Des Volkes Leben: Ein Versuch zur Befreundung der Regierenden und der Regierten [Reprint 2021 ed.] 9783112446003, 9783112445990


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Des Volkes Leben: Ein Versuch zur Befreundung der Regierenden und der Regierten [Reprint 2021 ed.]
 9783112446003, 9783112445990

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D c8

Leben.

Volkes E i n

Versuch zur

Befreundung der Regierenden und der Regierten

von

D. Karl Gottfried Bauer, Prediger in Leipzig.

Berlin, 1831. B e i

G.

Reimer.

Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzen Mit-Regenten von Sachsen

Herrn

Herrn Friederich August, dem

Erhabenen Volköfreunde,

unterthänigft und ehrfurchtsvoll zugeeignet

v. Vrfssr.

B o r b e r i ch t. Aer Verfasser, hat über diese Bogen nichts zu

erinnern, als das; ihm die Idee dazu schon vor 15 Jahren bald nach dem völligen Sturze des Kaisers der Franzosen und der wenigstens an­ scheinenden Rückkehr der politischen Verhältnisse in ihr gewohntes Geleise gekommen ist, aber in einem viel weitern Umfange, als hier geschehen, von ihm hat ausgeführt werden sollen. Die Hauptsache und das Lehrreichste, nicht minder auch Anziehendste wäre nämlich unstreitig gewesen, die vielerlei Arten, wie des Volkes Leben sich äußert, und die*) sehr verschiedenen Einflüsse und Umstände, unter denen das geschieht, zu möglichst lebendiger Anschauung' zu bringen, dann aber die Anwendung der allgemeinen Principien, nach denen es unter Voraussetzung bestimmter, davon festgestellter Begriffe geleitet werden muß, auf jene besondern Erscheinungen desselben nachzuwei*) Namhaft gemacht ist hiervon das Hauptsächlichste am Schluffe dieser Schrift.

VI

sen.

Mit einigen Kenntnissen deö hierher Gehö­

rigen, die ihm nicht ganz abgingen,

hat aber

freilich der Verf. schon aus Achtung gegen sich selbst und aus Liebe zu seiner Idee, der Sache

zu genügen, nicht glauben dürfen,

an eine Menge weit aussehender,

sondern sich antiquarischer,

historischer, ethnographischer und anthropologischer Untersuchungen verwiesen gesehen, zu denen ihm

noch nicht genug ununterbrochene Müße geworden ist und auch wohl wahrscheinlich nie werden wird. Kaum würde auch das nun Mitgetheilte,

waö

sich, bloß unter da und dort vorkommender Be­

ziehung auf ältere und neuere Zeitereignisse, ganz im Gebiete allgemeiner Begriffe und Grundsätze hält und unter

schrieben,

viel Unterbrechungen

übrigens,

niederge­

so weit es erscheint, wohl

über zwei Jahre fertig gewesen ist, je aus deö Vfs.

Pulte gekommen seyn,

wenn ihm nicht seit den

Ereignissen der letzten Juli-Tage deö verflossenen Jahrs und den Aufregungen,

die an so vielen

Orten selbst unsers deutschen Vaterlandes darauf

gefolgt sind,

geschienen hätte,

daß eö für die

Zeit einiges Interesse haben und mit den jetzt vielfältig auf Verbesserung ausgehenden Bestre­

bungen

dürste.

aller

Gutdenkenden

zusammenstimmen

Zusammengehalten mit jenen Ereignis­

sen der neuesten Epoche möchte auch wohl man«

VII

ches im Gegenwärtigen Enthaltene zum Beispiel

davon dienen, daß ohne große Sehergabe, (die Niemand in der Welt sich weniger als der Vf. zuzueignen im Sinne haben kann,) viel Wesent­

so wie eö gekommen ist,

licher,

sehen werden können. mit er sich

hoffentlich,

hat vorauSge-

Die Freimüthigkeit, wo­

hierüber ausgesprochen

hat,

wird

statt ihm als Ultra-Liberalität, ge­

schweige denn als Aufregungssucht ausgelegt zu vielmehr seiner innigen Liebe zur bür­

werden,

gerlichen Ordnung und seinem glühenden Wun­

sche, daß die regierenden Autoritäten ihre Zügel fest angespannt halten, aber auch sie so halten zu können, sich nie außer Stand setzen mögen, zur

Beurkundung dienen. „unsern Freunden;

„Gott behüte unö nur vor

gegen unsere Feinde wollen

„wir uns schon selbst helfen"-^- dieß Sprichwort ist während der neuern und neuesten Zeit nirgends

mehr,

als in diesem Gebiete in Erfüllung ge­

gangen ;

der

rechtmäßigen

und

nothwendigen

Staatsautorität ist von Niemand mehr als von den Servilen geschadet,

der wahren Volksfrei­

heit und dem guten Willen edler Herrscher,

sie

zu fördern, von Niemand schlimmer als von den

excentrisch Liberalen Abbruch gethan worden.

Bei­

den Einseitigkeiten hat sich der Vers, hoffentlich

mit gleichem Nachdrucke entgegengesetzt.

Wenn

Ylli

auch nur etwa bei dem Einen und Andern, der

ihn liest,

mit einigem Erfolge:

sein Streben nicht gereuen. von

einem Versuche

zur

so würde ihn

Vielleicht könnte

Befreundung

der Regierenden und der Regierten ein zu tieferer Popularität herabgestimmter Ton ge­ fordert werden;

aber weit weniger mit denen,

die bloß einen solchen fassen, (der „beiläufig zu

sagen, nicht besser als in Beckers 1790 erschiene­

nem Rebellionsfieber, einem Anhänge zum Noth­

und Hülfsbüchlein, getroffen seyn kann,) als mit den halb

Gebildeten und Ueberbildeten möchte

seht in Angelegenheiten dieser

Art

zu sprechen

Noth seyn; und ob für diese der rechte Ton ge­

troffen sey,

muß der Verf. den Beurtheilern

seiner wenigstens

ehrlich

entscheiden überlassen.

gemeinten Schrift zu

Einleitung. .......... Seite 1 — 11 Erstes Capitel: Erste Elemente des Begriffes Volk und genauere Bestimmungen, die er sich aneignet. . . S. 12 Zweites Capitel: Was ist unter Leben des Vol­ kes zu verstehen? ........ 17 dritte § Capitel: Das Verhältniß zwischen Staat und Volk im Allgemeinen betrachtet. ....... 28 Viertes Capitel: Die Grundsätze, nach denen dieß Verhältniß festgestellt seyn muß. = 41 Fünftes Capitel: Wie aus des Volkes Jnnerm heraus das Leben desselben sich bilden müsse und könne. ...... ...... ....r 70 §. 1. Des Volks Erzieher. ........ - 74 §. 2. Humanität der Zweck, zu dem es erzogen werden soll. ............ .z 78 3. Principien der Volkserziehung. ...... 89 §. 4. Darstellung des Volkslebens in seiner har­ monisch abgeschlossenen Idee. ...... s 101

ELnleitun g. ^)roße Contraste stellen sich dem dar, der ein nur etwa fünfzigjähriges Leben nicht völlig gedankenlos durchlebt hat, der die bei ihm vorübergegangenen Erscheinungen auch nur mit der Achtsamkeit prüft und vergleicht, Lie mehr, als zu unserer Väter Tagen, der Zeitgeist fodert und mit sich führt. Sieben Jahre lang, von deren ro­ mantischen Ereignissen wir einst die Aeltern so gern er­ zählen hörten, hatten Europa's größte Mächte sich ver­ gebens zerarbeitet, den kleinen, anscheinend aller Run­ dung und körperlichen Festigkeit entbehrenden preußischen Staat zu zertrümmern. Hatte das Zweifelhafte des Kampfes ein wahrhaft dramatisches Interesse mit sich geführt: so gewährte der Schluß des Drama nicht min­ der gewünschte Befriedigung. Der große Geist, der ihn, von geringer, im entscheidenden' Zeitpunkte entzogener Hülfe unterstützt, zuweilen dem Untergange nahe, öfter siegreich, bestanden hatte, sah ihn geendigt, ohne eine Scholle Landes verloren oder eine neue begehrt und er­ rungen, wohl aber mit der Aussicht, seinen von 1740 —45 erweiterten Landesbesitz auf einige Folgezeit hinaus gesichert zu Haben. Aber wie unter seiner Leitung das verwüstete Land sich erholte, der erschöpfte Staat neue und erhöhte Kräfte gewann, das erregte nicht mindere

1

2 Bewunderung, als wie er gegen erdrückende Uebermacht

vertheidigt worden war.

Eine neue Ordnung der Dinge

begann bei unsers Lebens Morgenröthe, und wer von

uns hätte ihr nicht, da er sie werden und sich befestigen sah, geringe Umbildungen und örtliche Abweichungen ab­

gerechnet, eitle unverrücktc Dauer eben so wohl gewünscht als geweiffagt? —

Friedrichs Einrichtungen im Staats­

haushalte, in der Rechtspflege, im Kriegsweftn, in der Handhabung der gestimmten Staatsmaschine nach außen

und innen, schienen so wohl berechnet, so durchgreifend zweckmäßig, daß sie bald den meisten übrigen Staaten zum Muster zu dienen anfingcn, daß wenigstens das Prin­

cip, was man dort walten sah, allenthalben seine An­ wendung finden sollte.

Es war dieß, wie es vor Au­

gen lag, im Staate und im Felde, kein anderes, als das Princip der vollkommensten Gleichförmigkeit und Re­

gelmäßigkeit aller Bewegungen, des reinsten, in sich abge­ schlossensten Mechanismus, der jedem Individuum, ge­

wählt aus dem Stande und der Gesthlechtsabstammung,

welche dazu die tauglichsten schienen, die Stelle, an der es würken, den Impuls, den es zunächst empfangen, den Zweck, zu dem es sich regen sollte, anwies, alle Thätigkeit des Einzelnen mit möglichst leichter Mühe

der Lenkung durch Winke von oben herab fähig machte, alles individuelle Leben im Interesse des Staates auf­

gehen, ließ.

diesen seinen einzigen Zweck in sich selbst finden

Und

als man der Gewichte und Gegengewichte

immer mehrere und immer künstlichere in die Maschinen

eingcfügt, as man in einer Unzahl Tabellen und Con-

trolen sich von jedem Federzuge des kleinsten Unterbcamten eine Uebersicht verschafft zu haben das Ansehen gab,

3

als man jeden Staat auf das möglichste in Handel «nb

Verkehr von den übrigen abgesondert hatte; da meinte man den Gipfel der Regierungskunst erreicht zu haben: dagegen für die äußere Festigkeit der Staaten das mehr und

mehr vervollkommnete System ihres körperlichen Gleich­

gewichtes die Gewahr leisten sollte.

Daß indessen hier­

mit nur was man von der Sache gesehen hatte, er­

griffen war, keincswegcs das Wesen derselben, die innern

Bedingungen ihrer Möglichkeit für begriffen gelten konn­ ten, zeigte sich, (andere theils frühere, theils gleichzei­ tige , theils spätere Erscheinungen abgerechnet, auf die wir sogleich ein näheres Augenmerk richten werden,) schon an dem sowohl glücklichen als minder günstigen Erfolge,

den jenes System anderwärts fand, wo cs von Selbst­ herrschern, die wohl nicht mit Unrecht für Friedrichs

Geistesverwandte gelten durften, gehandhabt ward: denn wer weiß nicht, daß Katharina II.*) dabei das glän­

zendste Glück in allen ihren Unternehmungen, Joseph II. nichts als Undank und. Abtrünnigkeit an allen Seiten,

Gustav III. den Tod erndtete, den auch früh genug der

freilich kcincsweges geistesverwandte Peter III. und wenn

man will, selbst Paul auf diesem Wege fand.

Doch,

wie gesagt, ganz andere Erscheinungen, unendlich aus­

gebreiteter in ihrem Umfange, unendlich folgenreicher in ihren Wirkungen, haben über das hierbei weit weniger

von Friedrich II. als von den meisten seiner Nachahmer *) Wenn man anders sagen kann,

daß ihr Wesen damit

das mindeste gemein gehabt habe, daß es etwas mehr als reiner, der Beschaffenheit des von ihr regierten Volks angemessener, dem Geiste und den Umständen der Zeit und den Launen ihrer Günst­ linge klüglich angepaßter Despotismus gewesen sey.

4 übersehene, weit weniger in seinem als in ihrem Staats­ haushalte vermißte Moment ein mehr als hinreichendes Licht verbreitet und uns den schnellen Umsturz eines, frü­ herm Anscheine nach, für eine Dauer von Jahrtausenden begründeten mechanischen Staats - und Regierungssystems mir allzu begreiflich gemacht. Jenseits des Oceans ward es einer großen, über einen ungeheuern Erdstrich verbrei­ teten Mcnschenmaffe Helle, daß das Wort Volk auch etwas bedeute, daß die darunter Begriffenen nicht blos des Staates und seiner Machthaber wegen vorhanden seyen, sondern der Satz mit größcrm Anschein von Rich­ tigkeit sich umkchrcn lasse; und der Ansgang des Strei­ tes zwischen England und seinen amerikanischen Colonien bewies wenigstens so viel, daß unter einem Volke wider desselben Willen bleibend nichts dnrchgesetzt werden könne, mithin daß es ein Leben und eine Regsamkeit, die ihm eigen seyen, geben müsse. Die den Amerikanern ihren ohne­ dies nicht zweifelhaften Kampf hatten abkürzen helfen, die Franzosen, waren die ersten, die dieser neuen oder vielmehr seit den niederländischen und englischen Revolu­ tionen zum erstenmale neu erläuterten Lehre mit aller ihnen eigenen Leidenschaftlichkeit huldigten, und die fran­ zösische Regierung war die erste, die die Folgen davon empfand, ihre Krieger dorthin in die Schule geschickt, sie mit schweren, in ihren Folgen erst recht empfindlichen Kosten einige Jahre dort unterhalten zu haben. Alles für, nichts durch das Volk — hatte man im be­ ste» Falle bisher geglaubt. Furchtbar schwankte die Wage über auf die entgegengesetzte Seite, als bei wei­ tem mehr durch, denn für das Volk die Privilegien vernichtet, die Aristokraten verjagt, der Thron gestürzt,

5 die Freunde der Mäßigung wie die Verdächtigen getödtet und geächtet, die erfahrensten Feldherren der jenes System verfechtenden Mächte an der Spitze der geübtesten Heere geschlagen, des Deiches Gränzen über den Rhein, die Alpen, die Pyrenäen erweitert, auf dem ältesten classtschen Boden der Erde, am Nilstrome, die französischen

Adler gepflanzt wurden. Und bis an die Weichsel, bis an den Riemen wurden sie siegreich getragen, als Volks­ kraft und Volkswille von dem kühnsten und kräftigsten Selbstherrscher, den je die Welt gesehen hatte, gezügelt und geleitet und an Extensität gleich sehr, wie an In­ tensität verstärkt, mit seinen Entwürfen sich zu harmo­ nischer Wirksamkeit vereinigten. Das Princip, das eine so furchtbare Kraft entwickelt und aller Reactionen des Staatsmechanismus, die ihm von irgend einer Seite her entgegengetreten waren, gespottet hatte, konnte nur durch sich selbst bekämpft werden; und das um so sieg­ reicher, je mehr es unter dem Frankenvolke durch Ver­ mischung mit dem der Autokratie in sich selbst entzweiet worden, je mehr diese sich seiner zu entledigen, und in einer rein militärischen Staatshaushaltung nur den Schat­ ten davon übrig zu lassen, bedacht gewesen war; und das um so kraftvoller und mit so ungezweifelterm Er­ folge, je reiner und freier und naturgemäßer es irgend­ wo waltete. Daher die an ihrer Stelle und für ihr Interesse während der ganzen Dauer dieses Kampfes von den Engländern erfochtenen Vortheile. Daher die über­ raschenden Großthaten der wehrlos unterjochten Spanier. Daher die unsägliche Mühe, welche die Ueberwältignng der von Oesterreich, an dem sie so festhieltcn, verlassenen Tyroler gekostet. Daher der fürchterliche Ausgang des

6 russischen Krieges.

Daher auf deutschem und späterhin

selbst auf französischem Boden keine Kraftäußerung bewundernswerther, als die der Preußen, weil keiner unter

allen deutschen Volksstämmen vom Zwingherrn und sei­

nen Kriegern und Staatsgchülfen im Innersten seines Lebens tiefer verwundet und schmählicher beeinträchtigt worden war, als eben dieser, an dessen Spitze sich

auch sein Friedrich, seit dem

ohne den

früher

schon

großen Churfürsten darin einhei­

mischen und aufgeregten, für einen solchen

Führer und Regenten befeuerten Volksgeist nicht würde haben behaupten können.

Daher

die feurige Theilnahme der Baiern und Würtemberger an dem weiterhin verallgemeinerten Freiheitskampfe, (die,

hätte man nicht ihr Volksintcrcffe und das damit ein­

stimmige ihres Regenten so unerwartet unterdrückt, auch

in de» Sachsen sich nicht minder lebendig würde gezeigt haben), weil sie alle sich über den schnöden Mißbrauch, den die gallische Willkühr bisher gewaltsam mit ihren Kräften getrieben hatte, so tief empört fühlten.

Daher

der laue, nur durch Massen wirksame Antheil Oesterreichs an dieser Angelegenheit, weil nur die äußerste Zudring­ lichkeit des Gegners ihn hier von dem Cabinette erpreßt

hatte.

Beigclcgt hat nun für den Moment der aus

jenem Antagonismus

der Herrscher-Willkühr und des

Volksgcistes entsprungene Streit der Völker unter ein­

ander selbst geschienen; die Kraft auf dieser Seite hat

die

ihr

gleichartige

auf der

entgegengesetzten

in ihre

Schranken zurückgewiesen und zugleich sich selbst als durch jene beschränkt bekannt; auch ist nach einem so vielfa­ chen und anhaltenden Kampfe die Erschöpfung an allen

7 Seiten so groß gewesen, daß sie wohl den zurückgeblie­ benen Empfindungen gegenseitiger Erbitterung auf eine Zeitlang hinaus das Gleichgewicht hat halten können. Desto überraschender, obwohl nichts weniger als uner­ klärlich ist dagegen der Zwiespalt, der seitdem an so vie­ len Orten nur um so stärker zwischen den Regierenden und den Regierten eingctreten zu seyn scheint; desto auf­ fallender das so häufig ganz entgegengesetzte Interesse des Volkes und des Staates, (abgesehen von allen an der Spitze des letztem stehenden Individuen), innerhalb derselbigen Gränzen, desto beklagenswerther die Klage, daß jenes durch diesen Gewalt leide; da doch dieser bei so großen erlittenen Gefährdungen nur durch die Anstren­ gungen jenes, dessen Existenz und Wohlseyn überhaupt die alleinige Bedingung und den einzig gcdenklichen Zweck der seinigen ausmacht, erhalten werden konnte. Einen eigenthümlichen Charakter, das ist unbczweifclt, hat die Zeit angenommen, der man aber weniger mit Hamlet uachsagen darf: sie ist aus ihren Fugen gekommen, als vielmehr: sie scheint dahin wieder zurücklenken zu wollen. Nicht spreche man nur von unverdauten chimärischen Ideen der Freiheit und Gleichheit, die, mit allgemeiner Verwirrung drohend, in menschlichen Köpfen spuken. Ein weit reichhaltigerer, mehr umfassender Inbegriff von Vorstellungen ist in der civilisirte» Menschheit rege ge­ worden. Das Volk ist allenthalben zum Gefühl eines ihm eigenthümlichen Lebens, das freilich nie ganz ver­ nichtet, doch hier und da unterdrückt werden und ciuschlummern konnte, znrückgekchrt; und so wirksam, so verbreitet ist dies Gefühl geworden, daß cs nicht nur aller Orten die Vorstellung des gegenwärtigen Zustandes

8 und der künftigen Aussichten der Völker durchdringt, son­ dern daß es sich auch durchgängig an die Beurtheilung der Vergangenheit anschließt, ja daß alle Ansicht der Ge­ schichte kahl und dürftig erscheint, in welcher nicht des Volkes Leben betrachtet und gewürdiget wird, in welcher es sich nicht als der vornehmste Gegenstand der Auf­ merksamkeit darkegt. Bei dem Allen hat mehr die Sache selbst faktisch ihre Rechte geltend gemacht, als daß der Begriff von der so benannten Sache, wie er es verdient, die allgemeine Aufmerksamkeit erregt, geschweige denn alle die Verdeutlichung und genauere Bestimmung ge­ funden hätte, die ihm Noth thut, wenn sein Gegenstand richtig beurtheilt und den dafür tauglichen Gesetzen unter­ worfen werden soll. Nicht daß der Ausdruck, Volkslcbm, (obwohl nur seit Kurzem in der Menschen Munde) neu und unbekannt wäre. Aber noch scheint der Ge­ brauch desselben ziemlich schwankend; noch scheint man die Resultate davon mehr geahnct, als bestimmt und umfassend genug eingesehcn, als auf so viel wichtige Be­ ziehungen, dergleichen hier berücksichtigt werden müßten, die ihnen gebührende Aufmerksamkeit gerichtet zu haben. Vielleicht ist es indessen nur meine sehr geringe Belesen­ heit, die mich hier vermissen läßt, woran es in der That nicht fehlet: dennoch fürchte ich keinen Vorwurf, wenn ich über einen schon besprochenen Gegenstand von neuem nnd selbst ohne mich sonderlich um das, was Andere vor mir darüber gesagt haben, zu bekümmern, spreche» Seine Wichtigkeit ist so groß und neuerlich so sehr ver­ größert, — gewiß unter den Zeichen unserer Zeit nicht das schlechteste — daß Jedem, der die theuersten Ange­ legenheiten der- Menschheit redlich im Herzen trägt, der

9 ihnen so viel Blut und Thränen nicht umsonst geopfert zu wissen wünscht, sein Wort darüber mit zu sprechen,

nicht nur frei steht, sondern für heilige Pflicht gilt und daß der Gehalt dieses Wortes weniger auf der darin zur Schau gestellten Gelehrsvinkeit oder Neuheit der Form und selbst des Stoffes, dann aber auf der dabei zum

Grunde liegenden Reife der

Sachkenntniß, Richtigkeit

der Principien und Gediegenheit der Gesinnungen, wie

nicht minder auf der dem Gesagten zuständigen^ prakti­ schen

Brauchbarkeit

beruht.

Freilich

ist

die

letztere

sehr gesunken und sind die erstem sehr verdächtig gewor­ den, seit die lebendige Rede (ezrsa txtsqÖsvto) sich so

selten gemacht, so allgemein zur Schrift-Sprache verstcinet, diese aber sich so gewaltig vervielfältigt hat*),

daß ihr Inhalt von den Gewaltigen im Lande gar we­

nig beachtet zu werden pflegt, noch viel beachtet werden kann.

ja in Wahrheit kaum Doch ermangelt die

Schrift, um das lebendige Wort und seinen Quell, den

lebendigen Gedanken, an einzelner Stelle hervorzurufen,

nicht aller gedeihlichen Wirksamkeit; gar sehr scheint cs an dem, daß sie diese erweitere: und wie nun die Zeit

die Art und die Wege unsres Wirkens vorschreibt, uns aber nichts übrig bleibt, als ihrem Rufe zu folgen: so

muß auch, daß des Volkes Leben entbunden, gelautert, gekräftigt, veredelt, beglückt, daß so manches feindselige, ihm

entgcgcnwirkende

Princip

gebannt

werde,

durch

*) Sollte man dem zu Folge nicht mit großem Rechte behaupten dürfen, daß das Volksleben selbst durch Erfindung der Buchdrucker­ kunst und durch immer merklicher erweiterte Verbreitung ihrer Er­ zeugnisse eine merklich veränderte Richtung und Beschaffenheit er­

halten hat?

10 schriftliche Untersuchung vorbereitet werden. Liebe zum Volke und wie ihm dünken will, auch einige in man­ cherlei Verhältnissen mit dem Volke, seinen Ansprüchen und Bedürfnissen gemachte Bekanntschaft, dann aber vor­ nehmlich die Ueberzeugung, dass alles unter unserm Ge­ schlechte nach gerade zu Tage geförderte Wahre, Gute und Schöne, dann erst seine Bewährung, Beglaubigung und Befestigung gewonnen habe und zur gebührenden Entwickelung hindurchgedrungen sey, wenn es ins Volks­ leben über und gleichsam neu aus demselben hervorge­ gangen ist, hat dem Verfasser zu seinen Mittheilungen die Feder in die Hand gegeben, denen er eine wohlwol­ lende Aufnahme nicht blos wünscht, sondern auch mit einiger Zuversicht weissagt. Um Partheiungen veranlas­ sen oder an irgend eine Parthei sich leidenschaftlich an­ schließen zu wollen, ist er zu weit ins Leben hinein, ja dem Ziele desselben bereits zu nahe gerückt. Freiheit und Ordnung haben sich ihm von jeher, und namentlich seit den letzten Zeiten, als so innig verschwistert dargcstellt, daß die eine wechselseitig nur durch die andere Werth und Bestand erhalten kann; und wenn er nächst der Verstän­ digung seiner selbst über den von ihm besprochenen Ge­ genstand sich eines Hauptzweckes bei seiner Arbeit be­ wußt ist, so ist es der, mit dem ganzen Maaße seiner geringen Kraft den Werth und Bcstaird beider durch gegenwärtige Darstellungen anerkennen und sichern zu helfen. Welches ist ursprünglich und in seinen ersten Ele­ menten die Bedeutung des Begriffes Volk ? — Was heißt das Lehen des Volkes? In welchem Verhältnisse steht der Begriff Volk zu dem des Staates? Wie und in welchem Maaße werden beides Volk und Staat durch

einander beschränkt? —

In welcher Rücksicht machen

sie wechselseitig die Bedingung der Existenz das eine von Von welcher Seite und in wel­ chem Maaße ist des Volkes Leben moralisch möglich, ja der des andern aus?

sogar moralisch nothwendig? —

das Verhältniß

Endlich: welches ist

des individuellen und individuell ver­

knüpften Menschenlebens zum Volksleben, und welche Mo-

dificationen darf und soll das eine wechselseitig durch das andere erhalten? Das sind die Gesichtspunkte, die wir

vorläufig feststellen, das

die allgemeinen Fragen,

die

wir uns beantworten müssen, um bei der ganzen Be­

trachtung unsres Gegenstandes auf festem Boden zu ste­ hen und seine übrigen Verhältnisse mit einiger Sicher­

heit beurtheilen zu können.

Um uns in Ansehung der

letzter» die Uebersicht zu erleichtern, werden wir die gro­

ße Menge und Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die sich hier unserer Beachtung darbieten, füglich unter gewisse Haupttitel bringen dürfen, indem wir des Volkes Leben

1) unter örtlichen, 2) unter politischen und 3) unter ei­ genthümlichen Einflüssen der äußern und innern Cultur

betrachten.

Kann das Alles schon nicht anders als un­

ter fortwährender geographischer, ethnographischer und historischer Beleuchtung dargestellt werden: so wird doch ein allgemeiner Ucbcrblick der Geschichte des Volkslebens noch von besonderem Interesse seyn und nicht unangemcs-

sen wird sich der ganze Versuch mit der Betrachtung des­

sen, was cs gegenwärtig und namentlich in unserer ei­ genen Mitte ist, vornehmlich aber, was es werden sollte

und wie es das werden könnte, endigen.

Aufschub zur Sache.

Jetzt ohne

Erstes Kapitel» Erste Elemente des Begriffes Volk und genauere Bestim­

mungen, die er sich aneignet.

xlSettrt

ich

von

freien Platz schaue,

meinem Fenster wo

sich

hinaus

entweder

auf

einen

auf besondern

und zufälligen Anlaß oder des gewöhnlichen Verkehrs halber eine große, gemischte

ohne alle Wahl und Verabredung zusammendrängt und

Mcnschenmasse

durch­

einander herumtrcibt: so habe ich, was dem Begriffe

Sols —- o/Zog —- in seiner reinen Ursprünglichkeit an­

schaulich correspondirt.

Einheit der Geschlcchtsabstam-

mung, des festgesetzten Wohnens in einem Stadt- oder

Landesbezirke f der Sprache, der bürgerlichen Verhältnisse,

des Glaubens und Cultus und was sonst auf irgend einer besondern Vorbereitung, auf einer stillschweigenden oder offenkundigen Verabredung, auf einer durch Na­

tur oder Willkühr entsprungenen Art von Gesetz und

Regel und dergleichen beruht, kommt hierbei durchaus noch nicht in Betrachtung.

Es ist schlechterdings nichts

weiter, als die Vorstellung des freiesten, willkührlichste», zufälligsten mit und neben einander Scyns Mehrerer und

verhältnißmäßig Vieler zu derselben Zeit an dersclbigcn

Stelle, und der daraus hervorgehcnden möglichst zwang­ losen, möglichst wenig Opfer des eigenen Behagens for­ dernden Befriedigung des geselligen Triebes, was von den

wesentlichen Elementen des Begriffes Volk die Wurzel

13

ausmacht. Sie kommen; sie gehen; sie suchen Sam­ melplätze nnd verlassen sie wieder; keiner sieht sich an irgend einen Andern oder an Alle zusammen weiter ge­ bunden, als es seinen Neigungen zusagt, keiner in den letztem durch jene mehr beschrankt, als, um nur nicht selbst von ihnen beeinträchtigt zu werden, unentbehrlich ist. Jeder kann und mag sich für den Moment seine Ge­ sellschafts-, Unternehmungs-, Genuß-Genoffen aussuchen und entlassen, wie es ihm eben gefallt und diese darein willigen. Es fallt in die Augen, daß dieser Begriff etwas durchaus Unstetes und Fließendes, von keiner Seite in­ dividuell und persönlich Fixirtes, mit nichts füglicher als mit den Wolken am Abendhimmel, deren Anblick keine Secunde lang derselbige bleibt, Vergleichbares darstellt und daß er, um einiges praktische Interesse zu gewahren, vielfältig nähere Bestimmungen wird erhalten müssen. Doch wird der Verfolg unserer Betrachtung lehren, daß jene ursprünglichen Elemente, um zu befriedigenden Re­ sultaten zu gelangen, von uns schlechterdings nie ans den Augen verloren werden dürfen. Laßt uns jetzt un­ verzüglich seine fernere Entwickelung und die mittelst der­ selben an ihm sich ereignenden Modificationen verfolgen! Sie werden uns nach der Ordnung, in welcher sie hervortreten, ohne große Mühe erklärlich, indem wir theils auf die Persönlichkeit derer, welche nach hi­ storischen Gründen vor allen übrigen das Substrat des Begriffes Volk bilden, theils auf die Zwecke, die ih­ nen dazu Anlaß geben, theils endlich auf die Bedin­ gungen merken, denen sie sich, wenn jener Zweck sich nicht selbst zerstören soll, unterwerfen müssen. Zuerst also: wer sind die, die der Natur der

14 Sache

Zeugnissen der Geschichte zu

den

und

Entstehung

zur

Begriffes

des

Volk

Folge

zunächst Anlaß

geben? — Antwort: so gewiß das willkührliche neben

einander Leben und Gewähren der Menschen, was vor

allem Ucbrigcn bei jenem Begriffe zum Grunde liegt,

meist Sache des Zufalls

für den Augenblick

zufällig

ganz

die

fremdesten

gewiß findet es sich auch

tur

einer

benden,

so

stetem, durch die Na­

Zum blei­

Gemüthlichkeit und Behaglich­

großem

fähigen Bcisammcnscyn werden vor allen übrigen

keit

Familien,

Geschlechts - und

vereinigen

des

in

bestimmten Ursachen begründet»

fester

ist und

Menschen vereinigt:

(öHuos),

Stamm - Genossen

absichtlich

es

sich

auf ein bleiben­

Beisammenseyn und Nebeneinanderleben auf dem

kleinern oder größer» Raume, wohin das Schicksal sie

führte, anlegcn, Neigungen, Beschäfftigungen, Unter­

mit

nehmungen

einander

gemein haben,

Grund und

Boden mit einander theilen und, je mehr sie sich ver­

vielfältigen,

desto

mehr

auf jede

mögliche Art den

letztem nach allen Richtungen hinaus erweitern.

Und

wie nun auf diesem Wege und auf solchen Anlaß sich

unter

ihnen

liches

in Sitten,

det:

so

allmählig

wird

mehr und mehr Gemeinschaft­

Einrichtungen und Lebensweise bil­

ihrer

nahen

Verbindung,

ihrem Hin­

neigen zum bleibenden Verkehr mit einander vor allem

Uebrigcn, legen

Gemeinschaft der Sprache zum Grunde ge­

haben.

zuwider

so

Nicht als ob

viel

behauptet

hiermit aller Geschichte

werden sollte,

daß

alle,

welche dieselbe Sprache mit mehr oder weniger DialektsVerschiedenheit reden, in ein Volk vereinigt seyn müßten;

sondern nur, daß nicht

leicht andere Menschen,

als

15

zu

Sprache reden,

von Hause aus dieselbe

welche

in dem so

einem Volke vereinigen werden^

Araber rc.

zu

geben,

erkennen

und Stammes - Verwandtschaft wissen

daß,

wie

schon

allein

mit

Spracheiner ge­

entspringenden Zuneigung das bindende

daraus

Principium

ja

Griechen, Italie­

die Ausdrücke Volk der Deutschen,

ner,

sich

modificirten und bleibenden fixirten Sinne

für

den

Begriff Volk (e^vog) abgcbcn,

ohne daß dabei immer auch nur

von besonderer bür­

gerlicher und politischer Verbindung, geschweige denn von Staatseinheit die Rede seyn müßte.

Gleichwohl treten doch schon hier gewisse Zwecke hervor,

an

welche

bei den ersten rohen Elementen,

aus denen sich der Begriff Volk bildet, nicht gedacht worden sich

war und gedacht zu werden brauchte, ja die

allmählig

zu

einem

stimmtheit entwickeln,

Umfange und z» einer Be­

wobei

die

Persönlichkeit derer,

bei deren Gesammtheit sie vorausgesetzt werden müssen, wenig

mehr in Betracht kommt, wodurch aber der

Begriff seine Vollendung und einen solchen Charakter erhalt, wovon sich

in

seinen ersten Elementen nichts

wahrnehmen ließ, obwohl die Keime dazu bereits darin liegen mußten.

Das neben und unter einander

hin Leben für den Augenblick, nach Anlässen des Zu­

falls und Eingebungen der Willkühr wird

ein

mit

und für einander Leben nach Neigung und Wahl

mit der deutlich erkannten und fcstgestellten Absicht, ein

abgeschlossenes, (obwohl immer der Erweiterung

und

Vergrößerung fähiges), Ganze für sich seyn zu wollen. Das wird nun nicht anders,

Bedingungen

statt haben können,

als unter gewissen

die

die

Verwirk-

16

nichfaltig beschranken. Anlaß

und

das

Das Ganze,

solchen

zu

machen,

möglich

theils

Elementen

ihm

allen

lidjung des Begriffes Volk mit

gen

Zwecken

angehöri­

man-

theils

auf solchen

entstanden ist,

muß

Bestand in sich selbst, durch in einander Fügung sei­ ner Theile und durch unter denselben erhaltenes Gleich­

haben;

gewicht und

muß

es

Anfechtungen

äußere

Angriffe

gegen

kommen;

muß

es

von

aber

in

gegen

Naturgewalt

Menschmmaffen

feindlicher

endlich

Bestand

auch

verderblicher

Ansehung

be­

alles dessen,

was zu seiner selbst Entwickelung und Erneuerung, ja

überhaupt

zur

Förderung

sämmtlichen

seiner

in

ge­

bührendes Verhältniß unter einander gebrachten Zwecke unentbehrlick) ist, Aufsicht

und

Begriff des

der

Einheit

unterworfen

Staates,

einer

werden.

gleichviel

gewissen

Hier,

Leitung

wo

der

unter welcher von

seinen mannichfaltigen Formen, bestimmter in dem des Volkes (Zoos), um diesem seine Consistenz zu sichern,

hervortritt,

ergeben

sick)

nun im Fortgänge der Zeit

und unter dem Drange der Umstande mehr und mehr

inner? len

Entzweiungen

ursprünglick) ges

und

nach

hinausstrebende Richtungen,

entgegengesetzten

Po­

bei denen das,

was

den Volksbegriff bildet,

in mannichfalti-

Gedränge kommt und für welche sick) unser Nach­

denken nack) einer möglichen Ausgleichung wird umzu­

sehen haben.

Fassen wir das bis jetzt flüchtig Dar­

gestellte in einem Ueberblicke zusammen, so finden wir: es sind die drei Principien a. des allgemeinen und auf

möglichste Allgemeinheit seines Objects gerichteten Geselligkeits - Triebes

und Bedürfnisses;

b. der persönli­

chen , durch mancherlei Aehnliches und Gemeinschaftli-

17 ches geweckten und genährten Zuneigung; e. des be­

stimmte Zwecke fassenden und Zweck und Mittel gegen

einander abwagenden Verstandes, die bei der Erzeugung und Verwirklichung des Begriffes Volk, - a s V o l k,

ei« Volk zusammen wirken.

Vorläufig aber dürfte

schon so viel nicht zu verkennen seyn, daß, wenn jenem

Begriffe feine volle Integrität gerettet und feine Würde im Gebiete der Humanität gefichert werden soll, von

Allem, was aus jeglichem dieser drei Principien fließt,

z>var Manches beschränkt und dem Uebrigeu untergeord­ net , aber nichts gänzlich aufgegeben werde« darf.

Um

dießfalls der nöthigen Einsicht näher zu kommen, haben wir im

Zweiten Kapitel den Begriff,

zu betrachten.

Leben des Volkes,

Keine fchulmäßige Erklärung, (definitio),

des Begriffes Leben, der «ns durch einen so höchst complicirten Act des Bewußtseyns und der Wahrnehmung

entspringt, sondern nur eine kurze Angabe des Wesent­

lichsten, was sich, in diesen Begriff zusammen gedrängt,

unserm Bewußtseyn und unsrer Wahrnehmung darbietet!

Erregbarkeit und Regsamkeit, Gefühl und Wahrnehmung, jenes auf das Subjektive in »ns,

diese auf das Ob­

jective außer uns bezogen, Empfänglichkeit und willkührliche Selbstthätigkeit, stellen sich uns als die vor­ nehmsten und als durchgängig gleich nothwendige Kenn­

zeichen dar, wo vom Leben die Rede ist, und einleuch­ tender Weise werden sie im individuellen oder collectiven Leben

vernünftiger Naturen noch ihre eigenthümlichen

2

17 ches geweckten und genährten Zuneigung; e. des be­

stimmte Zwecke fassenden und Zweck und Mittel gegen

einander abwagenden Verstandes, die bei der Erzeugung und Verwirklichung des Begriffes Volk, - a s V o l k,

ei« Volk zusammen wirken.

Vorläufig aber dürfte

schon so viel nicht zu verkennen seyn, daß, wenn jenem

Begriffe feine volle Integrität gerettet und feine Würde im Gebiete der Humanität gefichert werden soll, von

Allem, was aus jeglichem dieser drei Principien fließt,

z>var Manches beschränkt und dem Uebrigeu untergeord­ net , aber nichts gänzlich aufgegeben werde« darf.

Um

dießfalls der nöthigen Einsicht näher zu kommen, haben wir im

Zweiten Kapitel den Begriff,

zu betrachten.

Leben des Volkes,

Keine fchulmäßige Erklärung, (definitio),

des Begriffes Leben, der «ns durch einen so höchst complicirten Act des Bewußtseyns und der Wahrnehmung

entspringt, sondern nur eine kurze Angabe des Wesent­

lichsten, was sich, in diesen Begriff zusammen gedrängt,

unserm Bewußtseyn und unsrer Wahrnehmung darbietet!

Erregbarkeit und Regsamkeit, Gefühl und Wahrnehmung, jenes auf das Subjektive in »ns,

diese auf das Ob­

jective außer uns bezogen, Empfänglichkeit und willkührliche Selbstthätigkeit, stellen sich uns als die vor­ nehmsten und als durchgängig gleich nothwendige Kenn­

zeichen dar, wo vom Leben die Rede ist, und einleuch­ tender Weise werden sie im individuellen oder collectiven Leben

vernünftiger Naturen noch ihre eigenthümlichen

2

18 Modifikationen erhalten.

Um nun mit Fug dem Volke

indem wir

ein eigenthümliches Leben zuzueignen und,

das thun, uns selbst klar zu seyn, werden wir auf alle so eben erwähnte Momente, aus denen uns der Begriff, Volk, entspringt und durch die er seine besondern Be­ stimmungen erhält, znrücksehen müsse«: denn in allen

diesen-Rücksichten wird dem, was wir Volk nennen, ein Leben zugeschrieben,

das Volksleben in seinem ganzen

Umfange und in seinem wahren Wesen aber nicht anders

als-indem wir dieser sämmtlichen Rücksichten keine aus der Acht lassen, von uns erkannt und gewürdigt werde« können. Eben in seinem Leben und als etwas höchst Le­

bensvolles kund.

wird

uns

zuerst,

was wir Volk nennen,

Ihrem eigenthümlichen Bedürfnisse Geschaffte und

Gewerbe nachgehend,

finden Menschen sich erst in klei­

nerer, bald in größerer Zahl zusammen; der Trieb einer allgemeinen, fteyen, wechselnden, nach allen Richtungen hinaus sich mitthcilendcn und von allen Seiten her Mit­ theilung aufnehmenden, möglichst wenig, wie im häus­

auf bestimmte Individuen eingeschränkten

liche» Leben,

Geselligkeit, der zuvor dunkel und schlummernd auf der­ gleichen Zusammentreffen hingewürkt hatte,

telst

desselben

sich darin;

mehr

und

mehr

rege.

wird mit­

Man

gefallt

man sucht und findet Sammelplätze, (fora,

ayogds,) Ivo man den einen und andern zu treffen, mit ihm Geschäffte abzumachen, oder auch um alles Geschäfft

unbekümmert und von aller Arbeit fcyernd,

zu jenem sich wenden,

von diesem

einer nicht langweiligen Muße

sich hingebcn zu können und die mannichfaltigste Unter­

haltung zu finden, bald mit diesem, bald mit jenem seine

19 Genüsse, sowohl der mehr sinnlichen

als der mehr gei­

stigen Art zu theilen,

Bald find es ab­

gewärtig ist.

gesonderte Gruppen, die sich in diesem Gewühl« bilden; bald fließt Alles in ein Ganzes zusammen, wenn Neues,

Seltenes/ Wunderbares, Lächerliches, Widriges, Schreck­

liches die allgemeine Aufmerksamkeit reizt, oder auf Wich­ tiges, was sich ereignen soll, ist.

die Erwartung gespannt

sich darüber auszu­

Allgemein ist das Verlangen,

sprechen und die durch das Ganze hin sich äußernden Empfindungen und Urtheile zu vernehmm, allgemein der Anspruch,

sich, so wenig man einander sonst angehen

mag, zu solchem Behufe vereinigen zu können,

sich in

solchen gegenseitigen, gemeinschaftlichen Aeußerungen und Mittheilungen nicht gestört zu sehen;

in der noch gänz­

lich formlosen Vielheit offenbart sich schon ein Hinstre­ ben nach Einheit und Ganzheit,

ja bereits ein begin­

nendes Gefühl dieser Einheit und Ganzheit.

Das ist

das Leben der durch einander wogenden Masse, die uns als das erste begegnet, was wir Volk zu nennen, ver­ anlaßt werden,

das ihr Leben in seinen beiden Polen,

der Empfänglichkeit und Selbstthätigkeit, und das zugleich,

wie roh auch fürs erste noch die Elemente des lebenden

Subjects,

das sich uns in dieser Darstellung vergegen­

wärtigt, seyn mögen, doch die stehende und unverletzliche

Basis von allem Volksleben.

Sie ist es, wie wir erinnert haben, vor aller Vor­ aussetzung eigenthümlicher Bindungsmittel,

die ein be­

sonderes Interesse des einen an die Uebrigen und umge­ wie sie der

kehrt erwecken müßten.

Sie sind alle nur,

Zufall zusammenführt,

zur allgemeinsten freiesten Ge­

selligkeit und gegenseitigen Mittheilung vereinigt, und der

2 *

20 Begriff des Volks und Volkslebens ist in dieser von al­

len besondern factischen Bedingungen abstrahirenden Ur­ gestalt nichts anders,

als die Idee solcher freien allge­

meinen Geselligkeit und gegenseitigen Mittheilung selbst

zwischen Dielen, Allen, die das Ungefähr an einer Stelle znsammenbrmgt.

Aber obwohl die Zdee davon

sprünglich absieht,

oder obwohl vielmehr das Gemein­

same,

das

uns

allenthalben,

wo

ur­

wir Volksleben

wahmchmen, begegnet, damit an sich nichts zu schaffen

hat, treten doch in der Wirklichkeit solche Bindungsmittel ein, die dem, was man Volksleben zu nennen berechtigt ist,

eine eigene Physiognomie geben.

Wir haben sie oben

(Kap. 1.) durch die Begriffe Persönlichkeit und da­

durch erweckte Zuneigung, geflissentlich vorgesetzte oder

doch anerkannte Zweck« der Vereinigung und nach

Regeln des Verstandes festgesetzte Bedingungen

ihrer Möglichkeit und ihres Bestehens namhaft

gemacht. Ohne besondern und auf eigenthümlichen Verhältnissen

(des nachbarlichen oder Gesammtbesitzes, der Nothwen­ digkeit,

zu gemeinschaftlicher Vertheidigung rc. zusam­

menhalten zu müssen,) beruhenden Zweck bringt schon persönliche Zuneigung in Menschen und Menschenmaffen

den Trieb hervor,

gegenseitig verkehren und wo nicht

für, doch mit und neben einander existiren, gemein­ schaftliche Gegenstände des Interesse ins Auge fassen,

darüber einander ihre Gedanken und Empfindungen frei und nach Willkühr in möglichster Allgemeinheit mitthei­

len zu wollen.

Ist hierzu Einerleiheit oder nahe Ver­

wandtschaft der Sprache das erste und hauptsächlichste Bildungsmittel:

so weiset sie wieder auf früher von der

21 Natu« selbst hierzu gemachte Einleitungen,

auf gemein­

schaftliche oder nahe verwandte Abstammung, auf genaue,

in der Urgeschichte des Volksstammes vorgekommene Be­ rührungen, gen,

Aehnlichkeit oder Einerleiheit der Volkssa­

der, Sitten und Gebräuche,

der Religionsbegriffe

und gottesdienstlichen Uebungen rc. hin.

Und obwohl

eigene Ursachen das Zusammenwachsen zu einem unter

derselben Regierung und in demftlben Staate vereinigten

Volke/ nachdem der Stamm sich bereits in mehrere Aeste vertheilt hat,

für immer verhindern,

obwohl selbst die

verschiedenen ursprünglich aus demselben Stamme her-

vorgcgangenen Völkerschaften sich gegenseitig befehden uttd

bedrücken mögen, wie einst Athener und Spartaner ober” wie Geschwister und Blutsfreunde in derselben Familie: immer bleibt doch Familiengeist,

immer erhält sich die

Neigung zum nähern Anschließen an einander gegen außenhin,

immer ein gewisses Wohlgefühl,

einander als

Stammesgenoffen oder Verwandte zu begegnen,

ein gewisser Drang,

immer

mit einander Verkehr und Verbin­

dung zu pflegen, der denn auch wohl, wie bei den Grie­

chen in gemeinschaftlichen Volksfesten und Spielen seine Nahrung findet oder dazu Anlaß giebt.

Nicht nur, daß

Dichter und Geschichtschreiber die sämmtlichen Stammes­ verwandten

durch

geschriebenes oder mündlich

pflanztes Wort unterhalten,

belehren,

hohem Nationalgefühl durchdringen,

flammen:

fortge-

brgeistem,

mit

zum Wetteifer ent­

dieselben (von jenen besungenen, von diesen

beschriebenen) Hauptbcgebenheiten der Vergangenheit und wo nicht dieselben doch ähnliche und auf die nämlichen

Ideen bezogene Hauptangelegenheiten der Gegenwart sind cs,

welche die, wenn auch in noch so viele und verschiedene Ver-

22 zwkiguugea ausgehende,

Gesammtheit beschäftigen; unb

wie die Glieder derselbe« sich gegenseitig nie ohne gehei­

me Ahndung aller dieser Berührungspunkte begegnen: so wissen sie sich auch

geflissentlich damit zu kreffen und

darüber ausjusprechen: so finden fit sich angezogen durch

eine geheime, chen,

in tausend kleinen und beinahe unmerkli-

aber vereinigt nur desto wirksamer« Anlässen ge­

gründete Sympathie,

die

die sämmtlichen Individuen

jede Gelegenheit zum Verkehr mit einander begierig er­ greifen,

diesem die möglichste Ausdehnung geben,

sich

in ihrer Gesammtheit von allen diesem Nationalverhältniß Fremden, möglichst scharf abgränzen läßt.

In allen

seinen Zügen ist dieses Bild von den Griechen copirt,

deren Zersplitterung unter einander selbst doch den Contrast ihrer Aller zusammengenommen gegen die Barbaren

in seiner ganzen Schärfe hervorzutreten,

hat,

nicht gehindert

und ist gleich der Deutschen und Italiener natio­

nales Volksleben nie zu der Freiheit und Lebendigkeit,

hat es gleich bei ihnen

wie bei den Griechen, gelangt, durch

gemeinschaftliche

gesetzliche Anordnung

Verabredung

und

uranfänglich

die Stützen nicht gefunden,

die

es bei jenen in ihren bekannten großen Kampfspielen, gemeinschaftlichen Orakeln rc. fand: so mögen sie sich ih­

nen

doch aus

vielen

Gründen

Seitenstück gegenüberstellcn. wohl nicht zu viel behauptet:

nicht mit Unrecht als

Auch ist es in Wahrheit was der Vereinigung ei­

ner jeden dieser Nationen zu einem Volke im politischen Sinne im Wege stand,

das hat mit seinen politisch oft

höchst ungünstigen Folgen doch wesentlich dazu beigetra­ gen, die Sympathie,

welche die Mutter des nationalen

und auf Stammverwandtschaft beruhenden Volkslebens

23 ist, zu wecken und zu nähren.

Aus dem misbehaglichen

Gefühle, getrennt, zersplittert, einander entfremdet, durch gegenseitige Reibungen in allen getrennten Theilen inner­ lich geschwächt,

dadurch aber erst thcilweise,

dann im

Ganzen der Unterdrückung Preis gegeben zu seyn,

ent­

steht wenigstens i» Zeiten der Bedrängniß ein wehmuths-

volles Sehnen,

sich an einander anzuschließen, verbun­

den mit dem Bewußtseyn, einander ursprünglich anzugehören,

was in entscheidenden Momenten allerdings bei

dem Gedanken, Griechen, Italiener, Deutsche zu seyn, die Brust höher hebt, als bei der Vorstellung, Argiver,

Korinther, Spartaner oder Mailänder, Florentiner, Nea­ politaner oder Baiern, Preußen, Hannoveraner zu hei­ ßen, und was bei Salamis, Mykale, bei Mailand, in

Leipzigs Gefilden großer Wirkungen nicht verfehlt hat.

Ihr klagt,

daß jene Momente nur zu schnell vorüber­

eilen, daß dann die Reibungen mit verdoppelter Macht

beginnen und die Zersplitterungen wieder ärger werden. Nicht die Völker find es, die ihr darüber anzuklagen, nicht das nationale Volksleben ist es,

Grund davon zu suchen habt.

in dem ihr den

In des Volkes Führern,

in den — zum Theil freilich schier unvermeidlichen —

Collisionen zwischen Staatsleben und Volksleben, (die wir bald näher zum Augenmerk nehmen,)

werdet ihr

diesen Grund finden, und selbst wo ihr, wie in Sparta,

Athen, Preußen, Oestreich, Baiern, den Dolksgeist der­

gleichen Richtung nehmen sehet, vornehmlich diese Richtung giebt,

über das,

was ihm

nicht in Ungewißheit

bleiben.

Seine genauere Bcgränzung empfängt endlich, wie wir gesehen haben, der Begriff Volk durch das Zufirm-

24 menleben einer größer» oder kleinern Volksmaffe ans ei­

nem gewissen Bezirke mit dem bestimmt erkannten und erklärten Zweck«, einander angehören, ein zu Schutz und

Trutz gegen Anfechtungen von außen verbundenes und

gegen innere Zerrüttungen durch tüchtige Zusammenfügung gesichertes Ganze zu seyn,

wovon ein höchstes über der

Gesamnttheit stehendes Regiment, mit jeder von demsel­ ben unzertrennlichen Zubehör, kurz, Vereinigung Aller in

einem Staate,

die Grundbedingung ausmacht.

Wo

dieses Einigungsprincip vorwaltet, wird cs sich mit Bei­

seitesetzung aller übrigen geltend, ja diese nicht nur über­

flüssig machen, sondern guten Theils sogar unterdrücken. Nicht Einheit der Muttersprache,

nicht Stammesver­

wandtschaft, nicht Nationalsympathie ist es, die die Bas­ ken, di« Deutschen, die Flamänder, die vielmehr sämmtlich

in der auswärtigen Nachbarschaft ihre eigentlichen Ver­

wandten zu suchen haben, und gegen diese ihre Sympa­ thie mußten verläugnen lernen, einem Volke

verbindet,

mit den Franzosen zu

sondern lediglich Einheit des

Scepters, dem sie gehorchen, des Staates, dem sie an­

gehören.

So die russische, so die östreichische Monarchie,

deren jegliche,

wenn ihre Zubehörigen an einem Orte

versammelt seyn sollten, ein Schauspiel von Sprachver­

wirrung wie zur Zeit darstellen würde;

des babylonischen Thurmbaucs

wobei übrigens die gewöhnliche Folge

die ist, daß Dolkszuneigung und Volksleben sich in eben so viel Theile zersplittern, als der Völkerschaften sind,

die einem Staate angehören.

Ganz wird gleichwohl ein

gemeinschaftliches Volksleben auch unter solchen Voraus­

setzungen nicht fehlen und eine hohe Regsamkeit, eine ausuehmende Kraft und Fülle desselben läßt sich,

vermöge

der durch Staatsvsrband bewirkten Bolksvereinigung al­

lerdings dann denken,

wenn die sämmtlichen Volksge­

nossen ihr Daseyn und Wohlseyn eben in diesem Staate vorzüglich gesichert und gefördert finden,

insbesondere nächst

einem

wenn ihnen

Gedeihen ihres

erwünschten

häuslichen Glückes und ihrer alltäglichen Lebensbehag­ lichkeit noch die Freiheit zu Statten kommt,

sich über

ihre öffentlichen sowohl als Privatangelegenheiten unverholen gegenseitig auszusprcchen und mitzutheilcn; wenn

überdem etwa noch der Staat, dem sie angehören, we­ gen erfahrener Kränkung seiner Rechte, wegen über ihn

hereingebrochener schweren Bedrängnisse,

wegen harter

Gefährdungen seiner innern Ordnung und Ruhe, jedes Opfer Würdiges

als etwas Heiliges,

ihnen

erscheint;

wenn endlich große Menschen einen solchen Staat ver­ herrlichen und durch jede Art bürgerlichen Verdienstes,

das sie zu erringen bemüht waren, Gemeingeist und Pa­

triotismus mit unwiderstehlicher Kraft ins Gesammtle-

ben rinführen.

In ihrer ganzen Stärke werden Volks­

gefühl und Volkskraft nur in diesem Verhältnisse und unter diesen Bedingungen erwachen:

denn ein gewisser­

maßen tastbarer und in der Wirklichkeit vor Augen ge­

stellter,

auch

erfahrungsmäßig

schon

öfters

erreichter

Zweck und zu dessen Verwirklichung die Mittel in der Nähe bereit liegen,

barer zusammen,

bindet stärker,und hält unzertrenn­ als ein bloß idealischer und darum

meist schon minder bestimmt gedachter, oder als ein noch sehr entfernt liegender,

durch schwere Hindernisse ent­

fernt gehaltener und zu dessen Erfüllung die Mittel erst

gesucht werden müssen,

vielleicht wohl nie mit völliger

Sicherheit aufzufinden sind.

Schauet nach

Athen

und Cimon, nach Sparta,

unter Miltkades,

Aristides

nach Theben unter Epami-

nondas, nach dem Hebräerlande unter Zudas dem Mak­

kabäer, nach den noch ächt republikanischen Römern, nach der Schweiz, nach den *) Niederlanden, nach den ver­

einigten Nordamerikanern, wenn ihr euch von der Blü­ the des so mvdificirten und aus solchem Princip hervor­

gehende« Volkslebens einen Begriff machen wollet.

Da

ist nichts, was den Staat, seine äußere und innere Si­

cherheit, feines Gebietes Umfang, seiner Verfassung Un­ sei» .Ansehen und seine

verletzlichkeit und Ausbildung,

Geltung unter den übrigen angeht,

was nicht zugleich

Sache des Volkes wäre, und nichts, was beide berührt, das nicht von Allen,

die sich auf höhere und niedere

Stufen des Staates Bürger, des Volkes Genossen nen­

nen, bis ins Innerste hinein empfunden würde und nicht Alle zum Austausch ihrer Ansichten, Gefühle und Entschlüsse

in Bewegung setzte, und nicht in Aller eigenthümlichem Zustande, Privatleben und Maßregeln seinen Einfluß äu­

ßerte. Vielleicht, daß das Alles nach sehr verschiedenen, nach

ganz entgegengesetzten Richtungen hinausgeht;

vielleicht,

daß sich Partheien bilden, die einander mit entschiedener

Feindseligkeit gegenüber treten;

auf allen Seiten wird

doch mit wenigen Ausnahmen die Voraussetzung obwal­ ten,

im Namen des Volks und Staates eine Meinung

*) Daß es Föderativstaaten sind,

die wir aus der neuem

Zeit von dieser Seite namhaft machen und etwa blos mit Aus­

nahme von Venedig und Schweden unter Gustav Wasa — die doch beiderseits nicht völlig hierher gehören — auch nur namhaft ma­

chen können,

zur Sache.

thut für die hier bemerkbar gemachte Ansicht nichts

27 — wenn auch nicht die löblichste und sittlich beste, doch die den Umständen angemessenste und nützlichste, zu ha­ ben. Und ist es hiermit im mindesten redlich gemeint: so werden solche Partheien dem Volksleben erst seinen rechten Schwung geben; so wird es seiner Regsamkeit halber unentbehrlich seyn, daß es im Staate Partheien gebe. Einer für Alle und Alle für Einen—so gilt's durchgängig und dieß ist das Princip des politischen Volkslebens, mag auch der Gesichtspunkt, aus welchem von verschiedenen Standorten aus, der Staat und sein Heil betrachtet wird, ein noch so verschiedener seyn, mö­ gen sie zu noch so verschiedenen Zwecken und mit noch so verschiedenen Maßregeln Einer für Alle und Alle für

Einen stehen. Sey es übrigens auch, daß von den Voraussetzun­ gen, das Volk und den Staat in so innige Verschmelzung zu bringen, die den Volksgenossen, obgleich wohl nach verschiedenen Rücksichten, ihren Staat so eigenthümlich theuer zu machen und dem politischen Volksleben einen so mächtigen Schwung mit einem zugleich so gemüthli­ chen Charakter zu geben geeignet sind, viele fehlen: die Idee des Staates selbst, wäre sein Wesen auch ein min­ der populäres, hat, je nachdem es das Schicksal will, bis zu gewissen Gränzen etwas Exaltircndes, das unter Roms Cäsaren, unter Ludwig dem XIV., Friederich II., Maria Theresia *), Napoleon Buonaparte, Peter I., Katharina der 2ten, Alexander Paulowitsch, Staatsznbehörige der verschiedensten Zungen, Abstammung und *) Ruf der Ungarn, moriamur pro rege nostro Maria Theresia ! —

28 Sitten zum Enthusiasmus der gewaltigsten Bolksan-

strengnngen in Bewegung zu setzen, im Stande gewesen ist»

Um uns aber theils in dem Gebiete der hier vor­

kommenden Erfahrungen und Thatsachen gebührend zu

orientiren, theils die praktischen Resultate, die wir durch unsere Betrachtung zu gewinnen wünschen,

zweckmäßig

vorzubereiten, muffen wir die Begriffe Staat und Volk von Seiten ihres Inhaltes und

ihrer Wechselwirkung

näher ins Auge fassen.

Drittes Kapitel. Das Verhältniß zwischen Staat und Volk im Allgemeinen

betrachtet.

Verstehen wir unter Volk »ach der dritten von uns

festgesetzten Bedeutung eine Vielheit gewisser in größerm oder kleinerm Bezirke vereinigten Individuen,

die durch

Schicksal und Umstände vermocht werden, einander wech­ selseitig angehören,

bleiben und

sich

in genauern Verkehr mit einander

zusammen genommen als nun hierzu

abgeschlossen betrachten und

behaupten zu wollen;

so

ist der Staat das Band, das sie vereinigt, zu erhalten, ihrer Verbindung eine gewisse Form zu geben und zu sichern,

den Zweck derselben zur Erfüllung zu bringen

bestimmt ist,

und bei welcher allgemeinen Vorstellung

wir uns fürs erste beruhigen können, ohne vor der Hand von dem noch immer nicht geschlichteten Streit über den

eigentlichen Staatszweck Kenntniß nehmen zu dürfen, doch mit der Aussicht, denselben auf unserm Wege vielleicht am

ersten beigelegt zu sehen.

Sy viel bleibt ausgemacht:

in dem genauer fixirtcn Sinne,

in dem wir uns das

28 Sitten zum Enthusiasmus der gewaltigsten Bolksan-

strengnngen in Bewegung zu setzen, im Stande gewesen ist»

Um uns aber theils in dem Gebiete der hier vor­

kommenden Erfahrungen und Thatsachen gebührend zu

orientiren, theils die praktischen Resultate, die wir durch unsere Betrachtung zu gewinnen wünschen,

zweckmäßig

vorzubereiten, muffen wir die Begriffe Staat und Volk von Seiten ihres Inhaltes und

ihrer Wechselwirkung

näher ins Auge fassen.

Drittes Kapitel. Das Verhältniß zwischen Staat und Volk im Allgemeinen

betrachtet.

Verstehen wir unter Volk »ach der dritten von uns

festgesetzten Bedeutung eine Vielheit gewisser in größerm oder kleinerm Bezirke vereinigten Individuen,

die durch

Schicksal und Umstände vermocht werden, einander wech­ selseitig angehören,

bleiben und

sich

in genauern Verkehr mit einander

zusammen genommen als nun hierzu

abgeschlossen betrachten und

behaupten zu wollen;

so

ist der Staat das Band, das sie vereinigt, zu erhalten, ihrer Verbindung eine gewisse Form zu geben und zu sichern,

den Zweck derselben zur Erfüllung zu bringen

bestimmt ist,

und bei welcher allgemeinen Vorstellung

wir uns fürs erste beruhigen können, ohne vor der Hand von dem noch immer nicht geschlichteten Streit über den

eigentlichen Staatszweck Kenntniß nehmen zu dürfen, doch mit der Aussicht, denselben auf unserm Wege vielleicht am

ersten beigelegt zu sehen.

Sy viel bleibt ausgemacht:

in dem genauer fixirtcn Sinne,

in dem wir uns das

29 Volk nun denken, ja denken mässe«, wenn es für uns ein individuelles Etwas seyn soll, dessen Leben uns interesstrt, ist es, ohne einem Staate anzugehören, oder ohne daß ein Staat ihm angehöre, nicht denkbar. In­ dem wir dieß festhalten, kommt nichts darauf a«j, was bekannten Geschichtsdenkmalen zu Folge früher da gewesen ist, ob in dem Volke, das wir vor uns haben, der Staat, der ihm angehört, sich gebildet, oder ob der Staat, den wir meinen, die jetzt demselben angehörige Menschenmaffe, Volk genannt, in dieser Zahl, auf die­ ser Bodenfläche vereinigt habe; genug: der Idee nach, und zwar nicht bloß in ihrer reinen Allgemeinheit, son­ dern bereits in bestimmter Anwendung gefaßt, ist das Volk mit seinem beweglichen und unbeweglichem Eigen­ thum das Materielle, worauf sich der Staat als ein formelles, jenes der Zweck, worauf sich dieser als Mit­ tel unh Bedingung bezieht, zwischen beiden also ein so nothwendiges Wechselverhältniß, daß von einem zeit­ lich Ersten und Andern nicht die Rede seyn kann, bei­ des aber doch als wesentlich verschieden und einander wechselseitig sowohl erhaltend als beschrankend gedacht werden muß. 1) Vereinigt will und soll das Volk sich selbst, (in seiner Gesammtheit und Unzertrennlichkeit,) und seinen Landesbesitz gegen seines Gleichen behaupten. Auf immer aber würde die Offenbarung und Ausführung dieses Willens dem Zu­ falle, der augenblicklichen Veranlassung und hundert Ein­ flüssen, die sich wechselseitig selbst hemmten und zerstör­ ten, überlassen bleiben, wenn sie nicht in bestimmter Form und durch das Organ gewisser, solchen Willen zu fassen, zu erklären und zu vollbringen, bestallter, einan-

30 der über und untergeordneter Behörden hervorträte, wenn nicht der Staat das Wort und das Schwert nähme, dem Dolkswillen Einheit gäbe und die Volkskraft auf einen bestimmten Punkt lenkte, wenn nicht Staaten int Verkehr mit einander die Persönlichkeit und mit ihr die Ehre, das Ansehen, die Ansprüche der Völker verträten. Schon hier tritt nun nicht nur das Volksleben in eine gewisse Mittelbarkeit, die ihm einen guten Theil selbst von seiner Substantialität entzieht; (denn ob im vor­ waltenden Falle das Schwert ergriffen oder unterhan­ delt, ob der Sicherheit halber angegriffen oder der An­ griff abgewartet und welche Art und Masse von Mitteln dazu aufgcbotcn werden soll, ist Sache der Staatsent­ scheidung und Wirksamkeit); sondern es erfährt auch die Willkühr und Behaglichkeit des individuellen Lebens, welches die Einheiten hergiebt, aus denen das Volksle­ ben als Summe resultirt, durch die Maßregeln des Staates vielfache Beschränkung. Denn auch der popu­ lärste Krieg und die unausweichlichsten Sicherheitsanstalten gegen feindliche Unterdrückung werden einen Druck auf das Volk äußern, von welchem nicht vor­ auszusetzen ist, daß ihn alle Angehörigen desselben, de­ ren viele den Grund davon weder einsehen können noch wollen, genehmigen dürften; und das um so weniger, je unvermeidlicher es ist, daß sowohl Einzelne als ganze Classen im Volke davon harter, als die übrigen, betrofftn werden. Schon aus der ganz allgemeinen Ansicht der Sache, die uns jetzt nur beschäfftigt und das aus der Natur der Sache mit Nothwendigkeit Folgende zei­ gen soll, geht das hervor; ein weit anderes Bild wer­ den wir dann erblicken, wenn wir den Einfluß der

31 Staaten-Verhältnisse auf das Volksleben, wie ihn uns

die Wirklichkeit der vergangenen und unserer eigenen Tage zeigt, ins Auge fassen.

2) Eine weitere

Bedingung

von der Dauer und

Unversehrtheit des Volkes und seines Lebens ist die Er­ haltung eines

nem Innern.

rechtlichen Zustandes in sei­

Die vereinigt sich als ein Ganzes be­

haupten und gegen äußere Anfechtungen ihre Kraft zu-

sammenhalten,

auch unter einander

ihres Beisammen-

seyns und Geivährens froh werden sollen,

dürfen sich

durch die ungebundene Willkühr und Anmgßung Ein­ zelner nicht feder für sich beeinträchtigt und unter ein­

ander entzweit sehen;

und es ist nicht genug,

daß sich

das factisch auf zufälligen Anlaß dann und wann so

verhalte; es muß beharrliche Maxime seyn,

daß es sich

nie anders verhalten könne und dürfe, und für die Ver­

wirklichung dieser Maxime muß durch angemessene In­ stitute gesorgt

seyn.

Daher die Nothwendigkeit von

Criminal- und Civilgesetzen, von einer richterlichen, die

Anwendung dieser Gesetze in besondern Fällen erklären­ den und solche Erklärung durch Gründe unterstützenden

Behörde, endlich von einer aufsehenden Macht, die auch wo kein Kläger vorhanden ist,

das Gesetzwidrige der

richterlichen Entscheidung unterwirft,

rung bringt.

diese zur Ausfüh­

Dann aber auch, so weit es das allge­

meine Recht gestattet und fordert,

sem Falle auf eins hinaus,)

(beides läuft in die­

der Uebertretung der Ge­

setze vorbeugt.

Gesetze — sagt sehr

richtig Montesquieu — sind

überflüssig, wo es noch Sitten giebt.

Diese können aber

unter der Gesammtheit des Volkes nicht, als so ohne

32 Ausnahme vorwaltend vorausgesetzt worden, daß es an

Mitteln, jene gegen die freche Willkühr,

den schnöden

Leichtsinn, den empörten Affect und die gereizte Leiden­

schaft geltend zu.machen, fehlen dürfte, und wenn auch den schlechtesten Menschen im Volke die Forderung, sich am Leben,

der Freiheit,

jemand nicht zu vergreifen,

dem Eigenthume von irgend

von Hause aus wohl eben

so einleuchtend als bekannt ist:

so doch nicht ohne be­

sondere Promulgation, ob und in welchem Umfange der

allgemeine Volkswille diesen Forderungen seine Sanction gegeben und was er, um sie bei Kraft zu erhalten, um den Reiz zu ihrer Uebertretung zu überwältigen und den

durch

diese verletzten Rechtszustand

wieder herzustellen,

für Strafen denselben zuerkennen werde; was doch, um

sich desfalls an Verantwortlichkeit gebunden zu achten, einem jeden, zu wissen, unumgänglich Noth ist.

Und

noch unentbehrlicher wird auch für die rechtlichsten Glie­

der des Volksvereins, und die Art,

die den Civilbesitzstand sichernde

sein Recht geltend zu machen oder,

förmliche Recht,

ordnende Gesetzgebung seyn.

Gesammtwillen zu erklären,

das

Solchen

wird aber das Volk selbst,

in welchem nie eine durchgängige Einmüthigkeit dersel­ ben anders als in der Idee vorhanden ist, nicht geeig­ net seyn, mithin eine öffentliche Autorität,

um ihn ge­

setzgebend zu vertreten, anerkennen müssen, die wir eben,

auch in dieser Beziehung, unter dem Namen des Staa­ tes kennen.

So wird auch das Ansehen und das Amt

der Richter, obgleich zuletzt in jenem Gesammtwillen des

Volkes,

der Idee nach gegründet,

doch factisch nicht

anders als vom Staate ausgehcn und fcstgestellt werden können.

Und vollends die Vollstreckung der richterlichen

33 Entscheidungen, sowohl wo es Vergehungen oder Verbrechen, (wir begreifen beides unter dem Titel des Criminalrechtes,) als Civilansprüche gilt, dann aber die Fürsorge, allen öffentlichen Unordnungen vorzvbeugen,— mit einem Worte, was man unter dem Namen der Si­ cherheitspolizei begreift, wie könnte sie mit gehöriger Einheit, Kraft rind Ordnung anders als unter der Ar»torität des Staates bestehen; so gewiß es auch ist, daß sie, um ihrem Zwecke angemessen zu seyn und ihn zu erreichen, republikanisch seyn, d. h. dem Volkswilleu in der Idee entsprechen und seine Mitwirkung faktisch in Anspruch nehmen muß, worüber wir uns an anderer Stelle weitere Erklärung vorbehalten. Braucht es aber umständliche Nachweisung, daß auch in diesem Falle, was dem Volksleben zur Erhal­ tung dient, zugleich unvermeidlich desselben Beschrän­ kung mit sich führt, theils schon wiefern es sich auch hier in dieselbe Mittelbarkeit, die wir in Rücksicht der äußern Nolksverhältniffe bemerkten, hingiebt, d.h. was für rechtliche Ordnung geschehen soll, ausschließend von der Verfügung des Staates ,ausgehen läßt, und im besten Falle der rechtlichen, Thätigkeit seiner Behörden bloß zum Antriebe und zum Hülfsmittel dient theils namentlich wiefern durch die vom Staate sanctionirtcn Rechtsgesetze nicht nur ausgelassene Individuen ihre rohe Willkühr gezügelt, sondern auch die loyalsten, um ihr eigenes gutes Recht geltend zu machen und gegen das Fremde nicht zu verstoßen, sich an Formen, die nicht allgemein bekannt seyn können, vielmehr eine eigene Wissenschaft fordern und deren unwissentliche Verletzung ihnen vielfältige Belästigung juzieht, gebunden sehen. 3

34 So,

wie gesagt,

im besten Falle und unter gänzlich

normalen Bedingungen, wie uns die römische Rcchtsge-

schichte aus den blühendsten Zeiten des römischen Volks­ und Staatslebens lehrt.

Von Ausartungen, die auch

hier bevorrechtete Stande, Verdrehungen des wirklichen

durch das sörmliche Recht, Anmaaßungen der Beamten, Bedrückungen der geheimen Polizei rc. mit sich führen, und die eben so gewiß vom Staate ausgehen als sie schon ein ausgemachtes Mißverhältniß zwischen Staats­

und Volksleben voraussetzen, an anderer Stelle! 3) Seine

und

der Seinigen

Wohlfahrt

sucht ferner jeder einzelne Volksangchörige zu erhalten und zu erhöhen;

und wie das vermöge des dem Men­

schen cinwohncnden,

von seinem Wohlseyn so gut als

von seiner Entwickelung zur Humanität unzertrennlichen

Geselligkeitstriebes schon nicht anders als gemeinschaft­ lich geschehen kann: so wird auch, damit nur der Zweck

des individuellen Wohls nicht von allen Seiten gestört werde, Einer dem Andern in die Hände arbeiten müssen.

Auch giebt es, wo sich einmal mit bestimmterm Gefühl seiner vereinigten eigenthümlichen Existenz ein Volk zu­

sammengethan hat, eine Volkswohlfahrt, die nicht nur die Summe des individuellen Wohls aller Einzel­ nen,

(wo auch,

was dem Einen abgeht,

als ersetzt

durch das, was der Andere voraus hat, gedacht werden

könnte,) sondern theils das Resultat dessen ist, was je­ der Einzelne durch die Verbindung mit allen Uebrigen zu-

sammengenomme» an Sicherheit, Werth und Fülle des Ge­

nusses und der Ecnußmittel, an Behaglichkeit des Daseyns gewinnt, theils in der Gemeinschaft des Wohlbefindens Aller mit und durch einander, vermöge ihrer Gesammtheit,

35

und selbst als Gesammtheit, besteht.

Wer erblickt nicht

eben hierin die volle Blüthe des Volkslebens; wer sieht

aber auch nicht die zahllosen Hemmungen,

die sich ihm

sowohl in seinem Innern als von außen her entgegen­

Ihr sagt, und in vielem Betracht nicht mit

setzen? Unrecht:

„seine Glückseligkeit zu

befördern und

ihre

Beeinträchtigungen abzuwehren, muß jedem selbst, also dem Volke in seiner Gesammtheit nicht minder als deq

Individuen desselben überlassen bleiben." —

Aber wer­

det ihr auch Feuer« und Wafferverwüstungen, Pest und

Seuchen, Mäuse-, Raupen- und Heuschreckenverheerung, wüthender Thiere Tod drohenden

Grimm,

Theurung

durch Mißwachs oder durch auswärtige Kornsperre, Ueberfüllung des Ganzen mit gewissen Gewerbsarten,

Unter­

drückung und Elend der einen Volksklaffe durch

unver-

hältnißmäßigen Wohlstand einer andern rc. entfernt, mit dem Gefammtvermögcn gehörig hausgehalten sehen rc.,

wenn ihr die Sorge für das Alles wie der Willkühr Einzelner, so dem regellosen Volkswillen überlasset, der sich auch hier ohne Einheit der Aufsicht und Leitung

schwerlich zu zweckmäßigen Vorkehrungen für das Zu­ trägliche vereinigt? fahrt,

Summa: auch des Volkes Wohl­

und namentlich das Gleichgewicht dieser Wohl­

fahrt fällt der Obhut des Staates anheim, daß er ihre Beschädigungen abwende,

daß er die individuellen und

gemeinsamen Bestrebungen,

sie zu erweitern und zu be­

festigen, schütze und fördere, dann auch wohl, wo solch

Streben vom Volke unmittelbar nicht ausgeht,

durch

die ihm bei diesem aufzubieten freigelaffenen Hülfsmittel

das unternehme und ausführe, was des Volkes Wohl­

seyn zu befördern geeignet ist: wie ihm denn wohl außer 3 *

36 der Befugniß über den

allgemeinen Gesundheitszustand

zu wachen, für hinlänglichen Vorrath und gehörige Güte der Lebensmittel zu sorgen, öffentliche Gebäude mit Blitz­ ableitern zu versehen, zweckmäßige Fcueranstalten zu organisiren, Deiche zu unterhalten und Sümpfe auszutrocknen,

Häfen und Schleusen zu bauen, Brunnen und Landstraßen anzulegen, ja selbst öffentliche Plätze mit Gartcnanlagen

und Kunstwerken zu schmücken, solches Alles aber mit­

telbar oder unmittelbar auf des Volkes Kosten zu thun, noch

das

niemand

Recht

abgesprochcn

hat.

Keine

Thätigkeit des letzter» für besondere und allgemeine Wohl­ fahrt, als unter dem Schirme und unter der Autorität

des Staates und nicht selten auch kein anderer Central­ punkt der Volksthätigkeit für diesen Zweck, als eben der

Staat.---------So gewiß nun aber diese Thätigkeit in­ nerhalb ihrer rechtmäßigen Schranken nicht anders als

dem Volkswillen in der Idee entsprechen kann,

mithin

zur Erhaltung des Volkslebens für unentbehrlich geach­ tet werden muß:

ner,

so gewiß wird sie den Wille» Einzel­

ja nicht selten Vieler im Volke der

Wirklichkeit

nach Gewalt anthun, folglich Beschränkung des Volks­

lebens mit sich führen.

vante kommt,

Oder wird,

in Triest gefragt,

wer aus der Le­

ob er sich den Qua-

rantaineanstalten unterwerfen will oder nicht? Trifft von

den «Aaatslasten, die zur Unterhaltung der Dämme und des Uferbaucs an Flüssen aufgcwendet werden müssen, ihr Theil nicht auch die,

Interesse haben?

der die Kornpreise

seyn?—

die daran unmittelbar kein

Wird der freigegebene Getreidehaudel, herabdrückt,

den Kornjuden

recht

Nur auf das ganz Rechtmäßige in der Für­

sorge des Staates für allgemeines Wohl,

oder in den

37 — Maaßregeln der sogenannten Wohlfahrtspolizei schränkt

sich übrigens auch dießmal unsere Voraussetzung ein; in­ dem wir an die

Beschränkungen des

unvermeidlichen

Volkslebens durch den für sein Bestehen doch unentbehr­

lichen Staat erinnern.

Von der offenbaren Gewalt, die

er demselben durch wirkliche Zerstörung der Volkswvhl-

fahrt oder, was nicht viel besser ist, durch eine die rech­ ten Gränzen überschreitende und Alles unter seine Vor­

mundschaft nehmende Sorge für die letztere anthat, wer­

den wir anderwärts zu sprechen, Gelegenheit finden. 4) Endlich kann auch was das höchste eigenthüm­ lich menschlichste Ziel des Menschen, einzeln und in der

Verbindung

mit

seines

Gleichen ausmacht,

seiner Intelligenz, seines

Cultur

ästhetischen Ver­

mögens, seiner moralisch-religiösen Anlagen,

von den Volksbestrebungen und von der Regsamkeit des Volkslebens,

die darin vielmehr ihren Gipfel erreichen

soll, nicht, ausgeschlossen werden.

Je tiefer aber nun

hinein ins eigenthümliche Gebiet der Humanität unddet

innern Freiheit:

desto weniger kann der Mensch, einzeln

oder gemeinschaftlich,

von irgend einer Instanz neben

ihm vertreten werden, desto weniger, in diesem rein ab­ geschlossenen Gebiete sich bewegend,

irgend eine mensch­

liche Autorität über sich erkennen.

In unbeschränkter

Freiheit waltet das Volks- wie das individuelle Leben, wo es Aufklärung der Vorstellungen, Verdeutlichung der

Begriffe,

Berichtigung

der

Urtheile,

Bündigkeit der

Schlüsse in irgend einem Fache der Erkenntniß,

wo es

Leistungen der Kunst oder Beurtheilung derselben, wo es Feststellung praktisch allgemein giltiger Grundsätze,

Bil­

dung zu rechtschaffenem Sinne und sittlich gediegenem

38 Handeln,

endlich wo es Heiligenden

und beseligenden

Glauben an Gott und eine unter seiner Aufsicht stehende Ja fty auch der letztere, wie es da,

Weltordnung gilt.

wo er Volkssache seyn und ein gemeinschaftlicher Aus­

druck dafür gefunden werden soll,

beinahe nicht anders

seyn kann, auf die Voraussetzung einer schriftlich beur­ kundeten göttlichen Offenbarung und einer positiven Re­ ligionslehre gegründet: so wird doch Verständniß, Aus­

legung

und Anwendung desselben lediglich

auf freiem

von aller fremden Autorität entfesselten Nernunftgebrauche beruhen.

Kurz:

die aus einer Wurzel stammenden

Ideen des Wahren, Schönen, Guten und Heiligen, von welchen nur das auf jeder besondern Stelle die Mensch­

heit repräsentirende Volk in seiner Gesammtheit, keine

coustituirte Behörde in der Welt, als höchster Depositär betrachtet werden kann,

sind es, die für Art, Maaß,

Richtung und Ergebniß dieser sämmtlichen Strebungen als alleiniger Kanon betrachtet werden müssen.

So ganz

unstreitig nach rein idealer und ganz gewiß auch an den

wichtigsten praktischen Resultaten nicht unfruchtbarer An­

sicht!

Aber wir fragen

wiederum in die Wirklichkeit

um uns her zurückschaueud:

soll es der Staat dem Zu­

fall oder der Willkühr des Volkes überlassen, ob in seinem Gebiete Schulen für die unmündige Jugend vorhanden seyen oder nicht?

Ist es ihm gleichgiltig, was und wie

und von wem auf denselben gelehrt wird? geschehen lassen,

Unterricht aufwachsen,

oder daß rohe Aeltern selbst den

ihrigen dieß Bedürfniß entziehen? schließend,

dem

Darf er es

daß älternlose Kinder ohne Zucht und Ist er es nicht aus-

man die Anlegung von Universitäten

und andern Hähern Culturanstalten zumuthet?

Söller

39 schriftstellerische Produkte, Kunstwerke rc.,

Sitten verderben oder die

dulden?

die die guten

öffentliche Ordnung stören,

Darf er um die Grundsätze, die unter den ver­

schiedenen innerhalb seiner Gränzen gewährenden Reli­ gionsgemeinen herrsche», um die Art des Cultus, der

darin Statt findet, um das Verhältniß, das darin zwi­ schen Geistlichen und Laien, Gemeindegliedern obwaltet,

kirchlichen Behörden und darf er überhaupt darum,

ob es eine Kirche, ob es einen öffentlichen Cultus und Religionsunterweisung in seinem Gebiete giebt, und wie

unbekümmert bleiben?

es sich damit verhält,

Nur die

roheste Hartnäckigkeit in gewissen an sich nicht «mvahren, doch einseitig aufgefaßten Begriffen vom Staate und Principien vom Staatsrechte, nur die Vermessen­

heit,

auch in der Wirklichkeit trennen zu wollen, was

blos in der Idee geschieden ist,

da verkennt,

nur die Blindheit, die

wie in der erstem das Gebiet der innern

und äußern Freiheit in einander läuft, wird die Absur­

dität, auf alle obigen Fragen mit Nein zu antworten,

auf sich nehmen mögen,

die wir doch ohne im minde­

sten unsere Geistesthätigkeit, unsern Glauben und Ge­

wissen an den Staat zu verhandeln und unserer innern Freiheit von ihm Fesseln anlegen zu lassen,

denklich bejahen dürfen.

ganz unbe­

Ist der Staat das schir­

mende Princip für alle Volksthätigkeit zu irgend

für

die

Menschheit

nothwendigen

Zwecken, ist er die unausweichliche Bedingung, caussa

sine qua non,

von der Erhaltung alles Volkslebens;

bestimmt er die Form, in der es hervortreten muß, wenn

es sich nicht selbst zerstören soll:

wie wird denn, auch

was für Cultur der Humanität im höchsten Sinne vom

40

Volke geschehen soll, sich der Kenntniß und Aufsicht des Staates entziehen dürfen? Hat er allenthalben z« wa­ chen, daß dem allgemeinen Volkswillen in der Idee, der nicht anders als ein einiger und mit sich selbst einig styn kann, durch den so sehr vereinzelten, zersplitterte« und mit sich selbst uneinigen Jndividualwillen in der Wirklichkeit nicht zu nahe getreten werde, daß derselbe vielmehr zur möglichst vollkommenen Ausführung gedeihe: wie wird er denn nicht auch in diesem heiligsten Gebiete der Aeußerung des Volkswtllens selbst anregend und, wo sie schlummert, die Thätigkeit weckend, zuletzt aber alles von derselben Ausgehende durch seine Autorität sanctionirend, wirken müssen? — bei dem Allen aber auch, wie schon eben hieraus erhellt, des Volkes Leben und Willen vielfach beschränkend, selbst da wo er die Grän­ zen seiner Befugniß keinesweges überschreitet, dergleichen ihm allerdings vielfältig begegnen kann und leider nur allzu oft begegnet ist. Neuerungssucht und Verketze­ rungseifer, Frömmelei und Ausgelassenheit, Schwärme­ rei und Profanitat, Trägheit und Vielthuerei und wie solche Excentricitäten alle heißen, sie werden sich ohne Ausnahme durch die Maaßregeln, die der Staat schützend, leitend und anregend in diesen Angelegenheiten nimmt, gehemmt und beeinträchtigt fühlen, und es zeigt sich hier, wie bei allen übrigen von uns betrachteten Momen­ ten, daß die Ungebundenheit und regellose Willkühr des Volkslebens, daß die minder ein gemeinschaftliches In­ teresse vereinigt aussprechende als jedes individuelle Ver­ langen zugleich neben einander laut machende Regsam­ keit desselben durch den Staat vielfache für einzelne Volksglieder lästige Beschränkungen erfährt, die aber zur

41 Erhaltung nicht nur seiner Gesundheit, sondern selbst seiner Existenz so unentbehrlich ist, als eine gewisse Ein­ heit der Disciplin und eine von da ausgehende unver­ brüchliche Lebensordnung für jegliches animalische Leben, ja daß überhaupt, wie wir vom Anfänge erklären, als sich selbst angehörend, als ein besonderes Ganze für sich ein Volk nichts ist, es sey denn, daß es einem Staate angehöre und daß ein Staat ihm angehöre. Je unbe­ stimmter und formloser, je mehr nur noch dem bloßen Bedürfnisse des Augenblicks dienend, je weniger das Ganze des Volkslebens und Strebens umfassend das, was man unter einem Volke den Staat nennt: desto gewisser nach dem Zeugniß aller Geschichte und Völker­ kunde, daß es noch gänzlich im Zustande der Barbarei oder der Wildheit selbst vergraben liegt.

Viertes Kapitel. Stellung des Staates gegen das Volk.

Er ist ohne das

Volk als ein Lebendiges nichts — beide müssen etwas Lebendes für sich seyn — aber in der innigsten Ver­

bindung und

zu

einem

und das Gewahren des

Zwecke — diese Verbindung einen und 'andern darf nicht

der einseitigen Willkühr oder

dem Zufall überlassen,

sie muß durch eine Constitution fixict,

diese muß der

Zielpunkt seyn, auf deren Erhaltung und Entwickelung zu dem beiden gedeihlichen Berufe beide von entgegen­ gesetzten Polen aus hinarbeiten.

8- 1.

Kein Volk von irgend einiger Entwickelung seiner selbst, wie wir erkannt haben, ohne Staat; und noch

41 Erhaltung nicht nur seiner Gesundheit, sondern selbst seiner Existenz so unentbehrlich ist, als eine gewisse Ein­ heit der Disciplin und eine von da ausgehende unver­ brüchliche Lebensordnung für jegliches animalische Leben, ja daß überhaupt, wie wir vom Anfänge erklären, als sich selbst angehörend, als ein besonderes Ganze für sich ein Volk nichts ist, es sey denn, daß es einem Staate angehöre und daß ein Staat ihm angehöre. Je unbe­ stimmter und formloser, je mehr nur noch dem bloßen Bedürfnisse des Augenblicks dienend, je weniger das Ganze des Volkslebens und Strebens umfassend das, was man unter einem Volke den Staat nennt: desto gewisser nach dem Zeugniß aller Geschichte und Völker­ kunde, daß es noch gänzlich im Zustande der Barbarei oder der Wildheit selbst vergraben liegt.

Viertes Kapitel. Stellung des Staates gegen das Volk.

Er ist ohne das

Volk als ein Lebendiges nichts — beide müssen etwas Lebendes für sich seyn — aber in der innigsten Ver­

bindung und

zu

einem

und das Gewahren des

Zwecke — diese Verbindung einen und 'andern darf nicht

der einseitigen Willkühr oder

dem Zufall überlassen,

sie muß durch eine Constitution fixict,

diese muß der

Zielpunkt seyn, auf deren Erhaltung und Entwickelung zu dem beiden gedeihlichen Berufe beide von entgegen­ gesetzten Polen aus hinarbeiten.

8- 1.

Kein Volk von irgend einiger Entwickelung seiner selbst, wie wir erkannt haben, ohne Staat; und noch

42 einleuchtender umgekehrt, kein Staat ohne Volk; da ein Formgebendes sich ohne Form empfangende Masse nicht denken laßt. Aber genügt es nicht, das Volk als bloße Masse zu denken, in der sich nur vereinzeltes, durchaus aber kein collectives, tmrch irgend ein gemeinschaftliches Prin­ cip verbundenes und in Bewegung gesetztes, kein im ei­ gentlichen Sinne öffentliches Leben findet, haben wir nicht das letztere vielmehr ausschließend in dem Staate und Behufs desselben: zu suchen? Vielfältig hat dieser Glaube von jeher geherrscht, und rin großer Theil wie der Staatsregenten selbst so namentlich ihrer höchsten Beamten sicht in der Kunst, ihn zu verwirklichen, den höchsten Gipfel der Staatsweisheit. Ob mit Recht — und zwar zunächst selbst schon des Staates wegen? Nicht genug sogar, daß dieser, der nur bei ganz ent­ schiedener Volks- und Menschenverachtung sich als al­ leinigen Selbstzweck setzen kann, die sämmtlichen, die er verfolgt, als Zwecke des Volkes geltend macht: sie müs­ sen zugleich, um sich rechtfertigen zu lassen und gnügend erreicht zu werden, vom Volke selbst als die seinigen erkannt werden können und wirklich begriffen werden, was ungezweifelt ein Leben des Volkes für gemein­ schaftliche Angelegenheiten in Gefühlen, Vorstellungen, Ur­ theilen, Gesinnungen und Strebungen, die der Mehr­ zahl seiner Angehörigen gemein sind, voraussetzt. Ist zuvörderst von der Stellung der Staats­ macht gegen andere neben ihr im Kriege, bei Bünd­ nissen oder im Zeitpunkte friedlicher Unterhandlungen die Rede: wo ist ihr Halt, wenn sie nicht durch des Volkes lebendige Billigung und Thcilnehmung gestützt wird? Ein Unding ist schon nach außen zu auf der ausgedehn-

43 testen Bodenfläche der Staat, der nicht die Persönüchkeit des ihm angehörenden Volks vertritt und darstellt, dessen Bewegungen und Maaßregeln, motivirt entweder durch Despotenlaune und Familien-Interesse oder durch Ansichten, die vom Volke absehend, nur den Staat im Auge haben, mit dem wahren Interesse, wofür sich das Volk erklären müßte, in Widersprüche stehen. Gilt es Krieg, mit welchem Erfolge wird, er geführt, wo nicht Volks-Intelligenz und Volkswille beim Heere und sei­ nen Anführern, bei den Unterthanen, die des Krieges La­ sten tragen, Hülfsmittel gewahren, Unternehmungen för­ dern sollen, zur Hand ist?— wenn gegen eine Macht, welcher diese Unterstützungen zu Gebote stehen, gekämpft werden soll, was jeder einräumen wird, der an Christicrns Krieg mit den Schweden, an den französischen Revolutionskrieg, an den furchtbaren Feldzug Napoleons nach Rußland denkt. Gilt es Bündnisse: was fruchten und wie lange bestehen sie, wenn sich der Geist des Volkes, in dessen Namen man sie knüpft, oder desjeni­ gen, mit dem sie geknüpft werden, dagegen auflehnt, wie Choiseul Gouffiers Traktat von Versailles, die Pillnitzcr Convention und der Rheinbund in seiner letzten Epoche gnügend zu Tage legen? Sind es Traktate oder einseitige Verfügungen über Handlung, Gcwerbsverkehr, Eränznachbarschaft, die eigentlich nichts mehr ausspre­ chen können, als was sich zwischen den Nationen von selbst verstehen würde, wenn der Geist ächter Humani­ tät und Civilisation im mindesten in die Politik einge­ drungen wäre, nicht selten jedoch weit Anderes wirklich aussprechen: wo ist ihr Bestand, wo der davon erwar­ tete Gewinn, wo irgend einiger damit verknüpfte Segen,

44 wenn es nicht" im ersten Falle die Völker selbst find, für welche und von welchen der Vertrag geschloffen wird,

wenn im zweiten Falle nicht des Volkes Sache und Zu­ stimmung die getroffene Einrichtung fordert;

Wesfalls

wir nur des vor dem Ausbruche der französischen Revo­ lution zwischen England und Frankreich durch Sir Mor­

ton Eden geschloffenen Handelstractats,

des napoleon-

schen Douanen- und Continentalsystems und mehr denn

einer

der

murrn Zolleiurichtungrn eingedenk zrr

brauchen. Natürlich, tung,

es mit der

daß

seyn

Verwal­

innern

welchen Zwecken sie auch gewidmet seyn mag,

noch einleuchtender dieselbe Bcwaudtniß hat.

Die Ver­

hütung und Bestrafung von Verbrechen und Rechts­ verletzungen,

die Auseinandersetzung rechtlicher

Ansprüche, die Form, in welcher rechtliche Streitig­

keiten geschlichtet werden sollen,

ist an sich selbst des

Volkes Sache,

Heil

d. h. eine vom

trennliche Angelegenheit, und Sicherheit im

die jedoch,

desselben unzer­

damit

Ordnung

Volke gebührend berathen werden,

wie wir uns überzeugt haben, dem Staate zur Aufsicht und Leitung anheim fallen muß.

Lasset aber die vom

letztcrn dießfalls sanctionirten und von Zeit zu Zeit neu hinzugefügten Gesetze dem Geiste,

den Sitten und Be­

dürfnissen des Volkes fremd seyn;

lasset von den dabei

angestelltcn Behörden die Vollstreckung dieser Gesetze der Theilnchmung des Volkes entfremdet,

vielleicht zur of­

fenbaren, jedoch vom Staate unbeachteten Mißbilligung des Volkes verwaltet,

lasset sie nur

als

Sache des

Staats und seiner Behörden, ja wohl nur als Privat­ sache gewisser vom Staate begünstigten Casten und Ei-

geltet behandelt werden: wird es euch befremden dürfen,

wenn Gesetz und Recht und die Handhabung von beiden ein immerwährender Gegenstand des Hassest), des Wi­ derstrebens oder mindestens des Mißtrauens, eine Schran­

ke,

die jedermann zu durchbrechen trachtet,

im Volke

bleiben, wenn ein wahrhaft rechtlicher Geist unter dem­ selben

nie einheimisch wird? —

Polizei — sie ist

selbst in ihren mildesten Functionen beim Volke in bösem

Leumund und noch mehr,

wo sie unsanft berühren und

hart durchgreifen muß.—

Aber warum? da sie für ge­

wöhnlich doch nur des Volkes Sicherheit und Wohl­

fahrt zum Zwecke hat?

Weil sie, statt dasselbe selbst

thätig für ihre Handhabung in Anspruch zu nehmen und

seinen Ehrtrieb für Aufrechthaltung der Ordnung und Förderung des Guten zu wecken,

sich nur als Staats­

angelegenheit ankündigt, und weil ihre Vertreter weniger

den einzelnen Ordnungs- und Wohlfahrtsstörern,

als

der Gesammtheit des Volkes, wie wenn eben bei diesem

der meiste Hang zu solcher Störniß vorauszusetzen wäre, sich mit feindseliger

Rohheit

auch nicht weniger,

weil man namentlich im Gebiete

gegenüber

stellen;

dann

der sogenannten Wohlfahrtspolizei bei weitem zu viel thut und nicht nur der eigentlichen Volksbedürfniffe unkundig, vieles verkehrt thut, sondern vermöge dieser Maaßregeln,

auch beim Volke auf eine für dasselbe beleidigende Weise eine gänzliche Unmündigkeit voraussetzt,

diese Unmündigkeit

geflissentlich

dadurch

unterhält.

aber

Dagegen

*) Wie in England, wenn die Landgerichte gehegt werden, sich' das Gegentheil an den Tag lege, s. bei Betau, sur la jurisdiction

criminelle en Angleterre.

46 würde selbst die geheime oder eigentliche Staatspolizei, die in stürmischen Zeiten freilich kaum entbehrt werden

kann, dem Volke lange nicht so verhaßt*) seyn;

wenn

die Sache des Staates, über welche sie wacht, zugleich

für Sache des Volks erkannt und das Volk selbst da­ für in Bewegung gesetzt würde.

Sonnenklar müssen

uns endlich die nämlichen Resultate da einleuchten, wo die Aufsicht des Staates über

die Geistes- und

Ge­

müthscultur des Volkes und seiner verschiedenen Classen in Betracht kommt.

Waltet er fördernd und mit

redlichem Sinne zur wahren Aufklärung und Veredlung des Volkes, also recht wesentlich für desselben eigene und

höchste Zwecke:

nur unter der, Bedingung wird gleich­

wohl sein Wirken glücklich von Statten gehen,

im Volke selbst für das,

wenn

was gefördert werden soll,

schon lebendiges Interesse vorhanden,

wenn wenigstens

die Art, wie man es für dasselbe zu fördern unternimmt, mit den Vorstellungen,

die da herrschen,

dürfnissen, die da gefühlt werden,

mit den Be­

mit der Culturstufe,

worauf eben jetzt der Zeitgeist das Volk stellt, und von wo aus es weiter geführt werden

stimmt.

kann,

zusammen­

Was durch Maaßregeln und Zurüstungen,

die

hiermit in Widerspruch stehen **) und sich ausschließend

*) Wo man nicht gar behaupten darf, daß sie ihm unter sol­ chen Bedingungen kaum vonnöthen seyn würde, wenn das gesammte Volk für den Gedanken erwärmt ist, Gefahr, Meuterei und Verrath von sich entfernt zu halten und denen, die dergleichen anzustiften im Sinne haben, auf den Dienst zu passen. **) Alexander Severus und Julia Mammäa konnten eben so wenig die Herrschaft des Christenthums einführen, als Julian sie zu unterdrücken vermochte — und das Mißverhältniß der Aufklä-

47 auf individuelle Einsichten und Strebungen gründen, er­

zielt wird,

ist Treibhausfrucht,

die

nur einzeln und

meist mit nutzloser Aufopferung der Wenigen, von und an

denen sie gefördert wird, benden Gewinn vermöge

der

selten zum wahren «nd blei­

des Ganzen gedeiht,

dagegen

sich

ja nicht selten

hervorthuenden

die mißlichsten Rückschritte zur Folge hat.

aber auch,

Antipathie

Oft genug

daß dem Staate das Entgegengesetzte belie­

ben kann, nämlich hemmend in den Gang der Cultur

oder mindestens in die Aeußerungen

der Geistes- und

Gemüthsthätigkeit unter dem Volke einzugreifen.

Bei

weitem nicht immer wird man das mißbilligen dürfen. Es können so excentrische und zugleich so unmittelbar

das Leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse anfech­ tende, die allgemeine Ordnung gefährdende Meinungen in Umlauf gebracht werden; es können auf dem Gebiete

der Kunst, der Wissenschaft, der Religion, des geselligen Umganges sich so. abentheuerliche,

so sittenverderbliche,

so ruhestörende Erscheinungen hervorthun,

daß eine ge­

wissenhafte Regierung selbst um des Volkes willen da­ von Kenntniß zu nehmen und ihnen entgegenzuwirken, sich nicht entbrechen darf;

und wer mag ihr auch die

Besorgnisse wegen der Verletzungen, die der Staatsma­ schine von daher, nicht ohne zuletzt vom Volke selbst schmerzlich gefühlt zu werden,

drohen,

verübeln? —

rung einiger gebildeter und erleuchteter Männer zu der Dunkelheit,

die noch in den Köpfen der großen Masse des spanischen Volks herrscht,

wird eine

durchaus

populäre Regierungsform

schwerlich sobald aufkommen lassen.

daselbst

Auf die bedeutendsten Hem­

mungen ist bei solchem Bestreben Joseph II. und noch neuerlichst der König von Holland in Belgien gestoßen.

48 Nur daß es nicht bloße sogenannte Staatsraison und noch weniger persönliches Mißfallen einzelner Staatsbe­

amten sey,

was sich als Grund der Gegenwirkung wi­

Opinionum commen-

der solche Uli befug nisse ankündigt!

ta deiet dies,

das bleibt so lange geltend,

als es der

Wahrheit überlassen ist, sich selbst frei zu vertreten, und den Antagonismus

widersprechender Meinungen,

das

Gleichgewicht, worin sich die Wahrheit offenbaret, her-

vorzubringen.

Thut ihr aber mehr, als über das Ver­

kehrte und Verderbliche,

was sich auf dem genannten

Gebiete hervorthut, dem Volke die Augen zu öffnen und ordnungswidrige Aeußerungen, die von daher drohen, zu

beschränken; wollt ihr eure Ansichten, und wenn sie die lauterste Wahrheit enthielten, dem Publicum aufnöthigen:

weil sie die eurigen sind,

so sehet zu, daß ihr nicht

der Tollheit eine Burg bauet,

hinter der sich ihre Par­

tisane nun desto unbezwinglicher verschanzen, oder eine

Menge Schlupfwinkel

bereitet,

in

denen der Wider­

spruchsgeist die Uebelgesinnten, um insgeheim über Ver­ derben zu brüten,

vereinigt.

Und meint ihr vollends,

weil beim Ringen des Volksgcistes nach Licht und Selbst­ thätigkeit,

Verirrungen nicht außenbleibcn können ;

meint ihr namentlich,

ja

weil bei freien Aeußerungen der

geistigen Kraft im Volke despotische Willkühr sich un­ umgänglich beschränkt sehen muß, individuelles und all­ gemeines Votkswohl nicht ferner roh und rauh dem aus

persönlichem Gesichtspunkte sixirten Staatsintcrcsse auf­ geopfert werden

vor

dem

kann;

Volke ewig

freier Geistesaufschwung

so müsse Licht und Wahrheit

hinter dem

Scheffel

gehalten,

ihm immerwährend verweigert

werden: o mit den Fesseln, die ihr dem Volke schmiedet,

49 bereitet ihr eben die furchtbarsten Ausbrüche einer alle

Schranken durchbrechenden

Ausgelassenheit,

eines vor

nichts Scheu tragenden Freiheitsschivindels und Neue­ rungstriebes vor; und indem ihr euch, unter dem heuch­

lerischen Vorwande, des Staates Heil zu sichern, nicht

entblödet,

die heiligsten Rechte der Menschheit und des

Volkes mit Füßen zu treten, legt ihr es wie auf euern

so auf des

eigenen und euren Verbündeten Untergang,

Staates Zerrüttung und Verderben an;

sey es,

daß

unter periodischem Wechsel der Personen Fürsten - Will-

kühr, Maitreffen-und Günstlingslaune, Ministerdespotis­ mus, Büreaukratie, Staatsdienerarroganz,

Militärin­

solenz, Psaffen- und Junkerthum, das Land fortdauernd

belasten und den Staat um alle Kraft, die ihm in des Volkes unverkümmertcm,

namentlich geistigem Leben bereit sein

sollte, betrügen, oder daß in dem Gährungsproceffe, Revo­ lution genannt, das zum Fieberparoxismus hinaufgetrie­

bene Volksleben statt der verbrauchten, vielleicht nur gemißbrauchten und an sich wohl noch keinesweges unbrauch­

baren Staatsform auf gut Glück mit einer neuen das Experiment macht,

dessen Kosten Staat und Volk zu­

weilen mit ihrer Existenz bezahlen müssen. Summa: ihr könnt dem Volke nichts erhalten,

nichts geben,

nichts

nehmen, ohne sein Interesse, sein Heil, und also zuletzt

seinen Willen, (der ein,

und zwar gesundes, kräftiges,

mithin freies Leben in ihm voraussetzt,)

jur Basis eu­

rer Unternehmungen und Veranstaltungen zu machen.

8. 2. In der genauesten Verbindung,

in dem innigsten

Wechsclvcrhaltniffe müssen den so eben aufgestellten und

4

50

rote der Verfasser glauben darf, aus Erfahrung und Geschichte sowohl als aus der Natur der Sache bekräf­ tigten Ansichten zu Folge Staat und Volk gegen einan­ der stehen. Aber eben deswegen können sie nicht eins seyn, ob sie sich wohl zu einem Ganzen, das nicht leicht treffender, als mit dem Namen, gemeines Wesen— res publica —- bezeichnet werden kann, vereinigen müs­ sen. Denn wie schon logisch eine Verbindung nicht an­ ders denkbar ist, als zwischen zwei wesentlich unterschie­ denen und unterscheidbaren Subjecten: so ist sie factisch hier nicht statthaft, wenn Staat und Volk auf die Weise eins sind, daß sie in einander aufgehen, daß sie jedes etwas Eigenes für sich zu seyn aufhören; als womit es ganz unstreitig um Alles, wozu sie einander unentbehr­ lich sind, geschehen seyn würde. Nur in dem Zustande der Wildheit oder höchstens der Barbarei, der keine Re­ genten, sondern bloß für den Moment erwählte Häupt­ linge kennt, oder in demjenigen, wo hoch entwickelte Kräfte sich ohne Zaum und Regel neben einander gel­ tend machen, um sich unter einander aufzureiben — ein Wesen, das in die Dauer unausbleiblich zur Barbarei zurückführt — kann der Staat im Volke aufge­ hen. Möglich wohl, in dem einen wie in dem andern Falle, daß bei Reactionen gegen äußere Anfechtungen eine solche der reinen Ochlokratie hingegebene Menschen­ masse sich nicht nur, wie eine Zeit lang die Athenienser nach Perikles, unbesiegt, sondern sogar, rote die Neufran­ ken unter Danton, Robespierre rc. siegreich erobernd, zertrümmernd behauptet: möglich, daß auch im Innern aus dem da und dort her aufgeregte« Volkswillen man­ ches an sich Gedeihliche und dem bürgerlichen Leben För-

51

derliche, ja selbst manche kraftvolle Hervorbringung hö­ herer und edlerer Humanität im Gebiete der Intelligenz, der Kunst rc. (doch meistens nur, wo die bisherigen Fortschritte der Cultur den Stoff dazu schon vorbereitet haben,) geboren, gepflegt und gestaltet wird! Aber nicht möglich, daß ein zusammenhängendes Ganze gemein­ schaftlicher Ordnung, Tugend und Wohlfahrt, wovon zwar das Volk den Zweck ausmacht, wozu es den Stoff und die Mittel darreichen muß, anders, als unter Auf­ sicht und Leitung des Staates, der eben das Einigungs-, das Form gebende Princip ist, gedeihe. Auch ist, was wir in solchen Zeiten der vorherrschenden Ochlokratie von dem Allen noch gedeihen sehen, gleichwohl das Werk des Staates, dessen sich die, die während längerer oder kürzerer Zeit das Volk beherrschen, oder mittelst deren in diesen Zeitpunkten das Volk herrschet, als Organs bedienen") müssen, und immer, wiewohl nie dauernd und ohne desselben innere Zerrüttung, zu bedienen gewußt haben. Umgekehrt aber ist es, wie §. 1. aus den vornehm­ sten hier in Betracht kommenden Gesichtspunkten darge­ legt worden, eben so wenig statthaft, daß das Volk im Staat aufgehe, d. h. ein für sich bestehendes und sich geltend machendes Princip zu seyn aufhöre, oder was es in seinen so höchst mannichfaltigen Bestandtheilen ist, bezielt, wirkt, genießt und erträgt, bloß um des Staa­ tes willen und alle seine eigenthümlichen, zunächst dem Staate fremden Zwecke verläugnend, sey, wirke, genieße *) Man denke an das comitd de swrete' und de salut unter dem neufränkischen National - Conyent. 4*

52 und trage, oder endlich bei völlig passiver Hingebung an

des Staates ihm vielleicht völlig fremde Zwecke,

von

einigen wenigen ihm, (dem Volke,) eigenthümlich über­ lassenen Angelegenheiten den Staat durchaus gar keine

Kenntniß nehmen sehe.

Wollten wir behaupten, daß es

unter solcher Voraussetzung um die Existenz des Volkes und das Bestehen des Staates geschehen sey, so würde

man uns nicht mit Unrecht die Beispiele von Sparta

und von Venedig entgegen halten, deren ersteres 700, und deren letzteres sogar an 1000 Jahre lang

gewiß

keine unmerkwürdige Analogie —) bestanden hat und zu­

letzt, wenigstens nicht unmittelbar wegen der Colliston zwischen Staat und Volk,

sondern durch Erschütterun­

gen von außen her zu Grunde gegangen ist.

Zweierlei

aber ist in diesem Falle gedenklich und Beides von der Beschaffenheit, daß uns wohl Niemand zumuthrn wird,

einem solchen Wesen angehören zu wollen.

Entweder

der Volksgeist nimmt, wie in Sparta, oder wir einiger­ maßen zuletzt unter Napoleon in Frankreich, auch guten

Theils bei den Römern, eine solche Richtung,

daß ihm

der Staat mit Verlaugnung jeder andern Rücksicht als

letzter,

höchster,

alleiniger Zweck gilt und das Volk

selbst keinen andern Enthusiasmus kennt,

als sich ihm

zu opfern. Dann gute Nacht jedem Aufstreben zum Hö-

hern, Edler», rein Menschlichen;

dann weg selbst mit

dem, was dem Leben Reiz und Anmuth giebt, der sinnvollern Empfänglichkeit dafür,

mit je­

mit aller vielsei­

tigen Regsamkeit und Entwickelung menschlicher Kräfte. Les Francois sont agriculteurs et soldats, sprach Napo­

leon, da man ihm einwandte, daß bei der Durchführung seines Systems Kunstfleiß und Handel zu Grunde gehen

müßten: und weiter auf her von ihm beschrittenen Bahn

fortgeführt ,

mehr und mehr in die Gewohnheit einge­

weiht, sich an fremden Tischen zu sättigen und sich von fremdem Raube zu mästen, dürften seine Franjosen, ob­ gleich ursprünglich zu etwas ganz anderm organistrt, es den Spartanern in der Entfremdung von aller Cultur und von

allen friedlichen Geschäfften des bürgerlichen Lebens wohl noch haben gleich thun lernen.

Krieg und Unterdrückung

aller Widerstrebenden bleibt das alleinige Element derer, die sich für das System,

was das Volk im Staate aufge­

hen läßt, aufrichtig interessirt fühlen und wie die Schrift von Ismael sagt, seine Hand werde gegen jedermanns

und jedermanns Hand gegen ihn stehen*), so wird es — daure das Spiel auch,

so lange es wolle—zuletzt

nicht fehlen, daß es sich mit der Unterdrückung der Un­ terdrücker cpbigU:

Der entgegengesetzte Fall ist der, von

dem uns Venedig das Beispiel aufstellt, daß die Staats­

maschinerie,

yom Volke blinde Abhängigkeit fordernd,

den Geist desselben,

für sich zu erwärmen und zu ge­

winnen, nicht geeignet ist, ja vielleicht nicht einmal her

Mühe werth findet.

Unausbleiblich würden sich die Un­

tergebenen nach gerade hier zum Aufruhr und zur Zer­

trümmerung des alle Existenz des Volks ignorircnden

Regiments gereizt finden,

wenn letzteres nicht auch in

anderer Absicht von jenem ignorirt,

d. h. der höchsten

Zügellosigkeit her Sitten im Privatleben überlassen und

von jeder Aufsicht in allen für den Menschen an sich

wichtigen Angelegenheiten so gut als gänzlich entbunden würde.

Ja man will wissen,

*) 1 Mose 16, 12.

daß ein recht systemati-

54 scher Despotismus, der jedes freie, den Staat bezielende Wort mit Verbannung, Kerker, Martern und Tod zu ahnden bereit ist, die schmutzigsten Ausschweifungen nicht nur zu dulden, sondern selbst zu begünstigen, kein Be­ denken trägt, um desto gemächlicher alle Anwandlungen des politischen Volkslebens darin zu ersäufen, um von erschlafften Weichlingen, Pie er befehligt, keine Reaxtionen befürchten zu dürfen. Wer muß aber nicht die erste dieser Voraussetzungen für so bedenklich, die zweite für so scheußlich erkennen, daß daraus das Ergebniß her­ vorgeht: so soll das Verhältniß zwischen Staat und Volk nicht seyn; es soll weder dieses in jenem, noch je­ ner in diesem aufgehen.

§. 3. Mer wo ist nun das zu finden, was die Verbin­ dung zwischen Staat und Volk so vermittelt, daß keines dem andern aufgeopfert wird, beide in ihrer Wesenheit geschützt werden, beide einander energisch doch nicht feind­ selig das Gleichgewicht haltend, ein wohl verbundenes Ganze bilden? Wo anders als in gewissen Grund­ sätzen des Wirkens und Gegenwirkens, über die Staat und Volk einverstanden und zu deren Auf­ rechthaltung von beiden Stellvertreter bevollmächtigt sind, die sich in seinen verschiedenen Behörden bis zum Re­ genten Hinauf beim Staate von selbst verstehen, dem Volke aber, frei, jedoch ebenfalls nach festgestellten Re­ geln aus seiner Mitte zu wählen, überlassen werden *) *) Rec. hat den Grund des konstitutionellen Regierens nie darin gesucht, „daß die Staatsbürger ihre Regierung hareeliren" —

55 müssen. Sträubt euch nun, wie ihr wollt: ihr habt hier

keinen

andern Stützpunkt,

als eine beiderseitig

anerkannte, gebilligte und billigungswerthe

worin der Mechanismus festgestellt ist,

Verfassung,

der die beiden Correiata Staat und Volk dergestalt im

Gleichgewichte hält, daß daraus das Eine und Ganze, beide gleich innig und

beiden gleich nahe Angehörende,

wesentlich in sich Fassende und mit sich selbst Einigende

— gemeines Wesen, res publica genannt — resultiren kann; und ihr habt für die Verfassung,

von

welcher Art sie auch seyn und an dieser oder jener Stelle paffend gefunden werden möge, keine andere Sicherstel­

lung, als indem ihr dem Volke sowohl als dem Staate

Vertreter gönnet,

die über die

Handhabung dessen,

Aufrechthaltung

und

was beiden gleich wichtig und un­

entbehrlich ist, wachen und ohne deren einstimmigen Wil­

len in der einmal, schreitender

wiewohl nicht ohne Vorbehalt fort­

angenommenen

Verbesserung,

nichts geändert werden darf,

dieser Verfassung die

ja

Verfassung

die beiderseits von

ersten Bestandtheile,

die Träger

und Grundpfeiler ausmachen.

So ist es: und alle Ausflüchte gegen beide Maaß­ regeln sind so lange für nichts zu achten, als man nicht

(Worte Benzenbergs —) sondern „ in der Mitwirkung der Gilt: „sichtsvollern

nicht

Ofstcianten

seyenden

Staatsbürger

bei der

„Gesetzgebung, in der Sicherstellung aller Staatsbürger unter dem

„Gesetze und in der alleinigen Verpflichtung der öffentlichen Be„amten zum Gesetze," — Duplik des Recensenten in der I. A. L. Z. auf eine Antikritik Benzenbergs wegen seines Buchs über Preußens

1821.

Geldhaushalt und

neues Steuersystem,

Int. Bl. 8.

56 den Zweck selbst,

zu welchem hier das einzige Mittel

Gleichgewicht zwischen Staat und Volk

bereitet ist,

durch, wohl

organistrtes,

gesundes und

mithin freies

Leben beider —> frevelhafter Weise für nichts zu erklären wagt. Hiergegen wird nun eingewendet:

„der Buchstabe

tödtet; der Geist allein macht lebendig.

Was helfen alle

noch so künstlich geformten Verfassungen, wenn nicht

Einsicht und guter Wille der darüber Waltenden sie zum allgemeinen Besten handhabt? Setzt ihr aber solche Ein­ sicht und solchen guten Willen voraus:

warum sollte

nicht ein geistvoller und redlich gesinnter Regent zusammt seinem dirigirendcn Minister oder letzterer qn der Stelle

von jenem ohne

alles in einer Constitutions-Urkunde

enthaltene Formular so gut,

ja weit besser der Mann

des Volkes seyn, die Bedürfnisse desselben berathen, dem wahren Volkswillen gemäß regieren und ein gedeihliches

Volksleben fördern können,

als alle Parlamente und

Volksabgeordncte, dem Staatsrathe gegenüber, die in

ihrer Opposition gegen die Regierung, wo es ihnen ge­ lingt, das Uebergewicht zu erhalten, nichts anders, als

entschiedene Zerrüttung der Staatsmaschine herbeiführen; und,

sind sie von der Regierung der Mehrzahl nach ge­

wonnen, unter dem Schutze von einigen Formalitäten, ohne Scheu das Volksintereffe an jene verrathen wer­

den

Und wie viele Hemmungen, welche allenthal­

ben, wo man sich auf Constitution und Volksrepräsen­

tation etwas zu Gute thut,

in den Gang der öffentli­

chen Angelegenheiten gebracht werden! sonderheit die Kräfte des Staates

Wie werden in­

nach außenhin da­

durch gelähmet, wie auch im Innern an ihrer Entwicke-

57 lung, die doch am Ende nichts Anders als Entwickelung der Volkskraft selbst ist, gehindert I Wo wäre die Geschichte eines Cyrus, Peter des ersten, Friederich des zweiten, Katha­ rina der zweiten, wenn ihnen Verfassungen, wie man sie der­ malen fodert, und Volksvertretungen gegenüber gestanden, wo die der Hohenstauffen, Ludwig des Heiligen, Richelieus, Heinrich des IV., Karl des V. rc., wenn sie sich solcher Fesseln nicht zu entledigen gewußt hätten? Was soll jede Staatsform anders, als dem Momente, den Zeit- und Ortsbedürfniffen dienen; und wie kann sie das, wenn sie in den Schnürleib der Charte, des Buch­ stabens, eingezwängt ist, wenn sie sich nicht unablässig mach dem Betriebe der Einsichtigsten, was nur die Re­ gierenden selbst seyn können, jenen Zwecken gemäß, modificirt? Oder wollt ihr, das Letztere soll nicht anders, als unter Genehmigung und Mitwirkung von Volksver­ tretern geschehen: so wißt ihr in jedem Augenblicke we­ niger als je, was ihr für eine Verfassung habt, und kommt, wie euch Athen, Rom von Marius, bis auf August und Frankreich von 1789 bis auf den heutigen Tag lehren, nie aus dem stündlichen Wechsel der Ver­ fassungen, d. h. nie ans dem erfreulichen Zustande der Revolution heraus."------- Antwort: Zugegeben von dem Allen Vieles; hinzugefügt übcrdem: es hat noch nie ein? fehlerfreie Staatsconstitution gegeben und wich dergleichen niemals geben — und selbst eine absolut voll­ kommene wird nie vor der Gefahr sicher seyn, untren oder ungeschickt gehandhabt zn werden: dennoch ist da­ mit gegen wahrhaft gute Constitutione», gegen den we­ sentlichen Vorzug wohlconstituirter Staate» vor nicht coustituirtcn, gegen die unabweisliche Aufgabe der zu

58 —

höherer Cultur aufstrebenden Menschheit, ihre Staats­ vereine auf tüchtige, dem Volkes- wie dem Staatsle­ ben zusagende Verfassungen zu gründen, dem gemäß aber uns allerdings für's erste sich immer besser über die Er­ fordernisse ihrer Tüchtigkeit zu verständigen, nichts Gül­ tiges gesagt. Im Grunde kommt die ganze Frage, ob es Staats­ constitutionen und Vertreter derselben von Seiten des Volks sowohl als des Staates geben solle, mit der, ob man, wo Menschen vereinigt leben, eine Rechtsgesetzgebung, positi­ ves Recht, und für Aufrechthaltung und Auslegung desselben verantwortliche Richter brauche, auf eins hin­ aus. Niemand wird längnen, daß die Bescheide eines aus dem Stegreife Recht sprechenden Richters vom un­ tersten Dorfschulzen an bis zum Könige selbst, wenn der wie vormals ip letzter Instanz zu Gericht säße, der Grundidee des Rechts und dem Bedürfnisse des Augen­ blickes zuweilen angemessener seyn können, als ei» recht­ liches Erkenntniß von Gesctzgelehrten aus einem öffent­ lich promulgirten, niedergeschriebenen und in eine Art systematischer Ordnung gebrachten Landrechte. Wollen wir es aber deswegen darauf ankommen lassen, in tau­ send andern Fällen, der Untyiffenheit, der verkehrten An­ sicht, der Willkühr und der Leidenschaften derer, die uns Recht sprechen, ausgesetzt, nie vor Widersprüchen früherer und späterer Bescheide sicher, nie der Form, in welcher wir unser Recht zu suchen haben, nie der Regel, nach welcher wir es entschieden sehen, gewiß zu seyn, nie auf Vervollkommnung der Gesetze mit Zuverlässigkeit rechnen, höchstens dießfqlls Einiges von zufälliger Ge­ wohnheit und allmähtig sich bildendem Gerichtsgebrauche

59

erwarten zu dürfen? Don selbst ergiebt sich die Anwen­ dung hiervon auf die Normen, an die das Volks - und Staatsleben gewiesen und durch welche das Verhältniß zwischen beiden geregelt werden muß, d. h. auf bestimmt festzusetzende Staats- und Volksverfaffungen. Dankt es der Vorsehung, wenn sie je zuweilen große und gute Menschen hervorrief, welche so gut und besser als es irgend eine Verfassung, hie doch immer nur durch den Geist, der sie handhabt, in Wirksamkeit treten und nie im voraus allen vorkommenden Bedürf­ nissen angemessen seyn wird, vorschreiben kann, regierten, selbst unter der Idee, zu handeln, wie man es allge­ mein verfassungsmäßig wünschen müsse, regierten! Aber verkennet auch ihren Wink nicht, daß die Ausführung jener Idee, weit entfernt, ein Geschenk zu bleiben, was besondere Länder und Zeiten zufällig dem guten Willen Einzelner verdanken, vielmehr als ein Recht, das der gesammten, in mehrere Volks- und Staatsverbindungen gegliederten Menschheit gebührt, zu betrachte» seyn und ein Gemeingut für alle Zeiten werde» soll. Verkennet ihre Weisheit nicht, die, indem sie solche Auserwählte in der Fülle derjenigen Macht, welche einem große» Ge­ danken und einem edeln Willen für bestimmte Momente Wirklichkeit zu geben vermochte, nur als seltene Erschei­ nungen hervortreten ließ, das Bedürfniß fühlbar gemacht hat, daß die bestimmt apsgesprochene, aus subjektive» Gränzen in das objective Gebiet hinübergeführte, zur allgemeine» Geltung erhobene Idee einer angemessenen und dem Volksleben zusagenden Staatsverfaffung auch für Machthaber von beschränkterem Geiste leitend und von minder reinem Willen hier nöthigend, dort be-

60 schränkend weichen möchte. Verkennt demnach die Ver­ dienste derjenigen nicht, die, gleichviel, ob ans dem Schauplatze politischer Thätigkeit selbst mitwirkend, oder nur entfernte, darum aber desto ruhigere und unbefange­ nere Zuschauer derselben, die allgemeinen Erfordernisse guter Landesverfassungen klarer ins Licht gesetzt und auf die dabei zum Grunde liegenden Principien mit edelm Ernst hingewieftn.haben / damit gegen die Obliegenheit, sich danach zu richten, keine Ausflucht bleiben möchte. Verkennet endlich die Gefahr nicht, welcher so Regenten als Völker bloßgestellt bleiben, so lange durch kein Grunde gcsetz des Staates mit einiger Bestimmtheit fcstgestellt ist, wessen sie gegenseitig sich zu versehen und in welcher Form sie ihre Ansprüche an einander geltend zu machen haben! Denn wer schützt die Völker gegen die gröbsten Unbilden, gegen die verderblichsten Verkehrtheiten, welche bösartige oder schwachsinnige, von schlimmen Führern berathene Herrscher ihnen anthun, wenn diese durch kein Gesetz an Rücksichten auf ihre Ansprüche und Bedürfnisse gebunden sind und nicht durch gesetzlich Bevollmächtigte daran er­ innert werden dürfen? Und umgekehrt; wer kann auch den weisestem und besten Regenten einen Augenblick, für ihre persönliche Sicherheit gut seyn, wenn das Volk sich an keine gesetzliche und gesetzlich verbürgte Norm, wie es seine Ansprüche und Bedürfnisse geltend machen darf und soll, gewiesen sieht, und Rottenhäupter ohne andere Aufforderung und Bcfugniß, als die des augenblicklichen Anlasses und des Privateigennutzcs, vielleicht an der ^itze des von der Regierung ausschließend als Organ ihrer Willkühr betrachteten Heeres selbst sich zu Aus­ legern davon aufwerfeu? wie denn eben im Schooße

61 deS entschiedenste« Despotismus dergleichen gewaltsamer Regeütenwechsel zu den alltäglichen, kaum «och einiger Aufm«ksamkeit gewürdigten Vorkommnissen gehört. Er­ kläre man sich nun die Gewähr, die Beydes, Staat und Volk, unter solchen Umständen für ihre Wohlfahrt und selbst für ihre Existenz finden! Wahr unstreitig, daß ihr schnelles Emporkommen und ihre rasche Ver­ größerung in dem Maaße, wie da, wo ein kräftig be­ sonnener Wille ohne constitutionelle Schranken oder mit Niedettretung derselben despotisch waltet, in constitionell organistrten und unter Mitwirkung von Volksvertretern verwalteten Staaten nie von Statten gehen kann. Wahr aber auch eben so unfehlbar, daß alles dem Staate wie dem Volke Zuträgliche Und Staat und Volk zu einem Gemeinwesen Einigende hier weit sicherer reift und weit unverletzter dauert, dort schnell hervorgetrieben, eben so schneller Zerstörung, ja überhaupt dem Wechsel der schnei­ dendsten Widersprüche bloßgestellt ist. Ihr sprecht von Cyrus Großthaten und was ihm das Perservolk, das er zur eigenthümlichen Existenz hervorgerufen, verdanke! Habt ihr sein Ende und des Volkes durch seinen letzten unbesonnenen Heereszug herbeigeführte Bedrangniß, habt ihr den Verfall und Umsturz jenes gesammtcn Staates nach einer nicht gar langen Rcgentcnreihe, habt ihr die kein Menschenalter lange Dauer des vom Macedonicr Alexander aus aller Art Trümmern gleich einem Sand­ berge vom Samum zusammengewehten Weltreiches, habt ihr die schnelle Zerstörung dessen, was die Weisheit von vier trefflichen Regenten aufgebauet hatte, nach Marcus Aurelius Hintritte, habt ihr die tollen, obwohl zum Theil aus guter Absicht verübten Gewaltthätigkeiten des

62 russischen Paul vergessen, und würde von dem Allen wohl,

wo eine tüchtige Verfassung obgewaltet und für ihre Dauer einige Gewahr gehabt hatte, etwas zu vernehmen gewesen seyn? würde des Guten und Trefflichen,

Preußens Friedrich

geordnet

und zu Stande

was

gebracht

hat, so viel zu Grunde gegangen, würde der Geist, der

von ihm aufgeregt war, so schnell verdunstet seyn, wenn eine umfassendere, in das Volksleben tiefer eingreifende

Constitution das Antheil des von ihm regierten Staa­ tes, der unter ihm selbst dann auch wohl manche Ver­ kehrtheit in seiner äußern sowohl als innern Verwaltung

nicht erfahren hätte, gewesen wäre? Verderblichste,

schlimmer — in ist das,

In der That: das

wo Constitutionen fehlen oder — noch ihrer Würde beeinträchtigt

werden,

daß sich der Volksgeist da nimmer in dem

Maaße reinigen, veredeln, einigen kann, um dem Leben

des Volkes den Schwung und dem Willen des Volkes die Richtung zu geben,

die es der regierenden Behörde

des Staates auch nur möglich machte,

Beides mit ei­

niger Bestimmtheit und mit einigem Erfolge zu berück­

sichtigen;

daß vielmehr jener Geist in dergleichen Ver­

hältnissen dem äußersten Widersprüche mit sich selbst, der

größten Ausartung und Derderbniß Preis gegeben ist, Beides, Staat und Volk, wechselseitig an ihrer Zerrüttung

und ihrem Untergange

arbeiten.

Reihe von Herrschern allerdings,

Eine

nichtswürdige

die im Wechsel mit

wenigen bessern von Commodus bis Romulus Augustulus das weströmische und bis zu Mahommed dem lf.

das oströmische Reich zu Grunde richteten.

Aber laßt

es uns nicht Hehl haben: das Volk, was sie beherrsch­ ten , das wenigstens zunächst um ihren Thron den Volks-

kern bildete, war noch schlechter. Prätorianer und ähn­ liche Rotten waren es, die wir als seine Stimmführer vernehmen; sie, die die wahre Volksstimme nicht laut werden ließen; sie, aus deren Schooße die Verworfensten, die ihnen zusagten, zum Throne befördert wurden, um ihn sofort wieder mit dem Kerker, der Blendung, dem Tode zu vertauschen; sie, die, wo eine heilig geachtete und unter Beitritt des Volkes vertretene Verfassung vor­ handen gewesen wäre, des Volkes Sinn und Leben nim­ mer in dem Maaße würden haben verderben und läh­ men können, das sich uns bis zum zweiten Punischen Kriege unter entgegengesetzten Bedingungen in einem völlig entgegengesetzten Lichte zeigt. Daß es Umstände geben kann, die eine volksmäßige und dem Volksleben zusagende Constituirung eines Staa­ tes bedeutend erschweren; daß die Aufgabe da am schwie­ rigsten wird, wo viele vielleicht zerstückelt belegene Lan­ destheile und Volksstämme unter demselben Scepter ver­ einigt einen Staat bilden sollen, wird Niemand läugnen und eines solchen Staates mißliche Lage Niemand ver­ kennen. Was ist aber, das eben ihn dringender, auf die Weise, wie es ihm möglich ist, sich zu constituircn auf­ fordern kann, als das Bedenkliche seiner Lage, in der ihm nichts anders, denn die Anhänglichkeit seiner Zubehörigen, denn die Einheit und Kraft des in ihm wal­ tenden Volksgeisteö für die Sicherheit seiner Existenz ei­ nige Gewähr leisten kann, auch gewiß für sich allein weit kräftiger leisten wird, als alle den Namen der Hei­ ligkeit an der Stirn tragende Bündnisse? Und gesetzt, Herkommen, Landesart, Verträge, Ungleichheit der Volksbildung machten für die verschiedenen Provinzen

eines dergleichen Staates besondere Verfassungen und Arten der Verwaltung unter Beitritte ihrer Volksreprä­ sentanten nothwendig: warum sollte nicht ein Ausschuß aus diesen sämmtlichen, in ihren verschiedenen Wirkungs­ kreisen thätigen Repräsentanten den Kern der Volksver­ tretung der obersten Staatsbehörde gegenüber bilden, der die Gesetzgebung und Amvendung den Rechten und Be­ dürfnissen der besondern Staatstheile gemäß leitete, dann aber auch, nicht minder das Ganze der Staatsverwal­ tung volksmäßig berathen hülfe? Ja wie ist es mög­ lich, sich die hierbei eintretenden Schwierigkeiten so unübersteiglich vorzustellen; da es im Grunde keinen mit Umsicht und gutem Willen constituirten Staat von ei­ nigem Umfange und einiger Ungleichheit seiner Bestand­ theile geben kann, in dem sie nicht hätten überstiegen werden müssen, in dem nicht täglich für besondere Orte, Bezirke und Volksclaffen sehr verschiedene Bedürfnisse, über welche Niemand bessere Auskunft geben kann, als die von daher zur Volksvertretung Abgeordneten, zu berathen vorkämen.

§. 4.

So viel über die Unentbehrlichkeit fester unverletz­ licher, obwohl nicht für unverbesserlich geachteter Consti­ tutionen ♦), wo dem Volke ein freies, gesundes und ge*) Wer auch nur diesem Begriffe und dem Worte,

zur Bezeichnung dient,

so gram ist,

von seinem Arzte zu hören, den möchte man fragen,

bas ihm

daß es ihn sogar verdrießt,

er selbst habe eine gute Constitution,

ob es überhaupt irgend einen, allenfalls

auch gar schlecht eingerichteten Staat ohne alle Constitution geben

könne und ob, wenn es einen solchen gäbe', derselbige nicht der Uhr

deihliches Leben in seinem Verhältnisse zum Staate ge­ sichert seyn und wo der letztere unter seinen regierenden Behörden,

von Volksbewegungen unbeeinträchtigt, die

Schirm - und

Förderungsanstalt

Statten kommenden,

alles

dem Volke zu

seinem Willen vernünftiger Weise

angemessenen Guten bleiben soll.

Auf die Hauptfrage,

wie und nach welchen Principien dergleichen Verfassun­

gen festgestellt,

erhalten und der Vollkommenheit näher

gebracht werden sollen, antworten wir ohne Umschweif:

Geschichte,

Erfahrung und Herkommen auf der einen

und allgemeine Vernunftbegriffe auf der andern Seite,

Realismus und Idealismus müssen sich gleichmäßig in

dieß Geschäfft theilen und es ist wirklich einmal Zeit, daß der widersinnige Antagonismus zwischen beiden, wie

in jeder Art menschlicher Veranstaltungen und Maaßre­ geln, so namentlich in dieser wichtigen und hochheiligen

Angelegenheit, aufhöre.

benen,

Auf die Verfassung eines gege­

im Fortgänge der Zeit zu diesem Umfange und

Kraftmaaße gediehenen Staates,

von dieser Landesbe-

schaffenhcit, in dieser Stellung zu andern Staaten und

auf die Zusammenstimmung derselben zu den Bedürfnis­ sen und Ansprüchen eines eben

durch diese Schicksale

gegangenen, aus diesen Stämmen bestehenden, auf die­ ser Stufe der Bildung und des Wohlstandes befindlichen

Volkes ist es allenthalben abgesehen: wie kann die Idee anders als unter Berücksichtigung alles dessen ins Leben treten?

Wie kann es eine vernunftmäßige, nicht phan-

eines Knaben, sonder alles Triebwerk gleichen würde, deren Be­ sitzer die Zeit daran nicht lesen, sondern sie bloß nach Gutdünken selbst machen kann?

66 tastische Idee von Staatsverfaffung für Menschen geben,

die nicht auf Angemessenheit zu dem Allen abzielt? Wie wird, da nicht ein Menschen-Individuum dem andern völlig gleicht, ob sie wohl mit wenigen Ausnahmen dem

allgemeinen Menschentypus sämmtlich entsprechen,

eine

einzige in allen ihren Bestandtheilen und Modificationcn

sich allenthalben gleiche Form und Verfassung für alle

Staaten-Individuen Statt haben können?

Andererseits

aber wird sich eben so wenig läugnen lassen,

gewisse

allgemeine

Verwirklichung

Voraussetzungen gebe,

überhaupt gar nicht

daß es

ohne deren

von der Existenz

eines Staates, geschweige denn von dem Gedanken, der Verfassung desselben die

möglichste Vollkommenheit zu

ertheilen, die Rede seyn kann, daß wir also, wenn unsere Staaten nicht reines Produkt des Zufalls seyn, wenn sie nicht allen gemeinschaftlichen Charakter und allen ver­

nünftigen Zweck verläugnen sollen, von dem Antheile der Idee an ihrer Gründung, Gestaltung, Befestigung und

Vervollkommnung unmöglich loskommen?

Ja wie an­

ders, als unter der Herrschaft der Idee, d. h. der Vor­ stellung dessen, was an und für sich und für den gege­ benen Fall vernünftiger Weise als das Beste zu betrach­

ten ist, wird von den Materialien,

welche Geschichte,

Erfahrung und Herkommen zur Construction und Erhal­ tung eines Staates darbieten,

den können?

Gebrauch gemacht wer­

Und wenn allenthalben der Fortgang un­

sres Geschlechtes zu höherer intcllectueller und morali­ scher Vollkommenheit nach

dem

Maaße,

in welchem

Vernunft das Acußere, Zufällige, Gegebene ihren Zwek-

ken zu unterwerfe» und angemessen zu ordnen weiß, ge­ schätzt werden darf:

wie sollte cs sich denn, wenn von

67 Gründung neuer und von bestimmterer verbesserter Ge­

staltung alter Staatsycrfassungen die Rede ist,

anders

verhalten; wie nicht auch hier das Gegebene, das Her­ kömmliche sich allmählig mehr und mehr— (sprungweise

wäre offenbar selbst vernunftwidrig —) allgemein gülti­

gen Vernunftbegriffen und unwandelbaren Vernunftzwekken fügen müssen? Za wie gewiß ist nicht allen Erschei­ nungen des Weltlaufcs zu Folge abzusehen, daß es im

Fortgänge der Dinge alles Sträubens von Egoismus, Eigensinn und Willkühr dagegen ungeachtet, unumgäng­

lich mehr und mehr so kommen muß!

Mag demnach

die jähe Zertrümmerung eines alten und der eben so jähe Aufbau eines neuen Staatsgebäudes bei allem rationel­ len Vorwande baarer Unsinn gewesen seyn: nicht gerin­

gerer Unsinn würde es doch nun seyn, das alte irratio­ nale Herkommen, das ein volles Menschenalter hindurch

Herkommen zu seyn aufgehört hat, zur abermaligen Ba­ sis

von

Aenderungen

und

neuen

Staatsverfaffung zu machen,

Gestaltungen

einer

d. h. d5ese nach dem ge­

genwärtigen Standpunkte der Dinge in eine völlige Un­

verfassung umzuwandeln! §.

5.

Eine mißliche Frage ist endlich noch die, Wem bei

Gründung neuer oder Umgestaltung,

Verbesserung und

Sicherstellung alter Verfassungen die Initiative gebühre

und auch vorzüglich zusage?

An sich,

— wird man wohl einräumen

Behörde,

oder a priori

müssen — derjenigen

von welcher die erste Anregung,

die oberste

Leitung und Beaufsichtigung aller das gemeine Wesen angehenden Angelegenheiten von Rechtswegen ausgehen

5 *

68 sollte, dem Staate und seinem Beherrscher.

Und Heil

den Ländern, wo man das begriffen, wo man den Zeit­

geist und die Volksansprüche von Seiten der Regierun­

gen in dem Maaße verstanden hat, um, wie es jawohl nicht anders seyn kann und seyn darf,

gewissenhafter

und einsichtsvoller

mit Zuziehung

Volksvertreter,

Staate eine solche Verfassung zu geben,

welche,

dem den

Volksbedürfnissen entsprechend und das Gedeihen eines durch weise Gesetze geregelten Volkslebens fördernd, der regierenden Gewalt zugleich Kraft, Ansehen und Wirksam­

keit sichert!

Nur daß es sich leider der Erfahrung zu

Folge mit wenigen Ausnahmen,

wo Verfassungen zu

Stande kamen und noch kommen, gerade umgekehrt ver­ hält,

diese vom Volksgeiste und dessen Organen

Regenten

abgedrungen,

aufgenöthigt

den

werden mußten.

Schlimm genug, wo es so gekommen ist, und freilich nicht zu verkennen,

daß Regierungen,

die es dahin kommen

ließen, ihren Egoismus, ihre herrschsüchtige Leidenschaft oder ihre Passivität und Unentschlossenheit mit Lähmung ihrer der allgemeinen Ordnung und

dem Staatswohl

so unentbehrlichen Kraft büßen müssen;

indem nun der

nicht löblichere Volksegoismus und die Herrschsucht der Partheienhäupter ihre überwiegende Kraft gegen sie gel­ tend machen,

auch wohl aus höchst gegründetem Miß­

trauen, obschon eben so zweckwidrig, selbst von den bes­

ser denkenden

Urhebern solcher

mittelst Revolution

zu

Stande kommender Verfassungen die Schranken um die Staatsbehörden deshalb so enge gezogen werden, damit aller Versuch um sich greifender Anmaaßungen unmöglich gemacht werde.

schlimm,

Schlimm genug das;

doch nicht so

daß es nicht allmählig in ein besseres Gleis

69 kommen könnte und der Natur der Sache nach, wie Englands

uns

Beispiel

bekräftigt,

— und bei weitem nicht so schlimm,

kommen

müßte

als wenn die

Regenten ihr abgenöthigtes Wort entweder mit offen

barer,

vielleicht von fremder Macht unterstützter Ge­

walt,

oder durch geheimes Anspinnen von Gegenrevo­

lution brechen.

Denn wie? darf das Volk vom Herr­

scher für Eid und Verbindlichkeit, auch wo sie beschrän­

kend und lästig sind, nicht dieselbe Achtung fodcrn, wo­

zu es von ihm in Anspruch genommen wird? oder ist der Besitz einer Krone einen Meineid

nicht beim Fürsten,

werth?

Stand

sie unter Bedingungen,

es

die ihre

Würde unausbleiblich untergraben und ihren heilsamen

Gebrauch unmöglich machen, ist nicht,

gefehlt hat, das,

von sich zu weisen,

und

wenn hierzu die erforderliche Entschlossenheit

das einzige noch zulässige Auskunftmittel

den Weg der ganz geraden Ehrlichkeit zu gehen

und es bei der nun einmal erzwungenen konstitutionellen

Passivität darauf ankommen zu lassen,

daß die Noth

des Staates und mittelbar zuverlässig auch des Volks selbst die ungeschickten Staatskünstler von ihrem Rech-

nungsfehlcr belehre und diese nun selbst die Regierung, ihre Zügel straffer zu fassen,

berechtigen?

dagegen bei

offenbaren oder geheimen Machinationen des Fürsten ge­ gen die eingegangene Verbindlichkeit ein Bruch des ge­

genseitigen Zutrauens, ein mehr oder weniger offenbarer

und blutiger Krieg*) der regierenden Gewalt mit den Volksvertretern unvermeidlich ist,

*) Das Alles

und bevor Alles zu

ist mehrere Jahre vor dem letzten Sturze der

Bourbons in Frankreich geschrieben.

70 Ordnung und Gleichgewicht zurückkehrt, Zerstörung des

gemeine» Wesens

vollendet

meisten Regenten

Kaum ist übrigens den trauen,

nicht selten die

schon

selbst

ist.

zuzu­

daß ihnen das Einleuchtende dieses Zusammen­

hanges entgehen oder daß er von ihnen so unbeachtet

bleiben würde, wenn fie die Bedürfnisse, die Ansprüche, das Leben des Volkes mehr aus eigener Anschauung,

als durch die von Günstlingen, Ministern, Priestern und dem

Adel

hohen

ihnen

vorgehaltenen

Brillen

kennen

lernten, und wenn nicht für diese der Reiz unterdrücken­ der Privilegien

so

anziehend,

das Glück

despotischer

Willkühr so groß,

die Seligkeit des Alleinregierens so

unentbehrlich wäre,

daß das wahre Interesse des Re­

genten dagegen in keinen Betracht gezogen, nicht selten dieser

wird;

allen

Gefahren

empörter Volkswuch

bloßgestellt

wogegen er um seiner Rettung willen auch nicht

selten sie der ochlokratischen Erbitterung zum Opfer oder einem Ausschuß von Richtern,

im voraus entschieden ist,

muß.

bei denen ihr Schicksal

zur Derurtheilung überlasse»

Was ist die Fabel der Alten von der Caffandra

doch anders,

als eine Allegorie auf die Geschichte und

auf das, was ihre Belehrungen zu allen Zeiten zu wir­

ken pflegen?

Fünftes Kapitel. Wie aus des Volkes Jnnermheraus düs Leben

desselben sich bilden müsse und könne. Sofort als wir den Begriff Volk in schärfcrn Um­ rissen und bestimmterer Abgeschlossenheit faßten und ihm

in letzterer den eines eigenthümlichen Lebens beigeselltcn,

70 Ordnung und Gleichgewicht zurückkehrt, Zerstörung des

gemeine» Wesens

vollendet

meisten Regenten

Kaum ist übrigens den trauen,

nicht selten die

schon

selbst

ist.

zuzu­

daß ihnen das Einleuchtende dieses Zusammen­

hanges entgehen oder daß er von ihnen so unbeachtet

bleiben würde, wenn fie die Bedürfnisse, die Ansprüche, das Leben des Volkes mehr aus eigener Anschauung,

als durch die von Günstlingen, Ministern, Priestern und dem

Adel

hohen

ihnen

vorgehaltenen

Brillen

kennen

lernten, und wenn nicht für diese der Reiz unterdrücken­ der Privilegien

so

anziehend,

das Glück

despotischer

Willkühr so groß,

die Seligkeit des Alleinregierens so

unentbehrlich wäre,

daß das wahre Interesse des Re­

genten dagegen in keinen Betracht gezogen, nicht selten dieser

wird;

allen

Gefahren

empörter Volkswuch

bloßgestellt

wogegen er um seiner Rettung willen auch nicht

selten sie der ochlokratischen Erbitterung zum Opfer oder einem Ausschuß von Richtern,

im voraus entschieden ist,

muß.

bei denen ihr Schicksal

zur Derurtheilung überlasse»

Was ist die Fabel der Alten von der Caffandra

doch anders,

als eine Allegorie auf die Geschichte und

auf das, was ihre Belehrungen zu allen Zeiten zu wir­

ken pflegen?

Fünftes Kapitel. Wie aus des Volkes Jnnermheraus düs Leben

desselben sich bilden müsse und könne. Sofort als wir den Begriff Volk in schärfcrn Um­ rissen und bestimmterer Abgeschlossenheit faßten und ihm

in letzterer den eines eigenthümlichen Lebens beigeselltcn,

71 bat er mit dem Begriffe Staat, durch welchen eben feine Abgeschlossenheit sein für sich Bestehen, als eines Individuellen und Ganzen bewirkt und begränzt ward, in Verbindung, in Gegensatz, ja sogar in unausbleiblichen Conflict treten müssen, der nicht anders ausgeglichen und wobei die Regsamkeit des Volkslebens nicht anders gerettet werden konnte, als wiefern eine gewisse, beiden dem Volke wie dem Staate, gleichmäßig zusagende Verfassung des letzter» als Grundlage des zwischen beiden bestehen­ den Verhältnisses festgestellt und durch Volksvertreter so gut wie durch Staatsbehörden aufrecht erhalten ward. Wollen wir nun aber die fortdauernde und der Idee entsprechende Existenz des Volkslebens eben unter diesen Bedingungen und auf dieser Grundlage begreifen und für gesichert achten können: so müssen wir zu den ur­ sprünglich am Volk und dessen Leben sich offenbarenden Erscheinungen, jedoch unter steter Beziehung auf die in unsern bisherigen Betrachtungen festgestellten Gesichts­ punkte zurückgehen. Das Volk als ein Ganzes, wie­ fern es einem Staate angehört und wiefern ein Staat ihm angehört, soll seiner selbst wahrnehmen, d. h. zuse­ hen und schaffen, daß sein Gesammtintereffe und das Interesse der vereinigt ihm angehörigen Individuen, wie beides rechtlichen Bedingungen gemäß ist, immer der Zweck sowohl der innern als der äußern Staatsverwal­ tung bleibe, die letztere durch jenes in ihren Maaßregeln bedingt werde. Das mit allen hier in Betracht kom­ menden und oben wiederholt dargelegten Rücksichten ist die höchste Stufe, de,r eigentliche Mittelpunkt seines Le­ bens. In gebührender Ordnung und so, daß es nicht theils sich selbst zerrütte, theils auf die Zerstörung des

72 Staates hinarbeite, kann indessen, wie wir gesehen ha­ ben, auf dieser Stufe das Volksleben zunächst und un­ mittelbar sich nicht anders als mittelst verfassungsmä­

ßiger Vertretung äußern.

Wird es nun aber,

dahin

sublimert und dazu concentrirt, seinen Namen behaupten, wird es etwas mehr als bloß Scheinbares (fabulaeque

manee) seyn,

wenn nicht die Masse des Volkes der

Heerd und der Brennstoff bleibt, von woraus die in jene

Spitze auslavfende und nach jenem Ziele hinwirkende Flamme fortwährend ohne Bilder: selbst,

ihre Nahrung

wird das Volk,

empfängt?

oder

unbekümmert um sich

die Sorge für seine Rechte

und Angelegenhei­

ten nur seinen verfassungsmäßigen Vertretern überlasse« können und dürfen?

Nein! diese sind nur etwas, wie­

fern sie Männer des Volkes sind und in dem sich selbst und seine Zwecke und seine Schranken richtig erkennen­

den und beachtenden Volksgeiste handeln; und das Volk selbst ist nur etwas, wiefern in ihm Gefühl seiner eigen­

thümlichen Existenz, Sinn für seine Rechte, seine Ehre,

seine Bedürfnisse sowohl seinen Regierungsbehörden,

ja

seinen eigenen Vertretern als auswärtigen Völkern und Staaten gegenüber,

mit einem Worte politischer Sinn

vorhanden ist, der diesen Vertretern und Bevollmächtig­

ten zur Triebfeder und Richtschnur ihres Wirkens und Gegenwirkens dienen kann.

Das setzt aber voraus, daß

das Volksleben nach seiner primitiven Bedeutung sich in möglichst ungestörter Regsamkeit befinde, das heißt, daß

abgesehen von allen politischen, ja überhaupt von allen ir­ gend bestimmten Zwecken,

eine möglichst ungezwungene

und ungehemmte Willkühr gegenseitiger öffentlicher Mit­ theilung zwischen den sämmtlichen Dolksangehörigen Statt

73 habe. Also nicht aller Orten sogleich der Schnürleib der Polizei zusammt den ihr vorangehenden Verboten und den ihr nachhinkcnden Strafen bei der Hand, wo das vielköpfige Wesen, Volk genannt, fich geltend und, wie es nun einmal nicht anders kann, sich auch laut macht! So wenig um des Staates, ja um des Vol­ kes selbst willen alle Ausgelassenheiten, die hier vorkom­ men, geduldet werden müssen: so wenig wird die Sorge, Verletzungen des individuellen Rechts, Störniffe der öf­ fentlichen Ordnung und Sicherheit, ja wie billig auch grobe Anstöße gegen die Sittlichkeit vom öffentlichen Le­ ben entfernt zu halten, bis zu einem solchen Zwange, der allen dergleichen Unfug physisch unmöglich macht, dagegen aber die moralische Unmöglichkeit desselben ganz unbeachtet läßt, also bis zur Unterdrückung des öffent­ lichen Lebens selbst gehen dürfen. Behaupten wir in­ dessen, daß aus dem Innern des Volkes selbst, sein Le­ ben sich bilden solle, so nehmen wir das begreiflicher Weise in keinem andern Sinne, als da Statt hat, wo von Erziehung des einzelnen Menschen die Rede ist. Es leidet keinen Zweifel, daß sie dann am besten von Stat­ ten geht, wann der Zögling sich selbst zieht, daß eben nichts anders als das für ihre höchste Vollkommenheit zeugt, daß, wo sich hiervon durchaus gar nichts spüren laßt, ihr Zweck für gänzlich verfehle zu achten ist. Eben so ausgemacht bleibt aber auch das, daß Trieb und Leitung, sich aus sich selbst gcsetz- und zweckmäßig zu entwickeln, da wo diese Entwickelung noch erst erfolgen soll, und wo überdem manuichfaltige Störnisse und An­ fechtungen derselben zu befürchten sind, von außen her nicht fehlen darf. Sein eigener Erzieher zum gesunden,

74 kernhaften, dabei aber geordneten und gegen die Gefahr der Selbstzerstörung gesicherten Leben,

genthümlich wünschen,

das wir ihm ei­

wird also das Volk,

ihm Erziehung Noth thut,

während

für sich allein nicht werden

können, und da ihm diese wegen so viel roher Bestand­

theile, die ihm auch,

nachdem es zu einer merklichen

Bildungsstufe fortgeschritten bleiben,

ist,

unablässig zugemischt

immerfort Noth thun wird,

der Führer und

Aufseher, die sich, um in ihm ein gedeihliches Leben zu

gestalten, seiner annehmen,

nimmer entrathen können.

Hier treten wir nun den Fragen entgegen:

1) Wer

soll die Erziehung des Volkes anregen,

be­

aufsichtigen und bis zu dem Punkte, wo sie sich aus ihm selbst fördert, leiten? 2) zu wel­ chem Endzwecke und 3) nach welchen Princi­

pien —? — Fragen, nach deren Beantwortung wir dann mit sicherem Schritte zur Darstellung eines Volks­

lebens in seiner harmonisch abgeschlossenen Idee — endlich aber zur Erforschung des Wesent­ lichsten,

was auf das Volksleben eine nähere oder

entferntere Beziehung hat, worin es sich offenbaret, was

seine Regsamkeit hemmt oder fördert, und thue es dieß

oder jenes, dasselbe seiner Idee näher bringt oder davon entfernt, fortgehen können.

§. Des

1.

Volks Erzieher.

Sie sind nicht, wie die des Individuums, der Zeit

nach früher, als dieses, dagewescn; sie gehören mittel­

bar und unmittelbar dem Volke selbst an und sind mit wenigen,

keiner besondern Berücksichtigung bedürftigen

75 Ausnahmen aus ihm selbst hervorgegangen.

Sie aber

sind es, in denen, der Voraussetzung nach, die Idee ei­ ner Erziehung des Volkes zum normalen und gesunden Leben zuerst und früher als sich von diesem denken läßt,

hervorgekeimt ist und die man demnach vor irgend An­ dern für berufen und geschickt, chen, wird achten dürfen.

jene Idee zu verwirkli­

Wo sonst als unter denen,

die den Staat regieren und unter den Gebildeten des Volks, seyen es nun solche,

die einst auf Staatsämter

Anspruch machen oder eigenthümlich des Volks Angele­

genheiten vorgesetzt sind und dasselbe gegen die Staats­ behörden vertreten, wird man sie zu suchen haben? Dort:

um durch Disciplin,

so weit es für den Staatszweck

nöthig ist oder ihnen nöthig scheint, das Volk zu zügeln — hier:

um ihm zur fortschreitenden Bildung und zu­

nehmendem Wohlstände gegen die Anmaaßungen einer ihre Gränzen

überschreitenden Disciplin

seine

freie Beweg­

lichkeit zu erhalten, dann aber auch durch sie, diese Zucht

selbst, es vor innern Aufreibungen zu sichern» wir uns freilich einen solchen

Ursprung des

Denken gemeinen

Wesens oder einen solchen Uebergang desselben in einen

geordneten Zustand,

wie ihn uns Mythus oder histori­

sche Tradition bei den Griechen von Autochthonen,

die

nicht länger rechtlos und unsicher in ungezügelter Wild­

heit neben einander hinleben wollten, oder von neu aus­ gesandten Colonien schildern: so wird begreiflicher Weise,

weil Volk und Staat so eben erst entstehen und noch so gut als völlig eins sind, hier alles seinem Ursprünge

und seiner Grundlage nach, gänzlich ungeschicden seyn

und fürs erste ohne die Idee einer nöthigen und mögli­ chen Trennung auch vielleicht auf längere Frist hinaus-

76 bleiben.

Minos, Theseus,

Solon,

Zalenkus,

Lykurg,

Moses, Drakon,

Charoudas und welche Gesetzgeber

das frühe Alterthum uns nennt — für Volk und Staat und in des Volkes sowohl als in des Staates Namen

haben sie zugleich gewirkt und an des Volkes Entwil-

derung,

an seiner Bildung zum geordneten Leben und

Erhaltung in demselben gearbeitet.

Hiermit stimmt auch

der Charakter jener Gesetzgebungen selbst überein.

Sie

beschränkend sich durchaus nicht auf das, was der Bür­

ger dem Staate oder was er seines Gleichen als Staats­ angehörigen um des Staates willen negativ und positiv schuldig ist, beziehen sich vielfältig auf Gegenstände, die

den Staat wenig oder gar nicht, wohl aber das eigen­

thümliche Leben des Volkes und des Individuums un­ ter dem Volke angehen und enthalten bei weitem mehr

einen Sittencodex, als was man etwa gegenwärtig von

dergleichen erwarten dürfte, Rechtsgesetzen.

eine bloße Sammlung von

Deutlich genug zeigen sich hiervon die

Spuren selbst in dem noch heutiges Tages wenigstens subsidiarisch gültigen römischen, deutschen und sogenann­ ten gemeinen Rechte, vornehmlich was Gerichtsgebrauch

und förmliches Recht anlangt.

Wie hätte es auch zur

Zeit des Entstehens jener frühesten Gesetzgebungen,

wo

Staat und Volk noch so gänzlich in einander aufgingen

anders

und gemeinschaftlich ihre Existenz begründeten, seyn können,

ja Behufs beider anders seyn dürfen?

Wie laßt sich selbst noch heutiges Tages da, wie unlängst in Südamerika,

wo sich,

durch Losreißen der Co­

lonien von der Regierung und de» äußerlichen Dcrhält-

niffen ihres Mutterlandes neue Staaten bilden,

näm­

lich wo Klugheit und Tapferkeit eines Einzelnen dazu

77 den Anstoß giebt und dabei das Beste thut, etwas An­ deres, als dem Analoges erwarten? Der Unternehmer und Vollfiihrer des Werkes ist wenigstens auf der ersten Strecke seiner Laufbahn in gleichem Grade der Mann des Volkes, wie des Staates, der sich so eben unter jenem und für jenes bildet; und eine Menge von Insti­ tutionen, mit denen er das Werk einer neuen Gesetzgebnng beginnt oder unter seinen Augen beginnen laßt, werden nicht minder die Aufregung und Erziehung des Volks zum eigenthümlichen kräftigen Leben, als die äu­ ßere Sicherheit und innere Ordnung des Staates zum Zielpunkte nehmen müssen. Anders verhält es sich in dem größten Theile un­ serer so eben jetzt bestehenden und an der allgemeinen Civilisation des Zeitalters irgend einigen Antheil neh­ menden Staaten, sey es nun in ihnen bereits zu einer bestimmten Constitution gediehen, oder werde diese noch erst erwartet und sey sie bis jetzt nur dunkel im Her­ kommen und einer Art gebräuchlichem Mechanismus vor­ ausgesetzt. Wie viel oder wie wenig auch die Staats­ behörde sich für das Volk interessirt; aus wie hohem oder niedrigem Gesichtspunkte sie das ihm eigenthümli­ che Leben, das sie auf keinen Fall ganz unterdrücken kann, betrachtet; wie weite oder wie enge Gränzen, sie ihm einräumt; wie großes oder geringes Interesse sie ihm an ihren eigenthümlichen Angelegenheiten zu nehmen und zu offenbaren gestattet: für sich selbst und durch von ihr angestellte Beamte wird sie mit dem Geschaffte, des Volkes Leben zu leiten und zu ordnen, geschweige, denn es zu erziehen, und zu veredeln nimmer zu Stande kommen, sondern die Werkzeuge, die Tonangeber dazu

78 flch unter dem Volke selbst,

in der Mitte des eigentli­

chen Bürgerthums suchen und diesen dabei das Hauptge-

schäfft überlassen müssen, was diese freilich auch nur un­ ter dem Schutze des Staates und im Einverständnisse mit ihm ohne desselben Gefährde zu treiben im Stande

Hat nun namentlich eine vernünftige der Zeit und

sind.

Oertlichkeit

angemessene

die

Constitution

zwischen Staat und Volk gebührend geregelt

Verhältnisse und beide

in eine ihnen gegenseitig gedeihliche Berührung gebracht: so werden Staatsbehörden und Volksvertreter nicht nur

kein wichtigeres, sondern auch kein erfreulicheres und in

Wahrheit gemüthlicheres Geschäfft kennen, als sich über

der

alles

möglichst besten Verfassung des Volkslebens

Förderliche zu verständigen und in der Mitwirkung dazu,

vornehmlich aber in dem Zwecke, wozu das Volk erzogen

und in ihm ein eigenthümliches Leben erregt und erhal­ zu vereinigen, und so haben wir denn

te» werden soll,

vor allen Dingen 2.

8.

nach dem Endzwecke, wozu das Volk erzogen werden soll, zu fragen.

Worte

Humanität

nennen

dürfen,

wird man ihn mit

ein

Gehalt und weitem Umfange,

am

sichersten

und

dem wir auf die

keit

und

Begriff

einem

wichtigem

den wir uns vielleicht

fruchtbarsten

hauptsächlichsten

Abgeschlossenheit

von

davon

verdeutlichen, in

in­

ihrer Einseitig­

abweichenden

Ten­

denzen nicht nur des Geistes der Regierungen, sondern

des Volksgcistes selbst Panem

von

et

jeher

Häupter,

unsere

circenses —

nicht

nur

Aufmerksamkeit

mit dieser Maaßregel

Demokraten -

richten.

haben

und Aristokraten -

sondern auch Alleinherrscher sinnlich reizbare,

79 mehr dem Genusse und der Schaulust ergebene, als zur Industrie geneigte Völker nach ihren Zwecken zu leiten gesucht. — Hat das nun und sowohl bei den erstem als meistentheils bei den letztem die Haupttendenz, daß das Volk um jene Zwecke sich gar nicht bekümmern und von Staatsangelegenheiten und Verwaltung keine Kenntniß nehmen soll, und gelingt es damit in dem Maaße, daß, sich gut und wohlfeil, ja wo es seyn kann, umsonst satt zu essen und zu trinken und von einem Spectakel und Sinnenkitzel zum andern zu rennen, für männiglich die Hauptsorge, den eigentlichen Charakter des Volkslebens ausmacht: so ist bei alle« übrigen schönen Eigenschaften eines so geleiteten und in eine solche Weise eingewohnten Volkes für die Fortschritte seiner Intelli­ genz und höhern Cultur, so wie für die Stufe der Ach­ tung, die es auswärts finden wird, etwas Vorzügliches wohl nicht zu hoffen. Nicht verkümmern soll man ihm eine frohe Lebensbehaglichkeit, wohl aber daß sie ihm nicht das Höchste, was es kennt und anstrebt, bleibe, wünschen. Zu bemerken ist übrigens hierbei noch das, daß sich hier Alles in steter Wechselwirkung dreht. Ist im Volke wenig Beweglichkeit und Rührbarkeit für die Angelegenheiten des gemeinen Wesens, bei desto mehr materieller Genußlust und Bedürftigkeit: so nimmt seine Regierung, wie sie fast nicht anders kann, den so eben bezeichneten Charakter an — und — hat sie denselben, ist sie darin eingewohnt: so wird ihr wahrscheinlich nichts mehr am Herzen liegen, als ihrer eigenen Bequemlichkeit halber das Volk in dieser behaglich passiven Verfassung zu erhalten. Mit dem Namen der großen Nation wollte sich vor

80 einigen Jahrzchcndcn das fränkische Volk im Ransche sei­ ner Siege ausschließend bezeichnet wissen: und dieses Volkes Leben schien eine Zeitlang in dem alleinigen Stre­ ben immer iveiter um sich greifender und Alles unterjo­ chender Vergrößerung aufzugehen. So, materiell, durch rastloses Vorrücken seiner Gränzen; so, geistiger Weise, durch Aufnöthigen seiner Gesetze, seiner Einrichtungen, seines Geschmackes, seiner Sitten allenthalben, wo mit ihm die mindeste Berührung, was eben so viel hieß, als die lästigste Abhängigkeit von ihm Statt fand. Vom Volksgeiste hatte Napoleon dieß Princip geerbt und durch ihn war es fortdauernd Volksgeist, Princip des Volks­ lebens, worin sich ein neues und schlimmeres Römerthum, als man je eins gekannt hatte, angekündigt fand, geworden und geblieben. Heil dem ohnedies schon hin­ reichend mächtigen und reich begabten Volke, daß es zur Nüchternheit zurückgekehrt und von einer Verirrung zu­ rückgekommen ist, wobei es Alles außer sich hätte zer­ trümmern und zuletzt unausbleiblich sich selbst unter die­ sen Trümmern hätte begraben sehen müssen! Unmöglich kann Volkscrziehung den Zweck haben, dem Volksleben diese Richtung zu geben. Unmöglich kann das Volk sich für diese Richtung dem Staate zu opfern und dieser es so zur eigenen Zerstörung zu mißbrauchen bestimmt seyn. Nicht besser, vielmehr für das Ganze des Charak­ ters noch verderblicher finden wir's, wo das Uebcrgewicht der Nation, nicht sowohl an Landesumfang, Volks­ masse und gesetzgebendem Ansehen, als vielmehr an Reich­ thum, der sich durch erzwungenes Monopol die ganze Welt zinsbar zu machen und zu erhalten weiß, den Geist des Volkes und seines Lebens aufregt, modificirt und

81 sich unterthäuig macht.

Denn wie groß auch immer die

durch alle Volksclaffen und Individuen verbreitete Rührig­ keit, Betriebsamkeit und Thatkraft seyn mag—wovon schon

früher Holland und noch früher Genua, Venedig und die

Hansa und im Alterthume Phönicien und Karthago zum Belege dienen können — und mit welchem Eifer, mit

welcher Consequenz und für das gemeine Wesen sich auf­

opfernden Beharrlichkeit auch Staatsmänner da das an­ genommene System durchsetzen und wie brauchbare Werk­

zeuge sie auch ohne Mühe für ihre Maaßregeln finden

mögen: virtus post nummos, wird doch immer das Grund­ princip bleiben, von dem Alles ausgrht und dem jeder,

wenn nicht im eigenen, doch in des gemeinen Wesens ver­

meintlichem Interesse zustrebt. wird Alles

gewogen,

nach

Nach seinem Geldpreise mercantilischen Rücksichten

jeder Schritt, wie in der Politik, so im Privatleben ge­

schätzt werden;

und wenn sich der Charakter eines er­

oberungssüchtigen Volkes, so sehr man seine gewaltthä-

tige Zudringlichkeit haßt und fürchtet, denen,

die ihn Haffen,

dem nichts lieb ist,

doch selbst von

durch Züge eines Heroismus,

als was er mit Gewalt durchsetzt,

nicht selten Bewunderung erzwingt: so nimmt das poli­

tische System des Kramer- und Monopolistengeistes da­

gegen in der Regel bei seinen Reactionen zu einer oft an wirkliche Infamie gränzenden") Hinterlist,welche nur tiefe Verachtung und, weil sie dem nachbarlichen Wohl­

stände insgeheim alle Wurzeln abzugraben trachtet, zu-

*) Dabei

wird

übrigens nicht geläugnet,

daß auch unter

Völkern, die ein solcher Geist bezeichnet, in Zeitpunkten der Gefahr ein hohes Maaß kriegerischen Heldenmuthes vorkommen kann.

82 gleich den allcrbittersten Groll der Beeinträchtigten er­ zeugt,

gegen

Auch ist es rin gehäßiger und

seine Zuflucht.

fremde Wohlfahrt scheelsüchtiger Charakter,

der

sich den reichen und unternehmenden, und ein verschmitz­

ter, niederträchtiger,

zu jeder Schlechtheit feilstehender,

der sich den geringen und dürftigen Volksklaffcn von dort

aus und auf diesem Wege mittheilt.

Wie sehr hätte

man doch dem englischen Volke Glück wünschen dürfen, wenn seinem Canning ei«, längeres Leben und dessen Hel­ fer« eine

längere Wirksamkeit

vergönnt gewesen wäre,

um es von jenem bösen Geiste,

der seinem ursprüngli­

chen Charakter vielleicht fremd,

doch nur allzu sehr bei

ihm einheimisch geworden ist,

zu erlösen*)!

Unter

die Früchte, die wir diesem Geiste auch da,

wo er ur­

sprünglich nicht einheimisch ist, verdanken,

gehört auch

das jetzt m den meisten nicht ganz unbedeutende» Staa­

ten so hoch beliebte und treu geflegte Prohibitivsystem, dem man, eingedenk der Smuggel- und Defraudations­ künste, der Bestechlichkeit und des immerwährenden Kriegs der Regierung mit der Contrcbande,

wozu es in einem

furchtbaren Umfange Anlaß gegeben hat, lich wird »achsagen mögen,

wohl schwer­

daß es auf Veredlung des

Volksgeistes und Volkslebens vortheilhaft wirke. *) Viel NM dazu des Landes

insularische Lage und, wie bei

so vielen Küstenvölkern, die Verweisung der Nation auf den Welt­ handel, noch mehr vielleicht die ungleiche Vertheilung des Grund­

eigenthums beigetragen haben;

indem der Conflict einer exorbitant

reichen Aristokratie mit einer geistvollen und lebenskräftigen Volks­ masse ,

die letztere ihr Gegengewicht in pecuniärem Reichthum zu

suchen veranlaßt,

mithin Gelderwerb

als das wichtigste Geschäfft,

dem menschliche Kraft gewidmet werden könne, wöhnt hat.

zu betrachten ge­

83

Gewiß indessen doch nicht schlimmer, als nicht fei« fett schon in Absicht auf beides von der Religion ge­ schehen ist «ad noch geschieht, je nachdem sie auf des Volkes Sitten und Gewähren wirkt und theils Hebel theils Zielpunkt seiner Erziehung wird. Daß wir sie uns hier, wo wir von Verkehrtheiten und Einseitigkeiten der letztem handeln, nicht nach ihrer reinen Idee und in der dieser zustrebenden Vollendung durch das ächte Chri­ stenthum denken, versteht sich von selbst. Nur von dem rein Statutarischen, was wir in den verschiedensten For­ men unter diesem Namen erblicken, ist hier ^die-Rede— und da liegt leider, doch in sehr ungleichem Grade und von gar verschiedenen Seiten, das Geständniß nicht weit: Quantum relligio potuit suadere malorum I — Noch ist ihr Einfluß kaum so schlimm, wo wir sie der Poli­ tik dienend finden, als wo die Politik ihr dienen muß; am allererträglichsten wohl noch und sogar da und dort manches Gute mit sich führend, wo sich für eine gewisse Form ihres Bekenntnisses und ihrer Uebung — mögen beiden auch manche Verkehrtheiten beigemischt seyn — freie, mit irgend einem Sectennamen bezeichnete Vereine bilden. Wie es um des Volkes Charakter, um die Würde seines Lebens, um die Fortschritte seiner In­ telligenz, um die Befestigung und Zunahme seines Wohl­ standes und seiner behaglichen Existenz, um die immit« ten desselben herrschende rechtliche und sittliche Ordnung, endlich selbst um ein erwünschtes Verhältniß desselben im Ganzen und von Seiten seiner einzelnen Zubehorigen zum Staate und dessen Machthabern da stehe, wo die Haupttendenz der Politik die ist, der Religion zu dienen, d. h. eine gewisse äußerliche Form derselben unerschüt6 *

84 terlich zu erhalten,

ihren Dienern und namentlich ihren

höher« Beamten mit der größten Fülle des Reichthums

und des Wohllebens zugleich die entscheidende Stimme bei allen wenigstens das Innere der Staatsverwaltung und das Volksleben angehenden Anordnungen zu sichern. Alles also dem Aristokratismus oder vielmehr Despo­

tismus der Hierarchie zu unterwerfen: darüber bedarf es statt alles Raisonnements nur der ganz schlichten Ver­ weisung auf die neueste Geschichte Spaniens und Por­

tugals und der bis ins Unglaubliche rückgängigen Be­ wegung,

worin

sich jene bejammernswürdigen Völker

dermalen befinden, nachdem sie sich während einer nicht ganz kurzen Epoche des 18ten Jahrhunderts unter ih­

rem Karl III. und Joseph Emanuel ein wenig von der Selbstvernichtung und Landesverödung, zu der sie die

Inquisition und der Jesuitismus seit Jahrhunderten ge­

führt hatten,

zu erholen im Begriff gewesen

Auch ist wohl kein Zweifel,

seiner Gesammtheit sich

waren.

daß das englische Volk in

auf einer

bei

weitem höher»

Stufe der allgemeinen und insbesondere der achten re­ ligiösen Cultur befinden würde,

wenn seine Episcopal-

kirche nicht ein so gar verfaultes und doch im Staate so hoch autorisirtes Wesen wäre, daß nicht selten mini­

sterielle Operationen

und

Parlamentsbeschlüffe

darauf

hingearbeitet haben, ihr Ansehen als das der eigentlichen

Landeskirche zu stützen und die in ihr sanctionirten Miß­

bräuche zu verewigen.

Allgemein bekannt aber ist es,

wie elend es eben in ihrem Gebiete um gewissenhafte Seelsorge und Verwaltung des Prcdigtamts, um Unter­

weisung und Erziehung der Jugend in den ärmer» Volks­

klaffen, um Bändigung der eben da so sehr einheimischen

85 Roheit und Sittenlosigkeit, um Bildung und Anstellung

geschickter Geistlichen zu untergeordneten Aemtern bestellt ist, und wie tief diese Gebrechen durch die Begünstigung,

die sie vom Staate genießt und durch die unter ihren Gliedern, vornehmlich den Geistlichen selbst, so sehr ge­

hemmten Fortschritte zu Hellern theologischen Einsichten

Wurzel geschlagen haben.

Unglaublich sind auch auf

Anlaß ihrer Zudringlichkeit bis in ziemlich späte Zeiten hinab die Dissenters gedrückt und von aller Theilnahme

an Staatsämtern zurückgedrängt worden.

Und doch

haben eben sie «och am wesentlichsten für höhere Volks­

bildung

gewirkt und würden noch bedeutend mehr ge­

wirkt haben,

wenn sich nicht vermöge der von dort

ihnen entgegenstehenden Reaction unter

ihnen so

viel

Hang zur Schwärmerei hervorgethan und sie in so viel

heterogene Secten zerspalten hätte *).

Im Bezirk einer

jeden der letzter» giebt nun freilich das starre Festhalten

am Buchstaben gewisser Dogmen und Gebräuche als dem Abzeichen der Parthei nicht mehr als Alles;

was

denn unausbleiblich dem individuellen Leben sowohl als

der gestimmten Volkssitte einen Charakter von Einför­

migkeit und Einseitigkeit ertheilt,

welcher der wahren

Humanität schwerlich entsprechend seyn

wird;

in dem

Falle aber, wo Fanatismus, Excentricität und eine zu­ letzt wohl allem gesunden Verstände

Hohn sprechende

Verkehrtheit das Ganze durchdringt,

nicht nur einen

*) Welche Zerrüttungen der Staat der vereinigten Niederlande

durch den Kampf der Gomaristen und Arminianer und durch das Anschlüßen jener an das oramsche Haus, um diese zu unterdrükken, erfahren hat, und wie der Volksgeist dadurch verderbt worden ist, darf gleichfalls als bekannt vorausgesetzt werden.

66 durchaus inhumanen, sondern auch völlig antisocialen

und der Staatsautorität verderblichen Charakter mit sich Unvergeßlich sind die Denkmale,

führt.

die sich der

letztere in den Tollheiten der Wiedertäufer und in dem

Verfahren der Puritaner gegen Karl Stuart den ersten gestiftet hat.

Kaum aber ist ebenfalls wohl zu glau­

daß die Wirkungen einer das buchstäbliche Fest­

ben,

halten an gewissen Formeln und die strmge Gebundenheit an gewisse Aeußerlichkeiten zur Hauptsache

Religionsgemeinschaft sätze

und

auf

Glauben,

Sitten ihrer Zugehörigen,

machende«

Leben,

Grund­

dergleichen uns

von den Brüdergemeinden und aus Gembergs Nachrich-, ten über die schottische Nationalkirche von den Presby­

terianern rücksichtlich ihrer Anhänglichkeit an athanasianische,

augustinifche,

nungen bekannt ist,

calvinische und

anselmische Mei­

wie mancherlei auch darin Beifall

verdienen mag, irgend jemand andern, als der für jene

Dogmatik und jenes Ritual in voraus eingenommen ist, allgemein ansprechcn werden.

Zweierlei ist übrigens in

Ansehung dieser auf ein demokratisches Princip gegrün­

deten religiösen Vereine, (in denen sich jedoch,

wie in

jeder andern Demokratie, ein höchst drückender Despotis­

mus nicht selten fühlbar genug macht,) hauptsächlich zu bemerken.

Zuerst: daß sie das streng Ausfchließende und

nicht selten Ruhe Störende,

aber auch mit überwiegen­

der Kraft auf Geist ihrer Angehörigen Einwirkende, was

man ihnen *)

beimißt,

vornehmlich im Kampfe mit

*) Auf die von der katholischen durch die Reformation ausge­

schiedene evangelische Kirchenpartei im Allgemeinen leiden diese Be­ merkungen in sofern keine Anwendung,

als sie sich unter frühem

irgend einer herrschenden Kirche, die fle nicht aufkom­ men lassen will und im Streben sich unter ihrem Drucke empor zu ringen annehmen — und eben so zweitens: daß von jenem Allen das Meiste verschwindet in dem

Maaße, als jener Druck nachläßt, als man sie frei ge­

währen läßt und sie sich offenkundiger, mithin auch un­

gehinderter ausbreiten.

Eine laxere Observanz

bildet

sich da nach gerade der striktem gegenüber; inan begnügt sich, symbolisch zu deuten,

was vorher streng objectiv

genommen ward, und nähert, wie jetzt eine nicht gerin­

ge Zahl von Presbyterianern beweiset,

sich mehr und

mehr der allgemeinen minder statutarischen Denkart der ganzen vernünftigen Welt, wobei es freilich an Reibun­ gen mit der strengern Gegenparthei, die dann auch wohl nicht immer mit Ungrund laxe Observanz in löblichen,

Sitten und Leben inniger berührenden Maximen vorwirft,

nicht fehlen wird. Noch wird man mich an ein Volksleben, das in

Schöpfungen der schönen Kunst und im Gennsse ihrer Werke den Mittelpunkt seines Interesse findet und vor­

nehmlich durch einheimische Religions-Mythen seine An­ regung empfängt, erinnern und fragen, ob nicht eben zu

einem solchen das Volk hauptsächlich erzogen werden solle, damit für Humanität auf ihrer höchsten Stufe als er­ zogen betrachtet werden dürfe.

leuchtend genug,

Es ist aber wohl ein­

daß nur wo mildes Klima,

wo eine

Ergiebigkeit des Bodens, die nie um nöthige Subsistenz

Beitritte mehrerer Fürsten und der Gesammtheit ihrer Völker von

der zuvor allein herrschenden Kirche getrennt hat und wo sie sich bleibend fest setzte, selbst zur herrschenden Kirche geworden ist.

— 68----verlegen werden läßt/ und ein bürgerliches Leben, aller Orten Sclaven dienend entgegen komme»/

dem

gefun­

den wird/ hiervon die Rede seyn kann; auch ist wohl aus allen geschichtlichen Denkmalen so viel klar, daß der Be­ griff reiner Humanität und allseitig veredelter Menschheit darin allein» schlechterdings nicht für erschöpft anzuse-

hen ist.

Sollte es uns nun so viel Mühe machen/ den Be­

griff dieser Humanität, zu der das Volk erzogen, in die sein Leben hinein gebildet werden soll, in seiner Totali­ tät zu gewinnen;

wenn wir ihn aus Allem,

bisher theils als Bedingung,

davon kennen gelernt haben, beschränkt werden kann,

was wir

theils als Bestandtheil

auf deren keines sie aber

ohne daß ihr Wesen dabei zu

Grunde geht, sich gestalten lassen? Helle Einsicht in die

wichtigste» Angelegenheiten, vornehmlich in die geselligen Verhältnisse und ihnen entsprechenden Pflichten und Rechte

des Menschen, ununterbrochen reges Streben nicht nur diese Einsichten zu erhalten,

weitern,

zu berichtigen und zu er­

sondern vornehmlich Sitten und Betragen da­

mit in durchgängige Uebereinstimmung zu bringen, Ehr­

furcht vor Gott und vor jeder von ihm Zeugniß geben­

den Offenbarung und innige Verknüpfung der Religion mit moralischer Rechtschaffenheit,

endlich moralisch ge­

läutertes rind geleitetes Wohlgefallen an jeder Art von Darstellung des Schönen und Bemühen, die Darstellung

seiner selbst der Idee der Schönheit entsprechend, wenig­ stens nicht widersprechend hervortreten zu lassen — das

ist Humanität ihren wesentlichsten Bestandtheilen nach.

Und daß unter einem Volke nicht Bcttclarmuth und Ent­ fremdung der Masse von frohem Lebensgenüsse dem über-

89 mäßigen

Reichthum und der schwelgerischen Ueppigkeit

einiger Wenigen gegenüber stehen, sondern ein allenthalben verbreitetes und durch rege Betriebsamkeit erzeugtes behag­

liches und lebensfrohes Daseyn obwalten, daß es nicht in erniedrigender Abhängigkeit von Fremden leben,

son­

dern sich einer freien, kräftigen und von allen seines Gleichen geachteten Selbstständigkeit erstellen, dafür Sinn

haben und sie zu bewahren wissen müsse — das wird

man wohl als unumgängliche Bedingung davon, daß

unter ihm Humanität erzeugt und austecht erhalten wer­ de, ansehen,

in der harmonischen Verbindung der ge­

nannten Bestandtheile und Bedingungen aber den Inbe­ griff aller Volkshumanität und aller rechten Bildung

dazu erkennen.

§.

3.

Principien der Volkserziehung.

1) Alle« andern voran steht die bekannte Grundre­

gel:

„erst die Bedingung; dann das durch sie

Bedingte." Also 1)vor allenDingen erst essen und leben mit allem Zubehör eines leiblich erträglichen und wo möglich mehr als erträglichen Zustandes;

ehe

an Cultur der Humanität unter den dem Volke angehörcnden Individuen in höhcrm Sinne mit durchgreifen­

dem Ernste gedacht werden kann! Erst jedem einiges Eigene und einige Lust am Eigenen; ehe ihm zu-

gemuthet wird, das Gebot, du sollst nicht stehlen, recht zu begreifen, zu halten und sich mit voller Aufrichtig­

keit dafür zu interessiren!

Erst Sicherstellung auch

des Geringsten vor Willkühr und

Tyrannei

der Mächtigen, ehe der Aberglaube an einen despo-

90 tisch schaltenden Gott, dem frommen, mit Unterwerfung und Gehorsam verknüpften Glauben an einen

gerechten

und

weisen,

gütigen Welturheber und Wcltregenten

Platz machen und der Hierarchie und religiösen Verfolgungswuth das Garaus gemacht werden kann! Erst das Land aus Hayden und öden Wildnissen in la­

chende Fruchtg ürten und Gefilde, in denen auch dem Aermsten eine Scholle, die er sein nennt, nicht fehlt, umgrschaffe«;

ehe er zum Wohlgefallen an irgend

einer Art Kunstwerken und zu eigenen Kunstschöpfungen aufgemuntert wird; ehe Kunstsinn und Liebe des Schö­ nen sich im Volke zu verbreiten die Aufforderung em­ pfangen!

Der Frohnbauer,

der seines Dynasten Park

unentgeltlich fegen und beim Baue

des , hochgräflichen

Schlosses um Gottes willen Handlangerdienste verrichten

muß, wird gewiß zu allerletzt die Schönheiten von beiden

auch nur ahnden, geschweige bewundern und außer dem Schaubcndache,

das

ihn

»othdürftig

vor

Unwettern

schützt, etwas Netteres hcrvorzubringen den Drang em­ pfinden; und dem Fabriksclaven, den sein Herr, der ihn

heute,

wo er sich noch von ihm mästet,

nothdürftig

füttert, morgen verhungern lassen kann, ist es ziemlich

gleichgültig, ob seine Kinder lesen und die zehn Gebote lernen oder nicht.

Sehr wirksam ist demnach gewiß von

der preußischen Regierung durch frcigegcbene Ablöslichkeit, der allen Volkswohlstand so hart drückenden Servituten jeder Art für fortschreitende Bildung des Volks zur Hu­

manität gesorgt, und zwar in einem Gebiete, wo rasch

vorwärts Gehen oft weder möglich ist,

noch gut thut.

Denn vernichtet können freilich die Gerechtsame der Be­

vorrechteten, ohne den Vorwurf des Unrechts von ihrer

91 Seite dulden zu müssen, ohne dem Gerechtigkeitsbegriffe und Gefühle in der gestimmten Volksmasse Gewalt an-

zuthun, endlich ohne eine große Menge von Dienstpflich­

tigen und Leibeigenen fürs erste nahrlos zu machen, mit einem Schlage auch nicht werden. —

Woraus sich nun

freilich ergiebt, daß in solchem Faste die Bedingung auch wieder zum Bedingten werden kann.

Denn wäre in der

Dolksmasse die Intelligenz noch nicht so weit

vorge­

schritten, daß der Leibeigene nicht lieber auf das Recht,

vom Junker kümmerlich ernährt werden zu müssen, Ver­ zicht leistete, als sich in der Freiheit eigenes Geschaffts und Erwerbs und eigener Erweiterung seines Wohlstan­

des beschränkt sähe:

so würde alles Bemühen der Re­

gierung, ihm zum letztem den Ausweg zu eröffnen, ver­ geblich seyn.

So unentbehrlich also zur Erfüllung des

Zweckes der Gebrauch der Mittel,

so nothwendig, daß

fürs erste ein Zweck gefaßt sey, um durch den Gebrauch

dazu aufgefundner tauglicher Mittel zu seiner Erfüllung

zu führen.

So dreht sich hier nun freilich Alles in ei­

nem Cirkel, aus dem wir keinen Ausgang und für Auf­

regung eines der ächten Humanität zustrebenden Volks­

lebens kein Heil als unter der Voraussetzung erblicken, daß von edleren Naturen sowohl aus dem Kreise der

Herrschenden als des Volkes selbst jener Zweck begriffe« und im Namen der großen noch unmündigen Äolksmaffo, was um ihn zu erreichen erfordert wird, gesetzt,

das Volk zu einem Wohlstände,

in Bewegung der ihm für

höhere Bildung Interesse einflößt, hingeleitet, gleichen

Schritts aber auch durch erhöhte Geistescultur für ein

höheres Maaß des felbsterrungenen Wohlstandes die er­ forderliche Reift zu gewinnen angeregt und angeleitet werde.

92 Erst die Bedingung, dann das Bedingte,

also

2) erst

Selbstständigkeit

erhaltung, —

in seiner

Volks

stehenden thig,

dann

und

Stlbst-

Selbstveredlung

des

andern Völkern gegenüber

Individualität!

Nicht durchaus nö­

Sprache,

daß ein einziges, durch Abstammung,

Gesetze und Gerechtsame vereinigtes und von

Sitten,

allen übrigen unterschiedenes Volk einem Staate und dieser Staat ihm angrhöre,

Bildung des

damit die

Volks zur Humanität durch die Selbstständigkeit dessel­ ben möglich gemacht werde.

Das kann auch da gesche­

hen, wo mehrere Länder mit gänzlich verschiedenen Völ­ kern zu einem Staate verknüpft sind, wie Böhmen, Un­

Dalmatien,

garn*),

Tyrol und Oestreich selbst unter

dem Oestreichischen, und eine Unzahl Völkerschaften der

verschiedensten Zungen

unter dem Russischen,

Wales,

Schottland, Irland unter dem Großbritannischen, Nor­

wegen

unter

dem Schwedischen,

Elsaß,

Lothringen,

Flandern und Corstca unter dem Französischen rc.

Sehr

unvollkommen wird indessen, wie Ungarns und Irlands

Beispiel lehrt,

da für die Volksbildung gesorgt seyn,

wo das affiliirte Volk als ein Stiefkind behandelt, und

unter einem mit Selbstständigkeit gung zu den übrigen, bilden,

unverträglichen

schlechtesten da, genossenen

und ächter Vereini­

die den eigentlichen Staatskern Drucke

gehalten

wird;

am

wo mit Vernichtung aller seiner zuvor

Selbstständigkeit

ein

kleineres

Volk

dem

größer», von dem es unterjocht ward und dem es durch *) Hier meistens ohne

vorhergegangenen Eroberungsproceß,

nach dem zum Sprichwort gewordenen Kanon: tu felix Austria nube! —

bella geraut alii,

93 Sitten und Sprache fremd war, fügt wird.

als Anhängsel beige­

Wem schwebt hier nicht Polens, Italiens,

Corsica's rc. Bild vor Augen? mit Grauen der Zeit,

Wer gedenkt nicht noch

wo das napoleonische Frankreich

eine Parcelle Deutschlands nach der

seine

in so viele kleine

die unser gcsammtes,

gespaltenes Volk

Staaten

in

und wer mochte an den bedeutendsten

Provinz machte;

Rückschritten,

andern

ja es im Grunde ganz zu seiner

Polypenarme faßte,

in

Ansehung

des Ganzen,

was man unter dem Namen der Humanität begreift, bei

der Fortdauer dieses trostlosen Zustandes gemacht haben

müßte,

zweifeln?

Kaum daß Jahrhunderte das, was

mittelst solcher Katastrophen verloren geht, wieder auszugleichen vermögen; und nie werden sie, was das Volk an seiner Eigenthümlichkeit,

an seinem Ehrgefühl und

den daraus hervorgehenden Strebungen einbüßt, jemals nie die Spuren der Verwilderung und Ver­

ersetzen,

schlechterung, die namentlich aus der empörten Stim­

mung der Gedrückten und ihrem fruchtlosen Bemühen, ihr Joch abzuschütteln,

entsprangen,

vertilgen können.

Keine heiligere Pflicht also des Staats und seiner Be­

herrscher,

als seine und des Volks Selbstständigkeit zu

bewahren und

gegen

äußere Anfechtungen

zu

retten!

Keine heiligere Pflicht des Volks, als den Staat hierin

zu unterstützen und ihre beiderseitige eigenthümliche Exi­

stenz bis auf den letzten Mann zu behaupten!

Keine

nothwendigere Maaßregel mithin für schwächere Völker und Staaten,

als sich durch die innigste Verbindung

unter einander und das einmüthig behutsamste aber zu­

gleich

unerschrockenste

Benehmen

gegen

übermächtige

Nachbarn wider alle ihre Existenz bedrohende Zudringlich-

04 feiten stets in wehrhaftem Zustande zu erhalten.

Auch

hier aber bedingt sich das eine und das andere wechsel­

seitig:

das Volk muß selbstständig existiren und seiner

fortdauernden Existenz sicher seyn,

um zu höherer Hu­

manität geleitet werden, zu ihr sich selbst bilden zu kön­

nen : es wird sich aber um so gewisser bei seiner Selbst­ ständigkeit zu behaupten streben und zu behaupten wissen,

je weiter es in seiner Humanität vorgeschritten ist, und durch nichts wird der Staat des Volkes Vaterlands­ liebe, seinen Eifer und seine Kraft, sich und ihn bei ei­ ner selbstständigen Existenz zu schützen, mehr entflammen

als,

indem er die Bildung desselben zur

Humanität fördert.

Nie wird es das preußische Volk

und nähren,

Friedrich Wilhelm dem III. vergessen dürfen, welche An­

strengungen

er für die letztere

zur Zeit des härtesten

Druckes und der äußersten Erschöpfung gemacht hat «nd welche Früchte davon für Befreiung von jenem Drucke

zur Reife gekommen sind.

Wird nun auch im Ucbrigcn

durch Beförderung und Auftechthaltung einer möglichst

bequemen Existenz ihrer Untergebenen von der Regierungs­

behörde dafür gesorgt,

daß ihnen allen ihr Vaterland

und der darin gegründete oder dasselbe umschließende *) Staat lieb und werth sey und bleibe: so wird es an

heldenmüthigcr Anstrengung und Aufopferung des Volkes für Erhaltung jenes im Zeitpunkte der Gefahr, aus freiem Triebe hervorgehcn, ♦) Für den Fall,

wo nach oben erwähnter Weise mehrere

Länder und Völkerschaften zu einem Staate gehören,

der Ungar,

die nur

durch heuchlerische Lok-

der Böhme,

in welchem

der Tyroler, der Oestreicher unter sei­

nem recht eigentlichen Vaterlande noch etwas Andres,

vom Staate umschlossene Ganze versteht.

als das

95 jungen aber so wenig angeregt alS durch Despotenbe­ fehl erzwungen werden kann, nicht fehlen.

3) Nur aber eben um deswillen — und dieß ist ein

drittes Princip, das bei der Bildung des Volks und seines Lebens zur Humanität, ja bereits um die Sicher­

stellung seiner Existenz willen nicht angelegentlich genug festgehalten werden

kann— nur kein Antagonis­

mus zwischen Staat undVolk, d. h. kein dem

des einen widerstreitendes Interesse des an­ dern!

Beschränken werden sie sich dießfalls gegenseitig

dürfen und müssen, wie schon öfter berührt worden ist; weil sonst weder ein Staat sowohl gegen seines Gleichen als dem Dolksgewühle gegenüber sich behaupten,

noch

ein Volk in Ordnung und Selbstständigkeit erhalten wer­

den könnte. genseitig,

Vernichten aber würden sie sich zuletzt ge­

wenn gegenseitig von ihnen gefordert würde,

daß das Interesse des einen in dem des andern rein auf­

gehen, d. h. von ihm gänzlich verschlungen werden sollte. Kann man aber wohl so manchen Finanzspeculationcn,

die auf nichts weiter als auf einen gefüllten Staats - oder gar bloßen Privatschatz des Regenten abzielen; kann man so

manchen das Volksmark verzehrenden und das freie le­

bendige Volksverkehr hemmenden Zoll- und Steuerein­ richtungen eine andere als solche Tendenz nachsagen? —

Und wird diese dadurch zu etwas Besserm, daß auf sol­

chem Wege gewisse bevorrechtete Stände und Gewerbsclassen ausschließend begünstigt, damit aber das Volk in

sich selbst entzweiet wird, daß die Hauptmasse desselben sich um einiger Wenigen willen einer verkümmerten Exi­ stenz Preis gegeben und in seinem Lebensgenüsse gekürzt

sehen muß?

Werden alle willkührlichen und überflüßi-

96 gen,

das Privatleben emschnürendcn und belästigenden

Polizeimaaßregeln etwas Anderes als

das

Volk dem

Staate zu entfremden und ihm sein Verhältniß mit dem­ selben zu verleiden vermögen? Werden nicht die im Volke

gegen die ganze Summe solcher Plackereien sich bilden­ den Reactionen, gesetzt auch,

daß sie nicht in Revolu­

tion ausschlagen, dem Staate, wenn er im Augenblicke der Gefahr auf Unterstützung durch Eifer und Kraft des Volkes rechnet, im höchsten Maaße verderblich werden;

was sich schon öfters namentlich da ausgewiesen hat, wo einzelne einem Staate

unterworfene Völkerschaften

das Interesse für ihr besonderes Vaterland von dem für das allgemeine und den Staat,

durch Anlässe der eben

bezeichneten Art aufgereizt, zu sondern die Anwandlung

gefühlt und geltend gemacht haben? —

Nichts Unwür­

digeres und meistentheils auch Kraftloseres, als im Zeit­

punkte schwerer Anfechtungen die allgemeine Vaterlands­

liebe sogenannter treuer Völker in Anspruch zu neh­ men;

wenn man zuvor in gefahrfreien Zeiten Alles um

sie zu ertödten gethan und die Staatsmacht auf Unter­

drückung der Volkskraft und des Dolkswillens gründen zu

können gewähnt hat! — Nichts Treuloseres und Nichts­ würdigeres , als das so oft da Gewesene, nachdem das

Volk Gutmüthigkeit genug gehabt hat, um der ihm ge­

gebenen Verheißungen willen, daß seine Lasten erleichtert und seine Klagen gestillt werden sollen,

jenen Aufforde­

rungen zu folgen, ihm nach entfernter Gefahr lieber Al­

les als das Verheißene zu gewähren,

wo möglich ihm

dann erst ein recht drückendes Joch über den Nacken zu

werfen!

Wie viel besser möchte es aber nicht bei viel

weniger Regicrungskünstelci,

bei einer um Vieles ver-

97 minderten Masse der Staatsdienerschaft,

bei minderer

Aufregung von National - Antipathien durch politische, im Schooße der

Staatsregierungen

entsprungene und

genährte Eifersucht, nm das innere Wohl der Völker,

um ein freundliches Verhältniß derselben zu den Staa­ ten, denen sie angehören und um ein friedliches Verkehr zwischen ihnen selbst unter einander

sichert müßte sich jeder Staat,

stehen!

Wie ge­

der auf solchem Wege

redlich nach solchem Ziele strebt, durch der ihm zubehörigen Völker Liebe und Begeisterung für seinen fortdauern­

den Bestand,

durch aller ihn näher oder entfernter be­

rührenden Staaten und Völker Achtung finden!

Wie

fröhlich müßte nicht die Bildung des ihm unterworfe­ nen Gesammtvolkes zur ächten Humanität, ihm

das

in welcher

letzte und unerschütterlichste Bollwerk

Sicherheit bereitet wäre, von Statten gehen,

Wahrheit der Grundsatz, suprema lex esto,

saius publica,

seiner

wenn in

L e. populi,

die Hauptmaxime seiner Regierung,

wenn Staats- und allgemeines Volksintereffe darin nicht

für getrennt, wenn es als gegenseitig durch einander be­ dingt darin angesehen wäre!

4) Ungehemmt — das

ist

endlich

das

letzte

Princip der Bildung des Volkes und seines Lebens zur

Humanität im

reinen und

vollen

Sinne — unge­

hemmt, aber nicht aufsichtslos sollen die Anstal­ ten für fortschreitende Cultur durch Erziehung, Unter­ weisung, Kunst, Wissenschaft und Religionsübung vom

Staate der Regsamkeit des Volkes selbst überlassen und

empfohlen werden; und diese Aufsicht soll nicht bloß dem Zweckwidrigen und Verderblichen entgegen,

sondern sie

soll auch dahin arbeiten, daß wesentlich Gutes und Heil-

7

98 bringendes nicht unbeachtet bleibe. wache des Rechts,

Nicht nur als Schutz­

daß es nicht durch gefährliche oder

verbrecherische Handlungen der Staats- und Volksge­ nossen gegen einander oder gegen das Ganze des Ver­

eins oder durch Gewaltthätigkeiten von außen verletzt werde, sondern auch als schirmende, Gewähr leistende und

pflegende Kraft aller Zwecke,

die sich gesellschaftlich zn

einem Volke verbundene Menschen von Rechtswegen vor­

setzen dürfen,

sollen,

dann aber auch Pflicht halber vorsetzen

haben wir früher den Staat und seine Reprä­

sentanten kennen gelernt.

Natürlich und schon erwähnt,

daß er Cultur-Anstalten und Förderungsmittcl der ge­

nannten Art, zu deren Gebrauche die ihm unterthänigen Volksgenossen nicht nur das Recht,

Selbstpflicht auf sich haben, Willkühr selbst gründen,

sondern auch die

zwar nicht nach bloßer

geschweige denn seinen mündi­

gen Bürgern ihren Gebrauch aufnöthigen darf,

wohl

aber ihre Gründung, Erhaltung und Vervollkommnung begünstigen, dazu aufmuntern und den Anstoß geben, die

seinem und ihrem eigenen Zwecke entsprechenden autori-

siren, den entgegengesetzten, weigern,

wo nicht die Existenz ver­

doch seine Autorisation versagen und darüber

wachen soll, daß dem Anwuchs seiner Unmündigen we­

der ihr Recht, von den für sie gedeihlichen Gebrauch zn machen,

verkümmert, noch ein widerrechtlicher Zwang,

an solche, die ihnen verderblich seyn müßten,

zu seyn, aufcrlegt werde.

gebunden

Autorisirt werden jene An­

stalten von ihm werden, theils indem er öffentlich seine Zu­ stimmung zn ihrer Begründung erklärt,

theils indem er

den darin Gebildeten Gewerbe, Aemter und Würden in­ nerhalb seines Bezirkes anvertrant oder anznnehmen und

99 zu verwalten erlaubt; nicht autorisirt, indem er sie theils ignorirt,

theils

von

jenen

Befugnissen

Sehr schwierig ist es allerdings,

bleiben,

wo weder der

ausschließt.

hier auf der Linie zu

Geistesentwickelung

freien

im

Volke Gewalt angethan noch einer verkehrten Richtung,

die sie durch verderblichen da und dort her gegebenen Impuls unter den Augen der Regierung trimmt,

mit

nicht zu rechtfertigender Gleichgültigkeit zugesehen wird. Soll es für unbefugt geachtet werden,

daß der Staat

oder sein Oberhaupt*) Lehr - und Erziehungs-rc. Anstalten gründe?

Wer möchte wohl,

daß Friedrich der Weise

nicht die Universität Wittenberg,

daß Moritz nicht die

sächsischen Fürstenschulen gestiftet hätte,

und wer dürfte

wohl verbürgen, daß sie auch ohne dieser Männer Ver­ anstaltung würden seyn gestiftet worden? Soll ihm schlecht­

hin diese Befngniß zngesprochen werden? — Mehrheit eines großen

Würde die

benachbarten Volkes dazu still

schweigen, wenn fein Regent im Namen, unter Autori­ tät (nicht Connivenz) und auf Kosten des Staats ein Jesuiten-Collegium gründete und etwa noch obendrein die andern öffentlichen Lehranstalten unter seine Aufsicht stellte?

Schwerlich wird cs einen andern vollkommen

sichern Ausweg aus diesem Widerspruche geben, als den der Berathung mit einer constitutionellcn

in Landesan-

gclegenheiten zugezogenen Volksrcpräscntation, die, wo

sie existirt, schon darum hier nicht unbcfragt bleiben kann,

weil die Dotation jedes dergleichen vom Staate gcgrün-

*) Beide können uns hier für identisch gelten; indem auch der

vollendetste Despot allgemeine Befehle nicht anders,

präsentant des Staats ausgehen läßt.

denn als Re­

100 beten Instituts nicht füglich anders als vom Volksver-

mögen oder von irgend einem Fond, der zuletzt aus die­ sem geflossen ist, oder über dessen Verwendung das Volk

Auskunft zu fordern berechtigt ist, kann.

genommen werden

Existirt eine solche Repräsentation noch nicht und

kann fie auch für's erste «och nicht geschaffen werden: so wird wenigstens der Zweck derselben erreicht,

wenn

auf des Volkes Wünsche,, Bedürfnisse, Kräfte und Bil­

dungsstufe streng ehrliche Rücksicht genommen wird; wie denn das 4«nz unstreitig von jenen hochverdienten säch­ sischen Fürsten *) bei der Gründling der genannten In­

stitute geschehen ist.

Daß selbst bei den richtigsten An­

sichten gegen den ihnen abgeneigten Volkswillen nicht

durchzudringen ist und auch das Beste den dagegen Ein­ genommenen

nicht augenblicklich

aufgedrungen werden

darf, lehren die Streitigkeiten des Königs der Nieder­ lande mit seinen katholischen Unterthanen über das phi­

losophische Seminar,

welchem indessen, wie verlautet,

nachdem der Zwang, darin studiren zu müssen, aufgeho­

ben ist, erst recht viele zugeströmt sind, die darin **) zu

*) Ob Landtage und Ständebeschlüffe darauf gewirkt haben, weiß ich in diesen» Augenblicke nicht;

daß aber außer den zur

Grundlage genommenen Klostergütern bei Stiftung

der Fürsten?

schulen auch die Landschaft zur Mitwirkung und Mitleidenheit gezo­ gen worden seyn muß,

nicht nur eine,

erhellet daraus,

weil manchen Städten

sondern mehrere Freistellen auf jenen Schulen ver»

liehen worden sind,

mithin sie unstreitig zur Dotation jener An?

stalten einen Fond müssen hergegeben haben.

**) Wie wahr oder wie falsch die Nachricht hiervon in öffentr

lichen Blättern, mag an seinen Ort gestellt bleiben. tend später als das im Text geschriebene,

Was bedeu­

zwischen Belgien und

Holland sich ereignet hat, nachdem in den dazu gesammelten Zun>

101 studiren gewünscht haben. viel:

Ausgemacht ist unstreitig so

keine vom Staate errichtete Culturanstalt, die in

ihrer Beschaffenheit oder in der Form ihrer Errichtung dem Bolksgeiste, wie er sich in einer überwiegenden Ma­ jorität kund thut, widersteht, wird Gedeihen finden und fir wird das um so weniger,

um so mehr eine auffal­

lend geringere, der Regierung aus persönlichen Rückfich­

ten ergebene Minorität ihren Eifer dafür an den Tag

legt und je eigenmächtiger die Staatsbehörde diesem zu Gunsten sie der überwiegenden Mehrzahl aufdringt, je

mehr sie, um dergleichen durchzusetzen, List- -der gar Ge­

walt anwendet.

Traurig, wenn dergleichen, wie jedoch

schwerlich zu fürchten ist, in dem Falle zu Schulden ge­ bracht wird, wo das Absehen der gebietenden Macht in der That auf Beförderung gründlicher Einsichten, freien

Vernunftgebrauchs und gediegener Bildung gerichtet ist!

Empörend und nicht lassend,

selten wirklich Empörung veran­

wen» es die Maaßregeln der Regierung damit

Knechtschaft

geflissentlich

auf Geistesverfinsterung

des Volks,

zu deren Förderung vielleicht die Hefe des

und

Volks selbst aufgeregt wird, anlegen! 8-

4.

Darstellung des Volkslebens in seiner harmenisch abgeschlossenen 2dee.

Dieselbe wird um so kürzer und schmuckloser seyn dürfen,

um so mehr sie jeder,

der den bisherigen We­

der von Frankreich aus der zum Zünden nöthige Funke gefallen war, muß übrigens wohl zum neuen Beleg für die alte Wahrheit dienen, daß in offenbarer Opposition gegen den Volksgcist eine Re»

gierung nicht bestehen kann.

102 trachtungm nachgegangen ist, sich ohne Mühe selbst znsammensetzen kann und auch wohl am liebsten selbst zusammensetzen wird. Sie alle, die sich zu dem Volke rechnen, das wir uns so lebendig und seines Lebens sich freuend vorstellen, denken sich gem und mit heiterm Selbstgefühl als eben dieses Volkes Genossen. Frei und fröhlich und .in eben so ungestörter als unverfänglicher Oeffentlichkeit unterhalten sie unter sich und mit jedem, der als Gast ihrem Treiben zusieht, oder in dasselbe sich einmischt, eine gesellige Gemeinschaft, der kein Standes­ unterschied und keine Rücksicht auf den Staat ihre Un­ gezwungenheit verkümmert. Wie in der Ehe Mann und Weib sich gegenseitig besitzen, nicht letzteres bloßes Besitzthum des erstem seyn kann, dafern Zweck und Wesen dieses Bündnisses nicht im Innersten erschüttert werden sollen, noch weit weniger aber, ohne Alles auf den Kopf zu stellen, die Sache umgekehrt werden darf: so besitzen auch Staat und Volk einander wechselseitig, doch keines das Andere so, daß letzteres auf seine ei­ genthümliche , selbstständige Existenz Verzicht leistete. Das Volk, in seiner Gesammtheit, in irgend besondern Vereinm, die-innerhalb desselben sich bilden mögen, in seinen sämmtlichen einzelnen Zubehörigen, zusammt den Fremdlingen, die zu seinem Thoren aus und ein gehen, ist und wirkt und treibt und genießt, was es, ohne den Staat zu beeinträchtigen, sich selbst aufzureiben und irgend fremden Rechten zu nahe zu trete», sey» und wir­ ken*) und treiben und genießen darf, unter Aufsicht, *) Es versteht sich,

daß es außerdem noch mancherlei giebt,

was von Staatswegen und zunächst um dieses,

zuletzt aber um

Schirm und ungesucht gewährter Genehmigung des Staats;

aber es ist und treibt das an seinem Theile und so, daß nur aufBegehren desselben der Staat sich darein zu mischen und

daran Theil zu nehmen, sich für berechtigt hält. Der Staat besteht in und über dem Volke oder den Völkern,

denen

er aNgehört, ordnet und veranstaltet, was zu ordnen und

zu veranstalten Noth ist, für das Volk und für sich selbst

um des Volkes willen, Verantwortlichkeit

unter dessen Augen und unter

gegen

dasselbe,

sungsmäßiger Theilnehmung

auch unter

verfas-

seiner Abgeordneten; aber

ohne irgend einige Einmengung, ohne irgend eine andere

unmittelbare, als von des Volkes.

ihm selbst gebotene Mitwirkung

So leben beide,

deren Existenz sich wech­

selseitig bedingt, in schöner Eintracht, die um so weni­

ger unterbrochen wird; je weniger der Staat sich in des Volkes kräftiges aber normales Leben irgend einen hem­

menden Eingriff erlaubt;

je gemessener und ruhiger er

aber auchlnnerhalb seiner Schranken

sinne Autorität

handhabt und in seine eigenthümlichen Rechte sich jeden Eingriff verbittet.

Und so wie im ehelichen Leben durch

lebhaften, doch anständigen Wortwechsel das gute Ver­

nehmen keiuesweges unterbrochen, vielmehr gegenseitiges Vertrauen durch

freie

Aeußerung von

des

einen

wie

des andern Meinungen und Ansichten sogar befestigt wird, überdem aber Weiberrath,

wie das Sprichwort sagt,

verachten,

vielmehr für viele Gegen­

keiuesweges

zu

stände des innern Haushaltes von entscheidender Wich-

fein selbst willen dem Volke,

oder dessen besondern Classen

oder

dessen einzelnen Genossen eigenthümlich geboten oder verboten wer­ den kann.

104 tigkeit ist,

endlich wo

vom Vermögen der Frau die

Wirthschaft bestritten werden muß,

sogar von Rechts­

wegen die gewissenhafteste Beachtung fordern darf: wird auch,

wo

Staat und Volk mit

so

einander auf

wahrhaft gutem Fuße stehen, das letztere kraft des ihm

einwohnenden Geistes von des Staats nach allen Rich­ tungen hinaus getroffenen oder fürs erste nur entworfe­ nen und angekündigten Verfügungen nicht nur Kenntniß

nehmen, darüber, vornehmlich wenn es dazu die Kosten

hergeben muß, mit anständiger Freimüthigkeit seine Mei­ nung äußern und üb§r ihm Dunkles auf Wegen, die dazu geeignet sind,

dern es

Aufklärung erwarten dürfen;

son­

wird auch die Unbefangenheit und der Eifer,

womit das geschieht, von der Staatsbehörde gar man«

nichfaltig zum Besten des gemeine» Wesens benutzt, de« Volksgenossen aber nicht nur als Liebe zu ihrem Staate

und dessen Verfassung, sondern nicht minder als Ach­ tung und Zutrauen zu der Persönlichkeit des Regenten

und der Staatsdiener angerechnet werden. Und immer mehr wird sich,

wo im Volke ein sol­

ches Leben rege ist, die Intelligenz für öffentliche Ange­

legenheiten bilden, immer weiter wird sie bis in die un­

tersten Classen herab ihre Strahlen verbreiten,

immer

wirksamer und wohlthätiger auch aller Einseitigkeit die Ansichten,

zu welcher sich Staatsdiener, die nichts als

das sind, so leicht gewöhnen, begegnen, ja wiefern auch diese dem Volke näher stehn und selbst dazu gehören, zu

ihrer Aufklärung über vieles ihr Amt Angehendes gar wesentlich beitragen.

Regierung,

Denn so wie die Popularität der

die aus ihren Grundsätzen gegen das Volk

kein Geheimniß macht und zu machen nöthig hat und

105 die ihre verfassungsmäßig getroffenen Maaßregeln dem­ selben ohne Vorbehalt kund werden läßt, am allerbe­ sten für Berichtigung von des Volkes Einsichten in das Staatswesen Sorge trägt und verkehrten Urtheilen dar­ über unter demselben vorbeugt: so wird auch ein freiet Gedankenaustausch über die öffentlichen Angelegenheiten unter dem Volke, die oft so sehr verkannten und falsch beurtheilten Bedürfnisse desselben am besten zur Kennt­ niß der Regierung großentheils schon durch ihre an je­ nem Austausch theilnehmenden Glieder und Beamten selbst bringen und sie am sichersten auf die Spur der rechten Mittel, ihnen Gnüge zu leisten, führen.

Wichtiges und Wesentliches geschieht in unsern Ta­ gen da, wo es geschehen darf, für diesen Zweck durch die Freiheit der Presse, die ohne Geschrei und Aufsehen den Gedanken eines Einzigen im Nu für Tausende ver­ vielfältigt. Möchte nur nebenbei das lebendige Wort, in welchem die Selbstständigkeit Aller sich treuer bewahrt, und Gedanke aus Gedanken sich ungehemmter entzün­ det, sich für jenen Zweck nicht minder nachdrücklich gel­ tend machen; möchte es mehr beachtet, sorgfältiger her­ vorgelockt und häufiger vernommen; möchte es durch das auf dem Druckbogen versteinte nicht sogar unter­ drückt und zurückgedrängt werden! Was auch bei weitem über die äußere Sicherheit, Ordnung und Beharrlichkeit des Volkszustandes hinaus­ geht, was auf höhere und allseitigere Geistesbildung durch Kunst und Wissenschaft abzielt, was den Men­ schen über seine Pflicht und Bestimmung, über seine Stellung im Universum, über sein Verhältniß zum Ur8 *

10G Heber desselben und über den Einfluß dieser erhabnen Ideen auf seine» Sinn und sein Verhalten jur Selbst­ verständigung und zur Beruhigung zu bringen geeignet ist — nur wo ein recht freies und lebendiges Volksleben herrscht, stellen wir uns vor, daß es Gegenstand des allgemeinen Interesse werden, daß sich die Ansicht da­ von mehr und mehr aufhellen und berichtigen, daß sie tiefer und sicherer ins Leben hineingehen und den Cha­ rakter desselben veredeln werde, und von einem irgend zur Humanität gebildeten Volksleben können wir nichts Geringeres erwarte», als daß es jene Ideen in die größte Klarheit und Wirksamkeit setzen werde. Und unter einem Volke, das seiner selbst so froh, das mit so ungehemmter Selbstthätigkeit unter dem Schirme des Staats für sein behagliches Daseyn, für die Befriedigung seiner Bedürfnisse z« sorgen, diejenigen aber, zu deren Abhülfe höhere Anordnung und concentrirtere Thätigkeit nöthig ist, vom Staate befriedigt zu sehen gewohnt, das in allgemein verbreiteter Intelligenz über seine und seines Staates Angelegenheiten so weit vorgeschritten ist, das sich durch allgemeines Interesse für die heiligsten Ideen und durch freies Bestreben, den­ selben Licht und Fruchtbarkeit zu verschaffen, auf eine solche Stufe von innerer Würde geschwungen hat, — unter einem solchen Volke, sollte man wohl meinen, müßten in Zeitpunkten der Gefahr, die ihm seine theuer­ sten Güter zu zerstören droht, Alle für Einen und Einer für Alle stehen, müßten der Tüchtigen viele, die seine Schaaren zum Kampfe zu führe» und ihre Tapferkeit glücklich zu leiten vermöchten, nicht fehlen, müßte die Wahl des obersten Anführers und Ordners auf keinen

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ander» als den Tüchtigsten falle», müßte dafür, daß jene und dieser zu keiner Zeit fehlten und Schaaren, die der Fahne von Führern, in welche Staat und Volk glei­ ches Vertrauen setzen, zu folgen werth wären, nicht mangelten, zu jeder Zeit gesorgt seyn. Möge einer blühendem Phantasie, als deren ein 66jähriger sich z« erfreuen hat, überlassen bleiben, diese einzelnen hier einander näher gerückten Grundzüge so zu conccntriren, daß sie in ein einziges ächt anschauliches und wahrhaft begeisterndes Bild zusammen fallen! Nach Feststellung solcher allgemeinen Begriffe, Grundsätze und Ansichten, als sich durch unsere bisherigen Betrachtun­ gen gebildet haben, würde sich unsere Aufmerksamkeit nun auf vielerlei Besonderes richten müssen, theils von dem das Leben des Volkes seine eigenthümlichen Modificationcn empfängt, theils was nach Maaßgabe der Beschaffenheit desselben sich verschiedentlich modificirt findet. Klima, Staats - und Regierungsverfaffung und deren Beamte, Verhältniß mit andern namentlich in nahe Berührung kommenden Völkern, hauptsächlichste unter dem Volke gangbare Gewerbsarten und Stellung der Gcwcrbtrcibeuden zu den übrigen Volksgenossen, Sitten im Umgänge des Privatlebens, Ton des häus­ lichen Lebens und Geltung des weiblichen Geschlechts, Religion und Art ihrer öffentlichen Uebung, wissen­ schaftliche Anstalten und Mittheilungen, Kunstsinn, Kunstübungen und Leistungen, öffentliche und Privater­ ziehung — das Alles wird für den, welchen das Leben des Volks interessirt und der über die Leitung und Pfle­ ge desselben mit sich einig zu werden bemüht ist, sehr stark in Betracht kommen. Von der Aufnahme, welche

dem, was er im Obigen zu geben gewagt hat, bei des Volkes einsichtsvollen Freunden zu Theil wird und von der Kraft und Muße, die ihm für den Rest seines be­ reits schon so weit vorgerückten Lebens beschert werden dürfte, wird es abhängen, ob er dießfalls wenigstens noch mit einigen Bruchstücken hervortritt. Möchten bes­ ser Unterrichtete und mit frischem Kräften Ausgestattete ihm damit zuvorzukommen und ihn selbst am meisten da­ mit zu erfreuen, nicht verfehlen!