Deutsche Dialektologie [1977 ed.] 9783110853889, 9783110072037


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German Pages 147 [148] Year 1977

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Table of contents :
Vorbemerkung
1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie“
1.1. Was ist Dialektologie?
1.2. Was sind deutsche Dialekte?
2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie
2.1. Die Begrenzung dialektologischer Problemgebiete
2.2. Spracherhebung
2.3. Kartiermethoden
2.4. Interpretation von Sprachkarten
3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie
3.1. Allgemeine bibliographische Hilfsmittel
3.2. Übersicht über die deutschen dialektologischen Unternehmen
3.3. Zur Methodengeschichte
Kartenverzeichnis
Abkürzungen
Personenregister zur Bibliographie im dritten Abschnitt
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Deutsche Dialektologie [1977 ed.]
 9783110853889, 9783110072037

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Deutsche Dialektologie von

Jan Goossens

M i t 13 Karten und 4 Abbildungen

w DE

G 1977

Walter de Gruyter · Berlin · New York

SAMMLUNG GÖSCHEN

Or. Jan

2205

Goossens,

o. P r o f e s s o r f ü r n i e d e r d e u t s c h e u n d n i e d e r l ä n d i s c h e P h i l o l o g i e an der Universität M ü n s t e r

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Goossens, J a n Deutsche Dialektologie. - 1. Aufl. - Berlin, N e w Y o r k : de Gruyter, 1 9 7 7 . (Sammlung Göschen; Bd. 2 2 0 5 ) ISBN 3 - 1 1 - 0 0 7 2 0 3 - 3

© Copyright 1 9 7 7 by Walter de Gruyter Sc C o . , vormals G . J . Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . T r ü b n e r , Veit Sc C o m p . , 1 Berlin 3 0 - Alle Rechte, insbesondere das R e c h t der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, M i k r o f i l m oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden - Printed in Germany - Satz und Druck: Saladruck, 1 Berlin 36 Bindearbeiten: Lüderitz Sc Bauer, B u c h g e w e r b e - G m b H , 1 Berlin 6 1

Vorbemerkung Dieses kleine Buch ist als Einführung in das räumlich-vergleichende Studium der deutschen Mundarten gedacht. Es setzt beimLeser ein gewisses linguistisches und sprachhistorisches Grundwissen, jedoch keine dialektologischen Vorkenntnisse voraus. Dies beinhaltet, daß es sich als Einführung in ein wichtiges Variationsgebiet des Deutschen für Studenten eignet, die die linguistischen Grundkurse mit Erfolg besucht haben. Es unterscheidet sich von seinen Vorgängern durch eine ausführlichere und explizitere Definition des Forschungsgegenstandes im ersten Abschnitt. Diese ist, im Gegensatz zu bestimmten älteren Darstellungen, nur linguistisch; sind doch die Überlegungen „volkskundlicher" Art in früheren Arbeiten zu diesem Thema bei expliziter Formulierung als soziolinguistisch und als semantisch zu kennzeichnen. Für in seinem Aufbau ebenfalls neu halte ich den Versuch, im dritten Abschnitt mittels einer kommentierten Bibliographie dem Leser in forschungsgeschichtlichen Zusammenhängen einen groben Uberblick über die Leistungen der deutschen Dialektologie sowie einen Einstieg in die Benutzung ihres Apparats zu ermöglichen. Den geringsten Originalitätsgrad beanspruchen die Ausführungen zur Methodik im zweiten Abschnitt: Sämtliche Beispiele verdanke ich dem Sammeleifer und der Interpretationskunst meiner Fachgenossen; die theoretischen Darlegungen können als das Ergebnis einer gründlichen Überarbeitung der entsprechenden Teile in meiner „Inleiding tot de Nederlandse Dialectologie" betrachtet werden. Münster, Im März 1 9 7 7 Jan

Goossens

Inhalt

Vorbemerkung

4

1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie" 1 . 1 . W a s ist Dialektologie?

7 7

1 . 1 . 1 . Gliederungen des Sprachgebrauchs in einer Sprachgemeinschaft 1 . 1 . 2 . Linguistische Charakterisierung sprachlicher Differenzen innerhalb einer Sprachgemeinschaft 1 . 1 . 3 . Definition des Begriffs „ D i a l e k t " 1 . 1 . 4 . Der Gegenstand der Dialektologie 1.2. W a s sind deutsche Dialekte? 2 . Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie 2 . 1 . Die Begrenzung dialektologischer Problemgebiete 2 . 1 . 1 . Typ 1 2 . 1 . 2 . Typ 2 2.1.3. T y p 3 2 . 1 . 4 . Typ 4 2.1.5. Typ 5 2 . 2 . Spracherhebung 2 . 2 . 1 . Allgemeine Anforderungen an das Sprachmaterial 2 . 2 . 2 . Methoden der Materialsammlung 2 . 3 . Kartiermethoden 2 . 4 . Interpretation von Sprachkarten 2 . 4 . 1 . Die extra-linguistische M e t h o d e 2 . 4 . 2 . Die intern-linguistische M e t h o d e 3 . Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie 3 . 1 . Allgemeine bibliographische Hilfsmittel 3 . 1 . 1 . Bibliographien 3 . 1 . 2 . Handbücher 3 . 1 . 3 . Zeitschriften 3 . 1 . 4 . Reihen

7 13 16 23 36 53 53 53 54 55 57 59 62 62 67 71 74 74 89 102 102 102 105 107 108

6

Inhalt 3.2. Ubersicht über die deutschen dialektologischen Unternehmen 3.2.1. Untersuchungen des gesamten Sprachraums Grammatik Wortschatz 3.2.2. Regionale Untersuchungen Grammatik Wortschatz 3.3. Z u r Methodengeschichte

Kartenverzeichnis Abkürzungen Personenregister zur Bibliographie im dritten Abschnitt

. 109 109 109 117 122 126 129 134

144 145 ; . . . 146

1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie" 1.1. Was ist Dialektologie? 1.1.1.

Gliederungen des Sprachgebrauchs in einer Sprachgemeinschaft

Die Einwohner der Bundesrepublik Deutschland gehören einer Sprachgemeinschaft an, d. h. einer Gruppe von Menschen, deren Mitglieder sich mit Hilfe einer Reihe von Variationen einer Sprache untereinander verständigen können. Nicht jeder Einwohner dieses Staates gehört jedoch als Sprecher in jeder Hinsicht zur deutschen Sprachgemeinschaft. Viele haben auf der Schule Englisch sprechen gelernt. In ihrer Eigenschaft als — gut oder mangelhaft — Englisch Sprechende gehören diese Sprecher der englischen Sprachgemeinschaft an. Umgekehrt sind in der Bundesrepublik die Gastarbeiter in dem Augenblick, w o sie sich auf Deutsch verständigen oder in dieser Sprache sich zu verständigen versuchen, Mitglieder der deutschen Sprachgemeinschaft, obwohl ihre Muttersprache nicht das Deutsche ist. Eine Person kann also Mitglied mehrerer Sprachgemeinschaften sein. Innerhalb einer Sprachgemeinschaft können bedeutende Differenzierungen vorkommen. Es gibt Deutsche, die einen Handwerker Tischler nennen, der von anderen Schreiner genannt wird, einen Wochentag Samstag, den andere mit Sonnabend bezeichnen, eine Uhrzeit Viertel vor sechs, die bei anderen drei Viertel sechs heißt usw. Hier handelt es sich um Differenzierungen in der deutschen Hochsprache. Nehmen wir an, daß auch die Mundarten der Bundesrepublik Ausdrucksformen der deutschen Sprachgemeinschaft sind — die Annahme ist später zu begründen —, so stellen wir fest, daß bei einer Konfrontation bestimmter Ausdrucksformen paradoxerweise die Kommunikation innerhalb einer Sprachgemeinschaft nicht mehr funktioniert. Das wäre etwa der Fall, wenn ein Holstei-

δ

1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

ner und ein Bayer versuchten, in einem Dialog ihre jeweilige Ortsmundart als Ausdrucksmittel zu verwenden. Bei der Wahl einer gemeinsam der Sprachgemeinschaft zur Verfügung stehenden Ausdrucksform, nämlich der deutschen Hochsprache, können beide Sprecher sich jedoch gegenseitig verständigen. Innerhalb einer Sprachgemeinschaft können also mehrere Ausdrucksformen vorkommen; außerdem können einzelne Sprecher der Gruppe über mehr als eine Ausdrucksform verfügen. Die Unterschiede zwischen diesen Formen sind meistens nicht so extrem wie etwa zwischen Holsteiner Platt und reinem Hochdeutsch. Sie können lediglich die Aussprache des Vokals in einer kleinen Gruppe von Wörtern und zusätzlich den Ersatz einiger Elemente aus dem Wortvorrat durch andere Vokabeln betreffen, ζ. B. wenn es sich um die Ortsmundarten zweier aneinander grenzender Dörfer in Hessen handelt. Noch viel geringer sind sie bei einem kleinen Geschäftsmann aus Bonn, der sich ein erstes Mal mit seinem Freund, ein zweites mit seinem Anwalt unterhält, in beiden Fällen ein rheinisch gefärbtes Hochdeutsch spricht, aber im Gespräch mit dem Anwalt versucht, die Pronomina dat und wat, die er in der Unterhaltung mit dem Freund ausnahmslos verwendet, durch das und was zu ersetzen, was ihm nur in der Hälfte der Fälle gelingt. Zwischen dem minimalen Unterschied zweier Ausdrucksformen einer Person (ζ. B. des Bonner Geschäftsmanns) und der maximalen Differenz in der Ausdrucksform mehrerer Personen (ζ. B. des holsteinischen und des bayrischen Mundartsprechers) gibt es innerhalb einer Sprachgemeinschaft eine unübersehbare Menge von Variationen des Sprachgebrauchs. Die Prinzipien, nach denen diese Menge sich gliedern läßt, sind jedoch ziemlich deutlich. Man hat festgestellt, daß sprachliche Unterschiede in einer Sprachgemeinschaft mit außersprachlichen Merkmalen der Sprachbenutzer korrelieren, und daß auf Grund dieser Korrelationen Schichtungen der Ausdrucksformen durchgeführt werden können. Es handelt sich im wesentlichen um vier Typen von Differenzierungen (1). 1. Der Sprachgebrauch weist sozialschichtgebundene Differenzierungen auf, er ist diastratisch gegliedert. Die Erforschung dieser Erscheinung ist der Aufgabenbereich der Soziolinguistik. Die Sozial-

1 . 1 . W a s ist Dialektologie?

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schichten lassen sich eindimensional auf einer Achse mit den Polen „ O b e r s c h i c h t " und „Unterschicht" einordnen. Z w a r gibt es innerhalb der Sozialwissenschaften — und auch in der Soziolinguistik — keine Einigkeit über die Adäquatheit der verwendeten Schichtenmodelle (2), doch wird allgemein mit solchen eindimensionalen Gliederungen gearbeitet. Die amerikanische Soziolinguistik hat ganz klare schichtgebundene Differenzierungen im Sprachgebrauch bestimmter Großstädte herausarbeiten können (3); die Ergebnisse entsprechender deutscher Untersuchungen sind bisher weniger deutlich oder überzeugend (4), was mit der andersartigen GesellschaftsstrukturderBundesrepublik zusammenhängen mag. Jedoch braucht an der Existenz schichtgebundener Sprachdifferenzierungen in der deutschen Sprachgemeinschaft nicht gezweifelt zu werden: So wird man vielfach die Beobachtung machen können, daß der Anteil der im Alltagsgespräch Hochdeutsch Redenden in den höheren Schichten und umgekehrt der Anteil der Mundartsprecher in den niedrigeren Schichten größer ist. Noch deutlicher — obwohl wir hier die Grenzen einer Sprachgemeinschaft überschreiten — ist innerhalb der Bundesrepublik die Zunahme der Verwendung südeuropäischer Sprachen mit sinkender Sozialschicht: gehören doch die meisten Gastarbeiter den unteren Schichten an. 2. Innerhalb jeder Sozialschicht weist der Sprachgebrauch generationsgebundene Differenzierungen auf, er ist diaphasisch gegliedert. Die Erforschung dieser Erscheinung gehört zum Aufgabenbereich der Historiolinguistik. Die Altersschichten lassen sich problemlos auf einer Zeitachse mit den Polen „ a l t " und „ j u n g " einordnen. Die Generationen verfließen ineinander und sterben mit dem Fortschreiten der Zeit eine nach der anderen aus. Wir verfügen über kontinuierliche Zeugnisse des schriftlichen Sprachgebrauchs jüngst und vor langer Zeit verstorbener Generationen. Zwischen ihnen und der heutigen schreibsprachlichen Produktion gibt es nur allmähliche Übergänge, die es erlauben, den schriftlichen Sprachgebrauch früherer Generationen als Äußerungen der deutschen Sprachgemeinschaft aufzufassen. Die Erfindung der Schallplatte und vor allem des Tonbands erlauben jetzt auch die kontinuierliche Überlieferung gesprochener Sprache über die Generationen hinweg. Das wird - genau so wie es bei den schriftlichen Sprachäußerungen der Fall gewesen ist (5) — die Beobachtung großer Differenzen ermöglichen. Doch

1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

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lassen sich auch im mündlichen Sprachgebrauch heute lebender Generationen manchmal wichtige Unterschiede feststellen. So spricht beispielsweise in weiten Strecken Norddeutschlands ein bedeutender Teil der Generation über fünfzig im Alltagsgespräch noch Dialekt, während die Jüngeren in viel größerem Ausmaß das Hochdeutsche als tägliche Umgangssprache verwenden. 3. Innerhalb jeder Sozial- und Altersschicht weist der Sprachgebrauch situationsgebundene Differenzierungen auf, er ist diasituativ gegliedert. Die Erforschung dieser Erscheinung ist der Aufgabenbereich der Textsorten- oder Stillinguistik (6). Die Situationen, denen die Angehörigen einer Sprachgemeinschaft sich bei der Kommunikation anpassen, können auf einer Achse mit den Polen „formlos" und „förmlich" eingestuft werden. An verschiedenen Stellen der Stilachse liegen im hochdeutschen Sprachgebrauch etwa nur und lediglich, schon und bereits, kaputt und entzwei, brauchen und benötigen. Es gibt jedoch innerhalb einer Sprachgemeinschaft noch viel bedeutendere situationsgebundene Unterschiede. So versucht mancher, der bei der Arbeit und in der Stammkneipe Dialekt spricht, beim Arzt oder am Schalter der Kreisverwaltung Hochdeutsch zu reden. Die Menge der Ausdrucksweisen einer Sprachgemeinschaft läßt sich somit vorläufig mit Hilfe einer diastratischen, einer diaphasischen und einer diasituativen Achse folgendermaßen dreidimensional darstellen (7):

IOberschicht

!

— ^

s

1.1. Was ist Dialektologie?

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In dieser Darstellung ist auch Platz für geschlechtsspezifische sprachliche Unterschiede, deren Bedeutung jedoch nicht übertrieben werden soll (8). Diese sind nicht auf einer Achse mit Gradationen einzustufen, handelt es sich doch um einen Plus-Minus-Gegensatz. Man kann annehmen, daß jeder Punkt im Würfel je nach den Bedürfnissen mit einem Plus- oder einem Minuszeichen versehen wird. 4. Schließlich enthält der Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft raumgebundene Differenzierungen, er ist diatopisch gegliedert. Die Erforschung dieser Erscheinung ist der Aufgabenbereich der Areallinguistik. Im Gegensatz zu den vorigen lassen sich die diatopischen Unterschiede nicht eindimensional einordnen: es handelt sich wörtlich um flächenmäßige Gliederungen. Die obengenannten hochdeutschen Wortpaare Tischler/Schreiner, Samstag/Sonnabend, Viertel vor sechs/drei Viertel sechs sind auf einer Karte des deutschen Sprachgebiets räumlich differenziert: Tischler ist ostdeutsch, Schreiner westdeutsch, Samstag süddeutsch, Sonnabend norddeutsch, Viertel vor sechs nordwest- und westdeutsch, drei Viertel sechs ost- und süddeutsch (9). Die räumlichen Differenzierungen können jedoch viel einschneidender sein: Die mundartliche Ausdrucksweise ist weit stärker differenziert als die hochsprachliche, und zwar so, daß bei einer Entfernung über mehrere hundert Kilometer die Verständigung aufgehoben wird. Das Areal einer Sprachgemeinschaft besteht aus einer Menge von kleineren Gemeinschaften (Wohnkernen), die bei den besprochenen Differenzierungen des Sprachgebrauchs jeweils spezifische Verhältnisse aufweisen. Das ist am deutlichsten bei den Mundarten, die in manchen Gegenden des deutschen Sprachraums von Ort zu Ort deutlich differieren, aber auch bei vielen anderen Aspekten des Sprachgebrauchs, beispielsweise beim Prozentsatz der Hochdeutsch Sprechenden, beim Ausmaß der regionalen Färbung dieses Hochdeutsch im Munde der einzelnen Sprecher usw. Die Ausdrucksformen einer Sprachgemeinschaft lassen sich also auch kartographisch erfassen, und zwar am genauesten, wenn die Karten so viele Punkte enthalten wie es kleinere Sprechgemeinschaften gibt. Als Modell der Gliederung des Sprachgebrauchs einer Sprachgemeinschaft kann dann eine Karte fungieren, die an einer Reihe von Punkten Würfel enthält, die nach den besprochenen Prinzipien zu gliedern und als

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1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

Formalisierungen der sprachlichen Differenzierung an den von den Punkten repräsentierten Orten zu verstehen sind. Anmerkungen (1) Das skizzierte Modell ist als vereinfachte Darstellung zu verstehen, die bestimmte Korrelationen sprachlicher und nichtsprachlicher Gegebenheiten nicht berücksichtigt. Eine Sprecherpersönlichkeit ist durch die Verbindung sozialer, chronologischer, situativer, geschlechtlicher und geographischer Faktoren gewiß nicht erschöpfend charakterisiert. Das Modell berücksichtigt weiterhin die Dichothomie Sprechsprache Schreibsprache nicht. Es ist auch wohl zu wenig flexibel, indem es für den Einfluß der immer größer werdenden Mobilität der westlichen Industriegesellschaft auf den Sprachgebrauch keinen Platz hat. (2) R. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 2 1972, 97, skizziert ein zweidimensionales Modell, dessen Operationalisierbarkeit für empirische Untersuchungen (auch nichtsprachlicher Natur) jedoch nicht gezeigt wird. Interessante linguistische Betrachtungen zur Problematik des Schichtenmodells finden sich bei W. Labov, The social stratification of English in New York City. Washington 1966, Chapter VII, insb. S. 220 ff. (3) Labov (wie Anm. 2); W. A. Wolfram, A sociolinguistic description of Detroit negro speech. Washington 1969. (4) Etwa U. Oevermann, Sprache und soziale Herkunft. Frankfurt 1972. S. Jäger, Sprachnorm und Schülersprache. Sprache der Gegenwart 13 (1971), 166-233. (5) Mehrere Linguisten haben vergleichende Aufstellungen von Textproben aus verschiedenen Epochen einer Sprache veröffentlicht. Leicht greifbar sind etwa die Auszüge aus Übersetzungen des Lukasevangeliums bei P. von Polenz, Geschichte der deutschen Sprache. Berlin 7 1970, 186-188. (6) Im Gegensatz zu mehreren anderen Forschern möchte ich inhaltlich nicht zwischen Textsorten- und Stillinguistik differenzieren. (7) Aus dieser Darstellung darf nicht der Schluß gezogen werden, daß der Umfang der Menge sprachlicher Unterschiede zwischen zwei Punkten im Würfel mit der Entfernung dieser Punkte direkt proportional wäre: Das von W. Labov entwickelte hyperkorrekte Schema der unteren Mittelklasse (vgl. außer The social stratification u. a. noch Das Studium der Sprache im sozialen Kontext, in W. Klein - D. Wunderlich (Hrsg.), Aspekte der Soziolinguistik. Frankfurt 1 9 7 1 , 1 1 1 - 1 9 1 , vor allem 169 ff.) zeigt, daß man hier nicht zu schnell verallgemeinern darf. Unsere Darstellung besagt, daß für jeden Punkt im Würfel eine charakteristische Ausdrucksweise vorhanden ist, sie besagt nicht, daß es zwischen ihnen nur gleitende Übergänge gäbe.

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1.1. Was ist Dialektologie?

(8) Vgl. G. Kegel, Sprache und Sprechen des Kindes. Reinbek 1974, 72: „Über geschlechtsspezifische Entwicklungsunterschiede ist eine beträchtliche Zahl von Stereotypen im Umlauf, die sich bei strikt empirischer Nachprüfung nicht halten lassen." (9) Vgl. P. Kretschmer, Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache. Göttingen 2 1 9 6 9 , 180 f., 460 ff., 526 ff.

1.1.2. Linguistische Charakterisierung sprachlicher renzen innerhalb einer Sprachgemeinschaft

Diffe-

Alle Ausdrucksweisen innerhalb einer Sprachgemeinschaft k ö n n e n miteinander verglichen werden, m. a. W . jeder Punkt in jedem W ü r fel des M o d e l l s kann mit jedem anderen Punkt im gleichen oder in einem beliebigen anderen Würfel in Beziehung gesetzt werden. Weil wir es definitionsgemäß mit einer Sprachgemeinschaft zu tun h a b e n , wird bei gleich welcher K o m b i n a t i o n eine Übereinstimmung in den Sprachgebrauchstypen festzustellen sein. D a s bedeutet, daß zwei beliebige Punkte immer identische Elemente (ζ. B . eine L a u t k o m b i n a tion h + V o k a l + s für „ H a u s " ) oder Strukturen (ζ. B . identische Präteritumkonjugation der schwachen V e r b e n mit den Endungen -te, -test, -te, -ten,-tet, -ten) enthalten werden. Es wird aber andererseits a n g e n o m m e n , daß der Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft differenziert ist. D a s heißt, daß diese beiden Punkte auch opponierende Elemente (ζ. B . Tischler und Schreiner für den Handwerker, der die M ö b e l anfertigt) oder Strukturen (ζ. B . verschiedene Anordnung von V e r b u m finitum und 2 . Partizip im abhängigen Satz: Er sagt, daß er es getan hat / hat getan) aufweisen werden. Die Differenzen können mit Hilfe von Regeln erfaßt werden, die sich auf zweierlei Weise gestalten lassen: 1. M a n n i m m t eine der beiden Ausdrucksweisen als Ausgangspunkt und überführt ein Element bzw. eine Struktur dieser Ausdrucksweise in das entsprechende Element oder die entsprechende Struktur der anderen Ausdrucksweise, also: (A) a —> (B) b d. h. Element (Struktur) a der Ausdrucksweise A wird zu Element (Struktur) b in Ausdrucksweise B .

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1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

2. Man wählt eine Bezugsgröße 0, die nicht mit einer der miteinander zu vergleichenden Ausdrucksweisen identisch ist und stellt die Beziehung Α—Β her, indem man ihr beiderseitiges Verhältnis zu 0 angibt, also:

mi *

J( A ) al

d. h. Element (Struktur) χ der Bezugsgröße 0 ist in der Ausdrucksweise A als a und in der Ausdrucksweise Β als b repräsentiert. Als 0 fungiert in vergleichenden Untersuchungen der Sprechweisen von Sprachgemeinschaften meistens ein sog. Protosystem, d. h. eine ältere (historisch belegte oder rekonstruierte) Sprachstufe, von der angenommen wird, daß sie der gemeinsame Ursprung der Sprechweisen A . . .N ist, doch ist die sprachhistorische Annahme eines Protosystems für die Erstellung eines Bezugssystems keine Notwendigkeit. Es kommt auch vor, daß ein synchron außerhalb der zu erforschenden Menge von Sprechweisen existierendes System als Bezugsgröße gewählt wird, ζ. B. bei vergleichenden Untersuchungen deutscher Mundarten das System der deutschen Hochsprache (1). Vor allem wenn mehr als zwei Sprechweisen miteinander verglichen werden müssen, erweist sich die Arbeitsweise mit Hilfe einer Größe 0 als die weitaus bequemere; sind doch die sprachlichen Verhältnisse innerhalb einer Sprachgemeinschaft manchmal so verwickelt, daß sie ohne Bezugssystem nicht adäquat dargestellt werden können. Nach dem Ausmaß ihrer Geltung sind zwei Typen von Regeln zu unterscheiden: kategorische und variable Regeln. Eine kategorische Regel gilt in einer Sprechweise uneingeschränkt. Wenn beispielsweise ein Angehöriger einer bestimmten Sozial- und Altersschicht in Hamburg in einer bestimmten Redekonstellation in hundert Prozent der Fälle, in denen er den letzten Wochentag nennen will, den Ausdruck Sonnabend verwendet, so läßt sich diese Feststellung in einer kategorischen Regel formulieren. Diese geht von den folgenden Konventionen aus: 0 = Bezugssystem; A = die zu beschreibende

1.1. Was ist Dialektologie?

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Sprechweise; das Bezugssystem enthält als Bezeichnung für den letzten Wochentag den Ausdruck Samstag. Die Regel lautet: (0) Samstag —» (A) Sonnabend Eine variable Regel hat, im Gegensatz zu einer kategorischen, nur beschränkte Geltung. Es wird angenommen, daß es Faktoren gibt, die das Ausmaß ihrer Anwendung bestimmen, zu denen die Umgebung der von ihr betroffenen Teile der Äußerung in der linearen sprachlichen Verkettung gehört (2). Wenn etwa ein oberhessischer Angehöriger einer bestimmten Sozial- und Altersschicht in einer bestimmten Redekonstellation den letzten Wochentag nennen will, so wird er nicht immer Sonnabend, sondern auch wiederholt Samstag sagen. Die Anwendung der Regel (0) Samstag —> (B) Sonnabend gilt also für ihn nur beschränkt. Sie wird u. a. von dem sprachkontextuellen Faktor der Frequenz der Wortfolge, bestehend aus der Bezeichnung des letzten Wochentags und der Vokabel Abend beeinflußt. Denkbar wäre hier etwa ein Verhältnis: 90 % Samstag Abend — 10 % Sonnabend Abend. Ist die Frequenz dieser Wortfolge hoch, so verringert sich die Anwendung der Regel, ist sie niedrig, so wird diese begünstigt. Den Unterschied zwischen einer kategorischen und einer variablen Regel können wir nach der — wohl noch als vorläufig zu betrachtenden — Darstellung Labovs (3) formalisieren, „indem wir jeder Regel eine Größe φ zuweisen, die den Anteil der Fälle, wo die Regel angewandt wird, an der Gesamtheit all derer, wo sie angewandt werden könnte, repräsentiert. Für eine kategorische Regel ist φ = 1; für eine variable Regel ist φ = 1 — ko, wobei ko irgendeine Beschränkung der Regel repräsentiert". Folgt im besprochenen Beispiel der Bezeichnungen des letzten Wochentages nicht das Wort Abend, „so begünstigt das die Anwendung der Regel und ko wird um einen Faktor k l , d e r kleiner ist als ko, vermindert,so daß φ = 1 - (ko - a k l ) , wobei a negativ oder positiv ist", je nachdem die Bezeichnung eine Verbindung mit dem Wort Abend eingeht oder nicht. Das Verhältnis der behandelten hamburgischen und oberhessischen Sprechweisen läßt sich dann folgendermaßen darstellen (a = Sams-

16

1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

tag; b = Sonnabend;

/ / steht vor der Beschreibung des Anteils der

Fälle, für die die Regel gilt): (0)a W

.|