Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellungen: Frühes und hohes Mittelalter: 750-1250 315017001X, 9783150170014

Die elfbändige Reihe versammelt die zentralen Quellentexte der deutschen Geschichte. Jedes Dokument wird einzeln erläute

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Table of contents :
Einleitung

1 Kirchenorganisation als Abschluß der Missionierung Mitteldeutschlands

2 Beginn der Kirchenreform mit dem Concilium Germanicum

3 Die Erhebung Pippins zum fränkischen König

4 Besuch Papst Stephans Ilo im Frankenreich
Liber pontificalis,. Vita Stephani II.
Metzer Annalen
Fränkische Reichsannalen
Clausula de unctione Pippini

5 Sachsenkriege Karls des Großen

6 Christianisierung der Sachsen

7 Eingliederung Baierns ins Frankenreich
Fränkische Reichsannalen
Kapitular von Frankfurt

8 Kaiserkrönung Karls des Großen
Die römische Sicht: Liber Pontificalis, Vita Leonis III.
Die zeitgenössischen fränkischen Annalen 54
Reichsannalen
Annalen von Lorsch
Einhard, Vita Karoli Magni
Kaisertitulatur

9 Kontrolle der Grafen durch die Missi

10 Wirtschaftsorganisation im Frankenreich: Das »Capitulare de villis«

11 Inventar eines großen Hofes

12 Heerwesen im Zeitalter Karls des Großen
Kapitular über das Heerwesen
Brief Karls des Großen an Abt Pulrad von St-Denis

13 Nachfolgeregelung Karls des Großen

14 Kaiserkrönung Ludwigs des Frommen
Fränkische Reichsannalen
Thegan, Vita Hludovici
.Einhard, Vita Karoli Magni
Thegan, Vita Hludovici

15 Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen

16 Reichsreform und Reichsverwaltung unter Ludwig dem Frommen
Kirchenkapitular
Verbreitung und Bekanntmachung der Kapitularien

17 Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen
Thegan, Vita Hludovici
Annalen von St-Bertin
Schuldbekenntnis Ludwigs Wiedereinsetzung Ludwigs

18 Reichsteilungen nach dem Tode Ludwigs des Frommen
Vertrag von Straßburg
Vertrag von Verdun

19 Hungersnot

20 Aufteilung des Reichs Lothars I.

21 Absetzung Karls III.

22 Kaiserkrönung Arnulfs
Chronik Reginos von Prüm
Treueid der Römer auf Kaiser Arnulf

23 Die Ungarn
Chronik Reginos von Prüm
Fuldaer Annalen

24 Adelskämpfe in der Zeit Ludwigs des Kindes

25 Raffelstettener Zollweistum (904/906)

26 Recht der Baiern

27 Recht der Friesen
28 Bund zwischen Königtum und Bischöfen (Hohenaltheim 916)

29 Designation Heinrichs von Sachsen durch Konrad I.

30 Heinrich I. und die süddeutschen Herzogtümer

31 Bonner Vertrag vom 7. November 921
32 Erwerb der Heiligen Lanze

33 Wahl und Krönung Ottos I.

34 Liturgie der Herrscherweihe im 10./ll. Jahrhundert
Königsweihe
Kaiserkrönung

35 Schlacht auf dem Lechfeld

36 Kaisertum Ottos I.
Eid Ottos I. vor seiner Kaiserkrönung
Ottonianum

37 Ost und West im 10. Jahrhundert: Liutprand von Cremona am Kaiserhof in Konstantinopel

38 Gründung des Erzbistums Magdeburg
Urkunde Papst Johannes' XIII.
Urkunde Kaiser Ottos I.

39 Indiculus loricatorum (981)

40 Königtum und Kirche

41 Liutizenaufstand 983
Chronik Thietmars von Merseburg .
Der heidnische Kult der Liutizen

42 Die Kaiseridee Ottos III.

43 Otto III. und Boleslaw von Polen

44 Deutsche Kritik an der Renovatio-Politik Ottos III.

45 Bischöfe als Stadtherren
Urkunde Ottos II. zugunsten des Bischofs von Straßburg
Urkunde Ottos III. zugunsten des
Bischofs von Halberstadt

46 Gründung des Bistums Bamberg

47 Die Klosterreform von Gorze

48 Reformkonzil von Pavia

49 Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms

50 Erhebung Konrads II. zum deutschen König
Wipo, Gesta Chuonradi
Radulf Glaber; Historiae

51 Anfänge einer »transpersonalen« Reichsanschauung

52 Auseinandersetzung Konrads II. mit seinem Sohn Heinrich III.

53 Friedenspredigten Heinrichs III.
Chronik Hermanns von Reichenau
Brief Bernos von Reichenau an Heinrich III.

54 Italienzug und Absetzung von drei Päpsten (Sutri und Rom 1046)
Weltchronik Frutolfs von Michelsberg
Bonizo von Sutri, Liber ad amicum
De ordinando pontifice

55 Reichskrise am Ende der Regierung Heinrichs III.
Chronik Hermanns von Reichenau
Designation und Wahl Heinrichs IV.

56 Papstwahldekret 1059

57 Ministerialen

58 Vormundschaft der Kaiserin Agnes und Staatsstreich von Kaiserswerth

59 Beginn der selbständigen Regierung Heinrichs IV.
Schwertumgürtung Heinrichs IV.
Fürstenversammlung von Worms
Mordanschlag auf den König

60 Sachsenkriege 1073/75
Brunos Buch vom Sachsenkrieg
Niederaltaicher Annalen
Sieg an der Unstrut

61 Freibrief für die Bürger von Worms

62 Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

63 Einvernehmen zwischen Heinrich IV. und Papst Gregor VII.
Brief Heinrichs IV. an Gregor VII. vom Jahr 1073
Brief Gregors VII. an Heinrich IV. vom 7. Dezember 1074

64 Absageschreiben an Papst Gregor VII.

65 Absetzung und Bannung Heinrichs IV.

66 Canossa
Bericht des Papstes
Eid Heinrichs IV.

67 Forchheim 1077- Wahl eines Gegenkönigs
Annalen Bertholds von Reichenau
Brunos Buch vom Sachsenkrieg

68 Plan zur Erhebung eines Gegenpapstes (Brixen 1080)

69 Privileg für die Juden von Speyer

70 Religiöse Volksbewegungen in Südwestdeutschland

71 Die Deutschen und der erste Kreuzzug

72 Kaiserlicher Landfriede von 1103
73 Aufstand Heinrichs V. gegen seinen Vater
Chronik Ekkehards von Aura
Brief Heinrichs IV. an seinen Sohn

74 Die Vorgänge von 1111: Versuch einer gewaltsamen Beendigung des Investiturstreits
Diplom des Königs Heinrich V. vom 12. Februar 1111
Privileg des Papstes Paschalis Il. vom 12. Februar 1111
Privileg des Papstes Paschalis Il. vom 12. April 1111

75 Das Wormser Konkordat
Kaiserliche Urkunde (Heinricianum)
Päpstliche Urkunde (Calixtinum)

76 ' Marktprivileg für die neugegründete Stadt Freiburg

77 Zug Heinrichs V. nach Frankreich

78 Wahl Lothars von Süpplingenburg

79 Tafelgüterverzeichnis

80 Wahlanzeige Friedrichs I.

81 Konstanzer Vertrag vom 23. März 1153

82 Scholarenkonstitution »Habita«

83 Rechte des römischen Kaisers

84 Die Gründung des Herzogtums Österreich: Privilegium minus (1156)

85 Absetzung Heinrichs des Löwen und Aufteilung seiner Herrschaft

86 Das Mainzer Hoffest von 1184

87 Barbarossa und der dritte Kreuzzug
Die Katastrophe im Heiligen Land und die Vorbereitungen zum dritten Kreuzzug
Der Hoftag Jesu Christi in Mainz

88 Erbreichsplan und Testament Heinrichs VI.
Marbacher Annalen
Reinhardsbrunner Chronik
Testament Heinrichs VI.

89 Papst Innozenz' III. Bulle Venerabilem

90 Goldbulle von Eger (Verzicht auf Spolien- und Regalienrecht)

91 Schlacht bei Bouvines

92 Vertrag mit den geistlichen Fürsten (Confoederatio vom 26. April 1220)

93 Privileg für den Deutschen Orden (Goldene Bulle von Rimini)

94 Lübeck wird Reichsstadt

95 Statutum in favorem principum (Mai 1232)

96 Stedingerkreuzzüge

97 Die Anfänge der Ketzerinquisition in Deutschland: Konrad von Marburg

98 Mainzer Reichslandfrieden

99 Steuerliste von 1241

100 Der Einfall der Mongolen 1241

101 Konzil von Lyon 1245: Absetzung Friedrichs II.

102 Staatstestament Friedrichs II.

103 Der Sachsenspiegel des Eike von Repgow

104 Ostsiedlung
Missionsbericht Ottos von Bamberg
Die Deutschen in Prag und ihr Recht
Rechte und Pflichten der Deutschen in
Siebenbürgen

Zur Einrichtung des Bandes
Zeittafel
Abbildungsnachweis
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Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellungen: Frühes und hohes Mittelalter: 750-1250
 315017001X, 9783150170014

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Geschichte ist »die geistige Form, in der eine Kultur sich Rechenschaft über ihre Vergangenheit ablegt«. Johan Huizinga

Der vorliegende Band gehört zu einer elfbändigen Reihe, die in neuartiger Kombination von historischem Originaltext und kommentierender, einordnender Darstellung einen Abriß der deutschen politischen Geschichte gibt. Ihr Ziel ist es, durch die Verbindung von Quellen und Darstellung eine aus den historischen

Dokumenten

selbst

lebende,

fortlau-

fend lesbare Geschichte der Zeit von der Gründung des Karolingerreiches bis zur unmittelbaren Gegenwart zu entfalten. Die Reihe ist als Einführung für Studenten und Schüler konzipiert, soll aber auch allen historisch Interessierten ein Kompendium der wichtigsten Quellen zur deutschen Geschichte an die Hand geben. Im Zentrum der Edition stehen die Quellentexte (soweit in einer anderen Sprache verfaßt, wurden sie ins Deutsche übersetzt). Bei längeren Vorlagen wurden Auszüge gewählt, die sinnvolle und relevante Einheiten bilden, um den Charakter des Dokuments

zu wahren. Die Quellen folgen zeitgenössischen Drucken oder wissenschaftlichen Editionen. In jedem Band führt eine Einleitung in die jeweilige Epoche ein. Anmerkungen geben weitere Verständnishilfen. Eine knappe Zeittafel dient der raschen Orientierung. “

Deutsche Geschichte

in Quellen und Darstellung

Band Band

SA

Band Band Band Band

DD

Herausgegeben von Rainer A. Müller Frühes und hohes Mittelalter. 750-1250

Spätmittelalter. 1250-1495

Reformationszeit. 1495-1555

Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg. 1555-1648

Band

5: Zeitalter des Absolutismus. 1648-1789 6: Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß. 1789-1815 7: Vom Deutschen Bund zum Kaiserreich.

Band

8: Kaiserreich und Erster Weltkrieg.

Band

9: Weimarer Republik und Drittes Reich.

1815-1871 1871-1918

1918—1945

Band 10: Besatzungszeit, Bundesrepublik und DDR. 1945-1969

Band 11: Bundesrepublik und DDR. 1969-1990

*

Philipp Reclam jun. Stuttgart

Deutsche Geschichte

in Quellen und Darstellung Band 1

Frühes und hohes Mittelalter 750—1250 Herausgegeben von Wilfried Hartmann

Philipp Reclam jun. Stuttgart

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK

Nr. 17001

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK

und

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2011 RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart ISBN 978-3-15-017001-4

www.reclam.de

Einleitung Wer eine Einleitung zum ersten Band einer Deutschen Geschichte zu schreiben hat, muß sich über den Beginn der deutschen Geschichte äußern. In der Forschung ist diese Frage bis heute umstritten — auf dem Historikertag 1992 beschäftigte sich eine eigene Sektion mit diesem Problem —, und in den letzten hundert Jahren ist sie sehr unterschiedlich beantwortet worden. Einige wichtige Daten haben sich dabei als mögliche Anfangspunkte herausgebildet: 843 als Datum der Entstehung eines eigenen ostfränkischen Teilreiches, 911 als Zeitpunkt der Abwendung der Stämme dieses Reiches von der Dynastie der Karolinger, 919 mit der Wahl eines Sachsen zum König des ostfränkischen Reiches oder 925 als Jahr der Angliederung Lotharingiens an das ostfränkische Reich. Eine Zeitlang wurde auch in dem Sturz Karls IIT. (887) als erster gemeinsamer Aktion der »deutschen Stämme« ein Anfangsdatum der deutschen Geschichte gesehen. Der historischen Wirklichkeit kommt es sicher näher, wenn

man die Entstehung des deutschen Reiches als Vorgang betrachtet, der sich zwischen 833/843 und 919/936 abgespielt hat, wobei die Zeit König Heinrichs I. (919-936) als entscheidende Phase gelten kann, denn die damals erreichte Westgrenze des Reiches blieb bis zum Ende des Mittelalters im wesentlichen unverändert bestehen. In den letzten zwei Jahrzehnten ist nun eine andere Auffassung in den Vordergrund getreten, nach der das 10. Jahrhundert noch ganz in der karolingischen Tradition stehen soll, während sich die entscheidenden Schritte zu »Deutsch-

land« und »Frankreich« erst im 11. Jahrhundert vollzogen haben sollen. K. FE. Werner formulierte: Die »Entstehung Deutschlands ist also nichts anderes als die Zusammenfügung der vorher ins Frankenreich eingegliederten und an das ostfränkische Teilreich gekommenen Teilstaaten und

6

= Einleitung

ihrer Völker und ihr Zusammenwachsen«. An dieser Auffassung ist sicher richtig, daß erst aus der Zeit um 1000 ein- _ deutige Belege dafür vorhanden sind, daß sich Schwaben, Bayern oder Sachsen auch als »Teutonici«, als Deutsche, be-

zeichnen. Die deutschen Könige haben sich allerdings nie als »rex Teutonicorum« (>»König der Deutschen«) bezeichnet, Es war vielmehr Papst Gregor VII. (1073-85), der seinen

Gegner Heinrich IV. (1056-1106) zuerst 1074 »rex Teutoni- _

corum« nannte, um ihm dadurch jedes selbstverständliche Anrecht auf die Herrschaft in Italien und auf das Kaisertum abzusprechen. Daher war es konsequent, wenn die königliche Kanzlei seit Heinrich V. (1106-25) in Aufnahme älterer

Titulaturen aus der Zeit Heinrichs

III. (1039-56)

immer

vom »rex Romanorum« sprach. Und auch in den — deutschsprachigen — Königsurkunden des Spätmittelalters heißt der »deutsche« König immer »römischer kunig«. Wenn im vorliegenden Band die Quellentexte und die auf sie bezogenen Einleitungen kurz vor der Mitte des 8. Jahrhunderts einsetzen, dann soll damit nicht der Anfang der deutschen Geschichte in diese Zeit verlegt werden. Es ist aber unbestritten, daß in der karolingischen Zeit die wichtigsten Grundlagen für die weitere Entwicklung des deutschen Reiches im Mittelalter gelegt wurden. In dem Jahrhundert zwischen ca. 740 und ca. 840 erfolgte die endgültige Christianisierung der Stämme

östlich des Rheins, und es

wurden die Grundlagen dafür gelegt, daß sich ihre politische Organisation und ihre rechtliche und kulturelle Ordnung vor allem an den Traditionen des merowingischen Frankenreichs und der christlichen Kultur der Spätantike ausrichteten. Diese beiden historisch entscheidenden Voraussetzungen des mittelalterlichen Deutschland werden hier zwar nicht mehr selbst dargestellt, ohne sie ist aber das

Frankenreich der Karolingerzeit nicht denkbar, und sie sind in der karolingischen Gesetzgebung gegenwärtig. Es erschien daher berechtigt, in dieser Sammlung auch die karolingischen Anfänge des späteren Deutschland zu doku-

_

Einleitung

7

mentieren. Die Straßburger Eide (s. Quelle 18.1) wurden ebenso in unsere Auswahl aufgenommen wie der Vertrag von Verdun (18.2) und der Teilungsvertrag von Meersen von 870 (20). Und von den Wendemarken der spätkarolingischen Zeit sind der Sturz Karls III. (21), das Ringen des Adels um die Nachfolge Ludwigs des Kindes (24) und die Designation des Sachsen Heinrich durch Konrad I. (29) hier vertreten. Diese Einzelereignisse haben nämlich die Herausbildung des deutschen Reiches aus dem karolingischen Frankenreich bestimmt. In dieser Einleitung einen knappen Durchgang durch die Epoche vorzunehmen erschien nicht sinnvoll, da die Einführungen zu den gut 100 Quellentexten als knapper Abriß der deutschen Geschichte in jener Zeit gelesen werden können. Statt dessen sollen im folgenden die im Band selbst chronologisch geordneten Texte aus der Zeit von ca. 750 bis 1250 in einer systematisch zusammenfassenden Übersicht vorgestellt werden. Bei der Auswahl der Quellen wurde versucht, trotz der notwendigen Beschränkung doch durch einige wenige Texte auch neueren Tendenzen der Forschung Rechnung zu tragen, indem Quellen zur rechtlichen Entwicklung, zur Herrschaftssymbolik und -ideologie sowie zur Mentalitäts- und Ketzergeschichte aufgenommen wurden. Es ist kein Zufall, daß unsere Auswahl mit einem Text aus

dem kirchlichen Bereich beginnt, denn hier taucht — erstmals im Frühmittelalter — der Begriff »Germania« auf, wenn auch lediglich in geographischer Bedeutung. Dabei verlief die Westgrenze »Germaniens« nach antiker Tradition am Rhein. Wenn ihm auch der Titel eines »Apostels der Deutschen« erst im 12. Jahrhundert verliehen wurde, so erstreckte sich das Wirkungsfeld des Bonifatius doch auf große Teile des späteren Deutschland. Denn er hat nicht nur in Hessen, Thüringen und Friesland missioniert, sondern auch die Kirche in Baiern und im Rheinland reorga-

8

Einleitung

nisiert. Der Brief, den Bonifatius im Jahre 741 an Papst Zacharias schrieb (1) und in dem er die Schaffung von drei mitteldeutschen Bischofssitzen in Erfurt, Büraburg und

Würzburg mitteilte, ist das erste schriftliche Zeugnis aus der spätmerowingischen Zeit, das sich ausschließlich auf Gebiete östlich des Rheins bezog. Und das erste von Bonifatius einberufene Konzil, von dem wir Beschlüsse besitzen

(2), versammelte die Bischöfe des östlichen fränkischen Teilreichs, so daß es später mit Recht als Concilium Germanicum bezeichnet wurde. Für die weitere Entwicklung des Frankenreichs und dann des deutschen Reichs im Mittelalter erhielten die Ereignisse von 751 (3) und von 754 (4) größte Bedeutung: bei der Königserhebung Pippins spielte die Zustimmung des Papstes zur Ablösung der Merowinger durch die Karolinger eine entscheidende Rolle, und der erste Besuch eines Papstes im Frankenreich vertiefte den Bund zwischen Papst und Frankenkönig. Ein erster Höhepunkt in der Gemeinsamkeit dieser beiden Gewalten war mit der Kaiserkrönung Karls des Großen am Weihnachtstag 800 (8) erreicht. Mit diesen Ereignissen sind zwei zentrale Themen benannt, die in den folgenden Jahrhunderten von Bedeutung waren: Wie wurde man König im fränkischen (später ostfränkischdeutschen) Reich? und: Welche Formen nahmen die Beziehungen zwischen. dem fränkischen (später römischen) König und dem Papst an?

1. Erhebung des Königs Da der König im Mittelalter zugleich der wichtigste Repräsentant und das zentrale Organ der politischen Ordnung war, sind die Nachrichten über die Thronfolgeregelungen und über die Erhebung der Könige von größter Bedeutung für die politische Geschichte jener Epoche. Die vorliegende Quellenauswahl trägt dem Rechnung. Die Reihe der Nach-

Einleitung

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folgeordnungen reicht dabei von der Karls des Großen aus dem Jahr 806 (13) über die Ludwigs des Frommen von 817

(15) bis zum Erbreichsplan Heinrichs VI. von 1196 (88) und zum Staatstestament Friedrichs II. von 1250 (102). Die Berichte über Königserhebungen setzen ein mit der Erhebung Pippins (3) und reichen über den ersten König aus dem sächsischen Geschlecht der Liudolfinger, Heinrich I. (29), den ersten Salier, Konrad II. (50), und den Gegenkönig im Investiturstreit, den schwäbischen Herzog Rudolf von Rheinfelden (67), bis zum Sachsenherzog Lothar von Süpplingenburg (78). Etwas genauer dokumentiert sind die Etappen der Nachfolgeregelung bei Heinrich III. (55, 58 und 59). Auch der Aufstand Heinrichs V. gegen seinen Vater (73) gehört in diesen Zusammenhang. 2. Verhältnis zum Papsttum Das besondere Verhältnis des deutschen Königs des Mittelalters zum Haupt der römischen Kirche begann - wie schon gesagt — mit dem Bund zwischen Papst und Frankenkönig in der Zeit Pippins (3, 4). Eine neue Qualität erhielt dieses

Verhältnis mit der Kaiserkrönung Karls des Großen (8). In

bis dahin nicht gekannter Weise mischte sich der Papst hier erstmals in die Ordnung der weltlichen Herrschaft ein. Karl der Große versuchte dem Kaisertum eine rein weltliche Richtung zu geben (14); aber in seiner weiteren Entwicklung blieb es an das Papsttum gebunden. Dies zeigten schon die Kaiserkrönungen des ausgehenden 9. Jahrhunderts, von denen die des ostfränkischen Königs Arnulf von Kärnten hier aufgenommen wurde (22), aber auch die Kaiserkrönung Ottos I. (36), die ganz im Bann der karolingischen Tradition stand. In der ottonischen und salischen Epoche war allerdings die Vorherrschaft des Kaisers über den Papst lange unbestritten. Das zeigen die Beziehungen Ottos III. zu Papst Silvester II. (42) ebenso wie die Heinrichs II. zu

10

Einleitung

Papst Benedikt VIII. (48). Noch beherrschender war die kaiserliche Stellung im Jahr 1046, als Heinrich III. drei Päpste absetzte (54). Erst die krisenhaften Entwicklungen in der Zeit Gregors VII. und Heinrichs IV. (63-66 und 68) führten dann zu einer langen Zeit des Ringens zwischen Papst und Kaiser, bis schließlich unter Heinrich V. erneut ein Sieg des Kaisers über den Papst erreicht schien (74). Auch in der Stauferzeit war diese Auseinandersetzung politisch sehr wichtig; vor allem Friedrich I. war sich der Bedeutung der Beziehungen zum Papsttum in hohem Maße bewußt, wie schon seine Wahlanzeige an den Papst (80) und der Versuch einer vertraglichen Regelung des Verhältnisses zwischen dem Papst und dem zukünftigen Kaiser (81) bezeugen. Als nach dem plötzlichen Tod des Sohns und Nachfolgers Barbarossas, Kaiser Heinrichs VI., in der Person In-

nozenz’ III. eine politische Figur ersten Ranges den Stuhl Petri innehatte, bereitete sich durch das Eingreifen des Papstes in den deutschen Thronstreit (89) der Sieg des Papsttums vor. Das Scheitern Friedrichs II., der viele Jahre gegen die Päpste seiner Zeit gekämpft hatte, fand seinen deutlichsten Ausdruck in der Absetzung des Kaisers durch das Konzil von Lyon 1245 (101).

3. Bedeutung der Bischöfe Das Verhältnis zwischen dem deutschen König und der Kirche bestand aber nicht allein in den so spannungsvollen Beziehungen zwischen König und Papst. Von großer Bedeutung für die Effizienz und Sicherung der königlichen Herrschaft im Reich waren von Anfang an die Bischöfe. Nachdem die Könige schon in karolingischer Zeit sich der Mithilfe der Bischöfe bei der Regierung versichert hatten, wobei sie dem König gewissermaßen als Werkzeug dienten und ihre Einsetzung von ihm abhing, machten die Bischöfe am Ausgang dieser Epoche ihrerseits den Versuch, den Kö-

|

Einleitung

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nig ihren Interessen dienstbar zu machen (28). Die ottonischen Herrscher verstanden es aber wieder, den Episkopat in den Dienst des Reiches zu ziehen (39, 40). Die Bischofskirchen und die Reichsklöster wurden mit Landschenkungen und Vergaben königlicher Hoheitsrechte (Regalien) gestärkt; im Gegenzug mußten sie an den Kriegszügen des Königs teilnehmen (Heerfolge), den im Reich umherziehenden König mit seinem Gefolge verpflegen (Gastung) und an der Verwaltung des Reiches mitwirken (Kanzlei). Ein typisches Beispiel für einen ottonischen Reichsbischof war Erzbischof Brun von Köln (40); allerdings erklärt sich seine intensive Wirksamkeit für das Reich auch aus seiner Zugehörigkeit zur Familie der Ottonen. Die königliche Kirchenherrschaft im 10. und beginnenden 11. Jahrhundert zeigt sich auch in der Schaffung der neuen Kirchenprovinz Magdeburg (38) und in der Gründung des Bistums Bamberg (46). Der Kampf um die Mitwirkung des Königs an der Erhebung der Bischöfe in der Epoche des sogenannten Investiturstreits endete mit dem Kompromiß des Wormser Konkordats von 1122 (75). Knapp hundert Jahre später indessen mußte Friedrich II. die Unterstützung Papst Innozenz’ III. für seine Königswahl mit dem Verzicht auf jeden königlichen Einfluß auf die Bischofswahl erkaufen (90). Die weitere Entwicklung im 14. und 15. Jahrhundert sollte jedoch zeigen, daß die verbliebenen lehnsrechtlichen Einflußmöglichkeiten der Könige ausreichten, um eine eingeschränkte Form königlicher Kirchenherrschaft zu ermöglichen.

4. Der König und die Fürsten Daß der König sogar in der Zeit der mächtig erscheinenden Könige aus karolingischem, ottonischem, salischem und staufischem Haus auf die Mitwirkung des Adels angewiesen war, wird bereits bei der Königserhebung Pippins (3, 4) und

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Einleitung

in den Nachfolgeordnungen Karls des Großen (13) und Ludwigs des Frommen (15) deutlich. Auch bei der praktischen Durchsetzung seiner Herrschaft mußte der König auf den Adel zurückgreifen (9, 16). Manifest wird diese Bedeutung der Großen des Reichs in Krisensituationen, etwa beim Sturz Karls III. (21) oder im Ringen um die Macht in der Regierungszeit des letzten ostfränkischen Karolingers, Ludwigs des Kindes (24). Wie stark die adeligen Machthaber vor allem in den Grenzregionen waren, zeigen die Schwierigkeiten Heinrichs I., sein Königtum in Schwaben und Baiern durchzusetzen (30). Auch der Bericht Widukinds über die Königserhebung Ottos I. (33) macht deutlich, daß die Fürsten und vor allem die Herzöge von Schwaben, Baiern, Sachsen und Lothringen als Helfer des Königs eine wesentliche Rolle spielten. Nur selten wird aus den Quellen deutlich, mit welchen Mitteln der König versuchen mußte, seine Autorität gegenüber den Fürsten zu wahren;

daher ist der Konflikt zwischen

Konrad II. und Adalbero von Kärnten ausführlich dokumentiert (52). Am Ende der Regierung Heinrichs III. zeigte sich, daß auch die Stellung eines nach außen so mächtig erscheinenden Herrschers im Innern dauernd bedroht blieb (55). Und in der Zeit Heinrichs IV. gab es von Anfang an Schwierigkeiten mit einer Reihe von Fürsten (59) wie auch

mit den Sachsen (60). Der Aufstand Heinrichs V. gegen seinen Vater (73) war Teil einer Fürstenopposition und zu-

gleich der Versuch des jungen Saliers, seinem Geschlecht das Königtum zu erhalten. Friedrich I. machte einen neuen Anfang im Verhältnis zwischen König und Fürsten: Nach dem Ausgleich mit seinem wichtigsten Rivalen, dem Herzog von Sachsen und Baiern, Heinrich dem Löwen, erteilte er dem Babenberger Heinrich 1156 ein Privileg (84), das diesem weitgehende Sonderrechte in seinem neuen Herzogtum Österreich einräumte. Die Absetzung Heinrichs des Löwen 1180 (85) benutzte Barbarossa zur Aufteilung des großen Herrschaftskom-

Einleitung

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plexes der Welfen: sowohl das sächsische als auch das baierische Herzogtum wurden in zwei kleinere Herzogtümer geteilt. Damit waren die Stammesherzogtümer aus dem beginnenden 10. Jahrhundert sämtlich aufgelöst und in Herrschaftsgebilde kleineren Umfangs aufgeteilt. Die Fürsten wurden durch die Lehensordnung an das Königtum gebunden.

In den Fürstenprivilegien von 1220 und von 1232 (92, 95)

hat Friedrich II. den geistlichen und weltlichen Reichsfürsten nur solche königlichen Rechte zugestanden, die dem Königtum bereits früher verlorengegangen waren. Der Kaiser verzichtete endgültig ‚darauf, die Königsmacht im Reich mit Hilfe der Städte zu festigen und auszubauen; dafür sollten die Fürsten an der Erhaltung eines starken Königtums interessiert werden, indem der König sich gegen die Städte auf ihre Seite stellte. Auch der Mainzer Landfriede von 1235 (98) kann in diesem Zusammenhang verstanden werden. 5. Besonderheiten der Herrschaft im Mittelalter

Die mittelalterlichen Könige und Kaiser versuchten auf verschiedene Weise, ihre Herrschaft zu legitimieren. Dies wird bereits in dem Bemühen Pippins deutlich, den Papst für seine Zwecke einzuspannen (3, 4). Am klarsten kommt das Bestreben der Könige, ihrer Herrschaft eine transzendente Überhöhung zu geben, in den Riten der Herrscherweihe zum Ausdruck (34): Hier wird der König und Kaiser aus der Sphäre der Laien herausgehoben und dem Bischof, also dem höchsten geistlichen Weihegrad, angenähert. Auch durch Herrschaftssymbole wie die Krone oder die Heilige Lanze (32) sollte das Ansehen des Königs erhöht, seine Unantastbarkeit gewährleistet werden. In der Auseinandersetzung mit Gregor VII. hat dann Heinrich IV. versucht, dem Königtum eine neue ideelle Grundlage zu geben, indem er

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Einleitung

Rechte ausübte, die dem Papsttum zugewachsen waren (64). Schon Otto III. ging einen anderen Weg, indem er an die Tradition des Römischen Reichs anknüpfte (42). Und diesen Weg setzte Friedrich I. mit neuen Methoden fort, als er Kenner des römischen Rechts aus Bologna zu seinen Beratern machte (82, 83). Zu den Eigentümlichkeiten mittelalterlicher Herrschaft gehört, daß sie sehr stark an die Person des Herrschers und

seine persönliche Gegenwart gebunden war. Nur gelegentlich erscheint schon in frühsalischer Zeit ein überpersonales Verständnis des Staates (51). Mit welchen Ritualen der Selbstdemütigung ein König seine Herrschaft festigen mußte, zeigt sich in der Krise der Regierung Ludwigs des

Frommen (17) ebenso wie im Konflikt zwischen Konrad II.

und Adalbero von Kärnten (52). Einmalig war dagegen der Versuch Heinrichs III., durch Friedenspredigten (53) den Auftrag des mittelalterlichen Königs, den Frieden zu fördern, zu erfüllen.

6. Expansion des Reichs Die Ausdehnung dessen, was später Deutschland werden sollte, war in der frühkarolingischen Epoche Pippins und seines Sohnes Karls des Großen endgültig festgelegt: Mit der Eingliederung Baierns in das Frankenreich (7) und der Eroberung Sachsens (5, 6) waren zu den Stammesgebieten der Franken und Alemannen jene großen Gebiete getreten, die den Gang der deutschen Geschichte ganz wesentlich mitbestimmen sollten. Für die deutsche Geschichte war außerdem von Bedeutung, daß schon seit dem 9. Jahrhundert Versuche unternommen wurden, ins Gebiet der West-

slawen auszugreifen. Trotz der militärischen Erfolge, die bereits Karl der Große und Ludwig der Deutsche im Gebiet östlich der Elbe und in Böhmen erringen konnten, leisteten aber die Westslawen einer Eingliederung ins Reich heftigen

Einleitung

15

Widerstand. In ottonischer Zeit versuchten die Könige und die sächsischen Markgrafen, die Kirche für ihre Ziele einzusetzen. Die Errichtung der Kirchenprovinz Magdeburg (38) sollte die neu eroberten Gebiete

östlich der Elbe sichern,

und die Gründung des Bistums Bamberg (46) sollte einen neuen Anfang in der Bekehrung der Slawen ermöglichen, nachdem deren Aufstand von 983 (41) die deutsche Expansion zwischen Elbe und Oder erheblich zurückgeworfen hatte — erst im 12. Jahrhundert wurden diese Gebiete endgültig dem Reich angegliedert. Die deutsche Ostsiedlung (104) setzte nach zaghaften Anfängen im 11. Jahrhundert in der Mitte des 12. Jahrhunderts voll ein; sie erhielt im Nordosten einen Rückhalt im Deut-

schen Orden, der seit 1226 mit Billigung des Kaisers (93) und des Papstes bei den Pruzzen nicht nur missionierte, sondern in ihrem Gebiet auch ein eigenes Staatswesen begründete. Die zahlreichen Kämpfe zwischen dem Reich und seinen Nachbarn im Osten, vor allem Böhmen und Polen,

werden hier nicht dokumentiert. Nur die andersartige Konzeption Ottos III., der eine lockere Oberherrschaft des Kaisers über selbständige nationale Königreiche anstrebte, ist erwähnt (43). Neben die teils kriegerische, teils friedliche Expansion des Reiches nach Osten trat das Interesse für Italien, und auch

dies ist zweifellos ein Erbe der Karolingerzeit (22). Schon Otto I. hatte, im 10. Jahrhundert, viele Jahre seiner Regierung

in Italien verbracht

(36), und

sein Enkel

Otto

III.

versuchte, das Römerreich wiederherzustellen (42). In Deutschland stieß diese Bevorzugung Roms — vor allem nach Ottos Scheitern und seinem frühen Tod — auf massive Kritik (44). Während die Italienpolitik der salischen Kaiser in der vorliegenden Quellensammlung nur im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Reform der Kirche und die Bischofsinvestitur auftaucht (48, 51, 54, 66, 68, 74, 75), spielt Italien und das dort wieder zum Leben

erweckte römische Recht für die Entwicklung des Kaiser-

16

Einleitung

gedankens unter Friedrich I. Barbarossa eine entscheidende Rolle (81, 82, 83). Durch die Ehe seines Sohns und Nachfol-

gers Heinrich VI. mit der Erbin Siziliens, Konstanze, setz-

ten sich die Staufer in Unteritalien fest und wurden dadurch zu einer schweren Bedrohung für die Herrschaft der Päpste über Mittelitalien (88, 89). Bei der Absetzung Friedrichs II. in Lyon (101) und in seinem Staatstestament (102) spielen

die italienische Politik und die italienischen Interessen eine entscheidende Rolle. Mit Frankreich war das Reich des Mittelalters durch die gemeinsame Herkunft aus dem karolingischen Frankenreich verbunden. Konflikte und erst recht kriegerische Auseinandersetzungen gab es kaum. Im Bonner Vertrag von 921 (31)

erreichte Heinrich I. seine Anerkennung als »König der östlichen Franken« durch den westfränkischen Karolinger Karl den Einfältigen (893/898-923); dafür mußte Heinrich auf die Angliederung Lotharingiens verzichten. Diese erreichte er wenige Jahre später (925) aber doch, als das Westreich durch die Thronkämpfe zwischen den Karolingern und den Robertinern (den späteren Kapetingern) geschwächt war. Die Zugehörigkeit dieses großen Gebiets westlich des Rheins, das die alten Zentren der karolingischen Herrschaft (z.B. Aachen) umfaßte, trug nachhaltig zur Machtsteigerung des ostfränkisch-deutschen Reichs im 10. und 11. Jahrhundert bei. Es gab in dieser Zeit wohl eine Vorherrschaft des Ostreichs im lateinischen Europa, aber keinen Versuch,

eine direkte Herrschaft über das Westfrankenreich zu erringen. So blieb der Zug Heinrichs V. gegen Frankreich im Jahre 1124 (77) ein einmaliger Vorgang; er besitzt eine große Bedeutung vor allem für die Herausbildung eines französischen Nationalbewußtseins. Der Aufstieg Frankreichs zur Vormacht in Europa zeigt sich am Beginn des 13. Jahrhunderts darin, daß der Thronstreit zwischen dem Welfen Otto IV. und dem Staufer Friedrich II. in der Schlacht von Bouvines 1214 zwischen Frankreich und England (91) entschieden wurde.

Einleitung

17

Die deutschen Könige und Kaiser des Mittelalters unterhielten kaum Beziehungen über die unmittelbaren Nachbarn im Osten, Westen und Süden hinaus. Gelegentlich gab es Verhandlungen und Bündnisse mit den byzantinischen Kaisern; doch die beiden christlichen Reiche waren einander

fremd. Das geht in aller Deutlichkeit aus dem Bericht des oberitalienischen Bischofs Liutprand von Cremona über seine Gesandtschaftsreise nach Byzanz (37) hervor. An den Kreuzzügen nahmen die Deutschen in unterschiedlichem Maße teil; während des ersten Kreuzzugs waren sie mit den inneren Kämpfen des Investiturstreits beschäftigt (71); die großen Pläne Friedrichs I. im dritten Kreuzzug erfüllten sich nicht, da er starb, ehe die eigentlichen Auseinanderset-

zungen begannen (87). Die für die Geschichte des 10. bis 12. Jahrhunderts so entscheidenden Vorgänge der Kirchenreform konnten in diesem Band nur durch wenige Texte dokumentiert werden: Neben kurzen Ausschnitten aus der Vita des Begründers der Gorzer Klosterreform (47) steht der ausführliche Bericht über die Synode von Pavia (1022), mit der Kaiser Heinrich II. einen Versuch machte, zusammen mit dem

Papst die Mißstände in der Kirche zu beseitigen (48); endlich wurde das Papstwahldekret von 1059 (56) als Zeugnis für die gewachsene Bedeutung des Papsttums im Reformzeitalter aufgenommen.

7. Innere Entwicklungen in Deutschland Während die Geschichte des Königtums und seiner politischen Wirksamkeit

ausführlich

dokumentiert

ist, können

die inneren Entwicklungen nur gelegentlich angesprochen werden. Dies ist auch ein Problem der vorhandenen Quellen: die Veränderungen im Bereich der Verfassungsgeschichte lassen sich vielfach an einigen zentralen Quellen belegen und anschaulich machen; die Vorgänge auf dem Ge-

18

Einleitung

biet der Sozial- und Strukturgeschichte erfordern eine Ana- _ lyse, für die viele und z. T. unterschiedlichste Quellen her- _ angezogen werden müßten. Die Städte prägen in ihrem (spät)mittelalterlichen Erscheinungsbild noch heute viele Gegenden Deutschlands und Oberitaliens. Obwohl sie den Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrer politischen Macht erst im 14. bis 16. Jahrhundert erreichten, geht die Entfaltung des Städtewesens in Europa auf Tendenzen des früheren Mittelalters zurück. Bereits in ottonischer Zeit übertrugen die Könige den Bischöfen die Herrschaft über diese Zentren des Handels und der handwerklichen Produktion (45). Daß die am weitesten entwickelten Städte im Rheingebiet bereits in der Zeit Heinrichs IV. auch von politischer Bedeutung waren, zeigen der Freibrief für Worms 1073 (61) ebenso wie der eingehende Bericht über den Aufstand der Kölner Bürger gegen ihren Erzbischof (62). Die Entwicklung des Handels in salischer Zeit kann aus dem Speyerer Judenprivileg (69) abgelesen werden und auch aus dem Marktprivileg für das von seinem zähringischen Stadtherrn gegründete Freiburg (76). Für die vielfältige Förderung der Städte durch die Staufer (auch schon durch Friedrich I.) steht hier nur die Erhebung Lübecks zur Reichsstadt (94) durch Friedrich II.

(1226).

Ministerialen und Rittertum: Das Mittelalter ist im historischen Bewußtsein vor allem auch ein Zeitalter des Rittertums. Dessen Anfänge liegen im Aufstieg der Ministerialen, die im Dienst eines mächtigen Amtsträgers oder des Königs aus der Unfreiheit emporgekommen sind (57). Das Mainzer Hoffest von 1184 (86) bildete im Zeitalter Friedrichs I. Barbarossa einen Höhepunkt ritterlicher Selbstdarstellung; hier

wurde deutlich, daß auch die Fürsten und selbst der Kaiser

mit seiner Familie die ritterlichen Bräuche angenommen hatten.

Einleitung

19

Die Unterschichten kommen in den überlieferten Quellen kaum vor. Aber wenigstens mit einigen Texten sollen auch ihre Probleme deutlich gemacht werden. Das Leben in einer Grundherrschaft der Karolingerzeit wird in den einmaligen Quellen des »Capitulare de Villis« (10) und des Inventars von Staffelsee (11) anschaulich. Die Unterstützung der Armen und Schwachen geht wenigstens indirekt aus der Gesetzgebung Karls des Großen hervor (9, 12). Ein beständiger Begleiter des Lebens der einfachen Menschen des gesamten Mittelalters war der Hunger (19). In einer Zeit karger Erträge und fast völlig fehlender Verkehrsverbindungen brachten bereits geringfügige Schwankungen der Witterung katastrophale Mißernten und — vielfach regional beschränkte — Hungersnöte mit sich. Aus dem Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms (49) können wir einige Hinweise auf die Probleme des Lebens in einer kirchlichen Grundherrschaft des beginnenden 11. Jahrhunderts herauslesen. Die Anfänge eines eigenständigen politischen und religiösen Lebens der Unterschichten liegen im 11. Jahrhundert. Während die Aktivitäten der einfachen Bauern im Sachsenaufstand gegen Heinrich IV. (60) noch in manchen Zügen an die Sachsenkriege Karls des Großen (5) denken lassen, weisen die religiösen Volksbewegungen des ausgehenden 11. Jahrhunderts (70) bereits auf die Ketzerbewegung des 12. und 13. Jahrhunderts und auf die Volksreligiosität des späteren Mittelalters voraus. Die Ketzerbewegung erscheint in den Quellen im wesentlichen aus der Sicht ihrer Gegner; daher muß man hier noch mehr als sonst mit Verzerrungen rechnen. Dies gilt sicher für den Bericht über die Vorstellungen der aufständischen Stedinger Bauern (96), weniger für die höchst ablehnenden Reaktionen aus allen Schichten der Bevölkerung gegen die neuartige Ketzerinquisition

Konrads von Marburg (97), von denen ein erstaunlich kriti-

scher Chronist berichtet.

20

Einleitung

Über die Normen des Rechts im frühen und im hohen Mittelalter wissen wir recht gut Bescheid, wenn auch unklar

bleibt, wie stark diese in der Praxis wirksam waren. Für das

frühmittelalterliche Recht, das den einzelnen aufgrund seiner Stammeszugehörigkeit betraf und kein territoriales Recht war, wurden einige Texte aus den Rechtsbüchern der Baiern (26) und der Friesen (27) ausgewählt.

Die Entwicklungen des 11. Jahrhunderts bezeugen das Wormser Hofrecht Bischof Burchards (49), das Bamberger Ministerialenrecht (57) und endlich die Bemühungen um Frieden bei den Kaisern Heinrich III. und Heinrich IV. (53, 72). Dabei war der Mainzer Landfriede von 1103 (72) ein Vorläufer der recht zahlreichen Friedensgesetze der staufischen Herrscher, von denen hier nur der Mainzer

Land-

friede von 1235 (98) vorgestellt werden kann. Dieser erlangte nämlich im weiteren Verlauf des Spätmittelalters eine gewisse Bedeutung, wenn auch nicht als Norm für die Gerichtspraxis, so doch als Richtschnur für die Verpflichtung des Königs, zur Wahrung von Frieden und Recht im Reich beizutragen. Da auch Friedrich II. für das Reich kein großes Gesetzeswerk geschaffen hatte, blieb es dem Sachsenspiegel (103) vorbehalten, als Rechtsbuch im gesamten deutschen Sprachraum und darüber hinaus eine große Wirkung zu entfalten.

Aus dem großen Gebiet des Kirchenrechts wurden beispielhaft einige Bestimmungen der karolingischen Kapitularien (16), die Beschlüsse des Konzils von Pavia 1022 (48), das Papstwahldekret von 1059 (56) und endlich der Bericht

über die Ketzerinquisition Konrads von Marburg (97) ausgewählt.

Einleitung

21

8. Texte zur Verwaltung des Reiches Da die Regierungstätigkeit der Könige des frühen und hohen Mittelalters vorwiegend nicht durch schriftliche Akte erfolgte und da die deutschen Herrscher erst spät ein Archiv entwickelten, sind nur eine geringe Anzahl von eigentlichen Verwaltungsdokumenten erhalten. Die meisten von ihnen wurden in den vorliegenden Band übernommen. Dabei zeigt sich, daß die Karolingerzeit in bezug auf die Schriftlichkeit einen Standard aufwies, wie er in Deutsch-

land lange nicht mehr erreicht wurde; hier wirkten die spätantiken Traditionen nach. Das »Capitulare de Villis« über die Organisation der königlichen Höfe (10), das beispielhafte Hofinventar für Staffelsee (11) ebenso wie die Kontrolle der Grafen durch königliche Sendboten (9) oder die Verordnung für das Heerwesen (12) bezeugen dies. Wie sehr die karolingischen Herrscher bestrebt waren, die vorhandenen Möglichkeiten auszunützen, um die Verbreitung ihrer Erlasse zu sichern, zeigt ein Zeugnis aus dem Jahr 825

(16.1).

Für das 10. Jahrhundert besitzen wir immerhin die Zollordnung von Raffelstetten (25), die ebenso durch einen Überlieferungszufall erhalten ist wie die Liste der Panzerreiter (39) aus der Zeit Ottos II. Nachdem das Tafelgüterverzeichnis (79) jetzt nicht mehr in die Salierzeit datiert wird, besitzen wir aus dem 11. Jahrhundert kein entsprechendes Dokument mehr. Aber auch die Stauferzeit ist nicht sehr reich an derartigen Texten (ganz anders ist die Situation in dieser Hinsicht in England oder in Frankreich, wo die königlichen Archive bis ins 13. oder sogar ins 12. Jahrhundert zurückreichen). Daher ist das Verzeichnis der jährlichen Abgaben der Städte aus dem staufischen Reichsgut (99) ein ganz einmaliges Schriftstück.

22

Einleitung

Fast alle hier vorgelegten Texte wurden im Original in lateinischer Sprache niedergeschrieben. Einzige Ausnahme ist der Sachsenspiegel (103), dessen mittelniederdeutsche Sprachgestalt aber hier ebenfalls .nicht beibehalten ist. Als Übersetzungen wurden aus urheberrechtlichen Erwägungen vielfach ältere Übertragungen herangezogen, deren Sprachgestalt zwar zuweilen etwas unmodern klingt, die gerade deshalb aber noch etwas von der Fremdheit der Originale erahnen lassen. Die Texte aus dem Mittelalter erschließen sich dem heutigen Leser überhaupt nicht leicht; sie verlangen vielmehr ein aufmerksames, meist sogar mehrmaliges Lesen. Ein schwerwiegendes Problem bei der Übersetzung ist auch, daß die moderne Begrifflichkeit dem Leser eine Eindeutigkeit vorspiegelt, die es im Mittelalter vor allem auch auf dem Gebiet von Recht und Verfassung nicht gab. Die zahlreichen Anspielungen auf die Sprache der Bibel und die vielen stillschweigenden Entnahmen aus älteren Autoren sind auch vom Leser der lateinischen Originaltexte meist nicht mehr zu erkennen, wenn nicht die Text-

ausgaben ausdrücklich darauf hinweisen. Die Einleitungen in die Quellentexte bieten in knapper Form Wesentliches zum Verständnis des jeweiligen Dokuments. Für weitergehende Informationen sei auf das Lexikon des Mittelalters und auf die gängigen Handbücher verwiesen, die wiederum weitere Hinweise auf spezielle Studien enthalten.

1

Kirchenorganisation als Abschluß der Missionierung Mitteldeutschlands Erst im Herbst 741, kurze Zeit vor dem Tode des fränkischen Haus-

meiers Karl Martell (gest. 741), gelang es dem Angelsachsen Winfried-Bonifatius, der seit 719 im Auftrag des Papstes in Hessen, Thüringen und Baiern missionierte, diese Missionsarbeit soweit abzuschließen, daß die Gründung der drei Bistümer Würzburg, Büraburg und Erfurt möglich war. Diese Bischofssitze waren aber, wie sich zeigen sollte, nicht gut ausgewählt; auf Dauer blieb nur der Sitz in Würzburg erhalten. Zwei Jahre zuvor hatte Bonifatius in Baiern Bischöfe in Salzburg, Regensburg und Freising eingesetzt sowie den in Passau bereits installierten Bischof bestätigt; damit war eine Grundlage für die kirchliche Organisation östlich des Rheins geschaffen. Neben diese Festigung der Organisation sollte aber auch eine Reform der bereits bestehenden Kirche im Frankenreich treten. Daher wollte Bonifatius eine Synode veranstalten, um jene Mißstände beheben zu lassen, die sich seit der letzten Synode ausgebreitet hatten. Bonifatius nennt hier vor allem die Übergabe der Bistümer an Laien und die unkanonische Lebensweise von Geistlichen. In einem Brief, den Bonifatius an Papst Zacharias (wahrscheinlich

zwischen Januar und März 742) schrieb, berichtet er eingehend über diese Ereignisse und Probleme. Die Briefe des Bonifatius sind noch in drei Handschriften aus dem 8. und 9. Jahrhundert erhalten, nachdem sie nach seinem Tode wohl in Mainz oder Fulda zusammengestellt wurden. Meinem

teuersten Herrn,

dem

mit dem

Schmucke

höch- -

sten Priestertums bekleideten apostolischen Mann Zacharias Bonifatius, Knecht der Knechte Gottes. Wir gestehen, Herr und Vater, daß wir, nach der von Boten

uns zugebrachten Kunde, daß Euer Vorgänger im Apostolat, Gregor, der Bischof des apostolischen Stuhls, von dem Zwange des Körpers befreit, zum Herrn eingegangen sei, nichts mit größerer Freude und höherer Befriedigung ver-

24

Kirchenorganisation

nommen

haben, als daß der höchste Richter Eurer väterli-

chen Gnade die Leitung der kirchlichen Satzungen und die _ Lenkung des Steuers des apostolischen Stuhls anvertraute;! wir haben dafür Gott mit zum Himmel erhobenen Armen _ gedankt.

[...]

Es obliegt uns auch, Euch, o Vater, anzuzeigen, daß wir mit Gottes Gnade, nachdem die Völker Germaniens einigermaßen aufgerüttelt und auf den rechten Weg gebracht sind, drei Bischöfe geweiht und das Land in drei Sprengel geteilt haben; und wir bitten und

begehren,

daß jene drei Orte

oder Städte, in denen wir sie eingesetzt und geweiht haben, durch Urkunden Eurer Machtfülle bestätigt und gesichert werden. Als einen solchen Bischofsitz haben wir die Burg namens Würzburg bestimmt, als zweiten den Flecken namens Buraburg?, als dritten den Ort namens Erfurt, der schon vor Zeiten eine Stadt landbauender Heiden war. Für diese drei Sitze begehren wir angelegentlich, daß sie durch eigene Urkunden kraft Eures Apostolats anerkannt und bestätigt werden, damit sie mit Gottes Willen durch apostolische Kundmachungen in Vollmacht und Auftrag des heiligen Petrus als drei Bischofsitze in Germanien gegründet und gefestigt gelten, und damit gegenwärtige oder künftige Geschlechter sich nicht herausnehmen, die Sprengel zu zerstören oder das Gebot des apostolischen Stuhls zu verletzen. Euch, o Vater, sei auch kund, daß mich der Frankenfürst

Karlmann

möchte

kommen

ließ und

das Verlangen

stellte, ich

Anstalten treffen, in dem Teil des Frankenreichs,

der seiner Gewalt untersteht, eine Synode zu versammeln. Und er versprach, daß er die schon seit langer Zeit, nämlich seit 60 oder 70 Jahren mit Füßen getretene und aufgelöste a‘

Papst Gregor III. starb am 19. November 741. Sein Nachfolger, der Grieche Zacharias, wurde sofort gewählt und am 3. Dezember 741 geweiht. 2 Die Büraburg in der Nähe von Fritzlar war schon seit dem 7. Jahrhundert eine fränkische Grenzfestung gegen die Sachsen.

Kirchenorganisation

25

kirchliche Ordnung einigermaßen bessern und wiederherstellen wolle. Wenn er dies unter Gottes Eingebung wahrhaftig auszuführen gedenkt, dann muß ich Entschließung und Vorschrift Eurer Machtvollkommenheit, des apostoli-

schen Stuhles, wissen und kennen. Denn die Franken haben

nach der Aussage bejahrter Männer seit mehr als 80 Jahren weder eine Synode abgehalten noch einen Erzbischof gehabt, noch irgendwo kirchliche Rechtssatzungen begründet und erneuert. Augenblicklich sind die Sitze in den Bischofstädten größtenteils habgierigen Laien und eingedrungenen, der Unzucht oder dem Gelderwerb frönenden Klerikern lediglich zu weltlichem Genuß ausgeliefert. Soll ich also diese Angelegenheit in Eurem Namen auf Anregung des genannten Fürsten anfassen und in Fluß bringen, dann wünsche ich Vorschrift und Entscheidung des apostolischen Stuhls nebst den kirchlichen Satzungen zur Hand zu haben. Wenn ich unter ihnen Leute finde, die sich Diakonen nen-

nen, dabei aber von Jugend an in Unzucht, Ehebruch und jeglichem Schmutz lebten, trotz solchem Leumund zum Diakonat gelangten und jetzt als Diakonen 4, 5 und mehr

Beischläferinnen im Bett haben, dabei aber nicht erröten noch sich scheuen, das Evangelium zu lesen und sich Diakonen zu nennen, wenn sie dann, in solchem Unflat zur

Priesterweihe gelangt, in ihr in gleichen Sünden verharren

und Sünden auf Sünden häufen, trotzdem das Priesteramt

ausüben und behaupten, für das Volk Fürbitte einlegen und das heilige Opfer darbringen zu können, wenn sie dann

endlich, was dem Übel die Krone aufsetzt, trotz solcher Be-

zichtigung alle einzelnen Weihegrade durchlaufend, zu Bischöfen geweiht, und so genannt werden, dann muß ich doch Vorschrift und Entscheidung Eurer Machtvollkom-

menheit haben, was Ihr über solche Leute verfügt, damit ich

derartige Sünder, gestützt auf die apostolische Entschließung, entlarven und bestrafen kann. Dann wieder gibt es unter ihnen Bischöfe, die zwar behaupten, keine Hurer und

Ehebrecher zu sein, die aber Trinker, Zänker oder Jäger

26

Kirchenorganisation

sind, gewappnet im Aufgebot zu Felde ziehen und mit eigener Hand Menschenblut, gleichgiltig ob von Heiden oder Christen, vergießen. Weil ich aber Diener und Legat des apostolischen Stuhls bin, so muß mein Spruch hier und der Eure dort gleichlauten, wenn etwa beide Parteien durch Gesandte das Urteil Eurer Machtvollkommenheit anrufen. L..J

Die ungeschlachten und einfältigen Menschen, die Alaman-

nen, Bajuvaren oder Franken wähnen nämlich, wenn sie eine von den Sünden, die wir ihnen nicht durchlassen, in

der Stadt Rom begehen sehen, daß dies von den Priestern erlaubt und gestattet sei, machen uns darob Vorwürfe und leiden Ärgernis für ihre eigene Lebensführung. So behaupten sie denn auch gesehen zu haben, daß Jahr für Jahr beim Eintritt der Kalenden des Januar in der Stadt Rom und in der Nachbarschaft der Kirche des heiligen Petrus Tag und Nacht nach Heidenart die Straßen auf und ab Reigen aufgeführt und Feste unter heidnischen Zurufen und gotteslästerlichen Gesängen begangen werden, wobei die Tische Tag und Nacht unter der Last der Speisen sich biegen, während niemand

in seinem Hause

dem Nächsten

mit Feuer, Ge-

rätschaften oder einer Handreichung zu Diensten stehe. Sie erzählen weiter, sie hätten dort Weiber gesehen, die nach

Heidenbrauch Amulette und Bänder um Arme und Beine geschlungen hatten und sie öffentlich zu Kauf und Verkauf anderen feilboten. Wenn alle diese Dinge dort von ungeschlachten und unbelehrten Menschen gesehen werden, dann trägt uns dies hier Vorwurf und Hemmnis bei Predigt

und Lehre ein. [...] Wenn darum Ihr, o Vater, solche heidnische Gebräuche in der Stadt Rom abstellt, so wird für Euch daraus Verdienst

und für uns reichlichster Ertrag in der kirchlichen Lehre erwachsen. Auch

Bischöfe

und

Priester aus fränkischem

Stamm,

die

Ehebrecher und schlimmste Hurer waren und durch die in ihrem Bischofs- oder Priestergrad geborenen Hurenkinder

Concilium Germanicum

27

offen überführt sind, kehrten vom apostolischen Stuhl heim und behaupteten, der römische Papst habe ihnen die Erlaubnis gegeben, das Bischofsamt in der Kirche zu versehen. Wir aber treten gegen sie auf, weil wir noch nie gehört haben, daß der apostolische Stuhl gegen die kirchlichen Satzungen entschieden hat. D: Die Briefe des heiligen Bonifatius. Übers. und erl. von Michael Tangl. Leipzig 1912. (GdV 92.) S. 67-74. O: Die Briefe des heiligen Bonifatius und Lullus. Hrsg. von Michael Tangl. Berlin 1955. (MGH Epp. sel. 1.) S. 80-85.

2

Beginn der Kirchenreform mit dem Concilium Germanicum Nach dem Tod Karl Martells (Oktober 741) war das Frankenreich unter dessen Söhne Pippin und Karlmann aufgeteilt worden. Während Pippin mit Neustrien, Burgund und der Provence im wesentlichen die westlichen und südlichen Reichsteile erhielt, bekam

Karl-

mann den größeren Teil von Austrien sowie Alemannien, Thüringen

und Hessen, d. h. jenes Gebiet östlich des Rheins, in dem Bonifatius

seit 719 missionierte. Im Machtbereich Karlmanns trat an einem unbekannten Ort wohl im April 742 (oder 743?)' eine Synode zusammen, das sogenannte Concilium Germanicum, auf der neben Boni-

fatius und den drei von ihm eingesetzten Bischöfen von Würzburg, Büraburg und Erfurt auch die Bischöfe von Köln, Straßburg und Utrecht zugegen waren. Hier wurde der Aufbau einer Kirchenverfassung, die Zuständigkeit des Diözesanbischofs für die Administration und Jurisdiktion in seiner Diözese, die Reinigung der Kirche 1 Aus inneren Gründen der Chronologie der Ereignisse nach dem Tod Karl Martells nimmt eine Reihe von Forschern an, daß das Concilium Germanicum 743 stattgefunden hat, obwohl das Datum 742 ausdrücklich überliefert ist.

28

Concilium

Germanicum

von unkanonisch lebenden Klerikern, der Kampf gegen das Heidentum im Zusammenwirken von Bischöfen und Grafen und endlich die Benediktregel als verbindliche Richtschnur für das monastische Leben vorgeschrieben. Außerdem forderte das Konzil, daß das von Laien in der Zeit Karl Martells usurpierte Kirchengut wieder zurückgegeben werden müsse. Die Beschlüsse des Konzils vom Jahre 742 sind als Kapitular des Hausmeiers Karlmann überliefert, das noch in einer Handschrift des

8. Jahrhunderts erhalten ist. Auch in die Sammlung der Briefe des Bonifatius’ wurde dieser Text aufgenommen.

Im Namen unsers Herrn Jesus Christus. Ich Karlmann, Herzog und Fürst der Franken, habe im Jahre 742 von der Geburt Christi am 11. Tag vor den Kalenden des Mai, unter dem Beirat der Knechte Gottes und meiner Großen die Bischöfe meines Reichs mit ihren Priestern in der Furcht Christi zu einem Konzil und einer Synode versammelt, und zwar den Erzbischof Bonifatius und Burghard, Regenfrid,

Winta, Willibald, Dadanus

und Edda mit ihren Priestern,

um mit mir zu beratschlagen, wie das Gesetz Gottes und die kirchliche Ordnung, die unter den früheren Fürsten der Auflösung und dem Zusammenbruch verfielen, wieder herzustellen sei und wie das christliche Volk zum Seelenheil gelangen

könne

und

nicht, von falschen Priestern verführt,

zugrunde gehe. Nach dem Rat der Priester und meiner Großen setzten wir in den einzelnen Städten Bischöfe ein und bestellten über

sie als Erzbischof den Bonifatius, den Gesandten des heili-

gen Petrus. Wir wollen, daß Jahr für Jahr eine Synode zusammentrete, um in unserm Beisein die Satzungen und Rechte der Kirche aufzufrischen und die kirchliche Ordnung zu verbessern. Entzogenes Kirchengut geben und stellten wir den Kirchen zurück. Falschen Priestern, ehebrecherischen und unzüchti-

gen Diakonen entzogen wir ihre kirchlichen Pfründen, setzten sie ab und verhielten sie zur Buße. Den Dienern Gottes untersagten wir es durchaus, Waffen

Concilium Germanicum

29

zu tragen, zu kämpfen, zum Aufgebot und gegen den Feind zu ziehen, mit Ausnahme jener, die wegen des göttlichen Dienstes, das ist wegen der Feier des Meßopfers und der Mitführung der Reliquien der Heiligen, hierzu auserkoren

sind, so zwar, daß der Fürst ein oder zwei Bischöfe und die

Pfalzpriester in seinem

Gefolge

haben

möge

und jeder

Heerführer einen Priester, der denen, die ihre Sünden be-

kennen, ihr Urteil sprechen und die Buße auferlegen soll. Allen Dienern Gottes untersagten wir auch das Jagen und das Herumstreifen in den Wäldern mit Hunden, ebenso das

Halten von Habichten und Falken. Wir verordneten auch gemäß den heiligen Satzungen, daß

jeder Priester innerhalb der Diözese dem Bischof, in dessen

Sprengel er sich aufhält, untertan sein und in der Fastenzeit

über seine Amtsführung, über die Taufen, die Lehre des katholischen Glaubens, die Gebets- und Meßordnung, dem

Bischof immer Rechenschaft legen und vorweisen soll. Und so oft der Bischof nach kirchlichem Recht seine Diö-

zese bereist, um dem Volk die Firmung zu spenden, soll der

Priester mit Beihilfe und Unterstützung des Volkes, das gefirmt werden

soll, stets bereit sein, den Bischof aufzu-

nehmen. Und am Gründonnerstag soll er immer bei seinem Bischof das neue Salböl holen, um vor dem Bischof von seiner keu-

schen Lebensführung, seinem Glauben und seiner Lehre Zeugnis abzulegen. Wir beschlossen, daß fremde Bischöfe und Priester, von wo

immer her sie zuwandern mögen, vor der Billigung durch die Synode zum Kirchendienst nicht zuzulassen sind. Wir verfügten ferner, daß nach den Satzungen jeder Bischof

in seiner Diözese unter Beihilfe des Grafen, welcher der

Schützer der Kirche ist, Sorge tragen soll, daß das Volk Got-

tes nichts Heidnisches treibe, sondern allen Unflat des Heidentums abstreife und verabscheue, als seien es Totenopfer, Losdeuterei, Zauberei, Amulette, Wahrsagerei, Beschwö-

rungen oder Schlachtopfer, die einfältige Menschen

nach

30

Concilium Germanicum

heidnischem Brauch bei Kirchen unter dem Namen von heiligen Märtyrern und Bekennern vornahmen, wodurch sie den Zorn Gottes und der Heiligen herausfordern, oder jene gotteslästerlichen Feuer, die sie Niedfyor nennen, und er soll ihnen überhaupt jeglichen heidnischen Gebrauch, von welcher Art er sei, sorgsam verbieten. Wir beschlossen ferner, daß wer von den Dienern oder Die-

nerinnen Gottes nach dieser Synode, die am 11. Tag vor den | Kalenden des Mai abgehalten wurde, in das Verbrechen der

Unzucht fallen würde, dies mit Kerkerhaft bei Wasser und Brot büßen soll; und wenn er ein geweihter Priester ist, |

dann soll er zwei Jahre im Kerker sitzen und vorher bis aufs Blut gegeißelt werden; und später soll der Bischof dies noch verschärfen. Und wenn ein Kleriker oder Mönch in diese Sünde fällt, dann soll er dreimal gegeißelt werden und ein volles Jahr im Kerker büßen. Gleicher Strafe sollen auch eingekleidete Nonnen verfallen und kahl geschoren werden. Wir verordneten auch, daß die Priester und Diakonen

nicht kurze Kleider nach Art der Laien, sondern lange Gewänder nach Brauch der Diener Gottes tragen sollen. Auch soll keiner ein Weib in seinem Hause dulden. Und die Mönche und Klosterfrauen sollen nach der Regel des heiligen Benedikt geleitet werden und leben und darnach ihr eigenes Leben einzurichten trachten. DD: Die Briefe des heiligen Bonifatius. Übers. und erl. von Michael "Tangl. Leipzig 1912. (GdV 92.) S. 87-91. Or Concilia aevi Karolini. Hrsg. von Albert Werminghoff. Hannover/Leipzig 1906. (MGH Conc. 2,1.) S. 2-4.

3

Die Erhebung Pippins zum fränkischen König Nachdem im Jahre 747 Karlmann ster eingetreten war, beherrschte dazu gehörte auch Baiern, dessen war. Das alleinige Hausmeiertum

in der Nähe von Rom in ein KloPippin das gesamte Frankenreich; Fürst Tassilo III. Pippins Mündel Pippins stieß im Frankenreich auf

Widerstand, und als er den Entschluß faßte, sich zum König erheben zu lassen, suchte er dies abzusichern. Er veranlaßte daher erstens

den Papst zu einer für ihn positiven Aussage, ließ sich zweitens (wohl nach angelsächsischem Vorbild) zum König salben und sorgte drittens dafür, daß die letzten Merowinger in Klosterhaft verschwanden. In den sogenannten Fränkischen Reichsannalen (entstanden am Hof Karls des Großen nach 788) wurden die Ereignisse, die zum Aufstieg der Karolinger im Frankenreich geführt hatten, zuerst aus der Rückschau, dann jedoch zeitgenössisch dargestellt (das Geschichtswerk reicht bis 829). Es handelt sich dabei um offizielle Geschichtsschreibung mit dem Vorzug guter Information aus erster Hand, aber auch dem Nachteil der Beschönigung zugunsten des karolingischen Hauses. Die öffentliche Meinung der Mit- und Nachwelt sollte durch dieses Werk beeinflußt werden.

749 Bischof Burkhard von Würzburg und der Kaplan Folrad wurden zu Papst Zacharias gesandt, um wegen der Könige in Franzien zu fragen, die damals keine Macht als Könige hatten, ob das gut sei oder nicht. Und Papst Zacharias gab Pippin den Bescheid, es sei besser, den als König zu

bezeichnen, der die Macht habe, als den, der ohne königli-

che Macht blieb. Um die Ordnung nicht zu stören, ließ er kraft seiner apostolischen Autorität den Pippin zum König machen. 750 Pippin wurde nach der Sitte der Franken zum König gewählt und gesalbt von der Hand des Erzbischofs Bonifa-

32

Besuch Papst Stephans IT. im Frankenreich

tius' und von den Franken in Soissons zum König erhoben. _ Hilderich aber, der Scheinkönig, wurde geschoren und ins Kloster geschickt. D:

Rau I. S. 15.

O: Annales regni Francorum. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hannover/Leipzig 1895. (MGH SS rer. Germ. 6.) S. 8, 10.

4 Besuch Papst Stephans II. im Frankenreich Im Jahre 754 kam es zum ersten Besuch eines Papstes im Gebiet nördlich der Alpen. Stephan II. hatte diese Reise angetreten, um die Hilfe des Frankenkönigs gegen die Langobarden zu erbitten. Pippin empfing den Papst mit einer Mischung von Selbstbewußtsein und Ehrerbietung. Er ließ den Papst in seine Pfalz Ponthion (20 km südöstlich von Chälons-sur-Marne) kommen; dort schritt er ihm eine Meile weit entgegen und führte eine Zeitlang das Pferd des Papstes am Zügel (>»MarschalldienstClausula de unctione Pippini regis’: mises au point et nouvelles hypotheses. In: Francia 8 (1980) S. 2 f.

5

Sachsenkriege Karls des Großen Für die deutsche Geschichte von größter Bedeutung wurde es, daß

Karl der Große, der nach dem Tode seines Bruders Karlmann seit

771 allein das Frankenreich beherrschte, in über dreißigjährigen Kämpfen die Sachsen in sein Reich eingliederte und zur Annahme des Christentums zwang. Nachdem bereits 770 eine militärische Aktion gegen die Sachsen durchgeführt worden war, rückte Karl 772 mit einem bedeutenden Heer ins Gebiet der Engern ein (südlich von Paderborn). Dabei wurden Zentren des heidnischen Kults zerstört und durch fränkische Besatzungen gesichert, um das Wiederaufleben des Heidentums an dieser Stelle zu verhindern. Während Karls Italienzug (773/774) brach ein Aufstand aus, der aber niedergeschlagen wurde. Bereits 777 schien die Eingliederung Sachsens abgeschlossen; in den folgenden Jahren kam es jedoch immer wieder zu Erhebungen, die vor allem von den sächsischen Freien getragen wurden, während der Adel schon früher auf die Seite der Franken getreten war. Der Sachsenführer Widukind ließ sich Weihnachten 785 taufen. Während der Awarenkriege in den neunziger Jahren erhoben sich Teile der Sachsen erneut. Nach weiteren Feldzügen in den Jahren 797, 802 und zuletzt 804 wurden die aufständischen Bauern an der

unteren Elbe und in Holstein zu Tausenden planmäßig deportiert und im ganzen Reich verstreut neu angesiedelt; in den Siedlungsgebieten der deportierten Sachsen wurden Franken und elbslawische Abodriten angesiedelt. Die fränkischen Reichsannalen berichten ausführlich über diese Kämpfe. Zum Jahr 782 wird auch das sogenannte Blutbad bei Verden an der Aller erwähnt, als Karl eine große Zahl von aufständischen Sachsen (die Quelle sagt: 4500) hinrichten ließ.

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Sachsenkriege Karls des Großen

772 Damals hielt der milde König Karl eine Versammlung in Worms und begab sich von hier erstmals nach Sachsen, eroberte die Eresburg, gelangte bis zur Ermensul', zerstörte dieses Heiligtum und brachte das Gold und Silber, das er dort fand, mit. Und es gab eine große Trockenheit, so daß es dort, wo die Ermensul stand, an Wasser fehlte. Während der vorgenannte ruhmreiche König dort zwei oder drei Tage bleiben wollte, um dieses Heiligtum gänzlich zu zerstören, und sie kein Wasser hatten, da stürzten plötzlich durch Gottes Gnade um Mittag, als das ganze Heer an einem Bachlauf ruhte, ohne daß irgend jemand etwas wußte, Wasser in solcher Fülle daher, daß das ganze Heer genug hatte. Dann kam der genannte große König an die Weser; hier hatte er eine Verhandlung mit den Sachsen, erhielt 12 Geiseln und kehrte nach Francien zurück.

[...]

775 Damals hielt der fromme und treffliche König Karl eine Versammlung auf dem Hofgut Düren. Von hier zog er durch Sachsen und eroberte die Syburg, ließ die Eresburg wiederaufbauen und kam bis Braunsberg an der Weser. Dort rüsteten sich die Sachsen zum

Krieg, indem sie das

Ufer des genannten Flusses verteidigen wollten. Mit Gottes Hilfe und durch den Sieg der Franken wurden die Sachsen in die Flucht geschlagen, die Franken besetzten beide Ufer und viele Sachsen wurden dort erschlagen.

[...]

Und als der genannte König von da zurückkehrte, traf er einen andern Teil seines Heeres, der befehlsgemäß an der Weser das Ufer besetzt hielt. Die Sachsen begannen mit diesen bei Lübbecke den Kampf, die Franken behielten mit Gottes Hilfe den Sieg und erschlugen mehrere Sachsen. Als das König Karl hörte, fiel er wieder mit seinem Heer über die Sachsen her, brachte ihnen nicht weniger Verluste bei und gewann reiche Beute von den Westfalen, und sie stellten Geiseln wie die andern Sachsen. Dann, nachdem er die

Geiseln erhalten, reiche Beute an sich genommen und drei1 Die Ermensul oder Irminsul war eine als heilig verehrte Holzsäule.

]

Sachsenkriege Karls des Großen

39

mal ein Blutbad unter den Sachsen angerichtet hatte, kehrte der genannte König Karl mit Gottes Hilfe heim nach Francien. [.-.] 776

{([...] Und

als König Karl nach Worms

kam und alle

diese Dinge hörte, hielt er in dieser Stadt eine Versammlung, und nachdem er hier den allgemeinen Reichstag abgehalten hatte und der Beschluß gefaßt war, drang er mit Gottes Hilfe rasch und mit großer Eile unerwartet in die Befestigungen der Sachsen ein. Und die Sachsen kamen erschreckt alle von allen Seiten am Lippeursprung zusammen und übergaben unter Stellung von Bürgen alle ihr Land ihnen zu Händen und versprachen, Christen zu werden, und

stellten sich unter die Herrschaft des Königs Karl und der Franken. Und da baute König Karl mit den Franken die Eresburg wieder auf und noch eine Burg an der Lippe, und dorthin kamen die Sachsen mit Frau und Kind in endloser Zahl und ließen sich taufen und stellten Geiseln, soviel der

genannte König von ihnen begehrte. Und nachdem die Burgen fertiggestellt und unter die Franken verteilt waren, die scharenweise dablieben und sie bewachten, kehrte König Karl nach Franken zurück.

[...]

777 Damals hielt König Karl einen allgemeinen Reichstag ab in Paderborn zum ersten Male. Dort kamen alle Franken und aus allen Teilen Sachsens die Sachsen zusammen; nur Widochind blieb im Aufstand mit ein paar andern: er suchte seine Zuflucht mit seinen Genossen bei den Nordmannen. 782 Damals zog König Karl bei Köln über den Rhein und hielt eine Versammlung ab am Lippeursprung, dorthin kamen alle Sachsen außer dem aufständischen Widochind.

b

Und als er wieder umgekehrt war, erhoben sich sofort die Sachsen wieder in der gewohnten Weise auf Betreiben des Widochind. Ohne daß dies der König Karl wußte, schickte er seine Boten Adalgis, Gailo und Worad,

sie sollten das

Heer der Franken und Sachsen gegen ein paar Slaven in Be-

40

Sachsenkriege Karls des Großen

wegung setzen, die sich erhoben hatten. Und als die obge- _ nannten Boten unterwegs von der Erhebung der Sachsen

hörten, warfen sie sich, als sie die obengenannte Schar ein- _

holten, auf die Sachsen und handelten von da an ohne Auf- _ trag des Königs Karl. Und sie begannen einen Krieg mit | den Sachsen, und in tapferem Kampfe, wobei viele Sachsen fielen, blieben die Franken Sieger. Und dort fielen auch zwei von diesen Boten, Adalgis und Gailo, im Süntelgebirge. Als das König Karl hörte, zog er mit den Franken, die er in Eile zusammenraffen konnte, dorthin und gelangte an die Mündung der Aller in die Weser. Dort sammelten sich wieder alle Sachsen und unterwarfen sich der Gewalt des obengenannten Königs und lieferten alle die Übeltäter aus, die diesen Aufstand vor allem durchgeführt hatten, zur Bestrafung mit dem Tode, 4500, und dies ist auch so geschehen, _ ausgenommen den Widochind, der ins Gebiet der Nordmannen entfloh. Nachdem dies alles zu Ende war, kehrte der genannte König nach Francien zurück. 1[...]

785 Da gelangte der genannte König Karl auf seinem Zuge nach Rehme an die Weser bei der Mündung der Werne. Und wegen der großen Überschwemmungen kehrte er von da auf die Eresburg zurück und ließ seine Frau, die Königin Fastrada, mit seinen Söhnen und Töchtern zu sich kommen. Dort blieb er den ganzen Winter, und dort feierte der genannte hervorragende König Ostern. Und während er hier weilte, schickte er vielfach Scharen ab und machte

auch selbst einen Zug: er ließ die aufständischen Sachsen ausplündern, eroberte ihre Burgen, drang in ihre Befestigungen ein und säuberte die Straßen, bis der passende Zeitpunkt da war. Die Reichsversammlung hielt er in Paderborn, und von hier durchzog er ganz Sachsen, wohin er wollte, auf offenen Wegen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Dabei kam er in den Bardengau und dort schickte er nach Widochind und Abbio und ließ beide vor sich bringen und versicherte, sie würden sich nicht retten, wenn sie nicht zu

Sachsenkriege Karls des Großen

41

ihm nach Francien kämen; dagegen baten jene um Bürg-

schaften dafür, daß sie unverletzt bleiben, was auch erfolgte.

Dann kehrte König Karl nach Francien zurück und überschickte dem genannten Widochind und Abbio Geiseln durch seinen Boten Amalwin. Nach Empfang der Geiseln nahmen die Boten sie mit, und sie kamen nach Attigny zu König Karl. Und dort wurden Widochind und Abbi mit ihren Genossen getauft, und da war nun ganz Sachsen unterworfen. [...] 798 1[...] Aber gerade in der Osterzeit machten die Nord-

leute jenseits der Elbe einen Aufstand und nahmen die Gesandten des Königs fest, die sich damals bei ihnen aufhielten, um sich Genugtuung geben zu lassen, und während sie einige von ihnen sofort erschlugen, behielten sie die andern für den Loskauf zurück. Von diesen retteten sich einige durch die Flucht, die übrigen wurden losgekauft. Der Kö-

nig sammelte sein Heer und zog von Herstelle nach Minden, und nachdem eine Beratung stattgefunden hatte, ergriff er die Waffen gegen die Empörer und durchzog verheerend das ganze Sachsenland zwischen Weser und Elbe. Die Nordleute, die sich in einen Kampf gegen den Abodritenfürsten Thrasuco und unsern Königsboten Eburisus einließen, wurden geschlagen. Es fielen von ihnen auf dem Schlachtfeld viertausend, die übrigen, die flohen und sich retteten, obwohl auch von ihnen viele ums Leben kamen,

knüpften Friedensverhandlungen an. Und nachdem der König Geiseln erhalten hatte, auch die, welche die vornehmen Sachsen

als die treulosesten bezeichneten,

Francien zurück, D:

kehrte er nach

Rau:1. S.: 27, 31,33, 35; 37, 43, 45, 49, 69.

O: Annales regni Francorum. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hanno-

ver/Leipzig 1895. (MGH SS rer. Germ. 6.) S. 32, 34, 40, 42, 46, 48, 58, 60, 62, 68, 70, 102, 104.

6

Christianisierung der Sachsen Die Christianisierung der Sachsen wurde anfangs (781/785) durch ein äußerst strenges Gesetz, das »Capitulare de partibus Saxoniae«, gesichert, das drakonische Strafen androhte. Nicht nur die Ermordung eines Geistlichen ($ 5) oder die Zerstörung einer Kirche sollte

mit dem Tode bestraft werden ($ 3), sondern auch der Versuch, sich

der Taufe zu entziehen ($ 8), die Nichtbeachtung der Fastenzeit ($ 4), die Ausübung heidnischer Praktiken oder der Angriff auf Repräsentanten des fränkischen Königs. Die heftigen Aufstände der Sachsen, die erst in langjährigen Kämpfen niedergeworfen werden konnten, wurden vielleicht auch veranlaßt durch die Brutalität, mit

der den Sachsen eine neue Gesellschaftsordnung aufgezwungen werden sollte. Erst als 797 das strenge Kapitular durch ein milderes Gesetz abgelöst wurde, in dem die meisten Vergehen durch Geldbußen abgegolten werden konnten, wie das in den fränkischen Rechtsbüchern der Zeit üblich war, konnte Sachsen befriedet werden.

Im »Capitulare de partibus Saxoniae« wurden aber nicht nur die der christlichen Religion dienenden Personen und Gebäude besonders geschützt, sondern es wurde versucht, eine neue Rechts- und Sozial-

ordnung durchzusetzen. Neuartige Rechtsbestimmungen betrafen

das Asylrecht ($ 2) und

Eheverbote

bei zu naher Verwandtschaft

($ 20), neu eingeführt wurde der Zehnte ($$ 16, 17), und neu war anscheinend auch die Unterwerfung der Freien unter den Zwang von Grafen und Herren. Die herkömmlichen Volksversammlungen der

Sachsen wurden verboten ($ 34). Das so bedeutsame Kapitular ist

nur noch in einer einzigen Handschrift erhalten.

1. Alle stimmten zu, daß den Kirchen, die in Sachsen gebaut

werden und Gott geweiht sind, nicht nur keine geringere, sondern größere und vorzüglichere Ehre erwiesen werde als den Heiligtümern der Götzen. 2. Sucht einer Zuflucht in der Kirche, so nehme sich keiner heraus, ihn mit Gewalt daraus zu vertreiben, sondern jener habe Frieden, bis er vor Gericht gestellt wird; zum Preise

Gottes und der Heiligen und aus Ehrfurcht vor seiner Kir-

|

Christianisierung der Sachsen

che werde ihm die Unverletzlichkeit seines Lebens ner Glieder zugesichert. Dem Urteil gemäß soll er weit er kann, die Sache wieder gutmachen, und so vor den Herrn König geführt, und jener mag ihn wohin es seiner Milde gefällt. 3. Wenn einer mit Gewalt in eine Kirche eindringt

43

und seiaber, sowerde er schicken, und dort

raubt oder stiehlt oder die Kirche in Brand steckt, soll er

des Todes sterben. 4. Wenn einer die heiligen vierzigtägigen Fasten aus Mißachtung des Christentums nicht hält und Fleisch ißt, soll er des Todes

sterben; doch

soll der Priester entscheiden,

ob nicht für jenen vielleicht eine Notlage bestand, die ihn zwang, das Fleisch zu essen.

5. Tötet einer einen Bischof, Priester oder Diakon, soll er

gleichfalls an Haupt und Leben gestraft werden.

6. Glaubt einer vom Teufel verführt nach Art der Heiden,

ein Mann oder eine Frau seien Zauberer oder Hexe und äßen Menschen, und er verbrennt sie deswegen und gibt ihr Fleisch jemandem zu essen oder ißt es selber, so soll er an Haupt und Leben bestraft werden. 7. Verbrennt jemand den Körper eines Toten nach heidnischem Brauch und läßt dessen Gebeine zu Asche werden, so

soll er an Haupt und Leben gestraft werden. 8. Wer sich fortan vom Stamme der Sachsen ungetauft unter seinen Stammesgenossen verbirgt, zur Taufe zu kommen verachtet und freiwillig Heide bleibt, der soll des Todes sterben. 9. Opfert einer dem Teufel einen Menschen und bringt ihn den Dämonen zum Opfer nach Art der Heiden dar, so soll er des Todes sterben. 10. Läßt sich einer im Bunde mit Heiden auf Beschlüsse gegen Christen ein, oder verharrt er mit ihnen zusammen in Feindschaft gegen die Christen, so soll er des Todes sterben. Und wer zu irgendeinem hinterlistigen Anschlag auf den König oder das Volk der Christen seine Zustimmung gibt, der soll des Todes sterben.

44

Christianisierung der Sachsen

11. Wer sich gegen den Herrn König untreu erweist, soll an Haupt und Leben gestraft werden. ; 12. Wer die Tochter seines Herrn raubt, soll des Todes ster-

ben.

13. Tötet einer seinen Herrn oder seine Herrin, so treffe ihn

die gleiche Strafe. 14. Begeht einer heimlich eines dieser Verbrechen, auf denen

Todesstrafe steht, und nimmt

er freiwillig seine Zuflucht

zum Priester, legt diesem ein Bekenntnis ab und verspricht Buße zu tun, so werde ihm nach dem Zeugnis des Priesters die Todesstrafe erlassen. [...] 16. Auch dies wurde mit der Gnade Christi beschlossen,

daß von jeder Fiskalabgabe, sei es Friedens- oder Banngeld oder sonst eine an den König gehende Abgabe, der zehnte Teil den Kirchen und Priestern gegeben werde. 17. In gleicher Weise setzen wir dem Gebot Gottes folgend

fest, daß alle, Edle, Freie wie Liten', den zehnten Teil ihres

Besitzes und ihres Erwerbs den Kirchen und den Priestern geben, so wie Gott jedem Christen gab, sollen sie Gott ihren Teil geben. 18. An Sonntagen darf keine Versammlung noch ein öffentliches Gericht stattfinden, außer in großer Not oder Feindesgefahr, sondern alle sollen zur Kirche kommen, um Gottes Wort zu hören, zu beten und gute Werke zu tun. In gleicher Weise sollen sie auch an den hochheiligen Festtagen Gott und der Kirche dienen und weltliche Versammlungen unterlassen. 19. Ebenso beschloß man auch unter diese Verordnungen einzureihen, daß alle Kinder innerhalb eines Jahres getauft werden müßten, und wir bestimmen, daß, wenn einer dies ohne Rat und Erlaubnis des Priesters unterläßt, er als Edler 120, als Freier 60 und als Lite 30 Schilling an den Fiskus zu

zahlen hat.

1 Halbfreie, die meist von freigelassenen ehemaligen Sklaven abstamm-

ten.

|

|

X

TEN

Christianisierung der Sachsen

45

20. Geht einer eine verbotene oder unerlaubte Ehe ein, so

soll er als Edler 60, als Freier 30 und als Lite 15 Schillinge zahlen. 21. Legt einer an Quellen, Bäumen oder in Hainen Gelübde ab, bringt irgend etwas nach heidnischer Art dar und hält ein Mahl ab zu Ehren der Dämonen, so soll er als Edler 60,

als Freier 30 und als Lite 15 Schilling zahlen. Haben sie

wirklich nichts, womit sie sofort zahlen können, so werden

sie der Kirche zum Dienst überwiesen (als Hörige), bis sie die Schillinge abgezahlt haben. 22. Die Leichen der christlichen Sachsen sollen auf die Friedhöfe der Kirchen, nicht an die Heidenhügel gebracht

werden.

[...]

34. Wir untersagen allen Sachsen öffentliche Versammlun-

gen abzuhalten, außer wenn unsere Boten sie auf unseren

Befehl hin einberufen. Jeder Graf aber soll in seinem Amtssprengel Gerichtstage abhalten, und die Priester sollen darauf achten, daß er nicht anders handele.

D: Johannes Bühler: Das Frankenreich. Nach zeitgenössischen Quellen. Leipzig: Insel-Verlag, 1923. S. 393-396, © Insel Verlag Leipzig und Frankfurt a. M. O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius. Hannover 1883. (MGH

Capit. 1.) S. 68-70.

Abbildungen S. 46 und 47:

In der Kirche St. Benedikt von Mals im Vintschgau (Südtirol)

wurden im 9. Jahrhundert die Figuren eines Adelsherrn und eines Klerikers angebracht. Der Adelige hält als Zeichen seines »Berufs« ein Schwert in der Hand; der Kleriker — kenntlich an der Tonsur — trägt das Modell der gestifteten Kirche.

7

Eingliederung Baierns ins Frankenreich Nachdem Karl der Große das Reich der Langobarden erobert hatte (774), verstand er es auch, den bairischen Adel auf seine Seite zu ziehen. 787 kam es zum Konflikt zwischen Karl und dem Baiernfürsten

Tassilo III., der so isoliert war, daß er sein Reich als Lehen aus der

Hand des Frankenkönigs nehmen mußte. Ein Jahr später wurde er als Hochverräter — angeblich soll er mit den Awaren konspiriert haben — abgesetzt und in einem Kloster verwahrt. Zur Sicherung Baierns verbrachte Karl zwei aufeinanderfolgende Winter in Regensburg (791-793), ehe er seinen Schwager Gerold als Präfekten einsetzte. Auf dem Reichskonzil in Frankfurt im Jahr 794 trat Tassilo III. noch einmal in der Öffentlichkeit auf, um in aller Form auch

für seine Nachkommen auf jedes Anrecht am Herzogtum Baiern und an seinem Eigengut Verzicht zu leisten. Die Sonderstellung

Baierns im Frankenreich wurde auch dadurch bestätigt, daß eine bai-

rische Kirchenprovinz geschaffen wurde, als deren erster Metropolit im Jahre 796 Bischof Arn von Salzburg das Pallium erhielt. Zweifellos stellen die Reichsannalen (7.1) die Vorgänge um Tassilo in einseitiger Weise aus der Sicht der siegreichen Franken dar. Mangels bairischer Quellen kennen wir aber die tatsächlichen Absichten Tassilos III. in diesen kritischen Jahren nicht. Im Kapitular von Frankfurt (7.2) sind die Beschlüsse des Frankfurter Konzils in der Form eines königlichen Gesetzes zusammengestellt.

7.1. Fränkische Reichsannalen [787]

Dorthin! kamen Boten des Herzogs Tassilo, Bischof

Arn und Abt Hunrich, und sie baten den Papst”, den Frie-

den zwischen König Karl und Herzog Tassilo herbeizuführen. Darum setzte sich der Papst sehr ein mit Forderungen 1 Nach Rom, wo sich Karl der Große Ostern 787 aufhielt.

2 Hadrian I. (772-795).

H

Eingliederung Baierns ins Frankenreich

49

gegenüber dem genannten König. Und der König selbst gab dem Papst zur Antwort, das habe er gewollt und lange Zeit hindurch zu erreichen gesucht, und er konnte es keineswegs erreichen. Und er schlug vor, das sofort zu machen. Und es wollte der genannte König in Gegenwart des Papstes mit diesen Boten den Frieden abmachen, aber die genannten Boten lehnten ab, weil sie von sich aus nicht wagten, eine

Zusicherung zu geben. Der Papst aber verhängte, sofort nachdem er ihre Unzuverlässigkeit und Unwahrhaftigkeit erkannt hatte, den Bannfluch über ihren Herzog und seine Genossen, wenn er dem König Pippin? und dem König Karl seine Eide nicht halte. Und er beschwor die genannten Boten, dem Tassilo zu bestätigen, daß er nicht anders handeln würde, wenn dieser nicht in allem dem König Karl und seinen Söhnen und dem Frankenvolk gehorsam wäre, damit

nicht etwa ein Blutvergießen oder eine Gebietsverletzung erfolge. Und wenn der Herzog in seiner Verstocktheit den Worten des genannten Papstes nicht gehorchen wolle, dann seien König Karl und sein Heer von jeder Gefahr der Sünde frei, und was in seinem Lande geschehe an Brand, Mord oder sonstiger Übeltat, das solle über Tassilo und seine Genossen kommen, und König Karl und die Franken blieben

von jeder Schuld hieraus unberührt. Nach dieser Rede wurden die Boten Tassilos entlassen. Nachdem sich dann der Papst und der ruhmreiche König Karl voneinander verabschiedet hatten, kehrte der genannte erhabene König nach Empfang des Segens und nach Vollendung seines Gebets nach Francien zurück, Und es kam dieser milde König zu seiner Gemahlin der Königin Fastrada nach Worms, wo sie sich miteinander freuten und ergötzten und Gottes Erbarmen priesen. Denn der genannte König versammelte einen Reichstag in dieser Stadt und berichtete allen seinen Geistlichen und den übri3 Pippin, der 777 geborene Sohn Karls des Großen, war seit 781 König von Italien (gest. 810).

50

Eingliederung Baierns ins Frankenreich

gen Großen, wie alles auf seinem Zuge vor sich ging. Und als er darauf zu sprechen kam, daß er alles über Tassilo, wie es auch der Fall war, dargelegt habe, da beschloß der König die Absendung von Boten und wies den Tassilo an, alles nach der Weisung des Papstes und wie es gerecht war, zu vollziehen, weil er unter Eid versprochen hatte, in allem treu und gehorsam zu sein dem König Karl und seinen Söhnen und den Franken und sich ihm persönlich zu stellen. Aber dieser weigerte sich und lehnte es ab zu kommen. Da sah König Karl mit den Franken auf sein Recht und begann mit seinem Heer nach Baiern zu ziehen und kam selbst auf das Lechfeld oberhalb der Stadt Augsburg. Und er ließ ein zweites Heer aufstellen, Ostfranken, Thüringer und Sach-

sen, und sich an der Donau bei _Pföring sammeln. Und ein drittes Heer ließ er in Italien aufstellen, daß König Pippin mit seinem Heer bis nach Trient vorrücke, selbst dort bleibe und sein Heer vollzählig weiter nach Bozen schicke. Wie nun Tassilo erkannte, daß er von allen Seiten umschlossen

war, und mitansah, wie die Baiern alle dem König Karl mehr treu waren als ihm und das Recht des erwähnten Königs anerkannten und lieber ihm sein Recht zubilligen als sich widersetzen wollten, da kam er, von allen Seiten ge-

zwungen, persönlich und gab sich dem König Karl als Vasall in die Hände und gab das ihm von König Pippin übertragene Herzogtum heraus und gestand, in allem gefehlt und übel getan zu haben. Dann erneuerte er wieder den Eid und stellte zwölf auserlesene Geiseln und seinen Sohn Theodo als dreizehnten. Nach Empfang der Geiseln und des Eides kehrte der genannte ruhmreiche König nach Francien zurück. Und er feierte Weihnachten auf dem Hofgut Ingelheim, ebenso Ostern. Und die Jahreszahl änderte sich in 788 Da versammelte König Karl einen Reichstag auf dem genannten Hofgut Ingelheim, dorthin kam Tassilo auf Weisung des Königs wie auch seine andern Vasallen, und zuver-

Eingliederung Baierns ins Frankenreich

51

lässige Baiern fingen an zu sagen, Tassilo halte sein Wort

nicht, vielmehr erwies er sich nachher als eidbrüchig, nach-

dem er schon unter andern Geiseln auch seinen Sohn gegeben und den Eid geleistet hatte, und zwar auf Betreiben seiner Frau Luitberga. Das konnte auch Tassilo nicht bestreiten, sondern mußte gestehen, daß er nachher Boten zu den Awaren geschickt, die Vasallen des genannten Königs zu sich entboten und ihnen nach dem Leben getrachtet habe. Wenn seine Leute Treue schworen, forderte er sie auf, eine

andere Gesinnung festzuhalten und den Schwur arglistig zu leisten. Ja er bekannte sich sogar zu der Äußerung, auch

wenn er zehn Söhne hätte, wollte er sie alle verderben las-

sen, ehe die Abmachungen gültig bleiben und er zu dem stehe, was er beschworen habe. Nachdem all das gegen ihn erwiesen war, zeigte sich, daß die Franken und Baiern, Lan-

gobarden und Sachsen und wer aus allen Ländern auf diesem Reichstag versammelt war, in Erinnerung an seine früheren Übeltaten und wie er bei einem Heereszug den König Pippin verließ‘ (zu deutsch harisliz), diesen Tassilo zum Tode verurteilten. Während aber alle einstimmig ihm zuriefen, er solle den todbringenden Richterspruch fällen, erreichte der genannte fromme König Karl voll Erbarmen aus Liebe zu Gott und weil er sein Vetter war, bei diesen Gott

und ihm getreuen Männern, daß er nicht sterben mußte. Und auf die Frage des genannten milden Königs, was sein

Begehren sei, bat Tassilo darum, sich scheren lassen, in ein

Kloster eintreten und seine vielen Sünden bereuen zu dürfen, um seine Seele zu retten. Desgleichen wurde sein Sohn Theodo abgeurteilt, geschoren und ins Kloster gesteckt und einige Baiern, die in Feindschaft gegen König Karl verharren wollten, wurden verbannt. [...]

Nach alldem kam König Karl persönlich nach Regensburg

und bestimmte dort die Grenzen oder Marken, wie sie mit 4 Es handelt sich um eine 25 Jahre zurückliegende Episode, die sich auf einem Aquitanienfeldzug König Pippins im Jahre 763 zutrug.

52

Eingliederung Baierns ins Frankenreich

des Herrn Schutz gegen die genannten Awaren unverletzt sein könnten. Dann aber kehrte er zurück und feierte Weihnachten in der Pfalz Aachen und Ostern ebenso. D:

Rau I. S. 53-57.

O: Annales regni Francorum. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hannover 1895. (MGH SS rer. Germ. 6.) S. 74, 76, 78, 80, 82, 84.

4

7.2 Kapitular von Frankfurt 794 Tassilo war Herzog

von Baiern gewesen, ein Verwandter

des Herrn Königs Karl. Inmitten der hochheiligen Versammlung stand er und bat um Gnade für die Vergehen, die er sich zur Zeit des Herrn Königs Pippin gegen diesen und das Reich der Franken, wie auch hernach gegen den frömmsten König Karl durch Treubruch hatte zuschulden kommen lassen. Demütig bat er, daß er der Verzeihung gewürdigt werde, aufrichtigen Herzens wolle er seinerseits Zorn und alles Ärgernis wegen dessen, was ihm geschehen sei, fahren lassen. Auch verzichtete er auf jedes Anrecht und den Eigenbesitz, soweit er ihm, seinen Söhnen und Töch-

tern rechtmäßig im Herzogtum Baiern gehören sollte, und um jeden späteren Streit zu vermeiden, erklärte er ohne jeden Vorbehalt seine Verzeihung und empfahl seine Söhne und Töchter der Gnade des Königs. Da verzieh unser Herr, von Mitleid bewegt, diesem Tassilo huldvoll die Schuld,

_

|

schenkte ihm wieder völlig seine Gnade und nahm ihn in | seiner Barmherzigkeit mit aller Liebe auf, so daß er in Zu-

kunft sicher sei durch Gottes Erbarmung. Hierüber befahl

er drei Urkunden von gleichem Wortlaut zu schreiben: eine solle in der Pfalz behalten, die zweite dem Tassilo zur Mit-

nahme in das Kloster Lorsch gegeben und die dritte in der heiligen Pfalzkapelle aufbewahrt werden.

|

Kaiserkrönung Karls des Großen

53

D: Johannes Bühler: Das Frankenreich. Nach zeitgenössischen Quellen. Leipzig: Insel Verlag, 1923. S. 397. © Insel Verlag Leipzig und Frankfurt a. M. O: Concilia aevi Karolini. Hrsg. von Albert Werminghoff. Hannover/Leipzig 1908. (MGH Conc. 2,1.) S. 165 f.

8

Kaiserkrönung Karls des Großen Auf Papst Leo III. (795-816) war im April 799 von römischen Gegnern ein Attentat verübt worden, um ihn amtsunfähig zu machen. Der Anschlag mißlang jedoch, und der Papst reiste im Sommer 799 ins Frankenreich; Karl der Große empfing ihn in Paderborn. Vermutlich erörterten beide dort auch die Frage, wie mit den Feinden

des Papstes zu verfahren sei. Als Karl im Herbst des folgenden Jahres nach Rom reiste, wurde er mit kaiserlichen Ehren empfangen, und Papst Leo III. setzte ihm während der Weihnachtsmesse im Petersdom die Kaiserkrone aufs Haupt. Die Römer stimmten die traditionellen Kaisergesänge an. Schon die Quellen der Zeit sind sich nicht einig darüber, ob Karl durch diese Handlung überrascht wurde oder nicht. Jedenfalls vermied es Karl in seinem Kaisertitel (8.4), den

er gewöhnlich in seinen Urkunden verwendete, die Römer als tra-

gendes Volk seines Reiches zu bezeichnen. Die distanzierte Sicht des Ereignisses vom Weihnachtstag 800 in der Kaiserbiographie Einhards (8.3) könnte durchaus authentisch sein und die Ansicht des alten Kaisers wiedergeben.

8.1 Die römische Sicht: Liber Pontificalis, Vita Leonis III.

Am Tage der Geburt unseres Herrn Jesu Christi waren alle in der schon genannten Basilika des heiligen Apostels Petrus wiederum versammelt. Und da krönte ihn [Karl] der

54

Kaiserkrönung Karls des Großen

ehrwürdige und segenspendende Vorsteher eigenhändig mit der kostbarsten Krone. Darauf riefen alle gläubigen und ge-

treuen Römer, die den Schutz und die Liebe sahen, die er [Karl] der römischen Kirche und ihrem Vertreter gewährte,

einmütig mit lauter Stimme auf Gottes Geheiß und des heiligen Petrus, des Himmelreiches Schlüsselträger, Eingebung aus: Karolo piissimo Augusto, a Deo coronato magno et pacifico imperatori, vita et victoria! Vor der heiligen Confessio des seligen Petrus ist das, unter Anrufung vieler Hei-

|

liger, dreimal ausgerufen worden, und von allen ist er als

Kaiser der Römer eingesetzt worden. Auf der Stelle salbte der heiligste Vorsteher und Oberpriester mit heiligem Ol Karl, seinen hervorragendsten Sohn, an demselben Tage der Geburt unseres Herrn Jesu Christi zum König.

D: Lautemann. S. 70 f. O: Le Liber Pontificalis. Hrsg. von Louis Duchesne. Bd. 2. Paris

.

1892. S. 7 (Kap. 23 £.).

8.2 Die zeitgenössischen fränkischen Annalen 8.2.1

Reichsannalen

Als der König gerade am hl. Weihnachtstag sich vom Gebet vor dem Grab des sel. Apostels Petrus zur Messe erhob, | setzte ihm Papst Leo eine Krone aufs Haupt, und das ganze Römervolk rief dazu: dem erhabenen Karl, dem von Gott

gekrönten großen und friedenbringenden Kaiser der Römer Leben und Sieg! und nach den lobenden Zurufen wurde er vom Papst nach der Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan, unter Weglassung des Titels Patricius, Kaiser und Augustus genannt. Wenige Tage nachher wurden auf seinen Befehl diejenigen, welche den Papst im vorigen Jahr abgesetzt hatten, vor Ge-

_

Kaiserkrönung Karls des Großen

55

richt geführt und nach der gegen sie angestellten Untersuchung nach römischem Recht als Majestätsverbrecher zum Tod verurteilt. Der Papst legte jedoch milden Sinnes Für-

bitte für sie ein bei dem Kaiser, und so wurde ihnen das Le-

ben und Sicherheit des Leibes gewährt; um der Größe ihres Vergehens willen aber wurden sie in die Verbannung geschickt. Hauptsächlich beteiligt waren an diesem Treiben der Nomenclator Paschalis und der Schatzmeister Campulus nebst vielen andern vornehmen Bewohnern der Stadt Rom, über die alle der gleiche Urteilsspruch erging. Nachdem

dann

die öffentlichen,

kirchlichen

und

Privat-

angelegenheiten der Stadt Rom, des Papstes und ganz Italiens in Ordnung gebracht waren — denn den ganzen Winter über beschäftigte sich der Kaiser mit nichts anderem —, ließ er unter seinem Sohn Pippin abermals einen Zug gegen die Beneventaner unternehmen. D:/

Rau 1.5.75.

O: Annales regni Francorum. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hannover/Leipzig 1895. (MGH SS rer. Germ. 6.) S. 112, 114. 8.2.2

Annalen von Lorsch

[801] Und weil schon damals das Kaisertum bei den Griechen nicht mehr bestand und sie eine weibliche Herrschaft hatten, erschien es dem Apostelnachfolger Leo selbst und allen heiligen Vätern, die an diesem Konzil teilnahmen, und dem übrigen christlichen Volk, daß sie Karl, den König der Franken, zum Kaiser erheben müßten. Denn er hielt Rom

in Besitz, wo immer Kaiser zu herrschen pflegten, und er hatte auch die übrigen Städte in Italien, Gallien und Germanien inne, weil der allmächtige Gott ihm alle diese Sitze in seine Macht gegeben hatte. Daher erschien es ihnen gerecht, daß er mit Gottes Hilfe und auf Bitten des gesamten Christenvolkes diesen Titel erhielt. Ihre Bitte konnte König Karl nicht abschlagen, sondern er unterwarf sich mit aller

56

Kaiserkrönung Karls des Großen

Demut Gott und nahm auf Bitten der Bischöfe und des gesamten Christenvolkes am Fest der Geburt unseres Herrn Jesu Christi den Kaisertitel mit der Segnung durch den Herrn Papst Leo an. | D: Übers.: W. H. O: Annales et chronica aevi Carolini. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz [u. a.]. Hannover 1826. (MGH

SS 1.) S. 38.

| A

8.3 Einhard, Vita Karoli Magni Während seiner ganzen Regierungszeit lag ihm nichts so sehr am Herzen als der Wunsch, die Stadt Rom durch seine

Bemühungen wieder zu ihrem alten Ansehen zu bringen, die Kirche des heiligen Petrus zu verteidigen und zu beschützen und sie durch eigene Mittel zu verschönern und zu bereichern, so daß sie unter allen Kirchen hervorragte. Ob-

_

wohl er sie so hoch verehrte, kam er im Laufe seiner sieben-

undvierzigjährigen

Regierung

jedoch

nur

viermal

nach

Rom, um dort seine Gelübde zu erfüllen und seine Andacht

zu verrichten. Seine letzte Reise nach Rom hatte mehrere Gründe. Die Römer hatten Papst Leo schwer mißhandelt, ihm die Augen ausgestochen und die Zunge ausgerissen, so daß er sich gezwungen sah, den König um Schutz zu bitten. Daher begab sich Karl nach Rom, um die verworrenen Zustände der Kir-

In der für Karls ständige Residenz in Aachen um 798 erbauten Pfalzkapelle wurde im Obergeschoß ein Thron aufgestellt, von

dem aus der Kaiser nicht nur die vier Altäre der Kirche, sondern auch das Mosaik im Gewölbe sehen konnte, das den Christus

der Apokalypse darstellte.

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58

Kaiserkrönung Karls des Großen

che zu ordnen. Das dauerte den ganzen Winter. Bei dieser _ Gelegenheit erhielt er den Kaiser- und Augustus- Titel, der ihm anfangs so zuwider war, daß er erklärte, er würde die

Kirche selbst an jenem hohen Feiertage nicht freiwillig betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes geahnt hätte. Die Eifersucht der oströmischen

Kaiser, die ihm die An-

D: Einhard: Vita Karoli Magni / Das Lat./Dt. Übers. Anm. und Nachw. chow. Stuttgart: Reclam, 1989. S. 53 O: Einhardi Vita Karoli Magni. Hrsg. Hannover/Leipzig 1911. (MGH SS

Leben Karls des Großen. von Evelyn Scherabon Fir(Kap. 27 f.). von Oswald Holder-Egger. rer. Germ. 25.) S. 32 f.

|

nahme der Titel schwer verübelten, ertrug er dann allerdings mit erstaunlicher Gelassenheit. Er überwand ihren Widerstand durch seine Großmut — denn in dieser Beziehung stand er weit über ihnen —- und indem er ihnen zahlreiche Botschaften sandte und sie in den Briefen immer als Brüder anredete. Y

8.4 Kaisertitulatur Diesen

Kaisertitel

überliefern

22

Urkunden,

die

zwischen

29. Mai 801 und dem 9. Mai 813 ausgestellt wurden (MGH Kar. I, S. 197-218).

dem

DD

4 }

Carolus serenissimus augustus, a Deo coronatus magnus pacificus imperator, Romanum gubernans imperium, qui et per

misericordiam

Dei

rex

Francorum

et

Langobardo-

rum. [Karl, der erlauchteste Erhabene, von Gott gekrönt, großer _ friedebringender Kaiser, der das römische Reich regiert und auch durch Gottes Gnade König der Franken und Langobarden ist.]

9

Kontrolle der Grafen durch die Missi Nach seiner Kaiserkrönung wandte:sich Karl in seinen als Kapitularien bezeichneten Verordnungen dem Schutz der Armen und Schwachen sowie der Aufrechterhaltung von Frieden und Recht zu, so wie es die Fürstenspiegel seiner Zeit von einem christlichen Herrscher verlangten. Der Durchsetzung seiner Verordnungen und der Kontrolle der im Auftrag des Königs das Reich verwaltenden Grafen dienten vor allem die Königsboten (»missi dominici«). Jeweils ein geistlicher und ein weltlicher Amtsträger, die das besondere Vertrauen des Königs besaßen, sollten in kurzen Abständen ihren

Amtsbezirk bereisen, dort die Grafen kontrollieren und Beschwerden der Untertanen entgegennehmen. In erster Linie sollten sie zugunsten der Armen, der Witwen und Waisen eingreifen. Nötig war der Schutz vor ungerechten Richtern vor allem deshalb, weil die Inhaber des Königsgerichts in den einzelnen Regionen, die Grafen, in ihrem Gerichtsbezirk häufig eigene Machtinteressen verfolgten. Im Jahre 802 erließ Karl der Große auf einer Reichsversammlung in Aachen eine ganze Reihe von inhaltlich interessanten Kapitularien, die allerdings nur schwach überliefert sind. Das hier wiedergegebene Kapitular ist nur noch in einer Handschrift erhalten.

Erstes Kapitel. Über die Kommission, die der Herr Kaiser abgeordnet hat. Der allergnädigste und allerchristlichste Herr Kaiser Karl hat aus der Reihe seiner klügsten Großen die weisesten Männer

ausgewählt,

und

zwar

Erzbischöfe

und andere Bischöfe und auch ehrwürdige Äbte sowie fromme Laien, und hat sie in sein gesamtes Reich abgeordnet, um allen Untertanen, die unten aufgeführt sind, die Möglichkeit zu geben, nach Recht und Gesetz zu leben. Er befiehlt, daß sie sorgfältige Untersuchungen anstellen, falls irgendwo etwas anders als recht und gerecht verordnet sein sollte, und verlangt darüber Meldung: Denn er will dann mit Gottes Gnade für Verbesserung sorgen. Und niemand wage es, mit vermeintlicher Schlauheit nach eigenem Er-

60

Kontrolle der Grafen durch die Missi

messen das gültige Gesetz, wie es leider oft geschieht, oder _ seine Gerechtigkeit zu seinem Vorteil zu beugen oder das zu tun zu versuchen, weder gegenüber den Kirchen Gottes noch den Armen noch den Witwen und Waisen, überhaupt gegen gar keinen Christenmenschen. Sondern alle Men- | schen sollen jeden Orts, so wie Gott es befiehlt, gerecht unter gerechtem Gericht leben, und jeder einzelne ist gehalten, |

an seinem Platze und in seinem Geschäfte einmütig auszu- |

dauern: Die Kanoniker sollen völlig im kanonischen Leben _ verharren, ohne schimpflichen Geschäftsgewinn zu erstre- | ben, die Nonnen mögen ihr Leben besonders sorgsam hinbringen, Laien und Weltliche sollen rechten Gebrauch von |

ihren Gesetzen machen, ohne an schändlichen Betrug zu denken, und alle sollen untereinander in wechselseitiger |

christlicher Liebe und in vollkommenem Frieden leben, Wenn aber irgendwo ein Mensch behauptet, ihm sei von

einem anderen Unrecht widerfahren, dann sollen die missi,

weil ihnen daran gelegen ist, die Gnade des allmächti- _ gen Gottes zu behalten und die beschworene Treue zu be- _ wahren, wirklich sorgfältige Untersuchungen durchführen. _ Denn sie sollen ganz und gar und allen Menschen gegen- _ über und überall, gegenüber den heiligen Kirchen Gottes und gegen die Armen, gegen die Waisen und die Witwen und gegen das ganze Volk das Gesetz vollkommen und ge- _ recht ausüben in dem Willen und in der Furcht Gottes. Alle

Fälle, in denen sie selbst aus eigener Kraft und mit Hilfe der -

Provinzgrafen nichts bessern und die Gerechtigkeit nicht | wiederherstellen können, sollen sie mit ihren Berichten | ohne Umschweife eindeutig dem Gericht des Herrn Kaisers unterbreiten: Es darf nicht geschehen, daß Speichelleckerei, Bestechung, Vetternwirtschaft oder Furcht vor mächtigen Menschen die Justiz auf ihrem Wege aufhält. 7 D: Lautemann. S. 73 f. O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius. Hannover 1883. (MGH Capit. 1.) S. 91 f.

|

10

Wirtschaftsorganisation im Frankenreich: Das »Capitulare de villis« Der Betrieb der dem König gehörenden Grundherrschaft wurde in einem eigenen Kapitular, dem »Capitulare de villis« (Kapitular über die Organisation der königlichen Grundherrschaft), sehr detailliert geregelt. Es ist umstritten, wann genau dieser Text entstand; wahrscheinlich besteht aber ein Zusammenhang mit den Hungersnöten der Jahre 792/793. Die ältere These von A. Dopsch, das Capitulare de villis sei 794/795 von Ludwig dem Frommen als Unterkönig von Aquitanien erlassen worden, gilt als widerlegt. Der König kümmerte sich nicht nur um den Schutz seines Besitzes vor Entfremdung und um die geregelte Versorgung des Hofes mit Pferden, Nahrungsmitteln und gewerblichen Erzeugnissen, sondern er forderte auch eine eingehende Rechnungslegung über alle erwirtschafteten Überschüsse. Mit der landwirtschaftlichen Technik befaßt sich der Text nicht; allein die Pferdezucht und die Aufzucht junger Hunde wird näher beschrieben.

1. Wir befehlen: Unsere Krongüter, die wir eingerichtet

haben, unseren Hofhalt zu beliefern, sollen allein unserem

Bedarf dienen und niemandem sonst. 2. Unsere Hofleute sollen wohl versorgt und von niemand in Schuldknechtschaft gebracht werden.

3. Die Amtmänner sollen sich hüten, unsere Hofleute in ihren eigenen Dienst zu ‚stellen; sie dürfen sie nicht zu

Fronen, zum Holzfällen oder irgendeiner anderen Arbeit zwingen und keine Geschenke von ihnen annehmen: weder Pferd, Ochsen, Kuh, Schwein, Hammel, Ferkel, Lamm noch sonst etwas, ausgenommen Würstchen, Gemüse, Obst,

Hühner und Eier. 4. Haben unsere Hofleute unserem Eigentum durch Diebstahl oder sonst durch eine Nachlässigkeit Schaden zugefügt, so müssen sie den vollen Wert ersetzen und sollen überdies nach Hofrecht durch Prügel bestraft werden; da-

62

»Capitulare de villis«

durch kann man das Strafgeld ersetzen, außer bei Totschlag und Brandstiftung. Fremden Dienstleuten aber sollen die Amtmänner das ihnen zukommende Recht zu verschaffen trachten, so wie es Landrecht ist. Zur Strafe aber sollen un:

sere Hofleute, wie gesagt, gestäupt werden. [...] 6. Wir befehlen: Unsere Amtmänner sollen den Zehnten von allen Erträgen den Kirchen auf unseren Besitzungen ungeschmälert geben. An eines anderen Herren Kirche darf man

unseren Zehnten

nicht entrichten, außer wo

es von

alters her so bestimmt ist. Auch sollen nur Geistliche aus unseren Hofleuten oder unserer Hofkapelle die Kircher [auf unserem Grund] innehaben. [...] A 9. Wir befehlen: Jeder Amtmann muß in seinem Amtsbezirk die Maße eines Scheffels, eines Sesters, eines Seidels

acht Sestern und eines Korbes in der gleichen Größe haben, wie wir sie in der Königspfalz benutzen. [... f 16. Wir befehlen: Was wir oder die Königin oder unsere Be-

amten, der Seneschall und Schenk, auf unseren oder der Kö-

nigin Auftrag den Amtleuten befahlen, müssen diese ges nauso erfüllen, wie es ihnen aufgetragen wurde. Wer das aus Nachlässigkeit versäumte, soll sich, nachdem er vorgeladen

worden ist, des Trunkes enthalten, bis er vor uns oder die

Königin kommt, um von uns Straffreiheit zu erbitten. Ist der Amtmann beim Heer, im Sicherheitsdienst, auf eine! Botenreise oder sonstwo abwesend und sind seine Unterbe-

amten einem erhaltenen Befehl nicht nachgekommen,

st

sollen die zu Fuß zur Pfalz kommen, und sich des Weinund Fleischgenusses enthalten, bis sie die Gründe für ihre

Säumigkeit vorgebracht haben; dann sollen sie ihr U empfangen, auf den Rücken oder wie wir oder die Kön es sonst für angemessen halten. 17. Für jeden Gutshof in seinem Amtsbezirk soll der Amtmann Pfründner bestellen, die Bienen für uns zu warten.

18. Bei unseren Mehlmühlen

Mühle

besser.

entsprechend

Hühner

halte man

und

Gänse,

der Größe der je mehr,

desto

»Capitulare de villis«

63

19. Bei den Scheunen auf unseren Haupthöfen halte man

mindestens 100 Hühner und 30 Gänse, auf den Vorwerken mindestens 50 Hühner und 12 Gänse. [...]

23. Auf jedem unserer Krongüter sollen die Amtmänner einen möglichst großen Bestand an Kühen, Schweinen, Schafen, Ziegen und Böcken halten; fehlen darf dies Vieh niemals. Außerdem

sollen sie Kühe bereit halten, um mit

Hilfe unserer Knechte die anfallenden Arbeiten zu verrichten, so daß sich der Bestand an Kühen und Pflug und Wagen für unsere Wirtschaft auf keinen Fall verringert. Zur Zeit des Hofdienstes müssen sie zur Fütterung der Hunde Vieh stellen: lahmende, aber nicht kranke Ochsen, Kühe und Pferde, doch ohne Räude, oder anderes, nicht krankes,

kleineres Vieh. Wie gesagt: den Bestand an Kühen und Fuhrwerk darf man deshalb nicht vermindern. 24. Den Abgaben für unsere Tafel wende jeder Amtmann seine besondere Sorgfalt zu, damit die Lieferungen von guter, ja bester Qualität sowie sorgfältig und sauber zugerichtet sind. Jeder Amtmann hat für die einzelnen Tage seines Hofdienstes die doppelten Portionen Brot für unsere Tafel bereitzuhalten, auch muß die übrige Speise, Mehl wie Fleisch, ebenso in jeder Hinsicht tadellos sein.

[...]

34. Mit ganz besonderer Sorgfalt ist darauf zu achten, daß

alles, was mit den Händen verarbeitet und zubereitet wird — wie Speck, Rauchfleisch, Sülze, Pökelfleisch, Wein, Essig, Brombeerwein, Würzwein, Most, Senf, Käse, Butter, Malz, Malzbier, Met, Honig, Wachs, Mehl —, daß dies alles mit der größten Sauberkeit hergestellt wird. [...]

36. Unsere Wälder und Forsten sind sorgsam zu beaufsichtigen. Zur Rodung geeignetes Land soll man roden und verhindern, daß Ackerland wieder von Wald bewachsen wird,

und nicht dulden, daß Wälder, wo sie nötig sind, übermäßig ausgeholzt und geschädigt werden. Unser Wildstand in den Forsten ist gut zu hegen. Auch muß man Jagdfalken und Sperber für unseren Gebrauch abrichten und uns den Waldzehnt pünktlich entrichten. Treiben unsere Amtmänner,

64

»Capitulare de villis«

Meier oder deren Leute ihre Schweine zur Mast in unseren Wald, so mögen sie als erste den Zehnt dafür entrichten, um ein gutes Beispiel zu geben, auf daß daraufhin auch ihre Leute alle den Zehnt voll zahlen.

[...]

40. Jeder Amtmann halte auf unseren Krongütern um der

Zierde willen etliches Edelgeflügel: Pfauen, Fasanen, Enten, Tauben, Rebhühner, Turteltauben. 4

41. Die Gebäude auf unseren Gutshöfen und die umgebenden Zäune sind in gutem Zustande zu erhalten. Ställe, Küchen, Backhäuser und Keltern müssen zweckmäßig eingerichtet sein, damit unsere Dienstleute ihre Arbeit dort entsprechend gut und sauber verrichten können. | 42. Jedes Krongut soll in seinem Lagerraum vorrätig haben: Bettdecken,

Matratzen,

Federkissen,

Bettlinnen,

Tischtü-

cher, Bankpolster, Gefäße aus Kupfer, Blei, Eisen und Holz,

Feuerböcke, Ketten, Kesselhaken, Hobeleisen, Spitzhauen, Bohrer, Schnitzmesser — kurzum, alles nötige Gerät, so daß man es nicht anderswo zu erbitten oder zu entleihen öl

braucht. Auch das eiserne Kriegsgerät muß man hier verwahren, damit es gut erhalten bleibt; nach Gebrauch ist es wieder in den Lagerraum zurückzubringen. [...] 4 45. Jeder Amtmann soll in seinem Bezirk tüchtige Handwerker zur Hand haben: Grob-, Gold- und Silberschmiede, Schuster, Drechsler, Stellmachen Schildmacher, Fischer, Falkner, Seifensieder, Brauer — Leute, die Bier, Apfel- und

Birnenmost oder andere gute Getränke zu bereiten verstehen —, Bäcker, die Semmeln für unseren Hofhalt backen,

Netzmacher, die Netze für die Jagd, für Fisch- und Vogel-

fang zu fertigen wissen und sonstige Dienstleute, deren‘ Aufzählung zu umständlich wäre. [...]

48. Die Keltern auf unseren Krongütern sollen zweckmäßig eingerichtet sein. Die Amtmänner haben darauf zu achten, daß sich niemand untersteht, unsere Trauben mit den. Füßen zu keltern, sondern daß alles sauber und reinlich

zugeht.

|

»Capitulare de villis«

65

49. Unsere Frauenarbeitshäuser sind in guter Ordnung zu halten: die Wohnhäuser, Werkstuben und gedeckten Schuppen oder Webkeller. Ringsum sollen sie mit starken Zäunen umgeben sein und feste Türen haben, damit die Frauen die Arbeiten für uns ungestört durchführen können. [...] 55. Wir befehlen, daß unsere Amtmänner alle Abgaben,

Dienste und Abzüge für unseren Hofhalt in ein Rechnungsbuch eintragen [lassen] und in ein anderes die Ausgaben. Den Überschuß sollen sie uns durch ein Verzeichnis nachweisen.

56. Jeder Amtmann soll in seinem Bezirk öfters Gerichtstage abhalten, Recht sprechen und dafür sorgen, daß unsere Hofleute ein ordentliches Leben führen.

1[...]

62. Jeder Amtmann soll alljährlich über den Gesamtertrag unseres Wirtschaftsbetriebes berichten: wieviel er mit den

Ochsen, die bei den Rinderhirten stehen, eingebracht hat, was von den Hufen, die Pflugdienst tun müssen, einkam,

was an Schweine- und an sonstigem Zins, an Bußen wegen

Treu- und Friedensbruch und für Wild, das in unseren For-

sten ohne unsere Erlaubnis erlegt wurde, was an sonstigen Strafgeldern, was an Abgaben von Mühlen, Forsten, Weiden, an Brückengeldern und Schiffszöllen, was an Abgaben von freien Männern und von den Centbezirken, die Kron-

ländereien bewirtschaften, was an Marktgebühren, was von den Weinbergen und von denen, die Weinzins geben, wie-

viel Heu, Brennholz und Kienspan, Schindeln und anderes Bauholz, was von den Ödländereien, wieviel Hülsenfrüchte, Kolben- und Fenchelhirse, Wolle, Flachs und

Hanf, Obst, Wal- und Haselnüsse, was von gepfropften

Bäumen, aus den Gärten, Rübenäckern und Fischteichen, wieviel Häute, Felle, Gehörne, Honig und Wachs, Talg, Fett und Seife, Brombeerwein, Würzwein, Met und Essig, Bier, Most und alter Wein, wieviel Hühner, Eier, Gänse, was von den Fischern, Schmieden, Schild- und Schuhmachern, was an Backtrögen und Truhen oder Schreinen, was

von Drechslern und Sattlern, aus Eisen- und Bleigruben,

66

»Capitulare de villis«

was von den sonstigen Abgabepflichtigen, wieviel Hengst

und Stutenfohlen: eine detaillierte, genaue und übersicht-

lich geordnete Aufstellung über all dies haben sie [die Amtmänner] uns bis Weihnachten vorzulegen, damit wir wissen, was und wieviel wir von den einzelnen Dingen besitzen. /1...] 0 64. Unser Fuhrwerk, das für den Krieg bestimmt ist, soll in

gut gebauten Kriegskarren bestehen. Die Wagendächer sind gehörig mit Häuten zu beziehen und so zu vernähen, daß die Karren notfalls auch vollbeladen Flüsse durchqueren können, ohne daß Wasser eindringen kann, und unser Eigentum, wie gefordert, unversehrt hinüber kommt. Ferner soll nach unserem Wunsch in jedem Karren Mehl für unseren Verbrauch mitgeführt werden, und zwar 12 Scheffel; auch in den

Weinfuhren soll man 12 Scheffel in dem von uns vorgeschriebenen Maß mitführen. Endlich ist jedem Karren Schild, Lanze, Köcher und Bogen beizugeben. [...] 69. Jederzeit soll man uns melden, wieviel Wölfe jeder Amtmann erlegt hat, und soll uns ihre Felle zusenden. Im Mai soll man die jungen Wölfe aufspüren und fangen, mit Hilfe von Gift, Wolfsangeln, Gruben und Hunden. 70. Wir befehlen: In den Gärten soll man alle nachgenannten Pflanzen ziehen: Lilien, Rosen, Hornklee, Frauenminze, Salbei, Raute, Eberreis, Gurken, Melonen, Flaschen-

kürbis, Faseolen, Kreuzkümmel, Rosmarin, Feldkümmel,

Kichererbsen, Meerzwiebeln, Schwerrtlilien, Schlangenwurz, Anis, Koloquinten, Heliotrop, Bärenwurz, Sesel, Salat,

Schwarzkümmel, Gartenrauke, Kresse, Klette, Poleiminze,

Myrrhendolde, Petersilie, Sellerie, Liebstöckel, Sadebaum, Dill, Fenchel, Endivie, Weißwurz, Senf, Bohnenkraut, Brunnenkresse, Pfefferminze, Krauseminze, Rainfarn, Katzenminze, Tausendgüldenkraut, Schlafmohn, Runkelrüben, Haselwurz, Eibisch, Malven, Karotten, Pastinaken, Melde, Mauskraut, Kohlrabi, Kohl, Zwiebeln, Schnittlauch, Porree, _ Rettich, Schalotten, Lauch, Knoblauch, Krapp, Kardendisteln, Pferdebohnen, maurische Erbsen, Koriander, Ker-

Inventar eines großen Hofes

67

bel, Wolfsmilch, Muskatellersalbei. Auf seinem Hause soll der Gärtner Hauslauch [Donnerkraut] ziehen.

An Fruchtbäumen soll man nach unserem Willen verschie-

dene Sorten Apfel-, Birn- und Pflaumenbäume halten, ferner Eberesche, Mispeln, Edelkastanien und Pfirsichbäume verschiedener Arten, Quitten, Haselnüsse, Mandel- und Maulbeerbäume, Lorbeer, Kiefern, Feigen-, Nußbäume und

verschiedene Kirschensorten. Die Apfelsorten heißen: Gosmaringer, Geroldinger, Krevedellen, Speieräpfel, süße und sauere, durchweg Daueräpfel; ferner solche, die man

bald

verbrauchen muß; Frühäpfel. Drei bis vier Arten Dauerbirnen, süßere und mehr zum Kochen geeignete und Spätbirnen.

D: Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes im Mittelalter. Ges. und hrsg. von Günther Franz. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1967. (FSGA 31.) S. 39-59. O: Capitulare de Villis. Hrsg. von Carlrichard Brühl, Stuttgart 1971. S. 56—63.

14

Inventar eines großen Hofes Um 800 ließ Karl der Große Inventare anlegen, in denen für jeden einzelnen Hof des Königs oder der Kirche der Bestand an Gebäu-

den, an Vieh und an Gerätschaften aufgenommen wurde. Durch ei-

nen Zufall der Überlieferung sind einige dieser Inventare noch in

derselben Sammelhandschrift

erhalten, die auch das Capitulare de

villis enthält. Der hier gebotene Text beschreibt das Inventar des Fronhofs und der grundherrschaftlichen Hofstellen auf der Insel Stefanswert im Staffelsee. Unter anderem geht daraus hervor, daß als Zugtiere in der Landwirtschaft allein Ochsen, nicht Pferde eingesetzt waren. Der Unterschied zwischen den »freien« und den »unfreien« Hofstellen bestand darin, daß die Inhaber der »freien« Höfe

68

Inventar eines großen Hofes

fünf oder sechs Wochen im Jahr auf dem Herrenhof genau festg e

legte Arbeiten verrichten mußten, während die Inhaber einer »hör gen« Hofstelle wöchentlich drei Tage zu fronen hatten.

Wir fanden [auf der Insel Stefanswert] einen Fronhof un einen Eigenhof, der mit den übrigen Gebäuden obenge

nannter Kirche gehört. Zu dem Fronhof gehören 740 Tage-

werk Ackerland 610 Fuder Heu. dreißig Fudern, diese, 72 an der hannesfest. Wir

und Wiesen mit einer Ertragsfähigkeit vor An Getreide fanden wir nichts außer de die wir den Pfründnern gegeben haben; Zahl, empfangen Unterhalt bis zum St. Jofanden ferner dort 12 Scheffel Malz,

1 Pferd, 26 Zugochsen, 20 Kühe, 1 Bulle, 61 Färsen, 5 Kälber, 87 Schafe, 14 Lämmer, 17 Böcke, 58 Ziegen, 12 Zickel, 40 Schweine, 50 Ferkel, 63 Gänse, 50 Hühner, 17 Bienenstöcke; 20 Speckseiten, ebensoviel Würste, 27 Pfunc

Schmer, 1 geschlachteten und aufgehangenen Eber; 40 Käse;

% Sekel Honig; 2 Sekel Butter; 5 Scheffel Salz, 3 Sekel Seife; eine Bettdecke mit 5 Federkissen, 3 eherne und 6 eiserne Kessel, 5 Kesselhaken, 1 eisernen Leuchter, 17 mit Eisen gebundene Zuber, 10 große und 17 kleine Sicheln, 7 breite Hacken, 7 Äxte, 10 Bockshäute, 26 Schaffelle, 1 Fischnetz. Es gibt daselbst eine Tuchmacherei, in der 24 Frauen arbei-

ten. Wir fanden in ihr 5 wollene Gewänder mit 4 Gürteln und 5 Hemden. Es gibt dort ferner eine Mühle, die jährlich. 12 Scheffel abgibt. A Es gehören zu demselben Hof 23 ausgegebene freie Hofstellen. 6 von ihnen zinsen jährlich jeweils 14 Scheffel Ge-treide, 4 Ferkel, Flachs im Werte einer Seige, 2 Hühner, 10 Eier, 1 Metze Leinsamen, 1 Metze Linsen; sie leisten

jährlich 5 Wochen Frondienste, pflügen 3 Tagewerk, schneiden ein Fuder Heu auf der Herrschaftswiese und bringen es _ ein, leisten Botendienst. Von den übrigen haben 6 jährlich jeweils 2 Tagewerk zu ackern, zu säen und einzubringen, auf der Herrschaftswiese

3 Fuder Heu

zu schneiden und

einzufahren sowie 2 Wochen zu fronen. Je zwei geben einen

Inventar eines großen Hofes

69

(Ochsen als Kriegssteuer, wenn sie nicht selbst ins Feld ziehen; jede leistet ungemessenen

Reiterdienst.

5 Hofstellen

eben jährlich 2 Ochsen und leisten ungemessenen Reiterdienst. Es gibt 4 Hofstellen, deren Inhaber im Jahr jeweils 9 Tagewerk

ackern, säen und

ernten, und

auf der Herr-

schaftswiese 3 Fuder Heu schneiden und einbringen. Jährlich front jeder 6 Wochen, geht zur Weinfuhre, düngt ein 'Tagewerk Herrschaftsland und liefert 10 Fuder Brennholz. Ferner gibt es eine Hofstelle, deren Inhaber jährlich 9 Tage-

werk ackert, sät und einfährt, auf den Herrschaftswiesen 3 Fuder Heu schneidet und einerntet, Botendienst leistet,

| Vorspannpferd stellt und jährlich 5 Wochen front. 19 hörige Hofstellen sind ausgegeben. Jeder ihrer Inhaber gibt jährlich 1 Ferkel, 5 Hühner und 10 Eier, mästet 4 herrschaftliche Jungschweine, pflügt ein halbes Ackerwerk, front wöchentlich drei Tage, läuft Botendienst, stellt ein Vorspannpferd. Sein Weib fertigt 1 Hemd und 1 Chorrock, braut Malz und bäckt Brot.

Es bleiben in dem Bistum noch sieben Fronhöfe, von denen hier ein Verzeichnis fehlt, doch in der Gesamtzahl ist alles

enthalten: es besitzt das Bistum Augsburg insgesamt 1006 ausgegebene und 35 unbesetzte freie Hofstellen, 421 ausgegebene und 45 unbesetzte hörige Hofstellen, zusammen also 1427 ausgegebene und 80 unbesetzte Hofstellen.

D: Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes im Mittelalter. Ges. und hrsg. von Günther Franz. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1967. (FSGA 31.) S. 67-71. O: Capitulare de Villis. Hrsg. von Carlrichard Brühl. Stuttgart 1971.'S: 50£.

12 Heerwesen im Zeitalter Karls des Großen Das Frankenreich kannte seit der Zeit der Merowinger die allged meine Pflicht aller freien Franken, im Falle eines Kriegszugs mit’ dem König zu ziehen. Schon seit der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, als Karl Martell gegen die Araber kämpfen mußte, die aus dem nach 711 eroberten westgotischen Spanien nach Norden vorstießen, setzte sich aber das fränkische Heer in zunehmendem Maße auch aus Reiterkriegern zusammen, deren Ausrüstung teuer war und die eines beständigen Trainings bedurften. In jener Zeit liegen also die Anfänge des Berufskriegertums einer berittenen Gefolgschaft, die als Lohn mit einem Stück Land ausgestattet wurde, einem Lehen. Die fast in jedem Jahr durchgeführten Kriegszüge Karls des Großen belasteten die Freien des Frankenreichs so schr, daß sie entweder we-

gen Überschuldung in die Unfreiheit gerieten oder sich freiwillig in_ (meist kirchliche) Abhängigkeit begaben, um der drückenden Verpflichtung des Heerdienstes zu entgehen. Gegen Ende seiner Regierung suchte Karl der Große diesen Entwicklungen durch Reformgesetze entgegenzutreten. A Im folgenden sind Auszüge aus einem Kapitular über das Heerwesen wiedergegeben, das Karl der Große zu Beginn des Jahres 808 erließ (12.1). Dem Brief Karls an Abt Fulrad von St-Denis aus der Zeit zwischen 804 und 811 (12.2) ist zu entnehmen, daß auch geistliche Würdenträger zur Heerfolge verpflichtet waren.

12.1 Kapitular über das Heerwesen Kurze Anweisung, welche die missi dominici besitzen müs- | sen, um das Heer aufstellen zu können. |

1. Jeder freie Mann, der vier Hufen‘ bestelltes Land zu eigen. | oder von irgend jemandem zu Lehen hat, muß sich bereithalten und in eigener Person ins Feld ziehen, und zwar mit | N 1 Die Größe der Hufe war ungleich; eine Freienhufe umfaßte ca. 15 ha, N eine Unfreienhufe ca. 10-12 ha bebaubares Land.

Heerwesen im Zeitalter Karls des Großen

71

seinem Herrn, wenn dieser nämlich mit auszieht, oder mit

seinem Grafen. Wer drei Hufen als eigen besitzt, werde mit

einem anderen verbunden, der nur eine Hufe hat und ihm

Unterstützung geben soll, damit dieser für beide marschieren kann. Wer aber nur zwei Hufen als eigen hat, werde mit einem anderen zusammengetan, der ebenfalls zwei Hufen hat, und einer von ihnen rücke mit Unterstützung des anderen aus. Wer aber eine einzige Hufe besitzt, mit dem sollen drei andere zusammengetan werden, die auch nur eine ha-

ben, und einer soll ausrücken, die anderen aber ihn unterstützen. Die drei aber, die diese Unterstützung leisten, sol-

len zu Hause bleiben. 2. Wir wollen und befehlen, daß unsere missi sorgfältig untersuchen, wer sich im vergangenen Jahre der Dienstpflicht entzogen hat über die Anordnung hinaus, die wir oben für Freie und Arme anzuwenden befohlen haben; und wer dabei betroffen wird, daß er seinen Mann beim Ausmarsch

nicht unserem Befehl entsprechend unterstützt hat, der soll

Strafe für unseren Heerbann zahlen, und er soll die volle Buße nach dem Gesetz erlegen. [...]

6. Wir wünschen, daß unsere missi sorgfältig untersuchen, wo das, was vor unsere Ohren gelangt ist, geschehen ist: daß nämlich Leute auf Geheiß des Grafen oder seiner Dienstleute einen Betrag gezahlt haben, um sich loszukaufen, obwohl sie [bereits] aus ihren Mitteln ihren [Wehrpflicht-]Genossen, die ins Feld ziehen mußten, unserer Ver-

ordnung entsprechend Beistand geleistet hatten. Daraufhin durften sie zu Hause bleiben, weil sie ja nicht ins Feld ziehen mußten, da sie schon ihren Beitrag geleistet hatten, indem sie ihre Wehrpflichtgenossen unterstützten: Das muß untersucht werden, und es ist uns Bericht zu erstatten. [...J

8. Wir ordnen an, daß vier Exemplare dieses Capitulare geschrieben werden;

eins sollen unsere

missi

erhalten,

das

zweite der Graf, in dessen Amtsbereich solches geschehen

ist, damit weder der missus noch der Graf anders handele,

72

Heerwesen im Zeitalter Karls des Großen

als es von uns in den [vorstehenden] Kapiteln verordnet ist. Das dritte sollen diejenigen unserer missi erhalten, die üb unser Heer eingesetzt werden sollen. Das vierte behalte unser Kanzler. | D:

Lautemann. S. 75 f.

O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius. Han-nover 1883. (MGH

Capit. 1.) S. 137 f.

\

12.2 Brief Karls des Großen an Abt Fulrad von St-Denis

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Carolus serenissimus Augustus a Deo coronatus, magnus pacificus imperator, qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardorum, an den Abt Fulrad. Wir teilen dir mit, daß wir in diesem Jahre den großen. Reichstag nach Ostsachsen zusammengerufen haben, und zwar nach Staßfurt an der Bode. Deshalb befehlen wir dir,

am 17. Juni mit allen deinen wohlbewaffneten und ausgerü-steten Leuten an dem genannten Platze dich einzustellen, also sieben Tage vor der Messe des heiligen Johannes des’ Täufers. Du wirst also wohlvorbereitet mit deinen Leuten an

dem genannten Platze erscheinen, um von hier aus, wohin _

dich auch unser Befehl schicken mag, eine militärische Expe-

dition durchzuführen; das heißt mit Waffen und Gerät und

aller anderen kriegerischen Ausrüstung, mit Proviant und _ Bekleidung. Jeder Berittene soll Schild, Lanze, Schwert und Hirschfänger haben, dazu Bogen, Köcher mit Pfeilen, und

eure Packwagen sollen Vorräte aller Art mitführen, Spitzhacken und Äxte, Bohrer, Beile, Spaten, eiserne Grabscheite

und alle anderen Werkzeuge, die man bei einem Feldzug braucht. Die Lebensmittel müssen vom Reichstage an gerechnet drei Monate reichen, Waffen und Bekleidung ein halbes Jahr. Wir befehlen dir, streng darauf zu achten, daß du in

Nachfolgeregelung Karls des Großen

73

Ruhe und Frieden den genannten Ort erreichst, durch welche Teile unseres Reiches dein Marsch dich auch führen mag, daß außer Grünfutter, Holz und Wasser keinerlei Vorräte angerührt

werden;

durch

wessen

Besitz

aber

euere

Leute mit Packwagen und Pferden gerade marschieren, der

soll immer dabei sein, auf daß nicht die Abwesenheit des

Herrn seinen Besitz den Leuten preisgibt, um Unheil anzurichten, und das soll bis zur Ankunft am Ziel gelten. Die Geschenke, die du uns auf unserem Reichstag abzulie-

fern hast, übersende uns Mitte Mai dahin, wo wir uns dann aufhalten werden; wenn du deinen Marsch so einrichten

kannst, daß du sie uns bei deinem Aufbruch in eigener Person überreichen kannst, dann wird uns das um so angenehmer sein. Lasse dir dabei keinerlei Nachlässigkeit zuschulden kommen, wenn dir an unserer Gnade gelegen ist. D: Lautemann. S. 76 f. O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius. Hannover 1883. (MGH

Capit. 1.) S. 168.

13 Nachfolgeregelung Karls des Großen Das Nachfolgekonzept Karls des Großen kennen wir aus dem Reichsteilungsgesetz von 806. Demnach sollte der jüngste noch lebende Sohn, Ludwig (der spätere Ludwig der Fromme), Aquitanien, den größten Teil Burgunds und die Provence erhalten; der zweite Sohn, Pippin, zu Italien auch Baiern und das südliche Alemannien

(bis zur Donau); der älteste, Karl der Jüngere, mit Neustrien und

Austrien das gesamte altfränkische Kernland und außerdem Sachsen, Thüringen, Friesland sowie Teile Baierns, Alemanniens und Bur-

gunds. Es handelte sich also nicht um eine gleichberechtigte Aufteilung des Reiches, sondern der Älteste war eindeutig bevorzugt. Für

den Eintritt des Erbfalls hielt es Karl der Große für nötig, seinen

74

Nachfolgeregelung Karls des Großen

Söhnen zu befehlen, daß keiner von ihnen einen Angehörigen de

kommenden Generation, Sohn oder Neffen, ohne gerechtes Gericht töten, verstümmeln, blenden oder zwangsweise in ein Kloster ein-.

weisen lassen dürfe. Hier zeigt sich, daß Karl aus der Geschichte des merowingischen Frankenreichs und aus den Vorgängen beim Tode seines Großvaters Karl Martell und seines Vaters Pippin gelernt hatte. a Die »Divisio regnorum« aus dem Jahre 806 ist in zwei Handschriften aus dem 10. bzw. 11. Jahrhundert erhalten.

Hier beginnt die Niederschrift über die Teilung der König-

reiche. Im Namen des Vaters und des Sohnes gen Geistes. Karolus serenissimus augustus, tus, magnus pacificus imperator, Romanum perium, qui et, per misericordiam dei rex

und des Heil a deo coronagubernans imFrancorum et

Langobardorum, an alle Getreuen der heiligen Kirche Got-

tes und an unsere eigenen Getreuen, an die Gegenwärtigen wie auch an die Zukünftigen. Es ist allen bekannt und, wie wir glauben, niemandem von euch verborgen, daß die göttliche Gnade, durch deren Willen die zum Untergang hi treibenden Jahrhunderte erneuert werden, uns ein großes Gnaden- und Segensgeschenk gegeben hat, indem sie uns drei Söhne schenkte. Sie festigt durch sie einmal nach unserem Willen unsere Hoffnung gegenüber dem Reich, dan

aber hebt sie auch die Sorge auf, daß wir von einer eitler Nachwelt vergessen werden könnten, und so soll es euch nach unserem Willen bekannt sein, daß wir diese drei von

Gottes Gnaden unsere Söhne zu unseren Lebzeiten als Mit- _ besitzer des uns von Gott gegebenen Reiches ansehen wol-

len und daß wir darum beten, sie nach unserem Hinscheiden aus dieser Sterblichkeit als Erben unseres von Gott be- A

wahrten und auch in Zukunft geschützten Imperiums und Regnums zurücklassen zu können, wenn die göttliche Majestät es will. Wir wollen ihnen aber den Staat nicht in Verwirrung und Unordnung hinterlassen, nicht eine Auseinandersetzung in Zank und Streit um das ganze Reich, sondern

wir haben veranlaßt, daß, indem wir den Körper des ganzen

Nachfolgeregelung Karls des Großen

75

Reiches in drei Teile zerlegen, genau gekennzeichnet und schriftlich fixiert werde, welchen Teil ein jeder von ihnen regieren und schützen soll. So nämlich soll jeder nach unserer Weisung mit seinem Anteil zufrieden sein und die Grenzen seines Reiches, die ans Ausland stoßen, mit Gottes Hilfe zu

verteidigen suchen und Frieden und Liebe seinem Bruder gegenüber beobachten. 1. Es ist unser Wille, daß von unserem von Gott behüteten

und auch weiterhin geschützten Imperium und Regnum ganz Aquitanien und Gascogne, außer dem Gau von Tours, alles, was von da nach Westen und gegen Spanien liegt, dann die Stadt Nevers an der Loire mit dem Gau von Nevers und

die Gaue von Avallon und Auxois, Chälons-sur-Saöne, Mäcon, Lyon, Savoyen, Maurienne, Tarantaise, der Mont Cenis, das Tal von Susa bis zu den Klausen, das Land von den

italienischen Berggrenzen bis ans Meer, alle diese Gaue mit ihren Städten und das Land von da nach Süden und Westen bis ans Meer und Spanien, also dieser Teil von Burgund, die Provence, Septimanien oder Gothien, bestimmungsgemäß an unseren geliebten Sohn Ludwig falle.

2. Italien, das man auch Lombardei nennt, und Bayern, wie Tassilo es besessen hat, außer den beiden Höfen namens In-

golstadt und Lauterhofen, die wir früher Tassılo zum Lehen gegeben haben und die zum Nordgau gehören, und der Teil von Alamannien, der auf dem südlichen Donauufer gelegen ist, dann verläuft die Grenze von der Donauquelle bis zum Rhein in der Nähe des Schlettgaues und Hegaus an dem Ort Engen, und dann rheinaufwärts bis zu den Alpen, — alles, was innerhalb dieser Grenzen gelegen ist und nach Süden

und Osten schaut, dazu der Dukat

Chur und der

Thurgau, soll Pippin, unserem geliebten Sohne, gehören. 3. Was aber von unserem Reiche außerhalb der genannten Grenzen liegt, das ist Franzien und Burgund, außer dem Teil, den wir Ludwig zugewiesen haben, und Alamannien,

außer

dem

Austrien,

Teil, den

Neustrien,

wir

Pippin

Thüringen,

zugeschrieben

Sachsen,

haben,

Friesland

und

76

Nachfolgeregelung Karls des Großen

den Teil von Bayern, den man Nordgau nennt, überlassen wir unserem geliebten Sohne Karl mit der Maßgabe, daß Karl und Ludwig eine Verbindung mit Italien haben, um notfalls ihrem Bruder Hilfe bringen zu können, und zwar Karl durch das Tal von Aosta, das zu seinem Reiche gehört, Ludwig durch das Tal von Susa, während Pippin seinerseits _ Eingang und Ausgang durch die Norischen Alpen und Chur besitzt. 4. Wir ordnen [die Erbfolge] so, daß der Teil des Gesamte i reiches, den Karl als der Älteste gehabt hat, zwischen Pippin und Ludwig geteilt werden soll, falls er vor seinen Brüdern sterben

sollte, wie er früher

zwischen

uns und

unserem _

Bruder Karlmann geteilt gewesen ist. Pippin soll dann den _ Teil bekommen, den unser Bruder Karlmann gehabt hat, _ Ludwig aber den Teil empfangen, den wir von diesem Reichsteil in Besitz gehabt haben. Falls aber noch bei Lebzeiten Karls und Ludwigs Pippin das menschliche Geschick

erleiden sollte, dann soll der Teil des Gesamtreiches, den _

Pippin im Besitz hatte, zwischen Karl und Ludwig geteilt _ werden, und diese Teilung soll so geschehen, daß Karl vom Eingang nach Italien bei Aosta an die Gegenden von Ivrea, _ Vercelli, Pavia erhalten soll, von da den Fluß entlang bis an _

das Gebiet von Regii, Regii selbst und Cittannova, Modena _ bis zu den Grenzen des Heiligen Petrus. Diese Städte mit ihren Weichbildern und Gebieten, mit den dort bestehen-

In einer Handschrift, die eine für den Markgrafen Eberhard

von Friaunl (gest. 864 oder 866) angelegte Sammlung von Volks-

rechten enthält, befindet sich diese Darstellung von Karl dem Großen

mit seinem

Sohn

Pippin

(seit 781

Unterkönig

von

Italien, gest. 810). Beide Herrscher halten einen Richterstab in

den Händen, während vor ihnen ein Schreiber lauscht, um ihre

Gebote aufzuzeichnen.

_

78

Nachfolgeregelung Karls des Großen

den Grafschaften und alles, was einem nach Rom wandernden Manne zur Linken liegt, von dem Reichsteil des Pippin,

dazu der Dukat von Spoleto, das alles soll, wie schon ge-

sagt, Karl erhalten. Was aber von dem bezeichneten Reichsteil aus von den genannten Städten und Grafschaften einem nach Rom gehenden Manne zur Rechten liegt, das heißt der Rest von Transpadanien, dazu der Dukat von Tuszien bis ans Meer und bis zur Provence, werde Eigentum Ludwigs zur Vergrößerung seines Reichsanteils. Wenn aber Ludwig bei Lebzeiten der anderen stirbt, dann soll Pippin den Tel | von Burgund, den wir Ludwigs Reich zugeteilt haben, mit der Provence und Septimanien oder Gothien bis nach

Spanien hin erhalten, Karl aber Aquitanien und die Gascogne. 4 5. Falls aber einem der drei Brüder ein Sohn geboren wer- _ den sollte, den das Volk zum Nachfolger seines Vaters wäh-

len möchte, dann ist es unser Wille, daß die Oheime dieses _

Knaben der Wahl zustimmen und den Sohn ihres Bruders _

in dem Teilreich, den sein Vater, ihr Bruder, besessen hat, _ herrschen lassen. [...] A 18. Es ist unser Wille, daß unsere Enkel, also die Söhne un-

serer schon genannten Söhne, die bereits geboren sind, und _ diejenigen, die vielleicht noch geboren werden, von keinem von ihnen und bei keinerlei Gelegenheit getötet oder ver- | stümmelt oder geblendet oder gegen ihren Willen geschoren werden ohne gerechte Verhandlung und Untersuchung, wenn einer bei einem von ihnen verklagt ist, sondern wir | wollen, daß sie von ihren Vätern und Oheimen geachtet werden, und sie selbst sollen diesen in aller Ergebenheit gehorchen, wie es sich für den gehört, der zu einer solchen

Sippe zählt. D:

Lautemann. S. 103-106.

O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius. Hannover 1883. (MGH

Capit. 1.) S. 126-130.

| M |

14

Kaiserkrönung Ludwigs des Frommen Auch am Ende seines Lebens wollte Karl dem Papst bei der Kaiserkrönung keine Mitwirkung zubilligen. Nach byzantinischem Vorbild wurde sein einzig überlebender Sohn Ludwig am 11. September 813 dadurch zum Mitkaiser erhoben, daß der Vater ihn veranlaßte,

sich die Kaiserkrone aufzusetzen. Ludwig hat dieses Vorgehen seines Vaters dann wenige Jahre später korrigiert, indem er den Besuch

von Papst Stephan III. im Frankenreich zum Anlaß nahm, sich er-

neut und diesmal durch den Papst zum Kaiser krönen zu lassen (am 5. Oktober 816 in Reims).

Zur Krönung durch Karl werden hier Auszüge aus den Reichsannalen (14.1), aus der Vita Hludovici von Ludwigs Biographen Thegan (14.2) und aus Einhards Lebensbeschreibung Karls des Großen (14.3) wiedergegeben, zur Krönung durch den Papst wiederum aus

Thegans Werk (14.4).

Der Trierer Chorbischof Thegan, der aus dem Adel des karolingischen Kernraums um Maas und Mosel stammte, verfaßte sein Werk 837/838; es reicht bis zum Jahr 835.

14.1 Fränkische Reichsannalen [813] Auf einem Reichstag, den er dann abhielt, setzte er seinem Sohn Ludwig, dem König von Aquitanien, den er zu sich nach Aachen hatte kommen

lassen, die Krone aufs

Haupt und verlieh ihm den Titel Kaiser; seinen Enkel Bernhard, den Sohn seines Sohnes Pippin, setzte er über Italien und befahl ihn König zu nennen. D:

‚Rau 1.S. 103.

O: Annales regni Francorum. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hannover/Leipzig 1895. (MGH SS rer, Germ. 6.) S. 138.

80

Kaiserkrönung Ludwigs des Frommen 14.2 Thegan, Vita Hludovici

N

Nachdem er [Karl] diese und viele andere Worte vor der Menge zu seinem Sohne gesprochen hatte, fragte er ihn, ) er seinen Befehlen gehorsam sein wollte. Ludwig aber erwiderte, er werde

mit Freuden

gehorchen

und

mit Gottes

Hülfe alle Vorschriften, welche ihm der Vater gegeben, treulich beobachten.

Dann aber befahl ihm der Vater, die Krone, welche auf dem

Altare lag, mit eigner Hand zu nehmen und sich auf das Haupt zu setzen zur Erinnerung aller Vorschriften, welche ihm der Vater gegeben hatte. Er aber vollzog den Befehl des Vaters. Hierauf hörten sie die Messe und gingen dann zusammen nach dem Palast. Denn der Sohn unterstützte den Vater auf Hin- und Rückweg, wie überhaupt so lange er beim Vater _ war. A D: Kaiser Ludwigs des Frommen Leben von Thegan. Übers. von Julius von Jasmund. Leipzig 1850. (GdV 19.) S. 6 (Kap. 6).

O: Annales, chronica et historiae Carolini. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1829. (MGH

SS 2.) S. 592.

14.3 Einhard, Vita Karoli Magni Gegen Ende seines Lebens, als ihn schon Krankheit und Al- _

ter bedrückten, ließ er Ludwig, den König von Aquitanien, der als einziger von Hildegards Söhnen noch am Leben war, _ zu sich rufen. Dann lud er alle fränkischen Adeligen zu einer feierlichen Versammlung ein, bei der er Ludwig mit _ ihrer Zustimmung zum Mitregenten über das ganze Reich und zum Erben des Kaisertitels einsetzte. Er krönte seinen Sohn selbst mit dem Diadem und befahl, ihn mit dem Na-

men Kaiser und Augustus anzureden. Der Beschluß wurde von allen Anwesenden mit großem Beifall aufgenommen,

Kaiserkrönung Ludwigs des Frommen

81

da es schien, daß er ihn auf Gottes Eingebung hin zum Wohle des Königreiches gefaßt hatte. In der Folgezeit erhöhte sich dadurch sein kaiserliches Ansehen und flößte den fremden Völkern großen Respekt ein. D: Einhard: Vita Karoli Magni / Das Leben Karl des Großen. Lat./ Dt. Übers., Nachw. und Anm. von Evelyn Scherabon Firchow.

Stuttgart: Reclam, 1989. S. 55/57 (Kap. 30). O: Einhardi Vita Karoli Magni. Hrsg. von Oswald Holder-Egger. Hannover/Leipzig 1911. (MGH SS rer. Germ. 25.) S. 34.

14.4 Thegan, Vita Hludovici Darauf beehrte der Papst mit großen und vielen Geschenken ihn, und die Königin Irmingard und alle seine Vornehmen und Diener. Und am nächsten Sonntag in der Kirche vor der Messe weihte er ihn vor der Geistlichkeit und allem Volke und salbte ihn zum Kaiser; und eine goldene Krone von wunderbarer Schönheit mit den wertvollsten Edelsteinen geschmückt, die er mitgebracht hatte, setzte er ihm auf. Und die Königin Irmingard begrüßte er als Kaiserin und setzte ihr eine goldene Krone aufs Haupt. So lange der Papst anwesend war, pflogen sie jeden Tag Unterhaltung um das Beste der heilgen Kirche Gottes. Nachdem aber der Kaiser ihn mit großen und unzähligen Geschenken überhäuft hatte, dreimal so vielen als er selbst von

jenem empfangen hatte, wie er denn immer zu tun pflegte, mehr zu geben als zu nehmen, entließ er ihn wieder nach Rom in Begleitung seiner Gesandten, denen er befahl, überall auf der Reise ehrenvollen Dienst zu leisten. D: O:

Kaiser Ludwigs des Frommen Leben von Thegan. Übers. von Julius von Jasmund. Leipzig 1850. (GdV 19.) S. 11 (Kap. 17). Annales, chronica et historiae aevi Carolini. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover/Leipzig 1829. (MGH SS 2.) S. 594.

15

Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen Wohl unter dem Eindruck eines Unfalls, den er zu Ostern 817 in Aachen erlitten hatte, benutzte Ludwig der Fromme eine Reichsver-

sammlung dieses Jahres, um seine Nachfolge zu regeln. Neu war ge- _ genüber der Ordnung von 806 (s. Nr. 13) die eindeutige Bestim- _ mung, daß das Reich als Einheit fortbestehen sollte; zum Nachfolger im Kaisertum wurde der älteste Sohn Lothar bestimmt. Die beiden jüngeren Söhne, Pippin und Ludwig, erhielten zwar eigene Gebiete zur Regierung (Aquitanien und Baiern), aber sie waren dort keine selbständigen Herrscher, sondern sollten unter der Oberherrschaft _

des Kaisers stehen. Damit waren die Prinzipien der Unteilbarkeit _ des Reiches und des Vorrechts der Primogenitur, die bereits in der | Ordnung von 806 angedeutet waren, in die fränkische Verfassung eingegangen. Gegen die Nachfolgeordnung kam anscheinend Widerstand von Bernhard von Italien, dem Neffen des Kaisers, der seit

dem Tode seines Vaters Pippin im Jahre 810 Italien beherrschte. _ Ludwig nützte die Gelegenheit und ließ Bernhard beseitigen. Die Ordnung von 817 wurde gefährdet, als aus der zweiten Ehe des Kaisers mit der Welfin Judith im Jahre 823 ein Sohn geboren wurde, der den Namen Karl erhielt, was von Anfang an deutlich machte, daß auch dieser Sohn einen Teil des Erbes erhalten müsse (s. Nr. 17). 4 Die sogenannte Ordinatio imperii von 817 ist nur in einer einzigen Handschrift erhalten. ;

Teilung des Reiches des Herrn Ludwig unter seine geliebten

Söhne, unter Lothar, Pippin und Ludwig, im vierten Jahre seiner Herrschaft. Im Namen unseres Herrn Gottes und

unseres Erlösers Jesus Christus. Ludwig, nach Gottes weiser Voraussicht Kaiser und Augustus. Da wir in Gottes Na-

_

men im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 817, in der zehnten Indiktion', im vierten Jahre unserer Herrschaft, im 1 Mittelalterliche Jahreszählung in Zyklen zu 15 Jahren, die auf einer Periodisierung im Besteuerungswesen des Römischen Reiches zurückgeht (daher manchmal auch als »Römerzinszahl« bezeichnet).

|

Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen

83

Monat Juli zu Aachen in unserer Pfalz gewohntermaßen einen heiligen Konvent und einen Reichstag unseres Volkes

einberufen

haben,

um

kirchliche

Fragen,

aber

auch

die Angelegenheiten zum Nutzen des ganzen Reiches zu besprechen, und da wir ernsthaft darum

bemüht

sind, ist

es plötzlich auf Gottes Geheiß geschehen, daß uns unsere Getreuen ermahnt haben, mit Rücksicht auf unsere gute Gesundheit und da uns überall von Gott Frieden gewährt ist, über die Lage des ganzen Reiches und über unsere Söhne nach der Weise unserer Väter zu verfahren. Wie untertänig und in wie sehr ergebener Gesinnung diese Mahnung nun auch vorgebracht worden sein mag, so ist es doch weder uns noch denen, die das Richtige wissen, richtig erschienen, daß aus Liebe zu den Söhnen die Einheit des Reiches, das Gott uns verliehen hat, durch eine menschliche

Teilung zerspalten werde, damit nicht etwa bei einer solchen Gelegenheit die heilige Kirche in Ärgernis verfalle,

und wir uns selbst den Zorn dessen zuziehen könnten, in

dessen Kraft die Gerechtigkeit aller weltlichen Herrschaft besteht. Daher haben wir es für notwendig gehalten, mit Fasten und Gebet und Almosen durch ihn zu erreichen, was

unsere Schwäche nicht wagte. Nachdem wir drei Tage dies so gehalten haben, ist es, wie wir fest glauben, auf Befehl

des allmächtigen Gottes geschehen, daß unsere Stimme und die des ganzen Volkes in der Wahl unseres geliebten erstgeborenen Sohnes Lothar übereinstimmten. Ihn, der durch solchen göttlichen Ratschluß kundgetan wurde, habe ich nach meinem und meines ganzen Volkes Willen feierlich mit dem kaiserlichen Diadem gekrönt und als unseren Mitregenten und Nachfolger am Kaisertum, wenn Gott will, öffentlich eingesetzt. Es hat uns auch gefallen, seine Brüder Pippin und Ludwig, der unseren Namen trägt, unter allgemeiner Zustimmung mit dem königlichen Titel auszuzeichnen, und wir haben sie über die unten näher bezeichneten

Gebiete gesetzt, wo sie nach unserem Dahinscheiden unter der Hoheit ihres älteren Bruders mit königlicher Gewalt

84

Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen

herrschen sollen nach den unten angefügten Kapiteln, die die Bedingungen, so wie wir sie zwischen ihnen festgesetzt haben, enthalten. Es hat uns auch gefallen, diese Kapitel zum Nutzen des Reichs und um des ewigen Friedens zwischen den Brüdern willen und als Schutz für die ganze Kirche mit allen unseren

Getreuen

zu beraten, das Beratene

niederzuschreiben und das schriftlich Fixierte durch unsere eigenhändige Unterschrift zu bestätigen, auf daß diese Artikel durch den Beistand Gottes ebenso unverletzlich in gemeinsamer Ergebenheit gehalten werden zum dauernden Frieden unter ihnen und des ganzen christlichen Volkes, wie _ sie auch alle in gemeinsamem Rat beschlossen haben; unbeschadet aber bleibe unsere kaiserliche Gewalt über unsere Söhne und unser Volk mit aller Ehrerbietung, die dem Vater von den Söhnen, dem Kaiser und Könige von seinen Völ-

kern zukommt. 4 Cap. 1. Pippin soll Aquitanien und die Gascogne und die | ganze Mark von Toulouse haben und dazu noch vier Grafschaften, nämlich in Septimanien Carcassonne, in Burgund _ Autun, Avallon und Nevers.

Cap. 2. Ludwig soll Bayern und Kärnten erhalten und Böh- _ men und die Avarengebiete und die slawischen Gaue an der bayerischen Ostgrenze und dazu zwei königliche Höfe zu seinem Gebrauch im Nordgau, Lauterhofen und Ingol- -

stadt.

Cap. 3. Wir wollen, daß diese beiden Brüder, die den Na-

|

|

men von Königen führen sollen, innerhalb ihres Machtbereiches alle Ehren aus eigener Gewalt verteilen, so daß die kirchliche Ordnung in den Bistümern und den Abteien be- | wahrt bleibe, wie die Würde und der Nutzen gewahrt wer- | den sollen, wenn sie andere Ehren austeilen.

Cap. 4. Wir ordnen auch an, daß sie einmal im Jahre zu gelegener Zeit, entweder gleichzeitig oder einzeln, je nach den

Umständen, ihren älteren Bruder aufsuchen mit ihren Geschenken, um ihn zu besuchen und zu sehen und um über

N

Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen

85

notwendige Fragen und Angelegenheiten des gemeinsamen Nutzens oder des dauernden Friedens in wechselseitiger brüderlicher Liebe zu beraten.

[...]

Cap. 7. Auch befehlen wir, daß sie weder Frieden noch Krieg gegen fremde und diesem von Gott geschützten Reich feindliche Völker ohne Rat und Zustimmung des älteren Bruders zu unternehmen wagen. Sie sollen aber nach Maßgabe ihrer Kräfte selbst unerwartet Angriffe von Feinden und überraschende Einfälle abwehren. Cap. 8. Gesandten fremder Völker aber, die um Frieden zu schließen oder um Krieg zu erklären oder aus anderen wichtigen Ursachen kommen mögen, oder die Städte und

Kastelle ausliefern wollen, soll keiner ohne Wissen des älte-

ren Bruders antworten, ebensowenig sie zurückschicken. L..J

Cap. 9. Wir halten es auch für nötig anzuordnen, daß nach unserem Tode die Vasallen eines jeden Bruders ihr Dienstgut im Machtbereich ihres Herren haben sollen und nicht in dem eines anderen, um Streitigkeiten zu vermeiden. Sein Eigen- und Erbgut aber soll ein jeder da, wo es liegt, unter vollem Rechtsschutz und in allen Ehren und in voller Sicherheit nach seinem Rechte ohne ungerechte Beunruhigung besitzen, und jedem freien Manne, der noch keinen Herrn hat, sei es gestattet, sich dem von den drei Brüdern zu Diensten zu geben, welchem er will.

[...]

Cap. 14. Wenn einer von ihnen bei seinem Tode legitime

Söhne zurückläßt, dann soll doch die Macht nicht unter die-

sen geteilt werden, sondern lieber soll das Volk zusammen-

kommen und einen von den Söhnen, den Gott berufen will, erwählen; und diesen soll der ältere Bruder an Bruders- und

Sohnesstelle annehmen. Er soll ihn ehrenvoll wie ein Vater erheben, und diese Konstitution ihm gegenüber mit allen Mitteln bewahren. Hinsichtlich der anderen Kinder sollen sie mit frommer Liebe zusehen, wie man sie nach der Art

unserer Vorfahren ausstatte und klug halte.

86

Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen

Cap. 15. Falls jemand

von ihnen

ohne

legitime Kinder

stirbt, dann falle seine Macht in die Hände des älteren Bru-

ders zurück. Wenn einer Kinder von Konkubinen hab sollte, dann ermahnen wir ihn, ihnen gegenüber milde zu

verfahren.

[...]

Cap. 17. Das italische Reich aber soll unserem obengenann

ten Sohne [Lothar], wenn Gott ihm unsere Nachfolge ver-

gönnt, ganz und gar unterworfen sein, wie es auch unserem

Herrn Vater unterworfen gewesen ist und uns mit Gott ge-

genwärtig untertan bleibt. 4 Cap. 18. Wir mahnen auch unser ganzes Volk bei seiner Ergebenheit und bei der unerschütterlichen Zuverlässigkeit des wohl heiligsten Eides der ganzen Welt, falls jener unserer Söhne, der uns selbst nach Gottes Gnade nachfolgt, sterben sollte ohne legitime Kinder, zum Heile aller und zum Ruhme der Kirche und um der Einheit des Reiches willen aus der Zahl unserer Kinder, die ihren Bruder überleben,

nur einen einzigen zu wählen, und wiederholen die Bedin-

gungen der Wahl wie oben: Denn um ihn einzusetze bedarf es nicht eines menschlichen, sondern des göttlich Willens. D: Lautemann. S. 107-110. O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius. H nover 1883. (MGH Capit. 1.) S. 270-273.

16

Reichsreform und Reichsverwaltung unter Ludwig dem Frommen Auf der großen Reichsversammlung, die im Winter 818/819 in Aachen tagte, wurde das Werk der Reform von Kirche und Reich,

von dem die ersten Jahre der Regierung Ludwigs des Frommen ausgefüllt waren, zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Neben Reformbestimmungen auf dem Gebiet des kirchlichen Lebens wurden auch Ergänzungen zu den weltlichen Gesetzen beschlossen.

16.1 Kirchenkapitular Im sogenannten Kirchenkapitular von 818/819 wurde u. a. die Frage der Eigenkirchen und der rechtliche Schutz von Geistlichen, Witwen und Waisen endgültig geregelt.

9. Es wurde festgesetzt, daß Priester ohne Geheiß und Zustimmung ihres Bischofs an einer Kirche weder eingesetzt

noch von dort vertrieben werden dürfen; und wenn Laien

den Bischöfen Geistliche vorschlagen, damit sie diese wei-

hen und an ihren Kirchen einsetzen, dürfen sie diese unter keinen Umständen zurückweisen, wenn ihre Lebensfüh-

rung und ihre Glaubensüberzeugung annehmbar ist. 10. Es wurde beschlossen, daß jeder Kirche eine ganze Hufe ohne jede Dienstleistungspflicht übereignet werden soll, und die dort eingesetzten Priester dürfen von den Zehnten und den Opfergaben der Gläubigen, von den Häusern, Innenhöfen und Gärten bei der Kirche und von der eben genannten Hufe nur der Kirche Abgaben und Dienste leisten. Und wenn

sie darüber hinaus etwas innehaben, sollen sie

davon den Herren den schuldigen Dienst leisten.

88

Reichsreform und Reichsverwaltung

D: Übers.: W. H. O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius. nover 1883. (MGH Capit. 1.) S. 277.

16.2 Verbreitung und Bekanntmachung der Kapitularien Es ist in der Forschung

bis heute umstritten, ob überhaupt

wenn ja auf welche Weise die Kapitularien in den einzelnen Regic nen des großen Frankenreichs bekanntgemacht wurden. Am S der »Ermahnung an alle Stände des Reiches« von 825 wurden M nahmen vorgesehen, die eine möglichst weite Verbreitung des Kay tulars sichern sollten: die Erzbischöfe und Grafen sollten vom kai serlichen Erzkanzler Exemplare des Gesetzes erhalten, von den 3 sie dann den übrigen Bischöfen, Äbten und Getreuen Kopien übe geben sollten, damit der Wortlaut des Gesetzes im ganzen Reich ve: lesen werden konnte. A Wir wollen aber, daß die Kapitel, die wir jetzt und zu an ren Zeiten auf den Rat unserer Getreuen festsetzen, von

serem Kanzler an die Erzbischöfe und die Grafen ihrer Metropolitansitze entweder persönlich oder durch Boten üb geben werden. Jeder [Erzbischof] soll dann in seiner chenprovinz für die übrigen Bischöfe, Äbte, Grafen u unsere übrigen Getreuen diese Kapitel vervielfältigen las; sen, und diese sollen sie in ihren Amtsbezirken vor alle n verlesen, damit allen unser Gebot und unser Wille bekannt wird. Unser Kanzler soll aber die Namen der Bischöfe und. Grafen, die diese Kapitel von ihnen erhalten sollen, festhalten und dieses Schriftstück uns zur Kenntnis bringen, damit keiner übergangen wird.

D: Übers.: W. H.

O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius. Hannover 1883. (MGH

Capit. 1.) S. 307.

|

Il Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen Wenige Jahre später kündigten sich schwere innere Krisen im Frankenreich an. Ein Anlaß war die zweite Ehe Ludwigs des Frommen

mit der Welfin Judith, aus der 823 ein Sohn hervorging, der den Namen Karl erhielt. Um auch diesem einen Anteil am Erbe zu sichern,

mußte die Ordnung von 817 (s. Nr. 15) umgestoßen werden. Als die Franken 827 an den Grenzen gegen die Sarazenen in Spanien, gegen die Dänen und gegen die Bulgaren in Pannonien schwere Niederlagen erlitten, versuchte der Kaiser eine Reihe von wichtigen Positionen am Hof neu zu besetzen. Im August 829 übertrug Ludwig seinem jüngsten Sohn Karl einen eigenen Machtbereich (Elsaß, Alemannien, Rätien), und es wurde ein Vertrauter der Kaiserin (Bernhard von Barcelona) zum wichtigsten Mann am Hof bestimmt.

Die bisherigen Teilhaber an der Macht wollten dies nicht zulassen und nahmen im Bündnis mit dem Mitkaiser Lothar den Kampf gegen den alten Kaiser und seine junge Gemahlin Judith auf. Die Auseinandersetzung erreichte ihren Höhepunkt mit der Absetzung Ludwigs des Frommen (Herbst 833). Aber schon im Frühjahr 834, endgültig dann Anfang 835 war der alte Kaiser wieder in seinem Amt; Lothar wurde nach Italien abgeschoben.

Im folgenden berichtet Ludwigs Biograph Thegan (Vita Hludovici, Kap. 42) über das Treffen zwischen Ludwig und seinen Söhnen bei Colmar (17.1). Wiedergegeben ist ferner die Darstellung der Ereignisse durch die Annalen von St-Bertin, eine im westlichen Teil des

Frankenreichs entstandene Fortsetzung der Fränkischen Reichsannalen (17.2). Das Schuldbekenntnis, das Ludwig dem Frommen

im

Oktober 833 abgepreßt wurde (17.3), ist nur noch in einem Druck des 17. Jahrhunderts erhalten. Die Wiedereinsetzung Ludwigs wird wiederum durch die Annalen von St-Bertin berichtet (17.4).

90

Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen

17.1 Thegan, Vita Hludovici Nach Ostern hörte er, daß seine Söhne wiederum in feindli-

cher Absicht zu ihm kommen wollten: er aber sammelte ein Heer und zog gegen sie in die große Ebene, welche zwi-schen Argentoria [Straßburg] und Basila [Basel] liegt, bis auf den heutigen Tag das Lügenfeld genannt, wo der meisten Treue zu Schande ward. Die Söhne aber zogen ihm entgegen mit Papst Gregor,' der Vater bewilligte aber nichts von dem, was sie forderten. Wenige Tage darauf kamen der Kaiser und der Papst zu einer Unterredung zusammen; und sie redeten lange miteinander, und der Papst beehrte den Kaiser mit großen und zahllosen Geschenken. Nachdem sie

aber beide zu ihren Zelten zurückgekehrt, schickte der Kai-ser königliche Geschenke durch den ehrwürdigen Abt und Presbyter Adalung an den Papst. Da nun gaben einige den

Rat, den Kaiser zu verlassen und zu seinen Söhnen überzu- _

gehen, vor allen die, welche ihn schon früher beleidigten: und indem die übrigen folgten, ließ ihn in einer Nacht der größte Teil in Stich, verließen die Zelte und gingen zu den Söhnen. Am andern Morgen kamen einige, welche zurückgeblieben waren, zum Kaiser; denen sagte er befehlend: Geht zu meinen Söhnen, ich will nicht, daß einer um meinetwillen Leben oder Glieder einbüße. Sie aber, in Tränen

gebadet, gingen von ihm fort. Schon damals hatten sie seine. Gemahlin von ihm getrennt, mit einem Eide bekräftigend,

daß sie dieselbe nicht haben wollten, um sie zu töten oder

zu verstümmeln. Sie schickten sie aber sogleich nach Italien in die Stadt Tartuna [Tortona], um sie dort in Gewahrsam zu halten. Nicht lange darauf nahmen sie den Vater und führten ihn mit sich; darauf trennten sie sich; Pippin ging nach Aquitanien, Ludwig nach Bavarien [Baiern]. | 1 Papst Gregor IV. (827-844) war ins Frankenreich gereist, um auf der Seite Lothars in den Familienzwist einzugreifen.

Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen

91

D: Kaiser Ludwig des Frommen Leben von Thegan. Übers. von Julius von Jasmund. Leipzig 1850. (GdV 19.) S. 19 f. (Kap. 42). O: Annales, chronica et historiae aevi Carolini. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1829. (MGH

17.2

SS 2.) S. 598 f.

Annalen von St-Bertin

[833] Und nachdem dem Kaiser die Gemahlin entrissen und nach der italienischen Stadt Tortona in die Verbannung geschickt war, entließ Lothar, der sich die kaiserliche Gewalt angemaßt hatte, den Papst nach Rom, Pippin nach Aquitanien und Ludwig nach Baiern; er selbst aber führte den Vater unter Bedeckung mit sich über Metz nach der Stadt Suessiones [Soissons], wo er ihn im Kloster des heili-

gen Medardus in Gewahrsam ließ; Karl aber trennte er vom Vater und schickte ihn nach dem Kloster Prumia [Prüm], was dem Vater großen Kummer bereitete. Darauf hielt Lothar den von ihm berufenen Reichstag am ersten Oktober zu Compendium [Compi&gne], und die Bischöfe, Abte, Grafen und das Volk in großen Massen waren erschienen, brachten dem Lothar die gewöhnlichen Jahresgeschenke und gelobten ihm Treue. Auch Gesandte aus Konstantinopel, die an den Vater gesandt waren, kamen nun nach Com-

pendium zu Lothar und überbrachten ihm Briefe und Geschenke. Auf diesem Reichstag schmiedeten sie viele schwere Anklagen gegen den Kaiser, und vor allem war Ebo?, Bischof von Remi [Reims], der Anstifter dieser falschen Beschuldigungen; und so lange peinigten sie den Kai-

ser, daß sie ihn dahin brachten, die Waffen abzulegen und

seine Kleidung zu ändern, und ihn von der Schwelle der Kirche verstießen, so daß niemand mehr mit ihm zu sprechen wagte, als diejenigen, welche besonders dazu verordnet waren. Später aber, da man fürchtete, der Kaiser möchte

2 Ebo, seit 816 Erzbischof von Reims, wurde nach dem Sieg Ludwigs des

Frommen über seine aufständischen Söhne 835 abgesetzt.

92

Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen

etwa von einigen seiner Getreuen entführt werden, kar

Lothar selbst ins Kloster nach Suessiones, führte den Vate wider dessen Willen von da mit fort und hielt ihn bei sic

zu Compendium in Haft. Nach geschlossenem Reichs \ begab sich Lothar, den Vater wiederum unter Bedeckun; mit sich führend, nach Aachen, wo er am Vorabend de: Festes des heil. Andreas? eintraf.

D:

|

Die Annalen von St. Bertin und St. Vaast. Übers. von Julius von

N Jasmund. Leipzig 1857. (GdV 24.) S. 11 f. O: Annales de Saint-Bertin. Hrsg. von Felix Grat [u. a.]. Paris 196 $. 9%.

17.3 Schuldbekenntnis Ludwigs Herr

Ludwig

erschien also in der Basilika der heiligen

Mutter Gottes Maria [in Soissons], wo die Leiber des heili-

gen Bekenners Christi Medardus und des sehr verdienstvollen Märtyrers Sebastian ruhen. Vor zahlreichen Priestern, Diakonen und anderen Klerikern sowie seinem Sohn,

dem

Herrn

Lothar,

und

dessen

Großen

und

dem

vielen Volk, das in der Kirche Platz fand, warf sich Ludwig auf ein ausgebreitetes Bußgewand vor dem Holzaltare zu Boden und bekannte vor allen Anwesenden: das ihm anvertraute Amt habe er sehr unwürdig verwaltet, dabei habe er Gott häufig gekränkt, Christi Kirche habe er Ärgernis erregt und durch seine Gleichgültigkeit das Volk in alle möglichen Gefahren gebracht. Um diese schweren Vergehen zu sühnen, wolle er öffentlich Kirchenbuße lei-sten, damit Gott sich seiner erbarme und er durch die‘

Amtsgewalt und die Hilfe jener Männer freigesprochen. werde, denen Gott die Gewalt zu lösen und zu binden ge-M geben habe. 3 29. November 833.

SS Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen

93

(Die Bischöfe überreichen ihm eine schriftliche Aufzählung der wichtigsten Anklagen, die der Kaiser in der Hand halten muß, Hierin heißt es:] I. Er habe sich, wie es die Anklageschrift näher ausführte,

des Sakrilegs und des Mordes schuldig gemacht, indem er nicht, wie er es doch versprochen hatte, den Willen seines Vaters [...] erfüllt habe; er habe nämlich gegen seine Brüder

und Verwandten Gewalt gebraucht, und seinen Neffen habe er ermorden lassen.

[...]

2. Er habe Ärgernis verursacht, den Frieden gebrochen und Eide nicht gehalten, indem er vor einiger Zeit den Vertrag,

der zum Schutze des Friedens, der Reichseinheit und der

Ruhe der Kirche nach gemeinsamer Beratung unter dem Beifall aller seiner Getreuen mit seinen Söhnen geschlossen worden sei, gewaltsam und rechtswidrig gebrochen habe, und

indem

er

seine

Getreuen

dazu

brachte,

einen

Eid

im Widerspruch zu dem beim ersten Pakt geleisteten zu schwören, habe er sich des Eidbruches schuldig gemacht. [4]

3. Er habe, vom Rat schlechter Männer irregeleitet, der christlichen Religion zum Nachteil und entgegen seinem Eid, ohne Vorteil für die Allgemeinheit und ohne Not eine allgemeine Heerfahrt während der vierzigtägigen Fasten befohlen.

[...]

ten,

schwer

4. Er sei gegen einzelne seiner Getreuen gewaltsam vorgegangen — nur aus Ergebenheit gegen ihn und seine Söhne, lediglich aus Sorge für ihn und sie und um das Reich zu retdas

bedroht

war,

hatten

diese

sich

in aller

Bescheidenheit an ihn gewendet und ihn von den Plänen seiner und des Reiches Feinde unterrichtet — habe sie im Widerspruch zum Gesetze Gottes und der Menschen ihres Besitzes beraubt und verbannt, habe die Richter veranlaßt,

falsches Recht zu sprechen, und [so] habe er die Angeklagten in ihrer Abwesenheit zum Tode verurteilt. Auch habe er gegen göttliche und menschliche Satzung gegen Priester

94

Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen

Gottes und gegen Mönche ein Rechtsverfahren eingeleit

und sie in Abwesenheit verurteilt, und dadurch sei er zur

Mörder geworden und habe göttliche und menschliche G« setze verletzt. A 5. Er habe auch seine Söhne und das Volk mehrfach verfüht und gezwungen, Eide zu schwören, die ihm dann selb: schädlich wurden. So stieß er das ihm anvertraute Volk iı schwere Sünden und machte sich selbst des Meineide schuldig, denn diese Schuld fällt ohne Zweifel auf den

heber zurück. [...] V 6. [Hier ist die Rede] von verschiedenen Feldzügen, die € ohne Plan und Nutzen und [darum] vergebens und z christlichen Volke wurden bei ihnen viele Verbrechen gangen. [...] All das fällt auf den Urheber zurück.

be-

7. [Hier ist die Rede von] den Reichsteilungen, die er reir

i

willkürlich zum Schaden des allgemeinen Friedens und des Wohles seines ganzen Reiches vollzogen hatte, und vor dem Schwur, durch den er das ganze Volk zwang, sich geger seine eigenen Söhne zu wenden, als ob sie seine Feinde w. ren, obwohl er sie mittels seiner väterlichen Autorität

ge

meinsam mit seinen Getreuen hätte beruhigen können. 8. [Außer all diesen Verbrechen habe er das Königtum in Schande und Schmach gestürzt und das Volk in den Untergang getrieben,] wo er ihm doch Führer zum Heil und Frie

den hätte sein müssen.

[...]

Er bekannte sich in diesen und für diese Dinge vor Gott den Priestern und dem ganzen Volke unter Tränen für schuldig, erklärte, in allem gefehlt zu haben, und bat um di Möglichkeit

einer öffentlichen

Buße,

um

der Kirche

[

durch diese seine Buße Genugtuung zu geben. [...] Nach diesem Sündenbekenntnis

übergab er die Schrift, die eine

Aufzeichnung seiner Verfehlungen und seines Geständnis-ses enthielt, den Priestern zur künftigen Erinnerung, und. diese legten sie auf dem Altare nieder. Dann löste er seinen Waffengurt und legte auch ihn auf den Altar, entledigte sich

Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen

95

auch seines weltlichen Kleides, wonach er aus der Hand der

Bischöfe das Büßergewand empfing; nach einer so großen und schweren Buße darf niemand mehr zum weltlichen Kriegsdienst zurückkehren. Dann wurde der Beschluß gefaßt, ein jeder Bischof solle eine eigene Abschrift des Berichtes über dies Ereignis bekommen, eigenhändig unterzeichnen und sie dann dem Fürsten Lothar zum Gedächtnis all dieser Dinge überreichen. D: Lautemann. S. 114-116, O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius und Victor Krause. Hannover 1897. (MGH Capit. 2.) S. 53-55,

17.4 Wiedereinsetzung Ludwigs 835

Im Jahre der Geburt des Herrn 835 feierte der Kaiser

sehr fröhlich Weihnachten zu Metz, wo er von seinem Bruder Drogo, dem Bischof der Metzer Kirche, aufs würdigste

aufgenommen wurde. Nach dem Feste kehrte er nach der kaiserlichen Pfalz Diedenhofen zurück und hielt hier um das Fest Mariä Reinigung‘ eine große Versammlung fast aller aus dem ganzen Reich berufenen Bischöfe und Äbte, sowohl der kanonischen als der regularen. Hier nun kam neben andern Verhandlungen über Einrichtungen der kirchlichen Disziplin besonders zur Erörterung, wie in den letzten Jahren der fromme Kaiser durch die Treulosigkeit der Böswilligen und der Feinde Gottes ungerechter Weise des väterlichen

und

ererbten Reichs

und Thrones,

sowie des

königlichen Namens beraubt worden war; und schließlich befanden und bekräftigten alle ohne Ausnahme und einmü-

tig, daß, nachdem durch Gottes Hülfe die Umtriebe jener

zuschanden geworden, und der Kaiser in die väterlichen Ehren wieder eingesetzt und nach Recht und Gerechtigkeit 4 2. Februar 835.

9%

Reichskrise und Absetzung Ludwigs des Frommen

mit der königlichen Würde wieder bekleidet wäre, fortan alle in treuestem und unbedingtestem Gehorsam und U: tertänigkeit denselben als ihren Kaiser und Herrn zu achten

hätten. Diese feierliche Erklärung gab jeder in eigenhändi-

ger Schrift ab und bekräftigte sie mit Namensunterzeichnung; zugleich aber wurde noch eine vollständigere und ausführlichere Schrift von der Versammlung gemeinsan ausgearbeitet, in welcher der ganze Hergang der Angele-

genheit auseinandergesetzt war, wie sie verhandelt, unter-

sucht, befunden, und schließlich durch aller Erklärung und Unterschrift die Entscheidung aufs feierlichste bekräftigt worden. Und sie zögerten nicht, diese ihrer aufrichtigsten und ergebensten Gesinnungen, sowie ihrer hohen Stellu und ihres Ansehens würdigen Beschlüsse allem Volk zur Kenntnis zu bringen. 4 Sie begaben sich nämlich nach der Stadt Metz, in die Kirche des heil. Erzmärtyrers Stephanus, und nachdem die heil, Messe gelesen und darauf der ganze Hergang der Sache de anwesenden Volke mitgeteilt worden war, nahmen die hei gen und verehrungswürdigen Priester eine Krone, das Si bild der Herrschaft, welche auf dem geweihten Altar ni dergelegt worden war, und setzten sie unter dem Jubel all Anwesenden eigenhändig dem Kaiser aufs Haupt. Und E selbst, der frühere Erzbischof von Rhemi [Reims], er, d gleichsam der Bannerträger jener Partei gewesen war, b kannte jetzt, indem er auf einen erhöhten Platz in der Kirche trat, vor allem Volk mit lauter Stimme, daß der Kaise

widerrechtlich entsetzt und alles, was gegen ihn vorgeno

men worden, dem Gesetz und allen Geboten der Gerechti keit zuwider gewesen wäre, und daß nun der Kaiser na Verdienst und wie es Recht und Gesetz erheische, wied:

auf den väterlichen Thron gesetzt sei. Nach dieser fei lichen Handlung kehrten alle zur genannten Pfalz zu Und nachdem sich hier Ebo in voller Synode eines schweren Verbrechens schuldig bekannt, sowie für unwürdig erklärt hatte, ein so hohes geistliches Amt wie das bischöfliche.

Reichsteilungen

97

zu führen, auch diese Erklärung noch schriftlich von ihm wiederholt worden war, legte er nach dem einmütigen Urteil der Versammlung sein Amt nieder. D: Die Annalen von St. Bertin und St. Vaast. Übers. von Julius von Jasmund. Leipzig 1857. (GdV 24.) 5. 16 f.

O:

Annales de Saint-Bertin. Hrsg. von Felix Grat [u. a.]. Paris 1964. S. 15-17.

18

Reichsteilungen nach dem Tode Ludwigs des Frommen Ludwig, der jüngste Sohn aus der ersten Ehe Ludwigs des Frommen, war 826 im Alter von 20 Jahren zum König in seinem Teilreich Baiern erhoben worden. Bei den Aufständen gegen seinen Vater hatte er sich zurückgehalten, aber als 838 seinem Stiefbruder Karl (dem

Kahlen)

ein weit in den rechtsrheinischen Raum

hineinrei-

chendes Teilreich zugesichert wurde, griff er zu den Waffen. Ludwig

der Fromme plante darauf, sein Reich nur zwischen Lothar und Karl

aufzuteilen. Nach dem Tode des Vaters (20. 6. 840) gelang es Ludwig

jedoch, ein Bündnis mit Karl zu schließen, der sich von Kaiser Lothar bedroht sah. Ludwig, der schon im Herbst 840 in Ostfranken,

Alemannien, Sachsen und Thüringen als König anerkannt worden

war und in Baiern schon längst eine sichere Position besaß, konnte

am 25. Juni 841 zusammen mit Truppen seines Stiefbruders Karl das Heer Kaiser Lothars schlagen (bei Fontenoy in der Nähe von Auxerre). Das weitere gemeinsame Vorgehen Ludwigs und Karls wurde durch einen Vertrag besiegelt, den die beiden Könige in Straßburg schlossen. Diesen Vertrag bekräftigte Ludwig mit einer Eidesformel in altfranzösischer, Karl in althochdeutscher Sprache (Straßburger Eide). Zu neuen Kämpfen mit Lothar kam es jedoch nicht mehr, vielmehr erarbeitete seit Juni 842 eine Kommission einen Teilungsplan, der im August 843 in Verdun gebilligt wurde. Daß diese Tei-

98

© Reichsteilungen

lung letztlich für die Entstehung des künftigen Frankreich und des künftigen Deutschland wichtig werden sollte, war 843 noch keines-

wegs abzusehen; damals sollte keine endgültige Aufteilung des Frankenreichs herbeigeführt werden, vielmehr war eine gemeinsame Herrschaft der Brüder vorgesehen.

18.1 Vertrag von Straßburg Der Vertrag von Straßburg des Jahres 842 ist allein beim Historiker Nithard überliefert. Dieser war ein Enkel Karls des Großen und schilderte in seinem aus vier Büchern bestehenden Geschichtswerk

den Kampf der Söhne

Ludwigs des Frommen,

in dem er auf der _

Seite Karls des Kahlen stand. Ludwig der Fromme und Lothar wurden von Nithard äußerst kritisch beurteilt.

So kamen am 14. Februar Ludwig und Karl in der Stadt, welche einst Argentaria genannt wurde, jetzt aber gemein- _ hin Straßburg heißt, zusammen und schwuren die unten.

verzeichneten Eide, Ludwig in romanischer, Karl in deut- _

scher Sprache. Und ehe sie schwuren, redeten sie so das ver-

sammelte Volk, der eine in deutscher, der andere in romani-

scher Sprache an; Ludwig aber als der ältere fing an und sprach: »Wie oft Lothar mich und diesen meinen Bruder _ nach dem Tode unsers Vaters verfolgt und bis zur gänzlichen Vernichtung zu verderben gesucht hat, wißt ihr; da aber weder brüderliche Liebe noch christliche Gesinnung, noch irgendein Vernunftgrund helfen konnte, daß unter gerechten Bedingungen Friede zwischen uns herrschte, haben _ wir endlich notgedrungen unsere Sache dem Gerichte des allmächtigen Gottes übergeben, um mit seiner Entscheidung darüber, was einem jeden gebührt, zufrieden zu sein. _ Aus diesem Kampfe sind wir, wie ihr wißt, durch Gottes _

Barmherzigkeit als Sieger hervorgegangen; er aber ist besiegt worden und ist mit den Seinigen geflohen, so weit er konnte. Aber von brüderlicher Liebe getrieben und aus Erbarmen mit dem christlichen Volke haben wir jene nicht

Reichsteilungen

99

verfolgen noch vernichten wollen, sondern haben ihn jetzt,

wie auch schon vorher, aufgefordert, daß wenigstens nun einem jeden sein Recht gewährt werden möge. Jener aber, statt sich zufrieden zu geben mit dem göttlichen Spruch, hört nicht auf, mich und diesen meinen Bruder wiederum

mit feindlicher Macht zu verfolgen, und richtet unsere Völker mit Brand, Raub und Mord zugrunde; deshalb sind wir jetzt von der Not gedrängt zusammen gekommen, und da wir glauben, daß ihr an unserer beständigen Treue und unveränderlichen brüderlichen Liebe zweifelt, haben wir be-

schlossen, diesen Eid zwischen uns vor euren Augen zu schwören. Und dies tun wir nicht von irgendwelcher ungerechten Begierde verleitet, sondern damit wir, wenn

Gott

uns mit eurem Beistand Ruhe gibt, sichere Bürgschaft für das gemeine Beste erlangen. Wenn ich aber, was fern sei, den Eid, welchen ich meinen Bruder schwöre, zu brechen

mich vermesse, so spreche ich einen jeden von euch vom Gehorsam und dem Eide, welchen ihr mir geschworen habt, los und ledig.« Und als Karl gleiche Worte in romanischer Sprache geredet hatte, schwur Ludwig als der Älteste zuerst solches zu tun: »Aus Liebe zu Gott und zu des christlichen Volkes und unser beider Heil von diesem Tag an in Zukunft,

soweit Gott mir Wissen und Macht

gibt,

will ich diesen meinen Bruder Karl sowohl in Hilfeleistung als auch in anderer Sache so halten, wie man von Rechts-

wegen seinen Bruder halten soll, unter der Voraussetzung, daß er mir dasselbe tut; und mit Lothar will ich auf keine Abmachung eingehen, die mit meinem Willen diesem meinem Bruder Karl schaden könnte.« Und als Ludwig geendet hatte, beschwor Karl in deutscher Sprache Gleiches. Der Eid aber, welchen beide Völker, jeder in seiner Sprache, leisteten, lautete in romanischer Sprache so: Wenn Ludwig den Eid, den er seinem Bruder Karl schwört, hält und Karl mein Herr ihn seinerseits nicht hält, wenn ich ihn davon

100

Reichsteilungen

nicht abbringen kann, werde weder ich noch irgendeiner, den ich davon abbringen kann, ihm gegen Ludwig irgend welchen Beistand geben. 4 D:

Rau I. S. 439/441.

O: Nithardi Historiarum libri III. Hrsg. von Ernst Müller. Hannover/Leipzig 1907. (MGH SS rer. Germ. 44.) S: 35-37.

A

18.2 Vertrag von Verdun 843 Der Text dieses Vertrags ist nicht erhalten. Wir kennen aber seinen. Inhalt aus einigen historiographischen Quellen, vor allem aus den Annalen von St-Bertin (Westfränkische Reichsannalen), deren Jahresbericht zu 843 der Bischof Prudentius von Troyes, ein ehemaliger Hofkapellan, verfaßte.

Karl begab sich zur Zusammenkunft mit den Brüdern und

vereinigte sich mit ihnen in Virodunum [Verdun], wo, nach- A

dem die Teilung ausgeführt, Ludwig als sein Teil alles jenseit des Rheins, und diesseit des Rheins die Städte und Gaue

von Speier, Worms und Mainz erhielt; Lothar das Land

zwischen Rhein und Schelde bis zu ihrem Einfluß ins Meer, und dann das Cameracensische, Hennegauische, Lomensische und Castricische Gebiet, und die Grafschaften, welche

diesseits an die Maas stoßen, und weiter bis zum Einfluß des Araris' in den Rhodanus [Rhöne], und den Rhodanus_

entlang bis zum Meer die Grafschaften, welche auf beiden

Seiten an demselben liegen. Das übrige bis Spanien fiel Karl zu. Und nachdem sie gegenseitige Eide geschworen, schieden sie von einander. 4 D: Die Annalen von St. Bertin und St. Vaast. Übers. von Julius von 4 Jasmund. Leipzig 1857. (GdV 24.) S. 43 f. O:

Annales de Saint-Bertin. Hrsg. von Felix Grat [u. a.]. Paris 1964. 5.44£.

1 Aare; gemeint ist hier jedoch die Saöne.

j

19 Hungersnot 850 Wegen des allgemein geringen Ertrags beim Getreideanbau und der fehlenden Verkehrserschließung drohte bei jeder Anomalie der Witterung eine Hungersnot. Eine schlechte Ernte hatte spätestens im folgenden Frühjahr, nachdem die Aussaat erfolgt war, eine starke Schrumpfung der Getreidevorräte zur Folge; meist gab es nur noch in kirchlichen Speichern größere Vorräte, die dann zu stark erhöhten Preisen verkauft wurden. Die Geschichtsquellen der Karolingerzeit berichten von zahlreichen Teuerungen und Hungersnöten, die oft regional begrenzt waren, nicht selten aber auch große Teile des Frankenreichs erfaßten. ; Die kirchliche Armenpflege, deren Tradition bis in die Spätantike zurückreichte, wurde in karolingischer Zeit wieder ausgebaut. Die chronisch Kranken, die im Kampf oder bei der Arbeit Verstümmelten, die verarmten

Bauern

oder ihre Witwen

und

Kinder hatten

keine andere Hoffnung als die, in Klöstern oder Kirchen Nahrung und Kleidung zu erhalten. Für die Ereignisse im ostfränkischen Reich Ludwigs des Deutschen bieten

die

sogenannten

Fuldaer

Annalen,

die

wahrscheinlich

in

Mainz abgefaßt wurden, die zuverlässigsten Nachrichten. Im folgenden ist ein Teil des Jahresberichts zu 850 wiedergegeben.

In diesem Jahre [850] drückte schwere Hungersnot die Völker Germaniens, vornehmlich die um den Rhein wohnen-

den; denn ein Scheffel Getreide wurde in Mainz für 10 Sekel Silber verkauft. Es hielt sich aber zu der Zeit der Erzbischof Hraban' auf einem Hof seines Sprengels namens Winkel

auf, wo er Arme, die von verschiedenen Orten kamen, auf-

nahm und täglich mehr als 300 speiste, die abgerechnet, welche beständig bei ihm aßen. Es kam auch eine fast verhungerte Frau mit einem kleinen Kind zu ihm und wollte von ihm wieder

belebt werden, doch ehe sie die Türschwelle

1 Hrabanus Maurus, geb. um 780, 822-841/842 Abt von Fulda, 847-856

Erzbischof von Mainz.

102

Hungersnot 850

überschritt, stürzte sie vor allzu großer Schwäche zusammen und hauchte den Geist aus. Und als der Knabe die Brust der toten Mutter, als wenn sie noch lebte, aus dem Kleid zog und zu saugen versuchte, brachte er viele, die es mit ansahen, dahin, zu seufzen und zu weinen. In diesen.

Tagen zog auch einer vom Grabfeld mit seinem Weibe und.

einem kleinen Sohn nach Thüringen, um das Elend seiner

Not zu lindern, und unterwegs im Wald sagte er zu seinem

Weib: »Wäre es nicht besser, diesen Knaben zu töten und

sein Fleisch zu essen, als daß wir alle vor Hunger umkommen?« Als sie aber widersprach, er solle kein solches Verbrechen begehen, riß er endlich, weil der Hunger drängte, gewaltsam den Sohn aus den Armen der Mutter, und er hätte seinen Willen in die Tat umgesetzt, wäre ihm nicht Gott in seiner Erbarmnis zuvorgekommen. Denn, wie derselbe Mann nachher, als er in Thüringen war, sehr vielen er-

zählte, hatte er schon sein Schwert aus der Scheide gezogen, um den Sohn zu schlachten, zögerte aber noch, schwankend geworden,

mit dem

Mord,

da sah er in der Ferne zwei.

Wölfe über einer Hirschkuh stehen und ihr Fleisch zerreißen; und sogleich lief er, vom Sohn ablassend, zu der toten

Hirschkuh, trieb die Wölfe weg, nahm von dem angefressenen Fleisch und kehrte mit dem unversehrten Sohn zu der. Frau zurück. Er war nämlich vorher, als er den Sohn aus den Händen der Mutter genommen hatte, etwas beiseite gegangen, damit sie das Sterben des Knaben nicht sehe oder höre. Wie sie nun aber den Mann kommen sah mit dem frischen blutigen Fleisch, glaubte sie, ihr Sohn sei getötet, und fiel rücklings fast leblos nieder. Er aber trat zu ihr, tröstete sie, richtete sie auf und zeigte ihr das Kind lebend. Da dankte

sie nun, als sie wieder zu sich kam, Gott, daß sie für wert

geachtet sei, ihren Sohn

gesund

wieder

zu bekommen;

ebenso der Mann, daß ihn Gott rein vom Mord des Kindes

zu erhalten gewürdigt habe. Beide jedoch stärkten sich not- _ gedrungen an dem vom Gesetz verbotenen Fleische.

l Aufteilung des Reichs Lothars I. D:

103

Rau II. S. 41/43.

O: Annales Fuldenses sive Annales regni Francorum orientalis. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hannover/Leipzig 1891. (MGH SS rer. Germ. 7.) S. 40 f.

20

Aufteilung des Reichs Lothars I. Das kürzeste Fortleben unter den 843 geschaffenen drei Teilreichen

hatte das Reich Lothars I., das: nach seinem Tode (855) unter seine

drei Söhne Ludwig II., Lothar II. und Karl von der Provence aufgeteilt wurde. Nachdem Lothar II. 869 gestorben war, ohne legitime Nachkommen zu hinterlassen, einigten sich sein Onkel Karl der Kahle von Westfranken und Ludwig der Deutsche von Ostfranken darauf, Lothars Reich aufzuteilen (Vertrag von Meersen 870). 881 kam es dann zu einer noch günstigeren Konstellation für die Erben Ludwigs des Deutschen, die fast das gesamte »Lotharingien« für sich gewinnen konnten. Damit war schon vorgeprägt, daß Lothringen und Burgund sowie Italien im hohen Mittelalter zu dem aus dem ostfränkischen Reich hervorgegangenen Deutschen Reich gehören würden. Der Vertrag von Meersen 870 ist in den Annalen von St-Bertin, aber auch separat in einigen Kapitularienhandschriften überliefert.

Nachdem zwischen den beiden königlichen Brüdern noch Gesandte hin und her gegangen waren, kamen sie endlich am 9. August an dem Ort der Unterredung zusammen und teilten das Reich Lothars in folgender Weise unter sich. Dies ist der Teil, welchen Ludwig für sich erhielt: Köln,

Trier, Utrecht, Straßburg, Basel; die Abtei Süsteren, Berg, Münstereifel, Kessel, Cornelimünster, St. Maximin, Echternach, Oeren, St. Gangulf, Faverney, Poligny, Luxeuil, Lure, Baume, Enfonville, Moyen-moutier, St. Die, Bonmoutier, Etival, Remiremont, Murbach, Münster im Gregoriental,

104

Aufteilung des Reichs Lothars I.

Maursmünster,

Ebersheim,

Honau,

Masmünster,

Hohen:

burg, St. Stephan in Straßburg, Erstein, St. Ursus in Solothurn, Grandfelden, Moutier Haut-Pierre, Jussan, Vaucluse, Chateau Chälon, Heribodesheim, die Abtei zu Aachen,

Hoenchirche, Augstkirche, die Grafschaften Teisterbant, Betuwe, Hattuariä, vom unteren Maasgau der Teil rechts des Flusses, vom oberen Maasgau der Teil rechts des Flusses, von der Grafschaft Lüttich der Teil rechts des Flusse das Gebiet von Aachen, das Gebiet von Maastricht, in Ri-

puarien die fünf Grafschaften Maiengau, Bidgau, Niedgau, der untere Saargau, Bliesgau, Seline, Albegau,

le Saintois,

Chaumont, der obere Saargau, die Grafschaft an der Orne, die Bernhard hatte, le Soulossois, Bassigny, Elzgau, Varas-ı ques, Salins, Emaus, Baselgau, im Elsaß zwei Grafschaften,

von Friesland zwei Drittel des Reichs, das Lothar besaß. Zu diesem Teil fügten wir zur Wahrung des Friedens und der

Freundschaft noch folgendes hinzu: Die Stadt Metz mit der_

Abtei des hl. Petrus und des hl. Martinus und die Graf-

schaft an der Mosel, mit allen darin befindlichen herrschaftlichen und vasallitischen Gütern; ferner von den Ardennen-

so, wie die Ourthe zwischen Beßlingen und Thommen entspringt und in die Maas mündet, und weiter geradenwegs in den Bidgau, je nachdem das unsere gemeinsamen Abgesandten genauer festlegen (vorbehaltlich dessen, was von, Condroz östlich der Ourthe liegt), sowie die Abteien Prüm und Stablo mit allen herrschaftlichen und Vasallengütern.

Und dies ist der Teil, den Karl von diesem Reich für sich _ erhielt: Lyon, Besancon, Vienne, Tongern, Toul, Verdun, Cambrai, Viviers, Uzes, Montfaucon, St. Mihiel, Calmoutier, St. Maria im Gebiet von Besancon, St. Martin ebendaselbst, St. Claude, St. Marcellus, St. Laurentius in Lüttich, Senone, die Abtei Nivelles, Maubeuge, Lobbes, St. Gery, _ St. Saulve, Crespin, Fosses, Maroilles, Honnecourt, Maastricht, Mecheln, Lierre, Soignies, Antoing, Conde, Meer- _ beck, Dickelvenne, Leuze, Calmont, St. Maria in Dinant, Alden-Eyck, Andenne, Walers, Haumont; die Grafschaft

Absetzung Karls III. Texandrum,

in Brabant

vier Grafschaften,

105

die Grafschaft

Cambray, Hennegau, die Lomensische Grafschaft, im Haspengau vier Grafschaften, vom oberen Maasgau den Teil auf dem linken Ufer der Maas und vom unteren Maasgau den

Teil links der Maas, vom Lüttich-Gau was links der Maas

liegt und zu Viset gehört, die Grafschaften Scarponne, Ver-

dun, Dormois, Arlon, die beiden Grafschaften von Woevre, die von Mouzon, die Castricische Grafschaft, Condroz,

dann von den Ardennen, so wie die Ourthe zwischen Beßlingen und Thommen entspringt und in die Maas mündet, diesseitig und weiter geradewegs in den Bidgau, je nachdem das unsere Gesandten genauer festlegen; die von Toul, die andere an der Orne, welche Tetmar hatte, die von Bar, Portois, die von Sermorens, Lyon, Vienne, Viviers, Uz&s und

von Friesland ein Drittel. D: O:

Rau II. S. 209/211. Annales de Saint-Bertin. Hrsg. von Felix Grat [u. a.]. Paris 1964. S. 171-174.

21

Absetzung Karls III. Karl IIL., der jüngste Sohn Ludwigs des Deutschen (gest. 31. 1. 876), war durch den biologischen Zufall des früheren Todes seiner Brüder

und seiner westfränkischen Vettern seit 876 in Alemannien, seit 879 in Italien, seit 882 in Baiern und Ostfranken und seit 885 auch in

Westfranken König. Anfang 881 hatte er zudem die Kaiserkrone erhalten. Nachdem seit Frühjahr 887 seine chronische Erkrankung (wohl Epilepsie) stärker ausgebrochen war und seine nachgiebige Politik gegenüber den Normannen, die vor allem das Westfranken-

reich, aber auch das Rhein- und Moselgebiet heimsuchten, immer mehr

kritisiert wurde,

kam

es Ende

887 im Osten

zu einer Ver-

schwörung des Adels gegen Karl III. Die Verschwörer erhoben ge-

106

Absetzung Karls III.

gen den kranken Karl seinen Neffen Arnulf von Kärnten, den älte| sten — wenn auch illegitimen — Sproß eines der Söhne Ludwigs des Deutschen. Die ältere Forschung hat in diesem Akt bereits den Aus- _ druck eines ostfränkisch-deutschen Sonderbewußtseins sehen wollen, in dem sich die endgültige Trennung des deutschen vom westfränkisch-französischen Reichsteil angekündigt habe. Arnulf, der 888 auch von westfränkischen Adligen bedrängt wurde, die Krone _

dieses Reichs anzunehmen, hat wohl aus realpolitischen Erwägun- _ gen darauf verzichtet, mehr als eine lockere Oberhoheit über die

Königreiche Westfranken und Burgund anzustreben. \ Die Fuldaer Annalen berichten zu 887 und 888 ausführlich über diese Vorgänge, wobei die Rolle der Alemannen und Sachsen sehr _

viel kritischer gesehen wird als die der Baiern (dieser Teil der Anna-

len ist wahrscheinlich in Regensburg verfaßt worden).

887 Der Kaiser wurde im Elsaß von einer heftigen Krankheit befallen. Hernach reiste er kaum genesen nach Alamannien und wandte sich nach dem Hof Bodman, wo er sich | [durch einen Aderlaß vom Kopfschmerz befreien ließ].' Als das hl. Osterfest vorüber war, wurde ein Tag in Waiblingen _ gehalten; dort leistete unter anderm Berengar? die Huldigung beim Kaiser und sühnte durch große Geschenke die

Schmach, die er im vorigen Jahr dem Liutward* angetan

hatte. | Als nun Boso* gestorben war, blieb ihm ein kleiner Sohn von der Tochter des Königs Ludwig von Italien; ihn traf der Kaiser in Kirchen am Rhein, wo er ihn ehrenvoll als

Lehensmann, ja gleichsam als Adoptivsohn annahm”. | Die Alamannen verschworen sich hinterlistig gegen den Bischof Liutward, der damals der bedeutendste Ratgeber | 1 Die Übersetzung, daß Karl III. sich »vor Schmerz einen Kopfeinschnitt 1

machen ließ«, beruht auf einer falschen Interpretation dieser Stelle. 2 Graf Berengar von Friaul. 4 3 Liutward, Bischof von Vercelli seit 880, ein Alemanne, war der wichtigste Berater Karls III. 4 Graf Boso von Vienne. 5 Dieser Adoptivsohn Karls III. mit dem Karolingernamen Ludwig

wurde 901 zum Kaiser gekrönt (geblendet 905, gest. 928).

Die sogenannte Torhalle in Lorsch, die wahrscheinlich im letz-

ten Drittel des 9. Jahrhunderts erbaut wurde, gehört zu den

ganz wenigen Steinbauten, die sich aus karolingischer Zeit erhalten haben. Merkwürdig sind die nach antiken Vorbildern gestalteten Säulen in der Fassade, die in römischer Mauertechnik

erstellt wurde.

Vielleicht stellt die Torhalle überhaupt eine

Ehrenpforte nach Art eines römischen Triumphbogens dar. Das

Obergeschoß dürfte ein Repräsentationsraum nach dem Muster

einer germanischen Königshalle gewesen sein.

108

Absetzung Karls III.

in des Königs Palast war, und zwangen ihn, nach Verlust aller Ehren des Kaisers Gegenwart zu meiden. Bald darauf wurde nun der Kaiser von einer schweren Krankheit ergriffen. Von jenem Tag an faßten nun einen bösen Plan die Franken und, nach gewohnter Sitte, die Sachsen und Thü-ringer, und gedachten, in Verbindung mit einigen Edlen der Baiern und Alamannen von der Treue gegen den Kaiser abzufallen, und führten das auch so durch. Als Kaiser Karl nach Frankfurt kam,

luden jene Arnulf ein, König

Karl-

manns Sohn, wählten ihn zu ihrem Herrn und beschlossen, _ ihn ohne Verzug zum König zu erheben. Karl trachtete, Krieg gegen König Arnulf zu beginnen, aber vergebens. Die / Alamannen, denen er vornehmlich die Sorge für sein Reich anvertraut hatte, fielen aus Furcht sämtlich von ihm ab, so

daß sogar die von ihm abgefallenen Diener in großer Eile sich an König Arnulf anschlossen. Als Karl sich überall von den Seinen verlassen sah und nicht wußte, was in seiner Sa-_

|

che ratsam sei, sandte er endlich Geschenke an den König und bat, er möge ihm aus Gnade nur ein paar Orte in Alamannien zum Nießbrauch bis an sein Lebensende einräumen; was der König auch zugestand. Aber auch dies behielt_ er nicht lange für sich; denn nur wenige Tage weilte er voll | | Frömmigkeit an den vom Könige ihm zugestandenen Or-

ten, und nach Christi Geburtstag beschloß er am 13. Januar glücklich sein Leben; und wunderbarerweise haben, wäh-

rend man ihn ehrenvoll in der Kirche der Reichenau begrub, _

viele Zuschauer den Himmel offen gezeigt wurde, daß wer verachtet scher Würde entkleidet wird, vor licher Bewohner des himmlischen 888

gesehen, so daß deutlich von den Menschen irdiGott verdient, als glückVaterlands zu gelten.

König Arnulf empfing in Regensburg die Edlen der

Baiern, Ostfranken,

Sachsen, Thüringer,

Alamannen,

eine

große Anzahl Slaven, und feierte daselbst würdevoll den Geburtstag des Herrn und Ostern. Während er lange ver- _ weilte, stiegen viele kleine Könige in Europa oder dem Rei-

Absetzung Karls III.

109

che seines Oheims Karl empor. Berengar, Eberhards Sohn, machte sich zum König in Italien, Rudolf® aber, Konrads

Sohn, beschloß Ober-Burgund für sich in der Art eines Königs zu behalten; daher nahmen sich Ludwig’, Bosos Sohn,

und Wito®, Lantberts Sohn, vor, das belgische Gallien und die Provence wie Könige zu haben; Odo?, Roberts Sohn,

nahm das Land bis zur Loire und die aquitanische Provinz für sich in Anspruch. Hernach wollte Ramnolf als König gelten. Auf diese Nachrichten zog der König nach Franken, und nach einem Reichstag, den er in Frankfurt abhielt, beschloß er nach Worms zu kommen. Als dies Odo erfuhr, handel-

te er nach vernünftigem Ratschluß, indem er bezeugte, er wolle lieber sein Reich mit des Königs Gunst friedlich haben als in irgendwelcher Überhebung sich treulos wider ihn etwas anmaßen; er kam daher demütig zum König und wurde huldreich empfangen. Als die Sache von beiden Seiten zur Zufriedenheit glücklich geordnet war, zog jeder heim. Der König rückt gegen Rudolf in das Elsaß ein. Von da schickte er gegen ihn ein alamannisches Heer und kehrte selber durch Franken nach Baiern zurück. Rudolf kam nämlich nach einer Beratung mit den edlen Alamannen freiwillig zum Könige nach Regensburg, und nachdem sie über vieles einig geworden waren, wurde er selber vom K6önige in Frieden entlassen und zog heim, wie er gekommen war.

N

6 Rudolf, ein Angehöriger der Familie der Welfen, war der Begründer des Königreichs Burgund, das 1033 ins Deutsche Reich eingegliedert wurde. Siehe Anm. 5. Wido

gehörte der Familie der Widonen

an, deren Machtschwerpunkt

am Ende des 9. Jahrhunderts in Mittelitalien (Spoleto) lag. Er wurde 891 zum Kaiser gekrönt (gest. 894). 9 Graf Odo von Paris, ein Angehöriger der Familie der Robertiner (das sind die Vorfahren der Kapetinger, die nach 987 Könige von Frankreich waren), wurde 888 zum

König in Westfranken erhoben.

110

Katserkrönung Arnulfs

Italien wollte der König mit Heeresmacht angreifen, aber Berengar, der kurz zuvor mit dem Tyrannen Wito blutig gestritten hatte und besorgt war, es möchte das italische Reich durch den Einmarsch einer so starken Mannschaft übe leiden, schickte seine Edlen

voran und

stellte sich selber

dem König in Trient. Deswegen wurde er von dem Könige freundlich empfangen und ihm nichts von der bereits erworbenen Herrschaft entzogen, ausgenommen die HC< Navum und Sagum. Das Heer durfte daher ohne Verz nach Hause zurückgehen. Der König aber zog mit we Begleitung durch Friaul und feierte auf Hof Corantana de: Geburtstag des Herrn. Auf diesem Wege nun fielen soviel

Pferde tot nieder, wie kaum jemals Sterblichen erinnerlich-

und überliefert ist. D:

Rau III. S. 145/147/149.

)

O: Annales Fuldenses sive Annales regni Francorum orientalis. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hannover 1891. (MGH SS rer, Germ. 7.) S. 115-117.

X

22

Kaiserkrönung Arnulfs Bereits 890 hatte sich der Papst an König Arnulf gewandt und ihn gebeten, nach Rom zu kommen, um die Kaiserkrone zu empfangen. Erst Anfang 894 fühlte sich Arnulf stark genug, auch Italien seiner Herrschaft zu unterwerfen. Um Ende Februar 896 in der Peterskir- _ che durch Papst Formosus (891-896) gekrönt zu werden, mußte sich Arnulf den Zugang mit Waffengewalt erkämpfen, wie das in den kommenden Jahrhunderten immer wieder deutsche Könige tun mußten, die erst gegen den heftigen Widerstand des römischen Adels zur Stätte der Kaiserkrönung vordringen konnten. Noch auf dem Italienzug erlitt Arnulf einen schweren Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Er starb am 8. Juli 899.

Kaiserkrönung Arnulfs

111

Für die letzten Jahre des 9. Jahrhunderts ist die um 900 verfaßte Chronik des Abtes Regino von Prüm die am besten unterrichtete Quelle (22.1).

Die Römer mußten Kaiser Arnulf einen Treueid leisten, der sich vor

allem gegen den 892 zum Kaiser gekrönten Widonen Lambert von Spoleto richtete (22.2).

22.1 Chronik Reginos von Prüm 896 Arnolf zog zum zweitenmal nach Italien, gelangte bis Rom und erstürmte mit Beistimmung des obersten Priesters die Stadt der Römer mit den Waffen. Dies war in den vorhergehenden Jahrhunderten deshalb unerhört, weil es nie geschehen war, außer daß die senonischen Gallier unter ihrem Führer Brenno lange Zeit vor Christi Geburt es einmal vollbrachten. Die Mutter Lantberts!, welche von ihrem

Sohne zur Beschirmung zurückgelassen worden war, entfloh heimlich mit ihren Leuten. Arnolf wurde bei seinem Einzuge in die Stadt von Formosus, dem Bischof des apostolischen Stuhles, mit großen Ehren empfangen, und durch die Krönung vor dem Altar des heiligen Petrus zum Kaiser gemacht. D: Die Chronik des Abtes Regino von Prüm. Übers. von Ernst Dümmler. Leipzig 1857. (GdV 27.) S. 96. O: Reginonis abbatis Prumiensis: Chronicon cum continuatione Treverensi. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hannover/Leipzig 1890. (MGH

SS rer. Germ. 50.) S. 144.

1 Lambert von Spoleto, der Sohn Kaiser Widos, war 892 zum Mitkaiser

gesalbt worden; er starb 898.

112

Die Ungarn

22.2 Treueid der Römer auf Kaiser Arnulf Ich schwöre bei allen Mysterien Gottes, daß ich, unbescha- _

det meiner Ehre und meines Rechtes und meiner Treuever- _ pflichtung gegen den Herrn Papst Formosus, dem Herrn Kaiser Arnulf alle Tage meines Lebens treu bin und bleiben werde und mich niemals mit irgendeinem Menschen zu einer Untreue gegen ihn verbinden werde; ich werde auch Lantbert, dem Sohne der Agiltruda, oder seiner Mutter nie- |

mals Rom noch wand

zu weltlicher Ehre verhelfen und werde diese Stadt _ weder dem Lantbert noch seiner Mutter Agiltruda ihren Leuten unter irgendeinem Gedanken oder Vor- _ ausliefern. 4

D: Lautemann. S. 131 f. A O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Alfred Boretius und Victor Krause. Hannover 1897. (MGH Capit. 2.) S. 123.

2

Die Ungarn Das Frankenreich wurde in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts

durch äußere Feinde bedroht, die von Norden und Westen (die Normannen), von Süden (die Sarazenen) und von Osten (die Ungarn)

weit ins Innere des Reiches vorstießen, Für das Ostfrankenreich stellten besonders die Ungarn eine gefährliche Bedrohung dar. Sie erschienen kurz nach dem Tode Karls III. zum erstenmal und suchten dann viele Jahre lang mit ihren Einfällen Baiern und Schwaben sowie Thüringen und das östliche Sachsen heim; sie drangen sogar bis nach Lothringen vor. 4 Regino von Prüm hat in seiner Chronik zu 889 eine Beschreibung der Ungarn gegeben, die weitgehend aus dem antiken Historiker Justin (3. Jh.) übernommen ist; die hier wiedergegebenen Abschnitte stammen jedoch von Regino selbst. |

Die Ungarn

113

Die Fuldaer Annalen, deren Fortsetzung seit 882 wahrscheinlich in Regensburg verfaßt wurde und bis 901 reicht, berichten von dem Verlauf der Kämpfe.

23.1 Chronik Reginos von Prüm 889 Das sehr wilde und alle Raubtiere an Grausamkeit übertreffende Volk der Hungarn, das in den vorhergehenden Jahrhunderten deshalb unerhört ist, weil es nie genannt wird, zog von den skythischen Reichen aus und von den Sümpfen, welche der Thanais [Don] durch sein Ausströmen in unermeßlicher Breite ausdehnt.

[...]

Aus den oben bezeichneten Gegenden also wurde das erwähnte Volk von den ihm benachbarten Stämmen, die Peci-

nacen [Petschenegen] genannt werden, von seinen eigenen Sitzen vertrieben, weil jene an Zahl und Tapferkeit überlegen waren und das heimatliche Land, wie wir zuvor erzählten, für die überreichlich anwachsende Menge nicht mehr zu Wohnplätzen genügte. Von jenem Volke also mit Gewalt verjagt, sagen sie ihrem Vaterlande Lebewohl und begeben sich auf die Wanderung, um Länder aufzusuchen,

die sie bewohnen könnten und in denen sie ihre Sitze aufschlügen. Und zwar durchwandern sie zuerst die Einöden der Pannonier und Avaren und suchen ihre tägliche Nahrung auf der Jagd und Fischerei; dann brechen sie häufig auf feindlichen Einfällen in die Gebiete der Carantanen, Mara-

her [Mährer] und Bulgaren ein und töten einige mit dem Schwerte, viele Tausende mit Pfeilen, die sie mit so großer Kunst aus Bogen von Horn entsenden, daß man sich vor ihren Schüssen schwerlich zu schützen vermöchte. [::.] Ihre Art zu fechten ist desto gefährlicher, je ungewohn-

ter sie den übrigen Völkern ist. Zwischen ihrer Kampfesweise und der der Brittonen besteht nur der eine Unter-

schied, daß diese sich der Wurfspieße, jene der Pfeile bedienen. Sie leben nicht nach Art von Menschen, sondern wie

114

Die Ungarn

das Vieh. Sie essen nämlich wie das Gerücht geht, rohes Fleisch, trinken Blut, verschlingen als Heilmittel die in

Stücke zerteilten Herzen derer, die sie zu Gefangenen gemacht, werden

durch kein Erbarmen

erweicht und durch

keine Regung des Mitleids bewegt. Das Haar schneiden sie bis auf die Haut mit dem Messer ab. D:

Die Chronik

Dümmler. O: Reginonis Treverensi. (MGH SS

des Abtes

4

Regino von Prüm. Übers. von Ernst

Leipzig 1857. (GdV 27.) S. 80, 82 f. abbatis Prumiensis Chronicon cum continuatione Hrsg, von Friedrich Kurze. Hannover/Leipzig 1890. rer. Germ. 50.) S. 131-133. %

23.2 Fuldaer Annalen Inzwischen hatten die Avaren, welche Ungarn heißen, ganz Italien verwüstet, indem sie sehr viele Bischöfe umbracht

und von den Italischen, welche sich zum Kampf gegen sie erhoben, in einer Schlacht an einem Tag zwanzig Tausend. fielen. Auf demselben Wege nun, den sie gekommen waren, kehrten sie zurück, Pannonien zum größten Teil verwü-stend. Ihre Boten schickten sie hinterlistig zu den Baiern,

um Frieden bittend, um dieses Land auszukundschaften. Das brachte, o Schmerz! das erste Leid dem bairischen Rı

che und einen Schaden, wie er an allen vergangenen Tag nicht gesehen worden ist. Denn unversehens fielen sie m starker Mannschaft und sehr großer Heeresmacht über die

Enns feindlich in das Reich der Baiern ein, so daß sie auf

50 Meilen in die Länge und Breite mit Feuer und Schwer

alles mordend und plündernd in einem Tage vernichteten, Als dies die entfernter wohnenden Baiern erfuhren, be-

schlossen sie, von Schmerz getrieben, ihnen entgegenz: rücken; aber die Ungarn hatten dies vorausgesehen und kehrten mit der Beute zurück, woher sie gekommen waren, _ heim nach Pannonien. 8

Die Ungarn

115

Inzwischen brach ein Teil ihres Heeres auf der Nordseite der Donau vor und verwüstete diese Gegend. Als dies dem

Grafen Liutbald bekannt wurde, wollte er es nicht dulden,

zog einige Edle der Baiern an sich und setzte, nur von dem Bischof von Passau begleitet, über die Donau, um sie zu verfolgen. Als sich sofort ein Treffen mit jenen entspann, wurde rühmlich gekämpft, aber noch rühmlicher triumphiert. Denn bei dem ersten Zusammenstoß wurde den Christen solche Gnade Gottes zu teil, daß man 1200 Heiden

an Gefallenen und in der Donau Ertrunkenen fand. Kaum einen einzigen Christen fand man tot in kriegerischer Rüstung. Dort kamen sie, nachdem der Himmel ihnen den Sieg verliehen hatte, zusammen, brachten mit großem Geschrei zum Himmel Gott Dank, der nicht durch die Menge der Menschen, sondern in der Fülle seines Erbarmens die auf ihn Hoffenden errettet. Endlich froh nach solchem Siege zogen sie heim zu den Genossen, woher sie gekommen waren, und schleunigst umzogen sie sofort zum Schutze ihres Reiches eine sehr starke Stadt am Ufer der Enns mit Mauern. Nachdem das geschehen war, zog jeder heim. D:

Rau Ill. S: 175/177.

O: Annales Fuldenses sive Annales regni Francorum Hrsg. von Friedrich Germ. 7.) S. 134 f.

Kurze.

Hannover

1891.

(MGH

orientalis. SS

rer.

24 Adelskämpfe in der Zeit Ludwigs des Kindes Die ostfränkischen Adelsfamilien der (älteren) Babenberger und Konradiner lieferten sich in den Jahren von 897 bis 906 hefi Kämpfe, die dem Zweck dienten, eine möglichst günstige Ausgangs position für die Zeit nach dem Tode des kränklichen Sohns Kaiseı Arnulfs, Ludwigs des Kindes (gest. 24. 9. 911), zu erringen. Es lang dabei den Konradinern unter Führung des späteren K Konrad I., die Oberhand zu behalten, während die wichtigsten Vi

treter der Familie der Babenberger entweder im Kampf getötet oder in der Gefangenschaft hingerichtet wurden. Die Babenberger hatten. ihren Vorteil, die Verwandtschaft mit den Karolingern und mit dem führenden Geschlecht in Sachsen, den Liudolfingern, nicht ausnı zen können. Regino von Prüm schreibt in seiner Chronik zu 906: Während dies im Reiche Hlothars! geschah, hatte der ält

Chuonrad? mit einer großen Schar von Fußgängern u

Reitern sein Lager in Hessen an dem Orte, der Friedes!

[Fritzlar] heißt, indem er auf die häufigen Einfälle A berts? sein Augenmerk richtete; sein Bruder Gebehard a harrte mit allen, die er hatte an sich ziehen können, in

Wedereiba [Wetterau] eines plötzlichen Einbruches eber jenes Adalberts. Auch gab ihnen der Ausgang der Di durchaus recht; denn als Adalbert merkte, daß die Ma

der Gegner geschwächt sei, weil sie sich nach drei Seiten hir verteilt hatten, versammelt er seine Gefährten, froh, daß günstige und lange ersehnte Zeit gekommen sei, und greift alsbald die Waffen; und zwar gibt er sich zuerst d Anschein, als wolle er seine Truppen gegen Gebehard fü 1 In Lotharingien.

2 Graf Konrad der Ältere vom Oberlahngau (gest. 906). 3 Der Babenberger Graf Adalbert (gest. 906).

der

Adelskämpfe in der Zeit Ludwigs des Kindes

117

ren, damit er sowohl diesen den Krieg fürchten lasse, als

auch seinen Bruder sicher mache; darauf lenkt er mit so großer Geschwindigkeit, als er vermochte, sein Heer gegen Chuonrad. Als Chuonrad dies zu spät erkannt hatte, teilt er seine Gefährten in drei Haufen und rückt ihm ohne Zögern entgegen; da das Treffen begann, wenden zwei Haufen, der eine vom Fußvolk und der andere von den Sachsen, sogleich

den Rücken. Da Chuonrad diese vergeblich mit lautem Rufe ermahnte, sie möchten keineswegs den Feinden weichen, sondern für das Heil ihrer Weiber und Kinder und

zur Verteidigung des Vaterlandes aus allen Kräften streiten,

so stürzt er sich selbst mit der dritten Schar, nachdem

er

seine Kameraden angefeuert, auf die Widersacher, aber alsbald beim ersten Angriff wurde er mit vielen Wunden bedeckt und seines Lebens beraubt. Adalbert trug den Sieg davon, verfolgte mit seinen Gefährten die Fliehenden und streckte eine zahllose Menge, hauptsächlich von Fußgängern, mit dem Schwerte nieder. Indem er darauf drei Tage hinter einander jene ganze Landschaft durchstreifte, richtete er durch Mord und Plünderung alles zu Grunde. Als dies vollbracht war, kehrte er mit seinen Genossen, die mit der

Kriegsbeute und unermeßlichem Raube beladen waren, in die Feste Babenberg zurück. Dieses Blutbad ereignete sich aber am 27. Februar. Die Leiche Chuonrads hoben die Söhne nebst ihrer Mutter auf und bestatteten sie in der Feste, die Wileneburch [Weilburg] genannt wird.

In demselben Jahre um den Monat Juli hielt König Hludowig [Ludwig] eine allgemeine Versammlung auf dem könig-

lichen Hofe Triburia [Tribur], zu welcher er auch dem oft

genannten Adalbert zu erscheinen befahl, damit er in Gegenwart der Großen des Reiches Rechenschaft für sich ablege, den Friedstand, der ihm bis dahin verhaßt gewesen, endlich einmal unter Aufgebung seiner grausamen Tyrannei annähme und von der Räuberei, dem Totschlag und dem Mordbrennen wenigstens nach so langer Zeit abließe. Aber diesen heilsamen Ermahnungen lieh er keineswegs ein ge-

118

Adelskämpfe in der Zeit Ludwigs des Kindes

neigtes Gehör. Da also der König sah, daß sein Sinn ve stockt sei und verhärtet in der böswilligen Auflehnung, d er begonnen, sammelte er von allen Seiten ein Heer und belagerte ihn in der Burg, welche Teressa [Theres] heißt. Inzwischen fiel Egino, der sein unzertrennlicher Gefährte bei allen Schlechtigkeiten gewesen war, von dem Bündnis mit ihm ab und ging mit allen seinen Leuten in das königliche Lager über. Nachdem also die Belagerung sich schon etwas in die Länge gezogen hatte, wendet sich der in seinem Mutegebeugte Adalbert zu listigem Blendwerk und beginnt mi aller Anstrengung nachzusinnen, durch welches Mittel die Belagerung aufgehoben werden könnte, damit er die ersehnte Freiheit wiedererlangte, und während

das Heer in

die Heimat zurückkehrte, die arglistigen Streiche, die er im Schilde führte, mit seinen Anhängern weit und breit auszuüben vermöchte. Nachdem er demnach die Tore geöffn | hatte, verließ er mit sehr geringer Begleitung die Festung, stellte sich aus freien Stücken dem Könige, erbittet als Schutzflehender seine Vergebung wegen des Geschehenenund verspricht Besserung. Doch da durch den Verrat der Seinigen der Betrug enthüllt wurde, den er zu spiele suchte, so ward er in Gewahrsam gebracht, im Beisein des

gesamten Heeres mit gebundenen Händen vorgeführt und erlitt nach dem Urteilsspruch aller die Todesstrafe am 9. September. Sein Vermögen und seine Besitzungen wurden zur Kammer eingezogen und durch königliche Verlei-hung unter die Männer von vornehmer Geburt verteilt. D: Die Chronik des Abtes Regino von Prüm. Übers. von Ernst _ Dümmler. Leipzig 1857. (GdV 27.) S. 104-106. N O: Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon cum continuatione Treverensi. Hrsg. von Friedrich Kurze. Hannover/Leipzig 1890. (MGH

SS rer. Germ. 50.) S. 151 f.

|

25

Raffelstettener Zollweistum (904/906) Quellen zur Geschichte des Handels sind für das deutsche Frühmittelalter äußerst selten. Nur durch einen Überlieferungszufall hat sich im Besitzverzeichnis (Traditionsbuch) der Domkirche Passau ein Dokument

erhalten, das Rückschlüsse auf Handelsbe-

ziehungen an der Donau im Grenzraum zwischen Baiern, Böh-

men und Mähren zuläßt. Die bairischen Bischöfe, Äbte und Gra-

fen hatten sich bei König Ludwig (dem Kind) beschwert, daß sie Zölle und Abgaben zahlen müßten. Daher wurde Markgraf Aribo beauftragt, eine Befragung über die üblichen Zölle an der Donau durchzuführen.

Diese 41 und die übrigen, die in diesen drei Grafschaften angesehene Männer waren, wurden nach abgelegtem Eide vom Markgrafen Aribo in Gegenwart der drei königlichen Kommissäre in der Versammlung zu Raffelstätten an der Donau nördlich von St. Florian befragt, und berichteten über die Zollstätten und über die näheren Umstände der Zolleinhebung, wie sie zur Zeit Ludwigs des Deutschen und Karlmanns und anderer Könige in durchaus gerechtfertigter Weise in Übung waren. $ 1. Die vom Westen her kommenden Schiffe geben, sobald sie den Passauer Wald hinter sich haben, zu Rosdorf oder

sonstwo anlegen und Handel treiben wollen - geben zu Zoll 1% Pfennig. $ 2. Wollen sie weiter hinabfahren, so zahlen sie zu Linz von je einem Schiffe drei Scheffel Salz, von Sklaven und anderen Waren aber nichts. Sie genießen dann das Recht, zu landen und Handel zu treiben, bis hinab zum böhmischen Walde, d. i. bis zur Wachau bei Melk.

$ 3. Führt ein Bayer Salz nur für seinen Hausbedarf und bezeugt solches der Fuhrmann mit seinem Eide, dann zahlen sie nichts, sondern gehen frei durch.

120

Raffelstettener Zollweistum

$ 4. Strafe für Schmuggel und Umgehung des Anmeldege-

botes beim legittimum mercatum' durch Freie oder Unfreie, nämlich: Verlust von Schiff und Ware für den Freien, Ver: haftung der Sklaven bis zum persönlichen Erscheinen de: Herrn und Vergütung. $ 5. Bayern und Slaven aus Bayern, die um Lebensmitte

einzukaufen, den Zollbereich mit ihren Knechten, Pferden

Zugtieren oder sonstigen Beförderungsmittel betreten, mö; gen wo immer zollfrei einkaufen, was sie brauchen. Passie ren sie einen Marktplatz, ohne zu kaufen, so mögen sie ih! auf der Mitte der Straße gehend unbehelligt durchschreiten und anderwärts innerhalb des Zollgebietes zollfrei einkaufen, was sie vermögen. Wollen sie lieber auf selbigen Platz ihre Geschäfte besorgen, so mögen sie den vorgeschriebenen Zoll zahlen, und nach Gutdünken einkaufen.

|

$ 6. Salzwagen, welche die Enns auf der gesetzlichen Straße

überschreiten, leisten an der Url bloß einen vollen Scheffe

und haben weiter nichts zu zahlen. $ 7. Die Schiffe aber, die aus dem Traungau kommen, zahlen hier (d.h. an der Ennsbrücke) nichts, sondern gehen ohne Zins durch. Das ist von den Bayern zu beobachten. $ 8. Slaven aber, die aus Rugiland? oder Böhmen des Han-

dels wegen kommen und irgend wo am Donauufer oder im Binnenlande bei den Anwohnern der Rodel und den Riedmärkern Märkte betreten: die zahlen von Honig ein, von Wachs zwei Mäßchen, deren jedes 1% Pfennig wert sein soll, von einer Manneslast zahlen sie ein Mäßchen im gleichen

Werte. Wollen sie jedoch Knechte oder Pferde verkaufen, so

zahlen sie von einer Magd einen Drittel Schilling, ebenso von einem Hengst, von einem Knecht 3 Pfennige, desgleiz chen von einer Stute. | 1 legittimum mercatum: rechtmäßiger Handelsverkehr.

;

2 Es ist in der Forschung umstritten, ob »Rugiland« das Reich der Kiewer Rus bezeichnet oder aber das Gebiet, wo im 4. und 5. Jahrhundert der Stamm der Rugier lebte, d. h. das Gebiet unmittelbar nördlich der Donau im heutigen Oberösterreich. M

Raffelstettener Zollweistum

121

$ 9. Bayern aber und Slaven aus Bayern, die in diesem Gebiet, d.h. in den Gegenden am linken Donauufer, Handel treiben, zahlen nichts. ;

$ 10. Die von den Salzschiffen, welche bei der Durchfahrt durch den böhmischen Wald nicht früher landen und Handel treiben dürfen, bevor sie Eparesburg erreicht haben,

zahlen hier von jedem vollwertigen Schiffe, dessen Bemannung aus drei Leuten besteht, drei Scheffel Salz, und soll

weiter nichts von ihnen erhoben werden. Sondern sie mögen nun nach Mautern fahren, oder wo sonst Salzmarkt ist, und hier wieder Maut zahlen, wieder drei Scheffel Salz vom

Schiff und nicht mehr. Dann haben sie völlig freies Handelsrecht, ohne durch den Grafenbann oder sonst irgend jemanden beirrt zu werden; nur von ihrem Geschäftsinteresse

mögen sie sich leiten lassen. $ 11. Wollen sie in Mähren Handel treiben, so mögen sie nach dem jeweiligen Marktstande einen Schilling vom Schiff zahlen und frei ausgehen, bei der Rückkehr

ist nichts zu

entrichten. $ 12. Woher endlich immer Kaufleute von Beruf, d. h. Juden oder andere Handeltreibende aus Bayern oder aus anderen Ländern kommen, sollen sie für Sklaven und andere

Handelsartikel denselben Zoll zahlen, der seit jeher unter den früheren Königen eingehoben worden ist. D: Josef Lampel: Untersuchungen und Beiträge zum historischen Atlas von Niederösterreich. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 1 (1903) S. 22-27. O: Capitularia regum Francorum. Hrsg. von Albert Boretius und Victor Krause. Hannover 1897. (MGH

Capit. 2.) S. 250-252.

26

Recht der Baiern Über die Normen

des frühmittelalterlichen Rechts wissen wir. gl

Bescheid, weil sich Rechtsaufzeichnungen für fast alle Stämme d Frankenreichs erhalten haben. Ihre genaue Entstehungszeit kenn wir zwar meistens nicht, und ihre gegenseitige Abhängigkeit ist um stritten, auch können wir die tatsächliche Bedeutung dieser Recht aufzeichnungen für das praktische Rechtsleben nicht gut beurteiler doch steht fest, daß die Lex Baiuvariorum im 8. Jahrhundert beac| tet und weiter ausgestaltet wurde. Da noch bis ins 12. Jahrhundeı wertvolle Pergamenthandschriften mit diesem Rechtsbuch beschrie

ben wurden, darf man annehmen, daß mindestens bis in diese Zei

das aus dem Frühmittelalter stammende bairische Recht eine Bedeu: tung für die Praxis besaß. | Im Prolog der Lex Baiuvariorum, dessen Anfang aus der Enzyklc pädie des Isidor von Sevilla (gest. 636) übernommen wurde, wird di Entstehungsgeschichte des Rechtsbuchs geschildert. Ob die Schilde rung jedoch zutrifft, ist umstritten. 4 In Titel 2 wird u. a. jedem freien Baiern eine Garantie für Leben uns Besitz gegeben, was in den frühmittelalterlichen Rechtsaufzeichnur gen einmalig ist. N In Titel 3 werden fünf Adelsgeschlechter namentlich genannt; an anderen Stellen des bairischen Rechtsbuchs ist der Adel nicht wähnt. 6 Titel 4 enthält die Bußen, die für Körperverletzung oder Totschla; entrichtet werden mußten, wenn diese Vergehen an einem freien Baiern begangen worden waren. Während der besondere Schutz der Frauen (4,29) nicht ungewöhnlich ist, kennt nur das bairische Recht die Einschränkung, daß eine kämpfende Frau wie ein Mann gebüßt werden muß. Eine Besonderheit des bairischen Rechts ist auch, daß Fremde unter den Schutz des Herzogs gestellt werden (4,30).

[Prolog]

|

Darauf erwählte sich jeder Stamm auf der Grundlage der Gewohnheit sein eigenes Gesetz. Eine althergebrachte Gewohnheit nämlich wird als Gesetz angesehen. Gesetz ist

Recht der Baiern

123

eine geschriebene Anordnung; Rechtsbrauch ist eine durch Alter bewährte Gewohnheit oder ein ungeschriebenes Gesetz. Denn »Lex« wird von »lesen« gebildet, weil es geschrieben ist. »Mos« aber bedeutet eine althergebrachte Gewohnheit, die nur von Gebräuchen hergeleitet ist; Gewohnheit aber ist eine Art von Recht, eingebürgert durch Gebräuche,

das wie ein Gesetz angenommen wird. Gesetz soll alles sein, wo schon von Vernunft wegen feststeht, was der Ordnung dient, was zum gemeinen Nutzen wirkt. Es wird aber Gewohnheit genannt, weil es im allgemeinen Gebrauch ist.

Theoderich, ein König der Franken, erwählte, als er zu Chälons weilte, weise Männer, die in seinem Reich in den

alten Gesetzen bewandert waren. Nach seiner Anweisung befahl er das Gesetz der Franken, Alemannen und Bayern für einen jeden Stamm, der unter seiner Herrschaft stand, gemäß seiner Gewohnheit abzufassen; er fügte hinzu, was

hinzuzufügen war, und bewahrte das Nichtvorgesehene und Unaufgezeichnete; und was darin gemäß der Gewohnheit der Heiden

war, änderte er gemäß

dem

Gesetz

der

Christen. Und was König Theoderich wegen der alteingewurzelten Gewohnheit

der Heiden

nicht bessern konnte,

begann danach König Childibert von neuem, König Chlothar aber vollendete es. Dies alles erneuerte Dagobert, der

ruhmreiche König, durch die erlauchten Männer Claudius,

Chadoindus, Magnus und Agilulfus und übertrug alles Alte der Gesetze in Besseres und gab einem jeden Stamm Schriftrecht, das bis heute gilt.

[...]

[Titel 2] 1. Wenn jemand seinem Herzog, den der König in jener Provinz eingesetzt oder sich das Volk als Herzog erwählt hat, nach dem Leben trachtet und, dessen überführt, nicht

leugnen kann, sei jener Mann und sein Leben in der Gewalt des Herzogs, und sein Vermögen werde zum Staatsgut eingezogen. Und dies geschehe nicht aus gelegentlichem Anlaß, sondern ein bewiesener Umstand offenbare die Wahr-

124

Recht der Baiern

heit. Nicht mit einem Zeugen, sondern mit 3 Zeugen, st

desgleichen Personen, werde es bewiesen. Wenn aber (n ein Zeuge da ist und jener andere leugnet, dann sollen si das Gottesurteil erhalten und auf den Kampfplatz gehen und wem Gott den Sieg gibt, dem soll man glauben. Und dies geschehe in Gegenwart des Volkes, damit niemand aus Haß verderbe. K Kein freier Bayer verliere Erbe oder Leben ohne Kapital-

verbrechen, das heißt, wenn er dem Herzog nach dem Leben getrachtet oder Feinde in das Land gerufen oder bewirkt hat, daß der Ort von Fremden eingenommen ist und

er dessen überführt befunden wird; dann sei sein Leben in der Gewalt des Herzogs und sein ganzes Vermögen (falle) in das Erbgut. Was für sonstige Vergehen er aber begeht, büße er, solange er Vermögen hat, gemäß dem Gesetz; wenn er aber keines hat, erniedrige er sich selbst in die Knechtschaft und zahle die einzelnen Monate oder Jahre hindurch,

wie er verdienen kann, dem,

ganze Schuld erstattet hat.

den er schädigte, bis er die

[...]

9. Wenn ein Sohn des Herzogs so übermütig oder töricht ist, daß er seinen Vater durch Beschluß Übelgesinnter oder

durch Gewalt absetzen und ihm sein Reich wegnehmen will, während sein Vater noch fähig ist, um Urteil zu streiten, ins. Heer zu ziehen, dem Volk zu richten, das Pferd

mannhaft zu besteigen, seine Waffen kräftig zu führen, und

nicht taub und blind ist, in allem den Befehl des Kön 5 ausführen kann, wisse jener Sohn, daß er wider das Gesetz

gehandelt hat und von der Erbschaft seines Vaters ausgeschlossen ist und nichts mehr von dem Vermögen seines Va-

ters an ihn fällt; und dies sei in der Gewalt seines Vaters, daß er ihn verbanne, wenn er will. Nichts anderes habe er in

seiner Gewalt, außer was sein Vater ihm aus Mitleid geben

will. Und wenn er seinen Vater überlebt und andere Brüdeı i hat, sollen sie ihm keinen Erbanteil geben, weil er wider das

Gesetz an seinem Vater sündigte. Und wenn jener als einzi-

Recht der Baiern

125

ger von dessen Erben seinen Vater überlebt, sei es in des Königs Gewalt, zu schenken, wem er will, entweder jenem oder einem anderen.

[...]

[Titel 3] I. Von den Geschlechtern, die Hosi, Draozza, Fagana, Ha-

hilinga, Anniona genannt werden. Diese sind gleichsam die ersten nach den Agilolfingern, die von herzoglichem Stamm sind; jenen nämlich gestehen wir doppelte Ehre zu, und so sollen sie doppelte Buße erhalten. Die Agilolfinger aber büße man bis zum Herzog hinauf

vierfach, weil sie die höchsten Fürsten unter Euch sind. Der Herzog aber, der dem Volk vorsteht, der war und soll

immer aus dem Stamm der Agilolfinger sein, weil so es die Könige, unsere Vorgänger, ihnen zugestanden haben. (..J

[Titel 4] 28. Wenn jemand einen freien Mann tötet, zahle er dessen

Verwandten, wenn er (welche) hat; wenn er aber keine hat, zahle er dem Herzog oder, wem jener schutzbefohlen war, solange er lebte, zweimal 80 Schillinge gleich 160. 29. Wenn bei ihren Frauen aber sich etwas von diesen Geschehnissen ereignet, werde alles doppelt gebüßt. Weil eine Frau sich mit der Waffe nicht verteidigen kann, erhalte sie doppelte Buße. Wenn sie aber aus der Kühnheit ihres Herzens heraus wie ein Mann kämpfen will, soll ihre Buße nicht doppelt sein. 30. Von Fremden, die des Wegs vorbeiziehen. Niemand aber wage es, einen Fremden zu belästigen oder zu schädigen, weil die einen um Gottes willen, die anderen

aus Zwang vorbeieilen, ein gemeinsamer Friede jedoch für alle notwendig ist. Wenn aber jemand so vermessen ist, daß er‚einen Fremden schädigen will und es tut, ihn entweder ausraubt oder verletzt oder verwundet oder ihn fesselt oder

verkauft oder tötet, und dessen überführt wird, werde er

126

Recht der Friesen

gezwungen, an den Fiskus 160 Schillinge zu zahlen,

ur

wenn er den Fremden lebend verläßt, büße er ihm für a Unrecht, das er ihm antat, oder für das, was er ihm weg

nahm, doppelt als er einem aus der Provinz zu büß pflegt. Y 31. Wenn er ihn aber tötet, werde er gezwungen, 100 Schil linge, in Gold abgewogen, zu zahlen; wenn Verwandte feh len, erhalte sie der Fiskus, und wegen des Verbrechens ve teile er dies an die Armen, damit Ihr einen gnädigen Go! haben könnt, der sagt: »Den Fremden und Wanderer solls

Du nicht bedrängen.« Wenn der Herzog ihm etwas zu b halten gestattet, büße er aus seinem Vermögen 80 Schilli

D: Germanenrechte. Bd.2: Die Gesetze des Karolingerreiches 714-911. Hrsg. von Karl August Eckhardt. Göttingen [u. a, Musterschmidt, 1934. S. 77, 91, 97, 101, 109, 169.

O: Lex Baiwariorum. Hrsg. von Ernst von Schwind. Hannoveı Leipzig 1926. (MGH Leg. nat. Germ. 5,2.) S. 198-203, 291—29

302-304, 312 f., 334-337.

27

Recht der Friesen Im Unterschied zu den Rechten der Franken, Baiern und Ale nen, die in einer Vielzahl von Handschriften aus dem 9. bis 12. Jah hundert erhalten sind, ist die kurz nach 800 auf Befehl Karls ı

Großen aufgezeichnete Lex Frisionum nur in einem Druck d 16. Jahrhunderts auf uns gekommen. Während die Rechtsaufzeichnungen der süddeutschen Stämme sel nachhaltig von christlichen Vorstellungen geprägt sind, steheni Recht der Friesen heidnische und christliche Vorstellungen teilwei unverbunden nebeneinander. ® So wird in Titel 5 über Fälle von »bußloser Tötung« u. a. auchdi Tötung eines Kindes nach der Geburt ohne nachfolgende Buße hin

Recht der Friesen

127

genommen, was von christlich bestimmten Rechtsregeln immer ver-

urteilt wurde. Und in Additio 11 wird die Schändung eines heidnischen Heiligtums mit unzweifelhaft vorchristlichen Strafen bedroht. Dagegen bezeugt Titel 9 in der genauen Beschreibung der bei einem Reinigungseid zu vollziehenden Rituale eine interessante Vermischung von heidnischen und christlichen Elementen.

Von Menschen, die ohne Buße getötet werden können. Ti V $ 1. Den Zweikämpfer; und den, der in der Schlacht getötet

wird; und den Ehebrecher; und den Dieb, wenn er im Graben, durch den er das Haus eines andern zu unterwühlen versucht, angetroffen wird; und den, der, willens das Haus eines andern anzuzünden, die Fackel in der Hand hält, so daß das Feuer das Dach oder die Wand des Hauses berührt;

wer ein Heiligtum aufbricht; und das aus dem Mutterleib ausgestoßene und von der Mutter [alsbald] erwürgte Kleinkind. $ 2. Und wenn dies irgendeine Frau tut, büße sie ihren

Mannwert dem König; und wenn sie leugnet, schwöre sie

mit 5 [Eideshelfern].

Von Tötung eines Mannes bei einem Auflauf.

Tit. XII

$ 1. Wenn irgendein Mann bei einem Aufruhr und Volksauflauf umgebracht wird und der Totschläger wegen der Menge derer, die dabei waren, nicht gefunden werden kann, ist es dem, der Buße für ebendiesen fordern will, erlaubt,

wegen des Totschlags bis zu sieben Männer zu belangen und einem jeden von ihnen das Verbrechen des Totschlags vorzuwerfen, und ein jeder von ihnen muß sich selbzwölfter Hand durch Eid von dem vorgeworfenen Verbrechen reinigen. Dann sind sie zur Basilika zu führen und Lose auf den Altar zu legen oder, wenn es nicht bei einer Kirche ge-

128

Recht der Friesen

schehen kann, auf die Reliquien der Heiligen. Diese Lost müssen solche sein: zwei vom Zweig geschnittene Stäbchen die sie Reiser nennen, von denen eines mit dem Zeichen d Kreuzes gekennzeichnet wird, das andere leer gelasse!

wird, und sie werden mit sauberer Wolle umwickelt auf deı

Altar oder die Reliquien gelegt; und der Priester, wenn € dabei ist, oder, wenn der Priester fort ist, irgendein unschul

diger Knabe muß eines von ebendiesen Losen vom Al wegnehmen; und inzwischen werde Gott angefleht, er mögt durch ein offensichtliches Zeichen zeigen, ob jene sieb die wegen des begangenen Totschlags schworen, wahr schworen haben. Wenn er jenes, das mit dem Kreuz zeichnet ist, wegnimmt, sind die unschuldig, die geschwv ren haben; wenn er aber das andere wegnimmt, dann s ein jeder von jenen sieben sein Los her, d. h. ein Reis, vo! einem Zweige und zeichne es mit seinem Zeichen, daß sowohl er wie die übrigen, die herumstehen, erkennen kö

nen; und sie sollen mit sauberer Wolle umwickelt und at den Altar oder die Reliquien gelegt werden; und der Prie: ster, wenn er dabei ist, wenn aber nicht, wie oben ein

schuldiger Knabe nehme ein jedes von ihnen einzeln vom

Altar weg und frage nach dem, der erkennt, daß es sein Lo! ist. Wessen Los es trifft, das letzte zu sein, der werde ge zwungen, die Buße für den Totschlag auszuzahlen, |

Lossprechung der übrigen, deren Lose vorher aufgenom men sind. ; $ 2. Wenn er aber beim ersten Legen der zwei Lose j wegnimmt, das mit dem Zeichen des Kreuzes bezei ist, sind die sieben, die geschworen haben, wie wir zuvı sagten, unschuldig, und jener belange, wenn er will, an

wegen desselben Totschlags; und wer immer auch belan

wird, muß sich durch einen mit selbzwölfter Hand zu voll

endenden Eid entschuldigen; und damit sei dem Bela genügt, und er kann nicht weiterhin irgendwen zum nötigen. Dieses Gesetz wird [in Mittelfriesland] zwis

Lauwers und Fli beachtet.

Bund zwischen Königtum und Bischöfen [Additio] Von der Ehre der Tempel.

129

"Tit. XI

$ 1. Wer ein Heiligtum aufbricht und dort etwas von den Weihsachen nimmt, werde zum Meer geführt, und auf dem Sande, den die Flut des Meeres zu bedecken pflegt, werden seine Ohren aufgeschlitzt, und er wird entmannt und den Göttern hingeopfert, deren Tempel er entehrte. D: Lex Frisionum. Hrsg. und übers. von Karl August Eckhardt und O:

Albrecht Eckhardt. Hannover: germ. ant. 12.) S. 47, 57, 103; Ebd. S. 46, 52, 56, 102.

Hahn,

1982. (MGH

Font.

iur.

28

Bund zwischen Königtum und Bischöfen (Hohenaltheim 916)

Schon bei der Wahl des Franken Konrad zum König von Ostfranken (im November 911 in Forchheim) spielten die Bischöfe eine wichtige Rolle. In seiner kurzen Regierung gelang es ihm nicht, sich gegen die Herzöge in Sachsen, Schwaben und Baiern durchzusetzen. Mit Heinrich von Sachsen (dem späteren König Heinrich I.) traf er ein Abkommen, das diesem in seinem Machtbereich praktisch eine autonome Stellung einräumte. Gegen Arnulf von Baiern und Erchanger von Schwaben (seit 915 Herzog) versicherte sich der König der Unterstützung der fränkischen, schwäbischen und bairischen Bischöfe, die im September 916 in Hohenaltheim bei Nördlingen zu einer Synode zusammentraten. Die Bischöfe zitierten hier Bestimmungen westgotisch-spanischer Konzilien, um den König vor Aufständen und Treuebruch zu schützen. Der König wird hier (z. B. in Kap. 21) im Einklang mit dem Alten Testament als »christus domini«, als »Gesalbter des Herrn«, bezeichnet, und das Vergehen

des Eidbruchs gegenüber dem König wird als Sakrileg betrachtet. Erchanger von Schwaben und seine Komplizen, die das Konzil

130

Bund zwischen Königtum und Bischöfen

zu Bußleistungen verurteilte (Kap. 33), wurden im Januar 917 hin gerichtet. Die Stärkung der königlichen Stellung lag am Beginn d 10. Jahrhunderts auch im Interesse des Papstes. Der damalige Papı Johannes X. (914-928) betonte 921, daß allein der König, der Szepter von Gott erhalten habe, Bischöfe einsetzen dürfe.

Die Beschlüsse der Synode von Hohenaltheim sind heute nur nı in einer Handschrift aus der Dombibliothek Freising enthalten, il der eine ganze Reihe von Konzilsbeschlüssen aus dem 9. um 10. Jahrhundert zusammengestellt sind.

Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit,

Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, im 916.Ja

der Fleischwerdung des Herren, in der vierten Indiktion,

am 20. September, im 5. Jahre der Herrschaft Konrads, des

frömmsten und allerchristlichsten Königs, versammelte sich die heilige allgemeine Synode zu Hohenaltheim im Riesgau, Anwesend war der ehrwürdige Bischof Petrus von Orta [Orte], der Apokrisiar, der Abgesandte des Herrn Papstes Johannes, ausgesandt, um die bei uns vom Teufel ausgestreute und ins Kraut geschossene Saat auszurotten, die ver-

brecherischen Machenschaften gewisser Menschen niede: zuschlagen und die Reinigung überall zu vollziehen. Dr Tage haben wir gefastet und die üblichen Litaneien gebü rend gefeiert, und wir sind in der Kirche des heiligen Joh nes Baptista zusammengekommen und haben traurig d: sessen. Dann verlas der genannte Abgesandte des hei Petrus und des Herrn Papstes Johannes einen apostolischen Brief, in dem wir ermahnt, zurechtgewiesen und übe

Fragen instruiert wurden, welche die wahre Religion cl lichen Glaubens betreffen. Das alles haben wir nach Re und Billigkeit demütig angenommen, gewissenhaft darü

verhandelt und in aller Ergebenheit uns zur Richtschnur ge

macht ... Dann ermahnte uns der Herr Bischof Petrus, so daß wir gegen uns und unsere Schwäche entbrannten, unı mit Hilfe und im Erbarmen des Heiligen Geistes haben wir die folgenden Kapitel beschlossen [...]. 8

5 Bund zwischen Königtum und Bischöfen

131

12. Die Gesetze der Kirche und die Richter. Die Gesetze der Kirche sollen durch die apostolische Autorität gefestigt werden, und wir verwerfen weltliches Gericht. Schlimmere

Sünde kann es wohl nicht geben, als daß Christen ihre Bischöfe und Priester verfolgen. Niemand kann durch menschliches Urteil verdammt Gericht vorbehalten hat. [...]

werden,

den

Gott

seinem

20.' Von der Gewalt des Königs. Feierlich beschwören wir bei Gott, vor allen Engeln bei der Schar der Propheten, Apostel und aller Märtyrer, vor der ganzen katholischen Kirche und der Gemeinde der Christen: Niemand denke an den Sturz des Königs, niemand taste das Leben des Fürsten an, niemand

beraube

ihn der Herrschaft über das Reich,

niemand maße sich als ein Tyrann den Thron des Reiches an, niemand verbinde sich irgendwie verschwörerisch gegen ihn. Wenn sich jemand von uns eidbrüchigerweise auf irgend etwas dieser Art frevlerisch einläßt, dann treffe ihn Gottes Fluch, und er soll beim ewigen Gericht ohne Vergebung in die Hölle verdammt werden. [...] 21. Von Erchanger und seinen Komplizen. Dem Erchanger und seinen Komplizen und Genossen erlegen wir folgende Buße auf, weil sie gesündigt haben und gegen den Gesalbten des Herrn, ihren König und Gebieter, ihre Hand zu erheben versuchten, außerdem weil sie ihren ehrwürdigen Bischof Salomo [von Konstanz] mit Hinterlist ergriffen und sich am Kirchengut bereichert haben: sie sollen die Welt ver-

lassen, ihre Waffen niederlegen, in ein Kloster gehen, wo sie fortan büßen sollen an allen Tagen ihres Lebens. [...]

23. Wenn ein Laie den Eid bricht, den er dem König, seinem

Herrn, schwört und verworfen nach seinem Reich oder ver-

schlagen nach seinem Leben trachtet, dann treffe ihn als einen Mann, der ein Sakrileg begeht, indem er die Hand gegen den Gesalbten des Herrn erhebt, der Fluch, falls er 1 Dieses Kapitel wurde im Jahre 638 von einer Synode in Toledo beschlossen, um den westgotischen König zu schützen. In Hohenaltheim wurde es wörtlich wiederholt. S

132

Bund zwischen Königtum und Bischöfen

nicht eine der Strafe entsprechende Buße leistet, wie sie di heilige Synode beschlossen hat, also der Welt entsagt, di Waffen ablegt, in ein Kloster eintritt und alle Tage sein os Lebens mit Bußübungen verbringt. Wenn aber ein Bischof Priester oder Diakon ein solches Verbrechen begeht, soll eı degradiert werden. [...] Mi 30. Über die Bischöfe aus Sachsen, die nicht zu dieser Syn

ode erschienen sind. Die heilige Synode hält es für richtig die sächsischen Bischöfe, die trotz Einladung nicht zu de:

heiligen Konzil gekommen sind und auch nicht gemäß d

heiligen Kanones ihre Sendboten oder Vertreter entsandı haben, feierlich zu verwarnen und wegen ihres Ungehot sams zu schelten. Wir laden und berufen erneut in brüd licher Liebe zur Synode.? Wenn sie aber entgegen unser Wunsche das wiederum für nichts halten und nicht zu

scheinen willens sind und es verschmähen, einen einleuch-

tenden Grund für ihren Ungehorsam anzugeben, dann un: tersagt ihnen Petrus, des heiligen Petrus und des Paps Abgesandter, einig mit der ganzen heiligen Synode k apostolischer Vollmacht, die Messe

zu lesen, bis sie nach

Rom kommen und vor dem Papste und der heiligen Kirch einen gültigen Grund angegeben haben.

D:

Lautemann. S. 132f. [Kap. 21 und der letzte Satz von Kap

wurden von W. H. übersetzt.]

O: Die Konzilien Deutschlands und Reichsitaliens 916-1001.

von Ernst-Dieter Hehl und Horst Fuhrmann. Hannover 198;

(MGH

Conc. 6,1.) S. 19 f., 24, 28 f., 30 und 35.

2 Am 15. Mai 917 sollte in Mainz ein Konzil zusammentreten, das w: scheinlich nicht zustande kam.

Hrs

M

29

Designation Heinrichs von Sachsen durch Konrad I. Auf seinem Sterbebett traf König Konrad I. im Dezember 918 eine folgenreiche Entscheidung, indem er seinem Bruder Eberhard auftrug, dem Sachsenherzog Heinrich die Krone und die Reichsinsignien zu überbringen. Den fränkischen Großen empfahl er, Heinrich zu seinem Nachfolger zu wählen. Eberhard von Franken befolgte den Rat seines Bruders und schloß mit Heinrich von Sachsen ein Freundschaftsbündnis. Im Mai 919 wählten in Fritzlar die Großen aus Franken und Sachsen Heinrich zum König. Die ihm vom Erzbischof von Mainz angebotene Krönung und Salbung lehnte Heinrich jedoch ab. Dieser Verzicht ist verschieden interpretiert worden: kaum darf man hierin eine Wendung gegen den unter Konrad I. übermächtigen Einfluß der Bischöfe sehen. Vielleicht wollte Heinrich die Verpflichtung zum Schutz der Kirche nicht auf sich nehmen, um die Verständigung mit den süddeutschen Herzögen nicht zu gefährden. Die ca. 967/968 in einer ersten Fassung abgeschlossene Sachsengeschichte, die der Mönch Widukind im Kloster Corvey schrieb, gehört in die Reihe der frühmittelalterlichen Stammesgeschichten. Das Werk ist auf Sachsen und die ottonische Familie konzentriert. Eine überarbeitete Fassung widmete Widukind der Äbtissin Mathilde von Quedlinburg, der Tochter Kaiser Ottos I. Es ist die wichtigste Quelle für die deutsche Geschichte im 10. Jahrhundert.

Der König [Konrad I.] aber zog nach Bayern und kämpfte mit Arnulf‘, wurde hier — wie einige berichten — verwundet

und kehrte in seine Heimat zurück. Und da er fühlte, daß

er krank war und sein anfängliches Glück dahinschwand,

rief er seinen Bruder, der zu einem Besuch gekommen war, und sagte folgendes zu ihm: »Ich fühle, Bruder, daß ich die-

ses Leben nicht länger behalten kann, da Gott es so befiehlt 1 Arnulf (»der Böse«), seit 907 Herzog von Baiern (gest. 937).

134

Designation Heinrichs von Sachsen durch Konrad I, W

lege bei dir selbst, sorge, was dich hauptsächlich angeht, fü das ganze Frankenreich und beachte meinen brüderlicheı Rat. Wir können, Bruder, Truppen aufstellen und ins Felı führen, wir besitzen Burgen, Waffen, die königlichen Insi gnien und alles, was die königliche Würde fordert; aber v A

haben kein Glück und keine Eignung. Das Glück, Bruder ist mit der hervorragendsten Befähigung an Heinrich übe: gegangen, die Entscheidung über das Reich liegt bei de Sachsen. Deshalb nimm diese Abzeichen, die heilige Lanze die goldenen Armspangen mit dem Mantel, das Schweı und die Krone der alten Könige, gehe zu Heinrich und a che Frieden mit ihm, damit du ihn immer zum Verbünde el

hast. Denn warum ist es nötig, daß das Frankenvolk m ) dir vor ihm zusammensinkt? Er wird wahrhaftig Köni sein und Kaiser über viele Völker.« Nach diesen Worten er“

widerte der Bruder weinend, er sei einverstanden. Dar

starb der König, ein tapferer und mächtiger Mann, im Kriey wie im Frieden hervorragend, freigebig, mild und mit allen Vorzügen ausgestattet; begraben wurde er unter dem Jammer und den Tränen aller Franken in seiner Stadt We burg. 8 Wie der König befohlen hatte, ging Eberhard zu Heinrich, stellte sich ihm mit allen Schätzen zur Verfügung, schlof Frieden und gewann seine Freundschaft, die er treu und fesı bis zu seinem Ende bewahrte. Dann versammelte er die

|

namens Fritzlar und rief Heinrich vor dem ganzen Volk deı Franken und Sachsen zum König aus. Als diesem vom Erz» bischof, der damals Heriger? hieß, die Salbung und die Krone angeboten wurde, verschmähte er sie nicht, nahm sie

aber trotzdem nicht an und sagte: »Es genügt mir, daß ich meinen Vorfahren das voraus habe, daß ich wegen Gottes Wohlwollen und eurer Huld König genannt und dazu aus-

2 Siehe Nr. 32.

3 Heriger, Erzbischof von Mainz (913-927).

Heinrich I. und die süddeutschen Herzogtümer gerufen werde. Salbung und Krone aber sollen mir zukommen; einer so großen Ehre halten unwürdig.« Diese Rede gefiel nun der ganzen mit zum Himmel gehobener Rechten riefen laut den Namen des neuen Königs.

135

Besseren als wir uns für Menge, und sie mehrfach

D: Widukind von Corvey: Res gestae Saxonicae / Die Sachsengeschichte. Lat./Dt. Übers. und hrsg. von Ekkehart Rotter und

Bernd

Schneidmüller.

Stuttgart:

Reclam,

1981.

S. 67/69

(Kap. 25 f.). O: Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei. Hrsg. von Hans-Eberhard Lohmann und Paul Hirsch. Hannover/Leipzig 1935. (MGH

SS rer. Germ. 60.) S. 37-39.

30

Heinrich I. und die süddeutschen Herzogtümer Arnulf von Baiern hatte sich wohl noch 919 zum König erheben las-

sen (kaum zum »rex Teutonicorum«, sondern zum »rex Baiuvariorum«). Heinrich I. wandte sich aber zuerst nach Schwaben, um den

dortigen Herzog zur Anerkennung seines Königtums zu bewegen. Wegen seiner Auseinandersetzungen mit Rudolf von Burgund huldigte Burchard von Schwaben Heinrich I. Dieser verständigte sich 921 auch mit Arnulf von Baiern, der auf seinen Königstitel verzichtete und mit Heinrich einen Freundschaftspakt schloß. Arnulf behielt die Kirchenhoheit bei und besaß auch weiterhin große Selbständigkeit nach innen und außen. In Widukinds Sachsengeschichte (Kap. 27) heißt es dazu:

So König geworden, brach Heinrich mit seinem ganzen Gefolge zum Kampf gegen Burchard, den Herzog Alamanniens, auf. Obwohl dieser ein unwiderstehlicher Krieger

136

Bonner Vertrag vom 7. November 921

war, merkte er als sehr kluger Mann trotzdem, daß er einer Kampf mit dem König nicht bestehen könne, und vertraut sich ihm mit allen seinen Burgen und seinem Volk an. Un nach diesem Erfolg zog Heinrich weiter nach Bayern, wc Arnulf als Herzog herrschte. Als er erfuhr, daß der sich im Schutz der Burg von Regensburg aufhalte, belagerte er ihn Aber Arnulf sah, daß er dem König nicht widerste könne, öffnete die Tore, trat hinaus zum König und unter

warf sich mit seinem ganzen Königreich. Er.wurde vor Heinrich ehrenvoll empfangen und Freund des Königs nannt. Der König aber wurde von Tag zu Tag mächtiger stärker, größer und berühmter. Und nachdem er das Königreich, das unter seinen Vorgängern überall durch innere und äußere Kriege erschüttert war, geeinigt, befriedet und wieder zusammengebracht hatte, zog er gegen Gallien und Lothringen. N D: Widukind von Corvey: Res gestae Saxonicae / Die Sachsenges schichte. Lat./Dt. Übers. und hrsg. von Ekkehart Rotter und Bernd Schneidmüller. Stuttgart: Reclam, 1981. S. 69/71.

Ki

O: Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei. Hrsg. von Hans-Eberhard Lohmann und Paul Hirsch. Hannover/Leipzig 1935. (MGH

SS rer. Germ. 60.) S. 39 f.

31 Bonner Vertrag vom 7. November 921 Nach 911 hatte sich in Westfranken Karl der Einfältige als König durchgesetzt. Nach seinem Sieg über Arnulf von Baiern schlo! Heinrich I. mit Karl einen Vertrag (auf einem mitten im Rhein verankerten Schiff, um die Flußgrenze genau einzuhalten), worin sich gegenseitig in ihrem Besitzstand anerkannten: Karl als König der Westfranken, Heinrich als König der Ostfranken. Die Lage des westfränkischen Karolingers verschlechterte sich aber bereits im fol»

Bonner Vertrag vom 7. November 921

137

genden Jahr, als Herzog Robert von Franzien zum König erhoben wurde (Juni 922). Auch mit Robert schloß Heinrich I. einen Freundschaftsvertrag, in dem Robert auf das Elsaß verzichtete. Als Karl in einer Schlacht bei Soissons von den Robertinern geschlagen wurde, wandte Karl der Einfältige sich hilfesuchend an Heinrich I., der aber an seiner Neutralität im westfränkischen Thronstreit festhielt. 925/928 wurde Lothringen in den ostfränkischen Reichsverband aufgenommen, indem Heinrich I. mit Giselbert von Lothringen eine Schwurfreundschaft schloß und ihm seine Tochter Gerberga zur Frau gab. Vom Text des Bonner Vertrages besitzen wir keine handschriftliche Überlieferung. Wir kennen ihn nur aus dem Druck von J. Sirmond, der 1623 in Paris erschienen ist.

Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit. Mit

Hilfe der Gnade Gottes, im Jahr der Geburt des Herrn 921,

dem 29. Jahr der Herrschaft des Herrn und ruhmreichsten Königs der Westfranken Karl, dem 24. seit der Wiedervereinigung, dem 10. nach Erlangung der größeren Erbschaft, in der 9. Indiktion sowie im 3. Jahr der Herrschaft des Herrn und erhabensten Königs der Ostfranken Heinrich — nahm zwischen diesen genannten Herrschern ein Vertrag der Einmütigkeit und eine Freundschaft der Gemeinsamkeit ihren gesuchten und gefundenen Anfang, so wie es angemessen schien. Es kamen nämlich beide erlauchten Könige zusammen, so wie sie nach wechselseitigem Verkehr der Gesandten übereingekommen waren, am 4. November,

einem Sonntag; der Herr Karl nämlich auf dem Rhein bei der Burg Bonn und der Edle Heinrich auf der anderen Seite des Rheines. Und an diesem Tage sahen sie sich lediglich von Angesicht jeweils auf den Ufern dieses Stromes, von hier und von dort, damit ihre Getreuen gerechtfertigt würden hinsichtlich des Eides, mit dem sie deren Zusammen-

kunft versprochen hatten. Aber am Mittwoch, dem 7. November, stiegen die schon öfter genannten Herrscher mitten auf dem Rhein jeweils aus ihrem Boot in ein drittes um, das für ihre Unterredung mitten im Strom verankert war, und

138

Bonner Vertrag vom 7. November 921

dort setzten sie vor allem als gegenseitige Übereinku über den Friedenszustand folgendes unter Eid fest: Ich Karl, durch die Hilfe von Gottes Gnaden König der Westfranken, werde künftighin diesem meinem Freunde, dem Ostkönig Heinrich, Freund sein, wie ein Freund seinem Freund gegenüber in rechter Weise sein muß, nach meinem Wissen und Können, und zwar unter der Voraus--

setzung, daß er mir diesen selben Eid leistet und, was er schwört, hält. So wahr mir Gott helfe und diese heiligen Reliquien. ] König Heinrich hingegen sprach sofort danach dasselbe

Versprechen mit einem Eid in denselben Worten, damit die-

ser Freundschaftsvertrag unverletzlich beobachtet würde.

Dieses sind die Namen der Bischöfe, die mit edlen und ge-

treuen Laien den Vertrag, den die genannten Könige untereinander geschlossen hatten, durch Beifall anerkannten und _

die mit ihren Händen eidlich versicherten, sie würden i

niemals verletzen: Bischöfe von seiten des Königs Karl: Hermann Erzbischof von Agrippina — was man jetzt Köln

nennt, Ruotger Erzbischof von Trier, Stephan Bischof von. Cambrai, Bovo Bischof von Chälons, Balderich Bischof

von Utrecht. Dies sind die Namen der Grafen: Matfred, Er-

changer, Hagano, Boso, Waltker, Isaak, Ragenber, Dietrich, _ Adalhard, Adelhelm. Bischöfe von seiten des erlauchten

Königs Heinrich: Heriger Erzbischof von Mainz, Nithard Bischof von Münster, Dodo Bischof von Osnabrück, Richgawo Bischof der Wangionen — was jetzt Worms heißt, U: ward Bischof von Paderborn, Noting Bischof von Konstan:

in Schwaben. Dies sind die Namen der Grafen: Eberhard, Konrad, Hermann, Hatto, Gottfried, Otto, Hermann, / Kobbo, Meinhard, Friedrich, Foldag. D: Weinrich. S. 19/21/23. O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Bd, 14U Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH Const, MM S.A1 A

32

Erwerb der Heiligen Lanze Auf einem Reichshoftag im November 926 in Worms überließ Heinrich I. Rudolf II. von Hochburgund Teile des Herzogtums Schwaben (die heutige Nordschweiz mit Basel) im Tausch gegen die Heilige Lanze; diese galt entweder als die Lanze des Longinus (des Soldaten, der der Legende zufolge Christi Seite aufstach) oder als die Lanze des heiligen Mauritius, des burgundischen Königspatrons. (Der Kult des heiligen Mauritius wurde von den Ottonen übernommen; er stieg zum Patron des Königs und des Reiches auf.) Heinrich erwarb die Lanze, in die ein angeblich vom Kreuz Christi stammender Nagel eingelassen war, um eine siegbringende Christus-Reliquie zum Kampf gegen die Ungarn in Besitz zu bekommen. Seinen Sieg gegen die Ungarn bei Riade an der Unstrut im Jahr 933 errang Heinrich am Tag des heiligen Longinus, am 15. März. Die folgende Passage stammt aus der Antapodosis des lombardischen Bischofs Liutprand (Kap. 25). Mit ihr unternahm ihr Verfasser (seit 961 Bischof von Cremona) den Versuch, eine »Geschichte der Könige und Fürsten von ganz Europa« zu verfassen, die aber nur Nachrichten über Burgund, Italien und Byzanz, also die Reiche, die im Gesichtskreis Liutprands lagen, enthält. Seinen Titel Antapodosis (‚Wiedervergeltung«) erhielt das Werk, weil sein Verfasser die Taten des italienischen Königs Berengar II. als Schandtaten entlarven wollte. Im 4. Buch des Werkes stellt Liutprand die deutsche Geschichte dar, wie sie der sächsische Hof gesehen haben wollte, denn

Liutprand war seit 950 ein unbedingter Anhänger Ottos I. Am Hof Ottos entstand auch sein Geschichtswerk.

Der Burgundenkönig Rudolf, welcher einige Jahre lang in Italien geherrscht hat, erhielt diese Lanze zum Geschenk vom Grafen Samson. Sie sah nicht aus wie die gewöhnlichen Lanzen, sondern war auf ganz besondere Art gearbeitet und von ganz eigener Gestalt. Denn längs dem mittleren Schenkel des Schaftes sind zu beiden Seiten Vertiefungen; diese zum Einlegen der Daumen sehr schön geeigneten Rinnen ziehen sich bis zur Mitte der Lanze herab. Diese Lanze also,

140

Erwerb der Heiligen Lanze

sagt man, habe einst Konstantin dem Großen angehört;

dem Sohne der heiligen Helena, welche das Leben bringende Kreuz fand, und auf dem mittleren Grate, den i L

vorher Schenkel nannte, trägt sie Kreuze aus den Nägeln, welche durch die Hände und Füße unsers Herrn und Erlösers Jesu Christi geschlagen sind. König Heinrich aber, wie er denn ein gottesfürchtiger Mann und jedes Heiligtums Liebhaber war, erfuhr nicht so bald, daß Rudolf ein so un-

schätzbares Geschenk des Himmels besitze, als er Boten an

ihn absandte und versuchte, ob er um hohen Preis es erwerben, und sich so die unüberwindlichsten Waffen und be-

ständigen Sieg über sichtbare und unsichtbare Feinde verschaffen könne. Da aber König Rudolf auf alle Weise erklärte, daß er solches niemals tun würde,

so ließ König.

Heinrich es sich sehr angelegen sein, weil er ihn durch Ge-schenke nicht dazu bewegen konnte, ihn durch Drohungen zu schrecken. Denn er gelobte ihm, sein ganzes Königreich mit Feuer und Schwert verwüsten zu wollen. Weil aber die Sache, um die er bat, ein Kleinod war, durch welches Gott

das Irdische mit dem Himmlischen verknüpft hat, nämlich der Eckstein, der aus beiden eins macht, so ward

König

Rudolfs Herz erweicht und er übergab es persönlich dem gerechten Könige, der in gerechter Weise Gerechtes begehr-

In das durchlöcherte Blatt der Heiligen Lanze, die sich heute in

der Schatzkammer der Wiener Residenz befindet, ist ein Nagel eingelassen, der angeblich vom Kreuz Christi stammt. Das gebrochene Blatt wird von einer silbernen und einer goldenen

Hülle zusammengehalten. Während die silberne Hülle wahrscheinlich unter Heinrich IV. angebracht wurde, stammt die goldene aus der Zeit Karls IV. (14. Jahrhundert). Die Lanze wurde

den Kaisern in der Schlacht und beim Zug nach Rom vorangetragen.

142

Erwerb der Heiligen Lanze

te. Denn wo der Frieden selber zugegen war, da hatte die

Feindschaft keinen Raum. So wurden auch damals, als der,

welcher mit diesen Nägeln gekreuzigt ist, von Pilatus zu Herodes geführt ward, diese beiden an jenem Tage Freunde, da sie vorher einander feind gewesen waren. Mit welcher Freude aber König Heinrich jenes unschätzbare Kleino« empfing, das zeigte sich auf mancherlei Weise, insbesonder. aber dadurch, daß er den Geber nicht nur mit Gold oder Silber, sondern auch mit einem ansehnlichen Teile des

Schwabenlandes beschenkte. Gott aber, der die Gedanke: N

der Menschen durchschaut, und nicht die Größe der Gabe,

sondern den guten Willen ansieht und belohnt, wie hohen

Lohn der dem frommen Könige um dieser Sache willen in

der Ewigkeit beschieden habe, das hat er auch in dieser

Zeitlichkeit bereits durch einige Anzeichen zu erkennen gegeben, indem der König stets die Feinde, welche sich gege nn} ihn erhoben, mit Vortragung dieses siegreichen Zeichens geschreckt und in die Flucht geschlagen hat. A Auf diese Weise also, oder vielmehr durch den Willen Got-

tes, gelangte

König

Heinrich

zum

Besitz

der heilige

Lanze, die er sterbend seinem Sohne, von dem wir jetzt re: den, nebst des Reiches Erbschaft hinterließ. Wie hoch ab

auch dieser das unschätzbare Kleinod geehrt habe, das k;

det uns nicht nur der eben erzählte Sieg, sondern auch die

wunderbare Fülle göttlicher Segnungen, von welcher wir noch zu berichten haben. | D: Aus Liudprand’s Werken. Übers. von Freiherr Karl von der Osten-Sacken. Leipzig 1940. (GdV 29.) S. 64-66 (Kap. 25). O: Die Werke Liudprands von Cremona. Hrsg. von Joseph Becker. _ Hannover/Leipzig 1915. (MGH SS rer. Germ. 41.) S. 118 f. 4

33

Wahl und Krönung Ottos I. Fünf Wochen nach dem Tode Heinrichs I., am 7. August 936, wurde

dessen zweiter Sohn Otto von Vertretern aller Stämme des ostfränkischen Reiches in Aachen zum König erhoben. Sein jüngerer Bruder Heinrich, der Kandidat der Königswitwe,

gab sich mit dieser

Entscheidung nicht zufrieden. Otto versuchte seine Legitimation zu verbessern, indem er sich auf die fränkisch-karolingische Tradition stützte und indem er die Repräsentanten der Stämme des Reiches in die Königserhebung einbezog. Bei den Krönungsfeierlichkeiten in Aachen traten erstmalig die Herzöge als Inhaber der späteren Erzämter auf: Giselbert von Lothringen als Kämmerer, Eberhard von Franken als Truchseß, Hermann von Schwaben als Mundschenk und

Arnulf von Baiern als Marschall. Damit wurde das Herzogsamt als Amt im Dienste des Königtums betont. In Widukinds Sachsengeschichte (Buch 2, Kap. 1 f.) heißt es:

Nachdem also der Vater des Vaterlandes und der größte wie beste König Heinrich gestorben war, wählte sich das gesamte Volk der Franken und Sachsen seinen Sohn Otto, der bereits vorher vom Vater zum König designiert worden war, als Herrscher aus. Als Ort der allgemeinen Wahl nannte und bestimmte man die Pfalz Aachen. Jener Ort liegt aber in der Nähe von Jülich, das nach seinem Gründer Julius Caesar benannt ist.' Und als man dorthin gekommen war, versammelten sich die Herzöge und obersten Grafen mit der übrigen Schar vornehmster Ritter in dem Säulenhof, der mit der Basilika Karls des Großen verbunden ist, setzten den neuen Herrscher auf einen dort aufgestellten Thron,

huldigten ihm, gelobten ihm Treue, versprachen ihm Unterstützung gegen alle seine Feinde und machten ihn nach

1 Diese falsche Etymologie hängt mit dem Bestreben Widukinds zusammen, die ottonischen Herrscher in die Tradition der römischen Kaiser einzuordnen.

144

Wahl und Krönung Ottos I.

ihrem Brauch zum König. Während dies die Herzöge und die übrige Beamtenschaft vollführten, erwartete der Erzbischof mit der gesamten Priesterschaft und dem ganzen Volk im Innern der Basilika den Auftritt des neuen Königs. Als dieser erschien, ging ihm der Erzbischof entgegen, be

rührte mit seiner Linken die Rechte des Königs, während er

selbst in der Rechten den Krummstab trug, bekleidet mit der Albe, geschmückt mit Stola und Meßgewand, schritt vor bis in die Mitte des Heiligtums und blieb stehen. E wandte sich zum Volk um, das ringsumher stand — es waren. nämlich in jener Basilika unten und oben umlaufende Säulengänge —-, so daß er vom ganzen Volk gesehen werden

konnte, und sagte: »Seht, ich bringe euch den von Gott er-

wählten und von dem mächtigen Herrn Heinrich einst designierten, jetzt aber von allen Fürsten zum König gemachten Otto; wenn euch diese Wahl gefällt, zeigt dies an, indem ihr die rechte Hand zum Himmel emporhebt.« Da streckte das ganze Volk die Rechte in die Höhe und wünschte unter_ lautem Rufen dem neuen Herrscher viel Glück. Dann schritt der Erzbischof mit dem König, der nach fränkischer

Sitte mit einem eng anliegenden Gewand bekleidet war, hinter den Altar, auf dem die königlichen Insignien lagen: das Schwert

mit dem

Wehrgehänge,

der Mantel

mit den

Spangen, der Stab mit dem Zepter und das Diadem. Zu d ser Zeit war Hildebert Erzbischof, der Herkunft nach ein Franke, dem Stand nach ein Mönch, erzogen und ausgebildet im Kloster Fulda und verdientermaßen zu. solcher Ehre_ aufgestiegen, daß er zum Abt dieses Klosters eingesetzt. wurde und danach den Rang des höchsten Bischofsamtes zu. Mainz erlangte. Er war ein Mann von erstaunlicher Heiligkeit, und

abgesehen

von

der natürlichen

Weisheit seines

Geistes war er aufgrund seiner wissenschaftlichen Studien _

hochberühmt. Man behauptet, er hätte neben anderen Gna-

dengaben auch den Geist der Weissagung empfangen. Und _ als unter den Bischöfen wegen der Weihe des Königs Streit _

entstand, also zwischen dem Trierer und dem Kölner - weil 4

Wahl und Krönung Ottos I.

145

jener meinte, sein Stuhl sei der ältere und gewissermaßen

vom seligen Apostel Petrus eingerichtet; während aber dieser meinte, der Ort gehöre zu seiner Diözese: so daß beide

der Ansicht waren, die Ehre dieser Weihe käme ihnen zu —,

trat doch ein jeder von ihnen vor der allgemein anerkannten Hoheit Hildeberts zurück. Derselbe aber ging zum Altar, nahm von dort das Schwert mit dem Wehrgehänge auf, wandte sich an den König und sprach: »Nimm dieses Schwert, auf daß du alle Feinde Christi verjagst, die Heiden

und schlechten Christen, da durch Gottes Willen dir alle Macht im Frankenreich übertragen ist, zum unerschütterli-

chen Frieden für alle Christen.« Dann nahm er die Spangen, legte ihm den Mantel um und sagte: »Durch die bis auf den Boden herabreichenden Zipfel (deines Gewandes) seist du daran erinnert, mit welchem Eifer du im Glauben entbren-

nen und bis zum Tod für die Sicherung des Friedens eintre-

ten sollst.« Darauf nahm er Zepter und Stab und sprach: »Durch diese Abzeichen bist du aufgefordert, mit väterlicher Zucht deine Untertanen zu leiten und in erster Linie

den Dienern Gottes, den Witwen und Waisen die Hand des

Erbarmens zu reichen; und niemals möge dein Haupt ohne das Öl der Barmherzigkeit sein, auf daß du jetzt und in Zukunft mit ewigem Lohn gekrönt werdest.« Auf der Stelle wurde er mit dem heiligen Öl gesalbt und mit dem goldenen Diadem gekrönt von eben den Bischöfen Hildebert und Wigfried, und nachdem die rechtmäßige Weihe vollzogen war, wurde er von denselben Bischöfen zum Thron geführt, zu dem man über eine Wendeltreppe hinaufstieg, und er war zwischen zwei Marmorsäulen von wunderbarer Schönheit so aufgestellt, daß er von da aus alle sehen und selbst

von allen gesehen werden konnte. Nachdem man dann das Lob Gottes gesungen und das Meßopfer feierlich begangen hatte, ging der König hinunter zur Pfalz, trat an die marmorne, mit königlicher Pracht geschmückte Tafel und nahm mit den Bischöfen und dem ganzen Adel Platz; die Herzöge aber taten Dienst. Der Herzog

146

Liturgie der Herrscherweihe

der Lothringer,

Giselbert, zu dessen Machtbereich

dies

Ort gehörte, organisierte alles; Eberhard kümmerte sich den Tisch, der Franke Hermann um die Mundschenken,

nulf sorgte für Errichtung des Sachse und der heren Königs,

Ar

un

die Ritterschaft sowie für die Wahl und di Lagers; Siegfried aber, der hervorragendst zweite nach dem König, Schwager des frü nun ebenso mit dem König verschwäger

verwaltete zu dieser Zeit Sachsen, damit unterdessen nich

ein feindlicher Einfall geschehe, und hatte als sein Erzieh den jungen Heinrich bei sich. Der König aber ehrte danac einen jeden Fürsten freigebig, wie es sich für einen Köni gehört, mit einem passenden Geschenk und verabschiedet die vielen Leute mit aller Fröhlichkeit. | D: Widukind von Corvey: Res gestae Saxonicae / Die Sachsen: geschichte, Lat./Dt. Übers. und hrsg. von Ekkehart Rotter un Bernd 109.

Schneidmüller.

Stuttgart:

Reclam,

1981.

S.105,

1( 2

O: Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei. Hrsg. vo Hans-Eberhard Lohmann und Paul Hirsch. Hannover/Leipzi| 1935. (MGH

SS rer. Germ. 60.) S. 63-67.

IE

34

Liturgie der Herrscherweihe im 10./11. Jahrhundert

Für das mittelalterliche Königtum von größter Bedeutung war sei a Verankerung in der Kirche, die letztlich die Verbindung mit Goti bezeugen sollte. Im Auftrag Gottes sollte der König sein Amt a üben, als Gesalbter des Herrn hat sich noch im ausgehend 1 11. Jahrhundert Heinrich IV. bezeichnet. Obwohl die Königsweihe nicht als Sakrament galt, waren die äußeren Formen der Liturgie deı Königssalbung an die Konsekration eines Bischofs angenähert. Da-

Liturgie der Herrscherweihe

147

her mußte ein Beobachter den Eindruck gewinnen, der König sei durch Salbung und Krönung über die Laien hinausgehoben. Im Gebet, das beim Aufsetzen der Krone gesprochen wurde, heißt es ausdrücklich, der König sei durch diesen Akt zum Teilhaber am bischöflichen Amt geworden. Ein Höhe- und Endpunkt in der gesteigerten Vorstellung von der Sakralität des Königs in ottonischer Zeit war erreicht, als Otto III. um 1000 in einem Evangeliar dargestellt wurde, wie er von der Hand Gottes gekrönt wird. Der Kaiser steht dabei in einer Mandorla, also in einer Form, die in der Kunst-

tradition Christus vorbehalten war.

34.1 Königsweihe Die hier wiedergegebene Ordnung zur Weihe eines Königs ist um 960 wahrscheinlich für die Krönung Ottos II. zum König abgefaßt worden. Durch das Mainzer Pontifikalbuch hat der Weiheordo eine

weite Verbreitung erlangt.

f

(1) Einholung des Königs Zuerst, während (der Herrscher) sein Gemach verläßt, spricht einer der Bischöfe folgendes Gebet: »Allmächtiger, ewiger Gott, der du deinen Diener N. für würdig hältst der Erhebung auf den Gipfel des Reiches, gewähre ihm, so bitten wir, daß er in dieser Welt Lauf zum gemeinen Heil aller so handele, daß er von dem Pfad deiner Wahrheit nicht ab-

weiche.«

(2) Prozession

Danach stützen ihn zwei Bischöfe zur Rechten und zur Linken, ehrenvoll bereitet, mit Heiligen-Reliquien am Halse; die übrigen Geistlichen aber sind mit Kaseln' geschmückt. Voran das heilige Evangelium, zwei Kreuze und Weihrauch, führen sie ihn unter Gesang zur Kirche. (3) Halt an der Kirchentür; Episkopalgebet (4) Antiphon (Ps. 19,10) beim Betreten der Kirche 1 Seidene Meßgewänder.

148

Liturgie der Herrscherweihe

(5) Gebet des Erzbischofs (6) Geleit zum Altar — Proskynese vor dem Altar — Litaneı

Dort aber vor dem Chor legt der designierte Herrscher de Mantel und die Waffen ab und schreitet, von den Bischöfe

an der Hand geführt, in den Chor bis zu den Stufen d, Altars. Dort, wo das ganze Pflaster mit Teppichen und Tüchern bedeckt ist, liegt er demütig in Kreuzesform gan ausgestreckt zusammen mit den ebenfalls ausgestrecl| liegenden Bischöfen und Priestern, während die übrige im Chor die Litanei — d.h. die zwölf Apostel und ebens viele Märtyrer, Bekenner und Jungfrauen —, kurz psalmo dieren. [...]

(7) Befragung des Herrschers — Professio

A

Nach Beendigung der Litanei erheben sie sich. Der aufge-

richtete Herrscher aber wird vom Metropolitan gefragt, 0 er die heiligen Kirchen Gottes und ihre Leiter wie auch das

ganze ihm unterstehende Volk in königlicher Vorsehun

nach seiner Väter regieren wolle. Er (8) Befragung des Danach wiederum

Sitte gerecht und fromm verteidigen un aber verspricht es [...]. Volkes — »Fiat« redet der Bischof das Volk an, ob es sich

solchem Herrscher und Lenker unterwerfen, seine König -

herrschaft in standhafter Treue befestigen und seinen Befehlen gehorchen wolle. [...] Darauf nun wird vom umstehen-

den Klerus und Volk einmütig gerufen: »So sei es! So sei € Amen.«

(9-11) Episkopalgebete für Herrscher und Herrschaft (12) Salbung ) Dann endlich werden ihm von dem Bischof jener Diözese mit geheiligtem Ol Haupt, Brust und Schultern nebst beiden Achseln gesalbt und wird folgendes Gebet gesprochen

Liturgie der Herrscherweihe

149

(13) Gebet

(14) Übergabe des Schwertes

Danach empfängt er von den Bischöfen das Schwert — und mit dem Schwert ist ihm, wie man wisse, das ganze Königreich [...] zur getreuen Herrschaft übergeben — unter den Worten des Metropolitans: »Empfange das Schwert, das dir durch die wenngleich

unwürdigen,

so doch

an Stelle

und durch Autorität der hl. Apostel geweihten Hände der Bischöfe königlich angetan und kraft unserer Weihe und von Gott zur Verteidigung von Gottes heiliger Kirche zugeordnet

ist; und

gedenke

[...], daß du es mit der Kraft

der Gerechtigkeit führest, die Gewalt der Ungerechtigkeit mächtig zerstörest und Gottes heilige Kirche und ihre Getreuen als Vorkämpfer schirmest und schützest, Falschgläu-

bige wie Feinde christlichen Namens verfluchest und vernichtest, Witwen und Waisen milde beschützest und verteidigest, [...] auf daß du mit dem Heiland der Welt, den du

in Namen und Amt verkörperst, ohne Ende zu herrschen verdienest [...].«

(15) Übergabe von Spangen, Mantel und Ring Mit dem Schwert gegürtet, empfängt er gleichermaßen von ihnen Armspangen, Mantel und Ring unter den Worten des Metropolitans: »Empfange den Ring der königlichen Würde und erkenne in ihm das Zeichen des rechten Glau-

bens, auf daß du, wie du heute als Haupt und Herrscher des

Königreiches und Volkes eingesetzt wirst, Bürge und Bewahrer der Christenheit und des christlichen Glaubens bleibest, daß du glücklich im Werk, reich im Glauben mit dem König der Könige dich rühmen kannst [...].« (16) Übergabe von Szepter und Stab Danach empfängt er Szepter und Stab unter den Worten des Ordinators: »Empfange die Rute der Zucht und Gerechtigkeit, durch die du lernest, die Frommen zu liebkosen und die Frechen zu erschrecken, den Irrenden den Weg zu bahnen, den Wankenden

die Hand

zu reichen, daß du

150

Liturgie der Herrscherweihe

verderbest

hebest [...].«

die

Hochfahrenden

(17) Krönung

und

die Demütigen



;

W

Danach setzt der Metropolitan ehrerbietig die Krone a das Haupt des Königs und spricht: »Empfange die Kroı des Königreiches [...] und erkenne sie als Zeichen der heil Kraft und wisse dich durch sie als Teilhaber unseres Dier

stes, so daß du dich immerdar — wie wir uns als Hirten

an

Lenker der Seelen im Inneren verstehen — auch im Äußere als ein wahrer Pfleger Gottes und ein Verteidiger gegen a Widersacher der Kirche Christi und für das dir von Go gegebene und durch das Amt unserer Weihe an Stelle de Apostel und aller Heiligen deiner Herrschaft übertrager Reich als ein Nutzen bringender Vollstrecker und erfolg reicher Lenker erzeigest [...].« (18) Fünf Benediktionsformeln (19) Gang zum Thron und Thronsetzung Dann wird der ehrenvoll Gekrönte von den Bischöfe durch den Chor vom Altar bis zum Thron geführt, inder der Metropolitan zu ihm spricht: »Stehe fest und be haupte nunmehr den Platz, den du bislang aus väterliche Erbfolge innehattest und der dir in erblichem Recht durc die Machtvollkommenheit des allermächtigen Gottes unserer, nämlich aller Bischöfe und übrigen Knechte Got tes, gegenwärtigen Übergabe übertragen ist, [...] auf da

der

Mittler

zwischen

Gott

und

den

Menschen

dich

Mittler zwischen Klerus und Volk auf diesem Thron

d

schen lasse [...].«

(20) Friedenskuß — Tedeum — Messe M Dann gibt [der König] ihnen den Friedenskuß. Die ganze Versammlung der Kleriker aber wünscht dem Herrs

Liturgie der Herrscherweihe

151

Heil und stimmt unter Glockenläuten das Tedeum an. Danach feiert der Metropolitan die Messe in voller Prozession. D: Joachim Leuschner: Das Reich des Mittelalters. 800-1500. Stuttgart: Klett, 21955. (Quellen- und Arbeitshefte für den Geschichtsunterricht. 7.) S. 5-8. O: Cyrille Vogel / Reinhard Elze: Le Pontifical Romano-germanique du dixieme siecle. Bd. 1. Vatikanstadt 1963. S. 246-259.

34.2 Kaiserkrönung Der hier wiedergegebene Ordo zur Kaiserkrönung stammt aus der Mitte oder der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts; er ist allerdings erst aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts überliefert.?

Zu gegebener Zeit der Kaiserkrönung in Rom wird der Kaiser in ein mit Gold und kostbaren Edelsteinen durchwirktes Seidengewand gekleidet und hat an den Händen zwei seidene Handschuhe; (er trägt) das Schwert umgegürtet und die goldenen Sporen. Auf dem Haupte trägt er das Diadem, in der Rechten das Szepter und hat an einem Finger einen Bischofsring; in der Linken hat er den goldenen Reichsapfel. Dann stützt der Papst den Kaiser zur Rechten und der Erzbischof von Mailand

zur Linken; und dann werden

dem

Kaiser das Kreuz mit dem Holz vom Kreuze Christi im Innern und die Lanze des hl. Mauritius vorangetragen, und so schreitet der Kaiser zur Kirche, wo er gekrönt werden soll. Und es wird die Messe begonnen, und vor dem Evangelium

wird der Kaiser gesalbt und geweiht. Nach der Messe schreitet der Kaiser zu seinem Palast und speist. Nach dem 2 Vgl. Percy Ernst Schramm, »Der »salische Kaiserordo« und Benzo von Alba«, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters 1 (1937) S. 389-407.

152

Liturgie der Herrscherweihe

Mahl wird der Kaiser mit einem grünen Gewand beklei und ihm die weiße Mitra mit dem Reif des Patrizius di über aufs Haupt gesetzt, und er schreitet zur Vesperzeit Kirche. | 4 Am andern Tage nimmt der Papst vom Altar des hl. Petrı die römische Krone und setzt sie dem Kaiser aufs Haup und dieser schreitet zu den Stufen der Treppe, wo der Sen: steht. Danach besteigt er sein Pferd und reitet über al Plätze und wird von allen mit lauter Stimme begrüßt, un

wenn er vor der Constantinskirche angekommen ist, emp fangen den Kaiser dort die 16 Scholen, und er betritt m

wunderbarer Fröhlichkeit die Kirche und hört die Messe. _ Am dritten Tage begibt sich der Gekrönte weiter zum hi Paulus; am vierten Tage geht der Gekrönte von der Beth

hemskirche zur Jerusalemskirche. 4 An den andern drei Tagen feiert er mit dem Papst eine Syn ode, um die Vernachlässigungen der heiligen Ordnungen z verbessern; schließlich verhandelt er mit den Kundigen üb die Ordnung der Respublica. | D: Joachim Leuschner: Das Reich des Mittelalters. 800-1500. Stuti gart: Klett, 21955. S. 10 f. N O: Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und de Kaiserin. Hrsg. von Reinhard Elze. Hannover 1960: (MG Font. iuris Germ. ant. 9.) S. 34 f.

35

Schlacht auf dem Lechfeld Durch die Aufstandsbewegungen gegen Otto I. im Jahre 953 wurden die Ungarn zu einer großen Invasion ins Reich veranlaßt. Im Sommer 955 fielen sie erneut nach Schwaben ein und belagerten Augsburg. Otto I. bot Schwaben, Baiern und Franken sowie ein böhmisches Hilfsheer auf und vermochte die Ungarn am 10. August 955 auf dem Lechfeld zu schlagen. Als Termin für die Schlacht war bewußt der Tag des heiligen Laurentius gewählt worden; dadurch wie durch die heilige Lanze, die der König in der Hand hielt, erhoffte man sich Gottes Hilfe für den Kampf gegen die Heiden. Otto I. hatte zudem die Errichtung eines Bistums in Merseburg zu Ehren des heiligen Laurentius gelobt, sollte Christus ihm den Sieg verleihen. Und er hatte jenen unter seinen Kriegern, die in der Schlacht gegen die Ungläubigen fallen würden, die ewige Seligkeit in Aussicht gestellt. Wer nach dem Sieg noch lebte, sollte weltliche Belohnungen erhalten. In einem zweiten Gefecht, das am 12. August an der Amper oder Isar stattfand, wurden die fliehenden Ungarn vollends vernichtet. Drei ihrer Anführer wurden gefangengenommen und von Herzog Heinrich von Baiern, dem Bruder des Königs, in Regensburg gehenkt. Der Erfolg in der Lechfeldschlacht bedeutete das Ende der ungarischen Raubzüge, von denen nicht nur der Süden des

Reiches,

sondern

auch

Oberitalien

und

Ostfrankreich

seit

dem Ende des 9. Jahrhunderts immer wieder heimgesucht worden waren. Im folgenden ist die Schilderung der Ereignisse in Widukinds Sachsengeschichte (Kap. 44, 46-49) wiedergegeben. Sein Bericht darüber, daß während der Siegesfeier auf dem Schlachtfeld König Otto I. zum Imperator, zum Kaiser, ausgerufen wurde, gilt in der Forschung als literarische Reminiszenz an das antike Heerkaisertum, die Widukind in sein Geschichtswerk einbaute, weil er die Verleihung der

Kaiserwürde durch den Papst ablehnte.

154

Schlacht auf dem Lechfeld

44. Als er [König Otto] Anfang Juli Sachsen betrat, kamer ihm Gesandte der Ungarn entgegen, als wollten sie ihn ir alter Treue und Freundschaft besuchen, in der Tat aber, wie

auch einige annahmen, um den Ausgang des Bürgerkriegs zu beobachten. Nachdem er sie einige Tage bei sich behalten und, mit einigen kleineren Geschenken geehrt, in Frie den entlassen hatte, erfuhr er durch Boten seines Bruders d. h, des Herzogs der Bayern: »Paß auf, die Ungarn drin. gen in Gruppen aufgeteilt in dein Gebiet ein und haben sich

vorgenommen, sich mit dir in eine Schlacht einzulassen.

Sobald der König dies hörte, brach er sofort gegen die Feinde auf, als hätte er im vergangenen Krieg noch k u Anstrengung auszuhalten gehabt, und nahm sehr wenig Sachsen mit, weil ihnen schon der Krieg mit den Slawen zu schaffen machte. Im Bereich von Augsburg schlug er sein Lager auf, und hier stieß zu ihm das Aufgebot der Franken und Bayern. Mit seinem starken Reiterheer kam auch Herzog Konrad ins Lager; und durch seine Ankunft ermu: tigt, wünschten die Krieger nunmehr den Kampf nicht länger aufzuschieben. Denn er war von Natur aus ein Draufgänger und, was bei kühnen Männern selten ist, tüchtig im Rat; mochte er zu Pferd oder zu Fuß den Feind angehen, er

war im Kampf unwiderstehlich und von seinen Gefährten in Krieg und Frieden geschätzt. Nun wurde von den Streifposten beider Heere angezeigt, daß sie nicht mehr weit voneinander entfernt seien. Im Lager wurde ein Fasten aus gerufen und an alle der Befehl ausgegeben, sich für den nächsten Tag zum Kampf bereitzuhalten. Im ersten Dämmerlicht standen sie auf, machten untereinander Frieden } und gelobten dann zuerst ihrem Anführer, darauf ein jeder dem andern eidlich seine Unterstützung; dann rückten sie‘ mit aufgerichteten Feldzeichen aus dem Lager, etwa acht Legionen an der Zahl. Das Heer wurde durch unwegsames_ und schwieriges Gelände geführt, um den Feinden keine Gelegenheit zu geben, die Züge in Unordnung zu bringen mit ihren Pfeilen, die sie gekonnt einzusetzen verstehen,

Schlacht auf dem Lechfeld

155

wenn Gebüsch sie deckt. Die erste, zweite und dritte Le-

gion bildeten die Bayern, an ihrer Spitze standen die Befehlshaber des Herzogs Heinrich. Er selbst war inzwischen nicht mehr auf dem Kampfplatz, weil er an einer Krankheit litt, an der er dann auch starb. Die vierte bildeten die Fran-

ken unter der Leitung und Obhut des Herzogs Konrad. In der fünften, der stärksten, die auch die königliche genannt wurde, war der Fürst selbst, umgeben von den Auserlesenen aus allen Tausenden von Kriegern und mutigen jungen Männern, und vor ihm der siegbringende Engel, von einer dichten Mannschaft umgeben. Die sechste und siebte bestand aus Schwaben, die Burchhard befehligte, der die Tochter vom Bruder des Königs geheiratet hatte. In der achten waren tausend ausgesuchte böhmische Streiter, besser mit Waffen als mit Glück versehen; hier war auch alles

Gepäck und der ganze Troß — als ob am sichersten sei, was sich am hintersten Ende befindet. Aber die Sache kam anders, als man glaubte. Denn die Ungarn durchquerten ohne Zögern den Lech, umgingen das Heer, begannen, die letzte Legion mit Pfeilschüssen herauszufordern; darauf unternahmen sie mit ungeheuerem Geschrei einen Angriff, bemächtigten sich, nachdem sie die einen getötet oder gefangengenommen hatten, des ganzen Gepäcks und trieben die übrigen Bewaffneten dieser Legion in die Flucht. Ähnlich wurde die siebte und sechste angegriffen; nachdem eine Menge von ihnen getötet war, rannten die anderen auf und davon. Als der König aber bemerkte, daß der Kampf unglücklich verlief und in seinem Rücken die hintersten Heeresteile in Gefahr geraten waren, schickte er den Herzog [Konrad] mit der vierten Legion los, der die Gefangenen befreite, die Beute wieder zurückholte und die plündernden Haufen der Feinde verjagte. Nachdem die ringsumher plündernden feindlichen Scharen vernichtet waren, kehrte Herzog Konrad mit siegreichen Fahnen zum König zurück. Und erstaunlicherweise, während alte, an den Ruhm

des Sieges gewohnte Kämpen zögerten, schaffte er mit jun-

156

Schlacht auf dem Lechfeld

gen, im Kampf fast unerfahrenen Kriegern den triumphale

Erfolg‘

40]

Mittlerweile packte wegen dieses Unglücks' eine riesig Furcht ganz Sachsen, das sich um den König und sein Hee ängstigte. Es erschreckten uns außerdem ungewöhnlichs Zeichen. Vielerorts wurden die Kirchen durch ein gewalti

|

ges Unwetter erschüttert, und alle, die es sahen und hörten

brachen in größtes Entsetzen aus; Priester und Nonneı kamen vom Blitz getroffen um, und vieles andere ereignet sich zu jener Zeit, was schrecklich zu sagen ist und von uns deswegen übergangen werden soll. . Als der König erkannte, daß nun der Kampf in seiner ga N; zen Wucht unter ungünstigen Umständen

bevorstehe, [...]

ergriff er den Schild und die heilige Lanze und selbst als erster sein Pferd gegen die Feinde, wobei Pflicht als tapferster Krieger und als bester Feldherr Die Mutigeren unter den Feinden leisteten anfangs

richtete er seine erfüll; Wide

stand, dann aber, als die ihre Gefährten fliehen sahen,

e

schraken sie, gerieten zwischen unsere Leute und wurden niedergemacht. Von den übrigen indes zogen die, deren Pferde erschöpft waren, in die nächsten Dörfer ab, wurde: n ‚dort von Bewaffneten umringt und samt den Gebäuden verbrannt; die anderen schwammen durch den nahen Fluß, aber da das jenseitige Ufer beim Hochklettern keinen Halt bot, wurden sie vom Strom verschlungen und kamen um. An diesem Tag nahm man das Lager, und alle Gefangenen wurden befreit; am zweiten und dritten Tag wurde von den benachbarten Burgen aus der Masse der übrigen so sehr der Garaus gemacht, daß keiner oder doch nur sehr wenige entkamen. Aber nicht gerade unblutig war der Sieg über einen so wilden Stamm. Herzog Konrad nämlich, der tapfer kämpfte, wurde im Eifer des Gefechts und durch die Sonnenglut, die an die-

sem Tag enorm war, gewaltig heiß, und als er die Bänder des 1 Die Slawen hatten in einem Gefecht über 50 Krieger getötet.

Schlacht auf dem Lechfeld

157

Panzers löste und Luft schnappte, fiel er, von einem Pfeil durch die Kehle getroffen. Sein Körper wurde auf königlichen Befehl hin ehrenvoll hergerichtet und nach Worms überführt; und dort wurde dieser Mann, groß und berühmt

wegen all seiner geistigen und körperlichen Vorzüge, unter den Tränen und Klagen aller Franken beigesetzt. Drei Anführer des Ungarnstammes wurden gefangengenommen, Herzog Heinrich vorgeführt und zu einem schändlichen Tod verurteilt, wie sie ihn verdienten; sie kre-

pierten nämlich durch den Strick. Durch den herrlichen Sieg mit Ruhm beladen, wurde der König von seinem Heer als Vater des Vaterlandes und Kaiser begrüßt; darauf ordnete er für die höchste Gottheit Ehrungen und würdige Lobgesänge in allen Kirchen an, trug dasselbe durch Boten seiner ehrwürdigen Mutter auf und kehrte von Jubelstürmen und höchster Freude begleitet als Sieger nach Sachsen heim, wo er von seinem Volk herzlichst empfangen wurde. Denn eines solchen Sieges hatte sich kein König vor ihm in zweihundert Jahren erfreut. Seine Leute selbst waren nämlich im Ungarnkrieg nicht mit dabei, sie wurden für den Kampf gegen die Slawen zurückgehalten. D: Widukind von Corvey: Res gestae Saxonicae / Die Sachsengeschichte. Lat./Dt. Übers. und hrsg. von Ekkehart Rotter und Bernd Schneidmüller. Stuttgart: Reclam, 1981. S. 195-203. O: Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei. Hrsg. von Hans-Eberhard Lohmann und Paul Hirsch. Hannover/Leipzig 1935. (MGH

SS rer. Germ. 60.) S. 123-129.

36 Kaisertum Ottos I. Nachdem er im Mai 961 seinen Sohn Otto (II.) zum Mitkönig hat wählen und krönen lassen, brach Otto I. im August nach Italien aı

wohin er von Papst Johannes XII. gerufen worden war. Ende Janus

tigste Herrscher im damaligen Europa die Kaiserkrone erhalten; da Kaisertum war wieder mehr als eine lediglich regional-italienis Würde und kehrte in die karolingische Tradition zurück. Otto hatı vor der Krönung dem Papst einen Sicherheitseid geleistet; danac schworen ihm der Papst und das Volk von Rom Treue. Am 13. F« bruar erneuerte Otto die karolingischen Kaiserprivilegien und best; tigte dem Papst den Besitz von Rom und des Kirchenstaates. Im genzug zu dem kaiserlichen Schutzversprechen mußten der röm sche Klerus und Adel zusagen, daß künftig der kanonisch gewähl Papst dem Kaiser ein Treueversprechen zu geben habe, bevor er ge weiht werde. Wiedergegeben ist zunächst der Eid, den Otto I. vor seiner Kaise:

krönung schwören mußte; sowie dann das Privileg Ottos I., mit dem

der Kaiser nach dem Vorbild von Pippin, Karl dem Großen un Ludwig dem Frommen große Gebiete in Mittelitalien dem Paps übertrug (das sogenannte Ottonianlım vom 13. Februar 962).

36.1 Eid Ottos I. vor seiner Kaiserkrönung Dir, dem Herren Papste Johannes, werde ich, König Otto,

beim Vater, beim Sohne und beim Heiligen Geiste verspre-

chen und schwören lassen, bei diesem Holze vom leben-

spendenden Kreuz und bei diesen Reliquien von Heiligen:

Wenn ich, so Gott will, nach Rom komme, dann werde ich die heilige römische Kirche und dich, ihren Leiter, nach be-

stem Vermögen hoch und sicher stellen. Und du sollst niemals mit meinem Willen oder meiner Zustimmung oder auf

Die Entstehungszeit der Kaiserkrone ist heute wieder heftig umstritten. Während der Bügel übereinstimmend in die Zeit Konrads IT. (1024-39) datiert wird, gibt es über den aus acht bogen- .

förmigen Platten bestehende Kronreif sehr unterschiedliche Ansichten: 962 (Kaiserkrönung Ottos 1.), 967 (Kaiserkrönung Ottos IT.) oder 980 (nach dem Raub der Kaiserinsignien) oder

erst am Beginn des 11. Jahrhunderts. Die auf den Platten der Reichskrone dargestellten alttestamentarischen Könige David, Salomo und Hiskia sollen die Gerechtigkeit, die Weisheit und das Vertrauen auf Gott symbolisieren. Eine vierte Bildplatte stellt Christus als Weltherrscher dar.

160

Kaisertum

Ottos I.

meinen Rat hin oder auf meine Veranlassung an deinem

Le

ben oder an deinen Gliedern oder an den Ehren, deren d

jetzt genießest oder durch mich genießen wirst, einen Scha den nehmen. Und ich werde ohne deine Zustimmung il allen Dingen, die dich oder deine Römer angehen, keine Gerichtstag halten und keine Ordination veranlassen. Wa ich aber vom Territorium des heiligen Petrus in meine Hanı bekommen

sollte, das werde ich dir zurückerstatten. Wen

ich auch in Zukunft das italische Königreich anvertrauer werde, den werde ich veranlassen, dir folgendes zu schwö ren: Er soll bei der Verteidigung des Territoriums des heil gen Petrus dir nach allen seinen Kräften beistehen. D: Lautemann. S. 163. O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Bd. Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH Const. 1. S.21.

36.2

|

Ottonianum

Im Namen des allmächtigen Gottes, des Vaters, des Sohne

und des Heiligen Geistes. Ich, Otto, von Gottes Gnader Imperator Augustus, verspreche und gelobe zugleich im Namen meines Sohnes, des ruhmreichen Königs Otto, nacl göttlichem Ratschluß durch diesen Vertrag dir, dem heiligen Apostelfürsten Petrus, der die Schlüssel zum himmlischen Königreiche führt, und durch dich deinem Vertreter, den Herrn Papste Johannes XII., dem obersten und allgemein Priester, alles, wie ihr es seit euren Vorgängern in eurer Ge walt und Rechtsprechung gehabt habt und verwaltet habt: _ Die Stadt Rom mit ihrem Dukat und ihren Vorstädten unc

mit allen Dörfern und Ländereien, mit Bergen und Gewäs sern, mit Gestaden und Häfen. M

2. Dazu in Tuszien folgende Ortschaften, Burgen, Städte und

Dörfer:

Porto,

Civitavecchia,

Bieda,

Monteranno,

Kaisertum

Sutri, Nepi, Burg Gallese, Orte, Bomarzo,

Ottos I.

161

Ameria, Todi,

Perugia mit drei Inseln, also der größeren und der kleine-

ren, Pulvensis, Narni und Otricoli, mit allen Gebieten und

Landschaften, die zu den genannten Ortschaften gehören. 3. Außerdem das unversehrte Exarchat von Ravenna mit Städten, Ortschaften und Siedlungen und Burgen, wie der Herr Pippin und der Herr Karl, beide herrlichen Angedenkens, die hervorragenden Kaiser, unsere Vorgänger, es dem heiligen Apostelfürsten Petrus und euren Vorgängern schon vor langer Zeit mittels einer Schenkungsurkunde übertragen haben. Das umfaßt die Stadt Ravenna und die Emilia: Bobbio, Cesena, Forumpopuli, Forli, Faenza, Imola, Bologna, Ferrara, Comacchio und Adria und Gavello mit allen Gebieten, Ländereien und Inseln, Gewässern und Seegebie-

ten, die zu diesen Städten gehören.

4. Dazu auch die Pentapolis, das heißt Rimini, Pesaro, Fano, Sinigaglia, Ancona, Orsino, Umana, Jesi, Fossombrone, Montefeltre, Urbino und den Landbesitz von Balba,

Cagli, Lucioli und Gubbio mit allen zu diesen Städten gehörenden Ländereien und Besitzungen. 5. Dazu auch das Sabinerland, wie es von unserem Vorgän-

ger, dem Herrn Kaiser Karl, dem heiligen Apostel Petrus in

seiner Gänze mittels einer Schenkungsurkunde überlassen worden ist. 6. Dazu in dem langobardischen Tuszien die Burg Cittä di Castello, Orvieto, Bagnorea, Ferentum, Viterbo, Orchia, Marta, Toscanella, Sovana, Populonia, Rosello mit ihren

Vorstädten und allen ihren Dörfern und dem gesamten Gebiet. 7. Dazu Luna [Luni bei Genua] mit der Insel Korsika, dann Sarzanua, dann La Cisa, dann Berceto, dann Parma, dann Reg-

gio, dann Mantua und Monselice und Venetien mit Istrien und der gesamte Dukat von Spoleto und Benevent mit der Kirche der heiligen Christina bei Pavia vier Meilen vom Po.

8. Auch in Campanien Sora, Arces, Aquino, Arpenio, Tea-

no und Capua.

162

Kaisertum

Ottos I.

9. Vor allem auch die Herrschaft, die sich auf eure Macht und Gewalt erstreckt, das heißt die Patrimonien von Be: e

vent und das Patrimonium von Neapel und das Patrimo nium von Calabria Superior und Inferior — die Stadt Nea pc mit Burgen und Ländereien und Liegenschaften und Inseln wie sie offensichtlich dazugehören — und auch das Patrimo nium über Sizilien, wenn Gott es in unsere Hände geb 4 sollte. 10. Ebenso auch die Städte Gaeta und Fondi mit allem,

dazugehört. 11. Außerdem übertragen wir dir, heiliger Apostel Petru und deinem Stellvertreter, dem Herrn Papste Johannes un seinen Nachfolgern um unseres eigenen und unseres Sohnes und unserer Vorfahren Seelenheiles willen von unserem eigenen Königreiche folgende Hauptplätze und Städte den dazugehörenden Fischereirechten, nämlich Riete, A terno, Furcone [Aquila], Nursia [Norcia], Valva und M

sica und in einer anderen Gegend die Stadt Teramo mit a lem, was dazugehört. 12. Alle diese aufgeführten Provinzen, Hauptstädte, St; ( und kleinen Städte und Burgen, Dörfer und Ländereien dazu die Patrimonien, übertragen wir um unseres eige

Seelenheiles und um des Seelenheiles unseres Sohnes, u

rer Vorfahren und Nachfolger willen und als Dank für deı 1 in der Gegenwart von Gott gewährten und in der Zukunft von ihm erhofften Schutz dieses ganzen Volkes der Frankeı deiner schon genannten Kirche, heiliger Apostel Petrus, unı durch dich deinem Stellvertreter, unserem geistlichen Vater, dem Herrn Johannes, dem höchsten Priester und dem allgemeinen Papste, ihm und seinen Nachfolgern, und zwar ir der Meinung, daß sie bis zum Ende der Welt seiner Rechtsprechung, seiner Fürstenherrschaft und seiner Gewalt untertan sein sollen.

k

13. Dementsprechend bestätigen wir auch durch diese unsere Übereignungsurkunde die Schenkungen, welche der Herr König Pippin seligen Ängedenkens und später der

Kaisertum

Ottos I.

163

herrliche Herr Kaiser Karl dem heiligen Apostel Petrus ganz freiwillig dargebracht haben, auch sollen Zensus und Steuer und andere Abgaben, die sonst jährlich zum Palaste des Langobardenkönigs geliefert worden sind, wie die von Tuszien und vom Herzogtum Spoleto, so, wie es in den oben genannten Schenkungsurkunden enthalten ist und wie es zwischen dem Papste Hadrian seligen Angedenkens und dem Herrn Kaiser Karl abgemacht ist, wann immer der Papst es von den genannten Herzogtümern Tuszien und Spoleto fordert, jährlich zum heiligen Apostel Petrus gebracht werden,

unbeschadet

unserer Oberherrschaft

über

die genannten Herzogtümer und ihrer Untertanenpflicht gegen uns und unseren Sohn. [...] 15. Unbeschadet unserer und unseres Sohnes sowie unserer Nachfolger Obergewalt soll entsprechend dem Vertrag und der Verordnung sowie der Bestätigung des Versprechens des Papstes Eugen und seiner Nachfolger dieses bleiben: daß nämlich der gesamte Klerus und der Adel des römischen Volkes wegen der zahlreichen Unzuträglichkeiten und der ungerechtfertigten Härten der Päpste gegen das ihnen untergebene Volk in einem Eid sich verpflichtet hat, daß die zukünftige Wahl von Päpsten kanonisch und in allen Formen des Rechtes geschehen solle, je nachdem, wie weit die Einsicht in jedem Falle reichen werde, und daß der zu dem heiligen und apostolischen Regimente Berufene keiner Zustimmung bedürfe, um als geweihter Papst anerkannt zu werden, bevor er in Gegenwart entweder unseres oder unseres Sohnes Vertreters ganz öffentlich dieselbe feierliche Verpflichtung, alles gerecht und dauernd betrachten zu wollen, abgibt, die unser Herr und hochverehrter geistlicher Vater Leo aus freien Stücken bekanntlich abgegeben hat. [...]

20. Damit nun dies alles von allen Kirche und von unseren eigenen als haben wir durch unser höchsteigenes Unterschriften unserer vornehmsten

Getreuen der heiligen wahr anerkannt werde, Zeichen und durch die Großen diese (Bestäti-

164

Lintprand von Cremona in Konstantinopel

gungs-)Urkunde vollzogen und befohlen, sie durch drücken unseres Insiegels zu bestätigen.

Zeichen des Herrn Otto, des hoheitsvollen Kaisers,

und seiner Bischöfe, Äbte und Grafen.

j

Im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 962, in der 5. Ind } tion, im Monat Februar, am 13. Tage dieses Monats. I

27. Herrschaftsjahre des unbesieglichen Kaisers Otto wurd diese Urkunde ausgefertigt. | D: O:

Lautemann. S. 164-166. Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und

Theodor Sickel, Berlin 1956. (MGH Nr. 235.

Otto I. Hrsg.

DD O

1.) S. 324-

vo

2

37 Ost und West im 10. Jahrhundert:

Liutprand von Cremona am Kaiserhof in Konstantinopel Die beiden langen Italienaufenthalte Ottos I. (961-965, 966—

machten es notwendig,

zu einem Arrangement

neuen

Tsimiskes

mit dem ost:

schen Kaiser zu gelangen, der Unteritalien als seine Interessensp ansah. Otto I. wollte über ein Ehebündnis zwischen seinem Otto II. (der Weihnachten 967 zum Mitkaiser gekrönt wurde) einer Tochter des byzantinischen Kaisers Nikephoros Phokasd| Spannungen beilegen. Jedoch kam es erst nach dessen Tod unter den Kaiser Johannes

(969-976)

zu

einer

Einigung

Tsimiskes sandte seine Nichte Theophanu nach Westen, die 14. April 972 in Rom mit Otto II. vermählt und zur Kaiserin

krönt wurde. Als Abgesandter des Westkaisers hielt sich der oberit: V

lienische Bischof Liutprand von Cremona im Winter 968/969 mehrere Monate lang in Konstantinopel auf; diplomatisch war diese Ge sandtschaftsreise allerdings ein Fehlschlag.

Liutprand von Cremona in Konstantinopel

165

Die zutiefst ironische Beschreibung seines Aufenthalts in der östlichen Kaiserstadt zeugt nicht nur von der schriftstellerischen Begabung Bischof Liutprands, sondern sie bezeugt auch die tiefe Entfremdung zwischen den östlichen und den westlichen Christen, deren unterschiedliche Lebensformen und Bräuche von Liutprand stark betont werden. Den beiden Ottonen, den unüberwindlichen römischen Kaisern, des Reiches Mehrern, und der glorreichen Kaiserin

Adelheid, wünscht Liudprand, der Bischof an der heiligen Kirche zu Kremona, von ganzem Herzen und innigster Seele stete Gesundheit, Wohlergehen und Siegesglück. Warum ihr bisher weder Berichte noch Boten von mir erhalten habet, wird sich aus nachfolgender Darstellung erklären. Am vierten Juni langten wir zu Konstantinopel an und wurden daselbst, euch zur Schmach, mit Unehren empfangen, und schmählich und mit Unehren sind wir behandelt worden. Man sperrte uns ein in eine freilich recht große, offene Pfalz, die weder gegen die Kälte noch gegen die Hitze Schutz gewährte. Bewaffnete Krieger wurden als Wächter aufgestellt, den Meinen den Ausweg, allen andern den Eingang zu verwehren. Diese Herberge aber, die nur uns Eingesperrten zugänglich war, lag von dem kaiserlichen Palast so weit ab, daß uns der Atem verging, wenn wir uns dorthin, nicht etwa zu Pferde, sondern zu Fuß begeben mußten.

Zu unserm Ungemach kam noch das hinzu, daß der griechische Wein, weil sie ihm Pech, Harz und Gips beimischen,

für uns nicht zu genießen war. Im Hause selbst gab es kein Wasser, und nicht einmal für unser Geld konnten wir Was-

ser bekommen, um unsern Durst zu stillen. Dieser großen Plage gesellte sich noch eine zweite Plage bei, nämlich unser Hüter, der für unsern täglichen Bedarf zu sorgen hatte: wer

seines Gleichen suchen wollte, der würde ihn auf Erden nicht, aber vielleicht in der Hölle finden. Denn dieser Mensch ergoß auf uns, wie ein überströmender Gießbach, was er nur an Unheil, Prellereien, Erpressungen, Placke-

reien und Kränkungen ersinnen konnte. Von hundert und

166

Liutprand von Cremona in Konstantinopel

zwanzig Tagen verging nicht einer, der uns nicht Seufz und Jammer gebracht hätte. ) Am vierten Juni langten wir, wie gesagt, zu Konstantinop vor dem kareischen Tore an, und warteten mit unsern

P|

den unter strömendem Regen bis zur elften Stunde. U diese Stunde gab Nicephorus den Befehl, daß wir ko!

men sollten; doch achtete er uns, die doch eure Gnade ı

hoch geehrt hat, nicht für würdig, unsern Einzug zu Pferı zu halten, und so führte man uns denn in jenes schon « wähnte,

marmorne,

verhaßte,

wasserlose,

überall

offer

Haus. Am sechsten Juni aber, Sonnabends vor Pfingsti

wurde ich dem Hofmarschall und Kanzler Leo, einem

der des Kaisers, vorgestellt, und hatte mit ihm einen großi Streit über euern kaiserlichen Titel zu bestehen. Denn nannte euch nicht Kaiser, das ist Baoıh&a in ihrer Sprach sondern geringschätzig ÖNya, das ist König in der unsri Als ich ihm die Bemerkung machte, die Bedeutung sei selbe, und nur die Bezeichnung verschieden, da entgegne!

er, ich sei nicht des Friedens, sondern des Streites halber ge kommen, stand zornig auf, und nahm euern Brief auf wirk

lich beleidigende Art nicht eigenhändig, sondern durch de Dolmetsch in Empfang. [...] B Am siebenten Juni aber, nämlich am heiligen Pfingsttag

Um 980 ist in Italien diese Elfenbeinschnitzerei hergestellt woı den, auf der ein segnender Christus zwischen Kaiser Otto I und seiner griechischen Gemahlin Theophanu steht. Währen« der Name Ottos in lateinischen Buchstaben eingeritzt wurde steht Theophanus Name in griechischen Lettern. Die griechische Inschrift zwischen Christus und Otto bezieht sich auf die dem

Kaiser in Proskynese zu Füßen liegende Gestalt (vielleicht d

griechische Mönch Johannes Philagathos, der Vertraute Theophanu und Erzieher Ottos III.).

a

168

Liutprand von Cremona in Konstantinopel

Kranzsaal nennt, vor den Nicephorus geführt, einen Menschen von ganz abenteuerlichem Aussehen, pygmäenhaft, mit dickem Kopfe und kleinen Augen wie ein Maulwurf, _ entstellt durch einen kurzen, breiten, dichten, halbgrauen Bart, garstig durch einen zollangen Hals. Sein langes, dich- _ tes Haar gibt ihm das Ansehen eines Schweines, an Ge-

sichtsfarbe gleicht er den Äthiopen; er ist so einer, dem um |

die Mitte der Nacht du nicht zu begegnen verlangtest. Dazu hat er einen aufgedunsenen Bauch, magere Lenden, Schenkel, die für seine kleine Statur unmäßig lang sind, kurze Beine und verhältnismäßige Fersen und Füße. Er war angetan mit einem kostbaren Prachtkleid, das aber übermäßig alt und vom langen Gebrauch übelriechend und verblichen war, und mit sicyonischen Schuhen. Unverschämt im Reden, fuchsartig von Gemüt, ist er mit Lügen und falschen Eiden ein Ulysses. Immer seid ihr, meine Herren und Kaiser, mir schön erschienen; wie viel schöner aber jetzt! immer

prächtig, wie viel prächtiger jetzt! immer mächtig, wie viel mächtiger jetzt! immer gütig, wie viel gütiger jetzt! immer aller Tugend voll, wie viel mehr aber jetzt! Zu seiner Lin-

ken, doch nicht in einer Linie mit ihm, sondern weit abwärts, saßen zwei kleine Kaiser, einst seine Herren, jetzt ihm untertan. [...]

Es soll mich nicht verdrießen, diese xQ0€\evoLs' zu beschreiben, und meinen Herren möge es nicht zur Last sein, davon zu hören. Eine große Menge von Handelsleuten und gemeinem Volke hatte sich an diesem Feste zum feierlichen Empfange des Nicephorus und zum Lobgesang versam- | melt, und hielt die beiden Seiten der Straße vom Palast bis

zur Sophienkirche Mauern gleich besetzt, verunziert durch ganz kleine dünne Schilder und erbärmliche Spieße. Die Unanständigkeit ihres Aufzugs wurde noch dadurch vermehrt, daß der größere Teil dieses Gesindels dem Kaiser zu 1 Feierlicher Kirchgang.

|

Liuntprand von Cremona in Konstantinopel

169

Ehren barfuß aufmarschiert war. So, glaube ich, meinten sie

seine heilige zx00&\£voı5 noch mehr zu zieren. Aber auch die Großen seines Hofes, welche mit ihm durch die Reihen

dieses barfüßigen Pöbels zogen, waren mit weiten und vor Alter löcherigen Gewändern angetan. Viel anständiger wären sie in ihrer alltäglichen Kleidung erschienen. Es war keiner unter ihnen, dessen Ältervater sich diesen Rock neu an-

geschafft hatte. Mit Gold oder Edelsteinen war niemand geschmückt als allein Nicephorus, der in den kaiserlichen, nach dem Maß seiner Vorgänger verfertigten Gewändern noch garstiger aussah. Ich schwöre es bei eurem Leben, welches mir teurer ist als mein eigenes, daß das Staatskleid eines eurer Großen mehr wert ist als hundert und mehr solcher Anzüge! Man führte mich also zu der xQ0€\£v0Ls und stellte mich

auf einen erhöhten Platz neben

den Psalten,

d. h. den Sängern. Und als er nun wie ein kriechendes Ungeheuer dahinschritt, riefen die Psalten mit niedriger Schmeichelei: »Siehe da kommt der Morgenstern! der Lucifer gehet auf! sein Blick ist ein Widerschein der Sonnenstrahlen! der bleiche Tod der Sarazenen, Nicephorus

u&dwv, d. h. der Herrscher!« Des-

halb wurde auch gesungen: »M&öovtı, d. i. dem Herrscher Nicephorus, zohhd Ein, d. h. viele Jahre! Ihr Völker beuget euch vor diesem, verehret ihn, huldigt diesem großen Fürsten.« Wieviel passender wäre es gewesen, wenn sie so gesungen hätten: »Du ausgebrannte Kohle, komm, u&Me, schleichend wie ein altes Weib, häßlich wie ein Waldteufel, du Tölpel, du Schmutzfinke, du borstiger, störrischer, bäu-

rischer Barbar, du unverschämter, zottiger, widerspenstiger Kappadocier!« Durch solche lügenhafte Lobgesänge aufgeblasen, betritt er also die Kirche der heiligen Sophia, während seine Herren,

die Kaiser, ihm von ferne nachfolgen

und sich beim Friedenskuß bis zur Erde vor ihm niederbeugen. (..1]

An demselben Tage befahl er mir, sein Gast zu sein; da er

mich aber nicht für würdig achtete, den Rang vor einem sei-

170

Liutprand von Cremona in Konstantinopel

ner Großen einzunehmen, so kam ich auf den fünfzehnten Platz von ihm zu sitzen, und hatte kein Tischtuch vor mir.

Keiner von meinen Begleitern saß mit an der Tafel, ja sie be-

kamen nicht einmal die Halle zu sehen, in der ich zu Gaste

war. Während der ekligen und widerwärtigen Mahlzeit, die nach der Sitte der Trunkenbolde mit Öl und mit einer gewissen anderen garstigen Fischlake reichlich getränkt war, tat er an mich vielerlei Fragen über eure Macht, eure Staaten und euer Heer. Als ich ihm der Sache und der Wahrheit gemäß antwortete, sprach er: »Du lügst; die Krieger deines Herrn verstehen weder zu reiten noch zu Fuß zu kämpfen. Ihre großen Schilde, ihre schweren Panzer, die Länge ihrer Schwerter und die Last ihrer Helme erlauben ihnen weder auf die eine, noch auf die andere Art zu fechten, und«, fügte

er spöttisch hinzu, »auch die Gastrimargia, d. i. ihre Gefrä-

ßigkeit, hindert sie, denen der Bauch ihr Gott ist, deren Mut

ein Rausch, deren Tapferkeit Trunkenheit ist; die hinfällig sind, wenn sie nicht vollauf haben, denen Nüchternheit Schrecken und Angst ist. Auch hat dein Herr keine Flotte. Ich allein bin mächtig zur See; ich werde ihn mit meinen

Schiffen angreifen, seine Seestädte zerstören, und alles, was

den Flüssen nahe liegt, in Asche legen. Wie wird er mir aber auch zu Lande mit den wenigen Truppen widerstehen können? Sein Sohn war bei ihm, seine Frau war da, die Sachsen, Schwaben, Baiern, Italiener, alle waren mit ihm zugegen,

und

da sie dennoch

ein winziges

Städtchen,

das ihnen

Widerstand leistete, nicht einzunehmen wußten, es nicht konnten, wie wollen sie mir widerstehen, wenn ich komme?

mir, dem so viele Krieger folgen,

So viel Ähren auf Gargaras Flur, Weintrauben auf Lesbos,

So viel Wogen im Weltmeer sind, und am Himmel Gestirne.«

Als ich ihm antworten und auf diese Prahlerei nach Gebühr erwidern wollte, ließ er es nicht zu, sondern fügte wie zum Hohne hinzu: »Ihr seid gar keine Römer, sondern Lango-

j

Liutprand von Cremona in Konstantinopel

171

barden!« Er wollte weiter reden und winkte mit der Hand,

daß ich schweigen sollte; allein ich rief zornig: »Von Romu-

lus, dem Brudermörder, von dem die Römer ihren Namen haben, hat die Geschichte verzeichnet, daß er porniogenitus,

d. h. im Ehebruch erzeugt war, und daß er eine Freistätte errichtete,

in welcher

er insolvente

Schuldner,

entlaufene

Sklaven, Totschläger und allerlei Verbrecher, die das Leben

verwirkt hatten, aufnahm, und so eine Anzahl von dergleichen Volk zusammen brachte, welches er dann Römer nannte. Das waren die hohen Ahnen derer, die ihr kosmocratores, d.h. weltbeherrschende Kaiser nennt; wir aber, wir Langobarden, Sachsen, Franken, Lotharingier, Baiern, Schwaben und Burgunder, verachten diese so sehr, daß wir

für unsere Feinde, wenn wir recht zornig sind, kein anderes Scheltwort haben als: Römer. Denn mit diesem einzigen Namen, nämlich dem der Römer, bezeichnen wir alles, was es von Niederträchtigkeit, Feigheit, Geiz, Lüsternheit, Lü-

genhaftigkeit, ja überhaupt von allen Lastern nur gibt. Weil du aber behauptest, wir seien unkriegerisch und verständen

nicht zu reiten — wenn die Sünden der Christen es verdienen, daß du in deinem harten Sinn verharrst, so werden es

euch die nächsten Schlachten zeigen, was ihr für Leute seid und wie wir zu kämpfen wissen.« Durch diese Rede aufgebracht, gebot Nicephorus mit der Hand, daß ich schweigen sollte, ließ die lange, schmale Tafel wegbringen,

und

befahl mir, in das verhaßte

Haus,

oder

die Wahrheit zu sagen, mein Gefängnis, zurückzukehren.

Als er diese Zeilen gelesen, befahl er mir nach vier Tagen zu ihm zu kommen. Da saßen mit ihm, um euern Antrag zu erwägen, die weisesten Männer nach ihrer Art zu lehren, stark in attischer Beredsamkeit, nämlich der Oberkämmerer Basilius, der oberste Staats-Sekretär, der Ober-Garderobenmeister, und noch zwei hohe Beamte. Sie eröffneten die Be-

sprechung mit folgender Frage: »Erkläre uns, Bruder, die

Ursache,

warum

du

dich

hierher

bemüht

hast.«

Da

ich

172

Liutprand von Cremona in Konstantinopel

ihnen antwortete, ich sei der Heirat wegen gekommen, welche zu einem dauernden Frieden führen würde; sprachen sie: »Es wäre eine unerhörte Sache, daß die Porphyrogenita

eines Porphyrogenitus, das ist die im Purpur geborene

Tochter eines im Purpur geborenen Kaisers unter die frem- 4

den Völker gegeben würde. Weil ihr euch aber um eine so hohe Gunst bewerbt, so sollt ihr empfangen, was ihr wünschet, wofern ihr uns dagegen gebet, was sich ziemt, näm-

|

lich Ravenna und Rom mit allem Lande von dort an bis hierher. Wollt ihr aber Freundschaft schließen ohne die Heirat, so gebe dein Herr der Stadt Rom die Freiheit, die

beiden Fürsten aber, nämlich den von Kapua und den von Benevent, einst Knechte, jetzt Rebellen unsers heiligen Reiches, gebe er wieder zurück in ihre alte Dienstbarkeit.« Darauf sagte ich: »Daß meinem Herrn Slavenfürsten gehorchen, die mächtiger sind als der Bulgarenkönig Petrus, der die Tochter des Kaisers Christophorus zur Ehe erhielt, das wißt ihr selber.« — »Aber«, sagten sie, »Christophorus war kein Porphyrogenitus.«

»Rom aber«, fuhr ich fort, »wovon ihr schreit, daß ihr wollt, es solle frei sein, wem dient es denn? wem zahlt es Tribut? diente es nicht vorher den Buhlerinnen? und hat.

nicht, während ihr schliefet oder vielmehr kraftlos waret, _ mein Herr, der Kaiser, die Stadt von einer so schimpflichen Knechtschaft befreit? Der Kaiser Konstantinus, der diese Stadt nach seinem Namen

gegründet hat, brachte als Kos-

mokrator, d. h. als Beherrscher der Welt, der heiligen apo-

stolischen römischen Kirche viele Geschenke dar, nicht bloß in Italien, sondern in fast allen abendländischen Reichen,

und auch aus den morgenländischen und mittäglichen, aus Griechenland, Judäa, Persien, Mesopotamien,

Babylonien,

Ägypten, Libyen, wie das seine Urkunden beweisen, die bei uns aufbewahrt werden. Was nun in Italien, ja auch was in

Sachsen, in Baiern und in allen Reichen meines Herren ist,

das der Kirche der heiligen Apostel gehört, das alles hat mein Herr dem Statthalter der heiligen Apostel übergeben;

_

Liutprand von Cremona in Konstantinopel

173

und wenn er von alledem eine Stadt, ein Landgut, Vasallen

oder eigene Leute zurückhält, so will ich Gott geleugnet haben. Warum tut euer Kaiser nicht desgleichen? Warum gibt er der Kirche der Apostel nicht die Güter zurück, welche in seinen Reichen liegen, und macht sie, die durch meines Herrn Anstrengung und Großmut reich und frei geworden ist, nicht selbst noch reicher und freier?« »Eil« sagte der Oberkämmerer Basilius, »das wird er tun,

sobald Rom und die römische Kirche seinem Wink gehorchen werden.« Darauf entgegnete ich: »Ein Mann, der von einem andern großes Unrecht erlitten hatte, wandte sich an Gott mit den Worten: Herr! räche mich an meinem Feinde! Der Herr antwortete: Das werde ich tun an jenem Tage, da ich einem jeden vergelten werde nach seinen Werken. — Ach, wie spät! erwiderte der Mann.« Hierauf erhoben alle, außer des Kaisers Bruder, ein lautes

Gelächter. Man brach die Unterredung ab und befahl, mich in meine verhaßte Herberge zurück zu führen, und mit großer Sorgfalt zu hüten bis auf den bei allen Gläubigen hoch geehrten Tag der heiligen Apostel. An diesem festlichen Tage befahl Nicephorus,

daß ich, dem

sehr unwohl

war,

nebst den bulgarischen Gesandten, die tags vorher angelangt waren, ihm in der Kirche der heiligen Apostel aufwarten sollte. Und da wir nun nach der Ableierung der Lobgesänge und der Feier der Messe zur Tafel geladen wurden, da setzte er an dem obern Ende des langen schmalen Tisches auf den Platz vor mir den Gesandten der Bulgaren, der nach ungrischer Weise beschoren, mit einer ehernen Kette umgürtet und meines Erachtens ein Katechumene

war, euch,

meine Herren und Kaiser, zum offenbaren Schimpfe. Euretwegen traf mich Hohn, euretwegen Kränkung, euretwegen

Verachtung!

[...]

In der Meinung, ich mache mir sehr viel aus seiner Mahlzeit, zwang er [Nicephorus] mich acht Tage nachher, als die Bulgaren schon fort waren, wiewohl ich mich sehr unwohl befand, an demselben Orte mit ihm zu speisen. Außer meh-

174

Liutprand von Cremona in Konstantinopel

reren Bischöfen war auch der Patriarch zugegen, und in | ihrer Gegenwart legte mir der Kaiser einige Fragen aus | den heiligen Schriften vor, welche ich mit dem Beistande des heiligen Geistes gar fein auslegte. Zuletzt aber fragte er, um _ über euch zu spotten, welche Konzilien wir anerkennen. Und als ich ihm die von Nicäa, Chalcedon, Ephesus, Antiochien, Karthago, Ancyra, Konstantinopel nannte, da sagte

er lachend: »Ha! Ha! Ha! das Sächsische Konzil hast du vergessen. Fragst du aber, warum dieses in unseren Büchern

nicht stehe, so wisse, daß ihr Glauben noch zu jung ist, als

daß es bis zu uns hätte gelangen können.« Ich erwiderte: »In welchem Gliede des Körpers die Krank-

heit ihren Sitz hat, das muß man ausbrennen. Alle Ketze-

reien sind von euch ausgegangen, haben bei euch Kraft ge-

wonnen; wir Abendländer haben sie hier überwunden, hier ausgerottet. [...] Das Volk der Sachsen aber hat sich, seitdem

es die heilige Taufe und die Offenbarung Gottes empfangen

hat, durch keine Ketzerei befleckt; so daß man daselbst eine

Kirchenversammlung hätte halten müssen, um Irrtümer, die

dort nicht vorhanden

waren,

auszurotten.

Wenn

du den

Glauben der Sachsen jung nennst, so bestätige auch ich dieses; denn immer ist bei denen der Glaube an Christus jung und nicht alt, wo dem Glauben die Werke folgen. Hier aber ist der Glaube nicht jung, sondern alt, weil ihn die Werke nicht begleiten, sondern der Glaube um seines Alters willen wie ein abgenutztes Kleid verachtet wird. Doch ist in Sachsen, wie ich bestimmt weiß, eine Synode gehalten worden, in der man beschlossen und dekretiert hat, daß es ehren-

voller sei, mit Schwertern zu kämpfen als mit Federn, und

lieber den Tod zu leiden, als dem Feinde den Rücken zu

wenden. Davon weiß ja auch dein eigenes Heer zu sagen.« In meinem Herzen fügte ich noch hinzu: »Und möchte es doch bald in der Tat erproben, wie tapfer die Sachsen streiten.«


westliche Hälfte des römischen Reiches geschenkt haben. Gemeint ist der westfränkische König Karl der Kahle (843-877, Kaiser seit 875). Gemeint

ist vielleicht Karlmann

(gest. 880), der älteste Sohn

fränkischen Königs Ludwig des Deutschen.

des ost-

’ i 198

Die Kaiseridee Ottos III.

abgesetzt und zunichte gemacht worden ist. Er hat also gegeben, was er nicht besaß, und er hat so gegeben, wie er allerdings geben konnte, nämlich wie ein Mann, der unrechtes Gut erworben hat und nicht hoffen kann, lange im Be- e sitz zu bleiben. 1 Wir verachten alle diese erlogenen Urkunden und vorgespiegelten Schriftstücke. Aber in unserer Freigiebigkeit _ schenken wir dem heiligen Petrus, was wir auch wirklich besitzen, und wir übertragen ihm nicht etwas, was er schon besitzt, als ob es unser wäre.

So wie wir um

der Liebe

des heiligen Petrus willen den Herrn Silvester, unseren Leh-

rer, zum Papste bestimmt und ihn, den Erlauchten, mit Gottes Willen haben weihen und erheben lassen, so machen

wir um der Liebe dieses Herrn Papstes Silvester willen dem heiligen Petrus aus unserem Herrschaftsrecht ein Geschenk,

auf daß unser Lehrer etwas habe, was er unserem Fürsten

Petrus von seinem Schüler darbringen könne. Wir schenken also aus Liebe zu unserem Lehrer, dem Herrn Papste Silvester, die acht Grafschaften dem heiligen Petrus und bringen sie dar, und er möge sie zur Ehre Gottes und des heiligen Petrus in seinem und unserem Heile besitzen, behalten und

zum Wachsen seines Apostolates und unseres Reiches regieren. Diese Grafschaften aber überlassen wir seiner Verwal-

„tung: Pesaro, Fano, Senigallia, Ancona, Fossanbrone, Cagli,

Der Mönch Liuthar schuf um 990 (oder um 1000) auf der Reichenau ein vieldiskutiertes Widmungsbild. Der Herrscher,

der seine Krone von Gott empfängt, ragt in den Himmel hinein. Sein Thron wird von der Erde getragen. Otto III. wird in der

Mandorla dargestellt, die sonst der Darstellung Christi vorbehalten war. Die ihm huldigenden beiden Fürsten (Herzöge oder

Könige?) stehen unterhalb des Herrschers. Im unteren Bildteil stehen links zwei Waffenträger, rechts zwei Bischöfe.

_

200

Otto III, und Boleslaw von Polen

Jesi und Osimo, und niemand soll je ihn und den heiligen Petrus in diesem Besitz stören oder ihnen irgendwelche Ungelegenheiten bereiten. Wer etwas Derartiges versucht, der

soll all sein Eigentum verlieren, und was ihm gehört, soll A

der heilige Petrus zurückerhalten. 4 Auf daß aber diese Bestimmung für immer und ewig von allen Menschen gehalten werde, haben wir diese Urkunde mit unserer dank Gottes Beistand immer siegreichen Hand bestätigt, und wir haben befohlen, sie mit unserem Siegel zu beglaubigen, damit sie ihm und seinen Nachfolgern gültigen Rechtes sei. Zeichen des Herrn Otto, des unbesieglichen Imperators Augustus der Römer. D: Lautemann. S. 205 f. O: Die Urkunden Otto III. Hrsg. von Theodor Sickel. Hannover 1893. (MGH

DD O

®

III.) S. 819f., Nr. 389.

43

Otto III. und Boleslaw von Polen Ende 999 trat Otto III. in Begleitung hoher Würdenträger eine Reise

nach Polen an, wo er die Grabstätte seines Freundes Adalbert von

Prag besuchte. Gnesen erhob er im März 1000 zum Erzbistum, unterstellte ihm die Suffraganbistümer Posen, Kolberg, Breslau und Krakau und löste damit Polen aus der Kirchenprovinz Magdeburg heraus. Das Reich Boleslaw Chrobrys (Polen einschließlich Pommerellen, Schlesien und Krakowien) erhielt dadurch eine selbständige

Kirchenorganisation. Otto III. setzte Boleslaw seine Krone auf und überreichte ihm eine Nachbildung der heiligen Lanze; damit erhob er ihn in eine königsgleiche Stellung. | Parallel zum Zug nach Gnesen wurde ein Missionserzbischof für Ungarn bestimmt; 1001 schufen Kaiser und Papst auch hier eine

Otto III. und Boleslaw von Polen

201

selbständige kirchliche Organisation durch den Metropolitansitz in Gran (Esztergom). Die erste in Polen verfaßte Chronik des sogenannten Gallus Anonymus, eines um 1110 nach Polen eingewanderten Benediktinermönchs, bildet die Grundlage unserer Kenntnis über die frühe Geschichte Polens (vom 10. bis zum beginnenden 12. Jahrhundert).

[Otto sagte:] »Einen so bedeutenden und mächtigen Mann wie irgendeinen anderen Fürsten Herzog oder Graf zu nennen wäre unwürdig, sondern man muß ihn auf einen königlichen Thron erheben und mit der Krone zieren.« Und er nahm die kaiserliche Krone vom eigenen Haupte und setzte sie zum Zeichen des Freundesbündnisses dem Haupte des Boleslaw auf und übergab ihm als Triumphpanier einen Nagel vom Kreuze des Herren und die Lanze des heiligen Mauritius als Geschenk. Boleslaw gab ihm dafür den Arm des heiligen Adalbert‘ zurück. Und sie waren an dem Tage in solcher Freundschaft vereint, daß der Kaiser ihn zum

=

Bruder und Helfer der Herrschaft machte und Freund und Verbündeten des römischen Volkes? nannte. Obendrein übertrug er ihm auch noch alle kirchlichen Reichsrechte im ganzen polnischen Königreiche und in allen Gebieten, die er unterworfen hatte oder noch unterwerfen würde. Diese Rechte übergab er seiner und seiner Nachfolger Gewalt, und der römische Papst Silvester bestätigte den Vertrag durch ein kirchliches Diplom. So wurde auf die glanzvollste Weise Boleslaw vom Kaiser erhoben und zum König gemacht. Adalbert (geb. um 956) war seit 983 Bischof von Prag, er verzichtete aber 988 auf dieses Amt und reiste nach Rom. 994/995 traf er in Aachen mit Otto III. zusammen, auf den er großen Einfluß ausübte. 997 wurde

»»

er von heidnischen

Pruzzen

erschlagen,

die er zu bekehren

versucht

hatte. Der Leichnam des toten Märtyrers wurde von dem polnischen Herzog Boleslaw den Pruzzen abgekauft und in Gnesen beigesetzt. Der Titel eines »amicus« oder »socius populi Romani« war schon von den römischen Kaisern den Herrschern benachbarter Reiche verliehen worden. Diese Einzelheit des Berichts paßt gut zu den Tendenzen Ottos III., die Herrschaftsform des Römischen Reiches wieder aufzugreifen.

202

Deutsche Kritik an der Renovatio-Politik Ottos III.

D: Lautemann. S. 211 f. O: Chronica et annales aevi Salici. Hrsg. Pertz. Hannover 1848. (MGH

von Heinrich-Georg

SS 9.) S. 429.

44 Deutsche Kritik an der Renovatio-Politik Ottos III. Otto III. mußte noch in den letzten Monaten und Tagen seines kurzen Lebens (er starb am 24. Januar 1002, 21jährig, wenige Kilometer nördlich von Rom) gegen den Widerstand der Römer kämpfen. Widerstände gegen die Verlagerung des Reichszentrums nach Rom gab es auch im Reich, vor allem in Sachsen. Ottos Nachfolger Hein-

rich II. hat auf diese Kritik reagiert und am Beginn seiner Regierung auf seine Bullen die Umschrift »Renovatio regni Francorum« setzen lassen, um zu dokumentieren, daß nach der universalen Reichs-

konzeption Ottos III. jetzt die Sammlung der königlichen Machtstellung in Deutschland im Vordergrund stehen solle. Langjährige Aufenthalte von deutschen Herrschern in Rom gab es unter Heinrich II., Konrad II. und Heinrich III. nicht mehr.

Brun von Querfurt (um 974-1009), dessen Vita quinque fratrum — ein Bericht über fünf Missionare, die in Polen den Märtyrertod erlit-

ten — die folgenden Abschnitte entnommen sind, war zwar zeitweise Hofkapellan Ottos III. und ein Förderer von dessen asketischen Neigungen, lehnte aber die Rompolitik seines Kaisers ab. Ende 1002 ließ sich Brun von Papst Silvester II. einen Auftrag zur Mission an der polnischen Grenze erteilen.

Wie hätte der gute Kaiser, dessen Gemüt so manchen Tag von Weltverachtung erfüllt war und in dem die Gottesliebe mehr als in einem Mönche

kraftvoll lebte, nicht auch die

Einsamkeit aufsuchen sollen? Bald erschien er mitten in der Nacht, dann wieder am hellen Tage bei den Eremiten (dem heiligen Romuald und seinen Gefährten). Das tat der

Deutsche Kritik an der Renovatio-Politik Ottos III.

203

wundervolle Mann so still versenkt in Gott und in der für das geistige Wachstum so wichtigen Abgeschiedenheit des Glaubens, daß außer den Begleitern, die er dieser frommen Übung würdigte, kaum jemand im Palaste etwas davon merkte, obwohl die Wege der Könige selten verborgen bleiben. Der fromme Otto starb,als man es am wenigsten erwartete;

er, der große Kaiser in einer engen Burg. Hat er auch sonst viel Gutes getan, so war er doch in diesem einen Punkte im Irrtum befangen, daß er das Herrenwort vergaß: »Mein ist die Rache, ich bin der Vergelter.«

[...]

Denn da ihm Rom allein gefiel und er das römische Volk vor allen anderen durch Geldgeschenke und Ehren auszeichnete, wollte er für immer

in Rom

verweilen und in

kindischem Spiele die Stadt zu ihrem alten Glanz und Ruhm erheben. Vergebens. Du brauchst nicht lange nach einem hierfür passenden Worte der Bibel suchen, schon beim Psalmisten findest du: »Eitel ist der Menschen Sinnen.« Dies war die Sünde des Königs: das Land seiner Geburt, das liebe Deutschland, wollte er nicht einmal mehr sehen, so groß war seine Sehnsucht, in Italien zu bleiben,

wo in tausend Mühen, tausend Todesgefahren schreckliches Unheil gewappnet heranstürmt. [...] Es wütet das Schwert im Blute der Edlen, es trieft vom Herzblut der erschlagenen lieben Getreuen und verwundet so zutiefst auch das Herz des Kaisers. Nichts hilft ihm sein Reich, nichts die lästigen Schätze, noch jenes gewaltige Heer, das er vergebens um

sich gesammelt hatte; weder die Lanze, noch des Schwertes Schärfe vermochten ihn der Hand des Todes, der allein

keine Ehrfurcht vor Königen kennt, zu entreißen. Der gute Kaiser befand sich nicht auf dem rechten Wege, als er die gewaltigen Mauern der übergroßen Roma zu stürzen dachte; denn wenn auch deren Bürger seine Wohltaten nur mit Bösem vergolten hatten, so war doch Rom der von Gott den Aposteln gegebene Sitz. Und selbst da brach die

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Bischöfe als Stadtherren

Liebe zu seinem Geburtslande, dem Sehnsucht weckenden Deutschland, nicht in ihm durch; das Land des Romulus,

vom Blute seiner lieben Getreuen durchtränkt, gefiel in seiner buhlerischen Schönheit dem Kaiser immer noch mehr.

Wie ein alter Heidenkönig, der sich in seinem Eigenwillen verkrampft, mühte er sich zwecklos ab, den erstorbenen Glanz des altersmorschen Rom aufs neue zu beleben.

D: Johannes Bühler: Die sächsischen und salischen Kaiser. Nach zeitgenössischen Quellen. Leipzig: Insel Verlag, 1924. S. 173 f. © Insel Verlag Leipzig und Frankfurt a. M. O: Scriptores. Supplementa tomorum I-XII. Hrsg. von Wilhelm Wattenbach und Georg Waitz [u. a.]. Hannover 1888. (MGH SS

15,2.) S. 718.

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Bischöfe als Stadtherren Es gehört zur typischen Politik der deutschen Könige des hohen Mittelalters, daß sie an Bischöfe königliche Rechte verliehen, wodurch

deren wirtschaftliche und rechtliche Position gestärkt wurde. Durch diese Übertragung königlicher Rechte an Bischöfe sollten aber auch die Besitzungen und Rechte des Königs wirksamer ausgewertet werden können. Die Bischöfe wurden auf diese Weise die wichtigsten Stützen der königlichen Gewalt, sie spielten im Heeresaufgebot und beim Aufenthalt des Königs und seines Hofes wirtschaftlich und militärisch die entscheidende Rolle. Seit Heinrich II. treten immer mehr die Bischofsstädte an Stelle der königlichen Höfe und Pfalzen als Aufenthaltsorte hervor (siehe Tafelgüterverzeichnis, Nr. 79). Die jurisdiktionellen Aufgaben im Rahmen der königlichen Blutgerichtsbarkeit durften die Bischöfe allerdings nicht selbst durchführen (Grundsatz: »Die Kirche vergießt kein Blut«!); daher traten in diesem Bereich weltliche Fürsten als Vögte in Aktion. Wiedergegeben sind die Urkunde, worin Kaiser Otto II. im Jahre

Bischöfe als Stadtherren

205

982 dem Bischof von Straßburg die Grafenrechte in seiner Bischofsstadt verleiht, sowie die Urkunde Kaiser Ottos III., mit der 989 dem

Bischof von Halberstadt Markt, Münze und Zoll in seiner Stadt gewährt wird.

45.1 Urkunde Ottos II. zugunsten des

Bischofs von Straßburg

Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit. Otto, von Gottes Gnaden Imperator Augustus. Wenn wir die Kirchen Gottes durch die Freigebigkeit der königlichen und kaiserlichen Erhabenheit, welche uns von Gott verliehen ist, auszeichnen, dann vertrauen wir darauf,

daß uns dies ohne Zweifel zum [glücklichen] Zustand und zur Blüte unseres gegenwärtigen Lebens und zum Genuß der ewigen Seligkeit nützlich sein werde. Darum möge der Diensteifer aller unserer Getreuen, der Gegenwärtigen wie der Zukünftigen, zur Kenntnis nehmen, daß

Erchenbaldus,

Bischof

der

Stadt

Straßburg,

unsere

Gnade anging mit der Bitte, daß wir um der Liebe Gottes

und seiner Mutter, der heiligen Maria willen, deren Kirche

er bekanntlich vorsteht, bestätigen und bekräftigen möchten das, was unsere Vorgänger, die Kaiser und Könige der Franken, dieser Kirche für ihre eigene Erhaltung und zur Vermehrung des Reiches übertragen haben. Seiner Bitte gerne entsprechend, haben wir dieses Präzept auszufertigen beschlossen, in dem wir anordnen und unverbrüchlich befeh-

len, daß hiernach, wie unsere Vorgänger bestimmt haben, kein Herzog, kein Graf, kein Vikar irgendeine Rechtsgewalt in der genannten Stadt Argentina, die landläufig mit einem anderen Namen Straßburg genannt wird, oder in der Vorstadt der genannten Gemeinde einen Thing oder einen Gerichtstag ausüben darf außer jenem, den der Bischof dieser Stadt sich zum Vogt wählt. Sollte aber jemand da sein — wir glauben freilich nicht, daß es geschehen könne —, der es

206

Bischöfe als Stadtherren

wagt, diese Bestimmung zu verdrehen oder sich unter dem

Schein des Rechtes einzumischen, der wisse, daß er nicht nur unseren Zorn auf sich zieht, sondern daß er sich auch

durch Gottes Rache zugrunde gehen und in ewiger Strafe gekreuzigt fühlen wird. Wir wollen nämlich, daß der genannte Bischof mit all seinen Untertanen und Nachfolgern unter Ausschluß allen Zufalls und jeder Widerwärtigkeit im Schutze unserer Immunität und zum Heile unserer Gemahlin, unserer Kinder und des ganzen uns von Gott anvertrauten Reiches die Möglichkeit und das Recht habe, ruhig und

gelassen die Gnade Gottes anzuflehen. Und auf daß diese Urkunde unserer Majestät unverletzliche und unverwirrbare

Kraft behalte, haben wir sie hierunter

mit eigener Hand bekräftigt und befohlen, sie durch Beidrückung unseres [Siegel-]Ringes hierunter zu siegeln. Zeichen des Herrn Otto, des unbesieglichen Imperators Augustus. Gegeben am achten Tage vor den Iden des Januar im Jahre 982 der Fleischwerdung des Herrn, im zehnten Jahre der Indiktion, im 25. Jahre des Königtums Ottos II., im 15. seiner Kaiserherrschaft. Geschehen zu Salerno, im Namen Gottes, mit Glück, Amen.

D: Lautemann. S. 713. O: Die Urkunden Otto II. Hrsg. von Theodor Sickel. Hannover 1888. (MGH

DD O

II.) S. 310f., Nr. 267.

45.2 Urkunde Ottos III. zugunsten des Bischofs von Halberstadt Im

Namen

der heiligen und

Otto, von Gottes Gnaden

unteilbaren

König. Wenn

Dreifaltigkeit.

wir den Kirchen

Gottes aus unserer königlichen Freigebigkeit etwas zukommen lassen, dann geschieht das in dem Glauben, daß dies ohne Zweifel uns sowohl für unser gegenwärtiges Leben wie auch dazu nützen werde, den Preis der ewigen Seligkeit

Bischöfe als Stadtherren

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zu erringen. Darum soll der Eifer aller unserer Getreuen, der Gegenwärtigen wie der Zukünftigen, es wissen, daß wir, indem wir der frommen Bitte unserer geliebten Mutter, der Imperatrix Augusta Theophanu, und nicht weniger der Fürsprache unserer Getreuen, des ehrwürdigen Bischofs der Kirche von Worms Hildebald und des Herzogs Bernhard folgen und nachkommen und unserem geliebten und ergebenen Hildewart, dem ehrwürdigen Bischof der Kirche zu Halberstadt, wegen seiner Liebe und zum Heile unserer Seele zugestehen, daß er an diesem Halberstadt genannten Orte von nun an halte und besitze einen Markt und eine Münze und Zoll und Bann erhalte. Und diese Rechte und Nutzungen aus Markt, Münze, Zoll und Bann sollen von

nun an er und seine Nachfolger innehaben und empfangen, so wie andere Städte, Magdeburg und andere, es haben und

besitzen, denen dieses Recht durch Urkunden unserer Vor-

gänger, der Kaiser und Könige, zugestanden und geschenkt worden ist. ) Auf daß aber die Übergabe dieser unserer Schenkung für Gegenwart und Zukunft unverletzlich bleibe, haben wir diese unsere deshalb geschriebene Schenkungsurkunde durch Beidrücken unseres Siegels zu zeichnen befohlen und mit eigener Hand, wie man unten sehen kann, bekräftigt.

Zeichen des Herrn Otto, des ruhmreichen Königs.

Ich, Hildebald, Bischof und Kanzler, habe anstelle des Erz-

bischofs Willigis gegengezeichnet. Gegeben am 4. Juli im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 989, in der 2. Indiktion, im 6. Regierungsjahre

geschehen zu Kirchberg, mit Glück, Amen.

Ottos III.,

D: Lautemann, S. 712. O: Die Urkunden Otto III. Hrsg. von Theodor Sickel. Hannover

1893. (MGH DD O III.) S. 460 f., Nr. 55.

46

Gründung des Bistums Bamberg Für Heinrich II. spielte die Italienpolitik, wie sie seit 961 die deutschen Könige und Kaiser ganz wesentlich beansprucht hatte, keine bedeutsame Rolle. Er plante eher eine Expansion nach Osten, und die Gründung des Bistums Bamberg sollte ein neues Missionszentrum schaffen, das, zwischen Salzburg im Süden und Magdeburg im Norden auf Böhmen und Mähren gerichtet, die kirchliche und politische Offensive tragen sollte. Erzbischof Willigis von Mainz, aus dessen Provinz das neue Bistum herausgeschnitten wurde, gab nach anfänglichem Widerstand seine Zustimmung. Als erster Zweck der Bistumsgründung wurde die Missionierung der Slawen am oberen Main, im Fichtelgebirge und im böhmischen Grenzgebiet genannt. Auf dem Konzil von Frankfurt 1007, das von acht Erzbischöfen und

27 Bischöfen besucht wurde, wurde das Bistum gegründet. Heinrich II. begründete seine reichen Schenkungen damit, daß Gott ihm leibliche Nachkommen versagt habe; daher wolle er Gott zu seinem Erben einsetzen. Im folgenden ist der Text der auf dem Frankfurter Konzil erlassenen Gründungsurkunde wiedergegeben.

Im Jahr der Menschwerdung des Herrn 1007, in der fünf-

ten Indiktion, an den Kalenden des November, unter der

Regierung des frömmsten und erhabensten Heinrich II., und zwar im sechsten Jahr seines Königtums, ist für den Bestand und das Gedeihen der heiligen Mutter Kirche, in dem Ort Frankonofurt [Frankfurt] eine große Synode gehalten und veranstaltet worden. Denn derselbe große und friedfertige König Heinrich, der gegen Gott voll Glauben und gegen die Menschen voll Güte war, hatte in tiefer Überlegung seines Geistes oft nachgesonnen, womit er Gott sich am meisten gnädig stimme, und hat nun auf allerhöchste göttliche Eingebung in Gedanken beschlossen; Gott sich zum Erben zu erwählen und einzusetzen und ein Bistum zu Ehren des heiligen Apostelfürsten Petrus in

Gründung des Bistums Bamberg

209

dem Ort seines väterlichen Erbes, der Babenberg heißt, aus allen seinen Erbgütern zu errichten, auf daß sowohl das Heidentum der Slawen zerstört als auch das Gedächtnis des christlichen Namens dort allezeit gefeiert werde. Da er aber nicht über einen zu jenem Ort gehörigen Kirchensprengel verfügte, hat er, während er das heilige Pfingstfest im nämlichen sechsten Jahr seines Königtums zu Mainz beging, einen Teil der Würzburger Diözese, nämlich die Grafschaft namens Ratensgowi [Radenzgau], und einen Teil des Gaues namens Volcfelt [Volkfeld], soweit er zwischen den Flüssen Uraha [Aurach] und Ratenza [Regnitz], liegt, von Heinrich, Bischof von Würzburg, im Weg eines beständigen und rechtmäßigen Tauschgeschäfts erworben und dagegen der Würzburger Kirche einhundertundfünfzig Huben in dem Dorf namens Meinungun [Meiningen] und in dessen nächstgelegenem Umland übereignet. Dem haben nach genauer Prüfung zugestimmt die ehrwürdigen Väter, nämlich vor allem Heinrich, der Bischof der Würzburger Kirche, auch der ehrwürdige Erzbischof Willigis von Mainz, auch Burchard von Worms, Walter von Speyer, Werinhar von Straßburg, Adalbero von Basel, Lambert von Konstanz, Udalrich von Chur, Erzbischof Liudolf von Trier, Theoderich von Metz, Berathold von Toul, Heimo von Verdun, Erzbischof Herebert von Köln, Notker

von Lüttich, Eralwin von Cambrai, Erzbischof Dagino von Magdeburg und Hildolf von Mantua. Der ruhmreichste König Heinrich aber schickte, nachdem er damals sein Anliegen durchgesetzt hatte, zugleich auf den Rat der vorher genannten Väter zwei von seinen Kaplänen, nämlich Alberich und Ludowig, mit dem Schreiben des Bischofs Heinrich von Würzburg nach Rom, damit das hier Wohlbegonnene durch die Autorität Roms einen noch besseren Fortgang nehme. Johannes, der Römische Pontifex und Papst der Gesamtkirche, las das Bittschreiben des genannten Bischofs Heinrich

210

Gründung des Bistums Bamberg

und freute sich sehr über die Weihestiftung des frömmsten Königs Heinrich. Er hielt in der Basilika des heiligen Petrus _ eine Synode und ließ zur Bestätigung des Bistums Bamberg ein Privileg ausfertigen und durch seine apostolische | Gewalt bekräftigen. Allen Bischöfen Galliens und Germa_ niens gab er den schriftlichen Befehl, auch sie sollten durch ihre Autorität einmütig dieses Bistum anerkennen und be- _ stätigen. 1 Dieses Privileg also haben die ehrwürdigen Väter, die zu dem Generalkonzil im obengenannten Frankonofurt zusammengetreten waren,

beim Vorlesen

mit höchster Ehr-

erbietung vernommen und haben es im Gehorsam gegenüber der apostolischen Autorität in frommer Gesinnung einmütig durch ihre Unterschrift anerkannt und gemeinsam bekräftigt. Willigis, Erzbischof der heiligen Kirche von Mainz, der auf dieser Synode als Stellvertreter der Römischen Kirche den Vorsitz führte, die Bischöfe Radher von Paderborn, Megin-

gaud von Eichstätt, Bernward von Hildesheim, Lambert _ von Konstanz, Arnolf von Halberstadt, Udalrich von Chur, _ Burchard von Worms, Werinhar von Straßburg, Walter von Speyer, Brun von Augsburg [der jüngere Bruder des Königs Heinrich], Erzbischof Liudolf von Trier, die Bischöfe Bert-

hold von Toul, Heimo von Verdun, Erzbischof Hartwig von Salzburg, die Bischöfe Christian von Passau, Gebehard _ von Regensburg, Egilbert von Freising, Adalbero von Brixen, Erzbischof Heribert von Köln, die Bischöfe Suidger

In einem zwischen 1002 und 1014 im Kloster St. Emmeram (Regensburg) entstandenen Sakramentar wird Heinrich IT. als von der Hand Gottes gekrönter König dargestellt. Engel reichen ihm Lanze und Schwert, während die Heiligen Ulrich und Emmeram seine Arme stützen.

_

212

Die Klosterreform von Gorze

von Münster, Ansfried von Utrecht, Theodrich von Min-

den, Thietmar

von

Osnabrück,

Erzbischof Dagino

von

Magdeburg, Bischof Hildiward von Zeitz, Erzbischof Bur-

chard von Lyon, Erzbischof Baldolf von Tarentaise, Anastasius [von Gran], Erzbischof der Ungarn, die Bischöfe Adalbero von Basel, Hugo von Genf, Heinrich von Lausann Eckehard von Schleswig, Albetich von Cuma und Richo. von Triest. id D: Johannes Kist: Fürst- und Erzbistum Bamberg. Leitfaden durch] ihre Geschichte von 1007 bis 1960. Bamberg: Historischer Van ein, 1962. S. 179, 181.

O: Die Urkunden Heinrichs II. und Arduins. Hrsg. von Harry Bresslau [u. a.]. Berlin 21957. (MGH DD H IL.) S. 170 ff, Nr. 143.

47 Die Klosterreform von Gorze Das 910 in Burgund gegründete Kloster Cluny hatte seit seinem _ zweiten Abt Odo (927-942) gegen die Priesterehe, gegen Simonie _ (Kauf eines geistlichen Amts) und gegen die Unterordnung unter die _ Laien gekämpft. Seit der Mitte des 10. Jahrhunderts wurden dem _ Kloster Cluny eine große Anzahl von Klöstern unterstellt (im Lauf des 11. Jahrhunderts wurden es mehr als 500); der Schwerpunkt der _ Cluniacensis ecclesia, der großen Cluniazensischen Kongregation, _ lag in Frankreich. Ins Reichsgebiet drangen die Gedanken der Klosterreform nicht aus Cluny, sondern vom lothringischen Kloster _ Gorze aus vor, das 933 von Johannes von Gorze (gest. 974) im Sinne _

strengster mönchischer Askese reformiert wurde. Von Anfang an fällt das enge Zusammenwirken zwischen den Mönchen der Gorzer | Reform und dem Episkopat auf. Dadurch unterscheidet sich die Gorzer

Klosterreform

schofsfreien« Raum

von

den

Cluniazensern,

die in einem

>»bi- _ }

wirkten. Die königlichen oder bischöflichen

Die Klosterreform von Gorze

213

Klöster im Reich ließen sich durch aus Gorze beeinflußte Reformer bestimmen. In der am Ende des 10. Jahrhunderts entstandenen Vita des Johannes

von Gorze (Kap. 78, 83) wird die Askese, aber auch die Gelehrsam-

keit des Reformers hervorgehoben.

Köstlichere

Speisen,

prächtigere

Kleidung,

glänzendes

Schuhwerk, weiche Polster, das Labsal der Bäder, die An-

wendung von Medikamenten in irgendwelchen Krankheitsfällen, überhaupt jede Erquickung des Leibes außer unvermeidlich Notwendigem [...] verschmähte er gänzlich. Dennoch verbot er keinem anderen, solche Dinge zu gebrauchen, dem sie etwa Bedürfnis waren. So groß war seine taktvolle und kluge Güte, daß er, mit sich selbst streng und scheinbar fast schonungslos, wie niemand sonst anderen gegenüber barmherzig war. Wenn er selbst fastete, forderte er andere zum Speisen auf; wenn er selbst wachte, gewährte er anderen den Schlaf.

{[...]

Der höheren Wissenschaft [...], der Lektüre jeglicher theologischen Bücher oblag er mit so großem Fleiß, daß fast keiner der hervorragendsten

vom Hl. Geist erleuchtet, Schriften gelangte, soweit Willen möglich ist. Dabei möglich die Moralia des hl.

Gelehrten

ihn übertraf,

bis er,

zu jeder Kenntnis der heiligen es den Sterblichen nach Gottes durcheilte er zuerst sooft wie Gregor‘ und nahm fast alle dort

enthaltenen Lehren so in sein Gedächtnis auf, daß in den

gemeinsamen Mahn- und Lehrgesprächen jede seiner Außerungen aus jenen hervorzutreten schien. Nicht weniger pflegte er die Lektüre Augustins, des Ambrosius, Hieronymus oder überhaupt jedes Alten, der ihm in die Hände kam. In einer Zeit, da die Studien nur lau getrieben wurden und kaum die Codices zu finden waren, las er die Kommentare

Augustins zum Johannes-Evangelium und zu den Psalmen 1 Diese Schrift Papst Gregors des Großen (590-604), eine umfangreiche Erklärung des Buches Hiob, war im Mittelalter sehr weit verbreitet.

214

Reformkonzil von Pavia

und dessen »De civitate Dei« vollständig durch und müh ce sich schließlich mit den Büchern über die Trinität? höch: aufmerksam ab. A

D: Joachim Leuschner: Die Kirche des Mittelalters. Stuttgart: Kle tt, O:

1955. S. 13 £.

Annales,

chronica

et historiae

aevi

Saxonici.

Hrsg.

von

Heinrich Pertz. Hannover 1841. (MGH SS 4.) S. 359f.

Geo

1

A

48 Reformkonzil von Pavia Nachdem Heinrich II. 1013/14 nur wenige Monate in Italien Rom verbracht und dort die Kaiserkrone erhalten hatte (14. Februa 1014), suchte Papst Benedikt VIII. (1012-24) im Jahr 1020 den Kaiser in Bamberg auf; er wollte ihn dazu bewegen, einen Feldzug

nach Süditalien zu unternehmen, um dieses Gebiet der römischen

Kirche zurückzugewinnen. Heinrich II. unterstellte damals das ne Bistum Bamberg unmittelbar dem Papst (und erfüllte damit eine Forderung Clunys) und schenkte das Kloster Fulda der römischen Kirche. { Auf seinem Zug nach Unteritalien konnte Heinrich II. einige folge in Kampanien erringen; die Eroberung Apuliens gelang abe nicht. Der Italienzug wurde durch eine Synode in Pavia abgeschl sen, die Papst und Kaiser gemeinsam zur Reform der Kirche veranstalteten. Hier wurde bereits versucht, Forderungen der Reforme zu erfüllen, vor allem das Zölibat in der Kirche durchzusetzen. Be:

gründet wurde die Forderung nach Ehelosigkeit der Priester u. mit der Gefahr der Entfremdung von Kirchengut. Insgesamt wurd auf der Synode von Pavia der Versuch unternommen, nicht nur Besitzstand der Kirche zu sichern, sondern auch das Leben der K

riker an den Forderungen des Kirchenrechts auszurichten. Damit 2 Die hier genannten vier Werke des Kirchenvaters Augustin (gest. 430) )

gehören zu den im frühen Mittelalter am meisten gelesenen Schriften.

N Reformkonzil von Pavia war ein wichtiger Programmpunkt reform vorweggenommen.

215

der gregorianischen Kirchen-

Bemerkenswert an den auf der Synode von Pavia (1. 8. 1022) erlasse-

nen Dekreten ist auch, daß die Gleichberechtigung von Papst und Kaiser in besonderer Weise demonstriert wird: beide erlassen je sieben Bestimmungen über identische Themen; der Inhalt ist aller-

dings verschieden und in aufschlußreicher Weise aufeinander abgestimmt. Es war bis dahin seit der Spätantike nicht mehr üblich gewesen, daß ein Kaiser in dieser Weise die Beschlüsse einer vom Papst geleiteten Synode bestätigte. Wir können deshalb annehmen, daß Kaiser Heinrich II. eine Vorherrschaft auch über die Kirche ausüben wollte. Wirksam wurden die Beschlüsse von Pavia allerdings kaum; bezeichnend dafür ist, daß die Synode bei den zeitgenössischen Geschichtsschreibern nicht erwähnt wird und daß ihre Akten nur in einer einzigen späten Überlieferung erhalten sind.

Vorrede des Papstes Benedikt VIII. Ehre und Schmerz sind Eines: Weil uns Gottes Gnade so hoch erhoben hat, werden wir verdientermaßen durch un-

sere Sünden tief gedemütigt. Solange wir mit Gottes Hilfe den Regeln und Synodalbeschlüssen unserer Väter gehorcht haben, blühte die Kirche, und wir mit ihr, und wir wichen

nicht ab von dem gesetzten Wege. Aber als wir unter Gottes Zorn den Weg der Meister verlassen hatten und Schüler des Irrtums geworden waren, haben wir schuldhaft geirrt. Durch unsere Vergehen wurde die Kirche verdunkelt;, und deshalb werden wir mit ihr verdunkelt, mit Recht werden

wir erniedrigt, mit Recht von unseren Feinden besiegt und vernichtet, und es bleibt uns keine Hoffnung, uns wieder aufzurichten, wenn wir nicht vorher auf den rechten Weg zurückfinden. Denn so steht geschrieben: »Selig sind, die schuldlos wandeln«, das aber ist: im Gesetz Gottes. Selig auf dem rechten Weg, aber nicht selig seitwärts von ihm. Gott hat sich die Kirche zur Braut erwählt, und sie hatte keinen Makel und keine Runzel; aber aller Hände erheben

sich gegen sie.

216

Reformkonzil von Pavia

Am meisten toben gegen sie und beflecken sie mit ihren | schmutzigen

Sitten und Werken,

die sich Priester Gottes _

nennen und in ihr Gut eingedrungen sind, dann aber sich _ ihr widersetzen. Könige und Kaiser sind Christus gefolgt, _ und sie und das katholische Volk, bewehrt mit den Waffen

des Glaubens, haben der Kirche reiche Patrimonien geschenkt und haben sie bis zum Meer mit auserlesenen Ga-

ben bereichert. Schlecht aber wurde das trefflich erworbene

Gut bewahrt. Jeder riß sich im Vorübergehen ein Stück ab,

und am meisten diejenigen, die ihre Leiter sein sollten; mit allen Mitteln erniedrigten sie die Kirche und machten sie arm. Hab und Gut der Kirche schleppten sie davon oder

verkleinerten es, oder sie entfremdeten es der Kirche mit ir-

gendwelchen Titeln und Schriften, die sie zum Spott angefertigt hatten, aus Besitz und Recht: Knechte befreien sie, was sie nicht tun dürfen, und wie Hamster raffen sie ohne

Verstand alles für die Söhne zusammen. | Sogar Kleriker, die aus dem Hörigenstand der Kirche stammen, die wie die Heiden leben, die das Gesetz von allem

Umgang

mit

Frauen

ausschließt,

erzeugen

mit

freien

Frauen Kinder, und die Kirchenmägde fliehen sie allein aus _

diesem verbrecherischen Grunde, damit diese Söhne, als ob

sie frei wären, ihrer freien Mutter verbleiben. Und weil sie _

sonst nichts haben,

bringen diese üblen Väter für ihre

ebenso üblen Kinder immer mehr Güter, immer mehr Patrimonien und alles, was sie vom Kirchenbesitz an sich reißen können, auf die Seite. Auf daß aber die Freiheit der Kinder

_

nicht wie geraubt wirke — auf Erden wollen sie nämlich die Freiheit rauben wie der Teufel im Himmel die Göttlich-

keit —, lassen sie diese in den Waffendienst der Edlen ein- _

treten. 4 Sie sind es, o Himmel! o Erde! die gegen die Kirche lärmen. Es gibt keine schlimmeren Feinde der Kirche als sie. Niemand

ist schneller

zur

Hand,

der

Kirche

und

Christus

nachzustellen als sie. Denn so bleiben Knechtssöhne in der Freiheit, wie sie es lügen, und die Kirche verliert beides,

/

Reformkonzil von Pavia

217

Knechte und Besitz. So wurde die Kirche, einst unerhört reich, durch Leichtsinn und schlechten Willen ihrer Leiter

und unerlaubte Verwegenheit der Kleriker zur Armsten der Armen in unseren Tagen gemacht. So schwindet die Kirche dahin, so geht sie betteln. So aber kommt

es auch, daß sehr selten oder überhaupt

nicht im Hörigenstand der Kirche jemand gefunden wird, der etwas taugt, weil infolge dieses Betruges alle Söhne von

Kirchenknechten auf das Priestertum hoffen, nicht etwa um Gott zu dienen! O nein, sie wollen in Unzucht mit freien

Weibern Kinder erzeugen, und diese Kinder sollen dann die

Dienstbarkeit in der Kirche, ausgestattet mit allen möglichen geraubten Gütern der Kirche, verlassen, als ob sie frei

wären! Schon sind deshalb zahlreiche Kirchen arm an Ge-

sinde, weil die Diener der Kirche schon für Lohn dienen-

de Knechte anwerben und dazu übergehen, den jährlichen Mangel durch Lohnzahlung zu beheben. Daher tun wir mit Gottes Gnade allen kund, daß nach den gegebenen und empfangenen Gesetzen keinem Kleriker es erlaubt ist, eine Frau zu umarmen. Ferner ist nicht schwer die Erkenntnis,

daß ihre Kinder, die sie gar nicht haben dürften, und vor allem die Söhne der Kleriker, [...] zum Gesinde der Kirche gehören. [...]

Dekret des Herrn Papstes Benedikt I. Daß kein Kleriker eine Frau berühren dürfe. Kein Priester, Diakon oder Subdiakon, kein Kleriker über-

haupt, darf eine Frau oder eine Konkubine haben, wie auch kein Laie eine andere Frau als eine Ehefrau haben darf. Wer

dem zuwiderhandelt, werde nach kirchlichem Gesetz seines

Amtes entsetzt. Nach menschlichem, schon lange bestehendem und gegebenem Gesetz darf er keinerlei Achtung'mehr in der Öffentlichkeit genießen.

218

Reformkonzil von Pavia

II. Daß der Bischof keine Frau haben und mit keiner zusammenhausen darf. Wie der Bischof keine Frau haben darf, darf er auch mit kei-

ner zusammenwohnen. Wenn er dagegen verstößt, werde er _ nach unseren mit den weltlichen Gesetzen übereinstimmenden Regeln seiner Würde, deren er sich selbst unwert gemacht hat, entsetzt.

III. Daß die Kinder von Klerikern, die Kirchenknechte sind, mit all ihrem Besitz Knechte der Kirche sind. Söhne lia der Mutter mit all

und Töchter von Klerikern aller Grade aus der famiKirche, ohne Rücksicht darauf, welche freie Frau ihre und wie diese mit dem Manne verbunden ist, sind ihrem Besitz, wie auch immer dieser erworben sein

mag, eigene Knechte der Kirche und können niemals aus dieser Knechtschaft entlassen werden.

IV. Daß den Kindern von Geistlichen, die Diener der Kir-

che sind, kein Richter die Freiheit verspreche.

Wer auch heit was

den Kindern von Klerikern, den Knechten der Kirche, wenn sie von einer freien Mutter abstammen, die Freirichterlich zuerkennt, sei verflucht, und ihn treffe das, er getan hat, als Urteil, weil er der Kirche nimmt, was

er ihr nicht gegeben hat.

V. Daß die Knechte der Kirche von keinem Freien etwas

empfangen dürfen.

Kein Knecht der Kirche, er sei Kleriker oder Laie, der unse-

rer und unserer Brüder Jurisdiktion untersteht, darf irgend etwas erwerben oder an sich bringen durch die Hand oder auf den Namen irgendeines Freien. Wer dagegen verstößt, werde unnachsichtig gepeitscht und dann so lange eingekerkert, bis die Kirche wieder im Besitz aller Urkunden ist.

}

Reformkonzil von Pavia

219

VI. Daß jeder, der Urkunden mit seiner Hand annimmt, der Kirche die Treue bewahrt. Jener elende Freie, der zum Teufelsdiener geworden ist, durch dessen diebische Hand ein Knecht der Kirche, was es

auch immer sei, an Eigentum erwirbt, soll der Kirche entweder völlige Genugtuung geben oder als Dieb und Heiligtumschänder verflucht sein.

VII. Daß kein Richter oder Notar Urkunden ausfertigen darf, die dann Knechte eines Freien erwerben.

der Kirche

durch die Hand

Der Richter oder Notar, der solche verbotenen Urkunden

ausfertigt und irgendwelche Dinge als von den Knechten der Kirche gekauften oder durch irgendeines Freien Freigebigkeit stammenden Besitz von Kirchenknechten gegen Geld zu betiteln wagt, werde mit dem Bann geschlagen.

Und auch bei dem Staate finde er keine Ehre, er, der die Kirche, die Mutter des Staates, nicht vor feindlichem Streit be-

wahrt hat. Wir nen den stus

aber wollen dieses Testament der Kirche Gottes als eivon Gott selbst gegebenen Wall gegen alle Übelwollendurch Gesetz unseres sehr geliebten Sohnes, des AuguH[einrich], bestätigen, bekräftigen und in die Reihe der

weltlichen Gesetze aufnehmen lassen, und unsere Bitte und

Hoffnung geht dahin, daß es überall in seinem ganzen Reiche Geltung erhalte, beachtet werde und öffentlich nach ihm geurteilt werde. Das wollen wir alle. So wird es nämlich mit

Gottes Willen ewig dauern, wenn das, was die Würde der

Kirche nicht gestattet, der Kraft des weltlichen Staates zukommt. Und dann können auch Brecher dieses Gesetzes nicht mehr leugnen, es zu kennen, weil es in allen Rechtsbüchern steht und allen im Munde liegt, und sie werden nicht ohne Strafe etwas wagen, was sie als durch die Kraft des Staates verworfen erkennen.

220

Reformkonzil von Pavia

Ich, B[enedictus], der Papst der ewigen Stadt, habe diesen

Synodalbeschluß unterschrieben.

/

habe unterschrieben.

|

Ich, A[ribertus], Erzbischof der heiligen Kirche zu Mailand, Ich, R[ainaldus], Bischof der Kirche zu Pavia, habe unter-

schrieben. Ich, A[lbericus], Bischof von Como, habe unterschrieben. Ich, L[andulfus], Bischof von Turin, habe unterschrieben.

|

Ich, P[etrus], Bischof von Tortona, habe unterschrieben. Ich, Leo, der katholische Bischof von Vercelli, habe unter-

schrieben.

Geschehen

zu Pavia, am

1. August, unter der Kaiserherr-

schaft des glorreichen Herrn Hf[einrich], des Augustus, niedergeschrieben durch die Hand des Bruders Leo, des Bischofs von Vercelli.

Erwiderung des Augustus Dir, o heiligster Papst B[enedictus], kann ich nichts abschla-

gen, dem ich durch Gott alles schulde, vor allem nicht dann,

wenn du Gerechtes erbittest, mit gerechten Brüdern Ehrenhaftes vorbringst und mich so zu gemeinsamer, heiliger Sorge aufrufst, daß ich wie der Mühe, so auch der Seligkeit Partner bin. Zu vielem Danke bin ich mit Recht deinem heiligen Episkopate verpflichtet, der die Kirche reinigt und einen Anfang macht, wachsam der Zuchtlosigkeit der Kleriker zu steuern, durch die alles Übel gleichsam wie ein Nordsturm sich über die Erde ergießt. Als dein Sohn lobe, bestätige und anerkenne ich alles, was deine Paternität zur

Rettung der Kirche synodalisch anordnet und an Reformen _ beschließt: Und ich verspreche, mit Gottes Hilfe diese Sätze unverletzlich halten zu wollen, auf daß alle dazu bereit seien. Und ich und die weltlichen Senatoren, die Diener und Freunde des Staates bekräftigen hiermit, daß all dies ewig so bleiben und in das weltliche Recht aufgenommen und in

| |

Reformkonzil von Pavia

221

die menschlichen Gesetze eingetragen werden soll, bei unserer Autorität, auf daß die Kirche siegreich durch Gottes Gnade lebe. Edikt des Kaisers I. Daß kein Kleriker eine Frau berühren dürfe. Kein Mensch,

welchen

kirchlichen Grad

er auch besitze,

darf eine Frau oder eine Konkubine haben oder mit ihr in einem Hause wohnen. Wer dagegen verstößt, wird unter Einhaltung des Gesetzes Kaiser Justinians der Kurie in der Stadt übergeben, deren Kleriker er ist. Er soll in elender Stellung in der Kurie verbleiben, er, den die Kirche nach

ihrem Gesetz absetzt und ausspeit.

II. Daß kein Bischof eine Frau haben oder mit einer Frau zusammenwohnen dürfe. Kein Bischof wohne mit einer Frau unter einem Dache, mit

keiner teile er sein Bett. Wer das tut, werde nach gültigem alten und neuen Recht der Kirche abgesetzt. Der Fall wird um so schwerer wiegen, je höher der Rang ist. III. Daß die Kinder von Klerikern, Knechten der Kirche, mit all ihrem Besitz Knechte ihrer Kirche sein sollen.

Kinder aller Kleriker und aller Kirchenknechte jeden Gra-

des, von allen Frauen, gleich wie sie ihnen verbunden sind, sollen Knechte ihrer Kirchen sein mit allem Besitz, den sie haben. Und weil sie Knechte sind und bleiben werden, kön-

nen sie niemals aus der Knechtschaft der Kirche gelangen.

Und alles, was sie durch die Hand oder durch Urkunden ir-

gendeines Freien erwerben, geben wir der Kirche als Eigentum zurück. Denn die Kirche kann mit Recht alles als Eigentum beanspruchen, was unter irgendeinem Vorwand ein Knecht der Kirche erwirbt; keiner gewinnt, wie die Nar-

ren glauben, durch Ehebruch die Freiheit, weil er den Leib entehrt und die Seele versklavt.

222

Reformkonzil von Pavia

IV. Daß niemand es wage, den Kindern von Klerikern, den . Kirchenknechten, die Freiheit zuzuerkennen. Wer von jetzt an das Urteil fällt, die seien frei, und wer zu N

ihren Gunsten gegen die Kirche einen Spruch abgibt und dieses Kapitel, das von der heiligen Kirche autorisiert ist, nicht als geltendes Recht anerkennt und nicht in seine Bücher einträgt und nicht entsprechend diesem Kapitel urteilt, daß Kinder von Klerikern aus dem Gesinde der Kirche eigene Knechte ihrer Kirche seien zu ewigem Nutzen, verliere sein Vermögen und werde für immer verbannt. Wer dieses Gesetz nicht für eine Grundlage der Rechtsprechung hält, der soll auch keine Hoffnung auf Heimkehr mehr haben.

_ _

_

_

Wir halten es nicht für verwunderlich, sondern für höchstes Recht, wenn ein solcher Richter sein Amt verliert und verbannt wird, den die Kirche, weil er Gott verloren hat, mit _ dem Blitze des Fluches trifft. Die Mütter aber, die im Ehebruch ihre Freiheit verkauft haben, sollen erst zum öffent-

lichen Beispiel ausgepeitscht und dann nach dem Urteil der | Kirche und nach unserem eigenen in die Verbannung geschickt werden, denn, wenn sie in der Gegend blieben, wäre

kaum oder gar nicht ein Ende des Übels abzusehen.

V. Daß die Knechte der Kirche aus der Hand eines freien Mannes nichts erwerben dürfen.

Knechten der Kirche, so wie unseren eigenen, steht es frei _

und soll es freistehen, etwas zu erwerben; aber niemals soll _ es ihnen erlaubt sein, aus der Hand eines freien Mannes ir-

gendwelche schriftlichen Dokumente zu erhalten. Wer dagegen verstößt, soll nach dem Gesetz der Kirche als eigener _ Mann gezüchtigt werden. Soweit das Urteil uns zukäme, |

würde er wie ein Ausreißer verbannt werden.

VI. Daß Richter und Notare keine Urkunden ausstellen } sollen, die unfreie Knechte der Kirche aus der Hand \ eines Freien erwerben können.

Wenn Richter und Notare, denen es obliegt, unser Interesse _ wahrzunehmen, von nun an noch Urkunden ausstellen, wie

|

Reformkonzil von Pavia

223

sie oben genannt sind, sollen sie es mit dem Verlust der rechten Hand büßen, die gegen die Kirche geschrieben hat. Wer nicht gutes Recht in der Pfalz sprechen will, büße dafür öffentlich als warnendes Beispiel vor Betrug mit der Hand. VII. Daß derjenige, aus dessen Hand ein Knecht der Kirche die Urkunde erhält, der Kirche völlig Genugtuung leisten müsse. Wenn es aber einen Gott und den Menschen verhaßten Mann geben sollte, aus dessen Hand ein Knecht der Kirche freilich wertlose und nichtssagende Urkunden erhält, dann

soll er, wenn diese Schriften, um alle Ursachen zu Streitigkeiten zu vermeiden, unter Eid der Kirche zurückerstattet

sind, der Kirche jede nur denkbare Genugtuung leisten, wie es angeordnet ist. Und ihn bedroht die Acht, den die Kirche, unsere Mutter und

Fluches getroffen hat.

Lehrerin,

mit dem

Schwerte

des

Unterschriften: Ich, Hfeinrich], von Gottes Gnaden Imperator Augustus, habe dieses ewige Gesetz auf den Rat des Herrn Papstes B[enedictus] und zahlreicher Bischöfe auf Gottes Geheiß erlassen, bestätigt und seine ewige Dauer beschlossen und

erfleht und erbeten, daß die Großen meines Reiches es be-

stätigen.

Ich, O, der Markgraf,

bin dabeigewesen und habe dieses

Gesetz, das der Welt sehr nötig ist und der Kirche die ihr gestohlenen Augen wiedergibt, bestätigt und gelobt. Ich, R, der Markgraf, bin dabeigewesen und habe das Ge-

setz gelobt. Ich, O, der Pfalzgraf, bin dabeigewesen und habe das Gesetz gelobt. D:

Lautemann. S. 236 f., 242-245.

O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Bd. 1. Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH Const. 1.) S. 71-78.

49 Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms

(1024/25)

Burchard, 1000-25 Bischof von Worms, hat zwei große Rechtsauf-

zeichnungen geschaffen. Die eine ist seine kirchenrechtliche Sammlung, das Dekret, das in grober Systematik wichtige Fragen der kirch-

lichen Hierarchie und Disziplin sowie das sakramentale Leben und das Bußwesen behandelt, um eine am bischöflichen Hof leicht be- 1

nutzbare Sammlung zu schaffen. Für unsere Kenntnis des Alltags und des Volksglaubens ist das 19. Buch von höchstem Interesse, in dem | Anweisungen für die Bußvorschriften zusammengestellt sind, die der _ Priester bei der Beichte auferlegen soll. Der Erfolg dieses Werks war gewaltig; noch heute sind 80 Handschriften des 11. und 12. Jahrhun- N derts aus Deutschland, Italien und Nordfrankreich erhalten. N Das 1023/25 verfaßte. Hofrecht, aus dem die folgenden Passagen stammen, besitzen wir dagegen nur in wenigen Textzeugen. Es gibt _ wichtige Auskünfte über die Rechts- und Sozialverhältnisse in einer | kirchlichen Grundherrschaft am Beginn des 11. Jahrhunderts. Rege- | lungen des Ehe- und Erbrechts, aber auch des Prozeßgangs waren nötig geworden, weil nach Burchard innerhalb eines Jahres im Be- _ reich der bischöflichen Grundherrschaft 35 unfreie Bauern der Blutrache oder dem Totschlag zum Opfer fielen.

Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit. Ich _ Burkhard, Bischof der Wormser Kirche, habe wegen der be- _ ständigen Klagen der Armen und der häufigen Übergriffe vieler Leute, die wie Hunde die Hausgenossenschaft von St. Peter zerfleischten, indem sie diesen andersartige Vorschriften auferlegten und gerade die Schwächeren mit ihren | Rechtssprüchen bedrückten, nun mit dem Rat der Geistlichkeit, der Ritter und der ganzen Hausgenossenschaft die _ folgenden Vorschriften aufzeichnen lassen, damit kein Vogt, Vitztum, Meier oder sonst ein anderer geschwätziger | Mensch unter ihnen irgendeine Neuerung bei der genann- _

Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms

225

ten Hausgenossenschaft einführen kann, vielmehr soll ein und’ dasselbe Gesetz — vor Augen sichtbar abgefaßt — den Reichen und den Armen, ja allen gemeinsam sein.

[...]

(3) Wenn jemand, der auf Unserem Herrenland Erbbesitz

hat, stirbt, soll sein Erbe den Erbbesitz ohne Abgabe erhal-

ten und danach den dafür gebührenden Dienst versehen. Be (6) Wenn jemand sein Gut oder Erbgut innerhalb der Hausgenossenschaft verkauft und einer seiner Erben anwesend ist und keinen Einspruch erhebt, oder wenn einer der Erben abwesend ist, später davon erfährt und innerhalb der Frist eines Jahres dazu schweigt, verliert er danach das Recht daran.

(41

(10) Es soll recht sein: Wenn aus der Hausgenossenschaft ein Mann und seine Ehefrau sterben und Sohn und Tochter hinterlassen, soll der Sohn die Erbschaft des Knechtlandes

erhalten, die Tochter aber die Kleidungsstücke der Mutter und das erarbeitete Geld erhalten, das übrige, was hinterlassen worden ist, sollen sie in allen Stücken gleichmäßig unter einander teilen.

[...]

(19) Sie hatten folgendes als Gewohnheit: Wenn jemand

einem anderen Geld geliehen hatte, konnte der Schuldner,

soviel er wollte, zurückgeben, und was er nicht geben wollte, unter Eid leugnen. Doch um Meineide auszuschließen, haben Wir bestimmt: Wenn jemand, der einem sein Geld geliehen hat, dessen Eid nicht dulden will, mag er gegen diesen im Zweikampf kämpfen und sich dadurch das verweigerte Geld besorgen, wenn er will. Wenn es sich aber dabei um einen so Würdigen handelt, daß er es ablehnt, we-

gen solch einer Sache zu kämpfen, mag er seinen Vertreter stellen.

(...]

(23) Es soll Gesetz der Hausgenossenschaft sein: Wenn jemand von ihnen in das Haus eines anderen mit bewaffneter

Hand eindringt und dessen Tochter mit Gewalt raubt, soll

er alle Kleidungsstücke, die sie trug, als sie geraubt wurde, jeweils dreifach ihrem Vater oder Vormund ersetzen, für

226

Hüofrecht des Bischofs Burchard von Worms

alle einzelnen Stücke aber dem Bischof die Bannbuße entrichten; schließlich soll er sie unter dreifacher Leistung der

Frevelbuße sowie mit der Bannbuße des Bischofs dem Vater zuführen, und weil er sie nach den Kanonischen Bestim-

mungen nicht zur Ehe erhalten kann, soll er deren freunden 12 Schilde und ebensoviel Lanzen sowie ein Pfennige zur Versöhnung zahlen. [...] (28) Gesetz soll es sein: Wenn jemand in der Stadt, um zu töten, sein Schwert zückt, den Bogen spannt und

Bluts-Pfund A einen einen.

Pfeil auf die Sehne legt, oder eine Lanze zum Stoß erhebt, soll er 60 Schilling Bußgeld entrichten. [...] q

(30) Wegen der Morde aber, die fast täglich in der Hausgenossenschaft von St. Peter wie bei wilden Tieren geschahen, _ weil häufig wegen einer Nichtigkeit oder in Trunkenheit oder aus Übermut einer wie wahnsinnig über den anderen so in Wut geriet, daß im Verlauf eines Jahres 35 Knechtevon St. Peter unschuldig von Knechten dieser Kirche umgebracht wurden und die Mörder sich dessen mehr gerühmt. und gebrüstet haben, als daß sie etwas Reue gezeigt hätten, — wegen dieses besonders großen Schadens für Unsere Kirche haben Wir daher mit dem Rat Unserer Getreuen folgende Änderung beschlossen: Wenn einer aus der Hausgenossenschaft seinen Mitgenossen ohne Notwehr (das heißt ohne folgende Not: wenn dieser ihn selbst töten wollte oder _ ein Räuber war und er diesen bei der Verteidigung von sich | und

seiner Habe

tötet), vielmehr

ohne

die vorgenannten

Umstände ermordet, verfügen Wir, ihm sollen Haut und Haar genommen werden, er soll mit einem dazu gefertigten. Eisen in beide Backen gebrannt werden, er soll Wergeld zahlen und mit den Verwandten des Ermordeten in der ge-

wohnten Weise Frieden schließen, und die Verwandten wer- _

den dazu verpflichtet, dies anzunehmen.

D: Weinrich. S. 91-103. ı O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Bd. 1. Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH Const. 1.)

S. 640-644.

ı

50

Erhebung Konrads II. zum deutschen König Nachdem in ottonischer Zeit seit Heinrich I. die Nachfolge im deutschen Königtum durch eine Mischung von Designation und bestätigender Wahl geregelt worden war, trat nach dem frühzeitigen Tode Ottos III. im Jahre 1002 zum ersten Mal die Notwendigkeit einer Wahl ein. Damals war der nächste Verwandte des verstorbenen Kaisers, Herzog Heinrich von Baiern, gewählt worden. Als auch dieser

Herrscher starb (13. 7. 1024), ohne Kinder zu hinterlassen, kam es erstaunlich rasch zu einer Versammlung in Kamba, wo auf Betreiben des Erzbischofs Aribo von Mainz Konrad der Ältere aus dem mittelrheinischen Adelsgeschlecht der Salier zum König erhoben wurde.

50.1 Wipo, Gesta Chuonradi Einige Jahre nach dem Tode des ersten salischen Kaisers Konrad II.,

nämlich zwischen 1040 und 1046, verfaßte der Hofkapellan Konrads II. und Heinrichs III., Wipo, eine Biographie Konrads II. Viele Ereignisse, von

denen

er berichtet, hat er selbst erlebt, auch die

Königswahl von 1024, Sein Werk ist für uns ein wichtiges Zeugnis für das Bild vom Königtum und vom Reich in der unmittelbaren Umgebung der ersten Salierkaiser.

Im Jahre 1024 nach der Fleischwerdung des Herrn, als es im Reiche wohl stand, als Kaiser Heinrich soeben nach langen Mühen die reife Frucht des Friedens einzubringen begann und nichts das Reich behelligte, da wurde er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte von einer leiblichen Krankheit heimgesucht, die sich steigerte, und am 13. Juli schied er aus diesem Leben. Seine Leiche wurde zur Bestattung aus Sachsen nach Bamberg überführt, wo er selbst in frommem Eifer und Bemühen ein mit allem kirchlichen Bedarf ausgestattetes Bistum errichtet hatte. Zu dessen Weihe hatte er den

228

Erhebung Konrads IT. zum deutschen König

apostolischen Herrn Benedikt geladen und, von ihm bevollmächtigt, die Urkunden zur Rechtssicherung des Ortes mit _ einem öffentlichen Gelübde bestätigt. | Nach des Kaisers Tode begann sich der gleichsam durch den] Verlust seines Vaters verwaiste Staat alsbald unsicher zu fühlen. Unruhe und Besorgnis ergriff alle, die es redlich meinten, die Schlimmen dagegen hofften auf Unordnung im Reiche. Aber die göttliche Vorsehung hatte die Anker der Kirche solchen Priestern und Staatsmännern anvertraut, | wie sie in dieser Zeit gebraucht wurden, um unser Vater- | land ohne Schiffbruch in den ruhigen Hafen zu bringen. _ Suchten doch nach dem kinderlosen Tode des Kaisers gerade die mächtigsten weltlichen Fürsten mehr mit Gewalt _ als mit Überlegung den ersten Platz einzunehmen, oder wenigstens irgendwie den nächstfolgenden. Dadurch kam Unfrieden fast über das ganze Reich, so daß es vielerorts Mord, Brand und Raub gegeben hätte, wären nicht erlauchte Männer gegen solche Übergriffe eingeschritten. Auch die Kaiserin Kunigunde trat nach Kräften für das

Reich ein, obwohl sie der Stütze des Gatten beraubt war, _

beraten von ihren Brüdern, Bischof Dietrich von Metz und Herzog

Heinrich von Baiern; mit klarblickender Einsicht

In einer Handschrift der Chronik Ekkehards von Aura (um 1125 entstanden) ist der erste Herrscher der salischen Dynastie,

Konrad II., mit dem Reichsapfel und auf dem

Thron sitzend _

dargestellt. In Medaillons erscheinen die Brustbilder Hein-

richs ITI., Heinrichs IV. mit Gemahlin (Bertha, hier fälschlich als Adelheid bezeichnet) und seinen beiden Söhnen Heinrich (V.)

und Konrad. Zweifellos soll mit dieser Darstellung die Einheit des Saliergeschlechts dargestellt und die Erinnerung an die Aufstände Konrads und Heinrichs gegen ihren Vater verwischt werden. ı

230

Erhebung Konrads IT. zum deutschen König

war sie zielbewußt bemüht, dem Reiche seine Festigkeit wiederzugeben.

[...]

Schließlich wurde ein Tag anberaumt, der Ort und ein allgemeiner Reichstag fand statt, wie ich Wissens vorher niemals erlebt habe. Was sich bei sammenkunft Bemerkenswertes ereignete, will züglich berichten.

vereinbart, ihn meines. dieser Zuich unver--

.

Das weite, ebene Gelände zwischen Mainz und Worms faßt

|

sehr große Menschenmengen; abgelegene Inseln verleihen ihm Sicherheit und Eignung für geheime Verhandlungen. Über seinen Namen und seine Lage genauer zu sprechen, _ überlasse ich den Topographen; zurück zu unserem Thema! _ Als sich alle Fürsten, gewissermaßen die Lebenskräfte des Reiches, versammelten, errichtete man Lager diesseits und jenseits des Rheines. Der scheidet Gallien und Germanien; aus Germanien fanden sich die Sachsen ein mit ihren slawi- _ schen Nachbarn, ferner die Ostfranken, Baiern und Schwa-

ben. Aus Gallien kamen Rheinfranken, Niederlothringer und Oberlothringer zusammen.

[...]

A

Von den vielen wurden nur wenige in Betracht gezogen, _ und von den wenigen nur zwei vorgeschlagen; schließlich erwogen die bedeutendsten Männer in höchster Verantwortung lange die letzte Entscheidung zwischen ihnen, bevor ein einmütiger Entscheid zustande kam. | Es handelte

sich um

zwei

Männer

mit Namen

Konrad,

deren einen man wegen seines höheren Alters den älteren _ Konrad nannte, der andere hieß Konrad der Jüngere; beide

waren hochedle Herren aus Deutschfranken, Söhne zweier _ Brüder, von denen einer den Namen Heinrich, der andere

den Namen Konrad trug. Die waren nach meiner Kenntnis _ ebenso Söhne Herzog Ottos von Franken wie zwei andere,

Bruno und Wilhelm, von denen Bruno als Papst auf dem Apostelstuhle der Römischen Kirche mit neuem Namen _

Gregor hieß; Wilhelm hat als Bischof die Straßburger Kirche gewaltig erhöht. Nun waren aber die beiden Konrade

Erhebung Konrads II. zum deutschen König

231

nicht nur von Vaters Seite her von so hohem Adel, wie ich

geschildert habe; nicht weniger erlaucht war das Geschlecht ihrer Mütter. Konrads des Jüngeren Mutter Mathilde stammte von einer Tochter König Konrads von Burgund ab. Des älteren Konrad Mutter Adelheid entstammte einem sehr vornehmen Geschlecht Oberlothringens. Diese Adelheid war eine Schwester der Grafen Gerhard und Adalbert, die ständig mit Königen und Herzögen stritten und schließlich selbst in der Angelegenheit ihres Verwandten, des Königs Konrad, nur schwer Ruhe gaben. Ihre Ahnen sollen dem alten Hause der Könige von Troja entstammen, die unter dem hl. Bekenner Remigius ihren Nacken unter das Joch des Glaubens beugten. Zwischen diesen beiden, dem älteren und dem jüngeren Konrad, konnte sich der übrige Adel lange nicht entscheiden. Zwar wünschten fast alle in geheimem Entschluß und erwartungsvoller Hoffnung den älteren Konrad wegen seiner charakterlichen Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit, aber des jüngeren Macht ließ sie geflissentlich ihre Ansicht verbergen, damit die beiden im Streben nach der hohen Würde nicht aneinander gerieten. Doch schließlich ergab es sich durch Gottes Fügung, daß sie selbst ein Abkommen trafen, das der bedenklichen Frage angemessen war; sollte die Mehrheit des Volkes einen von ihnen erwählen, dann werde ihm der andere unverzüglich den Platz räumen. [...] Der Erzbischof von Mainz, der als erster seine Stimme ab-

geben mußte, kürte und wählte auf die Frage des Volkes nach seinem Willen aus übervollem Herzen und mit klarer Stimme den älteren Konrad zu seinem Herrn und König, zum Lenker und Schützer des Reiches. Diesem Spruch schlossen sich die anderen Erzbischöfe und die übrigen Herren geistlicher Stände an, ohne zu zögern. Sogleich wandte sich der jüngere Konrad um, der eine Zeitlang mit den Lothringern verhandelt hatte, und erwählte ihn bereitwilligst zu seinem Herrn und König; der König ergriff

232

Erhebung Konrads IT. zum deutschen König

seine Hand und ließ ihn neben sich sitzen. Dann wiederholten alle aus den verschiedenen Königreichen einzeln immer wieder den gleichen Kürspruch. Das Volk rief Beifall, alle stimmten einmütig der Königswahl der Fürsten zu, alle wünschten den älteren Konrad. Dabei blieben sie, ihn setz-

ten sie ohne Zögern über alle Machthaber, ihn hielten sie für den der Königsmacht Würdigsten und forderten unverzüglich seine Weihe. Gern übergab ihm die schon genannte Kaiserin Kunigunde die königlichen Insignien, die ihr Kaiser Heinrich hinterlassen hatte, und bevollmächtigte ihn dadurch zur Herrschaft, soweit ihr Geschlecht das vermag. Ich meine wohl: Dieser Wahl fehlte die Gunst der himmlischen Gnade

nicht, denn unter Männern

Macht und so vielen Herzögen

von außerordentlicher

und Markgrafen wurde

ohne Neid und Streit einer erwählt, der wohl an Geburt,

_

Tüchtigkeit und Eigengut niemandem unterlegen war, vom | Reiche aber im Vergleich mit solchen Männern wenig Lehen und Amtsgewalt besaß. Trotzdem reisten der Erzbischof von Köln und Herzog Friedrich mit einigen anderen Lothringern, angeblich des | jüngeren Konrad wegen, unversöhnt ab; sie trieb des Friedens Feind, der Teufel. Bis auf diejenigen, die unser gemeinsames Los, der Tod, vorher hinwegnahm, kehrten sie frei-

lich bald in die Huld des Königs zurück und nahmen seine Weisungen bereitwillig. entgegen. [...] ; Nach Abschluß der Wahlhandlung hatten es alle eilig, den _ König in hoher Freude nach Mainz zu geleiten zum Empfang der hochheiligen Salbung. [...] Von der Königshuldigung zu berichten, halte ich nicht für notwendig, denn ständiger Brauch zeigt, daß alle Bischöfe, Herzöge und sonstigen Fürsten, Bannerherren und Mini- | sterialen, ja sogar alle Freien von Bedeutung den Königen einen Eid leisten. Ihm jedoch unterstellten sich durch ihren Schwur alle noch ehrlicher und freiwilliger. Ebenso brauchen wir nicht lange bei der Hofordnung zu verweilen, wen

Erhebung Konrads II. zum deutschen König

233

der König als Majordomus einsetzte, wen er zu Kämme-

rern, Truchsessen, Mundschenken und anderen Ämtern ernannte; ich kann kurz feststellen, soviel ich weiß und gele-

sen habe: unter keinem seiner Vorgänger waren diese Ämter besser und würdiger besetzt. Hierfür war die Klugheit des Bischofs Bruno von Augsburg, des Bischofs Werner von Straßburg Rat, aber auch der des Ritters Werner von großer Bedeutung, dessen vorsichtige Empfehlungen und dessen Tapferkeit im Kampfe der König schon lange vorher oftmals schätzen gelernt hatte. Doch sie alle übertraf an klugem Rate des Königs geliebte Gemahlin Gisela. Ihr Vater war Herzog Hermann von Schwaben, ihre Mutter Gerberga, eine Tochter des Königs Konrad von Burgund, dessen Ahnen aus dem Geschlechte Karls des Großen hervorgegangen waren. [...] Trotz ihres hohen Adels und ihrer erlesenen Schönheit war sie frei von jeder Überheblichkeit. Ehrfürchtig diente sie Gott, stetig, und zwar so unauffällig wie möglich, blieb sie

in Gebet und Almosengeben nach dem Worte des Evangeliums: »Zeigt eure Gerechtigkeit nicht vor den Menschen!« Sie war sehr freigebig und von großer Gewandtheit, strebte nach Ehren statt nach eitlem Lob, hielt auf Zucht, widmete sich weiblichem Tun, verschwendete nichts unnütz, spen-

dete für wertvolle und förderliche Dinge sehr freigebig, besaß reiche Eigengüter und wußte die hohe Würde ihres Amtes recht zu tragen. Mißgunst gewisser Leute, die ja oft wie Rauch von unten die Höhe umwölkt, verzögerte ihre Weihe um einige Tage. Es steht übrigens auch heute noch nicht fest, ob sie diese Anfeindung berechtigt oder unberechtigt traf. Doch der tüchtige Mann setzte sich mit seiner Frau durch; mit Einwilligung und auf Verlangen der Fürsten empfing sie die Weihe und stand dem Könige als unentbehrliche Gefährtin zur Seite. — Soviel wenigstens mußte ich über die Königin berichten zwischen des Königs Taten. Jetzt kehre ich zu diesen zurück.

234 D:

Erhebung Konrads IT. zum deutschen König Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches. Neu übertr. von Werner Trillmich. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1961. 7 (FSGA 11.) S. 531/533, 537-541, 545/547, 551/553.

|

O: Die Werke Wipos. Hrsg. von Harry Bresslau. Hannover/Leip- | zig 1915. (MGH SS rer. Germ. 61.) S. 8-26 (Kap. 1-4).

50.2 Radulf Glaber, Historiae Ganz anders geartet als Wipos am Königshof entstandenes Werk | sind die »Geschichten« des burgundischen Mönchs Radulf Glaber, die zwischen 1033 und 1045 zeitgenössisch verfaßt wurden. Radulf _

stand der Klosterreform des beginnenden 11. Jahrhunderts nahe, _ und er hat zahlreiche Episoden in sein Werk aufgenommen, | die auf die Mentalität seiner Zeit ein interessantes Licht werfen können. j

Der sehr fromme Kaiser Heinrich starb ohne Nachkom- _ menschaft, welche ihm hätte in der Regierung folgen können, deshalb versuchten einige der Großen, diese an sich zu bringen; mehr bestrebt, durch die Krone des Reichs zu,

glänzen, als den Nutzen des Staates und das Maß der Gerechtigkeit zu üben. Allen voran ein gewisser Konrad, den wir schon oben beurteilten, kühn

im Gemüt

und

außer-

ordentlich an Kraft, aber im Glauben nicht sonderlich fest. Als nämlich lang und breit über eine Neuwahl verhandelt

war, zumal unter der hohen Geistlichkeit, da schien es ihnen geraten, man müsse eben Konrad erwählen, nur daß ihm

eins im Wege stand, weswegen er auch Heinrich sehr ver-

haßt war. Er hatte nämlich eine Gemahlin, welche ihm verwandt war und vorher schon mit einem Verwandten von

ihm in der Ehe gelebt hatte. Deswegen eröffneten ihm die

Bischöfe, was er lieber wolle, entweder an dieser Ehe fest-

halten, was

ganz offen dem

Kirchengesetz

widerstreite,

oder seine Frau entlassen und die Krone des Kaiserreiches

” nehmen. Konrad versprach alsbald, die unzüchtige Verbin--

Erhebung Konrads IT. zum deutschen König

235

dung zu lösen, ihren Worten aufmerksam nachzukommen und ihren Ratschlägen zu gehorchen. Dann aber schickten sie an den römischen Papst, daß er ihnen in ihrer Beschlußfassung zustimme. Derselbe erklärte sogleich bereitwilligst seine Einwilligung und verlangte überdies, daß Konrad alsbald nach Empfang des deutschen Szepters nach Rom käme, um die Krone des ganzen Italien zu übernehmen. Unterdessen erlangte Konrad die Regierung des Reiches und zog nach Italien, seine Gemahlin im Gefolge, von der wir sagten, daß er sie in unerlaubter Ehe genommen hatte. Sofort am Abstieg der Alpen, den wir Curia Gallorum, obgleich unrichtig, nennen, in der Stadt Como, empfing ihn der Papst mit großem Gepränge, wie er vorher versprochen hatte. Damals gab es gewisse italienische Markgrafen, welche Konrad nicht anerkennen wollten; das ist nämlich so ihre Art beim Ableben der Kaiser, wie wir schon auseinandersetzten. Auch die Pavesen, hochfahrender als die übrigen, zerstörten bis zum Grunde die königliche Pfalz, wel-

che mit großem Kostenaufwand ihrer Stadt erbaut war.‘ Als aber Konrad das hörte, da brach er wütend über sie herein, eroberte zuerst die Stadt Ivrea, dann unterwarf er die ande-

ren mit allen Burgen seiner Herrschaft. So kam er nach Rom und empfing der Sitte gemäß die Kaiserkrone. Als ihn die Bischöfe aufforderten, er solle unter der Autorität des

römischen Oberpriesters die Auflösung seines unerlaubten

Ehebundes vornehmen, da nahm er es übel auf und sagte, er

sei zum Kaiser gemacht und dürfe auf keine Weise der Gattin beraubt werden. Und wie er sie unpassend genommen hatte, so behielt er sie. D:

Übers.: W. H.

O: Rodulfi Glabri Historiarum libri V. Hrsg. von John France. Oxford 1989. S. 170/172 (Buch 4, Kap. 1).

1 Siehe Nr. 51.

51

Anfänge einer »transpersonalen« Reichsanschauung Als Geschichtsschreiber der ersten salischen Könige befaßte sich Wipo mit dem Problem, ob die Königsherrschaft auch über den Tod _ eines einzelnen Königs und über das Ende einer Dynastie hinaus Bestand habe. Am Vorgehen der Einwohner von Pavia nach dem Tode Kaiser Heinrichs II. (1024) und an ihrer Rechtfertigung vor

dem Hoftag in Konstanz 1025 macht Wipo deutlich, daß er dem

Reich

eine

über

die

Lebenszeit

des

einzelnen

Königs

hinaus-

|

chen Stadtherrschaft befreien wollten, so können doch aus der von

-

reichende Dauer zugestanden haben möchte (Gesta Chuonradi, | Kap. 7). Wenn auch das Handeln der Pavesen von Wipo kaum zutreffend erfaßt wurde, weil sie sich in erster Linie von der königli- |

ihm berichteten Szene wichtige Aufschlüsse über die Herrschaftsanschauung der frühen Salier gewonnen werden.

Im ersten Jahre seines Königtums feierte Konrad den heiligen Pfingsttag in der Stadt Konstanz. Hier fand sich Erzbischof Aribert von Mailand mit anderen italienischen Fürsten beim König ein, leistete ihm Mannschaft und gelobte ihm eidlich und unter Geiselstellung, er selbst werde ihn aufnehmen, mit allen den Seinen offen zum Herrn und König erwählen und sogleich krönen, sobald er mit seinem

|

| | | _ |

Heere komme, um Italien in Besitz zu nehmen. Ebenso ta- |

ten auch die anderen Lombarden mit Ausnahme der Tessi- | ner, die auch Paveser heißen; deren Gesandte waren trotz |

einer Kränkung des Königs durch die Bürger mit Geschenken und Fürsprechern zu einem Sühneversuch erschienen, konnten freilich beim Könige gar nichts von ihrer Absicht _ verwirklichen. Ich will die Ursache dieser Kränkung kurz schildern. In der Stadt Pavia hatte die einst von König Theoderich herrlich erbaute Pfalz gestanden, die später Kaiser Otto III. prächtig ausschmückte. Als nun der Tod |

Anfänge einer »transpersonalen« Reichsanschauung

237

von König Konrads Vorgänger Kaiser Heinrich bekannt wurde, stürzten die Paveser sogleich unbedacht zu der friedlichen Hofburg, pflegen doch die Menschen bei einer neuen Wendung immer überstürzt zu handeln, rissen mit frechem Beginnen die Mauern der Königspfalz nieder und zerstörten den Palast vollständig bis auf die letzten Grundmauern, damit in Zukunft kein König mehr auf den Gedanken kommen könne, in ihrer Stadt eine Pfalz zu errichten.

Dieser Übergriff verursachte einen langen, schweren Streit zwischen dem König und Pavia. Die Paveser erklärten: »Wen haben wir denn gekränkt? Unserem Kaiser haben wir treu und ergeben bis an sein Lebensende gedient. Wir haben das Haus unseres Königs zerstört, als wir nach seinem Tode

keinen König hatten; deshalb kann man uns rechtlich nicht belangen.« Der König dagegen erwiderte: »Ich weiß, daß ihr nicht eures Königs Haus zerstört habt, denn damals hattet ihr ja keinen. Aber ihr könnt nicht leugnen, daß ihr einen Königspalast zerstört habt. Ist der König tot, so bleibt doch das Reich bestehen, ebenso wie ein Schiff bleibt, des-

sen Steuermann gefallen ist. Es handelte sich um staatliche, nicht um private Baulichkeiten. Sie unterstanden fremder Hoheit, nicht der euren. Wer sich aber an fremdem Eigen vergreift, ist dem König straffällig. Da ihr euch nun an fremdem Eigen vergriffen habt, seid ihr dem Könige straffällig.« Auf diesen Standpunkt entgegneten die Gesandten lange und eindringlich, mußten jedoch ihren vergeblichen Sühneversuch aufgeben und heimkehren. Die anderen Italiener aber zeichnete der König durch reiche Gaben aus und entließ sie in Frieden. Nachdem dann der König seine Herrschaft in Schwaben gesichert hatte, zog er weiter nach der Burg Zürich, wo er die Huldigung einiger Italiener entgegennahm, die nicht nach Konstanz gekommen waren. Von hier reiste er wenige Tage später nach der Stadt Basel.

238

Awuseinandersetzung Konrads IT. mit Heinrich III.

D: Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches. Neu übertr. von Werner _ Trillmich. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1961. (FSGA.11.) 5. 559/561. O: Die Werke Wipos. Hrsg. von Harry Bresslau. Hannover/Leipzig 1915. (MGH SS rer. Germ. 61.) S. 29 f.

52

Auseinandersetzung Konrads II. mit seinem Sohn Heinrich III. Als der Kaiser 1035 gegen Herzog Adalbero von Kärnten den Vorwurf erhob, Hochverrat begangen zu haben, stellte sich der Thronfolger, Heinrich III., vor der Fürstenversammlung auf die Seite des Herzogs, dem er in einem Eid versprochen hatte, ihn nicht in seinen Besitzungen zu schädigen. Der Kaiser zwang aber seinen Sohn zum Nachgeben, indem er sich vor ihm demütigte.

Der Bericht eines Wormser Klerikers über diese Vorgänge läßt uns einen Einblick in die Entscheidungsprozesse des frühsalischen Königtums gewinnen, wie er sonst nicht möglich ist. Es zeigt sich, daß auch ein nach außen so mächtiger und machtbewußter Herrscher wie Konrad II. alle Register der Emotion und der Symbolhandlungen bedienen mußte, um seine Vorstellungen durchzusetzen. Es gelang dem Kaiser jedenfalls, dem Herzog Adalbero aus der heimlichen Absprache mit dem jungen König Heinrich III. einen Strick zu drehen: er hatte mit dem von Heinrich erschlichenen Eid den Kaiser hintergangen; deshalb wurde Adalbero von einem Fürstengericht abgesetzt. Der Wormser Kleriker beschreibt in seinem Bericht allerdings nur die äußeren Vorgänge; über die Hintergründe der Angelegenheit war er offensichtlich nicht informiert. Um so eher haben wir hier ein von Interessen unbeeinflußtes Zeugnis vorliegen. Der Brief ist in einer Sammlung von Briefen aus den dreißiger Jahren des 11. Jahrhunderts enthalten, die in Worms um 1050 für den Schulunterricht

zusammengestellt wurde.

;

Auseinandersetzung Konrads IT. mit Heinrich III.

Dem

äußerst

meinde Worms,

würdigen

Vater

der” geliebten

239

Tochterge-

seinem Herrn Bischof A., schickt der ge-

ringe und unnütze G. den Taglohn des höchsten Vaters. Ich wollte lieber die Ohren meines Herrn immer mit günstigen Nachrichten erfreuen, als mit einer mißlichen Meldung den Gesalbten des Herrn zu beunruhigen, was

sich nicht ziemt. Aber da ich mich erinnere, daß Ihr mir

schon längst befohlen habt, daß ich Euch nichts von dem verbergen soll, was mir irgendwo bekannt wird, weiß ich genau, daß ich Eurem Befehl und Willen in dieser Sache gehorchen muß. Seit letzten Sonntag bis jetzt halten sich die Fürsten des Reiches,

nämlich

H.

Erzbischof

von

Köln,

B. Bischof

von

Würzburg mit mehreren anderen in Mainz auf, um eine Vielzahl von Problemen zu beraten, zu behandeln und zu

bereden. Weil wir Euch über den Hauptinhalt dieser Versammlung nichts Sicheres mitteilen können, haben wir uns bemüht, einiges, was wir von den Boten ermitteln konnten,

Euch zu schreiben. Der erhabene Herr Kaiser soll wegen einer seit langem bestehenden Abneigung gegen den Herzog und Markgrafen A. [Adalbero von Kärnten] sehr aufgebracht sein. Und zwar so, daß er die Fürsten, nämlich die Markgrafen E. und A. sowie die übrigen Fürsten, die damals

dort

anwesend

waren,

zu sich rief, damit

sie A.

durch Urteilsspruch sein Herzogtum und seine Mark aberkennen sollten. Aber sie antworteten, nachdem sie einen

Entschluß gefaßt hatten, daß das nur in Gegenwart und durch Urteil seines Sohnes, des Königs Heinrich, geschehen dürfe. Der wurde gerufen. Der Kaiser legte das ihm angetane Unrecht dar und forderte seinen Sohn auf, A. auf jede

Weise

zu verfolgen,

damit

er selbst erkenne, daß

er ihn

liebe, und zugleich, daß er dem A. das Herzogtum aberkennen müsse durch Urteilsspruch, obwohl A. immer wieder

darauf hinwies, er wisse, daß der König ihm zugetan sei. Er

sprach und bat. Der Herr König H. aber, auch wenn er dem Vater in allem gehorchen wollte und mußte, erinnerte sich

240

©Awuseinandersetzung Konrads IT. mit Heinrich III.

dennoch eines Vertrags, den er mit A. geschlossen hatte, _ und versicherte standhaft, als der Vater ihn fragte, daß er weder ausführen könne noch dürfe, worum ihn der Vater

bat. Als sie lange darüber verhandelt hatten — der Vater hatte sich immer auf Ermahnungen, Drohungen, Bitten und

Ermunterungen aller Art verlegt, der Sohn dagegen wies alles trotzig ab und änderte nichts an seinem vorhergegangenen Urteil —-, brach der Kaiser endlich, durch die unheilbare Wunde dieses Schmerzes getroffen, als er sah, daß der Sohn

sich so seinem Willen verweigerte, vor aller Augen gänzlich sprachunfähig zusammen. Er sprach nichts, sah nichts, und

es schien, als erkenne er keinen der Anwesenden. Und so in

geistiger Umnachtung wurde er auf ein Bett gelegt. Nach beträchtlicher Zeit kam er wieder zu sich und ließ wiederum seinen Sohn und die Fürsten zu sich rufen. Als sie alle ver-

sammelt waren, warf er sich seinem Sohn zu Füßen auf den Boden [...] und beschwor ihn inständig unter Tränen, daß er geruhen solle, sich seines Vaters zu erinnern, daß er nicht

den Feinden den Spott vermehren, dem Reich und sich Schande bereiten solle, weil er mit dem Vater nicht überein-

stimme, daß er durch die Uneinigkeit nicht ein Absalom

werden

solle,

während

er wie

Salomon

friedlich

leben

könne. Endlich kam der Sohn durch die frommen Tränen

des Vaters wieder zur Besinnung, [...] eröffnete dem Vater den Eid, den er A. geleistet hatte, und berichtete, daß der

Betreiber dieses Eides Bischof E. [Egilbert von Freising] gewesen sei. Als der Kaiser heftig erzürnt den Bischof E. fragte, ob dies so sei, verhehlte jener nichts und leugnete _ nicht, sondern erwähnte, daß er es deswegen gemacht habe, um A. dem König treu zu machen. Er sagte, der Eid habe nichts anderes zum Inhalt, was er nicht auch ohne Eid einhalten müsse, nämlich, daß er ihm nicht an seinen Gütern schade, es sei denn, er hätte sie durch Urteilsspruch verlo-

ren. So unterwiesen, war der Kaiser aufs heftigste gegen den _ Bischof aufgebracht und befahl ihm unter unpassenden und vielfältigen Scheltworten, unter großer Scham und Schande

_

Friedenspredigten Heinrichs III.

241

die Schwelle zu überschreiten und die Kammer zu verlassen. Danach kehrte er zum Urteilsspruch zurück, und A. wurden Herzogtum und Mark aberkannt. Deshalb heißt es, A. wolle sich im Vertrauen auf Kroaten

und Ungarn dem königlichen Machtspruch widersetzen. Aus Furcht vor dieser Möglichkeit werden die Baiern zu Hause von dem angesetzten Feldzug Abstand nehmen. Die Mark des A. soll einem gewissen A. v. L., das Herzogtum aber bis jetzt keinem übertragen worden sein. Um es zu erlangen, bricht der Herr C. in dieser Woche zum Königshof auf. D: Übers.: W.H. O: Die ältere Wormser Briefsammlung. Hrsg. von Walter Bulst. Weimar 1949. (MGH

Briefe 3.) S. 50-52.

53

Friedenspredigten Heinrichs III. Im Oktober 1043, wenige Wochen nach einem Sieg über die Ungarn, trat Heinrich III. an den Altar des Münsters in Konstanz und ermahnte in einer Predigt das Volk zum Frieden, gewährte allen seinen Gegnern Verzeihung und forderte die Zuhörer auf, seinem Beispiel zu folgen. Im selben Jahr benutzte der König seinen Weihnachtsaufenthalt in Trier dazu, anzuordnen, daß alle Bewohner des Reiches

einander ihre Vergehen vergeben sollten. Im Juli 1044, nach dem Sieg bei Menf6 über die Ungarn, kniete der König barfuß und im härenen Gewand vor der Kreuzreliquie nieder und gewährte seinen Gegnern »in gewohnter Weise« Verzeihung; alle Anwesenden sollen sich dem angeschlossen haben. Auch anläßlich der Kaiserkrönung Weihnachten 1046 kam es zu einem solchen Versöhnungsakt. Wenn in dem Brief Bernos von Reichenau (53.2) davon die Rede ist, daß

Sühneverträge (»foedera pacis«) den Kern dieser königlichen Frie-

denspolitik bildeten, so wird deutlich, daß das Vorbild der Gottes-

242

Friedenspredigten Heinrichs III.

friedensbewegung, die im Süden Frankreichs und in Burgund gerade in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts Scharen von Anhängern

mobilisierte, für Heinrich III. bestimmend war. Aber in Deutschland war es der König, der, gestützt auf seine Autorität, durch diese

Mahnpredigten das christliche Gebot der Versöhnung in die politische Wirklichkeit umzusetzen versuchte. Die Mitteilungen über die Geschehnisse des Jahres 1043 sind der Weltchronik des bedeutenden Reichenauer Mönchs Hermann (1013-54) entnommen, der trotz seiner schweren Behinderung (da- _ her sein Beiname »der Lahme«), die ihn von der persönlichen Teilnahme an den großen Ereignissen seiner Zeit abhielt, eine reichs-

weite Perspektive mit einer großen Zahl nur von ihm berichteter Nachrichten bietet. 4

Bern von Reichenau (gest. 1048) war seit 1008 Abt des Inselklosters _

und stand mit Heinrich III. in enger Verbindung. Der hier abgedruckte Brief gehört in das Jahr 1044 oder 1045. |

53.1

Chronik Hermanns von Reichenau

1043 Kaiserin Gisela starb in Goslar am 14. Februar an der Ruhr, obgleich sie von Wahrsagern, die ihr manchmal _

Wahres vorhersagten, zu dem Glauben gebracht worden

war, sie werde ihren Sohn, den König, überleben; sie wurde |

zu Speier neben ihrem Gemahl, dem Kaiser, begraben. Ein regnerischer Sommer verursachte Mangel an Früchten und Wein. - König Heinrich zog erneut nach Ungarn; er empfing von Ovo, der mit Mühe einen Vertrag erlangte, Genug- | tuung, Geiseln, Geschenke und den Teil des Reichs bis zum _ Fluß Leitha und zog darauf ab. Von dort kam er nach Alamannien und vergab auf der Synode von Konstanz allen, die gegen ihn gefehlt hatten, zuerst selbst alle Schuld. Dann söhnte er durch Bitten und Ermahnungen alle anwesenden Schwaben, nachdem sie einander Schuld und Feindschaften vergeben hatten, gegenseitig aus, in dem eifrigen Bemühen, _ daß dasselbe nachher in den andern Ländern seines Reiches geschehe, und schuf so einen seit vielen Jahrhunderten uner-

Friedenspredigten Heinrichs III.

243

hörten Frieden und bekräftigte ihn durch ein Edikt. Darauf empfing er seine Braut Agnes, die Tochter Wilhelms von Poitou, ließ sie zu Mainz zur Königin salben und feierte das königliche Beilager zu Ingelheim; dabei gab er allen ein nützliches Beispiel, indem er die eitle Gunst der Spielleute nichts achtete und sie mit leeren Händen traurig entließ. Dort wurde auch Liutpald, der Sohn des Markgrafen Adalbert, ein junger Mann von großer Tüchtigkeit und Frömmigkeit, vom König selbst zum Markgrafen erhoben, starb aber nach wenigen Tagen und wurde von seinem Vatersbruder Erzbischof Poppo in Trier begraben. D: Quellen des 9. und 10. Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches. Bearb. von Rudolf Buchner. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1961. (FSGA

11.) 5.677.

O: Annales et chronica aevi Salici. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1844. (MGH

SS 5.) S. 124.

53.2 Brief Bernos von Reichenau an Heinrich III. Meinem Herrn, dem unbesiegbarsten der Könige, dem frie-

denstiftenden Heinrich, dem höchst ruhmreichen Vorkämp-

fer des rechten Glaubens, [überreicht] Bern, wenn auch der

niedrigste, was die Beschaffenheit aller seiner Verdienste angeht, ein Geschenk seines ergebenen Dienstes und beständigen Gebets. Wieviel die Kenntnis des göttlichen Gesetzes im Zuspruch Eures Mundes vermag, beweist tatsächlich die Wirklichkeit zur Genüge. Der Geist des Herrn, der die Welt angefüllt hat, hat Euren Mund angefüllt, daß Ihr jenen Frieden Eurem Volk predigt, den bei der Geburt Christi die Engel der Welt verkündet haben. Wie er nämlich, als er im Begriff war,

im Fleisch zu kommen, den Frieden vorausgeschickt hat, so hat er, als er im Begriff war, in den Himmel aufzufah-

244

Friedenspredigten Heinrichs III.

ren, denselben Frieden hinterlassen, indem er sprach: »Meinen Frieden hinterlasse ich Euch, meinen Frieden gebe ich Euch!« Und als er seine Prediger in die Welt schickte, trug er ihnen auf: »In jedem Haus, in das Ihr tretet, sollt Ihr als erstes sagen: Friede diesem Haus. Und wenn dort ein Sohn

des Friedens ist, ruht über ihm Euer Friede.« Ihr seid wahr-

haftig ein Sohn des Friedens, und deshalb ruht der Friede, den die Wahrheit durch die Apostel schickte, in Eurem Herzen, so daß passend über Euch gesagt werden könnte: »In der Wohnung Eurer Seele sind sich Barmherzigkeit und Wahrheit begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküßt.« Die Barmherzigkeit der neuen Gnade und die Wahrheit der Achtung vor dem Gesetz haben, indem sie sich begegneten, ihre Gebote in Euch verstärkt, Gerechtigkeit und der Friede brüderlicher Liebe haben sich Küsse gespendet, indem sie in Eurem gesamten Reich so große Bündnisse der Eintracht schlossen, wie sie in allen zurückliegenden Jahrhunderten unerhört waren. Daher gibt es keine Spuren irgendeiner Zwietracht, nirgends Machenschaften des Betrugs, der Diebstahl ging weg, Frevel hörten auf; befriedet ist alles, so daß gemäß den Versprechungen des Herrn die Feinde des Menschen seine Hausgenossen sind. *_D: Übers.: W.H. } O: Die Briefe des Abtes Bern von Reichenau. Hrsg. von FranzJosef Schmale. Stuttgart 1961. S. 57.

54

Italienzug und Absetzung von drei Päpsten (Sutri und Rom 1046)

Als Heinrich III. im Jahre 1046 nach Italien zog, um die Kaiserkrone zu erlangen, schien es unsicher, wer als rechtmäßiger Papst zu gelten habe. Der aus dem Geschlecht der Grafen von Tusculum stammende Benedikt IX. war durch den von der rivalisierenden Adelsfamilie der Crescentier erhobenen Silvester III. vertrieben worden. Benedikt IX. konnte sich aber gegen den Rivalen durchsetzen; dennoch hatte er im Mai 1045 zugunsten Gregors VI. auf seine Würde verzichtet. Dieser wurde beschuldigt, er sei durch Zahlung einer Geldsumme in sein Amt gekommen; das war ein schwerer Vorwurf in einer Zeit, als

die erstarkende Bewegung für die Reform der Kirche gerade gegen die Simonie, den Erwerb geistlicher Ämter gegen Geld, ihren Angriff richtete. Heinrich III. scheint am Anfang seines Italienaufenthalts noch von der Rechtmäßigkeit Gregors VI. überzeugt gewesen zu sein; im weiteren Verlauf dieses Jahres wurden aber auf zwei Synoden in Sutri und in Rom Gregor VI., Silvester III. und Benedikt IX. abgesetzt. An ihrer Stelle wurde ein deutscher Bischof, Suidger von Bamberg, zum Papst erhoben, der den Namen Cle-

mens II. annahm. Nach der Kaiserkrönung (Weihnachten 1046) be-

riefen Kaiser und Papst gemeinsam eine Reformsynode nach Rom (Januar 1047), auf der jede Form von Simonie verboten wurde.

54.1 Weltchronik Frutolfs von Michelsberg Der Mönch Frutolf von Michelsberg (gest. 1103) verfaßte eine Weltchronik, die von der Schöpfung bis zum Jahr 1099 reicht. Er gibt eine nüchtern distanzierte Darstellung der Ereignisse und enthält sich einer Wertung.

Im Jahr des Herrn 1046 König Heinrich zog nach Italien und wurde von den Römern friedlich aufgenommen; auf einer Synode setzte er drei Päpste ab, die in unwürdiger

246

talienzug und Absetzung von drei Päpsten

Weise zu ihrem Amt gekommen waren, und setzte Suidger, den zweiten Bischof der Bamberger Kirche, zum Papst ein; von diesem wurden er selbst und seine Gemahlin Agnes am. Fest der Geburt des Herrn durch die Kaiserweihe erhöht. Die Kaiserin Agnes kehrte von dort zurück und gebar in Ravenna eine Tochter, der Kaiser aber führte das Heer

glückhaft durch Apulien und zahlreiche andere Länder und kehrte mit großer Ehre heim. Papst Suidger verstarb am 10. Oktober; an seiner Stelle wurde Poppo, der Patriarc von Aquileja, eingesetzt. ) D: Frutolfs und Ekkehards Chroniken und die anonyme Kaiserchronik. Übers. von Franz-Josef Schmale und Irene SchmaleOtt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972, (FSGA 15.) 5. 65. A O: Ebd. S. 64.

54.2 Bonizo von Sutri, Liber ad amicum Bonizo von Sutri war ein überzeugter Anhänger Gregors VII. Seit 1078 Bischof von Sutri, wurde er durch Urban II. nach Piacenza ver-

setzt. Dort wurde er 1089 während eines Aufstands geblendet und verstümmelt. Er verfaßte u.a. eine Darstellung der Kirchengeschichte, die durch einen radikal-reformerischen Standpunkt geprägt

ist. Aus diesem Werk (Liber ad amicum) stammt der folgende Auszug (Buch 5). ]

Und so stieg er [Johannes Gratianus] zur päpstlichen Würde auf; sie nannten ihn mit verändertem Namen Gregor [VI. Danach wählte sich Gerhard von Saxo mit anderen Ade führern einen Bischof der Sabiner zum Papst, den sie mit verändertem Namen Silvester nannten. 8 Als der Patrizius Gregor und sein Bruder Petrus dies h ten, erhoben sie Theophylakt

[Benedikt IX.], der um

d

Hoffnung auf eine Gattin betrogen worden war, wieder zu päpstlichen Würden. |

Italienzug und Absetzung von drei Päpsten

247

L...] In einer so mächtigen Umwälzung der Dinge rief Gott den Geist eines gewissen Archidiakons Petrus auf den Plan; dieser rief die Bischöfe, Kardinäle, Kleriker und Mönche, Männer und Frauen zusammen, die von der Furcht Gottes

erfüllt waren, und er zog sich von der Gemeinschaft mit den erwähnten Eindringlingen [Gregor und Silvester] zurück, und vom Eifer für Gott geführt überschritt er, wie einst jener hebräische Priester Onias, die Alpen und suchte den König [Heinrich II1.] auf, nicht wegen einer Anklage, sondern zugunsten des gemeinen Nutzens der Kirche, und warf sich ihm zu Füßen und beschwor ihn immer wieder weinend, seiner verlassenen Mutter [der Kirche von Rom]

schleunigst zu Hilfe zu kommen. Er rief die Bischöfe, die damals anwesend waren, zusammen und befahl ihnen, mit

dem König nach Rom zu ziehen und sich zu einer Synode zu versammeln. Das geschah auch unverzüglich. Jener mißbräuchliche Gregor aber, der den Stuhl der römischen Kir-

che zu leiten schien, kam auf die Bitte des Königs, ihm ent-

gegenzureisen, ohne sich etwas Schlimmen bewußt zu sein, wie sich später herausstellte, bis nach Piacenza und traf dort den König. Er wurde von ihm, wie es sich für einen Papst geziemte, ehrenvoll empfangen. Die anwesenden Bischöfe glaubten nämlich nicht, daß es fromm sei, ohne Urteil einen

Bischof zu verurteilen, geschweige denn einen, der Bischof eines so bedeutenden Sitzes zu sein schien. Und so brachen sie zugleich auf und kamen nach Sutri. Sobald sie dorthin gelangt waren, bat der erwähnte König den Papst, der er damals schien, eine Synode zu versammeln. Er gestand dies zu und bekräftigte es durch ein Dekret. Er war nämlich ein ungebildeter Mensch und ein Mann von erstaunlicher Einfalt. Nach Versammlung der Synode setzte sich daher der, der die Stelle des römischen Papstes hatte, und auf sein Geheiß setzten sich die Patriarchen, Metropoliten und Bischöfe auf ihre Sitze; unter ihnen war damals zu-

fällig der Patriarch Poppo von Aquileia, ein äußerst redegewandter Mann, und Bischof Bruno von Augsburg sowie

248

© Italienzug und Absetzung von drei Päpsten

Erzbischof Rembald von Arles und mehrere andere, und im Fall des Eindringlings Silvester wurde von allen entschieden, ihn seines Bischofs- und Priesteramtes zu entledigen und ihn zeit seines Lebens einem Kloster zu übergeben. Über Theophylakt [Benedikt IX.] aber urteilten sie, daß

man sich mit ihm nicht befassen müsse, zumal da er selbst

als römischer Bischof urteilte, daß er abgesetzt werden. müsse. Was sollten sie aber mit dem dritten machen, wohin

sich wenden, sie, denen die Erlaubnis nicht gegeben war, den Richter anzuklagen und gegen ihn auszusagen?! Als er [Gregor VI.] von den Bischöfen gebeten worden war, den. Hergang seiner Wahl mitzuteilen, enthüllte er, einfältig, wie er war, die ganze Reinheit seiner Wahl. Er sagte, durch die. Barmherzigkeit Gottes sei er Priester von gutem Leumund. und Ruf und habe mit keuschem Körper von Kindheit an gelebt. Dies schien zu dieser Zeit den Römern nicht nur lobenswert, sondern sogar engelsgleich. Er sagte, er habe des-halb viel Geld erworben, das er aufbewahre, um das ge-/

flickte Dach der Kirche zu erneuern oder etwas Neues und Großes in Rom zu machen. Da er des öfteren über die Tyrannei der Patrizier nachdachte, und wie sie ohne Wahl von Klerus und Volk Päpste einsetzten, hielt er nichts für besser, als die Wahl, die dem Klerus und dem Volk durch die Tyrannei unrechtmäßig weggenommen worden war, mit diesem Geld wieder herzustellen. Als das aber die frommen Männer

hörten, begannen sie mit höchster Ehrerbietung, ihm die List des alten Feindes klar zu machen, und sagten, daß

nichts, was heilig sei, käuflich sei. [...] Er sagte dann zu den Bischöfen: »Gott als Zeugen rufe ich in meine Seele, Brüder, Ich habe geglaubt, daß ich mit dieser Tat die Vergebung der Sünden und die Gnade Gottes verdiene. Aber da ich nun die List des alten Feindes kenne, ratet mir, was ich tun soll.« Sie antworteten: »Mache deinen Fall mit dir selber aus und ur-

1 Seit dem 6. Jahrhundert gab es in Rom die Auffassung, daß der Papst nicht gerichtet werden dürfe.

4

Italienzug und Absetzung von drei Päpsten

249

teile selbst über dich. Es ist nämlich besser für dich, mit dem

heiligen Petrus — aus Liebe zu ihm hast du das getan — hier

arm zu leben, um

in Ewigkeit reich zu sein, als mit dem

Zauberer Simon, der dich betrogen hat, jetzt in Reichtum zu erglänzen und in Ewigkeit zugrunde zu gehen.« Nachdem er dies gehört hatte, brachte er das Urteil gegen sich selbst vor und sagte: »Ich, Bischof Gregor, Knecht der Knechte Gottes, urteile, daß ich wegen der äußerst schändlichen Käuflichkeit der simonistischen Häresie, die sich durch

die List des alten Feindes in meine Wahl eingeschlichen hat, vom römischen Bischofsamt entfernt werden muß.« Und er fügte hinzu: »Gefällt euch das?« Und sie antworteten: »Was du beschließt, das unterstützen auch wir.«

D: Übers.: W. H. O: Libelli de lite imperatorum et pontificum saeculis XI et XII conscripti. Bd. 1. Hrsg. von Ernst Dümmler. Hannover 1891. (MGH Libelli 1.) S. 584-586.

54.3 De ordinando pontifice In der von einem Unbekannten um 1050 im Westen des Reiches verfaßten Schrift De ordinando pontifice wird Heinrich III. wegen seines Vorgehens in Sutri und Rom hart getadelt.

Es schweige, schweige also unser Geschwätz, es erscheine jener Erzschurke von Kaiser, zum Gericht seien Zeugen aus seinem eigenen Stand hereingeführt, die ihm beweisen, daß er seine Hand nicht an einen Priester legen darf. Sage, o frommer Kaiser Konstantin, der du dem heiligen Papst Silvester gehorcht hast, der du dein Haupt neigtest, als er dich segnete, sage, was du auf dem Konzil von Nicäa über die höhere Würde des Bischofsamtes offenbart hast: »Ihr könnt von niemandem gerichtet werden, da ihr allein dem

250

Reichskrise am Ende der Regierung Heinrichs III.

Urteil Gottes vorbehalten bleibt; Götter nämlich nennt man

euch, deshalb könnt ihr von Menschen nicht gerichtet werden.« 1 Nach

solchen Verboten

Strafandrohungen,

heiliger Männer,

die zur Verehrung

des

nach

soviel

apostolischen

Stuhles erlassen wurden, zögerte dieser Kaiser, der Gott verhaßt ist, nicht, den abzusetzen, den er noch nicht einmal

wählen durfte; er wählte jemanden, der kein Recht zur Absetzung hatte. Eine verwunderliche Ausschreitung beider, eine klägliche Verurteilung dessen, der absetzte, eine ver-

dammenswerte Überheblichkeit dessen, der mit Füßen tritt. _

Wer einen anderen Bischof mit Füßen tritt, d.h., wer bei _ Lebenszeit eines Bischofs sein Amt gewaltsam an sich nimmt; 2 D:

Quellen zum Investiturstreit. T. 2: Schriften über den Streit zwischen Regnum und Sacerdotium. Übers. von Irene Schmale-Ott. _

Darmstadt:

Wissenschaftliche

12b.) 5.61, 67.

Buchgesellschaft,

1984.

(FSGA

O: Erwin Frauenknecht: Der Traktat »De ordinando pontifice«. Hannover 1992. (MGH

Studien und Texte 5.) S. 89, 98 f.

55

Reichskrise am Ende der Regierung Heinrichs III. Am Ende der Regierung Heinrichs III. kam es zu schweren Proble- _ men im Reich, nachdem Fehlschläge bei Feldzügen gegen die Un- _ garn zu einer Empörung des Baiernherzogs gegen den Kaiser geführt hatten. In Süditalien hatte der vom Kaiser 1048 erhobene und mit ihm verwandte Papst Leo IX. 1053 eine schwere Niederlage ge2 Hier bricht die Handschrift ab.

|

Reichskrise am Ende der Regierung Heinrichs III.

251

gen die Normannen erlitten; er selbst war in normannische Gefangenschaft geraten. Der alte Gegner des Kaisers im Westen des Reiches, Herzog Gottfried der Bärtige von Lothringen, heiratete 1054

die Erbin des wegen seiner strategisch günstigen Lage wichtigen

Tuszien, Beatrix, und schien sich damit eine neue Position in Mittel-

italien gegen Heinrich III. aufzubauen. Die folgenden drei Abschnitte entstammen der Chronik Hermanns von Reichenau.

55.1

Chronik Hermanns von Reichenau

[1053] Zu dieser Zeit murrten sowohl die Großen des Reiches wie die Geringeren mehr und mehr gegen den Kaiser und klagten, er falle schon längst von der anfänglichen Haltung der Gerechtigkeit, Friedensliebe, Frömmigkeit, Gottesfurcht und vielfältigen Tugenden, in der er täglich hätte Fortschritte machen sollen, allmählich mehr und mehr

ab zu Gewinnsucht und einer gewissen Sorglosigkeit und werde bald viel schlechter sein, als er war.

[...]

Zu diesem Reichstag wollte der ehemalige Herzog Konrad von Baiern nicht kommen, sondern erregte mit leichten Truppen einen Aufstand gegen den König; und nachdem er sich den Ungarn anzuschließen versucht hatte und ins kärntnische Gebiet eingefallen war, wurden ihm einige seiner Besitzungen, die er früher dort gehabt hatte, vom Kaiser entzogen, der sie sozusagen rechtmäßig erwarb. [...] [1054] Herzog Gotfried riß erneut in Empörung gegen den Kaiser eine Gewaltherrschaft an sich; er ging heimlich nach Italien und heiratete Beatrix, die Witwe des ehemali-

gen Markgrafen Bonifaz. Balduin! empört sich gegen den Kaiser. 1 Graf Balduin V. von Flandern.

252

Reichskrise am Ende der Regierung Heinrichs III. A

D: Quellen des 9. und 10. Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches. Bearb. von Rudolf Buchner. Darmstadt; Wissenschaftliche (FSGA 11.) S. 703-707.

Buchgesellschaft,

1961.

O: Annales et chronica aevi Salici. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover bis 43.

1844. (MGH

SS 5.) S. 132,32-36,

133,11-15,

133,41

|

55.2 Designation und Wahl Heinrichs IV. Nach langem Warten hatte Heinrich III. am 11. November 1050 den | ersehnten Sohn erhalten. Schon Ende 1053 wurde dieser zum Mitkönig gewählt und im Sommer 1054 in Aachen gekrönt. Bei der Wahl machten die Fürsten einen bis dahin unerhörten Vorbehalt: sie er- _ klärten, dem jungen König nur dann gehorchen zu wollen, wenn er sich als gerechter Herrscher erweise. Man kann diese Einschränkung als Zeichen für das gesteigerte Selbstbewußtsein der Fürsten ansehen, die ein. Vierteljahrhundert später, 1077 in Forchheim, vom Recht der freien Königswahl Gebrauch machen sollten. In der Chronik Hermanns von Reichenau heißt es zu 1053:

Kaiser Heinrich hielt einen großen Reichstag zu Tribur, ließ _ seinen gleichnamigen Sohn von allen zum König küren und | ihm für die Zeit nach seinem Tod, wenn er ein rechter Herr-

scher sein würde, Unterwerfung geloben.

D: Quellen des 9. und 10. Jahrhunderts zur Geschichte der Ham- } burgischen Kirche und des Reiches. Bearb. von Rudolf Buchner. Darmstadt: Wissenschaftliche (FSGA 11.) 5. 705.

Buchgesellschaft,

1961. |

O: Annales et chronica aevi Salici, Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. _ Hannover 1844. (MGH

SS 5.) S. 133,9-11.

56

Papstwahldekret 1059 Ostern 1059 fand im Lateranpalast eine große Synode statt, die eine ganze Reihe von bedeutsamen Beschlüssen faßte. Zu diesen gehört das Papstwahldekret, in dem auf der einen Seite die kanonische Wahl durch Klerus und Volk festgeschrieben, andererseits die maßgebliche Rolle der Kardinalbischöfe betont wurde, wie sie bei der Wahl Papst

Nikolaus’ II. (1058) praktiziert worden war. Der Vorwahl durch die

Kardinalbischöfe sollte die Wahl durch die Gesamtheit der Kardinäle folgen; der übrige Klerus Roms und die Laien sollten ihre Zustimmung geben. Die Rolle des deutschen Königs wurde in einer wohl bewußt unklaren Weise umschrieben: »Ehre und Ergebenheit« (»honor et reverentia«) des Königs sollten nicht übergangen werden. Ob mit dieser Formulierung die Mitwirkung des Königs bei der Wahl

ausgedrückt werden sollte, ist nicht deutlich; jedenfalls war aber ein

Recht zur Nomination eines Papstkandidaten, wie es Heinrich II. so nachhaltig wahrgenommen hatte, nirgends erwähnt. Zu betonen ist auch, daß dieses Dekret zur Papstwahl in den Jahren danach nicht befolgt wurde; die Sonderrolle der Kardinalbischöfe war bald schon dadurch überholt, daß das Kardinalskolleg als ganzes sich zum Organ der Mitregierung der Kirche ausbildete. 1. Im Namen des Herrn unseres Gottes, des Erlösers Jesus Christus, im Jahre 1059 seit der Fleischwerdung, im Monat

April, in der 12. Indiktion, im Angesicht der hochheiligen Evangelien, hat unter dem Vorsitz des hochehrwürdigen und seligen apostolischen Papstes Nikolaus in der Basilika des Lateranensischen „Patriarchen, die auch die Constanti-

niana genannt wird, in Gegenwart hochehrwürdiger Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und ehrwürdiger Priester und Diakone der ehrwürdige Papst kraft seiner apostolischen Entscheidungsgewalt über die Wahl des Papstes folgendes erklärt: 2. Meine sehr geliebten Brüder und Mitbischöfe, eure Erhabenheit weiß, und auch die geringeren Mitglieder sind

254

Papstwahldekret 1059

darüber im Bilde, wieviel Unrecht dieser heilige apostolische Sitz, dem ich auf Gottes Befehl hin diene, nach dem

Tode des Herrn Stephanus frommen Angedenkens, unseres Vorgängers, ertragen mußte, wieviel Hammerschläge er von

seiten simonistischer Geldwechsler aushalten mußte, so daß

die Herrschaft des lebendigen Gottes schon erschüttert zu wanken schien und das Netz des höchsten Fischers wegen _ der rasenden Stürme wie bei einem Schiffbruch in die Tiefe | gezogen wurde. Daher ziemt es uns, wenn es eurer Brüderlichkeit so gefällt, mit Gottes Hilfe zukünftigen Fällen vorsorgend entgegenzutreten und für das Bestehen der Kirche Vorsorge zu treffen, daß nicht, was ferne sei! erneut solche

Mißstände einreißen. Wir haben uns daher bei der Autorität unserer Vorgänger und anderer Heiliger Rat geholt und verordnen: 3. Beim Tode des Bischofs dieser universalen römischen | Kirche sollen zuerst die Kardinalbischöfe in sorgfältiger Überlegung beraten und dann möglichst bald die Kardinalkleriker heranziehen. Dann soll der übrige Klerus und dann das Volk der neuen Wahl zustimmen. | 4. Um zu verhindern, daß etwa das Leiden der Käuflichkeit

_

bei irgendeiner Gelegenheit eindringe, kommt der Vortritt | bei der Wahl eines neu zu erhebenden Papstes den Geistlichen zu, und erst dann können die anderen folgen. Und gewiß wird dieser Wahlordo für richtig und legitim erfunden werden, wenn man die Vorschriften und Handlungen unserer verschiedenen Väter durchforscht und sich auch der Sentenz unseres seligen Vorgängers Leo erinnert, der sagte: »Kein Recht läßt es zu, daß solche Männer als Bischöfe gelten, die weder vom Klerus gewählt noch vom Volke erbeten oder von den Mitbischöfen ihrer Provinz gemeinsam mit _ dem Metropoliten geweiht worden sind.« Da nun aber der apostolische Stuhl alle Kirchen der Welt übertrifft und daher keinen Metropolitan über sich haben kann, nehmen | ohne Zweifel die Kardinalbischöfe die Stellung des Metro-

Papstwahldekret

1059

255

politans ein, und sie erheben den erwählten Papst auf die Höhe des apostolischen Sitzes. 5. Sie sollen, wenn eine geeignete Persönlichkeit gefunden wird, einen Mann aus dem Schoße ebendieser Kirche wählen. Wenn keine solche Persönlichkeit vorhanden ist, dann

soll ein Mann aus einer anderen Kirche gewählt werden. 6. Dabei bleibt unberührt die schuldige Ehre und Ergebenheit gegen unseren sehr geliebten Sohn Heinrich, der im Augenblick als König gilt, von dem wir aber hoffen, daß er mit Gottes Hilfe unser Kaiser sein wird. Das haben wir ihm bereits zugestanden. Dies gilt auch für seine Nachfolger, wenn sie dieses Recht persönlich von diesem apostolischen Sitze empfangen haben. 7. Sollte die Verworfenheit falscher und ungerechter Menschen so überhandnehmen, daß in der Stadt selbst eine echte

und unverfälschte und uneigennützige Wahl nicht stattfinden kann, dann sollen die Kardinalbischöfe mit den frommen Klerikern und katholischen Laien, und wenn es auch nur wenige sind, das Recht haben, den Bischof des apostolischen Sitzes da zu wählen, wo es nach ihrem Urteil passend

ist. 8. Der zum Papste Erwählte hat sofort nach der Wahl, auch wenn Kriegszeit oder ein bösartiger Anschlag von Menschenhand verhindert, ihn auf dem apostolischen Sitze der Regel nach zu inthronisieren, alle Autorität, als Papst die heilige römische Kirche zu regieren und über alle ihre Mittel zu verfügen, denn wir wissen, daß auch der heilige Gregor noch vor seiner Konsekration so gehandelt hat. 9. Falls jemand gegen dieses unser Dekret, das als Synodalbeschluß bekanntgemacht ist, gewählt, geweiht oder auch inthronisiert werden sollte, sei es nun durch Aufruhr, An-

maßung oder irgendwelche anderen Mittel, dann kann er nicht als Papst, sondern

als Teufel, nicht als apostolisch,

sondern nur als Apostat gelten bei allen Menschen, und er werde auf Gottes und der heiligen Apostel Petrus und Paulus Geheiß gemeinsam mit seinen Wählern, Jüngern und

256

Papstwahldekret 1059

Anhängern mit ewigem Fluch aus der Kirche ausgeschlossen und gestürzt, als ein Antichrist und Eindringling und Verderber der ganzen Christenheit, und er soll niemals Ge- / hör finden, sondern jeden kirchlichen Rang, den er früher | besessen hat, ohne Bedenken verlieren. Wer ihm anhängt oder ihm, als wäre er Papst, irgendeine Ehre erweist oder | den Versuch macht, ihn zu verteidigen, werde von demsel- _

ben Spruche getroffen. Wer aber als Brecher dieses unseres | Dekrets entlarvt oder bei dem Versuch entdeckt wird, durch

seine Anmaßung gen dieses unser und verfalle der sen gehören, die

die römische Kirche zu verwirren und ge- _ Statut zu erregen, werde auf ewig verflucht _ Exkommunikation und soll zu den Gottloam Tage des Gerichts nicht auferstehen. Er |

verfalle dem Zorn des allmächtigen Gottes des Vaters, des _

Sohnes und des Heiligen Geistes und der Apostelfürsten | Petrus und Paulus, deren Kirche er zu verderben sucht, und

er verfalle in diesem

und

im

zukünftigen

Leben

_

dem

Schrecken. Er verliere seinen Besitz, und in seiner Hütte sei | niemand, der darin hause. Seine Kinder sollen Waisen werden, und sein Weib werde zur Witwe. Im Zorne werde er

selbst und seine Kinder fortgeschickt, und sie sollen betteln _ und aus ihren Wohnungen gewiesen werden. Der Wucherer verschlinge all seinen Besitz, und Fremde mögen die Früchte seiner Mühe ernten. Der Erdkreis wende sich gegen _ ihn, und alle Elemente seien ihm Feinde, und die Verdienste _ aller seligen Heiligen sollen ihn zu Boden schlagen, und in | diesem Leben sollen sie ihm die Rache zeigen, die auf ihn |

wartet. A 10. Wer aber dieses unser Dekret beachtet, den möge die | Gnade Gottes des Allmächtigen schützen und mit Hilfe der heiligen Apostel Petrus und Paulus aus den Banden aller Sünden lösen. V Ich, Nikolaus, der Bischof der heiligen apostolischen und katholischen römischen

Kirche, habe dieses von uns, wie. \

oben steht, veröffentlichte Dekret unterschrieben.

)

*

Ministerialen

257

Ich, Bonifatius, von Gottes Gnaden Bischof von Alba, habe unterschrieben.

Ich, Humbert, der heiligen Kirche von Silva Candida Bi-

schof, habe unterschrieben. Ich, Petrus, Bischof der Kirche von Ostia, habe unterschrieben. Und 76 andere Bischöfe und Priester und Diakone haben unterschrieben.

D: Lautemann. S. 258 f, O: Detlev Jasper: Das Papstwahldekret von 1059: Überlieferung und Textgestaltung. Sigmaringen 1986. S. 98-119. [Echte und verfälschte Fassung.]

57 Ministerialen Das älteste Dienstrecht, in dem von einem Stand der Ministerialen

oder Dienstmannen die Rede ist, stammt aus Bamberg und ist dort zwischen 1057 und 1064 entstanden. Der neue Stand war damals aber schon verfestigt, denn es wird hier den Ministerialen ein Erbrecht nicht nur in direkter Linie, sondern auch für Seitenlinien

zugesichert. Der größte Teil dieser Ministerialen war aus der Unfreiheit gekommen — die Dienstmannen wurden als Bestandteile der Besitzungen betrachtet und mit ihnen verkauft oder verschenkt. Von den bäuerlichen Hintersassen einer Grundherrschaft unterschieden sich die Ministerialen durch ihre Aufgabe als Verwalter oder Reiterkrieger. Von den übrigen Unfreien hoben sie sich auch dadurch ab, daß sie ein Lehen — ihr Dienstgut — besaßen,

durch das die Unterhaltspflicht, die der Herr ihnen gegenüber hatte, abgegolten war. Mit dem sozialen Aufstieg der Ministerialität verbunden war das Eindringen neuer Gruppen in diesen Stand;

so traten z. B. freie Kleinbauern, bald auch kleine Grundherren, in

die Ministerialität ein. Dieser Zustrom von Freien hatte eine wei-

258

Ministerialen

tere Verbesserung von Folge. Die Ministerialen Bischöfe begannen seit schmelzen. In eine Urkunde, die

Rang und Ansehen der Ministerialen zur im Dienst des Königs, der Fürsten oder der dem 12. Jahrhundert mit dem Adel zu veraus dem

Archiv des Bamberger

Bischofs

stammt und in die Zeit um 1061/62 datiert wird, ist eine Rechtsord-

nung für die Ministerialen des Bamberger Bischofs eingeschaltet.

Wenn einen von ihnen sein Herr anschuldigt wegen irgend einer Sache, soll ihm

gestattet sein, durch einen Eid sich.

mit seinesgleichen zu reinigen; ausgenommen in drei Fällen, d.i. wenn er beschuldigt wird, gegen das Leben seines Herrn oder seine Kammer oder seine Festungen Pläne geschmiedet zu haben. Gegen die übrigen Menschen aber soll er sich von jeglichem Vorwurfe ohne Vogt mit seinesgleichen durch einen Eid reinigen können; bei den übrigen Menschen

brauchen sie nicht mehr als

7 Mann,

bei ihren

Genossen aber 12.' ; Ist einer getötet worden, so beträgt die Loskaufsumme | 10 Pfund, die keinem andern gehört als den Verwandten des Getöteten. ı Wer vom Bischofe kein Lehen hat und sich ihm zu seinem Dienst stellte, aber ein Lehen nicht erlangen konnte, mag Kriegsdienste nehmen, bei wem er will, nicht als Lehensmann, sondern frei. ;

Stirbt einer ohne Kinder und hinterläßt eine schwangere _ Frau, so warte man, bis sie gebiert. Ist es ein Knabe, so soll er das Lehen des Vaters haben; wenn nicht, dann soll der

nächste Anverwandte des Verstorbenen sowohl den Panzer als das beste Pferd, das er hatte, seinem Herrn bringen und _ das Lehen seines Verwandten erhalten. Wer einen Kriegszug antritt, soll auf eigene Kosten zum Herrn kommen; von da an wird er auf dessen Kosten erhal-

ten.

1 Damit waren

die ursprünglich

Freien gleichgestellt.

unfreien

Ministerialen

rechtlich den X

Staatsstreich von Kaiserswerth

259

Geht der Zug nach Italien, soll der Herr für jeden Panzer ein Pferd und drei Pfund geben. Geht er aber anders wohin,

sollen zwei von ihnen, die Lehen haben, einem dritten die

Auslagen bestreiten. Von ihrem Herrn sollen sie nur zu fünf Diensten angehalten werden, d. i. daß sie entweder Truchsesse oder Mundschenke oder Kämmerer oder Marschalke oder Jägermeister seien. D: Die Geschichte des Bisthums Bamberg. Bd. 1: Die Gründung und das erste Jahrhundert des Bistums Bamberg 1007-1102. Nach den Quellen bearb. von Johann Looshorn. Bamberg: Historischer Verein, 1886. S. 380 f.

O: Bibliotheca rerum Germanicarum. Hrsg. von Philipp Jaffe. Bd. 5: Monumenta Bambergensia. Berlin 1869. S. 51.

58

Vormundschaft der Kaiserin Agnes und Staatsstreich von Kaiserswerth Nach dem Tode Heinrichs III. (1056) wurde die Vormundschaft der

Witwe Agnes für den erst sechsjährigen Heinrich IV. von Papst Viktor II. befürwortet und gegen den Widerstand der Fürsten durchgesetzt. Die wichtigste. Maßnahme ihrer Regierung war die Ausgabe der Herzogtümer Schwaben, Baiern und Kärnten an Ru-

dolf von Rheinfelden, Otto von Northeim und Berthold von Zähringen (1057). Rudolf von Rheinfelden, der auch Burgund verwalten sollte, wurde durch Heirat an die Salierfamilie gebunden. Seit

1058 ließ sich Kaiserin Agnes fast nur noch von Bischof Heinrich von Augsburg beraten. Daneben begünstigte sie einige Ministerialen, so daß sich die Fürsten und die Bischöfe zurückgesetzt fühlten.

Um seinen Einfluß auf die Reichsregierung zu vermehren, brachte Erzbischof Anno von Köln den jungen König in seine Gewalt (31. März 1062: der sogenannte Staatsstreich von Kaiserswerth).

260

Staatsstreich von Kaiserswerth

Anno stand dabei mit Herzog Otto von Baiern, vielleicht auch mit dem Erzbischof von Mainz und Gottfried dem Bärtigen von Loth-ringen in Verbindung, Ein weiterer Grund für Annos Aktion war. gewesen, daß sich der Hof der Kaiserin bei der Papstwahl von 1061 auf die Seite der Reformgegner gestellt hatte. Agnes ließ sich widerstandslos die Regierungsgeschäfte aus der Hand nehmen, die jetzt vor allem von Anno von Köln bestimmt wurden. Der junge Heinrich IV. erlitt durch die Entführung eine tiefe Verletzung seines Selbstgefühls; Mißtrauen gegen die Fürsten prägte später viele seine: Handlungen. | Das Geschichtswerk des Mönchs Lampert von Hersfeld (gest. nach 1081), aus dem die folgende Passage stammt, enthält für die Zeit zwischen 1050 und 1077 zahlreiche wertvolle Einzelheiten; aller-

dings ist umstritten, ob Lampert immer zuverlässig ist. Sein Standpunkt war vom Erlebnis der Regierungszeit Heinrichs III. geprägt; er lehnte die Vorstellungen der kirchlichen Reform ab, stand den Ministerialen und Städten mißtrauisch gegenüber und verfolgte Heinrich IV. geradezu mit Haßgefühlen. |

Während der Minderjährigkeit ihres Sohnes führte die Kaiserin selber die Regierungsgeschäfte, und sie bediente sich dabei in erster Linie des Rates des Bischofs Heinrich von. Augsburg. Deshalb konnte sie dem Verdacht unzüchtiger Liebe nicht entgehen, denn allgemein ging das Gerücht, ein. so vertrauliches Verhältnis sei nicht ohne unsittlichen Verkehr erwachsen. Daran nahmen die Fürsten schweren Anstoß, sahen sie doch, daß wegen der persönlichen Liebe zu einem Manne ihr Einfluß, der im Reich am meisten hätte

gelten müssen, fast gänzlich ausgeschaltet war. Diesen unwürdigen Zustand ertrugen sie nicht: sie veranstalteten des-halb häufig Zusammenkünfte, erfüllten ihre Pflichten gegen das Reich nur lässig, reizten die Volksstimmung gegen die Kaiserin auf und trachteten endlich mit allen Mitteln danach, den Sohn dem Einfluß der Mutter zu entziehen und die Verwaltung des Reichs in ihre Hände zu bekommen.

Staatsstreich von Kaiserswerth

261

hatte, zu Schiff auf dem Rhein an einen Ort, der Insel des

hl. Switbert heißt. Dort hielt sich damals der König auf. Als dieser eines Tages nach einem festlichen Mahl besonders

heiter war, redete ihm der Bischof zu, ein Schiff, das er zu

diesem Zweck überaus prächtig hatte herrichten lassen, zu besichtigen. Dazu ließ sich der arglose, an nichts weniger als an eine Hinterlist denkende Knabe leicht überreden. Kaum aber hatte er das Schiff betreten, da umringen ihn die vom Erzbischof angestellten Helfershelfer seines Anschlags, rasch stemmen sich die Ruderer hoch, werfen sich mit aller Kraft

in die Riemen und treiben das Schiff blitzschnell in die Mitte des Stroms. Der König, fassungslos über diese unerwarteten Vorgänge und unentschlossen, dachte nichts anderes, als daß man ihm Gewalt antun und ihn ermorden wolle,

und stürzte sich kopfüber in den Fluß, und er wäre in den reißenden Fluten ertrunken, wäre dem

Gefährdeten nicht

Graf Ekbert trotz der großen Gefahr, in die er sich begab, nachgesprungen und hätte er ihn nicht mit Mühe und Not vor dem Untergang gerettet und aufs Schiff zurückgebracht. Nun beruhigte man ihn durch allen nur möglichen freundlichen Zuspruch und brachte ihn nach Köln. Die übrige Menge folgte zu Lande nach, doch viele erhoben die Beschuldigung, die königliche Majestät sei verletzt und ihrer Selbstbestimmung beraubt worden. Um die Mißstimmung über diese Tat zu beschwichtigen und den Anschein zu zerstreuen, als hätte er mehr aus persönlichem Ehrgeiz als um des allgemeinen Besten willen so gehandelt, ordnete der Bischof an, daß jeder Bischof, in dessen Diözese der König sich jeweils aufhalte, dafür zu sorgen habe, daß der Staat

keinen Schaden erleide, und daß er bei Angelegenheiten, die vor den König gebracht würden, vornehmlich Bescheid erteile. Die Kaiserin war willens, ihrem Sohne nicht nachzureisen

noch für das ihr zugefügte Unrecht nach dem Völkerrecht Rechenschaft

zu fordern, sondern

beschloß, sich auf ihre

262

Beginn der selbständigen Regierung Heinrichs IV.

Privatgüter zurückzuziehen und künftig ihr Leben ohne politische Betätigung zu verbringen. Und nicht lange danach entschloß sie sich, der Welt zu entsagen. A D: Lampert von Hersfeld: Annalen. Übers. von Adolf Schmidt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1962. (FSGA-

13.) S. 73/75.

O: Lamperti monachi Hersfeldensis Opera. Hrsg. von Oswald Holder-Egger. Hannover/Leipzig 1894. (MGH SS rer. Germ.

38.) S. 79-81.

59

Beginn der selbständigen Regierung Heinrichs IV. Am 29. März 1065 wurde der 15jährige Heinrich IV. durch die Schwertumgürtung für mündig erklärt; allerdings blieb der Einfluß Annos von Köln und daneben auch Adalberts von Bremen bestimmend, 1069 trat Heinrich vor eine Fürstenversammlung, um die Zu-

stimmung für die Trennung von seiner Gemahlin Berta von Turin zu erhalten. Der päpstliche Legat Petrus Damiani konnte Heinrich von diesem Vorhaben abbringen; der König beugte sich der moralischen Autorität des Kardinals und führte mit Berta in den kommenden Jahren eine gute Ehe. Wenig später kam es zu einem schweren Kon-

flikt mit Herzog Otto von Baiern, der 1070 beschuldigt wurde, ei-

nen rich kurz gen

Mörder zur Beseitigung des Königs IV. entzog ihm das Herzogtum und darauf der König selbst beschuldigt Herzog Rudolf von Schwaben und

gedungen zu haben. Heinübergab es an Welf IV. Daß wurde, einen Anschlag geandere Fürsten geplant zu.

haben, verdeutlicht das Potential schwerer Gegensätze im Reich, das

nur noch einen Anlaß brauchte, um zu langdauernden Kämpfen zu führen. Der Gregorianer Bernold von Konstanz (gest. 1100) verzeichnet in seiner Chronik zu 1065 die Schwertumgürtung Heinrichs IV. (59.1).

|

Beginn der selbständigen Regierung Heinrichs

IV.

263

In einer Formularsammlung, die um 1125 in Bamberg entstanden ist (Codex Udalrici), findet sich ein Bericht über die Vorgänge auf der Fürstenversammlung von 1069 in Worms (59.2). Über einen Mord-

anschlag auf den König im Jahre 1070 berichtet Lampert von Hersfeld (59.3).

59.1 Schwertumgürtung Heinrichs IV. Im selben Jahr, nach der Fleischwerdung des Herrn 1065, als das Osterfest am 27. März gefeiert wurde, am Tage, an dem Christus auferstanden ist, am dritten Tag der Osterwoche, am 29. März, in der dritten Indiktion, wurde König

Heinrich im neunten Jahr seiner Herrschaft, im 14. Jahr

seines Lebens, gürtet.

im Namen

Gottes

mit dem

Schwert

um-

D: Übers.: W.H. O: Annales et chronica aevi Salici. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1844. (MGH

SS 5.) S. 428.

59.2 Fürstenversammlung von Worms Dem allerseligsten und wahrhaft durch die Ehre des apostolischen Sitzes zu verehrenden Herrn Alexander schickt Siegfried, der Wächter der Kirche von Mainz, die Verehrung der schuldigen Untertänigkeit und die Gefolgschaft allseitigen Dienstes.

.[...]

Euer Sohn Heinrich, unser König, hat vor einigen Tagen versucht, seine Frau loszuwerden; und er wollte sich völlig von ihr trennen, die er durch rechtmäßige Verlobung und Morgengabe, durch königliche Salbung und öffentliche Heirat, durch die Königskrone und einen Eid sich verbunden hat, ohne daß er anfangs eine Schuld oder einen Grund für eine Scheidung angab. Durch dieses gleichsam unerhörte

264

Beginn der selbständigen Regierung Heinrichs IV.

Geschehen und diese ungewöhnliche Gestalt der Sachlage

bestürzt, haben wir im Rat aller Großen, die damals in der _

Pfalz zugegen waren, ihm Angesicht zu Angesicht wider-

standen; wenn er keinen ordentlichen Grund für die Scheidung darlegen werde, würden wir ihn ohne Rücksicht auf

das königliche Ansehen und ohne Furcht vor dem drohen- | den Schwert - wenn Eure Autorität [der Papst] vorangehe — vom Schoß und von der Gemeinschaft der Kirche trennen. Er aber berichtete uns, er wolle deshalb von ihr getrennt / werden: weil er sich auf natürliche Weise in der ehelichen Vereinigung mit ihr nicht verbinden könne. Als auch sie selbst, darüber befragt, es gestand, traf uns alle sehr große Trauer, und die Wichtigkeit der Angelegenheit verwirrte | uns durch sehr große Zweifel. Darüber befragen wir Eure _ allerheiligste Apostolität wie ein göttliches Orakel und melden die Sachlage wie die Glieder an das Haupt. Und weil | dies bei kirchlichen Prozessen sehr selten vorkommt und | bei königlichen Personen fast unerhört ist, wird es Aufgabe | Eurer Heiligkeit sein, zu entscheiden, was in einer solchen | Sache getan werden muß, und auf unsere Anfrage ein Antwortschreiben aus dem Heiligtum Eures heiligen Herzens _

zu schicken; auf daß die anstehende Aufgabe zum Wohl der |

heutigen Zeit durch kirchlichen Frieden beendet und die | Nachwelt über die so ungewöhnliche und bedenkliche Angelegenheit durch Eure Autorität unterrichtet werde. A

Schließlich setzten unsere Brüder, die damals an dieser” Sache beteiligt waren, fest, daß ein Konzil, das für eine so 4

große Angelegenheit passe, sich in unserer Stadt versammeln solle und beiden, dem König und der Königin, geboten werden solle, vor das synodale Gericht zu kommen und |) über diese Angelegenheit ein beschließendes Urteil entge- _ genzunehmen. Wir aber haben nach unschlüssiger Beobach- | tung dieser Angelegenheit beschlossen, daß dies keinesfalls ohne Eure Autorität geschehen soll. Wir haben den Abschluß der ganzen Verhandlung ausgesetzt in Erwartung] Eures Urteils; wir appellieren an Eure Heiligkeit, daß Ihr,

Beginn der selbständigen Regierung Heinrichs

IV.

265

wenn Ihr genehmigt, daß das, was ansteht, durch uns mittels einer Synode beendet wird, geruht, von Eurer Seite Personen mit Schriftstücken Eurer Autorität zu Untersuchung und Urteilsspruch einer so bedeutenden Sache zu schicken, vor deren Gericht die Angelegenheit untersucht und mit deren Übereinkunft sie in Gottes Wohlgefallen beendet werde. D: Übers.: W. H. O: Bibliotheca rerum Germanicarum. Hrsg. von Philipp Jaffe. Bd. 5: Monumenta Bambergensia. Berlin 1869. S. 64-66.

59.3 Mordanschlag auf den König Hohes Ansehen bei Hofe und starken Einfluß auf die Reichsregierung hatte zu dieser Zeit der Bayernherzog Otto. Doch wie ja den Ruhm immer der Neid zu begleiten pflegt, so beneideten ihn viele nichtsnutzige Menschen, die es bedauerten,

daß

seine Macht

und

seine

maßlose

Be-

rühmtheit ihrer Schlechtigkeit im Wege stand, und sie such-

ten eifrig eine Gelegenheit, ihn zu stürzen. Daher stifteten

sie einen gewissen Egino, einen Adligen, der aber durch Schandtaten aller Art übel berüchtigt war, insgeheim zu seiner Ermordung an. Dieser beschuldigte Otto, ihn wiederholt durch viele Bitten und Versprechungen zur Ermordung des Königs angestiftet zu haben, und zum Beweis seiner

Glaubwürdigkeit wies er das Schwert vor, das ihm jener für

diesen verbrecherischen, ruchlosen Anschlag angeblich gegeben hatte. Wenn er das ableugne, so sei er bereit, die Richtigkeit seiner Angaben durch jeden gewünschten Beweis zu bestätigen. Als diese Anklage in der Öffentlichkeit bekannt wurde, da waren alle, die Otto irgend einmal um des gemeinen Besten willen gekränkt hatte, mit erbitterter Feindseligkeit bei der Hand und suchten mit allen Kräften den Zorn des Königs gegen ihn zu schüren. Der König lud ihn daher

266

Beginn der selbständigen Regierung Heinrichs IV.

mit den übrigen Fürsten zu einer Verhandlung nach Mainz und machte den Inhalt der Anzeige bekannt; als er leugnete, setzte er ihm eine Frist von sechs Wochen, am 1. August solle er nach Goslar kommen und dort die gegen ihn erhobene Beschuldigung durch einen Zweikampf mit dem An-kläger widerlegen. [...]

So kam er [Otto] denn am festgesetzten Tage mit zahlrei-

chen Gewappneten in die Nähe von Goslar und ließ dem König durch Boten sagen, wenn man ihm freies Geleit gewähre für sein Kommen und seine Verteidigung, sei er bereit, sich zu stellen und entsprechend der von den Reichsfürsten für billig erachteten Auflage die gegen ihn vorge-brachte Anschuldigung zu widerlegen. Der König antwortete darauf hart und scharf, er sage ihm weder für sein. Kommen noch für die Verhandlung seiner Sache Frieden und Sicherheit zu; er erwarte einzig und allein, daß er dem

Gebot entsprechend unverzüglich nach Goslar komme, und

wenn

er seiner Unschuld

Zweikampf Richter,

mit seinem

seine

Sache

sicher sei, solle er durch einen

Gegner

Gott, dem

anheimstellen;

tue

allgerechten

er das

nicht,

so

werde er ihn ohne Rücksicht auf etwa abweichende Gesetze und den Streit der Meinungen als eines so abscheulichen Verbrechens überführt und geständig ansehen.

D: Lampert von Hersfeld: Annalen. Übers. von Adolf Schmidt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1962. (FSGA

13.) S. 125/127.

O: Lamperti monachi Hersfeldensis Opera. Hrsg. von Oswald Holder-Egger. Hannover/Leipzig 1894. (MGH SS rer. Germ.

38.) S. 113 £.

4

60

Sachsenkriege 1073/75 Heinrich IV. versuchte, die noch aus ottonischer Zeit stammenden königlichen Besitzrechte, die teilweise in den Jahren seiner Minder-

jährigkeit entfremdet worden waren, wieder in die Hand zu bekom-

men; die Sachsen warfen ihm dagegen vor, die alte Freiheit ihres

Stammes beseitigen zu wollen. Der König griff bei seiner Territorialpolitik auf schwäbische

Ministerialen

zurück,

die zum

Bau

von königlichen Burgen Arbeitseinsätze und Naturalleistungen der umwohnenden Bevölkerung verlangten. Die Sachsen forderten, die Burgen zu schleifen, die in bis dahin ungewohnter Größe und Stärke als Höhenburgen errichtet wurden. Im Sommer 1073 kam es zum Aufruhr der Sachsen, der von einer Reihe von Bischöfen, von mäch-

tigen Großen und von allen sozialen Schichten getragen wurde. Heinrich IV. wurde von der Empörung überrascht und auf der Harzburg eingeschlossen; nur durch Flucht konnte er seinen Feinden entkommen. Hilfe erhielt er nur von einigen rheinischen Städten. Diese waren zu schwach, um den König nachhaltig zu unterstützen, daher mußte er die Forderung der Aufständischen akzeptieren. Bei der vertragsgemäßen Schleifung der Burgen kam es zu einem

Exzeß

der sächsischen

Bauern,

die auf der Harzburg

die

Schloßkapelle verwüsteten und die Gräber einiger jung verstorbener Salier schändeten. Als Reaktion auf diese Tat traten die meisten Bischöfe und weltlichen Fürsten wieder auf die Seite des Königs. Mit einem großen Heer besiegte Heinrich IV. am 9. Juni 1075 bei Homburg an der Unstrut das von Otto von Northeim geführte sächsisch-thüringische Heer; die Aufrührer mußten sich unterwerfen; die zerstörten königlichen Burgen wurden wiederaufgebaut. Otto von Northeim wurde zum Statthalter des Königs in Sachsen ernannt.

268

Sachsenkriege 1073/75

60.1 Brunos Buch vom Sachsenkrieg Der Merseburger (und Magdeburger)

Domkleriker

Bruno

(gest. \

nach 1082) verfaßte ein Buch vom Sachsenkrieg, das von tiefer Ab- \ neigung gegen Heinrich IV. geprägt ist.

Unterdessen entwuchs der König bereits dem Jünglingsalter und begann, bald nachdem er den Bischof Adalbert von Bremen als Ratgeber gewonnen hatte und auf dessen Rat, _ hohe und von Natur befestigte Berge in einsamen Gegen-

den zu suchen und Burgen auf ihnen zu bauen, wie sie dem |

Reich zu großem Schutz und Schmuck zugleich gereichen würden, wenn sie nur an geeigneten Orten stünden. Der ersten und größten gab er den Namen Harzburg. Er befestigte sie nach außen hin durch eine starke Mauer, Türme _ und Tore, schmückte sie im Innern mit wahrhaft königlichen Gebäuden, errichtete ein Stift in ihr und trug'darin so reiche Geräte zusammen und versammelte hier eine so ansehnliche und zahlreiche Geistlichkeit von überall her, daß es dank seiner gesamten Ausstattung einigen Bischofsitzen _ durchaus gleichkam, einige aber sogar übertraf. [...] Nachdem aber Besatzungen in die Burgen gelegt waren und. _ diese rundum auf Beute auszuziehen begannen, um für sich _

zu ernten, was sie nicht gesät hatten, freie Männer zu knechtischer Arbeit zu zwingen und mit den Töchtern und Frauen anderer ihren Spott zu treiben, da sahen sie endlich _ ein, was diese Burgen bedeuteten, aber noch immer wagten _ sie keinen Widerstand und keine Verteidigung. Nur die un- _ mittelbar Geschädigten beklagten sich insgeheim bei jenen, _ die von den Burgen weiter entfernt wohnten und daher bis _ zum Augenblick noch nichts zu leiden hatten. Aber diese waren zu gleichgültig, um jenen zu helfen, und stärkten so die gegen sie selbst gerichteten Kräfte der Tyrannei. Denn nach den Bauern beraubte der König die Ritter, erst nahm er die Früchte der Erde, dann die Freiheit.

[...]

Erzbischof Sigfried von Mainz sandte an die Bischöfe We-

Sachsenkriege

1073/75

269

rinher von Magdeburg und Burchard von Halberstadt ein Schreiben voller Klagen darüber, daß der König sich in seinem Bistum solche Stellen ausgesucht habe, die besonders

geeignet seien, um Beutezüge zu unternehmen, und daß er dort Burgen errichtet und Besatzungen hineingelegt habe, die seiner Kirche großen Schaden zufügten. D: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. Übers. von FranzJosef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,

1968, (FSGA 12.) S. 213/215.

O: Brunos Buch vom Sachsenkrieg. Hrsg. von Hans-Eberhard Lohmann. Leipzig 1937. (MGH Deutsches Mittelalter 2.) S. 22 bis 24 (Kap. 16, 18).

60.2

Niederaltaicher Annalen

Die im Kloster Niederaltaich entstandenen Annalen geben einen recht objektiven Bericht über den Anfang des Aufstands. [1073]

Erfaßt nämlich von einer uns unbekannten Zunei-

gung zu der Gegend, hatte er im Walde, so man Harz nennt, schon lange viele Burgen zu erbauen angefangen. Da er aber in der Nachbarschaft dieser Burgen wenige oder gar keine Güter besaß, so nahmen die, welche die Burgen bewachten,

aus Mangel an Lebensmitteln beständig Plünderungen der Habe der Einwohner vor. Wenn aber jemand nach Hofe ging, um darüber zu klagen, so sah man, daß er mit Schmähungen überhäuft weggejagt ward. Und als dieses Übel von Tag zu Tag zunahm, und der König das Fest des Apostelfürsten zu Goslar verbrachte, kamen mehrere sächsische Fürsten dahin, um zu sehen, ob sie kein Ende dieses Übels

erlangen könnten. Diese werden kaum vor das Angesicht des Königs vorgelassen und gehen, nachdem sie ihre Angelegenheit vorgetragen, nach einigen Tagen, ohne Ehren und ohne bestimmte Antwort nach Hause. Alsbald nun hielten

270

© Sachsenkriege 1073/75

sie häufige Zusammenkünfte und berieten sorgenvoll, was sie angesichts dieser Übelstände tun sollten. Endlich nun kamen sie überein, lieber mit Drohungen und Kampf ihre Sache zu führen, als ihre heimatlichen Rechte und ihre persönliche Freiheit so ohne Grund zu verlieren. Als aber der König an seinem Lieblingsorte, Harzburg genannt, weilte und seinen Vertrauten ein königliches Gastmahl gab, wird plötzlich von den Dienern berichtet, daß ein großes Heer von Sachsen in der Nähe Halt gemacht habe. Sobald der König durch sofortige Entsendung eines Boten die Ursache ihres Kommens erfahren hatte, hielt er es für schimpflich, ihren Drohungen nachzugeben; da er aber wegen der geringen Anzahl seiner Krieger sich fürchtete, durch Blutvergießen die Entscheidung herbeizuführen, hielt er es für geraten, zur Zeit zu weichen, und beschloß nach Franken zu ge-

hen. Als er wegzog, stellte ihm der oftgenannte Otto auf dem Wege nach, wagte aber, obgleich er eine viel größere Anzahl von Kriegern hatte, nicht, den König, der vorüberzog und ihn bemerkte, anzugreifen. So gelangte der König nach Franken und von da bis nach Baiern. Nach des Königs Abzug aber belagerten die Sachsen seine Burg, Heimburg genannt, brachten sie zur Übergabe und zerstörten sie, brannten einige Dörfer nieder, und daraus erwuchs dieser Gegend vieles Unheil. D: Die größeren Jahrbücher von Altaich. Übers. von Ludwig Wei-

land. Leipzig ?1940 (GdV 46.) S. 103-105.

O: Annales Altahenses maiores. Hrsg. von Edmund von Oefele, Hannover/Leipzig 1891. (MGH SS rer. Germ. 4.) S. 85. |

Sachsenkriege 1073/75

271

60.3 Sieg an der Unstrut In Brunos Buch vom

Sachsenkrieg (Kap. 46) wird die Schlacht an

der Unstrut vom 9. Juli 1075 geschildert.

Der König kam also mit dem gesamten Heer, das er aufbringen konnte, bis gegen Behringen und schlug dort sein Lager auf. Die Sachsen dagegen lagerten sich bei Nägelstedt und warteten, ob der König sie zu einer Zusammenkunft rufen werde; und während sie noch erwogen, mit welchen Worten sie ihre Angeklagten rechtfertigen wollten, stand ein Bote des Königs vor ihnen und meldete, daß der König nicht mehr mit Worten mit den Sachsen streiten wolle, son-

dern mit dem Schwert, und er nannte den folgenden Tag als Termin für die Entscheidung. Der Bote hatte noch kaum seine Worte beendet, als schon ein anderer kam und mel-

dete, der König rücke mit dem ganzen Heer heran. Zunächst wollten sie es gar nicht glauben; als sie aber erkann-

ten, daß es bitterste Wahrheit sei, war es schon zu spät, ei-

nen gemeinsamen Beschluß zu fassen oder das Heer zur Schlacht zu ordnen, und wie es denn bei einem plötzlichen Überfall zu gehen pflegt: die wenigen, die Mut und Waffen zur Hand hatten, gingen tapfer in den Kampf, die meisten aber konnten Mut und Waffen nicht finden und wandten sich zur Flucht. Diese wenigen aber, die im Kampf aushielten, füllten, so weit sie vermochten, nach Kräften nicht nur

ihren eigenen Platz aus, sondern auch den der Flüchtigen. Denn wenn Gott nicht dort unseren Stolz zu demütigen beschlossen hätte, so hätten unsere wenigen Männer jenes ganze Heer in die Flucht geschlagen. Denn dessen letzte Reihen wußten nicht, daß die Mehrzahl der Unsrigen die Flucht ergriffen hatte, und begannen ihrerseits schon, ihr Heil in der Flucht zu suchen; hätten sie nicht rechtzeitig die Flucht der Unseren erfahren, so würden sie uns durch ihre

eigene Flucht den Sieg gelassen haben. Nicht einmal diejenigen, die im Schlachtgetümmel jemanden erschlugen, ver-

272

Sachsenkriege 1073/75

mochten zu erkennen, wen sie erschlugen; denn es wurde so viel Staub aufgewirbelt, daß man kaum zwischen Freund. und Feind unterscheiden konnte. Doch haben wir erfahren,

daß unser Markgraf Udo seinen Vetter Herzog Rudolf mit. dem Schwert so gewaltig ins Gesicht traf, daß er ihm den oberen Teil des Kopfes gänzlich abgehauen hätte, wenn ihn nicht die vorspringende Nase des Helms zuverlässig geschützt haben würde. Brüder standen in dieser Schlacht auf verschiedenen Seiten, Väter gegen Söhne, und auch andere Verbindungen waren in gleicher Weise geschieden. Aber. selbst wenn jemand einen Frevel an seinen Verwandten beging, so konnte es doch niemand wissen. Überaus grimmig war jene Schlacht, doch in kürzester Zeit entschieden. Denn da die Unsrigen an Zahl gering waren — jedoch ein ganzes Heer der Tapferkeit nach und selbst die Feinde bekannten, niemals so furchtbare Schwertstreiche gehört zu haben—. sich von den Ihren verlassen sahen, auch selbst schon durch! vieles Morden ermüdet waren und selbst die wenigen im-mer weniger wurden, entzogen sie sich allmählich der Gefahr und ließen dem König zwar den Ruhm des Sieges, aber mit großen Verlusten für die Seinen. Denn während auf unserer Seite von den vornehmsten Fürsten nur Graf Gebhard, von den mittleren aber nur Folkmar und Suidger gefallen waren, blieben von der anderen Seite acht Fürsten,

von nicht geringerem Adel als der König selbst auf dem. Schlachtfeld. Diese erste Schlacht fand statt im Jahre des Herrn 1075, am 9. Juni, einem Dienstag. D: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. Übers. von FranzJosef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1963. (FSGA 12.) S. 255/257.

O: Brunos

Buch

vom

Sachsenkrieg.

Hrsg.

von

Hans-Eberhard,

Lohmann. Leipzig 1937. (MGH Deutsches Mittelalter 2.) S. ME (Kap. 46).

N

61

Freibrief für die Bürger von Worms Als Heinrich IV. im Jahre 1073 von dem sächsischen Aufstand über-

rascht wurde, ließen ihn alle Fürsten im Stich; nur noch die Bürger

der Stadt Worms öffneten ihm die Tore und waren bereit, Truppen gegen die Sachsen aufzustellen. Zum Dank für diese Treue erhielten die Wormser ein Privileg, das ihnen wichtige Zollvorrechte einräumte. Trotz dieses Bundes zwischen Worms und Heinrich IV.

kann nicht davon die Rede sein, daß der König seine Herrschaft auf

die Städte gestützt hätte. Dazu waren die wenigen Städte, die das Reich vor allem im Rheinland aufzuweisen hatte, viel zu schwach;

sie hatten sich ja noch nicht einmal von der Vorherrschaft ihres bischöflichen Stadtherrn gelöst. Die Urkunde Heinrichs IV. vom 18. Januar 1074 lautet:

Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit. Heinrich, durch das Walten von Gottes Gnaden König. Es ist Aufgabe königlicher Gewalt und Güte, den Dienst aller Leute mit angemessenen guten Gaben zu entgelten, in der Weise also, daß diejenigen, die sich in der Ergebenheit des Dienstes besonders bereitwillig zeigen, auch beim Entgelten des Dienstes sich freuen können, als besonders ver-

dienstlich und besonders erhaben beurteilt zu werden. Und unter diesen haben Wir die Einwohner der Stadt Worms nicht eines ganz kleinen, sondern eines ganz großen und besonderen Entgelts für würdig, nein: für würdiger als alle Bürger jeglicher Städte angesehen — sie, von denen Wir wissen, daß sie in der ganz großen Erschütterung des Reiches mit ganz großer und besonderer Treue zu Uns gehalten haben, obgleich Wir sie weder durch ein mündliches,

noch

durch ein in einem Brief von Uns selbst oder einem Boten vermerktes, noch überhaupt irgend ein Wort zu dieser so hervorragenden Treue gewonnen hatten. Und diese Treue haben Wir deswegen so hervorragend genannt: Während

274

Freibrief für die Bürger von Worms

alle Fürsten des Reiches unter Mißachtung des heiligen Bandes der Treue gegen Uns wüteten, gaben sie allein sich gleichsam dem Untergang preis und hingen Uns an geger den Willen aller. Denn während alle Städte sonst sozusagen — nein: tatsächlich bei Unserem Herannahen die Tore schlossen, während man Wachposten zur Nacht abwechselnd verteilte, während sie, mit Kost und Eisenwaffen ge-

schützt, bei Nacht und bei Tag umschritten wurden, hat sich

allein Worms mit der allgemeinen Zustimmung der Bürger, mit der Rüstung der Waffen aller Art Unserem Einzug bewahrt. Daher sollen sie also bei dem Entgelten des Dienstes die ersten sein, die in der Ergebenheit des Dienstes wahrhaftig nicht die allerletzten waren. Daher sollen sie bei der gebührenden Belohnung ihres Dienstes allen als Beispiel dienen, die alle in der Bewahrung des heiligen Bandes der Treue übertroffen haben. Daher sollen Einwohner aller Städte froh sein in der Hoffnung auf die königliche Vergü tung, welche die Wormser tatsächlich erreicht haben. Lernen sollen alle, in deren Nachahmung dem König die Treue zu bewahren, — alle, die in deren Förderung die Güte des

Königs gutheißen. Diese Förderung läßt sich zwar in wenigen Worten zusammenfassen, doch in deren Einschätzung selbst wird sie nicht als geringfügig, sondern als willkommen und ehrenvoll angesehen. Denn die Abgaben, die man in deutscher Sprache als »Zoll« bezeichnet, welche die Juden und die anderen Wormser in allen Zollstätten, die der königlichen Gewalt zugehören — also Frankfurt, Boppard, Hammerstein, Dortmund, Goslar, Enger —, bei der Durchreise zu zahlen verpflichtet waren, haben Wir den Wormsern erlassen, so daß

sie künftig keinen »Zoll« mehr zahlen, und dies haben Wir in Gegenwart Unserer Fürsten — also Liemars des Erzbischofs von Hamburg, der Bischöfe Ebbo von Naumburg, Dietrich von Verdun, Hermann von Bamberg und Burkhard von Basel —- sowie der übrigen Getreuen von Christus

Freibrief für die Bürger von Worms

275

und von Uns rechtskräftig gemacht. Daß diese Rechtsbestätigung, die über die Aufhebung des genannten »Zolls« stattfand, keiner Unserer Nachfolger, also keiner der Könige oder Kaiser, aufhebt, bitten Wir inständig, und

Wir ver-

bürgen Uns für die wünschenswerte Dauerhaftigkeit der Handlungen eines jeden. Wer — und das sei ferne! — Uns dabei irgendwie schwächt, möge gewiß sein, daß er sich selbst und was er tut schwächt. Diese Bestätigung, die, wie man unten sieht, mit eigener Hand auf dieser Urkunde, die Wir

haben schreiben lassen, eingeschrieben und mit dem Aufdruck Unseres Siegels versehen ist, haben Wir der Kenntnis allen künftigen und gegenwärtigen Volkes hinterlassen. Handzeichen des Herrn Heinrich IV., des allerdemütigsten und unüberwindlichsten Königs. Ich, Kanzler Adalbero, habe in Vertretung des Erzkanzlers Siegfried die Ausfertigung beglaubigt. Gegeben am 18. Januar, im Jahre der Geburt des Herrn 1074, in der 12. Indiktion, aber im 19. Jahr des Herrn

Heinrich,

des 4. Königs

seines Namens,

dem

17. Jahr seines Königtums; geschehen zu Worms; Heil und Segen im Namen Gottes. Amen. D:

Weinrich. S. 133/135.

O: Die Urkunden Heinrichs IV. Tl. 1. Hrsg. von Dietrich von Gla-

diß. Berlin 1941. (MGH DD H IV.) S. 342 f., Nr. 267.

62

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno Aus der widerrechtlichen Beschlagnahme eines Kaufmannsschiff durch Leute des Erzbischofs von Köln entwickelte sich 1074 ei Aufstand der Kölner Bürger, in dessen Verlauf der Erzbischof di Stadt verlassen mußte. Diese Revolte war aber nur ein erster Versuc der Bürger, die bischöfliche Stadtherrschaft abzuschütteln; gelungeı ist ihnen dies erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts. A Aus dem eingehenden Bericht Lamperts von Hersfeld über den Auf stand erfahren wir einiges über die Organisation der Herrschaft de: Erzbischofs über Köln. Gegen den Aufruhr der Stadtbürger, die sicl in ihren verbrieften Rechten eingeschränkt sahen, mußte der Erz bischof die Bewohner des Umlands aufbieten.

Damals ereignete sich in Köln ein Vorfall, der des Mitge-

fühls und der Tränen aller Guten wert ist, man weiß nicht,

ob durch die Haltlosigkeit des großen Haufens oder durck Machenschaften derer, die am Erzbischof für den König Rache nehmen wollten. Am wahrscheinlichsten ist folgende Vermutung: Die Wormser hatten sich ja bei allen einen gefeierten Namen dadurch gemacht, daß sie dem König in Unglück die Treue bewahrt und den Bischof, der sich zı empören beabsichtigte, aus der Stadt vertrieben hatten; die sem bösen Beispiel eiferten nun die Kölner nach und wollten ebenfalls durch irgendeine hervorstechende Tat den König einen Gefallen tun. Zur Ausführung ihres ruchlosen Vorhabens bot der Zufall eine günstige Gelegenheit. Der Erzbischof feierte das Osterfest in Köln, und bei ihm wa

der Bischof von Münster, den er als seinen vertraute Freund zur Teilnahme an den Freuden des hohen Festes eingeladen hatte. Als nun die Osterfeiertage beinahe vor:

über waren und dieser sich anschickte abzureisen, erhielten

die Hausbediensteten des Erzbischofs den Befehl, ein geeig-

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

277

netes Schiff für seine Reise zu besorgen. Nach eingehender Musterung und Besichtigung aller Schiffe beschlagnahmten sie eines, das einem sehr reichen Kaufmann gehörte und das ihnen für diesen Zweck geeignet erschien, ließen die Waren, die es geladen hatte, herausschaffen und befahlen, es unverzüglich für die Dienste des Erzbischofs instandzusetzen.

Als die Knechte, die das Schiff zu bewachen hatten, das verweigerten, drohten sie mit Gewalt, wenn sie ihre Befehle

nicht sofort ausführten. Darauf rannten die Knechte schleunigst zu dem Schiffseigner, meldeten den Vorfall und fragten, was sie tun sollten. Dieser hatte einen erwachsenen Sohn, der sich ebenso durch

Kühnheit wie durch Körperkräfte auszeichnete und bei den Großen der Stadt wegen verwandtschaftlicher Beziehungen und wegen seiner Verdienste außerordentlich beliebt war. Dieser lief mit seinen Knechten und mit jungen Leuten aus

der Stadt, so viele er in aller Hast zu seinem Beistand zu-

sammenraffen konnte, in fliegender Eile zu dem Schiff und verjagte die Diener des Erzbischofs, die hartnäckig auf der Beschlagnahme des Schiffs bestanden, mit Gewalt. Als darauf der Stadtvogt zum Eingreifen heranrückte und ein neues Handgemenge hervorrief, wehrte er auch diesen mit der gleichen Unerschrockenheit ab und jagte ihn davon. Schon wollten beide Parteien ihre Freunde bewaffnet zu Hilfe rufen, und es sah so aus, als sollte es zu einer schlimmen Kata-

strophe und einem gefährlichen Kampf kommen. Als man den Erzbischof benachrichtigte, daß in der Stadt ein schwe-

rer Aufruhr tobe, schickte er sofort seine Leute aus, um den Volksaufstand zu beschwichtigen, und er drohte voll Zorn,

bei der nächsten Gerichtssitzung die aufrührerischen Burschen mit der verdienten Strafe zu züchtigen.

[...]

Nur mit Mühe konnte man der Rauferei einigermaßen Ein-

halt tun. Aber trotzigen Wesens, wie er war, und durch den

ersten Erfolg übermütig gemacht, hörte der junge Mann nicht auf, überall zum Aufruhr zu hetzen: er zog in der ganzen Stadt umher und streute im Volk allerlei Reden aus über

278

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

die Überheblichkeit und Strenge des Erzbischofs, der so 0 Widerrechtliches anordne, so oft Unschuldigen das Ihı wegnehme, so oft die ehrenwertesten Bürger mit den unver: schämtesten Worten anfalle. Und es war nicht schwer, diesı Art Menschen wie Blätter, die der Wind vor sich hertreib

in alles zu verwandeln, was man wollte, denn von Juge: auf in den Genüssen des Stadtlebens aufgewachsen, hatteı sie keinerlei Erfahrung in Kriegsangelegenheiten, und ge

wohnt,

nach

dem

Verkauf

ihrer

Waren

bei

Wein

u X

Schmaus über militärische Dinge zu disputieren, glaubte

sie, alles, was ihnen in den Sinn kam, ebenso leicht ausfüh ren wie darüber reden zu können, aber wie die Sache danı

ausging, vermochten sie nicht zu ermessen. Dazu erinnerte

sie sich an die vielgerühmte, herrliche Tat der Wormser, di

ihren Bischof, als er sich allzu übermütig benahm, aus de Stadt

vertrieben

hatten,

und

da sie diesen

an Volksza

überlegen und mit Geld und Waffen noch besser ausgestat

tet waren, hielten sie es für ehrenkränkend, wenn man si

für weniger mutig erachtete und wenn sie den Erzbischof i weibischer Geduld so lange mit tyrannischem Hochmu über sie schalten ließen. Die Vornehmen schmieden läppische Pläne, das übermütige Volk tobt umsturzlüstern und ruft, von teuflischer Raserei fortgerissen, in der ganze Stadt zu den Waffen. Und schon entsteht Einverständnis den Erzbischof nicht wie in Worms aus der Stadt zu jagen sondern

ihn,

wenn

möglich,

unter

allen

Martern

abzu:

schlachten. Es war der Gedächtnistag des heiligen Mä rers Georg, der in diesem Jahre auf den Mittwoch in de Osterwoche fiel, der Erzbischof predigte nach der Messe 1 St. Georg vor dem Volk, und in einer Vorahnung, ohn( doch zu wissen, was für ein Unheil drohte, redete er seiner Zuhörern ins Gewissen, die Stadt sei in die Gewalt des Teu:

fels geraten und werde nächstens untergehen, wenn si nicht ungesäumt den schon dicht über ihnen schwebendeı Zorn Gottes durch Buße abzuwenden suchten.

Adwfstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

279

Am Nachmittag gegen Abend, als zu der Wut noch Trun-

kenheit — Öl zum Feuer — hinzukam, stürmen sie aus allen Teilen der Stadt zum erzbischöflichen Palast, und während

er an einem belebten Platz mit dem Bischof von Münster speist, greifen sie ihn an, schleudern Geschosse, werfen Steine, töten einige von den Aufwärtern, die übrigen, zermürbt durch Prügel und Wunden, verjagen sie. Währenddessen haben viele den Anstifter dieses Wütens, den Teufel selber, gesehen, wie er vor dem rasenden Volk daherlief, be-

helmt und gepanzert, mit einem feurigen Schwert schrecklich blitzend und niemand vergleichbar als ihm selbst. Und während er durch ein Trompetensignal die Zaudernden antrieb, ihm in den Kampf zu folgen, ist er mitten im Angriff, als er laut rufend vorstürmte, um die Torriegel zu sprengen, plötzlich den Augen der ihm Folgenden entschwunden. Den Erzbischof konnten seine Leute mit Mühe und Not aus dem feindlichen Haufen und der Wolke von Geschossen heraushauen und in die Kirche des hl. Petrus bringen, deren Türen sie nicht nur durch Riegel und Querbalken sicherten, sondern auch durch große davor gewälzte Blöcke. Draußen rasen und brüllen wie über die Ufer schäumende Wasserfluten die Gefäße des Teufels voll vom Weine des Zornes Gottes, und durch das ganze Innere des Palastes laufend, erbrechen sie die Türen, plündern die Schätze, zer-

schlagen die Weinfässer, und indem sie die mit großer Mühe als Vorräte für lange Zeit aufgestapelten Weine allzu hastig ausgießen, wären sie in dem plötzlich vollgelaufenen Keller

- man muß lachen, schon wenn man es erzählt —-, von der unvermuteten Flut bedroht, beinahe selber ertrunken. An-

dere dringen in die Kapelle des Erzbischofs ein und plündern den Altar aus, fassen die heiligen Gefäße mit ihren be{leckten Händen an, schleppen die Bischofsgewänder fort, und während sie alle gottesdienstlichen Geräte mit eifernder, nein geifernder Gründlichkeit zerschlagen, entdecken sie dort einen Mann, der sich vor Angst in einen Winkel verkrochen hat, und in der Meinung, es sei der Erzbischof,

280

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

schlagen sie ihn tot, nicht ohne frohlockend zu prahlen, s hätten nun endlich einmal seine freche Zunge zum Schweigen gebracht. Als sie aber erfuhren, daß sie sich durch d;

Ähnlichkeit hatten täuschen lassen, und daß der Erzbisch

in der Kirche des hl. Petrus war, geschützt durch die Heili keit des Ortes und die Festigkeit der Mauern, da rotten sie sich von allen Seiten zusammen, umstellen die Kirche und

versuchen mit größtem Kraftaufwand, eine Bresche in die Mauer zu schlagen, schließlich drohen sie sogar, Feuer anzulegen, wenn ihnen der Erzbischof nicht unverzüglich ausgeliefert werde. 4 Als nun die Leute in der Kirche sahen, daß das Volk entschlossen auf seinem Tod bestand und die Menschen nicht

bloß durch die Trunkenheit, die ja mit der Zeit abzuebben. pflegt, sondern auch durch zähen Haß und fanatische Wut umgetrieben wurden, rieten sie ihm zu dem Versuch, in Ver-

kleidung aus der Kirche zu fliehen und so den Belage zu entkommen; dadurch könne er gleichzeitig das he Gebäude vor der Einäscherung und sich selber vor de Tode retten. Der günstige Zeitpunkt verhieß Gelingen der Flucht. Nachdem sich der Aufruhr bis Mitternacht hingezogen hatte, herrschte nun allenthalben schaurige, undurchdringliche Finsternis, so daß man kaum das Gesicht vo Leuten, die einem begegneten, erkennen konnte. E schmaler Zugang führte aus der Kirche in den Schlafsaal und von dort in den Vorhof und in das Haus eines Domherrn, das unmittelbar an die Stadtmauer angebaut war. Dieser hatte wenige Tage vor dem Ausbruch der Empörung

vom Erzbischof die Erlaubnis erhalten, die Stadtmauer zu

durchbrechen und sich eine kleine Hintertür anzulegen, so hatte es Gott zur Rettung des Erzbischofs gnädig gef Dort führte man den Erzbischof hinaus, und nachdem ma

für seine und seiner Begleiter Flucht rasch vier Pferde herbeigeholt hatte, ritt er davon, durch die Finsternis. der dunklen Nacht aufs beste davor geschützt, von Begegnen-

den erkannt zu werden; nach kurzer Zeit traf er auf den Bi- )

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

281

schof von Münster und gelangte mit einem für die gegenwärtige mißliche Lage schon ganz ansehnlichen Geleit nach Neuß...

\[.. .]

Unterdessen ergriffen sie einen aus der Menge und hängten

ihn dem Erzbischof zur Schmach über dem Tore auf, mehr

um ihre Wut, die sie zurunüberlegten Handlungen hinriß, zu befriedigen, als weil sie dem Unglücklichen irgendein todeswürdiges Verbrechen hätten vorwerfen können. Auch ein Weib stürzten sie von den Zinnen der Mauer hinunter,

so daß es mit gebrochenem Genick tot liegen blieb; das Ver-

brechen, dessen man sie beschuldigte, bestand darin, daß sie im Verdacht stand, mehrfach Menschen durch Zauberei um

den Verstand gebracht zu haben. Doch dieses Vergehen hätte man zu gelegenerer Zeit und mit kühlerer Überlegung

ahnden sollen. Sie hätten auch, wenn Gott nicht, seinen Knechten helfend, die Tage ihres Wahnsinns verkürzt hätte,

ihr Vorhaben ausgeführt, die Mönche von St. Pantaleon allesamt zu erschlagen, weil diese dort nach Vertreibung der früheren Mönche durch den Erzbischof eine neue, ungewohnte Art des Mönchslebens eingeführt hatten. Außerdem befahlen sie einigen rüstigen jungen Männern, sich in allergrößter Eile zum König zu begeben, ihm zu melden, was geschehen war, und ihm nahezulegen, so schnell wie möglich zu kommen, um die durch die Vertreibung des Erzbischofs herrenlos gewordene Stadt zu besetzen: für das Wohl der Stadt und seinen eigenen wohlverstandenen Vorteil sei es entscheidend,

daß er versuche, dem

Erzbischof zuvor-

zukommen, der große Dinge im Schilde führe, um seine Schmach zu rächen. Von solcher Raserei wurden sie drei volle Tage umgetrieben. Als man überall im Lande hörte und allgemein bekannt wurde, daß die Kölner ihren Erzbischof mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt hätten, entsetzte sich alles Volk über

diese

unerhörte

Tat,

dies

abscheuliche

Verbrechen,

dies Schauspiel irdischer Hinfälligkeit, daß ein Mann von solchen Tugenden in Christo unter den Augen Gottes so

282

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

Schmachvolles hatte erleiden können. Seine große Freigebigkeit gegen die Armen, seine tiefe Frömmigkeit in göttlichen, seine große Milde in menschlichen Dingen, sein hingebender Eifer zur Verbesserung der Gesetze, seine unnachsichtige Strenge in der Bestrafung von Übeltätern wurden von allen gepriesen, und die Erinnerung an diese Vorzüge: machte ihn beim Volke außerordentlich beliebt. Laut rufen. alle, ihnen selber vielmehr sei Schmach angetan durch die Beschmutzung der Majestät des bischöflichen Namens, und es sei besser für sie zu sterben, als dieses schwerste Verbrechen ihrer Zeit ungeahndet zu lassen. So rufen sie im Umkreis von vier bis fünf Meilen überall zu den Waffen; viele Tausende von Menschen strömen schneller, als ein Wort

verhallt, herbei, und kein Waffenfähiger versagt sich einem so gottgefälligen Dienst; sie rotten sich zusammen, bitten den Erzbischof und bedrängen den Zögernden mit Gewalt, _ aufs schnellste gegen die Stadt zu ziehen, um sie zurückzu- | erobern; sie würden für ihn kämpfen und notfalls bereitwil- _ lig — Schafe für den Hirten, Söhne für den Vater - den Tod erleiden. Wenn ihn die Kölner bei seinem Erscheinen nicht

unverzüglich aufnähmen und ihm nach seinem Ermessen für die Kränkung Genugtuung leisteten, würden sie Feuerbrände hineinschleudern und die Bewohner mitsamt der | Stadt verbrennen lassen oder die Mauer zertrümmern und _ ihn über Haufen von Erschlagenen auf seinen Bischofsstuhl _ zurückführen. . So rückte der Erzbischof am vierten Tage nach seiner Flucht,

von

einem

stattlichen

Haufen

umgeben,

vor die

Stadt. Als die Kölner das sahen und erkannten, daß sie dem _ Angriff einer so großen, kampflustigen Menge weder an. der Mauer noch in einer Schlacht standhalten konnten, da

erst begann ihre Wut zu verrauchen, ihre Trunkenheit zu | schwinden, und völlig eingeschüchtert schickten sie ihm Boten entgegen und baten um Frieden, indem sie sich schuldig bekannten und bereit erklärten, jede Strafe auf sich zu nehmen, wofern ihr Leben geschont werde. Der Erzbischof er- _

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

283

widerte, er werde ihnen Vergebung nicht versagen, wenn sie aufrichtig bereuten. Nach der Feier des Hochamts zu St. Georg lud er dann alle diejenigen, die den Bischof von seinem Sitz vertrieben, die die Kirche durch Mord befleckt,

die die Kirche des hl. sonstigen Rechte der verletzt hatten, durch vor. Alsbald zogen sie

Petrus feindlich angegriffen und die Kirche durch barbarische Schandtat bischöflichen Bann zur Bußleistung alle barfuß mit wollenen Gewändern

auf dem bloßen Leibe heran, nachdem sie mit Mühe und Not von den Leuten, die den Erzbischof umgaben, die Zusi-

cherung erhalten hatten, daß sie das ohne Gefahr tun könnten. Denn diese warfen ihm heftig zürnend vor, er trüge so übergroße Milde zur Schau nur, um sich beim Volke beliebt zu machen, und ermutige, wenn dieses Verbrechen ungestraft bliebe, die Schurken nur zu schlimmeren Freveln. Der Erzbischof befahl nun den Städtern, sich am nächsten

Tage bei St. Peter einzufinden, um für das ungeheuerliche Verbrechen nach den kanonischen Vorschriften Buße auf sich zu nehmen. Er selber zog weiter nach St. Gereon und beschloß, hier außerhalb der Stadt zu übernachten, und da

er fürchtete, daß nach Übergabe der Stadt die wutentflammten Reisigen kaum von Gewalttaten abgehalten werden könnten und teils aus Erbitterung über das begangene Unrecht, teils aus Beutegier allzu schlimm gegen das Volk wü-

ten würden, bat er die Leute vom Lande, die bei ihm waren, dringend, alle in Frieden heimzuziehen; ihre bisherigen

Dienste genügten, und er habe einen deutlichen Beweis dafür erhalten, welche Gesinnung die Schafe gegen den Hirten, die Söhne gegen den Vater hegten; der schwierigste Teil des Unternehmens sei dank ihrer großen Tapferkeit durchgeführt;

was

noch

übrig

bleibe, könne

nun

leicht durch

seine eigne Haustruppe erledigt werden. Sie sollten daher mit seinen Segenswünschen heimziehen und die Hoffnung

mitnehmen, daß seine Dankbarkeit für diesen treuen Dienst, ob er nun lebe oder sterbe, allezeit bestehen bleiben

werde. Nachdem er ihren Abzug mit Mühe durchgesetzt

284

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

hatte, befahl er so vielen seiner eignen Leute, wie ihm zur

Unterdrückung von Unruhen in der Stadt, falls solche in-

folge des Wankelmuts des Volkes ausbrechen sollten, ausrei-

chend schienen, vor ihm in die Stadt einzurücken, er selbst

wollte am nächsten Tage folgen, wenn von der Vorausabtei- | lung eingehende Vorkehrungen dagegen getroffen wären, daß irgendwelche geheimen Anschläge in der Stadt vorbereitet würden.

In dieser Nacht flohen mehr als sechshundert der wohlhabendsten Handelsherren aus der Stadt und begaben sich zum König, ihn um sein Einschreiten gegen das Wüten des | ‚Erzbischofs zu bitten. Der Erzbischof wartete nach seinem | Einzug in die Stadt drei volle Tage auf das Erscheinen der übrigen vor ihm, wie er angeordnet hatte, damit sie Vorschläge zu irgendeiner Genugtuung machten, aber sie kamen nicht. Diese Mißachtung ertrugen die Mannen des Erz- | bischofs nicht: sie greifen zu den Waffen, wie die meisten versichern, ohne Wissen und Befragen des Erzbischofs, dringen in die Häuser, plündern die Habe, strecken die ihnen Entgegentretenden teils nieder, nehmen sie teils gefangen und werfen sie in Ketten, üben, mit einem Wort - wir |

müssen, allerdings nur notgedrungen, die Wahrheit bekennen —, das Werk gerechter Rache viel ungezügelter aus, als | mit dem Ruf eines so hohen Kirchenfürsten vereinbar war. Aber je schwerer die Krankheit, desto schärferer Gegenmit- |

tel bedurfte sie. Der oben erwähnte

Kaufmannssohn,

der das Volk zuerst

zum Aufstand entflammt hatte, und einige andere wurden | geblendet, mehrere wurden gestäupt und geschoren, alle wurden mit schweren Vermögensbußen belegt und mußten

einen Eid leisten, daß sie in Zukunft die Stadt, so gut sie mit _

Rat und Tat vermöchten, für den Erzbischof gegen jedermanns Gewalttätigkeit verteidigen und die aus der Stadt geflohenen Bürger stets als ihre schlimmsten Feinde betrachten würden, bis diese dem Erzbischof gebührende Genugtuung geleistet hätten. So wurde die Stadt, noch vor kurzem _

Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno

285

die volkreichste und nächst Mainz der Haupt- und Vorort aller gallischen Städte, plötzlich fast völlig verödet; wo bisher die Straßen die dichten Scharen von Fußgängern kaum fassen konnten, zeigt sich jetzt nur selten ein Mensch, und schauriges Schweigen herrscht an all den Stätten der Lust und der Genüsse. Dieses Unheil hatten eindeutige Vorzeichen angekündigt. Ein Fremder war zur Feier des Palmsonntags in diesem Jahr in die Stadt gekommen. Er sah im Traum, wie ein ungeheuer großer Rabe durch ganz Köln flog und sein schreckenerregendes Krächzen das über diesen Anblick entsetzte Volk hierhin und dorthin scheuchte, wie

dann ein wunderschöner Mann in herrlicher Kleidung erschien, der den grauenvoll krächzenden Raben aus der Stadt verjagte und das Volk, das völlig von Sinnen war und schon das Schlimmste befürchtete, von der unnötigen Angst befreite. Als er dann die ihn umringenden Bürger angstvoll nach der Bedeutung des Traumes fragte, sagte man ihm, die Stadt sei wegen der Sünden des Volkes in die Gewalt des Teufels gegeben gewesen, aber durch das Eingreifen des Märtyrers Georg von ihm befreit worden und so dem Verhängnis des schon unmittelbar bevorstehenden, von Gott vorbestimmten Untergangs entronnen. D: Lampert von Hersfeld: Annalen. Übers. von Adolf Schmitt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1962. (FSGA 13.) S. 237-249.

O: Lamperti monachi Hersfeldensis Opera. Hrsg. von Oswald Holder-Egger. Hannover/Leipzig 1894. (MGH SS rer. Germ. 38.) S. 185—193.

63 Einvernehmen zwischen Heinrich IV.

und Papst Gregor VII.

Bei der Erhebung Hildebrands zum Papst (22. 4. 1073) war auf die Bestimmungen des Papstwahldekrets von 1059 keine Rücksicht genommen worden; der Archidiakon, der schon seit längerem im Hintergrund gewirkt hatte, wurde durch einen Tumult zum Papst erho-

ben. Am Anfang seines Pontifikats zeigte Gregor VII. gegenüber Heinrich IV. eine versöhnliche Haltung; er akzeptierte dessen Ver-sprechen, künftig keine simonistischen Ernennungen von Bischöfen mehr vorzunehmen. Zum Kampf gegen Simonie und Priesterehe _ sollte im Reich ein Konzil veranstaltet werden. Ein Brief des Papstes _ vom Dezember 1074 (Reg. IL31) zeigt das große Vertrauen, das Gregor VII. in den deutschen König setzte: dieser sollte nämlich die Kirche leiten, während der Papst an der Spitze eines Heeres ins Heilige Land ziehen wollte (63.2). 4 Für die Geschichte der Beziehungen zwischen König Heinrich IV. und Papst Gregor VII. besitzen wir eine ganze Reihe von Briefen. Von den 42 erhaltenen Briefen des Königs sind vier als Originale überliefert; die übrigen kennen wir entweder aus zeitgenössischen Chroniken oder aus Briefsammlungen, vor allem aus dem Codex Udalrici, einer 1125 in Bamberg angelegten Sammlung. Die Briefe Gregors VII sind zum größten Teil im original erhaltenen Briefregister dieses Papstes überliefert. AM 63.1

Brief Heinrichs IV. an Gregor VII.

vom Jahr 1073

Dem eifrigsten und teuersten Herrn Papst Gregor, dem der Himmel die apostolische Würde verliehen hat, versichert Heinrich, durch Gottes Gnade König der Römer, getreueste Erfüllung des schuldigen Dienstes. ; Da weltliche und geistliche Gewalt immer ihrer wechselseitigen Hilfe bedürfen, um in Christus richtig verwaltet zu

|

Einvernehmen Heinrichs IV. mit Papst Gregor VII.

287

werden und Bestand zu haben, ist es nötig, mein Herr und

geliebter Vater, daß sie auf keinen Fall untereinander uneins

sind, sondern durch das Band Christi eng verbunden, un-

löslich zusammenhalten. Denn so und nicht anders wird im Band der vollkommenen Liebe und des Friedens die einträchtige christliche Einheit und der Stand des christlichen Glaubens gewahrt. Wir aber, die wir nach Gottes Willen seit einiger Zeit das Herrscheramt ausüben, haben der geistlichen Gewalt nicht

in allem, wie es sein sollte, das schuldige Recht und die ihr

gebührende Stellung eingeräumt. Zwar haben wir das richtende Schwert der uns von Gott verliehenen Gewalt nicht umsonst getragen, aber wir haben es nicht immer gegen die Schuldigen, wie es gerecht gewesen wäre, auf Grund eines richterlichen Urteils aus der Scheide gezogen. Jetzt aber empfinden wir durch göttliches Erbarmen Reue und sind in uns gegangen, klagen uns an und bekennen Eurer väterlichen Nachsicht unsere Sünden und hoffen von Euch im Herrn, daß wir verdienen, durch Eure apostolische Voll-

macht freigesprochen und gerechtfertigt zu werden. Ach wir Schuldbeladenen und Unglückseligen! Durch die Verlockung der Jugend verführt und durch die Ungebundenheit infolge unserer Gewalt und herrscherlichen Macht, verführt und getäuscht auch von solchen, deren Ratschlägen wir allzu anfällig gefolgt sind, haben wir gegen den Himmel und vor Euch gesündigt und sind hinfort nicht mehr wert, Euer Sohn zu heißen [Luk. 15,21]. Wir sind nicht nur in den

Kirchenbesitz eingedrungen, wir haben auch die Kirchen selbst an Unwürdige, die durch die Galle der Simonie bitter geworden waren und nicht durch die Tür, sondern anderswoher eingetreten sind [Joh. 10,1], verkauft, anstatt sie zu

schützen, wie es unsere Pflicht gewesen wäre. Jetzt aber, da wir ohne Eure Vollmacht die Kirche nicht allein bessern können,

erbitten wir dafür wie überhaupt für alle unsere

Vorhaben inständig Euren Rat und Eure Hilfe; wir werden Kure Vorschrift in allem eifrigst beachten. Und nun bitten

288

Einvernehmen Heinrichs IV. mit Papst Gregor VII.

wir in erster Linie für die Mailänder Kirche, die durch un-

sere Schuld im Irrtum befangen ist'; Eure apostolische Ge-walt möge sie nach kanonischem Recht auf den richtigen Weg bringen, und danach möge Euer päpstlicher Urteils- _ spruch fortfahren, auch die übrigen zu bessern. 4 Wir werden Euch bei allem, so Gott will, nicht im Stich las- | sen, und ebenso bitten wir auch Euch, der uns väterlich zu- _

getan, daß Ihr uns Brief werdet Ihr in erhalten. Von ihnen von denen darüber

freudig und gnädig beisteht. Unseren | Kürze durch uns völlig ergebene Leute | werdet Ihr alle unsere Angelegenheiten, hinaus noch zu sprechen bleibt, so Gott

will, ausführlicher erfahren.

D: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. Übers. von FranzJosef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,

1968. (FSGA 12.) S. 55/57.

4

(MGH

M

O: Die Briefe Heinrichs IV. Hrsg. von Carl Erdmann. Leipzig 1937. Deutsches Mittelalter 1.) S. 8 f.

63.2 Brief Gregors VII. an Heinrich IV. vom 7. Dezember 1074 Bischof Gregor, Knecht der Knechte Gottes, sendet dem ruhmreichen König Heinrich Gruß und apostolischen Segen. ' Wenn es Gott irgendwie in seiner Güte gestattete, daß mein Denken offen vor Dir da läge, wüßte ich dank seiner Gnade

unzweifelhaft, daß niemand Dich von meiner aufrichtigen

Liebe trennen könnte. Dennoch erwarte ich mit Sicherheit von seiner Barmherzigkeit, daß irgendeinmal zutage treten

wird, daß ich Dich mit ehrlicher Zuneigung liebe. Darauf weist mich nämlich das für alle Christen geltende allge-

1 Der König hatte gegen den vom Papst anerkannten Mailänder Erzbischof Atto einen eigenen Kandidaten benannt.

|

Einvernehmen Heinrichs IV. mit Papst Gregor VII. meine

Gebot,

289

dazu veranlassen mich auch die kaiserliche

Majestät und die gütige Gewalt des apostolischen Stuhles, weil ich, falls ich Dich nicht liebe, wie es notwendig ist, um-

sonst auf die Barmherzigkeit Gottes dank der Verdienste des heiligen Petrus vertraue. Aber da ich Tag und Nacht un-

ter vielerlei Gefahren, ja bis zum Tod, im Weinberg des Herrn arbeiten möchte, werde ich mich bemühen, nicht nur

Dir, den Gott auf den Gipfel der Macht stellte und durch den viele entweder vom rechten Weg abirren können oder die christliche Religion beachten, sondern auch dem geringsten Christen mit Gottes Hilfe heilige und angemessene Zuneigung zu bewahren. Denn wer ohne dieses Gewand zum königlichen Hochzeitsmahl zu kommen versucht,

wird schreckliche Schmach erleiden. Ach, o Schmerz, dies

bedenken diejenigen nicht wahren Sinnes, die täglich Zwietracht zwischen uns zu säen beabsichtigen, um mit den Fallstricken, die auf teuflische Einflüsterung hin bereitet werden, ihren Vorteil erlangen’zu können und ihre Fehler zu verheimlichen, durch die sie Gottes Zorn und das Schwert des heiligen Petrus wahnwitzigen Sinnes herausfordern. Inständig ermahne ich Dich deshalb, teuerster Sohn: Wende ab Dein Ohr von diesen und schenke unverzüglich denen Gehör, die nicht das Ihre suchen, sondern das, was Jesu Christi

ist, und nicht ihre Ehre und ihren Vorteil der Gerechtigkeit

voranstellen, damit Du dank ihres Rates nicht den Ruhm

dieses gegenwärtigen Lebens verlierst, vielmehr den, der bei Christus Jesus ist, zuversichtlich gewinnst. Außerdem teile ich Deiner Erhabenheit mit, daß die Chri-

sten in den Gebieten jenseits des Meeres — von denen ein sehr großer Teil durch ein unerhörtes Gemetzel von den Heiden vernichtet und wie Vieh in einem fort täglich hingeschlachtet und so das christliche Volk zunichte wird? — in Demut zu mir sandten und von ihrem übergroßen Elend 2 Die Byzantiner hatten im Jahre 1071 bei Mantzikert am Vansee eine schwere Niederlage gegen die muslimischen Türken erlitten. Innerhalb kurzer Zeit fiel fast ganz Kleinasien an die Türken.

290

Einvernehmen Heinrichs IV. mit Papst Gregor VII.

bedrängt flehten, auf jede mir mögliche Weise diesen unse-

ren Brüdern zu Hilfe zu eilen, damit die christliche Religion

nicht in unseren Zeiten — was fern sei —- gänzlich zugrunde gehe. Ich jedenfalls, von übergroßem Schmerz erfüllt und sogar zum Wunsch nach dem Tod veranlaßt — ich möchte nämlich lieber mein Leben für sie hingeben als sie vernachlässigen und der ganzen Welt entsprechend den Begierden

des Fleisches befehlen —, habe Vorsorge getroffen, alle Chri- _

sten dazu zu bewegen, dazu zu bringen, daß sie wünschen, _ in der Verteidigung des Gesetzes Christi ihr Leben für ihre Brüder hinzugeben und den Adel der Kinder Gottes heller _ als das Licht sehen zu lassen. Diese Mahnung haben die Bewohner Italiens und die von jenseits der Alpen auf Gottes Eingebung hin, wie ich glaube, ja sogar völlig versichere, bereitwillig aufgenommen, und schon rüsten sich mehr als 50000

dazu, falls sie mich

zum

Führer und

Bischof des

Feldzuges haben können, mit bewaffneter Hand gegen die _ Feinde aufstehen zu wollen und bis zum Grab des Herrn? unter dessen eigener Führung zu ziehen. Das aber treibt mich vor allem zu diesem Werk, daß die Kirche von Kon-

stantinopel, die hinsichtlich des Heiligen Geistes mit uns zerfallen ist‘, die Eintracht mit dem apostolischen Stuhl er- _

hofft, auch fast alle Armenier vom katholischen Glauben abirren und beinahe alle im Osten darauf warten, was der _

Glaube des Apostels Petrus zwischen ihren verschiedenen Meinungen entscheidet. Es obliegt nämlich unserer Zeit, daß erfüllt wird, was der Erlöser durch besondere Gnade

dem Apostelfürsten aufzutragen und zu gebieten geruhte, _ als er sagte: »Ich habe für dich gebeten, Petrus, daß dein Glaube nicht wanke; und du, wenn du bekehrt bist, stärke _ deine Brüder.« Und da unsere Väter, deren Spuren wir,

3 Also nach Jerusalem. K 4 Zwischen der West- und Ostkirche bestand seit dem 9. Jahrhundert Uneinigkeit über eine Formulierung im Glaubensbekenntnis, die das Ausgehen des Heiligen Geistes betraf. 1054 hatten sich Rom und Konstantinopel gegenseitig mit dem Bannfluch belegt. }

OO Einvernehmen Heinrichs IV. mit Papst Gregor VII.

291

wenn auch unwürdig, zu folgen wünschen, jene Gebiete häufig aufsuchten, um den katholischen Glauben zu stärken, werden auch wir bedrängt, unterstützt durch die Gebete aller Christen, um dieses Glaubens willen und zur Ver-

teidigung der Christen dorthin zu ziehen, falls unter Führung Christi der Weg offen sein wird; denn der Weg des Menschen liegt ja nicht in seiner eigenen Hand, und vom Herrn werden des Menschen Schritte gelenkt. Aber da eine große Sache großen Rats bedarf und der Hilfe der Großen, suche ich bei Dir Rat, wenn Gott mir dies zu beginnen erlaubt, und, wie es Dir paßt, Hilfe; denn wenn ich mit Gottes Gunst dorthin gehen werde, überlasse ich Dir, nebst

Gott, die römische Kirche, damit Du sie als heilige Mutter behütest und zu ihrer Ehre verteidigst. Gib mir, so schnell Du kannst, Antwort, was Dir in dieser Hinsicht gefällt und

was Deine Klugheit, von Gott eingeflößt, entscheidet. Denn wenn ich von Dir nicht mehr erhoffte als die meisten meinen, würde ich diese Worte vergeblich vorbringen. Aber da es vielleicht keine Menschen gibt, denen Du bis jetzt hinsichtlich der Aufrichtigkeit meiner Liebe unzweifelhaft glaubst, überlasse ich es dem Heiligen Geist, der alles vermag, Deinem Sinn auf seine Weise darzutun, was ich für

Dich wünsche und wie sehr ich Dich liebe, und daß er in

gleicher Weise Dein Denken mir gegenüber bestimme, auf daß der Wunsch der Gottlosen zunichte werde und der der Guten gedeihe. Diese beiden Wünsche sind unablässig,

wenn auch auf verschiedene Weise, um uns bemüht und lie-

gen gemäß dem Willen derer, von denen sie ausgehen, im Streit. Der allmächtige Gott, von dem alle Güter den Ausgang nehmen,

befreie Dich durch die Verdienste und die Voll-

macht. der heiligen Apostel Petrus und Paulus von allen Sünden, er lasse Dich den Weg seiner Gebote beschreiten und führe Dich zum ewigen Leben. Rom, am 7. Dezember,

in der 13. Indiktion.

292

Absageschreiben an Papst Gregor VII.

D: Quellen zum Investiturstreit. Tl. 1: Ausgewählte Briefe Papst _ Gregors VII. Hrsg. und übers. von Franz-Josef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978. (FSGA 12a. Ü S. 125-129.

]

O: Das Register Gregors VII. Hrsg. von Erich Caspar. Berlin 1920. ) (MGH Ep»p. sel. 2,1.) S. 165-168 (Reg. IL31).

64

Absageschreiben an Papst Gregor VII. Bereits als römischer Archidiakon hatte Hildebrand, der spätere Papst Gregor VII., auf die Interessen und die Person von Bischöfen kaum

Rücksicht

genommen,

wenn

es

galt,

Reformforderungen-

durchzusetzen. Die Bischöfe Deutschlands und Oberitaliens waren es denn auch, von denen der Widerstand gegen Gregor VII. ausging. Sie verhinderten die geplante Reformsynode, da sie in ihr ein Mittel zur Disziplinierung und zum Ausbau des päpstlichen Zentralismus sahen.. Der König hielt sich aus dem Konflikt Gregorsmit den Bischöfen anfangs heraus und wurde noch im Somm 1075 vom Papst wegen seines Einsatzes für die Reform belobig Zur Konfrontation kam es erst, als er im Herbst 1075 in den Mai

länder Bischofsstreit eingriff und einen Angehörigen seiner Hofk: pelle zum Erzbischof von Mailand erhob. Als Heinrich dann aut

noch für Spoleto und Fermo neue Bischöfe ernannte, deren Sitze i

Kirchenstaat lagen, richtete der Papst im Dezember 1075 ein Schreiben an den König, worin er Heinrich in fast drohendem Ton auf: fordert, diese Maßnahmen rückgängig zu machen und dem Apostelfürsten Petrus zu gehorchen. Die Antwort des Königs war ein Bündnis mit den Bischöfen. Am 26. Januar 1076 kündigte die, Mehrheit des deutschen Episkopats Gregor VII. den Gehorsam auf, weil seine Erhebung illegal gewesen und sein Lebenswandel unmoralisch sei. In einem eigenen Schreiben redet Heinrich IV. Gregor an als

»Hildebrand,

nicht

mehr

den

Papst,

sondern

den

falschen

Mönch« und verweist auf seine Unantastbarkeit als Gesalbter des Herrn.

Absageschreiben an Papst Gregor VII.

293

Das Schreiben des Königs ist in zwei abweichenden Fassungen überliefert, wobei die ausführlichere Fassung als eine Art Propagandaschrift im Reich verbreitet wurde.

(a)

H., von Gottes Gnaden König, an Hildebrand.

Während ich bisher das von dir erwartete, was dem Verhal-

ten eines Vaters entspricht, und dir in allem zur großen Entrüstung unserer Getreuen gehorchte, habe ich von dir eine Vergeltung erfahren, wie sie nur von jemandem zu gewärtigen war, der der verderblichste Feind unseres Lebens und unserer Herrschaft ist. Denn nachdem du mir zunächst die gesamte erbliche Würde, die mir jener Stuhl schuldet, ‚in vermessenem Beginnen entrissen hattest, gingst du noch weiter und versuchtest, mir das italienische Reich durch die schlimmsten Machenschaften zu entfremden. Und auch damit nicht zufrieden, hast du dich nicht gescheut, an die verehrungswürdigen Bischöfe Hand anzulegen, die als die liebsten Glieder mit uns vereint sind, und gegen göttliches und menschliches Recht hast du sie, wie sie selbst sagen, mit den

hochmütigsten Beleidigungen und den bittersten Schmähungen traktiert. Da ich alles mit einiger Geduld hingehen ließ, hieltest du dies nicht für Geduld, sondern für Feigheit und wagtest es, dich gegen das Haupt selbst zu erheben und ließest verbreiten, was dir ja bekannt ist, nämlich — um deine eigenen Worte zu gebrauchen — daß du entweder sterben oder mir Seele und Herrschaft nehmen wolltest. Diese unerhörte Verhöhnung glaubte ich nicht mit Worten, sondern durch die Tat zurückweisen

zu müssen,

und ich

hielt einen Hoftag mit allen Fürsten des Reiches auf deren eigene Bitten hin ab. Sobald das an die Öffentlichkeit gebracht wurde, was man bisher aus Scheu und Ehrfurcht ver-

schwiegen hatte, da wurde auf Grund der wahrheitsgetreuen Darlegungen dieser Fürsten verkündet — du kannst sie aus ihrem eigenen Schreiben entnehmen —, daß du auf keinen Fall mehr auf dem apostolischen Stuhl bleiben

294

Absageschreiben an Papst Gregor VII.

kannst. Da ihr Spruch vor Gott und den Menschen gerecht und billigenswert schien, stimmte auch ich zu und spreche dir jedes Recht, das du bisher am Papsttum zu haben, schienst, ab; auf Grund des Patriziats über die Stadt Rom,

der mir als von Gott gewährt und infolge der beschworenen Zustimmung der Römer rechtmäßig zusteht,! befehle ich dir, von ihrem Thron herabzusteigen. }

(b)

Heinrich nicht durch Anmaßung, sondern durch Gottes gerechte Anordnung König, an Hildebrand, nicht mehr den Papst, sondern den falschen Mönch. Diese Anrede hast du nämlich für die von dir angerichtete Verwirrung verdient, der du keinen Stand in der Kirche davon ausgenommen hast, ihn der Verwirrung statt der ge-bührenden Stellung, des Fluchs statt des Segens teilhaftig zu machen.

Um nämlich aus vielem nur einiges Wenige und Wichtige zur Sprache zu bringen: du scheutest dich nicht nur nicht, die Lenker der heiligen Kirche, nämlich Erzbischöfe, Bischöfe und Priester, die doch Gesalbte des Herrn sind, anzutasten, nein, wie Knechte, die nicht wissen, was ihr Herr

tut, zertratest du sie unter deinen Füßen und gewannst dir dabei die Zustimmung aus dem Mund des Pöbels. Sie alle erachtest du als unwissend, dich allein aber als allwissend doch dieses Wissen bemühtest du dich nicht zum Aufba 1 sondern zur Zerstörung zu verwenden. Daher glauben wir mit Recht, der heilige Gregor, dessen Name du dir ange maßt hast, habe dies von dir prophezeit, als er sprach: »I folge der Menge der Untergebenen wird der Geist der Vorgesetzten häufig hochfahrend und meint, er wisse mehr als alle, wenn er sieht, daß er mehr als alle vermag.« 1 Der Titel eines Patricius der Römer, ursprünglich eine Bezeichnung fü den Vertreter des oströmischen Kaisers in Rom, verlieh seinem Träge nach der Auffassung des 11. Jahrhunderts das Recht, an der Papstwahl mitzuwirken. M

|

Absageschreiben an Papst Gregor VII.

295

Und wir haben dies alles ertragen, während wir uns bemühten, die Stellung des apostolischen Stuhles zu wahren. Aber du hast unsere Demut für Furcht gehalten und dich daher nicht gescheut, dich sogar gegen die uns von Gott verliehene königliche Gewalt zu erheben; du hast zu drohen gewagt, du würdest sie uns nehmen, als ob wir von dir das Königtum empfangen hätten, als ob in deiner und nicht in Gottes Hand Königs- und Kaiserherrschaft lägen. Dieser unser Herr Jesus Christus hat uns zum Königtum, dich aber nicht zur geistlichen Herrschaft berufen. Du nämlich bist auf folgenden Stufen emporgestiegen: durch List — was das Mönchsgelübde verabscheut — bist du zu Geld gekommen, durch Geld zu Gunst, durch Gunst zum Schwert, durch das Schwert zum Sitz des Friedens, und vom Sitz des

Friedens aus hast du den Frieden gestört; die Untergebenen hast du gegen die Vorgesetzten bewaffnet, unsere Bischöfe,

die Gott berief, hast du, der Unberufene, zu verachten ge-

lehrt, ihre Amtsgewalt über die Priester hast du den Laien widerrechtlich übereignet, so daß diese Laien nun diejenigen absetzen und verurteilen, die ihrerseits die Laien aus der Hand Gottes durch Handauflegung der Bischöfe empfangen hatten, um sie zu belehren. Auch mich, der ich — wenn auch unwürdig unter Gesalbten — zum Königtum gesalbt worden bin, hast du angetastet, mich, von dem die Überlieferung der heiligen Väter lehrt, daß ich nur von Gott gerichtet werden darf, und versichert,

daß ich wegen keines Verbrechens abgesetzt werden darf,? ich wiche denn vom Glauben ab, was ferne sei. Denn sogar den Julianus Apostata unterstellten die heiligen Bischöfe in ihrer Klugheit nicht ihrem eigenen Urteil, sondern überließen ihn Gott zur Verurteilung und Absetzung. Selbst der wahre Papst, der heilige Petrus, ruft aus: »Fürchtet Gott und ehret den König«; du aber entehrst mich, weil du Gott,

der mich eingesetzt hat, nicht fürchtest.

2 Die Vorstellung, daß der Papst nicht gerichtet werden dürfe, wird hier auf den König übertragen.

29%

Absetzung und Bannung Heinrichs IV.

Daher nahm der heilige Paulus an der Stelle, an der er selbst den Engel vom Himmel, falls dieser etwas anderes verkündete, nicht schonte, auch dich nicht aus, der auf Erden etwas

anderes lehrt. Er sagt nämlich: »Wenn irgendeiner, ich oder ein Engel vom Himmel, euch ein anderes Evangelium verkündete, als wir verkündigt haben, dann sei er verflucht.«

So steige du denn, der du durch diesen Fluch und das Urteil _ aller unserer Bischöfe und unser eigenes verdammt bist, herab, verlasse den apostolischen Stuhl, den du dir angemaßt hast. Ein anderer steige auf den Thron des heiligen Petrus, einer, der Gewalttat nicht mit Frömmigkeit bemäntelt, sondern die reine Lehre des heiligen Petrus lehrt. Ich, Hein-

rich, durch die Gnade Gottes König, sage dir zusammen mit allen meinen Bischöfen: Steige herab, steige herab!

D: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. Übers. von FranzJosef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, _

1968. (FSGA 12.) S. 63-69.

;

O: Die Briefe Heinrichs IV. Hrsg. von Carl Erdmann. Leipzig 1937. (MGH Deutsches Mittelalter 1.) S. 14-17. |

65

Absetzung und Bannung Heinrichs IV. Wenn Heinrich IV. und die deutschen Bischöfe, denen sich wenig später auch die Bischöfe Oberitaliens anschlossen, gehofft hatten,

ihre Absage gegenüber Gregor VII. werde eine allgemeine Abfallbewegung auslösen, so erwies sich dies als schwerer Irrtum. Gregor VITL. griff nämlich zu einer bisher nie von einem Papst geübten Maßnahme und erklärte auf der Fastensynode von 1076 in einem Gebet

an den Apostel Petrus den deutschen König für abgesetzt, sprach über ihn den Bann aus und löste seine Untertanen von ihrem Gehorsamseid. Die Wirkung von Gregors beispiellosem Vorgehen war un-

Absetzung und Bannung Heinrichs

IV.

297

geheuer, und es zerstörte das Einvernehmen zwischen Heinrich IV.

und den Bischöfen. Gregor VII. verschickte die Absetzungssentenz gegen Heinrich IV. an einen großen Adressatenkreis im deutschen Reich; das/ist heute noch an einigen Empfängerüberlieferungen erkennbar, in denen die-

ser Text erhalten ist. Der Text war auch Bruno bekannt, der ihn in

sein Buch vom Sachsenkrieg aufnahm.

Heiliger Petrus, Fürst der Apostel, neige, wir bitten dich, gnädig dein Ohr und erhöre mich, deinen Knecht, den du von Kindheit an genährt und bis auf den heutigen Tag aus der Hand der Sünder gerettet hast, die mich um deiner Treue willen haßten und noch hassen. Du bist mir Zeuge unter allen Heiligen und meine Herrin, die Mutter Gottes, und der heilige Paulus, dein Bruder, daß deine heilige römische Kirche mich wider meinen Willen zu ihrer Leitung berufen hat und ich keinen Raub im Sinne hatte, diesen Stuhl

zu besteigen, daß ich vielmehr lieber mein Leben in der Fremde

beschließen

wollte,

als

deinen

Platz

weltlichen

Ruhmes willen durch weltliche Machenschaften mir anzueignen. Und daher glaube ich, daß es dir in deiner Gnade

und nicht um meiner Werke willen gefallen hat und noch gefällt, daß das christliche Volk, das dir ganz besonders anvertraut ist, mir gehorcht, weil es mir als deinem Stellvertreter ebenfalls ausdrücklich anvertraut ist, und daß mir um

deinetwillen von Gott Gewalt gegeben ist, zu binden und

zu lösen, im Himmel und auf Erden. In dieser festen Zuversicht also, zur Ehre und zum Schutz deiner Kirche, im Namen des allmächtigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und

des Heiligen Geistes, kraft deiner Gewalt und Vollmacht spreche ich König Heinrich, des Kaisers Heinrich Sohn, der sich gegen deine Kirche mit unerhörtem Hochmut erhoben hat, die Herrschaft über Deutschland und Italien ab, und

ich löse alle Christen vom Eid, den sie ihm geleistet haben oder noch leisten werden, und untersage, ihm fürderhin als König zu dienen. Denn es gebührt sich, daß derjenige, der die Ehre deiner Kirche zu verringern trachtet, selber die

298

Canossa

Ehre verliert, die er zu besitzen scheint. Und weil er es verschmäht hat, wie ein Christ zu gehorchen, und nicht zu. Gott, den er verlassen hat, zurückgekehrt ist, sondern mit Gebannten Gemeinschaft hält, vielerlei Unrecht tut, meine

Ermahnungen, die ich um seines Heiles willen an ihn gerichtet habe, verachtet — du bist mein Zeuge —, sich von deiner Kirche trennt und sie zu spalten sucht, darum binde ich als dein Stellvertreter ihn mit der Fessel des Fluch: und binde ihn im Vertrauen auf dich derart, daß alle Völ-

ker es wissen und erkennen, daß du bist Petrus und auf deinen Felsen der Sohn des lebendigen Gottes seine Kirche gebaut hat und die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. } D: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. Übers. von Franz- _ Josef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1968. (FSGA 12;) 5.289.

O: Brunos

Buch

vom

Sachsenkrieg.

Hrsg.

von

Hans- Eberhard

Lohmann. Leipzig 1937. (MGH Deutsches Mittelalter 2.) S. 61 f.

66 Canossa Der Bann gegen Heinrich IV. im Frühjahr 1076 hatte einen neuen Sachsenaufstand hervorgerufen. Im Herbst vereinigte sich die sächsische Opposition mit den süddeutschen Herzögen; die Gegner des Königs lagerten in Tribur, während Heinrichs Anhänge | — deren Zahl abgenommen hatte — auf der anderen Rheinseite i Oppenheim standen. Heinrich IV. mußte sich dazu verstehen, ein. Gehorsamserklärung gegenüber Gregor VII. abzugeben; damit war die Absage vom Januar 1076 widerrufen. Die Fürsten verabredeten

dennoch,

Heinrich

nicht

mehr

als

König

anzuerkennen,

wenn er nicht bis zum Jahrestag seiner Exkommunikation

die 1 M

Canossa

299

Lossprechung vom Bann erreicht habe. Heinrich faßte darauf den Entschluß, den Papst in Italien aufzusuchen. Er überschritt mit kleinstem Gefolge die Alpen und erschien am 25. Januar 1077 vor der Burg Canossa. An diesem und an den folgenden Tagen stand der König im härenen Büßergewand barfuß im Schnee und erreichte auf Fürsprache der Markgräfin Mathilde von Tuszien und des Abtes Hugo von Cluny die Lösung vom Bann. Heinrich mußte versprechen, sich wegen seines Konflikts mit den Fürsten dem Urteil des Papstes zu unterwerfen. Damit hatte Heinrich vorerst seine Krone gerettet, aber den Anspruch aufgegeben, den er im Schreiben vom Januar 1076 formuliert hatte, daß der König nämlich keinem irdischen Richter verantwortlich sei. Wie ein gewöhnlicher Laie hatte Heinrich eine Kirchenbuße auf sich genommen und gezeigt, daß auch Könige dem Richteramt des Papstes unterworfen waren. Schon die Zeitgenossen empfanden die Zwiespältigkeit des Vorgangs: Einerseits akzeptierten sie die in der Buße ausgedrückte religiöse Gesinnung des Königs, andererseits hielten sie es aber für unwürdig, daß der König um eines augenblicklichen Vorteils willen eine Kehrtwendung vollzogen hatte. Wiedergegeben sind hier der Bericht des Papstes über die Vorgänge in Canossa in einem Brief an die geistlichen und weltlichen Fürsten in Deutschland (Reg. IV,12) sowie der Eid Heinrichs IV. (Reg. IV, 12a):

66.1 Bericht des Papstes Bischof Gregor, Knecht der Knechte Gottes, sendet allen Erzbischöfen, Bischöfen, Herzögen, Grafen und sonstigen Fürsten des Königreichs der Deutschen Gruß und apostolischen Segen. Da Ihr aus Liebe zur Gerechtigkeit gemeinsam mit uns im Kampf der Streiter Christi Last und Gefahr auf Euch genommen habt, möchten wir Euch Lieben in ungeschminkter Wahrheit mitteilen, wie der König, zur Buße sich demü-

tigend, die Gnade der Lossprechung erlangte und wie die ganze Angelegenheit nach seinem Eintritt in Italien bis heute weitergeführt worden ist.

300

Canossa

Wie es ausgemacht war mit den Gesandten, die Ihr zu uns schicktet, kamen wir in die Lombardei etwa 20 Tage vor dem Termin, an dem einer der Herzöge uns bei den Klausen entgegenkommen sollte, und erwarteten ihre Ankunft, auf daß wir in jene Gebiete ziehen könnten. Als aber mit dem Herannahen des Termins uns gemeldet wurde, zu dieser Zeit könne man uns wegen zahlreicher Schwierigkeiten, _ was wir ja auch glauben, kein Geleit entgegenschicken, und wir keine andere Gelegenheit zu Euch zu ziehen besaßen, befanden wir uns in nicht geringer Sorge, was wir denn als nächstes tun sollten.

Inzwischen

erhielten wir

sichere Nachricht,

der König

4

nahe. Auch sandte er, bevor er Italien betreten hatte, unter-

tänig Boten zu uns voraus und bot an, Gott, dem heiligen | Petrus und uns in allem Abbitte zu leisten, und versprach, zur Besserung seines Lebens völligen Gehorsam zu wahren, sofern er nur Lossprechung und die Gnade des apostolischen Segens zu erlangen verdiene. Da wir dies unter viel- _ fältigen Überlegungen lange hinausschoben und ihn durch all die Boten, die hin und her wechselten, heftig wegen seiner Ausschreitungen zurückwiesen, gab er schließlich durch

sich selbst keinerlei Feindschaft oder Unbesonnenheit zu | erkennen und kam in geringer Begleitung nach Canossa, wo wir uns aufhielten. Dort harrte er während dreier Tage vor dem Tor der Burg ohne jedes königliche Gepränge auf Mitleid erregende Weise aus, nämlich unbeschuht und in wollener Kleidung, und ließ nicht eher ab, unter zahlreichen Trä-

In einer Handschrift der Lebensbeschreibung der Markgräfin Mathilde von Tuszien findet sich diese Darstellung der Vor-

gänge

in

Canossa:

Der

kniende

König

Heinrich

IV.

bittet

zusammen mit seinem Paten, Abt Hugo von Cluny, Mathilde um Vermittlung bei Papst Gregor VII. |

302

Canossa

nen Hilfe und Trost des apostolischen Erbarmens zu erflehen, als bis er alle, die dort anwesend waren und zu denen

diese Kunde gelangte, zu solcher Barmherzigkeit und solchem barmherzigen Mitleid bewog, daß sich alle unter vielen Bitten und Tränen für ihn verwandten und sich fürwahr über die ungewohnte Härte unserer Gesinnung wunderten; einige aber klagten, in uns sei nicht die Festigkeit apostolischer Strenge, sondern gewissermaßen die Grausamkeit tyrannischer Wildheit. Schließlich wurden wir durch seine ständige Zerknirschung und solches Bitten aller Anwesenden besiegt, lösten endlich die Fesseln des Anathems und nahmen ihn wieder in die Gnade der Gemeinschaft und den Schoß der heiligen Mutter Kirche auf, nachdem wir von ihm die Sicherheiten erhalten hatten, die unten aufgeführt sind. Auch erhielten wir deren Bestätigung durch die Hände des Abtes von Cluny und unserer Töchter Mathilde und Gräfin Adelheid sowie

_

_ _ _

|

_

anderer Fürsten, Bischöfe und Laien, die uns dazu von Nutzen schienen. Nachdem dies so zu Ende geführt ist, daß

wir — so wie wir es seit langem wünschten —- zum Frieden _

der Kirche und zur Eintracht des Reiches alles mit Gottes _

Hilfe besser fügen können, möchten wir bei der ersten sich _

bietenden Gelegenheit in Euer Gebiet kommen. Wir wün-

schen, daß Eure Liebe dies unzweifelhaft weiß, da ja — wie

ihr aus den schriftlichen Sicherheiten ersehen könnt — gegenwärtig das Verfahren in dieser ganzen Angelegenheit so in der Schwebe ist, daß unsere Anwesenheit und Euer ein-

mütiger Rat äußerst notwendig erscheinen. Deshalb bemüht Euch alle, in der gläubigen Treue, mit der Ihr angefangen habt, und in der Liebe zu Gerechtigkeit zu verharren, wohl wissend, daß wir dem König nur insofern verpflichtet sind, als wir ihn mit klaren Worten — sowie es meine Art ist — in | den Dingen auf uns hoffen hießen, in denen wir ihm zu seinem Heil und seiner Ehre entweder mit Recht oder Barmherzigkeit ohne Gefahr für unsere und seine Seele helfen könnten.

Canossa

303

D: Quellen zum Investiturstreit. Tl. 1: Ausgewählte Briefe Papst Gregors VII. Hrsg. und übers. von Franz-Josef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978. (FSGA 12a.) S. 241/243.

O: Das Register Gregors VII. Hrsg. von Erich Caspar. Berlin 1920. (MGH Epp- sel. 2,1.) S. 312-314.

66.2

Eid Heinrichs IV.

Eid Heinrichs, des Königs der Deutschen Ich, König Heinrich, werde hinsichtlich der Unzufrieden-

heit und Meinungsverschiedenheit, die zur Zeit mir gegen-

über bestehen bei Erzbischöfen und Bischöfen, Herzögen,

Grafen und sonstigen Fürsten des Reiches der Deutschen sowie bei den anderen, die ihnen eben dieser Meinungsverschiedenheit halber folgen, innerhalb des Zeitraumes, den der Herr Papst Gregor bestimmt, entweder Gerechtigkeit gemäß seinem Urteil oder Einvernehmen entsprechend seinem Rat schaffen, sofern nicht ein eindeutiges Hindernis mir oder ihm entgegensteht; wenn dies nicht mehr besteht, bin ich bereit, dasselbe durchzuführen.

Desgleichen wird der Herr Papst Gregor, wenn er über das Gebirge oder in andere Länder gehen möchte — soweit es mich angeht und diejenigen, die ich zwingen kann —, sicher sein vor jeder Schädigung an Leben und Leib sowie vor Gefangennahme; das gilt für ihn selbst, für sein Geleit und seine Begleitung sowie für diejenigen, die von ihm gesandt werden oder ganz gleich aus welchem Land zu ihm kommen; auf dem Hinweg, bei dem dortigen Aufenthalt und auf dem Rückweg. Und es ‚soll für ihn keinerlei weiteres Hindernis aufgrund meiner Zustimmung [zu einem solchen] geben, das gegen seinen berechtigten Anspruch ist; und wenn einer ihm ein solches bereitet,

304

Forchheim 1077 - Wahl eines Gegenkönigs

werde ich ihm in aufrichtiger Treue nach meinem Vermögen helfen. Geschehen

tion.

zu

Canossa,

am

28. Januar,

in der

15. Indik

4

|

D: Quellen zum Investiturstreit. Tl. 1: Ausgewählte Briefe Papst Gregors VII. Hrsg. und übers. von Franz-Josef Schmale. Darm-. stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978. (FSGA 12a.) S. 245.

O: Das Register Gregors VII. Hrsg. von Erich Caspar. Berlin 1920, (MGH Epp»P. sel. 2,1.) S. 314f. %

67

Forchheim 1077 — Wahl eines Gegenkönigs Trotz der in Canossa erfolgten Lösung Heinrichs IV. vom Bann ver sammelte sich der harte Kern seiner Gegner im fränkischen Forchheim; sie sprachen Heinrich das Königtum ab und wählten am 15. März 1077 seinen Schwager Rudolf von Rheinfelden, Herzog von Schwaben, zum König. Neben den drei süddeutschen Herzögen und Otto von Northeim war eine größere Anzahl von Bischöfen zugegen, vor allem die Erzbischöfe von Mainz, Salzburg und Magdeburg sowie die Bischöfe von Worms, Würzburg, Passau und Halberstadt. Der erwählte König mußte sich verpflichten, die Bischof; stühle aufgrund einer freien, kanonischen Wahl unter Ausschluß d

Simonie zu besetzen, und Rudolf verzichtete ausdrücklich darauf,

seinen Sohn zum Nachfolger zu designieren, damit der König auch. künftig in einer freien Wahl bestimmt werden könnte. Am 26. Mä wurde Rudolf in Mainz geweiht und gekrönt. Ein Aufstand der Mainzer Bürger noch am Tag der Krönung zwang ihn, die Stadt zu verlassen. Er zog zuerst nach Schwaben; da er sich dort nicht hal; E ten konnte, wandte er sich nach Sachsen, wo sein Kampf gegen Heinrich IV. treue Bundesgenossen fand, die in am 29. Juni 1077 A Merseburg als König anerkannten.

Forchheim 1077 — Wahl eines Gegenkönigs

305

Die Vorgänge in Forchheim werden im folgenden wiedergegeben

durch Berthold von Reichenau, einen Anhänger der gregorianischen Partei, in seinen Annalen zu 1077, sowie von Bruno in seinem Buch

über den Sachsenkrieg (s. Nr. 60.1).

67.1 Annalen Bertholds von Reichenau [1077]

Nachdem die Reichsfürsten von alldem Nachricht

erhalten hatten, veranstalteten sie am

13. März zu Forch-

heim eine allgemeine Zusammenkunft und erhoben den ausgezeichneten Herzog Rudolf zu ihrem König, den sie zu

Mittfasten, den 26. März, in Mainz krönten. Zur Zeit der

Wahl des neuen Königs begannen endlich die riesigen Schneemassen, welche dies Jahr das ganze Land so lange bedeckt hatten, zu schmelzen.

Am Krönungstage brach auf Betreiben der simonistischen

Kleriker in Mainz ein solcher Aufstand los, daß man sogar in den Palast eindringen und die frömmsten Kleriker und Mönche erschlagen wollte. Doch Gottes Rechte nahm die

Streiter des neuen Fürsten, obwohl sie unbewaffnet waren, in Schutz. Sie verloren nur einen Mann, während von ihren Gegnern mehr als hundert teils durch das Schwert [!], teils

in den Fluten des Stromes umkamen. Die: Gesandten des apostolischen Stuhles bestimmten als Buße für dies Morden, daß jeder entweder vierzig Tage fasten oder einmal vierzig Arme speisen sollte, doch brauchten sie nicht wie sonst Mörder die kirchliche Gemeinschaft zu meiden. — Rudolf ritt nach seiner Krönung nach Schwaben und unterwarf sich das Reich. D: Johannes Bühler: Die sächsischen und zeitgenössischen Quellen. Leipzig: Insel © Insel Verlag Leipzig und Frankfurt a. O: Annales et chronica aevi Salici. Hrsg. von Hannover 1844. (MGH SS 5.) S. 291 f.

salischen Kaiser. Nach Verlag, 1924. S. 297 f. M. Georg Heinrich Pertz.

306

Forchheim 1077 - Wahl eines Gegenkönigs

67.2 Brunos Buch vom Sachsenkrieg Inzwischen versammelten sich die Sachsen und Schwaben.

zu Forchheim, doch waren auch Gesandte aus den anderen

Stämmen den alles schlössen. alles, was

zugegen, die uns mitteilten, ihre Landsleute würbilligen, was sie über das Wohl des Staates beAuch der päpstliche Legat war anwesend, um die Unsrigen zum gemeinsamen Besten bezüg-

lich des Reiches anordnen würden, durch das Ansehen der

apostolischen Würde zu festigen. Unter den vielen tüchtigen und würdigen Wahlkandidaten erhoben schließlich die Sachsen und Schwaben einstimmig den Herzog Rudolf von Schwaben zu ihrem König. Aber als nun jeder einzelne ihm, als dem König huldigen sollte, wollten einige besondere Forderungen stellen, weil sie ihn nur unter der Bedingung zum König erheben würden, daß er ihnen für das erlittene Unrecht ausdrücklich Genugtuung verspreche. Herzog Otto wollte ihn sich nicht eher zum König setzen, als bis er zurückzugeben. So brachten auch viele andere ihre besonderen Beschwerden vor und forderten von ihm das Verspredaß er nicht der König einzelner, sondern aller insgesam! sein müsse, und führte aus, daß es deshalb genüge, wenn

Das Grabmal für den 1080 an einer im Kampf erlittenen Verwundung verstorbenen Gegenkönig Rudolf von Schwaben im Dom von Merseburg ist ganz außergewöhnlich. Es handelt sic| um ein zeitgenössisches Reliefbild des Toten auf einer Bronzeplatte. Wir haben hier das erste Bild eines deutschen Königs auf einem Grabmal und das älteste erhaltene figürliche Grabmal eines Laien aus dem hohen Mittelalter überhaupt. |

308

Forchheim 1077 — Wahl eines Gegenkönigs

verspreche, gegenüber allen gerecht zu sein. Auch sagte er, wenn man ihn auf die begonnene Weise unter Versprechungen für jeden einzelnen wähle, dann werde die Wahl nicht einwandfrei erscheinen, sondern als simonistisch. Denno wurde

einiges besonders hervorgehoben, was widerrech t-

lich allgemeiner Brauch war, nun aber abgestellt werden sollte, nämlich daß er Bistümer weder um

Geld noch um

Gunst verleihe, sondern jeder Kirche gestatte, unter ihren Geistlichen zu wählen, wie die Kirchengesetze es verlangen. Auch das wurde unter Zustimmung aller gebilligt und

durch die Autorität des Papstes bestätigt, daß die königliche Gewalt niemandem, wie es bisher Brauch gewesen, als Erb zufallen sollte; vielmehr solle der Sohn des Königs, auch

wenn er noch so würdig sei, eher durch spontane Wahl als durch Sukzession König werden. Wenn der Sohn des Königs aber nicht würdig sei oder das Volk ihn nicht wolle, so solle es in der Macht des Volkes stehen, den zum König zu machen, den es wolle. Nachdem das alles rechtlich festgeleg!

war, führten sie den erwählten König Rudolf mit große Ehren nach Mainz und standen ihm, als er die Königsweihe empfing, ehrfurchtsvoll und, wie sich bald zeigte, kraftvo zur Seite. Die Weihe aber nahm in Gegenwart und mit dem Beistand vieler der Erzbischof Sigfriıd von Mainz am 26. März 1077 vor. ;

D: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. Übers. von Franz Josef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1968. (FSGA

12.) S. 333/335.

M

O: Brunos Buch vom Sachsenkrieg. Hrsg. von Hans-Eberhard Lohmann. Leipzig 1937. (MGH Deutsches Mittelalter 2.) S. 85 f, (Kap. 91).

68

Plan zur Erhebung eines Gegenpapstes (Brixen 1080)

Gregor VII. hatte sich nicht sofort auf die Seite des Gegenkönigs gestellt, wie es die antisalische Partei erhofft hatte. Erst auf der Fasten-

synode 1080, auf der das Investiturverbot verschärft und jeder Herr-

scher mit dem Bann bedroht wurde, der eine Investitur vornahm, er-

neuerte Gregor VII. den Bann gegen Heinrich und übergab das Reich an König

Rudolf, den er Lehensmann

der Apostel nannte.

Während die erste Exkommunikation Heinrichs im Jahre 1076 die königliche Partei hatte auseinanderfallen lassen, bewirkte der neuer-

liche Bann das Gegenteil. Die Gegner Gregors aus dem deutschen und dem oberitalienischen Episkopat sammelten sich um Heinrich, und am 25, Juni 1080 beschloß eine Synode in Brixen, Gregor zur Selbstabsetzung aufzufordern. Der 1078 von Gregor abgesetzte Erzbischof Wibert von Ravenna wurde von Heinrich unter Hinweis auf seine Würde als Patricius Romanorum zum Papstkandidaten nominiert. Endgültig gewählt wurde er erst 1084 in Rom; er nannte sich Clemens III. und knüpfte mit diesem Namen an das 1046 begründete Papsttum unter kaiserlicher Vorherrschaft an. Am Osterfest 1084 wurden Heinrich IV. und seine Gemahlin mit der Kaiserkrone gekrönt. Eine Urkunde, die die Unterschriften von 29 Kardinälen und Bi-

schöfen trägt, berichtet über die Vorgänge von Brixen und nennt die - zum Teil zweifellos unrichtigen — Vorwürfe, die gegen Gregor VII. erhoben wurden.

Als sich im Jahre 1080 der Menschwerdung, am 25. Juni, einem Donnerstag, mit Hilfe und auf Befehl des erlauchtesten Königs Heinrich im sechsundzwanzigsten Jahre seiner Regierung zu Brixen 30 Bischöfe und die deutschen und italienischen

Großen

einem Munde

versammelt

hatten,

erscholl

wie

aus

entsetzliche Klage über den mörderischen

Wahnwitz eines gewissen Hildebrand, des Pseudomönchs,

der Papst Gregor VII. genannt wird. [Man fragte,] weshalb

310

Plan zur Erhebung eines Gegenpapstes

denn der immer unbesiegte König diesen Wahnsinn sich. ungehemmt austoben lasse, nachdem doch das Gefäß der Auserwählung, Paulus, bezeugt, daß der Fürst das Schwert

nicht zwecklos führe, und der erste der Apostel, Petrus, ausruft, der König habe nicht bloß vor allen den Vorrang, sondern müsse seine Heerführer zur Bestrafung des Bösen und zum Ruhme der Guten aussenden. Um dem Genüge zu tun, schien es dem glorreichen König und seinen Fürsten gerecht, daß der Richterspruch der Bischöfe als das Urtei der göttlichen Rache den Hildebrand noch früher als da Schwert treffe. Die Prälaten der Kirche sollten ihn also zu erst von seinem stolzen Thron stürzen, auf daß ihn dann di

königliche Macht um so freier verfolgen könne. Welcher Gläubige, der jenen Hildebrand kennt, mag davor zurückschrecken, gegen ihn den Bannstrahl zu schleudern, gegen ihn, der sich von Anfang an einzig durch Ruhmsucht, nicht aber durch irgendwelche Verdienste über alles Menschenmaß in der Welt zu erheben trachtete, der an die Stelle der göttlichen Ordnung seine und anderer Leute Träume und_

Phantastereien setzen wollte, der, ohne Mönch zu sein, das Mönchsgewand tragen wollte, der sich, keinem Meister un-tertan, für durchaus selbstherrlich hält, der an schamlosen

Schauspielen mehr als irgendein Laie hing, der aus schmählicher Gewinnsucht die Wechslertische öffentlich vor Gebäuden aufstellen ließ? Nachdem er sich auf solche Weise Unsummen

verschafft hatte, versetzte er den Abt und be-

mächtigte sich der Abtei des heiligen Paulus. Dann bemächtigte er sich unter betrügerischer Verleitung eines gewissen Mancius und verleitete ihn dazu, ihm sein Amt zu verkaufen, das des Archidiakonats, und obwohl der. Papst Nikolaus das nicht wollte, erregte er einen Volkstumult und erzwang seine Erhebung zur Würde des päpstlichen Ökonomen. Er ist auch nachweislich der Mörder von vier Päpsten, die er durch einen seiner Vertrauten, den Johannes Brachiuti, vergiften ließ. Schweigen auch sonst. alle darüber, so hat es doch dieser Johannes selbst in der

4

Plan zur Erhebung eines Gegenpapstes

311

Todesangst, von allzuspäter Reue gefoltert, auf seinem Sterbebette mit gräßlichem Geschrei eingestanden. Und dieser selbe, oftgenannte, verderbenbringende Mensch hat in der gleichen Nacht, in der das Leichenbegängnis des Papstes Alexander in der Erlöserkirche feierlich begangen

wurde,

die Tore

und

Brücken

der

Stadt

Rom

und

die

Türme und Triumphbogen mit Haufen von Bewaffneten besetzt, ist mit bereitgehaltenen Truppen in den Lateranpalast wie ein Feind eingedrungen und hat den Klerus, von dem ihn keiner wählen wollte, auf daß er nicht wage zu widersprechen, terrorisiert, indem er ihn durch die blanken Schwerter seiner Parteigänger mit dem Tode bedrohte, und noch bevor die Hülle des Verstorbenen in das Grab sank,

schwang er sich auf den lange begehrten Sitz. Und als nun einige unter ihnen sich an das Dekret des Papstes Nikolaus erinnern wollten, das von 125 Bischöfen unter Androhung des Anathems veröffentlicht war und dem auch dieser selbe Hildebrand zugestimmt hatte, »wenn jemand ohne Zustimmung des römischen Princeps Papst zu werden versucht, der gelte nicht als Papst, sondern als Apostat«, da wollte er nichts von einem König wissen und versicherte, er könne einen. Spruch seiner Vorgänger aufheben. Was ist noch mehr dazu zu sagen? Nicht allein Rom, sondern die ganze Welt ist dessen Zeuge, daß nicht Gott ihn gewählt hat, sondern daß er sich selbst mit Gewalt, Betrug und Bestechung ganz schamlos aufgedrängt hat. Seine Früchte zeigen die Wurzel, seine Taten seine wahre Absicht: Die Ordnung der Kirche hat er umgestürzt, die Leitung des christlichen Imperiums hat er verwirrt, er will für den katholischen und friedliebenden König leiblichen und geistlichen Tod, er verteidigt den eidbrüchigen und verräterischen König, zwischen Einträchtige streute er den Samen der Zwietracht, zwischen Friedfertigen erweckte er Streit, zwischen Brüdern erregte er Ärgernis, Gatten brachte er auseinander, und

er zerbrach

verband.

alles, was

fromm

Lebende

miteinander

312

Plan zur Erhebung eines Gegenpapstes

Deshalb, und gestützt auf die Briefe und Boten der neun- _ zehn Bischöfe, die sich am letzten Pfingstfest zu Mainz versammelt hatten, fällen wir, die wir im Namen Gottes vereint sind, das Urteil, daß dieser maßlos unverschämte Hilde-

brand, der Gottesraub und Brand predigt, der Meineid und Mord verteidigt, der den katholischen und apostolischen Glauben über Leib und Blut des Herrn als alter Schüler des _ Ketzers Berengar in Zweifel zieht, der offenkundige Anhänger von Phantastereien und Träumen, der Zauberer und _ Wahrsager und darum vom wahren Glauben Abtrünnige, den kirchlichen Satzungen gemäß abzusetzen und auszutreiben ist und daß er, wenn er nach unserem Richterspruch: nicht selbst seinen Sitz verläßt, für immer zu verdammen

ist. Ich, Hugo Candidus, Kardinalpresbyter der heiligen römi- _ schen Kirche für die Region des heiligen Clemens im dritten Bezirk der Stadt habe zugestimmt, daß dieses Dekret von

uns verbreitet werde, und habe unterschrieben im Namen

terschriften.] D: Lautemann. S. 320 f. O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Bd. 1. Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH Const. 1. S. 118-120.

K

69

Privileg für die Juden von Speyer Heinrich IV. handelte in der Tradition der karolingischen und ottonischen Herrscher, als er die Juden der rheinischen Städte in seinen

besonderen Schutz nahm=Am Ende des 11. Jahrhunderts war die Situation der jüdischen Minderheit in den christlichen Reichen des lateinischen Westens aber eine grundlegend andere. Erste antijüdische Ausschreitungen hatte es bereits 1030 und 1060 in Frankreich (Orleans und Rouen) gegeben; im Zuge der Kreuzzugsbegeisterung nach der Predigt Papst Urbans II. in Clermont (November 1095)

kam es, wieder in Frankreich, zu ersten Pogromen (in Rouen). Die Juden des Rheinlands, die damals eine große Blüte erlebten, fühlten

sich anfänglich sicher, da sie auf den Schutz der rheinischen Bischöfe und vor allem des Kaisers bauten. Als aber im Sommer 1096 die aufgeputschten Scharen der Kreuzfahrer im Rheinland erschienen, waren die Bischöfe nicht imstande, die Juden militärisch zu schützen,

und der Kaiser war im Osten Oberitaliens isoliert. Daher kam es unter dem Schlagwort »Tod oder Taufe« zu zahlreichen Zwangstaufen, denen sich die Juden durch massenhafte Selbsttötungen zu entziehen suchten, und zum

Mord

an einer großen Zahl von Juden;

ihre Namen haben die zeitgenössischen hebräischen Quellen aufbewahrt. Die Urkunde Heinrichs IV. vom 19. Februar 1090 ist nur in einer nicht immer zuverlässigen Abschrift überliefert.

Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreiheit. Heinrich, von Gottes Gnaden der dritte Kaiser der Römer, Augustus. Allen Bischöfen, Äbten, Herzögen, Grafen Gesetzen unseres Reiches Unterworfenen daß einige Juden, [nämlich] Judas, Sohn des vid, Sohn des Massulam, und Moyses, Sohn

und allen den tun wir kund, Calonim, Dades Guthihel,

mit ihren Genossen vor unsere Person gekommen sind zu Speyer und darum gebeten haben, daß wir sie mit ihren Kindern und mit allen denen, die durch sie offenkundig ihr

Recht vertreten lassen, in unseren Schutz nehmen und darin

314

Privileg für die Juden von Speyer

erhalten möchten. Daß wir dies getan haben, das möge der Eifer aller unserer Getreuen erkennen. Deswegen haben wir gemäß der Vermittlung und Bitte des Bischofs Huozman _ von Speyer diese unsere Urkunde bewilligen und aushändi- _ gen lassen. Daher befehlen und wollen wir mit königlicher Weisung unserer Hoheit, daß hinfort niemand, der unter unserer königlichen Gewalt mit irgendeiner Würde oder ei- _

nem Amt bekleidet ist, er sei klein oder groß, frei oder un- |

frei, sie mit irgendwelchen ungerechten Zufällen zu beunruhigen oder anzufallen oder ihnen irgend etwas fortzu- | nehmen wage von ihren Sachen, die sie zu erblichem Recht _ besitzen, seien es Hausstätten, Häuser, Gärten, Weinberge,

|

den, zum

|

Äcker, Sklaven oder sonst irgend etwas Bewegliches oder Unbewegliches. Wenn aber jemand entgegen diesem Erlaß ihnen irgendeine Gewalt antut, so soll er gezwungen wer- | Schatze unseres Palastes oder zur Kammer

des

Bischofs ein Pfund Gold zu entrichten und die den Juden fortgenommene Sache doppelt zu ersetzen. Sie sollen auch

die unbeschränkte Fähigkeit haben, ihre Grundstücke mit

jedem beliebigen Menschen im rechtmäßigen Umwechseln zu verändern, im Umfang unseres Reiches frei und friedlich herumzureisen,

ihr Geschäft und Warenhandel

zu betrei-

ben, zu kaufen und zu verkaufen, und niemand soll von _ ihnen Zoll fordern oder irgendeine öffentliche oder private Abgabe nehmen. In ihren Häusern sollen Gäste ohne ihre _ Zustimmung nicht einquartiert werden. Niemand darf von ihnen ein Pferd zum Heerzuge des Königs oder des Bischofs oder Fuhrdienste für königlichen Heerzug eintreiben. Wenn aber eine gestohlene Sache bei ihnen gefunden wird und der Jude sagt, er habe sie gekauft, so soll er unter Eid nach seinem Recht erweisen, wie teuer er sie gekauft

hat, und dafür die Sache dem letzten Besitzer zurückgeben. Niemand maße sich an, ihre Söhne und Töchter gegen deren Willen zu taufen; wer sie unter Zwang oder heimlich entführt oder mit Gewalt gefangengenommen tauft, soll 12 Pfund Gold zum Schatze des Königs oder des Bischofs

Privileg für die Juden von Speyer

315

entrichten. Wenn welche von ihnen freiwillig getauft wer-

den wollen, soll man sie drei Tage warten lassen, damit man

genau erkenne, ob sie wirklich wegen der christlichen Religion oder wegen eines [ihnen] angetanen Unrechts ihrem Gesetze entsagen wollen. Und so, wie sie das Gesetz ihren

Vätern zurücklassen, so auch deren Besitz. Auch soll nie-

mand ihre heidnischen Sklaven unter dem Vorwand christlicher Religion taufen und [dadurch] ihrem Dienst entziehen;

wer das tut, soll den Bann, das sind 3 Pfund Silber, von der

richterlichen Gewalt bezwungen, entrichten und außerdem den Sklaven seinem Herrn unverzüglich zurückgeben. Der

Sklave aber soll in allem die Befehle seines Herrn erfüllen,

unbeschadet jedoch der Befolgung des christlichen Glau-

bens, mit dessen Sakramenten er bekleidet worden ist. Es

soll [ihnen] auch erlaubt sein, Christen zur Verrichtung ihrer Arbeiten zu mieten, ausgenommen an Fest- und Sonntagen, und es soll ihnen nicht erlaubt sein, einen Christen als Sklaven zu kaufen. Wenn aber ein Christ gegen einen Juden oder ein Jude gegen einen Christen einen Prozeß oder Streit

wegen einer Sache hat, soll jeder von beiden, nach Beschaf-

fenheit der Sache, gemäß seinem Recht zu Recht stehen und seine Ansprüche beweisen. Und niemand soll einen Juden zum glühenden Eisen oder zum Kesselfang! oder zur Wasserprobe zwingen noch mit Geißeln schlagen noch einkerkern, sondern [der Jude] soll lediglich schwören gemäß seinem Recht nach 40 Tagen, und mit keinerlei Zeugen soll man ihn wegen irgendeiner Sache überführen können [wenn nicht mit jüdischen und christlichen zugleich]. Und wer immer sie entgegen diesem Erlaß zu Weiterem zwingen will, der soll einmal den Bann, das sind 3 Pfund Silber, zu

entrichten gezwungen werden. Wenn er ihn verwundet hat,

jedoch nicht tödlich, soll er 1 Pfund Gold büßen, und wenn

es ein Unfreier ist, der ihn getötet oder verwundet hat, soll dessen Herr entweder die oben festgesetzte Buße erfüllen 1 Hineingreifen in einen Kessel voll siedenden Wassers.

316

Privileg für die Juden von Speyer

oder den Unfreien zur Bestrafung ausliefern. Wenn aber jemand wegen Armut das Vorgeschriebene nicht bezahlen kann, soll er mit derselben Strafe büßen, mit der zur Zeit Kaiser Heinrichs, meines Vaters, der Mann bestraft worden

ist, der den Juden namens Vivus getötet hatte: Es sollen ihm die Augen ausgerissen und die rechte Hand abgeschlagen werden. Wenn aber die Juden einen Streit oder Prozeß unter _ sich zu entscheiden haben, sollen sie von ihresgleichen und nicht von anderen überführt und verurteilt werden. Und _ wenn ein Treuloser unter ihnen die Wahrheit über eine zwischen ihnen geschehene Sache verbergen will, dann soll er von dem, der im Auftrag des Bischofs der Synagoge vorsteht, nach seinem Recht gezwungen werden, so daß er über das, was untersucht wird, die Wahrheit sagt. Wenn aber ein-

mal zwischen ihnen oder gegen sie schwierige Klagen oder Prozesse aufgekommen sind, sollen [diese], bei unverletzli-

chem Frieden für sie, vor die Person des Bischofs gebracht

werden, damit sie von dessen Urteil beendet werden kön-

nen. Außerdem sollen sie die Erlaubnis haben, ihren Wein und ihre Farbstoffe und Arzneien an Christen zu verkaufen, und wie zuvor gesagt, darf niemand von ihnen Mancusen? oder Dienstpferde oder Fuhrdienste oder irgendeine öffentliche oder private Abgabe fordern. Damit diese Konzession jederzeit unverletzt Bestand habe, haben wir diese Urkunde darüber schreiben und mit dem Aufdruck unseres Siegels kennzeichnen lassen.

|

Zeichen Herrn Heinrichs, dritten römischen Kaisers, Augu-

stus.

Ich, Kanzler Humbert, habe in Vertretung des Erzkanzlers

Ruthard die Richtigkeit geprüft. Gegeben am 19. Februar im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1090, 13. Indiktion, im 36. Königs- und 6. Kaiserjahre Herrn Heinrichs. Geschehen zu Speyer. In Christi Namen glückauf! Amen. 2 Eine arabische Münzeinheit.

\

1) Religiöse Volksbewegungen in Südwestdeutschland

317

D: Leben im Mittelalter. Ein Lesebuch. Hrsg., eingel. und übers. von Ernst Pitz. München: Piper, 1990. S. 319-322, O: Die Urkunden Heinrichs IV. Tl. 1. Hrsg. von Dietrich von Gladiß. Berlin 1941. (MGH

DD H

IV.) S. 546 f., Nr. 411.

70

Religiöse Volksbewegungen in Südwestdeutschland Zum erstenmal in der Geschichte der Christenheit in Europa erfaßte in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die religiöse Begeisterung auch breite Kreise der einfachen Bevölkerung. Eine solche Massenbewegung entstand schon kurz nach 1050 in Mailand (Pataria). Im 12. Jahrhundert sollten sich dann im Westen Frankreichs, in Oberitalien und im Rheinland erstmals zahlenmäßig bedeutende, aus der Kirche herausstrebende Ketzerbewegungen entwickeln. Die religiöse Erregung am Ausgang des 11. Jahrhunderts ergriff im Südwesten des Reiches breite Kreise der Bevölkerung, die von der Predigt der Hirsauer Mönche zum Eintritt ins Kloster, aber auch zu einem enthaltsamen Leben außerhalb der Klöster bekehrt wurden. Die Chronik des Gregorianers Bernold von Konstanz (gest. 1100) berichtet über diese Vorgänge:

In dieser Zeit blühte im Reich der Deutschen das gemein-

same Leben an vielen Orten, nicht nur bei Klerikern und Mönchen, die in klösterlicher Weise zusammenwohnten, sondern auch bei Laien, die sich und ihren Besitz fromm

dem gemeinsamen Leben widmeten, die zwar in ihrer Kleidung weder Kleriker noch Mönche waren, die aber, wie man glaubt, jenen an geistlichen Verdiensten gleichkommen. Sie machten sich zu ihren Dienern für Gott und folgten ihm nach, der nicht dazu gekommen war, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen, und der seine Jünger

318

Religiöse Volksbewegungen in Südwestdeutschland

lehrte, durch Dienen zur geistlichen Erhöhung zu gelangen. Sie sagten also der Welt ab und schlossen sich mit ihrer Habe den Gemeinschaften der Weltgeistlichen und Mönche, die nach einer Regel leben, an, damit sie im Gehorsam zu diesen gemeinsam leben und ihnen dienen könnten. Daher stachelte der Neid des Teufels einige Eiferer gegen den | trefflichen Lebenswandel dieser Brüder an, um ihn [gleichsam] »mit böswilligen Zähnen zu zernagen«, obwohl sie sahen, daß jene gemeinsam nach Art der Urkirche lebten. Daher bestätigte der Herr Papst Urban ihre von den Aposteln eingepflanzte und von deren Nachfolgern weithin propagierte Lebensform durch seine apostolische Autorität [...]. Aber nicht nur eine unzählige Menge von Männern, sondern auch von Frauen schloß sich in dieser Zeit diesem | Lebenswandel an, im Gehorsam gegenüber Klerikern und Mönchen gemeinsam zu leben und ihnen wie Mägde die | täglichen Dienstaufgaben in frömmster Weise zu erweisen. In den Dörfern sagten viele Bauerntöchter der Ehe und der Welt ab und versuchten, unter Anleitung eines Priesters zu

leben. Aber auch die Verheirateten waren dessen ungeachtet

unermüdlich bestrebt, fromm zu leben und den Mönchen in

großer Verehrung zu gehorchen. Dieser Eifer erblühte ganz besonders überall in Schwaben; in diesem Land haben sich auch ganze Dörfer dem religiösen Leben ergeben und waren bemüht, sich gegenseitig an Heiligkeit zu übertreffen. So tröstete Gott gnädig seine heilige Kirche in gefährlichster Zeit in wunderbarer Weise, damit sie, die schon lange die Abneigung der Exkommunizierten beklagte, sich über die Bekehrung vieler freuen könne. In einigen deutschen Gebieten regnete es Fleisch mit Blut herab, Kröten und Fische fielen vom Himmel, und viele glaubwürdige Männer bezeugten, dies gesehen zu haben. In Schwaben bei Zwiefalten an der Donau wurde gesehen, daß aus Broten Blut herausfloß; auch viele Geistliche glaubten, daß dies eine Neuigkeit im Reich ankündige.

_ _ _ |

Die Deutschen und der erste Kreuzzug

319

D: Peter Hilsch: Mittelalter. Frankfurt a. M.: Athenäum-Verlag, 1989. (Grundkurs Geschichte. 2.) S. 226 f. O: Annales et chronica aevi Salici. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1844. (MGH

SS 5.) 5. 452 f.

71

Die Deutschen und der erste Kreuzzug Am ersten Kreuzzug, zu dem Papst Urban II. auf dem Konzil von Clermont im November 1095 aufgerufen hatte, nahmen nur wenige deutsche Ritter teil. Die Masse der Teilnehmer kam aus Burgund, aus Nordfrankreich und aus Lothringen sowie aus Unteritalien. Der Chronist Ekkehard

von Aura, der die Chronik

Frutolfs von

Michelsberg seit 1105 fortführte, ersetzte die knappe Darstellung des ersten Kreuzzugs bei Frutolf durch einen ausführlichen Bericht und gab darin auch eine Erklärung für die mangelnde Teilnahme der Deutschen am Zug zur Befreiung der heiligen Stätten in Palästina.

Die Westfranken ließen sich leicht gewinnen, ihr Land zu verlassen; denn seit Jahren suchten Bürgerkrieg, Hungersnot und Sterblichkeit Frankreich schwer heim, und zuletzt

hatte sie die Plage, die bei der Kirche der hl. Gertrud zu Ni-

velles zuerst auftrat, in solchen Schrecken versetzt, daß sie

am Leben verzweifelten. Es verhielt sich aber folgenderma-

ßen: Befallen von einem unsichtbaren Feuer, brannte man

an irgendeinem Teil des Körpers so lange unvergleichbarer Qual und unheilbar, bis Leben und damit diese Marter oder diese mit dem befallenen Glied verlor. Es sind

unter schwerer, ja man entweder das Marter zusammen noch heute einige

bekannt, die durch dieses Leiden an Händen

oder Füßen

verstümmelt sind. Die Völker der übrigen Nationen und andere Personen erklärten, abgesehen von dem Erlaß des

320

Die Deutschen und der erste Kreuzzug

Papstes seien sie durch Propheten, die unter ihnen aufstanden, durch himmlische Zeichen und Erscheinungen zum Land der Verheißung gerufen worden, andere dagegen sagten, sie hätten sich durch irgendwelche ungünstigen Umstände zu solchen Gelübden veranlaßt gesehen; denn ein großer Teil von ihnen machte sich mit Frauen und Kindern und seiner ganzen Habe auf den Weg. Den Ostfranken dagegen, den Sachsen, Thüringern, Bayern

und Alemannen drang diese Posaune kaum ins Ohr; es lag

vor allem an dem Schisma zwischen der königlichen und der geistlichen Gewalt, das seit der Zeit Papst Alexanders [IL., 1061-73] bis heute uns den Römern und ebenso die Römer uns verhaßt und zu Feinden gemacht hat. Daher hat fast das gesamte deutsche Volk zu Beginn dieses Zuges in Unkenntnis über dessen Ursache alle die, die durch sein Land

zogen, die Reiterscharen, das Fußvolk,

die Bauern,

Frauen und Kinder als in einem unerhört törichten Wahn befangen verhöhnt, weil sie Ungewisses an Stelle der Gewißheit auf sich nahmen, in leerem Wahn

das Land ihrer

Geburt verließen, ein ungewisses Land der Verheißung mit eindeutigem Risiko erstrebten, sich von ihrem Eigentum lossagten und fremdem nachjagten. Aber wenn unser Volk auch viel überheblicher ist als die übrigen, so beugte sich dennoch das deutsche Ungestüm, da Gottes Erbarmen verheißen war, dem Wort dieser Botschaft, von den vorüber-

ziehenden Scharen über den Sachverhalt völlig belehrt.

D: Frutolfs und Ekkehards Chroniken und die anonyme Kaiserchronik. Übers. von Franz-Josef Schmale und Irene SchmaleOtt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972. (FSGA 15.) S. 141.

O: Ebd. S. 140.

72

Kaiserlicher Landfriede von 1103 Am Ende seiner Regierung, nachdem sich der Kaiser mit seinen wichtigsten Gegnern, den Welfen und den Zähringern, ausgesöhnt hatte, schien die Möglichkeit zu bestehen, mit dem neuen Instru-

ment des Landfriedens das durch die langjährigen Kämpfe verwü-

stete Reich zu befrieden. Neu an den Friedensgesetzen im Reich, die

nach dem Vorbild der französischen Gottesfrieden seit 1083 zuerst

im Westen des Reichs (Lüttich und Köln) erlassen wurden, war die

Ausdehnung der Strafen auf Körperstrafen und das Exil. Diese Strafen sollten ohne Unterschied alle Bewohner des Reiches treffen; auch

Adelige wurden also mit verstümmelnden Strafen bedroht, die bis dahin nur auf Unfreie angewandt wurden. In einem Bericht über den Landfrieden,

der auf einer Reichsver-

sammlung in Mainz erlassen wurde, heißt es:

Im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1103 setzte Kaiser Heinrich zu Mainz einen Frieden ein und bekräftigte ihn eigenhändig, und die Erzbischöfe und Bischöfe bekräftigten ihn eigenhändig. Der Sohn des Königs schwur und die Großen des ganzen Reiches, Herzöge, Markgrafen, Grafen und viele andere. Herzog Welf und Herzog Berthold und Herzog Friedrich beschworen diesen Frieden bis Pfingsten und danach auf vier Jahre. Sie schworen, sage ich, Frieden den Kirchen, Geistlichen, Mönchen und Laien — Kaufleu-

ten, Frauen (daß sie nicht mit Gewalt entführt werden sollten) und Juden. — Dies ist der Schwur: Keiner soll in jemandes Haus feindlich eindringen noch es durch Brand verwüsten. Keiner soll jemanden um Geldes willen fangen noch verwunden noch durchbohren noch töten. Und wenn einer das tut, der soll die Augen oder die Hand verlieren. Wenn einer ihn schützt, der soll die gleiche Buße erleiden. Wenn er in eine Burg flieht, soll sie drei Tage belagert und von den Schwurbrüdern zerstört werden. Wenn einer dies Gericht

322

Aufstand Heinrichs V. gegen seinen Vater

flieht, soll, wenn er ein Lehen hat, sein Herr es ihm neh- _

men; das Eigen sollen ihm seine Verwandten nehmen. Wenn _ einer einen Diebstahl begangen hat im Werte von 5 Schillingen oder mehr, der soll die Augen oder die Hand verlieren. _ Wenn er einen Diebstahl begangen hat im Werte von weniger als 5 Schillingen, der soll die Haare verlieren und mit | Ruten fortgetrieben werden und das Gestohlene zurückgeben, und wenn er dreimal einen solchen Diebstahl begangen hat oder Raub zum dritten Male, soll er die Augen oder die | Hand verlieren. Wenn dich auf der Straße dein Feind be rennt, magst du ihm schaden, wenn du ihm schaden kannst;

wenn er in jemandes Haus oder Hof flieht, soll er unverletzt bleiben. — Dieser Schwur dient den Freunden des Kö-

nigs als Schild, den Feinden aber nützt er keineswegs. D:

Joachim Leuschner: Das Reich des Mittelalters. 800-1500. Stutt-

gart: Klett, ?1955. (Quellen- und Arbeitshefte für den Geschichtsunterricht. 7.) S. 14 f. O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH Const. 1.) S. 125 f.

73

Aufstand Heinrichs V. gegen seinen Vater Der Plan Heinrichs IV., durch die Reichsversammlung von Mainz im Jahre 1103 seine Herrschaft endgültig zu festigen, mißlang, vor allem deshalb, weil auch nach dem Ende des Papstschismas Heinrich nicht die Lösung vom Bann erlangen konnte. Eine Gruppe von nordbairischen Adeligen, alle beeinflußt von den Gedanken der Reform von Kirche und Klöstern, war der Kern einer neuen Verschwö

rung gegen den Kaiser, der sich jetzt auch der damals 18jährig

Thronfolger, Heinrich V., anschloß. Der Grund

für diese Haltung

dürfte in der Hoffnung des Kaisersohnes gelegen haben, auf diese

Aufstand Heinrichs V. gegen seinen Vater

323

Weise seiner Familie den Thron zu sichern. Mit hinterhältigen Tricks gelang es Heinrich V., seinen Vater zum Thronverzicht zu nötigen (Weihnachten 1105). Aber als Heinrich IV. der Bewachung durch die Anhänger

seines

Sohnes

entrinnen

konnte,

versuchte

er sofort,

auswärtige Hilfe gegen den jüngeren Heinrich zu erlangen. Ehe es zum Kampf zwischen den entschlossenen Anhängern des alten Kaisers (vor allem in Niederlothringen, Lüttich und Köln) und den Truppen Heinrichs V. kam, starb Heinrich IV. am 7. August 1106 in Lüttich. Wiedergegeben sind ein Bericht über den Aufstand Heinrichs V. aus der Chronik des Ekkehard von Aura (gest. nach 1125) sowie ein Brief Heinrichs IV. an seinen Sohn von 1106, worin er ihm seine

Treulosigkeit vorwirft. Ekkehard von Aura setzte in mehreren Schüben die Weltchronik Frutolfs von Michelsberg für die Zeit von 1098/99 bis 1125 fort.

73.1 Chronik Ekkehards von Aura Im Jahr des Herrn 1105.

Als Kaiser Heinrich das Geburts-

fest des Herrn in Mainz feierte, traf sein Sohn Heinrich, der

fünfte König seines Namens, in Bayern Vorkehrungen für einen Aufstand gegen den Vater, und zwar auf Betreiben des Markgrafen Diepold, des Grafen Bernger und eines Adligen Otto, der ihm mütterlicherseits verwandt war; auf ihren Rat

und mit ihrer Hilfe hatte er sich wenige Tage zuvor von der Seite des Vaters entfernt. Zunächst verurteilte er die oben genannte Irrlehre und versprach dem Bischof des Apostolischen Stuhles den schuldigen Gehorsam, danach schloß er ein Bündnis mit den bayerischen Fürsten und einigen Adligen aus Alemannien sowie Ostfranken, und von dort begab er sich zu den Sachsen. Er wurde ehrenvoll von ihnen aufgenommen und feierte in Quedlinburg das Osterfest; nach kurzer Zeit war er Herr aller Städte Sachsens und wurde von den Großen mit königlichen Ehren bedacht.

324

Awfstand Heinrichs V. gegen seinen Vater

D: Frutolfs und Ekkehards Chroniken und die anonyme Kaiser- _ chronik. Übers. von Franz-Josef Schmale und Irene Schmale- _

Ott.

Darmstadt:

Wissenschaftliche

(FSGA 15.)S. 189, 191. O: Ebd. S. 188, 190.

Buchgesellschaft,

1972. M

M )

73.2 Brief Heinrichs IV. an seinen Sohn H., durch Gottes Gnade

erhabener Kaiser der Römer,

an

seinen Sohn H. 4 Wenn du Uns mit der schuldigen und dem Vater zukommenden Liebe deiner Pflicht gemäß behandelt hättest, wür- _

den Weil zum und

Wir gerne mit dir als Vater sprechen und schreiben. _ du aber eine ganz andere Gesinnung als die der Liebe _ Vater und der Menschlichkeit uns gegenüber hegtest _ hegst, können Wir nicht anders mit dir sprechen und

dir nichts anderes schreiben als die volle Wahrheit der Tat- _

sachen. A Du weißt ja selbst und bist dir sicher bewußt, daß es allgemein bekannt ist, wie du unter Treueversprechen und Sicherheitsleistung für Unsere Person und Unsere Würde

mit aller Ehrerbietung versprachst, Uns nach Mainz vor die _ Versammlung der Fürsten zu führen und Uns von dort si- _ cher zurückzugeleiten, wohin wir wollten. Als wir im Vertrauen darauf mit dir in Liebe und ohne Bedenken hinaufzogen, nahmst du Uns entgegen dem Treueversprechen bei Bingen gefangen. Damals bewogen dich weder die Tränen noch die tiefe Betrübnis des Vaters zum Mitleid, als wir Uns

dir und den anderen zu Füßen warfen, damit du Uns doch | nicht gefangen nehmen und so den Todfeinden zur Verspottung und Bewachung überliefern möchtest. Damals brachten Uns alle nur denkbaren Mißhandlungen und Schrecknisse fast an den Rand des Todes. Bereits vor der Gefangennahme stahlst du Uns die Bischofssitze und schmälertest Unsere Stellung im Reich nach Kräften und nahmst Uns

Aufstand Heinrichs V. gegen seinen Vater

325

Gut und Leute. In der Gefangenschaft erpreßtest du von Uns auch noch unter Gewalt und Todesdrohung das Letzte, wie du sehr wohl selbst und bereits fast die ganze Christenheit wissen, nämlich Lanze, Kreuz und alle Herrschaftszei-

chen; Uns blieb kaum das nackte Leben. Doch auch das genügte dir noch nicht, denn stets und überall, ganz gleich, wo Wir waren, ließest du nicht ab, Uns auf jede dir mögliche

Art zu verfolgen, um Uns zu vernichten oder aus dem Reich zu vertreiben.

Wahrlich, Wir können

kaum

fassen, aus welchem

Grund

und Anlaß du so hartnäckig bist, denn hinsichtlich des Papstes und der römischen Kirche bleibt dir kein Vorwand mehr. Wir waren ja bereit, dem Legaten des Papstes und der römischen Kirche in deiner Gegenwart zu gehorchen und sind auch heute noch willens, ihm jeden schuldigen Gehorsam und jede schuldige Ehrerbietung jetzt und immerdar zu erweisen, und Wir wollen gern nach dem Rat der Fürsten, unseres geistlichen Vaters, des Abtes H. von Cluny, und anderer Geistlicher über die Lage der Kirche und die Ehre des Reiches verhandeln. Wir bitten dich also um der Würde des Reiches und auch um deiner Würde willen, wegen der dem Vater gebührenden Ergebenheit und bei der Autorität des Papstes und der römischen Kirche, hinsichtlich des Uns angetanen Unrechts und alles dessen, das du Uns mit Gewalt und widerrechtlich

abgenommen

hast, Gerechtigkeit walten zu lassen. Erst

recht bitten wir dich, daß du Uns und Unsere Getreuen nicht länger anfeindest, denn du hast keinen Grund, Uns ir-

gendwie zu verfolgen; laß uns vielmehr in Frieden und

Ruhe leben, damit wir leidenschaftslos und in Ruhe über

alle erwähnten Punkte verhandeln können. Erkenne und

bedenke, daß Gott, dem wir unsere Sache anvertrauen, ein gerechter Richter ist, und denke an die Strafe dessen, dessen

Richtsprüche verborgen sind und unermeßlich tief. Denn wenn du dir auch noch so viel auf Unsere Betrübnis und Unser Unglück zugute tust und Unsere Erniedrigung dein

326

Versuch der Beendigung des Investiturstreits

Selbstgefühl steigert, so hat er doch vielleicht von seinem heiligen Sitz aus in seinem gnädigen Erbarmen und aus Gerechtigkeit anders zwischen dir und mir entschieden, als du selbst denkst und planst.

Wenn

nun aber kein anderer Anlaß, keine Rücksicht und

keine Vermittlung so viel bei dir Recht wird und du von deiner appellieren Wir zu eben diesem an den heiligen und allgemeinen Kirche. D:

_

für Uns vermag, daß Uns Verfolgung abläßt, dann Zweck an den Papst und _ römischen Stuhl und die

Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. Übers. von FranzJosef Schmale. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,

1968. (FSGA 12.) S. 133, 135.

x

O: Die Briefe Heinrichs IV. Hrsg. von Carl.Erdmann. Leipzig 1937. (MGH Deutsches Mittelalter 1.) S. 58-60.

74 Die Vorgänge von 1111:

Versuch einer gewaltsamen Beendigung des Investiturstreits Obwohl Heinrich V. seine Regierung als Verbündeter der Reform:

freunde im Reich angetreten hatte, gelang es nicht, den Streit über

das Recht des Königs bei der Erhebung und Einsetzung der Bischöfe beizulegen. Nach langen Verhandlungen schien sich im Jahre 1111 eine überraschende Wende anzubahnen, nachdem der Papst den Vorschlag gemacht

hatte, er werde

die Bischöfe

anweisen,

ihre vom

_

Reich erhaltenen Lehen und Herrschaftsrechte zurückzugeben, wenn Heinrich V. im Gegenzug bereit wäre, auf das Investiturrecht _ zu verzichten. Ob Heinrich V. wirklich glaubte, daß sich die geistli- _ chen und weltlichen Fürsten des Reiches auf diesen Handel einlassen würden,

®

ist ungewiß: Jedenfalls erhob

sich ein Sturm

der Entrü- _Y

Versuch der Beendigung des Investiturstreits

327

stung, als Papst Paschalis II. seine Urkunde am 12. Februar 1111 in der Peterskirche verlas. Wegen des Aufruhrs konnte die für diesen Tag geplante Kaiserkrönung nicht vollzogen werden; Heinrich V. sah sich berechtigt, den Papst und die Kardinäle gefangenzunehmen, weil sie die Abmachungen nicht eingehalten hatten. Der gefangene Papst ließ sich nach einigen Wochen eine Urkunde abpressen, die Heinrich V. in allen Punkten entgegenkam. Dieses sogenannte Pravileg (‚Schandurkunde«) wurde aber von Anfang an von den strengen Reformern in der Kirche abgelehnt und nach der Freilassung des Papstes auch offiziell für ungültig erklärt.

74.1 Diplom des Königs Heinrich V. vom 12. Februar 1111

Ich, Heinrich, von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, Meh-

rer des Reiches, bestätige Gott und dem heiligen Petrus, al-

len Bischöfen, Äbten und allen Kirchen all das, was meine

Vorgänger, die Könige und Kaiser, ihnen verliehen und übergeben haben. Und ihnen das zu entziehen, was sie in der Hoffnung auf ewigen Lohn Gott dargebracht haben, weigere ich Sünder mich in der Furcht vor dem schrecklichen Gericht Gottes. D: Weinrich. S. 173/175. O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH

Const. 1.) S. 140.

74.2 Privileg des Papstes Paschalis II. vom 12. Februar 1111 Bischof Paschalis, Knecht der Knechte Gottes, seinem ge-

liebten Sohn Heinrich und seinen Nachfolgern, für immer und ewig. Sowohl durch das Gebot des göttlichen Rechts ist es verfügt als auch durch die heiligen Kanones untersagt, daß die Prie-

328

Versuch der Beendigung des Investiturstreits

ster sich mit weltlichen Sorgen abgeben oder die Führung

des Grafenamts übernehmen, es sei denn zur Befreiung von

Verurteilten oder für andere, die Unrecht erleiden. Daher sagt auch der Apostel Paulus: »Wenn ihr weltliches Gericht

|

habt, so nehmet die in der Kirche Verachteten und setzet sie

zu Richtern.« In den Gebieten Eures Reiches aber geben sich die Bischöfe und Äbte so sehr mit weltlichen Geschäften ab, daß sie ständig gezwungen sind, immer wieder das Grafenamt wahrzunehmen und Kriegsdienst zu leisten. Dies kann aber nun wahrhaftig kaum oder gar nicht ohne Raub, Kirchenschändung, Brand oder Mord geschehen. Denn die Diener des Altars sind zu Dienern des Hofes geworden, weil sie Städte, Herzogtümer, Markgrafschaften, Münzen, Pfalzen und sonstiges, was zum Reichsdienst ge-

hört, von den Königen übernommen haben. Und darum hat sich der für die Kirche unerträgliche Brauch herausge- _ bildet, daß gewählte Bischöfe keinesfalls die Weihe empfingen, es sei denn, sie wären zuvor durch die Hand des Kö-

nigs investiert worden. Aus diesem Grunde haben sowohl die Sünde der simonistischen Ketzerei als auch Begünstigung oftmals so sehr überhand genommen, daß Bischofsstühle ohne vorherige Wahl gewaltsam in Besitz genommen wurden. Bisweilen wurde noch zu Lebzeiten des bisherigen Bischofs der neue investiert. }

In der Cambridger Handschrift der Chronik Ekkehards von Aura, die aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts stammt, wird Papst Paschalis IT. dargestellt, wie er Heinrich V. den Reichsapfel überreicht. Dieses Herrschaftszeichen taucht erstmals

unter Heinrich IT. auf und soll die Herrschaft des Kaisers über

die Welt symbolisieren. Der heute noch im Kaiserschatz erhaltene Reichsapfel stammt aus dem ausgehenden 12. Jahrhundert.

f

330

Versuch der Beendigung des Investiturstreits

Durch diese und recht viele andere Übel, die sich häufig aus

der Investitur ergaben, wurden Unsere Vorgänger, die Päpste seligen Angedenkens, Gregor VII. und Urban II., wachgerüttelt, und auf häufig einberufenen Bischofssynoden ha-

ben sie diese Investituren von Laienhand verurteilt; und sie

haben entschieden, wer dadurch eine Kirche erlangt habe, müsse abgesetzt und den Verleihern müsse die Gemeinschaft der Kirche entzogen werden, entsprechend dem Spruch der Apostolischen Kanones, der so lautet: »Wenn ein Bischof unter Zuhilfenahme weltlicher Mächte durch diese eine Kirche erlangt, soll er abgesetzt und ausgeschlossen werden, ebenso alle, die mit ihm Gemeinschaft haben.«

Deren Spuren folgend, haben auch Wir auf einer Bischofssynode deren Urteil bestätigt.

Daher gebieten Wir, es sollen Dir, geliebter Sohn Heinrich,

König —- und nun durch Unsere Amtswaltung von Gottes Gnaden Römischer Kaiser —-, Dir und dem Reich die Regalien überlassen werden, die offensichtlich zum Reich gehör-

ten in den Zeiten Karls, Ludwigs, Heinrichs und Deiner üb-

rigen Vorgänger. Wir untersagen auch und verbieten bei der strengen Strafe des Anathems, daß irgendein Bischof oder Abt, weder ein jetziger noch ein künftiger, diese Regalien an sich reißt, also Städte, Herzogtümer, Markgrafschaften, Grafschaften, Münzen, Zoll, Markt, Reichsvogteien, Zent-

gerichte und offenkundig dem Reich gehörende Pfalzen — einschließlich deren Zubehör —-, Heeresdienst und Burgen des Reiches; ferner sollen sie sich künftighin keinesfalls, es sei denn mit der Huld des Königs, auf diese Regalien einlassen. Aber auch Unseren Nachfolgern, die Uns auf dem Apostolischen Stuhl nachfolgen, soll es nicht gestattet sein, Dich oder das Reich in dieser Angelegenheit zu belästigen. Andererseits erklären Wir, daß die Kirchen mit ihren Stif-

tungen und erblichen Besitzungen, soweit sie offenkundig nicht dem

Reich

zugehörten,

frei bleiben

sollen, so wie

Du es am Tage Deiner Krönung dem allmächtigen Gott im

_

Versuch der Beendigung des Investiturstreits

331

Anblick der ganzen Kirche versprochen hast. Es müssen nämlich die Bischöfe, frei von weltlichen Sorgen, Sorge tragen für ihre Leute und dürfen nicht länger von ihren Kirchen fern bleiben. Sie sind nämlich, gemäß dem Apostel Paulus, wachsam, da sie Rechenschaft für deren Seelen

geben müssen.

D: Weinrich. S. 175/177. O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH

Const. 1.) S. 141 f.

74.3 Privileg des Papstes Paschalis II. vom 12. April 1111 Bischof Paschalis, Knecht der Knechte Gottes, entbietet sei-

nem in Christus hochgeliebeten Sohn Heinrich, dem ruhmreichen Deutschen König und durch die Gnade des allmäch-

tigen Gottes Römischen Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches,

Gruß und Apostolischen Segen. Daß Euer Königtum in einzigartiger Weise mit der heiligen Römischen Kirche verflochten ist, hat die göttliche Vorsehung gefügt. Denn Eure Vorgänger haben dank ihrer besonderen Rechtschaffenheit und Klugheit Krone und Kaisertum der Stadt Rom erlangt. Und zu dieser Deiner Würde von Krone und Kaisertum hat die göttliche Majestät auch Deine

Person,

hochgeliebter

Sohn

Heinrich,

durch

den

Dienst Unseres Priesteramtes erhoben. Diesen Vorrang an Würde, den Unsere Vorgänger Euren Vorgängern, den rechtgläubigen Kaisern, verliehen und durch Privilegurkunden bestätigt haben, wollen auch Wir Deiner Gütigkeit verleihen und durch vorliegende Privilegurkunde bestätigen: Daß Du also den Bischöfen und Abten Deines Königreiches, die frei, ohne Gewalt und Simonie, gewählt wurden,

die Investitur mit Stab und Ring erteilst. Nach der Investitur aber sollen sie kanonisch die Weihe empfangen von dem

332

Versuch der Beendigung des Investiturstreits

Bischof, dem sie rechtlich zugehören. Wenn aber einer ohne Deine Zustimmung von Klerus und Volk gewählt wird, soll

er, falls er nicht von Dir investiert wird, von niemandem geweiht werden, ausgenommen selbstverständlich diejenigen,

die gewohntermaßen unter der Verfügungsgewalt der Erzbischöfe oder des Römischen Papstes stehen. Doch die Erz- _ bischöfe oder Bischöfe sollen die Freiheit haben, die von

Dir Investierten zu Bischöfen oder Äbten zu weihen. Denn _ Eure Vorgänger haben die Kirchen ihres Reiches mit so vielen Verleihungen ihrer Kronrechte reich ausgestattet, daß dieses Reich besonders durch die Hilfsmittel der Bischöfe und Äbte gestärkt werden muß, und Streit unter den Leuten, wie er sich häufig bei Wahlen zeigt, muß durch die königliche Hoheit beseitigt werden. Daher muß Deiner Weisheit und Gewalt die Sorge ganz wachsam innewohnen, daß die Größe der Römischen Kirche und das Heil der übrigen _ Kirchen unter Gottes Fügung durch Deine Verleihungen und Dienste bewahrt werde. Wenn daher jemand, ein Geistlicher oder Laie, versuchen sollte, in Kenntnis dieser Unse-

rer Verleihungsurkunde gegen sie in frevelhaftem Unterfan- _ gen anzugehen, soll er mit der Fessel des Anathems getrof- _ fen werden, falls er nicht vernünftig wird, und Verlust von

Ehre und göttliche ren, daß schen zu D:

Würde erleiden. Die es aber befolgen, möge die _ Barmherzigkeit beschützen, und sie möge gewähDeine Person und Deine Macht glücklich herr- _ ihrer Ehre und Herrlichkeit. :

Weinrich. S. 177/179.

O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH Const. 1.) S. 144 f.

}

75

Das Wormser Konkordat Nach jahrelangen Verhandlungen kam es im September 1122 in der Nähe von Worms zum Austausch von zwei Urkunden, in denen der

Kaiser auf das Investiturrecht verzichtete, der Papst ihm dafür jedoch das Recht zubilligte, bei der Wahl der Bischöfe in Deutschland persönlich anwesend zu sein und auch die Übertragung der weltlichen Besitz- und Herrschaftsrechte des Bistums vor der Weihe mit Hilfe eines Szepters vorzunehmen. In Burgund und in Italien jedoch war der König verpflichtet, die Regalien nach vollzogener Weihe zu übertragen. Obwohl diese Zugeständnisse des Papstes zweifellos nur Heinrich V. persönlich gemacht worden waren, blieb den deutschen Königen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts der maßgebliche Einfluß auf die Besetzung der Bischofsstühle im Reich erhalten, so wie auch die Könige von Frankreich und von England vergleichbaren Einfluß ausübten. Die kaiserliche Urkunde (Heinricianum) ist im Original im Vatika-

nischen Archiv erhalten, die päpstliche Urkunde (Calixtinum) in zahlreichen Abschriften.

75.1 Kaiserliche Urkunde (Heinricianum) In Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit. Ich, Heinrich, Kaiser und Augustus

der Römer,

überlasse aus

Liebe zu Gott der heiligen römischen Kirche und dem Herrn Papst Calixtus sowie zum Heile meiner Seele Gott, den heiligen Aposteln Gottes Petrus und Paulus und der heiligen katholischen Kirche jede Investitur mit Ring und Stab und gewähre allen Kirchen in meinem König- und Kaiserreiche kanonische Wahl und freie Weihe. Die Besitzungen und Regalien des heiligen Petrus, die seit Ausbruch dieses Streites bis zum heutigen Tage zur Zeit meines Vaters und unter mir genommen wurden und die ich besitze, gebe

334

Das Wormser Konkordat

ich dieser heiligen römischen Kirche zurück, soweit sie aber nicht in meinem Besitze sind, werde ich für ihre Rückgabe gewissenhaft sorgen. Die Besitzungen aller anderen Kirchen, Fürsten sowie anderer Personen, Kleriker wie Laien,

werde ich, soweit sie in meinem Besitze sind, zurückgeben und, soweit sie nicht in meinen Händen sind, für ihre Rück-

gabe gewissenhaft sorgen. Und ich gebe dem Herrn Papst Calixtus und der heiligen römischen Kirche sowie allen seinen gegenwärtigen wie früheren Anhängern wahren Frieden. Und ich werde der heiligen römischen Kirche in allem getreulich beistehen, worin sie meine Hilfe fordert; worin sie Klage erhebt, werde ich ihr wie schuldig Recht erweisen. All dies wurde mit der Zustimmung und dem Rate der Fürsten, deren Namen folgen, beschlossen: Adalbert, Erzbischof von Mainz; Friedrich, Erzbischof von Köln; Bruno,

Erzbischof von Trier.

D: Johannes Bühler: Die sächsischen und salischen Kaiser. Nach zeitgenössischen Quellen. Leipzig: Insel Verlag, 1924. S. 396. © Insel Verlag Leipzig und Frankfurt a. M. O: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Hrsg. von Ludwig Weiland. Hannover 1893. (MGH

Const. 1.) S. 159 f.

75.2 Päpstliche Urkunde (Calixtinum) Ich, Bischof Calixtus, Knecht der Knechte Gottes, bewillige

dir, meinem geliebten Sohne Heinrich, von Gottes Gnaden Kaiser und Augustus der Römer, daß die Wahl der Bischöfe und Äbte des deutschen Reiches, die zu deinem Königreiche (Deutschland) gehören, in deiner Gegenwart ohne Simöonie und irgendwelche Vergewaltigung vollzogen werde und daß du im Falle eines Streites unter den Parteien nach gütlicher Vereinbarung oder durch Richterspruch des Metropoliten und der Bischöfe dieser Provinz dem besseren

|

Das Wormser Konkordat

335

Teile deine Zustimmung und Hilfe gewährest. Der Erwählte soll dann von dir ohne jegliche Bezahlung die Regalien durch Verleihung des Stabes erhalten und dir leisten, wozu er demgemäß von Rechts wegen verpflichtet ist. Wer in anderen Teilen deines Kaiserreiches (Italien und Burgund) geweiht wurde, soll innerhalb [von] sechs Monaten

ohne jegliche Bezahlung die Regalien durch Verleihung des Stabes von dir erhalten und dir leisten, wozu er demgemäß von Rechts wegen verpflichtet ist. Sämtliche Belange der römischen Kirche sind (jedoch hierbei von diesen Leistungen) ausgenommen. Worüber du mir gegenüber Klage erheben und worin du meine Hilfe verlangen wirst, in allem werde ich dir nach der Verpflichtung meines Amtes Hilfe leisten. Ich gewähre dir wahren Frieden sowie allen, welche auf deiner Seite stehen oder während der Zeit dieses Kampfes auf deiner Seite gestanden sind. D: Johannes Bühler: Die sächsischen und salischen Kaiser. Nach zeitgenössischen Quellen. Leipzig: Insel Verlag, 1924. S. 397. © Insel Verlag Leipzig und Frankfurt a. M. O: Adolf Hofmeister: Das Wormser Konkordat: zum Streit um seine Bedeutung. In: Festschrift Dietrich Schäfer. Jena 1915. S. 147.

76

Marktprivileg für die neugegründete Stadt Freiburg Das Stadtrecht umfaßt die vom Stadtherrn bei der Gründung oder Erhebung einer Stadt verliehenen Freiheiten und Rechte. Am Anfang steht hier das Kaufmannsrecht, wie es etwa den Kaufleuten von Freiburg 1120 gewährt worden war: Handels- und Zollfreiheit, freie Erbleihe für die Grundstücke in der Stadt. Marktrecht und Befestigungsrecht sind ursprünglich königliche Rechte (Regalien). Auch die vom Stadtherrn verliehene Gerichtsgewalt war letztlich vom König abgeleitet. Das Marktrecht von Freiburg ist das älteste Privileg für

|

eine Stadtgründung, und es enthält einen stilisierten Bericht über

den Hergang einer Stadtgründung: Abstecken der Grundstücke und Herbeirufen der Siedler, die für die freie Erbleihe an den Grund-

stücken einen Zins entrichten müssen. Die Bürger der Stadt genießen Freizügigkeit, ein ganz wesentliches Moment persönlicher Freiheit. Der Grundherr verzichtet auch auf einen Anteil am Nachlaß eines verstorbenen Bürgers, wie er für Unfreie gewöhnlich beansprucht wurde. Auch wer unfrei geboren war, konnte von seinem früheren Herrn nicht mehr beansprucht werden, wenn er »Jahr und

Tag« in der Stadt ansässig gewesen war (Grundsatz: »Stadtluft macht frei«).

Kund sei allen, Zukünftigen wie Gegenwärtigen, daß ich, Konrad, in meinem Ort Freiburg einen Markt errichtet habe im Jahre 1120 nach der Geburt des Herrn. Mit den von überallher zusammengerufenen angesehenen Kaufleuten habe ich in einer beschworenen Vereinbarung beschlossen, daß sie die Marktsiedlung beginnen und ausbauen sollen. Daher habe ich jedem Kaufmann in der geplanten Marktsiedlung eine Hausstätte zugewiesen, auf der er ein eigenes Haus erbauen kann, und habe verfügt, daß mir und meinen

Nachfolgern von jeder Hausstätte ein Schilling öffentlicher Münze jährlich am Martinstage zu zahlen sei. Es sei daher _ jedermann kund, daß ich auf ihre (der Kaufleute) Bitten und _

_ q

|

Marktprivileg für Freiburg

337

Wünsche hin folgende Rechte bewilligt habe, die — so schien es mir ratsam — in einer Urkunde zusammengeschrieben werden sollten, damit man sie auf lange Zeit im Gedächtnis bewahre, so daß meine Kaufleute und ihre Nachkommen

mir und meinen Nachfahren gegenüber dieses Privileg für alle Zeiten behaupten können. 1. Ich verspreche Frieden und sichere Reise in meinem Machtbereich und Herrschaftsgebiet allen, die meinen Markt aufsuchen. Wenn einer von ihnen auf dieser Strecke beraubt wird, werde ich, wenn er den Räuber namhaft macht, entweder dafür sorgen, daß die Beute zurückgegeben wird, oder ich werde selbst zahlen.

2. Wenn einer meiner Bürger stirbt, soll seine Frau mit den Kindern alles besitzen und frei von allen Ansprüchen behalten, was ihr Mann hinterlassen hat. 3. Allen Marktsiedlern verleihe ich, daß sie an den Rechten meines Volkes und der Landsleute teilhaben sollen, soweit ich es vermag, damit sie insbesondere frei von aller Banngewalt die Weiden, Wasserläufe, Gehölze und Wälder nutzen

können. 4. Allen Kaufleuten erlasse ich den Zoll. 5. Niemals werde ich meinen Bürgern einen neuen Vogt

oder einen neuen Priester ohne ihre Wahl setzen, sondern wen sie dazu wählen, den sollen sie unter meiner Bestäti-

gung haben. 6.. Wenn sich zwischen meinen Bürgern ein Zwist oder Streit erhebt, soll er nicht nach meinem oder ihres Vorste-

hers Belieben entschieden werden, sondern soll gerichtlich verhandelt werden, wie es Gewohnheit und Recht Kaufleute, besonders aber derer von Köln, ist.

aller

7. Wenn jemand durch Mangel am Lebensnotwendigen dazu gezwungen ist, darf er seinen Besitz verkaufen, wem er will. Der Käufer aber soll von der Hausstätte den festgesetzten Zins entrichten. Damit meine Bürger diesen Zusagen nicht etwa nur geringen Glauben schenken, habe ich mit zwölf meiner namhaf-

338

Zug Heinrichs V. nach Frankreich

testen Ministerialen durch Eid auf die Reliquien der Heiligen dafür Sicherheit geleistet, daß ich und meine Nachfahren alles Vorstehende stets erfüllen werden. Damit ich aber diesen Eid nicht um irgendeiner Not willen breche, habe ick mit meiner Rechten dem freien Manne ... und den Vereidigten des Marktes wegen dieser Sache ein unverbrüchlicht ; Treugelöbnis gegeben. Amen. | D:

Karl Kroeschell: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1: Bis 1250,

Reinbek: Rowohlt, 1972. S. 161.

4

sche Abteilung 83 (1966) S. 96—98.

|

O: Walter Schlesinger: Das älteste Freiburger Stadtrecht. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanisti-

77

Zug Heinrichs V. nach Frankreich Während die deutschen Könige des früheren Mittelalters sehr oft ge gen die Böhmen, Ungarn oder Polen Krieg führten oder nach Italien zogen, waren die Beziehungen zu Frankreich fast durchweg frie lich. Ein von Heinrich V. vorbereitetes kriegerisches Unternehmen scheiterte. Dieser plante im Bund mit seinem englischen Schwiegervater Heinrich I. im Sommer

1124

einen

Kriegszug

gegen

Lud-

wig VI. von Frankreich. Der Kaiser brach jedoch sein Vorhaben vorzeitig ab, nachdem es Abt Suger von St-Denis gelungen war, die sten und das Volk von Frankreich zur Hilfeleistung für den Kö aufzurufen. Der Abt von St-Denis bediente sich dabei des hohen Ansehens, das der heilige Dionysius genoß. Für die Ausbildung der ) größter Amen Sie wird von Suger im 28. phie Ludwigs VI. geschildert.

Cha seiners Dion

Zug Heinrichs V. nach Frankreich

339

Kaiser Heinrich, der schon seit langem einen Groll gegen den Herrn König Ludwig im Herzen trug, weil er im Königreich Ludwigs auf einem Konzil in Reims vom Herrn Papst Calixt mit dem Anathem versehen worden war, sammelte ein Heer und täuschte ein anderes Ziel vor, während

er die Stadt Reims unvorhergesehen anzugreifen plante. Dieser Plan ging auf den Rat des englischen Königs Heinrich zurück, dessen Tochter der Kaiser geheiratet hatte und der den König von Frankreich mit Krieg überzog. Der Kaiser beabsichtigte, die Stadt Reims entweder rasch zu zerstören oder sie zu belagern und so lange mit Schimpf und Leiden zu bedrängen, wie der Herr Papst dort geweilt hatte, um gegen den Kaiser vorzugehen. [Ausführlich werden dann die Maßnahmen

des französischen Kö-

nigs beschrieben, gegen den Kaiser Truppen zu sammeln. Auf die Nachricht von den Rüstungen der Franzosen zog sich Heinrich V. wieder zurück.]

Der deutsche Kaiser, dessen Bedeutung nach diesem Vorgang zurückging und der von Tag zu Tag schwächer wurde, erlitt innerhalb eines Jahres den Tod. Damit bewahrheitete sich der Satz, daß kein Vornehmer oder Geringer, der die Kirche und das Reich angetastet hatte und um dessentwillen die Leiber der Heiligen erhoben worden waren, mehr als ein Jahr weiterlebte. D: Übers.: W. H. % O: Suger: Vie de Louis VI le Gros. Übers. und hrsg. Waquert. Paris 1929. S. 218, 230.

von Henri

78

Wahl Lothars von Süpplingenburg Nachdem Kaiser Heinrich V. 1125 kinderlos verstorben war, war der nächste Verwandte Herzog Friedrich von Schwaben, über seine

Mutter ein Neffe Heinrichs V. Dieser hatte Friedrich zu seinem Privaterben eingesetzt. Auf der Wahlversammlung verhielt sich der

Staufer jedoch so ungeschickt, daß Erzbischof Adalbert von Mainz,

ein Todfeind Heinrichs V., ein einmütiges Votum zugunsten des Herzogs Lothar von Sachsen herbeiführen konnte. Lothar hatte bei‘ seinem Aufstieg zum mächtigsten Fürsten im Norden des Reichs seine Tüchtigkeit bewährt, und er hatte in den Augen der Wähler zwei Vorteile: sein bereits vorgerücktes Alter (er war ungefähr 50 Jahre alt) und das Fehlen eines männlichen Nachkommen. Seine ein-zige Tochter Gertrud wurde im Zuge der Wahlverhandlungen dem Sohn des mächtigen Baiernherzogs, dem Welfen Heinrich dem Stolzen, versprochen. Da Eigengut der salischen Familie und Reichsgut in der hundertjährigen Salierzeit unentwirrbar zusammengewachsen. waren, kam es zum Konflikt zwischen Lothar III. und den Staufern,

dessen Hauptbeteiligter auf staufischer Seite Friedrichs Bruder Kon-rad war; er wurde im Dezember 1127 zum König erhoben. Sein Gegenkönigtum dauerte bis 1135, 4 Über die Vorgänge beim Wahlakt im Jahre 1125 sind wir durch einen Augenzeugen, dessen Name nicht überliefert ist, gut unterrichtet. Sein Bericht für den Abt von Göttweig, einem Kloster im heutigen Oberösterreich, ist durch eine antistaufische, kirchenfreundliche

Sicht geprägt.

Von [überall her] kamen die Fürsten zusammen: Abgesandte des Apostolischen Herrn, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Pröpste, Kleriker, Mönche, Herzöge, Markgrafe: Grafen und die sonstigen Edeln, und zwar in solcher Zah und so hervorragende Persönlichkeiten wie noch zu keine Reichsversammlung unserer Zeit. Denn nicht die Gewalt des Kaisers wie sonst, sondern die gemeinsame Pflicht zur

höchsten Aufgabe hatte sie herbeigeführt.

[...]

i

Wahl Lothars von Süpplingenburg

341

Die Sachsenfürsten hatten am Ufer des Rheines zahllose Zelte aufgeschlagen und lagerten dort stattlich; weiter oben hatten sich Markgraf Leopold von Österreich und Herzog Heinrich von Baiern mit großer Ritterschaft niedergelassen. Auf dem anderen Rheinufer lag [der Staufer] Herzog Friedrich mit dem Bischof von Basel, den übrigen Fürsten von Schwaben und einer Reihe von Edelleuten. Als nun die Fürsten in eigener großer Versammlung zusammentraten, ging Friedrich nicht in deren Rat, da er, wie er sagte, den Main-

zern nicht traute. Denn er hatte seinen Sinn schon auf die Herrschaft gestellt und sie mit trügerischer Hoffnung für sich in Anspruch genommen: zum König gewählt zu werden, war er bereit, doch nicht selbst zu küren, und so wollte

er vorerst erforschen, wen von allen der Fürsten Stimmen zu erheben geneigt wären. Außer Friedrich und den Seinen kamen also alle Fürsten des Reiches

zusammen.

Sie riefen,

vom

Herrn

Kardinal

er-

mahnt, die Gnade des Heiligen Geistes mit der Antiphon: »Veni sancte Spiritus!« an. Hierauf schlugen sie zunächst je zehn umsichtige Fürsten aus den Landschaften Baiern,

Schwaben, Franken und Sachsen vor.' Diese sollten die Vor-

wahl vornehmen, deren Ergebnis alle übrigen beizustimmen versprachen. Sie nannten der Versammlung von allen Fürsten drei durch Reichtum und Tüchtigkeit ausgezeichnete Männer: den Herzog Friedrich, den Markgrafen Leopold und den Herzog Lothar; wer von diesen dreien allen genehm sei, der solle zum König erkoren werden. Herzog Friedrich war nicht zugegen, die beiden anderen erklärten voll Demut unter Tränen und kniend, sie würden die an-

gebotene Würde nicht annehmen. Da sah man den großen, merkwürdigen und früher unerhörten Einfluß, den der Herr zu unserer Zeit seiner Kirche verlieh: ungelehrte Laien verzichteten in frommer Demut auf höhere Ehren. Damit 1 Eine solche Wahl durch einen Ausschuß hatte es auch schon bei Papstwahlen gegeben.

342

Wahl Lothars von Süpplingenburg

zeigte aber auch der Herr gar deutlich, wie bös der schädliche Ehrgeiz der Geistlichen und Gelehrten frevelt, wenn

er sich in weniger wichtigen Dingen und erst recht solchen geistlicher Art breitmacht. A Der durch Ehrgeiz verblendete Herzog Friedrich hoffte, das von jenen zwei demütig Ausgeschlagene sei ihm nun si cher aufbewahrt und zugeteilt. Er ging jetzt ohne Geleit in die Stadt, die er vorher mit Gefolge zu betreten sich [angeb-

lich] gescheut hatte, gesellte sich der Versammlung der Fürsten und stand da, bereit, sich zum König küren zu lassen.

Da erhob sich aber der Erzbischof von Mainz und fragte die drei genannten Fürsten voll Bedacht, ob jeder von ihnen ohne Widerspruch, ohne Zögern und Mißgunst dem dritten. gehorchen wolle, den die Fürsten gemeinsam erwählten. Sofort bat daraufhin Herzog Lothar demütig wie vorher, von seiner Wahl abzusehen, und versprach, jedem Gewählten als seinem Herrn und römischen Kaiser zu gehorchen, Dasselbe versicherte Markgraf Leopold für seine Person ganz öffentlich und war bereit, durch einen Eid allem Ehrgeiz nach der Königswürde und aller Eifersucht gegen den künftigen König abzusagen. Nun wurde auch an Herzog Friedrich die Frage gestellt, ob er zur Ehre der Kirche und des Reiches sowie zu einem Beispiel für spätere freie Wahl

wie jene tun wolle. Da erklärte er, ohne den Rat der Seinen, die er im Lager zurückgelassen habe, wolle und könne er nicht antworten. Und da er überhaupt merkte, die Fürsten seien nicht einmütig gesonnen, ihn zu wählen, entzog er von da ab der Versammlung seinen Rat und sein Antlitz. Da die Fürsten aus all dem den großen Ehrgeiz des Herzogs und sein gewaltsames Machtbegehren erkannten, als käme. ihm das Reich zu, weigerten sie sich einstimmig, einen zum Herrn zu wählen, der sich schon vor seiner Erhöhung sos stolz und herrschsüchtig zeigte. nur der Herzog Friedrich und mit ihm derar Deere

hielten sich ihr ferne. [Der Mainzer Erzbischof wiederholte

Wahl Lothars von Süpplingenburg

343

die Frage vom vorigen Tage, der Markgraf Leopold und Herzog Lothar blieben bei ihrer Antwort.] Sie setzten sich zusammen auf einen Sitz wie Männer, die man nicht weiter beachten sollte, sondern die mit der Wahl eines anderen be-

schäftigt wären. Hierauf wurden die Fürsten ermahnt, im gemeinsamen Rat sorglich den Mann zu suchen, den sie mit Gott und zur Ehre der Kirche dem Reiche als Oberhaupt geben könnten. Da riefen plötzlich viele Laien: »Lothar sei König!« Sie ergriffen den Lothar, hoben ihn auf ihre Schultern und in die Höhe. Der aber wehrte sich gegen den Königsruf und widersprach. Viele Fürsten, zumal die Bischöfe aus Baiern, zürnten, daß

man das große Werk ratlos und im Getümmel vornehme. In ihrer gerechten Empörung riefen sie, man habe sie von ihren Sitzen verdrängt, und zornig wollten sie schon die anderen verlassen und noch vor Beendigung der Angelegenheit aus der Versammlung weggehen. Der Mainzer und einige andere Fürsten gaben nun Befehl, die Tür im Auge zu behalten, damit niemand aus und ein gehen könne. Denn die einen trugen drinnen ihren König unter gewaltigem Tumult herum, andere drängten von draußen mit lautem Schreien heran, um den König, den sie noch gar nicht kannten, zu preisen. Der Zwist unter den Fürsten hatte bereits so zugenommen, daß auch Lothar über den Angriff auf seine Person heftig erbost war und Sühne heischte, während die Bischöfe in der Erbitterung über das Gedränge, in das sie geraten waren, auszubrechen suchten. (Dem Kardinallegaten und einigen besonnenen Fürsten gelang es, die Lage zu retten.) [Die, welche sich Lothars so stürmisch bemächtigt hatten, erklärten sich bereit, gebührende Genugtuung zu leisten. Nachdem auf das Verlangen der bairischen Bischöfe noch der Herzog von Baiern herbeigeholt worden war]? einte die Gnade des Heiligen Geistes aller Sinn auf ein 2 Lothar söhnte sich mit Herzog Heinrich von Baiern aus, indem er des-

sen Sohn Heinrich (dem Stolzen) seine einzige Tochter Gertrud zur Frau gab.

344

Wahl Lothars von Süpplingenburg

und denselben Willen. König Lothar, der Gott so wohlgefällige, ward durch allgemeine Übereinstimmung und die Bitten der Fürsten zur Königswürde erhoben. ; Es wurde nun festgesetzt, welche Rechte dem Imperium der Königsgewalt, welche Freiheiten dem Priestertum der himmlischen Königin, das heißt der Kirche zukommen sollten, und das gesunde Maß beider Ehren wird auf Eingebung des Heiligen Geistes der Wahlurkunde vorangesetzt. Die Kirche soll die Freiheit haben, die sie immer gewünscht hat; das Königtum soll in allem gebührende Macht haben,

in Güte und Liebe ohne Blutvergießen zu behaupten, was des Kaisers ist. Die Kirche soll in den geistlichen Dingen freie Wahlen haben, die Wahlen sollen nicht durch Königs-furcht erzwungen und nicht wie sonst durch die Gegenwart des Fürsten eingeengt oder durch irgendwelche Bitten beanstandet werden. Der Kaiserwürde soll zustehen: den frei Erwählten, den Kirchengesetzen gemäß Geweihten feierlich durch Überreichung des Stabes mit den Regalien kostenlos zu belehnen; ferner darf der Kaiser einen solchen fest

Gehorsam verpflichten, zu Treue und gerechtem Dienst, vorbehaltlich der Rechte der geistlichen Vorgesetzten. D: Johannes Bühler: Die Hohenstaufen. Nach zeitgenössischen Quellen. Leipzig: Insel Verlag, 1925. S. 42-46. © Insel Verlag Leipzig und Frankfurt a. M. b O: Historiae aevi Salici. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Ha ver 1856. (MGH

SS 12.) S. 510-512.

3 Damit hätte Lothar also auf die wichtigste Einflußmöglichkeit des Königs bei Bischofswahlen, die Heinrich V. im Wormser Konkordat zugestanden worden war, verzichtet.

zum

79

Tafelgüterverzeichnis In einer nur noch fragmentarisch erhaltenen Handschrift, die aus Aachen stammt und im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts geschrie-

ben wurde, ist eine Liste von Gütern erhalten, deren Erträge für die

königliche Tafel (»mensa regis«) bestimmt waren. Die Höfe sind nach Regionen gegliedert, und zwar werden 20 in Sachsen, 21 in Rheinfranken, 12 in Baiern und 28 in der Lombardei genannt. Die Namen sind teilweise nur schwer heutigen Orten zuzuordnen. Für die Höfe der einzelnen Regionen werden die zu erbringenden Leistungen (Servitien) aufgeführt. Dabei werden nur die höherwertigen Leistungen, vor allem Fleisch, aber auch Pfeffer (der gekauft werden mußte), erwähnt. Die Servitien wurden zum jeweiligen Aufenthaltsort des Königs gebracht, der im gesamten frühen und hohen Mittelalter nicht in einer Residenzstadt lebte, sondern sich abwechselnd in

Pfalzen oder Bischofsstädten aufhielt. Im Unterschied zu den deutschen

Höfen,

die allesamt Naturalien

erbringen

sollen,

wird

bei

neun Orten aus der Lombardei eine Geldabgabe verlangt. Die neuere Forschung hält das Tafelgüterverzeichnis nicht mehr für einen Text aus der Zeit Heinrichs IV., genauer aus den Jahren 1064/65,

sondern setzt seine Entstehung in die Anfangsjahre Friedrichs I. Barbarossa (um 1152/53), und sie sieht im vorliegenden Text einen Antwortbrief an eine hochgestellte Persönlichkeit (so C. Brühl).

Dies sind die Höfe, die zur Tafel des Römischen Königs gehören. In Sachsen mit all ihrem Zubehör: die Lausitz — sie gibt 5 königliche Dienste; der Milzengau; der Nisangau; Bautzen; Altenburg; Eisleben; Allstedt; Wolferstedt; Farnstedt; Wallhausen; Tilleda; Aschersleben; Werla; Goslar; Homburg; Pöhlde; Grone, dort gehören die Sichelschmiede

des Königs dazu; Eschwege; Mühlhausen; Merseburg 40 Dienste. Diese Höfe in Sachsen also geben dem König

soviel Dienste, wie Tage im Jahr sind, und 40 mehr. Wir

machen euch auch bekannt, was ein königlicher Dienst in

Sachsen ist: Es sind 30 große Schweine,

3 Kühe, 5 Ferkel,

346

Tafelgüterverzeichnis

50

Hühner,

50

Eier,

90

Käse,

10

Gänse,

5 Fuder

Bier,

5 Pfund Pfeffer, 10 Pfund Wachs, Wein aus ihrem Keller überall in Sachsen. | Dies sind die Höfe in Rheinfranken: Tiel 2 königliche Dienste; Nymwegen 8; Aachen 8; Konzen 2; Düren 2; Remagen |

2; Sinzig 2; Hammerstein 2; Andernach 2; Boppard 3; Ingel- | heim 3; Lautern 8; die Burg Briey 8; Diedenhofen 3; Flörchingen 75 Zolver 7; Sierck 7; Haßloch % Nierstein 1; Trebur 4; Frankfurt 3. Dies sind die Höfe in Franken. Soviel geben sie: 40 Schweine, 7 saugende Ferkel, 50 Hühner, 5 Kühe, 500 Eier, 10 Gänse, 5 Pfund Pfeiler, 90 Käse,

10 Pfund Wachs, 4 große Fuder Wein. | Dies sind die Höfe in Bayern: Nürnberg gibt 2 königliche Dienste; Gründlach 1; Schübelsberg 1; Pattenhofen 1; Weißenburg 1; die Burg Nürnberg 7; Hafenberg 7; Greding 5; 4 Neuburg an der Donau 2; Creußen 35 Neumarkt mit 10008 Hufen; Dornberg 2. Dies sind die Höfe in Bayern. Sie geben 26 königliche Dienste, und zwar so groß wie die in Franken. | Dies sind die Höfe in der Lombardei: Settimo gibt 2 könig- _ liche

Dienste;

Turin

gibt

sein

Allod;

Susa

2000

Mark;

die Burg Avigliana 1000 Mark; Piossasco 500 Mark; Chieri _ 500 Mark; Testona 500 Mark; Revello 500 Mark; Saluzzo

200 Mark; Albenga 200 Mark; die Stadt Sitten 200 Mark; die _ Städte Tarvil, Cavallermaggiore, Canelli geben 8 Dienste. |

Annone gibt 10 königliche Dienste; Revigniano 1; Sangior- _

gio 5; Castellazzo Gamondo 4; Marengo 8; Sezz& 3; Retorto _ 2; Pontecurone 2; Basaluzzo 2; der Edelhof Vigevano; der Edelhof Tromello; Lomello; Montiglio; Coriano mit gro-

ßem Zubehör. Dies sind die Höfe der Lombardei. Sie geben _

so viel, wie keiner erzählen oder erfahren kann; es sei denn (

wir kämen zuvor in die Lombardei.

D: Weinrich. S. 189/191. N O: Carlrichard Brühl / Theo Kölzer: Das Tafelgüterverzeichnis des römischen Königs. Köln/Wien: Böhlau, 1979. S. 53. [Mit Faksimile.] V

80

Wahlanzeige Friedrichs I. Beim Tode Konrads III. (15. 2. 1152), der 1138 als erster Staufer zum König gewählt worden war, war sein Sohn Friedrich erst sieben Jahre alt. Daher empfahl der sterbende König die Wahl seines Neffen Friedrich von Schwaben. In den Augen der Königswähler sprach für diesen auch seine Abstammung von den Welfen (seine Mutter war eine Tochter Herzog Heinrichs des Schwarzen von Baiern). Möglicherweise

war aber Heinrich der Löwe

der Gegenkandidat,

denn die welfische Partei erhielt von Friedrich nach seiner Wahl auffallend hohe Vergünstigungen, und Heinrich selbst erhielt das Herzogtum Baiern zurück. Gleich am Anfang seiner Wahlanzeige (März/April 1152) an den Papst Eugen III. (1145-53) weist Friedrich I. darauf hin, daß er sein Königtum von Gott erhalten habe. Weiterhin zeigt er zwar dem Papst seine Wahl an; eine Bitte um Bestätigung spricht er jedoch nicht aus. Er verweist vielmehr zur Begründung seines Königtums auf die Wahl durch die Fürsten und Edlen des Reiches und die Krönung durch die Hand des Erzbischofs von Köln. Wichtig ist auch der Hinweis auf die »beiden Gewalten, durch die die Welt beherrscht wird«: damit greift Barbarossa die Formulierung der Zwei-Gewalten-Lehre auf, wie sie Papst Gelasius I. (492-496) am Ende des 5. Jahrhunderts geprägt hatte. Das Schreiben ist überliefert in einer Sammlung von Schriftstücken, die Abt Wibald von Stablo (gest. 1154) angelegt hat, und dieser hat den Text wohl auch formuliert.

Seinem in Christus hochgeliebten Vater Eugen, dem höchsten Bischof der heiligen Römischen Kirche, entbietet Friedrich, von Gottes Gnaden Römischer König und allzeit Mehrer des Reiches, in allem kindliche Liebe und gebührende Ehrfurcht im Herrn. Dem Vater des Vaterlandes ziemt es, die ehrwürdigen Einrichtungen der früheren Könige sorgsam zu beachten und deren heiligen Ordnungen mit beständigem Eifer anzuhan-

348

Wahlanzeige Friedrichs I.

gen, damit er das ihm von Gott übertragene Reich genausosehr mit Gesetzen und guten Bräuchen zu schmücken als mit Waffen und Krieg zu schützen verma: 4 Dem feierlichen Brauch des Römischen Reiches mithin fol gend, der von Unseren Vorvätern, also den Kaisern und Königen, auf Uns übergegangen ist, haben Wir dafür gesorgt, Unseren Gesandten, einen klugen und ehrenvoll Mann, den hochwürdigen Bischof von Bamberg, Eberhar zusammen mit Hillin, dem Erwählten von Trier, un Adam, dem Abt von Ebrach, zur Gegenwart Eurer Heilig-

keit und zur Heiligen Stadt zu schicken, damit Ihr aus de Zeugnis dieses vorliegenden Briefes wie aus deren lebendigem Wort von Unserer Erhebung und von dem Zustand d ganzen Kirche und dem des Reiches Mitteilung erhalten könnt. | Als es nun gefiel dem Schrecklichen und Dem, der den sten den Atem nimmt, der schrecklich ist unter den Kön

gen auf Erden, in dessen Hand die Gewalten aller sind un die Rechte aller Reiche, Unseren Oheim

und Lehrmeist

seligen Angedenkens, den ruhmvollen Römischen Kön

Konrad, aus diesem Leben abzuberufen, sind alle Fürste

Um 1160 wurde in Westdeutschland ein Porträtkopf Barbaro. sas aus vergoldeter Bronze geschaffen, der durch drei Engel un, den Paten Barbarossas, Otto von Cappenberg, getragen wı (Höhe: 31,4 cm). Dieser Otto von Cappenberg gründete zusa

men mit seinem Bruder ein Stift und übergab diesem den Po trätkopf, nachdem er ihn durch Einfügung von Haaren d Evangelisten Johannes zu einem Reliquienbehältnis gemacı

hatte, Der Kaiser ist wie ein spätantiker Imperator mit Stirnband dargestellt. Zum ersten Mal seit der Karolingerzeit wur: hier der Versuch gemacht, in einem unabhängigen Kunstwerk ein Porträt zu gestalten.

350

Wahlanzeige Friedrichs I.

des Reiches, gleichsam vom Heiligen Geist aufgerufen, am 17. Tag nach seiner Beisetzung in der Stadt Frankfurt teils selbst, teils durch ehrenwerte Bevollmächtigte zusammengekommen, und ohne Aufschub und Verzug haben an diesem Tage, in gewaltiger vom Himmel geschenkter Eintracht, die Fürsten und die übrigen Großen mit Zustimmung und Beifall des ganzen Volkes Uns an die Spitze des Reiches gewählt. Am 5. Tage danach, als also fast genau die halbe Fastenzeit abgelaufen war, haben sie mit gleicher und ebensol-

cher

Zustimmung

unter

dem

wohlwollenden

Beifall

des

| _ _ _

Volkes in der Stadt Aachen durch die hochheiligen Hände Eures gehorsamen Sohnes Arnold, des Metropoliten von | Köln, sowie der hochwürdigen Bischöfe Uns mit dem Öle _ der Heiligung königmäßig gesalbt und mit feierlicher Segnung auf den Thron des Königreiches gesetzt. Wir aber haben mit den mannigfachen Herrschaftszeichen königlicher Würde, mit denen Wir teils durch Dienstleistungen der Laienfürsten, teils durch ehrwürdige Segnungen der Bischöfe bekleidet wurden, königliche Gesinnung angetan und arbeiten in der ganzen Kraft Unseres Herzens _ darauf hin (entsprechend dem Wortlaut Unseres Versprechens, den Wir von den rechtgläubigen Bischöfen auf dem Thron des Reiches und bei der heiligen Salbung genannt er- _ hielten), Euch Ehre und Liebe, ferner Unserer hochheiligen. Mutter, der Römischen Kirche sowie allen Kirchenleuten

bereitwillige und gehörige Gerechtigkeit und Beschützung zu gewähren, ja den Witwen und Waisen und dem ganzen

Uns anvertrauten Volk Gesetz und Frieden zu schaffen und _

zu erhalten. 4 Denn da es ja zwei sind, von denen die Welt wesentlich geleitet wird, nämlich die heilige Macht der Bischöfe und die königliche Amtsgewalt, sind Wir bereit, demütig im Gehorsam allen Priestern Christi gegenüber den Nacken zu beu gen, auf daß mit dem Segen des Himmels in den Zeiten Unserer Herrschaft Gottes Wort nicht gehindert.wird, frei zu laufen, und daß es niemand wagt, die Regeln der Väter der

Wahlanzeige Friedrichs I.

351

Kirche und die auf den hochheiligen Konzilien festgelegten

Beschlüsse ohne die Strafe schwerster Buße zu verletzen, so

daß durch die Tatkraft Unseres Eifers die katholische Kirche mit den Vorrechten ihrer Würde geschmückt und mit Gottes Hilfe die Erhabenheit des Römischen Reiches in die frühere Kraft ihrer Würde zurückgeführt wird. Und weil Wir wissen, daß der Sinn Eurer Heiligkeit wegen des Dahingangs des erlauchten Herrschers nicht ohne Grund sehr betroffen ist, versprechen wir Euch als Unserem hochgeliebten Vater nachdrücklich: So, wie Wir diesem dahingegangenen ruhmvollen König auf den Thron des Reiches

nachgefolgt sind, haben Wir auch die ererbte Liebe beson-

ders gegenüber Euch selbst sowie den ganz bereitwilligen und gehorsamen Schutz gegenüber unserer hochheiligen

Mutter, der Römischen Kirche, übernommen; und zwar gilt das in der Weise, daß Wir Uns bemühen werden, alles das,

was-er für die Freiheit und Ehre des Apostolischen Stuhles geplant und angeordnet hatte, standhaft zu verwirklichen, so daß Wir gemäß der glückseligen Verheißung des Herrn, die jener heilige Mann erhalten hatte, Feinde Eurer Feinde sind und Widersacher derer, die Euch hassen.

Schließlich vertrauen Wir Eurer Güte die zuvor genannten Gesandten sorgsam an, daß Ihr sie in Anbetracht Unserer Zuneigung gütig behandelt und bei ihren Bitten wohlmeinend anhört, wobei Wir Euch angelegentlich ersuchen, Ihr möchtet den Herrn Abt von Ebrach, der Uns in göttlichen und weltlichen Dingen unentbehrlich ist, frei zu Uns zurückschicken. D: Weinrich. S. 209-213.

O:

Die Urkunden Friedrichs I. Hrsg. von Heinrich Appelt [u. a.]. Bd. 1. Hannover 1975, (MGH DD F I.) S. 10f., Nr. 5.

81 Konstanzer Vertrag vom 23. März 1153 Um möglichst rasch die Kaiserwürde zu erlangen, die sein Onkel _ Konrad III. nicht erreicht hatte, nahm Friedrich I. schon bald nach

seiner Wahl Verhandlungen mit Papst Eugen III. auf, die im März | 1153 zum Konstanzer Vertrag führten. In diesem wurden drei Verpflichtungen des Kaiserkandidaten drei Zusagen des Papstes gegenübergestellt. Es ging dabei (1) um das Verhältnis des Kaisers zu den | Römern und zu den Normannen, (2) um die Verteidigung der Rechte und Besitzungen des Papstes und (3) um die Abwehr der Ansprüche des byzantinischen Kaisers auf Teile Italiens. Der Papst sagte zu, Friedrich zum Kaiser zu krönen, ihn gegen seine Feinde zu | unterstützen und an der Vertreibung des byzantinischen Kaisers aus | Italien mitzuwirken. Als Friedrich Ende 1154 / Anfang 1155 nach | Italien zog, um die Kaiserkrone zu erhalten, erneuerte er den Ver-

|

trag mit dem neuen Papst Hadrian IV. (1154-59). Am 18. Juni 1155 | fand die Kaiserkrönung statt, nachdem es beim ersten Zusammen- | treffen zwischen Papst und zukünftigem Kaiser in Sutri Spannungen gegeben hatte, weil Barbarossa sich anfangs geweigert hatte, dem | Papst den Marschall- und Stratordienst zu leisten, d.h. sein Pferd ein

Stück ohne Zügel zu führen und ihm beim Absteigen behilflich zu | sein. Der Text des Vertrags ist in zwei Sammlungen überliefert, die an der Kurie am Ende des 12. Jahrhunderts hergestellt wurden; man sah also auch noch in dieser Zeit im Konstanzer Vertrag ein wichtiges | Dokument zum Verhältnis zwischen Kaiser und Papst. Die Weiterwirkung des Textes bezeugt auch die Tatsache, daß der Vertragstext auf dem Konzil von Lyon 1245 bei der Absetzung Kaiser Fried- | richs II. (s. Nr. 101) eine Rolle spielte. |

Dem hochwürdigen Vater in Christus, Eugen, von Gottes

Gnaden Bischof des apostolischen Stuhles, entbietet Friedrich, von Gottes Gnaden Römischer Kaiser', Mehrer des 1 Friedrich wird von seiner Kanzlei bereits als Kaiser bezeichnet, obwohl die Krönung noch bevorsteht.

Konstanzer Vertrag vom 23. März 1153

353

Reiches, kindliche Liebe und gebührenden Gehorsam in Christus. Die Würde

der königlichen Hoheit erfordert es, das, was

offensichtlich zum Gut des Friedens und der Eintracht gehört, mit wachsamer Aufmerksamkeit zu festigen und, damit zwischen Königtum und Priestertum dieses Gut in unauflöslicher Liebe für immer und ewig dauere, mit sorgfältigem Eifer und genauer Sorgfalt tätig zu sein. In dieser Sicht der Verantwortung haben Wir das unten aufgeführte Übereinkommen, das zwischen Uns und Euch durch das Walten

Gottes erzielt wurde, so wie es von beiden Seiten festgesetzt

und geordnet wurde, (damit es nicht so aussieht, Wir hätten

darin irgend etwas nach Unserem Gutdünken verändert) gleichlautend im Text des vorliegenden Schriftstücks aufzeichnen lassen: Im Namen des Herrn. Amen. Dies ist der Inhalt des Übereinkommens

und

des Abkommens,

erzielt zwischen dem

Herrn Papst Eugen und dem Herrn Friedrich, dem Römischen Kaiser, durch Vermittlung von Gregor von Santa Ma-

ria in Trastevere, Ubald von Santa Prassede, Bernard von San Clemente, Oktavian von Santa Cecilia, Roland? von San

Marco, Gregor von Sant’Angelo, Guido von Santa Maria in Porticu und Bruno Abt von Chiaravalle von seiten des Herrn Papstes —, ferner der Bischöfe Anselm von Havelberg, Hermann von Konstanz; der Grafen Ulrich von Lenz-

burg, Guido Guerra und Guido von Biandrate von seiten des Herrn Königs. Der Herr König nun hat einen von den höheren Dienstmannen des Reiches veranlaßt, für die Person des Königs zu schwören, und dieser hat unter Friedensversprechen mit eigener Hand in die Hand des Legaten des Herrn Papstes versprochen: (1) Er wird weder einen Waffenstillstand noch einen Frieden mit den Römern noch mit Roger von Sizilien 2 Das ist der spätere Papst Alexander III. (1159-83), damals Kardinal und Kanzler der römischen Kirche.

354

Konstanzer Vertrag vom 23. März 1153

schließen ohne freie Zustimmung und Einwilligung der R mischen Kirche und des Herrn Papstes Eugen oder sei Nachfolger, die den Inhalt des unterschriebenen Übereinkommens mit diesem König Friedrich halten wollen; und nach Kräften wird er darauf hinarbeiten, die Römer

de

Herrn Papst und der Römischen Kirche zu unterwerfen, in dem besten Zustand, in dem sie jemals und in den vergangenen hundert Jahren waren, (2) Die Ehre des Papsttums und die Regalien des heiligen Petrus wird er als ergebener und besonderer Schirmvogt der heiligen Römischen Kirche gegen alle Menschen nach Kräften schützen und schirmen — soweit er sie jetzt innehat. Soweit er sie nicht innehat, wird. er nach Kräften helfen, sie zurückzuerlangen, und das Zu: rückerlangte schützen. (3) Auch dem Griechischen König? wird er kein Land diesseits des Adriatischen Meeres über-

lassen. (4) Dies alles wird er tun und beobachten ohne List und böse Absicht.

Der Herr Papst aber hat durch ein Wort apostolischer Vollmacht zusammen mit den oben genannten Kardinälen i Anwesenheit der zuvor aufgeführten Gesandten des Herr Königs versprochen und wird befolgen: (1) Er wird diesen als den liebsten Sohn des heiligen Petrus ehren, und sobald dieser zur Vollgewalt seiner Krone eintrifft, wird er diesen ohne Schwierigkeiten und Widerspruch,

soweit es an ihm

;

liegt, zum Kaiser krönen; (2) und zur Wahrung, Mehrung _ und Erweiterung der Ehre des Reiches wird er entsprechend der Verpflichtung seines Amtes Hilfe leisten. Und alle, die sich herausnehmen, in freventlichem Unterfangen Recht und Ehre des Reiches zu erschüttern und umzustürzen, wird der Herr Papst, auf eine von der lieben königlichen Hoheit zuvor erfolgte Ermahnung hin, gemäß den Kanones zur Leistung einer Genugtuung auffordern. Wenn sie sich weigern, aufgrund der apostolischen Ermahnung _ dem König hinsichtlich des königlichen Rechts und der 3 Oströmischer Kaiser war damals Manuel Komnenos (1143-80).

Konstanzer Vertrag vom 23. März 1153

355

königlichen Ehre Gerechtigkeit zukommen zu lassen, sollen sie mit dem Bannspruch der Exkommunikation gebunden werden. (3) Dem Griechenkönig wird er diesseits des

Adriatischen Meeres kein Land überlassen; wenn dieser sich

jedoch herausnehmen sollte einzufallen, wird der Herr Papst sich bemühen, ihn mit den Streitkräften des heiligen Petrus zurückzuwerfen. (4) Dies alles wird von beiden Seiten ohne List und böse Absicht eingehalten werden, es sei denn, es würde mit freier und gemeinsamer Übereinstimmung beider Seiten geändert. Zeugen aber sind, deren Namen man hier unten aufgezeichnet findet: Arnold Erzbischof von Köln, Hermann Bischof

von Konstanz, Anselm Bischof von Havelberg, Ardizo Bischof von Como, Adelgot Bischof von Chur, Wibald Abt von Stablo, Albrecht Dekan

zu Köln, Magister

Heinrich

Notar, Gottfried von Viterbo, Kaplan des Königs; ferner von den Weltlichen: Herzog Welf, Markgraf Hermann von Baden, Graf Ulrich von Lenzburg, Graf Werner von Lenzburg, Anselm Kämmerer und Dienstmann des Reiches. Handzeichen des Herrn Friedrich, unüberwindlichster Rö-

mischer Kaiser. Ich, Kanzler Arnold, habe die Ausfertigung beglaubigt. Gegeben zu Konstanz, am 23. März, in der

15. Indiktion, im Jahre der Geburt des Herrn 1152, unter der Herrschaft des Herrn Friedrich, ruhmreicher Römischer

König, im 1. Jahr seines Königtums.

D: Weinrich. S. 223-227. O: Die Urkunden Friedrichs I. Bd. 1. Hrsg. von Heinrich Appelt [u. a.]. Hannover 1975. (MGH

DD F

1.) S. 88 f., Nr. 52.

82 Scholarenkonstitution »Habita« Schon auf seinem ersten Italienzug (1154/55) suchte Friedrich I. (Barbarossa) Kontakt mit den Lehrern des römischen Rechts in Bologna, und das folgende Privileg ist wohl schon in dieser Zeit ergangen. Barbarossa gewährte darin den Professoren und Scholaren, die aus vielen Gegenden Europas zum Studium des römischen Rechts nach Bologna kamen, Schutz vor den Übergriffen der Stadtgemeinde. Damit schuf er die Basis für die Gerichtsautonomie der mit-

telalterlichen Universitäten, die in Italien, Frankreich und England um 1200 als Institutionen ins Leben traten. Interessant ist auch, daß

dieses Gesetz Barbarossas von den Rechtslehrern in die Handschriften des Corpus Iuris Civilis Justinians eingetragen werden sollte; damit wurde demonstriert, daß Friedrich I. sich in die Tradition der spätantiken römischen Kaiser stellen wollte. Diese Anordnung wurde auch befolgt. Wichtig für die Diskussion um den Ursprung der Universitäten ist der Ausspruch im Barbarossaprivileg, daß die Gelehrten »aus Liebe zur Wissenschaft Exilanten« und »arm geworden« seien. Hat damit der Kaiser die Ideologie der Rechtslehrer aus Bologna aufgegriffen, oder ist dies eine Beschreibung der Realität des Studiums in seinen Anfängen?

[..]

_ | _ 4 _ | M

Nach sorgfältiger Prüfung dieser Angelegenheit durch

Bischöfe, Äbte, Herzöge sowie alle Richter und Großen un- _

seres kaiserlichen Hofes gewähren wir allen Scholaren, die | zu Studienzwecken auf Wanderschaft gehen, besonders den »Professoren« der göttlich-kaiserlichen Gesetze, folgende Wohltat unserer Gnade: Sowohl sie selbst wie ihre Boten _ sollen zu den Orten, an denen man die Studien der Wissen-

schaften ausübt, sicher gelangen und sicher in ihnen wohnen | können. Weil nämlich, die Gutes tun, unser Lob und unse- _ ren Schutz verdienen, halten wir es für angemessen, daß wir

alle diejenigen,

durch deren Wissen die Welt erleuchtet |

[und] das Leben der Untertanen darauf ausgerichtet wird, _

Scholarenkonstitution »Habita«

357

Gott und uns, seinem Diener, zu gehorchen, mit besonderer

Zuneigung vor jeglichem Unrecht bewahren. Wer möchte sich ihrer nicht erbarmen? Aus Liebe zur Wissenschaft heimatlos, aus reich arm geworden, leisten sie selbstlos Verzicht, setzen ihr Leben allen Gefahren aus und erdulden

von oft nichtswürdigen Menschen, was schwer hinzunehmen ist, am eigenen Leibe Unrecht ohne Grund. Deshalb bestimmen wir durch dieses allgemeine und in Ewigkeit gültige Gesetz, daß sich niemand mehr als so unverfroren erweise, den Scholaren irgendein Unrecht antun zu wollen und ihnen wegen der Schulden eines Landsmannes,

was

manchmal,

wie

wir

gehört

haben,

aus

üblem

Brauch geschehen ist, irgendeinen Nachteil zuzufügen. Übertreter dieses kaiserlichen Gesetzes und die jeweilige örtliche Obrigkeit, die dies zu ahnden unterläßt, mögen wissen, daß die Rückerstattung des entwundenen Gutes von allen in vierfachem Umfang geleistet werden muß und daß sie ihre Würde, nachdem zwangsläufig ein Verlust der Ehrenrechte eingetreten ist, für immer einbüßen. Wenn aber jemand gegen die Scholaren wegen irgendeiner Sache einen Rechtsstreit anstrengen will, dann muß er ihnen die Wahl freistellen, entweder von ihrem Herrn beziehungsweise Lehrer oder von dem Bischof der jeweiligen Stadt belangt zu werden, denen wir hierfür die Gerichtshoheit übertragen haben. Wer sie aber vor einen anderen Richter zu ziehen wagt, soll mit der Klage — und sei sie noch so berechtigt — wegen eines solchen Versuchs unterliegen. Im übrigen haben wir angewiesen, daß dieses Gesetz den kaiserlichen Erlassen unter dem Titel »Damit nicht der Sohn anstelle des Vaters usw.« einverleibt werde. D: Übers.: W.H. O: Die Urkunden Friedrichs I. Bd. 2. Hrsg. von Heinrich Appelt [u. a.]. Hannover 1979. (MGH

DD F

1.) S. 39 f., Nr. 243.

83 Rechte des römischen Kaisers Das Zusammenwirken Friedrich Barbarossas mit der Rechtsschule von Bologna hatte Auswirkungen auf die Kaiserideologie und auch auf die politische Praxis. Im Bereich der Ideologie ist es bezeich- | nend, daß Friedrich und seine Berater auf die Terminologie der spätantiken römischen Kaiser zurückgriffen, wenn sie von »sacrum imperium«, »Heiligem Reich«, oder »sacrum palatium«, »heiligem Palast«, sprechen. Die Vorstellung vom Kaiser als »dominus mundi« _ (»Herr der Welt