich anerkannt worden, ohne daß aber ersichtlich ist, daß gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eine Änderung dadurch herbeigeführt worden ist. Es handelt sich offenbar um einen Rückfall in eine privatrechtsartige Auffassung des Amtes.
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Bestimmung. Die Dienstbezüge86 sind bei den Bundesbeamten gegenwärtig durch das BBesoldungsG vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 993) mit Rahmenvorschriften für die Regelung der Dienstbezüge der Beamten der Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände und die übrigen öffentlichrechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, die der Aufsicht des Landes unterstehen (mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften und ihrer Verbände), die Versorgungsbezüge dagegen im BBG und BRRG geregelt (vgl. u. Ziff. 2'); vgl. hierzu z. B. das bad.württ. LBesG vom 27. Januar 1958 (GBl. S. 17). Die Dienstbezüge bestehen bei planmäßigen Beamten als Besoldung im allgemeinen aus Grundgehalt, Ortszuschlag (früher Wohnungsgeldzuschuß), Kinderzuschlägen (30-40 DM monatlich), Stellenzulagen und Ausgleichszulagen; auch kann den Beamten bei Dienstjubiläen eine Jubiläumszuwendung gewährt werden. Dazu kommen ggf. Aufwandsentschädigungen, Reisekosten und Vergütungen für Dienstreisen sowie Umzugskastenvergütung und Trennungsentschädigung (bei getrennter Haushaltsführung) gemäß näherer gesetzlicher Regelung. Neben den Dienstbezügen können unter bestimmten Voraussetzungen, seies-nach näherer Regelung - pflichtmäßig auf Grund von Ansprüchen oder nach freiem Ermessen (bedenklich gegenüber den darüber bestehenden, den Rechtsanspruch ausschließenden Bestimmungen m. E. BGHZ Bd. 10 S. 295) noch weitere geldliche Leistungen gewährt werden, wie z. B. Notstandsbeihilfen bei außerordentlichen Aufwendungen im Falle von Krankheiten, Unglücksfällen, für Badekuren usf. in der Familie des Beamten. In bestimmten Fällen treten dazu Zulagen und Sondervergütungen, z. B. für Nebenämter und Nebenbeschäftigungen, wie z. B. Prüfungsgebühren usf. Die Gehälter können entweder aufsteigende Gehälter nach den verschiedenen Gruppen sein, die von 2 zu 2 Jahren sich erhöhen bis zur Erreichung des Endgrundgehaltes, oder feste Gehälter für die höchsten Amtsstellen. Hierbei ist nicht nur ein Aufrücken innerhalb der verschiedenen Gehaltsgruppen, abgesehen von den festen Gehältern, vorgesehen, sondern auch ein Übergang von der einen Beamtenlaufbahn in eine andere nicht ausgeschlossen (vgl. o.). Bei außerplanmäßigen Beamten wird anstelle des Grundgehaltes Grundvergütung gewährt. Die Dienstbezüge erhält der Beamte, wenn nicht ein anderer Zeitpunkt festgesetzt ist, vom Zeitpunkt der Ernennung oder, falls ihm die Planstelle zu einem früheren Zeitpunkt übertragen worden ist, von diesem Zeitpunkte an(§ 82 BBG). Ein Amt, das in einer der Besoldungsordnun86 Wegen des Begriffs vgl. die Durchf.VO zum DBG, zu § 38, wonach Dienstbezüge Geldbezüge sind, auf deren Gewährung der Beamte einen Rechtsanspruch hat, insb. solche, die durch Gesetz (BesoldungsG, Besoldungsordnung, -satzung usw.) vorgeschrieben sind, dagegen nicht Geldleistungen, die auf Kannvorschriften beruhen (z. B. Unterhaltszuschüsse usw.) - Wegen der Berechnung des Besoldungsdienstalters vgl. §§ 6 ff. BBesG. Vgl. noch Anz, Zum BesoldungsG des Bundes, in DÖV 1957, S. 612 ff.
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gen aufgeführt ist, die dem BesG als Anlage beigefügt sind oder dessen Bezeichnung der Bundespräsident festgesetzt hat, darf nur zusammen mit der Einweisung in eine besetzbare Planstelle verliehen werden; Besoldung und andere Dienstbezüge dürfen nur nach Maßgabe der darüber bestimmenden Gesetze und der im Haushaltsplan dafür zur Verfügung gestellten Mittel bewilligt werden (§ 36 RHaushaltsO). Dienst- und Versorgungsbezüge sowie die Einreihung der Beamten in die Gruppen der Besoldungsordnungen können nur durch Gesetz geändert werden (§ 86 BBG, § 50 BRRG). 2') Weiter gehören dahin die Ansprüche auf Versorgung. Nämlich auf Unfallfürsorge 87 ; sie wird einem Beamten und seinen Hinterbliebenen gewährt, wenn ein Beamter, gleichviel welcher Art, durch einen von ihm nicht vorsätzlich herbeigeführten Dienstunfall verletzt wird, während sie bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Unfalls von der obersten Dienstbehörde versagt werden kann (vgl. §§ 134 ff. BBG). Weiter Ansprüche auf lebenslängliches Ruhegehalt im Falle des Eintritts in den Ruhe87 Nämlich: 1) die Erstattung von Sachschäden an Kleidungsstücken oder sonstigen Gegenständen, die der Beamte beim Dienstunfall mit sich geführt hat, und besonderen Aufwendungen durch die erste Hilfeleistung (§ 136); 2) Heilverfahren - notwendige ärztliche Behandlung, notwendige Versorgung mit Arznei- und anderen Heilmitteln usf., notwendige Pflege (insb. Kosten einer notwendigen Pflegekraft bei Hilflosigkeit) -; 3) Unfallausgleich neben den Dienstbezügen, dem Unterhaltszuschuß oder dem Ruhegehalt bei wesentlicher Beschränkung der Erwerbsfähigkeit in Höhe der Grundrente nach dem BVersorgG (§ 31 Abs. 1 bis 3); 4) Unfallruhegehalt als Unterhaltsbeitrag, wenn infolge des Unfalls der Beamte dienstunfähig geworden und in den Ruhestand getreten ist (mind. 66 2 /s bis höchstens 75 vH. der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge); 5) Unfallhinterbliebenenversorgung, wenn der Beamte an den Folgen des Dienstunfalls verstorben ist. Im übrigen gelten die allg. Vorschriften über Versorgung. Zum Dienst gehören auch Dienstreisen, Dienstgänge und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort, die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen sowie das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle, ähnlich wie auch in der Unfallversicherung nach der RVO; der Weg nach und von der Dienststelle beginnt und endet an der Haustüre. Unterbrechung des Wegs aus persönlichen Gründen gilt nicht als Dienst. Als Dienstunfall gilt ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist (§ 135 BBG); wegen der Ausdehnung auf Berufskrankheiten vgl. Abs. 3 und die DurchfVO v. 12. Mai 1958 (BGBL I, S. 340). Ein Dienstunfall ist für die Dienstunfähigkeit ursächlich, wenn sie durch den Unfall im wesentlichen herbeigeführt worden ist (i. S. einer Einengung der adäquaten Verursachung: BVerwGE Bd. 7, S. 48; vgl. auch Bd.10, S. 258 zur Frage, ob Selbsttötung Dienstunfall sein kann). Weitergehende Ansprüche können- ähnlich wie nach der RVO (vgl. §§ 898, 901) - gegen einen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn im Bundesgebiet oder im Lande Berlin oder gegen die in seinem Dienst stehenden Personen nur dann geltend gemacht werden, wenn der Dienstunfall durch eine vorsätzlich unerlaubte Handlung einer solchen Person verursacht worden ist; jedoch findet das Gesetz über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen vom 7. Dez. 1943 (RGBL I, S. 674) Anwendung; Ersatzansprüche gegen andere Personen bleiben unberührt (§ 151 BBG). Vgl. jetzt auch die Durchf.VO (Heilverfahren) v. 2. Mai 1957 (BGBL I, S. 425) und§§ 79 ff. BRRG, ferner auch noch § 141 a l;IBG.
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stand88 • Auch kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Unterhaltsbeitrag gewährt werden, falls kein Anspruch auf Ruhegehalt besteht8 g. Weiter bestehen Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung90 , auf Ab88 Er wird nur gewährt, wenn der Beamte eine Dienstzeit von mindestens 10 Jahren abgeleistet hat oder infolge Krankheit, Verwundung oder sonstiger Beschädigung, die er sich ohne grobes Verschulden bei Ausübung oder aus Veranlassung des Dienstes zugezogen hat, dienstunfähig geworden ist oder in den einstweiligen Ruhestand (vgl. § 36 BBG) versetzt worden ist. Die Dienstzeit wird vom Zeitpunkt der ersten Berufung in das Beamtenverhältnis ab gerechnet (§ 106). Das Ruhegehalt wird auf der Grundlage der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit berechnet. Ruhegehaltsfähige Dienstbezüge sind das Grundgehalt, das dem Beamten nach dem BesoldungsR zuletzt zugestanden hat oder die diesem entsprechenden Bezüge, der Ortszuschlag der Ortsklasse A und sonstige im BesoldungsR als ruhegehaltsfähig bezeichneten Dienstbezüge. Das Ruhegehalt beträgt bei Vollendung einer zehnjährigen ruhegehaltsfähigen Dienstzeit 35 vH. und steigt mit jedem weiter. zurückgelegten Dienstjahr bis zum vollendeten 25. Dienstjahr um 2 vH., von da ab um 1 vH. der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge bis zum Höchstsatze von 75 vH.; bei kürzerer als zehnjähriger ruhegehaltsfähiger Drenstzeit beträgt das Ruhegehalt 35 vH.IVIindestens werden 65 vH.der jeweils ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der BesoldungsgruppeA1 gewährt. (§ 116).- Hat der Beamte die Bezüge aus seinem, nicht der Eingangsbesoldungsgruppe seiner Laufbahn angehörenden, Amt nicht mindestens ein Jahr erhalten, so treten an Stelle der Dienstbezüge seines Amtes die entsprechenden Bezüge aus dem vor seiner Ernennung bekleideten Amt; hat der Beamte ein Amt nicht bekleidet, so setzt die oberste Dienstbehörde im Einvernehmen mit dem BFinMin. die ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge bis zur Höhe von 50 vH der sich ergebenden Bezüge fest; diese Einschränkung gilt jedoch insb. nicht, wenn der Beamte vor Ablauf des Jahres verstorben oder infolge von Krankheit, Verwundung oder sonstiger Beschädigung, die er sich ohne grobes Verschulden bei der Ausübung oder aus Veranlassung des Dienstes zugezogen hat, in den Ruhestand getreten ist oder die Obliegenheiten des ihm übertragenen Amtes mindestens ein Jahr lang tatsächlich wahrgenommen hat (§ 109 BBG). - Wegen des Verlusts der Rechte als Ruhestandsbeamter vgl. § 162 BBG. § 110 BBG über die beschränkte Berücksichtigung von Beförderungen ist vom BVerfG wegen Widerspruchs zu Art. 33 Abs. 5 GG als nichtig erklärt worden (BGBI. 1960 I, S. 596). 89 Er kann nach § 120 BBG einem Beamten auf Lebenszeit, der vor Ableistung einer Dienstzeit von 10 Jahren wegen Dienstunfähigkeit oder Erreichung der Altersgrenze nach § 35 Satz 2 entlassen ist, bis zur Höhe des Ruhegehalts bewilligt werden; das gleiche gilt für einen Beamten auf Probe, der wegen Dienstunfähigkeit oder wegen Erreichung der Altersgrenze entlassen ist. 90 Vgl. RGZ Bd. 135, S. 373: Die Hinterbliebenenversorgung ist nicht etwa bloße staatliche Fürsorge für die Familie des Beamten, sondern sie bildet ebenso wie das Ruhegehalt einen Teil der Gegenleistung für seine Dienste, auf dessen Gewährung er einen Rechtsanspruch hat, den er schon zu seinen Lebzeiten im Rechtsweg verfolgen kann.- Es kommen in Betracht: a) der Sterbemonat: den Erben eines verstorbenen Beamten verbleiben für den Sterbemonat die Bezüge des Verstorbenen einschl. der zur Bestreitung der Dienstaufwandskosten bestimmten Einkünfte; bei Ruhestandsbeamten sowie bei entlassenen Beamten tritt an die Stelle der Dienstbezüge das Ruhegehalt oder der Unterhaltsbeitrag. Die an den Verstorbenen noch nicht gezahlten Teile der Sterbemonatsbezüge können anstatt an die Erben auch an den überlebenden Ehegatten, die ehelichen oder für ehelich erklärten Abkömmlinge sowie die an Kindes Statt angenommenen Kinder gezahlt werden. b) Sterbegeld: Beim Tode eines Beamten mit Dienstbezügen erhalten der überlebende Ehegatte, die ehelichen Abkömmlinge usw., die Verwandten der aufsteigenden Linie, seine Geschwister und Geschwisterkinder sowie seine Stiefkinder Sterbe2eld in
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findung 91 und auf Übergangsgeld (nämlich für einen Beamten mit Dienstbezügen, der nicht auf eigenen Antrag entlassen wird, nach vollendeter einjähriger Beschäftigung - vgl. § 154 BBG - in Höhe des Einfachen bis Sechsfachen der Dienstbezüge des letzten Monats bei längerer Beschäftigungsdauer). Bei Erhöhung oder Verminderung der Dienstbezüge der Beamten - sei es allgemein oder für einzelne Laufbahngruppen - sind von demselben Zeitpunkt an die Versorgungsbezüge entsprechend zu ändern(§ 86 BBG). Vgl. auch§§ 63 ff. BRRG. Höhe des Zweifachen der Dienstbezüge des Verstorbenen ausschl. der Kinderzuschläge und der zur Bestreitung von Dienstaufwandskosten bestimmten Einkünfte (bzw. bei Ruhestandsbeamten und entlassenen Beamten des Ruhegehalts oder Unterhaltsbeitrags) in einer zu zahlenden Summe, wenn sie zur Zeit des Todes zur häuslichen Gemeinschaft des Beamten gehört haben: das gleiche gilt für die unehelichen Kinder einer Beamtin mit Dienstbezügen und deren Abkömmlinge. Falls solche Anspruchsberechtigte nicht vorhanden sind, ist Sterbegeld auf Antrag zu gewähren Verwandten aufsteigender Linie, Geschwistern, Geschwisterkindern oder Stiefkindern, deren Ernährer der Verstorbene ganz oder überwiegend gewesen ist, sonstigen Personen, welche die Kosten der letzten Krankheit oder der Bestattung getragen haben, bis zur Höhe ihrer Aufwendungen. c) Witwen- und Waisengeld mit Ablauf des Sterbemonats: die Witwe eines Beamten, der zur Zeit seines Todes Ruhegehalt erhalten hätte, sowie die Witwe eines Ruhestandsbeamten erhalten Witwengeld die Bestimmungen des § 106 gelten hierbei nicht (o. Anm. 88) - in Höhe von 60 vH. des Ruhegehalts, das der Verstorbene erhalten hat oder hätte erhalten können, wenn er am Todestage in den Ruhestand getreten wäre; die ehelichen Kinder, sowie die für ehelich erklärten usf. Kinder erhalten unter den gleichen Voraussetzungen Waisengeld in Höhe von 20 vH., die Halbwaisen 12 vH., des Ruhegehalts, das der Verstorbene erhalten hat oder hätte erhalten können, wenn er am Todestag in den Ruhestand versetzt worden wäre. Witwen- und Waisengeld dürfen weder einzeln noch zusammen den Betrag des ihrer Berechnung zugrunde zu legenden Ruhegehalts überschreiten, anderenfalls werden die einzelnen Bezüge im gleichen Verhältnis gekürzt. Witwen- und Waisengeld erlischt für jeden Berechtigten mit Ende des Monats, in dem er sich verheiratet oder stirbt, für jede Waise außerdem mit Ende des Monats, in dem sie das 18. Lebensjahr vollendet (jedoch mit der Möglichkeit der Verlängerung bei Schul- und Berufsausbildung bis zum vollendeten 25. Lebensjahr, oder bei dauernder Unfähigkeit, sich infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen selbst zu unterhalten, auch darüber hinaus), ferner für jeden Versorgungsberechtigten bei Verurteilung durch ein deutsches Gericht zu Zuchthaus oder Gefängnisstrafe mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von mindestens 3 Jahren oder wegen vorsätzlicher hochverräterischer, staatsgefährdender oder landesverräterischer Handlung zu Gefängnis von mindestens sechs Monaten mit der Rechtskraft des Urteils im Bundesgebiet oder im Lande Berlin im ord. Strafverfahren, ferner bei Verwirkung eines Grundrechts durch Entscheidung des BVerfG auf Grund des Art. 18 GG, unbeschadet der etwaigen Ausübung des Begnadigungsrechts (§§ 162 ff. BBG, §'§ 86 ff. BRRG). 91 Eine Abfindung erhält auf Antrag eine verheiratete Beamtin auf Lebenszeit oder auf Probe, die auf Antrag entlassen wird, in Höhe von dem Zweifachen des Monatsbetrags an nach vollendetem zweitem Dienstjahr, je nach der Dauer der Dienstjahre (§§ 152 f. BBG), unter Abgeltung aller sonstigen Versorgungsansprüche, sei es in Form einer Abfindungssumme oder -rente. - Eine Witwenabfindung erhält eine Witwe, die Anspruch auf Witwengeld hat, im Falle einer Wiederverheiratung in Höhe des 24fachen des Witwengeldes des Monats der Wiederverheiratung (§ 184 a). 38 Merk
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Es handelt sich bei den Gehalts-, Ruhegehalts- und Versorgungsansprüchen92 um vermögensrechtliche Ansprüche, die als ein Teil des Diensteinkommens anzusehen sind; es ist ein Ausgleich dafür, daß der Berufsbeamte seine ganze Zeit und Kraft in den Dienst des Staates stellt und daher nicht in der Lage ist, den angemessenen standesgemäßen Unterhalt durch wirtschaftliche Tätigkeit außerhalb seines Berufs sich zu verschaffen und Rücklagen für seinen wirtschaftlichen Bestand für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Dienst und für den Fall des Ablebens für seine Angehörigen in ausreichendem Maße anzusammeln. Zugleich soll ihm dadurch insbesondere auch ermöglicht werden, auch im Ruhestand den standesgemäßen Unterhalt aufrechtzuerhalten (vgl. RGZ Bd. 125 S. 318, Bd. 134 S. 14) sowie im Falle seines Todes für seine Hinterbliebenen, insbesondere seine Witwe undKinder, eine sichere Versorgung gewährt zu erhalten. Insofern hat man diese vermögensrechtlichen Ansprüche mit Recht einen öffentlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch in Form einer Unterhaltsrente gegenüber dem Staat gleichgesetzt, der gegenüber früheren naturalwirtschaftliehen Zeiten mit der Gewährung in Natur jetzt auf Geld geht; dabei findet eine Abstufung im Hinblick auf die Vorbildung und Bedeutung der zu leistenden Tätigkeit sowie die Verantwortlichkeit für das gemeine Wohl und die Lebenshaltung statt. Wenn Art. 33 Abs. 5 GG den Beamten - anders als Art.129 WeimRV- auch keinen Anspruch auf summenmäßig bestimmte Besoldung i. S. wohlerworbener Ansprüche gewährleistet, so entspricht es doch jedenfalls "hergebrachten Grundsätzen" des Beamtenrechts i. S. jener Bestimmung, daß den Beamten gemäß dem bekleideten Amte ein angemessener Lebensunterhalt ermöglicht wird, weswegen auch ggf. Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann (vgl. BVerfGE in JZ 1958 S. 479 u. Bd. 8 S. 1 ff.). Was zum "angemessenen standesgemäßen Unterhalt" gehört, bestimmt der Gesetzgeber des Näheren, der-zumal auch bei Zuweisung von Bezügen unter dem Vorbehalte der Vornahme von Änderungen (wie früher in § 39 RBesG v. 16. Dez. 1927, RGBl. I S. 349) - auch entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Anpassung an veränderte Verhältnisse vornehmen und besonders in Notzeiten und Fällen tiefgreifender Erschütterung des Staatsgefüges im Rahmen der Unterhaltspflicht des Dienstherrn auch in gewissem Umfang Einschränkungen verlangen kann; dies gilt insbesondere auch z. B. 92 Die Versorgungsbezüge ruhen, solange der Versorgungsberechtigte nicht deutscher Staatsangehöriger i. S. d. Art. 116 ist oder er seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Auslande hat, soweit nicht die oberste Dienstbehörde Ausnahmen zuläßt; im zweiten Falle können, wenn die Versorgungsbezüge länger als 3 Jahre geruht haben, sie den Versorgungsberechtigten durch die oberste Dienstbehörde entzogen werden (§ 159 BBG, § 84 BRRG). Wegen der Kürzung der Versorgungsbezüge beim Bezug von Einkommen aus einer Verwendung im öff. Dienst vgl. § 158 BBG und dazu BGHZ, Bd. 20. S.15.
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für die unter Art. 131 GG fallenden Beamten und Versorgungsempfänger mit Bezug auf die nach dem G zu Art. 131 GG bestimmten Einschränkungen der Bezüge (so mit Recht RGZ Bd. 134 S. 1 ff., BGHZ Bd. 6 S. 208, Bd. 9 S. 359, Bd.12 8.180, Bd.13 S. 309, Bd. 21 S. 253). Es handelt sich bei den Bezügen des Beamten rechtlich nicht einfach um eine Gegenleistung nach Art bürgerlich-rechtlicher gegenseitiger Verträge, wie z. B. bei einem Dienst- oder Arbeitsvertrag, wenn auch die Bezüge mit Bezug auf die und wegen der Tätigkeit als Beamter gewährt werden93. Dementsprechend kann auch der Beamte auf die laufenden Dienstbezüge- im Gegensatz zu rückständigen -weder ganz noch teilweise verzichten, damit er nicht außerstande gesetzt wird, seine Pflichten zu erfüllen, und sie auch, soweit gesetzlich nichts anders vorgeschrieben ist, nur soweit verpfänden und abtreten, als sie der Pfändung unterworfen sind (vgl. § 850 ZPO, § 400 BGB, § 39 DBG, § 84 BBG); ebenso kann der Dienstherr eine Aufrechnung oder ein Zurückbehaltungsrecht Dienstbezügen gegenüber nur insoweit geltend machen, als sie pfändbar sind oder als er einen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlich unerlaubter Handlung hat 94 . Eine Neuerung des BBG gegenüber dem früheren Beamtenrecht ist, daß die Rückforderung zuviel gezahlter Dienst- oder Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des BGB über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung sich bestimmt (vgl. insb. :§ 818 Abs. 3 BGB), und nicht, wie früher, schlechtweg ohne Rücksicht darauf, ob noch eine Bereicherung besteht, geltend gemacht werden kann95 ; der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gleich, wenn der Mangel so offensichtlich ist, daß der Empfänger ihn hätte erkennen müssen. Weiter kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde ganz oder teilweise abgesehen werden(§ 87 BBG, § 53 BRRG). Die Ansprüche auf rückständige Besoldungen, Ruhegehalte usf. verjähren nach §§ 197, 201 BGB in 4 Jahren. 83 Zusicherungen, Vereinbarungen und Vergleiche, die dem Beamten eine höhere als nach dem BesoldungsR zulässige Besoldung oder eine über das BBG hinausgehende Versorgung verschaffen sollen, sind unwirksam (§ 183 BBG, §50 BRRG). 94 Vgl. dazu RGZ Bd. 68, S. 354, Bd.125, S. 318, Bd.143, S. 81; ferner Brand, DBG S. 635 f. Vgl. noch§ 411 BGB. 85 Dagegen waren früher zuviel gezahlte Dienst- und Versorgungsbezüge rückforderbar, auch wenn eine Bereicherung nicht mehr vorlag (vgl. § 39 RBesoldungsG v. 16. Dez. 1927 i. d. F. v. 30. Juni 1933, RGBL I, S. 433, und die DurchfVO zum DBG i. d. F. v. 28. Okt. 1950, BGBl. S. 734, zu § 38). - Im Falle der Tötung oder Körperverletzung eines Beamten gehen die gesetzlichen Schadensersatzansprüche, die diesem oder seinen Hinterbliebenen gegen einen Dritten zustehen, insoweit auf den Dienstherrn über, als er während einer auf der KV beruhenden Aufhebung der Dienstfähigkeit zur Gewährung von Dienstbezügen oder infolge der KV oder der Tötung zur Gewährung einer Versorgung oder einer anderen Leistung verpflichtet ist; der Übergang kann nicht zum Nachteil des Beamten oder der Hinterbliebenen geltend gemacht werden (§ 87 a BBG). 38*
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cc) Sonstige Rechte Der Beamte hat das Recht auf Führung der ihm verliehenen Amtsbezeichnungen, die, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, bei den BBeamten vom BPräsidenten oder von den von ihm bestimmten Stellen festgesetzt werden, sowie der ihm verliehenen Titel08, Orden und Ehrenzeichen innerhalb und außerhalb des Dienstes. Dahin gehört weiter das Recht auf jährlichen Erholungsurlaub unter Fortgewährung der Bezüge nach näherer Regelung der Bundesregierung durch RechtsVO (§ 89 BBG) 07 , das Recht auf Erteilung eines Dienstzeugnisses nach Beendigung des Beamtenverhältnisses durch den letzten Dienstvorgesetzten über Art und Dauer der bekleideten Ämter und -auf VerlangendesEeamten-auch über die von ihm ausgeübte Tätigkeit und seine Leistungen; der Anspruch auf Einsichtnahme in die vollständigen Personalakten (vgl. § 90 BBG, §56 BRRG)- wozu jedoch besonders aufbewahrte Prüfungsakten nicht gehören (§ 33 Abs. 5 GG; BVerwGE Bd. 7 S. 153) -; das Recht, sich in Gewerkschaften oder Berufsverbänden zusammenzuschließen (§§ 91 BBG, 57 BRRG). Für alle Klagen der Beamten, Ruhestandsbeamten, früheren Beamten und Hinterbliebenen aus dem Beamtenverhältnis wie auch für Klagen des Dienstherrn ist jetzt der Verwaltungsrechtsweg gegeben, soweit nicht - wie für den Rückgriffsanspruch bei der Amtshaftung nach Art. 34 GG, § 78 BBG - ein anderer Rechtsweg gesetzlich vorgeschrieben ist(§ 172 BBG in Verbindung mit§§ 126,127,136 BRRG). Es geltenfür diese Klagen einschließlich der Leistungs- und Feststellungsklagen nach nach näherer Maßgabe des § 191 VwGO die Vorschriften der§§ 68-80, wegen der örtlichen Zuständigkeit § 52 dieses G. Die Revision gegen Urteile eines OVG über eine Klage aus dem Beamtenverhältnis ist stets zuzulassen; sie kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung eines Rechtssatzes beruht (§ 172 BBG, § 127 BRRG) 08 • 08 Vgl. jetzt auch das G über Titel, Orden und Ehrenzeichen v. 26. Juli 1957 (BGBl. I, S. 844); dazu den Erl. über die Neufassung der Statuten des "Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland" vom 8. Dez. 1955 (BGBL I, S. 749). - Herkömmlich für ein Amt verwendete Amtsbezeichnungen, das eine bestimmte Befähigung voraussetzt und einen bestimmten Aufgabenbereich umfaßt, darf nur einem Beamten verliehen werden, der ein solches Amt bekleidet (§ 117 BRRG). StrafBest. wegen unbefugter Amtsausübung bzw. Führung inl. oder ausl. Amts- oder Dienstbezeichnungen, Titel oder Würden, Tragen von Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen: §§ 132, 132 a StGB. 07 Vgl. die VO über den Erholungsurlaub der BBeamten u. BRichter v. 6. Aug. 1954 (BGBL I, S. 243). 08 Der Dienstherr wird hierbei durch die oberste (bzw. letzte oberste) Dienstbehörde des Beamten vertreten; sie kann ihre Vertretung durch allg. AnO anderen Behörden übertragen. Vgl. dazu die allg. AnO über die Vertretung bei Kla~en aus dem Beamtenverhältnis im Bereiche der Deutschen Bundes-
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h) D i e P er so n a I v e r w a I t u n g Zur einheitlichen Durchführung der beamtenrechtlichen Vorschriften wird ein Bundespersonalausschuß errichtet, der seine Tätigkeit innerhalb der gesetzlichen Schranken unabhängig und in eigener Verantwortung ausübt. Er besteht aus 7 ordentlichen und 7 stellvertretenden Mitgliedern. Ständige ordentliche Mitglieder sind der Präsident des Bundesrechnungshofs als Vorsitzender sowie der Leiter der Personalrechtsabteilungdes BMin. d. 1.; nichtständige ordentliche Mitglieder sind der Leiter der Personalabteilung einer anderen obersten Bundesbehörde und 4 andere Bundesbeamte; stellvertretende Mitglieder sind je ein Bundesbeamter der vorhin bezeichneten Behörden, der Leiter der Personalabteilung einer weiteren obersten Bundesbehörde sowie 4 weitere Bundesbeamte. Die nichtständigen ordentlichen Mitglieder sowie die stellvertretenden Mitglieder werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des BMin. d. I. auf 4 Jahre bestellt, davon 3 ordentliche und 3 stellvertretende Mitglieder auf Grund einer Benennung durch die Spitzenorganisation der zuständigen Gewerkschaften. Die Mitglieder des BPA sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen; sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit weder dienstlich gemaßregelt noch benachteiligt werden. Der BPA hat außer den in besonderen bestimmten Fällen vorgesehenen Entscheidungen (§§ 8, 21 - Feststellung der Befähigung von sog. Außenseitern-, 22, 24 u. 41 BBG) bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse und der Vorschriften über die Ausbildung, Prüfung und Fortbildung von Beamten mitzuwirken usw. Seine Sitzungen sind nicht öffentlich; Beschlüsse werden mit Stimmenmehrheit, ggf. unter Stichentscheid des Vorsitzenden, gefaßt. Die Dienstaufsicht über die Mitglieder des BPA führt im Auftrage der BReg. der BMin. d. I.~§§ 95 ff. BBG); vgl. auch die entsprechenden Bestimmungen in §§ 61 f. BRRG und ferner noch § 27 Abs. 6 SoldatenG vom 19. März 1956 (BGBI. I S. 114) i. d. F. d. G vom 20. August 1960 (BGBl. I S. 705) und § 27 SoldatenlaufbahnVO i. d. F. vom 6. August 1960 (BGBL I S. 657). 111. Die Angestellten und Arbeiter
Die Beseitigung eines auf Lebenszeit angestellten Berufsbeamtenturns würde den Bestrebungen des Kommunismus entsprechen mit dem Gedanken der jederzeitigen Entlaßbarkeit der im Staatsdienst verwendeten Personen nach dem Belieben der politischen Machthaber, so daß daher nur eine Verwendung als Angestellter oder Arbeiter in Betracht käme. Indessen ist auch in Deutschland, und so jetzt auch in Westpost vom 12. Okt. 1953 (BGBl. I, S. 1485), desgl. im Bereich der Deutschen Bundesbahn vom 14. Dez. 1953 (BGBl. I, S. 1601).
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deutschland, gegenüber der Zeit vor dem ersten Weltkrieg ein Vordringen der Beschäftigung von Angestellten und Arbeitern, namentlich von Angestellten, anstelle der Begründung von Beamtenverhältnissen in größerem Maße festzustellen. So namentlich in Verkehrsbetrieben, insbesondere der Eisenbahn, und wirtschaftlichen Betrieben der öffentlichen Hand, aber auch sonst, wie bei den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten, z. B. der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (vgl. § 24 A VAVG). Beibehalten ist aber, wie schon früher erwähnt, das Beamtenturn vor allem bei der Hoheitsverwaltung des Staates und sonstiger Verwaltungsträger 99 • Nach dem oben bereits angeführten § 4 BBG dürfen Stellen für Beamte nur eingerichtet werden, soweit sie die Wahrnehmung obrigkeitlicher Aufgaben in sich schließen oder aus Gründen der Staatssicherheit nicht von Angestellten oder Arbeitern versehen werden dürfen, und nur, wenn sie dauernd erforderlich sind; als obrigkeitliche Aufgabe gilt insbesondere nicht eine Tätigkeit, die ihrer Art nach von solchen des allgemeinen Wirtschaftslebens sich nicht unterscheidet, sowie eine Tätigkeit im Verwaltungsdtenste, die sich in mechaniscllen Hilfeleistungen, im Schreibdienst und in einfachen Büroarbeiten erschöpft. Nach Art. 33 Abs. 4 und 5 GG ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Im übrigen ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns zu regeln; diese Vorschrift stellt unmittelbar geltendes Recht dar (vgl. RGHZ Bd. 9 S. 322). Darin darf eine Einrichtungsgewähr zugunsten des Berufsbeamtenturns erblickt werden, so daß danach eine Überführung des Beamtenver häl tnisses ü herhau pt in dasAugestelltenverhältnis verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. Bei der Verwendung von Angestellten und Arbeitern richtet sich das Verhältnis zwischen dem Träger der öffentlichen Verwaltung und jenen grundsätzlich nach dem bürgerlichen Recht (vgl. §§ 611 ff. BGB); es handelt sich um ein schuldrechtliches gegenseitiges Rechtsverhältnis des bürgerlichen Rechts im Gegensatz zu dem personenrechtlichen Verhältnis des Beamten. Nach § 191 BBG werden die Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts stehenden Angestellten und Arbeiter durch Tarifvertrag geregelt. Indessen ist eine Annäherung an das Beamtenverhältnis- trotz grundsätzlicher Beibehaltung der bürgerlich-rechtlichen Natur des Verhältnisses - in verschiedener Richtung, 99 Nach der bei Wacke, Grundl. d. öff. DienstR (1957) angeführten Statistik betrug die Gesamtzahl der im öff. Dienst Beschäftigten am 2. Okt. 1954 insges. 2,5 Mill., wovon 41 vH = 1 025 800 Beamte waren. Von den 59 vH sonst Beschäftigten waren 32 vH Angestellte und 27 vH Arbeiter.
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insbesondere bei den nur aus wichtigem Grunde entlaßbaren ständig Angestellten, den sog. Dauerangestellten, mit Bezug auf Höhe der Vergütung, Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung, eingetreten100 ; sind doch oft bei derselben Verwaltungsstelle insbesondere Beamte und Angestellte nebeneinander mit gleichartigen oder ähnlichen Dienstleistungen beschäftigt. So besteht eine Regelung durch tarifvertragliche Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern (Tarifgemeinschaft deutscher Länder) und der Angestelltengewerkschaft und Gewerkschaft öffentlicher Dienste, Transporte und Verkehr in Verbindung mit Dienstordnungen für die Angestellten und Arbeiter, die nach mancher Hinsicht den beamtenrechtlichen Regelungen entspricht und zum guten Teil ihnen nachgebildet ist. Das GG scheidet klar die Verhältnisse der im öffentlichen Dienst stehenden Angestellten und Arbeiter gegenüber den im allgemeinen Arbeitsverhältnis stehenden Angestellten und Arbeitern und sieht eine besondere Regelung für die Beamten und jene vor (vgl. Art. 73 Ziff. 8 u. Art. 75 Ziff. 1 im Unterschiede von Art. 74 Ziff. 12)101 • Es sind vorerst bis zum Abschluß neuer Tarifvereinbarungen die Allg. TarifO für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes (ATO), die TarifOA für Arbeitnehmer ("Gefolgschaftsmitglieder") im öffentlichen Dienst (TO.A), d. h. die-angestelltenversicherungspflichtigen-Angestellten vom 1. April 1938 (RArbBl. S. VI 475 ff.) und die TarifO.B für Arbeitnehmer (Gefolgschaftsmitglieder) im öffentlichen Dienst (TO.B), d. h. die - invaliden- bzw. rentenversicherungspflichtigen - Arbeiter, ebenfalls vom 1. April1938 (RArbBl. a. a. 0. S. 489 ff.), nebst den allgemeinen gemeinschaftlichen und besonderen Dienst- und Lohnordnungen (ADO, GDO, BDO) und die von der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets abgeschlossenen Tarifvereinbarungen sinngemäß anzuwenden. Bei den Angestellten entspricht die bürgerlich-rechtliche Vergütung dem öffentlich-rechtlichen Gehalt des Beamten. Für die Vergütung, die nach dem Wert der Leistung, dem dienstlichen Wohnsitz, dem Lebensalter und dem Familienstand bemessen wird, sind bei den Angestellten Vergütungsgruppen entsprechend der überwiegend ausgeübten Tätigkeit (I-X) nebst Vergütungssätzen für "übertarifliche Angestellte" vorgesehen102. Der Aufstieg in eine neue Vergütungsgruppe erfolgt durch Vertragsänderung. Die Vergütung der Angestellten besteht aus Grundvergütung (Anfangsgrundvergütung zuzüglich- alle 2 Jahre bis zur Ertoo Vgl. dazu Wacke, a. a. 0., S. 70.
101 Vgl. dazu auch die VO gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen v. 3. Mai 1917 (RGBl. S. 393) i. d. F. v. 22. Mai 1943 (RGBl. I, S. 351). Vgl. dazu auch § 2 ATO und § 359 StGB sowie Huber, WirtschaftsVerwR, 2. Aufl. (1954) Bd. 2, S. 341. 102 Vgl. Böhm-Juns, Die Dienstverhältnisse der Angestellten und Arbeiter bei ö:ff. Verwaltungen und Betrieben (1951), 3 Bde.; Wacke, D. Recht der Angest. und Arbeiter im öff. Dienst, in: "Die Verwaltung", herausg. v. Giese H. 20; Möller, Arbeitnehmer u. Beamte, in VerwArch. Bd. 37, S. 39 ff., 128 ff.
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reichung des Höchstbetrages der Vergütungsgruppe hinzukommenderSteigerungsbeträge und Aufrückungszulagen), dem Wohnungsgeldzuschuß, ggf. örtlichen Sonderzuschlägen. Bei den Arbeitern bestehen Lohngruppen (A-C) und Ortslohnklassen (I-V) mit Dienstzeitzulagen. Dazu kommen nach näherer Bestimmung der Dienstordnungen Reitragsleistungen des Dienstberechtigten zur zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung, weiter Kinderzuschläge. Für die Alters- und Berufsunfähigkeits- sowie die Hinterbliebenenversorgung kommen die Einrichtungen der Sozialversicherung in Betracht, soweit nicht vertragliche zusätzliche Ansprüche auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung entsprechend den beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen (ggf. biJS zur Höhe der Beamtenversorgung) bestehen. Nach besonderen Vorschriften kann jedoch auch Gehalt und Versorgung auf Grund von Dienstordnungen der Träger der Sozialversicherung bestimmten Gruppen der Angestellten (sog. Dienstordnungsangestellte) nach bestimmten Grundsätzen des BeamtenR gewährt werden (vgl. §§ 349 ff., 690 ff., RV0) 103 • Weiter kommen dazu ggf. Reisekosten- und Umzugskostenvergütungen. Im übrigen sind die Vorschriften über die Haftung des Staates und der sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen für Schäden, die Angestellte und Arbeiter in Ausübung ihnen anvertrauter obrigkeitlicher Gewalt Dritten zufügen, wie sie ursprünglich nur für Beamte vorgesehen waren, auf sie ausgedehnt worden (vgl § 23 Abs. 4 DBG, Art. 34 GG). Vgl. auch§§ 32, 33 RHaushO, §§ 92, 93 DGO, §§ 1 ff. ErstG vom 18. April 37 i. d. F. d. Bek. i. BGBl. 1951 I S. 109, ferner das G zu Art. 131 GG (o. Ziff. II a).
IV. Die Personalvertretung Entsprechend den Betriebsvertretungen in den privaten Betrieben nach dem BetriebsverfassungsG vom 11. Oktober 1952 (BGBl. I S. 681) - vgl. dazu§ 88 d. G.- sind nach dem PersonalvertretungsG vom 5. August 1955 (BGBl. I S. 477) in den Verwaltungen (einschl. der Betriebsverwaltungen) des Bundes, der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie in den Gerichten des Bundes Personalvertretungen eingerichtet worden zur Mitbestimmung in ihren Dienststellen behufs wirksamer Wahrnehmung ihrer Belange, insbesondere in persönlichen und sozialen Angelegenheiten - jedoch nicht .auch in Verwaltungsangelegenheiten i: e. S. -, aber auch zur gedeihlichen Zusammenarbeit in der Dienststelle, insbesondere mit dem Dienststellenleiter. Es sollte im Hinblick auf das eigenartige Beamtenverhältnis eine ·besondere Regelung getroffen und diese auch nicht in tos
Vgl. dazu Wacke, a. a. 0., S. 18 :ff.
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das BetriebsverfassungsG für die Arbeiter und Angestellten in privatwirtschaftlichen Betrieben mit aufgenommen werden. Für die Bildung von Personalvertretungen in den Verwaltungen und Betrieben der Länder, Gemeinden, Gemeindeverbänden und sonstiger nicht bundesunmittelbarer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie den Gerichten der Länder trifft das Gesetz gemäß Art. 75 Ziff. 1 GG bestimmte Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zum Zwecke einer gleichartigen Regelung~§§ 82-94) 104 • Das Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre caritativen und erzieherischen Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform; ihnen ist die selbständige Ordnung des Personalvertretungsrechts überlassen. Die Grundzüge dieser Regelung sind im wesentlichen folgende: a) In allen Dienststellen, die in der Regel mindestens 5 Wahlberechtigte beschäftigen, von denen 3 wählbar sind, werden Personalräte gebildet - während Dienststellen mit weniger als 5 Bediensteten von der übergeordneten Dienststelle im Einvernehmen mit der Stufenvertretung einer benachbarten Dienststelle zugeteilt werden -, und zwar in der Zahl von 1 bis höchstens 25 Mitgliedern, je nach der Zahl der regelmäßig Bediensteten. Dabei bilden im Bundesdienst die Beamten, die Angestellten und die Arbeiter je eine Gruppe; sind in der Dienststelle Angehörige verschiedener Gruppen beschäftigt, so muß jede Gruppe entsprechend ihrer Stärke im Personalrat vertreten sein, wenn dieser aus mindestens 3 Mitgliedern besteht (§§ 12 f.). b) Der Personalrat wird in geheimer und unmittelbarer Wahl auf 2 Jahre nach den Grundsätzen der Verhältniswahl (wenn nur ein Wahlvorschlag eingereicht wird, nach dem Grundsatz der Mehrheitswahl) gewählt; besteht er aus mehr als einer Person, so wählen die Beamten, die Angestellten und die Arbeiter einen Vertreter grundsätzlich in getrennten Wahlgängen. Wahlberechtigt sind alle Bediensteten, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben und die bürgerlichen Ehrenrechte besitzen; wählbar alle Wahlberechtigten, die am Wahltag das 21. Lebensjahr vollendet haben, seit 6 Monaten der Dienststelle angehören, seit 1 Jahr in öffentlichen Verwaltungen oder von diesen geführten Betrieben beschäftigt sind und das Wahlrecht für den Bundestag besitzen. c) Der Personalrat bildet aus seiner Mitte zur FühlJung der laufenden Geschäfte den Vorstand, dem ein Mitglied jeder im P. R. vertretenen Gruppe angehören muß; die Vertreter jeder Gruppe wählen das auf sie entfallende Vorstandsmitglied. Wird von den Vertretern einer Gruppe das auf sie entfallende Vorstandsmitglied nicht gewählt, so geht sie ihres Rechts, im Vorstand vertreten zu sein, verlustig (BVerwGE Bd. 7 S. 140). Der P. R. bestimmt mit einfacher Mehrheit, welches Vorstandsmitglied den Vorsitz übernimmt und bestimmt zugleich seine Stellvertreter. Der Vorsitzende vertritt den P. R. im Rahmen der von diesem gefaßten Beschlüsse. Die Mitglieder des P. R. führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Die Sitzungen sind nicht öffentlich. Der Dienststellenleiter nimmt an den Sitzungen teil, die auf sein Verlangen anberaumt sind oder zu denen er ausdrücklich eingeladen ist. Der P. R. kann von Fall zu Fall beschließen, daß je ein Beauftragter der unter den Mitgliedern des P. R. vertretenen Gewerkschaften an den Sitzungen mit beraten10 '
Vgl. z. B. das bad.-württ. LPersVertrG v. 30. Juni 1958 (GBI. S.175).
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der Stimme teilnimmt. Die gemeinsamen Angelegenheiten der Beamten, Angestellten und Arbeiter werden gemeinsam beraten und beschlossen; in Angelegenheiten, die lediglich die Angehörigen einer Gruppe betreffen, sind nach gemeinsamer Beratung nur die Vertreter dieser Gruppe zur Beschlußfassung berufen. Die durch die Tätigkeit des P. R. entstehenden Kosten trägt die Dienststelle; der P. R. darf für seine Zwecke von den Bediensteten keine Beiträge erheben oder annehmen. d) Der P.R. hat in jedem Kalenderhalbjahr der Personalversammlung, die aus den Bediensteten der Dienststelle besteht und vom Vorsitzenden des P. R. geleitet wird, Bericht zu erstatten; die Personalversammlung kann dem P. R. Anträge unterbreiten und zu seinen Beschlüssen Stellung nehmen. e) Für Geschäftsbereiche mehrstufiger Verwaltungen werden bei den Mittelbehörden Bezirkspersonalräte, bei den obersten Dienstbehörden Hauptpersonalräte von den zum Geschäftsbereich jener Behörden gehörenden Bediensteten gewählt; in der Stufenvertretung erhält jede Gruppe mindestens einen Vertreter. f) Dienststelle und P.R. arbeiten im Rahmen der Gesetze und Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben und zum Wohle der Bediensteten zusammen; sie haben alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden der Dienststelle zu gefährden; insbesondere dürfen Dienststelle und P. R. keine Maßnahmen des Arbeitskampfes gegeneinander führen, wobei jedoch Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien dadurch nicht berührt werden. Der Leiter der Dienststelle und der P. R. sollen einmal im Monat zu gemeinschaftlichen Besprechungen zusammentreten. In ihnen soll auch die Gestaltung des Dienstbetriebs behandelt werden, insbesondere alle Vorgänge, welche die Bediensteten wesentlich berühren; sie haben über strittige Fragen "mit dem ernsten Willen zur Einigung" zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen. Außenstehende Stellen dürfen erst angerufen werden, nachdem eine Einigung in der Dienststelle nicht erzielt worden ist. Dienststelle und P. R. haben darüber zu wachen, daß alle in der Dienststelle tätigen Personen nach Recht und Billigkeit behandelt werden (§§ 55 f.). g) Als Aufgaben des Personalrats kommen in Betracht: 1) Allgemeine Aufgaben: Beantragung von Maßnahmen, die der Dienststelle und ihren Angehörigen dienen; darüber zu wachen, daß die zugunsten der Bediensteten geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt werden; Beschwerden von Bediensteten entgegenzunehmen und auf die Abstellung berechtigter Beschwerden hinzuwirken; die Eingliederung Schwerbeschädigter und sonstiger schutzbedürftiger Personen in die Dienststelle zu fördern; Beratung der Dienststelle über Verwaltungsanordnungen für die innerdienstlichen sozialen oder persönlichen Angelegenheiten der Bediensteten ihres Geschäftsbereichs. Es besteht Schweigepflicht der Mitglieder und Ersatzmitglieder des P. R. über alle Angelegenheiten oder Tatsachen, die ihnen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zum P. R. bekannt geworden sind (§ 57 ff.). 2) Die Mitwirkung in sozialen Angelegenheiten betrifft u. a. insbesondere die Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und zur Erleichterung des Arbeitsablaufs; Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen; Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Bediensteten. Der P. R. hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, ggf. durch Abschluß von Dienst-
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vereinbarungen mitzubestimmen, u. a. über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen, Zeit und Ort der Auszahlung der Dienstbezüge und Arbeitsentgelte, Aufstellung des Urlaubsplans usf.; Errichtung und Verwaltung von Wohlfahrtseinrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform; ferner auf die Verhütung von Unfall- und Gesundheitsgefahren zu achten, die für den Arbeitsschutz zuständigen Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen und sich für die Durchführung des Arbeitsschutzes einzusetzen (§§ 66 ff.). 3) Die Mitwirkung in persönlichen Angelegenheiten betrifft bei Beamten u. a. Einstellung, Anstellung und Beförderung, Versetzung zu einer anderen Dienststelle, vorzeitige Versetzung in den Ruhestand auf Antrag des Beamten, Entlassung von Beamten auf Probe oder auf Widerruf; bei Angestellten und Arbeitern die Einstellung, Kündigung usf. (§§ 70 ff.). - Dazu ist zum Vergleich heranzuziehen das BetriebsverfassungsG vom 11. Oktober 1952 (BGBl. I S. 681) wegen der entsprechenden Aufgaben der Betriebsräte (§ 49 ff.) 105.
105 Vgl. auch Hering, Zum Inkrafttreten des PersVertrG, in DVBl. 1955, S. 653 ff. u. Rooschütz, Das PersVertrG i. Baden-Württ., i. DOV 1958, S. 616 ff.
Dritter Abschnitt
Die Selbstverwaltung § 24. Die Selbstverwaltung im allgemeinen Das Wort: "Selbstverwaltung" steht im Gegensatz zum Worte "verwaltet werden", nämlich durch den Staat1 • Der Begriff der Selbstverwaltung wird hauptsächlich in zweierlei verschiedener Weise gebraucht. im echten und im unechten Sinne2 •
I. Die Selbstverwaltung im unechten (oder staatsbürgerlichen) Sinne Der Gedanke der staatsbürgerlichen Selbstverwaltung in dem Sinne, daß die Staatsbürger bei der Besorgung von Verwaltungsangelegenheiten von Trägern öffentlicher Verwaltung, vom Staate, von den Gemeinden usf., ehrenamtlich herangezogen werden, z. T. im Zusammenwirken mit den staatlichen Berufsbeamten, steht im engen Zusammenhang mit dem allgemeinen Gedanken der Beteiligung der Staatsangehörigen an der staatlichen Willensbildung. Er tritt hervor schon in der germanischen Zeit in der Teilnahme der freien und wehrfähigen Volksgenossen an der Erledigung der wichtigsten Angelegenheiten, insbesondere in der Landesgemeindeversammlung, im Ding 3 , ferner in der GerichtsSo treffend Laband, StaatsR, Bd. 1 (5. Aufl. 1911), S. 103. Vgl. hierzu H. Rosin, "Souveränität, Staat, Gemeinde und Selbstverwaltung" in "Annal. d. D. Reichs", 16. Jg. (1883), S. 305 ff., der zwischen Selbstverwaltung im politischen und im rechtlichen Sinne unterscheidet; dagegen kann jedoch eingewendet werden, daß auch die sog. politische SV eine rechtliche Erscheinung ist und auch die sog. rechtliche SV des politischen Gehalts nicht entbehrt; v. Treitschke, Politik, 3. Aufl. (1911), Bd. 2, S. 492 ff. - Gegen die Unterscheidung, insb. Preuss in d. Festschr. f. Laband (1908), Bd. 2, S. 205 und Forsthoff, VerwR, Bd. 1, 8. Aufl. (1961), S. 415, der den Begriff der Selbstverwaltung im 1. Sinne verwirft .und einfach den Ausdruck "Ehrenamtliche Verwaltung" verwenden will. 3 Vgl. L. v. Stein, VerwLehre, 1. T., 2. Abt., 2. A. (1869), S. 26: "Begriff und Name der Selbstverwaltung sind eigentlich historisch entstanden, obwohl bekanntlich die Sache selbst schon von jeher in Deutschland vorhanden war. Beide haben an das englische Selfgovernment angeknüpft, indem sie dasselbe, namentlich durch Gneists großartige Arbeiten als das Musterbild für Deutschland aufstellten." 1
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gemeinde im Grafschafts- und Hundertschaftsgericht; dann in gewisser Weise im Lehens- und Ständestaat, im Reichstag und in den Landtagen für die dort vertretenen Schichten (Stände) der Bevölkerung, aber auch noch im Lehens- und Hofgericht der Lehensleute bzw. Hofangehörigen unter dem Vorsitz des Lehens- bzw. Grundherrn oder seines Stellvertreters; weiter dann nach der Überwindung des unbeschränkten Fürstenstaats, in dem für diesen Gedanken kein Raum war, im Verfassungs- und Rechtsstaat, insbesondere in dem Wahl- und Stimmrecht der Staatsangehörigen sowie der Einrichtung einer Volksvertretung, namentlich für die Aufgaben der Gesetzgebung einschließlichder Steuerauflage, der Haushaltsfestsetzung sowie der Überwachung der Regierung. Im Anfang des 19. Jahrhunderts hat der Freiherr vom Stein nach dem Zusammenbruch Preußens i. J. 1806 angesichts der Teilnahmslosigkeit weiter Schichten der Bevölkerung an diesem Ereignis in seiner Nassauer Denkschrift vom Juni 1807: "Über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden in der preußischen Monarchie"\ in Deutschland zum erstenmal mit Bezug auf die Verwaltung diesen Gedanken gegenüber einer das ganze Leben der Untertanen bevormundenden und gängelnden Regierungs- und Verwaltungstätigkeit des Herrschers mit seinen Beamten im unbeschränkten Fürstenstaat vertreten. Er bemerkt dort u. a.: "In die aus besoldeten Beamten bestehenden Landeskollegien drängt sich leicht und gewöhnlich ein Mietlingsgeist ein, ein Leben in Formen und Dienstmechanismus, eine Unkunde des Bezirks, den man verwaltet, eine Gleichgültigkeit, oft eine lächerliche Abneigung gegen denselben, eine Furcht vor Veränderungen und Neuerungen, die die Arbeit vermehren, womit die besseren Mitglieder überladen sind, und der die geringhaltigeren sich entziehen ... Ersparung an Verwaltungskosten ist aber der weniger bedeutende Gewinn, der erhalten wird durch die vorgeschlagene Teilnahme der Eigentümer an der Provinzialverwaltung, sondern weit wichtiger ist die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse, der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre. Der Formenkram und Dienstmechanismus in den Kollegien wird durch Aufnahme von Menschen aus dem Gewirre des praktischen Lebens zertrümmert und an seine Stelle tritt ein lebendiger, fest strebender, schaffender Geist und ein aus der Fülle der Natur genommener Reichtum von Ansichten und Gefühlen. Es wird aber so wenig an einer hinlänglichen Zahl geschäftsfähiger Männer in der Klasse der Eigentümer fehlen, als daß die Regierung Ursache hat, durch ihre Zuziehung für die Erhaltung der inneren Ruhe besorgt zu sein. Die Anzahl der gebildeten und verständigen Männer ist in allen Klassen der Ein4 Vgl. Frhr. vom Stein, Staatsschriften und politische Briefe, hrsg. v. H. Thimme (Der deutsche Staatsgedanke, 1. Reihe, Bd. 9), 1921, S. 19 ff., 32 f., 27 f.,
32 f.
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§ 24. Die Selbstverwaltung im allgemeinen
wohner in den ·alten Provinzen des preußischen Staates so groß, daß es an geschäftsfähigen, mit praktischen Kenntnissen ausgerüsteten Männern, die mit Erfolg dem ihnen angewiesenen Geschäftskreis vorstehen werden, nicht fehlen kann." Steins Gedanken, insbesondere den Verwaltungsbehörden in der mittleren Stufe, den Regierungen, ständige unbesoldete Ehrenmitglieder beizugeben, kam nicht zur Ausführung. Ein Versuch, jene Gedanken in Ostpreußen zu verwirklichen (1810), ist gescheitert5 • Sein Gedanke, die Sachkunde der Bürger mittels ehrenamtlicher Heranziehung für den Staat nutzbar zu machen und nach Möglichkeit einen geistlosen mechanischen Dienstbetrieb bei den Berufsbeamten zu verhüten und dadurch das Verständnis der Bürger für die Aufgaben des Staates zu befördern und den Gemeinsinn zu beleben, hat jedoch eine Neubelebung erfahren im Rückschlag gegen die große Macht des Ministerialbeamtenturns in der rückwärts gerichteten Zeit der 50er Jahre des 19. Jh. Es sollten Staatsbürger an der Erledigung von Verwaltungsaufgaben - ähnlich wie bei der Rechtspflege mittels Schöffen und Geschworenen - herangezogen werden, und zwar auf Grund von Wahlen und nicht auf Grund einer Berufung durch den zuständigen Minister. Diese Forderung wurde namentlich durch den Berliner Staatsrechtslehrer Professor Rudolf von Gneist (1816-1895) 0 unter Hinweis auf die englischen Verfassungs- und Verwaltungsverhältnisse erhoben7 • Es wurde der Begriff der Selbstverwaltung im staatsbürgerlichen Sinne ausgebildet aus der Betrachtung englischer Verwaltungseinrichtungen, die man in England im politischen Sprachgebrauch zur Kennzeichnung des Wesens der gesamten englischen Verfassung als einer "Selbstregierung" der Nation durch das Paria5 Vgl. E. v. Meier, Reform der Gesetzgebung unter Stein und Hardenberg, 2. Aufi. (1912), S. 245; Schmoller, Preuß. Verfassungs-, Verwaltungs- und Finanzgeschichte (1921), S.179. s Vgl. über ihn 0. v. Gierke, R. v. Gneist (Gedächtnisrede, 1896); E. Schiffer, R. v. Gneist (1928). Der ursprüngliche Familienname "Gneust" war von dem Vater R. v. Gneists in diesen Namen umgewandelt worden; von Kaiser Friedrich III. wurde R. Gneist 1888 in den erblichen Adelsstand erhoben (Schiffer, a. a. 0., S. 3, 80). Von seinen größeren Werken seien hier angeführt: "Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht", 1. Bd. 1857, 2. Bd. 1860, das in späteren Auflagen zerlegt wurde in 2 Werke, von denen das eine in 2. Aufl. heißt "Geschichte und heutige Gestalt der engl. Kommunalverfassung oder das Selfgovernment (1863), in 3. Aufl. "Selfgovernment, Kommunalverfassung und Verwaltungsgerichte in England" (1871); das andere heißt in 2. Aufl.: "Das englische Verwaltungsrecht" (1867), in 3. Aufl. "Das engl. VerwaltungsR der Gegenwart in Vergleichung mit dem deutschen Verwaltungssystem", 2 Bde. (1883/84). Weiter seine "Englische Verfassungsgeschichte" (1882) und "Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland" (1872, 2. Aufi. 1879). 7 Er nannte das "obrigkeitliche Selbstverwaltung", während er die körperschaftliche Selbstverwaltung, also insb. in den Gemeinden, nur als eine Angelegenheit von untergeordneter Bedeutung gelten ließ als die "wirtschaftliche Selbstverwaltung". Vgl. Gneist, Vier Fragen zur deutschen StrafprozeßO (1874) S. 49; desgl. Engl. VerwR, 3. Aufl. (1883), Bd. 1, S. 265 ff., 304 ff.; dazu H. Heffter, D. deutsche Selbstverwaltung im 19. Jh. (1950), S. 739.
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ment im Gegensatz zum unbeschränkten Fürstenstaat des europäischen Festlandes seit dem 18. Jh. "Selfgovernment" genannt hat8 • Man verstand darunter, daß die Ausübung der staatlichen Hoheitsrechte nicht nur an oberster Stelle durch eine aus dem Volke hervorgehende Regierung, sondern auch in den Verwaltungsverbänden der Grafschaften, Amtsbezirke (hundreds) und Städte in den höheren Ämtern ehrenamtlich durch in ihnen ansässige Schichten der Bevölkerung geführt wird, und nicht durch den Träger einer unbeschränkten Staatsgewalt mittels der seinen Befehlen dienstlich unterstehenden besoldeten Berufsbeamten; man fand dies verwirklicht sowohl bei der Regierung des Landes durch die Einrichtung des Parlamentes, bei dem alle höchste Gewalt des Staates ruht, wie auch insbesondere bei der Bezirksverwaltung auf dem Lande in den Grafschaften durch die ehrenamtlich tätigen, aus der ansässigen Bevölkerung entnommenen Friedensrichter. Im Gegensatze zur Zentralregierung und -verwaltung (central government) wurde die staatliche Bezirksverwaltung "local government" bezeichnet. Diese bezirkliehe Verwaltung der Angelegenheiten des Staates durch Willensträger, die aus der Grafschaftsbevölkerung, und zwar dem Landadel, entnommen sind, hat also mit einer eigenen körperschaftlichen (und wirtschaftlichen) Selbstverwaltung der Grafschaften im deutschrechtlichen Sinne ursprünglich nichts zu tun. Der Satz: "Die Verwaltung Englands ist immer und in erster Linie Lokalverwaltung gewesen, d. h. sie ist beherrscht von dem Prinzip, daß die gesamte Tätigkeit des Staates im Innern, die wir als innere Verwaltung bezeichnen, allezeit und ausnahmslos eine Funktion der ,localities' vorstellt, d. h. der Lokal verbände"' - bedarf danach einer gewissen Einschränkung. Es gibt also in England auch heute keine untere und mittlere innere Staatsverwal8 Vgl. L. v. Stein, VerwLehre, a. a. 0., S.161; Redlich, Engl. Lokalverwaltung (1901), S. 760, 805, wonach Gneist den Ausdruck von Tolmin Smith (Schrift: Local self-government) übernommen hat.- Wenn von Selbstregierung mit Bezug auf das Parlament geredet wird, so erklärt sich dies daraus, daß das Parlament, von dem das eine Haus, das Unterhaus, vom Volke gewählt wird, als der höchste Willensträger des Staates gilt, der die ganze politische Gewalt der Nation in sich vereinigt. Es ist nicht zur zuständig auf dem Gebiete der Gesetzgebung als Träger der gesetzgebenden Gewalt, sondern auch heute noch oberster Träger der Verwaltung, wie auch - im Oberhaus - das höchste Gericht als 3. Rechtsstufe über dem Obergericht und dem Berufungsgericht auf Berufung (vgl. o. § 3). Es besteht, wie schon früher ausgeführt, in Wirklichkeit in England keine Gewaltentrennung i. S. von Montesquieu, sondern weitgehend eine Gewaltenvereinigung. Die Krone, die nach ständigem Verfassungsbrauch, zum Regierungshaupt (Erstminister) den Führer der nach den Wahlen zum Unterhaus sich ergebenden - jeweiligen Mehrheitspartei des Unterhauses beruft, und nach dessen Rat die ihr verbliebenen Befugnisse ausübt, kann keine wichtige Verwaltungshandlung vornehmen ohne Zustimmung des Parlaments; auch heute noch werden in der Form von Privatgesetzen und örtlichen Gesetzen (sog. private bill und local bill, private act) Verwaltungsverfügungen vom Parlament in Gesetzesform erlassen. • Vgl. Redlich, a. a. 0., S. 808.
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tung durch staatliche Berufsbeamte der Krone, vielmehr wird alle bezirkliche öffentliche Verwaltung durch Selbstverwaltungskörper, vor allem in den Grafschaften, besorgt, die in gleicher Weise wie das Unterhaus des Parlamentes aus Wahlen der Bevölkerung hervorgehen; nur an oberster Stelle ist die Verwaltung Staatsverwaltung im engeren Sinne. Der Ausdruck: "Selfgovernment" hierfür ist der englischen Gesetzessprache fremd. Gneist, der die englischen Verhältnisse durch seine Schriften in weiteren Kreisen in Deutschland bekanntgemacht hat, verstand darunter die Verwaltung der Kreise und Ortsgemeinden nach den Gesetzen des Landes durch Ehrenämter der höheren und mittleren Stände mittels Kommunalgrundsteuern10• So erschien die Verwaltung in den englischen Grafschaften als Selbstverwaltung, insofern die Verwaltung, mit der auch Rechtspflege verbunden war, nicht durch von der Krone angestellte und in deren Dienste stehende berufsmäßige Beamte besorgt wurde, sondern durch ehrenamtlich tätige Angehörige der Bevölkerung der Grafschaft selbst, mochten sie auch vom König ernannt sein: nämlich durch die Friedensrichter, die aus der dort (nach dem Hochadel) gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch bedeutsamsten Schicht, d. h. hier dem Landadel (landed gentry), unter der Voraussetzung des Vorhandenseins eines gewissen jährlichen Reinertrags von 20 Pfund Sterling aus Grundbesitz oder Besitz eines Wohnhauses, später- seit Georg II. (1727-1760) -von hundert Pfund aus erblichem ländlichen Frei- oder Pachtbesitz (free hold oder copy hold) auf Grund der Aufnahme in die Friedensrichterliste, in die man sich eintragen ließ, entnommen wurden11 • Diese Friedensrichter waren wirtschaft10 Gneist, Das heutige englische Verf.- u. VerwR, 2. Hauptteil: Die heutige englische Kommunalverfassung und Kommunalverwaltung oder Das System d. Self-government, S. 186. - Für Gneist war die Selbstverwaltung der Zwischenbau zwischen Staat und Gesellschaft; vgl. Selfgovernment, Kommunalverfassung usf., 3. Aufl. (1871) S. 71, 879. "Die Gegenstände des selfgov. sind die staatlichen Funktionen der inneren Landesverwaltung: der Geschworenendienst, die Verwaltung der Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei, die Militäraushebung, die Verteilung der Einquartierungs- und Vorspannpflicht, die Einschätzung der direkten Staatssteuern, die Verwaltung der Kommunalsteuern, die Verwendung des etwa vorhandenen Kommunalstammvermögens zu öffentlichen Zwecken. Es sind die Funktionen der örtlich tätigen Staatsgewalt, die sich zu einer Handhabung durch das Personal und durch die Steuermittel des Nachbarverbandes eignen, mit Ausschluß derjenigen, welche sich dazu nicht eignen" (a. a. 0., S. 882). Nach Gneist war die sog. gentry als Trägerin des Friedensrichteramts die wahre regierende Klasse, "welche die Amtsgeschäfte unserer Regierung, Landräte und Kreisgerichte wirklich versieht" (Engl. Kommunalverw., S. 915), neben der der Mittelstand noch in den Geschworenen, in der städtischen und Kirchspielverwaltung tätig ist. Vgl. auch Heffter, a. a. 0., S. 386. Übrigens war Gneist von dem Gedanken einer mechanischen Übertragung engl. Einrichtungen auf Deutschland weit entfernt, wenn er sagt (Engl. VerwR d. Gegenwart, 3. Aufl., 1883, Bd. 1, S. 5), "daß auch zur Fortbildung des deutschen Staates nur eine Kombination in Deutschland selbst vorgefundener Einrichtungen führen kann." Vgl. auch ebd., S. 110. 11 Einige mußten rechtsgelehrt sein und einer von ihnen mußte bei wichtigen Geschäften mitwirken. Im 18. Jh. wurden sämtliche Friedensrichter mit dieser höheren Befähigung ernannt. Vgl. Gneist, Selfgovernment, Kommunalverfassung usf. (3. Aufl.), S. 184, 204; desgl. Engl. VerwR (3. Aufl.), S. 1260. Die Vorbedingung eines bestimmten Vermögens wurde 1906 beseitigt. Vgl. Lowell, Engl. Verf., übers. v. Herr (1913), Bd. 1, S. 427.
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lieh und tatsächlich vom König - unbeschadet seines Ernennungs- und Entlassungsrechts -und seinen Behörden, wie auch von den jeweils herrschenden Parteien, unabhängig und waren mit Bezug auf ihre öffentliche Tätigkeit lediglich an das Recht des Landes gebunden, aber nicht an dienstliche Weisungen einer Zentralstelle. Die Aufrechterhaltung des Rechts des Landes erfolgte im wesentlichen durch die obersten Gerichtshöfe, die sich aus dem kleinen Rate des Königs (curia) heraus entwickelt hatten. Die Friedensrichter (justice of the peace) 12 - mehrere in jeder Grafschaft - waren in der Zeit Eduards III. (seit 1360) ständig geworden, zunächst zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens in der Grafschaft 13• Sie wurden mehr und mehr die hauptsächlichsten Träger der staatlichen Verwaltung in den Grafschaften, insbesondere auf dem Gebiete der Polizei und der (unteren und mittleren) Strafrechtspflege mit der Stellung eines Friedensbewahrers (Polizeikommissars), eines Polizeirichters und eines Voruntersuchungsrichters14• Die Friedensrichter drängten die Tätigkeit des kgl. Kronbeamten, des normannischen Vizegrafen (sheriff, vicecomes) und auch der reisenden Richter zurück; die Tätigkeit des Scheriffs beschränkte sich fortan im wesentlichen auf die Vollstreckung gerichtlicher Urteile und auf die Verwaltung der Miliz. Der Aufgabenkreis der Friedensrichter wurde nämlich ständig vermehrt, namentlich unter der Einwirkung des Polizeibegriffs, ähnlich wie auf dem europäischen Festlande, insbesondere unter dem Gesichtspunkte der vorbeugenden Maßnahmen, entsprechend den wachsenden Bedürfnissen. "So wurden die Friedensrichter, ursprünglich bloß als die Polizeiherren eingesetzt, zu den ersten und einzigen von der Krone ernannten lokalen Verwaltungsorganen des englischen Staates 15 ." Schon "beim Tode der Königin Elisabeth gab es auf dem flachen Lande kaum einen Verwaltungszweig, mit dem sie nichts zu tun gehabt hätten. In Ausschüssen von zwei oder mehr Friedensrichtern hielten sie Gericht über kleine Vergehen; sie sorgten, soweit dies überhaupt geschah, für die Instandhaltung von Straßen, Brücken und Gefängnissen, sie ließen Verbrecher verhaften und erteilten Erlaubnisse für Wirtshäuser. Sie wurden die Träger der ausgedehnten und weitverzweigten Oberaufsicht, die der Staat nun statt der alten Verbände über die Wirtschaft ausübte, sie regelten die Löhne und Preise und die Beziehungen zwischen Meistern und Lehrlingen. Sie führten die neuen Armengesetze durch" 16• Dieses Amt war, wie bereits erwähnt, in der Hauptsache im Besitze des niederen Landadels entsprechend der aristokratischen Grundbesitzverfassung Englands; diese Grundbesitzer waren als "Beamte der Krone oder als Friedensrichter die Hauptstütze der Regierung (unter den Tudors); sie waren die Führer des Unterhauses und die wirklichen Beherrscher des flachen Landes" 11 • Im Laufe des 19. Jh. hat diese adelsmäßige 12 Lowell, a. a. 0., S. 413. Als Vorläufer waren schon unter Richard I. (Löwenherz, 1189-99) nach Anordnung der Regierung sog. Friedensbewahrer (conservatores pacis), die coroners, d. h. Kronbeamte, zur Aufrechterhaltung der kgl. gerichtlichen und finanziellen Rechte und zur Aufrechterhaltung des Friedens, je 4 in jeder Grafschaft, von den gerichtsfähigen Einwohnern der Grafschaft, d. h. dem niederen Adel, aus ihrer Mitte unter Überwachung des kgl. Seheriffen bestellt worden. Vgl. Trevelyan, Engl. Geschichte (in deutscher Übers. München 1936) Bd. 1, S.186 f., 224; Maitland, The Constitutional History of England, 5. Aufl. (1931), S. 206 ff. 13 Vgl. Gneist, Engl. VerwR, 3. A., Bd. 1, S. 256 ff.; Lowell, a. a. 0., S. 427 ff. 14 Vgl. Gneist, a. a. 0., S. 257. 1s Redlich, a. a. 0., S. 18. 16 Vgl. Trevelyan, a. a. 0., S. 312. 17 Vgl. Trevelyan, a. a. 0., S. 419; Gneist, Selfgovernment, Kommunalverfassung usf. (3. A.), S. 189 ff.; desgl. E. Becker, Gemeindliche Selbstverwal-
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§ 24. Die Selbstverwaltung im allgemeinen
ehrenamtliche englische Verwaltungseinrichtung eine wesentliche Umgestaltung erfahren infolge des Aufkommens zunächst der mittleren Schichten des Bürgertums in Gewerbe und Handel und sodann - nach der Entwicklung der Großindustrie - des Arbeiterstandes in Verbindung mit der Unzulänglichkeit der bisherigen Art der Verwaltung, die im Grunde genommen eben doch keine wahre Selbstverwaltung des Volkes, sondern die Herrschaft des adligen Großgrundbesitzes in den früheren einfacheren wirtschaftlichen Verhältnissen bedeutete18; sie genügte den neu aufkommenden Bedürfnissen in der öffentlichen Verwaltung nicht mehr. Es wurden seit der ersten Hälfte des 19. Jh.abgesehen von dem Erlasse einer Städteordnung (1835) für die Verwaltung der größeren Städte, in der schon volksherrschaftliche Grundsätze mit der Durchführung des Wahlgrundsatzes für die obersten Willensträger zur Geltung gekommen sind- für neue Verwaltungsaufgaben durch besondere Gesetze, zunächst für das Armenwesen (1834), für das Gesundheitswesen (1848, 1858, 1875), das Wegewesen (1836, 1862, 1864), das Schulwesen (1871) besondere neue Verwaltungsträger (local boards) in Verwaltungsbezirken (unions), regelmäßig für mehrere Kirchspiele, unter der Oberleitung einer obersten Staatsbehörde gebildet. In ihnen wurden aus den steuerzahlenden nutzenden Grundbesitzern (occupiers) zunächst mit einem nach der Steuerleistung abgestuften Stimmrecht Verwaltungsräte (boards) gewählt19 ; diese hatten aber in der Hauptsache nur eine auf die Vermögensverwaltung, die Haushaltsfestsetzung, die Steuerbewilligung und die Beamtenanstellung beschränkte Tätigkeit, während die eigentliche laufende Verwaltung von den von ihnen angestellten besoldeten, dem Weisungsrecht des Geh. Rats und dem ausschließlichen Entlassungsrecht der Zentralbehörde unterworfenen Beamten oder Angestellten20, an oberster Stelle von einem Grafschaftsschreiber (clerk), besorgt wurde. Es hat sich im Zusammenhang damit wenigstens in gewisser Hinsicht eine Oberaufsicht durch die englischen Ministerien bei Gewährung von Staatszuschüssen (grants in aid) ) für bestimmte Sachgebiete, wie insbesondere z. B. die Polizei, das Straßenwesen, die Armenfürsorge, das Gesundheitswesen, die Fürsorge für Irre und Geistesschwache mittels Erlasses von allgemeinen Anweisungen, ferner durch - seit 1835 zuerst auf dem Gebiete des Armenwesens eingerichtete - Aufsichtsbeamte (Inspektoren) zur Kenntnisnahme, Berichterstattung und Nachprüfung sowie durch Rechnungsbeamte (auditors) herausgebildet 21 , ganz ähnlich - wenn auch nicht so weitgehend - wie auf dem europäischen Festlande. Die Blütezeit der Friedensrichter fällt so in die Zeit vor der großen Parlamentsumgestaltung von 1832; im übrigen verblieb es auf dem flachen Lande bis zur Einrichtung der gewählten Grafschaftsräte i. J. 1888 bei der sonstigen Zuständigkeit der Friedensrichter. Im Jahre 1888 wurde dann für die zusammenfassende Verwaltung in den 62 in England und Schottland neugebildeten Verwaltungsgrafschaften22 die Verwaltung im allgemeinen tung, Bd.1 (1941), S. 239: "Die Einheit von Lokal- und Zentralverwaltung Englands im 18. Jh. ist nur zu verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, daßbeidein gleicher Weise von der herrschenden Klasse ihr Gepräge erhielten: Von dem grundbesitzenden Adel und der von ihr sozial abhängigen gentry." 1s Redlich, a. a. 0., S. 453. 19 Doch gehörten ihnen die Friedensrichter kraft Amtes an. Vgl. Gneist, Verw.R, Bd. 1, S. 308 ff., 315, Bd. 2, S. 842. 20 Vgl. Gneist, a. a. 0., Bd. 2, S. 838 f. 21 Vgl. Gneist, a. a. 0., S. 839 ff.; Finer, Die neuen Entwicklungstendenzen in der engl. Lokalverw., im Jahrbuch d. öff.R Bd. 16 (1928), S. 92 ff.; Heyer, Die staatl. Verw. in England, in VerwArch. Bd. 39, S. 80 ff. 22 Die alten Grafschaften - 40 in England, 12 in Schottland - die sich gro-
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den Friedensrichtern und den bisherigen einzelzweckliehen Verbänden entzogen und an ihrer Stelle die jetzt in allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlen durch die über 21 Jahre alten englischen Untertanen ohne Unterschied des Geschlechts auf 3 Jahre gewählten, als Körperschaften eingerichteten, Grafschaftsräte (county council) eingerichtet, ins besondere zur Vertretung nach außen, zur Feststellung des Haushaltsplans und Abnahme der Rechnung, zur Feststellung der Richtlinien für die Tätigkeit der Grafschaftsbeamten und -angestellten und zur Wahl von Ausschüssen23 zur Durchführung der einzelnen Aufgaben 24 ; ihre Tätigkeit steht im allgemeinen unter der Aufsicht - seit 1952 nicht mehr, wie früher des Gesundheitsministeriums (Ministry of health), sondern - des Ministeriums für die öffentliche Verwaltung (Ministry of Housing and Local Government) 25, z. T. auch des Erziehungsund Innenministeriums (wegen des Schul- bzw. Polizeiwesens). Sie besteht insbesondere wegen der Ausgabe der gewährten staatlichen Zuschüsse und bei der Aufnahme von Anleihen vor allem auf dem Gebiete des A·rmenwesens, des Wegewesens, des Gesundheitswesens und der Vermögensverwaltung, Finanzgebahrung und Rechnungsführung26 ; aber eine Dienstgewalt des Ministeriums über die Grafschaftsverwaltung und die -beamten, eine Über- und Unterordnung im festländischen Sinne, besteht nicht. Eine besondere Verwaltung neben den neu gebildeten Verwaltungsgrafschaften (administrative county) ist vorgesehen für die (83) sog. Stadtgrafschaften (county boroughs) mit mindestens - früher 50 000, seit 1926 - 75 000 Einw. (von einigen geschichtlichen Städten mit geringerer Bevölkerung abgesehen) 27 • Die bisherige Vereinigung Benteils mit den Verwaltungsgrafschaften decken, wobei nur einige größere alte Grafschaften in mehrere Verwaltungsgrafschaften aufgeteilt sind, blieben noch für die Parlamentswahlen und für die friedensrichterliche Rechtspflege bestehen; sie entsprechen im großen und ganzen den deutschen Landkreisen. Vgl. J. H. Warren, Selbstverwaltung in England (übersetzt v. Hamann, Veröff. d. Inst. zur Förderung öff. Angelegenheiten Bd. 6, 1952) S. 44; Becker, a. a. 0., S. 240. 23 Vgl. Redlich, a. a. 0., S. 463. Die Hauptarbeit vollzieht sich in den Ausschüssen. Nach dem Vorbild der StädteO v. 1935 wird - ähnlich den "Ältesten" (alderman) in den Städten- ein Viertel der Grafschaftsräte von diesen selbst auf 6 Jahre mit hälftiger Erneuerung alle paar Jahre, und nicht von den Wählern gewählt. Der ehrenamtliche Vorsitzende ist der auf ein Jahr gewählte sog. "chairman", dem der Leiter der Grafschaftsangestellten (the clerk of the county) - ähnlich wie in den Städten der Stadtschreiber (town clerk) als Spitze der berufsmäßigen städtischen Angestellten dem ehrenamtlichen Bürgermeister (mayor)- zur Seite steht. Vgl. Heffter, a. a. 0., S. 727, Warren, a. a. 0., S. 93 ff., 107 ff., Hatschek, Engl. Local Government, in VerwArch. Bd. 9,
s. 362.
24 Den Grafschaftsräten wurde auch noch die Verwaltung der Landstraßen, des Volksschulwesens, des höheren, Fach- u. landwirtschaftlichen Schulwesens, Wohlfahrtseinrichtungen auf dem Gebiete der Gesundheitspflege, Fürsorge für Alte, Berufsunfähige, Taubstumme, Blinde, Waisen usf., Erlaubniserteilungen (z. B. für Schaubühnen, Bau und Unterhaltung von Brükken), neuerdings (1929) auch Stadt- und Landplanungen, Polizei außerhalb der Städte, Feuerwesen und die Fürsorge für Mutter und Kind übertragen. Vgl. Bornhausen, in "Ausländ. VerwR d. Gegenwart", herausg. v. Höhn, S. 222 f., Jürgel, ebd., S. 218; Heffter, a. a. 0., S. 726, Warren, a. a. 0., S. 40, 54. Mosheim, Engl. Kommunalverw., in DVBl. 1951, S. 97 ff. 25 Götz, in Handb. d. kommunalen Wissenschaft u. Praxis, Bd. 1 (1956),
s. 600.
Redlich, a. a. 0., S. 621, Finer, a. a. 0., S. 111 ff. Sie entsprechen unseren kreisfreien Städten (Stadtkreisen).- Die Hauptstadt London besteht außer der Altstadt (city) und 28 weiteren hauptstädti26
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§ 24. Die Selbstverwaltung im allgemeinen
von Verwaltung und Rechtspflege wurde z. T. beseitigt; die Rechtsprechung in bürgerlichen Rechtssachen in der unteren Stufe im allgemeinen war den Grafschaftsgerichten (county courts) bereits i. J. 1846 übertragen; die Friedensrichter wurden auf die Rechtsprechung in gewissen niederen und mittleren Strafsachen - sei es, daß sie als einzelne, zu zweien (petty session), in der Vereinigung eines Grafschaftsbezirk!s (division special session) oder (regelmäßig viermal jährlich) in der Vereinigung sämtlicher Friedensrichter der Grafschaft (general quarter session) auftreten - und in Verwaltungssachen insbesondere auf die Erteilung von Wirtschaftserlaubnissen beschrä"lkt. Im Jahre 1894 wurden durch das Lokalverwaltungsgesetz die -heute e'.>enfalls nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht der im Wahlbezirk wohnhaften 21 Jahre alten englischen Untertanen gewählten - ländlichen und städtischen Bezirksräte (urban und rural districts councils) 28 mit Aufgaben insbesondere auf dem Gebiete des Gesundheits- und Bauwesens sowie der Wohnungsfürsorge innerhalb der Grafschaften eingerichtet29 ; diese gliedern sich wieder in die ebenfalls gewählten Kirchspielräte (parish councils) in den Kirchspielen für örtliche Angelegenheiten (Wegesachen usw.) 30. Der Schwerpunkt der Selbstverwaltung liegt aber auch heute noch - von den großen Städten abgesehen - vor allem, wie früher, bei den (Verwaltungs-)Grafschaften31.
Die englischen Verwaltungseinrichtungen der früheren Zeit, also insbesondere in der Zeit vor 1832, waren in Deutschland, wie schon erwähnt, vor allen Dingen durch die Schriften von Rudolf v. Gneist bekannt geworden, der das Wesen der englischen Selbstverwaltung in der sehen Gemeinden (metropolitan boroughs), die im wesentlichen nach der StädteO v. 1835 eingerichtet sind, z. B. für Kanalisation, Wohnungswesen, Sozial- und Kinderfürsorge, Volksschulen, höhere und Fortbildungsschulen als eine Stadtgrafschaft London. Vgl. dazu Götz, a. a. 0., S. 601, Lowell, a. a. 0., Bd. 2, S. 194, Finer, a. a. 0., S. 100 ff. 28 Vorläufer waren die "local boards" der Gesundheitsverwaltung, deren Bezirke auch schon als Distrikt bezeichnet waren. Die städtischen Bezirke (Distrikte) stellten "einheitliche gemeindliche Organisation in Form der Kleinstädte" dar. Die Bezirke fielen auch mit den früheren sog. Unionen der Armenverwaltung zusammen, deren oberste Wirkglieder, die "boards of guardians", auf dem Lande mit den Bezirksräten (Distriktsräten) verschmolzen wurden, während dies in den Städten noch nicht geschah; doch wurde auch hier das volksherrschaftliche Wahlrecht durchgeführt. Vgl. Heffter, a. a. 0.,
s. 729.
29 Vgl. des Näheren Lowell, a. a. 0., Bd. 2, S. 262 ff.; Bornhausen, a. a. 0., S. 217 ff.; Warren, a. a. 0., S. 39 ff. 30 Bei diesen unterscheidet man wieder zwischen ländlichen Kirchspielgemeinden (Kirchspiellandgemeinden) mit Gemeindeversammlung (in den größeren mit über 3000 Einw. mit gewählten Gemeinderäten als obersten Wirkgliedern) und städtischen Kirchspielgemeinden (rural p. und urban p.) Doch stellen die städtischen Kirchspielgemeinden, deren Grenzen jetzt im allgemeinen mit den städtischen Gemeinden und Stadtbezirken (Distrikten) sich decken, nur eine Hilfseinrichtung auf dem Gebiete der Standesbuchführung, nicht aber selbständige Verwaltungseinheiten mit Gemeindeversammlung oder Gemeinderat dar. Vgl. Warren, a. a. 0., S. 43, Trevelyan, a. a. 0., Bd. 2, S. 779, Hatschek, Das engl. Lokalgovernment, in VerwArch., Bd. 9, S. 319 ff., Mosheim, a. a. 0., S. 98, Cantner, Die engl. Gemeinde, in DOV 1954, S. 175 ff. 31 Vgl. v. Treitschke, Politik, Bd. 2, S. 496, Heffter, a. a. 0., S. 729. Für die nationalisierten Unternehmen sind besondere öff. Körperschaften gebildet worden.
Die Selbstverwaltung im unechten oder staatsbürgerlichen Sinne
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Verwaltung von Staatsgeschäften vor allen Dingen durch die Friedensrichter im Gegensatz zur Verwaltung durch Berufsbeamte, d. h. zur "Ministerialverwaltung" sah 32 • So ergab sich ein Begriff der Selbstverwaltung, der in Anlehnung an englische Verwaltungseinrichtungen gebildet war, wobei es sich aber, wie bereits gesagt, um eine bestimmte Art der Einrichtung der Staatsverwaltung handelte, nämlich durch ehrenamtlich tätige Bürger, im Gegensatz zu staatlichen Berufsbeamten. Gneists Bestreben war auf die Verwirklichung des Grundsatzes der staatsbürgerlichen Selbstverwaltung auch in Deutschland gerichtet. Auch er erwartete von der einrichtungsmäßigen Eingliederung der "Gesellschaft" in den Staat33 durch Heranziehung unabhängiger Bürger bei der Staatsverwaltung einen Ausgleich der auf den Eigennutz gerichteten Bestrebungen der einzelnen und der gesellschaftlichen Klassen sowie eine Erziehung des Volkes zur politischen Freiheit, aber auch eine Gewähr für eine unparteiische Betätigung der Verwaltung. In den englischen Einrichtungen der Selbstverwaltung glaubte er die wahre politische Freiheit verwirklicht im Gegensatz zu den französischen Verwaltungseinrichtungen, wie sie Napoleon I. durch das Gesetz vom 17. Februar 1800 (28. Pluviöse d. J. VIII) mit einer Lenkung eines von oben, d. h. der Regierung, geleiteten und vom Staate ernannten Berufsbeamtenturns geschaffen hatte (vgl. o. § 21). Gneists Bestrebungen haben maßgebenden Einfluß auf die Neugestaltung der Verwaltung in Deutschland seit der 2. Hälfte des 19. Jh. gewonnen, dadurch, daß sie Einfluß auf die politischen Parteien und die Regierung, wie namentlich anläßlich des Erlasses der preuß. KreisO für die östlichen Provinzen von 1872 und der Verwaltungsgesetze von 1875, gewannen. Es wurde eine Verwaltung staatlicher Angelegenheiten durch ehrenamtlich tätige Bürger in verschiedenen deutschen Ländern 32 Vgl. Gneist, Die Bildung der Geschworenengerichte in Deutschland (1848), S. 21-22: "Diesem Beamtenmonopol gegenüber trat das Bestreben zur Teilnahme am Staat in der Forderung hervor, daß Administration und Justiz nach den Grundsätzen der Selbstregierung durch Genossen, d. h. durch Nichtbeamte, verwaltet würde" und S. 21: "Die ganze Kraft der Selbstregierung beruht auf unbesoldeten und gebildeten Männern". In seinem Schreiben an den Ministerpräsidenten v. 26. März 1869 (handschriftl. nachgedr. bei Schiffer a. a. 0., S. 130) bezeichnet er als "Ziel der Selbstverwaltung: Dem Staatsbeamtenturn ein ebenbürtiges Gegengewicht zu schaffen, den besitzenden Klassen das Bewußtsein ihres Staatsberufs wiederzugeben, die Kluft zwischen Staatsverfassung und Verwaltung zu füllen, den Staat vor dem Versinken in die moderne Gesellschaft zu bewahren". So blieb ihm Selbstverwaltung als "die Verwaltung staatlicher Angelegenheiten durch hohe Funktionäre in staatlich aufgezwungenen Ehrenämtern", womit er aber nicht durchgedrungen ist. Immerhin haben sich seine Gedankengänge i. S. einer unechten oder staatsbürgerlichen Selbstverwaltung neben der körperschaftlichen Selbstverwaltung behauptet. Gneist selbst sagte scherzend: "Gneists Ideen, erst vom Minister Eulenburg, dann vom Landtag erheblich entstellt, bilden den Ausgang der Kreisordnungsgesetzgebung." Schiffer, a. a. 0., S. 45. 33 Vgl. Heffter, a. a. 0., S. 376.
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§ 24. Die Selbstverwaltung im allgemeinen
herbeigeführt, in der Weise, daß diese ehrenamtlich tätigen Bürger unter dem Vorsitz eines staatlichen Berufsbeamten bei der Erledigung bestimmter Verwaltungsangelegenheiten sowohl in reinen Verwaltungssachen, sog. Beschlußsachen, wie auch in verwaltungsgerichtlichen Sachen, sog. Verwaltungsstreitsachen, wenigstens in der unteren und mittleren Stufe, zugezogen wurden. So insbesondere in Preußen durch die Einrichtung der Kreisausschüsse in den Landkreisen, der Stadtausschüsse in den Stadtkreisen (an deren Stelle in den kreisangehörigen Städten über 10 000 Einw. der Magistrat trat) und der Bezirksausschüsse in den Regierungsbezirken wie auch durch die Einrichtung von Provinzialräten bei den Oberpräsidenten für Verwaltungssachen der Provinz 34 ; weiter aber auch durch die Einrichtung der sog. Amtsbezirke mit dem von den Kreistagen vorgeschlagenen und vom Oberpräsidenten ernannten ehrenamtlich tätigen Amtsvorstehern zur Verwaltung der Ortspolizei in den östlichen Provinzen und in Schleswig-Holstein in offenbar weitgehender Nachbildung des englischen Friedensrichteramtes. So auch in den Bezirksräten beim Landrat (Bezirksamtmann) in Baden; hier z. B. auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege als regelmäßig erste Rechtsstufe und in Verwaltungssachen, z. B. für die Erteilung von gewerbepolizeilichen Erlaubnissen nach § 16 GewO (erlaubnispflichtige Anlagen, wie chemische Fabriken usw.) und von Wirtschaftserlaubnissen nach § 33 GewO bzw. später nach dem GaststättenG vom 28. April 1930. -Im nationalsozialistischen Staate war, wie früher erwähnt, unter Beseitigung des Gesamtverwaltungsgrundsatzes (mit Ausnahme im wesentlichen bei den Verwaltungsgerichten) der Einzelverwaltungsgrundsatz bei den staatlichen Berufsbeamten in den Verwaltungsbehörden durchgehend eingeführt worden; eine Heranziehung ehrenamtlich tätiger Bürger fand, wenn überhaupt, nurnoch in bestimmten Fällen in der Form von Beiräten zur bloß unmaßgeblichen beratenden Mitwirkung statt; es sollte eben eine straffe Lenkung von oben und eine Verantwortlichkeit nach oben bestehen. Nach dem Zusammenbruch des national-sozialistischen Staates ist man z. T. zu den früheren Einrichtungen zurückgekehrt; vgl. z. B. §§ 23 ff. G über die Finanzverwaltung vom 6. September 1958 (BGBL I S. 448: Steuerausschüsse), § 309 LAG vom 14. August 1952 (BGBL I S. 446: Ausgleichsausschüsse). Entsprechend dem volksherrschaftliehen Aufbau des Staates stellt in den Selbstverwaltungskörperschaften, soweit sie Körperschaften i. e. S. sind, die Mitgliederversammlung den höchsten Willensträger des Verbandes dar, der für die wichtigsten Beschlüsse (Haushaltsfestsetzung usw.) zuständig ist und den Vorstand wählt, der im allgemeinen ehrenamtlich tätig ist. In den größeren Selbstverwaltungskörperschaften wer34 Vgl. §§ 4 ff., 115 ff., LVG v. 30. Juli 1883, ferner § 77 KommunalabgG v. 14. Juli 1893.
Die Selbstverwaltung im echten (oder körperschaftlichen) Sinne
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den von den ihnen angehörigen Mitgliedern oder sonst zugehörigen Personen weitgehend Vertreterversammlungen gewählt, die ihrerseits einen Vorstand wählen (der u. U. wieder für die laufenden Geschäfte einen Geschäftsführer bestellt), wobei die Ämter dieser Willensträger Ehrenämter sind. So insbesondere auch auf dem Gebiete der Sozialversicherung bei deren Trägern nach dem G über die Selbstverwaltung und über Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung (SelbstverwaltungsG) i. d. F. vorn 13. August 1952 (BGBl. I S. 427), abg. durch die Gesetze vom 26. Dezember 1957 (BGBl. I S. 1883) und vorn 10. April 1958 (BGBl. I S. 213). So besteht auf dem Gebiete der Sozialversicherung ehrenamtliche Selbstverwaltung z. B. auch in der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, in den Verwaltungsausschüssen der Arbeitsämter und der Landesarbeitsämtersowie im Vorstand und Verwaltungsrat der Bundesanstalt (§§ 3, 4, 9 u. 15 d. G über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. März 1952, BGBl. I S. 123) 35• Daß heute entsprechend dem volksherrschaftliehen Aufbau des Staates, insbesondere zufolge des Wahlgrundsatzes, vor allem die politischen Parteien (und gegebenenfalls auch die sog. Stände, Gewerkschaften usf.) maßgebenden Einfluß auf die Besetzung der betr. Ämter haben, kann hier nicht weiter aUJSgeführt werden. Wegen der Verhältnisse in den Gemeinden und Gemeindeverbänden vgl. u. § 25.
ll. Die Selbstverwaltung im echten (oder körperschaftlichen) Sinne Der Begriff der Selbstverwaltung im echten, d. h. im körperschaftlichen Sinne36 geht im Gegensatz zu dem eben behandelten Begriffe im unechten Sinne rein von deutschen Verhältnissen aus. Es handelt sich hierbei um die Besorgung öffentlicher Verwaltungsaufgaben durch die dem Staate eingeordneten engeren öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen im eigenen Namen und nach eigenem Ermessen im Rahmen der Gesetze unter der Aufsicht des Staates. Unerheblich ist hierbei, ob diese Verwaltung durch berufsmäßige Barnte oder ehrenamtlich tätige Bürger- im Sinne der unechten oder staatsbürgerlichen Selbstverwaltung - besorgt wird, wenn auch tatsächlich 35 Vgl. ferner § 5 HeimarbeitsG v. 14. März 1951 (BGBL I, S. 191: Beisitzer bei den Heimarbeitsausschüssen) und das G über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung v. 22. Febr. 1951 (BGBL I, S. 124). 36 Der auch z. B. von Rosin - verwendete Ausdruck "im rechtlichen Sinne" (im Gegensatz zur "politischen Selbstverwaltung", vgl. o. Ziff. I) ist insofern verfehlt, als beide Arten der Selbstverwaltung rechtliche Einrichtungen darstellen (o. Anm. 2).
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§ 24. Die Selbstverwaltung im allgemeinen
zum guten Teil die Verwaltung ehrenamtlich besorgt wird37• Dieser Gedanke der sog. körperschaftlichen Selbstverwaltung hat von jeher im deutschen Recht eine große Rolle gespielt, insbesondere im Sinne der Vereinigung von Volksgenossen zu kleineren oder größeren Verbänden, die ursprünglich (von den herrschaftlichen Verbänden hier abgesehen) genossenschaftlich, ohne klare Unterscheidung von Gesamt- und Einzelrechtsbereich, eingerichtet waren und später nach der Aufnahme der fremden Rechte zu Körperschaften im heutigen Sinne fortgebildet wurden. Hier bestand ein Mitgliedschaftsrecht der Genossen mit tätiger Anteilnahme an der Verwaltung, wenn auch zunächst meist auf wirtschaftlichem Gebiete; so in den Dörfern, Markgenossenschaften, Städten, Zünften, Gilden, Deichgenossenschaften, Wassergenossenschaften usf. 38• In der Neuzeit war in der Zeit des unbeschränkten Fürstenstaats die Selbstverwaltung weitgehend durch staatliche Beaufsichtigung und Bevormundung, insbesondere auch in den Städten, zurückgedrängt worden. Nach dem Zusammenbruch des preußischen Staates i. J. 1806 hat der Freiherr vom Stein in der schon früher angeführten Nassauer Denkschrift von 1807 auch den Gedanken der körperschaftlichen Selbstverwaltung zum Zweck der Beförderung des Gemeinsinns wieder belebt. Er führt in dieser Hinsicht aus- was z. T. auch Bedeutung hat für die staatsbürgerliche Selbstverwaltung (o. Ziff. I)-: "Auch meine Diensterfahrung überzeugt mich innig und lebhaft von der Vortrefflichkeit zweckmäßig gebildeter Stände und ich sehe sie als ein kräftiges Mittel an, die Regierung durch die Kenntnisse und das Ansehen aller gebildeten Klassen zu verstärken, sie alle durch Überzeugung, Teilnahme und Mitwirkung bei den Nationalangelegenheiten an den Staat zu knüpfen, den Kräften der Nation eine freie Tätigkeit und eine Richtung auf das Gemeinnützige zu geben, sie vom müßigen, sinnlichen Genuß oder von leeren Hirngespinsten der Metaphysik oder von Verfolgung bloß eigennütziger Zwecke abzulenken und ein gut gebildetes Organ der öffentlichen Meinung zu erhalten, die man jetzt aus Äußerungen einzelner Männer oder einzelner Gesellschaften vergeblich zu erraten bemüht ist." "Hat man sich von dieser Wahrheit überzeugt, daß die Teilnahme der Eigentümer an der Provinzialverwaltung von den wohltätigsten Folgen sei, so muß man nun seine Aufmerksamkeit richten auf die Bestimmung der Geschäfte, die ihnen übertragen werden sollen, und auf die Form der Organisation sowohl der Kommunal- als der Provinzialbehörden ... " "Die Städte besitzen zwar Wahlmagistrate, die besoldet, permanent und mit dem Wahlrecht versehen sind, sie haben aber alle den Nachteil der besoldeten Kollegien und an ihrer Stelle würden von der mit Häusern und Eigentum angesessenen Bürgerschaft gewählte Magistrate, alle 6 Jahre erneuert, ohne Gehalt errichtet; nur der Rendant erhielte eine Besoldung und bliebe für die Lebenszeit. Die gewählten Magistratspersonen erhielten ihre Bestätigung vom Staat, der in den großen, über 3000 Seelen habenden Städten zu besoldeten Stadtdirektoren aus 3 von der Bürgerschaft präsentierten Subjekten wählte." Vgl. v. Köhler, Grundlehren, S.106. rs Vgl. 0. v. Gierke, D. GenossenschaftsR., 4 Bde. (1868 bis 1913).
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Die Selbstverwaltung im echten (oder körperschaftlichen) Sinne
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"Die Zahl der Magistratsmitglieder richtet sich nach der Bevölkerung der Stadt und ihnen sind noch Stadtverordnete oder Bürgerschaftsdeputierte, die zu außerordentlichen Deliberationen, als Rechnungsabnahme, Vererbpachtung der Grundstücke usw. zugezogen werden, beizuordnen" usf. 39. Diese Grundgedanken wurden zunächst verwirklicht in der Steinsehen Städteordnung vom 19. November 1808, kurz vor dem endgültigen Abgang des Reichsfreiherrn aus den preußischen Staatsgeschäften. Sie beseitigte die bisherige weitgehende staatliche Bevormundung der städtischen Verwaltung; den Städten wurden die Rechtspflege und die Polizei, die wegen ihrer hoheitlichen Natur und Zwangsanwendung für Staatssachen erklärt wurden, genommen bzw. die Polizei nur als Auftragsangelegenheit zur Besorgung im Namen des Staates den Stadtobrigkeiten zugewiesen; die Selbstverwaltung der Städte sollte sich auf ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten, insbesondere ihre Vermögensverwaltung, und die Wohlfahrtspflege beschränken. Auf dem flachen Lande trat zunächst - wohl mit verursacht durch den vorzeitigen Abgang Steins - keine wesentliche Änderung ein. Auf diese Steinsehe Städteordnung geht die neuere deutsche Selbstverwaltung körperschaftlicher Art im wesentlichen zurück; nach ihrem Vorbild wurde dann auch die Selbstverwaltung insbesondere in den Landgemeinden, Kreisen und Provinzen eingerichtet. Auch späterhin war in weiten Kreisen des Volkes die Einsicht vorhanden, daß die wirkliche politische Freiheit nicht lediglich in dem Bestand einer Volksvertretung und in den - regelmäßig nur nach Ablauf mehrerer Jahre vor sich gehenden- Wahlen der Staatsbürger zu ihr bestehe, worüber seinerzeit schon Rousseau spottete, wenn er sagte, das englische Volk meine, frei zu sein, aber dies sei es nur im Augenblick der Wahl der Mitglieder des Parlaments, nachher sei es Sklave, nichts40 • Zur vollen Durchführung der politischen Freiheit erschien es demgegenüber angebracht, daß die Bürger auch berufen werden, sich an den Geschäften der öffentlichen Verwaltung in fortlaufender Weise zu beteiligen, und zwar in der Staatsverwaltung wie auch in der Verwaltung der dem Staate eingeordneten engeren Verbände, unter Heranziehung der beteiligten Volksgenossen; es ist dies die Erkenntnis- nach einem Worte Niebuhrs - , daß "die Freiheit ungleich mehr auf der Verwaltung als auf der Verfassung" beruhe 41 • Dies geschieht dadurch, daß man entweder anknüpft an vorhandene Verbände, wie bei den Gemeinden, und ihmm solche Aufgaben überträgt, oder aber neue Verbände schafft, und zwar entweder in umfassender Weise nach dem sog. Allzuständiga. a. 0., S. 28 f. Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, Kap. 15. 41 v. Vincke, Darstellung d. inneren Verwaltung Großbritanniens, herausg. v. Niebuhr (1815) S. III; L. v. Stein, Verw.Lehre, 1. T., 2. Abt., 2. Aufl. (1869), S.150, 177; Redlich, a. a. 0., S. 811. 39
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keitsgrundsatz 42, wie insbesondere bei den Gemeinden und - im allgemeinen wenigstens aushilfsweise - bei den Gemeindeverbänden für ihren räumlichen Bereich, so daß deren Aufgabenbereich vor allem durch diesen räumlichen Bereich abgegrenzt und begrenzt wird, soweit nicht der Staat sich bestimmte Aufgaben vorbehält oder solche anderen Trägern öffentlicher Verwaltung zuweist; oder aber auf beruflicher Grundlage oder endlich- in eingeschränkter Weise- für einzelne öffentliche Aufgaben, wie bei den sog. einzelzweckliehen Verbänden, den öffentlichrechtlichen- meist nach ihrem Hauptzweck benannten- Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, wie den Wasser- und Bodenverbänden, den Jagdgenossenschaften usw. Alle diese Verbände besorgen dann staatliche oder öffentliche Verwaltungsgeschäfte im eigenen Namen mit ihren eigenen, von ihnen selbst bestellten Beamten und Angestellten, aber mit der Pflicht dem Staate gegenüber, diese Aufgaben wahrzunehmen43, und unter der Aufsicht des Staates44 - der sog. Staatsaufsicht-, die darüber wacht, daß sie diese Aufgabe erfüllen und zum mindesten - wie in der Zeit des liberalen und des sozialen Rechtsstaats - die Gesetze, d. h. die Rechtsordnung, bei der im übrigen weitgehenden Handhabung freien Ermessens in ihrer Verwaltungstätigkeit einhalten. Zur Ermöglichung der Besorgung dieser Aufgaben werden den Selbstverwal tungskörperschaften gegebenenfalls vom Staate besondere Einnahmequellen, Steuern OderSteueranteile usf., u. U. auch beiLeistungsschwäche staatliche Mittel als Zuschüsse zur Verfügung gestellt, soweit nicht ein Lastenausgleich unter den Gemeinden oder aber weitere Verbände (Gemeindeverbände, insbesondere Kreise usf.) nach gesetzlicher Vorschrift einzelne Aufgaben leistungsschwacher Selbstverwaltungskörper übernehmen oder i. S. des Lastenausgleichs tätig werden. So ergibt sich der Begriff der Selbstverwaltung im echten Sinne: sie ist nichts anderes als die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch dem Staat eingeordnete engere Verbände, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts oder die sog. körperschaftliche Selbstverwaltung (wobei das Wort "Körperschaft" in einem weiteren, öffentliche Anstalten und Stiftungen mit einschließenden Sinne verwendet wird). Diese Verbände 42 Dagegen gilt in England für die gebietliehe Selbstverwaltung der Besonderungs-(Aufzählungs-)Grundsatz, d. h. sie muß zu ihren Aufgaben jeweils durch besonderes Gesetz im einzelnen ermächtigt sein; vgl. Warren, a. a. 0.,
s. 11 ff.
43 Daher wäre z. B. eine im Gesetz nicht zugelassene Übertragung an Dritte, z. B. der Friedhofsverwaltung an eine Kirchengemeinde und deren Vorstand, unzulässig (vgl. Pr. OVG, Bd. 56, S. 257). Vgl. auch o. § 18 Anm. 19. 44 Ausnahmsweise kann diese vom Staate auch auf andere Verbände, z. B. höhere Selbstverwaltungskörperschaften, übertragen sein. So führt z. B. die Aufsicht über die Handwerksinnung die Handwerkskammer, in deren Bezirk die Handwerksinnung ihren Sitz hat; die Aufsicht erstreckt sich darauf, daß Gesetz und Satzung beachtet und die der Handwerksinnung übertragenen Aufgaben erfüllt werden(§ 69 HandwerksO v. 7. Sept. 1953, BGBl. I, S. 1411).
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usw., die dem Staate eingeordnet sind und öffentliche Verwaltung, insbesondere in öffentlich-rechtlicher Weise, im eigenen Namen und nach eigenem Ermessen führen, nennt man öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften; bei ihnen kann aber auch- wie beim Staateneben der Selbstverwaltung im echten Sinne noch eine solche im unechten Sinne bestehen, wie z. B. bei den Gemeinden mit Bezug auf die ehrenamtlichen Gemeinderäte und den ehrenamtlichen Bürgermeister. Von diesem Begriff der Selbstverwaltung im körperschaftlichen Sinne gehen die Gesetze regelmäßig aus; nicht eine bestimmte Art der Einrichtung der Verwaltungskörper, sondern die Beziehung gewisser, dem Staate eingeordneter, Verbände zur öffentlichen Verwaltung oder die Betreuung mit der Besorgung öffentlicher Gemeinschaftsaufgaben ist das Kennzeichen dieses Begriffs. Es soll zum Ausdruck gebracht werden, daß ein eigenes Rechtswesen, eine dem Staate eingeordnete juristische Person, öffentliche Verwaltungstätigkeit ausübt, die möglicherweise auch von dem ihr übergeordneten Staate ausgeübt werden könnte und - beim Fehlen oder Wegfall der Selbstverwaltungskörperschaft - ausgeübt werden müßte, wenn diese öffentlichenAufgaben überhaupt wahrgenommen werden sollen. Eine solche Selbstverwaltung findet sich vor allem bei den Gemeinden. Nach dem Gesagten ist der Begriff nicht anwendbar auf die Tätigkeit der Verwaltung eines unabhängigen Gemeinwesens, wie eines vollkommenen, mit Unabhängigkeit ausgestatteten, Staats; ihm gegenüber kommt ein "Verwaltetwerden" durch ein höheres Gemeinwesen nicht in Frage45 • Er kann indessen, wie auf die dem Staate eingeordneten Träger öffentlicher Verwaltung, wie insbesondere die Gemeinden, so auch auf die Länder oder Gliedstaaten eines Bundesstaates angewendet werden, im Hinblick darauf, daß die unabhängige Herrschaftsgewalt beim Oberstaate, dem Reiche bzw. Bunde, liegt, wie z. B. auf die deutschen Länder nach der Gründung des neuen Deutschen Reichs i. J. 1871, insofern sie im allgemeinen in den mit Bezug auf die Beaufsichtigung und Gesetzgebung der Zuständigkeit des Reichs zugewiesenen Angelegenheiten (vgl. Art. 4 RV) die Verwaltung führten, insbesondere die Reichsgesetze im eigenen Namen mit ihren Behörden und Beamten unter der Aufsicht des Reichs - der sog. Reichsaufsicht - ausführten; so entsprechend auch in der Weimarer Zeit nach derWeim.RV. In der nationalsozialistischen Zeit übten sie infolge des Übergangs der Hoheitsrechte der Länder auf das Reich durch die Schaffung des Einheitsstaates mittels des NeuaufbauG vom 30. Januar 1934 freilich auf öffentlich-rechtlichem 45 Vgl. Laband, StaatsR Bd. 1, 5. A., S. 102 ff.; Rosin, a. a. 0., S. 310: "Vorausgesetzt wird nur die Unterordnung unter die Souveränität eines höheren Gemeinwesens, welches sich in einer beschränkenden Einwirkung auf die verwaltende Tätigkeit der untergeordneten Persönlichkeit äußert oder doch äußern kann."
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Gebiete lediglich die Hoheitsgewalt des Reiches aus, soweit den Landesbehörden die Ausübung solcher Hoheitsbefugnisse vorerst rückübertragen wurde. Nach Art. 83 GG führen jetzt die Länder wieder grundsätzlich die Bundesgesetze in erster Reihe als eigene Angelegenheit aus - soweit das GG nichts anderes bestimmt oder zuläßt (vgl. o. § 22) unter der Aufsicht des Bundes nach Art von Selbstverwaltungskörperschaften, daneben aber auch z. T. als Auftragsangelegenheit. (Vgl. o. § 22). Für den Begriff der Selbstverwaltung im echten Sinne ist es, wie oben bereits bemerkt, unerheblich, ob die Verwaltung durch besoldete Beamte oder durch Ehrenbeamte oder ehrenamtlich tätige Bürger, z. B. durch einen besoldeten Berufsbürgermeister oder einen ehrenamtlich tätigen Bürgermeister, geführt wird, wenn man z. T. auch ursprünglich - fälschlicherweise- einen besonderen Vorteil der Selbstverwaltung in der allgemeinen "Unentgeltlichkeit" gegenüber der Verwaltung durch bezahlte staatliche Berufsbeamte erblicken zu können glaubte; so ist es m. a. W. auch unerheblich, ob der Betreffende dieses Amt nur nebenbei verwaltet oder aber seinen Lebensberuf daraus macht. Ferner, ob die Ämter durch Wahl besetzt werden oder nicht (wie im allgemeinen die den obersten Ämtern nachgeordneten Ämter), wenn auch mit der Übertragung der Selbstverwaltung regelmäßig den Selbstverwaltungskörperschaften insbesondere auch die Wahl ihrer obersten Willensträger überlassen ist, vorbehaltlich eines etwaigen Bestätigungsrechtes seitens des Staates, und eine solche eigene und freie Besetzung der Ämter zum Wesen einer vollen Selbstverwaltung gehört. Endlich ist auch nicht das Entscheidende die Befugnis zur sog. Selbstgesetzgebung (sog. Autonomie), d. h. zur Rechtssetzung; diese ist vielmehr-andersals im Mittelalter, wo namentlich die dem Staate eingeordneten Städte eine weitgehende Rechtssetzungsbefugnis hatten, wie dies in dem Rechtssprichwort zum Ausdruck kommt: "Willkür bricht Stadtrecht, Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemeines Recht" - nach der Durchführung der Trennung der Gewalten grundsätzlich dem Träger der gesetzgebenden Gewalt des Staates vorbehalten: nur auf Grund gesetzlicher Ermächtigung kommt ein sog. Satzungsrecht der dem Staate eingeordneten Verbände für ihre eigenen Angelegenheiten in Betracht, das ihnen vielmehr neben dem Rechte der Selbstverwaltung in gewissen Schranken, z. T. unter Vorbehalt der Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde, eingeräumt ist (vgl. o. § 14). Der Gegensatz zur Selbstverwaltung in dem hier besprochenenSinne ist vielmehr, wie gesagt, die unmittelbare Verwaltung durch den Staat. Es handelt sich aber dem Grunde nach, wie schon bemerkt, um staatliche Geschäfte oder um öffentliche Aufgaben, die der Staat als Gemeinschaftsaufgaben an sich in seinen Aufgabenbereich gezogen hat, die aber der Staat nicht selbst verwaltet
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oder besorgt, sondern- zum guten Teil in Anknüpfung an die geschichtlich überkommene Aufgabenverteilung, wie insbesondere bei den Gemeinden - den Selbstverwaltungskörperschaften zur Besorgung überläßt, die er aber, wie bereits bemerkt, verwalten müßte, wenn die Selbstverwaltungskörperschaften wegfielen, wenn anders die Aufgaben weiterbesorgt werden sollen. Nachdem der volksherrschaftliche Gedanke sich nach der Staatsumwälzung von 1918 in Deutschland voll durchgesetzt hat, besteht im übrigen der alte Gegensatz zwischen- obrigkeitlicher- Staatsverwaltung und- volksherrschaftlicher-Selbstverwaltungnicht mehr in der früheren Weise fort. Wie in England kann jetzt die Selbstregierung des Volkes im staatlichen Gesamtverbande wie auch in den unteren öffentlich-rechtlichen Gliederungen als eine Selbstverwal...; tung in einem weiteren Sinne des Wortes- nämlich des Volkes-betrachtet werden, wie dies jetzt namentlich auch in der neueren Gestaltung der Verwaltung in der unteren Kreisstufe zum Ausdruck kommt (vgl. u. § 25). In der sog. Selbstverwaltung i. e. S. werden bestimmte Teile des Volkes in der Form öffentlich-rechtlicher Körperschaften zu engeren Verbänden zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zusammengefallt, wie im staatlichen Verbande das ganze Volk für öffentliche Aufgaben der Gesamtheit; dagegen erscheinen die öffentlich-rechtlichen Anstalten und Stiftungen als verselbständigte Abspaltungen aus der Verwaltung (und im allgemeinen auch aus dem Vermögen) des Staates und solcher engeren Verbände, mit der Befugnis zu eigener Verwaltung gemäß der von jenen ihnen erteilten Anstalts- oder Stiftungssatzung. Verfehlt wäre es aber, und staatsrechtlich verwirrend, diese Selbstverwaltungskörperschaften als "ursprüngliche" Gebietskörperschaften oder dgl. zu bezeichnen46 , da sie ihre Befugnis zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in öffentlich-rechtlicher, insbesondere hoheitlicher, Weise vom Staate herleiten.Die Selbstverwaltungskörperschaften haben aber nicht lediglich öffentlich-rechtliche Aufgaben zu erfüllen, sondern sie haben auch solche wirtschaftlicher Natur zu besorgen, wie die Verwaltung ihres Vermögens usw., wie dies ja auch beim Staate der Fall ist. Das ist, geschichtlich betrachtet, auch in Deutschland die ursprüngliche Tätigkeit der Gemeinden als Markgenossenschaften gewesen. Sie haben in der germanischen und in der fränkischen Zeit noch keine staatsrechtliche Bedeutung ge~ habt; vielmehr waren die Grafschaften und die Hundertschaften die untersten politischen Verwaltungseinheiten47 • Welche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung den Selbstverwaltungskörperschaften übertragen werden, wird durch die jeweilige staatliche Rechtsordnung auf Grund 48 47
So die bayr. Verf. v. 1946, Art. 11 Abs. 2. Vgl. Brunner-v. Schwerin, D. Rechtsgeschichte, Bd. 2, 2. Aufl. (1928),
s. 201.
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der politischen Anschauungen und Bedürfnisse bestimmt, die im Laufe der Zeit bei dem einzelnen Volke und Staate sich wandeln können und sich auch gewandelt haben. Bezeichnend ist, daß es in Frankreich, wie früher bereits bemerkt, eine besondere Bezeichnung für das Wort "Selbstverwaltung" nicht gibt; hier hat, wie auch sonst in anderen romanischen Ländern, sich eine wahre Selbstverwaltung gegenüber der einheitlichen und straffen Staatsverwaltung nicht oder nur in Anfängen ausbilden können48 • Es handelt sich bei den Aufgaben der Selbstverwaltungskörperschaften um solche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die nach den Anschauungen einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Staate sich zur Verwaltung durch engere Verbände, z. B. wegen derbesonderen örtlichen oder sonst engeren Beziehungen beteiligter Volkskreise, eignen und auch - im Rahmen der Gesetze - der verschiedenartigen Gestaltung nach dem Ermessen der Verwaltungsträger überlassen werden können, namentlich wo Körperschaften i. e. S. und nicht Anstalten und Stiftungen in Frage kommen; auch bei den öffentlichrechtlichen Anstalten und Stiftungen aber werden bestimmte Aufgaben aus dem Bereiche der allgemeinen staatlichen Verwaltung ausgeschieden und einer besonderen Verwaltung durch eine öffentlich-rechtliche Anstalt oder Stiftung im Sinne des Anstalts- oder Stiftungszwecks überlassen. Jede Art der Verwaltung durch Selbstverwaltungskörperschaften bedeutet eine räumliche oder sonstige Aufteilung oder Aufgliederung der Geschäfte der öffentlichen Verwaltung (sog. Dezentralisation, vgl. o. § 20). Damit freilich ist auch, wie eben bemerkt, im Rahmen der Gesetze die Möglichkeit einer verschiedenartigen und vielfältigen Behandlung der ihnen zugewiesenen Aufgaben gegeben, da und sofern in vieler Hinsicht die Erledigung nach Ermessen der Träger der Selbstverwaltung stattfindet; eine gewisse Einheitlichkeit wird jedoch durch die einheitliche Rechtsordnung des Staates in Verbindung mit der Einrichtung der Staatsaufsicht gewährleistet. Wo aber eine einheitliche Verwaltungstätigkeit für das ganze Staatsgebiet geboten oder wünschens48 So denn auch Fleiner, Inst. S. 101: "In der Hauptsache erscheint die Selbstverwaltung mehr nur als eine durch die Wahl von kollegialen Organen vermittelte Mitwirkung der Bürger an der staatlichen Verwaltung." Nach der Verfassung v. 27. Okt. 1946, Art. 87 ff., sollten die Gebietskörperschaften - die Gemeinden, Regierungsbezirke und die überseeischen Gebiete - sich frei durch in allgemeiner Wahl gewählte Ratsversammlungen verwalten und für die Durchführung von deren Beschlüssen der Bürgermeister oder Präsident sorgen, auch sollten durch G die Freiheiten der Regierungsbezirke und der Stadtgemeinden erweitert werden, wobei für gewisse große Städte gegenüber den kleinen Gemeinden abweichende Gestaltungen und für gewisse Regierungsbezirke Sonderbestimmungen sollten getroffen werden können. Zur Ausführung ist es indessen bisher nicht gekommen. Dagegen konnten bisher z. B. Beschlüsse der Gemeinderäte nur ausgeführt werden, wenn der Präfekt des Regierungsbezirks seine Zustimmung gab. Vgl. dazu Laubadere, Traite eL de droit admin., 2. Aufl. (1957), S. 116 ff. und Götz, in "Handb. der kommunalen Wiss. u. Praxis" Bd. 1, S. 609.
Die Selbstverwaltung im echten (oder körperschaftlichen) Sinne
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wert erscheint, kommt eine Selbstverwaltung in diesem Sinne nicht in Betracht, wie in neuerer Zeit grundsätzlich auf dem Gebiete der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten, der bewaffneten Macht und der Rechtspflege, während dies auf dem Gebiete der inneren Verwaltung, und z. T. der Finanzen, in mehr oder weniger größerem Umfange geschehen kann, abgesehen insbesondere z. B. von dem Post- und Fernmeldewesen, der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenversicherung, der sonstigen Sozialversicherung usf. Im übrigen kann man zwischen den den Selbstverwaltungskörperschaften durch den Staat zugewiesenen Pflichtaufgaben und den freiwilligen Aufgaben der Selbstverwaltung, die nach Ermessen, gegebenenfalls unter bestimmten Voraussetzungen und in gewissen Schranken, übernommen werden können, unterscheiden. Auch die Rechtssetzung in Selbstverwaltungsangelegenheiten, d. h. die Befugnis, im Rahmen der höheren Rechtssätze durch Satzung Rechtssätze für den Bereich ihrer Verfassung und Verwaltung zu erlassen, ist, wie bereits bemerkt, den Selbstverwaltungskörperschaften neben ihrer öffentlichen Verwaltungstätigkeit vielfach eingeräumt. Neben den eigentlichen Selbstverwaltungsaufgaben als sog. eigenen Angelegenheiten können den Selbstverwaltungskörperschaften oder ihren Willensträgern aber auch staatliche Aufgaben i. e. S. als sog. Auftragsangelegenheiten, an deren Stelle neuerdings z. T. "Pflichtaufgaben nach Weisungen" getreten sind, zur Erledigung nach Anweisung der Staatsbehörden unter Vorbehalt der Fachaufsicht des Staates - im Gegensatz zur bloßen Staatsaufsicht als einer grundsätzlich bloßen Rechtsaufsicht gegenüber den Seihstverwaltungsangelegenheiten - übertragen werden, worauf weiter unten noch näher einzugehen ist49 • Im nationalsozialistischen Führerstaat war von einer wirklichen Selbstverwaltung nicht mehr die Rede, obwohl insbesondere in dem Vorspruch zur Deutschen Gemeindeordnung von 1935 auf den Freiherrn vom Stein als den Schöpfer gemeindlicher Selbstverwaltung hingewiesen wurde. In Wirklichkeit bestand hier, wie in der Staatsverwaltung, so auch im Bereiche der früheren Selbstverwaltung eine Herrschaft der NSDAP: wie sollte auch ein schrankenlos geführter Staat auf irgendwelchem öffentlichem Gebiete einen selbständigen Willen, wie er bei einer wirklichen Selbstverwaltung besteht, haben walten lassen? So wurde in den Gemeinden der Bürgermeister, der die Gemeinde nach dem Führergrundsatz verwaltete, vom Staate ernannt, und nicht mehr von den Gemeindebürgern, sei es unmittelbar oder mittelbar - durch die von der Bürgerschaft gewählte Vertretungskörperschaft - gewählt; 49 Auch insoweit liegt in gewisser Weise eine staatsbürgerliche Selbstverwaltung vor: vgl. Rosin, a. a. 0., S. 321.
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§ 24. Die Selbstverwaltung im allgemeinen
neben ihm stand in der Gemeinde ein sog. Parteibeauftragter, der regelmäßig der Kreisleiter der Partei war, der u. a. die Vorschläge für die Berufung zum Bürgermeister bei der staatlichen Verwaltungsbehörde einzureichen hatte und die Gemeinderäte ernannte. Die Staatsaufsicht erstreckte sich - von den Fällen abgesehen, in denen schon nach früherem Rechte auf wirtschaftlichem Gebiete (Aufnahme von Darlehen oder Übernahme von Sicherheitsleistungen, Veräußerung von Grundstücken, unentgeltliche Verfügung über Vermögensgegenstände usf.) die staatliche Genehmigung unter Einschränkung der Ermessensfreiheit der Gemeinde erforderlich war- nicht nur in den Selbstverwaltungsangelegenheiten darauf, daß die Tätigkeit der Gemeinde im Einklang mit den Gesetzen erfolgt, sondern weiterhin auch darauf, daß sie im Einklang mit den Zielen der Staatsführung, somit in politischer wie insbesondere auch in wirtschaftlicher Hinsicht, erfolgte, was eine weitergehende Einschränkung, ja geradezu beim Fehlen klarer Grenzen den Ausschluß der Handhabung freien Ermessens bedeutete. Bei Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde dann im Hinblick auf die Verhältnisse des Krieges eine straffe Unterstellung der Selbstverwaltungskörperschaften unter den Staat herbeigeführt. Nach dem Führererlaß über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28. August 1939 wurden den obersten Reichsbehörden die ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften des öffentlichenRechts unterstellt, und es erhielten die bisher mit Aufsichtsbefugnissen ausgestatteten nachgeordneten Behörden die Weisungsbefugnis gegenüber den bisher von ihnen bloß beaufsichtigten Dienststellen; weiter bestimmten die obersten Reichsbehörden, ob und inwieweit die Arbeiten dieser Körperschaften einzustellen sind, sowie, ob und welche Staatsaufgaben diese zu übernehmen haben (Ziff. V). Damit war insbesondere anstelle der sog. Staatsaufsicht die Fachaufsicht getreten, wie sie im Verhältnis von übergeordneten Staatsbehörden zu untergeordneten Behörden und bei den Selbstverwaltungskörperschaften bisher nur im Bereiche der Auftragsangelegenheiten bestand, und damit- wenn auch vorerst vermutlich nur für die Kriegszeit - die Selbstverwaltung rechtlich beseitigt, mochte sie auch bis zu einem gewissen Grade noch tatsächlich fortbestehen - unbeschadet jederzeitiger Eingriffsmöglichkeit - mit Bezug auf öffentliche Angelegenheiten von minder wichtiger, d. h. mit Bezugauf den ganzen Staat, die Partei und das ganze Volk unter den damaligen Verhältnissen nicht ins Gewicht fallender, Bedeutung. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates ist man im Bereiche der Selbstverwaltung im ganzen zu der früheren Gestaltung des liberalen Rechtsstaates vor 1933 zurückgekehrt50 ; jedoch ist die staatliche Verwaltung in der unteren Verwaltungsstufe, wie früher bereits 50 Der Führererlaß vom 28. Aug. 1939 ist durch das KontrollratsG Nr. 36 v. 10. Okt. 1946 ausdrücklich aufgehoben worden.
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erwähnt, z. T. überhaupt oder weitgehend zugunsten der Selbstverwaltung der Kreise beseitigt worden. Wie schon oben angeführt, kommen drei Arten der körperschaftlichen Selbstverwaltung in Betracht: 1) die räumliche oder gebietliehe Selbstverwaltung: hier handelt es sich regelmäßig um Gebietskörperschaften (vgl. u. § 25); 2) die berufliche Selbstverwaltung durch Berufsverbände, grundsätzlich auf persönlicher Grundlage (vgl. u. § 26); 3) sonstige oder einzelzweckliehe Selbstverwaltung für sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (vgl. u. § 27).
§ 25. Die gebietliehe Selbstverwaltung I. Die Gemeinden
a) I m a 11 g e m e i n e n Unter den gebietliehen oder räumlichen Selbstverwaltungskörperschaften ragen vor allem die Gemeinden als die unterste Stufe hervor. Sie unterscheiden sich nach deutschem Recht1 - ähnlich wie die beruflichen Selbstverwaltungskörperschaften innerhalb ihres (freilich auch schon mit Bezug auf den Beruf eingeschränkten) Bereichs - von Selbstverwaltungskörperschaften einzelzwecklicher Art durch ihre umfassenden Zwecke, die sie für ihren räumlichen Bereich in den Grenzen der Gesetze haben. Es hängt dies z. T. mit der geschichtlichen Entwicklung der Gemeindeverwaltung im Laufe des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit zusammen, wo sie im allgemeinen, wie namentlich in den Reichsund freien Städten, meist aber auch zunächst in den einer Landeshoheit unterstehenden Städten - sogar mit Bezug auf die Rechtssetzung 2 und auch die Rechtsprechung - noch verhältnismäßig wenig durch den Staat mit Bezug auf ihren Aufgabenbereich eingeschränkt waren. Neben der wirtschaftlichen Verwaltung als der ursprünglichen Betätigung i. S. einer sog. Markgenossenschaft haben die Gemeinden im Laufe der Zeit die Verwaltung von allerhand öffentlichen Angelegenheiten, die sich aus den Bedürfnissen einer örtlichen Gemeinschaft ergaben, in die Hand geIm Gegensatz zum englischen Recht, vgl. o. § 24 Anm. 42. Vgl. das Rechtssprichwort: "Willkür bricht Stadtrecht, Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemeines Recht". 1
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§ 25. Die gebietliehe Selbstverwaltung
nommen, insbesondere die Städte nach Abschüttelung der öffentlichen Gewalt des sog. Stadtherrn (auf dessen Grund und Boden die Stadt entstanden war) außer der Rechtspflege und Rechtsetzung die Verwaltung namentlich auf dem Gebiete der Marktpolizei, der Sorge für Maß und Gewicht, der Lebensmittelpolizei, des Straßenwesens, der Feuerpolizei, der Wasserversorgung, des Gesundheitswesens, des Schulwesens, der Armenfürsorge usf. An diese Entwicklung hat sich im wesentlichen die staatliche Gesetzgebung in der späteren Zeit angeschlossen, freilich z. T. unter erheblicher Einschränkung, insbesondere zugunsten der Verwaltungstätigkeit des Staates, von der Rechtssetzung und Rechtsprechung ganz abgesehen; dagegen ist jetzt der Grundsatz der Allzuständigkeit der Gemeinden allgemein für alle aus der örtlichen Gemeinschaft sich ergebenden öffentlichen Aufgaben verfassungsmäßig festgelegt worden (vgl. Art. 28 GG und z. B. Art. 71 bad.-württ. Verf. von 1953). Die Gemeinden sind - ähnlich wie der Staat - Gebietskörperschaften, d. h. sie ergreifen mit ihrer öffentlichen Gewalt nicht nur die Gemeindeeinwohner und Gemeindebürger als persönliche Angehörige, sondern daneben alle diejenigen, welche sich im Gebiet der Gemeinde aufhalten, aber auch diejenigen, von denen Grundstücke oder Gewerbe im räumlichen Herrschaftsbereich der Gebietskörperschaft belegen sind bzw. betrieben werden, mit Bezug auf diese Gegenstände. Der Unterschied dieser Gebietskörperschaft (wie auch der SonstdemStaate eingeordneten Gebietskörperschaften) gegenüber dem Staat liegt darin, daß sie in ihrem räumlichen Bereich zwar auch Herrschaftsgewalt hat, d. h. die rechtliche Macht, freien Menschen zu befehlen und diese Befehle gegebenenfalls zu erzwingen3 ; aber diese Herrschaftsgewalt ist nicht ursprünglicher Natur, sondern vom Staate abgeleitet durch staatliche Gesetze, durch die Verfassung und insbesondere die sog. Gemeindeordnungen, wenn auch zur Ausübung im eigenen Namen überlassen; die Beamten der Gemeinde gelten als mittelbare Staatsbeamte im Gegensatz zu den unmittelbaren Staatsbeamten, die den Staat zum Dienstherrn haben, insofern sie öffentliche Aufgaben besorgen (vgl. o. § 23). Dagegen hat der Staat eigenständige oder ursprüngliche, d. h. nicht abgeleitete-als vollkommener Staat auch unabhängige, d. h. von keiner anderen staatlichen Gewalt abhängige- Herrschaftsgewalt, wogegen politische Gebilde, die bloß ursprüngliche Herrschaftsgewalt haben, zwar staatsartige Eigenschaft haben, aber beim Fehlen der Unabhängigkeit nur als sog. Halbstaaten bezeichnet werden können, wie z. B. die Länder oder Gliedstaaten eines Bundesstaates, die Schutzstaaten bei der Schutzherrschaft, die Vasallenstaaten beim Staatenstaat und z. T. die Treuhandgebiete, soweit sie staatliche Eigenschaft besitzen. 3
Vgl. Laband, StaatsR d. D. Reichs, Bd. 1, 5. Aufl., S. 68.
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b) Ge s c h ich t l ich e E n t w i c k l u n g des deutschen Gemeinderechts
1) Die Entwicklung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts aa) Die älteste Zeit Die Gemeinden, d. h. hier zunächst die Dörfer, sind geschichtlich in Deutschland in erster Reihe erwachsen aus der Niederlassung von Geschlechtsverbänden (Sippen), wie dies häufig noch aus den Ortsnamen ersichtlich ist, wie z. B. bei der Endung auf "ingen", wo in dem Hauptbestandteil der Name des Gründers- wohl regelmäßig des Geschlechtsältesten - der Niederlassung angegeben ist, wie z. B. bei Tübingen (nach Tuwo), Villingen usf. Die Gemeinden waren zunächst auf Blutsgemeinschaft beruhende landwirtschaftliche Genossenschaften mit genossenschaftlichem Eigentum an dem ihnen vom Staat (der Völkerschaft usf.) zugewiesenen Grund und Boden der Gemarkung (vgl. Caesar, Gallischer Krieg, Buch IV Kap. 2 und Buch VI Kap. 22: "gentibus cognationibusque" und Tacitus, Germania, Kap. 26); später - nachdem sich bei der im allgemeinen vorgenommenen Ansiedlung in Dörfern das Sondereigentum zunächst an Haus und Hof (wie schon in der Zeit des Tacitus nach seiner Germania, 98 n. Chr.), dann weiter auch (im allgemeinen nach der Völkerwanderung) an der Feldflur aus einem zunächst eingeräumten Sondernutzungsrecht bei wechselnder Hufenordnung heraus entwickelt hat- noch an der sog. gemeinen Mark oder der Allmende, insbesondere an Wald und Weideland, jedoch mit einer Nachwirkung des früheren genossenschaftlichen Gesamteigentums in dem sog. Flurzwang bis zum Beginn des 19. Jh. 4 • Aus solchen Markgenossenschaften haben sich zum guten Teil die ältesten Gemeinden weiterentwickelt; die wirtschaftliche Seite der Markgenossenschaft ist z. T. erhalten geblieben in den späteren sog. Bürgerrechtsgemeinden mit Allmendnutzung und in dem sog. Gemeindegliedervermögen der heutigen Gemeinden, wie insbesondere in Baden-Württemberg. Allmählich wurde aus einem blutmäßigen oder Sippenverband ein örtlicher Nachbarverband; ähnliche Verhältnisse lassen sich auch beim alten Athen und beim alten Rom feststellen 5 • "Die Markgenossenschaft hat 4 So bei dem sog. Dorfsystem, während bei dem System der Einzelhöfe wie am Niederrhein, im Alpengebiet usw. - von vornherein Einzeleigentum an der den Hof umgebenden Ackerflur usf. begründet wurde. Vgl. H. Brunner, Deutsche RGeschichte, Bd. 1, 2. Aufl. 1907, S. 88. Vgl. auch schon o. § 18 Ziff. I. 5 Neuordnung der Stämme (Phylen) und Dörfer (Demen) auf örtlicher Grundlage gegenüber der früheren blutmäßigen durch Kleisthenes Ende des 6. Jh. (509) v. Chr. in Athen; vgl. Herodot, Geschichten, Buch V, Kap. 66, ferner Aristoteles, Politik, Buch 1 Kap. 2, Buch 3 Kap. 2, Buch 6 Kap. 4; desgl. Verfassung von Athen, Kap. 21. Zurücktreten der auf den Geschlechtern (gentes) der Patrizier aufgebauten Kuriatversammlungen gegenüber den nach dem
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ihren Ausgangspunkt von der Sippe: diese ist der älteste Agrarverband, dem die Völkerschaft das Land zuteilte. Der Agrarverband wandelt sich mit Zurücktreten des Blutbandes zum Nachbarverband (vicinitas), die Geschlechtsmark wird zur Nachbarmark" 6 • Zunächst handelte es sich bei der Gemeinde, wie sich aus dem Bisherigen ergibt, nur um einen Wirtschaftsverband, nicht um ein politisches Gemeinwesen, da, wie bereits bemerkt, der staatliche Verwaltungsaufbau nach unten zunächst in der Grafschaft und Hundertschaft endete. Erst allmählich vollzog sich der Übergang zu einem politischen, d. h. hoheitliche Aufgaben besorgenden, Gemeinwesen, zunächst in den Städten, voll erst im 19. Jh. auch für die anderen Arten der Gemeinden, insbesondere die nicht städtischen Gemeinden. Während die Städte schon im Mittelalter politische Gemeinwesen geworden waren, lag noch in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit bei der Dorfgemeinde ihr Schwerpunkt auf wirtschaftlichem Gebiete als einer Wirtschaftsgemeinde, soweit sie nicht im Laufe der Zeit, wie vielfach, unter eine Grundherrschaft oder - wie im deutschen Osten- Gutsherrschaft gekommen war. Nach der Ausbildung des Sondereigentumsam Ackerland verblieb der Gesamtheit als Rest des früheren Gesamtrechts mit Gesamteigentum in einer Art von Abspaltung ein markgenossenschaftliches Gebiet mit Befehls- und Strafgewalt, die im Mittelalter häufig als "Zwing und Bann" bezeichnet wurde und deren ursprünglicher Kern neben einer eigentumsähnlichen Sachherrschaft über das Gemarkungsgebiet die Befugnis zur Erlassung der für die landwirtschaftliche Ordnung erforderlichen Gebote und Verbote unter Androhung einer Buße für den Fall der Zuwiderhandlung bildete7 • bb) Die Stadtgemeinden Die Unterscheidung von Stadt- und Landgemeinden war ursprünglich dem deutschen Rechte fremd. Nicht von einer Stadt aus, wie die griechischen Freistaaten und Rom, sondern von einem Hirten- und Bauernvolk haben die germanischen Staaten ihren Ausgangspunkt genommen. Die ältesten Städte in Deutschland waren die Römerstädte am Rhein und an der Donau, die früheren "civitates" und "castella" der Römerzeit, in denen auch nach der germanischen Eroberung städtisches Leben, Handel und Gewerbe blühten; aber eine von der Dorfverfassung wesentlich abweichende besondere städtische Gemeindeverfassung bestand zunächst nicht und hat sich auch in ihnen erst in späterer Zeit unter dem Einflusse der sonstigen deutschen Städteverfassung herausgebildet; m. a. W.: auch bei ihnen ist die Städteverfassung deutschen Ursprungs, Vermögen eingeteilten Zenturiat- und den auf örtlicher Grundlage aufgebauten Tributversammlungen in Rom. 6 H. Planitz, Grundz. d. D. PrivatR, 2. Aufi. (1931), S. 29. 7 Vgl. Walther Merk, Bad. GemarkungsR (1918), S. 2.
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während die römische Gemeindeverfassung sich mit der Eroberung verlor8. Die übrigen deutschen Städte sind meist erst seit dem 10. Jh. aus Marktansiedlungen hervorgegangen, sind "keine in Marktorte umgewandelte Dörfer, sondern im Anschluß an Märkte entstandene Ansiedlungen von Kaufleuten und Gewerbetreibenden, welche regelmäßig eine eigene Gemeinde, meist auch einen eigenen rechtlichen und kirchlichen Bezirk bildeten und welche sich, je nachdem sie befestigt sind oder nicht, in Städte und offene Märkte scheiden" 9 • Die Städte waren schon früh von der Zuständigkeit der allgemeinen Gerichte ausgenommen und bildeten einen besonderen Gerichtsbezirk mit eigenem Gericht und mit einem besonderen Stadtfrieden. Es konnte freilich auch einzelnen Dörfern das Recht einer Marktansiedlung oder Stadt verliehen werden, was jedoch selten vorkam; endlich sind später auch Städte "aus wilder Wurzel" gegründet worden. Die mittelalterlichen Handelsstädte im rechtsrheinischen Deutschland sind, weil die Handels- und Gewerbetreibenden zu ihrer Niederlassung des Schutzes durch einen weltlichen oder geistlichen Großen bedurften, "fast ausnahmslos im Anschluß an königliche und fürstliche Pfalzen und Burgen, an bischöfliche Kirchen und Klöster, überhaupt im Anschluß an solche Orte entstanden, wo eine politisch und wirtschaftlich mächtige Gewalt den Kaufleuten den nötigen Schutz bot. In den meisten dieser Städte ist der Markt nicht aus periodisch sich wiederholenden Handelszusammenkünften hervorgegangen, sondern er verdankt sein Entstehen einer Marktgründung 10 • Für eine große Anzahl der wichtigsten Städte des rechtsrheinischen Deutschland besitzen wir Königsurkunden, welche einem Bischof, einem Kloster, einem weltlichen Großen die Erlaubnis, an dem betr. Orte einen Markt zu errichten, die licentiam construendi mercatum, erteilt ... Dabei muß man noch berücksichtigen, daß für die im Anschluß an Königspfalzen und Königsburgen errichteten Märkte derartige Gründungsurkunden natürlich nicht ausgestellt wurden, weil hier der König selbst der Marktgründer war. Seit dem Aufkommen des Marktregals (in der Karolinger Zeit) war es überhaupt ausgeschlossen, daß ein rechtmäßiger Markt, ein legitimus mercatus, von selbst entsteht. Er muß vielmehr vom König oder mit königlicher Erlaubnis gegründet werden. Diese kgl. Erlaubnis ist aber nie einer Gemeinde oder einer Kaufmannsgenossenschaft, sondern immer einer geistlichen oder weltlichen Einzelgewalt erteilt worden. Jeder Markt hat seinen bestimmten Stadtherrn" 11 • Die wichtigsten 8 Die römische Gemeinde-(Munizipal-)verfassung war in den deutschen Landesteilen nicht übernommen worden. Vgl. hierzu und zum Folgenden insb. Siegfr. Rietschel, Markt und Stadt (1897), S. 232, Schröder-v. Künßberg, D. Rechtsgesch., 6. Aufl. (1922), S. 132 f. 8 Rietschel, a. a. 0., 0. v. Gierke, D. GenossenschaftsR, Bd. 2 (1873), S. 573 ff. 10 In wenigen Orten ist freilich der Markt nicht gegründet worden, sondern anscheinend von selbst entstanden, wie z. B. in Magdeburg; vgl. Rietschel, a.a.O.
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Märkte waren grundherrliche Märkte, d. h. auf Grund und Boden, der dem Marktherrn, regelmäßig einem Großgrundbesitzer König, Bischof, Kloster usf. - gehörte, errichtet; so z. B. war bei Osnabrück der Markt der Ausgangspunkt der städtischen Entwicklung12 • "Weniger als in Norddeutschland läßt sich das Vorhandensein einer ursprünglichen Marktansiedlung in den älteren Städten Süddeutschlands" feststellen. "Hier sind es bis tief hinein in die Stauferzeit die alten Römerstädte, welche die Führung in der Entwicklung einnehmen und für welche allein die Nachrichten aus älterer Zeit reichlich fließen. Daneben kommt noch Würzburg, das bereits vor seiner Erhebung zum Bischofssitz Wohnsitz einer großen freien Gemeinde, ja vielleicht auch Marktort gewesen ist. Im übrigen liegt über der Entstehung der ältesten süddeutschen Städte fast vieles dunkel, jedoch läßt sich vereinzelt auch hier der Markt als Ausgangspunkt für die städtische Entwicklung nachweisen", z. B. für Brixen und Bamberg (= Babenberg) 13 • "Im 12. Jh. verschwinden die Marktpri vilegien, welche einfach das Marktrecht ohnejeden beschränkenden Zusatz verleihen. Sie werden ersetzt einerseits durch die Jahrmarktprivilegien, andererseits durch die Stadtgründungsurkunden. An die Stelle der Privilegien, in welchen sich der Marktherr sein Marktrecht vom Kaiser verbriefen läßt, treten die Urkunden der Marktherren selbst, welche den Ansiedlern der neuen Marktgründung, den mercatores, ihre Rechte verbriefen"'\ wie z. B. bei der Verleihung der Stadtrechte an Freiburg i. Br. durch die Zähringer i. J. 112015 • Jedenfalls sind die älteren rechtsrheinischen Städte meist nicht aus einer ländlichen Siedlung hervorgegangen, wenn dies auch in einzelnen Fällen bei sehr alten Städten zutrifft, wie z. B. bei Würzburg, indem Kaufleute sich in dem Dorfe niederließen und ein regelmäßiger Marktverkehr sich entwickelte. Vielmehr findet sich hier meist "neben der eigentlichen Stadt eine ältere Wohnansiedlung, bald eine bischöfliche Immunität oder eine Ansiedlung, die der Stadt den Namen gegeben hat. Bald ist es ein - regelmäßig grundherrliches - Dorf, bald eine Burg mit der dazugehörigen Wohnansiedlung, bald eine bischöfliche Immunität oder eine Klosteransiedlung oder eine kgl. Pfalz. In allen diesen Fällen ist die spätere Stadt nicht aus dieser ältesten Ansiedlung, sondern neben derselben, unabhängig von ihr, entstanden. Nur den Namen derselben hat sie sich angeeignet", wenn siez. T. auch sie später in sich aufgenommen hat' 6 ; so z. B. gilt dies für Villingen, Oppenau, Pforzheim, Überlingen usf. Auch im deutschen Osten sind regelmäßig deutsche Städte neben
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Rietschel, a. a. 0., S. 40 ff. Rietschel, a. a. 0., S. 105. Rietschel, a. a. 0., S. 106. Rietschel, a. a. 0., S. 106, 109. Vgl. Altmann und Bernheim, Urk. z. Verf.geschichte Deutschlands im MA,
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Rietschel, a. a. 0., S. 125.
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5. Aufl. (1920), S. 390.
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den vorhandenen slawischen Dörfern von deutschen Kaufleuten und Gewerbetreibenden angelegt worden. Auch in Österreich gehen die meisten Städte auf Märkte zurück. Die Marktansiedlungen heißen "Märkte", und diese waren die Vorläufer der Städte17• Die Städte sind in der späteren Zeit des Mittelalters befestigte (ummauerte) Märkte und unterscheiden sich durch die Ummauerung von den Kaufmärkten (vgl. Sachsenspiegel, Landrecht Buch III Art. 64 §§ 1 u. 2). Das Marktrecht, d. h. das Recht, Märkte abzuhalten, damit regelmäßig verbunden Münz- und Zollrecht, ferner ein besonderer - wohl aus dem Burgfrieden hervorgegangener18 - Stadtfriede, weiter ein besonderer, zunächst in der Vorrechtsverleihung an den Stadtherrn, dann in einer Vorrechtsverleihung, die dieser der Ansiedlung gewährt, sich äußerndes, von dem Landrecht sich durch die vorangeschrittene wirtschaftliche Entwicklung abhebendes Stadtrecht sowie ein an eine ursprüngliche Freiung (sog. Immunität) anknüpfendes Stadtgericht - ursprünglich zunächst mit der Befugnis, in Marktsachen bei Königsbann zu richten -, sind neben dem Rechte der Ummauerung und dem Dasein der Stadtgemeinde die besonderen Kennzeichen der entwickelten Stadt im Mittelalter19• Die Entwicklung der Stadtverfassung knüpft in ihrem körperschaftlichen Gehalt neben dem Vorhandensein einer durch eine besondere Ortsmark gegebenen Markgenossenschaft und einer durch die Verleihung einer besonderen niederen oder höheren Gerichtsbarkeit gegebenen besonderen, gegen das sonstige Land abgeschlossenen, Gerichtsgemeinde 20 vor allem an den genossenschaftlichen Zusammenschluß der Kaufleute als einer gegenüber Übergriffen des Stadtherrn gebildeten Schutzgenossenschaft (Gilde) an. Unter Beseitigung der ständischen Unterschiede des Hof- und Dienstrechts entstand nach dem Satze, der aus dem Bedürfnis, die Ansiedlung zu befördern, entstanden ist und vielfach in Stadtrechten der Ansiedlungsstädte sich vorfindet: (Stadt-)"Luft macht frei", eine freie Bürgergemeinde mit im wesentlichen voller Rechtsgleichheit unter den Bürgern, insbesondere mit der Folge, daß ein Unfreier oder nicht Vollfreier, wenn er in die Stadt abwanderte, entweder sofort oder wenn er binnen Jahr und Tag von seinem Herrn nicht zurückgefordert wurde, die volle Freiheit erlangte21 • Weiter aber bildete sich in den Städten, da der ererbte Grundbesitz nicht mehr die Grundlage des 17 Rietschel, a. a. 0., S. 118, 148 ff. 1s Vgl. Rietschel, a. a. 0., S. 216. 19 Vgl. Brunner-Heymann, Grundz. d. D. RGesch., 7. Aufl. (1919), S. 164. 20 Vgl. 0. v. Gierke, a. a. 0., S. 590 ff. unter Hinweis auf die Untersuchungen von Arnold und Heusler, wonach in den Bischofsstädten die Stadtverfassung unmittelbar aus der öffentlichen Gerichtsgemeinde hervorgegangen ist und in allen anderen Städten irgendwelche Anknüpfungen an die öff. Gerichtsverfassung zum Wesen der Stadt gehörte; "aber der Bürgerverband ist überall erst durch die Aufnahme des Pl'inzips und der Einrichtungen einer Gilde zu dem geworden, was ihn vom ländlichen Mark- und Gerichtsverbande unterschied". 21 Vgl. Rietschel, a. a. 0., S. 191, Brunner-Heymann, a. a. 0., S. 98.
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wirtschaftlichen Daseins für die Gewerbetreibenden bildete, das vollfreie, d. h. verfügungsfreie - von allen familienrechtlichen und wirtschaftlichen Bindungen freie - Privateigentum des einzelnen zuerst, zunächst wohl am "Kaufeigen", aus. Das freie städtische Gemeinwesen entwickelte sich dann in der Weise, "daß die Bürgergenossenschaft sich eine einheitliche Organisation gab, als zur Einheit organisierte Gesamtheit aber die Stadt für sich eroberte. Die erste Seite dieser Entwicklung, die innere Ausgestaltung der Bürgerschaft zu einer von allen bisherigen Genossengesamtheiten spezifisch verschiedenen Gemeinheit, vollzog sich dadurch, daß die alte Mark- und Gerichtsgemeinde nach Absorbierung der hofrechtliehen Elemente den Gedanken und die Formen der frei gewollten Gilde mit der Gemeindegenossenschaft verschmolz. Die zweite, nach außen gekehrte Seite der Entwicklung aber lag darin, daß die so konstituierte Bürgerschaft sich mit der Stadt identifizierte und infolgedessen als geschlossenes, zugleich staatliches und örtliches, Gemeinwesen mehr und mehr die im Stadtgebiet bestehenden öffentlichen und herrschaftlichen Gewalten für sich erwarb 22 ". So gliedert sich die Entwicklung der städtischen Verfassung23 in einen älteren stadtherrlichen und in einen jüngeren selbstherrlichen Zeitabschnitt24. Von Anfang an haben, wie oben bemerkt, die Städte einen eigenen - niederen - Gerichtsbezirk gebildet; die Gerichtsbarkeit wurde zunächst durch Vögte des Stadtherrn ausgeübt 25 . Im übrigen unterstanden die Städte zunächst noch der hohen Gerichtsbarkeit des Grafen. Erst allmählich erhielten sie im Laufe der Zeit auch die hohe Gerichtsbarkeit. In den bischöflichen Städten übten die Vögte schon unter den Ottonen zufolge der Verleihung von Grafschaften an die Bischöfe die hohe Gerichtsbarkeit aus; in anderen Städten bestellte der Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit Untergrafen für die Stadt. So gab es dann Stadtgrafschaften, wie z. B. in Köln. Seit dem 13. Jh. galt der Rechtssatz, daß die mit königlicher Ermächtigung errichteten Märkte, auch wenn sie nicht auf dem Boden einer Freiung (Immunität) errichtet wa22 0. v. Gierke, a. a. 0., S. 588. 23 In den niederrhein. Städten gelang es seit dem 12. Jh. unter der Führung der kaufmännischen Gilde, in der sich die Kaufleute zu Opfergemeinschaften, gegenseitiger Hilfe und Treue verpflichtet hatten, gegenüber der bisher überragenden Machtstellung des Stadtherrn und seinen Rechtsbrüchen eine genossenschaftliche Stadtregierung neben der des Stadtherrn aufzurichten, indem alle Einwohner z\.1 einer Eidgenossenschaft (conjuratio, amioitia, pax) zusammengeschlossen werden mit der Pflicht zu gegenseitiger Treue und Hilfe und zum Schutze und zur Verteidigung der Stadt (Mauerbau- und Wehrpflicht) und der übernahme der erforderlichen Lasten, zur Gewährleistung der Freiheiten, zur Durchführung einer Friedensordnung mit einem Verbandsgericht und einer Selbstverwaltung mit Geschworenen oder Stadtschöffen. Vgl. Planitz, Germ.RGeschichte, 3. Aufl. (1944), S. 175. 24 Vgl. Brunner-Heymann, a. a. 0., S. 166. 2s Vgl. Planitz, a. a. 0., s. 181.
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ren, sämtlich ohne weiteres sog. Freiungen sind und daher ein eigenes niederes Gericht haben (Reichsweistum von 1218} 26 • Seit Rudolf I. erstreckt sich die Zuständigkeit der Landgerichte allgemein nicht mehr auf die königlichen Städte27 • Mit dem Übergang der hoheitlichen Rechte des Stadtherrn auf die Stadtgemeinde, d. h. die Bürgerschaft, wie dies fast überall in Deutschland geschah, wurde der Vertreter des Stadtherrn (König, Bischof, weltlicher Fürst oder großer Grundherr}, der Stadtschultheiß, der insbesondere die Gerichtsbarkeit für den Stadtherrn wahrgenommen hatte, aus der Verwaltung der Stadt verdrängt. Während der städtische Rat zunächst nur eine beschränkte Zuständigkeit, nämlich in Gemarkungssachen, dann mit Bezug auf Marktpolizei, Lebensmittelpolizei, ferner Maß- und Gewichtswesen, hatte, gelang es der Stadt, weitere Gerechtsame, namentlich auf dem Gebiete der Polizei, insbesonders der Sicherheits-, Gesundheits-, Sitten- und Armenpolizei, Bau- und Feuerpolizei, meist auch der Gerichtsbarkeit, ferner der Besteuerung sowie sonstiger nutzbarer und anderer Hoheitsrechte durch Kauf oder Verpfändung vom Stadtherrn hinzuzuerwerben28 • Der Hauptunterschied der entwickelten Stadtverfassung nach Abwerfung der Herrschaft des Stadtherrn bestand gegenüber dem Dorfe äußerlich darin, daß dort eine Verwaltung durch den Rat (consules) bestand, während die Dorfverwaltung regelmäßig - in geschichtlicher Nachwirkung der Stellung des Sippenältesten- von einem einzelnen, einem Bauermeister usf., geleitet wurde. Hervorgegangen sind die Stadträte in der Hauptsache aus Vertretern der angesiedelten Kaufleute, den Geschworenen (jurati), z. T. aber auch aus den Schöffen des Stadtgerichts, die z. T. auch schon in der Zeit der Stadtherrschaft mit Verwaltungsaufgaben betraut waren, wie insbesondere der Marktaufsicht, und später die Rechte des Stadtrats erlangten; die aus Italien stammende Bezeichnung "consules" und die altdeutsche Benennung "Ratgeber" tritt seit Ende des 12. Jh. auf 29 • Hier war nicht die Anknüpfung geschichtlich an einen einzelnen, den Geschlechtsältesten, wie im Dorfe, gegeben, sondern die mehrköpfige Vertretung ergab sich aus dem Bedürfnis, aus der Vielheit der meist aus verschiedenen Gegenden zusammenkommenden Gewerbetreibenden und Kaufleute zu deren Vertretung einen Ausschuß zu bilden, knüpft also an die Verfassung der Gilde an 30• An der Spitze des Stadtrats stand als geschäftsführender Vorsitzender der 26 Vgl. Mon. Germ. Hist., Const. II, S. 75 (= Zeumer, Quellensammlg. z. Gesell. d. D. Reichsverf. 1913, Bd. 1, Nr. 36, S. 40). Vgl. im übrigen Planitz, a. a. 0., S. 178 ff. 21 Vgl. Planitz, a. a. 0., S. 181. 2s Vgl. Planitz, a. a. 0., S. 179. 29 Vgl. Rietschel, a. a. 0., S. 169. 30 Vgl. Gierke, D. Gen.R, Bd. 2, S. 612 ff.
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Bürgermeister31 . Die Stadträte wurden regelmäßig auf ein Jahr in ihr Amt berufen und bestanden außer dem Bürgermeister in mittleren und kleineren Gemeinden aus 6-8, z. T. auch 12-24 Bürgern; sie wurden von der Gesamtheit der Bürger gewählt32 . Die Ratsstellen kamen aber im Laufe der Zeit fest in die Hand bestimmter Familien; wählbar waren fortan nur Angehörige der sog. ratsfähigen Geschlechter, und zwar vor allem Angehörige der kaufmännischen Gilden. Im 15. Jh. gelang es vielfach den Zünften, Zutritt zu den Ratsstellen zu erlangen, oder es wurde ein besonderer, aus ihnen hervorgehender, Rat neben dem alten Rat gebildet, der bei wichtigen Angelegenheiten zugezogen wurde. Anstelle der jährlichen Wahl zu den Ratsstellen trat später regelmäßig die Innehabung auf Lebenszeit und Selbstergänzung durch ZuwahP3. Nachdem die- nichtbesoldeten-Ratsstellen in den Besitz bestimmter Familien gelangt waren, waren sie bestrebt, diese Stellen sich zu erhalten und womöglich zu vermehren. Beim Fehlen jeder wirksamen Überwachung war es um die städtischen Finanzen häufig schlecht bestellt. Nach dem Verfall der kaiserlichen Gewalt suchten die Landesherren vielfach ihre Macht auf die Städte im Hinblick auf ihre Wirtschaftskraft auszudehnen, in denen sie ihre hauptsächlichsten Gegner sahen, wie ja auch schon die Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II., insbesondere in dem sog. Fürstengesetz (das statutum in favorem principum) von 1231/32, wesentlich davon in seinen städte:Eeindlichen Bestimmunger! zugunsten der Landesherren beeinflußt war. So suchten die Landesherren die Städte unter ihre Landeshoheit zu bringen; aber auch die Städte, soweit sie nicht als freie und Reichsstädte reichsunmittelbar blieben, sondern "landsässig" wurden, besaßen doch meist bis in die Zeit des unbeschränkten Fürstenstaates hinein weitgehende Selbständigkeit34; in der Zeit des Ständestaats aber waren sie regelmäßig als besonderer Stand auf den Landtagen vertreten, wie auch die freien und Reichsstädte auf dem Reichstag. In Brandenburg hatten schon die ersten Hohenzollern im 15. Jhdt. weitgehende Einwirkung auf die städtische Verwaltung in Berlin und in den anderen märkischen Städten 31 Doch gab es z. T. auch 2 Bürgermeister, z. B. einen Gerichts- und einen Polizeibürgermeister. 32 Es gab aber auch immer noch Städte, in denen der Stadtherr den Rat selbst bestellte. Vgl. Planitz, a. a. 0., S. 179, Schmoller, in Acta Bor., Denkmäler d. Preuß. Staatsverw., Behördenorganisation, Bd. 1 (1894), Einl. S. 27 f. 33 Vgl. v. Meier, Reform der Gesetzgebung unter Stein und Hardenberg, 2. Aufl. (1912), S. 61 ff. 34 Noch selbst das 16. Jh. hindurch äußerte sich i. d. Mehrzahl der Städte die Landeshoheit lediglich in einer allg. Bestätigung des Stadtrats, in dem Anspruch auf Huldigung und auf Entrichtung d. schuldigen oder übernommenen Beden. Auch über das 17. Jh. hinaus wußten unter d. Landeshoheit verschiedene Städte die Stellung als selbständige politische Körper sich zu erhalten, wie Braunschweig, Erfurt, Leipzig, Rostock, Wismar, Stralsund usw. Vgl. Gierke, Gen.R, Bd.l, S. 705 ff.
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genommen, insbesondere durch den Vorbehalt der Bestätigung gewählter Ratsmannen und der Ernennung der Richter usf. 35 • Entsprechende, nur noch weitergehende, neue Ordnungen im ganzen Staat trafen dann der Große Kurfürst und vor allem Friedrich Wilhelm I. Dieser ließ die Verwaltung der Städte durch besondere Ausschüsse und die Kommissariate nachprüfen und ordnete die Stadtverwaltung durch" rathäusliches Reglement" 36 für die einzelnen Städte. Die Zahl der Ratsstellen wurde z. T. vermindert, an Stelle der Zuwahl z. T. die Ernennung durch den Herrscher eingeführt oder die Wahl der Räte an die landesherrliche Bestätigung gebunden; an der lebenslänglichen Amtsdauer wurde nichts geändert37 • Die städtische Verwaltung, insbesondere die Vermögensverwaltung, namentlich mit Bezug auf Verfügungen darüber, wurde weitgehender staatlicher Aufsicht unterstellt, die sich aus der Einrichtung der Kriegsverbrauchssteuer (der sog. Akzise) in den Städten entwickelt hatte (vgl. o. § 21); die Rechtssetzung, die Festsetzung des Haushaltsplans, die Auflegung neuer und die Erhöhung bestehender Steuern, die Veräußerung und Verpfändung von Liegenschaften, die Rechtsstreitführung wurden an staatliche Genehmigung gebunden. An unterer Stelle wurde die Aufsicht durch die ursprünglich (1680) zur Abnahme der Akziserechnung bestellten, den Oberkommissariaten und später den Kriegs- und Domänenkammern unterstehenden Steuerräte durchgeführt 38 (vgl. o. § 21). Von einer Selbstverwaltung der Städte war, im Grunde genommen, keine Rede mehr; die Gemeinden waren zu Staatsanstalten, wenn auch unter Beibehaltung ihrer eigenen privaten Rechtspersönlichkeit, geworden; die Stadtobrigkeiten wurd€n als Willensträger des Landesherrn betrachtet. Eine Mitwirkung der Bürger neben dem Rat bei der Verwaltung städtischer Angelegenheiten hatte regelmäßig in irgendwelcher, wenn auch im allgemeinen nicht bedeutungsvoller, Weise fortbestanden 39 ; und zwar waren sie vertreten durch einen Ausschuß, insbesondere bei der Vermögensverwaltung, der Aufas Gierke, a. a. 0., S. 706 ff.
Vgl. Acta Bor., a. a. 0., Bd. 3, S. 242. Nach dem Reglement für das Kommissariat im Königr. Preußen vom 6. Mai 1716 (Acta Bor., Bd. 2, S. 375) sollte zwar wegen der Küren und Wahlen den Magistraten die Freiheit nach wie vor gelassen werden. Es sollte aber das Kommissariat mit den Amtshauptleuten dahin sehen, daß in allen Städten, so oft es nötig, "die Küren gehalten, die Bürgermeister, Räte und Gerichtsverwandte nicht nach Passionen oder Freundschaft, sondern nach denen meisten Stimmen erwählt ... " In den kleinen Städten sollte die Wahl der Stadträte wie auch der Stadtschreiber mit Genehmigung des Kommissariats gewählt und bestätigt werden (Erl. an d. Kommissariat Preußen v. 7. Dez. 1719, Acta Bor., Bd. 3, S. 211). - Nach dem württ. Edikt v. 1. März 1822 wurden die Gemeinderäte von der Bürgerschaft zunächst auf 2 Jahre gewählt und galten auf Grund abermaliger Wahl als auf Lebenszeit gewählt (§ 7). 38 Vgl. v. Meier, a. a. 0., S. 61 ff.; Schön, D. Verw.R in Holtzendorff-Kohler, Enz. d. Rechtswiss., 7. Aufl., Bd. 4, S. 239; Schmoller, Pr. Verfassungs-, Verwaltungs- und Finanzgesch. (1921), S. 151 ff. 38 Vgl. o. Anm. 38. 36
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lage und Neuverteilung von Djensten und Geldleistungen, der Veräußerung oder Verpfändung von Liegenschaften, der Eingehung neuer Schulden (vgl. z. B. pr. Allg. LR Teil II Tit. 6 §§ 66, 67, 83; Tit. VIII §§ 38, 153). Diese Vertreter der Bürgerschaft, die Stadtverordneten ("Repräsentanten") waren meist nicht von den Bürgern selbst, sondern von Zünften und sonstigen städtischen Körperschaften gewählt oder von der Stadtobrigkeit bestelW0 • Die vielerorts nicht mehr in Erscheinung getretene Vertretung der Bürgerschaft wurde unter Anknüpfung an die früheren Einrichtungen zur Überwachung der städtischen Obrigkeit wieder neu hergestellt. Neben den dem Landesherrn unmittelbar unterstehenden Städten gab es noch (bis zur Steinsehen StädteO) sog. "Mediatstädte", die unmittelbar unter einem Grundherrn standen. Eine umfassende allgemeine Regelung der städtischen Verhältnisse enthielt dann das preuß. ALR in T. II Tit. 8 ("Vom Bürgerstande"), 2. Abschn. ("Von Städten und Stadtgemeinen".) Die Einrichtung von Stadtverordneten in Preußen stammt nicht, wie man z. T. gemeint hat, aus KleveMark, sondern aus der Kurmark; die Stein'sche Städteordnung hat nur deren Zuständigkeit erweitert4 '. Auch in anderen Ländern wurde eine weitgehende Staatsaufsicht in der Neuzeit eingeführt, aber, wie z. B. auch in Württemberg, die Selbstergänzung des Stadtvorstandes und die lebenslängliche Berufung der Mitglieder bestehen gelassen; so übrigens insbesondere auch in den 3 Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck, wo der aus Kaufleuten und Rechtskundigen bestehende alte Rat im 19. Jahrh. die Bezeichnung "Senat" annahm42 • Es ist schon erwähnt worden, daß in Württemberg der landesherrliche Vogt nach wie vor der Vorsteher des Gerichts in den Städten war. cc) Die Landgemeinden waren seit der fränkischen Zeit in Deutschland meist unter die Herrschaft eines Grundherrn geraten; freie Bauerngemeinden hatten sich jedoch noch in verschiedenen Landschaften, so im Rheinland, in Westfalen, Niedersachsen, Friesland und Dithmarschen in größerem Umfang erhalten43 • Die Verfassung der Landgemeinden war im wesentlichen überall die gleiche. Die Dorfmitgliedschaft war ursprünglich an den Hufenbesitz in der Gemeinde gebunden; z. T. setzte die volle Berechtigung eine gewisse Größe des Grundbesitzes voraus - sog. Vollbauern-, denen die Minderberechtigten als Halb-, Viertelbauern usw. gegenüberstanden. Die Aufgaben der Landgemeinden waren vor allem 40 41
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Vgl. Schön, a. a. 0. Vgl. Schmoller, a. a. 0. Vgl. Heffter, Geschichte der Selbstverw., S. 205. Vgl. hierzu und zum Folgenden Schön, a. a. 0., S. 240.
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wirtschaftlicher Natur: Regelung der Feldwirtschaft der Dorfgenossen und Vorsorge für die gemeine Mark. Sie hatten aber im Laufe der Zeit auch eine gewisse polizeiliche Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit über bestimmte Polizeivergehen (unrechtes Maß und Gewicht sowie falschen Kauf) und niedere Frevel, insbesondere Feldfrevel, kleinen Diebstahl (unter drei Schillingen44 ) und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Auflassung usw.) erlangt. Das Urteil wurde unter dem Vorsitz des Dorfvorstehers als Richter von den gesamten Dorfgenossen oder- wie namentlich später- von einem Ausschuß von Schöffen gefunden; diese wurden dann auch Gehilfen des Bürgermeisters bei der Erledigung von Verwaltungsaufgaben. Aus den alten Markgenossenschaften wurden in späterer Zeit infolge der Auferlegung solcher öffentlichen Aufgaben, wozu später insbesondere die Armenlast und die Schullast traten (s. u.), politische Verbände; die alten Markgenossenschaften bestanden daneben z. T. als reine sog. Sach- oder Realgemeinden fort, in denen die Berechtigung an der Allmende auf dem Eigentum an bestimmten Höfen oder Grundstücken ruhte, regelmäßig mit RechtspersönlichkeWS, soweit sie nicht in der politischen Gemeinde aufgingen. Politische Rechte hatten nur die sog. Vollbauern, die ein "Erbe" besaßen, später erhielten aber auch z. T. alle, die eigen "Feuer und Rauch" hatten, ferner z. T. die Bauernsöhne, Handwerker usf. 48 die politischen Rechte. Die Gemeindeangelegenheiten wurden von den Gemeindegenossen in der Gemeindeversammlung ("Dorfversammlung", "Bauernsprache") erledigt. Diese Versammlungen wurden von dem Gemeindevorsteher ("Bauernmeister", "Schulze", "Heimbürge") geleitet, der geschichtlich offenbar, wie oben bereits bemerkt, auf den Sippenältesten bei der Niederlassung zurückgeht, als einem Einzelbeamten im Gegensatz zu dem mehrgliedrigen Stadtrat in der Stadt. Er wurde in den freien Gemeinden von den Dorfgenossen gewählt, in den grundherrlichen regelmäßig vom Grundherrn ernannt; nur in einzelnen Gemeinden bestanden mehrgliedrige Gemeinderäte als Gemeindevorstand in Nachbildung der städischen Räte. Im ostelbischen Gebiet47 hatten die durch Besiedlung der deutschen Ansiedler entstandenen Dörfer nicht die Stellung von politischen Gemeinden; sie waren vielmehr nur unterste Bezirke für die landesherrliche Verwaltung mit Bezug auf die Leistung von Abgaben und Diensten. Der Schulze, dessen Amt hier häufig erblich mit einem bestimmten Gute verbunden w~r- als "Lehens-", "Erbschulze"- handhabte als Gehilfe des landesherrlichen Vogtes die Ortspolizei und die niedere Gerichtsbarkeit; die Bauern des Dor44 Vgl. Sachsenspiegel, Buch 2, Art. 13 §§ 1, 2. Dazu Schröder-Künßberg, D. Rechtsgeschichte, 6. Aufl., S. 66, Becker, a. a. 0., S. 57. 45 Vgl. G. Maurer, Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland, Bd. 1, S. 66 ff.; dazu Pr. OVG Bd. 74, S. 211. 46 Vgl. E. Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, Bd. 1 (1941). S. 57. 47 Vgl. zum Folgenden insb. Schön, a. a. 0., S. 240.
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fes bildeten hier lediglich einen wirtschaftlichen Verband, der sich durch die gemeinsame Bodenbearbeitung jener Zeit und die gemeinsame Benutzung von Wald und Weide ergab. Im 13. und 14. Jh. aber kamen die Bauernansiedlungen hier fast ausnahmslos unter die Herrschaft der Rittergutsbesitzer als der Gutsherren, welche die Hoheitsrechte über die bei ihren Gütern gelegenen kleineren Dörfer erwarben und damit nach damaliger Rechtsanschauung auch Obereigentümer aller bäuerlichen Grundstücke wurden. Die Bauern wurden so politisch und wirtschaftlich von den Gutsherren völlig abhängig, da deren unbeschränkte Herrschaft über das Dorf dessen Entwicklung zum politischen Gemeinwesen verhinderte. (Schön, a. a. 0.). Ein Verfall der Landgemeinden trat in großen Teilen Deutschlands im 16. und 17. Jh. dadurch ein, daß die persönlich freien Bauern in Hörigkeit und Leibeigenschaft versanken, insbesondere im Gefolge des Unterliegens der Bauern im Bauernkrieg sowie der Verwüstungen im 30jährigen Krieg. Auch im Süden und Westen Deutschlands verloren die Landgemeinden ihr Satzungsrecht und ihre Gerichtsbarkeit. Die Selbstverwaltung wurde überall beschränkt durch weitgehende landesherrliche oder grundherrliche Aufsichtsrechte. Die Landgemeinden verloren auch verschiedentlich ihre Allmende, die der Landesherr als Obermärker an sich zog. Die Landesherren regelten z. T. die bäuerlichen Verhältnisse wie in Preußen; die Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich d. Gr. richteten einen Bauernschutz ein gegenüber den Bestrebungen der Grundherren bzw. Gutsherren, Bauernland einzuziehen, wie dies- mit Nachwirkungen bis zur Schwelle der Gegenwart- in Mecklenburg und Vorpommern ungehemmt geschah. (Vgl. auch § 14 T II Tit. 7 pr. ALR). Ferner wurden den Dorfgemeinden wie auch den Gutsherrschaften, deren Pflichten, soweit sie nicht auf der Erbuntertänigkeit der Bauern und dem Gesindedienstverhältnis sonstiger Gutsarbeiter beruhten, im wesentlichen polizeilicher und niedergerichtlicher Natur waren 48 , neue Aufgaben - Gemeindepflichten im heutigen Sinne des Wortes - zugewiesen, die früher die Kirche besorgt hatte, zunächst insbesondere auf dem Gebiete des Armen- und Schulwesens die Armenlast (für Preußen vgl. § 10 II 12 ALR) und die Schulunterhaltungspflicht; dazu kam dann noch insbesondere die Wegebaulast. Die öffentliche Verwaltung der Gemeinden wurde weitgehend unter staatliche Bevormundung gestellt. Der alte Sach- oder Realverband49 wurde z. T. dadurch beseitigt, daß den nicht angesessenen Personen, Vgl. auch Pr. OVG, Bd. 37, S. 163. Vgl. noch §§ 18-20 T. II, Tit. VII pr. ALR: Die Besitzer der in einem Dorfe oder in dessen Feldmark gelegenen bäuerlichen Grundstücke machen zusammen die Dorfgemeine aus.- Dorfgemeinen haben die Rechte der öffentlichen Korporationen. - Nur die angesessenen Wirte nehmen, als Mitglieder der Gemeine, an den Beratschlagungen derselben teil. 48
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die im Dorfe wohnten (Einlieger, Tagelöhner), durch landesherrliche Anordnung das Ortsbürgerrecht zugänglich gemacht wuvde. (Schön, a. a. 0.).
2) Die Entwicklung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts Eine Neugestaltung des Gemeinderechts trat zu Beginn des 19. Jh. in einzelnen Teilen Deutschlands unter französischem Einfluß ein. In Frankreich war nach der Staatsumwälzung von 1789 unter Beseitigung des Unterschieds zwischen Stadt und Land 50 eine einheitliche Gernemdeverfassung eingeführt worden. Ausgehend von dem Gedanken einer den Gemeinden (municipalites) von Haus aus zukommenden ursprünglichen Gemeindegewalt (pouvoir municipal) 51 war die Gemeindeverwaltung einem von den Gemeindemitgliedern gewählten Verwaltungskörper übertragen worden, der sie nach freiem Ermessen zu handhaben hatte. Demgegenüber wurde unter Napoleon in der Konsulatszeit durch das Gesetz vom 17. Februar 1800 (28. Pluviöse d. J. VIII) der Einzelverwaltungsgrundsatz auch für die Gemeinden mit strenger Unterordnung unter die Dienstbefehle der Regierung eingeführt. Die Gemeinde war ein staatlicher Verwaltungsbezirk, bei dem die körperschaftliche Verfassung in der Hauptsache nur dazu diente, die Kosten der örtlichen Verwaltung aufzubringen (Gierke). Die ganze Verwaltung der Gemeinde wurde von einem ehrenamtlich tätigen Bürgermeister (maire), der von der Regierung ernannt und abberufen wurde und dem Präfekten dienstlich untergeordnet war, besorgt; er hatte sowohl die der Gemeinde übertragenen öffentlichen Angelegenheiten als auch staatliche Auftragsangelegenheiten zu besorgen. Er hatte neben sich einen Gemeinderat als eine Art Beirat mit geringen Befugnissen, den der Präfekt berief und abberief; erst 1831 wurden die Wahlen für den Gemeinderat und die Ernennung des Bürgermeisters aus den gewählten Gemeinderäten eingeführt, sodann 1884 die Wahl des Bürgermeisters durch den Gemeinderat52 • Nach französischem Muster wurde die Gemeindeverfassung auch in den zu Frankreich gekommenen linksrheinischen Gebieten, ferner in den von ihm abhängigen Ländern Berg und Westfalen gestaltet, aber auch z. B. in Baden (1809) und in Bayern (1808), die gleichfalls zum Rheinbund gehörten. In Baden z. B. wurde so ebenfalls der Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinden beseitigt und die Ernennung des Bürgermeisters der Staatsbehörde zugewiesen, die Mitwirkung des Gemeinderats ("Stadtrats" oder "Ortsgerichts") und der Gemeindeversammlung auf die wirtschaftliche Ver50 G vom 14. und 22. Dez. 1789, Art. 7. Vgl. 0. Mayer, Theorie d. franz. VerwR, S. 441 ff. 51 Vgl. Thoma, Polizeibefehl im bad. R, Bd. 1 (1906), S. 139. 52 Vgl. G. Jeze, Franz. VerwR (Öff. R d. Gegenwart, Bd. 23, 1913), S. 19. Jetzt gilt das GemeindeG (Code de l'administration communale) v. 22. Mai 1957, die das GemG v. 5. Apr. 1884 ersetzte.
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waltung beschränkt53 • Anders dagegen verlief die Entwicklung in Preußen nach dem Zusammenbruch i. J. 1806. Schon in der Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 hat sich der Freiherr vom Stein als Anhänger des deutschen Genossenschaftsgedankens für unbesoldete, von der mit Häusern und Eigentum angesessenen Bürgerschaft gewählte Magistrate ausgesprochen5\ die nach erfolgter staatlicher Bestätigung und unter Aufsicht der Provinzialkollegien die Verwaltung des Gemeindevermögens und der zum öffentlichen Unterricht, zur Wohltätigkeit und zu sonstigen öffentlichen Gemeindebedürfnissen bestimmten Anstalten sowie auch die Verwaltung gewisser Zweige der mittleren Gerichtsbarkeit, z. B. Feldfrevel usw., und der örtlichen Polizei besorgen; außerdem hat er die Beiordnung von Stadtverordneten oder Bürgerschaftsabgeordneten ("-deputierten") zum Zweck ihrer Zuziehung zu außerordentlichen Beratungen, wie z. B. Rechnungsabnahme, Verpachtung von Grundstücken usf., gefordert; die Haushalts- und Rechnungsverhandlungen über Kämmerei-, Armen-, Kirchen- und Gemeindevermögen sollte öffentlich in Gegenwart der Stadtverordneten erfolgen. Die preußische Städteordnung Steins vom 19. November 1808 55 ging -im Gegensatz zur französischen Neugestaltung des Gemeinderechtsvon dem Gedanken aus, einerseits die staatliche Aufsicht über die Städte möglichst einzuschränken und andererseits die Selbstverwaltung der Gemeinden mit Bezug auf die Besorgung ihrer Angelegenheiten im weitesten Umfange anzuerkennen. Die Gemeindeangelegenheiten sollten durch die von den Bürgern frei zu wählenden Stadtverordneten und dem aus ihnen hervorgehenden Magistrate besorgt werden. Zugrunde gelegt war eine auf Veranlassung des Frh. vom Stein und nach seinen Gedanken ausgearbeitete Denkschrift des Königsherger Geh. Kriegsrats Frey, die den Beifall Steins gefunden hatte; auf dieser Grundlage hatte der Kanzler von Schrötter im Auftrage Steins die 53 Allerdings waren regelmäßig nur solche Bürger zu Ortsvorgesetzten zu ernennen, die bei der Wahl durch die Bürger wenigstens ein Viertel der Stimmen erhalten hatten. Org. Rescript, Beilage B, Ziff. 5; vgl. Thoma, a. a. 0., S.137, 141. In Württemberg wurde nach dem Verwaltungsedikt v. 1822 der Schultheiß (Bürgermeister) auf Grund einer Wahl von 3 Bewerbern durch die Bürger von dem Landesherrn auf den Vortrag des Min. d. I. in den großen Gemeinden (mit über 5000 Einw.), in den übrigen Gemeinden durch die Kreisregierung ernannt; doch war im Falle, daß einer mindestens zwei Drittel aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinigte, diesem der Vorzug zu geben (§ 12). 54 Nur der Rendant sollte eine Besoldung erhalten und für die Lebenszeit bestellt werden. Der Staat sollte in den großen, über 2000 Seelen habenden Städten zum besoldeten Stadtdirektor aus 3 von der Bürgerschaft vorgeschlagenen Persönlichkeiten wählen. 55 "Ordnung für sämtliche Städte der preußischen Monarchie mit dazugehöriger Instruktion behufs der Geschäftsführung der Stadtverordneten bei ihrer zulässigen Versammlung" vom 19. Nov. 1808 (Nov. Corp. Const. PrussicoBrandenburgensium praecipue Marchicarum, 12. Bd. (1822), S. 171. Vgl. dazu 0. v. Gierke, Die Steinsehe StädteO (1909).
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Städteordnung ausgearbeitet58• Rechtspflege57 und Polizei sollten in die Verwaltung des Staates übergehen, auf Grund einer Forderung insbesondere des Rechtsberaters der Stadt Königsberg, Kriminalrat Brand, wonach die Sicherheit des Eigentums und der Person im Sinne liberaler Gedankengänge alleiniger Zweck des Staates sei und so auch Polizei und Rechtspflege als Mittel zur Handhabung dieses Zwecks als eines allgemeinen des ganzen Staates nicht Aufgabe der Verwaltung der Stadtgemeinde, sondern eben des Staates sein müsse; die Städte sollten auf wirtschaftliche Angelegenheiten und die Wohlfahrtspflege beschränkt werden. Die städtische Gerichtsbarkeit wurde den Städten durch den Runderlaß vom 16. April 1809 genommen und die Gerichte zu königlichen umgewandelt; die Polizei sollte nach besonderen Vorschriften verwaltet werden, jedoch war dem Staate schon nach §§ 166, 167, 184 StO vorbehalten, in jeder Stadt eigene Polizeibehörden einzurichten oder die Ausübung der Polizei dem Magistrate zur Ausübung als Auftragsangelegenheit zu übertragen unter Belastung der Gemeinde mit dem Kostenaufwand58 • Wie bereits bemerkt, sollte nach der StädteO der Magistrat als Vorstand der Stadt von den Stadtverordneten frei gewählt werden; die Bürgerschaft sollte nicht mehr nach Zünften oder Klassen eingeteilt sein, sondern als eine Einheit erscheinen, die nunmehr in Bezirken wählen sollte (bei Städten über 800 Seelen). Die Stadteinwohnerschaft war- wie nach dem Allg. Landrecht-in die beiden Arten der Bürger und Schutzverwandten geschieden. Als Schutzverwandte galten die Einwohner, d. h. alle, die ihren Wohnsitz im Gemeindebezirk aufgeschlagen, jedoch das Bürgerrecht nicht erlangt hatten, im Gegensatz zu den Bürgern, bei denen dies der Fall war. Die Bürger hatten die Befugnis, mit Genehmigung des Magistrats jedes erlaubte - nicht durch eine bestimmte Zunft oder Innung eingeschränkte - Gewerbe zu betreiben und Grundstücke im städtischen Polizeibezirk zu besitzen, sowie, wenn stimmfähig, zugleich das Recht, an der Wahl der Stadtverordneten teilzunehmen und wählbar zu öffentlichen Ämtern zu sein; die Schutzgenossen durften nur solche Gewerbe betreiben, wozu es des Bürgerrechts nicht bedurfte, hatten aber in einem angemessenen Verhältnis mit den Bürgern zu den öffentlichen ss Vgl. v. Meier, a. a. 0., S. 259 ff. Nicht alle Städte hatten übrigens trotz ihrer städtischen Verfassung eigene Gerichte. So nämlich nicht die sog. Mediatstädte, die der Patrimonialgerichtsbarkeit eines Rittergutsbesitzers, des Domänenfiskus, einer Stiftung oder einer unmittelbaren Stadt unterworfen waren; vgl. v. Meier, a. a. 0., S. 61. Die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Städten sollte nach der StädteO von 1808 künftighin in allen städtischen Angelegenheiten nicht mehr bestehen. 58 Dies wurde in § 167 damit begründet, daß die Ortspolizei jeder Stadt hauptsächlich für die Sicherheit und das Wohl der Stadteinwohner tätig sei. Das allg. AbgabenG vom 30. Mai 1920 (§ 10 Nr. 3) entband die Städte von der Unterhaltung der staatlicherseits angeordneten Polizei. 57
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Lasten und Pflichten beizutragen. Das Bürgerrecht wurde durch die städtische Behörde verliehen; es durfte niemandem versagt werden, der sich in der Stadt häuslich niedergelassen hatte, von unbescholtenem Lebenswandel war und es zu erlangen begehrte. Der Inhalt des Bürgerrechts beschränkte sich danach nicht, wie noch in der Hauptsache nach dem ALR, auf die Befugnis, ein bürgerliches Gewerbe zu treiben (vorbehaltlich der Genehmigung der Zunft, des Magistrats oder der Staatsbehörde, je nach dem betr. Gewerbe), sondern enthielt - abgesehen von dem Wahlrecht und der Ämterfähigkeit - insbesondere auch die Befugnis, Grundstücke im Polizeibezirk der Stadt zu besitzen. Die Bürger unterschieden sich von den Schutzverwandten, abgesehen von der Gewerbe- und Grundeigentumsfähigkeit, vor allem dadurch, daß sie allein ein Stimmrecht in städtischen Angelegenheiten hatten; von dem Stimmrecht waren jedoch, abgesehen von den Bürgern weiblichen Geschlechts und Personen, die ein Verbrechen begangen, in Konkurs geraten oder denen das Stimmrecht als Strafe entzogen worden ist (vgl. §§ 74, 20, 22), insbesondere die unangesessenen Bürger ausgeschlossen, deren regelmäßiges Einkommen in den großen Städten (d. h. von 10 000 Einw. an) nicht 200 Taler, in den mittleren und kleineren Städten (d. h. von 3500 Einw. an bzw. darunter) nicht 150 Taler jährlich betrug ~§ 10, 74, 79} 59 • Von allen nach Inhalt der StädteO der Stadtgemeinde beigelegten oder sonst zustehenden Rechten wurde einzig und allein die Befugnis, die Stadtverordneten zu wählen, von den Stadtbürgern in ihrer Gesamtheit unmittelbar selbst ausgeübt (§>§ 67 bis 69), alles übrige durch die in geheimer und gleicher Wahl aller Stimmfähigen ohne Bezugnahme auf Zünfte, Stand, Körperschaften und Sekten auf 3 Jahre zu wählenden (jedes Jahr zu einem Drittel zu erneuernden) Sta:dtverordneten80 ; diese waren an irgendwelche Weisungen und Aufträge der Bürgerschaft nicht gebunden 61 • Sämtliche Magistratsmitglieder62 sollten mit Ausnahme des Oberbürgermeisters 59 Von den in jedem Bezirk zu wählenden Stadtverordneten und Stellvertretern mußten mindestens 2 /a mit Häusern in der Stadt angesessen sein (§ 85). Wahlfähig war jeder Bürger, der ein Stimmrecht hatte ~§ 84), aber nur in dem Bezirk, wo er verzeichnet war. 60 Und zwar in den kleinen Städten 24 bis 36, in den mittleren 36 bis 60, in den großen 60 bis 102 (§ 70). 61 Vgl. dazu v. Gierke, a. a. 0., S. 26. Dieser nach der franz. Staatsumwälzung auf dem europäischen Festland zunächst für die Volksvertretungen zuerst in Frankreich - festgelegte Grundsatz wurde hier zum erstenmal für die Stadtverordnetenversammlung in Deutschland festgesetzt. 62 Der Magistrat bestand in den kleinen Gemeinden aus einem besoldeten Bürgermeister und einem besoldeten Ratsmann (zugleich Kämmerer) und 4--6 unbesoldeten Ratsmannen, in den mittleren Gemeinden aus einem besoldeten Bürgermeister, einem besoldeten Ratsherrn (zugleich Kämmerer), einem besoldeten Ratsherrn als Syndikus und 7-12 unbesoldeten Ratsherren, in den großen Städten neben dem besoldeten "Oberbürgermeister" und 4-8 besoldetf~n F.atsherren (1-2 besoldeten gelehrten- "gesetz- und verfiassungskundi-
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in den großen Städten von den Stadtverordneten gewählt und von der Provinzialbehörde bestätigt werden, die Oberbürgermeister der großen Städte aber aus 3 von den Stadtverordneten vorgeschlagenen Anwärtern vom König zu ernennen sein. Die Bürgermeister und Oberbürgermeister wurden auf 6 Jahre in ihr Amt berufen63 • - Die gesamte Entscheidungsgewalt in den städtischen Angelegenheiten lag bei den - ehrenamtlich tätigen - Stadtverordneten, die in allen Sachen des Gemeinwesens die Bürgerschaft vertraten, insbesondere mit Bezug auf die Haushaltsfestsetzung, die Aufnahme von Darlehen, notwendige und nützliche Veräußerungen und Verpfändungen von Kämmereigütern usf., ferner die Überwachung der ganzen städtischen Verwaltung. Die Leitung der Geschäftsführung und die Vollziehung lag hierbei dem von ihnen auf Zeit gewählten Magistrat als dem Vorstand der Stadt ob, der auch dafür haftete, daß nichts gegen den Staat und gegen die Gesetze ausgeführt wurde 64 • Durch ihre Wahl hatten die Stadtverordneten unbeschränkte Vollmacht erhalten, durch gemeinschaftlichen Beschluß nach Maßgabe des Gesetzes "in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens der Stadt die Bürgergemeine zu vertreten, sämtliche Gemeine-Angelegenheiten durch sie zu besorgen und in betreff des gemeinschaftlichen Vermögens, der Rechte und der Verbindlichkeiten der Stadt und der Bürgerschaft namens derselben verbindende Erklärungen abzugeben" mit bindender Wirkung für alle Einwohner, Bürger und Schutzverwandte (§§ 108, 126). Der Magistrat, dessen Unterbehörde der Bezirksvorsteher in den Bezirken bildete, hatte in finanziellen Angelegenheiten, wenn eine Einigung mit den Stadtverordneten nicht zustande kam, unter gewissen Voraussetzungen die Beschwerde an die obere Landesbehörde f§ 184), war aber im übrigen nur geschäftsführende und ausführende Behörde, während die Stadtverordnetenversammlung ihrerseits keine gefaßten Beschlüsse "mit öffentlicher Autorität" selbst ausführen konnte. Die Staatsaufsicht in den gemeindlichen Angelegenheiten der Stadt beschränkte sich - abgesehen von den Angelegenheiten der Polizei, wo eine Fachaufsicht der Staatsbehörde wie gen" - Stadträten, je einem besoldeten Stadtrat für das Baufach, wo es nötig ist, als Syndikus und als Kämmerer), aus 12-15 unbesoldeten Stadträten. 63 Die Syndici und die rechtsgelehrten Stadträte nebst dem Stadtrat für das Baufach sollten auf 12 Jahre, die übrigen nur auf 6 J. bestellt werden, diese unter jährlicher oder zweijähriger teilweise erfolgenden Erneuerung (§ 146). 64 Für die Angelegenheiten, womit Verwaltung verbunden oder die wenigstens anhaltende Aufsicht und Überwachung oder Mitwirkung an Ort und Stelle erforderten, waren gemischte Ausschüsse ("Deputationen und Kommissionen") vorgesehen, die aus einzelnen Mitgliedern der Magistrate, in der Hauptsache aber aus Stadtverordneten und Bürgern unter der Aufsicht des Magistrats bestanden, wie für das Kirchenwesen, Schulwesen, Armenwesen, Gesundheitswesen, Bauwesen; die Mitglieder wurden von der Stadtverordnetenversammlung gewählt und vom Magistrat bestätigt; den Vorsitz führte das älteste oder alleinige Magistratsmitglied, bei gleichem Stimmrecht der Mitglieder und Stichentscheid des Vorsitzenden. 41*
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gegenüber einer Unterbehörde bestand - auf die Einsichtnahme in die gedruckten Rechnungsauszüge oder die öffentlich darzulegenden Rechnungen der Städte über die Verwaltung des Gemeindevermögens, die Entscheidung über Beschwerden der Bürger über das Gemeinwesen, die Bestätigung neuer Satzungen und der Wahl der Magistratsmitglieder (§ 2). Nicht einmal zu Anleihen, zur Veräußerung und zu sonstigen Verfügungen über Gemeindegrundstücke war Staatsgenehmigung erforderlich; es sollte aber die Veräußerung nur in Fällen der Notwendigkeit und Nützlichkeit mittels einer öffentlichen Versteigerung mit kurzer nachträglicher Anzeige an die Ortspolizeibehörde vorgenommen werden (§ 189). Unter Beseitigung der bisherigen staatlichen Aufsichtsstellen über die Städte wurden durch Kabinettsbefehl vom 30. März 1809 die Städte in die Kreise einbezogen und die Aufsicht über die Polizei und Gemeindeverwaltung der städtischen Behörden den Landräten zugewiesen65. Nach den Befreiungskriegen blieb in den linksrheinischen Gebieten das französische Recht zunächst bestehen, während es in den rechtsrheinischen Gebieten verschwand. Auf die französische Gemeindeverfassung geht aber auch die rheinische Bürgermeistereiverfassung zurück, die unterschiedslos für Stadt und Land galt und dadurch gekennzeichnet war, daß der von der Regierung ernannte Bürgermeister als Leiter der Gemeindeverwaltung durch Beigeordnete und Gemeinderäte nicht beschränkt war, d. h. nicht der Gesamtverwaltungsgrundsatz, sondern der Einzelverwaltungsgrundsatz für die Gemeindeverwaltung gaUS 8 • Die abgeänderte (sog. revidierte) StädteO von 1831 67 erging zur Beseitigung von Mängeln, die sich bei der Anwendung der GemeindeO von 1808 ergeben hatten; sie trat vor allem in den neuerworbenen Gebietsteilen in Geltung. Sie beruhte insbesondere auf der veränderten Auffassung mit Bezug auf die Abgrenzung der stimmfähigen Bürgerschaft, die Stellung von Magistrat und Stadtverordneten - die unter Hebung der Stellung des Magistrats mit Bezug auf finanzielle Angelegenheiten einander gleichgestellt wurden - sowie mit Bezug auf 65 Vgl. Bornhak, Preuß. Staats- u. RGeschichte (1903), S. 334 und o. § 21. Vgl. Heffter, a. a. 0., S. 105. 67 Vgl. zum Folgenden v. Meier, Reform, S. 292. Die StädteO von 1831 löste nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, die StädteO von 1808 ab; diese galt vielmehr im Staatsgebiet von 1808 nach wie vor weiter und wurde sogar in einigen westpreußischen Städten, wie Danzig und Thorn, sowie in der schlesischen Oberlausitz jetzt noch eingeführt. Von der Möglichkeit, freiwillig das neue Gesetz einzuführen, machten nur 3 brandenburgische kleine Städte Gebrauch. Im übrigen behielten die altpreußischen Städte gern die bisherige Verfassung bei, namentlich wegen des breiteren Wahlrechts. So wurde die neue StädteO nur in der Niederlausitz, im westelbischen Hauptteil der Provinz Sachsen, in Westfalen sowie in der Provinz Posen eingeführt. Die rheinischen Städte behielten ihre französische Gemeindeverfassung, die neuvorpommerschen Städte ihre Selbstverwaltung altdeutscher Art. Heffter, a. a. 0., S. 215. ss
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die St11atsaufsicht, die gegenüber der allzugroßen Selbständigkeit, die namentlich in kleineren Gemeinden sich z. T. ungünstig ausgewirkt hatte - z. B. durch leichtsinniges Schuldenmachen und unüberlegte Veräußerung von Gemeindevermögen, u. a. mit Verteilung des Erlöses unter die Bürger -, verstärkt wurde88 ; jetzt wurde das Erfordernis der Genehmigung zu jeder bedeutenden Veränderung im städtischen Vermögen, insbesondere jede Anleihe und jede Veräußerung, von der Genehmigung der Staatsbehörde abhängig gemacht (§§ 171 ff.). Es waren nunmehr alle Einwohner zu Grundbesitz und Gewerbebetrieb fähig, unabhängig von dem Erwerr des Bürgerrechts, dessen Bedeutung jetzt nur noch auf politischem Gebiete, d. h. im Wahlrecht, lag. Das zum Erwerb des Bürgerrechts erforderliche Vermögen sollte entweder in einem städtischen Grundstück von 300, in großen Städten von 1000 Talern Wert oder in dem Ertrag eines städtischen Gewerbes von 300-600 Talern oder in einem Einkommen von 400-1000 Talern bestehen. Die Wählbarkeit zu städtischen Ämtern war von höheren Erfordernissen abhängig. Die städtischen Einwohner, die jene Erfordernisse nicht erfüllten, waren Schutzgenossen; sie hatten die gleichen Rechte wie nach der StädteO von 1808 die nicht stimmfähigen Bürger. Die Ausiilbung der Polizei wurde nunmehr dem Bürgermeister aLs solchem übertragen. Später wurde das städtische Wahlrecht noch geändert, insbesondere durch die Einführung des Dreiklassenwahlrechts durch die für Stadt- und Landgemeinden geltende GemeindeO für die Rheinprovinz vom 23. Juli 1845 und, nachdem es auch für die Wahlen zum Abgeordnetenhauses des Landtags durch VO vom 30 Mai 1849 eingeführt war, durch die Rheinische StädteO von 1856, § 13 StädteO für die östlichen Provinzen von 1853, § 50 LandgemeindeO für die östlichen Provinzen von 1891. Eine Neuordnung der Landgemeinden erfolgte, zumal infolge des endgültigen Ausscheidens Steins aus dem preußischen Staatsdienste am 24. November 1808, vorerst noch nicht. Durch die Edikte von 1807 und 1811, 1816 und 1850 erhielten die Bauern unter Aufhebung der bisherigen Erbuntertänigkeit persönliche Freiheit und freies Eigentum an Grund und Boden der alten bäuerlichen Leihestellen mit Wegfall der Fronden und Abgaben unter Entschädigung der bisherigen Obereigentümer im Land (vgl. o. § 3). Der von Stein beabsichtigt gewesene Erlaß einer LandgemeindeO. und die Ausgestaltung der Landgemeinde zu einem selbständigen Gemeinwesen unterblieb infolge des starken Widerstands der Gutsherren wegen ihrer bisherigen Gerechtsame; nach der Beseitigung der gutsherrliehen Niedergerichtsbarkeit i. J. 1849 und 88 Vgl. auch das Schreiben Steins an Schuckmann vom 15. März 1829 bei Pertz, Leben des Frh. v. Stein, Bd. 6, Beil., S. 250 f.; Meier, Reform, S. 319,321; Schmoller, Preuß. Verf.-usf.-geschichte, S. 182.
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der gutsherrliehen Polizei und Aufsicht über die Landgemeinden durch die KreisO für die östlichen Provinzen von 1872 wurde dann insbesondere erst i. J. 1891 eine LandgemeindeO für die 7 östlichen Provinzen erlassen. Im ostelbischen Gebiet, wo es vielfach nur kleine, insbesondere mit Bezug auf Schul- und Wegewesen leistungsunfähige Gemeinden gab, hatten neben ihnen die Rittergüter in ihrem Bereich mehr und mehr gemeindliche Aufgaben wahrzunehmen; die Gutsbezirke sind erst i. J. 1927 aufgehoben worden 6 D. Die in der Zeit nach der Umwälzung von 1848 70 für ganz Preußen ohne Unterscheidung von Stadt und Land einheitlich erlassene Gemeindeordnung von 1850 wurde später durch die im wesentlichen auf der Städteordnung von 1831 beruhenden, für die einzelnen Provinzen verschieden ergangenen besonderen Städteordnungen neben regelmäßig besonders erlassenen Landgemeindeordnungen ersetzt. So erging z. B. die StädteO für die östlichen Provinzen mit Ausnahme von Neuvorpommern und Rügen vom 30. Mai 1853; angeführt sei noch die westfälische StädteO vom 19. März 1856 sowie die rheinische StädteO vom 15. Mai 1856 und die rheinische Gemeindeordnung vom 23. Juli 1845 unter Beibehaltung der Bürgermeistereiverfassung. Die Steinsehe Städteö war auch von Einfluß auf die freiheitlich umgestalteten Gemeindeordnungen in anderen deutschen Ländern, wie z. B. in Bayern (Edikt vom 17. Mai 181871 ) und in Württemberg in den 3 Organisationsedikten vom 30. Dezember 1818 über die Gemeindeverfassung usf. (RegBl. 1819 S. 121), und das Verwaltungsedikt vom 1. März 1822 (RegBl. S. 131), an deren Stelle dann die Gemeindeordnungen von 1906 und 1930 getreten sind. Von den sonstigen Gemeindeordnungen sei die badische vom 31. Dezember 1831 hervorgehoben (RegBl. 1832 S. 81) 72 , abg. durch das G vom 14. Mai 1870, und die r1Ci:lfl
Es bestanden i. J. 1900 7 verschiedene StädteO'en und 6 verschiedene LandgemeindeO'en, dazu die GemeindeO für Stadt und Land in Hohenzollern, abgesehen von den neuvorpommerschen sog. Stadtrezessen. Vgl. H. Preuß, Zur preuß. Verwaltungsvereinfachung (1910), S. 87 f., Heffter, S. 719. Für das Reich zählt W. Jellinek, VerwR, 3. Aufi., S. 71 f. im ganzen 41 Gemeindeordnungen auf (für 1933). 70 Schon die Frankfurter Reichsverf. hatte in dem § 184 als Grundrechte ihrer Verfassung für jede Gemeinde die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter, die selbständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit Einschluß der Ortspolizei unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des Staates, die Veröffentlichung ihres Gemeindehaushalts, die Öffentlichkeit der Verhandlungen als Regel bestimmt. 71 Vgl. Heffter, a. a. 0., S. 125 ff. 72 Sie verwirklichte im Gegensatz zur Steinsehen StO und zur bayr. und württ. GO unter Beseitigung des Unterschieds zwischen Ortsbürgern und Schutzbürgern den Grundsatz, die einheitliche Bürgerschaft nicht auf Hausbesitzer und Gewerbetreibende zu beschränken; zum erstenmal war der Grundsatz der Einwohnergemeinde durch die franz. Staatsumwälzung von 1789 durchgeführt worden, wonach das Gemeindebürgerrecht mit dem einheitlichen Staatsbürgertum zusammenfällt. Indessen war durch ein G vom 69
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StädteO vom 24. Juni 1874, an deren Stelle dann nach der Staatsumwälzung von 1918 die GemeindeO vom 5. Oktober 1921 (GuVOBl. 1922 S. 183) getreten ist. Nachdem schon in dem- durch das ÜbergangsG vom 4. März 1919 bestätigten- Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 bestimmt war, daß alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften fortan nach dem gleichen, geheimen, unmittelbaren und allgemeinen Wahlrecht auf Grund des Verhältniswahlrechts von allen mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen seien, wurden in der W eim.RV zum erstenmal einige allgemeine reichsverfassungsrechtliche Bestimmungen grundsätzlicher Art über das Gemeinderecht erlassen. Nach Art. 17 Abs. 2 RV sollten die Gemeindewahlen- entsprechend den Wahlen zu den Landtagen- auf Grund des allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlrechts aller reichsdeutschenMännerund Frauen nach dem Grundsatz der Verhältniswahl stattfinden, wobei jedoch durch Landesgesetz die Wahlberechtigung von der Dauer des Aufenthalts in der Gemeinde bis zu 1 Jahr abhängig gemacht werden konnte. Damit war insbesondere auch das Dreiklassenwahlrecht beseitigt; die Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und unmittelbaren Wahlrechts hat für die Gemeinden auch zu einer Parlamentarisierung der Gemeindevertretungskörper geführt. Nach Art. 127 RV hatten Gemeinden und Gemeindeverbände 3. Aug. 1830 die mittelbare Wahl des Bürgermeisters und des Gemeinderats
durch den "großen Bürgerausschuß" in einem Dreiklassenwahlsystem eingeführt, wie es dann über Preußen - zuerst durch die rheinische GO von 1845 - das vorherrschende Gemeindewahlrecht geworden ist: zwar allgemeines Wahlrecht, aber Einteilung der Bürgerschaft nach der Steuerleistung in 3 Klassen. Wie dieses Dreiklassenwahlrecht sich bei dem Wachsen des Reichtums auf der einen Seite, der zunehmenden unbemittelten Arbeiterbevölkerung anderenteils auswirkte, ergibt die Tatsache, daß z. B. in Essen Krupp allein in der 1. Klasse war, er somit ein Drittel der Stadtverordneten bestimmte, und daß in Berlin z. B. i. J. 1880 kaum mehr als zwei vH der Wahlberechtigten in die 1. Klasse, 10 vH in die 2., und der gesamte Rest in die 3. Klasse gehörte, wobei jede Klasse gleich viel Stadtverordnete zu wählen hatte. Vgl. Dallo in Preuß. Jahrbüchern, Bd. 65 (1890), S. 520 ff., Heffter, a. a. 0., S. 615, 183 f. Das Ortsbürgerrecht hatte in Baden nur noch Bedeutung für den Bürgernutzen und im übrigen die Besonderheit, daß es bei Abwesenheit von der Gemeinde nur ruhte und nicht erlosch; dagegen war in den Städten der Einwohnergrundsatz insofern durchgeführt, als Stadtbürger waren die im Vollbesitz der Geschäftsfähigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte befindlichen männlichen, nicht im aktiven Militärdienst stehenden, Reichsangehörigen, die mindestens 25 Jahre alt und seit 2 Jahren- vom Tage des Ablaufs der Einspruchsfrist gegen die Wählerliste zurückgerechnet - Einwohner des Stadtbezirks waren, einen selbständigen Lebensberuf hatten, in der Gemeinde Gemeindeumlage zahlten und die ihnen obliegenden Abgaben an die Gemeinde entrichtet hatten (§ 7 StO). In den Gemeinden der GO standen die sog. "wahlberechtigten Einwohner", die den Voraussetzungen für den Erwerb des Stadtbürgerrechts in den Städteordnungsgemeinden entsprachen, den Ortsbürgern hinsichtlich der politischen Rechte gleich (§ 10 GO). Vgl. dazu Walther Merk, Bad. Gemarkungsrecht, S. 99.
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das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze; es handelte sich hierbei um eine sog. Einrichtungsgewähr. Ein Recht auf Fortbestand eines dieser Verbände und auf einen gewissen Inhalt der einzelnen Selbstverwaltungsbefugnisse war damit nicht eingeräumt; es konnte vielmehr das Maß der Selbstverwaltung geändert oder eingeschränkt werden, nur mußte von einer Selbstverwaltung überhaupt im Ernste noch die Rede sein können78 • Gegenüber dem äußerst zersplitterten Rechtszustand in den deutschen Ländern hat nach Einführung des Einheitsstaates in der nationalsozialistischen Zeit zum ersten Mal die Deutsche GemeindeO vom 30 Januar 1935, in Kraft seit 1. April 1935, ein einheitliches Reichsrecht für alle deutschen Gemeinden - ohne Unterschied, ob Stadt- oder Landgemeinde - mit Ausnahme von Berlin geschaffen; vorangegangen war für Preußen das einheitliche GemeindeverfassungsG vom 15. Dezember 1933, das die früheren 15 verschiedenen preußischen Stadt- und Landgemeindeordnungen beseitigt hatte. Für die Reichshauptstadt galten aber nach dem Reichsgesetz vom 1. Dezember 1936 auch die Bestimmungen der DGO grundsätzlich, soweit in jenem Sondergesetz nichts Besonderes bestimmt war. Berlin war aus einem früheren - 1912 durch das ZweckverbandsG. vom 19. Juli 1911 gebildeten Zweckverband ("Verband Groß-Berlin") mehrerer benachbarter selbständiger Gemeinden74 i. J. 1920 zu einer Einheitsgemeinde aus 8 Großstädten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken geschaffen worden. Sie war in 20 Bezirke mit Bezirksbürgermeistern eingeteilt worden75 ; dementsprechend gliederte sich die Gemeindeverwaltung in die Hauptverwaltung und die Verwaltung der Bezirke. Berlin war im übrigen schon nach dem LandesverwaltungsG. von 1883 unter Ausscheidung aus der Provinz Brandenburg mit Bezug auf die staatliche Verwaltung nicht nur ein eigener Stadtkreis, sondern auch ein Regierungsbezirk und eine Provinz76 ; der Polizeipräsident von Berlin nahm auch die Befugnisse eines Regierungspräsidenten wahr. Der Oberpräsident von Brandenburg, der gleichzeitig Oberpräsident von Berlin war, übte die Staatsaufsicht über die Gemeindeverwaltung von Berlin. Eine Abweichung gegenüber den übrigen Gemeinden bestand in der nationalsozialistischen Zeit vor allem darin, daß an der Spitze der Verwaltung nicht ein Gemeindebeamter - wie sonst in den Gemeinden - stand, sondern ein Landesbeamter, der jederzeit in den Wartestand versetzt und 73 So auch StGH f. d. D. R. in Lammers-Simons, D. Rechtsspr. des StGH, Bd.1, S. 166, und in RGZ, Bd. 126, Anh. S. 14. 74 Vgl. Jahrb. d. öff. R, Bd. 7, S. 139. 75 Diese Einteilung ist auch noch in der vorläufigen Verf. v. Groß-Berlin v. 1946 (Art. 14) und in der Verf. v. (West-)Berlin von 1950 (Art. 4, 50 ff.) beibehalten worden. 76 Vgl. dazu Heffter, a. a. 0., S. 621.
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im Staatsdienst verwendet werden konnte. Die gleichzeitige Wahrnehmung von Selbstverwaltungsangelegenheiten und von Staatsaufgaben kam in der Bezeichnung "Oberbürgermeister und Stadtpräsident" zum Ausdruck; auf die letzte Gestaltung gegen Ende der Kriegszeit ist hier nicht weiter einzugehen. Die Gemeindeverwaltung gliederte sich (vgl. o.) in die Hauptverwaltung und in die Verwaltung der Bezirke; der Oberbürgermeister führte die Hauptverwaltung, die Bezirksbürgermeister die Bezirksverwaltung. Nach dem Zusammenbruch und der Besetzung befand sich die Stadt Groß-Berlin in einer rechtlich besonderen Stellung, insofern ihre Verwaltung von der verbündeten Kommandantur geleitet wurde, die unter der Leitung des Kontrollrats arbeitete und aus den Befehlshabern der vier Besetzungsmächte bestand (bis März 1948); jetzt bildet Westberlin- westlich des Brandenburger Tores- ein eigenes Land, das staatsrechtlich nicht voll zum Bundesfreistaat Deutschland gehört, aber Vertreter in den Bundesrat und in den Bundestag mit beratender Stimme entsendet (vgl. auch o. § 22 Anm. 2). Anstelle der vorläufigen Verfassung von Groß-Berlin vom 13. August 1946 ist für Westberlin die Verfassung vom 1. September 1950 getreten. Die DGO beruhte in ihren sachlichen Bestimmungen weitgehend auf Vorschlägen des Deutschen Städtetags über den Entwurf einer "Reichsstädteordnung". Sie galt einheitlich für Stadt und Land, jedoch waren rechtliche Unterscheidungen in einzelnen Bestimmungen nach der Art oder Größe der Gemeinden vorgesehen (vgl. z. B. § 39). Nach dem Zusammenbruch und der Besetzung Deutschlands sind in den neugebildeten Ländern z. T. wiederum neue Gemeindeordnungen erlassen worden, die sich zum großen Teil an die DGO anlehnen unter Beseitigung namentlich der Bestimmungen, die sich aus der nationalsozialistischen Staatsgestaltung ergaben, insbesondere über die Einrichtung des Führergrundsatzes, des Parteibeauftragten, der Einschränkung der Selbstverwaltung infolge der Ausdehnung der Staatsaufsicht auch auf die Übereinstimmung mit den Zielen der Staatsführung sowie der anläßlich des zweiten Weltkriegs erfolgten Umwandlung der Staatsaufsicht in Fachaufsicht. Eine Besonderheit stellte im englischen Besetzungsgebiet (mit Ausnahme von Hamburg) die Annäherung an das englische Gemeinderecht dar nach der von der englischen Militärregierung mit VO Nr. 21 für das von ihr besetzte Gebiet erlassenen sog. abgeänderten (revidierten) DGO vom 1. April 1946 (für Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und für Niedersachsen), an deren Stelle jetzt für Schleswig-Holstein die GO vom 24. Januar 1950 (GVBl. S. 25), abg. durch die Gesetze vom 27. Februar 1950 (GVBl. S. 49), vom 3. Februar 1951 (GVBl. S. 31) und vom 29. Januar 1955 (GVBl. S. 5), für NordrheinWestfalen die GO vom 21. Oktober 1952 (GVBl. S. 269) und vom 28. Oktober 1952 (GVBl. S. 283) i. d. F. vom 9. Juni 1954 (GVBl. S. 219) und für
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Niedersachsen die GO vom 4. März 1955 (GVBl. S. 55) getreten ist 77 • In Bayern gilt jetzt die GO vom 25. Januar 1952 (GuVBl. S. 19), abg. durch G vom 26. November 1954 (GVBL S. 301) und vom 23. Juli 1955 (GVBl. S. 159), in Baden-Württ. die GO vom 25. Juli 1955 (GELS. 129), in Rheinland-Pfalz das SelbstverwG Teil A: GO vom 27. September 1948 i. d. F. vom 5. Oktober 1954 (GuVOBl. S. 117), für Hessen die GO vom 25. Februar 1952 (GuVBl. S. 11) i. d. F. der Gesetze vom 10. Juli 1953 (GVBl. S. 124) und vom 6. Juli 1954 (GVBl. S. 117). Alle diese Gemeindeordnungen gelten unterschiedslos für Stadt und Land, wenn auch z. T. nach der Art der Gemeinde Unterscheidungen gemacht worden sind. Im GG, in dem eine Gesetzgebungszuständigkeit für das GemeindeR als solches für den Bund - auch nicht im Sinne einer Rahmengesetzgebung (abgesehen von der Regelung der Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst wie der Länder, so auch der Gemeinden und anderer Körperschaften des öff.R stehenden Personen nach Art. 75 Ziff. 1) -nicht vorgesehen ist, sind einige grundsätzliche Bestimmungen bezüglich des Gemeinderechts getroffen (vgl. Art. 28). Danach muß wie in den Ländern und Kreisen, so auch in den Gemeinden das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist; in den Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten. Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder diesen Bestimmungen entspricht. Auch hier handelt es sich wie in der W eim.RV um eine Einrichtungsgewähr (vgl. hierzu jedoch auch § 91 BVerfGG.), nicht um persönliche öffentliche Rechte der Gemeinde; nicht dagegen besteht - wie schon nach der W eim.RV - für die einzelne Gemeinde eine Gewähr ihres weiteren Fortbestandes (sog. Bestandsgewähr) oder einer unveränderten Beibehaltung ihrer bisherigen öffentlichen Aufgaben78 • 77 Von einem näheren Eingehen auf die Verfassungen der Stadtländer Harnburg (das zugleich eine Einheitsgemeinde darstellt), Bremen (aus den Städten Bremen und Bremerhaven bestehend) und Berlin wird hier abgesehen, da das Gemeindeverfassungsrecht zugleich einen Teil des LandesverfR bildet. - Vgl. auch Kreutzer, Neue Ansätze zur Selbstverw. im Stadtstaat Berlin usf., in DÖV 1954, S. 425 ff. über die Entwicklung bis 1948 unterrichtet Gönnenwein, Das deutsche GemeindeverfR, in Arch. d. öff. R, Bd. 74, S. 191 ff. 78 So zutr. v. Mangoldt, Erl. Buch z. BGG, S. 180. Anders z. B. Art. 11 bayr. GO, wonach den Gemeinden ein "Recht auf Bestand" gewährt wird (vgl. jedoch hierzu auch Abs. 2-5, wonach gleichwohl durch RechtsVO der Staatsregierung mit Zustimmung des Landtags die Auflösung von Gemeinden auch gegen deren Willen und die Neubildung verfügt werden kann). Jedenfalls darf aber durch die Gesetze das Recht der Selbstverwaltung nicht soweit ausgehöhlt werden, daß sie in ihrem "Wesensgehalt" angetastet oder beseitigt
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c) D a s g e 1 t ende Re c h t
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1) Die Grundlagen der Gemeindeverfassung aa) Die Gemeinde ist eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft, welche die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte des Volkes zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Wege der Selbstverwaltung in der engeren Heimat zusammenfaßt (§ 1 DGO). Sie erfaßt als Gebietskörperschaft mit ihrer Gebietsgewalt alle, welche in den räumlichen Herrschaftsbereich der Gemeinde eintreten, gleichviel, ob sie Gemeindeangehörige oder Gemeindebürger im engeren Sinne sind oder nicht; daneben erfaßt sie als zugleich persönlicher Verband alle Gemeindeeinwohner und Gemeindebürger, gleichviel, ob sie sich im Gemeindegebiet aufhalten oder nicht, soweit nicht die Gemeindeangehörigkeit und Gemeindebürgerschaft durch Wegzug aus der Gemeinde erlischt. Nach § 1 der 1. DurchfVO zur DGO vom 22. März 1935 sind Ortschaften, Teilgemeinden und ähnliche innerhalb einer Gemeinde bestehende Verbände (Körperschaften) gemeinderechtlicher Art mit dem Inkrafttreten der DGO mit der Maßgabe aufgelöst worden, daß die Gemeinde Rechtsnachfolgerin wurde. "Städte" sind im allgemeinen die Gemeinden, die nach bisherigem Recht diese Bezeichnung führen; davon sind zu unterscheiden die Gemeinden, die als Stadtkreise im Sinne der GO gelten (vgl. z. B. § 3 bad.-württ.GO). Die Bezeichnung einer Gemeinde als "Stadt" hat im allgemeinen keine weitere rechtliche Bedeutung (vgl. z. B. § 5 bad.-württ.G0) 80 • 1
würde; es ist also- wie bei den Grundrechten- zu fragen, was von dem Selbstverwaltungsrecht nach dem Eingriff noch übrigbleibt. Vgl. dazu BVerfGE Bd. 1, S. 167 ff., BVerwGE Bd. 6, S. 25. Für die Einrichtungsgewähr auch BVerwGE Bd. 2, S. 332. 79 Vgl. hierzu jetzt vor allem Loschelder, Die Gemeindeordnungen in den westdeutschen Ländern, (2. Aufl., 1956) und das "Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis", herausgg. v. H. Peters, Bd. 1 (Kommunalverfassung), 1956, Bd. 2JKommunalverwaltung) 1957, Bd. 3 (Komm. Finanzen und Komm. Wirtschaft) 1959. - Im folgenden wird von den süddeutschen Gemeindeordnungen und zwar im besonderen von der bad.-württ.GO, ausgegangen; wichtige Besonderheiten der anderen Gemeindeordnungen sind ggf. in den Anmerkungen angeführt. Vgl. auch Gützkow, Die neue GO f. Baden-Württ., in DÖV 1956, S. 8 ff., Walz, Die bad.-württ. GO, in DVBl. 1956, S. 220 ff., Weber, Wandlungen der Kommunalverw., in DÖV 1948, S. 19 ff. desgl., D. ungelöste Problematik der GVerf., in DÖV 1959, S. 641 ff., u. Loschelder, Die Entwicklung des KommunalverfR seit 1945, in DÖV 1959, S. 409 ff. 80 Die Gemeinden können auch andere Bezeichnungen, die auf der geschichtlichen Vergangenheit, auf Eigenart und heutiger Bedeutung der Gemeinde beruhen, wie z. B. "Bad" usw. weiterführen. Die Landesregierung kann auf Antrag an Gemeinden solche Bezeichnungen verleihen. Die Bezeichnung "Stadt" führen die Gemeinden, denen diese Bezeichnung nach bisherigem Recht zusteht; die LReg. kann auf Antrag die Bezeichnung Stadt an Gemeinden verleihen, die nach Einwohnerzahl, Siedlungsform und ihren kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnissen städtisches Gepräge tragen. Im übrigen bedarf die Feststellung oder Änderung des Namens einer Gemeinde der Zu-
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bb) An 2. Stelle ist als Merkmal der Gemeinde anzuführen der Grundsatz der sog. Allzuständigkeit. Dieser Grundsatz ist jetzt allgemein bundesverfassungsrechtlich im GG (Art. 28, vgl. o. Buchst. b) festgelegt; er steht insbesondere im Gegensatz zum englischen Recht, wo die Gemeinden für jede einzelne Aufgabe eine Ermächtigung durch besonderes Gesetz oder besondere Verleihung durch das Parlament erhalten haben müssen. Danach haben die Gemeinden, die berufen sind, das Wohl ihrer Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu erhalten, in ihrem Gebiete alle öffentlichen Aufgaben unter eigener Verantwortung zu verwalten, soweit nicht einzelne Aufgaben nach gesetzlicher Vorschrift anderen Stellen ausdrücklich zugewiesen sind oder auf Grund gesetzlicher Vorschrift von anderen Stellen übernommen werden. Durch diesen umfassenden Aufgabenbereich unterscheiden sich die Gemeinden von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten, die für eine einzelne bestimmte Aufgabe gebildet sind (vgl. u. § 27). Durch Gesetz ist z. B. anderen Stellen zugewiesen die Rechtspflege (soweit nicht die Gemeindegerichtsbarkeit nach§ 14 GVG besteht), das Post- und Fernmeldewesen, ferner z. B. die Berufsberatung und die Arbeitsvermittlung sowie die Lehrerstellenvermittlung, die nach § 49 G über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung i. d. F. vom 23. Dezember 1956 (BGBI. I S. 1018) ausschließlich der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zugewiesen ist81 • Auf Grund gesetzlicher Vorschrift können Aufgaben übernommen werden, z. B. von Gemeindeverbänden, wie den Kreisen. Aus der Eigenschaft der Gemeinden als öffentlich-rechtliche Körperschaften ergibt sich, daß sie auch die Pflicht haben, die ihnen zugewiesenen öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen; die hauptsächlichsten Aufgaben der Gemeinden liegen außer in der Verwaltung des Gemeindevermögens in der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich Feuersicherheit und Feuerlöschwesen (Polizei) in der Gemeinde, soweit dies nicht zur Staatsaufgabe erklärt ist, sowie in der Wohlfahrts- und Kulturpflege im Gemeindegebiet, wie namentlich mit Bezug auf das Straßen- und Verkehrswesen einschließlich Pflasterung usw., Entwässerung und Beleuchtung, die Wasserversorgung, das äußere Schulwesen, (während das innere Schulwesen- Unterstimmung des Innenmin. Die Benennung von abgesonderten Gemeindeteilen (Wohnplätze) sowie der innerhalb der bewohnten Gemeindeteile dem öff. Verkehr dienenden Straßen, Plätze und Brücken ist Angelegenheit der Gemeinde. So§ 5 bad.-württ. GO; vgl. noch die Überg.Vorschr. in§ 133 das. 81 Vgl. dazu § 35 G über die Errichtung einer Bundesanstalt f. Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung v. 10. März 1952 (BGBI. I, S. 123). Z. T. ist in den Gemeindeordnungen vorgesehen, daß staatliche Sonderverwaltungen neben der Gemeindeverwaltung nicht bestehen sollen und die vorhandenen Sonderverwaltungen möglichst auf die GVerw. überzuführen sind (vgl. § 2 hess. GO, § 2 schlesw.-holst. GO). Vgl. auch Art. 6 bayr. GO, wonach Ausnahmen von dem Allzuständigkeitsgrundsatz des Gesetzes bedürfen.
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richt und Erziehung - Sache des Staates ist), das Bestattungswesen usf. 82 • Neue Pflichtaufgaben können den Gemeinden fortan entsprechend den Grundsätzen des Rechtsstaates nur durch Gesetz- also nicht durch bloße Verwaltungsverfügung - auferlegt werden, wobei Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen sind (vgl. schon § 54 Fin. Ausgl.G i. d. F. vom 31. Juli 1938, RGBl. I S. 966, und jetzt z. B. § 2 bad.-württ. GO). Besondere Pflichtaufgaben können durch Gesetz auch aus älterer Zeit bestimmt sein. Die öffentlich-rechtlichen Pflichten der Gemeinden, wie z. B. auch eine notwendig werdende Erweiterung eines Friedhofs usw., können nötigenfalls durch Anordnung der Staatsaufsichtsbehörde erzwung,en werden (vgl. u. Ziff. 7). In die Rechte der Gemeinden kann nur im Wege des Gesetzes eingegriffen werden. cc) Die Gemeinden haben das Recht der Selbstverwaltung, das, wie bereits bemerkt, im GG gewährleistet ist: sie verwalten sich selbst unter eigener Verantwortung. Diese eigenverantwortliche Selbstverwaltung steht im Gegensatz zu den Fällen, in denen- wie bei den Auftragsangelegenheiten oder Pflichtaufgaben nach Weisung - den Gemeinden bindende Weisungen erteilt werden können. Diese Selbstverwaltung bezieht sich sowohl auf die Bestellung der Willensträger der Gemeinde, insbesondere auch der obersten, als auch auf die sachliche Erledigung der Gemeindeaufgaben. Das Wirken der Gemeinden muß im Einklang mit den Gesetzen stehen; dadurch vor allem ergibt sich im Zusammenhang mit der Staatsaufsicht die Einordnung der Gemeinden in den Staat, da sich sonst eine Vielheit voneinander unabhängigen Gemeindefreistaaten ergeben würde. Körperschaftliche Selbstverwaltung steht im übrigen, wie früher schon bemerkt, im Gegensatz zur Verwaltung unmittelbar durch den Staat. Von besonderer Bedeutung wird hier die Abgrenzung zwischen Selbstverwaltungs- oder eigenen Angelegenheiten und Auftragsangelegenheiten oder übertragenen Aufgaben (oder Weisungsaufgaben) oder Pflichtaufgaben nach Weisung (nach einem neuerdings z. T. verwendeten Ausdruck, vgl. z. B. Art. 137 hess. Verf., § 4 hess. GO, Art. 78 nordrh.-westf. Verf., § 3 schlesw.-holst. GO, § 2 bad.-württ. GO) zur Erledigung nach Anweisung. Diese Unterscheidung hat ihre erste gesetzgeberische Ausprägung - im Zusammenhang mit der Lehre von der Gemeindegewalt (pouvoir municipal) als einer vierten Gewalt neben den drei anderen Gewalten des Staates- in dem französischen G vom 14. und 22. Dezember 1789 erhalten83 • Eine 82 Vgl. dazu insb. Peters, Grenzen d. kommunalen Selbstverwaltung in Preußen (1926), S. 36, und Handb. d. kommunalen Wiss. u. Praxis, herausg. v. Peters, Bd. 2 (1957) "Verwaltung". 83 "Les corps municipaux auront deux especes de fonctions a rempUr; les unes propres au pouvoir municipal, les autres propres a l'administration generale de !'Etat et deleguees par elle aux municipalites." Vgl. dazu auch Art. 50: Les fonctions propres au pouvoir municipal, sous la surveillance et l'inspec-
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bestimmte, ein für allemal geltende, Abgrenzung zwischen Selbstverwaltungsangelegenheiten und Auftragsangelegenheiten (oder "Pflichtaufgaben nach Weisung", was im Folgenden nicht mehr besonders erwähnt wird) läßt sich nicht aufstellen; es entscheidet darüber der jeweilige Stand der Gesetzgebung. Es kann danach insbesondere eine Angelegenheit, die zu einer gewissen Zeit Seihstverwaltungsangelegenheit war, durch spätere Gesetzgebung zur Auftragsangelegenheit erklärt werden und umgekehrt. Auch bei den "eigenen Angelegenheiten" handelt es sich um öffentliche Aufgaben, die vom Staate durch Gesetz übertragen oder- in Anerkennung einer gewissen geschichtlichen Entwicklung - überlassen sind, aber zur Verwaltung nach eigenem Ermessen; von einem eigenständigen öffentlichen Wirkungsbereich der Gemeinde, von der man z. T. gesprochen hat84, kann jedenfalls im heutigen Recht im Hinblick auf die Einheit der öffentlichen Gewalt und die Einheitlichkeit der Rechtsordnung keine Rede sein. Regelmäßig und in erster Reihe kommt für die Gemeinde der eigene Wirkungskreis in Betracht. Gemäß dem Allzuständigkeitsgrundsatz spricht die Vermutung dafür, daß es sich bei den Gemeindeangelegenheiten regelmäßig um eine Selbstverwaltungsangelegenheit handelt; daß es sich um eine Auftragsangelegenheit handelt, muß sich aus besonderen gesetzlichen Bestimmungen ergeben. Der größere Teil des Aufgabenbereichs der Gemeinden gehört jedenfalls zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten85, mag sich auch in neuerer Zeit mehr und mehr tion des assemblees administratives sont ... de faire jouir les habitants des avantages d'une bonne police, notamment de la proprü~te, de la salubrite, de la surete et de la tranquillite dans les rues, lieux et edifices publics" Man unterscheidet im franz. Recht beim Bürgermeister, daß er handelt "sous l'autorite" der höheren Verwaltung, nämlich als Vertreter des Staates, oder "sous la surveillance" der höheren Verwaltung, nämlich mehr als Vertreter der Gemeindebürgerschaft. - Der eigene Wirkungskreis umfaßt die gesamte wirtschaftliche Verwaltung sowie die örtliche Polizei; jedoch kann der Präfekt die Maßnahmen des Bürgermeisters auf dem Gebiete der Polizei aufheben, während er sonst, abgesehen von der vorherigen Genehmigung zu zahlreichen Verwaltungshandlungen (Veräußerung von Gemeindeeigentum usf.) und einer starken Finanzaufsicht nur die Beschwerde wegen Machtüberschreitung an das Verw.Gericht hat. Zu den Auftragsangelegenheiten gehören insb. der Personenstand und die Volksschulen. Vgl. Hauriou, Precis de droit admin., 11. Auf!. (1927), S. 184, 347, 453, Laubadere, Traite el de droit admin., 2. Aufl. (1957),
s. 131.
Vgl. Gerber, Grundzüge d. D. StaatsR, S. 63, 0. v. Gierke, D. Genoss.R, Bd. 1, S. 761 f. Vgl. auch o. § 24 Anm. 46. 85 Vgl. o. Buchst. b b. Eine nicht erschöpfende Aufzählung findet sich in Art. 83 bayr. Verf. u. Art. 57 bayr. GO: In den eigenen Wirkungskreis der Gemeinde (Art. 11, Abs. 2) gehört insb. die Verwaltung des Gemeindevermögens und der Gemeindebetriebe; der örtl. Verkehr nebst Straßen und Wegebau, die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Licht, Gas und elektr. Kraft; Einrichtungen zur Sichel'ung der Ernährung; OrtspLanung, Wohnungsbau und Wohnungsaufsicht; örtl. Polizei, Feuerschutz; örtl. Kulturpflege, Volks- und Berufsschulwesen und Erwachsenenbildung; Vormundschaftswesen und Wohlfahrtspflege; örtl. Gesundheitswesen; Ehe:- und Mütterbera84
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eine Verschiebung zugunsten der Auftragsangelegenheiten geltend machen, und zwar handelt es sich fast durchweg um Aufgaben auf dem Gebiete der örtlichen inneren und der Finanzverwaltung. In diesen Angelegenheiten hat sich der Staat, soweit er sich nicht eine Mitwirkung in der Form der Genehmigung bei gewissen Gemeindehandlungen vorbehalten hat- wie etwa z. B. bei dem Verkauf und Tausch von Grundstücken, der Aufnahme von Darlehen usw. - auf eine Aufsicht i. e. S., die sog. Staatsaufsicht im Sinn einer Rechtsaufsicht, beschränkt (vgl. u. Ziff. 7), um sicherzustellen, daß die Selbstverwaltung der Gemeinde im Einklang mit den Gesetzen geführt wird. Die Aufsicht hat aber nicht nur die Erfüllung der Pflichten der Gemeinden zu sichern, sondern sie auch in ihren Rechten zu schützen. Im Gegensatz zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten stehen die AuftragsangeLegenheiten. Nach § 2 Abs. 3 bad.-württ. GO können den Gemeinden Pflichtaufgaben "zur Erfüllung nach Weisung" auferlegt werden (Weisungsaufgaben) 86 , wobei das Gesetz den Umfang des Weisungsrechts bestimmt. Solche Auftragsangelegenheiten können genauer der Gemeinde als solcher oder unmittelbar bestimmten Willensträgern der Gemeinde, wie z. B. dem Bürgermeister, übertragen werden87 • Also nur durch Gesetz kann die Zuweisung von solchen Auftrags- oder Weisungsangelegenheiten an die Gemeinden künftighin geschehen; die staatlichen Aufgaben, die ihnen bisher zur Erfüllung nach Anweisung als Auftragsangelegenheiten übertragen worden sind, führen sie vorerst nach den geltenden Vorschriften (als Pflichtaufgaben nach Weisung) weiter (vgl. z. B. § 130 bad.-württ.GO, '§ 116 nordrh.-westf.GO). Es handelt sich hierbei um Aufgaben, die nach dem Willen des Staates aus Gründen des allgemeinen Wohls nur einheitlich für das ganze Staatsgebiet wahrgenommen werden können oder sollen und daher Staatsaufgaben i. e. S. bleiben oder bei den "Pflichtaufgaben nach Weisung" jedenfalls einheitlich gelenkt werden sollen, wenn auch hier die Vorstellung, daß es sich um Staatsaufgaben i. e. S. handelt, nicht mehr vorhanden ist, vielmehr eine "Vergemeindlichung" dieser Aufgaben, d. h. eine Überführung in Selbstverwaltungsangelegenheiten, tung sowie Säuglingspflege; Schulgesundheitspflege und körperl. Ertüchtigung der Jugend; öff. Bäder; Totenbestattun.g; Erhaltung ortsgeschichtl. Denkmäler und Bauten. 86 Eine wenig klare Mischbildung! So auch nordrh.-westf. Verf. (Art. 78) u. GO (§§ 3 Abs. 2, 106), wonach den Gemeinden Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden können, wobei das G den Umfang des Weisungsrechts bestimmt; jedoch verbleibt es nach § 116 GO bis zum Erlaß neuer Vorschriften dabei, daß die Gemeinden die ihnen zur Erfüllung nach Weisung übertragenen staatlichen Angelegenheiten (Auftragsangelegenheiten) nach den bisherigen Vorschriften durchführen. 87 In Nordrhein-Westfalen führt der Gemeindedirektor die "Weisungen, welche die Landesregierung bei Pflichtaufgaben (§ 3 Abs. 2) erteilt, unter der Kontrolle des Rats und der Verantwortung ihm gegenüber durch".
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stattgefunden hat. So z. B. das Standesamtswesen88 , das innere Schulwesen (vgl. o. bb) - wie auch heute die Lehrer an den Volks- und Berufsschulen meist Staatsbeamte sind - , die Tätigkeit zur Durchführung von Wahlen für Bund oder Land, auf dem Gebiete des staatlichen Finanzwesens z. B. die Erhebung von Steuern, die Flüchtlingsfürsorge und die Wohnraumbewirtschaftung89 , ferner z. T. die Ortspolizei, wie früher in Preußen (seit 1808 und noch nach dem PolizeiverwG von 1931), wogegen sie bis jetzt in Württemberg und in Baden, jetzt auch in Baden-Württemberg (vgl. §§ 49 ff. PolizeiG v. 21. November 1955, GBI. S. 249) und Bayern (vgl. Art. 83 bayr. Verf.) zwar Selbstverwaltungsangelegenheit ist, aber doch so behandelt wird, als wäre sie Auftragsangelegenheit90 • In diesen Auftragsangelegenheiten ist die Gemeinde nicht nur an das Gesetz gebunden; hier entscheidet der Wille des Staates, und nicht der der Gemeinde, so, als ob die Gemeinde dem 88 Vgl. §51 PStG i. d. F. v. 8. Aug. 1957 (BGBL I, S. 1126): "Die den Standesämtern obliegenden Aufgaben sind Angelegenheiten des Staates, die den Gemeinden zur Erfüllung nach Anweisung übertragen werden." 89 Vgl. §§ 26, 165 a RAbg.O. Nach §§ 16 ff., 22 d. G über die Finanzverwaltung v. 6. Sept. 1950 (BGBl. I, S. 448), abg. durch G v. 21. Aug. 1951 (BGBl. I, S. 774), kann der BFin.Min. mit Zustimmung der LReg. aus dem Aufgabenkreis der Hauptzollämter einzelne Arbeiten von Geschäften, insb. die Erhebung, Beitreibung, Zustellung oder Bearbeitung von Stundungsangelegenheiten, sei es allgemein, sei es für eine oder mehrere Abgaben, an Behörden der Gemeinden oder Gemeindeverbände übertragen und die Übertragung vorbehaltlich abweichender Vereinbarung zurücknehmen; es haben dann die betr. Behörden den Weisungen der BFinanzbehörden zu folgen. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Aufgabenbereichs der Finanzämter (auf dem Gebiete der Besitz- und Verkehrssteuern). Vgl. im übrigen das WohnraumbewirtschaftungsG v. 31. März 1953 (BGBl. I, S. 97), § 1, Abs. 2. Im Kriege und in der Nachkriegszeit war insb. auch das Ernährungs- und Bewirtschaftungswesen (Lebensmittel- und Bezugscheinwesen) Auftragsangelegenheit, soweit sie von den Gemeinden (und nicht von den Landkreisen) besorgt wurden (wie z. B. in größeren Städten). 90 In Württemberg war die Ortspolizei schon nach dem Organisationsedikt vom 31. Dez. 1818 (§§ 3,14 d. 1. Edikts) und damit übereinstimmend nach dem Verwaltungsedikt für die Gemeinden, Oberämter und Stiftungen vom 1. März 1822 (§§ 3, 14) als - vom Bürgermeister namens der Gemeinde zu handhabende- eigene Gemeindeangelegenheit, wohl im Anschluß an das frühere Recht, anerkannt, die jedoch als Auftragsangelegenheit behandelt wurde. Vgl. § 44 d. 1. Edikts, Beil. z. Edikt v. 1818 = '§ 112 d. Verw.Edikts v. 1822, wonach der Oberamtmann (Landrat) über die wirkliche Ausübung dieser Polizeigewalt die strenge und beständige Aufsicht zu führen, diesfallsige örtliche Anordnungen nach vorgängiger Prüfung von Amts wegen zu unterstützen, unter sich selbst und mit den Landespolizeigesetzen in Übereinstimmung zu erhalten hat. In der Oberamtsstadt hatte der Oberamtmann weitergehend die Befugnis und die Pflicht, in allen wichtigeren und dringenden Fällen unmittelbar und persönlich einzuschreiten (§ 45 Org.edikt, § 113 Verw.edikt). - Die Landespolizei hatte der Ortsvorsteher "im Namen und aus beständigem Auftrag der Regierung" zu handhaben (§ 14 Org.edikt, § 14 Verw.edikt). - In Baden, wo die Ortspolizei in der GO von 1831 als Auftragsangelegenheit bestimmt war (vgl. §§ 6 Abs. 2,64), wurde sie erst in der GO von 1921 als Selbstverwaltungsangelegenheit bestimmt, die jedoch wie eine Auftragsangelegenheit behandelt wurde(§ 7).
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staatlichen Behördenaufbau eingegliedert wäre. Es können ihr nämlich mit Bezug auf die Wahrnehmung dieser Verwaltungsaufgaben Anweisungen allgemeiner Art oder für den Einzelfall gegeben werden, aber auch ihre Anordnungen als solche von den Staatsbehörden als ihren vorgesetzten Dienstbehörden aufgehoben oder geändert werden. Es handelt sich hier nicht um eine bloße sog. "Staatsaufsicht" i. e. S. als eine sog. Rechtsaufsicht, wie bei den Selbstverwaltungsangelegenheiten, sondern um eine Art der Dienst- oder - wie man sich jetzt besser ausdrückt, da die Staatsbehörde nicht für die persönlichen dienstlichen Angelegenheiten der betreffenden Beamten zuständig sind- Fachaufsicht der übergeordneten Staatsstellen. Hier kommt ein selbständiges freies Verwaltungsermessen im Rahmen der Gesetze für die Gemeinde wie bei den Selbstverwaltungsangelegenheiten nicht in Betracht; die Gemeinde ist vielmehr, mit Bezug auf Zweckmäßigkeitsfragen, an die dienstlichen Weisungen der Staatsbehörde gebunden, also auch bei Maßnahmen im Einzelfalle im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften91 • Neuerdings gehen die Gemeindeordnungen z. T. auf eine Einschränkung dieses Weisungsrechts, indem Voraussetzung und Umfang des Weisungsrechts durch Gesetz begrenzt oder von vornherein bestimmt wird, daß die Weisungen sich auf allgemeine Anordnungen beschränken und nicht zur Regelung von Einzelfällen erlassen werden sollen. Zur Durchführung dieser Aufgaben stellen die Gemeinden die dazu erforderlichen Dienstkräfte, Einrichtungen und Mittel zur Verfügung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Insbesondere auch im Hinblick auf die sich daraus für die Gemeinden ergebenden Belastungen können ihnen ganz allgemein neue Pflichten nur durch Gesetz, nicht durch Verwaltungsvorschrift auferlegt werden. Die von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Dienstkräfte bleiben aber solche der Gemeinde, d. h. sie stehen im Dienste der Gemeinde, welche die Kräfte nach ihrem Ermessen auswählt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, und die Dienstaufsicht i. e. S., d. h. in persönlichen Angelegenheiten über sie, führt; daraus ergibt sich auch u. a., daß die Amtshaftung auch bei der Besorgung von Auftragsangelegenheiten grundsätzlich die Gemeinde als den Dienstherrn, und nicht den Staat trifft (vgl. dazu u. 4. Buch). J:?er Staat benutzt in diesen Fällen die Kräfte und Einrichtungen der Gemeinde, statt einen u. U. kostspieligen eigenen Verwaltungsunterbau mit eigenen Behörden und Beamten einzurichten, die vielleicht nicht vollbeschäftigt wären und doch vorwiegend für die Gemeinde und ihre 91 Nach Art. 8 bayr. GO können den Gemeinden, insb. den kreisfreien Gemeinden, Angelegenheiten auch zur selbständigen Besorgung übertragen werden, so daß sie dann nach eigenem Ermessen tätig sein können und hierbei nur an die Gesetze gebunden sind. - Vgl. im übrigen z. B. § 4 hess. GO, wo weiter bestimmt ist, daß die Weisungen sich auf allgemeine Anordnungen beschränken und in der Regel nicht in die Einzelausführung eintreten sollen; desgl. § 3 niedersächs. GO. Vgl. auch noch §§ 3, 130 schleswig-holst. GO.
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Angehörigen usf. tätig zu sein hätten; deshalb fällt auch der Kostenaufwand der Gemeinde zur Last 92 • Auf der anderen Seite aber bedeutet es für die Bevölkerung der Gemeinden eine Erleichterung, wenn sie sich hierbei an eine im allgemeinen leichter erreichbare Gemeindestelle wenden kann, wie z. B. bei einer Trauung, als an die staatliche untere Behörde, wie z. B. bisher den Landrat 93 • dd) Die Gemeinden haben außer dem Selbstverwaltungsrecht im gewissen Umfang auch die Befugnis zur Rechtssetzung, d. h. das Recht, durch Satzung Rechtsvorschriften zu erlassen (vgl. dazu auch o. § 14). Sie können nämlich ihre eigenen Angelegenheiten, d. h. ihre Verfassung und Verwaltung, im Rahmen der Gesetze- d. h. hier im Rahmen der übergeordneten Rechtsordnung - durch Satzung regeln, soweit die Gesetze keine Vorschriften enthalten oder den Erlaß von Satzungen ausdrücklich vorschreiben, wie z. B. hinsichtlich der Haushaltssatzung, oder gestatten, wie z. B. für die der Volksgesundheit dienenden Einrichtungen ~§ 18 DGO, entspr. z. B. § 11 bad.-württ. G0) 94 • Es handelt sich hierbei nicht lediglich um innerdienstliche Anordnungen für Verwaltungsangelegenheiten der Gemeinde, wofür Weisungen allgemeiner Art oder im Einzelfalle in Betracht kommen, sondern um Rechtssätze, d. h. um Anordnungen, durch die der Willensmachtkreis der Gemeinde und der Gemeindebürger, Gemeindeeinwohner oder der sonst in der Gemeinde sich aufhaltenden Personen auf dem Gebiete der Verfassung und Verwaltung abgegrenzt wird; so z. B. die Festsetzung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinde, z. B. der Müllabfuhr, die Anordnung von Hand- und Spanndiensten zur Erfül92 Nach Art. 8 Abs. 4 bayr. GO sind bei der Zuweisung von Übertragungsangelegenheiten gleichzeitig die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Ebenso bei neuen Pflichtaufgaben § 2 bad.-württ. GO. Vgl. auch noch Art. 106 Abs. 7 GG wegen des Ausgleichs für Sonderbelastungen, die einzelnen Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) durch besondere Einrichtungen des Bundes entstehen, und ferner z. B. §51 BWahlG v. 7. Mai 1956 (BGB 1 I, S. 383) wegen des Ersatzes der notwendigen Bundeswahlkosten. 93 Entsprechend den angegebenen Begriffsmerkmalen bestimmt Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung (1926), S. 54, den Begriff der Gemeinde als eine mit dem Rechte der Selbstverwaltung und mit vom Staate abgeleiteter Herrschaftsgewalt über ein bestimmtes Gebiet ausgestattete öffentlich-rechtliche Körperschaft, welche sämtliche innerhalb dieses Gebietes zu erledigenden öffentlichen Aufgaben, die von keiner anderen Stelle erfüllt werden, entsprechend ihren Kräften zu übernehmen hat. 94 Vgl. schon§ 115 II 8 pr. ALR. So kann z. B. eine Stadt durch Satzung die Beseitigung der Abgangsstoffe (Fäkalienabfuhr) zu einer Gemeindeangelegenheit machen. Daneben ist die Ortspolizeibehörde befugt, durch PolizeiVO die Verpflichtung der Grundbesitzer auszusprechen, die Grubenräumung nur durch die von der Stadt dazu bestimmten Personen bewirken zu lassen und auf Grund einer solchen Vorschrift die Vornahme der Abfuhrarbeiten durch andere Personen, wenn solche durch die Grundbesitzer hierzu bestellt werden, polizeilich zu verbieten. Dagegen kann im Hinblick auf die in § 1 GewO und jetzt Art. 2, 12 GG bestimmte Gewerbefreiheit nicht der Betrieb einer Beseitigung von Auswurfstoffen als solcher verboten werden. Vgl. dazu Pr. OVG, Bd. 32, S. 295.
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lung gemeindlicher Aufgaben95. Da es sich um die Regelung von Selbstverwaltungsangelegenheiten handeln muß, kommt demgemäß hier die Regelung von bürgerlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen - etwa der Gemeindeangehörigen untereinander - nicht in Betracht; die Regelung von polizeilichen Angelegenheiten nur, wenn sie zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten gehören, soweit nicht hinsichtlich des Erlasses von ortspolizeiliehen Vorschriften besondere gesetzliche Regelungen vorhanden sind, oder, soweit sie zu den Weisungsangelegenheiten gehören, kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung der Erlaß von Satzungen zugelassen ist 96 . Mit Bezug auf ihr räumliches Geltungsgebiet kann sich die Satzung beziehen auf das ganze Gemeindegebiet oder einen Teil davon, was namentlich auch im Falle von Eingemeindungen eine Rolle spielen kann, indem bisheriges Ortsrecht der einzuverleibenden Gemeinde u. U. als künftig bloßen Ortsteils bestehen bleiben kann (vgl. o. § 15 Ziff. li u. u. Ziff. 2); auf der anderen Seite kann sie auch nicht darüber hinausreichen, wie z. B. bei einer Wasserleitung einer Gemeinde, die sich auch auf einen benachbarten anderen Gemeindebezirk erstreckt; ein Anschlußzwang nach § 18 DGO und entsprechend jetzt § 11 bad.-württ. GO usf. kann wohl bezüglich der Grundstücke der eigenen Gemeinde, nicht aber bezüglich der anderen Gemeinde, hinsichtlich deren jene keine Herrschaftsgewalt hat, vorgeschrieben werden97. Aus der Einordnung der Gemeinde in den Staat und daraus, daß die Rechtsetzungsbefugnis eine von ihm abgeleitete und rechtlich begrenzte Befugnis ist, müssen sich die Satzungen im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung halten und dürfen die Rechtssätze der Satzung nicht in Widerspruch stehen mit den staatlichen Rechtssätzen als den höherrangigen, insbesondere mit einem Gesetz oder auch einer Verordnung; dies gilt auch dann, wenn eine VO auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung, wie z. B. bei einer PolizeiVO, durch eine Stelle der Gemeinde erlassen ist98 . Herausgehoben als eine besondere Art der Gemeindesatzung ist die sog. Hauptsatzung, die zur Regelung der ihr in der GO vorbehaltenen Angelegenheiten, sozusagen als Verfassungssatzung der Gemeinde 99 , dient, z. B. etwa mit Bestimmungen über die 95 Vgl. hierzu z. B. Art. 24, bayr. GO,§ 10 bad.-württ. GO. 96 Vgl. dazu auch Maunz, Verwaltung (1935), S. 134. - Nach neueren Ge-
meindeordnungen können Satzungen zur Regelung von Pflichtaufgaben nach Weisung nur in den gesetzlich bestimmten Fällen erlassen werden. Vgl. z. B. Art. 23 bayr. GO, § 4 bad.-württ. GO, § 6 niedersächs. GO. 97 Vgl. Maunz, a. a. 0. 98 Jetzt werden in verschiedenen deutschen Ländern freilich die ortspolizeil. Verordnungen vom Gemeinderat erlassen, so daß solche Widersprüche sich dann seltener herausstellen werden, was aber z. B. für Baden-Württemberg nach dem PolizeiG v. 21. Nov. 1955 nicht zutrifft (vgl. §§ 13, 49 Abs. 1), wonach der Bürgermeister Ortspolizeibehörde ist. 99 Vgl. z. B. §§ 4, 39 bad.-württ. GO, § 4 nordrh.-westf. GO, § 4 schl.-holst. GO. 42*
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Übertragung bestimmter Aufgaben an sog. beschließende Ausschüsse des Gemeinderats zur Selbsterledigung unter Bindung an Weisungen des Gemeinderats, die Bewilligung einer angemessenen Aufwandsentschädigung für den ehrenamtlich tätigen Bürgermeister usf. Im Gegensatz zum früheren Recht bedarf der Erlaß einer Gemeindesatzung nach denneueren Gemeindeordnungen i. S. einer weitergehenden freien Stellung der Gemeinde im allgemeinen nicht der Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde. Dieses Erfordernis kann freilich gesetzlich für besondere Fälle bestimmt sein: dies gilt insbesondere hinsichtlich der Hauptsatzung, ferner namentlich bei dem Erlaß von Satzungsbestimmungen mit rückwirkender Kraft, soweit dies nicht überhaupt ausgeschlossen ist100 , desgl. z. T. für die Haushaltssatzung, z. B. mit Bezug auf die für den jeweiligen Haushaltsplan festzusetzende Höhe der Steuersätze nach den darüber bestehenden Vorschriften der Grund- und Gewerbesteuergesetze - sog. Hebesätze -, den Höchstbetrag der Kassenkredite und des Darlehensbetrags im außerordentlichen Haushaltsplan, ferner beim Erlaß von Vorschriften über den Anschluß- und Benutzungszwang bezüglich öffentlicher, der Volksgesundheit dienenden, Einrichtungen der Gemeinde 101 . Die Gemeinde hat Satzungen, da sie an die Allgemeinheit gerichtet sind, öffentlich bekanntzumachen102. Die Satzung tritt, wenn kein anderer Zeitpunkt bestimmt ist, im allgemeinen am Tage nach der Bekanntmachung in Kraft 103 ; sie kann, wie bereits erwähnt, z. T. auch- soweit dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist - mit rückwirkender Kraft erlassen werden, jedoch wegen der u. U. weit einschneidenden Wirkung nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde10', um Beschwerden der Beteiligten möglichst zu verhüten. Jedoch kann u. U. der Rückwirkung einer bestimmten Satzung aus rechtsstaatliehen Gründen, insofern sich die Beteiligten mit ihrem Verhalten nicht darauf einstellen konnten, die Rechtsgültigkeit überhaupt abzusprechen sein. ee) Eine Gerichtsbarkeit hat die Gemeinde nur noch in Baden-Württemberg auf Grund des Vorbehalts des § 14 Ziff. 3 GVG i. d. F. von 1950, wonach als besondere Gerichte außer den Schiffahrtsgerichten gemäß § 13 GVG zugelassen sind Gemeindegerichte für die Verhandlung 100 So § 4 bad.-württ. GO. Vgl. im übrigen Art. 25 bayr. GO, § 4 nordrh.westf. GO,§ 4 schles.-holst. GO,§ 7 niedersächs. GO. 101 Für Baden-Württemberg vgl. jetzt§§ 101, 121 Abs. 2 GO. 102 Als Tag der Bekanntmachung durch eine Zeitung ist nicht die Tagesangabe in der betr. Nummer entscheidend, sondern der Tag, an dem sie regelmäßig an die Besteller in dem betr. Ort gelangt. Vgl. hierzu Pr. OVG, Bd. 25. S.118.
103 Nach § 4 bad.-württ. GO sind Satzungen der Rechtsaufsichtsbehörde lediglich anzuzeigen. 104 Vgl. dazu § 6 niedersächs. GO. Dagegen ist, wie o. schon erwähnt, in § 4 bad.-württ. GO ausdrücklich bestimmt, daß den Satzungen keine rückwirkende Kraft beigelegt werden darf.
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und Entscheidung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, deren Streitwert 100 DM nicht übersteigt, vorbehaltlich der Berufung auf den ordentlichen Rechtsweg gegen die Entscheidung durch den Kläger wie den Beklagten innerhalb der gesetzlich zu bestimmenden Frist; der Gerichtsbarkeit des Gemeindegerichts dürfen als Kläger oder Beklagte nur Personen unterworfen werden, die in der Gemeinde den Wohnsitz, eine Niederlassung oder i. S. der§§ 16, 20 ZPO den Aufenthalt haben. ff) Als Gebietskörperschaft hat die Gemeinde eine räumliche Grundlage, das Gemeindegebiet oder die Gemeindegemarkung. Die Gemeinde kann mit ihrer öffentlichen Gewalt, wie schon bemerkt, alle ergreifen, die sich auf dem Gebiet der Gemeinde persönlich oder mit Vermögen befinden, da und solange sie sich darauf befinden (vgl. u. Ziff. 2). gg) Als Körperschaft hat die Gemeinde zugleich eine persönliche Grundlage. Hierbei ist der Unterschied von Gemeindeeinwohnern und Gemeindebürgern von Bedeutung (vgl. u. Ziff. 3). hh) Die oberste Willensträgerschaft der Gemeinde steht infolge der vollen Durchführung des volksherrschaftliehen Gedankens in Staat und Gemeinde der Bürgerschaft, d. h. der Gesamtheit der wahlberechtigten Einwohner, zu. Im übrigen ist eine unmittelbare Beteiligung der Gemeindebürger an der Erledigung der Gemeindeangelegenheiten nur in kleinen Gemeinden in einer sog. Gemeindeversammlung' 05 tatsächlich möglich und rechtlich vorgesehen, während im übrigen - von den Wahlen oberster Willens- und Amtsträgern der Gemeinde, sowie von der Willensäußerung bei Gebietsänderungen abgesehen106 - eine von der Bürgerschaft gewählte sog. Gemeindevertretung - vergleichbar der Volksvertretung im Staate- als oberste Verkörperung des Willens der Bürgerschaft gilt; eine neuere Einrichtung ist die des Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids nach Art des Volksbegehrens und Volksentscheids z. T. in den Ländern und früher auch im Reiche der Weimarer Zeit107, dagegen nur ganz vereinzelt nach dem GG (Art. 29) im Bunm In Baden-Württemberg nur in Gemeinden mit nicht mehr als 200 Einw.
(§ 23 GO), in Hessen nicht mehr als 100 Einw. (§ 80 GO); in Schleswig-Holstein nur bis zu 50 Einw. (§ 73 GO); in Niedersachsen bis 100 Einw. (durch Haupt-
satzung auch in Gemeinden bis 200 Einw., § 75 GO). 108 Vgl. Art. 11 Abs. 2 bayr. GO, § 14 nordrh.-westf. GO. 107 Nach § 21 bad.-württ. GO kann der GR mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, daß eine wichtige Gemeindeangelegenheit - u. a. die Entscheidung darüber, ob eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde, die der Gesamtheit der Einwohner zu dienen bestimmt ist, errichtet oder wesentlich erweitert werden soll, die Änderung der Verfassungsform, die Bildung einer Bürgermeisterei sowie sonstige in der Hauptsatzung bestimmte Angelegenheiten - der Entscheidung der Bürger (Bürgerentscheid) unterstellt wird, wobei jedoch gewisse Angelegenheiten (Weisungsaufgaben, Haushaltssatzung usw.) ausgenommen sind. Über wichtige Gemeindeangelegenheiten kann auch die Bürgerschaft einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren); zu dessen Zustandekommen bedarf es einer bestimmten Anzahl von Stimmen, z. B. in Gemeinden bis 40 000 Einwohnern der Stimmen eines Viertels der Bürger usf. Ein Bürgerentscheid ist zustande
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§ 25. Die gebietliehe Selbstverwaltung
desfreistaat. Die Gestaltung ist hierbei nach den deutschen Gemeindeordnungen verschiedenartig: entweder ist die gewählte Gemeindevertretung (Gemeinderat, Rat der Gemeinde) der einzige, gemeindeverfassungsmäßig unmittelbare oberste Willensträger der Gemeinde (nach der Bürgerschaft), dem die Verwaltung der Gemeinde zusteht, so daß die in der Gemeindeverwaltung Tätigen lediglich einen Auftrag von ihm zur Verwaltung herleiten; oder aber es ist für die Besorgung der laufenden Verwaltungsgeschäfte ein besonderer Willensträger vorhanden, während die Gemeindevertretung auf die Beschlußfassung in gewissen wichtigen Gemeindeangelegenheiten, wie z. B. beim Erlaß von Satzungen, bei Gebietsänderungen, bei Haushaltsfestsetzung usw. beschränkt ist. Jener Träger der laufenden Gemeindeverwaltung kann 'entweder von den Bürgern unmittelbar, oder aber von der Gemeindevertretung gewählt sein; am schärfsten ist diese Unterscheidung durchgeführt, wenn der Willensträger der laufenden Verwaltung- ebenso wie die Gemeindevertretung selbst - von der Bürgerschaft unmittelbar gewählt wird und, trotz des Vorrangs der Gemeindevertretung insbesondere mit der Bestimmung der allgemeinen Verwaltungsgrundsätze, ein bestimmt abgegrenzter Zuständigkeitsbereich für einen solchen weiteren gemeindeverfassungsmäßig unmittelbaren Willensträger der Gemeinde vorgesehen ist. Eine Mischbildung ergibt sich, wenn dieser Träger der laufenden Gemeindeverwaltung zugleich "geborenes" Mitglied und Vorsitzender der Gemeindevertretung ist, der zugleich deren Beschlüsse vorzubereiten und auszuführen hat. Der Willensträger der laufenden Verwaltung kann wiederum entsprechend dem Gang der geschichtlichen Entwicklung (vgl. o. Buchst. b) unter Durchführung des Gesamtverwaltungsgrundsatzes aus einer Mehrheit von Personen (sog. Ratsverfassung) oder aber aus einer einzelnen Person (sog. Bürgermeisterverfassung) bestehen. Vgl. im übrigen unten Ziff. 4). 2) Die räumliche Grundlage der Gemeinde Nach§ 4 DGO und so auch nach§ 7 bad.-württ. GO soll das Gebiet der Gemeinde so bemessen sein, daß die örtliche Verbundenheit der Eingekommen, wenn mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten gültig abgestimmt hat; verneinendenfalls hat der GR die Angelegenheit zu entscheiden. Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines endgültigen Gemeinderatsbeschlusses und kann innerhalb von 5 Jahren nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden. - Einer engeren Verbindung zwischen Gemeindeverwaltung und Bürgerschaft dient auch die neue Einrichtung der Bürgerversammlungen zur Unterrichtung der Einwohner durch den GR vermittels des Bürgermeisters über wichtige· Gemeindeangelegenheiten, so oft die Erörterung einer solchen als geboten erscheint. Der Bürgermeister beruft die Bürgerversammlung ein und leitet sie. Vgl. des Näheren § 20 bad.-württ. GO. Vgl. ferner Art. 18 bayr. GO. Weniger weitgehend § 66 hess. GO (öffentliche Rechenschaftsberichte über wichtige Fragen der Gemeindeverwaltung).
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wohner gewahrt und die Leistungsfähigkeit der Gemeinde zur Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist. Das Gemeindegebiet, die Gemarkung der Gemeinde, bilden die Grundstücke, die nach geltendem Recht zu ihr gehören108 ein Grundsatz, der z. B. schon lange in Württemberg galt - 109• Grenzstreitigkeiten werden von der (Rechts-)Aufsichtsbehörde entschieden110 • Das Gemarkungsrecht ist aus einer Abspaltung des früheren markgenossenschaftliehen Gesamtrechts hervorgegangen; es hat sich geschichtlich nach der Ausbildung des Sondereigentums an den Grundstücken davon als obrigkeitliche Gewalt losgelöst und verselbständigt und ist jetzt als ein öffentlich-rechtliches Herrschaftsrecht dinglicher Natur - entsprechend der Gebietshoheit des Staates, nur eben nicht ursprünglicher Art, wie diese - aufzufassen111 • Aus besonderen Gründen können Grundstücke außerhalb einer Gemeinde verbleiben (gemeindefreie Grundstücke), wie z. B. große Waldgrundstücke usw. Gemeindegrenzen können aus Gründen des öffentlichen Wohls geändert werden. Zwei Formen kommen hierbei in Betracht: entweder eine freie Vereinbarung der beteiligten Gemeinden mit staatlicher Genehmigung oder - auch entgegen dem Willen der beteiligten Gemeinden - durch Gesetz, wie z. B. bei der Neubildung oder Auflösung einer Gemeinde. In der Vereinbarung oder im Gesetz sind zugleich Bestimmungen über den Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit, die Rechtsnachfolge, das Ortsrecht-wie z. B. die Ausdehnung der Geltungskraft von Ortssatzungen und Polizeivorschriften, etwa der aufnehmenden Gemeinde auf die aufgenommene, und die Fortgeltung von Rechtssätzen der aufgenommenen Gemeinde innerhalb von deren bisherigem Gebiet für eine bestimmte Anzahl von Jahren _m, die neue Verwaltung - wie z. B. die Ausdehnung von öffentlichen Einrichtungen der einverleibenden Gemeinde auf die einzuverleibende, etwa bezüglich der "Wasserversorgung, der Straßenbahnen usf. - und die Vermögensauseinandersetzung zu treffen 113 • - Die rechtsgültig getroffene Regelung Vgl. schon Art. 185 Frankfurter RV. Vgl. schon Org.edikt (1. Edikt) v. 31. Dez. 1818, § 1, Verw.edikt für die Gemeinden usf. v. 1. März 1822, § 1. 11o Vgl. z. B. § 7 bad.-württ. GO. 111 Vgl. Walther Merk, GemarkungsR, S. 27. 112 Vgl. Art. 74 bad.-württ. Verf. Nach§ 8 bad.-württ. GO können freiwillige Gebietsänderungen von den Gemeinderäten der beteiligten Gemeinden mit der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder beschlossen werden, nachdem vor der Beschlußfassung die Bürger gehört worden sind, die in dem von der Grenzänderung betroffenen Gebietsteil wohnen. Die Vereinbarung bedarf der Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde. Die Neubildung einer Gemeinde sowie die Änderung von Gemeindegrenzen, durch die das Gebiet von Landkreisen betroffen wird, bedürfen eines Gesetzes. Unbedeutende Gebietsänderungen werden von der oberen Rechtsaufsichtsbehörde ausgesprochen. Eine Berücksichtigung des Willens der betroffenen Bevölkerung sehen auch vor Art. 11 bayr. GO.,§ 14 nordrh.-westf. GO. V.l(l. noch !HO niedersächs. GO. tos
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begründet Rechte und Pflichten der Beteiligten und bewirkt den Übergang, die Beschränkung und Aufhebung dinglicher Rechte; die Aufsichtsbehörde ersucht die zuständigen Behörden um die Berichtigung des Grundbruchs und anderer öffentlicher Bücher. 3) Die persönliche Grundlage der Gemeinde
Von Bedeutung ist hier die UnterscheidWlig zwischen Gemeindeeinwohnern (früher Schutzverwandten) und Gemeindebürg.ern. Seit dem Mittelalter hatte sicll der Unterschied zwischen Gemeindeangehörigen (Einsassen, Heimatberechtigten) 114 und Gemeindebürgern einerseits und den Schutzverwandten andererseits ausgebildet. Die Gemeindeangehörigkeit im allgemeinen berechtigte, sich in der Gemeinde niederzulassen, sich zu verheiraten, Gewerbe zu treiben, Grundstücke zu erwerben, Anteil an dem Allmendvermögen zu haben, ferner im Falle der Hilfsbedürftigkeit, auch im Falle längerer Abwesenheit von der Gemeinde, Unterstützung von ihr in Anspruch zu nehmen115 ; auf der anderen Seite verpflichtete sie zum Gehorsam gegenüber den Satzungen der Gemeinde und zur Mittragung an den öffentlichen Lasten der Gemeinde. Die Gemeindeangehörigkeit in diesem Sinne wurde erworben durch eheliche Geburt von bzw. Heirat mit einem Gemeindeangehörigen und Aufnahme eines Ortsfremden; sie wurde verloren durch freiwillige Aufgabe oder durch Ausschluß (wegen Verbrechen usw.). Dagegen war das Bürgerrecht, das - auf der Gemeindeangehörigkeit aufbauend insbesondere zur Ausübung von politischen Rechten, Wahlrechten und zur Bekleidung von Ämtern berechtigte, an die Erfüllung bestimmter weiterer Voraussetzungen (Erreichung eines bestimmten Lebensalters, männliches Geschlecht, Besitz eines den Unterhalt der Familie sichernden Vermögens oder Nahrungszweigs usw.) gebunden. Neben den Gemeindeangehörigen standen diejenigen, die sich in der Gemeinde niedergelassen hatten, als sog. Schutzverwandte, welche die Rechte, wie sie die Gemeindeangehörigen und Gemeindebürger besaßen, nicht hatten, insbesondere nicht das Recht, ein Gewerbe zu betreiben, soweit nichts Besonderes galt. Nachdem dann nach der franz. Staatsumwälzung von 1789 jene Unterscheidung aufgegeben und nunmehr Rechte und Pflichten unmittelbar kraft Gesetzes an den Erwerb und Verlust des Wohnsitzes durch einen Staatsangehörigen in der Gemeinde ohne besondere Aufnahmehandlung geknüpft waren (Grundsatz der Einwohnergemeinde) wurde diese Neuerung im Laufe des 19. Jh. mehr und mehr 113 Wegen der Änderung von Polizeibezirken und der Einwirkung auf das PolizeiR vgl. noch § 39 pr. PVG u. o. § 15 Ziff. II. 114 Dieses sog. Heimatsrecht bestand in Bayern noch bis zur Einführung des UnterstützungswohnsitzG i. J. 1917 gemäß dem RGes. v. 30. Juni 1913. tts Vgl. Schön, a. a. 0., S. 244 ff.
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aufgenommen. Aus der ursprünglichen Bürgergemeinde hat sich mehr und mehr im Laufe des 19. Jh. die sog. Einwohnergemeinde entwickelt, insbesondere zunächst in den Städten, dann aber auch in den Landgemeinden, mit der Einführung von Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, in dem Sinne, daß der Staatsbürger durch Wohnsitznahme in der Gemeinde - vielleicht nach Ablauf einer bestimmten kürzeren Frist, z. B. von 6-12 Monaten zum Einleben in die Verhältnisse der Gemeinde - ohne weiteres auch Gemeindebürger wird und damit die öffentlichen Rechte - Wahl- und Stimmrechte - eines solchen ausüben kann und die Fähigkeit zur Bekleidung von Gemeindeämtern besitzt. Reste des alten Gemeindeangehörigkeitsrechts (Heimatrecht, Einsassenrecht, Ortsbürgerrecht) haben sich noch z. T. erhalten in der Berechtigung zum Allmendgenuß in nichtstädtischen Gemeinden und z. T. auch noch- wie in Bayern vor der Einführung des UnterstützungswohnsitzG i. J. 1917 - in dem Recht auf Unterstützung auch für den Fall d€s Wegzugs. Weiter aber kam der Einwohnergrundsatz auch darin zum Ausdruck, daß jeder, der in der Gemeinde wohnt, als sog. Gemeindeeinwohner gewisse Pflichten und Rechte hat; ja, man ging z. T. sogar dazu über, in den Gemeindeordnungen zunächst von den Gemeindeeinwohnern zu sprechen und in den Gemeindebürgern nur eine besondere Art der Gemeindeeinwohner - "wahlberechtigte Einwohner", wie siez. T. genannt wurden- zu sehen. Immerhin besteht auch jetzt noch ein Unterschied zwischen den bloßen Gemeindeeinwohnern i. e. S. - entsprechend den früheren Schutzverwandten in gewisser Richtung- und den Gemeindebürgern, insbesondere mit Bezug auf die Ausübung von Wahl- und Stimmrechten, wobei vor allem der Besitz bzw. Nichtbesitz der deutschen Staatsangehörigkeit oder weitergehend die Eigenschaft als Deutscher i. S. d. Art. 116 GG von Bedeutung ist. Gemeindeeinwohner ist jetzt, wer in der Gemeinde wohnt, d. h. eine Wohnung in ihr unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung b€ibehalten und benutzen wird (so früher § 5 der 1. DurchfVO zur DGO), gleichviel ob er Deutscher, Ausländer oder Staatenloser ist; Gemeindebürger ist dagegen, wer das Bürgerrecht in der Gemeinde besitzt (vgl. § 1 bad.-württ. GO).
aa) Die Gemeindeeinwohner sind im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen; auf der anderen Seite sind sie verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen. Personen, die in der Gemeinde ein Grundstück besitzen oder ein Gewerbe betreiben, aber nicht in der Gemeinde wohnen, sind in derselben Weise berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen, die in der Gemeinde für Grundbesitzer oder Gewerbetreibende bestehen, und verpflichtet, für ihren Grundbesitz oder Gewerbebetrieb zu den Gemeindelasten beizutragen. Für juristische
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Personen z. B. auch den Staat als Fiskus, Aktiengesellschaften usf. sowie nichtrechtsfähige Personenvereinigungen gilt das Gesagte entsprechend, wenn sie den Sitz oder Ort der Geschäftsleitung in der Gemeinde haben (so z. B. § 10 bad.-württ. GO). Als solche öffentliche Einrichtungen, d. h. Vereinigungen von persönlichen Kräften und sachlichen Mitteln zur dauernden Wahrnehmung einer öffentlichen Gemeinschaftsaufgabe der Gemeinde ohne eigene Rechtspersönlichkeit (vgl. u. 3. Buch), kommen insbesondere in Betracht: Wasserleitungsanlagen, Entwässerungsanlagen wie z. B. eine Schwemmentwässerung -, Markthallen, Müllabfuhranstalten, Krankenhäuser, Badeanstalten, Sportanlagen, Gemeindewaagen, Schlachthäuser, Schaubühnen, Kunstsammlungen, Volksbüchereien, Friedhöfe usw.; für erwerbswirtschaftliche Unternehmungen der Gemeinde gilt ein solches Recht auf Benutzung dagegen nicht, weshalb in jedem Einzelfalle zunächst zu prüfen ist, ob eine öffentliche Einrichtung vorliegt oder nicht (vgl. hierzu u. 3. Buch). Nach der besonderen Vorschrift des EnergiewirtschaftsG (§ 6 Abs. 5) vom 13. Dezember 1935 (RGBI. I S. 1451) ist jedoch ein Energieversorgungsunternehmen, d. h. - ohne Rücksicht auf Rechtsformen und Eigentumsverhältnisse - ein Unternehmen oder Betrieb, der andere mit elektrischer Energie oder Gas versorgt oder Betriebe dieser Art verwaltet (§ 2), wenn es ein bestimmtes Gebiet versorgt, verpflichtet, allgemeine Bedingungen und allgemeine Tarifpreise öffentlich bekanntzugeben und zu diesen Bedingungen und Tarifpreisen (vorbehaltlich gewisser Ausnahmen, vgl. Abs. 2 ff.) jedermann an sein Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen (allgemeine Anschluß- und Versorgungspflicht). Besteht so ein persönliches öffentliches Recht der Gemeindeeinwohner auf Benutzung der öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde, so wird damit aber, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nicht ein unabänderliches Recht auf dauernde und ausschließliche Benutzung erworben; vielmehr bleibt es, wie auch seinerzeit in der Begründung zur DGO ausgeführt ist, den Gemeinden überlassen, in Ermangelung gesetzlicher Vorschriften, Voraussetzungen, Bedingungen und Art dieser Benützung der öffentliche!1 Einrichtung dem jeweiligen öffentlichen Bedürfnis entsprechend, wie z. B. mit Bezug auf die Überlassung von Grabstellen, zu regeln, soweit nicht private Rechte oder Sondernutzungsrechte erworben sind (vgl. hierzu Pr.OVG Bd. 80 S. 48). Die Gemeinde kann, bei öffentlichem Bedürfnis - also nicht aus privatwirtschaftliehen oder fiskalischen Gründen- durch Satzung, z. T. mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde,dies in Abweichung von den allgemeinen Vorschriften über den Erlaß von Satzungen, wohl im Hinblick auf den u. U. weitreichenden Eingriff in Freiheit und Eigentum der einzelnen (während z. B. in Baden-Würt-
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temberg nichts Besonderes hierbei gilt) - für die Grundstücke ihres Gebiets den Anschluß an Wasserleitung, Abwässerbeseitigung (z. B. Schwemmentwässerung), Müllabfuhr, Straßenreinigung und ähnliche der Volksgesundheit dienende Einrichtungen- nicht also etwa für Gasund Elektrizitätswerke, und nicht für privatwirtschaftliche Unternehmen - (Anschlußzwang) und die Benützung dieser Einrichtungen und der Schlachthöfe116 (Benutzungszwang) vorschreiben; die Satzung kann bestimmte Ausnahmen vom Anschluß- und Benutzungszwang zulassen und im übrigen den Zwang auf Teile des Gemeindegebiets oder auf bestimmte Gruppen von Grundstücken, Gewerbebetrieben oder Personen beschränken. Ein solches öffentliches Bedürfnis liegt vor, wenn die Gemeinde sonst den mit einer öffentlichen Einrichtung, wie z. B. bei einer öffentlichen Wasserleitung oder Abwasserbeseitigung, verfolgten Zweck, wie dort einer Versorgung der Bevölkerung mit gutem Trinkwasser, nicht würde erreichen können (vgl. dazu Pr.OVG Bd. 52 S. 378). Soweit aber ein Benutzungszwang nicht vorgeschrieben ist, besteht keine Verpflichtung, die öffentliche Einrichtung auch zu benutzen, z. B. für die angeschlossenen Grundeigentümer, ihr Trink- und Gebrauchswasser nur aus der gemeindlichen Wasserleitung zu entnehmen (vgl. Pr. OVG, a. a. 0., S. 378, Bd. 85 S. 486). Zur Durchführung dieses Anschluß- und Benutzungszwanges sind auch Zwangsmittel vorgesehen: es können nämlich in der Satzung für den Fall der Zuwiderhandlung Zwangsgeld (z. B. in Baden-Württemberg bis zu 500 DM) angedroht und bei Weigerung des Verpflichteten Handlungen an seiner Stelle und auf seine Kosten vorgenommen werden (Ersatzvornahme); Zwangsgeld und Kosten werden im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben (vgl. z. B. § 10 bad.-württ.GO und dazu u. 3. Buch) 117 • Der Anschlußpflicht entspricht ein persönliches Recht auf Anschluß 118 , so daß insoweit auch eine juristische Person usw. ein solches Recht hat (vgl. Pr.OVG Bd. 62 S. 243, Bd. 68 S. 118). Wie das Pr.OVG zu der entsprechenden Vorschrift des '§ 18 DGO seinerzeit zutreffend ausgeführt hat (vgl. Bd. 99 S. 218), sind durch dieses der Gemeinde verliehene Recht aber die Be116 Die bad.-württ. GO führt außer der Benutzung der Schlachthöfe auch noch die Benutzung von Bestattungseinrichtungen an; ebenso niedersächs. GO (§ 8: nebst öffentl. Begräbnisplätzen). 117 So hat z. B. Tübingen unter dem 19. Okt. 1940 über den Anschluß von Grundstücken an die städtische Straßenreinigung und Müllabfuhr (Anschlußzwang) und über die Benutzung dieser öffentlichen Einrichtungen (Benutzungszwang) eine Satzung erlassen. 118 Dem steht nicht entgegen, daß z. B. bei einer Wasserversorgungsanlage die Wasserabgabe bis zur Entrichtung rückständiger Wassergebühren - ähnlich wie beim Zurückbehaltungsrecht des § 273 BGB - .versagt wird, da der Wasserentnehmer jederzeit durch Entrichtung der geforderten Gebühren sich den Wasserbezug wieder verschaffen kann, ihm aber auch nach Bezahlung der rückständigen Gebühr die Wasserbenutzung nicht versagt werden darf (vgl. Pr. OVG Bd. 54, S. 441.)
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fugnisse der Polizeibehörden zur Wahrung polizeilicher Belange nicht berührt worden; die Polizeibehörden sind vielmehr auch weiterhin als berechtigt und verpflichtet anzusehen, den Anschluß aus gesundheitspolizeilichen Gründen - zum Zwecke der Beschaffung einwandfreien Trinkwassers und im übrigen der Vorsorge für die Beschaffung von Wasser zu Löschzwecken in Brandfällen - allgemein oder im Einzelfalle zu erzwingen119 • Durch Satzung können die Gemeinden ihre Einwohner und die ihnen gleichgestellten Personen und Personenvereinigungen (vgl. o.) für eine bestimmte Zeit zur Mitwirkung bei der Erfüllung vordringlicher Pflichtaufgaben und für Notfälle zu Gemeindediensten (Hand- und Spanndiensten) verpflichten; der Kreis der Verpflichteten, die Art, der Umfang und die Dauer der Dienstleistung, sowie die etwa zu gewährende Vergütung oder die Zahlung einer Ablösung sind in gleicher Weise zu bestimmen120 •
bb) Gemeindebürger ist im Gegensatz zu dem bisher betrachteten Gemeindeeinwohner der Deutsche (i. S. des Art.116 GG), der das 21. Lebens119 Wenn auch die 1. Durchf. VO zur DGO von einer anderen Auffassung auszugehen schien, so ist dies doch in der DGO selbst nicht einwandfrei zum Ausdruck gebracht. Es lassen sich Fälle denken, in denen es in einer Gemeinde aus irgendwelchen Gründen zum Erlaß einer solchen Satzung nicht kommt, aber gleichwohl das Bedürfnis besteht, den Anschlußzwang durchzuführen. Es ist kein hinreichender Grund gegeben, diese andere Möglichkeit auszuschließen, wenn polizeiliche Gründe - die Abwehr von Gefahren für die öff. Sicherheit und Ordnung - gegeben sind. Vgl. auch zum früheren Recht Pr. OVG Bd. 28, S. 354, Bd. 31, S. 355, Bd. 61, S. 379, Bd. 76, S. 356. In Bd. 28, S. 356 wird ausgeführt, der Gerichtshof habe ausgesprochen, der mit einer städtischen Kanalisation durch Abzugskanäle erstrebte Zweck fordere, daß er bei einer allgemeinen Durchführung der Maßregel erreicht werden müsse und daß deshalb die Polizeibehörde befugt sei, einen allgemeinen Zwang einzuführen und alle bebauten Grundstücke der Anschlußpflicht zu unterwerfen, gleichviel, ob bei dem einen oder anderen vielleicht die Entwässerung ohne Gefährdung der Gesundheit erweislich auf andere Weise bewirkt worden sei oder fernerhin bewirkt werden könne; das treffe auch bei einer Wasserleitungsanlage zu, da man nur bei einer allgemeinen Durchführung mit Sicherheit darauf rechnen könne, daß bei jedem ausbrechenden Feuer das zum Löschen notwendige Wasser zu jeder Zeit schnell und in nachhaltig ausreichender Menge zu entnehmen sei; nicht aber komme es darauf an, ob gerade hinsichtlich des Grundstücks des Klägers in feuer- und gesundheitspolizeilicher Hinsicht der Anschluß an die Wasserleitung noch besonders notwendig sei (vgl. Pr. OVG Bd. 13, S. 395). Vgl. ferner Pr. OVG Bd. 31, S. 368 ff. - Im übrigen sind die vor der DGO erlassenen Polizeiverordnungen über den Anschlußzwang in Kraft geblieben (vgl. § 6 der 1. Durchf. VO z. DGO v. 22. März 1935.) 12° Für die Erzwingung gilt das über den Anschluß- und Benutzungszwang Gesagte entsprechend (§ 10 a. a. 0.). 121 So z. B. § 12 bad.-württ. GO, § 13 rheinl.-pfälz. GO (nur ein halbes Jahr verlangt), § 33 niedersächs. GO (nur 3 Monate). Die frühere Bestimmung des § 7 d. 1. Durchf.VO zur DGO, wonach, wenn jemand in mehreren Gemeinden wohnt, er das Bürgerrecht in der Gemeinde erwirbt, in der er sich überwiegend aufhält, wird beim Fehlen einer anderweitigen Vorschrift auch jetzt noch als
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jahrvollendet hat, seit mindestens einem Jahr in der Gemeinde wohnt und die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt121 ; Bürgermeister und Beigeordnete erwerben das Bürgerrecht mit dem Amtsantritt in der Gemeinde122. Das Bürgerrecht verliert, wer aus der Gemeinde wegzieht oder nicht mehr Deutscher i. S. des Art. 116 GG ist; verwirkt wird es durch den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte oder durch die Aberkennung nach den Vorschriften des Gesetzes. Die Gemeindebürger sind im Rahmen der Gesetze zu den Gemeindewahlen wahlberechtigt123 und haben das Stimmrecht in sonstigen Gemeindeangelegenheiten. Nicht wahl-und stimmberechtigt sind Bürger, die entmündigt sind oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft stehen oder denen durch rechtskräftiges Urteil das Wahlrecht aberkannt ist; behindert in der Ausübung des Wahl- und Stimmrechts sind Bürger, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind oder als Strafgefangene oder auf Grund gerichtlicher Anordnung oder Entscheidung in Verwahrung gehalten werden124 • Die Bürger haben die Pflicht, eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Gemeinde (eine Wahl in den Gemeinderat oder Bürgerausschuß, ein gemeindliches Ehrenamt und eine Bestellung zu ehrenamtlicher Mitwirkung) anzunehmen und diese Tätigkeit während der bestimmten Dauer auszuüben. Der Gemeindevorstand (Gemeinderat) bestellt die Bürger zu ehrenamtlicher Tätigkeit, was er jederzeit zurücknehmen kann; mit dem Verlust des Bürgerrechts endet jede ehrenamtliche Tätigkeit125• Die ehrenamtliche Tätigkeit kann nur aus wichtigen Gründen abgelehnt oder entsprechend das Ausscheiden verlangt werden126 • Ehrenamtlich tätige Bürger haben Anspruch auf Ersatz ihrer Auslagen und des entgangenen Arbeitsverdienstes; diese Ansprüche sind nicht übertragbar. Die Gemeinde kann Personen, die sich besonders verdient gemacht haben, das Ehrenbürgerrecht verleihen; sie kann es wegen unwürdigen Verhaltens wieder entziehen; mit der Verwirkung des Bürgerrechts wird auch das Ehrenbürgerrecht verwirkt127 • Ausdruck eines allg. Rechtsgedankens anzuwenden sein; nach § 12 bad.-württ. GO ist der Betr. nur Bürger in der Gemeinde, die er zu seinem Hauptwohnort erklärt. 122 So § 12 bad.-württ. GO. 123 Soweit sie nicht, wie nach einzelnen Gemeindeordnungen, in kleinen Gemeinden die Gemeindeversammlung bilden (vgl. o. Anm. 105). 124 So § 14 bad.-württ. GO. 12s Vgl. § 15 bad.-württ. GO. 126 Vgl. § 16 bad.-württ. GO. 127 Bestimmungen über den Rechtsschutz finden sich infolge der Geltung des Allzuständigkeitsgrundsatzes der Verwaltungsgerichte jetzt in den Gemeindeordnungen im allg. nicht mehr (vgl. z. B. die bad.-württ. GO); anders freilich z. B. niedersächs. GO, § 9.
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4) Die Verfassung und Verwaltung der Gemeinde 128
Eine einheitliche Gestaltung der Verfassung und Verwaltung der Gemeinden besteht, wie schon oben bemerkt, nach den geltenden Gemeindeordnungen der westdeutschen Länder nicht. Es besteht jedoch überall darin Übereinstimmung, daß wie gleichfalls bereits erwähnt, infolge des volksherrschaftliehen Aufbaus der Gemeindeverfassung die Bürgerschaft bzw. die von ihr in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen- im allgemeinen auf 4 - in Baden-Württemberg (bei hälftiger Erneuerung nach 3 Jahren) auf 6 - Jahre gewählte Gemeindevertretung als der höchste Willensträger der Gemeinde zu betrachten ist. Die Gemeindevertreter sind ehrenamtlich tätig und ähnlich wie die Mitglieder des Bundestags und der Landtage in ihren Meinungsäußerungen und Abstimmungen frei und nur ihrem Gewissen unterworfen, ohne an Weisungen der Wähler oder sonst jemandes gebunden zu sein129• Hier soll nur ein Überblick über die verschiedenen Gestaltungen gegeben werden, je nachdem im übrigen die Verwaltung der Gemeinde nach dem Gesamtverwaltungsgrundsatz oder dem Einzelverwaltungsgrundsatz eingerichtet ist, d. h. den Gemeindevorstand bildet eine Mehrheit von Personen- sog. Ratsverfassung- oder aber eine Einzelperson - sog. Bürgermeisterverfassung - oder aber eine Mischbildung zwischen diesen beiden Hauptgestaltungen besteht. aa) Die Ratsverfassung Hier sind wiederum verschiedene Gestaltungen möglich: 1') Die reine (englische) Ratsverfassung Sie ist nach 1945 im früheren englischen Besetzungsgebiet durch die von der Militärregierung mit VO Nr. 21 vom 1. April 1946 erlassene abgeänderte (sog. revidierte) DGO mit Ausnahme des Stadtlandes Harnburg (das eine volksherrschaftlich-parlamentarische Verfassung beibehielt) nach englischem Muster eingeführt worden und besteht jetzt noch in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen nach den dort von diesen Ländern inzwischen erlassenen Gemeindeordnungen mit gewissen Änderungen fort im Gegensatz zu Schleswig-Holstein. Danach beschließt der von der Bürgerschaft auf 4 Jahre gewählte "Rat der Gemeinde" in allen Angelegenheiten der Gemeinde, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt; die Gemeinde wird nach seinen Richtlinien verwaltet. Den Vorsitz im Rat und die Vertretung des Rats liegt dem vom Rate aus seiner Mitte auf 1 Jahr gewählten ehrenamtlichen Bürgermeister (in kreisfreien Städten "Oberbürgermeister") ob. Der Rat 12s 129
Vgl. hierzu o. Anm. 79. Vgl. z. B. § 32 bad.-württ. GO,§ 35 hess. GO.
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kann seine Befugnisse, soweit nicht das Gesetz dies für wichtige Angelegenheiten ausschließt (wie z. B. hinsichtlich des Erlasses, der Änderung und Aufhebung von Satzungen, der Änderung der Gemeindegrenzen, des Erlasses der Haushaltssatzung usw.) auf den Gemeindedirektor (in Niedersachsen auch auf einen Verwaltungsausschuß) übertragen. Der vom Rat gewählte Gemeindedirektor (in kreisangehörigen Städten mit der Bezeichnung "Stadtdirektor", in den kreisfreien Städten "Oberstadtdirektor") besorgt nach den vom Rat gegebenen allgemeinen Grundsätzen im übrigen als der Gemeindehauptverwaltungsbeamte die laufenden Geschäfte; sie gelten im Namen des Rats dem Gemeindedirektor übertragen, soweit nicht der Rat sich oder einem Ausschuß für einen bestimmten Kreis von Geschäften oder für bestimmte Einzelfälle die Entscheidung vorbehält. Der Gemeindedirektor bereitet die Beschlüsse des Rates vor und führt dessen Beschlüsse sowie die Weisungen aus, welche die Landesregierung bei Pflichtaufgaben nach Weisung erteilt, unter der Aufsicht des Rats und in Verantwortung ihm gegenüber; er hat den Bürgermeister über alle wichtigen Gemeindeangelegenheiten zu unterrichten. Er nimmt an den Sitzungen des Rats teil und ist berechtigt, und auf Verlangen eines Fünftels der Ratsmitglieder verpflichtet, seine Ansicht zu einem Punkte der Tagesordnung vor dem Rate darzulegen. Beigeordnete, die vom Rat gewählt werden, vertreten den Gemeindedirektor in ihrem Arbeitsgebiet, wobei jedoch der Gemeindedirektor die Bearbeitung einzelner Angelegenheiten selbst übernehmen kann. Der Gemeindedirektor leitet und verteilt die Geschäfte; der Rat ist Dienstvorgesetzter des Gemeindedirektors, der wiederum Dienstvorgesetzer der Beamten, Angestellten und Arbeiter ist. Der Rat ist der gesetzliche Vertreter der Gemeinde in Rechts- und Verwaltungsgeschäften. Diese Vertretung gilt als auf den Gemeindedirektor übertragen, soweit nicht der Rat für einen bestimmten Kreis von Geschäften oder für einen Einzelfall etwas anderes bestimmt. Einziger und unmittelbarer oberster Willensträger der Gemeinde ist also der Rat, während der für die laufenden Geschäfte bestellte Gemeindedirektor mit seinen Angestellten und Arbeitern ein vom Rat abhängiger und nach seinen allgemeinen Grundsätzen tätiger erster Verwaltungsbeamter der Gemeinde ist, der immerhin Beschlüsse des Rats, die das geltende Recht verletzen, zu beanstanden hat, und wenn der Rat daraufhin bei seinem Beschluß verbleibt, die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen hat. 2') Die Gemeinderatsverfassung In ihrer reinen Ausprägung steht hier die Verwaltung und Vertretung der Gemeinde dem Gemeinderat zu; sein Vorsitzender, der von dem Gemeinderat gewählt wird, heißt Bürgermeister und ist als geschäftsleitender Vorsitzender sozusagen nur der "Erste unter gleichen". Die
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heute geltenden süddeutschen Gemeinderatsverfassungen weichen insofern davon ab, als der Bürgermeister in Baden-Württemberg und in Bayern jetzt allgemein unmittelbar von der Bürgerschaft gewählt wird- während er sonst von der Gemeindevertretung gewählt wirdund eine gewisse selbständige Stellung, insbesondere mit Bezug auf die Besorgung der laufenden Verwaltung hat (vgl. u. Buchst. cc). 3') Die Magistratsverfassung Hier besteht in einer Art von Zweikammerverfassung neben der Vertretung der Bürgerschaft, der sog. Gemeindevertretung, für die Beschlußfassung in gewissen wichtigen Angelegenheiten der Gemeinde ein von dieser gewählter Magistrat, der aus dem Bürgermeister als dessen Vorsitzendem und einer Anzahl besoldeter oder ehrenamtlicher Mitglieder besteht; ihm als dem sog. Gemeindevorstand steht die Verwaltung und Vertretung der Gemeinde zu. Zwei verschiedene Arten der Gestaltung sind hierbei wieder möglich: die sog. "echte" und die sog. "unechte" Magistratsverfassung. Bei der echten Magistratsverfassung stehen sich Magistrat und Bürgervertretung als gleichberechtigte oberste Willensträger der Gemeinde einander gegenüber: kein Beschluß der Gemeindevertretung kann Wirksamkeit erlangen ohne Zustimmung des Magistrats. Der Magistrat bereitet die Beschlüsse der Bürgerschaftsvertretung, der Gemeindeverordnetenversammlung, vor und führt deren Beschlüsse aus. Die Beschlußfassung der Gemeindeverordnetenversammlung ist bei gewissen wichtigen Gemeindeangelegenheiten erforderlich; so z. B. für die Festsetzung des Haushaltsplans mit Bestimmung der jährlichen Steuersätze, für die Auferlegung oder Erhöhung von Gemeindeabgaben, die Aufnahme von Darlehen oder Bürgschaften, die Rechnungsabnahme usf. Diese echte Magistratsverfassung bestand insbesondere nach der früheren preußischen Städteordnung für die 6 östlichen Provinzen vom 30. Mai 1853 (vgl. § 10) und überhaupt früher in allen preußischen Städten außer im Rheinland, wo in erster Reihe die Bürgermeisterverfassung galt, aber die Magistratsverfassung in der einzelnen Stadt auch durch Beschluß der Gemeindevertretung eingeführt werden konnte. Bei der unechten Magistratsverfassung ist dagegen von einer gleichberechtigten Mitwirkung des Magistrats bei der Beschlußfassung keine Rede; seine Zustimmung ist zu den Beschlüssen der Gemeindevertretung nicht erforderlich. Die von den Bürgern gewählte Gemeindevertretung ist der oberste Willensträger der Gemeinde, die alle wichtigen Entscheidungen trifft und die gesamte Verwaltung überwacht, während die laufende Verwaltung der Magistrat als Gemeindevorstand und als "Verwaltungsbehörde der Gemeinde" nach den Beschlüssen bzw. Grundsätzen und Richtlinien der Gemeindevertretung besorgt. Infolge der
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Durchführung des volksherrschaftliehen Grundsatzes kommt heute nur noch die unechte Magistratsverfassung in Betracht. Sie besteht in Hessen - außer in Gemeinden unter 3000 Einwohnern, in denen bisher die Verwaltung der Gemeinde bei dem Bürgermeister lag und durch Hauptsatzung bestimmt wird, daß der Bürgermeister weiterhin Gemeindevorstand ist (§ 9 GO) - und ebenso in Schleswig-Holstein in den Städten, wogegen in den Landgemeinden der Bürgermeister die Verwaltung führt 130 • 4') Die Bürgerausschußverfassung Die von der Bürgerschaft gewählte Gemeindevertretung, die Gemeindeverordnetenversammlung, wählt hier im allgemeinen als Vertretung der Bürgerschaft den Gemeinderat für die Verwaltung und Vertretung der Gemeinde. Die Mitglieder des Gemeinderats sind zugleich Mitglieder des Bürgerausschusses, der außerdem aus den Gemeindeverordneten besteht. Für gewisse wichtige Gemeindeangelegenheiten- Erlaß von Satzungen, Änderungen des Gemeindegebietes, Erlaß der Haushaltungssatzung einschl. Nachtragssatzungen, Feststellung des Ergebnisses der Jahresrechnung und die Entlastungserteilung, Errichtung, wesentliche Erweiterung und Aufhebung von öffentlichen Einrichtungen und wirtschaftlichen Unternehmen sowie die Beteiligung an solchen usw. - ist die Beschlußfassung des Bürgerausschusses erforderlich. Diese Einrichtung bestand in Württemberg bis zum Gesetz vom 19. März 1919 und in Baden bis zur Einführung der DGO von 1935; nach der bad.-württ.GO von 1955 kann in Gemeinden mit mehr als 3000 Einwohnern durch die Hauptsatzung bestimmt werden, daß zur Verwaltung der Gemeinde neben dem Gemeinderat und dem Bürgermeister ein Bürgerausschluß als sog. "Zustimmungsorgan" bestellt wird. Die Gemeinderäte werden hier gleichzeitig mit den Gemeindeverordneten nach den für die Wahl der Gemeinderäte in den Gemeinden mit Gemeinderatsverfassung geltenden Vorschriften von den Bürgern gewählt. Der Gemeinderat (in den Städten: Stadtrat) besteht aus dem Bürgermeister als Vorsitzendem und ehrenamtlichen Mitgliedern (nach der Größe der Gemeinde 8-24); der Bürgerausschuß aus dem Bürgermeister als Vorsitzendem, den Gemeinderäten und weiteren ehrenamtlichen Mitgliedern (Gemeinde- bzw. Stadtverordneten). Es bedarf hier nicht einer Übereinstimmung der Beschlüsse des Bürgeraus130 Hierbei besteht ein Unterschied zwischen den ehrenamtlich und den hauptamtlich verwalteten Landgemeinden (§ 55 GO). In den ehrenamtlich verwalteten Landgemeinden ist der Vorsitzende der Gemeindevertretung für die Dauer seiner Wahlzeit zugleich Bürgermeister und hat als Leiter der Verwaltung eine eigene Stellung als Willensträger der Gemeinde; in den hauptamtlich verwalteten Landgemeinden dagegen ist der Bürgermeister Verwaltungsleiter, aber nicht Mitglied der Gemeindevertretung, so daß diese Gestaltung der nordrh.-westf. Ratsverfassung ähnelt.
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schusses und des Gemeinderats nach Art einer Zweikammerverfassung wie bei der Magistratsverfassung, sondern die Entscheidung des Bürgerausschusses ist innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs selbständig, wie dies die anderen obersten Willensträger der Gemeinde, der Gemeinderat und der Bürgermeister innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs sind. bb) Die Bürgermeisterverfassung Hier besteht im Gegensatz zu den Ratsverfassungen der Gemeindevorstand aus einer Person, dem Bürgermeister, der die Verwaltung der Gemeinde gemäß der GO und den Beschlüssen der Gemeindevertretung führt. Die Gemeindevertretung hat über alle Gemeindeangelegenheiten zu beschließen, soweit sie nicht dem Bürgermeister oder einem Gemeindeausschuß überwiesen sind, und den Gemeindevorstand zu überwachen. Dem Bürgermeister stehen zu seiner Unterstützung und als Vertreter Beigeordnete zur Seite, die ihm dienstlich unterstellt sind; Bürgermeister und Beigeordnete werden von der Gemeindevertretung gewählt; den Vorsitz in der Gemeindevertretung führt der Bürgermeister mit Stimmrecht. Die Bürgermeisterverfassung bestand, wie oben bereits bemerkt, früher schon im Rheinland nach französischem Vorbild, wo der Bürgermeister Vorgesetzter der Beigeordneten und Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung war, die ihrerseits den Bürgermeister und die Beigeordneten wählte. Sie bestand ferner nach der DGO von 1935 in noch weitergehender Weise infolge der Durchführung des Führergrundsatzes, wonach der Bürgermeister allein verantwortlich die Gemeindeverwaltung führte und der - vom Parteibeauftragten berufene - Gemeinderat nur die Bedeutung eines Beirates hatte. Sie kommt vor heute in Rheinland-Pfalz (§§ 39, 46, GO), ferner in Hessen in Gemeinden unter 3000 Einwohnern, die bisher nach der Bürgermeisterverfassung verwaltet wurden und in denen sie durch Hauptsatzung beibehalten wird (§ 9 Abs. 2 GO), ferner in Schleswig-Holstein in den Landgemeinden. cc) Die gemischte Verfassung Neben der Ratsverfassung und der Bürgermeisterverfassung gibt es eine Mischbildung, wenn Gemeinderat und Bürgermeister unmittelbare Hauptwillensträger der Gemeinde sind, die beide von der Bürgerschaft -jener nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, dieser mit unbedingter Mehrheit- gewählt werden, dem Gemeinderat zwar die Verwaltung der Gemeinde zusteht, soweit nicht eine Zuständigkeit des Bürgermeisters (oder eines Ausschusses) besteht, der Bürgermeister aber berufen ist, die laufende Verwaltung zu besorgen und Leiter der Gemeindeverwaltung, ferner Vorsitzender des Gemeinderats ist, dessen Be-
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schlüsse vorbereitet und ausführt, sowie die Gemeinde nach außen vertritt. So die süddeutschen Gemeindeordnungen. Vgl. Art. 29 bayr. GO: "Die Gemeinde wird durch den Gemeinderat verwaltet, soweit nicht der - auf 6 Jahre gewählte - Erste Bürgermeister (in kreisfreien Städten "Oberbürgermeister") selbständig entscheidet"; nach Art. 37 kann der Erste Bürgermeister einfache Geschäfte der laufenden Verwaltung in eigener Zuständigkeit besorgen, wofür der Gemeinderat Richtlinien aufstellt. Er kann auch an Stelle des Gemeinderats oder eines Ausschusses dringliche Anordnungen treffen und unaufschiebbare Geschäfte besorgen; er leitet die Gemeindeverwaltung und führt die Dienstaufsicht über die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde. Ähnlich§§ 42 ff. bad.-württ.GO. Weisungsaufgaben erledigt er in eigener Zuständigkeit, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Gesetzwidrige Beschlüsse des Gemeinderats hat er zu beanstanden und ggf. die Entscheidung der Aufsichtsbehörde herbeizuführen. In BadenWürttemberg ist der Bürgermeister (in den Stadtkreisen und Großen Kreisstädten "Oberbürgermeister") besoldeter Wahlbeamter auf Zeit (in Gemeinden bis 1500 Einw. nach Bestimmung der Hauptsatzung Ehrenbeamter) mit einer Amtszeit von 8 Jahren (bei unmittelbarer Wiederwahl von 12 Jahren). Auch bei dieser süddeutschen Verfassungsgestaltung als Mischform zwischen Gemeinderatsverfassung und Bürgermeisterverfassung ist zufolge des volksherrschaftliehen Grundsatzes erster Hauptwillensträger jedoch nach wie vor der Gemeinderat, dessen Vorsitzender der Bürgermeister mit Stimmrecht ist. In Gemeinden mit nicht mehr als 200 Einwohnern kann nach § 23 bad.-württ.GO durch die Hauptsatzung die Verwaltung der Gemeinde auch der Gemeindeversammlung und dem Bürgermeister übertragen werden (Gemeinde mit Gemeindeversammlung). dd) Zu erwähnen ist noch, daß die Gemeindeordnungen verschiedentlich eine sachliche und örtliche Untergliederung der Verwaltung vorsehen zum Zwecke einer Entlastung der Gemeindeverwaltung, insbesondere des Gemeinderats, zugleich aber auch i. S. einer zweckmäßigeren Gestaltung der Verwaltung bei der laufenden Erledigung dauernder Verwaltungsaufgaben, für die der große Verwaltungskörper nicht immer zusannenberufen werden kann. Die sachliche Untergliederung erfolgt - abgesehen von beratenden Ausschüssen zur Vorbereitung von Beschlüssen - insbesondere durch die Einrichtung sog. beschließender Ausschüsse, bestehend aus Mitgliedern des Gemeinderats (ggf. auch von Gemeindeverordneten bei der Bürgerausschuß- und der Magistratsverfassung) oder aus sonstigen ehrenamtlich herangezogenen Bürgern - sog. gemischte beschließende Ausschüsse -); ihnen werden bestimmte Aufgaben, z. B. Fürsorgesachen, Schulsachen, zur dauernden Erledigung zugewiesen,
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jedoch z. T. so, daß der Gemeinderat allgemeine Weisungen oder Weisungen im Einzelfalle erteilen und Beschlüsse und Anordnungen, solange sie nicht vollzogen sind, ändern oder aufheben kann (vgl. z. B. § 59 früh.pr.StädteO f. d. östl. Prov. v. 30. Mai 1853, §§ 39 ff. bad.-württ. GO). Die örtliche Untergliederung findet sich insbesondere in größeren Städten, namentlich in Großstädten über 100 000 Einwohnern- ähnlich wie dies in den Stadtländern Berlin, Harnburg und Bremen geschehen ist - durch Einteilung des Gemeindegebiets in Verwaltungsbezirke zur Besorgung der die Bezirke besonders betreffenden Angelegenheit mit Bezirks- (Orts-)Ausschüssen oder -beiräten, die von den Wahlberechtigten der Bezirke oder von der Gemeindevertretung gewählt werden, und einer Bezirksverwaltung (Bezirksämter, Ortsämter usw.) nach näherer Regelung durch die Hauptsatzung131 •
5) Die Gemeindebediensteten Nach Art. 75 Ziff. 1 GG hat der Bund das Recht zur Rahmengesetzgebung über die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst nicht nur der Länder, sondern auch der Gemeinden, Gemeindeverbände und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen; eine solche bundesrechtliche Rahmenregelung für die Landesgesetzgebung . ist jetzt durch das BeamtenrechtsrahmenG vom 1. Juli 1957 (vgl. o. § 23) erfolgt. Nähere Vorschriften in dieser Hinsicht enthält im übrigen z. B. die bad.-württ.GO (§§ 66 ff., 142). Danach sind die Gemeinden verpflichtet, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen geeigneten Beamten, Angestellten und Arbeiter einzustellen. Die Gemeinde bestimmt die Planstellen ihrer Beamten nach Zahl, Art und Bewertung durch Satzung (Stellensatzung), die bei der Ernennung von Beamten einzuhalten ist. Außer in den gesetzlich bestimmten Fällen hat die Gemeinde in der Regel Beamte zu verwenden, wenn die dauernde Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ein öffentlich-rechtliches Dienstund Treueverhältnis (Beamtenverhältnis) verlangt; sie kann Beamte verwenden, wenn dauernd Aufgaben von erhöhter Verantwortlichkeit gegenüber der Allgemeinheit wahrzunehmen sind oder die Bedürfnisse der Verwaltung unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze oder die Heranziehung der Nachwuchsbeamten es erfordern; zur fachgemäßen Erledigung der Verwaltungsgeschäfte sollen Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern mindestens einen Beamten mit der Befähigung zum gehobenen oder höheren Verwaltungs-, Justiz- oder Finanzdienst (Gemeindefachbeamter) anstellen. Nach §§ 142 ff. finden auf die 131 Vgl. z. B. das BerlBezVerwG v. 30. Jan. 1958 (GVBl. S. 126), Art 60 bayr. GO, §§ 81, 82, hess. GO, §§ 75 f., bad.-württ. GO. Vgl. auch noch Blaum, Verw. der Großstädte, in DVBl. 1955 S. 477.
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Gemeindebeamten die für die Landesbeamten in den einzelnen Landesteilen geltenden beamtenrechtlichen Vorschriften insoweit Anwendung, als nicht besondere Vorschriften für die Gemeinden bestehen oder erlassen werden; in gleicher Weise finden auf den Bürgermeister und die sonstigen Gemeindebeamten die für d1e Landesbeamten geltenden dienststrafrechtliehen Vorschriften Anwendung; ebenso sind die Gemeindebeamten angemessen zu besolden und zu versorgen nach den für die Landesbeamten geltenden Vorschriften, in der Weise, daß die Bezüge usw. der Gemeindebeamten nicht günstiger geregelt werden dürfen als es für die vergleichbaren Landesbeamten zugelassen ist; soweit die Amtsbezeichnungen der Gemeindebeamten nicht gesetzlich festgelegt sind, werden sie durch die Stellensatzung bestimmt, wobei sie der betr. Laufbahn bzw. dem Amt entsprechen müssen und sich von den Amtsbezeichnungen der Landesbeamten unterscheiden sollen. 6) Die Gemeindewirtschaft 132
aa) Die Gemeinden haben ihr Vermögen wie auch ihre Einkünfte pfleglich und wirtschaftlich zu verwalten und aus Mitteln des ordentlichen Haushalts zu unterhalten, wie diesem auch die Erträge zuzuführen sind. Die Gemeinde soll Vermögensgegenstände nur erwerben, soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind oder in absehbarer Zeit erforderlich werden. Gegenüber den früheren Beschränkungen mit Bezug auf Verfügungen über das Gemeindevermögen sind in den neuen Landesverfassungen oder Gemeindeordnungen z. T. Erleichterungen und Erweiterungen des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden eingetreten; z. T. sind anstelle der Genehmigungsvorschriften für gewisse Verfügungen Nichtigkeits- und einschränkende Gültigkeitsvorschriften getreten, oder es wird doch noch die Vorlegung gewisser Beschlüsse über eine Verfügung an die Aufsichtsbehörde zur Prüfung und gegebenenfalls zur Beanstandung unter rechtlichen Gesichtspunkten verlangt. Während die Gemeinde nach der DGO der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedurfte, wenn sie Vermögensgegenstände aller Art unentgeltlich veräußern, Grundstücke oder grundstücksgleiche Rechte verkaufen oder tauschen, Sachen mit einem besonderen wissenschaftlichen oder künstlerischen Wert, besonders Archive und Teile davon, veräußern oder wesentlich verändern wollte, wobei jedoch gewisse Erleichterungen bei geringeren Werten oder unter sonstigen besonderen Voraussetzungen bestanden, bestimmt jetzt z. B. Art. 75 bad.-württ. Verf., daß das Land die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Gemeinden (und Gemeindeverbände) überwacht, jedoch 132 Vgl. hierzu die Bestimmungen der §§ 77 ff. bad.-württ. GO, denen die Bestimmungen in den anderen Gemeindeordnungen auf der gemeinsamen Grundlage der DGO im wesentlichen entsprechen.
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durch Gesetz bestimmt werden kann, daß die Übernahme von Schuldverpflichtungen und Gewährschaften sowie die Veräußerung von Vermögen von der Zustimmung der mit der Überwachung betrauten Staatsbehörde abhängig gemacht werden kann und diese Zustimmung unter dem Gesichtspunkt einer geordneten Wirtschaftsführung erteilt oder versagt werden kann. Nach § 80 bad.-württ.GO darf die Gemeinde Vermögensgegenstände, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben in absehbarer Zeit nicht braucht, veräußern; eine unentgeltliche Veräußerung ist nur zur Erfüllung von Aufgaben oder Anstandspflichten der Gemeinde zulässig; will eine Gemeinde Grundstücke oder grundstücksgleiche Rechte veräußern, so hat sie (von Rechtsgeschäften, die ihrer Natur nach regelmäßig wiederkehren oder bestimmte Wertgrenzen nicht überschreiten, abgesehen) den Beschluß der Rechtsaufsichtsbehörde vorzulegen133. bb) Für die Nutzung des Gemeindevermögens, dessen Ertrag nach bisherigem Recht nicht der Gemeinde, sondern sonstigen Berechtigten zusteht (Gemeindegliedervermögen oder sog. "Allmendgut", "Bürgervermögen" usf.) verbleibt es beim bisherigen Recht134 , das meist in Gewohnheitsrecht besteht. Dieses Gemeindegliedervermögen ist vom eigentlichen Gemeindevermögen zu unterscheiden; Gemeindevermögen darf nicht neu in Gemeindegliedervermögen, dieses auch nicht in Privatvermögen der Nutzungsberechtigten umgewandelt werden, während Gemeindegliedervermögen gewohnheitsrechtlich oder nach näherer gesetzlicher Vorschrift auf Grund Beschlusses der Gemeinde oder durch Satzungsänderung in freies Gemeindevermögen umgewandelt werden kann (vgl. dazu auch Pr.OVG. Bd. 24 S. 91), soweit es sich nicht um dingliche, auf dem Eigentum an gewissen Höfen u. dgl. ruhende Rechte handelt135 • Es handelt sich um Vermögen, das den wirtschaftlichen 133 Das bedeutet nach § 121 Abs. 2 GO, daß ein solcher Beschluß erst vollzogen werden darf, wenn die Aufsichtsbehörde die Gesetzmäßigkeit bestätigt oder den Beschluß innerhalb eines Monats nicht beanstandet hat. Die Veräußerung von Waldgrundstücken bedarf der Genehmigung der RAufs. Beh., die unter dem Gesichtspunkt einer geordneten Wirtschaftsführung erteilt oder versagt werden kann. Die in der Gemeinde erwachsenen Archive und Archivteile dürfen nicht veräußert werden, desgl. Gemeindeeigentum von besonderem wissenschaftlichem, geschichtlichem oder künstlerischem Wert, das als ortsgebundenes Kulturgut anzusehen ist. Vgl. auch noch Kunze, Probleme d. KommAufsicht in Bad.-Württ., in DÖV 1954, S. 420 ff. 134 Vgl. hierzu 0. v. Gierke, D. Priv. R, Bd. 1, S. 605 ff. So kann die Nutzung zustehen schon infolge der Mitgliedschaft zur Gemeinde, ggf. nach Zahlung eines Einkaufgeldes, oder nach besonderen für sie erworbenen Voraussetzungen, wie z. B. als Zugehörung eines Hofgutes oder Wohnhauses (vgl. Pr. OVG Bd. 24, S. 91). 135 Nach § 83 bad.-württ. GO kann Gemeindegliedervermögen gegen angemessene Entschädigung in Geld in freies Gemeindeeigentum umgewandelt werden, wenn es zur Erfüllung von Aufgaben der Gemeinde geboten ist. In Gemeinden mit mehr als 3000 Einw. findet eine Aufnahme in das Nutzbürgerrecht und eine Zulassung zur Teilnahme an den Gemeindenutzungen nicht mehr statt. Vgl. auch Art. 70 bayr. GO.
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Bedürfnissen aller oder einzelner Gemeindeangehörigen zu dienen bestimmt ist; es können in Betracht kommen: Eigentum an bestimmten Grundstücken der Gemeinde oder auch sonstige Rechte, die der Gemeinde zustehen, wenn die Nutzung den Gemeindeangehörigen zukommt, wie z. B. bei persönlichen Dienstbarkeiten136 usw. Die Nutzung durch die Berechtigten kann in verschiedener Weise erfolgen: entweder so, daß die Berechtigten unmittelbar die Nutzung in Natur ausüben -sei es, daß den einzelnen Berechtigten ein bestimmtes Stück des Allmendguts (Allmendacker oder -wiese) zur Sondernutzung in einer bestimmten Reihenfolge oder auf Grund Verlosung bei gleicher Berechtigung, auf Lebenszeit oder auf Zeit, unentgeltlich oder gegen eine bestimmte Abgabe, zugewiesen wird137 , oder aber alle Berechtigten zur gemeinschaftlichen Nutzung berechtigt sind, z. B. auf einer Allmendweide die gemeine Weide auszuüben oder im Allmendwald Holz zu schlagen, oder aber, daß die Gemeinde die Nutzung unmittelbar ausübt und den Berechtigten bestimmte Anteile am Ertrag ("Allmendholz", "Bürgerholz" usw.) zuweist. Diese Nutzungsberechtigungen am Gemeindegliedervermögen gehen überwiegend auf die Berechtigungen zurück, welche die Markgenossen einst an der in ihrem genossenschaftlichen Gesamteigentum stehenden gemeinen Mark gehabt haben. Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung ist die alte Mark- oder Realgemeinde vielfach in die politische Gemeinde mehr und mehr aufgegangen, wie namentlich in den Städten. Teilweise ist insoweit das Markeigentum auf die politische Gemeinde übergegangen, dessen Nutzung noch den Rechtsnachfolgern der alten Markgenossenschaft als dienstbarkeitsartige Berechtigung ausschließlich verblieben ist, teilweise noch weiter dahin, daß auch die Nutzung nunmehr den Gemeindeangehörigen als solchen, wenn auch unter Hinzutritt anderer besonderer Voraussetzungen, zusteht (vgl. Pr.OVG Bd. 76 S. 138). Nach bisherigem Recht war das Bürgergenußrecht der Gemeindebürger im allgemeinen ein unveräußerliches, rein persönliches Mitgliedschaftsrecht öffentlich-rechtlicher Natur, wenn nur die Gemeindeangehörigkeit Voraussetzung der Genußberechtigung war, oder ein mitgliedschaftliches Sonderrecht, wenn es von weiteren Voraussetzungen abhängig war; nur wenn die Nutzungsrechte auf einem bürgerlich-rechtlichen Erwerbsgrund beruhen, z. B. auch unwiderruflich auf dem Besitz bestimmter Güter oder Häuser haften 138 oder für sich vererblich und veräußerlich sind ohne Rücksicht auf die Gemeindeangehörigkeit (vgl. z. B. § 94 Abs. 2 bad.GO Vgl. v. Gierke, a. a. 0., S. 606. Vgl. v. Gierke, a. a. 0. 138 Man spricht, wenn die Nutzung nicht allen Personen, sondern nur gewissen Angesessenen, nämlich den Besitzern gewisser berechtigter Häuser, zusteht, auch von Gemeindeklassenvermögen (vgl. Pr. OVG Bd. 88, S. 96). Aber auch dann handelt es sich um öffentl.-rechtliche Nutzungsrechte; es kann daher nicht durch Vereinbarung zwischen der Gemeinde und den Berechtigten 1as 1 37
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von 1921), sind es Privatrechte, so daß für Streitigkeiten über solche Genußrechte die ordentlichen Gerichte zuständig sind139• Im allgemeinen war Voraussetzung für die Erlangung der Nutzung die sog. Einweisung des - durch Geburt (Abstammung von einem genußberechtigten Ortsangehörigen) oder Aufnahme usw. - Berechtigten, die Erreichung eines bestimmten Lebensalters (Volljährigkeit oder 25. Lebensjahr), Besitz einer eigenen Haushaltung oder auch einer selbständigen Lebensstellung oder selbständiger Betrieb eines Gewerbes auf eigene Rechnung, da das Nutzungsrecht im allgemeinen zur Erleichterung der wirtschaftlichen Haushaltsführung dienen sollte140 • Daraus ergab sich, daß bei Änderung des Gemarkungsbestandes das Bürgergenußrecht als mitgliedschaftlichesNutzungsrecht derBürgerder aufgelöstenGemeindP oder Gemeinden erlosch, soweit nichts anderes bestimmt ist, wie alle anderen reinen Mitgliedsrechte, wogegen dort, wo das Bürgergenußrecht ein mitgliedschaftliebes Sonderrecht war, es nicht unterging, sondern sich in ein gegen die Gebietsnachfolgerio gerichtetes, von einer öffentlich-rechtlichen Zugehörigkeit zur Gemeinde losgelöstes, freies Privatrecht umwandelte 141 • cc) Die Gemeinde verwaltet die örtlichen Stiftungen nach den Vorschriften der Gemeindeordnung, soweit nicht durch Gesetz oder den Stifter etwas anderes bestimmt ist. Das Stiftungsvermögen ist von dem übrigen Gemeindevermögen getrennt zu halten und so anzulegen, daß es für seinen Verwendungszweck greifbar ist; die Gemeinde kann, wenn die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist oder die Stiftung das Gemeinwohl gefährdet, gemäß § 87 BGB mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde der Stiftung eine andere Zweckbestimmung geben oder sie aufheben142 • dd) Eingehende und eingeschränkte Bestimmungen der Gemeindeordnungen betreffen die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde. Die Gemeinde darf wirtschaftliche Unternehmen, d. h. solche, wie sie auch ein Privater mit der Absicht der Gewinnerzielung betreiben kann, wie z. B. Versorgungsbetriebe, Gas- und Elektrizitätswerke, Verkehrsbetriebe (Straßenbahnen usw.), gewerbliche Handwerks-, Industrie-, darüber verfügt oder es abgelöst werden, wie es bei Privatrechten der Fall sein könnte (OVG, a. a. 0.). 139 Vgl. v. Gierke, a. a. 0., S. 605 ff., Walther Merk, Bad. GemarkungsR, S.101. 14° Vgl. z. B. Art.156 württ. GO v. 1930, § 87 bad. GO von 1921. 141 Vgl. Merk, a. a. 0. 142 So im Anschluß an die DGO die bayr. GO (Art. 74), während die bad.württ. GO zwischen nichtrechtsfähigen und rechtsfähigen Stiftungen unterscheidet und die Umwandlung oder Aufhebung bei nichtrechtsfähigen Stiftungen der Gemeinde unter der Pflicht zur Vorlage an die Rechtsaufsichtsbehörde (vgl. dazu § 121 Abs. 2), bei den anderen der Rechtsaufsichtsbehörde zuweist (§ 84 GO).
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Handels-Betriebe (z. B. Ratskeller, Molkereien) nur errichten oder wesentlich erweitern, wenn der öffentliche Zweck - nicht also lediglich das Streben nach Gewinnerzielung- es rechtfertigt, das Unternehmen in angemessenem Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf steht, und- so im Anschluß an die DGO Art. 75 bayr.GO, § 77 rheinl.-pfälz. und § 89 niedersächs. GO; nicht dagegen bad.-württ. (§ 85), hessische (§ 98) und schlesw.-holst. (§ 88) GO- der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher (Bayern: "nicht ebensogut und wirtschaftlich") durch einen anderen erfüllt wird oder werden kann; es soll einen Ertrag für den Haushalt der Gemeinde abwerfen. Als wirtschaftliche Unternehmungen in dieser Hinsicht gelten nicht Unternehmungen, zu denen die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist 143 - , sowie Einrichtungen des Unterrichts-, Erziehungs- und Bildungswesens, der körperlichen Ertüchtigung, der Gesundheits- und Wohlfahrtspflege und öffentliche Einrichtungen ähnlicher Art. Bankunternehmen, d. h. Unternehmen zum Betreiben von Bankgeschäften (vgl. § 1 G v. 5. Dez. 1934, BGBl. I S. 1203), im besonderen darf die Gemeinde nicht betreiben; für das öffentliche Sparkassenwesen verbleibt es bei den besonderen Bestimmungen. Unternehmen, für die kein Wettbewerb gleichartiger privater Unternehmen besteht, dürfen den Anschluß und die Belieferung nicht davon abhängig machen, daß auch andere Leistungen oder Lieferungen abgenommen werden, wie z. B. Glühbirnen bei der Stromversorgung. Ähnliches wie für eigene Unternehmen gilt für die Beteiligung an einem wirtschaftlichen Unternehmen, wobei jedoch die Beteiligung der Gemeinde an einem Zweckverbande, an dem ausschließlich öffentliche Körperschaften beteiligt sind, unberührt bleibt; für die Beteiligung muß eine Form gewählt werden, welche die Haftung der Gemeinde auf einen bestimmten Betrag begrenzt144 • ee) Die Gemeinde bedarf zur Aufnahme von Darlehen, die nur im Rahmen des außerordentlichen Haushalts zur Bestreitung eines außerordentlichen und unabweisbaren, anderweit nicht zu deckenden, Bedarfs aufgenommen werden dürfen, zur Übernahme von Bürgschaften und Verpflichtung aus Gewährverträgen und zur Bestellung anderer Sicherheiten der Genehmigung der Aufsichtsbehörde145• 143 Vgl. dazu Suren-Loschelder, Erl. B. zur DGO (1940), Bd. 2, S. 90 f., ferner Fischerhof, Öff. Versorgung mit Wasser, Gas, Elektrizität u. öff. Verw., in DÖV 1957, S. 305 ff. 144 Für die Betriebe ohne eigene Rechtspersönlichkeit (Eigenbetriebe) vgl. bis zum Erlaß neuer Gesetze vorerst noch die EigenbetriebsVO v. 21. Nov. 1938 (RGBl. I, S. 1650); wegen der Vorlegungspflicht bestimmter einschlägiger Beschlüsse der Gemeinde vgl. § 91 bad.-württ. GO. (Anzeigepflicht; Art. 76 bayr. GO). Vgl. auch Art. 80 bayr. GO. - S. auch Ehrensberger, Verf.rechtl. Fragen im Grenzgebiet zwischen kommunal. Selbstverw. u. rechtl. Grundlagen der gemeindl. Selbstverw., in DÖV 1957, 8.164 ff. 145 Der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf nicht nur der Gesamtbetrag der Darlehen, die zur Bestreitung von Ausgaben des a. o. Haushalts-
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ff) Für jedes Rechnungsjahr hat die Gemeinde eine Haushaltssatzung zu erlassen; das Rechnungsjahr deckt sich mit dem des Landes- vgl. § 82 DGO und z. B. § 99 bad.-württ. GO - , d. h. lief bisher vom 1. April bis zum 31. März des nächsten Jahres und wurde benannt nach dem Jahr, in das der Beginn des Rechnungsjahres fiel; vom 1. Januar 1962 ab fällt es - wie in Bund (vgl. § 2 RHaushO i. d. F. d. G v. 29. Dez. 1959 (BGBl. I S. 832) und Land - mit dem Kalenderjahr zusammen (vgl. z. B. das bad.-württ. G zur Anpassung des Rechnungsjahres an das Kalenderjahr vom 6. Febr. 1961, GBl. S. 31). Die Haushaltssatzung enthält die Festsetzung des Haushaltsplans über alle voraussichtlichen Ausgaben undEinnahmen im ordentlichen und außerordentlichen Haushaltsplan, der Steuersätze für die Gemeindesteuern, die für jedes Rechnungsjahr neu festzusetzen sind- wie insbesondere die Hebesätze der wichtigsten beiden Gemeindesteuern, der Grund- und vor allem der Gewerbesteuer146 - , ferner des Höchstbetrags der Kassenkredite - d. h. Kredite zur rechtzeitigen Leistung von Ausgaben des ordentlichen Haushaltsplans, die aus ordentlichen Einkünften im Laufe des Rechnungsjahres wieder abgedeckt werden sollen147 - und des Gesamtbetrags der zur Bestreitung von Ausgaben des außerordentlichen Haushaltsplans bestimmten Darlehen. Die Haushaltssatzung ist vor Beginn des Rechnungsjahres der Aufsichtsbehörde vorzulegen148 . Die Satzung ist öffentlich bekanntzumachen; gleichzeitig ist der Haushaltsplan eine Woche lang öffentlich aufzulegen. Die Haushaltssatzung, die nötigenfalls14 g im
plansdienen sollen, im Rahmen der Haushaltssatzung, sondern auch die Aufnahme der einzelnen Darlehen, deren Gesamtbetrag genehmigt worden ist. Vgl. im übrigen§§ 92 ff. bad.-württ. GO, Art. 82 ff. bayr. GO.- Wegen der Gewährung staatlicher Zuschüsse in besonderen Fällen vgl. noch unten § 28 Ziff. II b.
146 Nach Art. 106 GG i. d. F. v. 24. Dez. 1956 (BGBI. I, S. 1077) steht jetzt bundesverfassungsrechtlich den Gemeinden das Aufkommen der sog. Realsteuern zu, während von der Einkommen- und Körp.Steuer den Gemeinden und Gemeindeverbänden insges. ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Hundertsatz zusteht (in Baden-Württemberg nach § 7 Fin.Ausgl.G i. d. F. der Bek. v. 20. Jan. 1958, GBI. S. 10, nach Abzug des Bundesanteils und gewisser Vorwegabzüge als Gesamtanteil 20 vH in jedem Rechnungsjahr). - Vgl. das GewStG v. 1. Dez. 1936 i. d. F. v. 13. Sept. 1961 (BGBI. I, S. 1731) und das GrStG v. 1. Dez. 1936 i. d. F. v. 10. Aug. 1951 (BGBI. I, S. 519, 790), abg. durch G v. 12. April 1961 (BGBI. I, S. 425), ferner Heckt, NeuO d. verf.rechtl. Grundlagen der gemeindl. Selbstverw., in DÖV 1957 S. 164 ff. - Als sonstige Gemeindesteuern kommen insb. die GetränkeSt., die HundeSt., die VergnügungsSt. und die EinwSt. in Betracht. 147 Vgl. auch vorerst noch die RücklagenVO v. 5. Mai 1936 (RGBI. I, S. 135). 148 Für Baden-Württ. vgl. noch § 121 Abs. 2 GO, wonach ein Beschluß der Gemeinde, der nach gesetzlicher Vorschrift der Rechtsaufsichtsbehörde vorzulegen ist, erst vollzogen werden darf, wenn die Aufsichtsbehörde die Gesetzmäßigkeit bestätigt oder den Beschluß innerhalb eines Monats nicht beanstandet hat. - In Bayern ist die Genehmigung der Aufsichtsbehörde für den Höchstbetrag der Kassenkredite und den Gesamtbetrag der benötigten Darlehen im außerordentlichen Haushaltsplan erforderlich (Art. 83, 87 GO). 149 Nämlich, wenn der im Haushaltsplan vorgesehene Ausgleich der Ein-
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Laufe des Rechnungsjahres durch eine Nachtragssatzung zu ändern ist, bildet die Grundlage für die Verwaltung aller Einnahmen und Ausgaben, die nach der Haushaltssatzung zu führen ist. Die Haushaltsmittel dürfen nur insoweit und nicht eher in Anspruch genommen werden, als es bei einer wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung erforderlich ist; außer- und überplanmäßige Ausgaben dürfen nur bei unabweisbarem Bedürfnis geleistet werden150 • Für das Finanzwesen (Besorgung der Haushaltsplangeschäfte, Vorbereitung und Aufstellung der Jahresrechnung sowie die Verwaltung des Vermögens und der Rücklagenbestände) soll in Gemeinden, die nicht von einem gemeinsamen Fachbeamten betraut werden, ein Beamter bestellt werden. In einer Jahresrechnung ist das Ergebnis der Kassen- und Haushaltsführung und der Vermögensverwaltung im Rechnungsjahr nachzuweisen, wobei insbesondere erkennbar zu machen ist, inwieweit der Haushaltsplan eingehalten worden ist, welcher Überschuß oder Fehlbetrag sich ergibt und wie sich das Vermögen und die Schulden der Gemeinde verändert haben; diese Jahresrechnung ist im ersten Halbjahr des neuen Rechnungsjahres aufzustellen; sie wird zur Einsicht durch die Bürger und Abgabepflichtigen aufgelegt 151 ; auf Grund einer Eigenprüfung - unter Hernahmen und Ausgaben auch bei Ausnützung jeder Sparmöglichkeit nur durch eine Änderung der Haushaltssatzung erreicht werden kann oder überplanmäßige oder außerplanmäßige Ausgaben in erheblichem Umfang geleistet werden müssen und hierdurch der Haushaltsausgleich gefährdet wird. Vgl. Art. 95 bayr. GO, § 103 bad.-württ. GO. 150 Sie bedürfen, wenn erheblich, der Zustimmung des GRats nach § 106 bad.-württ. GO; überhaupt nach Art. 97 bayr. GO; wenn sie zum a. o. Haushalt gehören, dürfen sie nur nach Änderung der Haushaltssatzung geleistet werden (bad.-württ. GO., bayr. GO a. a. 0.). Haftung bei Verstoß gegen Haushaltsvorschriften: § 107 bad.-württ. GO. 151 In Bad.-Württ. stellt der GRat das Ergebnis der Jahresrechnung fest. In Gemeinden, die ein Rechnungsprüfungsamt haben - ein solches müssen Stadtkreise und Große Kreisstädte haben - nach Abschluß der Eigenprüfung. Die Jahresrechnung ist mit der Niederschrift über die Beschlußfassung des Gemeinderats, in Gemeinden mit einem Rechnungsprüfungsamt auch mit dessen Prüfungs- und Schlußbericht, für die Rechtsaufsichtsbehörde zur Aufsichtsprüfung bereitzustellen. Das Rechn.Prüf.Amt, das bei der Erfüllung der ihm zugewiesenen Prüfungsaufgaben unabhängig und an Weisungen nicht gebunden ist, ist dem Bürgermeister unmittelbar unterstellt. Es hat die Jahresrechnung vor der Feststellung ihres Ergebnisses durch den Gemeinderat daraufhin zu prüfen, ob (1) bei den Einnahmen und Ausgaben und bei der Vermögensverwaltung nach dem G und den bestehenden Vorschriften verfahren worden ist, (2) die einzelnen Rechnungsbeträge sachlich und rechnerisch in vorschriftsmäßiger Weise begründet und belegt sind, (3) der Haushaltsplan eingehalten worden ist und (4) das Vermögen und die Schulden richtig nachgewiesen worden sind. Es legt dem Bürgermeister einen Bericht über das Prüfungsergebnis vor; dieser veranlaßt die Aufklärung etwaiger Beanstandungen. Das Rechnungsprüfungsamt faßt seine Bemerkungen in einem Schlußbericht zusammen, der dem GRat, in Gemeinden mit Bürgerausschußverfassung auch dem Bürgerausschuß, vorzulegen ist. - Die Aufsichtsprüfung erstreckt sich darauf, ob bei der Haushalts-, Kassen- und Rechnungsführung sowie der Wirtschaftsführung der Eigenbetriebe und der Vermögensverwaltung die gesetzlichen Vorschriften eingehalten und die zweckgebundenen Staatszuschüsse bestim-
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anziehung eines Rechnungsprüfungsamtes in den Gemeinden, in denen ein solches besteht, - und einer Aufsichtsprüfung durch die Aufsichtsbehörde wird der Verwaltung die Entlastung erteilt. gg) Rechtsgeschäfte des bürgerlichen Rechtsverkehrs der Gemeinde, die ohne die erforderliche Genehmigung der Aufsichtsbehörde vorgenommen werden, sind rechtsunwirksam, bei Versagung der Genehmigung nichtig.
7) Die Aufsicht des Staates
Bei der Aufsicht des Staates über die Gemeinden ist zu unterscheiden zwischen der Staatsaufsicht i. e. S. (einschl. der sog. Sonderaufsicht) und der Fachaufsicht. 1') Im allgemeinen
aa) Die Staatsaufsicht i. e. S.
Die Staatsaufsicht152 überwacht die Gemeinden mit Bezug auf ihre Selbstverwaltungsangelegenheiten, um sicherzustellen, daß sie im Einklang mit den Gesetzen verwaltet werden, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Dabei soll jedoch die Aufsicht so gehandhabt werden, daß die Entschlußkraft und Verantwortungsfreudigkeit der Gemeinde nicht beeinträchtigt wird. Sie ist, kurz gesagt, grundsätzlich "Rechtsaufsicht", d. h. der Staat überwacht im liberalen wie auch im sozialen Rechtsstaat die Gemeindeverwaltung nur mitBezug aufdie Einhaltung von Gesetz und Recht einschließlich der Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten, wie dies jetzt regelmäßig schon in der Verfassung festgelegt ist153 • So mungsgemäß verwendet worden sind. Die RAufs.Behörde teilt der Gemeinde das Ergebnis der Aufsichtsprüfung mit und gibt ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Ergibt die Aufsichtsprüfung erhebliche Verstöße, so veranlaßt die RAufs.Beh. die Gemeinde, die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen. Als Abschluß der Aufsichtsprüfung erteilt die RAufs.Beh. der Gemeinde die Bestätigung, daß die Aufsichtsprüfung keine erheblichen Verstöße ergeben hat oder daß alle wesentlichen Anstände erledigt sind. Nach Abschluß der Aufsichtsprüfung beschließt der GRat über die Entlastung des Bürgermeisters (§§ 109 ff. bad.-württ. GO). Ebenso beschließt nach der schlesw.-holst. GO die Gemeindevertretung über die Entlastung(§ 113). 152 Im franz. Recht "tuteile administrative" genannt. Ihre Einrichtung als Landesrecht steht im Einklang mit Art. 28 GG ("im Rahmen der Gesetze"); BVerwGE 2, S. 332. - Vgl. hierzu noch Friedrichs, GAufsicht, in VerwArch. Bd. 30, S. 74 ff., 179 ff. 153 Eine Besonderheit stellt es dar, wenn nach Art. 78 Abs. 4 nordrh.-westf. Verf. das Land sich bei den Pflichtaufgaben ein Weisungs- und Aufsichtsrecht nach näherer gesetzl. Vorschrift vorbehalten kann; vgl. § 3 Abs. 2 GO. Vgl. entsprechend auch § 2 Abs. 3 bad.-württ. GO. Vgl. im übrigen Art. 75 bad.-württ. Verf., Art. 83 Abs. 4 bayr. Verf., Art. 137 Abs. 3 hess. Verf., Art 49 Abs. 3 rh.-pf. Verf., Art. 39 Abs. 3, schl.-holst. LSatzung - Nach § 7 bad.-württ. AG z. VwGO v. 22. März 1960 (GBL S. 94) erläßt das Landratsamt als Rechtsaufsichtsbehörde auch den Bescheid über den Widerspruch gegen einen Verw.Bescheid einer Gemeinde, die der RAufsicht des Landratsamtes untersteht, in Selbstverwaltungsangelegenheiten (weisungsfreien Ang.), während die Nachprüfung unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten der Gemeinde vorbehalten bleibt.
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z. B. mit Bezug auf die Pflicht zur Gewährung öffentlicher Fürsorge, wenn die Gemeinde Fürsorgeverband ist, dagegen nicht mit Bezug auf ihre Zweckmäßigkeit, d. h. mit Bezug auf die Ausübung freien pflichtmäßigen Ermessens, das sich aus der Gewährung der Selbstverwaltung ergibt, wie z. B. bei der Besetzung von Gemeindeämtern auf Grund einer Auswahl aus den bei einer öffentlichen Ausschreibung sich meldenden Bewerbern, soweit nicht der Staat durch besonderes Gesetz bestimmte Pflichten auferlegt hat, wie z. B. bei den ausgedienten Unteroffizieren und Mannschaften - im allgemeinen nach Ablauf einer 12jährigen Dienstzeit - als Inhabern eines sog. Zulassungsscheins behufs deren Versorgung als Beamte oder Angestellte in der bürgerlichen Verwaltung (§§ 9, 10 SoldatenversorgungsG v. 26. Juli 1957 i. d. F. v. 8. Sept. 1961, BGBl. I S. 1686), ferner nach dem SchwerbeschädigtenG v. 16. Juni 1953 i. d. F. v. 14. August 1961 (BGBl. I S. 1234) hinsichtlich der Unterbringung der Schwerbeschädigten (§ 3) usw. Anders, soweit eine Genehmigung des Staates zu gewissen Handlungen der Gemeinde erforderlich ist, was eine Erweiterung des Bereichs der Staatsaufsicht in Bezug auf Fragen des freien Ermessens oder der Zweckmäßigkeit bedeutet, was aber neuerdings auch z. T. näher begrenzt worden ist (vgl. z. B. o. Anm. 133). Da Ermessensmißbrauch oder Ermessensüberschreitung, wie früher schon ausgeführt, eine Rechtsverletzung bedeutet, so erstreckt sich die Staatsaufsicht als Rechtsaufsicht auch darauf154 . Aufsichtsbehörde ist das Landratsamt als untere Verwaltungsbehörde155, für Stadtkreise (in Baden-Württemberg auch für Große Kreisstädte)156 das Regierungspräsidium (der Regierungspräsident); obere Aufsichtsbehörde ist für alle Gemeinden das Regierungspräsidium, oberste Aufsichtsbehörde das Landesinnenministerium. 154 Der Auffassung, daß diese Fälle der Genehmigung beseitigt und der Staat in vollem Umfang auf die Rechtsaufsicht beschränkt werden sollte, wie Becker in der "Gemeinde" (vgl. 1. Heft Nr. 2/3, 1940) fordert, vermag ich nicht beizutreten; es könnten m. E. nur Erleichterungen, wie sie für die größeren Gemeinden früher schon bestanden, in Frage kommen. Die Verhältnisse in den kleinen und mittleren Gemeinden, aber auch die Erfahrungen, die seinerzeit mit der weitgehenden Freiheit nach der Steinsehen StädteO gemacht worden sind, dürfen nicht außer acht gelassen werden. 155 So, obwohl der Landrat z. B. in Bayern u. Bad.-Württ. nicht mehr Staatsbeamter ist, als untere staatl. Verwaltungsbehörde: die Staatsaufsicht über die kreisfreien Gemeinden liegt in Bayern den Regierungen ob. In Hessen ist Aufsichtsbehörde für Frankfurt a. M. der Minister d. I., für Gemeinden mit mehr als 30 000 Einw. der Regierungspräsident, für die übrigen Gemeinden der Landrat (§ 136 GO). In Nordrhein-Westf. übt der Innenminister die Staatsaufsicht aus, der sie allgemein übertragen kann (§ 106 GO). In SchleswigHolstein ist GAufs. Beh. für die Landgemeinden und für die kreisangehörigen Städte bis 20 000 Einw. der Landrat, für die Städte über 20 000 Einw. sowie oberste Gem.Aufs.Beh. der Innenminister. 156 In Bad.-Württ. sind die bisherigen nichtkreisangehörigen Städte - nämlich Baden-Baden, Freiburg, Heidelberg, Heilbronn, Karlsruhe, Mannheim, Pforzheim, Stuttgart und Ulm - Stadtkreise. Gemeinden, die nach bish. R unmittelbare Kreisstädte waren (Aalen, Eßlingen a. N., Friedrichshafen, Geis-
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2;) Als Mittel zur Handhabung der Staatsaufsicht stehen der Staatsaufsichtsbehörde - außer dem Dienststrafverfahren in persönlicher Hinsicht nach den darüber bestehenden gesetzlichen Vorschriften157 gegen die Gemeindebeamten, die sich Verfehlungen gegen ihre Dienstpflichten zuschulden kommen lassen - in sachlicher Hinsicht insbesondere zur Verfügung: (1) Das Unterrichtungsrecht
Die Staatsaufsichtsbehörde kann sich, soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, jederzeit über alle Angelegenheiten der Gemeinde in geeigneter Weise unterrichten, sie auch an Ort und Stelle - auch mittels sog. Ortsbesichtigungen oder -bereisungen158 - (z. B. mit Bezug auf das Kassenwesen) prüfen und besichtigen, mündliche und schriftliche Berichte und Auskünfte einfordern sowie Akten und sonstige Unterlagen einsehen; das Recht, auch an allen Beratungen des Gemeinderats teilzunehmen, wie es z. T. früher bestand, besteht jetzt irrfolge Fehlenseiner dahingehenden Vorschrift nicht mehr. (2) Das Beanstandungsrecht
Die Staatsaufsichtsbehörde kann Beschlüsse und Anordnungen der Gemeinde, die das bestehende Recht verletzen, mit aufschiebender Wirkung beanstanden und verlangen, daß sie von der Gemeinde binnen einer angemessenen Frist aufgehoben werden und Maßnahmen, die auf Grund derartiger Beschlüsse und Anordnungen getroffen worden sind, rückgängig gemacht werden159 • (3) Das Anordnungsrecht
Erfüllt die Gemeinde die ihr gesetzlich obliegenden Pflichten nicht, wie z. B. die Pflicht zur Bezahlung von Gehältern oder Ruhegehältern lingen a. d. St., Göppingen, Heidenheim, Ludwigsburg, Ravensburg, Reutlingen, Schw.-Hall, Schwenningen a. N., Tübingen, Tuttlingen) sowie die Städte Backnang, Bruchsal, Fellbach, Kirchheim u. T., Konstanz, Kornwestheim, Lahr, Lörrach, Offenburg, Rastatt, Singen a. H., Villingen und Weinheim sind Große Kreisstädte; auch die Gemeinden, die bei Inkrafftreten der GO mehr als 20 000 Einwohner haben, sind durch die Landesregierung zu Großen Kreisstädten zu erklären (§ 131 GO). 157 Vgl. dazu z. B. § 146 bad.-württ. GO, wonach auf den Bürgermeister und die sonstigen Gemeindeharnten sowie die Gemeinderäte und Gemeindeverordneten, soweit sie als Ehrenbeamte gelten, die für die Landesbeamten geltenden dienststrafrechtliehen Vorschriften insoweit Anwendung finden, als nicht besondere Vorschriften für die Gemeindebeamten bestehen oder erlassen werden. 158 Vgl. Geißler, Gemeindebesuche oder nicht?, in DÖV 1956, S. 115 f. m Für Baden-Württ. vgl. wegen der Beschlüsse der Gemeinde, die nach gesetzlicher Vorschrift der Rechtsaufsichtsbehörde vorzulegen sind, § 121 Abs. 2 GO (o. Anm. 148).- Gesetzliche Anerkennung des Folgenbeseitigungsanspruchs I
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von Gemeindebeamten160 , die Straßenunterhaltungspflicht mit Bezug auf öffentliche Gemeindewege, die Pflicht zur öffentlichen Fürsorge bzw. Sozialhilfe nach dem BSozHG vom 30. Juni 1961 (BGBI. I S. 815), wenn sie Fürsorgeverband bzw. Träger der Sozialhilfe (als kreisfreie Stadt) ist, so kann die Aufsichtsbehörde anordnen, daß die Gemeinde innerhalb einer angemessenen Frist die notwendigen Maßnahmen durchführt. Unerheblich ist im übrigen, ob die Pflicht unmittelbar durch das Gesetz begründet oder auf Grund des Gesetzes und ihm gemäß durch Verfügung der zuständigen Behörde der Gemeinde zur Auflage gemacht ist181 • Etwa freiwillig übernommene Aufgaben als solche kommen hierbei nicht in Betracht162 ; ebenso wenig gehören bürgerlich-rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde, wie z. B. freiwillige Zuschüsse zu Wegebauten eines wegebaupflichtigen Kreises (vgl. Pr.OVG Bd. 16 S. 222, Bd. 45 S. 144, Bd. 79 S. 60) hierher: deren Durchsetzung richtet sich nach den Vorschriften der ZPO (vgl. jedoch noch dazu u. Ziff. 8). Nicht dagegen ist von Bedeutung, ob die gesetzliche Pflicht die Gemeinde als öffentlich-rechtliche Körperschaft trifft, wie z. B. Sozialhilfe (als Träger der Hilfe) oder nicht, wie z. B. Deichkosten, die sie wie jeden privaten Grundstückseigentümer treffen (vgl. dazu auch Pr.OVG Bd. 19 S. 178). Unter diese Maßnahmen fällt auch die sog. Zwangseinschreibung163, d. h. die Befugnis zur Durchsetzung einer der Gemeinde gesetzlich obliegenden Verpflichtung, einen Betrag in den Haushaltsplan einzustellen 1r,4, oder, falls die Gemeinde überhaupt unterläßt, eine geordnete Haushaltssatzung aufzustellen, eine solche einschließlich eines Haushaltsplans von Amts wegen aufzustellen und zu erlassen165 • Es 160 Dies, obwohl ihnen bisher für diese öffentlich-rechtlichen Ansprüche der Rechtsweg offen steht; denn es gehört, wie das Pr. OVG Bd. 78, S. 59 zutreffend ausführt, zu den Anforderungen, die an ein geordnetes Gemeinwesen zu stellen sind, daß es den Beamten ihre Gehälter ausbezahlt. 161 So auch Pr. OVG Bd. 69, S. 78 für den früheren entsprechenden § 19 ZustG. 162 Daß durch die bloße Inaussichtstellung der Aufnahme eines Zuschusses in den Haushaltsplan, z. B. für eine gemeinnützige Anlage einer öffentlichrechtlichen Körperschaft, eine Verbindlichkeit nicht begründet wird, ergibt sich bereits aus der entsprechend anwendbaren Bestimmung des§ 24 RHaushaltsO, wonach Ansprüche und Verbindlichkeiten Dritter durch den Haushaltsplan weder begründet noch aufgehoben werden. 163 Entsprechend der "inscription d'office" des franz. R. Hier ist sie aber das einzige Mittel der Zwangsvollstreckung für Privatgläubiger, da eine Zwangsvollstreckung gegen die Gemeinden wie gegen den Staat ausgeschlossen ist. Im übrigen kann eine Gemeinde nach einem Edikt von 1683 nur mit besonderer Erlaubnis der St.Aufs. Beh. klagen und verklagt werden (vgl. 0. Mayer, Theorie d. Franz.VerwR S. 461 und Laubadere, Traite eL de droit admin., 2. Aufl., S. 331).- Vgl. auch Weinreich, Die Zwangsetatisierung, in VerwArch. Bd. 13, S. 497 ff. 164 So z. B. auch im Falle der nichteingeholten Erlaubnis für die Abänderung eines Bauwerks einer Gemeinde (Turm) wegen der Kosten der Wiederherstellung in den früheren Zustand. Vgl. Pr. OVG Bd. 47, S. 52. 165 Vgl. wegen der rechtlichen Natur der Zwangseinschreibung insb. Pr. OVG Bd. 43, S. 137, wonach ihre Bedeutung in der von Aufsichts wegen verfügten
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kann sich hierbei um einmalige oder dauernd, über mehrere Jahre hinaus sich erstreckende, Beträge handeln: es steht nichts im Wege, bei dauernden oder über mehrere Jahre sich erstreckenden geschuldeten Leistungen deren jedesmalige Eintragung in jeden künftigen Haushaltsplan von vornherein und ein für allemal zu verfügen, wie z. B. bei Gehältern von Gemeindebeamten usf. (Vgl. dazu auch Pr.OVG Bd. 27 S. 135 ff., Bd. 30 S. 143 f., Bd. 77 S. 120).
(4) Die Ersatzvornahme Kommt die Gemeinde einer Anordnung der Aufsichtsbehörde in den bisher angeführten Fällen (Ziff. 1-3) innerhalb der bestimmten Frist nicht nach, so kann die Aufsichtsbehörde die Anordnung- ähnlich wie bei Verfügungen im Zwangsverfahren gegen einen Einzelnen (vgl. u. 3. Buch) - an Stelle und auf Kosten der Gemeinde selbst durchführen oder die Durchführung einem Dritten übertragen im Wege der sog. Ersatzvornahme. Nach der- insoweit auch heute noch zutreffendenBegründung der DGO kann danach jede erforderliche rechtserhebliche Erklärung von der Aufsichtsbehörde abgegeben werden und sie jedes Recht der Gemeinde, und zwar sowohl auf dem Gebiete des öffentlichen wie des bürgerlichen Rechts, mit voller Rechtswirkung für die Gemeinde und Dritte ausüben, z. B. auch die zur Führung eines Rechtsstreits erforderliche Vollmacht erteilen.
(5) Die Einsetzung eines Staatsbeauftragten Wenn die Verwaltung der Gemeinde in erheblichem Umfang nicht den Erfordernissen einer gesetzmäßigen Verwaltung entspricht und die bisher aufgezählten Befugnisse der Aufsichtsbehörde nicht ausreichen, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Gemeinde zu sichern, kann die Aufsichtsbehörde einen Staatsbeauftragten bestellen, der alle oder einzelne Aufgaben der Gemeinde für sie und auf ihre Kosten wahrnimmt. Neben diesen Maßnahmen können aber nach gesetzlicher Vorschrift auch noch weitere in Betracht kommen, z. B. die Sperrung von Finanzzuweisungen, die im Rahmen des Finanzausgleichs zustehen, etwa nach Ergänzung der Zustimmung der Gde. zu der von der zuständigen Behörde festgestellten, vom Gemeindevorstand aber verweigerten Leistung und der dadurch entstehenden Pflicht der Beamten besteht, die zwangseingeschriebene Zahlung zu leisten und die dazu erforderlichen Mittel - nötigenfalls im Wege der Umlage- zu beschaffen; es wird dadurch für die Durchführung der Feststellung ein Weg eröffnet, der von der Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gde. verschieden ist und u. U. der allein zum Ziele führende sein kann, nämlich dann, wenn die Zwangsvollstreckung wegen Mangels an Vermögensstücken, die zu ihrem Gegenstand gemacht werden könnten, versagt.
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vorheriger Androhung, die Auflösung der Gemeindevertretung und die Anordnung von Neuwahlen usf. 166•
(6) Der Rechtsschutz Die Gemeinde kann gegen Verfügungen der Aufsichtsbehörde in Selbstverwaltungsangelegenheiten (also auf dem Gebiete der Rechtsaufsicht) - nicht dagegen in Auftragsangelegenheiten (vgl. u. Buchst. bb)- Rechtsmittel einlegen, und zwar jetzt z. B. in Baden-Württemberg nach Maßgabe des 8. Abschnitts der VwGO Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erheben (vgl. u. 5. Buch) 167 • Im übrigen kommt jetzt bei Eingriffen in die Rechte der Gemeinde durch die öffentliche Gewalt- soweit nicht verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz besteht, was jetzt allgemein zutrifft (vgl. § 40 VwGO) - aushilfsweise der ordentliche Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG in Betracht. Ferner kann die Gemeinde die Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht erheben, wenn ein Bundes- oder Landesgesetz die Vorschrift des Art. 28 GG verletzt; die Verfassungsbeschwerde ist jedoch ausgeschlossen, soweit eine Beschwerde wegen Verletzung des Rechts der Selbstverwaltung nach dem Landesrecht beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann@ 91 BVerfGG v. 12. März 1951). Ansprüche der Gemeinde gegen Gemeinderäte, Gemeindeverordnete und den Bürgermeister werden von der Aufsichtsbehörde auf Kosten der Gemeinde geltend gemacht. Neben der allgemeinen Staatsaufsicht kommt noch nach besonderen Gesetzen eine weitergehende besondere Aufsicht168 mit Bezug auf be168 So besteht nach der bayr. GO ein Recht der Staatsregierung, den GRat aufzulösen und eine Neuwahl des 1. Bürgermeisters oder des GRats oder beider anzuordnen (Art.114). Auflösung einer Gemeindevertretung auf Antrag des Landesministers d. I. durch den Landtag, wenn sie dauernd beschlußunfähig ist oder eine ordnungsmäßige Erledigung der Gemeindeaufgaben auf andere Weise nicht gesichert werden kann, in welchem Falle binnen drei Monaten nach Mitteilung des Auflösungsbeschlusses eine neue Wahl durchzuführen ist; Sperrung, Kürzung oder Streichung von Finanzzuweisungen ("Finanzsperre"), nach vorheriger Androhung durch den LMin d. I. bei Gesetzesverletzung, wenn die anderen Maßnahmen nicht ausreichen: §§ 44, 126 schlesw.-holst. GO. Auflösung des Rats durch den LandesMin., wenn er dauernd beschlußunfähig ist oder eine ordnungsmäßige Erledigung der Gemeindeaufgaben auf andere Weise nicht erreicht werden kann:·§ 61 niedersächs.GO; Beendeterklärung des Amtes des Bürgermeisters, wenn dieser den Anforderungen seines Amtes nicht gerecht wird und dadurch so erhebliche Mißstände in der Verwaltung eintreten, daß eine Weiterführung des Amtes aus Gründen des öffentlichen Wohls nicht vertretbar ist, sofern andere Maßnahmen nicht ausreichen, in einem förmlichen - dem förmlichen Dienststrafverfahren entsprechenden- Verfahren:§ 128 bad.-württ. GO. 167 § 125 bad.-württ. GOi. d. F. d. G. v. 22. März 1960 (GBl. S. 94); für Bayern vgl. Art. 118 GO. 168 Vgl. H. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung (1926), S. 249, E. Becker, Gemeindeverf. u. Gemeindeverw., in "Verwaltung" herausg. v. F. Giese, S. 18.
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stimmte Selbstverwaltungsangelegenheiten in Betracht wie z. B. mit Bezug auf das Forstwesen, Jagdwesen, Schulwesen 169 , die sich nicht nur auf eine Aufsicht in rechtlicher Hinsicht beschränkt, sondern im allgemeinen sich auch auf Zweckmäßigkeitsfragen, insbesondere mit Bezug auf die Wirtschaftlichkeit, richtet. Sie ist z. T. als "Sonderaufsicht" bezeichnet worden; da sich eine solche Prüfung der Zweckmäßigkeit aber auch bei den Genehmigungsfällen der allgemeinen Staatsaufsicht vorfindet, dürfte sich eine besondere Bezeichnung erübrigen. bb) Die Fachaufsicht Gegenüber der Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten reicht die Fachaufsicht170 der zuständigen Staatsbehörde im übertragenen Wirkungskreis der Gemeinde, d. h. in Auftragsangelegenheiten, weiter, sofern sie nicht nur eine Rechtsaufsicht ist, sondern sich auch auf das Ermessen bezieht und mit Bezug darauf Weisungen allgemeiner Art oder im Einzelfalle erteilt werden können; dasselbe gilt neuerdings für Pflichtaufgaben mit Weisungsvorbehalt (vgl. o. Ziff. 1 cc). Dabei gehen jetzt, wie früher bereits bemerkt, aber die neueren Bestrebungen z. T. auf eine Begrenzung des Umfangs der Weisungsbefugnis durch Gesetz, z. B. auf eine Einschränkung auf allgemeine Weisungen im Gegensatz zu Weisungen im Einzelfalle. Über die Mittel zur Durchsetzung der Fachaufsicht enthalten die Gemeindeordnungen im allgemeinen keine besonderen Vorschriften. Außer dem Unterrichtungsrecht kommen hier ggf. zunächst Weisungen in Betracht; im übrigen ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Fachaufsichtsbehörde auf die Mitwirkung der allgemeinen Staatsaufsichtsbehörde, der sog. Rechtsaufsichtsbehörde, etwa wegen Ersatzvornahme, Bestellung eines Beauftragten, Sperrung von Zuschüssen usf., angewiesen171 • In diesen Angelegenheiten steht der Gemeinde bzw. dem betreffenden Willensträger der Gemeinde nur die Gegenvorstellung und die Dienstaufsichtsbeschwerde an die höhere Fachaufsichtsbehörde zu. Beschwerden bzw. Widersprüche der Einzelnen gegen Verfügungen und Entscheidungen der Gemeinde in Auftragsangelegenheiten hat die Fachaufsichtsbehörde zu entscheiden. Andere Behörden und Stellen als die Aufsichtsbehörden sind zu Eingriffen in die Gemeindeverwaltung nicht befugt. m Vgl. dazu noch § 141 bad.-württ. GO (Schulwesen und Forstwesen). FernerE. Becker im Hdb. d. komm. Wiss. u. Praxis, Bd. 1 (1956), S. 173. 170 Dieser Ausdruck z. B. in Art. 115, 116 bayr. GO, § 129 bad.-württ. GO, § 130 schlesw.-holst. GO. Der früher dafür z. T. gebrauchte Ausdruck "Dienstaufsicht" ist insofern ungenau, als den Gemeinden über ihre Beamten und Angestellten die Entscheidung über ihre persönlichen Angelegenheiten zusteht. 171 Vgl. hierzu Art. 116 bayr. GO, § 129 bad.-württ. GO, § 130 schlesw.-holst. GO,§ 145 hess. GO.
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Im übrigen erschöpft sich die Staatstätigkeit gegenüber den Gemeinden nicht in einer bloßen Aufsicht. Vielmehr spielt in der Verwaltungsübung die anregende und beratende Tätigkeit der Staatsbehörden, insbesondere in kleineren Gemeinden, z. T. eine erhebliche Rolle, wie u. a. z. B. seinerzeit bei der Einführung der Elektrizitätsversorgung auf dem Lande, bei der Einrichtung neuer Gemeindeeinrichtungen und ihrer Finanzierung usf. Weiter sei hier erwähnt die Gewährung von Staatszuschüssen bei ungenügender Finanzlage, insbesondere bei den Vorhaben, die, wie Schulhaus-, Wegebauten, Wasserversorgungsanlagen usw., keinen Ertrag abwerfen, ferner die Finanzzuweisungen des Staates an die Gemeinden (wie auch die Stadt- und Landkreise), nämlich Anteile an dem dem Lande nach Abzug des Bundesanteils verbleibenden Aufkommen an der Einkommen- und Körperschaftsteuer (z. B. z. Z. in Baden-Württ. 20 vH als Gesamtanteil in jedem Rechnungsjahr), sei es als unmittelbare Zuweisung, sei es über einen Notstock (für besonders schwer kriegsbetroffene Gemeinden) oder einen Ausgleichsstock. So z. B. nach dem bad.-württ. FinanzausgleichsG vom 21. Januar 1958 (GEL S. 10). Dazu kommen noch Polizeikostenzuschüsse für Gemeinden mit eigener Vollzugspolizei. Auf der anderen Seite stehen Beiträge der Gemeinden z. B. zu den persönlichen Schulkosten, die der Staat für die Lehrkräfte an Dienst- und Versorgungsbezügen aufwendet, sowie zu den Kosten des Polizeivollzugsdienstes in Gemeinden ohne eigene Vollzugspolizei.
8) Zwangsvollstreckung und Konkurs
aa) Zur Einleitung der Zwangsvollstreckung gegen eine Gemeinde wegen einer Geldforderung bedarf der Gläubiger einer Zulassungsverfügung der Aufsichtsbehörde, wenn es sich nicht um die Verfolgung dinglicher Rechte handelt 172• In der Verfügung hat die Aufsichtsbehörde die Vermögensgegenstände zu bestimmen, in welche die Zwangsvollstreckung zugelassen wird, und über den Zeitpunkt zu befinden, in dem sie stattfinden soll. Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach der ZPO. bb) Ein Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinde findet nicht statt173 • II. Die Gemeindeverbände
a) D i e G e m e i n d e v e r b ä n d e im a 11 g e m e i n e n Die niederen Gemeindeverbände Schwierigkeiten für eine sachgemäße und leistungsfähige Selbstverwaltung in der Stufe der Gemeinde ergeben sich vor allem dadurch, 172 Wegen des allg. Gerichtsstandes der Gemeinden, Körperschaften usw., Stiftungen, Anstalten und Vermögensmassen, die als solche verklagt werden können, vgl. §§ 17,22 ZPO. 11a Vgl. z. B. § 127 bad.-württ. GO.
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daß eine Reihe kleiner und kleinster Gemeinden vorhanden sind, die über fachlich genügend vorgebildete Kräfte und die erforderlichen geldlichen Mittel nicht verfügen. So waren von etwa 51366 deutschen Gemeinden in der Weimarer Zeit nur 4819 Gemeindeverbände und Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern vorhanden174 ; im Reiche ohne Saarland gab es 650 Gemeinden unter 50, 3887 Gemeinden unter 100 Einwohnern und 28 435 Gemeinden mit 100 bis 500 Einwohnern175 • Abhilfe hat man in einzelnen Ländern in verschiedener Weise herbeizuführen gesucht. 1) So z. B. unter Aufrechterhaltung des bisherigen Bestandes der Gemeinden durch gemeinschaftliche Verwaltungseinrichtungen für mehrere Gemeinden. Dahin gehört z. B. die Einrichtung gemeinschaftlicher Bürgermeister für mehrere Gemeinden176 ; ferner die Einrichtung des sog. Verwaltungsaktuars für Gemeinden von nicht mehr als 3000 Einwohnern, regelmäßig für mehrere Gemeinden - eine altwürttembergische Einrichtung-, an dessen Stelle jetzt nach der bad.-württ.GO von 1955 (§ 69 ff.), wenn eine Gemeinde keine eigenen Gemeindefachbeamten (vgl. o. Ziff. I c 5) und auch der Bürgermeister nicht die Befähigung zum Gemeindefachbeamten hat, der gemeinsame Fachbeamte für mehrere Gemeinden, die vom Landkreis zu einem Verwaltungsbezirk (mit insges. 9000, bei der Bestellung weiterer Gemeindefachbeamten 15 000 Einw.) 177 zusammengefaßt worden sind, getreten ist. Er dient zur fachlichen Beratung und Unterstützung des Gemeinderats und des Bürgermeisters in allen Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung; ferner hat er das Haushaltsplan-, Steuer- und Rechnungswesen, ggf. weitere ihm durch Gesetz oder durch den Bürgermeister mit Zustimmung des Landkreises oder auch durch den Landkreis mit Bezug auf weisungsfreie Aufgaben der Landkreise übertragene Aufgaben, unbeschadet der Verantwortlichkeit des Bürgermeisters, zu besorgen; der Gemeindefachbeamte wird in der Regel als vollbeanspruchter Beamter des Landkreises im Benehmen mit den beteiligten Gemeinden angestellt, wobei Voraussetzung für seine Bestellung der Nachweis für seine Befähigung zum Gemeindefachbeamten und die Vollendung des 28. Lebensjahres ist. m Vgl. Markull in Jahrb. d. öff. R. Bd. 25 (1938), S. 236. Vgl. Nordbeck, in D. Verw. (1939), S. 41. - In Württemberg gab es 1684 Gemeinden unter 2000 Einw. (Württ. Verw.Zeitschr. 1935, S. 111 ff.), Vgl. dazu auch Göbel, in Hdb. d. komm. Wiss. u. Praxis, Bd. 1, S. 378. Danach waren nach der Volkszählung v. 13. 9. 1950 insges. 24153 Gemeinden im Bundesfreistaat vorhanden, wovon 20 914 Gemeinden weniger als 2000 Einw. haben (dabei ist für das Gebiet des D. Reiches v. 31. März 1933 gesagt, daß von 51 246 Gemeinden 47 200 weniger als 2000 und 32 163 Gemeinden weniger als 500 Einw. beherbergt haben). 1 7 6 Vgl. z. B. §§53 ff. GO für Rheinland-Pfalz, §§ 73,74 bad.-württ. GO, § 9 AmtsO für Nordrhein-Westf., §§ 84 ff. hess. GO. 177 Vgl. auch Art. 42 Abs. 2 bayr. GO. 1 75
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2) Weiter ist in diesem Zusammenhange zu erwähnen als Abhilfemaßnahme die Eingemeindung kleinerer Gemeinden in benachbarte größere, insbesondere von Dörfern als wirtschaftlichen Vororten in Städte, oder die Zusammenlegung mehrerer Gemeinden zu neuen größeren Gemeinden. So sind z. B. im früheren Lande Oldenburg bei der dort vorhandenen überwiegenden Streusiedlung durch Gesetz vom 27. April 1933 unter Beseitigung der kleinen Gemeinden 117 bisherige Gemeinden in 59 neue große Gemeinden zusammengefaßt worden mit durchschnittlich 7900 Einwohnern178 ; es kann hier dahingestellt bleiben, ob hierbei beim Fehlen einer persönlich-räumlichen Verbundenheit der Gemeindemitglieder das richtige Maß eingehalten worden ist oder das Gemeindeleben nicht zum guten Teil zum Erliegen gebracht worden ist, wie neuerdings behauptet worden ist.
3)Die Ämter
Der Beseitigung der Leistungsunfähigkeit kleiner Gemeinden dient ferner auch die Einrichtung von sog. niederen - d. h. unter dem Kreis stehenden - Gemeindeverbänden, wie sie in einzelnen Teilen Deutschlands bestehen, die als Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts zwischen Gemeinden und Landkreisen stehen und bestimmte Verwaltungsaufgaben, zu denen die einzelnen Gemeinden außerstande sind, zur Besorgung übernehmen. In dieser Hinsicht sind hier anzuführen die sog. Ämter, die schon früher im Rheinland und in Westfalen bestanden; die einheitliche Bezeichnung "Ämter" ist nach westfälischem Vorbild, wo sie früher schon vorhanden war, durch G vom 27. Dezember 1927 eingeführt worden, während bis dahin die entsprechende Bezeichnung im Rheinland "Landbürgermeisterei" war. Diese Ämterverfassung ist in jenen früheren preußischen Provinzen in Anknüpfung an bereits frühere Einrichtungen in den Jahren 1800 bis 1813 in der neuen Form entstanden179 und hat dann in der rheinischen GO vom 23. Juli 1845 (§ 103) und in der westfälischen LandGO (§ 70) vom 31. Oktober 1841 und 19. März 1856 Eingang gefunden180 • Ein einheitlicher Rechtszu178 Vgl. "Deutsche Verwaltung" Jg. 1937, S. 20; Nordheck ebd. 1939, S. 41; dazu E. Becker, a. a. 0. (Anm. 168), S. 29: Gliederung von Kreisen in 6 große Gemeinden. 179 In der Zeit der franz. Fremdherrschaft wurden durch die Verwaltungsübung der Präfekten, die nachträglich durch die franz. Reg. bestätigt wurde, planmäßig Gesamtgemeinden gebildet, da es an Dorfbürgermeistern fehlte, welche die franz. Sprache beherrschten. Auf dieser Grundlage wurden dann die rheinischen Landbürgermeistereien und ähnlich die westfäl. Ämter nach 1815 in Preußen ausgebaut. Vgl. Heffter, Gesch. d. Selbstverw., S. 106, Göbel, VerfR d. Ämter usw., in Hdb. der komm. Wiss. u. Praxis, Bd. 1, S. 377 ff. 180 Vgl. hierzu Nordbeck, in "Deutsche Verwaltung" 1937, S. 289, Göbel, a. a. 0., S. 379 ff. Das westfälische Amt (Amtsgemeinde) faßte Dörfer und Rittergüter zusammen als staatl. Verwaltungsbezirk und als Gemeindeverband mit einem vom Staate auf Lebenszeit ernannten Amtmann an der Spitze. Dieser
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stand wurde dann vorübergehend in der nationalsozialistischen Zeit unter Zugrundelegung des Führergrundsatzes in der Amtsordnung vom 8. Oktober 1934 (Ges.S S. 393) herbeigeführt, die auf Grund des § 41 der 1. Ausf.VO zur DGO durch die AnpassungsVO vom 30. Juli 1935 (MBliV Sp. 893) neu bekanntgemacht worden ist, mit der Durchf. VO vom 13. Februar 1935 (MBliV Sp. 901) 181 • Danach ist in der Rheinprovinz und in der Provinz Westfalen die Ämterverfassung erhalten geblieben und zugleich sind die Vorschriften des Gesetzes auch auf die alten - aus Bauern- und Dorfschaften sich zusammensetzenden- Samtgemeinden, die Kirchspiellandgemeinden der Kreise Husum, Norderdithmarschen und Süderdithmarschen in der Provinz SchleswigHolstein erstreckt worden(§§ 1, 37). Nach dem Zusammenbruch i. J. 1945 sind dann in den neugebildeten Ländern neue Amtsordnungen erlassen worden; in Schleswig-Holstein unter dem 17. Juni 1952 (GuVBl S. 95), in Rheinland-Pfalz im SelbstverwaltungsG, Teil B, vom 27. September 1948, jetzt i. d. F. vom 5. Oktober 1954 (GVBl. S. 117), und in Nordrhein-Westfalen unter dem 10. März 1953 (GVBl. S. 218) abg. durch G vom 11. August 1953 (GVBl. S. 334). Es können danach kreisangehörige Gemeinden des gleichen Landkreises auf ihren Antrag zu Verbänden als "Ämter" im Sinne von öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften unter Zustimmung des Kreisausschusses mittels Verfügung der oberen Aufsichtsbehörde (in Schleswig-Holstein durch den Innenminister nach Anhörung der beteiligten Gemeinden und Kreistage) zusammengeschlossen werden. Die Ämter sind berufen, die Selbstverwaltung der amtsgehörigen Gemeinden und das Wohl ihrer Einwohner zu fördern; sie verwalten ihre Aufgaben selbst unter eigener Verantwortung im Rahmen der Verfassung und der Gesetze. Sie sollen im besonderen die kleinen Gemeinden von solchen Aufgaben freistellen, die hauptamtliche Fachkräfte erfordern; daneben sollen sie die Kreise in der Erledigung ihrer Aufgaben entlasten. Die Ämter verwalten die Kassengeschäfte der amtsangehörigen Gemeinden 182 und können von den Gemeinden weitere gemeindliche Aufgaben übertragen erhalten; das Recht der Gemeinden, verwaltete die staatliche Polizei; in den Gemeindeverbandsangelegenheiten war er an die Beschlüsse der Amtsversammlung gebunden, die sich aus den Rittergutsbesitzern, den Gemeindevertretern und gewählten Abgeordneten der einzelnen Gemeinden zusammensetzte. Vgl. He:liter, a. a. 0., S. 228. 181 1934 sollen in der Rheinprovinz insg. etwa 330 Ämter mit einer durchschnitt!. Einw.Zahl von 5000 und in der Provinz Westfalen etwa 180 Ämter mit durchschnitt!. 9000 Einw. vorhanden gewesen sein. Die einzelnen Ämter umfaßten 2-40 Gemeinden. 182 In Schleswig-Holstein ist das Amt auch untere Wohnungsbehörde; es nimmt die Aufgaben der allg. u. kriegsbedingten Fürsorge wahr, stellt die Personalausweise aus und führt die Wählerverzeichnisse für die Gemeinden; es ist weiter örtliche Ordnungsbehörde mit dem Recht, PolizeiVO'en zu erlassen. Die Kreise können ihnen Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen; es können den Ämtern die Aufgaben der Standesämter übertragen werden. In Nordrhein-Westfalen sind sie Träger der öffentlichen Verwaltung zur
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für bestimmte Aufgaben Zweckverbände zu bilden, bleibt unberührt. Für die Aufgaben des Amtes finden die für die Aufgaben der Gemeinden maßgebenden Vorschriften der Gemeindeordnung entsprechende Anwendung. So kann z. B. als eine Aufgabe des Amtes in Betracht kommen der Bau einer gemeinsamen Wasserversorgung, Wegebau; Angelegenheiten der engeren örtlichen Gemeinschaft sollen hierbei den amtsangehörigen Gemeinden, und Aufgaben überörtlicher Art, welche die Leistungsfähigkeit des Amtes übersteigen, dem Landkreis überlassen werden. Außer den Selbstverwaltungsangelegenheiten nehmen die Ämter für ihr Gebiet die den Gemeinden zur Erfüllung nach Weisung übertragenen staatlichen Aufgaben (Auftragsangelegenheiten, Weisungsaufgaben) wahr, sofern im Einzelfalle nichts anderes bestimmt ist; sie stellen die zur Durchführung dieser Aufgaben erforderlichen Dienstkräfte, Einrichtungen und Mittel zur Verfügung, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen. Oberste Willensträger der Ämter sind die Amtsvertretung (Amtsausschuß) und der Amtsbürgermeister (Amtmann). Die Amtsvertretung besteht aus den Vorsitzenden der Gemeindevertretung der zugehörigen Gemeinden (so in Schleswig-Holstein) 183 oder aus den von den Bürgern der amtsangehörigen Gemeinden in allgemeinen, gleichen, freien, geheimen und unmittelbaren Wahlen auf die Dauer von vier Jahren gewählten Vertretern (wie in Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz). Der Amtsausschuß entscheidet über alle wichtigen Angelegenheiten des Amtes; er hat insbesondere die Aufgabe, die Mittel zu bewilligen, die vom Amt aufzubringen sind, und ihre Verwendung zu überwachen, den Gemeinden Vorschläge für die Angelegenheiten zu machen, die dem Amt zur Erledigung unter eigener Verantwortung zugewiesen werden, über Angelegenheiten zu beschließen, die der Amtsbürgermeister der Amtsvertretung vorlegt und die Erledigung der Gemeindeaufgaben zu überwachen, die dem Amt zur Durchführung übertragen sind. Der ehrenamtlich oder hauptamtlich tätige Amtsbürgermeister ist der verantwortliche Leiter des Amts und Vorsitzende der Amtsvertretung'8\ dem zu seiner Unterstützung und als seine Stellvertreter BeiWahrnehmung der Pflichtaufgaben, die den Gemeinden durch G zur Erfüllung nach Weisung übertragen sind, soweit nicht im Einzelfalle etwas anderes bestimmt ist. (§ 3 AmtsO). 183 Gemeinden mit mehr als 1000 Einw. entsenden ein 2., Gemeinden mit mehr als 3000 Einw. ein 3. Mitglied in den Amtsausschuß. Die Ämter sollen in der Regel nicht weniger als 3000, und nicht mehr als 10 000 Einw. umfassen. 184 Rechtswidrigen Beschlüssen des Amtsausschusses hat der Amtmann binnen 2 Wochen zu widersprechen. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung und es muß dann der Amtsausschuß nochmals über die Angelegenheit beschließen. Verletzt der neue Beschluß das Recht, so hat ihn der Amtmann schriftlich unter Darlegung der Gründe binnen 2 Wochen mit aufschiebender Wirkung zu beanstanden, wogegen dem Amtsausschuß binnen 2 Wochen nach der Mitteilung die Klage im Verwaltungsstreitverfahren zusteht (vgl. § 14 schlesw.-holst. AmtsO).
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geordnete zur Seite stehen; Amtsbürgermeister und Amtsbeigeordnete, die bis 1927 vom Oberpräsidenten ernannt wurden, werden seitdem von der Amtsvertretung auf 8-12 Jahre (Rheinland-Pfalz) oder für die Dauer der Wahlzeit der Gemeindevertretungen (so Schleswig-Holstein) aus diesen gewählt. Der Amtsbürgermeister hat die amtsangehörigen Gemeinden, unbeschadet ihrer eigenen Verantwortung, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben, insbesondere bei der Aufstellung der Haushaltssatzung und des Haushaltsplans zu beraten und zu unterstützen; er hat, wie bereits erwähnt, den Vorsitz in der Amtsvertretung und vertritt sie nach außen. Für die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Ämter gelten die Vorschriften des Gemeinderechts. Soweit andere Einnahmen den Finanzbedarf der Ämter nicht decken, wird eine Amtsumlage von den amtsangehörigen Gemeinden erhoben. Die Aufsicht über die Ämter führt das Landratsamt; obere Aufsichtsbehörde ist das Regierungspräsidium (soweit vorhanden), oberste Aufsichtsbehörde das Ministerium des Innern. Wegen der Amtsbezirke in den früheren preuß.östl. Provinzen vgl. 0. § 21. b) Die höheren Gemeinden und Gemeindeverbände Handelt es sich bei den Ämtern nur um einzelnen Teilen Deutschlands eigentümliche niedere Gemeindeverbände, so kommen als höhere Gemeindeverbände in Betracht allgemein die Landkreise, ferner früher insbesondere (außer den Bezirksverbänden in der Provinz Hessen-Nassau) die preußischen Provinzen und die bayrischen Kreise (Bezirksverbände), in der nationalsozialistischen Zeit ferner die unmittelbaren Reichsgaue; jetzt nach dem Zusammenbruch von 1945 und der Auflösung Preußens bzw. der Umwandlung seiner Provinzen zu Ländern kommen noch insbesondere die Landschaftsverbände in NordrheinWestfalen in Betracht (vgl. u. Ziff. 2); außerdem sind in diesem Zusammenhang noch die Zweckverbände zu behandeln (vgl. u. Buchst. c). Zum Teil handelt es sich hier nicht mehr um wirkliche Verbände von Gemeinden als deren Mitgliedern, wie dies früher z. B. die württembergischen Amtskörperschaften waren, insbesondere infolge der Durchführung volksherrschaftlicher Grundsätze für den Aufbau für das ganze zugehörige Gebiet, sondern einfach um "höhere Gemeinden", wie z. B. im allgemeinen jetzt die Landkreise mit Kreisangehörigen und Kreisgebiet, wenn sie sich auch auf die Bewohner und das Gebiet der zugehörigen Gemeinden (und gemeindefreien Grundstücke) innerhalb ihres Bezirks erstrecken. Ein Unterordnungsverhältnis zwischen Gemeinden und höheren Gemeinden und Gemeindeverbänden besteht grundsätzlich nicht.
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1) Die Kreise Eine allgemeine einheitliche Regelung der Rechtsverhältnisse der Kreise durch eine sog. Reichskreisordnung zum Zwecke einer allgemeinen Zusammenfassung der Gemeinden zu Landkreisen, soweit sie nicht für sich besondere Stadtkreise bilden, war bisher noch nicht erfolgt185. Eine solche Regelung beruht vielmehr nach wie vor in der Hauptsache fast ausschließlich auf Landesrecht. Jedoch enthält das GG wie für die Länder und Gemeinden so auch für die Kreise gewisse grundsätzliche Bestimmungen in Art. 28. Danach muß in den Kreisen - wie in den Ländern und Gemeinden - das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht; auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs "nach Maßgabe der Gesetze" das Recht der Selbstverwaltung- i. S. einer Einrichtungsgewähr -; der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder dieser Bestimmung entspricht. Der Allzuständigkeitsgrundsatz ist hier -anders als für die Gemeinden- bundesrechtlich nicht ausgesprochen. In Preußen waren nach den Befreiungskriegen in den Jahren 1825 bis 1827 die Verhältnisse der Kreise als Selbstverwaltungskörperschaften durch Kreisordnungen für die einzelnen Provinzen im wesentlichen übereinstimmend auf ständischer Grundlage neu geordnet worden186 ; aus der späteren Zeit sei hier angeführt die Kreisordnung für die östlichen Provinzen vom 13. Dezember 1872, nach deren Vorbild in der Folgezeit entsprechende Kreisordnungen auch für die anderen Provinzen erlassen worden sind187 . Die Kreise hatten Selbstverwaltungsangelegenheiten des Kreises wie auch staatliche Angelegenheiten als untere Verwaltungsbehörde zu besorgen; eine Vereinigung dieser Geschäfte fand bei dem Landrat als dem Vorstand der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde des Landratsamts, und als Vorsitzendem der Kreisselbstverwaltung, des Kreistags und des Kreisausschusses, wie auch bei dem Kreisausschuß statt, der gleichzeitig Beschlußbehörde in Selbstverwaltungsangelegenheiten, wie auch in staatlichen Angelegenheiten (z. B. mit Bezug auf die Erteilung der gewerbepolizeilichen Erlaubnis in bestimmten Fällen,§ 16 GewO) und ferner unteres Verwaltungsgericht war. Die obersten Willensträger des Kreises waren nach
185 In der nat.-soz. Zeit war eine solche nur teilweise, nämlich in den reichsunmittelbaren Reichsgauen der Ostmark (Österreich), im Sudetengau und in den eingegliederten Ostgebieten erfolgt. 186 Es hatte danach im Kreistag jeder Rittergutsbesitzer eine Einzelstimme jede Kreisstadt eine Stimme und die Bauern insg. 3 Vertreter, so daß sich re~ gelmäßig ein Übergewicht der Rittergutsbesitzer, d. h. in der Hauptsache des Landadels, ergab. Vgl. Heffter, a. a. 0., S. 131. 187 Vgl. Gelpke, Die geschieht!. Entwicklung des Landratsamts, in Verw.Arch., Bd. 10, S. 2St ff.
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der KreisO von 1872 der- vom Wahlkreisverband der größeren ländlichen Grundbesitzer, dem Wahlverband der Landgemeinden und dem Wahlverband der Städte gewählte, aus den Vertretern jener Stände zusammengesetzte - Kreistag (Kreisversammlung), der - vom Kreistag gewählte- Kreisausschuß und der Landrat (als Vorsitzender des Kreistags und des Kreisausschusses) 188 • Das allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahlrecht für die Kreistage als die Vertretung der Kreisbevölkerung wurde nach der Staatsumwälzung vom 9. November 1918 durchgeführt. Ähnlich wie in Preußen ist auch in Württemberg die Verbindung von unterer staatlicher Verwaltungsbehörde und höherer Selbstverwaltungskörperschaft beim Kreise (Oberamt) eine alte - jedoch noch ältere - Einrichtung mit einer langen geschichtlichen Entwicklung; die Selbstverwaltungskörperschaft, die dem staatlichen Verwaltungsbezirk, dem Oberamtsbezirk, entsprach, hieß früher die Amtskörperschaft, welche die Gemeinden eines Oberamtsbezirks zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zusammenschloß. Sie erscheint schon in der Zeit der Grafen von Württemberg im 15. Jahrhundert, und zwar in der Amts- und Landschadensordnung vom 28. Oktober 1483 189 ; vermutlich war sie eine Schöpfung des Landesherrn zum Zwecke der Verteilung und Aufbringung der Steuern gewesen190 • Ihre Neueinrichtung war dann durch das sog. 2. Organisationsedikt vom 31. Dezember 1818 und das Verwaltungsedikt für die Gemeinden, Oberämter und Stiftungen vom 1. März 1822 (§§ 68 ff.) erfolgt19\ an ihre Stelle war zunächst das G über die Verwaltung der Gemeinden, Stiftungen und Amtskörperschaften vom 21. Mai 1891 (RegEL S. 103) und dann die BezirksO vom 28. Juni 1906 (RegEL S. 323) getreten. Danach waren die Amtsversammlung, der Bezirksrat und der Oberamtmann oberste Willensträger der Amtskörperschaft In der nationalsozialistischen Zeit wurde die BezO durch die auf dem Führergrundsatz aufgebaute KreisO vom 29. Januar 1934 (RegEL S. 51, 82) ersetzt, wozu noch das G über die Landeseinteilung vom 25. April 1938 (RegEL S. 155) heranzuziehen ist. In Baden waren in den unteren Verwaltungsbezirken, den Amtsbezirken, zunächst Selbstverwaltungskörperschaften auf dem Gebiete der Wohnungsfürsorge (1921) und des Fürsorgewesens (1924) als Wohnungs- und Fürsorgeverbände, erst durch die LandkreisO vom 24. Juni 1939 (GuVBL S. 93) allgemeine Selbstverwaltungskörperschaften getreten; bis dahin hatten die großen 11 Kreise, die keine einrichtungs188 In den Stadtkreisen trat in Preußen an Stelle des Kreisausschusses zur Wahrnehmung von Geschäften der allg. Landesverwaltung in den durch die Gesetze bezeichneten Fällen der nach § 37 fi. LVG gebildete Stadtausschuß (vgl. z. B. § 170 östl. KreisO von 1872). 189 Vgl. Reyscher, Sammlg. d. württ. Gesetze, Bd. 12 (1841), S. 1; v. Köhler, Grundlehren, S. 135 (vgl. bereits o. § 20 bei Anm. 42). 190 Vgl. Schön, a. a. 0., S. 252. 191 Vgl. dazu auch 0. v. Gierke, D. GenossR, Bd. 1, S. 797.
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mäßige Verbindung zu den Bezirksämtern hatten, größere Aufgaben der Selbstverwaltung wahrgenommen, wie insbesondere die Verwaltung der Kreisstraßen. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg sind in den deutschen Ländern neue Kreisordnungen auf volksherrschaftlicher Grundlage erlassen worden192 • Danach ist die Ordnung im allgemeinen folgende: aa) Im allgemeinen Das Landgebiet ist in Landkreise und Stadtkreise (kreisfreie Städte) eingeteilt. Das Gebiet eines Landkreises umfaßt die Gebiete der ihm angehörigen Gemeinden und gemeindefreien Gebiete; das Gebiet eines Stadtkreises deckt sich mit dem Gebiete der Stadt. bb) Die Landkreise 1') Das Wesen der Landkreise Der Landkreis fördert das Wohl seiner Einwohner auf wirtschaftlichem, gesellschaftlichem und kulturellem Gebiet, insbesondere durch Schaffung der dazu erforderlichen öffentlichen Einrichtungen, unterstützt die kreisangehörigen Gemeinden in der Erfüllung ihrer Aufgaben und trägt zu einem gerechten Ausgleich ihrer Lasten bei. Er verwaltet sein Gebiet nach den Grundsätzen der gemeindlichen Selbstverwaltung. Der Landkreis ist Körperschaft des öffentlichen Rechts, und zwar eine Gebietskörperschaft. Während im allgemeinen jetzt die Behörde des Landkreises das Landratsamt ist, zugleich aber auch untere Verwaltungsbehörde und als solche Staatsbehörde, das Gebiet des Landkreises zugleich der Bezirk der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde ist (vgl. z. B. §§ 1 ff. bad.-württ. KreisO, ähnlich Art. 1 bayr. KreisO), besorgt in den Ländern des früheren englischen Besetzungsgebietes, zuletzt noch in Niedernachsen und in Schleswig-Holstein, nach dem Vorbild des englischen Rechts das Landratsamt als Kreisbehörde alle öffentlichen Aufgaben in der Kreisstufe, die nicht einer anderen Behörde zugewiesen sind, d. h. es gibt eine untere staatliche Verwaltung in der Kreisstufe überhaupt nicht mehr, sondern die Kreise als SelbstverwaltungskörperschaUen erledigen auch die bisherigen staatlichen 192 Vgl. jetzt insb. die KreisO für Bayern v. 16. Febr. 1952 (GuVBl. S. 39), für Rheinl.-Pfalz (SelbstverwG Teil C) v. 27. Sept. 1948 (GuVBl. S. 335) i. d. F. v. 5. Okt. 1954 (GuVBl. 8.117), für Schlesw.-Holst. v. 27. Febr.1950 (GuVBl., S. 49), für Hessen v. 25. Febr. 1952 (GuVBl. S. 37) i. d. F. v. 6. Juni 1954 (GuVBl. S. 117), für Baden-Württ. v. 10. Okt. 1955 (GBl. S. 207), für Nordrh.-Westf. v. 21. Juli 1953 (GuVBl. S. 305), für Niedersachsen die LandkreisO v. 1958 (GuVBl. S. 17). Im folgenden wird vor allem von der bad.-württ. KreisO ausgegangen. Vgl. dazu auch Cantner, Die neue LKO für Bad.-Württ., in DÖV 1956, S. 426
ff.
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Geschäfte der unteren Verwaltung193 ; zu diesen Aufgaben gehört auch die Aufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden und die Zweckverbände, die nicht der unmittelbaren Aufsicht des Innenministeriums unterstehen. 2') Die Aufgaben Der Landkreis verwaltet in seinem Gebiet in eigener Verantwortung öffentliche Aufgaben, die über den örtlichen Bereich einer einzelnen Gemeinde hinausgehen, d. h. überörtliche Bedeutung haben, soweit sie nicht einem höheren Gemeindeverband oder dem Staate oder einer sonstigen Stelle vorbehalten sind, sowie Aufgaben, welche die Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden, insbesondere in finanzieller Hinsicht, übersteigen, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, und ferner z. T. aber auch Aufgaben in Unterstützung solcher Gemeinden innerhalb des Kreises im Sinne eines Lastenausgleichs, die ihre örtlichen Aufgaben nicht ausreichend ·erfüllen können. Zu den ersten beiden Aufgaben gehört insbesondere die Errichtung öffentlicher Einrichtungen und Anstalten, wie z. B. von Kreiskrankenhäusern, ferner die Einrichtung von Kreissparkassen, die eigene Rechtspersönlichkeit als Anstalten des öffentlichen Rechts haben. Im übrigen wirken die Gemeinden bei der Erfüllung der Aufgaben des Kreises nach näherer Bestimmung des Gesetzes oder der Satzung mit, wie z. B. bei der Sozialhilfe (vgl. § 96 BSozHG v. 30 Juni 1961) usf. Bei den Aufgaben des Landkreises ist genauer zu unterscheiden - wie bei den Gemeinden - zwischen Selbstverwaltungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten oder nach der neueren z. T. aufgekommenen Ausdrucksweise und Gestaltung Pflichtaufgaben, die den Kreisen zur Erfüllung nach Weisung auferlegt werden (Weisungsaufgaben). Bei den nach eigenem Ermessen im Rahmen der Gesetze zu besorgenden Selbstverwaltungsaufgaben kommen Pflichtaufgaben und freiwillige Aufgaben in Betracht. Pflichtaufgaben sind solche, die dem Kreise gewohnheitsrechtlich oder durch Reichs- bzw. Bundes- oder Landesgesetz auferlegt sind. Neue Pflichten können ihnen nur durch Gesetz auferlegt werden; Eingriffe in ihre Rechte sind nur durch Gesetz zulässig. Dahin gehören insbesondere einmal die Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe, für die jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis ein Jugendamt zu errichten hat, nach dem JugendwohlfahrtsG von 1922 i. d. F. v. 11. August 1961 (BGBl. I S. 1206), wie z. B. der Schutz der Pflegekinder, die Mitwirkung im Vormundschaftswesen, insbesondere die Tätigkeit des Gemeindewaisenrats, bei der Erziehungsbeistandschaft usf. (vgl. 193 Vgl. § 2 schlesw.-holst. KreisO. Dagegen bildet in Nordrh.-Westf. das Gebiet des Landkreises zugleich den Bezirk der unteren staatl. VerwBeh., deren Geschäfte der OKrDirektor und der KrAusschuß wahrnimmt, §§ 1, 47 LKO, §§ 9, 10 Ordn. BehG v. 16. Okt. 1956. Vgl. jetzt aber auch§ 4 niedevs. LKO.
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§§ 24 ff.); ferner - wie früher die Aufgaben der Bezirksfürsorgeverbände auf dem Gebiete der öffentlichen Fürsorge nach der FürsPflVO vom 13. Februar 1924, so jetzt - die Aufgaben der Sozialhilfe, deren Träger die kreisfreien Städte und Landkreise sind, nach § 96 BSozHG vom 30. Juni 1961 (BGBL I S. 815); weiter die Straßenbaulast für die Landstraßen zweiter Ordnung oder die sog. Kreisstraßen194 ; sodann die unschädliche Beseitigung von Tierkörpern oder deren Teilen nach dem TierkörperbeseitigungsG vom 1. Februar 1938 (BGBL I S. 187)195 • Als staatliche Auftragsangelegenheiten, die den Kreisen zur Erfüllung nach Anweisung übertragen sind, kommen z. B. die Durchführung der Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Betracht, wenn Einrichtungen der Kreise als Gesundheitsämter anstelle von staatlichen anerkannt sind196 • So war auch die Durchführung von Familienunterhalt an die Angehörigen einberufener oder freiwilliger Wehrpflichtiger und Reichsarbeitsdienstpflichtiger zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts nach dem EinsatzfamilienunterhaltungsG vom 26. Juni 1940 Auftragsangelegenheit der Stadt- und Landkreise, wobei das Reich, soweit die Reichsminister des Innern und der Finanzen nichts anderes bestimmten, 4 /s der Kosten den Kreisen ersetzte187 ; Auftragsangelegenheit war weiter die Aufgabe der Ernährungs- und Wirtschaftsverwaltung in der Kreisstufe der Stadt- und Landkreise in der Kriegs- und Nachkriegszeit bis 1948 (so z. B. Württemberg-Hohenzollern). Die Landkreise stellen die zur Durchführung der Auftragsangelegenheiten erforderlichen Dienstkräfte, Einrichtungen und Mittel zur Verfügung, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen. 114 Vgl. dazu § 7 der inzwischen aufgehobenen - DurchfVO zum G über die einstweilige Regelung des Straßenwesens v. 7. Dez. 1934. Ebenso im Gebiete des früheren Preußens (mit Ausnahme des Regierungsbezirks Wiesbaden, wo der Bezirksverband zuständig war), in Bayern und in Baden. Die Verwaltung und Unterhaltung der Landstraßen 1. Ordnung wird von den Ländern und wurde früher in Preußen- seit 1875 - durch die Provinzen ausgeübt. 195 Die Aufgabenträger können die Tierkörperbeseitigungsanstalten selbst betreiben oder durch vertraglich verpflichtete Unternehmer betreiben lassen; die Verträge der Verbandsträger mit Unternehmern bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 7). 196 Vgl. § 4 G über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens v. 3. Juni 1934 (RGBl. I, S. 531, 794) und § 21 d. 1. DurchfVO v. 6. Febr. 1935 (RGBl. I, S.177). 197 Nach § 7 DurchfVO v. 26. Juni 1940 waren die Gemeinden und engeren Gemeindeverbände zur Mitarbeit bei der Durchführung des Familienunterhaltes verpflichtet. Die Landkreise konnten die Durchführung des FU den ihnen zugehörigen Gemeinden und engeren GVerbänden von mehr als 10 000 Einw. übertragen, wobei jedoch die Weisungen des Landkreises bindend waren. Jetzt ist die Unterhaltssicherung von Bundes wegen den Ländern als Auftragsangelegenheit auf Kosten des Bundes übertragen, wobei die Landesregierungen die zur Feststellung und Verabreichung der Leistungen zuständigen Behörden bestimmen (§ 17 UnterhSich.G v. 26. Juli 1957 i. d. F. v. 31. Mai 1961, BGBl. I, S. 1661). - Vgl. auch noch Weber, Staats- u. Selbstverw. i. d. Kreisinstanz, in DVBl. 1952, S. 5 ff.
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3') Die Kreise können ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze durch Satzung regeln, soweit die Gesetze keine Vorschriften enthalten, Auftragsangelegenheiten (Pfiichtaufgaben nach Weisung) nur, soweit dies gesetzlich zugelassen ist. Die Satzungen sind der Aufsichtsbehörde anzuzeigen. Sie sind öffentlich bekanntzumachen und treten, wenn kein anderer Zeitpunkt bestimmt ist, am Tage nach der Bekanntmachung in Kraft 198 • 4') Das Gebiet des Landkreises besteht aus der Gesamtheit der nach geltendem Recht zum Landkreise gehörenden Gemeinden und gemeindefreien Grundstücke. Die Grenzen des Landkreises können- ähnlich wie die Grenzen des Gemeindegebietes - aus Gründen des öffentlichen Wohls geändert werden. Die Änderung der Kreisgrenzen, die Bildung neuer sowie die Zusammenlegung mehrerer Landkreise erfolgt nach Anhörung der beteiligten Landkreise durch Gesetz (vgl. z. B. §§ 7 ff. bad.-württ. LKO); z. T. auch durch Grenzänderungsvertrag der Kreise unter Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde (wie in Hessen-§ 14 KO -,in Nordrhein-Westfalen- § 13 KO- und in Schleswig-Holstein, -§ 15KO-).
5') Ähnlich wie bei den Gemeiniden äst zu unterscheiden in persönlicher Hinsicht zwischen Kreiseinwohnern, d. h. Personen, die in einer Gemeinde oder einem gemeindefreien Grundstück des Landkreises wohnen und Kreisbürgern (oder "wahlberechtigten Kreiseinwohnern"), d. h. den Kreiseinwohnern, die Deutsche i. S. des Art. 116 GG sind, das 21. Lebensjahr vollendet haben, seit mindestens einem Jahre im Gebiete des Landkreises wohnen und die bürgerlichen Ehrenrechte besitzen, mit einer den Gemeindeeinwohnern und Gemeindebürgern entsprechenden Rechtsstellung. 6') Oberste Willensträger des Landkreises sind der Kreistag, der Kreisrat (in Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein der Kreisausschuß) und der Landrat (in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen der Kreistag, der Kreisausschuß und der Oberkreisdirektor). 198 Rückwirkende Kraft kann den Satzungen nach § 3 bad.-württ. KreisO nicht beigelegt werden (von den Bestimmungen über das Inkrafttreten der Haushaltssatzungen, d. h. mit Beginn des Rechnungsjahres, und der Nachtragssatzungen abgesehen); ebenso § 10 rheinl.-pfälz. KreisO. Der Genehmigung bedürfen die Satzungen nur, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. So können die Kreise z. B. Satzungen erlassen über die Benutzung ihres Eigentums und ihrer öffentlichen Einrichtungen und über Gebühren für deren Benutzung; aus Gründen des öffentlichen Wohls, insb. zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder die Gesundheit der Kreisangehörigen, kann der Anschluß- und Benutzungszwang für die Einrichtungen der Landkreise angeordnet werden; bei öffentlichen Notständen, insb. wenn es die Sicherheit des Verkehrs erfordert, können Hand- und Spanndienste unter angemessener Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Pfiichtigen angeordnet werden (vgl. Art. 18 bayr. KreisO; Genehmigung der Aufsichtsbehörde in den beiden zuletzt erwähnten Fälll;!n erforderlich).
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(1) Der Kreistag. Er wird von den Kreisbürgern (wahlberechtigten Kreiseinwohnern) in allgemeinen, unmittelbaren, gleichen, freien urid geheimen Wahlen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl- im allgemeinen auf 4 Jahre, in Baden-Württemberg auf 6 Jahre - nach näherer Bestimmung der Kreiswahlgesetze gewählt; wählbar sind die Wahlberechtigten, die am Wahltag das 25. Lebensjahr vollendet haben. Der Kreistag ist die Vertretung der Kreiseinwohner und höchster Willensträger des Landkreises. Er ist insbesondere zuständig zur Beschlußfassung über die Wahl des Kreisrats, im allgemeinen auch über die Wahl (bzw. in Rheinland-Pfalz, wo außer dem Saarland allein der Landrat noch Staatsbeamter ist, über die Zustimmung zur endgültigen Ernennung) des Landrats (der in Bayern jedoch von den Kreisbürgern gewählt wird), während er in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vom Kreistag aus seiner Mitte gewählt wird und lediglich Vorsitzender des Kreistags wie auch des Kreisausschusses ist und den Landkreis äußerlich - "repräsentativ" - vertritt. Er ist weiter zuständig zum Beschluß über den Erlaß von Kreissatzungen, die dauernde Übernahme freiwilliger Aufgaben, die Errichtung, wesentliche Erweiterung und Aufhebung von öffentlichen Einrichtungen, wirtschaftlichen Unternehmungen und die Beteiligung an solchen, die allgemeine Festsetzung von Abgaben und Tarifen, den Erlaß der Haushaltssatzung nebst den Nachtragssatzungen, die Feststellung der Jahresrechnung und Entlastung der Verwaltung usw. Er legt ferner die Grundsätze für die Verwaltung des Landkreises durch den Kreisrat und den Landrat fest; er entscheidet in den ihm durch Gesetz sonst zugewiesenen Angelegenheiten und überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse durch den Kreisrat und den Landrat usw. Er besteht aus dem Landrat als Vorsitzendem (ohne Stimmrecht) und den gewählten Kreisverordneten als ehrenamtlichen Mitgliedern189 • Der Landrat beruft den Kreistag zu seinen Sitzungen ein, wenn die Geschäftslage es erfordert, jedoch mindestens zweimal im Jahr oder auf Verlangen des Kreisrats oder von einem Drittel der Kreisverordneten. Die Kreisverordneten entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung, ohne an Verpflichtungen und Aufträge irgendwelcher Art gebunden zu sein; wählbar sind die Wahlberechtigten, die am Wahltag das 25. Lebensjahr vollendet haben. Die Sitzungen des Kreistags 199 In Baden-Württemberg beträgt die Zahl der Kreisverordneten mindestens 26, in Landkreisen mit mehr als 50 000 Einwohnern erhöht sich diese Zahl für je weitere 10 000 Einwohner um 2. Jeder Wähler hat so viel Stimmen, wie Kreisverordnete im Wahlkreis zu wählen sind; der Wähler kann Bewerber aus anderen Wahlvorschlägen des Landkreises übernehmen und einem Bewerber bis zu 3 Stimmen geben (sog. Listenverbindung und Stimmenhäufung). Wird nur ein gültiger oder gar kein Wahlvorschlag eingereicht, so findet Mehrheitswahl ohne Bindung an die Wahlvorschläge und das Recht der Stimmenhäufung statt. -
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sind öffentlich, soweit nicht eine Angelegenheit auf Beschluß des Kreistags in nichtöffentlicher Sitzung behandelt wird. (2) Der Kreisrat (z. T. - vgl. oben- "Kreisausschuß" genannt), ist ein vom Kreistag bestellter "ständiger Ausschuß" (so bayr. KreisO). Der Kreisrat besteht aus dem Landrat als Vorsitzendem und einer Anzahl ehrenamtlicher Mitglieder, die in den einzelnen Ländern verschieden bestimmt ist, z. B. 6 in Rheinland-Pfalz, mindestens 8 in Baden-Württemberg usw., die (wie auch ihre Stellvertreter) von den Kreisverordneten aus ihrer Mitte auf die Dauer der Amtszeit des Kreistages gewählt werden; außerdem ist in Baden-Württemberg der Oberbürgermeister einer zum Kreis gehörigen Großen Kreisstadt von Amts wegen weiteres Mitglied. Die Sitzungen des Kreisrats, die der Landrat nach Bedarf, mindestens aber einmal im Monat, oder auf Verlangen von einem Drittel seiner Mitglieder einberuft, sind nicht öffentlich. Er beschließt als Willensträger der Verwaltung über alle Angelegenheiten des Kreises, soweit nicht der Kreistag oder der Landrat gesetzlich zuständig sind, hat also die Vermutung der Zuständigkeit für sich. Er verwaltet die Kreisangelegenheiten nach Maßgabe der Gesetze und Beschlüsse des Kreistags auf Grund des Kreishaushaltsplans; er bereitet die Beschlüsse des Kreistags vor und überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse und der des Kreistags; er beschließt über die Anstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten und Angestellten des Landkreises. In dringenden Fällen, deren Erledigung nicht bis zu einer Kreistagssitzung aufgeschoben werden kann, entscheidet er anstelle des Kreistags. Er hat weiter die ihm durch Gesetz übertragenen Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung zu führen. Der Kreisrat kann durch seine Geschäftsordnung beschließende Ausschüsse bilden zur dauernden Erledigung bestimmter Aufgabengebiete in der Weise, daß sie anstelle des Kreisrats entscheiden; der Kreisrat kann jedoch im allgemeinen oder im Einzelfall Weisungen erteilen, jede Angelegenheit an sich ziehen und noch nicht vollzogene Beschlüsse der Ausschüsse ändern oder aufheben. Außerdem kann er zur Vorberatung seiner Verhandlungen oder einzelner Verhandlungsgegenstände beratende Ausschüsse bestellen. Die Ausschüsse werden aus der Mitte des Kreisrats gebildet, wobei auch Kreisverordnete, die nicht Kreisräte sind, als stimmberechtigte Mitglieder bestellt werden können; Vorsitzender des Ausschusses ist der Landrat bzw. sein Stellvertreter. (3) Der Landrat 200 , der, wie bereits bemerkt, Vorsitzender des Kreisrats und - im Gegensatz zu Hessen und Schleswig-Holstein - des 200 Der Landrat wird nach § 32 bad.-württ. KreisO durch den Kreistag auf 8 Jahre gewählt (bei Wiederwahl auf 12 Jahre); das Innenministerium be-
nennt dem Kreisrat aus den auf Grund öffentlicher Ausschreibung eingegangenen Bewerbungen mindestens 3 geeignete Bewerber, aus denen der Kreistag den Landrat mit unbedingter Mehrheit der Stimmen aller Kreisverordne-
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Kreistags ist, leitet das Landratsamt und vertritt den Landkreis nach außen. Er erledigt alle Verwaltungsangelegenheiten selbständig, für die nicht der Kreistag oder der Kreisrat zuständig ist, also kurz gesagt, die laufenden Verwaltungsgeschäfte, ferner die ihm sonst durch Gesetz oder vom Kreisrat übertragenen Aufgaben; er bereitet die Beschlüsse des Kreisrats vor und beruft, wie bereits bemerkt, den Kreistag und den Kreisrat ein und leitet deren Verhandlungen als Vorsitzender. Gesetzwidrige Beschlüsse des Kreistags und des Kreisrats wie auch der beschließenden Ausschüsse hat er zu beanstanden- in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen ist dies Sache des Oberkreisdirektors -, und wenn jene auf ihren Beschlüssen verharren, die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen. Er kann auch dringliche Angelegenheiten, deren Erledigung nicht bis zu einer Kreisratssitzung aufgeschoben werden kann, anstelle des Kreisrats (oder beschließenden Ausschusses) entscheiden, jedoch unter unverzüglicher Benachrichtigung der Kreisräte. Weisungsaufgaben erledigt der Landrat in eigener Zuständigkeit, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Erklärungen, durch welche der Landkreis verpflichtet werden soll, bedürfen der Schriftform, soweit es sich nicht um Geschäfte der laufenden Verwaltung oder um Erklärungen auf Grund einer in der angegebenen Form ausgestellten Vollmacht handelt, und sind vom Landrat oder seinem allgemeinen Stellvertreter oder durch zwei vertretungsberechtigte Beamte oder Angestellte zu unterzeichnen. Er ist Vorgesetzter, Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde der Bediensteten des Landkreises. Abweichend ist die Gestaltung in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, wo der Landrat, wie bereits gesagt, nur der vom Kreistag aus seiner Mitte auf die Dauer der Wahlperiode, d. h. 2 bzw. 4 Jahre, gewählter Vorsitzender des Kreistages und des Kreisausschusses ist und dem vom Kreistage auf 12 Jahre gewählten und von der Landesregierung bestätigten Oberkreisdirektor- der die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben muß - die Führung der Geschäfte der laufenden Verwaltung obliegt; dieser erledigt dort weiter die ihm auf Grund gesetzlicher Vorschrift oder vom Kreisausschuß übertragenen Angelegenheiten, bereitet die Beschlüsse des Kreistags und des Kreisausschusten, im 3. Wahlgang mit einfacher Mehrheit wählt. Wählbar sind Deutsche i. S. d. Art. 116 GG, die am Wahltag das 30. Lebensjahr vollendet haben und die bürgerlichen Ehrenrechte besitzen; der Kreistag und der Kreisrat wählen aus ihrer Mitte einen oder mehrere stellvertretende Vorsitzende, die den Landrat im Falle der Verhinderung als Vorsitzenden vertreten (§§ 16,27 KreisO). Der Landrat hat nur im Kreisrat Stimmrecht, nicht im Kreistag. (Im übrigen ist allg. Stellvertreter des Landrats der 1. staatliche Beamte beim Landratsamt, der im Benehmen mit dem Landrat bestellt wird [§ 37 a. a. 0.]). In SchleswigHolstein wird der Landrat auf mindestens 6 und höchstens 12 Jahre vom Kreistag gewählt (§50 KreisO). Dagegen wird er nach Art. 31 bayr. KreisO auf die Dauer von 6 Jahren durch die Kreisbürger, d. h. die Kreiseinwohner, die das Wahlrecht für die Kreiswahl besitzen, gewählt zu berufsmäßiger Tä45 Merk
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ses vor und führt sie aus; desgl. obliegt ihm die Ausführung von Weisungen bei den Weisungsaufgaben und ist er im übrigen Dienstvorgesetzter der Beamten, Angestellten und Arbeiter, während er seinerseits dem Kreistag als seinem Dienstvorgesetzten untersteht 201 • 202 • 7') Für die Wirtschaftsführung der Landkreise gelten dre für die Gemeindewirtschaft bestehenden Vorschriften entsprechend, soweitnichts Besonderes bestimmt ist. Der Landkreis hat das Recht, Steuern und sonstige Abgaben nach Maßgabe der Gesetze zu erheben; er kann, soweit die sonstigen Einnahmen nicht ausreichen, um seinen Finanzbedarf zu decken, von den kreisangehörigen Gemeinden und gemeindefreien Grundstücken nach den dafür geltenden Vorschriften eine Umlage (Kreisumlage) erheben, die in der Haushaltssatzung für jedes Rechnungsj ahr festzusetzen ist. 8') Die Krei:se unterstehen der Aufsicht des Staates (sog. Staatsaufsicht), um sicherzustellen, daß die Verwaltung der Landkreise im Einklang mit den Gesetzen geführt wird; sie ist also auch bloße Rechtsauftigkeit; gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält; andernfalls findet eine Stichwahl zwischen den 2 Bewerbern mit den höchsten Stimmenzahlen durch die Kreisräte (d. i. der Kreistag i. S. des bad.württ. Rechts) statt. 201 Die Aufgaben der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde werden nach § 47 nordrh.-westf. LKO vom Oberkreisdir.ektor und vom Kreisausschuß wahrgenommen; jener nimmt auch die Aufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden und Ämter sowie über Körperschaften, Anstalten und Stiftungen wahr, soweit nicht gesetzliche Vorschriften etwas anderes bestimmen. Für Niedersachsen vgl. § 57 Abs. 1 Ziff. 5 und 6 LKO. 202 Nach § 37 bad.-württ. KreisO ist allg. Stellvertreter des Landrats der 1. Landesbeamte beim Landratsamt, der im Benehmen mit dem Landrat bestellt wird. Nach§ 43 schlesw.-holst. KreisO leitet der Kreisausschuß die Verwaltung des Kreises nach den Grundsätzen und Richtlinien des Kreistags und im Rahmen der von ihm bereitgestellten Mittel; er übt in Selbstverwaltungsangelegenheiten gegenüber dem Landrat die Befugnisse eines Dienstvorgesetzten mit Ausnahme der Dienststrafbefugnis aus. Der Kreisausschuß ist auch der gesetzliche Vertreter des Kreises, für den der Landrat handelt. - In Baden-Württemberg muß die Besorgung der Haushaltsgeschäfte, die Vorbereitung und Aufstellung der Jahresrechnung, sowie die Verwaltung des Vermögens und der Rücklagenbestände (Finanzwesen) bei einem Fachbeamten für das Finanzwesen zusammengeiaßt sein, soweit nichts besonderes bestimmt ist, der die Befähigung zum Gemeindefachbeamten (§ 68 bad.-württ. GO) oder eine abgeschlossene wirtschaftswissenschaftliche Vorbildung nachweisen muß (§ 43 bad.-württ. KreisO). Die für die Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörde erforderlichen Beamten werden vom Land, die Angestellten und Arbeiter vom Landkreis angestellt; jedem Landratsamt wird mindestens ein Landesbeamter mit der Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst oder Richteramt zugeteilt. Als Leiter der unteren Verwaltungsbehörde ist der Landrat dem Lande für die ordnungsgemäße Erledigung ihrer Geschäfte verantwortlich und unterliegt insoweit den Weisungen der Fachaufsichtsbehörden und der Dienstaufsicht des Regierungspräsidiums. Verletzt der Landrat in Ausübung dieser seiner Tätigkeit die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so haftet das Land. Ist eine Entscheidung oder sonstige Mitwirkung gewählter Vertreter bei der Erfüllung der Aufgaben des Landratsamts als untere Verwaltungsbehörde gesetzlich vorgeschrieben, so ist hierfür der Kreisrat zuständig.
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sieht. Aufsichtsbehörde ist das Regierungspräsidium (der Regierungspräsident bzw. die Bezirksregierung) oder das Innenministerium, wo keine solchen vorhanden sind; obere Aufsichtsbehörde das Innenministerium. Die Vorschriften über die Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinde gelten entsprechend; verschiedentlich ist in den Kreisordnungen (außer in Baden-Württemberg) insbesondere auch die Befugnis zur Auflösung des Kreistages und die Anordnung von Neuwahlen unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. bei dauernder Beschlußunfähigkeit usw.) für die Staatsaufsichtsbehörde oder Staatsregierung oder den Landtag (so in Schlesw.-Holst.), z. T. auch die Finanzsperre (so in Schlesw.-Holst.), vorgesehen. cc) Die Stadtkreise Sie erfüllen durch die Willensträger der Gemeindeverwaltung neben den Gemeindeaufgaben die in den Landkreisen diesen obliegenden eigenen und staatlichen Aufgaben (vgl. z. B. § 14 bad.-württ. LVG vom 7. November 1955; z. T. auch die Großen Kreisstädte, § 16). Die Staatsaufsicht über die Gemeinden, die Stadtkreise sind, erstreckt sich auch auf ihre Tätigkeit als Stadtkreise, entsprechend den Bestimmungen der Gemeindeordnung, soweit nichts Besonderes bestimmt ist. Sie steht dem Reg.-Präsidenten oder dem Minister des Innern zu. So sehr es berechtigt erscheint, größere Städte als Stadtkreise, d. h. als kreisfreie Städte, einzurichten, so darf doch nicht der Nachteil übersehen werden, der mit dem Ausscheiden infolge des Verlustes an verwaltungserfahrenen Personen und der finanziellen Kraft der größeren Städte für den Landkreis entsteht, weshalb bei der Bestimmung der kreisfreien Städte mit dem Erfordernis der Einwohnerzahl nicht zu tief - im allgemeinen jedenfalls nicht unter etwa 25 000 Einwohner - gegriffen werden sollte 203 • 203 Während es in Württemberg noch anfangs des 19. Jh. 140 Oberämter gab, waren sie später auf 65 herabgesetzt worden; an Stelle der bis 1938 bestehenden Amtskörperschaften waren durch das G über die Landeseinteilung mit Wirkung vom 1. Oktober 1938 unter Aufhebung von 27 Oberämtern und Amtskörperschaften (wie z. B. Rottenburg, Herrenberg, Ellwangen, Maulbronn, Nagold) 34 Kreisgebiete gebildet worden. Außerdem bestanden 3 Stadtkreise, d. h. kreisfreie Städte, nämlich Stuttgart (wie bisher schon), wo die staatlichen Angelegenheiten von Polizeipräsidenten wahrgenommen wurden, und (neu) Ulm und Heilbronn, für die auch die für Stuttgart geltende Regelung durchgeführt wurde. Im Durchschnitt hatten die Landkreise etwa 63 000 Einw. und 53 Gemeinden mit rund 65 000 Hektar. Vgl. Köstlin in D. Verw. 1938, S. 36 f. Nach § 3 bad.-württ. GO können jetzt durch G Gemeinden mit mehr als 100 000 Einw. auf ihren Antrag zu Stadtkreisen, Gemeinden mit mehr als 20 000 Einw. auf ihren Antrag von der LReg. zu "Großen Kreisstädten", die nach wie vor einem Landkreis angehören, erklärt werden. Vgl. auch noch § 131 GO.- Nach § 2 KreisO für Rheinland-Pfalz v. 27. 6.1948 bleiben Städte, die bei Inkrafttreten d. G kreisfrei waren, kreisfrei (Stadtkreise); anderen Städten mit mehr als 20 000 Einw. kann dieses Recht durch Gesetz verliehen werden.
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Die Einteilung in Stadt- und Landkreise ist z. T. auch noch in anderer Hinsicht von Bedeutung, nämlich als gebietliehe Grundlage für den staatlichen Verwaltungsaufbau: wie für die Landratsämter beiden Landkreisen, so auch sonst u. a. z. B. für die Einrichtung von Gesundheitsämtern, die nach der 1. DurchfVO zum G über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 6. Dezember 1935 (RGBL I S. 177) für jeden Stadt- und jeden Landkreis am Sitze der unteren Verwaltungsbehörde einzurichten sind (§ 1); ferner für die im Krieg für die Aufgaben der Ernährungs- und Wirtschaftsverwaltung in der Kreisstufe - für die Landkreise bei den Landräten, für die Stadtkreise bei den Oberbürgermeistern- als Bestandteil der unteren Verwaltungsbehörde gebildeten Ernährungs- und Wirtschaftsämter (vgl. § 9 VO über die Wirtschaftsverwaltung v. 26. Aug. 1939, RGBL I S. 1495). Vgl. ferner z. B. § 79 HandwerksO, wonach die Innungen, die in einem Stadt- oder Landkreis ihren Sitz haben, die Kreishandwerkerschaft bilden u. § 308 LAG (Ausgleichsämrter). 2) Die sonstigen Gemeindeverbände
Höhere Gemeindeverbände über den Kreisen für Aufgaben, die Bedeutung haben über den Bezirk eines Kreises hinaus oder deren Leistungsfähigkeit überschreiten, waren im Reiche vor 1945 bei dem verhältnismäßig geringen Gebietsumfange der meisten Länder nur in wenigen Ländern, nämlich in Preußen, Bayern und Hessen, vorhanden. In der national-sozialistischen Zeit traten dazu die reichsunmittelbaren Reichsgaue; eine einheitliche Regelung für das ganze Reich fehlte, ähnlich wie für die Kreise. Infolge der Auflösung des Landes Preußen und der Bildung neuer Länder in der Besetzungszeit und infolge des Wegfalls der Reichsgaue haben diese höheren Gemeindeverbände z. Z. fast nur noch rechtsgeschichtliche, im übrigen verhältnismäßig geringe Bedeutung, da insbesondere die aus dem Schoße Preußens gebildeten Länder zum guten Teil die Aufgaben der früheren preußischen Provinzen übernommen haben. Im übrigen hatten bzw. haben die Länder im Kaiserreich und im Weimarer Freistaat wie auch jetzt nach dem GG in gewisser Hinsicht die Stellung von Selbstverwaltungskörperschaften, insofern sie Reichs- bzw. Bundesgesetze im eigenen Namen und unter der Aufsicht des Reichs bzw. des Bundes auszuführen hatten bzw. haben, wogegen sie bei der reichs- bzw. bundeseigenen unmittelbaren Verwaltung bloße Verwaltungsbezirke des Reichs bzw. Bundes darstellen, mögen diese sich ihrerseits auch wiederum zum guten Teil an die Gebiete der Länder anschließen, wie z. B. bei der Postverwaltung, Eisenbahnverwaltung und der Finanzverwaltung, wie auch jetzt neuerdings bei der Bundeswehrverwaltung. Von den reichsunmittelbaren Reichsgauen der nationalsozialistischen Zeit, die nur vorübergehende Bedeutung hatten (vgl. hierzu vor allem
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das OstmarkG und das SudetengauG vom 14. April1939) hier abgesehen, kam land~srechtlich in der Hauptsache vor 1945 hinsichtlich der höheren Gemeindeverbände Preußen in Betracht. Hierbei sind zu erwähnen einmal für den Bereich von Regierungsbezirken die Bezirksverbände in den (zuletzt in der Kriegszeit zu Provinzen umgewandelten) Regierungsbezirken Kassel und Wiesbaden (einschl. Frankfurt a. M.) in der Provinz Hessen-Nassau in Nachwirkung der früheren politischen Verhältnisse, wonach das Kurfürstentum Hessen-Kassel und das Herzogtum Nassau selbständige Länder gewesen waren20\ ferner die keiner Provinz angehörigen hohenzollerischen Lande mit je einem Bezirks- bzw. Kommunal-Landtag, einem Landesausschuß und (außer Hohenzollern) einem Landesdirektor (Landeshauptmann); dagegen waren sonst in Preußen die Regierungsbezirke nur staatliche Verwaltungsbezirke und keine Selbstverwaltungskörperschaften. Vor allem aber kamen als höhere Gemeindeverbände in Preußen in Betracht die Provinzen, die, wie in der unteren Stufe die Landkreise, so auch in der oberen Stufe zugleich staatliche Verwaltungsbezirke und Selbstverwaltungskörperschaften waren. Diese Selbstverwaltung knüpfte geschichtlich an die früheren ständischen Verhältnisse in den Provinzen an. Die Stände hatten sich nämlich auch, nachdem sie seit der Zeit des Großen Kurfürsten das Steuerbewilligungsrecht verloren hatten, in einzelnen Gebietsteilen, wie insbesondere inOstpreußen, erhalten, wenn auch nur mit beschränkter Bedeutung, und insbesondere noch ähnliche Selbstverwaltungsaufgaben wie die Kreise für ihren größeren Bereich besorgt205 • Neue Bedeutung gewannen die umgebildeten oder neu errichteten Provinzialstände nach den Befreiungskriegen, da nach der kgl. VO vom 22. Mai 1815 die Nationalvertretung aus den Provinzialständen hervorgehen sollte. Demgemäß wurden die Provinzen neu eingerichtet auf Grund des Erlasses vom 5. Juni 1823 (GS S. 129) über die Anordnung von Provinzialständen. Danach sollten Provinzialstände in der preußischen Monarchie in Wirksamkeit treten (Ziff. I), das Grundeigentum Bedingung der Standschaft sein (Ziff. II) und die Provinzialstände das gesetzmäßige Organ der verschiedenen Stände der Untertanen in jeder Provinz sein (III). Demgemäß sollten im Anschluß an die obenerwähnte VO vom 22. Mai 1815 1) Gesetzentwürfe, die allein die Provinz angehen, zur Beratung an sie gelangen, 2) ihnen auch, solange keine allgemeinen Ständeversammlungen stattfinden, die Entwürfe solcher allgemeinen Gesetze, die Veränderungen in Personen- und Eigentumsrechten und in den Steuern zum Gegenstande haben, soweit sie die Provinz betreffen, zur Beratung vorgelegt werden; 3) Bitten und Beschwerden, welche auf das besondere Wohl und Belange der ganzen Provinz oder eines Teils derselben Beziehung haben, von ihnen der Regierung zur Prüfung und Bescheidung übermittelt werden, und 4) Selbstverwaltungsangelegenheiten der Provinz ihnen zur Beschlußfassung unter Vorbehalt der königlichen Genehmigung und Aufsicht überlassen werden. Die m Der Provinziallandtag setzte sich hier aus den Mitgliedern der Bezirkslandtage zusammen. Vgl. Jellinek, VerwR, S. 78. 2 05 Vgl. die VO über die zu bildende Repräsentation des Volkes v. 22. Mai 1815 (GS S.103); Schön, a. a. 0., S. 251.
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Verhältnisse der einzelnen Provinzen wurden durch besondere Gesetze über Formen und Grenzen ihres ständischen Bereichs bestimmt; so z. B. für die Mark Brandenburg und die Niederlausitz durch G. vom 1. Juli 1823 (GS S. 130). So entstanden aus Provinzialständen die Provinziallandtage durch 8 Provinzialordnungen für die damals vorhandenen 8 Provinzen. Die Provinziallandtage setzten sich ursprünglich im allgemeinen aus Vertretern der 3 Stände zusammen, die im allgemeinen auf 6 Jahre gewählt wurden (bei hälftiger Erneuerung alle 3 Jahre) und an Weisungen der Stände nicht gebunden waren (von der Beauftragung mit Bitten und Beschwerden abgesehen), nämlich im allgemeinen der Ritterschaft (Besitzer von Rittergütern in der Provinz ohne Rücksicht auf adlige Geburt), gewählt von den Kreistagen, der Städte (städtische Grundbesitzer als bürgerliche Gewerbetreibende und zeitige Magistratspersonen, gewählt von den Magistratswählern) und der Landgemeinden (übrige Gutsbesitzer, Erbpächter und Bauern, mittelbar gewählt durch die bezirksweise- von den durch jede Dorfgemeinde gewählten Wahlmännerngewählten Bezirkswahlmänner). Das Stimmrecht war nach Ständen abgestuft, jedoch so, daß weitaus die meisten Abgeordneten den beiden ersten Ständen zukamen; beschlossen wurde in ungeteilter Einheit, und zwar bei den vom König zur Beratung zugewiesenen oder dem Beschluß mit kgl. Genehmigung überlassenen oder zur Kenntnis des Königs zu bringenden Gegenständen mit 2 /s Mehrheit, im übrigen mit einfacher Mehrheit; bei Gegenständen, bei denen die Belange der Stände gegeneinander geschieden waren, fand "Sonderung in Teile" statt, sobald 2 /s der Stimmen eines Standes, der sich durch einen Beschluß der Mehrheit verletzt glaubte, darauf drang. Weiter ausgestaltet wurde dann die Selbstverwaltung der Provinzen durch die Provinzialordnungen der 70er und 80er Jahre: die ProvinzialO für die östlichen Provinzen vom 29. Juni 1875 (GS S. 335) i. d. F. vom 22. März 1881 (GS S. 234), der die entsprechenden Provinzialordnungen für Hannover (1884), Hessen-Nassau (1885), Westfalen (1886), die Rheinprovinz (1887) und Schleswig-Holstein (1888) folgten 206 • Willensträger der Provinzen als aus Stadt- und Landkreisen der Provinz bestehenden Selbstverwaltungskörperschaften waren der Provinziallandtag, der Provinzialausschuß und der von jenem unter kgl. Bestätigung auf 6--12Jahre gewählte Landesdirektor (Landeshauptmann). Die Mitglieder des Provinziallandtages wurden zunächst mittelbar von den Vertretungen der Landkreise und Stadtkreise, nach 1918 jedoch unmittelbar von den Provinzialangehörigen, d. h. den Angehörigen der zur Provinz gehörenden Kreise, d. h. den Reichsdeutschen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet und in der Provinz ihren Wohnsitz hatten, auf 4 Jahre in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt; der Provinziallandtag, der durch VO des Königs bzw. nach 1918 des Staatsministeriums aufgelöst werden konnte, war insbesondere zur Erstattung von Gutachten über Gesetzentwürfe, welche die Provinz oder sonstige Gegenstände betrafen, auf Zuweisung der Staatsregierung sowie nach näherer Vorschrift zur Beratung und Beschlußfassung über die ihm durch Gesetz oder VO des Königs bzw. Staatsministeriums überwiesenen Angelegenheiten, ferner zum Beschluß über Satzungen der Provinz, über Aufnahme von Anleihen und Übernahme von Bürgschaften (insbesondere in diesen beiden Fällen vorbehaltlich der Staatsgenehmigung), die Ausschreibung von Provinzialabgaben, die Veräußerung von Grundstücken, 206 Provinzen waren in Preußen kurz vor dem Zusammenbruch i. J. 1945 Ostpreußen, Brandenburg, Pommern, Oberschlesien, Niederschlesien (vgl. d. G v. 20. Dez. 1940, GS 1941, S. 1), Sachsen, Schleswig-Holstein, Hannover, Westfalen, Rheinprovinz, Hessen-Nassau; zuletzt wurde in der Kriegszeit die Provinz Hessen-Nassau in die Provinzen Nassau und Kurhessen aufgeteilt.
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die Festsetzung des Haushaltsplans und die Entlastung der Jahresrechnungen usw. zuständig. Der Provinzialausschuß, der vom Provinziallandtag auf mindestens 6 und höchstens auf 12 Jahre, vorbehaltlich der Bestätigung des Königs bzw. Staatsministeriums, gewählt wurde, bestand nach näherer Bestimmung der Provinzialsatzung aus 7-13 Mitgliedern und kraft Gesetzes aus dem Landeshauptmann als weiterem Mitglied (der aber nicht zum Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter gewählt werden konnte); der Vorsitzende und sein Stellvertreter wurden vom Provinziallandtag ebenfalls gewählt. Er war insbesondere zuständig zur Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse des Provinziallandtags und zur Verwaltung des Vermögens und der Anstalten des Provinzialverbandes. Der Landeshauptmann hatte die laufenden Geschäfte unter der Aufsicht des Provinzialausschusses zu führen und den Provinzialverband zu vertreten; er stand an der Spitze der Selbstverwaltungsbeamten der Provinz, vertrat den Provinzialverband nach außen in allen Angelegenheiten und war, wie bereits bemerkt, gesetzliches Mitglied des Provinzialausschusses. Anders als in den Landkreisen bestand in den Provinzen keine Verbindung zwischen der Staatsverwaltung und der Selbstverwaltung in der Person des Oberpräsidenten; der Oberpräsident an der Spitze der staatlichen Verwaltung in der Provinz führte vielmehr nur die Staatsaufsicht über die Selbstverwaltung der Provinz; nach der Einberufung des Provinziallandtags durch den König bzw. das Staatsministerium, die alle 2 Jahre wenigstens einmal erfolgen sollte, lud er die Mitglieder, eröffnete und schloß den Provinziallandtag als Staatsbeauftragter, vermittelte weiter alle Verhandlungen der Staatsbehörden mit dem Provinziallandtag, dem er die Vorlagen der Staatsregierung mitteilte und von dem er dessen Erklärungen und Gutachten empfing zugleich mit dem Rechte, den Sitzungen des Provinziallandtags und seiner Ausschüsse beizuwohnen und zu jeder Zeit das Wort zu ergreifen. Erst in der nationalsozialistischen Zeit wurde, wie früher schon erwähnt, auch in dieser Stufe die Leitung der staatlichen Verwaltung und der Selbstverwaltung der Provinz beim Oberpräsidenten durch das G vom 15. Dezember 1933 (GS S. 477) vereinigt; dieser wurde nunmehr mit Bezug auf die Selbstverwaltung durch den Landeshauptmann vertreten, wogegen die Provinziallandtage und Provinzialauschüsse beseitigt wurden. Eine Überordnung der höheren Gemeindeverbände über die unteren bestand im übrigen nicht (vgl. z. B. § 92 östl. Provinziale v. 1875). Insbesondere lag den Provinzen nach näherer Rechtsvorschrift als Selbstverwaltungsangelegenheiten ob: der Bau und die Unterhaltung der Landstraßen 1. Ordnung, die ihnen durch das G von 1875 vom Staat übertragen worden waren, ferner die Aufgaben des Landesjugendamts nach dem RJugendwohlfahrtsG vom 9. Juli 1922, die Aufgaben - wie früher schon des Landesarmenverbandes, so jetzt - des Landesfürsorgeverbandes gemäß der FürsorgepflichtVO von 1924. Weiter betätigten sich die Provinzen auf dem Gebiete der Anstaltsfürsorge für Irre, Taubstumme und Blinde, der Errichtung landwirtschaftlicher Fachschulen, der Förderung von Bodenverbesserungsarbeiten, der - noch auf altständische Einrichtungen zurückgehenden - Gebäudebrandversicherung; sie hatten weiter die Verwaltungsgeschäfte der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und der Landesversicherungsanstalt nach der RVO zu besorgen. Dazu kamen sonstige freiwillige Aufgaben, z. B. auf dem Gebiete des öffentlichen Sparkassenwesens (Landesbanken), der Lebensversic!lerung, der Kunstsammlungen (Provinzialmuseen), des Denkmal- und Naturschutzes usw. 207 . 207 Vgl. dazu Heffter, a. a. 0., S. 602; Blaum, die weiteren Kommunalverbände. in DVBl. 1951. S. 161 ff.
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Nach dem Zusammenbruch von 1945 und der Auflösung des Landes Preußen sind diese Aufgaben auf die neugebildeten Länder übergegangen. Nur in Nordrhein-Westfalen sind nach der LandschaftsverbandsO vom 12. Mai 1953 (GS S. 271) unter Außerkraftsetzung der Provinzialordnungen für die Rheinprovinz von 1887 und für Westfalen von 1886 die zum Lande Nordrhein-Westfalen gehörenden Landkreise und kreisfreien Städte der früheren Rheinprovinz zum Landschaftsverband Rheinland, die Landkreise und kreisfreien Städte der früheren Provinz Westfalen und des früheren Landes Lippe zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe als öffentlich-rechtlichen Körperschaften mit dem Recht der Selbstverwaltung durch ihre gewählten Willensträger zusammengefaßt worden. Diese Landschaftsverbände (LV) haben im wesentlichen dieselben Aufgaben wie die früheren preußischen Provinzen, nur in etwas erweitertem Umfange (Wohlfahrtspflege, Jugendwohlfahrt und Gesundheitspflege, Straßenwesen usf.); ihre innere Einrichtung entspricht der der Gemeinden und Landkreise im Lande Nordrhein-Westfalen. Oberste Willensträger des Landschaftsverbandes sind die Landschaftsversammlung, deren Mitglieder von den Mitgliedskörperschaften aus den Mitgliedern ihrer Vertretungen und den Beamten der Mitgliedskörperschaften sowie der kreisangehörigen Gemeinden und Ämter gewählt werden, der Landschaftsausschuß, den die Landschaftsversammlung aus ihrer Mitte für die Dauer der Wahlzeit der Landschaftsversammlung nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in der Zahl von 14 Mitgliedern wählt (abgesehen vom Vorsitzenden, als welcher der Vorsitzende der Landschaftsversammlung gilt) und der von der Landschaftsversammlung gewählte Direktor des Landschaftsverbandes. Die Landschaftsversammlung beschließt über die allgemeinen Grundsätze, nach denen die Verwaltung geführt werden soll, die Wahl der Mitglieder des Landschaftsausschusses und der - zur Entlastung des Landschaftsausschusses dienenden - Fachausschüsse (für Finanzwesen, Straßenwesen usf.), die Wahl des Direktors des Landschaftsverbandes und der ihm zur Untertützung und Vertretung beigegebenen Landesräte (für 12 Jahre), über den Erlaß, die Änderung und Aufhebung von Satzungen des Landschaftsverbandes sowie über den Erlaß der Haushaltssatzung mit Haushalts- und Stellenplan, die Landschaftsumlage, die Abnahme der Jahresrechnung und die Entlastung. Der Landschaftsausschuß beschließt über alle nicht der Landschaftsversammlung vorbehaltenen Angelegenheiten, soweit es sich nicht um Geschäfte der laufenden Verwaltung handelt; er hat insbesondere die Beschlüsse der Landschaftsversammlung vorzubereiten und durchzuführen, die Tätigkeit der Ausschüsse und die Verwaltungsführung des Landschaftsverbandsdirektors zu überwachen, die Ernennung, Beförderung und Entlassung der Landschaftsverbandsbeamten zu beschlie-
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ßen. Der Landschaftsverbandsdirektor hat die Geschäfte der laufenden Verwaltung zu führen, die Beschlüsse des Landschaftsausschusses und der Fachausschüsse vorzubereiten und auszuführen, die ihm durch den Landschaftsausschuß übertragenen Verwaltungsaufgaben zu erledigen und den Landschaftsverband in Rechts- und Verwaltungsgeschäften gesetzlich zu vertreten208 • - Die LV unterstehen der Rechtsaufsicht des LMin. d. I., von den besonders geregelten Fällen der Weisungsaufgaben abgesehen. In Bayern wurde außer den an die staatlichen Bezirke der Bezirksämter (Landratsämter) sich anschließenden Bezirken, d. h. den späteren Landkreisen, als höhere Gemeindeverbände noch die Kreise innerhalb der Regierungsbezirke, die seit 1852 als Selbstverwaltungskörperschaften eigene Rechtspersönlichkeit erhalten hatten - jedoch noch unter starker Staatsaufsicht stehend, zumal der staatliche Verwaltungsbeamte, der Regierungspräsident, die laufenden Geschäfte besorgte -, seit dem SelbstverwaltungsG vom 22. Mai 1919 freie Selbstverwaltungskörperschaften mit einer volksherrschaftliehen Verfassung nach der KreisO vom 1927 209 geworden. Oberste Willensträger waren der Kreistag und der Kreisausschuß; die Beschlüsse des Kreistags hatte die Regierung, Kammer des Innern, auszuführen210 • Seit 1938 "Bezirksverbände" genannt, bestehen sie nach der BezirksO vom 27. Juli 1953 (GBI. S. 107) unter dem Namen "Bezirke" als höhere Gemeindeverbände fort, mit Aufgaben, die sich auf den Bezirk beschränken und über die Zuständigkeit oder das Leistungsvermögen der Landkreise und kreisfreien Städte hinausgehen; oberste Willensträger sind der von der wahlberechtigten Bevölkerung auf 4 Jahre gewählte Bezirkstag (für Beschlußfassung über Satzungen, den Haushaltsplan, Rechnungslegung, Umlagen, Abgaben und Gebühren), der von diesem gewählte Bezirksausschuß, bestehend aus 8 Mitgl~edern, und dem Regierungspräsidenten als Mitglied und Vorsitzendemkraft Gesetzes. Im übrigen sind hier noch anzuführen als höhere Gemeindeverbände der in Rheinland-Pfalz auf das Gebiet der ehemaligen bayrischen Pfalz beschränkte Bezirksverband211 sowie in Baden-Württemberg die hohen208 Vgl. dazu Peters, Lehrb. d. Verw. S. 326; Naunin i. Hdb. d. komm. Wiss. u. Praxis, Bd. 1, S. 472. 209 Entstanden waren die Kreise nach dem Vorbild des Generalrats der Pfalz, einem Provinzialparlament, das nach französ. Vorbild während der Fremdherrschaft zu Beginn d. 19. Jh. errichtet u. nach den Befreiungskriegen als "Landrat" beibehalten wurde. Zunächst wurden im Jahre 1818 auch im übrigen Bayern Landräte zur Beratung staatlicher Angelegenheiten errichtet. Vgl. Naunin, a. a. 0., S. 470; Blaum, a. a. 0., S. 163. 210 Vgl. Helfritz, Grundz. d. BeamtenR, S. 36, Naunin, a. a. 0., S. 470. 211 Dagegen waren in Sachsen Gemeindeverbände nur die mit den Bezirken der Amtshauptmannschaften räumlich sich deckenden Bezirksverbände; Willensträger waren der - von den Gemeindevertretungen gewählte - Be-
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zollerischen Lande mit den Kreisen Sigmaringen und Hechingen, die seit 1873 eine Selbstverwaltungskörperschaft als "Landeskommunalverband Hohenzollern" mit einer Rechtsstellung, wie sie sonst die Provinzen hatten, und durch das württembergisch-hohenzollerische Gesetz vom 7. September 1950 (GBl. S. 285) neu geordnet worden ist; oberste Willensträger sind der aus 20 Mitgliedern bestehende, von den Kreistagen mit je 10 Mitgliedern auf 3 Jahre gewählte Kommunallandtag, der Landesausschuß (bestehend aus dem Vorsitzenden des Kommunallandtags, seinem Stellvertreter sowie 4 weiteren von dem Kommunallandtag aus seiner Mitte gewählten Mitgliedern) und der Vorsitzende des Kommunallandtages. c) Die Zweckverbände 1) Im allgemeinen
Zweckverbände sind öffentlich-rechtliche Körperschaften, insbesondere von Gemeinden und Gemeindeverbänden, zur Wahrnehmung einzelner gemeinsamer Verwaltungsaufgaben. Geregelt sind die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Zweckverbände durch das ZweckverbandsG vom 7. Juni 1939 (RGBl. I S. 979, abg. durch VO v. 11. Juni 1940, RGBl. I S. 876, und vom 24. Juli 1941, RGBl. I S. 464) 212 • Danach können Gemeinden und Gemeindeverbände zur gemeinsamen Erfüllung bestimmter Aufgaben, zu deren Durchführung sie berechtigt oder verpflichtet sind, zu Zweckverbänden sich zusammenschließen (Freiverbände) oder zu solchen zusammengeschlossen werden (Pflichtverbände). Die Bildung eines Zweckverbandes ist jedoch unzulässig, wenn durch Gesetz eine besondere Verbandsform für die gemeinsame Erfüllung der Aufgaben vorgeschrieben ist, wie innerhalb ihrer Pflichtzirkstag u. der aus dem Amtshauptmann u. den vom Bezirkstag gewählten Mitgliedern zusammengesetzte Bezirksausschuß. In Hessen waren neben den Kreisen noch die 3 Provinzen höhere Selbstverwaltungskörperschaften. Der in dem neugebildeten Lande Hessen anstelle der früheren Bezirksverbände gebildete Landeswohlfahrtsverband, der die kreisfreien Städte und die Landkreise des Landes umfaßt, ist nicht als ein Gemeindeverband höherer Ordnung, sondern als ein auf die Zwecke der Volkswohlfahrt beschränkter besonders gebildeter Zweckverband anzusehen. Er ist Landesfürsorgeverband i. S. der FürsorgepfiichtVO, Fürsorgeerziehungsbehörde u. hat die Aufgaben der Hauptfürsorgestelle zur Erfüllung nach Weisung zu übernehmen; weitere Aufgaben auf dem Gebiete der Volkswohlfahrt kann er mit Zustimmung des Min. übernehmen. Vgl. dazu Klüber, Die Kommunalverbände usw., im Hdb. d. komm. Wiss. u. Praxis, Bd. 1, S. 563. Vgl. im übrigen noch 0. Mayer, StaatsR. d. Königreichs Sachsen S. 298 ff., Jellinek, a. a. 0., S. 79. Wegen RheinlandPfalz vgl. noch die BezirksO Teil D des SelbstverwaltungsG v. 22. Nov. 1949 (GBl. S. 570) u. hierzu Naunin, a. a. 0., S. 478. 212 Früher waren solche Zweckverbände z. T. durch einzelne Landesgesetze für besondere Zwecke gebildet, wie z. B. das preuß. ZweckverbandsG für Groß-Berlin v. 29. Juli 1911 (GS, S. 123), aufgeh. durch d. G über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin v. 27. Aug. 1920 (GS S. 286), die Gesetze
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aufgaben bei den Ämtern, Landkreisen (sowie früher den Fürsorgeverbänden), oder die gemeinsame oder verbandsmäßige Erfüllung der Aufgabe ausgeschlossen ist (§ 1). Es steht aber auch nichts im Wege, daß Gemeinden und Gemeindeverbände anstelle eines Zweckverbandes zur Erfüllung einzelner Zwecke auch andere Rechtsformen wählen, wie auch des bürgerlichen Rechts, z. B. eine Aktiengesellschaft oder G. m. b. H. zum Betriebe einer Kleinbahn usw. 213 • Neben Gemeinden oder Gemeindeverbänden können auch andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen Mitglieder eines Zweckverbandes sein, soweit nicht die für sie geltenden besonderen Vorschriften die Beteiligung ausschließen oder beschränken. Die Beteiligung von natürlichen oder juristischen Personen des bürgerlichen oder Handelsrechts an einem Zweckverband bedarf der besonderen Zulassung- des Reichsministers d. I. und der beteiligten Fachminister, d. h. jetzt - der zuständigen Landesminister, soweit es sich nicht um juristische Personen des bürgerlichen oder Handelsrechts handelt, deren Kapital sich ausschließlich in öffentlicher Hand befindet (§ 3). Ein solcher Zweckverband kommt z. B. in Betracht für die Errichtung oder den Betrieb eines gemeinschaftlichen Krankenhauses, einer Wasserversorgungsanlage, eines Elektrizitätswerks usw., für gemeinsame Feuerlöscheinrichtungen als Feuerlöschverband, für die Unterhaltung einer gemeinschaftlichen Schule, z. B. einer Volks- oder Berufsschule, (als Schulverband) oder einer Schaubühne (Theater). Die Zweckverbände sind öffentlich-rechtliche Körperschaften, die sich selbst unter eigener Verantwortung verwalten, d. h. Selbstverwaltungskörperschaften; ihr Wirken muß im Einklang mit den Gesetzen stehen. Sie sind aber nach der Begrenzung auf einzelne bestimmte Zwecke keine Gebietskörperschaften, gehören vielmehr sachlich zu den einzelzweckliehen Selbstverwaltungskörperschaften (vgl. u. § 27), die nur aus Zweckmäßigkeitsgründen im Zusammenhang mit den Gemeinden und den Gemeindeverbänden, aus denen sie sich in der Hauptsache zusammensetzen, sowie im Hinblick auf die allgemeine Regelung der Rechtsverhältnisse der Zweckverbände und über den Ruhrsiedlungsverband im rhein.-westf. Industriegebiet v. 5. Mai 1920 (GS S. 286) mit späteren Änderungen, über die Emscher Genossenschaft v. 14. Juli 1904 (GS S. 175). Vgl. im übrigen dazu § 34, Abs. 1 ZwVerbG, wonach die Vorschriften von Reichs- u. Landgesetzen über sondergesetzliche Verbände der Gemeinden u. Gemeindeverbände zur Erfüllung bestimmter Aufgaben unberührt bleiben. In früheren Zeiten war die Bildung von Zusammenschlüssen von Gemeinden für einzelne Zwecke (z. B. für Schulwesen, Feuerlöschwesen) in den Gemeindeordnungen vorgesehen; vgl. Klüber, a. a. 0., S. 560 ff. - Die fortdauernde Geltung des ZweckverbandsG v. 1939 ist an sich - abgesehen von den ausgesprochen nat.-soz. Bestimmungen - nicht in Abrede zu stellen; es hat heute jedoch die rechtliche Bedeutung von Landesrecht, da eine Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiete des Gemeindewesens, wohin die Zweckverbände zu rechnen sind, nicht besteht. So zutr. auch Klüber, a. a. 0., S. 545 ff. 213
Vgl. Peters, Grenzend. komm. Selbstverw. S. 2.
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§ 25. Die gebietliehe Selbstverwaltung
die Verschiedenartigkeit der Zwecke, für die sie gebildet werden können, vorweg hier behandelt sind. Die Rechtsverhältnisse des Zweckverbandes werden im Rahmen des ZweckverbandsG durch eine Verbandssatzung geordnet; im übrigen gelten die für die Gemeinden bestehenden Vorschriften und Bestimmungen sinngemäß auch für die Zweckverbände @ 6). Die Zweckverbände stehen unter der Staatsaufsicht (vgl. u. Ziff. 5). Satzungen können die Zweckverbände nur im Rahmen besonderer gesetzlicher Ermächtigung erlassen, es sei denn, daß sie ausschließlich aus Gemeinden und Gemeindeverbänden bestehen; in diesem Falle haben sie das Satzungsrecht entsprechend den Vorschriften der DGO (§ 3), d. h. jetzt der Landesgemeindeordnungen. Ein Recht zur Erhebung von Steuern haben die Zweckverbände nicht. 2) Die Bildung
aa) Die Freiverbände Haben sich die Beteiligten, die Verbandsglieder des Zweckverbandes werden sollen, über die Verbandssatzung geeinigt, so haben sie unter Anerkennung der vereinbarten Verbandssatzung der zur Bildung des Zweckverbandes zuständigen Behörde gegenüber - unbeschadet sonstiger Formvorschriften - schriftlich zu erklären, daß sie auf dieser Grundlage dem Zweckverband beitreten. Das ist, wenn der Kreis der Beteiligten sich auf einen Landkreis (ohne Beteiligung des Landkreises als solchen) beschränkt, der Landrat, sonst die obere Aufsichtsbehörde t§ 7); diese bestimmt über die Bildung des Zweckverbands unter Feststellung der Verbandssatzung und gibt den Beschluß mit der Verbandssatzung im amtlichen Veröffentlichungsblatt der Behörde bekannt. Der Beschluß und die Verbandssatzung werden am Tage nach der öffentlichen Bekanntmachung rechtswirksam, falls nicht im Beschluß ein späterer Zeitpunkt dafür bestimmt ist. Nach ordnungsmäßiger öffentlicher Bekanntmachung ist die Bildung des Zweckverbandes der Nachprüfung der Gerichte und Verwaltungsgerichte entzogen(§ 11). Gemeinden und Gemeindeverbände können - ähnlich wie schon nach früherem preuß. Recht214 - anstelle der Bildung eines Zweckverbands zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe vereinbaren, daß einer der Beteiligten gegen angemessene Entschädigung seitens der übrigen die gemeinsame Aufgabe erfüllt oder den übrigen Beteiligten die Mitbenutzung einer von ihm betriebenen Einrichtung einräumt ~§ 13), z. B. einer Wasserversorgungs- oder Entwässerungsanlage oder eines Elektrizitätswerks (sog. "Anschluß") 215 • Die Vereinbarung bedarf der 214
Vgl. § 2 Abs. 5 pr. ZwecltverbandsG v. 19. Juli 1911.
Die Gemeindeverbände
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schriftlichen Form und der Genehmigung der zuständigen Behörde. Mit einer solchen Vereinbarung kann die Bestimmung verbunden werden, daß die zur Erfüllung der gemeinsamen Aufgabe oder zur Gestattung der Mitbenutzung ihrer Einrichtung verpflichtete Körperschaft befugt sein soll, die öffentliche Benutzung der Einrichtung durch eine für das gesamte Gebiet der Beteiligten geltende Satzung zu regeln; es kann dann die betr. Körperschaft im Geltungsbereich der Satzung alle zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen wie im eigenen Gebiet treffen, wobei jedoch das Recht zur Erhebung von Steuern hiervon ausgenommen ist(§ 14). bb) Die Pflichtverbände Ist die Bildung eines Zweckverbandes zur Durchführung von Auftragsangelegenheiten oder von Pflichtaufgaben, deren Erfüllung den öffentlichen Körperschaften durch Gesetz ausdrücklich auferlegt worden ist, aus Gründen des öffentlichen Wohls dringend geboten, so kann die oben angeführte zuständige Behörde den beteiligten Körperschaften eine angemessene Frist für eine Einigung zur Bildung eines Freiverbands setzen; bei der Erfüllung anderer Aufgaben ist zu dem Vorgehen die Zustimmung der nächsthöheren Aufsichtsbehörde erforderlich. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist kann die Behörde über die Ergänzung der mangelnden Zustimmung von Gemeinden und Gemeindeverbänden zur Bildung und Aufgabenstellung des Zweckverbandes sowie zum Kreis der Beteiligten nach mündlicher Verhandlung mit den Beteiligten Beschluß fassen. Gegen diesen können die beteiligten Gemeinden und Gemeindeverbände binnen zwei Wochen216 Beschwerde an die nächsthöhere Aufsichtsbehörde einlegen, die endgültig entscheidee17 • Kommt eine Vereinbarung der Beteiligten über die Verbandssatzung innerhalb einer von der zuständigen Behörde gesetzten angemessenen Frist nicht zustande, so wird sie durch Beschluß der Behörde ggf. festgesetzt (§§ 15, 17). An die Stelle der Bildung eines Zweckverbands kann die Behörde den Gemeinden und Gemeindeverbänden den Abschluß einer Vereinbarung nach den oben angeführten Bestimmungen der§§ 13 und 14 des Gesetzes aufgeben, bei mangelnder Einigung innerhalb einer von ihr gesetzten angemessenen Frist auch über die Regelung Beschluß fassen (§ 19). 3) Änderung und Auflösung
Die Verbandssatzung kann Vorschriften über die Voraussetzungen u:r-.d das Verfahren für das Ausscheiden und den Ausschluß von VerVgl. 0. Mayer, VerwR Bd. 2, S. 385. Vgl. die Durchf.VO v.ll. Juni 1940 (RGBl. I S. 876) I 2. 217 Vgl. dazu aber § 22 Abs. 2 MRVO Nr. 165, § 22 südd. VGG, § 1 württ.hoh. G zur Änderung d. Verfahrens vor dem VGH usf. v. 17. Okt. 1950 (Reg. Bl. S. 301) u. jetzt § 40 VwGO. 21s 218
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§ 25. Die gebietliehe Selbstverwaltung
bandsgliedern, für den freiwilligen Beitritt neuer Verbandsglieder, für die Auflösung des Zweckverbands sowie für sonstige Änderungen in der Verbandssatzung vorsehen; anderenfalls gelten die Vorschriften über die Bildung von Zweckverbänden sinngemäß auch für ihre Änderung und Auflösung 218 • Aus dringenden Gründen des öffentlichen Wohls kann entsprechend dem für die Bildung von Pflichtverbänden vorgesehenen Verfahren die Auflösung von freien wie von Pflichtverbänden herbeigeführt werden(§ 21).
4) Die Verbandssatzung Die Verbandssatzung muß einen im Gesetz bestimmten Inhalt aufweisen- die Verbandsglieder, die Aufgaben, Namen und Sitz, die Verfassung (Verwaltung und Vertretung), die Deckung des Aufwands, insbesondere den Maßstab, nach dem die Verbandsglieder zur Deckung des Bedarfs beizutragen haben, die Art der öffentlichen Bekanntmachungen und die Abwicklung im Falle der Auflösung des Zweckverbandes -; im übrigen kann sie die Rechtsverhältnisse des Zweckverbands regeln, soweit das Gesetz keine Vorschriften enthält oder die Regelung in der Verbandssatzung ausdrücklich zuläßt(§ 24). Die Verfassung (Verwaltung und Vertretung) von Zweckverbänden, die überwiegend hoheitlichen Aufgaben dienen, soll den Vorschriften über die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden angeglichen werden (§ 25) 218 • Die satzungsmäßigen Amtsträger des Zweckverbands sollen grundsätzlich ehrenamtlich tätig sein; Leiter soll in der Regel der Leiter einer beteiligten Gemeinde oder eines solchen Gemeindeverbandes sein. Die Verbandssatzung kann vorsehen, daß der Zweckverband über die Benutzung seiner öffentlichen Einrichtungen sowie über die Erhebung von Gebühren und Beiträgen Satzungen erlassen kann; für sie gelten die Vorschriften für die Gemeinden über Satzungen, über den Anschluß- und Benutzungszwang, über das Recht der Einwohner, Grundbesitzer und Gewerbetreibenden zur Benutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinde, über die Erhebung von Gebühren und Beiträgen, über das Verwaltungszwangsverfahren sowie über die Entscheidung von Streitigkeiten entsprechend. Die Deckung des durch sonstige Einnahmen nicht gedeckten Aufwands erfolgt durch Heranziehung der Verbandsmitglieder zu jährlich festzusetzenden Umlagen.
5) Die Staatsaufsicht Der Zweckverband steht unter der staatlichen Aufsicht der Behörde, die für seine Bildung zuständig ist. Diese hat ihn in seinen Rechten 218 Soweit die Verbandssatzung besondere Vorschriften nicht enthält, ist bei Freiverbänden zu jeder Änderung der Verbandssatzung die Zustimmung sämtlicher Verbandsglieder erforderlich. 218 Die Verbandssatzung vori Zweckverbänden, die überwiegend wirt-
Die Gemeindeverbände
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zu schützen und die Erfüllung seiner Pflichten zu sichern. Die Aufsicht führt der Landrat oder die obere Aufsichtsbehörde, je nachdem ob sich der Kreis der Beteiligten auf einen Landkreis beschränkt oder darüber hinausgeht C§§ 7, 31). Die Zuständigkeit der Fachaufsichtsbehörden bleibt unberührt.
6) Rechtsstreitigkeiten Streitigkeiten zwischen dem Zweckverband und seinen Verbandsgliedern sowie der Verbandsglieder untereinander über Rechte und Verbindlichkeiten aus dem Verbandsverhältnis, insbesondere über das Recht zur Benutzung der Verbandseinrichtungen und über die Pflicht zur Tragung der Verbandslasten, entscheidet die Aufsichtsbehörde, soweit im Gesetz nicht ein anderes Verfahren oder in der Satzung ein Schiedsverfahren vorgesehen ist. Gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde kann verwaltungsgerichtliche Klage wegen Rechtsverletzungen, die den Kläger beeinträchtigen, erhoben werden (§ 32)220 •
§ 26. Die berufliche Selbstverwaltung Die berufliche Selbstverwaltung hat mit der gebietliehen Selbstverwaltung gemein, daß es sich auch hier um einen umfassenderen Aufgabenbereich handelt im Gegensatz zu den für einzelne Zwecke gebildeten Selbstverwaltungskörperschaften (vgl. u. § 27), wobei hier dieser Aufgabenbereich mit bestimmten Berufen zusammenhängt. schaftliehe Aufgaben dienen, soll die Verfassung und Verwaltung grundsätzlich dem handelsrechtliehen Gesellschaftsrecht anpassen. 220 Erwähnt sei endlich, daß seit der Jahrhundertwende gemeindliche Spitzenverbände entstanden waren: der Deutsche Städtetag (1905) für Städte mit mehr als 25 000 Einw. und bezirkliehe Verbände, der Reichsverband deutscher Städte u. Gemeinden mit weniger als 25 000 Einw. u. der Deutsche Landgemeindetag (1919); endlich (1920/22) der Verband deutscher Landkreise, mit der Bezeichnung: "Deutscher Landkreistag" (1924). Im nat.-soz. Staat wurden durch G v. 15. Dez. 1935 (BGBl. I S. 1065) die Gemeinden und Gemeindeverbände des Reichs einheitlich zum "Deutschen Gemeindetag" als einer Körperschaft des öff. R unter der Aufsicht d. Reichsmin. d. I. unter Auflösung der bisherigen Spitzenverbände zusammengeschlossen. Seine Rechtsverhältnisse waren durch das G und eine vom Reichsmin. d. I. erlassene Satzung geregelt; er hatte die Aufgabe, die Gemeinden und Gemeindeverbände durch Beratung und Vermittlung des Erfahrungsaustauschs in ihrer Arbeit zu unterstützen und auf Anfordern der Reichs- und Landesbehörden zu Fragen, die ihm unterbreitet wurden, gutachtlich Stellung zu nehmen.- An seine Stelle sind nach 1945 gemeindliche Spitzenverbände in der Form bürg.-rechtl. Vereine getreten mit ähnlichen Aufgaben: der "Deutsche Städtetag" für die kreisfreien, aber auch sonstigen Städte, der "Deutsche Städtebund" für kreisangehörige Städte und Gemeinden sowie deren Verbände, der "Deutsche Gemeindetag" als Spitzenverband der in Landesverbänden zusammengeschlossenen kreisangehörigen Gemeinden und der "Deutsche Landkreistag" als Spit-
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§ 26. Die berufliche Selbstverwaltung
I. Zur Geschichte
a) I n d e r Z e i t d e s L eh e n s - u n d S t ä n d e s t a a t e s des Mittelalters war diese berufliche Selbstverwaltung weigehend verwirklicht, insbesondere bei den Gilden der Kaufleute, den Zünften des Handwerks. Hervorgegangen aus Schwurbrüderschaften, die unter Ablegung eines religiösen Eides zur Wahrnehmung gemeinsamer Belange eingegangen wurden, haben sie nach dem Niedergang der stadtobrigkeitlichen Regelungen die Verhältnisse des Berufs eingehend geregelt, wie insbesondere die Zulassung zum Beruf, das Verhältnis zwischen den Meistern und den Lehrlingen und Gesellen, weiter die Wahrnehmung sonstiger gemeinsamer Belange, wie die Regelung von Preisen und die Wahrung der Standesehre in die Hand genommen. Sie hatten hierbei auch hoheitliche Aufgaben übertragen erhalten, wie die Polizei in Gewerbesachen, die Gerichtsbarkeit mit Bezug darauf, und auch ein Besteuerungsrecht. Die Ausübung des Handwerks z. B. war im allgemeinen von der Zugehörigkeit zu einer Zunft abhängig (sog. Zunftzwang). Die Zünfte haben auch regelmäßig auf Grund von Zunftkämpfen den Zutritt zum Stadtrat als der obersten Verwaltungsbehörde der Stadt nach der Abwerfung der Stadtherrschaft erlangt. (Vgl. o. § 25 Ziff. I b). b)In der Zeit des unbeschränkten Fürstenstaates Nachdem bereits eine Entartung des Zunftwesens zum guten Teil eingetreten war, wurden dagegen bei dem Bestreben, alle Verhältnisse im Staat von oben her zu regeln, die Selbstbestimmung und das Selbstverwaltungsrecht der Zünfte weitgehend durch obrigkeitliche Regelung und Beaufsichtigung des Landesherrn und seiner Beamten zurückgedrängt. Bei den hergebrachten Zünften bestand aber der Zunftzwang bis zum Durchbruch der liberalen Gesetzgebung anfangs des 19. Jahrhunderts mit der Einführung der Gewerbefreiheit - in Preußen bis zur Hardenbergsehen Gesetzgebung (1810) -fort. c) In der Zeit d ·es li b er a 1 e n Verfassungs- und Rechtsstaates in der man, von einer vorwiegend einzeltümlichen Rechts- und Staatsauffassung ausgehend, zunächst die Zünfte mit ihren Vor- und Zwangs-
zenverband der Landkreis-Landesverbände. Diese vier Spitzenverbände haben sich wieder zu einer "Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände" auf bürgerlich-rechtlicher Grundlage zusammengeschlossen. Vgl. Peters, Lehrb. d. Verw. S. 328, Turegg, Lehrb. d. Verw.R, 3. A. (1956), S. 274. Ziebill, Die kommun. Spitzenverbände, i. Hdb. d. kommun. Wiss. u. Praxis Bd. 1, S. 581 ff.
Zur Geschichte
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rechten abgeschafft hatte, ist man erst allmählich wieder mit der Wendung zu einer mehr sozialen Gestaltung des Wirtschafts- und Arbeitsrechts seit Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre des 19. Jh. bei uns zu einer Anerkennung einer gewissen beruflichen Selbstverwaltung gelangt. So vor allem mit Bezug auf die Innungen der selbständigen Gewerbetreibenden, insbesondere der Handwerker, unter entsprechender Änderung der GewO durch Gesetze vom 18. Juli 1881 (RGBL S. 233) und vom 26. Juli 1897 (RGBl. S. 663). Während sie nach der ursprünglichen Fassung der GewO vom 21. Juni 1869 (BGBl. S. 245)- §§ 81 ff.nur die Bedeutung bürgerlich-rechtlicher Vereine zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Belange hatten, erhielten sie jetzt eine öffentlich-rechtliche Rechtsstellung: die neugebildeten Innungen erhielten die Eigenschaft als "Korporation" durch Bestätigung der Satzung durch die höhere Verwaltungsbehörde. Danach konnten diejenigen, welche ein Gewerbe selbständig betreiben, zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Belange zu einer Innung zusammentreten; zur Wahrung der gemeinsamen gewerblichen Belange der Handwerker gleicher oder verwandter Art konnten aber auch (seit 1897) auf Antrag Beteiligter durch die höhere Verwaltungsbehörde Zwangsinnungen für sämtliche Gewerbetreibende des gleichen Handwerks oder verwandter Handwerke innerhalb eines bestimmten Bezirks angeordnet werden (§§ 81 ff., 100 ff. GewO). Für alle oder für mehrere derselben Aufsichtsbehörde (z. B. der Gemeindebehörde) unterstehenden Innungen konnte zur Vertretung der gemeinsamen Belange der beteiligten Innungen ein gemeinsamer Innungsausschuß, für mehrere nicht derselben Aufsichtsbehörde unterstehende Innungen Innungsverbände gebildet werden. Zur Vertretung der Belange des Handwerks waren weiter auf reichsrechtlicher Grundlage seit 1897 nach § 103 GewO durch Verfügung der Landeszentralbehörden Handwerkskammern unter gleichzeitiger Bestimmung ihres Bezirks zu errichten; die Zahl ihrer Mitglieder wurde durch Satzung bestimmt; sie wurden von den Handwerksinnungen im Bezirke der Handwerkskammern sowie von den Gewerbevereinen und sonstigen Vereinigungen zur Förderung der gewerblichen Belange des Handwerks, sofern sie mindestens zur Hälfte ihrer Mitglieder aus Handwerkern bestanden, je aus der Zahl ihrer Mitglieder gewählt. Die Handwerkskammer konnte sich nach näherer Bestimmung der Satzung bis zu einem Fünftel ihrer Mitgliederzahl durch Zuwahl von sachverständigen Personen ergänzen und zu ihren Verhandlungen Sachverständige mit beratender Stimme zuziehen. Der Handwerkskammer oblag insbesondere die nähere Regelung des Lehrlingswesens, die Überwachung der Durchführung der für es geltenden Vorschriften, die Unterstützung der Staats- und Gemeindebehörden in der Förderung des Handwerks durch tatsächliche Mitteilungen und Erstattung von Gut46 Merk
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§ 26. Die berufliche Selbstverwaltung
achten über die Verhältnisse des Handwerks, die Beratung von Wünschen und Anträgen mit Bezug auf die Verhältnisse des Handwerks und deren Vorlage an die Behörden usw., in ähnlicher Weise, wie das auch heute noch der Fall ist (vgl. u. Ziff. II a 7). Die Innungen und die Handwerkskammern waren Körperschaften des öffentlichen Rechts 1 und unterlagen der Aufsicht der unteren Verwaltungsbehörde bzw. der Landeszentralbehörde, insbesondere zur Überwachung der Befolgung gesetzlicher und satzungsmäßiger Vorschriften (§§ 96, 103 o Gewü). Die Handwerkskammern und die ihnen gleichgestellten landesrechtliehen gesetzlichen Einrichtungen, wie Handels- und Gewerbekammern, waren seit dem G vom 1. Dezember 1922 (RGBl. I S. 927) wieder zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts "Deutscher Handwerksund Gewerbekammertag" zur Vertretung der gemeinsamen Angelegenheiten der ihnen angehörenden Handwerkskammern und sonstigen Körperschaften zusammengeschlossen: er unterstand der Aufsicht des Reichswirtschaftsministers (§ 103 r Gewü). Landesrechtlich bestanden weiter ähnliche Regelungen mit Bezug auf die Verhältnisse von Industrie und Handel durch die Einrichtung von Industrie- und Handelskammern (in Preußen seit 1848) als Körperschaften der selbständigen Unternehmer der gewerblichen Wirtschaft eines bestimmten Bezirks mit Ausnahme des Handwerks; sie waren in äußerer Anlehnung an die früher bereits in Frankreich unter Ludwig XIV., dann wieder unter Napoleon I. eingerichteten Handelskammern 2 entstanden, jedoch im Gegensatz zu deren amtlicher Natur mit Selbstverwaltungsbefugnissen entsprechend den mittelalterlichen deutschen genossenschaftlichen Zusammenschlüssen der Kaufleute und der Handwerker ausgestattet worden. Ferner mit Bezug auf die Verhältnisse der Landwirtschaft einschließlich ihrer Nebenbetriebe, der Forstwirtschaft und des Gartenbaus, durch die Einrichtung von Landwirtschaftskammern als berufsständischen Vertretungen der in der Landwirtschaft als Unternehmer, Angestellte und Arbeiter tätigen Personen sowie jener 1 Den Inn. Ausschüssen u. den Inn. Verbänden konnte diese Eigenschaft durch die Landeszentralbehörde bzw. den Bundesrat verliehen werden. 2 Errichtung eines aus Regierungsmitgliedern und sonstigen Beamten zusammengesetzten Handelsrats (Conseil de commerce) in Paris 1607; Neugestaltung unter Colbert (1664), später mit Hinzuziehung angesehener Kaufleute; seit 1701 wurden besondere Handelskammern (Chambres particulieres de commerce) in verschiedenen Städten gegründet. Nach deren Beseitigung in der franz. Staatsumwälzung (1791) kam es zur Neugründung von Handelskammern (Chambres de commerce) auf Grund eines Konsularerlasses von 1802; diese gingen aus Wahlen der angesehensten Kaufleute hervor und berieten unter dem Vorsitze des Präfekten oder Bürgermeisters als bloße Beratungs- u. Begutachtungsstellen für die Regierung (vgl. Wirminghaus in HWStW [4. Auft.] Bd. 5, S. 78 u. d. W.: "Handelskammern").
Zur Geschichte
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Angehörigen landwirtschaftlicher Unternehmer, die in deren Betrieben hauptberuflich tätig sind (vgl. z. B. das bad. LandwKG v. 28. Sept. 1906, GuVOBI. S. 445, m. spät. Änd.). In Preußen waren die Verhältnisse der Landwirtschaftskammern bereits geregelt worden durch das G vom 30. Juni 1894 (GS S. 126); sie waren später in einem öffentlich-rechtlichen Verband zusammengefaßt, der i. J. 1921 die Bezeichnung "Preußische Hauptlandwirtschaftskammer" erhielt. Der "Deutsche Landwirtschaftsrat" dagegen war ein freiwillig gebildeter Spitzenverband der Landwirtschaftskammern im Deutschen Reiche in bürgerlich-rechtlicher Rechtsform. Die Landwirtschaftskammern waren berufen zur Vertretung der gemeinsamen Belange und Förderung dieses Wirtschaftszweiges insbesondere durch Unterstützung, Einrichtung und Förderung von Veranstaltungen, zur Unterstützung der Staats-, Kreis- und Gemeindebehörden usw. durch tatsächliche Mitteilungen, Anregungen und Gutachten, zur Stellung von selbständigen Anträgen bei der Regierung, zur Anhörung vor gesetzlichen oder behördlichen, die Belange der Landwirtschaft berührenden Regelungen usw. 3 • Weiter sind auf dem Gebiete der beruflichen Selbstverwaltung anzuführen die für die freien Berufe der Rechtsanwälte, der Ärzte, Apotheker usw. gebildeten Rechtsanwaltskammern, Ärztekammern, Apothekerkammern usw. mit ähnlichen Aufgaben zur Wahrung und Förderung der gemeinsamen Belange der betreffenden Berufszweige, zur Wahrung der Berufsehre, zur Erstattung von Berichten und Gutachten für die Staatsbehörden. Auch diesen Kammern war regelmäßig die Eigenschaft einer unter der Staatsaufsicht stehenden Körperschaft des öffentlichen Rechts beigelegt. Auf die verfassungsrechtliche Verwertung des berufsständischen Gedankens, nämlich durch die Vertretung gewisser berufsständischer Vertretungskörperschaften z. T. in den Ersten Kammern von Landtagen in der Zeit der Einherrschaft vor 1918 und im (vorläufigen) Reichswirtschaftsrat der Weimarer Zeit (vgl. Art. 165 WeimRV u. die VO über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat v. 4. Mai 1920, RGBI. S. 858) ist hier nicht weiter einzugehen. d) I m n a t i o n a I s o z i a I i s t i s c h e n F ü h r er s t a a t war sodann eine weitgehende berufsständische "Selbstverwaltung" durchgeführt aus einer einseitigen gemeinschaftsmäßigen Rechts- und Staatsauffassung heraus zur Regelung und Lenkung der Berufstätigkeit jeder Art unter dem Gesichtspunkte der Wahrnehmung öffentlicher Belange in Ausrichtung auf die politischen Ziele der NSDAP sowie zur Wahrung der Standesehre der Berufstätigen durch Heranziehung der Beteiligten selbst- und nicht lediglich durch die Verwaltung des Staates von oben her den einzelnen als einzelnen gegenüber - im Sinne der 3
46•
Vgl. Altrock, Landwirtschaftskammern, in HWStW (4. Aufl.), Bd. 6, S. 220 ff.
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§ 26. Die beruflic.'le Selbstverwaltung
Pflichtmitgliedschaft4 zu den berufsständischen Verbänden, des Führergrundsatzes mit Anordnungsgewalt gegenüber den Angehörigen des Verbandes und der Einsetzung der Leiter von oben. So insbesondere auf dem Gebiete der Landwirtschaft mit Einschluß der Forstwirtschaft, des Gartenbaus, der Fischerei und der Jagd im Reichsnährstand, auf dem Gebiete der gewerblichen Wirtschaft und des Verkehrsgewerbes in den Reichsgruppen usw., und für die geistigen, schriftstellerischen, künstlerischen und damit zusammenhängenden Berufszweige in der Reichskulturkammer als Gesamtkörperschaft mit ihren Unterkammern usf. (vgl. o. § 12). Die Kammern für die freien Berufe, insbesondere die Reichsrechtsanwaltskammer mit den Anwaltskammern für die Bezirke der Oberlandesgerichte als Untergliederungen (vgl. die ReichsrechtsanwaltsO i. d. F. der Bek. v. 21. Febr. 1936, RGBl. I S. 107), die Reichsärztekammer mit den Ärztekammern und ärztlichen Bezirksvereinigungen als Untergliederungen (vgl. §§ 20 ff. ReichsärzteO v. 13. Dez. 1935, RGBl. I S. 1433), die Reichstierärztekammer mit den Tierärztekammern und tierärztlichen Bezirksvereinigungen als Untergliederungen (vgl. §§ 19 ff. ReichstierärzteO v. 3. April 1936, RGBl. I S. 347), die Reichsapothekerkammer mit den Bezirksapothekerkammern als Untergliederungen (vgl. §§ 5 ff. ReichsapothekerO v. 17. April 1937, RGBl. I S. 457) als Körperschaften des öffentlichen Rechts wurden in einem strafferen Aufbau neu gestaltet.
II. Geltendes Recht Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates i. J. 1945 ist in der Bundes- und Landesgesetzgebung im ganzen wieder an die Verhältnisse des Verfassungs- und Rechtsstaates angeknüpft worden (vgl. o. Ziff. I c). a) Die Verhältnisse der Innungen der Handwerker und der Handwerkskammern usf. sind jetzt durch die Handwerksordnung (G zur Ordnung des Handwerks) vom 17. September 1953 (BGBl. I S. 1411), abg. durch G vom 22. Dezember 1953 (BGBl. I S. 1567) und vom 26. Dezember 1957 (BGBl. I S. 1883), geregelt. Die Vorschriften der §§ 91 ff. GewO waren danach insoweit nicht mehr anzuwenden, als sie mit den Vorschriften der HO nicht im Einklang stehen; sie, und zwar der ganze Tit. VI GewO, sind jetzt durch das G vom 5. Mai 1960 (BGBl. I S. 61) aufgehoben worden. 1) Danach können selbständige Handwerker des gleichen Handwerks oder fachlich oder wirtschaftlich einander nahestehender Handwerke 4 Demgemäß wurden die Vorschriften über die Zwangsinnungen (§§ 100 ff. GewO) durch § 96 Abs. 2 der VO über den vorl. Aufbau des deutschen Handwerks vom 15. Juni 1934 (RGBl. I S. 493) aufgehoben.
Geltendes Recht
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(vgl. hierzu wegen des Erfordernisses der Eintragung in die Handwerksrolle § 1 HO) zur Förderung ihrer gemeinsamen gewerblichen Belange innerhalb eines bestimmten Bezirks zu einer Handwerksinnung zusammentreten; für jedes Handwerk kann in dem gleichen Bezirk nur eine Handwerksinnung gebildet werden, deren Bezirk sich nicht über den Bezirk einer Handwerkskammer hinaus erstrecken soll. Die Handwerksinnung ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die mit der Genehmigung der Satzung rechtsfähig wird. Als Pflichtaufgabe liegt der Handwerksinnung ob, die gemeinsamen gewerblichen Belange ihrer Mitglieder zu fördern, insbesondere den Gemeingeist und die Berufsehre zu pflegen, ein gutes Verhältnis zwischen Meistern, Gesellen und Lehrlingen anzustreben, entsprechend den Vorschriften der Handwerkskammer die Lehrlingsausbildung zu regeln und zu überwachen sowie für die technische, gewerbliche und sittliche Ausbildung der Lehrlinge zu sorgen, Gesellenprüfungen mit Ermächtigung der Handwerkskammer abzunehmen und hierfür einen Gesellenprüfungsausschuß zu errichten, das handwerkliche Können der Meister und Gesellen, insbesondere durch die Errichtung und Unterstützung von Fachschulen, zu fördern, bei der Verwaltung der Berufsschulen gemäß den bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen mitzuwirken, das Genossenschaftswesen im Handwerk zu fördern, über Angelegenheiten der in ihrvertretenenHandwerke den Behörden Gutachten und Auskünfte zu erstatten usw.; als freiwillige Aufgabe kann die Innung weiter Tarifverträge, soweit und solange solche nicht durch den Innungsverband für den Bereich der Handwerksinnung abgeschlossen sind, abschließen, für ihre Mitglieder und deren Angehörige Unterstützungskassen für Fälle der Krankheit, des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Bedürftigkeit errichten, bei Streitigkeiten zwischen den Innungsmitgliedern und deren Auftraggebern auf Antrag vermitteln; darüber hinaus kann sie auch "sonstige Maßnahmen" zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Belange der Innungsmitglieder durchführen. Insofern besteht also innerhalb des Bereichs der Förderung der gemeinsamen gewerblichen Belange der Innungsmitglieder ein umfassender Aufgabenbereich. Die Errichtung und die Rechtsverhältnisse der Innungskrankenkassen richten sich nach den dafür geltenden bundesrechtlichen Bestimmungen. Die Aufgaben der Handwerksinnung, ihre Verwaltung und die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder sind, soweit gesetzlich nichts darüber bestimmt ist, durch die Satzung zu regeln; diese muß einen bestimmten Inhalt aufweisen, z. B. insbesondere über Name, Sitz und Bezirk sowie die Handwerke, für welche sie errichtet wird, die Aufgaben, den Eintritt, Austritt und Ausschluß der Mitglieder, die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die Bildung des Vorstandes und des Gesellenausschusses, die Aufstellung des Haushaltsplans sowie die Aufstellung und Prüfung
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§ 26. Die berufliche Selbstverwaltung
der Jahresrechnung usw. Sie bedarf der Genehmigung durch die Handwerkskammer des Bezirks, in dem die Innung ihren Sitz hat, die insbesondere zu versagen ist, wenn sie den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht. Bestimmungen über Unterstützungskassen sind in Nebensatzungen zusammenzufassen und bedürfen der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. 2) Mitglieder der Innung kann jeder selbständige Handwerker werden, der das Handwerk ausübt, für das die Innung gebildet ist. 3) Willensträger der Innung sind die Innungsversammlung, der Vorstand und die Ausschüsse. Die aus den Mitgliedern gebildete Innungsversammlung hat über alle Innungsangelegenheiten zu beschließen, soweit sie nicht von dem Vorstand oder den Ausschüssen wahrzunehmen sind, insbesondere über Feststellung des Haushaltsplans, Höhe der Innungsbeiträge und Festsetzung von Gebühren, Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung, Wahl des Vorstandes usf., ferner -vorbehaltlich der Genehmigung der Handwerkskammer- über den Erlaß von Vorschriften über die Lehrlingsausbildung, über Erwerb, Veräußerung und dingliche Belastung von Grundeigentum, Aufnahme von Anleihen usw. Zur Herbeiführung des guten Verhältnisses zwischen den Innungsmitgliedern und den bei ihr beschäftigten Gesellen wird bei der Innung ein -von den bei einem Innungsmitglied beschäftigten Gesellen gewählterGesellenausschuß errichtet, der insbesondere beim Erlaß von Vorschriften über die Regelung der Lehrlingsausbildung, bei Maßnahmen zur Fürsorge für die technische, gewerbliche und sittliche Ausbildung der Lehrlinge und bei der Abnahme der Gesellenprüfung zu beteiligen ist, und zwar in der Weise, daß bei der Beratung und Beschlußfassung des Vorstandes der Innung mindestens ein Mitglied des Gesellenausschusses mit vollem Stimmrecht zuzulassen ist, bei der Beratung und Beschlußfassung der Innungsversammlung desgl. seine sämtlichen Mitglieder mit vollem Stimmrecht, und bei der Verwaltung von Einrichtungen, für welche die Gesellen Aufwendungen zu machen haben, vom Gesellenausschuß gewählte Gesellen in gleicher Zahl zu beteiligen sind wie die Innungsmitglieder (§§ 47 ff.). 4) Die Aufsicht über die Handwerksinnung führt die Handwerkskammer, in deren Bezirk die Handwerksinnung ihren Sitz hat; sie erstreckt sich darauf, daß Gesetz und Satzung beachtet, insbesondere daß die der Innung übertragenen Aufgaben erfüllt werden (§ 69). 5) Als Innungsverbände kommen in Betracht die Landesinnungsverbände und der Bundesinnungsverband. Jene als der Zusammenschluß von Handwerksinnungen des gleichen Handwerks oder sich fachlich oder wirtschaftlich nahestehender Handwerke im Bezirk eines Landes ·als juristische Personen des bürgerlichen Rechts, mit der Aufgabe, die
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Belange des Handwerks wahrzunehmen, für das er gebildet ist, die angeschlossenen Innungen in der Erfüllung ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben zu unterstützen, den Behörden Anregungen und Vorschläge zu unterbreiten sowie ihnen auf Verlangen Gutachten zu erstatten. Er ist befugt, Fachschulen und Fachlehrgänge einzurichten oder zu fördern; er kann auch die wirtschaftlichen und sozialen Belange der den Innungen angehörenden Mitglieder fördern und zu diesem Zweck u. a. Tarifverträge abschließen. Die Mitgliederversammlung dieses Innungsverbandes besteht regelmäßig aus den Vertretern der angeschlossenen Innungen. - Der Bundesinnungsverband ist der Zusammenschluß von Landesinnungsverbänden des gleichen oder sich fachlich oder wirtschaftlich nahestehender Handwerke im Bundesgebiet, für den das bezüglich der Landesinnungsverbände Gesagte entsprechend gilt (§§ 73 ff.). 6) Die Handwerksinnungen, mit dem Sitz innerhalb eines Stadt- oder Landkreises bilden die Kreishandwerkerschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die mit der Genehmigung der Satzung rechtsfähig wird, mit der Aufgabe, insbesondere die Gesamtbelange des selbständigen Handwerks und die gemeinsamen Belange der Innungen ihres Bezirks wahrzunehmen. Die Mitgliederversammlung besteht aus Vertretern der Handwerksinnungen (§§ 79 ff.) 5 • 7) Endlich werden zur Vertretung der Belange des Handwerks Handwerkskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts von den obersten Landesbehörden unter Bestimmung ihres Bezirks, der sich in der Regel mit dem der höheren Verwaltungsbehörde decken soll, errichtet (§§ 83 ff. HO). Ihre Aufgabe ist es, insbesondere die Belange des Handwerks zu fördern und für einen gerechten Ausgleich der Belange der einzelnen Handwerke und ihrer Verbände zu sorgen, die Behörden in der Förderung des Handwerks durch Anregungen, Vorschläge und Erstattung von Gutachten zu unterstützen und regelmäßig Berichte über die Verhältnisse des Handwerks zu erstatten, die Handwerksrolle zu führen, die Berufsausbildung der Lehrlinge zu regeln, Gesellenprüfungsordnungen und Meisterprüfungsordnungen für die einzelnen Handwerke zu erlassen usw. Die Handwerkskammer soll in allen wichtigen, das Handwerk berührenden, Angelegenheiten gehört werden; die Innungen und die Kreishandwerkerschaften sind verpflichtet, die von der Handwerkskammer innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Vorschriften 5 Für die Einrichtung von Forderungseinziehungsstellen (Inkassostellen) ist eine Genehmigung nach Art. 1 § 1 G zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1478) nicht erforderlich; vgl. BVerwGE Bd. 5, S. 74. - Innungen i. S. des bish. Tit. VI GewO, die nicht den Vorschriften der HandwO unterworfen worden sind, haben nach Art. V d. 4. G z. Änderung der GewO vom 5. Februar 1960 (BGBl. I S. 61) die Rechtsstellung eines Vereins i. S. des§ 22 BGB erhalten.
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§ 26. Die berufliche Selbstverwaltung
und Anordnungen durchzuführen. Sie besteht aus gewählten Mitgliedern, von denen ein Drittel Gesellen sein müssen, die in dem Betrieb eines selbständigen Handwerks beschäftigt sind; die Zahl der Mitglieder wird durch die Satzung bestimmt. Die Handwerkskammer kann sich jedoch nach näherer Bestimmung der Satzung bis zu einem Fünftel der Mitgliederzahl durch Zuwahl von sachverständigen Personen unter Wahrung der vorhin angegebenen Verhältniszahl ergänzen. Die Mitglieder der Handwerkskammer sind Vertreter des gesamten Handwerks und als solche an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Die Wahl erfolgt auf 5 Jahre auf Grund von Listen in allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl. Berechtigt zur Wahl der Vertreter des selbständigen Handwerks sind die in der Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen; erstere und die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen müssen das 21. Lebensjahr vollendet haben. Wählbar als Vertreter des selbständigen Handwerks sind die wahlberechtigten natürlichen Personen, sofern sie im Bezirk der Handwerkskammer seit mindestens 1 Jahr ohne Unterbrechung ein Handwerk selbständig betreiben, die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen haben, am Wahltag das 25. Lebensjahr vollendet haben und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, was entsprechend für die gesetzlichen Vertreter der wahlberechtigten juristischen Personen gilt. Die Vertreter der Gesellen werden von Wahlmännern gewählt, die von den im Betrieb eines selbständigen Handwerkers beschäftigten Gesellen gewählt werden; wählbar zum Gesellenmitglied der HwK sind die wahlberechtigten Gesellen, sofern sie am Wahltag das 25. Lebensjahr vollendet, eine Gesellenprüfung abgelegt haben und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (§§ 91f.). Für die HwK ist von der obersten Landesbehörde eine Satzung zu erlassen. Willensträger sind die Mitgliederversammlung (Vollversammlung), der Vorstand und die Ausschüsse. Die Aufsicht über die HwK führt die oberste Landesbehörde; sie kann die HwK auflösen und Neuwahlen anordnen, wenn die Kammer trotz wiederholter Aufforderung die Erfüllung ihrer Aufgaben vernachlässigt oder durch Zuwiderhandlungen oder Unterlassungen das Gemeinwohl gefährdet oder wenn sie andere als die gesetzlich zulässigen Zwecke verfolgt. b) Auch sonst sind der Zeit vor 1933 entsprechende berufsständische Vertretungen nach 1945 wieder erstanden. So sind Industrie- und Handelskammern neu errichtet worden6 , deren Verhältnisse bundesge6 Vgl. E. R. Huber, Wirtsch.Verw.R, 2. Auft. (1954), Bd. 1, S. 210 ff. In Bremen u. Harnburg kann die bisherige Bezeichnung "Handelskammer" beibehalten werden. Sie sind jetzt nach dem o. angeführten G vom 18. Dezember 1956 Körperschaften d. öff. R.; bestehende IuHK, die insbesondere im früheren eng!. u. amerik. Besatzungsgebiet i. d. Form von bürgerlich-rechtlichen Vereinen neu eingerichtet wurden, sind in solche umzuwandeln (§ 9). über die Angelegenheiten der IuHK beschließt, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt, die Vollversammlung; ausschließlich sind ihr gewisse An-
Geltendes Recht
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setzlieh vorerst durch das G zur vorläufigen Regelung des Rechts der IuHK vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I S. 928), abg. durch G vom 13. Juli 1961 (BGBl. I S. 981), geregelt worden sind; desgl. Landwirtschaftskammern1 usw. (vgl. o. Ziff. I c). Auch hier handelt es sich vor allem um die Wahrnehmung der gemeinsamen Belange der betr. Berufsangehörigen und die Pflege des Gemeingeistes, z. B. auch durch Errichtung oder Unterstützung von Einrichtungen und Maßnahmen zur Förderung der Berufsausbildung, die Wahrung der Berufsehre (oder die "Aufrechterhaltung von Anstand und Sitte", wie es neuerdings heißt), die Antragsstellung, Berichterstattung und Begutachtung in berufseinschlägigen Fragen an die staatlichen Behörden; weitere Aufgaben können ihnen durch Gesetz oder RechtsVO übertragen werden. Die Wahrnehmung sozialpolitischer oder arbeitsrechtlicher Belange gehört nicht zu ihrem Aufgabenkreis 8 • Weiter sind Rechtsanwaltskammern, Notarkamgelegenheiten vorbehalten, wie insbesondere die Beschlußfassung über die Satzung, die Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- u. GebührenO, die Feststellung des Haushaltsplans u. die Entlastung. Die Vollversammlung wird von den Kammerzugehörigen gewählt. Wählbar sind natürliche Personen, die das KammerwahlR auszuüben berechtigt sind, am Wahltag des 25. Lebensjahr vollendet haben und entweder selbst Kammerzugehörige sind oder zur gesetzlichen Vertretung einer kammerzugehörigen juristischen Person, Handelsgesellschaft oder nichtrechtsfähigen Personenmehrheit befugt sind. Die Vollversammlung wählt aus ihrer Mitte den Präsidenten und die von der Satzung bestimmte weitere Zahl von Mitgliedern des Präsidiums sowie den Hauptgeschäftsführer. Der Präsident ist der Vorsitzende des Präsidiums; er beruft die Vollversammlung ein und führt in ihr den Vorsitz; er und der Hauptgeschäftsführer vertreten nach näherer Satzungsbestimmung die IuHK rechtsgeschäftlich und gerichtlich. Die IuHK untersteht der Rechtsaufsicht des Landes; Beschlüsse der Vollversammlung über die Satzung, Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- u. GebührenO sowie über einen Maßstab für Beiträge u. Sonderbeiträge, soweit er 10 vH. der Gewerbesteuermeßbeträge übersteigt, bedürfen der Genehmigung. Ergänzende Vorschriften können durch das LandesR erlassen werden (§ 12). Sämtliche IuHK sind in dem "Deutschen Industrie- u. Handelstag", wie er schon vor 1935 bestanden hatte, jetzt i. d. Form eines bürgerlich-rechtlichen Vereins, zusammengefaßt; vgl. Huber, a. a. 0.,
s. 212.
7 Vgl. Huber, a. a. 0., S. 231 f. Anstelle des 1933 aufgelösten "Deutschen Landwirtschaftstags" als Spitzenverband besteht jetzt ein "Verband der Landwirtschaftskammern" mit dem Sitz in Frankfurt a. M. 8 Nach § 2 d. G zur vorliegenden Regelung usf. vom 18. Dezember 1956 gehören zur luHK, sofern sie zur Gewerbesteuer veranLagt sind, natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere nichtrechtsfähige Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und öffentlichen R, die im Bezirk der luHK entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder Verkaufsstelle unterhalten (Kammerzugehörige); dagegen natürliche Personen und Gesellschaften, die ausschließlich einen freien Beruf ausüben oder Landu. Forstwirtschaft oder ein damit verbundenes Nebengewerbe betreiben, nur, soweit sie in das Handelsregister eingetragen sind; natürliche und juristische Personen, die mit einem Hauptbetrieb in der bei der Handwerkskammer geführten Handwerksrolle eingetragen sind, sind, soweit sie in das Handelsregister eingetragen sind, berechtigt, aber nicht verpflichtet, der IuHK anzugehören; Gemeinden und Gemeindeverbände können, soweit sie Eigenbetriebe unterhalten, insoweit der IuHK beitreten.
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§ 26. Die berufliche Selbstverwaltung
mern, Ärztekammern, Zahnärztekammern, Tierärztekammern und Apothekerkammern wieder errichtet worden, die wieder z. T. in Bundeskammern (Bundesrechtsanwaltskammer, Bundesnotarkammer usw.) als Fachkammern über den Landeskammern zusammenge:liaßt sind, soweit es sich nicht um bloß unselbständige Untergliederungen einer einzigen Bundeskammer handelt. Neuestens sind hinzugekommen die Wirtschaftsprüferkammer nach dem G über eine BerufsO der Wirtschaftsprüfer (WirtschaftsprüferO) vom 24. Juli 1961 (BGBL I S. 1049: Staatsaufsicht des BWirtschaftsMin., §§ 4, 68 d. G) sowie die Berufskammern der Steuerberater und der Steuerbevollmächtigten für je einen Oberfinanzbezirk mit je einer Bundeskammer nach dem SteuerberatungsG vom 16. August 1961 (BGBL I S. 1304). Auch sie üben als öffentlich-rechtliche Körperschaften die sog. Berufsaufsicht über die Kammerzugehörigen aus, sind aber auch bestimmt, die gemeinsamen gesellschaftlichen und z. T. auch kulturellen Belange wahrzunehmen. Näher kann hier darauf nicht eingegangen werden; es genüge, an der Ordnung des Handwerksberufs ein bundesgesetzlich geregeltes Musterbeispiel vorgeführt zu haben 9 • Es handelt sich bei diesen Berufskammern z. T. um sog. "Vertretungskörperschaften", d. h. Mitglieder dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaften i. e. S. sind nur die von den wahlberechtigten Berufsangehörigen als Kammermitglieder gewählten Personen, während die Berufsangehörigen nicht selbst Mitglieder der Kammern sind, sondern nur sog. "Kammerzugehörige", die auf das Wahlrecht und die Beitragspflicht zu den Kosten der Kammern beschränkt sind (vgl. z. B. § 86 HO, §§ 2 ff. JuHKG) 10 ; dagegen sind z. B. die Rechtsanwaltskammern sog. persönliche Körperschaften, bestehend aus den Berufsangehörigen als Mitgliedern11 • 12 • g Bei den Heilberufen (Ärzten, Tierärzten, Zahnärzten, Apothekern) erstreckt sich die Zuständigkeit des Bundes nicht auf die Standesorganisation, wie sich aus Art. 74 Ziff. 19 GG (wo nur von der Zulassung zum Beruf die Rede ist im Gegensatz zu Art. 74 Ziff. 1 mit der Gesetzgebung über die Rechtsanwälte schlechtweg) in Verbindung mit der Entstehungsgeschichte ergibt; so zutreffend auch Weber, Die Kammern der Heilberufe und das GG, in DÖV 1952, S. 705 ff. Vgl. auch die Entscheidung des BVerfG zu § 36 Abs. 1 Satz 2 des niedersächs. G über die Standesvertretungen der Ärzte usf. in BGBl. 1954
I, S. 372.
10 Vgl. E. R. Huber, Rechtsformen der wirtsch. Selbstverw., in VerwArch Bd. 37, S. 301 ff., Arendt, Um die Rechtsform der wirtschaftl. Selbstverw., in DÖV 1948, S. 97 ff. 11 Nach der BRAnwO vom 1. August 1959 (BGBL I S. 565) bilden die in dem Bezirk eines OLG zugelassenen Rechtsanwälte eine RAnwKammer (§ 60); dazu kommt noch die RAnwK bei dem BGH (§ 174). Die RAnwKammern sind zu einer BundesRechtsanwKammer als Körperschaft des öff. R zusammengeschlossen, insbesondere für Fragen, welche die Gesamtheit der RAnwKammern berühren (vgl. § 127). Sie faßt ihre Beschlüsse regelmäßig in Hauptversammlungen, in der die RAnwKammern durch ihren Präsidenten oder dessen Stellvertreter vertreten werden. Wegen der - durch Ehrengerichte,
Im allgemeinen
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Im übrigen ist noch zu betonen, daß für solche öffentlich-rechtliche Berufsvertretungen - im Gegensatz zu privaten solchen Vereinigungen- auch eine Zwangsmitgliedschaft der betr. Berufsangehörigen im Gesetz bestimmt sein kann; die sog. verneinende Vereinigungsfreiheit, d. h. die Freiheit nicht beizutreten, wie sie sich aus Art. 9 GG für die Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ergibt, kommt für jene Berufsvertretungen nicht in Betracht13 •
§ 27. Die einzelzweckliehe Selbstverwaltung I. Im allgemeinen Neben die gebietliehe und berufliche Selbstverwaltung tritt die Selbstverwaltung für einzelne bestimmte öffentliche Aufgaben durch besonders dafür gebildete Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die regelmäßig nach dem mehr oder weniger beschränkten besonderen ihnen obliegenden Aufgabenkreis benannt zu werden pflegen. Eine Fülle solcher einzelzweckliehen Verbände findet sich im Mittelalter, wo sie nach und nach, vor allem durch Absplitterung von der Gemeinde als der ursprünglich umfassenden örtlichen Genossenschaft für einzelne besondere Aufgaben entstanden sind, wie z. B. Deichgenossenschaften, Weidegenossenschaften usw., die dann später auch frei gebildet worden sind 1 • Auch bei den hier in Betracht kommenden Selbstverwaltungskörperschaften besteht, wie bei den bisher behandelten, die Eigentümlichkeit darin, wie schon bei den oben vorweg behandelten Zweckverbänden (vgl. o. § 25, Ziff. li c), daß den in Betracht kommenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts öffentliche Aufgaben zur Besorgung im eigenen Namen und weitgehend nach freiem pflichtmäßigem Ermessen übertragen werden zur Besorgung in eigenverantwortlicher Selbstverwaltung, so daß sie dem Staate gegenüber, weil es sich um öffentliche Aufgaben handelt, zu dieser Besorgung verpflichtet sind, und die Staatsaufsicht darüber wacht, den Ehrengerichtshof und den BGH in Anwaltssachen ausgeübte - Ehrengerichtsbarkeit bei schuldhafter Verletzung der Berufspflichten vgl. §§ 92 ff. 12 Vgl. Huber, a. a. 0., S. 27 und Reuss, Verfass.-rechtl. Grundsätze zum OrganisationsR der Wirtschaft, in DVBL 1953, S. 684 ff., Redeker, Kammerbegriff u. GG, in DVBL 1952, S. 201 ff., 239 ff. 13 Vgl. dazu u. a. insbesondere E. R. Huber, Wirtsch. VerwR, Bd. 1, S. 198 ff., Pathe, Zwangsmitgliedschaft u. GG, in DVBL 1950, S. 663 ff., v. Mangoldt-Klein, Das Bonner GG, Bem. 9 zu Art. 9 (S. 329). 1 Vgl. 0. v. Gierke, D. GenR, Bd. 1, S. 765.
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§ 27. Die einzelzweckliehe Selbstverwaltung
daß diese Aufgaben gemäß der geltenden Rechtsordnung erfüllt werden2; der Unterschied besteht nur darin, daß diesen Verbänden, wie auch den Zweckverbänden, nur einzelne bestimmte öffentliche Aufgaben zugewiesen sind. Solche Selbstverwaltungskörperschaften können, da es sich um die Wahrnehmung öffentlicher Gemeinschaftsaufgaben in öffentlich-rechtlicher Weise, d. h. um öffentliche Verwaltung, handelt, nur durch Gesetz oder auf Grund des Gesetzes mit staatlicher Genehmigung ins Leben gerufen werden; der Grundsatz der freien Bildung von Selbstverwaltungskörperschaften, vergleichbar dem Grundsatz der weitgehenden freien Vereinsbildung im bürgerlichen Recht, gilt im Bereiche des öffentlichen Rechtes nicht. Überall handelt es sich auch hier um öffentliche Angelegenheiten, die einen engeren, dem Staate eingeordneten, Kreis von Personen besonders angehen und für den deshalb ein selbständiges öffentlich-rechtliches Rechtswesen gebildet werden soll zu ihrer Besorgung in eigenem Namen und nach eigenem Ermessen, im Rahmen der Gesetze; dabei sollen aber auch wegen der für sie sich hierbei ergebenden Vorteile die in Betracht kommenden Personenkreise zu den erwachsenden Lasten ganz oder teilweise zur Ermöglichung der Durchführung der Aufgaben herangezogen werden, wie dies bei den bisher behandelten Selbstverwaltungskörperschaften ebenfalls der Fall ist. Die Staatsaufsicht beschränkte sich in der Zeit des Verfassungs- und Rechtsstaates auch hier auf die Einhaltung der Gesetze, d. h. der Rechtsordnung, also auf eine Aufsicht in rechtlicher Hinsicht. Dagegen war im nationalsozialistischen Führerstaat entsprechend der ganzen Staatsgestaltung wie bei den bisher betrachteten Selbstverwaltungskörperschaften die Staatsaufsicht regelmäßig nicht auf eine bloße Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften beschränkt, sondern war weitergehend darauf gerichtet, daß die Tätigkeit dieser Selbstverwaltungskörperschaften in Einklang mit den Zielen der Staatsführung oder überhaupt zweckvoll geschah; anstelle der Wahl des Vorstandes durch die Mitglieder, etwa unter Vorbehalt der Bestätigung der Staatsaufsichtsbehörde, war hier durchweg die Bestellung des Leiters (Vorsitzenden) der Selbstverwaltungskörperschaft durch die staatliche Behörde, regelmäßig unter maßgeblicher Einwirkung der Partei, vorgesehen und es fand die Verwaltung regelmäßig nach dem Einzelverwaltungs- und Führergrundsatz statt. Vielfach waren dem Leiter Beiräte zur Beratung und Unterstützung beigegeben; von einer Willensbildung durch Abstimmung der Mitglieder nach dem Mehrheits2 Vgl. z. B. § 5 Abs. 8 u. 9 GetreideG i. d. F. vom 24. November 1951 (BGBI. I S. 901), wonach Maßnahmen der Mühlenstelle (als Anstalt d. öff. R.) auf Verlangen des BMin. für Ernährung, Landwirtschaft u. Forsten aufzuheben sind, wenn sie gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen oder das öffentliche Wohl verletzen; kommt die Mühlenstelle ihren Verpflichtungen nicht nach, so ist die BReg. befugt, die Aufgaben durch einen besonderen Beauftragten führen zu lassen oder selbst durchzuführen.
Das Anwendungsgebiet
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grundsatz war hier keine Rede mehr 3 • Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates ist man auch auf diesem Gebiete wieder im ganzen zu den Grundsätzen des liberalen Verfassungs- und Rechtsstaates zurückgekehrt4 •
II. Das Anwendungsgebiet Es mag hier an der Anführung einiger Beispiele solcher einzelzwecklichen Selbstverwaltungskörperschaften genügen. a) Von den Zweckverbänden, die den verschiedensten einzelnen Zwecken dienen können, nach dem Gesetz vom 7. Juni 1939 war bereits in anderem Zusammenhang die Rede (vgl. oben§ 25 Ziff. II). b) Sodann sei insbesondere z. B. hingewiesen auf die Wasser- und Bodenverbände, zu denen u. a. die früheren öffentlich-rechtlichen Wassergenossenschaften, Deichverbände, Bodenverbesserungsgenossenschaften, z. B. zur Entwässerung von Grundstücken, zur Beschaffung von Trink- und Brauchwasser, zur Bodenverbesserung für landwirtschaftliche Zwecke, zum Schutze der Grundstücke vor Hochwasser und Sturmflut usw., zu rechnen sind, nach dem Wasserverbandsgesetz vom 10. Februar 1937 (RGBl. I S. 188) und der 1. WasserverbandsVO vom 3. September 1937 (RGBl. I S. 933); vgl. §§ 4, 110 ff., 122 ff. 5 • Wegen der Benutzung von Gewässern vgl. jetzt noch§ 13 WasserhaushG vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1110). 3 So war z. B. für die Wasser- u. Bodenverbände die Wahl des Vorstehers und seiner Stellvertreter durch die Verbandsmitglieder ersetzt durch die Berufung der Aufsichtsbehörde auf Grund eines Vorschlags des Verbandsausschusses als Vertretung der Mitglieder; der Vorsteher hatte den Wasser- und Bodenverband zu vertreten, weiter alle Geschäfte, zu denen der Vorstand oder andere Stellen durch das Gesetz oder die Satzung berufen waren, wahrzunehmen, wobei er in angemessenem Zeitabstand die anderen Mitglieder des Vorstandes von seinen Geschäften zu unterrichten und deren Rat zu wichtigen Geschäften anzuhören hatte (§§ 47-52 Erste WasserverbandsVO, vgl. u.; vgl. noch §§ 4, 11 ebda.) 4 Vgl. z. B. § 34 G über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. März 1952 (BGBl. I S. 123). Vgl. aber auch§ 723 RVO i. d. F. d. G vom 9. Mai 1956 (BGBl. I S. 415), wonach sich das Aufsichtsrecht, soweit es die Unfallverhütung u. -Überwachung mit Einschluß der ersten Hilfe bei Unfällen betrifft, auch auf Umfang und Zweckmäßigkeit der Maßnahmen der (Berufs-)Genossenschaften erstreckt. 5 Es handelt sich um fortgeltendes BundesR (vgl. Art. 125 GG in Verbindung mit Art. 74 Ziff. 17, 18, 11, 21); so zutreffend BVerwGG Bd. 3, S. 3 ff., Bd. 7, S. 17, Bd. 10, S. 238, entgegen den dort angeführten abweichenden Auffassungen von Larenz und Wüsthoff, ferner Witzel, Die WassVerbVO als Bundes-od. LandesR, in DÖV 1957, S. 198 ff. A. A. auch Giesecke, Die Zuständigkeit der Länder zur Gründung von Wasser- und Bodenverbänden durch Sondergesetze, in DÖV 1956, S. 645 ff., 682 ff., der annimmt, daß die Wass.VerbVO nur für reine Bodenverbände, Verbände für den Abbau von Raseneisenerz, Deichverbände BundesR, im übrigen LandesR geworden sei. Vgl. auch noch Kirdorf, Das Zwangsprinzip im R der Wasser- und Bodenverbände, in DÖV 1953, S. 50 ff.
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c) Weiter sind hier zu erwähnen aus dem neueren Recht die Jagdgenossenschaften - wie früher nach dem RJagdG vom 3. Juli 1934 (RGBL I S. 549), so jetzt- nach dem BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. v. 30. März 1961 (BGBL I S. 304), §§ 8, 9. Danach bilden die Eigentümer der Grundstücke einer Gemeinde oder abgesonderten Gemarkung, die nicht zu einem Eigenjagdbezirk - mit einer zusammenhängenden land-, forst- oder fischereiwirtschaftlich nutzbaren Grundfläche von mindestens 75 ha-gehören, einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk, wenn sie im Zusammenhang mindestens 150 ha umfassen, soweit die Länder die Mindestgröße nicht höher festsetzen. Die Jagdberechtigten eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks bilden eine rechtsfähige Jagdgenossenschaft des öffentlichen Rechts. Der Jagdvorstand, der von der Jagdgenossenschaft zu wählen ist, vertritt die Jagdgenossenschaft gerichtlich und außergerichtlich; solange die Jagdgenossenschaft keinen Jagdvorstand gewählt hat, werden dessen Geschäfte vom Gemeindevorstand wahrgenommen. Beschlüsse der Jagdgenossenschaft bedürfen der Mehrheit der anwesenden und vertretenen Jagdgenossen und zugleich der Mehrheit der bei der Beschlußfassung vertretenen Grundfläche. Die Jagdgenossenschaft nutzt die Jagd in der Regel durch Verpachtung; die Jagdgenossenschaft beschließt über die Verwendung des Reinertrages der Jagdnutzung, im allgemeinen durch Verteilung an die Jagdgenossen nach dem Verhältnis des Flächeninhaltes ihrer beteiligten Grundstücke. d) Ferner sind hier anzuführen insbesondere die Träger der Sozialversicherung. Nach der ReichsversicherungsO vom 19. Juli 1911 (§ 4) die Krankenkassen 6 für die Fälle von Krankheit, Niederkunft und Tod in der Person des - mit dem Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis gesetzlich Versicherten - Arbeitnehmers, z. T. aber auch - als sog. Familienhilfe - in der Person seiner Familienangehörigen, wie insbesondere mit Bezug auf Krankheit und Niederkunft; die Berufsgenossenschaften für die gewerbliche, landwirtschaftliche und See- Unfallversicherung im Falle eines Unfalls, d. h. eines plötzlich von außen eintretenden schädigenden Ereignisses in der Person des versicherten Arbeitnehmers sowie im Falle einer gesetzlich bestimmten Berufskrankheit bei Körperverletzung bzw. Erkrankung und beim Tode; die Versiehe6 Wie die Krankenkassen, so sind auch die Verbände der KrK. (Landesu. Bundesverbände der Orts-, der Land-, der Betriebs- und der InnungskrK) Körperschaften des öff. R (§ 417 RVO), desgl. die Kassenärztl. Vereinigungen u. die Kassenärztl. Bundesvereinigung (§ 368 RVO); ebenso die bei den Berufsgenossenschaften als Träger der Kindergeldzahlung an Arbeitnehmer, Selbständige und mithelfende Familienangehörige, die 3 oder mehr Kinder haben, gebildeten Familienausgleichskassen und ihr Gesamtverband nach §§ 15 ff. KindergeldG vom 13. November 1954 (BGBl. I S. 333). Die Behördeneigenschaft der Krankenkassen (für § 29 GBO) verneint im Anschluß an die Rechtsprechung d. RG BGHZ, Bd. 25, S. 186.
Das Anwendungsgebiet
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rungsanstalten für die Rentenversicherung (Invalidenversicherung) der Arbeiter für den Fall der Erreichung eines bestimmten Alters (65. Lebensjahr), der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit und des Todes (Hinterbliebenenversicherung); die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Bundesversicherungsanstalt) nach dem AngestelltenversicherungsG vom 20. Dezember 1911 i. d. F. vom 28. Mai 1924 nebst spät.Änd. (vgl. insb. das G v. 23. Februar 1957, BGBl I S. 88) für die Fälle der Erreichung eines bestimmten Alters (65. Lebensjahr), der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit und des Todes des versicherten Angestellten (Hinterbliebenenversicherung) entsprechend der Rentenversicherung für die Arbeiter; sodann die Reichsknappschaft (nach dem ReichsknappschaftsG v. 23. Juni 1923) für die in knappschaftliehen Betrieben beschäftigten Angestellten und Arbeiter (mit Kranken-, Pensions-, Invaliden- und Angestelltenversicherung, während hinsichtlich der Unfallversicherung die allgemeinen Bestimmungen der RVO gelten); ferner die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung nach dem G über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. März 1952 (BGBl I S. 123), die anstelle der früheren entsprechenden, i. J. 1927 eingerichteten, Reichsanstalt getreten ist. Sie ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die sich in die Hauptstelle, die Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter gliedert. Sie ist Träger der Arbeitsvermittlung, der Berufsberatung, der Lehrstellenvermittlung, ferner der Arbeitslosenversicherung und führt auch - auf Kosten des Bundes- die Arbeitslosenfürsorge, d. h. jetzt die "Arbeitslosenhilfe", durch nach dem G über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 i. d. F. d. Bek. vom 3. April 1957 (BGBl I S. 321). Sie untersteht der Aufsicht des Bundesarbeitsministers, die sich darauf erstreckt, daß Gesetz und (die vom Verwaltungsrat mit Genehmigung des BArb. Min. beschlossene) Satzung beachtet werden ~§§ 1 f., 34). e) Aus der früheren Zeit ist noch anzuführen die durch das BankG vom 14. März 18757 (zunächst unter der Bezeichnung "Reichsbank") gegründete Deutsche Reichsbank als juristische Person des öffentlichen Rechts mit dem Sitz in Berlin, zuletzt nach dem G über die Deutsche Reichsbank vom 15. Juli 1939 (RGBl I S. 1015). Sie war vor dem in der Form einer bürgerlich-rechtlichen Rechtspersönlichkeit nach Art einer Aktiengesellschaft aufgezogen, aber lediglich zur Deckung des Grundkapitals; wegen ihrer öffentlichen Aufgaben war sie zufolge der Aufsicht und Lenkung des Reichs bis 1924 öffentliche Anstalt. Als Notenbank hatte sie das ausschließliche Recht, Banknoten auszugeben; sie hatte ferner den Geld- und Zahlungsverkehr im Inland und mit dem 7
Es war ersetzt worden durch das BankG vom 30. August 1924.
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§ 27. Die einzelzweckliehe Selbstverwaltung
Ausland zu regeln sowie für die Nutzbarmachung der verfügbaren Geldmittel der deutschen Wirtschaft in gemeinnütziger und volkswirtschaftlich zweckmäßiger Weise zu sorgen. Nach dem Zusammenbruch i. J. 1945 bestand zunächst außer den in den Ländern neu errichteten Landeszentralhanken nur eine "Bank Deutscher Länder" mit ähnlichen Aufgaben, die nach Art. 88 GG durch eine Bundesbank als Währungs- und Notenbank ersetzt werden soll; dies ist durch das G über die Deutsche Bundesbank vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 745) geschehen. Danach sind die Landeszentralbanken und die Berliner Zentralbank mit der Bank Deutscher Länder verschmolzen worden, die "Deutsche Bundesbank" wurde. Sie ist eine bundesunmittelbare juristische Person - und zwar eine Anstalt - des öffentlichen Rechts. Ihr Grundkapital im Betrage von 290 Mill. DM steht dem Bunde zu. Sie hat ihren Sitz am Sitze der Bundesregierung und zwar, solange diese sich nicht in Berlin befindet, in Frankfurt a. M. Die Deutsche Bundesbank hat die Aufgabe, mit Hilfe der währungspolitischen Befugnisse, die ihr nach diesem G zustehen, den Geldumlauf und die Kreditversorgung der Wirtschaft zu regeln mit dem Ziel, die Währung zu sichern und für die bankmäßige Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Inland und mit dem Ausland zu sorgen (§§ 1 ff.). Sie ist verpflichtet, unter Wahrung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen; sie ist bei der Ausübung ihrer Befugnisse von Weisungen der Bundesregierung unabhängig. Sie hat diese in Angelegenheiten von wesentlicher währungspolitischer Bedeutung zu beraten und ihr auf Verlangen Auskunft zu geben (§§ 12, 13). Sie hat das ausschließliche Recht, Banknoten im Geltungsbereich des Gesetzes als einziges unbeschränktes gesetzliches Zahlungsmittel auszugeben. Willensträger der BB sind der - aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten, den weiteren Mitgliedern des Direktoriums und den Präsidenten der Landeszentralbanken bestehende - Zentralbankrat, das - aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten sowie bis zu acht weiteren Mitgliedern (sie werden alle auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten auf 8 Jahre, ausnahmsweise auf kürzere Zeit ernannt) bestehende -Direktorium und die Vorstände der Landeszentralbanken alsHauptverwaltungender Bundesbank in jedem Lande f§.§ 5 ff.). Der Zentralbankrat bestimmt die Währungs- und Kreditpolitik der Bank; er stellt allgemeine Richtlinien für die Geschäftsführung und Verwaltung auf; er kann auch im Einzelfall dem Direktorium und den Vorständen der Landeszentralbanken Weisungen erteilen. Das Direktorium ist für die Durchführung der Beschlüsse des Zentralbankrats verantwortlich. Es leitet und verwaltet die Bank, soweit nicht die Vorstände der Landeszentralbanken zuständig sind; ihm sind insbesondere vorbehalten Geschäfte mit dem Bund und seinen Sondervermögen, mit Kreditinstituten mit zentralen
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Aufgaben im gesamten Bundesgebiet, Devisengeschäfte und Geschäfte im Verkehr mit dem Ausland und Geschäfte am offenen Markt. Zur Beeinflussung des Geldumlaufs und der Kreditgewährung setzt die Bank die für ihre Geschäfte jeweils anzuwendenden Zins- und Diskontsätze fest und bestimmt die Grundsätze für ihr Kredit- und Offenmarktgeschäft8. f) Sodann sind noch anzuführen die Universitäten für die wissenschaftliche Forschung und ihre Lehre, die aus früheren Körperschaften der Lehrer und Schüler nach dem Muster der Pariser Universität, jedenfalls ursprünglich auf Grund päpstlicher, später päpstlicher und kaiserlicher Verleihung, seit der Glaubenserneuerung in den evangelischen Ländern auf Grund kaiserlicher Vorrechtsverleihung durch landesherrliche Stiftungsurkunde oder Vorrechtsverleihung gebildet und im Laufe der Zeit regelmäßig zu Staatsanstalten im Gefolge vor allem der notwendigen großen staatlichen Zuschüsse geworden sind (vgl. schon § 1, II, 12 pr. ALR), jedoch mit eigener Rechtspersönlichkeit und gewissen Selbstverwaltungsbefugnissen, wie insbesondere dem Recht der Verleihung des Doktorgrades und dem Vorschlagsrecht für die Besetzung der Lehrstühle•; desgl. die später aufgekommenen sonstigen Hochschulen, Technische, Landwirtschaftliche usw. g) Weiter seien noch angeführt die öffentlichen Sparkassen, die, soweit sie unselbständige Einrichtungen von Gemeinden, Gemeindeverbänden oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften waren, nach der 3. Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen usw. vom 6. Oktober 1931 (RGBl I S. 537), 5. Teil 1. Kap. 8 Vgl. dazu Starke, Das G über die DBundesbank usf., in DÖV 1957,S.606ff. - Als weitere Beispiele einer Anstalt des öff. R vgl. z. B. die Landwirtschaft!. Rentenbank nach dem entspr. G i. d. F. der Bek. vom 14. September 1953 (BGBI. I S. 1330) zur Beschaffung und Gewährung von Krediten für die Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft, die Kreditanstalt für den Wiederaufbau nach dem G i. d. F. vom 18. Oktober 1961 (BGBI. I S. 1878), die Bundesanstalt für den Güterfernverkehr nach dem GüterkraftverkehrsG vom 17. Oktober 1952 (BGBI. I S. 697) mit späteren Änderungen, die Deutsche Genosseuschaftskasse nach dem G i. d. F. vom 28. Oktober 1954 (BGBI. I S. 329); ferner z. B. die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel (Einfuhrund Vorratsstelle), für das Gebiet der Mühlenwirtschaft die Mühlenstelle nach §§ 5 und 7 GetreideG vom 4. November 1950 i. d. F. der Bek. vom 24. November 1951 (BGBI. I S. 901), die Einfuhrstelle für Zucker (§ 8 ZuckerG v. 5. Januar 1951, BGBl. I S. 47), die Einfuhr- und Vorratsstelle für Schlachtvieh, Fleisch und Fleischerzeugnisse (§ 16 Vieh- u. FleischG v. 25. April1951, BGBI. I S. 272), die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette nach §§ 15 ff. Milch-u.FettG i. d. F. vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811). Vgl. noch Scheuner, Wirtschaft!. und soziale Selbstverw., i. DÖV 1952, S. 609 ff. Desgl. das G über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank vom 2. August 1961 (BGBl. I S. 1165). • Vgl. dazu u. a. Bornhak, Die Korporationsverf. d. Universitäten, in VerwArch, Bd. 18, S. 1 ff., Brunner-Heymann, Grundz. d. deutsch. RGesch., 7. A., S. 260, und o. § 18 bei Anm. 24.
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§ 27. Die einzelzweckliehe Selbstverwaltung
zu Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit umzugestalten waren10 • Ferner die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 11 • i) Als Beispiel einer öffentlich-rechtlichen Stiftung sei die Stiftung "Preußischer Kulturbesitz" mit dem Sitz in Berlin nach dem G zur Errichtung einer Stiftung "Preußischer Kultur besitz" und zur Übertragung von Vermögenswerten des ehemaligen Landes Preußen auf die Stiftung vom 25. Juli 1957 (BGBl I S. 841) mit der VO über die Satzung vom 6. September 1961 (BGBl I S. 1709) angeführt.
10 Vgl. dazu die 4. NotVO des RPräs. zur Sicherung von Wirtschaft usw. vom 8. Dezember 1931 (RGBl. I S. 699), 4. T. Kap. 8. 11 Hier besteht z. T. sehr beschränkte Staatsaufsicht. Vgl. Hänsel, Staat und Rundfunk, in DVBl. 1957, S. 446. Wegen der "Deutschen Welle" vgl. o.
§ 22 Ziff. II.
Vierter Abschnitt
Privatpersonen als Träger öffentlicher Verwaltung § 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung I. Das verliehene öffentliche Unternehmen a) Im allgemeinen Mit öffentlicher Verwaltung können auch einzelne Privatpersonen, d. h. natürliche oder juristische Personen des bürgerlichen Rechts, beliehen werden 1, in der Weise, daß sie Rechtspersönlichkeiten des bürgerlichen Rechts bleiben und nicht zufolge der Verleihung mit öffentlicher Verwaltung zu Rechtspersönlichkeiten des öffentlichen Rechts werden. Sie führen nach bestimmter Richtung hin dann öffentliche Verwaltung im eigenen Namen. Es handelt sich um Tätigkeiten von privaten Rechtspersönlichkeiten für bestimmte öffentliche Aufgaben auf Grund einer Verleihung durch die öffentliche Gewalt. Gegenüber der Führung eines öffentlichen Amts, wodurch auch - und zwar vorzugsweise öffentliche Verwaltung besorgt wird (vgl. o. § 20), besteht der Unterschied darin, daß dort im fremden Namen, nämlich im Namen des Dienstherrn, d. h. des betr. Trägers der öffentlichen Verwaltung, gehandelt wird, hier dagegen in eigenem Namen und zu eigenem Reche. Insofern die Verwaltung bei der verliehenen öffentlichen Verwaltung in eigenem Namen geführt wird, besteht eine Übereinstimmung mit der öffentlichen Verwaltung der Selbstverwaltungskörperschaften, die auch öffentliche Verwaltung in eigenem Namen führen; der Unterschied besteht aber darin, daß bei der verliehenen öffentlichen Verwaltung die private 1 Hier nur von "Beleihung" zu sprechen- unter Beschränkung des Wortes "Verleihung" auf Sondernutzungsrechte bei öff. Sachen-, wie v. Köhler, Grundlehren, S. 145, will, erscheint nicht angebracht. Das Wort "verleihen" hat eine allgemeinere Bedeutung; nicht nur Sondernutzungsrechte an öffentlichen Sachen und öffentliche Unternehmen, sondern auch z. B. die Staatsangehörigkeit, die Beamteneigenschaft, Titel usw. werden verliehen (vgl. dazu u. 3. Buch). 2 Vgl. hierzu und zum Folgenden vor allem 0. Mayer, VerwR, Bd. 2, S. 243 ff., Kormann, Syst. d. rechtsgeschäftl. Staatsakte (1910), S. 107, ferner W. Jellinek, VerwR, S. 526 ff., Fleiner, Inst., S. 341, v. Köhler, Grundlehren, S. 143 ff., E. R. Huber, WirtschVerwR, 2. Aufl. (1953), Bd. 1, S. 533 ff.
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§ 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung
Rechtspersönlichkeit durch die Betrauung mit einer öffentlichen Aufgabe nicht zu einer Rechtspersönlichkeit des öffentlichen Rechts wird. Diese Selbstverwaltungskörperschaften sind von vornherein geschaffen, um öffentliche Verwaltung im eigenen Namen zu führen, sei es in vmfassender Weise, wie bei den gebietliehen und den beruflichen Selbstverwaltungskörperschaften mit Bezug auf ein bestimmtes räumliches Gebiet bzw. einen bestimmten Beruf, oder auch nur für einzelne bestimmte Zwecke wie bei den sonstigen Selbstverwaltungskörperschaften. Hier dagegen wird vor allem eine Rechtspersönlichkeit des bürgerlichen Rechts, eine natürliche oder juristische Person, die an sich nicht berufen ist, öffentliche Verwaltung zu führen, sondern regelmäßig für ihre privaten, insbesondere privatwirtschaftlichen, Zwecke tätig sein will, dies aber hier in den in Betracht kommenden Fällen nicht von sich aus tun kann, da es sich um dem Staate nach Art von Regalien vorbehaltene Tätigkeiten handelt, die ihr daher nur durch Verleihung zugänglich gemacht werden können. Wird sie so im Einzelfalle mit der Besorgung öffentlicher Verwaltung nach bestimmter Richtung hin beliehen, so wird sie regelmäßig dabei doch zugleich in der Hauptsache - insbesondere wirtschaftlich - für ihre privaten Zwecke tätig. Eine Art der Selbstverwaltung liegt hier in keiner Weise vor; demgemäß greifen denn auch die gesetzlichen Bestimmungen über die Beschränkungen der Staatsaufsicht, wie gegenüber der Selbstverwaltung, hier nicht ein (vgl. u. Buchst. b). Es steht im übrigen aber nichts im Wege, auch eine öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft, z. B. eine Gemeinde, in dieser Weise mit öffentlicher Verwaltung zu beleihen, nämlich für eine Aufgabe, die nicht in den Bereich der Selbstverwaltungsangelegenheiten hineinreicht, vielmehr dem Staate vorbehalten ist, z. B. auch im Sinne einer Ausnahme von dem Allzuständigkeitsgrundsatz der Gemeinden usf., jedoch mit der Möglichkeit der Beleihung; sie wird dann im Falle der Verwaltung von der Gemeinde, die ja auch Rechtspersönlichkeit des bürgerlichen Rechts ist, außerhalb und neben den Selbstverwaltungs- wie auch den Auftragsangelegenheiten (oder Pflichtaufgaben nach Weisung) so besorgt, wie sie auch von einer Rechtspersönlichkeit des bürgerlichen Rechts im Falle der Verleihung besorgt wird, eben nicht in ihrer Eigenschaft als Träger öffentlicher Verwaltung, sondern insofern sie als Rechtspersönlichkeit des bürgerlichen Rechts, als "Verwaltete", dem öffentlichen Recht selbst untersteht. Auch dem französischen Recht ist dieses Rechtsgebilde bekannt: der "öffentliche Dienst", der, wie früher bemerkt, für den Bereich des öffentlichen Verwaltungsrechts auch heute noch weitgehend maßgebend ist, sagt Jeze\ werde entweder unmittelbar durch öffentliche Beamte oder durch Beliehene unter Aufsicht der öffentlichen Beamten ausgeübt: die haupt3 Franz. VerwR, S. 408 (1913, vor der inzwischen weitgehend vorgenommenen "NationaLisierung").
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sächlichsten Beispiele für Beleihung böten die Eisenbahnen, Straßenbahnen, Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgungen usw.; das Pflichtenheft des Beliehenen bestimme die Bedingungen, unter denen der verliehene öffentliche Dienst ausgeübt werden müsse. Die Verleihung erfolgt durch Gesetz oder rechtsgestaltende Verwaltungsverfügung (vgl. u. Buchst. c). Sie ist scharf zu unterscheiden von der Polizeierlaubnis, die auf Grund eines allgemeinen Polizeiverbots mit Erlaubnisvorbehalt i. S. einer Ausnahme davon erteilt wird (vgl. u. 3. Buch). Durch die Polizeierlaubnis wird die natürliche Handlungsfreiheit, die zunächst durch ein allgemeines Polizeiverbot nach bestimmter Richtung der Betätigung hin gehemmt war, wiederhergestellt, wie z. B. bei der Bauerlaubnis für den Eigentümer oder sonstigen Berechtigten mit Bezug auf ein "Bauen", bei der gewerbepolizeilichen Erlaubnis zum Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft usf.; hier erhält der Beteiligte durch die im Einzelfalle erteilte Erlaubnis kein neues Recht, insbesondere kein persönliches (sog. subjektives) öffentliches Recht, wenn auch - infolge der Beseitigung des Hindernisses einer bestimmten Betätigung - eine gewisse neue Rechtsstellung, die er vorher noch nicht hatte. Eine äußerliche Ähnlichkeit besteht nur insofern, als auch hier durch eine obrigkeitliche Handlung eine bestimmte Art der Tätigkeit dem einzelnen erst rechtlich zugänglich gemacht wird4 ; aber hier rechtlich i. S. eines "Dürfens", dagegen dort i. S. eines "Könnens". Im Gegensatz zur Polizeierlaubnis, wo dem einzelnen keine "Macht über ein Stück öffentlicher Verwaltung" (Otto Mayer) gewährt wird, erhält jemand durch die Beleihung etwas, was er von vornherein in seinem Rechtsbereich überhaupt nicht hat, insbesondere auch auf Grund der persönlichen Handlungsfreiheit nicht vornehmen könnte, nämlich das Recht, öffentliche Verwaltung, d. h. eine Gemeinschaftsaufgabe, zu besorgen, was in ursprünglicher Weise nur dem Staate und in abgeleiteter Weise den sonstigen Trägern öffentlicher Verwaltung zukommt. Die Regel ist, daß in solchen Fällen dieser Träger öffentlicher Verwaltung eben mit Rücksicht auf die Übertragung öffentlicher Aufgaben als Rechtspersönlichkeit, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts gebildet oder anerkannt wird oder einem solchen schon bestehenden Träg,er öffentlicher Verwaltung ggf. eine weitere öffentliche Aufgabe übertragen wird, wie bei den Selbstverwaltungskörperschaften; eine solche Neubildung von Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts pflegt auch dann zu erfolgen, wenn es sich nur um bestimmte einzelne dauernde Aufgaben handelt, wie bei den einzelzweckliehen Selbstverwaltungskörperschaften (vgl. o. § 27). So war das z. B. ursprünglich auch geschehen bei den Reichskraftfahrstraßen (sog. "Reichsautobahnen") nach dem ReichsautobahnG vom 27. Juni 1933 i. d. F. vom 4
Vgl. 0. Mayer, a. a. 0., S. 244.
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§ 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung
29. Mai 1941 (RGBl. I S. 312), die zufolge der Ermächtigung des Gesetzes als ein Zweigunternehmen von der Deutschen Reichsbahn errichtet, jedoch als eine eigene juristische Person des öffentlichen Rechts gebildet waren. Es kann aber auch- und das tst unser hi:er zu betracllttender Fall -eine öffentliche Aufgabe, d. h. öffentliche Verwaltung, nach bestimmter Richtung einer natürlichen oder juristischen Rechtspersönlichkeit des bürgerlichen Rechts verliehen werden, ohne daß ihr die öffentlichrechtliche Rechtsträgerschaft im Hinblick darauf beigelegt wird, u. a. insbesondere mit Rücksicht darauf, daß der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf privatwirtschaftlichem Gebiete liegt - wie denn auch die Nutzungen Dritten im allgemeinen in bürgerlich-rechtlicher Form zugänglich gemacht zu werden pflegen - und dieses trotz der vorliegenden öffentlichen Belange und der sich daraus ergebenden öffentlich-rechtlichen Schranken nicht verlassen wird, die Besorgung der öffentlichen Aufgabe rein als solche jedenfalls nicht ihren ausschließlichen oder Hauptzweck nach Art einer öffentlichen Anstalt bildet, daher kein Anlaß besteht, eine öffentlich-rechtliche Rechtsträgerschaft deswegen zu begründen; dies zumal, da auch natürliche Personen hierbei in Betracht kommen, die hier auszuschließen kein Grund besteht, es aber auch nicht angeht, ihnen im Hinblick darauf die Eigenschaft als Rechtsperson des öffentlichen Rechts beizulegen, andererseits der Staat die betr. öffentliche Aufgabe, wie z. B. den Bau einer bestimmten Eisenbahnlinie usw., aus verschiedenen Gründen, etwa wegen des in Frage stehenden wirtschaftlichen Wagnisses, Kapitalmangels usw., nicht selbst, etwa unter Begründung und Übertragung von Ämtern, in seine Hand nehmen will5, er aber auch - anders als regelmäßig bei den den Selbstverwaltungskörperschaften überlassenen öffentlichen Aufgaben - die betr. Aufgabe im allgemeinen nicht dauernd aus der Hand geben will, sondern sie nur unter Beibehaltung seines Hoheitsrechts, regelmäßig nur für bestimmte Zeit, davon abzweigt und zur Nutzung verleiht.
Im übrigen handelt es sich der Sache nach nicht um eine neuartige Erscheinung; man denke an die Belehnung mit Ämtern im Lehnstaat oder an die Verleihung von nutzbaren Regalien des Staates im mittelalterlichen Staat. Die Verleihung begründet ein persönliches (subjektives) öffentliches Recht vermögensrechtlicher Natur für den einzelnen; dieser leitet seine Befugnis, öffentliche Verwaltung zu führen, von einem Träger öffentlicher Verwaltung, insbesondere dem Staate, ab. Das Vorliegen öffentlicher Verwaltung bei einer Privatperson kommt zum Ausdruck insbesondere in dem Vorgang der Verleihung, ferner in der Art der- auf die Besorgung einer öffentlichen Gemeinschaftsaufgabe des Staates s Vgl. v. Köhler, a. a. 0., S. 144.
Das verliehene öffentliche Unternehmen
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gerichteten Tätigkeit, sodann darin, daß ggf. zu ihren Gunsten, da es sich um ein dem öffentlichen Nutzen dienendes Unternehmen handelt, die Enteignung in Betracht kommen kann, weiter darin, daß der Unternehmer regelmäßig nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, das verliehene Unternehmen zu betreiben, weil es sich um eine öffentliche Aufgabe handelt, weiter ggf. in den besonderen Vorbehalten (Bedingungen, Befristungen und Auflagen) sowie in dem besonderen Aufsichtsrecht des Trägers öffentlicher Verwaltung, insbesondere des Staates gegenüber dem von ihm abgezweigten Stück öffentlicher Verwaltung; ferner darin, daß die Verleihung regelmäßig nur auf bestimmte Zeit erfolgt und sie zurückgenommen werden kann, wenn gesetzliche Vorschriften oder wesentliche Verleihungsbedingungen nicht eingehalten werden, deren Auferlegung und Einhaltung unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Wohls geboten erscheint, oder der Betrieb ohne Zustimmung der Verleihungsbehörde auf längere Zeit eingestellt wird; sodann in dem Heimfallsrecht des Trägers der öffentlichen Verwaltung nach Ablauf der Berechtigungszeit, u. U. in einem vorzeitigen Rückerwerbsrecht gegen angemessene Entschädigung; endlich unter Umständen auch in dem Verhältnis zu den Verwalteten, denen gegenüber die Verwaltung geführt werden darf, wenn hierfür auch meist bürgerliches Recht - wenigstens mit Bezug auf Nutzungsverhältnisse - in Betracht kommt, wie bei der zusätzlichen Übertragung polizeilicher Befugnisse mit Bezug auf das betr. Unternehmen. b) Das Anwendungsgebiet Das Anwendungsgebiet der verliehenen öffentlichen Verwaltung liegt - wenn auch nicht ausschließlich, so doch zum guten Teil- auf dem Gebiete des öffentlichen Verkehrs. Dahin gehören u. a. insbesondere: 1) Öffentliche, d. h. dem öffentlichen Verkehr dienende Eisenbahnen (sog. private Eisenbahnen), Schiffahrtsunternehmen, sonstige Verkehrsunternehmungen wie Kanäle, Straßen und Brücken (wie namentlich in früherer Zeit), ferner Oberfahrts- oder Fähranstalten. Dem öffentlichen Verkehr dienen diese Unternehmungen, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung grundsätzlich jedermann zur Personen- oder zur Güterbeförderung benutzen kann6 • Überall ging man hier von der Rechtsauffassung aus, daß ein staatliches Hoheitsrecht, ein sog. Regal des Staates, bestehe, das er unter bestimmten Voraussetzungen an Rechtspersonen des bürgerlichen Rechts verleihen könne. So bestand seit dem Mittelalter in Deutschland die Auffassung, daß die durchgehenden öffentlichen Straßen, abgesehen von den im Gemeineigentum und Gemeingebrauch stehenden Gemeinde-(Allmend-)wegen, und die schiffe So jetzt§ 2 Allg. EisenbahnG vom 29. März 1951 (BGBl. I S. 225).
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§ 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung
baren Ströme zu den königlichen Hoheitsrechten, den Regalien, gehören; so heißt es z. B. in dem auf dem Ronkalischen Reichstag erlassenenGesetz über die königlichenRechte (constitutio de regalibus}Kaiser Friedrichs I. von 1158, das nicht etwa nur für Oberitalien erlassen wurde und erst infolge der Aufnahme der fremden Rechte auch Gültigkeit in Deutschland erlangte: "Regalia sunt hec: arimannie, vie publice, flumina navigabilia, et ex quibus fiunt navigabilia" usf. So hat der Staat auch noch in der Neuzeit Straßenunternehmungen an Rechtspersönlichkeiten des bürgerlichen Rechts verliehen, z. B. an Aktiengesellschaften; namentlich in Preußen sind die Kunststraßen vielfach in dieser Weise durch private Unternehmer hergestellt worden unter Bewilligung von Zuschüssen aus Staatsmitteln oder des Rechts der Erhebung von Straßengeld und unter Verleihung fiskalischer Vorrechte 7 • Ebenso geschah dies bezüglich künstlicher Wasserstraßen, Schiffahrtskanälen, wie früher z. B. des - erst später vom Staat übernommenen - Ludwigs-(Main-Donau-}Kanals, ferner der dem öffentlichen Verkehr dienenden Brücken und Fähranstalten, d. h. Einrichtungen zum Zwecke der gewerbsmäßigen Vermittlung des Personen- oder Güterverkehrs von einem Ufer zum anderen auf öffentlichen Gewässern 8 • So geht z. B. das preuß. Allg. Landrecht noch von dem Fährregal des Staates aus (vgl. §§ 50, 51, 94-96 T. Il Tit. 15}, d. h. der auf der staatlichen Hoheitsgewalt (Finanzhoheit} beruhenden ausschließlichen Berechtigung des Staates, das gewerbsmäßige Übersetzen von einem Ufer zum anderen auf öffentlichen Flüssen und Kanälen in gewinnbringender Weise zu betreiben9 ; in Nachwirkung davon bestimmt das preußische WasserG vom 7. April 1913 in§ 397, daß unberührt bleiben die bestehenden Vorschriften über das Fährregal (vgl. auch § 382}. Daran hat sich auch durch den Übergang der Wasserstraßen von den Ländern auf das Reich und jetzt den Bund nichts geändert10• Soweit dieses Regal besteht, wird damit der öffentliche Verkehr auf der öffentlichen Wasserstraße vom Gemeingebrauch insoweit ausgeschlossen11 • Neben der Verleihung eines solchen Verkehrsunternehmens kommt dann gegebenenfalls die Verleihung eines Sondernutzungsrechts an einer öffentlichen Sache, z. B. einer öffentlichen Straße oder einem öffentlichen Gewässer, wie bei der Einlegung von Schienen einer Eisenbahn in den Straßenkörper, der Vgl. Germershausen, Pr. WegeR, Bd. 1, S. 373, 0. Mayer, Bd. 2, S. 48, 246. Vgl. Pr. OVG, Bd. 57, S. 388, Bd. 83, S. 344 f.; Landmann-Rohmer, ErlB zur GewO, Anm. zu § 6. 9 Vgl. auch den Erlaß des preuß. Min. d. öff. Arbeiten über die öffentliche Verpachtung von fiskalischen Verkehrsabgaben und Fährgerechtigkeiten vom 11. Juni 1906 (MBliV S. 136), angef. in Pr. OVG, Bd. 86, S. 352. 10 Vgl. § 1 Ziff. 1. d. Staatsvertrages über den Übergang der Wasserstraßen von den Ländern auf das Reich vom 31. März 1921 (RGBl. I S. 961) u. Art. 73 GG z. BGB. 11 Vgl. Pr. OVG, Bd. 83, S. 344. 7
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Anlegung eines Anlandeplatzes, der Einlegung einer Schiffahrtskette für eine Kettenschleppschiffahrt bei einem öffentlichen Gewässer in Betracht im Gegensatz etwa zur privatrechtliehen Gestattung des Eigentümers bei privaten Wegen oder Gewässern. Auch bei den dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnen herrschte von Anfang an die Auffassung vor, daß eine staatliche Verleihung notwendig sei, nicht nur wegen der regelmäßig hierbei notwendig werdenden Enteignung und der sog. Verleihung des Enteignungsrechts - was ja eine Sache für sich ist -, sondern vor allem auch unter dem Gesichtspunkte des öffentlichen Verkehrsweges in Fortwirkung des Gedankens des Straßenregals und wegen der Beförderung ggf. auch des Postregals. In den dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnunternehmungen erblickte man ursprünglich nur die Anlegung einer Schienenbahn als einer -etwa nach Ablauf einer für mehrere (z. B. 3) Jahre dem Gesuchsteller zum ausschließlichen Beförderungsbetrieb überlassenen- zur allgemeinen Benutzung dienenden öffentlichen Straße, nämlich eines Schienenweges, den man auf Grund einer Verleihung gegen Entrichtung eines Wegegeldes ("Bahngeldes") oder der zu vereinbarenden Vergütung mit seiner Zugmaschine (Lokomotive) oder seinem Dampftriebwagen benutzen darf12 • Es handelt sich hierbei nur um öffentliche, d. h. - wie bereits bemerkt - dem öffentlichen Verkehr dienende Eisenbahnen, ähnlich wie bei öffentlichen Wegen im Gegensatz zu Eisenbahnen für rein private Zwecke, wie z. B. für Bergwerke, Fabriken usf., wo allenfalls polizeiliche Gesichtspunkte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verleihung eines Sondernutzungsrechts an öffentlichen Sachen bei Überschreitung und Benutzung öffentlicher Straßen in Betracht kommen. Die Verleihung von öffentlichen Eisenbahnunternehmungen ist infolge der Entwicklung des Staatsbahnwesens in den deutschen Ländern, zunächst insbesondere in den süddeutschen, dann auch in Preußen seit der Verstaatlichung der privaten Eisenbahnen seit 1879, dann im Reiche, stark zurückgetreten, in neuester Zeit namentlich seit der Entwicklung des Kraftfahrlinienverkehrs. Nach Art. 89 Weim.RV war es Aufgabe des Reichs, die dem allgemeinen Verkehr dienenden Eisenbahnen zu übernehmen und als einheitliche Verkehrsanstalt zu verwalten; die Rechte der Länder, Privateisenbahnen zu erwerben, waren auf Verlangen dem Reich zu übertragen13 ; nach Art. 94 12 Vgl. Pr. G über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838 (GS S. 505), §§ 26 ff., 8; 0. Mayer, a. a. 0., S. 248. Für Württemberg galt früher Art. 6 d. G vom 18. April 1843 über den Bau von Eisenbahnen (RgBl. S. 277), das jetzt durch das bad.-württ. LandeseisenbahnG vom 6. Juli 1951 (RegBl. f. Württ.-Baden, S. 49) und vom 1. März 1954 (GBl. S. 30) unter Aufhebung auch des bad. G über das Genehmigungsverfahren bei Eisenbahnanlagen vom 23. Juni 1900 (GVBl. S. 824) u. des württ.-hohenz. LandeseisenbahnG vom 13. März 1951 (RegBl. S. 31) ersetzt worden ist. 13 Vgl. das G betreffend den Staatsvertrag über den Übergang der Staatseisenbahnen auf das Reich vom 30. April1920 (RGBl. I S. 737, 1110).
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§ 28.
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a. a. 0. sollte, wenn das Reich die dem allgemeinen Verkehr dienenden Eisenbahnen eines bestimmten Gebietes in seine Verwaltung übernommen hatte, innerhalb dieses Gebiets neue, dem allgemeinen Verkehr dienende Eisenbahnen nur vom Reiche oder mit seiner Zustimmung gebaut werden dürfen. Entsprechendes ist jetzt für den Bund bestimmt; nachdem lt. GG die Bundeseisenbahnen in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt werden, heißt es jetzt in abgeschwächter Weise im Allgemeinen EisenbahnG vom 29. März 1951 (BGBL I S. 225), § 4 Abs. 2, daß das Recht, eine neue öffentliche Eisenbahn zu bauen und zu betreiben, erst dann, wenn der Bundesverkehrsminister erklärt hat, daß es nicht für die Deutsche Bundesbahn innerhalb eines angemessenen Zeitraums in Anspruch genommen wird, vom Lande selbst ausgeübt oder von der obersten Landesverkehrsbehörde an einen Unternehmer verliehen werden kann, sofern diese ein Verkehrsbedürfnis anerkannt hat. Für die Straßenbahnen, für die früher wie für die Kleinbahnen ebenfalls die Verleihung in Betracht kam, gilt jetzt (z. B. an Stelle des pr. KleinbahnG v. 28. Juni 1892) Besonderes - wie früher nach dem G. über die Beförderung von Personen zu Lande vom 4. Dezember 1934 i. d. F. vom 6. Dezember 1937 (RGBL I S. 1320), so jetzt - nach dem PersBefG vom 21. März 1961 (BGBl. I S. 241) 14 • Das Gesetz gilt für die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, ferner auch für die in neuerer Zeit - z. T. an deren Stelle- aufgekommenen weiteren Verkehrsverbindungen, nämlich für die mit Oberleitungsomnibussen (sog. "Obussen") und mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr und im Gelegenheitsver kehr, auf die jedoch hier nicht näher eingegangen werden soll (§§ 1, 2). Es gilt insbesondere nicht für die Landkraftpasten der Deutschen Bundespost, d. h. Kraftwagenverbindungen der Deutschen Bundespost, die mit posteigenen Kraftfahrzeugen von nicht mehr als 1,75 Tonnen Nutzlast betrieben werden, die der Postsachenbeförderung über Land dienen und zusätzlich für die Beförderung von nicht mehr als 5 Personen (einschl. Führer) bestimmt sind (§ 5). Als Straßenbahnen gelten hierbei Schienenbahnen, die den Verkehrsraum öffentlicher Straßen benutzen und sich mit ihren baulichen und betrieblichen Einrichtungen sowie in ihrer Betriebsweise der Eigenart des Straßenverkehrs anpassen oder einen besonderen Bahnkörper haben und in ihrer Betriebsweise den bezeichneten Bahnen gleichen oder ähneln und ausschließlich oder überwiegend der Beförderung von Personen im Orts- oder Nachbarschaftsbereich dienen; dazu gehören auch Bahnen, die als Hoch- und Untergrundbahnen, Schwebebahnen oder ähnliche Bahnen besonderer Bauart angelegt sind oder werden, ausschließlich oder überwiegend der Personenbeförderung im Orts- oder Nachbarschaftsbereich dienen und nicht Bergbahnen oder Seilbahnen sind (§ 4). Es bedarf einer "Genehmigung", d. h. gerrauer der gewerbepolizeilichen Erlaubnis, wer entgeltlich oder geschäftsmäßig Personen mit Straßenbahnen als Unternehmer von Straßenbahnen be14 Vgl. dazu die Straßenbahn-Bau- u. BetriebsO vom 13. November 1937 (RGBI. I S. 1247) i. d. F. der VO vom 14. August 1953 (RGBI. I S. 974).- Wegen der Zuständigkeit des Bundes zur Vorrangsgesetzgebung vgl.Art. 74 Ziff.23 GG.
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fördern will, wie auch wer mit Oberleitungsomnibussen (Obussen), d. h. elektrisch angetriebenen, nicht an Schienen gebundenen Straßenfahrzeugen, die ihre Antriebsenergie einer Fahrleitung entnehmen, oder mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr oder im Gelegenheitsverkehr dies tun will. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn die Sicherheit und die Leistungsfähigkeit des Betriebs gewährleistet sind und keine Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Antragstellers als Unternehmer dartun. Die Erlaubnis ist bei Straßenbahnen (wie auch beim Obusverkehr und Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen) zu versagen, wenn der Verkehr auf Straßen durchgeführt werden soll, die sich aus Gründen der Verkehrssicherheit oder wegen ihres Bauzustandes hierfür nicht eignen, oder durch den beantragten Verkehr die öffentlichen Verkehrsbelange ("-interessen") beeinträchtigt werden, insbesondere der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln befriedigend bedient werden kann, der beantragte Verkehr ohne eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsbedienung Verkehrsaufgaben übernehmen soll, die vorhandene Unternehmen oder Eisenbahnen bereits wahrnehmen, und die für die Bedienung dieses Verkehrs vorhandenen Unternehmer oder Eisenbahnen die notwendige Ausgestaltung des Verkehrs innerhalb einer von der Erlaubnisbehörde festzusetzenden angemessenen Frist selbst durchzuführen bereit sind (§ 13)1 5 • Es besteht also nicht nur eine Prüfung und Erlaubnis in polizeilicher Hinsicht10 ; die Erlaubnis hat zwar in erster Reihe gewerbepolizeiliche Bedeutung mit Bezug auf die Sicherheit des Betriebs und die persönliche Zuverlässigkeit des Unternehmers, greift aber darüber hinaus mit dem Erfordernis, daß das Unternehmen den Belangen des öffentlichen Verkehrs nicht zuwiderläuft. Neue Straßenbahnen dürfen nur gebaut und bestehende nur geändert werden, wenn der Plan für ihre Betriebsanlagen vorher festgestellt ist. Die Planfeststellung ersetzt alle nach anderen Rechtsvorschriften notwendigen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Zustimmungen; durch sie werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Unternehmer und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt. Der Plan wird von der Erlaubnisbehörde festgestellt. Zur Errichtung der Straßenbahnanlagen eines Unternehmens ist die Enteignung zum Zwecke der Durchführung eines Solchergestalt festgestellten Bauvorhabens, soweit sie dazu notwendig ist, zulässig; im übrigen gelten die Enteignungsgesetze der Länder (§'§ 28 ff.). Wenn von der Straßenbahn ein öffentlicherWegbenutzt werden soll, so hat der Unternehmer die Zustimmung des Trägers der Straßenbaulast (des Wegeunterhaltungspflichtigen), wie z. B. der Gemeinde bei öffentlichen Gemeindewegen, beizubringen, was sinngemäß auch gilt bei höhengleichen Kreuzungen von öffentlichen Straßen durch Straßenbahnen. Vereinbarungen über die Höhe des Entgelts für die Benutzung einer Straße bedürfen der Zustimmung der Erlaubnisbehörde; kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die von der Landesregierung bestimmte Behörde. Die Erlaubnis wird dem Unternehmer auf bestimmte Zeit erteilt (vgl. §§ 16, 38) in der Weise, daß der Unternehmer das Anlagekapital tilgen kann (bei Erneuerung der Erlaubnis in der Regel auf 25 Jahre), und nur für seine natürliche oder juristische- Person. 15 Die frühere Vorschrift des § 9 Abs. 2 PersBefG i. d. F. von 1937, daß die Erlaubnis zu versagen ist, wenn kein Bedürfnis vorliegt, war nach dem BVerwG durch Art. 12 GG als überholt anzusehen (vgl. BVerwGE Bd. 1 S. 92); im übrigen ist durch die oben angegebene Vorschrift des § 13 PersBefG von 1961 die Berücksichtigung der öffentlichen Belange gewährleistet. 18 Wegen der Betriebspflicht vgl. u. v. Köhler, a. a. 0., spricht daher mit Recht von einer "besonders ausgestalteten" Erlaubnis.
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Der Unternehmer ist verpflichtet, auf Grund der Erlaubnis innerhalb einer von der Erlaubnisbehörde festzusetzenden Frist die Straßenbahn zu bauen und während der Dauer der Erlaubnis nach den Bedürfnissen des Verkehrs und dem Stande der Technik ordnungsmäßig zu unterhalten; auf Verlangen der Aufsichtsbehörde ist Sicherheit zu stellen, die sie bei Nichterfüllung der bezeichneten Verpflichtungen ganz oder z. T. für verfallen erklären kann. Es besteht unter gewissen Voraussetzungen eine Beförderungspflicht. Der Unternehmer kann die ihm den beförderten Personen gegenüber obliegende Haftung für Sachschäden gegenüber jeder beförderten Person insoweit ausschließen, als der Schaden 1000 DM übersteigt (§ 23). Der Unternehmer untersteht hinsichtlich der Erfüllung der Vorschriften des Gesetzes sowie der hierzu erlassenen Rechtsverordnungen und der Einhaltung der durch die Erlaubnis auferlegten Verpflichtungen (Bedingungen, Auflagen) der Aufsicht der Erlaubnisbehörde (in technischer Hinsicht der von der Landesregierung bestimmten Behörde). Die Erlaubnisbehörde kann die Erlaubnis für erloschen erklären, wenn der Betrieb nicht innerhalb der in der Erlaubnis bestimmten Frist eröffnet wird. Die Erlaubnisbehörde hat die Erlaubnis zurückzunehmen, wenn nicht mehr alle Voraussetzungen für die Erteilung (§ 13) vorliegen; sie kann sie zurücknehmen, insbesondere, wenn die Erlaubnis auf Grund unrichtiger Angaben erteilt worden ist, die der Unternehmer oder sein Beauftragter wissentlich oder grobfahrlässig gemacht hat (§ 25). Im Falle des Todes des Unternehmers kann der Erbe den Betrieb vorläufig weiterführen oder diese Befugnis auf einen Dritten übertragen; das gleiche gilt für Testamentsvollstrecker und Nachlaßpfleger oder Nachlaßverwalter während einer Testamentsvollstreckung und Nachlaßpflegeschaft oder -Verwaltung Diese Befugnis erlischt jedoch, wenn nicht der Erbe oder der Dritte binnen 3 Monaten nach Ablauf der für die Ausschlagung der Erbschaft vorgesehenen Frist oder die anderen angeführten Personen innerhalb 3 Monaten nach der Annahme ihres Amtes oder ihrer Bestellung die Erlaubnis beantragt haben. Beförderungsentgelte (die gleichmäßig anzuwenden sind), Beförderungsbedingungen und Fahrpläne und deren Änderungen bedürfen ebenfalls der Zustimmung der Erlaubnisbehörde und sind ortsüblich bekanntzumachen17 • Titel VII GewO sowie die auf Grund dieses Titels erlassene Vorschriften gelten auch für Straßenbahnbetriebe (§ 64 Abs. 4). Auch bei den in der neueren Zeit aufgekommenen Verkehrsmitteln, den Oberleitungsomnibussen (vgl. o.) als Ersatz von Straßenbahnen, den Kraftfahrlinienunternehmen und den Luftverkehrsunternehmen, hat man an der Auffassung, daß es sich um einen Ausfluß eines staatlichen Regals oder Hoheitsrechts handelt, nicht mehr festgehalten. Hier kommt nicht eine Verleihung, sondern nur unter polizeilichen Gesichtspunkten, u. U. unter Berücksichtigung weiterer öffentlicher Belange, eine polizeiliche Erlaubnis in Betracht (vgl. § 2 des o. angeführten PersBefG, §§ 20 ff. LuftverkehrsG vom 1. August 1922 i. d. F. vom 10. Januar 1959, BGBl. I S. 9). 17 Die Erlaubnisbehörde erteilt im Benehmen mit der für die technische Aufsicht zuständigen Behörde die Zustimmung zur Eröffnung des Betriebs auf Grund einer Abnahme der Straßenbahn und ihrer Einrichtungen (§ 37).
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2) Fernmeldeanlagen Die Verleihung kommt weiter in Betracht bei Fernmeldeanlagen. Auch hier wird von der Auffassung ausgegangen, daß ein verleihbares Hoheitsrecht des Staates, ein Regal, besteht. Nach dem Gesetz über Fernmeldeanlagen vom 14. Januar 1928 (RGBl. I S. 8) steht das Recht, Fernmeldeanlagen, nämlich Telegraphenanlagen für die Vermittlung von Nachrichten, Fernsprechanlagen und Funkanlagen zu errichten und zu betreiben, ausschließlich dem Reiche (Bunde) zu. Jedoch kann die Befugnis zur Errichtung und zum Betrieb einzelner Fernmeldeanlagen für bestimmte Strecken oder für Bezirke verliehen werden; die Verleihung sowie die Festsetzung der Verleihungsbedingungen steht dem Reichs-(Bundes-)postminister oder den von ihm hierzu ermächtigten Behörden zu. Sie muß für Fernmeldeanlagen erteilt werden, die von Elektrizitätsunternehmungen zur öffentlichen Versorgung mit Licht und Kraft, wenn sie der allgemeinen Versorgung von Gemeinden oder größeren Gebietsteilen zu dienen bestimmt sind und zum Zwecke ihres Betriebes verwendet werden sollen, erteilt werden, soweit nicht betriebliche Belange der Deutschen Reichs-(Bundes-)post entgegenstehen; dies gilt jedoch für Funkanlagen nicht (§ 2) 18• Die Befugnis zur Errichtung von Funkanlagen an Bord von Luftfahrzeugen (Luftfunkstellen) wird durch den Reichs-(Bundes-)postminister gemäß dem Gesetz für Fernmeldeanlagen verliehen18• 3) Die Befugnis zur Ausgabe von Banknoten durch eine private Notenbank, wie solche früher in Deutschland auf Grund staatlicher Verleihung bestand, wie für die Reichsbank, solange sie Rechtspersönlichkeit des bürgerlichen Rechts war (1875-1939) und noch nicht juristische Person des öffentlichen Rechts, wie seitdem, ferner für die Bayrische, die Sächsische, die Württembergische und die Badische Bank (vgl. das BankG v. 14. März 1875, RGBl. S. 177, und zuletzt das PrivatnotenbankG vom 30. August 1924, RGBl II. S. 246 m. Ber. 1925 II. S. 114) bis zum Erlasse des BankG von 1939. Vgl. auch noch die VO über die Errichtung der Deutschen Rentenbank vom 15. Oktober 1923 (RGBl. I. 18 Gewisse Fernmeldeanlagen jedoch nicht Funkanlagen - sind verleihungsfrei hinsichtlich der Errichtung und des Betriebs, nämlich solche, die ausschließlich dem Innendienst von Behörden der Länder, von Gemeinden oder Gemeindeverbänden sowie von Deich-, Siel- und Entwässerungsverbänden gewidmet sind; ferner solche, die von Beförderungsanstalten, wie z. B. Eisenbahnen, auf ihren Linien ausschließlich zu Zwecken ihres Betriebes oder für die Vermittlung von Nachrichten innerhalb der bisherigen Grenzen benutzt werden; desgl. solche innerhalb der Grenzen eines Grundstücks oder zwischen mehreren einem Besitzer gehörigen oder zu einem Betriebe vereinigten Grundstücke, deren keines von dem anderen über 25 km in der Luftlinie entfernt ist, wenn diese Anlagen ausschließlich für den der Benutzung der Grundstücke entsprechenden unentgeltlichen Verkehr bestimmt sind. 18 Vgl. § 51 VO über den Luftverkehr vom 21. August 1936 (RGBI. I S. 659).
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S. 963) und das Gesetz über die Liquidierung des Umlaufs an Rentenbankscheinen vom 30. August 1924 (RGBl II S. 252). 4) Das Recht zum Aufsuchen und zur Gewinnung gewisser dem Bergrecht unterliegender Mineralien, wenn dies ausschließlich dem Staate im Sinne des Bergregals vorbehalten ist. So ist z. B. nach §§ 2, 2 a pr.BergG vom 24. Juni 1865 i. d. F. vom 18. Juni 1907, 11. Dezember 1920 u. 3. Januar 1924, das Recht der Aufsuchung und Gewinnung der Steinkohle sowie der Kali-, Magnesia- und Borsalze, des Steinsalzes nebst den mit diesen Salzen auf der nämlichen Lagerstätte vorkommenden Salzen und Solquellen sowie der Braunkohle dem Staate vorbehalten20, das er an andere übertragen kann. Vgl. ferner das Gesetz über einen erweiterten Staatsvorbehalt zur Aufsuchung der Gewinnung von Steinkohle und Erdöl vom 22. Juli 1929 (GS S. 87) sowie das Gesetz zur Änd. berggesetzl. Vorschriften vom 24. September 1937 (GS S. 93). 5) Sodann ist hier anzuführen die Bestätigung und Vereidigung von privaten, von einem Grundeigentümer auf Vertrag angestellten Feldund Waldhütern usw. durch die staatliche Aufsichtsbehörde (Landrat usw.), woran sich die Befugnis zur Ausübung polizeilicher Befugnisse zur Verhütung und Verfolgung von Übertretungen der feld-und forstpolizeilichen Strafgesetze knüpft21 . Auch die Übertragung hahnpolizeilicher Befugnisse bei einem öffentlichen Eisenbahnunternehmen an eine private Person (vgl. o. Ziff. 1) gehört hierher 22 . Nach '§ 13 pr.PVG bedarf die Übertragung polizeilicher Aufgaben an andere Personen als unmittelbare Staatsbeamte der Bestätigung durch die unmittelbar vorgesetzte Polizeiaufsichtsbehörde. 6) Auch die Übertragung einzelner Aufgaben, die nach der Fürsorgepfl.ichtVO vom 13. Februar 1924 den Fürsorgeverbänden zugewiesen sind, durch das Land oder den Fürsorgeverband an Verbände oder Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, wenn sie damit einverstanden sind, gehört hierher @ 5 VO). Entsprechendes gilt jetzt für die 20 Dies galt für die Provinzen Hessen-Nassau, Brandenburg, Nieder- und Oberschlesien, Grenzmark-Westpreußen sowie auf dem Gebiete der Stadtgemeinde Berlin. 21 Vgl. § 28 pr. Feld- u. ForstpolizeiG vom 21. Januar 1926, §§ 179 ff., 185 ff. bad. ForstG vom 15. November 1833 (vgl. Merk, Handb. d. bad. Verw., 2. Bd., 1. T., 1926, S. 159), und jetzt § 25 BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. vom 30. März 1961 (BGBI. I S. 304), wonach die bestätigten Jagdaufseher innerhalb ihres Dienstbezirks in Angelegenheiten des Jagdschutzes die Rechte und Pflichten der Polizeibeamten haben und Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, sofern sie Berufsjäger oder forstlich ausgebildet sind. Vgl. z. B. §§ 23, 24 bad.-württ. LJagdG vom 15. März 1954 (GBI. S. 35). 22 Vgl. dazu§ 23 pr. G über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838, sowie die Eisenbahnbau- u. BetriebsO vom 17. Juli 1928 (RGBI. II S. 591) § 74, wonach die Vereidigung oder eidesstattliche Versicherung der dort aufgeführten Bahnpolizeibeamten die Rechte öff. Polizeibeamten verleiht.
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Träger der Sozialhilfe, d. h. die kreisfreien Städte und Landkreise, nach § 10 BSozHG vom 30. Juni 1961; vgl. auch § 18 JugWohlfG vom 11. August 1961. 7) Weiter gehört hierher die Verleihung der Anerkennung einer privaten Ersatz- oder Ergänzungsschule mit der Folge, daß diese Schulen das Recht erhalten, nach den allgemeinen für öffentliche Schulen geltenden Vorschriften Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen (vgl. z. B. '§§ 10, 15 bad.-württ. PrivatschulG v. 15. Februar 1956, GBl. S. 28). 8) Früher waren vielfach in deutschen Ländern private Dampfkesselüberwachungs- (oder Revisions-)vereine, in denen die beteiligten Unternehmungen sich zusammengeschlossen hatten, mit der Wahrnehmung der jährlichen Überprüfung der Dampfkesselanlagen (§ 24 GewO i. d. früheren Fassung) allgemein betraut worden, was durch vereidigte Sachverständige geschah. Nach § 24 c GewO i. d. F. des Gesetzes vom 29. September 1953 (BGBI. I S. 1459) ist jetzt die Prüfung der in § 24 GewO aufgeführten überwachungsbedürftigen Anlagen (Dampfkessel-, Aufzugs-, Azetylen-Anlagen usw.), soweit nichts anderes bestimmt ist, durch amtliche oder amtlich für diesen Zweck anerkannte Sachverständige vorzunehmen, die in technischen Überwachungsverbänden zusammenzufassen sind, wobei die Landesregierungen die Organisation der technischen Überwachung, die Aufsicht über sie sowie die Durchführung der Überwachung regeln. Es ist also jetzt den Ländern überlassen, die Rechtsform der Überwachung zu bestimmen. 9) Weiter mag hier angeführt werden die Übertragung der Aufgaben der Gemeindefeuerwehr an eine Werkfeuerwehr für eine Gemeinde durch die Aufsichtsbehörde (vgl. § 19 Abs. 5 bad.-württ. FeuerwehrG vom 6. Februar 1956, GBI. S. 19, i. d. F. der Bek. vom 26. Februar 1960, GBL S. 85). 10) Als ein neuerer Fall mag noch angeführt werden § 8 Gesetz über eine Fischereistatistik vom 21. Juli 1960 (BGBI. I S. 589), wonach juristische Personen des bürgerlichen Rechts zu statistischen Erhebungsstellen bestimmt werden können, wenn diese sich hierzu bereit erklären, wonach sie dann insoweit der staatlichen Aufsicht unterliegen23. 23 Aus der früheren Zeit seien noch erwähnt die privaten Kolonialgesellschaften, denen durch kaiserlichen Schutzbrief die Befugnis zur Ausübung von Hoheitsbefugnissen in überseeischen Schutzgebieten unter der Aufsicht des Reichskanzlers verliehen wurde (die Ostafrikanische Gesellschaft 1885 bis 1890, die Neu-Guinea-Kompagnie 1885 bis 1900); vgl. § 11 SchutzgebietsG vom 25. Juli 1900 (RGBI. S. 813); Kormann, a. a. 0., S. 108, Leutwein, Kolonien und Kolonialpolitik, in HWStW Bd. 5 (4. Aufl.), S. 792. Ferner die Verleihung von Kaperbriefen durch eine kriegführende Macht an private Handelsschiffe mit dem Recht, feindliche sowie unseitige (neutrale) Schiffe, die Bannware mit sich führen, aufzubringen; diese Schiffe, die der staatlichen Kriegsmarine nicht eingegliedert waren, unterstanden der Aufsicht der obersten staatlichen Ma-
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§ 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung
c) D i e V e r 1 e i h u n g Während heute ein öffentliches Unternehmen vor allem durch den Vorgang der Verleihung bei privaten Rechtsträgern begründet wird, waren in frühe-rer Zeit z. T. andere Rechtsformen, die ähnlichen Zwekken dienten, üblich. Man denke u. a. z. B. an die Steuerverpachtung, wie sie in den Provinzen des Römischen Reichs, ferner in Frankreich vor der Staatsumwälzung von 1789 üblich war; weiter - außer der Verleihung von Ämtern durch Lehen im Lehnsstaate und der Verleihung von Regalien durch Vorrechtsverleihung (Privileg) im mittelalterlichen Staat - an die Verpachtung von Ämtern (Münz-, Zollämtern, Domänenämtern) mit hoheitlichen, gerichtlichen und polizeilichen, Befugnissen in deutschen Ländern, insbesondere in der Zeit des 16. bis 18. Jh. 24 • Im unbeschränkten Fürstenstaat stellte man sich den Vorgang der Verleihung eines öffentlichen Unternehmens als Erteilung eines Vorrechts (Privilegs) vor, bei der zugleich ein Vertragsabschluß zwischen dem Fiskus und dem Unternehmer wegen der dabei in Frage kommenden vermögensrechtlichen Vorteile unterstellt wurde25 • Im Verfassungs- und Rechtsstaat drang die Auffassung von der Verleihung eines Unternehmens durch, z. B. bei der ältesten deutschen Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth i. J. 1833 26 In diesem Punkte zeigte sich deutlich die Anknüpfung an das StraßenregaJ27 • Zunächst hat man z. T. noch in der Verleihung einen bürgerlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem Staat und dem Unternehmer erblickt oder aber eine öffentlich-rechtliche Handlung (Vorrechtsverleihung), die aber ihrer Natur nach den Staat nicht binde, was sich aus einer Nachwirkung polizeistaatlicher rinebehörde und durften die Kriegsflagge führen. Durch die Pariser Seerechtserklärung von 1856 wurde diese Einrichtung für die Vertragsmächte und die später beigetretenen Staaten aufgehoben. Vgl. v. Liszt-Fleischmann, VölkerR, 12. Aufl. (1925), S. 500. - Wegen der Verleihung des Rechts an Unternehmer sowie die tariffähigen Berufsverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Rechtspersönlichkeiten des bürgerlichen Rechts sind, Rechtssätze über Abschluß und Inhalt von Arbeitsverträgen durch Tarifvertrag zu treffen, die unmittelbare und unabdingbare Rechtswirksamkeit für die Einzelarbeitsverträge haben (§ 1 TarifvertragsG) sowie wegen der entsprechenden Betriebsvereinbarungen vgl. o. § 14 Ziff. II a. E. 24 Vgl. wegen der Verpachtung der Zölle die allg. Anweisung an das Generaldirektorium vom 20. Dezember 1722, Art. 11 § 3, in Acta Borussica, Behördenorg., Bd. 3, S. 595; ferner Schmoller, ebda., Bd. 1, Einl. S. 125. 2s Vgl. 0. Mayer, a. a. 0., S. 252. 26 In dem an den König von Bayern gerichteten Verleihungsgesuch wurde erbeten: "1. Die vorgelegten Gesellschaftsstatuten zu bestätigen; 2. der Solchergestalt sanktionierten Gesellschaft ein ausschließliches Privilegium zur Herstellung und immerwährenden Benützung der Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth und deren künftige Fortsetzungen nach allen Richtungen unter Befreiung von allen indirekten Staatsauflagen zu verleihen; 3. der Eisenbahn selbst und ihren Fortsetzungen die Rechte und den Schutz der Staatsstraßen allerhuldreichst zuzusichern." Vgl. R. Hagen, Die erste deutsche Eisenbahn (1886), S. 77, 0. Mayer, a. a. 0., S. 253. 27 Vgl. 0. Mayer, a. a. 0., S. 254.
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Auffassung erklärt28 • Erst allmählich hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß es sich bei der Verleihung um eine öffentlich-rechtliche Verwaltungsverfügung handle, die öffentlich-rechtliche Rechte und ggf. Pflichten für den Beliehenen begründet, insbesondere das Recht, das öffentliche Unternehmen in eigenem Namen und auf eigene Kosten zu betreiben; darüber, daß die Verleihung als gestaltende Verwaltungsverfügung auch außerhalb des öffentlichen Unternehmens eine große Rolle spielt, vgl. u. 3. Buch. Diese Verleihung wird wegen ihrer zeitlichen Dauer und der besonderen Rechtsstellung des Beliehenen regelmäßig in schriftlicher Form - in einer Verleihungsurkunde erteilt; es können hierbei dem Unternehmer auch Pflichten als Auflagen über das gesetzliche Maß hinaus auf Grund seiner freiwilligen Unterwerfung {"Verwaltungsverfügung auf Unterwerfung") zur Wahrung öffentlicher Belange auferlegt werden. Auch durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes durch Rechtsverordnung kann die Verleihung eines öffentlichen Unternehmens erfolgen, etwa an eine gleichzeitig dafür begründete juristische Person29 • Im übrigen wird die durch Verwaltungsverfügung erfolgte Verleihung nach den allgemeinen Grundsätzen mit der Bekanntgabe an den beliehenen Unternehmer wirksam. d) R e c h t s v e r h ä 1 t n i s s e 1) Die Verleihung begründet für den Beliehenen ein persönliches öffentliches Recht, regelmäßig aber auch die öffentlich-rechtliche Pflicht, öffentliche Verwaltung im Umfange der Verleihung im eigenen Namen zu führen. Außer den im Gesetz oder in der Verleihungsurkunde enthaltenen Voraussetzungen darf das Recht ohne Entschädigung nicht entzogen oder durch nachträgliche Auflagen, soweit diese Möglichkeit nicht ausnahmsweise im Gesetz vorgesehen ist oder sich aus den Aufsichtsbefugnissen ergibt (vgl. u. Ziff. 2), beeinträchtigt werden 30 ; der Unternehmer muß über den Umfang seiner Belastung von vornherein im klaren sein. Der Beliehene kann sein Recht ggf. gegenüber dem Staate gerichtlich geltend machen; vgl. u. 5. Buch. Dagegen begründet sie an sich kein ausschließliches Recht für den beliehenen Unternehmer in dem Sinne, daß etwa weitere Verleihungen ähnlicher Art im Wettbewerb mit Bezug auf denselben Gegenstand (z. B. Eisenbahn, Brücke) 31 an einen anderen nicht verliehen oder Entschädigung wegen 28
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0. Mayer, a. a. 0. 0. Mayer, a. a. 0., S. 255. Vgl. z. B. das G über den Bau der Saaletalsperre
bei Hohenwarte vom 13. Februar 1935 (RGBl. I S. 189) mit der VO vom 22. Juli 1936 (RGBl. I S. 630) und vom 25. April1939 (RGBl. I S. 1008). 30 So zutreffend v. Köhler, Grundlehren S. 146. 31 So freilich z. B. § 44 pr. EisenbahnG von 1838, wonach die Anlage einer zweiten Eisenbahn durch andere Unternehmer, welche neben der ersten in gleicher Richtung auf dieselben Orte mit Berührung derselben Hauptpunkte, fortlaufen würde, binnen einem Zeitraum von 30 Jahren nach Eröffnung der 48 Merk
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Rückgangs der Einnahmen durch das im Wettbewerb stehende Unternehmen verlangt werden darf, da nicht unmittelbar in die Rechte des früher Beliehenen eingegriffen wird, soweit gesetzlich oder verleihungsmäßig nichts anderes bestimmt ist oder sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ergibt. So namentlich, wenn dem Beliehenen eine ausdrückliche Zusicherung nach dieser Richtung hin gemacht worden ist; aber auch dann, wenn aus Gründen des öffentlichen Wohls ein anderes in Wettbewerb tretendes öffentliches Unternehmen verliehen wird- da ein bindender Verzicht auf die Ausübung von Hoheitsrechten unter jenem Gesichtspunkt grundsätzlich unzulässig ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist-, nur in der Weise, daß wegen der erheblichen Beeinträchtigung oder nahezu des Wegfalls der Einnahmen entgegen der getroffenen Zusicherung, die u. U. ein nicht zurnutbares Opfer für den früher Beliehenen bedeutet, eine öffentlich-rechtliche Entschädigung nach den bereits in den§§ 74 und 75 Einleitung zum preuß. ALR niedergelegten bzw. aus den Vorschriften über die Enteignungsentschädigung entsprechend zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen verlangt werden kann. Das öffentliche Unternehmen ist, soweit die Verleihung nicht den Vorschriften gemäß für die Person mit Rücksicht auf persönliche Erfordernisse erfolgt ist, vererblich und übertragbar; der Berechtigte kann über das öffentliche Unternehmen verfügen, insbesondere es an Dritte veräußern. Da und sofern jedoch mit dem Recht Pflichten verbunden sind, ist die Übertragung nur mit Zustimmung des Verleihenden zulässig; die Veräußerung der Anlagen des Unternehmens hat nicht ohne weiteres den Übergang der Verleihung auf den Erwerber zur Folge, soweit nichts anderes bestimmt ist; vielmehr ist die Verleihungsbehörde völlig frei darin, ob sie demErwerbereine neue Verleihung erteilen will oder, soweit zulässig, anstelle des ursprünglich Verpflichteten annehmen will. Es kann aber die Verleihung in bestimmten Fällen, wie z. B. bei Verkehrsunternehmen gewisser Art, zugleich für die Rechtsnachfolger erfolgen. Nach außen, Dritten gegenüber, regeln sich die Beziehungen des Unternehmens regelmäßig nach bürgerlichem Recht. So bei rechtswidrigen Eingriffen, Beeinträchtigungen oder Schädigungen (vgl. § 859, 1004, 823 ff. BGB). So ferner z. B. insbesondere bei Verkehrsunternehmungen hinsichtlich der Benutzung, nicht anders, als es unter denselben Verhältnissen beim Staate der Fall wäre; in Betracht kommen insbesonBahn nicht zugelassen werden soll, wobei jedoch anderweitige Verbesserungen der Verbindung zwischen diesen Orten und in derselben Richtung nicht beschränkt werden sollen. - Vgl. auch die entspr. verwertbare BVerwGE, Bd. 10, S. 122 bezüglich der Erlaubnis (Zulassung v. Versicherungsunternehmen).
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dere Beförderungsverträge bei der dem öffentlichen Verkehr dienenden privaten Eisenbahn usf. Mit dem verliehenen Unternehmen als einem eigenen Recht kann durch besondere Verleihung verbunden sein die Befugnis zur Ausübung hoheitlicher Gewalt, insbesondere von Polizei (sog. Anstaltspolizei) 32 , wie bei den Verkehrsunternehmen, insbesondere als Bahnpolizei für Maßnahmen, die im Gebiete der Bahnanlagen zur Handhabung der für den Eisenbahnbetrieb und -verkehr geltenden Polizeiverordnungen oder sonst zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich sind 33 • Es ist aber auch denkbar, daß das Engelt für die Benutzung als öffentlich-rechtliche Gebühr gestaltet ist, so daß der Verwaltungszwang zur beschleunigten Verwirklichung zur Verfügung steht gegenüber dem Verfahren vor den ordentlichen Gerichten. 2) Durch seine Aufsicht wacht der verleihende Staat darüber, daß die Bestimmungen, die durch Gesetz oder auf Grund des Gesetzes oder Unter-· werfung durch die Verwaltungsverfügung für den Betrieb des verliehenen öffentlichen Unternehmens festgelegt sind, insbesondere die Pflicht zum ordnungsmäßigen Betriebe des Unternehmens, eingehalten werden34. Der Träger der öffentlichen Verwaltung, der das Unternehmen verleiht, gibt dieses nicht völlig aus der Hand, sondern er behält sich, weil es sich um eine öffentliche Aufgabe handelt, mit Bezug darauf eine rechtliche Macht vor, auch während der Dauer der Verleihung; insbesondere pflegen z. B. bei Privateisenbahnen Genehmigungen mit Bezug auf Tarife, Beförderungsbedingungen und Fahrpläne vorbehalten zu werden. Der Privatunternehmer, der eine öffentliche Aufgabe besorgt, bleibt zwar ein solcher; aber er ist in bestimmtem Umfang und in besonderer Art unter Übertragung eines Stücks öffentlicher Gewalt zur Ausübung durch ihn "an den staatlichen Verwaltungsorganismus angegliedert" 35• Es handelt sich, wie schon 0. Mayer treffend dargelegt hat 38 , um ein besonderes Gewaltverhältnis, das am besten mit der Fachaufsicht gegenüber unterstellten Behörden 32 Im früheren preuß. Recht als Auftragsangelegenheit; vgl. dazu v. Köhler, a. a. 0., S. 148. 33 Vgl. hierzu §§ 74 ff. Eisenbahnbau- und BetriebsO vom 17. Juli 1928 (RGBl. II S. 541). 34 Entsprechend dem mehr bündischen Aufbau des GG gegenüber der WeimRV werden nach § 5 Allg. EisenbahnG vom 29. März 1953 (BGBl. I S. 225) Eisenbahnen, die nicht zum Netze der Deutschen Bundesbahn gehören, von dem Lande beaufsichtigt, in dessen Gebiet sie liegen; die Landesregierung kann die Eisenbahnaufsicht ganz oder teilweise auf die Bundesbahn übertragen, die sie dann nach den Weisungen und für Rechnung dieses Landes übernimmt. Berührt eine Eisenbahn das Gebiet mehrerer Länder, so wird die Aufsicht von dem Lande geführt, in dem die ordentliche Betriebsleitung ihren Sitz hat, soweit die Länder nichts anderes vereinbaren. 35 v. Köhler, a. a. 0., S. 147. 38 Vgl. a. a. 0., S. 257, 395.
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oder Beamten zu vergleichen ist37 ; von einer bloßen Staatsaufsicht i. e. S., wie sie gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften besteht und die im liberalen und sozialen Rechtsstaat grundsätzlich auf eine Rechtsaufsicht eingeschränkt ist, ist hier keine Rede, soweit nichts anderes bestimmt ist. Es können insbesondere allgemeine Anweisungen, Verwaltungsvorschriften, oder Befehle im Einzelfalle mit Bezug auf die Art der Ausübung des Rechts bzw. der Pflicht auferlegt werden, d. h. "ein Befehl, eine Vorkehrung oder Einrichtung zu treffen, welche für die Durchführung des Unternehmens erfordert und demgemäß in der Pflicht des Beliehenen enthalten ist", und zwar auch zur "Verbesserung des Unternehmens und die Erhöhung seiner Nützlichkeit für das öffentliche Wohl" 38 entsprechend der Entwicklung der Verhältnisse. Auch kann zur unmittelbaren Handhabung der Aufsicht ein besonderer Staatsbeauftragter (Staatskommissar) bei dem Unternehmen von der Aufsichtsbehörde bestellt werden. Regelmäßig werden solche Aufsichtsbefugnisse in den Inhalt der Verleihungsurkunde aufgenommen und dort in bestimmter Weise vorbehalten, soweit sie nicht im Gesetz selber näher bestimmt sind, und dann kann freilich eine Begrenzung der Aufsichtsbefugnisse für die Regel der Fälle vorgenommen sein. So kann z. B. aus Gründen des öffentlichen Wohls einer Eisenbahngesellschaft im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der Bestimmungen der Verleihungsurkunde vorgeschrieben werden, auf einer Bahnstrecke einen weiteren Zug einzuschalten, wenn es das Verkehrsbedürfnis erfordert39 ; ggf. knüpft sich daran ein Anspruch auf öffentlich-rechtliche Entschädigung, wenn das zu erbringende besondere Opfer ohne Entschädigung billigerweise nicht zurnutbar erscheint: es greifen die Bestimmungen der§§ 74, 75, Einl. zum preuß.ALR oder die für die Enteignung geltenden Vorschriften über die Entschädigung auch hier entsprechend ein. Zur Durchführung der Pflichten dienen die allgemeinen Zwangsmittel der Verwaltung: insbesondere Ersatzvornahme, Zwangsgeld und unmittelbare Gewaltanwendung nach näherer Bestimmung des Gesetzes oder der Verleihungsurkunde, auch in Form der öffentlich-rechtlichen Zwangsverwaltung, etwa bei Eisenbahnunternehmungen, ferner Rücknahme des verliehenen Rechts auf Grund gesetzlicher Vorschrift oder Vorbehalts bei der Verleihung40 (vgl. dazu u. 3. Buch). 37 Nicht ganz klar Nebinger, VerwR, 2. Aufl. (1949), S. 15; es handle sich nicht etwa um Auftragsangelegenheit mit Wirkung eines Weisungsrechts des Staates; dieser beschränkt sich vielmehr darauf, seine Belange in der Form einer "besonderen Staatsaufsicht" zu wahren - wobei gerade über deren Wesen nichts ausgesagt wird. 38 0. Mayer, a. a. 0., S. 259. 39 A. A. Hatschek-Kurtzig, VerwR, 6. Aufl. (1927), S. 358 im Gegensatz zu 0. Mayer, a. a. 0., S. 259. 4o Vgl. 0. Mayer, a. a. 0.
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e) D a s Er 1 ö s c h e n Das öffentliche Unternehmen erlischt durch: 1) Verzicht
auf das durch die Verleihung erworbene Recht; sofern mit der Verleihung die Pflicht verbunden ist, das betr. Unternehmen auszuüben, ist die Zustimmung des verleihenden Gemeinwesens erforderlich. Der Verzicht kann in jeder beliebigen Form der zuständigen Behörde gegenüber erklärt werden, soweit nichtsBesonderes vorgeschrieben ist; so auch durch schlüssige Handlung 42 . 2) Verwirkung
Wenn der Beliehene die für ihn begründeten Pflichten schwer verletzt, z. B. den Betrieb in bestimmter Frist zu beginnen, ihn fortzuführen oder die in der Verleihung ausgesprochenen wesentlichen Auflagen einzuhalten, kann die Verleihungsbehörde, regelmäßig nach vorgängiger Abmahnung, ihn des verliehenen Rechts für verlustig erklären43. 3) Fristablauf
Das Unternehmen wird regelmäßig nur auf eine bestimmte Zeit, z. B. eine bestimmte Anzahl von Jahren, verliehen. Eine völlige Entäußerung seitens des verleihenden Gemeinwesens findet nach der Erkenntnis der öffentlich-rechtlichen Bedeutung der Verleihung als eines Stücks öffentlicher Verwaltung, wie oben bereits bemerkt, im Gegensatz zu früheren bürgerlich-rechtlichen Auffassungen im geltenden Recht im allgemeinen nicht statt. Die Verleihungsfrist kann betragen z. B. 99 Jahre - eine in England vielfach übliche Frist -, d. h. eine Erstreckung auf drei Geschlechtsfolgen oder Menschenalter, auf 50 oder 30 Jahre, regelmäßig jedenfalls eine längere Frist, so daß das in das Unternehmen gesteckte Kapital in der Zwischenzeit verzinst und getilgt bzw. abgeschrieben werden kann. Die rechtliche Möglichkeit der Verlängerung auf dieselbe oder auf eine kürzere Zeit auf Grund entsprechenden rechtzeitig vor Ablauf der Frist eingebrachten Gesuchs kann, sofern erhebliche Gründe des öffentlichen Wohls nicht entgegenstehen, vorgesehen sein. Es pflegt dann im Gesetz und in der Verlei41 Vgl. hierzu 0. Mayer, a. a. 0., S. 265 ff. 42 Vgl. auch z. B. Pr. OVG, Bd. 23, S. 247 (Verzicht auf Fährgerechtigkeit). 43 Vgl. auch z. B. für das frühere R § 5 Abs. 2 FürsPflichtVO vom 13. Februar 1924, wonach das Land die Übertragung einzelner Aufgaben auf Verbände oder Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege nach Anhörung des FürsVerbandes und der Vertretung der beteiligten freien Wohlfahrtspflege zurücknehmen kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.
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hungsurkunde auch bestimmt zu sein, was im Falle des Erlöschens der Verleihung mit den Anlagen und Einrichtungen des Unternehmens geschieht, etwa in dem Sinne, daß der Verleihende sie nach einem bestimmten Maßstab unter Berücksichtigung des derzeitigen Werts, wobei der Wert der - ja erloschenen - Verleihung selbstverständlich ausscheidet, übernehmen kann oder dgl. Auch pflegt im Gesetz oder in der Verleihung eine Anfangsfrist bestimmt zu sein, beginnend mit dem Wirksamwerden der Verleihung, innerhalb der mit dem Bau und dem Betrieb des Unternehmens begonnen werden muß, widrigenfalls die Verleihung erlischt, etwa so, daß unter Berücksichtigung der vorhandenen Verhältnisse innerhalb eines Jahres mit dem Unternehmen und dem Betrieb begonnen sein muß; ebenso pflegt für den Fall, daß das Unternehmen in Betrieb genommen ist, eine Endfrist bestimmt zu sein, über die hinaus das Unternehmen nicht eingestellt werden darf, ohne daß die Verleihung erlischt, je nach der größeren oder geringeren Bedeutsamkeit des Unternehmens für die öffentlichen Belange eine kürzere oder längere Frist (unbeschadet einer etwaigen Verwirkung, vgl. oben Ziff. 2), etwa 1 oder 3 Jahre, soweit nicht eine Genehmigung zur vorübergehenden Einstellung oder Fristverlängerung entsprechend den näheren Bestimmungen im Gesetz oder in der Verleihung erteilt ist. 4) Rückerwerb (sog. "Rückkauf")
Es kann im Gesetz oder in der Verleihung vorbehalten sein, daß das verleihende Gemeinwesen das verliehene Unternehmen jederzeit oder unter bestimmten Voraussetzungen vorzeitig - d. h. vor Ablauf der Berechtigungszeit -, sei es etwa auch erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit, zurückerwerben, d. h. durch Verwaltungsverfügung an sich ziehen kann, und zwar grundsätzlich, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur gegen volle Entschädigung des Werts des Unternehmens unter Berücksichtigung der noch bestehenden Berechtigung und der Berechtigungsdauer sowie der dazu dienenden Anlagen und Einrichtungen, etwa unter Zugrundelegung des Schätzungswerts der Anlagen und der Betriebsgegenstände sowie des Reinertrags der letzten - z. B. 3 oder 5 - Jahre. Eiln bürgerlich-rechtlicher Kaufvertrag liegt hier nicht vor, weshalb die Bezeichnung "Rückkauf" unzutreffend ist; es handelt sich vielmehr um einen besonders vorbehaltenen vorzeitigen Widerruf der Verleihung, verbunden mit einem gleichzeitig vorbehaltenen Rückerwerbsrecht. Dieses Rückerwerbsrecht kann von Bedeutung sein neben dem Heimfallrecht nach dem Fristablauf, weil die Gefahr besteht, daß in den letzten Jahren der Berechtigung die Anlagen vernachlässigt werden und kein erhebliches Kapital mehr in das Unternehmen gesteckt wird, da nicht damit gerechnet wird, daß der
Obergangserscheinungen
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Aufwand während der noch verbleibenden Betriebszeit voll wieder eingebracht werden kann. f) Der Heimfall Bei allen Endigungsgründen tritt der Heimfall des Unternehmens, d. h. der Rückfall, an den Träger öffentlicher Verwaltung ein, von dem dieses Stück öffentlicher Verwaltung abgezweigt worden war. Ob das verleihende Gemeinwesen die Gegenstände, die bisher dem öffentlichen Unternehmen gewidmet waren, übernimmt, ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der freien Vereinbarung mit dem bisherigen Unternehmer überlassen; regelmäßig tritt dabei- anders als im Falle der Ausübung des Rückerwerbsrechts - eine Entschädigung nach dem derzeitigen Wert der vorhandenen Anlagen als solcher ein. Eine Entschädigung wegen des Erlöschens des öffentlichen Unternehmens als solchen und wegen des aus der Einstellung des Betriebs sich ergebenden Ausfalls an Einnahmen kommt hierbei selbstverständlich nicht in Frage. Nach dem Heimfall an das verleihende Gemeinwesen, d. h. regelmäßig an den Staat, kann dieser nunmehr das Unternehmen in eigener Hand behalten oder es von neuem weiterverleihen". II. tlbergangserscheinungen
Zwei Fälle sind hier zu erwähnen: Das aus öffentlichen Mitteln unterstützte oder "ausgestattete" private Unternehmen und der staatlich gebundene Beruf, von denen jenes mehr einen sachlichen, dieser mehr einen persönlichen Gehalt aufweist. a) D a s a u s g e s t a t t e t e p r i v a t e U n t e r n e h m e n Dem verliehenen öffentlichen Unternehmen (o. Ziff. I) steht gegenüber das ausgestattete private Unternehmen. Darunter kann man verstehen den Fall, in dem eine nicht auf dem Boden des öffentlichen Rechts sich bewegende, insbesondere rein privatwirtschaftliche, Tätigkeit von Privatpersonen durch öffentliche Mittel eines Gemeinwesens unterstützt, "bezuschußt" wird, wegen der Bedeutung, die diese Tätigkeit für die öffentlichen Belange hat. Die Gewährung solcher Zuschüsse wird regelmäßig an bestimmte Bedingungen und deren Einhaltung geknüpft, mit Bezug worauf eine Überwachung durch die öffentliche Gewalt stattfindet. Es handelt sich hierbei um eine eigentümliche Überf.
44 Vgl. dazu auch Merk, Das wasserrechtliche Heimfallsrecht, in Zeitschr. bad. Verw., Jg. 1924, S. 85 ff.
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§ 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung
gangserscheinung von privater Tätigkeit zu öffentlicher Verwaltung, wenn es auch der Form nach sich noch um private Tätigkeit handelt. Es liegt nur eine mittelbare Einwirkung eines Gemeinwesens auf private Tätigkeiten, die der Allgemeinheit zugute kommen, von der geldlichen Seite her vor, z. T. um sie überhaupt zu ermöglichen oder anzuregen; aber eine Verleihung eines Stücks öffentlicher Verwaltung an das betr. private Unternehmen - wie beim beliehenen Unternehmen, vgl. o. Ziff. I - liegt hier nicht vor; öffentliche Verwaltung begegnet hier nur in der Gewährung, d. h. Zurverfügungstellung, des Zuschusses oder der sonstigen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln oder in deren Versagung und ggf. in der Aufsicht über die Einhaltung der Bedingungen, unter denen die Gewährung erfolgt ist. Die Unterstützung kann bestehen insbesondere in der Gewährung eines sog. verlorenen Zuschusses, aber auch von Darlehen (namentlich unverzinslich oder zu verbilligtem Zinsfuß) oder in der Übernahme von Bürgschaften, Gewährleistungen oder sonstigen Sicherheitsleistungen. DieTätigkeiten des betr. Unternehmers sind, wie gesagt, rechtlich noch private und sind verwaltungsrechtlich noch nicht zu unmittelbaren Gemeinschaftsaufgaben des Staates oder eines sonstigen Trägers öffentlicher Verwaltung gemacht, etwa auch zum Zwecke der Weiterverleihung an Private; aber diese Tätigkeiten haben doch Bedeutung für die Allgemeinheit- öffentliche Belange sind, wie schon gesagt, im Spiele -, so daß sozusagen von einer Vorstufe für eine öffentliche Verwaltung gesprochen werden kann, ohne freilich, daß diese sich in der Folgezeit anzuschließen braucht, u. a. auch deshalb, weil das öffentliche Gemeinwesen nicht den gesamten in Betracht kommenden Kostenaufwand oder das mit dem Unternehmen verbundene wirtschaftliche Wagnis auf sich zu nehmen gewillt ist, andererseits ein privater Unternehmer - etwa unter der Voraussetzung einer Beihilfe aus öffentlichen Mitteln, insbesondere auch wegen einer etwaigen Mehrbelastung - bereit wäre, in der betr. Richtung tätig zu werden. Diese Einrichtung war in neuerer Zeit namentlich in England verbreitet, indem dort unter Vermeidung entsprechender staatlicher Verwaltung die Gewährung von Staatszuschüssen bei gewissen privaten Tätigkeiten, für deren Verrichtung öffentliche Belange in Frage kommen, an die Einhaltung gewisser Bedingungen unter Staatsaufsicht gebunden ist, wie z. B. mit Bezug auf die privaten Volksschulen; diesen werden unter der Voraussetzung der Übernahme eines bestimmten Lehrplanes und einer geeigneten Ausbildung der Lehrkräfte staatliche Zuschüsse gewährt, wobei durch staatliche Aufseher (inspectors) die Einhaltung dieser Bedingungen überwacht wird. Bei uns gehören dahin z. B. die Gewährung von Zuschüssen für gemeinnützige Unternehmen auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege (Caritas, Innere Mission usf.), die
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Gewährung von Zuschüssen z. B. für überseeische Schiffahrts- oder Fluglinien, die für die regelmäßige Beförderung von Postgut nach und von bestimmten Anlandestellen tätig sind (früher sog. Postdampfer). Die in Rede stehende Erscheinung tritt neuerdings namentlich nach dem 2. Weltkrieg in starkem Maße auf dem Gebiete der Wirtschaft und Gesellschaft zu deren Erhaltung und Förderung nach bestimmter Richtung aus öffentlichen Mitteln hervor, im Sinne einer Einwirkung - Lenkung und Steuerung - auf das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben aus Gründen des öffentlichen Wohls; so z. B. bei dem allg. Wiederaufbau, dem Neubau der deutschen Handelsflotte, zum Schutze der heimischen Landwirtschaft oder sonstiger notleidender Wtrtschaftszweige, beim sozialen Wohnungsbau usf. 45 • Vgl. auch Art. 74 Ziff. 13 und 17 GG. 45 Vgl. hierzu insbesondere das NotG für die deutsche Hochseefischerei vom 16. März 1950 (BGBl. S. 44), das G über Darlehen zum Bau und Erwerb von Handelsschiffen vom 27. September 1950 (BGBl. I S. 684) mit d. DurchfVO v. 22. Dezember 1950 (BGBl. 1951 I S. 69); die GasölbetriebsbeihilfeVO -Landwirtschaft vom gleichen Tage (RGBl. I S. 90) und die Zweite VO vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 842); das G über die Kreditanstalt für Wiederaufbau i. d. F. vom 18. Oktober 1961 (BGBl. I S. 1878); das G über die Verwaltung des ERP Sondervermögens vom 31. August 1953 (RGBl. I S. 1312); das G zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau i. d. F. vom 30. November 1954 (RGBL I S. 359); das 1., 2. und 3. G über die Übernahme von Sicherheitsleistungen u. Gewährleistungen zur Fördernng der deutschen Wirtschaft vom 21. Juli 1951 (BGBl. I S. 471), 9. Juni 1953 (BGBl. I S. 380), 6. Dezember 1954 (BGBl. I S. 365), mit dem ErgG vom 17. Mai 1957 (BGBl. I S. 517); das 1.-7. G über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft (bis zum Betrage von 9,5 Milliarden DM) vom 4. September 1950 (BGBl. I S. 447), 20. April 1951 (BGBl. I S. 255), 22. Februar 1952 (BGBl. I S. 122), 9. Juni 1953 (BGBl. I S. 381), 24. November 1954 (BGBl. I S. 356), 22. November 1955 (BGBl. I S. 727) und vom 11. Oktober 1957 (BGBl. I S. 1717); das G zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung vom 15. Mai 1953 (BGBL I S. 224); das G über die Förderung des Wohnungsbaus für Umsiedler in den Aufnahmeländern und des Wohnungsbaus für Sowjetflüchtlinge in Berlin vom 30. Juli 1953 (BGBl. I S. 712), das WohnungsbauprämienG i. d. F. vom 21. Dezember 1954 (BGBl. I S. 482); das LastenausgleichsG vom 14. August 1952 (BGBl. I S. 446) mit spät. Änd. (§ 308); das BundesvertriebenenG vom 14. August 1957 i. d. F. vom 23. Oktober 1961 (BGBL I S. 1883), §§ 72 ff.; die Getreidepreisgesetze, z. B. 1956/57 vom 22. Juni 1956 (BGBL I S. 511), §§ 1, 3, 8 und 1960/61 vom 28. Juli 1960 (BGBl. I S. 597); das Milch- u. FettG i. d. F. vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811: insbesondere §§ 12, 22), abg. durch G vom 4. August 1960 (BGBl. I S. 649); das GetreideG i. d. F. vom 24. November 1951 (BGBl. I S. 901), abg. durch G vom 22. Dezember 1959 (BGBl. I S. 784), vom 27. Juni 1960 (BGBl. I S. 479) und vom 23. Februar 1961 (BGBl. I S. 117); das G über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr vom 1. Oktober 1953 (BGBl. I S. 1453: § 33 über den Ausgleich widerstreitender Verkehrsbelange); das FischG vom 31. August 1955 (BGBl. I S. 567: §§ 3 ff.); das G zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft vom 31. März 1956 (BGBl. I S. 239), abg. durch G vom 27. Juli 1961 (BGBl. I S. 1081); das LandwirtschaftsG vom 5. September 1955 (BGBl. I S. 565: der sog. "Grüne Plan"); das Erste und Zweite WohnungsbauG vom 24. April 1950 i. d. F. vom 25. August 1953 (BGBl. I S. 1047) bzw. vom 27. Juni 1959 (BGBl. I S. 523) m. spät. Änd.; das InvestitionshilfeG vom 7. Januar 1952 (BGBl. I S. 7) mit spät. Änd. Zum Schrifttum vgl. insbesondere E. R. Huber, WirtschaftsverwR, 2. Aufl., Bd. 2 (1954), S. 200, 230 ff., 258 ff.; Köttgen, Subventionen als Mittel der Verwaltung,
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§ 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung
Die Beihilfe kann einstufig in öffentlich-rechtlicher Form erfolgen - so, abgesehen von der Ablehnung eines entsprechenden Antrages, die u. U. nach fruchtlosem Widerspruch zu einer Anfechtungsklage berechtigen kann, insbesondere bei sog. verlorenen Zuschüssen - oder unter Verwendung bürgerlich-rechtlicher Formen, wie regelmäßig bei Darlehen, Bürgschaften oder sonstigen Sicherheitsleistungen (vgl. auch §§ 45 a ff. RHaushaltsO); es kann hier aber auch eine "Zweistufigkeit" (Ipsen) vorliegen, indem eine ausdrückliche öffentlich-rechtliche Bewilligung und zum Vollzug ein bürgerlich-rechtliches Rechtsgeschäft (Darlehen usw.) vorgenommen wird; aber auch sonst ohne eine solche ausdrückliche Bewilligung ist in dem bürgerlich-rechtlichen Rechtsgeschäft zugleich in schlüssiger Handlung ein öffentlich-rechtlicher Vorgang enthalten (so auch BVerwGE Bd. 1 S. 309 f.). Eine Schenkung im bürgerlich-rechtlichen Sinne liegt hier nirgends vor: die Leistung der öffentlichen Verwaltung ist zweckbestimmt und von einer Leistung des Empfängers nach bestimmter Richtung abhängig gemacht, so daß sie bei nicht zweckgemäßer Verwendung oder Leistung i. S. einer öffentlichrechtlichen Verbindlichkeit zurückgefordert werden kann. Vgl. hierzu auch wegen des zu machenden Unterschieds zwischen öffentlich-rechtlichem und bürgerlich-rechtlichem Rechtsverhältnis z. B. § 102 des Zweiten WohnungsbauG vom 27. Juni 1956 (BGBl. I S. 523). Die Beihilfen können in der Verfassung, im Gesetz, in einer auf Grund des Gesetzes erlassenen VO oder auch ohnedies im Haushaltsplan (i. S. einer Ermächtigung der vollziehenden Gewalt) vorgesehen sein, da eine besondere gesetzliche Grundlage auch im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG nicht erforderlich erscheint (vgl. auch BVerwGE Bd. 6 S. 287). Da es sich auch hier um eine Betätigung der öffentlichen Verwaltung handelt, sind dabei allgemeine verfassungsgesetzliche und sonstige gesetzliche Bestimmungen ggfs. zu beachten, wie insbesondere z. B. der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG; vgl. auch noch §§ 45 c, 64 a RHaushO i. d. F. vom 13. Dezember 1933 (RGBl. II S. 1007). Im übrigen kann eine solche Förderung auch ohne unmittelbare Zuwendungen der erwähnten Art erfolgen, z. B. durch bestimmte staatliche Preisfestsetzungen, wie bei den Getreidepreisen (die bei uns jährlich festgesetzt zu werden pflegen) 46 , durch Auftragszuwendungen, in DVBl. 1953, S. 485 ff.; Scheunerund Schüle, Die staatliche Intervention im Bereiche der Wirtschaft, in VVDStRL, Heft 11 (1954), S. 41 ff. bzw. 94 ff; Ipsen, Rechtsfragen der Investitionshilfe, in Arch. d. öff. R, Bd. 78, S. 284 ff.; ders., Öff. Subventionierung Privater, in DVBl. 1956, S. 461 ff., 498 ff., 603 ff. (mit weiteren Schrifttumsangaben). - Für die Schweiz vgl. außer den Bestimmungen der Bundesverf. (z. B. Art. 23, 23 a, 27, 31) insbesondere D. Schindler, Die Bundessubventionen als Rechtsproblem (1952). 46 Vgl. z. B. das GetreidepreisG von 1956/57 vom 22. Juni 1956 (BGBl. I S. 511). Die Getreidepreisgesetze bezwecken die Sicherstellung der Ernährung der Einwohner des Bundesfreistaates durch Regelung der Getreideeinfuhr unter Aufrechterhaltung des Preisstandes im Inland: BVerwGE Bd. 3, S. 217.
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Ausfuhrförderung, Frachtenverbilligung, verbilligten Rohstoffbezug, Schutzzölle, steuerpolitische Maßnahmen usf47 • Eine Bezuschussung ist übrigens - was hier nicht weiter in Betracht kommt- aber auch denkbar mit Bezug auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die Träger öffentlicher Verwaltung selbst. So - von den staatlichen Zuwendungen an die Kirchen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften hier abgesehen - im Bundesstaate durch Finanzbeihilfen des Bundes an leistungsschwache Länder (vgl. z. B. das Gesetz über die Finanzbeihilfe für das Land SchleswigHolstein v. 29. März 1951, BGBl. I S. 217) oder durch einen Lastenausgleich zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Ländern (vgl. Art. 107 Abs. 2 GG u. das LänderfinanzausgleichsG v. 27. April 1955, BGBl. I S. 199, ersetzt durch das LänderfinAusglG 1958, BGBl. I S. 73, abg. durch G v. 30. Juli 1960, BGBl. I S. 637, und vom 10. Mai 1961, BGBl. I S. 517) usw., ferner durch Zuwendungen seitens des Staates an die Träger von Selbstverwaltung, etwa bei Leistungsschwäche, z. B. an kleinere Gemeinden, insbesondere in Fällen nicht ertragsabwerfender Aufwendungen wie beim Bau neuer Schulhäuser oder neuer Straßen oder bei der Erstellung von Wasserversorgungsanlagen mittels außerordentlicher Zuschüsse, wo ein Lastenausgleich unter mehreren gleichartigen oder höheren Selbstverwaltungskörperschaften (Gemeinden, Gemeindeverbänden), wie z. B. die Unterstützung von leistungsschwachen Gemeinden durch Kreise, nicht vorgesehen oder unzureichend ist48 ; weiter die Zuschüsse des Staates (Bundes) an Träger sozialer Versicherung (vgl. insbesondere§ 1389 RVO, § 116 AngVersG). b) Der staatlich gebundene Be r u f 4 v Es handelt sich hier an sich um freie Berufe, deren Wahrnehmung aber zugleich öffentlichen Belangen dient. Deren Träger sind daher mit 47 Vgl. z. B. die in § 3 d. 2. WohnbauG vom 27. Juni 1956 aufgezählten Maßnahmen zur Wohnungsbauförderung: Einsatz öffentl. Mittel, Übernahme von Bürgschaften, Gewährung von Prämien für Wohnbausparer, Bereitstellung von Bauland, Maßnahmen zur Baukostensenkung, Beitragsvergünstigung i. d. Unfallversicherung, Steuer- und Gebührenvergünstigungen, Vergünstigungen bei vorzeitiger Rückzahlung öffentlicher Mittel, Auflockerung der Wohnraumbewirtschaftung, Auflockerung der Mietpreisbindung. Vgl. ferner das G über steuerliche Maßnahmen zur Förderung d. Ausfuhr i. d. F. vom 18. September 1953 (BGBl. I S. 1378) mit der DurchfVO i. d. F. d. Bek. vom 31. Dezember 1954 (BGBl. I S. 7), und die VO über Steuervergünstigungen zur Förderung des Baus von Landarbeiterwohnungen i. d. F. vom 16. Juli 1958 (BGBl. I S. 524). 48 Vgl. auch das G über eine Bundesbürgschaft für Kredite zur Finanzierung der Lebensmittelbevorratung vom 14. Juli 1951 (BGBl. I S. 450), abg. d. G vom 6. August 1953 (BGBl. I S. 883) und vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 1057) über die Ermächtigung des Bundesfinanzministers zur Übernahme von Bürgschaften bis zum Betrage von 1,5 Milliarden DM für bestimmte Kredite. 4 v Vgl. hierzu vor allem H. Triepel, Staatsdienst u. staatlich gebundener
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§ 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung
besonderen öffentlich-rechtlichen Pflichten - Berufspflichten -, z. T. aber auch besonderen Befugnissen, gegenüber anderen freien Berufen oder dem freien Gewerbe mit Bezug auf die Ausübung des Berufs ausgestattet, aber doch so, daß weder ein vom Staat aus seinen Hoheitsbefugnissen abgeleitetes und verliehenes Unternehmen, wie in den oben (Ziff. I) besprochenen Fällen, noch ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis nach Art des Beamtenverhältnisses hier vorliegt; es wird nicht im Namen des Staates in Ausübung eines Amtes, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung gehandelt, wenn sich auch manche vergleichbare Ähnlichkeiten mit jenen Gestaltungen ergeben mögen. Wenn die betr. Personen auch durchweg die in Betracht kommenden Berufe frei einschlagen können (Art. 12 GG), so unterliegen sie doch mit Bezug auf die Art und Weise der Ausübung des einmal übernommenen Berufs einer besonderen Aufsicht des Staates oder der von diesem bestimmten öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Sie können auch zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Berufspflichten und zu einem ihrer besonderen Berufsstellung angemessenen Verhalten innerhalb und außerhalb der Berufstätigkeit - z. B. durch Warnung, Verweis oder Geldstrafe - angehalten, und es kann bei schweren Verstößen ihnen ihre besondere Rechtsstellung durch standesgerichtliches Erkenntnis oder durch Rücknahme (Widerruf) der Bestallung usw. entzogen werden. Dahin gehören u. a. insbesondere: 1) Die Berufe der Rechtsanwälte wie auch der Patentanwälte (vgl. §§ 1, 5 ff. Gesetz über die Patentanwälte vom 21. Mai 1900, RGBI. S. 233), der Notare (vgl. die BNotO i. d. F. d. Bek. v. 24. Febr. 1961, BGBl. I S. 97), der Ärzte, Tierärzte, Zahnärzte und Apotheker. Während diese Berufe früher als rein private aufgefaßt wurden- soweit sie nicht später vorübergehend einmal, wie namentlich in der Zeit des unbeschränkten Fürstenstaates die Rechtsanwälte, vereinzelt auch die Ärzte, zu Beamten gemacht wurden- und z. B. die Verhältnisse der Heilpersonen zunächst noch in der RGewO (§ 29) geregelt waren, ist im Laufe der Zeit eine besondere öffentlich-rechtliche Gebundenheit dieser Berufe trotz deren grundsätzlich privaten Eigenschaft gegenüber dem Staat getreten. In den neueren Gesetzen ist ausgesprochen, daß es sich hier um eine öffentliche Aufgabe und im allgemeinen auch nicht um ein Gewerbe handle, daher z. B. auch keine Gewerbesteuer für diese freiberuflichen Tätigkeiten in Betracht kommt; vgl. z. B. den Vorspruch des 2. Gesetzes zur Änderung der RechtsanwaltsO vom 13. Dezember 1935 (RGBI. I S. 1470) und jetzt §§ 1, 2 BRAnwO vom 1. August 1959 Beruf, i. d. Festschr. f. K. Binding (1911), Bd. 2, S. 1 ff. Triepel spricht hier von "nichtamtlichen, aber staatlich gebundenen Berufen" mit der Bezeichnung von "Halbbeamten" (S. 18 f.), indem diese Personen kraft öff. R für die ordnungsmäßige Ausübung ihres Berufs in besonderer Weise verantwortlich sind.
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(BGBl. I S. 565), § 1 RÄrzteO vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1435) und jetzt § 1 BÄrzteO vom 2. Oktober 1961 (BGBL I S. 1857), § 1 RTierärzteO vom 3. April 1936 (RGBl. I S. 347), § 1 Abs. 3 Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31. März 1952 (BGBl. I S. 221), §§ 1, 2 BNotarO - anders jedoch § 1 RApothekerG vom 18. April 1937 (RGBL I S. 437) und jetzt § 1 Gesetz über das Apothekenwesen vom 20. August 1960 (BGBl. I S. 697), wo der Zusatz, daß es sich um kein Gewerbe handle, fehUS 0 • Dazu sind dann noch gekommen die öffentlich bestellten Vermessungsingenieure nach der BerufsO vom 20. Januar 1938 (RGBl. I S. 40), die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer (§ 1 WirtschPrüfO vom 24. Juli 1961, BGBl. I S. 1049) sowie die Steuerberater und die Steuerbevollmächtigten (§ 1 SteuerberatungsG v. 16. Aug. 1961, BGBl. I S. 1301). Es handelt sich hier um höhere geistige Tätigkeiten im Dienste insbesondere der Rechtspflege und der Heilkunde oder der Verwaltung (vgl. schon RGZ Bd. 66 S. 143 ff.). Zur Ausübung dieser Tätigkeiten ist eine Bestallung erforderlich, die als persönliche Polizeierlaubnis aufzufassen ist (vgl. u. § 46) und auf Grund eines Studiums an den Hochschulen, bestandener Prüfungen und praktischer Vorbereitungszeit von der Verwaltungsbehörde erteilt wird. Regelmäßig geht die öffentlich-rechtliche Verpflichtung für diese Berufsangehörigen dahin, daß sie ihre Berufstätigkeit gewissenhaft ausüben und durch ihr Verhalten in Ausübung des Berufs sowie außerhalb desselben sich der Achtung würdig erweisen, die der Beruf erfordert. Rein private Berufe liegen also hier nicht vor, sondern es be;.. stehen gegenüber dem Staate besondere öffentlich-rechtliche Pflichten mit Bezug auf die Berufstätigkeit. Diese Personen sind sodann im Sinne des Selbstverwaltungsgedankens in öffentlich-rechtlichen Berufsvererntgungen als Selbstverwaltungskörperschaften zusammengefaßt (Rechtsanwaltskammern, Ärztekammern, Tierärztekammern, Zahnärztekammern, Apothekerkammern, Wirtschaftsprüferkammer, Berufs'kammern der Steuerberater und der Steuerbevollmächtigten usw.), welche die besondere öffentlich-rechtliche Aufsicht über die betr. Berufsangehörigen führen, soweit es der Staat nicht selbst tut; dieser führt wiederum die Staatsaufsicht über diese beruflichen Selbstverwaltungskörperschaften (vgl. auch oben § 26). Die Berufsangehörigen können bei Nichterfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Pflichten nach Art eines Dienststrafrechts mit Verweis, Ordnungsstrafe usw. belangt werden; ggf. kann ein Ausschluß aus dem Berufe, insbesondere auf Grund be:rufsgerichtlicher Entscheidung oder durch Rücknahme der Bestallung erfolgen (vgl. z. B. §§ 5 Abs. 1 Ziff. 4, 57 ff. RÄrzteO undjetzt § 5 BÄrzteO v. 2 Okt. 1961). 50 Es handelt sich vielmehr um ein Gewerbe (so i. S. des Art. 74 Ziff. 11 GG: BVerfGE Bd. 5 S. 25).
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§ 28. Die verliehene öffentliche Verwaltung
Ähnliches gilt auch für den Beruf der Hebamme nach dem HebammenG vom 21. Dezember 1938 (RGBl. I S. 1893) 51 • Auf besondere Erweiterungen der Rechtsstellung kann hier nicht näher eingegangen werden; vgl. z. B. § 36 des früheren Gesetzes über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900. 2) Die - an sich frei ausübbaren - Berufe der in § 36 GewO i. d. F. vom 5. Februar 1960 (BGBl. I S. 61) aufgeführten Gewerbetreibenden und sonstigen Berufstätigen können durch die von den Landesregierungen oder auf Grund deren Ermächtigung von den obersten Landesbehörden beeidigt und öffentlich bestellt werden. Es handelt sich um Personen, die als Sachverständige gewerbsmäßig tätig sind oder werden wollen oder die auf dem Gebiete der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaus als Sachverständige tätig sind oder werden wollen, ohne Gewerbetreibende zu sein, sowie um Personen, die auf dem Gebiete der Wirtschaft bestimmte Tatsachen in Bezug auf Sachen, insbesondere die Beschaffenheit, Menge, Gewicht oder richtige Verpackung von Waren feststellen oder die ordnungsmäßige Vornahme bestimmter Tätigkeiten überprüfen; in der früheren Fassung dieser Vorschrift waren besonders aufgeführt die Feldmesser, Güterbestätiger, Schaffer, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer usw. Die Landesregierungen können die zur Durchführung erforderlichen Vorschriften über die Voraussetzungen für die Bestellung sowie über die Befugnisse und Verpflichtungen dieser Personen durch RechtsVO erlassen. Es kann so ihren Handlungen gemäß diesen Vorschriften insbesondere eine besondere Glaubwürdigkeit beigelegt oder an sie besondere rechtliche Wirkungen geknüpft werden. Wegen der Möglichkeit der Stellvertretung vgl. § 47 GewO, wegen der Rücknahme der Bestellung wegen Unzuverlässigkeit § 53 Abs. 2 Gew052• Es handelt sich 51 Dagegen werden die öffentlichen Notare als "unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiete der vorsorgenden Rechtspflege in den Ländern" bestellt, haben also ein öff. Amt, sind aber nicht Beamte (vgl. nach dem Vorgang der§§ 1 ff. RNotarO vom 13. Februar 1937, RGBl. I S. 194, jetzt §§ 1 ff. BNotarO vom 24. Februar 1961, BGBI. I, S. 98; Art. 98 württ. AG z. BGB) im Gegensatz zu den württ. Bezirksnotaren (Art. 95) u. zu den bad. Notaren als Beamten (vgl. dazu§§ 114 ff. BNotarO). Nach BVerfGE, Bd. 4, S. 74 besteht eine Bundeszuständigkeit bei den Heilberufen nur für das Zulassungswesen (Art. 74 Ziff. 19 GG), nicht auch für die Berufsgerichtsbarkeit, was im Hinblick auf Art. 74 Ziff. 1 GG nicht einleuchtet, da und sofern es sich um echte Gerichte handelt. 52 Wegen der Fleischbeschauer, die für Beschaubezirke- i. d. R. Tierärztezu bestellen sind, vgl. § 4 FlBeschG vom 29. Oktober 1940 (RGBI. I S. 1463), abg. durch G vom 15. März 1960 (BGBI. I S. 186); danach ist die Bildung der Beschaubezirke und die Bestellung der Beschauer Sache der Landesbehörden, wobei die Länder auch bestimmen, ob sie Beamte sind oder nicht.
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hier um Nachwirkungen früherer zünftlerischer Regelungen und Beschränkungen, denen im unbeschränkten Fürstenstaat entsprechende staatliche Regelungen gefolgt sind53 • 3) Die durch die öffentliche Verwaltungsbehörde bestellten Bezirksschornsteinfegermeister üben an sich eine private gewerbliche Tätigkeit aus und gehören als Gewerbetreibende dem Handwerk an. Aber ihre Tätigkeit entspricht öffentlichen Belangen. Aus Gründen der Feuersicherheit unterliegen alle Gebäude mit Schornsteinfeuerung dem Kehrzwang; es werden Kehrbezirke - möglichst entsprechend den Bezirksgrenzen der unteren Verwaltungsbehörde-fürSchornsteinfeger durch die höhere Verwaltungsbehörde eingerichtet, und zwar so, daß Kehrarbeiten nach Art eines Monopols nur von dem bestellten Bezirksschornsteinfegermeister mit seinen Gesellen und Lehrlingen vorgenommen werden dürfen, der für einen bestimmten Bezirk auf Widerruf bestellt ist. Er untersteht der Aufsicht und Ordnungsstrafgewalt der unteren Verwaltungsbehörde, hat aber keine Beamteneigenschaft. Die durch die höhere Verwaltungsbehörde festgesetzte Kehrgebühr ist eine öffentliche Last des Grundstücks, die von dem Eigentümer zu tragen ist und ggf. nach Feststellung durch die Aufsichtsbehörde wie Gemeindeabgaben beigetrieben werden kann. Es liegt also verschiedenes ÖffentlichRechtliche vor; der Bezirksschornsteinfegermeister hat vor allem eine monopolartige Rechtsstellung, so daß alle anderen von der gleichartigen Tätigkeit durch öffentlich-rechtliche Anordnung ausgeschlossen sind. Weiter aber ist der Bezirksschornsteinfegermeister als Feuerstättenschauer Beauftragter der Polizeibehörde. Vgl. § 39 GewO und §§ 1 ff., 27 ff., 40 ff. VO über das Schornsteinfegerwesen vom 28. Juli 1937 (RGBl. I S. 831 und 1134), sowie die Ausf. Anw. vom 28. Juli 1937 (RGBl. I. S. 841). 4) Auch der nichtbeamtete Privatdozent an den Hochschulen, der geschichtlich auf den freiberuflichen Doktor oder magister legens, d. h. der den Doktor- oder Magistergrad erlangt und damit lehrberechtigt war, zurückgeht 5\ ist hierher zu rechnen. Durch die Erteilung der Lehrberechtigung (venia legendi) durch die Fakultät bzw. auf Antrag der Fakultät durch das Ministerium wird er zur Lehrtätigkeit an der betr. Hochschule zugelassen. Die Pflichten und Rechte pflegen durch Privatdozentenordnungen näher geregelt zu sein. Durch die Erteilung von Lehraufträgen können sie darüber hinaus nach näherer landesrechtlicher Bestimmung insoweit die Pflichten und Rechte von Staatsbeamten erhalten. Infolge der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse seit dem 1. und 2. Weltkrieg werden jetzt regelmßig im Anschluß an die sa 54
Vgl. Triepel, a. a. 0., S. 82. Vgl. Triepel, a. a. 0., S. 37 mit dem dort weiter angeführten Schrifttum.
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§ 28.
Die verliehene öffentliche Verwaltung
Erteilung der Lehrberechtigung den Lehrberechtigten nach Maßgabe der verfügbaren Stellen mit Bezügen ausgestattete sog. Dozenturen unter Berufung in das Beamtenverhältnis als außerplanmäßiger Beamter auf Widerruf verliehen; demgemäß ist dann die Bezeichnung "Dozent".
Drittes Buch
Die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung
§ 29. Die allgemeinen Grundsätze für die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung Das Verwaltungsrecht hat es, wie in der Einleitung (o. § 1) bereits erwähnt, außer der Bestimmung, dem Aufbau und den Aufgaben der Träger der öffentlichen Verwaltung vor allem mit der Regelung ihrer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit für die Volksgemeinschaft und den einzelnen zu tun. Im unbeschränkten Fürstenstaat, in dem die Fülle der Staatsgewalt in der Hand des Herrschers vereinigt war und rechtlich sein persönlicher Wille das ganze öffentliche Leben bestimmte, gab es, wie früher ausgeführt, ein Verwaltungsrecht im eigentlichen Sinne des Wortes als öffentliches Recht, d. h. eine Staat und Untertanen zweiseitig bindende1 und durch unabhängige Gerichte voll wirksam geschützte Verwaltungsrechtsordnung, insbesondere auch mit Bezug auf die Tätigkeit der Träger der öffentlichen Verwaltung, nicht. Es gab hier im allgemeinen nur Dienstbefehle, allgemeine Dienstanweisungen oder Dienstbef€hle im Einzelfalle, seitens des Herrschers an die untergebenen Behörden und Beamten, wie sie die Verwaltung in seinem Auftrag zu besorgen hatten. Wohl konnte es auch "Gesetze" für den Bereich der Verwaltung geben; aber der Herrscher, der wie die gesetzgebende so auch die vollziehende Gewalt neben der höchsten richterlichen Gewalt zusammen besaß, konnte sich und die in seinem Dienst stehenden Beamten jederzeit davon freimachen, sie nach seinem Ermessen wie erlassen, so auch ändern und aufheben: handelte es sich doch nur um seine nach außen in besonderer Form kundgegebene Willensäußerung, wie die Behörden und Beamten in der Verwaltung, insbesondere gegenüber den Untertanen, tätig werden sollen. Als gegenüber den Mißbräuchen des unbeschränkten Fürstenstaates in der Zeit der Aufklärung der Gedanke des Eigenwertes der Persönlichkeit der einzelnen mit der Forderung der Sicherstellung ihres Lebens, ihrer Freiheit und ihres Eigentums gegenüber der Staatsgewalt sich durchsetzte und in den seit Ende des 18. Jahrhunderts aufkommenden Verfassungsurkunden in den Bestimmungen über Grundrechte und Gewaltentrennung ihren Niederschlag fand, kam es rechtlich erst zu einer 1 Vgl. R. v. Ihering, Zweck im Recht, Bd. 1, S. 344: "Recht im vollen Sinne des Wortes ist ... die zweiseitig verbindende Kraft des Gesetzes; die im Gesetz an die Untertanen gerichtete Vorschrift enthält immer auch das entsprechende Soll für die Behörde, nämlich, entsprechend zu verfahren: ebda. S. 377. Vgl. dazu auch 0. Mayer, VerwR, Bd.l, S. 74 f.
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§ 29. Allg. Grundsätze für die Tätigkeit der öffentl. Verwaltung
zweiseitig bindenden Rechtsordnung der öffentlichen Verwaltung im Verfassungs- und Rechtsstaat (vgl. o. § 11). Dies gilt in Deutschland nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Führerstaats mit der Gewaltenvereinigung in der Hand des Führers im Sinne einer unbeschränkten Führergewalt auch jetzt wieder in dem neu aufgerichteten sozialen. Rechtsstaat nach dem GG für den Bund und die Länder (Art. 20,28 GG). Die Ordnung der Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung im sozialen Rechtsstaat ist gekennzeichnet durch zwei Hauptgrundsätze, nämlich den Grundsatz der Volksoberherrlichkeit und Volksherrschaft (vgl. u. Ziff. I) und sodann durch den Grundsatz der sozialen Rechtsstaatlichkeit (vgl. u. Ziff. II).
I. Der Grundsatz der Volksoberherrlichkeit und der Volksherrschaft Er besagt, daß alle Staatsgewalt, und damit wie die Gesetzgebung und Rechtspflege, so insbesondere auch die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung, von dem im Staate rechtlich zur Einheit zusammengefaßten Volke und der von ihm gegebenen Verfassung als der Grundordnung des Staates ausgeht, und, soweit sie nicht vom Volke unmittelbar in Wahlen und Abstimmungen unmittelbar betätigt wird, sie entsprechend dem Grundsatze der Gewaltentrennung durch besondere Willensträger, wie der gesetzgebenden und der richterlichen Gewalt, so auch der vollziehenden Gewalt, zu der nach dem früher Ausgeführten (o. § 4) die Regierung und die Verwaltung gehören, ausgeübt wird (vgl. Art. 20 GG). Entsprechend der volksherrschaftlich-parlamentarischen Regierungsweise geht im Bund und in den Ländern nach näherer Maßgabe der Verfassung die Regierung aus der vom Volke gewählten Volksvertretung als der gesetzgebenden Gewalt hervor und bedarf ihres Vertrauens zur Amtsführung. Der Bundespräsident - der von der Bundesvel'sammlung, d. h. den Bundestagsmitgliedern und ebensovielen von den Landtagen der Länder aus ihrer Mitte nach den Grundsätzen der Verhältniswahl hinzugewählten weiteren Mitgliedern gewählt wird als das Staatsoberhaupt und die Bundesregierung, die aus dem - vom Bundespräsidenten im allgemeinen vorgeschlagenen, vom Bundestag gewählten und vom Bundespräsidenten ernannten - Bundeskanzler und den - vom Bundespräsidenten auf den Vorschlag des Bundeskanzlers und den - vom Bundespräsidenten auf den Vorschlag des Bundeskanzlers ernannten- Bundesministern besteht, im Bunde und die Landesregierungen, die aus dem vom Landtag gewählten Ministerpräsidenten und den - von diesem ernannten - Landesministern bestehen, bzw. in den Stadtländern die von der Volksvertretung (Bür-
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gerschaft, Abgeordnetenhaus) gewählten Senate (vgl. o. § 22) in den Ländern, stellen die Spitze der vollziehenden Gewalt und somit auch der Verwaltung dar. Von diesen verfassungsmäßig unmittelbaren staatlichen Willensträgern, deren Rechtsstellung in der Verfassung des Bundes und der Länder bestimmt ist und die keinem anderen Willensträger dienstlich untergeordnet sind und ihre Berufung in das Amt auf die Wahl durch die Volksvertretung zurückführen, leiten die zur Handhabung der staatlichen Verwaltung Berufenen ihre Vollmacht und ihren Auftrag zur Verrichtung der Verwaltungstätigkeit, insbesondere durch Berufung in das Beamtenverhältnis und das Amt oder in das sonstige Dienstverhältnis zum Staate, her. Die dem Staate eingeordneten sonstigen Träger öffentlicher Verwaltung leiten aber vom Staate und vom staatlichen Gesetz die Befugnis zur Ausübung ihrer öffentlichen Verwaltungstätigkeit her. Nach dem Wegfall der Einherrschaft und der Einführung des volksherrschaftliehen Freistaates im Reiche bzw. Bunde und in den Ländern ist nach 1918 von einer eigenständigen Verwaltung, wie sie früher unter dem Herrscher noch in der Zeit der verfassungsmäßig beschränkten Einherrschaft zufolge der "anstaltliehen Spitze" des Staates (Gierke) bestand, keine Rede mehr.
II. Der Grundsatz der sozialen Rechtsstaatlichkeit Nach Art. 20 Abs. 1 und 3 GG ist die "Bundesrepublik Deutschland" ein volksherrschaftlicher (demokratischer) und sozialer Bundesstaat; die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden; nach Art. 28 GG muß auch in den Ländern die verfassungsmäßige Ordnung den Grundsätzen des freistaatlichen, volksherrschaftliehen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Der sich hieraus ergebende Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit enthält eine förmlich-rechtliche Seite - den Grundsatz der Herrschaft von Gesetz und Recht (vgl. u. Buchst. a) -, eine sachlich-rechtliche Seite den Grundsatz der sozialen Rechtsstaatlichkeit (vgl. u. Buchst. b)- und eine verfahrensrechtliche Seite - einen wirksamen Rechtsschutz dieser Ordnung (vgl. u. Buchst. c) -. a) D er Grund s atz der Herrschaft von Gesetz und Recht Die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung im Bund und in den Ländern ist zunächst bestimmt durch den Grundsatz der Herrschaft von Gesetz und Recht.
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Dieser Grundsatz besagt, daß die Verwaltungstätigkeit des Staates und der ihm eingeordneten sonstigen Träger der öffentlichen Verwaltung zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben unter dem Gesichtspunkte vor allem der Zweckmäßigkeit entsprechend dem Grundsatze der Gewaltentrennung grundsätzlich unter das Gesetz- Verfassung und Gesetz i. e. S. -als die Verkörperung des höchsten Staatswillens, wie er fortan von der verfassungs- bzw. gesetzgebenden Gewalt als der obersten Gewalt im Staate geäußert wird, gestellt ist; unter "Gesetz" ist dabei auch das vom Gesetz abgeleitete sonstige gesetzte Recht, aber auch das Gewohnheitsrecht als weitere Rechtsquelle zu verstehen (vgl. o. 1. Buch, 3. Abschn.). Gesetz bedeutet hier nichts anderes als Rechtssatz, wie dies in einzelnen Gesetzen (vgl. z. B. Art. 2 EG zum BGB) ausdrücklich gesagt ist. Wenn das Grundgesetz davon spricht, daß die vollziehende Gewalt an "Gesetz und Recht" gebunden ist, so wird damit im Hinblick auf die nationalsozialistische Zeit zugleich zum Ausdruck gebracht, daß nicht etwa der im" Gesetz" zum Ausdruck kommende willkürliche Befehl des Gesetzgebers oder eines im Staate anerkannten Machtträgers gemeint ist, sondern- entsprechend alter deutscher Rechtsüberlieferung- die unter dem Rechtsgedanken stehende verbindliche Anordnung von Rechtssätzen einschließlich der Erweiterungen, die sich bei deren Lückenhaftigkeit, insbesondere durch sog. Gesetzes- und Rechtsentsprechung usw., ergeben (vgl. o. § 16). Dieser Grundsatz der Herrschaft von Gesetz und Recht weist nun des näheren zweierlei verschiedene Untergrundsätze auf. Einmal bedeutet er verwaltungsrechtlich den Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung i. e. S. mit dem sog. Vorrang des Gesetzes - das "Recht" wird im folgenden nicht mehr besonders hervorgehoben -gegenüber jeder Art von Verwaltungstätigkeit, und sodann den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes 2 • Diese beiden Grundsätze stehen ihrerseits im engsten Zusammenhang mit den beiden verfassungsrechtlichen Hauptgrundsätzen der Gewaltentrennung und der Grundrechte in den Verfassungsurkunden.
1) Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Dieser Grundsatz hängt zusammen mit dem Grundsatz der Trennung der Gewalten, der, wie früher ausgeführt, einen Rückschlag gegen die Mißbräuche und die Willkür des unbeschränkten Fürstenstaates bedeutet; das gleiche gilt jetzt wiederum nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Führerstaates, gegenüber dessen Mißbräuchen für den sozialen Rechtsstaat. Nicht mehr wie im unbeschränkten Fürstenstaat und im nationalsozialistischen Führerstaat soll die Fülle der 2 Vgl. dazu 0. Mayer, a. a. 0., S. 64 ff.; R. Thoma, Der Vorbehalt des Gesetzes i. pr. VerfR, in Festgabe für 0. Mayer (1916), S. 167 ff.
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Staatsgewalt, Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtspflege, an einer Stelle vereinigt sein, wie dort in der Hand des Herrschers bzw. Führers, vielmehr sollen zum Schutze der Freiheit der einzelnen die so unterschiedenen Staatstätigkeiten - wenigstens in der Hauptsache - besonderen Willensträgern zugewiesen sein. Hierbei wird eine höchste Äußerungsform des Staatswillens geschaffen, die über den anderen Erscheinungsformen des Staatswillens steht. Nämlich infolge der Durchführung der Gewaltentrennung unter mit- oder alleinentscheidender Beteiligung einer Volksvertretung an der gesetzgebenden Gewalt wird der Wille des Trägers der gesetzgebenden Gewalt über den Willen der vollziehenden Gewalt, d. h. der Regierung und Verwaltung, und damit das Gesetz über die Tätigkeit der vollziehenden Gewalt gesetzt. Das Gesetz, durch das vor allem allgemeine Rechtssätze erlassen werden, wird im volksherrschaftliehen Freistaat (soweit das Volk nicht unmittelbar hierzu durch Volksbegehren und Volksabstimmung berufen ist, was im GG nur für den Fall der Neugliederung des Bundesgebietes in Art. 29 und Art. 118, weitergehend jedoch z. T. in den Landesverfassungen, vorgesehen ist und hier für das Weitere, weil es sich um Ausnahmen von der Regel handelt, außer Betracht gelassen werden kann) durch die Volksvertretung erlassen. Die Verwaltung steht unter dem Gesetz: das bedeutet, daß der Träger der gesetzgebenden Gewalt durch Gesetz Rechtssätze für den Bereich der Verwaltung erlassen kann, an die sie in ihrer Tätigkeit gebunden ist. Das Volk nimmt durch die Volksvertretung bestimmende Einwirkung auf die Verwaltung durch den Erlaß von Gesetzen für die Verwaltung, aber auch durch die Überwachung ihrer Ausführung. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bedeutet aber nach deutschem Recht regelmäßig nicht, daß die Verwaltung überhaupt für jede einzelne Verwaltungshandlung einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf und ohne eine solche überhaupt nicht tätig werden darf, soweit nichts anderes im Gesetz bestimmt ist; eine derartige Regelung findet sich allerdings in der Österreichischen Bundesverfassung von 1920, wo in Art. 18 Abs. 1 bestimmt ist: "Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden" 3 • Es muß sich nach der Einführung des Verfassungsund Rechtsstaates freilich um eine Tätigkeit handeln, zu deren Vornahme eine Ermächtigung in der Verfassung oder im Gesetz gegeben ist; aber diese Ermächtigung kann ganz allgemein gehalten sein, wie z. B. auf dem Gebiete der allgemeinen Ermächtigungen der Polizei, und ergibt sich z. T. schon aus Art, Zuständigkeit und Aufgabenbestimmung der Verwaltungsträger und Verwaltungsstellen, ähnlich wie dies auch, und zwar in ausgeprägtem Maße, für Maßnahmen auf dem Gebiete der auswärtigen Verwaltung gilt - von gewissen Schranken abgesehen, 3
Vgl. Merkl, Allg. VerwR, S. 168 f.
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wie insbesondere hinsichtlich der Verträge über politische Beziehungen des Bundes und über Gegenstände der förmlichen Bundesgesetzgebung (vgl. Art. 110, 115, 59 Abs. 2 und Art. 59 a Abs. 4 GG, § 14 pr. PVG) -. Auch bedeutet der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht, daß die Verwaltung in ihrem Handeln inhaltlich nach jeder Richtung hin auf einen bloßen Vollzug des Gesetzes angewiesen wäre (vgl. dazu o. § 4). Das "Gesetz" kann im übrigen, wie früher schon erwähnt, außer Rechtssätzen auch sonstigen Inhalt aufweisen, z. B. bloße dienstliche Anweisungen an Behörden (wie z. B. bei Sollvorschriften über die Anhörung anderer Stellen vor Erlaß eines Verwaltun~sbeschei:des; vgl. auch § 33 Abs. 3 pr. PVG und dazu Pr. OVG Bd. 100 S. 157) usf.: Rechtssätze enthalten die Gesetze nur, so weit sie den Willensmachtkreis von Rechtspersönlichkeiten untereinander abgrenzen, hier auf dem Gebiete der Verwaltung im Verhältnis der Träger der öffentlichen Verwaltung zu den Verwalteten oder zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung untereinander. Diese Rechtssätze, gleichviel, ob sie in einem Gesetz oder in einer davon abgeleiteten Rechtsquelle - Verordnung, Satzung, Vereinbarung - enthalten sind, sind für die Verwalteten und die Verwaltung somit zweiseitig verbindlich, und zwar schlechthin, soweit nichts anderes bestimmt ist; vgl. Art. 20 Abs. 3 GG: "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden." Es handelt sich regelmäßig um allgemeine Rechtssätze, die ein für alle Mal bestimmen, was für die Verwaltung Rechtens ist, wenn der voraussetzungsweise bestimmte Tatbestand in seinen sämtlichen Merkmalen im Einzelfalle verwirklicht ist. Freilich kann im allgemeinen das Gesetz auch für einen einzelnen Sachverhalt - als sog. Einzelfallgesetz - Recht schaffen; das ist, wie früher bemerkt, nach deutschem Recht nicht schlechtweg ausgeschlossen, soweit nichts Besonderes bestimmt ist, wie z. B. nach Art. 19 Abs. 1 GG hinsichtlich der Einschränkung von Grundrechten durch vorbehaltene Gesetze, die nur allgemein, und nicht für den Einzelfall, erlassen werden dürfen. Aber mit der Einführung des Rechtsstaates herrscht doch die Vorstellung vor, wie dies auch bei Locke, Montesquieu und Rousseau zum Ausdruck kommt, daß das Gesetz allgemeine Rechtssätze enthalten soll, um die Willkür im Einzelfalle auszuschließen und die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne der Gerechtigkeit zu gewährleisten; das könnte zum mindesten nicht im gleichen Maße erwartet werden, wenn das Gesetz in jedem einzelnen Falle bestimmen würde, was für ihn Rechtens sein soll. Bei dem Erlaß allgemeiner Rechtssätze spielt so der Grundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz eine große Rolle in dem Sinne, daß unter den gleichen Voraussetzungen für alle das gleiche rechtlich gelten soll. Dieser in Art. 3 GG zum Grundrecht erhobene
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Grundsatz, daß "alle Menschen vor dem Gesetz gleich" sind4 , ergibt aber auf der anderen Seite, daß unter ungleichen Voraussetzungen eine ungleiche rechtliche Behandlung statthaft, ja aus Gründen der sog. austeilenden (im Unterschied von der sog. ausgleichenden) Gerechtigkeit geboten ist: "Jedem das Seine", und nicht "Jedem das gleiche"! Aus jener Grundrechtsbestimmung ergibt sich aber auch eine wiChtige inhaltliche Einschränkung für den Erlaß von Einzelfallgesetzen. Im übrigen bedarf es danach z. B. auch einer genaueren Prüfung, wenn einer Verwaltungsbehörde die Ermächtigung zum Erlaß einer Verordnung bzw. einer Selbstverwaltungskörperschaft zum Erlaß einer Satzung gegeben ist, ob ein erlassener Rechtssatz gültig ist, wenn er seinerseits die Ermächtigung zu belastenden Verfügungen im Einzelfalle nach Willkür gibt, z. B. in einer Steuerordnung als Satzung einer Gemeinde einfach ohne jeden näheren Maßstab für die Anwendung bestimmt ist, daß für einen bestimmten Vorgang der Betrag von 10-100 DM im Einzellfall als Gebühr festgesetzt werden kann, wie das Preußisch.e Oberverwaltungsgericht einmal mit Recht entschieden hat (vgl. Pr. OVG Bd. 81 S. 208, jetzt auch BVerwGE Bd. 3 S. 227 und Art. 80 GG). Soweit Verwaltungsrechtssätze für den Bereich der Verwaltung erlassen sind, binden sie, wie gesagt, die Verwaltung auch in der Weise, daß die Verwaltungsbehörden hiervon nicht abgehen können, und zwar auch nicht im Einzelfalle zugunsten oder zuungunsten eines einzelnen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Vgl. auch § 29 RAbgO, wonach die Vorsteher der Finanzämter darauf zu halten haben, daß die Steuern in ihrem Bezirk nach dem Gesetz verwaltet und alle Steuerpflichtigen gleichmäßig behandelt werden. So kann z. B. auch die Gemeindeverwaltung auf dem Gebiete der Gemeindesteuern nicht gesetzlich bestimmte Steuern im Einzelfalle von vornherein erlassen oder ermäßigen, etwa im Falle des Zuzugs, soweit nicht eine solche Möglichkeit der Ausnahmebewilligung rechtssatzmäßig allgemein oder für bestimmte Fälle vorgesehen ist; dies war z. B. früher nach § 5 EG zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 der Fall hinsichtlich der Gewerbesteuer über die Höhe der Steuer durch Vereinbarung mit dem Steuerpflichtigen, etwa um 4 Es ist bei steter Ausrichtung "am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln" (BVerfGE Bd. 1 S. 14, Bd. 2 S. 340); oder: es dürfen durch die Rechtsvorschriften und ihre Handhabung keine Unterschiede gemacht werden, die verglichen mit dem Zweck der Rechtsvorschrift als sachfremd anzusehen sind: BVerfGE Bd. 2 S. 153, 352, Bd. 3 S. 227, sondern sie müssen Erwägungen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit entsprechen (BVerwGE Bd. 6 S. 71, Bd. 8 S. 212). Vgl. auch schon RGZ Bd. 111 S. 329. S. noch insbesondere Leibholz, Die Gleichheit vor dem G und dem BGG, in DVBL 1951, S. 193 ff. Zu Unrecht im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 GG will R. Thoma, Gleichheit und Ungleichheit im BGG, in DVBL 1951, S. 457 ff. den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG im Gegensatz zur h. L. auf den Gesetzesvollzug, nicht auf die Gesetzgebung beziehen.
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die Ansiedlung von Industrie zu erleichtern, von den Fällen der sog. Pauschversteuerung hier abgesehen. Diese Bindung gilt auch bezüglich der Rechtssätze, welche die betreffende Verwaltungsbehörde selbst durch VO oder Satzung- erlassen hat; sie kann nicht davon im Einzelfalle abweichen, wenn nicht ein Vorbehalt für eine Befreiung oder Ausnahmeerteilung nach dieser Richtung hin gemacht ist. Dies ist freilich häufig der Fall und empfiehlt sich vielfach, um die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls, insbesondere zur Vermeidung unbilliger Härten, berücksichtigen zu können, wie z. B. bei baurechtliehen Vorschriften. Aber bei dieser Bindung des Gesetzes kommt in Betracht, was früher schon dargelegt worden ist, daß es bei diesen Rechtssätzen außer der Rechtsgrundlage im allgemeinen nur um einen Rahmen oder eine Schranke für die Verwaltung sich handelt. Die Verwaltung ist in erster Reihe ein zweckbestimmtes Handeln, mit Bezug worauf sie durch das Gesetz nur in gewisser Weise eingeschränkt wird. Sie kann nicht so starr und streng gebunden werden 5 , wie das bei der streitigen Rechtspflege wegen ihrer eigentümlichen Aufgabe der Rechtshandhabung regelmäßig der Fall ist. Die Verwaltung als zweckvolles Handeln und Gestalten zur Erhaltung und Förderung der Volksgemeinschaft soll den jeweiligen besonderen Verhältnissen des Einzelfalles gerecht werden und ihre zweckentsprechenden Maßnahmen demgemäß nach freiem Ermessen treffen können. Mit der "Binde vor den Augen" könnte der Verwaltungsmann schlechterdings nicht seiner Aufgabe gerecht werden. So zeigt es sich, wie früher schon dargelegt worden ist, daß es sich auch bei der Geltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung regelmäßig nur um eine Einschränkung des Handeins nach freiem Ermessen handelt, aber nicht um eine völlige Bindung im Sinne einer bloßen Vollziehung des Gesetzes. Es sei hier nur an die schon oben angeführten Fälle der Einbürgerung nach dem StaatsangehörigkeitsG vom 22. Juli 1913 (§ 8) und an die allgemeine Ermächtigung der Polizei nach dem pr. PVG (§ 14) oder auch der- an sich gebundenen- Erteilung einer gewerbepolizeilichen Erlaubnis für die in § 16 GewO bezeichneten sog. gefährlichen Anlagen (§ 18) verwiesen. Es kann sich also im allgemeinen nur um ein Bestreben, die Verwaltung, soweit angängig und zweckmäßig, an einen gewissen Rahmen zu binden, handeln, nicht aber um eine vollständige Bindung. Soweit aber eine gesetzliche Regelung nicht besteht oder nicht eingreift, ist beim Vorhandensein entsprechender aUgemeiner Ermächtigungen das Ermessen frei, freilich im Rah5 Daß die Neigung im volksherrschaftliehen Freistaat mehr und mehr dahinzugehen scheint, die Verwaltung möglichst an das Gesetz i. S. einer bloßen Vollziehung zu binden, wie dies für das Gebiet der VO zum guten Teil in Art. 80 GG vorgesehen ist, soll damit nicht in Abrede gestellt werden. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich dies auf die Dauer bewähren wird (Entwicklung zum Gesetzes- und Gerichtsstaat!). Vgl. noch Schmidt-Brücken, Gesetzmäßigkeit der Verw., in DÖV 1949, S. 299 ff.
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men der allgemeinen Zuständigkeit durch die Pflicht gebunden, das Wohl der Allgemeinheit unter Ausrichtung auf letzte Wertmaßstäbe, unter Berücksichtigung insbesondere auch des Gesichtspunktes der Gerechtigkeit, zweckmäßig am besten wahrzunehmen, so insbesondere z. B. mit Bezug auf Tätigkeiten, die für den einzelnen Verwalteten nicht belastend für seinen Rechtsbereich sind, d. h. nicht in seine Freiheit oder in sein Eigentum eingreifen, wie bei der Veranstaltung von Ausstellungen, von Lehrgängen, der Abhaltung von Trachtenfesten usf., von der anregenden Tätigkeit zur Einführung von Fortschritten hier abgesehen. Nur soweit hier Kosten entstehen, kommen möglicherweise die Vorschriften des Haushaltsrechts und die Bindung an die grundsätzlich vorgängige Bewilligung im Staatshaushaltsplan, gegebenenfalls auch in Nachträgen dazu, durch die gesetzgebende Gewalt in Betracht. Die Bindung an das Gesetz ergibt nun zugleich den Vorrang des Gesetzes8: Jede Verwaltungshandlung, insbesondere Verordnung, Verwaltungsverfügung, Verwaltungsvertrag oder Verwaltungsentscheidung, die in Widerspruch mit dem Gesetz im angegebenen Sinne steht, ist gesetzwidrig mit den Folgen, die sich daraus ergeben (vgl. dazu u. §§ 32 bis 34); ein Gesetz kann nur wieder durch Gesetz geändert oder aufgehoben werden (sog. förmliche Gesetzeskraft), soweit es selbst nichts anderes bestimmt, etwa einer Verordnung die Ermächtigung erteilt, gesetzliche Bestimmungen abzuändern oder aufzuheben.
2) Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes Der zweite Untergrundsatz des Grundsatzes der Herrschaft von Gesetz und Recht im liberalen wie auch im sozialen Rechtsstaat, der sog. Vorbehalt des Gesetzes, ergibt gegenüber der eben behandelten allgemeinen Regel für die Betätigung der öffentlichen Verwaltung eine Besonderheit für den Bereich der Grundrechte. Dieser Grundsatz hängt wie der eben erörterte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung mit der Gewaltentrennung, so er - mit den Grundrechten zusammen. Diese Grundrechte sind vor allem Freiheitsrechte (Freiheit und Eigentum, Art. 2, 5 ff., 14), ferner Gleichheitsrechte (Art. 3 GG) und soziale Grundrechte (Art. 9 Abs. 3 GG). Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die in Art. 2 ff. aufgeführten Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht, so daß es sich also um unmittelbar wirksame Rechtssätze und nicht nur um die Verheißung einer künftigen Regelung bestimmter Sachgebiete handelt, soweit sich hinsichtlich einzelner Bestimmungen nichts Besonderes ergibt. Es handelt sich hier anders als bei dem eben besprochenen Gebiete 8
Vgl. 0. Mayer, a. a. 0., S. 68.
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(Ziff. 1) um ein Gebiet, das der Verwaltung von vornherein durch die Verfassung grundsätzlich verschlossen ist und in das sie daher- wenn nicht ohne Verfassungsänderung (soweit diese überhaupt zulässig ist, Art. 79 GG), wie z. B. bezüglich der Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 4 GG - nur auf Grund eines verfassungsmäßig vorbehaltenen Gesetzes (sog. Vorbehalt des Gesetzes), und dann freilich eines demgemäß erlassenen einfachen Gesetzes, eingreifen kann, unbeschadet jedoch der Art. 1 und 19 GG. Ein solches Gesetz, wenn es einmal erlassen ist, entfaltet im übrigen die allgemeinen Wirkungen des Gesetzes, wie sie oben (unter Ziff. 1) dargelegt worden sind. Ein solcher Vorbehalt des Gesetzes kann in einer Grundrechtsbestimmung des GG zugunsten eines Bundesgesetzes (vgl. z. B. Art. 4 Abs. 3 bezüglich der Kriegsdienstverweigerung) oder aber weitergehend zugunsten eines Gesetzes überhaupt, also eines Bundes- oder Landesgesetzes (vgl. z. B. Art. 2 bezüglich des Rechtes auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person, Art. 8 bezüglich der Versammlungen unter freiem Himmel) gemacht sein. Ein Gesetz im förmlichen Sinne ist hierbei im allgemeinen nicht erforderlich (anders z. B. Art. 104); es kann ein solcher Eingriff auch auf Grund gesetzlicher Ermächtigung, insbesondere auch durch eine Verordnung im Rahmen der Ermächtigung, zugelassen sein. Auch Gewohnheitsrecht, z. B. auch aus der Zeit vor Einführung der geschriebenen Verfassung, kann als Rechtsgrundlage für solche Eingriffe dienen, wie z. B. früher auf dem Gebiete der Polizei in Württemberg. Die Freiheit in ihren verschiedenen Betätigungsformen sowie das Eigentum ergeben, kurz gesagt, diesen besonderen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des einzelnen, und zwar natürlicher Personen wie auch inländischer juristischer Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Es handelt sich hierbei um persönliche öffentliche Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Persönlichkeitsrechte), gegebenenfalls mit Ansprüchen gegenüber der öffentlichen Gewalt auf Unterlassung danach verfassungswidriger Eingriffe im Gegensatz zu einer bloßen sog. Einrichtungsgewähr, wie z. B. bei den Bestimmungen über die Schule und den Religionsunterricht (Art. 7), über das Berufsbeamtenturn (Art. 33 GG) und die Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände (Art. 28 GG), wogegen es sich bei der Bestimmung des Art. 6 über Ehe und Familie7 und beim 7 BVerfGE Bd. 6 S. 55 erblickt darin wohl mit Recht - eine Grundsatzrechtsvorschrift für das öff. und bürg. R, so daß die Vorschrift des § 26 EinkStG i. d. F. vom 17. Januar 1952 mit der Vorschrift über die Zusammenveranlagung der Ehegatten wegen Beeinträchtigung des durch das GG geschützten Bereichs von Ehe und Familie (Art. 6) als ein störender Eingriff des Staates anzusehen und daher nichtig ist; nach BVerfGE Bd. 6 S. 386 hat auch der einzelne aus Art. 6 GG ein AbwehrR gegen störende und schädigende Eingriffe des Staates in seine Ehe und Familie, so daß es sich danach also nicht lediglich um eine sog. Einrichtungsgewähr handelt.
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Eigentum und Erbrecht (Art. 14 GG) nicht nur um eine Einrichtungsgewähr, sondern auch zugleich um persönliche öffentliche Rechte handelt. Bei diesen persönlichen öffentlichen Rechten handelt es sich z. T. um allgemeine Menschenrechte8, wie z. B. bei dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit i. e. S., dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und der Freiheit der Person (Art. 2), bei der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 4) sowie bei der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5), oder aber - aus Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen, bezüglich deren nur auf die bedenklichen Auswirkungen für den Bestand des Volkes und Staates bei der Gewährleistung auch an Ausländer hingewiesen werden kann - um Rechte der Deutschen (vgl. dazu Art. 116), wie bei der Vereins- und Versammlungsfreiheit, dem Freizügigkeitsrecht und dem Rechte, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen (Art. 8, 9, 11, 12) 9 • In diesen so geschützten Bereich kann die Verwaltung, wie gesagt, wenn überhaupt, nur auf Grund eines Gesetzes eingreifen, damit- vom Gewohnheitsrecht hier abgesehen- nur auf Grund des maßgeblich bei der Gesetzgebung sich äußernden Willens des Volkes bzw. der Volksvertretung, so daß solche Eingriffe der Verwaltung in Freiheit und Eigentum nach der Verfassung rechtlich nicht ohne ihre allgemeine Gutheißung statthaft sind. Im übrigen sind die Grundrechte jetzt, anders als früher in den deutschen Verfassungen, und so auch noch in der Weim. RV- ähnlich wie seinerzeit schon in den Verfassungen der Gliedstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika- im Hinblick auf ihre Mißachtung im nationalsozialistischen Staate an die Spitze des GG wie auch der Landesverfassungen vor den Bestimmungen über die Einrichtung, den Aufbau und die Aufgaben des Staates gestellt; die Grundrechtsbestimmungen der Landesverfassungen haben nach Art. 142 GG, auch insoweit sie in Übereinstimmung mit den Grundrechtsbestimmungen der Art. 1 bis 18 des GG Grundrechte gewährleisten, - ausnahmsweiseverbindliche Kraft, was insbesondere Bedeutung z. B. für den landesrechtlichen Rechtsschutz, wie die Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht, hat. Während die Grundrechte bisher einen verneinenden Rechtsgehalt aufwiesen, nämlich auf Unterlassung rechtswidrigen Eingriffs und Zwangs durch die öffentliche Gewalt gingen, haben 8 Vgl. dazu auch das G über das Abkommen zum Schutze der Menschenrechte usf. vom 7. August 1952 (BGBI. I S. 685, 953). u Vgl. v. Mangoldt, Die Grundrechte, in DÖV 1949, S. 263. Daß Art. 11 und 12 gegenüber Art. 2 GG sondergesetzliche, an Art. 2 nicht gebundene, Bestimmungen enthalten, betont BVerwG verschiedentlich. Vgl. z. B. Bd. 1, S. 51, Bd. 2, S. 289, 327, Bd. 3, S. 133. Vgl. jetzt aber auch Art. 68 ff. d. Vertrags über die Gründung der Europ. Gemeinschaft f. Kohle u. Stahl, in BGBI. 1952 II, S. 442 u. Art. 48ff. d. Vertr. über die Gründung der Europ. Wirtschaftsgemeinschaft, in BGBI. 1957 II, S. 766, über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaften.
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sie jetzt nicht nur einen bejahenden Ausgangspunkt in der Anerkennung der Menschenwürde, die als unantastbar gilt, selbst aber nicht als Grundrecht aufgefaßt wird (vgl. Art 1), jedoch hinsichtlich ihrer Grundsätze nach Art. 79 auch durch verfassungsänderndes Gesetz nicht berührt werden darf: diese Grundsätze des Art. 1 über die Menschenwürde sind wie die des Art. 20 überverfassungskräftig 10 ; sondern sie haben auch selbst einen bejahenden Gehalt in ihrer Anerkennung als Persönlichkeitsrechte, nämlich auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit ihrem Eigentum innerhalb des verfassungsmäßig zustehenden Bereichs. Jene Bestimmung des Art. 79 über die Unabänderlichkeit gilt nicht in gleicher Weise für die Grundrechte im eigentlichen Sinn (vgl. Art. 79 Abs. 3: "Art. 1 und 20"); für ·sie ist aber von Bedeutung der Schutz, der in Art. 19 vorgesehen ist. Danach muß, insoweit ein Grundrecht nach dem GG durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten, d. h. Einzelfallgesetze sind insoweit ausgeschlossen, während sie sonst, wie früher bereits bemerkt, nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind; eine Erschwerung des Erlasses solcher vorbehaltener Gesetze bedeutet es weiterhin, wenn das Gesetz das Grundrecht, das eingeschränkt werden soll, unter Angabe des Artikels angeben muß (vgl. z. B. § 17 Abs. 3 FreiheitsentziehungsG v. 29. Juni 1956, BGBl. I S. 599, und § 49 Wehrpfl.G v. 24. Juli 1956, BGBl. I S. 651). Endlich darf in keinem Falle das Grundrecht in seinem Wesensgehalte, d. h. Kerne, angetastet werden, d. h., es kann sozusagen nur nach einzelnen Richtungen hin, mehr nur am Rande, eingeschränkt werden11 • Wichtig ist im übrigen, daß die Grundrechte, wie auch sonstige persönliche öffentliche oder bürgerliche Rechte, aushilfsweise den Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte genießen, bei Verletzung durch die öffentliche Gewalt, soweit nicht sonstiger, gerichtlicher, also insbesondere verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz eingreift (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG). Entsprechend ihrer geschichtlichen Entwicklung gelten die Grundrechte nur im Verhältnis zwischen den Trägern öffentlicher Gewalt und den einzelnen, wogegen eine sog. Drittwirkung auf das Verhältnis der einzelnen untereinander, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist (wie z. B. in Art. 9 Abs. 3 GG, wonach Abreden, welche die in Satz 1 für jedermann und für alle Berufe gewährleistete wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, nichtig sind und hierauf gerichtete Maßnahmen rechtswidrig sind), ab10
1950,
Vgl. dazu Zeidler, Die Unverbrüchlichkeit der Grundrechte, in DVBl.
s. 598 ff.
11 Es muß, wie das BVerwG in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, (insbesondere Bd. 1, S. 269, Bd. 2, S. 326) hierbei danach gefragt werden, was nach der Beschränkung von dem Grundrecht übrigbleibt. Vgl. auch Krüger. Der Wesensgehalt der Grundrechte usf., in DÖV 1955, S. 597 :ff.
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zulehnen ist. Sie gelten aber im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 GG auch für die bürgerlich-rechtliche Betätigung der Träger öffentlicher Gewalt12 • Im übrigen wird bei dem Erlaß der endgültigen Verfassung doch eingehend zu prüfen sein, ob im Hinblick auf eine unmittelbare Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte, wie sie in Art. 1 Abs. 3 bestimmt ist, weniger mit solchen in ihrer Auswirkung, zumal bei allgemein gehaltenen und unbestimmten Rechtssätzen, unübersehbaren Bestimmungen als unmittelbar bindenden Rechtssätzen in der Verfassung auszukommen ist, da sonst in Wirklichkeit das Bundesverfassungsgericht usw. in die Rolle des Gesetzgebers versetzt ist und es bestimmt, "was die Verfassung ist" (wie z. B. Art. 2, insbesondere aber Art. 12 GG), statt nur allgemeine Richtlinien für die Gesetzgebung vorzusehen. Eine Neuerung des GG ist, daß gewisse Grundrechte bei Mißbrauch unter bestimmten Voraussetzungen verwirkt werden können. Es sollen die Grundrechte nicht dazu benutzt werden, um die neue volksherrschaftliche Grundordnung selbst aus den Angeln zu heben (vgl. Art. 18 GG). Es gilt dies, wenn die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Art. 8), die Vereinigungsfreiheit (Art. 8), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10), das Eigentum (Art. 14), oder das Zufluchtsstättenrecht für politisch Verfolgte, sog. Asylrecht, (vgl. Art. 16, Abs. 2) zum Kampf gegen die freiheitliche volksherrschaftliche Grundordnung mißbraucht werden. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das BVerfG auf Antrag des Bundestages, der Bundesregierung oder einer Landesregierung in rechtsbegründender Weise ausgesprochen, so daß also niemand, insbesondere keine Behörde, sich auf die Verwirkung vorher berufen kann 13 • Für den Fall der Gefährdung der Volksgemeinschaft, nämlich bei erheblicher Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und So zutreffend auch Löw, Fiskalische Geltung der Grundrechte, in DÖV s. 879 :ff. 13 Wenn sich der Antrag als begründet herausstellt, so stellt das BVerfG nach dem BVerfGG vom 12. März 1951 (BGBI. I S. 243) fest, welche Grundrechte der Antragsgegner verwirkt hat. Es kann die Verwirkung auf einen bestimmten Zeitraum, mindestens auf 1 Jahr, befristen; es kann dem Antragsgegner auch nach Art und Dauer genau bezeichnete Beschränkungen auferlegen, soweit sie nicht andere als die verwirkten Grundrechte beeinträchtigen. Insoweit bedürfen dann die VerwBehörden zum Einschreiten gegen den Antragsgegner keiner weiteren gesetzlichen Grundlage. Das BVerfG kann dem Antragsgegner auf die Dauer der Verwirkung der Grundrechte das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung ö:ff. Ämter aberkennen und bei jur. Personen ihre Auflösung anordnen. Ist die Verwirkung zeitlich nicht befristet oder für einen längeren Zeitraum als 1 Jahr ausgesprochen, so kann das BVerfG, wenn seit dem Ausspruch der Verwirkung 2 Jahre verflossen sind, auf Antrag des früheren Antragstellers oder Antraggegners die Verwirkung ganz oder z. T. aufheben oder die Dauer der Verwirkung abkürzen(§ 40). -Vgl..dazu auch BGHZ, Bd. 12, S. 197. 12
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Ordnung, läßt es sich freilich regelmäßig zur Wahrung der gefährdeten Belange der Allgemeinheit nicht umgehen, die Möglichkeit der Außerkraftsetzung der wichtigsten Grundrechtsbestimmungen. vorzusehen, um in den durch sie geschützten Bereich mit der staatlichen Gewalt eingreifen zu können (sog. Notstandsrecht). So konnte nach der RV von 1871 (Art. 68) der Kaiser für den Fall der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit den Kriegszustand für das ganze Reichsgebiet oder Teile davon- außer Bayern bis zum Erlaß eines entsprechenden (jedoch nicht zustande gekommenen) Reichsgesetzes - unter den Voraussetzungen, den Formen der Verkündung und den Wirkungen des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4. Juli 1851 aussprechen mit der Folge, daß eine sog. Militärdiktatur durch Übergang der vollziehenden Gewalt auf die Militärbehörden eintrat, wie dies z. B. im Jahre 1914 bei Kriegsausbruch der Fall gewesen ist; ebenso konnte nach der WeimRV (Art. 48 Abs. 2) der Reichspräsident für den Fall erheblicher Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Reichsgebiet14 die sieben wichtigsten Grundrechte, nämlich der persönlichen Freiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung, des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, der Freiheit der Meinungsäußerung, der Vereinsund Versammlungsfreiheit sowie der Unverletzlichkeit des Eigentums vorübergehend ganz oder teilweise außer Kraft setzen, was bei Gefahr im Verzug auch die Landesregierungen für ihr Gebiet durch einstweilige Maßnahmen verfügen konnten (sog. außerordentliche Gewalt oder Diktaturgewalt). Doch waren hier die Belange der Volksvertretung durch die zusätzliche Bestimmung gewahrt, daß die Maßnahmen, die ja überdies der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister bedurften- wodurch sie die Verantwortung der Volksvertretung gegenüber übernahmen -, unverzüglich dem Reichstag bekanntzumachen und auf dessen Verlangen außer Kraft zu setzen waren, die Maßnahmen der Landesregierungen überdies auch auf Ver14 Diese Bestimmung wurde nicht nur i. S. des PolizeiR aufgefaßt, sondern infolge des Versagens des Reichstags und seiner Parteien in erweiterter Auslegung auch auf wirtschaftliche, gesellschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten bezogen, sofern auch durch sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Grade gefährdet oder gestört erschien. Die Nachprüfung des Vorliegens dieser Voraussetzungen und der Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen konnte nur vom Reichstag nach Art. 48 Abs. 3 vorgenommen werden. Vgl. hierzu Pr. OVG Bd. 89, S. 97, Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich in RGZ Bd. 134, Anh. S. 26 f, 44 f und RGZ Bd. 135, S. 34 ff, RGSt. Bd. 65, S. 364. Im übrigen war der Reichspräsident bei Maßnahmen auf Grund des Art. 48, Abs. 2 infolge der dort begründeten selbständigen Zuständigkeit an die regelmäßige, in der Verfassung festgelegte, Abgrenzung der Gesetzgebungsbefugnis zwischen Reich und Ländern nicht gebunden; er war von den förmlichen Zuständigkeitsbestimmungen der RV insoweit befreit, als es zur wirksamen Bekämpfung des volks- und staatsgefährlichen Notstandes unentbehrlich war; dagegen war er abgesehen von den in Art. 48, Abs. 2 angeführten Vorschriften an die sachlich-rechtlichen Vorschriften der RV gebunden. Vgl. StGH in RGZ Bd. 135, Anh. S. 37, Pr. OVG Bd. 89, S. 98.
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langen des Reichspräsidenten. Eine solche außerordentliche Gewalt besteht z. Z. nach dem GG- im Gegensatz zu verschiedenen nach 1945 neu erlassenen Landesverfassungen, wie z. B. nach der bayr. Verf. (Art. 48) - im Bunde nicht mehr bzw. noch nicht15 ; im Falle der sog. Notstandsgesetzgebung des Art. 81 GG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen, wenn der Bundespräsident den Gesetzgebungsnotstand für eine Gesetzesvorlage erklärt hat, auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats Gesetzesvorlagen der Bundesregierung Gesetzeskraft erhalten, soweit der Bundesrat zustimmt, kann das Grundgesetz weder geändert noch ganz oder teilweise außer Kraft oder Anwendung gesetzt werden, was gerade auch für die Grundrechte von besonderer Bedeutung ist. Im übrigen können sich weitergehende Beschränkungen der persönlichen Freiheit des einzelnen über das allgemeine Maß der Grundrechtsbestimmungen hinaus - unbeschadet des Art. 1 GG - ergeben, vor allem durch den Eintritt in besondere öffentlich-rechtliche Gewaltverhältnisse, insbesondere in das Beamtenverhältnis oder das Soldatenverhältnis oder durch den Eintritt in eine öffentliche Anstalt oder Einrichtung, zufolge der Unterwerfung unter die besondere Dienst- oder Anstaltsgewalt mit den sich daraus zur wirksamen Erreichung der damit bezweckten öffentlichen Aufgaben ergebenden Beschränkungen (vgl. jetzt auch Art. 17 a GG für das Wehrdienst- und Ersatzdienstverhältnis); weiter kann auch ohne Eintritt in ein besonderes Gewaltverhältnis, soweit sich nichts anderes ergibt (vgl. auch Art. 1 GG) auf Grund freiwilliger Unterwerfung die rechtliche Zulässigkeit von Eingriffen in Freiheit und Eigentum im Einzelfalle bei den sog. Verwaltungsverfügungen auf Unterwerfung sich ergeben, wie z. B. bei der Übernahme von Baulasten bei einer Bauerlaubnis usw. gemäß dem alten Grundsatz: "Volenti non fit iniuria." Während also die Verwaltung auf dem vorhin (Ziff. 1) behandelten sonstigen oder allgemeinen Betätigungsgebiete so lange frei innerhalb ihres verfassungsmäßigen allgemeinen Aufgabenbereichs handeln kann, 15 Vgl. dazu noch Art. 5, Abs. 2 des Vertrags über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Mächten vom 26. Mai 1952 (BGBl. 1955 II S. 305), wonach "die von den Drei Westmächten bisher innegehabten oder ausgeübten Rechte in bezug auf den Schutz der Sicherheit von in der Bundesrepublik stationierten Streitkräften, die zeitweilig von den Drei Mächten beibehalten werden, erlöschen, sobald die zuständigen deutschen Behörden entsprechende Vollmachten durch die deutsche Gesetzgebung erhalten haben und dadurch in Stand gesetzt sind, wirksame Maßnahmen zum Schutze der Sicherheit dieser Streitkräfte zu treffen, einschließlich der Fähigkeit, einer ernstlichen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen" usw. - Eine entsprechende bundesrechtliche Regelung ist in Vorbereitung, aber leider bis jetzt noch nicht zustande gekommen. Vgl. im übrigen noch Hesse, Ausnahmezustand u. GG, in DÖV 1955, S. 741, Flor, Staatsnotstand und rechtliche Bindung, in DVBl. 1958, S. 149.
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als nicht ihr Handeln durch ein Gesetz eingeschränkt ist, ist hier umgekehrt ihr Handeln rechtlich grundsätzlich nur und erst zulässig, wenn und soweit auf Grund eines Vorbehaltes des Gesetzes ein Gesetz ergangen ist, das einen Eingriff in Freiheit oder Eigentum gestattet; für die sog. Leistungsverwaltung gilt der Vorbehalt des Gesetzes dagegen nicht (vgl. dazu auch BVerwGE Bd. 6 S. 287 f.). Danach müssen insbesondere z. B. polizeiliche - Gebote oder Verbote enthaltende -Verfügungen, welche die verfassungsmäßig gewährleistete Handlungsfreiheit der einzelnen einschränken, ferner die Enteignung sowie Steuerauflagen ihre Grundlage in einem Gesetz haben. Somit ergibt sich insbesondere mit der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, der Freiheit der Meinungsäußerung, der Vereins- und Versammlungsfreiheit, der Freiheit der Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, der Freizügigkeit - wie auch der Auswanderung - , der Gewerbefreiheit, des freien Wettbewerbs sowie der Vertragsfreiheit (dies zufolge Art. 2 Abs. 1 GG; vgl. dazu auch BVerwGE Bd. 1 S. 321, Bd. 3 S. 239, Bd. 6 S. 32), aber auch der Freiheit des Zusammenschlusses zu Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf seiten der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber, sodann mit der Anerkennung des Privateigentums mit der Befugnis zur freien Verwendung und Verfügung sowie des Erbrechts (Art. 14 GG) 18 die verfassungsmäßige Festlegung und Anerkennung der grundsätzlich freien Entfaltung und Betätigung der Einzelpersönlichkeit in persönlicher, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Hin16 Der Auffassung, daß im GG bezüglich der Wirtschaftsverfassung überhaupt keine Entscheidung getroffen sei, wie vielfach behauptet wird (vgl. u. a. z. B. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverf., in DVBI. 1951, S. 361 ff.), vermag ich nicht zu folgen. Mit diesem Vorbehalt sei noch insbesondere auf Scheuner, GrundRsinterpretation u. WirtschaftsO, in DÖV 1956, S. 65 ff. verwiesen. Wenn BVerfGE Bd. 4, S. 18 sagt, daß die gegenwärtige Wirtschaftsu. SozialO zwar eine nach dem GG mögliche, keineswegs aber die allein mögliche sei und sie auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen Wirtschafts- u. sozialpolitischen Entscheidung beruhe, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden könne, so ist vor allem nicht ersichtlich, was da für eine grundtegend andere Wirtschafts- u. Sozialverfassung in Betracht kommen soll; etwa - im Gegensatz zu Art. 2, 12, 14, 20 u. 28 GG - die rein liberale oder die sozialistische? Für eine eindeutige Festlegung der sozialen Marktwirtschaft im GG (im Gegensatz zur überwiegenden L.) Nipperdey, Die soziale Marktwirtschaft in der Verf. der BRep., (1954), der mit nicht genügender Beachtung der Sozialstaatlichkeit, die nicht nur auf die Marktwirtschaft und deren Aufrechterhaltung gerichtet ist, also die staatliche Lenkung und Steuerung der Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch gemeinwirtschaftliche Regelungen nicht in vollem Maße berücksichtigt (vgl. auch Art. 2, 14, Abs. 2, 15, 20 und 28 GG). Das GG ergibt vielmehr eine Verbindung von freier Entfaltung der Einzelpersönlichkeit und sozialstaatlicher Eingriffe zum Wohle der Allgemeinheit, freilich mit einem gewissen Spielraum zwischen diesen beiden Polen. Vgl. im übrigen auch Huber, Der Streit um das WirtschaftsverfR, in DÖV 1956, S. 97 ff., 135 ff., 172 ff., 200 ff. und Ballerstedt, WirtschaftsverfR, in: Die Grundrechte, hrsg. v. Bettermann-NipperdeyScheuner, Bd. 3, 1. Hbd. S. 60.
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sieht, soweit sie mit der Freiheit der anderen in der Gemeinschaft zusammen bestehen kann, nämlich, wenn und soweit sie nicht durch die in der Verfassung gezogenen (vgl. Art. 2 GG bezüglich des Rechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 5 Abs. 2 bezüglich der Freiheit der Meinungsäußerung usw.) oder i. S. des Vorbehalts des Gesetzes für zulässig erklärten oder aber durch die den Grundrechten wegen des Zusammenlebens in der Gemeinschaft weiter sich ergebenden inneren, ihnen "einwohnenden", Schranken eingeengt ist; nämlich daß sie "nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden". Entsprechend der Natur des deutschen Staates als eines "sozialen Rechtsstaats" (Art. 20, 28 GG) ergibt sich im Gegensatz zu einer rein liberalen Rechts- und Staatsauffassung, daß die Grundrechte nicht unbegrenzt sein können, sondern eine soziale Bezogenheit aufweisen, wie dies noch besonders in Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 GG ausgesprochen ist; vgl. dazu BVerwGE Bd. 1 S. 48, Bd. 2 S. 300, Bd. 3 S. 24, Bd. 4 S. 96, 171, Bd. 6 S. 1717 • Auf der anderen Seite besteht weiter die rechtliche Möglichkeit, nicht nur insbesondere die Berufsausübung durch Gesetz zu regeln und den Inhalt und die Schranken des Eigentums durch Gesetz zu bestimmen und zum Wohle der Allgemeinheit gegen Entschädigung auf gesetzlicher Grundlage oder durch Gesetz eine Enteignung vorzunehmen, sondern auch die Möglichkeit, Grund und Boden, Naturschätze, wie z. B. auch Wasserkräfte, und sachliche Güterherstellungsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinschaft überzuführen (Art. 15). Ob und inwieweit davon Gebrauch gemacht wird, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und nicht eine Weltanschauungsfrage, wie dies in der östlichen Staatenwelt unter der Führung Rußlands mit ihrer Gesamtplanung, Lenkung und Steuerung im kommunistischen Sinne der Fall ist. Eine solche Gesamtplanung in wirtschaftlicher, arbeitsrechtlicher und kultureller Hinsicht würde aber auch nicht mehr den Grundlagen des GG mit dem Ausgangspunkt von der Menschenwürde und ihrer Unantastbarkeit und ihres grundsätzlichen, durch die Grundrechte geschützten Bereichs von Freiheit und Eigentum im Hinblick auf die sich ergebende völlige Versklavung des einzelnen i. S. eines Staatssklaventurns entsprechen. Somit besteht insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiete dem Ausgangspunkte nach die grundsätzlich freie Betätigung der Träger der Einzelwirtschaf17 Vgl. auch noch v. Mangoldt, Die Grundrechte, in DÖV 1949, S. 261 ff., wonach auf die Aufstellung von Grundsätzen für die kulturelle und soziale Lebensordnung mit Rücksicht auf die gegenwärtige Ungewißheit über alle künftige wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung zunächst bewußt verzichtet wurde, wozu noch der Wunsch beitrug, das GG mit großer Mehrheit angenommen zu sehen.
so•
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ten und die Entfaltung der privaten Unternehmungslust in freiem Wettbewerb. Gemeinschaftsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiete kommen nach dieser Auffassung im allgemeinen nur ergänzend in Betracht aus zwingenden Gründen des öffentlichen Wohls, insbesondere für Angelegenheiten, welche die einzelnen als einzelne oder in ihren Vereinigungen, z. B. auch in der Form einer AG oder GmbH - etwa aus finanziellen Gründen - nicht übernehmen können oder wollen, insbesondere weil sie die Kräfte der einzelnen übersteigen. Gesetzlicher Zwang sollte nach Art. 151 WeimVerf. im Wirtschaftsleben nur zulässig sein zur Verwirklichung bedrohter Rechte sowie im Dienste überragender Forderungen des Gemeinwohls - ein Satz, der allgemeine Bedeutung für die gesamte Rechtsordnung im liberalen Rechtsstaat in Anspruch nehmen konnte, aber auch im sozialen Rechtsstaat des GG sinngemäß als gültig anzuerkennen ist. b) Der Grundsatz der sozialen Rechtsstaatlichkeit Die im GG festgelegte Natur des Bundesfreistaates Deutschland und seiner Länder als "sozialer Rechtsstaat" (Art 20, 28 GG) ergibt darüber hinaus gegenüber dem liberalen Rechtsstaat auch eine Anforderung an den sachlich-rechtlichen Gehalt der Rechtsordnung. Auf die soziale Bezogenheit der Grundrechte, welche die Gesetzgebung, die Vollziehung und die Rechtsprechung unmittelbar binden, ist oben schon hingewiesen worden. Es enthält die "Sozialstaatserklärung" auch "den Auftrag an den Staat als Hoheitsträger zur Herstellung und Wahrung sozialer Gerechtigkeit und zur Abhilfe sozialer Bedürftigkeit" (vgl. BVerwGE Bd. 7 S. 182). Man denke z. B. an die Kriegsopferversorgung, das LastenausgleichsG und vieles andere mehr. c) Der Rechtsschutz Diese Rechtsordnung für die Betätigung der öffentlichen Verwaltung wird nun weiter dadurch in ihrer Wirksamkeit gewährleistet, daß bei Verstößen gegen das Recht, z. T. aber auch gegen die Zweckmäßigkeit, ein umfassender Rechtsschutz im Bereich der öffentlichen Verwaltung, am vorzüglichsten in gerichtsförmiger Weise durch unabhängige- nur an Gesetz und Recht - gebundene Gerichte eingeräumt ist (vgl. u. 5. Buch). Im folgenden sind zunächst die Tätigkeitsformen der öffentlichen Verwaltung (vgl. u. 1. Hauptstück), und sodann die Tätigkeitsgebiete der öffentlichen Verwaltung (vgl. u. 2. Hauptstück) ins Auge zu fassen.
Erstes Hauptstück
Die Tätigkeitsformen der öffentlichen Verwaltung Erster Abschnitt
Die Verwaltungshandlungen im allgemeinen § 30. Die Verwaltungshandlungen I. Im allgemeinen Verwaltung ist, wie früher (o. 1. Buch) dargelegt worden ist, ihrem Wesen nach die zweckbestimmte Tätigkeit des Staates und der ihm eingeordneten sonstigen Träger öffentlicher Verwaltung zur Verwirklichung öffentlicher Aufgaben im Rahmen der staatlichen Rechtsordnung außerhalb der Gesetzgebung des Trägers der gesetzgebenden GE:walt und da Rechtspflege der Gerichte zur Erhaltung und Förderung der Volksgemeinschaft und der ihr Angehörigen in Ausrichtung auf letzte und unbedingte Werte. Die Verwaltung ist also ihrem Kerne nach ein Handeln. Alle einzelnen Handlungen eines Trägers der öffentlichen Verwaltung, seiner Behörden und Beamten usw., die Zwecken der öffentlichen Verwaltung zu dienen bestimmt sind, können wir als Willensbetätigungen von Verwaltungsbehörden oder als Verwaltungshandlungen im weiteren Sinne bezeichnen. Von den Verwaltungshandlungen im sachlichen Sinne, die in der Form des Gesetzes ergehen, wie z. B. die Festsetzung des Staatshaushaltsplanes usw!, und damit der Zuständigkeit der gesetzgebenden Gewalt zugewiesen und aus dem Bereiche der den Verwaltungsbehörden übertragenen Geschäfte ausgeschieden, d. h. dem Verfassungsrechte zugewiesen sind, ist hier sowenig wie von den - ebenfalls dahin zu rechnenden - Regierungshandlungen oberster Willensträger des Staates die Rede (vgl. o. § 4). Neben den Verwaltungshandlungen der Träger der öffentlichen Verwaltung kommen im Bereiche der öffentlichen Verwaltung auch Hand1
So auch Kormann, Rechtsgeschäftliche Staatsakte, S. 58.
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§ 30. Die Verwaltungshandlungen
lungen der Verwalteten als für den Bereich der Verwaltung rechtserheblich in Betracht, wie z. B. der Antrag auf Einbürgerung oder auf Entlassung aus dem Staatsverband, der Antrag auf Aufnahme in das Beamtenverhältnis oder auf Entlassung daraus, der Antrag auf Erteilung einer Verleihung oder Erlaubnis, auf Gewährung einer Entschädigung, der Verzicht auf ein persönliches öffentliches Recht, die Rechtsmitteleinlegung, insbesondere die Einlegung von Beschwerde bzw. Einspruch oder Widerspruch, sowie der Verzicht darauf und deren Rücknahme sowie die Erhebung gerichtlicher Klage, ferner öffentlich-rechtliche Verträge usw.; man kann hier von öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen der Verwalteten sprechen, wogegen zweckmäßigerweise die Ausdrücke: "Verwaltungshandlung" und "Verwaltungsvertrag" auf die Handlungen von Trägern öffentlicher Verwaltung einzuschränken sind. Im Vordergrunde steht aber im Verwaltungsrecht entsprechend den Aufgaben der öffentlichen Verwaltung durchaus das Handeln der Träger der öffentlichen Verwaltung, so daß auf jene Handlungen der privaten Rechtsträger in diesem Zusammenhang nicht weiter einzugehen, vielmehr von ihnen an den geeigneten Stellen zu sprechen ist. Es sei hier nur noch bemerkt, daß in Ermangelung anderweitiger besonderer Vorschriften gegen eine entsprech-ende Anwendung der Vorschriften des BGB über die Anfechtung von Willenserklärungen wegen Willensmängel auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen der Verwalteten, z. B. wegen widerrechtlicher Drohung entsprechend,§ 123 BGB, keine Bedenken bestehen (vgl. dazu auch BGHZ Bd. 6 S. 351), wogegen für die Beseitigung von Willensmängeln öffentlich-rechtlicher Willenserklärungen (V erwal tungsverfügungen) der Träger öffentlicher Verwaltung besondere Vorschriften gelten (vgl. u. § 32). Die Verwaltungshandlungen kann man nach verschiedenen Richtungen hin einteilen, insbesondere in: a) ö f f e n t 1 ich-recht 1 ich e und bürge r 1 ich-rechtliche Ve rwa 1 tungshand 1 ung en Die Verwaltungshandlungen können sich, wie früher schon mehrfach erwähnt, bewegen entweder auf dem Gebiete des öffentlichen oder des bürgerlichen Rechts (vgl. o. § 4). Im ersten Falle kann die Verwaltungshandlm1g obrigkeitlich sein, nämlich, wenn sie sich in Befehl und Zwang betätigt, wie z. B. auf dem Gebiete der Polizei, oder sonst hoheitlich (öffentlich-rechtlich), wie im allgemeinen bei der Wohlfahrts- und Kulturpflege, wie z. B. bei der öffentlichen Sozialhilfe2 • Die Träger öffent.
2 Jellinek unterscheidet daher zwischen obrigkeitlicher Hoheitsverwaltung und schlichter Hoheitsverwaltung. Die Grenzen sind aber flüssig, und es kann auch bei der Wohlfahrts- und Kulturpflege Befehl und Zwang im Hintergrund stehen, wie z. B. zur Durchführung des Schulzwangs; auCh im Bereiche
Im allgemeinen
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licher Verwaltung können aber gegebenenfalls, soweit angängig, öffentliche Aufgaben auch auf Grund oder mit Hilfe bürgerlich-rechtlicher Verwaltungshandlungen, insbesondere Rechtsgeschäften, besorgen, wie z. B. beim Erwerb von Grundstücken zum Bau einer öffentlichen Straße usf. Auch können ihnen bürgerlich-rechtliche Rechtsgebilde zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Gesetz besonders zur Verfügung gestellt sein, wie z. B. die gesetzlichen Vorkaufsrechte der Gemeinden beim Kauf von Grundstücken nach § 24 ff. BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341). Sie können aber auch in dieser Weise unter Umständen Zwecke erreichen, die sie auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts nicht erreichen können. So kann z. B. eine Gemeinde auf Grund ihres Eigentums unbeschadet der allgemeinen Gewerbefreiheit unzuverlässige Personen als Leichenbestatter oder als Friedhofsgärtner von der Ausübung ihres Gewerbes auf dem Gemeindefriedhof ausschließen (vgl. RGZ Bd. 100 S. 213); so kann ferner eine Stadt bei der Abgabe von stadteigenen Grundstücken mittels bürgerlich-rechtlicher Grunddienstbarkeit oder persönlicher Dienstbarkeit eine bestimmte Art der Bebauung bzw. Nichtüberbauung sich ausbedingen usw. Auf der anderen Seite kann das bürgerliche Recht nicht von Trägern öffentlicher Verwaltung dazu benutzt werden, um sachfremde Zwecke zu erreichen, wenn das öffentliche Recht nicht die Handhabe bietet; so z. B. wäre die einer Bauerlaubnis beigefügte Auflage, wonach sich der Bauvorhabende verpflichtet, im Hinblick auf die Erteilung der Bauerlaubnis an die Gemeinde ein anderes Grundstück zum Zwecke der Abrundung des Gemeindebesitzes abzutreten, weil in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Bauerlaubnis stehend, als Ermessensmißbrauch rechtsungültig. Im französischen Recht entsprich1t dieser Einteilung zum guten Teil die Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlicher und bürgerlich-rechtlicher Verwaltungshandlung (gestion publique u. gestion privee), wobei insbesondere die verschiedene Art und Form des Rechtsgeschäfts in Betracht komme. Im übrigen können sich auch bei der öffentlich-rechtlichen Betätigung bürgerlich-rechtliche Rechtsfolgen ergeben. So wird z. B. durch die Enteignungsverfügung bürgerlich-rechtliches Eigentum mit ursprünglicher Wirkung übertragen (vgl. u. § 56); so erlischt der Jagdpachtvertrag mit der unanfechtbaren Entziehung des Jagdscheines naCh§ 13 BJagdG i. d. F. vom 30. März 1961 (BGBl. I S. 304). So können ferner bürgerlich-rechtliche Verhältnisse entstehen, z. B. auf Grund des Eigentums, wenn etwa beschlagnahmte Sachen vom Staate veräußert der öffentlichen Anstalten und Einrichtungen ergibt sich auf Grund der besonderen Anstaltsgewalt die Befugnis zur Erteilung von Befehlen (Anweisungen), und es kann mit ihnen auch Anstaltspolizei verbunden sein usf. 3 Vgl. Jeze, Franz. VerwR (1913), Soweit freilich öff. Dienst in Frage steht. ist auch die zweite Gruppe verwaltungsrechtlicher' Natur. Vgl. o. § 7, auch wegen der dabei zu machenden Einschränkung.
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oder in Verwahrung genommene Urkunden in Verstoß geraten unbe.;. schadet sich etwa ergebender öffentlich-rechtlicher Verhältnisse 4 • Wenn nach der eigenartigen Bestimmung des § 15 Abs. 3 RNatSchutzG vom 26. Juni 1935 die Ansprüche aus dem Eigentum, dem Besitz oder der Nutzung eines Naturdenkmals von der zuständigen Naturschutzbehörde geltend gemacht werden können, falls der Berechtigte hierzu nicht bereit ist oder die Geltendmachung ungebührlich verzögert, so kommen für die Verwaltungsbehörde die Handlungen des Berechtigten in Betracht, die dieser an sich vorzunehmen hätte; die Handlungen der Verwaltungsbehörde liegen dann auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und des bürgerlichen Rechtsverfahrens; öffentlich-rechtlich ist hier, daß die Behörde für den bürgerlich-rechtlich Berechtigten handeln kann. Bürgerlich-rechtlich ist auch die Ausübung gesetzlicher Vorkaufsrechte, z. B. der Gemeinden nach §§ 24 ff. BBauG vom 23. Juni 1960. Von den bürgerlich-rechtlichen Verwaltungshandlungen ist hier nicht weiter die Rede (vgl. o. § 7). b) Äußere und innere Verwaltungshandlungen Die Verwaltungshandlungen können sich richten entweder nach außen, d. h. an die Verwalteten, insbesondere die Bürger, gleichviel ob es sich um natürliche oder juristische Personen handelt, auf der Grundlage der allgemeinen Untertanenpflicht zum Gehorsam, oder aber nach innen auf Grund besonderer Gewaltverhältnisse. So namentlich an untergeordnete Verwaltungsbehörden oder -beamte, aber auch im Verkehr zwischen einander gleichstehenden Behörden als Ersuchen, d. h. als Aufförderung zu einem Handeln, dem auf Grund gesetzlicher Vorschrift über die Rechts- und Amtshilfe von seiten der ersuchten Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit - soweit es sich um rechtlich zulässige Handlungen handelt - grundsätzlich auf Grund des Gesetzes und der inneren Dienstpflicht zu entsprechen ist (vgl. Art. 35, 44 GG, § 16 BDO, §§ 116, 117 RVO, §§ 23, 27 Fürs.PflichtVO und jetzt § 117 BSozialHG, § 25 RAbgO usw.); oder Personen gegenüber, die in einem sonstigen besonderen Gewaltverhältnis stehen, wie auf Grund der Benutzung öffentlicher Anstalten und Einrichtungen. Je nachdem kann man äußere und innere Verwaltungshandlungen unterscheiden; so stehen u. a. insbesondere äußere Verwaltungsverfügungen und innere Verwaltungsverfügungen, Anweisungen oder sonstige innerdienstliche Verfügungen, einander gegenüber. Als solche innerdienstliche Verwaltungshandlungen kommen z. B. Dienstbefehle - allgemeine Dienstbefehle oder Dienstbefehle im Einzelfall - an einen Beamten, die Abordnung 4
Vgl. Pr. OVG, Bd. 74, S. 460, RGZ, Bd. 115, S. 421; Turegg, VerwR, 3 Aufl.,
s. 25.
Im allgemeinen
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und Versetzung, die Dienstenthebung usw. in Betracht, ferner Warnungen, Verweise und Geldbußen, die durch Dienststrafverfügung (Disziplinarverfügung) des Dienstvorgesetzten verhängt werden (vgl. § 11 BDO i. d. F. vom 28. November 1952), ferner Weisungen, die auf Grund der Anstaltsgewalt an die von ihr Erfaßten ergehen. Nicht dagegen gehören hierher Handlungen, die der Staat als Träger von Hoheitsgewalt dem Staate in seiner Eigenschaft als bürgerliche Rechtspersönlichkeit, als "Fiskus", auferlegt, wie polizeiliche Pflichten durch Verwaltungsverfügung usw., ferner nicht Maßnahmen der Staatsbehörden auf Grund der Staatsaufsicht im Verhältnis zu Selbstverwaltungskörperschaften im Bereich der Selbstverwaltungsangelegenheiten im Gegensatz zu Auftragsangelegenheiten (oder Pflichtaufgaben nach Weisung): hier handelt es sich überall um nach außen gerichtete Verwaltungshandlungen5 • Innere Verwaltungshandlungen können das Verhalten von Verwaltungsbehörden und -beamten mit Bezug auf die Vornahme äußerer Verwaltungshandlungen mit innerdienstlich bindender Wirkung bestimmen: insbesondere durch Einschränkung des nach außen freien Verwaltungsermessens durch innerdienstliche Anweisung, allgemeine Dienstanweisung oder Dienstbefehl im Einzelfalle, so daß die Verwaltungsbehörde oder der Verwaltungsbeamte zwar nach außen rechtswirksam auch entgegen der dienstlichen Anweisung im Rahmen seiner Zuständigkeit handeln kann, aber innerdienstlich - bei Vermeidung dienststrafrechtlicher Folgen -nicht darf. Auf der anderen Seite können sich an die Vornahme innerdienstlicher Handlungen, wenn sie sich auf das Handeln nach außen beziehen, in deren Erledigung äußere Rechtsfolgen anknüpfen6 • Da und sofern die inneren Verwaltungshandlungen sich unmittelbar nur im inneren Bereich der öffentlichen Verwaltung auswirken, kommen gegen sie die allgemeinen Rechtsmittel, wie bei äußeren an die Verwalteten gerichteten Verwaltungshandlungen, wie z. B. einer Verwaltungsverfügung, nicht in Betracht, soweit nicht anderes besonders bestimmt ist oder sich ergibt, wie dort, wo unmittelbar in den eigenen Rechtsbereich eines Beteiligten eingegriffen wird, d. h. eine rein innere Verwaltungshandlung in Wahrheit nicht vorliegt. Bei der Zunahme der Verwaltungstätigkeit des Staates in der Richtung auf einen Versorgungsstaat insbesondere auch mittels erweiterter Einrichtung von öffentlichen Anstalten und Einrichtungen würden die inneren Verwaltungshandlungen gegenüber den äußeren, die im liberalen Rechtsstaat im Vordergrund stehen, ein zunehmendes Anwendungsgebiet finden, im weitestgehenden Maße im kommunistischen Staate. So zutr. Apelt, Der Verwaltungsvertrag, S. 115. So z. B. beim Ersuchen der Verwaltungsbehörde an das Grundbuchamt, eine vollzogene Enteignung ins Grundbuch einzutragen. Vgl. Apelt, a. a. 0., S. 14 und im übrigen Kormann, S. 81. 5 6
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c) A 11 gemeine und b es o n der e Ve rw a 1 t ung s h and 1 u n g e n je nachdem sie eine allgemeine Regelung enthalten, wie im allgemeinen die VO, Satzung, Vereinbarung bzw. die Verwaltungsvorschrift, oder aber einen bestimmten Einzelfall gestalten oder entscheiden, wie die Verwaltungsverfügung und -entscheidung bzw. der Dienstbefehl oder die Anweisung im Einzelfalle. d) E i n g 1 i e d r i g e u n d m e h r g 1 i e d r i g e Verwaltungshandlungen je nachdem auf der Seite der Verwaltung am Zustandekommen der Verwaltungshandlung nur eine Verwaltungsbehörde beteiligt ist oder aber eine Mehrheit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsträgern (mehrere Minister usf. oder die Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde zu gewissen Verwaltungshandlungen der Gemeinde usf.). e) Freie und gebundene Ver w a 1 tun g s h an d l u n g e n Man kann freie und gebundene Verwaltungshandlungen7 mit Bezug auf die Rechtsordnung, die für sie gilt, unterscheiden, nämlich, je nachdem es sich handelt um Handlungen freien Ermessens im Rahmen der Rechtsordnung oder aber um einen bloßen Vollzug von Rechtssätzen. Hierbei kann auch eine Abstufung zwischen Freiheit und Gebundenheit bestehen. So kann die Bindung nur nach bestimmter Richtung hin, mehr oder weniger weitgehend, z. B. in bezug auf die Erfüllung von Mindestvoraussetzungen, bestehen und im übrigen dem Ermessen noch Spielraum lassen; vgl. z. B . .§ 8 StaatsangG vom 22. Juli 1913 (o. § 4). Oder aber, es kann die Vornahme oder Nichtvornahme beim Vorhandensein gewisser Voraussetzungen vorgeschrieben sein; vgl. z. B. § 2 GaststG vom 28. April 1930, wonach die Erlaubnis zum Betrieb einer Gastwirtschaft, einer Schankwirtschaft oder zum Kleinhandel mit Branntwein "nur" zu versagen "ist", wenn ... (wobei unter den danach aufgeführten Ziff. 1 bis 5 freilich viele unbestimmte Rechts- und Ermessensbegriffe hereinspielen); ferner z. B. § 8 G über die Beaufsichtigung von Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen vom 6. Juni i. d. F. d. Bek. vom 5. März 1937 (RGBL I S. 269): "Die Erlaubnis darf nur versagt werden, wenn ... 2. (auch hier viele unbestimmte Rechts- bzw. Ermessensbegriffe) usf. Es kann hierbei zugleich auch ein persönliches Recht auf Vornahme einer Verwaltungshandlung bestehen (vgl. u. § 61). 7
Vgl. hierzu R. v. Laun, D. freie Ermessen und seine Grenzen (1910).
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Es ist schon früher hervorgehoben worden, daß entsprechend den verschiedenen Aufgaben der Verwaltung und der Rechtspflege das freie Ermessen (im franz. Recht: "pouvoir discretionnaire") in der Verwaltung eine große Rolle spielt - in Deutschland wie in Frankreich im Gegensatz zu England -, während es in der Rechtspflege, abgesehen von der freiwilligen Gerichtsbarkeit, nur wenig - entsprechend ihrer Aufgabe der Wahrung der Rechtsordnung- in der streitigen Gerichtsbarkeit in Betracht kommt; im übrigen handelt es sich beim sog. richterlichen Ermessen, wo es stattfindet, im allgemeinen regelmäßig um ein sog. Beurteilungsermessen, d. h. die Handhabung unbestimmter Rechtsbegriffe, i. S. der Anwendung allgemeiner gegenständlicher Maßstäbe auf einen bestimmten gegebenen Sachverhalt ("Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte", §§ 157, 242 BGB; "im Verkehr erforderliche Sorgfalt", § 276 BGB, "gute Sitten", .§§ 138, 826 BGB; Billigkeitsermessen: §§ 319, 829 BGB). Dagegen handelt es sich beim Verwaltungsermessen neben ebenfalls einem solchen Beurteilungsermessen auf Grund unbestimmter Rechtsbegriffe nach einem bestimmten Maßstab, einem unter Berücksichtigung der jeweiligen besonderen Verhältnisse des Einzelfalles gegenständlich bestimmten Ermessen (" Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen") einmal um unbestimmte Ermessensbegviffe, wie Prüfungsbewertungen, Belange ("lnte11essen") des öff·entlichen Verkehrs (§ 9 P.ersBefG i. d. früh. Fass. v. 1937) usw. 8 , wo die Bewertung und Entscheidung unter mehreren 11echtlich gleichwertigen Lösungen nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich den Verwaltungsbehörden unter Ausschluß gerichtlicher Nachprüfung, von Ermessensmißbrauch und Ermessensüberschreitung abgesehen, überlassen ist im Hinblick auf die hierbei in Betracht kommenden Zweckmäßigkeitserwägungen; mit Bezug darauf soll nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung nicht ein Gericht in der Weise einer Verwaltungsbehörde und unter Ersetzung ihres Ermessens in einer Sache tätig werden. Vor allen Dingen aber handelt es sich um ein bestimmtes einzelfallmäßiges Handlungsermessen, z. B. ob eine öff.entliche Straße oder Eisenbahn, und wo, wann und wie sie angelegt, oder eine neue Hochschule errichtet werden soll, ob von einer in einer bestimmten Vorschrift vorgesehenen Ausnahmebewilligung oder Befreiungsvorschrift, wie bei einer Bauvorschrift, Gebrauch gemacht, eine Straße wegen einer besonderen Veranstaltung für den Verkehr gesperrt werden soll usf. Es handelt sich hier nicht nur um eine Art der Auslegung von Rechtssätzen mit Berücksichtigung der besonderen Verhätlnisse des vorliegenden Einzelfalles, die zu einem bestimmten eindeutigen Ergebnis führt, 8 So zutr. BVerwGE, Bd. 1, S. 92. Zweckmäßigerweise wird neuerdings in Gesetzen eine Bindung von Verwaltungsbehörden und Gerichten an solche Ermessensentscheidungen vorgeschrieben (vgl. o. § 5).
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das auch der richterlichen Nachprüfung gegebenenfalls unterliegt, sondern um eine selbständige Tätigkeit, die auf einer Wahl zwischen mehreren im Sinne der Rechtsordnung an sich rechtlich gleichwertigen Möglichkeiten beruht, wenn es sich auch darum handelt, die im ganzen beste auszuwählen, nämlich zu tun, was die Verwaltung unter dem Gesichtspunkte des Gemeinwohls für am zweckmäßigsten im Einzelfalle hält. Nicht der Wille des Gesetzgebers, wie er im Gesetz zum Ausdruck kommt, soll hier, wie bei der gebundenen Verwaltung oder dem unbestimmten Rechtsbegriff, ausgeführt, die Verwaltung daran gebunden werden, sondern dem Willen der Verwaltungsbehörde bei ihrem Handeln ein freier Spielraum gelassen werden: dem- durch das Gesetzfremdbestimmten Handeln steht, wie man treffend gesagt hat, das vom Gesetz freigelassene- selbstbestimmte Handeln der Verwaltungsbehörde gegenüber. Dabei kann nicht ein sachwidriges, insbesondere willkürliches, aus unsachlichen Beweggründen gehandhabtes, sondern nur ein sachlich bestimmtes pflichtmäßiges Ermessen im Rahmen der Rechtsordnung in Frage kommen, z. B. bei einer polizeilichen Verfügung nur ein Handeln unter dem Gesichtspunkt der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Diese Handhabung freien Ermessens, die sich innerhalb der gesetzlichen Schranken bewegt, unterliegt als solche regelmäßig keiner richterlichen Nachprüfung, weder im ordentlichen Rechtsweg noch im Verwaltungsrechtsweg, wohl aber gegebenenfalls im Verwaltungswege der Nachprüfung durch höhere, insbesondere vorgesetzte, Verwaltungsstellen, wie namentlich bei der Beschwerde oder dem Widerspruch (vgl. u. 5. Buch); anders aber ist es bei Ermessensmißbrauch oder Ermessensüberschreitung, weil hier eine Rechtsverletzung vorliegt, z. B. wenn die Polizeibehörde eine beantragte Bauerlaubnis aus dem Grunde versagt oder an Bedingungen knüpft, um dadurch auf die Gewährung widerrechtlicher Vorteile, z. B. an eine Gemeinde, hinzuwirken (vgl. PrOVG Bd. 93 S. 169)u. Es kommt hierbei darauf an, ob das Handeln der Verwaltung auf Willkür beruht, insbesondere aus sachfremden Beweggründen erfolgt oder zu solchen Zwecken mißbraucht wird oder durch gegenständlich mit den an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings nicht vereinbar ist10• Durch die Gewährung dieses freien Ermessens ist der öffentlichen Verwaltung im Hinblick auf die im Einzelfalle 9 Vgl. auch daselbst S. 86: eine innerhalb der Grenzen pflichtmäßigen Ermessens getroffene polizeiliche Maßnahme setzt voraus: einmal, daß aus polizeilichen Beweggründen, d. h. aus dem Gesichtspunkte der Gefahrenabwehr gehandelt worden ist, ferner daß nicht Willkür, geschweige denn verwaltungspflichtwidrige Gründe, wie z. B. Schikane, bestimmend gewesen sind. 10 Vgl. wegen sich ergebender Schadensersatzansprüche (§ 839 BGB in Verbindung mit Art. 131 WeimRV bzw. jetzt Art. 34 GG) RGZ, Bd. 99 S. 256, Bd. 104, S. 213, Bd. 108, S. 366, Bd. 111, S. 1, Bd. 120, S. 220, Bd. 121, S. 232, Bd. 124, S. 160, Bd. 126, S. 166, Bd. 129, S. 305, Bd. 135, S. 117, Bd. 146, S. 363 Bd. 147, S. 183, Bd. 154, S. 121.
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verschiedenartig und vielgestaltig liegenden Verhältnisse und Bedürfnisse Raum zur schöpferischen Betätigung, Gestaltung und Anregung ohne Anstoß von außen gegeben, abgesehen von den Fällen, wo eine Antragstellung eines Beteiligten erforderlich ist. Schon in dem Handeln aus eigenem Antrieb äußert sich ein Ermessen mit Bezug auf das Handeln; neben dem Ermessen mit Bezug auf das "Ob" und "Was" kann noch das Ermessen mit Bezug auf das "Wie" und "Wann" in Betracht kommen. Für die Ausübung des Ermessens in der öffentlichen Verwaltung sind verwertbar die Grundsätze, die in § 2 Abs. 1 und 2 SteueranpassungsG vom 16. Oktober 1934 angegeben sind, wonach die Entscheidungen, welche die Behörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), sich in den Grenzen halten müssen, die das Gesetz dem Ermessen zieht, und innerhalb dieser Grenzen die Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu treffen sind11 • Was die Frage angeht, warum der Gesetzgeber im einzelnen für bestimmte Fälle gebundene oder freie Verwaltung vorsieht, so wird dafür maßgebend sein, ob der Gesetzgeber mehr auf eine gleichmäßige Durchführung gewisser auf seinem Willen beruhender Vorschriften, oder aber- wie im allgemeinen hinsichtlich der Verwaltung- auf die Gestaltung nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles, also mit der Möglichkeit der verschiedenartigen Behandlung der sich ergebenden Einzelfälle Wert legt12• So ist z. B. auf dem Gebiete des Sozialversicherungsrechts mit Bezug auf die Pflichtleistungen in der Krankenversicherung und die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten - im Gegensatz zur Sozialhilfe - und im Steuerschuldrecht verhältnismäßig wenig Raum für freies Ermessen, weil hier der Grundsatz der gleichmäßigen und gerechten Behandlung im Vordergrunde steht; so besteht im liberalen wie auch im sozialen Rechtsstaat hinsichtlich der Handhabung der Staatsaufsicht über die Selbstverwaltungskörperschaften im allgemeinen, von den wenigen Fällen genehmigungsbedürftiger Verwaltungshandlungen abgesehen, keine Aufsicht mit Bezug auf die Handhabung freien Ermessens, sondern nur eine sog. Rechtsaufsicht bezüglich der Einhaltung der Gesetze (vgl. o. 2. Buch). Im übrigen kann eine einheitliche Betätigung der Verwaltung weitgehend auch durch innere Verwaltungshandlung- allgemeine oder Einzelweisung- vorgesetzter Verwaltungsstellen, insbesondere des Ministeriums durch sog. Runderlasse, herbeigeführt werden. f) Ihrem sachlichen Gehalte nach können die Verwaltungshandlungen sein: Rechtssetzung (Rechtsverordnung, Satzung, Vereinbarung), 11 Gut ausgedrückt auch im Entwurf der württ. VerwaltungsrechtsO: "Soweit die Erlassung von Verwaltungsakten oder die Bestimmung ihres Inhalts im Ermessen der Verwaltungsbehörde liegt, ist die Entscheidung nach sachlichen Gesichtspunkten unter gerechter und billiger Abwägung des öffentlichen Interesses und der Einzelinteressen zu treffen" (Art. 25 i. d. F. v. 1936). 12 Vgl. dazu Kormann im Jahrb. d. öff. R, Bd. 7, S. 4, Jellinek VerwR., S. 29.
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weiter Rechtsprechung, d. h. die Anwendung von Rechtssätzen auf einen einzelnen, bestimmten, gegebenen Sachverhalt - abgesehen von den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die jetzt nicht mehr als Verwaltungshandlungen aufzufassen sind- bei den sog. Verwaltungsentsch·eidungen, wie bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit, des Wahlrechts oder der Festsetzung öffentlich-rechtlicher Entschädigungen, der Festsetzung von Wild- und Jagdschäden, früher auch bei den polizeilichen Strafverfügungen der Verwaltungsbehörden und jetzt noch bei den Bußgeldbescheiden der Verwaltungsbehörden sowie den Strafbescheiden der Finanzbehörden usf., oder aber - nämlich alles andere, das übrigbleibt -: Verwaltungshandlungen der Verwaltungsbehörden im engeren oder sachlichen Sinne außerhalb der Rechtsetzung und der Rechtsprechung im sachlichen Sinne. g) Nach dem Inhalt und der Zweckrichtung der Verwaltungshandlung kann man insbesondere unterscheiden: Beaufsichtigende, kenntnisnehmende, berichtende und mitteilende, prüfende und beanstandende; anordnende (rechtssetzende, gestaltende); entscheidende; vertragschließende und vollziehende Verwaltungshandlungen usf. h) Nach der Art der Verwaltungshandlung kann man insbesondere unterscheiden:
1) Verwaltungshandlungen tatsächlicher Art So vor allem bei der Gewaltanwendung gegen Personen oder Sachen, sei es beim mittelbaren oder unmittelbaren, sog. sofortigen, Zwang, insbesondere in Fällen des polizeilichen Notstandes, oder als tatsächliche Vollstreckungsmaßnahme: Entfernung eines Trunkenboldes von der öffentlichen Straße; Absperrung einer öffentlichen Straße bei einem Gebäudebrand; vorläufige Festnahme; Durchführung der Ausweisung eines Ausländers im Schubwege; Abreißen eines die Allgemeinheit gefährdenden baufälligen Hauses oder eines Hauses, das an ein in Brand geratenes Gebäude anstößt, zur Verhütung einer Ausbreitung des Brandes oder Einreißen eines Gartenzaunes zur Herbeischaffung von Wasser zum Löschen aus einem benachbarten Grundstück; Tötung von seuchenerkrankten oder -verdächtigen Tieren (§ 24 RViehseuchenG v. 1909); der Neubau oder die Ausbesserung von öffentlichen Straßen; die Veranstaltung von Vorträgen, von Ausstellungen als solchen (wenn daneben auch Rechtsgeschäfte, Grundstücksmiete usf., in Betracht kommen können); statistische Erhebungen; das Betreten von Grundstücken durch Beamte oder Beauftragte der Fernmeldeverwaltung nach vorheriger schriftlicher Ankündigung zur Vornahme von Ausästungen nach angemessener Fristsetzung (§§ 4 und 12 Abs. 3 TelWG); polizeiliche Nachprüfung und Nachschau von Meßgeräten (§§ 17 und 18 AusfVO zur Maßund GewichtsO v. 20. Mai 1936 i. d. F. v. 28. Dezember 1938); tatsächliche
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Handlungen, z. B. Ermittlungen, auf Grund der Amts- und Rechtshilfe13; Berichte, Mitteilungen, Hinweise, Auskunftserteilung, Ermahnungen oder Warnungen ohne Androhung oder Verhängung eines Rechtsnachteils im Gegensatz z. B. zu gebührenpflichtigen Verwarnungen usf. Daß diese tatsächlichen Verwaltungshandlungen auch rechtserheblicher Art sind oder sein können, sofern sie auf Grund von Rechtssätzen erfolgen, wie bei Eingriffen in Freiheit und Eigentum, oder zum Vollzug von Rechtssätzen, wie beim Zwangsvollzug auf Grund von Rechtspflichten, bedarf hier keiner weiteren Ausführung14 • Tatsächliche Verwaltungshandlungen brauchen sich im übrigen auch sonst nicht in der Tatsächlichkeit zu erschöpfen, sondern können, wie bei schlüssigen Verwaltungsverfügungen, z. B. u. U. bei der Widmung einer öffentlichen Straße, oder bei der unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme im sofortigen Zwang zugleich eine Verwaltungsverfügung enthalten. 2) Verwaltungsrechtshandlungen, d. h. - entsprechend den sog. Rechtshandlungen im bürgerlichen Recht - rechtserhebliche Handlungen, an die nach der Rechtsordnung sich eine Rechtsfolge anschließt, ohne daß der Wille des Handelnden auf diese Rechtsfolge gerichtet zu sein braucht und ohne Rücksicht auf diesen Willen. Bekannte Beispiele im bürgerlichen Recht sind die Wohnsitzbegründung (§ 7 BGB) und die Mahnung(§ 284 BGB). Im Verwaltungsrecht gehören dahin die Bekanntgabe, insbesondere die förmliche Zustellung, von Verwaltungsverfügungen, wodurch diese in Wirksamkeit treten; ferner Beurkundungen, d. h. hier die obrigkeitliche Feststellung des Vorliegens einer rechtlich erheblichen Tatsache in einer Urkunde mit öffentlicher Beweiskraft, z. B. der Zustellung. Es handelt sich hier nicht um eine obrigkeitliche Feststellung eines Verwaltungsrechtsverhältnisses, d. h. eine Verwaltungsentscheidung - vgl. u. § 34 - , gegen welche die ordentlichen Rechtsmittel eingelegt werden können und für welche die förmliche Rechtskraft in Frage kommt. Die Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen kann grundsätzlich auf Grund von Gegenbeweisen dargelegt werden. Die Beweiskraft hat im letzten Grunde nur die Bedeutung einer vorläufigen Feststellung; jedoch ist eine solche obrigkeitliche Feststellung mit Beweiskraft von einer Vermutung im engeren Sinne wohl zu unterscheiden (vgl. z. B. §§ 292, 415 ff. ZPO). Diese Beurkundungen als selbständige Rechtshandlungen sind weiter zu unterscheiden von den Fällen, in denen eine Verwaltungsverfügung, d. h. die obrigkeitliche, auf die Gestaltung eines Verwaltungsrechtsverhältnisses gerichtete Willenserklä13 Vgl. z. B. für den Wahlprüfungsausschuß des Bundestags § 5 Abs. 4 WahlprüfungsG vom 12. März 1951 (RGBl. I S. 167), ferner§ 1571 RVO usf. So auch die Unterstützung der polizeil. Vollzugsbeamten bei Anwendung von Gewalt bei der Vornahme einer Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher, falls dieser Widerstand findet (vgl. § 758 Abs. 3 ZPO). u Vgl. auch Merk!, VerwR, S. 172.
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rung, oder eine Verwaltungsentscheidung, d. h. die obrigkeitliche Feststellung einesRechtsverhältnisses,in einer Urkunde imSinne eines Formerfordernisses ausgesprochen wird, wie z. B. die Erteilung einer Bauoder Wirtschaftserlaubnis, eines Jagdscheins oder eines Waudergewerbescheins bzw. jetzt einer Reisegewerbekarte15 ; auch hier wird voller Beweis des betreffenden Vorgangs- Ert€ilung der Erlaubnis usf. -geliefert. So weiter die Eintragung in das Baulastenbuch nach landesrechtliehen Vorschriften mit der Rechtsfolge, daß eine öffentlich-rechtliche Grundlast in bezugauf Straßenkosten = (ErschHeßungs-) und W asserableitung.sbeiträge sowie mit Bezug auf besonders übernommene öffentlich-rechtliche Verpflichtungen über die Überbauung oder Nichtüberbauung von Grundstücken entsteht (vgl. z. B. Art. 99 württ. BauO v. 28. Juli 1910; u. § 59); ebenso die Eintragung in die amtliche Liste der Naturdenkmäler, das sog. Naturdenkmalbuch, durch die Naturschutzbehörde, wodurch die darin bezeichneten Gegenstände und Bodenteile den Schutz des Gesetzes erlangen (§ 12 RNaturschutzG v. 26. Juni 1935). Dagegen sind die Eintragungen von Bewilligungen und Erlaubnissen von Wassernutzungen (vgl. § 37 WasserhG v. 27. Juli 1957 und§ 115 bad.-württ. WasserG v. 25. Februar 1960, GELS. 17) für den Bestand und Nachweis des betreffenden Rechtsverhältnisses nicht maßgebend; anders wiederum § 17 PersBefG vom 21. März 1961, wonach die erteilte Genehmigung nur durch die Genehmigungsurkunde oder eine amtliche Ausfertigung nachgewiesen werden kann. Solche Beurkundungen in dem hier gemeinten Sinne werden insbesondere vorgenommen beim Standesamt durch Eintragung in das Familienbuch, Geburtenbuch und Sterbe buch. V gl. § 60 PStG: "Die Personenstandsbücher beweisen bei ordnungsgemäßer Führung Eheschließung, Geburt und Tod und die darüber gemachten näheren Angaben. Vermerke über die Staatsangehörigkeit oder eine Änderung der Staatsangehörigkeit haben diese Beweiskraft nicht. - Der Nachweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen ist zulässig." Ferner gehören dahin die Eichung (Abstempelung von Maßen und Gewichten) nach§ 24Maß-und GewichtsO vom 13. Dezember 1935, die Eichmarke zur Bezeichnung des höchstzulässigen Maßes der Wasserspannung nach Wasserrecht (vgl. z. B. § 55 des früheren bad. WasserG v. 12. April 1913); die Kennzeichnung durch den Fleischbeschauer nach§ 19 FleischbeschauG vom 29. Oktober 1940 usf. 18 • Zutreffend hebt Vgl. Kormann, a. a. 0., 8.132. Weiter sind dahin zu rechnen die nach verschiedenen Gesetzen an Beteiligte, sei es an einzelne oder öffentlich ergehende Aufforderung€n von Verwaltungsbehörden, Einwendungen binnen bestimmter Frist gegen die Vornahme einer beantragten oder sonst in Aussicht genommenen Verwaltungshandlung geltend zu machen, wenn als Rechtsfolge nach fruchtlosem Ablauf der Frist ein Ausschluß der Geltendmachung, d. h. ein€ Verwirkung, eintritt; ebenso haben sonstige Aufforderungen, an die sich unmittelbar solche Rechtsfolgen knüpfen, wie z. B. vor der Verwaltungsbehörde zu erscheinen oder eine 15
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den Unterschied zwischen den Feststellungen, wie sie durch die Träger der öffentlichen Verwaltung in den sog. Verwaltungsentscheidungen getroffen werden, und den Beurkundungen der hier in Frage stehenden Art Kormann 17 hervor, wenn er auch unrichtigerweise von "rechtsgeschäftliehen" Feststellungen spricht; nachdem er zunächst bemerkt hat, daß die Beurkundungen keine Rechtsgeschäfte sind: "Insbesondere stehen die Beurkundungen im scharfen Gegensatz zu den rechtsgeschäftliehen Feststellungen; die Feststellung, namentlich das Urteil, ist Willenserklärung, es wirkt, weil der Erklärende will, es wirkt unabhängig von seiner Richtigkeit; es wirkt, selbst wenn seine Unrichtigkeit sonnenklar ist, mit der eigentümlichen Kraft der publizistischen" (d. h. öffentlich-rechtlichen) "Willenserklärung, so lange, bis es durch den Gebrauch eines, keineswegs immer zulässigen, Rechtsmittels aus der Welt geschafft ist. Ganz anders die Beurkundung; sie wirkt nicht, weil der Beurkundende will, sie ist keine Willenserklärung, sie wirkt nur, weil und nur insoweit, als sie richtig ist, sie ist reines Beweismittel; daher kann die durch die Beurkundung bezeugte Tatsache auch durch andere Beweismittel bewiesen werden und der Gegenbeweis gegen die Urkunde durch andere bessere Beweismittel ist unbeschränkt, wenn auch natürlich nicht unbeschränkbar, da der allmächtige Gesetzgeber selbstverständlich aus irgendwelchen Gründen auch den Gegenbeweis ausschließen kann." Zu den Rechtshandlungen gehört auch die Entgegennahme empfangsbedürftiger Willenserklärungen. 3) Verwaltungsrechtliche Willenserklärungen, d. h. Willenserklärungen von Trägern der öffentlichen Verwaltung, die auf einen Rechtserfolg im Bereiche der öffentlichen Verwaltung gerichtet und von der Rechtsordnung dementsprechend mit diesem Rechtserfolg ausgestattet sind. aa) Die Verwaltungsrechtssetzung: Der verbindliche Erlaß von Rechtssätzen durch Verordnung oder Satzung, sowie das Treffen einer Vereinbarung auf Grund des Gesetzes (vgl. o. 1. Buch 3. Abschn.) 18 • Pflicht zu erfüllen, insbesondere die Mahnung, wo sie vorkommt, diese Bedeutung. Vgl. dazu Apelt, a. a. 0., S. 116. Ebenso die Beanstandung von Jagdpachtverträgen durch die Behörde nach § 12 BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. vom 30. März 1961 (BGBl. I S. 304) wonach, wenn die Vertragsteile der Aufforderung, den Vertrag aufzuheben, oder in bestimmter Weise zu ändern, bis zu dem bestimmten Zeitpunkt nicht nachkommen, der Vertrag als aufgehoben gilt, wenn nicht einer der Vertragsteile binnen der Frist einen Antrag aufEntscheidungdurch das AG stellt; desgl. dieFristsetzung mit derFolge des Forderungsübergangs auf die Bundesanstalt für den Güterfernverkehr bei Nichtbenutzung nach§ 23 GüterkraftverkehrsG vom 17. Oktober 1952 (BGBl. I
s.
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a. a. 0., S. 131. Daß auch Verwaltungshandlungen einzelfallmäßiger Art, die Verfügungen und Entscheidungen, rechtssetzender Art sein sollen, wie Merk! von seiner Stufenlehre aus meint, VerwR, S. 173, trägt m. E. nicht zur Klarheit in der Aufassung der Rechtserscheinungen bei. 11 18
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bb) Die Verwaltungsrechtsgeschäfte d. h.- entsprechend den Rechtsgeschäften des bürgerlichen Rechts - Willenserklärungen, die auf einen bestimmten verwaltungsrechtlichen Rechtserfolg zur Gestaltung eines bestimmten Einzelfalles im Rahmen der Rechtsordnung gerichtet und von der Rechtsordnung mit dem entsprechenden Rechtserfolg ausgestattet sind (vgl. dazu u. Ziff. II). 4) Verwaltungsrechtsentscheidungen d. h. rechtserklärende (rechtsklarstellende) Feststellungen von Verwaltungsrechtsverhältnissen auf Grund der bestehenden Verwaltungsrechtsordnung. So - abgesehen von den Urteilen in der Verwaltungsrechtspftege, die jetzt nicht mehr als Verwaltungshandlungen i. e. S. aufzufassen sind - die Verwaltungsentscheidungen in der reinen Verwaltung, die nur das bestehende Recht auf einen einzelnen bestimmten Fall anwenden wollen. Hier steht im Gegensatz zu den gestaltenden Verwaltungsverfügungen die Wahrheit und Richtigkeit der Entscheidung, d. h. einer Beurteilung, im Vordergrund; aber diese Entscheidungen enthalten im Gegensatz zu einem bloßen unmaßgeblichen Gutachten19 (bei dem freilich auch eine Willensäußerung des Gutachters vorhanden ist) auch eine maßgebliche Willenserklärung, daß die zuständige Behörde für das so Bestimmte - etwa unter verschiedenen Auslegungs- und Entscheidungsmöglichkeiten - so sich entscheidet, es will, und es so rechtens sein soll ("ita ius esto"), freilich, weil und sofern es nach der Auffassung des Entscheidenden die Rechtsordnung so bestimmt und will, auch wenn es in Wirklichkeit ihr nicht entspricht. Mit dieser Entscheidung kann aber auch zugleich ein Gebot entsprechend der Rechtsordnung verbunden sein, der Entscheidung gemäß sich zu verhalten. Aber es besteht doch kein Grund, hier mit Kormann von einem Rechtsgeschäft zu sprechen, weil hier eine staatliche Willenserklärung 20 vorliege, denn hier wird doch die im Vordergrunde stehende Entscheidungsnatur zu wenig gewürdigt und unterschieden gegenüber den Rechtsgeschäften, vgl. dazu u. Ziff. III 21 • i) Einseitige und zweiseitige Verwaltungshandlungen, je nachdem ein Träger der öffentlichen Verwaltung einseitig eine Verwaltungshandlung vornimmt - wie bei den tatsächlichen Handlungen, den Rechtshandlungen und den Verwaltungsverfügungen und sonstigen einseitigen Willenserklärungen, sowie den Verwaltungsentscheidungen auf der einen -, oder aber bei der betreffenden Verwaltungshandlung Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 72 ff. So auch (für das gerichtl. Urteil) 0. Bülow, Gesetz u. Richteramt (1886), s. 6 ff. 21 Eigenartig ist auch die Mitwirkung des Verwaltungsbeamten in dem bei dem Amtsgericht gebildeten Ausschuß zur Entscheidung über die gegen die Schöffenvorschlagsliste erhobenen Einsprüche und zur Wahl der Schöffen und Hilfsschöffen, also entscheidender und rechtsgeschäftlicher Art auf dem Gebiete der Rechtspflegeverwaltung nach§§ 41 f. GVG. 10 20
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mehrere einander rechtlich gleichgeordnete Willensträger durch zusammenstimmende Willenserklärungen mitwirken, wie bei den Vereinbarungen (o. § 14) und den Verwaltungsverträgen i. e. S. (u. § 33), auf der anderen Seite. Eine Zwischenstufe zwischen beiden Arten ist dort gegeben, wo bei der Verwaltungshandlung zu ihrer Gültigkeit eine Willenserklärung eines Beteiligten erforderlich ist, wie bei der Einbürgerung und der Beamtenernennung, d. h. sog. "mitwirkungsbedürftigen" Verwaltungshandlungen (Forsthoff). Im übrigen ergibt sich manche Ähnlichkeit zwischen der Verwaltungsverfügung und der Verwaltungsentscheidung, weil hier jeweils einseitige Verwaltungshandlungen vorliegen, obwohl die Verwaltungsentscheidung kein Verwaltungsrechtsgeschäft ist, was wiederum die Verwaltungsverfügung mit dem Verwaltungsvertrag gemeinsam hat. Bei einseitigen Verwaltungshandlungen kann wiederum ein einzelner Willensträger (beim sog. Einzelverwaltungsgrundsatz) oder aber mehrere Willensträger (wie bei dem Gesamtverwaltungsgrundsatz, wie bei Beschlüssen der Gemeinderäte oder Kreisräte) beteiligt sein. II. Die Verwaltungsrechtsgeschäfte Im Gegensatz zum Erlaß von Rechtssätzen allgemeiner Art- Verordnungen, Satzungen, Vereinbarungen-, die auch eine Willenserklärung enthalten, aber Rechtssätze begründen, ändern oder aufheben und ihre Grundlage in einer Ermächtigung der gesetzgebenden Gewalt haben, und zum Erlaß von Verwaltungsentscheidungen, die lediglich der Sache nach wie die Urteile in der ordentlichen Rechtspflege das bestehende Recht auf einen einzelnen gegebenen bestimmten Sachverhalt anwenden, handelt es sich bei den öffentlich-rechtlichen Verwaltungsrechtsgeschäften i. e. S., um dem öffentlichen Recht angehörige Willenserklärungen von Trägern öffentlicher Verwaltung, die auf die Gestaltung eines einzelnen bestimmten Sachverhalts zur Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen der geltenden Rechtsordnung gerichtet sind, um Rechtsverhältnisse im Bereiche der öffentlichen Verwaltung zu begründen, zu ändern oder aufzuheben. Es handelt sich um die der Verwaltung im eigentlichen Sinne zukommende rechtlich höchste Art der Verwaltungshandlung, die man unter Verwendung eines ursprünglich für das bürgerliche Recht geprägten Begriffs "Verwaltungsrechtsgeschäfte" nennen kann, insofern bei ihnen der Wille auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechtsverhältnissen der öffentlichen Verwaltung auf Grund und im Rahmen der bestehenden Verwaltungsrechtsordnung gerichtet und demgemäß mit diesem Rechtserfolg ausgestattet wird. Daß der Begriff der rechtsgeschäftliehen Willenserklärung von Trägern der öffentlichen Verwaltung deshalb nicht an51•
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gewendet werden dürfe, weil sie mit dem Verwalteten, an den sie sich richten, nicht auf derselben Ebene sich befinden, wie Forsthoff meinf 2 , ist nicht einzusehen; es wird hier einem Punkte, der für das bürgerliche Recht zutrifft, aber für den Begriff des Rechtsgeschäfts nach dem eben Gesagten nicht wesentlich erscheint, eine ungerechtfertigte Bedeutung beigemessen; es wird hier auch verkannt, daß ein Bedürfnis besteht, diese Art von Verwaltungshandlungen nach ihrer Eigenart von anderen, auch von Willenserklärungen anderer Art der öffentlichen Verwaltung begrifflich zu unterscheiden und zusammenzufassen; es braucht nicht eine Übereinstimmung in jeder, und insbesondere in unwesentlicher Hinsicht, mit dem bürgerlich-rechtlichen Begriff des Rechtsgeschäftes zu bestehen. Auch für die Willenserklärungen des öffentlichen Rechts gilt entsprechend § 133 BGB, daß der wirkliche Wille der Beteiligten zu erforschen und nicht am Buchstaben zu haften ist (vgl. auch Pr. OVG Bd. 86 S. 404). Falsche Bezeichnungen schaden nach einem alten Rechtsgedanken (falsa demonstratio non nocet) nicht, z. B. wenn statt von "Revi22 Vgl. Forsthofi, VerwR, 8. Aufl., S. 184 fi. ("Rechtsgeschäft und Verwaltungsakt schließen sich aus"; "Verwaltungsakt nicht ... Willensakt"). Man denke außer den von F. selbst angeführten Fällen an die Beamtenernennung, die Erteilung von Erlaubnissen und Verleihungen, auch z. B. an Erlaß, Stundung usw. Der von F. hierzu geltend gemachte Gesichtspunkt, daß eine Verwaltungsverfügung des geisteskranken Beamten gültig und fehlerfrei sei, wenn (!) sie gesetzmäßig und sachlich richtig sei, steht dem nicht entgegen; es handelt sich um die Frage der Gültigkeit von Verwaltungsverfügungen, wobei hier - wie auch sonst z. T. im öff. R - auf die zutreffende äußere Erscheinung der hoheitlichen Handlung, und nicht auf das fehlende Innere, abgehoben werden kann - wenn das Gesetz dies bestimmt oder sich aus dem Gesetz ergibt. Für jene Fälle besteht aber kein Nichtigkeits- oder Fehlerhaftigkeitsgrund. Vgl. auch schon W. Jellinek, D. fehlerhafte Staatsakt (1908), S. 59 fi., ferner § 11 Abs. 2 Zifi. 2 und §§ 13, 14 BBG. Jedenfalls geht es aber nicht an, einfach zu sagen, die Verwaltungsverfügung "sei nicht aus der seelischen Lage des sie erlassenden Beamten", sondern ausschließlich (!) im Rahmen der objektiven Sinnbezüge des Verwaltungshandeins zu beurteilen"; das ist eine unzutreffende Übertreibung; das Willensmäßige bei den Verwaltungshandlungen der Wirkglieder des Staates einfach ausschalten zu wollen, geht nicht an; die Verwaltungsbeamten sind keine bloß mechanischen Vollzugsmaschinen; man denke insbesondere z. B. an Ermessenshandlungen. Ebensowenig einleuchtend sind die von Jellinek (VerwR S. 259) aus dem Sprachgefühl hergeleiteten Bedenken, staatshoheitliche Handlungen als "Geschäfte" zu bezeichnen. Es kommt hier nur auf eine rechtswissenschaftliche Begriffsbezeichnung an. Es wird auch niemand leugnen wollen, daß die Eheschließung, die ja kein "Geschäft" sein soll, ein Rechtsgeschäft sei. Gegenüber den sonstigen Verwaltungshandlungen besteht ein Bedürfnis, die Eigenart der "Rechtsgeschäfte" herauszuheben, wobei nur anzugeben ist, was darunter verstanden werden soll. Es ist auch nicht einzusehen, warum mit dieser wissenschaftlichen Kennzeichnung der Hoheit des Staates irgendwie zu nahe getreten wird. Auch Maunz, Verwaltung, S. 193, behauptet ohne nähere Begründung, daß die Verwaltungsverfügung "kein Rechtsgeschäft" sei. - Dagegen verwendet z. B. auch das BVerwGE, Bd. 2, S. 143 diesen Ausdruck für die staatlichen "Hoheitsakte".
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sion" von "Berufung" die Rede ist, oder wenn eine Erlaubnis beantragt wird, wo eine "Verleihung" in Frage kommt usw. Die Verwaltungsrechtsgeschäfte können einseitige oder zweiseitige sein, je nachdem die Rechtsfolge durch die Willenserklärung eines einzelnen Trägers der öffentlichen Verwaltung oder aber durch zusammenstimmende Willenserklärungen mehrerer gleichberechtigter Willensträger im Bereiche der öffentlichen Verwaltung herbeigeführt wird. Danach sind zu unterscheiden das einseitige Verwaltungsrechtsgeschäft, vor allem die Verwaltungsverfügung, und der Verwaltungsvertrag. a) D a s e i n s e i t i g e V e r w a l t u n g s r e c h t s g es c h ä f t Als einseitiges Verwaltungsrechtsgeschäft kommt vor allem die Verwaltungsverfügung in Betracht. Sie spielt im Verwaltungsrecht im Gegensatz zum zweiseitigen Verwaltungsrechtsgeschäft, dem Verwaltungsvertrag, die weitaus hervorragendere Rolle im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, wo gerade umgekehrt das zweiseitige Rechtsgeschäft, der Vertrag, vorherrscht. Dies erklärt sich daraus, daß es sich auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts um einander rechtlich gleichgeordnete Rechtspersönlichkeiten handelt, die regelmäßig nur im Wege des zweiseitigen Rechtsgeschäfts ihre rechtlichen Beziehungen zueinander gestalten können, während es sich bei der Verwaltung vor allem um die Betätigung der öffentlichen Gewalt den dieser Gewalt Unterworfenen gegenüber mit einem rechtlich übergeordneten Willen handelt und sie demgemäß nach der Verfassung und den Gesetzen zur wirksamen Wahrnehmung von Gemeinschaftsaufgaben den Verwalteten gegenüber einseitig rechtlich wirksam werden kann, auch ohne daß sie bei dem Eingreifen in den Rechtskreis des einzelnen seiner Zustimmung bedürfte: auf der Unterworfenheit unter die öffentliche Gewalt der Gemeinschaft und der sich daraus ergebenden Gehorsamspflicht beruhen vor allem die Rechtsverhältnisse der öffentlichen Verwaltung, während vertragliche Regelungen, insbesondere unter einander gleichgeordneten Trägern öffentlicher Verwaltung, eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle spielen (vgl. u. Buchst. b). In besonders ausgeprägtem Maße tritt dies bei der Begründung von Rechtsverhältnissen durch Willenserklärungen, wie namentlich auf dem Gebiete des Polizeirechts in Gestalt des Polizeibefehls mit Geboten und Verboten entgegen. Auch die Steuerauflage geschieht ebenso einseitig durch den Staat-hier freilich durchGesetzregelmäßig für den Fall der Verwirklichung der gesetzlich bestimmten Voraussetzungen für alle, die sie in ihrer Person erfüllen, aber doch ohne Rücksicht auf den Willen des einzelnen Beteiligten; in der Steuerverwaltung, wie insbesondere auch in der sog. Steueraufsicht, tritt ebenfalls diese einseitige obrigkeitliche Tätigkeit deutlich hervor. Aber
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auch bei den, sei es durch Willenserklärung oder unmittelbar kraft Gesetzes einmal begründeten, auf ein Leistensollen, insbesondere auf eine Geldleistung, gehenden Schuldverhältnissen des öffentlichen Rechts zeigt sich die gleichartige Erscheinung: z. B. bei dem Anspruch auf Beiträge, Gebühren, Steuern usf. begegnen dieselben Begriffe, die auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts entsprechend geläufig sind, wie Erlaß, Stundung usf.; sie haben aber alle eine öffentlich-rechtliche Umprägung erfahren und sind im Gegensatz zu den entsprechenden Rechtsgebilden des bürgerlichen Rechts einseitige Verfügungen des Trägers der öffentlichen Verwaltung, ohne daß hier eine gleichwertige - vertragsartige- Mitwirkung oder Zustimmung des Pflichtigen dafür in Frage käme wie bei dem bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnis. Der Wille des Trägers der öffentlichen Verwaltung wird hier von der Rechtsordnung als rechtlich allein maßgeblich erklärt, mag auch, weil der Rechtskreis des einzelnen berührt wird und ihm eine rechtliche Vergünstigung zuteil und ihm nicht aufgenötigt werden soll, hierbei regelmäßig -immerhin in Achtung seiner Rechtspersönlichkeit-einAntrag von ihm vorausgesetzt werden: die Beteiligten stehen nicht auf derselben Ebene, sondern der Träger der öffentlichen Verwaltung befindet sich auf einer höheren Ebene. Im bürgerlichen Recht haben die einseitigen Rechtsgeschäfte ein verhältnismäßig nur geringes Anwendungsgebiet, weil es sich um rechtlich Gleichgeordnete handelt und daher ein einseitiges Eingreifen in den Rechtskreis einer anderen Rechtspersönlichkeit dem einzelnen zur Wahrnehmung seiner besonderen eigenen Belange nicht gestattet werden kann: hier hat niemand von sich aus dem anderen etwas zu befehlen, d. h. durch einseitige Willenserklärung das Verhalten des anderen rechtlich bindend zu bestimmen. Daher sind einseitige Rechtsgeschäfte - abgesehen von den letztwilligen Verfügungen, wo es sich um Verfügungen über das eigene Vermögen auf den Todesfall (jedoch unheselladet des Ausschlagungsrechts des Begünstigten) handelt, d. h. also - unter Lebenden, im Schuldrecht bei der Auslobung, wo der Auslobende für die Erbringung einer Leistung oder eines Erfolgs eine Leistung verspricht, sich also lediglich verpflichtet und dem einzelnen die Freiheit, den gewünschten Erfolg zu erbringen oder nicht, völlig gewahrt bleibt und in seinen Rechtskreis wider seinen Willen, jedenfalls zu seinen Ungunsten, aber auch zu seinen Gunsten, nicht eingegriffen wird- wie ja auch die Schenkung einen Vertrag voraussetzt - und bei der Kündigung zur Beendigung von Dauerschuldverhältnissen zum Zwecke der Verhütung übermäßig lang dauernder Bindung unter der Wahrung der persönlichen Freiheit oder wegen des Eintritts neuer Ereignisse, die das Festhalten am Vertrag dem einzelnen als unzumutbar oder unsittlich erscheinen läßt, wohl gestattet; im übrigen aber nur dort, wo der einzelne ausschließlich über die zu seinem
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Rechtskreis gehörigen Rechte verfügt, sie preisgibt oder auf sie verzichtet, wie bei den dinglichen Rechten, z. B. bei der Preisgabe des Eigentums, Verzicht auf dinglich begrenzte Rechte (vgl. dazu§§ 875, 959, 1168 BGB; anders jedoch bei der Löschung von Grundpfandrechten wegen der Beteiligung des Eigentümers - Eigentümergrundschuld! § 1183 BGB). Dagegen bedarf die Begründung, die Änderung wie auch die Stundung - und die Aufhebung einer Forderung durch Erlaß oder Verzicht eines Vertrags zwischen Gläubiger und Schuldner (§§ 305, 397, 202 BGB). Die Regel bilden also für die Begründung, Änderung und Aufhebung von Rechtsverhältnissen zwiter Lebenden durchaus zweiseitige Rechtsgeschäfte. Anders auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes. Der öffentlichen Gewalt ist gerade eigentümlich, daß sie regelmäßig einseitig vorgehen kann und vorgeht den Verwalteten gegenüber, um ihre Aufgaben wirksam erfüllen zu können, jedenfalls dann, wenn dies auf andere andere Weise - nämlich, was freilich für ihre Aufgaben nur in beschränktem Maße in Betracht kommt, in den Formen des bürgerlichen Rechts, dann aber eben auf Grund eines Vertrags mit den Beteiligten - nicht möglich ist. Befehle, Gebote und Verbote wie auch sonstige Willenserklärungen rechtsgeschäftlicher Art, werden so einseitig vorgenommen; einseitig ist aber auch, um dies gleich hier anzuführen, der Zwang, der gegebenenfalls von dem Träger öffentlicher Verwaltung selbst zu ihrer Verwirklichung, sozusagen in einem Selbsthilfeverfahren, aber auch ohne vorgängige Verwaltungsverfügung zur Verwirklichung durch das Gesetz begründeter verwaltungsrechtlicher Pflichten im sofortigen Zwang angewendet wird. Die Verwaltungsverfügung ist vor allem der Ausdruck dieser Einseitigkeit auf rechtsgeschäftlichem Gebiete in Betätigung der öffentlichen Gewalt dem einzelnen gegenüber, auf dessen Willen es hierbei grundsätzlich nicht ankommt. Eine rechtliche Tragweite wird dem Willen des bei der Durchführung einer Verwaltungsaufgabe in Betracht kommenden einzelnen regelmäßig nicht beigemessen, weil er störend, hemmend oder hindernd der Verwaltung im Wege stehen könnte; diese soll eben aufdemGebietedesGemeinschaftslebens öffentliche Aufgaben, die ja im letzten Grunde auch den einzelnen als Angehörigen der Gemeinschaft zugute kommen sollen -wenn auch nicht lediglich und bloß den augenblicklich, sondern wie den vergangenen, so den gegenwärtigen und zukünftig Lebenden wirksam wahrnehmen können. Dies rechtfertigt sich dadurch, daß im Bereiche der äußeren Güterwelt gegenüber den Sonderzwecken des einzelnen, der in seinem Eigenwert durchaus anzuerkennen ist, die Aufgaben der Gemeinschaft, d. h. des Staates, dem der einzelne angehört, weil übereinzelpersönlich, als die höherwertigen anzusehen sind: nicht lediglich der einzelne an sich, losgelöst von der Gemein-
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schaft, sondern der einzelne als eingeordnet in die Gemeinschaft, in die engeren Gemeinschaften, wie Familie, Gemeinde usf., dann in die umfassende von Volk und Staat, die ihrerseits wieder in die Völkergemeinschaft, d. h. in die Kulturgemeinschaft der Menschheit, eingegliedert ist, somit Persönlichkeit und Gemeinschaft in ihrer Verbundenheit stellen sich als die obersten Grundwerte dar. Verträge, d. h. zusammenstimmende rechtlich gleichwertige Willenserklärungen, setzen demgegenüber eine Gleichordnung des rechtlichen Willens mehrerer Rechtsträger voraus, woran es im Bereiche der öffentlichen Verwaltung regelmäßig fehlt, soweit insbesondere nicht mehrere, dem Staat ein- und untergeordnete, aber einander gleichgeordnete Rechtsträger öffentlicher Verwaltung, somit öffentlicher Gewalt, in Betracht kommen, wie mehrere Selbstverwaltungskörperschaften, z. B. Gemeinden, usf. Wäre überdies ein Träger öffentlicher Verwaltung durch einen Vertrag gebunden, so könnte er sich grundsätzlich nicht einseitig davon freimachen, während die einseitige Willenserklärung, die Verwaltungsverfügung, wie noch später näher dazulegen ist, im allgemeinen frei widerrufen werden kann, um die öffentlichen Belange nach den jeweils vorliegenden besonderen Verhältnissen wahrnehmen zu können, ohne durch frühere Verwaltungshandlungen daran gehindert zu sein. Auf der anderen Seite wird für die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung dort, wo der einzelne für sich eine besondere Vergünstigung, wie die Verleihung eines Rechts usf., begehrt, ein Antrag des Beteiligten vorausgesetzt. Zwei Fälle sind besonders lehrreich zur Erläuterung des Gesagten und Beleuchtung des Unterschiedes zwischen dem öffentlichen Verwaltungsrecht und dem bürgerlichen Recht, nämlich der Fall der Enteignung und der des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes. Der Staat kann versuchen, wenn er Grundstücke benötigt, um ein dem öffentlichen Nutzen dienendes Unternehmen durchzuführen, wie z. B. um eine neue öffentliche Straße oder Eisenbahn anzulegen, die dafür erforderlichen Grundstücke mit den Mitteln und in den Formen des bürgerlichen Rechts auf Grund Kaufvertrags durch Auflassung und Eintragung im Grundbuch zu angemessenem Preise von den bisherigen Grundeigentümern zu erwerben; wenn ihm dies aber nicht gelingt, auf diesem Wege das Eigentum zu erwerben, weil die bisherigen Eigentümer diese Grundstücke- etwa weil sie sie von ihren Vätern und Vorvätern überkommen haben- überhaupt nicht oder nicht zu angemessenem Preise abgeben wollen, dann bleibt dem Staate nichts anderes übrig, wenn anders er diese Gemeinschaftsaufgabe zum allgemeinen Wohle durchführen will, als auf dem Wege des öffentlichen Rechts, nämlich im Enteignungsverfahren, vorzugehen; durch einseitige obrigkeitliche Willenserklärung des Staates, die Enteignungsverfügung, wird dem bisherigen Eigentümer das Eigentum entzogen und in rechtlich ursprüng-
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licher Weise das Eigentum des Staates unter Beseitigung der bisherigen Rechte an dem Grundstück begründet. - Weiter hat nach § 618 BGB der Dienstberechtigte Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten, daß die Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, daß der Dienstverpflichtete gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet. Eine wörtlich fast damit übereinstimmende Vorschrift ähnlichen Inhalts findet sich in § 120a GewO, wonach die gewerblichen Unternehmer verpflichtet sind, die Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten und zu unterhalten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, als die Natur des Betriebes es gestattet. Aber der Unterschied ist hierbei der, daß es sich dort lediglich um bürgerlichrechtliche Beziehungen zwischen Arbeitgeber (Dienstberechtigtem) und Arbeitnehmer (Dienstverpflichtetem) handelt, die dementsprechend auch nur bürgerlich-rechtliche Ansprüche, insbesondere seitens des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, begründen und vor dem ordentlichen Gericht bzw. Arbeitsgericht durch Klage auf Erfüllung bzw. bei Nichterfüllung ggf. auf Schadenersatz geltend zu machen sind, während es sich bei der Vorschrift der GewO um öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Staate handelt, so daß die in Frage stehenden Pflichten- wenn auch mit Bezug auf den Arbeitnehmer und zu seinen Gunsten - doch nur gegenüber dem Staate bestehen; dieser kann die Durchsetzung dieser Pflichten, insbesondere mit Hilfe der Gewerbeaufsichtsämter, durch Befehl und Zwang im Verwaltungsverfahren im Einzelfalle verwirklichen, um auf diese Weise aus Gründen des öffentlichen Wohls einen wirksamen öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz zugunsten der Arbeitnehmer durchzuführen, da der einzelne Arbeitnehmer im allgemeinen für sich allein nicht in der Lage wäre, seine bürgerlich-rechtlichen Ansprüche - jedenfalls auf Erfüllung - gegenüber dem Unternehmer als der regelmäßig wirtschaftlich Schwächere durchzuführen, als welcher er in einem solchen Falle jedenfalls früher vor der Bildung der wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitnehmer (Gewerkschaften) mit alsbaldiger Entlassung durch den Arbeitgeber rechnen mußte. Neben der Verwaltungsverfügung kommen aber noch andere einseitige Verwaltungsrechtsgeschäfte von Trägern der öffentlichen Verwaltung in Betracht, so insbesondere z. B. die Aufrechnungserklärung, der Beitritt zu einem Zweckverband (vgl. § 7 ZweckverbandsG v. 7. Juni 1939) 23 • Man kann sie im Gegensatz zu den Verwaltungsverfügungen als "schlichte" öffentlich-rechtliche Verwaltungsrechtsgeschäfte bezeich-
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nen, insofern hier nicht hoheitsrechtliche Willenserklärungen gegenüber Verwalteten in Frage stehen. b) Das zweiseitige Verwaltungsrechtsgeschäft Demgegenüber tritt das zweiseitige Rechtsgeschäft, d. h. der Verwaltungsvertrag, in den Hintergrund, weil eine rechtliche Gleichwertigkeit des Willens des Trägers der öffentlichen Verwaltung und des einzelnen, wie sie insbesondere bei einem Vertrag vorausgesetzt wird und, wie bereits bemerkt, den Verhältnissen des bürgerlichen Rechts mit seiner rechtlichen Gleichordnung der einzelnen entspricht, im Bereiche der öffentlichen Verwaltung- abgesehen insbesondere von dem Verhältnis mehrerer, einander gleichgeordneter, dem Staate eingeordneter Verwaltungsträger - grundsätzlich nicht besteht, durchaus in den Hintergrund. Damit ist nicht gesagt, daß der Wille des einzelnen im Bereiche der öffentlichen Verwaltung rechtlich völlig bedeutungslos sei; es besteht ja im liberalen Rechtsstaat, wie auch im sozialen Rechtsstaat, zumal wenn er auf den Grundsätzen der Volksoberherrlichkeit und der Volksherrschaft aufgebaut ist, im Gegensatz zum unbeschränkten Fürstenstaat als einem sog. "Obrigkeitsstaat" i. e. S. nicht die schroffe Gegenüberstellung der einzelnen und der Gemeinschaft. Aber von einer rechtlichen Gleichwertigkeit des Willens des einzelnen mit den Trägern der öffentlichen Verwaltung, die mit ihrer öffentlichen Gewalt für die Allgemeinheit zur Wahrnehmung von Gemeinschaftszwecken tätig zu sein haben, ist auch da keine Rede. So geschieht wohl z. B. die Einbürgerung eines Ausländers, ferner die Aufnahme in das Beamtenverhältnis durch eine einseitige obrigkeitliche Verfügung als solche, nicht durch einen Vertrag des öffentlichen Rechts, -geschweige, wie früher z. T. angenommen wurde, des bürgerlichen Rechts-; aber die Einwilligung des Einzubürgernden oder in das Beamtenverhältnis Aufzunehmenden, der auch in dem Antrag auf Einbürgerung und auf Aufnahme in das Beamtenverhältnis enthalten sein kann und regelmäßig in ihm enthalten sein wird, ist doch die rechtliche Gültigkeitsvoraussetzung dafür, daß die einseitige öffentlich-rechtliche Verfügung der Verwaltungsbehörde - die Einbürgerung bzw. die Aufnahme in das Beamtenverhältnis - rechtswirksam stattfinden kann. Im übrigen besteht nach verschiedener Richtung hin für den einzelnen die rechtliche Möglichkeit, im Bereiche der öffentlichen Verwaltung in Angelegenheiten, die ihn besonders betreffen, einzuwirken. So durch Gesuche und Anträge etwa ganz bestimmter Art, z. B. auf Erteilung einer Polizeierlaubnis oder einer Verleihung oder auch durch Erhebung von Einwendun23 Den Begriff des Rechtsgeschäfts darauf unter Ausschluß der Verwaltungsverfügung - zu beschränken, wie Forsthoff, a. a. 0., will, geht m. E. nicht an.
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gen in einem solchen Verfahren eines anderen, ferner persönliche öffentliche Rechte im Wege gerichtlichen Verfahrens geltend zu machen; weiter auch sonst durch Rechtsmitteleinlegung gegenüber Verfügungen und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, insbesondere aber beim gerichtlichen Verfahren, sei es in der Verwaltungsrechtspflege oder in der ordentlichen Rechtspflege, durch die Parteistellung, die dem einzelnen dabei zukommt, mit der damit gegebenen rechtlichen Möglichkeit, namentlich dem Recht auf Gehör, die eigenen Rechte oder rechtlichen Belange wirksam wahrzunehmen. Verwaltungsverträge kommen daher auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung regelmäßig nur in Betracht, wo von einer rechtlichen Gleichwertigkeit von Willensträgern, die auf derselben Ebene stehen, die Rede sein kann, wie z. B. zwischen mehreren dem Staate eingeordneten Trägern öffentlicher Verwaltung, Gemeinden usf., wo aber z. T. noch eine einseitige Willenserklärung der Staatsverwaltungsbehörde in Form der Genehmigung hinzukommen muß; jedenfalls können solche Verwaltungsverträge im Verhältnis mehrerer Verwaltungsträger untereinander nur auf Grund gesetzlicher Ermächtigung und wichtige Ändeungen im Verhältnis dieser mehreren Verwaltungsträger untereinander, insbesondere mit Bezug auf ihren Bestand, nur durch Vertrag unter Staatsgenehmigung oder durch staatliche Willenserklärung, insbesondere durch Gesetz, regelmäßig vorgenommen werden. Es kommt diesen Verwaltungsverträgen, wie gesagt, im ganzen keine große Bedeutung zu (vgl. im übrigen u. § 33). Von den Verwaltungsverträgen sind- ähnlich wie im Völkerrechtals rechtsgeschäftliehen Verträgen zu scheiden die Vereinbarungen, durch die Rechtssätze gesetzt, geändert oder aufgehoben werden, wenn auch diese äußerlich in der Form eines Vertrags zustande kommen und Nebenpflichten zur Durchführung ausdrücklich oder stillschweigend enthalten können, wie das regelmäßig der Fall ist (vgl. hierzu o. Buch 1, Abschn. 3). Neben dem Verwaltungsvertrag kommen ähnlich wie im bürgerlichen Recht Gesamtwillenserklärungen von zwei oder mehreren Trägern der öffentlichen Verwaltung in Betracht, die im Gegensatz zum Verwaltungsvertrag auf eine und dieselbe Rechtsfolge für die Beteiligten gerichtet sind, die nicht als Vertragsgegner einander gegenüber stehen und im Verhältnis zueinander Pflichten und Rechte begründen, wie z. B. bei der Gründung von öffentlich-rechtlichen Verbänden, wie Zweckverbänden usw. Wegen des hauptsächlichsten einseitigen Rechtsgeschäfts, der Verwaltungsverfügung vgl. des Näheren unten Abschn. 2, wegen des zweiseitigen Rechtsgeschäfts, des Verwaltungsvertrags, u. Abschn. 3.
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111. Die Verwaltungsentscheidung Außer den Verwaltungsrechtsgeschäften der Träger öffentlicher Verwaltung sind noch von besonderer Bedeutung die Verwaltungsentscheidungen, die von ihnen getroffen werden; wegen der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte vgl. u. 5. Buch. Auch diese Tätigkeit, bei der es sich nur um die Feststellung von Verwaltungsrechtsverhältnissen handelt, sind in gewissem Umfange den Verwaltungsbehörden, und nicht lediglich den Gerichten, sei es den Verwaltungsgerichten oder den ordentlichen Gerichten, zugewiesen, wenn auch jetzt im allgemeinen nur i. S. einer vorläufigen Entscheidung vorbehaltlich einer gerichtlichen Entscheidung im Streitfall, während sie auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts im Verhältnis zwischen den einzelnen als einzelnen bei bestrittenen, nicht erfüllten oder bedrohten Rechtsverhältnissen den Gerichten zukommt. Vgl. des Näheren u. Abschn. 4.
IV. Abschließende Bemerkungen Verwaltungsrechtsgeschäfte, und unter ihnen vor allem die Verwaltungsverfügung, sowie Verwaltungsentscheidungen sind so rechtlich - abgesehen von der Rechtssetzung durch Verordnung, Satzung, Vereinbarung, wovon bereits oben (§ 14) die Rede war - die vornehmste Form der Betätigung der öffentlichen Verwaltung, weshalb sie im unmittelbaren Anschluß hieran noch näher behandelt werden sollen (vgl. u. Abschn. 2 bis 4). Verwaltungsverfügung und Verwaltungsentscheidung weisen hierbei insofern eine nähere Verwandtschaft miteinander auf, als es sich bei ihnen übereinstimmend um einseitige obrigkeitliche Willensäußerungen der Verwaltungsbehörden handelt; sie können wieder- entsprechend einem österreichischen, aber auch neuerem deutschem Sprachgebrauch als "Verwaltungsbescheide24 " zusammengefaßt werden (vgl. u. § 31). Nicht unerwähnt sei hierbei auch, daß sich in einem und demselben Bescheide verfügende und entscheidende Bestandteile vorfinden können, wie z. B. bei einem Steuerbescheid (vgl. §§ 211, 212 RAbgO), wobei für die Bezeichnung das Vorwiegende maßgebend ist. Gleichwohl soll der Verwaltungsvertrag, der wegen seiner rechtsgeschäftlichen Natur der Verwaltungsverfügung nähersteht, trotz seiner verhältnismäßig geringen praktischen Bedeutung nach der Verwal24 Der Ausdruck "Bescheid" wird in neueren deutschen Gesetzen verschiedentlich gebraucht; vgl. z. B. §§ 22 ff. KriegsopferVersorgVerwVerfG vom 2. Mai 1955 (BGBL I S. 202), §§ 35 f. BLeistG vom 19. Oktober 1956 i. d. F. vom 27. September 1961 (BGBl. I S. 1770). Vgl. im übrigen u. § 31, ferner § 56 österr. Allg. VerwVerfG vom 21. Juli 1925 u. Antoniolli, Allg. VerwR (1954), S. 196.
Abschließende Bemerkungen
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tungsverfügung (2. Abschnitt) und vor der Verwaltungsentscheidung (4. Abschnitt) behandelt werden (3. Abschnitt). Anschließend daran soll dann auf das allgemeine Verwaltungsverfahren und das Verwaltungszwangsverfahren eingegangen werden (u. Abschn. 5 u. 6). Endlich ist noch die Verwaltungsstrafe zu erörtern (u. Abschn. 7).
Zweiter Abschnitt
Die Verwaltungsverfügung § 31. Die Verwaltungsverfügung im allgemeinen I. Begriff und Wesen der Verwaltungsverfügung Die Verwaltungsverfügung ist, wie oben bereits angeführt, das hauptsächlichste einseitige Verwaltungsrechtsgeschäft eines Trägers der öffentlichen Verwaltung. Es ist darunter zu verstehen die einseitige hoheitZiehe Willenserklärung des Staates oder eines sonstigen Trägers der öffentlichen Verwaltung, durch welche im Bereiche der öffentlichen Verwaltung ein einzelner bestimmter gegebener Sachverhalt auf Grund und im Rahmen der geltenden Rechtsordnung rechtlich maßgeblich gestaltet wird. Otto Mayer verwendet den - übrigens schon früher gelegentlich, meist im weiteren Sinne von Verwaltungshandlung, gebrauchten Ausdruck1 - "Verwaltungsakt", wohl im Anschluß an den Ausdruck "acte administratif" des französischen Verwaltungsrechts, und versteht darunter einen der Verwaltung zugehörigen obrigkeitlichen Ausspruch, der dem Untertanen im Einzelfalle bestimmt, was für ihn Rechtens sein solF, als ein Gegenstück zu dem gerichtlichen Urteil, das als Vorbild gedient hat; er unterscheidet dann unter den "Verwaltungsakten" zwischen Entscheidungen und Verfügungen3 , von denen jene lediglich eine Anwendung eines Gesetzes, d. h. Rechtssatzes, auf den Einzelfall, ganz ähnlich wie ein Urteil, die Verfügung aber, insofern sie von einer eigenen Willensentschließung Gebrauch mache, eine Ausübung freien Ermessens bedeute. Unserer Gesetzessprache war der Ausdruck "Verwaltungsakt" bis 1945 so gut wie fremd; er ist erst danach verschiedentlich aufgetaucht, wie z. B. in dem (südd.) VGG (vgl. § 22) und in der MRVO Nr. 165 (vgl. insb. § 25) 4 sowie im BVerwGG (vgl. 1 Vgl. z. B. Pr. OVG Bd. 10, S. 393, Bd. 11, S. 61, ferner F. F. Mayer, Grundsätze d. VerwR, S. 323, Sarwey, Allg. VerwR, S. 29. 2 VerwR, Bd. 1, 3. Aufl., S. 93. 3 So auch Art. 21 ff. Entw. d. Württ. VerwRO. Vgl. auch BVerwGE, Bd. 3, S. 259: "Jede Maßnahme, die von einer VerwBehörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öff. R getroffen wird." 4 Danach ist Verwaltungsakt i. S. der VO "jede Verfügung, Anordnung, Entscheidung oder sonstige Maßnahme, die von einer Verwaltungsbehörde zur
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z. B. § 9) und jetzt in der VwGO (§§ 42 f.). So hat noch die RAbgO von 1919 i. d. F. vom 22. Mai 1931, die für den Bereich des Reichssteuerrechts allgemeine Bestimmungen enthält, in § 91 den Ausdruck "Verfügung" als den allgemeinsten verwendet, wenn sie dort bestimmt, daß Verfügungen (Entscheidungen, Beschlüsse, Anordnungen) der Behörden für einzelne Personen dadurch wirksam werden, daß sie demjenigen zugehen, für den sie ihrem Inhalte nach bestimmt sind (Bekanntgabe); innerhalb der Verfügung als des allgemeinsten Begriffs unterscheidet sie in der Hauptsache zwischen Entscheidungen und Anordnungen, was wohl der Unterscheidung von Entscheidungen und Verfügungen von Otto Mayer entspricht. Jedenfalls ist der häßliche sprachliche Mischmaschausdruck: "Verwaltungsakt" völlig entbehrlich. Im übrigen kommt bei Otto Mayer die Verschiedenheit von Verwaltungsverfügung und Verwaltungsentscheidung durch diese Zusammenfassung mit der Nichtberücksichtigung des Unterschieds von Verwaltungsrechtsgeschäft und Verwaltungsentscheidung nicht genügend zum Ausdruck; auch gebraucht er häufig den Ausdruck "Verwaltungsakt" für Verwaltungsverfügung. Im Österreichischen Rechtssprachgebrauch wird das, was Otto Mayer "Verwaltungsakt" nennt, "Bescheid" genannt, der als Oberbegriff Verfügungen und Entscheidungen zusammenfaßt (vgl. §§ 58, 62 österr. AVG). Daß der Ausdruck "Verwaltungsbescheid" sich allgemein als Oberbegriff für Verwaltungsverfügungen und Verwaltungsentscheidungen empfiehlt, ist bereits (o. § 30) gesagt worden. Von der Verfügung im Sinne des bürgerlichen Rechts unterscheidet sich die Verwaltungsverfügung durch ihren weiteren Inhalt, nämlich, daß sie nicht nur ein Rechtsgeschäft ist, das eine unmittelbare dingliche Rechtsänderung an einem Rechtsgegenstand herbeiführt, sondern insbesondere auch die Begründung von Verpflichtungsverhältnissen durch Gebote und Verbote enthalten kann. Von der Verordnung unterscheidet sich die Verfügung dadurch, daß sie nicht einen neuen, regelmäßig allgemeinen, abgezogenen, an die Allgemeinheit gerichteten Rechtssatz für eine unbestimmte Vielheit in der Zukunft möglicherweise sich ereignender Fälle schafft; sie ergeht vielmehr im Rahmen der geltenden Rechtsordnung und erschöpft ihre Bedeutung in der Gestaltung eines einzelnen bestimmten gegebenen Sachverhalts für einen bestimmten einzelnen oder einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis: "Die Verordnung begründet RechtsRegelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öff. R getroffen wird. Ausgenommen sind die Verwaltungsakte auf dem Gebiete des Zivilprozesses, des Strafprozesses, einschließlich des Strafvollzuges, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Entnazifizierungsverfahrens". - Verwaltungsbehörde i. S. der Verordnung ist "jede mit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im Geltungsbereiche dieser Verordnung betraute deutsche Stelle, ohne Rücksicht auf ihre Rangstufe oder Besetzung, jedoch mit Ausnahme der Gerichte und der Amtsstellen der Religionsgesellschaften".
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sätze, die Verfügung Rechtsverhältnisse" 5 • Das Ziel der Verwaltungsverfügung geht im allgemeinen dahin, daß sie die Verwirklichung der Gemeinschaftszwecke durch Einwirkung auf den einzelnen Volksgenossen erstrebt6 • Die Fülle der im Bereich der Verwaltung sich ereignenden und nach ihrer besonderen Eigenart zweckmäßig zu gestaltenden Fälle vermag auch der beste und weit vorausblickende Gesetzgeber nicht im voraus zu übersehen, um dafür eine streng bindende Regelung zu geben, wie sie im Bereiche der ordentlichen streitigen Rechtspflege besteht, obwohl sich auch hier Lücken ergeben können; er ermächtigt, wie früher angeführt, vielmehr die innere Verwaltung regelmäßig ganz allgemein zum Schutz und zur Förderung der Volksgemeinschaft und ihrer Angehörigen tätig zu werden, und schränkt sie in ihrem freien Ermessen nur ein durch das Gesetz im Sinne eines Rahmens, einer Schranke oder einer Richtlinie, oder er beseitigt z. T. im Bereiche der Grundrechte über Freiheit und Eigentum auf Grund des Vorbehalts des Gesetzes eine Schranke für das Tätigwerden der Verwaltung unter Offenlassung von mehr oder weniger weitem freiem pflichtmäßigem Ermessen. Es lassen also die Gesetze Raum für eine schöpferische Gestaltung, wie sie das Wesen der Verwaltungsverfügung ausmacht. Otto Mayer erblickt in den Rechtsgebilden der Verwaltungsverfügung und derVerwaltungsentscheidung, die er, wie gesagt, unter demBegriff "Verwaltungsakt" zusammenfaßt, eine gerichtsförmige Gestaltung der Verwaltung. Die größte Ähnlichkeit mit dem Urteil der ordentlichen Gerichte ergibt sich im Bereiche der Verwaltung beim Urteil, wie es in der - jetzt von der Verwaltung losgelösten - Verwaltungsrechtspflege ergeht, mit einem gerichtsförmigen Verfahren und einem Urteil, das unter gewissen Voraussetzungen der sachlichen Rechtskraft fähig ist, ähnlich wie das Urteil der ordentlichen Gerichte. Dagegen hat die Verwaltungsverfügung nicht diese große, aber doch noch manche Ähnlichkeit mit einem solchen Urteil: es kann insbesondere ein Verwaltungsverfahren vorangehen als förmliches Verfahren (vgl. u. § 35), das viel entlehnt hat von dem gerichtlichen Verfahren: Ladung der Beteiligten usf., mündliche und öffentliche Verhandlung mit anschließender Verwaltungsverfügung, wie z. B. früher bei gewerbepolizeilichen Erlaubnissen für gewerbliche Anlagen nach§§ 16 ff. GewO und bei Wirtschaftserlaubnissen; aber die Einrichtung der sachlichen Rechtskraft nach Art des Urteils besteht hier gleichwohl nicht. Nach anderer Richtung hin gesehen, trifft das, was Otto Mayer anführt, am meisten bei einer Verwaltungsentscheidung, namentlich, wenn sie auf Grund eines förmlichen Verwaltungsverfahrens ergeht, zu, sofern hier lediglich ein Rechtssatz als Obersatz auf einen einzelnen bestimmten Sachverhalt 5 6
Vgl. Fleiner, Inst., S. 70. Köllreuter, Verw.R, S. 74.
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angewendet wird, wie dies im allgemeinen bei den Urteilen der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten der Fall ist. Am besten tritt dies auf dem Gebiete des Finanzrechts in die Erscheinung; die Steuerbehörde, das Finanzamt, erhebt nicht einfach die bei Erfüllung des gesetzlich bestimmten Tatbestandes geschuldete Steuer, wie z. B. die Einkommenssteuer, von einem Steuerpflichtigen, sondern es ergeht - von der Lohnsteuer hier abgesehen - zunächst, regelmäßig auf Grund einer Steuererklärung des Beteiligten, ein Steuerbescheid der obrigkeitlich feststellt, ob und in welcher Höhe jemand einkommensteuerpflichtig ist, verbunden mit einer entsprechenden Zahlungsaufforderung, und die Steuer wird auf Grund und nach Maßgabe des Steuerbescheides erhoben, unbeschadet der Rechtsmittelergreifung. Zwischen dem Gesetz und der Handlung der Verwaltung, d. h. der Erhebung der Steuer, schiebt sich der Steuerbescheid als Zwischenglied ein. In ähnlicher Weise trifft dies auch bei den Verwaltungsentscheidungen im Bereiche der inneren Verwaltung zu. Dagegen weist die Verwaltungsverfügung, z. B. eine polizeiliche Verfügung, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem rechtsgestaltenden Urteil auf: in beiden Fällen wird ein einzelner bestimmter Sachverhalt oder ein Einzelfall rechtlich gestaltet. Die Verwaltungsverfügung kann nur von einem Träger der öffentlichen Verwaltung und einer Behörde der Verwaltung, also nicht von dem Träger der gesetzgebenden Gewalt nach dem oben zugrunde gelegten förmlichen Begriff der Verwaltung erlassen werden. Ebenso für die Regel nicht durch einen bloßen Hilfsbeamten oder Angestellten, z. B. einen Schutzmann usw. Indessen ist es nicht ausgeschlossen, daß Verwaltungsverfügungen, insbesondere in der Form von Geboten oder Verboten, in gewissen Fällen auf Grund gesetzlicher Ermächtigung in Vertretung und Auftrag oder unter nachträglicher- ausdrücklicher oder schlüssiger- Billigung, jedenfalls ohne nachträgliche Mißbilligung der zugehörigen Behörde erlassen werden können, insbesondere bei Gefahr im Verzuge, wo nicht zugewartet werden kann, bis eine Behörde eine Verfügung erlassen kann; hierbei können namentlich auch mündliche Befehle oder Befehle durch Zeichen in Frage kommen (vgl. auch §§ 44, 45 pr. PVG). Liegt dieser Auftrag oder diese Billigung bzw. Nicht-Mißbilligung vor, dann ist eine- wie sonst- anfechtbare Verwaltungsverfügung der Behörde vorhanden7 • Jedoch ist im Einzelfalle genauer zu prüfen, ob nicht in Wirklichkeit eine anstaltsartige Weisung vorliegt, wie bei den öffentlichen Straßen, ohne daß in der betr. Auffor7 Vgl. dazu auch Pr. OVG, Bd. 43, S. 210, Bd. 27, S. 294, Bd. 30, S. 292 f., S. 412, S. 167, Bd. 32, S. 392, Bd. 49, S. 209, Bd. 56, S. 324, Bd. 58, S. 265.- Vgl. jetzt auch z. B. § 3 Abs. 2 niedersächs. VO d. Min. d. Innern über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Verwaltungs- und Polizeibehörden vom 15. November 1951 (GBI. S. 221), wonach Maßnahmen eines Polizeibeamten bei Anwendung unmittelbaren Zwangs als Maßnahmen der Polizeibehörde anzusehen sind, der er angehört.
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derung eine selbständige Verwaltungsverfügung, die etwa mit den ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden könnte, zu erblicken ist; so insbesondere beim Verkehrsschutzmann, der durch Verkehrszeichen die Richtung, in der sich der Straßenverkehr zu bewegen hat, bestimmt usw. Hier ist zu beachten, daß es sich bei den öffentlichen Straßen um den Überrest einer öffentlichen Anstalt oder Einrichtung, um eine öffentliche Sache mit einer öffentlichen Verwaltung handelt, was jedenfalls viel Ähnlichkeit mit einer öffentlichen Anstalt oder Einrichtung aufweist. So heißt es denn auch zutreffend in der StraßenverkehrsO vom 13. November 1937 (RGBl. I S. 1179) i. d. F. d. Bek. vom 29. März 1956 (BGBl. I S. 271, 327) § 2: "Den Weisungen und Zeichen der Polizeibeamten und den Farbzeichen ist Folge zu leisten; sie gehen allgemeinen Verkehrsregeln und durch amtliche Verkehrszeichen angezeigten örtlichen Sonderregeln vor"; die Nichtbefolgung dieser Vorschrift stellt eine polizeiliche Übertretung nach § 49 StVO dar. Bei Auflösung einer gesetzwidrigen Versammlung durch einen anwesenden Polizeibeamten wird regelmäßig eine Vertretung der Polizeibehörde in Betracht kommen8 • Im einzelnen mögen Zweifel möglich sein. Ebenso sind von der Verwaltungsverfügung zu unterscheiden bloße Ermahnungen, eine im Gesetz schon begründete und bestehende bestimmte Pflicht zu erfüllen, z. B. die Aufforderung eines Schutzmanns an einen Hausbesitzer, seine ihm obliegende Pflicht, eine öffentliche Straße vor seinem Grundstück zu reinigen, unter Drohung mit einer Strafanzeige, desgl. bloße Hinweise auf gesetzliche Pflichten, Verwarnungen, d. h. die bloße Inaussichtstellung eines künftigen Einschreitens im Falle der Wiederholung eines bestimmten Tuns oder Unterlassens ohne gegenwärtige Rechtsfolge 9 • Hier ist von einer selbständigen Willenserklärung der Verwaltungsbehörde, einer selbständigen Anordnung, insbesondere einem Gebot oder Verbot, wie sie sich bei der Verwaltungsverfügung findet, keine Rede, sondern es handelt sich lediglich um Hinweise auf schon im Gesetz bestimmte Pflichten; die gesetzliche Vorschrift enthält das Gebot oder Verbot inhaltlich schon vollständig, wogegen irgendeine Gestaltung der Verwaltungsrechtsverhältnisse durch eine selbständige Zutat zum Gesetz in diesen Fällen nicht oder noch nicht eintritt: es verbleibt dem Empfänger der Mahnung oder Warnung noch die Freiheit des Willens, ohne daß ein unmittelbares verwaltungsrechtliches Einschreiten an diese Mahnung oder Warnung geknüpft 8 Vgl. jetzt§§ 12 und 13 VersammlungsG vom 24. Juli 1953 (BGBl. I S. 684). - Daß die Aufforderung eines Polizeibeamten an eine Menschenmenge, auseinanderzugehen (vgl. § 110 RStGB), lediglich eine Androhung von Gewalt bedeute, d. h. hier eine Voraussetzung oder Bedingung der Strafbarkeit bilde, wie 0. Mayer, VerwR, Bd. 1, S. 234, annimmt, vermag ich nicht als zutreffend anzuerkennen. So zutr. auch Kormann, a. a. 0., S. 75. 9 Vgl. Pr. OVG, Bd. 83, S. 22, Bd. 99, S. 83, Bd.105, S. 163.
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wäre 10 . Anders dagegen bei der sog. "gebührenpflichtigen Verwarnung", die mit der Auferlegung eines vermögensrechtlichen Nachteils verbunden ist nach Art einer Verwaltungsstrafe (vgl. u. § 39) 11 ; ebenso bei der Androhung der Auflösung einer Versammlung für bestimmt bezeichnete Fälle, sofern unmittelbar Zwangsmaßregeln zur Durchsetzung des Verbots angedroht werden12 • Es kommen daher- anders als in diesen Fällen- in jenen Fällen auch keine Rechtsmittel, wie gegen eine Verfügung, in Betracht. Dasselbe gilt von bloßen Wissenserklärungen, wie Auskünften, soweit sie nicht durch ausdrückliche gesetzliche Vorschrift den Verwaltungsverfügungen mit Bezug auf die Rechtsmittel gleichgestellt sind, wie z. B. die Zollauskünfte und verbindliche Zolltarifauskünfte einer Oberfinanzdirektion nach § 236 RAbgO und § 23 ZollG vom 14. Juni 1961 (BGBl. I S. 737), ferner von bloßen Mitteilungen, wie z. B. von der Einleitung des Umlegungsverfahrens und ihren nachträglichen Änderungen an das Grundbuchamt (§ 54 BBauG v. 23. Juni 1960; vgl. auch o. § 30 Ziff. I h 1).
II. Die Arten der Verwaltungsverfiigung Die Verwaltungsverfügungen kann man nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen, insbesondere in: a) Äußere und innere Verwaltungsverfügungen, je nachdem ob sie nach außen gegenüber den Verwalteten oder im inneren Bereich der Verwaltung erfolgen (vgl. hierzu o. § 30 Ziff. I b). b) Einzelverfügungen und Allgemeinverfügungen, je nachdem sich die Verfügung an einen einzelnen richtet oder an einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis. Die Allgemeinverfügung ist scharf von der Rechtsverordnung zu unterscheiden. Es handelt sich bei der Verwaltungsverfügung in allen Fällen, und so auch bei der Allgemeinverfügung13, um ein bestimmtes einzelnes Vorkommnis, einen einzelnen gegebenen Sachverhalt, der gestaltet wird, dagegen bei der Verordnung regelmäßig um den Erlaß allgemeiner Rechtssätze i. S. von RechtsVgl. Pr. OVG, Bd. 100, S. 160. Vgl. z. B. § 22 StrVG vom 19. Dezember 1952 (BGBI. I S. 837). 12 Vgl. Pr. OVG, Bd. 50, S. 274. 13 Anerkannt auch in § 40 pr. PVG und früher in § 30 Abs. 2 bad. PolizeiStGB i. d. F. vom 26. Februar 1931 (GuVOBl. S. 45), wonach polizeiliche Anordnungen "auch als allg. Anordnungen für den Einzelfall ergehen können". Vgl. im übrigen dazu noch Thoma, Polizeibefehl S. 65, Forsthoff, a. a. 0., S. 184. Zu Unrecht hebt dagegen Jakobi, Hdb. d. D. StaatsR, Bd. 2, S. 237, darauf ab - gegenüber dem Rechtssatz -, daß bei der Verfügung die Anordnung an eine bestimmte, dem Namen nach bezeichnete, Person gerichtet sei. Dagegen zutr. auch Forsthoff, a. a. 0., S. 187.- Der Begriff "Anordnung" umfaßt im Zweifel sowohl die Allgemein- wie auch die Einzelverfügung als auch die VO: BVerwGE, Bd.1, S.118. to
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regeln und Beurteilungsmaßstäben an die Allgemeinheit, also einen unbestimmten und unbestimmbaren Personenkreis, für eine unbestimmte Vielheit künftiger möglicher- also noch nicht eingetretenerFälle. Als eine solche Allgemeinverfügung ist anzusehen z. B. die Auflösung einer Versammlung, die als Befehl an den Veranstalter wie auch alle Teilnehmer sich richtet, sich sofort zu entfernen. Ferner bedeutet eine Allgemeinverfügung z. B. die Bausperre oder (so das BBauG) "Veränderungssperre" für bestimmte Grundstücke 14 zur Sicherung der Feststellung oder Abänderung eines Ortsbauplanes, desgl. die Straßensperre oder Verkehrsbeschränkung, z. B. zum Zwecke einer Ausbesserung der Straße, usw. Sie richtet sich an alle diejenigen, "die es angeht", nämlich die, welche diese Straße benützen wollen; auch hier kann man von einem bestimmbaren Personenkreis sprechen, der es mit diesem bestimmten einzelnen Vorgang oder Sachverhalt in der Verwaltung zu tun hat, nämlich die, welche in dem betr. gesperrten Gebiet ihre Grundstücke bebauen oder diese gesperrte oder verkehrsbeschränkte Straße benutzen wollen; das gleiche gilt von den Richtungsweisungen und Zeichen der Polizeibeamten und den Farbzeichen zur Regelung des Straßenverkehrs nach§ 2 StVO. Diese Straßensperre oder Verkehrsbeschränkung wird an Ort und Stelle kenntlich gemacht durch amtliche Verkehrszeichen oder -einrichtungen (Schranken und Verbotstafeln usf.) mit entsprechendem Hinweis, und, damit man sich von vornherein ohne Zeitverlust danach richten kann, auch in geeigneter Weise im Amtsblatt der Behörde, in Tageszeitungen usf., öffentlich bekanntgemacht. Vgl. § 4 StVO, § 7 BFernStrG vom 6. August 1953 i. d. F. vom 6. August 1961 (BGBI. I S. 1742), Art. 13 württ. BauO vom 28. Juli 1910. Dahin gehört auch die Feststellung von Ortsbauplänen mit der Festsetzung von Straßen- und Baufluchten für bestimmte Grundstücke wegen der einheitlichen Linienführung, soweit dafür nicht etwas anderes - ortspolizeiliche Vorschrift oder Gemeindesatzung15 - vorgeschrieben ist; 14 Vgl. z. B. Art. 12 f. württ. BauO vom 28. Juli 1910, § 6 bad. OrtsStrG vom 15. Oktober 1908. - Auch die von einem Ministerium an den Groß- und Einzelhandel "in allen vom Typhus betroffenen Kreisen" gerichtete Verbot, bis auf weiteres mit Endiviensalat zu handeln, ist eine Allgemeinverfügung (VGH Stuttgart in D. VerwBI. 1957, S. 437). Nach § 16 BBauG wird jetzt die Veränderungssperre von der Gemeinde als Satzung beschlossen. 15 Vgl. auch § 58 FlurberG vom 14. Juli 1953 (BGBI. I S. 591), wonach der Flurbereinigungsplan für Festsetzungen, die zum gemeinschaftlichen Wohl der Beteiligten oder zum öff. Wohl getroffen werden, die Wirkung vom GdeSatzungen hat u. nach Beendigung d. FlurherVerfahrens die Festsetzungen mit Zustimmung der GdeAufsBehörde durch GdeSatzung geändert oder aufgehoben werden können. - Die auf nicht überzeugende Ausführungen gestützte Auffassung des BVerwG, daß es sich hier nicht um eine VerwVerfügung, (so freilich für das bayr. R BVerwGE Bd. 4, S. 68), sondern um Rechtsetzung (Ortsrecht) handle (so für das württ. R BVerwGE Bd. 3, S. 258, Bd. 4 S. 68), kann weder für das württ. R nach der BauO vom 28. Juli 1910, noch auch für das bad. R nach dem OrtsstrG vom 15. Oktober 1908 als zutreffend
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sie enthält aber auch für die einzelnen Grundstücke, die u. U. in ganz verschiedener Weise betroffen werden können, Einzelverfügungen. Wegen der rechtsgestaltenden Natur von Planfeststellungen für den Neubau oder die Änderung von Bundesfernstraßen für die durch den Plan Betroffenen in ihren öffentlich-rechtlichen Beziehungen zum Träger der Straßenbaulast vgl. §§ 17 Abs. 1 Satz 3, 18 Abs. 6 BFStrG. c) Erteilende (gestaltende) und abweisende (ablehnende) Verwaltungsverfügungen, je nachdem, ob die Verwaltungsverfügung eine Gestaltung - eine Verpflichtung begründet oder nach Art einer bürgerlich-rechtlichen Verfügung eine unmittelbare Rechtsänderung - im Bereich der öffentlichen Verwaltung herbeiführt, wie z. B. auch die Entziehung des Bergwerkseigentums, oder aber die Herbeiführung einer solchen Neugestaltung, Änderung oder Aufhebung des Rechtszustandes ablehnt, wie z. B. die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung einer gewerbepolizeilichen Erlaubnis oder auf Einbürgerung usf. Von Bedeutung ist dieser Unterschied insbesondere, wenn ein Rechtsanspruch auf die Vornahme einer bestimmten Verwaltungsverfügung besteht, daher bei ungerechtfertigter Ablehnung der Beteiligte in seinen Rechten verletzt und somit gegebenenfalls zur Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage auf Vornahme (sog. Verpflichtungsklage) berechtigt ist, während sonst nur der Verwaltungsweg- insbesondere die Beschwerde oder der Widerspruch- gegen die ablehende Verwaltungsverfügung gegeben ist (vgl. u. 5. Buch). Jetzt kommt unter jenen Voraussetzungen auch bei Unterlassung der betr. Verwaltungsverfügung während bestimmter Frist die Verpflichtungsklage in Betracht. Nach bestimmten gesetzlichen Vorschriften gilt darüber hinaus eine Verwaltungsverfügung als erteilt, wenn sie nicht binnen einer bestimmten Frist einem Antragsteller (z. B. auf eine Genehmigung) versagt wird; das geht also weiter, als wenn nur eine Verpflichtung, eine Verwaltungsverfügung binnen bestimmter Frist zu erlassen, begründet wird (vgl. z. B. §§ 12, 14, 18 WohnraumbewG i. d. F. v. 23. Juni 1960, BGBl. I S. 418, §§ 19, 31 BBauG v. 23. Juni 1960, BGBl. I S. 341, u. § 6 GrundstücksVerkG v. 28. Juli 1961, BGBl. I S. 1091). Von den abweisenden Verwaltungsbescheiden, die es gerade ablehnen, eine Verwaltungsverfügung i. e. S. zu erlassen und eine Verwaltungsverfügung nur im förmlichen, nicht im sachlichen, Sinne darstellen, ist im Folgenden im allgemeinen nicht mehr besonders die Rede.
d) Rechtsbegründende, rechtsändernde oder rechtsaufhebende Verwaltungsverfügungen, je nachdem die VV neue Pflichten bzw. Rechte oder Rechtsstellungen begründet, sie ändert (wie z. B. die Stundung) oder angesehen werden. Jetzt beschließt nach § 10 BBauO vom 23. Juni 1960 die Gemeinde den Bebauungsplan als Satzung. Vgl. auch Merk in VVDStRL, H. 18, s. 178 f.
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sie aufhebt (wie z. B. die Rücknahme einer Verleihung oder Erlaubnis, der Erlaß). e) Freie und gebundene Verwaltungsverfügungen, je nachdem der Erlaß der Verwaltungsverfügung im freien Ermessen der Behörde steht, sie sie erlassen "kann", oder aber, ob sie sie unter bestimmten gesetzlich festgesetzten Voraussetzungen erlassen "muß", und hierbei weiter, ob ein persönliches Recht auf den Erlaß besteht oder nicht16• Diese Gebundenheit findet sich namentlich mit Bezug auf die Erteilung oder Versagung sowie die Rücknahme von gewerbepolizeilichen Erlaubnissen. Vgl. z. B. § 17 BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. vom 30. März 1961, wonach der Jagdschein unter bestimmten Voraussetzungen zu versagen ist (bei noch nicht 16 Jahren alten oder entmündigten Personen usf.); § 28 RViehseuchenG (für Tiere, bei denen die Tollwut festgestellt ist, ist die sofortige Tötung polizeilich anzuordnen, für Hunde und Katzen auch dann, wenn das tierärztliche Gutachten nur auf Verdacht der Seuche lautet). Vgl. ferner§ 2 GaststG vom 28. April1930, wonach, wenn ein Bedürfnis nachgewiesen ist (vgl. dazu u. § 46), die Erlaubnis nur aus den dort aufgeführten gesetzlichen Gründen zu versagen ist; desgl. § 33 G über das Kreditwesen vom 10. Juli 1961 (BGBL I S. 881): "Die Erlaubnis darf nur versagt werden, wenn ... "; §§ 7, 8 HebammenG vom 21. Juni 1938 (RGBl. S. 1893), wonach die Anerkennung als Hebamme nur unter den dort bestimmten Voraussetzungen zu versagen bzw. zurückzunehmen ist. Im allgemeinen kommt nur gegenüber Verwaltungsverfügungen, insoweit sie gebunden sind, der Verwaltungsrechtsweg in Betracht, nicht dagegen, in soweit sie "frei" sind. Anders, soweit Ermessensmißbrauch oder Ermessensüberschreitung vorliegt. So darf z. B. eine Verwaltungsbehörde nicht von ihrem Ermessen in der Weise Gebrauch machen, daß siez. B. eine Gebrauchserlaubnis zur Aufstellung eines Selterwasserhäuschens auf einem öffentlichen Platze in einem Jahr erteilt, im folgenden Jahre aber bei gleichbleibenden Verhältnissen ohne jeden sachlichen Grund versagt; das wäre nichts anderes als Willkür 17 • f) Begünstigende und belastende Verwaltungsverfügungen, je nachdem, ob demjenigen, für den sie bestimmt sind, ein rechtlicher Vorteil gebracht, ein Recht, eine Rechtsstellung oder eine sonstige Vergünstigung, erteilt oder ein Nachteil, ein Tun, Dulden oder Unterlassen, z. B. 16 Im franz. R entspricht dem die Unterscheidung zwischen "actes de pure administration" oder "du pouvoir discretionnaire" und "actes du contentieux". Vgl. 0. Mayer, Theorie d. franz. VerwR, S. 109; vgl. dazu auch o. § 30 Ziff. 1 e. 17 Vgl. Pr. OVG Bd. 39, S. 289, Bd. 76, S. 430. Vgl. ferner OVG Bd. 93, S. 86, eine innerhalb der Grenzen pflichtmäßigen Ermessens getroffene Maßnahme setze voraus: einmal, daß aus polizeilichen Beweggründen, d. h. aus dem Gesichtspunkte der Gefahrenabwehr, gehandelt worden sei, ferner, daß nicht Willkür, geschweige denn verwaltungspflichtwidrige Gründe. wie z. B. Schikane, bestimmend gewesen sei.
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eine Geldleistung, etwa eine Gebühr usw., auferlegt oder ein Recht oder eine sonstige Vergünstigung entzogen wird (vgl. auch § 96 RAbg0) 18• Hier kann insbesondere der Vorbehalt des Gesetzes mit Bezug auf Freiheit und Eigentum von Bedeutung sein, indem belastende Verwaltungsverfügungen nur auf gesetzlicher Grundlage ergehen dürfen im Gegensatz zu den begünstigenden. Auch der Erlaß einer belastenden Verwaltungsverfügung mit Rückwirkung, die Ablehnung einer begünstigenden Verwaltungsverfügung, auf deren Erteilung ein Rechtsanspruch besteht, der Widerruf oder die Rücknahme einer begünstigenden Verwaltungsverfügung, z. B. einer Polizeierlaubnis oder einer Verleihung, ist eine belastende 1g und bedarf, wenn sie in Freiheit und Eigentum, d. h. in ein persönliches öffentliches Recht oder eine solche Rechtsstellung eingreift, der gesetzlichen Grundlage. Im übrigen kann der Unterschied weiter insbesondere hinsichtlich der Zulässigkeit der Rücknahme oder des Widerrufs und hinsichtlich der Zulässigkeit und der Arten von Rechtsmitteln von Bedeutung sein. Wo mit einer Vergünstigung eine Belastung verbunden ist, z. B. eine Auflage, eine Gebühr usw., handelt es sich um eine gemischte Verfügung; es kommt hier darauf an, was das Überwiegende ist, soweit nicht eine selbständige Anfechtung des belastenden Bestandteils in Frage kommt20 • g) Mitwirkungsbedürftige (oder zustimmungsbedürftige) und sonstige Verwaltungsverfügungen. Jene setzen im Gegensatz zu den anderen einen Antrag, d. h. die Einwilligung, des Beteiligten voraus, wie die Einbürgerung, die Aufnahme in das Beamtenverhältnis, die Verleihung eines Unternehmens oder die Erteilung einer Polizeierlaubnis, die Gewährung einer Entschädigung oder von Versorgungsbezügen nach dem BVG usw. Zustimmungsbedürftige oder "mitwirkungsbedürftige Verwaltungsverfügungen" (Forsthoff) oder Verwaltungsverfügungen "auf Unterwerfung" (Otto Mayer) dürfen mit ihrem Inhalt nicht gegen zwingende gesetzliche Verbote, z. B. das GG (wie das Gebot der Achtung der Menschenwürde, Art. 1), Strafgesetze oder gegen die guten Sitten verstoßen; z. B. kann auch nicht jemandem, dem ein Gesuch um Erteilung einer Wirtschaftserlaubnis versagt wird, weil er die dafür bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, auf seinen nunmehrigen Antrag, sie bloß befristet auf einige Jahre ihm zu erteilen, sie nicht erteilt werden, da nach dem GaststG befristete Erlaubnisse, von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen, nicht zulässig sind (vgl. dazu auch PrOVG Bd. 52 S. 375). Im übrigen können hier auf Grund freiwilliger Unterwerfung weitergehende Eingriffe in Freiheit und Eigentum mit dieser Ver-
Vgl. dazu jetzt§ 15 Abs. 4 VerwZustG vom 3. Juli 1952. So zutr. Ipsen, Widerruf gültiger VerwAkte (1932), S. 116. Wegen der Rückwirkung vgl. BVerwGE Bd. 1, S. 174. 2 0 So zutr. Ipsen, a. a. 0., S. 13. 18
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waltungsverfügung verbunden werden, als sie sich auf Grund des allgemeinen Gewaltverhältnisses der Bürger ergeben würden. h) Anordnende bzw. (dinglich) verfügende und vollziehende Verwaltungsverfügungen, je nachdem, ob die Verwaltungsverfügung eine Rechtsänderung im Bereiche der öffentlichen Verwaltung unmittelbar herbeiführt oder eine Anordnung zu einem Tun oder Unterlassen enthält, d. h. eine Rechtspflicht begründet, oder aber eine solche Anordnung vollzieht oder ohne solche vorausgehende Anordnung einen äußeren Erfolg durch sofortigen Zwang herbeiführt. Diese Unterscheidung ist u. a. für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln von Bedeutung, indem, wenn eine Verwaltungsverfügung rechtskräftig geworden ist, hinsichtlich der Verfügungen im Zwangsverfahren z. T. nur noch beschränkt Rechtsmittel zulässig sind (vgl. u. § 37).
i) Selbständige und unselbständige Verwaltungsverfügungen. Eine unselbständige Verwaltungsverfügung liegt vor, wenn sie ein in einer Rechtsvorschrift, z. B. in einem Gesetz oder einer Polizeiverordnung, voll oder jedenfalls im wesentlichen enthaltenes allgemeines Gebot oder Verbot durch eine besondere Verfügung gegenüber einem einzelnen rechtsgültig wiederholt (z. B. die Gestellung zur Impfpflicht) im Gegensatz zu Verfügungen, die auf Grund eines Gesetzes mit selbständigem Inhalt auf Grund freien Ermessens ergehen, wie z. B. polizeiliche Verfügungen auf Grund des § 14 pr. PVG (vgl. Pr. OVG Bd. 91 S. 126, Bd. 95 S. 157). Es braucht bei der z. B. auf Grund einer PolVO ergehenden unselbständigen Verwaltungsverfügung nur z. B. eine abgezogene Polizeigefahr vorzuliegen im Gegensatz zur selbständigen. Aber damit man hier überhaupt von einer Verwaltungsverfügung im Gegensatz zu einer Ermahnung oder einemHinweis auf eine bereits bestehende Pflicht sprechen kann, muß etwas Gestaltendes dabei sein, wie z. B. die Anordnung zur Gestellung zur Impfpflicht an einem bestimmten Tage, an einem bestimmten Ort oder die Androhung einer Zwangsstrafe usw. 21 • k) Vorläufige und endgültige Verwaltungsverfügungen, je nachdem nur eine einstweilige Gestaltung eines verwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisses getroffen werden soll, die dann durch eine endgültige Gestaltung ersetzt werden soll, oder aber eine endgültige Gestaltung eines Rechtsverhältnisses - wie regelmäßig - herbeigeführt werden soll. Die vorläufigen Verwaltungsverfügungen sind den einstweiligen Verfügungen der ZPO zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes (§ 940) vergleichbar. Dahin gehört z. B., wenn nach § 19 a GewO für erlaubnispflichtige Anlagen nach§ 16 GewO vor der endgültigen Er21 In anderer Weise will Kormann, a. a. 0., S. 28 wenig glücklich zwischen selbständigen und unselbständigen Verwaltungsverfügungen unterscheiden; jene nennt er solche, die von Amts wegen, diese, die nur auf Antrag zulässig sind.
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laubniserteilung dem Unternehmer die unverzügliche Ausführung der baulichen Anlagen, und ebenso vor Erteilung der baupolizeiliehen Erlaubnis (z. B. nach § 124 bad. LandesBauD v. 1. September 1907) die Vornahme von Grabarbeiten auf Antrag und auf Gefahr des Gesuchstellers - nach Ermessen gegen Sicherheitsleistung - gestattet wird. Der Sache nach gehört hierher auch die Zulassung der Ausübung des Wirtschaftsgewerbes, jedoch höchstens für eine bei wichtigem Grund frei verlängerbare - Frist von drei Monaten auf Widerruf bis zur Erteilung der Erlaubnis im Falle der Übernahme eines Wirtschaftsbetriebes nach dem GaststG (§§ 1, 7); ferner die vorläufige Zulassung eines Stellvertreters sowie die vorläufige Schließung des Wirtschaftsbetriebes in den Fällen des § 12 nach § 22 Abs. 2 GaststG; desgl. die widerrufliche einstweilige Erlaubnis zur unaufschiebbaren Einrichtung, Erweiterung oder wesentlichen Änderung eines Kraftfahrlinienverkehrs nach § 20 PersBefG vom 21. März 1961. Eine vorläufige Natur haben auch befristete Bausperren, d. h. Verbote der Überbauung von Grundstücken, die im Hinblick auf einen in Aussicht genommenen Ortsbaustraßenplan oder eine Bauplatzumlegung für das Plangebiet erlassen werden bis zu deren endgültiger rechtskräftiger Feststellung, um zu verhüten, daß deren Durchführung durch die Ausführung oder Änderung baulicher Anlagen unmöglich gemacht oder erschwert wird (vgl. z. B. die VO über die Zulässigkeit befristeter Bausperren v. 29. Oktober 1936, RGBL I S. 933 auf Grund des G über einstweilige Maßnahmen zur Ordnung des deutschen Siedlungswesens v. 3. Juli 1934, RGBL I S. 568, § 6 bad. OrtsstrG v. 15. Oktober 1908, Art. 12 und 13 württ. BauO v. 28. Juli 1910 und jetzt §§ 14 ff. BBauG v. 23. Juni 1960). Ferner gehören dahin vorläufige Maßnahmen, die jede Polizeibehörde und jeder Polizeibeamter anstelle der örtlich und sachlich zuständigen Straßenverkehrsbehörde bei Gefahr im Verzug zur Aufrechterhaltung der Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs nach der StrVerkO vom 13. November 1937 i. d. F. der Bek. vom 29. März 1953 (§ 47) treffen kann22 ; ferner die einstweilige Anordnung bzw. die AnO im vereinfachten Verfahren über die Aufnahme einer 22 Vorläufige Verfügungen gibt es auch sonst auf dem Gebiete des Polizeiwesens, wenn der Anschein einer polizeilichen Gefahr vorhanden ist, aber zunächst noch Ermittlungen vorgenommen werden müssen, ob eine solche wirklich vorliegt, jedoch deren Ergebnis nicht abgewartet werden kann, weil inzwischen die Gefahr sich verwirklichen könnte und endgültige Maßnahmen erst nach deren Abschluß ergehen können (vgl. Pr. OVG Bd. 103, S. 144: Verbringung jemandes in eine Anstalt zwecks Untersuchung auf seinen Geisteszustand, wozu jetzt aber Art. 104 GG u. §§ 11 u. 13 FreihEntziehungsG vom 29. Juni 1956, BGBl. I S. 599, heranzuziehen sind). - Vorläufige Festsetzung des innezuhaltenden Wasserstandes (Stauhöhe) während der Dauer eines vor den ordentlichen Gerichten anhängigen Rechtsstreits auf Antrag eines Beteiligten (durch den Kreis- bzw. Stadtausschuß) nach § 93 Abs. 3 pr. WasserG vom 7. April1913.
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Schrift in die Liste jugendgefährdender Schriften nach dem G vom 9. Juni 1953 i. d. F. vom 29. Apri11961 (BGBI. I S. 498), §§ 15, 15 a, 17; die vorläufigen Maßnahmen zur einstweiligen Sicherstellung von Naturdenkmalen, Naturschutzgebieten und sonstigen Landschaftsteilen, nämlich die Untersagung und nötigenfalls Verhinderung des Beginns oder der Weiterführung von Veränderungen oder Beseitigungen durch die Naturschutzbehörde nach § 17 Abs. 3 RNatSchG vom 26. Juni 1935, die Beschlagnahme von Sachen zur Sicherstellung einer anzufordernden Leistung nach§ 45 BLeistG vom 19. Oktober 1956 i. d. F. vom 27. September 1961; die Festsetzung und Erhebung von vorläufigen Beiträgen vor der Ermittlung des Beitragsverhältnisses nach § 89 der Ersten WasserverbandsVO vom 3. September 1937; die Erhebung von Vorschüssen auf Grund der Bestimmung eines vorläufigen Beitragsmaßstabes durch die Flurbereinigungsbehörde nach§ 14 FlurberG vom 14. Juli 1953. Vgl. auch noch die vorläufige und endgültige Feststellung der Ausgleichsrente nach§ 60 a BVersorgG i. d. F. vom 27. Juni 1960 (BGBI. I S. 453), § 100 RAbgO (vorläufige Steuerfestsetzung) und § 16 WohnraumbewG vom 31. März 1953 i. d. F. vom 23. Juni 1960 (BGBI. I S. 418: vorläufige Mietverfügung). Ausgeschlossen ist eine vorläufige oder widerrufliche Genehmigung (Erlaubnis) nach '§ 15 PersBefG vom 21. März 1961 (BGBI. I S. 241). l) Öffentlich-rechtlich gestaltende und bürgerlich-rechtlich gestaltende Verwaltungsverfügungen
Jene bilden die Regel und bedürfen hier keiner weiteren Ausführung; bürgerlich-rechtlich gestaltende Verwaltungsverfügungen23 ergeben sich u. a. bei der Verleihung und Entziehung der bürgerlich-rechtlichen Rechtspersönlichkeit (§§ 22, 43 BGB), bei der Enteignung, bei Flurbereinigungen, Bauplatzumlegungen, der Verleihung und Entziehung desBergwerkeigentums, eines Patentes; weiter sei erwähnt die sog. Mietverfügung, d. h. eine Verfügung, welche die Wirkung eines Mietvertrages hat (vgl. § 16 WohnraumbewG i. d. F. v. 23. Juni 1960), die Zwangseinstellung eines Schwerbeschädigten nach § 10 Abs. 2 SchwerbeschG i. d. F. vom 14. August 1961 (BGBI. I S. 1234), die Aufhebung eines Pacht- oder sonstigen Nutzungsverhältnisses durch die Siedlungsbehörde nach § 58 BVFG i. d. F. vom 14. August 1957 (BGBI. I S. 1215); ferner die Genehmigung zu bürgerlich-rechtlichen Rechtsgeschäften der Gemeinde, z. B. nach§§ 62, 104 DGO. In diesem Zusammenhang ist auch noch hinzuweisen auf § 21 a FürsPfl.VO vom 13. Februar 1924: Übergang 23 Vgl. auch Bürckner, Der privatrechtsgestaltende Staatsakt (1930), insbesondere S. 59 fi.
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von Rechtsansprüchen des unterstützten Hilfsbedürftigen auf Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs für die Zeit seit Eintritt der Hilfsbedürftigkeit bis zu deren Beendigung, wie z. B. Unterhaltsansprüche, auch z. B. Gehaltsansprüche eines Beamten, auf den Fürsorgeverband durch bloße schriftliche Anzeige (vgl. BGHZ Bd. 12 S. 298, Bd. 20 S. 130); entsprechend jetzt mit Bezug auf den Träger der Sozialhilfe nach §§ 90 f. BSozialhG vom 30.Juni1961(BGBl. I S. 815); ferner nach§ 27 e BVersorgG i. d. F. vom 27. Juni 1960 (BGBl. I S. 453); vgl. auch noch§ 23 Abs. 3 GüterkraftverkehrsG vom 17. Oktober 1952 (BGBl. I S. 697). Eigenartig auch§ 14 BLeistG i. d. F. vom 27. September 1961 (BGBl. I S. 1770), wonach der Leistungsbescheid auf Grund einer Anforderung nach § 2 Abs. 1 Ziff. 10 (Abschluß von Verträgen über wiederkehrende oder Dauerleistungen) als bindendes Vertragsangebot des Leistungspflichtigen gilt, worauf der Leistungsempfänger dem Leistungspflichtigen gegenüber unverzüglich die Annahme des Angebots zu erklären hat; vgl. auch noch § 43 Abs. 1 Ziff. 2 (AnO über den Wiedererwerb des Eigentums). m) Nach der Form: förmliche, d. h. an eine bestimmte- z. B. schriftliche - Form gebundene, und formlose Verwaltungsverfügungen, die in jeder beliebigen Form, auch durch schlüssige Handlung, vorgenommen werden können, wie z. B. die Widmung einer öffentlichen Sache. Die Formlosigkeit bildet die Regel. n) Nach dem Inhalt kann man die- erteilenden- Verwaltungsverfügungen einteilen in:
1) Befehle, d. h. Gebote oder Verbote- im franz. Recht entsprechend "injonction". oder "prohibition" -, je nachdem eine Pflicht zum Tun oder Unterlassen, wozu auch das Dulden, d. h. Unterlassen eines Widerstandes gegen eine beabsichtigte Verwaltungsverhandlung, gehört vgl. z. B. § 24 WohnraumBewG vom 31. März 1953 i. d. F. vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 418) -,für einen Verwalteten begründet, d. h. ein Tun oder ein Unterlassen angeordnet wird (vgl. Pr. OVG Bd. 5 S. 367). Den äußeren, d. h. auf Grund des allgemeinen Gewaltverhältnisses ergehenden, Befehlen entsprechen die inneren Befehle auf Grund eines besonderen Gewaltverhältnisses, die Dienstbefehle oder Anweisungen, auf die hier nicht näher einzugehen ist 24 • Es handelt sich um eine obrigkeitliche verbindliche Bestimmung des Verhaltens eines Verwalteten. Dies steht im Gegensatz zur bloßen Aufforderung, d. h. der Willenserklärung einer Verwaltungsbehörde, die einen Verwalteten zur Vornahme einer Handlung bei Vermeidung von Rechtsnachteilen im Bereiche der öffentlichen Verwaltung veranlassen will, ohne eine unmittelbare Pflicht zum Handeln zu begründen wie beim Befehl; es können sich 24
Vgl. dazu Thoma,Polizeibefehl S. 63.
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dann an die Nichtbefolgung - regelmäßig innerhalb der dafür gesetzten Frist - rechtliche Nachteile im Sinne einer sog. "Last" knüpfen 2S, z. B. die Auschlußwirkung für die Erhebung von Einwendungen, die nicht auf besonderen bürgerlich-rechtlichen Rechtsgründen beruhen, nach § 19 GewO gegenüber einem Gesuch um Erlaubnis zur Errichtung einer sog. gefährlichen Anlage i. S. des § 16 GewO; desgl. bei einem Baugesuch hinsichtlich der Einhaltung baupolizeilicher Vorschriften oder der Wahrung sonstiger polizeilicher Rücksichten (vgl. z. B. § 113 württ. BauO von 1910); vgl. ferner die Aufforderung zur Ausästung nach § 4 Abs. 2 TelWegeG. Ein solches Gebot enthält z. B. eine polizeiliche Verfügung, ein baufälliges Haus abzureißen oder in bestimmter Weise in polizeimäßigen Zustand zu versetzen. So enthält weiter die Ausweisung eines Ausländers aus dem Staatsgebiet den Befehl, das Staatsgebiet unverzüglich oder binnen bestimmter Frist zu verlassen und es nicht, sei es überhaupt nicht mehr oder nicht innerhalb bestimmter Frist, wieder zu betreten. Dahin gehört weiter die von einer Polizeibehörde vorgenommene oder- wenn durch einen Vollzugsbeamten vorgenommen- gebilligte Auflösung einer Versammlung, ferner Bausperren sowie die Untersagung von Gewerben nach§ 35 GewO, wie z. B. auch- wie in der früheren Fassung vor dem G vom 5. Februar 1960 besonders erwähnt - der Erteilung von Tanz-, Turn- und Schwimmunterricht als Gewerbe und des Betriebs von Badeanstalten, beim Vorliegen von Tatsachen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragten Person in bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun26 • Dahin gehört auch die AnforVgl. dazu Kormann, a. a. 0., S. 79. Sie setzt voraus, daß der Gewerbebetrieb tatsächlich bereits begonnen hat oder, wenn er eingestellt war, unmittelbar vor der Wiedereröffnung steht; anders aber, wenn er eingestellt und seine Wiederaufnahme nicht in Aussicht genommen ist. Vgl. Pr. OVG Bd. 103, S. 212, Bd. 105, S. 191. Die Untersagung trifft den Gewerbebetrieb in seiner Gesamtheit und kann sich nicht bloß gegen seine Ausübung in einem Einzelfalle und an einem einzelnen Orte richten (vgl. Pr. OVG Bd. 26, S. 287, Bd. 31, S. 302, Bd. 49, S. 305). Nach preuß. Recht (vgl. § 119 ZG) wurde die Untersagung auf Klage der zuständigen Behörde vom Kreis-(Stadt-)ausschuß ausgesprochen, unbeschadet der Möglichkeit der Polizei, gegen die polizeiwidrige Ausübung Gebote oder Verbote zu erlassen. Es sollen durch diese Untersagungen diejenigen, die sich der gewerblichen Leistungen solcher Personen bedienen wollen, vor Schaden behütet werden, wenn z. B. derjenige, der Schwimmunterricht erteilt, selbst nicht schwimmen kann, oder jemand nicht fähig ist, die Angelegenheiten vor den Behörden wahrzunehmen. Vgl. Pr. OVG Bd. 28, S. 330. So kann gegen einen Tanzlehrer, der unter dem Deckmantel der Erteilung von Tanzunterricht verbotener Weise öffentliche Tanzbelustigungen veranstalten will, im Sinne von § 35 GewO ein Schluß auf seine Unzuverlässigkeit in bezug auf den Gewerbebetrieb als Tanzlehrer gezogen werden (vgl. Pr. OVG Bd. 50 S. 379). Fahrlässiges Handeln in Ausübung des Gewerbebetriebes, z. B. bei einem Schwimmlehrer, genügt zur Anwendung der Vorschrift des § 35 (vgl. Pr. OVG Bd. 37 S.335). 25
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Die Arten der Verwaltungsverfügung
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derung von gemeinen Lasten (vgl. u. § 59) 27 • "Ein Befehl ist stets dann anzunehmen, wenn eine behördliche Erklärung erst dazu führt, eine gesetzlich schon bestehende, aber doch nur abstrakte, oder eine zwar durch einen anderen Akt, namentlich eine Entscheidung bereits teilweise, aber doch nicht vollständig konkretisierte Verpflichtung endgültig zu konkretisieren. Das erste ist der Fall bei dem Schutzmann, der die Menge zum Auseinandergehen auffordert; er konkretisiert die allgemeine Untertanenpflicht, die gute Ordnung des Gemeinwesens nicht zu stören, dahin, daß die Leute auseinandergehen sollten. Der zweite Fall zeigt sich in großer Klarheit im Militärrecht, wo man deutlich 3 Stadien unterscheiden kann"; das Gesetz bestimmt zunächst in abgezogener Weise "die allgemeine Wehrpflicht aller militärtauglichen Männer; die Aushebung konkretisiert für den einzelnen diese Pflicht, indem sie feststellt, daß er nach dem Gesetz zum Dienst im stehenden Heer verpflichtet ist, - sie ist Entscheidung; der Gestellungsbefehl endlich konkretisiert diese Verpflichtung endgültig, indem er bestimmt, wann, wo usw. der Rekrut sich zur Ableistung seiner Pflicht zu stellen habe, - er ist Befehl. Wo aber durch Gesetz oder Entscheidung eine Verpflichtung bereits konkretisiert ist, da kommt es auf die Absicht des handelnden Beamten an, ob er nur auf diese Verpflichtung aufmerksam machen, also mahnen, oder ob er wirklich befehlen, d. h. Gehorsam für seine eigene Willenserklärung heischen will. Im Zweifel wird man in diesen Fällen, wo die Verpflichtung bereits völlig konkretisiert ist, eine bloße Mahnung anzunehmen haben" 28 • Im Gegensatz zum Befehl steht auch das Ersuchen, d. h. die Bitte einer Behörde an eine andere - ihr nicht untergeordnete, sondern rechtlich gleichstehende- Behörde zu einem Tun bestimmter Art: hier besteht jedoch im Gegensatz zur bloßen Aufforderung unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen auf Grund der Pflicht zur Amts- und Rechtshilfe eine Pflicht, dieser Bitte nachzukommen (vgl. o. § 30 Ziff. I b).
2) Genehmigungen oder Bestätigungen Das sind obrigkeitliche Willenserklärungen, durch die einer bestimmten Willenserklärung oder einer sonstigen Rechtshandlung, die von jemandem im Bereiche der öffentlichen Verwaltung- sei es auf bürgerlich-rechtlichem oder auf öffentlich-rechtlichem Gebiete - vorgenommen wird, rechtliche Wirksamkeit erteilt wird. Sie können, je nach näherer gesetzlicher Bestimmung, unter rein rechtlichen (wie z. B. nach Vgl. Kormann, S. 78. Vgl. Kormann, S. 75 f. Verfehlt Herrnritt, Grundlehren des VerwR, S. 272 f., wenn er die Befehle nicht zu den rechtsbegründenden Verwaltungsverfügungen rechnet, sondern diesen die Erlaubnisse, Verleihungen, Genehmigungen usf. gegenüberstellt. 21 28
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§§ 6, 11, 20, 51 BBauG), oder darüber hinaus auch unter Ermessensgesichtspunkten erfolgen. So z. B. wenn zum Erlaß von Satzungen einer Gemeinde oder sonstiger Selbstverwaltungskörperschaften überhaupt oder für bestimmte Fälle, wie etwa z. B. bei Ausstattung mit rückwirkender Kraft usw., nach näherer gesetzlicher Vorschrift oder zur Vornahme bestimmter einzelner Verwaltungshandlungen der Gemeinde, wie bei unentgeltlicher Veräußerung von Vermögensgegenständen aller Art, Verkauf oder Tausch von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten, bei Veräußerung oder wesentlicher Veränderung von Sachen, die einen besonderen wissenschaftlichen, geschichtlichen oder künstlerischen Wert haben, bei der Aufnahme von Darlehen, der Übernahme von Bürgschaften und Verpflichtungen aus Gewährverträgen und der Bestellung anderer Sicherheiten usw. die Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde erfordert wird (vgl. dazu o. § 25); nach § 104 DGO sind diese Geschäfte des bürgerlichen Rechtsverkehrs, die ohne die erforderliche Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde vorgenommen werden, unwirksam. Vgl. entsprechend z. B. § 117 bad.-württ. GO vom 25. Juli 1955. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Genehmigung ist die Rechtsgültigkeit des Geschäfts; die Genehmigung kann nicht etwa Mängel der Rechtsgültigkeit heilen und ein rechtlich nichtiges Geschäft gültig machen: denn darauf bezieht sie sich nicht, sondern setzt die Gültigkeit vielmehr voraus (abgesehen von der noch ausstehenden Genehmigung). Im Falle der wirksamen Anfechtung nach bürgerlichem Recht fällt auch die Genehmigung als gegenstandslos dahin. Diese Genehmigung kann - als sog. nachträgliche Zustimmung - nur erteilt werden, wenn die betreffende Willenserklärung vorangegangen ist, da nur dann vom Standpunkt der Staatsaufsicht die Prüfung möglich ist; eine vorherige Zustimmung als sog. Einwilligung (vgl. § 183 BGB) kommt grundsätzlich nicht in Frage2 D. Entsprechend den Vorschriften der §§ 184, 1829 BGB wirkt die behördliche Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vornahme der betreffenden Handlung zurück, soweit nichts anderes bestimmt ist 30 • Eine Änderung des betreffenden Rechtsgeschäfts kann dabei von der Staatsaufsichtsbehörde nicht vorgenommen werden; sie kann nur die Genehmigung im ganzen erteilen oder versagen oder aber die Erteilung der Genehmigung von der Erfüllung gewisser Bedingungen - Abänderungen nach bestimmter Richtung - abhängig machen oder die Abänderung nach bestimmter Richtung veranlassen. Dahin gehörte früher weiter die Genehmigung der zuständigen Behörde (Genehmigungsbehörde) zur Auflassung sowie zur Bestellung eines zum Genuß berechtigenden dinglichen Rechts an einem land- und forstwirtschaftliehen Grundstücke im Umfang von 2 ha aufwärts nach §§ 1 und 2 der 29 Vgl. dazu auch Pr. OVG Bd. 92 S. 30; ferner Bullinger, Die behördl. Genehmigung privater RGeschäfte u. ihre Versagung, in DÖV 1957, S. 761 ff. ao Vgl. RGZ Bd.125, S. 55.
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durch das KRG Nr. 45 aufgehobenen GrundstücksverkehrsBek vom 26. Januar 1938 (RGBl. I S. 35); jetzt bedarf die rechtsgeschäftliche Veräußerung eines land- oder forstwirtschaftliehen Grundstücks und der schuldrechtliche Vertrag hierüber nach§§ 1 ff. GrundstücksVerkG vom 28. Juli 1961 (BGBL I S. 1091) grundsätzlich der Genehmigung. Ferner gehört dahin die Genehmigung zur Teilung oder zur Auflassung usf. von Grundstücken nach §§ 19 ff. BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBL I S. 341), die staatliche Genehmigung zum Inverkehrbringen von Schuldverschreibungen auf den Inhaber nach § 795 BGB, die Bestätigung von Vereinbarungen der Beteiligten über den Ausgleich von Vorteilen und Nachteilen, die sich für sie aus der Bildung von Zweckverbänden ergeben, nach§ 12 ZweckverbandsG vom 7. Juni 1939; die Genehmigung der erstmaligen Festsetzung des Umlagebedarfs und seiner Erhöhung beim Zweckverband nach § 29 ZweckverbandsG; ferner nach 1. WasserverbandsVO vom 3. September 1937, § 123; die Genehmigung von Beförderungsentgelten, Beförderungsbedingungen und Fahrplänen, z. B. von Straßenbahnen, Obussen und beim Linienverkehr nach §§ 39, 41, 45 PersBefG vom 21. März 1961 (BGBL I S. 241), wogegen die obrigkeitlichen Festsetzungen von Preisen usf. (sog. Taxen), z. B für Gelegenheitsverkehr mit Kraftdroschken (Taxen) nach § 51, wie auch sonst (vgl. z. B. §§ 76 ff. GewO) durch RechtsVO auf Grund gesetzlicher Ermächtigung zu erfolgen hat; die Genehmigung (Zustimmung) der Bundesregierung zu Verträgen über die Gehälter usw. der Mitglieder des Direktoriums der Deutschen Bundesbank und der Mitglieder des Vorstandes der Landeszentralbanken (§§ 7, 8 BBankG v. 26. Juli 1957, BGBI. I S. 745); die Genehmigung der Wasser- und Schiffahrtsdirektionen zu Vereinbarungen von Schiffahrtsverbänden untereinander sowie zwischen solchen und Schiffahrtstreibenden über die Verteilung von Fracht- und Schleppgut zur Beförderung auf Bundeswasserstraßen nach § 1, 2 G über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr vom 1. Oktober 1953 (BGBL I S. 1453); die Genehmigung des Haushaltsplans der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr durch den Bundesverkehrsminister im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister nach§ 71 GüterkraftverkehrsG vom 17. Oktober 1952 (BGBI. I S. 697); die Genehmigung des Flächennutzungsplanes und des Bebauungsplanes nach §§ 6, 11 BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBI. I S. 341); die Genehmigung nach § 3 AußenwirtschG vom 28. April1961 (BGBI. I S. 481). Auch die Bestätigung ist hierher zu rechnen, wie sie früher landesrechtlich für gewisse Wahlen vorgesehen war, wie z. B. für gewählte Bürgermeister, Beigeordnete, Schöffen, Stadträte usf. und besoldete Magistratsmitglieder nach preußischem Recht (vgl. z. B. die StädteO für die östl. Prov. v. 30. Mai 1853, § 33); ferner die Bestätigung von Jagdaufsehern durch die zuständige Behörde nach§ 25 BJagdG vom 29. Novem-
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§ 31. Die Verwaltungsverfügung im allgemeinen
ber 1952 i. d. F. vom 30. März 1961, desgl. die Bestätigung von Personen, die mit der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben betraut werden, sofern es sich nicht um unmittelbare Staatsbeamte handelt, durch die unmittelbar vorgesetzte Polizeiaufsichtsbehörde nach § 13 pr.PVG; die Bestätigung der Wahl des Vorsitzenden und seines Stellvertreters bei öffentlich-rechtlichen Schiffahrtsbetriebsverbänden durch die Aufsichtsbehörde nach§ 16 des o. angeführtenG über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr vom 1. Oktober 1953, die Bestätigung von Betriebsleitern und Stellvertretern in Kraftfahrunternehmen nach § 4 VO über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr i. d. F. vom 7. Juli 1960 (BGBl. I S. 554). 3) Die Erlaubnis
Sie tritt häufig auf in der Form der Polizeierlaubnis. Es handelt sich hier um die Beseitigung einer Schranke, die durch eine allgemeine gesetzliche Vorschrift- besonders häufig als ein allgemeines Polizeiverbot - gegenüber der natürlichen Handlungsfreiheit des einzelnen mit Bezug auf tatsächliche Handlungen aufgerichtet ist. Wenn durch eine Vorschrift eine bestimmte Tätigkeit von einer polizeilichen Erlaubnis abhängig gemacht ist, so bedeutet diese Vorschrift nach der treffenden Ausdrucksweise von Otto Mayer ein allgemeines Polizeiverbot mit Erlaubnisvorbehalt: die Erlaubniserteilung ist die - vorbehaltene- Beseitigung dieses allgemeinen Verbots für einen bestimmten einzelnen Fall. Es werden hier bestimmte Betätigungen, wie insbesondere z. B. wirtschaftlicher Art, unter vorbeugenden polizeilichen Gesichtspunkten zunächst allgemein verboten, die nach der geltenden Rechtsauffassung -im Gegensatz zur Verleihung (vgl. u. Ziff. 4)- auf Grund der natürlichen Handlungsfreiheit von jedem an sich vorgenommen werden können; zugleich aber wird von vornherein vorbehalten, im Einzelfalle eine Erlaubnis zur Vornahme dieser Tätigkeiten zu erteilen, wenn keine polizeilichen Bedenken entgegenstehen, was eben jeweils geprüft werden soll, wenn ein Gesuch um Zulassung zu dieser Betätigung eingereicht wird. Wenn nach Prüfung die polizeilichen Bedenken, nämlich die begründete Besorgnis, daß Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach bestimmter Richtung entstehen, nicht behoben werden können, so verbleibt es bei dem allgemeinen Verbote für diesen Einzelfall durch Ablehnung des Gesuchs. Besteht dagegen diese Besorgnis nicht oder kann ihr durch Beifügung von Auflagen als Nebenpflichten bei Erteilung der Erlaubnis abgeholfen werden, dann wird die Erlaubnis erteilt und damit die natürliche Handlungsfreiheit wiederhergestellt. Die Erlaubniserteilung bedeutet somit die Befreiung von einem allgemeinen Verbote in einem Einzelfalle unter dem Gesichtspunkte, daß polizeiliche Bedenken oder Gefahren nach menschlicher Voraussicht
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und Erfahrung gegen die Tätigkeit in diesem einzelnen Falle nicht bestehen, die nach der Art der Tätigkeit im allgemeinen mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten wären. Echte Erlaubnis macht "in der Tat nur eine rechtlich mögliche, aber verbotene Handlung erlaubt", gewährt also "nur ein Dürfen31 ". Regelmäßig werden in den gesetzlichen Vorschriften nach der Verschiedenheit der in Betracht kommenden Arten von Tatbeständen die Voraussetzungen, unter denen die Erlaubnis erteilt werden kann oder muß bzw. versagt werden muß, näher bezeichnet. Diese Erlaubnis kann erteilt werden für eine bestimmte Person, so daß hier eine persönliche Eignung oder Zuverlässigkeit vorausgesetzt wird persönliche Erlaubnis -, oder für eine bestimmte Anlage als solche, so daß diese nur geprüft wird und die erteilte Erlaubnis, solange die Anlage oder der Betrieb im wesentlichen unverändert bleibt, fortdauernd wirksam ist und auch für den Rechtsnachfolger gilt, was bei der persönlichen Erlaubnis grundsätzlich nicht der Fall ist, - sog. sachliche laubnis -, wie bei den gewerblichen Anlagen nach § 16 GewO in Verbindung mit der VO über genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 GewO vom 4. August 1960 (BGBl. I S. 690) und bei der Bauerlaubnis32. Dahin gehört auch die "Genehmigung" von wesentlichen Veränderungen an Gegenständen, bezüglich deren zur Sicherung für Leistungen die Bedarfsstelle die Beschlagnahme angeordnet hat, durch diese nach§ 45 BLeistG vom 19. Oktober 1956 i. d. F. vom 27. September 1961 (BGBl. I S. 1770), ferner die "Genehmigung" zur Ausfuhr eingetragenen Kulturguts und Archivguts nach§§ 1, 10 G zum Schutze deutschen Kulturguts gegen Abwanderung vom 6. August 1955 (BGBl. I S. 501), weiter die "Genehmigung", genauer die Erlaubnis, zur Errichtung und damit gleichzeitig zum Betriebe einer Feuerbestattungsanlage, die nur Gemeinden, Gemeindeverbänden und solchen Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen die Sorge für die Beschaffung öffentlicher Begräbnisplätze obliegt, erteilt wird (im Gegensatz zur "Genehmigung", d. h. persönlichen Erlaubnis, zur Feuerbestattung durch schriftliche Genehmigung der Polizeibehörde des Einäscherungsortes) nach dem FeuerbestattungsG vom 15. Mai 1934, RGBl. I S. 380, §§ 8, 3 Abs. 2. Weiter gehört dahin auch, wenn nach dem RNaturschutzG vom 26. Juni 1935 (RGBl. I S. 821) es verboten ist, ein eingetragenes Naturdenkmal wie auch die geschützte Umgebung ohne "Genehmigung" der zuständigen Naturschutzbehörde zu entfernen, zu zerstören oder zu verändern. Leider ist in der Gesetzessprache der Unterschied zwischen "Genehmigung" von rechtlichen Willenserklärungen (o. Ziff. 2) und Erlaubnis tatsächlicher Hand31 Vgl. zutr. Kormann, S. 84 und im übrigen zur Polizeierlaubnis insbesondere 0. Mayer, VerwR Bd 1, S. 239 ff. und u. § 46. 32 Daß die Befreiung von Bauvorschriften nicht nur bei der Erteilung der Bauerlaubnis, sondern auch noch für einen in Ausführung begriffenen oder vollendeten Bau erteilt werden kann, bejaht zutr. Pr. OVG Bd. 29, S. 354 ff. 53 Merk
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Iungen noch nicht streng genug durchgeführt. - Eine gewisse Mischbildung entsteht, wenn zwar eine persönliche Erlaubnis in Frage kommt, aber mit Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit in einer bestimmten Räumlichkeit, so daß auch die Räume, in denen diese Tätigkeit vorgenommen werden soll, Gegenstand der Prüfung sind. So z. B. bei der Wirtschaftserlaubnis, d. h. der Erlaubnis zum Betriebe einer Gastwirtschaft, einer Schankwirtschaft oder des Kleinhandels mit Branntwein nach dem GaststättenG vom 28. April 1930 (§ 1) und ferner bei der Erlaubnis zum Betriebe von Privatkranken-, Privatentbindungs- und Privatirrenanstalten nach der GewO (§ 30): sog. gemischt-persönliche Erlaubnis. Das Anwendungsgebiet der Erlaubnis ist sehr groß; es gehört dahin außer den oben angeführten Fällen - insbesondere der Bauerlaubnis, der Erlaubnis zum Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft usf., zum Betriebe von Privatkrankenanstalten usf., zur Anlage und zum Betrieb der sog. gefährlichen Anlagen nach §§ 16 ff. GewO - auch die Zulassung zu bestimmten Berufen oder Gewerben, die ein Befähigungszeugnis voraussetzen, wie die Bestallung als Arzt 33 , Zahnarzt, Tierarzt und Apotheker, die Zulassung zum Beruf als Hebamme, zum Hufschlaggewerbe, die Erlaubnis zu Versicherungsunternehmungen nach§ 4 VAG, die Reisegewerbekarte (früher der Wandergewerbeschein) 3\ der Jagdschein35, der Fischereischein, der Waffenschein 36 , der Körschein, die Erlaubnis zu gewissen Nutzungen an privaten Flüssen im Gegensatz zur Verleihung von Sondernutzungsrechten an öffentlichen Flüssen nach dem Wasserrecht. Dagegen bedeutet die Befreiung (sog. Dispens), d. h. die Erteilung von Ausnahmen in bezug auf die Einhaltung gewisser aus Gründen des öffentlichen Wohls als Regel zwingend bestimmter Vorschriften, wie sie vielfach die Gesetze (z. B. Baugesetze; vgl. u. a. § 116 württ.BauO vom 28. Juli 1910) zur Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse eines Einzelfalles, insbesondere zur Vermeidung besonderer Härten oder sonst aus wichtigem Grunde, vorsehen, regelmäßig eine Vergünstigung, d. h. eine Verleihung (vgl. u. Ziff. 4) von den bestehenden gesetzlichen Vorschriften abweichen zu können, was von einer Wiederherstellung der natürlichen Handlungsfreiheit, wie bei der Erlaubnis, wohl zu unterscheiden ist37 . Vgl. darüber, daß es sich auch bei der Erlaubnis um eine Verwaltungsverfügung handelt, soweit nichts anderes bestimmt ist (wie z. B. in§ 40 pr.PVG), u. § 46. 33 Vgl. z. B. § 2 ReichsärzteO vom 13. Dezember 1935 (RGBL I S. 1438) und jetzt§ 2 BundesärzteO vom 2. Oktober 1961 (BGBL I S. 1857) 34 Zusatzerlaubnis nach § 60 a GewO. 35 Vgl. dazu auch die VO zur Regelung der Jagd auf den Reichswasserstraßen, dem Meeresstrand und den Küstengewässern vom 25. Februar 1938 (RGBl. I S. 223). 36 Vgl. auch§ 21 WaffenG vom 18. März 1938: der Jagdschein berechtigt den Inhaber zur Führung von Jagd- und Faustfeuerwaffen. 37 Vgl. hierzu Kormann, S. 84, Scholz in VerwArch, Bd. 30, S. 270.
Die Arten der Verwaltungsverfügung
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4) Die Verleihung
Es handelt sich hier um die Verleihung oder Entziehung von Rechten, rechtlichen Fähigkeiten oder Eigenschaften sowie von Rechtsstellungen von Personen oder Sachen, die Befreiung von Pflichten usf. Die Verleihung ist scharf zu unterscheiden von der Erlaubnis (o. Ziff. 3), weil sie nicht nur die gesetzlich zunächst eingeschränkte natürliche Handlungsfreiheit wieder herstellt, sondern einen rechtlichen Machtzuwachs gewährt, eine öffentlich-rechtliche Willensmacht, wie sie auf Grund der natürlichen Handlungsfreiheit an sich nach der bestehenden Rechtsauffassung nicht vorhanden ist. Sie gewährt nach der Ausdrucksweise G. Jellineks nicht nur ein rechtliches "Dürfen", wie die Erlaubniserteilung, sondern ein rechtliches "Können" 38 • Dahin gehört z. B. die Verleihung der Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung, die Verleihung der Beamteneigenschaft, die Verleihung der Rechtspersönlichkeit, wie z. B. nach § 22 BGB an bürgerlich-'-rechtliche Vereine, die auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sind, die Verleihung bestimmter Amtseigenschaften oder Titel, von Orden und Ehrenzeichen, die Verleihung von Patenten, die Verleihung eines öffentlichen Unternehmens, d. h. einer öffentlichen Verwaltungsaufgabe (vgl. o. § 28), von Sondernutzungsrechten an öffentlichen Sachen, ferner die Widmung, d. h. die Bestimmung einer öffentlichen Sache, wodurch sie im Rahmen der öffentlichen Verwaltungsaufgabe der privaten Verfügung entzogen wird 39 • Dahin gehört weiter z. B. die Umwandlung von bürgerlichrechtlichen Körperschaften in öffentlich-rechtliche Wasser- und Bodenverbände (1. WasserverbandsVO v. 3. September 1937, § 151), ferner der Erlaß der Satzung und die Auflösung von Wasser- und Bodenverbänden, § 177; vgl. ferner § 174 ff.); desgl. die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und zu ähnlichen Berufen, die nicht in Ausübung natürlicher Handlungsfreiheit, sondern vom Staat gewährter Rechtsmacht bestehen, ebenso die Bestätigung, durch die eine nichtige Handlung zu einer rechtsbeständigen gemacht wird, wie z. B. die durch eine sachlich unzuständige Behörde ausgesprochene Beamtenernennung durch die sachlich zuständige Behörde mit rückwirkender Kraft (§ 11 BGB); die Auseinandersetzung bei Gemarkungsänderungen durch die Aufsichtsbehörde mit der Folge, daß Rechte und Pflichten auf die Beteiligten übergehen (vgl. § 15 DGO). Auch die Ersetzung von Willenserklärungen Beteiligter durch die Verwaltungsbehörde, wie z. B. einer Vereinbarung über den Ausgleich von Vorteilen und Nachteilen, die sich für sie aus der Bildung des Zweckverbandes ergeben, durch Beschluß, der Rechte und Pflichten der Beteiligten begründet und den Übergang von Verbindlichkeiten bewirkt(§ 12 Abs. 3 ZwVerbG), die Ersetzung der Zu38
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Vgl. Syst. d. subj. öff. Rechte, 2. Aufi. (1919), S. 46 ff. So zutr. Kormann, S. 110 gegen 0. Mayer (vgl. VerwR Bd. 2 S. 58).
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§ 31. Die Verwaltungsverfügung im allgemeinen
stimmung von Körperschaften, Gemeinden, Gemeindeverbänden usf. zur Bildung eines Zweckverbandes nach§ 15 ZwVerbG, die Festsetzung der Verbandssatzung mit den sich daraus ergebenden Pflichten und Rechten (§ 19 a. a. 0.), die Ordnung der Verhältnisse eines Pflichtzweckverbandes durch Beschluß der Behörde nach Recht und Billigkeit (§ 20 a. a. 0.), die Kündigung von Verwaltungsverträgen, ferner die Ersetzung der Zustimmung des Wegeunterhaltungspflichtigen durch die Genehmigungsbehörde nach § 15 PersBefG vom 6. Dezember 1937 und in der Sache entsprechend nach§§ 32 f. PersBefG vom 21. März 1961, desgl. die Verfügung (Mietverfügung) der Wohnungsbehörde, welche die Wirkung eines Mietvertrages hat, weil ein der Zuweisung entsprechender Vertrag über Wohnraum nicht fristgemäß zustande kommt, auf Antrag eines Beteiligten (§ 16 WohnRBewG v. 31. März 1953 i. d. F. v. 23. Juni 1960), ferner die Festsetzung des Inhalts eines Vertrages mit der Wirkung einer vertraglichen Vereinbarung zwischen kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen durch das Schiedsamt nach § 368 RVO; der Beschluß des Landesarbeitsamts bei Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht durch den Arbeitgeber mit Benennung der einzustellenden Schwerbeschädigten und Bestimmung des Zeitpunktes der Einstellung, mit dessen Zustellung zwischen dem Arbeitgeber und dem Schwerbeschädigten ein Arbeitsvertrag als abgeschlossen gilt (§ 10 SchwerbeschG v. 16. Juni 1953 i. d. F. v. 14.Augustl96l,BGB1. I S.1234), sowie die Berufung der Vorsteher des Wasser- und Bodenverbandes durch die Aufsichtsbehörde nach § 51 der 1. WasserVerba vom 3. September 1937, ferner die Abberufung des Leiters der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr durch den Bundesverkehrsminister nach § 76 GüterkraftverkehrsG vom 17. Oktober 1952 (BGBL I S. 697), weiter die Besitzeinweisung mit der Folge, daß der Eingewiesene Besitzer wird, wie z. B. im Falle der Enteignung (vgl. z. B. §§ 116, 72 BBauG). Wie die Entziehung bestimmter rechtlicher Fähigkeiten oder Eigenschaften sowie von Rechtsstellungen usf. hierher gehört, so auch die Befreiung von Pflichten: Stundung, Erlaß oder Ermäßigung von Gebühren oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Abgaben oder Pflichten, auch die Bewilligung von Ausnahmen von der Einhaltung bestimmter Vorschriften (z. B. des Baurechts); die Begründung und Entziehung von bürgerlichen Rechten, z. B. des Bergwerkseigentums als eines ausschließlichen Aneignungsrechts an gewissen Mineralien, die Übertragung des Eigentums durch die Enteignungsverfügung, im besonderen auch die Entziehung des Eigentums oder anderer Rechte an Grundstükken sowie solcher Rechte, die zum Erwerb, zum Besitz oder zur Nutzung von Grundstücken berechtigen - also z. B. Mi€t-, Pacht- und sonstige Nutzungsrechte - oder die Benutzung von Grundstücken beeinträchtigen, im Enteignungswege insbesondere für dieZwecke derVertei-
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digung nach§§ 1 ff., 12 LandbeschG vom 23. Februar 1957 (BGBL I S. 134); desgl. die rechtsgestaltenden Planfeststellungen bei der Anlegung oder Änderung von Flughäfen oder Landeplätzen nach §§ 8 ff. LuftVG, von Bundesfernstraßen nach §§ 17 ff. BFStrG, bei der Flurbereinigung oder Bauplatzumlegung; ferner die Entziehung der Rechtsfähigkeit eines rechtsfähigen Vereins nach § 43 BGB. Hier liegen öffentlich-rechtliche Verfügungen mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung vor. Vgl. auch § 2 Abs. 4 FeuerbestG vom 15. Mai 1934 (RGBl. I S. 180), wonach bei Meinungsverschiedenheiten unter Angehörigen gleichen Grades die Polizeibehörde, bei der die Genehmigung der Feuerbestattung beantragt ist (§ 3 Abs. 1), ihre Bestimmung über die Bestattungsart unter Berücksichtigung der Umstände des Falles zu treffen hat.- Ferner gehört dahin die Schaffung bestimmter Rechtslagen, die Festsetzung der Straßen- und Baufluchtlinien- so jedenfalls nach früherem bayr., württ. und bad. R und wohl auch nach früherem preuß. R (§ 11 pr. FluchtiG v. 1875), wonach die Beschränkung des Grundeigentums, daß neue Bauten untersagt werden können40 , endgültig eintritt, ebenso die Dringlichkeitserklärung nach§ 38 pr. EntEG von 1874, ferner die Wiedereinsetzung in den früheren Stand, welche die frühere Rechtslage wiederherstelW\ sowie die zwangsweise Zuteilung von Wertpapieren nach § 32 InvHilfeG42 , die verbindliche Bewilligung von öffentlichen Mitteln für bestimmte Zwecke, z. B. auf dem Gebiete des Wohnungsbaus (vgl. '§§ 19 Abs. 2, 51, 54, 58 Abs. 2, 65 2. WohnBauG vom 27. Juni 1956 i. d. F. v. 1. Aug. 1961 BGBl. I S. 1122), wogegen nach § 78 BVersG i. d. F. der Bek. vom 6. Juni 1956 (BGBl. I S. 469) aus der Bewilligung der Kapitalabfindung nicht auf Auszahlung geklagt werden kann. 5) Verwaltungsstrafen, soweit die Verhängung Ermessenssache ist, d. h. eine Gestaltung nach Art einer Verwaltungsverfügung vorliegt, und nicht eine bloße Entscheidung darüber, was im Einzelfalle rechtens ist. Es handelt sich um verwaltungsrechtliche Übel, die zum Zwecke der Verwirklichung von verwaltungsrechtlichen Pflichten, Geboten oder Verboten, sei es, daß sie auf unmittelbarer gesetzlicher Grundlage oder auf einem Verwaltungsbescheid beruhen, im allgemeinen oder in einem besonderen Gewaltverhältnis verhängt werden, wie z. B. eine Zwangsgeldfestsetzung oder eine Dienststrafverfügung. (Vgl. u. §§ 37, 39). 40 Es tritt durch die Festsetzung der Baulinien als solcher nicht ein unbedingtes Bauverbot ein; es besteht keine Pflicht, sondern nur ein Recht der Baubehörde, eine Bauerlaubnis zu versagen. "Die Feststellung bedeutet nur eine gewisse Stufe in dem auf die Schaffung einer öffentlichen Straße gerichteten Verfahren, sie schafft noch keine endgültige Regelung, sondern nur eine vorläufige Rechtslage", Kormann, S. 109. Vgl. auch § 9 bad. OrtsstrG vom 15. Oktober 1908. Jetzt wird nach § 10 BBauG der Bebauungsplan als Gemeindesatzung erlassen. 41 Kormann, a. a. 0. 42 Vgl. E. R. Huber, WirtschVerwR (2. Aufl.), Bd. 2, S. 240.
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§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen
o) Empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige Verwaltungsverfügungen, je nachdem, ob die Verwaltungsverfügung zu ihrem Wirk-
samwerden der Bekanntgabe an eine bestimmte Person, an die sie gerichtet ist, bedarf oder nicht. Das erstere bildet die Regel; ein Beispiel für das letztere ist die Widmung und Entwidmung öffentlicher Sachen (vgl. u. § 50) 43 •
§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen I. Die Zuständigkeit Um rechtlich voll wirksam zu sein, muß die Verwaltungsverfügung bestimmten Anforderung·en entsprechen. Dazu gehört vor allem die Zuständigkeit. Die V·erwaltungsverfügung muß von der allgemein, sachlich und örtlich zuständig·en Verwaltungsbehörde erlassen sein. Bei den für das ganze Staatsgebiet zuständigen obersten und oberen Behörden, insbesondere den Min~sterien, kommt nur die sachliche Zuständigkeit, insbesondere geg·enüber einem anderen Ministerium, in Betracht. Die Verwaltungsverfügung muß grundsätzlich von einer Verwaltungsbehörde erlassen sein (vgl. o. § 31 Ziff. I). a) Die a 11 gemeine Zuständigkeit Darunter ist zu verstehen, daß die Zuständigkeit eines bestimmten Verwaltungsträgers im Gegensatz zu anderen Verwaltungsträgern gegeben ist, z. B. die des Staates - des Bundes oder Landes - oder der Gemeinde usw., je nach der bestehenden Aufgabenv·erteilung unter ihnen. Die Nichtbeachtung dieser Zuständigkeitsabgrenzung hat Nichtigkeit zur Folge. Nur innerhalb eines und desselben Verwaltungsträgers kommt die nachfolgende Unterscheidung von sachlicher und örtlicher Zuständigkeit in Betracht. b)Die sachliche Zuständigkeit Ihr kommt innerhalb eines Verwaltungsträgers vor allem große Bedeutung zu. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit ist so schwerwiegend, daß er grundsätzlich die Nichtigkeit der Verwal43 Vgl. Kormann, Grundz. eines allg. Teils d. öff. R, in Hirths Annalen d. Deutschen Reichs (1912), S. 45.
Die Verwaltungsverfügungsfähigkeit
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tungsverfügung zur Folge hat, z. B. wenn eine Einbürgerung anstelle des Regierungspräsi,denten, dem sie etwa nach den geltenden Bestimmungen zusteht, vom Landrat vorgenommen wird. Für einzelne Fälle kann auch eine kollegiale Beschlußfassung einer Behörde oder eine gemeinschaftlich·e Zuständigkeit zweier oder mehrerer Verwaltungsbehörden vorgesehen sein, von denen in der Regel eine federführend ist, mit der Folge, daß beim Fehlen desZusammenwirkenseine gültige Verwaltungsverfügung nicht vorliegt (vgl. auch BGHZ Bd. 21 S. 294); so ist z. B. nach § 142 pr. Allg. BergG vom 24. Juni 1865 und § 150 ZustG ein gemeinschaftlicher Beschluß des Oberbergamtes und der Regierung (des Regierungspräsidenten) darüber erforderlich, ob und in welchem Umfange und unter welch·en Bedingungen der Grundbesitzer zur Abtretung des Grundstücks oder der Bergwerksbesitzer zum Erwerb des Eigentums verpflichtet ist (vgl. auch § 46 Abs. 2 BBG). Nach § 11 BBG ist die Ernennung zum Beamten nichtig, wenn sie von einer sachlich unzuständigen Behörde ausgesprochen wird; sie kann aber von der sachlich zuständigen Behörde rückwirkend bestätigt werden, während bisher nach§ 32 DBG sie nur für nichtig erklärt werden konnte, sie also nicht ohne weiter·es nichtig war. c) Die ö r t 1 ich e Zuständigkeit ist beim Erlaß einer Verwaltungsverfügung ebenfalls zu beachten. Die Verwaltungsbehörden sind nur innerhalb des ihnen zugewiesenen Verwaltungsbezirks zuständig, d. h. zur Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben mit Bezug auf ihren Bezirk. Jedoch ist ein Verstoß gegen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit im allgemeinen nicht so schwerwiegend wie ein Verstoß mit Bezug auf die sachliche Zuständigkeit. Vgl. im übrigen u. Ziff. VIII.
II. Die Verwaltungsverfügungsfähigkeit Die Verwaltungsverfügungen werden, wie oben bemerkt, von den Behörden der Verwaltungsträger erlassen. Die Verwaltungsträger und deren Behörden können nur durch Menschen, einzelne oder mehrere, wollen und handeln, die namens des betreffenden Verwaltungsträgers wollen und handeln, so daß die Rechtsfolge bei diesem eintreten. Da es sich bei den Verwaltungsverfügungen nach dem früher Ausgeführten um rechtsgeschäftliche Willenserklärungen handelt, ist eine bestimmte Art der Willensfähigkeit dieser wollenden und handelnden Personen erforderlich. In Ermangelung besonderer Vorschriften, wird man hier die Bestimmungen des BGB über die Geschäftsfähigkeit entsprechend
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anzuwenden haben. Wenn nach § 165 BGB die Wirksamkeit einer von oder g·egenüber einem Vertveter abgegebenen Willenserklärung nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß der Vertreter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, was entsprechend auch hinsichtlich der Willensträger von Verbandspersonen gilt, insofern sie die Stellung von gesetzlichen Vertretern haben (vgl. § 26 BGB), so wird dies entsprechend auch zu gelten haben, wenn jemand als öffentlich-rechtlicher Willensträger des Staates oder eines sonstigen Verwaltungsträgers eine rechtserhebliche Willenserklärung im Bereiche der öffentlichen Verwaltung abzugeben oder ·entgegenzunehmen hat. Schon im pr. ALR § 810 II 18 war bestimmt, daß wenn jemandem vor erlangter Volljährigkeit ein Amt übertragen wird, der Mangel des Alters auf die Verbindlichkeit und Rechtskraft seiner Amtshandlungen ~einen Einfluß hat, wie ja auch heute die Ernennung zum Beamten die Volljährigkeit des Einzustellenden nicht voraussetzt (vgl. § 11 BEG). Demgemäß ist auch für das heutige Recht davon auszugehen, daß beschränkte Geschäftsfähigkeit des Willensträgers (Beamten usw.) ohne Bedeutung ist bezüglich der Rechtsgültigkeit der vorgenommenen Willenserklärungen und nur Geschäftsunfähigkeit Nichtigkeit der betreffenden Verwaltungsverfügung begründet, soweit nichts anderes bestimmt ist oder sich ergibt1 • Vgl. aber auch noch o. § 30, Anm. 22. 111. Die Form Die Verwaltungsbehörden können Verwaltungsverfügungen grundsätzlich in jeder geeigneten Form erlassen, soweit nichts anderes bestimmt ist: es gilt der Grundsatz der Formlosigkeit2 • Nach§ 44 pr. PVG vom 1. Juni 1931 können polizeiliche Verfügungen "mündlich, schriftlich oder durch Zeichen" erlassen werden; ähnlich auch die frühere DurchfVO zum LuftaufsichtsG vom 1. Februar 1939 (RGBl. I S. 134), § 6: "mündlich, schriftlich, durch Funk oder Zeichen". Von Bedeutung ist weiter - was den angeführten Bestimmungen auch beigefügt ist - , daß die unmittelbare Ausführung einer polizeilichen Maßnahme bzw. Maßnahme der Luftfahrtbehörde dem Erlaß einer polizeilichen usf. Verfügung gleichsteht, wie bei Gefahr im Verzug, z. B. bei polizeilichem Notstand (vgl. u. § 37); es können also insbesondere dieselben Rechtsmittel eingelegt werden, wie wenn in dieser Sache eine selbständige Verfügung, d. h. Anordnung entsprechenden Inhalts, zunächst und vor der Vollziehung erlassen worden wäre. Vgl. auch § 2 StVO i. d. F. der Bek. vom 29. März 1956 (EGEL I 1 Vgl. Kormann, Grundzüge eines Allg. Teils d. öff. R, in Hirths Annalen d. D. Reichs 1911, S. 911. 2 So auch Pr. OVG Bd. 9 S. 48, Bd. 47 S. 395; Kormann, Rechtsgeschäftliehe Staatsakte S. 175.
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S. 327): "Den Weisungen und Zeichen der Polizeibeamten und den Farbzeichen ist Folge zu leisten; sie gehen allgemeinen Verkehrsregeln und durch amtliche Verkehrszeichen angezeigten örtlichen Sonderregeln vor" (vgl. noch §§ 2 a, 3). Nicht nur in ausdrücklichen, sondern auch in schlüssigen Handlungen kann eine Verwaltungsverfügung enthalten sein; in dieser Weise kann z. B. die Widmung eines öff,entlichen Weges oder auch die Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde erfolgen (für dieses vgl. z. B. Pr. OVG Bd. 40 S. 203, Bd. 13 S. 179). In gewissen Fällen gilt nach besonderer gesetzlicher Vorschrift eine Verwaltungsverfügung, z. B. eine Genehmigung, als erlassen, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist ein ablehnender Bescheid zugegangen ist (vgl. z. B. §§ 12 Abs. 4, 14 Abs. 4 WohnraumBewG v. 31. März 1953 i. d. F. v. 23. Juni 1960, BGBl. I S. 418); vgl. o. § 31 Ziff II c. In einer Reihe von gesetzlichen Bestimmungen sind jedoch besondere Formvorschriften für bestimmte Verwaltungsverfügungen angeordnet "zur mehreren Gewißheit und Beglaubigung" (Pr. OVG Bd. 9 S. 48); so insbesondere die Schriftform für V:erwaltungsverfügungen, denen nach ihrem Inhalt eine große Tragweite und für läng.ere Zeit zukommt. Die Vorschrift des § 126 BGB über die gesetzlich bestimmte Schriftform ist hier entsprechend anzuwenden. Soweit nichts besonderes vorgeschrieben ist, kann hierbei jedoch auch ein durch Druck oder sonst mechanische Vervielfältigung hergestellter Vordruck verwendet werden; es genügt herkömmlicherweise auch - anders als nach § 126 BGB - statt der handschriftlichen Unterzeichnung des zur Vertretung der Behörde befugten Beamten eine mechanisch, insbesondere durch Unterschriftsstempel, vollzogene Unterschrift, wenn sie auf dem Willen des zuständigen betreffenden Beamten beruht, wovon im allgemeinen im Sinne eines sog. "Beweises des ersten Anscheines" ausgegangen werden kann: es soll durch die Vorschrift der Schriftform nur die mündliche oder sonstige "formlose" Form ausgeschlossen werden, weshalb es genügt, daß erkennbar ist, daß das Schriftstück von der zuständigen Behörde ausgestellt ist (Pr. OVG Bd. 31 S. 430, Bd. 47 S. 395, Bd. 84 S. 300, Bd. 92 S. 103). So darf z. B. nach§ 45 a RHaushaltsO i. d. F. vom 14. April 1930, wenn das Reich (der Bund) zu Leistungen Vierpflichtet werden soll, deren Betrag oder Wert im Zeitpunkt der Übernahme der Verpflichtung eine Million DM übersteigt, die Verpflichtung nur von dem Leiter der zuständigen Behörde oder dem geschäftsordnungsmäßig zu seiner ständigen Vertretung befugten Beamten, und nur in schriftlicher Form, erklärt werden. So wird weiter die Einbürgerung wirksam mit Aushändigung der von der höheren Verwaltungsbehörde hierüber ausgefertigten Urkunde (§ 16 StAngG v. 22. Juli 1913). So wird das Beamtenverhältnis durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde begründet, in der die Worte "unter Berufung in das
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Beamtenverhältnis" mit dem Zusatz "Beamter auf Lebenszeit" "auf Probe" "auf Widerruf" oder "als Ehr·enbeamter" oder "auf Zeit" mit der Angabe der Zeitdauer der Berufung enthalten sein müssen (§ 6 BBG) 3 ; so ist weiter die Verfügung über die Entlassung des Beamten und die Versetzung in den Ruhestand des Beamten schriftlich mitzuteilen (§§ 33, 47 BBG) 4 • So bedürfen weiter die V·erfügungen der Wohnungsbehörden (§ 26 WohnrBewirtschG), die Leistungsbescheide der Anforderungsbehörden über die Anforderung von Leistungen der Schriftform (unter genauer inhaltlicher Bestimmung nebst Rechtsmittelbelehrung, §§ 35 f. BLeistG). So wird weiter der Doktorgrad an einer zu dessen Erteilung befugten Hochschule durch die Aushändigung der Doktorurkunde nach Erfüllung der Prüfungsleistung·en erworben. Erklärungen, durch welche eine Gemeinde verpflichtet werden soll - wohin die Ausübung eines Wiederkaufsrechts (§ 497 BGB) nicht gehört (vgl. BGHZ Bd. 29 S. 107)bedürfen - wie früher nach § 36 DGO in Verbindung mit § 3 der 2. DurchfVO, so jetzt - z. B. nach § 54 bad.-württ. GO vom 25. Juli 1955 -der handschriftlichen Unterzeichnung durch den Bürgermeister, im Falle von dessen Vertretung durch dessen Stellvertreter oder den 1. Beigeordneten oder durch zwei vertretungsberechtigte Beigeordnete, Beamte oder Angestellte, wenn es sich nicht um Geschäfte der laufenden Verwaltung oder um Erklärungen auf Grund einer in der angegebenen Form ausgestellten Vollmacht handelt. So ist weiter z. B. nach § 18 GewO die Erlaubnis für eine der durch RechtsVO mit Zustimmung des Bundesrats .durch die Bundesregierung bestimmten sog. gefährlichen Anlagen i. S. des § 16 GewO (chemische Fabriken usw.) der Bescheid schriftlich auszufertigen; er muß die festgesetzten Bedingungen enthal3 Vgl. früher entspr. §§ 27, 28 DBG. Erleichterungen waren früher in der Kriegszeit vorgesehen, wonach die Berufung in das Beamtenverhältnis usw. sowie Beförderungen während des Krieges (bei Personen, die zum Wehrdienst einberufen waren) schon mit dem Tage der Veröffentlichung im Amtsblatt der Behörde oder im Amtsblatt des Reichs- und Preuß. Ministers des Innern (Verordnung vom 7. Sept. 1939, RGBI. I S. 1701, und vom 15. Jan. 1940, RGBL I S. 195), zuletzt (vgl. die VO des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 23. Sept. 1942, RGBI. I S. 563) schon mit dem Tage der Vollziehung der Ernennungsurkunde oder der Einweisungsverfügung, ohne daß es einer Zustellung der Ernennungsurkunde oder der Einweisungsverfügung zur Rechtswirkung bedurfte; auch während des Krieges Gefallene, Verstorbene oder Vermißte konnten unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich noch ernannt oder befördert werden (was vor allem Bedeutung für die Hinterbliebenenversorgung hatte). (Vgl. o. § 23 Anm. 43). 4 Entsprechend früher §§ 66, 78 DBG. So wird eine Entscheidung über die Beendigung des Beamtenverhältnisses eines Beamten, der sich außerhalb des Geltungsbereichs des GG aufhält, bereits wirksam, wenn ihr wesentlicher Inhalt durch Postfernschreiben (Telegramm) oder in anderer Form dienstlich mitgeteilt worden ist. Die Entscheidung soll zugestellt werden, sobald die Umstände es gestatten. § 16 VerwZustG v. 3. Juli 1952 (BGBl. I S. 379). - Besonderes Formerfordernis: Unterschrift durch den Leiter der Behörde oder seinen Vertreter unter Beifügung des Amtssiegels oder Amtsstempels, § 6 Abs. 3 FernstrG.
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ten und mit Gründen v-ersehen sein. wenn die Erlaubnis versagt oder nur unter Bedingungen erteilt wird. So muß weiter der Bescheid bei der Erteilung oder Zurücknahme der Erlaubnis, bei derErteilungvon Auflagen und bei der Untersagung nach § 18 GaststG vom 28. April 1930 schriftlich erteilt werden, mit Gründen und einer Belehrung über die zulässigen Rechtsmittel versehen sein, soweit es sich nicht um die Weiterführung eines bestehenden Betriebs handelt; ebenso ist die Versagung oder Entziehung der Reisegewerbekarte schriftlich unter Angabe von Gründen zu eröffnen (§ 63 Gewü). In dem Bescheid, durch den die Erlaubnis zum Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft oder des Kleinhandels mit Branntwein erteilt wird, müssen die Betriebsart, die zugelassenen Räume sowie die dem Betriebsinhaber etwa gemachten Auflagen und bei Gast- und Schankwirtschaften die Arten der zugelassenen Getränke bezeichnet sein. In einer schriftlichen Form werden auch erteilt die Reisegewerbekarte nach § 55 GewO und die früher sonst angeführten Erlaubnisscheine, der Jagdschein, der Fischereischein usf., die Erteilung der Anerkennung als geprüfter Hufbeschlagschmied nach dem G über den Hufbeschlag vom 20. Dez·ember 1940 (RGBl. 1941 I S. 3) und der Anerkennung als Hebamme auf Grund bestandener Hebammenprüfung nach dem HebammenG vom 20. Dezember 1938 (RGBl. I S. 1893) u. § 4 DurchfVO vom 3. März 1939 (RGBL I S. 417). So bedarf weit€r die Feuerbestattung der schriftlichen "Genehmigung", d. h. Erlaubnis, der Polizeibehörde des Einäscherungsortes nach§ 3 FeuerbestattungsG vom 15. Mai 1934 (RGBl. I S. 380). Vgl. ferner § 9 ZweckverbandsG vom 7. Juni 1939, §§ 27, 30 Erste WasserverbandsVO vom 3. September 1937 (Feststellung der Entschädigung beim Fehlen einer Einigung bzw. des Umfangs, in dem das Grundeigentum entzogen wird, durch schriftlichen Bescheid des Verbandvorstehers); desgl. die Androhung eines polizeilichen Zwangsmittels durch die Polizeibehörde außer bei Gefahr im Verzug, abgesehen von dem Fall der unmittelbaren Ausführung einer 'polizeilichen Zwangsmaßnahme, ferner der abweisende Beschwerdebescheid gegenüber polizeilichen Verfügungen (Schriftlichkeit, vgl. §§ 48, 55 pr. PVG). Andere Formen von Verwaltungshandlungen ergeben z. B. § 36 GewO (Vereidigung und öffentliche Bestellung der dort aufgeführten Gewerbetreibenden5 ); § 74 Eisenbahnbau- und BetriebsO (Beeidigung oder eidliche Verpflichtung, die den Bahnpolizeibeamten die Rechte der öffentlichen Polizeibeamten verleiht); § 47 WohnraumbewirtschaftungsG i. d. F. vom 23. Juni 1960 (wonach Verfügungen der Wohnungsbehörden der Schriftform bedürfen). Auch die förmliche Zustellung (vgl. u. § 35) bedeutet ein besonderes Formerfordernis in bezug auf die Bekanntgabe von Willenserklärungen; es enthält zugleich das 5
Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 266.
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Erfordernis der Schriftlichkeit der zuzustellenden Verfügung 6 • Eine Formvorschrift bedeutet es auch, wenn eine Begründung für den Erlaß einer Verwaltungsverfügung oder eine Rechtsmittelbelehrung, wie z. B. nach'§ 18 GaststG (s.o.), in§ 10 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 und in § 154 BBauG vom 23. Juni 1960 vorgeschrieben ist; ist dies ausdrücklich vorgeschrieben, so bedeutet die Unterlassung Fehlerhaftigkeit der Verwaltungsverfügung mit der Folge, daß die Verwaltungsverfügung anfechtbar und rücknehmbar ist und bis zur Behebung des Mangels die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt wird7 • (Vgl. dazu auch Pr. OVG Bd. 70S. 280, 311 und u. 5. Buch). Vgl. ferner z. B. § 18 GewO (s.o.). Dageg·en kann z. B. nach § 10 AusländerpolizeiVO vom 22. August 1938 bei - entgegen dem Willen des Ausländers ausgesprochener - räumlicher oder zoeitlicher Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis oder bei Aufenthaltsverbot, was schriftlich oder unter Fertigung einer von dem Ausländer zu unterzeichnenden Niederschrift mündlich bekanntzugeben ist, von einer Begründung abgesehen werden, wenn auch anzugeben ist, auf welche Bestimmung der VO die Verfügung sich stützt8 • Auch für Handlungen der Verwalteten können besondere Formen vorgeschrieben sein, wie z. B. für die Einlegung von Rechtsmitteln. Vgl. ferner noch z. B. § 4 Abs. 3 GaststG, wonach der Inhaber einer Wirtschaftserlaubnis binnen einer Woche der zuständigen Behörde schriftlich anzuz·eig·en hat, daß er seinen Betrieb begonnen hat oder nicht mehr ausübt;§ 7 ZweckverbandsG vom 7. Juni 1939, wonach die Erklärungen der Beteiligten, die Verbandsglieder des Zweckverbandes werden sollen und sich über die Verbandssatzung geeinigt haben, über ihren Beitritt zum Zweckverband unter Anerkennung der vereinbarten Satzung der zuständigen Behörde gegenüber schriftlich abzugeben sind. Erwähnt mag endlich noch werden, daß der Grundsatz von Treu und Glauben, der an sich auch für das öffentliche Recht anzuerkennen ist, nicht dazu führen kann, daß eine Erklärung, die nach rechtsgültiger Vorschrift einer bestimmten Form bedarf, mit verbindlicher Wirkung ohne Wahrung 6 So zutr. Kormann, a. a. 0., S. 180 und jetzt § 2 VwZG vom 3. Juli 1952, wonach die Zustellung in der Übergabe eines Schriftstückes in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift oder in dem Vorlegen der Urschrift - so i. S. einer Kannvorschrift an Behörden, Körperschaften u. Anstalten des öff. R- besteht. 1 A. A. Kormann, a. a. 0., S. 282, der nur eine inhaltliche Unvollständigkeit annimmt. 8 Dagegen wurde z. B. der Paß nach § 22 Satz 1 der inzwischen aufgehobenen PaßBek. v. 7. Juni 1922 in der Regel ohne Angabe von Gründen versagt oder entzogen. - Nicht hier anzuführen ist die AllgemeinverbindlichErklärung von Tarifverträgen sowie deren Aufhebung, die der öff. Bekanntmachung bedürfen (vgl. § 5 TarVG v. 9. April 1949 (WiGBl. S. 55), da es sich hier um den Erlaß von Rechtssätzen, d. h. eine VO, und nicht um eine VVerfg., handelt (vgl. o. § 14, Anm. 80). - Eröffnung zur Niederschrift genügt zur Erfüllung der Schriftform nicht, soweit nichts anderes bestimmt ist (Pr. OVG Bd. 4 S. 393.).
Der Inhalt
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der Form abgegeben werden kann (vgl. auch RVG in RVBl. 1942 S. 395, den Bauschein betr., RVG Bd. 2 S. 49) 9 ; vgl. auch o. § 16).
IV. Der Inhalt a) Der Inhalt der Verwaltungsverfügung muß sich in Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften halten, wobei die z. Z. ihres Erlasses und nicht etwa die z. Z. der Einbringung eines Antrags - geltenden Vorschriften in Betracht kommen (so auch Pr. OVG Bd. 5 S. 376, Bd. 23 S. 353), was sich also je nachdem zugunsten oder zuungunsten des Antragstellers auswirken kann. Bei Einräumung freien Ermessens muß sich dieses im Rahmen der geltenden Vorschriften bewegen und pflichtmäßig, d. h. von sachlichen verwaltungsmäßigen Gesichtspunkten getragen sein; Ermessensmißbrauch und Ermessensüberschreitung, d. h. die vorsätzliche, z. B. willkürliche, oder sonstige, sei es fahrlässige oder auch nicht schuldhafte - gegenständliche -Nichtbeachtung dieses Rahmens bedeutet eine Rechtsverletzung. Der Inhalt darf aber nicht nur g.egen kein gesetzliches Verbot - wie auch nicht gegen die guten Sitten- verstoßen und muß sachlich zweckmäßig sein, sondern muß auch tatsächlich und rechtlich möglich sein: eine dagegen verstoßende Verfügung ist- entsprechend den Bestimmungen des bürgerlich.en Rechts für den schuldrechtlichen Vertrag (§§ 306, 309 BGB)- nichtig; das gleiche gilt, wenn die Verfügung nicht den gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Inhalt aufweist, wie z. B. bei einer Beamtenernennung (vgl. o. § 23). So können z B. ausschließliche Gewerbeberechtigungen- wie z. B. eine mit dem Eigentum an einem Backhaus verbundene ausschließliche Backzwangs- und Banngerechtigkeit gegenüber den Einwohnern einer bestimmten Gemeinde (vgl. Pr. OVG Bd. 10 S. 274) - , die durch Gesetze aufgehoben oder für ablösbar erklärt worden sind, fortan nicht mehr erworben und dürfen sog. Realgewerbeberechtigungen, d. h. an das Eigentum bestimmter Grundstücke geknüpfte gewerbliche Berechtigungen nicht mehr neu begründet werden (§ 10 GewO). So sind weiter Abmachungen über höhere Dienst- oder Versorgungsbezüge der Beamten, als sie das Gesetz vorsieht, unwirksam (§ 183 BGG). So wäre ferner z. B. die Verfügung einer Polizeibehörde, die einem Hauseigentümer und Vermieter aufgibt, die von ihm vermieteten Räume weg·en Gesundheitswidrigkeit innerhalb 24 Stunden bei Vermeidung einer Zwangsstrafe von 30 DM räumen zu lassen, wegen rechtlicher Unmöglichkeit nichtig, da der Vermieter auf Grund der Über0 Jedoch kann eine mündlich abgegebene Zusage einer Behörde bzw. eines zuständigen Beamten nach Treu und Glauben i. S. eines Vertrauensschutzes die Behörde verpflichten, die vorgeschriebene schriftliche Erklärung abzugeben, soweit nicht ein gesetzliches Verbot in Frage kommt: vgl. BVerw.GE Bd. 3 S. 203.
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lassung der vermieteten Räume an den Mieter rechtlich - ohne verbotene Eigenmacht - nicht in der Lage wäre, innerhalb dieser Frist bei Weigerung des Mieters, sie zu räumen, der Anordnung zu genügen; es wäre Sache der Polizeibehörde in einem solchen Falle gewesen, sich in erster Reihe an den Mieter als Besitzer der Wohnung zu halten (vgl. Pr. OVG Bd. 24 S. 384 ff.). Eine gerrauere Bestimmung des Inhalts des (Bewilligungs)Bescheides sieht z. B. § 17 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 vor. b) Weiter muß die Verwaltungsverfügung inhaltlich klar, d. h. genügend bestimmt sein. Es muß eindeutig zu ersehen sein, worauf die Anordnung in tatsächlicher Hinsicht sich gründet, wer betroffen wird und - das Wichtigste - was verlangt wird, d. h. was der Betroffene zu tun, zu unterlassen oder zu dulden hat (vgl. auch Pr. OVG Bd. 59 S. 273, ferner Sächs. OVG in DVBL 1934 S. 434). So bei einer polizeilichen Verfügung muß insbesondere angegeben sein das Ziel, worauf sie zur Herstellung des polizeimäßigen Zustandes gerichtet ist, gegebenenfalls unter genügender Angabe der Mittel, wodurch dies erreicht werden soll (vgl. dazu §§ 41 Abs. 3, 31 Abs. 2 S. 1 pr. PVG). So genügt es z. B. nicht, eine polizeiliche Verfügung an jemanden des Inhaltes zu erlassen, daß er .sein Haus "in polizeimäßigen", oder eine Wohnung in einen baulich "bewohnbaren" Zustand zu versetzen habe, ohne jede weitere Begründung und Angabe der baulichen Maßnahmen, die ausgeführt werden sollen (vgl. Pr. OVG Bd. 77 S. 457); ebensowenig angängig ist eine Verfügung an einen Schaubühnenbesitzer, daß er "die Gänge und Treppen zu verbreitern und die Zahl der Ausgänge zu vermehren" habe 10 • Vielmehr sind genau die Vorkehrungen anzugeben, die der Betreffende zur Beseitigung eines als polizeiwidrig angesehenen Zustandes vorzunehmen hat11 • Das ist von Bedeutung einmal, damit der Beteiligte genau weiß, was er zu tun hat, und gegebenenfalls mit Bezug darauf er Rechtsmittel einlegen kann, sodann aber auch wegen seines Rechts, weniger beschwerliche Mittel zur Erreichung des verwaltungsmäßigen 10 Vgl. G Anschütz, Fälle u. Fragen des St.- u. VerwR, 5. A. (1927) Nr. 55. - So ist weiter die an einen Zuhälter ergangene polizeiliche Verfügung, die ihm u. a. verbot, "auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen in Begleitung oder in der Nähe von Dirnen oder der Unzucht verdächtigen Personen" und nach Eintritt der Dunkelheit auch selbst ohne sofort nachweisbar ehrbare Zwecke herumzulaufen oder herumzustehen", vom Pr. OVG Bd. 41, S. 419 als unzulässig aufgehoben worden. Vgl. noch Pr. OVG Bd. 28, S. 207 (Verlangen der Herstellung eines Weges "in ursprünglicher Breite"), S. 395, Bd. 7 S. 255, Bd. 9 S. 231, Bd. 20 S. 278, Bd. 23 S. 341, Bd. 31 S. 216, 224, Bd. 45 S. 429, Bd. 55 S. 269, Bd. 58 S. 407; ferner W. Jellinek, Gesetz, GAnw. u. Zweckmäßigkeitserwägung S. 227. 11 Es mag in bestimmten Fällen möglich sein, wie z. B. bei wegepolizeilichen Anordnungen, sich mit einer Anordnung zu begnügen, den Weg in gebrauchsfähigen Zustand zu versetzen oder ordnungsmäßig herzustellen, wenn sich aus der Anlage und Bestimmung des Weges genügend klar ergibt, in welchen Zustand er zu bringen ist (vgl. Pr. OVG Bd. 77 S. 458).
Nebenbestimmungen
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Zwecks vorzuschlagen, sowie auch gegebenenfalls wegen der Durchführung des Zwangsverfahrens (vgl. hierzu auch § 41 pr. PVG). Im übrigen muß jede Verwaltungsbehörde (z. B. eine Polizeibehörde), die eine nach ihrer Fassung nicht eindeutige und in ihrer rechtlichen Bedeutung nicht zweifelsfreie Verfügung erläßt, die Bedeutung gegen sich gelten lassen, die der davon Betroffene ihr nach Lage der Sache beizulegen berechtigt ist (vgl. Pr. OVG Bd. 7 S. 255, Bd. 27 S. 80, Bd. 79 S. 416, Bd. 80S. 414, Bd. 91 S. 162, Bd. 100 S. 136, Bd. 102 S. 200). Vgl. auch o. § 16. c) Im übrigen soll der ergehende Bescheid einen Hinweis auf die in Betracht kommenden rechtlichen Bestimmungen, und jedenfalls im Falle der Ablehnung oder auch der Beifügung von Nebenbestimmungen eine Begründung enthalten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, insbesondere weil öffentliche Belange entgegenstehen, wie z. B. bei der Ausweisung von Ausländern (wo aber auch nach § 10 AuslPolVO v. 22. Aug. 1938 anzugeben ist, auf welche Bestimmung die Verfügung sich stützt, wenn auch von einer Begründung abgesehen werden kann). So namentlich, wenn ein Rechtsanspruch ,eines einzelnen auf den Erlaß der Verfügung in Frage steht und dem Antrag nicht schlechtweg stattgegeben wird. Bei Verfahren vor einer Gesamtverwaltungsbehörde, die auf Grund einer Verhandlung mit dem Beteiligten geschieht, ist dies z. T. vorgeschrieben; vgl. z. B. § 18 GewO, § 114 württ. BauO vom 28. Juli 1910, § 3 bad. VerfO vom 31. August 1884. Im übrigen ist eine Rechtsmittelbelehrung ebenfalls regelmäßig vorgeschrieben; wie die Unterlassung (vgl. o. Ziff. III), so macht auch die unrichtige Angabe des in Betracht kommenden Rechtsmittels (einschl. der Rechtsmittelfrist) die Verwaltungsverfügung fehlerhaft und hat zur Folge, daß der Lauf der Rechtsmittelfrist- z. B. für die Erhebung eines Widerspruchs oder einer verwaltungsgerichtlichen Klage - nicht vor der Bekanntgabe des zustehenden Rechtsmittels erfolgt (vgl. hierzu Pr. OVG Bd. 50 S. 292, § 35 MRVO Nr. 165, § 32 südd. VGG und jetzt§§ 58, 60, 70 VwGO). Eine Verwaltungsverfügung, die der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit ermangelt, ist aber - für die Regel, soweit sie inhaltlich überhaupt einen vernünftigen und gegebenenfalls vollziehbaren Sinn aufweist nicht nichtig (vgl. u. Ziff. VIII), sondern nur fehlerhaft und kann aus diesem Grunde von einem Beteiligten im Rechtsmittelwege angefochten oder von der Behörde auch von Amts wegen zurückgenommen bzw. aufgehoben werden (vgl. Pr. OVG Bd. 77 S. 457 und Bd. 85 S. 379).
V. Nebenbestimmungen Einer sog. erteilenden Verwaltungsverfügung (vgl. o. § 31 Ziff. II 2 c) können ganz ähnlich wie bei einem bürgerlich-rechtlichen Rechtsgeschäft, soweit nichts anderes bestimmt ist, Nebenbestimmungen beige-
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fügt werden, welche die in der Hauptsache ausgesprochene Gestaltung in irgendeiner Weise einschränken. Bei der Verwaltungsverfügung kommen in Betracht die Bedingung, die Befristung, die Auflage und der Vorbehalt, insbesondere der Widerrufsvorbehalt12 • Sie kommen nicht in Betracht bei den sog. "bedingungsfeindlichen" oder sonst "nebenbestimmungsfeindlichen" V:erwaltungsverfügungen, insbesondere bei der Verleihung der Rechtspersönlichkeit oder der Erteilung von bestimmten Rechtsstellungen, wie bei der Einbürgerung (vgl. dazu auch Pr. OVG Bd. 13 S. 415) 13 ; wohl aber gibt es z. B. Beamte auf Zeit, auf Probe und auf Widerruf neben solch·en auf Lebenszeit.- Weiter nicht bei der Enteignung, aber auch z. T. nicht bei Verwaltungsentscheidungen, ebenso aber auch nicht in den Fällen, in denen unter bestimmten Voraussetzungen ein unbedingter Anspruch auf eine Handlung der Verwaltung- al.so ohne eingreifendes Ermessen - besteht. Daß im übrigen die Nebenbestimmungen nicht gesetzlichen Vorschriften zuwiderlaufen und auch nicht auf Unsittliches oder Unmögliches gerichtet sein dürfen wie auch nicht dazu benützt werden dürfen, um sachfremde Zwecke, etwa privaten Vorteilen eines Verwaltungsträgers Vorschub zu leisten - z. B. wenn einer Bauerlaubnis die Bedingung oder Auflage beigefügt wird, daß der GesuchssteHer ·ein bestimmtes Grundstück an die Gemeinde als Gegenleistung abzutreten habe -, bedarf nach dem früher über Ermessensmißbrauch und Ermessensüberschreitung Gesagten keiner weiteren Ausführung. Auch Ausnahmebewilligungen oder Befreiungen können mit Nebenbestimmungen versehen werden. a) D i e B e d in g u n g Ganz ähnlich wie im bürgerlichen Recht ist zu unterscheiden zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung: entweder soll die WirkISamkeit der Verwaltungsverfügung abhängig sein von dem Eintritt eines ungewissen künftigen Ereignisses, oder aber ihre Wirksamkeit aufhören mit dem Eintritt ·eines solchen Ereignisses. Dahin gehört im Sinne einer aufschiebenden Bedingung z. B. die Erteilung einer Wirtschaftserlaubnis mit der Bedingung der Vervollständigung der Einri:chtung (vgl. Pr. OVG Bd. 1 S. 306) oder die Erteilung einer Wirtschaftserlaubnis unter der Bedingung, daß die für den Gewerbebetrieb - Kleinhandel mit Branntwein - gestattete Räumlichkeit gegen einen Marktplatz durch Vermauerung einer der dort hinführenden Türe abgeschlossen wird (vgl. Pr. OVG Bd. 11 S. 328); oder die Erteilung einer Bauerlaubnis 12 Vgl. auch Kormann, a. a. 0., S. 135, v. Mangoldt, Nebenbestimmungen bei rechtsgewährenden VerwAkten, in VerwArch. Bd. 37 S. 101 ff. 13 Ähnliches gilt auch für gewisse Handlungen eines Verwalteten. So ist z. B. nach § 9 BÄrzteO vom 20. Oktober 1961 (BGBI. I S. 1857) ein Verzicht auf die Bestallung, der unter einer Bedingung erklärt wird, unwirksam.
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unter der Bedingung, daß die Erlaubnis der städtischen Behörde zum Bau an der noch nicht fertigen Straße beigebracht wird (vgl. Pr. OVG Bd. 29 S. 395). Lehnt der Beteiligte in 'solchen Fällen die Erfüllung der Bedingung ab, was im allgemeinen in seinem Willen steht, dann ist dte Behörde berechtigt, die - ja nur bedingt erlassene - Verfügung zurückzunehmen (vgl. Pr. OVG Bd. 39 S. 360). Dagegen bedeutet die Erteilung einer Wirtschaftserlaubnis lediglich auf Grund der vorgelegten, mit Bauerlaubnis versehenen, Baupläne, daß die rechtliche Wirksamkeit der erteilten Erlaubnis gesetzlich abhängig ist von der entsprechenden Herstellung der Räumlichkeiten (sog. unechte, gesetzliche Bedingung) 14 • Eine Verwaltungsverfügung unter einer auflösenden Bedingung stellt z. B. dar die Erteilung der Erlaubnis zur Errichtung einer Anlage vor einem Hause bis zur Verbreiterung der Straße 15 • Eine ausdrückliche Erwähnung der Bedingung findet sich z. B. in § 3 AusländerpolizeiVO vom 22. April 1938, wonach die Aufenthalts,erlaubnis mit Bedingungen und Auflagen versehen, sie auch nachträglich räumlich und zeitlich beschränkt sowie mit Bedingungen und Auflagen versehen werden kann; ebenso kann nach§ 5 der 1. Durchf.- und ErgänzungsVO zum G über den Fischereischein vom 21. April 1939 (RGBL I S. 816) die Verwaltungsbehörde den Fischereischein unter Bedingungen oder Auflagen ·erteilen und im übrigen seine Gültigkeit sachlich, örtlich und zeitlich einschränken. Ein bedingter Befehl war früher auch die sog. "Kriegsbeorderung", d. h. der Befehl, im Falle der kriegsbereiten Aufstellung der Wehrmacht ohne weiteren Befehl am soundsovielten Mobilmachungstage sich beim Regiment X in Y zu gestellen16• Vgl. auch noch § 4 StrVG vom 19. Dezember 1952 (RGBL I S. 837), wonach die Verwaltungsbehörde Bedingungen und Fristen für die Wieder,erteilung der entzogenen Fahrerlaubnis festsetzen kann; desgl. § 40 StrVO vom 13. November 1937 i. d. F. der Bek. vom 29. März 1956 (BGBL I S. 271, 327), wonach, wenn ein Tier sich als zur Verwendung im Verkehr ungeeignet erweist, die Straßenverkehrsbehörde seine Verwendung zu untersagen oder von Bedingungen abhängig zu machen hat; desgl. § 3 StrVZO vom 13. November 1937 i. d. F. vom 6. Dezember 1960 (BGBl. I S. 898): "Erweist sich jemand als ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen oder Tieren, so muß die V,erwaltungsbehörde ihm das Führen untersagen oder Vgl. Bayr. VGH Bd. 28 S. 96 ff., Kormann, a. a. 0., S. 142. Vgl. Maunz, Verw. (1937) S. 190. - Vgl. auch Pr. OVG Bd. 92 S. 210: das in einem Bauschein enthaltene Verbot ist trotz seiner Bezeichnung keine wirkliche Bedingung ("Der Vorgarten darf nur in einer für den Zugangsweg erforderlichen Breite von 1,80 m beseitigt werden"), deren Nichterfüllung letztlich die Bauerlaubnis unwirksam gemacht hätte, sondern eine Auflage, d. h. eine polizeiliche Verfügung, deren Wirksamkeit umgekehrt davon abhängig ist, daß von der Bauerlaubnis der ihr entsprechende Gebrauch gemacht worden ist. 16 Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 143. 14
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die erforderlichen Auflagen machen; der Betroff·ene hat das Verbot zu beachten oder der Auflage nachzukommen." Vgl. ferner § 12 (bedingte oder an Auflagen gebundene Erteilung der Fahrerlaubnis); desgl. § 15 b (Fests·etzung von Fristen und Bedingungen für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis nach Entziehung); vgl. ferner z. B. §§ 14 Abs. 3, 15 Abs. 2 WohnrBewG i. d. F. vom 23. Juni 1960 (BGBI. I S. 418: Benutzungsgenehmigung bzw. Zuweisung unter auflösender Bedingung oder Endbefristung); § 51 2. WohnBauG vom 27. Juni 1956 i. d. F. vom 1. August 1961 (BGBl. I S. 1122: Bewilligung öffentlicher Mittel soll zum Zwecke der Senkung der Baukosten mit Bedingungen oder Auflagen verbunden werden); vgl. auch § 13 GüterkraftverkehrsG vom 17. Oktober 1952 (BGBl. I S. 697), sowie § 30 AußenwirtschG vom 28. April 1961 (BGBl. I S. 481: Bedingungen, Befristungen, Auflagen und Widerrufsvorbehalte bezüglich der Genehmigung). Möglicherweise kann ·eine einer Verwaltungsverfügung beigefügte "Bedingung" auch nach dem Willen der Verwaltungsbehörde als Auflage gemeint und so auszulegen sein, nämlich daß die Verwaltungsverfügung sofort wirksam, jedoch mit einer Nebenverpflichtung behaftet sein soll; es wird vielfach in der Verwaltungsübung der Ausdruck "Bedingung" im uneigentlichen Sinne für eine - gegebenenfalls im Zwangsverfahren durchzuführende - Auflage verwendet, wie z. B. bei einer Bauerlaubnis (vgl. Pr. OVG Bd. 59 S. 277, Bd. 92 S. 210). Der Unterschied zeigt sich darin, daß eine echte Bedingung für sich allein nicht anfechtbar ist, wohl aber eine einer Verfügung beigefügte Auflage, die als ein selbständiges Gebot oder Verbot der Anfechtung unterliegt (vgl. Pr. OVG Bd. 104 S. 259). Im übrigen werden bei "freien" Erlaubnissen (deren Erteilung im freien pflichtmäßigen Ermessen der Verwaltungsbehörde liegt) die in den Grenzen des Ermessens hinzugefügten "Bedingungen" im Zweifel als der Erlaubnis inhaltlich innewohnende echte- aufschiebende- Bedingungen aufzufassen sein, die jedenfalls nicht mit verwaltungsgerichtlicher Klage selbständig angefochten werden können, weil sie den Beteiligten nicht in seinen Rechten verletzen und bei deren Nichteinhaltung der damit Belastete ohne Erlaubnis handelt. Dagegen bei den gebundenen Erlaubnissen, auf deren Erteilung ein Rechtsanspruch besteht, werden hinzugefügte "Bedingungen" als echte Auflagen, d. h. selbständige Pflichten, aufzufassen •sein, wogegen d~e Erlaubnis als solche unbedingt und rechtsgültig erteilt ist; demgemäß können d~ese Auflagen selbständig angefochten und deren Hinzufügung kann gegebenenfalls den Kläger in seinen Rechten verletzen (vgl. Pr. OVG Bd. 85 S. 268). So sind auch die einer Bauerlaubnis beigefügten sog. Baubedingungen "rechtlich nicht als echte Bedingungen regelmäßig aufzufassen, sondern als Auflagen, die einerseits Bestandteil der sie enthaltenden Bauerlaubnis, andererseits aber selbständig und ohne Rücksicht auf den Baubeginn beigefügte polizei-
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liehe Gebote enthaltende Verfügungen sind", zu behandeln (vgl. Pr. OVG Bd. 55 S. 314, Bd. 101 S. 226); als solche sind sie, und zwar solange von der Bauerlaubnis kein Gebrauch gemacht wird, aufschiebend bedingt und sind vom Beginn der Ausführung des Baues vollständig wirksam und können dann unter denselben Voraussetzungen wie jede andere polizeiliche Verfügung durch polizeilichen Zwang durchgeführt werden (vgl. Pr. OVG Bd. 84 S. 424, Bd. 92 S. 209, 211). Wenn einer Verwaltungsverfügung eine auflösende Bedingung beigefügt ist, daß die erteilte Erlaubnis erlischt, wenn die bestimmten Voraussetzungen oder Nebenpflichten nicht eingehalten werden, so wäre dies zu unbestimmt und könnte zu großen Zweifeln und Schwierigkeiten führen; es wäre hier im Zweifel anzunehmen, daß nicht das Erlöschen ohne weiteres eintritt, sondern die Verwaltungsbehörde die nach Sachlage angemessene Maßnahme treffen, insbesondere gegebenenfalls einen Widerruf oder die Untersagung der Fortführung der betreffenden Tätigkeit usf. aussprechen kann17 • Eine auflösende Bedingung kann auch im Falle einer Verwirkung ausgesprochen sein, z. B. wenn der Verleihung eines Wassersondernutzungsrechts oder eines Eisenbahnunternehmens an einen Privaten oder der Erteilung einer gewerbepolizeilichen Erlaubnis, z. B. für eine gefährliche gewerbliche Anlage nach § 16 GewO, zur Anlegung von Privatkranken-, -entbindungsund -irrenanstalten nach § 30 GewO oder zum Betrieb des Bewachungsgewerbes nach § 49 GewO und ebenso der Erteilung der Wirtschaftserlaubnis nach§§ 1, 4 GaststG die Bestimmung beigefügt wird, daß die Verleihung oder Erlaubnis erlischt, wenn nicht innerhalb bestimmter Frist das Unternehmen bzw. die Anlage oder der Gewerbebetrieb begonnen wird, unbeschadet der Möglichkeit, auf Ansuchen diese Frist unter bestimmten Voraussetzungen zu verlängern' 8 • Ist eine Bedingung, die einer Verwaltungsverfügung beigefügt ist, nichtig, dann ist die ganze Verfügung nichtig, und nicht etwa die Bedingung für sich allein, da d~e Verfügung nur mit der Bedingung gewollt ist. Im übrigen ist noch zu berücksichtigen, daß die Beifügung einer Bedingung an eine Verwaltungsverfügung die Herrschaft über ihre Wirksamkeit u. U. einem toten Mechanismus ausliefert; dies wäre nicht recht in Einklang zu bringen mit der allgerneinen Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, Gemeinschaftsaufgaben zum Wohle der Allgemeinheit nach den jeweils vorliegenden besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen am besten und wirksamsten wahrzunehmen; da sich jene Verhältnisse und BeVgl. dazu 0. Mayer, VerwR Bd. 1 S. 249. Vgl. dazu auch 0. Mayer, VerwR Bd. 2 S. 266. Ist in den angeführten Fällen eine solche Bedingung nicht beigefügt, so erlischt die erteilte Verleihung oder Erlaubnis kraft Gesetzes nach Ablauf eines Jahres, wenn die betr. Handlung nicht vorgenommen worden ist, d. h. die Erlaubnis ist kraft Gesetzes auflösend bedingt durch die Nichtvornahme der Handlung innerhalb dieser Frist. 17
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dürfnisse in der Zwischenzeit möglicherweise geändert haben, ·erscheint es deshalb in vielen Fällen zweckmäßiger, daß im Einzelfalle evst bei dem wirklich·en Eintritt künftiger ungewisser Ereignisse geprüft wird, ob eine Verwaltungsverfügung und welcher Art, erlassen werden soll, statt auf das Ungewisse hin eine so schwerwiegende Folge, wi·e den Eintritt der Wirksamkeit ·einer Verwaltungsverfügung oder ihr Aufhören an sie selbsttätig zu knüpfen durch Bestimmung in einem früheren Zeitpunkte vor Eintritt des Ereignisses. b) Die Befristung Sie liegt vor, wenn die Wirksamkeit einer Verwaltungsverfügung mit dem Eintritt eines gewissen bestimmten Zeitpunkts eintreten oder aufhören soll (Anfangs- bzw. Endbefristung). So z. B. bei der Ernennung eines Beamten auf Zeit. Davon zu unterscheiden ist der Fall, wo das Gesetz die Befristung von sich aus schon allgemein ausgesprochen hat, sie also nicht mehr in die Verwaltungsverfügung besonders aufgenommen zu werden braucht. So kann ferner eine Bauerlaubnis unter einer Befristung, z. B. für zehn Jahre, oder die Befreiung von bestimmten Bauvorschriften nur für ein·e gewisse Zeit, wie bei Bauten für nur vorübergehende Zeit, erteilt werden (vgl. Pr. OVG Bd. 98 S. 220). So kann weiter z. B. nach §§ 3, 6 Abs. 2 AusländerpolizeiVO vom 22. August 1938 (RGBl. I S. 1053) die Auf.enthaltserlaubnis für einen Ausländer und das Aufenthaltsverbot unbefristet oder befristet ausgesprochen werden; vgl. noch z. B. § 7 LuftVG (Erlaubnis für Vorarbeiten zur Anlegung eines Flugplatzes für höchstens 2 Jahre). Die Beüügung ·einer Frist bei einer Verleihung oder Erlaubnis mit der Folge, daß die Verleihung oder Erlaubnis erlischt, wenn innerhalb der Frist mit dem Betriebe usf. nicht begonnen ist - wie z. B. nach § 49 GewO, § 4 GaststG -, stellt nicht nur eine Fristbestimmung, sondern eine auflösende Bedingung i. S. einer Verwirkung dar (vgl. o. Buchst. a). Die Befristung ist in einigen bestimmten Fällen ausdrücklich ausgeschlossen. So z. B. nach§ 53 Ge wO, wonach die in den §§ 30, 31, 33 a, 34, 34 a und 34 b bezeichneten Erlaubnisse und Befähigungsz·eugnisse - d. h. insbesondere für die Unternehmer von Privatkranken-, Privatentbindungs- und Privatirrenanstalten, für die Befähigungszeugnisse für Seeschiffer, Seesteuerleute, Maschinisten der Seedampfschiffe und Lotsen, für den gewerbsmäßigen Veranstalter von öffentlichen Singspielen, Gesangs- und sog. deklamatorischen Vorträgen, Schaustellungen von Personen und theatralischen Vorstellungen, ohne daß höhere Belange der Kunst oder Wissenschaft dabei obwalten, in seinen Wirtschafts- oder sonstigen Räumen und für das Geschäft eines Pfandleihers oder Pfandvermittlers usf., ferner für das Bewachungsg·ewerbe und das Versteigerungsg·ewerbe - nicht auf Zeit
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erteilt werden dürfen. Ebenso darf nach§ 3 GaststG vom 28. April 1930 die Wirtschaftserlaubnis weder auf Zeit - somit auch nicht unter auflösender Bedingung, da es sich auch dann um eine zeitliche Befristung der Erlaubnis handeln würde, vgl. Pr. OVG Bd. 103 S. 222 - noch auf Widerruf erteilt werden, soweit das Gesetz es nicht zuläßt, wie z. B. in § 8, wonach bei einem vorübergehenden Bedürfnis der Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft vorübergehend auf Widerruf gestattet werden kann, wie z. B. für die Dauer ehes Neubaus, von Eisenbahnbauten, von Truppenübungen und sonstigen Menschenansammlungen, für die Zeit der Sommermonate usw. (vgl. Pr. OVG Bd. 10 S. 290); hier handelt es sich um die Erlaubnis, eine in ihrer Zeitdauer von vornherein nach Maßgabe des vorliegenden Bedürfnisses beschränkte Wirtschaft zu betreiben. Nicht aber kann die Erlaubnis auf Zeit für eine nicht bloß für eine vorübergehende Zeit errichtete Räumlichkeit nachgesucht und erteilt werden, und zwar auch nicht bei Einverständnis des Antragstellers (so zutr. Pr. OVG Bd. 52 S. 374); ebensowenig wäre zulässig z. B die Erlaubniserteilung zum Betriebe ·einer Gast- und Schankwirtschaft, solange sie eine Herberge zur Heimat betreiben werde (im Sinne einer auflösenden Bedingung, vgl. Pr. OVG Bd. 61 S. 345). Dagegen ist die Befristung zulässig bei der Erlaubnis für die entgeltliche oder geschäftsmäßige Personenbeförderung mit Straßenbahnen, mit Oberleitungsomnibussen (Obussen) und mit Kraftfahrzeugen im Linien- und im Gelegenheitsv·erkehr, die nach § 16 PersBefG vom 21. März 1961 (BGBI. I S. 241) dem Unternehmer für seine Person auf bestimmte Zeit erteilt wird(§§ 38, 44, 50). So wird ferner z. B. nach§ 15 BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. vom 30. März 1961 (BGBI. I S. 304) der Jagdschein von der unteren Verwaltungsbehörde als Jahresjagdschein für ein ganzes Jagdjahr (1. April bis 31. März) oder als Tagesjagdschein für 5 aufeinanderfolgende Tage erteilt und in ähnlicher Weise der Fischereischein nach§ 1 der Ersten Durchf.VO zum Gesetz über den Fischereischein vom 26. April 1939 als Jahresfischereischein für das Kalenderjahr oder als Monatsfischerei:schein für den Kalendermonat oder für 30 aufeinanderfolgende Tage erteilt; so wird weiter die Reisegewerbekarte im allgemeinen für 3 Jahre erteilt (§ 60 GewO). Vielfach wird auch die Verleihung eines öffentlichen Unternehmens oder eines Sondernutzungsrechtes an öffentlichen Sachen auf bestimmte Zeit erteilt, etwa auf 30 oder50-so z. B. § 7 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 -Jahre; jedenfalls soll eine solche Zeit im allgemeinen bestimmt sein, daß das in das Unternehmen gesteckte Anlagekapital angemessen verzinst und getilgt werden kann. Auch die befristete Befreiung von der Einhaltung bestimmter gesetzlicher Vorschriften auf Grund gesetzlicher Ermächtigung ist in diesem Zusammenhange zu erwähnen. Wird auf Grund gesetzlicher Vorschrift eine Befreiung (Nachsicht) von der Ein-
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haltungbestimmter gesetzlicher Vorschriften, z. B. baupolizeilicher Art, für eine bestimmte Zeit erteilt, so kann die Baupolizeibehörde nach Ablauf der Frist ohne weiteres - d. h. ohne besonderen Widerruf - die Beseitigung der den gesetzlichen Vorschriften in sachlicher Hinsicht nicht entsprechenden baulichen Anlage, Gebäude usf., verlangen (vgl. Pr. OVG Bd. 97 S. 214 f., Bd. 98 S. 222 f.). Endlich sei noch erwähnt die Untersagung der Ausübung eines Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden auf Zeit oder Dauer nach § 35 GewO. c) Die Auflage Sie wird vielfach in Verwaltungsverfügungen, z. T. aber auch in Gesetzen, wi·e bereits bemerkt, ung.enau "Bedingung" genannt. So ist z. B. auch ·in § 18 GewO - statt von Auflagen - von "Bedingungen", an welche die Erlaubnis bei den sog. gefährlichen Anlagen geknüpft wird, die Rede; zu ihnen sind auch die dort angeführten "notwendigen Anordnungen zum Schutze der Arbeiter gegen Gefahren für Gesundheit und Leben" zu rechnen. Es handelt sich bei den Auflagen um Gebote oder Verbote, d. h. Pflichten, die ·einer begünstigenden Verwaltungsverfügung, insbesondere Erlaubnissen oder Verleihungen eines Unternehmens oder eines Sondernutzungsrechtes, beigefügt werden, ohne daß von einem Schwebezustand, wie bei einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung, im Falle der Nichterfüllung nach der kundgemachten Absicht der Verwaltungsbehörde die Rede sein kann; die Auflage setzt Bestand und Wirksamkeit der Hauptverfügung voraus 19 • Von der Auflage gilt, wie im bürgerlichen Recht, daß sie zwingt, aber nicht bedingt, während umgekehrt die Bedingung in der Schwebe läßt, aber nicht erzwingbar ist. Die Rechtswirkung der mit einer Auflage versehenen Verwaltungsverfügung tritt sofort ein; aber es knüpft sich an sie eine gleichfalls sofort wirksame Nebenverpflichtung, die wie sie für sich angefochten, so auch selbständig erzwungen werden kann: sie hat dem Hauptinhalt der Verfügung gegenüber insofern eine gewisse Selbständigkeit. Ob es sich im Einzelfalle um eine Bedingung oder um eine Auflage handelt, dafür ist der aus der Verfügung zu entnehmende Wille der Verwaltungsbehörde maßgebend (vgl. Pr. OVG Bd. 104 S. 251); vgl. auch o. Buchst. a); der Sprachgebrauch ist vielfach ungenau, wie schon bemerkt. Entscheidend ist, ob die Rechtsfolge der Willenserklärung von dem Eintritt der als Bedingung bezeichneten Tatsache abhängig gemacht ist- dann liegt Bedingung vor-; oder aber, ob der Eintritt der bezeichneten Nebenbestimmung von der betreffenden Verwaltungsbe19 Vgl. Apelt, Verwaltungsvertrag S. 195; ferner Krüger, Die Auflage als Instrument der Wirtschaftsverw., in DVBL 1955 S. 380 ff., 450 ff., 518 ff. u. Fachinger, Die Zulässigkeit verw.rechtl. Auflagen, in DV 1949 S. 118 ff.
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hörde gegebenenfalls soll erzwungen werden, ohne die in der Verwaltungsverfügung enthaltene hauptsächliche Willenserklärung in der Schwebe zu lassen- dann liegt Auflage vor20 • Vgl. auch noch Art. 31 des württ. Entwurfs einer VerwaltungsrechtsO i. d. F. von 1936: "Auflagen sind die einem begünstigenden Verwaltungsakt beigefügten Anordnungen, durch die ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen des Begünstigten vorgeschrieben wird." Die Auflage dient besonders häufig bei Polizeierlaubnissen dazu, dem Eintritt von Polizeiwidrigkeiten vorzubeugen, wie sie sich bei dem Betrieb der erlaubten Anlage oder Tätigkeit nach menschlicher Erfahrung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ergeben können. Die Auflagen bedürfen, soweit sie nicht vom Gesetz für zulässig erklärt sind (vgl. z. B. § 18 GewO), der Zustimmung oder Unterwerfung des Beteiligten. Dies ·ergibt sich daraus, daß er eine Vergünstigung, eine Erlaubnis oder eine Verleihung, schlechtweg für sich beantragt und hier nun nicht einfach das gewährt wird, was begehrt wird, sondern eine Nebenverpflichtung der gewährenden oder begünstigenden Verfügung beigefügt wird, die in Freiheit oder Eigentum des BeteiLigten eingreift und daher unter dem Vorbehalte des Gesetzes steht. Sie kommt hier insbesondere bei Verwaltungsverfügungen in Betracht, bei denen für die Anwendung von Ermessen Raum ist; die Zulässigkeit ergibt sich im Rahmen verfassungsrechtlicher Bestimmung·en (vgl. insb. Art. 1 GG) daraus, daß die gewährende Verwaltungsverfügung, verbunden mit Auflagen, gegenüber der Versagung als das "Weniger" oder "Mildere" erscheint21 • Unzulässig ist insbesondere eine Auflage, die inhaltlich gegen eine gesetzliche Verbotsvorschrift verstößt, ein Mehr an Verpflichtungen über das gesetzliche Maß hinaus auferlegt, soweit mit Bezug darauf nicht eine freiwillige Unterwerfung in Betracht kommt, oder auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie insbesondere namentlich bei polizeilichen Verfügungen, verstößt, d. h. mehr als der Zweck der polizeilichen Gefahrenabwehr erfordert oder als sachwidrig wegen mangelnden inner·en Zusammenhangs mit der Verwaltungsverfügung erscheint. So kann die Genehmigung für den Güterfernverkehr nur unter Bedingungen, Auflagen oder mit verkehrsmäßigen Beschränkungen erteilt werden, die sich im Rahmen der verkehrswirtschaftlichen Ziele des Gesetzes halten müssen(§ 13 GüterkraftverkG v. 17. Okt. 1952, BGBL I S. 697); eine nähere Umschreibung der zulässigen Bedingungen und Auflagen enthält auch§ 9 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125). So darf weiter z. B. eine Gemeinde eine baupolizeiliche Erlaubnis - 'SO wenig wie mit einer Bedingung (vgl. o. Buchst. a)- nicht mit der Auflage verbinden, daß der GesuchssteUer die Gemeinde zur Abrundung 2o
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Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 139. Kormann S. 157.
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ihres Eigentums an Liegenschaften ein Grundstück oder einen Grundstücksteil übereignet oder sonst zur Geltendmachung anderweitiger Ansprüche der Gemeinde (vgl. Pr. OVG Bd. 4 S. 364) 22 • Dagegen kann z. B. der Erlaubnis zur Erstellung einer baulichen Anlage bestimmter Art die Auflage beigefügt sein, den Bau auf Anforderung der Baupolizeibehörde jederzeit ohne Entschädigung zu beseitigen. Vgl. z. B. im übrigen § 18 GewO: "Werden keine Einwendungen angebracht, so hat die Behörde zu prüfen, ob die Anlage erhebliche Gefahren, Nachteile oder Belästigungen für das Publikum herbeiführen könne. Auf Grund dieser Prüfung, welche sich zugleich auf die Beachtung der bestehenden bau-, f.euer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften erstreckt, ist die Genehmigung zu versagen oder, unter F-estsetzung der sich als nötig ergebenden Bedingungen" - d. h. Auflagen - "zu erteilen. Zu den letzteren gehören auch diejenigen Anordnungen, welche zum Schutze der Arbeiter gegen Gefahr für Gesundheit und Leben notwendig sind". Vgl. ferner§ 5 DurchfVO zum G über den Fischereischein vom 21. April 1939 (RGBL I S. 816), wonach die zuständige Behörde den Fischereischein unter Bedingungen oder Auflagen erteilen und seine Gültigkeit sachlich, örtlich und zeitlich einschränken kann (vgl. o. Buchst. a). Im FalLe der Nichterfüllung der Auflage durch den Beteiligten kann die Auflage als Verpflichtung im Verwaltungszwangsverfahren als solche erzwungen werden, wie schon bemerkt (vgl. u. § 37); ferner kann in einem solchen Falle der Widerruf oder die Zurücknahme der Vergünstigung, unter Umständen eingeschränkt unter bestimmten Voraussetzungen durch das Gesetz, nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. u. Ziff. X) über den Widerruf von Verwaltungsverfügungen, in Betracht kommen, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (vgl. Pr. OVG Bd. 4 S. 378) 23, wie z. B. nach§ 12 GaststG und § 42 pr. PVG. Auch können z. T. zur Sicherung der Erfüllung von Bedingungen, Auflagen oder sonstigen Verpflichtungen bürgerlich-rechtliche Sicherheitsleistungen nach §§ 232, 234-240 BGB verlangt werden (vgl. z. B. § 10 BWassStrReinhG v. 17. Aug. 1960, BGBL II S. 2125, § 104 bad.-württ. WasserG v. 25. Febr. 1960, GEL S. 17). Möglicherweise kann auch für den Fall der Nichterfüllung eine Strafe oder Verwaltungsstrafe angedroht sein, wie z. B. in § 29 GaststG, wonach als Betriebsinhaber oder als dessen Stellvertreter bestraft wird, wer die in der Erlaubnis gemachten Auflagen nicht vollzieht, bzw. in § 61 PersBefG (Geldbuße). Ebenso ist in § 147 Abs. 1 Ziff. 1 u. 2 GewO u. a. für den Fall des Abweichens von den festgesetzten "Bedingungen", d. h. Auflagen, der Erlaubnis für den selbständigen Betrieb eines erlaubnispflichtigen stehenden Gewerbebetriebs und die Nichteinhaltung der wesentlichen Bedingungen der Er22
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Vgl. auch Kormann S. 178. Vgl. 0. Mayer, VerwR Bd. 1 S. 251.
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laubnis für eine sog. gefährliche Anlage (§ 16 GewO) Strafe vorgesehen; desgl. in § 148 Abs. 1 Ziff. 4 GewO bei Zuwiderhandlungen gegen die nach § 35 Abs. 2 angeordneten Auflagen. Die Nichterfüllung einer in einer baupolizeiliehen Erlaubnis gemachten Auflage oder das eigenmächtige Abweichen von dem durch die Behörde genehmigten Bauplan ist nach§ 367 Ziff. 15 StGB strafbar. Im übrigen ist zu beachten, daß in verschiedenen Fällen, wie der Polizeierlaubnis (Bauerlaubnis, gewerbepolizeiliche Erlaubnis) und der Verleihung, die Auflage noch nicht sofort mit der Bekanntgabe als unbedingt verpflichtend wirksam wird, soweit nicht eine Verpflichtung für den Begünstigten besteht, hiervon Gebrauch zu machen- wie z. T. bei der Verleihung - , sondern nur wirksam wird unter der Voraussetzung, daß der Begünstigte davon Gebrauch macht, was in seinem Belieben steht, d. h. mit der Bauausführung beginnt oder sonst von der Erlaubnis oder Verleihung Gebrauch macht, so daß also insofern die Auflage selbst wieder gesetzlich bedingt ist 24 • Wenn eine Erlaubnis oder Verleihung erteilt ist, können im allg·emeinen im Hinblick auf die dadurch erworbene Rechtsstellung und etwaig·e Aufwendungen nicht ohne weiteres nachträglich neue Auflagen unter den Gesichtspunkten, die s. Z. zu prüfen waren, gemacht werden, soweit dies nicht gesetzlich besonders zugelassen oder ·ein Vorbehalt gemacht ist oder der Beteiligte zustimmt (vgl. auch u. Ziff. X). So gilt dies z. B. hinsichtlich der in§ 11 GaststG genannten Auflagen, die, wie bei der Erteilung so auch noch auf Antrag der Polizeibehörde nach der Erteilung der Erlaubnis gemacht werden können "a) zum Schutze der Gäste, Angestellten und Arbeiter gegen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sittlichkeit, b) zum Schutze der Bewohner des Grundstückes und der Nachbargrundstücke sowie der Bevölkerung gegen erhebliche Nachteile oder Belästigungen". Vgl. ferner § 2 Abs. 2 G über die Beschränkung der Nachbarrechte gegenüber Betrieben, die für die Volksertüchtigung von besonderer Bedeutung sind, vom 13. Dezember 1933 (unbeschränkt: "Auflagen können auch noch nach der Genehmigung - d. h. Erlaubnis - gemacht werden"), was dann entsprechend auch für das G usf. gegenüber Betrieben, die für die Volksgesundheit von besonderer Bedeutung sind, vom 18. Oktober 1935 gilt. So kann weiter nach § 3 AusländerpolizeiVO vom 22. August 1938 die Aufenthaltserlaubnis für Ausländer nachträglich räumlich und zeitlich beschränkt sowie mit Bedingungen und Auflagen versehen werden; so die Erlaubnis zur Anlage oder zum Betriebe von Flugplätzen nach§ 6 Abs. 1 Satz 2 LuftVG mit Auflagen verbunden und befristet sowie gegebenenfalls widerrufen, ergänzt oder geändert werden. Dagegen fand sich ein solcher Vorbehalt früher insbesondere nicht bei der Erlaubnis nach § 16 24
Vgl. Kormann S. 144.
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GewO für die sog. gefährlichen Anlagen; wenn gleichwohl hier ein Vorbehalt nachträglicher Ergänzung der Auflagen für zulässig erachtet wird 25 , so wil'd dies für den Fall der Unterwerfung zu billigen sein. Im übrigen erscheint eine nachträgliche Anordnung von Auflagen jedenfalls dort - als das Mildere - unbedenklich, wo ein Widerruf rechtlich zulässig ist; die Möglichkeit, auf anderer Rechtsgrundlag.e Auflagen zu machen, z. B. nach§§ 120 a und d GewO zum Schutze der Arbeiter, bleibt im übrigen unberührt; ·ebenso können Änderungen auf Antrag des Beteiligten in einem neuen Verfahren vorgenommen werden. Äußerstenfalls kommt eine Untersagung weg·en überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl nach § 51 GewO in Betracht. Jetzt sind nachträgliche Auflagen bei den unter § 16 GewO fallenden Anlagen bei nicht ausreichendem Schutz der Bewohner und Besitzer der benachbarten Grundstücke oder der Allgemeinheit vor Gefahren, Nachteilen oder Belästigungen möglich nach der Neufassung des § 25 GewO durch das G vom 22. Dezember 1959 (BGBl. I S. 781). Jedenfalls können etwaige nachträgliche Auflagen nur von der erlaubenden Behörde, der die Wahrung der polizeilichen Belang.e nach § 16 ff. GewO obliegt, und nicht von der Polizeibehörde auf Grund ihrer allgemeinen Ermächtigungen gemacht werden (vgl. dazu Pr. OVG Bd. 51 S. 312); die Polizeibehörde darf auch nicht ihrerseits neue Anforderungen an den Unternehmer, der die Grenzen der Erlaubnis einhält, stellen, die nicht in der Erlaubnisurkunde vorgesehen sind (vgl. Pr. OVG Bd. 82 S. 357). Vgl. im übrigen auch Art. 32 des Entwurfs der württ. VerwaltungsrechtsO von 1936: "Die nachträgliche Änderung oder Ergänzung von Auflagen sowie die nachträgliche Beifügung neuer Auflagen kann vorbehalten werden. Ohne einen solchen Vorbehalt ist die nachträgliche Änderung und Ergänzung von Auflagen sowie die nachträgliche Beifügung neuer Auflagen nur zulässig, 1. wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist, 2. wenn der Betroffene zustimmt (Art. 24 Abs. 2), 3. wenn der Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann." (Vgl. auch noch Art. 43.) Ein gesetzlicher Vorbehalt für nachträgliche Anforderungen und Maßnahmen bei Erlaubnissen und Bewilligungen besteht zweckmäßigerweise aus Gründen der Wahrnehmung öffentlicher Belange nach § 5 WasserhaushaltsG vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1110) - vgl. auch § 10 -, sowie nach § 8 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125). 25 Vgl. Pr. OVG Bd. 5 S. 289, Bd. 10 S. 260, Bd. 23 S. 254; Kormann S. 151 u. den dort angeführten Erl. d. württ. Min. d. Innern vom 22. September 1888 (Reger, Sammlung Bd. 9 S. 408), der einen Vorbehalt späterer Auflage u. U. für zulässig hält; Arndt, Über die Zulässigkeit polizeilicher Anordnungen bei den nach§ 16 GewO genehmigten Anlagen, in VerwArch. Bd. 10 S. 185 ff. - Die wirksame Wahrnehmung öff. Belange erfordert jedoch die Möglichkeit nachträglicher Auflagen unter gewissen schwerwiegenden Voraussetzungen.
Nebenbestinummgen
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d) D e r V o r b e h a 1 t v o n B e f u g n i s s e n Dahin gehört vor allem der Widerrufsvorbehalt. Er bed€utet nichts anderes als die- im Gegensatz zu einer vorbehaltlosen Verwaltungsverfügung- einer begünstigenden Verwaltungsverfügung beigefügte Nebenbestimmung, wonach sie, sei es überhaupt oder unter gewissen Voraussetzungen, widerrufen werden kann. Dieses Rechtsgebilde weist große Ähnlichkeit mit der Befristung auf; aber hier bedarf es im Gegensatz hierzu einer besonder·en Verfügung, eben des Widerrufs der früheren Verfügung, während dort ohne weiteres kraft Gesetzes die Rechtsfolge der Befristung €intritt. Rückwirkende Kraft hat der Widerruf, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist oder der Widerruf in zulässiger Weise mit rückwirkender Kraft vorbehalten ist, nicht; es hört nur vom Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit des Widerrufs durch Bekanntgabe die Wirkung der früheren Verwaltungsverfügung auf. Neben diesem rechtsgeschäftliehen Widerrufsvorbehalt als einer Nebenbestimmung bei einer Verwaltungsverfügung kann es- ähnlich wie bei der Befristung - auch einen gesetzlichen, d. h. durch das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärten, Widerruf geben. Der Widerrufsvorbehalt kommt häufig vor bei begünstigenden Verwaltungsverfügungen, insbesonder·e Erlaubnissen und Verleihungen, auch bei der Gebrauchserlaubni·s an öffentlichen Sachen (vgl. dazu u. § 50), z. B. ein Sodawasserhäuschen auf einem öffentlichen Platz aufstellen, oder sich zum Zwecke des Verkaufs von Streichhölzern usf. an bestimmten Straßenecken aufstellen, oder als Wirt Tische und Bänke auf dem vor der Wirtschaft vorbeiführenden öffentlichen Gehwege während der Sommermonate aufstellen zu dürfen und dergl. mehr. Dahin gehört weiter die Anstellung eines Beamten auf Widerruf. So ist ferner Fleischhändlern, Gast-, Schank- und Speisewirten der Erwerb, der Vertrieb und die Verwendung von Pferdefleisch nur mit jederzeit widerruflicher Erlaubnis der Polizeibehörde gestattet (§ 18 FleischbeschauG v. 29. Okt. 1940). Dahin gehört auch der Vorbehalt des Rückerwerbs (sog. Rückkaufsrechts) bei verliehenen Unternehmen, z. B. einer Eisenbahnverleihung, der "nichts anderes bedeutet als ·einen Widerrufsvorbehalt mit der Maßgabe, daß der Staat das Unternehmen gegen volle Entschädigung selbst übernimmt"; er übt ihn aus durch eine einseitige Verwaltungsverfügung: weder ein bürgerlich-rechtlicher Kauf noch eine Enteignung im Sinne der Enteignungsgesetze liegt hier vor 26 • Im übrigen liegt die Bedeutung des Widerrufsvorbehalts insbesondere darin, daß der Widerruf einer begünstigenden Verwaltungsverfügung sichergestellt wird für den Fall, daß Unzuträglichkeiten für das öffentliche Wohl, die im Augenblick ihres Erlasses nicht voraussehbar wa26
Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 148, 328; 0. Mayer, a. a. 0., Bd. 2 S. 267 u. o. § 28.
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§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen
ren, sich nachträglich herausstellen sollten, und sodann darin, daß eine Entschädigung, soweit sie nicht ausdrücklich vorbehalten wird, im Falle der Ausübung des Widerrufs nicht in Frage kommt (vgl. auch §§ 42 Abs. 2, 70 pr. PVG); nach§ 42 Abs. 2 a. a. 0. kann der Widerruf oder die nachträgliche Beschränkung einer polizeilichen Erlaubnis oder Bescheinigung aus poliz·eilichen Gründen j-ederzeit erfolgen, wenn die Erteilung unter dem ausdrücklichen Vorbehalt des Widerrufs erfolgt oder die Widerruflichkeit gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist, während sie, vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Bestimmungen, nach Abs. 1 a. a. 0. nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist (vgl. dazu u. Ziff. VIII u. X). Ausgeschlossen ist der Widerrufsvorbehalt bei gewissen gewerbepolizeilichen Erlaubnissen; so kann nach§ 3 Abs. 3 GaststG die Erlaubnis zum Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft und zum Kleinhandel mit Branntwein weder auf Zeit noch auf Widerruf erteilt werden, soweit nicht das Gesetz es zuläßt; vgl. im übrigen dagegen z. B. § 7 GaststG, wonach die zuständige Behörde eine Person, die einen der bezeichneten Betriebe von einem anderen übernehmen will, zur Ausübung des Gewerbes bis zur Erteilung der Erlaubnis und ebenso einen Stellvertreter vorläufig auf Widerruf zulassen kann, wobei die Zulassung nicht für eine längere Zeit als 3 Monate erfolgen soll, die Frist jedoch verlängert werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ebenso ist nach § 15 PersBefG vom 21. März 1961 (BGBl. I S. 241) die Erteilung einer vorläufigen oder widerruflichen Erlaubnis {"Genehmigung") unzulässig. Es ist hier, wie bereits bemerkt, nur von dem vorbehaltenen Widerruf die Rede, nicht von der gesetzlichen Widerrufsmöglichkeit bei einer Verwaltungsverfügung, wie sie z. B. nach § 53 GewO besteht (vgl. dazu u. Ziff. X); desgl. nicht von gesetzlichen Vorbehalten, wie z. B. bei der Bewilligung oder der Erlaubnis von Wasserbenutzungen nach§ 5 WasserhG vom 27. Juli 1957. Soweit ein Widerrufsvorbehalt gesetzlich nicht ausgeschlossen ist, wird er grundsätzlich auf Einwilligung des Beteiligten, d. h. auf Unterwerfung, für zulässig zu erachten sein: warum sollte nicht in Fällen, in denen eine Versagung einer nachgesuchten Vergünstigung, Erlaubnis oder Verleihung ausgesprochen werden könnte, wenn der Beteiligte sich einem Widerrufsvorbehalt, sofern sich nachträglich sachliche Bedenken herausstellen, unterwirft, die Verfügung zu seinen Gunsten erlassen werden können? Es wird Vorsicht am Platze sein, wenn dem Beteiligten ein erheblicher Kostenaufwand bei dem Gebrauchmachen von der Vergünstigung entsteht; hier wird ein nachträglicher Widerruf notwendigerweise zu Bedenklichkeiten und Schwierigkeiten führen, was jedoch in erster Reihe Sache der Überlegung des Beteiligten se"in muß. Daß ein Widerrufsvorbehalt überall dort gemacht werden kann, wo der
Nebenbestimmungen
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Widerruf auch ohnedies zulässig wäre 27 , aber auch, wo eine Versagung hätte ausgesprochen werden können, sich der Widerrufsvorbehalt als das Mindere darstellt, bedarf keiner weiteren Ausführung 28 • Vgl. auch noch § 8 FeuerbestattungsG vom 15. Mai 1934, wonach die Körperschaft des öffentlichen Rechts, der di·e "Genehmigung", d. h. Erlaubnis, zur Errichtung einer Feuerbestattungsanlage und damit gleichzeitig zum Betrieb erteilt worden ist, mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde die Errichtung und den Betrieb der Feuerbestattungsanlage widerruflich einem rechtsfähigen Feuerbestattungsverein übertragen kann. Außer dem Vorbehalt des Widerrufs kommt auch der Vorbehalt weiterer Auflagen und der Vorbehalt von Rechten, die bestehen bleiben sollen, wie z. B. in der Enteignungsverfügug, in Betracht. Überall kann von dem Vorbehalt nur aus sachlich-verwaltungsmäßigen - insbesondere z. B. polizeilichen - Gesichtspunkten, und nicht aus reiner Willkür, Gebrauch gemacht werden; der Widerruf bzw. die Nachholung von Auflagen ist eine Verwaltungsverfügung, wogegen die allgemeinen in Betracht kommenden Rechtsmittel ergriffen werden können (vgl. dazu auch Pr. OVG Bd. 39 S. 365, Bd. 40 S. 377, Bd. 57 S. 495, Bd. 71 S. 430). Endlich kann auch eine bestimmte Reihenfolge bei der Erteilung von Erlaubnissen oder Verleihungen (Bewilligungen) bei mehreren sich ausschließenden Anträgen im Gesetz unter dem Gesichtspunkte der Bevorzugung der Höherwertigkeit mit Bezug auf öffentliche Belange vorgesehen sein; vgl. z. B. § 8 BWasserStrReinG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125): Bedeutung der beabsichtigten Benutzung für das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung, sodann die Bedeutung für die Volkswirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der wasserwirtschaftliehen Auswirkung und bei Gleichwertigkeit der Benutzung die zeitliche Reihenfolge der Anträge; einen Ausgleich von Erlaubnissen, Bewilligungen und alten Befugnissen bezüglich der Benutzung von Bundeswasserstraßen i. S. einer Regelung, Beschränkung von Art, Maß und Zeiten der Ausübung, wenn das Wasser nach Menge und Beschaffenheit nicht für alle Benutzungen ausreicht und das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung, es erfordert, sieht § 26 d. G vor. Vgl. ferner z. B. § 18 bad.-württ. WassG vom 25. Februar 1960 (GBl. S. 17). Vgl. Maunz, a. a. 0., S. 193. Art. 23 des früheren württ. WasserG vom 1. Dezember 1900 kennt für die Erlaubnis zur Einleitung übelriechender Flüssigkeiten in öffentliche Gewässer keinen Widerrufsvorbehalt. Trotzdem heißt es in § 47 VollzVO, daß, wenn sich bei der Erteilung der Erlaubnis ein sicheres Urteil über die Folgen der Einleitung nicht gewinnen läßt, es sich empfiehlt, wegen d. Widerrufs oder derErteilungweiterer Vorschriften die geeigneten Vorbehalte zu machen. Vgl. jetzt§§ 2 ff. WasserhG vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1110. 1386). 27
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§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen
VI. Gültigkeitsvoraussetzungen
Bestimmte Verwaltungsverfügungen setzen zu ihrer Gültigkeit voraus, daß eine Zustimmung des Beteiligten vorliegt. Es handelt sich in gewisser Hinsicht um ein Gegenstück zu dem Falle der Genehmigung (vgl. o. § 31 Ziff. II n 2). So insbesondere bei der Einbürgerung eines Auslände11s (§ 8 StaatsangG), ferner bei der Entlassung aus dem deutschen Staatsverband, sowie bei der Aufnahme in das Beamtenverhältnis und der Entlassung daraus (vgl. Pr. OVG Bd. 78 S. 251). Die Verwaltungsverfügung, die ohne Zustimmung des Beteiligten ergeht, ist unwirksam, wenn auch z. T. hier, wie bei der Beamtenernennung, von einem Antragserfordernis nicht ausdrücklich die Rede ist; das gleiche gilt, wenn sie entsprechend §§ 119 ff. BGB wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung angefochten worden ist. Die hier in Betracht kommende Zustimmung des Beteiligten hat sachlichrechtliche Bedeutung; sie kann auch in der Form eines Antrags erteilt werden oder in dem entsprechenden Antrag enthalten sein, so daß dieser dann ebenfalls sachlich-rechtliche Bedeutung hat und nicht nur Voraussetzung für die Einleitung des Ve:rwaltungsverfahrens ist. Der entsprechende Antrag kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, nur von einem voll Geschäftsfähigen gestellt werden; von einem Geschäftsbeschränkten, wenn er überhaupt den Antrag stellen kann, wie z. B. bei der Einbürgerung nach Vollendung des 16. Lebensjahres, nur mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, während dieser ihn sonst zu stellen hat. Hier von "zweiseitigen" Verwaltungsverfügungen zu sprechen, wie es W. Jellinek29 tut, ist zum mindesten mißverständlich. Es liegt hier nur eine Verwaltungsverfügung vor, die an sich die Kraft ihrer Wirksamkeit aus sich selbst im Zusammenhang mit der Wirkung des von der Rechtsordnung erforderten Antrags begründet und in gar keiner Weise Bezug nimmt auf die Einwilligung des Betroffenen; man kommt auch aus ohne jene Auffassung, indem man bei Nichtvorliegen der Einwilligung des Beteiligten Rechtsunwirksamkeit wegen Fehlens einer Gültigkeitsvoraussetzung annimmt. Mit Recht hat man im übrigen darauf hingewiesen, daß Willensübereinstimmung zweier Rechtspersönlichkeiten als solche auch nach bürgerlichem Recht nicht ohne weiteres in jedem Falle einen Vertrag bedeutet, wie z. B. die Einwilligung des Berechtigten bei einer Verfügung des Nichtberechtigten nach § 185 BGB; ebensowenig liegt im Verwaltungsrecht ein Vertrag vor, wenn auf Antrag eines Beteiligten eine Verwaltungsverfügung sonst ergeht, wie z. B. bei einer Polizeierlaubnis oder Verleihung. Es fehlt in den hier in Betracht kommenden Fällen an der Gleichwertigkeit des Willens der Beteiligten; auf der einen Seite steht der Staat "mit rechtlich 29
VerwR S. 251.
Gültigkeitsvoraussetzungen
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überwiegender" öffentlicher Gewalt, auf der anderen Seite der dieser Gewalt Unterstehende, der Verwaltete30 • Gleichwohl handelt es sich um eine Gültigkeitsvoraussetzung: es kann niemandem die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates oder die Beamteneigenschaft durch Verwaltungsverfügung aufgezwungen werden, etwa in der Weise, daß z. B. einem Kaufmann eines schönen Tages eine Verwaltungsverfügung des Inhaltes zugestellt wird: "Sie werden hiermit zum Postbeamten oder Kanzleisekretär bei der und der Behörde in dem Ort X ernannt", und dgl. mehr 31 • Es sollen diese Verhältnisse grundsätzlich freiwillig eingegangen werden, da nur so auf eine gedeihliche Zugehörigkeit zur Gemeinschaft bzw. eine gedeihliche berufsmäßige Beamtentätigkeit für die Gemeinschaft und die inneren Voraussetzungen dafür aufseitendes Beteiligten gerechnet werden kann. Dementsprechend können diese einmal eingegangenen Verhältnisse grundsätzlich auch nach dem Willen des Beteiligten beendigt werden, soweit nicht die Gesetze in dieser Hinsicht etwas Besonderes bestimmen. Daß in diesen Fällen beim Fehlen der Einwilligung nur Anfechtbarkeit bzw. Rücknehmbarkeit und Aufhebbarkeit, und nicht Unwirksamkeit, gegeben sein soll- wie Otto Mayer und Kormann annehmen32 - , erscheint nicht zutreffend. Es zeigt sich auch hier, daß Gesetz und Recht nicht, wie die sog. GegebenheitsIehre (der sog. Positivismus) annimmt, zusammenfallen: die Rechtsfolge der Unwirksamkeit kann nur aus - fr·eilich zwingenden - allgemeinen rechtlichen Erwägungen abgeleitet werden, die sich auf die Anerkennung des Eigenwerts der Persönlichkeit und die Unantastbarkeit der Menschenwürde, sowie die grundsätzliche Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit, wie sie neben der Einordnung des einzelnen in die Gemeinschaft unserer Rechtsordnung zugrunde liegen, sich gründen. Gleichwohlliegt in diesen Fällen auch kein Vertrag vor, weder ein bürgerlich-rechtlicher, noch -wie insbesondere Laband annahm33 - ein öffentlich-rechtlicher: es stehen sich die Beteiligten, wie gesagt, nicht auf derselben Stufe als gleichberechtigt ·einander gegenüber, so daß sie durch Willensübereinstimmung nach Art eines Vertrages ihre Verhältnisse zueinander regeln könnten; aber es wird immerhin Rücksicht genommen auf den Willen des Beteiligten, der sich in ·einer Einwilligung bzw. in einem eine solche enthaltendenAntragekundtun soll. Otto Mayer spricht hier von Verwaltungsverfügungen "auf Unterwerfung" 3\ Forsthoff von "mitwirkungsbedürftigen" Verwaltungsverfügungen35 • Kormann, a. a. 0., S. 36. Dagegen ist zur Übertragung eines neuen Amtes an einen Beamten und zur planmäßigen Anstellung eines außerplanmäßigen Beamten das Einverständnis des Beamten nicht erforderlich. So zutr. Brand, Das BeamtenG S. 345. 32 VerwR Bd. 2 S. 151 bzw. Staatsakte S. 225. 33 Vgl. StaatsR d. D. Reichs (5. A.) Bd. 1 S. 166, 449. ao
31
34 35
a. a. 0., S. 148.
VerwR Bd. 1 S. 195.
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§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen
Es ist die Frage, ob Ähnliches nicht auch für andere FäHe gilt, in denen eine Verwaltungsverfügung, wie bei begünstigenden Verfügungen -insbesondere von der öffentlichen Fürsorge und jetzt der sog. Sozialhilfe abgesehen 38 - , nur auf Antrag erteilt wird, aber in einem Einzelfalle ohne einen solchen Antrag erlassen wird. Hier handelt es sich, könnte man sagen, in erster Reihe um eine verfahrensrechtliche Voraussetzung; aber es handelt sich doch auch zugleich um eine sachlichrechtliche Voraussetzung. Soweit dies aber der Fall ist, wird man beim Fehlen des Antrags die Unwirksamkeit des Verfahrens und der daraufhin ergehenden Verwaltungsverfügung anzunehmen haben; man hat davon auszugehen, daß niemandem ohne oder gegen seinen Willen eine Vergünstigung von der öffentlichen Verwaltung aufgenötigt werden soll, und es erscheint so nicht als ausreichend, hier bloße Fehlerhaftigkeit insbesondere im Hinblick darauf anzunehmen, daß möglicherweise die Willensrichtung des Beteiligten auf die Erlangung der Vergünstigung gerichtet ist. Sicher ist jedenfalls, daß dem Beteiligten keine Nachteile, insbesondere Kosten und Gebühren usf., daraus ohne sein Zutun erwachsen dürfen; es wär·e dies eine Belastung mit einer Verbindlichkeit, die nach rechtsstaatliehen Grundsätzen ohne gesetzliche Grundlage nicht gegen seinen Willen ihm auferlegt werden könnte, wenn er einen Antrag nicht gestellt hat und auch keinen Gebrauch von der Verfügung macht. Denn im FaHe des Gebrauchmachens würde der Mangel des Antrags durch nachträgliche Billigung mittels schlüssiger Handlung als geheilt anzusehen sein, so daß die ordnungsmäßige Gebühr usf., z. B. für die Erteilung einer Bauerlaubnis, zu entrichten wäre. So wird im allgemeinen auch hier, wie bei den oben behandelten Fällen, nicht nur Anfechtbarkeit bzw. Rücknehmbarkeit, sondern Unwirksamkeit (Nichtigkeit) anzunehmen sein. Ein genügender Grund, diese Fälle anders zu behandeln als die oben genannten, liegt nicht vor und eine Unterscheidung der Fälle ist auch kaum durchführbar. Sowenig wie im bürgerlichen Recht insbesondere eine Schenkung einseitig, ohne den und entgegen dem Willen des Bedachten vorgenommen werden kann (vgl. § 516 BGB), so wenig kann dies für öffentlichrechtliche Vergünstigungen gelten, auch wenn irgendwelche Belastungen damit nicht verbunden sind37• Wenn in bestimmten Fällen-regelmäßig auf Grund eines Antrags des Beteiligten - "Vereinbarungen" über Pauschbeträge und Steuerabfindungen, d. h. die Zustimmung des Beteiligten zur F·estsetzung der Höhe von Steuern, wie z. B. in den §§ 13 Abs. 2; 43 pr. KommAbgG von 1893 für Gemeindesteuern, dann in der Reichs(Bundes-)Steuergesetzgebung (vgl. z. B. § 35 ErbschStG) verschiedentlich zugelassen werden, so handelt es sich auch hier um eine 36 37
Vgl. § 5 BSozHG vom 30. Juni 1961 (BGBI. I S. 815). Anders Kormann, a. a. 0., S. 274.
Die Wirksamkeit
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sachlichrechtliche Voraussetzung mit Bezug auf eine besondere Gestaltung öffentlicher Pflichten und Rechte auf Grund nicht zwingenden, sondern ausnahmsweise nachgiebigen Rechts, und zwar so, daß hier die Zustimmung des Beteiligten als Bestandteil der "Vereinbarung" über den Inhalt oder zum Ergehen der einseitigen Verwaltungsverfügung im Sinne eines sachlichen Erfordernisses vorausgesetzt wird38, bei dessen Fehlen Unwirksamkeit - wegen Mangels im Tatbestande - anzunehmen ist. Jedenfalls aber ist beim Fehlen eines verfahrensrechtlichen oder sachlichrechtlichen Erfordernisses die Anfechtbarkeit mit den allgemeinen ordentlichen Rechtsmitteln, insbesondere auch gegebenenfalls mit verwaltungsgerichtlicher Klage, gegeben zur Beseitigung eines falschen Scheins.
VII. Die Wirksamkeit a) Die Verwaltungsverfügung bedarf im allgemeinen, soweit sie an einen einzelnen als Einzelverfügung oder an einen bestimmten oder bestimmbaren Kreis mehrerer einzelner als Allgemeinverfügung gerichtet ist, der Bekanntgabe an die Beteiligten, um nach außen wirksam zu werden (vgl. z. B. § 19 Abs. 2 GewO). Diese Bekanntgabe an die Beteiligten entspricht dem Zugehen von Willenserklärungen im Bereiche des bürgerlichen Rechts(§ 130BGB); es gilt auch hier die Empfangslehre, nicht die Äußerungs- oder Vernehmungslehre. Nicht der Erlaß der Verwaltungsverfügung als solcher, d. h. die unterschriftliche Vollziehung, bringt, soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes bestimmt ist, die Verfügung ins Leben, sondern erst die Bekanntgabe oder Eröffnung, ganz ähnlich wie in ander·er Weise die Verkündung der- für die Allgemeinheit oder einen unbestimmten Personenkreis bestimmten - Gesetze, Verordnungen oder Satzungen. Die Bekanntgabe kann erfolgen durch die Behörde, welch·e die Verfügung erläßt, oder- wie besonders häufig bei den Verfügungen übergeordneter Behörden- auch durch eine nachgeordnete Behörde (z. B. die untere Verwaltungsbehörde bzw. die Gemeindebehörde). Vgl. z. B. § 2 Abs. 5 G über die Beschränkung der Nachbarrechte gegenüber Betrieben, die für die Volksertüchtigung von besonderer Bedeutung sind, vom 13. Dez;ember 1933: "Genehmigung und Widerruf werden mit der Bekanntgabe an den Betriebsinhaber wirksam39." Das bedarf nach dem, was über Begriff und Wesen der VerVgl. Kormann S. 37, Merk, Steuerschuldrecht S. 93. 39 Vgl. auch § 91 RAbgO: "Verfügungen (Entscheidungen, Beschlüsse, Anordnungen) der Behörden für einzelne Personen werden dadurch wirksam, daß sie demjenigen zugehen, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind (Bekanntgabe). Öffentliche Bekanntgabe oder Auslegung von Listen genügt, wo sie nach den Steuergesetzen zugelassen ist. Zustellung ist nur erforderlich, wo sie ausdrücklich vorgeschrieben ist. Einem Anwesenden kann eine Verfügung mündlich bekanntgegeben werden; auf Verlangen ist ihm eine Abschrift der Verfügung zu erteilen." 38
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§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen
waltungsverfügung früher im allgemeinen ausgeführt worden ist, keiner weiteren Erörterung. Wie sollen insbesondere die Gebote und Verbote für jemanden verbindlich werden können, wenn er keine Möglichkeit der Kenntnisnahme davon hat? Es ist somit die Verwaltungsverfügung regelmäßig eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung; eine nicht der richtigen Person bekanntgegebene Verwaltungsverfügung ist wirkungslos, wie z. B. die Bekanntgabe an den falschen "Müller" 40 • Weiter ist im allgemeinen zum Wirksamwerden - anders als nach bürgerlichem Recht (vgl. § 131 BGB) - volle Geschäftsfähigkeit des Empfängers erforderlich, wenn nichts anderes bestimmt ist41 • Bei der Einbürgerung, die sich nach § 16 StAngG zugleich auf die Kinder erstreckt, deren gesetzliche Vertretung dem Eingebürgerten kraft elterlicher Gewalt zusteht, genügt die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde an den gesetzlichen Vertreter. Aushändigung z. B. eines Bauscheins usw. an einen Geschäftsbeschränkten genügt also, zumal sich daran Pflichten knüpfen können- Auflagen, Gebührenpflichten usw.nicht, soweit sich nicht etwas anderes ergibt. Was für die Bekanntgabe des Näheren erforderlich ist, ist in den Gesetzen bestimmt, insbesondere ob förmliche oder formlose Bekanntgabe in Betracht kommt: Zustellung, Eröffnung zur Niederschrift, Zusendung durch eingeschriebenen Brief oder einfache Übersendung des eine Willenserklärung enthaltenden Schriftstücks durch die Post, Zeichen usf., u. U. auch öffentliche Bekanntmachung (vgl. hierzu auch o. § 31 Ziff. li b). So ist z. B. vorgeschrieben die Aushändigung der Urkunde über die Einbürgerung und Entlassung aus dem Staatsverband (§§ 16, 23 StAngG), der Ernennungsurkunde mit den Worten "unter Berufung in das Beamtenverhältnis" bei der Ernennung zum Beamten (§ 27 DBG, § 5 BBG), die Zustellung der Enteignungsverfügung. Vgl. jetzt auch das VerwZustG vom 3. Juli 1952 (BGBI. I S. 379). Bis zur Bekanntgabe kann die Verwaltungsverfügung grundsätzlich zurückgenommen, geändert oder durch eine andere Verfügung ersetzt werden, da sie den inneren Bereich der Behörde noch nicht verlassen hat; ob und inwieweit eine Zurücknahme oder Änderung nach diesem Zeitpunkte noch möglich ist, ist eine besondere Frage (vgl. dazu u. Ziff. X); auf alle Fälle können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten auch noch nach der Bekanntgabe berichtigt werden (vgl. auch§ 92 RAbgO). Bei Allgemeinverfügungen, die sich an einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richten, ist eine andere Art der Bekannt40 Vgl. dazu Kormann, Die Zustellung von Verwaltungsakten an den falschen Adressaten, in VerwArch. Bd. 19 S. 146 ff.; Baring, Zustellungsmängel, in DVBI. 1951 S. 41 ff. 41 Nach § 7 VwZG vom 3. Juli 1952 ist bei Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen in allen Fällen an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Vgl. auch Kormann, a. a. 0., S. 156.
Die Wirksamkeit
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gabenachdem früherGesagten erforderlich: nämlich eine solche, welche die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Beteiligten dieses Personenkreises- "den es angeht" -herbeiführt. Bei der Auflösung einer Versammlung geschieht dies dadurch, daß die mündliche Auflösungserklärung sich richtet an sämtliche anwesende Teilnehmer der Versammlung, die verpflichtet sind - jeder einzelne für sich -, sich nach dem Ausspruch der Auflösung sofort zu entfernen. Straßensperrungen und andere Arten der Allgemeinverfügung werden nach näherer gesetzlicher Vorschrift durch Veröffentlichung im Amtsblatt, in Zeitungen oder sonst in geeigneter Weise, z. B. auch ortsüblicherweise durch Ausschellen und Aushang im Rathaus usf., öffentlich bekanntgemacht, soweit tunlich, zugleich unter Anbringung von äußeren Zeichen, damit die Beteiligten sich danach richten können, wie Tafeln, Verkehrszeichen usf., an Ort und Stelle. Nach § 4 StrVO sind die dort vorgesehenen Verkehrsbeschränkungen durch amtliche Verkehrszeichen zu treffen; ebenso sind nach § 7 BFStrG Beschränkungen des Gemeingebrauchs durch Verkehrszeichen kenntlich zu machen (vgl. auch die Strafbestimmungen in § 49 StrVO und § 121 bad. PolStrGB). Entsprechendes gilt auch für andere Allgemeinverfügungen. Es gibt aber auch Verwaltungsverfügungen, die keiner besonderen Bekanntgabe bedürfen, weil sie sich nicht an eine bestimmte Person oder einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richten, sondern v·erwaltungsrechtliche Verhältnisse einer Sache in erster Reihe betreffen, wie insbesondere die Widmung oder Entwidmung (Einziehung) eines öffentlichen Weges; auch sie werden aber, weil und soweit sie für die für den Verkehr darauf in Betracht kommende Allg·emeinheit bestimmt sind, dieser gegenüber irgendwie kundbar gemacht (feierliche Einweihung, Freigabe für den Verkehr, Absperrung oder "Liegenlassen" eines eingezogenen Wegs, Hinweise in Zeitungen usf.). Bei den Bundesfernstraßen sind Widmung, Umstufung und Einziehung in einem vom Lande zu bestimmenden Amtsblatt bekanntzumachen (§ 2 Abs. 6 BFStrG i. d. F. v. 6. Aug. 1961). b) Der Eintritt der Wirksamkeit der Verwaltungsverfügung, soweit sie nicht nichtig ist, setzt ihre Unanfechtbarkeit, d. h. die förmliche Rechtskraft, regelmäßig nicht voraus, soweit nichts anderes bestimmt ist- wie z. B. in§ 77 SozGG i. d. F. vom 23. August 1958 (BGBl. I S. 614) wonach, wenn der gegen einen VerwAkt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird, jener "für die Beteiligten in der Sache bindend" ist, soweit durch G nichts anderes bestimmt ist, und entsprechend § 24 KriegsopfVersVerfG vom 2. Mai 1955 -. Vielmehr ist die Verwaltungsverfügung mit der Bekanntgabe bzw., wo eine solche nicht in Frage kommt, mit ihrer Kundbarmachung rechtswirksam und gegebenenfalls sofort vollziehbar. Wegen der im Falle der Einlegung eines 55*
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§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen
ordentlichenHechtsmittels regelmäßig eintretenden aufschiebenden Wirkung vgl. u. 5. Buch. c) Der räumliche Wirkungsbereich der Verwaltungsverfügung erstreckt sich, wenn nicht eine räumliche Beschränkung vorgesehen ist, auf das ganze Gebiet des Staates bei Behörden des Staates; entsprechendes gilt für die sonstigen Gebietskörperschaften. So bei Verfügungen von Bundesbehörden auf das ganze Bundesgebiet, wenn nichts anderes bestimmt ist; bei Verwaltungsverfügungen von Landesbehörden in eigenen Landesangelegenheiten, wenn nichts anderes bestimmt ist, auf das Geb~et des ganzen betreffenden Landes, bei der Ausführung von Reichs- bzw. Bundesrecht durch die Landesbehörden im eigenen Namen, wie z. B. der Gewerbeordnung, soweit dies besonders bestimmt ist oder aber sonst - wie bei Auftragsangelegenheiten - sich ergibt, auf das ganze Bundesgebiet, wie z. B. jetzt auch eine Untersagung von Gewerbebetrieben nach § 35 GewO (bedenklich bisher -man denke z. B. an in einem anderen Bundeslande befindliche Zweiggeschäfte - beim Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung Pr. OVG Bd. 84 S. 387) - nach F. d. G. vom 5. Februar 1960 (BGBl. I S. 61). Vgl. weiter z. B. §56 Abs. 2, § 60 GewO (bezüglich der Reisegewerbekarte), § 60 a GewO, § 31 GewO (für die Befähigungszeugnisse für Seeschiffer, Seesteuerleute, Seedampfschiffsmaschinisten und Lotsen) sowie § 2 RÄrzteO vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1433) und jetzt § 2 BÄrzteO vom 2. Oktober 1961 (BGBl. I S. 1857) für die ärztliche Bestallung; ferner § 15 BJagdG i. d. F. vom 30. März 1961 (BGBl. I S. 304) für den Jagdschein,§ 4 StrVG, §§ 15 b, 68 StrVZO, wonach die Entziehung der Fahrerlaubnis und die sonstigen Verfügungen für das Inland wirksam sind; desgl. § 5 Abs. 2 G über den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 26. Juni 1935 (BGBl. I S. 788), aufrechterhalten durch § 104 GüterKraftVerkG vom 17. Oktober 1952 (BGBl. I S. 697). Im Hinblick auf diese Sondervorschriften kann BVerfGE Bd. 11 S. 7, wonach ganz allgemein zum Vollzug von Bundesgesetzen ergehende Verwaltungsbescheide von Landesbehörden grundsätzlich im ganzen Bundesgebiet Geltung haben sollen, nicht für zutreffend erachtet werden, da es sich hierbei um die Ausübung von Landesgewalt handelt und eine allgemeine und einheitliche bundesrechtliche Regelung des Verfahrens bisher nicht besteht. d) Die Verwaltungsverfügung bleibt so lange in Wirksamkeit, als nicht ein Aufhebungsgrund nachträglich eintritt, wie z. B. der Eintritt einer auflösenden Bedingung, eines Endzeitpunktes sowie der gesetzlich bestimmte Zeitablauf, der Widerruf oder die Rücknahme oder die Aufhebung infolge einer Anfechtung durch einen Beteiligten mittels eines ordentlichen Rechtsmittels oder aber von Amts wegen, gegebenenfalls auch durch Verzicht eines Beteiligten, wie bei begünstigenden Verwaltungsverfügungen, Tod oder Untergang eines Beteiligten bei höchstper-
Die Fehlerhaftigkeit
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sönlichen Rechten oder Rechtsstellungen, auch bei persönlichen Erlaubnissen, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. u. 2. Hauptstück). Als ein besonderer Fall nach Art einer Verwirkung sei hier noch angeführt § 24 StAngG, wonach die auf Antrag erfolgte Entlassung aus dem Staatsverband als nicht erfolgt gilt, wenn der Entlassene bei Ablauf eines Jahres nach der Aushändigung der Entlassungsurkunde seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Inlande hat. VIII. Die Fehlerhaftigkeit Eine Verwaltungsverfügung kann Mängel oder Fehler aufweisen, einmal mit Bezug auf die Rechtmäßigkeit, wenn sie den bisher aufgeführten Voraussetzungen nicht entspricht (vgl. o. Ziff. I bis VII), und sodann mit Bezug auf die Zweckmäßigkeit. Die Rechtsfolgen sind verschieden: der Fehler kann entweder zur Folge haben die Nichtigkeit, die nur bei rechtlichen Mängeln in Frage kommt, oder aber die Rücknehmbarkeit durch die erlassende, oder die Aufhebbarkeit durch die vorgesetzte Behörde wegen sonstiger Fehlerhaftigkeit, sei es auf Grund einer Anfechtung eines Beteiligten oder von Amts wegen, die bei Rechts- wie bei Zweckmäßigkeitsmängeln in Frage kommen kann; somit entweder unmittelbare Nichtigkeit oder Unwirksamkeit kraft Gesetzes oder die Beseitigung durch eine infolge eines vorhandenen Fehlers ·ergehende Willenserklärung der Behörde, die sog. Rücknahme. Die Verschiedenheit der Rechtsfolgen deckt sich somit mit der eingangs angegebenen Unterscheidung nicht. Der größeren Klarheit wegen würde es sich vielleicht empfehlen, den Ausdruck "Rücknahme" auf den Fall der Beseitigung fehlerhafter, den Ausdruck "Widerruf" aber auf die Beseitigung fehlerfrei zustande gekommener Verwaltungsverfügungen zu beschränken42; indessen ist in der Gesetzessprache diese Unterscheidung bisher nicht durchgedrungen. a) D i e N i c h t i g k e i t Sie bedeutet, daß trotz äußerlichen Ergehens einer Verwaltungsverfügung rechtlich ein "Nichts" vorliegt, keinerlei rechtliche Folgen sich an die Vornahme der Verwaltungsverfügung knüpfen. Sie tritt als Rechtsfolge im Vergleich mit der bloßen Rücknehmbarkeit, d. h. der Zulässigkeit der Rücknahme oder Aufhebung auf Grund der Anfechtung seitens eines Beteiligten oder von Amts wegen bei Gesetzwidrigkeit 42 Vgl. dazu Haueisen, Betrachtungen über die Rücknahme fehlerhafter VerwAkte, in DVBl. 1959 S. 228, desgl., Der Wandel in der Beurteilung fehlerhafter VerwAkte, in DVBL 1960 S. 913.
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der Verwaltungsverfügung, im ganzen gesehen, nur in verhältnismäßig wenigen Fällen ein, im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, wo Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, im allgemeinen, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt, nichtig sind (§ 134 BGB)43 • Die Nichtigkeitsfolge tritt im Verwaltungsrecht nur bei gewissen schweren und offenkundigen, jedermann erkennbaren, ihr sozusagen "an die Stirn geschriebenen" Fehlern der Verwaltungsverfügung ein, anders als bei der Rechtssetzung, der Verordnung, der Satzung und der Vereinbarung, denen nur im Rahmen der Ermächtigung und in den Schranken der höherrangigen Rechtssätze des Trägers der gesetzgebenden Gewalt auf den den Trägern der vollziehenden Gewalt bzw. öffentlicher Verwaltung überlassenen Gebieten Rechtswirksamkeit, anderenfalls aber Nichtigkeit zukommt. Als solche schwerwiegende Mängel der Verwaltungsverfügung kommen vor allem in Betracht (vgl. auch schon den Hinweis o. § 4): 1) Der Mangel der Zuständigkeit aa) Der Mangel der allgemeinen Zuständigkeit (vgl. oben Ziff. I a). Hierher gehört z. B. der oben bereits erwähnte Fall der Nichtbeachtung der Aufgabenverteilung oder der sog. allgemeinen Zuständigkeit zwischen mehreren Verwaltungsträgern, wie Staat und Gemeinde, etwa, wenn eine Gemeinde eine Verwaltungsverfügung erläßt, die den Staatsbehörden vorbehalten ist, oder zwischen mehreren Gemeinden, z. B. wenn der Bürgermeister einer Gemeinde eine in den Aufgabenbereich einer anderen Gemeinde fallende Verwaltungshandlung vornimmt. (Vgl. hierzu BGHZ Bd. 20 S. 119.) Die Folge der Nichtbeachtung ist hier in allen Fällen die Nichtigkeit. bb) Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit innerhalb des Bereichs eines Verwaltungsträgers ist so schwerwiegend, daß er grundsätzlich die Nichtigkeit der Verwaltungsverfügung zur Folge hat, z. B wenn entgegen den Zuständigkeitsbestimmungen, wie oben bereits erwähnt, eine Einbürg·erung statt vom Regierungspräsidenten vom Landrat vorgenommen würde oder die Einleitung eines Dienststrafverfahrens und die Enthebung vom Amte von einem sachlich nicht zuständigen Minister gegen einen Beamten verfügt worden ist (z. B. vom Minister des Innern allein, während dieser und der Minister der Finanzen im Zusammenwirken hierzu zuständig gewesen wäven; vgl. RGZ Bd. 110 S. 103 ff.). Bemerkenswert ist noch, daß nach § 11 Abs. 1 S. 2 BBG die Beamtenernennung, die von ·einer sachlich unzuständigen Behörde ausgespro43 Vgl. dazu Kormann, a. a. 0., S. 216, W. Jellinek, VerwR S. 268 ff., Andersen, Ungültige VerwAkte (übers. von Pappenheim, 1927) S. 66 ff.
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chen worden ist, zwar nichtig ist, aber von der sachlich zuständigen Behörde bestätigt werden kann44 • bb) Der Mangel der örtlichen Zuständigkeit innerhalb des Bereichs eines Verwaltungsträgers ist dagegen im allgemeinen kein Nichtigkeitsgrund. Jedoch erscheint bei Verwaltungsverfügungen, die sich auf Grundstücke oder ein ortsgebundenes Rechtsverhältnis beziehen, die örtliche Zuständigkeit der Behörde d€r "belegenen Sache" oder des ortsgebundenen Rechtsverhältnisses (wie z. B. die Verleihung eines Sondernutzungsrechts an einer öffentlichen Sache; vgl. z. B. § 12 BWassStrReinhG vom 17. August 1960, BGBL II S. 2125) von besonderem Belang. So würde z. B. die Errichtung einer sog. gefährlichen Anlage nach § 16 GewO, die von einer örtlich unzuständigen Behörde, etwa einer benachbarten, wenn auch gleichgeordneten, Behörde, anstelle der zuständigen erlassen wäre, als nichtig anzusehen sein; wegen der erheblichen Nachteile, die für ·die Allgemeinheit, und zwar gerade in dem fraglichen Bezirke, in Betracht kommen können, würde das Hineinverwalten einer Behörde in den Dienstbezirk ·einer anderen Verwaltungsbehörde als nicht rechtsgültig, d. h. als nichtig, anzusehen sein. Das gleiche gilt auch bei einer Bauerlaubnis für den Bau auf einem außerhalb des örtlichen Amtsbereichs der Bauverwaltungsbehörde gelegenen Grundstück; aber auch bei der persönlichen Erlaubnis, die eine räumliche Beziehung aufweist (sog. gemischt-persönliche Erlaubnis), wie bei der Erteilung einer Wirtschaftserlaubnis, ist bei örtlicher Unzuständigkeit Nichtigkeit anzunehmen45 • So hat z. B. das Pr. OVG (Bd. 40 S. 300) Nichtigkeit ·einer gewerbepolizeilichen Erlaubnis zur Errichtung und zum Betriebe einer privaten Irrenanstalt nach § 30 GewO infolge örtlicher Unzuständigkeit angenommen: der Polizeipräsident von Berlin hatte eine gewerbepolizeiliche Erlaubnis zur Errichtung einer Privatirrenanstalt für ein in Charlottenburg, das damals noch eine selbständige Stadt bildete, gelegenes Gebäude erteilt. Nichtig erscheint aber auch eine Verwaltungsv·erfügung einer Verwaltungsbehörde, die sich auf eine juristische Person mit dem Sitze in dem Bezirke einer anderen Verwaltungsbehörde bezieht, wie z. B. auch die Genehmigung der Satzung einer Innung 46, wodurch diese di·e Eigenschaft einer Körperschaft des öff·entlichen Rechts erhält (§ 48 HO). Dagegen handelt es sich bei der Verwaltungsverfügung eines Verwaltungsträgers, die von einem anderen Verwaltungsträger zu erlassen gewesen wäre, z. B. eines Bürgermeisters der Gemeinde A., die in den Bereich der Gemeinde B eingreift, nach dem bereits oben Gesagten in Wirklichkeit nicht bloß um u Dagegen hatte nach § 32 DBG die Ernnennung zum Beamten durch eine sachlich unzuständige Behörde nicht ohne weiteres die Nichtigkeit zur Folge, sondern lediglich die, daß sie für nichtig erklärt werden konnte. 45 So zutr. auch Kormann, a. a. 0., S. 248. 48 Vgl. Jellinek, Der fehlerhafte StaatsaktS. 98, Kormann, a. a. 0., S. 249.
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eine örtliche Unzuständigkeit47 (vgl. u. Ziff. 3). Aber der Mangel der örtlichen Zuständigkeit erscheint im übrigen nicht als so schwerwiegend, daß er einen Nichtigkeitsgrund abgeben könnte; ob der Regierungspräsident des Regierungsbezir~s A statt des Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks B eine Verwaltungshandlung beim Vorhandensein der sachlichen Zuständigkeit vornimmt, erscheint nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Wohl gibt der Mangel der örtlichen Zuständigkeit einen Anfechtungsgrund ab zur Einlegung eines ordentlichen Rechtsmittels innerhalb der Rechtsmittelfrist, weil eben nicht rechtmäßig gehandelt worden ist, wenn die Einteilung des Landes auf Rechtsvorschriften beruht; aber es tritt Heilung mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit ein, falls eine Anfechtung bis dahin nicht erfolgt ist. Vgl. z. B. § 2 Abs. 3 bad. VerfO vom 31. August 1884: "Die von einer unzuständigen Bezirksbehörde erlassene Entscheidung (worunter sinngemäß nicht nur Verwaltungsentscheidungen i. e. S., sondern auch Verwaltungsverfügungen zu verstehen sind) kann, wenn sie vollzogen ist, wegen Unzuständigkeit der Behörde von den in der Sache aufgetretenen Privatbeteiligten nicht mehr angefochten werden", woraus sich ergibt, daß sie vorher aus diesem Grunde angefochten werden kann, was dann zur Aufhebung der erlassenen Verfügung führt. V gl. ferner die Vorschrift des § 79 RAbgO, wonach Handlungen eines Finanzamtes nicht deshalb unwirksam sind, weil das Finanzamt örtlich unzuständig war; diese Vorschrift kann allgemeine Bedeutung beanspruchen und kann daher sinngemäß auch in der Weise angewendet werden, daß bei örtlicher Unzuständigkeit einer unanfechtbar gewordenen Verwaltungsverfügung Nichtigkeit grundsätzlich nicht in Frage kommt. Vgl. die ähnliche Gestaltung in §§ 10, 549 Abs. 2, 551 Ziff. 4 (579) ZPO, §§ 20 f. StPO, § 7 FGG.
2) Der Mangel wesentlicher Formvorschriften So z. B. bei Ernennung zum Beamten ohne Aushändigung einer Urkunde mit den Worten "unter Berufung in das Beamtenverhältnis" oder bei Verletzung der für die Verpflichtungserklärungen der Gemeinde vorgesehenen Schriftform usw. (vgl. o. Ziff. III). Dagegen hat die Verletzung von Verfahrensvorschriften, wie z. B. über die Anhörung gewisser Beteiligter oder bestimmter anderer staatlicher oder sonst öffentlicher Stellen oder über die öffentliche Bekanntmachung, wie z. B. nach § 17 GewO, im allgemeinen nur Anfechtbarkeit, nicht Nichtigkeit zur Folge 48 • Gegenüber den Fällen des Verstoßes gegen zwingend vorgeschriebene Formen kann anerkanntermaßen nicht eine Berufung auf Treu und Glauben geltend gemacht werden (vgl. o. Ziff. III a. E.). 47 48
So zutr. auch Forsthoff, VerwR Bd. 1 S. 211. Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 278.
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3) Der Verstoß gegen den Inhalt zwingender gesetzlicher Vorschriften oder wegen eines tatsächlich oder rechtlich unmöglichen 49 oder unsittlichen Inhalts Die für das bürgerliche Recht maßgebende Vorschrift des § 134 BGB, wonach ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig ist, wenn sich aus dem Gesetz nicht etwas anderes ergibt, gilt für das Verwaltungsrecht, wie vorhin bereits bemerkt, in dieser Weise nicht: vielmehr gilt dies nur bei zwingenden gesetzlichen Vorschriften50 • So wäre z. B. eine polizeiliche Verfügung des Inhalts "die Pflasterung einer Straße so vorzunehmen, daß dabei jedes störende Geräusch vermieden wird" 5 \ ebenso z. B. die Begründung einer neuen Realgastwirtschaft entgegen § 10 Gew0 52, oder die Ernennung jemandes zum Bundesbeamten, der wegen Fehlens der Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Art. 116 GG nicht zum Beamten ernannt werden konnte, sofern nicht der Bundesminister des Innern nach § 7 Abs. 2 BBG eine Ausnahme zugelassen, oder er entmündigt oder unfähig war, öffentliche Ämter zu bekleiden, wie im Falle der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte entgegen § 11 BBG (früher § 32 DBG); im Falle der Nichtigkeit hat der Dienstvorgesetzte nach Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes dem Ernannten sofort jede weitere Führung der Dienstgeschäfte zu verbieten. Eine Abmilderung der Nichtigkeit bedeutet es nach gewisser Richtung, wenn die bis zu dem Verbot vorgenommenen Amts49 Das liegt nicht ohne weiteres vor, wenn eine Handlung ohne die Einwilligung eines Dritten, weil in seinen Rechtsbereich eingreifend, nicht vorgenommen werden kann, nämlich, wenn der Dritte einwilligt oder beim Erlaß der Verwaltungsverfügung damit gerechnet werden kann, daß er seine Einwilligung erteilt. Vgl. Pr. OVG Bd. 38 S. 179 ff., Bd. 72 S. 284, Bd. 87 S. 456 ff., Bd. 94 S. 226. Eine solche Verfügung ist nur dann wegen Unmöglichkeit der Ausführung nicht rechtmäßig, wenn der andere seine Zustimmung zu der von der Verwaltungsbehörde verlangten Handlung verweigert und der Empfänger der Verfügung auch nicht in der Lage ist, diese Zustimmung auf rechtlich geordnetem Wege zu erzwingen. Bei stillschweigendem Verhalten des anderen ist regelmäßig, wenn nicht aus den Umständen das Gegenteil erhellt, z. B. zu vermuten, daß der andere dem Verlangen der Polizei, mit dem diese die Herstellung des polizeimäßigen Zustandes erstrebt, zustimmt. Vgl. OVG, a. a. 0 . - S. auch noch für das bürgerliche Recht entsprechend§ 309 BGB. so Vgl. Jellinek, VerwR S. 21: Dem Privatmann gegenüber, der sich irrtümlich zur vorläufigen Festnahme berechtigt glaubt, kann sich der Betreffende der Notwehr bedienen, nicht darf aber dementsprechend so handelnden sich irrenden gutgläubigen Polizeibeamten Widerstand geleistet werden. Der nach gesetzwidriger Wahl zum Gemeinderat Erklärte ist Gemeinderat bis zur Ungültigkeitserklärung durch die zuständige Behörde. 5 1 Vgl. Anschütz, Fälle des StuVerwR 5. A. (1927) Nr. 56. 52 Dagegen sind die bestehenden sog. Realgerechtigkeiten (Realwirtschaften, Realapotheken) bestehen geblieben. Diese Berechtigungen sind nach § 96 BGB in Verbindung mit Art. 181 EG - nicht wesentliche - Bestandteile des Grundstücks und gehen mit dem Eigentum auf den Erwerber über. Vgl. dazu Pr. OVG Bd. 43 S. 49. Vgl. auch noch wegen der Ausübung von Realberechtigungen an Apotheken (bisher sog. "Realkonzession") jetzt§§ 26 ff. G über das Apothekenwesen v. 20. Aug. 1960 (BGBI. I S. 697).
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handlungen des Ernannten in gleicher Weise gültig sind, wie wenn sie ein wirklicher Beamter ausgeführt hätte53 , und auch die gezahlten Dienstbezüge belassen werden können: es handelt sich um einen Rechtsschein im öffentlichen Recht, der sich als ein Schutz des Vertrauens Dritter auswirkt, indem der Staat, für den der Betreffende nach außen handelnd auftritt, die so vorgenommenen Amtshandlungen als rechtsbeständig für sich und gegen sich gelten läßt, wenn auch dies sich, wie in diesem besonderen Falle, als für ihn nachteilig auswirken kann. Es erinnert dies in gewisser Weise an den öffentlichen Glauben im Grundbuchrecht. Schon früher war in ähnlicher Weise bezüglich der Eheschließung vor einem Standesbeamten in § 1319 BGB, dann entsprechend in § 15 Abs. 2 EheG vom 6. Juli 1938 und ist jetzt im§ 11 Abs. 2 des Ehegesetzes (KontrollratsG Nr. 16) anerkannt die Gültigkeit der Eheschließung für den Fall, daß diese vor einem Schein-Standesbeamten, d. h. jemandem, der, ohne Standesbeamter zu sein, das Amt eines solchen öffentlich ausübt und die Ehe in das Familienbuch eingetragen hat, erfolgt ist. Weitere Fälle der Nichtigkeit, die in diesem Zusammenhang anzuführen sind, sind z. B. Verfügungen an eine nicht vorhandene Person, die Auflösung eines nicht bestehenden Vereins 5\ das Gebot des Abbruchs eines nicht bestehenden oder bereits abgerissenen oder abgebrannten Gebäudes sowie die Begründung der Pflicht der gewaltsamen Entfernung eines Mieters trotz dessen Besitzrechtes für den Vermieter (vgl. Pr. OVG Bd. 24 S. 385, o. Ziff. 1!!)55 • 4) Das Fehlen einer Gültigkeitsvoraussetzung
Wenn eine Gültigkeitsvoraussetzung zur Rechtsbeständigkeit einer Verwaltungsverfügung erfordert wird, nämlich die Einwilligung (Antragstellung) des Beteiligten bei gewissen Verwaltungsverfügungen fehlt (vgl. o. Ziff. VI), so hat das zwar nicht, wie im allgemeinen angenommen wird, unheilbare Nichtigkeit, wohl aber - bei späterer Erteilung der Zustimmung - heilbare Unwirksamkeit zur Folge: so bei der Einbürgerung und Entlassung aus dem Staatsverband sowie der Aufnahme und Entlassung in das Beamtenverhältnis. Die Auffassung Otto Mayers, der in diesen Fällen nur Anfechtbarkeit annimmt50, erscheint 53 Auch Amtshandlungen eines geisteskranken Beamten sind fehlerfrei und gültig, wenn sie gesetzmäßig und sachlich richtig sind; vgl. W. Jellinek, GAnw. und Zweckmäßigkeitserwägung (1913) S. 242 und Forsthoff VerwR Bd. 1 S. 191, 215 (vgl. dazu auch o. § 30 Anm. 22). - Die Rechtsgültigkeit der Amtshandlungen eines geschäftsbeschränkten Beamten ergibt sich schon aus der entsprechenden Anwendung des§ 165 BGB. Vgl. o. Ziff. II. 54 Kormann, a. a. 0., S. 236. 55 Dagegen ist eine ohne vorherige Entrichtung einer Gebühr vorgenommene VerwVerfg. nicht aus dem Grunde nichtig, weil die Gebühr nicht entrichtet wird, wie z. B. bei derErteilungeines Jagdscheins; es bleibt u. U. nur die nachträgliche Einziehung möglich (vgl. Pr. OVG Bd. 31 S. 242). se VerwR Bd. 2 S. 151.
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nicht haltbar; vgl. hierzu auch Pr. OVG Bd. 15 S. 413, Bd. 78 S. 251, Bd. 81 S. 268-273, Bd. 97 S. 99. Die Frage, ob in diesen Fällen unheilbare oder heilbare Nichtigkeit oder Unwirksamkeit eintritt, ist im zweiten Sinne zu entscheiden, da hier äußere, in einer Urkunde sich verkörpernde, förmliche Verwaltungshandlungen in Frage kommen, die in sich selbst keine Mängel aufweisen, und der Nichtigkeitsgrund äußerlich nicht erkennbar wäre; durch die ordnungsmäßige Aushändigung der Urkunde wird der Rechtsschein der ordnungsmäßigen Begründung bzw. Beendigung des betreffenden Verhältnisses begründet, der freilich bei Nichtvorhandensein der Einwilligung widerlegt werden kann; auf der anderen Seite kann in den fraglichen Fällen der Mangel nachträglich mit rückwirkender Kraft durch Zustimmung (Genehmigung) des Betreffenden behoben werden, somit der Rechtsschein in volle Rechtswirksamkeit erwachsen, zumal ja für den Antrag auch keine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Es ist nicht einzusehen, warum durch nachträgliche Zustimmung des Beteiligten, wie z. B. widerspruchlose Entgegennahme, falls keine besondere Form für sie vorgeschrieben ist, die Verwaltungsverfügung nicht wirksam werden könnte, wie dies bei unheilbarer Nichtigkeit der Fall wäre, sondern neu vorgenommen, also dieselbe Urkunde nochmals ausgestellt werden müßte, nur gegebenenfalls mit einem anderen Ausstellungstage; dagegen würde nach der hier vertretenen Auffassung durch die nachträgliche Zustimmung auf den Tag der früheren Aushändigung der Urkunde rückwirkend die Wirksamkeit eintreten. Entsprechendes gilt für die mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsverfügungen überhaupt. Auch das Fehlen einer erforderlichen Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde zu gewissen Rechtsgeschäften von Selbstverwaltungskörperschaften, wie nach § 104 Abs. 1 DGO, begründet Unwirksamkeit; ist die genehmigte Verwaltungshandlung selbst nichtig, so ist die Genehmigung gegenstandslos, nicht vermag diese, wie bereits früher (§ 31 Ziff. II n 3) bemerkt, die Nichtigkeit oder sonstigen Mängel der Verwaltungshandlung zu heilen57. Im Falle einer teilweisen Nichtigkeit oder Unwirksamkeit einer Verwaltungsverfügunggreift hier nicht entsprechend dem bürgerlich-rechtlichen Rechtsverkehr die förmliche Vermutung des § 139 BGB in dem Sinne ein, daß die Nichtigkeit eines Teils einer Verwaltungsverfügung ohne weiteres die Nichtigkeit der ganzen Verfügung zur Folge hätte, wenn nicht anzunehmen ist, daß sie auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre (A. A. BGHZ Bd. 7 S. 10). Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Verwaltungsverfügung - ganz abgesehen von dem Falle, daß sie in Wahrheit mehrere voneinander völlig unabhängige, selbständige, Verfügungen äußerlich in sich enthält- im s1
Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 259.
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übrigen für sich vernünftigerweise selbständig bestehen kann, der ungültige Teil also von dem Ganzen gesondert werden kann und anzunehmen ist, daß sie auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre; sie besteht dann im übrigen zu Recht (vgl. auch Pr. OVG Bd. 100 S. 125, RGZ, Bd. 133 S. 211, BGHZ Bd. 16 S. 198; BVerwGE Bd. 1 S. 175). Anders, soweit nach besonderer gesetzlicher Vorschrift der nichtige Teil als nicht beigefügt zu betrachten ist: ·so, wenn einer Verwaltungsverfügung, auf deren Erteilung ein unbedingter Rechtsanspruch besteht, eine Nebenbestimmung, Bedingung, Befristung, Auflage oder Widerrufsvorbehalt in gesetzlich unzulässiger Weise beigefügt, z. B. auch wenn ein Beamter auf einen rückwirkenden Zeitpunkt ernannt wird (vgl. § 10 BBG); dann gilt sie insoweit als nicht erfolgt58 • Geg·enüber einer nichtigen Verwaltungsverfügung kommt eine Rücknahme oder Aufhebung von Amts wegen oder eine Anfechtung als Rechtsmittel an sich nicht in Betracht; gleichwohl wird in Zweifelsfällen, um den falschen Schein des Vorhandenseins einer gültigen Verwaltungsverfügung, zumal wegen der Gefahr ·einer zwangsweise erfolgenden Vollziehung, zu beseitigen, die Einlegung eines ordentlichen Rechtsmittels nach den allgemeinen Vorschriften als zulässig zu ·erachten sein, wenn rechtliche Belange daran bestehen; also nicht im Falle einer "Verwaltungsverfügung" ,eines "Hauptmanns von Köpenick", wo nicht einmal von einem falschen Rechtsschein, sondern nur von einem rechtlich völligen Nichts gesprochen werden kann. Es handelt sich hier in Wirklichkeit nur um eine Feststellung der Nichtigkeit (vgl. Pr. OVG Bd. 31 S. 428) 59 ; ausdrücklich zugelassen war die Anfechtungsklage allgemein gegenüber nichtigen Verwaltungsverfügungen in § 23 Abs. 1 Satz 2 MRVO Nr. 165. Auch eine Feststellungsklage auf Nichtbestehen des in Betracht kommenden, durch die angebliche Verwaltungsverfügung begründeten, Rechtsverhältnisses ist daneben als zulässig zu erachten, und zwar ohne Rücksicht auf die für die Anfechtung geltende Rechtsmittelfrist, wenn der Kläger berechtigte Belange an der alsbaldigen Feststellung hat; vgl. jetzt § 43 VwGO. Die Nichtigkeit einer Verwaltungsverfügung kann von jedermann und überall, insbesondere vor den Verwaltungsbehördenund Verwaltungsgerichten wie auch vor den ordentlichen Gerichten, geltend gemacht werden; so z. B. wenn die Strafbarkeit einen Verstoß gegen eine rechtsbeständige-nicht nichtige- Verwaltungshandlung voraussetzt. Eine nachträgliche Heilung einer nichtigen Verwaltungsverfügung, etwa mit rückwirkender Kraft, ist grundsätzlich nicht möglich, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. § 11 BBG, o. 1 bb); es kommt im allgemeinen nur erneute Vornahme der Verwaltungsverfügung in Betracht, von den mitwirkungsbedürftigen Verwalss Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 165. so Vgl. Kormann. a. a. 0., S. 207, 261.
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tungsverfügungen abgesehen (s. o.). Eine vollzogene nichtige Verwaltungsverfügung löst einen sog. Folgenbeseitigungsanspruch aus, um den im Widerspruch mit dem Recht herbeigeführten Erfolg in der Außenwelt wieder zu beseitigen60 , gegebenenfalls auch einen Schadensersatzanspruch wegen des dadurch erlittenen Schadens; vgl. dazu u. § 62. b) Die Rücknehmbarkeit Bei allen sonstigen Mängeln einer Verwaltungsverfügung, d. h. in der weitaus überwiegenden Zahl davon, kommt nur die nachträgliche Beseitigung, d. h. Rücknehmbarkeit durch die Verwaltungsbehörde, welche die Verwaltungsverfügung erlassen hat, oder die Aufhebbarkeit i. e. S. durch die vorgesetzte Verwaltungsbehörde, in Betracht, und zwar wegen Rechtsmängeln (Gesetzwidrigkeit) außer den Fällen, die eine Nichtigkeit begründen usf., wegen Ermessensfehlern, wie auch wegen tatsächlicher Mängel, nämlich weil die tatsächlichen Voraussetzungen für die erlassene Verfügung nicht vorliegen (vgl. dazu auch Pr. OVG Bd. 97 S. 99). Man mag dies hier unter der Bezeichnung "Rücknehmbarkeit" zusammenfassen. Die Rücknahme kann erfolgen von Amts wegen oder auf Anfechtung mittels eines ordentlichen Rechtsmittels im Verwaltungswege (Beschwerde oder Einspruch bzw. Widerspruch)61 durch einen Beteiligten, wobei sich die Voraussetzungen der Rücknehmbarkeit - d. h. von Amts wegen - und der Anfechtbarkeit durch einen Beteiligten zum Zwecke der Aufhebung im Rechtsmittelverfahren nicht decken. Es bedarf hier also- anders als bei der Nichtigkeit- einer besonderen Verwaltungshandlung, um das mangelhafte Geschäft zu beseitigen. Bis dahin ist es als wirksam und zu Recht bestehend von jedermann, von den Beteiligten, den Verwaltungsbehörden wie auch den Gerichten, zu achten. So muß z. B. der Jagdschein nach § 17 BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. vom 30. März 1961 versagt werden u. a. Personen, die noch nicht 16 Jahre alt oder die entmündigt sind; ein gleichwohl erteilter Jagdschein würde aber nicht nichtig, sondern rechtswirksam, wenn auch fehlerhaft, sein, der Betreffende würde also bis zur erfolgten Zurücknahme jagdberechtigt sein und umgekehrt; würde jemandem, "weil entmündigt", der Jagdschein versagt werden, obwohl er in Wirklichkeit gar nicht entmündigt ist, so wäre er nicht jagdausübungsberechtigt und würde sich strafbar machen, wenn er gleichwohl vor Aufhebung der Verfügung Jagd ausüben wollte, obwohl 80 Vgl. auch Kormann, a. a. 0., S. 207. 61 Wegen der Aufhebung im verwaltungsgerichtlichen oder im ordentlichen Rechtswege vgl. u. 5. Buch. 62 So zutr. Thoma, Polizeibefehl S. 80. Vgl. auch Haueisen, Betrachtungen über die Rücknahme fehlerhafter VerwAkte, in DVBl. 1959 S. 228, u. Schütz, Der Widerruf gesetzwidriger begünstigender VerwAkte, in DÖV 1958
s. 449 f.
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ihm zu Unrecht der Jagdschein versagt worden ist62• Ebenso würde das Unterlassen einer vorgeschriebenen vorherigen Anhörung einer anderen Stelle vor einer bestimmten Verwaltungshandlung (z. B. die Zurruhesetzung eines schwerbeschädigten Beamten ohne Anhörung der Hauptfürsorgestelle nach § 35 Abs. 2 SchwerbeschG) zwar nicht Nichtigkeit, wohl aber Fehlerhaftigkeit der Verwaltungsverfügung zur Folge haben (vgl. dazu BVerwGE Bd. 5 S. 18 ff., Bd. 9 S. 69 ff.). Ebenso gehört dahin die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, wie er insbesondere im PolizeiR bei den polizeilichen Maßnahmen eine Rolle spielt, d. h. des Grundsatzes, daß eine Verwaltungsverfügung in ihren Anordnungen nicht weitergehen darf, als zur Erreichung eines bestimmten Verwaltungszwecks notwendig ist oder die Verfügung als das angemessene Mittel dazu ist (vgl. BVerwGE Bd. 3 S. 297, Bd. 9 S. 114, 314). 1) Bei der noch immer vielfach mangelhaften begrifflichen Durchbildung des VerwR- namentlich auch in der Gesetzgebung - glaubte man früher auch das Rechtsgebilde der Anfechtung einer Verwaltungsverfügung entsprechend der bürgerlich-rechtlichen Anfechtung i. S. der §§ 119 und 123 BGB (wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung) als auch für das Verwaltungsrecht geltend annehmen zu sollen, indem man in jenen Bestimmungen den Ausdruck allgemeiner Rechtsgedanken erblickte; so auch in der früheren Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen sowie in der gerichtlichen Übung, insbesondere bei Verwaltungsverfügungen, die eine Anstellung oder Zurruhesetzung eines Beamten betrafen, wegen zugrunde liegender Willensmängel, z. B. wenn ein Beamter durch gefälschte Unterlagen sich die Anstellung als Beamter betrügerisch erschwindelt hatte. So hat z. B. auch noch das Pr. OVG in Bd. 92 S. 240 (Erschwindelung der Stelle als Berufsbürgermeister durch wissentlich falsche Angaben über die Vorbildung und den Lebensgang) und ebenso das Reichsgericht in RGZ Bd. 83 S. 429 (Anfechtung der Anstellung als Beamter) und in Bd. 124 S. 195 (Anfechtung einer Zurruhesetzung mit rückwirkender Kraft) die Anfechtung einer Verwaltungsverfügung aus den vorhin angeführten Gründen in entsprechender Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts für zulässig erachtet. Für eine solche entsprechende Anwendung fehlt es jedoch an genügenden rechtlichen Grundlagen, und außerdem liegt ein sachliches Bedürfnis hierfür nicht vor; es kommt das Rechtsgebilde der Rücknahme, u. U. mit rückwirkender Kraft, in Betracht. Auf die Bezeichnung kommt es im übrigen nicht an. So hat schon die bad. VerfahrensO vom 31. August 1884 (§ 43 Abs. 1 Ziff. 2) für den Fall der Erschleichung, und dann die RAbgO vom 13. Dezember 1919 i. d. F. vom 22. Mai 1931 für solche Fälle die Rücknehmbarkeit von begünstigenden Verwaltungsverfügungen aus jenen Gründen, und zwar die RAbgO mit der Möglichkeit rückwirkender Kraft, vorgesehen, wenn
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der Beteiligte die Verfügung durch unlautere Mittel, wie Täuschung, Zwang63 oder Bestechung veranlaßt hat (§ 96); auch das DBG wie auch das BBG machen von einer entsprechenden Anwendung der Bestimmungen des BGB keinen Gebrauch84 • Vgl. auch noch z. B. § 4 G über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1930 (RGBI. I S. 985), wonach der von einer deutschen staatlichen Hochschule verliehene akademische Grad wieder entzogen werden kann, wenn sich nachträglich herausstellt, daß er durch Täuschung erworben worden ist oder daß der Inhaber der Verleihung eines akademischen Grades unwürdig war (diese Entziehung kann auch geschehen, wenn der Inhaber durch sein späteres Verhalten der Führung eines akademischen Grades sich als unwürdig erwiesen hat - was nicht hierher gehört). Vgl. aber auch z. B. § 58 GewO, wonach die Reisegewerbekarte entzogen werden kann, wenn sich ergibt, daß eine der in § 57 Abs. 1 oder § 57 a bezeichneten Voraussetzungen für die Versagung der Karte bei deren Erteilung der Behörde nicht bekannt gewesen oder erst nach Erteilung der Karte eingetreten ist. Vgl. auch noch z. B. § 5 RTierärzteO vom 3.April1936 (RGBI. I S. 347), wonach u. a. die Bestallung zurückzunehmen ist, wenn wesentliche Voraussetzungen derselben irrigerweise als gegeben angenommen worden sind; ähnlich § 5 BÄrzteO vom 2. Oktober 1961 (BGBI. I S. 1857) und § 4 G über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31. März 1952 (BGBI. I S. 221), desgl. § 3 der 1. VO über die berufsmäßige Ausbildung in der Krankenpflege usw. vom 28. September 1938 (RGBI. I S. 1310). So muß weiter nach § 12 Abs. 1 GaststG vom 28. April 1930 die Erlaubnis zum Betrieb einer Gastwirtschaft, Schankwirtschaft oder des Kleinhandels mit Branntwein von der für die Erlaubniserteilung zuständigen Behörde zurückgenommen werden, wenn sie der Betriebsinhaber vorsätzlich durch unrichtige Angaben erwirkt hat; sie kann zurückgenommen werden, wenn der Betriebsinhaber sie durch Angaben erwirkt hat, deren Unrichtigkeit er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen. Vgl. auch noch§§ 47 f. VO über das Schornsteinfegerwesen vom 28. Juli 1937 (RGBI. I S. 831) über die Rücknahme der Bestellung eines Bezirksschornsteinfegermeisters. So hat weiter z. B. nach § 6 der 1. DurchfVO zum G über den Fischereischein vom 21. April 1939 die Behörde, die den Fischereischein erteilt hat, ihn für ungültig zu erklären und einzuziehen, wenn Tatsachen, bei denen nach § 3 der Fischereischein zu versagen ist, ihr erst nachträglich bekanntgeworden sind; dagegen besteht bloße Rücknehmbarkeit nach Ermessen nach § 6 Abs. 1 Satz 2, wenn nach Erteilung des Fischereischeins Versagungsgründe 63 Bei unwiderstehlichem Zwang liegt eine Handlung der Behörde überhaupt nicht vor. Daß dagegen bei Drohung Nichtigkeit der Verwaltungsverfügung gegeben sein soll, wie Forsthoff S. 223 annimmt, vermag ich nicht als zutreffend anzuerkennen. 84 Vgl. dazu auch Dennewitz, VerwR S. 103.
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nach§ 4 bekannt werden. Vgl. auch noch§ 42 Abs. 1 pr. PVG, wonach die Zurücknahme oder nachträgliche Einschränkung einer polizeilichen Erlaubnis oder Bescheinigung (§ 40), vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Bestimmungen, nur zulässig ist a) wenn die Erteilung dem bestehenden Rechte widersprach, b) sie auf Grund von Angaben des Antragstellers erfolgt ist, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, c) wenn usw. im Falle der Änderung des bestehenden Rechtes von der Erlaubnis oder Bescheinigung noch nicht Gebrauch gemacht worden ist und Tatsachen vorliegen, die nach dem neuen Recht deren Versagung rechtfertigen würden, und d) wenn Tatsachen nachträglich eintreten oder, abgesehen von b), der Polizeibehörde nachträglich bekannt werden, welche die Polizeibehörde zur Versagung der erteilten Erlaubnis oder Bescheinigung berechtigt haben würden, sofern ohne deren Zurücknahme im einzelnen Falle eine Gefährdung polizeilich zu schützender Belange eintreten würde. Vgl. auch noch Art. 120 Abs. 2 und 3 württ. BauO vom 28. Juli 1910 i. d. F. vom 15. Dezember 1933 (RegBl. S. 443), wonach, unabhängig von der Bestrafung, die zuständige Baupolizeibehörde die Aufgabe hat, die zur Herstellung eines vorschriftsmäßigen Zustandes erforderlichen Zwangsmaßregeln - nötigenfalls die Abtragung des schon Ausgeführten - anzuordnen, und dies auch gilt, wenn eine Bauerlaubnis durch unrichtige Zeichnungen oder Angaben herbeigeführt worden ist (Art. 114 Abs. 3); ist die Bauerlaubnis von der zuständigen Baupolizeibehörde im Widerspruch mit zwingenden Rechtsvorschriften erteilt worden, .so darf, wenn hieran weder den Bauenden noch seinen Rechtsnachfolger eine Schuld trifft, noch der zuletzt bezeichnete Fall vorliegt, die dauernde Einstellung der Bauausführung und die Abtragung des schon Ausgeführten nur aus dringenden Gründen des öffentlichen Wohls und nur vom Innenministerium angeordnet werden. Vgl. auch§ 360 LastenausglG, wonach von Ausgleichsleistungen ausgeschlossen wird, wer in eigener oder fremder Sache wissentlich oder grob fahrlässig falsche Angaben über die Entstehung oder den Umfang des Schadens gemacht hat, usw. Mit der Rücknahmemöglichkeit ist dem vorhandenen Bedürfnis nach Beseitigung fehlerhafter Verwaltungsverfügungen durchaus Rechnung getragen; dem einseitigen Erlaß einer Verwaltungsverfügung entspricht die einseitige Rücknahme durch die Verwaltungsbehörde. Einer bloßen Anfechtung durch sie mit der Folge einer Ungewißheit und gegebenenfalls der Notwendigkeit der gerichtlichen Feststellung der Rechtslage, ob die Anfechtung zu Recht ausgesprochen worden ist, bedarf es hier nicht. Ebensowenig kommt gegebenenfalls eine Schadensersatzpflicht entsprechend § 122 BGB im Falle des Irrtums (sog. Vertrauensschaden) in Betracht. Indessen nähert sich die Rücknahme mit rückwirkender Kraft, soweit sie vorgesehen ist, äußerlich sehr der Anfechtung des bür-
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gerliehen Rechts, wenn auch hier zeitliche Beschränkungen, wie dort, regelmäßig fehlen; auf alle Fälle aber ist die Rücknahme auf die Gültigkeit der in der Zwischenzeit etwa vorgenommenen Amtshandlungen entsprechend§ 32 DBG und jetzt§ 14 BBG zugunsten der Beteiligten und Dritter, die auf diese Amtshandlung vertraut haben, ohne Einfluß. Für die Fälle der Erlangung einer begünstigenden Verwaltungsverfügung durch unlautere Mittel wie Täuschung, Zwang, widerrechtliche Bedrohung, Bestechung, erscheint entsprechend der Vorschrift des§ 96 RAbgO eine Rücknahme mit rückwirkender Kraft im übrigen gesetzespolitisch als erwünscht. Wenn auch die rückwirkende Kraft sonst im allgemeinen nicht vorgesehen ist, so läßt sich doch ein ähnliches Ergebnis dem Erfolge nach u. U. unter dem Gesichtspunkte der Erstattung- entsprechend der ungerechtfertigten Bereicherung des bürgerlichen Rechts bei Wegfall des rechtlichen Grundes bzw. Fehlen eines solchen - soweit eine solche Vorteilserlangung noch vorhanden ist- oder der Folgenbeseitigung herbeiführen, falls nichts anderes bestimmt ist. Bloßer Tatsachenirrtum, abgesehen von den gesetzlich bestimmten Fällen (s.o.), rechtfertigt im übrigen eine Rücknahme grundsätzlich nicht, es sei denn, daß die in Wirklichkeit vorhandenen Tatsachen die von der Behörde gezogene Rechtsfolge in keiner Weise rechtfertigen (vgl. BVerwGE Bd. 8 s. 197). So ist man denn, wie in der neueren Gesetzgebung, wie z. B. im DBG und BBG, ·so auch in der Verwaltungsübung von einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften des BGB über eine sachlich-rechtliche Anfechtung mehr und mehr abgekommen. Endlich ist noch zu erwähnen, daß die Verwaltungsbehörden nicht gehindert sind, eine bereits früher erlassene Verfügung, etwa, wenn sie fehlerhaft ist, in fehlerfreier Weise zu wiederholen; mit dem Erlaß der neuen - auch gleichlautenden Verfügung tritt diese an die Stelle der früheren, die als stillschweigend zurückgenommen anzusehen ist, wenn sie nicht ausdrücklich aufgehoben wird; ein gegen die frühere Verfügung gerichtetes Streitverfahren vor dem Verwaltungsgericht kann- von anderen Fällen hier abgesehen (vgl. u. 5. Buch) - insbesondere noch wegen der Kosten fortgesetzt werden (vgl. Pr. OVG Bd. 19 S. 223, Bd. 37 S. 233); vgl. auch z. B. § 79 (südd.) VGG und jetzt§§ 113 Abs. 1 und 161 Abs. 2 VwGO. 2) Jede Fehlerhaftigkeit einer Verwaltungsverfügung, die also nicht nichtig ist, begründet hiernach nur Rücknehmbarkeit (oder Aufhebbarkeit), sei es, wie schon erwähnt, wegen Rechtsmängeln (Gesetzwidrigkeit), Ermessensfehlern oder weil die tatsächlichen Voraussetzungen für die Verfügung nicht vorlagen. Daraus ergibt sich, daß die Handlungen der öffentlichen Verwaltung, insbesondere in Gestalt der Verwaltungsverfügung, von dem Verwalteten Gehorsam heischen auch in dem Falle, daß sie fehlerhaft sind, es sei denn, daß die oben angeführten schwe56 Merk
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ren Nichtigkeitsmängel ihr offenkundig aufgeprägt sind. Es soll die Geltungskraft der Verwaltungsverfügung auf der einen Seite, die Gehorsamspflicht auf der anderen Seite, nicht durch den Hinweis auf allerhand angebliche Mängel in Frage gestellt werden, sondern die Verwaltungshandlungen sind, von jenen Ausnahmen abgesehen, als rechtsbeständig anzusehen und zu befolgen, solange sie bestehen und nicht aus der Welt geschafft sind. Auf der anderen Seite sollen die Beteiligten auch auf eine einmal ergangene- nicht nichtige- Verwaltungsverfügung vertrauen dürfen und sind dadurch geschützt, daß ihnen die im Gesetz vorgesehenen Rechtsmittel zur Verfügung stehen und im Falle der Einlegung eines solchen die Anfechtung grundsätzlich aufschiebende Wirkung hat, soweit nichts anderes bestimmt ist- was freilich im Einzelfalle außer Kraft gesetzt werden kann, wenn die Vollziehung wegen unwiederbringlicher Nachteile für das Gemeinwohl nicht verschoben werden kann, d. h. also die Gemeinbelange aus dringenden Gründen den Vorrang vor den besonderen Belangen des ·einzelnen erfordern; vgl. jetzt im einzelnen§ 80 VwGO. Man kann daher auch mit 0. Mayer sagen, daß die Handlungen der öffentlichen Verwaltungsbehörden die Vermutung der Rechtsgültigkeit für sich haben, insofern sie regelmäßig erst der Aufhebung durch die zuständige Behörde bedürfen, um ihre Rechtsbeständigkeit zu verlieren (vgl. auch BVerwGE Bd. 1 S. 69; Pr. OVG Bd. 81 S. 268, Bd. 97 S. 95; BGHZ Bd. 1 S. 225, Bd. 4 S. 22). Von der Rücknehmbarkeit sei es von Amts wegen oder auf Grund der Anfechtung durch einen Beteiligten abgesehen, äußert also die fehlerhafte - und nicht schlechthin nichtige - Verwaltungsverfügung vorerst alle Rechtsfolgen einer wirksamen Verfügung, also auch im Falle der Gesetzwidrigkeit, wenn nicht einer der ganz schweren nichtigkeitsbegründenden Mängel vorliegt, und es kommt nur die Rücknehmbarkeit (oder Aufhebbarkeit) in Frage. Von einer "Widerruflichkeit" sollen nun aber gewisse Verwaltungsverfügungen, die das Pr. OVG als Formalverfügungen ("Formalakte") bezeichnet, ausgeschlossen sein, wie insbesondere die Einbürgerung durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde als eine förmliche, den endgültigen Erwerb der staatsbürgerlichen Rechte begründende und eine nachträgliche Änderung nicht zulassende Verfügung, es sei denn, daß die Einbürgerungsurkunde durch eine unzuständige Behörde oder versehentlich (die Urkunde war gar nicht zur Aushändigung bestimmt) oder durch einen ungetreuen Beamten im Einvernehmen oder mit Vorwissen des Einzubürgernden (sog. trügerisches Zusammenspiel) ausgehändigt ist. Dahin würden aber auch die Fälle der Täuschung, der widerrechtlichen Drohung, der Bestechung oder der Erpressung zu rechnen sein (vgl. dazu Pr. OVG Bd. 13 S. 408 ff., Bd. 27 S. 410, Bd. 55 S. 234). Nicht dagegen käme in Betracht die Rücknahme wegen eines Irrtums oder Mißgriffs in der Prüfung der tatsäch-
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liehen Verhältnisse im Hinblick auf die sich dadurch für die Staatsangehörigkeit ergebenden Unsicherheit aller Verhältni:;se. Jedenfalls aber ist gegenüber einer Überbetonung der Form über den Inhalt nicht einzusehen, warum die Rücknahme nicht wegen Anwendung unlauterer Mittel, Täuschung, widerrechtlicher Drohung, Erpressung oder Bestechung nicht sollte stattfinden können, unter entsprechender Anwendung anderer gesetzlicher Vorschriften, wie insbesondere§ 96 Abs. 2 RAbgO, § 53 Abs. 2 GewO, § 12 GaststG, § 360 LAG; es heißt im übrigen auch - worauf jedoch kein entscheidendes Gewicht für sich zu legen istim StAngG vom 22. Juli 1913, § 27, jetzt nicht mehr, wie früher in § 13 d. G vom 1. Juni 1870: "Die Staatsangehörigkeit geht fortan nur verloren ... " (worauf sich u. a. das Pr. OVG a. a. 0. berufen hat) 65 • In jenen Fällen der Täuschung, widerrechtlichen Drohung, Erpressung oder Bestechung ist die Rücknahme mit rückwirkender Kraft als zulässig zu erachten. Eine Rücknahme kann aber auch, wie schon angeführt, bei Nichtigkeit zur Klarstellung oder Beseitigung eines falschen Scheins in Betracht kommen, wenn ein Bedürfnis dafür vorliegt. Es gilt also der Grundsatz, daß die Verwaltungsbehörden in ihrer obrigkeitlichen Betätigung den Rechtsschein der Rechtsbeständigkeit für sich haben, aus Gründen der Wirksamkeit der öffentlichen Gewalt, aber auch des Vertrauens seitens der Verwalteten auf die Wirksamkeit von deren Tätigkeit in weitestgehendem Umfang und ganz anders, als dies für die Rechtsbeziehungen der einzelnen untereinander im bürgerlichen Recht gilt; dort besteht in ähnlicher Weise, wie o. schon z. T. erwähnt, ein Rechtsschein in Anknüpfung an die Gewere des altdeutschen Rechts für Rechte an Grundstücken, die im Grundbuch eingetragen sind, also bei "Buchbesitz" nach§ 891 BGB (entsprechend bei Fahrnissen für den Besitzer nach § 1006, 1065, 1227), ferner für den Erbschein nach'§ 2365 BGB, insbesondere aber auch nach § 11 Abs. 2 EheG (KontrollratsG Nr. 16) hinsichtlich des Standesbeamten, vor dem die Eheschließung stattgefunden hat, der ohne Standesbeamter zu sein, das Amt eines Standesbeamten öffentlich ausübt und die Ehe in das Familienbuch eingetragen hat. Es bezeugt also, wie man auch sagen kann, die Verwaltungsbehörde die Rechtsbeständigkeit ihrer Handlungen selbst schon durch deren Vornahme für alle Regel der Fälle (so auch Pr. OVG Bd. 77 S. 161, Bd. 82 65 So auch von Hippe!, Fehlerhafte Staatsakte, S. 127 unter Hinweis auf das amerikanische EinbürgerungsG und die schweizerische Verwaltungsübung. Es käme sonst nur in Frage, ob nachträglich die Voraussetzungen für den Verlust durch Ausspruch der Behörde gegeben sind (vgl. §§ 27, 28 StAngG vom 22. Juli 1913). In der nat.-soz. Zeit ging man bekanntlich weiter (vgl. das G v. 14. Juli 1933). Nach Art. 16 GG darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden (was aber nur auf den Fall des ordnungsmäßigen Erwerbs zu beziehen ist). Vgl. jetzt auch § 24 G zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 (BGBI. I S. 65) und zu der ganzen Frage jetzt Reck, Der Widerruf der erschlichenen Einbürgerung, in DÖV 1958 s. 913 ff.
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S. 51, Bd. 84 S. 176). Dieser Grundsatz ist insofern wichtig, als die Verwaltungsverfügung, wie bereits bemerkt, solange sie besteht und nicht aufgehoben ist, als bestehend zu achten und zu behandeln ist, wie von anderen Behörden, insbesondere auch von den Gerichten, so auch von den einzelnen (vgl. auch o. § 5); wird sie aber von dem Beteiligten nicht rechtzeitig mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten, so kann die Fehlerhaftigkeit von ihm nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sie auch u. U. - sei es von Amts wegen oder infolge einer Gegenvorstellung bzw. Dienstaufsichtsbeschwerde- noch von der Verwaltungsbehörde aus diesem Grunde auch noch nach Eintritt der förmlichen Rechtskraft beseitigt werden kann (vgl. auch u. Ziff. X) 66 • Für alle Fälle aber ist noch zu sagen - und das ist für die Einlegung von Rechtsmitteln und die daraufhin ergehende Entscheidung von besonderer Bedeutung-, daß es nicht darauf ankommt, daß die Verwaltungsverfügung als eine willentliche Anordnung gerade durch die gesetzlichen Vorschriften gerechtfertigt ist, auf welche sich die Verwaltungsbehörde beruft, wenn sie nur durch irgendeine sonstige Vorschrift gedeckt wird, d. h. in ihr eine genügende rechtliche Grundlage hat, mag sie auch im Widerspruch zu den in ihr selbst angeführten Vorschriften stehen und durch sie nicht selbst gedeckt sein67 •
IX. Die Rechtskraft Zu unterscheiden ist zwischen der förmlichen und der sachlichen Rechtskraft oder der Rechtskraft im förmlichen und im sachlichen Sinne. Gibt es solche Rechtskraft auch bei der Verwaltungsverfügung?
a) D i e f ö r m 1 i c h e R e c h t s k r a f t Sie besteht darin, daß die Verwaltungsverfügung - ganz ähnlich wie dies für das Urteil im bürgerlichen Rechtsverfahren gilt- mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angefochten werden kann, d. h. nicht im Verwaltungswege, im Verwaltungsrechtswege oder im ordentlichen Rechtswege (vgl. u. 5. Buch). Dies gleichviel, ob die Rechtsmittelfrist unbenutzt verstrichen ist, d. h. ohne daß ein Rechtsmittel rechtzeitig eingelegt worden ist, der Rechtsmittelzug durchlaufen, oder auf die Einlegung des Rechtsmittels verzichtet oder es zurückgenommen worden 66 Im Falle des Widerrufs kann ein gegen die frühere Verfügung gerichtetes Streitverfahren noch wegen der Kosten fortgesetzt werden (vgl. Pr. OVG Bd. 19 S. 223, Bd. 37, S. 233). Vgl. § 128 südd. VGG u. jetzt§§ 113, 161 VwGO. 67 Vgl. Pr. OVG Bd. 99 S. 194, Müntzner im VerwArch. 1938 S. 118, Merk in Arch. d. öff. R Bd. 74 S. 376. Z. T. a. A. LVG von Rheinland-Pfalz in DVBI. 1953 S. 78. Diese Mängel können ggf. durch nachträgliche Erklärung auch noch im Verwaltungsstreitverfahren behoben werden. Vgl. Pr. OVG Bd. 6 S. 366, Bd. 45 S. 429.
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ist. So hieß es z. B. in abgekürzter Weise in § 65 G über das Verfahren in Versorgungssachen vom 10. Januar 1922 (RGBL I S. 59): "Bescheide und Urteile sind rechtskräftig, soweit sie für beide Parteien unanfechtbar sind." Es steht aber auch, wie schon bemerkt, nichts im Wege, daß die Verwaltungsbehörde, z. B. eine Polizeibehörde, ihrer unanfechtbar gewordenen Verwaltungsverfügung eine neue, wenn auch gleichen Inhalts, folgen läßt, wenn sie es aus irgendwelchen Gründen für angemessen erachtet, ohne die frühere lediglich wiederholen zu wollen - so daß, wenn die Verfügung unanfechtbar geworden ist, der Rechtsmittelzug nicht mehr offenstünde: bloßer nicht anfechtbarer Hinweis auf die frühere Verfügung, vgl. Pr. OVG Bd. 95 S. 145 -,sondern vielmehr um sie zu ersetzen, soweit es zulässig ist, z. B. wenn sie zu dem Einzelfalle in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht neue Stellung einnimmt und dabei die betreffende Anordnung, z. B. der Impfung, wiederholt und ausdrücklich eine neue Rechtsmittelbelehrung hinzufügt (vgl. Pr. OVG Bd. 92 S. 108, Bd. 94 S. 123); in einem solchen Falle stehen dem Betroffenen die Rechtsmittel zur Anfechtung der Verfügung von neuem zur Verfügung 68 • Auch einer unanfechtbar und vollziehbar gewordenen- z. B. polizeilichen- Verwaltungsverfügung gegenüber, die eine "fortdauernde Wirkung ausübt", aber ist der Betroffene berechtigt, die Aufhebung oder Abänderung dieser Anordnung zu verlangen, wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen sich inzwischen dahin geändert haben, daß die frühere polizeiliche Gefahr jetzt nicht mehr besteht; wird ein dahingehender Antrag auf Aufhebung bzw. Anwendung eines anderen Mitt€ls, durch das die Gefahr behoben werden kann und zu dessen Anwendung der Antragsteller bereit und in der Lage ist, von der Polizei abgelehnt, so liegt darin eine neue polizeiliche Verfügung, gegen die ein selbständiges Rechtsmittel gegeben ist (vgl. hierzu § 43 pr. PVG und Pr. OVG Bd. 85 S. 285). b) Die sachliche Rechtskraft Sie setzt grundsätzlich den Eintritt der förmlichen Rechtskraft voraus. Sie würde entsprechend der sachlichen Rechtskraft in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bestehen in der Bindung an den Inhalt der einmal erlassenen Verfügung, und zwar sowohl auf seiten der Verwaltungsbehörde, welche die Verfügung erlassen hat, wie auch der sonstigen Verwaltungsbehörden als auch auf seiten der Beteiligten, für oder gegen welche die Verwaltungsverfügung ergangen ist, so daß für dieselbe Verwaltungssache, hinsichtlich der eine Verwaltungsverfügung ergangen ist, nicht noch einmal ein Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt as Vgl. Pr. OVG Bd. 7 S. 252, Bd. 19 S. 222, Bd. 80S. 263, Bd. 81 S. 470, Bd. 100 S. 304, Bd. 101 S. 117. Vgl. auch Schultzenstein, Die Verwaltungsklage gegen wiederholte polizeiliche Verfügungen, VerwArch. Bd. 9 S. 95 ff.
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und im Widerspruch zu der früher ergangenen Verfügung, auch nicht durch eine etwaige andere Verwaltungsbehörde, eine neue Verfügung anderen, d. h. abweichenden, Inhalts ergehen könnte (vgl. entspr. §§ 318 u. 322 ff. ZP0) 6 D. Eine solche sachliche Rechtskraft gibt es bei Verwaltungsverfügungen jedoch grundsätzlich nicht im Gegensatz zu den Urteilen in der Verwaltungsrechtspflege über den Streitgegenstand (vgl. u. 5. Buch) zufolge des Rechtsgebildes der grundsätzlichen Änderbarkeit oder Widerruflichkeit der Verwaltungsverfügungen (vgl. u. Ziff. X).
X. Die Widerruflichkeit Nicht dahin zu rechnen ist der oben bereits erwähnte Fall der bloßen Berichtigung von Schreibfehlern und anderen offenbaren Unrichtigkeiten. Sie ist, ähnlich wie nach § 319 ZPO, jederzeit für zulässig zu erachten70. Hier handelt es sich nicht um eine sachliche Änderung einer ergangenen Verfügung, sondern um eine Richtigstellung einer versehentlich unrichtig abgegebenen, von dem wahren Willen der Verwaltungsbehörde nicht getragenen, Erklärung in der Verwaltungsverfügung. Im übrigen ist die Verwaltungsverfügung zwar verbindlich und wirksam für den, an den sie gerichtet ist, zufolge der Bekanntgabe (vgl. auch§ 91 RAbgO und o. Ziff. VI), und für die Verwaltung, solange siebesteht - sofern nicht ein unbedingter Nichtigkeits- oder Unwirksamkeitsgrund vorhanden ist - und sie nicht durch Widerruf oder Rücknahme aus der Welt geschafft oder ein sonstiger Erlöschungsgrund eingetreten ist, wie insbesondere bei auflösender Bedingung oder Endbefristung (wovon hier nicht weiter die Rede ist; vgl. dazu o. Ziff. V). Aber auch nur solange: nicht ist sie- grundsätzlich wenigstens- bindend in dem Sinne, daß sie nicht nachträglich geändert oder aufgehoben werden könnte. Das unterscheidet sie nicht nur von dem Urteil eines ordentlichen Gerichts im bürgerlichen Rechtsstreit, das, wenn einmal als Zwischen- oder Endurteil erlassen, d. h. verkündet ist, für das Gericht bindend ist (§ 318 ZPO) und, wenn es in der Sache über den erhobenen "Anspruch", d. h. über das durch Klage geltend gemachte Rechtsverhältnis ergeht, auch für jedes andere Gericht, das in derselben Sache angerufen wird und, soweit nichts anderes bestimmt ist -nämlich Wirkung "für und gegen alle" hat -, für die Parteien des Rechtsstreits und ihre Rechtsnachfolger inhaltlich bindend ist (vgl. §§ 322 ff. ZPO), also auch dort, wo der ordentliche Rechtsweg in Verwaltungsrechtssachen gegeben ist; sondern auch - und gerade darin besteht der Hauptunterschied zwischen der Verwaltungsverfügung und dem verwaltungsgerichtlichen Urteil - von dem verwaltungsgerichtlichen Urteil, das 69 Vgl. Stein, Erl. Buch zur ZPO (10. A.), Bem. zu§ 322 (Bd. 1 S. 801 ff.). 70 Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 214.
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grundsätzlich bei der Entscheidung in der Sache (über den Streitgegenstand) der sachlichen Rechtskraft fähig ist, im Gegensatz zur Verwaltungsverfügung (vgl. dazu u. 5. Buch). Diese ist gerade umgekehrt grundsätzlich im Gegensatz zum gerichtlichen Urteil im weitesten Umfang widerruflich durch die Verwaltungsbehörde, welche die Verwaltungsverfügung erlassen hat, wie auch aufhebbar durch die vorgesetzte Verwaltungsbehörde; vgl. dazu § 50 Abs. 3 pr. LVG von 1883, § 43 bad. VerfO von 1884, § 141 LVO für Thüringen; ferner BVerwGE Bd. 2 S. 403, Bd. 5 S. 313. Auszugehen ist jedenfalls von der Widerruflichkeit der Verwaltungsverfügung, wenn das Gemeinwohl es aus überwiegenden Gründen gegenüber den Belangen des einzelnen erfordert, ja u. U. auch zugunsten des einzelnen, wie insbesondere im Falle einer ungerechtfertigten oder unbilligen Benachteiligung. Neben der Rücknahme einer Verwaltungsverfügung wegen Fehlerhaftigkeit (vgl. o. Ziff. VIII) steht die Widerruflichkeit fehlerfreier Verwaltungsverfügungen i. e. S. Ermöglicht wird dies dadurch, daß die Verwaltungsverfügung eine einseitige rechtsgeschäftliche Willenserklärung der öffentlichen Verwaltung ist, und zwar ein Gestalten bestimmter einzelner gegebener Sachverhalte- und nicht ein Urteilen wie bei den Gerichten, d. h. ein Entscheiden über Rechtsverhältnisse - darstellt, was hier durchaus vorherrscht. Dagegen ergibt sich die Bindung an rechtsgeschäftliche Willenserklärungen im bürgerlichen Recht vor allem daraus, daß es sich hier regelmäßig um zweiseitige Rechtsgeschäfte, um Verträge, handelt, so daß ein freier Widerruf einer Parteierklärung, die Bestandteil eines Vertrags geworden ist, nicht in Frage kommen kann, wie dies ganz ähnlich auch für die Verwaltungsverträge (vgl. u. § 33) gilt71 ; im übrigen besteht eine Bindung an einseitige rechtsgeschäftliche Willenserklärungen unter Lebenden im bürgerlichen Recht nur in bestimmten Fällen aus Gründen der Rechtssicherheit (vgl. z. B. §§ 145, 657 ff., 875 BGB; vgl. auch o. § 30 Ziff. II). Die öffentlichen Belange gebieten in der Verwaltung einen anderen Standpunkt als bei den Urteilen der bürgerlichen Rechtspflege wie auch der Verwaltungsrechtspfl.ege; hier soll bindend für die beteiligten Parteien wie auch für das Gericht auf Grund streitiger Verhandlung i. S. einer Beurteilung festgestellt werden, was im Einzelfalle rechtens ist, weshalb auch das Urteil, wenn es in förmlicher Hinsicht rechtskräftig geworden ist, nicht nachträglich von dem erlassenden Gericht zurückgenommen oder geändert werden kann, von dem Wiederaufnahmeverfahren hier abgesehen (vgl. auch Pr. OVG Bd. 81 S. 466, 469, Bd. 100 S. 306); nach dem bereits angeführten § 318 ZPO ist das Gericht an die in einem End- oder Zwischenurteil getroffene Entscheidung von dem Erlasse an gebunden. Hier dagegen ist die nachträgliche Aufhebung oder Änderung durch die Verwaltungsbehörde 11
Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 334.
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grundsätzlich rechtlich möglich und zulässig, und zwar durch dieselbe Behörde, welche die Verwaltungsverfügung erlassen hat, oder durch die vorgesetzte Behörde. Es handelt sich hier nämlich darum, wie die öffentliche Verwaltung für die Zwecke der Gemeinschaft nach den im Augenblick jeweils vorliegenden Bedürfnissen entsprechend den gegebenen besonderen Verhältnissen des Einzelfalles am besten und zweckmäßigsten tätig werden kann; nicht eine Feststellung, was im Einzelfalle rechtens ist, sondern eine zweckmäßige Gestaltung von einzelnen gegebenen Sachverhalten im Bereiche der öffentlichen Verwaltung steht hier in Frage. Vgl. auch Pr. OVG Bd. 100 S. 306: "Wie das OVG wiederholt ausgesprochen hat72, sind polizeiliche Verfügungen einer Rechtskraft in demselben Sinne wie Urteile überhaupt nicht fähig, insbesondere sind die Polizeibehörden selbst nicht gehindert, ihre Verfügungen, auch wenn sie unanfechtbar geworden sind, zurückzuziehen und durch andere zu ersetzen im Gegensatz zum Urteil, das von dem erlassenden Gericht niemals zurückgenommen werden kann (OVG Bd. 81 S. 466, 469)." Dies gilt nicht nur bei einer Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, z. B. bei der Herabsetzung oder Entziehung von Renten in der Rentenversicherung der Arbeiter (vgl. § 608 RVO) wegen Minderung oder Behebung der Berufsunfähigkeit (Invalidität) oder bei Ausgleichsleistungen (Änderungen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Kriegsschadenrente nach § 343 LAG v. 14. Aug. 1952, BGBI. I S. 446) oder bei Wegfall der Voraussetzungen einer Anforderung (§ 43 BLeistG}, sondern auch ohne eine solche Änderung der Verhältnisse (vgl. Pr. OVG Bd. 19 S. 383) schon bei geänderter Ansicht. Vgl. z. B. auch § 1300 RVO, wonach der Träger der Rentenversicherung, wenn er sich bei erneuter Prüfung überzeugt, daß eine Leistung zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt oder zu niedrig festgestellt ist, er sie neu festzustellen hat; entsprechend § 619 bei der Unfallversicherung. Vgl. auch §§ 40, 41 KriegsopferVersVerwVerfG vom 2. Mai 1955 (BGBI. I S. 202), abg. durch das G vom 27. Juni 1960 (BGBI. I S. 453). Mit anderen Worten: Eine sachliche Rechtskraft kommt der Verwaltungsverfügung, auch wenn sie förmliche Rechtskraft erlangt hat, grundsätzlich nicht zu (so auch BGHZ Bd. 9 S. 129). Es geht nicht an, das Rechtsgebilde der sachlichen Rechtskraft, das sich im gerichtlichen Verfahren entwickelt hat und dort zur Erzielung eines dauernden Rechtsfriedens unter den Parteien seinen guten Sinn hat, auf das ganz anders geartete Verwaltungsverfahren ohne weiteres übertragen zu wollen, wo es diesen Sinn gerade nicht hat. Eine dauernde Bindung wäre hier eine unheilvolle Fesselung der Verwaltung, da grundsätzlich für jeden Augenblick 72 Vgl. z. B. Pr. OVG Bd. 23 S. 163. Vgl. jetzt auch BVerwGE Bd. 2 S. 243. - Vgl. übrigens auch schon 1. 14 D 42, 1 (Celsus): "Quod iussit vetuitve praetor, contrario imperio tollere et remittere licet: de sententiis contra." Vgl. für das franz. R entsprechend Waline, Droit admin. 8. A. (1959) S. 511.
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die wahren Belange des Gemeinwohls im Vordergrund stehen sollen. Die Verwaltungsverfügungen sind daher "Kinder des Augenblicks". Danach ergibt sich, daß die Rechtseinrichtung der sachlichen Rechtskraft dem Wesen der Verwaltungsverfügung nicht als angemessen erscheint. Aber selbst wenn man, wie z. B. das Österreichische Recht, grundsätzlich von der Rechtskraftsfähigkeit der Verwaltungsverfügung ausgehen wollte (vgl. § 68 österr. Allg. VerwVerfG v. 21. Juli 1925 i. d. F. v. 1948, BGBl. Nr. 49 u. 244), so müßten doch weitgehende Vorbehalte zur wirksamen Wahrnehmung der öffentlichen Belange gemacht werden; praktisch spielt es keine große Rolle, ob man unter dem Gesichtspunkt vor allem der Wahrnehmung der öffentlichen Belange von der grundsätzlichen Widerruflichkeit der Verwaltungsverfügung als der entsprechendsten Gestaltung der Verwaltungsverfügung ausgeht und Vorbehalte zugunsten der Rechte und Rechtsstellungen des beteiligten einzelnen macht - wie das deutsche Recht - , oder aber von der grundsätzlichen Rechtskraftsfähigkeit mit dem Vorbehalt der Wahrnehmung der öffentlichen Belange: es muß hier wie dort ein billiger Ausgleich zwischen den Belangen der Allgemeinheit und denen des einzelnen herbeigeführt werden, wenn sich eine befriedigende Gestaltung ergeben soll (was auch für die Österreichische Regelung zutriffW 3 • Daß 73 Vgl. § 68 a. a. 0.: (1) "Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der§§ 69 und 71"- d. h. Wiederaufnahme des Verfahrens und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - "die Abänderung eines der Berufung" d. h. (vgl. § 63) der Beschwerde - "nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Absätzen 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. (2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechts von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden. (3) Andere Bescheide kann in Wahrung des öffentlichen Wohles die Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, oder die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde insoweit abändern, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Mißständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. In allen diesen Fällen hat die Behörde mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen. (4) Außerdem können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid a) von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde, b) einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde, c) tatsächlich undurchführbar ist oder d) an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet. (5) Nach Ablauf von drei Jahren nach dem im § 63, Absatz 5 bezeichneten Zeitpunkt ist eine Nichtigerklärung aus den Gründen des Absatzes 4, a, nicht mehr zulässig. (6) Die der Behörde in den Verwaltungsvorschriften eingeräumten Befugnisse zur Zurücknahme oder Einschränkung einer Berechtigung außerhalb
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bei. Verwaltungsverfügungen, die eine dauernde Regelung enthalten, bei einer Änderung der Verhältnisse eine Änderung oder Aufhebung in Frage kommt, bedarf hiernach keiner weiteren Ausführung. Nach § 43 pr. PVG hat der Betroffene, wenn nach Erlaß der polizeilichen Verfügung die Voraussetzungen - sei es in tatsächlicher oder in rechtlicher Hinsicht (vgl. Pr. OVG Bd. 93 S. 93) - für ihre Aufrechterhaltung fortfallen, falls sie eine fortdauernde Wirkung ausübt, sogar einen Rechtsanspruch auf die Aufhebung; die Ablehnung der Aufhebung gilt als polizeiliche Verfügung (vgl. auch Pr. OVG Bd. 81 S. 406). Vgl. auch noch z. B. das G über die Beschränkung der Nachbarrechte gegenüber Betrieben, die für die Volksertüchtigung von besonderer Bedeutung sind, vom 13. Dez·ember 1933, wonach die Erlaubnis (Genehmigung) jederzeit widerrufen werden kann. Jedoch sind hier z. T. vielfach Beschränkungen, vor allem unter billiger Rücksichtnahme auf die Verhältnisse der Beteiligten, wie sie sich auf Grund der einmal ergangenen Verwaltungsverfügung ergeben haben, vorgesehen; vgl. z. B. §§ 20, 21 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125). Eine Schranke für die freie Widerruflichkeit besteht hier grundsätzlich insoweit, als es sich um begünstigende Verwaltungsverfügungenalso im Gegensatz zu belastenden Verwaltungsverfügungen- handelt. So vor allem insoweit, als der einzelne durch die Verfügung ein Recht - gleichviel, ob des öffentlichen oder bürgerlichen Rechts - erworben hat74 • So z. B. bei der Verleihung des Bergwerkeigentums, wenn auch hier unter gewissen Voraussetzungen eine Entziehung in Frage kommen kann (vgl. z. B. § 65 pr. BergG von 1865 und im übrigen u. § 61), bei der Übertragung des Eigentums im Falle der Enteignung (wenn auch hier z. T. nach Landesrecht unter gewissen Voraussetzungen im Falle des Nichtgebrauchs eine Rückgängigmachung binnen bestimmter Frist oder ein Vorkaufsrecht in Frage kommen kann), ferner, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, bei der Verleihung eines öffentlichen Unternehmens oder eines Sondernutzungsrechts, die ohne zeitliche oder mit fester zeitlicher Beschränkung und ohne Widerrufsvorbehalt ausgesprochen worden ist. Anders ist es nur, wenn die ergangene Verwaltungsverfügung gesetzwidrig, d. h. im Widerspruch mit den Gesetzen erfolgt ist, also fehlerhaft ist, soweit nicht, wie bei zwingenden gesetzlichen Vorschriften, sich Nichtigkeit ergibt, nicht dagegen, wenn sie infolge eines Irrtums, z. B. auch hinsichtlich der Zweckmäßigkeit bei der eines Berufungsverfahrens bleiben unberührt. (7) Auf die Ausübung des der Behörde gemäß den Absätzen 2 bis 4 zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechtes steht niemandem ein Anspruch zu. Mutwillige Aufsichtsbeschwerden und Abänderungsanträge sind nach § 35 zu ahnden." 74 Vgl. auch Pr. OVG Bd. 38 S. 236, ferner Sommer, Der Widerruf von VerwAkten, in DÖV 1954 S. 655 ff.
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Ausübung freien Ermessens oder unter Verstoß bloß gegen innerdienstliche Verwaltungsvorschriften, ergangen ist, soweit nichts anderes bestimmt ist; sie kann in jenem Falle auch dann zurückgenommen (vgl. o. Ziff. VIII) werden, wenn ein Dritter Rechte erlangt haF5 • Eine Einschränkung der Rücknahmebefugnis kann sich jedoch unter dem Gesichtspunkte von Treu und Glauben i. S. eines Vertrauensschutzes ergeben, wenn die Verwaltungsverfügung zwar gesetzwidrig war, aber der Begünstigte sich auf die Rechtsbeständigkeit verlassen durfte, was aber die Rücknahme bei dem Bezug regelmäßiger dauernder Leistungen jedenfalls für die Zukunft nicht ausschließt (vgl. dazu BVerwGE Bd. 8 S. 261, 304, Bd. 10 S. 158; bedenklich weitgehend dagegen Bd. 9 S. 251 bei Dauerregelungen - Versorgungsansprüchen -; zutreffend dagegen mit der Unterscheidung von vergangenen und zukünftigen Leistungen Bd. 10 S. 309). Soweit danach die Widerruflichkeit einer Verwaltungsverfügung gesetzlich ausgeschlossen ist, kann sie, da es sich um öffentliches Recht handelt, nicht dadurch zulässig sein, daß der Beteiligte darauf verzichtet (vgl. Pr. OVG Bd. 10 S. 288). Dahin gehört auch außer der Verleihung von Rechten i. e. S. auch die Verleihung gewisser fester RechtssteUungen, rechtlicher Fähigkeiten und Eigenschaften an die Person, wie z. B. auch die Verleihung der Rechtspersönlichkeit, Ernennungen76, wie namentlich gewisse sog. "Formalhandlungen", wie insbesondere die Einbürgerung (vgl. dazu auch o. Ziff. VIII). So kann insbesondere auch die Rechtsstellung als Beamter auf Lebenszeit- von dem Falle der Zurruhesetzung hier abgesehen, die aber neben dem kraft Gesetzes bei Erreichung eines bestimmten Lebensalters eintretenden Ruhestandes nur verhältnismäßig selten noch in Frage kommen dürfte nur unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere im Dienststrafverfahren, entzogen werden, von den Fällen der Beendigung des Beamtenverhältnisses kraft Gesetzes (infolge Verurteilung zur Zuchthausstrafe, strafgerichtlicher Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter usf.) hier abge75 Vgl. BGHZ Bd. 1 S. 223 ff., Bd. 12 S. 373; BVerwGE Bd. 8 S. 333. Vgl. auch § 1744 RVO (Änderungen endgültiger Bescheide der Versicherungsträger möglich, wenn Gründe für die Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen). Vgl. auch Baring, Zum Widerruf von VerwAkten, in DVBL 1953 S. 426 und Jellinek, Die bad. Verw. Reform von 1863 und der Widerruf von VerwAkten, in DÖV 1953 S. 625 f. 76 Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 346. Dagegen hat das Pr. OVG (vgl. Bd. 84 S. 450 ff.) früher angenommen, daß die Verfügung über die Versetzung in den Ruhestand nach deren Erlaß und auch nach dem Wirksamwerden durch Bekanntgabe usf. bis zum lokrafttreten aus Gründen des öff. Wohls widerrufen werden könne, auch wenn ein Dienststrafverfahren zum Zwecke der Herbeiführung der Entlassung noch nicht eingeleitet war (vgl. dazu auch noch § 75 Ziff. 2 RBG i. d. F. d. Bek. v. 18. Mai 1907, des G v. 16. Mai u. der VO v. 23. Okt. 1923 u. § 78 Abs. 1 DBG, wonach die Verfügung über die Versetzung in den Ruhestand dem Beamten schriftlich mitzuteilen und sie bis zum Beginn des Ruhestandes zurückgenommen werden kann. Entspr. jetzt§§ 37,47 BBG.
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sehen. Weiter wird aber auch der Widerruf einer Genehmigung von Rechtsgeschäften (vgl. o. § 31 Ziff. II), wenn sie einmal dem Beteiligten gegenüber durch Bekanntgabe (Zustellung usw.) wirksam geworden ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nicht als zulässig zu erachten sein, wenn sie auch zu Unrecht oder infolge eines Irrtums erteilt worden ist (vgl. Pr. OVG Bd. 36 S. 398, Bd. 41 S. 1), weil dadurch das genehmigte Rechtsgeschäft usw. voll wirksam geworden ist77 • Es kommen auch sonst vielfach gewichtige Belange der Volksgenossen in Betracht, die sich an eine einmal ergangene Verwaltungsverfügung knüpfen und durch deren Widerruf in Mitleidenschaft gezogen werden können. Hier ergibt sich die Notwendigkeit eines billigen Ausgleichs zwischen den Belangen der Allgemeinheit an einer möglichst zweckmäßigen Gestaltung der Verwaltung nach den jeweilig vorliegenden Verhältnissen und Bedürfnissen des Einzelfalles und den berechtigten Belangen des einzelnen, der Arbeit und Geld auf eine gestattete Tätigkeit verwendet, u. U. kostspielige Aufwendungen - auch außer den Fällen der Verleihung von öffentlichen Unternehmen oder von Sondernutzungsrechten, wo persönliche öffentliche Rechte erlangt werden-, z. B. auch bei Erlaubnissen, wie z. B. von gefährlichen Anlagen nach § 16 GewO, gemacht hat. Deshalb ist vielfach vorgesehen, daß nur unter gewissen einschränkenden Voraussetzungen der Widerruf stattfinden kann; das bedeutet also eine Einschränkung der freien Widerruflichkeit, wie sie an sich besteht. Wenn durch die Rechtsordnung der freie Widerruf infolge des Erwerbs eines "Rechts" durch jemanden, wie z. B. nach der bad. VerfO vom 31. August 1884 (§ 43) ausgeschlossen ist, hat man vielfach wegen der großen Tragweite solcher Bestimmungen weitere Untersuchungen darüber angestellt, wann einem Beteiligten ein "Recht" in diesem Sinne erwachsen sei, und so hat man gerade bei gewerbepolizeilichen Erlaubnissen in Lehre und Rechtshandhabung in Ermangelung besonderer Vorschriften insbesondere angenommen, daß, wenn jemand auf Grund einer Bauerlaubnis mit der Ausführung des Baues begonnen oder auf Grund einer gewerbepolizeilichen Erlaubnis einen Gewerbebetrieb eingerichtet und ausgeübt hat, der Betreffende ein festes Recht erworben habe, das dem freien Widerruf entgegenstehe. Wenn dem auch im Ergebnis zugestimmt werden kann, so erscheint die Begründung doch nicht voll überzeugend. Bezüglich der polizeilichen Erlaubnis ist zu sagen: insbesondere bei der Bauerlaubnis, wenn auf Grund davon mit dem Bau begonnen wurde- wie dies z. T. auch ausdrücklich in den Baupolizeigesetzen bestimmt ist -, würde durch einen Widerruf der Bauerlaubnis in den auf Grund der Bauerlaubnis und die Bauausführung herbeigeführten Besitzstand78, und in das 77 Vgl. dazu die entsprechende Regelung in § 55 FGG. Der Widerruf kann nicht mehr widerrufen werden; vgl. Pr. OVG Bd. 73 S. 328, Bd. 95 S. 111. 78 0. Mayer, Theorie d. franz. VerwR S. 159, 189 f., 306.
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Eigentum am Baugrundstück eingegriffen werden, wenn rechtmäßig auf Grund der Bauerlaubnis gebaut worden ist. Hier würde ein widerrechtlicher Eingriff in den durch die Grundrechte geschützten Bereich von Freiheit und Eigentum vorgenommen werden, aber auch ein Verstoß gegen Treu und Glauben anzunehmen sein, wenn auf Grund der Bauerlaubnis und des darauf gegründeten Vertrauens mit der Ausführung begonnen wurde (so zutreffend Sächs. OVG in Jahrbuch Bd. 38 S. 312), so daß dagegen mit Erfolg angegangen werden kann; hier würde es sich nicht mehr nur um den Widerruf der Bauerlaubnis als solcher handeln. Überdies könnte, wenn entsprechend den sachlich-rechtlichen Bauvorschriften und den sonstigen in Betracht kommenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen (z. B. über die Baufluchten) der Bau ausgeführt ist, dessen Beseitigung nicht verlangt werden, da ja das Erfordernis der Bauerlaubnis nur den Zweck hat, polizeiwidrigem, d. h. vorschriftswidrigem, Bauen vorzubeugen. Ähnliches hat hinsichtlich der sog. gefährlichen Anlagen nach §§ 16 ff. GewO zu gelten (vgl. auch § 25 das.) oder wenn sonst auf Grund einer Erlaubnis besondere Anstalten getroffen worden sind. Hinsichtlich eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs - gleichviel, ob auf Grund einer erforderlichen gewerbepolizeilichen Erlaubnis oder nicht - aber hat sich, ausgehend von dem Warenzeichenrecht und Wettbewerbsrecht die Auffassung durchgesetzt, daß hier ein persönliches, gegen jedermann wirksames Recht ("sonstiges" Recht i. S. des § 823 Abs. 1 BGB) besteht und danach gegen widerrechtliche unmittelbare Eingriffe in den Bereich des Gewerbebetriebs geschützt ist, nicht nur gegenüber unmittelbaren Eingriffen in seinen Bestand, wie früher das Reichsgericht angenommen hat, sondern gegen jede einen unmittelbaren Eingriff in den Bereich des Gewerbebetriebs darstellende Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung78 • Anders aber wiederum, wenn z. B. die Bauerlaubnis durch unrichtige Zeichnungen oder Unterlagen herbeigeführt worden ist; in diesem Falle kann sie, wie z. B. nach Art. 114 württ. BauO vom 28. Juli 1910, von der Behörde, die sie erteilt hat, jederzeit, als rechtswidrig und fehlerhaft erwirkt, zurückgenommen werden. Aber nicht nur, wenn eine Verwaltungsverfügung gesetzwidriger Weise erteilt worden ist, kann eine erteilende Verwaltungsverfügung zurückgenommen werden, sondern auch, wenn die ihr beigefügten Auflagen nicht eingehalten werden, falls deren Erfüllung nicht erzwungen wird (vgl. auch BGHZ Bd. 24 S. 102). Zutreffend bemerkt daher das Pr. OVG (Bd. 70S. 433): "Ist die zur Ausübung des Rechts des Eigentümers zur Bebauung seines Grundstücks (§ 65 Tit. 8 Teil I Allg. LR, § 903 BGB) erforderliche behördliche Erklärung, daß einem genehmigungspflichtigen Bauvorhaben nach dem geltenden öffentlichen Recht Hindernisse nicht entgegenstehen, einmal ab70
Vgl. insbesondere Nipperdey in DVBl. 1958 S. 445 ff.
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gegeben und der Bau danach ausgeführt, so ist der Anspruch auf Prüfung hinsichtlich des unveränderten Baus erloschen." Ebenso ist in weiteren Fällen der Polizeierlaubnis der Widerruf ausdrücklich ausgeschlossen oder sachlich oder zeitlich eingeschränkt, indem etwa bestimmt wird, unter welchen Voraussetzungen z. B. eine Erlaubnis widerrufen werden kann oder muß. Schon im Bereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die, wie früher ausgeführt, ihrer Art nach in vieler Hinsicht Ähnlichkeit mit der öffentlichen Verwaltung aufweist, findet sich ein entsprechender Grundsatz in § 18 FGG, wonach das Gericht, wenn es eine von ihm erlassene Verfügung nachträglich für unberechtigt erachtet, es berechtigt ist, sie zu ändern, soweit eine Verfügung nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen ist, jedoch nur auf Antrag. Es kann jedoch in den Gesetzen unter bestimmten Voraussetzungen eine nachträgliche Entziehung eines verliehenen Rechts oder einer erteilten Rechtsstellung ausdrücklich vorbehalten sein. So ist z. B. bestimmt, daß, wenn von einem verliehenen Recht bzw. einer Rechtsstellung innerhalb bestimmter Frist nicht Gebrauch gemacht wird, ein erlaubter Betrieb oder die erlaubte Anlage nicht innerhalb bestimmter Frist eröffnet ist, die erteilte Verleihung oder Erlaubnis, soweit sie nicht unmittelbar kraft Gesetzes erlischt, wieder entzogen werden kann; vgl. z. B. § 65 pr. BergG von 1865, wonach das Bergwerkseigentum durch das Oberbergamt aufgehoben werden kann, wenn trotz seiner Aufforderung das Bergwerk nicht in Betrieb gesetzt oder der Betrieb eingestellt wird und der Unterlassung oder Einstellung des Betriebes überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls entgegenstehen. So kann ferner nach dem- inzwischen aufgehobenen- bad. G vom 23. Juni 1900 (§ 9) die Genehmigung- d. h. die Verleihung- für den Bau und den Betrieb von Eisenbahnanlagen, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt sind und nicht vom Staate unternommen werden, für erloschen erklärt werden, wenn die Ausführung der Bahn oder die Eröffnung des Betriebes nicht innerhalb der in der Verleihung bestimmten Frist erfolgt. So bleibt weiter nach§ 25 GewO die erteilte "Genehmigung", d. h. Erlaubnis, nach den§§ 16 und 24 in Kraft, solange nicht eine Änderung in der Lage oder Beschaffenheit der Betriebsstätte vorgenommen wird, wogegen eine neue Erlaubnis bei einer Veränderung der Betriebsstätte und bei wesentlichen Veränderungen in dem Betriebe bei den Anlagen des § 16 notwendig ist. Ebenso finden sich Einschränkungen bezüglich des Widerrufs von- rechtsgültig erteilten (vgl. Pr. OVG Bd. 40 S. 302) Polizeierlaubnissen in§ 53 GewO, insbesondere für Privatkrankenanstalten usf., was wieder einen Umkehrschluß bezüglich der dort nicht aufgeführten gewerblichen Betätigungen ermöglicht; so ist auch die Entziehung der Bestallung der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte an bestimmte Voraussetzungen gebunden; vgl. § 5 RÄrzteO vom 13. Dezem-
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ber 1935 (RGBl. I S. 1433) und jetzt§ 5 BÄrzteO vom 2. Oktober 1961 (BGBl. I S. 1857), § 5 TierärzteO vom 3. April 1936 (RGBl. I S. 347) und § 4 G über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31. März 1952 (BGBl. I S. 221). Nach § 4 StrVerkG vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I S. 837) muß die Verwaltungsbehörde jemandem, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis entziehen, die mit der Entziehung erlischt. Vgl. ferner§§ 78, 88 ff. GüterkraftverkehrsG vom 17. Oktober 1952 (BGBl. I S. 697: Entziehung der Erlaubnis für denGüterfern-und Güternahverkehr) sowie §§ 2, 4, 5, 20 LuftVG i. d. F. vom 10. Januar 1959 (BGBl. I S. 9). Vgl. weiter z. B. §58 GewO bezüglich der Entziehung der Reisegewerbekarte, § 18 BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. vom 30. März 1961 (BGBl. I S. 304) wegen der Einziehung des Jagdscheins. Ein beschränkter Widerruf (u. Rücknahme) ist auch vorgesehen in§ 12 GaststG 80 • Im übrigen enthält§ 42 pr. PolizeiverwaltungsG vom 1. Juni 1931 eine allgemeine Beschränkung bezüglich des Widerrufs einer Polizeierlaubnis. Danach ist die Entziehung oder nachträgliche Einschränkung einer polizeilichen Erlaubnis oder Bescheinigung(§ 40), vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Bestimmungen, nur zulässig "c) 81 wenn und soweit im Falle der Änderung des bestehenden Rechts von der Erlaubnis oder Bescheinigung noch nicht Gebrauch gemacht worden ist und Tatsachen vorliegen, die nach dem neuen Rechte deren Versagung rechtfertigen würden; d) wenn Tatsachen nachträglich eintreten oder, abgesehen von b) der Polizeibehörde nachträglich bekannt werden, die die Polizeibehörde zur Versagung der erteilten Erlaubnis oder Bescheinigung berechtigt haben würden, sofern ohne die Zurücknahme der Erlaubnis oder Bescheinigung im einzelnen Falle eine Gefährdung polizeilich zu schützender Interessen eintreten würde"; der Widerruf oder die nachträgliche Beschränkung kann aus polizeilichen Gründen jederzeit erfolgen, wenn die Erteilung unter dem ausdrücklichen Vorbehalt des Widerrufs erfolgt oder die Widerruflichkeit gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist. - Auch dort, wo unter bestimmten Voraussetzungen ein persönliches öffentliches Recht auf Erteilung einer begünstigenden Verwaltungsverfügung besteht, wie z. T. bei Verleihungen und Erlaubnissen, kommt eine freie Widerrufsmöglichkeit nicht in Betracht, da es sinnlos wäre, wenn jemandem, der einen Anspruch auf die Vergünstigung hat, diese sofort wieder genommen 8o Danach kann die Erlaubnis zum Betrieb eines der in § 1 Abs. 1 GaststG bezeichneten Gewerbe oder zur Ausübung dieser Gewerbe durch einen Stellvertreter von der für die Erlaubniserteilung zuständigen Behörde unter den in§ 12, Ziff. 1, 3-6 aufgeführten Voraussetzungen zurückgenommen werden, nämlich insbesondere wenn der für die Zurücknahme zuständigen Behörde Tatsachen bekannt werden, welche die Versagung der Erlaubnis nach § 2 Abs. 1 Ziff. 1 oder 2 rechtfertigen würden oder wenn der Betriebsinhaber die ihm nach§ 11 gemachten Auflagen nicht vollzieht usf. 81 Wegen Buchst. a u. b vgl. o. Ziff. VIII b.
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werden könnte 82 • Soweit danach ·eine freie Widerrufsmöglichkeit nicht besteht, müssen die gesetzlich bestimmten besonderen Gründe für den Widerruf gegeben sein (vgl. auch wegen der Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsverfügungen o. Ziff. VIII). Neben den sachlichen Einschränkungen kann es auch zeitliche Beschränkungen des Widerrufs geben. Ein Beispiel dafür bot § 6 VO über die deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941 (Widerruf des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit nur binnen 10 Jahren seit der Einbürgerung zulässig). Vgl. auch die besondere Regelung in§§ 62 ff. BVersorgG i. d. F. vom 27. Juni 1960 (BGBL I S. 453). Doch hier überall handelt es sich um Ausnahmen von der dargelegten Regel, daß grundsätzlich der Widerruf jederzeit zulässig ist, und zwar nicht nur bei Veränderung der Verhältnisse (wie z. B. nach § 62 BVersorgG) - etwa entsprechend der für das Völkerrecht weitgehend vertretenen Ansicht von dem Vorbehalt der wesentlich geänderten Verhältnisse (sog. clausula rebus sie stantibus) mit Bezug auf die Erfüllung abgeschlossener Verträge-, sondern sogar bei geänderter Ansicht. Eine Rechtskraftwirkung, welche die Beteiligten und die Verwaltung binden würde, wie beim Urteil im bürgerlichen Rechtsstreitverfahren und in der Verwaltungsrechtspflege, würde, wie bereits bemerkt, eine große Hemmung für die wirksame Tätigkeit der Verwaltung zum Wohle der Allgemeinheit bilden. Auf der anderen Seite liegt gerade in der sachlichen Rechtskraftsfähigkeit einer verwaltungsgerichtlichen-wie auch der sonstigen gerichtlichen - Entscheidung die besondere Bedeutung dieses Verfahr·ens im Gegensatz zum reinen Verwaltungsverfahren. Von Bedeutung ist hierbei noch, wie schon bemerkt, daß der Eintritt der förmlichen Rechtskraft dem Widerruf nicht im Wege steht: Unanfechtbarkeit einer Verwaltungsverfügung durch einen Beteiligten und ihre Unabänderlichkeit decken sich im allgemeinen nicht! Es steht also, auch wenn ein Antrag eines einzelnen von der Verwaltungsbehörde, etwa auch von der vorgesetzten Behörde im Rechtsmittelverfahren, abgelehnt worden ist - soweit nichts anderes bestimmt ist -, nichts entgegen, einem unverändert neu gestellten Antrag unter Berücksichtigung der jetzt vorliegenden Verhältnisse und Auffassungen Folge zu geben. Freilich darf die Verwaltungsverfügung nicht willkürlich widerrufen werden, sondern, soweit nicht gesetzliche Widerrufsgründe einschränkend bestimmt sind, nur nach pflichtmäßigem freiem Ermessen, wenn überragende Gründe des öffentlichen Wohls es erfordern; die Entschließung muß durch sachgemäße Erwägungen unter angemessener Abwägung der Belange der Allgemeinheit und des in Betracht kommenden Beteiligten begründet sein. Im übrigen würde eine Verwaltungsbehörde, 82
Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 340.
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die heute so, morgen anders ohne ersichtlichen Grund- einer Wetterfahne vergleichbar- verfügen wollte, bald ihr Ansehen eingebüßt haben. Vorbildlich hat schon die badische VerfO vom 30. August 1884 die Frage der Änderbarkeit von Verwaltungsverfügungen in dem schon angeführten § 43 geregelt: "Die Behörde, von welcher eine Verfügung oder Entscheidung erlassen wird, oder die ihr vorgesetzte höhere Behörde kann solche abändern oder auch aufheben: 1) wenn durch die Verfügung oder Entscheidung nicht eine Partei einen gesetzmäßigen Anspruch bereits erworben hat - und in diesem Falle schon wegen geänderter oder abweichender Ansicht -, oder 2) wenn eine erteilte Bewilligung oder Genehmigung erschlichen oder im Widerspruch mit einer Vorschrift des Gesetzes oder einer Verordnung oder unzuständigerweise erteilt worden ist; 3) auf Antrag einer Partei, wenn durch spätere Verhandlungen das tatsächliche Verhältnis in wesentlicher Beziehung sich abweichend gestaltet. - Ist die Verfügung schon Gegenstand einer höheren Entscheidung geworden, so steht dies Recht nur der höheren Behörde zu, welche zuletzt materiell" - d. h. sachlich - "entschieden hat. Hiervon abgesehen ist der vorgesetzten Behörde jederzeit unbenommen, solche Weisungen, Anordnungen und Belehrungen zu erlassen, welche sich auf den Gegenstand der Verfügung oder Entscheidung im allgemeinen beziehen". Danach war also bei Verwaltungsbescheiden der jederzeitige Widerruf im allgemeinen freigegeben, jedoch mit Ausnahme bei der Verleihung von Rechten, aber auch hier die Rücknahme für den Fall der Gesetzwidrigkeit (einschließlich der Unzuständigkeit) und der Erschleichung. Von dem Fehlen der sachlichen Rechtskraft der Verfügungen geht auch die RAbgO vom 13. Dezember 1919 i. d. F. vom 22. Mai 1931 in den §§ 92 und 93 aus. Nach § 92 können bis zu ihrer Bekanntgabe Verfügungen zurückgenommen, geändert oder durch andere Verfügungen ersetzt werden; Entscheidungen, die auf Grund einer mündlichen Verhandlung verkündet werden, können nach ihrer Verkündung nicht mehr zurückgenommen oder geändert werden. Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten können auch nach der Bekanntgabe oder Verkündung berichtigt werden. Nach§ 93 RAbgO ist eine Behörde, wenn sie eine Verfügung nachträglich für unberechtigt erachtet, berechtigt, sie, soweit in den §§ 94-96 nichts Abweichendes bestimmt ist, zurückzunehmen oder zu ändern; wenn eine Verfügung nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist, darf die Verfügung nur auf Antrag geändert werden. Für die Fälle, wo eine begünstigende Verwaltungsverfügung erlassen worden ist, nämlich "eine Anerkennung, Genehmigung, Bewilligung oder Erlaubnis ausgesprochen worden ist, die den Beteiligten Befugnisse oder Vergünstigungen gewährt oder sie von Pflichten befreit", kann die Ver57 Merk
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fügung, soweit nicht der Widerruf oder weitere Bedingungen vorbehalten sind, nur unter den in § 96 angeführten Voraussetzungen zurückgenommen oder eingeschränkt werden83 • In eingeschränkter Weise findet sich das Widerrufsrecht in § 4 G über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 (RGBI. I S. 985), wonach der von einer deutschen staatlichen Hochschule verliehene akademische Grad von der Hochschule, die ihn verliehen hat, wieder entzogen werden kann außer, wenn er in fehlerhafter Weise erworben wurde, nämlich wenn sich herausstellt, daß er durch Täuschung erworben worden ist oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrigerweise als gegeben angenommen worden sind oder wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Inhaber der Verleihung eines akademischen Grades unwürdig war-, wenn sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten der Führung eines akademischen Grades unwürdig erwiesen hat; gegen die Entscheidung steht dem Betreffenden innerhalb eines Monats nach Zustellung die Beschwerde an den RWissenschaftsminister, d. h. jetzt den Landeskultusminister, ohne aufschiebende Wirkung zu; dieser kann auch eine von einer staatlichen Hochschule verfügte rechtskräftige Entscheidung über die Entziehung wieder aufheben84 • Bei abweisenden Verfügungen kann an sich auch ein Widerruf in Frage kommen; aber wo das Erfordernis eines Antrages besteht, wie z. B. bei einer Bauerlaubnis oder einer Erlaubnis sog. gefährlicher Anlagen nach§§ 16 ff. GewO oder einer Reisegewerbekarte, ist mit der endgültigen Abweisung eines gestellten Antrags dieser zunächst erledigt, soweit nichts anderes bestimmt ist. Es wird hier der in § 18 FGG ausgesprochene Grundsatz entsprechend anzuwenden sein, wonach, wenn eine Verfügung nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist, eine Änderung nur auf Antrag erfolgen kann. Vgl. auch den bereits oben angeführten§ 93 RAbgO. Man mag hier von einem "Verbrauch" des Antrags sprechen. Es steht aber nichts im Wege, 83 Nämlich 1. wenn die Verfügung von einer sachlich unzuständigen Stelle erlassen worden ist, 2. die tatsächlichen Verhältnisse sich geändert haben, die für den Erlaß der Verfügung maßgebend waren oder das Vorhandensein dieser tatsächlichen Verhältnisse auf Grund unrichtiger oder irreführender Angaben der Beteiligten irrtümlich angenommen worden ist, 3. wenn der Beteiligte die Bedingungen oder Verpflichtungen, die ihm bei der Gewährung der Vergünstigung auferlegt worden sind, nicht erfüllt oder eine nachträglich geforderte Sicherheit nicht leistet. Hat der Beteiligte die Verfügung durch unlautere Mittel, Täuschung, Zwang, Bestechung veranlaßt, so kann sie mit rückwirkender Kraft zurückgenommen werden. - Wegen der Rücknahme oder Änderung bei Steuerbescheiden, Feststellungsbescheiden usw. vgl. § 94 RAbgO. 84 So kann auch nach § 7 des "Statuts des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland" vom 7. Sept. 1951 (BGBL I S. 831) i. d. F. v. 9. Juni 1952 (BGBl. I S. 325) die Befugnis zum Tragen des Verdienstordens entzogen werden, wenn sich der Beliehene durch sein späteres Verhalten, insbesondere durch Begehen einer entehrenden Straftat, sich der Auszeichnung unwürdig erweist oder ein solches Verhalten nachträglich bekannt wird.
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daß ein neuer Antrag gestellt wird, auch wenn, wie bereits erwähnt, der Antrag etwa im Rechtsmittelverfahren von der vorgesetzten Behörde abgelehnt worden ist. Die abermalige Anbringung des das gleiche Ziel anstrebenden Antrags auf Grund der gleichen oder neuen Unterlagen, bei gleicher oder veränderter Sach- oder Rechtslage, ist mit der Wirkung zulässig, daß von der zuständigen Behörde erneut zu prüfen ist, ob dem Antrag stattzugeben ist oder er aus den früher geltend gemachten oder aus anderen Gründen abzulehnen ist (vgl. Pr. OVG Bd. 44 S. 363, Bd. 83 S. 362): es liegt eine neue Verwaltungssache, ein "neuer Verwaltungsfall", vor, und es kann nicht eingewendet werden, daß der betreffende Antrag bereits früher - was hier nur in Betracht kommt - aus sachlichen Gründen abgelehnt worden sei. Es kommt vielmehr maßgeblich auf die in dem jeweiligen Zeitpunkt vorliegende Verwaltungssache und die Verhältnisse im jeweiligen Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung an, eben unter dem Gesichtspunkte, was jetzt im Hinblick auf die Wahrnehmung des öffentlichen Wohls geboten oder zweckmäßig erscheint. Die auf den wiederholten Antrag ergehende Verfügung ist eine mit Rechtsmitteln anfechtbare Verfügung, auch wenn sie nur die früheren Ablehnungsgründe wiederholt (vgl. Pr. OVG Bd. 45 S. 411). Eine Einschränkung gilt aber ausnahmsweise nach bestimmter Richtung auf Grund besonderer Bestimmung. So fand sich in § 20 GaststG vom 28. April 1930 eine von der Regel abweichende Gestaltung, wonach, wenn die Wirtschaftserlaubnis i. S. d. § 1 d. G mangels eines Bedürfnisses85 - also nur aus diesem Grunde- versagt worden ist, innerhalb von drei Jahren nach Rechtskraft der Entscheidung die Erlaubnis für denselben oder einen gleichartigen Betrieb auf demselben Grundstück nur erteilt werden darf, wenn sich die Verhältnisse inzwischen wesentlich geändert haben; ähnlich bestimmt§ 6 WaffenG vom 18. März 1938 (RGBl. I S. 268), daß, wenn die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Herstellung usf. von Schußwaffen und Schießbedarf versagt oder zurückgenommen worden ist, innerhalb von 2 Jahren eine neue Erlaubnis nur erteilt werden kann, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Angeführt sei hier auch noch § 13 Abs. 2 GaststG, wonach die zuständige Behörde die Wiederaufnahme des Gewerbebetriebes (Kleinhandel mit Bier oder Wein sowie Ausschank von Milch) gestatten kann, wenn seit der Untersagung (weil der Gewerbetreibende den Betrieb einer Schankwirtschaft oder den Kleinhandel mit Branntwein ohne Erlaubnis ausgeübt hat und deshalb innerhalb der letzten 3 Jahre rechtskräftig bestraft worden ist; dazu § 25) mindestens 1 Jahr verflossen ist (vgl. auch noch§ 17); ebenso kann nach§ 35 Abs. 6 GewO ein Gewerbebetrieb erst nach Ablauf eines Jahres nach Durchführung der Untersagung wieder 85 Auf die Frage der Fortdauer der Geltung dieser Bestimmung im Hinblick auf§ 12 GG ist hier nicht näher einzugehen. Vgl. dazu u. § 46. 57•
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§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen
gestattet werden, wenn nicht besondere Gründe für eine frühere Wiederaufnahme vorliegen. Für die Regel ist davon auszugehen, daß eine Verwaltungsverfügung nur mit Wirkung für die Zukunft, "von jetzt ab", widerrufen werden kann. Ob eine Verwaltungsverfügung mit rückwirkender Kraft widerrufen bzw. zurückgenommen werden kann- außer den bereits oben behandelten Fällen der Erschleichung oder Erwirkung der Verwaltungsverfügung mit unlauteren Mitteln (widerrechtliche Drohung, Erpressung usw.) -, läßt sich m. E. nur bei fehlerhaften Verwaltungsverfügungen und nicht allgemein, sondern nur nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles sagen. So auch BVerwGE Bd. 6 S. 6 ff., die bei fehlerhafter Verwaltungsverfügung auf die Lage des Einzelfalls unter billiger Berücksichtigung der Belange des Betroffenen, im übrigen insbesondere auf den rechtlichen Inhalt der fehlerhaften Verwaltungsverfügung, den Grund der Widerruflichkeit und den mit dem Widerruf verfolgten Zweck abhebt; könne der Zweck des Widerrufs sinnvollerweise nur bei einer Rückwirkung ·erreicht werden, so werde die Behörde grundsätzlich auch in der Lage sein müssen, die rechtswidrige Verwaltungsverfügung mit rückwirkender Kraft zu beseitigen; so jedenfalls, wenn eine Verwaltungsverfügung mit Dauerwirkung nachträglich wieder beseitigt werden soll, wie bei der Gewährung einer Kriegsschadenrente nach dem LAG; ein Vertrauensschutz komme dann nicht in Frage, wenn der Beteiligte durch Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit seiner Angaben den Bescheid verschuldet habe. Es kann weiter unter bestimmten Voraussetzungen auch ein persönliches öffentliches Recht, ein Rechtsanspruch, eines Beteiligten auf Aufhebung einer Verwaltungsverfügung begründet sein. So kann z. B. nach dem oben bereits angeführten § 43 pr. PVG der Betroffene bei einer polizeilichen Verfügung, die fortdauernde Wirkung ausübt, d. h. bei sog. Dauerverfügungen, die Aufhebung verlangen, wenn die Voraussetzungen für ihre Aufrechterhaltung fortfallen. Die Ablehnung der Aufhebung gilt als polizeiliche Verfügung. Wie in diesem Falle eine Pflicht zur Aufhebung für die Verwaltungsbehörde besteht, so kann auch sonst eine Pflicht zum Widerruf einer Verwaltungsverfügung bestimmt sein. Vgl. z. B. § 5 RÄrzteO vom 13. Dezember 1935, wonach die Bestallung eines Arztes u. a. zurückzunehmen, d. h. zu widerrufen, ist, wenn ihm rechtskräftig die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden sind; so u. a. auch nach § 5 BÄrzteO vom 2. Oktober 1961. Vgl. ferner § 15 b StrVZO i. d. F. d. Bek. vom 29. März 1956 (BGBl. I S. 271), wonach, wenn jemand sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, ihm die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis entziehen muß; die Erlaubnis erlischt mit der Entziehung. Im allgemeinen aber besteht hier ein freies pflichtmäßiges Ermessen unter Wür-
Die Widerruflichkeit
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digung der vorliegenden besonderen Verhältnisse. So ist nach § 6 Abs. 1 Satz 2 der 1. DurchfVO zum G über den Fischereischein vom 21. April 1939 die erteilende Behörde berechtigt, den Fischereischein für ungültig zu erklären und einzuziehen, wenn nach Erteilung des Fischereiseheins der Inhaber einer Bedingung, Auflage oder Einschränkung (§ 5) zuwiderhandelt86 • Vgl. auch noch § 8 HebammenG vom 21. Dezember 1938 (RGBl. I S. 1893), wonach die Anerkennung als Hebamme unter den dort bezeichneten Voraussetzungen zurückzunehmen bzw. zu widerrufen ist bzw. werden kann, und§ 8 der 2. DurchfVO vom 13. September 1939 (RGBl. I S. 1764), wonach die untere Verwaltungsbehörde die Niederlassungserlaubnis unter den dort angeführten Voraussetzungen zu widerrufen hat. Endlich ist noch zu erwähnen, daß in§ 51 GewO ein allgemeiner Vorbehalt gemacht worden ist, wonach die fernere Benutzung einer jeden gewerblichen Anlage, also insbesondere einer sog. gefährlichen Anlage nach§ 16 GewO- nach§ 52 auch einer bei lokrafttreten der GewO bereits vorhandenen-, wegen überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl jederzeit durch die höhere Verwaltungsbehörde untersagt werden kann, vorbehaltlich der Beschwerde bzw. des Widerspruchs; aber in diesem Falle ist eine Entschädigung zu leisten, die im ordentlichen Rechtswege geltend gemacht werden kann87 • Bei solchen gewerblichen Tätigkeiten, die unbefugt ohne die vorgeschriebene Erlaubnis begonnen und fortgeführt worden sind, kann dagegen auf Grund der allgemeinen polizeilichen Befugnisse - und zwar hier ohne Entschädigungspflicht- vorgegangen werden (vgl. dazu u. § 46). Die Widerruflichkeit bzw. Unwiderruflichkeit kann auch für andere verwaltungsrechtlich erhebliche Willenserklärungen von Verwaltungsträgern als die Verwaltungsverfügungen in Betracht kommen: vgl. § 7 Abs. 4 ZweckverbandsG vom 7. Juni 1939, wonach die Erklärungen der Beteiligten, die Verbandsglieder des Zweckverbandes werden sollen und sich über die Verbandssatzung geeinigt haben, nur aus einem wichtigen Grunde widerruflich sind; über das Vorliegen eines wichtigen Grundes entscheidet die nach Abs. 2, a. a. 0., zuständige Behörde. Nach Bildung des Zweckverbandes sind die Erklärungen unwiderruflich. Ob im Falle des Widerrufs einer Verwaltungsverfügung ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch begründet wird, ist z. T. gesetzlich besonders geregelt, wie z. B. in §§ 20, 21 BWassReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125) und in§ 42 Abs. 1 Buchst. c und d in Verbindung mit§ 70 Abs. 2 pr. PVG oder aus allgemeinen Grundsätzen 86 Wegen der gleichzeitig dort bestimmten Rücknahmegründe wegen Fehlerhaftigkeit der Verfügung vgl. o. Ziff. VIII. 87 Ähnlich früher Art. 45 württ. Wass.G vom 1. Dezember 1900, §§ 84 f. pr. WasserG vom 7. Apri11913 hinsichtlich der verliehenen Wassernutzung.
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§ 32. Die Verwaltungsverfügung im einzelnen
zu entnehmen (vgl. u. 4. Buch, 4. Abschn.). Im übrigen kann sich u. U. aus der Aufhebung einer rechtswidrig ergangenen Verwaltungsverfügung für die Verwaltungsbehörde gegebenenfalls, auch abgesehen von einer Schadensersatzpflicht bei schuldhafter Amtspflichtverletzung nach Art. 34 GG und§ 839 BGB, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wie sie insbesondere § 812 BGB und § 717 ZPO zugrunde liegen, eine Pflicht, den zu Unrecht herbeigeführten Erfolg aus der Welt zu schaffen, ergeben (sog. Folgenbeseitigungsanspruch) 88• Wegen der Rechtsmittel gegen die Verwaltungsverfügung vgl. u. 5. Buch, wegen der Vollziehung hier u. 6. Abschn. Wegen der Beschränkung oder des Ausschlusses von Ansprüchen Dritter gegenüber Erlaubnissen oder Verleihungen auf Beseitigung nachteiliger Einwirkungen vgl. insbesondere § 26 GewO (u. § 46) sowie § 11 WasserhaushG vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1110) und § 19 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125).
88 Vgl. jetzt auch § 80 VwGO, ferner insbesondere Bachof, Die verw'gerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung (1951) S. 98 ff., Wolff, VerwR 2. A. (1958) S. 268, Dickmann, Die Beseitigung behördlicher Bewilligungen usf., in DÖV 1957 S. 284 und Bettermann, Zur Lehre vom Folgenbeseitigungsanspruch, in DÖV 1955 S. 528 ff. sowie Eyermann-Fröhler, VwGO, Bem. 18 ff. zu§ 42 (S. 166).
Dritter Abschnitt
Der Verwaltungsvertrag § 33. Der Verwaltungsverlrag1 I. Im allgemeinen Der Verwaltungsvertrag stellt, wie oben bereits bemerkt (vgl. § 30), das zweiseitige Verwaltungsrechtsgeschäft dar. Es ist schon hervorgehoben worden, daß und aus welchen Gründen dieses Rechtsgebilde gegenüber dem einseitigen Verwaltungsrechtsgeschäft, d. h. insbesondere der Verwaltungsverfügung, durchaus im Bereiche der öffentlichen Verwaltung zurücktritt. Ja, es kann die Frage aufgeworfen werden: gibt es überhaupt solche öffentlich-rechtliche Verträg·e im Bereiche der öffentlich·en Verwaltung? Während diese Frage für die Zeit des unbeschränkten Fürstenstaates mit Recht zu verneinen ist- nur bürgerlichrechtliche Verträge mit dem Staat als "Fiskus" kommen dort in Betracht-, gilt dies nicht in gleicher Weise für den liberalen und den sozialen Rechtsstaat. Während auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, wie oben erwähnt, das zweiseitige Rechtsgeschäft, der Vertrag, das regelmäßige Rechtsgeschäft zur Gestaltung der rechtlichen Beziehungen zwischen den einander gleichgeordneten einzelnen ist, ist dies auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung anders. Es ist jedoch im übrigen streitig, inwieweit von solchen Verwaltungsverträgen gesprochen werden kann, und wie groß ihr Anwendungsgebiet ist. Zunächst ist es die Frage, ob im Einzelfalle überhaupt ein öffentlichrechtlicher Verwaltungsvertrag oder aber ein bürgerlich-rechtlicher Vertrag in Betracht kommt, je nachdem nämlich, ob die beteiligten Rechtspersönlichkeiten als Träger öffentlicher Rechte und Pflichten mit Rechtsfolgen für den Bereich des öffentlichen Rechts, oder aber als Träger von bürgerlichen Rechten und Pflichten für den Bereich des bürgerlichen Rechts Verträge abschließen wollen 2• Als bürgerlich-rechtliche Verträge 1 Vgl. dazu insbesondere 0. Mayer, Der öff.-rechtl. Vertrag, in Arch. d. öff. R, Bd. 3 (1887) S. 1 ff.; Apelt, Der Verw. Vertrag (1929); Kormann, Rechtsgesell. Staatsakte, S. 31 ff.; Huber, Wirtsch.Verw.R 2. A. (1953) Bd. 1 S. 57 f.; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öff.-rechtl. Vertrags, in VerwArch. Bd. 49 S. 106 ff.; M. Imboden, Der verw. rechtl. Vertrag (1958), vor allem für das schweizerischeR; Apelt, D. verw. rechtl. Vertrag, in Arch. d. öff. R, 84. Bd., s. 249 ff. 2 Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 18, Walther Merk, Bad. Gemark. R S. 67.
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§ 33. Der Verwaltungsvertrag
kommen z. B. - abgesehen von Kaufverträgen und den entsprechenden dinglichen Übereignungsverträgen für Zwecke der öffentlichen Verwaltung, z. B. beim Erwerb von Grundstücken usf. - Verträge eines Wegebaupflichtigen mit einem Bauunternehmer (vgl. RGZ Bd. 152 S. 24) oder Verträge eines Trägers der öffentlichen Verwaltung mit einem Unternehmer (Werkvertrag) bei der Ersatzvornahme im Verwaltungszwangsverfahren (vgl. u. § 37) in Betracht. Für unsere Betrachtung sind hier nur die öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverträge von Belang. Mit Bezug auf die Verwaltungsverträge ist grundsätzlich davon auszugehen, daß Verträge nur zwischen rechtlich mit Bezug auf den Vertragsgegenstand gleichgeordneten Rechtsträgern rechtlich möglich sind, da nur sie als Träger rechtlich gleichwertiger Willenserklärungen in Betracht kommen, soweit nichts anderes besonders bestimmt ist. Wie es staatsoder völkerrechtliche Verträge zwischen den Staaten gibt, die als öffentlich-rechtliche anzusehen sind, weil jene als Träger der Hoheitsgewalt und mit Bezug auf ihren Hoheitsbereich auftreten, so gibt es auch solche öffentlich-rechtliche Verträge im Bereiche der öffentlichen Verwaltung, insbesondere zwischen mehreren Trägern öffentlicher Verwaltung mit Bezug auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse, d. h. solche, die ihre öffentlich-rechtliche Ordnung im Hinblick auf die in Frage stehenden öffentlichen Belange erhalten haben3 • Wie im Völkerrecht ist der Unterschied zu machen zwischen Verträgen, in denen Recht im gegenständlichen Sinne neu geschaffen, geändert oder aufgehoben wird, d. h. Vereinbarungen i. e. S. (vgl. o. § 14), und Verträgen, in denen über Pflichten und Rechte der Vertragsschließenden auf Grund bestehenden Rechts bestimmt wird, mögen bei jenen auch gewisse Nebenpflichten in Betracht kommen, insbesondere mit Bezug auf ihre Durchführung und Einhaltung. Nur die zuletzt erwähnten "rechtsgeschäftlichen" Verträge kommen hier in Betracht. Die aus solchen öffentlich-rechtlichen Verträgen entspringenden Pflichten und Rechte sind grundsätzlich auch öffentlich-rechtlicher Natur4 • Als "Verwaltungsverträge" sollen im übrigen hier nur solche öffentlich-rechtlichen Verträge bezeichnet werden, bei denen wenigstens auf der einen Seite ein öffentlich-rechtlicher Verwaltungsträger steht, im Gegensatz zu öffentlich-rechtlichen Verträgen zwischen privaten Rechtsträgern. ll. Im einzelnen a) D a s A n w e n d u n g s g e b i e t Es handelt sich hierbei vor allem, wie bereits erwähnt, um Verträge zwischen mehreren auf derselben Ebene stehenden Verwaltungsträgern. 3 4
Vgl. auch o. § 7, Ziff. I. Vgl. Sächs. OVG in Jahrb. Bd. 37 (1937) S. 240.
Im einzelnen
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So zwischen mehreren Gemeinden, z. B. mit Bezug auf Gemarkungsänderungen, Eingemeindungen (§ 14 Abs. 3 DGO, §§ 8 f. bad.-württ. GO usf.), Wegebaulasten. So z. B. früher in Preußen der Vertrag zwischen einem Kreis- und einem Provinzialverband mit der Wirkung des Übergangs der Wegeunterhaltungspflicht von dem ursprünglich Pflichtigen auf den Übernehmer nach § 18 Abs. 3 pr. G über die Ausführung der §§ 5 und 6 G vom 30. April 1873 wegen der Dotation der Provinzialund Kreisverbände vom 8. Juli 1875 (GS S. 497), wonach es den Provinzialverbänden überlassen bleibt, die Verwaltung und Unterhaltung der ihnen überwiesenen Staatsstraßen auf engere Gemeindeverbände nach Maßgabe der mit ihnen zu treffenden Vereinbarung zu überlassen (vgl. RGZ Bd. 154 S. 24). Dahin gehören weiter Verträge mit Bezug auf Schullasten zwischen mehreren Schulverbänden, z. B. über die Vergütung für die gastweise erfolgende Übernahme von Kindern eines Nachbarschulverbandes in die eigene Schule, etwa im Hinblick auf die geringere Wegentfernung im Verhältnis zum Schulhaus in der Nachbargemeinde usf., oder über Bau- und Unterhaltungspflicht bei gemeinsamen Gebäuden zwischen Schulverband und kirchlich Beteiligten (vgl. pr. SchulunterhaltungsG v. 28. Juli 1906, §§ 5 Abs. 4; 30 Abs. W. Vgl. auch noch § 126 pr. WasserG vom 7. April 1913 (Übernahme der Unterhaltungspflicht an einem Wasserlauf durch den Staat, eine Wassergenossenschaft oder eine andere Körperschaft des öffentlichen Rechts durch Vereinbarung mit dem Unterhaltspflichtigen unter Zustimmung der Wasserpolizeibehörde mit öffentlich-rechtlicher Wirkung). So können weiter nach § 12 ZweckverbandsG vom 7. Juni 1939 die Beteiligten neben der Verbandssatzungschriftliche Vereinbarungen über den Ausgleich von Vorteilen und Nachteilen, die sich für sie aus der Bildung des Zweckverbandes ergeben, mit Bestätigung der Aufsichtsbehörde abschließen; ebenso können nach § 13 dieses Gesetzes Gemeinden und Gemeindeverbände anstelle der Bildung eines Zweckverbandes zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe vereinbaren, daß einer der Beteiligten gegen angemessene Entschädigung seitens der übrigen die gemeinsame Aufgabe erfüllt oder den übrigen Beteiligten die Mitbenutzung einer von ihm betriebenen Einrichtung einräumt. So finden ferner nach dem G über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßenbahnen vom 4. Juli 1939 (RGBl. I S. 1211), § 9, die Bestimmungen über die Kosten baulicher Maßnahmen und über die Unterhaltungskosten (§§ 5-8) im Sinne n'achgiebigen Rechts keine Anwendung, soweit über ihre Verteilung eine andere Vereinbarung getroffen wird. Vgl. ferner § 5 Abs. 5 BFStrG vom 6. August 1953 i. d. F. vom 6. August 1961 (BGBl. I S. 1742), wonach der Bund als Träger der Straßenbaulast für die Ortsumgehungen mit den beteiligten Gemeinden eine Vereinbarung zu treffen hat; vgl. fer5
Vgl. Kormann, a. a. 0., S. 30.
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§ 33. Der Verwaltungsvertrag
ner § 13 Abs. 6. Eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern bzw. zwischen Ländern sieht § 3 der 2. DurchfVO z. G über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparkassenwesen vom 1. September 1952 (BGBl. I S. 610), ferner § 4 BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 345) vor. Schwierig ist z. T. die Abgrenzung in mehreren Fällen, wo der Ausdruck "Vereinbarung" verwendet ist, gegenüber ·einer Vereinbarung von Rechtssätzen. Vgl. weiter auf dem Gebiete der Sozialversicherung z. B. §§ 830, 847 RVO. Ferner gehören hierher aber auch Verträge zwischen einem Träger öff.entlicher Verwaltung und einem diesem Verwaltungsträger Unterworfenen zur Regelung von Beziehungen des öffentlichen Rechts, die nicht durch einseitige hoheitliche Willenserklärung, andererseits auch nicht durch bürgerlich-rechtlichen Vertrag erfolgen kann, wie z. B. eine Berufungsvereinbarung zwischen einer Hochschulverwaltung und einem auf einen Lehrstuhl zu berufenden Professor 6 • Auch unter privaten Rechtspersonen ist nach gesetzlicher Bestimmung in besonderen Fällen ein öffentlich-rechtlicher - auf öffentliche Rechtsverhältnisse sich beziehender- Vertrag möglich, wie ja auch im Verfahrensrecht z. B. über die Zuständigkeit (vgl. § 38 ZPO). So z. B. nach §§ 32 f. PersBefG vom 21. März 1961 (BGBl. I S. 241), wonach, wenn von einer Straßenbahn eine öffentliche Straße benutzt werden soll, der Unternehmer die Zustimmung des Wegeunterhaltungspflichtigen beizubringen hat und, falls darüber keine Einigung zustande kommt, die von der Landesregierung bestimmten Behörden entscheiden; das gilt sinngemäß auch für höhengleiche Kreuzungen von öffentlichen Straßen durch Straßenbahnen7 • Vgl. auch noch z. B. §§ 19, 22, 49, 50 bad.-württ. WasserG vom 25. Februar 1960. Die rechtliche Zulässigkeit solch·er Verwaltungsverträge versteht sich im Bereiche der öffentlichen Verwaltung nicht von selbst; anders als auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, wo- jedenfalls im Bereiche des Schuldrechts-der Grundsatz der Vertragsfreiheit im Rahmen der zwingenden gesetzlichen Vorschriften (vgl. insb. §§ 134,138 BGB) besteht. Da öffentliche Belange in Frage stehen, ist im Bereiche des Verwal8 So zutr. Huber, a. a. 0. Vgl. auch noch z. B. § 51 BesatzSchädG vom 1. Dezember 1955 (BGBl. I S. 734: Vereinbarung über die Höhe der Entschä-
digung zwischen der Behörde und dem Beteiligten unter Zustimmung des Vertreters der Bundesbelange). - Über "Das Fernsprechanschlußverhältnis öff.-rechtl. Vertrag" vgl. Walther, in VerwArch. Bd. 34 S. 229 ff.; ferner RGZ Bd. 155 S. 335 u. BGHZ Bd. 9 S. 17: das öff.-rechtliche Postscheckverhältnis ein Geschäftsbesorgungsvertrag, auf den die Vorschriften des bürg. R entsprechend anzuwenden sind (vgl. § 9 PostSchG i. d. F. v. 22. März 1921, RGBl.
s. 247).
1 So auch Forsthoff, VerwR Bd. 1 S. 255, der zutr. bemerkt, daß Straßenbahnunternehmer und Wegeunterhaltungspflichtiger auch Privatpersonen sein können.
Im einzelnen
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tungsrechts grundsätzlich alles zwingend geregelt und dem freien Belieben gegenüber den Bestimmungen der Verwaltungsrechtsordnung kein Raum gegeben, wie z. B. auch auf dem Gebiete des Steuerrechts mit Bezug auf Steuern, und so auch eine vertragliche Bindung der öffentlichen Verwaltung gegenüber einem einzelnen mit Bezug auf die Ausübung der Hoheitsgewalt grundsätzlich ausgeschlossen, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. auch BVerwGE Bd. 4 S. 111, Bd. 5 S. 131, Bd. 8 S. 330). Es können also in Ermangelung solcher besonderer gesetzlicher Vorschriften nicht Verwaltungsverträge entgegen oder in Abweichung der bestehenden Rechtsvorschriften abgeschlossen werden. So kann zwar z. B. über ein€ einzelne bestehende Straßen-(Erschließungs)kostenbeitragsforderung nach den bestehenden Bestimmungen ein Vertrag über die Tilgung abgeschlossen, nicht aber die Beitragspflicht als solche entgegen einer bestehenden Satzung abweichend geregelt werden (vgl. Pr. OVG Bd. 42 S. 46), unheselladet einer etwa gegebenen Möglichkeit eines Erlasses im Einzelfalle. Es muß also die Möglichkeit solcher öffentlich-rechtlicher Verträge im Gesetz vorgesehen sein; und auch dann pflegt z. T. eine Genehmigung der Staatsaufsichtsbehörde zu ihrer Gültigkeit vorgesehen zu sein. Im übrigen ist nicht ausgeschlossen, daß ein Vertrag, wie z. B. wegen Übernahme der Wegebaulast, der nach den bestehenden Vorschriften, die als zwingend anzusehen sind, mangels einer bestehenden Ermächtigung dazu nicht als öffentlich-rechtlicher Vertrag angesehen werden kann (vgl. Pr. OVG Bd. 45 S. 271), im Wege der Umdeutung Wirkungen in bürgerlich-rechtlicher Hinsicht haben kann, z. B. einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch auf geldliche Schadloshaltung gewährt (vgl. Pr. OVG Bd. 49 S. 251) 8 • Denn bürgerlichrechtliche Verträge mit Bezug auf verwaltungsrechtliche Rechtsverhältnisse können im allgemeinen - ähnlich wie mit Bezug auf Steuersachen (vgl. § 120 RAbgO) - gültig abgeschlossen werden (vgl. Pr. OVG Bd. 20 S. 243), z. B. Verträge über die Gewährung von Zuschüssen an einen Straßenunterhaltungspflichtigen (vgl. RGZ Bd. 57 S. 352, Bd. 67 S. 291, Bd. 79 S. 201, Bd. 133 S. 147). Auf der anderen Seite können die Träger öffentlicher Verwaltung nicht das bürgerliche Recht dazu benutzen, um sich hier Vorteile zugänglich zu machen, die das öffentliche Recht mit Bezug auf eine Verwaltungssache ihnen versagt, z. B. eine Erlaubnis davon abhängig machen, daß der Baulustige Straßen-(Erschließungs-)kostenbeiträge übernimmt, obwohl die Voraussetzungen für die Heranziehung zu solchen im Einzelfalle nicht gegeben sind. Im übrigen ist noch zu bemerken, daß im Bereiche des Wege-, Wasser-, Kirchen- und Schulrechts mit Bezug auf die Lastenverteilung aus früherer Zeit z. T. noch Verträge vorhanden sind, die z. Z. ihres Abschlus8 Vgl. auch Kormann, a. a. 0., S. 30. Weitergehend sollen nach Art. 82 Entw. württ. VRO von 1936 durch Vertrag Rechtsverhältnisse begründet oder geändert werden können, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen.
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§ 33. Der Verwaltungsvertrag
ses - weil vermögensrechtlich, wie in der Zeit des unbeschränkten Fürstenstaates (Fiskuslehre!) und in Nachwirkung hiervon - als bürgerlich-rechtlich aufgeiaßt wurden, inzwischen zufolge der "geläuterten" Erkenntnis der öffentlich-rechtlichen Natur dieser Rechtsbeziehungen eine öffentlich-rechtliche Bedeutung angenommen haben, soweit sie nicht durch die veränderte Gesetzgebung ihre Wirksamkeit verloren haben9 • Es kann also durch bürgerlich-rechtliche Rechtsgeschäfte10 an dem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis als solchem nichts geändert werden, z. B. die gewerbepolizeiliche Erlaubnis zum Betriebe einer Wirtschaft als sog. gemischtpersönliche Erlaubnis nicht mit der Veräußerung der Wirtschaft auf einen anderen übertragen und ebenso an einer baupolizeiliehen Pflicht mit Bezug auf die Überbauung oder Nichtüberbauung eines Grundstücks nichts durch bürgerlichrechtlichen Vertrag mit den Nachbarn mit öffentlich-rechtlicher Rechtswirkung geändert werden. In einzelnen Fällen gewährt dagegen das Verwaltungsrecht ausdrücklich den beteiligten einzelnen die Möglichkeit, öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse anderweit zu regeln: so z. B. durch die Übernahme einer öffentlich-rechtlichen Baulast (vgl. z. B. § 99 württ. BauO v. 28. Juli 1910), ferner durch die Übernahme der Verantwortlichkeit für den polizeimäßigen Zustand einer Sache anstelle des Eigentümers, wenn jemand auf einen im Einverständnis mit dem Eigentümer schriftlich oder zur Niederschrift gestellten Antrag von der zuständigen Polizeibehörde als allein polizeipflichtig anerkannt wird (vgl. pr. PVG § 20 Abs. 2); so auch durch Übernahme einer Unterhaltungspflicht bei Wasserläufen durch Vereinbarung mit dem Unter9 Vgl. Apelt, VerwVertr. S. 134 f.; Fleiner, Inst. S. 54 f., Tetzner, Die Privatrechtstitel, in Arch. d. öff. R Bd. 9 S. 330. 10 Daß die sog. Enteignungsverträge, die im EnteignVerf. zwischen dem Unternehmer eines öff. Unternehmens u. den als zu enteignend in Betracht zu ziehenden Personen abgeschlossen werden- vgl. z. B. §§ 16, 17, 26 pr. EEG vom 11. Juni 1874 (GS S. 221), §§ 34 ff. bad. EEG vom 26. Juni 1899 (G u. VBI. S. 355), wo auch ausdrücklich gesagt ist, daß die zur Niederschrift aufgenommene und unterzeichnete gütliche Vereinbarung die Beteiligten wie ein nach § 313 BGB beurkundeter Vertrag bindet- öff.-rechtl. Natur sein sollen, wie Fleiner, a. a. 0., S. 213, Forsthoff, Verw.R Bd. 1 S. 252 meinen, ist m. E. abzulehnen, soweit nichts Besonderes bestimmt ist. Es handelt sich um bürg.rechtl. Verträge zur Vermeidung der öff.-rechtl. Enteignung, wenn sie auch innerhalb des EEVerf. abgeschlossen werden: sie sind gerichtet auf Überlassung des Eigentums gegen bürgerlich-recht!. Kaufpreis; daß, nachdem das EEVerf. einmal eröffnet sei, für das bürg. R kein Raum mehr sei, ist eine willkürliche Behauptung, die nicht im Einklang mit der gesetzlichen Regelung steht. Daß hier Formerleichterungen vorgesehen sind, ändert hieran nichts.Die von der Wasser- u. Schiff.Direktion aufgenommene Niederschrift über die erfolgte Einigung der Beteiligten über die Entschädigung nach § 30 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 ist - jedenfalls der Form nach - eine öff. Urkunde, die nach Zustellung an die Beteiligten vollstreckbar ist (§ 31); so auch § 112 bad.-württ. WasserG vom 25. Februar 1960. Weiter steht nach § 110 BBauG vom 23. Juni 1960 die beurkundete Einigung der Beteiligten einem nicht mehr anfechtbarem Enteign. Beschluß gleich.
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haltungspfiichtigen unter Zustimmung der Wasserpolizeibehörde mit öffentlich-rechtlicher Wirkung nach dem bereits angeführten § 126 Abs. 1 Ziff. 5, pr. WasserG vom 7. April 1913. Noch lange wurde für gewisse Vorgänge im Bereiche der öffentlichen Verwaltung die Vertragsnatur geltend gemacht, für die sie auf Grund genauerer Prüfung nicht in Anspruch genommen werden kann, nämlich insbesondere für die Fälle der Einbürgerung und die Aufnahme in das Beamtenverhältnis, auch nachdem die auf die Zeit des unbeschränkten Fürstenstaats zurückgehende Auffassung des Vorliegens eines bürgerlich-rechtlichen Vertrags- jedenfalls wegen der vermögensrechtlichen Verhältnisse, nämlich mit dem Fiskus - überwunden war zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Auffassung, wie dies noch bei Laband bezüglich der Einbürgerung und der Anstellung als Beamter entgegentritt 11 • Diese Auffassung besteht noch im französischen Recht, wo neben den öffentlich-rechtlichen Lieferungsverträgen (Verdingungen - "marches administratifs" -, wie Werkverdingungen, Mietverträge für öffentliche Anstalten) die Beamtenanstellung als öffentlich-rechtlicher Vertrag gilt12 • Im deutschen Recht jedenfalls handelt es sich aber in den vorhin angeführten Fällen in Wahrheit um einseitige Verwaltungsverfügungen, welche die Einbürgerung wie auch die Entlassung aus dem Staatsverband und auch die Aufnahme in das Beamtenverhältnis und die Entlassung daraus herbeiführen, wenn schon sie rechtswirksam nur mit Zustimmung des Beteiligten vor sich gehen können 13 • Es wird hier, wie schon früher ausgeführt, in der betreffenden Verwaltungsverfügung äußerlich nicht Bezug genommen auf den Willen des Beteiligten, der hierbei in ihr gar nicht zum Ausdruck kommt; der maßgebende Vorgang erscheint als eine einseitige Verwaltungsverfügung der öffentlichen Verwaltung mit Bezug auf ein Verwaltungsverhältnis, über das der einzelne als solcher keine Verfügungsmacht und auf dessen Inhalt er auch keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit besitzt, auch bezüglich dessen, was ihm hieran zugute kommt- was allerdings- entgegen Laforet 14 - für sich nicht entscheidend ist, in welcher Hinsicht für das bürgerliche Recht z. B. auf den Eisenbahnbeförderungsvertrag nach §§ 453 ff. HGB verwiesen werden kann. Bei der Einbürgerung tritt der bisherige Staatsfremde in den persönlichen Staatsverband, das persönliche allgemeine Untertanenverhältnis, bei der Aufnahme in das Beamtenverhältnis der Beteiligte in ein besonderes Gewaltverhältnis ein, bei dem auch die Dienstbezüge nicht ein Entgelt in dem Sinne wie bei einem gegenseitigen Vertrag des bürgerlichen Rechts, etwa einem Dienstvertrage, sind, sondern wiederum etwas, was im öffentlichen Vgl. StR d. Deutschen Reichs, Bd. 1, 5. A. (1911), S. 167 u. 449. Vgl. 0. Mayer, Theorie d. franz. VerwR S. 308. 13 Vgl. o. § 32. u Vgl. VerwR S. 208. 11
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§ 33. Der Verwaltungsvertrag
Rechte ruht, und gesetzlich geregelt ist, freilich als Gegenleistung für die zu leistenden Dienste im Sinne eines Unterhalts gewährt wird. In beiden Fällen kann der Beteiligte nur den Antrag stellen und damit zugleich seine Einwilligung erteilen, daß er in dieses allgemeine bzw. besondere Gewaltverhältnis hinein und gegebenenfalls wieder hinauskommt. Im übrigen ist in beiden Fällen alles einseitig vom Staate geregelt. Der Staat kann auch einseitig die Rechtssätze ändern, die bei der Begründung des Staatsangehörigkeits- bzw. des Beamtenverhältnisses im Einzelfalle maßgebend waren, ohne daß es auf die Zustimmung der in diesen Verhältnissen stehenden Beteiligten ankäme, wie es bei einem Vertrag notwendig wäre 15 ; es bleibt gegebenenfalls den Beteiligten nur überlassen, den Antrag auf Entlassung aus den betreffenden Verhältnissen zu stellen, die im allgemeinen freilich nicht versagt werden kann. Es ergeht eben in jenen Fällen, wie früher schon bemerkt, die Verfügung "auf Unterwerfung", um einen Ausdruck von Otto Mayer zu gebrauchen. Immerhin handelt es sich also, wie oben ausgeführt, bei der Zustimmung des Beteiligten um eine rechtliche Gültigkeitsvoraussetzung für das wirksame Ergehen der einseitigen Willenserklärung in der Verwaltungsverfügung, aber auch nur darum. In anderen Fällen kann, wie bemerkt, das Gesetz Verträge zulassen, was z. B. hinsichtlich der Gestaltung des Beamtenverhältnisses grundsätzlich nicht gilt (so zutr. BGHZ Bd. 30 S. 237). Es kann auch sein, daß eine Verwaltungsverfügung auf Grund einer vertraglichen Festlegung gewisser inhaltlicher Punkte erfolgt, wie z. B. bei der Berufung eines Hochschulprofessors auf einen Lehrstuhl; hier liegt wohl im allgemeinen zugleich eine bedingte Zustimmung zum Ergehen der Verwaltungsverfügung bestimmten Inhalts vor. Aber aus dem früher angegebenen Grunde ist der Vertrag nicht die nächstliegende Form für das Vorgehen der öffentlichen Verwaltung gegenüber den Verwalteten zur Gestaltung der öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen ihnen; eher kommen einseitige rechtsgeschäftliche Willenserklärungen vor, auf seiten der Verwalteten, wie schon erwähnt, bei der Übernahme von Baulasten und der polizeilichen Verantwortlichkeit anstelle des Eigentümers, wie auch auf seiten der öffentlichen Verwaltung in Gestalt der Verwaltungsverfügung, wie beim Erlaß, bei der Stundung, von dem unverbindlichen Inaussichtstellen eines Zuschusses usw. ganz abgesehen. Vgl. im übrigen z. B. § 24 Abs. 5 württ. BauO vom 28. Juli 1910 über die Heranziehung der Eigentümer der anstoßenden Grundstücke zu den entstan15 Vgl. dazu Apelt, a. a. 0., S. 105. Vgl. dazu noch § 183 Abs. 1 BBG vom 14. Juli 1953, wonach Zusicherungen, Vereinbarungen und Vergleiche, die dem Beamten eine höhere als nach dem BesoldungsR zulässige Besoldung oder eine über dieses G hinausgehende Versorgung gewähren sollen, unwirksam sind (vgl. dazu auch BGH Bd. 17 S. 61 ff). Ebenso jetzt § 183 BBG i. d. F. v. 1. Okt. 1961 (BGBI. I S. 1802).
Im einzelnen
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denen Kosten im Wege der Vereinbarung bei Straßendurchbrüchen, die unter Beseitigung bestehender Gebäude vorgenommen werden sowie bei Neuanlegung eines durch Brand oder andere Ereignisse zerstörten Ortsteiles und bei der Verbreiterung bestehender Ortsstraßen. Vgl. auch noch den- durch G vom 17. Dezember 1951 (BGBl. I S. 996) aufgehobenen - Art. 5 EG zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 hinsichtlich der Vereinbarung mit Steuerpflichtigen über die Höhe der Gewerbesteuer unter Zustimmung der obersten Gemeindeaufsichtsbehörde; desgl. § 13 Abs. 2 pr. KommAbgG vom 14. Juli 1893 (Vereinbarungen der Gemeinden mit den Beteiligten über eine feste Bestimmung des Jahresbetrags der zu entrichtenden mittelbaren Steuern im voraus für mehrere Jahre zulässig). Siehe auch noch§ 14 Abs. 2 SchutzbereichsG vom 7. Dezember 1956 (BGBI. I S. 899), wonach Vereinbarungen über eine einmalige Abfindung anstelle einer Entschädigung in wiederkehrenden Leistungen zulässig sind, sowie § 79 ZollG vom 14. Juni 1961 (BGBI. I S. 737) über Zollvereinbarungen mit den Beteiligten. Aus dem Gesagten ergibt sich auch, inwieweit ein Vergleich, d. h. ein Vertrag, durch den ein Streit oder eine Ungewißheit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird, im Verwaltungsrecht möglich ist; nämlich insoweit, als ein öffentlich-rechtlicher Vertrag überhaupt zulässig ist, d. h. die Beteiligten befugt sind, über den Gegenstand des Vergleichs zu verfügen, z. B. bezüglich der Höhe des Satzes der Kosten, wofür der endgültig verpflichtete Fürsorgeverband gegenüber dem die vorläufige Fürsorge gewährenden Fürsorgeverband nach § 14 der jetzt durch das BSozHG aufgehobenen FürsPflVO aufkommen soll 16 • b) Die Form Ein bestimmtes Formerfordernis kommt für Verwaltungsverträge nur in Betracht, wo es besonders vorgesehen ist. Im übrigen gilt, wie für die Verwaltungsverfügung, so auch für den Verwaltungsvertrag der Grundsatz der Formlosigkeit, d. h. der Vertrag kann in jeder zweckentsprechenden Weise abgeschlossen werden, wenn auch die Schriftform sich vielfach bei Regelungen für die Dauer empfiehlt. Auch beim Verwaltungsvertrag können Nebenbestimmungen, Bedingungen und Befristungen, in Frage kommen, wogegen für die Auflagen, die bei den - einseitigen - Verwaltungsverfügungen eine große Rolle spielen, hier kein Anwendungsgebiet vorhanden ist, da hier nur vertragsmäßig begründete Pflichten in Frage kommen und sie im übrigen auch im bürgerlichen Recht nur bei Zuwendungen unter Lebenden und bei Verfügun16 Vgl. dazu Apelt, a. a. 0., S. 196. Ausdrücklich zugelassen in § 177 (Widerruf § 201) BEntschG i. d. F. vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 559). Vgl. auch § 68 MRVO Nr. 165 und jetzt§ 106 VwGO.
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§ 33. Der Verwaltungsvertrag
gen von Todes wegen vorkommen, was es im Verwaltungsrecht nicht gibt17• c) Der In h a I t und die Aus I e g u n g In Ermangelung besonderer Vorschriften sind die Bestimmungen des BGB über Verträge und damit auch über rechtsgeschäftliche Willenserklärungen(§§ 116 ff.) entsprechend anzuwenden18 • Auch für die öffentlich-rechtlichen Verträge ist der Grundsatz von Treu und Glauben, wie für ihre Auslegung, so auch für dieBewirkunggeschuldeter Leistungen als maßgebend zu betrachten19, ind~m die §§ 157 und 242 BGB als Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze aufzufassen sind (vgl. Pr. OVG Bd. 82 S. 305, Bd. 84 S. 158, 305, Bd. 88 S. 95, 252, Bd. 92 S. 38); ebenso ist gegenüber einer Partei, die den Eintritt einer ihr nachteiligen Vertragsbedingung wider Treu und Glauben verhindert, entsprechend der Vorschrift des § 162 BGB auch bei öffentlich-rechtlichen Verträgen die Bedingung als eingetreten zu erachten (Pr. OVG a. a. 0.). Bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse, die ein Festhalten eines Vertragsteils an dem Vertrag als unzumutbar erscheinen läßt, wird auch beim Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung - ähnlich wie z. B. bei völkerrechtlichen Verträgen- eine jederzeitige Kündigung wegen überwiegender Gefahren oder Nachteile für das gemeine Wohl oder wegen überragender Forderungen des gemeinen Wohls, unbeschadet einer Entschädigungspflicht wegen eines besonderen Opfers, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen (vgl. insb. Art. 14 GG, § 51 GewO) rechtlich für zulässig zu erachten sein (sog. clausula rebus sie stantibus); denn eine so strenge Bindung, wie sie im allgemeinen bei bürgerlich-rechtlichen Verträgen unter den privaten Rechtsträgern besteht, kann es im Verhältnis zwischen einem Träger öffentlicher Gewalt im Hinblick auf seine Aufgabe, jederzeit das gemeine Wohl wirksam wahrzunehmen, im Verhältnis zu den dieser Gewalt Unterworfenen auch bei öffentlich-rechtlichen Verträgen nicht geben. Es greift somit hier ein ähnlicher Gesichtspunkt ein, wie er bei den einseitigen Verwaltungsverfügungen im Hinblick auf ihre grundsätzliche Jederzeitige Widerruflichkeit hervorgetreten ist (o. § 32). d) S t r e i t i g k e i t e n a u s V e r w a I t u n g s v e r t r ä g e n Für Streitigkeiten, die aus öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverträgen entspringen, sind grundsätzlich die Verwaltungsgerichte, und nicht die ordentlichen Gerichte, zuständig; es handelt sich um sog. Parteistreitigkeiten(§ 85 südd. VGG, § 22 MRVO Nr. 165 u. jetzt§ 40 VwGO). Vgl. Laforet, VerwR S. 201. So auch Forsthoff, a. a. 0., S. 255. 18 Vgl. Pr. OVG. Bd. 87 S. 140 u. Schüle, Treu und Glauben im VerwR, in VerwArch. Bd. 39 S.ll sowie Apelt, a. a. 0. (Arch. d. öff. R) S. 255. 11
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Vierter Abschnitt
Die Verwaltungsentscheidung § 34. Die Verwaltungsentscheidung I. Im allgemeinen Die Verwaltungsentscheidung unterscheidet sich von der Verwaltungsverfügung dem Wesen nach dadurch, daß sie nicht rechtsgestaltender Natur ist, d. h. im Einzelfalle öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse im Bereiche der öffentlichen Verwaltung begründet, ändert oder aufhebt, sondern lediglich die Rechtsordnung auf einen einzelnen bestimmten, gegebenenfalls in tatsächlicher Hinsicht festgestellten, Fall anwenden will, wie dies bei dem Urteil in der ordentlichen Rechtspflege die Regel bildet. Die Verwaltungsentscheidung will lediglich feststellen, was mit Bezug auf ein bestimmtes verwaltungsrechtliches Verhältnis rechtens ist, oder auch bestimmte rechtserhebliche Tatsachen feststellen, soweit dies besonders bestimmt ist. Nicht unter Anwendung freien pflichtgemäßen Ermessens sollen in einem bestimmten Einzelfalle von einem Träger der öffentlichen Verwaltung nach seinem Willen im Rahmen der Rechtsordnung Verhältnisse in der öffentlichen Verwaltung gestaltet werden, sondern es soll der in der Rechtsordnung zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers im Sinne der Anwendung eines Rechtssatzes als Obersatzes auf einen bestimmten Sachverhalt in rechtsklarstellender Weise - im Gegensatz zur Verwaltungsverfügung in ihrer rechtsgestaltenden Weise - das Recht gehandhabt werden. Grundsätzlich ergeht die Verwaltungsentscheidung, nicht anders als i. d. R. die Verwaltung.sverfügung, unheselladet der bürgerlichrechtlichen Verhältnisse nur über öffentlich-rechtliche Verhältnisse. Auch die Verwaltungsentscheidung besitzt grundsätzlich keine sachliche Rechtskraft wie die Verwaltungsverfügung; jedoch kann die Änderbarkeit (Widerruflichkeit) durch das Gesetz ausgeschlossen oder eingeschränkt sein. Daß in bestimmten Fällen die Grenze zwischen Verwaltungsverfügung und Verwaltungsentscheidung flüssig werden kann, steht dieser grundsätzlichen Unterscheidung zwischen beiden Rechtsgebilden nicht im Wege; so, wenn bei der Anwendung der Rechtsordnung Spiel58 Merk
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§ 34. Die Verwaltungsentscheidung
raum für ein sog. Handlungsermessen nach bestimmter Richtung hin, insbesondere zur Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls, eingeräumt ist: auch z. B. beim Strafurteil findet sich in der Einräumung eines Strafrahmens sowie bei der Zulassung mildernder Umstände usf. die Einräumung eines Beurteilungsermessens nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls durch das Gesetz; aber von einem freien Handlungs- oder Gestaltungsermessen im oben angegebenen Sinne ist hier gleichwohl nicht die Rede. Eine Verwandtschaft zwischen Verwaltungsverfügung und Verwaltungsentscheidung findet sich, obwohl nur die Verwaltungsverfügung als ein Verwaltungsrechtsgeschäft aufgefaßt werden kann, darin, daß, wie bereits früher erwähnt, die Verwaltungsentscheidung wie die Verwaltungsverfügung einseitig von der Verwaltungsbehörde erlassen wird, wenn auch mehr oder weniger weitgehend unter Mitwirkung des Beteiligten, durch Anhörung, gegebenenfalls Antrag, sowie durch Rechtsmitteleinräumung, während der Verwaltungsvertrag ein zweiseitiges Rechtsgeschäft unter Beteiligung mehrer·er mit Bezug auf den Vertragsgegenstand gleichberechtigter Willensträger darstellt. So erklärt es sich, daß vielfach die Vorschriften über die Verwaltungsverfügung, soweit sie sich nicht aus seiner rechtsgeschäftliehen Natur ergeben, entsprechend auch für die Verwaltungsentscheidung gelten, wie über die Zuständigkeit, die Form1, den Inhalt, das Wirksamwerden, die Rechtskraft2 , die Vollziehung, die 1 Vgl. z. B. die Festsetzung der Entschädigung durch schriftlichen Bescheid (Feststellungsbescheid): § 19 SchutzBG vom 7. Dezember 1956 (BGBI. I S. 899); desgl. §§ 49 ff. BLeistG i. d. F. vom 27. September 1961 (BGBI. I S. 1770). 2 Wenn Forsthoff (VerwR Bd. 1, 8. A., S. 236) den VerwEntsch., die unter Zuzug der Beteiligten in einem mündlichen Verfahren erfolgen, sofern ihnen - ähnlich wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - in weitestem Umfang Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und Belange gegeben ist, unter Berufung auf§ 92 RAbgO sachliche Rechtskraft zuerkennen will, so vermag ich dem in Ermangelung einer dahingehenden allg. Bestimmung nicht beizutreten. Die sachliche Rechtskraft, die im gerichtlichen Verfahren der ord. Gerichte wie auch der Verw.Gerichte seit alters sich entwickelt und ihre gute Bedeutung hat, hat eine gesetzliche Anerkennung für das einfache und das förmliche Verwaltungsverf., auch bei Entscheidungen, obwohl es sich hier um die Entscheidung über Rechtsverhältnisse handelt, bisher nicht erhalten; sie versteht sich für das nicht gerichtsförmige Verfahren durchaus nicht von selbst. Folgerichterweise müßte F. die Rechtskraft auch bei Verfügungen, die in einem solchen förmlichen Verfahren ergehen, anerkennen, was schwerlich angeht. Und selbst wenn im übrigen gegen eine entsprechende Anwendung des § 92 RAbgO (wonach Entscheidungen, die auf Grund münd!. Verhandlung verkündet werden, nach ihrer Verkündung nicht mehr zurückgenommen oder geändert werden können), obwohl dies in den Verfahrensgesetzen nicht ausdrücklich bestimmt ist, keine Bedenken zu erheben wären - es handelt sich aber doch um eine Sondervorschrift auf einem bestimmten Rechtsgebiet-, so ergibt sich damit doch lediglich eine dem § 318 ZPO, nicht aber dem § 322 ZPO mit seiner inhaltlichen Bindung entsprechende Gestaltung. Zutreffend dagegen Ipsen, Widerruf gültiger Verwaltungsakte (1932) S. 49. Gegen die sachliche Rechtskraft wohl auch BVerwGE Bd. 2 S. 243 (.,Verwaltungsakte u. sonstige Verwaltungsentscheidungen").- Widerruflichkeit des ergangenen Bescheids:§ 201 BEntschG i. d. F. v. 29. Juni 1956 (BGBI. I S. 359). Etwas
Das Anwendungsgebiet
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Rechtsmittel usf., weshalb hier auf das in dieser Hinsicht bei der Verwaltungsverfügung Ausgeführte (vgl. o. § 32 und u. § 36) verwiesen werden kann; dagegen gilt Ähnliches im allgemeinen nicht für die bloßen Rechtshandlungen, insbesondere die Feststellung rechtserheblicher Tatsachen (vgl. o. ·§ 30). II. Das Anwendungsgebiet Die sachliche Natur einer Verwaltungsentscheidung haben die Urteile der Verwaltungsgerichte, ausgezeichnet gegenüber den gewöhnlichen Verwaltungsentscheidungen in der reinen Verwaltung durch die Art des Verfahrens, in dem sie ergehen, nämlich die gerichtsförmige Gestaltung i. S. eines zweiseitigen streitigen Parteiverfahrens und durch die besonder·e Wirkung dieser Urteile, wenn sie in der Sache ergehen, nämlich die sachliche Rechtskraft. Es kann auch vorkommen, daß im ersten Rechtszug eine Verwaltungsentscheidung ergeht, im zweiten Rechtszug auf Rechtsmitteleinlegung dagegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil, wobei dann diese Verschiedenheiten in ein und derselben Verwaltungssache deutlich entgegentreten (vgl. z. B. pr. ZustG v. 1. Aug. 1883, §§ 17, 78, 82, 84, 86, 91) 3 • Auf diese verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen ist hier nicht weiter einzugehen (vgl. darüber u. 5. Buch). Im Bereiche der reinen Verwaltung gehört dahin die Feststellung der öffentlich-rechtlichen Entschädigung im Enteignungsverfahren - wogegen das sog. Planfeststellungsverfahren bei der Enteignung wegen des hierbei obwaltenden Ermessens nicht hierher gerechnet werden kann: die Planfeststellung bildet nur das Ergebnis von anderes bedeutet selbstverständlich die Abänderung von zuerkennenden oder abweisenden Bescheiden mit Bezug auf Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen bei wesentlichen Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse: § 206 ebda.; desgl. § 62 BVersG i. d. F. vom 6. Juni 1956 (BGBl. I S. 463); ebenso §§ 608 RVO (Unfallversicherung), 1304 RVO (Rentenversicherung: Entziehung der Rente bei wesentlicher Änderung, die eine Berufsunfähigkeit nicht mehr ergibt). In einzelnen Gesetzen kann freilich Besonderes bestimmt sein; vgl. z. B. § 24 KriegsopfVersVerfG: "Wird der gegen einen VerwAkt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der VerwAkt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch G nichts anders bestimmt ist"; die Bindung der VerwBehörden tritt mit der Zustellung oder dem Zugang des Bescheids ein; vgl. jedoch dazu auch§§ 40 f., wonach zugunsten des Berechtigten die VerwBehörde jederzeit einen neuen Bescheid erteilen kann u. Bescheide über Rechtsansprüche zuungunsten des Versorgungsberechtigten von der zuständigen VerwBeh. durch einen neuen Bescheid nur geändert oder aufgehoben werden können, wenn ihre tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel steht. Dazu noch § 42. - z. T. ist noch unter bestimmten Voraussetzungen nach Eintritt der förmlichen Rechtskraft ein Wiederaufnahmeverfahren vorgesehen, wie z. B. beim Auffinden von Urkunden, die für den Beteiligten eine günstige Entscheidung herbeigeführt hätten: vgl. § 26 KriegsgefEntschG vom 30. Januar 1954 (BGBl. I S. 5). 3 Vgl. dazu Kormann, Rechtsgeschäft!. StaatsakteS. 66
sa•
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§ 34. Die Verwaltungsentscheidung
Ermessenserwägungen -; ebenso die Festsetzung sonstiger öffentlichrechtlicher Entschädigungen, wie z. B. im Falle des§ 51 GewO, bei Viehseuchenverlusten nach § 67 RViehseuchenG; die Feststellung von Vertreibungsschäden, Kriegssachschäden und Ostschäden nach §§ 1, 36 f. FeststellungsG vom 21. April 1952 i. d. F. vom 14. August 1952 (BGBl. I S. 535) mit Bezug auf die Gewährung eines Ausgleichs nach dem LasteuausgiG vom 14. August 1952 (BGBl. I S. 446) m. spät. Änd., vgl. insbesondere §§ 1 ff., 235 ff.; die Festsetzung der Entschädigung und Ersatzleistung nach §§ 49 ff. BLeistG4 • Weiter gehört dahin die Feststellung der Staatsangehörigkeit im Staatsangehörigkeitsausweis im Gegensatz zur Verleihung der Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung, die eine Verwaltungsverfügung darstellt; die Feststellung des Familiennamens -mit allgemein verbindlicher Wirkung- nach§ 8 NamensänderungsG vom 5. Januar 1938 (RGBl. I S. 9) durch die oberste Landesbehörde; die Feststellung des Wahlrechts unter Eintragung in die Wählerliste, die Feststellung des Leumundes, d. h. der gerichtlichen Unbestraftheit bzw. Bestraftheit, im Leumundszeugnis. Vgl. auch die Feststellung der Leistungen der Unfallversicherung durch den Sektions- bzw. Genossenschaftsvorstand der Berufsgenossenschaft nach § 1568, desgl. der Leistungen der Rentenversicherung durch den Vorstand der Versicherungsanstalt nach § 1630 RVO. Auch die frühere polizeiliche Strafverfügung der Verwaltungsbehörden, durch welche die Feststellung des Begehens einer strafbaren Übertretung und die Verhängung der deswegen gesetzlich angedrohten Strafe zum Inhalt hatte, gehört hierher. Ebenso wurden Streitigkeiten zwischen Fürsorgeverbänden über die Pflicht zur öffentlichen Fürsorge für Hilfsbedürftige (sog. Fürsorgestreitigkeiten), die früher als sog. Parteistreitigkeiten im Verwaltungsrechtswege entschieden wurden, nach § 29 FürsPflichtVO vom 13. Februar 1924 i. d. F. vom 7. Oktober 1939 im Verwaltungswege von der Aufsichtsbehörde des in Anspruch genommenen Fürsorgeverbandes "endgültig" durch Verwaltungsentscheidung entschieden, was wegen des Allzuständigkeitsgrundsatz·es (vgl. jetzt § 40 VwGO) überholt war, so daß wieder i. S. einer Parteistreitigkeit die verwaltungsgerichtliche Klage erhoben werden konnte; entsprechendes gilt jetzt für das BSozialHG vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 815). Eigenartig ist § 7 RÄrzteO vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1435), wonach die Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs ruht, wenn die zuständige Behörde - i. S. einer Tatsachenfeststellung - feststellt, daß dem Arzt infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte oder wegen einer Sucht die für die Ausübung des ärztlichen Berufs erforderliche Eignung oder Zuverlässigkeit fehlt; diese Befugnis lebt aber wieder auf, sobald die Behörde ihre Feststellung auf4
Eingehende Regelung des Inhalts des Bescheids z. B. in § 195 BEntschG.
Das Anwendungsgebiet
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hebt. Die Rechtsfolge tritt hier auf Grund einer tatsächlichen Feststellung ein, der Eintritt der betreffenden Tatsache allein bewirkt dies noch nicht; insofern nähert sich diese Feststellung, die eben im Hinblick auf die mit ihr verbundene Rechtsfolge keine reine Feststellung ist, einer Verwaltungsverfügung, was sie aber der äußeren Form nach nicht ist. Vgl. entsprechend § 7 RTierärzteO vom 3. April 1936 (RGBI. I 1857). Klarer ist jetzt die Regelung in§ 6 BÄrzteO vom 2. Okt. 1961 (BGBI. I S. 1857), wonach aus ähnlichen Gründen das Ruhen der Bestallung angeordnet werden kann bzw. diese Anordnung wieder aufzuheben ist. Weiter gehört dahin auch die Entscheidung über Zweifel darüber, ob eine Personenbeförderung den Bestimmungen des PersBefG unterliegt oder welcher Verkehrsart oder Verkehrsform ein Verkehr zugehört oder wer Unternehmer i. S. d. § 3 Abs. 1 und 2 d. G ist, durch die zuständige Verwaltungsbehörde (§ 10 PersBefG v. 21. März 1961); ferner die Entscheidung darüber, ob eine nicht zu der Bundesbahn gehörende Eisenbahn dem öffentlichen Verkehr dient oder ob sie die Eigenschaft als Eisenbahn des öffentlichen Verkehrs verloren hat, die die beteiligte oberste Landesbehörde im Benehmen mit dem Bundesverkehrsminister zu treffen hat; desgl. die Entscheidung bei Streit über die Bedingungen eines Anschlusses oder der Mitbenutzung einer Anlage einer öffentlichen Eisenbahn durch angrenzende öffentliche Eisenbahnen sowie über die Angemessenheit der Kosten durch den BVerkehrsMinister, wenn die Deutsche Bundesbahn beteiligt ist, bzw. sonst durch die oberste Landesverkehrsbehörde (§§ 2 Abs. 2, 7 Allg. EisenbahnG v. 29. März 1951, BGBI. I S. 225); die Schlußfeststellung im Flurbereinigungsverfahren nach § 149 FlurberG vom 14. Juli 1953; die Feststellung des Zustandes von Gebäuden oder künstlichen Anlagen nach § 35 pr. EnteignG vom 11. Juni 1874 (GS S. 221); desgl. die Entscheidung darüber, ob eine private Versicherungsunternehmung nach § 1 VersAufsG i. d. F. der Bek. vom 6. Juni 1931 (RGBI. I S. 315) der Aufsicht unterliegt (§ 2) 5 ; ferner die Anerkennung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen nach dem WohnungsgemeinnützigkeitsG vom 29. Februar 1940 (RGBI. I S. 438), abg. durch G vom 27. Juni 1956 (BGBI. I S. 523); desgl. die Anerkennung neu geschaffener Wohnungen als steuerbegünstigte Wohnungen bzw. als steuer- und gebührenbegünstigte Kleinsiedlung oder als Familienheim durch Anerkennungsbescheid nach § 82 ff., 96, 109, 110 (ÜberlVorschr.) 2. WohnBauG vom 27. Juni 1956 i. d. F. vom 1. August 1961 (BGBI. I S. 1122); die Anerkennung der Beihilfeberechtigung nach § 5 Zweite GasölbetriebsbeihilfeVO-Landwirtschaft vom 30. Juni 1961 (BGBI. I S. 842); die öffentliche Anerkennung von Trägern der freien Jugendhilfe nach§ 9 JugWohlfG vom 11. August 1961 (BGBI. I S. 1206); 5 Vgl. dazu BVerwGE Bd. 3 S. 217, wonach die Entscheidung darüber jedenfalls widerruflich ist, wenn sie "fehlerhaft" war.
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die Anerkennung von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach § 1 WirtschPrüfO vom 24. Juli 1961 (BGBl. I S. 1049), die staatliche Anerkennung von Heilquellen (vgl. § 39 bad.-württ. WasserG vom 25. Februar 1960, GBl. S. 17) usw. 6 • Endlich enthält auch die Aufhebung einer Verwaltungsverfügung oder -entscheidung wegen Ungesetzlichkeit durch eine vorgesetzte Verwaltungsstelle auf Rechtsmitteleinlegung oder von Amts wegen, die zwar der Form nach eine Gestaltung, und daher eine Verwaltungsverfügung ist, sachlich zugleich eine Entscheidung über die Ungesetzlichkeit (in den Gründen).
6 Der von Schüle, D. streitentscheidende VerwAkt, in Staats- und Verwaltungswissenschaftliche Beiträge, herausg. von der Hochschule f. VerwWiss. Speyer (1957) S. 277 ff. gemachten Unterscheidung zwischen feststellenden und streitentscheidenden VerwAkten, wobei diese im Gegensatz zu jenen auch auf Ermessen beruhen und auch Gestaltungswirkung haben können, fehlt m. E. die genügende Klarheit. Wie soll der Umstand, daß einer Verwaltungsentscheidung ein Zweifel oder eine Meinungsverschiedenheit oder ein Streit vorangeht, für den Inhalt und die Natur der Verwaltungsentsch. von Bedeutung sein; auch ist übersehen, daß in erster Reihe die sog. streitentscheidende Verwaltungsentscheidung feststellende Bedeutung haben und auch bei den sog. feststellenden VerwE, (z. B. Feststellung der Wahlberechtigung) Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten und Streit vorangehen kann. Sch. gibt selbst zu, daß die Grenzen flüssig seien (S. 297).
Fünfter Abschnitt
Das allgemeine Verwaltungsverfahren § 35. Das Verwaltungsverfahren I. Im allgemeinen
Verwaltungsverfahren im weitesten Sinne des Wortes bedeutet die Tätigkeit oder das Vorgehen eines Trägers der öffentlichen Verwaltung zur Erledigung einer sachlichen Verwaltungsaufgabe jeglicher Art. So ergehen insbesondere Verwaltungsrechtsgeschäfte und Verwaltungsentscheidungen, von denen zuletzt die Rede war, regelmäßig nicht für sich allein, sondern in und nach einem bestimmten Verfahren, dessen Höhepunkt, z. T. Abschluß, sie bilden. Auf das Verfahren beim Erlaß von Rechtssätzen durch Träger öffentlicher Verwaltung (Verordnungen, Satzungen u. Vereinbarungen) ist hier nicht näher einzugehen; es genügt in dieser Hinsicht, auf das o. (§ 14) Gesagte zu verweisen. Beim privatwirtschaftliehen (fiskalischen) Handeln kommen, wie früher erwähnt, die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts in Frage, worauf hier ebenfalls nicht weiter einzugehen ist. Es bleibt hier also nur noch zu behandeln das öffentlich-rechtliche Verfahren, soweit es auf die Herbeiführung eines Verwaltungsbescheides, einer Verwaltungsverfügung oder -entscheidung, bzw. eines Verwaltungsvertrags gerichtet ist. Über dieses Verfahren in Verwaltungssachen bis zum Ergehen des Verwaltungsbescheides oder des Verwaltungsvertrags im allgemeinen ist zunächst in diesem Abschnitt zu handeln, während das sich gegebenenfalls daran anschließende oder auch ohne ein solches vorausgehende Verfahren - nämlich beim sofortigen Zwang - eingreifende Verwaltungszwangsverfahren im folgenden (6.) Abschnitt zu erörtern ist. Das Verwaltungsverfahren in diesem Sinne im allgemeinen bedeutet den Inbegriff von Verwaltungshandlungen einer Verwaltungsbehörde, die dem Zweck dienen, eine Verwaltungsaufgabe in einem bestimmten Einzelfalle durchzuführen und regelmäßig auf die Herbeiführung einer Verwaltungsverfügung oder Verwaltungsentscheidung, die mit Bezug auf das Verfahren enger zusammengehören, oder aber eines Verwal-
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§ 35. Das Verwaltungsverfahren
tungsvertrags gerichtet sind und deswegen in einem äußeren und inneren Zusammenhang stehen einschließlich der sich auf dieses Verfahren beziehenden Handlungen Beteiligter. Danach ist beim Verwaltungsverfahren zu unterscheiden, ob es gerichtet ist auf die Herbeiführung eines Verwaltungsbescheides, einer Verwaltungsverfügung oder einer Verwaltungsentscheidung (vgl. u. Ziff. II), oder aber auf die Herbeiführung eines Verwaltungsvertrags (vgl. u. Ziff. III). Einer gesetzlichen Grundlage bedarf die Regelung des Verwaltungsverfahrens nur insoweit, als in den durch die Grundrechte geschützten Rechtsbereich des einzelnen eingegriffen wird, also z. B. mit Vorschriften über die Erscheinungs- und Auskunftspflicht der Beteiligten usw., da es sich an sich nur um eine Regelung handelt, wie die Verwaltungsbehörden zu verfahren haben, was nicht unter dem Vorbehalt des Gesetzes steht. Eine allgemeine Regelung des Verwaltungsverfahrens besteht reichsbzw. bundesrechtlich bis jetzt - abgesehen von der Regelung in vereinzelter Hinsicht, nämlich des Zustellungswesens der "Bundesbehörden, der bundesunmittelbaren Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, der Landesfinanzbehörden und der Finanzgerichte (Behörden)"1 - nicht; vielmehr ist eine Regelung des Verfahrens nur in bestimmten Verwaltungsangelegenheiten jeweils besonders, nämlich für die bundeseigene Verwaltung, wie für die auswärtigen Angelegenheiten (Konsulatswesen), das Bundespost- und -fernmeldewesen sowie die Bundesbahn - aber auch weitergehend für das sonstige Eisenbahnwesen - und das Finanzwesen (RAbgO) erfolgt, im übrigen, zumal da nach dem GG für die Regel die Durchführung der Bundesgesetze den Ländern überlassen ist, im allgemeinen nur z. T., wie z. B. im Sinne von Richtlinien in der GewO (vgl. insb. §§ 17 ff., 63), besonders eingehend aber in der RVO (vgl. das- jetzt weitgehend durch das BSozGG überholteBuch 6), in §§ 170 ff. A VAVG und in dem G über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 (BGBl. I S. 202), abg. durch das G vom 27. Juni 1960 (BGBl. I S. 453); vgl. auch §§ 325 ff. LAG vom 14. August 1952, §§ 109 ff. FlurberG vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 591). §§51 ff. G gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1081), § 145 ff. BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341), §§ 10 ff. BWassStr.ReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125). Im übrigen ist es der landesrechtliehen Regelung überlassen worden. Nach dem GG regeln die Länder, wenn sie Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen, die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren und ebenso bleibt die Einrichtung der Behörden Angel€• 1 Vgl. das VerwZustellungsG vom 3. Juli 1952 (BGBl. I S. 379). Wegen des VerwVollstreckungsG vgl. unter § 36, wegen des OrdnungswidrigkeitenG u. § 39.
Das Verwaltungsverfahren bei Verwaltungsbescheiden
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genheit der Länder, wenn sie Bundesgesetze im Auftrag des Bundes ausführen, soweit nicht in diesen Fällen Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrats etwas anderes bestimmen (Art. 84, 85 GG). Wegen der Regelung des Aufbaus und des Verfahrens der Bundesfinanzbehörden durch Bundesgesetz bzw. der Regelung des Aufbaus der Landesfinanzbehörden und des Verfahrens vor ihnen durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrats vgl. Art. 108 GG. In den Ländern war das Verwaltungsverfahren ebenfalls bisher nur z. T. allgemein geregelt worden; so z. B. in Preußen in dem G über die allg. Landesverwaltung (LVG) vom 30. Juli 1883, in dem G über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden (ZG) vom 1. August 1883, und für das Verfahren in Polizeisachen in dem PVG vom 1. Juni 1931; in Baden in der landesh. VO, das Verfahren in Verwaltungssachen (VerfO) vom 31. August 1884, in Thüringen in der LandesverwaltungsO vom 10. Juni 1926 und vom 22. Juli 1930 (GS S. 123 ff.) 2 , während es z. B. in Württemberg an einer allgemeinen Regelung fehlte und es vorerst nur neben dem Entwurf einer VerwaltungsrechtsO in sachlichrechtlicher Hinsicht auch zu einem Entwurf eines - außer das Verwaltungsverfahren auch das verwaltungsgerichtliche Verfahren regelnden- VerwaltungsverfahrensG gekommen war (1931-1936); jetzt sind für Baden-Württemberg einige Bestimmungen in dem LVerwG vom 7. November 1955 (GBl. S. 225) und in dem PolG vom 21. November 1955 (GBl. S. 249) insbesondere über Maßnahmen der Polizei enthalten, wozu noch das VerwZustG vom 30. Juni 1958 (GBl. S. 165) getreten ist; für Berlin vgl. das AllgZG und das VerwVerfG vom 2. Oktober 1958 (GVBL S. 947, 951). In Österreich findet sich eine allgemeine Regelung in dem Allg. VerwaltungsverfahrensG vom 21. Juli 1925, nebst dem VerwaltungsstrafG und dem VerwaltungsvollstreckungsG nebst dem EG zu den VerwVerfGesetzen vom 21. Juli 1925 (BGBL Nr. 273 ff.), jetzt i. d. F. der Bek. vom 23. Mai 1950 (BGBL Nr. 172) 3 • II. Das Verwaltungsverfahren bei Verwaltungsbescheiden (Verwaltungsverfügungen und Verwaltungsentscheidungen)
Zwei Arten der äußeren Gestaltung des Verwaltungsverfahrens können hier unterschieden werden: das einfache oder gewöhnliche Verwaltungsverfahren (vgl. u. Buchst. a) und das förmliche VerwaltungsverJetzt i. d. F. d. AnpassungsG vom 26. November 1945 (GS 1946 S. 53). Vgl. auch noch Spanner, Grundsätzliches zum VerwVerfahren, in DÖV 1958 S. 651 ff. und Reuß, Das VerwVerfahren usf., ebda S. 656 ff.; ferner H. 17 der VVDStRL (1959) S. 118 ff., mit den Berichten von Bettermann u. Melichar, Das VerwVerfahren, nebst Aussprache sowie Langrod, Probleme d. allg. VerwVerfahrens, in DVBL 1961 S. 305 ff. 2
3
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Das Verwaltungsverfahren
fahren oder Beschlußverfahren (vgl. u. Buchst. b). (Wegen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vgl. u. 5. Buch.) a) Das einfache Verfahren 1) Die Zuständigkeit Zu unterscheiden ist hierbei zwischen allgemeiner, sachlicher und örtlicher Zuständigkeit (vgl. hierzu bereits o. §§ 32, 34). aa) Die allgemeine Zuständigkeit wird gegeben nach der Verteilung der öffentlichen Aufgaben nach sachlichen Gesichtspunkten auf die verschiedenen Träger der öffentlichen Verwaltung: Staat, d. h. Bund und Länder, Selbstverwaltungskörperschaften, z. B. Gemeinden, Kreise usw., und beliehene Privatpersonen; die Nichtbeachtung dieses allgemeinen Zuständigkeitsbereichs hat die Nichtigkeit der dagegen verstoßenden Verwaltungshandlungen zur Folge. So z. B. auch, wenn einzelzweckliehe Selbstverwaltungskörperschaften (o. § 27) den ihnen durch G zugewiesenen Aufgabenkreis überschreiten. bb) Die sachliche Zuständigkeit wird gegeben innerhalb eines einzelnen bestimmten Verwaltungsträgers und hierbei gegebenenfalls unterschieden zwischen verschiedenen Verwaltungszweigen, z. B. innerer Verwaltung, Rechtspflegeverwaltung und Finanzverwaltung, oder innerhalb eines und desselben Verwaltungszweigs zwischen unteren, gegebenenfalls mittleren und höheren (oberen und obersten) Verwaltungsstellen; innerhalb eines Landes, z. B. zwischen Landratsamt- soweit es noch untere staatliche Verwaltungsbehörde ist -, Regierungspräsidium und Ministerium des Innern. In einzelnen Gesetzen kann auch eine gemeinschaftliche Zuständigkeit und Mitwirkung zweier verschiedener Verwaltungsbehörden nach gewisser Richtung hin vorgesehen sein4 , wobei dann, wie früher bereits bemerkt, die eine "federführend" zu sein pflegt; das alleinige Handeln einer Verwaltungsbehörde bedeutet hier Mangel der sachlichen Zuständigkeit. Grundsätzlich ist nur die sachlich zuständige Verwaltungsbehörde zur Vornahme der betreffenden Amtshandlung befugt. Dies gilt vor allem im Verhältnis der unteren Verwaltungsstelle zur höheren; aber umgekehrt ist auch die höhere Verwaltungsbehörde nicht ohne weiteres zur Vornahme von Verwaltungshandlungen der unteren Ver4 Vgl. z. B. § 142 pr. Allg. BergG vom 24. Juni 1865 in Verbindung mit § 15 ZG (gemeinschaftl. Beschluß des Oberbergamts und des Reg.Präs., ob und unter welchen Bedingungen der Grundeigentümer zur Abtretung eines Grundstücks oder der Bergwerksbesitzer zum Erwerb des Eigentums verpflichtet ist).
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waltungsstelle befugt, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist5 • Im allgemeinen sind die höheren Verwaltungsbehörden nur zur Aufsicht und zur Erteilung von Weisungen an untere Verwaltungsstellen, ferner aber auch zur Aufhebung von Verwaltungsbescheiden von Amts wegen oder auf Grund der Anfechtung seitens eines Beteiligten befugt - so auch z. B. nach § 46 RAbgO im Bereiche der Finanzverwaltung -; die Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsbescheiden anstelle der unteren Behörden bedarf bei gesetzlicher Regelung der sachlichen Zuständigkeit der besonderen Zulassung, z. B. bei Gefahr im Verzug (vgl. weiter u.). cc) Die örtliche Zuständigkeit wird bestimmt durch die Verteilung gleichartiger Verwaltungsgeschäfte eines Trägers der öffentlichen Verwaltung auf mehrere gleichartige Verwaltungsstellen mit örtlich abgegrenztem Wirkungskreis oder Bezirk nach gewissen gegebenen örtlichen Beziehungen der Verwaltungssachen zu einer solchen Verwaltungsstelle. Dies kommt bei den obersten, insbesondere für den ganzen Staat zuständigen Behörden, den Ministerien und den ihnen nachgeordneten gleichfalls für das ganze Staatsgebiet zuständigen sog. oberen Verwaltungsstellen, wie z. B. beim Bundesgesundheitsamt, dem Statistischen Bundesamt usw., nicht in Betracht; hier kommt nur eine sachliche Zuständigkeit in Frage. Im übrigen ist die örtliche Zuständigkeit ordnungshalber zu beachten: die Verwaltungsbehördensind nur innerhalb des ihnen zugewiesenen Verwaltungsbezirks zuständig, nur zur Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben mit Bezug auf ihren Verwaltungsbezirk berufen6 , also insbesondere nur hinsichtlich der Personen und Grundstücke, die sich in ihrem Bezirk befinden, soweit nichts Besonderes bestimmt ist. So ist z. B. nach § 2 bad. VerfO vom 31. August 1884 zuständig die Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk die Verfügung zu vollziehen oder das in Anspruch genommene Recht auszuüben ist; wenn mehrere Bezirksbehörden zuständig sind, bestimmt in Streitfällen das zuständige Ministerium, welche zu entscheiden hat; die von einer unzuständigen Bezirksbehörde erlassene Entscheidung kann aber, wenn sie vollzogen ist, wegen Unzuständigkeit der Behörde von den in der Sache aufgetretenen privaten Beteiligten nicht mehr angefochten werden. Bei Angelegen5 Das ist vor allem auch für den Rechtsmittelzug von Bedeutung, insofern andernfalls dem Beteiligten u. U. eine Rechtsmittelstufe entzogen würde. 6 Die sachliche und örtliche Zuständigkeit gilt für die gesamte öff. Tätigkeit der Verw.Behörden; so würde z. B. eine ortspoliz. Vorschrift, die ein Bürgermeister als Träger der Ortspolizei für eine andere Gemeinde oder Teile davon erlassen würde, mangels der örtl. Zuständigkeit rechtsungültig, nichtig, sein, falls die Polizei Auftragsangelegenheit ist, während sonst die Nichtigkeit sich aus dem o. Buchst. aa Gesagten ergibt. Vgl. auch Thoma, Polizeibefehl
s. 459.
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heiten, die eine örtliche Beziehung zu Grundstücken aufweisen, kommt die Verwaltungsbehörde in Betracht, in deren Bezirk sich das betroffene Grundstück (oder das grundstücksgleiche Recht) befindet (vgl. z. B. § 148 BBauG v. 23. Juni 1960, BGBLI S. 341); So ist z. B. nach § 3 FlurberG vom 14. Juni .1953 (BGBL I S. 591) für die Flurbereinigung die Flurbereinigungsbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirl~ das Flurbereinigungsgebiet liegt. So wird weiter die örtliche Zuständigkeit durch die Grundstücke bestimmt bei der Erteilung der Bauerlaubnis und der gewerbepolizeilichen Erlaubnis nach den §§ 16 ff. GewO. Bei persönlichen Verhältnissen ist im allgemeinen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Betreffenden maßgebend, in deren Ermangelung oder z. T. auch sonst bei mehr vorübergehenden Vorgängen der Ort, wo die betreffende Handlung vorgenommen oder das Recht ausgeübt werden soll; bei Angelegenheiten, die einen Gewerbebetrieb betreffen, der Ort, wo der Gewerbebetrieb ausgeübt wird'; so wird weiter die Reisegewerbekarte durch die für den Wohnort oder in dessen Ermangelung durch die für den Aufenthaltsort des Antragstellenden zuständige untere Verwaltungsbehörde erteilt, versagt oder entzogen (§ 61 GewO). Bei juristischen Personen tritt anstelle des Wohnsitzes der Ort, wo sie ihren Sitz hat, soweit nichts anderes bestimmt ist. So bestimmte sich nach § 57 pr. LVG die örtliche Zuständigkeit für das Beschlußverfahren in der ersten Verwaltungsstufe in Angelegenheiten, die sich auf Grundstücke beziehen, nach der Behörde der belegeneu Sache; im übrigen war die Behörde desjenigen Bezirks (Kreis, Regierungsbezirk, Provinz) zuständig, in welchem die Person wohnt oder die Körperschaft bzw. öffentliche Behörde ihren Sitz hat, auf deren Angelegenheit sich die Beschlußfassung bezieht; wenn die Körperschaft oder öffentliche Behörde ihren Sitz außerhalb des räumlichen Bezirks hatte, war diejenige Behörde zuständig, welcher dieser Bezirk angehörte. Nach § 22 pr. PVG vom 1. Juni 1931 ist die Zuständigkeit der Polizeibehörde auf den Polizeibezirk beschränkt und die örtliche Zuständigkeit der Polizeibehörde danach bestimmt, in deren Bezirk die polizeilich zu schützenden Belange verletzt oder gefährdet werden; für den Fall, daß sich Polizeibeamte auf Anweisung der zuständigen Aufsichtsbehörde oder auf Ersuchen der zuständigen Polizeibehörde in einem fremden Polizeigebiet befinden, so haben sie die Befugnisse der in diesem Bezirk zuständigen Polizeibeamten. Bei polizeiwidrigem Handeln ist danach, soweit nichts anderes bestimmt ist, die örtliche Zuständigkeit z. B. 7 So ist z. B. nach pr. R für die Rücknahme der Bestallung als Feldmesser usw. (§§ 36 [a. F.], 53 GewO, § 120 ZG) allein die Polizeibehörde des Orts zuständig, wo das Gewerbe ausgeübt wird; für die Untersagung eines Gewerbebetriebs nach§ 35 GewO ist zuständig die Behörde des Betriebsorts. Vgl. Pr. OVG Bd. 22 S. 318, Bd. 39 S. 289. Vgl. ferner z. B. § 4 RechtsVO über Anforderungsbehörden nach d. BLeistG vom 1. Oktober 1961 (BGBl. I S. 1786), § 170 AVAVG.
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der Ortspolizeibehörde des Ortes gegeben, in deren Bezirk sich die beanstandete Handlung auswirkt, ebenso aber auch derjenigen, in deren Bereich sie erfolgt8 • Vgl. noch z. B. § 2 der 1. DurchfVO z. G über den Fischereischein vom 21. April 1939 (RGBl. I S. 816), wonach zuständig für die Erteilung des Fischereischeins die Kreispolizeibehörde ist, und zwar örtlich zuständig die Behörde, in deren Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz hat, für den Monatsfischereischein auch die Behörde, in deren Bezirk der Antragsteller den Fischfang ausüben will; hat der Antragsteller im Inlande keinen Wohnsitz, so ist die Behörde zuständig, in deren Bezirk der Antragsteller den Fischfang ausüben will. Nach § 15 BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. vom 30. März 1961 wird der Jagdschein von der für den Wohnsitz des Bewerbers zuständigen Behörde erteilt. Nach § 47 StraßenverkehrsO vom 13. November 1937 i. d. F. der Bek. vom 29. März 1956 (BGBl. I S. 271, 327) ist örtlich zuständig die Behörde (Straßenverkehrsbehörde) des Wohnorts, mangels eines solchen des Aufenthaltsorts (bei juristischen Personen, Firmen oder Behörden des Sitzes oder der beteiligten Niederlassung der Dienststelle) des Antragstellers oder Betroffenen, wobei die Verfügungen der örtlich zuständigen Behörde für das ganze Inland wirksam sind usw.; so auch entsprechend § 68 StVerkZO i. d. F. vom 6. Dez.1960 (BGBl. I S. 898); vgl. noch § 23 für die Zuteilung des amtlichen Kennzeichens, wonach für ein Kraftfahrzeug oder einen -anhänger die Verwaltungsbehörde - Zulassungsstelle - zuständig ist, in deren Bezirk das Fahrzeug seinen regelmäßigen Standort (Heimatort) haben soll. So war bisher weiter z. B. jeder Hilfsbedürftige vorläufig von demjenigen Bezirksfürsorgeverband zu unterstützen, in dessen Bezirk ·er bei Eintritt der Hilfsbedürftigkeit sich befindet, wogegen zur Fürsorge endgültig derjenige Fürsorgeverband verpflichtet ist, in dessen Bezirk der Hilfsbedürftige bei Eintritt der Hilfsbedürftigkeit den gewöhnlichen Aufenthalt hat, bzw. wenn ein solcher nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln ist, derjenige Landesfürsorgeverband, dem der vorläufig verpflichtete Bezirksfürsorgeverband angehört (§ 7 FürsPflVO v. 13. Febr. 1924); jetzt ist nach dem BSozialHG vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 815) für die Sozialhilfe örtlich zuständig der Träger der Sozialhilfe - kreisfreie Stadt oder Landkreis-, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende tatsächlich aufhält(§§ 96 ff.); so ist nach§ 11 JugWohlfG vom 11. August 1961 (BGBI. I S. 1206) das Jugendamt zuständig für alle Minderjährigen, die in seinem Bezirk ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, wogegen für Minderjährige ohne gewöhnlichen Aufenthaltsort und für vorläufige Maßnahmen das JA zuständig ist, in dessen Bezirk das Be8 Nicht einleuchtend Pr. OVG Bd. 86 S. 265, das die Zuständigkeit auf die zuerst bezeichnete Ortspolizeibehörde beschränken will, die Ortspolizeibehörde des Orts, an dem die polizeiwidrige Handlung vorgenommen wird, deren Vornahme also dulden müßte(!).
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dürfnis der öffentlichen Jugendhilfe hervortritt. Nach § 3 KriegsopfVersVerwVerfG vom 2. Mai 1955 ist in erster Reihe örtlich zuständig di€ Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk der Antragsteller z. Z. der Antragstellung seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat; vgl. ferner noch z. B. §§ 185 ff. BEntschG i. d. F. vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 599). Nach§ 51 G über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 ist örtlich zuständig die Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk der Betroffene seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen seinen dauernden Aufenthalt hat, bei Ordnungswidrigkeiten in einem Betriebe die Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat; zuständig ist aber auch die Behörde, in deren Bezirk die Ordnungswidrigkeit begangen worden ist, bei mehrfach begründeter Zuständigkeit die Verwaltungsbehörde, die zuerst mit der Sache befaßt worden ist. Bei Streitfällen bestimmt im übrigen im allgemeinen die gemeinsame höhere Behörde die örtliche Zuständigkeit. Neben der regelmäßigen ordentlichen Zuständigkeit kann für besondere Verhältnisse auch eine außerordentliche Gestaltung der Zuständigkeit bestimmt sein. So sind nach § 167 GVG die Polizeibeamten eines deutschen Landes ermächtigt, die Verfolgung eines Flüchtigen in das Gebiet eines anderen deutschen Landes fortzusetzen und ihn dort zu ergreifen9 ; jedoch ist er dann unverzüglich an das nächste Gericht oder die nächste Polizeibehörde des Landes, in dem er ergriffen wurde, abzuführen. Nach§ 23 pr. PVG (entsprechend z. B. § 14 niedersächs. G über die öffentliche Sicherheit und Ordnung v. 21. März 1951) ist, wenn die Erfüllung polizeilicher Aufgaben auch polizeiliche Maßnahmen des angrenzenden Polizeibezirks erfordert und die Mitwirkung der für diese Maßnahmen zuständigen Polizeibehörde nicht ohne eine den Erfolg des Einschreitens beeinträchtigende Verzögerung zu erreichen ist, die eingreifende Polizeibehörde berechtigt, auch in dem angrenzenden Bezirk die notwendigen Maßnahmen zu treffen; zur Verfolgung strafbarer Handlungen auf frischer Tat, zur unmittelbaren Verhinderung strafbarer Handlungen, zur Verfolgung und Wiederergreifung Entwichener können die polizeilichen Vollzugsbeamten auch außerhalb des Polizeibezirks ihrer Behörde Amtshandlungen vornehmen, wobei jedoch die zuständige Polizeibehörde von den getroffenen Maßnahmen unverzüglich in Kenntnis zu setzen ist; wenn eine polizeiliche Angelegenheit in benachbarten Polizeibezirken zweckmäßig nur einheitlich geregelt werden kann, so bestimmt die den beteiligten Polizeibehörden gemeinsam vorgesetzte Polizeiaufsichtsbehörde die zuständige Polizeibehörde. So kann ferner nach § 47 Abs. 3 StrVerkO i. d. F. der Bek. vom 29. März 1956 (BGBl. I S. 271) bei Gefahr im Verzug zur Auf9 Vgl. schon den Reichsabschied von 1559, §§ 22 und 26; Pütter, Inst. Jur. Publ. Germ. § 451.
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rechterhaltung der Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs jede Polizeibehörde und jeder Polizeibeamte anstelle der örtlich und sachlich zuständigen Straßenverkehrsbehörde tätig werden und vorläufige Maßnahmen treffen; vgl. ferner z. B. § 15 nordrh.-westf. PolOrgG vom 11. August 1953 wegen des vorläufigen Eingreifens sachlich unzuständiger Polizeibehörden in Notfällen. Im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung des Pr. OVG 10 können nach § 12 pr. PVG die Landes- und Kreispolizeibehörden in den gesetzlich vorgesehenen Fällen oder bei Gefahr im Verzug die Befugnisse der nachgeordneten Polizeibehörden ausüben mit Ausnahme der Befugnis zum Erlaß von Polizeiverordnungen, desgl. die nachgeordneten Polizeibehörden ebenso bei Gefahr im Verzug die Befugnisse der vorgesetzten Polizeibehörden mit Ausnahme wiederum der Befugnis zum Erlaß von Polizeiverordnungen. In diesen Fällen ist die an sich zuständige Polizeibehörde unverzüglich über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten (vgl. auch §§ 6, 23 Abs. 1 und 2 PVG); für die Anfechtung der betreffenden Verfügung ist dann nicht der Inhalt, sondern die amtliche Stellung der betreffenden Behörde maßgebend, welche die Verfügung erlassen hat, und nicht derjenigen, die an sich zuständig gewesen wäre11 • Wegen der Folgen des Fehlens der sachlichen und der örtlichen Zuständigkeit vgl. o. § 31 Ziff. VIII.
2) Die Ausschließung und Ablehnung von Verwaltungsbeamten Für die Ausschließung von Verwaltungsbeamten bei der Erledigung einer einzelnen Verwaltungssache kraft Gesetzes und wegen der Ablehnung in diesen Fällen sowie wegen Besorgnis der Befangenheit werden in Ermangelung besonderer Vorschriften - zumal jetzt auch im Hinblick auf die entsprechende Verweisung in § 54 VwGO - die Bestimmungen der §§ 41 und 42 ZPO entsprechend anzuwenden sein12 • So galt schon früher als gewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtsgrundsatz, daß, wenn ein Verwaltungsbeamter, z. B. ein Landrat, seine Ehefrau oder nahe Angehörige an einer Verwaltungsangelegenheit- insb. in vermögensrechtlicher Hinsicht - persönlich wesentlich beteiligt sind, wie z. B in Antragssachen, er deswegen von der Ausübung des Amtes ausgeschlossen ist und sich der Beteiligung an einer solchen Sache zu enthalten hat13 • Vgl. auch z. B. § 115 pr. LVG; nach § 57 Abs. 5 KreisO für die östlichen Provinzen von 1872 hatte, wenn der Amtsvorsteher 1o Vgl. z. B. Bd. 2 S. 424, Bd. 5 S. 340, Bd. 20 S. 302, Bd. 23 S. 214, Bd. 24 S. 347, Bd. 46 S. 422, Bd. 53 S. 323, Bd. 54 S. 423, Bd. 91 S. 268. 11 Vgl. z. B. Pr. OVG Bd. 31 S. 234, Bd. 32 S. 344, Bd. 38 S. 367, Bd. 99 S. 196. 12 So auch Pr. OVG Bd. 4 S. 326, Bd. 16 S. 355; Kormann, Rechtsgeschäftl. Staatsakte S. 170. 13 Vgl. z. B. Pr. OVG Bd. 4 S. 326, Bd. 16 S. 357, Bd. 23 S. 211, Bd. 38 S. 226, Bd. 59 S. 467. Bd. 63 S. 463. Bd. 84 S. 308, Bd. 97 S. 252.
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bei der Erledigung eines Amtsgeschäfts persönlich beteiligt ist, der Kreisausschuß den Stellvertreter oder einen der benachbarten Amtsvorsteher bzw. Bürgermeister damit zu betrauen. Nach§ 59 BBG i. d. F. vom 1. Oktober 1961 (BGBI. I S. 1802) ist der Bundesbeamte (vgl. § 2) von Amtshandlungen zu befreien, die sich gegen ihn selbst oder einen Angehörigen, d. h. Personen, zu deren Gunsten dem Beamten wegen familienrechtlicher Beziehungen im Strafverfahren das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, richten würden; gesetzliche Vorschriften, nach denen der Beamte von einzelnen Amtshandlungen ausgeschlossen ist, bleiben unberührt; vgl. auch§ 5 DBG. Bezüglich der Gemeinden enthielten §§ 25, 38 DGO eine Bestimmung, die z. T. in die neuen Landesgemeindeordnungen übergegangen ist. Vgl. z. B. die eingehende Regelung in§ 18 bad.-württ. GO vom 25. Juli 1955 (GBI. S. 129), wonach der ehrenamtlich tätige Bürger weder beratend noch entscheidend mitwirken darf, wenn die Entscheidung einer Angelegenheit ihm selbst, seinem Ehegatten, früheren Ehegatten oder Verlobten oder einem Verwandten in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad oder Verschwägerten in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum zweiten Grade oder einer von ihm kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann; dies gilt auch dann, wenn der Bürger gegen Entgelt bei jemand beschäftigt ist, dem die Entscheidung der Angelegenheit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann oder er persönlich haftender Gesellschafter einer Handelsgesellschaft oder Aufsichtsratsmitglied eines privatrechtliehen Unternehmens ist, denen die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann, sofern er diesem Willensträger nicht als Vertreter der Gemeinde angehört, er Mitglied eines Willensträgers einer an der Angelegenheit beteiligten Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, die nicht Gebietskörperschaft ist, sofern er diesem Willensträger nicht als Vertreter der Gemeinde angehört oder in der Angelegenheit in anderer als öffentlicher Eigenschaft ein Gutachten abgegeben oder sonst tätig geworden ist; diese Vorschriften gelten jedoch nicht, wenn die Entscheidung nur die gemeinsamen Belange einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe berührt, ferner nicht für Wahlen, die vom Gemeinderat aus seiner Mitte vorgenommen werden müssen; darüber, ob ein Ausschließungsgrund vorliegt, entscheidet in Zweifelsfällen, in Abwesenheit des Betroffenen, bei Gemeinderäten und bei Ehrenbeamten der Gemeinderat, bei Gemeindeverordneten der Bürgerausschuß, bei Mitgliedern von Ausschüssen der Ausschuß, sonst der Bürgermeister; diese Bestimmungen gelten entsprechend für den Bürgermeister (§ 52 GO). Vgl. auch § 7 Abs. 3 SelbstverwG (auf dem Gebiete der Sozialversicherung) i. d. F. vom 13. August 1952 (BGBI. I S. 427). Entsprech·end der Vorschrift des~ 7 FGG, § 68 RAbgO wird an-
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zunehmen sein, daß Verwaltungshandlungen, die von einem Verwaltungsbeamten vorgenommen worden sind oder bei denen er mitgewirkt hat, nicht deshalb unwirksam sind, weil der Betreffende von der Ausübung des Amtes ausgeschlossen oder sie nicht vornehmen sollte, soweit nichts anderes bestimmt ist; sie erscheinen nur aus diesem Grunde als fehlerhaft 14 , d. h. anfechtbar und rücknehmbar bzw. aufhebbar. Bei der Mitwirkung in einem Beschlußkörper wird dies nur zu gelten haben, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung beeinfiußt worden ist durch die Mitwirkung der ausgeschlossenen Person, wie z. B., wenn bei der Mehrheitsentscheidung seine Stimme ausschlaggebend war. Der Selbstabschluß (sog. Selbstkontrahieren), d. h. die Vornahme einer Verwaltungshandlung durch den Verwaltungsbeamten als Vertreter der öffentlichen Gewalt mit sich als Privatmann, z. B. durch Erteilung einer begünstigenden Verwaltungsverfügung, erscheint aber in entsprechender Anwendung des§ 181 BGB, soweit es sich nicht um die Erfüllung von Verbindlichkeiten handelt, als verboten, wenn es ihm nicht besonders gestattet ist, im Sinne einer zwingenden Vorschrift, so daß der Verstoß dagegen wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot Nichtigkeit bewirkt 15 • 3) Die Beteiligten Zu den Beteiligten gehören einmal die unmittelbar Betroffenen, wie z. B. insbesondere der, welcher einen Antrag auf Erlassung einer bestimmten Verwaltungsverfügung oder -entscheidung gestellt hat, reg·elmäßig aber auch alle diejenig.en, die in der betreffenden Verwaltungssache Einwendungen erhoben haben, wie z. B. bei einem Baugesuch, einem Gesuch um die Erteilung einer Erlaubnis für eine sog. gefährliche Anlage (vgl. §§ 16 ff. GewO, § 114 württ. BauO), und mit denen dann die Angelegenheit von der Verwaltungsbehörde gegebenenfalls zu erörtern ist, ferner aber auch, soweit nichts anderes bestimmt ist, diej.enigen, deren Rechte oder rechtliche Belange durch die betreffende Verwaltungssache, und insbesondere deren Durchführung, unmittelbar berührt werden18 • Eine besondere Neuerung enthält § 56 BLeistG i. d. F. vom 27. September 1961 (BGBl. I S. 1770), wonach der Bundesfinanzminister bei den Anforderungsbehörden Vertreter der Finanzbelange ("des Finanzinteresses") bestellen kann, die Beteiligte am Entschädigungsfestsetzungsverfahren nach § 51 sind, sofern er nicht auf die Beteiligung verzichtet. - Die Beteiligten können sich im allgemeinen durch Anwälte oder sonst verfahrens-(prozeß-)fähige, d. h. geschäftsfähige, Bevollmächtigte vertreten lassen, soweit nicht ihr persönliches 14 Nach § 13 bad.-württ. GO "rechtswidrig". Vgl. auch Haueisen, D. Bedeutung der Interessenkollision im VerwR, in DVBI. 1950 S. 774 ff. 15 So auch Forsthoff, VerwR Bd. 1 S. 215 f. 16 Vgl. auch§ 8 KrOpfVersVerwVerfG.
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Erscheinen zur Auskunftgerteilung erfordert wird, sich auch bei persönlichem Erscheinen durch einen Anwalt oder sonst verfahrensfähige Personen als Beistand begleiten lassen; doch können Bevollmächtigte und Beistände, die, ohne Rechtsanwälte zu sein, mündliche Verhandlungen vor der Behörde geschäftsmäßig betreiben, zurückgewiesen werden, und zwar ohne daß eine solche Anordnung angefochten werden könnte; so z. B. § 7 bad. VerfO. Den Beteiligten oder ihren Vertretern steht die Einsicht der Unterlagen frei, wobei jedoch die Behörde, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach ihrem Ermessen einzelne Vorträge oder Berichte von der Einsicht ausnehmen kann; von den der Einsicht zugänglichen Stücken der Unterlagen können die Beteiligten schriftliche Auszüge auf ihre Kosten anfertigen lassen; aus Gründen des öffentlichen Wohls kann die Einsicht der Unterlagen verweigert werden, vgl. §§ 7, 8 bad. VerfO. Im Falle der V:ertretung steht nichts im Wege, daß die Behörde sich gegebenenfalls auch unmittelbar an den Vertretenen wendet, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. 4) Der Amtsgrundsatz
Entsprechend den ihnen zugewiesenen öffentlichen Aufgaben haben die Behörden der öffentlichen Verwaltung im Rahmen ihrer Zuständigkeit im allgemeinen von Amts wegen zum Schutze und zur Förderung der Volksgemeinschaft tätig zu werden; nicht bedürfen sie dazu grundsätzlich eines Anstoßes von außen, wie regelmäßig die Gerichte durch Klage eines Beteiligten ("Ne eat iudex ex officio"), soweit nichts anderes bestimmt ist. Das gilt sowohl auf dem Gebiete der Polizei im allgemeinen wie auch auf dem der Wohlfahrts- und Kulturpflege. Vgl. z. B. 1§ 14 pr. PVG. So heißt es weiter z. B. in§ 4 FlurBerG vom 14. Juli 1953 (BGBL I S. 591): "Die obere Flurbereinigungsbehörde kann die Flurbereinigung anordnen und das Flurbereinigungsgebiet feststellen, wenn sie die Voraussetzungen für eine Flurbereinigung und das Interesse der Beteiligten für gegeben hält." So wird sogar auf dem Gebiete der öffentlichen Fürsorge in § 2 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 4. Dezember 1924 i. d. F. vom 1. August 1931 gesagt, daß die Fürsorge von einem Antrag nicht abhängig ist, was z. B. für die sog. "verschämten Armen" von Bedeutung ist, da an der Erhaltung eines j-eden Menschen der Allgemeinheit gelegen sein muß; ebenso setzt jetzt nach § 5 BSozialhG vom 30. Juni 1961 (BGBL I S. 815) die Sozialhilfe ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, daß die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen. Nach §§ 4 Abs. 3, 6 LBeschG vom 23. Februar 1957 (BGBL I S. 134) werden die erforderlichen Sicherungsvorkehrungen usw. bei der Landbeschaffung von Amts wegen oder auf Antrag bestimmt. Regelmäßig ist jedoch in den Fällen,
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in denen ein einzelner für sich einen besonderen rechtlichen Vorteil, wie insbesondere die Verleihung eines Rechts, die Erteilung einer Erlaubnis oder einer sonstigen Rechtsstellung oder Vergünstigung von einem Träger der öffentlichen Verwaltung begehrt, eine Antragsteilung seitens des Beteiligten erforderlich, um das Verfahren in Gang zu bringen. So z. B. bei der Einbürgerung, der Aufnahme in das Beamtenverhältnis, der Verleihung eines öffentlichen Unternehmens oder eines Sondernutzungsrechts an einer öffentlichen Sache, dem Ausspruch der Enteignung, der Erteilung einer Polizeierlaubnis- Bauerlaubnis, Wirtschaftserlaubnis usf. -, aber auch bei der Ausstellung eines Leumundzeugnisses oder eines Passes, den Leistungen des BVG, des Lastenausgleichs (§ 234 LAG) sowie der Gewährung der Unterhaltssicherung für die Angehörigen der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen (§ 8 UnterhaltssichG v. 26. Juli 1957, i. d. F. v. 31. Mai 1961, BGBl. I S. 661), Bei der Reichsv·ersicherung sind die Leistungen der Versicherungsträger auf dem Gebiete der Unfallversicherung von Amts wegen, im übrigen auf Antrag festzustellen (vgl. § 1545 RVO). Zu weit geht aber wohl das Pr. OVG, wenn es annimmt (vgl. Bd. 104 S. 213), daß eine nach den bestehenden Vorschriften erforderliche Bauerlaubnis ohne Antrag erteilt oder versagt werden kann, damit nicht diejenigen, die sich weigern, die vorgesehenen Anträge zu stellen, bei der baupolizeiliehen Prüfung besser gestellt werden, z. B. hinsichtlich der Baugebühren, als diejenigen, die sich den gegebenen Vorschriften freiwillig unterwerfen; wenn dem auch im Ergebnis beizustimmen ist, zumal gesagt werden kann, daß die Bauerlaubnis im wesentlichen nur den Zweck hat, festzustellen, daß dem Bau keine öffentlich-rechtlichen Hindernisse entgegenstehen und der Eigentümer unter diesen Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Bauerlaubnis hat, aber doch darüber hinaus eine Freigabe des Bauens enthält, d. h. letztlich eine Verwaltungsverfügung, und nicht eine Verwaltungsentscheidung, ist, so ergibt sich für solche Fälle doch eine andere Möglichkeit, solchen Mißständen beizukommen; so insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Umgehung (vgl. o. § 16 Ziff. I f.) und im übrig.en daraus, daß auch bei unerlaubten Bauten usf. nicht auf jene Nachprüfung und Freigabe verzichtet werden kann, damit überall bei Bauten die Sache entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen in Ordnung geht. 5) Der Untersuchungsgrundsatz
Den bei den Verwaltungssachen in Frage stehenden öffentlichen Belangen entspricht es weiterhin, daß die Unterlagen für den zu erlassenden Verwaltungsbescheid (Verwaltungsverfügung oder -entscheidung) von Amts wegen beschafft werden, nötigenfalls durch Erforschung, Ermittlung und Feststellung der Tatsachen unter Erhebung der erfor59*
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derliehen Beweise; vgl. z. B. § 1 bad. VerfO vom 31. August 1884, wonach die Verwaltungsbehörden insbesondere befugt sind, Zeugen und Auskunftspersonen vorzuladen, und im Falle der Verweigerung die Vorladung durch Zwangsstrafen-nach § 31 PStrGB- zu erzwingen, weiter in gleicher Weise auch das persönliche Erscheinen und die Auskunftserteilung von seiten der Beteiligten, wenn es zur Aufklärung der Sache nötig ist, zu verlangen; vgl. z. B. auch§ 1617 RVO und'§ 12 KriegsopfVersVerwVerfG vom 2. Mai 1955 sowie§ 150 BBauG und§ 10 BWassStrReinhG, ferner § 9 StVZO i. d. F. vom 29. März 1956 (BGBl. I S. 271) wegen der Ermittlung über die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen. An die von den Beteiligten vorgelegten Beweismittel sind die Verwaltungsbehörden nicht gebunden, vielmehr besteht für sie die Pflicht, ihrerseits für die Erhebung aller zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Beweise zu sorgen, z. B. auch durch Einholung von Gutachten, amtlichen Auskünften, Beschaffung von Urkunden, Einnahme eines Augenscheins usf. (vgl. dazu Pr. OVG Bd. 92 S. 194). Dem Gesagten steht nicht entgegen, daß derjenige, der für sich einen besonderen rechtlichen Vorteil, eine Begünstigung, mittels e~nes von ihm gestellten Antrags begehrt, die erforderlichen Unterlagen in erster Reihe selbst beizubringen hat, um einen ihm günstigen Bescheid zu erwirken; z. T. enthalten aber auch schon die Gesetze selbst nähere Bestimmungen über die erforderlichen Unterlagen bei der Antragstellung, um unnötige Weitläufigkeiten in der Beschaffung der erforderlichen Unterlagen zu vermeiden, auf denen das weitere Verfahren sich aufbaut. So z. B. hinsichtlich der erforderlichen Pläne, Entwürfe und sonstigen Unterlagen für ein Baugesuch, für ein Gesuch um Erlaubnis für eine sog. gefährliche Anlage i. S. der §§ 16 ff. GewO; vgl. auch § 190 BEntschG vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 559). Nötigenfalls hat aber auch hier die Verwaltungsbehörde darauf hinzuwirken, daß die im Gesetz näher bestimmten Unterlagen vollständig beigebracht werden11 , gegebenenfalls unter Vorladung des Antragstellers. In besonderen Fällen genügt statt des (vollen) Beweises bloße Glaubhaftmachung, wie z. B. nach §§ 330 ff. LAG; dabei gelten als glaubhaft gemacht solche Angaben, "deren Richtigkeit mit einer ernstliche Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit dargetan ist". Auch gesetzliche Vermutungen kommen vor, vgl. z. B. § 272 LAG. Im übrigen ergibt sich aus allgemeinen rechtsstaatliehen Rechtsgrundsätzen, aber auch zur Erzielung einer sachgemäßen Entscheidung - ·entsprechend dem Anspruch auf rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) - der Anhörungsgrundsatz, d. h. daß, wenn von den Angaben des Antragstellers abgewichen oder sonst ihm nachteilige Tatsachen berücksichtigt werden sollen, ihm vor der Entscheidung, von Gefahr im Verzug abgesehen, 11
Vgl. auch§ 7 KrOpfVersVerwVerfG.
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Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist (vgl. dazu z. B. §51 Abs. 3 BLe~stG, § 14 KriegsgefEntschädG vom 30. Januar 1954, BGBl. I S. 5 und BVerwGE Bd. 5 S. 98, §§ 3 Abs. 4; 7 BÄrzteO vom 2. Oktober 1961, BGBl. I S. 1857, § 11 nordrh.-westf. 1. VereinfG vom 23. Juli 1957, GVBl. S. 189). So ist weiterhin auch die Anhörung sonst in Betracht kommender beteiligter dritter Personen zur Wahrnehmung ihrer Belange vorgesehen, wie z. B. der Nachbarn bei Baugesuchen, ferner derer, die bei öffentlicher Bekanntgabe des Vorhabens Einwendungen erhoben haben, wie z. B. nach §§ 16 ff. GewO, § 153 pr. Allg. BergG vom 24. Juni 1865. Bei der Ermittlung und Feststellung des Sachverhalts kommen außer der Vernehmung der Beteiligten und der unmittelbaren Erhebung von Beweisen, wie insbesondere der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, als Hilfspersonen im übrigen je nach Lage des Einzelfalls Polizeibeamte, Landjäger und Bürgermeister im allgemeinen zur Ermittlung und Feststellung des Sachverhalts in Betracht. Der Gang des Verfahrens, Art und Umfang der hierbei vorzunehmenden Verwaltungshandlungen werden lediglich durch die Art der zu erledigenden einzelnen Verwaltungsaufgabe unter Zweckmäßigkeitsrücksichten bestimmt; je nachdem kann ein Mehr oder Weniger erforderlich sein, wie z. B. bei der Erneuerung eines Passes oder einer Kennkarte (jetzt: "Personalausweis") gegenüber einer erstmaligen Ausstellung; es kann jedoch auch Besonderes vorgeschrieben sein, wie z. B., wie schon erwähnt, die Anhörung von Nachbarn bei Baugesuchen (vgl. z. B. § 130 bad. LandesbauO v. 1. Sept. 1907) usf. Es sind im allgemeinen alle Beweismittel zulässig mit Ausnahme des Eides, soweit nicht aus besonderen Gründen für gewisse Fälle die Gesetze eidliche, eidesstattliche oder handgelübdliche Bestätigung der Angaben der Parteien zur Erzielung wahrheitsgemäßer Aussagen zulassen oder vorschreiben. Die Zeugen werden im allgemeinen nur auf Verlangen der Beteiligten oder, wenn es zur Ermittlung der Wahrheit aus besonderen Gründen dienlich erscheint, verpflichtet; Regel ist die handgelübdliche Verpflichtung oder auch die eidesstattliche Versicherung. In wichtigeren Fällen kann nach dem Ermessen der Behörde, und wo es gesetzlich vorgeschrieben ist, muß eidliche Verpflichtung stattfinden; vgl. z. B. § 21 GewO hinsichtlich der eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen in dem Verfahren bei den sog. gefährlich·en Anlagen. Im dienststrafrechtliehen Verfahren findet die Verpflichtung der Zeugen regelmäßig statt. Sachverständige werden nur dann verpflichtet, wenn es von einem Beteiligten ausdrücklich verlangt wird; in diesem Falle genügt bei Sachverständigen, die vermöge ihres Dienstes oder sonst im voraus für Begutachtungen der betreffenden Art im allgemein·en beeidigt sind, die Berufung auf den geleisteten Eid. Für die Verpflichtung von Zeugen und Sachverständigen sind die
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§§ 392, 410 ZPO maßgebend: so die beispielhafte Regelung in § 12 bad. VerfO von 1884 i. d. F. vom 8. Juni 1905 (GuVBl. S. 309) 18 • Dageg.en ist nach § 17 Abs. 4 BDO im dienststrafrechtliehen Verfahren die Beeidigung von Zeugen und Sachverständigen nur zulässig, wenn Gefahr im Verzug oder wenn der Eid mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage oder als Mittel zur Herbeiführung einer wahren Aussage erforderlich ist. Wegen der Rechts- und Amtshilfe vgl. o. § 5 Ziff. II. Im übrigen gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung 6) Der Formlosigkeitsgrundsatz
Im Gegensatz insbesondere zum gerichtlichen Verfahren der ordentlichen Gerichte wie auch der Verwaltungsgerichte, aber auch zu dem ihm nachgebildeten förmlichen Verfahren (vgl. u. Buchst. b), ist das gewöhnliche Verwaltungsverfahren durch seine regelmäßige Formlosigkeit ausgezeichnet; der Gang des Verfahrens und die vorzunehmenden einzelnen Handlungen werden lediglich, wie an ander·er Stelle bereits bemerkt, durch Zweckmäßigkeitsrücksichten mit Bezug auf das zu err·eichende Ziel des Verfahrens bestimmt. So ist auch das Verfahren im allgemeinen schriftlich und nicht öffentlich, soweit nichts anderes bestimmt ist, oder im Einzelfalle für zweckmäßig erachtet wird. Insbesondere bei Gesuchen oder Anträgen wird auf deren Grundlage, gegebenenfalls nach Erhebung der erforderlichen Ermittlungen und Beweise hinsichtlich deren Richtigkeit und Vollständigkeit, wie etwa nach Anhörung von Sachverständigen usf., eine Verfügung oder Entscheidung zusagenden oder ablehnenden Inhalts erlassen, wenn die Sachlage nach der einen oder anderen Richtung hin genügend geklärt ist. Wenn es erforderlich erscheint, können, wie schon erwähnt, die Beteiligten, soweit solche überhaupt in Betracht kommen, sowie Zeugen und Sachverständige vorgeladen werden (vgl. z. B. § 119 pr. LVG). 7) Fristen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Für die Berechnung von Fristen gelten die Vorschriften des BGB (vgl. §§ 187 ff.), soweit nichts Besonderes bestimmt ist, entsprechend (vgl. auch§§ 37 ff. KriegsopferVersVerwVerfG). Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag, so endigt die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags; bei der Berechnung einer Frist, die nach Stunden bestimmt wird, werden, soweit nichts anderes bestimmt ist, Sonntage und allgemeine Feiertage nicht mitgerechnet. Bei Ausschlußfristen gilt mit unbenutztem Ablauf der Frist bzw. Tagfahrt, die Handlung, wofür sie bestimmt ist, kraft Gesetzes als versäumt, wie z. B. für die Geltendmachung der Anmeldung von Ansprü18
Vgl. auch§ 13 KrOpfVersVerwVerfG.
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chen - wie von Unfallfürsorgeansprüchen nach § 150 BBG oder Versorgungsansprüchennach §§56 ff. BVG (Ausschlußfrist von 2 Jahren)-, von Einwendungen oder von Rechtsmitteln. Vgl. z. B. § 17 GewO, wonach bei sog. gefährlichen Anlagen nach § 16 GewO etwaige Einwendungen gegen die Anlage binnen 14 Tagen nach der öffentlichen Bekanntgabe und Aufforderung dazu, beginnend mit dem Ablauf des Tages, an dem das die Bekanntmachung enthaltende Blatt ausgegeben ist, anzubringen sind mit der Folge, daß alle Einwendungen, die nicht auf besonderen bürgerlich-rechtlichen Rechtsgründen beruhen, ausgeschlossen werden (was nicht ausschließt, daß gegebenenfalls verspätete Einwendungen zufolge des Untersuchungsgrundsatzes noch bei der Prüfung und Entscheidung nach§ 18 berücksichtigt werden könnten; so zutreffend BVerwGE Bd. 9 S. 9 ff.); ferner Art. 113 württ. BauO vom 28. Juli 1910 (RegEl. S. 333), wonach Einwendungen der beteiligten Nachbarn und Behörden, welche die Einhaltung der baupolizeiliehen Vorschriften oder die Wahrung sonstiger polizeilicher Rücksichten bezwecken, wenn den Beteiligten ordnungsmäßige Gelegenheit zur Wahrung ihrer Rechte und Belange gegeben wurde, ausgeschlossen werden, "sobald das Bauwesen endgültig gestattet ist und bürgerlich-rechtliche Einwendungen und Einwendungen, die sich auf einen nach gesetzlicher Vorschrift im Parteistreitverfahren vor dem Verwaltungsgericht geltend zu machenden öffentlichen Anspruch (vgl. - früher - Art. 17 VerwRPflG) stützen, die baupolizeiliche Behandlung nicht hemmen; sie sind dann, wenn nicht eine Verständigung der Beteiligten erfolgt, zur richterlichen Entscheidung zu verweisen, der die Einstellung des polizeilich zugelassenen Bauwesens vorbehalten bleibt". - Solang.e das Erkenntnis nicht ergangen ist, kann die Behörde nach ihrem Ermessen auch nachträglich Vorgebrachtes noch berücksichtigen, soweit es für die Entscheidung von Erheblichkeit ist, vorbehaltlich der besonderen Vorschriften über die Versäumung von Rechtsmittelfristen. Eine Versäumung von Rechtsmittelfristen oder sonstigen gesetzlichen Ausschlußfristen (z. B. Anmelde- oder Einwendungsfristen) zieht grundsätzlich den Verlust des Rechtsmittels, insbesondere auch des Beschwerde- oder Widerspruchsrechts im Verwaltungswege bzw. die sonst angedrohten Rechtsnachteile nach sich. Jedoch ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Wiederherstellung oder Nachsicht) - entsprechend der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im bürgerlich·en Rechtsverfahren - auch für Verwaltungssachen, freilich nur im Falle einer unverschuldeten Verhinderung, insbesondere z. B. durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle, hier regelmäßig vorgesehen. Das Wiederherstellungsgesuch ist binnen bestimmter Frist, z. B. binnen zwei Wochen, nach Wegfall des Hindernisses, zugleich mit der Nachholung der versäumten Handlung und g.egebenenfalls der vorgeschrie-
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benen Rechtsmittelbegründung in der Hauptsache einzureichen unter Angabe der die Verhinderung rechtfertigenden Tatsachen und der Mittel zur Glaubhaftmachung. Vgl. z. B. früher§ 32 bad. VerfO, ferner§ 341 LAG vom 14. August 1962, § 61 BLeistG vom 19. Oktober 1956 i. d. F. vom 27. September 1961 (BGBl. I S. 1770), § 34 Flüchtl.NotleistG vom 9. März 1953 (BGBl. I S. 45), § 153 BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341), § 18 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125) und jetzt besonders §§ 70, 60 VwGO. Nach dieser zuletzt angeführten Vorschrift ist nach einem Jahre seit dem Ende der versäumten Frist der Antrag (im Widerspruchsverfahven) unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war; über den Antrag entscheidet die Behörde, die über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Eine Unterlassung der vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung hat zur Folge, daß die Rechtsmittelfrist nicht als begonnen anzusehen istt 9 • Auch eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung hat sich die Verwaltungsbehörde selbst zuzuschreiben; so ist eine infolge unrichtiger Rechtsbelehrung versäumte Rechtsmittelfrist als gewahrt anzusehen, da ein der Behörde zur Last fallender Irrtum auf den der Verwaltete vertraute, nicht diesem zur Last gelegt werden kann20 • Neuerdings ist verschiedentlich eine Frist für die Entscheidung über einen Antrag vorgesehen; vgl. z. B. § 2 SchwerbeschG in der früheren Fassung vom 16. Juni 1953 (BGBl. I S. 389: Entscheidung der Hauptfürsorgestelle nach Anhörung des Arbeitsamts über den Antrag auf Gleichstellung mit Schwerbeschädigten binnen drei Monaten, was nach der Fassung vom 14. August 1961, BGBl. I S. 1234, nicht mehr gilt; vgl. auch noch die Sollvorschrift in § 17); wegen der Verpflichtungsklage bei Nichtvornahme einer Amtshandlung ohne zureichenden Grund binnen angemessener Frist ~§ 35 südd. VGG) bzw. binnen 2 Monaten (§ 14 MRVO Nr. 165) und jetzt nach§§ 42, 74, 75 VwGO bei sachlicher Nichtentscheidung ohne zureichenden Grund in angemessener Frist vgl. u. 5. Buch. 8) Die Zustellungen
Zustellung ist die amtliche Übermittlung von schriftlichen Erklärungen, insbesondere von Verwaltungsbescheiden, der Verwaltungsbehörden in der gesetzlich vorgeschriebenen Form. Sie kommt nur in Be19 Vrl. Pr. OVG Bd. 3 S. 34. Vgl. auch § 8 Abs. 3 Satz 3 pr. PVG, § 246 Abs. 3 RAbgO, §§ 32, 40 südd. VGG, §§ 3/5, 6 MRVO Nr. 165, § 17 württ.-hohenz. RAnO üb. d. VerwRPfl. vom 19. August 1946 i. d. F. d. G. v. 17. Okt. 1950 (RegBI. S. 301), § 32 bad.-württ. VGG v. 12. Mai 1958 (GBI. S. 140) u. jetzt §§ 58, 70 VwGO. 20 Vgl. v. Hippe!, Fehlerhafte Staatsakte S. 120. Ist eine Rechtsmittelbelehrung gesetzlich nicht vorgeschrieben, so beginnt eine Ausschlußfrist auch bei unrichtiger Rechtsmittelbelehrung von der Bekanntgabe (Zustellung usw.) zu laufen. Aber es können hier u. U. Schadensersatzpflichten gegeben sein (vgl.
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tracht, wo es durch Gesetz oder behördliche Anordnung besonders bestimmt ist (vgl. § 1 Abs. 3 VerwZustG). Förmliche Bekanntgabe erfolgt insbesondere bei wichtigen Entschließungen der Verwaltungsbehörden, namentlich von Gesamtverwaltungsbehörden, Kreisräten usw. oder nach einer ergangenen mündlichen Verhandlung, soweit nicht mündliche Verkündung erfolgt, im übrigen insbesondere, wenn durch sie eine Frist, wie namentlich Rechtsmittelfristen, in Lauf gesetzt werden soll. So bei der Einbürgerung und der Ernennung zum Beamten, der Rücknahme der Beamtenernennung nach § 13 BBG, weiter bei sonstigen Verfügungen und Entscheidungen, die dem Beamten oder Versorgungsberechtigten nach dem BBG bekanntzugeben sind, wenn durch sie eine Frist in Lauf gesetzt wird oder Rechte des Beamten oder Versorgungsberechtigten durch sie berührt werden (§ 175 BBG; die Zustellung richtet sich hierbei nach den Vorschriften des VerwZustG), ferner bei der Enteignungsverfügung (vgl. z. B. §50 bad. EnteignG v. 26. Juni 1899); desgl. beim Bußgeldbescheid(§ 53 OrdnungswidrigkeitenG), beim Leistungsbescheid (§ 37 BLeistG); ebenso bei den Bescheiden nach dem WehrpflichtG vom 21. Juli 1956 i. d. F. d. Bek. vom 14. Januar 1961 (BGBl. I S. 29) §§ 44, desgl. bei Bescheiden, die eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten und Anordnungen oder Ersuchen, bei deren Nichtbefolgung nach Lage der Akten entschieden wird, nach § 27 KriegsopfVersVerwVerfG. Die Form ist rechtssatzmäßig näher bestimmt; in fortschrittlicher Weise kann nach § 27 KriegsopfVersVerwVerfG vom 2. Mai 1955 eine Zustellung in jeder Form geschehen, die den Nachweis der erfolgten Zustellung und ihres Zeitpunktes ermöglicht. Im übrigen geschieht die Zustellung in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der ZPO über Zustellungen der Gerichte. Vgl. für den Bereich der Bundesverwaltung für das Zustellungsverfahren der Bundesbehörden, der bundesunmittelbaren Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, der Landesfinanzbehörden und der Finanzgerichte (Behörden) und sonst, wenn Gesetze des Bundes oder eines Landes sie für anwendbar erklären, das VerwaltungszustellungsG vom 3. Juli 1952 (BGBl. I S. 379), abg. durch das G vom 21. Januar 1960 (BGBl. I S. 17). Nach diesem Gesetz besteht die Zustellung in der Übergabe eines Schriftstücks in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift oder in dem Vorlegen der Urschrift. Zugestellt wird nach Wahl der Behörde durch die Post oder durch die Behörde, von einigen besonderen Arten der Zustellung abgesehen; durch die Post mit Zustellungsurkunde oder mittels eingeschriebenen Briefs - z. T. auch gegen Rückschein, vgl. § 197 BEntschG i. d. F. vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 554) -, durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis; an Behörden, Körperschaften und BGB, Art. 34 GG), ggf. auch aus Verletzung der Fürsorgepflicht bei Beamten (§ 36 DBG, § 79 BBG).
§ 839
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Anstalten des öffentlichen Rechts kann durch Vorlegung der Urschrift zugestellt werden (§§ 2 ff. VwZG). Verfügungen und Entscheidung·en, die einem Beamten, Ruhestandsbeamten oder sonstigen Versorgungsber.echtigten nach den Vorschriften des BBG zuzustellen sind, können dem Beamten oder Versorgungsberechtigten auch in der Weise zugestellt werden, daß sie ihm mündlich oder durch Gewährung von Einsicht bekanntgegeben werden, worüber eine Niederschrift anzufertigen ist; der Beamte oder Versorgungsberechtigte erhält von ihr auf Antrag eine Abschrift (§ 16 VwZG) 21 • Ähnlich ist das Zustellungswesen landesrechtlich geregelt. Vgl. z. B. das bad-württ. ZustG vom 30. Juni 1958 (GBl. S. 165). Die Zustellung erfolgt von Amts wegen. Neben der Zustellung i. e. S. kommt nach gesetzlicher Vorschrift z. T. auch Eröffnung zur Niederschrift in Betracht; sie steht, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Zustellung gleich22 ; auf Antrag des Beteiligten ist ihm eine Abschrift zu gewähren. Verfügungen und Entscheidungen höherer Verwaltungsbehörden werden regelmäßig durch die unteren Verwaltungsbehörden eröffnet; landesrechtlich können Zustellungen, die schriftlich gegen Bescheinigung zu geschehen haben, nach Ermessen der Verwaltungsbehörden außer durch den Amtsdiener (Wachtmeister) und durch die Post auch unter Vermittlung des Bürgermeisteramts durch den Ortsdiener erfolgen. Bei Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen ist an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen - mit Ausnahme bei minderjährigen Wehrpflichtigen, § 44 WehrpflG vom 21. Juli 1956 (BGBl. I S. 651) -; bei Behörden, juristischen Personen, nichtrechtsfähigen Personenvereinigungen und Zweckvermögen wird an ihre Vorsteher zugestellt; bei mehreren gesetzlichen Vertretern oder Vorstehern genügt die Zustellung an einen von ihnen. Zustellungen können auch an den allgemein oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Vertreter gerichtet werden; aber es kann - nicht muß, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. z. B. § 28 KriegsopfVersVerwVerfG )-auch an den Vertretenen selbst zugestellt werden: die Vorschrift des § 176 ZPO gilt hier nicht (vgl. auch § 8 VwZG). Läßt sich die formgerechte Zustellung eines Schriftstücks nicht nachweisen oder ist das Schriftstück unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat, soweit nicht mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung der Klage, eine Berufung oder Revision oder Rechtsmittelbegründungsfrist beginnt (§ 9 a. a. 0.). Im übrigen werden die Erklärungen der Behörde formlos, d. h. in jeder geeigneten Weise, den in Betracht kommenden Beteiligten bekanntge21 Vgl. ferner § 19 BDO über die Zustellungen im dienststrafrechtliehen Verfahren und§§ 135 f. RVO.- Vgl. auch noch o. § 32 Anm. 39. 22 Vgl. Pr. OVG Bd. 17 S. 441.
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macht, z. B. bei minderwichtigen Erklärungen durch einfache Übersendung durch die Post usf. (vgl. auch o. § 32 Ziff. VII). 9) Der Abschluß des Verfahrens
Den Abschluß des Verfahrens - wenn es nicht zu ·einer einfachen Einstellung kommt, weil kein Anlaß besteht, das Verfahren fortzusetzen - bildet regelmäßig ein Verwaltungsbescheid, eine Verwaltungsverfügung oder Verwaltungsentscheidung, sei es, daß sie eine Gestaltung bzw. Entscheidung enthält oder eine solche zu erlassen ablehnt, wofür z. T. schriftliche Form, für diesen Fall z. T. auch Begründungszwang und Rechtsmittelbelehrung, vorgeschrieben ist. Bedeutungsvoll ist noch, daß die Verfügung oder Entscheidung grundsätzlich nur hinsichtlich der in Frage stehenden öffentlich-rechtlichen Sache ergeht, unbeschadet bürgerlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse. Eine wichtige Ausnahme ergibt sich hinsichtlich nachbarrechtlicher Verhältnisse nach § 26 GewO (vgl. u. § 46). Im übrigen werden bürgerlich-rechtliche Ansprüche, insbesondere Einwendungen, die sich auf besondere Rechtsgründe des bürgerlichen Rechts gründen, nicht berührt und gegebenenfalls auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen (vgl. z. B. § 19 GewO, § 1 Abs. 2 G über die Beschränkung von Nachbarrechten gegenüber den Betrieben, die für die Volksertüchtigung von besonderer Bedeutung sind, v. 13. Dezember 1933). Vgl. ferner§ 15 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 bei Einwendungen wegen Rechten. Vgl. im übrigen o. §§ 31 ff. 10) Die Kosten
Im allgemeinen tragen die Träger der öffentlichen Verwaltung auch die Kosten der Verwaltung zunächst von vornherein und unmittelbar selbst. Dafür werden die .erforderlichen Mittel im Haushaltsplan zur Verfügung gestellt. Auch kann bei einer bestimmten Verwaltungsmaßnahme in Frage kommen, welch·er von verschiedenen Verwaltungsträgern nach deren Aufgabenkreis für die Tragung der Kosten aufzukommen hat. So trägt insbesondere z. B. bei der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben, soweit es sich um Betätigung der Landespolizei handelt, die Kosten der Staat, bei der Ortspolizei - auch dort, wo sie vom Staate verwaltet wird - die Gemeinde, und zwar im allgemeinen zum mindesten die sachlichen Kosten einschließlich der Kosten für die nach außen gerichtete polizeiliche Tätigkeit, wogegen die persönlichen Kosten z. T. vom Staate getragen zu werden pflegen23 - ; so fielen z. B. die Kosten der Unterbringung eines Geisteskranken in einer Irrenan23 Es wurde dabei z. B. im preuß. R unterschieden zwischen den sog. unmittelbaren und mittelbaren Polizeikosten. Unter jenen verstand man die Kosten, die unmittelbar aus dem Dienstbetrieb der Ortspolizeibehörde- dahin gehörte z. B. auch Fliegeralarm als bloße Warnung, vgl. Pr. OVG. Bd. 75 S. 85-.
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staW', soweit es sich um eine polizeiliche Maßnahme handelte, nach preußischem Recht als sog. "mittelbare Polizeikosten" der Gemeinde zur Last; nach § 21 b FürsPfl.VO vom 13. Februar 1924 i. d. F. vom 29. April 1925 hatte in einem solchen Falle im Verhältnis zur Polizei die öffentliche Fürsorge die Kosten des Anstaltsaufenthaltes bei Mittellosigkeit des Geisteskranken zu tragen. Vgl. jetzt §§ 103 ff. BSozialHG vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 815). Aber wenn ein besonderes Verfahren durch jemand veranlaßt wird und dadurch besondere Kosten erwachsen, also es sich nicht um eine Tätigkeit handelt, die der Allgemeinheit als solcher unmittelbar dient, dann fallen die Kosten grundsätzlich demjenigen zur Last, der das Verfahren veranlaßt hat (vgl. z. B. § 15 bad. VerfO v. 31. Aug. 1884). So z. B. wenn jemand eine begünstigende Verwaltungsverfügung, wie eine Wirtschaftserlaubnis, eine Erlaubnis für eine sog. gefährliche Anlage nach § 16 GewO, eine Bauerlaubnis, ein Leumundszeugnis, einen Reisepaß für sich beantragt, z. B. mit Bezug auf die im Gesetz vorgesehenen Verwaltungsgebühren, Kosten für Augenscheinseinnahme, Erhebung von Sachverständigengutachten usf. Jedoch können hierbei die besonderen Kosten, die durch unbegründete Einwendungen veranlaßt sind, ganz oder teilweise dem Widersprechenden auferlegt werden, ebenso gegebenenfalls durch Mutwillen, Verschleppungsabsicht, Irreführung oder auch durch nachträgliches Vorbringen verursachte Kosten, wenn dadurch das Verfahren erheblich und schuldhaft verzögert worden ist; vgl. z. B. § 22 GewO, § 33 KriegsopfVersVerwVerfG, § 107 FlurberG vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 591), § 10 BWassStrReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125). Es ist dann über die Verteilung der aus der Einrichtung und Unterhaltung der Verwaltungsstellen, der zur Verwaltung erforderlichen Grundstücke und Geräte, Hilfeleistungen Dritter usw., erwuchsen; unter diesen die innerhalb der Zuständigkeit der Behörde aus der Herstellung polizeimäßiger Zustände in der Außenwelt einschl. der auf Grund der Polizeigewalt gegen Dritte erlassenen Anordnungen (vgl. z. B. Pr. OVG Bd. 72 S. 276, Bd. 74 S. 80). 24 Bei der Unterbringung eines Geisteskranken in eine Irrenanstalt wurde früher unterschieden, ob es sich um eine polizeiliche Maßnahme handelt oder nicht. Jenes lag vor, wenn der Kranke aus Gründen der öff. Ordnung und wegen Gefahr für die Gesetze in eine Anstalt verbracht werden mußte und dadurch erst die Hilfsbedürftigkeit begründet wurde, also nicht nur bei unbedingter Hilfsbedürftigkeit. Vgl. Pr. OVG Bd. 47, S. 6 ff., Bd. 54, S. 158. Bei der Einweisung in ein Krankenhaus durch polizeiliche Anordnung wegen Ansteckungsgefahr nach§ 14 G über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 vgl. Pr. OVG Bd. 60, S. 334: keine Armenpflegekosten, wenn der Betreffende nicht in der Lage ist, die Kosten zu bezahlen, sofern nichts anderes bestimmt ist; vgl. jetzt§§ 34 ff. BSeuchenG v. 18. Juli 1961 (BGBI. I, S. 1012). So würde Hilfsbedürftigkeit in armenrechtlichem Sinne vorliegen, wenn jemand nicht imstande ist, ein Unterkommen zu finden aus Mangel an Geldmitteln und bei Erwerbsunfähigkeit. Dagegen würde eine wohnliche Unterbringung eines augenblicklich zwar obdachlosen, aber an und für sich erwerbsfähigen Mannes lediglich eine polizeiliche Maßregel darstellen: vgl. OVG Bd. 58, S. 69.
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Kosten in dem Verwaltungsbescheid zugleich zu erkennen. In Einzelfällen jedoch ist ausdrücklich Kostenfreiheit des Verfahrens vorgesehen, wie z. B., wenn das Verfahren auf Veranlassung von Staatsbehörden erfolgt, ferner z. B. nach§ 22 SchutzbereichG vom 7. Dezember 1956 (BGBl. I S. 800), § 207 BEntschG i. d. F. vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 559), § 55 BesatzungsschädenG vom 1. Dezember 1955 (BGBl. I S. 754), § 1 PersonalausweisG vom 19. Dezember 1950 (BGBl. S. 407), abg. durch G vom 25. Dezember 1954 (BGBl. I S. 508: Gebührenfreiheit für die erstmalige Ausstellung des Ausweises und die Verlängerung bis zu 5 weiteren Jahren), § 48 BLeistG i. d. F. vom 27. September 1961, § 118 BSozialHG vom 30. Juni 1961 (BGBL I S. 815), § 23 GrundstVerkG vom 28. Juli 1961 (BGBl. I S. 1091). Für Kosten, die durch die allgemeine Verwaltungstätigkeit entstehen, z. B. durch die Nachprüfung, ob die einer Verwaltungsverfügung beigefügten Auflagen erfüllt sind oder ob ein Grundstück in polizeimäßigem Zustand sich befindet usw., kann jedoch Erstattung, soweit nichts anderes bestimmt ist, nicht verlangt werden25 • So fallen weiter die zur Ausführung einer Flurbereinigung erforderlichen Aufwendungen der Teilnehmergemeinschaft (Ausführungskosten), dagegen die persönlichen und sachlichen Kosten der Behördeneinrichtung (Verfahrenskosten) dem Lande zur Last (§§ 104 f. FlurberG); so trägt bei Umlegungen die Gemeinde die Verfahrens- und die durch Beiträge nicht gedeckten Sachkosten (§ 78 BBauG vom 23. Juni 1960, BGBl. I S. 341). Wegen der gänzlichen oder teilweise stattfindenden Deckung der Kosten durch Gebühren, Beiträge usw. vgl. u. ·§ 60, wegen der Staatszuschüsse usf. an Selbstverwaltungskörperschaften vgl. o. § 25 Ziff. I, wegen der Rückgriffsmöglichkeit gegenüber Beamten, wenn sie Dritten widerrechtlich in Ausübung öffentlicher Gewalt Schaden zugefügt haben und ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, sofern der Staat für den Schaden haftbar gemacht wird, vgl. Art. 34 GG, § 78 BBG (u. § 64).
11) Wegen der Rechtsmittel vgl. u. 5. Buch 12) Vereinfachtes Verfahren Gegenüber dem regelmäßig bestimmten Verfahren ist verschiedentlich für besondere Fälle wegen der Einfachheit der Verhältnisse oder zur Erleichterung ein vereinfachtes Verfahr·en zur beschleunigten 25 Vgl. dazu Pr. OVG Bd. 31, S. 317: wenn aber die Verwaltungsbehörde statt im Beschlußverfahren im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entschied, so kann die verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht als eine Entscheidung im Beschlußverfahren angesehen werden, dieses nicht durch jenes ersetzt werden.-
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Durchführung vorgesehen. Vgl. z. B. § 86, 91 ff. FlurberG, ferner das vereinfachte Verfahren bei der Enteignung, u. §56. b) Das förmliche Verwaltungsverfahren oder Beschlußverfahren Es kommt nur in Betracht, wo es besonders vorgeschrieben ist. Es findet im allgemeinen vor Gesamtverwaltungsbehörden statt, wie bei den Kreisräten, Kreisausschüssen, Bezirksausschüssen usf. Dieses Verfahren ist weitgehend dem ordentlichen Gerichtsverfahren nachgebildet für die sog. Beschlußsachen; im übrigen gelten, soweit nichts Besonderes vorgeschrieben ist, die Bestimmungen über das einfache Verfahren (o. Buchst. a). Es kann insbesondere eine mündliche und öffentliche Verhandlung vor der Gesamtverwaltungsbehörde vorgesehen sein, zu der die Beteiligten - die sich im übrigen durch Bevollmächtigte vertreten lassen oder sachkundige Personen zu ihrer Unterstützung beiziehen können (vgl. z. B. § 14 BWassStrReinhG v. 17. Aug. 1960) -, gegebenenfalls Zeugen und Sachv·erständige, geladen werden, wobei jedoch regelmäßig zur Beschleunigung des Verfahrens die Beweisaufnahme schon vor der Verhandlung durch den Vorstand der betreffenden Behörde, der regelmäßig auch der Leiter der Verhandlung ist, erfolgen kann. Der Hauptunterschied gegenüber dem gerichtsförmigen Verfahren (vgl. u. 5. Buch) besteht darin, daß eine richterliche sachliche Unabhängigkeit für dieses Verfahren nicht besteht; indessen ist durch die mehrköpfige Form der Beratung und Entscheidung nach Mehrheitsabstimmung sinngemäß gegeben, daß Dienstweisungen wohl allgemeiner Art, aber nicht bezüglich der Art der Entscheidung im Einzelfalle von einer vorgesetzten Behörde gegeben werden können, soweit nichts Besonderes bestimmt ist, sondern auf Grund freier Überzeugung im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften und allgemeinen Dienstanweisungen nach freiem Ermessen (bei Verwaltungsverfügungen) bzw. gemäß den bestehenden Vorschriften (bei Verwaltungsentscheidungen) die Entschließung zu erfolgen hat. Jedoch ist verschiedentlich dann dem Vorsitzenden die Befugnis eingeräumt, wegen RechtsverletZJung oder aus Gründen des öffentlichen Wohls Rechtsbehelfe gegen den Beschluß der Gesamtbehörde einzuleg.en (Rechtsmittel bzw. Beanstandung), mit Bezug worauf auch Dienstanweisungen von vorgesetzten Verwaltungsbehörden gegeben werden können. Ein solches förmliches Verwaltungsverfahren war z. B. in den Grundzügen reichsrechtlich bestimmt für das Verfahren über erlaubnispflichtige Anlagen nach§ 16 GewO (z. B. chemische Fabriken, Hammerwerke, Gerbereien, Schlächtereien usw.); nach dem Änderungsgesetz vom 3. Juli 1934 (RGBl. I S. 566) können jedoch Anlagen i. S. des§ 16 GewO von den obersten Landesbehörden auch genehmigt wer-
Das Verwaltungsverfahren bei Verwaltungsbescheiden
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den, ohne daß es eines solchen förmlichen Verfahrens nach den §§ 17 bis 21 bedarf, sofern öffentliche Belange an der Errichtung der Anlage bestehen (§ 22 a). Danach haben die Landesgesetze, denen die näheren Bestimmungen über die Behörden und das Verfahren sowohl in der ersten als in der Beschwerde- bzw. Widerspruchstufe vorbehalten sind, sich an die folgenden Grundsätze zu halten: 1) In der ersten oder in der zweiten Verwaltungsstufe muß die Entscheidung durch eine Gesamt-("kollegiale")Behörde erfolgen. Diese Behörde ist befugt, Untersuchungen an Ort und Stelle vorzunehmen, Zeugen und Sachverständige zu laden und eidlich zu vernehmen und überhaupt den angetretenen Beweis in vollem Umfang zu erheben. 2) Bildet die Gesamtbehörde die erste Verwaltungsstufe, so erteilt sie ihre Entscheidung in öffentlicher Sitzung nach erfolgter Ladung und Anhörung der Parteien auch in dem Falle, wenn zwar Einwendungen nicht angebracht sind, die Behörde aber nicht ohne weiteres die Erlaubnis erteilen will und der Antragsteller innerhalb 14 Tagen nach Empfang des die Erlaubnis versagenden oder nur unter Bedingungen erteilenden Bescheids der Behörde auf mündliche Verhandlung anträgt. 3) Bildet die Gesamtbehörde die zweite Verwaltungsstufe, so erteilt sie stets ihre Entscheidung in öffentlicher Sitzung nach erfolgter Ladung und Anhörung der Parteien. 4) Als Parteien sind der Unternehmer (Antragsteller) sowie diejenigen Personen zu betrachten, welche Einwendungen erhoben haben. 5) Die Öffentlichkeit der Sitzung kann unter entsprechender Anwendung der §§ 172-175 GVG ausgeschlossen oder beschränkt werden (§ 21). Gegen den Bescheid ist Beschwerde (Rekurs) an die nächste vorgesetzte Behörde zulässig, die bei Verlust des Rechtsmittels binnen 14 Tagen, vom Tage der Eröffnung des Bescheids an ger.echnet, gerechtfertigt werden muß. Der Beschwerdebescheid ist den Parteien schriftlich zu eröffnen und muß mit Gründen versehen sein (§ 20). Diese Grundsätze sind dann verschiedentlich auch in anderen Bestimmungen als anwendbar bezeichnet worden, wie z. B. bei der Rücknahme einer Erlaubnis zum Gewerbebetrieb, der Untersagung eines Gewerbebetriebs, der Versagung oder Rücknahme eines Wandergewerbescheins (§§ 40, 53, 54, 63 GewO); vgl. ferner § 5 StrVerkG (wegen Versagung der Fahrerlaubnis). Nach Art. 2 des ÄnderungsG zur GewO vom 29. September 1953 (BGBl. I S. 1459) kann- namentlich im Hinblick auf den umfassenden Ausbau des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes -, soweit in der GewO oder in anderen bundesrechtlichen Vorschriften als Rechtsmittelverfahren die Beschwerde (der Rekurs) nach §§ 20, 21 GewO vorgesehen ist, durch LandesR das Verfahren abweichend von diesen Vorschriften geregelt werden26 , was auch für das 20
Vgl. z. B. § 34 bad.-württ. LVG v. 7. Nov. 1955: Beschwerde gegen Ver-
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§ 35. Das Verwaltungsverfahren
Beschwerdeverfahren nach dem früheren§ 120 d Abs. 4 GewO galt. Nach § 44 Abs. 2 MRVO Nr. 165 bedarf es eines Einspruchs zur Erhebung der Klage nicht, wenn der angefochtene VerwBescheid oder die Ablehnung eines solchen durch eine Kollegialbehörde in einem förmlichen Verfahren beschlossen worden ist. Jetzt sind die§§ 20 und 21 GewO durch§ 195 VwGO vom 21. Januar 1960 aufgehoben worden. Im übrigen sei noch verwiesen auf den Ausgleichsausschuß, der im Verfahren wegen der Hauptentschädigung, der Kriegsschadenrente und der Hausratsentschädigung entscheidet (§ 335 LAG), ferner z. B. auf §§ 13 ff. BWassStrReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125) und § 9 WasserhaushG vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1110); §§ 20, 21 nordrh.-westf. 1. VereinfG vom 22. Juli 1957 (GVBl. S. 189), §§ 20 ff. BerlVwVerfG vom 2. Oktober 1958 (GVBl. S. 951: z. B. für die Erlaubnis nach§§ 16, 25 GewO). Das verwaltungsgerichtliche Verfahren bedeutet demgegenüber eine weitere Steigerung des Verfahrens in förmlicher Hinsicht über diese Stufe des förmlichen Verwaltungsverfahrens hinaus in noch größerer Nachbildung des gerichtlichen Verfahrens der ordentlichen Gerichte in der streitigen Gerichtsbarkeit, insbesondere durch Anerkennung der richterlichen Unabhängigkeit bei gerichtsförmiger Ausgestaltung des Verfahrens. Hierauf ist an dieser Stelle nicht näher einzugehen (vgl. dazu u. 5. Buch, 3. Abschn.), da das verwaltungsgerichtliche Verfahren jetzt nicht mehr als eine besondere Art des Verwaltungsverfahrens, wie in der Zeit vor 1945, angesehen werden kann. Es war hier nur in diesem Zusammenhange mit zu erwähnen, da die Verwaltungsbehörden in unterer und mittlerer Stufe vielfach früher auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren tätig zu sein hatten, während jetzt eine völlige einrichtungsmäßige Scheidung der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden, nicht nur -wie bisher -an oberster, sondern auch in unterer und mittlerer Rechtsstufe stattgefunden hat27 • Es erscheint im übrigen das verwaltungsgerichtliche Verfahr·en als ein mit besonderen Gewährleistungen ausg.estattetes Verfahren, das zur Erreichung bestimmter, diesen Gewährleistungen dienender Zwecke (Sicherung des rechtlichen Gehörs, im allgemeinen auch mündliche und öffentliche streitig·e Verhandlung, Ermöglichung eines förmlichen Beweisverfahrens) mehr oder weniger weitgehend eine Einkleidung in eine äußere Form nach Art des bürgerlichen Streitverfahrens erhalten hat28 , wobei die in der Sache (über den Streitgegenstand) ergehenden Urteile mit sachlicher Rechtskraft ausgestattet sind. waltungsbescheide unterer Verwaltungsbehörden, sonst Einspruch, und jetzt § 16 bad.-württ. Ausf. G. zur VwGO. v. 22. März 1960 (GBL S. 94). 27 Vgl. dazu§ 54 Abs. 1 pr. LVG. 29 Vgl. dazu Gneist, Der Rechtsstaat. 2. Aufl. (1879), S. 270 ff.
Das Verfahren beim Verwaltungsvertrag
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III. Das Verfahren beim Verwaltungsvertrag Soweit hier nicht besondere gesetzliche Vorschriften eingreifen, wie z. B. bei Gemarkungsänderungen nach den Gemeindeordnungen, erfolgt das Verfahren in sinngemäßer Weise wie beim Abschluß eines bürgerlich-rechtlichen Vertrages nach der Art, wie der Abschluß eines Vertrages sich abspielt, also im allgemeinen mittels Angebot und Annahme. Auf die Besonderheiten dieses Verfahrens beim Fehlen besonderer Vorschriften ist hier nicht weiter einzugehen. Vgl. auch o. § 32.
Sechster Abschnitt
Das Verwaltungszwangsverfahren § 36. Im allgemeinen Zur Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Pflichten der Verwalteten, die unmittelbar kraft Gesetzes oder sonstiger Rechtsvorschriften oder auf Grund von Gesetzen durch Verwaltungsverfügung begründet bzw. durch Verwaltungsentscheidung klargestellt sind, somit zu deren zwangsweisen Verwirklichung (sowie auch zur Vollstreckung von verwaltungsgerichtlichen Urteilen, von denen hier nicht weiter zu handeln ist, vgl. u. § 56), aber auch zur sofortigen Verwirklichung von öffentlichen Aufgaben bzw. dem entsprechender öffentlicher Pflichten auf seitender Verwalteten- etwa zur polizeilichen Abwehr unmittelbarer Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung - kommt gegebenenfalls die Anwendung von Zwang in Betracht. Diese Anwendung des Zwangs bedarf, soweit in den Rechtsbereich des einzelnen, in seine Freiheit und sein Eigentum, eingegriffen wird, im liberalen wie auch im sozialen Rechtsstaat der gesetzlichen Grundlage. Dieser Zwang im Bereiche der öffentlichen Verwaltung ist von zweierlei Art: er ist entweder Strafe oder Zwang im engeren Sinne 1 •
I. Die Strafe im strafrechtlichen Sinne kann hierbei als das mittelbare Zwangsmittel i. w. S. angesehen werden im Gegensatz zum Zwang i. e. S., nämlich als Androhung und gegebenenfalls Verhängung eines durch Gesetz oder auf Grund des Gesetzes angedrohten Übels wegen Verletzung der Verwaltungsrechtsordnung durch eine gemeinschaftswidrige Handlung, sei es ein verbotenes Tun oder das Unterlassen eines gebotenen Tuns. Sie kann insofern als mittelbares Zwangsmittel bezeichnet werden, da sie sich gegen den Täter als solchen zur Sühne wegen seiner Tat richtet, nicht aber unmittelbar die zwangsweise Verwirklichung des gebotenen 1 Die klare Unterscheidung zwischen Verwaltungszwang und Strafe findet sich schon bei Joh. St. Pütter, Inst. jur. publ. Germanici (1770), § 233.
Der Zwang im engeren Sinne
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Verhaltens bezweckt. Die Strafandrohung- wie auch die Verhängung der angedrohten Strafe im Einzelfalle - soll zugleich i. S. einer allgemeinen bzw. Einzel-Abschreckung (sog. "General"- bzw. "Spezialprävention") auf den Willen der einzelnen einwirken, solches gemeinschaftswidriges Verhalten zu unterlassen. Solche Strafen, die für den Bereich der öffentlichen Verwaltung von Bedeutung sind, finden sich z. T. im StGB, z. B. im letzten (29.) Titel des Besonderen Teils, f.erner aber regelmäßig auch in den verschiedenen einzelnen Verwaltungsgesetzen, wie z. B. in Titel10 der GewO usf.2, meist unter den Schluß- und Strafbestimmungen. Auf diese Strafen wie auch auf die Maßregeln zur Sicherung und Besserung nach §§ 42 a ff. StGB (wie u. a. die Untersagung des Berufs und die Entziehung der Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen) - sog. Zweispurigkeit" des Strafrechts3 - , ist hier nicht näher einzugehen und der Darstellung des Strafrechts nach dem StGB und den strafrechtlichen "Nebengesetzen" zu überlassen. Die Verhängung von Strafe und Sicherungsmaßnahme ist jetzt nach der allgemeinen Beseitigung des polizeilichen Strafverfügungsverfahrens - abgesehen von dem finanzrechtlichen Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften über öffentliche Abgaben nach der RAbgO - nach der Neufassung der StPO durch das Gesetz vom 12. September 1950 ausschließlich Sache der ordentlichen Gerichte. Daneben hat sich nun noch mehr und mehr eine von den Verwaltungsbehörden - jedenfalls im ersten Rechtszug- für verwaltungswidriges Verhalten zu verhängende Verwaltungsstrafe i. e. S. herausgebildet. Vgl. hierzu noch u. §§ 39, 48. Für unsere Betrachtung kommt hier nur noch der Zwang i. e. S. in Betracht. II. Der Zwang im engeren Sinne
a) Gegenüber der Strafe erscheint der Zwang i. e. S. als das unmittelbare Zwangsmittel insofern, als er auf die Verwirklichung einer ver-
waltungsr·echtlich vorgeschriebenen Handlung, eines Tuns oder Unterlassung oder einer Duldung, als solcher gerichtet ist. In vielen Fällen aber kommt eine weitere Durchführung von Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung nicht in Betracht, nämlich wenn keine Veränderung in der Außenwelt durch die Verwaltung herzustellen ist, sondern mit dem Wirksamwerden des Verwaltungsbescheides oder mit dessen förmlicher Rechtskraft die entsprechende Rechtsänderung von selbst eintritt, wie z. B. die Einbürgerung, die Aufnahme in das Beamtenverhältnis, die Verleihung von Rechten, Ernennungen usf., die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen, ferner z. B. der Ausspruch der Enteignung, die Entziehung des Bergwerkseigentums; hier kommt gegebeVgl. z. B. noch§ 21 StvG i. d. F. v. 16. Juli 1957. a Vgl. dazu Metzger, Deutsches StrafR, 3. A. (1943) S. 155 fi.
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§ 36. Das Verwaltungszwangsverfahren im allgemeinen
neufalls nur noch zur Besitzverschaffung, wie z. B. bei der Enteignung, oder, soweit es zur Beseitigung rechts- und ordnungswidriger, noch fortdauernder, Zustände erforderlich ist, Zwang in Betracht. b) Dieser Verwaltungszwang wird in ·erster Reihe durch die Behörden der Verwaltung mit ihren Hilfskräften unmittelbar selbst ausgeübt, in einem gesetzlich geregelten Selbsthilfeverfahren 4 (vgl. u.); nicht haben die Verwaltungsbehörden, da sie selbst Träger hoheitlicher Gewalt sind, es für die Regel nötig, sich an eine höhere oder andere Gewalt wegen der Anwendung von Zwang zu wenden, wie das in der bürgerlichen Rechtspflege für den einzelnen gilt, der sich zur Durchsetzung seines bestrittenen, nicht erfüllten oder bedrohten Rechts - von den Fällen, wo obrigkeitliche Rechtshilfe zur Vermeidung von rechtlichen Nachteilen nicht rechtzeitig zu erlangen ist, d. h. bei Notwehr, Notstand oder Selbsthilfe i. e. S. abgesehen - sich mit einer Rechtsschutzbitte an den Staat, ein Gericht, wenden muß, das vor allem durch Urteil und gegebenenfalls Vollstreckung dem Rechte zur Verwirklichung verhilft. c) Die Durchführung des Verwaltungszwangs ist grundsätzliCh Sache des freien Ermessens der Verwaltungsbehörde unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des öffentlichen Wohls; eine Pflicht zur Anwendung von Zwang ergibt sich im allgemeinen für sie nicht, soweit nicht für besondere Fälle, wie insbesondere bei bestehenden Ansprüchen, z. B. auf Steuern, Gebühren und Beiträgen, unbeschadet der Vorschriften über Erlaß, Stundung, Niederschlagung usf., etwas anderes gilt. d) Im übrigen kann auch niemand gezwungen werden, Verleihungen, Erlaubnisse oder sonstige rechtliche Vergünstigungen, die er nicht beantragen will, z. B. eine Bauerlaubnis, bei den Behörden für sich zu beantragen, wie bei einer unerlaubten Bauausführung oder dem unerlaubten Beginn einer Wirtschaft usf.; vielmehr ist es - vgl. auch Art. 2 GG- der freien Entschließung des einzelnen überlassen, ob er derartige Rechte, Erlaubnisse, Vergünstigungen usf. in den dafür vorgeschriebenen Verfahren in Anspruch nimmt. Wenn aber der von jemandem geschaffene Zustand r·echtswidrig, insbesondere polizeiwidrig, ist, z. B. wegen Nichteinholung der erforderlichen Polizeierlaubnis usf., kann er von der Polizei, falls er um deren Erteilung nicht nachsucht, zur Einstellung bzw. bei Verletzung sachlich-rechtlicher Vorschriften zur Beseitigung gezwungen werden, wie z. B. zur Schließung der Wirtschaftsräume, Beseitigung des Wirtshausschildes usf.; zulässig ist auch, daß eine Frist von der Verwaltungsbehörde zur Beschaffung der Erlaubnis usf. mit der Androhung gewährt wird, daß nach fruchtlosem Ablauf die Beseitigung der Anlage erfolgen werde, wogegen die Erzwingung des Antrags selbst in keinem Falle zulässig ist (vgl. hierzu 4
Im franz. R. spricht man von "action directe".
Der Zwang im engeren Sinne
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Pr. OVG Bd. 63 S. 359 f.), soweit nichts anderes besonders bestimmt ist (vgl. z. B. § 2 VO über die Erlaubnis zur Errichtung und zum Betrieb von Dampfkesselanlagen v. 20. Dez. 1954, BGBI. I S. 440: Pflicht zur Stellung des Antrags auf Erlaubnis). Vgl. aber auch noch o. § 35, Ziff. II a 4. e) Der Verwaltungszwang kann sich richten gegen jeden, an den sich der zu erzwingende Befehl der Gesetze bzw. der Verwaltungsbehörden richten kann und richtet; also vor allem an die Untertanen, die Verwalteten, aber auch an die dem Staate eingeordneten Träger öffentlicher Verwaltung, Gemeinden, Gemeindeverbände usw. in Fällen der Staats- und Fachaufsicht, z. B. wenn sie im Bereiche ihrer Selbstverwaltungsangelegenheiten unter Staatsaufsicht ihren gesetzlichen öffentlich-rechtlichen Pflichten nicht nachkommen, freilich mit gewissen, früher angeführten Einschränkungen, die sich aus der öffentlichrechtlichen Rechtsstellung dieser Selbstverwaltungskörperschaften ergeben (vgl. z. B. § 111 DGO, § 123 bad.-württ. GO und im übrigen o. § 25). Gegen den Staat und seine Behörden selbst, soweit er Verwaltungsträger ist, kommt Verwaltungszwang im allgemeinen nicht in Betracht; anders, soweit er als Rechtspersönlichkeit des bürgerlichen Rechts mit Bezug auf bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnisse auftritt, wofür dann die allgemeinen Vorschriften zur Durchsetzung bürgerlich-rechtlicher Ansprüche nach der ZPO in Betracht kommen; vgl. jetzt aber auch § 882 a i. d. F. des G vom 20. August 1953 (BGBI. I S. 952). Wohl kommt an sich der Verwaltungszwang in Betracht, wo der Staat nicht als ursprünglicher Träger von Hoheitsgewalt, sondern als Fiskus, als Untertan, in Frage kommt, soweit nichts anderes bestimmt ist, wie z. B. als Träger öffentlicher Pflichten, wie als Gebäudeeigentümer mit Bezug auf die polizeimäßige Instandhaltung von Grundstücken, die Gehwegunterhaltung und -reinigung oder die Streupflicht usf.; jedoch ist eine Zwangsanwendung gegen den Staat und die öff·entlichen Behörden in weitem Umfang eingeschränkt. Nach§ 17 VerwVG sind jetzt im Geltungsbereich d. G zur Erzwingung von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen gegen Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts Zwangsmittel unzulässig, soweit nichts anderes bestimmt ist; auf öffentlich-rechtliche Geldforderungen bezieht sich das jedoch nicht. Im übrigen ist davon auszugehen, daß der Staat als oberster Wahrer des Rechts durch seine Behörden von sich aus die ihm obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflichten erfüllt; bei dem volksherrschaftliehen Aufbau des Staates bestehen für die Beteiligten aber auch sonst genügende Mittel, um die Befriedigung ihrer Ansprüche herbeizuführen, wie insbesondere g·egebenenfalls das Recht der Bitte und Beschwerde an die Volksvertretung (Art. 17 GG) und die Überwachung der Regierung und Verwaltung durch die Volksvertretung usw. Es
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§ 36. Das Verwaltungszwangsverfahren im allgemeinen
wäre doch auch mißlich, wenn der Staat durch seine Behörden gegen sich, d. h. andere staatliche Behörden, zwangsweise vorgehen müßte, von den Störungen der öffentlichen Verwaltung, die sich daraus ergeben könnten, hier ganz abgesehen. f) Der Verwaltungszwang kann sich ergeben in dem allgemeinen Gewaltverhältnis der Verwalteten, aber auch in besonderen Gewaltverhältnissen sowie in den Fällen der Staats- und der Fachaufsicht. Im folgenden soll nur auf die Zwangsmittel, die sich im allgemeinen Gewaltverhältnis ergeben, weiter eingegangen werden, während die Zwangsmittel, die sich innerhalb eines besonderen Gewaltverhältnisses ergeben, an anderer Stelle erörtert worden sind (vgl. o. § 23) oder werden (vgl. u. § 55); wegen der Zwangsmittel der Staats- und Fachaufsicht vgl. o. § 25. g) Soweit eine Verwaltungsverfügung nicht selbst unmittelbar eine Rechtsänderung herbeiführt (vgl. o.), sondern nur eine - zu €rfüllende- Pflicht der Verwalteten begründet, d. h. maßgebend einwirken soll auf das Verhalten der einzelnen, kommt für sie wie auch für die Verwaltungsentscheidung, nachdem sie durch Bekanntgabe (Zustellung usf.) wirksam geworden ist und nicht freiwillig erfüllt wird, das Zwangsverfahren in Betracht; daneben stehen die Fäile des sofortigen Zwangs (und § 37). Der Verwaltungsbescheid ist sozusagen ein Vollstreckungstitel; einer vollstreckbaren Ausfertigung bedarf es, anders als beim Urteil der ordentlichen Gerichte, nicht, soweit nichts anderes bestimmt ist (wie z. B. für Bayern nach Art. 6 AG zum BGB, wonach Beschlüsse und Urkunden der Verwaltungsbehörden mit der Vollstreckungsklausel zu versehen sind5 • h) Eine allgemeine Regelung enthält jetzt wegen der öffentlich-rechtlichen Geldforderungen des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts und wegen der Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen das oben bereits erwähnte VerwVollstrG vom 27. April 1953 (BGBL I S. 157); dieser Zwangsvollzug erfolgt im Verwaltungswege. Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten, Gebühren und Auslagen, erhoben. Der Bundesminister des Innern ist ermächtigt, durch RechtsVO eine Kostenordnung zu erlassen6 • Soweit die Vollstreckung in Bundesgesetzen abweichend von diesem Gesetz geregelt ist, sind für Bundesbehörden und bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts die Bestimmungen des neuen Gesetzes anzuwenden; unberührt bleiben jedoch die Vorschriften der RAbgO, des Sozialversicherungsrechts einschließlich der Arbeitslosenversicherung und der JustizbeitreibungsO (vgl. §§ 1 Abs. 3, 19, 20). Dazu ist jetzt noch gekommen das G 5
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Vgl. dazu F. Stein, Grenzen u. Bezieh. zwischen Justiz u. Verw., S. 57. Vgl. die KostenD zum VerwVollstrG v. 9. Mai 1953 (BAnz. Nr. 89).
Der Zwang im engeren Sinne
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über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. März 1961 (BGBL I S. 165); danach haben die Vollzugsbeamten des Bundes bei der in rechtmäßiger Ausübung ihres Dienstes zulässigen Anwendung unmittelbaren Zwanges nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu verfahren, wobei jedoch andere gesetzliche Vorschriften über die Art der Anwendung unmittelbaren Zwangs unberührt bleiben (§ 1). Bezüglich des Verwaltungszwangs im Bereiche der Landesverwaltung ist es bei den bestehenden landesgesetzlichen Bestimmungen verblieben. i) Der Zwangsvollzug im Verwaltungszwangsverfahren steht bei Verwaltungsbescheiden der Verwaltungsbehörde zu, die ihn erlassen hat, bzw. bei sofortigem Zwang (vgl. u. § 37) der Behörde, die zu deren Erlaß, wenn nicht Gefahr im Verzug vorläge, zuständig wäre; bei höheren Verwaltungsbehörden, die in erster Verwaltungsstufe oder im Rechtsmittelzug entscheiden, erfolgt er meist durch die unteren Verwaltungsstellen. Vgl. auch §§ 4 und 7 VwVG vom 27. April 1953. Bei abweisenden Verwaltungsbescheiden, z. B. bei der Versagung einer Bauerlaubnis, einer gewerbepolizeilichen Erlaubnis für eine Anlage i. S. des§ 16 GewO, kommt der Natur der Sache nach gegebenenfalls nur wegen der Kosten eine Vollstreckung in Betracht7 • k) Gegen Zwangsvollstreckungshandlungen, insbesondere die Festsetzung oder Ausführung eines Zwangsmittels, kommt regelmäßig, wenn die betreffende Verfügung oder Entscheidung oder die Androhung eines Zwangsmittels unanfechtbar geworden ist, ein Rechtsmittel nur noch in beschränkter Weise in Betracht, z. T. etwa nur eine Beschwerde, und nicht mehr eine verwaltungsgerichtliche Klage, soweit nicht eine neue Rechtsverletzung, ein neuer selbständiger rechtswidriger Eingriff in Freiheit und Eigentum in Frage kommt; vgl. z. B. § 132 pr. LVG, §57 pr. PVG und jetzt§ 18 VwVG. 1) Der Verwaltungszwang i. e. S. kann nun wiederum von zweierlei Art sein: es kann sich entweder handeln um die Erzwingung von Handlungen der Verwalteten oder um die Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Geldforderungen. Jene steht, anders als im bürgerlichen Rechtsverfahren (vgl. §§ 883 ff. ZPO), durchaus voran, wäh1 Vollstreckungsbehörden sind nach § 4 VwVG die von einer obersten Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem BMin. d. I. bestimmten Behörden des betr. Verwaltungszweiges (wie die Oberpostdirektionen, die Ämter der Deutschen Bundesbahn usw.), im übrigen die Vollstreckungsbehörden der BFinVerwaltung, wenn eine solche Bestimmung nicht getroffen worden ist. Das Verwaltungszwangsverfahren und der Vollstreckungsschutz bestimmen sich nach den Vorschriften der RAbgO (§§ 325 bis 373, 378 bis 381). Wird die Vollstreckung im Wege der Amtshilfe von Willensträgern der Länder vorgenommen, so ist sie nach den landesrechtliehen Bestimmungen durchzuführen (§ 5, a. a. 0.). Danach ist insb. also auch zur Sicherung von Ansprüchen ein Arrestverfahren möglich (§§ 378 ff. RAbgO). Für das preuß.R vergleiche Delius, Arrest im preuß. Verwaltungszwangsverfahren, in VerwArch. Bd. 22, S. 221!.
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§ 37. Die Erzwingung von Handlungen
rend diese gegenüber dem bürg.erlichen Rechtsverfahren (§§ 804 ff. ZPO) zurücktritt. Nicht die vermögensrechtlichen Beziehungen und deren Vollstreckung spielen sozusagen im Verwaltungsrecht bei der inneren Verwaltung- im Gegensatz zur Finanzverwaltung - die Hauptrolle, sondern das verwaltungsmäßige Verhalten der Verwalteten und dementsprechend nötigenfalls dessen Erzwingung. Diese beiden Arten sind nun im Folgenden (vgl. § 37 und § 38) etwas näher ins Auge zu fassen. m) Die Kosten des Zwangsvollzugs fallen dem Vollstreckungsschuldner zur Last; es werden für die im Zwangsverfahren vorgenommenen Amtshandlungen Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben (vgl. z. B. § 19 VwVG). Wegen des Zwangs im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vgl. u. 5. Buch, 3. Abschn.
§ 3 7. Die Erzwingung von Handlungen 1 I. Im allgemeinen
Es handelt sich um die Erzwingung von Befehlen, Geboten oder Verboten, die sich an Verwaltete richten, ihnen ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen auferlegen. Die Erscheinung, daß die Obrigkeit befehlen und diese Befehle auch erzwingen kann, worin man den Inhalt der Herrschaftsgewalt des Staates erblickt, ist uns heute eine durchaus geläufige Tatsache. "Das Recht (der Polizeibehörden), innerhalb ihrer Zuständigkeit Anordnungen zu treffen, schließt das Recht, diese, und zwar mit den dazu geeigneten und gebotenen Mitteln auch durchzuführen, von selbst in sich, und mit dem Rechte zur Durchführung ist das Recht zur Anwendung der hierzu erforderlichen Mittel gegeben" (vgl. RGSt Bd. 22 S. 9). Im Fränkischen Reiche und im alten Deutschen Reiche kam entsprechend der geringen Ausdehnung der staatlichen Verwaltungstätigkeitals staatlicher Zwang im Recht vornehmlich der gerichtliche Zwang in Betracht, soweit er sich überhaupt neben der ursprünglich weitgehenden Selbsthilfe der Beteiligten und ihrer Sippen herausgebildet hat 2• In England hat sich diese alte Auffassung, daß die Zwangsausübung Sache des Richters ist, noch bis in die neueste Zeit erhalten; ja, diese Anschauung hat nach der militärischen Besetzung im Jahre 1945 zum guten Teil auch auf unser Recht eingewirkt, wie ins1 Vgl. dazu insb. 0. Mayer, Verw.R Bd. 1, S. 271 ff., Anschütz, Das R. des Verw.Zwangs in Preußen, in VerwArch Bd. 1, S. 392 ff.; Hoffacker, Exekutivu. Kriminalstrafe, in VerwArch. Bd.14, S. 447 ff. 2 Vgl. H. Brunner, D. Rechtsgesch., Bd. 1, S. 2. A. (1906), S. 266, Bd. 2, 2. A., bearb. von v. Schwerin (1928), S. 584 ff., Schröder-v.Künßber.e;, D. Rechtsgesch .. 6. A. (1922), S. 846.
Im allgemeinen
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besondere durch die strengere Durchführung der Gewaltentrennung mit der Zuweisung der richterlichen Gewalt an die Richter schlechtweg (Art. 92 GG); damit in Zusammenhang steht auch die Beseitigung der früheren Einrichtung der polizeilichen Strafverfügung der Verwaltungsbehörden und die Bindung der persönlichen Freiheitsbeschränkung an einen Ausspruch des Richters (Art. 104 GG und G über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehung vom 29. Juli 1956, RGBI. I S. 599). Für den Bereich der staatlichen Hoheitsgewalt im Fränkischen und im alten Deutschen Reiche war im übrigen von Bedeutung die Banngewalt, die der König besaß, unter Strafandrohung für den Fall der Nichtbefolgung Befehle zu erteilen (Königsbann; Buße von 60 Schillingen); neben dem König stand auch den Grafen eine Banngewalt mit einer Buße im allgemeinen von 15 Schillingen zu, soweit ihnen nicht die Ausübung der königlichen Banngewalt ausdrücklich zugewiesen war. Die Beitreibung dieser Bannbußen erfolgte durch die öffentliche Gewalt, deren Träger im übrigen Träger hoher Gerichtsbarkeit waren, ohne die Inanspruchnahme der Gerichte. Aus der Bannstrafe hat sich dann später die Zwangsstrafe (das Zwangsgeld) herausentwickelt; vgl. u. Ziff. II b. Nach der Errichtung des Reichskammergerichts konnte der Fiskal-Prokurator Fiskalgefälle bei diesem Gericht einklagen. In dem aufkommenden Landesstaat kam die Auffassung auf, daß der Landesherr seine Hoheitsrechte den Untertanen gegenüber im Wege der Selbsthilfe verwirklichen kann, er jene zwar auch gerichtlich geltend machen kann, aber nicht muß; von Bedeutung war hier insbesondere das sog. Polizeirecht (vgl. o. § 9). Das hatte seine Auswirkung auch im unbeschränkten Fürstenstaat: zur Verwirklichung der umfassenden Staatstätigkeit, wie sie sich hier entwickelte, galt der Landesherr als befugt, jedes nach seinem Ermessen dazu geeignete Mittel zu verwenden. Noch im pr. AIR von 1794 findet sich - wohl im Anschluß an das römische Recht3 - in'§ 89 der Einleitung der allgemeine Satz, daß, wem die Gesetze ein Recht geben, sie dem auch die Mittel bewilHgen, ohne welches dasselbe nicht ausgeübt werden kann; in § 45 VO vom 26. Dezember 1808 (GS 1806-10 S. 46 ff. und 1817 S. 282) sind dann in Nachbildung des gerichtlichen Zwangsvollstreckungsverfahrens als Zwangsmittel der Regierungen Ersatzvornahme und die Zwangsstrafe ("Strafbefehl" im Wege exekutivischen Verfahrens" bis 150 Talern oder vierwöchentliches Gefängnis) ausgesprochen; in § 11 der "Instruktion zur Geschäftsführung der Regierungen in den königlich-preußischen Staaten" vom 23. Oktober 1817 (GS S. 248) war dann die Befugnis der Regierungen ausgesprochen, "ihren Verfügungen nötigenfalls durch gesetzliche Zwangs- und Strafmittel Nachdruck zu geben und sie zur Ausführung 3 Vgl. I. 2 D. II 1: "Cui iurisdictio data est, ea quoque concessa esse videntur, sine quibus iurisdictio explicari non potuit".
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§ 37. Die Erzwingung von Handlungen
zu bringen ... ". Nach der Einführung des Verfassungs- und Rechtsstaats erforderte der Zwangsvollzug wegen des damit verbundenen Eingriffes in Freiheit und Eigentum der Staatsbürger, wie sie durch die Grundrechte- freilich unbeschadet des Vorbehaltes des Gesetz;es- verfassungsrechtlich geschützt waren, eine Grundlage im Gesetz, an dessen Beachtung die Verwaltungsbehörden gebunden sind (vgl. o. § 29); sie erfolg~e in Preußen dann weiter durch § 79 Kr·eisO für die östlichen Provinzen usw. und § 132 L VG von 1883 und in polizeilichen Angelegenheiten im besonderen durch §§ 55 ff. PVG von 1931. Für das Steuerrecht vgl. § 202 RAbgO u. § 109 BranntwMonopG. Gegen den Staat und seine Behörden kommt, wie oben bereits bemerkt (•§ 36), Verwaltungszwang zur Erzwingung von Handlungen grundsätzlich nicht in Betracht. Nach § 202 Abs. 5 RAbgO sind Zwangsmittel gegen öffentliche Behörden in Steuersachen nicht zulässig; ebenso sind nach § 17 VwVG jetzt allgemein im Bereiche der Bundesverwaltung gegen Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts Zwangsmittel zur Erzwingung von Handlungen unzulässig, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, wie z. B. in •§ 50 G über das Kreditwesen vom 10. Juli 1961 (BGBl. I S. 881); vgl. jetzt aber auch weg·en der sog. Verpflichtungsklage u. 5. Buch. Ebenso kommt Verwaltungszwang nicht in Betracht im Verhältnis einer Staatsbehörde gegenüber einer ander·en, ihr nicht untergeordneten, Staatsbehörde, insofern hier keine selbständigen Rechtspersönlichkeiten einander gegenüberstehen und, davon auch abgesehen, die einander nicht untergeordneten Staatsbehörden sich einander mit Bezug auf die hoheitliche Betätigung rechtlich gleichstehen und nicht Befehle von der einen an die andere erteilt werden können, wie z. B. seitens der Polizeibehörden gegenüber der Wehrmacht usw. Dieser Verwaltungszwang zur Erzwingung von Handlungen kann nun wiederum in Betracht kommen entweder als mittelbarer (vermittelter) oder als sofortiger (unmittelbarer) oder unvermittelter Zwang, d. h. es kann sich entweder handeln um die zwangsweise Durchsetzung eines Verwaltungsbescheids (einer Verwaltungsverfügung oder Verwaltungsentscheidung), oder aber um die Anwendung von Zwang, ohne daß ein solcher Verwaltungsbescheid vorangegangen ist, zur sofortigen Erzwingung von Pflichten bzw. Befugnissen, wie sie sich aus den Gesetzen ergeben; sofortig·er Zwang kommt insbesondere bei Gefahr im Verzug in Betracht. Dagegen kann, wie schon früher erwähnt, ein Verwaltungsvertrag (vgl. o. § 33) als solcher - ähnlich wie ein bürgerlich-rechtlicher Vertrag - nicht unmittelbar zwangsweise verwirklicht werden, sondern es bedarf, soweit nichts anderes bestimmt ist, je nach näherer gesetzlicher Regelung, eines vorgängigen Ergehens einer Verwaltungsentscheidung oder eines verwaltungsgerichtlichen Urteils, zu deren
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Durchsetzung dann erst gegebenenfalls Zwangsanwendung in Betracht kommt. Die Ausdrucksweise für den mittelbaren bzw. den sofortigen Zwang ist in den Gesetzen, wie auch im Schrifttum, vielfach schwankend, wobei z. T. unter unmittelbarem Zwang die unmittelbare Gewaltanwendung (vgl. u. Ziff. II c) verstanden wird; vgl. z. B. § 132 pr. LVG, §55 pr. PVG, § 9 VwVG v. 27. April1953). II. Der mittelbare Zwang
Vorausgesetzt wird zur Anwendung des mittelbaren Zwanges, daß ein - nicht nichtiger - Verwaltungsbescheid (Verwaltungsverfügung oder Verwaltungsentscheidung) vorliegt, wenn er entweder unanfechtbar ist oder dessen sofortig·e Vollziehung angeordnet oder wenn dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist (vgl. § 6 VwVG, §§55, 53 pr. PVG). So heißt es z. B. in§ 27 WohnraumbewirtschaftungsG vom 31. März 1953 i. d. F. vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 418): "Verfügungen der Wohnungsbehörden können im Wege des Verwaltungszwanges vollzogen werden." Mit Bezug auf das Zwangsverfahren ist zu unterscheiden, abgesehen von dem Verwaltungsbescheid, der vollzogen werden soll, zwischen der Androhung des Zwangsmittels, gegebenenfalls seiner Festsetzung, und seiner Durchführung. Die Anwendung eines Zwangsmittels muß nämlich, abgesehen von dem Falle des sofortigen Zwangs, insbesondere zur Verhinderung rechts- oder ordnungswidriger Handlungen (z. B. namentlich auch strafbarer Handlungen) oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr, d. h. der unmittelbaren Ausführung der Verwaltungs-, insbesondere Polizeimaßnahme (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2, pr. PVG, '§ 6 VwVG), zunächst vorher angedroht werden; diese Androhung muß, außer bei Gefahr im Verzug, schriftlich 4 erfolgen und muß im Beveiche der Bundesverwaltung zugestellt werden, und zwar auch dann, wenn sie mit dem zugrunde lieg-enden Verwaltungsbescheid verbunden ist und für diese selbst k·eine Zustellung vorgeschrieben ist (§ 13 Abs. 7 VwVG, vgl. auch '§ 202 Abs. 6 RAbgO). Regelmäßig muß hierbei noch, außer bei Gefahr im Verzug, eine angemessene Frist bestimmt werden, innerhalb der der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise zugemutet werden kann (vgl. § 13 VwVG, § 132 pr. L VG, ausdrücklich - als wohl selbstverständlich - nicht erwähnt in:§ 55 pr. PVG). Die Androhung kann in dem Verwaltungsbescheid, durch welchen die Handlung, Duldung oder Unterlassung aufgegeben wird, zugleich enthalten sein und kann dann - zur Vermeidung mehrerer Verfahren- nur zusammen mit ihr angefochten wer4 Unterschriftstempel genügt (vgl. o. § 32). Jedoch nicht Androhung zur Niederschrift, Anschlag oder öfi. Bekanntmachung. Vgl. Pr. OVG. Bd. 47, S. 408, Drews-Wacke, Allg. Pol. R., 6. A., S. 151.
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den. Die Androhung soll mit dem Verwaltungsbescheid verbunden werden, wenn der sofortige Vollzug angeordnet oder den Rechtsmitteln keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist. Mit der Anfechtung einer selbständigen Androhung kann gleichzeitig der zugrunde liegende Verwaltungsbescheid angefochten werden, wenn dieser bei der Androhung nicht bereits unanfechtbar geworden war. Die Androhung muß sich bundesrechtlich auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen; die gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel und der Vorbehalt der Wahl zwischen mehreren Zwangsmitteln durch die Verwaltungsbehörde ist unzulässig (§ 13 VwVG). Die Androhung ist, wenn sie selbständig erfolgt, eine Verwaltungsverfügung, gegen welche die allgemeinen Rechtsmittel geltend gemacht werden können, wie sie gegen den Verwaltungsbescheid, um dessen Durchsetzung es sich handelt, gegeben sind, also insbesondere Beschwerde, gegebenenfalls weitere Beschwerde bzw. jetzt Widerspruch und verwaltungsgerichtliche Klage nach näherer gesetzlicher Bestimmung (vgl. u. 5. Buch). Ist die Androhung mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsbescheid verbunden, so erstreckt sich das Rechtsmittel zugleich auf den Verwaltungsbescheid, soweit er nicht bereits Gegenstand eines Rechtsmittels oder gerichtlichen Verfahrens geworden ist. Ist die Androhung nicht mit dem Verwaltungsbescheid verbunden und dieser unanfechtbar geworden, so kann die Androhung nur insofern angefochten werden, als eine selbständige Rechtsverletzung durch die Androhung selbst behauptet wird (§ 18 VwVG). Wird die Verpflichtung innerhalb der Frist, die in der Androhung bestimmt ist, nachdem diese unanfechtbar geworden ist, nicht erfüllt, so setzt die Vollzugsbehörde das Zwangsmittel fest, was bei sofortigem Vollzmg entfällt (§ 14 a. a. 0.). Das Zwangsmittel wird dann festsetzungsgemäß angewendet. Wird ein Zwangsmittel ohne vorausgehenden Verwaltungsbescheid - wie beim sofortigen Zwang - angewendet, so sind hiergegen die Rechtsmittel zulässig, die gegen Verwaltungsbescheide allgemein gegeben sind (vgl. § 18 VwVG; dazu § 44 Abs. 1 S. 2 pr. PVG). Nach preußischem Recht kann, wenn der Verwaltungsbescheid rechtskräftig geworden ist, ebenfalls regelmäßig im Zwangsverfahren nicht mehr die Rechtmäßigkeit oder Zweckmäßigkeit des Verwaltungsbescheids durch Rechtsmittel gegen die Androhung oder Durchführung von Zwangsmaßnahmen geltend gemacht werden; ferner steht gegenüber der Festsetzung und Ausführung eines Zwangsmittels, wenn der Verwaltungsbescheid und die Androhung der Zwangsmaßnahme unanfechtbar geworden ist, nur die Beschwerde an die vorgesetzte Verwaltungsstelle, nicht aber die verwaltungsgerichtliche Klage zur Verfügung. Die Anfechtung hat keine aufschiebende Wirkung; die Beitreibung von
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Zwangsgeld und die Vollstreckung einer Zwangshaft darf jedoch nicht erfolgen, bevor die Festsetzung unanfechtbar geworden ist, wogegen die Ersatzvornahme und die unmittelbare Gewaltanwendung rechtlich zulässig sind 5 ; vgl. hierzu § 57 Abs. 2 und 3 pr. PVG6 und Pr. OVG Bd. 2 S. 110, Bd. 9 S. 385 ff., Bd. 10 S. 353, Bd. 37 S. 238, Bd. 94 S. 123. Der Verwaltungsbescheid wird von der Behörde vollzogen, die ihn erlassen hat (vgl. § 7 VwVG und o. § 36) 7 • Eine gesetzliche Bestimmung, wonach die Verwaltungsbehörden verpflichtet wären, ein Vollstrekkungsverfahren durchzuführen, besteht, wie bereits bemerkt, im allgemeinen nicht: es handelt sich um eine Maßnahme des freien Ermessens unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Wohls (vgl. a. a. 0.). Auch ist die Verwaltungsbehörde durch früher durchgeführte oder nicht durchgeführte Vollstreckungsmaßnahmen in der Ausübung ihrer gesetzlichen Befugnis zur Erreichung des in der früheren Maßnahme vergeblich erstrebten Erfolgs nicht beschränkt (vgl. Pr. OVG Bd. 79 s. 148). Der mittelbare Zwang kann in dreierlei verschiedener Weise vorgenommen werden: im Wege der Ersatzvornahme (vgl. u. Buchst. a), der Zwangsstrafe oder des Zwangsgeldes (vgl. u. Buchst. b) und der unmittelbaren Gewaltanwendung gegen Personen oder Sachen (vgl. u. Buchstabe c). Welches dieser Zwangsmittel die Verwaltungsbehörde im Einzelfalle anwenden will, ist im allgemeinen ihrem freien pflichtmäßigen Ermessen überlassen, wobei aber das Zwangsmittel in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen muß und das Zwangsmittel möglichst so zu bestimmen ist, daß der Betroffene und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden (§ 9 VwVG); im allgemeinen wird in erster Reihe die Anwendung der Zwangsstrafe in Frage kommen. Dagegen war früher z. T. eine bestimmte Reihenfolge in der Anwendung der Zwangsmittel vorgesehen8, wie z. B. im § 132 pr. LVG, was auch noch außerhalb des Polizeirechts zur Ausübung obrigkeitliVgl. Drews-Wacke, a. a. 0., S. 158 ff. Anders ist dagegen die Regelung nach§ 133 LVG. Danach finden gegen die Androhung eines Zwangsmittels dieselben Rechtsmittel statt wie gegen die Anordnungen, um deren Durchsetzung es sich handelt; die Rechtsmittel erstrecken sich auch auf diese Anordnungen, sofern diese nicht bereits Gegenstand eines besonderen Beschwerde- oder Verwaltungsstreitverfahrens geworden sind, also davon abgesehen, auch wenn die Verfügung bereits unanfechtbar geworden ist. Vgl. dazu auch Drews-Wacke, a. a. 0. 7 Sie vollzieht auch Beschwerdeentscheidungen; die Behörde der unteren Verwaltungsstufe kann für den Einzelfall oder allgemein mit dem Vollzug beauftragt werden (§ 7 VwVG). Muß eine Zwangsmaßnahme außerhalb des Bezirks der Vollzugsbehörde ausgeführt werden, so hat die entsprechende Bundesbehörde des Bezirks, in dem sie ausgeführt werden soll, auf Ersuchen der Vollzugsbehörde das Verwaltungszwangsverfahren durchzuführen (§ 8, 5
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a. a. 0.).
s Nämlich: Ersatzvornahme- Zwangsstrafe-unmittelbare Gewaltanwendung.
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eher Gewalt galt, wie z. B. zur Durchsetzung von Anordnungen des Landrats an untergeordnete Polizeibehörden (vgl. Pr. OVG Bd. 19 S. 285), soweit sich aus Rechtsvorschriften oder aus der Natur des Zwangsmittels nichts anderes ergibt. Die unmittelbare Gewaltanwendung gegen Personen kommt im übrigen nur in Betracht, wenn der Verwaltungsbescheid ohne eine solche nicht ausführbar ist oder die anderen Zwangsmittel keinen Erfolg versprechen. Leistet der Pflichtige bei der Ersatzvornahme oder bei unmittelbarer Gewaltanwendung Widerstand, so kann dieser mit Gewalt gebrochen werden; die Polizei hat auf Verlangen den Vollzugsbehörden Amtshilfe zu leisten. Der Vollzug ist einzustellen, sobald sein Zweck erreicht ist (§ 15 VwVG). a) D i e E r s a t z v o r n a h m e Diese Art des Zwangsvollzugs ist auch der ZPO für das bürgerliche Rechtsverfahren bekannt: es kann nach § 887 ZPO, wenn der Vollstreckungsschuldner die Verpflichtung nicht erfüllt, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch einen Dritten erfolgen kann, der Gläubiger durch das Verfahrensgericht des ersten Rechtszugs auf seinen Antrag ·ermächtigt werden, auf Kosten des Schuldners die Handlung vornehmen zu lassen; er kann zugleich beantragen, den Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten zu verurteilen, die durch die Vornahme der Handlung entstehen. Die Ersatzvornahme ist jetzt bundesrechtlich allgemein für Bundesbehörden durch das VwVG vom 27. April 1953 in § 10 ger·egelt: "Wird die Verpflichtung, ·eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch einen anderen möglich ist (vertretbare Handlung), nicht erfüllt, so kann die Vollzugsbehörde einen anderen mit der Vornahme der Handlung auf Kosten des Pflichtigen beauftragen." Daneben bleibt die in § 202 RAbgO für das Steuerrecht zur Erzwingung von Handlungen des Pflichtigen durch Geldstrafe, unmittelbaren Zwang und Ersatzvornahme als Ausführung auf Kosten des Pflichtigen getroffene Regelung unberührt. - Sie findet sich weiter landesrechtlich in§ 132 pr. LVG, eine Bestimmung, die jetzt, wie bereits -erwähnt, nach Erlaß des PVG noch für andere als polizeiliche Maßnahmen, z. B. auch des Landrats und Regierungspräsidenten gilt, soweit inzwischen nicht eine anderweitige Regelung erfolgt ist, und sodann für den Bereich des Polizeirechts in'§ 55 PVG ("Ausführung der zu erzwingenden Handlung auf Kosten des Pflichtigen, durch Festsetzung von Zwangsgeld oder durch unmittelbaren Zwang"). Vgl. ferner z. B. § 10 Abs. 5 bad.-württ. GO vom 25. Juli 1955 (GBl. S. 129), wonach in der Gemeindesatzung über Gemeindedienste (Hand- und Spanndienste) bestimmt werden kann, daß bei Zuwiderhandlungen gegen ihre B-estimmungen Zwangsgeld bis zu 500 DM festgesetzt und bei Weigerung des Verpflichteten Handlungen
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an seiner Stelle und auf seine Kosten vorgenommen werden, wobei Zwangsgelder und Kosten für die Ersatzvornahme im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben werden; desgL § 18 DGO (vgL dazu auch § 29 Abs. 1 Ziff. 2 DGO): Durchführung des satzungsmäßig vorgeschriebenen Anschluß- und Benutzungszwangs bei Weigerung des Verpflichteten an seiner Stelle und auf seine Kosten neben Androhung von Zwangsgeld9 ; desgL § 11 Abs. 3 in Verbindung mit§ 10 Abs. 5 (vgL o.) bad.-württ. GO, ferner § 111 DGO und § 123 bad.-württ. GO für Maßnahmen der Staatsaufsicht gegenüber Gemeinden, § 99 der 1. Wasserverbands-VO vom 3. September 1937, § 7 Abs. 3 (Reinigung einer Bundesfernstraße aus Anlaß des Gemeingebrauchs über das verkehrsübliche Maß auf Kosten des Verunreinigers), § 20 Abs. 2 BFernStrG i. d. F. vom 6. August 1961 (BGBL I S. 1742), § 18 bad.-württ. LJagdG vom 15. März 1954 (GEL S. 35: Wildfütterung gegebenenfalls auf Rechnung des dazu verpflichteten Jagdausübungsberechtigten nach vergeblicher Aufforderung). VgL auch noch§ 6 VO zur Verhütung und Bekämpfung von Waldbränden in nicht im Eigentum des Reichs oder der Länder stehenden Waldungen vom 18. Juni 1937 (RGBL I S. 72), ferner § 27 BJagdG vom 29. November 1952 i. d. F. vom 30. März 1961 (BGBL I S. 304). Für Österreich findet sich in dem VerwaltungsvollstreckungsG vom 21. Juli 1925 ebenfalls die Ersatzvornahme als eines der Verwaltungszwangsmittel vor. 1) Die Ersatzvornahme bedarf als solche keiner besonderen gesetzlichen Grundlage, wenn sie auch vielfach gesetzlich näher geregelt ist, im liberalen wie im sozialen Rechtsstaat jedoch nur, soweit nicht ein Eingriff in Freiheit und Eigentum, wie z. B. auch wegen der Beitreibung der entstehenden Kosten 10 , stattfindet; daneben kann aber auch eine gewohnheitsrechtliche Grundlage dafür, insbesondere aus früherer Zeit, vorhanden sein. Es handelt sich nicht um die Auferlegung einer neuen Pflicht neben der in Frage stehenden, zu erfüllenden, Pflicht, sondern nur um die Verwirklichung dieser Pflicht bzw. des schon vorhandenen Befehls. So fand sich z. B. in Baden über die Ersatzvornahme keine besondere gesetzliche Bestimmung; an ihrer gewohnheitsrechtliehen Zulässigkeit war indessen nicht zu zweifeln. Die allgemeine Ermächtigung der Polizei in § 30 PStGB, wonach "neben den Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzbuchs", den Polizeibehörden die Befugnis vorbehalten bleibt, auch unabhängig von strafgerichtlicher Verfolgung rechts- und ordnungswidrige Zustände innerhalb ihrer Zuständigkeit zu beseitigen und deren Entstehung und Fortsetzung zu hindern, 9 Vgl. dazu die 5. Durchf. VO. zur DGO, wonach als Zuwiderhandlung i. S. des § 18 Abs. 3 DGO jede Zuwiderhandlung gegen Vorschriften der Satzung, die den Anschluß- und Benutzungszwang vorschreiben, gilt. 10 Das ist wohl übersehen von Thoma, Pol.befehl, S. 89, der schlechtweg behauptet, daß es einer besonderen Zulassung dieser Vollzugshandlung nicht bedürfe.
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deckte auch die Maßnahme der Ersatzvornahme und die Vorschrift des Abs. 3 a. a. 0., wonach über den Ersatz der durch solche Maßregeln der Polizei entstandenen Kosten in allen Fällen die Polizeibehörde zu erkennen und das Erkenntnis nach den Bestimmungen über Beitreibung der auf dem öffentlichen Recht beruhenden Forderungen vollziehen zu lassen hat, war auch auf die Ersatzvornahme anzuwenden11 ; jetzt ist diese Bestimmung ersetzt durch § 32 bad.-württ. PolizeiG, wonach die Behörden befugt sind, Zwangsmittel nach den allgemeinen Vorschriften über den Verwaltungszwang anzuwenden. Der oben angeführte Grundsatz des § 89 Einl. zum pr. ALR enthält einen allgemeinen, auch hier anwendbaren, Rechtsgedanken. Wenn der Beteiligte ein ihm auferlegtes Tun im Bereiche der öffentlichen Verwaltung selbst nicht vollzieht, den Befehl nicht erfüllt, dann soll er es hinnehmen, daß diese Handlung an seiner Stelle vorgenommen wird und er die Kosten dafür zu tragen hat. In dem obrigkeitlichen Befehl ist schon enthalten, daß er nötigenfalls zwangsweise verwirklicht wird: das ist eben das Wesen der Herrschaftsgewalt, nicht nur zu befehlen, sondern die Befehle gegebenenfalls auch zu erzwingen - im Rechtsstaat freilich zufolge des Vorbehalts des Gesetzes nur auf gesetzlicher Grundlage-, und die Ersatzvornahme ist die einfachste Art der Verwirklichung von obrigkeitlichen Befehlen. 2) Bei der Ersatzvornahme muß es sich handeln um eine Handlung, die durch einen Dritten vorgenommen werden kann, d. h. um eine vertretbare Handlung, entsprechend, wie dies auch in § 887 ZPO bestimmt ist. Regelmäßig handelt es sich um die Herbeiführung eines äußeren Zustandes, wie z. B. die Ausbesserung oder das Abreißen von Bauten, die sich in einem polizeiwidrigen Zustand befinden, die Beseitigung eines gestrandeten Schiffs als eines Schiffahrtshindernisses im öffentlichen Gewässer, die Anbringung von Schutzvorrichtungen in Fabriken oder Werkstätten zum Schutze der Arbeiter gegen Berührung von Leitungen zur Kraftübertragung, die Reinigung und Unterhaltung von Gehwegen, die Reinigung von Wasserläufen usf. Die Ersatzvornahme kommt dagegen nicht in Betracht mit Bezug auf unvertretbare Handlungen, ein Tun oder Unterlassen, das der Pflichtige in Person vorzunehmen hat, wie z. B. das Erscheinen vor der Verwaltungsbehörde als Beteiligter zur Auskunftserteilung oder als Zeuge zur Aussage usf., was eben durch einen Dritten nicht ersetzt werden kann; für diesen Fall kommt das Zwangsgeld (u. Buchst. b) in Betracht, während dagegen das Zwangsgeld auch mit Bezug auf vertretbare Handlungen angewandt werden kann. Die Ersatzvornahme erfolgt durch einen Dritten, und nicht durch die Verwaltungsbehörde, insbesondere die Poli11
So auch Thoma, a. a. 0 .. S. 89.
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zei, selbst: handelt diese mit eigenen Kräften, dann liegt unmittelbare Gewaltanwendung (u. Buchst. c) vor. Sie kommt u. U. auch in Betracht, wenn der Betroffene nicht mit der Durchführung mit eigenen Kräften der Behörde einverstanden ist (vgl. Pr. OVG Bd. 22 S. 420, Bd. 105 S. 240 ff.). Davon zu unterscheiden ist der Fall, daß bei einer Ersatzvornahme durch einen Dritten wegen des Widerstands des Beteiligten polizeiliche Begleitung und polizeilicher Schutz des Dritten zur Verhinderung von Störungen in dessen Tätigkeit in Frage kommen (vgl. Pr. OVG Bd. 105 a. a. 0.). 3) Die Ersatzvornahme muß, abgesehen von dem Falle der unmittelbaren Ausführung - wie bei Gefahr in Verzug -, wie einleitend bereits bemerkt, vorher angedroht werden, und zwar nach dem pr. PVG, außer bei Gefahr im Verzug, schriftlich. Die Androhung kann aber schon mit dem Befehl verbunden werden, um dessen Verwirklichung es sich handelt. Dabei ist regelmäßig eine angemessene Frist zu bestimmen, innerhalb deren die Vornahme erfolgen kann und soll. Eine Ersatzvornahme ohne vorherige Androhung kann z. B. erfolgen nach dem pr. ZG vom 1. August 1883 (§ 55), wonach die zuständige Wegepolizeibehörde befugt ist, das zur Erhaltung des gefährdeten oder zur Wiederherstellung des unterbrochenen Verkehrs Notwendige auch ohne vorgängige Aufforderung des Pflichtigen für dessen Rechnung ausführen zu lassen, wenn dergestalt Gefahr im Verzug ist, daß die Ausführung der vorzunehmenden Arbeit durch den Verpflichteten nicht abgewartet werden kann; im übrigen kann der Wegebaupflichtige auch durch die sonstigen Zwangsmittel zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit angehalten werden. 4) Die Durchführung geschieht regelmäßig in der Weise, daß die Behörde mit einem Dritten einen bürgerlich-rechtlichen Vertrag, nämlich einen Werkvertrag, abschließt, um den geschuldeten Erfolg herbeizuführen, nicht anders als dies im Verhältnis unter Privaten geschieht. Der Staat oder der sonstige Träger öffentlicher Verwaltung handelt also hier im alLgemeinen wie ein Privater, und es findet das bürgerliche Recht Anwendung. Die Verwaltungsbehörde kann jedoch als öffentliche Behörde die Duldung der Vornahme gegebenenfalls durch unmittelbare Gewaltanwendung (u. Buchst. c) - hier i. S. einer Hilfsmaßnahme - gegenüber dem Pflichtigen oder anderen gewährleisten, um Störungen der Arbeiten zu verhüten, wie o. (Ziff. 2) ber.eits erwähnt. Bei polizeilichem Notstand können freilich Dritte auch mittels obrigkeitlichen Befehls und Zwangs zur Leistung herangezogen werden (vgl. dazu u. Ziff. III). 5) Der Pflichtige hat die durch Ersatzvornahme entstehenden Kosten zu ersetzen, da er sie durch sein Verhalten veranlaßt hat. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Schuldpflicht geg~nüber dem betref61 Merk
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fenden Träger der öffentlichen Verwaltung - Staat oder Gemeinde usf. -, der die Ersatzvornahme vornehmen läßt. Der Anspruch ist also öffentlich-rechtlicher Natur, auch wenn die Kosten auf Grund eines bürgerlich-rechtlichen Vertrags mit der Verpflichtung zur Leistung eines bürgerlich-rechtlichen Entgelts als Gegenleistung entstanden sind: was dem Handwerker usf. gegenüber vertragsmäßige bürgerlichrechtliche Vergütung aus Werkvertrag ist, sind im Verhältnis zwischen dem Träger der öffentlichen Verwaltung und dem Pflichtigen öffentlich-rechtliche Verfahrenskosten (als Auslagen) -bei Zwangsmaßnahmen der Polizei Polizeikosten -, nicht anders als z. B. bei der Einnahme eines richterlichen Augenscheins die Lösung einer Fahrkarte zur Bahnfahrt an Ort und Stelle zu den öffentlich-rechtlichen Kosten des bürgerlichen Rechtsstreits gehört-, deren Höhe sich nach der Höhe der Werkvertragsvergütung richten. Von Kosten, die auf Grund ·einer Geschäftsführung ohne Auftrag entstanden sind, ist keine Rede, da hier von der Verwaltungsbehörde nicht im Bereich des bürgerlichen Rechts "für den Geschäftsherrn", sondern im Bereiche des öffentlichen Rechts auf Grund der gesetzlichen Ermächtigung anstelle des säumigen Pflichtigen vorgegangen wird und das bürgerliche Rechtsgeschäft sozusagen nur ein Hilfsgeschäft hierbei im Dienste des öffentlichen Rechts ist. Die Verwaltungsbehörde, der Kosten aus dem bür:gerlich-rechtlichen Vertrag erwachsen sind, setzt sie nach der Ausführung fest und läßt sie nach den Vorschriften über die Beitreibung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen beitreiben12• Es können aber auch schon im voraus die voraussichtlichen Kosten vorläufig festgesetzt werden, ohne daß in der Androhung schon der Kostenvorschuß ziffernmäßig ang·egeben sein müßte (vgl. Pr. OVG Bd. 44 S. 423) und gegebenenfalls schon vor der Vornahme der Handlung beigetrieben werden. Nach § 13 VwVG und § 5 pr. PVG ist jetzt in der Androhung die Höhe des Kostenbetrags vorläufig zu veranschlagen (vgl. dazu Pr. OVG Bd. 105 S. 244), wobei das Recht der Nachforderung selbstverständlich unberührt bleibt, wenn die Ersatzvornahme ·einen höheren Kostenaufwand bedingt. b) Das ZwangsgeI d (die Zwangsstraf e) Es findet sich außer der Bezeichnung "Zwangsstrafe" auch die Bezeichnung "Erzwingungsstrafe", "Beugestrafe", "Ungehorsamsstrafe", neuerdings aber mehr und mehr "Zwangsgeld"; diese Be~eichnung ist im pr. PVG von 1931 verwendet, nach der Begründung zu §§ 55 und 56 PVG, um dem weitverbreiteten Irrtum entgegenzutreten, daß das polizeiliche Zwangsmittel der Zwangsstrafe und die eigentliche strafrechtliche Strafe dasselbe seien (wobei nicht genügend gewürdigt ist, daß die 12
Vgl. Drews-Wacke, a. a. 0., S.152.
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Worte Träger von Vorstellungen sind, die oft nur unvollkommen in der Bezeichnung zum Ausdruck kommen; so wenig jemand bei den "Handschuhen" an die "Schuhe" denkt, so wenig bei der "Zwangsstrafe" an die "Strafe" im strafrechtlichen Sinn). Das Zwangsgeld hat sich aus der mittelalterlichen Bannstrafe durch Umbildung heraus entwickeW 3 • In Frankreich ist das Zwangsgeld als Zwangsmittel der öffentlichen Verwaltung nach der Staatsumwälzung von 1789 verschwunden; dagegen ist allgemein jeder Ungehorsam gegen behördliche Anordnungen nach dem französischen Strafgesetzbuch (Code penal, Art. 471, Ziff. 15, nach der Fassung vom Jahre 1832) als strafbares Unrecht erklärt14 • Damit werden "nach unbezweifelter, wenn schon aus dem Wortlaut nicht zu erschließender" Lehre und Verwaltungsübung alle allgemeinen Anordnungen (reglements) wie auch Befehle im Einzelfalle (arretes individuels) sowohl der staatlichen Verwaltungsbehörde des Präfekten wie des Bürgermeisters - also nicht die Gesetze als solche, soweit nicht ihre Anordnungen in vollziehenden Verwaltungsverfügungen wiederholt werden- strafrechtlich geschützt15 • Dagegen ist im deutschen Recht der Ungehorsam gegen behördliche Anordnungen in dieser allgemeinen Weise als strafbares Unrecht unbekannt. Es handelt sich bei dem hier zu behandelnden Zwangsgeld- anders als bei der Ersatzvornahme und der unmittelbar·en Gewaltanwendung nicht um eine unmittelbare Verwirklichung eines von einem Pflichtigen herbeizuführenden Verhaltens, sondern es wird hier in bestimmter Weise geistig-seelisch auf seinen Willen eingewirkt, daß er diesen Zustand herbeiführe, nämlich durch die Androhung und nötigenfalls die Verhängung einer Zwangsstrafe in Geld: insofern liegt in gewissem Sinne wieder eine Art des mittelbaren Zwanges vor, der aber im Gegensatz zur Strafe im strafrechtlichen Sinne auf die Herbeiführung des geschuldeten Tuns oder Unterlassens als solchen gerichtet ist und weiter nicht wie jene allgemein, sondern im Einzelfall, angedroht wird. Bundesrechtlich ist jetzt, wie hinsichtlich der Ersatzvornahme, so auch hinsichtlich des Zwangsgeldes eine allgemeine Regelung in dem VwVG vom 27. April 1953 für die Bundesbehörden erlassen worden. Danach 13 Zuerst bei den ital. Verfahrensrechtlern. Vgl. Gneist in Holtzendorffs Rechtslexikon Bd. 3, 2, S. 1109, Anschütz, a. a. 0., S. 406. u "Seront punis d'amende depuis un franc jusqu'a cinq francs inclusivement ceux qui auront cont1:-evenu aux reglements l(~galement faits par l'autorite administrative." Vgl. auch noch die franz. StrafverfahrensO (Code d'instruction criminelle), Art. 161, wonach bei einer Überführung wegen einer Polizeiübertretung das Gericht neben der Strafe auch über das Verlangen auf Herstellung und Schadensersatz befindet, was auch auf die Beseitigung des durch die Übertretung herbeigeführten polizeiwidrigen Zustandes bezogen wird. Vgl. 0. Mayer, Theorie d. franz. Verw.R S. 182 ff., 190. 15 Vgl. 0. Mayer, a. a. 0., S. 2.17, Thoma, a. a. 0., S. 240; Waline, Droit admin. 8. A. (1959) S. 511, Laubadere, Traite el. de droit admin. 2. A. (1957),
s. 315. 61°
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kann der Pflichtige, wenn eine Handlung durch einen anderen nicht vorgenommen werden kann und sie nur vom Willen des Pflichtigen abhängt, zur Vornahme der Handlung durch ein Zwangsgeld angehalten werden; bei vertretbaren Handlungen kann es verhängt werden, wenn die Ersatzvornahme untunlich ist, besonders wenn der Pfiichtige außerstande ist, die Kosten zu tragen, die aus der Ausführung durch einen anderen, d. h. bei Ersatzvornahme, entstehen. Es ist auch zulässig, wenn der Pflichtige der Verpflichtung zuwiderhandelt, eine Handlung zu dulden oder zu unterlassen (§ 11). Im übrigen ist die Regelung dem Landesrecht überlassen, wie ja den Landesbehörden nach der Reichsgründung von 1871 regelmäßig auch der Vollzug von Reichsgesetzen oblag und entsprechend j·etzt nach dem GG von Bundesgesetzen obliegt. Nur in einzelnen Reichs-(Bundes-)Gesetzen findet sich eine nähere Regelung (vgl. u. Ziff. 2). 1) Es handelt sich um ein Obel, das von der Verwaltungsbehörde dem Verwalteten auferlegt wird, um die Befolgung eines ergangenen Befehls oder einer bestehenden Pflicht zu sichern bzw. herbeizuführen. Als solches Übel kommt hier eine öffentlich-rechtliche Geldleistung oder auch nach besonderer gesetzlicher Bestimmung Zwangshaft im Nichtbeitreibungsfalle - die jetzt freilich nach Art. 104 GG nur noch durch den Richter verhängt werden kann -in Betracht. Das Zwangsgeld ist insofern Strafe, als sie ein Übel ist, "das einer Person anläßlich eines von einem übergeordneten Machtträger nicht gebilligten Verhaltens zugefügt wird" (vgl. Pr. OVG Bd. 90 S. 278). Aber das Übel ist hier anders als bei der Strafe im Sinne des Strafrechts nicht Sühne für den Bruch der Rechtsordnung durch ein in der Ver.gangenheit begangenes, von der Gemeinschaft gesetzlich mißbilligtes Verhalten, sondern ein Zwangsmittel, durch dessen Androhung und gegebenenfalls Verhängung, wie schon bemerkt, ein geistig-seelischer Druck auf den Pflichtigen ausgeübt werden soll, eine ihm obliegende Pflicht zu erfüllen: nicht, weil jemand eine gemeinschaftswidrige, vom Gesetz allgemein mit Strafe bedrohte Handlung in der Vergangenheit begangen hat, sondern damit jemand seine Pflicht zu bestimmtem verwaltungsmäßigem Verhalten erfüllt, wird sie - so wenigstens regelmäßig - im Einzelfalle angedroht und verhängt. Das Antlitz ist also sozusagen bei der Zwangsstrafe auf die Zukunft gerichtet, nicht auf die Vergangenheit in erster Reihe, wie bei der Strafe im strafrechtlichen Sinne. Das Zwangsgeld steht im Dienste des Zwecks der Verwirklichung von verwaltungsmäßigen Pflichten. Dieser Zweck ist für sie kennzeichnend im Gegensatz zur Strafe im strafrechtlichen Sinn. Es gibt eben auch Strafen, d. h. rechtlich zugefügte Übel, nicht strafrechtlicher Art, wie z. B. die auf einem besonderen Gewaltverhältnis beruhende - als Zucht- und Reinigungsmittel dienende - Dienststrafe, ferner die Ordnungsstrafe, das Buß-
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geld bei Ordnungswidrigkeiten usf. Der Befehl, um den es sich handelt, kann den verschiedensten Gebieten der Verwaltung angehören, wie insbesondere der Polizeibef.ehl, z. B. auch der Dienstbefehl auf Grund besonderer Gewaltverhältnisse, ferner der Befehl der Staatsaufsichtsbehörde gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften usf. Während die Strafe im strafrechtlichen Sinne im liberalen Rechtsstaat wie auch im sozialen Rechtsstaat durch allgemeinen Rechtssatz angedroht wird nach den zum Verfassungsrechtssatz erhobenen Grundsatz, daß jemand nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (vgl. Art. 116 Weim. RV, Art. 103 Abs. 2 GG), wird das Zwangsgeld durch Verwaltungsverfügung im Einzelfalle angedroht, wie bereits oben erwähnt, wenn auch die Ermächtigung zum Erlasse auf einem Gesetz beruhen muß. 2) Das Zwangsgeld kann im Gegensatz zur Ersatzvornahme nur verhängt werden, wenn es gesetzlich besonders zugelassen ist. Es entspricht rechtsstaatliehen Grundsätzen, daß hier eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist, weil es sich hier - anders als grundsätzlich bei der Ersatzvornahme - nicht lediglich um die Durchsetzung einer bestehenden Pflicht als solcher handelt, sondern um eine neue Last, ein Übel, das angedroht und gegebenenfalls verhängt wird, das als solches in der Pflicht, um deren Durchsetzung es sich handelt, als solcher und auch in der allgemeinen gesetzlichen Ermächtigung der PolizeP 6 nicht schon enthalten ist. Vielmehr hat im Falle des Zwangsgeldes der Schuldner zusätzlich zu der geschuldeten Pflicht eine weitere Schuldigkeit zu erbringen; als Eingriff in Freiheit und Eigentum bedarf sie im Rechtsstaate der gesetzlichen Grundlage. Reichs-(bundes-)rechtlich findet sich diese Grundlage in einzelnen Gesetzen, wie z. B. in§ 144 a GewO, § 43 G über das Kreditwesen vom 26. September 1939 (RGBl. I S. 1955) und jetzt in § 50 des gleichnamigen G vom 10. Juli 1961 (BGBl. I S. 881), § 99 der Ersten WasserverbandsVO vom 3. September 1937 (RGBl. I S. 933), § 69 PersonenstandsG i. d. F. vom 8. August 1957 (RGBl. I S. 1126) 17 nebst §§ 10,109, 111 der ErstenAusfVO vom 19. Mai 1938 (RGBl. I S. 533), § 150 BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341); für den Bereich der Bundesverwaltung und der bundesunmittelbar·en juristischen Personen des öffentlichen Rechts gelten jetzt die Vorschriften des VwVG vom 27. April 1953, wogegen die Vorschrift der RAbgO, des Sozialversicherungsrechts einschließlich der Arbeitslosenversicherung (vgl. insbesondere§§ 318 a, 245, 656, 800, 1457, 1467 RVO -: "Zwangsstrafe in Geld") und der Justizbeitreibungsordnung unberührt geblieben sind (vgl. §§ 1, Vgl. Thoma, a. a. 0., S. 92. Danach kann, wer auf Grund d. G zu Anzeigen oder zu sonstigen Handlungen verpflichtet ist, hierzu von dem Standesbeamten durch Festsetzung eines Zwangsgeldes, das im Einzelfalle den Betrag von 100 DM nicht überschreiten darf, angehalten werden; es soll vor der Festsetzung schriftlich angedroht werden. 16 17
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20). Im preußischen Recht findet sich die Rechtsgrundlage für die Verwaltungsbehörden allgemein in § 132 L VG (vgl. dazu auch noch § 55 ZustG), soweit es sich um Polizeibehörden handelt, im besonderen in § 55 PVG, falls nicht in den neugebildeten Ländern jetzt etwas anderes bestimmt ist, in Baden in § 31 PStGB 18 ; nach dieser Bestimmung bleibt den mit Polizeigewalt betrauten Verwaltungsbehörden die Befugnis aufrechterhalten, die Erfüllung solcher Verbindlichkeiten des öffentlichen Rechts, für deren zwangsweisen Vollzug ein besonderes Verfahr·en - Strafverfahren oder besonderes Vollstreckungsverfahren nicht vorgesehen ist, auch durch Androhung und Ausspruch von Geldstrafen gegen bestimmte Personen zu erzwingen, so daß also die Polizeibehörden als aushilfsweise zuständige Vollstreckungsbehörden vorgesehen sind19 ; wird die Erfüllung solcher Verbindlichkeiten durch Geldstrafen nicht erzwungen, so kann persönlicher Zwang angewendet werden, wenn die betreffenden Maßregeln ohne solchen undurchführbar sind; jedoch darf ein Gewahrsam in solchem Falle die Dauer von 48 Stunden nicht übersteigen 20 , wobei jetzt in erster Reihe die Vorschrift des Art. 104 GG zu beachten ist. Die Höhe des Zwangsgeldes ist in den Gesetzen näher bestimmt. Sie beträgt nach den VwVG vom 27. April1953 mindestens 3 DM und höchstens 2000 DM. Landesrechtlich ist es häufig abgestuft nach der für die Verhängung zuständigen Verwaltungsstelle, wie z. B. nach pr. Polizeirecht 150 DM bei den Landespolizeibehörden, 100 DM bei den Kreispolizeibehörden, 50 DM bei den Ortspolizeibehörden. In einzelnen Gesetzen ist für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit auch eine Zwangshaft vorgesehen (vgl. z. B. § 132 LVG, §56 PVG und u. Ziff. 10). Es steht im freien Ermessen der Verwaltungsbehörde, ob sie im Einzelfalle das Zwangsgeld, und in welcher Höhe sie es im gesetzlichen Rahmen oder ein anderes Zwangsmittel androhen will, soweit sich nicht aus dessen Natur etwas anderes ergibt (vgl. Ziff. 3). Diese Androhung erfolgt, wie bereits erwähnt, durch Bescheid im Einzelfalle; das Zwangsgeld muß in bestimmter Höhe angedroht werden (vgl. jetzt auch § 13 Abs. 5 VwVG21 ). 18 Bei der Höhe der Strafe wird dabei unterschieden, ob es sich um eine Staatsverwaltungsbehörde oder um einen Bürgermeister handelt: bei jenen Geldstrafe bis zu einem Drittel der für Übertretungen zulässigen Höchststrafe, d. h. also biJs zu 50 DM, bei diesem in den Städten und ebenso in den übrigen Gemeinden mit Ausnahme der kleinen Gemeinden (d. h. mit höchstens 200 Einw.) bis zu einem Fünftel, bei den kleinen Gemeinden bis zu einem Zehntel der für Übertretungen zulässigen Höchststrafe. 19 Vgl. Nebinger, Württ. PolizeistrafR S.172 ff. 20 Über den Ersatz der durch solche Maßregeln entstandenen Kosten hat die Polizeibehörde zu erkennen und das Erkenntnis nach den Bestimmungen über die Beitreibung der auf dem öffentlichen Recht beruhenden Forderungen vollziehen zu lassen. 21 Dagegen bestimmte die Erste Ausf.VO zum PersonenstandsG vom 19. Mai 1938 lediglich, daß der Festsetzung der Erzwingungsstrafe eine Strafandrohung vorausgehen "soll".
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Es genügt nicht, daß in der Androhung nur etwa der gesetzliche Höchstbetrag des zulässigen Zwangsgeldes oder "ein Zwangsgeld bis zu ... DM" angeführt wird22 • Das Zwangsgeld ist im allgemeinen in den deutschen Ländern nicht ein für allemal angedroht; anders z. T. nacll pr. PVG mit der Androhung von Zwangsg·eld, das jetzt wie auch die sonstigen Verwaltungszwangsmittel in Polizeiverordnungen für den Fall der Nichtbefolgung angedroht werden kann (vgl. § 33 PVG und u. § 45). In Württemberg dagegen gilt etwas anderes, z. T. offenbar infolge der Einwirkung des französ. Rechts (s. o.): nach Art. 2 des sog. PolizeistrafverfügungsG vom 12. August 1879 im Anschluß an eine ähnliche Bestimmung in Art. 46 württ. PolizeistrafG vom 2. Oktober 1839, die aber anscheinend strafrechtliche Bedeutung hatte wie die oben angeführte französische Bestimmung: "Der Ungehorsam gegen die von einer Behörde innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen ordnungsmäßig eröffneten Anordnungen kann, soweit nicht besondere gesetzliche Bestimmungen etwas anderes festsetzen, mit Geldstrafen bis zu 1000 DM oder Haft bis zu 8 Tagen bestraft23 und diese Strafe bei fortgesetztem Ungehorsam wiederholt werden. - Die Polizeibehörden sind außerdem befugt, die in Gemäßheit des Abs. 1 getroffenen Anordnungen durch Anwendung sonstiger gesetzlicher Zwangsmittel zur Ausführung zu bringen." Unter "Anordnungen" sind dabei Verwaltungsverfügungen einer Verwaltungsbehörde, nicht etwa Weisungen eines Vollzugsbeamten, zu verstehen24 • Wenn auch die Zwangsstrafe hier schon ein für allemal im Gesetz angedroht ist und es nicht mehr der Androhung im Einzelfalle bedarf, insoweit also eine Ähnlichkeit mit dem franz. Recht besteht, so handelt es sich doch im Gegensatz dazu um ein verwaltungsmäßiges Übel, gegen dessen Verhängung nicht etwa wie früher gegen polizeiliche Strafverfügungen ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden konnte, sondern nur die Beschwerde an die vorgesetzte Verwaltungsbehörde und jetzt der Widerspruch erhoben werden kann, dazu gegebenenfalls infolge der allgemeinen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte noch die verwaltungsgerichtliche Klage. Wenn im Einzelfalle die gegebenenfalls eintretende Bestrafung noch besonders angedroht wird, so handelt es sich nur um eine Warnung (Zutr. 0. Mayer, a. a. 0., S. 275). Die Androhung kann sofort mit dem Befehl verbunden werden; sie kann aber auch selbständig ergehen. 3) Die Zwangsstrafe kommt bei geschuldeten nichtvertretbaren Handlungen unter Ausschluß der Ersatzvornahme in Betracht; es steht aber kein Hindernis entgegen, sie auch für den Fall von vertretbaren HandVgl. Pr.OVG. Bd. 96, 8.100, Drews-Wacke, a. a. 0., S. 152. Vgl. jetzt dazu Art. 104 GG, wonach über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden hat. Vgl. dazu noch u. Anm. 45. 24 So auch Nebinger, Württ. PolizeiR S. 171. 22
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lungen anzuwenden, wie z. B. zur Beseitigung rechts- und ordnungswidriger Zustände. Sie kommt z. B. in Betracht, wenn in einem Verwaltungsv·erfahren das persönliche Erscheinen eines Beteiligten bei der Durchführung der Impfpflicht25 oder zum Zweck:e der Auskunftserteiteilung, z. B. vor der Polizeibehörde, angeordnet ist (vgl. Pr. OVG Bd. 15 S. 425), soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist, wie z. B. in§ 17 pr. PVG26 • Vgl. auch§ 11 VwVG. 4) Das Zwangsgeld kommt nicht nur gegenüber natürlichen, sondern auch gegenüber juristischen Personen in Betracht, soweit sie eine verwaltungsrechtlich geschuldete Handlung zu erbringen haben: sofern jene und nicht deren gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter als Pflichtige in Betracht kommen, ist es nicht diesen aufzuerlegen, wenn nichts anderes bestimmt ist. 5) Die Androhung des Zwangsgeldes bedarf nach preuß. Polizeirecht der schriftlichen Form, außer bei Gefahr im Verzug; so jetzt allgemein auch nach§ 13 VwVG unter Bestimmung einer angemessenen Frist. Sie muß jedenfalls nach den allgemeinen Bestimmungen den Beteiligten bekanntgemacht werden. Ist die Androhung des Zwangsmittels in der polizeilichen Verfügung enthalten, so kann sie nach preuß. Recht- zur Vermeidung mehrerer Verfahren - nur zusammen mit der polizeilichen Verfügung angefochten werden; ist sie selbständig erfolgt, so sind dagegen die gleichen Rechtsmittel gegeben wie gegen die ZJugrunde liegende polizeiliche Verfügung. Mit der Anfechtung der Androhung kann in diesem Falle gleichzeitig die zugrunde liegende polizeiliche Verfügung selbst angefochten werden, sofern diese bei der Androhung nicht bereits unanfechtbar g·eworden ist (§ 57 Abs. 2 pr. PVG). 6) Die angedrohte Zwangsstrafe ist bei Geboten dann verwirkt, wenn die vorzunehmende Handlung innerhalb der gesetzten Frist nicht vorgenommen wird, bei Verboten mit der Zuwiderhandlung. Die Verwirkung des Zwangsgeldes setzt ein Verschulden im Sinne des Strafrechts nicht voraus, da es sich nicht um eine strafrechtliche Strafe handelt, wie es auch, wie ber·eits bemerkt, gegen juristische Personen als solche verhängt werden kann. Grund der Verhängung ist lediglich die Nichterfüllung einer Pflicht. Auch nicht voll geschäftsfähig·e Personen können ein Zwangsgeld verwirken; die Androhung muß dem gesetzlichen Vertreter bekanntgegeben werden. Aber der Vertretene haftet, wenn der ge25 Z. B. auch zum Zwecke der Vorstellung impfpflichtiger Kinder zur Feststellung der Impffähigkeit gemäߧ 2 Abs. 2 ImpfG, falls kein ärztliches Zeugnis darüber vorgelegt ist, daß der lmpfpflichtige wegen Krankheit nicht ohne Gefahr für Leben oder Gesundheit geimpft werden könne (vgl. Pr. OVG. Bd. 91,
S. 130 ff., Bd. 100, S. 147, Bd.102, S. 142).
26 Danach sind die Polizeibehörden nur befugt, die Vorladung von Personen im Zwangswege durchzuführen, soweit diese Maßnahmen zur Ermittlung oder Aufklärung einer Handlung oder Unterlassung erforderlich ist, die den Verdacht eines Verbrechens oder Vergehens rechtfertigt.
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setzliehe Vertreter die j·enem obliegenden Pflichten, die er zu erfüllen hat, nicht erfüllt; es kann sich aber auch die Verwaltungsbehörde mit ihren Befehlen an den gesetzlichen Vertreter halten. Ähnlich aber wie nach bürgerlichem Recht wird der Pflichtige frei, d. h. die Zwangsstra~e verfällt nicht, wenn die Leistung infolge eines Umstandes vereitelt wird, den der Pflichtige nicht zu vertreten hat; genauer gesprochen, kommt es aber hierbei nur darauf an, daß die Leistung nicht mehr möglich ist, was auch gilt, wenn die Unmöglichkeit auf ein Verschulden des Pflichtigen zurückzuführen ist, unbeschadet der etwa dafür sich ergebenden Verantwortlichkeit, da auch dann die Leistung nicht mehr zu erbringen ist: denn wie sollte etwas erzwungen werden mit Bezug auf etwas, was nicht oder nicht mehr zu erbringen ist? So z. B. auch, wenn das baufällige Haus einstürzt, dessen Abbruch anbefohlen ist. Im Falle der Verwirkung muß die Festsetzung noch besonders ausgesprochen werden. Entsprechend seiner Rechtsnatur als einem verwaltungsmäßigen Übel wird das Zwangsgeld durch die Verwaltungsbehörde festgesetzt 27 ; vor die ordentlichen Gerichte, insbesondere die Strafgerichte, kann die Sache nicht gebracht werden. Anders ist es jetzt bezüglich des Ausspruchs der Zwangshaft nach Art. 104 GG (vgl. u. Ziff. 10). Aber ob die Behörde die Festsetzung vornehmen will, ist ihrem freien pflichtmäßigen Ermessen überlassen, nämlich, ob sie es aus Gründen des öffentlichen Wohls für angebracht hält. Es gilt hier nicht der sog. Verfolgungspflichtgrundsatz, sondern der Zweckmäßigkeits- oder Ermessensgrundsatz. Aber auch dann, wenn die Behörde nicht ohne die Verhängung des Zwangsgeldes auskommen zu können glaubt, muß beachtet werden, daß es sich um eine Zwangsstrafe handelt; ist der Zweck, der erreicht werden soll, erreicht, z. B. auch durch freiwillige Leistung ·eines Dritten, dann erübrigt sich die Verhängung, wie auch, wenn die Leistung nach Ablauf der Frist erbracht ist oder, wie schon erwähnt, wenn ihre Erbringung unmöglich geworden ist: denn auch hier ist nichts mehr zu erzwingen28 • So ist auch nach § 55 Abs. 4 Satz 2 pr. PVG die Beitr·eibung, sofern es sich nicht um die Durchsetzung eines Verbotes handelt, grundsätzlich nur zulässig, solange der polizeiwidrige Zustand besteht, also nicht mehr, wenn z. B. nach Festsetzung des Zwangsgeldes der Pflichtige die geschuldete Handlung vorgenommen hat29 • 7) Aus dem Wesen und Zweck des Zwangsgeldes ergibt sich, daß es bei Geboten wiederholt angedroht und verhängt werden kann, bis die pflichtmäßige Handlung erbracht, z. B. der polizeiwidrige Zustand beVgl. Drews-Wacke, a. a. 0., S.152 ff. Vgl. Hoffacker, a. a. 0., S. 457 ff. 29 Anders ist es, wenn in einer PolizeiVO. nach preuß.R Zwangsgeld angedroht ist. Vgl. u. •§ 39. 27
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seitigt ist: das Zwangsgeld kann bei fortdauerndem Ungehorsam wegen derselben Pflicht von neuem verhängt werden: der im Strafrecht geltende Grundsatz: "Nicht zweimal wegen derselben Tat" (ne bis in idem) gilt bei dem Zwangsgelde nicht. Nach§ 13 Abs. 6 VwVG ist eine neue Androhung erst dann zulässig, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos ist. Die neue Strafandrohung kann mit der Verhängung der ersten Strafe ve11bunden oder auch nachher ausgesprochen werden, um den fortbestehenden Widerstand zu br·echen. Die Höhe des Zwangsgeldes im gesetzlichen Sinne richtet sich - anders als bei der strafrechtlichen Strafe, wo die Höhe der Strafe vor allem durch die Schwere der Verfehlung, und insbesondere der Schuld, bestimmt wird - nach dem Maße des zu erwartenden Widerstandes, der gebrochen werden soll; so wird regelmäßig bei der zweiten Strafandrohung, soweit zulässig, eine höhere Zwangsstrafe angedroht werden, nachdem sich die erste als wirkungslos erwiesen hat. Bei Verboten kann das Zwangsgeld von vornherein in bestimmter Höhe für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht und dann für jeden Fall der Zuwiderhandlung festgesetzt werden (vgl. §55 Abs. 6 pr. PVG); nicht aber kann die Androhung "für j·eden Tag des Zuwiderhandelns" erfolgen, da die mehrere Tage hindurch fortgesetzte Unterlassung nicht einfach als eine Wiederholung der Zuwiderhandlung angesehen werden könnte, mithin auch die Androhung u. U. über den gesetzlich bestimmten Höchstbetrag hinausginge (vgl. Pr. OVG Bd. 21 S. 332, Bd. 38 S. 453, Bd. 42 S. 242, Bd. 98 S. 94). Dagegen ist bei Geboten für eine erneute Anwendung des Zwangsmittels seine vollständige "Wiederholung", d. h. eine Erneuerung auch der Androhung vor der nochmaligen Festsetzung notwendig (vgl. § 55 Abs. 6 pr. PVG); ein Gebot fordert stets ein Handeln, ein Verbot ein Unterlassen, ohne daß es dabei auf die äußere Wortfassung der Verfügung ankommt (vgl. Pr. OVG Bd. 98 S. 95). Es kann so die Androhung und Verhängung der Zwangsstrafe so lange festgesetzt werden, bis der Zweck erreicht ist. 8) Durch die Festsetzung des Zwangsgeldes entsteht ein neues Rechtsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Staat auf Entrichtung des Zwangsgeldes. Aber wenn das Zwangsgeld einmal verhängt worden ist, kann die Verhängung noch immer durch die Behörde, die sie ausgesprochen hat, oder durch die vorgesetzte Behörde nach den allgemeinen Grundsätzen über die Widerruflichkeit von Verwaltungsverfügungen (vgl. o. § 32 Ziff. X) zurückgenommen werden, z. B. wenn die Erfüllung nachträglich erfolgt ist. Eine zwangsweise erfolgende Beitreibung ist in diesem Falle nicht mehr zulässig. So z. B. ausdrücklich § 111 der Ersten AusfVO zum PersonenstandsG vom 19. Mai 193830 • Auch 30 "Eine Erzwingungsstrafe darf nicht mehr beigetrieben werden, wenn die Handlung vor.genommen ist, zu deren Erzwingung sie festgesetzt worden ist."
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eine Begnadigung kann bei rechtskräftigem Ausspruch des Zwangsgeldes in Frage kommen. 9) Gegen die Festsetzung und die Beitreibung des Zwangsgeldes kommen die allgemeinen Rechtsmittel unter den dafür gegebenen Voraussetzungen in Betracht. Jedoch hat nach preußischem Recht die Anfechtung der Festsetzung des Zwangsgeldes keine aufschiebende Wirkung; die Beitreibung von Zwangsgeld (wie auch die Vollstreckung einer Zwangshaft oder die Heranziehung zur Gemeindearbeit) darf jedoch nicht erfolgen, bevor die Festsetzung unanfechtbar geworden ist, wogegen die Ersatzvornahme auf Kosten des Pflichtigen und die unmittelbare Gewaltanwendung trotz erfolgter Anfechtung möglich ist (vgl. § 57 Abs. 4 pr. PVG und u. Ziff. 12). 10) Die Umwandlung eines nicht beitreibbaren Zwangsgeldes in Zwangshaft ist nur dann zulässig, wenn dies gesetzlich bestimmt ist31 , wie dies z. B. in § 56 pr. PVG, dag.egen nicht in Baden der Fall ist32 • Es kann jedoch in Baden nach § 31 Abs. 2 PStGB, wenn die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeit durch Geldstrafe nicht erzwungen werden kann, persönlicher Zwang nach § 30 Abs. 2 angewendet werden, wenn die zu treffenden Maßnahmen ohne solchen undurchführbar sind, wobei jedoch der Gewahrsam in solchem Falle die Dauer von 48 Stunden nicht überschreiten darf. Dagegen kann nach preußischem Recht für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit des Zwangsgeldes Zwangshaft angedroht werden33 ; sie darf bei der Landespolizeibehörde 3, bei Kreispolizeibehörden 2 und bei Ortspolizeibehörden eine Woche nicht überschreiten. Die Androhung einer Zwangshaft muß stets schriftlich erfolgen und hinsichtlich ihrer Dauer bestimmt sein.DieZwangshaft kann vollstreckt werden, wenn die Beitreibung ohne Erfolg versucht ist oder feststeht, daß die Beitreibung keinen Erfolg haben wird. Die Vollstreckung der Zwangshaft ist nur zulässig, wenn ihre Festsetzung unanfechtbar geworden ist, nicht also schon, wenn die sofortige Durchführung einer Verfügung angeordnet ist, und außerdem bei polizeilichen Geboten und Verboten, solange ·ein polizeiwidriger Zustand besteht. Durch VO des Ministers deslnnern kann dem Betroff·enen die Freiheit eingeräumt werden, die Zwangshaft durch Arbeit für eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband abzuwenden, wobei anstelle einer Zwangshaft von einem Tage ein Arbeitstag tritt und sich der Herangezogene durch die nachträgliche Vornahme der zu erzwingenden Handlung oder durch Zahlung des Zwangsgeldes von der Arbeit befreien kann; davon ist bisher noch kein Gebrauch gemacht worden(§ 56 PVG). 31 So zutr. Schön, D.VerwR, in v. Holtzendorff-Kohler, Enzykl. d. R. Wiss. Bd. 4 (7. A.) S. 270.- Sie kommt jetzt nur noch als äußerstes Mittel in Betracht, wenn die sonstigen Zwangsmittel erschöpft sind; vgl. BVerfGE Bd. 4, S. 196. 32 So zutr. Thoma, a. a. 0., S. 92. 33 Vgl. auch Drews-Wacke, a. a. 0., S. 155 ff.
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- Nach Art. 104 Abs. 2 GG, wonach über die Zulässigkeit der Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter - sei es der ordentliche, sei es der Verwaltungsrichter - zu entscheiden hat, ist jetzt die Verhängung ·einer Zwangshaft durch die Verwaltungsbehörden nicht mehr zulässig34 • Vgl. dazu jetzt das G über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen- die auf Grund des Bundesrechts angedroht werden, soweit das Bundesrecht das Verfahren nicht abweichend reg.elt -vom 29. Juni 1956 (vgl. u. Buchst. c). Diese Neuordnung beruht auf dem Gedanken einer strengeren Durchführung der Trennung der Gewalten, wie sie auch gegenüber den früheren polizeilichen Strafverfügungen der Verwaltungsbehörden allgemein durch die Neufassung der StPO i. J. 1950 durchgeführt worden ist, um damit in größerem Maße die persönliche Freiheit gegenüber der Verwaltung zu gewährleisten. Eine Regelung für die Bundesbehörden und bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts enthält § 16 VwVG. Danach kann das Verwaltungsg·ericht, wenn das Zwangsgeld uneinbringlieh ist, auf Antrag der Vollzugsbehörde nach Anhörung des Pftichtig·en durch Beschluß Ersatzzwangshaft anordnen, wenn bei Androhung des Zwangsgeldes darauf hingewiesen worden ist; das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG über die Freiheit der Person ist insoweit eingeschränkt (vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Ersatzzwangshaft beträgt mindestens einen Tag, höchstens zwei Wochen. Die Ersatzzwangshaft ist auf Antrag der Vollzugsbehörde von der Justizverwaltung nach den Bestimmungen der§§ 904-911 ZPO zu vollstrecken. Vgl. auch noch§ 202 Abs. 2-5 RAbgO i. d. F. vom 11. Juli 1953 (BGBl. I S. 511). 11) Das Zwangsgeld hat insbesondere Bedeutung dort, wo die Zuwiderhandlung gegen einen Rechtssatz oder eine Verwaltungsverfügung - z. B. auch versehentlich - nicht unter Strafe gestellt ist. Aber es kann auch verhängt werden zur Erzwingung "des Gegenteils eines durch Gesetz mit Strafe bedrohten Verhaltens", also z. B. zur Unterlassung einer Handlung, die gesetzlich mit Strafe bedroht ist; vgl. z. B. § 147 Abs. 1 Ziff. 1 GewO in Verbindung mit§ 15 Abs. 2 GewO und dazu Pr. OVG Bd. 2 S. 295 ff., auch wenn eine rechtssatzmäßige Strafe i. S. des Strafrechts für den Fall des Ungehorsams angedroht ist. Denn mit einer bloßen Strafe als solcher ist dem in Betracht kommenden Zweck und 34 Danach ist bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln. So wird zwar nach dem niedersächs. Gesetz über die öff. Sicherheit u. Ordnung vom 21. März 1951 (§ 38) bei Nichtbeitreibbarkeit die Zwangshaft von der Verw.Behörde angedroht, sie wird aber auf Antrag der Verw.Behörde durch das Amtsgericht festgesetzt; die Vollstreckung erfolgt auf Antrag der Verw.Behörde durch die Justizverw. auf Kosten der Verwaltungsbehörde. Vgl. auch§ 60 rheinl.-pfälz. Pol. Verw.G v. 26. März 1954, §56 nordrh.-westf. PVG; ferner Urt. d. BVerwG in DÖV 1957, S. 88.
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der unmittelbaren Verwirklichung einer Verwaltungsaufgabe nicht gedient; man denke z. B. an die Zwangsimpfung zwecks Verhütung der Pockenkrankheit, der früher Hunderttausende in ein paar Jahren zum Opfer fielen. Ist dem aber so, dann ist es im Einzelfalle eine Frage der Zweckmäßigkeit, welches Zwangsmittel angewendet wird, und es geht nicht an, hierbei aus unzulänglichen Gründen das Zwangsgeld von vornherein ausschließen zu wollen (vgl. auch o. § 36). Es können also z. B. die Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, deren Kinder und Pflegebefohlene ohne gesetzlichen Grund trotz erfolgter amtlicher Aufforderung der Impfung oder einer folgenden Gestellung entzogen geblieben sind, mit Geldstrafe bis 150 DM oder mit Haft bis zu drei Tagen nach § 14 RimpfG vom 8. April 1874 bestraft werden und zugleich könnte ein Zwangsgeld angedroht und verhängt werden für den Fall der Nichtgestellung zur Impfung usf.; oder es kann bei unerlaubter Errichtung oder solchem Betrieb einer gewerblichen Anlage nach § 16 GewO oder bei Nichteinhaltung der wesentlichen Bedingungen, unter denen die Erlaubnis erteilt worden ist, oder wenn ohne neue Erlaubnis eine wesentliche Veränderung oder eine Verlegung der Betriebsstätte oder eine wesentliche Veränderung in dem Betriebe der Anlage vorgenommen ist, einmal die Strafe aus § 147 Abs. 1 Ziff. 2 GewO verhängt und gemäß § 147 Abs. 3 GewO die Wegschaffung der Anlage oder die Herstellung des den Bedingungen entsprechenden Zustandes unter Androhung einer Zwangsstrafe durch die Poliz·eibehörde angeordnet werden. Hier handelt es .sich gar nicht um dieselbe Handlung - das ist die erste Frage, die hierbei aufzuwerfen ist -; vielmehr handelt es sich einmal um die Bestrafung einer strafbaren Handlung, andererseits um die Beseitigung des durch die strafbare Handlung herbeigeführten rechtswidrigen (polizeiwidrigen) Zustandes35 • Die strafrechtliche Strafe geht auch hier auf Sühne wegen einer in der Vergangenheit liegenden Handlung, die Androhung und Verhängung des Zwangsgeldes aber auf Beseitigung des durch die strafbare Handlung herbeigeführten rechtswidrigen polizeiwidrigen - Erfolgs bzw. Herbeiführung und Erzwingung des rechtmäßig auferlegten Handeins bzw. angeordneten Zustandes für die Zukunft. Wieso hier das eine dem anderen entgegenstehen soll, ist nicht einzusehen, und es bedürfte dies des ausdrücklichen Ausschlusses. Es könnte also nur die Frage sein, ob mit Bezug auf dieselbe Handlung Zwangsgeld angedroht und verhängt sowie die strafrechtliche Strafe wegen der mit der Strafe bedrohten Nichtvornahme der Handlung verhängt werden kann. Das ist freilich nicht immer genügend auseinandergehalten worden, auch nicht in den einschlägigen gesetzlichen Be35 Vgl. dazu Pr. OVG. Bd. 21, S. 332 u. Bd. 32, S. 294, ferner Thoma, a. a. 0., S. 248, Neukamp, Die polizeil. Verfügung zur Verhütung strafb. Handlung, in VerwArch. Bd. 3, S. 1 ff.
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stimmungen. So ist das Verhältnis zwischen strafrechtlicher Strafe und Zwangsgeld nach den jeweils in Betracht kommenden Rechtssätzen zu prüfen. Für das pr. PVG ist diese Frage zu bejahen; vgl. §55: "Unbeschadet der strafgerichtliehen Verfolgung strafbarer Handlungen ... 86 ." Das Pr. OVG hat seine früher·e - übrigens schwankende - Auffassung (vgl. OVG Bd. 5 S. 278 ff., Bd. 23 S. 388- im Gegensatz zu Bd. 2 S. 295 ff.: Befehl an einen Vater, sein impfpflichtiges Kind impfen zu lassen; nur unmittelbare Gewaltanwendung zulässig -, Bd. 31 S. 348, Bd. 32 S. 293, Bd. 58 S. 387, Bd. 59 S. 368), wonach in der Häufung von strafrechtlicher Strafe und poli:z;eilicher Zwangsstrafe eine Verletzung des Grundsatzes "Nicht zweimal wegen desselben" liegen sollte, in der sog. Pierrarentscheidung vom 13. Februar 1929 (OVG Bd. 84 S. 278) wieder aufgegeben und daran auch in OVG Bd. 90S. 278 festgehalten; es hatte aber bereits früher zutreffend ausgeführt, daß jener Grundsatz keine Anwendung finde, wenn durch die polizeiliche Verfügung die Beseitigung der Fortdauer eines polizeiwidrigen Zustandes bezweckt ist (vgl. OVG Bd. 52 S. 302, Bd. 63 S. 389). Anders früher auch die herrschende Lehre 37 , wie sie insbesondere durch H. Rosin38 begründet worden ist, in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung des Pr. OVG ohne überzeugende Gründe. So aber auch jetzt noch das bayr. PStGB in dem durch Art. 76 LStruVOG vom 17. November 1956 (GVBl. S. 261) vorläufig noch aufrechterhaltenen Art. 21: Ungehorsamstrafe nur zum Vollzug von Gesetzen, deren Übertretung nicht schon mit rechtssatzmäßiger Strafe bedroht ist. Ebenso § 31 bad. PStGB (vgl. o.), wonach die Zwangsstrafe nur aushilfsweise zur Verwirklichung von Pflichten des öffentlichen Rechts in Frage kommt, für deren zwangsweisen Vollzug ein besonderes Verfahren- also insbesondere auch ein Strafverfahren -nicht vorgeschrieben ist, wie z. B. die Erzwingung des Erscheinens von Zeugen vor den Verwaltungsbehörden (wie dies auch in § 1 Abs. 2 VerfO vom 31. August 1884 noch ausdrücklich gesagt ist), die Leistung von Gemeindediensten (vgl. jetzt aber§ 10 Abs. 5 bad.-württ. GO v. 25. Juli 1955}, früher auch die Gestellung von militärischen Fuhren, die Aufnahme und Verpflegung einquartierter Soldaten, die Mitteilung der erforderlichen Auskünfte bei statistischen Aufnahmen (so die Begründung). Anders aber das württ. Recht: vgl. z. B. Art. 120 Abs. 2 BauO vom 28. Juli 191089 und ferner§ 55 Abs.1 pr. PVG vom 1. Juni 1931 (vgl. o.) und nunmehr auch § 35 niedersächs. G über die öffentliche Sicherheit und Ordniung vom 21. März 1951, § 54 Abs. 4 rheinl.-pfälz. PolVerwG vom 26. März 1954. So sind auch im Reichs-(Bundes-)Recht, z. B. in§ 22 Abs. 1 So auch Drews-Wack:e, a. a. 0., S.155 ff. Dagegen schon früher Schön, a. a. 0., S. 270, Fleiner, Inst. S. 220. 38 Pr. Pol. VOR (1882) S. 65 ff., 2. A. (1895) S. 103 ff. Sodann auch Anschütz in VerwArch. Bd.1, S. 457, Thoma, a. a. 0., S. 246 ff. 39 Vgl. dazu Nebinger, Württ. Pol.R S. 171 36
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GaststG von 1930 Auflagen zur Erzwingung neben Strafen vorgesehen. Ebenso ist jetzt allgemein in§ 13 Abs. 6 VwVG vom 27. April1953 gesagt, daß die Zwangsmittel auch neben einer Strafe oder Geldbuße angedroht werden können. So steht weiter z. B. die Anwendung des § 367 Ziff. 15 StGB bei vorschriftswidrigem Bauen über die Baufluchtlinie der Erzwingung der Beseitigung mittels Zwangsgeldes nicht im Wege aus dem oben angegebenen Grunde. Bei der gegenteiligen Meinung ist der ganz verschiedene Zweck von strafr·echtlicher Strafe und Zwangsgeld übersehen. 12) Die Beitreibung des Zwangsgeldes darf z. T.- wie auch die Vollstreckung einer Zwangshaft - im Gegensatz zur Ersatzvornahme und zur unmittelbaren Gewaltanwendung nur erfolgen, wenn die Festsetzung des Zwangsgeldes unanfechtbar geworden ist, nicht schon dann, wenn die Polizeibehörde die sofortige Ausführung angeordnet hat (vgl. § 57 Abs. 4 pr. PVG) 40 ; auch ist nach pr. PVG gegen die Androhung eines Zwangsmittels zur Durchführung einer unanfechtbar gewordenen polizeilichen Verfügung, sowie gegen die Festsetzung und Ausführung eines Zwangsmittels - zur Verhütung sich sachlich widersprechender Entscheidungen (vgl. Pr. OVG Bd.10 S.347, Bd. 29 S. 400)- nur die Beschwerde an die Dienstaufsichtsbehörde binnen zwei Wochen gegeben (vgl. § 57 Abs. 3 pr. PVG) 41 • Infolge der Durchführung des Allzuständigkeitsgrundsatzes in den neueren Verwaltungsrechtspflegegesetzen ist dies jetzt aber, wie früher bereits bemerkt, jedenfalls dann überholt, wenn eine neue Rechtsverletzung, ein neuer Eingriff in F11eiheit und Eigentum gegenüber dem unanfechtbar gewordenen Verwaltungsbescheid vorliegt (vgl. auch § 18 VwVG); die Anfechtung hat keine aufschiebende Wirkung. Auf das Zwangsgeld bei der Übertretung von Polizeiverordnungen ist hier nicht einzugehen; vgl. dazu u. § 39. Die Beitreibung des festgesetzten ZwangsgeLdes - sozusagen eine Vollstrekkung innerhalb einer Vollstreckung - erfolgt nach den Vorschriften über die Beitreibung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen (vgl. u. § 38). Es ist oben (Ziff. 6) bereits ausgeführt worden, daß nach § 55 Abs. 4 Satz 2 pr. PVG die Beitreibung, sofern es sich nicht um die Durchsetzung eines Verbots handelt, grundsätzlich nur zulässig ist, solange der polizeiwidrige Zustand besteht, also nicht mehr, wenn z. B. nach Festsetzung der Zwangsstrafe der Pflichtige die geschuldete Handlung vorgenommen hat. 40 Vgl. z. B. § 109 Abs. 2 der 1. Durchf.VO zum PersStG v. 19. Mai 1938: "Gegen die Festsetzung der Erzwingungsstrafe ist die Beschwerde im Verwaltungswege (§ 59 d. G) zulässig. Die höhere Verw.Behörde entscheidet endgültig". Diese Bestimmung ist jetzt als überholt anzusehen. Vgl. z. B. § 22 Abs. 2 MRVO 165, § 1 württ.-hohenz.G v. 17. Okt. 1950 u. jetzt§ 40 VwGO. 41 Vgl. Drews-Wacke, a. a. 0., 8.158 ff.
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c) Die u n mit t e 1 bare Ge w a 1 t anwend u n g Sie kommt in Betracht, wenn die Behörde die Herstellung des von ihr verlangten Zustandes nicht von einer Handlung des Pflichtigen oder an seiner Stelle durch einen Dritten (wie bei der Ersatzvornahme) erwartet, sondern jenen Zustand selbst durch eigenes Handeln mit ihren Kräften herstellt (vgl. Pr. OVG Bd. 22 S. 421). Die Gewaltanwendung als Zwangsmittel bedeutet "überwältigende körperliche Einwirkung auf den zu Zwingenden und was zu ihm gehört" (Otto Mayer) 42 zur Verwirklichung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht. Nach § 2 G über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) vom 10. März 1961 (BGBl. I S. 165) ist unmittelbarer Zwang die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen. Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen; Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde und Dienstfahrzeuge. Waffen sind die dienstlich zugelassenen Hieb- und Schußwaffen, Reizstoffe und ExplosivmitteL Nach § 8 darf, wer im Gewahrsam von Vollzugsbeamten ist, gefesselt werden, wenn 1. die Gefahr besteht, daß er die Vollzugsbeamten oder Dritte angreift, oder wenn er Widerstand leistet; 2. er zu fliehen versucht oder wenn bei Würdigung aller Tatsachen, besonders der persönlichen Verhältnisse und der Umstände, die einer Flucht entgegenstehen, zu befürchten ist, daß er sich aus dem Gewahrsam befreien wird; 3. Selbstmordgefahr besteht. Als Vollzugsbeamte des Bundes kommen hierbei in Betracht: die Polizeivollzugsbeamten i. S. des BundespolizeibeamtenG vom 19. Juli 1960 (BGBl. I S. 569); die Beamten des Zollgrenzdienstes (Grenzaufsichtsdienst und Grenzabfertigungsdienst), des Zollfahndungsdienstes, des Bewachungs- und Begleitungsdienstes und die übrigen Beamten der Bundesfinanzbehörden, die mit Vollzugsaufgaben betraut sind; die Beamten der Deutschen Bundesbahn mit bahnpolizeiliehen Befugnissen; die Beamten der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes mit strom- und schiffahrtspolizeilichen Befugnissen; die Beamten der Bundesanstalt für Flugsicherung mit Befugnissen der Luftaufsicht; die Beamten der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr, soweit sie mit Ermittlungsaufgaben nach den §§ 54 ff. GüterkraftVG vom 17. Oktober 1952 (BGBl. I S. 697) betraut sind; die Beamten der Bundesgerichte und der Behörden der Bundesjustizverwaltung, die mit Vollzugs- und Sicherungsaufgaben betraut sind; andere Personen, die durch die zuständigen Bundesbehörden mit den angeführten Aufgaben betraut sind; endlich die der Dienstgewalt von Bundesbehörden unterstehenden Personen, die mit Aufgaben der Strafverfolgung oder der Verfol42
Verw.R Bd. 1, S. 284.
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gung von Ordnungswidrigkeiten i. S. des G über Ordnungswidrigkeiten betraut sind, wenn sie sich in Ausübung dieser Tätigkeit im Vollzugsdienst befinden (§ 6); nach § 15 (Notstandsfall) gilt das G auch für die nach Art. 91 Abs. 2 GG den Weisungen der BRegierung unterstellten Polizeikräfte der Länder. - Vollzugsbeamte sind verpflichtet, unmittelbaren Zwang anzuwenden, der im Vollzugsdienst von ihrem Vorgesetzten oder einer sonst dazu befugten Person angeordnet wird, was nicht gilt, wenn die Anordnung die Menschenwürde verletzt oder nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist. Eine Anordnung darf nicht befolgt werden, wenn dadurch ein Verbrechen oder Vergehen begangen würde. Befolgt der Vollzugsbeamte die Anordnung trotzdem, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, daß dadurch ein Verbrechen oder Vergehen begangen wird; Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung hat der Vollzugsbeamte dem Anordnenden gegenüber vorzubringen, soweit das nach den Umständen möglich ist(§ 7). Die Gewaltanwendung als Zwangsmittel kommt, wie nach Bundesrecht, so auch nach Landesrecht regelmäßig - jedenfalls als Gewaltanwendung gegen die Person - als äußerstes Mittel in Betracht, wenn die alllderen Zwangsmaßnahmen offenbar nicht ausreichen oder erfolglos geblieben sind oder Gefahr im Verzug ist, insbesondere dann, wenn jemand in Person eine Handlung, Unterlassung oder Duldung vornehmen bzw. über sich ergehen lassen soll und eine Ersatzvornahme also nicht möglich ist; ferner bei der Pflicht zur Herausgabe von beweglichen Sachen, der Räumung von Grundstücken, wie etwa auch von Wohnungen43 • Will die Verwaltungsbehörde, insbesondere die Polizei, die Durchführung einer Maßnahme mit eigenen Kräften selbst vornehmen und ist der Betroffene nicht damit einv·erstanden, dann kommt eine unmittelbare Gewaltanwendung in Betracht (vgl. Pr. OVG Bd. 22 S. 421 und Bd. 105 S. 240 ff.). In verschiedenen Fällen ist noch besonders bestimmt, daß die unmittelbare Gewaltanwendung voraussetzt, daß andere Mittel zur Durchführung gesetzlicher Pflichten nicht ausreichen (vgl. z. B. § 17 Abs. 1 G zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten v. 23. Juli 1953, BGBl. I S. 700). Nach dem VwVG (§ 12) kommt der unmittelbare Zwang nur aushilfsweise in Betracht, nämlich, wenn die Ersatzvornahme oder das Zwangsgeld nicht zum Ziele führen oder sie untunlich sind; es kann dann die Vollzugsbehörde den Pflichtigen zur Handlung, Duldung oder Unterlassung zwingen oder die Handlung selbst vornehmen. Als oberster allgemeiner Grundsatz für die unmittelbare Gewaltanwendung gilt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, daß unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenigen zu 43 Vgl. dazu noch Loppuch, D. Vollziehung wohnungsrechtl. Verfügungen, in DVBl. 1950 S. 106. 62 Merk
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treffen sind, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen; ein durch eine Maßnahme des unmittelbaren Zwanges zu erwartender Schaden darf nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen (§ 4 UZwG). Vorausgesetzt wird hierbei, daß die notwendigen verwaltungsmäßigen, insbesondere polizeilichen, Ziele erreicht werden, so daß namentlich unmittelbarer Zwang gegen Personen nur dann in Betracht kommt, wenn der verwaltungsmäßige Zweck, wie schon oben bemerkt, durch unmittelbaren Zwang gegen Sachen nicht erreichbar erscheint (so z. B. § 34 bad.-württ. PolizeiG vom 21. November 1955, GBl. S. 249). Auch sonst pflegen bezüglich der Gewaltanwendung gegen Personen im Hinblick auf das Grundrecht der Freiheit und der körperlichen Unverletzlichkeit (Art. 2 GG) meist einschränkende Vorbehalte gemacht zu sein (vgl. jetzt auch§ 3 UZwG). So durfte schon nach dem (jetzt aufgehobenen) § 30 Abs. 3 bad. PStGB persönlicher Zwang nur angewendet werden, wenn die betreffenden Maßnahmen ohne solchen undurchfüh~bar sind, wobei ein Gewahrsam in einem solchen Falle die Dauer von 48 Stunden nicht überschreiten durfte (s. o.). Ähnlich spricht sich § 132 Ziff. 3 pr. LVG allg·emein hinsichtlich des unmittelbaren Zwanges aus. Für den Bereich des Polizeirechts bestimmen die Ausführungsbestimmungen zu § 55 pr. PVG, daß die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen Personen (vorbehaltlich der Bestimmung unter Ziff. V hinsichtlich des Polizeigefängnisdienstes) nur statthaft ist a) zur Durchführung einer polizeilichen Verfügung, namentlich in den Fällen der §§ 15-17 PVG und der Sicherheitsverwahrung von Ausländern zur Durchführung der Ausweisung; b) zur Durchführung sonstiger obrigkeitlicher Befugnisse, welche die Anwendung unmittelbaren Zwangs erfordern, wie die Vornahme einer Verhaftung, die vorläufige Festnahme, die Festnahme von Personen, welche Amtshandlungen stören (§ 164 StPO), die Durchsuchung durch Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft usw.; c) im Falle der Notwehr(§ 53 StGB). Weiter bestimmt das pr. PVG in § 15, daß, Personen in polizeilichen Gewahrsam zu nehmen, die Polizei nur dann befugt ist, wenn diese Maßnahme erforderlich ist entweder zum eigenen Schutze der Person also z. B. bei Belästigungen und Gefährdungen durch eine Volksmenge - oder zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Gefahr, falls die Beseitigung der Störung oder die Abwendung der Gefahr auf andere Weise nicht möglich ist. Die in polizeiliche Verwahrung genommenen Pe11sonen müssen, soweit es sich nicht um gemeingefährliche Geisteskranke handelt, spätestens im Laufe des folgenden Tags aus der polizeilichen Verwahrung entlassen werden, von den Fällen der Auslieferung oder Ausweisung abgesehen". 44
Vgl. auch noch § 19 G zur Bekämpfung d. Geschlechtskrankheiten v.
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Diese Ausnahmen sind jetzt beseitigt durch Art. 104 GG, wonach die Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlich€n Gesetzes und unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden kann, ferner über die Zulässigkeit der Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden hat und bei jeder nicht auf richterliche Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung grundsätzlich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen ist und weiter die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende d€s Tages nach der Ergreifung in eigenem Gewahrsam halten darf45 • Das Nähere 23. Juli 1953, wonach die Polizeibehörden Personen, die sie in Verwahrung
genommen oder vorläufig festgenommen haben und bei denen nach ihren Lebensumständen der hinreichende Verdacht einer Geschlechtskrankheit und deren Weiterverbreitung begründet ist, vor ihrer Freilassung dem Gesundheitsamt zur Untersuchung zuzuführen haben. 45 Das Nähere ist gesetzlich zu regeln. Jedoch enthalten die oben angeführten Vorschriften des Art. 104 GG bereits unmittelbar geltendes R. Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer der Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Als Richter konnte sowohl der ordentliche als der Verwaltungsrichter bestimmt werden; in Ermangelung und bis zum Ergehen einer solchen näheren Regelung war im Hinblick auf den Grundsatz des Art. 19 Abs. 4 GG der ord. Richter für zuständig zu erachten, u. zwar der Richter der freiw. Gerichtsbarkeit; so zutr. BGHZ Bd. 15 S. 62. Nach dem o. Billgeführten G ist örtlich zUIStällldig das AG, in dessen Bezirk die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, bei dessen Fehlen oder Nichtfeststeilbarkeit das AG, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entsteht: dieses Gericht ist auch für eilige auf Grund d. G zu treffende Anordnungen neben dem an sich zuständigen Gericht zuständig. Das Gericht hat die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, mündlich zu hören; bei Nichterscheinen auf Vorladung kann ihre Vorführung angeordnet werden.- Das Gericht entscheidet über die Freih. Entz. durch einen mit Gründen versehenen Beschluß, gegen den sofortige Beschwerde erhoben werden kann. Die eine Freih. Entz. anordnende Entscheidung wird erst mit der Rechtskraft wirksam; jedoch kann das Gericht die sofortige Wirksamkeit anordnen. Die Entscheidung wird von der zuständigen VerwBeh vollzogen. Die Entscheidung ist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund der Freih. Entz. weggefallen ist. Ist ein Antrag auf Freih.Entz. gestellt, so kann das Gericht eine einstweilige Freih. Entz. anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß die Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen u. über die endgültige Unterbringung nicht rechtzeitig entschieden werden kann. Bei jeder nicht auf richterlicher AnO beruhenden Verwaltungsmaßnahme, die eine FreihEntz. darstellt, hat die zuständige Verw.Beh. die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Ist die Freih.Entz. nicht bis zum Ablauf des ihr folgenden Tages angeordnet, so hat die Freilassung zu erfolgen; wird eine solche Maßnahme der Verw.Beh. angefochten, so wird hierüber im gerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften d. G entschieden. Bis zur anderweitigen gesetzlichen Regelung gelten § 7 AusländerPolVO v. 22. Aug. 1938 (RGBl. I, S. 1053), die VO zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 1. Dez. 1938 (RGBl. I, S. 1721 - so schon BGHZ Bd. 15, S. 61 -) und § 20 VO über die Fürsorgepflicht als förmliche Gesetze i. S. d. Art. 104 Abs. 1 GG. - Art. 104 GG betrifft nur die Freiheitsentziehung durch die öff. Gewalt; ein Vormund bedarf zur Einweisung seines trunksüchtigen Mündels in eine geschlossene Anstalt nicht einer richterlichen AnO nach dieser Vorschrift (vgl. §§ 1800, 1631 BGB); so zutr. BGHZ Bd. 17, 8.108. Vgl. jetzt anstelle der an 2. u. 3. Stelle genannten VOen das BSeuchenG v. 18. Juli 1961 u. das BSozialHG v. 30. Juni 1961. 62°
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über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen, die auf Grund Bundesrechts angeordnet werden, ist jetzt im Gesetz vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 599) geregelt; es gilt, soweit das BundesR das Verfahren nicht abweichend regelt. Danach ist Freiheitsentziehung die Unterbringung einer Person gegen ihren Willen - bei den unter elterlicher Gewalt, Vormundschaft oder wegen Geschäftsunfähigkeit unter Pflegschaft Stehenden ist der Wille desjenigen maßgebend, dem die gesetzliche Vertretung in persönlichen Angelegenheiten zusteht - oder im Zustande der Willenlosigkeit in einem Gefängnis, einem Haftraum, einem Arbeitshaus, einer abgeschlossenen Verwahranstalt, einer abgeschlossenen Fürsorge- oder Krankenanstalt oder einem abgeschlossenen Teil einer solchen. Die Freiheitsentziehung kann nur das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen; für das Verfahren gelten die Vorschriften des FGG, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Nach § 16 pr. PVG ist das Eindringen in eine Wohnung wider den Willen des Inhabers während der Nachtzeit (in welcher Hinsicht die Bestimmungen der StPO maßgebend sind) den Polizeibeamten nur gestattet, soweit diese Maßnahme erforderlich ist zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen oder auf ein Ersuchen, das aus der Wohnung hervorgegangen ist; diese Beschränkung gilt jedoch nicht für Räume, die während der Nachtzeit der Allgemeinheit zugänglich sind oder den vorhandenen Besuchern zum ferneren Aufenthalt zur Verfügung stehen. Jetzt gilt bezüglich der Unverletzlichkeit der Wohnung vor aLlem Art.13 GG. Nach§ 17 PVG .sind die PolizeibehöPden nur befugt, die Vorladung von Personen im Zwangsweg durchzuführen, soweit diese Maßnahme zur Ermittelung oder Aufklärung einer Handlung oder Unterlassung erforderlich ist, die den Verdacht eines Verbrechens oder Vergehens rechtfertigt. Vgl. auch noch § 7 Abs. 4 und 5 AusländerpolizeiVO vom 22. August 1938 (RGBl. I S. 1053), wonach der Ausländer zur Vorbereitung des Erlasses eines Aufenthaltsverbots vorübergehend in polizeilichen Gewahrsam genommen werden kann und unter den Voraussetzungen des Abs. 1 nach Ergehen des Aufenthaltsverbots durch Anwendung unmittelbaren Zwangs abzuschieben ist, wenn er das Reichs-(Bundes-)Gebiet nicht freiwillig verläßt oder wenn die Anwendung unmittelbaren Zwangs aus anderen Gründen geboten erscheint; zur Sicherung der Abschiebung kann der Ausländer - jetzt unter Beachtung des oben angeführten Art. 104 GG nebst dem AusfG- in Abschiebungshaft genommen werden. Der persönliche Zwang ist also nur ein aushilfsweise gegebenes Zwangsmittel. Dahin gehört, wie z. T. schon angeführt, z. B. die zwangsweise Vorführung von Kindern und Jugendlichen, welche die Pflicht zum Besuch der Volks-, Haupt- oder Berufsschule nicht erfüllen (§ 12 Abs. 2 RSchulpflG v. 6. Juni 1938), der Fall
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der zwangsweisen Vorführung eines Impfpflichtigen zur Vornahme der Impfung, wenn sie sich nicht gestellen oder gestellt werden (vgl. Pr. OVG Bd. 23 S. 384, Bd. 28 S. 396 ff., Bd. 58 S. 284), die Vorführung eines Wehrpflichtigen, der bei der Erfassung oder Musterung oder auf eine Aufforderung der Wehrersatzbehörde, sich persönlich zu melden, unentschuldigt ausbleibt (§ 44 WehrpflG v. 21. Juli 1956 i. d. F. d. Bek. v. 14. Jan. 1961, BGBl. I S. 29), gegebenenfalls unter Inanspruchnahme der Polizei; die Ausweisung eines Ausländers im Schubwege und di·e vorhergehende einstweilige Verwahrung in Polizeigewahrsam, die Zwangsgestellung von Personen zur Auskunftserteilung, z. B. als Zeuge, u. a. die zwangsweise erfolgende Einweisung in eine Krankenanstalt zur Zwangsheilung von Personen, die an ansteckenden Geschlechtskrankheiten leiden @§ 17 f. G zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten vom 23. Juli 1953, BGBl. I S. 700); desgl. nach § 37 BSeuchenG vom 18. Juli 1961 (BGBl. I S. 1012) die zwangsweise erfolgende Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus bei Nichtbefolgung der Anordnungen. Vgl. auch noch § 81 b StPO, wonach, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch geg.en seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden dürfen, sowie § 81 a wegen körperlicher Untersuchungen, der Entnahme von Blutproben usf. Die unmittelbare Gewaltanwendung gegen Sachen kann außer in den o. bereits angeführten Beispielsfällen in Frage kommen neben der Durchführung einer polizeilichen Verfügung mit Bezug auf Sachen - wie mit Bezug auf den Abbruch eines baufälligen Hauses usf. - z. B. zur Erzwingung der Leistungen auf Grund des BLeistungsG vom 19. Oktober 1956 i. d. F. vom 27. September 1961 (BGBl. I S. 1770), § 44, in Verbindung mit dem VwVG vom 27. April 1953 oder der Anordnungen gemäß § 147 Abs. 3 U:ll!d 4 GewO, nämlich zur Wegschaffung eines unerlaubt errichteten Betriebs oder einer unerlaubt geänderten gewerblichen Anlage nach § 16 GewO durch die Herstellung des den Bedingungen entsprech·enden Zustandes sowie zur Einstellung des Betriebs zur Vermeidung erheblicher Nachteile oder Gefahren in den Fällen des § 147 Ziff. 4 GewO, ferner bei der Vornahme einer Durchsuchung durch Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft oder auf Anordnung dieser (§§ 102, 103 und 105 StPO) sowie im Falle des Notstandes nach§ 54 StGB. Vgl. ferner§ 24 a GewO i. d. F. d. G vom 29. September 1953 (BGBl. I S. 1459) wonach, wenn überwachungsbedürftige Anlagen der in § 24 genannten Art ohne die erforderliche Erlaubnis errichtet oder betrieben werden, die für die Erlaubniserteilung zuständigen Behörden die Stillegung oder Beseitigung der Anlage anordnen
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können; auch können die Gewerbeaufsichtsbehörden die Einstellung des Betriebs bis zur Herstellung des den Vorschriften oder behördlichen Anordnungen entsprechenden Zustandes bei erheblicher Gefährdung der Beschäftigten oder Dritter verfügen. Vgl. auch noch § 35 Abs. 5 GewO. In Preußen haben auf Grund der Ermächtigung des § 55 PVG die Ausführungsbestimmungen vom 1. Oktober 1931 (MBliV S. 923) Grundsätz,e über die Anwendung der unmittelbaren Gewaltanwendung, insbesondere auch über den Waffengebrauch46 erlassen. Danach umfaßt 46 Von der Schußwaffe oder den Explosivmitteln darf nach den Ausf. Best., von dem Fall der Notwehr abgesehen, nur nach vorheriger Androhung, gegen eine Volksmenge nur nach dreimaliger Androhung, Gebrauch gemacht werden; in beiden Fällen kann die Androhung aber auch durch eine schriftliche, an Ort u. Stelle anzubringende, Bekanntmachung ersetzt werden. Schreckschüsse, d. h. bewußt fehlgezielte Schüsse, gelten ebenfalls als Ersatz für die Androhung, wie z. B.: "Halt oder ich schieße!" oder "Zurück oder ich schieße!" Bei offensichtlich im Kindesalter stehenden Personen dürfen- von dem Fall der Notwehr abgesehen- diese Mittel nicht angewendet werden; bei fliehenden Personen darf nur geschossen werden, wenn sie eines Verbrechens überführt od. dringend verdächtig sind. Sondervorschriften gelten für den Polizeigefängnisdienst. -Von reichs- (bundes-)rechtlichen Bestimmungen über den Waffengebrauch seien erwähnt insb. das G über den Waffengebrauch des Grenzaufsichtspersonals der RFinVerw. v. 2. Juni 1921 (RGBl. I, S. 935) i. d. F. d. G v. 24. März 1934 (RGBl. I, S. 235), ferner das G über den Waffengebrauch der "Forst- u. Jagdschutzberechtigten" sowie der Fischereibeamten und Fischereiaufseher vom 26. Febr. 1935 (RGBl. I, S. 313), sowie die frühere VO über den Waffengebrauch der Wehrmacht vom 17. Jan. 1936 (RGBl. I, S. 39). Vgl. auch die Dienstanw. des BMin. d. I. über die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Bundesgrenzschutzbeamte vom 26. Juli 1952 (GMBl. 1953, S. 198). Jetzt gilt- unter Aufhebung des G vom 2. Juni 1921- das G über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öff. Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. März 1961 (BGBl. I, S. 165). a) Danach ist bei Anwendung unmittelbaren Zwangs der Gebrauch von Schußwaffen nur gestattet den Polizeivollzugsbeamten des Bundes und den weiter in § 9 d. G angeführten Personen, deren Kreis sich im wesentlichen deckt mit den im § 6 d. G Angeführten (vgl. o. Buchst. c a. A.). b) Schußwaffen gegen Personen. 1) Sie dürfen gegen einzelne Personen nur gebraucht werden, um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer mit Strafe bedrohten Handlung zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen oder als ein Vergehen, das unter Anwendung oder Mitführung von Schußwaffen oder Sprengstoffen begangen werden soll oder ausgeführt wird, darstellt; ferner, um eine Person, die sich der Festnahme oder der Feststellung ihrer Person durch die Flucht zu entziehen versucht, anzuhalten, wenn sie bei einer mit Strafe bedrohten Handlung auf frischer Tat betroffen wird, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt oder als ein Vergehen, das unter Anwendung od. Mitführung von Schußwaffen oder Sprengstoffen begangen wird, eines Verbrechens dringend verdächtig ist od. eines Vergehens dringend verdächtig ist u. Anhaltspunkte befürchten lassen, daß sie von einer Schußwaffe oder einem Sprengstoff Gebrauch machen werde; zur Vereitelung der Flucht od. zur Wiederergeifung einer Person, die sich in amtlichem Gewahrsam befindet od. befand zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe mit Ausnahme der Haft u. des Strafarrestes, zum Vollzug einer gerichtlich angeordneten Sicherungsverwahrung, wegen des dringenden Verdachts eines Verbrechens, auf Grund richterlichen Haftbefehls oder sonst wegen des dringenden Verdachts eines Vergehens, wenn zu befürchten ist, daß sie von einer Schußwaffe oder einem Sprengstoff Gebrauch machen werde; gegen eine Person, die mit Gewalt einen Gefangenen od. jemanden, dessen
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der unmittelbare Zwang (§ 55 Abs. 1 PVG): 1) die einfache körperliche Gewalt, wohin jede körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen gehört, wie z. B. Handanlegen, Wegführen einer Person am Arm, Wegtragen einer Sache; 2. die Anwendung von Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt, wie Polizeigriffe, Boxen, die Anwendung von Knebeln und Fesseln, die Benutzung von Wasserspritzen und ähnlicher Hilfsmittel sowie die Verwendung von Diensthunden und Dienstpferden, und 3. die Anwendung von Waffen, und zwar von Hieb- und Stoßwaffen (als Hiebwaffe der Polizeiknüppel, als Hieb- und Stoßwaffe das Polizeiseitengewehr [Säbel]), sowie von Schußwaffen (Pistole, Revolver, Karabiner usw.) bzw. von Explosivmitteln (wie Handgranaten, Gasgerät usw.). Anwendung finden diese Arten der Gewaltanwendung vor allem beim sofortigen Zwang (vgl. u. Ziff. III); sie sind hier nur des Zusammenhangs wegen insgesamt aufgeführt worden. Eingehende Vorschriften über die unmittelbare Gewaltanwendung finden sich jetzt auch in §§ 35 ff. bad.~württ. PolizeiG vom 21. November 1955 (GBl. S. 249). Ist Sicherungsverwahrung (§ 42 e StGB), Unterbringung in einer Heil- u. Pflegeanstalt (§ 42 b StGB, § 126 a StPO) oder Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt od. Entziehungsanstalt (§ 42 c StGB) angeordnet ist, aus dem amtlichen Gewahrsam zu befreien versucht. - 2) Schußwaffen dürfen gegen eine Menschenmenge nur dann gebraucht werden, wenn von ihr oder aus ihr heraus Gewalttaten begangen werden od. unmittelbar bevorstehen und Zwangsmaßnahmen gegen einzelne nicht zum Ziele führen od. offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Das Recht zum Gebrauch von Schußwaffen auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften bleibt unberührt. - c) Die Polizeivollzugsbeamten, Beamte des Zollgrenzdienstes, die Beamten der Bundesgerichte und andere Personen, die durch die zuständigen Bundesbehörden mit Aufgaben betraut sind, wie sie diesen Beamten obliegen können (§ 9 Nr. 1, 2, 7 u. 8), können Schußwaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel u. Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen; ist anzunehmen, daß die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuß ersetzt werden; als Grenzdienst gilt auch die Durchführung von Bundes- u. Landesaufgaben, die den bezeichneten Personen im Zusammenhang mit dem Grenzdienst übertragen sind (§§ 9 ff. d. G).Von der Schußwaffe darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen; gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird. Der Zweck des Schußwaffengebrauchs darf nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Es ist verboten zu schießen, wenn durch den Schußwaffengebrauch für die Vollzugsbeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, außer wenn es sich beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (§ 10 Abs. 2) nicht vermeiden läßt. Gegen Personen, die sich dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter befinden, dürfen Schußwaffen nicht gebraucht werden (§ 12). - Die Anwendung von Schußwaffen ist anzudrohen. Als Androhung gilt auch die Abgabe eines Warnschusses. Einer Menschenmenge gegenüber ist die Androhung zu wiederholen. Der Einsatz von Wasserwerfern und Dienstfahrzeugen gegen eine Menschenmenge ist anzudrohen. All das Gesagte gilt entsprechend auch für den Gebrauch von Explosivmitteln (§§ 9-14). Im wesentlichen damit übereinstimmend die neuerliche Regelung in !:i§ 35 ff. bad.-württ. PolG v. 21. Nov. 1955 (GBl. S. 249).
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offensichtlich, daß durch den Waffengebrauch eine strafbare Handlung begangen wird, dann darf ein Polizeibeamter der Anordnung seines Vorgesetzten nicht Folge leisten (so ausdrücklich z. B. § 36 Abs. 4 niedersächs. G über öff. Sich. u. 0. v. 21. März 1951, GVBl. S. 79). Androhung und Verhängung von Zwangsgeld kann der unmittelbaren Gewaltanwendung möglicherweise vorausgehen, wie z. B. bei der Zwangsg·estellung eines Impfpflichtigen oder eines Zeugen usf. (vgl. dazu Pr. OVG Bd. 58 S. 282, Bd. 61 S. 229, Bd. 68 S. 346, 70S. 336). Eine ausdrückliche vorherige Androhung ist auch hier erforderlich, abgesehen von dem Falle der unmittelbaren Ausführung einer Verwaltungsmaßnahme insbesondere der Polizei, die dem Erlasse einer Verwaltungsv·erfügung gleichsteht (was insb. für die Rechtsmittel von Bedeutung ist); und zwar schriftlich und unter Bestimmung einer Frist, innerhalb deren der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise zugemutet werden kann, wenn nicht Gefahr im Verzug ist, d. h. wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung strafbarer Handlungen oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt (vgl. §§ 12 ff., 6 VwVG und § 55 Abs. 2 pr. PVG; vgl. auch § 36 niedersächs. G über die öffentliche Sicherheit und Ordnung v. 21. März 1951). Auch wenn eine ausdrückliche Bestimmung, z. B. in Landesgesetzen, sich nicht findet über die unmittelbare Gewaltanwendung als Zwangsmittel zur Durchsetzung von Befehlen bzw. Pflichten, ist die Gewaltanwendung als zulässig zu erachten, ähnlich wie die Ersatzvornahme, da sie als notwendiges, sachgemäßes und unmittelbares Mittel zur Durchführung von Pflichten erscheint für die Fälle, wo der pflichtmäßige Zustand dadurch herbeigeführt werden soll, soweit der Eingriff in Freiheit und Eigentum zufolge des Vorbehalts des Gesetzes, z. B. auf Grund der allgemeinen polizeilichen Ermächtigungen, als zulässig erscheint. Dagegen ist sie ohne besondere gesetzliche Ermächtigung nicht zulässig, um nur den Willen des Pflichtigen zu brechen, damit er etwas tue, aussage usf., insbesondere durch Anwendung von Folterung.en, Drogen usw. (vgl. jetzt Art. 1 GG über die Achtung der Menschenwürde u. § 136 a StPO). Es soll vielmehr nur der pflichtmäßige Zustand unmittelbar verwirklicht werden, wie z. B. bei dem gewaltsamen Abbruch von Gebäuden, die in einem polizeiwidrigen Zustand sich befinden, durch Hilfskräfte der Polizei, wobei jedoch in erster Reihe eine Ersatzvornahme in Frage kommen kann, wenn nicht Gefahr im Verzug ist. Leistet der Pflichtige bei der Ersatzvornahme oder bei unmittelbarem Zwang Widerstand, so kann dieser mit Gewalt gebrochen werden; die Polizei hat auf Verlangen der Vollzugsbehörde Amtshilfe zu leisten. Der Vollzug ist einzustellen, sobald sein Zweck erreicht ist(§ 15 VwVG).
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111. Der sofortige (unmittelbare) Zwang a) Im allgemeinen In der Bezeichnungsweise wird z. T diese Art des Zwangs, wie bereits bemerkt, nicht klar geschieden von dem eben behandelten Falle des mittelbaren (vermittelten) Zwangs in der Form der unmittelbaren Gewaltanwendung, indem auch diese als "unmittelbarer Zwang" bezeichnet wird. In § 44 Abs. 1 pr. PVG wird von der unmittelbaren Ausführung einer polizeilichen Maßnahme und in der thüringischen LandesVerwaltungsO von einer "unmittelbaren Ausführung von Maßregeln" gesprochen47 • Der sofortige Zwang kommt in Frage, wenn er nicht der Durchsetzung eines Verwaltungsbescheids, insbesondere eines Befehls an den einzelnen, dient, sondern, wie insbesondere bei Gefahr im Verzug, ohne solchen -ergeht, da Zeit zum Erlaß eines Bescheids unter Berücksichtigung der öffentlichen Belange fehlt. Nach § 6 Abs. 2 VwVG vom 27. April1953 kann ein Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsbescheid ang-ewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung strafbarer Handlungen oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt. Diese Zwangsanwendung wird regelmäßig durch HUfspersonen der Verwaltungsbehörden, meist durch polizeiliche Vollzugsbeamte, wahrgenommen48 • Aber bei dieser Anwendung des sofortigen Zwangs "ohne dem Verpflichteten eine Handlung durch vorgängige Anordnung aufzuerlegen, enthält die tatsächliche Herstellung des verlangten Zustandes nicht lediglich die Anwendung des Zwangsmittels, sondern zugleich das - durch die Tat ausgedrückte- Verlangen (die Anordnung), daß dieser Zustand hergestellt werden muß. Dann steht dem Verpflichteten wegen dieser Anordnung die Klage aus §§ 127, 128 LVG zu, während er wegen Mangels in der Ausführung des Zwangsmittels selbst nur die Beschwerde an die Aufsichtsstelle aus § 133 Abs. 2 a. a. 0. hat" (Pr. OVG Bd. 22 S. 421) 49 • n Vgl. auch z. B. Pr. OVG Bd. 32, S. 419, wo in gleicher Weise von "unmittelbarem Zwang" gesprochen wird. - Für den Ausdruck "sofortiger Zwang" schon Thoma, a. a. 0., S. 95. 48 Wegen der Gewaltanwendung beim sofortigen Zwang vgl. o. Ziff. II c. 49 Die Entscheidung fährt dann weiter fort: "Wenn dagegen die Behörde dem Pflichtigen ein bestimmtes Gebot schriftl. eröffnet u. dann die Herstellung des angeordneten Zustandes nicht im Wege der Nr. 1 u. 2 des §.132, sondern durch eigenes Handeln angekündigt hat, so sind, wenn letzteres keine selbständigen neuen Anordnungen, sonderen lediglich die Ausführung des Zwangsmittels zur Durchsetzung der früheren schriftl. Anordnung im Wege des unmittelb. Zwangs ist, in diesem Falle nicht die Rechtsbehelfe der §§ 127, 128, sondern nur die des § 133 Abs. 2 zulässig, u. zwar selbst dann, wenn die Zwangsausführung dadurch zu einer unberechtigten geworden sein sollte, daß in die Willensfreiheit des Erzwungenen weiter eingegriffen wurde, als die durchzusetzende AnO dies erforderte".
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Für den Bereich des Polizeirechts bestimmt§ 44 Abs. 1 Satz 2 pr. PVG, daß die unmittelbare Ausführung einer polizeilichen Maßnahme dem Erlaß einer polizeilichen Verfügung gleichsteht; die Anwendung sofortigen Zwangs ohne vorgängige Anordnung oder Androhung des Zwangsmittels ist ebenso anfechtbar wie diese selbst, da hier die sachliche Verfügung, die Androhung des Zwangs sowie die Festsetzung und Ausführung des Zwangsmittels in einer ·einzigen Handlung zusammengefaßt werden (vgl. Pr. OVG Bd. 79 S. 259, Bd. 102 S. 141); vgl. auch § 18 VwVG. Für die Anwendung des sofortigen Zwangs kommen im allgemeinen die Polizeikräfte in Betracht (Vollzugspolizei); vgl. u. §§ 43, 44. b) Das Anwendungsgebiet In Betracht kommen vor allem zwei Fälle: die Selbstverteidigung der öffentlichen Verwaltung und die Verhütung oder Beseitigung rechtsund ordnungswidriger Zustände bei Gefahr im Verzug.
1) Die Selbstverteidigung der öffentlichen Verwaltung Es handelt sich um Tätigkeiten, die der Notwehr und dem Notstand des bürgerlichen Rechts und des Strafrechts entsprechen, durch die Verwaltungsbehörden selbst. Im übrigen reichen die hier in Betracht kommenden Befugnisse der Träger der öffentlichen Verwaltung weiter, da Tätigkeiten in Frage stehen, die öffentlichen Belangen dienen und daher nicht nur gegenüber Gefahren, sondern auch Störungen j-eder Art, die unmittelbar gegen die Verwaltungstätigkeit als solche oder den Bestand wie auch die Tätigkeit von öffentlichen Anstalten und Einrichtungen sich richten und sie in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen, in Betracht kommen, wie z. B. auch zum Schutze anvertrauter Personen oder Sachen. Rechtswidrige Angriffe, die sich gegen die öffentliche Verwaltung richten, können jedenfalls in gleicher Weise wie solche gegen Private im Wege rechtmäßiger Selbstverteidigung abgewehrt werden; besondere Vorschriften bestehen darüber im allgemeinen nicht. So gegenüber widerrechtlichen Angriffen mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben bei der Vornahme von Verwaltungstätigkeit für die sie Vornehmenden sowie aber auch gegen deren Störung, sei es in Sitzungen oder außerhalb von solchen50, insbesondere 50 Nach Art. 3 württ. Pol. StrafverfügG v. 12. Aug. 1879 kann gegen die, welche durch ungebührliches Benehmen oder ungebührliche Äußerungen im münd!. oder schriftl. amtl. Verkehr die einer Behörde schuldige Achtung verletzen, Geldstrafe bis zu 1000 DM oder Haft bis zu 3 Tagen verhängt werden, wogegen die sofortige Beschwerde an die nächsthöhere Behörde zusteht; dabei ist jetzt aber noch die Vorschrift des Art. 104 GG zu beachten. Ungehorsam und Ungebühr, deren öff. Diener im Amtsverhältnis gegen Vorgesetzte sich schuldig machen, werden nach den bestehenden Vorschriften im Dienststraf-
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auch unter den allgemeinen Voraussetzungen der Notwehr 51 • Geschützt wird hier als Rechtsgut der Staat, d. h. die öffentliche Verwaltung, in ihrer äußeren Erscheinung, sei es in ihrer äußeren Verwaltungstätigkeit, d. h. mit Bezug auf ihre Handlungen, aber auch in ihren äußeren Verkörperungen und Einrichtungen, wie in öffentlichen Sachen, öffentlichen Straßen, Brücken, Flüssen, Festungen usf. Nicht dagegen gewöhnliches Privateigentum des Staates oder sonstiger Verwaltungsträger, das sie wie ein Privater (als "Fiskus") besitzen, Feldgüter, Waldungen usf.: hier gilt der gewöhnliche Privatrechtschutz und gegebenenfalls die privatrechtliche Selbsthilfe. So werden öffentliche Sachen durch unmittelbar·en polizeilichen Zwang in ihrem Bestande geschützt; aber auch .Am.staltsgebäude, Plätze und sonstige Räume, die nicht die Eigenschaft öffentlicher Sachen haben, werden z. T. ebenso behandelt infolge des Zusammenhangs mit der öffentlichen Verwaltungstätigkeit, um diese zu gewährleisten; auf diese Weise wird z. B. der Zugang zu amtlichen Räumen, wie insbesondere Sitzungssälen, mit polizeilicher Gewalt aufrechterhalten oder bei Störungen in jenen die Räumung vollzogen; für bloße Dienstwohnungen der Beamten gilt dies selbstverständlich nicht. Ähnlich verhält es sich mit Sachen, die zwar persönlich einem Beamten gehören, aber zumöffentlichenDienst bestimmt sind. Ebenso kann Schutz für Leib und Leben der Personen, die im öffentlichen Dienst tätig sind, notwendig werden. Die Aufrechterhaltung der Würde und des Ansehens der öffentlichen Verwaltung und der in ihr Tätigen kann aber auf Grund besonderer gesetzlicher Bestimmungen auch über eine bloße Verteidigung hinaus weiteres gebieten: man kann hier mit Recht von einer besonderen "Empfindlichkeit" der öffentlichen Verwaltung gegenüber Störungen des ordnungsmäßigen Gangs der Verwaltung sprechen. So kann das Hinauswerfen eines Gerichtsvollziehers, der eine gegen eine Stadtgemeinde gerichtete Klage dem mit einer standesamtlichen Handlung - Aufnahme der Anmeldung einer Geburt zur Eintragung in das Geburtenbuch - in seinem Geschäftszimmer auf dem Rathaus beschäftigten Bürgermeister zustellen will, nach vergeblicher Aufforderung, das Geschäftszimmer vor Erledigung der Amtshandlung verfahren geahndet (Art. 4, a. a. 0.). Vgl. noch Art. 22 bayr. LStuVOG v. 17. Nov. 1956 (GVOBl. S. 261) über die Störung von Amtshandlungen. 51 Notwehr gegenüber rechtswidrigen Angriffen auf den Staat Untersagung des Erscheinens einer Zeitung zur Aufrechterhaltung der öff. Sicherheit u. Ordnung auch außerhalb der im PresseG besonders geregelten Fälle wegen Aufforderung und Anreizung zu Gewalttätigkeiten in einer den öff. Frieden gefährdenden Weise (vgl. §§ 1, 30 Abs. 1 RPresseG v. 1874) - bejaht mit Recht RGZ Bd.117 S. 138. Zu Unrecht will Forsthoff VerwR Bd.1 S. 271, heute nur die in der Verf. vorgesehenen - jetzt nur noch in manchen Landesverfassungen vorgesehenen- Notmaßnahmen hier gelten lassen. Wegen des strafrechtlichen Schutzes der zum öff. Dienst bestimmten abgeschlossenen Räume gegenüber widerrechtlichem Eindringen oder Verweilen (Hausfriedensbruch) vgl. §§ 123, 124 StGB.
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zu verlassen, als berechtigte Abweisung einer Störung der Amtsbefugnisse erscheinen (vgl. Pr. OVG Bd. 15 S. 439). Es wird hier eine äußere widerrechtliche oder ordnungswidrige störende Einwirkung auf die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung oder ihrer Einrichtungen vorausgesetzt: Verschulden- Absicht, Vorsatz oder Fahrlässigkeit mit Bezug auf die Störung - ist nicht erforderlich. So z. B., wenn in einem öffentlichen Flusse die öffentliche Schiffahrt durch ein in der Schiffahrtsrinne liegendes Schiffswrack gestört wird, so kann dieses Hindernis durch die öffentliche Verwaltung nötigenfalls mit Gewalt beseitigt werden, gleichviel, ob ein Verschulden eines Beteiligten bei dem Sinken vorgelegen hat oder nicht, oder ob der Eigentümer etwas von dem Sinken weiß oder nicht; die Kosten treffen den Störer, sei es, daß er durch Handlung oder durch den Zustand, wie der Eigentümer, stört (vgl. u. § 42). Art und Maß der Gewaltanwendung richten sich nach der Art des Angriffs unter Berücksichtigung des einzelnen Rechtsguts, dessen Schutz in Frage steht. Wie bei der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die polizeiliche Gewalt (vgl. u. § 42), kommt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Abwehrhandlung in Betracht. So wird z. B., wenn eine Sache- etwa ein mit Wein gefülltes Faß oder ein Wagen- unbefugt nachts auf der öffentlichen Straße unbeleuchtet stehen gelassen worden ist, nicht die Vernichtung in Frage kommen, soweit und solange mildere Arten der Beseitigung der Störung zur Verfügung stehen; sonst läge eine als Ermessensmißbrauch oder -Überschreitung, gegebenenfalls auch im Verwaltungsrechtsweg anfechtbare Überschreitung des erforderlkhen Maßes im Sinne der Verhältnismäßigkeit vor. Während die Notwehr im bürgerlichen Recht und im Strafrecht nur so lange ausgeübt werden kann, als der rechtswidrige Angriff nicht endgültig abgeschlossen ist, kann die polizeiliche Gewaltanwendung ausgeübt werden, wenn und solange der die Verwaltung beeinträchtigende Angriff oder der polizeiwidrige Zustand fortdauert oder auch in seinen Wirkungen fortbesteht, wie unbefugtes verkehrsstörendes Stehen- oder Liegenlassen von Gegenständen auf öffentlichen Straßen oder Plätzen (wie in dem vorhin angeführten Beispielsfalle) usf.
2) Die Verhütung oder Beseitigung rechts- und ordnungswidriger Zustände Dazu gehört die Verhinderung strafbarer Handlungen wie auch die Verhütung oder Beseitigung sonstiger rechts- und ordnungswidriger Zustände. Hier handelt es sich nicht um einen Schutz der öffentlichen Verwaltungstätigkeit als solcher, wie er .eben betrachtet worden ist, sondern um die Abwehr von Störungen der Gemeinschaft und der ihr Angehörigen. Jede strafbare Handlung ist, wie später ausgeführt wird, eine Polizeiwidrigkeit, die Verwirklichung eines rechtswidrigen und regel-
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mäßig auch zugleich ordnungswidrigen Zustandes, zu deren Beseitigung und Verhütung die Polizei berufen ist, und zwar auch dann, wenn das innere Merkmal, d. h. Verschulden, nicht gegeben ist (vgl. Pr. OVG Bd. 60 S. 435). So z. B. die Beseitigung eines nächtlichen Verkehrshindernisses auf einer öffentlichen Straße (vgl. z. B. § 41 StVO), je nachdem durch Entfernung oder Vernichtung entsprechend dem Grundsatze der Verhältnismäßigkeit oder die Beseitigung eines Schiffahrtshindernisses in einem öffentlichen Wasserlauf, was auch unter diesem Gesichtspunkt (neben o. Buchst. a) betrachtet werden kann. Ferner die Verhütung der Fortsetzung einer Schlägerei als groben Unfugs auf einer öffentlichen Straße oder an öffentlichen, jedermann zugänglichen, sonstigen Orten, wie z. B. in einer Wirtschaft, u. U. durch gewaltsame Trennung der Beteiligten und nötigenfalls Abführung in polizeilichen Gewahrsam, die gewaltsame Entfernung eines Trunkenbolds von einer öffentlichen Straße; die Verhinderung jemandes, der dem äußeren Anscheine nach einen schweren Diebstahl mittels falscher Schlüssel beabsichtigt, an der Auswahl unter mehreren Schlüsseln und der sich daran offensichtlich anschließenden weiteren Handlung, auch noch, ehe ein strafbarer Versuch durch Einstecken in das Schlüsselloch erfolgt ist, und auch ohne daß die Voraussetzungen des § 245 a StGB 52 gegeben sind; die Verhinderung des Fahrens ohne Licht zu Rad oder mit Wagen in der Nacht; die polizeiliche Verhinderung der Fortsetzung eines unbefugt eröffneten Gewerbebetriebs, für den eine besondere Erlaubnis erforderlich ist, z. B. durch Einstellung des Betriebs (vgl. Pr. OVG Bd. 60 S. 382), wie Schließung einer Wirtschaft unter Wegnahme des Wirtshausschildes und Versiegelung der Wirtschaftsräumlichkeiten (vgl. § 15Abs. 2 GewO, § 22 GaststG). So ist weiter nach § 55 pr. ZustG vom 1. August 1883 die zuständige Wegepolizeibehörde befugt, das zur Erhaltung des gefährdeten oder zur Wiederherstellung des unterbrochenen Verkehrs Notwendige auch ohne vorhergehende Aufforderung des Verpflichteten für dessen Rechnung ausführen zu lassen, wenn "dergestalt" Gefahr im Verzug ist, daß die Ausführung der vorzunehmenden Arbeit durch den Verpflichteten nicht abgewartet werden kann. So hat weiter nach§ 22 G über Fernmeldeanlagen vom 14. Januar 1928 die Polizeibehörde unbefugt errichtete, geänderte oder betriebene Fernmeldeanlagen - dahin gehören z. B. auch Rundfunkempfänger- außer Betrieb zu setzen oder zu beseitigen, ohne daß es einer vorherigen Androhung bedarf. Dahin gehört auch z. B. die 52 Danach wird, wer Diebeswerkzeug im Besitz oder Gewahrsam hat oder von einem anderen für sich verwahren läßt, nachdem er wegen schweren Diebstahls, Diebstahls im Rückfall, Raubes, gewerbs- oder gewohnheitsmäßig-2r Hehlerei oder Hehlerei im Rückfall (§§ 243 bis 245, 249 bis 252, 260, 261 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist, mit Gefängnis nicht unter 3 Monaten bestraft, sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, daß das Werkzeug nicht zur Verwendung bei stvafbaren Handlungen bestimmt ist.
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Verhütung eines Selbstmordversuchs, wenn etwa jemand in der Öffentlichkeit, z. B. durch Absturz von einer Brücke über einem Flusse, sich das Leben zu nehmen sucht (u. § 42). Dahin gehört weiter das Vorenthalten von Akten ·einer öffentlichen Behörde, die Nichtrückgabe von Büchern einer öffentlichen Bücherei, z. B. einer Staats- oder Universitätsbücherei, entgegen der Anstaltsordnung über den Ablauf der für die Benützung zur Verfügung gestellten Zeit bei öffentlich-rechtlichem Nutzungsverhältnis: überallliegt hier ein rechts- und ordnungswidriger Zustand vor, so daß in diesen Fällen diese Sachen nötigenfalls durch die Polizei abgeholt werden können. Daß die Amtsgehilfen (Amtsdiener, Wachtmeister), Angestellte oder Beamte solcher öffentlicher Anstalten keine polizeiliche Zwangsgewalt ausüben dürfen, da und soweit sie ihnen nicht übertragen ist, sie sich vielmehr an die allgemeine Polizei zur Hilfeleistung wenden müssen, für diese aber gegebenenfalls nach den allgemeinen polizeilichen Ermächtigungen gewaltsames Eindringen in die Wohnung und Wegnahme der Bücher usf. in Betracht kommt, bedarf keiner besonderen Hervorhebung, wobei jetzt jedoch in erster Reihe Art. 13 GG zu beachten ist (vgl. auch noch §§ 94 ff. StPO). - So können weiter bei Übertretung der Polizeistunde die sitzen bleibenden Gäste nötigenfalls mit Gewalt hinausgeworfen werden zur Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands. Dagegen ist das Eingreifen der Polizei in die bürgerlich-rechtlichen Rechtsverhältnisse, wie z. B. auch die Nachbarverhältnisse, auch hier nur gerechtfertigt, wenn der gegenwärtige Zustand mit dem Gemeinwohl unverträglich und bei seiner Fortdauer z. B. eine Gesundheitsgefahr anzuerkennen wäre, d. h. also die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet würde (vgl. Pr. OVG Bd. 39 S. 403). Im übrigen muß es sich also um die Abwehr von Unrecht handeln, das durch die Strafgesetze unter Strafe gestellt ist; Handlungen, die lediglich ein Unrecht im Sinne des bürgerlichen Rechts darstellen - wie z. B. Lärm in einem Miethause, das nur einen anderen Mieter inderNachtruhe stört-, kommen hierbei regelmäßig nicht in Betracht; die Ordnung privatrechtlieber Beziehungen steht, wie später näher ausgeführt wird (vgl. u. § 42), grundsätzlich der Polizei nicht zu. Vgl. auch noch Pr. OVG Bd. 4 S. 418, wonach eine strafbare Handlung nach den Bestimmungen des StGB usf. entweder bereits begonnen haben oder doch unmittelbar bevorstehen muß. Vgl. auch Pr. OVG Bd. 10 S. 376: In einem Wirtshause droht eine Schlägerei auszubrechen; der Polizeibeamte versperrt mitRecht denHereindrängenden die Türe. Strafbarer Versuch ist dabei nicht zu erfordern; so z. B. auch wenn eine verdächtige Person mit falschen Schlüsseln, unter denen er herumsucht, nächtlicherweise vor einer Haustüre steht und eindringen will; er kann gewaltsam daran g.ehindert werden (vgl. o.). Die Berechtigung zur Gewaltanwendung hört bei strafbaren Handlungen - mit Bezug auf diese :.elbst, also unbeschadet der Strafverfolgung -
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auf, sobald jene beendigt ist und nicht noch ein rechts- oder ordnungswidriger Zustand vorliegt. Bei unmittelbarer Gewaltanwendung in den Fällen des polizeilichen Notstands gegen unbeteiligte Dritte (vgl. u. § 42) gilt mit Bezug auf die Einwirkung auf Sachen etwas Ähnliches wie in den Fällen der§§ 228 und 904 BGB: es erscheint der Nachteil, der dem einzelnen zugefügt wird, verhältnismäßig klein gegenüber dem Unglück, das von der Gemeinschaft und ihren Angehörigen abgewehrt werden soll, wenn eine Polizeiwidrigkeit vorliegt, und zwar eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die in anderer Weise nicht behoben werden kann (vgl. dazu u. § 42). Hier ist dann regelmäßig keine Zeit, um mit Befehl und auf Grund dieses mit Zwangsvollzug vorzugehen, vielmehr ist sofortiges Einschreiten geboten. Dahin gehört z. B. das Abreißen von Häusern, um ein Übergreifen des Feuers auf einen ganzen Straßenzug zu verhüten, sowie das Niederlegen von Gartenzäunen an einem eingefriedigten Grundstück, um Wasser zum Löschen im Falle eines Brandes von dort herbeischaffen zu können; ferner die Zuweisung einer Notwohnung in einem Wohnhause an eine im Falle des Brandes obdachlos gewordene Familie im Gegensatz zum Falle einer infolge Hilfsbedürftigkeit eingetretenen Obdachlosigkeit, in welchem Falle in erster Reihe der zuständige Fürsorgeverband bzw. jetzt Träger der Sozialhilfe für die Unterbringung des Obdachlosen zu sorgen hat (vgl. Pr. OVG Bd. 58 S. 69, Bd. 75 S. 341, Bd. 81 S. 246); aber eben nur vorübergehend, wenn und soweit - also nicht zeitlich unbegrenzt, sondern nur für eine angemessene, von vornherein eng begrenzte und bestimmte, Frist (vgl. Pr. OVG Bd. 79 S. 406) - die Polizeibehörde nicht auf andere Weise für eine, wenn auch nur notdürftige, Unterbringung, wie z. B. in einem Gemeindehause, durch Bau oder Beschaffung von sonstigen Unterkunftsräumen, Baracken usf. sorgen kann (vgl. Pr. OVG Bd. 75 S. 339, Bd. 83 S. 220). Ferner gehört dahin das Durchstechen eines Dammes bei Überschwemmungsgefahr, um dem gestauten Wasser Ablauf zu verschaffen. Nachdem Gesetz über das Auswanderungswesen vom 9. Juni 1897 sind die Polizeibehörden in Hafenorten befugt, die Unternehmer an der Einschiffung von Menschen zu hindern, deren Beförderung auf Grund des Gesetzes verboten ist. Als polizeiliche Notmaßnahme kommt außer der Inanspruchnahme unbeteiligter Dritter (vgl. u. § 42) auch die Beseitigung von Gefahren in Betracht, die den einzelnen selbst bedrohen; z. B. wenn jemand, der von einer Menschenmenge verfolgt und bedroht wird, in Schutzhaft genommen wird; die Beschränkung der persönlichen Freiheit während kürzerer Zeit erscheint als der geringere Nachteil gegenüber der Rettung des Lebens und kann auch gegen den Willen des Beteiligten erfolgen; in Wahrheit ist er nicht Störer, sondern die ihn etwa auf öffentlicher Straße bedrohende Menschenmenge, und ist insofern selbst
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unbeteiligter Dritter. Vgl. § 15 pr. PVG, wonach die Polizeibehörden nur dann befugt sind, Personen in polizeiliche Verwahrung zu nehmen, wenn diese Maßnahme erforderlieh ist, um zum eigenen Schutze dieser Personen oder zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Gefahr, falls die Beseitigung der Störung oder die Abwehr der Gefahr auf andere Weise nicht möglich ist; die in polizeiliche Verwahrung genommene Person ist, wenn es sich nicht um gemeingefährliche Geisteskranke handelt, spätestens im Laufe des folgenden Tages aus der polizeilichen Verwahrung zu entlassen. Diese Bestimmungen gelten jedoch nicht für Auslieferungs- oder Ausweisungsangelegenheiten, in denen also Personen bis zur Durchführung der Auslieferung oder Ausweisung im Schubwege festgehalten werden können; im übrigen kommt eine Entschädigungspflicht, wie sie für unbeteiligte Dritte bei polizeilichem Notstand gilt, nach § 70 pr. PVG insoweit nicht in Betracht, als die Maßnahme zum Schutze einer Person oder seines Vermögens getroffen ist. So bestimmt auch § 7 Abs. 4 AuslPolVO v.om22. August 1938 (RGBL I S. 1033), daß ein Ausländer zur Vorbereitung des Erlasses eines Aufenthaltsverbotes vorübergehend in polizeiliche Verwahrung genommen werden kann. Jetzt ist für alle diese Fälle Art. 104 GG wegen der Freiheitsentziehung zu beachten. Zur Anwendung unmittelbaren Zwangs, aber auch des Zwangsvollzugs bei mittelbarem Zwang, dienen vor allem die Hilfskräfte der Polizei, d. h. der polizeiliche Vollzugsdienst (vgl. u. § 44 Ziff. II). Zum Schutze dieser Personen dient die Strafbestimmung des § 113 StGB über den Widerstand gegen die Staatsgewalt. Danach wird, wer einen Beamten, der zur Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden oder von Urteilen und Verfügungen der Gerichte berufen ist, in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet oder wer einen solchen Beamten während der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes tätlich angreift, mit Gefängnis von 14 Tagen bis zu 2 Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bestraft. Dieselben Strafvorschriften treten ein, wenn die Handlung gegen Personen, die zur Unterstützung des Beamten zugezogen waren oder gegen Mannschaften der bewaffneten Macht oder gegen Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr in Ausübung des Dienstes begangen wird. - Die betreffende Person, der Widerstand geleistet wird, muß berechtigt gewesen sein, obrigkeitliche Gewaltanwendung auszuüben oder dabei mitzuwirken; die Gewalt muß rechtmäßig sein. Dies kann gegebenenfalls durch das Gericht nachgeprüft werden. Es handelt sich hierbei um eine gegenständliche Bedin-
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gung der Strafbarkeit53 . Aber es gilt hier eine wichtige Besonderheit: es kommt hier nicht darauf an, ob der betreffende Beamte die Handlung im Einzelfalle zurecht vorgenommen hat. Es genügt vielmehr, wenn der Beamte sich innerhalb der Grenzen seiner Amtsbefugnisse überhaupt gehalten hat; dann soll die Strafbestimmung eingreifen. Ein Fehlgreifen des Vollstreckungsbeamten in diesem Sinne im Einzelfalle soll nicht völlig schutzlos sein, solange er sich nur innerhalb der amtspflichtmäßigen Grenzen bewegt. Der Beamte soll nämlich nicht ängstlich werden bei dem tätigen Zugreifen, das oft nicht Zeit zur langen Überlegung läßt. Er soll geschützt werden in bezug auf sein Handeln, auch wenn er irrtümlich die Voraussetzungen für ein Einschreiten im Einzelfalle für gegeben erachtet, z. B. wenn er bei der Zwangsvollstreckung in irrtümlicher Weise die von einem Dritten dem Vollstreckungsschuldner geliehenen Sachen für dessen Eigentum oder Sachen der Ehefrau für die des Mannes als Vollstreckungsschuldners hält, wobei freilich die Vermutung des § 1362 BGB ihm zugute kommt; ähnlich wenn eine Sache, die zu Unrecht für gestohlen angesehen wird, von einem Polizeibeamten beschlagnahmt wird. Anders z. B., wenn er ein Buch etwa bei einem Rechtsbeflissenen pfändet, in dem der Stempel enthalten ist: "Gestohlen im Juristischen Seminar der Universität Tübingen", vorausgesetzt, daß kein Anhaltspunkt dafür gegeben ist, daß mißbräuchlich von dem Stempel Gebrauch gemacht worden ist(!). Wenn also die Amtshandlung auch äußerlich rechtswidrig ist, jedoch ihrer Art nach überhaupt noch in den Bereich der amtlichen Tätigkeit des Vollzugsbeamten fällt, soll sie dennoch als rechtmäßig angesehen werden hinsichtlich der Frage, ob strafbarer Widerstand gegen eine rechtmäßige Amtshandlung vorliegt. Nur wenn der Vollzugsbeamte über diese Grenzen hinausgeht, z. B. bewußt Sachen der Ehefrau, etwa Schmucksachen, pfändet, ist der Widerstand straflos54. Auch der Dienstbefehl eines Vorgesetzten, insofern er bindend ist, wirkt ebenfalls zugun:sten des Vollstreckungsbeamten, der den Sachverhalt nicht genügend übersieht. Nach'§ 56 BBG trägt der Beamte für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung; dienstliche Anordnungen hat er, wenn er Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit vergeblich bei dem unmittelbaren Vorgesetzten und gegebenenfalls bei dem nächsthöheren Vorgesetzten geltend gemacht hat, auszuführen, sofern nicht das ihm aufgetragene Verhalten strafbar und dieStrafbarkeitfür ihn erkennbar ist; im übrigen ist ervonder eigenen Verantwortung befreit. Endlich ist noch anzuführen die Vorschrift des§ 114StGB, wonach, wer es unternimmt, durch Gewalt oder Drohung eine Behörde, einen Beam53 So die ständige Rechtsprechung des RG. Vgl. RGSt. Bd. 55, S. 161 ff., 166, Bd. 66, S. 357 ff., 342, Bd. 71, S. 122; Metzger, D. StrafR, 3. A. (1943) S. 193. 54 Vgl. 0. Mayer, VerwR Bd. 1, S. 300 ff. 63 Merk
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§ 38. Die Zwangsvollstreckung wegen öff.-rechtlicher Geldforderungen
ten oder Soldaten der Bundeswehr zur Vornahme oder Unterlassung einer Amts- oder Diensthandlung zu nötigen, mit Gefängnis nicht unter 3 Monaten, bei mildernden Umständen mit Gefängnis bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe, bei besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft wird. In den Fällen, in denen die Kräfte der Polizei nicht ausreichen, konnte in früheren Zeiten die bewaffnete Macht in Anspruch genommen werden. Nach § 17 WehrG vom 23. März 1921 hatte im Falle öff.entlicher Notstände oder einer Bedrohung der öffentlichen Ordnung die Wehrmacht auf Anforderung der Landesregierung und der von diesen bestimmten Behörden Hilfe zu leisten; das Ersuchen- das an das Wehrkreiskommando oder Marinestationskommando, im Falle dringender Gefahr an den nächsten militärischen Befehlshaber zu richten war sollte nur ergehen, wenn die eigenen Kräfte nicht ausreichten; selbständiges militärisches Eingreifen war auch zulässig, wenndie Behörde durch höhere Gewalt außerstande gesetzt sein sollte, das militärische Einschreiten herbeizuführen, oder wenn es sich nur um Zurückweisung von Angriffen oder Widersetzlichkeiten gegen Teile der Wehrmacht handelte. Jetzt bestimmt Art. 143 GG i. d. F. des G vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 111), daß die Voraussetzungen, unter denen es zulässig wird, die Streitkräfte im Falle eines inneren Notstandes in Anspruch zu nehmen, nur durch ein Gesetz geregelt werden können, das die Erfordernisse des Art. 79 (über Verfassungsänderungen) erfüllt; ein solches Gesetz ist bisher noch nicht erlassen worden. Wegen der Kosten der ErzW!ingung von Handlungen, soweit dies sich nicht aus dem bisher Gesagten ergibt, vgl. o. § 36 Ziff. II m.
§ 38. Die Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Geldforderungen I. Im allgemeinen Während bisher eine allgemeine reichs-(bundes-)rechtliche Regelung der Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Geldforderungen -abgesehen insbesondere von der RAbgO hinsichtlich der Steuern und einzelnen besonderen gesetzlichen Bestimmungen - nicht vorhanden war, ist jetzt eine solchedurch dasVerwaltungsvollstreckungsG (VwVG) vom 27. April1953 (RGBl. I S. 157) außer bezüglich der Erzwingung von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen auch mit Bezug auf die Vollstreckung wegen Geldforderungen im ersten Abschnitt hinsichtlich
Im allgemeinen
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der öffentlich-rechtlichen Geldforderungen des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts erfolgt; ausgenommen sind jedoch solche öffentlich-rechtlichen Geldforderungen, die im Wege der Parteistreitigkeit vor den Verwaltungsgerichten verfolgt werden oder für die ein anderer Rechtsweg als der Verwaltungsrechtsweg begründet ist; die Vorschriften der RAbgO, des Sozialversicherungsrechts einschließlich der Arbeitslosenversicherung und der JustizbeitreibungsO sind unberührt geblieben. Wegen der Beitreibung von Post- und Fernmeldegebühren vgl. § 25 PostG bzw. '§ 9 G über Fernmeldeanlagen vom 14. Januar 1928. Im übrigen kommen vor allem landesrechtliche Bestimmungen für landesrechtliche Verwaltungsvollstrekkungssachen in Betracht. So für Preußen die VO über das Verwaltungszwangsverfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen vom 15. November 1899 (mit spät. Änderungen) mit der AusfAnweisung vom 28. November 1899 (m. spät. Änd.) in Verbindung mit dem G über die Zulässigkeit des Verwaltungszwangsverfahrens und über sonstige finanzielle Zwangsbefugnisse vom 12. Juli 1933 (GS S. 252); für Württemberg das G über die Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Ansprüche vom 18. August 1879 (RegEl. S. 202) mit späteren Änderungen, für Baden das G wegenBeitreibung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen vom 12. April 1899 mit der VO vom 25. Januar 1900 m. spät. Änd. usf. Von Bedeutung für das Verwaltungsrecht ist auch die Bestimmung des § 15 Ziff. 3 EG zur ZPO i. d. F. vom 20. August 1953, wonach unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen gegen einen Gemeindeverband oder eine Gemeinde, soweit nicht dingliche Rechte verfolgt werden, nämlich soweit für Verwaltungssachen der ordentliche Rechtsweg gegeben ist; vgl. im übrigen § 882 a ZPO wegen der Zwangsvollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts wegen einer Geldforderung (s. weiter u.). Nach § 801 ZPO ist weiter die Landesgesetzgebung nicht gehindert, auf Grund anderer als in der ZPO (§§ 704, 794) bezeichneten Schuldtitel die gerichtliche ZwangsvolLstreckung zuzulassen und und insoweit abweichende Vorschriften von den Bestimmungen des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung zu treffen. - Diese landesgesetzlichen Bestimmungen regeln im allgemeinen außer dem Zwangsvollzug von Verwaltungsbescheiden (Verwaltungsverfügungen und -entscheidungen) über öffentlich-rechtliche Geldforderungen zugleich auch die Zwangsvollstreckung aus verwaltungsgerichtlichen Endurteilen; auf die Zwangsvollstreckung dieser verwaltungsgerichtlichen Urteile, die den Verwaltungsbehörden oblag, ist hier nicht weiter einzugehen. Vgl. hierüber jetzt §§ 167 ff. VwGO, u. 5. Buch. In Betracht kommt die Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Abgaben, Gebühren, Beiträgen und Steuern (Landes- und insb. 63•
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§ 38. Die Zwangsvollstreckung wegen öff.-rechtlicher Geldforderungen
Gemeindesteuern, soweit hierfür nicht die RAbgO in Betracht kommt)\ für welche z. T. noch besondere gesetzliche Vorschriften erlassen sind, aber auch von Zwangsgeld, Verfahrenskosten, z. B. auch bei der Durchführung der Ersatzvornahme, sowie auch wegen sonstiger öffentlichr·echtlicher vermögensrechtlicher Pflichten, z. B. bei der Rückforderung zu Unrecht empfangener Geldleistungen usf.
II. Im einzelnen a) Allgemeiner Grundsatz ist auch bezüglich der Beitreibung solcher Geldforderungen, wie bei dem Zwangsvollzug von Handlungen der Verwalteten im Bereiche der öffentlichen Verwaltung, daß sie - ähnlich wie im Steuerrecht nach der RAbgO- durch die Verwaltungsbehörden selbst erfolgt, abgesehen von der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen (vgl. u. Buchst. d), d. h. ohne Mitwirkung insbesondere der ordentlichen Gerichte oder der Gerichtsvollzieher 2, soweit nichts anderes bestimmt ist. Diejenigen Behörden und Beamten, denen die Einziehung der der Seitreibung im Verwaltungszwangsverfahren unterliegenden Geldbeträge zusteht, bilden die zur Anordnung der Einleitung des Zwangsverfahrens zuständige Vollstreckungsbehörde. Nach § 4 VwVG sind Vollstreckungsbehörden die von einer obersten Bundesbe1 Nach dem pr. KommAbgG v. 14. Juli 1893, § 90, unterliegen dem Beitreibungsverfahren nach dieser VO auch die Gebühren, Beiträge, Steuern u. Kosten sowie die nach einem von der Behörde festgestellten Tarif erhobenen Vergütungen (Kurtaxen usf.) sowie die Kosten für die Leistung eines Dritten im Falle der Säumnis des Pfiichtigen bei der Leistung von Naturaldiensten. Das G v. 12. Juli 1933 (GS S. 252) zählt die Fälle auf, in denen der Beitreibung im VerwZwangsverfahren unterliegen; u. a. die öff. Abgaben, insb. Steuern, Gebühren, Beiträge, Umlagen der Gemeindeverbände einschl. der auf G od. Satzung beruhenden Zinsen und Zuschläge; die von Staats- u. Gemeindebehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit festgesetzten Geldstrafen, Kosten u. Entschädigungen, sofern nicht eine andere Art der Vollstreckung vorgeschrieben ist; ferner gewisse bürgerl.rechtl. Forderungen (unbeschadet der Zulässigkeit des Rechtsweges), sofern sie gesetzlich feststehen oder in Verträgen nach Grund und Höhe vereinbart sind oder auf Erstattung verauslagter Beträge gerichtet sind, wie Forderungen des Staates aus der laufenden Bewirtschaftung oder sonstigen Nutzung domänen- u. forstfiskalischer Grundstücke, Gebäude usf.; Forderungen des Staates aus der Vermietung u. Verpachtung von Grundstükken u. Räumen usw., sofern die Forderungen bei Beginn der Zwangsvollstreckung nicht bestritten sind; ferner fortlaufende Zins- u. Tilgungsbeträge sowie sonstige Jahresleistungen für Darlehen, die vom Reiche, vom Staate, von einer Gemeinde oder einem GVerband zur Förderung der Bautätigkeit auf dem Gebiete des Wohnungs- u. Siedlungswesen gegeben worden sind, sofern die Einziehung einer Staatsbehörde, einer Gemeinde oder einem GernVerband obliegt (vgl. dazu auch noch Hufnagel, Unterbrechung d. Verjährung durch Mittel des Verwaltungszwangs, in DVBl. 1951, S. 142 f); Kehrlöhne der Bezirksschornsteinfeger, ferner sonstige Geldbeträge, für deren Beitreibung das VerwZwVerfahren gesetzlich zugelassen ist. 2 Vgl. z. B. Art. 10 württ. G.
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hörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister d. I. bestimmten Behörden des betreffenden Verwaltungszweigs (wie die Oberpostdirektionen und Postämter sowie die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen); ferner die Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, wenn eine solche Bestimmung nicht getroffen worden ist. Das Verwaltungszwangsverfahren und der Vollstreckungsschutz richten sich in diesenFällen nach den Vorschriften der RAbgO (§§ 325 bis 373, 378 bis 381); wird die Vollstreckung im Wege der Amtshilfe von Willensträgern der Länder vorgenommen, so ist sie nach landesrechtliehen Bestimmungen durchzuführen (§ 5) 3• So können z. B der Landrat, der Bürgermeister und Gemeinderechner nach gesetzlicher Vorschrift die Vollstreckung mit den ihnen beigegebenen Vollziehungsbeamten und sonstigen Hilfskräften durchführen4. Es kann auch eine untergebene Behörde oder auch nach gesetzlicher Vorschrift der Gemeindevorsteher mit seinen Hilfskräften (Gemeindebeamte, Gemeindevollzieher) mit dem Vollzuge staatlicherseits beauftragt werden. Vollstreckt wird jeweils von der in der ersten Verwaltungsstufe zuständigen Verwaltungsstelle aus, auch wenn eine höhere Verwaltungsbehörde, z. B. auf Beschwerde oder Widerspruch, entschieden hat. b) Das Verfahren richtet sich gegen den Vollstreckungsschuldner, d. h. geg·en den Schuldner der betreffenden Verbindlichkeit, seinen allgemeinen oder besonderen Rechtsnachfolger sowie gegen Personen, die für die Leistung, die ein anderer schuldet, persönlich haften, oder nach dem bürgerlichen Recht zur Leistung oder zur Duldung der Zwangsvollstrekkung verpflichtet sind5 • Hinsichtlich der Zwangsvollstreckung gegen den Staat und sonstige Träger öffentlicher Verwaltung bestehen im Hinblick auf ihre öffentlichen Aufgaben z. T. auch hier besondere Beschränkungen (vgl. o. § 36 Ziff. II). Für die Bundesbahn gilt nach dem BundesbahnG vom 13. Dezember 1951, § 39, daß die zwangsweise Entziehung oder Beschränkung des Rechts an Teilen des Sondervermögens "Deutsche Bundesbahn" nur mit Zustimmung der Bundesregierung zulässig ist und die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung, soweit nicht dingliche Rechte verfolgt werden, erst vier Wochen nach dem Zeitpunkt beginnen darf, nachdem der Gläubiger seine Absicht, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, der zur Vertretung der Bundesbahn berufenen Behörde 3 Vgl. dazu den Erl. betr. Bestimmung der Oberpostdirektionen und der Ämter der Bundespost zu Vollstreckungsbehörden v. 2. Mai 1953 (BAnz. Nr. 87) u. den Erl. betr. die Bestimmung der Wasser- u. Schiffahrtsdirektionen zu Vollstreckungsbehörden für die bundeseigene Wasser- u. Schiffahrtsverwaltung v. 1. Mai 1953 (GMBI. S. 117); § 4 pr. VO. 4 Vgl. § 6 pr. VO, Art. 12, 13 a württ. G, §§ 8 ff., 18 ff. bad.VollzVO. 5 Nach bad.R auch gegen denjenigen, der sich gegenüber der mit der Pfändung oder der Einziehung der Forderung betrauten Behörde zur Entrichtung des Forderungsbetrages verpflichtet hat: § 1 bad.G i. d. F. v. 8. Juni 1914.
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§ 38. Die Zwangsvollstreckung wegen öff.-rechtlicher Geldforderungen
angezeigt hat; der Pfändung nicht unterworfen sind solche Sachen, die zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Bundesbahn unentbehrlich sind; diese Bestimmung ist durch •§ 882 a Abs. 4 ZPO i. d. F. des G vom 20. August 1953 (BGBl. I S. 952) ausdrücklich aufrechterhalten worden. Vgl. für den Bereich der Bundespost das Pfändungsverbot hinsichtlich der ordentlichen Posten, Extraposten, Kuriere und Estafetten usw. §§ 18 f PostG. Ebenso ist jetzt allgemein durch diese neue Bestimmung des § 882 a ZPO für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestimmt, daß die Zwangsvollstreckung gegen den Bund oder ein Land wegen einer Geldforderung, soweit nicht dingliche Rechte verfolgt werden, erst 4 Wochen nach dem Zeitpunkt beginnen darf, in dem der Gläubiger seine Absicht, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, der zur Vertretung des Schuldners berufenen Behörde und, sofern die Zwangsvollstreckung in ein von einer anderen Behörde verwaltetes Vermögen erfolgen soll, auch dem zuständigen Minister der Finanzen angezeigt hat, vom Vollzug einer einstweiligen Verfügung abgesehen; die Zwangsvollstreckung ist unzulässig in Sachen, die für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben des Schuldners unentbehrlich sind oder deren Veräußerung öffentliche Belange entgegenstehen. Diese Vorschriften gelten auch für die Zwangsvollstreckung gegen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichenRechts (mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichenBanken und Kreditanstalten) mit der Maßgabe, daß an die Stelle der bezeichneten Behörde die gesetzlichen Vertreter treten. Nach § 15 Ziff. 3 EG zur ZPO i. d. F. vom 20. August 1953 (BGBl. I S. 959) bleiben jedoch unberührt die landesgesetzlichen Vorschriften über die Zwangsvollstl!eckung wegen Geldforderungen gegen einen Gemeindeverband oder eine Gemeinde, soweit nicht dingliche Rechte verfolgt werden. Jene Vorschriften werden in Ermangelung besonderer Vorschriften auch auf die Zwangsvollstrekkung wegen öffentlich-rechtlicher Geldforderungen entsprechend anzuwenden sein. Hinsichtlich der Gemeinden bestimmte§ 116 DGO, daß der Gläubiger vor Einleitung der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung einer Zulassungsverfügung der Staatsaufsichtsbehörde bedarf; ebenso bestimmt jetzt z. B. § 127 bad.-württ. GO vom 25. Juli 1955, daß zur Einleitung der Zwangsvollstreckung gegen die Gemeinde wegen einer Geldforderung der Gläubiger einer Zulassungsverfügung der Rechtsaufsichtsbehörde bedarf, soweit es sich nicht um die Verfolgung dinglicher Rechte handelt; in der Verfügung hat diese Behörde die Vermögensgegenstände zu bestimmen, in welche die Zwangsvollstreckung zugelassen wird, und über den Zeitpunkt zu befinden, in dem sie stattfinden soll; die Zwangsvollstreckung regelt sich nach den Vorschriften der ZPO; ein Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinde findet nicht statt. Entsprechendes gilt für die Landkreise (§ 44 Abs. 2 bad-württ. LKO v. 10. Oktober 1955, GBl. S. 207).
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c) Voraussetzungen der Einleitung des Vollstreckungsverfahrens sind jetzt nach dem VwVG vom 27. April 1953 im Bereiche der Bundesverwaltung: a) der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist; b) die Fälligkeit der Leistung; c) der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, nach Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit6 • Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden. Wegen der Vollstreckungsbehörden vgl. o. Buchst. a). Eingeleitet wird die Vollstreckung gegen den Vollstreckungsschuldner durch die Vollstreckungsanordnung; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht. Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf(§ 3 d G). Eine vollstreckbare Ausfertigung ist auch im übrigen landesrechtlich für die Verwaltungsbescheide im allgemeinen nicht erforderlich, soweit nichts anderes bestimmt isF. Die zu vollstreckenden Verwaltungsbescheide gelten als ohne weiteres vollstreckbare Titel; jedoch kann die Vollstreckbarkeit zur Voraussetzung haben, daß der Verwaltungsbescheid unanfechtbar geworden ist oder das Gericht ihn für vorläufig vollstreckbar erklärt hat (vgl. z. B. § 52 BLeistG i. d. F. vom 27. September 1961, BGBl. I S. 1770, § 20 SchutzbereichsG vom 7. Dezember 1956, BGBl. I S. 899). Der Zwangsvollstreckung bzw. Anordnung der Vollstreckung soll im allgemeinen eine Mahnung des Pflichtigen vorausgehen, in der eine bestimmte Zahlungsfrist zur Leistung bestimmt ist (vgl. z. B. § 7 pr. V0) 8 • Nach Ablauf der Frist wird dann die Zwangsvollstreckung verfügt durch Übergabe der Vollstreckungsverfügung und schriftliche Weisung der Vollstreckungsbehörde an den Vollstreckungsbeamten und von 6 Nach § 326 Abs. 5 RAbgO darf die Zwangsvollstreckung erst beginnen, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Verfügung, kraftderen er zur Zahlung aufgefordert wird, bekanntgegeben und seitdem, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, mindestens eine Woche verstrichen ist. 7 Nach § 4 bad. VollzugsVO i. d. F. v. 9. Mai 1923 gilt die schriftliche Verfügung der die Vollstreckung anordnenden Behörden oder Beamten (Vollstreckungsbehörden), daß wegen eines bestimmten Forderungsbetrages gegen eine bestimmte Person die Zwangsvollstreckung zu erfolgen habe, als vollstreckbare Ausfertigung i. S. der ZPO (was insb. bei der Vollstreckung durch Gerichtsvollzieher von Bedeutung ist). Vgl. auch § 20 SchutzBerG (Vollstreckbare Ausfertigung des EntschädigungsFestst.Besch. durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts). 8 z. T. können auch ähnlich wie im bürgerl. Mahnverfahren nach der ZPO wegen aller öff.-rechtl. Forderungen bedingte Zahlungsbefehle von den Verw. Behörden erlassen werden, die, wenn nicht binnen einer Woche Widerspruch erhoben wird, auf Antrag des Forderungsberechtigten für vollstreckbar zu erklären sind. Vgl. das Nähere in § 3 bad.Vollstr.VO v. 27. Jan. 1900. Dagegen stellt der "Zahlungsbefehl" des württ.R. (Art. 11) bloß eine Mahnung dar. Für das pr.R. vgl. noch Wiethaup, Über das VerwZwVerf. z. Beitreibung von Geldbeträgen, in DVBl. 1953, S. 135 ff.
1000 § 38. Die Zwangsvollstreckung wegen öff.-rechtlicher Geldforderungen diesem ausgeführt. Dem Schuldner und Dritten gegenüber wird der Vollziehungsbeamtezur Vornahme der Zwangsvollstreckung durch den ihm erteilten und auf Verlangen einer beteiligten Person vorzuzeigenden schriftlich·en Auftrag der Vollstreckungsbehörde ermächtigt9 • Z. T. ist auch eine vorläufige Vollstreckbarkeitserklärung vorgesehen; vgl. § 20 SchutzbereichsG, § 52 BLeistG, § 205 BEntschG i. d. F. vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 559), §§ 31 f. BWassStrReinhG vom 17. August 1960 (BGBl. II S. 2125).
d) Die Zwangsvollstreckung 1) Bei der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen erfolgt die Pfändung und Versteigerung von Fahrnissen durch den Vollziehungsbeamten, ferner die Pfändung von Forderungen durch Zustellung eines Zahlungsverbotes an den Drittschuldner und gleichzeitigen Erlaß eines Verfügungsverbots an den Schuldner mit Überweisung zur Einziehung10 und ebenso die Pfändung und Überweisung sonstiger Rechte durch die Verwaltungsbehörde selbst (in Baden freilich durch das Amtsgericht auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde). Im übrigen ist die nähere Regelung des Verfahrens regelmäßig den eingehend geregelten Vorschriften der ZPO oder der RAbgO über die Zwangsvollstreckung nachgebildet11 oder es sind diese Gesetze für entsprechend anwendbar erklärt 12 , soweit nichts Besonderes bestimmt ist. 2) Bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, d. h. in Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte, erfolgt die Zwangsvollstreckung durch Zwangsverwaltung, Zwangsversteigerung oder Eintragung einer Sicherungshypothek (dies auf Grund einer Vollstreckungsverfügung mittels Antrags beim zuständigen Grundbuchamt) nach den Vorschriften der ZPO (vgl. §§ 864 ff.) und des ZwangsversteigerungsG 13 • "Die beitreibende Behörde tritt in die Rolle des Vollstreckungsgläubigers und hat die nach §§ 864 ff. ZPO erforderlichen Anträge zu stellen" 14 ; wie nach§ 372 RAbgO wird hier nur das Ersuchen von der Vollstreckungsbehörde auf Einleitung der Vollstreckung an das Amtsgericht als das
Vgl. § 13 pr.VO. Die Verwirklichung der Forderung ist dann Sache dessen, dem die Forderung oder das Recht überwiesen worden ist. Dies gehört nicht mehr zum Zwangsverfahren, das vielmehr mit der Überweisung zur Einziehung abgeschlossen ist. Sie kann daher auch nicht etwa mittels polizeilicher Verfügung erzwungen werden, sondern ist ggf. durch Klage gegen den Drittschuldner vor dem ordentlichen Gericht durchzuführen. Vgl. Art. 77 pr. AusfAnw. u. Pr.OVG, Bd. 50, S. 255. 1 1 So § 5 VwVG und die pr. VO. 12 So das bad.G. 13 Nach der pr. VO (§51) sind Anträge auf Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung nur zulässig, wenn feststeht, daß durch Pfändung die Beitreibung des Geldbetrages nicht erfolgen kann. So auch § 372 Abs. 2 RAbgO. 14 So zutr. Forsthoff VerwR Bd. 1, S. 269. D
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Vollstreckungsgericht gestellt; wegen der Schwierigkeit und Umständlichkeit des Verfahrens soll die Durchführung den auch sonst mit dieser Art der Zwangsvollstreckung betrauten und vertrauten Vollstreckungsgerichten überlassen werden. e) Die Kosten der Vollstreckung (Gebühren und Auslagen) fallen dem Pflichtigen zur Last und sind zugleich mit dem beizutreibenden Hauptanspruch beizutreiben15 • Aus dem Reichs-(Bundes-)Recht, wo in Ermangelung näherer reichs(bundes-)rechtlicher Vorschriften regelmäßig auf das von Landesbehörden durchzuführende landesrechtliche Zwangsverfahren verwiesen wird, sei noch besonders angeführt die Bestimmung des§ 28 RVO: Beitr·eibung von Rückständen in der Reichsversicherung wie Gemeindeabgaben; vgl. ferner auch noch§ 754 a bezüglich der Unfallversicherung, sowie §§ 446, 887; desgl. § 23 Abs. 2 DGO (Beitreibung einer wegen einer ohne wichtigen Grund erfolgten Ablehnung oder Niederlegung einer ehrenamtlichen Tätigkeit in der Gemeinde ausgesprochenen Buße im Verwaltungszwangsverfahren; vgl. jetzt entsprechend§ 16 bad.-württ. GO wegen des verwirkten Zwangsgeldes); desgl. § 93 Erste WasserverbandsVO vom 3. September 1937 (Vollstreckung der auf Gesetz oder Satzung beruhenden Forderungen des Wasser- und Bodenverbandes im Verwaltungswege, wobei der Vorsteher des Wasser- und Bodenverbandes Vollstreckungsbehörde ist, soweit sie nicht eine andere Vollstreckungsbehörde bestimmt; dabei können sie sich der Mitwirkung eines Gerichtsvollziehers oder eines anderen Vollstreckungsbeamten bedienen); desgl. § 136 FlurbereinigungsG vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 591,) wonach für die Vollstreckung von Geldforderungen die§§ 1-5 VwVG vom 27. April 1953 sinngemäß anzuwenden sind und die Geldforderungen der Teilnehmergemeinschaft im Verwaltungszwangsverfahren wie Gemeindeabgaben vollstreckt werden); desgl. § 122 BBauG vom 23. Juni 1960 (wegen vollstreckbarer Titel im Enteignungsverfahren); desgl. § 9 VO über das Schornsteinfegerwesen vom 28. Juli 1937 (RGBl. I S. 831, 1134, wonach die Kehrgebühren eine öffentliche Last des Grundstücks und vom Grundeigentümer zu tragen sind und rückständige Gebühren nach Feststellung durch die Aufsichtsbehörde wie Gemeindeabgaben beigetrieben werden, während Streitigkeiten über Kehrgebühren die Aufsichtsbehörde entscheidet). Wegen der Möglichkeit der Anordnung eines Arrestes zur Sicherung von Ansprüchen vgl. o. § 36 Anm. 6.
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Vgl. § 16 pr.VO, § 19 VwVG.
Siebenter Abschnitt
Die Verwaltungsstrafe § 39. Die Verwaltungsstrafe 1 I. Im allgemeinen Bei der Verwaltungsstrafe handelt es sich um ein Übel, das die Verwaltungsbehörden wegen eines nicht verwaltungsmäßigen, polizei- oder sonst verwaltungswidrigen, Verhaltens auf Grund gesetzlicher Vorschrift verhängen, in der Weise, daß die Entscheidung darüber zum mindesten in der ersten Rechtsstufe den Verwaltungsbehörden zusteht, unbeschadet der Möglichkeit der Anrufung der Gerichte, insbesondere der Verwaltungsgerichte, in weiterer Rechtsstufe. Die Erkenntnis der Verschiedenheit des sog. Verwaltungsstrafrechts gegenüber dem Strafrecht im eigentlichen Sinne hat sich erst allmählich durchgesetzt. Handelt es sich beim Strafrecht im wesentlichen um einen Rechtsgüterschutz durch Bekämpfung rechtswidrig die Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des einzelnen (Leib und Leben, Ehre, Freiheit und Vermögen) verletzenden oder unmittelbar gefährdenden, in einem Rechtssatz durch die Gemeinschaft mißbilligten sachlichen, d. h. sittlichen, Unrechts mit einer durch Richterspruch aufzuerlegenden Sühne zur Sicherung der "Lebensbedingungen der menschlichen Gemeinschaft", so beim Verwaltungsstrafrecht in erster Reihe um die Bekämpfung eines die auf das allgemeine Wohl gerichteten staatlichen Zwecke der Verwaltung störenden und insoweit verwaltungswidrigen Verhaltens 2 durch ein von den Verwaltungsbehörden aufzuerlegendes Übel. Daher empfiehlt sich die Ausscheidung der Ahndung solchen verwaltungswidrigen Verhaltens - abgesehen von schwereren Verstößen - aus dem Bereiche des Strafrechts (z. B. im Sinne von bisherigen Übertretungen des Strafrechts, wie insbesondere in Tit. 29 des 2. Teils des StGB) und die Überführung in ein eigenartiges Verwaltungsstrafrecht sowie die Überlassung der V,erhängung von Ver1 Vgl. Goldschmidt, Verw.StrafR (1902), insb. S. 527 ff. u. ders., "Begriff und Aufgabe eines Verw.StrafR" in Goltdammers Arch. f. StrafR. 49. Jg. S. 71 ff.; Hoffacker, Über Verw.StrR, in Verw.Arch. Bd. 15, S. 404 ff. 2 Vgl. Brunner- v. Schwerin, D. RGeschichte, Bd. 2, 2. A. (1928), S. 46 ff., Goldschmidt, Verw.StrfR S. 1 ff.; Graf zu Dohna, Beziehungen u. Begrenzungen von StrafR u. VerwR im VerwR, in VerwArch. Bd. 30, S. 233 ff.
Die echte Verwaltungsstrafe
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waltungsstrafen an die Verwaltungsbehörden, vorbehaltlich der Nachprüfung regelmäßig im Verwaltungswege und verwaltungsgerichtlichen Weg unter Ausschaltung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte (vgl. jedoch auch u. Ziff. II b). Man kann so unterscheiden zwischen Verwaltungsstrafe im sachlichen oder echten Sinne und Verwaltungsstrafe im nur förmlichen oder unechten Sinne; während die echte Verwaltungsstrafe sich durch ihre Eigenart von der Strafe im strafrechtlichen Sinne unterscheidet (vgl. u. Ziff. II), wird die unechte Verwaltungsstrafe zwar auch von den Verwaltungsbehörden verhängt, wie die echte, aber es handelt sich dabei um eine Strafe im strafrechtlichen Sinne (vgl. u. Ziff. III). Als älteste Art der Verwaltungsstrafe erscheint im deutschen Recht die in der Banngewalt des Königs enthaltene Befugnis, auf Grund geltenden Rechts (Herkommens oder Gesetz) bei Strafe zu gebieten oder zu verbieten, sei es - was hier nicht weiter in Betracht kommt - im Einzelfalle durch Verfügung (Verwaltungsbann), sei es in allgemeiner Weise mit allgemeinen Vorschriften durch Verordnung (Verordnungsbann)3; vgl. darüber, daß sie auch den Ausgangspunkt für das Zwangsgeld gebildet hat, o. § 37. Die Verwaltungsstrafe i. e. S. hat mehr und mehr namentlich die frühere strafr·echtliche, durch polizeiliche Strafverfügung verhängte, Übertretungsstrafe für den Bereich der Verwaltung verdrängt. Der Vorzug, vom Standpunkte der Verwaltung aus betrachtet, ist der, daß die Verwaltungsbehörden hier im Zusammenhang mit der ihnen obliegenden Verwaltungstätigkeit Übel bestimmter Art bei verwaltungswidrigem Verhalten selbst verhängen und hierbei entsprechend den Belangen der Verwaltung nach pflichtmäßigem Ermessen vorgehen können. II. Die echte Verwaltungsstrafe Dahin gehören: a) D a s Z w a n g s g e l d Einen entscheidenden Schritt in dieser Richtung hat das pr. PVG vom 1. Juni 1931 getan, indem es die Polizeistrafe im Sinne einer strafrechtlichen Strafe grundsätzlich im Gebiete des Polizeirechts beseitigt hat. Ausgenommen waren nur einmal die Fälle, in denen gesetzlich eine Übertretungsstrafe, wie in Tit. 29 des 2. Buchs des StGB und sonst vorgesehen ist (vgl. § 76 Abs. 2 pr. PVG), wie z. B. bei sog. Blankettstrafrechtssätzen (vgl. z. B.