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German Pages 28 [52] Year 1962
WILHELM WEISCHEDEL
D E R ZWIESPALT IM D E N K E N FICHTES
Rede zum 200. Geburtstag Johann Gottlieb Fichtes gehalten am 19. Mai 1962 an der Freien Universität Berlin
W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. / B E R L I N VORMALS G. J. GOSCHEN*SCHE VERLAGSHANDLUNG . J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG • GEORG REIMER . KARL J. TRÜBNER . VEIT ic COMP.
1962
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG D E R ERNST-REUTER-GESELLSCHAFT DER FÖRDERER
UND FREUNDE DER FREIEN UNIVERSITÄT
BERLIN
Archiv-Nr. 36 24 621 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrücklidie Genehmigung des Verlages ist es auch nidit gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. ©
1962 by Walter de Gruyter Sc Co., Berlin "W30 Printed in Germany
Satz und Druck: Thormann & Goetsch, Berlin 44
DER ZWIESPALT IM UNIVERSITÄTSPLAN FICHTES Wenn man in Berlin des 200. Geburtstages Johann Gottlieb Fidites gedenkt, dann liegt es nahe, zunächst von der Bedeutung zu sprechen, die dieser Denker für die Gründung der ersten Berliner Universität gehabt hat. Er hat den ersten grundsätzlichen Entwurf für die Neugründung verfaßt, den 1807 niedergeschriebenen „Deduzierten Plan einer zu Berlin zu errichtenden höhern Lehranstalt". In ihm werden die Idee der Universität und ihre innere und äußere Gestalt aus dem höchsten spekulativen Begriff dessen, was das Wissen überhaupt sein kann, hergeleitet, in einer bewundernswerten Geschlossenheit und Folgerichtigkeit. Zugleich zeugen Fichtes Vorschläge von dem Mut, in der Absage an die Sicherheit des „alten und ausgetretenen Weges" etwas wahrhaft Neues zu gestalten, im „Bewußtsein, daß uns ein großer Moment gegeben ist, der, ungenutzt verstrichen, nicht leicht wiederkehrt". Fichte war auch der erste von der Professorenschaft gewählte Rektor der neuen Universität. In seiner Rede beim Antritt seines Amtes, gehalten am 19. 10. 1811, entwickelt er seine Idee von der Universität in großartiger Weise. „Was also ist die Universität? Die Einsicht in das Wesen derselben gründet sich auf folgende Sätze: Die gesamte Welt ist lediglich dazu da, damit in ihr dargestellt werde das Uberweltliche, die Gottheit; und zwar, damit es dargestellt werde vermittelst besonnener Freiheit. Dieses Uberweltliche zwar offenbaret sich selbst durch sich selbst, und stellt sich dar, wie es ist, dem Vermögen der Freiheit, dem menschlichen Verstände; aber so wie dieser Verstand in sich selbst zu immer höherer Klarheit sich ausbildet, erscheint in ihm fortdauernd jenes Bild des Göttlichen gleichfalls in höherer Klarheit und Reinheit. Der ununterbrochene und stetige Fortschritt der Verstandesbildung unseres Geschlechtes ist darum die ausschließende Bedingung, unter welcher das Uberweltliche, als Muster der Weltbildung, immerfort in neuer und frischer Verklärung heraustreten kann in der Menschheit, und von dieser dargestellt werden kann in der Außenwelt; 3
diese Fortbildung des Verstandes ist das Einzige, durch welches das Menschengeschlecht seine Bestimmung erfüllt, und wodurch jedes Zeitalter seinen Platz sich verdient in der Reihe der Zeitalter. Die Universität aber ist die ausdrücklich für Sicherung der Ununterbrochenheit und Stetigkeit dieses Fortganges getroffene Anstalt, indem sie derjenige Punkt ist, in welchem, mit Besonnenheit und nach einer Regel, jedes Zeitalter seine höchste Verstandesbildung übergibt dem folgenden Zeitalter, damit auch dieses dieselbe vermehre, und in dieser Vermehrung sie übergebe seinem folgenden, und so fort bis an das Ende der Tage. Alles dieses aber lediglich in der Absicht, damit das Göttliche immerfort in frischer Klarheit heraustrete im Menschlichen . . . Ist nun die Universität dies, so ist klar, daß sie die wichtigste Anstalt und das Heiligste ist, was das Menschengeschlecht besitzt. Indem die Mitteilung auf derselben alles, was jemals Göttliches in der Menschheit herausbrach, wenigstens in seinen letzten Folgesätzen aufbehält und weitergibt, lebt in ihr das eigentliche Wesen der Menschheit sein ununterbrochenes, über alle Vergänglichkeit hinweg gesetztes Leben, und die Universität ist die sichtbare Darstellung der Unsterblichkeit unseres Geschlechtes, indem sie nichts wahrhaft Seiendes ersterben läßt: indem über diese Mitteilung hinaus, und in dem zum Inhalte derselben neu hinzutretenden, die Gottheit immerfort sich entwickelt zu einem neuen und frischen Leben, ist in der Universität alle Trennung zwischen dem Überweltlichen und Weltlichen aufgehoben, und sie ist die sichtbare Darstellung der Einheit der Welt, als der Erscheinung Gottes, und Gottes selbst." Größer ist nie über die Universität gedacht worden, als es in diesen begeisterten Worten Fichtes geschieht. Sieht man aber auf die Vorschläge, die Fichte für die konkrete Gestalt der Universität macht, so zeigen sich auch dunkle, ja, bedenkliche Züge. Wie hätte denn die Universität Berlin ausgesehen, wenn sie nach Fichtes „Deduziertem Plan" errichtet worden wäre, und wenn Wilhelm von Humboldt nicht den Schleiermacherschen Gegenentwurf vorgezogen und verwirklicht hätte? Um es in einer schockierenden Formulierung zu sagen: die Universität im Geiste Fichtes hätte einer spirituellen Kadettenanstalt geglichen. 4
Das sollte sidi schon in der äußeren Gestalt des akademischen Lebens ausprägen. Studenten und Professoren sollten eine einheitliche Uniform tragen. Die Studenten sollten gemeinsam wohnen und speisen. Sie sollten alle das gleiche bescheidene Taschengeld erhalten. Sie sollten von der übrigen Welt völlig isoliert werden. Und was ihren Studiengang betrifft, so wollte Fichte ihn aufs genaueste geregelt wissen. Die Studenten sollten „fortdauernd erforscht und in ihrem Gedankengange beobachtet werden". Auch die innere Gestalt der Universität will Fichte streng uniformieren. Diese müsse „nach unfehlbaren Gesetzen" gestaltet werden. Nichts dürfe „dem guten Glücke und blinden Zufalle preisgegeben" werden; alles müsse „unter die Aufsicht des klaren Bewußtseins" gebracht werden. Man dürfe daher die Studierenden nicht „ohne Steuerruder und Kompaß in den verworrenen Ozean" stürzen. Die Menschenbildung müsse vielmehr „aus den Händen des blinden Ohngefähr unter das leuchtende Auge einer besonnenen Kunst" kommen. Kurz: die Universität müsse „eine sorgfältig gepflegte Baumschule" werden. Demgemäß wird alles, was an der Universität geschieht, durch einen einheitlichen Grundplan bestimmt. Die Mitte bildet die Philosophie Fichtes selber, neben der keine andere philosophische Richtung geduldet wird. Es kommt Fichte darauf an, daß es in der Universität „nicht mehr Legionen Geister, die jeder für sich ihr Wesen treiben, sondern nur einen, in seiner Einheit klar zu durchdringenden Geist gibt". Dieser einheitliche philosophische Geist soll sich dann in die einzelnen Wissenschaften hinein entfalten, in denen wiederum alles von jenem Zentrum her aufs genaueste geregelt wird. Die Summe alles Wissens soll schließlich in Grundbüchern niedergelegt werden, die zur unabänderlichen Richtschnur dienen; auf die in ihnen „aufgestellten Grundsätze" müssen wir uns » für uns und unsere Nachkommen, vor Welt und Nachwelt, auf ewig . . . verpflichten". Man sieht: es ist ein gewaltsamer Geist, aus dem Fichtes Universitätsplan erwächst. An die Stelle der Vielfalt miteinander ringender Kräfte, in der Humboldt und Schleiermacher das lebendige Prinzip der Universität erblicken, tritt eine starre Reglemen5
tierung. Und dies ist für Fichte keine Sadie bloßer äußerer Zweckmäßigkeit. Er leitet die Notwendigkeit einer solchen strengen Gestaltung der Universität aus den tiefsten Gründen eines dem Absoluten verpflichteten Denkens ab. „Die Ausführung dieses Begriffes" ist kein Ereignis von bloß zeitlicher Bedeutung; sie ist vielmehr „in Beziehung auf das wissenschaftliche Wesen in der ewigen Zeit dermalen an der Tagesordnung". In seltsamem Widerspruch dazu steht, daß Fichte auf der andern Seite betont, das Wesen der Universität könne sich nur in völliger Freiheit erfüllen. Die Wissenschaft müsse „zum freien . . . Eigentume" werden, sie müsse „ein eigentümlicher Bestandteil unsrer Persönlichkeit und unseres f r e i . . . zu entwickelnden Lebens" werden. Das gelte vor allem für den, der an einer solchen Lehranstalt unterrichte. Die Liebe zu seinem Tun ist „göttlichen Ursprungs und genialischer Natur, und erzeugt sich frei aus sich selber"; sie wurzelt „im Gefühl der Freiheit". Wie aber soll dergleichen in der Atmosphäre einer durchgängigen Reglementierung möglich sein? Kann eine Kadettenanstalt, mag sie auch noch so sehr vom Geiste her bestimmt sein, der Freiheit Raum geben? Fichte läßt die Frage offen. Das aber besagt: durch seinen Universitätsentwurf geht ein tiefer Riß: der unversöhnte Zwiespalt von Zwang und Freiheit. Noch in einer zweiten Hinsicht wirkt Fichtes Plan einer Universitätsgründung befremdlich. Einerseits betont er, es sei der Sinn der Uniiversitätsstudien, das Gelernte „auf die vorkommenden Fälle des Lebens anzuwenden, und es so in Werke zu verwandeln"; es sei demnach „letzter Zweck keineswegs das Wissen, sondern vielmehr die Kunst, das Wissen zu gebrauchen"; „unsere Lehranstalt" soll „keineswegs etwa eine in sich selbst abgeschlossene Welt bilden, sondern soll . . . eingreifen in die wirklich vorhandene Welt". Daher auch sei sein Plan „nicht ein bloßer schöner Traum"; er lasse nämlich „nicht etwa die wirkliche Welt liegen", sondern nehme „durchaus auf sie Rücksicht..., allerdings nicht in der Voraussetzung, daß sie bleiben solle, wie sie sei, sondern daß sie anders werden solle". Und wieder stellt Fichte unter diesem Aspekt die Gründung der Berliner Universität in einen umfassenderen Zusam6
menhang. Sie soll in ihrer Ausrichtung auf die Praxis „die Erneuerung aller menschlichen Verhältnisse vorbereiten und möglich machen", und so „der armen, jetzt in ihrer ganzen Hilflosigkeit dastehenden Menschheit Hilfe und Rettung" bringen. Dieser eindeutigen Orientierung der Wissenschaft und der Universität auf das Leben steht aber entgegen, daß Fichte andererseits fordert, das Wissen müsse um seiner selbst willen gesucht werden. „Dem Gelehrten . . . muß die Wissenschaft nicht Mittel für irgend einen Zweck, sondern sie muß ihm selbst Zweck werden"; er muß „allein in der Idee die Wurzel seines Lebens haben". Wie soll dies beides miteinander vereinbar sein: Wissenschaft, rein um ihrer selbst willen getrieben, und Wissenschaft als Dienst an der Bewältigung der praktischen Aufgaben der menschlichen Gesellschaft? Wieder tut sich ein Riß in Fichtes Universitätsentwurf auf: der Zwiespalt von Ausrichtung auf die Praxis und in sidi ruhender Besinnung. DER ZWIESPALT IM WESEN FICHTES Widersprüchlich sind nicht nur Fichtes Ideen über die Universität. Der Zwiespalt durchgreift sein ganzes Denken. Und er hat seine Wurzel in einer Zwiespältigkeit im Wesen dieses Denkers selber. Immer wird er zwischen den Extremen hin und hergerissen: auf der einen Seite beherrscht ihn ein unbändiger Drang nach Tätigkeit, nach Einwirkung auf das Leben, nach Gestaltung der Welt in die Zukunft hinein; auf der andern Seite erfüllt ihn die Sehnsucht nach einem verborgenen Leben im Geiste, nach Stille, nach Versenkung. In keinem Philosophen ist der Wille zur Wirksamkeit mächtiger ausgebrochen als in Fichte. Er sagt von sich selbst: „Zu einem Gelehrten von Metier habe ich gar kein Geschick; ich mag nicht bloß denken, ich will handeln." „Ich habe große, glühende Projekte. Mein Stolz ist der, meinen Platz in der Menschheit mit Taten zu bezahlen, an meine Existenz in die Ewigkeit hinaus für die Menschheit und die ganze Geisterwelt Folgen zu knüpfen." Darum schleudert er Manifeste, Pamphlete, Aufrufe, Reden hinaus. Darum auch begnügt er sich nidit damit, die Menschen zu überzeugen; er will 7
sie mit Gewalt zu seiner Wahrheit bekehren; als die Zeitgenossen ihn noch immer nicht begreifen wollen, verfaßt er eine Schrift mit dem verwegenen Titel: „Sonnenklarer Bericht, ein Versuch, den Leser zum Verstehen zu zwingen". Mächtig ist auch Fichtes persönliche Wirkung; einer seiner Schüler berichtet davon: „Er spricht nicht eben schön, aber alle seine Worte haben Gewicht und Schwere. Seine Grundsätze sind streng und wenig durch Humanität gemildert. Wird er herausgefordert, so ist er schrecklich. Sein Geist ist ein unruhiger Geist; er dürstet nach Gelegenheit, viel in der Welt zu handeln. Sein öffentlicher Vortrag rauscht daher, wie ein Gewitter, das sich seines Feuers in einzelnen Schlägen entladet. Er erhebt die Seele, er will nicht gute, sondern große Menschen machen. Sein Auge ist strafend, und sein Gang ist trotzig. Er will durch seine Philosophie den Geist des Zeitalters leiten; seine Phantasie ist nicht blühend, aber energisch und mächtig, seine Bilder sind nicht reizend, aber sie sind kühn und groß. Er dringt in die innersten Tiefen seines Gegenstandes ein und schaltet im Reiche der Begriffe mit einer Unbefangenheit umher, welche verrät, daß er in diesem unsichtbaren Lande nicht bloß wohnt, sondern herrscht." Aus solchem herrsdierlichen Willen erwächst die Gewaltsamkeit, mit der Fichte seine Mitwelt behandelt. Er will „Schwerter und Blitze . . . reden". Immer ist Streit um ihn. Widerspruch will er nicht dulden, und wer nicht mit ihm übereinstimmt, den überschüttet er mit zornigen Ausfällen. So ist es nicht verwunderlich, wenn der Jurist Anselm Feuerbach schreibt: „Es ist gefährlich, mit Fichte Händel zu bekommen. Er ist ein unbändiges Tier, das keinen Widerstand verträgt und jeden Feind seines Unsinns für einen Feind seiner Person hält. Ich bin überzeugt, daß er fähig wäre, einen Mahomet zu spielen, wenn noch Mahomets Zeit wäre, und mit Schwert und Zuchthaus seine Wissenschaftslehre einzuführen, wenn sein Katheder ein Königsthron wäre." Doch das ist nur die eine Seite dieses Philosophen. Neben dem gewalttätigen Streiter steht der Mann des stillen und versunkenen Mühens um Einsicht. Wenn er einmal sagt: „Ich habe nur eine Leidenschaft, ein Bedürfnis, ein volles Gefühl meiner selbst: . . . 8
außer mir zu wirken", so spricht er ein andermal von seiner „entschiedenen Liebe zu einem spekulativen Leben". „Die Liebe der Wissenschaft, und ganz besonders die der Spekulation, wenn sie den Menschen einmal ergriffen hat, nimmt ihn so ein, daß er keinen anderen Wunsch übrig behält, als den, sich in Ruhe mit ihr zu beschäftigen." „Und sähe ich ein Leben von Jahrhunderten vor mir, ich wüßte dieselben schon jetzt ganz meiner Neigung gemäß so einzuteilen, daß mir nicht eine Stunde zum Revolutionieren übrig bleiben würde." So kann Fichte, dieser Mann der Tat, denn auch in seltsam ergriffenen Worten von der „Sehnsucht nach dem Ewigen" sprechen: „Dieser Trieb, mit dem Unvergänglichen vereinigt zu werden und zu verschmelzen, ist die innigste Wurzel alles endlichen Daseins . . . ; unaufhörlich umgibt uns das Ewige und bietet sich uns dar, und wir haben nichts weiter zu tun, als dasselbe zu ergreifen." DAS ABSOLUTE ICH Vergegenwärtigt man sich das Wesen dieses Mannes, der so leidenschaftlich zur Tat drängt, und der doch zugleich so sehr dazu neigt, sich in den Gedanken zu verschließen, dann wird man sich nicht wundern, daß sich auch sein Philosophieren in der Spannung zwischen diesen beiden Momenten hält. Wem so entscheidend am Tun liegt, dem muß das Handeln, das tätige Ich, auch im philosophischen Entwurf wichtig werden. Wer auf der andern Seite so innig nach der Versenkung trachtet, dem müssen sich auch die stilleren Geheimnisse der Wirklichkeit erschließen. So steht es in der Tat mit dem Philosophieren Fichtes. Es beginnt mit dem Gedanken der absoluten Tat, und es endet damit, daß das tätige Ich sich in den Abgrund der Gottheit versenkt. Fichte ist zum Philosophieren durch Kant erweckt worden. Und zwar geschah dies, seinem Drang zum Handeln entsprechend, vorab auf dem Gebiet der praktischen Philosophie. Der Gedanke Kants, daß das Wesen des Menschen die Freiheit ist, half Fichte, sich von den Fesseln zu befreien, in die die Uberzeugung von einer durchgängigen Determiniertheit alles Geschehens sein Denken bis dahin geschlagen hatte. „Ich lebe in einer neuen Welt", schreibt er, „seit9
dem ich die Kritik der praktischen Vernunft gelesen h a b e . . . Dinge, von denen ich glaubte, sie könnten mir nie bewiesen werden, z. B. der Begriff einer absoluten Freiheit . . s i n d mir bewiesen . . . Es ist unbegreiflich . . . , welche Kraft uns dieses System gibt!" Kant hatte sich der Wirklichkeit der Freiheit dadurch vergewissert, daß er sie auf eine Erfahrung gründete. Der Mensch steht unter einem unbedingten Anspruch, der sich im Innersten seiner selbst erhebt. Ein solches unbedingtes Beanspruchtsein aber wäre sinnlos, wenn sich der Mensch nicht als frei verstünde. Hier knüpft Fichte an. Auch für ihn ist es die Forderung der Sittlichkeit, die den Gedanken der Freiheit hervorruft. Das Gewissen vergewissert uns dessen, daß wir frei sind. In ihm „ist die Anschauung der Selbsttätigkeit und Freiheit begründet". „Es ist nichts wahrhaft Reelles, Dauerndes, Unvergängliches an mir, als diese beiden Stücke: die Stimme meines Gewissens und mein freier Gehorsam." Gewissen und Freiheit sind daher das einzige eigentlich Wirkliche. Das Gewissen ist für Fichte die letzte Instanz auch im Felde der Wahrheit. In ihm spricht das Idi aus seinem Grunde heraus. Es ist „das unmittelbare Bewußtsein unseres reinen ursprünglichen Ich", „der erste und absolute Gedanke". Das im Gewissen sich bekundende reine Ich aber ist „unser einziges wahres Sein und alles mögliche Sein und alle mögliche Wahrheit". Daher kann der Mensch nicht mehr hinter das Gewissen zurückfragen. „Uber dasselbe hinausgehen wollen, heißt, aus sich selbst herausgehen, sich von sich selbst trennen wollen." Die solcher Art ihrer selbst gewisse Freiheit als das Grundwesen des Menschen wird für Fichte von da an die Idee, um die sein ganzes Denken kreist. Indem er aber ihrem verborgenen Wesen nachdenkt, wird er dazu geführt, sie radikaler und in ursprünglicherer Tiefe zu denken, als dies Kant vermocht hatte. Fichte entdeckt nämlich in Kants Begriff von der Freiheit eine Inkonsequenz. Das Ich wird zwar im Grunde seines Wesens als frei verstanden. Aber Kant sieht es doch zugleich als höchst beschränkt. Das zeigt sich insbesondere da, wo es sich erkennend betätigt. Hier ist das Ich von etwas abhängig, das nicht es selbst ist. Zwar nicht, wie die naive Auffassung meint, von den erscheinenden Dingen, 10
sodaß die Rolle des erkennenden Ich sich darin erschöpfte, die Dinge lediglidi abzubilden. Kant sieht vielmehr: daß mir die Dinge so erscheinen, wie ich sie erblicke, nämlich als raum-zeitliche Substanzen, ist eine in allem Erkennen immer schon von vornherein wirksame, eine rein apriorische Zutat des Subjekts. Aber dieses erschafft die Dinge doch nicht völlig aus seiner Freiheit heraus. Um seine Vorstellungen von Dingen zu bilden, muß es vielmehr von etwas außerhalb seiner affiziert sein: von dem „Ding an sich". Eine solche Beschränkung durch ein für sich bestehendes Ding an sich erscheint Fichte jedoch als unvereinbar mit dem Wesen der Freiheit. Denkt man diese als Grundwesen des Menschen radikal, dann muß alles, was mit dem Ich geschieht, auch sein Erkennen, eine Sache seiner eigenen Spontaneität sein. Der Mensch „soll sich selbst bestimmen und nie durch etwas Fremdes sich bestimmen lassen". Nichts also kann an sich sein, als nur die Freiheit. „Das einige rein Wahre ist meine Selbständigkeit." Aus dem recht verstandenen Begriff der Freiheit heraus kann es somit nicht neben dem Ich noch eine selbständig bestehende Welt der Dinge geben. Der Begriff des „Dinges an sich" ist „die völligste Verdrehung der Vernunft, . . . ein rein unvernünftiger Begriff". Dergleichen anzunehmen, wäre ein „Dogmatismus", in dem „der Selbständigkeit des Dinges die des Ich aufgeopfert" würde; er aber ist unbegründet und unbegründbar, „eine ohnmächtige Behauptung und Versicherung". Die Wahrheit dagegen liegt beim Idealismus, in dem „der Selbständigkeit des Ich die Selbständigkeit des Dinges . . . aufgeopfert" wird, der also zum einzig gewissen Ausgangspunkt das Ich und seine Freiheit macht. Der Streit zwischen Dogmatismus und Idealismus kann freilich nicht in bloß rationaler Argumentation entschieden werden; das sieht auch Fichte. Sich auf die Seite des Idealismus der Freiheit zu schlagen, ist letztlich selber eine Tat der Freiheit. Aber wer in Freiheit unter dem Anruf des Gewissens sich zur Freiheit entschließt, der, so meint Fichte, muß konsequenterweise den Idealismus zu seiner eigensten Denkungsart machen. Hier gilt grundsätzlich: „was für eine Philosophie man wähle, hängt . . . davon 11
ab, was man für ein Mensch ist; denn ein philosophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat." Fichte, der Mann der Tat, zögert keinen Augenblick, welches System er zu wählen habe. Er ergreift mit aller Leidenschaft die Idee des Idealismus, und er denkt sie in all ihren Konsequenzen durch. Sein Grundgedanke ist: wahrhaft seiend ist nur das Ich und seine Freiheit. Daß alle Wirklichkeit, außer der des Ich und seiner Freiheit, in nichts zerrinne, ist eine befremdliche Behauptung. Der Mensch lebt doch im alltäglichen Dasein ganz selbstverständlich in der Annahme einer an sich bestehenden Außenwelt. Das leugnet auch Fichte nicht. Aber die Uberzeugung von der Realität der Außenwelt ist für ihn nicht die Wahrheit, sondern eine bloße, freilich notwendige Voraussetzung, die der existierende Mensch macht, ohne sich dessen bewußt zu sein, daß es bloß eine Voraussetzung ist. Diese These Fichtes bleibt allerdings solange unbefriedigend, als nicht gezeigt wird, wie der Mensch vor allem ausdrücklichen Bewußtsein zur Annahme einer selbständig bestehenden Außenwelt gelangt. Es ist also erforderlich, in die innersten Tiefen des menschlichen Geistes hinabzusteigen. Diesen Versuch einer genealogischen Herleitung des Realitätsbewußtseins aus dem Ich unternimmt Fichte in seiner „Wissenschaftslehre" von 1794, einem Werk, das zum Grundbuch des Deutschen Idealismus geworden ist, und das Friedrich von Schlegel, zusammen mit Goethes „Wilhelm Meister" und mit der französischen Revolution, zu den größten Leistungen des Jahrhunderts rechnet. Fichte geht, dem oben Dargelegten entsprechend, von der für das neuzeitliche Denken charakteristischen Auffassung aus, daß die einzige wirklich standhaltende Gewißheit die Selbstgewißheit ist. „Das einige, was alle Frage nach einem höheren Grunde schlechthin ausschließt, ist dies, daß wir Wir sind; ist die Ichheit in uns." „Das Ich, als das sich ein jeder in seinem Bewußtsein findet, ist das einzig wahrhaft Seiende." 12
Was aber ist das Ich, dieser einzig feste Punkt in der Hinfälligkeit von allem? Es ist kein Etwas, vergleichbar einem Dinge, keine Substanz. Fichte macht den entschlossenen Versuch, die Deutung des Ich der dinglichen Interpretation zu entreißen, wie sie in der metaphysischen Tradition herrscht, und einen eigenständigen Begriff vom Ich und damit vom eigentümlichen Sein des Menschen zu gewinnen. Seine positive These lautet: das Ich ist Selbstbewußtsein und sonst nichts. Wenn ich sage: ich tue dies oder jenes, dann meine ich nicht, es gebe ein Seiendes, genannt Ich, das dann auch noch etwas tut; „ich" bedeutet vielmehr nur, daß ich in meinem Tun das Bewußtsein meiner selbst habe. So kann Fichte sagen: „Das Ich ist nur insofern, inwiefern es sich seiner bewußt ist." Dieses schwer greifbare Selbstbewußtsein also ist für Fichte das einzig Wirkliche; es allein behält im Untergang aller sonstigen Wirklichkeit Bestand. Daher wird es, in einer Radikalisierung des neuzeitlichen Ansatzes, zum unbedingten Ausgangspunkt alles Philosophierens. „Philosophie geht aus von dem Faktum, wir sind uns selbst bewußt, welches nicht kann und nicht braucht bewiesen zu werden." Wenn nun das Ich als Selbstbewußtsein das einzig Reale ist, dann muß in ihm auch der Ursprung alles Realitätsbewußtseins, auch des Bewußtseins der Realität einer Außenwelt liegen. Fichte erweist dies so, daß er zeigt: alle Vermögen des menschlichen Geistes sind in Wahrheit nur Weisen des Selbstbewußtseins. Nicht nur gründen, wie schon Kant sah, Anschauung und Verstand im Ich; auch die Empfindung, die Kant von außen her bestimmt sein ließ, wird auf das Selbstbewußtsein zurückgeführt. Selbst die produktive Einbildungskraft, dieses „wunderbare Vermögen", das das Bild einer Welt schafft und durch das so „alle Realität . . . hervorgebracht" wird, ist nichts anderes als das sich aus sich hinausschauende Selbstbewußtsein. Die Annahme einer an sich bestehenden Welt kommt also dadurch zustande, daß das Ich seine eigene Wirklichkeit — die einzige Wirklichkeit, die es gibt — aus sich hinausschaut, sie so anschaut, als befände sie sich außerhalb seiner selbst. „Du selbst bist durch den innersten Grund deines Wesens . . . vor dich selbst hingestellt, und aus 13
dir selbst herausgeworfen; und alles, was du außer dir erblickst, bist immer du selbst." Der Mensch in seinem faktischen Dasein aber weiß nichts von diesen geheimnisvollen und unbewußten Vorgängen in den Tiefen seines Selbstbewußtseins. Daher faßt er die Welt der Dinge fälschlicherweise als an sich seiend auf. Was das Erzeugnis seiner eigensten Tätigkeit ist, sieht er als eigenständige Wirklichkeit an. In Wahrheit aber gilt, „daß das Bewußtsein eines Dinges außer uns absolut nichts weiter ist, als das Produkt unseres eigenen Vorstellungsvermögens". In diesem Gedanken hat der Philosoph des tätigen Lebens sich selber gefunden. Alle Wirklichkeit wird ihm zur Tat des Selbstbewußtseins. Es gibt nichts, das nicht auf ein inneres Handeln des Ich zurückgeführt werden könnte. „Alles geht aus . . . vom Handeln des Idh. D a s Ich ist das erste Prinzip aller Bewegung, alles Lebens, aller T a t und Begebenheit." Und das heißt: das Ich ist vom Grunde her seiner Welt mächtig, weil es sie selber hervorgebracht hat. D a s ist ein ungeheuerlicher Gedanke, und nur ein Denker von der Gewaltsamkeit des Geistes, wie sie Fichte auszeichnet, konnte ihn denken. Hier ist die Macht des Menschen über die Wirklichkeit, die zu erringen das große Bemühen der Neuzeit ist, auf ihren Gipfel gelangt. Fichte übersteigert diesen Gedanken noch einmal, und zwar dadurch, daß er entdeckt: nicht nur seiner Welt ist das Ich mächtig, sondern auch seiner selbst. D a ß es ist, ist das Ergebnis seines eigenen Tuns. D a s Selbstbewußtsein i s t j a nur, indem es sich vollzieht. N u r indem ich mir tätig meiner selbst bewußt werde, komme ich für mich selber zustande. D a s Ich ist also sein eigenes Produkt. Fichte bezeichnet demgemäß das Wesen des Ich mit dem charakteristischen Ausdruck „Tathandlung". „ D a s Ich . . . ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Tätige, und das, was durch die Tätigkeit hervorgebracht wird; Handlung und T a t sind Eins und ebendasselbe, und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Tathandlung." K o m m t das Ich durch sich selber zustande, so muß es aus einer ursprünglichen Tätigkeit entspringen. Das zeigt sich, wenn man das Wesen des Selbstbewußtseins genauer ins Auge faßt. Dieses voll14
zieht sich als Reflexion auf sich selber: ich werde mir meiner selbst bewußt und wende mich darin gleichsam auf midi selber zurück; das Selbstbewußtsein ist „in sich selbst zurückgehende Tätigkeit". Rüdekehr in sich selber aber setzt voraus, daß das in sich selber Zurückkehrende vorgängig aus sich selber hinausgegangen ist. Ursprünglicher als das Selbstbewußtsein, das sich als Rückkehr in sich selber vollzieht, ist also ein Hinausgehen aus sich selber. Fidite versteht dieses im Ursprung des Selbstbewußtseins waltende Hinausgehen aus sich selber als ein spontanes Tun des Ich, als ein ursprüngliches Wollen. In ihm erblickt er den eigentlichen Ursprung des Ich. „Die Äußerung, welche allein ich mir ursprünglich zuschreibe, ist das Wollen." Es ist das Tiefste im Sein des Menschen, „die innigste Wurzel des Ich". Müßte man aber nun nicht weitergehen und fragen, worin denn dieses Ursprünglichste im Ich seinerseits gründet? Es hätte nahe gelegen, wenn Fidite an diesem Punkte auf die metaphysische Tradition zurückgegriffen und das ursprüngliche Wollen als den geschaffenen Ursprung des Ich verstanden hätte, der in seiner Geschöpflidikeit auf einen Urheber oder auf ein entspringenlassendes Prinzip zurückverweist. Fichte vermeidet diesen Ausweg. Er sagt ausdrücklich: „Das Wollen, als solches, ist ein Erstes, absolut in sich selbst und in nidits außer ihm Gegründetes." Dieser Gedanke ist ihm so wichtig, daß er ihn in immer neuen Formulierungen wiederholt. „Soll ein Vernunftwesen sich als solches setzen, so muß es sich eine Tätigkeit zuschreiben, deren letzter Grund schlechthin in ihm selbst liege." „Das vernünftige Wesen, als solches betrachtet, ist absolut, selbständig, schlechthin der Grund seiner selbst. Es ist ursprünglich, d. h. ohne sein Zutun, schlechthin nichts; was es werden soll, dazu muß es selbst sich machen, durch sein eigenes Tun." Oder, in kürzester Fassung: „Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Sein." Das ist gemeint, wenn Fichte das Ich, und zwar ausdrücklich das menschliche Ich, als in seinem Grunde absolutes Ich bezeichnet. Er sieht das Charakteristische seines philosophischen Entwurfes darin, „daß ein absolutes Ich als schlechthin unbedingt und durch nichts Höheres bestimmbar aufgestellt werde". Die Freiheit in ihrem radi15
kalsten Sinne, als Selbstgründung, ist der innerste Grund des Seins des Menschen. „Wir schreiben uns, so gewiß wir uns unserer selbst bewußt werden, ein absolutes Vermögen der Freiheit zu." Ich bin „absolut freitätig, und darin besteht mein Wesen". Das Ich in seiner Freiheit ist somit das Absolutum schlechthin; es ist der absolute Grund seiner selbst. Die unbeirrbare Konsequenz, mit der Fichte bis zu diesem Punkte vordringt, macht das Großartige im Denken der „Wissenschaftslehre" aus. Das absolute Ich tritt an die Stelle, an der in der überkommenen Metaphysik der absolute Gott steht. Fichte denkt hier — freilich nur für einen Augenblick — im Gegenwurf gegen die gesamte theologisch bestimmte Tradition der Philosophie. Es gibt keinen Gedanken, in dem die Idee der Selbstmächtigkeit des Subjekts, diese innerste Sehnsucht des neuzeitlichen Menschen, gewaltiger zum Ausdruck käme. Es gibt auch keinen Gedanken, der dem innersten Wesen eines sich selbst verstehenden Philosophierens gemäßer wäre. Wenn dieses sich in der Radikalität seines Fragens selber allen Boden weggräbt, auf dem es stehen könnte, dann bleibt ihm nichts, als sich verwegen auf sich selbst zu stellen und die Bodenlosigkeit zum alleinigen Boden zu machen, auf alle Gefahr hin. Fichte hat den Mut, diese äußerste Konsequenz zu ziehen. „Man macht in unserem Systeme sich selbst zum Boden seiner Philosophie, daher kommt sie demjenigen als bodenlos vor, der dies nicht vermag." DIE GRENZEN DES ABSOLUTEN ICH Fichte muß freilich für diese Übersteigerung des menschlichen Ich zum absoluten Ich einen hohen Preis bezahlen. Vor der schrankenlos gewordenen Freiheit des Ich zerschmilzt alle Eigenständigkeit der Wirklichkeit. Die Absolutheit des Ich wirft die Welt in den Untergang. „Alle Realität" ist „durchaus vernichtet, und in einen Traum verwandelt." Die Auflösung dringt aber noch tiefer. Auch das freie Ich, wenn es so absolut gedacht wird, wie Fichte dies tut, wird zum leeren Ich. Außer ihm existiert nichts, weder ein Gott noch ein anderer Mensch noch eine Welt. Es selber existiert in kältester Einsamkeit. Es ist 16
zwar frei. Aber was kann es in einer unwirklich gewordenen Wirklichkeit mit dieser seiner Freiheit anfangen? In der Vernichtung alles Wirklichen zerrinnt dem Ich schließlich auch die eigene Wirklichkeit. Wenn alles, was zu sein scheint, sich in bloße Vorstellung auflöst, kann dann das Ich als Einziges sich diesem Schicksal entziehen? Was hindert den Gedanken, die Aufhebung alles Seins auch auf das Ich anzuwenden? So daß es schließlich zum nur noch Gedachten wird, „eine bloße Erdichtung", geschaffen von dem Verstand, dem „spielenden und leeren Bildner von Nichts und zu Nichts". Fichte zieht selber diese Konsequenz. „Ich weiß überall von keinem Sein, und auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Sein. — Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder; — Bilder, die vorüberschweben, ohne daß etwas sei, dem sie vorüberschweben; die durch Bilder von den Bildern zusammenhängen, Bilder, ohne etwas in ihnen Abgebildetes, ohne Bedeutung und Zweck. Ich selbst bin eins dieser Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild von den Bildern. — Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt; in einen Traum, der in einem Traume von sich selbst zusammenhängt." Das Unheimliche dieses radikalen Idealismus, in dem „die Welt, und mit ihr wir selbst in das absolute Nichts versinken", hat Kant gespürt; er schreibt über die „Wissenschaftslehre": sie „sieht mir wie eine Art von Gespenst aus, was, wenn man es gehascht zu haben glaubt, man keinen Gegenstand, sondern immer nur sich selbst, und zwar hievon auch nur die Hand, die danach hascht, vor sich findet". Das Erschrecken vor diesem Wirbel der völligen Auflösung von Welt und Ich führt Fichte dazu, der Freiheit noch einmal tiefer nachzudenken. Er entdeckt: soll sie sich nidit selber vernichten, so kann sie nicht in schrankenloser Absolutheit stehen bleiben. Die Freiheit kann ihrem Untergang nur entgehen, wenn sie ursprüngliche Schranken findet, wenn sie sich in all ihrer Absolutheit doch zugleich als endliche Freiheit begreift. Solche Grenzen der Freiheit weist Fichte in vierfacher Hinsicht auf. Er stößt dabei auf die Wirklichkeit des 17
Ich, auf die Wirklichkeit der Welt, auf die Wirklichkeit des andern Menschen und zuletzt auf die Wirklichkeit Gottes. In der ersten Hinsicht, in der Richtung auf die Wiedergewinnung der Wirklichkeit des Ich, untersucht Fichte noch einmal eingehender den Gedanken der Absolutheit. Er geht aus von seiner Behauptung, daß das Ich absolut aus sich selber heraus eine Welt entwerfe. Die Frage ist jedoch, ob die Absolutheit, rein für sich genommen, ausreicht, um eine Weltbildung zu ermöglichen. Widerspricht ihr nicht schlechthin, und zwar gerade aus ihrem Wesen als Absolutheit heraus, daß ihr eine Welt entgegensteht, und sei es auch nur die von ihr selber entworfene? Mag die Welt das Produkt der Absolutheit selber sein, sie beschränkt doch diese und negiert damit ihren Absolutheitscharakter. Von der Absolutheit allein her ist also Weltbildung nicht begreiflich. Wenn es nun doch zum Entwurf einer Welt kommen soll, wie es denn faktisch geschieht, dann muß im Ursprung der Weltbildung etwas wirksam sein, was nicht reine Absolutheit, sondern gerade das Andere der Absolutheit ist. Das Andere der Absolutheit aber ist die Endlichkeit. So kommt Fichte zu dem Schluß: Weltbildung durch das Ich ist nur möglich, wenn in seine Absolutheit die Endlichkeit einbricht. Aber nicht nur die Weltbildung, sondern, was entscheidender ist, auch das Ich selber, und zwar als wirkliches Ich, ist nicht möglich allein aus der Absolutheit heraus. Soll es zu einem wirklichen Selbstbewußtsein kommen, so bedarf es auch hier des Einbruchs der Endlichkeit in die Absolutheit. Fichte zeigt dies in einer erneuten Analyse des Selbstbewußtseins und seiner inneren Möglichkeit. Bisher hatte sich ergeben: Selbstbewußtsein ist möglich vermöge des ursprünglichsten Moments im Grunde des Ich, der Absolutheit des Hinausdrängens aus sich selber. Aber das bloße Hinausdrängen ermöglicht noch kein Selbstbewußtsein. Zu diesem gehört, seinem Wesen entsprechend, die Rückkehr in sich selber, die Reflexion auf sich selbst. Daß nun der aus sich hinausdrängende absolute Drang auf sich selber zurückgebogen werde und damit zu der in sich zurückkehrenden Bewegung werde, als die das Selbstbewußtsein existiert, dazu bedarf es eines Anstoßes. Dieser Anstoß aber kann nicht aus der Absolutheit selber kommen. Diese erleidet ihn vielmehr; sie 18
wird auf ihrem ins Unendliche aus sich hinausgehenden Drange von ihm getroffen und so in sich zurückgestoßen. Das Widerfahrnis des Angestoßenseins aber ist die Erfahrung der Begrenztheit, der Endlichkeit. Im Grunde des Selbstbewußtseins also findet sich eine „ursprüngliche Beschränktheit". Erst dadurch wird ein wirkliches Selbstbewußtsein, ein wirkliches Ich möglich. Es „ist das Prinzip des Lebens und Bewußtseins, der Grund seiner Möglichkeit, — allerdings im Ich enthalten, aber dadurch entsteht noch kein wirkliches Leben, kein empirisches Leben in der Zeit . . . Soll ein solches wirkliches Leben möglich sein, so bedarf es dazu noch eines besonderen Anstoßes auf das Ich durch ein Nicht-Ich!" Fichte stellt in diesen schwer zu durchschauenden Analysen die innere Genesis des wirklichen Ich dar. Indem er in dessen Ursprung aus der Absolutheit zugleich den Anstoß, und das heißt die Endlichkeit, mit aufnimmt, wird begreiflich, daß der Mensch nicht Ich überhaupt, sondern wirkliches Selbstbewußtsein, daß er der konkrete Mensch, die je bestimmte Person ist. Das gespenstische Sein des rein absoluten und darin leeren und unwirklichen Ich löst sidi auf. An seiner Stelle tritt die Wirklichkeit des Ich hervor. Sie aber ist die Wirklichkeit eines in seinem Grunde absoluten und zugleich endlichen Ich. Der Mensch ist nicht, wie es zunächst schien, reine Absolutheit; er ist der Zwiespalt von Absolutheit und Endlichkeit. Fichtes kühner Gedanke rührt zwar an die reine Absolutheit, aber er verliert sich nicht in ihr. Fichte ist nicht der Prophet des titanischen, sich übersteigernden absoluten Ich, in dem die Menschlichkeit des Menschen untergeht. Fichte ist der Denker des Widerspruchs, in dem das Dasein des Menschen, dieses zutiefst widersprüchlichen Wesens, gründet. Unter diesem Aspekt entfaltet Fichte das Ganze des Daseins des Menschen. Aus dem ursprünglichen Zwiespalt von Absolutheit und Endlichkeit entspringt das selber zwiespältige Selbstbewußtsein: zwiespältig in der Doppelheit des absoluten Dranges aus sich selber hinaus und der im Anstoß hereinbrechenden Verendlichung, die erst die Rückkehr zu sich selber hervorruft. Aus dem Selbstbewußtsein, und nun genauer: aus der inneren Dialektik von Absolutheit und Endlichkeit im Selbstbewußtsein, entfaltet sich alles,was mensch19
liches Dasein bedeutet. Nicht nur die Weltbildung, sondern auch der geschichtliche Gang des menschlichen Geistes durch die Zeit. Immer reibt sich die Absolutheit an der Endlichkeit. Immer versucht der Mensch auf Grund seines ursprünglich unendlichen und absoluten Wesens, die Beschränkung durch die Endlichkeit aufzuheben, den Anstoß in die eigenste Absolutheit hinein zu verwandeln. Immer aber geschieht neuer Anstoß und neues Aufbrechen der Endlichkeit. Denn die Endlichkeit kann nie restlos überwunden werden; darum nicht, weil sie selber eine der Wurzeln des Ich ist. So ist das Dasein des Menschen der Streit zwischen Absolutheit und Endlichkeit, und als solcher vollzieht er sich ins Unendliche hinaus. Freilich: die Absolutheit bleibt das ursprünglichste Moment im Grunde des Ich. Mag sie auch der Endlichkeit nie völlig Herr werden, sie wird ihrer doch von Stufe zu Stufe mächtiger. Darin gründet es, daß Fichte die Geschichte des menschlichen Geistes als den Weg zu immer größerer Freiheit auffaßt. Aber wiederum: diese Freiheit wird nie zur absoluten Souveränität. Mag sie auch ins Unendliche hinaus zunehmen, sie bleibt doch die endliche, weil vom Ursprung her beschränkte Freiheit. Sie kann vom Grunde ihres absoluten und zugleich endlichen Wesens her nie zur Hybris der völligen Absolutheit werden. Die Freiheit ist immer nur der jeweilige Sieg über die Endlichkeit, der in der Mühsal eines gewaltigen Ringens immer neu erkämpft werden muß, der aber auch immer neu gefährdet ist. Die Hereinnahme der Endlichkeit in das absolute Ich führt nun auch — das ist die zweite Hinsicht — dazu, daß Fichte die Wirklichkeit der Welt wiedergewinnen kann. Freilich nicht in der Weise, daß er nun dem endlichen Ich einfachhin eine endliche Welt gegenüberstellte. Der Ausgangspunkt bleibt die Freiheit, und nur sie. Aber Fichte zeigt, daß eben diese Freiheit, wenn sie zugleich absolut und endlich ist, nicht anders möglich ist als so, daß sie sich eine Welt entgegenwirft. Die Freiheit ist ja, eben weil sie Freiheit des wirklichen Menschen ist, der im Zwiespalt von Absolutheit und Endlichkeit existiert, nie die wirklich vollendete Absolutheit selber. Sie ist immer unterwegs zu ihrer äußersten Möglichkeit. Wie aber, so fragt Fichte, kann sie auf den Weg dahin gelangen? Seine Antwort lautet: nur dadurch, 20
daß sie in der Uberwindung von Hemmnissen immer mehr sie selber wird. Die Freiheit muß also, um sich ihrer Vollkommenheit anzunähern, auf Hindernisse stoßen. N u r am Widerstand und im Sieg über den Widerstand kann sie sich entfalten. Hier nun wird die Weltbildung für die Freiheit notwendig. Eben daß diese den Widerstand, das ihr Entgegenstehende, braucht, um ins Unendliche hinaus Freiheit und immer vollkommener Freiheit werden zu können, macht es, daß sie eine Welt als das Gegenständige, als das Gesamt der Gegenstände, aus sich hinauswirft. Fichte sagt daher: „der notwendige Glaube an unsere F r e i h e i t . . . ist es, welcher alles Bewußtsein einer außer uns vorhandenen Realität begründet." Der Glaube an die Freiheit aber ist keine willkürliche Annahme. Die Freiheit bildet vielmehr, wie oben gezeigt wurde, darum den notwendigen und unverrückbaren Ausgangspunkt für alles Denken und Handeln, weil der Mensch im Gewissen auf sie gestoßen wird. Von diesem aber gilt: „Aus dem Gewissen allein stammt alle Wahrheit". Eben das Gewissen verleiht daher auch der entworfenen Welt ihre Wahrheit. Fidite stellt die zunächst seltsam anmutende Behauptung auf, es sei letztlich das Gewissen, was das Ich dazu treibt, eine Welt zu bilden. Das Gewissen fordert Handeln; Handeln aber — als Handeln aus Freiheit — kann sich nur in der Uberwindung von Widerständen verwirklichen. Also sind es im Grunde die Erfordernisse der Sittlichkeit, aus denen heraus Weltbildung notwendig wird. „Die gegenwärtige Welt ist überhaupt nur durch das Pfliditgebot für uns da." „Meine Welt ist — Objekt und Sphäre meiner Pflichten, und absolut nichts Anderes." So kann Fidite schließlich im Hinblick darauf, daß uns in der Konsequenz des reinen Denkens „die Welt, und mit ihr wir selbst in das absolute Nichts versinken", den großartigen Satz sagen: „wir erheben uns aus diesem Nichts und erhalten uns über diesem Nichts lediglich durch unsere Moralität." Damit gelingt Fichte ein Schritt in der Richtung auf die Wiedergewinnung der Wirklichkeit der Welt, die im Gedanken des absoluten Ich unterzugehen drohte. Zwar hält er audi weiterhin daran fest,, daß die Welt kein selbständiges Bestehen hat; sie wird auch jetzt nicht anders verstanden, denn als das Produkt des Ich. Aber 21
nun wird die innere Notwendigkeit der Weltbildung einsichtig. Die Freiheit bedarf einer Welt, um wahrhaft frei sein zu können. Und darum ist die Welt für das Ich wirklich. In einer dritten Hinsicht kommt es zu einer noch entscheidenderen Begrenzung der Freiheit; hier tritt dieser ein wahrhaft Wirkliches entgegen. Fichte stößt auf ein Faktum, das sich der Auflösung aller Wirklichkeit in Produkte des absoluten Ich widersetzt: die Tatsache der Existenz anderer Menschen. Diese kann ich nicht, wie die Dinge, als bloße Vorstellungen meines Ich ansehen. Sie sind selber Iche, also selbständige Wesen, und als solche begrenzen sie meine Freiheit. Fichte kann, entsprechend dem Grundzug seines Denkens, die Existenz der anderen nicht einfach als Voraussetzung annehmen. Er muß sie vielmehr in ihirer Notwendigkeit beweisen. In dieser Absicht unternimmt er, zum erstenmal in der Geschichte der Philosophie, eine Deduktion des Du. Wieder geht er von dem einzig Gewissen, dem in der Freiheit gründenden Selbstbewußtsein, aus. Er fragt, wie sich denn der Mensch seiner selbst als eines freien Wesens bewußt werden kann. Und er antwortet: nur so, daß er zugleich die Existenz anderer freier Wesen annimmt. Die Freiheit ist ja im Menschen zunächst bloß die Möglichkeit, frei zu sein. Soll sie Wirklichkeit werden, so kann dies nur so geschehen, daß sie herausgefordert wird, daß also eine Aufforderung an das Ich ergeht, frei zu handeln. Eine solche „Aufforderung zur freien Selbsttätigkeit" kann aber nur von einem Wesen ausgehen, das selber frei ist. Also muß es, damit das freie Selbstbewußtsein möglich werde, andere freie Wesen geben, mit denen es in Anrede und Antwort in Wechselwirkung treten kann. Fichte schließt daher: es ist „Bedingung des Selbstbewußtseins, der Ichheit, ein wirkliches vernünftiges Wesen außer sich anzunehmen". Das sind höchst bedeutungsvolle Gedankengänge. Mit dieser Wiedergewinnung der Wirklichkeit des anderen Menschen sprengt Fichte die Schranken, in die sich das neuzeitliche Denken eingeschlossen hatte, indem es den Menschen nur als isoliertes Ich betrachtet hatte. Er entdeckt: der Mensch ist ursprünglich ein Wesen der Gemeinschaft. „Der Mensch . . . ist kein ganz vollendeter Mensch und wider22
spricht sich selbst, wenn er isoliert lebt." „Der Mensch . . . wird nur unter Menschen ein Mensch." Die „Bestimmung für die Gesellschaft" ist „aus dem Innersten, Reinsten des menschlichen Wesens entsprungen". Wesentlich ist, daß die Idee einer ursprünglichen Gemeinschaftlichkeit des Menschen aus dem Gedanken der Freiheit erwächst. Sie trägt daher den Charakter der Verantwortlichkeit. Wenn das, was mich selber in meinem freien Dasein möglich macht, der andere Mensch in seiner Freiheit ist, dann heißt das: ich muß ihn, will ich mir nicht selber die Basis meines Daseins zerstören, in seiner Freiheit achten. „Meine Ichheit und Selbständigkeit überhaupt ist durch die Freiheit des anderen bedingt; mein Trieb nach Selbständigkeit kann sonach schlechthin nicht darauf ausgehen, die Bedingung seiner eigenen Möglichkeit, d. i. die Freiheit des anderen, zu vernichten." Ja noch mehr: von meiner eigenen Freiheit her bin ich dazu aufgerufen, für die Freiheit des andern einzutreten. „Wer nur für sich selbst sorgen will . . . , der sorgt auch nicht einmal für sich, denn es soll sein Endzweck sein, für das ganze Menschengeschlecht zu sorgen." Die Schränke, die die Absolutheit des Ich an der Freiheit des anderen Ich findet, trennt also nicht, sondern verbindet. „Wir sind beide durch unsere Existenz aneinander gebunden und einander verbunden." In solcher gemeinschaftlichen Bemühung um die Freiheit sieht Fichte schließlich den tieferen Sinn der Weltgeschichte. „Der Zweck des Erdenlebens der Menschheit ist der, daß sie in demselben alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte." Mit diesem Gedanken der Gemeinschaftlichkeit des Menschen ist ein grundlegender Wandel im Denken Fichtes verknüpft. Nicht mehr das auf «ich selber stehende Ich hat nun die ontologische Priorität, sondern die Gemeinschaft freier Wesen, die den Einzelnen umgreift. „Nicht wir selbst sind unser Endzweck, sondern alle sind es." Die wahre Realität ist nicht das absolute Ich für sich selber betrachtet, sondern das „Reich der Geister", die „Geisterwelt". Von daher erhalten auch die konkreten menschlichen Gemeinschaften ihre wesentliche Bedeutung. Auf sie kommt es entscheidend an, nicht auf den Einzelnen als solchen. „Der Einzelne wird . . . ein Teil eines organisierten Ganzen, und schmilzt sonach mit demselben 23
in Eins zusammen." Man hat Fidhtes Lehre vom Volk, wie sie etwa in den „Reden an die deutsche Nation" zum Ausdruck kommt, oftmals als den Ausfluß einer nationalen oder gar nationalistischen Gesinnung verstanden, und man hat dies entweder begeistert begrüßt oder emphatisch verworfen. Aber damit hat man Fichtes innerste Intention mißverstanden. Daß das Volk eine so hohe Bedeutung erhält, wurzelt zuletzt im sittlichen Gedanken der Verantwortlichkeit für das Ganze, dem sich der Einzelne hinzugeben hat. Denn in solcher Hingabe verliert dieser seine Freiheit nicht, sondern gewinnt sie allererst in einem tieferen Sinne, weil es zum Wesen der Freiheit gehört, Verantwortung für die anderen zu übernehmen und sich in dieser Haltung in das Ganze einzugliedern. „Es ist klar, daß derjenige, der in eine solche Verbindung tritt, seine Freiheit erhält, ob er sie gleich aufgibt, und dadurch sie erhält, daß er sie aufgibt." So erfährt die absolute Souveränität des Ich durch die Existenz des andern ihre konkrete Begrenzung. Der Mensch kann überhaupt nur als Mensch existieren, wenn er sich nicht auf sich selber versteift, sondern sich an das Ganze und Allgemeine hingibt. „Die wahre Tugend besteht im Handeln; im Handeln für die Gemeine, wobei man sich selbst gänzlich vergesse." Fichtes Philosophie ist nach seiner eigenen Aussage „ein System, dessen Anfang und Ende und ganzes Wesen darauf geht, daß die Individualität theoretisch vergessen, praktisch verleugnet werde". Die Hybris des selbstmächtigen Ich geht in der Verantwortung für die Gemeinschaft unter. Doch auch diese Beschränkung der Freiheit durch den anderen Menschen reicht nicht aus, die Gefahren zu bannen, die darin liegen, daß das Ich sich selber absolut setzt. Das wird erst dadurch möglich, daß die Freiheit in einer vierten, und nun in der schlechthin entscheidenden Hinsicht, ihre Grenze erfährt. Diese wird sichtbar, wo der Blick in den Ursprung der Freiheit hinabdringt. Fichte stößt hier auf die selber absolute Grenze der Absolutheit. Er geht aus von der Tatsache, daß unsere Freiheit nicht Freiheit überhaupt ist, sondern je schon bestimmte, und zwar von ihrem GrundeherbestimmteFreiheit. Sie ist ja die im Gewissen wurzelnde Freiheit. Wir können daher von unserer Freiheit keinen beliebigen 24
Gebrauch madien; das Gewissen hat je immer schon über sie verfügt. Im Ursprung der Freiheit waltet also eine tiefere Notwendigkeit. Fichte macht sich nun daran, sich in das Dunkel dieser ursprünglichen Notwendigkeit hinabzutasten und dasUnvorgreifliche in der Wurzel der Freiheit aufzuspüren. Doch wie ist ein solcher Rüdegang in den eigensten Ursprung möglich? Offenbar nicht mehr in der Weise der Reflexion. In dieser drängt sich das Begründete, die Freiheit, immerzu in den Vordergrund und verstellt den Blick auf den Grund. Daher gilt es vor allem anderen, daß diese Verstellung beseitigt werde. Das aber heißt: damit die innere Notwendigkeit, in der die Freiheit gründet, hervortreten kann, muß diese sich in dem, was sie von sidi selber her zu sein beansprucht, aufgeben und sich in die reine Hindeutung auf den Ursprung verwandeln. Wie aber kann die Freiheit sich selber aufgeben? Sie ist doch vom Wesen her der Drang zur Selbstmächtigkeit und zur Selbstbehauptung. Darum auch drängt sie mit innerer Notwendigkeit darauf, auch ihres Grundes noch mächtig zu werden. Diesen Versuch kann sie aus sich selber heraus nicht aufgeben; sie kann höchstens daran scheitern. Dies geschieht jedoch unvermeidlich. Der Versuch, in Freiheit sich des Grundes zu bemächtigen, muß mißlingen. Der Grund bleibt Grund und kann nie das Gemächte der selbstmächtigen Freiheit werden. Die Freiheit kann also den Grund nicht anders Grund sein lassen, als indem sie den Untergang ihrer Selbstmächtigkeit auf sich nimmt, um im Absterben die wahre lebendige Realität, den Grund, zum Vorschein zu bringen. Es „ist das der Endlichkeit nie abzunehmende Schicksal; nur durch den Tod hindurch dringt sie zum Leben. Das Sterbliche muß sterben, und nichts befreit es von der Gewalt seines Wesens." „Das Ich muß gänzlich vernichtet sein." Darin sieht Fichte die dringlichste Aufgabe für den Menschen, auch und gerade im Blick auf seine Gegenwart, die er das Zeitalter der vollendeten Selbstsucht nennt. Wenn der Mensch diese radikale Abtötung der Eigenmächtigkeit auf sich nimmt, gelangt er in Wahrheit über sidi hinaus. Aber nun nicht nur, wie vordem, zu dem Gemeinsamen der Menschheit, das alles Individuelle übergreift. Wer in einem letzten und absoluten 25
Sinne die Absolutheit der Freiheit aufgibt, der entdeckt, daß die Freiheit sidi nicht selber hervorgebracht hat. Er erblickt im Grunde seiner selbst das wahrhaft Absolute: die Gottheit. „Der Mensdi kann sich keinen Gott erzeugen; aber sidi selbst, als die eigentliche Negation, kann er vernichten, und sodann versinket er in Gott." „ W i e . . . der Mensdi durch die höchste Freiheit seine eigene Freiheit und Selbständigkeit aufgibt und verliert, wird er des einigen wahren, des göttlichen Seins . . . teilhaftig." Denn „der Grund der Selbständigkeit und Freiheit . . . liegt . . . in Gott". An die Stelle des absoluten Ich tritt so der absolute Gott. Das ist die große und entscheidende Kehre im Denken Fichtes. „Gott allein ist, und außer ihm nichts." Das „göttlidie Leben ist . . . alles Sein, und außer ihm ist kein Sein." „Das einige göttliche Sein . . . allein ist das wahrhaft Reale in allem Dasein." „Denn dies eben, und dies allein ist der Zweck alles Daseins, daß Gott verklärt werde, daß sein Bild immerfort in neuer Klarheit heraustrete in die sichtbare Welt, aus seiner ewigen Unsichtbarkeit." Gott ist der innerste Grund vor allem des Menschen. Die „eigentliche Wurzel seines Daseins i s t . . . in Gott." Wir sind „selber in unserer tiefsten Wurzel das göttliche Dasein." Wir sind „Dasein und Offenbarung Gottes", „Dasein und Selbstdarstellung Gottes." Der Mensch, wenn er sich recht versteht, „betrachtet seine individuelle Person selbst als einen Gedanken der Gottheit, und so eben, wie die Gottheit ihn gedacht, ist seine Bestimmung und der Zweck seines Daseins." Und das gilt für die ganze Konkretion des menschlichen Daseins. „Ich, wie ich nun heißen mag, diese bestimmte und ausdrücklich bestimmte Person, bin dazu da und deswegen in das Dasein gekommen, damit in mir Gottes ewiger Ratschluß über die Welt von einer andern, bis jetzt völlig verborgenen Seite in der Zeit gedacht werde und Klarheit gewinne, und in die Welt eingreife, so daß er nie wieder ausgetilgt werden könne; nur diese eine, an meine Persönlichkeit geknüpfte Seite des göttlichen Ratschlusses ist das wahrhaft Seiende an mir; alles übrige, was ich mir noch beimesse, ist Traum, Schatten, Nichts." Wenn die Freiheit aber nur von ihrem Grunde her Freiheit ist, dann kann sie ursprünglich und eigentlich auch nur dem Grunde 26
selber, der Gottheit, zukommen. Auf der Ebene des Sichtbaren bleibt zwar die menschliche Freiheit das einzig Wirkliche. In Wahrheit aber muß sie sich verstehen als Selbstoffenbarung der Freiheit Gottes. „Das absolute Sein stellt in diesem seinem Dasein sich selbst hin, als diese absolute Freiheit und Selbständigkeit . . . ; es erschafft nicht etwa eine Freiheit außer sich, sondern es ist selber . . . diese seine eigne Freiheit außer ihm selber." In diesen Gedanken des späten Fichte ist die Selbstherrlichkeit des absoluten Ich endgültig gebrochen. Aber nicht mit der Gewaltsamkeit eines zerstörerischen Abbruches. Vielmehr in der stillen Weise, in der das Ich sich in die Gottheit als in seinen eigensten Ursprung versenkt und seine Freiheit in der Freiheit Gottes birgt. Und wieder gilt: diese Versenkung in die Gottheit ist nicht Verlust der Freiheit; diese gewinnt sich darin erst wahrhaft selber. „Wessen Leben . . . ergriffen ist von dem Wahrhaftigen, und Leben unmittelbar aus Gott geworden ist, der ist frei." „Leben in Gott ist frei sein in ihm." Das ist das letzte Wort der Philosophie der absoluten Freiheit. FICHTE UND DIE GEGENWART Soviel vom zwiespältigen Denken des zwiespältigen Denkers Fichte. Man könnte fragen, warum man etwas so Entlegenes und im Gange der Geschichte so Versunkenes eigens wieder hervorholt. Aber indem vom Entlegenen und Versunkenen gesprochen wurde, war zugleich von dem die Rede, was im Felde des philosophischen Gedankens auch heute noch an der Zeit ist. Auch wir sind noch die Erben des verwegenen Versuches des neuzeitlichen Menschen, sich entschlossen auf die eigene Selbstmächtigkeit zu stellen. Audi wir suchen noch nach Auswegen aus dem Verhängnis, in das dieser Weg geführt hat: dem Verhängnis der Entfesselung des bindungslosen Ich und der Entwirklichung der Wirklichkeit. Auch wir, nicht anders als Fidite, fragen nach den Grenzen der Freiheit: nach der Wirklichkeit des Ich, nach der Wirklichkeit der Welt, nach der Wirklichkeit des Du, nach der Wirklichkeit der Gottheit. Wie so das innere Sdbiicksal des Philosophierens Fichtes Größe und Fragwürdigkeit des neuzeitlichen Denkens zu vollendetem Ausdruck 27
bringt, ist es zugleich die unüberhörbare Mahnung an das gegenwärtige Philosophieren, vor dem dieses sich in Gelingen und Scheitern zu verantworten hat. Was Fichte bewegt, und worin sich auch unsere eigene denkerische Situation ausspricht, hat er einmal in einem einzigen Satz zusammengefaßt: „Wir fingen an zu philosophieren aus Übermut und brachten uns dadurch um unsere Unschuld; wir erblickten unsere Nacktheit und philosophieren seitdem aus Not für unsere Erlösung."
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WILHELM WEISCHEDEL
Wirklichkeit und Wirklichkeiten Aufsätze und Vorträge Groß-Oktav.
VIII, 286 Seiten. 1960. Ganzleinen
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Photomechanischer Nachdruck der 1834/35 ersdiienenen Ausgabe. Originalformat (12,5 x 21,2 cm). Ganzleinen DM 108,— E r s t e r B a n d : Einleitungsvorlesungen in die Wissenschaftslehre, die transzendentale Logik, und die Thatsadien des Bewußtseins. Vorgetragen an der Universität zu Berlin in den Jahren 1812 und 1813. VIII, 575 Seiten. Z w e i t e r B a n d : Wissenschaftslehre und das System der Reditslehre. Vorgetragen an der Universität zu Berlin in den Jahren 1804, 1812 und 1813. IV, 652 Seiten. D r i t t e r B a n d : System der Sittenlehre. Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten und vermischte Aufsätze. VIII, 453 Seiten.
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M a r x i s m u s — L e n i n i s m u s . G e s c h i c h t e und G e s t a l t Veröffentlichung der Freien Universität Berlin Oktav. 232 Seiten. 1961. DM 2,—
Universitätstage 1962 W i s s e n s c h a f t und V e r a n t w o r t u n g Veröffentlichung der Freien Universität Berlin Oktav. 204 Seiten. 1962. DM 3 — WOLFGANG MÜLLER-LAUTER
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Lexikon-Oktav.
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