Abhandlungen und Aufsätze: Erster Band [1]

Zum Rehabilitierung der Tugend Das Ressentiment im Aufbau der Moralen Zum Phänomen des Tragischen Zur Idee des Menschen

123 89

German Pages 367 [388] Year 1915

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Abhandlungen und Aufsätze: Erster Band [1]

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lANDLUNG IBWAAREN

MVMOSEL

special

^oak

(üollcction

'The search for truth even unto

its

innermost parts'

In Honor of

25th Anniversary of

Dr. and Mrs. Melvin L. The

Afremow

Gift of

Mrs. Walter

E .Ehnnan

Brandeis University National

Women's Committee

ABHANDLUNGEN UND AUFSÄTZE VON

MAX SCHELER ERSTER BAND

U\' I

9

I

5

VERLAG DER WEISSEN BÜCHER LEIPZIG

/r/r

COPYRIGHT

1916

BY VERLAG DER WEISSEN BÜCHER,

LEIPZIG

MEINER LIEBEN FRAU

MÄRIT

203861

INHALT DES ERSTEN BANDES Seite

IX

Vorrede Zur Rehabilitierung der Tugend

Das Ressentiment im Aufbau der Moralen

Zum Phänomen

des Tragischen

Zur Idee des Menschen

1

...

39

275 317

VORREDE. Abhandlungen und Aufsätze, DIE nachfolgenden geäußerten Wunsch von auf vielfach

die ich

Freunden, Schülern und Mitforschern in zwei Bänden vereinigt der Öffentlichkeit übergebe, sind zwischen

den Jahren 1912 und Frühling 1914 geschrieben worden. Sie entstammen also sämtlich der Zeit vor dem Kriege. Ihre Kernbestandteile sind an verschiedenen

Orten,

einige

in

wissenschaftlichen

Zeitschriften,

an eine weitere Öffentlichkeit wenden, in genannter Zeitspanne erschienen. Dies macht erklärlich, daß sie teils in strenger geeinige in Organen, die sich

Gewände von Methode und Stil einen zusammenhängenden Gedankenkreis dem Leser vermitteln wollen, und daß sie zum Teil schürztem,

teils in

loserem

Probleme in rein theoretischer Einstellung, zum Teil aktuelle Fragen in der Richtung einer Neuzeitlose

formung unseres Lebens behandeln. sind gegenüber der

Form

Alle Aufsätze

ihres erstmaligen Erschei-

nens erweitert, einige in erheblichem Maße. Abschnitt:

»Zur Psychologie und

Ressentiment«

ist

Soziologie

Der des

neu geschrieben.

IX

Bei aller Verschiedenartigkeit der Themen, die be-

handeh werden,

und Form der Inangriffnahme der Sachen und die Methode ist

nicht nur die Art

des Vorgehens, sondern auch der inhaltHche systema-

Anschauungs- und Gedankenkreis, der überall den Hintergrund der gefundenen Resultate bildet, tische

ein streng einheitliches Ganzes.

Bloßer Essay- oder gar moderner Aperguphilosophie zu dienen, lag mir so ferne wie nur möglich.

Nur

Form, in der hier jedes Problem gestellt erscheint, daß alle Systemeinheit und alle Architektonik des Gedankens dies bedeutet die isolierende

aus der Tiefe jedes behandelten Sachgebietes neu

zu entquellen habe, keinem Gebiete also konstruktiv

und von oben her aufgepreßt werden

dürfe.

An

diesem vorschwebenden Ideale ermißt sich wahre Einheit von Gedanke, Welt

und Person

eines Schrift-

stellers.

Die von lierte

Edmund

Husserl zuerst scharf formu-

»phänomenologische

Einstellung«,

vermöge

und Grundbegriffe auf ihre und wesensmäßigen Erlebnisgrundlagen zurückgeführt werden, beherrscht der Hauptsache nach auch diese Aufsätze. Um diese Einstellung und Methode in der Reinheit ihres Gefüges genauer kennen zu lernen, verder alle unsere Welt-

letzten

weise ich den Leser auf das »Jahrbuch für Philosophie

X

und phänomenologische Forschung«, heraus-

Edmund

gegeben von

Husserl in Gemeinschaft mit

Moritz Geiger, Alexander Pfänder, Adolf Reinach,

Max

Band I, Teil 1 und 2, 1913, Halle, und den im Erscheinen begriffenen

Scheler,

Niemeyer,

Band

II

(1915).

im Jahrbuch befindlichen (siehe Band I, Teil 2 und Band II), der Grundlegung der Ethik gewidmeten Abhandlung des Verfassers: »Der FormaIn der

Ethik und die materiale Weitethik« sind ebensowohl die methodischen Grundsätze einer

Hsmus

in der

phänomenologischen Philosophie,

als

Rangordnung der Werte eindringend

die

positive

erörtert,

welche

den in den Aufsätzen häufig stillschweigend vorausgesetzten Standort für die Kritik unserer Zeit ihres Ethos,

und

für die

Wegweisungen

ins

und

Rechte

bilden, welche diese Aufsätze in sich enthalten.

Inwiefern

das

gewaltige Ereignis in der mora-

lischen Welt, das der nun die Gedanken der Zeit be-

schattende und die

zum Teile neuformende

Krieg bildet,

europäischen Daseinsformen in eben dieselbe

Richtung der Entfaltung machtvoll hineinzureißen scheint, welche der Geist dieser Aufsätze vor

Kriege zu erteilen sich bemühte,

ist

dem

im Buche: »Der

Genius des Krieges und der Deutsche Krieg« (Leipzig, 1915)

vom

Verfasser kürzlich entwickelt worden,

Berlin, Januar 1915.

MAX SCHELER.

ZUR REHABILITIERUNG DER TUGEND.

ZUR REHABILITIERUNG DER TUGEND. durch DASundWort TugendApostrophen, welche

die pathetischen

ist

rührseligen

die Bür-

ger des 18. Jahrhunderts als Dichter, Philosophen

und Prediger an

sie richteten, so

daß wir uns eines Lächelns

mißliebig geworden,

kaum erwehren können,

Es genügt unserem Zeitalter der Arbeit und des Erfolges, von »TüchtigDazu sind die Tugenden unserer keit« zu reden. Zeit so ausgesprochen häßlich, vom Menschen so los-

wenn wir

es

gelöst, so sehr

hören oder

lesen.

zu Regeln der selbständigen lebendigen

Ungeheuer geworden, die wir das »Geschäft« oder »Unternehmung« nennen, daß die Menschen von Geschmack die Tugend höchstens wortlos pflegen, eifrig

darauf bedacht, solches wenigstens nicht in

die Erscheinung treten zu lassen^).

Falsches Pathos,

mit dem eine Sache angebiedert wird, läßt

sie

auf

Dauer nicht unbeschmutzt. Warum sollte die Tugend hiervon eine Aus-

die

')

I.

1*

Vgl.

den folgenden Aufsatz über den Bourgeois.

Und doch war

nähme machen ?

diese alte, keifende,

zum

zahnlose Jungfer zu anderen Zeiten, in der Blüte des Mittelalters

und Römern vor der mutiges,

Während man heute

bei

bei

den Hellenen

ein höchst an-

Kaiserzeit,

und

anlockendes

und

Beispiel

Wesen.

charmevolles

dem Worte an

eine

Kraftanstrengung im Verhalten von

liche

Etwas denkt, was nicht

für andere Leute

ist,

pein-

irgend

sprach

man in jenen Zeiten gern vom »Glänze« der Tugend, vom »Schmucke«, den sie gewähre, und verglich sie mit den köstlichsten Edelsteinen.

Symbol des Heiligenscheines

Das

christliche

läßt sie aus der Tiefe

und bringt die Idee, daß die Güte und Schönheit der Tugend nicht im Handeln für Andere, sondern an erster Stelle in dem hochgearteten Sein und Wesen der Seele selbst beruhe, und für die Anderen höchstens beiläufig als Beispiel von Bedeutung sei, zur Sichtbarkeit. der Person selbsttätig herausstrahlen

»nehmen« können, nicht das »man gibt«. Die Tugend ist uns

Als Beispiel, eines,

als

das

sie

sich

vor allem darum so unleidlich geworden, weil wir sie

nicht

seliges

Tun

mehr

als

ein

dauernd lebendiges, glück-

Könnens- und Machtbewußtsein zum

und gleichzeitig für unsere Individualität, allein Rechten und Guten verstehen, als ein Machtbewußtsein, das frei aus unserem Sein

eines in sich selbst,

selbst

hervorquillt,

sondern

bloß

als

eine

dunkle unerlebbare »Disposition« und Anlage, nach

irgendwelchen deln^).

Und

vorgeschriebenen

sie

ist

Regeln

zu

han-

so reizlos geworden, weil nicht

nur ihre Erwerbung, sondern auch sie selbst uns als das Schwere gilt, während doch nur der Mangel

an Tugend oder das Laster das Gute schwer und schweißig macht; ihr Besitz aber auch jeglicher guten Handlung die frei herausflatternde Erscheinung eines lieblichen Vogels verleiht; sie ist es geworden,

weil

wir

sie

durch ein fortgesetztes Tun unserer

während sie doch das äußerste Gegenteil aller Gewohnheit ist und erst das Maß ihres, ihr innewendigen Adels es ist, was überhaupt »verpflichten« kann, und was die Rangstufe und Qualität und die Fülle unserer möglichen Pflichten von sich aus bestimmt. Heute redet man von der Tugend so, als hätte sie für den Tugendhaften selbst gar keine Bedeutung, und bestehe nur für die Menge der andern, die mit diesem Wortbegriff einen schnellen, abkürzenden Rechnungsüberschlag machen, wie sich wohl derjenige, dem sie sie zubilligen oder bestreiten, gegen sie aller Wahrscheinlichkeit nach benehmen werde. Die noch nicht häßliche Tugend war im Unterschiede von Tüchtigkeiten und Fertigkeiten, die immer Tüchtigkeiten Pflicht für

^)

angewöhnbar

halten,

Die Scholastiker rechnen daher die Tugend zu dem, was

sie

nennen (= qualitas difficile mobilis secundum quam res bene vel male se habet in ordine ad suam naturam, Thomas) und scheiden den »habitus« scharf von der »dispositio«. habitus

und Fertigkeiten

»zu Etwas«, das heißt einer schon

Qualität der PerHandlungen und Werke,

definierten Leistung, sind, eine

son

selbst

— nicht da

»für«

noch gar für die Nutznießung anderer, sondern ein freier

Schmuck

ihres Trägers, etwas wie die

dem Hut; und

auf

jene Willensakte

völlig

Feder

unaufwiegbar durch

und Handlungen,

die

sich

alle

mit

innerer Notwendigkeit aus ihr entluden, in denen

Mochte man auch annehmen, daß vor was man tun müsse, damit mit jedem Schritte leichter und schneller dieses machtvolle Licht im sie überfloß.

das,

Innern aufleuchte, die »Götter den Schweiß gesetzt hätten«, so war doch nicht etwa sie es, was »gewollt« und »erworben« sein sollte; sie selbst galt vielmehr als

das nicht erstrebte »surplus«, als das freie Ge-

schenk der Gnade, für dessen feierlichen Empfang alle

Bemühungen und Anstrengungen des Willens nur die Bereitschaft zur Aufnahme erzeugen sollten. Vor jenen, die ihr außer Atem nachlaufen, vernotwendige

birgt sich die

schmeidiger

Wenn die sie in

so

Tugend noch

als ihre

schnellfüßiger

und ge-

gemeinere Schwester, das Glück.

Griechen die Tugend so reizvoll fanden, daß

Worten wie:

sd

Cr^v,

so^evr^c,

xaXXo7a^''a

usw.

sie

eng mit der unverantwortlichen Schönheit in

Tugend

eins spannten, so lag dies daran,

daß

nicht, wie die Philosophen des

modernen Bürger-

tums,

z.

sie die

B. Kant, zu einer bloßen Wirkung' pflicht-

mäßigen Wollens oder der Disposition 6

für solches

Wollen herabsetzten, — als könne dieses den Menschen je mit Tugend adeln. Es war für sie umgekehrt noch kein leeres Wort, daß es der inne-

Tugend

wendige Adel der

der allererst »ver-

sei,

Ausdehnung und Fülle der Verantwortlichkeit für mögliche Handlungen

pflichte«.

Sie

ist

die

es,

bestimmt; aber für ihren Besitz oder Nichtbesitz trug niemand

Verantwortung.

Ihre

Fülle

innere

drängte nach immer weiterer Ausdehnung der Ver-

antwortung, so daß derjenige, der Steigerung besaß, sich für alles,

Welt geschah,

leise

ein spezifischer

sie in

heiligmäßiger

was überhaupt

mitverantwortlich fühlte.

Mangel an Tugend

in der

Und als

galt es, die Ver-

antwortlichkeit möglichst abzustoßen, nur auf das eigene

Tun und

in

ihm wieder auf einen möglichst

engen Kreis dessen, was

man

»nicht als befohlen

nachweisen kann«, zu begrenzen. nicht,

daß

sie gleich einer

angesehen wurde, wie

Naturanlage

sie die

»Anlagen«

sind

als

angeboren

bloßen Reaktionäre

Zeiten bezeichneten, denen

Jene

Das aber besagt aller

Sokrates widersprach.

nur

solche

zu

gewissen

Tüchtigkeiten, sind familienhaft, stammhaft, volk-

Tugend hingegen ist als ein lebendiges Machtbewußtsein zum Guten ganz persönlich und individuell. Diese erlebte Macht selbst galt als besser als dasjenige, »wozu« sie Macht war, und als dynalich:

misch größer

zum Tun

als

die

Summe

jedes einzelnen Guten.

der Anstrengungen

Mit

dem Tugend-

Wachstum werden jene Anstrengungen verlieren eben

geringer

und

damit die Häßlichkeit, die in jeder Das Gute wird schön, indem es

Anstrengung

liegt.

leicht wird.

Das sogenannte Sittengesetz und

Pflicht sind hingegen nur unpersönliche

die

Surrogate

mangelnde Tugenden. Pflichten sind übertragTugenden sind es nicht. Darum müssen wir uns die Güte Gottes als völlig anomisch vorstellen und alles seinem absolut unbeirrbaren sittlichen Takte überlassen denken, der ohne Regel nur von Fall zu Fall urteilt.

für

bar,

Es wird Zeit, daß wir aufhören, nur

die Opponenten

jener faden Bürger des 18. Jahrhunderts zu sein

und

Tugend lächerlich zu machen. Wer verfolgt, der folgt. Es ist schließlich eine innerbourgeoise

darum

die

Angelegenheit, daß der eine Teil der Bourgeois die

Tugend zu einem alten Weibe machte, um sie dann anzuhimmeln, und daß der andere Teil einen besseren Geschmack zeigte. Was kümmern uns die Bourgeois und ihre sonderbaren Meinungen, mit denen sie zeitden Gang der Weltgeschichte unterbrachen? Suchen wir auch für die Tugend wieder den welt-

weilig

historischen Horizont!

DIE DEMUT. Von den neuen Haltungen die

des

Gemüts, welche

Erscheinung Christi hervorgebracht und mit dem

Glänze göttlicher Glorie umkleidet hat, diejenige, die



sowohl gegenüber der antiken lichen

Tugendhaltung

die tiefste Paradoxie



und

Demut

ist

schönste

die

die die

der

Tugenden.

christlichen

Die

Die

und

verborgenste

die

Demut

die

modern-bürger-

als der

stärkste Antithese verkörpert. zarteste,

ist

und verstanden

recht gesehen

Demut

(humilitas)

ein

ist

stetiges

inneres

Pulsen von geistiger Dienstbereitschaft im Kerne unserer Existenz, von Dienstbereitschaft gegen

und

Dinge, die guten

die bösen, die schönen

häßlichen, die lebendigen

und

toten.

innere seelische Nachzeichnung der

Bewegung

alle

und

Sie ist die

einen großen

des Christlich- Göttlichen, in der es sich

Hoheit und Majestät begibt, zum Menschen kommt, um jedermanns und aller Kreatur freier und seeliger Knecht zu werden. Indem wir freiwillig seiner

Bewegung mitvollziehen und all unser Selbst, all seinen möglichen Wert und seine Achtbarkeit und Würdigkeit, die der Stolze fest umklammert, diese

loslassend,

uns

selbst

— — geschehe aber

»dahingehen« Mitvollzug

wahrhaft

angstlos,

und

ernstlich in

uns

es

zum

könne der als

Heile dienen,

einer

— sind

Auf das echte »Loslassen« unseres

seines die

mit

hierbei

Bewegung

göttlichen

»göttlichen« auch uns nur

Selbst

uns

dunkel vertrauend,

jener

wir »demütig«.

was

»verlieren«,

Wertes,

auf das Wagnis,

sich

fürchterliche Leere hinauszu-

schwingen, die jenseits

aller Ichbezüglichkeiten,



der

bewußten und halbbewußten gähnt, eben darauf kommt es an! Wagt es, euch dankbar darüber zu verwundern, daß ihr nicht nicht seid, daß überhaupt und nicht lieber Nichts ist! Wagt es, Etwas ist



zu verzichten auf

alle eure

inneren vermeintlichen

»Rechte«,

auf eure »Würdigkeiten«, auf eure »Ver-

dienste«,

auf

aller

Menschen

meisten aber auf eure »Selbstachtung« lichen Anspruch, irgendeiner Art

zu sein und

So

fassen:

es

anders



,

am

auf jeg-

von Glück »würdig«

nur geschenkt aufzu-

als

erst seid ihr



Achtung,

demütig!

Die äußerste Antithese enthält die »Demut« gegen die Vernunft-

und

Haltung des römischen Methode, so zu handeln, daß

sittenstolze

Stoikers,

gegen die

man seine

Selbstachtung, daß

und »Würdigkeit« verliere.

man die »Souveränität«

seines Selbst

Darum auch gegen

bewahre und nicht Moralisten

die

des

18. Jahrhunderts, die nicht ohne feines Kongeniali-

täts-

oder

haltung

der

Konkommunitätsgefühl spätrömischen



die

Lebens-

Bourgeoisphilosophie

wieder aufnahmen insbesondere gegen Kants »Autonomie der Pflicht«. »Wir wollen, mein lieber Lucilius,

dem Glücke

selbst

die

Würdigkeit vor-

ziehen es zu besitzen«, läßt Addison seinen »Stoiker« sagen.

Auch

einen Grundgedanken der Ethik Kants

gibt dieser Satz wieder.

Eben

dieser Satz ist

christlichem Gefühl nicht halbrichtig, nicht 10

nach falsch



er ist teuflisch.

Jedes Glück, das niedrigste noch,

die kleinste Lust, die deine

Nerven berührt, wie

tiefste Seligkeit, die sich in dir

die

ausbreitend dich und

Dinge in das Licht Gottes führt, nimm dankbar an und bilde dir nie ein, auch nur den kleinsten Teil zu »verdienen«, lautet das Gebot der Demut. alle

Gibt es reinere Liebe, des Liebens, ja selbst

als

dem Andern

die Seligkeit

den Dingen, die uns auch nur

zupaß kommen, den Anschein einer geauch da noch, wo die wissen Güte zu gönnen Welt einen sogenannten »Anspruch der Gerechtigkeit« für den Dienst statuiert, den uns jener nur aus zufällig



Liebe

oder den die Dinge uns zufällig ver-

leistet,

sehen, wie der Stuhl, der dasteht,

oder

setzen wollen,

wenn wir uns wenn wir

der Sonnenschein,

keinen Regenschirm haben?

Und

verdient es nicht

auch noch Dank, daß die Welt einen Gerechten enthält, wenn er zufällig »gerecht« gegen uns handelt ?

Es

ist

nicht richtig, daß christliches Ethos jeglichen jegliches

Stolz,

dienst, stolz ist

Streben nach Achtung, nach Ver-

nach Würde verdamme.

zu sein

Es ist natürlich, und Besitz. Es Reichtum auf seinen

natürlich, stolz zu sein auf seine Schönheit, auf

die

und

Schönheit und Wohlgeratenheit seines Weibes seiner Kinder.

auf seinen

Es

Namen und

ist

natürlich, stolz zu sein

seine Herkunft.

Arten des Stolzes, welche die Stoiker sind

sinnvoll

und

vernünftig.

Diese

Eben diese verdammen, Güter sind 11

um

irdisch genug,

den Stolz auf

sie

zu vertragen.

Es gibt nur einen Stolz, der teuflisch ist: Das ist der Stolz auf den eigenen moralischen als den höchsten Wert, der Sittenstolz oder das Laster des Engels, der

— und

fiel

werden. als

den die Pharisäer ewig nachahmen

Der Stolz der ersten Art, den

die Stoiker

bloße nichtige Eitelkeit asketisch verurteilen,

ist

noch auf einer Art Liebe zu den Dingen auf-

selbst

gebaut, »auf« die

man

stolz ist.

Man

blickt hier

auch noch im Stolz auf diese sich dehnenden Ländereien hin, auf diese zuvorkommenden Grußund Gunstbezeugungen der Vorübergehenden, auf diese Uniform, die

man

trägt als auf Dinge, die noch,

außer unserem Stolzsein auf sie, einen gewissen Eigenwert haben.

Der Stolz der zweiten Art, den

die

Stoiker so vermessen gegen den der ersten ausspielen,



er allein ist jener, der

nach christlichem Gefühl

die

Superbia und den Ursprung des Teufels ausmacht.

Indem selbst

er unheilbar

verarmt und die Welt und uns

uns dunkel macht, indem er das auf sich stolze

Subjekt immer neu über

alle

Dinge und Werte

hinaufspringen macht, bis es mit seiner vollendeten »Souveränität« auf Alles

;

bis auf seine

eben jetzt



herabund Nichtigkeit indem er sukzessiv uns loslöst von allen Gütern

erreichte völlige Leere blickt



und Werten, die der erste »Stolz« noch in sich ruhen und bestehen läßt und das, »worauf« wir eben noch stolz waren, schon im selben Augenblick als eine 12

»einschränkende« Bedingung für den absoluten Stolz,

den Stolz auf unser nacktes und entleertes Ich, beschreibt seine Bewegung genau empfinden läßt,



die Richtung, die in das hineinführt,

mit Recht die »Hölle« nannten.

was

Hölle, das ist der Nichtbesitz der Liebe.

Vakuum

die Christen

Die eigentliche

Und diesem

der Liebe zu bewegt sich der, das Ich

immer

enger und enger einkreisende, das Wertbewußtsein immer stärker und stärker auf den bloßen Punkt des Ich einspannende, Stolz entgegen. Vor lauter

Streben nach »Selbstachtung« und »Unabhängigkeit«

wird das innere Bild,

das der

es

ist,

der es

hat und

schätzt,

trüberen Medium, das ihn schließlich Selbstwissen

von

sich

auch nur schätzt, weil

selbst hat, dessen Inhalt er

Er

Stolze

zum immer dauernd vom

und Selbsterkennen absperrt; wird

Unabhängigkeit

zu

einem

Durchschneiden

die

aller

Lebensfäden, die den also Stolzen mit Gott, Uni-

versum und Mensch verbinden.

»So sprach der

Stolz zu meinem Gedächtnis: dies kannst

Du

nicht

getan haben; da gab das Gedächtnis nach; also habe ich es nicht getan«

(Nietzsche).

Immer einsamer

macht der Stolz, immer mehr zu dem, was Leibniz das Atom schalt: Zu einem deserteur du monde. — Gleicht dieser Sitten-

und

Selbststolze nicht einem

Menschen, der sich in einer Einöde selbst langsam erwürgt

?



Der Stolze

ist

selbst

dazu zu

stolz,

um

auf das 13

Bild, das andere

von ihm haben,

um

auf seine Figur

und Rolle in der Sozietät irgend einen Wert zu legen. Er ist zu stolz um eitel zu sein. Aber die Eitelkeit ist

nur lächerlich, nicht

Sie ist lächerlich,

teuflisch.

weil der Eitle gleichzeitig sich

unbewußt dem

Urteil

derer unterwirft, die er durch seine zur Schau ge-

tragenen Vorzüge zu übertreffen sucht.

So wird

unbewußt das Opfer einer geheimen Sympathie zur Menschheit, indem er bewußt sich aus ihr hervorzuheben und ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken sucht. Das ist es, was ein frohes Lachen verdient, daß er nicht merkt, er diene, wo der Eitle

er

wo

zu herrschen sucht; er verfalle

dem Gemeinen,

ungemein zu sein aspiriert. Der Eitle ist nur oberflächlich und seine Scham ist nicht groß genug, der Tendenz zu steuern, die er nach dem Genuß seines Spiegelbildes trägt. Aber die in der Eitelkeit enthaltene Sympathie so irre sie gehen mag gibt ihr noch den Reiz einer verlaufenen Art von Liebe. Das fehlt dem Stolz, der Tiefe hat wie alles Böse. Kommt die Scham der Tendenz des Sicher





zurschaustellens

unter

fremden Wertmaßstäbe,

geheimer

die

Scham,

sehenen Vorzug

zu

verbergen

zuvor

nennen wir ist

14

gerade

die

trachtet,

dies »Bescheidenheit«.

Denn

sie ist

den

ge-



so

Diese Tugend

ebenso flach wie das Laster flach

verneint.

der

die der Stolze ä priori ver-



achtet

Adoption

ist,

das

sie

nur ein Wettlauf zwischen

und Scham,

Eitelkeit Sie

bei

dem

bewegt

die

Scham

und schon darum

sollte

man

auf die

zielt,

nicht verwechseln.

— Welt

siegt.

Sphäre des Sozialen,

sich ganz in der

sie

mit der Demut, die

Der Stolze: das ist ein Mensch, der durch fortwährendes »Flerabblicken« sich suggeriert, er stehe Jedes faktische Sinken seiner auf einem Turme. Person überkompensiert er mit einem Blick in eine so daß er sich steigen sehen noch tiefere Tiefe muß, wo er tatsächlich sinkt. Er merkt nicht, daß



ihn die Tiefe, die er stets neu ins Auge faßt, eben

dadurch langsam sich

in sich zieht,

hoch zu dünken

sam





daß

anblickt.

Also

in seine eigene Blickrichtung

der Engel.

Diese Blickrichtung

ist

— um langgezogen —

er sie stets

»fällt«

berechtigt, soweit

es sich nur um besitzbare Werte und Güter, um Ämter und Würden handelt und sich die Haltung im sozialen Vergleich bewegt. Dann ist die Haltung nur Hochmut, die Demut des Seins nicht ausschließt. So waren die typischen Herren und Ritter

des Frühmittelalters, so auch die größten Päpste,

äußerst hochmütig und demütig zugleich.

Mischung

ist ein

jener Zeit.

besonderer Reiz des Tugendwesens

Nur etwas

Seins stolz, der auf zielt!

Hölle

die

schließt die

Die

Demut

aus:

Den

Substanz des eigenen Wertes

Dieser eben allein leitet.

Diese

Demut

indem sie den Demütigen

ist

das Teuflische, das zur

aber

tiefer

ist die

und

Tugend,

die,

tiefer sich nieder-

15

und herabsinken

läßt

— vor sich selbst — und durch

sein Selbst hindurch vor in

den Himmel hinein

anderes

als

allen Dingen, geradewegs

führt.

Denn Demut

ist

nichts

der resolute Blick auf die Linien unseres

Selbst, die es

zum

Idealischen seines individuellen

Wesens hinzusteuern scheinen, und deren Schnittin Gott. Sie ist punkt im Unsichtbaren liegt ein fortwährendes Sichsehen »in Gott« und »durch das Auge« Gottes, ein wahrhaftes »Wandeln unter



demAuge des Herrn«. Die großen Damen der Provence, welche die Minnegerichtshöfe leiteten, stellten unter ihren Artikeln auch den Satz auf: »Das Bild des

Geliebten

ist

immer gegenwärtig.«

sich darauf nicht zu »besinnen«, ja

seiner »erinnern«.

Im

Gegenteil

:

Man nicht

Man muß

braucht

mal

sich

künstlich

wegsehen, damit das stets Anwesende und Regsame sich ein wenig verdunkle. Ebenso aber ist für den wahrhaft Demütigen dauernd das »Bild« gegenwärtig, welches er die auf ihn abzielende Bewegung der Liebe Gottes von seiner eigenen Individualität in

jedem Momente neu vorzeichnen und gleichsam vor Wie könnte er anders als in sich hertragen fühlt. jedem seiner empirischen Lebensmomente sich als ganz dunkel und klein wissen vor dem Glänze und der Größe dieses Bildes? Indem er in der Sphäre seines Bewußtseins tiefer und tiefer, im Eindringen in hinabsinkt und sich erniedrigt dies göttliche Bild,



sieht, reißt ihn faktisch das schöne Bild zu Gott 16

empor und

steigt

Wertes empor Die

Demut

mächtig

in

ist ein

allein

der Substanz seines

in

er leise

den Himmel.

das

Modus der Eis

starre

um

Liebe, die sonnenzerbricht,

das

der

immer leerere Ich Nichts Holdseligeres, als wenn die Liebe gürtet. in stolzen Herzen leise die Demut hineinzaubert und das Herz sich öffnen und dahinströmen macht! Der stolzeste Mann und die stolzeste Frau werden noch ein wenig demütig und dienstbereit an alle Dinge, wenn sie lieben. Eben als die duftigste Blüte der christlichen Liebe ist die Demut die christliche Tugend katexochen und in ihrer reinsten Prägung ist sie nur der zarte Schattenriß, den die Bewegung

schmerzensreiche

der

heiligen,

Stolz

gottbezogenen

Und

das

Liebe

auf

die

Seele

Welt und Gott und den Dingen aus Gott heraus, und »die Liebe in Gott« (das »Amare deum et mundum in deo« zurückwirft.

das

ist allein

diese Liebe zur

der Scholastiker), diese schöne Selbsterniedrigung, die

den angeborenen Star unseres Geistes sticht und das volle Licht aller nur möglichen Werte in uns hereinfluten

seinem Wert

macht.

Der

Stolze,

dessen

Auge auf

— wie gebannt — hängt, lebt notwendig

Nacht und Finsternis. Seine Wertewelt verdunkelt sich von Minute zu Minute; denn jeder erblickte Wert ist ihm Diebstahl und Raub an seinem Selbstwert. Also wird er Teufel und Verneiner! Im Gefängnis seines Stolzes eingeschlossen, wachsen und in

1.2

17

wachsen die Wände, die ihm das Tagesheht der Welt absperren. Seht ihr das ich-gierige, eifersüchtige Auge, wenn er die Brauen runzelt? Demut hingegen

Werte der Welt. Sie erst, die davon ausgeht, daß Nichts verdient sei und Alles Geschenk und Wunder, macht Alles gewinnen Sie macht es noch fühlbar, wie herrlich der Raum ist, in dem sich die Körper ausbreiten können, wie sie nur wünschen, ohne doch auseinander zu fallen; und wieviel wunderbarer und dankenswerter es ist, daß es Raum, Zeit, Licht und Luft, Meer und Blumen gibt, ja sogar, wie immer neu sie froh entdeckt Fuß und Hand und Auge als all jene Dinge, deren Wert wir nur zu fassen fähig zu sein pflegen, wenn sie selten sind und die anderen sie nicht haben! Sei demütig und sofort wirst du ein Reicher und Mächtiger werden! Indem du nichts mehr »verdienst«, wird dir alles geschenkt Denn die Demut ist die Tugend der Reichen, wie der Stolz jene der Armen. Aller Stolz ist »Bettelstolz«! Ist faktisch allüberall in der Welt eine Spur der Gnade für das Gefühl und eine Spur des Wunders öffnet das Geistesauge für

alle

!





für den Verstand ja eben »Nichts

— wie

sollte der Stolze, der sich

schenken lassen

will«

und auch

er-

kennend nichts rein aufnehmen, den Sinn der Welt fühlen und verstehen? Wie sollte er, der nur hereinlassen will, was den Tribut an seine sogenannten 12 Verstandeskategorien, besser seine



18



und generellen Zwangsideen gezahlt hat, etwas Wesentliches von der Welt wissen? Ein Wesen etwas von der Welt wissen, das sich einbildet, es schreibe sein »Verstand der Natur die Gesetze vor« und es gebe keinen anderen »Richter« 12 Gattungsspleens

über sich Die

Demut

sie sich

in

als es selber? ist

jene tiefe Kunst der Seele, in der

noch über jenes Maß hinaus entspannt, das

einem bloßen Sichleben- und -strömenlassen

Es

gibt zwei

Wege

einer

liegt.

und natürlichen Enge und Kultur der

Seele

Überwindung ihrer Der eine Weg ist der Weg der Anspannung des Geistes und des Willens, der Konzentration, der selbstbewußten Entfremdung von den Dingen und von sich selbst. Aller »Rationalismus« und alle Moral der »Selbstbefreiung«, des »Selbsteiner

Dumpfheit.

richtens«, der

dieser

»Selbstvervollkommnung« beruht auf

Richtung.

Weg

Der andere

Entspannung

der

des Geistes

und

ist

Weg

der

Willens,

der

Expansion und des steigenden Entzweischneidens der Fäden, die auch noch in schlaffer, untätiger Einstellung

die

Welt,

Gott,

die

Menschen und

übrigen Lebewesen an den eigenen Organismus und das eigene Ich auf automatische Weise ketten

Weg

der Vermählung mit den Dingen

Wer den

ersten

dieser

Wege

geht,

— der

und Gott.

fürchtet

den

Er mißtraut dem Sinn und Gang der Welt, dem Sinn und Gang der eigenen Seele und vertraut

zweiten.

2*

19

und seinem Willen allein. Sein Ideal der Vollkommenheit ist, daß er sich und die Welt »in die Hand nehme«. Wer den zweitenWeg geht, fürchtet sich selbst

nicht weniger den ersten.

Vertrauen aus

der

sprießen,

sie

Wahnsinn, zu wollen.

und

in das Sein

Er, der mit

und

die

Wurzel

beginnt,

restlosen

aller

empfindet

Welt der Welt

eine fragwürdige

Sich als Teil

dem

Dinge, es

als

erst »einrichten« tief

empfindend

kann er den aus dem Ganzen etwas Ganze das doch auch

voll Patriotismus für diese Welt,

Gedanken, der

Teil solle erst

machen ihn umfängt und Besseres

als dieses

enthält,

— nur



als eine

Absurdität

Aber das heißt nicht, er sähe und fühle weniger das, was man die »Übel«, die »Schwächen«, das »Böse« und »Sinnlose« der Welt nennt. Im Gegenteil nur der Liebende ist es, der an den Übeln und Schwächen des Geliebten wahrhaft leidet. Der andere freut sich eher an den Übeln, da sie ihm das Gefühl geben, wie viel besser er doch selber ist, und da sie ihm »etwas zu tun« geben. Aber die Wurzel dieser Übel sucht er nicht im Sein, im Wesen und der Wurzel der Welt. Er sucht sie in seiner falschen Interessiertheit, in der Hast seiner Triebe und dem ansehen.

Tonus

seiner

fleischlichen

und

geistigen Muskeln,

h. seiner weltverarmenden »Aufmerksamkeit«. Er sucht sie zunächst in seiner, dann auch in der Anderer zu großen Anspannung auf das Leben. Ihm liegt daran, diese Anspannung, gleichsam den d.

20

natürlichen

>>

die natürliche Zentrierung der

Stolz«,

Welt und der Werte auf

sein Ich, seine Organisation,

ja auf die Organisation jeder Art

und Unterart und

jeder partikularen Gemeinschaft zu beseitigen,

durch vorzudringen zur Wurzeln,



in

denen

Welt

selbst

er heimlich die

um da-

und ihren

Vollkommenheit

Ihm liegt daran, die Hemmungen aufzuheben, die ihm das volle und ganze Sein und Licht der Dinge verbergen. Indem er kühn sich selbst entläßt,— indem weiß.

Ankertau zerschneidet, völlig zerschneidet, das fürchtet die Welt in seinem Ich ausgeworfen hat, er nicht wie der Andere, die Beute der stürmenden Wogen zu werden, sondern mit dem neuen Leben er das



aus den Wurzeln der Dinge auch die innere

Dynamik

und unverwundet sie mit überläßt. Dieser Weg, sich

des Meeres noch zu sein

zu leben, der

im

vollen

er sich

Verlieren

gewinnen«

— das

ist

seiner selbst

im

neu

Sittlichen die

»in

Gott zu

Demut und

im Intellektuellen die reine »Intuition«. Solche Entspannung ist äußerstes Wagnis und ist: gleichsam zumi Sein der Seele selbst gewordene Bewegung der Kühnheit. Es ist jener radikale Verzicht auf die eigene Kraft und den eigenen Wert, jenes reine »sich Gott empfehlen« und »unter die Flügel der

Henne

Christi

stellen«

(Luther),

das neuerdings

William James so vorzüglich beschrieben hat. Im Abschnitt seines Buches: »Über die religiöse Erfahrung

und

ihre

Mannigfaltigkeit«,

das

er

»Bekehrung« 21

betitelt,

macht

er

auf die zwei religiösen

Typen

der Bekehrung, den »willensmäßigen« und den Typus der »Selbsthingabe«, aufmerksam.

Er

zeigt

an einer

Fülle von Beispielen, eine wieviel größere Bedeutung

der letzte Typus vor

dem

ersteren hat.

ganz elementaren Zielen, wie

Schon bei

dem Besinnen

auf einen

Namen, pflegt häufig nicht die Anstrengung, sondern die Entspannung das Gewünschte herbeizuführen.

Man

»Gib die Anstrengung

sagt sich:

völlig

auf

und denke an etwas anderes.« Eben dann kommt Im Großen gehören das Gewünschte von selbst. die Fälle, da alles Ringen, alles Fassen von »guten Vorsätzen«, mit denen, wie das Sprichwort so sinnig

sagt,

»der

Weg

zur

Hölle gepflastert

tiefist«,

und alles einer langsam im Innern anwachsenden Macht anempfohlen wird, die spielend von selbst das gibt, was wir vorher so eifrig suchten, demselben Typus an^). Frank Bullen, dessen Selbstbiographie »Auf See mit Christus« W. James zitiert, sprang während eines starken Sturmes bei Einhintangesetzt

holung des Außenklüver

um ihn zu befestigen.

rittlings

Plötzlich wich die Spiere. »Das

Segel entwich meinen Fingern über,

hing mit

über die Spiere,

und

ich

fiel

hinten

dem Kopf nach unten über dem

Der Sinn des Begriffes »Gnade« hat offenbar in solchen ErDieser Sinn behält auch dann sein Fundament. Recht, wenn die kausale Zurückdeutung dieses Erlebnisses auf eine »Wirkung Gottes* nicht zu Recht bestände. ')

lebnissen sein

22

kochenden Getöse des weißen Schaumes an einem

Fuß unter dem Bug nur

hohes

des Schiffes; aber ich

Entzücken

ewigen Lebens.

meiner

in

empfand

Gewißheit

Ich habe wohl nur 5

des

Sekunden da

gehangen, aber in der Zeit habe ich ein ganzes

Wonnen

Lebensalter von Segel

weiß ich nicht.«

befestigte,

Wunder

durchlebt.

Wie Dieses

ich das

innere

der ewig neuen Wiedergeburt und Kraft-

gewinnung zur »Befestigung des Segels« aus einem unendlichen Kräftereservoir bei restlosemVerzicht auf

und jede kleinste Würdigkeit ist Demut, ohne es zu wissen, anstrebt.

die »eigene Kraft«

das

Ziel,

das

alle

In seinem letzten

Werke »Das

pluralistische Uni-

versum« aber sagt William James: »Luther war der erste Moralist^), der die Kruste dieser ganzen naturalistischen Selbstgenügsamkeit (sc.

der antiken Moral) wirksam durchbrach, wobei

annahm, (und darin hatte er möglicherweise daß dies schon Paulus getan hatte. Die religiöse Erfahrung des Luther'schen Typus führt er

recht),

zum Bankerott zipien

unserer naturalistischen Prin-

aller

und Maßstäbe:

wenn man schwach

sie zeigt,

ist.

man

ist

nur stark,

Man kann nicht nur von

Stolz oder Selbstgenügsamkeit leben.

Leben, in dessen Lichte ^)

alle

Es gibt ein natürlich begründeten

Diese Behauptung entspricht historisch nicht den Tatsachen.

Ich zitiere nach der dankenswerten Uber.^etzung von 8.

J.

Coldstein.

Vorlesung, Leipzig, Alfred Kröner 1914.

23

und landläufigen sittlichen Bewertungen, Vortrefflichkeiten und der Selbstschutz unseres Charakters als

etwas äußerst Kindisches erscheinen.

seinen

eingebildeten

Stolz

Ehrlich

aufgeben und auf die

Hoffnung verzichten, aus eigener Kraft gut zu können, das

ist die

sein

einzige Pforte zu den tieferen

Bereichen des Kosmos«.

.... »Das fragliche Phänomen besteht darin, daß nach Augenblicken höchster Verzweiflung neue Ordnungen des Lebens sich uns innerlich offenbaren. Es gibt Hilfsquellen in uns,

um die

sich der

Naturalismus

mit seinen sklavisch befolgten Moralvorschriften und seinem Legalismus niemals bekümmert, keiten,

die

Möglich-

uns den Atem rauben, eine neue Art

inneren Glückes und innerer Macht, die sich darauf gründet, daß wir unseren eigenen Willen aufgeben

und etwas Höheres

für uns wirken lassen.

Diese

neuen Lebensmächte scheinen eine Welt zu offenbaren, die weiter und umfassender ist, als die Physik

träumen lassen. Hier ist eine Welt, in der alles gut ist trotz gewisser Formen des Todes, ja infolge gewisser infolge des Todes der Hoffnung Formen des Todes und der Stärke, des Todes der »Verantwortlichkeit«, der Furcht und der kleinlichen Sorgen, des persönlichen Verdienstes und Wertes, kurz infolge des Todes von allem, auf das Heidentum, Naturalismus und Legalismus ihren Glauben und ihr Vertrauen

und

die gewöhnliche Philister-Ethik sich



24

Die Vernunft, die unsere anderen Er-

gründeten.

fahrungen, selbst unsere psychologischen, bearbeitet,

niemals

hätte

auf

diese

spezifisch

Er-

religiösen

fahrungen vor ihrem wirklichen Auftreten schließen können.

denn

Sie

konnte ihre Existenz nicht vermuten,

bedeuten einen Bruch mit den »natür-

sie

lichen« Erfahrungen, auf die sie folgen

Werte

sie

religiösen

weitet

sich

jenigen,

daß

die

unsere

die

Schöpfung vor den Blicken der-

sie

erleben.

natürliche

moralistische ein

und deren

umkehren. Aber in dem Maße, wie diese Erfahrungen sich nun wirklich einstellen, Sie

deuten darauf hin,

Erfahrung,

unsere

streng

und verstandesmäßige Erfahrung nur

Bruchstück der gesamten menschlichen Erfah-

rungist. Sie geben der Natur weichere, unbestimmtere

dem

Umrisse und eröffnen lichsten Möglichkeiten

Geiste die außerordent-

und Ausblicke.«

Die albernste und witzigste Verkennung, welche die christliche

Demut

gefunden hat,

ist

bei einigen

wohl

modernen Bürgern

jene, die sie als eine

Art zur

Tugend erhobener gott geweihter »Servilität«, als die »Tugend« der Armen, Schwachen, Kleinen erscheinen läßt.

Daß

jener Habitus, der sich »Bürgerstolz vor

Königsthronen« nennt und daß die als »Pflicht« empfun-

dene Haltung

aller

Emporkömmlinge,

sich

allem »nichts schenken lassen zu dürfen«,

nur vor

d. h.

jenes

a priori gesetzte vollendete Nichts ei nsgefühl, sich in der alleinigen

das

Wertbetonung des »Selbsterwor25

benen«, des »aus eigener Kraft Gewordenen«, für jeden

Tauben so vernehmlich ausspricht, zu d i e s freilich ist selbstdieser Täuschung führen muß

nicht moralisch



Was

verständlich.

weiß der »Bürgersmann«, der ja

eben »etwas werden

will«,

der sich auch da noch

heimlich an seinen Herren und Königen mißt,

gegen

»stolz«

sie

aufmuckt — was könnte

wo

er

er wissen

von der freiwilligen Selbsterniedrigung, von dem süßen Drang des Sichselbstverflutens derer, die etwas sind (der sa^Xot) und die sich eben darum

Höhe wissen, weil sie selbstverHöhe stehen? Demut: das ist ja eben die Bewegung der Selbsterniedrigung, die Bewegung also des Herkommens von oben, des nicht

der

in

ständlich auf der

Kommens

aus

Sünder



Höhe,

des

zum Menschen,

Gottes

lassens

der

Sichhinabgleitendes

Heiligen

diese freie, kühne, angstlose

eines Geistes, dessen selbstverständliche selbst

zum

Bewegung Fülle ihm

noch den Begriff der Selbstverschwendung

unfaßlich macht;

der sich nicht »vergeben« kann,

da er selbst nur quellendes Geben Servile geben

und dienen ?

ist.

Will denn der

Der Servile

»will« herr-

schen, und nur ein Mangel an Kraft, Reichtum usw. läßt ihn sich verbeugen vor seinem Herrn und ihm mit

Händen dienen. Mit der Gewöhnung an die vielen Verbeugungen wird er dienerhaft oder servil. Die Demut hingegen

ist

vor allem eine Tugend der geborenen

Herren und besteht 26

in

dem Nichtherankommen-

lassen der ihnen selbstverständlichen irdischen Werte,

Ruhmes, der Lobpreisungen ihrer Diener an das Zentrum der Seele, im fortwährenden Beugen des eigenen inneren Hauptes vor dem Unsichtbaren mitten und während der Herrschaft über das Sichtbare. Der Demütige vollzieht auch noch jeden Akt seiner Herrschaft in einer tief geheimen Dienstbereitschaft an dem, über den er herrscht. Eben das ist für ihn nur Haltung, was der Ehren, des

den Servilen

für

Zentrum

HerrschenZentrum, was

das

ist:

wollen! Und eben das ist für ihn für den Servilen nur Haltung ist: Dienstbereitschaft!



DIE EHRFURCHT. Der Gott, den absconditus. seine

Er

die ist

Verborgenheit,

dieses

liche

deus diese

sein

fließen über das Blickfeld der

Heiligsten

ist

und eben

Christen anbeten, »verborgen«,

und Frömmsten,

ewiges

Hinaus-

Anbetung auch des unend-

diese gefühlte

Ferne der Erstreckung Gottes über den Hori-

zont unserer Anbetung und unseres Gebets hinaus, ist

selbst

wandtes

noch

ein

Antlitz

Phänomen, das

geheimnisvoll

sein

uns zuge-

umrauscht. wie

Dies

vergessen

ebenso

Mystiker.

Beide haben eine allzu rasche Art, sich

oft

die

Rationalisten

die

Gott anzubiedern; diese mit den Begriffen, in die sie

ihn anatomisieren, jene mit

dem

Gefühl, in

dem 27

ihnen Gott den Busen zu dehnen scheint.

mangeln beide der Ehrfurcht,

d.

i.

jener Haltung,

in der die Verborgenheit Gottes selbst

nehmbar

wird.

Denn

fühlszusatz

zum

fertigen,

Sie er-

noch wahr-

die Ehrfurcht ist kein Ge-

wahrgenommenen Dinge;

geschweige eine Distanz, die das Gefühl zwischen

uns und den Dingen aufrichtet (ihrem »Filigran«,

im Gegenteil die Haltung, in der man noch etwas hinzuwahrnimmt, das der Ehrfurchtlose nicht sieht und für das gerade er blind ist: das Geheimnis der Dinge und die Werttiefe ihrer Existenz. Wo immer wir von der ehrfurchts-

wie Nietzsche schön gesagt hat)

losen,

z.

B.

der

Sie ist

:

durchschnittlich wissenschaftlich

erklärenden Haltung zur ehrfürchtigen gegenüber

den Dingen übergehen, da sehen etwas hinzuwächst, was

wie

an

etwas

fehlte:

ihnen

Es

denen sich jedes Ding baren

in der sie

und

sei

es

28

Geheimnis,

ist

Fäden,

in

zarten

Reich des Unsicht-

daß

dadurch,

was vorher

Fäden zu

man

die

durchSphäre,

enden, in klaren Begriffen zu entwickeln

aufzustellen sucht,

gleich

ihr

Diese

eine starre Ontologie

Menschen

wird,

die

in das

hineinerstreckt.

schneiden,

ist

sind

wie ihnen

vorher nicht besaßen;

sichtbar

eben dies »Etwas«

Werttiefe.

ihre

sie

wir,



und Dogmatik über

sei es

dadurch, daß

man

sie

den

auf das sinnlich Greifbare verweist, ist

sehr

eine

Ertötung

des

geistigen

Lebens

und

Den

eine Fälschung der Wirklichkeit.

Weg

der

ging in

Geschichte

rationale Meta-

alle

physik und Theologie; den zweiten

mus und Agnostizismus. Die Ehrfurcht

notwendige

Haltung des

ins

aller Positivis-

Sie sind beide gleich ehr-

furchtslos!

»Fäden

ist

aber die einzige und

Gemütes,

Unsichtbare hinein«

Sichtbarkeit

gelangen.

schaltet wird oder nicht

ersten

Wo

sie

in

der

diese

zur geistigen

künstlich ausge-

vorhanden

ist,

da nimmt

Welt der Werte einen Charakter der Flächenan und einen Charakter der All- Verschlossenheit, die sie entleeren und die zugleich jeden Reiz zum Fortleben und zum Eindringen die

haftigkeit

in

sie,

jeden

Reiz

des

Fortentwickeins

unserer

Existenz im tieferen Eindringen in die Welt ver-

Wir vermögen nur wahrhaft zu

nichten.

»leben«,

indem wir das jeweilig Sicht-Fühl- Greifbare unserer Umwelt von einer, in tausend Stufen sich abdunkelnden Sphäre von Gestaden umschwebt fühlen, die uns zur Entdeckung reizen und locken. Das Phänomen des »Horizontes« und der »Perspektive« ist

dem

nicht nur in schlossen.

Bezirk des rein Optischen be-

Es findet sich wieder

in

dem Reich unserer

Vorstellungen, unserer Begriffe, unserer Interessen,

unserer Liebe Ideen.

Es

und unseres Hasses, ja unserer reinsten wir »Horizont« und »Perspektive«



ist

wissen dies auch aus sehr genauen Feststellungen der Psychologie



nicht bloß eine Folge der geo29

metrisch-physikalischen Lichtwirkungen und der Ana-

tomie und Physiologie unseres optischen Apparates, sondern ein umfassendes Funktionsgesetz unseres

und jeden endlichen furcht«, die in der

Geistes.

Es

ist

aber die »Ehr-

Region der Werte diese Horizont-

natur und diesen Perspektivismus unserer geistigen

Natur und Welt aufrecht

Die Welt wird

erhält.

Rechenexempel, wenn wir das Organ der Ehrfurcht ausschalten. Sie allein gibt uns das Bewußtsein der Tiefe und Fülle der Welt und unseres Ichs und bringt uns zur Klarheit, daß die Welt und unser Wesen einen nie austrinkbaren Wertreichtum in sich tragen; daß jeder Schritt uns ewig Neues und Jugendliches, Unerhörtes und Ungesehenes zur Erscheinung bringen kann. Ein Künstler wie Gottfried Keller gibt uns nicht allein dadurch den hier fast einzigartigen Eindruck der Unerschöpflichkeit der Welt, ja jedes geschilderten Dinges, daß er in einem großartigen embarras de richesse immer neu und neu die Dinge von sich reden und immer neue Züge ihrer sie sich sofort

ein

flaches

geistige





selbst entfalten

daß

er fühlbar

sagen

sich

reinen

Und die

macht, sondern vor allem dadurch, macht, was

sie

Herzens befragt würden,

das stimmt wohl

Dinge noch von

auch weiter als

zusammen mit

er

gibt, eine

sie

so

fragt.

der Antwort,

im Verlorenen Lachen der Held auf

nach seiner Religion 30

alles die

könnten, wenn

die

Frage

Antwort, welche die

schönste

Beschreibung

der

Er wisse das

einschließt:

Ehrfurchtseinstellung

eine,

»daß er der Welt

gegenüber keine Frechheit zu äußern fähig Nicht nur Gott und die Welt, noch mehr

sei«.

als die

und das der Unsrigen erTiefendimension erst in der Ehr-

letztere: unser eigenes Ich

scheint in seiner

Ein Mensch, der sich selbst ganz zu durch-

furcht.

schauen und zu verstehen vorgibt, zeigt nicht, er wisse

mehr von

dem

sich als der Ehrfürchtige,

auch aus sich heraus »vergrabenes Gold wie aus Bächen schimmert«, sondern nur, daß er den Weg nicht gehen will, sich die eigene Seinstiefe zur Sicht-

barkeit zu bringen; denn dieser

furcht vor

dem

eigenen Selbst.

Weg

ist

die Ehr-

Sie allein gibt

das geheime Bewußtsein eines Reichtums und Erfülltheit,

keit geben; sie gibt in

der

Spärlich-

uns das Gefühl noch ungehobener

irdischen

Lebensdauer

Schätze unserer Existenz und Kräfte, leise

einer

wo unsere klaren, abgegrenzten Gedanken

und Gefühlsinhalte uns nur Leere und und

uns

unhebbarer Sie deutet

uns

einen Spielraum unserer wahren Kräfte an, der

größer

ist als

unsere zeitliche Existenz.

Sie behütet

uns vor abschließenden Werturteilen positiver und negativer Art über uns selbst, die uns nur fixieren

und bannen, und

breitet

immer neue Teppiche und

Wegweiser vor uns hin, auf denen wir uns in uns selbst ergehen, wohl uns verirren, aber schließlich uns finden können. 31

Das Wort »Ehrfurcht« verführe uns nicht, sie für eine Mischung von Furcht und scheuer liebender Verehrung zu halten.

Sie ist eine einfache elementare

Gefühlsbewegung, und nur das Wort, nicht was bezeichnet,

zusammengesetzt. Eher möchte

ist

mit der Scham verwandt nennen.

sie

es

man

In dem, was

uns an den Dingen zur Erscheinung bringt,

sie

vernehmen wir immerfort den leisen Zuruf der Dinge, daß »kein Auge es gesehen, kein Ohr es gehört, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben«, ein Wort des Evangeliums, an

dem

nichts

von der

allzu ge-

nauen Bekanntschaft mit den Einrichtungen des

Himmels

steckt, die unsere

pflegen.

Der Kern der Scham

der

Schönheit

bergens^), Sie

in

der

ist ein

Theologen zu verraten

Geste

ist

eine Offenbarung

ihres

Sichselbstver-

schönes Verbergen des Schönen.

Macht nicht auch noch die sichtbar häßliche Frau, indem sie sich schämt, unbewußt darauf aufmerksam, daß sie geheime Schönheiten besitzen müsse, die wir nur jetzt nicht sehen? Und wird sie nicht eben hierdurch »schön«? Das Häßliche »versteckt« man bloß; nur das Schöne »birgt« man, indem man es schamhaft verbirgt.

Die Ehrfurcht aber

Art Geist gewordene Scham.

ist

eine

In ihr werden wir der

Insuffizienz unserer Verstandeskategorien

vor der

Welt und vor unserer Seele auf eine ganz unmittel1)

Vgl. zu

erscheinendes

32

dem Gesagten mein demnächst

bei

Buch über den »Sinn der Scham«.

M. Niemeyer, Hall©

bare Weise inne und eben damit der zu großen

Enge

und Partikularität unserer Organisation für eine Aber indem angemessene Erkenntnis der Welt. wir ihrer noch innewerden, wissen wir gleich unmittelbar uns auch der Teilnahme an einem göttlich-



und Leben in ihr teilhaftig, das, der wäre es nur freier von dieser zufälligen Enge Richtung jener feinen, noch sichtbaren Fäden hinein in die unsichtbare Tiefe der Dinge entlang eilte und geistigen Sein

uns

alle

uns



jetzt

noch

verborgenen

Schätze

Auch die Scham aber ist das plötzliche Innewerden und Sichaufdrängen der endlichen Seite unseres Wesens inmitten geistiger Akthöbe und zuführte.

vollzüge, in denen wir ewige göttliche Gesetze zu

verwirklichen meinen, Gesetze, die miit der Endlichkeit

und Bedürftigkeit des Ausgangspunktes eben auf den wir nun plötzlich zurück-

dieser Akte,

sehen,



— nichts zu tun haben.

Erst als

sie

mit der

Vermischung mit Gott und aus einer, je in dem Anderen verlorenen Liebe herausgetreten waren, heißt es von Adam und Eva: »sahen sie, daß sie nackend« waren. So haben Scham und Ehrfurcht ein und dieselbe Wurzel: beide sind ein unmittelbares Innewerden der Bruchstellen, an denen ein Strahl des unendlichen Geistes sich an einer engen, bedürftigen Artorganisation des Lebens bricht und uns nur das für diese Organi-

Sünde aus der

seligen

sation »Wichtige« aufleuchten läßt. Es 1.3

ist

darum kein 33

Wunder, daß der wissenschaftliche Rationalismus des modernen Bürgertums gegen Ehrfurcht und Scham die gleichen Vorwürfe erhebt: daß diese Gefühle den »wissenschaftlichen Fortschritt« verzögert

Das Ehrfurchtsgefühl, das der antike und der mittelalterliche Mensch gegenüber dem Sternenhimmel hatte als einer Versammlung »sichtbarer Götter«, das selbst in den Theorien des verhätten.

zum Teil

gleichsweise nüchternen Aristoteles,

Lehren, daß die »Welt über »feineren« als

z.

B. in seinen

dem Monde« aus

anderen,

den irdischen Stoffen bestehe und eine

andere Bewegungsform hätte ^), noch nachschwingt, scheint

nung

die

mathematisch-mechanische

Berech-

Himmels nur gehemmt zu haben. Und in analoger Weise hat die Ehrfurcht und Scheu vor dem menschlichen Leichnam jahrhundertelang seine Zerlegung und damit alle mit ihr verbundenen Fortschritte der Anatomie aufgehalten. Erst Vesalius des

wagte das Messer an ihn anzusetzen. Und hat nicht die Scham eine Unzahl von Verschiebungen rechtzeitiger Kennbarmachung von Krankheiten und seelischen frühzeitiger

Verwicklungen zur Folge gehabt, erkannt,

hätten

geheilt

und

die,

gelöst

werden können? Hat sie nicht ganz besonders die Seelenkunde in ihrem Fortgang gehindert ? Die Wissenschaft gehe den Frauen meint Nietzsche



1) Die Bewegungsform des Kreises Bewegungsform der geraden Linie.

34



gegenüber

der

»irdischen«

gegen die Scham;

er zitiert

das so entsetzt war,

dabei das kleine Mädchen,

als es hörte,

Gott

sei

allwissend

und »sähe immer alles«. Aber so unzweifelhaft die angeführten Tatsachen und tausend ähnliche sind, der Geschichte sie zeigen nur, daß Ehrfurcht und Scham im Laufe der Geschichte erst langsam und allmählich ihr ihnen immer angemesseneres Obj ekt suchen, und daß ein Kreis von Dingen für die wissenschaftliche Forschung immer erst »frei« zu werden pflegt, wenn eine vertiefte und vergeistigtere Ehrfurcht vor den





Dingen zu

den unsichtbaren

einer,

sichtbaren Welt

näheren

Quellen

ihres

fernere

Daseins,

ist.

wandte Schicht gleichsam

»kalt«

und

steht als er-

forschbares, zerlegbares Objekt vor Augen.

man

der

Dann wird die jenen und unseren Sinnen mehr zuge-

vorgedrungen

bereits

Schicht

Quellen

Prüft

näher die mannigfaltigen Epochen des Fort-

schritts, z. B. der

Astronomie, so wird

man

an ihrer

Quelle stets eine neue und tiefere Ehrfurcht vor dem Unsichtbaren gewahren. Man wird z. B. finden, daß der Ablösung der Ehrfurchtsgefühle von dem Sichtbaren des Nachthimmels eine neuere und tiefere

Ehrfurcht vorangeschritten

Einstellung die

ist,

in deren

Idee des »Himmels« eine religiöse

Reinigung und Vergeistigung erfahren hatte.

war

also nicht

Ehrfurcht vor 3*

zuviel,

dem

sondern zu

wenig

Es echte

Göttlichen und der Welt, was 35

den »Fortschritt der Astronomie« gehemmt hatte.

Und

analog war

es

zu

der unsichtbaren Tiefe

wenig Scham und

Gefühl

der menschlichen Person,

welche den Leichnam einbalsamieren und gleichsam willkürlich vor

wenigstens scheinen

dem

seine

Verfall

bewahren und später

Zerstückelung

unfromm

als

er-

Die inneren Gesetze unseres Geistes

ließ.

bürgen dafür, daß wir hier keinerlei moralistischer

Ermahnungen,

sei es für, sei es

bedürfen.

machen, daß eben nur das zur Er-

Sie

forschung der Wissenschaft

gegen die Ehrfurcht,

»frei«

und

»kalt«

werden

kann, was die lebendige, vordringende Bewegung des Geistes in das Universum, in das Ich, in Gott hinein

Residuum zurückgelassen hat. Nicht die lebendigen Traditionen, sondern erst die sterbenden, können z. B. von der historischen Wissenschaft aufgelöst und zerstört werden; nicht die lebendigen religiösen Urkunden, sondern nur bereits als ein totes

die,

welche ihre geheimnisvolle Sprache religiöser

Heiligung und Erbauungskraft verloren haben und so

für unsere

Seele

Ehrfurcht und

drangen

als

stumm geworden

Gebet schon

tiefer

in

Gott

weil ein-

jene jetzt »toten« Schriften. Die »Wissen-

schaft« hat keine Kraft zu töten. bereits gestorben sein,

Wo

sind,

dessen

Umgekehrt muß

sie sich

bemächtigt.

die Wissenschaft ihre Gipfelpunkte erreichte,

gerade da haben ihre Träger das Organ für das Unsichtbare, zu

36

dem auch

die Ehrfurcht gehört,

mit

dem

in

ihnen treibenden Logos zu einer Einheit

verschmolzen. »Kind, das als

er

das

Newton dünkte

Isaak

am

Meeresstrand mit Muscheln

Gravitationsprinzip

Himmels entworfen hatte, Linie seines »absoluten Raumes«

des

eine Blicklinie des

Es

ein strenges

ist

daß

intellektuellen Fortschritts,

alles

spielt«,

und die Mechanik und sah in jeder

»Auges Gottes« (sensorium Dei). Gesetz

sich wie ein

die

Problematik der Welt wächst mit jeder Lösung be-

stimmter Probleme, Jede neuentdeckte »Beziehung« deutet auf neue noch unbekannte hin.

In der neueren

Physik wachsen die »Constanten« stärker andere früher

als

als

sich

Constanten angenommene Tat-

sachen in Gesetzesbeziehungen auflösen.

Die Natur

wird immer weniger »einfach« (H. Poincare). Denken

Müßte

wir den Prozeß der Erkenntnis vollendet:

dann nicht

alles

wieder pures

nicht die Wissenschaft

Wunder

sein

?

Es

ist

der Forscher sondern jene

der rationalistischen, systemgierigen Schulmeister,

welche in Gegensatz zur Ehrfurcht gerät. für Schüler »darstellt«

und

»forscht«,

Wer

nicht

und »beweist«, sondern »findet«

der hat jede Sekunde mit

nomen zu kämpfen, daß

dem Phä-

Anschauung die Grenzen seines Verstandes überflutet, und daß ihm sein Gefühl schon Tatsachen und Verhältnisse verrät, von denen er sich noch keinen »Begriff« machen kann. seine

Was wir die »Wissenschaft« nennen, risch seinen

verdankt histo-

Ursprung einer allmählichen Berührung 37

staunenden,

des

Geistes mit

dem

ehrfürchtigen,

Herrschaft über die Materie:

auch

sich

Standes

eine Berührung,

der langsamen Verschmelzung

in

der

metaphysischen

Streben nach nutzbaren Regeln zur die

eines

Freien mit einem solchen der Gedarstellt. Nur beides zusammen

werbetreibenden

konnte das eigentümliche Produkt »Wissenschaft«

er-

Ohne den ersten Faktor hätte sie sich nie über Sammlung von empirischen Regeln des Hand-

zeugen. eine

werks erhoben ohne den zweiten wäre ;

nahme

sie nie

zur An-

des so fruchtbaren mechanistischen Prinzips

gekommen, welches das Interesse der Erkenntnis auf die bewegbaren und lenkbaren Punkte des Universums beschränkt^). Erst in neuester Zeit scheint

mehr

ihrer partiellen Herkunft

innern und ihre adeligen

Dann

ist es Zeit, sie

sie sich

von »unten« zu

Ahnen zu

nur er-

vergessen.

daran zu erinnern, daß ohne

die Ehrfurchtseinstellung auf die

Dinge auch der Le-

bensreiz ihres eigenen Fortschritts alsbald unterbunden würde; und Zeit, sie zu ermahnen, daß sie nicht bald in die Geisteslage derer vor

dem

Uni-

versum gelange, denen Schopenhauer nicht ganz mit Unrecht die »verecundia« abgesprochen hat und mit ihnen sage »Die Welt ? Kunststück.«



^)

Für den strengen Beweis

dieses Satzes verweise ich auf

mein dem-

nächst erscheinendesBuch über »Phänomenologie undErkenntnistheorie«.

38

DAS RESSENTIMENT IM AUFBAU DER MORALEN.

VORBEMERKUNG. Ein anderes

Wahrnehmung in letzte

ist

es,

den Tatbestand der inneren

gedanklich in Komplexe, diese wieder

»einfache« Elemente

zu zerlegen,

Bedin-

gungen und Folgen der künstlich (durch Beobachtung oder Beobachtung und Experiment) variierten Kom-

und den Erlebnis- und Sinneinheiten beschreibend und verstehend nachzugehen, die im Lebenszusammenhang der Menschen selbst enthalten sind und nicht erst durch eine artificielle Art des »Zusammenfassens« und des »Trennens« bewirkt werplexe zu untersuchen,

den. Jenes

ist

der Weg der (methodisch an der Natur-

wissenschaft orientierten) synthetisch-konstruktiven

und erklärenden, dieses der Weg der analytisch-verstehenden und deskriptiven Psychologie^). Die psychischen Einheiten, mit denen die erste Forschungsart operiert, sind künstlich hergestellt. ist

also nicht notwendig,

Es

daß diese Einheiten auch

von einem Akte des Erlebens umspannt und gefaßt sind. Vielmehr können die Teile einer solch ^) Vgl. die vielfach treffenden Ausführungen von K.Jaspers in seinem Buche »Einleitung in die Psychopathologie«, 1913 über den Unterschied von Kausal- und Yerständniszusammenhängen des Seelenlebens.

41

künstlichen Einheit

So etwa gehören die sämtlichen,

akten angehören. gleichzeitig

ich jetzt

ganz verschiedenen Erlebnis-

bestehenden

Sinnesempfindungen,

die

im Bewußtsein habe, grundverschiedenen

Wahrnehmung des Schreibpapiers, dem Sitzen auf meinem Stuhle, dem Erlebnis, daß ich in diesem Zimmer bin, dem Er-

Erlebniseinheiten an

lebnis meines

(z.

B. der

Gleichwohl kann

Schreibens usw.)

Komplexen zusammenfassen oder solche Komplexe in Teile analysieren. Auch kann sich vieles hier genetisch bedingen, wovon ich nichts erlebe und was erst durch Kausalbetrachtungen mit künstlich variierten Anfangs- und Endgliedern ver-

ich sie beliebig zu

gleichend festgestellt wird;

z.

B. ist meine Haltung

im Gleichgewicht und die sie begleitenden Empfindungen von normalen Empfindungen im Ohre bedingt, die

dem

dort befindlichen Gleichgewichts-

sinn des Statolytenapparats entsprechen. Analog

ist

auch nicht in eine Erlebniseinheit aufgenommen, was an Empfindungen und Reproduktionen solcher z.

B. in die

Wahrnehmung

eines vor

mir liegenden

Buches eingeht. Die faktische Anwesenheit dieser Ele-

mente

schließt nicht aus,

heitserlebnis dieser

daß

sie

gleichwohl im Ein-

Wahrnehmung

nicht erlebt sind.

Anderseits können die denkbar komplexesten und

zusammengesetztesten psychischen Tatsachen (im Sinne jener ersten Forschungsart) gleichwohl insofern

42

phänomenal einfach

sein, als sie in

einem Akte

des

Erlebens

gegenwärtig

Eine

»phänomenologisch einfach«. die ich erlebte,

Sie

sind.

dann

sind

Freundschaft,

eine Liebe, eine Beleidigung, eine

KindGesamthaltung in einer Phase meiner heit gegen meine Umgebung, enthält die zusammengewürfeltsten Teilinhalte

vom

Standort der ersten

Betrachtungsart aus gesehen (Empfindungen, Vorstellungen, Schlüsse, Urteile, Liebes-

Gefühle,

Stimmungen usw.)

;

diese

außerdem auf ganz verschiedene

und Haßakte, verteilen

Stellen

sich

der ob-

und sind durch Erlebniseinheiten ganz anderer Art und Einheit unterbrochen; dazu durch Schlaf und Wachen, Krankheit usw. Gleichwohl bilden sie phänomenale Einheiten von Erlebtheiten und sind als solche auch in mir als wirksam (nicht objektiv kausal) erlebt, mein Tun und Handeln mitbestimmend. Gewiß kann ich jede der

jektiven Zeit,

genannten Erlebniseinheiten wieder selbst in Untereinheiten

des

Erlebens zerlegen,

z.

B. in

diesen

oder jenen »Vorfall«, in diese oder jene »Situation« innerhalb jener »Freundschaft«, in diesen bestimmten

und jenes Lächeln des Freundes usw. Immer aber müssen diese Teileinheiten wieder Einheiten des Erlebens d. h. solche sein, die durch einen Akt von Erleben ihre Einheit und ihren Sinn empfangen, nicht aber durch eine künstliche Scheidung und Verbindung. Sie bleiben auch dann erlebte TeilBlick

einheiten,

werden aber nicht gedachte Einheits43

von Erlebnissen. Niemals können die Einund Komplexe, zu denen beide Richtungen der Forschung gelangen, sich decken, oder ihre

teile

heiten

Ergebnisse

ineinander

philosophisches

übergehen.

Verhältnis

steht

Ihr

hier

letztes

nicht

zur

Sprache. Als

eine

solche

Erlebnis-

und Wirkungseinheit

im folgenden das Ressentiment einer Untersuchung unterzogen. Wir gebrauchen das Wort »Ressentiment« nicht sei

etwa aus einer besonderen Vorliebe heraus für die französische Sprache, sondern darum, weil es uns nicht gelang, es ins Deutsche zu übersetzen. ist es

Dazu

durch Nietzsche zu einem Terminus technicus

geprägt worden.

In der natürlichen französischen

Wortbedeutung finde ich zwei Elemente: Einmal die, daß es sich im Ressentiment um das wiederholte Durch- und Nachleben einer bestimmten emotionalen Antwortsreaktion gegen einen Anderen handelt, durch die jene Emotion eine gesteigerte Vertiefung und Einsenkung in das Zentrum der Persönlichkeit, sowie eine damit einhergehende Entfernung von der Ausdrucks- und Handlungszone der Person erhält. Immerwiederdurch- und Dieses -Nachleben der Emotion ist hierbei von einer bloß intellektualen Erinnerung an sie und der Vorgänge, auf die

sie

»antwortete«, sehr verschieden.

Wiedererleben der Emotion selbst 44



Es

ist ein

Nachfühlen,

Sodann enthält das Wort, daß die Qualität dieser Emotion eine negative ist, d. h. eine Bewegung der Feindlichkeit enthält. Vielleicht wäre das deutsche Wort »Groll« noch am ehesten geeignet, einen Grundbestandteil der Bedeutung zu decken. Das Wiederfühlen ^).

»Grollen«

ist ja

solch dunkel durch die Seele wandeln-

des, verhaltenes

und von der Aktivität des Ich un-

abhängiges Zürnen, das durch wiederholtes Durchleben von Haßintentionen oder anderen feindseligen

Emotionen schließlich sich bildet und noch keine bestimmte f eindlicheAbsicht enthält, wohl aber alle möglichen Absichten solcher Art mit seinem Blute nährt.

ZUR PHÄNOMENOLOGIE UND SOZIOLOGIE DES RESSENTIMENT.

I.

Unter

den

überaus

spärlichen

Entdeckungen,

welche in neuerer Zeit über die Herkunft moralischer Werturteile

gemacht worden

sind,

ist

die

Ent-

deckung Friedrich Nietzsches vom Ressentiment als Quelle solcher auch dann die tiefgreifendste,

wenn liche

seine speziellere

Behauptung, daß die

christ-

Moral und insbesondere die christliche Liebe

die feinste »Blüte des Ressentiment«^) seien, sich als

falsch erweisen sollte. ^) Vgl. über die Eigenart dieser Prozesse mein Buch »Zur Phänomenologie und Theorie der Sympathiegefühle«, Halle 1913,

S. 7 u. d. F. ^)

Siehe «Genealogie der Moral«,

1.

Abhandl., Absch.

8.

45

»Das aber

Baumes

jenes

das Ereignis:

ist

Rache und

der



dem Stamme

aus des

Hasses,

des

und subhmsten, nämlich Ideale schaffenden, Werte umschaffenden Hasses, dessen gleichen nie auf Erden dagewesen ist wuchs etwas ebenso unvergleichliches heraus, eine neue Liebe, die tiefste und sublimste aller Arten von Liebe: und aus welchem Stamme .« hätte sie auch wachsen können ? »Daß man jüdischen Hasses

des tiefsten





.

aber

ja

nicht

vermeine,

sie

sei

.

etwa

eigentliche Verneinung jenes Durstes als

Gegensatz

der

des

Hasses

jüdischen

gewachsen! Nein, das Umgekehrte heit!

als

die

nach Rache,

ist

die

empor-

Wahr-

Diese Liebe wuchs aus ihm heraus, als seine

Krone,

als die

triumphierende, in der reinsten Helle

und breiter entfaltende Krone, welche mit demselben Drange gleichsam im Reiche des Lichts und der Höhe auf die Ziele jenes

und Sonnenfülle

Hasses,

war, mit

sich breit

auf Sieg,

dem

gründlicher

die

auf Beute,

auf Verführung aus

Wurzeln jenes Hasses

und begehrlicher

in

alles,

hatte und böse war, hinunter senkten.

sich

immer

was Tiefe

Dieser Jesus

von Nazareth, als das leibhafte Evangelium der Liebe, dieser den Armen, den Kranken, den Sündern die Seligkeit und den Sieg bringende »Erlöser« war er nicht gerade die Verführung in ihrer unheimlichsten und unwiderstehlichsten Form, die Verführung und der Umweg zu eben jenen jüdischen



46

Werten und Neuerungen des

dem Umwege

auf

gerade

Ideals

?

Hat

dieses »Erlösers«,

scheinbaren Widersachers und Auflösers letzte

(Genealogie der Moral,

1.

Abhandl.,

8.

dieses

Israels,

sublimen Rachsucht

seiner

Ziel

Israel nicht

das

erreicht ?«

Abschnitt.)

»Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit,

daß das Ressentiment selbst schöpferisch wird und gebiert: Das Ressentiment solcher Wesen,

Werte

denen die eigentliche Reaktion, die der Tat, versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos

Während

halten.

alle

vornehme Moral

aus einem triumphierenden Ja-sagen zu sich selber

herauswächst,

sagt

die

Sklaven-Moral von vorn-

herein Nein zu einem »Außerhalb«, zu einem »Anders«,

zu einem »Nicht-selbst«: und Diese

schöpferische Tat.

setzenden

Rlicks

nach außen eben

zum

darf,

um



Ressentiment:

ihre

die



gehört

Sklaven-Moral

be-

zu entstehen, immer zuerst einer Gegensie

äußerer Reize,

um

ist

ist

Umkehrung des wertenotwendige Richtung

zurück auf sich selber

statt

und Außenwelt, Aktion

diese

dies Nein

bedarf, physiologisch gesprochen,

überhaupt zu agieren,

von Grund aus Reaktion.«

(1.



ihre

Abhandl.

10. Abschnitt.)

— »Ich sehe

ein

tückisches

um

Es ist Munkeln und Ecken und Winkeln.

nichts, ich höre

vorsichtiges

so mehr.

leises

Zusammenflüstern aus allen Es scheint mir, daß man lügt; eine zuckrige Milde 47

Die Schwäche

klebt an jedem Klange.

Verdienste umgelogen werden,

— steht damit wie — Weiter! — »und Ohnmacht, so,

es

die

die

(nämlich

gegen

einen,

zum



vergilt,

zur

zur »Demut«;

man

sagen, er befehle diese Unterwerfung,

soll

kein Zweifel

nicht

die

Niedrigkeit

ängstliche

Unterwerfung vor denen, die

»Gehorsam«

ist

Sie es sagten«

die

»Güte«;

es

haßt,

zum

von dem sie sie nennen



Das Unoffensive des Schwachen, die Feigheit selbst, an der er reich ist, sein An-der-Türstehen, sein unvermeidliches Warten-müssen kommt hier zu guten Namen, als »Geduld«, es heißt wohl

ihn Gott).

auch

Tugend;

die

das

Sich-nicht-rächen-können

heißt Sich-nicht-rächen-wollen, vielleicht selbst Ver-

zeihung (»denn sie wissen nicht, was

von der »Liebe zu seinen dabei.«

(1.

Abhandl.

tun

— wir

Auch redet man Feinden«, und schwitzt

wissen es was sie tun!«).

allein

sie



14. Abschnitt.)

Das etwa sind die wichtigsten Stellen, in denen Friedrich Nietzsche seine merkwürdige These entwickelt.

Lassen wir den Bezug des Ressentiment

zu den christlichen Werten zunächst dahingestellt,

um

Erlebniseinheit tiefer einzudringen, die mit dem Worte bezeichnet wird. Setzen wir nun aber an Stelle einer Wort-Definition in

eine

bung. 48

die

kurze

Sach-Charakterisierung oder Beschrei-

Ressentiment

ist

eine

seelische Selbst-

Vergiftung mit ganz bestimmten Ursachen und Folgen. Sie

ist

eine dauernde psychische Einstellung,

durch systematisch geübte Zurückdrängung von Entladungen gewisser Gemütsbewegungen und

die

und zum Grund-

Affekten, die an sich normal sind

bestande der menschlichen Natur gehören, entsteht

und gewisse dauernde Einstellungen auf Arten von Werttäuschungen und diesen entsprechenden Werturteilen zur Folge hat. in

Betracht

Affekte sind: heit,

Die hier an erster Stelle

kommenden Gemütsbewegungen und Rachegefühl und -impuls, Haß, Bos-

Neid, Scheelsucht, Hämischkeit.

Der wichtigste Ausgangspunkt der Ressentimentbildung ist der Racheimpuls. Schon das Wort »Ressentiment« weist, wie gesagt, darauf hin, daß es sich bei

um

den hier genannten Gemütsbewegungen

solche handelt, die sich erst auf das vorherige

Erfassen fremder Gemütszustände aufbauen,

um

Antwortsreaktionen.

Impuls

ist

Ein

solcher

d.

h.

reaktiver

aber auch der Racheimpuls im Unter-

schiede von aktiven es

und aggressiven Impulsen, sei freundlicher oder feindlicher Richtung. Jedem

Racheimpuls

muß

vorhergegangen

Racheimpuls

ein Angriff oder eine Verletzung

sein.

Hier

durchaus

ist

nicht

nun

wichtig,

daß der

zusammenfällt

mit

dem Impuls zum Gegenschlag oder zur Verteidigung, auch wenn diese Reaktion von Zorn, Wut oder Entrüstung begleitet 1.4

ist.

Beißt

z.

B. ein an49

gegriffenes Tier seinen Angreifer, so

Gegenschlag auf eine Ohrfeige sind

dies nicht

Auch der unmittelbare

Rache genannt werden.

mehr

kann

ist

nicht Rache.

zwei wesentliche Merkmale

Viel-

für den Tat-

bestand der Rache wesentlich: einemindestensmomentane oder eine bestimmte Zeit währende

Hemmung

und Zurückhaltung des sich unmittelbar einstellenden Gegenimpulses (und auch der mit ihm verbundenen Zorn- und Wutregungen), und damit verbunden eine

Verschiebung dieser Gegenreaktion auf eine

andere Zeit und eine geeignetere Situation (»wart' nur, das nächstemal«)

diese

;

Hemmung

aber ver-

ursacht durch eine vorblickende Überlegung, daß

man

unmittelbarer Gegenreaktion unterliegen

bei

werde, und ein mit dieser Überlegung verbundenes ausgeprägtes Gefühl des »Nichtkönnens«, der »Ohn-

Schon die Rache an sich ist also ein Erdas sich auf ein Ohnmachtserlebnis aufbaut,

macht«. lebnis,

immer

also

zunächst

Sache

der

in

irgendeinem

Punkte »Schwachen«. Sodann liegt es im Wesen der Rache, daß sie stets das Bewußtsein des »Dies Das« enthält,

für

niemals

also

begleitete Gegenreaktion darstellt.

bloß eine

Vermöge

affekt-

dieser

Merkmale ist der Racheimpuls der geeignetste Ausgangspunkt der Ressentimentbildung ^).

zwei

Unsere Sprache differenziert ^)

Wenn

Steinmetz in seinen

Genealogie des Rachegefühls

50

als

fein.

Vom Rachegefühl

interessanten

Studien

über die

Vorstufe einer »gerichteten Rache«

über Groll, Neid und Scheelsucht bis zur Hämischsozusagen ein

läuft

keit

Fortschritt des

Gefühls

Nähe des eigentlichen ResBei Rache und Neid sind meist noch sentiment. bestimmte Objekte für diese Modi feindseliger

und Impulses

bis in die

Negation vorhanden. lässe,

um

Sie bedürfen

bestimmter An-

zu erscheinen und sind in ihrer Richtung

an bestimmte

Objekte

gebunden, sodaß

sie

der Aufhebung dieser Anlässe verschwinden.

mit Die

gelungene Rache hebt das Rachegefühl auf, desgleichen die Bestrafung dessen,

impuls

zielt, z.

auf den der Rache-

B. auch Selbstbestrafung, desgleichen

eine »ungerichtete Rache«

annimmt und dafür

anführt, daß auf primi-

tivsten Stadien der Yölkerentwicklung auch Tiere

kommende

Pferd) oder

Bäume

(z.

B. das nächsf-

oder leblose Gegenstände nach einer

erlebten Verletzung vernichtet werden, so verkennt er das

Wesen der

Rache-Intention, die im Unterschiede von bloß zuständliehen Affekten

wie Zorn, Ärger,

Wut usw.

stets

gerichtet

Wenn

ist.

Auch auf

zivilisierter

jemand nach einem Ärger »Alles krumm und klein schlägt«, die nichts mit Rache zu tun haben. Handelt es sich aber in jenen Fällen um Rache, so können noch verschiedene Möglichkeiten vorliegen. Der vernichtete Gegenstand kann zu dem Richtungsgegenstand der Rache entweder in der Funktion eines wirklichen oder vermeinten »Gehörens« stehen (z.B. Eigentum Stufe gibt es Wutausbrüche:

z.

B.

oder Besitz), oder in einer symbolischen Funktion, die keine dauernde zu sein braucht, also auch eine momentane sein kann (»dies stelle mir jetzt

Jenen

vor«).

Hierher gehört also nicht nur Vernichtung von

von Photographien, sondern unter Umständen auch das Zerknüllen eines Papiers oder des Taschentuchs. Endlich Bildern, Durchstechen

kann

die

Rache insofern

»objektlos« werden, als sie kein

Objekt, sondern die ganze Umgebung,

wo

bestimmtes

die Verletzung geschehen,

einen Landstrich, eine Stadt usw. ja die ganze Welt als die »Andersheit«

4*

überhaupt umfaßt.

Ein solcher Fal) lag

z.

B. erst kürzlich

im

51

die echte Verzeihung;

das Gut,

um

auch der Neid schwindet, wenn

das ich jemanden beneide, mein eigen

wird. Scheelsucht dagegen ist schon eine Einstellung,

im selben Sinne an bestimmte Objekte gebunden ist; sie entsteht nicht bei bestimmten Andie nicht

lässen,

sondern

um es

mit

wieder zu

diesen

werden

diejenigen

verschwinden,

Objekte

Wertmomente an Dingen und Menschen

und

die

aufgesucht,

an

denen sich der Neid befriedigen kann. Ihr Herabziehen und Vom- Sockel-Reißen, die Steigerung,

negative Wertmomente an Dingen und Menschen für die Aufmerksamkeit gerade dadurch finden, daß sie mit starken positiven Wertmomenten

welche

Massenmord des Lehrers Wagner »gerichtet«.

vor.

Aber auch

rache (Blutrache)

liegt

keine

sekundäre

tungsobjekts auf den Stammes-

Rache und Familien-

hier ist die

In allen Fällen der gentilen, Stammes-

Übertragung des

Rich-

usw. -angehörigen des Verletzten

des Schmerzes des Verletzers durch sein Racheobjekt fungierenden Angehörigen) vor, wie man konstruierte, sondern nur Auffassung der Familie, des Stammes usw. als Tätern selbst, zu dem sich das Mitglied nur als Organ verhält (so wie wenn ich dem einen Fuß abhacke, der mir die Hand abhackte. — Übrigens scheint der letzte Kern des Rachegefühls nicht an die Verletzung oder Eigenwertminderung durch ein anderes Individuum gebunden zu sein, sondern auch durch eine Eigenwertminderung (oder sympathisch mitgefühlte Fremdwertminderung) durch uns selbst hervorgerufen werden zu können. So in Fällen, wo man sagt: »Ich könnte mich durchprügeln, mir das Haar ausraufen usw.« Mit dem Reueakt und Sühn- und Bußbedürfnis haben diese Erscheinungen noch nichts zu tun. Jene sind nicht vitale Innipulse, sondern geistige Akte und zielen nur auf das Gebiet sittlicher Werte. Vgl. Steinmetz »Ethnologische Studien zur ersten Entwicklung der Strafe«, 1894.

(etwa durch Vorfühlen

Mitgefühl mit seinen

)

52

als

in

Gemeinschaft an derselben Sache auftreten; ihr

Verweilen in diesen negativen Momenten, begleitet

von einem scharfen Wohlgefühl daran, daß diese vorhanden sind, wird hier zu einer festen Ablaufsform von Erlebnissen, in der die allerverschiedensten Materien Platz zu finden

vermögen.

In dieser

Form

oder

Struktur bildet sich nun schon im Scheelsüchtigen die einzelne konkrete Lebenserfahrung. Die Struktur

aus der nur möglichen Lebenserfah-

seligiert sie erst

nicht

mehr

einer solchen Erfahrung,

daß

rung zur wirklichen. Es

kung

einstellt;

ihr

und

ziehung

auch

eine bloße Wir-

eine

auf

direkte

oder

möglichen

nur

indirekte

Be-

Schaden

und

Nutzen, Förderung oder

Hemmung

Individuums hat.

der »Hämischkeit«

detraktive

Impuls

worden und springen und einer Art zu

loger

Weg

Neid

sich der

bildet sich, ganz gleichgültig, ob

sie

Gegenstand

ist

liegt

sich

In

tiefer

und noch

gleichsam in

des betreffenden

einer

lächeln usw.

ist

der

innerlicher gebereit,

loszu-

ungezügelten

Geste,

stets

zu verraten.

Ein ana-

geht von der einfachen »Schadenfreude«

immer neue Gelegenheiten zur Schadenfreude zu bewirken sucht und sich von

zur »Bosheit«, die

bestimmten Objekten die Schadenfreude.

ment.

schon abgelöster zeigt wie

Indes dies alles

ist

nicht Ressenti-

Es sind nur Stadien im Werden seiner Aus-

gangspunkte. Rachegefühl, Neid, Scheelsucht, Hämischkeit, Schadenfreude

und Bosheit treten

erst

da 53

in die

Ressentimentbildung

liche

Überwindung

Verzeihen)

noch

(bei

ein

ein,

wo weder

der Rache

Handeln,

eine sitt-

B. echtes

z.

respektive

ein

adäquater Ausdruck der Gemütsbewegung in Aus-

drucksäußerungen Faust usw.

und wo

erfolgt;

folgt, weil ein

B. Schimpfen,

z.

es

Schütteln der

darum

nicht

er-

noch ausgeprägteres Bewußtsein der

Ohnmacht ein solches Handeln oder einen solchen Ausdruck hemmt. Der Racheerfüllte, der durch das Gefühl in Aktion versetzt wird und sich rächt; der Hasser, der dem Gegner Schaden zufügt oder ihm wenigstens

»seine

Meinung« sagt oder

sich

auch

nur bei anderen über ihn ausschimpft; der Neidische,

im Auge

der das Gut, das er im Neide

hat, zu er-

werben sucht durch Arbeit, Tausch, Verbrechen und

Nur dort Entstehung, wo eine

Gewalt, verfallen nicht in Ressentiment. liegt eine

Bedingung für seine

dem

Gefühl

umzusetzen,

Hand

besondere Heftigkeit dieser Affekte mit

Ohnmacht Hand geht, und

der in

sie

in Tätigkeit sie

darum

»verbissen«

werden



es

aus Schwäche leiblicher und geistiger Art,

sei es

aus Furcht und Angst vor jenen, auf welche

sei

die also

Affekte bezogen sind.

Das Ressentiment

ist

seinem Boden nach vor allem auf die jeweilig

Dienenden, Beherrschten,

die vergeblich gegen

den Stachel einer Autorität Anlockenden beschränkt;

und wo eine

54

es sich bei

anderen

zeigt,

da

ist

entweder

Übertragung durch psychische Ansteckung ge-



geben,

deren das ungemein kontagiöse seelische



Gift des Ressentiment besonders leicht fähig ist

oder es

ist

ein in

diesem Menschen selbst unter-

drückter Trieb, von ihren einer

dem

die

Ressentimentbildung

Ausgang nimmt, und der nun in dieser Form »Verbitterung« und »Vergiftung« der Persön-

lichkeit revoltiert.

Diener

in

Darf sich ein schlecht behandelter

dem »Vorgemach ausschimpfen«,

er nicht in jene innere »Giftigkeit«,

fällt

so verdie

zum

Ressentiment gehört; wohl aber, wenn er noch immer »gute Miene

zum bösen

plastisch sagt)

machen

Spiel« (wie die soll,

und

Wendung

so

die ablehnenden,

feindseligen Affekte in sich begräbt.

Doch verfolgen wir

die verschiedenen

Ausgangs-

punkte der Ressentimentbildung etwas genauer. Racheimpulse führen zur Ressentimentbildung um so mehr, je mehr das Rachegefühl eigentliche Rach-

sucht wird,

je

mehr

sich die

Richtung des Rache-

impulses auf unbestimmte Objektenkreise verschiebt, die

nur ein gewisses Merkmal gemeinsam haben

müssen,

je w^eniger zugleich sie sich

durch Vollzug

der Rache an einem bestimmten Objekt befriedigt.

Dauernd da,

unbefriedigtes Rachegefühl

kann zumal

wo das überhaupt mit dem Rachegefühl schon

von Natur aus verbundene Bewußtsein des »Rechtseins« (das z. B. dem Wut- oder Zornausbruch fehlt)

radezu

sich zur

zum

Idee

inneren

einer

»Pflicht«

Hinwelken und

steigert,

ge-

zum Tode 55

Rachsucht eingetreten, so werden Vorfälle, die Anlaß zu einem inneren Racheakt geben können, auch geradezu (ohne bewußten Willensakt) triebartig aufgesucht oder durchTäuschungstendenz in

führen^).

alle

Ist

möglichen Handlungen und Äußerungen anderer,

die gar nicht verletzend gemeint waren, Intentionen

der Verletzung fälschlich hineingetragen. Eine besonders große »Verletzlichkeit« ist häufig auch bereits das

Symptom

eines rachsüchtigen Charakters.

Die vor-

handene Rachsucht sucht sich dann Gelegenheiten ihres Ausbruches. Rachsucht aber führt zur Ressentimentbildung

um

so mehr, je

mehr

die

Ausübung

der Rache, welche eine Wiederherstellung des verletzten Selbstwertgefühls oder der verletzten »Ehre«

oder »Genugtuung« über erlittene Schädigung hervor-

zurückgedrängt wird und in noch stärkerem Maße, als auch der innerseelische Fantasieausdruck

ruft,

zurückgedrängt,

schließlich

ja

selbst verdrängt wird.

Zustand

Dann

erst

Racheregung knüpft sich an den die

Tendenz zur Wertdetraktation des Anderen, durch die auf illusionäremWeg dieSpannung die

aufgelöst wird.

Bedingungen solcher Art sind aber um so mehr erfüllt, als folgende Faktoren hinzutreten: Es gehört zum Wesen des Rachegefühls, daß es — selbst schon auf Zurückstellung des ersten 1)

J.

M. Guyau führt

Sans Obligation et

56

in

Gegen-

seinem Buche »Esquisse d'une Morale

Sanction« solche Beispiele an.

Impulses aus

Ohnmacht beruhend



Tendenz

die

immer weitergehende Zurückstellung und Ver-

auf

drängung

Dies drückt auch das

besitzt.

wort mit aus, daß »Rache

Es

wird«.

ist



am

ceteris paribus

Haltung des schwächeren

Sprich-

besten kalt genossen

— daher

Teiles.

stets die

Ebenso wesentGleich-

lich aber gehört es zu ihm, daß eine gewisse

stellung des Verletzten mit dem Verletzer stattfindet^). Der Sklave, der eine Sklavennatur ist oder sich selbst als Sklave fühlt und weiß, empfindet keine Rache, wenn er servile

Kind

vom Herrn

verletzt wird

;

auch der

Dienstbote nicht, wenn er gescholten wird: das

nicht,

wenn

es eine

Ohrfeige bekommt.

Umge-

kehrt sind große innere, verhaltene Ansprüche, großer Stolz bei nicht angemessener äußerer sozialer Stellung

für die stig.

sich

Erweckung des Rachegefühls besonders gün-

Soziologisch folgt hieraus der wichtige Satz, daß

um

so größere

Mengen

mites bilden werden, je größer die

^)

DynaDifferenz ist

dieses seelischen

Die ungeheure Explosion von Ressentiment in der französischen

alles, was mit ihm an Lebensstil zusammenhing, wäre, wie schon die Bildung dieser Ressentimentmenge überhaupt, völlig undenkbar gewesen, wenn nicht dieser Adel selbst (nach W. Sombarts Berechnungen, siehe Luxus und Kapitalismus,

Revolution gegen den Adel und

S.

10



24),

zu mehr als

Roture, die sich mit

*/-

seines nominellen Bestandes

dem Kaufe

mit bürgerlichet

der adeligen Güter auch der Titel und

Namen ihrer Besitzer bemächtigte, durchsetzt und durch Geldheiraten blutsmäßig zersetzt gewesen wäre. Erst das neue Gleichgefühl der Empörer gegen die herrschende Schicht gab auch diesem Ressentiment erst seine Schärfe. 57

zwischen der politisch-verfassungsmäßigen oder der

entsprechenden Rechtsstellung und öffent-

»Sitte«

Gruppen und ihren faktischen

lichen Geltung der

Machtverhältnissen. Nicht auf einen dieser Faktoren

sondern auf die Differenz beider

allein,

an.

kommt

sozialen, auf Besitzgleichheit hintendierenden

zum

wäre

kratie

mindesten das soziale Es wäre aber auch gering

sentiment gering.



war gering

Gesellschaft, einer

es

In einer nicht nur politischen, sondern auch

scharf

äußerste

z.

B. in einer

wie

sie

Res-

— und

Kastenordnung

Indien bestand

in

Demo-

oder

Standesordnung,

artikulierten

der in

Die

Ladung von Ressentiment muß demnach

eine solche Gesellschaft besitzen, in der, wie in der

unsrigen, ungefähr

Rechte

gleiche politische

und

sonstige

resp. öffentlich anerkannte, formale soziale

Gleichberechtigung, mit sehr großen Differenzen der faktischen Macht, des faktischen Besitzes faktischen Bildung, jeder

das

gleichen

Hand

»Recht« hat,

und

kann«. Hier

charakteren

sich

in sich

Hand mit

gehen.

und der In der

jedem zu

ver-

doch »faktisch nicht vergleichen

— ganz abgesehen von den Individualund -erlebnissen — schon durch die

ist

Struktur der Sozietät

eine

mächtioe Ladung

Zu diesem Faktor tritt der andere, daß Rachegefühl um so mehr in Ressentiment übergeht, je mehr das Rachegefühl auf dauernde, kontinuierlich als »verletzend« em-

mit Ressentiment gewiß.

58

pfundene

und

Macht

der

Verletzten

des

ent-

je mehr die Verletzung wird. empfunden Am stärksten ist als Schicksal dies da der Fall, wo ein Einzelner oder eine Gruppe

zogene Zustände übergeht;

schon ihr Dasein und Sosein zu

Rächendes empfinden.

viduen der Fall bei

etwas gleichsam

als

Solches

allen, bes.

den

für

ist

Indi-

leicht äußerlich

sichtbaren, Defekten der Körperbeschaffenheit

Naturanlage.

Das Krüppelressentiment

ist

und

bekannt

desgleichen das der unternormalen Einfältigkeit und

Dummheit. vorhebt

Das



wie Nietzsche mit Recht her-

— ungeheure

jüdische

Ressentiment

ist

doppelt genährt durch das Zusammenwirken des un-

geheuren Nationalstolzes dieses Volkes (»auserwähltes

Volk«)

mit

einer

Jahrhunderte

als

Schicksal

empfundenen Verachtung und Zurücksetzung; neuerdings noch im besonderen Maße durch das Zusammenwirken formaler Gleichberechtigung mit faktischer Zurücksetzung. Der bis ins äußerste gesteigerte Erwerbstrieb dieses Volkes ist neben Anlagefaktoren und anderen Ursachen auch zweifellos eine Folge der konstitutionell gewordenen Störung des jüdischen Selbstgefühls; er ist die Kompensation für die fehlende,

dem nationalen Eigenwertgefühl

sprechende soziale Anerkennung.

daß schon

die

eigene

Gruppenexistenz und ihre

schicksalsmäßige Beschaffenheit etwas fordert, ist

auch

in der

ent-

Die Empfindung,

sei,

das Rache

Entwicklung der Bewegung 59

des vierten Standes ein gewaltiger Motor für dessen

Lebensäußerungen geworden. Je schicksalsmäßiger ein dauernder sozialer Druck empfunden wird, desto weniger wird und kann er Kräfte zur praktischen

Änderung macht er

Zustände entbinden; desto mehr

dieser

sich in einer positiver Ziele

Die besondere Art von

Bestehenden Luft.

alles

»Kritik«, die

man

als

baren Kritik

»Ressentimentkritik« bezeichnen

kann, besteht hierbei darin, daß jede Abhilfe der als

mißlich

empfundenen Zustände nicht

digung auslöst

— wie

mit posi-

es bei jeder Kritik

tiven Zielen der Fall

ist



Befrie-

sondern im Gegenteil

Mißbefriedigung hervorruft, da

sie

das wachsende

im puren Schelten und der Negation Für mehr als eine unserer unterbindet.

Lustgefühl, das liegt,

heutigen politischen

man

sie

und

Parteien

gilt

der

ihre Vertreter durch nichts

Satz,

daß

mehr ärgern

man

entweder einen Teil ihrer Programmforderungen verwirklicht, oder daß man ihnen

kann,

das

als

daß

Hochgefühl der »grundsätzlichen Opposition«

dadurch

vergällt,

daß

man

einige ihrer

Vertreter

zur positiven Mitarbeit im Staatsleben heranzieht.

Die »Ressentimentkritik«

daß

sie

gar nicht ernstlich

hat

eben das besondere,

»will«,

was

sie

zu wollen

vorgibt; sie kritisiert nicht zur Abhülfe des Übels,

Vorwand, sich überhaupt auszulassen. Wer kennte nicht bekannte Abgeord-

sondern benutzt dies

als

nete unserer Parlamente, deren Kritik eben

60

darum

so

unbedingt und maßlos

ist,

da

sie

mit nichts sicherer

rechnen, als damit, nie Minister zu werden?



Erst

im Gegensatz wo diese Scheu vor der Macht konstitutionell wird, ist zum Willen zur Macht



Umgekehrt

Ressentiment der Motor der Kritik.

daß der politischen Kritik einer Partei sofort der Giftzahn dadurch ausgebrochen wird, indem sie zu positiver Mitarbeit im

ist es

eine alte Erfahrung,

Staate herangezogen wird^).

Einen zweiten Ausgangspunkt der Ressentimentbildung bilden Neid, Eifersucht und Konkurrenz»Neid« im gewöhnlichen Wortsinne ent-

streben.

springt

aus

dem Ohnmachtsgefühl,

das sich

dem

Streben nach einem Gute dadurch entgegenstellt,

daß

es ein

Anderer

besitzt.

Die Spannung zwischen

diesem Streben und dieser Ohnmacht führt aber

zum Neide

erst

da,

wo

sie

sich

in

einem Haß-

akte oder in einer gehässigen Haltung gegen den Besitzer einer

dieses

Gutes entlädt;

Täuschung der Andre und

wo

also

vermöge

sein Besitz als die

Ursache unseres (leidvollen) Nichtbesitzes des Gutes

^)

Unser gegenwärtiger Halbparlamentarismus im Deutschen Reiche

wirkt zwar als Entladungsform aufgestapelten Ressentiments günstig auf die innere Gesundheit des Volkes, zieht aber in

dem Maße,

als

das Parlament von der regierenden Tätigkeit oder doch von der

Funktion, eine Selektionsform für die besten politischen Köpfe und ist, nur jene

stärksten Willen der Nation darzustellen, ausgeschaltet

Ressentimenttypen an, die

es auf sich

nehmen, daß

ihre

Mißtrauensvota

die Stellung der Minister eher befestigen als erschüttern.

61

Durch diese Täuschung, die uns als positive Wirksamkeit »gegen« unser Streben vorspiegelt^), was faktisch nur unsere Ohnmacht ist, erlebt wird.

uns in den Besitz des Gutes zu setzen, findet die

Eingangsspannung eine gewisse Verminderung. Ohne das besondere Erlebnis dieser Ohnmacht kann es zu echtem Neide so wenig kommen als ohne diese Bloße

Kausaltäuschung.

Unlust

daran,

daß

ein

Anderer das Gut

besitzt, das ich erstrebe, ist nicht

»Neid«;

sie

ebenso Motiv,

gleiches

auf

ist

irgendeine

Art

das Gut

zu

erwerben,

durch Arbeit, Kauf, Gewalt, Raub. Versuch,

sich

diese

oder ein

Erst

z.

wo

B.

der

Arten des Erwerbens vorzu-

und das Ohnmachtsbewußtsein einsetzt, entspringt der Neid. Darum ist es ein völliger Irrtum, wenn man unter anderen seelischen nehmen,

mißlingt

Agentien (Habsucht, Herrschsucht, Eitelkeit) auch

den Neid

als

Triebkraft der Entwickelung der Zivili-

sation hingestellt hat.

Der Neid spannt

nicht, son-

dern entspannt den Willen zum Erwerb. Wieder aber

und

um

so

als es sich

um,

ihrer

führt der Neid erst da

timentbildung,

mehr zur RessenNatur nach un-

erwerbbare, Werte und Güter handelt und

als diese

^) Im Neiderlebiiis ist uns daher der bloße Besitz des erstrebten Gutes durch den Anderen geradezu als ein »Wegnehmen« dieses Gutes durch den Anderen gegeben; dies ist die Folge davon, daß wir es im Hinblick auf es uns zunächst (illusionär) aneignen, so daß der dann plötzlich entdeckte Besitz des Anderen uns als einO; uns das Gut entziehende »Kraft«, ein »Wegnehmen« erscheint.

62

gleichwohl in der Vergleichssphäre gelegen sind, in

der wir uns im Vergleich mit Anderen bewegen.

Der ohnmächtigste Neid ist zugleich der furchtbarste. Der Neid, der die stärkste Ressentimentbildaher derj enige Neid, der sich auf das individuelle Wesen und Sein einer fremden Person Dieser Neid flüstert richtet, der Existenzialneid.

dung auslöst,

ist

gleichsam fortwährend: »Alles kann ich

Dir ver-

Du bist und das Wesen bist, das daß nicht ich bin, was Du bist; ja

zeihen nur nicht, daß ;

Du daß die

nur nicht,

bist;

»ich« nicht

»Du«

bin.« Dieser »Neid«

entmächtigt

fremde Person von Hause aus schon ihrer bloßen

Existenz,

solche

die als

als

»Druck«, »Vorwurf«,

Maß der eigenen Person empfunden wird. dem Leben großer Menschen stets kritische wo Liebesintention und Neid gegen Andere,

furchtbares

Es

gibt in

Zeiten,

die sie ob großer

Vorzüge schätzen müssen,

sie

Weise abwechselnd durchfluten und

in labiler

noch erst

langsam das eine oder das andere sich langsam fixiert. Solche hat Goethe im Auge, wenn er sagt: »Gegen große Vorzüge gibt Liebe.«

In

dem

es

nur eine Rettung, das

ist die

Verhältnis von Antonio zu Tasso

Aufzug des zweiten Aktes solchen labilen Zustand an. ZwischenMariusundSulla, Caesar und Brutus, spielt eine analoge Dynamik. Von deutet

diesen

er

im

dritten

immerhin seltenen Fällen von Existenzneid

abgesehen, sind es wieder vor allem angeborene

oder

weniger verbreitete

Natur-

mehr

und Charakter63

anlagen

von

Individuen

Ressentimentneid

und

auszulösen

Gruppen, pflegen:

die

den

Neid

auf

Schönheit, Rassenhöhe, vererbbare Charakterwerte

höherem Maße Name, Ehren. Erst an also in

als

Neid auf Besitz, Stand,

diese Neidarten knüpft sich

Erscheinung der illusionären Entwertung der

die

ursprünglich den Neid erregenden positiven Werte,

über die nachher zu reden sein wird. In

all

diesen Fällen aber

ist

der Ursprung des Res-

sentiments an eine besondere Art der Einstellung auf

dasWertvergleichen von

sich selbst

mit Anderen

gebunden, die einer gesonderten, kurzenUntersuchung bedarf.

Vergleiche unseres Selbstwertes überhaupt,

oder irgendeiner unserer Eigenschaften mit den Wer-

Anderen zukommen, vollziehen wir fortwähund jeder vollzieht sie, der Vornehme und Gemeine, der Gute und Böse. Wer sich z. B. ein Vorbild

ten, die

rend;

wählt, einen »Helden«,

irgendwie gebunden.

ist

an solchen Wertvergleich

Alle Eifersucht, aller Ehrgeiz,

aber auch eine Haltung wie Christi« ist

z.

B.

die »Nachfolge

mit solchen Vergleichen durchsetzt.

Wir

können G. Simmel nicht zustimmen, wenn er den »Vornehmen« dadurch definieren will, daß er sich und seinen Wert mit Anderen nicht vergleiche, daß er »jeden Vergleich ablehne«.

ablehnt,

ist

nicht

vornehm,

Wer

jeden Vergleich

sondern

eines

der

Goethischen »Originalen«, ein »Narr auf eigene Hand«,

— 64

wenn

nicht ein Snob.

Aber gewiß hat Simmel

etwas Richtiges im Auge. sein«

kann

Jedes »Vergleichsbewußt-

sich auf verschiedene

Weisen

realisieren.

Zwei dieser Weisen bestehen darin, daß entweder die Relationsglieder

schon vor und unabhängig

vom

Vergleichsprozesse oder der aufspringenden Relation z.

B. »ähnlich«, »gleich« usw. (wo keine Vergleichs-

vorhergeht)

tätigkeit

in

besonderen

Akten

der

Perzeption erfaßt sind, oder umgekehrt erst so zur

Gegebenheit kommen, daß der noch unbestimmten

sie sich als

Erfüllungen

Fundamente schon vorher

erfaßter eingliedriger oder purer Relationsphänomene einstellen.

sachen, glieder

Es sind

daß (z.

uns

festgestellte

Relationen

phänomenale Tat-

zweier

Beziehungs-

B. Farben, Töne, Gesichter usw.) schon

Gegebenheit des einen der Glieder mitgegeben

bei

sein können,

z.

B. eine bestimmte qualifizierte

lichkeit eines Gesichtes zu

Ähn-

einem anderen, das wir

Das Relationsbewußtsein sowohl einfacher als komplexer Inhalte wirkt hier determinierend für das bewußte

nachträglich erst in der Erinnerung suchen.

Auftreten des anderen

Inhaltes.

Ja, selbst pure

Relationserlebnisse, die erst sekundär das auswählen,

was uns eben dadurch zum Bewußtsein kommt, daß die betreffenden Gehalte an die noch unbestimmten Stellen der uns bereits gegebenen, und qualifiziert gegebenen, Relation treten, lassen sich ist

1.5

phänomenal nachweisen. Dieser Unterschied von Wichtigkeit. Was Simmel die Haltung

hier

65

der »Vornehmheit« ^nennt, besteht darin, daß nie-

mals ein wertvergleichendes »Messen« meines Wertes und des Wertes, der einem Anderen zukommt, zur

Bedingung

fundierenden

für das Erfassen des eige-

nen und fremden Wertes wird und dieses Messen niemals die Werte ihrem Gehalt nach beschränkt und seligiert, die

an mir und den Anderen zur Erfassung ge-

langen. Der »Vornehme« hat ein ganz naives, unreflektiertes,

jeden bewußten Augenblick seiner Existenz

kontinuierlich erfüllendes dunkles Bewußtsein seines

Selbstwertes

und

seiner Seinsfülle; gleichsam seiner

selbständigen Eingewurzeltheitim Universum. Dieses

Bewußtsein halten, das

ist

nichts weniger wie »Stolz«,

gerade aus der

— ein Ver-

Minderung

erlebten

dieses »naiven« Selbstwertbewußtseins resultiert,

und

ein hierauf sich einstellendes besonderes künstliches

»Festhalten« des Selbstwertes, ein

Akt

seiner reflek-

tierten Erfassungund»Bewahrung«ist 1). Eben dieses naive, ihn wie der Tonus die Muskeln begleitende

Selbstwertgefühl positiven

ist

es,

das

den Vornehmen die

Werte Anderer ruhig

läßt, in der

in sich

aufnehmen

ganzen Fülle ihres Gehaltes und ihrer

dem Anderen eben »gönnen« läßt. Daß das

Konfiguration; und die ihn

diese

UniWerte frei und large entmehr versum auch noch diese positiven Werte hält, erfüllt den »Vornehmen« mit Freude und macht ^)

Stolz beruht also

Selbstbewußtseins.

66

immer auf einem Mangel

dieses

natürlichen

ihm

die

Welt liebenswerter

aus besonderen,

auf

die

vorher war. Nicht

als sie

Werte

seiner

einzelnen

Eigenschaften, Fähigkeiten, Anlagen gehenden Wertgefühle

setzt

sich

dieses

naive

Selbstwertgefühl

Vornehmen etwa »zusammen«; es geht vielmehr ursprünglich auf sein Wesen und Sein selbst. Eben darum vermag er ruhig vergleichend festzustellen, daß der Andere ihm in dieser oder des

jener »Eigenschaft« »überlegen«

ist,

in dieser oder

jener »Fähigkeit«, ja in allen Fähigkeiten. Sein naives Seinswertgefühl,

das

sich

ihm

nicht

durch

erst

Leistungen und Fähigkeiten zu solchen beweisen oder rechtfertigen, sondern höchstens in solchen »be-

währen« muß, wird dadurch nicht vermindert. Das (im prägnanten Sinne) »Gemeine« besteht im letzten

Grunde dagegen darin, daß sich dieSelbstwerterfassung und die Fremdwerterfassung nur fundiert auf Relationserfassung, zwischen Eigen- und Fremdwert realisiert, und daß nur jene Wertqualitäten überhaupt zur klaren Erfassung kommen, liche«

Differenzwerte

Fremdwerten

vor dem

sind.

zwischen

Der Vornehme

Vergleich; der

Gemeine

die

»mög-

und Werte

Eigenwerten erlebt die

erst

im und

durch

den Vergleich. Die Struktur: »Beziehung von Eigen-

und Fremd wert« wird also im »Gemeinen« zur selectiven Bedingung seiner Werterfassung überhaupt. Er vermag an Anderen keinen Wert aufzufassen, ohne ihn zugleich als ein »Höher« und »Niedriger«, als ein 5*

67

»Mehr« oder »Weniger« seines Eigenwertes zu nehmen,

ohne

also

den Anderen an sich und sich an dem

Anderen zu messen. Auf der gemeinsamen Grundlage einer solchen Einstellung erheben sich aber nun zwei Untertypen,

nachdem Kraft oder Schwäche, Macht oder Ohnmacht mit jener Vergleichseinsteldie sich sondern, je

lung sich verbinden.

Die kraftvolle Spielart des

»gemein« wertenden Typus wird

zum

»Streber«, die

schwache Spielart zum Ressentimenttypus. Als »Streber«

bezeichnen wir nicht denjenigen,

und kraftvoll, sei es nach Macht, Ehre und anderen wertvollen Gütern strebt. Solange ihm noch ein Eigengehalt einer »Sache«

der energisch Besitz,

vorschwebt, die er in Tätigkeit und Beruf fördert

und vertritt, gebührt ihm dieser Name nicht. »Streber« ist

vielmehr derjenige, für den sich das Mehrsein,

Mehrgelten usw. im möglichen Vergleich mit Anderen als

Zielinhalt seines Strebens vor irgendwelchen

qualifizierten

Sachwert schiebt; dem jede »Sache«

nur gleichgültiger Anlaß wird, das ihn drückende Gefühl des »Wenigerseins«, das

sich in dieser Art des

Wird Werte zu dem in

Typus

Vergleichs einstellt, aufzuheben.

dieser

des Auffassens der

einer Gesell-

schaft herrschenden Typus, so wird das »Konkur-

renzsystem«

Es

ist

um

die

Seele

einer

solchen

so »reiner« gegeben, je

Gesellschaft.

weniger sich der

Vergleich in bestimmten Sphären bewegt, die 68

z.

B.

Ständen

mit den damit ver-

sowie

entsprechen,

bundenen Ideen von »standesgemäßem Unterhalt«, standesgemäßer Lebensführung, Sitte usw. Der einzelne mittelalterliche Ackerbauer vor dem 13. Jahr-

dem Feudalherrn, der Handwerker nicht mit dem Ritter usw. Er vergleicht sich höchstens mit dem reicheren

hundert

vergleicht

nicht

sich

mit

oder angeseheneren Ackerbauer, und so jeder nur innerhalb seiner Standessphäre. Gewisse Ideen sachlicher Einheiten

von Lebensaufgaben jedes Standes,

die der Gruppe als solcher eigen sind, binden hier jene

vergleichende Auffassung in die Grenzen von Ganzheiten,

die höchstens wieder als solche verglichen

Darum

werden.

beherrscht in solchen Zeiten allent-

halben der Gedanke der Gott- und naturgegebenen »Stelle«,

auf die sich Jeglicher gestellt fühlt

der er seine

besondere

Nur

Lebensverhältnisse.

wertes kreist sein

Vom

langen.

Pflicht

zu

und auf

tun hat,

alle

innerhalb dieses Stellen-

und sein Verzur Hure und zum Henker

Selbstwertgefühl

König

bis

trägt hier jeder jene formale »Vornehmheit« der Hal-

tung, an

seiner »Stelle« unersetzlich zu sein.

Im

»Konkurrenzsystem« hingegen entfalten sich die Ideen der sachlichen Aufgaben erst auf

und

ihrer

prinzipiell

Grund der Haltung des Mehrseins- undMehr-

geltenwollens Aller mit Allem.

nun zu einem bloß Jagd.

Werte

Jede »Stelle« wird

transitorischen

Punkt

in dieser

Die innere Grenzenlosigkeit des Strebens

ist

69

hierbei eine Folge des Wegfalls aller ursprünglichen

Sach-

und

Strebens.

Wertgebundenheit

qualitativen

des

Diese Struktur der Wertauffassung führt

aber gleichzeitig von selbst den Sachgütern gegenüber zur primären Auffassung ihrer als »Ware«, d. h. als in Geldwert auszudrückendes Tauschobjekt

und zur

Auffassungsforni des zeitlichen Lebensabflusses, so-

wohl

Individuen

der

als

der Gemeinschaften

als

»Fortschritt«; dieser Auffassungsform gesellt sich ein

»Fortschrittsstreben«

spezifisches

Endstelle irgendeines ablaufs, der eine

Wenn

bei.

ökonomischen

phänomenale Erlebniseinheit

(wie klein oder groß diese iminer gewählt

her stets »Besitz« und

Übergangsziel

wird

jetzt

die

(als

bildet,

sei)

vor-

»Genuß« irgendeiner quali-

tativen Werteinheit war als

die

Motivations-

und das Geld

hierbei nur

Tauschmittel) fungierte, so

»Endstelle«

solcher Ablaufseinheit

Geldwertquantum eingenominen

und

die Qualität des Gutes wird »Übergangsziel«.

Die

durch

ein

—Ware — Geld, Ware — Geld — Ware war.

Struktur der Motivation wird Geld

während

sie

vorher

(K. Marx.)

Der

Genuß

qualitativer

nicht auf; aber er sich als



ja

Werte hört

natürlich

seine Möglichkeit — bewegt

nur mehr innerhalb der Grenzen der zunächst Warenwerteinheit appercipierten Güter.

dem Auffassungsakt

Auch

der in den einzelnen, generellen

und individuellen Lebensphasen liegenden Werte 70

nun der besondere Aspekt, daß nur der Mehr wert einer Phase (Kindheit, Jugend, Reife, Alter) entspricht

über die andere hinaus in das werterfassende Be-

wußtsein

tritt, also

keine Phase

mehr

ihren beson-

deren Eigenwert und eigentümlichen Sinn hat. Ideen von »Fortschritt« und

Die

»Rückschritt« werden

nicht etwa an den, in ihrem Eigengehalt zuerst ge-

sehenen und festgestellten Lebensphasen empirisch

vorgefunden und gerechtfertigt, sondern zu

sie

werden

Selektionsformen der Selbst-, Fremd- und Ge-

schichtsauffassung.

Erst J.

J.

Rousseau hat gegen

eine Erziehungslehre Front gemacht, welche Kindheit

und Jugend nur als Vorform der Reife ansieht. Erst L. von Rancke hat gegen die kindliche Fortschritts-Geschichtsauffassung des Liberalismus seine

wundervollen Sätze (siehe bes. »Über die Epochen der neueren

Geschichte«,

1.

Vortrag)

gestellt:

»Eine

würde an Bedeutung nicht haben; sie würde

solche gleichsam mediatisierte Generation

und

für sich eine

nur insofern etwas bedeuten,

als sie

Stufe der nach-

folgenden Generation wäre und würde nicht im unmittelbaren Bezug

zum

Göttlichen stehen. Ich aber

Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, Wert beruht gar nicht auf dem, was aus

behaupte:

und ihr

ihr

hervorgeht,

sondern in ihrer Existenz

selbst,

ihrem eigenen Selbst.« Der hier zurückgewiesenen Auffassung entspricht das Fortschrittsstreben, dessen

in

Wesen

darin besteht, daß nicht bestimmte Sachziele 71

das

Streben und

Tun

sondern das bloße

leiten,

Übertreffen der gegebenen Phase

— zum

alles



der »Rekord«

bewegenden Grundmotive wird und die aus diesem Streben sekundär heraus-

Sachziele erst

wachsend,

gleichgültige »Übergangspunkte« der

als

Fortschrittsbewegung erscheinen.

Anders

ist

es,

wenn

sich

bloßer Relationswertung

mit der Einstellung zu

Ohnmacht

verbindet.

Dann

vermag das drückende Minderwertigkeitsbewußtsein, das sich durch den »gemeinen« Typus der Wertauffassung immer wieder einstellen muß, kein aktives Verhalten zu ergeben.

Spannung

volle

spezifischen

Gleichwohl fordert die pein-

eine Lösung.

Sie findet sie in der

Werttäuschung

des

Ressentiment.

Das vom »Gemeinen« gesuchte Bewußtsein der Mehrwertigkeit oder Gleichwertigkeit, das die Spannung löst,

wird hier erreicht durch illusionäre

drückung

gleichsobjekts oder durch heit« für erst

liegt

Herunter-

der wertvollen Eigenschaften des Ver-

sie; in [zweiter

die

eine

spezifische »Blind-

Linie aber



und

hierin



Hauptleistung des Ressentiment

und ^Fälschung der Werte selbst, unter deren Sein und Geltung mögliche Vergleichsobjekte überhaupt positiv wertvollen und hochdurch

Illusion

wertigen Charakter besitzen (Siehe das Folgende).

An

dieser Stelle wird eine allgemeine Frage des

philosophischen Wertproblems für das Verständnis der Ressentimenttäuschung so bedeutsam, daß 72

sie

übergangen werden kann.

hier nicht

Streben und

Worte,

Eine

Begehren.

vertretene Theorie

betrifft

und

Wertbewußtsein

von

Grundverhältnis

das

Sie

behauptet,

seit

Spinoza viel

daß der Sinn der

welche positive und negative Werte be-

zeichnen,

B. der Sinn der Worte »gut« und »schlecht«

z.

im Grunde kein anderer

»Begehrt werden« bzw.

sei als

»Erstrebtsein« resp. Inhalt eines »Widerstrebens«

sei.

— heißt Begehrtwerden »Begehrtwerden können« — wo gerade keine aktuelle

»Gut«



so Spinoza

resp.

Begehrung vorhanden

Nicht also baut sich nach

ist.

und Widerstreben auf fundierendes Wertbewußt-

dieser Lehre das Erstreben ein vorangängiges

sein

und

es

»von Etwas« auf; sondern dieses Bewußtsein des

Wertes

hiernach nichts anderes

»ist«

als

eben das

Bewußtsein, zu begehren oder begehren zu können selbst.

Ich habe

widerlegt^). Hier

a. a. ist

0. diese Theorien eingehend

nur zu bemerken, daß

Ressentimentprodukt und zugleich eine

ein pures

Ressentimentbeschreibung Streben sich

sie selbst

ein

ist.

fundierendes

Faktisch

ist

in jedein

Wertbewußtsein,

das

im Fühlen der betreffenden Werte, im »Vor-

Wohl Wertblind-

ziehen« usw. realisiert, anschaulich enthalten.

aber kann

')

zu der Erscheinune der

Siehe Scheler »Der Formalismus in der Ethik und die materiale

Wertethik«, in

es

II.

Teil,

Halle 1914.

»Jahrbücher der Philosophie«,

Vgl. auch II.

meinen Artikel »Ethik«

Jahrgang.

Berlin

1914,

bez.

von Frischeisen-Köhler.

73

heit

oder

Werttäuschung kommen

der

solche Werte,

die das betreffende

für

alle

Subjekt zu

er-

streben sich ohnmächtig fühlt. Das Herabziehen der

Werte oder der Werte,

die

man anerkennt

— auf das

Niveau des eigenen faktischen Begehrens oder des eigenen Erstreben- könnens im Gegensatz zum bewußten Akte der »Resignation« auf Plealisierung dieser Werte; die Einschränkung

also des

auf die eigenen Strebensanlagen

Wertbewußtseins

— anstatt

die

Mes-

sung dieser Anlagen an den zuvor rein aufgenommenen

Werten



die illusionäre Gliederung des Wertreiches

nach »hoch« und »niedrig« gemäß dem Aufbau der eigenen Begierden und Willensziele, das

ist nicht,

wie

jene Lehre sagt, der Gang, indem sich ein normales

und

sachlich sinnvolles Wertbewußtsein realisiert,

sondern

umgekehrt die Hauptquelle der Blindheit, der Täuschungen und Illusionen des Wertbewußtseins. Eben der Akt der »Resignation« beweist, daß das Wertbewußtsein nicht mit dem Erstrebenkönnen zergehen muß. Fängt das Bewußtsein, was gerade wir erstreben können, an, auch den Gehalt unseres Wertbewußtseins zu beschränken wie z. B. im Alter gegenüber den Werten, die nur Jugend erstreben kann oder legen sich die Strebensinhalte wie trübende Medien gerade



über die Inhalte unseres Wertbewußtseins, so



ist

prin-

jene Bewegung des Herabziehens aller Werte zu unserem faktischen Zustande bereits in Gang gezipiell

74

kommen, die in der Verleumdung der Welt und ihrer Werte endet. Der rechtzeitige Akt der »Resignation« allein befreit

uns von dieser Tendenz zur Selbsttäusch-

macht auch, daß wir noch »gönnen« können, wo wir nicht mehr »erstreben« können. Auch

ung.

Er

darin

ist ein

allein

strenger Beweis für die Unabhängigkeit

unseres Wertbewußtseins

vom

Erstreben und Er-

streben können zu sehen, daß bei Perversionen von

Begehrungen

(z.

B. Perversionen des Eßtriebes, des

Geschlechtstriebes, des Luststrebens zur Schmerz-

usw.)

liebe

das Wertbewußtsein nicht notwendig

mit pervertiert.

Besonders zu Beginn solcher Per-

versionen sind nach Ribot u. A. auch die Gefühle

noch

die normalen.

B.

z.

auf

sie

noch

Ekel,

richtet.

Die »ekelhafte« Speise erweckt obgleich

sich

der

Eß- Impuls

Erst später »folgen die Gefühle

langsam dem Trieb« (Ribot) aber auch dann folgt ihm nicht notwendig das Wertbewußtsein. Es gibt ;

darum keine den Perversionen

des Begehrens ent-

sprechende »Perversionen des Wertfühlens«, sondern

nur Illusionen und Täuschungen des Wertfühlens, wie

es

dem

wesentlich kognitiven Charakter dieses

»Fühlens«, »Vorziehens« entspricht.

Die phänomenale Eigenart der durch Ressenti-

ment bewirkten Werttäuschung, das erlebnismäßig Besondere der inneren Haltung eines Menschen, der z.

B. die ihn drückenden fremden

det«, besteht

Werte »verleum-

daher nicht darin, daß ihm die fremden 75

Werte »als« positive, als »hohe« Werte überhaupt nicht im Erlebnis gegeben wären; daß sie für positiven

sein Erleben gar »nicht da« wären.

könnte

Rede

ja

In diesem Falle

auch von einer »Täuschung« nicht mehr die

sein.

Aber auch nicht

daß

darin,

zwar

er sie

d. h.

dem Erlebten

widerstreitende Urteile darüber fällte

und aussagte.

fühlend erlebte und nur falsche

Dies wäre »Irrtum« oder Lüge. Wollen wir seine Hal-

tung deskriptiv

nur etwa sagen:

fassen, so läßt sich

Die Werte sind für ihn

und hohe noch

überdeckt von den Täuschungs-

da, aber gleichsam

werten, durch die

als positive

sie

nur schwach, gleichsam »transDiese »Transparenz« der

parent« hindurchscheinen.

wahren, objektiven Werte durch die Scheinwerte welche

hindurch,

Ressentimentillusion

die

entgegensetzt, dieses dunkle Bewußtsein

ihnen

in einer

un-

echten Scheinwelt zu leben, ohne Macht, durch sie hindurchzudringen und zu sehen, was ist, bleibt ein 1

unaufhebbares

Bestandstück

ebniszusammenhangs ^ Die Art,

des

ganzen

Er-

dem

sich

)

wie sich und

das Maß,

in

und das Ressentinient>< macht A. Gustav Kubaner an obigen Aufsatz anschließend, darauf aufmerksam, daß die christliche Kirche auch in die Idee und Gestalt des Teufels einen direkten Bei John Milton bekennt Erkenntnisschimmer des Guten einlege. der Satan sein Prinzip mit den Worten: 1)

(Beil.

In einer interessanten Studie »Christus

des

Hambg.

Korresp., 28. Sept. 1913)

Farewell remorse: Evil he thou

76

my

all

good to

good.

me

is

lost

Ressentiment in ganzen Gruppen und Individuen ausbildet, ist

an

— wie

schon gesagt, an erster Stelle

die Anlagefaktoren des betreffenden

materials,

an zweiter an

Menschen-

Sozialstruktur

die

Gesellschaft geknüpft, in der diese

der

Menschen leben;

wobei aber die Sozialstruktur selbst bereits durch die erblichen Anlagefaktoren des jeweilig herrschen-

den,

Typus und seiner Werterlebens bestimmt ist. Da das

biologischen menschlichen

Struktur des

Ressentiment sich nie ohne die Mittlerschaft eines spezifischen

Ohnmachtsgefühls ausbilden kann

Ohnmacht

in

irgendeiner,

wechselnden Richtung, so

Erscheinungen

»absteigenden

unendlich

natürlich

stellt

es

eine der

stets

Lebens«



in

letzter

Aber neben diesen allgemeinsten Bedingungen seiner Ausbildung gibt es auch gewisse Ressentimenttypen, deren Erscheinung von indiviLinie dar.

dueller Charakterart der Individuen weitgrehend unabhängig

ist,

da

sie in

gewissen typisch wieder-

kehrenden »Situationen« von Menschen begründet sind.

Ich sage nicht, daß jedes

Immer noch »strahlt aber der Himmel ihm emporschielen muß vind eben

»zu

in

Individuum, das

seine Seele«,

so

dies das höllische

daß

er

Feuer in

seinem Busen schürt«: the more Pleasures about me, so

I

see

much more

I

feel

Torment within me, as from the hateful Of contraries; all good to me becomes Bane, and in Heav'n much worse would be

siege

my

state.

77

in diesen »Situationen« steht,

dem Ressentiment

ver-

muß.

Dies wäre äußerste Torheit. Aber ich daß diese »Situationen« schon durch ihren Formcharakter gleichsam mit einer gewissen Dosis

fallen

sage,

»Ressentimentsgefahr« geladen sind

— und

dies ab-

gesehen von den besonderen Individualcharakteren der in

sie

eingehenden Menschen.

Schon das schwächere, darum rachsüchtigere und gerade in Hinsicht auf ihre persönlichen, unabänderlichen Qualitäten stets zur Konkurrenz mit ihren

um

Geschlechtsgenossinnen genötigte

Weib

»Situation«.

befindet

die sich

Gunst des Mannes generell

in

solcher

Kein Wunder darum, daß die rach-

süchtigsten Gottheiten (z.B. das dunkle Schlangen-

gezücht der Eumeniden) an erster Stelle unter der Frauenherrschaft des Matriarchats erwachsen sind. In den

Eumeniden

des Aeschylos wird die

Ressentiment heilende

Kraft

der

von diesem

Gottheiten

der

neuen Männerkultur, des Apolls und der Athena überaus plastisch

und

Auch daß

anschaulich.

es

Figur der »Hexe« kein männliches Gegenstück

zur gibt,

möchte hierauf beruhen. Die starkeNeigung der Frauen zu detraktivem Klatsch betreffenden Affekte

und

als

Form

der Ableitung der

ist gleichzeitig

eine Art der Selbstheilung.

hiervon Zeugnis

Besonders gesteigert

wird die Ressentimentgefahr aber beim Weibe dadurch, daß Natur

und

Sitte

ihm gerade im Gebiete

seines zentralsten Lebensinteresses, der Liebe

78

zum

Manne,

die reaktive

und passive Rolle der Geworbenen

zuschreibt. Sind die aus Verletzungen des Eigenwert-

durch

gefühls

erotisch -geschlechtliche

Ablehnung

des anderen Teils geborenen Racheimpulse schon

überhaupt darum

in weit

drängung unterworfen, sie

am

wenigsten

als

höherem Maße der Verandere Rachegefühle, da

durch »Mitteilung« an Andere

werden können, da Scham und Stolz Vorwurf schon und Aussprache verbieten, da es für sie außerdem — soweit sie nicht gleichzeitig Rechte

abgeleitet

schädigen

— kein Forum

gibt,

vor

dem

eine

tuung« gegeben werden könnte, so sind doppelt beim Weibe,

dem

die gesteigerte

»Genug-

sie

es

Scham und

die Sitte hierin die größte Reserve aufdrängen. »alte Jungfer«,

Was

Die

deren Zärtlichkeits-, Geschlechts- und

Fortpflanzungstrieb

darum

ge-

unterdrückt

selten ganz frei

vom

wir »Prüderie« nennen,

echter

Scham —

Form

des

wurde,

ist

eben

Gift des Ressentiment.



im Gegensatz zu

ist überhaupt nur eine besondere an Spielarten überreichen Geschlechts-

ressentiments. Das zur Einstellung vieler alter Jungfern gewordene Immerwiederauf suchen sexuell bedeut-

samer Vorgänge in der Umgebung, um harte negative Werturteile über sie zu fällen, ist hierbei nur die in die Ressentimentbefriedigung umgewandelte, letzte Form der geschlechtlichen Befriedigung selbst.

Die Kritik

vollzieht also hier selbst, was sie der Scheinintention noch vorwirft.

Die sprichwörtlich »prüde« englisch79

amerikanische Geschlechtsmorai

daß

ist

eine Folge davon,

und

diesen höchstindustrialisierten

in

industrialisierten

schicht



Ländern

ceteris paribus

längst-

die repräsentative Frauen-



sich

mehr und mehr,

wahrscheinlich schon durch Auslese der Erbwerte

aus

solchen

Individuen

rekrutiert,

die



spezifisch

und wenig durch Liebesund Mutterschaftssorgen im sozialen Emporkommen, in »Berechnung« und kontinuierlichem Dienst an weiblicher Reize bar sind

einer wesentlich sind.

utilistischen Zivilisation gehindert

Der reinere weibliche Typus erhält

er nicht

mit ererbtem Besitz geseo-net

durch die Tendenz,

in die Prostitution

ist

— sofern — hier-

abgeworfen

Wie die Prüderie den unermeßlichen Wert der echten Scham per Ressentiment vortäuscht, so wird umgekehrt per Ressentiment auch die echte Scham entwertet in einer Gesellschaft, wo das Urteil zu werden.

der

Dirne zur repräsentativen

»geltende

Moral«

kommt.

Funktion für die

Der Dirnentypus ver-

leumdet die echte Schain des echten Weibes, die selbst nicht

nur im Ausdruck schön

gerade das Schöne und heimlich

Gewußte

ist,

sondern auch

als

positivwertig

verhüllt, als bloße »Furcht«, leibliche oder

Toiletten- Defekte zu verraten.

Was

er selbst als

Naturanlage wenig ausgebildet oder künstlich zurückgebildet besitzt, das wird seinem Ressentiment ein

bloßes »Ergebnis der Erziehung und Sitte«.

Es

ist

interessant, zu sehen, wie dieses Dirnenressentiment

80

zu Ende des

18.

Jahrhunderts besonders in Frank-

reich nicht nur das allgemeine Urteil der herrschen-

den Meinung bestimmt, sondern auch die Theorien der Moralisten und Philosophen inspiriert '^j. Eine generell mit Ressentimentsgefahr geladene Situation

ist

ferner stets die der

älteren zur jünge-

ren Generation. Der Prozeß des Alterns vollzieht sich nur dann in einer innerlich befriedigenden und äußerlich fruchtbaren Weise, wenn bei den freie die wichtigsten schubartigen Übergängen Resignation

auf

die

vorhergehenden Alters-

den

stufen jeweilig spezifischen Werte rechtzeitig einsetzt

von dem Prozeß des Alterns unberührbareren seelischen und geistigen Werte als die der kommenden Altersstufe spezifischen Werte einen genügenden Ersatz für das Entschwindende bieten. Nur sofern dies der Fall ist, können die spezifischen Werte der vergangenen Altersstufe im nachfühlenden Erinnern voll und froh durchlaufen und denen frei »ge-

und sowohl

die

gönnt« werden, die sich auf dieser Stufe befinden. Im

andern Falle wird die dann »quälende« Erinnerung an

die

durch

Jugend vermieden, was wieder sie

Jüngeren ^)

auf

die

vermittelte Verständnismöglichkeit

der

zurückwirkt;

und

gleichzeitig

besteht

Buche über das Schamund Philosophen das Schamgefühl auf »Er-

Vgl. hierzu die von Havelok Eliis in seinem

gefühl gesammelten Urteüe der großen Schriftsteller

des 18. Jahrhunderts.

Sie führen

alle

ziehung« zurück und verwechseln es mit 1.6

dem

»Anstand«.

81

Werte der früheren Kein Wunder darum,

die Tendenz, jene spezifischen

Altersstufe zu

daß

zu

allen

negieren. Zeiten

»jüngere

die

Generation«

mit dem Ressentiment der älteren einen schweren

Kampf

zu kämpfen hat.

Doch

unterliegt

auch diese

Ressentimentquelle einer weitgehenden historischen Variation.

In unentwickelten Kulturverhältnissen

genießt das Alter als solches vermöge seiner Er-

fahrung und Lebensbewährung eine Schätzung und Ehrfurcht, die schon als solche geeignet sind, die

Entstehung von Ressentiment zu unterdrücken.

mehr aber

die Bildungsverdichtung

Je

durch Buchdruck,

durch ein spezifizierteres System leicht zugänglicher Bildungsmittel usw. den Vorzug der Lebenserfahrung ersetzt, je

mehr und

je leichter

sich in Stelle, Arbeit, Beruf

hierdurch die Alten

durch die Jüngeren ver-

drängt sehen^), desto mehr wird die jeweilig ältere

Generation gegenüberder jüngeren von der Herrscherstellung in die Verteidigungsstellung gedrängt.

Je rascher sich einerseits das

Tempo

des »Fort-

schritts« auf den verschiedenen Gebieten gestaltet,

Wandel der Mode, immer höherwertige Gebiete bis hinauf zu Wissenschaft und Kunst zu umfassen strebt, desto weniger können die Alteren den Jüngeren folgen, und desto stärker andererseits der

')

Wie

früh der qualifizierte Industriearbeiter in die Schicht de»

unqualifizierten Arbeiter gegenwärtig abgeworfen wird, die bekannte

82

Enquete des Vereins für

Sozialpolitik.

dazu siehe

wird die Tendenz der Bewertung des »Neuen« an

Und

sich.

wenn eine gesteigerte LebensGeneration als solcher diesem Wandel und das Zusammenwirken ganzer Ge-

dies doppelt dann,

sucht der entspricht

schlechterreihen an einheitlichen, die Generationen

überbrückenden Werken der Konkurrenz und Üljerbietungssucht zwischen den Generationen Platz

Dom



so W. Sombart in seinem »Luxus und Kapitalismus«, S. 115 jedes Kloster, jedes Rathaus, jede Burg des Mittelalters legt Zeug-

macht.

»Jeder



ab von dieser Überbrückung der Lebensalter des Menschen: ihre Entstehung zieht sich

nis

einzelnen

durch

Geschlechter hindurch,

Seitdem das

glaubten.

die

ewig zu leben

Individuum

gerissen hatte aus der, es überdauernden schaft, wird seine

Lebensdauer

Genießens.« Daher das

Sombart

das

entspricht

kratischen lere

immer

heraus-

sich

Gemein-

zum Maßstab

eine Reihe Zeugnisse anführt.

dem

mit

der

seines

raschere Bauen,

für

Dem

der

demo-

Bewegung einhergehende, immer

schnel-

Wechsel

des

Ministerwechsel,

Fortschritt

politischen

jeder

Regimes^).

Wechsel

schaft in einem Parlament,

läßt

der

Jeder

Parteiherr-

aber ein größeres

oder kleineres Heer prinzipieller Opposition gegen die

Werte des neuen, herrschenden Regimes zurück,

die sich

1)

6*

um

Siehe hierzu

so

mehr

W. Hasbach:

in

Ressentiment verpufft,

je

»Die moderne Demokratie«, Jena 1912.

83

weniger

Posten

sie

wieder

Beamte« und

befähigt

sich

zu

den

fühlt,

verlorenen

Der »pensionierte

gewinnen.

sein Anhang ist eine geradezu plastische

Ressentimenttype.

Selbst ein Bismarck ist dieser

Gefahr schließlich nicht ganz entgangen. Eine reiche Quelle von Ressentimenttypen bilden weiterhin gewisse typische Beziehungen der Glieder

der

Familie und Ehe zu

einander.

Allen voran steht

hier die weniger lächerliche als tragische Figur der

»Schwiegermutter«, an erster Stelle die Mutter des Sohnes, bei der die Geschlechtsverschiedenheit der

Mutter zum geliebten Kind das Verhältnis noch kompliziert. Es ohne Verdrängung von Eifersuchts-

haß zu ertragen, daß ein Wesen, das man seit der Geburt geliebt und für das man auf jede Weise gesorgt hat, dessen Gegenliebe

man

voll besaß, sich

plötzlich einem anderen Wesen, noch dazu weiblichen, d. h. des eigenen Geschlechts, zuwendet, einem

Wesen, das für das Liebesobjekt noch nichts geleistet hat und doch alles zu fordern sich berechtigt fühlt: dies noch dazu s o zu ertragen, daß man dazu sich freuen

und

herzlich gratulieren, ja gar noch den Neuling

mit Liebe umfangen die

vom

Teufel,

soll,

selbst

— das

ist

eine Situation,

zur Prüfung eines Helden

eigentlich nicht schlauer erdacht sein könnte.

Daß

und Geschichte aller Völker die Schwiegermutter als ein böses und tückisches Wesen erscheint, ist darum wahrlich kein Wunder. Andere

im

84

Lied, in Sage

analoge Situationen

sind

der nachgeborenen

die

Kinder zum erstgeborenen Sohne, der älteren Frau zum jüngeren Manne und ähnliches mehr.

Wo

der oberflächliche Blick das Ressentiment

ehesten suchen möchte

— pflegt

es

am

— im Typus des Verbrechers

im allgemeinen zu

fehlen.

Schon darum,

im Prinzip ein Er verdrängt seinen Haß, seine Rache, seinen Neid, seine Habsucht nicht, sondern läßt sie im Verbrechen sich ableiten. Nur bei gewissen Untertypen des Verbrechens, die gerade

weil

der

Verbrecher

aktiver Menschentypus

als

pure

d. h.

ist.

Bosheitsverbrechen

charakterisiert

sind,

dadurch, daß der Verbrecher aus seiner Hand-

lung

keinen

eigenen

Vorteil

zieht,

sondern

nur

fremden Schaden intendiert, und die zugleich ein Minimum von Tun und eigenem Risiko fordern, findet

sich

das

verbrecherischen dieser stifter

Typen gelten

Ressentiment

als

Seelenverfassung.

wird

hier

können, soweit

Als

der

reinster

Brandnicht durch den

wohl er

Grundzug der

(seltenen Fall) des pathologischen Reizes des Feuer-

sehens und durch das gewinnsüchtige Motiv, eine

Versicherungssumme einzustecken, in seiner Handlungsweise bestimmt ist. Dieser Typus hat eine

merkwürdig feste Umschriebenheit. Meist still, wortkarg und scheu von Wesen, solid und ein Feind aller alkoholischen und sonstigen Ausschweifungen, ist sein verbrecherischer Akt fast stets die plötzliche 85

Explosion von jahrelang zurück gedrängten Racheoder

Neidimpulsen

erblickte

schöne

(so

große

wenn

z.

B.

der

dauernd

Bauernhof des Nachbarn

einen fortgesetzten Druck auf sein Selbstgefühl aus-

Auch

übt).

gewisse, sich neuerdings häufende ver-

brecherische Ausdrucksformen des Klassenressenti-

ments gehören unter diese Typen. So z. B. der Fall des im Jahre 1912 bei Berlin vollzogenen Autoverbrechens, bei dem im Abenddunkel ein festes Drahtseil

zwischen zwei

Bäumen über

hinweg gespannt wurde, was

die

Landstraße

die Abrasierung der

Köpfe der zuerst ankommenden Insassen eines Autos zur Folge haben mußte. Die Unbestimmtheit der Opfer, die hier nur als irgendwelche »Autoinsassen« charakterisiert sind, und der Mangel jedes eigennützigen Motivs gibt diesem Falle den typischen Ressentimentcharakter.

Auch

in Fällen verleum-

derischer Beleidigung spielt das Ressentiment häufig eine nicht geringe Rolle.

Innerhalb

der

Typen menschlicher Betätigung,

die alle bisherige menschliche Geschichte begleitet

haben, besteht für den Soldaten die kleinste, für

den Priestertypus



wie Fr. Nietzsche mit Recht

hervorhebt, freilich nicht, ohne hieran ganz unzulässige

Folgerungen gegen die



religiöse

Moral zu

Die gründen die größte Ressentimentgefahr. Gründe hierfür sind naheliegend genug. Als der wenigstens der Intention nach 86



— nicht auf irdische

Machtmittel gestützte, ja deren prinzipielle Schwäche vertretende Typus, gleichwohl aber als Diener einer realen Institution scharf

und

schieden,

in die weltlichen

Parteikämpfe hinein-

dazu mehr wie jeder andere dazu verur-

gestellt, teilt,

vom »homo religiosus« unter-

seine Affekte

(z.

der Rache, des Zornes,

B.

des Hasses) wenigstens äußerlich zu beherrschen

und

und das Prinzip des »Friedens«

dar-

überall das Bild zustellen

und zu

vertreten,

sind schon die beruf-

lichen Daseins-Bedingungen des »Priesters« an sich

— abgesehen von seinem Individual-, National- und son-



stigen Charakter

paribus

ceteris

so eigentümlich bestimmt,

mehr wie

daß

er

jeder andere Menschen-

typus der Gefahr jenes schleichenden Giftes aus-

Auch die typische »Priesterpolitik«, nicht durch Kampf, sondern durch Leiden zu siegen, resp. gesetzt

ist.

durch die Gegenkräfte, die bei den, durch ihn mit Gott

verbunden Glaubenden oder Wähnenden die Anschauung seines Leidens gegen seine Feinde aussich

löst,

ist

Politik.

durch

eine

Denn

so

Ressentiment

inspirierte

wenig echtes Glaubensmartyrium

auch nur eine Spur von Ressentiment

in sich schließt,

so sehr ist dieses politisch diktierte Scheinmartyrium priesterlicher Politik geleitet.

Nur wo

sammenfällt,

ist

durch diesen seelischen Habitus

Priester dieser

und homo

religiosus zu-

Gefahr vollständig vorge-

beugt^). Seine gegenwärtige soziale Hauptrolle spielt ^)

Als ein Buch, das in allen seinen Aufstellungen

vom

äußersten

87

das Ressentiment gegenwärtig weit weniger inner-

— soweit nicht durch das Ressentiment gewisser »Führer«existenzen — innerhalb des — mehr und mehr angesteckt versinkenden Handwerks, — des Kleinbürgertums halb der Industriearbeiterschaft

sie

als

ist

und der subalternen Beamtenschaft. es nicht im Plane dieser Studie, auf

Doch die

liegt

Ursachen

dieser Erscheinung genauer einzugehen.

Als zwei spezifisch »geistige« Abarten des Ressenti-

mentmenschen nenne des »Apostaten« und »romantische«

ich endlich (in

noch den Typus

geringerem Maße)

Seelenverfassung

oder

doch

die

einen

ihrer wesentlichen Züge.

»Apostat« darf nicht derjenige genannt werden,

im Laufe

der

oder

seiner

sonstigen

Entwickelung seine religiösen

tiefsten

(politischen,

rechtlichen,

philosophischen) Überzeugungen einmal radikal ver-

ändert; auch dann nicht,

wenn

dies nicht auf kon-

tinuierliche Weise, sondern plötzlich

in bruch-

Der »Apostat« ist vielmehr Mensch, der auch noch in seinem neuen Glaubens-

artiger ein

Form

und

stande

geschieht.

geistig

nicht

primär in dessen positivem

und der Verwirklichung der ihm gemäßen Ziele, sondern nur im Kampfe gegen den alten und um dessen Negation willen lebt. Die Bejahung des neuen Inhaltes ist bei ihm nicht um dessentwillen Inhalt

Priester-Ressentiment diktiert

ist,

muß

das

»De miseria hominis« angesehen werden.

Buch von Innozenz

III.

vollzogen, sondern

von Racheakten an



nur eine fortgesetzte Kette

ist

seiner geistigen Vergangenheit

die ihn faktisch

in

hält

und

mögliches

Be-

Fesseln gebannt

der gegenüber das Neue nur

als

von dem aus er das Alte Der »Apostat« ist als negiert und verwirft. religiöser Typus daher das äußerste Gegenteil zum »Wiedergeborenen«, dem der neue Glaubensinhalt und der ihm entsprechende neue zentrale Lebensprozeß als solcher bedeutsam und wertvoll ist. Mit Recht hat Fr. Nietzsche die Tertullianstelle ziehungsglied

de spectac.

c.

fungiert,

29 (Siehe Genealogie der Moral,

nach der eine Hauptquelle der Seligkeit

im Himmel

sind,

darin bestehen

römischen Statthalter in als

einen

äußersten

ressentiments

impossibile est ctr.

Ausdruck

ineptum

— credo,

derer,

daß

sie

die die

der Hölle braten sehen,

hervorgehoben.

»credibile est, quia

soll,

S. 49),

est,

dieses

Apostaten-

Auch

Tertullians

certum

est,

quia

quia absurdum« (de carne

5; praeser. 7), das seine

Methode der Verteidi-

gung des Christentums, welche eine fortgesetzte Rache an den antiken Werten ist, so scharf zusammenfaßt, ist ein typischer Ausdruck seines Apostatenressentiments^). dem Gesagten

die Charakteristik Tertullians bei J. A. Regensburg 1840. »Von Natur aus bitter und düsteren Sinnes vermochte selbst das milde Licht des Evangeliums diese Trübe nicht aufzuheitern« (S. 703). Tertullians gegen 203 erfolgter ^)

Vgl. zu

Möhler, Patrologie,

89

In vermindertem art

heimlich

Maße

ist

durch dieses

überhaupt jede DenkGift

welche

genährt,

der bloßen Negation und Kritik eine schöpferische

Kraft

geradezu

gesamte Denktypus,

Jener

beimißt.

der neueren

für einen Teil

Philosophie

geworden

»constitutiv«

geben« und »wahr« nicht das dente,

sondern nur das

sich gegen Kritik

und

»Unzweifelbare«,

das

Ressentiment

X

vielleicht als

ist,

in

»ge-

selbst Evi-

sich

zu lassen,

gelten

der

das

Zweifel behauptet, das sog.

»Unbestreitbare«,

genährt

innerlich

und

ist

von

durchseelt.

Nicht minder auch das Prinzip der »dialektischen

A

nicht bloß

will.

(Spinozas

Methode«, die durch die Negation von ein

Non

A, sondern ein

»omnis determinatio,

B

erzeugen

Wo immer

est negatio«, Hegel)^).

auch der Weg, auf dem Menschen zu ihren Überzeugungen gelangen, nicht mehr der unmittelbare Verkehr mit der Welt und den Sachen

selbst

sondern die eigene Meinung sich erst in und übertritt

und

zum Montanismus nach

ist,

durch

dessen Vollzug er die Grundsätze

Sitten der Kirche nicht genug zu verlachen

und verspotten weiß,

nur eine Erneuerung des apostatischen Aktes, der ihm geradezu zur Struktur seiner Lebensreaktionen geworden war. ^) Treffend hebt schon Sigwart (Logik II) hervor, daß auch die Lehre Darwins, alle Entwickelung sei wesentlich von der Selektion des Unbrauchbaren innerhalb zufälliger Artvariationen bestimmt, es sei also das Bild einer positiven Entfaltung und Neubildung, das uns die Erscheinungen der Artorganisationen zunächst vermitteln,

ist

'

Epiphänomen, hinter dem bloße Negation und Ausschaltung stehe, sich des Grundmotivs von Hegels Lehre von der »schöpferischen Bedeutung der Negation« bedient.

ein bloßes

90

die Kritik der

Meinungen Anderer

bildet, so

daß das

Streben nach sogenannten »Kriterien« für die Richtigkeit dieser

Meinungen zur wichtigsten Angelegenheit

Bewegung des Ressentiment, dessen scheinbare positive Wertungen und Entversteckte Negationen und stets Urteile umgleichsam wertungen sind, das den Denkprozeß gebende Fluidum. Umgekehrt beruht alle echte und fruchtbare Kritik auf der immer neuen Messung des Denkenden wird,

ist die

fremder Meinungen an der Sache selbst: Nicht also auf dem Prinzip, das die Ressentimentkritik be»Sache selbst« nur gelten zu lassen,

herrscht, als

was

sich gegen die versuchte Kritik behauptet.

In einem anderen Sinne

ist

der romantische Seelen-

typus bis zu einem gewissen

Grade

stets

durch

Ressentiment mitbestimmt, dies wenigstens soweit, als

die

ihm eigene Sehnsucht nach irgend einem

Reiche historischer Vergangenheit (Hellas, Mittelalter usw.)

nicht primär auf der besonderen An-

ziehungskraft

beruht,

Werte und Güter

welche

die

eigentümlichen

dieser Zeit auf das Subjekt aus-

übten, sondern auf einer inneren Fluchtbewegung

vor der eigenen Zeit und

alles

Lob und

der

aller Preis

»Vergangenheit« stets die mitschwingende Intention besitzt,

die eigene Zeit

und

die das

gebende Wirklichkeit zu entwerten.

Subjekt um-

Während

Hölderlins Liebe zu Hellas eine ganz primäre positive ist

z.

B.

und

— quellend aus der tiefen Kongenialität 91

des Dichters mit

dem

griechischen

Sehnsucht eines Friedrich Schlegel durchaus

alter

vom



Wesen nach dem

,

ist die

Mittel-

Ressentiment genährt.

Die formale Struktur des Ressentimentausdrucks ist hier

überall dieselbe:

geschätzt, gelobt, nicht

Es wird etwas,

um

ein

A

bejaht,

seiner inneren Qualität

der — aber ohne sprachlichen Aussondern druck bleibenden — Intention, ein Anderes, B zu verin

willen,

neinen, zu entwerten, zu tadeln.

das

B

Es

»ausgespielt«. ist



sagte ich



eine

Das

A

wird gegen

besonders heftige

Spannung zwischen Racheimpuls, Haß, Neid und deren Auswirkung einerseits und Ohnmacht andererseits, was zum kritischen Punkt führt, da diese Affekte die »Ressentimentform« annehmen. Anders, wenn sich diese Affekte entladen. Z. B. sind parlamentarische

Institutionen,

auch wo

sie

für

die

Gesetzeebung und Regieruno- des Staates zum allgemeinen Besten schädlich sind, als Entladungsmittel der Massen- und Gruppenaffekte solcher Art

von

größter Bedeutung

justiz,

^)

;

desgleichen die

Straf-

welche von Rache reinigt; das Duell, in ge-

von Ressentiment so erfüllt wie die junge Unter den Helden Dostojewskys, Gogols, Tolstois, wimmelt es von ressentimentgeladenen Helden. Dieser Tatbestand ist eine Folge der jahrhundertlangen Unterdrückung des Volkes durch die Selbstherrschaft und die durch Mangel eines 1)

Keine Literatur

russische

ist

Literatur.

Parlaments und einer Preßfreiheit bewirkte durch die Autorität bewirkten Affekte.

92

Unableitbarkeit

der

wissem Maße auch die Presse (soweit sie durch Verbreituns des Ressentiment nicht dessen Summe eher vergrößert, als durch öffentlichen Ausdruck der

Stimmungen vermindert).

entladen

sich

die

Affekte,

In

die

diesen

ohne

Formen

diese

Ent-

ladung zu jenem seelischen Dynamit würden, das Wird dagegen die Ent»Ressentiment« heißt. ladung gehemmt, so findet an den Affekten jener Vorgang statt, den Nietzsche noch nicht genauer beschrieben hat, aber sicher gemeint hat, und der

am

besten

als

»Verdrängung« bezeichnet wird.

Die

verdrängenden Mächte sind hier das Ohnmachtsgefühl,

ein

ausgeprägtes Bewußtsein

des

»Nicht-

könnens«, das mit einem starken unlustvollen Depressionsgefühl verbunden

Angst,

ist;

Eingeschüchtertheit

desgleichen Furcht,

gegen

Ausdruck und

Handeln in der Richtung der Affekte. Diese seelischen Mächte werden aber besonders da als Verdrängungsmächte wirksam, wo sie durch einen fortgesetzten und stetigen Druck der Autorität gleichsam objektlos werden, und der betreffende Mensch selbst nicht angeben kann, »wovor« er sich fürchtet und ängstigt, »wozu« er ohnmächtig ist. Es ist daher weniger die Furcht, die immer bestimmte Objekte hat, als jene tiefe Gehemmtheit des Lebensgefühls, die wir »Angst« nennen oder da es sich hier nicht um in bestimmten Organempfindungen fundierte Angstzustände handelt, wie z. B. bei Atemnot usw. besser »Ver-





93

ängstigtheit«, »Eingeschüchtertheit«, die hier in

kommen^).

Frage

Diese Mächte wirken primär nur aus-

druckhemmend und handlungshemmend auf Affekte; aber sekundär drängen

aus der Sphäre der inneren

sie

die

dieselben auch

Wahrnehmung

selbst zu-

Gruppe sich des mehr klar bewußt

rück, so daß das Individuum oder die

Habens dieser Affekte selbst nicht

Hemmung

Die

ist.

daß schon an der

greift

Stelle,

schließlich so weit aus,

da der aufkeimende Haß,

Neid- oder Racheimpuls die Schwelle der inneren

Wahrnehmung

überschreiten

will, er

zurückgedrängt

Gleichzeitig äußern die schon vorher

wird^).

Zustande

der

bestände

eine

Verdrängung

befindlichen

im

Affekt-

Art von Anziehungskraft auf den

neu auftauchenden Affekt, und gliedern ihn ihrer

Masse an; so macht jede schon stattgehabte Verdrängung die folgende leichter möglich und beschleunigt den weiteren Prozeß der Verdrängung. In ^)

der »Verdrängung« Wir müssen scheiden

sind

verschiedene

diejenige Angst,

Kom-

die sich genetisch als

gewordene Furcht darstellt, die wie jede Furcht zuerst Furcht vor etwas Bestimmten war, dessen Vorstellung jetzt eben Sodann nur dem klaren Bewußtsein nicht mehr gegenwärtig ist. diejenige Angst, die primär ein Modus des Lebensgefühls selbst ist und die umgekehrt immer neue und neue Inhalte — über ihren gefährdenden Sachcharakter hinaus — fürchten macht. Die erste Angst objektlos

ist leicht

zu beheben; die zweite fast

Angstdruckes,

unter

dem

einzelne

von sehr verschiedener Größe.

Er

nie. Das Maß des allgemeinen und ganze Gruppen leben, ist ist

für

das

gesamte Verhalten

der betr. Subjekte von größter Bedeutung. ^)

94

Vgl, den Aufsatz des Verf. über »Idole der Selbsterkenntnis«.

ponenten zu scheiden. Erstens: die Verdrängung der Gegenstandsvorstellung, auf deren Gegenstand der ursprüngliche unverdrängte Affekt

gerichtet

war.

Ich hasse oder ich habe einen Racheimpuls gegen

und bin mir des Grundes wohl bewußt, der Handlung z. B,, durch die er mich einen bestimmten Menschen

schädigte, der moralischen oder physischen Eigenschaft,

Im Maße Impulse »verdrängt« werden und

durch die

aber als diese

er

mir peinlich

dies ist etwas anderes als

überwunden, da seiner

ja in

durch

ist.



sittliche

Tatkraft

diesem Falle der Impuls mit

Richtung dem Bewußtsein

voll

gegenwärtig

und auf Grund eines klaren Werturteiles nur löst sich der die Handlung zurückgehalten wird, Impuls von diesem bestimmten»Grunde«und schließlich von diesem bestimmten Menschen mehr und Er geht zunächst auf alle möglichen mehr los. ist,



Eigenschaften, Handlungen, Lebensäußerungen, die

Mensch hat, weiter auf alles, was mit ihm zusammenhängt anMenschen, Beziehungen, ja Sachen und Situationen. Er »irradiiert« in allen möglichen Strahlen. Aber auch von diesem bestimmten Menschen, der mich schädigte oder unterdrückte, löst sich unter Umständen der Impuls los und wird zu einer negativen Einstellung auf bestimmte Erscheinungswerte gleichgültig, wer sie hat, wo und wann sie auftreten; ob ihr Träger sich faktisch dieser



gut oder schlecht gegen mich verhielt.

Hierdurch 95

bildet sich

B.

z,

die

uns so lebhaft gegenwärtige

Erscheinung des Klassenhasses, wo jede Erscheinung, Geste, Kleid, Art zu reden, zu gehen, sich zu führen,

welche

ein

»Klasse«

ist,

wegung

Symptom

der Zugehörigkeit zu

den Rache- und Haßimpuls bereits

einer in

Be-

bringt, resp. in anderen Fällen Furcht, Angst,

Achtung^).

Ja, bei vollständiger

Verdrängung ent-

steht ein ganz allgemeiner Wertnegativismus, eine

ganz ungegründet erscheinende und scheinbar hervorbrechende,

los

plötzliche

lehnung selbst gegen Dinge, Objekte, deren losen

regel-

Ab-

haßerfüllte

Situationen,

Natur-

Zusammenhang mit dem

ur-

sprünglichen Objekt des Hasses nur eine schwierige

Analyse finden kann. Doch sind diese Fälle, wo jemand aus Haß kein Buch mehr lesen kann Fall,

den mir ein

z.

ein

das spezifisch pathologische Gebiet beschränkt.

dem

geschilderten

verdrängte

Affekt

die

gleichwohl

hemmenden Mächte

an

plötzlich

zufällig ihre

aussetzen oder verringern —

Wahrnehmung.

In

Stadium durchbricht aber der

widerstandslosen Stellen des Bewußtseins

wo

B.

— befreundeter Arzt schilderte — auf

Zum

allen

— überall

Wirksamkeit

die Schwelle der inneren

mindesten macht

er sich oft

mitten in scheinbarer Ruhe des Gemüts, in einer So genügte bei dem Hauptmann von Köpenick, der auch nur Aufmerksamkeit wahrlich nicht wie ein Offizier aussah, doch schon die bloße vage Erscheinung der (ganz unvorschriftsmäßig) getragenen »Uniform«, uni den Bürgermeister usw. zu allen Befehlen willfährig zu machen. ^)

bei geringer

96

Unterhaltung, inmitten einer Arbeit, in plötzlichen inneren Scheit- und

Schimpfparoxysmen,

kein bestimmtes Objekt haben, Luft. sich in

Wie

die

gar

oft verrät

Lächeln, einer scheinbar bedeutungs-

einem

Redewendung mitten Gesinnungen und teil-

losen Geste, in einer flüchtigen

im Ausdruck freundlichster nahmsvoller Rede der von Ressentiment innerlich Besonders da,

Besessene!

wo

sich mitten in

freundliches, ja zärtliches Verhalten,

ein

das monate-

lang dauern kann, plötzlich eine boshafte Handlung

oder

Rede

gründet

ist,

Demut,

Wenn die,

man

fühlt

Lebensschicht bricht.

die

einschiebt,

die

scheinbar

es deutlich,

freundliche

ganz unbe-

wie eine tiefere

Oberfläche

durch-

Paulus die von Jesus empfohlene

wenn

die eine

die andere hinhält, plötzlich

Wange geschlagen ist, mit dem an sich pracht-

vollen Bilde der salomonischen Sprüche empfiehlt,

daß

man

so »glühende

Feindes sammle«

— wie

Kohlen auf das Haupt des auffällig sehen wir hier die

von Jesus ganz anders gemeinte Demut und Feindesliebe in den Dienst eines Hasses gestellt, dem Rache nicht genügt, der erst in der tiefen Beschämung des Feindes und deren äußeren Zeichen, dem Erröten bis zur Stirne usw. in einem Übel viel tieferer

Schicht also, als es der Schmerz des Gegenschlages

wäre, seine Befriedigung findet. Aber nicht nur die

primäre Objektausbreitung wird in den Stadien der

Verdrängung ausgedehnt, gewechselt, verschoben, 1.7

97

auch der Affekt selbst übt nun, da ihm die äußere Entladung versagt ist, eine Wirksamkeit nach innen Die von ihren ursprünglichen Objekten losaus. gelösten Affekte ballen sich gleichsam wie zu einer giftigen

Gift-

momentanen Durchlässigkeit Oberbewußtseins wie von selbst zu fließen beder bei

herd,

des

Masse zusammen, und bilden einen jeder

Die in jeden Affekt eingewobenen inneren

ginnt.

Viszeralempfindungen gewinnen durch

Hemmung des

peripherenAusdruckes das Übergewicht über die

Em-

pfindung der äußeren Ausdrucksbewegungen; und da sie alle

unlustvoll oder geradezu schmerzhaft sind, so

wird auch das Ganze des »Leibgefühls« ein ausgeprägt

Der Mensch

negativ Bestimmtes. »gerne«

im »Gehäuse«

lebt nicht

mehr

seines Leibes, er gewinnt gleich-

zeitig jenes unlustvolle

und

distanziierende

und ob-

jektivierende Verhältnis zu ihm, das so oft das Aus-

gangserlebnis für dualistische Metaphysiken (wie die

der Neuplatoniker, des Descartes usw.) gewesen

ist.

Die Affekte »bestehen« nicht etwa



kannte^) Theorie behauptet

solchen Viszeral-

empfindungen

;

— aus

aber eine wesentliche

wie eine be-

Komponente

Die bilden sie bei Haß, Zorn, Neid, Rache usw. besondere Qualität und Richtung der in den Affekt verwobenen Intention sowie sein Impulsmoment sind indes davon unabhängig, und nur seine zu^)

G.

W. James »Psychologie^,

G. 373 u.

98

S. F.

übersetzt von M. Dürr, Leipzig, 1909

ständliche Seite, die für die Affekte wechselnd groß



ist

z.

Neid,

B. bei Zorn viel größer als bei

die

viel

»geistiger«



sind

Haß und

hat darin eine

Sehr häufig aber bestimmen nun diese

Grundlage.

gesteigerten, negativ betonten Viszeralempfindungen

und eine

ihr Einfluß auf das Lebens-

Richtungsänderung

der

und Gemeingefühl

affektiven

Impulse.

Diese richten sich nun gegen den Träger des Affektes selbst,

der

und

selbst«

der Zustand des »Selbsthasses«

es tritt

//Selbstqual«,

des

»Rachedurstes

Nietzsche

auf.

wollte

den

gegen

sich

Zustand des

»schlechten Gewissens« überhaupt als einen Überfall

Aus B. wenn

des »kriegerischen Menschen«, der in der

Wirkung seiner Triebe gehemmt ein kleines kriegerisches

große,

— auf

friedliebende



z.

Volk sich plötzlich

Zivilisation

sich selbst erklären.

eine pathologische

ist

in eine

einbezogen fühlt,

Gewiß mit Unrecht. Nur

Form der Reuetäuschung,

d. h. eine

falsche Interpretation des auf sich selbst gerichteten

Racheimpulses

als

»Reue« erklärt sich hieraus

— die

echtes »schlechtes Gewissen«, »Reue« voraussetzt^).

Aber sicher gibt es die Tatsache, die Nietzsche im Auge hat. Das Wort Blaise Pascals, eines Menschen, der von Ressentiment wie selten jemand erfüllt ist, und der dieses durch seinen Geist mit noch seltener Kunst zu verstecken und ins Christliche zu inter-

1)

Vgl. hierzu

den Aufsatz über »Idole der Selbsterkenntnis«.;

99

pretieren verstand,



sicher auf diesem

Boden gewachsen.

»le

moi

J.

dem

die Blutrache untersagt

schließlich

ist,

ein

ist

uns

Wilder,

sich »verzehrt«

schwächer und schwächer wird und

so verstehen wir diesen



Wenn

M. Guyau erzählt wird, daß

von



est haissable«

und

stirbt,

Vorgang aus demselben

Grunde^).

So

viel

vom

Ressentiment

selbst.

Sehen wir nun

aber zu, was es für das Verständnis gewisser individueller

und

historischer

und ganzer Systeme

Werturteile

sittlicher

solcher zu leisten vermag.

Es

ist dabei selbstverständlich, daß niemals die echten,

wahren

sittlichen Werturteile,

sondern immer nur

Werttäuschungen beruhenden Werturteile, und die ihnen entsprechenden Handlungsund Lebensrichtungen auf Ressentiment beruhen die falschen, auf

können. Nicht die echte Sittlichkeit

meint

— wie Nietzsche

— gründet sich auf Ressentiment.

Diese beruht

auf einer ewigen

Rangordnung der Werte und

entsprechenden

evidenten

so objektiv

und

so streng

Vorzugsgesetzen, »einsichtig«

sind,

ihr die

wie

Wahrheiten der Mathematik. Es gibt eine »Ordre wie Pascal du coeur« und eine »logique du coeur« die

sagt





welche der

sittliche

Genius stückweise in

und die nicht selbst, sondern deren Erfassen und Gewinnen nur »historisch« der

^)

100

Geschichte

J.

aufdeckt

M. Guyau, Morale sans Obligation

et sanction.

Das Ressentiment aber ist eine der Quellen des Umsturzes jener ewigen Ordnung im menschEs ist eine Täuschungsquelle lichen Bewußtsein. ist.

für die

Erfassung jener Ordnung und ihrer Ein-

Nur

bildung in das Leben.

möge

in diesera Sinne

das Folgende aufgefaßt sein^). Dies sagt im Grunde Nietzsche selbst,

von

einer

er

»Fälschung der Werttafeln« durch das

Ressentiment redet.

Gleichwohl

der anderen Seite Relativist Ethik.

wenn

Und doch

freilich ist er

und Skeptiker

auf

in der

setzen »gefälschte« Werttafeln

»wahre« voraus, da im anderen Falle

es sich

um

einen

bloßen »Kampf der Wertsysteme« handeln könnte, von denen keines »wahr« und »falsch« ist. Das Ressentiment vermag uns große Gesamtvorgänge in der Geschichte der sittlichen Anschauungen ebenso verständlich zu machen, als Vorgänge, die wir im kleinen täglichen Leben vor uns sehen. Doch müssen wir ein anderes psychisches Gesetz dazu zu Hilfe nehmen. Bei Gelegenheit aller Art von starken Strebungen auf die Realisierung eines Wertes hin, bei gleichzeitig gefühlter Ohnmacht, dieses Streben wollend zu verwirklichen, z. B. ein Gut zu gewinnen, stellt sich eine Tendenz des Bewußtseins ein, den unbefriedigen^)

Vgl. hierzu des Verf.

Buch »Der Formalismus in der Ethik und und 1914, in dem die

die materiale Wertethik«, Niemeyer, Halle 1913

obige

Behauptung

in

strenger

Weise zu begründen versucht

ist.

101

den Zustand der Spannung zwischen Streben und Nichtkönnen dadurch zu überwinden, daß der positive

Wert des betreffenden Gutes herabgesetzt, Umständen ein zu diesem

geleugnet wird; ja unter

Gut irgendwie

Gegenteiliges

angesehen wird.

Es

ist die

als

positiv

Geschichte

wertvoll

vom Fuchs

und den zu sauren Trauben. Rangen wir vergeblich um Liebe und Achtung eines Menschen, so entdecken wir leicht immer neue negative Eigenschaften an ihm; oder wir »beruhigen uns« und »trösten uns« damit, daß es ja mit der Sache, auf die

unser Streben ging, gar nicht »so viel auf sich habe«,

daß sie die Werte nicht besitze, oder nicht in dem Maße, als wir meinten. Es handelt sich da zunächst nur um die sprachlich formulierte Behauptung, daß irgend ein Ding, ein bestimmtes Warengut oder ein

Mensch oder

Konkretum den

ein Zustand,

positiven

kurz, das erstrebte

Wert gar

nicht besitze,

durch den unser Streben so stark bewegt schien; z. B. daß der Mensch, um dessen Freundschaft es uns zu tun war, gar nicht so »ehrlich« oder »tapfer« oder »klug« sei; daß die Trauben gar nicht so wohl-

schmeckend, ja gar

Typus von Fällen fälschung,

vielleicht »sauer« seien. ist

des 102

noch keine Werte-

sondern nur eine andere Ansicht über

die Eigenschaften der

durch die

indes

Dieser

sie

Sache, des Menschen usw.,

uns bestimmte Werte darbot. Die Werte

Wohlgeschmacks süßer Trauben, der Klugheit,

der Tapferkeit, der Ehrlichkeit erkennen wir dabei

wie vorher an.

Der Fuchs sagt

ja nicht »süß« ist

Trauben seien »sauer«. Das Motiv für diese Herabziehung des uns nicht Erreichschlecht, sondern die

baren in der sprachlichen Behauptung kann hierbei nur eine Simulation sein für die »Zuschauer«, deren

Schaden dazu so daß haben möchten; oder zunächst für sie erst sekundär der Aussageinhalt auch unser eigenes Aber schon in den einfachsten Urteil modifiziert. Fällen steckt doch ein tiefer liegendes Motiv daSpott wir nicht noch zu unserem



Tendenz zur Detraktion des Tatbestandes, löst sich die Spannung zwischen der Stärke des Begehrens und der erlebten Ohnmacht und die an sie geknüpfte Unlust sinkt dem Grade Unser Begehren oder seine Stärke erscheint nach. hinter.

In dieser

uns jetzt selbst »unmotiviert«,



doch »gar nicht so wertvoll war«;

wenn es

die Sache

wird hierdurch

schwächer und dadurch auch seine Spannungsgröße

zum Nichtkönnen; steigt also

wieder

unser Lebens- und Machtgefühl

um

einige

auf illusionärer Grundlage.

Grade

— wenn

auch

Nicht nur eine Tendenz

zu veränderter Aussage (für die anderen), sondern

auch eine solche zu verändertem Urteil ergibt sich also aus jener »Erfahrung«.

hinter

Wer

dem Lob der »Zufriedenheit«,

fühlte

z.

B. nicht

der »Einfachheit«,

der »Sparsamkeit« in der Sittensphäre des Klein-

bürgertums oder in Aussagen wie daß dieser :

»billige«

103

Ring oder

dieses »billige«

Gericht doch auch viel

»besser« sei wie das teure, so häufig diese

durch

Auch

?

Huren



was

alles,

Betschwestern«

alte

Tendenz

Richtung »Junge

in der

liegt,

sowie die ver-

schiedene Schätzung der Schulden beim

Kaufmann

und Adel, sowie alles aus der »Not eine Tugend machen« gehörten hierher. Eine ganz neue und unendlich folgenreiche Bedeutung gewinnt aber dieses Gesetz der Spannungslösung von Streben und Ohnmacht durch eine illusionäre Wertgebung einer Sache für die durch Ressentiment bestimmte seelische Haltung.

Neid,

Scheelsucht, Bosheit, geheimer Rachedurst erfüllen die Seele des

abgelöst

Ressentimentmenschen

in ihrer Tiefe,

von bestimmten Objekten; zu

festen Ein-

stellungen geworden, die schon die triebhafte Auf-

merksamkeit

unabhängig

Umwelt

ist

die



von der Sphäre der Willkür

auf

solche

Erscheinungen der

lenken, die den typischen

dieser

laufs



Affekte

Stoff

zu

Formen

geben

des Ab-

vermögen.

Schon die Bildung der Wahrnehmungen, der Erwartungen und Erinnerungen ist durch diese Einstellungen mitbestimmt. Sie schneiden aus den ihnen begegnenden Erscheinungen automatisch solche Teile und Seiten heraus, die den faktischen Ablauf dieser

und

Gefühle und Affekte rechtfertigen können

sie

unterdrücken das andere.

Darum

ist

der

Ressentimentmensch wie magisch angezogen von 104

Erscheinungen

wie

Lebensfreude,

Reichtum,

Glück,

übergehen, oder nicht)

muß

er ;

Kraft; sie

er

Macht,

Glanz,

kann

ansehen

nicht

(ob

er

vor»will«

aber gleichzeitig quält ihn im geheimen

der ihm als »vergeblich« bewußte Wunsch,

sie

zu

und das bestimmt wieder ein willkürliches Abwendenwollen des Blickes von ihnen, ein scheues Wegsehen von ihnen, eine aus der Teleologie des Bewußtseins begreifliche Ablenkung der Aufmerksamkeit von dem Quälenden. Der Fortschritt dieser besitzen;

inneren

Bewegung

führt

zunächst

nur zu

einer

charakteristischen Verfälschung des sachlichen Welt-

Die Welt des Ressentimentmenschen erhält

bildes.

bestimmte Struktur des Reliefs der Lebwelche besonderen Gegenstände auch aufnehme. Je mehr diese Abwendung den

eine ganz

haftigkeitswerte, er

Sieg

davonträgt

über die Anziehung durch jene

positiven Werte, versenkt er sich mit Auslassung

der Übergangs- und Mittelwerte in die ihnen ent-

gegengesetzten Übel, die nun einen

Raum

in seiner

immer größeren

Wert-Beachtungssphäre einnehmen.

ihm etwas, das schelten möchte, herabziehen, verkleinern und das packt gleichsam jede ErscheiEs

ist

nung, an der

es sich

er unwillkürlich

betätigen kann.

So »verleumdet«

Dasein und Welt zur Rechtfertigung

seiner inneren Verfassung des Werterlebens.

Aber

dieses Mittel, das das

lich aufbringt,

um

Bewußtsein unwillkür-

das unterdrückte Lebensgefühl 105

und

die

gehemmten Lebensimpulse zu

steigern (die

Fälschung des Weltbildes) hat nur eine begrenzte

Immer wieder

Wirksamkeit.

treten

dem Menschen

des Ressentiment jene Erscheinungen eines positiven

Lebens, Glück, Macht, Schönheit, Geist, Güte usw.

Wie immer

er

Ohnmacht zu entrinnen



im geheimen die Faust gegen sie schüttelte, sie »aus der Welt haben« möchte, um der Qual des Konfliktes zwischen Begehren und entgegen.

sie

sind da, sie drängen

Das willkürliche Wegsehen ist nicht immer Drängt sich möglich und außerdem unwirksam. Art unwiderstehlich nun eine Erscheinung dieser sich auf!

auf,

so genügt

schon der Blick auf

sie,

um

einen



ohne Haßimpuls gegen ihren Träger X auszulösen daß dieser irgendwie dem betreffenden Menschen geschadet oder ihn beleidigt hat. Die Zwerge und Krüppel, die schon durch die äußere Erscheinung der übrigen Menschen sich gedemütigt fühlen, zeigen z.

B.

darum

so leicht diesen eigentümlichen

diese sprungbereite hyänenhafte Wildheit.

Feindschaft

dieser

Art

ist

primären Ungegründetheit in

Benehmen söhnlichste,

des die

»Feindes« es

gibt.

die

Haß,

Haß und

wegen ihrer dem Handeln und tiefste und unver-

gerade

Denn

diese richtet

sich

gegen Sein und Wesen des anderen selbst, nicht gegen vergängliche Eigenschaften und Handlungen.

Goethe hat diese Art Feinde im Auge, wenn sagt;

106

er

»Was

klagst

du über Feinde ?

Sollten die je sein Freunde,

Denen das Wesen, das du bist, Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist?« (Westöstlicher Diwan.)

Schon

die

Existenz

Erscheinung, wird

zum

»stillen«,

dieses

zum

»Wesens«,

seine

pure

»Vorwurf« für den anderen,

»uneingestandenen«.

schaften lassen sich beilegen,

Andere FeindGoethe

diese nie!

mußte es wissen, denn seine reiche große Existenz war wie selten eine geeignet, das Ressentiment zu wecken



das Gift bei seinem bloßen Erscheinen

fließen zu machen^).

Aber auch dieser scheinbare grundlose Haß ist noch nicht die eigenste Leistung des Ressentiment. Hier bleibt seine Wirkung doch immer noch begrenzt auf bestimmte Menschen oder im Klassenhaß auf bestimmte Gruppen. Viel tiefer greift seine Wirkung, wo es nicht zur Fälschung des Weltbildes und zum Hasse bestimmter Menschen und Dinge führt, sondern zu einer Täuschung des Wertfühlens und darauf fußend erst zu dem Faktum, das Nietzsche die »Fälschung der Werttafeln« nennt. Das Wegsehen und die Tendenz zur Vernichtung der jene positiven Werte tragenden Dinge, Menschen usw. wird in dieser neuen Phase aufgegeben: aber dafür kehren sich ihre Werte, die für ein normales Wertfühlen



^)

Das stark ressentimentgefärbte Verhalten des Antonio gegen Tasso

ist sicher

auch ein Niederschlag dieser Goetheschen Lebenserfahrung.

107

und Vorzugswerte sind, für Da das neue Wertfühlen in negative Werte um. der Mensch des Ressentiment auf Grund der Herr-

und Streben

positive

schaft der positiven Werturteile

Gesundheit,

Schönheit,

freies,

B. über Macht,

z.

auf

sich

gestelltes

Dasein und Leben seine eigene Existenz und sein Lebensgefühl nicht zu rechtfertigen, nicht zu verstehen und zu begreifen vermag; da er aus Schwäche,

und organisch gewordenem Sklavensinn sich der Eigenschaften und Sachen nicht zu bemächtigen vermag, die diese Werte tragen, so schlägt sein Wertgefühl in die Richtung um: »Dies alles ist ja nichtig« und gerade in den entgegengesetzten Erscheinungen liegen positive und Yorzugswerte, die den Menschen zu seinem Heile führen Furcht, Angst

(Armut,

Leid,

Übel, Tod).

In

dieser

»sublimen

Rache« (wie Nietzsche sagt) erweist sich das Ressentiment in der Tat als schöpferisch für die Ge-

und ganzer da nun die Haß-

schichte der menschlichen Werturteile

Systeme solcher. Sie ist »sublim«, und Racheimpulse gegen die Menschen, die stark, gesund, reich, schön usw. sind, völlig verschwinden

und der Mensch durch das Ressentiment Erlösung Denn findet von der inneren Qual dieser Affekte. nach Umschlagen des Wertgefühls und jetzt



Verbreitung des sinnentsprechenden Urteils in der



Menschen ja gar nicht mehr beneidenswert, hassenswert, der Rache wert; sondern

Gruppe

108

sind diese

im Geoenteil

sind bedauernswert,

sie

des Mitleids

an diesen »Übeln« teilhaben; Gefühle der Sanftheit, des Mitleides, des Bedauerns Und im greifen nun bei ihrer Erscheinung Platz. würdig, da

sie ja

Maße, als der Umschlag für die »geltende Moral« grundlegend wird, und die Gewalt des herrschenden Ethos gewinnt, wird sie auch auf die Träger und Besitzer dieser

Werte

nun umgefühlten, scheinentwerteten (durch

übertragen

Erziehung) und

sie

selbst

Tradition,

Suggestion,

können nun nur mehr

mit einer geheimen Selbstverurteilung, mit »schlech-

tem Gewissen«

ihre positiven

Werte

besitzen.

Die

»Sklaven« stecken, wie Nietzsche sagt, die »Herren« an.

Dagegen kommt

Ressentiment selbst

nun der Träger des

sich

als

»gut«,

»rein«,

»menschlich«

— im Vordergrund des Bewußtseins, von der Qual, hassen und rächen zu müssen — ohne — der Tiefe zu können wenn auch vor

erlöst

sich

giftetes

in

er

es

sein ver-

Lebensgefühl und die echten Werte noch durch

seine Illussionswerte hindurch wie durch ein Trans-

parent gewahren mag.

Hier werden also nicht die ein-

zelnen Träger der positiven Werte »verleumdet«, wie dies bei der gewöhnlichen,

nicht auf Ressentiment

beruhenden bloßen Verleumduno; und Detraktion der Fall ist:

da vielmehr die Werte selbst schon »ver-

leumdet« sind, umgefühlt und daher auch im Urteil

umgedeutet, so

Weise durch

ist

die

auf viel tiefere und systematischere Teleologie

des

Bewußtseins

all

109

das

was

erreicht,

bloße

die

Verleumdung

der

Menschen, was die Fälschung des Weltbildes über-

haupt

Was

je erreichen

hierbei

könnte.

»Fälschen

der Werttafeln«,

deutung«, »Umwertung« genannt wird, ein

bewußtes Lügen zu verstehen, oder

nicht als

als ein

auf

bloße Urteilssphäre beschränkter Tatbestand.

die

Es

ist

»Um-

ist also

nicht so, daß der positive

Wert fühlend

erkannt wird und dann nur das Urteil »schlecht« an die Stelle »gut« gesetzt wird. Neben dem bewußten Lügen und Fälschen gibt es noch das, was »organische Verlogenheit« zu nennen ist. Hier erfolgt die Fälschung nicht im Bewußtsein wie bei der gewöhn-

lichen Lüge, sondern auf

zum

dem Wege

der Erlebnisse

Bewußtsein, also in der Art der Bildungsweise

der Vorstellungen

und des Wertefühlens.

nische Verlogenheit«

ist

überall da gegeben,

»Orga-

wo den

was ihrem »Interesse«, oder was irgend einer Einstellung der triebhaften Aufmerksamkeit dient und schon im Prozesse der Reproduktion und des Erinnerns in dieser Richtung modifiziert

Menschen nur

wird.

lügen!

einfällt,

Wer »verlogen« ist, braucht nicht mehr zu Was beim konstitutiv Ehrlichen die bewußte

ihm schon der tender ErAutomatismus unwillkürliche denziöse, innerung, der Vorstellungs- und Gefühlsbildung. An der Bewußtseinsperipherie kann dabei die biederste ehrlichste Gesinnung herrschen. In dieser tendenziFälschung

110

leistet,

das leistet bei

Ösen Richtung verläuft hier aber derjenige Prozeß, in

dem Werte

erfaßt

zur völligen

werden

Umkehr

— und

dies sukzessive bis

der Wertung;

so »Gefälschte« stützt sich

und

erst auf

dann wieder das

das

Urteil

über den Wert, das nun seinerseits durchaus »wahr«, »wahrhaftig«, »ehrlich«

ist,

illusionsartig gefühlten

IL

da

es sich ja

Werte

dem

faktisch

richtig anmißt.

RESSENTIMENT UND MORALISCHES WERTURTEIL.

Eines

Ethik

der

ist es,

wichtigsten Ergebnisse

daß

es in der

Welt nicht

der

neueren

eine,

sondern

Gemeinhin

verschiedene »Moralen« gegeben hat^).

denkt man, daß dies eine alte Sache

sei,

so alt wie

die Einsicht in die sogenannte »historische Relativität«

der Sittlichkeit.

Dies

ist völlig irrig.

Gerade um-

gekehrt hat die philosophische Richtung des so-

genannten ethischen Relativismus,

z.

B.

die

schauungen der modernen Positivisten Comte,

AnMill,

Spencer usw., den Tatbestand verschiedener Moralen

am

allermeisten verkannt.

allein,

daß, je nach

Die Relativisten zeigen

dem Stande

der menschlichen

Einsicht, der zivilisatorischen und kulturellen Lebens-

wirklichkeit verschiedene Handlungsarten als dien1)

Eine eingehende Begründung einer hier vorausgesetzten absound eine Lehre von den verschiedenen Arten und Stufen

luten Ethik

der historischen Variabihtät der sittlichen Wertschätzung, entwickelt

das Buch des Verf. über »Der ethische Formalismus und die materiale Wertethik«, bes. Teil

II,

Niemeyer, Halle, 1914.

111

lieh für die

»menschliche Wohlfahrt« oder die »Maxi-

misierung des Lebens« oder, was der relativistische Philosoph selbst

als

gegolten haben;

z.

im

letzten Sinn »gut« ansieht,

B. innerhalb einer vorwiegend

militärischen Gesellschaft, quelle

ist,

wo

der Krieg Erwerbs-

Tapferkeit, Mut, usw. ein der »allgemeinen

Wohlfahrt« dienlicheres Verhalten

ist, als

Arbeitssinn,

Fleiß, Redlichkeit, die in einer industriellen Gesell-

schaft den Vorzugswert genießen; oder daß

Raub

in

jener Gesellschaft als ein kleineres Verbrechen gilt als

Diebstahl

(wie

dieser umgekehrt.

bei

Aber

den sie

alten

Germanen), in

behaupten dabei, daß

der Grundwert derselbe geblieben

sei,

und verlegen

die variablen Faktoren nur in die Verschiedenheit der historischen Lebensbedingungen, auf die jener

Grundwert (z. B. Wohlfahrt) Anwendung findet. Aber etwas anderes ist Wert und Veränderung der Wertschätzung als diese veränderliche historische Die Einsicht, es habe ganz Lebenswirklichkeit. verschiedene Moralen gegeben, schließt gerade die

daß abgesehen von jener Relativität der Lebenswirklichkeit auch die Regeln des Vorziehens zwischen den Werten selbst (von ihren wechselnden dinglichen realen Trägern abgesehen)

Behauptung

ein,

verschiedene gewesen sind.

Eine »Moral«

ist

ein

System von Vorzugsregeln zwischen den Werten selbst, das erst hinter den konkreten Schätzungen der Epoche und des Volkes als seine »sittliche Kon112

stitution« zu entdecken ist

durchmachen kann, passung des

und das

eine Evolution

die mit der steigenden An-

Schätzens und

Handelns unter der

Herrschaft einer gegebenen Moral an die wechselnde Lebenswirklichkeit gar nichts zu tun hat!

nur

verschiedene

Handlungsarten,

Nicht

Gesinnungen,

Menschentypen usw. sind immer nach derselben Moral (z. B. einer konstanten Tendenz des Werturteils auf allgemeine Wohlfahrt) so und so abgesondern die Moralen selbst haben schätzt worden unabhängig hiervon und gegenüber aller bloßen An-



passung primär gewechselt. Die sogenannten ethischen »Relativisten« sind

immer nur

die Absolutisten ihrer

jeweiligen Gegenwart gewesen.

Sie tragen die sitt-

lichen Variationen nur als Stufen der »Entwicklung«

auf die gegenwärtige Moral hin ab und legen diese der

Vergangenheit dann fälschlich Die

als Ziel

primären Variationen der

und Maß

unter.

Schätzungsweisen,

der Vorzugsregeln zwischen den Werten selbst gehen

ihnen dabei ganz verloren. Es Absolutismus,

d.

h.

die

ist

Lehre,

gerade der ethische

daß

es

evidente

ewige Vorzugsgesetze und eine ihnen entsprechende ewige Rangordnung unter den Werten gibt, diese tiefergreifende Relativität der sittlichen

der

Wert-

schätzungen erkannt hat und anerkennen durfte. Die Moralen verhalten sich dazu,

d.

h.

zu jener

ewiggültigen Ethik, wie etwa die Weltsysteme

das ptolomäische und kopernikanische I.

8

zum

z.

B.

idealen

113

System, das die Astronomie anstrebt. stellt

sich jenes

In ihnen allen

an sich gültige System mehr oder

weniger adäquat dar. Die sich bildenden Lebenswirk-

immer schon von den herr-

lichkeiten aber sind selbst

schenden Moralen mitbestimmt, von einem primären

Werten und Wollen, dessen mehr durch Anpassung an zu verstehen

ist^).

Was

eigne Veränderung nicht diese Lebenswirklichkeit

die Kunstgeschichte erst

in neuerer Zeit einzusehen beginnt,

daß der Wandel

daß auch die Semper meinte aus der Veränderung von Technik und Material, sowie von wechselndem Können allein bestimmt sind, sondern daß das »Kunstwollen«^) selbst mannigfach gewechselt hat, das ist es, was auch die Geschichte des Sittlichen sich immer mehr zu eigen machen muß. Die Griechen z. B. entbehren nicht darum einer techder

Ideale

ästhetischer

Stilformen nicht

— wie

nischen Zivilisation, weil

Darstellung,



es z. B.

sie

machen konnten, sondern

keine oder »noch« keine weil

wollten, weil eine solche nicht

sie

keine

machen

im Geiste der VorUnter

zugsregeln lag, die ihre »Moral« ausmachten.

»Moral«

verstehen

wir

sodann

die

herrschenden

Vorzugsregeln von Epochen und Völkern selbst nicht ^)



etwa ihre philosophische und wissenschaft-

Die in der Phänomenologie der Stufen der Wertschätzung und

des Wollens liegende Begründung dieses Satzes kann hier nicht gesie und die Begründung aller hier voranobengenanntem Buche entwickelt. Siehe hierzu: Worringer Abstraktion und Einfühlung.

geben werden.

Ich habe

gestellten Sätze in ^)

114

liehe »Darstellung«, »Systematisierung« usw., die eine

»Moral«

nur

zum Gegenstande

tigste Leistung vollzieht

durch, daß es für eine

hat.

Seine

wich-

nun das Ressentiment daganze »Moral« bestimmend

wird, daß die in ihr liegenden Vorzugsregeln gleich-

sam

pervertieren

und

so

»Gut« erscheint, was

als

Blicken wir in die Geschichte

früher ein »Übel« war.

Europas, so sehen wir das Ressentiment im Aufbau der Moralen in einer erstaunlichen Wirksamkeit.

Und

nun die Frage sein, wie weit es einmal beim Aufbau der christlichen Moral und sodann im Aufbau der modernen bürgerlichen Moral mitgewirkt es soll

hat.

Unser Urteil

vom

ist hier ein

Urteil Friedrich

Wir glauben, daß zwar Werte Umdeutung in Ressentimentswerte ungemein leicht zugänglich sind und Nietzsches weit abweichendes. die christlichen

einer

auch ungemein häufig der

Kern der

so gefaßt

welche

die

dem Boden Wir glauben aber

christlichen Ethik nicht auf

des Ressentiments erwachsen andererseits,

wurden, daß aber

ist.

daß der Kern der bürgerlichen Moral, christliche

seit

dem

immer mehr abzulösen begann,

13.

Jahrhundert

bis sie in der französi-

schen Revolution ihre höchste Leistung vollzog, ihre

Wurzel im Ressentiment hat und daher recht eigentlich als »Sklavenmoral« zu bezeichnen wäre. In der modernen sozialen Bewegung

dann das Ressentiment überhaupt zur bestimmenden Kraft geworden und ist

hat die geltende Moral immer mehr umgestaltet. 8*

115

Sehen wir uns zunächst die Frage an, ob die christliche Moral aus dem Ressentiment gespeist

und unterhalten wurde.

MORAL UND DAS

DIE CHRISTLICHE

III.

RESSENTIMENT. Friedrich

Nietzsche

bezeichnet

der

»Idee

die

christlichen Liebe« als die feinste »Blüte des Ressenti-

ment«^).

dem Bewußtsein,

In ihr rechtfertige sich also vor

das

einem unterdrückten und

in

süchtigen politisch

Volke

und

Rache« war)

Gott

(dessen

zugleich

auch,

solange

sozial selbständig war, der

(Siehe

»Genealogie der Moral«.) Diese paradoxe Behauptung Nietzsches fern

man

nur den ungeheueren

es

»Gott der

Ressentiment.

aufgestapelte

rach-

ist

Umschwung



so-

richtig

würdigt, der von der antiken Liebesidee zur christlichen führt,

was Nietzsche

und ungenau getan als sie

hat,



selbst

nur sehr wenig

weit weniger paradox,

auf den ersten Blick erscheint.

Nietzsches Erklärung

ist

Ja, Friedrich

so tiefsinnig, so ernstester

Erwägung würdig wie nur Richtung gegeben worden

je

ist.

eine,

die

in

Ich hebe das

schärfer hervor, gerade weil ich sie

im

letzten

116

Siehe »Genealogie der Moral«,

1.

Abhandl.,

8.

um

so

Grunde

für völlis falsch halte.

^)

dieser

Absch.

und

Denker und Dichter haben uns in einzig klarer Weise gesagt, was für die antike Moral die Liebe bedeutete, und ohne Nennung was sie wert war. Es genüge hier dies kurz zu sagen. der Quellen im einzelnen Zunächst stehen hier logische Form, Gesetz, GeDie

griechischen

römischen





rechtigkeit, kurz das »Rationale« innerhalb des Sitt-

lichen

Zuwendung

in

das

überhaupt, der

Moment, über der

auf

Maß und

Güter und

z.

beruhende

So groß die Wertunter-

Liebe.

schiede sind, die Piaton

Übel

Gleichheit

B.

im Symposion zwischen

den Arten der Liebe macht, so bleibt doch »Liebe« für

den Griechen ein zur sinnlichen Sphäre gehöriger

Tatbestand, und zwar eine

Form

des »Begehrens«,

»Bedürfens«usw., die dem vollkommensten Sein nicht eigen

ist.

Die antike



so fragwürdige



Ein-

Natur in »Vernunft« und Formendes und Geformtes fordert

teilung der menschlichen »Sinnlichkeit«,

geradezu!

dies

In

der

christlichen

Moralsphäre

wird dagegen die Liebe der rationalen Sphäre ausdrücklich an alle

Wert übergeordnet



sie »die

mehr

als

Vernunft beseliget« (Augustin). In der Geschichte

vom

verlorenen Sohn

ist es

deutlich genug gesagt^).

Die »Agape« und »Caritas« wird von »Eros« und »Amor« scharf ^)

und

Mit Recht

beiden Söhnen,

dualistisch ist

sei

geschieden,

während

der

gesagt worden, das Verhalten des Vaters zu seinen »ein Schlag ins Gesicht« gegenüber der antiken

Gerechtigkeitsidee.

117

Grieche und

Römer mehr

Vorstellung

die

einer

Kontinuität zwischen diesen Arten der Liebe hat,

wenn auch Rangunterschiede Dagegen

werden.

ist

der Arten anerkannt

die christliche Liebe eine über-

natürliche geistige Intention, die alle Gesetzmäßigkeit des natürlichen Trieblebens,

z,

B.

Haß

auf die

Rache und Vergeltungsanspruch durchbricht, und den Menschen in einen ganz neuen Lebensstand versetzen soll. Aber das ist noch nicht das hier Wesentliche. Das besteht vielmehr in der Bewegungsrichtung, die gemäß der antiken Moral und Weltanschauung die Liebe hat. Alle antiken Feinde,

Denker, Dichter, Moralisten sind darin einig: Liebe ein

ist

Streben, eine Tendenz des »Niederen«

»Höheren«, des »Unvollkommneren«

zum

zum »Vollkomm-

neren«,des»Ungeformten« zum »Geformten«, des

»[xyj

öv«

zum »ov«, des »Scheins«zum »Wesen«, des»Nichtwissens« zum »Wissen«, ein »Mittleres zwischen Haben und Nichthaben«, wie Piaton im Symposion sagt. So zer-

Liebesbeziehungen unter Menschen, Ehe,

fallen alle

Freundschaft usw. in einen »Liebenden« und einen

und der Geliebte ist dabei stets der Edlere, der vollkommnere Teil, und zugleich das Vorbild für Sein, Wollen, Handeln des Liebenden i). Ihre klarste

»Geliebten«,

^)

indem der

Nur im

Falle der Knabenliebe ändert

£paaö"f|(;

sich die Terminologie,

der jüngere, unvollkommnere Mensch ist, der ältere vollkommnere; aber dies sachliche Verhältnis

hier der

ct'.X6jj.Evo;

der Wertungleichheit bleibt auch hier bestehen.

118

Ausprägung aber

erhält diese aus

den antiken Lebens-

beziehungen erwachsene und aus ihnen abstrahierte

Formen der griechischen Metaphysik. Schon Piaton sagt »Wären wir Götter, würden wir nicht lieben.« Denn im vollkommensten Sein kann kein »Streben«, »Bedürfen« mehr

Vorstellung in den mannigfachen

:

Und nach Drang, ein

»Methodos«.

Aristoteles wurzelt in allen

Dingen ein

ist

ops-^sod-ai

dem

heit,

nur ein »Weg«

hier, ein

Liebe

sein^).

Welt »bewegt«

die

und

dem

Norjq:

s(pisa^ai

in

hinan nach der Gott-

sich seligen Denker, der

(als »erster

Beweger«) aber nicht

wie ein Wesen bewegt, das nach außen tätig

ist,

will

und

sondern so wie »das Geliebte den Liebenden

bewegt«, ladet, zu

d.

h.

also

anzieht,

ihm zu kommen.

gleichsam lockt und In dieser

Idee

ist

in

und antiker Kühle der antiken Liebesidee ins Absolute und Grenzenlose erhoben. Eine große Kette dynamisch

einzigartiger Hoheit, Schönheit

das

Wesen

geistiger Einheiten ist das Weltall, die

Dinge

vom

auf

zum Menzum Höheren

sich nicht

zurückwendet,

Sein der »prima materia« angefangen bis schen,

in

strebt,

dem

das Niedrigere

und von ihm, das

sondern wieder nach seinem Höheren strebt, ange-

zogen wird selbst

— und

dies hinauf bis zur Gottheit, die

nicht mehr liebt, sondern nur das ewig ruhende,

Über das sachlich Ungegründete dieses griechischen Vorurteils mein Buch: »Zur Phänomenologie und Theorie der Sympathiegefühle und von Liebe und Haß«, Niemeyer, Halle 1913. ^)

vergleiche

119

einheitgebende Ziel

all

jener mannigfaltigen

Man

keiten darstellt.

Verbindung beachtet,

Agon

Regsam-

hat zu wenig die eigenartige

mit

die diese Liebesidee

dem

Wettkampfes um das Ziel, das vom Gymnasium und den Spielen bis in Dialektik und Politik der griechischen Stadtstaaten hinein das griechische Leben so machtPrinzip des

voll

hat, des ehrgeizigen

beherrschte.

ander vor« jedes

nach

wettlauf der

den

hier

Auch die Dinge »streben eindem anderen in jenem Sieges-

der

kränzt,

licher wird



und Haben

des »Wesens«.

ein

dem

zip,

das

nur daß der Preis,

Gottheit:

Sieger

der Anteil

am

überschweng-

ein

am Wissen

»Wesen«,

Die Liebe

hier

ist

nur

Weltall einwohnendes dynamisches Prindiesen »Agon«

der

um

Dinge

die Gott-

heit bewegt.

Dieser Konzeption stelle

gegenüber.

Da

findet etwas statt,

wegungsumkehr schlägt

man nun

man dem

was ich

die

der Liebe nennen möchte.

BeHier

Axiom der Liebe, Niederen zum Höheren sei,

griechischen

daß Liebe ein Streben des keck ins Gesicht. Umgekehrt

nun gerade darin

die christliche

soll

sich die Liebe

erweisen, daß das Edle sich

zum

Unedlen herabneigt und hinabläßt, der Gesunde zum Kranken, der Reiche zum Armen, der Schöne

zum

Häßlichen, der Gute und Heilige

zum

Schlechten

und Gemeinen, der Messias zu den Zöllnern und Sündern — und dies ohne die antike Angst, dadurch 120

zu verlieren und selbst unedel zu werden, sondern der

in

frommen

eigentümlich

Überzeugung,

im

Aktvollzug dieses »Beugens«, in diesem Sichherabgleitenlassen, in diesem »Sichverlieren« das

zu gewinnen



Gott gleich zu werden^).

Höchste Die

Um-

formung der Idee Gottes und seines Grundverhältnisses zu Welt und Mensch ist nicht der Grund, sondern die Folge dieser Bewegungsumkehr der Liebe.

Jetzt

ist

Gott für die Liebe der Dinge kein

ewiges, ruhendes Ziel

-

einem Sterne — mehr,

gleich

das die Welt bewegt, wie »das Geliebte den Liebenden

bewegt« (Aristoteles), sondern

sein

Wesen

selbst

wird Lieben und Dienen und daraus folgend erst Schaffen, Wollen, Wirken.

An

Stelle

des ewigen

Welt tritt der »Schöpfer«, der Das Ungeheure (für den antiken Menschen), das nach jenen Axiomen schlechthin Paradoxe, soll sich in Galiläa begeben haben: Gott kam herab zum Menschen und ward ein Knecht und starb am Kreuz den Tod des schlechten Knechts Sinnlos wird nun der Satz, man solle die Guten lieben, die Bösen hassen, den Freund lieben, den »ersten Bewegers« der sie

»aus Liebe« schuft).

^) Mit besonderer Schärfe ist dieser Gedanke auch ausgedrückt den Abschnitten über die Liebe der Imitatio Christi von Thomas a Kempis. -) Der spätere theologische Satz, Gott habe die Welt »zu seiner Verherrlichung« geschaffen, entspricht dem Geiste des Evangeliums

in

nicht

und muß

als

Überwucherung

eines antiken

Motivs in der christ-

lichen Theologie verstanden werden.

121

Es gibt

Feind hassen.

ja keine Idee eines »höchsten

Gutes« mehr, das einen Inhalt hätte jenseits und

unabhängig vom Akte der Liebe und ihrer Bewegung! Von allen guten Dingen ist das beste die Liebe Nicht ein Sachwert, sondern ein Aktwert,

selbst!



Wert der Liebe selbst als Liebe nicht als das, was sie wirkt und leistet, sondern so, daß alle Leistungen nur als Symbole und Erkenntnisgründe ihres Seins in der Person gelten, ist nun das »summum bonum«. Und so wird Gott von selbst zur der



»Person«, die keine »Idee des Guten«, keine »formvolle

Ordnung«, keinen Aoyoc mehr über



nur mehr unter sich hat

Und

für

den

antiken

sondern

Folge seiner Liebestat.

wird selbst »liebender Gott«

er

Eisen

als

sich,



Menschen,

kommene Vollkommenheit«!

Wie

ein hölzernes

eine

»unvoll-

scharf hat dies

die neuplatonische Kritik hervorgehoben,

daß Lieben

»Bedürfen« und »Streben« »Linvollkommenheit«

als

von der Gottheit auszusagen falsch, vermessen und Sünde sei! Aber auch dies ist eine große Neuerung: Nach der christlichen Vorstellung

anzeige,

die

Liebe ein unsinnlicher Akt des Geistes (kein

ist

bloßer Gefühlszustand wie für die Modernen), aber gleichwohl kein Streben und Begehren, und noch

weniger ein Bedürfen^). ^)

was

Die die

ihr selbst.

122

tiefste

Befriedigung

Liebe erreicht

»Größer

ist

(als

also die

ist

Für

diese

Akte

ist es

ein

daher nicht verbunden mit dem, sondern mit

Strebensakt genommen),

Freude Gottes, seine Gaben zu spenden,

Gesetz, daß sie sich in der Verwirklichung des Er-

strebten verzehren, während die Liebe das tut.

wächst

Sie

Aktion

in ihrer

nicht

Und nun

i)!

es keine rationalen Prinzipien mehr,

gibt

Gesetz

kein

und keine »Gerechtigkeit«, die unabhängig von der Liebe und vor ihr vorhergehend über ihre Aktion und deren Verteilung an die Wesen, je nach deren Werte leiten dürfte! Alle, die Freunde und Feinde, die Guten und Bösen, die Edlen und die Gemeinen sind der Liebe wert^).

Und

von fremder Schlechtigkeit

bei jeder Erscheinung

muß

ich sie

mir

zur Schuld rechnen, da ich mir immer sagen

selbst

muß

»wäre dieser Schlechte schlecht, wenn du ihn genug hättest«?

geliebt

Da

sinnliches

Mitfühlen

samt

Wurzel im machtvollsten Triebe unseres Geschlechts nach der christlichen Vorstelluno; nicht der

seiner

Ursprung, sondern die partielleHemmung der Liebe ist,

ist

auch schon das Nichtlieben »Schuld«, nicht

als die unsrige, dieselben

zu empfangen«. (Siehe Theotimus von Franz

von

Kap.)

^)

Sales,

I.

Bd., XI.

Es war auch sachlich der Grundirrtum der antiken Liebes-

konzeption,

sie

unter ein »Streben«, »Bedürfen« zu subsumieren.

immer Liebe an

Streben, Sehnen nach

so ist sie doch ein

dem

Was

Geliebten bedingen mag,

davon ganz unterschiedener Akt, ein Akt,

in

dem

wir in einem Werte befriedigt ruhen, gleichgültig ob er realisiert oder in einem Streben als zu realisierend gegeben

mein oben

zitiertes

Buch über

die

ist.

ist

Vgl. hierzu

»Phänomenologie der Sympathie-

ge fühle«.

So prüft Aristoteles genau in seiner (Nikomachischen) Ethik, Liebe den einzelnen Klassen der nahestehenden Menschen zuzuwenden ist — »gerechtermaßen — den Eltern, Freunden, Kindern, ^)

wie

viel

;

123

erst

das positive Unrechttun

aller

Schuld^).



ja

die Schuld in

So hat sich das Bild unermeßlich verschoben. Das ist nicht mehr eine Schar zur Gottheit emporrennender und dabei sich überflügelnder Dinge Fremden usw. Nach der

sittlichen Grundidee des Christentums hätte zwar noch Sinn für das Wohlwollen (und erst recht für das Wohltun), welches indes nur eine Folge der Liebe ist. Für die Liebe selbst hat es keinen Sinn, da die Größe des jeweiligen Aktwertes der Liebe erst entscheidet, was der Wert der Menschen ist. Auch sachlich gilt, daß die Idee der Gerechtigkeit, soweit sie ihren rationalen Faktor, daß »Gleiches Gleichen zukommen soll« überragt und irgendwie schon bestimmt gedacht wird, was zukommen soll, die Liebe voraussetzt. Auch ein Mensch, der Gleiche immer gleich schädigte, hemmte, tötete, wäre in diesem rationalen Sinne »gerecht«, ohne darum doch auf die mit dem Namen »Gerechtigkeit« bezeichnete sittliche Tugend Anspruch machen zu können. 1) Es ist natürlich die prinzipiellste Frage, die es hinsichtlich des Liebesaktes gibt, ob derselbe nur eine Verfeinerung, Sublimierung, Verschiebung ursprünglich sinnlicher Triebimpulse darstellt, darunter auch des vitalen Mitgefühls und schließlich seines stärksten Ausdruckes im Triebe zum anderen Geschlechte — oder ob er ein ursprünglich geistiger Aktus ist, der in seiner Gesetzmäßigkeit von der leiblich-sinnlichen Konstitution unabhängig ist und nur mit den durch sie begründeten Trieben und Gefühlen Verbindungen solcher Art eingeht, daß die letzteren für die Auslese und die Lebhaftigkeit bestimmend werden, nach und mit denen uns das Wertobjekt der Liebe faktisch zugeht. Das Letztere ist prinzipiell auch die in der Über ihre sachliche christlichen Liebesidee liegende Überzeugung. Berechtigung habe ich eingehend im Kapitel »Liebe und Trieb« in oben zitierter Schrift gehandelt. Nur dies sei hier gesagt: wenn sie richtig ist, so kann die sinnliche und vitale Sympathie mit ihrer gesetzmäßigen Abstufung des Grades nach Ähnlichkeit der Wesen, Nähe usw. nicht als Quelle der Liebe, sondern nur als eine sie beschränkende und verteilende Kraft angesehen werden, durch die sie in den Dienst der Lebenszwecke gestellt wird — ohne darum ein Ergebnis und Produkt vitaler Entfaltung zu sein.

dies

124

und Menschen; das

ist

eine Schar, deren jedes Glied

auf das Gott Fernere zurücksieht, ihm dient

— und

hilft

und

eben darin der Gottheit gleich wird,

die ja selbst dieses große Lieben

Sichherablassen

zum Wesen

Ich verfolge hier nicht

gestaltungen dieser

hat.

konstruktiven Aus-

die

Umkehr

und Dienen und

einer

Gemütsbewegung

Dogma, Theologie, Kultus, so anziehend das besonders bei Paulus und Augustinus wäre. Ich halte mich an das Wesentliche und frage: woher die Umin

kehr dieser Bewegungsrichtung?

Ist

sentiment dafür die bewegende Kraft

wirklich Res?

Je länger und eindringlicher ich über diese Frage

nachsann, desto klarer wurde mir, daß die Wurzel der

christlichen

Liebe

von



Ressentiment

völlig

daß aber andererseits keine Idee leichter durch vorhandenes Ressentiment für dessen Tendenzen zu verwenden ist, um eine jener Idee entfrei ist

sprechende Emotion vorzutäuschen; und dies häufig so weit, daß

auch das geschärfteste Auge nicht mehr

zu entscheiden vermag, ob echte Liebe vorliegt oder

nur das Ressentiment

sich

den Ausdruck der Liebe

gewählt hat^).

^) Eine von Ressentiment getriebene Persönlichkeit ist — wie schon hervorgehoben — z. B. der Kirchenvater Tertullian, von dem auch Fr. Nietzsche eine Stelle anführt, in der er die Seligkeit der

Seelen im Himmel speziell darauf aufbaut, daß sie die Qualen der Verdammten erblicken. Aber auch sein berühmtes: »Credo, quia

125

Es

gibt zwei grundverschiedene Arten, in

sich der Starke gegen

denen

den Schwachen, der Reiche

gegen den Armen, überhaupt das vollkommenere



Leben gegen das »unvollkommenere« zu ihm sich herabbeugend und ihm helfend, verhalten kann. Einmal jene Art, die dabei zum inneren Ausgangspunkt und zur motivierenden Kraft ein mächtiges Gefühl der eigenen Geborgenheit, des Feststehens, des inner-

und der unbesieglichen Fülle des und Lebens hat, und aus allem dem

sten Gerettetseins

eigenen Daseins

zusammen das klare Bewußtsein, abgeben zu können von dem eigenen Sein und Haben. Hier ist Liebe, ist Opfern, Helfen, sich Herabbeugen zum Kleineren und Schwächeren ein spontanes überfließen der Kräfte, begleitet von Seligkeit und innerster Ruhe. Gegenüber dieser natürlichen Liebes- und Opferbereitschaft

aller

ist

Hinsehen auf

spezifische

»Egoismus«,

sich, sein Interesse, ist

das

auch der eigent-

Anzeichen des gehemmten, geschwächten Lebens. Leben liche

ist

Trieb

der »Selbsterhaltung« bereits

wesentlich Entfaltung, Entwicklung,

an Fülle





also nicht, wie eine falsche

»Selbsterhaltung«



als

wären

alle

ein

Wachstum

Lehre lautet,

Entwicklungs-,

absurdum, credo quia ineptum« und seine gesamte maßlose Haltung gegen die antike Kultur und Religion

Werte nur benutzt,

um

zeigt,

wie er die christlichen

seine Gehässigkeit gegen die antiken

Werte

Eine vorzügliche Schilderung des Werdens eines Ressentimentchristentums gibt auch F. A. Meyer in seiner Novelle zu befriedigen.

der »Heilige«.

126

Entfaltungs-,

Wachstumserscheinungen

nur

Epi-

phänomene zu bloßen Kräften der Erhaltung und

darum auf Erhaltung

des besser Angepaßten zurück-

Es gibt nach unserer Ansicht auch ein Opfer des Lebens, selbst für noch höhere Werte, als Leben sie birgt; aber darum ist nicht jedes Opfern ein gegen das Leben und seine Förderung gerichtetes zuführen.

Tun^). Vielmehr gibt

es ein

Opfern, das freies Abgeben

des eigenen vitalen Reichtums

ist,

ein schönes

und

natürliches Überfließen der Kräfte. Dieser Opferdrang

gegenüber Wesen,

mit denen wir durch die allem

Lebendigen eigene Gabe von Miterleben mit anderem Lebendigen (graduell abgestuft nach der Nähe und Gleichartigkeit

dieses

Lebendigen

mit

dem

be-

Wir beschränken mit Absicht unsere Ausführungen auf diese und sehen davon ab, daß die puren Geistesakte und ihre Gesetzmäßigkeit, sowie ihre Gegenstände und deren Sachzusammenhänge aus dem »Leben« in keiner seiner nnögHchen philosophischen ^)

vitale Seite

Fassungen begriffen werden können; daß es mithin auch ganze Reihen von Werten und werterfassenden Akten gibt, die von Lebenswerten und Lebensakten unabhängig sind. Die »Sicherheit« und »Geborgenheit« des Christen ist an erster Stelle Sicherheit und Geborgenheit in einer über das Leben und seinen möglichen Schicksalen wesenhaft erhabenen Welt. Aber da derjenige, der die These der Herkunft der christlichen Liebesidee aus dem Ressentiment aufstellte, Fr. Nietzsche, diese Behauptung nicht anerkennt und sogar die Idee der Wahrheit unter die »Lebenswerte« subsumieren will, so dürfen M'ir hier dies nicht voraussetzen. Wir wollen uns genügen lassen, zu zeigen, daß auch unter seiner Voraussetzung, es sei das Lebensmaximum der höchste Wert, seine Behauptungen irrig sind. über die sachliche Rangstufe der »Lebenswerte« in der Rangordnung der Werte siehe meine eingehenden Begründungen in »Der Formalismus in der Ethik

und

die materiale Wertethik«,

Niemeyer 1914.

127

Wesen) uns im Gegensatz zu allem »Toten« einig und solidarisch fühlen, ist durchaus keine bloße Erwerbung des Lebens, die man aus treffenden

ursprünglich egoistischen Trieben ableiten könnte;

sondern ursprünglich allen

dem Leben

eigen

und

dies

besonderen »Zielen« und »Zwecken«,

Berechnung,

Überlegung

Verstand,

vor

in

die

nachträglich



Es drängt uns, zu opfern ehe wir wissen warum und wofür und für wen! In dem Bilde Jesu von Natur und Leben, das zu-

diesen »Drang«

stellt.

und in Andeutungen verborgen Reden und Gleichnisse hindurch-

weilen stückweise

durch

seine

schimmert, sehen wir noch deutlich genug, diese Tatsache sah.

Nicht darum sagt

daß

euch nicht damit, was ihr essen und trinken weil

ihm Leben

gleichgültig

er

er »beschäftigt sollt«,

wäre und was

zu

seiner Erhaltung gehört, sondern weil er in allem

»Sichsorgen«

um

den nächsten Tag, in der Ein-

stellung auf das eigene körperliche

vitale Schwäche

kammer und

sieht,

Wohl auch

eine

»Die Sperlinge ohne Vorrats-

Scheune, die Lilien, die nicht spinnen

und weben und

die Gott

doch herrlicher

als

Salomo

ihm Bilder für jenen tiefen Gesamteindruck, den er vom Leben hat: daß jede willkürliche Aufmerksamkeit auf das eigene sinnliche Wohl, dieses Sichsorgen und Angstigen, die schöpferische Kraft, die unwillkürlich alles Leben wohltätig leitet, eher hemmt als fördert. »Und wer

kleidet usw.«, sie sind

128

von euch kann mit

allen seinen Sorgen sein Leben auch nur um eine kurze Zeit verlängern ?« Diese Art von Gleichgültigkeit gegen die äußeren Lebensmittel (Nahrung, Kleidung usw.) ist in ihm kein Zeichen von Gleichgültigkeit gegen das Leben und seinen Wert, sondern ein tiefes und heimliches Ver-

trauen auf die eigene Kraft des Lebens selbst und eine innere Sicherheit gegen die mechanischen Zufälle,

Eine frohe,

in die es gerät.

leichte,

kühne,

eine ritterliche Gleichgültigkeit gegen die Lebens-

umstände, aus der Tiefe des Lebens hier der Born, aus

dem

mus, Todesfurcht

(die in der

war, daß

diese

selbst heraus, ist

Worte

fließen!

Egois-

Antike so verbreitet

manche Philosophenschulen wie

z.

B. die

Epikureer, die Philosophie geradezu abzielen lassen darauf, uns »von der Todesfurcht zu befreien«) ist ein Zeichen niedergehenden, kranken, gebrochenen

Lebens^).

war man Ende, und

In den Zeiten größter Vitalität

gleichgültig gegen das

Leben und

sein

diese Gleichgültigkeit ist selbst ein vital wertvoller

Gemütszustand. Liebe und Opfern dieser Art gegenüber dem Schwächeren, Kranken, Kleinen usw. ist also aus innerer

boren.

^)

Geborgenheit und eigener Lebensfülle ge-

Und

je tiefer

9

zentraler



außer jener

Vgl. hierzu meine Schrift über »Der

lebens«, Verlag der

i-

und

Tod und die Idee des FortWeißen Bücher, Leipzig 1915.

129

vitalen Sicherheit, noch jene andere Sicherheit

des letzten Seins selbst reich«),

desto

ist

(Jesus nennt sie »Gottes-

mehr kann und darf der Mensch

fast spielerisch »gleichgültig« sein sal« in

und

Geborgenwissen in der Burg

SeUgkeit, jenes sich

gegen sein »Schick-

den peripheren Zonen seines Daseins, hinsichtdessen,

lich alles

wo

es

noch »Glück« und »Leid«,

»Angenehmes« und »Unangenehmes«, »Schmerz« gibt^).

»Lust«

und

Wächst nun aber dieser Art des spontanen Liebesund Opferdranges durch Erblicken des Kleinen, Armen, Gedrückten eine Gelegenheit der Betätigung zu und ein bestimmter Zweck zu helfen z. B., so

ist

der

jeweilige

Betreffenden

genommene

nicht

Anlaßgegenstand

eine

den

für

mit Befriedigung wahr-

Gelegenheit, sich in die Erscheinungen

der Armut, des Kranken und Häßlichen usw. zu ver-

senken; sondern er opfert und

den

Leben

hilft

diesem kämpfen-

wegen, sondern trotz um das in ihm noch an positiven Werten noch in sich nicht

negativen Wertmomente, das,

was

es

zur Entfaltung zu bringen. ist,

Nicht weil

er

dieser Heile, birgt,

krank

arm, klein, häßlich usw., richtet sich Liebe und

Opferwille

auf ihn,

um

in

diesen

Erscheinungen

Die »Seligkeit/ im christlichen Sinne ist dadurch charakteridaß sie im Wechsel und Wandel jener Gemütszustände ruhig im Zentrum der Seele verharrt und im Erleben selbst das Bewußtin sich trägt. sein ihrer Unzerstörbarkeit von außenher ^)

siert,



130



zu verweilen, sondern weil die positiven Lebenswerte selbst schon (und erst recht natürlich

passiv

Werte

die geistig persönlichen

dieser Individualität)

von diesen Eigenschaften gar nicht abhängig sind und weit tiefer als sie liegen, vermag (und »soll« darum) die eigene Lebensfülle die natürliche Angstund Fluchtreaktion vor diesen Erscheinungen überwinden, und die Liebe in hilfreicher Tat das Positive in dem Armen, Kranken usw. entwickeln. Nicht das Kranke und Arme an dem Kranken und Armen wird geliebt, sondern das was hinter diesem ist, und diesem wird ihm nur »geholfen«. Wenn Franziskus von Assisi eiternde Wunden küßt und selbst die ihn beißenden Wanzen nicht

sondern ihnen seinen

tötet,

Körper wie ein gastlich Haus überläßt, so könnten Handlungen (nur von außen gesehen) Folgen

ja diese

einer Pervertierung des Wertgefühls

Aber

sein. ist

tieferes

Das

eine

Überwinduno- des

Es

Eiter,

durch

Ekels

ein

anderes

völlig

B. die Haltung

des

ein

,

sozialen

Elends,

die



Verhalten,

inneres

modernen Aufdeckung

verflossenen

Realismus in Kunst und Dichtung, die des

dem

Lebens- und Kraftgefühl, das sich so äußert!

ist z.

Instinktes

sind es hier tatsächlich nicht.

nicht Mangel an Ekel oder Lust an

sondern

als

sie

und

Kleineleutemalerei,

das

Wühlen im Kranken, eine durchaus aus Ressentiment geborene Erscheinung. Diese Leute sahen in allem Lebendigen ein Wanzenhaftes, während Franz 9*

131

noch

in

blickt

i).

der

Wanze

das

»Leben«,

das heilige

er-

Der antiken Liebeshaltung und -Idee lag demgegenüber ein Moment von Lebensangst zugrunde. Das Edlere ängstigt sich hier, zum Unedleren zu kommen, da es dauernd Anteil an ihm gewinnen könnte und durch es hinabgezogen zu werden fürchtet. Es fehlt dem antiken »Weisen« die Festigkeit der innersten Selbst- und Selbstwertgewißheit des Genius und Helden der christlichen Liebe. Aber noch ein Charakteristikum für diese Art! Liebe im Sinne Jesu hilft und hilft tatkräftig! Aber sie besteht nicht im Helfenwollen, oder auch nur im »Wohlwollen«. Sie bleibt versunken in den positiven Wert; und Wohlwollen und Helfen sind nur ihre Folgen. Die Scheinliebe des Ressentiment^)

Die Fioretti (Kap. 10) erzählen, daß Franziskus auf die Frage, gerade e r ausersehen worden sei, die Menschen durch seine

warum

Predigt

dem wahren Leben

Seine heiligen

zuzuführen, geantwortet habe:

Augen sahen unter den Sündern

».

.

.

denn

keinen, der elender

war denn ich; keinen, der ein das wundersame Werk zu vollbringen, das er sich vorgenommen, fand er kein Geschöpf auf Erden, das armseliger war; darum hat er mich auserwählt, um die Welt zu beschämen mit ihrem Adel und ihrem Stolz und ihrer Stärke usw.« Hierin könnte man und ihrer Schönheit und ihrer Weisheit Indes ist mit den Worten versucht sein, Ressentiment zu sehen. »Adel, Stolz, Stärke, Schönheit, Weisheit der Welt« und ihrer »Beschämung« doch nur gemeint ihre relative Untergeordnetheit hinsichtlich ihrer Werte unter die Werte des Gottesreiches, das seinen Wert aber nicht erst aus dem Gegensalz zur »Welt« ableitet, sondern ihn nur unabhängig von den »Werten der Welt« in sich selber trägt.

war denn

ich; keinen, der untüchtiger

größerer Sünder war denn ich; und

um

.

132

.

.

menschen

hilft nicht,

da

ja das pervertierte

Wert-

fühlen die Übel »Krankheit«, »Armut« usw. zu Gütern

umgelogen hat, und nach ihm »Gott mit besonderem Wohlgefallen auf die Kleinen herabsieht«, so daß es sie von ihrem Heile gerade entfernen hieße, machte man die Kleinen groß, die Kranken gesund usw.^) Aber Liebe im genuinen christlichen Sinne gewinnt

darum

nicht ihren

Wert

erst

durch die Förderung,

den Nutzen, welche die aus ihr hervorquellende hilfreiche Tat leistet. Der kann groß sein mit wenig Liebe oder gar keiner Liebe und klein bei großer Liebe.

Witwe sind nicht darum Gaben der Reichen, weil sie

Die Pfennige der

mehr vor Gott

als die

bloß »Pfennige« sind, oder weil die Gebende eine

»arme Witwe«

ist,

sondern weil

sie

ihrem Tun

in

mehr Liebe verrät! Das Wachstum des Wertes immer auf Seiten des Liebenden, nicht auf Seiten dessen, dem geholfen wird! Liebe ist

liegt also

Eine aus Ressentiment geborene Gemütsbewegung ist darum ') auch das, was Schopenhauer »Mitleid« nennt. Denn seine Bedeutung besteht für Schopenhauer nicht in ihm als einer Äußerung der Liebe, — die er vielmehr aus dem Mitleid verstehen will — auch nicht in einem Faktor, der zu Wohlwollen und Wohltun leitet, sondern nur in einem vermeintlichen Innewerden der metaphysischen Einheit des an sich selbst leidenden Willens in allen Individuen. Jedes darauf sich aufbauende Wohlwollen und Wohltun könnte nur von dieser metaphysischen Erkenntnis abziehen und wieder in die Welt der ,

Individuation verstricken. Darum weiß Schopenhauer auf die Klagen über Unglück und Elend seiner Freunde immer nur zu antworten: »Sehen Sie, wie wahr meine Philosophie ist«! (Siehe Briefe Schopenhauers an Frauenstädt.)

133

hier keine seelische »Wohltätigkeitsanstalt«;

und

es

und der eigenen Seligkeit keinen Im Akte des Sichverlierens erfolgt das Im Lieben selbst und Geben ist der Denn »Geben ist seliger denn Nehmen«

gibt zwischen ihr

Gegensatz!

Gewinnen!

Mensch

selig

!

Nicht unter den vielen Kräften, die menschliche oder soziale Wohlfahrt fördern,

und

darum

Sondern ihr,

sie

wertvoll selbst,

und

ist

Liebe »auch eine»

ihre Träger auszeichnend!

die Erfülltheit der Person

von

das höhere, festere, reichere Sein und Leben,

dessen Juwel ihre

Bewegung

selbst ist, ist

das in

Nicht auf die Größe der Wohlfahrt,

sich Wertvolle.

sondern darauf, daß unter Menschen ein

Maximum

kommt

es also hier an! Das Helfen der adäquater Ausdruck und ist Liebe, nicht ihr »Zweck« und Sinn, der nur in ihr in ihrem Aufglänzen in der Seele und selbst liegt dem Adel der liebenden Seele im Akte ihrer Liebe.

von Liebe

sei,

unmittelbarer



Nichts also

ist

diesem genuinen Begriffe der christ-

von »Sozialismus«, »sozialer Gesinnung«, »Altruismus« und ähnliche moderne subalterne Sachen. Wird dem reichen Jüngling geboten, er solle sich seiner Reichtümer entlichen Liebe ferner, als alle iVrt

den Armen schenken, so wird dies wahrlich nicht darum getan, daß die »Armen« etwas bekommen, und weil man meinte, dadurch eine ledigen

und

sie

bessere Verteilung des Besitzes für die allgemeine

Wohlfahrt zu erzielen; aber ebensowenig weil Armut 134

an

sich besser

Aktus

wäre

Reichtum, sondern weil der

als

des Weggebens,

Liebesfülle,

reichen

Jünglino-

macht,

als er ist.

Auch

in

die geistige Freiheit

und

jenem Akt kundgibt, den adelt und noch viel »reicher«

sich in

die

den metaphysisch religiösen Konzeptionen

des Verhältnisses des Menschen zu Gott findet sich dieses

Moment

verhältnisses

wieder.

An

Stelle des alten Vertrags-

von Gott und Mensch, der Wurzel

aller

»Gesetzhaftigkeit«, tritt das Liebesverhältnis unter

dem

Und auch

Bilde der Gotteskindschaft!

Liebe »zu Gott«

soll

sich

nicht

auf

seine

Werke

all das, was er und Fürsorge jene Erfahrungen seines Tuns und seiner

gründen, etwa

als

Dankbarkeit für



stündlich gibt, für seine Erhaltung

sondern alle

die

Werke sollen nur den Blick konzentrierend zurückund emporlenken auf die »ewige Liebe« und die unendliche Wertfülle, die sich darin erweist. Nur weil sie Werke des Liebenden sind, sollen auch die Werke Bewunderung und Liebe finden! So stark hatten die

besten

mittelalterlichen

präzise Vorstellung,

Christen

daß Hugo von

St.

noch

diese

Viktor in

seiner Schrift über »das Lösegeld der Seele« (De arrha

animae) die Liebe, die sich erst auf die göttlichen Wohltaten und

Werke gründen

will, »eine

Liebe einer Hure

Aber schon in dem Spruche Salomonis «Wenn ich nur Dich habe, frage ich nichts nach Himmel und Erde« ist diese strenge Antithese gegen die Vergleich«

nennt

!

135

tragsidee,

die

doch auch

jene

Dankbarkeitsliebe

im Keime in seines Himmels

durchschnittlicher Kirchlichkeit noch sich hat, gegeben.

Nicht Gott

ist



und seiner Erde wegen zu lieben sondern Himmel und Erde, weil sie Gottes sind! Weil durch sie als fühlbarer Ausdruck die ewige Liebe, nicht

— hindurchschimmert^). Und dasselbe

als

Zweckidee

gilt

wieder für die Gottesidee

selbst.

Die Antike hatte

im Uni-

die Vorstellung einer begrenzten Liebeskraft

versum, und forderte darum, daß mit

diesier

sparsam

umzugehen sei und Liebe auf jeden nur nach seinem ihm einwohnenden Werte gerichtet werden dürfe. Indem nun die Idee konzipiert wird, daß die Liebe 1)

Vgl. den Schluß der Verse der

hl.

Therese:

»Und würd' ich auch nicht hoffen, wie ich Ich würde dennoch lieben wie ich liebe.« (Siehe auch Franz Brentano

:

hoffe,

»Ursprung sittlicher Erkenntnis«. Anhang.)

im Gebet der hl. Gertrud, wo sie den Wunsch ausspricht, daß Jesus so arm und klein wie sie wäre, sie selbst aber alle Allmacht und Allweisheit (wie Gott) hätte, damit sie sich dieser entäußern könne, um zu Jesus herabzukommen. (Siehe PrecesGertrudOder

die Stelle

Oder den Wunsch des Meisters Eckehart, »daß er lieber mit Jesus in der Hölle, als ohne ihn im Himmel sein wolle«. Stellen dieser Art, die sich beliebig häufen ließen, zeigen, wie vollständig ungegründet die Behauptung J. Kants und vieler anderer ist, daß jeder Hinblick auf Gott im sittlichen Handeln auch ein Hinblick auf Belohnuns: und Strafe und darum eudämonistisch und egoistisch sei. »Nichts ist mir süß, was mich nicht zu Gotl führt; möge mir der Herr alles nehmen, was er mir geben will und sich selbst mir geben«. Augustinus Ennarr. 2. Vgl. zu dem Gesagten die beiden oben zitierten Arbeiten des Verf. über Sympathiegefühle und »Formalismus usw.c ianae, Beuron.)

II. Teil.

136

dem Unendlichen,

ihren Ursprung

habe, er selbst die unendliche Liebe

und Barmherzig-

Gott

in

selbst,

von selbst die Folgerung auf, daß man Guten und Schlechten, die Gerechten und Sünder lieben müsse, die Freunde und Feinde; und daß sich gerade in der Liebe zu den letzteren die

keit

sei, tritt

die

Wogegen

echteste, übernatürliche Liebe bekunde.

nun

die antike Forderung, die

Guten und Gerechten

zu lieben und die Bösen und Ungerechten zu hassen, unter den verwerfenden Titel des »Pharisäismus«

den weiteren metaphysischen Zusammenhängen, wird nun Gott nicht nur der »Schöpfer«, (an fällt.

Ja, in

Stelle eines

bloßen Ideals, eines vollkommenen Seins

der Welthinanbewegung), sondern der »Schöpfer aus Liebe«, dessen Schöpfung, die »Welt« selbst, nur die

momentane

Erstarrtheit

einer

unendlich

weiter-

Indem an Stelle des und -Betrachters, den der Gang der Weltdinge nicht kümmert und quellenden Liebesgeste Sichselbstdenkers

ist.

(vöTjotc

vor^ascoc)

der auch nicht wahrhaft verantwortlich Welt^), jenes logischen Egoisten, in die

^)

griechische

Ob

Metaphysik

das

ist

dem

für die sich für

Lebensideal

des

der Gott des Aristoteles auch nur von der Welt

Inhalte wisse,

ist

bekanntlich

strittig.

und ihrem Franz Brentano entscheidet

neuerdings (siehe sein Werk über Aristoteles in der

v.

Asterschen

Samm-

lung) dahin, daß er »in sich selbst gleichzeitig die

Welt wisse«. Doch beruht diese Annahme Brentanos auf der Behauptung, daß Aristoteles den Evidenzvorzug der inneren Wahrnehmung gelehrt habe, eine Behauptung, die mir fraglich erscheint,

137

»Weisen« verabsolutiert hat, der persönliche Gott tritt,

der aus Liebe, aus einem unendlichen Über-

— nicht um

fluß der Liebe die »Welt« schuf

einem

denn »nichts« war vor ihm sondern nur als Äußerung seines Überflusses an Liebe, findet eben dieselbe geistige Lebenswendung

Vorhandenen zu

helfen,

auch ihren theologisch begrifflichen Ausdruck. In all dem finden wir nichts von »Ressentiment«!

Nur

ein seliges Herablassen

und Herablassen können

aus einem Überflusse an Kraft und Hoheit! Indes es gibt eine ganz andere Art des Sichherab-

beugens

zum

ähnlich

sie

sehen mag. fluß

und

Kleinen, Niedrigen, Schlechten



Da erwächst

Liebe nicht aus

der eigenen Lebensmacht,

der

dem Über-

Geborgenheit

Festigkeit, sondern ist nur ein schöner

Name von

für Selbstflucht, für ein ewiges Abgestoßensein sich selbst,

so

äußerlich der eben bezeichneten aus-

das erst sekundär die

Zuwendung zu

einem »anderen« bedingt, für eine Unfähigkeit, »zuhause zu bleiben« bei sich (»chez soi«). Es ist ein radikaler Unterschied, ob

Zuwendung zu einem

er-

Wert die in aller Fremdliebe liegende iVbwendung von dem eigenen Selbst fundiert, oder ob die Intention eine ursprüngliche Abwendung ist von sich, und nun draußen sucht und sucht,

blickten

um

in

positiven

dem

Scheine der Fremdliebe ihren eigenen

Träger zu hassen. fundiert, in

138

Eine solche »Liebe«

Haß gegen

sich, sein eignes

ist

in

Haß

Elend und

seine Schwäche!

Die Seele

ist hier

immer im Auf-

bruch begriffen, in die Weite und die Ferne zu gehen! Eine Angst, sich selbst und ihre Minderwertigkeit zu schauen, treibt sie, dem anderen schon als

»anderem« überhaupt, nicht wegen seiner positiven

Werte

— sondern bloß weil

»Nichtich«, sich hinzugeben.

es »ein anderes« ist, ein

Moderner philosophischer

Jargon hat dies »Altruismus« genannt, eines der modernen Ersatzmiittel für Liebe! Hier ist

vielen

nicht Erste,

ein

Erschauen

eines

positiven

Wertes das

auf das sich die Liebesbeweg-ung aufbaut,

oder ein Aufblitzen des positiven Wertes in der Liebe selbst,

sondern eine

Abwendung von

sich

selbst,

«in Aufgehen in den Angelegenheiten anderer.

Wer

wäre dem Typus noch nicht begegnet, den wir bei Frauenrechtlerinnen, überhaupt den Sozialisten,

Menschen mit immer »sozialer

bereit stehender sogenannter

Gesinnung« so häufig finden, und hinter

dessen sozialer Betriebsamkeit so klar fühlbar die

Aufmerksamkeit auf sich, seinen Lebensfragen, seinen Auf gaben verweilen zu lassen? Wegsehen von sich hält man hier für Liebe! Es ist ja sonnenklar, daß »Altruismus«, inneres Gerichtetsein auf andere und ihr Leben, mit Liebe nicht das mindeste zu tun hat! Auch der Boshafte, der Neidische z. B. vergißt seine Interessen, seine Unfähigkeit

Hegt,

die

»Erhaltung« selbst über das Erlebnis des anderen, des Schadens, den er

ihm zufügt und

des Leidens, 139

Und umgekehrt

das dieser daran leidet^).

gibt es

echte »Selbstliebe«, die mit »Egoismus« gar nichts

zu tun hat^), für den

es

gerade wesentlich

ist,

daß

Wert des isolierten Selbst in seiner Fülle wird und gegeben ist, sondern nur der Mensch

nicht der erfaßt

den anderen,

in Hinsicht auf

Glied der Gesell-

als

und zu gewinnen sucht. Die Beziehung auf »mich« und den »anderen« ist eben für das Spezifische von Diese Akte Liebe und Haß ganz unwesentlich. sind in si ch verschieden, und von der Richtungsbezogenheit auf mich und den anderen ganz unMehr

schaft, das ein

als

der andere zu haben

abhängig!

Wie Form sich

»altruistische«

dieser

des Hassens

ist



Drang

nur eine

also

des Selbsthasses



und

nur unter einer täuschenden Vorspiegelung des

Bewußtseins

ein

als

»Liebe« ausgibt,

so ist

Gegenteil

des

nun aber auch

Hassens,

in der,

als

imRessen-

timent wurzelnden sittlichen Haltung die Liebe zu den »Kleinen«, den »Armen«, »Schwachen«, »Gedrückten« ^)

Vgl.

usw.

hierzu

dem Buche:

nur ein vermummter Haß,

meine Typenlehre

»Zur Phänomenologie

ver-

der Mitgefühlstäuschungen in

und Theorie

der

Sympathie-

gefühle usw.« -)

Niemand hat

dies

schärfer

und

klarer ausgeführt als Aristo-

Nikomachischen Ethik: Siehe das Kapitel »Selbsthebe«. Der Freund, der dem Freunde Besitz und Leben opfert, vollzieht Denn ihm überläßt er darin den höchsten Akt der »Selbstliebe«. die niedrigeren Güter; sich selbst aber bedeckt er in diesem Opferakte mit dem »Ruhm der edlen Tat«, d. h. dem höheren Gut. teles

140

in der

drängter Neid, Scheelsucht usw. auf die entgegengesetzten

»Reichtum«,

Erscheinungen,

»Lebensmacht«, »Glücks- und

»Stärke«,

Daseinsfülle«!

Jede

Art des Hassens, das sich nicht hervorwagt, läßt

Form

sich ja unter der

eines scheinbaren Liebens

ausdrücken, des Liebens zu »etwas«, das die entgegen-

Und zwar

gesetzten Züge trägt, als das Gehaßte.

daß das geheime Relationsglied des Hasses nicht genannt wird. Wo immer wir jenen scheinfrommen, salbaderischen Ton vernehmen (den Ton

so,

einer

gewissen

besonders

»sozialen«

Priesterart),

daß Liebe zu den »Kleinen« an erster Stelle geboten sei, Liebe zu den »Schwachen im Geiste« da Gott



mit »besonderem Wohlgefallen« auf

sie

schaue



da täuscht nur Haß das Bild der christlichen Liebe vor!

Wir fühlen

hier deutlich, mit welcher heim-

lichen »Befriedigung« der Blick gerade auf diesen

Erscheinungen ruht

— und daß

es nicht

wie für die

echte Intention der Liebe auf die positiven, höheren

Werte ankommt, sondern gerade

sie

die

hinter ihnen

sein

mögen,

Gegenstand der Liebesintention

werden; auch natürlich nicht auf die hilfreiche Tat, die sie ja eben Gott »weniger wohlgefällig«

müßte,

also

gemäß

dieser

machen

Wertschätzung eine Äuße-

rung des »Hasses« sein müßte, sondern nur im Ver-

weilen

in diesen Erscheinungen.

Und wenn dann

im gleichen Tone hingewiesen wird auf den Lohn, den diese Menschen im »Himmel« für ihre

weiter

141

Mühsale finden werden, und der »Himmel« wie eine

Umkehr

der irdischen

werden

die Letzten

Ordnung sein«),

so

erscheint (»die Ersten

man

fühlt

deutlich,

wie der ressentimenterfüllte Mensch nur die Rache,

an den Großen nicht üben kann, auf Gott überträgt, um im jenseitigen Mechanismus der Belohnungen und Bestrafungen wenigstens in der Phandie er

Rache zu stillen, die hier zu stillen er zu ohnmächtig ist. Das ist immer noch der rächende

tasie die

Jehova, der im Kerne dieser Gottesidee des Ressentimentchristen

unter der

sitzt,

nur daß

Scheinliebe

zu

er seine

Rache

jetzt

den »Kleinen« verhüllt.

Hier steht auch das Reich »Gottes« nicht mehr in

erlebter Verknüpfung mit dem sichtbaren Reiche so daß in ihm die Wertgesetze und Vergeltungsgesetze, die schon im sichtbaren Reich gelten und erscheinen, nur reinste und vollkommenste Ausprägung finden sondern es ist nun zum »Jenseits« geworden, das mechanisch neben dem »Diesseits« steht (ein Gegensatz, der den lebendigsten christlichen Zeiten unbekannt war), und stellt nur eine Seinsfläche dar, auf der die Schatten der erfahrenen Menschen und Ereignisse ihren, vom organischer,





Ressentiment

geleiteten,

den Regeln des

Erden-

rhythmus einfach entgegengesetzten Tanz tanzen. Alle vorwiegende Beschäftigung Jesu mit den Armen, den Kranken, den Mühseligen und Beladenen, 142

den Zöllnern, selbst jene geheimnisvoU-

wundersame Neigung

in

ihm

Sünder (siehe

für die

»Ehebrecherin«, »Salbung Jesu durch die Sünderin«,

vom

»Gleichnis

verlorenen Sohn«), die

leise

Ironie,

von den »Guten und Gerechten« reden kann und die durch Worte wie: »die Gesunden ohne die

er nicht

brauchen keinen ArzL, aber die Kranken«, »ich bin

gekommen, um Gerechte, sondern um Sünder zur Buße zu rufen« keineswegs verständlich gemacht sind, wenn man erwägt, daß er doch sogar von sich nicht

selbst

den

Namen

eines

nennt ihr mich gut Vater im Himmel«)

?



»Guten« ablehnt;

Niemand all

dies

ist

gut außer euer

vermag mich nicht

zu bestimmen, hier an Ressentiment zu

Der

eigentliche Sinn dieser Äußerungen

scheint



keine

Erklärung

(»Was

einer

ist,

glauben.

— wie mir

positiven

Ab-

hängigkeit des Heiles von diesen negativen Eigenschaften,



timent läge

wie es in der Richtung des Ressen-



sondern nur die paradoxe Form,

in der sich die Erklärung der

Unabhängigkeit

der

höchsten und letzten Persönlichkeitswerte von den Gegensätzen: arm, reich, gesund, krank usw. ausspricht.

Einer Welt gegenüber, in der die Neigung

konstitutiv geworden war, die nach Stand, Besitz,

und Macht geordneten Menschen für ein Abbild der letzten sittlichen und Persönlichkeitswerte zu halten, konnte man die Entdeckung einer ganz neuen und höheren Sphäre des Seins und Lebens, des »Gottesreiches«, dessen Ordnung vitaler Kraft

143

von jener irdischen und hängig

Wertordnung unabals daß man Nichtigkeit der positiven Werte in jener

ist,

auf die

Ordnung

vitalen

gar nicht anders erschließen,

für

nachdrücklich

diese

Nur

hinwies.

Lukas

solche Stellen, wie sie sich vorwiegend bei

finden, in denen das Gottesreich geradezu als eine

Umkehr

Ordnung dargestellt zu werden scheint, gehen über diese Deutung vielleicht hinaus. So die schroffe Behauptung, daß »eher ein Kamel der irdischen

durch ein Nadelöhr ginge,

Himmel«

(die

»Wie schwer Gottes«

als

ein Reicher in

den

immerhin durch das Vorausgehende:

kommen

die Begüterten in das

und das Nachfolgende, daß

ebenso möglich

sei,

es für

Reich

Gott auch

den Reichen in das Gottes-

reich eingehen zu lassen, erheblich gemildert wird) in

so

noch

weit

sungen bei Lukas

Maße

stärkerem 6,

1

— 13:

»Selig ihr

euch gehört das Reich Gottes.

Seligprei-

die

Armen, denn

Selig, die ihr jetzt

hungert, denn ihr sollt lachen. Selig seid ihr, wenn euch die

Menschen hassen, wenn

sie

euch ausschließen und

beschimpfen, euern Christennamen verächtlich aus-

sprechen

um

des Menschensohnes willen«

»Wehe euch Reichen,

ihr

Wehe euch, die ihr hungern. Wehe euch,

.

.

.

Und:

habt euern Trost schon da-

denn ihr werdet die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet trauern und weinen. Wehe, wenn alle Menschen freundlich mit euch reden; denn so haben es ja ihre Väter mit den Lügenpropheten gemacht«.

hin.

144

j etzt satt seid,

Hier scheint mir der Verfasser in der Tat von

Ressentiment nicht

zu sprechen zu sein; doch

frei

finde ich diese Tatsache auf Lukas beschränkt

auch

und

Färbung in der Wurzel durchaus

hier nur wie eine persönliche

Darstelhing von Ideen, die ihre nicht in Ressentiment haben.

Auch

die Forderungen: »Liebet eure Feinde, tut

wohl denen,

die

euch hassen, segnet die euch fluchen,

betet für die, die euch kränken, dem, der dich auf die rechte

und

deiTi,

Wange

schlägt,

dem

biete

auch

die andere

dem

der dir deinen Mantel nimmt,

ver-

weigere auch den Rock nicht«, fordern weder eine Passivität,

rächen,

die

nur das Ohnmachtsgefühl, sich zu

»rechtfertigte«

meint), noch suchen

(wie

sie

Nietzsche

ganz

irrig

den Gegner in geheimem

Rachedurst zu beschämen (wie zuweilen bei Paulus gedeutet einer

ist

und

Ausdruck paradoxem

laut wird), noch sind sie

geheimen Selbstqual, die sich

Verhalten befriedigt.

Sie gebieten

in

nur die äußerste

Aktivität gegen das natürliche Triebleben, das zu

den entgegengesetzten Handlungen einlädt und aus

dem

innersten individualistischen

Geiste

dies

des

Evangeliums heraus, der es ablehnt, die eigene Handlungsart und Verhaltungsart vom Verhalten des »anderen« irgendwie abhängig sein zu lassen;

der es ablehnt, daß sich der Handelnde durch das

Verhalten des anderen auf dessen tieferes Niveau hinabreißen lasse dadurch, daß die Richtung seines 1. 10

145

Handelns bestimmt.

als

bloße

Reaktion

Aus der Person

auf das Fremde sich

soll die

Handlung orgadem Baume«

nisch hervorwachsen wie die »Frucht aus

dem guten Vorrat

»Der gute Mensch bringt aus

seines

dem Denn wes das Herz

Herzens Gutes hervor, und der schlechte aus schlechten Vorrat Schlechtes. voll ist, geht der

Mund

der natürlichen

Reaktion perverse Reaktion, die

gefordert wird,

Wange

schlägt,

im Sinne:

darum

ein bloß reaktives

und

über«.

Es

ist also

nicht eine

»weil er dich auf die eine

reiche die andere«, sondern

Handeln überhaupt wird abgelehnt

jedes Sicheinlassen

auf die gemeinen, durch-

Wertmaßstäbe und Handlungsarten. von der »geheimnisvollen« Neigung Jesu für die Sünder, die mit seiner stets bereiten Kampfstellung gegen Pharisäer und Schrift gel ehrte, gegen alle Art von bürgerlicher Korrektheit in so innigem Zusammenhange steht. Ist hier ein Moment von Ressentiment ? Es steckt darin sicher eine Art von Bewußtsein, daß die große, radikale Lebens- und Sinnesänderung, die er vom Menschen fordert und welche in der christlichen Sprache Wiederdem Sünder leichter möglich geburt genannt wird schnittlichen

Ich sprach





ist als

dem »Gerechten«,

der täglich Schritt für Schritt

dem Ideal des Gesetzes näher zu kommen sucht. Im »Sünder« ist die große machtvolle Bewegtheit des Lebens tritt,

146

und gleichsam

daß Jesus eine



tiefe

die Möglichkeit!

Dazu

Skepsis gegen alle jene

Mangel starker Antriebe, aus einer

hat, die nur aus

Armut

des Lebens heraus, den Habitus vortäuschen,

den der wahrhaft Gute

Aber

selig besitzt.

all

das

erklärt

noch nicht jene geheimnisvolle Neigung.

Es

darin etwas, was sich

ist

was

nur fühlen läßt:

sich

Naturen

die edelsten



und

sein



mögen

es

kaum

aussprechen,

überkommt gerade

oft

in der Gesellschaft der

»Guten«

wirklich »Gute«, keine Pharisäer

ein stürmisches Verlangen, ein machtvoller

Stoß des Herzens, zu den Sündern zu gehen, mit

ihnen zu

leiden,

zu

kämpfen,

schwere und

das

Das ist wahrlich nicht Versuchung durch die mit der Sünde verbundenen Annehmlichkeiten, auch nicht dämodunkle Leben mitzuleben, das

sie leben.

Liebe zu ihrer »Süßigkeit«,

nische

Reiz des Ver-

botenen oder Lockung durch die Neuheit des Erlebnisses:

es

ist

vielmehr eine stürmische Liebe und

ein stürmisches

Erbarmen, das da

zum Ganzen

bricht,

dieser solidarischen

heitseinheit, die ist wie ein

des Universums, setzlich

der

und

die

erscheinen läßt,

andere

»schlecht«

Liebe und tiefes

dem Ganzen

uns hervor-

in

es

Mensch-

zum Ganzen

Mensch, ja

uns im Gefühl ent-

daß nur ein Teil

und

verworfen

»gut«,

sein

soll.

Solidaritätsbewußtsein mit

der Menschheit läßt

es

uns in den

Augenblicken schrecklich und furchtbar erscheinen,

daß wir sollen 10*

so

— und

einsam mit diesen Guten »gut« sein dies löst etwas aus Avie

Ekel an

den 147

Guten, die

es

inneren Ruf:

einsam zu sein vermögen und einen

weg von ihnen!

Auf nüchterne auch

Begriffe gebracht,

— Objekt und Objektwert — Liebesakt

als

ist,

Nach der antiken Wertung



um

nur

— wenn

ist

die Liebe tritt

der

zum Akt-

der Sünder sein Objekt

so schärfer

Dazu kommt noch

daß der

summum bonum

Schlechten selbst schlecht; nun aber

wert des Liebens

das ja nur

Idee,

unabhängig von seinem

solcher

selbst das

ist.

ist

neuen christlichen

die Folge der

und

klarer hervor.

ein anderes; der

notorische

auch der Bekenner des Schlechten in Ich denke hier nicht nur an die Beseiner Seele. kennung vor einem Forum in Worten, sondern auch »Sünder«

die

ist

Bekennung vor

durch

und Sünde

bekennt, daß

reinigt

was

sein,

sündig Herz hat, das

Er

und

die

Bekennung

die Tat, in der der sündige Wille endete.

schlecht er es

sich selbst,

er

er sündiget, ist

da bekennt.

wenn

er

Mag Daß

schon ein

nicht schlecht, sondern gut!

damit sein Herz und

hemmt

die Aus-

breitung der Vergiftung, die in dem, der die bösen

Impulse in sich hineindrängt, immer tiefere Schichten der Person ergreift

und unfaßbarer

;

und

für

sein

eigenes

Gewissen wird: so daß selbst der

nen Auge«

nicht

mehr

immer dunkler Bewußtsein und »Balken im eige-

die zugleich

gefühlt

wird



schärfer der »Splitter in des Bruders Auge«. ist

148

die

Sünde und

die

um

so

Darum

darauf folgende Reue für



Jesus

und beginnt

nicht schon in dem, was

sie

in der Tat an Bekenntnis liegt

?



besser, wie die

Verdrängung des sündigen Impulses und Vergiftung

durch erfolgende

des

die hier-

inneren

Kernes

dem bloßen Bewußtsein, vor dem Gesetze ja gut und gerecht zu sein, Darum ist über durchaus verbunden sein kann. den »einen bekehrten Sünder im Himmel so viel des Menschen, die mit

mehr Freude auch



tausend Gerechte«; darum

über

als

»Wem

heißt es:



nicht viel zu vergeben

nicht viel geliebt«.

Wer

ist,

der hat

wie Jesus in der Berg-

im »Ansehen der Ehefrau des Bruders lüsternem Begehren« usw. den Ehebruch

predigt schon

mit

erblickt, der

muß

konsequent so urteilen.

vielgeschmähtes »Peccare fortiter«

ist

Luthers

auch nur ein

stürmischer Ausbruch eines in langer Gesetzesangst, in

den

quälenden und selbsterniedrigenden Erfah-

rungen von »Rückfall« und immer neuer Anstrengung, das Gesetz zu auf

zweiflung, je zu

haben

erfüllen,

diese

und

Weise

in

die

schließlicher

»Rechtfertigung«

finden, ausgehöhlten Herzens^). oft

von der

Verbrecher

tiefen Befriedigung,

der Befreiung erzählt, die

sie

Ver-

der Ruhe,

kurz nach der Tat

monatelang in ihrem Busen herumgewälzt hatten, immer wieder die Impulse empfanden,

^j

Damit

verstanden

soll

die

sie

jener Ausspruch nicht gerechtfertigt,

sondern nur

sein.

149

zurückdrängend

und Auch

— dadurch immer innerlich

und

friedloser

giftiger

»böser« werdend.

in diesem .Zuge

bewahrt die evangelische

Moral ihren streng individualistischen Charakter, der das »Heil« und Sein der Seele in den Mittelpunkt

Wer

stellt.

ursprünglich sozial wertet,

nach Nutzen und Schaden für abmißt,

muß

fühlen.

Mag

d.

h.

Gemeinschaft

die

natürlich ganz anders urteilen es

im Inneren, mag

alles

und

gar in dem, der

es

klaren Selbstwahrnehmung entzogenen Teil der

seeli-

schen Verhaltungsweisen des Lebens und Seins der



die Hauptsache ist Menschen wie immer aussehen Impuls nicht zur gemeinschäddann, daß der sündige lichen Handlung führe. Und nur als »Disposition« für Umgekehrt urteilt solche ist ein Impuls »sündig«.

Jesus: der Sünder, der sündigt,

Sünder,

der

nicht

sündigt

Impuls nach innen schlägt giftet

— auch wenn

Schädigung bleibt.

die

und und

besser wie der

dessen sein

sündiger

Wesen

ver-

Gemeinschaft dadurch eine

erfährt, die ihr

Darum

ist

im zweiten

Falle erspart

jenes prinzipielle, aus der tiefsten

Selbsterfahrung geschöpfte Mißtrauen, daß auch der-

nach »gewissenhafter Selbstprüfung« nicht etwa bloß der Pharisäer, der nur auf sein

jenige, der sich



sittlich wohlfrisiertes soziales Bild,

auf seine »soziale

Figur« hinblickt oder der Stoiker, der auf die Befriedigung vor selbst

150

dem

eigenen

Urteil

besteht,

»sich

achten zu können,« also nicht auf sein Sein,

sondern auf sein Bild im Urteil von sich selbst hinblickend sich »gerecht«

und

gut« findet

Keime der »Sünde« versteckt

die sich

vom

— doch

in sich trägt

noch

und

Sünder, der sich selbst als Sünder weiß,

nur durch die neue Sünde des mangelnden Ein-

oft

dringens in seiner Motive Wurzeln unterscheidet. In diesem Sinne spricht der heilige Paulus

das

4.)

4,

nur

nicht

sondern auch

Korinth.

falsche »Heteronomie«,

alle

stoische

alle

(I.

und kantische »Auto-

nomie«, alles »Selbstrichtertum« scharf verurteilende

Wort: »Es ist mir ganz gleichgültig, ob ich von euch oder von irgendwelchen menschlichen Richtern beurteilt werde; ich wage nicht einmal, mich selbst zu beurteilen. Zwar könnte ich sagen: ich bin mir nichts bewußt aber darum bin ich noch nicht gerechtfertigt; mein Richter ist der Herr«. Auch in dieser Neigung zu den »Sündern« vermögen wir



ein Ressentiment nicht zu finden^).

Wie

es

zwei Arten von

gegen das Schwächere

liebender

gibt, so

Herabbeugung

auch (neben anderen)

zwei Ursprungsformen asketischer Handlungsweisen und ja

ihrer Wertschätzung.

zum Hasse

bis

Es

ist

einmal jene fremde,

fortschreitende

Stellungnahme

gegen den eigenen Leib, die zu einem asketischen ^)

N. Malebranche

gründung Lehrer

führt

seiner Lehre

Descartes

vom

und

Selbstwahrnehmung Siehe Recherches de

vor la

diesen Satz

des

»sens interne«

dessen der verite,

Ansicht

äußeren

an,

hl.

die

Paulus er

zur Be-

gegen seinen

vom Evidenzvorzug der Wahrnehmung aufstellt.

Bd. L

151

Lebensideal führen kann, und die häufig (wie früher

bemerkt) mit verdrängtem

Haß und Raeheimpulsen

und deren Folge darstellt. Ein solches Lebensgefühl mag sich dann auch wohl in Gedanken,

verbunden

ist

wie daß »der Leib ein Kerker der Seele drücken, und zu allerhand Selbstpeinigung führen.

Liebe

zum

punkt

einer,

Formen

Hier

ist

sei«,

aus-

der körperlichen

wiederum nicht

eigenen geistigen Selbst der Ausgangs-

zu dessen Vollendung notwendigen Zucht

des Leibes, sondern ein primärer Leib-Haß, der sich

häufig erst sekundär in den Schein einer Sorge »für

das Seelenheil« zu hüllen sucht.

Und

gleichfalls auf

Ressentiment beruhen jene Formen des asketischen

und seiner Übung, die nur eine Rechtfertigung der Ohnmacht darstellen,diebetreff enden Lebensgüter sich anzueignen z. B. Ohnmacht zu gewinnbringender Arbeit, zum Imperativ der Armut, erotische und Ideals

:

geschlechtliche

Ohnmacht zum Keuschheitsgebot, Selbstregierung zum Gehorsam usw.

Ohnmacht der Im letzteren Sinne meint Kern

christlicher Asketik

Fr.

Nietzsche auch den

deuten zu dürfen^).

Das

^) Hierbei beachtet Nietzsche nicht, daß nach der christhchen Moral nicht Armut, Keuschheit, Gehorsam, sondern nur die Akte des freien Verzichtes auf Besitz, Ehe, Eigenwillen, die als bestehend und als positive Güter vorausgesetzt werden, die hohe Darum nennt H. Newman es die »echte« Schätzung finden. Askese: »das Irdische zu bewundern, indem wir es uns versagen«. Vgl. vor allem hierzu die Abhandlung Nietzsches »Was bedeuten asketische Ideale?« Sie ist ganz auf diese Mißdeutung aufgebaut.

152

ihm den Wertungsreflex eines niedergehenden, ermatteten Lebens dar; und zwar asketische Ideal stellt

den Reflex eines Wertens, das für ein solches Leben, das heimlich den Tod sucht, (wie immer im Bewußtein

sein

mäßig

Gegenwille hierzu vorhanden In

ist.

diesem Falle

liche Asketik unter die

fiele

sei)

auch

zweck-

die christ-

Regeln und Wertschätzungen,

Ursprung haben, ja schon die Wertschätzung, die »Duldung« von Schmerz und Übel und die, in der Sphäre unserer Stellungnahme die in Ressentiment ihren

zu anderen, Verzeihung und Demut^) finden. Askesis kann aber auch völlig andere Ursprünge

und einen

völlig

anderen Sinn haben.

Sinn einer bloßen

Volkszwecken,

z.

Einmal den

Erziehung zu gewissen festen

B. Krieg, Jagd usw., wie dies der

Sinn der spartanischen, stark »asketischen« Erziehung war.

Diese

kommt

hier

überhaupt nicht

Eine weit höhere und edlere Form

ist

in Frage.

eine Asketik,

und Stärke und Einheitlichkeit des Lebens hervorbricht und wieder in seiner Verherrlichung und höchsten Förderung ihren Sinn und Wert besitzt nicht aber in einem außerdie sowohl aus einer Fülle



halb seiner gelegenen Zwecke. Eine solche

ohne

letzte

gedankliche

Fundierung,

ist freilich

wenn

nicht

daß Leben überhaupt ein selbständiges, auf Urphänomenen beruhendes Agens ist, vorausgesetzt

^)

ist,

^gl- liieizu den ersten dieser Aufsätze, besonders den Schluß

des Absatzes über »Demut«.

153

das sich weder in Erscheinungen des Bewußtseins (Gefühle, Empfindungen) noch in körperliche Mecha-

noch

nismen,

auflösen läßt.

in

eine

Ist diese

Verknüpfung von beiden

Voraussetzung aber gegeben,

Leben ein gegliederter Bau von Funktionen und Formen, die sich an der anorganischen Materie und ihrem Mechanismus nur darstellen und an ihr in die Erscheinung treten, so birgt das Leben auch eigene Werte in sich, die sich niemals in Nutzwerte, sinnliche Lust- und Unlustwerte, und in technische Werte auflösen lassen^). Innerhalb dieser Voraussetzung (einer Autonomie des Lebens) wird das stärkste Leben nicht dasjenige sein, das mit einem Maximum zweckmäßig an seine Umgebung angepaßter Mechanismen (seien es die Mechanismen im Körper selbst oder künstlich hergestellte Werk-

ist

zeuge) sich betätigt, sondern ein solches, das mit

einem

Minimum und

wachsen

solcher noch

fortzuschreiten

da zu

vermag.

asketische Moral wird dann sowohl der eines

starken Lebens

sein,

sein, als

ja zu

Und

die

Ausdruck

ihre Regeln

auch

wieder bestimmt sind, die reinen Lebensfunktionen

üben und auszubilden, was gerade mit steigenden Minimum von hierzu nötigen

selbst zu

einem

Mechanismen

erfolgt^).

Eingehend gerechtfertigt habe ich die Unableitbarkeit der »Der Formalismus in der Ethik« usw., Jahrbuch Philosophie und phänomenologische Forschung, I, 2, ^)

»Lebenswerte« in f.

-)

154

Man nehme

als Beispiel die

Atemübungen etc. der indischen Yogis.

Es

aber bei einer so tiefsinnigen Hypothese,

ist

wie es jene Fr. Nietzsches über den Ursprung der christHchen Moral

man

sondern

falsch

als

sie

es ist

ist,

auch

zu diesem Irrtum

nicht nur genug,



erkennt

sie

— wenn

zurückzuweisen,

gefordert, zu zeigen, wie Nietzsche

kommen und

wie er für ihn diesen

Grad von Scheinbarkeit annehmen konnte. Der Grund hierfür ist in einem zwiefachen gelegen: Einmal in der Verkennung des Wesens der christlichen Moral und insbesondere der christlichen Liebesidee in Verbindung mit dem an sich falschen Wertemaßstab, an dem er sie mißt; (das letzte nicht ein historischer und religiöser, sondern ein philoSodann aber in tatsächlichen sophischer Irrtum.)

Verbildungen früh

durch

Werten

eines

der christlichen Moral, die sie schon

Wechselwirkungen mit ganz anderen geschichtlichen Bodens

geschichtliche

eingegangen hat und die für ihre fernere Geschichte vielfach

Daran

bestimmend geblieben ist ja

unlösbar

sind.

kein Zweifel: Christliches Ethos

von der

religiösen

schauung des Christen.

Ohne

ist

Welt- und Gottesansie ist sie sinnlos

und

ihrem Ganzen auch einen weltlichen Sinn zu geben, der ablösbar von ihrem religiösen Sinn wäre, in ihr die Grundsätze die gut gemeinten Versuche,

einer allgemeinen

»humanen« Moral wiederzufinden

oder einer religiös »voraussetzungslosen« Moral, sind



ob

sie

nun von Freund oder Feind der

christ-

155

liehen

Religion

Das

verfehlt.



gemacht werden, Mittelglied,

in

dem

Religion mit der christlichen Moral

verknüpft

ist, ist

die

Annahme

im Grunde

die

christliche

zum mindesten

eines geistigen Reichs,

dessen Gegenstände, Inhalte und Werte nicht nur

über

Sinnessphäre, sondern auch über die ge-

alle

samte Lebenssphäre hinausragen, eben dessen, was Jesus das »Gottesreich« nennt. Auf den Menschen als

Glied

des

Gottesreiches

ist

das

Liebesgebot

bezogen; und was in der christlichen Welt an Ein-

und Gemeinschaftsbewußtsein steckt, das ist Einheit und Gemeinschaft im Gottesreiche auch heits-

als

gemeint, oder doch

als

darin fundiert anzusehen.

sich die Liebe

und mag

Gemeinschaft

auch wie immer

sich die in ihr gegründete in

Gemeinschaftsformen auswirken und

auch

in

Mag

den irdischen sich wie

immer

der Förderung des sinnlichen Wohles, in

Befreiung von Schmerz und der Schaffung von Lust betätigen



so ist dies

doch

alles

nur von Wert^

und wenn die sie zusammenhaltenden Liebeskräfte im »Gottesreich« ihre lebendigen Wurzeln haben, und auf es wieder zurückzielen. Mit dieser Behauptung ist noch gar nicht gesagt, in welchem Maße das »Gottesreich« als »trai^szendent«, »jenseitig« oder als »immanent« und in der Welt selbst lebendig, wie weit es als eine Existenzform, erst nach dem Tode beginnend oder immer »gegenwärtig« und dem Frommen zugängig

wenn

156

diese Gemeinschaften,

Auf alle Fälle ist es als eine von der Ordnung, den Gesetzen und den Werten des Lebens unabhängige Stufe des Seins gemeint, in der alle anderen Stufen der Existenz wurzeln und in der der Mensch erst den letzten Sinn und Wert vorgestellt wird.

seines Daseins findet.

Wird dieses verkannt, so müssen die christlichen Werte (und darum auch alle auf sie gebauten Imperative) auf einen Maßstab bezogen werden, sie allerdings als der wenn er richtig wäre Niedergangswerte (im biologischen Sinne) müßte erscheinen lassen: auf den Maßstab einer maximalen Lebensförderung. Auf ihn bezieht sie Nietzsche auch ohne weiteres. Nun ist aber das Leben und auch das Leben in seiner höchsten Form als menschliches Leben für den Christen niemals ein »höchstes Gut«, sondern ein Gut nur, sofern es (und damit auch die menschliche Gesellschaft und Geschichte) einen Schauplatz bildet für das Hervorbrechen und Er-





scheinen des »Reiches Gottes«.

Wo

Lebenserhaltung und Förderung in Wider-

streit tritt

zur Realisierung der im Reiche Gottes

bestehenden Werte, wegzuwerfen,

dem

eine

Prinzip des

da wie

ist

Leben

nichtig

und

wertvolle Gestalt es nach

Lebensmaximums auch

darstelle.

So

ist

als

»Kerker der Seele« (Plato) gefaßt, sondern »Tempel des Heiligen Geistes«, aber doch nur

als

der Leib hier zwar gar

nicht

dualistisch

157

als

»Tempel« für den

Heiligen

Und darum

Träger des Wertes.

letzter

»Wenn

dein

dich

Auge

nicht

Geist,

ärgert,

so

als

heißt es: es

aus

als eine

dem

reiße

usw.«

So wird auch hier die Liebe nicht

Leben auch

dienende nicht

als

Aktivität

geistige

seine »stärkste

verstanden,

und

Kon-

tiefste

(Guy au), sondern als das, durch dessen Bewegung das Leben erst seinen höchsten Sinn und Wert gewinnt, so daß sehr wohl die Forderung ergehen kann, das Leben aufzugeben, ja Leben zentration«

in seiner Wesensexistenz

(nicht bloß

individuelles

Leben

Eigen-

Fremdleben,

für

Gesamtleben,

für

niederes für höheres Leben) hinzuopfern,

dem

durch

wenn

da-

Gottesreiche, dessen mystisches Band,

dessen geistiger Kraftstrom die Liebe

zuwachs geschieht^).

ist,

Indem Nietzsche,

Christentum von vornherein nur

als

ein

Wert-

der

das

eine »Moral«

und nicht an erster Stelle als »Religion«, die christlichen Werte an einem Maßstab mißt, den diese selbst bewußt ablehnen, eben der maximalen Lebensquantität, mit

religiöser »Rechtfertigung« konzipiert

muß

er

freilich

schon die

Annahme

einer

über

mehr relaund Wertschicht überhaupt als ein

das Leben hinausragenden, auf es nicht tiven

Seins-

^) So Deutung)

stirbt

Jesus selbst den Kreuzestod

tür die Menschheit.

158

(in

der

paulinischen

aus Liebe und im Opferdrang des in Gott Geborgenen

Zeichen einer Niedergangsmoral deuten. fahren

Dieses Ver-

aber ganz willkürHch und auch philoso-

ist

phisch grundfalsch und streng widerlegbar. Die Idee

kann

des Guten

wenig wie die Idee der Wahr-

so

Wert

reduziert werden.

erwiesen

werden, sondern

heit auf einen biologischen

Dies

kann

hier

nicht

wird vorausgesetzt^).

Aber noch

Richtung mußte Nietzsche aus demselben Grunde zu Irrtum und Verwechslung gelangen. Werden die christlichen in

ganz

anderer

Räte und Imperative abgelöst (und besonders die auf Liebe gehenden) von ihrer Bezogenheit auf das

und auf

Gottesreich

im Menschen

die

in

Er-

die

scheinung tretende Sphäre des geistigen Persönlichseins (nicht

etwa auf seine naturhafte

»Seele«),

das er an jenem Reiche erst teilnimmt, so allerdings die Folge,

daß

sie

läufigen, sondern in einen streit

Leben allein

Ich

zu

all

durch ist

es

nicht nur in einen bei-

konstitutiven Wider-

jenen Gesetzen gelangen, nach denen

nach denen

sich entwickelt,

es

wächst und

sich entfalten kann.

sage

also:

die

christliche

Bruderliebe

ist

^) Eine eingehende Begründung dieses Satzes und eine Zurückweisung jeder »biologischen« Ethik, die alle Werte auf das Leben

relativ setzt,

mus

in

hat der Verfasser

der Ethik

und

die

in

seinem Buche

materiale Wertethik«,

»Der FormalisTeil

II,

(Nie-

meyer, Halle, 1914) gegeben. Vgl. auch des Verfassers Artikel über »Ethik« im Jahrbuch für Philosophie, IL Bd., herausgegeben von Frischeisen-Köhler, Berhn, Mittler u. Sohn, 1914).

159

ursprünglich als

gemeint

nicht

ein politisches

Sie ist gerichtet

oder



auf den geistigen

ein

als

biologisches,

ein soziales Prinzip^).

als

oder doch primär gerichtet

Kern



des Menschen, seine in-

dividuelle Persönlichkeit selbst, in der er allein

am

Darum

Reiche Gottes unmittelbar Anteil nimmt.

Jesus völlig ferne, eine neue Staatsordnung

liegt es

oder eine neue ökonomische Besitzverteilung durch irgendwelche Institute auf seine Liebesforderung zu

Die Standesverschiedenheit von Herr und

gründen.

Sklave, die Herrschaft der kaiserlichen

ruhig anerkannt; desgleichen Triebfaktoren,

die



im feindlich werden

Menschen zu Menschen

und privaten LebenNichts von der Idee

öffentlichen lassen.

Macht wird

jene natürlichen

alle



»allgemeinen

einer

Menschenverbrüderung« oder der Herstellung einer die Verschiedenheiten der Volksindividualitäten aus-

löschenden »universellen Lebensgemeinschaft« sie die

Stoiker mit ihren Ideen eines »Weltstaates«

(»Kosmopolites« Begriff)

rechtes

— wie

ein

durch die Stoa geprägter

allgemeinen

eines

zum

ist

Ideal erhoben

Vernunft- und



Natur-

hören wir; und eben-

sowenig eine Tendenz zur Aufrichtung eines selbstständigen

jüdischen Staates,

lichung irgendeiner sozialen

oder

und

zur

Verwirk-

politischen Utopie.

Das Einwohnen des Gottesreiches im Menschen ^)

Vgl. auch die

in seiner Schrift:

160

treffenden Ausführungen

»Politik

und

christliche

ist

von Ernst Troeltsch

Ethik«.

ihm

nicht an eine bestimmte Gestaltung der staat-

und der Sozialstruktur gebunden. Dies alles zeigt, daß er die Kräfte und Gesetze, durch die Leben sich entfaltet, durch die politische und soziale Gemeinschaften sich bilden und entwickeln, als wozu auch die Kriege^) der Völker, die Kämpfe der Klassen gehören und alle jenen Triebe, lichen

Institute

die in ihnen tätig sind, als feste Faktoren des Daseins

und

voraussetzt

sie

durch

nicht

etwas

anderes,

etwa gar durch Liebe ersetzt sehen will. Forderungen wie die nach Weltfrieden oder Aufhören der sozialen

Klassenkämpfe

um

die Staatsmacht, oder

auch nur

die Forderung einer Verminderuno; solcher, liegen

ganz außerhalb seiner

religiös

Der »Friede auf Erden«, den selige

Stille,

die

allen

sittlichen

Kampf und

jenen

Leben und

schaften

auch

weiterbilden,

leuchten

soll,

so

die

menschlichen

wie von oben her

daß die Zwecke,

Streit,

Formen

durch dessen historisch wechselnde alles

Predigt,

er fordert, ist eine letzte

um

sich

Gesell-

durch-

derentwillen

und endgültige animmer in den Tiefen wo mitten im Kampf

er geführt wird, nie als letzte

gesehen werden

— sondern

es

der Personen einen Ort gäbe,

und aber ^)

Streit Friede, Liebe, ist

Verzeihung herrsche; nicht

damit gemeint, daß jene Kämpfe aufhören

Die Stileinheit von kriegerischer und christlicher Moral findet

eingehend nachgewiesen in meinem Buche Krieges und der deutsche Krieg«, 1915. sich

1. 11

:

»Der Genius des

161

und So

die Triebe, die zu ihnen führen, absterben sollen. ist

insbesondere auch die paradoxe Forderung

der Feindesliebe nichts weniger als das moderne

»nur keine Feindschaft!« oder eine Anpreisung jener

Naturen, die auf Grund ihrer Triebbeschaffenheit zur Feindschaft unfähig sind wie das, was Nietzsche das »zahmgewordene moderne Herdentier«

Im

Gegenteil:

daß

es

I

Feindschaft gibt, daß es in

der menschlichen Natur konstitutive

und

gar nicht umzubildende Kräfte gibt, die

historisch

notwendig

das Feindschaftsverhältnis herbeiführen, Predigt der Feindesliebe vorausgesetzt. gefordert,

nennt

in der

ist

Nur das

daß auch der wahre und echte, mir

ist

als sol-

cher bewußte Feind, der Feind, den ich auch mit den

mir zu Gebote stehenden Mitteln berechtigter Form bekämpfe, im »Gottesreiche Bruder«

im Kampfe doch

der

Haß und

sei,

der letzte

daß mitten

Haß

fehle^

der gegen seiner Seele Heil selbst sich wendet^).

Und

so ist

auch nicht

ein

Aufhören oder eine Er-

mäßigung der Rachetriebe, der Triebe nach Macht, Bewältigung, Unterjochung dasjenige, was als wertvoll

gilt,

sondern eine freie

Opferung dieser zu

einem vollwertigen Lebewesen gehörigen und als gehörig anerkannten Triebimpulse und ihnen entsprechender Handlungen und Ausdrucksweisen zu-

gunsten des wertvolleren Aktes der »Verzeihung« 1)

als

Fein und treffend sagt Richard Rothe: »Christen streiten

stritten

162

sie

nicht«.



und des »Duldens«. Wer keinerlei Rache fühlt, der kann ja auch nicht »verzeihen« und der bloß Unempfindliche nicht »dulden« 1).

Es gibt daher kaum einen tieferen Irrtum

als die

christliche Bewegung auf Grund trüber Analogien

Formen der sozialen und deiaokratischen Bewegung aufzufassen und in Jesus selbst eine Art »Volksmann« und »Sozialpolitiker« einen »Mann, der weiß, wo die Armen und Entrechteten der Schuh drückt«, einen »Mammongegner« im Sinne mit

gewissen

eines Gegners der Geldwirtschaft als sozialer Daseins-

form usw. zu sehen, wie

dies christliche

christliche Sozialisten getan haben.

und

nicht-

Dieses Jesus-

nun aber auch Fr. Nietzsches eigenes Bild von der christlichen Bewegung stark beeinflußt; und so meint er, daß eben die Gegenantriebe und die Argumente, die sich in ihm gegen den modernen Sozialismus und Kommunismus richteten, auch gegen die christliche Moral und ihren

bild seiner Zeit hat

^)

»Verzeihen«

ist

nicht z.

B.

Akt freier Opferung des positiven den Racheimpuls voraussetzt und Fehlen besteht. Desgleichen ist »Dulden«

ein positiver

Sühnewertes, ein Akt

etwa in seinem

also,

der

einer Beleidigung nicht,

wie Nietzsche meint, ein bloß passives

ein eigentümliches positives Verhalten der Person gegenüber ihrem die Beeinträchtigung abwehrenden Impuls. Darum verwirft auch die christliche Moral das Abtöten der Schmerzempfindlichkeit oder seine urteilsmäßige autosuggestive Umdeutung wie im Sinne der stoischen Lehre, daß »der Schmerz kein Übel« sei, und gibt nur einen neuen Weg an, ihn »richtig« zu leiden. (Siehe auch W. von Keppler, Das Problem

Hinnehmen und Geschehenlassen, sondern

des Leidens,

u*

S.

24.)

163

Genius sich richten müßten.

Ob man

aber Jesus und

den Kern des Christentums preise oder schelte, weil in ihm die »sozialistischen und demokratischen

Tendenzen und Werturteile der neueren

Zeit vor-

gebildet« seien, das ist ganz gleichgültig, da eben die beiderseitige Voraussetzung, die Nietzsche

jener Art

und

von

»Sozialisten«

Auch

irrig ist.

teilt,

mit

ganz und gar falsch

eine »Gleichheit der Seelen vor

Gott«, auf die Nietzsche

immer

als

Wurzel der Demo-

kratie hinweist, hat das Christentum nie behauptet



wenn damit etwas anderes

als eine

dem

gesagt werden

soll

Werturteil Gottes über den Menschen

vorhergehende Ausschaltung liche Situationen,

der,

durch

mensch-

Engen, Blindheiten, Interessiert-

heiten sich ergebendenTäuschungen über die wahren

Werte der Menschen. Daß die Menschen vor »dem Auge Gottes« aber gleichwertig sein sollen und alle Verschiedenwertigkeit,

alle

Wertaristokratie

des

menschlichen Daseins nur auf anthropomorphem Vor-

Schwäche beruhe, ist eine dem Christentum völlig fremde — an Spinoza gemahnende Vorstellung; eine Vorstellung, der doch schon durch die Anschauungen von »Himmel«, »Fegefeuer« und »Hölle«, durch den innerlich und äußerlich aristokratischen Aufbau der christlich-kirchlichen, im urteil, Einseitigkeit,



unsichtbaren Gottesreiche sich kontinuierlich fortsetzenden und gipfelnden Gesellschaft radikal wider-

sprochen wird. 164

Viel eher ist es autochthon christ^

daß hinter der noch scheinbaren Gleichförmigkeit des Wertes der Menschen, der Rassen, der Gruppen, der Individuen, die liehe Vorstellung zu nennen,

dem Äußeren haftenden Augen zunächst wahrnehmen, Gott eine unabsehbare Fülle von Wertdifferenzen und Verschiedenheiten erkenne sowie nach Pascals treffendem Worte schon der Mensch seinen »Geist« dadurch ausweist, daß er die innere Verschiedenheit der Menschen unter ihrem gleich-

unsere an



förmigen Anschein zu fassen vermag.

Auch

die

kommunistischen Lebensformen

der

Gemeinden beweisen nicht, daß zwischen christlicher Moral und Güterkommunismus, wie sie die aus dem demokratischen Eudämonismus hergeleiteten kommunistischen Ideale

ursprünglichen

christlichen

meinen, irgend ein Zusammenhang bestehe.

Hier

war der Güterkommunismus nur

Aus-

ein äußerer

jene Einheit des »Herzens und der von dem die Apostelgeschichte redet; und es war jedem einzelnen überlassen, seine Grundstücke und Häuser zu verkaufen und den Erlös den Aposteln zu Füßen zu legen. Von einer künst-

druck für Seele«,

lichen,

durch Staatszwang durchgeführten Enteig-

nung mit dem bewußten Plane, hierdurch die allgemeine Wohlfahrt sicherzustellen, war gar keine Rede; noch weniger herrschte die Vorstellung, daß die sittliche Beschaffenheit der Menschen durch Herstellung einer neuen Ordnung des

Eigentums 165

irgendwie verändert werden könnte.

von Petrus

darum

Ananias wird

(siehe Apostelgeschichte 4, 3 u. 4) nicht

getadelt, weil er nicht

dem

verkauften Gutes

den vollen Erlös des

Apostel gegeben, sondern aus-

drücklich nur für seine »Unaufrichtigkeit«, daß er die

Summe,

die er

dem

Apostel brachte, für die ganze

Verkaufssumme ausgab. anerkannt:

ausdrücklich nicht

und

dein,

hattest

Sein Eigentumsrecht wird »Blieb

auch wenn du

es

es

(sc.

das

Gut)

unverkauft ließest

du nicht auch nach dem Verkauf darüber

Auch

zu verfügen?«

dieser

Kommunismus beruht

auf freiwilligen Gaben, deren religiös sittlicher

Wert im Akte die

Individuen

und »Gebens« lag, und nur Zusammenstimmung der inneren gemeinsamen Aner-

des Opferns

ungezwungene,

zufällige

der

in

kennung des Wertes solchen Tuns ergab für diese kleinen Kreise, die nach allen Seiten hin von nichtkommunistischen Gemeinwesen umschlossen waren, die auch nie versuchten, ihre Lebensform über das Ganze des Staates zu verbreiten oder dafür eine Agitation zu entfalten, wie von selbst die kommunistische

Form

der

Bedürfnisbefriedigung

keine kommunistische Produktionsform



der

entsprach

und entsprechen sollte. So aber setzt überall auch jene Umbiegung der christlichen Liebesidee ins »Soziale«,

die später »Caritas«

individualistische

Nur 166

genannt wurde, die

Eigentumsordnung voraus. von Namen für die Gleich-

wer die Gleichheit

heit

der

Sachen nähme, könnte

Weder im Namen teilung der

der

Güter noch

dies

verkennen.

»Gerechtigkeit« als

ein

Ver-

der

naturnotwendiges

Ergebnis einer Entwicklung zu immer gesteigerter

ward je von Christen aus Geiste des Evangeliums heraus der

Solidarität der Interessen,

dem sittlichen Kommunismus durch

lediglich

Wo

gefordert. freie Liebes-

er

auftritt,

und Opferakte

ist

(so

er

auch

den kommunistischen Lebensformen der Klöster)

in

getragen, deren Wert allein in ihnen selbst liegt sowie •

in ihrem

Wert

lichen Freiheit

sonen. Erst da, jeweilig

als

Zeugnis der geistigen und geist-

und Hoheit der Opfernden als Perwo die »Gerechtigkeit« auf Grund der

vorhandenen positiven Gesetzgebung Forde-

rungen zu diktieren aufhört, beginnt die

christ-

und Opfertätigkeit. Eine Vorstellung wie die vieler moderner Philosophen^), wonach dadurch, daß immer mehr gesetzlich berechtigte Forderungen an die Stelle freier Liebes- und Opfertätigkeit treten, Liebe immer überflüssiger gemacht liche Liebes-

werde,

läuft

schnurstracks

dem

Geiste

entgegen.

der

christlichen

Auch wo

eine

Moral

Fürsorge

gesetzlich wird, die vorher auf freier Liebestätigkeit Nach diesem

Grundsatz

konstruiert z. B. Herbert Spencer Entwicklung des Sittlichen. Vgl. über das Irrige der genetischen Ansicht, daß sich die Sympathie- und Liebesgefühle erst als Epiphänomene zu sich steigernder Interessensolidarität ausbilden, mein Buch zur »Phänomenologie und Theorie der ^)

die gesamte historische

Sympathiegefühle«, 1913.

167

beruhte



fürsorge

und

wie

B. beim Übergang der

z.

von Kirchen und Privaten an der modernen deutschen Sozial-

-pflege

den Staat oder bei da besagt gesetzgebung



christliche

dies für

den durch die

Moral Geleiteten nur, daß sich min die

Liebe noch weiteren, geistigeren und Zielen

Armen-

höheren

habe, nicht aber, daß sie selbst

zuzuwenden

hierdurch »überflüssig« und durch Gesetz und Gerechtigkeit gleichsam ersetzt werde.

Und

erst da,

wo

bloße »Solidarität der Interessen«,

das Wollen und Handeln so bestimmt, daß die Hand-

A

lung, die

für das

nützlich

Wohl

auch

ist

B und C

nützlich

der Allgemeinheit zu wirken

ist,

aufhört,

beginnt die christliche Liebestätigkeit, zwar nicht

zu

sein,

Sie ist

aber in ihrer Reinheit sichtbar zu werden.

an die Vorstellung

eines endgültigen »Opfers«,

nicht also eines vorläufigen, in der

d. h. eines solchen,

Gesamtabrechnung doch

w

das

eder zu einer Ver-

größerung der Lustsumme führt, gebunden.

Wenn da-

her Philosophen, wiez.B.H. Spencer, die »altruistische

Neigung«

(die sie

an Stelle der Liebe setzen) durch

die

Steigerung der Interessensolidarität sich entfaltet und »entwickelt« denken Ziel^)

und

schließlich dabei ein »ideales«

der Entwicklung annehmen, in der jede Art

von »Opfer« ausgeschaltet

ist,

sich aus dieser Solidarität

emporbildende Trieb mit

so hat jedenfalls der

echter »Liebe« nicht das mindeste zu tun. ^)

168

Den Zustand

des »sozialen

Gleichgewichts«.

RESSENTIMENT UND MODERNE MENSCHENLIEBE.

IV.

Nichtbeachtung

Die

im

christlichen

der

Tatsache,

daß

Liebe

Sinne immer nur auf das ideale

geistige Selbst im Menschen und seine Mitgliedschaft im Gottesreich bezogen ist, brachte es auch mit sich, daß Nietzsche die christliche Liebesidee mit einer völlig verschiedenen, auf einem ganz anderen historischen und psychologischen Boden

ge-

wachsenen Idee gleichsetzen konnte, die auf Wertschätzungen beruht, von denen auch wir mit Nietzsche gnnehmen, daß Ressentiment ihre eigentliche Wurzel gewesen ist: Das ist die Idee und die Bewegung der

modernen allgemeinen Menschenliebe,

oder auch

»Liebe

scher ausgedrückt,

schenengesicht

zur

Menschheit«,

oder plasti-

die »Liebe zu allem,

Hält

trägt«.

man

sich

was Mennicht an

den Gleichkleng der Wörter, sondern an ihre Bedeutung und geistige Atmosphäre, so wird man sofort

die

Luft einer ganz anderen

wenn man von ist

zunächst

nach

Die moderne Menschenallen

Richtungen

polemischer und protestlerischer Begriff. testiert

gegen

atmen,

»christlicher Liebe« zur »allgemeinen

Menschenliebe« übergeht. liebe

Welt

die

ein

Sie pro-

und damit auch Einheit und Harmonie von

Gottesliebe,

gegen jene christliche

Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe, welche das Evangelium ausspricht. Nicht auf das »Göttliche«

169

im Menschen, sondern auf den Menschen bloß als »Menschen«,

sofern

Gattung kenntlich angesichts«

äußerlich

er

ist,

Glied

als

auf den »Träger des Menschen-

Und wie

sich die Liebe richten^).

soll

diese Idee die Liebe

dieser

nach »oben« hin partikularisiert

auf die von allen höheren Kräften und Werten abgelöste »Mensehengattung«, so auch nach »unten«

hin gegen die übrigen belebten Wesen, ja die übrige

Wie

Welt.

vom

in ihr der

von den Ge-

»Gottesreich«, so auch losgelöst

und Kräften der übrigen Natur^).

bilden zeitig

tritt

Seelen,

die

an

J.

G.

beide Ideen

Fichte scheidet

»Anweisung

seiner

zum

seligen

gesamte

die

h.

d.

der

Anschauuns: auch die

christlicher

umfaßt,

Gleich-

Gesamtheit

der

Stelle

die

nach

Verstorbenen

^)

»Mensch« losgelöst erscheint

Leben«

in (10.

geistig

äußerster

Schärfe in

Vorlesung)

:

»Wieder-

findend ihr Sein in Gott wird er ihr Sein lieben; ihr Sein außer

Gott hasset er

inni?

und

dies

eben

ist

seine

das Vorhergehende!

-)

Siehe auch

Die »allgemeine Menschenliebe« wird von Fichte

eben das aufgewiesen, heißen müßte.

als

die

zu ihrem

Liebe

eigentlichen Sein, daß er ihr beschränktes Sein hasset«.

was

nach

seiner

Idee

»Menschenhaß«

Auch die Liebe zur Natur, zu Tieren und Pflanzen führen herkömmlichen Theorien der »allgemeinen Menschenliebe« auf die

»Einfühlung« menschlicher Erlebnisse Vgl. über diese sachlichen Irrungen

gefühle

etc.«,

Gattung nach diert

ist,

ist

S.

55.

Während

christlicher

in

die

Anschauung

ein spezifischer

die

Naturgebilde zurück.

mein Buch über »Sympathie-

Welthaß

Liebe in

der

überall

zur Menschheit

We

1

1

1 i

e

b

e

als

fun-

mit der modernen

Menschenliebe einhergegangen, vermöge dessen »Welt« und »Natur« nur als das für menschliche Zwecke zu Beherrschende erscheint.

170

nach

geordnet

lebendige Menschheit,

kratie ihrer sitthchen Personwerte



der Aristo-

und Verdienste

daß das eigentliche Objekt der Liebe in die sichtbare gegenwärtige Menschheit wohl hineinso also,

reicht,

soweit göttlich geistiges Leben in ihr auf-

gegangen größer

ist als

doch

aber

ist,

diese

— und immer zugänglich in der

lebendigen Wechselwirkving von

Verehrung



und

umfassender

weit

Gebet,

Fürbitte,

nur gegenwärtiges,

die »Menschheit« als

sichtbares, begrenztes, irdisches Naturwesen. die »Menschenliebe«

So wird

auch polemisch und pietätlos

gegen die Liebe und Verehrung der Toten, der ver-

gangenen Menschen und gegen die Tradition ihrer geistigen Werte und Willensäußerungen in jeder Form.

Und auch

darin ändert sich ihr Objekt, daß

die Stelle des »Nächsten«

dem

sich

die

personhafte

allein »darstellt«, »die tritt

und

nun an

des »Individuums«, in

des

Tiefe

Menschheit«

als

Menschseins

KoUektivum

und jede Art von Liebe zu einem

Teil ihrer,

Volk, Familie, Individuum wie eine widerrechtliche

Entziehung dessen erscheint, was

Ganzen als Ganzem

schuldet.

man

Eine

nur dem

»Liebe

zur

Menschheit« kennt die christliche Sprache, charakteristisch

genug,

nicht!

Ihr

Grundbegriff

heißt

Dagegen ist die moderne Menschenweder zunächst auf die Person und auf bestimmte Werte geistiger Aktbetätigung gerichtet »Nächstenliebe«. liebe

(und auf den »Menschen« nur soweit,

als er

»Person« 171

und jene Akte durch ihn vollzogen werden,

ist

als

sich durch ihn also die Gesetzmäßigkeit des »Gottesreiches« vollzieht),

lichen

Wesen,

sind, in deren

besteht,

des

Persönlichseins

geistig

Form

Erfassung die höchste

— sondern

Individuen

die »nächsten« anschau-

die allein jenes tieferen Eindringens

Schicht

in jene

noch auf

avif die

Summe,

als

Summe

fähig

der Liebe

der menschlichen

Das Prinzip Benthams:

»Jeder gelte für einen und keiner für mehr als einen«

nur eine bewußte Formulierung der in der Be-

ist

wegung der modernen »Menschenliebe« von Hause aus liegenden Richtung.

zum kleineren

Darum

erscheint hier jede Liebe

— ohne

Kreise a priori

daß nach

den in ihm investierten Werten, ohne daß nach seiner

»Gottesnähe« gefragt

rechtung z.

des

ist



als

eine

Ent-

größeren Kreises; Vaterlandsliebe

B. als Entrechtung der »Menschheit« usw^).

Wie der Gegenstand der Liebe, subjektive Seite des Vorgangs

ist

aber auch die

in der

modernen

Menschenliebe ganz verschieden von dem, was in der christlichen

Menschenliebe

Sprache »Liebe« heißt.

ist

nicht zuvörderst

wegung, und zwar

geistiger

Art

Die neue

Akt und Be-

— nicht

wesensunabhängig von unserer sinnlich

minder

— leiblichen

über den Grund des Irrtums, Liebe zum größeren Kreise an sich besser zu halten als Liebe zum kleineren, siehe mein Buch über Sympathiegefühle etc., S. 91, besonders das Kapitel: »Die Tatsachen der Interessenperspektive«. 1)

für

172

Konstitution wie die Akte des Denkens und ihre

Gesetzmäßigkeit



,

sondern

sie

ist

Gefühl, und

zwar zuständliches Gefühl, wie es in erster Linie an der sinnlichen Wahrnehmung des äußeren Ausdrucks von Schmerz und Freude durch die Übertragungsform der psychischen Ansteckung erwächst. Leiden an den sinnenfälligen Schmerzen und Freude an den sinnenfälligen angenehmen Empfindungen ist der Kern dieser neuen Menschenliebe nicht einmal Mit-leiden mit ihrem Gelittenwerden. Es ist daher kein Zufall, daß die philosophischen und psychologischen Theoretiker des 17. und 18. Jahrhunderts, die das neue Ethos allmählich theoretisch formulierten, das Wesen der Liebe aus den Erscheinungen der Sympathie, des Mitleids, und der Mit-



freude verstehen wollen, diese selbst aber aus

Phänomen

der psychischen Ansteckung^).

dem

So

in-

sonderheit die großen Engländer von Hutcheson, Adam

Smith, D.

Hume

bis

zu Bain.

So auch Rosseau^).

Das Pathos der modernen Menschenliebe, ihr Aufnach einer sinnlich glückseligeren Mensch-

schrei

Eine eingehende Entwirrung und Aufweisung der grundverPhänomene, welche in der modernen philosophischen Literatur »Mitgefühl« genannt und häufig verwechselt werden, sowie ^)

schiedenen

eine Kritik der herrschenden Theorien über

gefühls enthält das oben zitierte gefühle, S. 2)

Auch

Mitleid ab

darum

als

Buch des

den Ursprung des MitSympathie-

Verf. über

1—41. J.

J.

Rousseau

leitet

die

Liebe ausdrücklich aus

und wird von A. Schopenhauer Gewährsmann herangezogen.

dem

für seine eigene Theorien

173

ihre unterirdisch glühende Leidenschaft, ihre

heit,

revolutionäre Entrüstung gegen

Steigerung

die

Hemmung

der

sinnlichen

was

sie

für

Glückseligkeit

als

alles,

ansieht an Institution, Tradition, Sitte,

das »revolutionäre Herz«, das in ihr pulsiert, steht

einem

in

hellen

charakteristischen

und

fast

dem

Es darf uns nicht wundern, daß

— dieser historischen Erlebnis— das Phänomen überhaupt — steigendem Maße —

nun auch die Theorie wendung Gefolgschaft eine

zu

kühlen geistigen Enthusiasmus der

christlichen Liebe.

der Liebe

Gegensatz

leistend

in

in

Mechanik notwendiger Täuschungen

auflöst.

Das Mitgefühl wird entweder auf eine künstliche Hineinversetzung in den fremden Seelenzustand gemäß der Frage: »was würdest du fühlen, wenn es dir so erginge?« und eine Reproduktion eigener Gefühlszustände, die wir bei analogen Anlässen lebten, zurückgeführt; oder auf ein

er-

Hineingerissen-

sein in den fremden Gefühlszustand, eine Art Ge-

-

fühlshalluzination (Bain) selbst, was

wir leiden sehen

als litten ;

wir

momentan

oder auf eine»Einfühlung«

eigener reproduzierter Gefühlserlebnisse, die durch

Nachahmung des fremden Gefühlsausdrucks unmittelbar

— ohne besondere »Hineinversetzung« — angeregt

werden'); oder schließlich nur auf eine seelische Be^)

Eine

genaue Darstellung

der

historischen

Entwicklung

der

englischen Sympathielehren gibt Gustav Störring in seinen »Moral-

philosophischen Streitfragen«,

174

I.

Teil, Leipzig 1903.

gleiterscheinung primär entstandener

Folgeerscheinung

und

Handlungsimpulse,

gattungsnützlicher

des

im

schon

auch

herab von der Höhe,

inwendige

dem

zu

sein,

intellektuellen

einer

Gottesreiche

zu einer feineren

Entwicklung immer

Ausbildung eines tierischen Trieb-

verwickeiteren impulses, der

So sinkt

Symbol und Zeichen

Kraftstrom

als

wahr-

in der Theorie die Liebe

übernatürlichen Ordnung, ja der

und vermöge der

h.

Tierreich

nehmbaren Herdentriebs zurückgeführt *). Schritt für Schritt

fixierter

d.

von der sexuellen Sphäre seinen Ur-

sprung nehmend sich immer reicher gegenständlich spezialisiert

und immer größere und größere Kreise

durch die steigende Ausbildung des lebens

und der

tendiert.

sozialen

Verstandes-

Entwicklung zu umfassen

Eine solche Zurückführung der höchsten

Erscheinungen der Liebe auf

die, in tierischen Gesell-

schon angelegten Triebe eines gattungsfördernden Handelns ~ wie sie dann schließlich Darwin schaften



war erst möglich, und H. Spencer unternahmen nachdem das Wesen dieser Erscheinungen völlig verkannt war; urd nachdem sich in der historischen Bewegung selbst Gefühle emporgearbeitet hatten, und eine ihnen entsprechende Idee, in denen vielleicht in der Tat nicht so wesentlich verschiedene seelische Tatbestände von





^)

Siehe

,

Charles

Darwin

»Die

Abstammung

des

Menschen«,

V. Kapitel.

175

denen den Kernbestand bilden, die wir bei herden-

mäßig lebenden Tieren anzunehmen Grund haben^). Endlich

ist

Wertschätzung,

aber auch die

der »allgemeinen Menschenliebe« zuteil wird,

ganz anders fundierte, halb

der

Nicht

in

diejenige

Moral

christlichen

die

ist,

die inner-

Liebe

findet.

der Gewinnung des Heils der Seele des

Liebenden ihr

als

die

eine

Glied

als

Förderung

erwirkten

und der in fremden Heiles,

des Gottesreichs des

sondern in der Förderung des sog. »Gesamtwohls«

bestünde hiernach der Wert der Liebe.

Die Liebe

X

im Gefühlsleben, das zu gemeinnützigen Handlungen führt, bzw. zu solchen Gefühlen. Nur als die »Disposition« erscheint

nur

hier

das

als

sofern sie diesen möglichen

Wirkungswert

wird ihr selbst ein positiver Wert beigemessen.

während nach die beste ist



christlicher

Handlungen,

wenn

die

die Liebe

notwendige Einsicht

eine

Und Welt

möglichst viel Liebe

wäre, in der selbst

Anschauung

hat,

in

zu

gemeinnützigen

bewirken kann, ja ebenso die

fremden

Gemütszu-

stände, d. h. die Fähigkeit des »Verstehens« anderer

Menschen und in

die

die nicht

minder notwendige Einsicht

und sozialen Kausalverwürde und durch diesen Mangel Handlungen bestimmt würden

natürlichen

hältnisse

fehlen

gemeinschädliche

^) Über die sachlichen Irrungen Darwins und Spencers mein Buch über Sympathiegefühle, S. 81 117.



176

siehe



gilt

einer

hier die Menschenliebe selbst nur als

Wohl zu

der kausalen Faktoren, die das allgemeine

vergrößern vermögen. Gegenüber der Tatsache aber,

daß andere Gefühle und Triebe, wie SelbsterhaltungsGeschlechtstrieb,

trieb,

Eitelkeit

und

vom

Entwicklung noch weit

ihre

muß

fördern^), liebe

Eifersucht,

Herrschsucht,

kausalen Standpunkt die »Wohlfahrt«

mehr

wie Liebe

der Vertreter der modernen Menschen-

antworten, daß sich die Wertschätzung der

Liebe nicht nur nach

dem Maße

verschwindenden Nutzens, den

des

allerdings

schafft

sie



Nar-

mehr und Tränen getrocknet« als

kotika und Listerverband haben doch weit

»Schmerzen Liebe!



gegenüber

gestillt

bemißt, sondern auch danach, daß

Verbreitung jener

der

Triebe

seltene Sache ist, daß sie einer Vermehrung die wiederum durch die Prämie, die das Werturteil darauf setzt, erzielt werde. »altruistischen«

Regungen, die

zusammenfallen

sollen,

eine

sie

so

bedarf, soziale

Würden

die

hier mit »Liebe«

ja

einmal zufällig das quanti-

tative Übergewicht über die egoistischen erhalten,

würden auch

so

finden.

Daß

die letzteren die höhere

diese »Theorie« aber

Schätzung

dem evidenten

Sinne unserer Wertschätzung der Liebe völlig widerspricht, bedarf keiner Ausführung. ^)

Nicht erst

Fr. Nietzsche,

sondern

(wie

auch Vaihinger und

Riehl in ihren Büchern über Nietzsche hervorheben) schon

J.

Kant

hat dies in seiner Anthropologie treffend ausgeführt. I. 12

177

Aus

dieser tiefsten

und innersten Verschiedenheit

der Tatsachen und Begriffe der christlichen Liebe und der allgemeinen Menschenliebe läßt es sich was Nietzsche ganz entgangen zu sein scheint nun auch verstehen, daß im Namen der moder-

— —

nen Menschenliebe toto coelo verschiedene Forde-

rungen

ergangen sind

lichen Liebe;

Mittelalters,

in

christ-

entgegen-

Die hochchristlichen Zeiten

denen

und

Lebensform

als

im Namen der

ja häufig sogar diametral

gesetzte Forderungen.

des

als

die

Idee

die

Liebe

christliche

reinsten

Blüten

empfanden keinen Gegensatz dieses Prinzips feudalen und zu aristokratischen Standesordnung der staatlichen und kirchlichen Gesell-

trieb,

der

keinen

zu Hörigkeit;

schaft,

Gegensatz

zu

dem

wenig »gemeinnützigen«, contemplativen Leben der Mönche^), zu den vielen Bildungen der Territorialstaaten

und Herrschaften, der Fülle der heimatlich

gebundenen

zu

Sitten;

W.

der

scharfen

Zucht

in

»Von außen angesehen kann es daß hier (sc. bei Bernhard von Clairvaux und Franz) die religiöse Contemplation mit der tätigen Liebe im Dienste der Brüder verbunden ist. Der Schein des Widerspruches ist darin gegründet, daß im Christentum die Hin^)

als

Richtig urteilt

ein

Widerspruch

Dilthey:

erscheinen,

gebung der Seele an den unsichtbaren Zusammenhang diese Seele der Welt und den Menschen gegenüber souverän und gänzlich un-

abhängig macht, dieselbe aber zugleich eben vermittels dieses unsichtbaren Zusammenhangs in ganz neue Beziehungen zu den anderen

Menschen

versetzt«.

schaften«,

Werke

178

II,

(»Das S.

natürliche

209.)

System der

Geisteswissen-

den Formen der Erziehung; zu kriegerischem und Wesen und Wertschätzungen; keinen

ritterlichem

Gegensatz zu qualifizierter Todesstrafe und Folter

und dem sonstigen harten Strafkodex; ja nicht einmal zu Inquisition und Autodafe! Wurden doch die Urteile der Inquisition sogar »im

Namen

der Liebe«

verhängt, nicht nur mit der Intention der Liebe

auf die gläubige Gesamtheit, die durch den Ketzer

und

vergiftet

um

ihr Heil betrogen

mit der ganz ehrlichen

Standpunkte der

tention

in

— wenn

Aberglauben

auch von unserem gegründeten In-



Ketzer

Liebe auf den

würde, sondern

selbst,

dessen

Seele durch seine leibliche Verbrennung gerade im besonderen Maße der göttlichen Gnade empfohlen werden sollte. Alle diese Tatsachen, die

dem christlichen Liebesprinzip wohl vertrugen^), ja zum Teil sich als Erziehungsmittel zur christlichen Liebe aus ihm freilich zum Teil nur mit

sich



unter abergläubischen Voraussetzungen



recht-

werden im Namen der allgemeinen Menschenliebe zurückgewiesen, bekämpft und um-

fertigen ließen,

Von vornherein

geworfen.

Kraft, wird in ihrem

Namen

eine demokratisierende die

Auflösung der feu-

dalen und aristokratischen aller

Ordnung der Gesellschaft, Formen der Hörigkeit und persönlichen Unfrei-

heit, die ^)

sie

12*

Abschaffung der »faulen«, sich dem gemein-

Indem

etwas

Sinne, daß aus

dem

Liebesprinzip weder für noch

gegen

folgt.

179

nützigen Leben entziehenden Mönchsorden gefordert.

Während

noch für Bossuet selbstverständHch war, daß die Liebe zum Vaterland den Vorzug vor der Liebe zur Menschheit verdiene, da die im Vateres

wesenhaft

land investierte Wertfülle Werte von

höherem Rang

enthalte, als es die

Werte

sind, die

alle Menschen noch gemeinsam ihr eigen nennen

wird

können, Liebe

um

es

nun

so wertvoller

selbstverständlich, sei, je

größer

daß die

der Kreis

ist,

auch hier verdrängt der quantitative Maßstab den qualitativen: und dem-

auf den

sich bezieht;

sie

immer mächtiger bis zur französischen Revolution, wo im »Namen der Menschheit« Kopf für Kopf heruntergeschlagen wurde, die Ablegung der nationalen und

gemäß

heischt die »allgemeine Menschenliebe«

»Scheuklappen«,

territorialen

die

staatsbürgerliche

auch ökonomisch-soziale Gleichheit der Menschen; die Uniformierung des Lebens in Sitte und Brauch, die »humanere« und gleichartigere

und

schließlich

Form

der

steigend

Erziehung.

die

In

ihrem

Forderung eines

Namen

ergeht

allgemeinen

und ein erbitterter Kampf gegen formen und Werturteile, die aus dem

friedens

alle

Welt-

Lebens-

ritterlichen

Leben, ja aus der Kriegerkaste überhaupt stammen. In ihrem

Namen

wird die Milderung der Strafjustiz,

Abschaffung der Folter und der qualifizierten Todesstrafe verlangt,

Vertreter

180

und

in der Inquisition

können

ihre

— anstatt eine auf Aberglaube fundierte Ein-

richtung



nur Spott und

überhaupt erblicken.

Hohn

auf das Liebesgebot

Auch das Verhalten zu den

Armen, Kranken, sittlich Schlechten wird aus der modernen Menschenliebe oder Humanität heraus ein innerlich grundverschiedenes. Es ist nicht die persönliche Liebestat von Mensch zu Mensch, sondern an erster

Stelle die unpersönliche »Einrichtung«, die

Wohlfahrtseinrichtung, die gefordert und gewertet

Und

wird. selig

es ist nicht

das überquellende Leben, das

aus seiner Fülle, seinem Überfluß heraus

seiner inneren



Gewappuetheit und Sicherheit heraus

Anschauung der äußeren Ausdruckserscheinungen von Schmerz und Armut sich ergebende Hineinziehung und An-

liebend dahingibt, sondern die in der

steckung durch das in diesen Erscheinungen sich darstellende Depressionsgefühl,

mo-

das spezifisch

derne »Scheinmitleid« und »Dauern«, das durch die helfende Tat aufgehoben werden der

^)

»Barmherzigkeit«

christlichen

Jedes

durch bloße

Schmerzgefühl, wie

es z. B.

Gefühlsansteckung

soll^).

(man bewirkte

An

Stelle

fühle

Leid

die

oder

durch direkte Reproduktion eines Schmerz-

gefühls vermöge des Bildes der Ausdrucksgebärde entsteht, bestimmt eine Tendenz zur Beseitigung seiner Ursache nicht anders wie ein eigener Schmerz d. h. die Handlung bleibt durchaus »egoistisch«.

Echtes »Mitleid« hat mit solcher »Ansteckung« nicht das mindeste zu tun! Es setzt voraus, daß wir nicht in den Schmerz des Anderen »hineingerissen« werden, sondern dieser uns gegenständlich bleibt. Alte Weiber, die sich gegenseitig in ihrem Weinen anstecken, »bemitleiden« sich doch wahrlich nicht. Vgl. hierzu mein Buch über »Sympathiegefühle«,

S.

11.

181

Kraft und den

Atem

dieses

unmodernen Wortes)

das »Es dauert mich!«^)

tritt

Goethe konnte schon

1787 sein Fragezeichen machen zu jener Art, von

Herder unter Rousseaus Einfluß gepredigten »Humanität«: »Auch halte ich es für wahr, daß die Humanität endlich siegen wird.

gleicher Zeit die

Welt

Nur

fürchte ich, daß zu

ein großes Hospital

und

einer

Anderen humaner Krankenwärter sein werde«. Ihren literarischen Ausdruck gewann dann die Bewegung der modernen Menschenliebe zuerst in gewaltigster Form in Rousseau, in den reichen und mannigfaltigen Bindungen dieses großen Geistes freilich oft versteckt, aber doch offensichtlich genug des

durch das Feuer eines riesenhaften Ressentiment getrieben, aber so suggestiv dargestellt,

daß außer

Goethe kaum ein großer Deutscher jener Zeit der Ansteckung durch Rousseaus Pathos entging (Fichte, Herder, Schiller, Kant z. B, haben alle ihre Rousseauihren philosophischen Ausdruck und ihre phase) Formulierung gewann sie vor allem in den positi;

vistischen

Kreisen,

von

A.

Comte

angefangen,

der »die Menschheit« als »Grand-Etre« an die Stelle ^)

ist

Die Gemütslage der typischen christlichen Krankenschwester

Festigkeit,

Heiterkeit,

Frische und

Glück

im Wohltun,

gute

»Nerven« und gar nicht dieses rührselige Hineingezogensein in den Zustand des Kranken. Diese Art »Mitleid« entwickelt andererseits

den mitleidheischenden Gestus, so daß eine gegenseitige des unechten Leides zwischen Mitleidendem und Bemitleidetem erfolgt. Vgl. auch den Aufsatz über »Rentenhysterie«.

wieder

Steigerung

182

Gottes

setzt.

Ihren widerwärtigsten Ausdruck end-

was an Keimen von Anfang an in der Idee lag, im modernen realistischen »sozialen« Roman und in der dramatischen und lyrischen Hospital- und Lazarettpoesie, sowie der modernen »sozialen« Rechtsprechung. Fr. Nietzsche lebte in einer Zeit, da gerade diese derbsten Formulierungen und Ausgeburten der »modernen allgemeinen Menschenliebe« Ansehen und der

lich,

nur

freilich

enthüllt,

Und man

versteht hieraus seinen

Beifall

fanden.

Kampf

gegen diese Bewegung!

Denn er diese

darin hat er unsers Erachtens recht,

Idee besonders in der Richtung, in der sie

sich in der hat,

wenn

modernen

— nicht aber

sozialen

Bewegung

entfaltet

die christliche Liebesidee

— auf

und durch Tradition wachsendes Ressentiment zurückführt und ein Anzeichen und einen Ausdruck niedergehenden Lebens in ihr erblickt. Der Kern in der Bewegung der modernen historisch cumuliertes

allgemeinen

Menschenliebe

auf Ressentiment beruhend sozial-historische

ist

schon dadurch

erkennbar,

daß diese

Gemütsbewegung durchaus

auf einer ursprünglichen, spontanen

als

nicht

Hinbewegung

zu einem positiven Werte beruht, sondern auf einem Protest, einem Gegenimpuls (Haß, Neid, täten,

Rachsucht usw.) gegen herrschende Minoridie

man im

Die »Menschheit«

Werte weiß. nicht das unmittelbare Ob-

Besitze positiver

ist

183

Liebe in

der

jekt

liches die Liebe

An

ausgespielt gegen

bloß

ihr

in

erster Stelle

drucksforni

ist

einer

eines

wieder sei

führt

verdrängten sich mit

sie

doch »nicht genug Liebe

man

die

Ablehnung, Sie

ist

die

Wendung



eine

Idee

des

höchsten

eines

ein,

in der Welt«, als

echte von

Wendung! Gefühle

diktierte

Aus-

Immer

Gotteshasses! der

wird

Schein-

einen Teil noch an außermenschliche

abgeben könnte die

sie

Gehaßtes.

ein

diese Menschenliebe

verdrängten

Gegenimpulses gegen Gott^).

form

da nur Anschau-

(schon

ihr

bewegen kann), sondern

es

daß

Wesen

Ressentiment

der Erbitterung gegen

Herrn und jenes

Nicht-

ertragenkönnen des »allsichtigen Auges«, Aufstandsimpulse gegen »Gott« auch als der symbolischen Einheit

und

und Zusammenfassung

aller positiven

Werte

ihrer berechtigten Herrschaft istinihrdas erste;

Herabbeugung zum Menschen als Naturwesen, als dem Wesen, das durch seinen Schmerz, durch sein Übel und Leid an sich schon einen freudig ergriffenen Einwand gegen Gottes »weise und gütige Regierung« bildet das zweite! die

»liebevolle«



Überall

wo

ich Zeugnisse dieses Gefühls historisch

antreffe, finde ich jene

geheime Lust, Anklage

er-

heben zu können gegen die göttliche Regierung^). ^)

Meisterhaft hat Dostojewski in seinen »Brüdern

Karamasow«

Lebensanschauung und den Wertungsweisen des Jwan diesen Gedanken künstlerisch zur Anschauung gebracht. ^) Wo Religion und Kirche selbst Sinn und Wert der Gottesliebe

in der

184

Da

die

Werte schon durch die Macht auch in den Ungläubigen

positivsten



der Tradition

in der Idee Gottes

verständhch das



verankert sind, so

und notwendig,

Interesse dieser

begründeten

»Menschenliebe«

auch

es

der Blick

zuvörderst

niedrigsten und tierischen und diese sind es

schennatur

ist

und auf Protest und Ablehnung daß

Seiten



ja

auf

die

der Men-

zunächst, die



Menschen gemein haben fällt. Diese Tendenz gewahren wir deutlich in den Gelegenheiten, bei denen noch heute auf das »Mensch-

»alle«

sein« eines

Individuums wörtlich hingewiesen wird.

Das geschieht jedenfalls viel seltener, wenn jemand etwas Gutes und Vernünftiges getan hat oder etwas, was ihn vor anderen im positiven Sinne aus zeichnet, in

als

will ist

solchen Fällen,

da

man

ihn entschuldigen

gegen einen Vorwurf oder eine Anklage: »Er

eben auch ein Mensch«, »Menschen sind wir

»Irren

ist

menschlich« usw.

Wer

sonst

alle«!

nichts ist

und hat, ist in der Gefühlstendenz dieser für die moderne Menschenliebe charakteristischen Wendungen immer noch »ein Mensch«. Schon diese Richtung der Menschenliebe auf das

Gattungsmäßige

auf die

i n der Welt vorhandenen, empirisch vorfindbaren positiven Güter und sinnvollen Einrichtungen begründen (und nicht umgekehrt die Liebe zur Welt darauf, daß sie »Gottes Welt« ist), da ist freilich auch schon von religiöser Seite aus die Idee der Gottesliebe in der Richtung der modernen Menschenliebe verfälscht; und es wendet sich dann die neue »Menschenliebe« mit Recht anklägerisch gegen diese Idee.

185

macht

sie

zugleich wesentUch auf das Niedrige ge-

richtet, auf das,

was »verstanden« und »entschuldigt«

werden muß. Wer sähe aber darin nicht den im geheimen glimmenden Haß gegen die positiven höheren Werte, die eben wesenhaft nicht an das

»Gattungsmäßige« gebunden

sind,

und der

sich unter

dieser »milden«, »verstehenden«, »menschlichen« Hal-

tung

in der Tiefe verbirgt

Dem

Ressentiment

liebe« aber

auch noch

?

ist die

in

»allgemeine Menschen-

einem anderen zwiefachen

Sinne entsprossen: einmal

als eine

Form,

in der sich

und eine Aversion gegen den jeweilig nächsten Kreis der Gemeinschaft kundgibt und ihren inneren Wertgehalt, der »Gemeinschaft«, aus der der Mensch hervorwuchs in körperlichem und geistigem Sinne. Die Erfahrung zeigt es unein innerer Gegensatz

gemein häufig, daß Kinder, die vergebens am die Zärtlichkeit der Eltern sich bemühten, oder die sich zu

Hause

(aus irgend einem Grunde) »fremd« fühlten,

oder in ihren Ansprüchen an Zärtlichkeit eine Zurück-

stoßung

erlitten,

aus innerem

Protest schon

früh

eine gesteigerte Gefühlsbegeisterung für die »Menschheit«

an den Tag

legten.

Auch

hier ist diese unbe-

stimmte, unklare Begeisterung eine Folge des ver-

drängten gebung^). ^)

Hasses zur Im großen

Familie, zur nächsten

Um-

entstand auf diese Weise in

Ich kenne kein deutlicheres Beispiel hierfür als die Lebeusge-

schichte, bes. Jugendgeschichte des vortrefflichen Fürsten Krapotkin

186

dem

alternden römischen Reiche im selben Maße,

als sich

das Individuum



herausgerissen aus der

nährenden und tragenden Kraft des Stadtstaates einsam und

aller



Stützen beraubt fühlte, jene Liebe

zur »Menschheit«,

jener

»kosmopolitische«

Affekt,

der sich in den Schriften der jüngeren Stoa so scharf

bemerklich macht ^).

Und

eben dieses Motiv be-

stimmt auch wieder die »moderne Menschenliebe«. So ist sie vor allem als Protest gegen dieVaterlandsliebe entstanden, und wurde schließlich Protest gegen jede organisierte Gemeinschaft überhaupt. Sie ist also an zweiter Stelle als verdrängter Vaterlands-haß entsprungen.

moderne Menschenliebe als auf Ressentiment beruhend auch dadurch erwiesen, daß sie als »Altruismus« von ihren bedeutendsten Wortführern (A. Comte) bestimmt wird. Für den christlichen Liebesbegriff ist Hingabe an den »Anderen« bloß als des »Anderen« allein so falsch und Endlich

ist

die

{siehe Selbstbiographie). Schritt für Schritt wird diese

von Hause aus

und dem Wesen nach dauernd vornehme und weiche Natur auf Grund seines frühen inneren Konfliktes mit dem Vater, der nach

dem Tode

der geliebten Mutter eine zweite Frau nahm, zuerst zu

für die Diener des Hauses und dann zu einer prinzipiellen Negation aller positiven Werte und Ideale des russischen Volkes und Staates gedrängt bis er in den Ideengängen des Anarchismus landet.

einer steigenden Parteinahme

schließlich



^)

Überhaupt

und Mark es

ist die

Lehre der jüngeren Stoa, so besonders Epictets

ungemein stark von Ressentiment bestimmt, und interessante Aufgabe, das im einzelnen aufzudecken.

Aureis,

wäre eine

187

irrig, als es die ist,

man

liberal-individualistische Vorstellung

am

diene dadurch

dem Ganzen

besten

und der Gemeinschaft, daß man sich selbst vollkommnet im Sinne des Wortes: »Wenn Rose

sich

selbst

Denn

den Garten.« ist ja

bestimmt

als

und

es

Person

ist

heils«

für

ei »er

Person die

ist

als

ob

solcher dies die

»Anderen«

des

eine

t

spielt

das eigene »Seelenheil« für ihn

keine kleinere Rolle, als die Liebe

»Liebe Gott

und deinen Nächsten

lautet der christliche Satz.



ist

zum als

Nächsten.

dich selbst«

charakteristisch,

Hauptwortführer der modernen Menschender Erfinder des Barbarismus August Gomte

ein

liebe,

auch

Hingabe des eigenen »Seelenden Anderen für den Christen Sünde

Und darum

daß

die

bestimmten Qualität

gleichgültig,

Liebenden oder

Darum

ist!

Aktus

dabei noch

des

schmückt

sie

dieser christliche Liebesbegriff

idealen

geistigen

zur

schmückt,

ver-

»Altruismus«

— an



diesem Satze Anstoß nimmt, ja

das Christentum seines

Gebotes wegen, auch für

das eigene Seelenheil zu sorgen, der Unterstützung der »egoistischen Impulse« anklagt, und den Satz

durch den neuen positivistischen ersetzt sehen »Liebe deinen Nächsten

bemerkt dabei

nicht,

mehr

als dich

selbst«.

will:

Er

daß »Liebe« im christlichen

Aktart verstanden wird, die geistiger Natur und ihrem Wesen nach auch auf die geistige Sinne

als eine

Person (Gottes und der Menschen) primär gerichtet 188

und »TempelVernünftigkeit« und »Vernunftlosigkeit«, welche nach antiker Vorstellung zwischen Mensch und Tier besteht, ganz und gar hinter sich läßt und als relativ gleichgültig erscheinen läßt. Das ist der Unter-

ansprüche,

die



13*

195

schied des »Natur-« lichen«

und »Gnadenstandes«,

des »fleisch-

und »wiedergeborenen« Menschen,

der

des,

»im ewigen Leben« steht, der »ein Kind des Gottes-

und der

reiches« ist

es nicht ist; in

der schärfsten

Formulierung Augustins, welche die Kirche gerade

vermöge des wachsenden stoischen und rationalen Einschlages

ihrer

»Verworfenen«

Ideenwelt

verwarf:

später

und »Auserwählten«.

Der

des

»fleisch-

und natürliche Mensch« unterscheidet sich nach altchristlicher Anschauung vom Tiere nur graduell, nicht wesenhaft: erst im »Wiedergeborenen« bricht eine neue Ordnung und eine neue absolute Seinsund Wesenschicht zutage. Erst hier erscheint eine neue Art des Seins und Lebens, ein »übermenschliches«, »übertierisches«; wogegen »Vernunft« nur als eine Höherbildung natürlicher, auch im Tierreich liche

vorhandener

Anlagen

gilt.

daß jeder Mensch eine

Die Vorstellung

»geistige,

also,

vernünftige, un-

habe mit denselben Anlagen, denselben Ansprüchen zum Heile, sei es nur mit den-

sterbliche Seele«

— Ideen« — und darum schon — ohne »Gnade«, »Offen-

selben »Fähigkeiten« oder mit denselben »eingeborenen

barung«, »Wiedergeburt« sich wesenhaft über das Tier

und

die

früh

in

worden,

übrige Natur erhebe die ist

christliche

Ideenwelt

196

ist

wohl schon

hineingetragen

aber nicht aus ihren lebendigen Wurzeln

herausgewachsen^). Sie wird ^)



angenommen zunächst

Diese Vorstellung, sowie die Abgrenzung einer unabhängig

und

nur als eine pragmatisch- pädagogische Annahme, unter der allein eine missionierende Tätigkeit möglich

und

sinnvoll ist; nicht aber als »Wahrheit«; aus

demselben Grunde, aus dem schließlich



Logik und Dialektik

worfen



die antike

zuerst als »teuflisch« ver-

zum Hauptinhalt

der Unterweisung in

der kirchlichen Schulphilosophie wurde^).



So be-

merkt z. B. Augustinus um seine Lehre von der Gnadenwahl mit der Praxis des Priesters auszugleichen daß der Wesensunterschied zwischen »Erwählten« und »Verworfenen« zwar bestehe, daß



aber kein Priester, ja die betreffende Person selbst nicht wissen könne, sei;

wer

auserwählt oder verworfen

und daß der praktische

Menschen

darum jeden

so zu behandeln habe, »als ob« er ein Nicht-

verworfener tischen

Priester

sei.

Annahme

Von

einer

pädagogisch-pragma-

wird aber die Lehre von der Gleich-

Natur immer mehr eine Anauf metaphysische Wahrheit Anspruch

heit der menschlichen

nahme,

die

unterhalb

der Gnadensphäre

nünftigen« Weltsphäre

(in

bestehenden und berechtigten »verMoral usw.) gewinnt

Religion, Recht,

Thomas von Aquin, der die paulinischund Gnadenreligion zur Gesetzesreligion in

ihren vollen Sieg erst durch augustinische

Liebes-

das Verhältnis zweier '>Zweckstufen« bringt (E. Troeltsch).

Diese

neuen Fassungen sind aber bereits als der erste Durchbruch der Ideale des jungen Rürgertums im Gedankensystem der christlichen Kirche anzusehen. Vgl. dazu das vielfach Treffende bei W. Sombart, Der Bourgeois, 1913, bes. S. 303 und 307. Desgl. der folgende Aufsatz über den »Bourgeois*, II. ^)

auch

Siehe Prantl: Geschichte der Logik

im Abendlande, Bd.

I.

Siehe

die treffliche Einleitung in J. A. Möhlers Patrologie, 1840.

197

macht.

Es

ist

eine bemerkenswerte Tatsache,

gerade in diesem so wesentlichen Punkte

daß

die ur-

sprüngliche christliche Vorstellung mit derjenigen

modernen

der

Entwicklungstheorie

stimmt, daß der »Mensch



entwickeltes Tier« sei

als solcher

so lange er

die christliche Lehre hinzufügt in

das »Gottesreich«



aufgenommen

zusammen-

nur ein höher

nämlich

— wie

nicht als Glied ist.

Wenn

Fr.

Nietzsche eine qualitative Wesensgrenze innerhalb der Menschheit ziehen

will,

die

Grenze zwischen

»entartetem Tier« und »Übermenschen«, so scheidet ihn nicht dieser Versuch als solcher von der echten christlichen Ideenwelt

— sondern nur seine positive

Antwort, wonach der Übermensch ein hervorzubringender neuer »Typus« sein sich in der

Teilnahme

am

willkürlich

soll,

nicht aber

Gottesreich konstituieren

Der »Antihumanismus« aber ist ihm gerade mit der echten christlichen Moral gemeinsam. Wie über-

soll.

all,

so hat

Maximen

auch hier die Kirche bloß pragmatische zur Mission, zur Regierung der Kirche,

zur Leitung der Seelen, zur regimentalen Herstell-

ung ihrer Einheit, später zu metaphysischen Wahrheiten umgestempelt; und der auf Ressentiment beruhende Rationalismus und Humanismus des modernen Bürgertums blieb dann ein Element ihrer Gedankenwelt, auch in ihrer höchsten Blüte, so sehr sie ihn in den Grenzen zu halten wußte.

Lu-

thers Zerstörung »der natürlichen Theologie«, sein

198

Vernunfthaß, sein Gegensatz und

Kampf

Rationalisierungsversuche

der

durch die Scholastik sind

Zeugnisse,

in diesem

gegen die

christlichen

Ideen

wie klar er

Punkte im Gegensatze zu dem »praeceptor

Germaniae« Melanchthon das Echte von dem äußer-

Aber indem er der Liebe einen übernatürlichen und ursprünglichen Charakter neben dem Glauben verweigerte und schon den inneren Liebesakt in die Sphäre der »Werke« ^) rechnete, die keinen echten Heilsweg bilden, hat er die christliche Liebesidee noch tiefer lich

Hinzugetretenen zu trennen wußte.

verleugnet wie die Institution, die er bekämpfte,

und dem puren modernen Humanismus der

Liebe,

der eine rein innermenschliche fleischlich-sinnliche

Kraft in ihr es die

sieht,

Kirche

je

noch stärker vorgearbeitet,

getan hatte^).

als

Mit Luther bricht

das Solidaritätsprinzip*) auf religiös-sittlichem

Boden vollständig zusammen. Die Fremdliebe wird nun der Selbstliebe untergeordnet; und dies doch ^) Nicht bloß die äußere sittlich relevante Handlung, oder gar nur die in kirchlichen kultischen Werken sich betätigende Handlung

verwirft Luther als nutzlos

für

die

Heilsgewinnung; sondern sein

umfaßt auch den inneren Liebesakt. ^) Diese Tatsache und ihre gewichtigen Folgen (sie besteht in anderer Form noch in höherem Maße für den Calvinismus) scheint mir W. Sombart zu übersehen, wenn er dem Thomismus (im Gegensatze zu Max Weber) einen größeren Einfluß auf die Gestaltung Begriff des »Werkes«

des »kapitalistischen Geistes« einrävimen will, als Protestantismus.

dem

In einem dem Satze: »Liebe deinen Nächsten ^) widersprechendem Sinne!

ursprünglichen

als

dich selbst«

199

ohne Bewußtsein. Denn wie könnte das Streben nach

dem »Bewußtsein

nach dem »Bewußtsein von Rechtfertigung und Versöhnung«,

nach jenem als

eines gnädigen Gottes«,

tiefsten innersten Frieden, die

Luther

Folge des rechten und »bloßen« Glaubens an Jesu

Opfertod ansieht, einen

Liebesakt

selbst, auf der

Heil der Seele liebe auf die

?

aufkommen, als fundiert auf Auf den Liebesakt gegen sich

je

daraus fließenden Sorge für das eigene ?

Indem Luther nun aber

schon

gewonnene

die

Fremd-

Rechtfertigung »nur«

einsamen Verdurch den Glauben — gewonnen kehr jeder Seele mit ihrem Gotte — fundiert sein notwendigen Weg zu dieser Rechtläßt — iin

sie also als

fertigung

ausschließt,

ung aber doch

die

Rechtfertigungsbestreb-

faktisch auf Selbstliebe zurückgeht,

wird die Fremdliebe völlig der Selbstliebe untergeordnet, ja die »Fremdliebe« schließlich auf die bloß

sinnliche triebhafte Sympathie unter den Menschen beschränkt: so daß sich der eigentliche Heilsprozeß nur mehr zwischen jeder Seele und »ihrem«

Gott

abspielt;

die

lebendige



schaft in Glauben und Liebe Fundament der Idee der Kirche

Gemein-

und damit das

als Heilanstalt



wesensnotwendiger Ort des Heilsprozesses, aber prinzipiell verleugnet ist^). Die Ordnung der

als gleich

^) Siehe hierzu das viele Treffende in der Symbolik von J. A.Möhler, neue Ausgabe, Regensburg 1914; siehe bes. § 25 »Höchster Punkt

der üntersuchung