Der Weimarer Bundesstaat: Perspektiven einer föderalen Ordnung (1918-1933) 9783412214937, 9783412207915


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Der Weimarer Bundesstaat: Perspektiven einer föderalen Ordnung (1918-1933)
 9783412214937, 9783412207915

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Historische Demokratieforschung Schriften der Hugo-Preuß-Stiftung und der Paul-Löbe-Stiftung Band 3 Herausgegeben von Detlef Lehnert Wissenschaftlicher Beirat: Peter Brandt, Wolfram Pyta, Dian Schefold

Anke John

Der Weimarer Bundesstaat Perspektiven einer föderalen Ordnung (1918–1933)

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Darstellung des Weimarer Bundesstaates im Reichsmuseum für Gesellschafts- und Wirtschaftskunde in Düsseldorf (1928), abgebildet in: Zeitbilder, Nr. 32, 5.8.1928 (Beilage zur Vossischen Zeitung), S. 2.

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20791-5

Inhalt 1. Einleitung: „föderative Nation“ oder „deutscher Einheitsstaat“?......... 7 1.1. Traditionen und Problemlagen des modernen Bundesstaates im 19. und 20. Jahrhundert..................................... 7 1.2. Weimarer Bundesstaat und Reichsreformdebatte – zum Forschungsstand............................................................................. 19 1.3. Föderalismus und Unitarisierung – historisch-semantische Befunde.......................................................................................... 26 1.4. Raum und Grenze in der Diskussion – Das Konzept der Geschichtsräume............................................................................ 38 1.5 Vorgehensweise.............................................................................. 40 2. Der Weimarer Bundesstaat im Verfassungsdenken und in der politischen Kommunikation.................................................................. 47 2.1. „Souveränität“ und „Bundestreue“ – Reich-Länder Beziehungen im Verfassungsdenken.............................................. 47 2.2. Das Reich als „Organismus“ oder „Mechanismus“ – Bundesstaat und Einheitsstaat in der Imagination der Zeitgenossen............................................................................ 69 3. Akteure und Antriebskräfte einer Reich-Länder-Reform...................... 99 3.1. Ordnungsvorstellungen und Länderpolitik der Parteien................ 99 3.2. Reich-Länder-Reform als Spezialistendebatte der Verwaltungseliten........................................................................... 127 3.3. Der rationalisierte Staat – Ordnungsvorstellungen wirtschaftlicher Verbände.............................................................. 131 3.4. Das Reich als vernetztes Städtesystem – Ordnungsvorstellungen kommunaler Verbände............................. 149 4. Die Reich-Länder-Reform als politisches Dauerthema der Weimarer Republik................................................................................ 169 4.1. Föderative Ordnung aus der Krise 1918–1923.............................. 169 4.2. Die Reich-Länder-Reformdebatte 1924–1930............................... 191 4.3. „Kalte Unitarisierung“ – „Reichsreform“ per Notverordnung 1930–1933...................................................................................... 212 4.4. „Reichsreform“erwartungen und Polykratie im NS-Staat............. 220

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Inhalt

5. Die Länder in der Bundesstaatsdebatte................................................. 230 5.1. Freistaaten, Reichsländer oder preußische Provinzen? – Perspektiven für die norddeutschen Kleinstaaten.......................... 230 5.2. Eigenständigkeit im Reichsinteresse – Die Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck...................................................... 280 5.3. Mitteldeutschland als Idee – Thüringen, Sachsen und Hessen...... 298 5.4. Föderative Konzepte südlich der Mainlinie – Bayern, Württemberg, Baden...................................................................... 331 5.5. „Klammer des Reiches“ oder „Auflösung“ – Preußen als Streitfrage....................................................................................... 362 6. Ergebnisse: Welche Perspektiven besaß die föderale Ordnung in Weimar?............................................................................................. 381 7. Ausblick: Kontinuitäten des Weimarer Reichsreformdenkens nach 1945............................................................................................... 401 8. Anhang.................................................................................................... 421 8.1. Weimarer Neugliederungspläne im Kartenbild.............................. 423 8.2. Der Weimarer Bundesstaat in der Statistik.................................... 430 8.3. Ungedruckte Quellen..................................................................... 433 8.4. Gedruckte Quellen bis 1949........................................................... 435 8.5. Literatur nach 1949........................................................................ 447 Detlef Lehnert Weimarer Bundesstaat zwischen Unitarismus und Föderalismus – ein Nachwort............................................................................................... 469

1. Einleitung: „föderative Nation“ oder „deutscher Einheitsstaat“? 1.1. Traditionen und Problemlagen des modernen Bundesstaates im 19. und 20. Jahrhundert Ist das Deutsche Reich als ein republikanischer Bundesstaat denkbar? Als nach dem Ersten Weltkrieg die Monarchen abdanken mussten, waren auch die von ihnen regierten Bundesstaaten in Frage gestellt. Die Zukunft der traditionellen föderalen Ordnung schien ungewiss. Eine Reorganisation der Beziehungen zwischen den anschließend so verstandenen Ländern und dem Reich wurde durch die Verfassungsväter 1919 jedoch vertagt. Da sie die Gewichte in der bundesstaatlichen Organisation der neuen Republik zwar neu verteilt, nicht aber auf Dauer geordnet hatten, blieb die föderative Struktur des Deutschen Reiches bis zur dieses entscheidenden nationalsozialistischen „Machtergreifung“ umstritten. Die weit verbreitete Vorstellung von der Weimarer Bundesstaats-Verfassung als einer Übergangsform, die keine „Gestaltung der deutschen Lebensgemeinschaft … von dauernder Geltung sein könnte“1, bewegte Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Sie führte zu vielfachen Anstrengungen, eine institutionelle Reform und territoriale Neugestaltung der Reich-Länder-Ordnung durchzusetzen. Die Deutschen seien bei der Wohnungssuche auf der halben Treppe stehen geblieben, so könnten sie sich nicht häuslich einrichten, charakterisierte Preußens sozialdemokratischer Ministerpräsident Otto Braun das Weimarer Verfassungswerk als ein provisorisches Gebilde: Entweder müsse man hinaufgehen zur nächsten Etage, dem Einheitsstaat, oder hinunter zu einer Föderativordnung und der Aufteilung Preußens schreiten.2 Die unverkennbare Bedeutung dieser Alternativen lag darin, zu entscheiden, ob das Deutsche Reich weiter in seiner bundesstaatlichen Konstruktion getragen oder ob die Nation in einem Einheitsstaat zusammengefasst werden sollte. Dieses Buch beschreibt von daher die Dispositionen und Mentalitäten, welche die Weimarer Zeitgenossen drängten, in die eine oder andere Richtung zu tendieren. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie stark die Bindungen der Weimarer Republik an eine bundesstaatliche Ordnung tatsächlich waren 1 Willibalt Apelt, Staatstheoretische Bemerkungen zur Reichsreform, Leipzig 1932, S. 1. 2 Zit. Arnold Brecht, Reichsreform. Warum und wie?, Berlin 1931, S. 8.

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„Föderative Nation“ oder „deutscher Einheitsstaat“?

Die Karte ist entnommen aus: Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik (Oldenbourg-Grundriss der Geschichte, Band 16), 7. Auflage. © 2009 Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München.

Traditionen und Problemlagen im 19. und 20. Jahrhundert

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und ob sich ihre 15 Jahre mit dem historischen Konzept einer „föderativen Nation“ überhaupt angemessen deuten lassen. Wie prägend also war dieses Prinzip für die Weimarer Zeit? Dieter Langewiesche hat den Begriff der „föderativen Nation“ aus dem 19.  Jahrhundert heraus formuliert, um einen wichtigen Grundzug deutscher Geschichte positiv hervorzuheben, den er in einer Vergangenheit vielzähliger Territorien unter dem Dach des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verankert sieht.3 An die Geschichtswissenschaft hat er die Aufgabe adressiert, den innerdeutschen kulturellen und gesellschaftlichen Grenzlinien einer „föderativen Nation“ künftig stärker nachzugehen. Vor allem für das Kaiserreich hat Langewiesche selbst bereits entsprechende Befunde beigetragen.4 Ohne Zweifel steht die 1918 angefachte Diskussion über die territorialen und strukturellen Grundlagen des deutschen Föderalismus in einer längeren Tradition von Bundes- und Reichsreformdiskussionen. Danach war der deutsche Bundesstaat auch eine in gewissem Sinne schlüssige Folgerung aus einigen Jahrhunderten deutscher Geschichte, die zuvorderst immer eine Geschichte der Territorien gewesen war.5 Schon seit dem Spätmittelalter waren Versuche zur Umformung des Heiligen Römischen Reiches in einen echten Staat mit den zeitgenössischen Begriffen „Reformatio“ und „reformare“ und seit 1912 mit dem Begriff „Reichsreform“ belegt worden.6 Eine erste Reichsreform um 1500 vollzog sich praktisch durch die Schaffung von Reichsgericht und Reichstag. Das Ringen zwischen Kaiser und Ständen konzentrierte sich 3 Dieter Langewiesche, Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation. Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: ders. / Georg Schmidt (Hg.), Föderative Nation, Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 215–245. 4 Ebenda, S. 224. 5 Ernst Deuerlein, Föderalismus. Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, München 1972; Dieter Langewiesche, Föderalismus und Unitarisierung – Grundmuster deutscher Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, in: Hansmartin Schwarzmaier / Meinrad Schraab (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 4: Die Länder seit 1918, Stuttgart 2003, S. 1–21; Reinhart Koselleck, Nation oder Föderation? Erfahrungen der deutschen Geschichte, in: Martin Sabrow (Hg.), Abschied von der Nation? Deutsche Geschichte und europäische Zukunft, Leipzig 2003, S. 29–44; Gerhard A. Ritter, Föderalismus und Parlamentarismus in Deutschland in Geschichte und Gegenwart, München 2005; Wolf D. Gruner, Die deutsche Frage in Europa 1800–1990, München 1993. 6 Der Begriff der Reichsreform geht auf den konservativen, stark etatistisch ausgerichteten Historiker Georg von Below und auf das Jahr 1912 zurück, vgl. Heinz Angermeier, Die Reichsreform 1410–1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984.

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„Föderative Nation“ oder „deutscher Einheitsstaat“?

darauf, die Reichsgewalt an diese Institutionen zu delegieren, dadurch die kaiserliche Macht zu beschränken und die Freiheiten der Stände zu legitimieren. An dieser Konstellation sollte sich bis zum Ende des Alten Reiches 1806 nur wenig ändern.7 Die Befriedigungsleistung des Alten Reiches, dessen komplexe Strukturen sich der Einordnung in die Kategorien moderner Staatlichkeit widersetzten, ist lange Zeit unterschätzt worden. Auch in der Frage der Wahrung persönlicher Freiheiten schneidet der durch strukturelle Vielfalt und Entwicklungsunterschiede seiner Gemeinwesen gekennzeichnete lose „Staatenverbund“ heute weit besser ab, als es ihm gemeinhin unterstellt worden ist. So dominierte ein Jahrhundert lang ein aus der Nationalstaatsperspektive formuliertes Verdikt die Geschichtsschreibung und die öffentliche Meinung. Stilbildend war Heinrich von Treitschke. Er interpretierte die territoriale Vielfalt des Alten Reiches in seiner auf den preußischen Einheitsstaat abzielenden Logik als Strukturfehler. In ihm vermochte er daher lediglich ein „Durcheinander verrotteter Reichsreformen und unfertiger Territorien“ und ein perfides System nationaler Unterdrückung sehen.8 Spät hat diese Perzeption des Alten Reiches einen Wandel erfahren. Seine negative Beurteilung ist erst nach den Erfahrungen der zentralistischen NSDiktatur einer spürbar positiven Sicht gewichen.9 Wohlwollend wurden nun die Kontinuitäten und komplexen Transferprozesse von korporativen und föderalen Ideen und Erfahrungen betont, die im Rahmen des Alten Reiches entstanden waren und die ein Gegengewicht gegen ein Übermaß an Staatlichkeit gebildet hatten. Stärker ins Bewusstsein traten nach den beiden Weltkriegen auch die friedensstiftenden und friedenssichernden Funktionen der Reichsverfassung und speziell des Westfälischen Friedens. Insbesondere die Exzesse des „Dritten Reiches“ hatten dabei die Suche nach Freiheit sichernden Institutionen der deutschen Geschichte angestoßen, so dass die rechtliche Einhegung der Konflikte im Reichstag und durch Reichsgerichte als Vorläufer des Grund-

7 Alfred Kohler, „Kaiseridee“ und „Reichsreform“, in: Heiliges Römisches Reich deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und Neue Staaten 1495 bis 1806, Bd. 2, Dresden 2006, S. 37–41. 8 Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 1. Teil, Leipzig 1927, S. 7, 21. 9 Als Ausnahme anzusehen ist Hans-Christof Kraus, Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806, Berlin 2006. Der Autor greift die alte Niedergangserzählung der älteren Forschungen wieder auf.

Traditionen und Problemlagen im 19. und 20. Jahrhundert

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gesetzes ins Blickfeld rückten und das Alte Reich als Kristallisationspunkt der Nationsbildung wiederentdeckt wurde.10 Man sollte jedoch besorgt sein, sich bei der Suche nach Ursprüngen und unmittelbaren Vorläufern der bundesrepublikanischen Verfassung zu sehr von einem historischen Kontinuitätsdenken leiten zu lassen. Der Bruch an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ist bei aller Beständigkeit grundlegend gewesen, so dass unmittelbare Vorbilder für die Moderne hier kaum zu gewinnen sind. Zwar ist durch das Alte Reich der Gedanke einer gegliederten föderalen Ordnung weiter getragen worden, der qualitative Sprung zur modernen Bundesstaatstheorie ist in dieser so genannten Sattelzeit jedoch nicht gelungen. Eine Verfassung im modernen Sinne hat das Alte Reich nicht ausbilden können. Durch den Siegeszug des napoleonischen Heeres verschwand es unwiderruflich von der Bildfläche. Damit kam vorläufig auch die theoretische Reformdebatte über seine Überführung in einen Staatenverein zum Erliegen.11 Gleich der Lage zwischen Skylla und Charybdis hatten sich viele Staatsrechtler, politische Denker und Historiker in einer angemessenen Beschreibung des Alten Reiches besonders schwergetan. Zum einen konnten sie die politische Theorie seiner Verfassungswirklichkeit anpassen. Sie gerieten damit aber in Widerspruch zur zeitgenössischen Souveränitäts- und Staatsformenlehre. Zum anderen konnten sie im Einklang mit der durch Jean Bodin verbreiteten Doktrin unteilbarer Souveränität denken. Sie mussten dann jedoch eine Änderung oder Verzerrung der Realität des Alten Reiches betreiben. Probleme 10 Georg Schmidt, Das Reich und die deutsche Kulturnation, in: Heiliges Römisches Reich, Bd. 2, S. 105–116. Zu den Reformdebatten, in denen sich die Idee einer Reichsnation fassen ließ Gerhard Schuck, Rheinbundpatriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus. Kontinuitätsdenken und Diskontinuitätserfahrungen in den Staatsrechts- und Verfassungsdebatten der Rheinbundpublizistik, Stuttgart 1994. Die Studie von Jörg Echternkamp, Der Aufstieg des deutschen Nationalismus 1770–1840, Frankfurt a. Main / New York 1998 bringt für den föderativen Grundzug der deutschen Nationalbewegung viele Belege. Zu den selektiven Erinnerungsbezügen nach 1806 vgl. Matthias Asche / Thomas Nicklas / Matthias Stickler (Hg.), Was vom Alten Reiche blieb. Deutungen, Institutionen und Bilder des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 19. und 20. Jahrhundert, München 2011. 11 Dazu Werner Heun, Das Reich in Reichspublizistik und politischer Theorie, in: Heiliges Römisches Reich, Bd. 2, S. 93–103; Wolfgang Burgdorf, Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige Römische Reich deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806, Mainz 1998; Karl Härter, Reichsrecht und Reichsverfassung in der Auflösungsphase des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation: Funktionsfähigkeit, Desintegration und Transfer, in: ZNR 28, Heft 3/4 (2006), S. 316–337.

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„Föderative Nation“ oder „deutscher Einheitsstaat“?

bereiteten nicht nur die Zuordnung und Aufteilung der Souveränitätsrechte bei Kaiser- und Reichstag bzw. Reichsständen, sondern auch das Verhältnis des Reiches zu den Territorialstaaten. Zukunftsweisend erschien vielen das Heilige Römische Reich deutscher Nation jedenfalls nicht. Samuel Pufendorf hatte es als einen „irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper“ (irregulare aliquod corpus et monstro simile)12 bezeichnet. Dieses habe sich im Laufe der Zeit durch die Fahrlässigkeit der Kaiser, durch den Ehrgeiz der Fürsten und durch die Machenschaften der Geistlichen aus einer regulären Monarchie zu einer disharmonischen Staatsform entwickelt. In dem Zustand einer noch nicht erreichten Föderation sah Pufendorf eine dauernde Quelle für die Instabilität des Alten Reiches. Da „auf der einen Seite der Kaiser nach der Wiederherstellung der monarchischen Herrschaft, auf der anderen Seite die Stände nach völliger Freiheit“ strebten, würde sich das Reich jedoch von selbst zum Staatenbund entwickeln. Eine Rückkehr zur monarchischen „Urform“ hielt Pufendorf stattdessen nur unter großen Schwierigkeiten für möglich.13 Der Reichsdeputationshauptschluss 1803 und die Niederlegung der Reichskrone 1806 durch Franz II. markierten schließlich den völligen Sieg der modernen Territorialstaaten zu Lasten des Kaisers und der kleinen Reichsstände. Der Triumph der Territorialstaaten war dabei ein doppelter: Es gelang ihnen nicht nur, die Einschränkungen ihrer Souveränität, die in den Institutionen des Reiches noch verkapselt gewesen waren, abzustreifen. Auch nach innen konnten die nun vollsouveränen Klein- und Mittelstaaten ihre Herrschaft bis zur Entstehung des Deutschen Bundes 1815 festigen.14 Wie diese monarchischen Gliedstaaten national vereint sein könnten, blieb bis zur Reichsgründung 1871 jedoch ein ungelöstes Problem. Vorübergehend war nach der Verabschiedung der Reichsverfassung 1849 in Umrissen eine Lösung der nationalen Staatsbildung auf dem Wege eines konsensualen Föde-

12 Samuel von Pufendorf, Über die Verfassung des deutschen Reiches (1667), hg. und übersetzt von Horst Denzer, Frankfurt a. Main 1994, S. 198. 13 Ebenda, S. 201. 14 Zur einzelstaatlichen Reformpolitik und neuer staatenbündischer Ordnung im Überblick Hans-Peter Ullmann / Clemens Zimmermann (Hg.), Restaurationssystem und Reformpolitik. Süddeutschland und Preußen im Vergleich, München 1996; Eberhard Weis (Hg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland, München 1984; Walter Demel, Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus, München 1993 und Elisabeth Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, 4. Aufl., München 2001.

Traditionen und Problemlagen im 19. und 20. Jahrhundert

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ralismus der Fürstenstaaten und der Nationalbewegung vorhanden gewesen.15 Und noch einmal wurde diese Variante im Zusammenhang einer Bundesreformbewegung 1862/63 sichtbar.16 Demgegenüber existierte unter dem Dach einer republikanischen Lösung der deutschen Einheit auch die Vorstellung eines Einheitsstaates. Sie wurde in Erinnerung an die erste französische Republik aber nur von wenigen vertreten.17 Auch die überwiegende Mehrheit der Anhänger einer deutschen Republik blieb am föderalen Modell der nordamerikanischen Freistaaten orientiert,18 das mit der Niederschlagung der badischen Aprilrevolution jedoch ebenfalls als unpopulär ausschied und das in Deutschland erst wieder 1918 als nationales Verfassungsmodell erfolgreich vertreten werden konnte. Wer nach der Ab-

15 Der Entwurf des deutschen Reichsgrundgesetzes zielte auf eine konstitutionelle Reichsverfassung und erheischte bundesstaatliche Verfassungsformen, wie der Siebzehner-Ausschuss im ersten Artikel festlegte: „Die zum bisherigen deutschen Bund gehörigen Lande … bilden fortan ein Reich (Bundesstaat). Die Selbständigkeit der einzelnen Deutschen Staaten wird nicht aufgehoben, aber soweit es die Einheit Deutschlands fordert, beschränkt, vgl. Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl., Stuttgart 1978, S. 286, 304. Für die Organisation des Bundesstaates beriefen sich die Verfassungsstifter auf eine Reihe an Erfahrungen, die sie aus Amerika und der Schweiz nach dem Sonderbundskrieg verwenden wollten, für die konstitutionellen Elemente orientierten sie sich an der belgischen Verfassung, vgl. dazu Deuerlein, Föderalismus, S. 79–86 und Peter Krüger, der darauf verweist, dass von dem amerikanischen Modell in den Verfassungsdebatten 1848/49 ausgiebig Gebrauch gemacht wurde, wobei die Reichsverfassung vom 28.3.1849 dem amerikanischen Vorbild in wesentlichen Fragen nicht gefolgt sei, ders., Einflüsse der Verfassung der Vereinigten Staaten auf die deutsche Verfassungsentwicklung, in: ZNR 18 (1996) 3/4, S. 226–247, insbesondere S. 235f. 16 Eine Untersuchung dieser lange Zeit wenig gewürdigten Traditionslinie unternahm Christian Jansen, Einheit, Macht und Freiheit. Die Paulskirchenlinke und die deutsche Politik in der nachrevolutionären Epoche 1849–1867, Düsseldorf 2000, insbes. S. 413–471 und ders., Gründerzeit und Nationsbildung 1849–1871, München 2011, insbes. S. 159–169. 17 Unter anderen durch Arnold Ruge, Ueber die intellectuelle Allianz der Deutschen und Franzosen, in: Arnold Ruge’s sämmtliche Werke, 2. Aufl., Bd. 2, Mannheim 1847/48, S. 301–353, insbes. S. 321f. sowie ders., Aufruf zur Einheit, Berlin 1866. 18 Eine wichtige Informationsquelle zu den USA bot Robert von Mohl, Das BundesStaatsrecht der Vereinigten Staaten von Nordamerika, Stuttgart / Tübingen 1824. Die USA in der Leitbildfunktion einer Bundesstaatsverfassung auch bei Carl von Rotteck / Carl Theodor Welcker (Hg.), Staats-Lexicon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, Bd. 3, Altona 1836, S. 76–116.

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„Föderative Nation“ oder „deutscher Einheitsstaat“?

dankung der Fürsten die nationale Einheit gestalten konnte, musste nun nicht mehr die Vereinbarkeit mit der monarchischen Souveränität nachweisen.19 Das deutsche Bundesstaatsmodell, mit dem sich die Weimarer Republik faktisch auseinanderzusetzen hatte, entstammte der Reichsverfassung von 1871. Sie war ein Produkt klassischer Kabinettspolitik des 19. Jahrhunderts, welche die Option eines am Alten Reich orientierten föderativen Nationalismus und einer geeinten deutschen Nation ohne zentralisierenden Impetus in den Hintergrund gedrängt hatte. Die machtpolitische Komponente der Reichseinigung war in der Annexion nord- und mitteldeutscher Territorien durch Preußen deutlich zu Tage getreten. Dennoch hatte die Vereinigung aller deutschen Staaten, vor allem unter Einschluss von Bayern, Württemberg und Baden, schließlich nur in der Form eines Bundesstaates gelingen können. Den Urtext der Verfassung von 1867 hatte Otto von Bismarck deutlich auf diese Perspektive hin angelegt, so dass das Reich von 1871 unitarische und föderale Züge in sich verband. Der neue deutsche Bundesstaat war auch durch den Dualismus zwischen Preußen und dem Reich geprägt, jedoch mit einer preußischen Hegemonie als dem Kernelement der Verfassung. In Preußen lagen die Wurzeln der Macht, ohne dass das Reich ein Großpreußen geworden wäre. Sowohl eine Borussifizierung des Reiches als auch eine überstarke und institutionelle Ausdehnung von Reichskompetenzen zu Lasten der Einzelstaaten verhinderte der Bundesrat. Historiographisch wird er daher gerne als Garant des Föderalismus gesehen. Der Bundesrat ist aber auch als „Bollwerk des monarchisch-bürokratischen Obrigkeitsstaates“20 in die Geschichte eingegangen. Dass Bismarck die Institution des nationalen Parlaments mit Konzessionen an den Fürstenbund verknüpfte, beförderte daher das Negativurteil über den kaiserzeitlichen Föderalismus als Parlamentarisierungsund Demokratisierungsblockade. Er rückte in eine Reihe mit dem Deutschen Bund, der bis 1945 als Gegenbild nationaler Entwicklungen dienen musste.21 19 Otto Dann, Der deutsche Weg zum Nationalstaat im Lichte des Föderalismus-Problems, in: Oliver Janz / Pierangelo Schiera / Hannes Siegrist (Hg.), Zentralismus und Föderalismus im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich, Berlin 2000, S. 51–68. 20 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 2, München 1992, S. 93. Zum Bundesrat siehe des Weiteren Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 3, 3. Aufl., S. 848–859. 21 Zur historiographischen Bewertung des Deutschen Bundes vgl. Wolf D. Gruner, Die deutschen Einzelstaaten und der Deutsche Bund, in: Andreas Kraus (Hg.), Land und Reich, Stamm und Nation, München 1984, S. 19–36, insbesondere S. 19ff.; Jürgen Angelow, Der Deutsche Bund, Darmstadt 2003 und besonders die Einleitung in: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, Abt. III, Bd. 2: Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und Reform 1851–1858, bearb. von Jürgen Müller, München 1998.

Traditionen und Problemlagen im 19. und 20. Jahrhundert

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Zeitgenossen und Historiker brachten dementsprechend lange Zeit keine Sympathien für die Kontinuitäten föderaler Strukturen und kleinräumiger Traditionen des Alten Reiches und des Deutschen Bundes auf. Präferiert wurde der Nationalstaat als höchste politische Existenzform.22 Diesem Maßstab folgten auch freundlichere Interpretationen, die den Partikularstaat des 19. Jahrhunderts als eine bloße Übergangsstufe einordneten. In diesem transistorischen System wurde die Souveränitätsräson der deutschen Fürsten als eine zeitgemäße und notwendige Entwicklungsstufe des Nationalstaates angesehen. Ihre Hauptfunktion wurde darin beschrieben, die mit dem regionalpartikularen und ständischen Alten Reich vertraute Gesellschaft vor der Gefahr einer Überforderung oder gar einer Provokation eines großen nationalen Modernisierungsschubes zu bewahren.23 Unterhalb der nationalen Ebene existierte so die Kraft einzelstaatlicher und regionaler Traditionen fort. Auch der Zentralisierungsschub des Ersten Weltkrieges konnte „das historisch eingeschliffene und alltäglich erlebte föderative Grundmuster der deutschen Staats- und Gesellschaftsordnung“24 nicht auslöschen. Trotz dieser historischen Hinterlassenschaft wurden in der Revolution 1918 nicht nur Hegemonie und Zukunft des preußischen Staates in Frage gestellt, sondern auch die Zukunft aller Bundesstaaten. Denkbar war zu jener Zeit, dass die Idee des Einheitsstaates an die Stelle des Bundesstaates trat. Für beide Varianten gab es gute Argumente. Einerseits stand das deutsche Föderativsystem mit der unterschiedlichen Bedeutung seiner Länder im Gegen22 Im Gegensatz zu gegenwärtigen Vorstellungen, die das klassisch-normative Modell – ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk, eine Staatsgewalt – zugunsten anderer Formen wie Mehrebenenstaat, fusionierter Föderalstaat oder kooperativer Staat, multiple Identitäten etc. zurückdrängen, Roland Sturm, Perspektiven des Staates im 21. Jahrhundert, in: Alexander Gallus / Eckhard Jesse (Hg.), Staatsformen. Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch, Köln u. a. 2004, S. 371–399; Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 2000, S. 535f. 23 So bei Thomas Nipperdey: „Und man kann fragen, ob für die Menschen, die aus dem regional-partikularen und ständischen alten Reich kamen, der nationale Bundesstaat nicht etwas Unzeitgemäßes war, der moderne Partikularstaat dagegen, der trotz aller Bürokratie dem Einzelnen noch nah und anschaulich war, eine notwendige Übergangsstufe zum modernen Staat, ob die partikulare und egoistische Souveränitätsräson der süddeutschen Fürsten nicht, jenseits ihrer Absicht, eine allein zeitgemäße Entwicklungsstufe hervorbrachte, ob hier eine List der Vernunft waltete.“ ders., Deutsche Geschichte 1800–1866, München 1988, S. 98. 24 Langewiesche, Föderativer Nationalismus, S. 242.

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„Föderative Nation“ oder „deutscher Einheitsstaat“?

satz zum demokratischen Prinzip. Es implizierte, dass ein Teil der Deutschen dauernd minderen Rechtes bleiben sollte, da nicht wie bisher im kaiserzeitlichen Föderativsystem der überlegenen Stellung Preußens Rechnung getragen werden konnte. Der ehemalige Hohenzollernstaat umfasste neben zwei Dritteln des Territoriums auch drei Fünftel der Bevölkerung und stand dabei auf einer Stufe mit Ländern wie Anhalt, Lippe oder Mecklenburg-Strelitz. Andererseits stärkte das demokratische Prinzip das politische Grenzgefühl der Länder. Es schien eine Folge der parlamentarischen und demokratischen Strukturen der Freistaaten, dass der Wille zur Eigenstaatlichkeit solange bestehen musste, wie diese Struktur vorhanden war. Wer versuchte, eine prinzipielle Unvereinbarkeit von Demokratie und Föderalismus nachzuweisen und dabei auf die deutschen Erfahrungen mit föderalen Barrieren gegen eine Parlamentarisierung vor 1918 verwies, scheiterte nicht nur an den konkreten Vorbildern der Vereinigten Staaten oder der Schweizer Eidgenossenschaft,25 sondern auch an einem grundsätzlichen demokratischen Verständnis. Danach mussten politische Entscheidungen nicht nur nach unten gerechtfertigt oder von unten gebilligt, sondern auch von breiten gesellschaftlichen Schichten beeinflusst oder bestimmt werden. Neben der Überzeugung, dass eine „möglichst weitgehende Teilnahme des einzelnen an der Bildung und Ausführung des Staatswillens“26 wahrhaft demokratisch sei, stellte sich auch die Überlegung ein, wie der für den Einzelnen unüberschaubare, unpersönliche Staat aus kleinen und überschaubaren Einheiten aufzubauen sei. So sollte „das Schwergewicht der Verwaltung … weniger in der Zentralinstanz als in der Lokalinstanz“ ruhen.27 Carl Schmitt, der den Föderalismus als wichtiges „Gegenmittel gegen die Methoden eines parteipolitischen Pluralismus“, bezeichnet hatte, gestand ein, dass „wenn man sich an die Vorbilder der Vereinigten Staaten und der Schweizerischen Eidgenossenschaft“ hielte, unter bestimmten „konkreten Voraussetzungen“ beide Staatsprinzipien auch miteinander vereinbar seien.28 Die Geschichte politischer Theorien und Ideen kannte keineswegs nur eine vereinheitlichende Konsequenz der Demokratie.29

25 Hans Schneider, Geschichte des Schweizerischen Bundesstaates 1848–1918. Allgemeine Staatengeschichte, Abt. I, Werk 26, Bd. 6, Gotha 1931. 26 Otto Loening, Dezentralisation, in: Paul Herre (Hg.), Politisches Handwörterbuch, Bd. 1, Leipzig 1923, S. 444. 27 Ebenda. 28 Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, S. 95f. 29 Eine prinzipielle Unvereinbarkeit von Parlamentarismus und Föderalismus hatte zum Beispiel behauptet Erich Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung, Berlin 1917.

Traditionen und Problemlagen im 19. und 20. Jahrhundert

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Zentrale Probleme, wie eine gegliederte Einheit des Reiches beschaffen sein sollte, oder wem in Kompetenzkonflikten zwischen Reich und Ländern das letzte Wort zustünde, waren nach Annahme der Weimarer Verfassung keineswegs ausgestanden. Die Grenze zwischen Unitariern und Föderalisten markierte, ob in Konfliktfällen um Kompetenzen dem Reich der Vorrang eingeräumt wurde. Föderalisten sprachen dagegen den Ländern eigene Entscheidungsbefugnisse zu, soweit diese nicht durch die Reichsverfassung beschränkt worden waren. Mit dem wieder entdeckten altliberalen Gedanken einer teilbaren Souveränität, der nun jedoch mit der föderalen Aufgaben- und Kompetenzverteilung im modernen Bundesstaat verknüpft wurde, schien wenigstens zeitweilig eine Lösung gefunden worden zu sein. Allerdings fand sich für diesen dritten Weg keine Mehrheit. Die Reichsreformdebatte blieb über weite Strecken auf eine starke Reichsgewalt orientiert. Bemerkenswert ist, dass die Konflikte zwischen Föderalisten und Unitariern der Weimarer Republik schließlich mit zum Teil ähnlichen Argumenten und Schlagworten nach dem Zweiten Weltkrieg fortgeführt wurden und dass diese im Vorfeld der Gründung beider deutscher Staaten wieder eine Rolle spielten. Im Mittelpunkt aller Diskussionen standen Fragen der Kompetenzverteilung, der Neugliederung bzw. Bildung von Verwaltungseinheiten kleinerer Länder, der Finanzverfassung und des Finanzausgleiches sowie die Zuständigkeit politischer Organe.30 In der diachronen Anlage einer Verfassungsgeschichte zeigt sich folglich, dass der Gründungsmythos der Bundesrepublik um die Entstehung des Grundgesetzes den Abstand zwischen der ersten, gescheiterten und der zweiten, erfolgreichen Republik zu stark betont hat. Die republikanischen Verfassungen stehen sich wesentlich näher als alle anderen Verfassungen, einschließlich der Paulskirchen- und der Bismarckverfassung. Von heute aus gesehen, schloss die Weimarer Verfassung eine etwa hundertjährige Epoche des monarchischen

30 Wolf D. Gruner, 1848–1919–1949. Deutsche Verfassungstraditionen zwischen Paulskirchenverfassung und dem Bonner Grundgesetz, in: ders. (Hg.), Jubiläumsjahre – Historische Erinnerung – Historische Forschung, Rostock 1999, S. 271–340; ders., Deutschlandpolitik, innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbedingungen, in: Deutscher Bundestag (Hg.), Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Frankfurt a. Main 1995, S. 1404–1488; Uwe Leonardy, Territorial reform of the Länder. A Demand of the Basic Law, in: Arthur B. Gunlicks (Hg.), German public policy and federalism. Current debates on political, legal and social issues, New York, Oxford 2003, S. 65–90.

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Konstitutionalismus ab, während sie nachfolgend als Erfahrungsreservoir für die Verbesserung ein und desselben Verfassungstyps diente.31 Eine Relativierung der Nachkriegszäsur bedeutet, dass die föderale bundesrepublikanische Struktur nicht mehr in erster Linie als grundsätzliche Antwort auf den Nationalsozialismus begriffen werden kann. Zur neuen Multiperspektivität auf Verfassungstraditionen hat die längere stabile demokratische Entwicklung beigetragen. Prozesse der Globalisierung und der europäischen Integration haben dem nationalen föderalen System eine weitere Ebene hinzugefügt. Durch sie wurden alte Fragen nach der Souveränität und nach der Verteilung von Kompetenzen als Verfassungsprobleme neu aufgeworfen. Mit dem Verweis auf äußere und innere Harmonisierungszwänge wurden dabei vielfach tradierte Argumentationstopoi der Weimarer Bundesstaatsdebatte aufgegriffen, um die Kompliziertheit föderaler Realitäten zu kritisieren.32 Skeptisch gegenüber Vereinheitlichungsbestrebungen in Recht, Verwaltung und Lebensverhältnissen eingestellt, ziehen Parteigänger föderativer Strukturen andere Schlussfolgerungen und sie setzen sich für eine Renaissance des Bundesstaates zugunsten der Länder ein.33 Die Diskussion um eine Reform des deutschen föderalen Systems besitzt von daher bis in die Gegenwart eine große Relevanz und Aktualität. Davon zeugt die intensive und ressortübergreifende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der historischen sowie der aktuellen Debatte.34

31 Obwohl die Weimarer Verfassung nie förmlich aufgehoben wurde, stand es nach 1948 nicht zur Debatte, sie wieder in Geltung zu setzen. Anders als in Österreich beispielsweise, wo die Verfassung der ersten Republik von 1920/29 wieder in Kraft trat, ging es in Westdeutschland um eine Neuschöpfung und für diese bildete die Weimarer Verfassung eine Negativfolie, vgl. Dieter Grimm, Die Bedeutung der Weimarer Verfassung in der deutschen Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. Heidelberg 1992, S. 3ff. 32 Vgl. Michael Naumann, Zentralismus schadet nicht, in: Die Zeit, Nr. 45., 2.11.2002, S. 59. 33 Seit 2003 sucht eine Bund-Länder-Kommission nach einer systemgerechten Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Erwartungen bestehen in Bezug auf eine Neubewertung des Verhältnisses von Bund und Ländern, darüber hinaus gibt es in der öffentlichen Debatte immer wieder Vorstöße für eine territoriale Gebietsreform. Aus der inzwischen überbordenden Literatur Christian Starck (Hg.), Föderalismusreform, München 2007. 34 Den neuesten Stand der Literatur verzeichnet die gegenwartsbezogene Studie von Julia Oberhofer / Julia Stehlin / Roland Sturm, Citizenship im unitarischen Bundesstaat, in: PVS, 52 (2011), Heft 2, S. 188–194.

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1.2. Weimarer Bundesstaat und Reichsreformdebatte – zum Forschungsstand Eine wissenschaftliche Analyse der Weimarer Reichsreformdebatte setzte bereits Ende der 1920er Jahre ein.35 Gegenwärtig sind die zwischenkriegszeitlichen Reich-Länder-Beziehungen der Politikwissenschaft und vor allem der Rechtsgeschichte überlassen, die die Situation vornehmlich mit dem Begriff des „unitarischen Bundesstaates“ beschreiben. Der Blick auf die Vergangenheit erfolgt hier mit dem Ziel, die historischen Grundprägungen des deutschen Bundesstaatsdenkens zu erfassen. Angesichts des Fehlens einer allgemein als „richtig“ angesehenen, geschlossenen Bundesstaatstheorie und der evidenten Problematik „pluralistischer Bundesstaatstheorien“ stehen die Bemühungen um die Strukturierung, Kontrolle und Diskussion des die Arbeit eines Juristen leitenden Vorverständnisses im Mittelpunkt einer rechtsgeschichtlichen Betrachtung, und sie werden im Sinne einer Ideologiekritik als wichtiger Teil juristischer Arbeiten verstanden. Der Jurist Heiko Holste hält Weimar nicht nur für einen unitarischen, sondern auch für einen provisorischen, eher ungewollten bzw. „ruhelosen“ Bundesstaat.36 Zuletzt hat insbesondere Stefan Oeter auf das Einheitsparadigma im deutschen Bundesstaatsdenken und seine historischen Prägungen verwiesen. Die Verfassungspraxis der Weimarer Republik sei demnach durch ein stetes Bemühen geprägt gewesen, die nur widerwillig akzeptierten Reste eines traditionalen Föderalismus zugunsten des republikanischen Ideals eines „dezentralisierten Einheitsstaates“ zurückzudrängen. Die Weimarer Erfahrungen beeinflussten von daher auch den Umgang mit der nur ungern akzeptierten Bundesstaatsverfassung des Grundgesetzes bis in die Gegenwart. Mit zunehmendem Abstand zum Jahr 1949, so Oeter, habe sich diese Situation nicht

35 Christian König, Die süddeutschen Staaten und das Problem der Reichsreform, Rostock 1929; Gerhard Krebs, The Länderkonferenz (1928–1930) and the problem of federal reform in Germany, Diss., University of California 1937, das Manuskript befindet sich im Bestand der UC Berkeley Library; Max Schulemann, Parteien und Reichsreform 1918–1932. Die Stellungnahme politischer Parteien zur Reform der Reichsverfassung von Weimar, Tübingen 1945; Günter Weber, Die wichtigsten Reformpläne der Weimarer Reichsverfassung betreffend das Verhältnis Reich-Länder (Unitarismus-Föderalismus), Köln 1947. 36 Heiko Holste, Der deutsche Bundesstaat im Wandel 1867–1933, Berlin 2002, S. 546ff.

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wirklich entspannt. Die Wiedervereinigung sei in der Verfassungspraxis sogar mit einem massiven Zentralisierungsschub einhergegangen.37 Gegenüber den Rechtswissenschaften liegt ein besonderes historisches Erkenntnisinteresse darin, Möglichkeits- und Handlungsspielräume auszuloten, und nicht allein zu konstruieren, wie es faktisch gewesen sein könnte. Von daher soll nicht nur nach den unitarischen Entwicklungen, sondern auch nach den föderalen Chancen im Weimarer Bundesstaat gefragt werden. In der Historikerzunft gilt dabei immer noch die Abhandlung von Gerhard Schulz aus dem Jahr 1963 als Standardwerk über die Weimarer Reichsreformdebatte, die sich vornehmlich mit der Stellung, Politik und Hegemonie Preußens im Föderativsystem der Weimarer Republik befasst.38 Schulz folgte weitgehend dem Einheitsparadigma im deutschen Bundesstaatsdenken, indem er die deutsche Territorialgeschichte seit dem Wiener Kongress vor allem linear als „eine im Ganzen auf Zusammenfassung, auf Angleichung und Vereinheitlichung drängende Entwicklung“ beschrieb, die nach einem fortgesetzten Rhythmus kleinere Gebiete in größeren aufgehen ließ, Grenzen verschob oder beseitigte: „Bereits die Daten der Statistik lassen es erkennen: Aus 46 Ländern, die sich 1815 im Deutschen Bund vereinigten, waren 1848 38 geworden und 1871, bei der Gründung des Deutschen Reiches, 26. 26 Länder zählte auch die Republik von Weimar vor dem Zusammenschluss der thüringischen Gebiete; 1933 – nach der Vereinigung der beiden Mecklenburg – gab es noch 17. 18 Länder zählten die vier Zonen der Besatzungsmächte im Jahre 1945.“39 Der so kondensierte Zustand stellte sich für Schulz als die „Summe aus den Strukturbildungen der deutschen Geschichte“ dar, „die die politischen Grenzen und Unterschiede zwischen den Ländern unaufhaltsam abgeschliffen“ hätten, und 37 Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatrecht, Untersuchungen zur Bundesstaattheorie unter dem Grundgesetz, Tübingen 1998; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Weimarer Republik und Nationalsozialismus, München 2002. Aus politikwissenschaftlicher Sicht die Studie von Gerhard Lehmbruch, Der unitarische Bundesstaat in Deutschland. Pfadabhängigkeit und Wandel, Köln 2002, der in der Paulskirchenverfassung das Urbild eines spezifisch deutschen Exekutivföderalismus sieht. 38 Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. 1: Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919–1930, Berlin u. a. 1963. Die 1987 und 1992 erschienenen zweiten und dritten Bände gehen auf die Reichsreform nur noch am Rande ein, Bd. 2: Deutschland am Vorabend der Großen Krise, Berlin u. a. 1987; Bd. 3: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930–1933, Berlin u. a. 1992. 39 Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 3ff.

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zwar so, „wie eine ungehindert wirkende Natur Mauern und Wälle alter Burgen und Bauten bis an die Grenze des Kenntlichen“ abschleife.40 In ihren Bahnen hätten sich die Länder nach und nach im Einheitsstaat des Reiches aufgelöst, und so habe zuletzt „unter dem erdrückenden Gewicht der totalitären Diktatur – das unitarische Prinzip bis 1945 über jede Form des Föderalismus triumphieren“ können.41 Eingefasst in die Diskussion über das „Scheitern“ der Weimarer Republik und von der Aufgabe überwältigt, um jeden Preis die genetischen Faktoren des Nationalsozialismus aufzudecken, haben auch andere Arbeiten über die Reichsreform ein Nachtgemälde gezeichnet. So wurde zwar zur Kenntnis genommen, dass eine Debatte um die Lösung der Weimarer Verfassungsfragen stattgefunden hat. Ihr Scheitern wurde jedoch mit einem konzentrierten Blick auf die Krisen und das Ende der Republik behandelt. In der DDR-Geschichtsforschung wurden die Bemühungen um einen Verfassungsumbau in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik als weiterer Stoßkeil antidemokratischer Kräfte zur Beseitigung von Parlamentarismus und Republik gesehen.42 Als exemplarisch für die bundesrepublikanische Historikerzunft hat Karl Dietrich Bracher die andauernden Auseinandersetzungen als ein „schweres Trauma für die Republik“43 bezeichnet. Manfred Peter Heimers resümierte daran anknüpfend, „dass die jahrelange und ergebnislose Reichsreformdiskussion nicht nur einen Kräfteverschleiß für alle verfassungstreuen Gruppen bedeutete, sondern auch eine zusätzliche Diskreditierung der Verfassung“44 bewirkt habe. Das Interesse der Forschung richtete sich dabei vor allem auf einen 40 Ebenda. 41 Ebenda. 42 Werner Müller, Die Monopolbourgeoisie und die Verfassung der Weimarer Republik. Eine Studie über die Strategie und Taktik zur Beseitigung des bürgerlich-parlamentarischen Systems 1927–1930, Berlin (Ost) 1970; Roswitha Berndt, Der Kampf des deutschen Imperialismus um eine zentralistische Wirtschafts-, Verkehrs- und Finanzpolitik in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, in: Studia historiae oeconomicae, Poznan 1978, S. 141–152; dies., Imperialistische Reichsreformpläne in der Weimarer Republik, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Halle, 29, 2 (1980), S. 31–42; Kurt Gossweiler, Bund zur Erneuerung des Reiches 1928–1933, in: Dieter Fricke (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland, Bd. 1, Leipzig 1983, S. 374–382. 43 Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls, Villingen 1971, S. 22. 44 Manfred Peters Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein. Weimarer Koalition und SPD in Baden in der Reichsreformdiskussion 1918–1933, Düsseldorf 1992, S. 13.

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klassischen politikgeschichtlichen Ansatz. Weitgehend außer Acht blieben mediale, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte, die neben den unbestreitbar vorhandenen Defiziten des Weimarer Bundesstaates auch sein Potenzial, stabile gesellschaftliche Lebensformen zu bewahren, dokumentieren dürften.45 Die Weimarer Zeit war, metaphorisch ausgedrückt, keine Einbahnstraße, die notwendig zum Nationalsozialismus führen musste.46 Sie spiegelt zunächst generelle Grundprobleme moderner Gesellschaften wider. Schnellere Kommunikationswege und medialer Massenmarkt, Urbanisierung und internationale Verflechtung haben die bundesstaatliche Diskussion im 20. Jahrhundert beeinflusst, sind aber historiographisch in diesem Zusammenhang eher marginal behandelt worden. Gerhard Schulz‘ Deutung lag zudem ein Ansatz zugrunde, der einer machtpolitischen Rangordnung folgte, und der daher die Analyse des Reich-LänderVerhältnisses auf die Perspektiven Preußens, Bayerns und der Reichszentrale reduzierte. So blieben die eigenständigen Wege anderer deutscher Staaten jenseits des süddeutschen Partikularföderalismus und jenseits des preußischen Hegemonialföderalismus weitgehend unberücksichtigt. Die Wurzeln eines solchen, stark hierarchisch geprägten Bundesstaatsdenkens liegen in der Geschichte selbst. Auch in der Weimarer Republik wurde mitunter geflissentlich übersehen, dass außerhalb der süddeutschen Länder die Ablehnung unitarischer Tendenzen mindestens ebenso deutlich war. 47 45 In einer Denkschrift vom 26.5.1924 bezeichnete Reichswirtschaftsminister Hamm den „Kampf um die Verfassung“ als „geistigen Kampf um die politische Seele des deutschen Volkes“, der also immer die Möglichkeit einer längeren republikanischen Entwicklung einschloss, Abschrift BAB R 43 I / 1861 Bestrebungen zur Neugliederung des Reiches 7.1919–1.1929. 46 Heinrich August Winkler, Musste Weimar scheitern? Das Ende der ersten Republik und die Kontinuität der deutschen Geschichte, München 1991, vertritt diese These keineswegs, worauf bereits das Fragezeichen des Titels hinweist. Siehe auch Moritz Föllmer / Rüdiger Graf (Hg.), Die „Krise“ der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt a. Main 2005, die das pessimistische und einseitige Krisenverständnis der älteren Weimarforschung revidieren. Ebenso gegen eine deterministische Interpretation, die die komplexen und europaweiten Herausforderungen an die parlamentarische Demokratie nicht zu erfassen vermag, Andreas Wirsching (Hg.), Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie. Die Weimarer Republik im europäischen Vergleich, München 2007, hier insbesondere der Kommentar von Werner Müller, der die inzwischen nahezu einhellige Meinung der jüngeren Forschung zusammenfasst, dass die Weimarer Republik mehr gewesen sei als ein „Transistorium zwischen Kaiserreich und Diktatur“, in: ebenda, S. 233. 47 „Es gibt Leute die den Kampf gegen den Berliner Zentralismus nur in den süddeutschen Ländern sehen wollen. Dabei wird vergessen, dass in anderen deutschen Län-

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Das mittelstaatlich-bündische Konzept des „Dritten Deutschland“, welches in den süddeutschen Staaten die eigentlichen Träger eines alternativen Weges zwischen preußisch dominierter Nationaleinheit und kleinstaatlichem Partikularismus sieht, beruht dabei offenkundig auf derselben Denkweise, welche einer groß- und machtstaatlichen Politik- und Wissenschaftstradition verbunden geblieben ist. Dass den anderen deutschen Klein- und Mittelstaaten dabei kaum eine geschichtsbildende Kraft zugebilligt wird, hat Jürgen John dahingehend kommentiert, dass sich „in solch preußendistanziert-süddeutscher Perspektive die borussische Sicht eines Heinrich von Treitschke mit umgekehrten Vorzeichen“48 fortschreiben würde. Bemühungen, diese Muster der nationalen Historiographie aufzubrechen, wurden vor allem seitens der regionalgeschichtlichen Forschung unternommen. Es hat sich hier schon länger die Überzeugung durchgesetzt, dass eine deutsche Geschichte auch aus den historischen Entwicklungen der einzelnen Länder und Regionen heraus formuliert werden müsse. Diese Neuansätze halten einerseits Distanz zu macht- und nationalstaatlich ausgerichteten Denkmustern. Sie stehen andererseits aber auch außerhalb einer idyllisierenden Kleinstaatenromantik. Die mit dem Wandel der Regionen befasste Geschichte hat somit historische Vorstellungen über das 19. und 20. Jahrhundert erweitern und differenzieren können. In den einschlägigen Arbeiten zur Gesamtproblematik der Reichsreform49 fanden jedoch Mittelstaaten wie Sachsen oder der großflächige, aber bevölkerungsarme Kleinstaat Mecklenburg-Schwerin bislang keine Aufmerksamkeit. Der einzigen Landesgründung der Republik Thüringen wurde erst seit den 1990er Jahren wieder eine gebührende Aufmerksamkeit zu Teil.50 Vorliegende Einzelstudien zu Oldenburg, Braunschweig oder den lippischen Ländern wiedern die Einstellung gegen die Zentralisierungsbestrebungen noch viel schärfer ist“, HSTA Stuttgart E 130b, Nr. 2139 mit dem entsprechenden Zeitungskommentar aus: Der deutsche Süden, München Nr. 9, September 1931. 48 Jürgen John, Die Thüringer Kleinstaaten – Entwicklungs- oder Beharrungsfaktoren?, in: BDLG 132 (1996), S. 91–149, zit. S. 112. 49 Neben dem bereits erwähnten Standardwerk von Gerhard Schulz zuletzt Jürgen John, „Unitarischer Bundesstaat“, „Reichsreform“ und „Reichs-Neugliederung“ in der Weimarer Republik, in: ders. (Hg.), „Mitteldeutschland“. Geschichte, Begriff, Konstrukt, Jena 2001, S. 297–375; Kurt Düwell, Zwischen Föderalismus, Unitarismus und Zentralismus. Reichsreform und Länderneugliederung in der Weimarer Republik (1918– 1933), in: Janz u.a. (Hg.), Zentralismus und Föderalismus, S. 215–226. 50 Jürgen John, Thüringer Verfassungsdebatten und Landesgründung 1918–1921, in: Harald Mittelsdorf (Hg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung 1919–1999, Weimar 1998, S. 67–122.

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derum folgen in erster Linie einer auf die Region bezogenen Forschungslogik, die den Eigenrhythmus der jeweiligen Landesgeschichte in den Vordergrund stellt.51 Auch findet sich nach wie vor jene Ansicht verbreitet, welche Regionalität nach 1800 abklingen sieht. Dabei wird hauptsächlich auf die Einebnung älterer Regionalmilieus und -strukturen durch die Zentralisierungs- und Nivellierungsprozesse der modernen Industrie- und Massengesellschaft verwiesen. Der Frage, warum sich ein Teil der wesentlich älteren mittel- und kleinstaatlichen Territorien in den Umwälzungs- und Integrationsprozessen des 19. und 20. Jahrhunderts behaupten konnte, wird demgegenüber oft weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht. Von den anerkennenswerten Verdiensten der politikorientierten Reichsreform- und Bundesstaatsforschung profitiert diese Untersuchung ohne Zweifel. Jedoch soll sie sich in der Beurteilung unitarischer und föderaler Perspektiven der Weimarer Republik breiter orientieren. Um die Reichweite zentralisierender Prozesse, aber auch die Kraft einzelstaatlicher und regionaler Traditionen zu erfassen, müssen weitere Register gezogen werden, die dem Komplex von Staat, Politik, Wirtschaft und Kultur Rechnung tragen. In einer wirkungs- und gesellschaftsgeschichtlichen Analyse lassen sich so dem konventionellen institutionellen Ansatz neue Seiten und Einsichten abgewinnen.52 Die für die Ereignisgeschichte bedeutsame Ergebnislosigkeit einer nicht endenden Reichs51 Als Beispiel für die Einforderung einer stärker vergleichenden Ausrichtung siehe Wolfgang Schmale, Historische Komparatistik und Kulturtransfer. Europageschichtliche Perspektiven für die Landesgeschichte. Eine Einführung mit besonderer Berücksichtigung der Sächsischen Landesgeschichte, Bochum 1998. Zum methodischen Problem der Verallgemeinerung kleinräumig gewonnener Befunde im 19. und 20. Jahrhundert auch Werner Buchholz (Hg.), Das Ende der Frühen Neuzeit im „Dritten Deutschland“. Bayern, Hannover, Mecklenburg, Pommern, das Rheinland und Sachsen im Vergleich, München 2003, insbes. S. 167–184. 52 Dieses Defizit benannte zuletzt Peter Burg, der für das 20. Jahrhundert einen Mangel wissenschaftlicher Erklärungen für die mentalen und kommunikativen Dispositionen des Föderalismus hervorhob, vgl. Peter Burg, Die Neugliederung deutscher Länder. Grundzüge der Diskussion in Politik und Wissenschaft, Münster 1996, S. 10f. Zur aktuellen Debatte über eine Kulturgeschichte der Politik vgl. Luise Schorn-Schütte, Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006, die eine Auswahl neuer Ansätze wie die sozialgeschichtliche Erforschung der Ideen und Politik, kommunikationstheoretische, historisch-semantische und diskursgeschichtliche Analysen beschreibt. Einen Schwerpunkt legt die Verfasserin zur Veranschaulichung ihrer methodischen Überlegungen auf die Bedeutung verfassungs- und ideengeschichtlicher Traditionen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Eine Auswahl der wichtigsten Publikationen und Forschungsverbünde, die die Kulturgeschichte in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gerückt haben, findet man in der Einleitung des Bandes von Ute

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reform, die das nachlassende Interesse der älteren Forschung erklären dürfte,53 ist dabei von geringem Gewicht. Als entscheidend für das Erkenntnisinteresse wird stattdessen der Stellenwert erachtet, den dieser Diskurs in Bezug auf Brüche und Kontinuitäten föderaler Mentalitäten und Strukturen in der modernen Gesellschaft gewinnt. Die Reichsreformdebatte kann auch als eine Art Brennspiegel des Wandels sozialer und kultureller Kontexte gesehen werden. Das Denken und Handeln ihrer Protagonisten unterlag dem so genannten Zeitgeist, der bislang in der Analyse eher vernachlässigt worden ist. Nach Detlev Peukerts an Max Weber angelehntem Interpretationsparadigma54 sollen daher die widersprüchlichen Potentiale des Weimarer Modernisierungsprozesses in ihren Konsequenzen für das deutsche Bundesstaatsdenken berücksichtigt werden. Auch wenn die Präponderanz des Politischen im Erscheinungsbild des Föderalismus unbestreitbar ist, hat bereits Ernst Deuerlein darauf hingewiesen, dass es kein fixiertes Element der Staatsstrukturen ist, sondern als Struktur- und Formelement auch auf die Bereiche Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur ausgreift.55 Vor allem die Weimarer Neugliederungspläne belegen, wie die Industrialisierung und Technisierung der Lebenswelt mit Forderungen nach neuen Staatsstrukturen korrespondierten, die rationalen, bürokratischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten entsprechen sollten. Demgegenüber sind Überlegungen für eine Rückbesinnung auf den Bundesstaat zu gewichten. Sie reagierten einerseits auf Modernitätsängste, indem sie den traditionalen innerdeutschen Abgrenzungen Rechnung trugen. Andererseits wurden aber auch die konstitutionellen und demokratischen Traditionen des 19. Jahrhundert angesprochen, wenn die Bedeutung der Länder für die politisch-kulturelle und

Daniel u.a. (Hg.), Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, München 2010, S. 7f., Fn. 1 und 2. 53 Andreas Wirsching, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, München 2000, S. 58f. 54 Detlev Peukert hat die Krisenhaftigkeit der Zwischenkriegszeit auf die in der Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Gesellschaft wurzelnden Spannungen zurückgeführt und diese auf die Folgeprobleme des Glaubens an die Gestaltbarkeit der gesellschaftlichen Bedingungen zurückgeführt, vgl. ders., Die Weimarer Republik, Krisenjahre der Klassischen Moderne, 4. Aufl., Frankfurt a. Main 1993. An Peukerts inzwischen selbst klassisch zu nennende Deutung anknüpfend Eric Weitz, Weimar Germany. Promise and Tragedy, Princeton 2007, ebenso der Sammelband Wolfgang Hardtwig (Hg.), Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933, München 2007. 55 Deuerlein, Föderalismus, S. 306.

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wirtschaftlich-soziale Konsolidierung des Reiches nach dem Ersten Weltkrieg herausgestellt werden sollte. Wie sehr die Weimarer Reichsreformdebatte die Gesellschaft durchdrang und wie umfassend sie alle sozialen Schichten und Kreise erfasste, wird nicht zuletzt aus der Papierflut von Reichsreformvorschlägen und Schriften ersichtlich, die sie hervorbrachte.56 Jenseits bestehender Machtstrukturen und politischer Verfahrensregeln öffnet sich dabei der Blick für konkurrierende Bedeutungszuschreibungen der Begriffe Föderalismus und Unitarisierung. Sie bildeten die Angelpunkte in der Weimarer Debatte um systemgerechte bundesstaatliche bzw. einheitsstaatliche Normen. Die artikulierten Erfahrungen und Wahrnehmungen der Zeitgenossen verweisen letzten Endes darauf, welche der Alternativen in ihren jeweiligen strukturellen und räumlichen Dimensionen als erstrebenswert angesehen wurden. Besonders öffentlichkeitswirksam waren dabei die Bemühungen um eine Aufteilung Preußens und eine territoriale Neuvermessung der angrenzenden Nachbarländer. Die mit ihr verknüpften Grenz- und Existenzfragen berührten zum einen in unmittelbarer Weise den lebensweltlichen Bereich der Bevölkerung. Zum anderen besaß gerade das Staatsgebiet in seinem klassischen Symbolgehalt neben den Faktoren Sprache, Hymne und Flagge einen wichtigen, identitätsstiftenden Stellenwert.

1.3 Föderalismus und Unitarisierung – historisch-semantische Befunde Geschichtswissenschaftliche Begriffe ergeben sich aus der Interpretation der Quellen und dem historisch Konkreten und lassen sich nicht aus der reinen Abstraktion ableiten. Um die Lesart zentraler bundesstaatlicher Kategorien und ihrer Antonyme während der Weimarer Republik rekonstruieren zu können, ist deshalb davon auszugehen, dass ihnen keine ontologisch festzumachenden Dauerbestimmungen anhaften, sondern dass sie nur im Kontext der Zeit, des jeweiligen Gegenbegriffes und eines komparatistischen Ansatzes verstanden werden können.57 56 Eine 1928 publizierte Literaturliste umfasste bereits mehr als dreihundert Titel, vgl. Bund zur Erneuerung des Reiches, Reich und Länder, Berlin 1928, S. 113–134 und die Zusammenfassung des Diskussionsstandes durch den Reichssparkommissar Saemisch BAB R 43 I / 1877 Vorschläge zur Reichsreform, 15.6.1928. 57 Ich folge darin dem begriffsgeschichtlichen Ansatz von Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche

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So hat jüngst der Verfassungsjurist Dieter Grimm auf einen häufig anzutreffenden ahistorischen Umgang mit dem Souveränitätsbegriff verwiesen, dem seit Jahrhunderten eine Schlüsselfunktion in der juristischen und historischpolitischen Sprache zukommt. Der Begriffssinn ist dabei, und das zeigt sich insbesondere in der Anwendung auf föderale Gebilde, keineswegs eindeutig und gleichbleibend gewesen. Über die Jahrhunderte hinweg hat sich allein der Herrschaftsbezug als wesentlich erwiesen. Ausschlaggebendes Merkmal ist das „Herrschen-dürfen, ohne dass der Träger dieses Rechts, soweit es reicht, von anderen beherrscht“ würde.58 Die großen Zäsuren fortschreitender Verfassungsentwicklungen haben jenseits dessen immer wieder Begriffsanpassungen erzwungen. Einige Kritiker überkommener Souveränitätslehren wie Hugo Preuß oder Hans Kelsen haben auf den Begriff sogar ganz verzichtet oder ihn entsubstantialisiert.59 Zudem wechselten Vorstellungen über Souveränität von Land zu Land. Konkurrierende Deutungen existierten aber auch in einer Zeit und im selben historischen Raum. In der Frage, was Souveränität ist und wer sie hat, spiegeln sich schließlich die großen Auseinandersetzungen um die Gestaltung und Legitimation von Herrschaft wider. So konnte im modernen Verfassungsstaat die Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde. Stuttgart 1972–1997, hier Bd. 1, XIV ff. Koselleck konstatierte darüber hinaus einen epochalen Wandel vom Erfahrungsbegriff zum Erwartungsbegriff. Die neuzeitlichen „Bewegungsbegriffe“ artikulieren demnach weniger Empirisches als vielmehr politische Vorgriffe in die Zukunft. Somit lässt sich auch für die Begriffsgeschichte die alte Auffassung neu belegen, dass Ideen Geschichte machen. Einen positiven Vorgriff auf die Zukunft findet Koselleck im „Erfahrungsstiftungsbegriff“ der Bundesrepublik, über den er die Bedeutung föderaler Traditionen für ihr Selbstverständnis betont, ders., Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt am Main 2006, S. 67f., 338; ders., Nation oder Föderation?, S. 29–44. 58 Dieter Grimm, Souveränität. Herkunft und Zukunft eines Schlüsselbegriffs, Berlin 2009, zit. S. 101. 59 Ihre Angriffe richteten sich gegen die traditionelle Souveränitätslehre, während ihr Staats- und Rechtsverständnis durchaus mit anderen Interpretationen kompatibel erscheint, wie die Vorstellung von Rechtssouveränität bei Kelsen zeigt. Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität im Völkerrecht, Tübingen 1920. Zur Dekonstruktion des Souveränitätsbegriffs die Habilitationsschrift von Hugo Preuß, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften, Berlin 1889. Zur Reflexion der Bundesstaatsdebatten und Preuß‘ Theorie, in der er eine Entfaltung moderner Staatlichkeit von unten nach oben zur Kenntnis nimmt, siehe die Einleitung von Dian Schefold in: ders. (Hg.), Hugo Preuß. Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie im Kaiserreich, Tübingen 2009, S. 10–14.

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Souveränität durch die Zuweisung einer ursprünglich persönlich gedachten Herrschaftsmacht an das abstrakte Gebilde Staat oder die fiktive Größe Volk mit der Gewaltenteilung kompatibel gehalten werden. Sie wurde auf den Staatsgrundvertrag und den Akt des Volkswillens bezogen und war dementsprechend nur latent hinter der geltenden Rechtsordnung und Kompetenzverteilung vorhanden.60 In föderalen Staaten lagen die Dinge dabei jedoch weitaus komplizierter. Vor allem Bundesstaaten wie die USA, die Schweiz oder das Deutsche Reich, die aus Einzelstaaten zusammengesetzt waren, boten fortwährend Anstoß für Irritationen. Ihre realen Verfassungsfragen zwangen zu einer vertieften Reflexion über das Souveränitätsverständnis. Daraus ist in der Vergangenheit eine beträchtliche Anzahl monistischer und dualistischer Begriffsvarianten, Teilungs- und Unteilbarkeitstheorien hervorgegangen, die gegenwärtig wieder an Aufmerksamkeit gewinnen. Sie tragen zu einer Überprüfung von Merkmalen des Souveränitätsbegriffes bei, die bis vor kurzem noch als wesentlich anerkannt wurden. Dazu zählen insbesondere die Schrankenlosigkeit des Herrschaftsanspruches sowie der Vollbesitz der öffentlichen Gewalt. Vor dem Hintergrund der Aufteilung von Hoheitsrechten zwischen Staaten und internationalen Organisationen lassen sich diese Zuschreibungen heute kaum noch unverändert am Leben erhalten, wenn die Erklärungskraft von Souveränität bewahrt werden soll.61 Bereits die ältere deutsche Staatsrechtslehre hatte, um an der Souveränität im modernen Bundesstaat festzuhalten, das wichtige Merkmal der Unteilbarkeit aufgegeben. Im Hinblick auf die nationale Einheitsfrage im 19. Jahrhundert und aus den Erfahrungen der 1848er Revolution heraus wurde eingeräumt, dass es auf einem Territorium mehrere Souveräne geben kann. Sollte es dabei bleiben, dass ein Souverän niemanden über sich hat, mussten Herrschaftsrechte der Gliedstaaten und des Gesamtstaates auf ihre jeweiligen 60 Die deutsche, dualistische Verfassungslage im 19. Jahrhundert bietet insofern einen Sonderfall, als bis zum Sturz der Monarchien und bis zum Erlass der Weimarer Verfassungen der Monarch als alleiniger Inhaber der Souveränität galt, der sich aber freiwillig an die Bestimmungen der im 19. Jahrhundert erlassenen Verfassungen band. Am Ende führte die monarchenfreundliche Staatstheorie zum Konzept der Staatssouveränität, sie hatte aber einen ähnlichen Effekt wie die Verlagerung der Souveränität auf das Volk oder die Nation in Amerika und Frankreich, vgl. dazu Grimm, Souveränität, S. 48–53. 61 Zur Problematik der Souveränität im Bundesstaat vgl. ebenda, S. 54–69. Zur ideengeschichtlichen Klärung des Souveränitätsbegriffes und zur Gegenwartsdiagnose des Phänomens staatlicher Souveränität siehe auch Samuel Salzborn / Rüdiger Voigt (Hg.), Souveränität. Theoretische und ideengeschichtliche Reflexionen, Stuttgart 2010.

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Zuständigkeitsbereiche bzw. Kompetenzen eingeengt werden. Jeder Träger sollte nur „in seiner Sphäre“ zu höchst sein, so hatte es der Rechtshistoriker und Mediävist Georg Waitz 1853 ausgedrückt. Sowohl die Bundesgewalt als auch die Gewalt der Einzelstaaten sollten danach selbstständig bleiben: „diese darf ihre Gewalt nicht von jener empfangen, jene nicht auf Übertragung dieser beruhen“62. In der Reichsverfassung von 1871 war die Souveränität allerdings nicht weiter thematisiert worden, um ihre Annahme nicht zu gefährden. Bismarck hatte das Problem politisch in der Schwebe gelassen, indem er auf die Direktive ausgewichen war, das Reich solle der Sache nach ein Bundesstaat sein, der Form aber wie ein Staatenbund aussehen. Der Grundlagenstreit um die Quelle der Souveränität war so in der Verfassung angelegt. Die Kontroverse „Verfassungsstaat“ oder „Fürstenbund“ und in diesem Kontext die Frage nach der Souveränität des Reiches oder nach der Souveränität der Bundesstaaten bzw. der Monarchen rückten daraufhin zu zentralen juristischen Problemen der Kaiserzeit auf. Die ältere gliedhafte Souveränitätsvorstellung Waitz‘, die noch die Gleichberechtigung der Bundesstaaten und des Gesamtstaates betont hatte, geriet nach der Reichsgründung jedoch in Vergessenheit. An ihre Stelle traten rigide Souveränitätsvorstellungen, die sich in der schroffen Entgegensetzung von nichtsouveränem Staatenbund und allein souveränem Bundesstaat ausdrückten.63 Danach konnte man in die Reichsverfassung eine eher staatenbündische Konstruktion hineinlesen oder umgekehrt in der Reichsverfassung die endgültige Mediatisierung der Einzelstaaten erblicken, durch die das Reich zum alleinigen Träger der Souveränität geworden sei. Beiderseitige Souveränitätsansprüche waren in diesen Debatten kaum noch zu vermitteln. Sie wurden unter den Auspizien des nationalen Machtstaates jedoch schließlich zugunsten des Reiches aufgelöst.64 Nach dem Ende der Monarchien 1918 lebte die Kontroverse wieder auf, da der Souveränitätsgedanke nun den neuen Gegebenheiten des republikanischen Bundesstaates angepasst werden musste. Der Gedanke einer teilbaren Souveränität, der nach der Entstehung des Nationalstaates 1871 als logisch unmöglich ausgeschlossen worden war, kam dabei während der Weimarer 62 Zit. nach Grimm, Souveränität, S. 112. 63 Staatsrechtlich, völkerrechtlich und verfassungsrechtlich stiftete die Kontroverse „Staatenbund gegen Bundesstaat“ kaum Klarheit. Koselleck, Nation oder Föderation, S. 36; ders., Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 649ff. 64 Vgl. Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 44–56.

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Reichsreformbemühungen noch einmal zum Zuge. In der Abkehr von einer hierarchisch gedachten Bundesstaatstheorie stärkte er vorübergehend das Bewusstsein für traditionelle Grundwerte föderaler Organisationen. Dazu kann man unter anderem die „Förderung der größeren Einheit durch die kleinere Einheit aufgrund von Einsicht und Bereitschaft“65 und dialogische Austragungsformen über eine sinnvolle Kompetenzverteilung im Bundesstaat rechnen. Das Gegenteil bedeutete „Unterwerfung der kleineren Einheit unter die größere“66. Auf dieser Linie gab es eine deutliche Tendenz zur konfrontativen Austragung von Konflikten. Das Potenzial eines ideen- und realgeschichtlich verstandenen Souveränitätsbegriffes ist für das Verständnis des Weimarer Bundesstaates dementsprechend kaum zu überschätzen. An ihn sind vielmehr weitere Konzepte und Begriffe gebunden, deren Sinn sich ebenfalls mit der Zeit und von Situation zu Situation änderte. Aus der fortlaufenden Benutzung identischer Bezeichnungen wie Unitarismus und Föderalismus sowie Einheitsstaat und Bundesstaat darf daher nicht auf die Identität der mit ihnen verbundenen Interessen und Vorstellungen geschlossen werden. Vielmehr ist für eine Beurteilung von Perspektiven der föderalen Ordnung nach 1918 zu berücksichtigen, dass die relevanten staatsrechtlichen Termini in der Regel ideologisch aufgeladen wurden, um politische Ziele durchzusetzen. So ist es über die relativ abstrakten Begriffe der bundesstaatlichen Theorie Föderalismus und Unitarisierung nie zu einer einhelligen Meinung gekommen. Wer unitarisch dachte, hob jedoch eher die starke Zentralgewalt im Bundesstaat hervor, während das Attribut föderal die Besonderheiten seiner Glieder betonte. Bezüglich der Aufgabenteilung im Bundesstaat war föderalistisch eine Haltung, die Kompetenzen für die Glieder in allen Teilen annahm, insofern diese nicht explizit beim Bund lagen. Unitarisch dagegen war die Annahme, dass Bundeskompetenz bestehe, soweit die Kompetenz der Glieder nicht ausdrücklich durch die Verfassung benannt war. Gegenteilig zur bundesstaatlichen Organisation bezeichnete der Begriff der politischen Zentralisation den Einheitsstaat, dessen Teile nur im Auftrag der Gesamtheit zuständig sein konnten. Divergierende Programme bedienten sich oft derselben Sprache, und sie waren, oberflächlich betrachtet, daher nicht leicht zu unterscheiden.67 So wurden zentralisierende Reformentwürfe oftmals im Gehäuse traditioneller 65 Deuerlein, Föderalismus, S. 306. 66 Ebenda. 67 Hans Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung. Erster Teil: Das Reich als Bundesstaat, Berlin 1928, S. 5ff.

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Begriffe entwickelt und durch neue Deutungsmuster angepasst, um ihre Akzeptanz zu erhöhen. Selbstverwaltungsprovinzen ohne eigene Kompetenzen hießen zum Beispiel weiter Länder. Für aufmerksame Anhänger eines ausgeprägten Bundesstaates war dies jedoch nur noch „ein leerer Name, eine Schale ohne Kern“ oder sie sprachen von einer „papierne(n) Krone“.68 Föderalisten wiederum vermieden den pejorativen Ausdruck „Partikularist“ und bezeichneten sich häufig als „Unitarier“, während „Anhänger einer starken Zentralgewalt sich auf keinen Fall die Bezeichnung Föderalisten nehmen lassen wollten“.69 Unabhängig davon, welche Ambitionen im Spiel waren, wurde oft sehr allgemein vom Weimarer Einheitsstaat gesprochen.70 Für Hugo Preuß, der in den Verfassungsberatungen die Abkehr von der traditionalen Länderstaatlichkeit angestrebt hatte, wirkte die „hochnotpeinliche Doktorfrage“ nach dem begrifflichen Unterschied zwischen Bundesstaat und Einheitsstaat eher „verwirrend statt klärend“. Über dieses immer wieder in den Mittelpunkt gestellte Problem der Staatsgestaltung sei zwar „gerade in der deutschen staatsrechtlichen Literatur seit vielen Jahrzehnten eine ganze Bibliothek geschrieben worden“, jedoch hielt Preuß keine der Unterscheidungslehren für überzeugend. Er stellte klar, dass für ihn „Gliedstaat im Bundesstaat und autonomer Selbstverwaltungskörper im dezentralisierten Einheitsstaates“ gleichartige Phänomene waren. Beide seien „historisch-politische Erscheinungsformen staatlicher Gliederung, Stufenfolgen von Zentralisation und Dezentralisation, die in der geschichtlichen Wirklichkeit mannigfache Gradunterschiede aufweisen“ würden, zwischen denen aber kein Wesensunterschied zu finden sei, „weil er nicht existiert“.71 Die staatsrechtlichen Termini wurden dementsprechend mit sehr verschiedenen Dimensionen assoziiert. Das Verhältnis von Föderalismus und Unitari68 ThHStAW Staatsministerium Nr. 46 Maximilian Freiherr von Biegeleben, Das entschleierte Bild zu Saïs, Juli 1929, der sich hier auf den legendären Kommentar Hans Nawiaskys über neue Länder mit einem Status der damaligen preußischen Provinzen bezog. Mit der Bezeichnung „Länder“ polemisierte Nawiasky gegen Reichsreformvorschläge der Länderkonferenz, welche diesen neuen Einheiten „ein Hütchen aufgesetzt“ habe, „wie es die Kinder beim Soldatenspielen“ hätten, Reichsministerium des Innern (Hg.), Verfassungsausschuss der Länderkonferenz. Verhandlungen der Unterausschüsse vom 5. und 6. Juli 1929, Berlin 1930, S. 31. 69 Fritz Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung, Diss., Peine 1926, S. 2. 70 Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S. 5. 71 Hugo Preuß, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung (1923), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4: Politik und Verfassung in der Weimarer Republik, hg. von Detlef Lehnert, Tübingen 2008, S. 326f.

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sierung traf die Problematik des Bundesstaates. Das Problem von Zentralisierung und Dezentralisierung behandelte eher Fragen der Selbstverwaltung und der Behördenorganisation. Die Kombination beider Aspekte verkomplizierte schließlich die Reichsreformdebatte. So konnte beispielsweise die in einheitsstaatlichen Konzepten als Dezentralisation projizierte Selbstverwaltung regionaler Einheiten gegen die föderale Organisation der Länder argumentativ virulent gemacht werden. Auf die Frage, welche dieser beiden Formen die Selbstständigkeit der Teile mit der Einheit des Ganzen besser verband, räumten selbst überzeugte Föderalisten ein, es sei nicht ausgeschlossen, „dass eine weitgehende Selbstverwaltung im Einheitsstaat die tatsächliche Bewegungsfreiheit der räumlichen Gebiete größer gestalten könnte“ als es der Weimarer Bundesstaat vermochte. Sie betonten jedoch, dass sich sein politischer Aufbau grundsätzlich vom Einheitsstaat unterschied. In ihm blieb selbst die freieste Selbstverwaltung der Reichsgewalt untergeordnet, während im Bundesstaat neben der Reichsgewalt die Länder „eigene politische Kraftmittelpunkte“ bildeten. Mochte daher auch die Weimarer Republik unitarischer im Aufbau und in der Verwaltungsausübung als das Reich von 1871 sein, von einem Einheitsstaat der Weimarer Verfassung konnte aus ihrer Sicht keine Rede sein, solange die Länder und ihre parlamentarischen Regierungen existierten.72 Zur Mehrdeutigkeit der Begriffe kam ein hohes Maß an politischer Ambivalenz: Föderale, unitarische und einheitsstaatliche Orientierungen lassen sich nicht eindeutig dem republikanischen oder antirepublikanischen Lager zuordnen. Jedoch bleibt unverkennbar, dass diese Polyvalenz auch ihre Grenzen hatte. Nach allen bisherigen Erfahrungen besteht ein Spannungsverhältnis, wenn nicht eine Unvereinbarkeit, zwischen Föderalismus und Diktatur. In der historischen Perspektive zeichnet sich des Weiteren ab, dass föderale Programme zunächst eher mit strukturkonservativen Interessen und Weltdeutungen zusammengebracht wurden. Erst später wurden sie mit den Prinzipien Pluralismus und Partizipation verbunden.73 Für jegliche Projektionen auf den Weimarer Bundesstaat muss auf jeden Fall bedacht werden, dass ihm die Erfahrung der Diktatur erst nachfolgte und erst nach 1945 eine deutliche, negative Umwertung des Zentralstaatsprinzips erfolgte. Die großen verfassungsrechtlichen Begriffe föderaler Ordnungen sind außerdem selten das Ergebnis rein nationaler Entwicklungen gewesen. Sie sind auch durch grenzüberschreitende Transferprozesse geprägt worden. Dabei führten die wechselnden Einflüsse aber nicht unbedingt zu einem überna72 Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S. 7. 73 Jürgen Kocka, Bemerkungen zur Schlussdiskussion, in: Janz u.a. (Hg.), Zentralismus und Föderalismus, S. 276.

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tionalen Verständnis gleicher Bezeichnungen. Im Vergleich mit den USA und anderen europäischen Entwicklungen ergeben sich so Eigenheiten der „föderativen Nation“.74 Während deutsche Bundesstaatsvorstellungen an die historischen Traditionen des Alten Reiches anknüpften und sehr stark an staats- und verfassungsrechtlichen Normen ausgerichtet blieben,75 fußten sie in den USA auf der Unabhängigkeitsbewegung. Der Föderalismus wurde dort zu einem fest integrierten Bestandteil seiner demokratischen Institutionen. Die Differenzen sind auch sprachlich fassbar geworden. Während im 19. Jahrhundert der amerikanische Begriff „federalist“ die Protagonisten einer starken Bundesgewalt bezeichnete, wurde hingegen das deutsche Äquivalent „Föderalist“ benutzt, um Verfechter für partikulare Rechte der Einzelstaaten und eine schwache Zentralgewalt zu charakterisieren. Unter europäischen nationalstaatlichen Leitbildern des 19. Jahrhunderts folgte daraus eine negative Sicht auf den deutschen Bundesstaat.76 In Europa hatten sich mit der Entstehung des modernen Staates seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zwei Strukturmodelle herausgebildet: Beispielhaft für den Zentralstaat war Frankreich, wo die zentripetale Tendenz des bourbonischen Königtums seit 1789 von der regierenden Staatsbürgernation aufgegriffen und intensiviert worden war. Föderative Gestaltungsprinzipien hatten sich demgegenüber in den europäischen Territorien durchgesetzt, in denen der moderne Staat durch einen Zusammenschluss von Republiken mit eigener politischer Selbstverwaltung entstanden war. Ihre Föderation wurde vor allem durch gemeinsame Außeninteressen zusammengehalten, und es gab kein dominantes Regierungszentrum wie in Frankreich. Die Republik der Niederlande galt im alten Europa als das besondere Beispiel eines nationalen Bundes. Der Schweizer Eidgenossenschaft war es gelungen, ständische Bünde in dauerhafte staatliche Institutionen zu überführen. Im Gegensatz zum modernen föderalen Nationalstaat, der mit den Vereinigten Staaten von Amerika entstand, wurde im kontinentalen Europa jedoch der Zentralstaat zum favorisierten Modell. So wurde 1815 die alte Republik der Vereinigten Niederlande monarchisch-zentralistisch umgestaltet. Die Schweiz war in der napoleonischen Ära für kurze Zeit als „Helvetische Republik“ ein Einheitsstaat, bevor sie 1815 zum Staatenbund zurückkehrte und zwischen 1848 und 1874 74 Grimm, Souveränität, S. 14. 75 Karl Otmar von Aretin, Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648–1806), Stuttgart 1993, S. 9–16. 76 Arnold Brecht, Federalism and regionalism in Germany. The division of Prussia, New York 1945, S. 23–26.

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in einen Bundesstaat umgewandelt wurde. Auch die neuen Nationalstaaten im 19. Jahrhundert Belgien, Griechenland und Italien waren stark vom französischen Modell geprägt.77 Deutschland bildete demnach keine Ausnahme, wenn sich Zentralstaatlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als politische Realität etablierte. Nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches wurde sie wirksam, um die Monarchien in einem Prozess der defensiven Modernisierung zu erhalten und zu festigen. Vor allem die größeren der durch Napoleon und den Wiener Kongress neu konstituierten monarchischen Staaten – Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Hannover und Preußen – verfolgten das Ziel, das Konglomerat ihrer durch relativ willkürliche Erweiterungen vergrößerten Territorien nach innen zu integrieren. Mittels gesamtstaatlicher Verfassungen, Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung suchten sie ein neues Staatsbewusstsein zu schaffen.78 Die Nation als weit verstandenes Ordnungsprinzip konnte zu dieser Zeit noch ohne Schwierigkeit sowohl auf Deutschland als die eine Nation als auch auf die Einzelstaaten und ihr Staatsvolk bezogen werden. Dass blieb allerdings nicht ohne Auswirkungen auf die Form des Zusammenhalts zwischen den Staaten. Jeder Versuch, die nationale Einheit in einem Bundesstaat zu verwirklichen, warf die Frage nach der Vereinbarkeit mit der monarchischen Souveränität auf. Die Privilegierung des souveränen Einzelstaates als Träger einer modernen Politik stellte in dieser Zeit nicht nur den Deutschen Bund in der Nachfolge des Alten Reiches in Frage, sondern auch ältere multinationale Staatengebilde wie die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich. Obwohl der Homogenitätsanspruch keiner Realität standhielt, hatten die europäischen Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts das klassisch-normative Ordnungsmodell – ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet, eine Staatsgewalt – zum politischen Credo erhoben.79

77 Zur Geschichte der Staats- und Nationsbildung in vergleichender, europäischer Perspektive Peter Brandt u.a. (Hg.), Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Bd. 1, Bonn 2006; Hagen Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München 1994; Hans Fenske, Der moderne Verfassungsstaat. Eine vergleichende Geschichte von der Entstehung bis zum 20. Jahrhundert, Paderborn 2001 sowie Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. 78 Axel Kellmann / Patricia Drewes, Die süddeutschen Reformstaaten, in: Peter Brandt u.a. (Hg.), Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte, S. 714–784; Peter Brandt / Kurt Münger, Preußen, in: ebenda, S. 785–850. 79 Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat, S. 11.

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Ein Indikator dafür ist der Begriff Partikularismus, der im Vormärz in den deutschen Sprachgebrauch Eingang fand. Zunächst bezeichnete er als ein relativ neutraler und allgemein gehaltener Begriff Mentalitäten und Vorstellungen, die der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Teile gegenüber dem Ganzen einen Vorrang einräumten. Er umfasste damit all diejenigen Strömungen, die einer nationalen Entwicklung mit einem zentralisierenden Impetus widerstrebten, die die Selbständigkeit der Einzelstaaten verteidigten und die sich dabei auf Recht, historische Tradition und sprachlich-stammesmäßige Identitäten beriefen. In den Bundes- und Reichsreformdiskussionen neigten die so genannten Partikularisten zunächst zur Rechtfertigung staatenbündischer Verfassungen, während sie später bundesstaatliche Strukturen gegen weit greifende unitarische Ansprüche verteidigten. Ihre konkreten politischen Programme und Zielvorstellungen änderten sich also in Abhängigkeit von den jeweiligen zeitgenössischen Konstellationen.80 Als Verdikt hat Partikularismus vor allem durch die Anhänger einer deutschen Einigung unter Preußens Führung Verbreitung gefunden. Sie vereinnahmten den Begriff, um die Gegner dieses politischen Ziels zu diskreditieren. Komprimitiert hat ihn Heinrich von Treitschke in einem Generalangriff auf die „Märchenwelt des Partikularismus“ 81 im Vorfeld der Reichsgründung. Treitschke glaubte an den dynastischen Partikularismus als vermeintlichen Verursacher der Zersplitterung Deutschlands, und er zeigte sich irritiert, dass die Trägheit und Unentschlossenheit der Nation diese nur passiv erdulde. Die weiter gespannte Frage, ob „der Plan, die deutschen Monarchien zu einem Bundesstaate zu vereinen, möglich und eines großen Strebens wert sei“82, verneinte Treitschke. Einen Bundesstaat nach dem Muster der USA oder der Schweiz lehnte er ab, weil beide Länder in ihrer republikanischen Verfasstheit Deutschland nicht entsprächen. Da er es auch als unmöglich erachtete, einen Bundesstaat aus Monarchien zu bilden, hätte der Nationalstaat nur nach Einverleibung der Einzelstaaten in einen Einheitsstaat unter Preußens Führung entstehen können. Obwohl eine solche Lösung als aussichtslos und irritierend erscheinen musste, bürgerte sich Treitschkes Werturteil über den Partikularismus in die 80 Irmline Veit-Brause, Partikularismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 735– 766. 81 Heinrich von Treitschke, Bundesstaat und Einheitsstaat (1964), in: ders., Aufsätze, Reden und Briefe hg. von Karl Martin Schiller, Bd. 3, Meersburg 1929, S. 11; Ulrich Wyrwa, Heinrich von Treitschke. Geschichtsschreibung und öffentliche Meinung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: ZfG 9 (2003), S. 781–791. 82 Treitschke, Bundesstaat und Einheitsstaat, S. 10.

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politische Alltagssprache ein. Die Verteidiger bundesstaatlicher Praxis neigten kaum noch zu dieser pejorativen Selbstbezeichnung, die durch Treitschkes Vereinnahmung problematisch blieb. So bemerkte ein Schüler seines politischen Antipoden Konstantin Frantz, Ottomar Schuchardt, 1928: „In das deutsche politische Schrifttum der letzten sechzig Jahre hat man nun aber für das Wort deutsch kleindeutsch eingeschmuggelt und das partikularistisch an Stelle von bündisch (föderalistisch) gesetzt. Und der Betrug ist so glänzend gelungen, dass man in der breiten Öffentlichkeit gar keine Ahnung mehr davon hat.“83 Wer in den staatsrechtlichen Diskussionen der Weimarer Republik die Stellung der Länder zum Reich hervorhob, nutzte Föderalismus daher als tragenden Begriff. Wer von Partikularismus sprach, erachtete dagegen die Betonung der Rechte der Länder im Bundesstaat als übertrieben und für die Entwicklung des Gesamtstaates als nachteilig. Der Begriff drückte stets eine unterschwellige Sorge um den Bestand des Reiches und die Einheit der Nation aus.84 Der Wunsch nach Einheit der Nation war im 18. Jahrhundert von der Sprache und Kultur auf die politische Ordnung übertragen worden. So war die patriotische Reichspublizistik bestrebt gewesen, diese neue Idee zu verbreiten und zu einer Reform der Grundsätze und Institutionen der Reichsverfassung beizutragen, die die „Einheit des Teutschen Reiches“ im organischen Miteinander von Kaiser und Reichsständen, in einem Gleichgewicht der verschiedenen politischen Kräfte garantieren sollte. Leitendes Motiv war dabei die Ablehnung des territorialstaatlichen Souveränitätsgedankens, der despotischen Gewalt der Territorialfürsten und des militärischen Staatsrechts, dessen sie sich bedienten. Die nüchternen Pläne der Reichsreformer wurden jedoch nach dem Ende des Alten Reiches von einer Reichsromantik überwuchert, die sich an einem verklärten Bild eines einheitlichen mittelalterlichen Reiches mit einer starken monarchischen Spitze orientierte. Im Banne dieser Anschauungen wünschte sich Freiherr vom Stein 1813 ein Deutschland, wie es unter „den großen Kaisern des 10. und 13. Jahrhunderts“ zu einem „glücklichen, kräftigen, freien Staate“ zusammengefasst worden sei.85 Die Wiederherstellung der 83 HStAD 10701 / 14 Ottomar Schuchardt, Das ganze Sachsen, in: Sächsische Volkszeitung, 1928. 84 Heinrich Triepel hatte sich in Abgrenzung zu Treitschke um Differenzierung bemüht, indem er vielen als Partikularismus bezeichneten Vorstellungen ein Einheitskonzept zugestand, ders., Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reich. Eine staatsrechtliche und politische Studie, Tübingen 1907. 85 Denkschrift Steins für Alexander I., Petersburg, 17.9.1812, in: Karl vom und zum Stein, Briefe und amtliche Schriften Bd. 3, Stuttgart 1961, S. 742f.

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alten Reichsverfassung lehnte Stein ab, weil sie nicht „das Resultat der durch Erfahrung und Kenntnis des eigenen Interesses geleiteten Nation“ gewesen sei, sondern eine „monströse Verfassung (…), die den Grund einer allmählichen inneren Auflösung und einer fortdauernden Zweitracht“ enthalten habe.86 Die nach 1806 weitergeführte Reichstradition bewirkte immerhin, dass Einheit in Deutschland entgegen den unrealistischen Verfassungsplänen des preußischen Reformers vorrangig als bundesstaatliche Einheit aufgefasst wurde. Angesichts der Wiederentdeckung Steins als Ideengeber für einen deutschen Einheitsstaat in der Weimarer Republik87 kann es in diesem Kontext kaum überraschen, dass 1929 der Freiburger Historiker Arnold Berney in seinem wichtigsten Aufsatz erstmals die nachwirkende Kraft des Alten Reiches wieder stärker ins Gedächtnis rückte. Der späte Reichspatriotismus habe, so Berney, „sowohl die föderalistischen als auch die bundesstaatlichen Neugründungsversuche und Velleitäten erheblich beeinflusst“, und so sei er „zu einem konstitutiven Element der neuen Nationalstaatsgedanken geworden“.88 Die Verfassungsgedanken und Reichsreformentwürfe Steins hätten dagegen niemals eine realpolitische Formulierungsreife erlangt, und sie seien daher zu den schwächsten Momenten seiner „reichspolitisch erfolglosen Tätigkeit“89 zu zählen. Die enge Verbindung der Begriffe Bund und Einheit ließ sich in den politischen Einheitsvorstellungen des 19. Jahrhunderts leicht auffinden. Doch hatte der real existierende Deutsche Bund das Verhältnis auch modifiziert, da der Terminus Bund nunmehr mit seinen konkreten Institutionen identifiziert werden konnte. So wurde in der nationalpolitischen Konzeption der Liberalen zwar die Einheit der deutschen Nation in Verbindung von einheitlich-repräsentativem und bündischem Prinzip begründet, letzteres sollte aber nicht dem Staatsrecht des als unzulänglich angesehenen Deutschen Bundes entsprechen. Die Bezeichnung Bund wurde daher nicht mehr nur als Modus von Einheit

86 Ebenda. 87 Anke John, Wunschbilder und realpolitische Visionen. Münsters und Steins Deutschlandpläne im Vergleich, in: Heinz Duchhardt / Karl Teppe (Hg.), Karl vom und zum Stein: der Akteur der Autor, seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, Mainz 2003, S. 85–104 und für die Weimarer Rezeptionsgeschichte Paul Nolte, Stände, Selbstverwaltung und politische Nation. Die Ordnungsvorstellungen Steins in der deutschen Geschichte (1800–1945), in: ebenda, S. 139–158, insbesondere S. 155ff. 88 Arnold Berney, Reichstradition und Nationalstaatsgedanke (1789–1815), in: HZ 140 (1929), S. 57–86, zit. 86. 89 Ebenda, S. 83.

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oder als Übergangserscheinung zu ihr aufgefasst, sondern auch als Gegenbegriff zu Einheit etabliert.90 Die Frankfurter Nationalversammlung sah ihre Aufgabe von Anfang an nicht in einer Bundesreform, sondern in der Verabschiedung einer nationalen Verfassung, für die sie ein Mandat des Volkes hatte. Das Prinzip der Zentralgewalt wurde nun in dem Neologismus Unitarisierung entfaltet.91 Seit der Paulskirchenverfassung und dem Scheitern der Revolution verwendet, zeugt die Bezeichnung von der 1848 bewusst gewordenen Spannung zwischen einer starken Reichsgewalt und der Souveränität der monarchischen Gliedstaaten. Wer in der Weimarer Reichsreformdebatte die Bezeichnung Unitarisierung im Schilde führte, wollte daher die bundesstaatliche Ordnung zugunsten der Zentralgewalt verändern. Verfasser unitarischer Programme gingen vom Reich als dem umfassenden, größeren Ganzen aus. Sie diskutierten zwar auch Modelle der Selbstverwaltung regionaler Einheiten. Diese wurden aber vornehmlich unter dem Dach eines vertikal durchstrukturierten Ganzen mit einer unteilbaren Souveränität des Reiches gedacht.92 Dementsprechend zeichneten sich viele Neugliederungspläne durch den Zuschnitt territorial, wirtschaftlich und sozial ausgewogener Regionen aus. Sie rückten damit einheitsstaatliche Organisationsprinzipien stärker ins Bewusstsein, indem sie mit der langen föderativen und bündischen Tradition in der Gestaltung Deutschlands brachen. A priori negiert wurde eine zentrale Prämisse des Bundesstaates. Er beruht auf durch vorhergehende historische Prozesse zu eigenem Gemeinwesen verfassten Bevölkerungsgruppen. Föderale Gebilde beziehen sich letztlich auf die Existenz tradierter Einheiten, und sie tragen kollektiven Identitäten Rechnung.93

1.4. Raum und Grenze in der Diskussion – Das Konzept der Geschichtsräume Zwischen 1918 und 1933 gewannen Denkmodelle an Einfluss, die viel stärker als frühere Vorstellungen auf die Homogenität des Reiches statt auf die Vielfalt seiner Glieder abstellten. Zwar hatten bereits im ersten Impuls der 1848er Revolution Abgeordnete Vorschläge zu einer Gebietsreform gemacht, die eine 90 Lothar Gall / Dirk Blasius, Einheit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, S. 135. 91 Langewiesche, Föderalismus und Unitarisierung, S. 7f. 92 Hans Meinicke, Der unitarische und föderalistische Gedanke in der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919, o. O. 1923. 93 Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 574f.

Raum und Grenze in der Diskussion

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Vereinheitlichung des nationalen Territoriums gewährleisten sollten.94 Aber erst mit dem Ende der Monarchien schien der Weg wirklich dafür geebnet, die Eigenstaatlichkeit von Ländern zugunsten neuer politisch-administrativer Regionaleinheiten aufgehen zu lassen. Die Idee der konkreten geschichtlichen Föderation wurde damit zurückgedrängt und die bundesstaatliche Gliederung neu konstruiert, wobei gerade Grenzfragen und disparate Raumbezüge maßgeblich zum Scheitern der Reichsreformprojekte beigetragen haben. Die Kongruenz von mental maps, historisch geformten Ländern und visionären Planungen hatte dabei viel damit zu tun, wie etwas medial vermittelt wurde. Symbolik und Sprache spielten eine tragende Rolle.95 Ein offensichtlicher Bedarf an überregionaler Koordination und die Suche nach politisch-administrativen Formen, die neue Räume und ihre Grenzen begründen sollten, rührten zudem aus der verkehrstechnischen und medialen Verflechtung moderner Lebenswirklichkeit – einer sozialen Dynamik und Mobilität, wie sie die bürgerliche Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert angestoßen hatte. Konzeptionen zur Erfassung historischer Räume sind daher nicht von ungefähr durch die deutsche geografische Kulturraumforschung der 1920er bis 1940er Jahre entwickelt worden.96 Aus der nationalsozialistischen Kontamination herausgelöst, gewinnen sie heute unter dem Signum „spatial turn“ neue Aufmerksamkeit. Dabei werden räumliche Beziehungen nicht nur als geographische Gegebenheiten verstanden, sondern auf alle Ebenen historischer Zusammenhänge bezogen. Raum prägt und gliedert Wirtschafts- und Handelsverbindungen ebenso wie politische, soziale und kulturelle Kontakte. Er bildet einen elementaren Faktor der Strukturierung und gegebenenfalls der 94 Manfred Botzenhart, Die Verfassungsfrage in der Revolution 1848/49, in: Michael Salewski (Hg.), Die Deutschen und die Revolution, Göttingen 1984, S. 206–227 und aus der Perspektive Lippes, Lippe-Schaumburgs und Waldecks Hans-Joachim Behr, „Eine überlebte, unsinnige und unzweckmäßige Zeitwidrigkeit?“ – um die staatliche Selbständigkeit Lippes und Schaumburg-Lippes, in: BDLG 132 (1996), S. 40–43. 95 Hinsichtlich der politischen Sprache ist die Weimarer Zeit keine klar abzugrenzende Epoche, eher setzte sich die Ideologisierung fort, die bereits im 19. Jahrhundert bestimmend geworden war, vgl. Horst Dieter Schlosser, Einleitung, in: ders. / Heiner Boehncke (Hg.), Das Deutsche Reich ist eine Republik. Beiträge zur Kommunikation und Sprache der Weimarer Zeit, Frankfurt a. Main u. a. 2003, S. 14. 96 Zu den Einflüssen der Geopolitik in der Weimarer Republik Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, München 2003, S. 493 ff. und Irene Diekmann / Peter Krüger / Julius H. Schoeps, Geopolitik. Grenzgänge im Zeitgeist, Bd. 1: 1890–1945, Potsdam 2000.

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Hierarchisierung von Netzwerken und Systemen. In diesem Sinn gilt Raum als ebenso fundamentale Kategorie der Geschichte wie die Zeit und als Konzept, das sich mit Grundannahmen des „cultural turn“ verbinden lässt. Geschichtsraum wird dementsprechend weniger als essentialistische, sozusagen „materielle“ Kategorie aufgefasst, sondern eher als historisch wandelbare Konstruktion nach Maßgabe von Erfahrung, Wahrnehmung und Vision.97 Weil dieser Ansatz sowohl einen Zugriff auf die vorgefundene Länderstruktur als auch auf nicht realisierte Gebietsreformpläne ermöglicht, kann das Geschichtsraumkonzept neben der Begriffsgeschichte für die Analyse des Weimarer Bundesstaatsdenkens nutzbar gemacht werden.

1.5 Vorgehensweise Zunächst werden Bahnen staatlichen und gesellschaftlichen Handelns beschrieben, in denen die Weimarer Reichsreformdiskussion verlief. So werden zum einen die Grundprägungen des historischen Bundesstaatsdenkens im 19. Jahrhundert dargelegt, die das Verhältnis der deutschen Staatsrechtslehre zu den föderalen Perspektiven der Republik bestimmten. Souveränität und Bundestreue sind dabei zwei zentrale Begriffe der konstitutionellen Staatsrechtslehre gewesen, an welche die Weimarer Reichsreformdebatte unmittelbar anknüpfte. Aus der Perspektive ihrer Rezeption wird nach der Interpretation und Neubewertung bundesstaatlicher Traditionselemente nach 1918 gefragt. Da Bundesstaat und Einheitsstaat wie Nation, Reich und Länder abstrakte Kategorien sind, ist zum anderen in einer kulturgeschichtlichen Perspektive das mediale Problem ihrer kollektiven Vorstellung zu behandeln. Wie wurden die Begriffe sprachlich und bildhaft imaginiert und damit öffentlich wirksam? An diskursiven Praktiken, die auch umfangreiche Sammlungs- und Kartierungstätigkeiten einschlossen, soll der Rekonstruktion von Verfassungsfiktionen und neuer Raumbilder nachgegangen werden.

97 Der spatial turn und die Historisierung des Raumes in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft wurden befördert durch die Historikertage in Trier 1986 und in Halle 2004. Zur aktuell dominierenden konstruktivistischen Sicht auf die interaktive Raumwahrnehmung und -gestaltung, zur Analyse raumstrukturierender Normen und sozialen Handelns vgl. Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2003 und das interdisziplinäre Handbuch hg. von Stephan Günzel, Raum, Stuttgart 2010.

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Des Weiteren werden die konkreten Motive und Ziele der Protagonisten in der Reichsreform- und Neugliederungsdiskussion zu unterscheiden sein. Ein Blick auf Parteien und Verbände soll zeigen, welche Reformerwartungen von welchen Interessenten formuliert wurden. Ihre Ziele und Argumente werden miteinander verglichen. Die Haltungen der Parteien korrespondierten mit ihren Organisationsstrukturen. Sie waren weltanschaulicher Tradition verhaftet, zugleich aber auch an die Unterscheidung von nahen und fernen politischen Zielen gebunden. An der Reichsregierung beteiligt, versprachen sich die Parteien einerseits von einer zentralisierten Organisation ihrer Verbände einen Machtzuwachs. Andererseits gab es einen regionalen Parteienföderalismus, der bereits vor der Reichsgründung im 19. Jahrhundert entstanden war. Er wurde durch die föderative Grundordnung der Republik mit den Länderregierungen weiterhin begünstigt. Eine einheitliche Strategie in der Frage Bundesstaat oder Einheitsstaat war daher für die Parteien der Weimarer Republik nur schwer ermittelbar. Die Idee der Verfassungsväter 1918/19, die Republik territorial neu zu gliedern und sie als Gebilde eines Selfgovernment zu verwirklichen, in der sich lokale und zentrale Regierung harmonisch ineinander fügen sollten, wirkte deutlich zu Lasten der Länder nach. Sie begünstigte nicht allein die Reichsgewalt, sondern auch lokale Machtansprüche. Exemplarisch dafür stehen Großstädte wie Berlin, Hamburg und Frankfurt, die mit eigenen Reformprojekten hervortraten, und der Deutsche Städtebund, der Programme zum Einheitsstaat verabschiedete. Die staatlichen Ländergrenzen verliefen mitunter quer zur Ausweitung der urbanen Räume, so dass der Dynamisierungsdruck der Städte für Stadtplanung und Kommunalpolitik zahlreiche infrastrukturelle und sozialgeografische Probleme aufwarf. Eine intensivierte Erschließung, Einbindung und Durchdringung des städtischen Umlandes sorgte für Konflikte mit den Länderregierungen und veranlasste eine eigenständige städtische Reichsreformpolitik. An das von der Weimarer Verfassung projizierte, aber nicht näher definierte System von Wirtschaftsräten knüpften außerdem Erwartungen zur Stärkung einer regionalen wirtschaftlichen Selbstverwaltung an. Diese Bestrebungen waren gekoppelt an Überlegungen, die politischen Ländergrenzen zu marginalisieren. Stattdessen sollten neue territoriale Einheiten entstehen, die sich an den Bedürfnissen moderner Wirtschaftsführung orientierten. Um ihre Vermessung konkurrierten industrielle und landwirtschaftliche Unternehmerorganisationen, die sich wiederum in regionale Interessenvertretungen und reichsweit agierende Fachverbände unterscheiden lassen.

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Die Verwaltungsbürokratie war stilbildend an den Auseinandersetzungen beteiligt. Unter dem Einfluss ihrer Beamten trug die Diskussion oft den Anschein einer reinen Spezialistendebatte über Verwaltungsreformen, die auf ReichLänder-Fragen und Neugliederungspläne bezogen wurden. Das angestrebte Ziel eines besser strukturierten und effizienten Systems von Behörden war dabei geprägt von einem starken Wunsch nach Ausgabenreduzierung und Transparenz. Pläne für Verwaltungsreformen im Reich und in den Ländern orientierten sich an Tendenzen der Vereinheitlichung und Rationalisierung. Ihre Umsetzung als politisch weit reichende Suggestion von Ordnung sollte dabei helfen, die Folgen des Ersten Weltkrieges zu beheben. Demgegenüber werden Widerstände zu gewichten sein, die sich gegen das oszillierende Wachstum einer zentralisierten Verwaltung im Reich und in den Ländern richteten. Anschließend soll der konkrete Verlauf der Reichsreform-Debatte beschrieben werden, in dem die komplexen und facettenreichen Probleme gebündelt waren: in der Frage nach der Beschaffenheit des föderalen Idealstaates und in diesem Zusammenhang nach der rechten Größe und Relation seiner Glieder. Dabei treten zunächst die Extrempositionen hervor, die eine zukunftsweisende Entwicklung an das Ende traditionaler Bundesstaatlichkeit banden. Das Verdikt „jammervoller Kleinstaatlichkeit“ und das daraus folgende Vorurteil eines historischen Irr- und Sonderwegs zu mangelnder Größe der Länder wurde jedoch von vielen Zeitgenossen nicht geteilt. Krisenszenarien wurden daher auf beiden Seiten entworfen, um einen Veränderungsdruck zu erzeugen bzw. den Status quo zu erhalten. Heterogene Neugliederungskonzepte entstanden aus mitteldeutschen und niedersächsischen Großraumfiktionen sowie mit rheinisch-westfälischen und südwestdeutschen Staatsideen. Bei allen territorialen Reformplänen ist zu fragen, ob und inwiefern sie mit bundesstaatlichen Vorstellungen brachen oder diese zu unterstützen geeignet waren. Die Analyse des Weimarer Reichsreformdenkens ist eine Voraussetzung, um die bisherige, vornehmlich aus der Perspektive Preußens98 und der süddeut-

98 Enno Eimers, Das Verhältnis von Preußen und Reich in den ersten Jahren der Weimarer Republik, Berlin 1969; Hans-Peter Ehni, Das Bollwerk Preußen. Preußen-Reich, Reich-Länderproblem und Sozialdemokratie 1928–1932, Bonn / Bad-Godesberg 1971; Dietrich Orlow, Weimar Prussia 1918–1925. The unlikely rock of democracy, Pittsburgh 1986.

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schen Länder99 geschriebene Geschichte der Reich-Länder-Beziehungen schließlich einer Gesamtdarstellung zuzuführen. Eine erweiterte Perspektive bezieht die in ihrer Existenz bedrohten mittleren und kleinen Länder ein und akzeptiert sie dabei grundsätzlich als legitime historische Entwicklungsvarianten. In dieser komparatistischen Perspektive rücken einerseits Oldenburg und das geografisch weiter entfernte Mecklenburg-Schwerin dichter zusammen. Es lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen der thüringischen Landesbildung, dem angestrebten Zusammenschluss Baden und Württembergs sowie einer engeren Kooperation der Hansestädte erschließen. Andererseits werden die Unterschiede dicht beieinander liegender bzw. benachbarter Länder wie der beiden Lippe, der beiden Mecklenburg und der im Mittelalter vereinten wettinischen Territorien Sachsen und Thüringen deutlich. Den Abschluss bilden Überlegungen zur fortdauernden Wirkung der Weimarer Reichsreformpläne. Eingebracht durch deutsche Experten, britische und amerikanische Deutschlandspezialisten wurden ihre Deutungen in Widerstandskreisen und in den alliierten Überlegungen für die Nachkriegszeit wieder aufgegriffen. Zwar schied eine starke Reichsgewalt, wie sie auf dem Höhepunkt der Weimarer Bundesstaatsdebatte 1928 projiziert worden war, aus Sicherheitsbedenken für eine europäischen Nachkriegsordnung aus. Jedoch wurde einer Neugliederung, welche die Aufteilung Preußens als Grundbedin-

99 Wolfgang Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1918–1923, Berlin 1970; D. R. Dorondo, Bavaria and German Federalism. Reich to Republic, 1918–33, 1945–49, London 1992; Waldemar Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928–1933. Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik, Stuttgart 1959; Ludwig Biewer, Reichsreformbestrebungen in der Weimarer Republik. Fragen zur Funktionalreform und zur Neugliederung im Südwesten des Deutschen Reiches, Frankfurt a. Main 1980; Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein (1992); Werner Gabriel Zimmermann, Bayern und das Reich 1918–1922. Der bayerische Föderalismus zwischen Revolution und Reaktion, München 1953; Karl Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur. Beiträge zur bayerischen Frage in der Zeit von 1918–1933, München 1954; Bernd Habel, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit. Eine Untersuchung zum Problem ReichLänder, gezeigt am Beispiel Bayern unter dem Kabinette Held (1924–1933), München 1968; Erika Schnitzer, Das Ringen der Regierung Held um die Stellung Bayerns im Reich, Erlangen / Nürnberg 1968; Gabriele Höfler, Erzbergers Finanzreform und ihre Rückwirkung auf die bundesstaatliche Struktur des Reiches, vorwiegend am bayerischen Beispiel, Freiburg 1955; Franz Menges, Die Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit Bayerns auf finanzpolitischem Wege in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 1971.

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gung einer föderativen Republik zum Ausgangspunkt hatte, erneut ein enormer politischer und psychologischer Effekt beigemessen. Die infolge dessen entstandenen Bundesländer haben daher heute mit den historischen Gebilden, die ihnen zeitlich vorausgegangen sind, wenig zu tun. Obgleich sie geschichtliche Namen wie Hessen, Baden und Württemberg oder Thüringen tragen und sich an ältere Grenzen anlehnen, handelt es sich um politische Neuschöpfungen nach 1945. In ihre Gestaltung spielten Überlegungen der Weimarer Bundesstaatsdebatte hinein, deren wichtigste Topoi wieder aufgegriffen wurden. Diese Untersuchung greift auf staats- und verwaltungsrechtliche Schriften, politische Reden und publizistische Beiträge zurück, deren Vielfalt multiperspektivisch berücksichtigt wird. Akten der Weimarer Regierungen, die in den Landeshaupt- und Staatsarchiven gesichtet wurden, geben Aufschluss über die beteiligten politischen Kräfte, die Argumentationen und Wahrnehmungen, welche die Bundesstaatsdebatte beeinflussten. Von zentraler Bedeutung sind die Akten der Landesbürokratie und das Schriftgut der Ländervertretungen beim Reich. Über beide Kanäle standen die Länder untereinander und mit der Reichsregierung in Verbindung. Der Umfang der Überlieferung war nicht allein abhängig von der Organisation und der Größe der Vertretung der jeweiligen Länder beim Reich, sondern auch von der Kontinuität ihrer personellen Besetzung.100 Während einige der Aktenbestände, so für Baden und Oldenburg, in ihrer Gesamtheit nicht mehr erhalten sind, müssen sie für Anhalt sogar als nicht mehr vorhanden angesehen werden. Mit Hilfe der Bestände des Reichsinnenministeriums und der Reichskanzlei konnte das Bild des Geschehens in den Ländern jedoch zu einem guten Teil rekonstruiert werden.

100 Während der Weimarer Republik wurde die Bremer Gesandtschaft vom ehemaligen Senator Friedrich Nebelthau geleitet, der bereits vor seiner Berufung zum Gesandten die Interessen des Stadtstaates im Kaiserreich vertreten hatte. Für Braunschweig saß Friedrich Boden im Reichsrat, der ebenfalls seit 1906 das Land im Bundesrat und in dem nach der Novemberrevolution gebildeten Staatenausschuss vertreten hatte. Zeitweise vertrat er auch Anhalt und Mecklenburg-Strelitz im Reichsrat. Auch Lippe und Lippe-Schaumburg unterhielten keine eigenen Vertretungen in Berlin, sie ließen sich durch andere Länder, meistens durch Oldenburg, vertreten, BAK Kleine Erwerbungen 295 Friedrich Tischbein, Aus dem Reichsrat. Erinnerungen eines mecklenburgischen stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat 1919–1934, Manuskript, Bl.15ff. und Joachim Lilla, Der Reichsrat 1919–1934. Ein biographisches Handbuch, Düsseldorf 2006, S. 30f.

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Es ist dabei nicht zu übersehen, wie aufmerksam die Entwicklung der Länder von Reichsseite aus verfolgt wurde. Originale, Kopien oder Abschriften wurden in der Regel unter den Titeln Reichsreform, Reich und Länder, Bundesstaat, Errichtung eines Einheitsstaates, Neugliederung oder Länderkonferenz zusammengefasst, was den Zugriff auf die archivalischen Quellen ungemein erleichterte. Überdies liegen stenographische Landtags- und Reichstagsprotokolle, zentrale Akten der Reichskanzlei oder die Akten des preußischen Staatsministeriums inzwischen digitalisiert in Datenbanken oder in mehrbändigen Editionen vor.101 Neben der Kabinettspolitik bemühten sich die Regierungen, lenkend auf die öffentlich geführten Debatten um die Bedeutung der Länder Einfluss zu nehmen. In dieser Absicht wurden Korrespondenten der regierungsnahen Hauptstadt- und Lokalpresse regelmäßig zu Informationsgesprächen eingeladen. Bei der Auswertung ihrer privilegierten Berichterstattung wird der Versuch, sie für die jeweiligen Absichten der Länder- oder der Reichsregierungen zu gewinnen, beachtet werden müssen. Umgekehrt wird ersichtlich, wie sehr politische Planungen und Entscheidungen in einer modernen Massenkommunikationsgesellschaft von den Medien und der öffentlichen Meinung beeinflusst wurden. Unabhängig von ihrer Ausrichtung an föderalen oder unitarischen Ideen waren Wirksamkeit und Einfluss von Reichsreformplänen daher in entscheidender Weise davon abhängig, ob sie einem breiten Publikum medial vermittelt werden konnten.102 So scheiterten Verhandlungen über einen Zusammenschluss Thüringens und Sachsens schon im Ansatz an einer heftig kritisierten „vormärzlichen Auffassung der Staatsgeschäfte“103 der beiden Regierungen, die Parlament und Bevölkerung über ihre Absichten im Dunkeln gelassen hatten. Und den zen101 So die Verhandlungen des bayerischen Landtages 1919–1933 ULR http://mdz.bibbvb.de/digbib/bayern/byl/1429, des sächsischen Landtages http://www.bibliothek. uni-regensburg.de/ezeit/?2405752&bibid=UBRO oder die Reichstagsprotokolle http://mdz1.bib-bvb.de/cocoon/reichsblatt/start.html sowie die gedruckten Editionen Acta Borussica, Neue Folge: Die Protokolle des preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Hildesheim 1999ff. oder die Akten der Reichskanzlei, hg. für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Karl Dietrich Erdmann und für das Bundesarchiv von Tilmann Koops, Boppard a. Rhein 1968ff. 102 Ein eindrückliches Beispiel bietet die Tätigkeit der Pressestelle des Hamburger Senats, vgl. den Aktenbestand im StAHH 135–1 I-IV. 103 HStAD 10701 / 16 Mitteldeutsche Industrietagung in Eisenach. Dr. Demmer über die „Mitteldeutsche Frage“ – Reichswirtschaftsminister Curtius über die Wirtschaftspolitik, in: Merseburger Korrespondent, 1.10.1928, S. 1.

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tralisierenden, preußenfreundlichen Projekten der SPD-geführten Reichsregierung Müller schlug 1928 die Warnung entgegen, dass das Ziel einer Vereinheitlichung von Verwaltung und Verfassung erst erreicht werden könne, wenn es „auch psychologisch Allgemeingut der Bevölkerung geworden“104 sei. Berichte und Kommentare in der regionalen, deutschen und internationalen Presse und Publizistik über die Reichsreform wurden daher von der Ministerialbürokratie umfassend gesammelt und ausgewertet, so dass auf eine sehr aufwändige Durchforstung der Tageszeitungen weitgehend verzichtet werden konnte. Überdies rücken dadurch in erster Linie vor allem die Bedeutungszuschreibungen und Argumentationszusammenhänge der Bundesstaatsdebatte in den Blick der Untersuchung, die in der Weimarer Republik einflussreich und politisch relevant wurden.105

104 HStAD 10701 / 19 Der Weg zum Einheitsstaat, in: Sächsisches Volksblatt, Zwickau, 21.10.1919. 105 Zur politischen Rolle der Tagespresse vgl. Bernhard Fulda, Press and Politics in the Weimar Republic, Oxford 2009. Beispiele für eine Verschiebung der Macht von der Politik hin zu den Medien bzw. Medienkonzernen als Veränderung der politischen Kultur der 1920er Jahre im Sammelband Ute Daniel u.a. (Hg.), Politische Kultur und Medienwirklichkeiten (2010).

2. Der Weimarer Bundesstaat im Verfassungsdenken und in der politischen Kommunikation 2.1. „Souveränität“ und „Bundestreue“ – Reich-Länder Beziehungen im Verfassungsdenken Das Problem, ob das Weimarer Bundesstaatssystem den Herausforderungen seiner Zeit gerecht werden würde, gründete nicht allein in seiner verfassungsrechtlichen Struktur von 1919. Maßgebend waren vor allem die Auslegung durch die Verfassungspraxis der folgenden Jahre und der ideengeschichtliche und rechtshistorische Rahmen, in dem sich die Entstehung und Interpretation der föderalen Ordnung vollzog.1 Im Staatsrecht und in den außerhalb der Gelehrtenkreise geführten Debatten bildeten sich dominierende Denkmuster und gängige Topoi heraus, die benutzt wurden, um den Bundesstaat zu legitimieren oder statt seiner den Einheitsstaat zu fordern. Sowohl in der wissenschaftlichen Theoriebildung als auch in Politik und Medien wurde so der Notwendigkeit Rechnung getragen, im Interesse der Verständigung terminologische Vielfalt zu reduzieren, wechselseitig geteilte Begriffe und Konzeptionen zu fördern und diese mit konkreten Anschauungen zu füllen. Vordenker und Vorbilder des 19. Jahrhunderts spielten in diesem Zusammenhang eine prägende Rolle.

Der Bundesstaat im wissenschaftlichen Methodenund Richtungsstreit Die Umbruchsituation von 1918 und das Ende der konstitutionellen Monarchie hatten die Staatsrechtler sofort wahrzunehmen und zu verarbeiten. Dies galt nicht nur für die Verfassungsschöpfung selbst, sondern auch für die praktischjuristische Interpretation einer verfassungsgemäßen Politik. Dass sich die Staatstheorie dabei zunächst der herkömmlichen Begriffe und methodischen Instrumentarien bediente, wirkte einerseits stabilisierend und stiftete Kontinuität. Andererseits mussten die Staatsrechtslehrer das Gehäuse der Bismarck-Verfas1 Für die systematische Aufarbeitung der Bundesstaatslehren des 19. und 20. Jahrhunderts siehe Huber, Verfassungsgeschichte, 8 Bde., (1991–1997); Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bde. 2 / 3, München (1992 / 1999) und Oeter, Integration und Subsidiarität (1998).

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sung mit der dazu gehörigen Theorie verlassen. Das betraf vor allem die Positivisten, die sich an dem gesetzten Recht des Kaiserreiches orientiert hatten und die Hauptrichtung repräsentierten. Gerhard Anschütz, der bereits vor 1918 zu einem der führenden Staatsrechtler aufgestiegen war, hat als tonangebender Kommentator der Weimarer Verfassung diese Herausforderung deutlich empfunden. Das diffuse Bild, das er über den Zustand der Staatslehre 1922 zeichnete, erhellt, wie tiefgreifend der Wandel der wissenschaftlichen Tradition seines Faches war: „Unter dem Druck der furchtbaren Schicksale, die in den letzten Jahren über ihn hingegangen sind, ist mit dem deutschen Staat auch sein Recht in Unordnung und Verwirrung geraten. Die Revolution hat das öffentliche Recht, welches bis dahin in Deutschland galt, nicht restlos umgestaltet, noch einheitlich neu gestaltet.“ Dies sei, so Anschütz resümierend, ein „unerfreulicher Zustand, nicht zumindest auch für die Wissenschaft, der es auf vielen Gebieten des Staatsund Verwaltungsrechts fast unmöglich ist, den unausgesetzten Wandlungen des Stoffes zu folgen, den freien Ueberblick zu bewahren, für Klarheit und Ordnung der Begriffe zu sorgen. Ein Chaos, von dem man leider noch nicht sagen kann, wann und wie es sich zum Kosmos gestalten wird.“2 Im In- und Ausland galt die Phase der Weimarer Staatsrechtslehre als eine Epoche methodischer Grundlagensuche und tief greifender Meinungsverschiedenheiten. Es ging, wie man es damals ausdrückte, um das „Wesen des (deutschen) Staates“.3 Der sogenannte Methoden- und Richtungsstreit der Zwanziger Jahre ist bis heute ein vielfach behandeltes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte. Michael Stolleis hat ihn als „Kulminationspunkt“ vor dem Ersten Weltkrieg einsetzender und den Zentralnerv des Faches berührender Probleme bezeichnet. Es ging um die Art und Weise, wissenschaftlich über den Staat zu arbeiten und zu sprechen. Im Grunde war es aber auch eine „Debatte um die politische Lebensform“, in der man leben wollte. Auf dem Spiel stand das Schicksal der jungen Republik in einem aufgewühlten Jahrzehnt.4

2 Gerhard Anschütz, Drei Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung. Rede, gehalten bei der Jahresfeier der Universität Heidelberg am 22. November 1922, 4.-6. Tausend, Tübingen 1923, S. 1. 3 Die theoretischen Ansichten der deutschen Staatsrechtslehre über die Natur von Bundesstaat und Souveränität sind 1928 von Rupert Emerson und 1931 von Sobei Mogi reflektiert worden, Rupert Emerson, State and Sovereignty in Modern Germany, New Haven u. a. 1928; Sobei Mogi, The Problem of Federalism. A study in the history of political theory. With a preface by Harold Joseph Laski, London 1931. 4 Michael Stolleis, Der Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre – ein abgeschlossenes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte? Stuttgart 2001, S. 5f. Zum politischen

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Die Ernsthaftigkeit, mit der die Diskussion zumeist auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie ausgefochten wurde, schlug sich in scharfen Auseinandersetzungen über eine an der Verfassung orientierte Kommentierung der Politik nieder. Insbesondere in den Vor- und Nachbereitungen der Reichsreformvorhaben haben die Staatstheoretiker große praxisnahe Herausforderungen gesehen. Die Überzeugung, dass es sinnvoll sei, sich im Interesse weiterführender Erkenntnisse zu streiten, ließ dabei erst in den letzten Jahren der Republik nach.5 1922 entstand mit der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zunächst eine für alle Richtungen des Faches geeignete Plattform, ein organisatorisches Zentrum. Gleich die ersten Vorträge nach der Gründungstagung widmeten sich 1924 einem aktuellen Thema: „Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“6 Sie waren ein Reflex auf die weiterschwelende Debatte um Bundes- oder Einheitsstaat. Mehrfach angefacht durch die Frage nach dem Verhältnis Preußens zum Reich, durch die vorangegangenen Reichsexekutionen gegen Braunschweig noch vor Verabschiedung der Verfassung 1919, im Jahr 1920 gegen Sachsen-Gotha vor der Neubildung des Landes Thüringen und 1923 gegen Sachsen, durch die Erfahrungen von Separatismus, Kapp- und Hitlerputsch sowie durch die Konflikte zwischen Bayern und dem Reich. Die Ereignisse hatten gezeigt, dass es unmöglich war, Staatsrecht und Politik voneinander zu trennen. Ähnlich politisch brisant war die 1932 wiederholte Thematisierung der Reichsreform, die im Jahr des Regierungsantritts Papens auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Dass diese Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer verschoben wurde, aber auch 1933 nicht mehr stattfand, kann als symptomatisch für das Ausein-

Praxisbezug und der Steuerungsfunktion des Verfassungsrechts auch Petra Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt 2002. 5 Zur Loyalität der Mehrheit der Staatsrechtler gegenüber der Weimarer Republik siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 3, S. 158–186. Am Beispiel der „Big Five“ der demokratischen Weimarer Staatsrechtslehre Preuß, Anschütz, Thoma, Kelsen und Heller auch Kathrin Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats, Tübingen 2010. 6 Gerhard Anschütz / Karl Bilfinger, Der deutsche Föderalismus. Referate der Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Jena am 14. und 15. April 1924, mit Eröffnungsansprache und einer Zusammenfassung der Diskussionsreden, Berlin u. a. 1924. Über eine spätere Tagung berichteten Fritz Fleiner u. a., Bundesstaatliche und gliedstaatliche Rechtsordnung. Verhandlungen der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu Frankfurt a. Main am 25. und 26. April 1929, Berlin u.a. 1929.

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anderbrechen in verschiedene Gruppen und das Ende der fachinternen Kommunikation angesehen werden.7 Die einflussreichen Eliten des deutschen Juristenstandes hatten dabei eine ausgesprochen unitarische Haltung eingenommen. In einer – wenn auch typischen – Überspitzung verdichtete sie sich in dem Bekenntnis Gerhard Anschütz’, dass ihm „im Streitfall das Reich alles, der Einzelstaat nichts“8 sei. Auf der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer 1924 in Jena hatte sich Anschütz im historischen Teil seiner Rede damit begnügt, die Zustimmung der Diskutanten durch die knappe Feststellung zu gewinnen, dass eine „extreme Spielart des Föderalismus“ in einem „unüberbrückbaren, unversöhnlichen Gegensatz steht mit dem Gedanken der nationalen Einheit“.9 Extreme Spielarten des Föderalismus verkörperten seiner Ansicht nach der Deutsche Bund und der Partikularismus des außerpreußischen, mittelstaatlichen Deutschlands, für welche die Reichsverfassung von 1871 „eine ganze föderalistische Ideologie und Phraseologie entwickelt“ habe, um ihre Reichsfreudigkeit zu heben. Die für die nationale Einheit gefährlichste Art der Gattung Einzelstaat, so Anschütz, sei immer die Spezies Mittelstaat gewesen, namentlich die Höfe, Regierungen und Landtage in München, Dresden und Stuttgart.10 Es fehlte zwar nicht an kritischen Stimmen gegen die Behauptung, das Ziel der deutschen Staatsentwicklung sei der Einheitsstaat. Die Abwertung bundesstaatlicher Grundlagen in der Vision eines Föderalismus, der sich künftig vor allem in „einer den Gemeinsinn der Reichsgenossen steigernden Selbstverwaltung“ der Länder bewähren sollte, blieb aber weitgehend unwidersprochen.11

7 Zur Gründung und zu den Tagungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (1922–1932) siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 3, S. 186–202. 8 Anschütz, Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung, S. 17. 9 Anschütz, Erster Bericht, in: ders. / Karl Bilfinger, Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer (1924), S. 12. 10 Ebenda, S. 15. 11 Als Diskutanten wurden neben dem zweiten Hauptreferenten Karl Bilfinger genannt: Philipp Zorn, Hans Kelsen, Eduard Rosenthal, Robert Piloty, Lutz Richter, Heinrich Triepel, Karl Rothenbücher, Fritz Stier-Somlo, Hans Nawiasky, Willibalt Apelt, Max Fleischmann, Otto Koellreutter, Walther Schönborn, Heinrich Pohl, vgl. Verhandlungsbericht zum Thema „Föderalismus“, in: ebenda, S. 60–62, zit. S. 61.

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Souveränität und Bundestreue – zentrale staatstheoretische Kategorien Das Streben nach Hierarchisierung und Vereinheitlichung der Reichsstruktur ergab sich nicht allein aus den politischen Turbulenzen von Revolution und Nachkriegsjahren. Es hing auch mit den Grundprägungen des historischen Bundesstaatsdenkens im 19. Jahrhundert zusammen. Souveränität und Bundestreue waren dabei zwei zentrale Begriffe der konstitutionellen Staatsrechtslehre, an welche die Weimarer Juristen anknüpften und die im bundesstaatlichen Theoriestreit für fortgesetzte Kontroversen und Missverständnisse sorgten. Die nationale und liberale Einigungsbewegung hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst die Neuentdeckung und wissenschaftliche Festlegung föderaler Prinzipien und Kategorien befördert. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Alten Reich und den Veränderungen inner- und außerhalb Deutschlands bestand der Wunsch, eine moderne Bundesstaatstheorie zu entwickeln, die als Empfehlung zur Lösung der deutschen Frage geeignet war. Die intensive Beschäftigung mit dieser Aufgabe löste daher eine Reihe von Untersuchungen über den Charakter des Alten Reiches und seiner Nachfolgeorganisationen, des Rheinbundes und des Deutschen Bundes, aus. Sie weckte auch die allgemeine Aufmerksamkeit für die Situation der Vereinigten Staaten und der Schweiz.12 Epochal für eine moderne Bundesstaatstheorie waren schließlich die Überlegungen von Georg Waitz über den Souveränitätsbegriff. Waitz griff nach den andauernden Diskussionen des Vormärz’ und der 1848er Revolution um die Vereinbarkeit der monarchischen Souveränität mit dem Nationsbegriff sowie den geführten Kontroversen um die Begriffe Staatenbund, Bundesstaat oder Staatenreich die Ansichten Alexis de Tocquevilles auf, um eine Lösung aufzuzeigen. Der französische Publizist hatte beschrieben, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika die Selbstständigkeit sowohl der Zentralgewalt als auch der Einzelstaaten kannte. Indem er die Teilung der Souveränität vom nordamerikanischen Beispiel auf das Modell eines monarchischen Bundesstaates übertrug, glaubte Waitz, die Grundlage „für eine Vermittlung und Vereinigung derjenigen Prinzipien“ gefunden zu haben, „welche das politische Leben Deutschlands von anbeginn beherrschen“ würden. Er hob die Verbindung „des Königthums und der Volksfreiheit, der Einheit der Nation

12 Krüger, Einflüsse der Verfassung der Vereinigten Staaten, S. 226–247.

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und der Mannigfaltigkeit ihrer Glieder“13 hervor, wenngleich er Anfang der 1860er Jahre die politisch-praktische „Schwierigkeit der Durchführung und vor allem der ersten Einführung“ nicht verkannte. Das Wesen des Bundesstaates bestehe demzufolge gerade nicht in einer wie auch immer begründeten Absolutheit der Souveränität des Bundes oder der Glieder, sondern umgekehrt in der Teilung der Souveränität: „… nur da ist ein Bundesstaat vorhanden, wo die Souveränität nicht dem einen oder anderen, sondern dem Gesamtstaat (der Centralgewalt) und dem Einzelstaat (der Einzelstaatsgewalt), jedem innerhalb seiner Sphäre zusteht. Ganz unrichtig dagegen manche deutsche Schriftsteller: das Wesen des Bundesstaates sei, dass hier Staaten die Unterthanen seien, oder: der Bundesstaat begründe eine wahre Gehorsams- oder Unterthanenpflicht aller Bundesregierungen, und also eine wesentliche (…) Beschränkung ihrer Souveränität. Auch davon ist gerade das Gegentheil wahr: nur der Umfang, nicht der Inhalt der Souveränität ist beschränkt, und jener für die eine Staatsgewalt so gut wie für die andere.“14 Waitz bekannte sich zu der Auffassung Tocquevilles, dass der Gesamtstaat und der Einzelstaat auf einer gemeinsamen, nationalen Grundlage ruhten, Aufgaben des Staates jedoch zwischen ihnen geteilt würden.15 Innerhalb dieser Bereiche seien im Bundesstaat beide gleichmäßig souverän: In ihm finde dementsprechend eine zweifache Organisation des Volkes zum Staate statt, teils in Gesamtheit, teils nach selbstständigen Teilen: Sowohl „eine Teilnahme des Volkes an der staatlichen Gewalt und Thätigkeit überhaupt wie eine Auseinanderlegung dieser selbst nach ihren verschiedenen Gebieten“ erschienen Waitz demnach zulässig, „ohne, daß der Selbständigkeit und Souveränität des Königs und des Staates mit Königthum Abbruch geschähe“.16 Durch die Vermittlung Waitz war die von dem französischen Denker Alexis de Tocqueville aus der nordamerikanischen Bundesverfassung abstrahierte Doktrin von der geteilten Souveränität bis in die 1870er Jahre die hauptsäch-

13 Georg Waitz, Das Wesen des Bundesstaates, in: ders., Grundzüge der Politik, Kiel 1862, S. 153–218, zit. S. 218. 14 Ebenda, S. 166. 15 „Für gewisse Angelegenheiten eines wahren nationalen Lebens hat sich das Bedürfnis der Einheit ergeben, während andere einer eigenthümlichen Gestaltung nach stammesmäßigen oder localen Verschiedenheiten überlassen bleiben (…) Die Einzelstaaten und der Gesammtstaat sind hier nothwendige Ergänzungen, der eine des anderen; erst in ihrer Vereinigung wird das ganze Staatsleben umfasst; jedem fällt ein Theil desselben zu.“ Ebenda, S. 163. 16 Ebenda, S. 211.

„Souveränität“ und „Bundestreue“

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liche Grundlage der in Deutschland vorherrschenden Bundesstaatstheorie.17 Sie wurde von der Mehrheit der Staatsrechtler weitergeführt und modifiziert, in ihren Grundaussagen jedoch kaum verändert: Besonderes Gewicht behielt die Feststellung, dass im Bundesstaat die Einzelstaaten nicht Untertanen der Zentralgewalt seien, sondern die Souveränität dem Gesamtstaat und dem Einzelstaat jeweils innerhalb seines Bereiches zustehe. In der Teilung der Souveränität zwischen der bundesstaatlichen Zentralgewalt und den Gewalten der Gliedstaaten, in dem Nebeneinander von zwei wirklich voneinander unabhängigen Staatsgewalten wurde das eigentliche Wesen des Bundesstaates erkannt.18 Für die Zentralgewalt prägte sich der Begriff der fragmentarischen Staatsgewalt ein, eine Bezeichnung, die an die von Alexis de Tocqueville geprägte Formel „governement national incomplete“ erinnerte.19 Auch Heinrich von Treitschke hielt die von Waitz entwickelte Lehre der geteilten Souveränität im Bundesstaat für gut, denn sie kam seiner Abneigung gegen eine von den Einzelstaaten abhängigen Zentralgewalt entgegen. Er fühlte sich außerdem bestärkt in seiner Überzeugung von einer im Deutschen Bund bestehenden „Mediatisierung der Nation“20. Treitschke bezweifelte aber, dass die Entstehung der nordamerikanischen Union und der Eidgenossenschaft ein 17 So Siegfried Brie in seiner detaillierten rechtshistorischen Darstellung zur Lehre vom Bundesstaat, ders., Der Bundesstaat. Eine historisch-dogmatische Untersuchung. Erste Abtheilung: Geschichte der Lehre vom Bundesstaat, Leipzig 1874, S. III. 18 Robert von Mohl, der bereits 1824 eine Veröffentlichung zum Bundesstaatsrecht der Vereinigten Staaten vorgelegt hatte, der Möglichkeit einer Anwendung auf die deutsche Frage jedoch kaum Beachtung geschenkt hatte, lobte in der zweiten, 1872 erschienenen Auflage der Enzyklopädie der Staatswissenschaften die Bundesstaatstheorie von Waitz als vorbildlich und stimmte dem Gedanken der geteilten Souveränität uneingeschränkt zu: „Es sind also zweierlei leitende und befehlende Gewalten nebeneinander: die über das ganze Bundesgebiet sich erstreckende Zentralgewalt, und die örtlichen Gewalten der verschiedenen Gliedstaaten je in ihrem besonderen Gebiete. Beide sind in ihrem verfassungsmäßigen Wirkungskreis unabhängig voneinander und beide haben, als wirkliche Staatsgewalten, ihre eigenen Organe und ihre selbständige Tätigkeit. Es besteht für die Gliedstaaten keine beschränkte, sondern eine geteilte Souveränität.“ Robert v. Mohl, Enzyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl., Tübingen 1872, S. 366ff. Die Ablehnung einer Hierarchisierung innerhalb der bundesstaatlichen Ordnung wird auch besonders deutlich bei Hermann Schulze, System des Deutschen Staatsrechts. Erste Abtheilung. Einleitung in das Deutsche Staatsrecht, Leipzig 1865. 19 Carl Friedrich von Gerber, Grundzüge eines Systems des Deutschen Staatsrechts, Leipzig 1865, S. 40f. 20 von Treitschke, Bundesstaat und Einheitsstaat (1864), in: ders., Aufsätze, Reden und Briefe hg. von Karl Martin Schiller, Bd. 3: Schriften und Reden zur Zeitgeschichte I, Meersburg 1929, S. 9–146, zit. S. 38.

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Vorbild für die deutsche Einigung sein könnte: „Unsere Geschichte berechtigt nicht zu der Erwartung, dass die Dynastien die Schmälerung ihrer Souveränität, welche ein Bundesstaat fordern muß, freiwillig gewähren werden. Noch mehr, Deutschlands Entwicklungsgang ist nicht die Geschichte einer Föderation, er zeigt vielmehr, gleich wie die Geschichte Italiens, die nachhaltige, zuletzt immer erfolgreiche Tendenz, unbrauchbare Kleinstaaten zu größeren Staatskörpern zusammenzuschließen.“21 Seine Prophezeiung für die künftige europäische Geschichte, „dass eine Nation mit lebendigem Gesamtbewußtsein sich auf die Dauer nicht mit einer bündischen Einigung begnügen“22 könne und ein monarchischer Bundesstaat insbesondere für Deutschland praktisch undurchführbar sei, verband Treitschke im Vorfeld der Reichsgründung mit der leidenschaftlichen Forderung eines deutschen Einheitsstaates. Unter Preußens Führung sollte er die seiner Ansicht nach „souveräne Selbstsucht“ der Dynastien beenden: „… nur die Macht des größten deutschen Staates kann die Macht der kleinen Höfe zur Unterwerfung unter eine nationale Zentralgewalt zwingen.“23 Das nachlassende Bewusstsein für die Bedeutung der Waitzschen Lehre nach 1871 hing eng mit der konkreten Ausformung des bismarckschen Bundesstaates zusammen. Im Gegensatz zur Verfassung des Kaiserreichs hatte Waitz nämlich das Prinzip der Souveränitätsteilung mit der unitarischen Gestaltung der Bundes- oder Zentralgewalt und einer Absage an die Hegemonie Preußens verknüpft. Dieser Grundsatz wurde zum Angriffspunkt seiner gesamten Theorie, welche nach der anders verlaufenden Reichsgründung als politisch unrealistisch kritisiert werden konnte. So hatte Bismarck den Bundesrat in Abkehr von den Ansätzen Waitz’ als Doppelgeschöpf organisiert: als föderales Kollegium und als Organ der Reichspolitik. Seine Mitglieder waren zum einen an die Instruktionen der Einzelstaaten gebunden, zum anderen aber sollten sie nach Bismarcks Vorstellungen auch „die Souveränität des gesamten Reiches üben“, denn die Souveränität ruhe nicht beim Kaiser, sie ruhe bei der Gesamtheit der verbündeten Regierungen.24 Die Hegemonialkonstruktion des Bundesstaates von 1867/71 zugunsten Preußens und die Privilegierung vornehmlich der süddeutschen Staaten trugen 21 22 23 24

Ebenda, S. 140. Ebenda. Ebenda, S. 146. Bismarck bezeichnete den Bundesrat als „föderatives Kollegium“, mit dessen Hilfe er auch das in der Reichsverfassung von 1849 offen gebliebene Problem der Beziehung zwischen Preußen und dem Bundesstaat gelöst habe, vgl. Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, Bd. 1, Berlin 1871, S. 298f.

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jedoch bereits deutliche Züge eines hierarchischen Systems von Reich und Ländern, das neben die Fiktion gleichberechtigter Mitglieder im Bund trat.25 Außerdem verlor die ältere Vorstellung von einer echten Teilung der Souveränität durch die in der Reichsverfassung festgeschriebene Aufgabenverteilung an Überzeugungskraft. Mit der weitgehenden Verzahnung der zentralen Reichsgesetzgebung und ihrer Umsetzung durch die einzelstaatlichen Verwaltungen hatte Bismarck die Exekutive vor der Einwirkung und Kontrolle des Reichstages abschirmen wollen.26 Zu einer Veränderung der Prämissen trug schließlich auch der Generationenwechsel bei: Die jüngeren Staatstheoretiker waren vornehmlich in den nationalen Kategorien eines durchsetzungsfähigen Machtstaates befangen.27 Sie erhoben die Besonderheiten des Bismarckschen Bundesstaatsmodells unversehens zur Mess- und Werteinheit. Ein davon ausgehender Idealtypus des Bundesstaates wurde nunmehr in bewusster Abkehr von der verfassungsrechtlich-vergleichenden Perspektive der altliberalen Schule gesucht. Waitz hatte die Entstehung des Bundesstaates stets als Konsequenz der konkret-historischen Gegebenheiten verstanden und dadurch Autorität gewonnen. Sein allgemeines Bundesstaatsmodell, das er aus einer rechtvergleichenden Perspektive gewann, verband er mit den unmittelbaren praktisch-politischen Erfahrungen der deutschen Nationalbewegung. Diese hatte zur Kenntnis nehmen müssen, dass einerseits die nationalen Interessen von einer auf das freiwillige Zusammenwirken der Einzelstaaten angewiesenen Zentralgewalt kaum zu verwirklichen waren. Andererseits waren die größeren Bundesstaaten nicht zur Unterordnung unter ein von ihnen unabhängiges Oberhaupt zu bewegen. Die Bundesstaatslehre der geteilten Souveränität, wie sie durch Tocqueville und Waitz präsentiert wurde, war als Lösung anerkannt worden, da sie beide Momente berücksichtigte: die Selbstständigkeit der Zentralgewalt und die Selbstständigkeit der Einzelstaaten. Zur Akzeptanz beigetragen hatte

25 Zur Bedeutung der hegemonialen Konstruktion des Kaiserreiches für ein nachlassendes Bewusstsein bündischer Grundsätze Apelt, Bemerkungen zur Reichsreform (1932), S.  8ff.; Karl Bilfinger, Der Einfluß der Einzelstaaten auf die Bildung des Reichswillens, Tübingen 1923, S. 68f. 26 Diese Abschirmung ließ sich am besten dadurch erreichen, dass die Ausführung der Reichsgesetzgebung in der Domäne der Gliedstaaten blieb. Den Charakter des Reiches als Verbundsystem hat besonders deutlich Gerhard Anschütz herausgestellt. Die Reichsregierung sei „von den Machtfaktoren der Einzelstaaten nicht nur nicht getrennt, sondern teils eng verkettet, teils real und personal uniert“, ders., Bismarck und die Reichsverfassung. Ein Vortrag, Berlin 1899, S. 16–20, zit. S. 16. 27 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, S. 345.

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überdies, dass die Theorie Waitz von „der schon lange auch in Deutschland gefeierten Unionsverfassung“ Nordamerikas abgeleitet worden war.28 Im Unterschied dazu konzentrierte sich die nach der Reichsgründung rasch vordringende positivistische Staatsrechtslehre auf den Text der real existierenden Verfassung des Deutschen Kaiserreiches und die daraus zu gewinnenden logischen Deduktionen.29 Aus ihrer engen nationalen Perspektive warfen die Positivisten der altliberalen Bundesstaatslehre vor, durch sie sei der so wichtige Souveränitätsbegriff bis zur vollkommenen Unkenntlichkeit verformt worden. Sie kehrten daher zur Unbeschränktheit und folglich auch zur Unteilbarkeit des Souveränitätsgedankens zurück.30 Die Frage, ob die Souveränität als die höchste Entscheidungsmacht im Staat beim Reich liege oder auch nach 1871 bei den Bundesstaaten verblieben sei (und wem die staatliche Qualität geraubt worden sei), ließ sich aus der Verfassungsurkunde jedoch selbst nicht zwingend beantworten. Die darüber geführte Debatte war vielmehr von politischen Wünschen geleitet, wie der österreichische Rechtspositivist und Verfassungsexperte Hans Kelsen hervorhob. Kelsen gehörte zu den Gelehrten, die in den 1920er Jahren mit dem vermeintlich wertfreien Programm der positivistischen Schule um den Staatsrechtler Paul Laband abrechneten, dem er vorwarf, den Positivismus nicht konsequent durchgehalten zu haben. Ihr Dogma der alleinigen Souveränität des Bundes hielt er nicht für rechtslogisch, aus den Normen und dem Verfassungstext selbst begründet. Es sei vielmehr ein Ausfluss der Wertungen der nationalliberalen und nationalkonservativen Vertreter des Staatsrechts gewesen. Sie hätten sich „bei ihrer ‚wissenschaftlichen Lösung‘ ... keineswegs von den politischen Wünschen unbeeinflußt gezeigt“, sondern es im Gegenteil als ihre Aufgabe angesehen, „ihre ‚Theorie‘ diesen Wünschen anzupassen“.31 Eine akademische Minderheit hatte dagegen im Kaiserreich die These verfochten, dass die Souveränität ausschließlich bei den Einzelstaaten liege, die sich 1871 zum Reich verbunden hatten. Das Reich könne demnach kein wirklicher Staat mit eigener Souveränität sein, sondern nur ein Staatenbund. Hauptverfechter der Staatenbundtheorie war der bayerische Verfassungsrecht-

28 Brie, Bundesstaat, S. 94. 29 Anschütz, Bismarck und die Reichsverfassung, S. 12–14. 30 In besonderer Schärfe Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, Tübingen 1876, S. 73. 31 Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925, S. 116.

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ler Max von Seydel. Da seine Auffassung die Position wichtiger monarchischer Regierungen im Reich stützte, blieb sie bis 1918 präsent.32 Die Mehrheit der Verfassungsrechtler ging jedoch nach 1871 davon aus, dass das Reich alleiniger Träger der Souveränität sei.33 Die letzte Konsequenz dieser rigiden Souveränitätsdoktrin wurde mitunter deutlich formuliert: „Jeder Staat, auch der einheitlichste, ist ein zusammengesetztes Ganzes, und handelt es sich stets nur darum, woraus und wie er zusammengesetzt ist. Sind seine Theile natürlich gestaltet und ist ihre Verbindung zum ganzen dementsprechend, so wird der Staat in dem Maße vollkommener sein, als seine Theile inniger verbunden sind. (…) Alle sogenannten Staatenverbindungen sind in der That Etappen auf dem Einigungs- und Enteignungswege der Völker, also Uebergangsstationen, die sich eben deshalb den genauen staatsrechtlichen Bestimmungen entziehen müssen.“34 Ihre Geschichte müsse „entweder mit der vollen staatlichen Einigung, d. h. dem Einheitsstaate, oder mit der vollständigen staatlichen Enteignung, d. h. mit einer wahren Staatenmehrheit enden.“35 Insbesondere „die vielen deutschen Landtage“ galten als ein Strukturfehler des Reiches von 1871, wenn angenommen wurde, dass sie nicht mehr „im richtigen Verhältnisse zu ihrer Aufgabe“ stünden. Die deutschen Partikularstaaten sollten dementsprechend möglichst bald in „selfgovernemantale, territoriale Unterabtheilungen“ umgewandelt werden.36 Zum Teil von der Anschauung der Reichsverfassung geprägt, zum Teil von dem Wunsch nach weitgehender Einheit diktiert, wurde eine prinzipielle Unterordnung der Gliedstaaten unter den Bund schon im Kaiserreich als eine tiefe geschichtliche Notwendigkeit aufgefasst. Exemplarisch dafür lässt sich das Ergebnis einer Studie Heinrich Triepels aus dem Jahr 1907 anführen. „Das Einheitsbedürfnis der Nation“ war seiner Ansicht nach „noch keineswegs gesättigt.“ Es sei angetrieben durch „die ungeheure Entwicklung“ der Volkswirtschaft und vor allem wegen der Konkurrenz zwischen den Nationen notwendig: „Für den Kampf um den ‚Platz an der Sonne‛, in den wir eingetreten sind, braucht es nicht bloß 32 Max von Seydel, Commentar zur Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 2. umgearb. Aufl., Freiburg 1897, S. 13ff., 123ff. 33 Mit dem Inkrafttreten der Reichsverfassung von 1871 sahen die Positivisten das vertragliche Verhältnis der Einzelstaaten, das auf die Errichtung eines Bundesstaates gerichtet gewesen sei, als beendet an. An seine Stelle sei die staatsrechtliche Organisation des Reiches getreten, dem sie die volle Souveränität zusprachen, vgl. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 45. 34 Joseph von Held, Die Verfassung des deutschen Reiches vom staatrechtlichen Standpunkt aus betrachtet. Ein Beitrag zu deren Kritik, Leipzig 1872, S. 29. 35 Ebenda, S. 30. 36 Ebenda, S. 143.

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Soldaten, Kanonen und Schiffe, sondern der Anspannung aller ökonomischen und geistigen Fähigkeiten unter einheitlicher Leitung. Nicht Arbeitsteilung, sondern Arbeitsvereinigung tut uns bitter not. Eine Verzettelung staatlicher Verwaltungstätigkeit um partikularistischer Velleitäten willen ist ein Luxus, den wir uns heute nicht mehr gestatten können. Mit der stillen Beschaulichkeit, in welcher der deutsche Mittel- und Kleinstaat dereinst sein ungestörtes Sonderdasein leben konnte, ist es für immer vorbei.“37 In diesen Kontext der hierarchischen Einordnung der Einzelstaaten schwer einzubeziehen waren allerdings die alten monarchischen Souveränitäten. Problematisch dafür blieb auch das Prinzip der Gleichberechtigung der verbündeten Regierungen, entsprechend dem bismarckschen Glaubensgrundsatz, dass das Reich auf der Bundestreue der Fürsten basieren würde.38 Ihre Abdankung 1918 konnte von daher als ein echter Neuanfang aufgefasst werden, da mit dem Ende der Monarchien der „Gedanke der Staatlichkeit des Reiches von allen Schlacken gereinigt“39 schien.

Kontinuitätsbruch und Reformstreben Unter dem dominierenden Denkansatz des kaiserzeitlichen Staatsrechts war eine Verfassungsgebung nach der Revolution nur auf der Bundesebene denkbar. Die Ausübung des „Pouvoir constituant“ der Gesamtnation erschien leichter als 1848/49.40 Dies bedeutete, wie es Preuß in der Denkschrift zum ersten Entwurf der Reichsverfassung anerkannte, den Bruch mit dem originären Bundesstaat, dem die Verfassungen der Gliedstaaten und ihr Zusammenschluss zu einem Bund vorausgingen. Unter den günstigen Umständen des Endes der Monarchien sollte der Staat „als im wesentlichen einheitlicher Volksstaat auf das freie Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation in ihrer 37 Heinrich Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche. Eine staatsrechtliche und politische Studie, Tübingen 1907, S. 80. Zum Nationalismus und dem mit ihm verbundenen Erwartungshorizont einer effizienten Organisation von Volk, Nation und Rasse vgl. Peter Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890–1914, Göttingen 2007, S. 88f. 38 Otto Mayer, Republikanischer und monarchischer Bundesstaat, in: AÖR 18 (1903), S. 370. 39 Anschütz, Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung, S. 11. 40 Leo Wittmayer, Schwächen der neuen deutschen Bundesstaatslehre, in: ZÖR 3 (1922/23), S. 503, zit. S. 513; Otto Meißner, Das Staatsrecht des Reichs und seiner Länder, 2. Aufl., Berlin 1923, S. 15f., 23ff.; Friedrich Stier-Somlo, Deutsches Reichsund Landesstaatsrecht, Bd. 1, Berlin 1924, S. 352ff.

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Gesamtheit gegründet werden“41. Er könne folglich nicht „aus einem Bunde der bisherigen Einzelstaaten in ihrer neuen Gestalt als Freistaaten hervorgehen“, sondern nur aus einer „politischen Selbstorganisation des ganzen deutschen Volkes nach den inneren Lebensnotwendigkeiten des modernen Nationalstaates“.42 Oder wie es Hugo Preuß 1923 nochmals bekräftigte: „Scharf und unbedingt musste das Prinzip vorangestellt und anerkannt werden, dass hier nicht verschiedene ‚Völker‛ einen Bund schließen, sondern dass ein Volk sich selbst seine Verfassung gibt, innerhalb deren es sich in Stämme und Länder gliedern mag.“ Die Einheit des Reiches sei demnach „das Primäre, die Gliederung in Länder das Sekundäre“.43 Carl Schmitt brachte diesen wichtigen qualitativen Unterschied wenige Jahre später treffend in dem Begriff vom „Bundesstaat ohne bündische Grundlage“44 zum Ausdruck. Die Länder erschienen in ihm nicht mehr als „reichsgründende oder verfassunggebende Faktoren“, sondern vorläufig „nur als Bausteine, aus denen das Reich zusammengefügt“ sei.45 Der linksliberale Staatsrechtler Hugo Preuß hatte bereits 1889 in seiner Habilitationsschrift „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften“ eine Theorie des Bundesstaates entworfen, die auf dem Gefüge einer gestuften Selbstverwaltung beruhte. Dies war die „Blaupause“ zu dem Weimarer Modell „dezentralisierter Einheitsstaatlichkeit“, für das er 1919 die Möglichkeit bekam, es in den Text einer neuen Verfassung einzubringen. Die Kompetenzen des Reiches wollte Preuß erheblich ausweiten. So sollte beispielsweise 41 Hugo Preuß, Denkschrift, in: ders., Entwurf der künftigen Reichsverfassung hg. im Auftrag des Reichsamt des Innern, Berlin 1919, S. 5. 42 Ebenda, S. 6f. Siehe auch Jasper Mauersberg, Ideen und Konzeption Hugo Preuß’ für die Verfassung der deutschen Republik 1919 und ihre Durchsetzung im Verfassungswerk von Weimar, Frankfurt a. Main 1991 und die Einleitung des Herausgebers Detlef Lehnert in: Preuß, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 1–70. 43 Hugo Preuß, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung (1923), in: ebenda, S. 329f. 44 Durch den demokratischen Begriff der Volkssouveränität sah Schmitt die bündische Grundlage für aufgehoben an. Die „Frage, ob es heute im Deutschen Reich außer dem deutschen noch ein preußisches, bayrisches, hamburgisches usw. Volk im politischen Sinne gibt“ verneinte er und verwies auf die Präambel der Weimarer Verfassung: „,Das deutsche Volk‘ einig in seinen Stämmen … spricht nicht von einer Vereinigung oder Einigkeit der deutschen Völker“. Ohne Indigenat seien die Länder keine gegeneinander abgeschlossenen und undurchdringlichen Einheiten mehr, ihren territorialen Status quo sah Schmitt für ebenso wenig gesichert an wie die politische Existenz jedes einzelnen, 1919 bestehenden Freistaates, vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, München 1928, S. 389f. 45 Anschütz, Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung, S. 10.

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die Reichsaufsicht bis zu einer Disziplinargewalt über Landesbeamte reichen. Den Bundesrat plante Preuß durch ein Staatenhaus zu ersetzen, in das die Landesparlamente gewählte Vertreter entsandten. Schließlich sollten die Ländergrenzen neu vermessen werden. Der Impetus des ersten Preuß’schen Verfassungsentwurfs hatte jedoch von Anbeginn den Widerstand der Länder heraufbeschworen, der zur Bewahrung des Bundesstaatscharakters und zur Vereitelung weitgehender Neugliederungspläne der Republik führte. Dennoch wäre es verfehlt zu behaupten, dass der Entwurf von Preuß ohne Folgen geblieben wäre. Sein Neugliederungsvorstoß bestimmte nachhaltig die Weimarer Reichsreformdebatte und die Verfassung schränkte die Kompetenzen der Länder erheblich ein.46 So bemerkte der Leiter des Büros des Reichspräsidenten, Otto Meißner, dass die Gliederung des Reiches nach dem Sturz der 22 Dynastien „künftig keine unabänderliche sein“ sollte, „sondern zur Steigerung wirtschaftlicher und kultureller Leistungen vom Reiche unter Berücksichtigung des Willens der Bevölkerung umgestaltet werden“ könne.47 „Soviel steht fest“, ließ außerdem Walter Jellinek im Jahrbuch des öffentlichen Rechts 1920 verlauten, „das Reich ist heute bedeutend einheitsstaatlicher als nach der Bismarckschen Reichsverfassung. Es hat umfassendere Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Gesetzgebung, mehr reichseigene Verwaltung, größeren Einfluß auf die Länder und ist von den Ländern unabhängiger als bisher. Dementsprechend ist die Bedeutung der Länder gesunken.“48 Man dürfe nicht vergessen, pflichtete dem Carl Bilfinger auf der Tagung der Staatsrechtler 1924 bei, „daß ja diese ganze Verfassung dem Föderalismus überhaupt nicht hold“ 49 sei. Bilfinger rückte auch den Gegensatz zwischen der formal-juristischen Stellung der Länder und ihrem tatsächlichen Einfluss ins Blickfeld. Für die bundesstaatliche Ordnung wurde demnach nicht mehr allein die Verfassungsnorm als ausschlaggebend angesehen, sondern deren gelebte Akzeptanz und die aus ihr abgeleiteten politischen Entscheidungs- und Wirkungsmechanismen.50 46 Hans Nawiasky, Der föderative Gedanke in und nach der Reichsverfassung, in: Politische Zeitfragen 3 (1921), S. 137–160, insbes. S. 145–160; Richard Thoma, Das Reich als Bundesstaat, in: ders. / Gerhard Anschütz (Hg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts Bd. 1, Tübingen 1930, S. 170ff. 47 Meißner, Staatsrecht des Reichs und seiner Länder, S. 16. 48 Walter Jellinek, Revolution und Reichsverfassung, in: JÖR IX (1920), S. 69. 49 Karl Bilfinger, Föderalismus, in: Anschütz / ders., Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer (1924), S. 39. 50 Bilfinger war der Meinung, dass ein noch größerer Gegensatz zwischen der reichsverfassungsrechtlichen Stellung der Länder und ihrer tatsächlichen Machtstellung

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Insgesamt trug die extensive Interpretation der Verfassung zu Lasten der Länder entscheidend zu einer zentralisierenden Staatspraxis und einer „energischen Aushöhlungspolitik“ bei.51 Für Reichsinnenminister Erich Koch-Weser bestand dementsprechend gar kein Zweifel daran, dass der Katalog der dem Reich eingeräumten Zuständigkeiten „auf Jahrzehnte hinaus“ reiche, um „im Wege der Gesetzgebung das Reich dem Typus eines Einheitsstaates anzunähern“52. Änderungen der Verfassung wurden von einem großen Teil der Staatsrechtler dennoch für nötig gehalten. In der Forderung einer Reichsreform drückte sich ihr Begehren nach mehr Einheit aus: nach Einheit des Staates wie nach Einheitlichkeit seiner Organisationsstrukturen.53 Gerhard Anschütz stellte sich die Entwicklung der Weimarer Republik zum Einheitsstaat in der Form eines Verfassungswandels vor. Er hoffte auf „eine sacht vorrückende Verschiebung der Gesinnungen der Menschen und in Verbindung damit, der politischen Dynamik“54, welche die Länder nicht verschwinden, sondern „in der Stellung großer, starker und freier Selbstverwaltungskörper“55 bestehen lassen sollte. Unter Verzicht auf eigene Landesparlamente sollten sie sich „in der Art großer Kommunalverbände“ organisieren.56 „Das Reich“, so stellte Anschütz unmissverständlich fest, „ist uns lebensnotwendig, sein Bestand und Fortbestand eine Lebensfrage, über die sich nicht diskutieren lässt: ob es in Länder geteilt sein soll und wenn ja, in welche, das sind Zweckmäßigkeitsfragen, über die sich diskutieren lässt.“57 Der Staatsgedanke, so knüpfte er an seinen Lehrer Paul Laband und dessen rigide Souveränitätsvorstellung an,58 verkörpere

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vermieden wurde, weil die außenpolitische Situation der Pariser Friedenskonferenzen eine Konsolidierung der Reichsgewalt begünstigte, vgl. ebenda, S. 44. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Erzberger’sche Finanzreform, mit der das Reich nicht nur nahezu die gesamte Steuerverwaltung an sich zog, sondern auch tief in das Länderfinanzrecht eingriff. Das Steuervereinheitlichungsgesetz 1930 stellte die logische Vollendung dar, so Apelt, Bemerkungen zur Reichsreform, S. 12f. Erich Koch-Weser, Einheitsstaat und Selbstverwaltung, Zehlendorf 1928, S. 18. Eine zusammenfassende Darstellung der unitarischen Kritik bei Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung (1928). Siehe auch Richard Thoma, Die Forderung des Einheitsstaates. Festrede zur Reichsgründungsfeier der Universität Heidelberg am 18. Januar 1928, Heidelberg 1928. Anschütz, Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung, S. 20. Ebenda, S. 21. Anschütz, Föderalismus, in: ders. / Karl Bilfinger, Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer (1924), S. 27. Anschütz, Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung, S. 17. So pries Anschütz die rigide Souveränitätstheorie als eine Art Katechismus seiner Generation und behauptete, nie daran gezweifelt zu haben, „daß Laband und Haenel gegen Seydel und sogar gegen Bismarck Recht hatten“, auch wenn es aufgrund der

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sich in Deutschland zuerst und vor allem im Reich. Die Länder hatten mit Anschütz daher die Stellung von „dienenden Gliedern eines Bundesstaates“ 59.

Umdeutung der bundesstaatlichen Treuefiktion Reichsfixierte Tendenzen gegen die Länder als Gebilde „minderen Grades und Ranges“60, wie sie nicht nur Anschütz aus der Feder flossen, führten zu einer Neubewertung zentraler verfassungsrechtlicher Kategorien. Hatte Bismarck den Treuegedanken ursprünglich als Instrument der Bewahrung einzelstaatlicher Positionen gegenüber dem Reich in den politischen Sprachgebrauch eingeführt,61 wurde er in der Weimarer Republik als einseitige Pflicht der Länder neu interpretiert, die sich in das Gesamtgefüge des Bundesstaates einzufügen und zu dessen geordnetem Funktionieren beizutragen hatten. Das Konstruktionsproblem des Bundesstaates wurde somit in Anknüpfung an die rigide Souveränitätslehre durch eine Überordnung des Reiches über die Länder gelöst. Als durchdringend lässt sich das Verlangen, den Gedanken der Bundestreue umzudeuten, mit dem Erfahrungshorizont der Nachkriegsjahre erklären. Der zu dieser Zeit gefährdete Gebietsstand an den Grenzen zu Frankreich und Polen sowie Unruhe und Aufstände im Innern riefen ein Unbehagen hervor, das sich vor allem auf die Länder bezog, die separatistische und politische Radikalisierungen erfuhren. Nach der Reichsexekution gegen Sachsen 1923 und dem 1924 beigelegten Konflikt zwischen Bayern und dem Reich ermahnte Heinrich Triepel die Länderregierungen, sie hätten „Dienst zu leisten an der Reichsgesamtheit“, er wolle einen „Föderalismus, nicht nur um der Freiheit, auch um der Einheit willen“.62 Hugo Preuß sprach von einem Rückfall „in den partikularistischen Fieberwahn der Länderstaatlichkeit“ und verlangte, künf-

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Unklarheit der Verfassung oft nicht leicht gefallen sei, ihre Gegenargumente zu entkräften, ebenda, S. 9. Ebenda, S. 18. Ebenda, S. 6. Die im Bund vereinten Fürsten sollten vor allzu weitgehender Unitarisierung bewahrt werden. In der Stabilität der monarchischen Ordnungen lag das entscheidende Widerstandspotenzial des Bismarckschen Verfassungssystems gegenüber dem Prozess einer fortschreitenden Parlamentarisierung des Reiches, vgl. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 74. Heinrich Triepel, Der Föderalismus und die Revision der Weimarer Reichsverfassung, in: Zeitschrift für Politik 14 (1924), S. 193–230, zit. S. 210, auch ders., Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern. Beiträge zur Auslegung des Artikels 19 der Weimarer Reichsverfassung (Reprint, 1923) Bad Homburg 1965, S. 49.

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tig „die Länder zum freiwilligen und rückhaltlosen Einfügen in den nationalen Staat“ anzuhalten.63 Zu einem tragenden Element geriet das Bundestreue-Argument schließlich in den Verhandlungen des Staatsgerichtshofes zum Preußenschlag 1932. Mit der Reichsexekution gegen Preußen endete zugleich der Versuch, eine territoriale und institutionelle Reichsreform auf dem Verhandlungsweg zu erreichen. Bekanntermaßen stellte das staatsstreichartige Manöver der Reichsregierung Papen, mit dem die preußische Regierung Braun am 20. Juli abgesetzt wurde, den Prolog für die Gleichschaltung der Länder nach dem nationalsozialistischen Machtantritt dar. Im gerichtlichen Streit um die Legitimation des Preußenschlages lieferten sich die führenden Staatsrechtslehrer und -praktiker des Reiches jedoch noch einmal einen intellektuellen Schlagabtausch um den Souveränitätsbegriff und um den Treuegedanken. Die Kontroverse führte das Gefahrenpotenzial allgemein gefasster und nach entgegensetzten Richtungen beinahe beliebig auslegbarer bundesstaatlicher Prinzipien deutlich vor Augen. Ohne dass die Beteiligten hätten wissen können, wie schnell und radikal sie dann abgeschafft wurden.64 Zu einer eher traditionellen Auslegung der Bundestreue neigten verständlicherweise die Vertreter der gegen das Reich klagenden Landesregierungen und die Mitglieder der preußischen Landtagsfraktionen. So reklamierte die bayerische Regierung das historische Recht der Länder auf Wahrung des bündischen Prinzips. Sie führte den ungeschriebenen Topos der Bundestreue als grundsätzliche Pflicht des Reiches auf Achtung der Souveränität der Freistaaten argumentativ ins Feld: Die Länder seien demnach das Primäre, sozusagen die „Urzellen“ des Reiches, die in den Jahren 1866 und 1870 einen ewigen Bund geschlossen hätten, „um auf dem Gebiete des Deutschen Reiches schiedlich-friedlich miteinander zu wohnen, zu leben und nach außen stark zu sein“. Einen Teil ihrer Rechte hätten sie daher „freiwillig zu Gunsten des Reiches aufgegeben“.65 Daran anknüpfend nahm Bayern vor dem Staatsgerichtshof den Grundgedanken der Waitzschen Lehre von der geteilten Gewalt im Bundesstaat wieder auf und verband den Bundestreue-Topos mit Forderungen nach Garantien für die Länder vor Übergriffen der Reichsgewalt, die ihnen nicht mehr Rechte 63 Hugo Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 385. 64 Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 92. 65 Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof. Stenogrammbericht der Verhandlungen vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig vom 10. bis 14. und vom 17. Oktober 1932, Berlin 1933, S. 114.

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entziehen dürfe, als es in der Reichsverfassung vorgesehen sei.66 Insbesondere der in München lehrende Hans Nawiasky, der die bayerische Regierung staatsrechtlich beriet, bezog sich auf das Bundestreue-Element, aber eher indirekt auf die altliberale Lehre der geteilten Souveränität.67 Nawiasky hatte bereits 1920 den Versuch einer neuen staatstheoretischen Konstruktion des Bundesstaates unternommen. Dabei wollte er nicht die Souveränität, sondern die Staatsgewalt nach bestimmten Kompetenzen aufgeteilt wissen. Der Bundesstaat war für Nawiasky „ein Staat, dessen Kompetenzen aus dem gemeinsamen Ausschnitt der Kompetenzen mehrerer dadurch verbundener Staaten besteht. Gliedstaaten eines Bundesstaates sind Staaten, die dadurch verbunden sind, dass aus ihrer Zuständigkeit ein bestimmter Ausschnitt einem anderen besonderen Staats zugewiesen ist.“68 Das Charakteristische der bundesstaatlichen Ordnung sah Nawiasky daher in der Unvollständigkeit und der wechselseitigen Ergänzungsbedürftigkeit von Bund und Gliedern. „Bundesstaatsgewalt und Gliedstaatsgewalt“ sollten im Unterschied zu hierarchischen Denkbildern „grundsätzlich auf der gleichen Höhenstufe“ stehen.69 Da im Kern dieser Lehre Länder und Reich gleichberechtigt behandelt wurden, hatte Nawiasky in der Reichsreformdebatte eher die Rolle des vermittelnden Dritten übernommen und bereits auf der Länderkonferenz den Kompromiss einer „kleinen Reichsreform“ angeregt. In Einschätzung des real Machbaren insistierte er 1929, man solle „sich an Aufgaben machen, die man lösen“ könne und keine „Wechsel auf die Zukunft“ ausstellen, deren „Einlösung außerordentlich fragwürdig“ sei.70 Im Prozess „Preußen contra Reich“ vor dem Leipziger Staatsgerichtshof erwartete Nawiasky von der föderalen Verfassungsgerichtsbarkeit einen wirksamen Schutz vor gegenseitigen Kompetenzverletzungen. Bei Divergenzen habe das Reich die Pflicht, „den Ländern gegenüber als Staaten so zu handeln, wie man das eben gegenüber Staaten tut“. Wenn schon, so führte Nawiasky weiter aus, „im Völkerrecht eine solche Verpflichtung besteht, wo die Staaten sich feindlich und fremd gegenüberstehen, so doch erst recht im Bundesstaat, wo die Teile aufeinander angewiesen sind, und erst in ihrem Zusammensein 66 Ebenda, S. 115. 67 Hans Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, Tübingen 1920; siehe auch Holste, Der deutsche Bundesstaat, S. 514–516. 68 Ebenda, S. 29. 69 Ebenda, S. 47. 70 Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Niederschrift über die Verhandlungen der Unterausschüsse vom 5. und 6. Juli 1929 im Reichsministerium des Innern, Berlin 1930, S. 33

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das Ganze des Reiches ergeben“.71 Da das bündische Element des Bismarckreiches in der unmittelbaren Entstehungsgeschichte der Weimarer Verfassung fehlte, wurde hier der Grundgedanke bekräftigt, dass die Verfassung nicht nur buchstabengetreu, sondern auch der traditionalen bundesstaatlichen Fiktion nach erfüllt werden müsste. Dagegen argumentierten die Prozessvertreter der Reichsregierung Karl Bilfinger und Carl Schmitt. Sie machten das Bundestreue-Argument als Pflicht der Länder zur Einordnung in die Politik des Reiches geltend. Auf dieser Linie konstruierten sie eine vermeintliche Pflichtverletzung der sozialdemokratischen Regierung Braun gegen das Reich, die ihre Absetzung auf dem Weg der Reichsexekution legitimieren sollte. Bilfinger, der dem hegemonischen Bundesstaatsmodell Bismarcks nachtrauerte und der in seinen Schriften bis dahin eher als Vertreter dieser föderalen Orientierung aufgetreten war,72 steigerte die Verfassungsfiktion der allgemeinen Treuepflicht der Länder gegenüber dem Reich sogar zu einer „allgemeinen Gehorsamspflicht“73. Ins Extreme überdehnt wurde der Gedanke einer die Länder einseitig bindenden Treuepflicht auch von Carl Schmitt, der damit für ein weites Ermessen des Reichspräsidenten als „Hüter der Verfassung“74 eintrat. Dem Verfassungsinterpreten, rechtfertigte Schmitt sein Mitwirken am Preußenschlag, müsse deutlich vor Augen stehen, was es heiße, „wenn eine Partei sich der Landesstaatsgewalt bemächtigt, sie nun ausübt im Interesse ihrer Partei und die staatlichen Machtmittel ihrer Parteimacht benutzt, wenn sich also die Vielstaatlichkeit, die staatliche Zersplitterung mit der zum Bürgerkrieg treibenden Parteizersplitterung verbindet“. Man dürfe einen Schutz gegen die ungeheure Machtfülle des Reichspräsidenten nicht geltend machen, „denn damit zerstört man gerade wieder den Schutz, den die Machtfülle gewähren soll, den Schutz gegen die Zerstörung des Reiches“.75

71 Preußen contra Reich, S. 173. 72 Bilfinger hatte ein größeres Einflussrecht der Einzelstaaten auf den Reichswillen, und um das zu gewährleisten, eine Stärkung des Reichsrates gefordert, außerdem plädierte er für die Wiederherstellung der Personalunion zwischen den beiden Berliner Regierungen, vgl. Karl Bilfinger, Föderalismus, in: Anschütz / ders., Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer (1924), S. 35–62. 73 Preußen contra Reich, S. 169. 74 Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, in: AÖR 56 (1929), S. 161–237. 75 Preußen contra Reich, S. 180f.; Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess „Preußen contra Reich“ vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001.

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Carl Schmitt ist gleichwohl gegen die Denklogik der rigiden Souveränitätstheorie zu Felde gezogen,76 denn seiner Ansicht nach gehörte es zum Wesen des Bundes, dass die Souveränität zwischen Bund und Gliedstaaten immer offen bleiben müsse. Der Bund als politische Existenzform sei notwendig durch Antinomien geprägt, die in der Praxis jedoch nicht unauflöslich wären. Seiner Lehre legte Schmitt die Annahme von der Verfassung als dem „Prinzip des dynamischen Werdens der politischen Einheit, des Vorgangs stets erneuter Bildung und Entstehung dieser Einheit“ zugrunde. Der Staat sei demnach nicht nur als etwas „Bestehendes, ruhend Statisches“, sondern immer auch „als etwas Werdendes, immer von neuem Entstehendes“ aufzufassen. „Aus den verschiedenen entgegengesetzten Interessen, Meinungen und Bestrebungen muß die politische Einheit sich täglich neu bilden“, müsse sich das Gemeinwesen täglich neu integrieren.77 Als Voraussetzung für diesen Integrationsmechanismus hob Schmitt die Homogenität der Glieder hervor. Nicht die rechtliche Vereinbarung, sondern allein die substantielle Homogenität und der daraus folgende Wille zur Einheit führten nach seiner Ansicht zum Ausbleiben extremer Konflikte. Garantien für den Bestand des Bundes erkannte Schmitt hauptsächlich in einer „nationalen Gleichartigkeit der Bevölkerung“ und in gemeinsamen politischen Prinzipien, wie sie in der Nordamerikanischen Bundesverfassung von 1787 mit der republikanischen Staatsform und in der Wiener Schlussakte von 1819 mit dem monarchischen Prinzip als Grundlage des Deutschen Bundes ausdrücklich erwähnt wurden. Die Homogenität des Weimarer Bundesstaates sah er in der „konstitutionellen Demokratie mit parlamentarischer Regierung“ und dem Ausschluss von Monarchie und Rätesystem in der Verfassung von 1919 gewährleistet. Als Gegenbeispiele für Abweichungen führte er an: die Diskussion nach 1815 über den Charakter landständischer Verfassungen im Deutschen Bund und die unterschiedliche Beurteilung der Sklaverei in den Nord- und Südstaaten der amerikanischen Union, die in den Sezessionskrieg mündete.78

Integrationsgedanke – Neuansätze in der Bundesstaatstheorie Schmitts Gedankengänge nahmen Bezug auf den Topos der Integration von Rudolf Smend, der als einer der „Säulenheiligen deutschen Staats- und Verfas76 Michael Walter Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt. Die Souveränitätslehren von Hans Kelsen, Carl Schmitt und Hermann Heller im Vergleich, Baden-Baden 1995. 77 Schmitt, Verfassungslehre, S. 5f. 78 Ebenda, S. 375 ff.

„Souveränität“ und „Bundestreue“

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sungsdenkens im 20. Jahrhundert“ gilt, wobei er sich im Unterschied zu Schmitt aus rechtspolitischen Debatten heraushielt. Smend hatte mit seiner Integrationslehre, die Ende der 1920er Jahre großen Widerhall fand, einen Neuansatz der Bundesstaatstheorie geliefert. Er ging auf den soziologischen Grundgedanken zurück, dass überindividuelle Einheiten durch Integration erzeugt und erhalten werden. Die Akzente seiner Integrationslehre lagen, wie er später einräumte, auf der „politischen Pointe gegen den chaotischen Zerfall des Weimarer Staates“.79 Im juristischen Methoden- und Richtungsstreit nach 1918 folgte sie der neuen Leitorientierung, die gegen den staatsrechtlichen Positivismus auf eine Rematerialisierung der Staatsrechtslehre setzte. Um die Hintergründe der Verfassungsnorm einzusehen und die wechselseitige Bedingtheit mit der Verfassungswirklichkeit aufzuzeigen, wurde dabei die Isolierung des Staatsrechts von den Nachbardisziplinen Soziologie, Geschichte und Politik überwunden.80 Ein Ertrag dieses Denkens lag in der Entwicklung ungeschriebener bundesstaatlicher Rechte und Pflichten. Danach schuldeten Reich und Länder einander Rücksichtnahme auch da, wo es der Verfassungstext nicht ausdrücklich normierte. Die durch Bismarck geforderte politische Verhaltensmaxime der Bundestreue hielt so Einzug in das Verfassungsrecht.81 Ein zentrales Anliegen Smends war es zu erklären, unter welchen Bedingungen der Bundesstaat ein sinnvolles politisches Gebilde sein könne. Die Einzelstaaten im Bundesstaat seien demnach weder „unvermeidliche Hypotheken auf der als Ideal zu wünschenden konsolidierten Einheitsstaatlichkeit des Gesamtstaates“ noch „nützliche Nebeneinrichtungen und Entlastungen des Ganzen“, sondern vielmehr „eine positive Kraftquelle für das Ganze“. In der Selbstständigkeit der Länder sah Smend gerade die Stärke des Reiches, aber nur unter der Bedingung, dass zugleich „die Einordnung in das Ganze eine positive Wesens- und Lebenserfüllung für die eingeordneten Glieder ist“.82 Im System der bundesstaatlichen Integration wurde von daher der Einfluss der Länder als gerechtfertigt durch ihre Leistung für das Reich angesehen.83 79 Winfried Steffani, Einleitung, zitiert nach einem Schreiben Smends an die Herausgeber des Quellenbandes, in: Franz Nuscheler / ders. (Hg.), Pluralismus, Konzeptionen und Kontroversen, 2. Aufl., München 1973, S. 27. 80 Stefan Korioth, Rudolf Smend (1882–1975), in: Stefan Grundmann u.a. (Hg.), Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2010, S. 586–590. 81 Ebenda, S. 592. 82 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München 1928, S. 118; Stefan Korioth, Integration und Bundesstaat. Ein Beitrag zur Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends, Berlin 1990. 83 Ebenda, S. 125f.

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Eine starke Betonung lag auf der Pflicht der obersten Reichs- und Länderorgane, bei Differenzen in Verhandlungen einen Ausgleich zu suchen. Die Umpolung des Bundestreuegedankens vom Garanten eigenstaatlicher Interessen zum Wächter der Integrationspflicht der Länder fand dabei auch bei Smend ihren klaren Niederschlag: Bei allem gebotenen Ausgleich gehe „das Reichsinteresse vor, hat das Einzelrecht sich dem gesamtstaatlichen Rechtsgedanken unterzuordnen“.84 Zudem hatte das Postulat, dass nur integrationswillige Korporationen auch Staaten wären, eine Kehrseite. Angesichts extremer Konflikte zwischen Reich und Ländern konnte der föderalen Ordnung leichter der Boden entzogen werden, wenn die Normativität des Verfassungstextes gegenüber dem gesellschaftlichen Wandel und seiner politischen Gestaltung zurücktrat. So ist der Anwurf gegen Smend nicht ganz von der Hand zu weisen, sein Ansatz berge auch eine Kampftheorie gegen den Weimarer Bundesstaat.85 Dahinter steht der bis heute gültige, im Detail jedoch schwer zu fassende Anspruch auf die richtige Balance eines modernen Verfassungsdenkens zwischen Rigidität und Flexibilität. Es sollte weder die Normativität der Verfassung dem Recht des Stärkeren opfern noch der politischen Dynamik den Raum versperren.86 Ein Beispiel des destruktiven Rückgriffs auf Denkfiguren und Argumentationstopoi der Integrationslehre lieferte Otto Koellreutter, der einen Schwerpunkt seines Werkes dem Verhältnis von Reich und Ländern widmete. Seine Publikationen dazu erschienen auch außerhalb der Fachliteratur, so dass sein Plädoyer für eine Reichsreform eine breite Öffentlichkeit jenseits akademischer Kreise erreichte. Vor allem seine Schriften um 1930 können als repräsentativ für die nationalkonservative Gegnerschaft zur Republik angesehen werden.87 Koellreutter verband den Integrationsgedanken mit dem Programm des nationalen Volksstaates. Eigenstaatlichkeit der Länder war für ihn kein Wert an sich. Sie wurde ausschließlich nach ihrer Integrationsleistung für die Gesamtnation und der Wiederherstellung weltpolitischer Geltung bemessen. Die Hauptaufgabe der Länder sah Koellreutter dabei nicht in der Politik, sondern in einer „stabilen Verwaltungsführung“88. Soweit sie zur nationalen Integration 84 Ebenda, S. 171. 85 Hans Kelsen, Der Staat als Integration. Eine prinzipielle Auseinandersetzung, Wien 1930, insbes. 76f., 90f.; Korioth, Rudolf Smend, S. 602f. 86 Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer, S. 591f. 87 Jörg Schmidt, Otto Koellreutter 1883–1972. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Frankfurt a. Main u.a. 1995, S. 47–53. 88 Otto Koellreutter, Der deutsche Staat als Bundesstaat und als Parteienstaat, Tübingen 1927, S. 35.

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nicht in der Lage wären, sei ihre „staatliche Herrschaft technischer Leerlauf und damit sinnlos geworden“89. Auch für kulturelle Differenzierungen brauche es den Föderalismus nicht. Um diese zu erhalten, reichten die Kommunalverbände, insbesondere die Städte vollkommen aus.90 Koellreutters Programm richtete sich nicht nur gegen die Parlamente der Länder und deren parlamentarische Regierungen, die er vom Standpunkt nationaler Integration nicht nur für „entbehrlich, sondern direkt schädlich“91 erachtete. Eine Bindung an den Bundesstaat mit Garantien für die Existenz der konkreten Länder hielt er darüber hinaus nicht mehr für angebracht. Jedes Land und jede Befugnis der Länder sollte vielmehr auf ihren möglichen Integrationswert hin geprüft werden. Das Ergebnis einer solchen Überprüfung aber stand für Koellreutter, der von der NSDAP den „nationalen Rechtsstaat“ erhoffte, bereits fest: Der anstehende Generationswechsel in der politischen Führung sei der entscheidende Faktor, um die Entwicklung Deutschlands zum dezentralisierten Einheitsstaat zum Abschluss zu bringen.92

2.2. Das Reich als „Organismus“ oder „Mechanismus“ – Bundesstaat und Einheitsstaat in der Imagination der Zeitgenossen Wenn abstrakte Begriffe wie Bundesstaat und Einheitsstaat, Föderalismus und Unitarisierung oder Souveränität und Bundestreue zu Leitbegriffen staatstheoretischer und verfassungspolitischer Diskussionen werden, löst das noch nicht das Problem ihrer kollektiven Vorstellung. Erst mit ihrer sprachlichen und bildhaften Imagination in der Debatte sind diese Begriffe letzten Endes öffentlichkeitswirksam geworden. Außerhalb juristischer Fachkreise und Expertendiskussionen trug die Verbildlichung einer einheitlichen Semantik in der Bevölkerung zur Ablehnung oder zur Identifikation mit einem verbindlichen Wertekatalog bundesstaatlicher Konzeptionen bei.93 89 Ders., Integrationslehre und Reichsreform, Tübingen 1929, S. 16. 90 Ders., Die innenpolitische Gliederung des deutschen Volkes als nationales Problem, in: Wille und Weg 1928, Halbmonatsschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, Berlin 1928, S. 471ff. 91 Ders., Integrationslehre und Reichsreform, S. 17. 92 Ebenda, S. 28. 93 Ich beziehe mich hier auf den neueren kulturgeschichtlichen Zugriff, der die Angewiesenheit der Politik auf symbolische Mechanismen und die fundamentale Fähigkeit des Menschen zur Symbolerzeugung erfasst. Klassische, bereits etablierte Themen der Kulturgeschichte in diesem Bereich sind Integrationsrituale wie Feste und Feiern,

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Für die Kommunikation waren dabei traditionelle und neue Deutungsmuster sowie verschiedene mediale Vermittlungsformate konstitutiv. Dabei ist im Sprachgebrauch nicht nach Abbildern von Bundesstaat und Einheitsstaat zu suchen. Was sollte denn auch – so das generelle Problem – in den abstrakten Begriffen abgebildet werden? Vielmehr ist hier nach den Selbstbeschreibungsformeln der Weimarer Gesellschaft zu suchen. Gemeint sind Metaphern, Analogien und Topoi für oder gegen den Bundesstaat, die die politische Auseinandersetzung durchwirkten und die als Reflexionshilfen dienten. Sie bezogen sich auf die Historie, die Naturphilosophie und Naturwissenschaft, aber auch auf die industriell-technischen Phänomene jener Zeit. Ihre fehlende Eindeutigkeit und ihr Assoziationsreichtum schufen Interpretationsmöglichkeiten, sodass sie verschiedenen, teilweise entgegengesetzten Positionen als Argumentationsmuster dienen konnten. Auf dem Mangel eindeutiger Distinktionen beruhte die große Integrationskraft und eine von Zeitgenossen kaum bezweifelte Plausibilität alltagsprachlicher und kulturelitärer Bilder.94 Für die Neugliederungsdebatte kamen außerdem Karten ins Spiel, die als mental maps entscheidend zur Verbreitung neuer Raumkonzepte und -eindrücke beitrugen.

Vorstellungen von Einheit und Ganzheit des Reiches Ziel allen politischen Einsatzes in der Bundesstaatsdebatte war ein stabiles Reich und die Gestaltung der Wechselbeziehungen zwischen den Teilen und dem Ganzen, wie sie prägnant in Organismusvorstellungen wieder aufgegriffen wurden. Es ging darum, zu beweisen, wie sich die staatliche Einheit aus gesellschaftlicher Vielheit ergeben sollte.95 Herrschaftssymbole oder politische Gründungsmythen. Zur Kommunikation als zentrales Konstituens des Politischen vgl. Schorn-Schütte, Historische Politikforschung (2006) und die Einleitung von Daniel u.a. (Hg.), Politische Kultur und Medienwirklichkeiten (2010). 94 Zur Wechselseitigkeit und Symbiose von Begriffen und Metaphern Hans Erich Bödeker (Hg.), Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte und Metapherngeschichte, Göttingen 2002, aus der älteren Forschung Alexander Demandt, Metaphern für Geschichte. Sprachbilder und politische Gleichnisse im historisch-politischen Denken, München 1978. Zur Ideologisierung der öffentlichen Sprache und den Wechselbeziehungen zur Allgemeinsprache während der Weimarer Republik siehe Schlosser, Einleitung, in: ders. / Boehncke (Hg.), Das Deutsche Reich ist eine Republik, S. 14f. 95 Ernst Wolfgang Böckenförde, Organ, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 519– 622, insbesondere ab S. 552; Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Wei-

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Ansichten darüber waren auf das Innigste verknüpft mit Denkbildern der Reichstreue und harmonischer Einigkeit. Sie konfrontierten die krisengeschüttelte und fragmentierte Weimarer Gesellschaft jedoch mit kaum erfüllbaren Ansprüchen, denn hinsichtlich des Aufzeigens der Voraussetzungen und Schwierigkeiten der Einheitsbildung griffen sie meistens zu kurz. Nach der Revolution und Kriegsniederlage 1918 unternommene Versuche, in den imaginierten Körper der Republik den Geist einer neuen organischen Einheit und Macht einzusenken, wurden stattdessen mit allen nur denkbar positiven Attributen der Zeit bedacht. So bezeichnete Thomas Mann, der sich seit 1922 öffentlich zur Republik bekannte, „das Aufgehen Preußens in einer neu gegliederten Einheit“ als Vollendung der „deutschen Sendung“ des Hohenzollernstaates. Das umfassende „Dritte Reich“ war für ihn Bestandteil eines „klug gewordenen Europa, welches Anstößigkeiten und Gefahren seiner Grenzziehung dadurch aufgehoben hat, dass es seinen inneren Grenzen überhaupt die Bösartigkeit nahm.“ Im Innern erwartete Thomas Mann von einer Reichsreform, dass sie die bundesstaatliche Struktur „vernunftgemäß ordnet“ und damit „allgemein das Bessere fördern, die Geschichtsmelancholie Europas beschämen“ würde.96 Für den Historiker Friedrich Meinecke sollte das „Reich der Zukunft“ Freiheit, Einheit und Stärke behaupten können.97 Konkret verbargen sich hinter der integrierenden Reichsparole seit jeher sehr verschiedenartige Vorstellungen. Es war möglich, den Reichsbegriff unitarisch oder föderal auszulegen. In der katholischen Interpretation der Reichsidee war das föderale Element nach wie vor präsent.98 Das Reich ist hier kein von einer zentralistischen Bürokratie gelenkter mächtiger Herrschaftsapparat. Es erscheint als eine Art Schutzmantel, gewoben aus dem verpflichtenden Erbe christlich-abendländischer Tradition, der die einzelnen Glieder des Reiches zwar zusammenhalten, aber ihnen doch eine weitgehende Selbstständigkeit zubilligen sollte. Dieses Reichsideal, das Gegensätzliches in sich zusammenfasste, „da es nicht allein Provinzen, sondern später auch Staaten in sich aufnehmen musste“, wurde als Gegenzug zum Römischen Zentralismus und als marer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, 2. Aufl., München 1964, S. 280–306. 96 Thomas Mann, Die historische Überholtheit der gegenwärtigen Reichsverfassung, in: Hannoverscher Kurier. Beilage Nr. 472/73, 9.10.1927, S. 1. 97 Friedrich Meinecke, Das Reich der Zukunft, in: Kölnische Zeitung 18.1.1931, S. 2. 98 Winfried Becker, Das Heilige Römische Reich der Neuzeit in der Historiographie des 20. Jahrhunderts, vornehmlich in Süddeutschland, in: Asche u.a. (Hg.), Was vom Alten Reiche blieb, S. 69.

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Antonym zum westlichen Staatsideal der Nation „mit einer alleinherrschenden Zentralsonne“ begriffen.99 Gegenüber dem aus der Französischen Revolution herrührenden nationalen Staatsgedanken bedeutete ein als genuin deutsch verstandener Reichsgedanke also das genaue Gegenstück. Wo von katholischen Publizisten die Bezeichnung „Das Dritte Reich“ übernommen wurde, wollten diese ein ganzheitliches Gefüge der Kooperation schaffen. Der Ausdruck verhieß eine Neuordnung, in der die Einheit aller politischen und sozialen Gegensätze hergestellt werden konnte. Er war zwar zuerst in dem 1923 erschienenen Buch Arthur Moeller van den Brucks als konservativer Erfüllungs- und Erwartungsbegriff gegen die Republik entfaltet worden, erwies sich aber vorübergehend für verschiedene weltanschauliche Positionen offen.100 Nach der Argumentation katholischer Publizisten sollten so dem Reich neue Kräfte von unten zugeführt werden. Die eigentlichen Bedrohungen des kooperativen Reichsgedankens sahen sie, wenn sie vom „Dritten Reich“ sprachen, in der Dämonie der Technik und den Systemen des Bolschewismus, des Faschismus und einer paneuropäischen Demokratie.101 Als differentia specifica der deutschen Nation wurde der Reichsgedanke andererseits nicht föderal gedeutet. Das Reich als Deutschlands historischer Auftrag setzte vielmehr die Nation und ihre homogene Einheit und Stärke voraus, die nicht von unten nach oben, sondern konsequent von oben nach unten gedacht wurde und die daher eine Überwindung der vermeintlich provisorischen oder misslungenen Staatsschöpfung von Weimar verlangte. Danach war auch eine Politik legitim, die sich in Anlehnung an Carl Schmitt nicht in der Respektierung bundesstaatlicher Normen erschöpfte, sondern die ihre Autorität aus dem Auftrag zur reformatio des Reiches ableitete.102 Die Orientierung an einem harmonischen Einheitsgedanken reflektierte zudem die traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges. Das ausgreifende Bewusstsein um Probleme und scheinbar unlösbare Konflikte der Nachkriegsordnung wurde vielfach als ein Zusammenbruch aufklärerischer Fortschritts99 Erwein Freiherr von Aretin, Das missverstandene Reich, in: Fritz Büchner, Was ist das Reich? Eine Aussprache unter Deutschen, Oldenburg 1932, S. 81. 100 Arthur Moeller van den Bruck, Das Dritte Reich, 2. Aufl., Berlin 1926. Den publizistischen „Erbfolgekrieg“ um den Begriff nach dem Freitod Moellers beschreibt André Schlüter, Moeller van den Bruck. Leben und Werk, Köln 2010. 101 Albert Mirgeler, Das Reich und seine Verneiner, in: Büchner, Was ist das Reich?, S. 81. 102 Carl Schmitt, Die konkrete Verfassungslage der Gegenwart. Pluralismus, Polykratie und Föderalismus (1931), in: Franz Nuscheler / Winfried Steffani (Hg.), Pluralismus. Konzeptionen und Kontroversen, 2. Aufl., München 1973, S. 99–139, hier S. 99f.

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ideen empfunden. Ihrem Rationalitätsvertrauen setzte die um Erneuerung von Staat und Gesellschaft bemühte Publizistik nach 1918 die Irrationalität des Integrationserlebnisses entgegen. Einheit wurde selbst in akademischen Debatten verstanden als „die lebendigste Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären durch den Staat zu dem allgemeinen Zweck, alle vitalen Kräfte des Volkskörpers für das Staatsganze zu gewinnen“103. Sie wurde als Schicksalsproblem behandelt, wobei die Frage, auf welche Art und Weise sich die Herstellung staatlicher Einheit vollziehen sollte, gegenüber der Prophezeiung einer gemeinschaftlichen Sinnerfahrung deutlich zurücktrat. Wer nicht weiter wusste, besann sich auf die Ursprünge des Reiches: Die entfernte Vergangenheit „mit ihren eingegrabenen Spuren in das wirtschaftliche und kulturelle Gefüge der deutschen Landschaften“, sollte „auf einmal starke Gefühle“ wecken.104 Die Sprache, mit der die Idee des Reiches dabei als eine natürliche und göttliche Idee beschrieben wurde, war keine des Verstandes und der rationalen Argumentation. Die ambivalente Moderne förderte in dieser Hinsicht eher metaphysisches Denken. In der Sehnsucht nach einem mächtigen deutschen Staat spiegelte sich der elementare Gegensatz zwischen den vermeintlich heiligen Ordnungen eines gewachsenen Lebens und dem empfundenen Triumph technischen Verstandes wider, wie ihn beispielsweise Ernst Jünger unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges beschrieben hat: „Dies ist das Wesen des Nationalismus, ein neues Verhältnis zum Elementaren, zum Mutterboden, dessen Krume durch das Feuer der Materialschlachten wieder aufgesprengt und durch Ströme von Blut befruchtet ist – ein Horchen auf die geheime Ursprache des Volkes, die in die Sprache des 20. Jahrhunderts zu übersetzen ist.“ Demgegenüber erschien die Republik nur noch als ein „trügerische(r) Anstrich von Ordnung“, der „ immer dünner, immer unsinniger, immer mehr zur Plage“ werde.105

Metaphern für das Zusammenwirken der Glieder Den rationalen, aber wenig geliebten und einheitsstiftenden Normen der Weimarer Verfassung korrespondierten aber auch Versuche, ihnen durch Sprache 103 So der Integrationsbegriff bei Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 206. 104 Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung (1926), S. 1. 105 Ernst Jünger im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband Der Kampf um das Reich, 2. Aufl., Essen 1929, S. 9. Zu Kontinuitäten und Strukturen radikalnationalistischer Deutungsmuster Walkenhorst, Radikaler Nationalismus, S. 306ff. und Sontheimer, Antidemokratisches Denken, S. 123f.

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und Bild mehr Rückhalt und Prägekraft zu verleihen. So wurde der Organismusgedanke und mit ihm verknüpft das Attribut organisch aufgegriffen. Der Begriff hatte seit dem 18. Jahrhundert, in der Auseinandersetzung um die angemessene Gestaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, Verbreitung gefunden, als eine Lösung der Frage politischer Partizipation und das Problem der Bildung und inneren Gliederung des Nationalstaates bedeutsam wurden. Als Legitimationsbegriff diente Organismus einer betonten Abgrenzung von zentralisierenden Bestrebungen und dem Erhalt oder der Neubildung regionaler und lokaler Gewalten als Zwischenglieder der Nation. In diesem Sinne wurde der organisch-systematische Staat seit dem frühen 19. Jahrhundert als ein Gebilde vorgestellt, welches garantieren sollte, dass die Nation „sich zwar in Stände teilt, aber nicht in Kasten zerfällt, wo alle Stämme und Stände ein lebendiges Ganzes, ein organisch zusammengehöriges System von Verhältnissen bilden“ und diese „ihre Einheit nicht erst in einer äußerlich aufgestellten obersten Gewalt finden“.106 Weiterentwickelt wurde diese Idee der aufsteigenden Ordnung auf der Grundlage korporativer Zwischenglieder von der katholischen Sozialtheorie und der genossenschaftlichen Staatstheorie Otto Gierkes und ihm nachfolgend von Hugo Preuß. In diesem Sinne entsprachen Organismusvorstellungen einer durchaus evolutionären, auf mittlere Lösungen ausgerichteten Tendenz der verfassungspolitischen Entwicklung in Deutschland. Als Gegenentwurf revolutionärer Ordnungsideen fußte der Organismusbezug gleichwohl auf dem Boden einer durch die Französische Revolution erreichten Gestaltbarkeit der staatlichen Ordnung. Auch er war wie der Einheitsbegriff unbestimmt genug, um vielfachen politischen Besetzungen offen zu sein.107 In der Weimarer Reichsreformdebatte diente die Idee des Organischen als Antithese einer mechanistischen Gesellschaftsvorstellung, wenn man den Zustand des neu zu schaffenden Staates prägnant beschreiben wollte. Ungeachtet seiner verschiedenen Ausdeutungen und Bedeutungsvarianten knüpfte der Organismustopos an die Vorstellung von der Wechselbeziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen an, wie sie bereits Kant prägnant formuliert hatte. Ein Staatswesen ist danach in dem Maße ein organisches, je vollständiger das Ganze nicht nur auf seine Glieder einwirkt, sondern auch von diesen lebendige Rückwirkungen erhält. Entscheidend ist hier eine Wechselbeziehung und

106 Heinrich Leo, Studien und Skizzen zu einer Naturlehre des Staates, Halle 1833, S. 44, 59. 107 Böckenförde, Organ, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 605.

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sich immanent entwickelnde Ordnungsstruktur zwischen dem Ganzen und seinen Gliedern.108 Diese Gegenseitigkeit politischer Herrschaft wurde metaphorisch bereits vor 1806 durch Körperbilder vom Reich erfasst. Die Allegorie von Haupt und Gliedern schien besonders geeignet, seine komplexe Verfassung und politische Wirklichkeit zur Anschauung zu bringen. In der Auseinandersetzung um die Positionen von Kaiser und Reichsständen hatte sie beiden Seiten als Argumentationsgerüst dienen und umgekehrt auch den zusammengesetzten Charakter des Alten Reiches miterfassen können. Diese Bildstrategie verband sich mit Verfahren der Repräsentation des Staates, wie sie dann das 19. Jahrhundert hervorbrachte. Als Gegen- wie Komplementärfigur des symbolischen Körpers des Herrschers wurde nun mit der wachsenden wirtschaftlichen und kulturellen Hegemonie des Bürgertums der symbolische Einheitskörper des Volkes und der Nation populär.109 Kleinstaaten wie Lippe knüpften an die Auffassung vom Monarchen als Landesvater bzw. Landesmutter und der Untertanen als großer Familie an. Das durch die Dynastie populär gewordene „liebliche Bild einer freundlich geleiteten, glücklich zu übersehenden Familie“ stellte die Kleinstaaten als Refugien dar, die noch einen Schutz boten gegen „die kalte Mechanisierung und Organisierung, bei der jeder nur eine Nummer und eine Funktion hat“.110 Figurative Volks- und Nationsbilder wie dieses führten so nicht allein den Einheitsgedanken fort, sondern wurden auch als Träger der deutschen Vielheit vorgestellt. Als Sinnbild eines besseren Zusammenlebens entwarf Reichskanzler Marx das Bild einer harmonischen Reichsfamilie aus Reich und Ländern, die auf der „Grundlage vollster gegenseitiger Loyalität“ 111 handeln sollten. 108 Kants Organismusvorstellung übte eine vielfach belebte Anziehungskraft aus und setzte Maßstäbe. Organisch war eine Verfassung demnach dann, wenn der Staat durch sie „so konstruiert ist, dass jedes seiner Glieder, sich gegenseitig Mittel und Zweck, immerfort zur Erhaltung des Ganzen mitwirken muß“ und „hinwiederum durch das Ganze seiner Stelle und Funktion nach bestimmt und erhalten wird.“ Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Hamburg 2001, S. 37. Siehe auch Wolf D. Gruner, Immanuel Kant – Friedrich Gentz – Karl Christian Friedrich Krause und die Deutschlandund Europavorstellungen ihrer Zeit, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 145–167. 109 Albrecht Koschorke u.a. (Hg.), Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt a. Main 2007. 110 Wilhelm Bröker, Lippe als selbständiger Staat oder Anschluß an Preußen? Ein Beitrag zu kleinstaatlicher Staats- und Wirtschaftspolitik, Detmold 1926, S. 170. 111 HStAD 10719/ 40018 Reichskanzler Marx am 18.11.1927, Festabend des Vereins der Berliner Presse.

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Der Bayerische Heimat- und Königsbund erwartete von einer Reichsreform, „dass schließlich doch noch der wahrhaft deutsche, großdeutsche Gedanke siegt, wonach die einzelnen deutschen Bundesstaaten gleichberechtigte Glieder im deutschen Reiche, gleichberechtigte Teilhaber am Reiche und damit eben erst Brüder zueinander sind und nicht Knechte, Untergeordnete, Verwaltungsobjekte, recht- und machtlose Provinzen unter einem alleinherrschenden Berlin, das nur den Mammon und den geist- und seelenlosen Schematismus vergöttert!“112 Kritiker der föderalen Ordnung konnten dieses Gleichnis einer Familie allerdings auch gegen das bayerische Staatsbewusstsein ins Feld führen, indem sie die steuerschwachen Länder wie Bayern als die „armen Verwandten“, die von den reicheren Familienmitgliedern lebten, zurücksetzten.113 Einer der ersten Protagonisten einer territorialen Neugliederung, der Geograph Walther Vogel, setzte seine Kritik am Bundesstaat ins Bild, indem er Reich und Länder mit einem Ehepaar verglich, „wo der Mann das Geld verdient, die Frau es ausgibt, beide aber sich nicht sagen, wie weit die Einnahmen reichen und wofür das Geld ausgegeben wird“114. Das Idealbild eines von gesundem, zukunftsträchtigem Leben durchpulsten Volkskörpers spiegelte sich auch in der Wahrnehmung der thüringischen Landesgründung nach 1920 wider. Als Mikrokosmos deutschen Wesens wurden der Zusammenschluss bzw. die Mediatisierung der thüringischen Kleinstaaten bereits im 19. Jahrhundert als ein Probestück im politischen Streit um die Einheit des Reiches gesehen. Das unter kleinstaatlichen Verhältnissen herangewachsene Thüringen galt in dieser Hinsicht jedoch nicht nur im pejorativen Sinne als partikularistisch. Im Sinne von Einheit wurde es auch nach 1919 als „Land der Mitte, der Vermittlung und des Ausgleichs“115, als das „grüne Herz Deutschlands“ oder als „Herzstück“ der Nation vorgestellt.116 Jedoch ließ sich die Vorstellung vom Volkskörper des Reiches und seinen Gliedern als lebenswichtigen Organen auch gegen den jungen Freistaat und die aus dem sozialistischen und linksbürgerlichen Milieu stammenden Protagonisten der 112 BHStAM MA 1943 / 103 286 Rundbrief des Bayernbundes an Reichs- und Länderregierungen, München 25.11.1929. 113 BHStAM MA 1943 / 103 279 Länder und Einheitsstaat. Memorandum der bayerischen Gesandtschaft, 7.7.1927. 114 Walther Vogel, Deutsche Reichsgliederung und Reichsreform in Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 1932, S. 97. 115 So Edwin Redslob in seinem Vortrag über die kulturelle Einheit Thüringens am 5.1.1919, ThHStAW Staatsministerium Nr. 1, Bl. 29 Rs. 116 HStAS 10701 / 14 Das Problem Groß-Sachsen, Zeitungsausschnitt 27.6.1928.

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Landesgründung Thüringens wenden. Das „herrliche, schöne Land im Herzen Deutschlands“ war in den Augen seiner Kritiker „zu einer Eiterbeule geworden …, die aufgestochen werden muss“ und ein Land, welches „den Todeskeim in sich trägt“.117 Nach der Landesgründung galt Thüringen vor allem den bürgerlichen Parteien und insbesondere den nationalkonservativen Gegnern der Republik nur als eine Art Provisorium. Das kleinthüringische, linksdemokratisch regierte Land war ihnen ein politisch und finanziell ganz unmögliches Staatsgebilde, wie es in dem Gedicht „Das schöne Kind Thüringia“ 1923 karikiert wurde. In einem Zwiegespräch der beiden Nationalfiguren Germania und Vetter Michel wurde gleichnishaft zu Geburt und Taufe die Thüringer Landesgründung als territoriale und politische Missgeburt beschrieben: „ ‚Ei guten Tag Germania! / Ist das dein Töchterlein?‘ / ‚Ja, lieber Vetter Michel, ja.‘ / ‚Ich find es etwas klein!?‘ / ‚Wie!? Klein!? – Da schlage einer Rad! Groß ist’s! – Was Du nur hast! – / Klein scheint’s, weil’s vorn nen Buckel hat / Und hinten einen Ast!‘ / ‚Woher hast Du das Kindlein, sag? / Bist Du denn jetzt vermählt?‘ / ‚Ach, lieber Vetter Michel, frag’ / Mich nicht, weil mich das quält. / Herr Umsturz war für mich erglüht; ich selbst blieb auch nicht kalt. / Er hat den Priester nicht bemüht / Und nahm mich mit Gewalt.‘ / ‚Daß einfach Ihr zusammenlauft / Ist arg muß ich gestehn. / Ist wenigstens das Kind getauft?‘ / ‚Nein das ist nicht geschehn! / Doch ist sein Name wohlbekannt, / Damit Du es nur weißt, / Weil man’s im ganzen Deutschen Land, / Nur Schön-Thuringia heißt!‘ “118 Die Fabel von der misslungenen Geburt veranschaulichte eine zweifelhafte politische Leistungs- und Lebensfähigkeit des Landes. Dafür soll hier noch ein weiteres Beispiel gegeben werden, mit dem die erste gemeinsame Thüringer Landesregierung charakterisiert wurde. Mutter Thuringia, berichtete die Deutsche Zeitung, sei „unter dem Beistande der vier Hebammen Demokratie, S.P.D., U.S.P.D. und Neukommunismus eines Kindleins genesen, das man ‚Regierung‘ getauft“ habe. Der neue Sprössling, der nur mit großer Mühe zur Welt befördert worden sei, wäre von der Rechten des Thüringer Parlaments als „schwächlicher Wechselbalg bezeichnet worden, der hippokratische Züge an sich trage und einem frühen Tod entgegenwelke.“ Die bisherige Entwicklung Thüringens biete demgegenüber wenig Anlass zum Opti-

117 BHStAM MA 1943 / 102 025 Oscar Arnold an den bayerischen Ministerpräsidenten, Neustadt / Coburg 26.6.1924. 118 Altenburger Landeszeitung, 11.4.1923.

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mismus, nach dem es sich um ein „gesundes, hoffnungsvolles Geschöpf, das zur Freude seiner Erzeuger wachsen und gedeihen werde“, handele.119 Wie sehr die Identifizierung mit dem neuen Freistaat von dem Verhältnis der politischen Parteien zur jeweiligen Landesregierung bestimmt war, unterstreicht des Weiteren eine Parodie auf das Lied der Mignon aus Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre, die im Mai 1923 in der Eisenacher Zeitung veröffentlicht wurde. Ursprünglich als Lobgesang auf die Heimat und für Bildungsreisende als Synonym für Italien stehend, wurde Goethes Vers „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?“ in einem Gedicht über Thüringen abgewandelt. Es beginnt: „Kennst Du das Land, / wo rot die Blumen blühn / Auf weißem Grund sieb’n rote Sternlein glühn“ und endet mit der Strophe: „Kennst Du das Land … wo man schon längst besitzt in Reinkultur / Des Proletariates Diktatur? / Kennst Du das Land, es war einst Deutschlands Herz! / jetzt verachtet wird es allerwärts.“120 Die Thüringer Landesregierung forderte daraufhin im Reichsrat, alle Weimarer Länder und ihre republikanischen Institutionen in das 1922 erlassene Republikschutzgesetz einzubeziehen, um sich vor solchen Angriffen zu schützen.121 Charakteristisch für die Sprachbilder war, dass in den Beziehungen zwischen dem Ganzen zu seinen Gliedern – und dies lag ganz auf der Linie der bestehenden staatsrechtlichen Fiktion – die Pflicht der Länder und ihre Unterordnung gegenüber dem Reich stark betont wurden. Demnach wurde es als ein wichtiges Moment angesehen, wie gut oder wie schlecht die Länder ihre Rechte und Funktionen als Glieder des Reiches erfüllten. Prognostisch wurde danach bemessen, welche Zukunftsperspektiven der föderalen Ordnung einzuräumen waren. Grundsätzlich setzte der Organismustopos jedoch eine in sich gegliederte Einheit voraus. Das Grundprinzip dieser Vorstellungen vertrug sich daher wenig mit zentralisierenden Ambitionen. Insbesondere Autoren, die sich eindringlich über den Gedanken des Wachstums und der organischen Reife äußerten und Rücksicht auf das Geheimnis der Leibwerdung der Nation verlangten, versicherten damit, dass organische Gebilde nicht einfach konstruiert werden könnten. Aus der Verwendung dieser Metaphern ergaben sich bestimmte politische Folgerungen und Konsequenzen: Die analogiehafte Beschreibung des Reiches als gedachter lebendiger Volkskörper zog für die verfassungspolitische Gestaltung einen staatstheoretischen Rahmen, jenseits dessen Reformen 119 Das neue Thüringen, in: Deutsche Zeitung, Berlin 28.4.1921. 120 Eisenacher Zeitung, 22.5.1923. 121 BAB R 43 I / 2314 Thüringen Bd. 2, Antrag Thüringens auf Abänderung des Gesetzes zum Schutz der Republik, Reichsrat Nr. 328, 10.9.1923.

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in das Gegenteil – ein morbides Reichsgebilde – umschlagen konnten. Pläne der Reichsregierung, eine Verwaltungsvereinfachung einseitig zu Lasten der Länder umzusetzen, wurden mit der Begründung abgelehnt, dass diese Gefahr liefen, den Ländern „den Lebensfaden zu verkürzen oder abzuschneiden“.122 Das organisch gedachte Ergebnis einer Verwaltungsvereinfachung rechtfertigte auch die Zurückstellung wirtschaftlicher und bürokratischer Ziele.

Länder und Stämme – Strukturbegriffe gegliederter Einheiten Ausgehend von dem Grundverständnis über die Bewahrung einer in sich gegliederten Ordnung öffnete sich jedoch ein weiter Interpretationsrahmen für die Ordnung des Reiches. Der Dualismus zwischen dem Reich und Preußen wurde einerseits als Mangel „einer richtigen Statik in der Reichsspitze“ und als ursächlich für die „Krebsschäden des öffentlichen Lebens“123 bezeichnet. Andererseits wurde dieses Argument für eine Reichsreform entkräftet, indem es als Fehldiagnose des „kranken Volkskörpers“ kritisiert wurde. So trat die bayerische Regierung mit der nachdrücklichen Forderung an die Seite Preußens, „dringend dem an ganz anderer Stelle sitzenden Krankheitsherd das Augenmerk zu schenken. Sonst könne der Fall damit enden, dass erklärt werden müsste: ,Dualismus beseitigt, Patient tot‘“124. Insbesondere die territoriale Gliederung des Reiches blieb demzufolge umstritten. Denkbar war eine Zukunft der historischen Länder, aber auch anderer regionaler Einheiten. Die Präambel der Weimarer Reichsverfassung selbst sprach von einem deutschen Volk „einig in seinen Stämmen“125. Die Stämme erschienen gegenüber den Ländern als eine natürliche und daher sozialen und zeitlichen Veränderungen kaum ausgesetzte Größe. Sie wurden als Gemeinschaften gedacht, die dank ihrer Besonderheiten die Monarchien überdauert hatten. Zumal Unterschiede in Dialekt, Mentalität und Volksbräuchen unmittelbare und gepflegte Erfahrungsbestände in der Bevölkerung darstellten.126 122 BHStAM MA 1943 / 103 279 Sitzung des Ministerrates, 20.1.1926, Abschrift. 123 BHStAM MA 1943 / 103 445 Briefwechsel zwischen dem bayerischen Ministerialrat Sommer und Walter Jahn (genannt als Fabrikbesitzer), 19.6.1931. 124 Ebenda. 125 Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Taschen-Gesetzsammlung) hg. von Friedrich Giese, Berlin 1919. 126 Als ein Beispiel die emotionalen Reaktionen auf den Reichspostkalender 1929, der nur die Tagesbezeichnung Sonnabend statt des in Süd- und Westdeutschland gebräuchlichen Samstag aufführte. BHStAM MA 1943 / 103 286 Rundbrief des Bayernbundes an Reichs- und Länderregierungen, München 25.11.1929.

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So galten nach dem Ende der Dynastien vor allem die Gebilde als historisch legitimiert und als politisch lebensfähig, die eine kulturell-sprachliche und ethnische Homogenität aufweisen konnten.127 Wissenschaftlich aber war das Stammeskonzept, wie es zum Beispiel der Heidelberger Geograph Walther Tuckermann oder die Autoren der Zeitschrift Geopolitik vertraten, schon damals wenig überzeugend. Auch wenn die Stammeshypothese allenthalben propagiert wurde, hat die Diskussion doch zu ihrer Entzauberung beigetragen.128 Bis es soweit war, ließen sich aus dem sehr unspezifisch verwendeten Stammesbegriff folgende Argumentationsmuster gewinnen: Einerseits diente er der Legitimation der Weimarer Länder. Im Sinne historischer Kontinuität wurde ihre Existenz über den dynastischen Selbsterhaltungswillen hinaus auf tiefere Ursachen zurückgeführt. Stamm wurde hier in erster Linie als ein Ausdruck von moderner Staatsintegration und Staatsidentität in den Jahrzehnten des Deutschen Bundes und des Deutschen Kaiserreiches verwendet. Insofern taten sich auch Föderalisten gegenüber einer romantischen Stammeslyrik schwer.129 Andererseits stützte der Stammes-Topos Neugliederungskonzepte des Reiches. Die Länder konnten für diesen Fall als aus dynastischem Egoismus geschöpfte Kunstgebilde der Rheinbund- oder Reichsgründungszeit gering geschätzt werden: „Die berühmte Eigenart der Stämme ist ja keine Chimäre. Verlogen ist nur ihre Gleichsetzung mit den dynastischen Kunstgebilden der heutigen Länder. Aber auch diese Kunstgebilde sind nun schon historische Erscheinungen geworden und haben Tradition angesetzt. Vergessen ist, dass sie zum guten Teil ausdrücklich als Werkzeuge antideutscher Politik von einem Franzosenkaiser geschaffen wurden, der unser Land damit dauernd unter seiner Oberherrschaft halten wollte. Vergessen ist vielfach, wie wenig die wirkliche Eigenart deutscher Stämme und Landschaften von den Dynastien geachtet und gepflegt worden ist.“130 Autoren, die für ein neues Land Nie127 Wille Oberkrome, Stamm und Landschaft. Heimatlicher Tribalismus und die Projektionen einer „völkischen Neuordnung“ Deutschlands 1920–1950, in: Hardtwig (Hg.), Ordnungen in der Krise, S. 69–94, insbes. S. 71–81. 128 Zeitschrift Geopolitik. Monatshefte für deutsches Auslandswissen, hg. vom Institut für Geosoziologie, Heidelberg 1924ff., vgl. Rainer Sprengel, Kritik der Geopolitik. Ein deutscher Diskurs 1914–1944, Berlin 1996, S. 16–23. 129 So bezog sich Konrad Beyerle im „Volksstaat“ von Weimar auf den nicht näher definierten Begriff der Stämme, um den Ausbau oder zumindest die Aufrechterhaltung des Föderalismus historisch zu legitimieren, ders., Föderalismus, in: Hermann Sacher (Hg.), Staatslexikon, 5. Aufl., Bd. 2, Freiburg 1927, Sp. 65–70; ders., Föderalistische Reichspolitik, München 1924. 130 BHStAM MA 1943 / 103 366 Frankfurter Zeitung, 2.11.1928.

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dersachsen plädierten, beriefen sich historisch darauf, „dass die Pflege der Stammesart und des Heimatgedankens in Deutschland im Grunde gar nicht an Eigenstaatlichkeit gebunden“131 sei. Da man jedoch zögerte, historisch-rechtlichen Gliederungen vollkommen abzusagen, wurden Neuordnungspläne an eine vermeintlich Jahrhunderte dauernde einheitliche Stammestradition gebunden: „... und noch heute ist der niedersächsische Stammesgedanke nach 750 Jahren der Zersplitterung und Zersetzung eine Macht, die über die Grenzen der beteiligten Länder hinwegwirkt.“132 Mit der Stammes- und Volkstumsrhetorik ließ sich zudem eine naturhaftorganisch anmutende Einbindung des Einzelnen in einen sozialen Verband assoziieren. Dies vermittelte vor allem in den Krisenjahren der Republik das Gefühl von Wertbeständigkeit durch Traditionsverbundenheit. So wurde der Stammesgedanke zu einem wichtigen Leitmotiv und Identifikationsmerkmal der Neugliederungsbewegungen. Er verdrängte den Monarchie- und Rechtsgedanken, was sich beispielsweise in der Zuwendung der Welfenbewegung zu Niedersachsenplänen als dem politischen Ziel der Selbstständigkeitsbestrebungen nach 1918 niederschlug. Ein selbstständiges Hannover als erste Durchgangsstufe sollte unter freiwilligem Anschluss der stammesverwandten Nachbargebiete zu einem größeren Niedersachsen führen.133 Unter dem Eindruck einer ungemeisterten Gegenwart des Weimarer Bundesstaates bot die Neugliederungsdebatte ein überaus fruchtbares Gelände für Denkbilder vom jahrhundertealten Reich als Stammesverband. Ihre Protagonisten nutzten den Stammestopos, um die politische Wirkung ihrer Territorialpläne zu vertiefen. Trotz aller romantischen Verklärung und unterschiedlicher Auslegungen konfrontierten Argumentationsmuster, die auf Bilder eines lebendigen Volkskörpers und den Stammesgedanken rekurrierten, jedoch die Anhänger einer starken Zentralmacht mit den Tatsachen lokaler, regionaler und territorialer Eigenheiten.

131 Georg Schnath, Die Gebietsentwicklung Niedersachsens. Mit acht Kartenbeilagen, Hannover 1929, S. 48. 132 Ebenda. 133 Klaus Neumann, Politischer Regionalismus und staatliche Neugliederung in den Anfangsjahren der Weimarer Republik in Nordwestdeutschland, 2. Aufl., Münster 1990, S. 319ff.

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Natur- und Technikmetaphern als Visualisierung des künftigen Einheitsstaates Dort, wo sich in der politischen Sprache naturhafte mit willentlich-bewussten Elementen verbanden, hing es von den Betonungen der zeitgenössischen Kommentatoren und ihrer Adressaten ab, wie das Verhältnis zwischen den vorgegebenen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen und ihrer zukünftigen Gestaltung definiert wurde. Anhänger des Einheitsstaates suchten die Naturmetaphorik vor allem dann argumentativ zu nutzen, wenn sie dem evolutionären Bedeutungsstrang ein stärkeres Gewicht verleihen wollten. Der Rückgriff auf naturhafte Metaphern ermöglichte ihnen zum einen den Mangel an historischen Vorbildern zu kompensieren, auf die deutsche Zentralisierungstheoretiker nicht zurückgreifen konnten. Zum anderen war die Versicherung auf eine naturgegebene Zukunft eine Reaktion auf die Schwierigkeiten, die einer politischen Realisierung einheitsstaatlicher Konzepte in der Weimarer Republik entgegenstanden. Der Widerspruch, in den sozialdemokratische Landespolitiker zum betont zentralistischen Programm ihrer Partei gerieten, wurde zum Beispiel dadurch gelöst, dass die Verwirklichung des Einheitsstaates gar nicht erst von rationalen politischen Entscheidungen abhängig gemacht wurde, sondern einer natürlichen Entwicklung anheimgestellt wurde. Der notwendige politische Aufbau Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg und die Entwicklung zu einem Paneuropa ließen, so meinte ein Sprecher der badischen SPD-Landtagsfraktion, ein Fortbestehen der deutschen Ländergrenzen für alle Zeiten nicht zu. Eine gezielte unitarische Politik schien von daher also gar nicht nötig zu sein.134 Deutschland, stellte 1929 die Jenaer Zeitung fest, sei für den Einheitsstaat nicht „reif“, denn das Entstehen und Bestehen könne „nicht einfach dekreditiert werden“, sondern folge „natürlichen Entwicklungsprinzipien“. Deshalb gelte es den „natürlichen Fluß der Entwicklung vorschauend zu erkennen“. Das auf dem Höhepunkt der Reichsreformdebatte 1928 wieder aufgegriffene politische Projekt der Revolutionszeit, über ein preußisches Norddeutschland zum Einheitsstaat zu gelangen, bezeichnete der Verfasser dabei euphemistisch als eine „Stromregulierung“.135 Eine Mediatisierung der kleinen Länder erschien in diesem Kontext als Ergebnis eines natürlichen Reifeprozesses. Über den drohenden Anschluss Thüringens an Preußen hieß es, „daß man ruhig 134 Emil Maier, Sprecher der badischen SPD-Landtagsfraktion, Verhandlungen des Badischen Landtags 15.12.1926, Sp. 150ff. 135 Norddeutschland als Einheitsstaat, Sonderabdruck aus Nr. 99 der Jenaischen Zeitung, 29.4.1929.

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zusehen könnte, bis die Saat durch erhöhte Thüringer Landesschulden reif würde“136. In hessischen Zentrumskreisen wurde der Appell an Preußen, territoriale Zugeständnisse für die Bildung eines Großhessens zu machen, mit der Bemerkung verbunden, Preußen würde durch die norddeutschen Kleinstaaten zum Ausgleich „allerlei Gebietszuwachs als reife Frucht in den Schoß fallen“.137 Auch im Südwesten der Republik wurden so die politischen Widerstände in den Ländern Hessen, Baden, Württemberg und Bayern gegen eine Neugliederung heruntergespielt. Ihre Anhänger behaupteten schlichtweg, augenblickliche Widerstände könnten nur zu einer zeitlichen Verschiebung des zu erreichenden Ziels führen, denn „die Zusammenfassung des rhein-mainischen Gebietes zu einem grossen, lebenskräftigen Organismus wird eines Tages kommen, weil sie kommen muss, und sie wird, da sie organisch auf vorhandenen Gemeinsamkeiten fusst und grosse gemeinsame Aufgaben vorfindet, nicht auf Sand gebaut sein“.138 Auch bei dem weitgehend erzwungenen Aufgehen Waldecks in Preußen, das die Vielfalt der deutschen Landkarte reduzierte, wurde die Natur ins Spiel gebracht. Nach heutigen Denkmustern hätte sich ebenso von einem Verlust der Artenvielfalt sprechen lassen. Allerdings entsprach dies noch nicht den Erfahrungen der 1920er Jahre.139 Kontradiktorisch zum Organismustopos waren es vor allem Metaphern der Technifizierung, Modernisierung und Industrialisierung, die zu Leitwörtern und Bildern einer bewussten und grundlegenden Veränderung der bestehenden bundesstaatlichen Ordnung herangezogen wurden. Adolf Hitler kündigte 1923 in seinem Buch „Mein Kampf“ das Ende des Bundesstaates und seiner Länder folgendermaßen an: „Der moderne Verkehr, die moderne Technik lässt Entfernung und Raum immer mehr zusammenschrumpfen. Ein Staat von einst stellt heute nur mehr eine Provinz dar, und Staaten der Gegenwart galten früher Kontinenten gleich.“140 In dieser Verdichtung des Raumes sah Hitler eine optimale Voraussetzung für einen zentralistischen Staatsumbau: „Die Schwierigkeit, rein technisch gemessen, einen Staat wie Deutschland zu verwalten, ist nicht größer als die Schwierigkeit der Leitung einer Provinz wie Brandenburg vor hundertzwanzig Jahren. Die Überwindung der Entfernung von München nach Berlin ist heute leichter als die von München nach 136 Ebenda, S. 60. 137 HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft, München 15.1.1929, Entwurf, S. 2. 138 Landmann (Frankfurter Stadtrat), Das rheinmainische Wirtschaftsgebiet, in: Frankfurter Zeitung, 4.4.1922. 139 Zum Anschluss Waldecks an Preußen siehe Kapitel 5. 140 Adolf Hitler, Mein Kampf, 286.-290. Aufl., Bd. 2, München 1938, S. 641.

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Starnberg vor hundert Jahren.“141 Aufgrund der modernen Verkehrstechnik sei das gesamte Reichsgebiet demnach faktisch „kleiner als irgendein mittlerer deutscher Bundesstaat zur Zeit der Napoleonischen Kriege“.142 Die weitere Entwicklung würde nivellierend verlaufen: „Die Leichtigkeit des modernen Verkehrs schüttelt die Menschen derart durcheinander, dass langsam und stetig die Stammesgrenzen verwischt werden und so selbst das kulturelle Bild sich auszugleichen beginnt.“143 Gegenüber der zunehmenden sozialen und ökonomischen Entgrenzung und angesichts flexibler Lebenswelten erschien die bundesstaatliche Struktur mit ihren regionalen und lokalen Bezügen und Besonderheiten als anachronistisch. Deutschland – das Reich, die Länder, Provinzen und Gemeinden – so lautete der Grundtenor einer Serie des südwestdeutschen Rundfunks, die 1931 das Thema der Reichsreform aufgriff, „befände sich im Gegensatz zur privaten Wirtschaft noch durchaus im Stadium vor der Rationalisierung“. Sein Aufbau entspräche nicht „den Erfahrungen der jüngsten Zeit, der Technik und dem natürlichen Empfinden seiner Bewohner, nicht den Bedürfnissen, wie sie Verkehr und Wirtschaft gezeitigt haben.“144 Die noch bestehenden Länder, wie sie Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschaffen, der Wiener Kongreß, der Deutsche Bund und die Bismarcksche Verfassung verankert hatten, galten demnach als rein dynastische Gebilde und als mentaler wie finanzwirtschaftlicher Ballast der demokratischen Republik: „Wir denken, da die Revolution von 1918 nur die Staatsform, nicht die Ländergrenzen sachgemäß geändert hat, heute noch in den kleinstaatlichen Begriffen des 19. Jh., während überall sonst dem Rhythmus und der Technik des 20. Jh. entsprechende Aufgabenteilungen und Arbeitsgewohnheiten – die erhebliche geldliche Einsparungen ermöglichen – festzustellen sind.“145 Rationalisierung, Effizienz und Wirtschaftlichkeit waren Attribute, mit denen die Vision eines modernen Einheitsstaates ins Bild gesetzt wurde. Ein Karikaturist der Süddeutschen Sonntagspost stellte beispielsweise die Schreibmaschine gegen Tintenfass und Federkiel, um vermeintliche Vorteile eines künftigen deutschen Einheitsstaates gegenüber der traditionalen Verwal141 142 143 144

Ebenda, S. 641f. Ebenda, S. 642. Ebenda, S. 647. BHStAM MA 1943 / 103 313 Stadtrat Dr. Michel, Frankfurt a. Main, Südwestdeutschland als Kultureinheit, Beitrag in der Vortragsreihe der Südwestdeutschen Rundfunk AG am 23.09.1930 gehalten, abgedruckt in: Südwestdeutschland als Kultur- und Wirtschaftseinheit, sieben Rundfunkvorträge, Frankfurt a. Main 1931, o. S. 145 Ebenda.

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Abb. 1  BHStAM MA 1943 / 103 330 Ausschnitt aus einer Berliner Zeitung, die für Großpreußen agiert, in: Süddeutsche Sonntagspost, Nr. 49, 1928, S. 3.

tungsverflechtung von Reich und Ländern im Bundesstaat zu veranschaulichen. Nicht zuletzt erhoffte man sich von einer Umwandlung und Zusammenlegung der Länder zu größeren Verwaltungsprovinzen sowie der Beseitigung der Landesparlamente und anderer Länderorgane finanzielle Vorteile in einem „billigeren Einheitsstaat“, der die „Grotesken der Vielstaaterei“ 146 überwinden sollte.147 Der führende Verwaltungsexperte Bill Drews warb 1920 für ein starkes Preußen als Nukleus eines künftigen Einheitsstaates, „damit alle deutschen Länder die gleichen Vorteile einer solchen zentralen Großbetriebsverwaltung genießen“ könnten. Preußen hielt er „allein von allen deutschen Staaten, dank seiner Größe und der dadurch bedingten Leistungsfähigkeit“ für in der Lage, die unterschiedlichen Lebensbedingungen nach dem Krieg im Sinne des angestrebten Wohlfahrtsprinzips auszugleichen. Es sei „genau der gleiche Vorgang 146 BHStAM MA 1943 / 103 330 Süddeutsche Sonntagspost, Nr. 49, 1928, S. 3. 147 Karl Sommer, Der billigere Einheitsstaat, München 1929 setzte sich mit diesem Schlagwort der Reichsreformbewegung auseinander.

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Abb. 2  BHStAM MA 1943 / 103 330 Ausschnitt aus einer Berliner Zeitung, die für Großpreußen agiert, in: Süddeutsche Sonntagspost, Nr. 49, 1928.

wie im Privatwirtschaftsleben: der Großbetrieb ist dem Kleinbetrieb überlegen durch die größeren Mittel, mit denen er arbeitet, die ihm eine weitere Betätigung, gesteigerte Ausgleichsmöglichkeiten und die Beschaffung für den Kleinbetrieb zu kostspieliger, im einheitlich geleiteten Großbetrieb aber lohnender Spezialeinrichtungen und Maschinen ermöglichen“.148 Vielfach gingen antiparlamentarische Ressentiments der Staatseliten eine Verbindung mit unitarischen Gedanken ein. Der badische DDP-Politiker und Staatspräsident Willy Hellpach setzte sich für eine „Entpolitisierung der Länder“ ein, nachdem er den Landtagen eine „künstliche Überhitzung der politischen Atmosphäre“ angelastet hatte, die „statt zu einer Politisierung der Massen zu ihrer vollständigen Abkehr vom politischen Leben“ führen würde. Hellpach legitimierte so die Konzentration der Legislative beim Reich, während die Länder ihre Existenzberechtigung in einer bürgernahen Verwaltung 148 ThHStAW Bevollmächtigter Nr. 47, Deutscher Einheitsstaat und preußische Verwaltungsreform, 27.1.1920.

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finden sollten. Das Bedenkliche an seinen einflussreichen Ideen war die Nähe zu antidemokratischen Plänen und republikfeindlichen Dispositionen.149 Das Düsseldorfer Reichsmuseum für Gesellschafts- und Wirtschaftskunde befasste sich in gleicher Richtung mit dem Weimarer Bundesstaat. Seiner Gründung (1926) lag ein innovativer museumspädagogischer Gedanke zugrunde. Danach sollten Wissenschaftsmuseen der 1920er Jahre Methoden entwickeln, mit denen man nicht nur die Gesellschaft verstehen, sondern auch verändern konnte.150 Ein entsprechendes Ausstellungsstück des Düsseldorfer Reichsmuseums war die „Verwaltungspyramide“, die die föderale Ordnung visualisierte und in Frage stellte. Einem Baukasten gleich wurden die Bevölkerungszahlen des Reiches und der einzelnen Länder ins Verhältnis zu den Landtagen und den Abgeordneten gesetzt. Mit dem Modell suggerierten die Aussteller, Deutschland sei ein klassisches Land der „Regierungsinflation“ und ein Umbau der Reichsstruktur daher dringend erforderlich. Dem Betrachter wurde nahegelegt, dass ein solcher Umbau auf die historischen Länder und ihre Organe ganz verzichten konnte. Die Elemente, welche die Länder symbolisierten, waren nicht in das Element des Reiches integriert, sondern standen scheinbar beliebig angeordnet daneben.151 Auch die Vorstellung vom Bundesstaat als veraltete und modernisierungsbedürftige Staatsmaschine implizierte einen notwendig tiefen Eingriff in die vorgegebene Reich-Länder-Struktur – ganz im Unterschied zum vielgliedrigen Organismustopos und seinem Wachstums- und Entwicklungsgedanken, der nur therapeutische Maßnahmen zuließ. Eine Mediatisierung der Kleinstaaten bezeichnete die Schaumburg-Lippische Regierung als „Beseitigung aller der Gebilde, die noch aus der Zeit der Postkutsche stammen und die in der Zeit des Flugzeugs und des Automobils keine Stätte mehr haben“ sollten.152 Ihre Argu149 Entpolitisierung – die Rettung für die deutschen Länder, in: Stuttgarter Neues Tagblatt, 12.6.1926; Willy Hellpach, Die Parlamentskrise und die Verfassung von Weimar, in: ders. / Graf zu Dohna (Hg.), Die Krisis des deutschen Parlamentarismus, Karlsruhe 1927, S. 1- 20; siehe auch Willy Hellpach, Politische Prognose für Deutschland, Berlin 1928. 150 Marta Fraenkel, Ein neuartiges Museum. Reichsmuseum für Gesellschafts- und Wirtschaftskunde in Düsseldorf, in: Museumskunde, N.F. Bd. 18 (1929), Heft 1. 151 Siehe den Titel dieses Buches, zeitgenössisch abgebildet in: Zeitbilder, Nr. 32, 5.8.1928, Beilage zur Vossischen Zeitung, S. 2 und kommentiert als „ein interessantes, die Zerrissenheit Deutschlands anschaulich spiegelndes Schaustück des neuen Reichsmuseums für Gesellschafts- und Wirtschaftskunde in Düsseldorf“, welches die Mahnung enthalte „Deutschland sei ein klassisches Land der Regierungsinflation“. 152 Soll Schaumburg-Lippe an Preußen angeschlossen werden? Darlegungen der Schaumburg-Lippischen Landesregierung, 4.5.1926, Anlage 3, S. 19.

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Abb. 3  HStAS E 130b BÜ 2135 Hans Gerner, Held und Bazille, in: Die Sonntagszeitung Stuttgart, 29.1.1928.

mentation, die 1926 die Zustimmung der Wähler zu einem Anschluss des Kleinstaates an Preußen als Zwischenstufe eines künftigen Einheitsstaates erheischen sollte, orientierte sich an technokratischen und bürokratischen Mustern. Nach der Abstimmungsniederlage wurde der Weimarer Verfassung, die eine Neuglie-

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derung des Reiches an demokratische Legitimationsverfahren gebunden hatte, angelastet, sie habe „soviel als möglich mit Hilfe von Bremsklötzen dafür Vorsorge getroffen, dass die Kurbelstange sich nicht über den toten Punkt hinausbewegt, weder vor, aber auch nicht zurück“153. Ein ähnliches Bild verwendete ein Karikaturist, um die Widerstände der bayerischen und württembergischen Regierungen Held und Bazille gegen unitarisierende Reformbestrebungen auf der Länderkonferenz 1928 darzustellen. Die Bewegung des übergroßen Rades mit dem Schriftzug „Der Einheitsstaat“ wird durch den fliegenden Reichsadler im Bild gegen die widerstrebenden süddeutschen Politiker noch verstärkt. Im Widerspiel wurde an den preußischen Mediatisierungsplänen, die auf die Schaffung eines norddeutschen Einheitsstaates nach dem Vorbild von 1867 hinausliefen, kritisiert, dass sie mit „großem Eifer und kalter Berechnung“ betrieben seien. Nur „verächtliche Krämerseelen“ und „Twintig-GroschensBuern“ könnten daher einen Anschluss an einen norddeutschen Einheitsstaat unter preußischer Dominanz unterstützen. Kleinstaaten wie SchaumburgLippe wurden „den alles gleichmachenden Zeitströmungen zum Trotz“ als „engumgrenztes Land“ und „Kulturzentrum für sich“ geschätzt, die in einer größeren Nachbarprovinz lediglich auf den Status eines „Anhängsel(s)“ herabsinken würden.154 Ein Thüringer Verleger begegnete den Protagonisten einer Vereinheitlichung des Reiches mit dem Argument, sie würden „eine Maschine mit allen ihren Konstruktionen vor sich sehen, und für Maschinen begeistert man sich so lange nicht, bis sie wirklich erfunden sind und dann funktionieren.“ Wer das Volk zu begeistern suche, müsse stattdessen „von der Wurzel ausgehen und rein die Forderungen organischen Wachstums vertreten“.155 In den Reaktionen auf die Massendemokratie, auf Technifizierung und Industrialisierung mit ihren Tendenzen zur Anonymisierung des Einzelnen verdichteten sich Muster kleinräumiger Identität und Beheimatung. So wurde in Landtagen norddeutscher Mittel- und Kleinstaaten ein Anschluss an Preußen als „ein Hinabsinken zur willenlosen Berliner Provinz, zu Nutz und Frommen einer allmächtigen Großbürokratie“ abgelehnt.156 Kritiker einer Mediatisierung verglichen Preußen und seine Politik gegenüber den angrenzenden Län-

153 Wilhelm Bröker, Lippe als selbständiger Staat oder Anschluß an Preußen? Ein Beitrag zu kleinstaatlicher Staats- und Wirtschaftspolitik, Detmold 1926, S. 6. 154 Otto Bolte, Weshalb wir Schaumburg-Lipper bleiben. Eine Streitschrift, Bückeburg 1929, S. 5, 8ff. 155 ThHStAW Staatsministerium Nr. 42 An Staatsminister Paulssen, 23.2.1929. 156 BHStAM MA 1943 / 104 317 Generalanzeiger für beide Mecklenburg und Nachbargebiete, 30.12.1931.

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dern mit einem „Wirtschaftsbilde, wo ein Grossbetrieb die kleineren aufsaugt, bis er selbst zur Sozialisierung reif“ sei.157 Gegenüber den im 19. Jahrhundert dominierenden Meistererzählungen einer vereinheitlichenden und nivellierenden Modernisierung in Staat und Gesellschaft hatten der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrisen der Weimarer Republik das Bewusstsein schließlich nicht nur für die Ambivalenz, sondern auch für die vom so genannten Leben gebotenen Grenzen von Technik und Fortschritt geschärft. So behauptete der Lübecker Senat die Eigenständigkeit der Hansestadt mit folgenden Einwänden gegen die Neugliederungspläne Hugo Preuß‘: „In der Tat erschöpfen sich im Staatsleben die Kraft und die Bedeutung eines Staates in der Volkszahl ebenso wenig wie etwa die Bedeutung einer Privatwirtschaft in deren ziffernmäßigem Stammvermögen. Auch in der Völkergemeinschaft dürfen kleinere Länder, wie z. B. Dänemark oder Finnland, gegenüber gewaltigen Nachbarstaaten vollberechtigten Anspruch auf ungeschmälerte Geltung erheben, genauso gut wie in der Privatwirtschaft die Aufsaugung des Kleinen – der mittleren Bahn, Reederei oder Landwirtschaft – durch den Großen haltmachen soll vor dem in sich lebensfähigen und Leben gebenden gesunden Organismus.“158 Vereinheitlichenden und zentralistischen Denkbildern einer Staatsmaschine stellte ein Karikaturist 1928 die Chimäre der „roten Einheitsmühle“ an die Seite. Die Länder, dargestellt als Kartenausschnitte, würden zunächst – Tellern und Tassen gleich – DIN-formiert und vereinheitlicht werden. Als Ergebnis dieses „technischen“ Vorgangs wurden ihr Verschwinden und vollständiges Aufgehen im Einheitsstaat prophezeit. Der Zwang zur zeitgenössischen Normierung wurde durch Säge und Hammer noch symbolisch verstärkt. Auch der bayerische Ministerpräsident setzte sich in ähnlicher Weise auf der Länderkonferenz mit unitarischen Initiativen auseinander, die ihren Dreh- und Angelpunkt im Sparpotenzial einer Reichsreform suchten: „In Gedankengänge von Wirtschaftsunternehmen gebannt“, so referierte Held vor dem Verfassungsausschuss der Länderkonferenz 1929, „meinen viele, es lasse sich im Einheitsreich die Verwaltung für das ganze Gebiet und ohne Rücksicht auf Land und Leute, auf Geschichte, Art und Psyche des Volkes vereinheitlichen, typisieren, ratio157 Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung, S. 135. 158 AdHL NSA I, 2/5 Lübeck im neuen Reich, Denkschrift der Handelskammer im Auftrag des Bremer Senats vom Februar 1919. Zur engen Verknüpfung von sozialer Ordnung und überkommener Landschaft; zu Tendenzen der Agrarromantik und der Förderung eines regional angepassten Raumes durch die Natur- und Heimatschutzbewegungen vgl. auch Thomas Rohkrämer, Bewahrung, Neugestaltung, Restauration?, in: Hardtwig (Hg.), Ordnungen in der Krise, S. 49–68, insbes. S. 61ff.

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Abb. 4  Münchner Augsburger Abendzeitung, 4.11.1928, abgedruckt bei: Manfred Peter Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 6.

nalisieren und wie die schönen Ausdrücke alle lauten, die aus dem Lexikon des Kaufmanns, nicht des Staatsmannes entlehnt sind.“ Überzeugte Unitarier wurden für Held daher „zu schematischen und mechanistischen Konstrukteuren und Unternehmern in der Politik“, die Produktions- und Handelsunternehmen mit dem Staat sowie den „leiblichen und geistigen Bedürfnissen“ der Bevölkerung verwechselten.159 Unitarische Reichsreformpläne wurden vor allem in Folge der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre deutlicher als zuvor diskreditiert. So entwickelte der bayerische Regierungsbeamte Karl Sommer aus der Notlage heraus eine durchaus optimistische Prognose für die Zukunft der bundesstaatlichen Ordnung: „Heute zeigt es sich deutlich, worin die Schäden der Gestaltung unseres Gemeinschaftslebens liegen, ganz anderswo, als etwa in einer verkehrten Organisation im Verhältnis zwischen Reich und Ländern. Im Gegenteil der Zentralismus in der Wirtschaft und in den Finanzen hat uns soweit gebracht.“ Nur eine streng föderative Linie hätte das Reich außenpolitisch und wirtschaftlich vor einer so tiefgehenden Krise bewahren können. Stattdessen habe der finanzielle und wirtschaftliche Konzentrationsprozess „die Ausblutung Deutschlands begünstigt und beschleunigt und uns das Millionenheer der Entwurzelten beschert“. Über alle Versuche des straffsten Zentralismus hinweg würde sich langfristig zeigen, „dass Deutschland nur in der Form bestehen kann, die auf der Grundlage von sich frei verwaltenden Ländern von unten herauf nach 159 Verfassungsausschuss der Länderkonferenz, Verhandlungen 5./6.7.1929, S. 26.

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oben zur Freiheit und Einheit drängt. Jede andere Klammer muss zerspringen. Der Kampf um dieses Reichsideal wird siegreich enden, auch wenn wir es nicht mehr erleben sollten“.160 Weder auf wirtschaftlichem noch auf politischem Gebiet, so wendeten nun die Anhänger des Bundesstaates die fortschrittsgläubige Argumentation ihrer Kontrahenten ins Gegenteil, würde eine „Totalvertrustung“ Vorteile bringen.161 Metaphorisch auf die Reichsreform bezogen, stand für sie fest, „daß der Zusammenschluß zum zentralistischen Großbetrieb der nächste Weg zum völligen Verderben“162 sei.

Mental Maps – Denkbilder und Karten einer neuen Reichsstruktur Zu einem gängigen Motiv wurde zudem der Haustopos, der veranschaulichen sollte, wie die nationale Staatsform konkret aussehen sollte. Für Anhänger des Bismarckreiches glich die Republik mehr einem „Fabrikgebäude“ als einem „Herrschaftshaus“.163 Viele, die sich für eine Reichsreform einsetzten, betonten, dass die Weimarer Verfassung „das Reichsgebäude als einen Notbau“164 errichtet hatte. Ihr einflussreicher Kommentator Gerhard Anschütz sprach unter dem Eindruck der Nachkriegsmisere 1923 von „stehengebliebenen Resten und Ruinen des Alten“, neben denen „in wachsender Fülle neue Bildungen“ stehen, die „zum Teil unvollendete Rohbauten, selbst wieder Ruinen gleichen“.165 Das Gleichnis eines „Gebäudes auf Abbruch“166 fand Verbreitung, um den Veränderungsdruck für eine Reichsreform zu erhöhen. In diesem Sinne wurden die föderalen Elemente der Verfassung von 1919 als „eine prunkende Außenfassade“167 bezeichnet, hinter der eine unitarische Entwicklung des Reiches längst in Gang 160 BHStAM MA 1943 / 104 317 Karl Sommer an Rudolf Henle, München 21.12.1931. 161 BHStAM MA 1943 / 103 445 Karl Sommer an Walter Jahn (Fabrikdirektor), München 19.6.1931. 162 BHStAM MA 1943 / 104 317 Generalanzeiger für beide Mecklenburg und Nachbargebiete, 30.12.1931. 163 Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 370. 164 Anschütz, Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung, S. 1. 165 Ebenda. 166 Dieses Bild bezog unter anderen der USPD-Abgeordnete Ledebour in der Sitzung des Reichstagsausschusses für auswärtige Angelegenheiten am 21.10.1920 auf Preußen, StAB 4.49–411/83 Gesandter Nebelthau an die Senatskommission für Reichs- und Auswärtige Angelegenheiten, 21.10.1920. 167 Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung, S. 128.

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gekommen sei. Den Gegnern der traditionalen Länderstruktur ging es darum, alle Hindernisse zu beseitigen, „die den Vormarsch zu einem neuen, den Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes besser entsprechenden Reichsbau aufhalten“ würden.168 In Abgrenzung zur föderalen Tradition wurde das Reich als ein bewusst errichtetes und daher gestaltbares Gehäuse imaginiert. Forderungen nach Neugliederung wurden erhoben, weil sie der Staatsstruktur mehr Stabilität verleihen würden. Ein geeintes Südwestdeutschland sollte zu „einer festen scharfen Ecke“ des Reiches ausgebaut werden.169 Auch Mitteldeutschlandpläne nahmen Bezug auf eine ins Bild gesetzte Statik des deutschen Reichsbaus, die in diesem Fall durch einen „territorialen Balken Sachsen-Thüringen“170 abgesichert werden sollte. Disparate Ideen der Staatsgestaltung ließen sich allegorisch in verschiedene „Baupläne“ übersetzen. Den Einheitsstaat visualisierten Föderalisten als eine „geschlossene Wohnkaserne mit Zentralküche“. Dem stellten sie den Bundesstaat als ein „System der genossenschaftlichen Siedlung mit Eigenheimen“ gegenüber. Auf Pläne für einen dezentralisierten Einheitsstaat, der die Länder in Verwaltungsprovinzen umwandeln sollte, wurde das Bild vom „normierten Zinshaus“ übertragen. Mit „getrennten Haushaltungen, aber allzu dichtem Zusammenwohnen“ würde ein „Bewusstsein der Selbstbestimmung“ nicht mehr möglich sein.171 Der preußische Reformer Freiherr Karl vom und zum Stein, der anlässlich des Jubiläums seines 100. Todestages 1932 als Vorkämpfer des deutschen Einheitsstaates vereinnahmt wurde, war aus bayerischer Sicht eher ein „Reichsbaumeister von unten nach oben, statt ein Konstrukteur von oben nach unten“172. Besonders anschaulich wurde im selben Jahr die sächsische Kehrtwende gegen eine Reichsreform angekündigt. Mit dem Appell, einen „Bauriß unseres alten Vaterhauses Deutschland zu zeichnen“ und „einen Blick auf seine Baugeschichte zu werfen“, wurde eine Rückbesinnung auf die historischen Gegebenheiten deutscher Bundesstaatlichkeit angemahnt: „Wir wünschen uns aber auch gar nicht statt des alten Hauses einen Eisenbetonbau in neuer Sachlichkeit, weil wir das alte Haus in seiner gotischen Mannigfaltigkeit lieben als den Ausdruck unseres Deutschen Wesens.“ Auch hier wurde die Stabilität des Reiches als statisches Gesetz imaginiert. Neben seinen „wesent168 169 170 171 172

Von Zittau bis Eisenach, in: Dresdner Nachrichten, 21.10.1928. Süddeutscher Demokratentag und Volksfreund Karlsruhe, 15.11.1920. Thüringens Anschlußfrage, in: Chemnitzer Zeitung, 21.10.1929 BHStAM MA 1943 / 103 321 Fumetti, Zur Reform der Reichsverfassung, o.D. 1932. BHStAM MA 1943 / 103 280 Freiherr von Lutz, Bemerkung zur Prägung von Silbermünzen als Erinnerungsmünzen an Stein, München 7.7.1931.

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lichen Fundamente(n), Pfeiler(n) und Bogen“ galt es im Sinne geringfügiger Anpassungen, „den Rissen und Schäden“ nachzuspüren, die „am alten Bau aufgetreten“173 wären. Gegen die Bildung eines preußisch akzentuierten Einheitsstaates durch einen Anschluss der norddeutschen Länder wurde gerne Reichsgründer Otto von Bismarck zitiert. Der preußische Ministerpräsident habe die machtpolitisch an sich unbedeutsamen Kleinstaaten zwar nicht besonders rücksichtsvoll behandelt, wohl aber ihre ausgleichende Tendenz gegenüber den preußenfeindlich bis skeptisch eingestellten Mittelstaaten zu schätzen gewusst. Sein nicht belegter Ausspruch, die Kleinstaaten seien „Mörtel zwischen den Quadern“174 der größeren Bundesstaaten, wurde als historisch wichtige Mission der norddeutschen Staatenwelt für das Reich wieder aufgegriffen. Mit ihr verbunden war die Warnung vor einer Reichsreformpolitik zu Lasten der kleinen und mittleren Länder: „Ohne diesen Mörtel werden die Steine des deutschen Staatsbaues nur mehr lose aufeinandersitzen und das deutsche Haus wird in Gefahr sein, im Sturm der kommenden Zeit zusammenzustürzen.“175 Ein Memorandum der sozialdemokratischen Dessauer Regierung stützte sich bereits 1919 darauf, dass eine Beseitigung der kleinen Länder „in jedem Falle einen durch nichts zu verklebenden Riß in dem Neubau der deutschen Republik hinterlassen“ würde.176 Sie wurden verglichen mit „einem Häuschen, das in Jahrhunderten zum Alleinbewohnen gebaut ist. Wir wollen es für uns behalten, wollen uns möglichst wenig von außen hineinreden lassen, am allerwenigsten von Berliner Asphaltpolitikern, die von der Eigenart unseres Landes keine Ahnung haben und alles gleichmäßig über einen Kamm scheren wollen.“177 Der Haustopos begründete in verschiedenen Zusammenhängen die Eigenständigkeit der Länder, die ein unveräußerliches Hausgut an Rechten gegen173 BHStAM MA 1943 / 103 321 Bericht über eine Rede des neuen Chefs der Dresdner Staatskanzlei Schettler vor sächsischen Finanzbeamten, 24.5.1932. 174 Norddeutschland als Einheitsstaat. Sonderabdruck aus Nr. 99 der Jenaischen Zeitung, 29. April 1929. Der umfassende Wortlaut gegenüber einer Abordnung aus dem Fürstentum Lippe am 8.7.1893: „Die kleineren Bundesstaaten des Reichs bilden gewissermaßen den Mörtel zwischen den Quadern; hätten wir nur Staaten von der Größe wie Sachsen und Bayern, so würde die Verfassung schwer anzuwenden sein“, findet sich ohne Beleg bei Karl Bilfinger, Österreich und der Gedanke der Hegemonie in der Deutschen Verfassungsgeschichte, in: Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht 9 (1939/40), S. 65–79, zit. S. 71. 175 Richard Korherr, Die Reichsreform des Erneuerungsbundes, Regensburg 1932, S. 12. 176 HStAS, E 130 b / 2113 Anhalt 1919–1939, Denkschrift über die künftige Stellung des Freistaates Anhalt im Deutschen Reich, 1919. 177 Ebenda.

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über dem Reich einforderten. Insbesondere die Möglichkeit der Reichsexekution und die Diktaturkompetenz des Reichspräsidenten schwebten schließlich wie ein Damoklesschwert über den Ländern und sie stellten eine erhebliche Einbruchstelle für den Bundesstaat dar. Bürgerlichen Politikern, die in Sachsen 1923 die Hilfe des Reiches gegen die linksrepublikanische Regierung Zeigner angerufen hatten, wurde später vorgehalten, eine wichtige Implikation des Einmarsches der Reichswehr und der Absetzung des Dresdner Kabinetts unterschätzt zu haben. Der „eigentliche Sinn der Vorgänge von 1923“ verschob sich auf die Preisgabe „des Rechtes im eignen Haus“ und die Reichsexekution in Sachsen wurde zum eigentlichen Präzedenzfall für die Absetzung einer Weimarer Landesregierung. Es sei zwar eine „Missregierung“ beseitig worden, „aber der Weg zum Besseren war zu teuer erkauft mit diesem Schlag gegen die Selbständigkeit der Länder.“178 Daran anknüpfend erhielt der Protest einzelner Länder gegen den Preußenschlag 1932 eine teilweise kämpferische Note. In der Gewissheit, dass auch den anderen Ländern ein schwerer Existenzkampf gegen die Reichsregierung Papen bevorstehen würde, kommentierte die badische Presse: „So leicht, wie sich die preußischen Junker dieses Spiel mit Süddeutschland vorstellen, wird es nun doch nicht gehen“, man wolle zeigen, „dass vorläufig noch Süddeutschland keine ostelbische Klitsche ist.“179 In außen- und innenpolitisch schwierigen Zeiten schwächte sich das Bedürfnis nach einer Reichsreform eher ab. So weckten die Konflikte Bayerns und des Reiches während der Nachkriegszeit in Zentrumskreisen den Anschein, „als ob wir Deutschen in eigenartiger Manier selbst in Zeitläufen, wo unser Haus durch gegnerische Brandstiftung in hellen Flammen steht, nichts Besseres und Eiligeres zu tun hätten, als die vernichtenden Flammen des Untergangs von innen heraus nur noch mehr anzufachen, anstatt sie mit aller Hände Kraft in befreiendem Löschwerk und einträchtiger Gemeinsamkeit zu bekämpfen.“180 In Krisenzeiten wollte man sich die Tradition des Bundesstaates und des eigenen Landes „nicht über den Haufen“ rennen lassen. Schließlich gäbe es andere Sorgen als die Einteilung des Reiches nach neuen Gesichtspunkten zu erwägen: „Wenn das Wohnhaus brennt, dann streitet man sich nicht über die Einteilung der Zimmer.“181 1932 warnte die Dresdner Regierung vor der ungewissen Zukunft in einem deutschen Einheitsstaat,

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Otto Kunze, Sachsen und Thüringen, in: Vom Dritten Reich, 20.9.1928. Drohendes Klassenwahlrecht, in: Volksfreund, Karlsruhe, 1.11.1932. Ernst Buhla, Reichseinheit und Reichspolitik, in: Das Zentrum, 15.8.1922, S. 249. BHStAM MA 1943 / 103 319 Straubinger Tageblatt, 3./4.10.1931.

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da nicht garantiert sei, dass die Nation über einen Neubau „nicht obdachlos“ werden würde.182 So kaleidoskopisch die Weimarer Reichsreformpläne in der Rückschau auch erscheinen mögen; Vorstellungen über kooperative und hierarchische Beziehungen zwischen Reich und Ländern lassen sich bestimmten Bildprogrammen zuordnen, die für die Herstellung eines verbindlichen Wertekataloges bundes- und einheitsstaatlicher Konzeptionen maßgebend waren. Während föderale Positionen für die Vorstellung einer kooperativen Wechselbeziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen den Organismustopos heranzogen, der nur behutsame Eingriffe in einen lebendigen Volkskörper zuließ, wurde in vielen Reichsreformplänen das Reich als weitgehend gestaltbar imaginiert. Überzeugte Unitarier bezogen sich nicht zuletzt aus Mangel an Geschichtsbildern stark auf die zeitgenössischen Erfahrungsbereiche einer technifizierten und rationalisierten Welt. Die Naturmetaphorik wurde ihren Positionen dienstbar gemacht, wenn sie der evolutionären Komponente von Entgrenzungs- und Nivellierungstendenzen ein stärkeres Gewicht verleihen sollte. Außer Bildern und sprachlichen Gleichnissen beruhte auch die umfangreiche Kartierungstätigkeit während der Weimarer Reichsreformdebatte auf dem Umstand, dass staatliche Ordnungen und ihre räumlichen Komponenten nur in einem vermittelten Sinne darstellbar waren. Karten zählten seit der Frühen Neuzeit zu den medialen Erscheinungen des Aufstiegs und Verfalls von Territorien und trugen in Verbindung mit gesellschaftlichen Praktiken zu deren Konsolidierung bei.183 Wer mit den länderstaatlichen Grenzen der Weimarer Republik brechen wollte, war daher auf die Herstellung und Verbreitung alternativer Raumbilder angewiesen. In neuen Karten und Atlanten wurden die Auswirkungen von Verkehr, Wirtschaft und demografischen Entwicklungen auf die Verschiebung von Grenzen und politischen Zentren projiziert. Eine sichtbare Neugliederungseuphorie wurde dabei von der Erkenntnis beflügelt, dass die deutsche föderale Ordnung seit jeher kein gegebener territorialer Flächenraum war, sondern ein Konstrukt in Folge von Kriegen, Mediatisierungen und staatlich-territorialen Integrationsprozessen.184

182 BHStAM MA1943 / 103 321 Bericht über eine Rede des neuen Chefs der Dresdner Staatskanzlei Schettler vor sächsischen Finanzbeamten, 24.5.1932. 183 Zu Karten als Quellen der Wahrnehmung von Räumen und als Ausdruck realer, verlorener oder beanspruchter Macht vgl. Ute Schneider, Die Macht der Karten, Darmstadt 2006; Jeremy Harwood, Hundert Karten, die die Welt veränderten, Hamburg 2007. 184 Karten einflussreicher Reichsreformvorschläge in BAB R 43 I / 1877; Walther Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung, Berlin 1919; ders., Reichsgliederung

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Über den Wandel in der Gewichtung von Grenzkriterien reflektierte unter anderen der Geograph Walther Vogel, der wirtschaftliche Aspekte und die soziale Struktur der Bevölkerung in der Weimarer Republik stärker berücksichtigte. Infolgedessen waren für ihn die politisch-dynastischen „Zufälligkeiten“ viel weniger maßgebend als die gemeinsamen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interessen. Vogel entwarf als Grundlage der Partizipation des homo politicus einen hierarchischen Aufbau räumlich abgegrenzter Gemeinschaften: vom Dorf und der Stadt über die Landschaft und das Land zur Gesamtheit der Nation.185 Die politischen Bewegungen für eine Parlamentarisierung und nationale Einigung des 19. Jahrhunderts hätten dabei nicht nur die räumlichen Horizonte des Einzelnen erweitert, sondern auch den inneren Strukturwandel und die territoriale Gliederung des Reiches legitimiert. Für Vogel, der 1919 in Anlehnung an den Verfassungsentwurf von Hugo Preuß seine erste Karte eines neu gegliederten Reiches veröffentlicht hatte, war der „rege Meinungskampf“ der Reichsreformdebatte ein Zeichen demokratischer Mitspracherechte und Partizipationsforderungen, die besonders zu Neugliederungsfragen „in amtlichen Ausschüssen und privaten Bünden, in Erörterungen und Schriften“ Gestalt annahmen.186 Zustimmung und Ablehnung räumlicher Neuorientierungen führten dabei zu einem vielfach als unbefriedigend empfundenen Erhalt des Status quo der gegebenen Länderstruktur. Geographen wie Walter Vogel bemühten sich daher stets um neue methodische Ansätze der Raumerfassung, die sowohl natürliche Bedingungen als auch Bevölkerungsstrukturen berücksichtigten. Fortgeschritten war die Wirtschaftsgeographie, die mit der Vorstellung eines in Wirtschaftsprovinzen gegliederten Reiches auch politisch wirksam wurde.187 Wissenschaftlich zeichnete sich aber auch die Anwendung landesgeschichtliund Reichsreform (1932), S. 151–158 und Carl Thalenhorst, Bremen im Rahmen einer Neugliederung des Reiches, Bremen 1932, S. 26–31. 185 „In den Führern der räumlichen Kleingruppen steigert sich stufenweise die Idee von der Macht und der Ehre des Dorfes, der Stadt, der Landschaft zur Idee des Landes, des Volkes, der Nation. Man könnte daran eine ganze Philosophie der Horizonte anknüpfen, und dabei wieder zwischen räumlichen und zeitlichen Horizonten unterscheiden. Es gibt Wesen, deren Horizont nur das städtische Mietshaus umfasst und die nächste Nachbarschaft, es gibt den berühmten ,Kirchtumshorizont‘ und so räumlich aufwärts bis zum globalen Denken.“ Vogel, Reichsgliederung und Reichsreform, S. 5f. 186 Ebenda, S. 183. 187 Erwin Scheu, Deutschlands wirtschaftsgeographische Harmonie, Breslau 1924; ders., Des Reiches wirtschaftliche Einheit, Berlin 1926; ders., Die wirtschaftsgeographische Gliederung Deutschlands, in: Erde und Wirtschaft, Bd. 1 (1927/28), S. 7–30; ders., Deutschlands Wirtschaftsprovinzen und Wirtschaftsbezirke, Bd. 2, Berlin 1928.

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cher und volkskundlicher Methoden ab, die in historischen Kartenunternehmen zur Absicherung von Gebietsansprüchen angewandt wurden.188

188 Ulrich Reuling, Reichsreform und Landesgeschichte. Thüringen und Hessen in der Länderneugliederungsdiskussion der Weimarer Republik, in: Michael Gockel (Hg.), Aspekte thüringisch-hessischer Geschichte, Marburg 1992, S. 257–308 und ders., Zwischen politischem Engagement und wissenschaftlicher Herausforderung. Der Beitrag der Landesgeschichte zur Reichsreformdebatte der Weimarer Republik im regionalen Bereich, in: Westfälische Forschungen 46 (1996), S. 275–315.

3. Akteure und Antriebskräfte einer Reich-Länder-Reform 3.1. Ordnungsvorstellungen und Länderpolitik der Parteien Da die Entwicklung der Verfassung in der parlamentarischen Demokratie entscheidend vom Gesetzgeber abhängt, ist die Haltung der Parteien als ausschlaggebend für die bundesstaatliche Zukunft der Weimarer Republik zu behandeln. Nicht allein die Zusammensetzung des Reichstages, sondern auch die regionalen Konstellationen bestimmten den Verlauf der Reichsreformdebatte. Keine Landesregierung konnte hier ohne Rücksicht auf ihren Landtag agieren. Die Landesparlamente waren dabei wie die Landesregierungen und die Landesbürokratien die eigentlichen Faktoren, auf welche die Bewegung für eine föderale Ausgestaltung der Reichsverfassung mutatis mutandis rechnen konnte. Unter dem Damokles-Schwert, dem Niveau einer Provinzialvertretung angeglichen und in den Schatten der größeren Stadtparlamente gestellt zu werden, verteidigten vor allem die Landesparlamente ihren eigenen Status gegen eine unitarisierende Reichsreform. Des Weiteren drängte die Abhängigkeit von den Wählern die Abgeordneten zu einer Politik, die den regional spezifischen Interessen der Bevölkerung im Rahmen der Landesgesetzgebung und Landesverwaltung Rechnung trug. Landtagswahlkämpfe und Landtagsbeschlüsse belegen, dass die Fraktionen Verständnis für föderale Positionen pflegten und immer wieder unter Abweichung vom Programm ihrer Partei agierten. Die Haltungen von parlamentarischen Abgeordneten ein und derselben Partei zum Bundesstaat waren demnach entscheidend davon abhängig, ob sie im Reichstag oder in einem Landtag saßen. Diese „naturgeschichtliche Verschiedenheit“1 fand sich in allen Parteien. So hieß es beispielsweise von den Landtagsmitgliedern der traditional eher unitarisch eingestellten SPD, der DDP oder der DVP, diese seien „oft mit einem Tropfen föderalistischen Öls gesalbt“2. Alles in allem setzten das Problem Bundes- oder Einheitsstaat und Reflexionen über eine Reich-Länder-Reform nicht unbedingt den Schwerpunkt der Weimarer Parteienentwicklung. Den Kern der Parteiprogramme bildeten stattdessen soziale, wirtschaftliche und konfessionelle Ziele und Fragen der parlamentarischen Demokratie, so dass hinsichtlich der föderalen Ordnung 1 Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S. 81. 2 Ebenda.

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nicht immer deutlich zum Ausdruck kam, wofür die Parteien eigentlich standen. Einerseits waren regionale Strukturen der Parteien in ihrer Organisationsgeschichte verankert, die weit vor der Reichsgründung eingesetzt hatte. Die föderale Grundordnung und politische Kultur des Kaiserreiches hatten diesen Parteienregionalismus eher gefestigt als überwunden.3 Andererseits war die zentralisierende Organisation ihrer Verbände unverzichtbar, nachdem die Parteien durch die Weimarer Verfassung an den Reichsregierungen beteiligt waren.4 Die Ausrichtung von SPD, Zentrum und der 1918/19 neu entstandenen Parteien an den Reichstagswahlkreisen, die in ihren Grenzen von den Ländern abwichen, führte immer wieder zu Spannungen zwischen den parteioffiziellen 3 Die politischen Parteien, die nach 1918 entstanden, waren, abgesehen von der NSDAP, im Wesentlichen Umbildungen der alten Parteien der Kaiserzeit. Von Bedeutung war, dass die zuletzt stärksten Parteien des Reichstages, die SPD und das Zentrum, sich spalteten. 1917 entstand die Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands (USPD), die sich einige Jahre nach der Novemberrevolution wieder mit den Mehrheitssozialisten vereinigte, an ihre Stelle trat praktisch die kommunistische Partei. Vom Zentrum spaltete sich die Bayerische Volkspartei (BVP) ab. Die linksliberalen Gruppen und ein Teil der alten Nationalliberalen bildeten die Deutsche Demokratische Partei (DDP), die 1919 erhebliche Wahlerfolge verzeichnete, dann aber immer schwächer wurde. Die Umbildung der DDP zur Deutschen Staatspartei konnte diese Tendenz nicht aufhalten. Der rechte Flügel der Nationalliberalen gründete die Deutsche Volkspartei (DVP), die als Regierungspartei ebenso wie die DDP Wähler an kleinere Parteien verlor, besonders an die DNVP, zu der sich die Konservativen zusammengeschlossen hatten, vgl. Gerhard A. Ritter, Kontinuität und Umformung des deutschen Parteiensystems 1918–1920, in: ders., Arbeiterbewegung, Parteien und Parlamentarismus. Aufsätze zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1976, S. 116–157 und S. 338–345 (Fn) sowie die zeitgenössische Studie von Sigmund Neumann, die immer noch als wichtige Pionierstudie zum Parteiensystem der Weimarer Republik gilt. Neumann unterschied liberale „Repräsentationsparteien“ von „demokratischen“ (SPD, Zentrum) und „absolutistischen Integrationsparteien“ (NSDAP, KPD), ders., Die politischen Parteien in Deutschland, Berlin 1932. Die überwiegende Zahl jüngerer Untersuchungen widmet sich einzelnen Parteien, während sich nur relativ wenige Studien mit der Gesamtentwicklung des Parteiensystems zwischen 1918 und 1933 befassen. Außerdem konzentrieren sich Analysen oft auf die Führungsgremien. Landes- wie kommunalpolitische Dimensionen werden dagegen oftmals weniger berücksichtigt. Dieser Blick „von oben“ ist oft der desolaten Quellenlage geschuldet, jedoch bemüht sich die Forschung im Sinne einer Gesellschaftsund Erfahrungsgeschichte intensiv um die Eigenheiten der sozialmoralischen Milieus. Eine Zusammenfassung dieser Tendenzen bietet Ludwig Richter, Die Deutsche Volkspartei 1918–1933, Düsseldorf 2002, S. 23–25. 4 Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S. 81.

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Zielen und regionalen Identitäten. In Thüringen beispielsweise schlossen die Parteiorganisationen der SPD, DDP, des Zentrums, der DVP, der DNVP und des Thüringer Landbundes auch den preußischen Regierungsbezirk Erfurt ein, der im Vorfeld der Landesgründung und der Reichsgliederungsproblematik einen dauernden politischen Konfliktherd zwischen Thüringen und Preußen darstellte.5 Im Folgenden sollen von daher die Dispositionen der einzelnen Parteien zur Bundesstaatsdebatte genauer betrachtet werden.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands – SPD Die Ausrichtung der linksliberalen und sozialistischen Parteien, die 1918 an die politische Macht gelangten, nachdem sie zuvor stets an den Rand gedrängt worden waren, lässt sich als überwiegend unitarisch bezeichnen. Weitgehend richteten sie sich am Leitbild des Einheitsstaates, der „république une et indivisible“ der Französischen Revolution aus.6 „Für Großdeutschland“ war daher am 9. November 1918 im „Vorwärts“ ein Artikel überschrieben, der den sofortigen Zusammentritt einer Nationalversammlung aus allen deutschen und deutsch-österreichischen Gauen verlangte. Der Anschluss Deutsch-Österreichs wurde als ein starkes Gegengewicht zum „preußischen Geist von Potsdam“ gewünscht.7 Der Bundesstaat der Bismarck-Verfassung mit seiner preußischen Hegemonialkonstruktion stand bei Sozialdemokraten im Geruch einer reaktionären Staatsform. Das Parteiorgan Vorwärts erinnerte an August Bebel, für den „preußischer Geist und preußische Regierungssätze“ der „Todfeind aller Demokratie“ gewesen seien, und an Wilhelm Liebknecht, der in der „Beseitigung des preußischen Partikularismus“ die „glorreiche Aufgabe der Demokraten Preußens“ gesehen hatte. Noch 1913 sei die Sozialdemokratie mit der Parole „um deutsche Einheit und Freiheit, gegen den preußischen Partikularstaat“ in den Landtagswahlkampf gezogen. Preußen sei von daher für die Sozialdemokratie schlechthin gleichbedeutend mit Militarismus und politischer Unterdrückung und dazu verurteilt, nach der zukünftigen revolutionären Umwälzung im angestrebten „sozialistischen Volksstaat“, der als restlos zentralisierter Einheitsstaat zu denken war, auf5 Beate Häupel, Die Gründung des Landes Thüringen. Staatsbildung und Reformpolitik 1918–1923, Weimar / Köln / Wien 1995, S. 17. 6 Hermann Heidegger, Die deutsche Sozialdemokratie und der nationale Staat 1870– 1920. Unter besonderer Berücksichtigung der Kriegs- und Revolutionsjahre, Göttingen 1956, insbes. S. 30ff. 7 Vorwärts, 9.11.1918, S. 2.

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zugehen.8 Der Chefredakteur des Vorwärts Friedrich Stampfer sah 1918 die moderne Entwicklung der Reichsidee, die sich im 19. Jahrhundert angebahnt habe, „nach dem antiquarischen Schnörkel der Bismarckschen Improvisation zu ihren ursprünglichen Linien zurückgekehrt“.9 Föderale Traditionslinien bedeuteten daher im Grundverständnis der SPD eher ein zu überwindendes rückständiges Element als einen beachtenswerten Kernbestand der Verfassungsüberlieferung: „Die deutsche Arbeiterklasse ist weniger als die anderen Stände mit geschichtlichen Überlieferungen, sie ist nicht mit Ahnengalerien belastet. Sie hatte sich schon im alten Reiche ein bescheidenes Gemeinschaftsleben aufgebaut. Ihre sozial-politischen, gewerkschaftlichen und politischen Einrichtungen kannten die Grenzen der einzelnen Länder nicht mehr.“10 Eine Berücksichtigung der Eigenstaatlichkeit ehemaliger Fürstentümer und Königreiche war von daher im Prozess der Weimarer Verfassungsberatungen von Sozialdemokraten kaum zu erwarten. Einige Abgeordnete in der konstituierenden Nationalversammlung wollten entschieden mehr als einen Bundesstaat mit einer starken Zentralgewalt.11 Jedoch war es den Sozialdemokraten seit längerem zur Gewohnheit geworden, zwischen nahen und fernen Zielen zu unterscheiden. Die Forderung des Einheitsstaates gewann daher vor allem den Charakter eines Bekenntnisses zum Zukunftsstaat sozialdemokratischer Provenienz. Seine konkrete Verbindlichkeit konnte nach den mannigfachen Gegebenheiten und von Fall zu Fall wechseln. Wally Zepler aus dem Kreis um die Sozialistischen Monatshefte, dessen Mitglieder sich voller Illusionen für die Einheit eines Großdeutschen Reiches unter Einschluss Österreichs einsetzten, stellte betrübt fest, dass es selbst in der Grundfrage des Verfassungsaufbaus, ob Unitarismus oder Partikularismus, unter den Mehrheitssozialisten Meinungsverschiedenheiten gäbe: Als der „großdeutsch-sozialistische Spiritus der ersten Revolutionswochen verflogen“ war, so bedauerte sie, sei „das Phlegma des partikularistischen Spießbürgers auch in den Sozialdemokraten, die die Welt umspannen“ wollten, geblieben.12 In der Revolutions- und Nachkriegszeit übertrug sich der alte Gegensatz von – vorwiegend preußischem – Radikalismus und süddeutschem Reformis8 9 10 11

Vorwärts, 27.2.1919, S. 2. Friedrich Stampfer, Der 9. November, Berlin 1919, S. 6. BHStAM MA 1943 / 103 255 Münchener Post, 18.1.1924. Vgl. die Redebeiträge Fischer und Vogel am 28.2. und 3.3. 1919, in: Die Deutsche Nationalversammlung 1919/20, Berlin 1919, S. 123–128, 196–200. 12 Wally Zeppler, Zur deutschen Nationalversammlung, in: Sozialistische Monatshefte, 25 (1919), 10.2.1919, S. 70.

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mus in der sozialdemokratischen Partei auf die Beziehungen zwischen dem Rat der Volksbeauftragten in Berlin und den Länderregierungen südlich der Mainlinie, die nicht für den Einheitsstaat zu gewinnen waren. Aber auch andernorts dachten sozialdemokratische Funktionäre, die nach der Revolution in die vorgefundenen Machtgehäuse der Länder eingezogen waren, gar nicht daran, sie zugunsten eines von Berlin aus gelenkten Staatsgebildes wieder zu verlassen. So stand der Sozialist Kurt Eisner, der für kurze Zeit das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten innehatte, dem späteren preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun in der Verteidigung der Eigenstaatlichkeit historischer Länder in nichts nach.13 Die Auseinandersetzung über den Fortbestand Preußens gehörte dabei zu den Kontroversen, die in der Frage der Reichsgliederung unter den Sozialdemokraten am heftigsten geführt wurde. Während die einen sich für die Interessen des preußischen Staates einsetzten, weil sie glaubten, mit dessen Hilfe die sozialistischen Ziele und die Einheit des Reiches besser durchsetzen zu können, erklärten andere, Preußen sei immer der stärkste und gefährlichste Partikularist gewesen und es habe darüber hinaus „jeden Kulturfortschritt“14 angehalten. Es entsprach daher einem unter Sozialdemokraten weit verbreiteten Wunsch, das ganze Reich in gleich große Provinzen aufzuteilen, wie es der liberale Staatsrechtler und Verfassungsvater Hugo Preuß 1919 in seinem Entwurf einer neuen Reichsgliederung vorgeschlagen hatte.15 Besonders die Haltung der bayerischen Sozialdemokraten belegt den Durchschlag traditioneller Länderinteressen in der programmatisch unitarischen Ausrichtung der SPD. Das Problem einer Reichsreform wurde hier für so heikel gehalten, dass man sich in der Diskussion außerordentlich zurückhielt.16 Einerseits mussten die bayerischen Sozialdemokraten der Einstellung der Reichspartei folgend für das einheitsstaatliche Bekenntnis eintreten, ande13 Unter diesem Eindruck ist auch der Begriff „Freistaat“ auf Kurt Eisner zurückgeführt worden. Allgemein fand er jedoch wegen zeitgenössischer Fremdwortaversionen als deutsches Wort für Republik Verbreitung, so wie bei Preuß die Rede vom Volksstaat für Demokratie war. Mit einer Tendenz zur Überinterpretation der bayerischen Ursprünge Freya Eisner, Kurt Eisner und der Begriff „Freistaat“, in: VfZ 46 (1998) Heft 3, S. 487–496, Zur Rolle Eisners vgl. auch Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, S. 28–131. 14 Richard Fischer am 28.2.1919, Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Berlin 1919 und 1920, Bd. 326, S. 372. 15 Zu den Auseinandersetzungen um Preußen in der Nationalversammlung vgl. Heidegger, Die deutsche Sozialdemokratie, S. 247–253. 16 HStAD 10722 / 372 Sächsische Gesandtschaft, München 4.10.1928, Entwurf, S. 3.

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rerseits waren sie sich der Tatsache bewusst, dass das gerade in Bayern keine besonders gute Wahlparole war.17 Die Görlitzer und Heidelberger Parteiprogramme der SPD 1921 und 1925 hielten am Bekenntnis der Partei zum Einheitsstaat fest. Im Unterschied zum Erfurter Parteiprogramm von 189118 berücksichtigten sie aber stärker die Länder als existierende Größen. Neu war die Forderung nach einem Ausbau des Reiches „zu einem organisch gegliederten Einheitsstaat“.19 Auch der Republikanische Reichsbund, eine Vereinigung von Politikern des Zentrums, der DDP und der SPD zur Stärkung des republikanischen Gedankens, beschäftigte sich im September 1926 auf seiner Führertagung mit dem Thema deutscher Einheitsstaat. Sie stand unter dem Eindruck der am 20. Juni im Volksentscheid angestrebten, aber gescheiterten reichsrechtlichen Regelung der Vermögensauseinandersetzung zwischen den ehemaligen regierenden Fürstenhäusern und dem Staat sowie der Aufdeckung alldeutscher Putschpläne im Frühjahr 1926. Die Mitglieder des Republikanischen Reichsbundes, darunter viele Provinzial- und Kommunalpolitiker, verstanden daher die baldige Entwicklung der neuen deutschen Republik zu einem Einheitsstaat als „eine dringende Forderung der Selbsterhaltung wie des demokratischen und sozialen Fortschritts“.20 Die Versammlung machte aber auch deutlich, dass die Befürworter des Einheitsstaates noch weit davon entfernt waren, eine geschlossene Gruppe zu bilden. Über die Wege zur Verwirklichung des Einheitsstaates gab es so unterschiedliche, zum Teil wenig konkrete Auffassungen, dass keine einheitliche Stellungnahme möglich war. Der Kieler Parteitag der SPD 1927 sollte die „Beseitigung der Kleinstaaterei“ nicht mehr nur mit Resolutionen abtun, sondern eine Reichsreform zum Thema des nächsten Reichstagswahlkampfes der SPD machen. Auf Anregung Rudolf Hilferdings, der sich im Einheitsstaat die ungebremste Entfaltung des Gewichts der SPD erhoffte, wurde dafür eine Kommission eingesetzt, die sich mit der Neugliederung des Reiches und der Verwirklichung des Einheitsstaates befassen sollte. Die Kommission war erstrangig besetzt. Ihr gehörten un17 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft an das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, München 30.1.1928, Entwurf, S. 1f. 18 Karl Kautsky / Bruno Schoenlank, Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. Erläuterungen zum Erfurter Programm, Berlin 1919, S. 35. 19 Wilhelm Mommsen (Hg.), Deutsche Parteiprogramme, 2. Aufl., München 1964, S. 461 ff. 20 Welche Wege führen zum deutschen Einheitsstaat? Verhandlungsbericht des Deutschen Republikanischen Reichsbundes am 25./26. September 1926 in Berlin, Frankfurt a. Main o. J., S. 58.

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ter anderen der hessische Staatspräsident Bernhard Adelung, der preußische Ministerpräsident Otto Braun, Reichstagsfraktionsführer Rudolf Breitscheid, Reichsfinanzminister Rudolf Hilferding, Reichstagspräsident Paul Löbe, Reichskanzler Hermann Müller, Reichsinnenminister Carl Severing und der Parteivorsitzende Otto Wels an. In einem Gutachten, das sie der Öffentlichkeit am 15. Mai 1928 präsentierten, wurden die Aussichten einer Reich-LänderReform jedoch skeptisch beurteilt. An einen Erfolg der zu diesem Zweck 1927/28 eingeleiteten Verhandlung zwischen Reichs- und Länderregierungen glaubte niemand, alle strebten einen Umbau des Staates durch die Reichsregierung an. Eine gemeinsame Strategie jedoch, wie dies geschehen sollte, war aus den Vorschlägen der Kommissionsmitglieder nicht hervorgegangen.21

Deutsche Demokratische Partei – DDP Im Verhältnis zu ihrer geringen Größe beteiligte sich die Deutsche Demokratische Partei überdurchschnittlich intensiv an der Reichsreformdiskussion, nachdem sie bereits am Weimarer Verfassungswerk entscheidend beteiligt gewesen war. Hugo Preuß galt es in seinen ersten Plänen zur neuen Reichsverfassung als selbstverständlichste Sache der Welt, dass kein bundesmäßig organisiertes Deutschland und mit ihm kein unversehrtes Preußen aus der Revolution hervorgehen konnte. Der anfangs stärker im Vordergrund stehende erste Vorsitzende der Partei Friedrich Naumann hegte zu dieser Zeit noch erhebliche Bedenken gegen eine parlamentarische Zentralisation. Er näherte sich aber später Preuß’ Verständnis eines dezentralisierten Einheitsstaates an, das sich an englischen Vorbildern des national and local government ohne länderstaatliche Traditionen aus dem Deutschen Bund und dem Bismarckreich orientierte:22 „Je schärfer wir die parlamentarische Parteiregierung in der Zentrale ausbilden und herstellen müssen“, empfahl Preuß, „desto notwendiger ist es unbedingt, unten freie Selbstverwaltung zu geben, nicht durch politische 21 Der Weg zum Einheitsstaat. Gutachten der Kommission zur Frage der Vereinheitlichung des Reiches, hg. vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Berlin 1929. Auch der Magdeburger Parteitag 1929 verzichtete auf einen Parteitagsbeschluss. 22 Erich Portner, Die Verfassungspolitik der Liberalen – 1919. Ein Beitrag zur Deutung der Weimarer Reichsverfassung, Bonn 1973. Zum zentralen Beitrag Hugo Preuß‘ im Verfassungsgebungsprozess vgl. die Einleitung von Detlef Lehnert in: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften, Bd. 4 (2008), S. 1–70. In Kürze erscheint Band 3, in dessen Mittelpunkt die Genese der WRV und der preußischen Verfassung stehen werden.

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Agenten bis herunter zu verwalten“. Man müsse vielmehr einsehen, dass „die Parlamentarische Demokratie und die Demokratisierung der Verwaltung nur auf Grundlage der Selbstverwaltung“ möglich seien und sich „zu Verzichten an Macht für die Zentrale entschließen“.23 Ob die Weimarer Republik noch ein Bundesstaat oder schon ein dezentralisierter Einheitsstaat war, ob Länder noch staatlichen Charakter besaßen oder künftig nur Selbstverwaltungskörper mit ausgedehnter Autonomie sein sollten, bezeichnete Preuß als „müßige Frage“ bzw. als „für das praktische Staatsleben gleichgültige Doktorfrage“.24 Beides seien „historisch-politische Erscheinungsformen staatlicher Gliederung, Stufenfolgen von Zentralisation und Dezentralisation, die in der geschichtlichen Wirklichkeit mannigfache Gradunterschiede“ aufwiesen, zwischen denen aber ein „begrifflicher Wesensunterschied nicht zu finden“ sei.25 In Ostpreußen unterstützte der Königsberger Oberbürgermeister Hans Lohmeyer das durch den Reichsinnenminister Erich Koch-Weser weitergeführte Konzept des dezentralisierten Einheitsstaates unter Betonung der Selbstverwaltung,26 außerdem Wilhelm Heile,27 Wilhelm Külz28 und Preuß’ enger Mitarbeiter im Reichsinnenministerium, Alfred Schulze,29 der sich später in Sachsen für einen mitteldeutschen Staat einsetzte. Für den Zusammenschluss Norddeutschlands zu einem Reichsland neben den süddeutschen Staaten, eventuell ergänzt durch Sachsen und Hessen, traten dagegen der preu23 Hugo Preuß, Rede in der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung zum Verhältnis zwischen Reich und Preußen (1920), in: ebenda, S. 130. 24 Hugo Preuß, Deutschlands Staatsumwälzung. Die verfassungsmäßigen Grundlagen der deutschen Republik (1919), in: ebenda, S. 104. 25 Hugo Preuß, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung (1923), in: ebenda, S. 327. 26 Vgl. die zusammenfassende Schrift von Koch-Weser, Einheitsstaat und Selbstverwaltung (1928); Hans Lohmeyer, Zentralismus oder Selbstverwaltung. Ein Beitrag zur Verfassung und Verwaltungsreform, Berlin 1928 und der „dezentralisierte Einheitsstaat“ bei Preuß, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung (1923), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 327, 334. 27 1920–1933 Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik; Wilhelm Heile, Stammesfreiheit im Einheitsstaat, Berlin 1919. 28 Nach dem Ersten Weltkrieg sächsischer Landesvorsitzender der DDP, Mitglied der Nationalversammlung, Reichstagsabgeordneter und 1926 Reichsinnenminister im Kabinett Hans Luther; Wilhelm Külz, Wege zum deutschen Einheitsstaat, in: RheinischWestfälische Zeitung, 1.1.1928. Külz trat für eine Dreiteilung des Reiches in Nord-, Mittel- und Süddeutschland ein, BAB R 43 I / 1877, Bl. 109. 29 Bis 1919 Referent für Verfassungsfragen im Reichsamt des Innern, 1919–1929 Leiter der sächsischen Staatskanzlei und Bevollmächtigter Sachsens zum Reichsrat; Alfred Schulze, Das neue Deutsche Reich, Dresden 1927.

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ßische Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff30, der Vertreter Preußens auf der Länderkonferenz Arnold Brecht, die Staatsrechtler Fritz Pötzsch-Heffter und Walther Schücking, der Historiker Friedrich Meinecke und Reichswehrminister Otto Geßler ein. Der Hamburger Parteitag 1927 billigte die einheitsstaatlichen Ziele der Partei als „Erfüllung jahrhundertealter Wünsche“, die auch im Wahlkampf der Partei 1928 deutlich vertreten wurden.31 Eine abweichende Position hatte demgegenüber Max Weber eingenommen, der von einem „Neubau vom gewachsenen Boden“32 der Reichsverfassung von 1871 ausging. In seinen Überlegungen für einen „republikanischen Föderativstaat“33 setzte er von vornherein voraus, dass mit den Einzelstaaten auch unter revolutionären Verhältnissen zu rechnen sei. Die Artikelserie über „Die Staatsform Deutschlands“, die im November und Dezember 1918 in der Frankfurter Zeitung erschien, gehört zu den ersten öffentlichen Stellungnahmen, die von wissenschaftlicher Seite dazu abgegeben wurden.34 Schon während des Krieges hatte für Max Weber die Frage eine wichtige Rolle gespielt, wie eine Parlamentarisierung der Reichsverfassung mit der föderalen Struktur vereinbar wäre.35 Weber war dafür eingetreten, den Einfluss der Länder im Bundesrat zu erhöhen. Gleichzeitig sollte der Bundesrat parlamentarisiert werden und „das alte Regiment des Beamtentums in seine Schranken“ gewiesen werden. Preußens innere Verhältnisse und seine hegemoniale Stellung im Kaiserreich waren für Max Weber der Schlüssel zu einem System „der dynastisch-bürokratische(n) Pfründensicherung“ mit „weitgehender Kontrollfreiheit der Bürokratie“.36 30 1925–1931 preußischer Finanzminister; Hermann Höpker-Aschoff, Deutscher Einheitsstaat, Berlin 1928. 31 Der Demokrat. Mitteilungen aus der DDP, Berlin 28.4.1927; Wahlaufruf der DDP, in: Beamtenbund. Zeitschrift des deutschen Beamtenbundes, 11.5.1928; Hans Ehlermann, Der Wahlkampf 1928. Einführung und Überblick, Berlin 1928 sowie Das Problem des Einheitsstaates, Berlin 1928. 32 Max Weber, Deutschlands künftige Staatsform, in: ders., Zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918–1920 hg. von Wolfgang J. Mommsen, Tübingen 1988, S. 103. 33 Ebenda, S. 116. 34 Siehe den editorischen Bericht zur Entstehung, ebenda, S. 91–96. 35 Dieser Gedanke findet sich am deutlichsten in dem Aufsatz „Die nächste innerpolitische Aufgabe“ vom Oktober 1918 in: Max Weber, Gesammelte politische Schriften, München 1921, S. 337–349; siehe auch Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890 bis 1920, Tübingen 1959, S. 329f. 36 Max Weber, Parlament und Regierung im neu geordneten Deutschland, in: ders., Schriften und Reden 1918–1920, S. 126–260, zit. S. 235.

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Nach dem Zusammenbruch des hegemonialen „Föderalismus“, den Weber mit ironischer Distinktion in Anführungszeichen setzte, bezeichnete er die aufgeteilten Anrechte an der Reichsspitze als Repartitionsföderalismus. Das alternative nordamerikanische Modell, in dem die beiderseitigen Verwaltungsapparate der Staatenregierungen und der Bundesregierung durch klare Trennung der Kompetenzen und Einnahmequellen von der Spitze bis zum Boden „wie selbständige, sich nicht vermischende Röhrensysteme nebeneinander“ herliefen, hielt Weber jedoch aus Gründen der Sozialpolitik in Deutschland für nicht annehmbar. Die „wirtschaftliche Zukunftsorganisation“ Deutschlands gab bei ihm auch in der Frage „Einheitsstaat oder Bundesstaat“ den Ausschlag: Nur eine „streng sozialistische Organisation“ erfordere ein „einheitliches politisches Gehäuse“, doch „jede privatwirtschaftlich selbständige Organisation durch freie Unternehmer, auch durch selbstgeschaffene Unternehmerverbände, kann sich mit dem Föderalismus vertragen und auch über die einzelstaatlichen Grenzen hinweg Teilwirtschaftsgebiete syndizieren, wenn nur Recht, Währung, Handelspolitik und Produktionssteuern einheitlich geordnet sind.“37 Die finanziellen Lasten „der Abbürdung der Kriegsschuld und der Retablierung der Wirtschaft“ verlangten, so fügte Weber hinzu, „weitgehende Sozialisierung“, durch die die Belastungen gerecht verteilt würden. Die „zu schaffenden Monopolverwaltungen oder Zentralen für staatlich kontrollierte Syndikate“ aber könnten nur „Reichsverwaltungen“ sein, die „zu schaffenden Vermögensabgaben, Monopoleinnahmen und Syndikatsauflagen nur Reichseinnahmen“.38 Selbst ließ also auch Weber deutlich erkennen, dass ihm ein unitarisch ausgerichteter Bundesstaat am Herzen lag.39 Seine Gedankengänge bezogen dabei den deutlich erkannten Widerspruch ein, „dass sachliche Gründe der Zukunft“ für eine zentralistische, „Reminiszenzen aus der Vergangenheit aber sowie Stimmungen und politische Macht- und Interessenkonstellationen der Gegenwart“ mehr für eine föderale Lösung sprachen.40

37 Weber, Deutschlands künftige Staatsform, S. 111f. 38 Ebenda, S. 137. 39 Vor allem Max Weber, Unitarismus, Partikularismus und Föderalismus in der Reichsverfassung, in: ders., Schriften und Reden 1918–1920, S. 246–253. Der Artikel erschien am 28. und 29.3.1919 in der Heidelberger Zeitung. Vor dem Hintergrund der Beratungen des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung, in denen die unitarischen Elemente deutlich abgeschwächt wurden, plädierte Weber wieder mehr für eine Stärkung der Reichsgewalt. 40 Weber, Deutschlands künftige Staatsform, S. 126.

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Weber stand damit in der Partei nicht allein, wie Einschätzungen aus der DDP zur Gründung des Landes Thüringen zeigten. Danach wurde „die vielgerügte und allzu oft kritiklos verdammte ‚Kleinstaaterei’“ mit dem Hinweis aufgewertet, diese habe „aus dem deutschen Volke und seinen Kräften vielmehr herausgeholt … als von einem Mittelpunkte aus möglich gewesen wäre“, so dass „nicht alles ausschließlich der nivellierenden kapitalistischen Verkrustung vereinzelter Berliner Kreise und Personen anheimgefallen“ sei.41 Zu der alten Abneigung gegen die preußische Hegemonie traten Bedenken gegen das neue Berliner Regiment. So wollte Max Weber die Reichsgewalt begrenzt wissen. Im Gegensatz zu Hugo Preuß glaubte er jedoch nicht an eine dauernde Zerschlagung Preußens, denn er fürchtete finanzielle und verwaltungstechnische Schwierigkeiten und er sah die keinesfalls aus der Luft gegriffene Gefahr eines „ostelbischen Partikularismus“.42 Unabhängig davon hielt er es aber für geboten, die Konstituierung neuer Bundesstaaten oder die Verschmelzung bereits bestehender über Volksbegehren und Volksentscheide der Bevölkerung zu fördern. Dass der Reichsregierung eine planmäßige Neuaufteilung der deutschen Landkarte gelingen könnte, hielt Weber dagegen für „sicher aussichtslos, da die Staaten sich dem nicht fügen“ würden.43 Weber bewertete im Übrigen nicht so sehr die Veränderung der politischen Landkarte als entscheidend, sondern die Aufgabenverteilung zwischen dem Reich und seinen Gliedern sowie ihre ständige Beteiligung an der vom preußischen Übergewicht entlasteten Reichsregierung. Mit diesem Gedanken leitete Max Weber als einer der ersten zum Kern der Reich-Länder-Beziehungen über, während Hugo Preuß durch seine Fiktion, das Reich in Selbstverwaltungsbezirke aufzuteilen, zum „Vater der Gliederungsproblematik“ der Weimarer Republik wurde.44 Beide Probleme – föderale Aufgabenteilung und Neugliederung – wurden in der Reichsreformdebatte eng miteinander verknüpft. Preuß, der in seiner Mentalität so etwas wie „ein nachgeborener 1848er“45 war, hatte aus seiner Abneigung gegen Bismarcks Werk nie einen Hehl gemacht. Seine Verfassungsentwürfe bezogen sich auf das Gedankengut der Paulskirche, und sie nahmen Ideen der etablierten westlichen Demokratien auf. Die spezifisch deutsche Variante des kaiserzeitlichen „Scheinföderalismus“46 wollte Preuß insbesondere nicht länger mit den modernen Bundesstaaten ver41 42 43 44 45 46

Hans Breymann, Groß-Thüringen und die Siedlungspolitik, Saalfeld 1919, S. 5. Weber, Deutschlands künftige Staatsform, S. 118. Ebenda, S. 119. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 119, 128. Lehnert, Einleitung, in: Preuß, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 28. Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), in: ebenda, S. 381.

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wechselt wissen, wie sie sich 1848 bzw. 1865 in der Schweiz und in den USA konsolidiert hatten. Erst wenn in der Länderkammer nicht mehr wie im Bundesrat Regierungen von Einzelstaaten vertreten waren, sondern ein Staatenhaus aus Volksvertretern zustande kam, die in Wahlbezirken mittlerer Größe direkt gewählt wurden, war für ihn eine angemessene Ordnung des Reiches bewerkstelligt. Den neuen Wahlbezirken sollten sich die Kleinstaaten durch Zusammenschluss und Preußen durch Verselbstständigung seiner Provinzen nähern. Preuß räumte schließlich ein, mit seinen Vorschlägen der Wahlbezirke zum Staatenhaus auch eine Anregung zur Neuvermessung der politischen Landkarte gegeben zu haben. Oder wie er es ausdrückte, wie sich dortiges Wahlvolk dann möglicherweise auch in regionaler Selbstbestimmung organisieren könnte.47 Die zeitgenössische Skepsis hinsichtlich der Realisierungschancen seiner ersten Verfassungsentwürfe ist insofern keine Überraschung, da Hugo Preuß von einer „gründlichen Umgestaltung an Haupt und Gliedern“48 des Reiches ausging, welche liberale Fürsprecher der süddeutschen Mittelstaaten ebenso überforderte wie preußische Konservative und Sozialisten. Rückblickend hat Preuß die schwierigen Ausgangsbedingungen der ausgesprochen dezentralisierten Novemberrevolution eingeräumt, die sich „anders als bei den Revolutionen fester gefügter Nationalstaaten nicht im Zentrum vollzogen und von dort aus verbreitet“ hätte, sondern „eher umgekehrt von der Peripherie zum Zentrum“ fortgeschritten wäre. Preuß bedauerte im Nachhinein, dass es in der Revolution versäumt worden sei, die starken Kontinuitätslinien des kaiserzeitlichen, hegemonialen Bundesstaates zu brechen. Mit der parallelen Bildung einer preußischen Revolutionsregierung sei vielmehr eine problematische Doppelstruktur, die seiner Ansicht nach bereits wesentlich zum Scheitern der 1848er Revolution beigetragen hatte, als stärkstes Hemmnis künftiger bundesstaatlicher Neuordnung rekonstruiert worden: „Wenn Preußen unantastbar“ sei, habe man als Folge die Fortdauer einer „Kleinstaaterei mit ihren 25 Staaten“. Für diesen Fall werde sich Mecklenburg-Strelitz auch nicht mit dem „feindlichen Ausland Schwerin“ zusammenlegen lassen. Würden sich Niedersachsen und das Rheinland dagegen selbständig machen, bekäme man ein Preußen „im Umfang des Tilsiter Friedens, mit allen Ansprüchen einer großen Vergangenheit, doch ohne große Macht und ohne glückliche Zukunft“.49 47 Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336 (Bericht des Verfassungsausschusses), Berlin 1920, S. 149. 48 Staatssekretär Preuß und sein Mandat (Zuschrift) 1919, in: Preuß, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 76. 49 Preuß, Pressegespräch über die vorläufige Reichsgewalt (1919), in: ebenda, S. 80.

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Deutsche Volkspartei – DVP Im Vergleich zur DDP agierte die zweite Nachfolgepartei der liberalen Bewegung des 19. Jahrhunderts weit weniger ideenreich. Historisch verwies die DVP auf die tragende Rolle der Liberalen in der Reichsgründungspolitik von 1871, um sich in der Tradition einer Verfassungs- und Volkspartei zu präsentieren. Ihre Fundierung auf den vermeintlich überparteilichen Leitwerten von Staat, Nation und Volksgemeinschaft verband sich mit dem hochgesteckten Ziel, wieder zur tonangebenden Partei des deutschen Bürgertums zu werden.50 Eine Sammlungsbewegung aller Kräfte sollte die „Entwicklung zu Deutschlands Größe“, wie sie die alten Nationalliberalen Friedrich Bassermann und Rudolf von Benningsen gefördert hätten, wieder ermöglichen.51 Konfrontiert mit diesen Idealen ergaben sich jedoch erhebliche Reserven. Die Deutsche Volkspartei war trotz ihres Namens nichts anderes als eine „verstümmelte Wiedergeburt der alten Nationalliberalen“52. Sie war in ihrer Organisation zerrüttet, zumal in ganz Süddeutschland, in Schlesien und großen Teilen Sachsens die nationalliberalen Organisationen geschlossen zu den Deutschen Demokraten übergangen waren. Auch die Lage in den anderen Landesverbänden war anfangs nur schwer zu übersehen. In erster Linie aber fehlte es an einem zugkräftigen Programm, mit dem sich die DVP von ihren Hauptkonkurrenten, der DDP und der DNVP, abgrenzen konnte. Dass sich die Volkspartei bis zum Kapp-Putsch im März 1920 auf eine scharfe oppositionelle Haltung gegenüber den Parteien der Weimarer Koalition festlegte, war vor allem den Umständen bei der Gründung der Partei geschuldet. In den November- und Dezemberwochen 1918 fanden Personen und Gruppen Anschluss an die Partei, die ihre rechtskonservative politische Orientierung niemals aufgaben, und die nicht gewillt waren, die Vision Stresemanns mitzutragen „für das Neue zu leben“.53 Unmittelbar nach der Revolution war daher die Frage der Staatsform mit Bedacht dilatorisch behandelt worden. Die unüberbrückbaren Differenzen zwischen den Befürwortern und Gegnern des Einheitsstaates und einer 50 Richter, Deutsche Volkspartei, S. 74. 51 Kundgebung der Deutschen Volkspartei, 1927, in: Mommsen (Hg.), Deutsche Parteiprogramme, S. 129–131. Siehe auch Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik. Eine vergleichende Analyse der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Volkspartei, Düsseldorf 1972, S. 265–308. 52 Richter, Deutsche Volkspartei, S. 46. 53 Rede auf dem Parteitag in Köln am 2.10.1926, in: Gustav Stresemann, Vermächtnis. Der Nachlass in drei Bänden, hg. von Henry Bernhard, Bd. 3, Berlin 1933, S. 81.

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monarchischen Restauration – letztere waren vor allem in Baden, Hessen und im Rheinland zu finden – traten erst nach der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung zu Tage. So wies im Verfassungsausschuss einer der DVP-Gründungsväter Wilhelm Kahl darauf hin, dass die alte Vorstellung des Bundesstaates unhaltbar sei und in der föderalen Struktur des Reiches eine res sui generis vorläge. Sein Gefährte Albert Vögler, ebenfalls DVP-Gründungsmitglied, wollte die Partei auf den Boden der Republik stellen, solange sich bei einer Mehrheit des deutschen Volkes nicht die Überzeugung durchgesetzt habe, „daß ein deutscher Einheitsstaat mit einem deutschen Kaiser die für Deutschland und deutsches Wesen beste und geeignetste Staatsform“54 sei. Einwände gegen die grundsätzliche Forderung eines Einheitsstaates wurden in der Programmdiskussion der Volkspartei 1919 dadurch gelöst, dass die Verwirklichung als Fernziel proklamiert wurde. Solange die Bildung des Einheitsstaates aber nicht möglich sei, wollte die DVP jedem Versuch einer „Zertrümmerung Preußens“ widersprechen.55 Nachdem die preußische Landtagsfraktion der Volkspartei im Januar 1925 die Große Koalition in Preußen aufgekündigt hatte, und seitdem nicht mehr an der Regierung beteiligt war, nahm die DVP die wirklichen und vermeintlichen Nachteile des Verhältnisses zwischen Reich und Preußen besonders deutlich wahr. Ihre Dauerklage über ein unseliges Gegen- oder mindestens Nebeneinanderregieren hing an dem starken Wunsch, den eigenen Einfluss hier wie dort gleich zu gestalten und das Fehlen einer zugkräftigen eigenen Landesorganisation in Preußen zu kompensieren. Die preußische Politik wurde von den Parteiführern schließlich immer noch betrachtet als arcanum imperii, als eigentlicher Bezirk des Regierens.56 1928 folgte die DVP daher dem Grundgedanken einer Reichslandlösung57 für Preußen, die der Bund zur Erneuerung des Reiches einbrachte. Sein erster Vorsitzender, der ehemalige Reichskanzler Hans Luther hatte sich im Spätsommer 1927 von der Öffentlichkeit unbemerkt den Ortsgruppen Essen und Charlottenburg der DVP angeschlossen. Luther zeigte an der zeitaufwändigen

54 Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses am 19.7.1919, Berlin, in: Eberhard Kolb / Ludwig Richter, Nationalliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen Volkspartei 1918–1933, Bd. 1, Düsseldorf 1999, S. 172. 55 Grundsätze der Deutschen Volkspartei, beschlossen auf dem Parteitag in Leipzig 18.–20.10.1919, ebenda, Bd. 2, Anhang, S. 1274. 56 Richter, Deutsche Volkspartei, S. 363. 57 Zum Konzept der so genannten Reichslandlösung siehe Kapitel 4.2.

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Parteiarbeit jedoch kein Interesse, und sein persönlicher Einfluss in der Partei blieb daher begrenzt.58 Institutionell war die DVP bestrebt, die Auseinandersetzungen von der Länderkonferenz – wo die Liberalen vornehmlich durch Politiker und Verfassungsrechtler der demokratischen Richtung vertreten waren – in den Reichstag zu verlegen. Dort besaß die DVP ihren hauptsächlichen Einfluss, während der Aufbau von Parteistrukturen auf Bezirks- und Landesebene allerorts vor allem an fehlenden finanziellen Mitteln scheiterte.59 Volksparteiliche Politiker zeigten 1927 dementsprechend auch wenig Bedenken gegen das Konzept einer dezentralisierten Reichsverwaltung der sozialpolitisch bedeutsamen Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung, die auf einer regionalen und lokalen Organisation neuer Arbeitsämter bestehen sollte. Paul Moldenhauer und Friedrich Pfeiffer sahen darin vielmehr den Anfang einer Reichsreform vollzogen, „nach der die Länder mehr und mehr verschwinden und an ihre Stelle die Reichsverwaltung treten sollte“60. Die Setzung eigener Akzente in Reichsreformfragen lässt sich jedoch kaum ausfindig machen, zumal die Aufmerksamkeit der Deutschen Volkspartei während der Höhepunkte der Weimarer Bundesstaatsdebatte in innerparteilichen Konflikten absorbiert war. So hatte die DVP nach dem Sturz Gustav Stresemanns und ihrem „Verlust des Reichskanzlerpostens“ im November 1923 Versuche einer Sezession und Parteispaltung durch schwerindustriell beeinflusste Oppositionsbewegungen abzuwehren. Diese hatten durch die Gründung einer Nationalliberalen Vereinigung 1924 nicht nur versucht, der Partei einen Konfrontationskurs zur Sozialdemokratie zu oktroyieren. Die straffe Orientierung der Volkspartei nach rechts in das Lager der Deutschnationalen zielte auch auf den Sturz ihres Vorsitzenden Stresemanns, der die DVP als nationale Partei der Mitte und des Ausgleichs definierte.61 Im Sommer 1928 wiederum lösten die wechselvollen Verhandlungen zur Regierungsbildung erneut eine handfeste Führungskrise aus, die die Binnenstruktur der Partei nachhaltig zu Lasten der Stabilisierung des parlamentarischen Systems verändern sollte. Dem Versuch, eine große Koalition einzugehen, wurde von den Exponenten des rechten Parteiflügels im Rheinland 58 Dies schlug sich u.a. in der Episode einer gescheiterten Reichstagskandidatur 1928 nieder, Richter, Deutsche Volkspartei, S. 477–479. 59 Ebenda, S. 323–333. So auch die zeitgenössische Einschätzung: Deutsche Volkspartei und Reichsreform, in: Bayerischer Kurier, 28.3.1930. 60 Paul Moldenhauer in seinen Erinnerungen, zit. nach Richter, Deutsche Volkspartei, S. 458. 61 Ebenda, S. 318–322.

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und in Westfalen hinhaltender Widerstand entgegengesetzt. Stresemann war daher entschlossen, sein Projekt zur inhaltlich-konzeptionellen und organisatorischen Erneuerung des politischen Liberalismus in der Weimarer Republik in Angriff zu nehmen: die Vision einer großen liberalen Partei durch die Vereinigung mit den Deutschen Demokraten und den Einschluss von Teilen des Deutschen Jungordens und des linken Flügels der Deutschnationalen. Im Winter 1928/29 hatten sich mehrere Reformclubs gebildet, die eine stärkere Aktivierung der Jugend in der Volkspartei forderten, und die sich einer Erosion des politischen Liberalismus und der bürgerlichen Mitte entgegenstellten. Rückhalt erhielten sie vom Deutschen Jungorden. Die 1920 aus den Freikorps gegründete bündische Organisation hatte konkrete Programmforderungen für eine Wahlrechts- und Reichsreform und den Ausbau des Reichswirtschaftsrates zu einer Zweiten Kammer aufgestellt.62 Nach dem Tod des Parteivorsitzenden Gustav Stresemanns Anfang Oktober 1929, der ein überragender Gestalter dieser liberalen Sammlungs- und Reformbewegung war, setzte sich jedoch endgültig eine Verschiebung der DVP nach rechts durch. Unter dem neuen Leitbild der Errichtung eines autoritären Regimes war das liberale Erbe der Volkspartei deshalb lange vor ihrer Auflösung 1933 verbraucht.63

Deutsche Zentrumspartei Die Bundesstaats- und Reichsgliederungsproblematik gehörte zu den innerparteilichen Streitfragen des Zentrums, wie Politik aus dem Glauben zu betreiben sei.64 Unterstütze eine föderale Ordnung die angestrebte „Wiederherstellung der christlichen Volks- und Gesellschaftsordnung“ gegen den „liberalistischen-

62 So die Zusammenschlüsse Februarclub und Front 1929, ebenda, S. 550–565. 63 Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, Frankfurt a. Main 1988, S. 265. 64 Eine frühe wissenschaftliche Analyse lieferte Gerhard Senger, Die Politik der Deutschen Zentrumspartei zur Frage Reich und Länder von 1919 bis 1928, Hamburg 1932. Karsten Ruppert sieht die Spezifik des Deutschen Zentrums darin, dass das weltanschauliche Substrat seiner Politik in einer Konfession wurzelte. Die Zentrums-Politik sei dadurch jedoch nicht mehr und nicht weniger bestimmt worden als die der anderen Parteien von deren säkularen Ideologien. Aus der Milieuprägung durch eine konfessionelle, geschlossene Subgesellschaft folgte jedoch ein politisches Verhalten, das sich neben der materiellen Interessenlage an spezifischen Wert- und Ordnungsvorstellungen orientierte, ders., Politik der Deutschen Zentrumspartei, in: HZ 285 (2007), S. 49–97, insbesondere S. 62.

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sozialistischen Staatsmechanismus“?65 Oder konnte die Durchsetzung einer an christlichen Werten orientierten Politik besser über eine starke Reichsgewalt erreicht werden? Die katholische Staatslehre, wie sie sich unter dem Einfluss der Romantiker Carl Ludwig von Haller, Adam Müller und Joseph Görres gebildet hatte und wie sie später von Leo XIII. in seinen Enzykliken autoritativ begründet worden war, sah in dem Staat nicht einen willkürlichen Zusammenschluss seiner Mitglieder, sondern einen Organismus, in dem die natürlichen menschlichen und gesellschaftlichen Kräfte zur Entfaltung kommen sollten. In der Vorstellung von gegliederten Gemeinschaften wurde das geschichtlich Gewordene ausdrücklich betont.66 Auf die Frage Bundesstaat oder Einheitsstaat gab die autoritative katholische Staatslehre jedoch ebenso wenig eine Antwort wie auf die Alternative Republik oder Monarchie. Es blieb daher den Zentrumspolitikern überlassen, welche Staatsform sie für angemessen erachteten. Wie sehr das Zentrum nach 1918 die Reichsgewalt stärken sollte und wie wenig es die Selbstständigkeit der Länder unterstützen wollte, zeigte sich zunächst in den Weimarer Verfassungsberatungen und anschließend in der Reichsfinanzreform, die der aus Württemberg stammende Zentrumspolitiker Matthias Erzberger zu verantworten hatte. Seine Neuordnung der Staatsfinanzen zugunsten des Reiches blieb vielen Zeitgenossen mit Blick auf die föderalen Traditionen der Partei ein Rätsel und sie führte zur Abspaltung des bayerischen Flügels, der Bayerischen Volkspartei.67 65 Freiburger Tagespost, 20.12.1927. 66 Siehe auch Rudolf Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht. Das katholische Staatsdenken in Deutschland von der Französischen Revolution bis zum II. Vatikanischen Konzil (1789–1965), Paderborn 2004. 67 Die Partei stand in der Tradition der Patriotenpartei und des bayerischen Katholizismus, der bereits im Kaiserreich ein Gebilde eigener Art gewesen war. So wie dieser sich 1871 nur schwer in den Bundesstaat als Lösung der deutschen Frage einzufinden vermochte, lehnte die Bayerische Volkspartei erst recht nach 1919 einen unitarisch ausgerichteten Bundesstaat ab. Die Trennung vom Zentrum war schließlich auch Ausdruck eines Bedrohungsgefühls, das aus dem Verlust des staatlich-monarchischen Rückhalts und der Stärkung der Reichsgewalt resultierte. Allerdings stimmten die Reichstagsmitglieder der Partei bis auf ihren Gründer Georg Heim für die Weimarer Verfassung, vgl. Klaus Schönhoven, Die bayerische Volkspartei 1924–1932, Düsseldorf 1972; Ruppert, Politik der Deutschen Zentrumspartei, S. 59. Eine andere, jedoch kleinere, spezifisch bayerische Partei war der Bayerische Bauernbund, der trotz aller Gegensätzlichkeit in föderalistischen Fragen mit der BVP kooperierte, siehe Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S. 84.

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Auf ihrem Reichsparteitag 1920 erklärte die Deutsche Zentrumspartei 1920 ex officio: „Sehr bald schon erhob sich für uns die Frage, wo das Kampffeld für uns günstiger sei, in den Parlamenten der Einzelstaaten oder im Reich, jetzt bei der Verfassungsberatung oder später bei der Beratung besonderer Kulturgesetze; jetzt wo wir als Koalitionspartei bei der Gegenseite eine stärkere Berücksichtigung unserer kulturellen Forderungen erwarten und wenn notwendig, erzwingen konnten, oder später, wo man vielleicht glaubte, unserer Mitwirkung entraten zu können. Nach einigen Wochen des Tastens und Überlegens waren wir uns einig darüber, dass Weimar für die Sicherung unserer kulturellen Ideale der gegebene Kampfplatz sei.“68 Um den politischen Einfluss der Partei zu sichern, legte das Zentrum seinen Schwerpunkt also zunächst auf die Reichspolitik.69 Mit kurzen Unterbrechungen war die Partei an den Regierungen der Weimarer Koalition, der Großen Koalition sowie dem Bürgerblock beteiligt. Sie stellte insgesamt fünf Mal den Reichskanzler. Unter Konstantin Fehrenbach (1920/21), Joseph Wirth (1921/22) und Wilhelm Marx (1923/25, 1926/28) stand das Zentrum fest auf dem Boden der Weimarer Verfassung und trieb die Sicherung der Republik und den Ausbau des Sozialstaates voran.70 1922 gab Reichskanzler Wirth vor dem zweiten Reichsparteitag zu bedenken: „Es ist nicht gut, wenn in unseren Reihen das Schlagwort: Hie Unitarismus, hie Föderalismus ausgekämpft werden soll. Wir wollen hier die Praxis reden lassen, und es ist notwendig, das ist ganz klar, dass im Zeitalter der Katastrophe die Kräfte mehr zusammengefasst werden müssen.“71 Wirths Aufforderung an die Länder, Opfer zu bringen, legte den Maßstab einer unitarischen Politik offen, wie ihn die Richtlinien der Deutschen Zentrumspartei von 1922 festschreiben sollten. Zwar wurde eine zentralisierende Politik als der deutschen Mentalität widersprechend abgelehnt. Die Betonung lag jedoch auf einer starken Reichsgewalt, die den Stämmen und Ländern „Bestand und Lebensentfaltung“ sichern sollte. Wilhelm Marx bekräftige 1926 vor dem Reichsparteiausschuss der Deutschen Zentrumspartei, die Reichsverfassung von 1919 habe „nun einmal das Reich in den Vordergrund gestellt, so daß 68 Offizieller Bericht des Reichsparteitages der Deutschen Zentrumspartei, Berlin 1920, S. 121. 69 Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S. 79f. 70 Karsten Ruppert, Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie 1923–1930, Düsseldorf 1992. 71 HStAD 10719 / 40017 Reichskanzler Wirth am 18.1.1922 auf dem zweiten Reichsparteitag, der mit den Richtlinien der Deutschen Zentrumspartei das offizielle Parteiprogramm verabschiedete.

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bei widerstreitenden Interessen in erster Linie das Interesse des Reiches zu berücksichtigen und zu schützen“ sei.72 Reichsfixierte Äußerungen führender Zentrumspolitiker wurden durch die Erwartung getragen, dass Weimar dem Katholizismus Freiräume für seine Entfaltung bot, solange die Mitwirkung der Zentrumspartei an der Politik des Reiches unentbehrlich war. Insbesondere die Forderungen nach einer kulturpolitischen Betätigung des Reiches – in der Schulgesetzgebung oder den Schund- und Schmutzliteraturverboten – zeigten, dass das Zentrum überzeugt war, seine spezifischen Moral- und Wertvorstellungen in einer zunehmend liberalen und pluralistischen Gesellschaft noch am ehesten von Berlin aus durchsetzen zu können. Rechte und Freiheiten der Kirche waren durch die Weimarer Verfassung gesichert.73 Ein besonderes Interesse an den Ländern entwickelte das Zentrum bzw. die BVP daher zunächst nur in Bayern und Baden, wo die Bevölkerung mehrheitlich katholisch war. Aufgrund seiner Dauerkoalition mit der Sozialdemokratie erlangte das Zentrum aber auch in Preußen eine Schlüsselstellung. In Württemberg, Oldenburg und Hessen war die Partei an zahlreichen Landesregierungen beteiligt und konnte über den Reichsrat Einfluss geltend machen. In Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden (1932) wurden Konkordate mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen, die die Beziehungen dieser Länder zur römisch-katholischen Kirche dauerhaft regelten.74 Die notwendige Verknüpfung föderaler und unitarischer Axiome der Zentrumspartei ermöglichte schließlich eine Umdeutung der Bundesglieder. Die föderative Nation wurde danach nicht mehr aus den historisch überkommenen Ländern, sondern aus „Gauen“ und „Landschaften“ abgeleitet: „Die Kulturpolitik kann nicht nach Ländern im staatlichen Sinne, sondern muß nach Gauen föderalistisch sein. Sie ist nicht auf die Hoheitsrechte der Einzelstaaten, sondern auf die kulturelle ‚Selbstverwaltung’ zu stellen. Das Grundgesetz der 72 HStAD 10719 / 40018 Reichsreform, amtliche Kundgebungen, Reichskanzler Marx am 31.10.1926 vor dem Reichsparteiausschuss der Deutschen Zentrumspartei. 73 Christliche und katholische Werte waren nur bedingt konsensfähig. Anliegen wie konfessionelle Erziehung und Bildung, Verboten der Abtreibung, Ehescheidung, generell in Moralfragen, beim Jugendschutz und der Jugenderziehung widersprachen die atheistischen Sozialisten, kulturkämpferische Liberale und antirömische Protestanten, außerdem neuheidnische Völkische, vgl. Ruppert, Politik der Deutschen Zentrumspartei, S. 65. 74 Karsten Ruppert, Der Einfluß christlich-demokratischer wie christlich-sozialer Ideen und Parteien auf Geist und Politik in der Weimarer Zeit, in: Winfried Becker / Rudolf Morsey (Hg.), Christliche Demokratie in Europa. Grundlagen und Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert, Köln / Berlin 1998, S. 129–152.

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föderalistischen Kulturpolitik ist die sorgliche Schonung der bodenständigen Kulturwerte und die freie Entfaltung der kulturschöpferischen Kräfte.“75 Der Ausgleich zwischen der notwendigen Einheit des Staates und der ebenso unentbehrlichen freien Entfaltung seiner Gaue sollte unter einem übergeordneten christlich-deutschen Kulturideal erfolgen, das allen Deutschen gemeinsam sei. Durch die kulturelle Entwicklung sei schließlich der Gedanke des Föderativstaates stärker verankert worden als durch die Dynastien und das Verfassungsrecht. In dieser Trennung von geistigem und verfassungsrechtlichem Föderativstaat büßten die Länder an Bedeutung ein, auch wenn sie vorerst als „die Hüter der Landschaft und als Anwalt eines lebendigen Volkstums“ angesprochen wurden.76 Mit der Rheinlandfrage hatte sich das Zentrum früh zu Neugliederungsplänen positionieren müssen. Prominente Parteimitglieder wie Karl Trimborn und Konrad Adenauer favorisierten das Konzept einer Aufteilung Preußens, wie es in den Verfassungsentwürfen Hugo Preuß‘ vertreten worden war. Unter der Parole „Los von Berlin!“ strebten sie ein selbstständiges Rheinland bzw. Rheinland-Westfalen an.77 Die Bewegung im Rheinland wurde dabei wie in Süddeutschland auch von einer Abgrenzung zu den Berliner Revolutionserscheinungen angetrieben. Die in dieser Zeit viel besprochene Annexionsgefahr durch Frankreich besaß demgegenüber eine untergeordnete Bedeutung, so dass nach Bekanntgabe der Versailler Friedensbedingungen im Mai 1919 ein Drang nach Eigenständigkeit anhielt.78 In einer westdeutschen Republik mit überwiegend katholischer Bevölkerung hätte das Zentrum seine kulturellen Forderungen zwar stärker durchsetzen können. Jedoch war dies nur um den Preis zu erreichen, dass die Anhängerschaft des Zentrums in einem verkleinerten Preußen in eine Minderheit

75 Emil Ritter, Föderalismus in der Kulturpolitik aus dem Jahre 1922, in: Das Zentrum, Nr. 16, 15.8.1922, S. 254ff. 76 Verhandlungen des Reichstages. Stenographische Berichte, 17.3.1927, S. 9635. In diesem Sinne auch die politischen Richtlinien des Zentrums von 1923, die die Reichseinheit in der Kulturgemeinschaft und Schicksalsverbundenheit der deutschen Stämme sahen, Senger, Politik der Deutschen Zentrumspartei, S. 105. 77 Es waren am Rhein auch Pläne für eine völlige Neugliederung des ganzen Reiches unterbreitet worden. Die Kölner Volkszeitung schlug bereits 1918 eine Aufteilung Deutschlands in vier große Gliedstaaten vor: eine Rheinisch-Westfälische Republik, eine Donau-Republik (mit Österreich), eine Nordsee-Ostsee-Republik und eine deutsche Zentralrepublik, in: Kölner Volkszeitung, 10.12.1918. 78 Siehe Entschließung des rheinischen Parteitages vom 17.9.1919, abgedruckt in: Senger, Politik der Deutschen Zentrumspartei, S. 109.

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geraten würde, die sie politisch völlig einflusslos werden ließ.79 Je mehr sich daher die Macht des Zentrums in Preußen und dem Reich konsolidierte, umso weniger war die Partei einer Aufteilung Preußens zugeneigt.80 Sie legte stattdessen den Schwerpunkt auf einen Ausbau der Provinzialrechte in der preußischen Verfassung. Dies führte sie jedoch in Opposition zum politischen Axiom der preußischen Sozialdemokraten, der Weg zu einem einheitlichen Deutschland führe nur über ein einheitliches Preußen.81 In den 1928 veröffentlichten „Richtlinien der Partei zur Reichsreform“ war schließlich von der „Herbeiführung eines echten Föderativstaates, der auf wirklich lebensfähigen Ländern aufgebaut“82 sein sollte, die Rede. Mit dieser Kehrtwendung und einer Rückbesinnung auf den Katholizismus als konservativem Strukturelement des gesellschaftlichen und persönlichen Lebens reagierte die Führung auf die schwindende Bindungskraft des Zentrums. Nicht nur in den Großstädten, sondern vor allem im ländlichen und kleinstädtischen Bereich hatte die Partei bei den Reichstagswahlen 1928 erhebliche Stimmenanteile verloren. Noch im selben Jahr kam es zu einer Annäherung des Zentrums an die Bayerische Volkspartei. Da die politische Ideenlehre der Partei an religiöse und rechtlich-organische Wertvorstellungen gebunden war, hatte sie kein Vorwurf härter treffen können als der Bruch mit der Tradition. Viele Anhänger hatten daran festgehalten, „dass der Katholik als auch der Zentrumsangehörige verpflichtet sei, zum sogenannten Föderalismus sich zu bekennen“.83 Der Parteivorstand wandte sich nun entschieden gegen „gewaltsame gesetzgeberische Eingriffe“ zur Lösung des Problems Reich und Länder. Einer Neugliederung, „besonders in Mitteldeutschland und dem Rhein-Main-Gebiet unter Zusammenfassung der im Gemenge liegenden Gebiete zu lebensfähigen Ländern, auch unter Opfern Preußens“, stand man jedoch weiter aufgeschlossen gegenüber. Vom 1928 gefassten Vorsatz, „organischer Entwicklung“ vorzuarbeiten84, war nach der Ernennung Heinrich Brünings zum ersten 79 Diesbezügliche Bedenken sind zusammengetragen in der Schrift von Martin Fassbender, Westdeutschland – los von Preußen?, Berlin 1919. 80 Wilhelm Kitz, Reichsland Preußen, Düsseldorf 1926/27. Diese Schrift griff den Plan auf, Preußen als Reichsland im Reich aufgehen zu lassen. Grundlage war die Ablehnung einer Aufteilung Preußens. 81 Adam Stegerwald, Zusammenbruch und Wiederaufbau, Berlin 1922, S. 25ff. 82 Richtlinien des Reichsparteivorstandes zur Reichsreform vom 8.3.1928, abgedruckt in: Senger, Politik der deutschen Zentrumspartei, S. 110. 83 Freiburger Tagespost, 14.12.1927. 84 Richtlinien des Reichsparteivorstandes (8.3.1928), in: Senger, Politik der Deutschen Zentrumspartei, S. 111.

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Reichskanzler eines Präsidialkabinetts jedoch kaum noch etwas übrig. Der konservativ-nationale Katholik hob zwar die Stellung der Länder gegenüber der Reichsgewalt hervor, de facto trieb Brüning aber durch seine Notverordnungspolitik den Abbau der Länderautonomie voran. Ein Mitglied, wenngleich ein Querulant der Zentrumspartei, der den monarchistischen Flügel repräsentierte, war bis zu seinem Austritt 1932 auch Franz von Papen. Die Absetzung der preußischen Regierung nach seiner Regierungsübernahme war eine logische Konsequenz seiner seit 1924 vergeblich verfolgten Bestrebungen, das Zentrum in Preußen an die DNVP zu binden und damit die SPDRegierung Braun zu stürzen.85

Deutschnationale Volkspartei – DNVP Das Verfassungsideal der DNVP bestand in der Wiederherstellung der bismarckschen Verfassung, einschließlich seiner hegemonialen Struktur. Preußen wurde von den Deutschnationalen wie im 19. Jahrhundert als eine europäische Großmacht angesehen und für eine „völkische Kraftquelle“ des Reiches gehalten. Daher sollte es nicht, wie in der Weimarer Reichsverfassung geschehen, behandelt werden wie die anderen Länder.86 Mit einer Reichsreform verband die DNVP nicht nur eine Neuregelung des Verhältnisses von Reich, Ländern und Gemeinden, sondern auch den Abbau eines „überspannten Parlamentarismus“. Konkret liefen deutschnationale Vorschläge auf eine Verstärkung der Präsidialgewalt und eine Minderung der Rechte des Reichstages zugunsten eines neuen korporativ-föderativen Verfassungsorgans hinaus, das den bisherigen Reichsrat und weithin auch den vorläufigen Reichswirtschaftsrat ersetzen sollte. Nach bismarckschem Muster sollten die Ämter des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten wieder in einer Hand vereinigt werden. Dagegen wurde der Gedanke, die einzelnen preußischen Ministerien durch die entsprechenden Reichsminister leiten zu lassen, als praktisch undurchführbar, finanziell belanglos und zu Preußens Mediatisierung führend abgelehnt. Die Kompetenzen von Reich und Ländern sollten ge-

85 Karl-Heinz Roth, Franz von Papen und der Deutsche Faschismus, in: ZfG 51 (2003), S. 589–625, Larry Eugene Jones, Franz von Papen, the German Center Party and the Failure of Catholic Conservatism in Weimar Republic, in: Central European History 38 (2005), S. 191–217. 86 DNVP-Abgeordneter Spahn, Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, 16.6.1930, S. 5464.

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geneinander abgegrenzt werden, und es sollten den künftigen Ländern bzw. Selbstverwaltungskörpern mehr eigene Steuereinnahmen überlassen werden.87 Die Vorschläge des deutschnationalen Reichsinnenministers Walter von Keudell für eine Reichsreform im Kabinett Marx 1927/28 liefen dementsprechend auf die von der DNVP als Lösung aller Probleme des Reichs angesehene Stärkung der Stellung Preußens hinaus. Die zu dieser Zeit diskutierte Schaffung von Reichsländern in Norddeutschland lehnte Keudell daher als Fremdkörper im Reichsaufbau ab, da sie im Ergebnis lediglich die Zentralverwaltung des Reiches begünstigen würden. Seine Vorschläge schlossen stattdessen eine Änderung des Länderfinanzausgleichs ein, um einen Anschluss kleiner Länder an Preußen zu beschleunigen: „Wollen Staaten freiwillig ihre Selbständigkeit aufgeben, sei es wegen ihrer geringen Größe oder natürlichen Armut, so kann ihnen durch einen Anschluss an einen benachbarten größeren Staat geholfen werden.“88 Für einen traditionellen hegemonialen Föderalismus, verschärft um die Note einer „Verpreußung des Reiches“, agierte auch Keudells innerparteilicher Gegenspieler Alfred Hugenberg. Hugenbergs antirepublikanisches und bundesstaatliches Reichsreformprogramm von 1929 baute auf die im Dezember 1927 formulierten Grundgedanken der DNVP auf. Seine konkreten Vorschläge waren auch eine Reaktion auf die Aktivitäten des Bundes zur Erneuerung des Reiches und auf die seit 1928 unter sozialdemokratischer Federführung vorangetriebenen Reichsreformbestrebungen, denen er einen „nivellierenden und revolutionären Unitarismus“89 unterstellte.

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – NSDAP Die Reichsreformdebatte begünstigte insgesamt ein Klima, in dem die Nationalsozialisten ihre Vorstellungen von einem hierarchisch strukturierten Zentralstaat leichter umsetzen konnten. Im letzten Punkt des nationalsozialistischen Parteiprogramms wurde 1920 die „Schaffung einer starken Zentralgewalt des Reiches“ gefordert. Ziel einer Reichsreform sollte eine „unbedingte Autorität des politischen Zentralparlaments über das gesamte Reich und seine Or-

87 Wege zur Verfassungsreform. Ein deutschnationales Programm, in: Unsere Partei, 5. Jg., Nr. 24, Berlin 15.12.1927, S. 1f. sowie Grundsätze der Deutschnationalen Volkspartei, Berlin o.J. 88 BHStAM MA 1943 / 103 368 Das deutschnationale Verfassungsprogramm. 89 Vorschläge Hugenbergs zur Frage der Reichsreform mit einem Schema zum Verhältnis Reich-Preußen, in: Unsere Partei, 7. Jg., Nr. 8, Berlin 15.4.1929, S. 127.

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ganisationen“ sein, die wiederum auf „der Bildung von Stände- und Berufskammern in den Bundesstaaten“ als Verwaltungseinheiten aufbauen sollte.90 Mit ihrer Programmatik staatlicher und völkischer Einheit entsprach die NSDAP der allgemeinen Erwartung einer Reichsreform. Obgleich die Ausführungen im Parteiprogramm und in Hitlers „Mein Kampf“ über die Stellung der NSDAP zu föderalen Fragen inhaltlich weitgehend unbestimmt blieben, gaben die wenigen grundsätzlichen Erklärungen bereits die Richtung auf den einheitsparteilichen Diktatur-Zentralismus vor. Besonders deutlich gegen den Weimarer Bundesstaat richtete sich der Anspruch, die Parteiorganisation als Vorform des künftigen Staates zu betrachten. Es war danach eine starke Zentralgewalt mit Führerprinzip und darunter eine Reihe von Gauen zu erwarten, die sich organisatorisch und territorial im Wesentlichen mit denen der Partei deckten. Der Föderalismus wurde wie andere Konkretionen staatlicher Organisation jedoch als vorübergehende Erscheinung angenommen. Nationalsozialistische Positionen zum Thema fielen daher oft ausgesprochen widersprüchlich aus.91 Die vermeintliche „Preußenhetze“ als Ausdruck eines Nord-Süd-Gegensatzes hielt Hitler in „Mein Kampf“ für ebenso verderblich wie die Auseinandersetzungen der Weimarer Republik über den Föderalismus. In dem als nationalsozialistische Programmschrift geltenden Buch schilderte er, wie Fragen einer Reichsreform in den Jahren von 1919 bis 1921 dazu benutzt worden seien, die deutschen Stämme gegeneinander aufzuhetzen und Deutschland zu schaden. Unter dem Diktum „Der Föderalismus als Maske“ erinnerte Hitler an die alliierte Kriegspropaganda und den von Frankreich unterstützten Separatismus.92 Einen zentralen Stellenwert in Hitlers antisemitischen Verschwö90 Das Programm der NSDAP vom 24.2.1920 umfasste insgesamt 25 Punkte, in: Mommsen (Hg.), Deutsche Parteiprogramme, S. 139–142, hier S. 142. 91 Barbara Zehnpfennig, Hitlers Mein Kampf. Eine Interpretation, München 2000, S. 231–237. Die folgenden Zitate sind entnommen aus Adolf Hitler, Mein Kampf, zwei Bände in einem Band, 286.-290. Auflage, München 1938. 92 „Denn für den normalen kleinen Mann waren die Kriegsgesellschaften, die nun einmal ihre Zentrale in Berlin besaßen, identisch mit Berlin, und Berlin gleichbedeutend mit Preußen … Der Jude war viel zu klug, um nicht schon damals zu verstehen, dass der infame Beutezug, den er unter dem Deckmantel der Kriegsgesellschaften gegen das deutsche Volk organisierte, Widerstand hervorrufen würde, ja musste. … Um aber eine Explosion der zur Verzweiflung und Empörung getriebenen Massen nach dieser Richtung zu verhindern, konnte es gar kein besseres Rezept geben als das, ihre Wut anderweitig aufflammen zu lassen und zu verbrauchen. Mochte ruhig Bayern gegen Preußen und Preußen gegen Bayern streiten. Der heißeste Kampf der beiden bedeutete für den Juden den sichersten Frieden!“ Hitler, Mein Kampf, S. 622f.

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rungstheorien nahm das postrevolutionäre Bayern ein, wo der „internationale Jude Kurt Eisner“ begonnen habe „Bayern gegen Preußen auszuspielen“ und „bayerische Hoheitsinteressen“ gegen das Reich gestellt habe.93 Auf die Fragen, ob Deutschland Bundes- oder Einheitsstaat sein sollte und welche Stellung die NSDAP in den Auseinandersetzungen zwischen Föderalisten und Unitariern beziehen würde, befasste sich Hitler auch mit der Geschichte des Bundesstaates. Seine Argumentation zielte darauf ab zu beweisen, dass dem staatlichen Idealtypus einer aus eigenem Antrieb geteilten Souveränität von Gliedern und Bund kein real existierender Bundesstaat entsprechen würde.94 Für das Deutsche Reich ließ sich daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass alle Klagen der Länder über eine zu starke Unitarisierung mit einem Status operierten, den es de facto nie gegeben hätte. Die Föderalisten würden überdies verkennen, dass das Reich seine Befugnisse erweitern müsse, um die Kriegsverbindlichkeiten des Versailler Vertrages zu erfüllen, und sie irrten, wenn sie meinten, es beständen für die Republik mehr Sympathien, wenn die Länder selbst die Folgen des Krieges zu tragen hätten.95 Im Gegensatz dazu fand Hitler viel Lob für das Bismarckreich.96 Nationalsozialistisches Reichsideal war das „kraftvolle nationale Reich“, in dem die Rechte der Länder als sekundäre Größe erschienen. Das Verhältnis von Über- und Unterordnung war dementsprechend klar definiert: Das Reich musste eine ungeteilte Souveränität gegenüber den Gliedstaaten beanspruchen. Hitlers Zukunftsprognose bestätigt in einem weiteren Aspekt die zentralisierende Tendenz seiner Vergangenheits- und Gegenwartsbetrachtung: Der Modernisierungsprozess treibe mit seinen Auswirkungen auf Verkehr und Verwaltung die Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse voran. In diesem unaufhaltsamen Prozess würden auch die Länder und Einzelstaaten ihrer früheren eigenständigen Identität beraubt werden.97 Demgegenüber legte 93 Ebenda, S. 624f. 94 Ebenda, S. 634–636. 95 Sodann behauptete Hitler das Gegenteil, indem er schrieb: „Würden die einzelnen Länder heute Abgaben in der Höhe zu tragen haben, wie sie das Reich zur Erfüllung der Sklavenkredite braucht, so würde die Reichsfeindlichkeit noch viel größer sein“, daher sei die „mindere Freude am Reichsgedanken“ nicht dem Verlust von Hoheitsrechten der Länder zuzuschreiben, sondern sei vielmehr „das Resultat der jammervollen Repräsentation, die das deutsche Volk derzeit durch seinen Staat erfährt“, ebenda, S. 638f. 96 Ebenda S. 640. 97 Ihre Bedeutung sollte „künftig überhaupt nicht mehr auf staats- und machtpolitischem Gebiet liegen“, sondern „entweder auf stammesmäßigem oder auf kulturpolitischem Gebiet“. Aber auch hier sollte „die Zeit nivellierend wirken“, denn: „Die Leichtigkeit

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Hitler allerdings auch die Bedingungen fest, unter denen sich die Nationalsozialisten einer Unitarisierung des Reiches widersetzen sollten: Abzulehnen sei eine „Verreichlichung“, die einer „verhängnisvollen Außenpolitik“ und „uferlosen Erfüllungspolitik“98 gegenüber den Siegermächten diente oder durch die das verhasste parlamentarische System nach innen gefestigt würde. Unter diesen Vorzeichen war beispielsweise die Auflösung des sozialdemokratisch regierten Preußens im Zuge einer Neugliederung des Reiches, die sich territorial und organisatorisch an der Struktur der NSDAP und ihren Gauen ausrichtete, politisch denkbar. Der nationalsozialistische Gauleiter von Süd-Hannover-Braunschweig Bernhard Rust hielt Preußen für „keine Ewigkeitserscheinung“.99 Gegebenenfalls war auch die Opposition einer Landesregierung gegen das Reich erwünscht, „wenn sie ihren Kampf gegen die Zentralisation“ in den Dienst „eines gegen die heutige Novemberdemokratie stehenden höheren Nationalinteresses“ stellte.100 So berief sich der erste nationalsozialistische Staatsminister eines Landes, Wilhelm Frick, im Konflikt mit dem Reichsminister des Innern Carl Severing über die Sperre der Polizeizuschüsse in Thüringen 1930 auf die „schwere Gefährdung der föderalistischen Reichsverfassung“.101 Nicht nur in diesem Fall wurden Rechtspositionen von nationalsozialistischen Politikern in republikfeindlichen Länderregierungen argumentativ virulent gemacht. Es waren gerade die kleinen Länder, die Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ paradoxerweise als „Angriffspunkte“ einer Auflösung des Reiches bezeichnete hatte102 und in denen die NSDAP bereits vor 1933 an die Macht gelangte. Im Januar 1933 führte die NSDAP den lippischen Landtagswahlkampf mit allen

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des modernen Verkehrs schüttelt die Menschen derart durcheinander, dass langsam und stetig die Stammesgrenzen verwischt werden und so selbst das kulturelle Bild sich allmählich auszugleichen beginnt“, ebenda, S. 646f. Ebenda, S. 643. Laut eines Berichtes über eine politische Aussprache mit führenden Köpfen der Deutsch-hannoverschen Partei, in: Hannoverscher Kurier, Nr. 158/159, 6.4.1932. Im Gegenteil würde die Bayerische Volkspartei aus „kleinherzig-partikularistischen Gesichtspunkten“ eine Sonderstellung der Länder beanspruchen, Hitler, Mein Kampf, S. 644. In einer Rede im Berliner Sportpalast erklärte Frick unter allgemeinem Gelächter, dass er eigentlich an der Spitze der Thüringer Polizei mit Kampfwagen durch das Brandenburger Tor einrücken wollte, um sich die gesperrten Polizeigelder zu holen, aber Herr Severing habe den Kampfplatz geräumt, Deutsche Zeitung, 3.4.1930, vgl. zum Konflikt zwischen Thüringen und dem Reich Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 771. Hitler, Mein Kampf, S. 645.

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ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Adolf Hitler engagierte sich hier allein mit 16 Wahlreden, um einen Prestige-Erfolg zu erringen. Wenn die lippische Landeszeitung spottete, Hitler geht auf die Dörfer, unterschätzte sie damit den Stellenwert, den der Lipper Wahlkampf für die NSDAP-Propaganda besaß. Die Agitation war ganz darauf eingestellt, das Ergebnis als Nagelprobe im Kampf um die Herrschaft darzutun. Das Votum von rund hunderttausend Wählern sollte wie eine Art „Gottesgericht über die politische Zukunft eines 68 Millionen-Volkes“ entscheiden. Nachwirkungen der propagandistischen Aufwertung der Lippe-Wahl spiegeln sich bis heute in der verkürzten Annahme, dass Hitler über die kleinen Länder an die Macht gekommen sei. Sie wird noch durch den Vorwurf erhärtet, dass Braunschweig den staatenlosen Hitler zum Regierungsrat und damit erst zum kandidaturfähigen deutschen Staatsbürger machte.103 Zutreffend ist, dass die NSDAP das Reich von der Peripherie her eroberte, zuerst in Bayern stark war und dann in nord- und nordostdeutschen Agrargebieten.104 Trotz vorübergehender taktisch-strategischer Erwägungen waren die monistischen Staatsvorstellungen der NSDAP unvereinbar mit der föderalen Ordnung. Hitler selbst hatte daran nie einen Zweifel gelassen: „Die nationalsozialistische Lehre ist nicht die Dienerin der politischen Interessen einzelner Bundesstaaten, sondern soll dereinst die Herrin der deutschen Nation werden. Sie hat das Leben eines Volkes zu bestimmen und neuzuordnen und muß deshalb für sich gebieterisch das Recht in Anspruch nehmen, über Grenzen, die eine von uns abgelehnte Entwicklung zog, hinwegzugehen.“105 Einer der wichtigen Ideologen der Partei, Alfred Rosenberg, hielt demgemäß die Länder der Weimarer Republik für einen Strukturfehler des Reiches. Die föderale Ordnung bezeichnete er als „ein verkalktes Schema, das vor den Nutznießern des herrschenden Zustandes noch als Götze dem Volke vorgehalten“ werde. Die Bundesstaaten als Vorgänger der Länder seien „als dynastisch politisch bestimmte Machtgebiete zusammengeleimt worden“ und entbehrten daher jeglicher historischer Legitimität. Die Länder müssten von daher als „geschichtlich Gewordenes“ auch nicht sonderlich respektiert werden: „Geschichtsbildend“ waren laut nationalsozialistischer Doktrin vielmehr 103 Reinhard Wulfmeyer, Lippe 1933. Die faschistische Machtergreifung in einem deutschen Kleinstaat, Bielefeld 1987, S. 7–12. 104 Jürgen W. Falter, Wähler und Mitglieder der NSDAP. Neue Forschungsergebnisse zur Soziographie des Nationalsozialismus 1925–1933, in: GG 19 (1993), S. 155–177 und ders., Hitlers Wähler, München 1991. 105 Mit diesem Fazit schloss das Kapitel „Der Föderalismus als Maske“ in: Hitler, Mein Kampf, S. 648.

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„die Rasse, das Volk, der Stamm und dadurch bedingt eine gewisse Kultureinheit einzelner Gebiete, ergänzt durch wirtschaftlich an die Eigenschaften des Landes gebundene Umstände“.106 Richtungsweisende Vorschläge für eine staatliche Neuordnung erarbeitete für die NSDAP Helmut Nicolai, der im April 1933 preußischer Regierungspräsident in Magdeburg geworden war und der anschließend als Ministerialdirektor ins Reichsinnenministerium wechselte.107 Eine Territorial- und Verwaltungsreform blieb jedoch nach 1933 in Ansätzen stecken. Unter dem Etikett des Reichsreformgedankens der Weimarer Republik wurde in erster Linie die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik vorangetrieben.108

Kommunistische Partei Deutschlands – KPD Die Kommunisten bekannten sich zur Priorität der Vereinheitlichung und Zentralisierung. Im Unterschied zu den Sozialdemokraten waren ihre Überlegungen jedoch nicht auf eine starke Reichsgewalt, sondern vornehmlich auf deren Destruktion als Voraussetzungsbeschaffung für die Errichtung der Diktatur des Proletariats gerichtet. Dreh- und Angelpunkt war das von Marx, Engels und Lenin übernommene Pathos des absterbenden Staates, das bei den Kommunisten zur Ablehnung und zu viel Unverständnis in der Beurteilung von Reichsreformfragen führte. Unter den materialistischen Vorzeichen der marxistischen Lehre ließ sich diese Entwicklung nicht politisch gestalten. Sie wurde stattdessen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten zugeschrieben, woraus folgte, dass sie unwiderstehlich fortschreiten würde. Eine gemeinsame Erklärung der thüringischen, sächsischen und preußischen Landtagsfraktionen der KPD 1928 richtete sich dementsprechend gegen den „Einheitsstaatschwindel“, der in erster Linie als Mittel des deutschen Monopolkapitalismus zur Unterdrückung des Proletariats gesehen wurde: „Nachdem die deutsche Trustbourgeoisie durch die Rationalisierung die wirtschaftliche Ausbeutung des Proletariats in ungeheurem Maße verschärft hat, sucht sie unter der Parole des Einheitsstaates auch die Rationalisierung des politischen Machtapparates zur Unterdrückung des Proletariats durchzuführen. Ein zentralistisch aufgebauter Einheitsstaat der Trustbourgeoisie bedeutet nichts anderes als die Verstärkung 106 BHStAM MA 1943 / 103 285 Alfred Rosenberg, Das „historisch Gewordene“. Zur bayerischen Denkschrift, in: Völkischer Beobachter, 6.5.1926. 107 Helmut Nicolai, Grundlagen der kommenden Verfassung. Über den staatsrechtlichen Aufbau des Dritten Reiches, Berlin 1933. 108 Walter Baum, Die „Reichsreform“ im Dritten Reich, in: VfZ 3 (1955), S. 36–56.

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der imperialistischen Tendenzen, die Verstärkung der Macht der Bürokratie und die Beseitigung der Selbstverwaltung der Kommunen.“ Vision kommunistischer Politik war ein Sowjetdeutschland, „das nach Wirtschaftsgebieten mit weitgehender Selbstverwaltung aufgebaut“ werden sollte.109 Nach dem Wortlaut des kommunistischen Manifestes hatten die Arbeiter „kein Vaterland“, und die „nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker“ sollten mit der industriellen Revolution und der Entwicklung der kapitalistischen Bourgeoisie angeblich mehr und mehr verschwinden. Da dem sozialistischen Zukunftsstaat die progressive Tendenz zugeschrieben wurde, alle nationalen und regionalen Besonderheiten zu überwinden, erschien die Reich-Länder-Struktur daher als ein reaktionäres Überbleibsel. In einer homogenen kommunistischen Weltgesellschaft sollte schließlich „eine neue Kultur der zum ersten mal geeinten Menschheit“ alle Staatsgrenzen zerstören.110

3.2. Reich-Länder-Reform als Spezialistendebatte der Verwaltungseliten Unter dem Einfluss von Verwaltungsexperten nahm die Weimarer Reichsreformdebatte über weite Strecken den Charakter einer reinen Fachdebatte an, die für die Öffentlichkeit nur noch schwer nachzuvollziehen war. Die bis ins Detail ausgreifenden Planungen der Bürokratien standen dabei in einer längeren Tradition moderner Verwaltungsreformen. Sie zielten auf eine perfektionierte Ordnung, von der man sich eine Kompensation der Folgen des Ersten Weltkrieges und eine Stabilisierung des Reiches erhoffte. Auf dem Weg in die demokratische Umgestaltung des Reiches, unter den Bedingungen von Kriegsniederlage, Revolution, und in den Krisenmonaten der 1920er und 1930er Jahre, boten sich insbesondere die preußischen Reformen vom Anfang des 19. Jahrhunderts als Beispiel für eine gelungene Neuorientierung eines elementar herausgeforderten Staatswesens an. In einer aus dem Jahrhundertüberblick vollzogenen Bilanz eines doppelten Untergangs des Reiches 1806 und 1918 wurde dabei vor allem Freiherr vom Stein als herausragende Integrationsfigur entdeckt. Seine Ideen erwiesen sich als flexibel genug, um verschiedenen Interessen dienen zu können. Stein galt insbesondere als das große Vorbild der Selbstverwaltungstheo109 HStAD 10701 / 13 Gegen den Einheitsstaatsschwindel. Gemeinsame Erklärung der sächsischen, thüringischen und preußischen Landtagsfraktionen der KPD, in: Sächsische Arbeiter-Zeitung, 27.7.1928. 110 Kommunistische Partei Deutschlands, Programm der kommunistischen Internationale 1929, in: Mommsen (Hg.), Deutsche Parteiprogramme, S. 115–118, zit. S. 117.

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rien von Hugo Preuß, der diese der Weimarer Republik als Programm für die Zukunft empfohlen hatte.111 Die Erinnerung an den preußischen Reformer sprach nicht nur die altliberale Skepsis gegenüber dem bürokratischen Anstaltsstaat an. Sie traf auch die sozialdemokratischen Abneigungen gegen den Obrigkeitsstaat. Einer überwiegend demokratischen Rezeption und Transformation der Ideen Steins folgte dann im Umkreis des 100. Todestages des Freiherrn 1931 noch einmal eine Wendung, nach der Steins Ideen stärker gegen die Weimarer Republik in Anspruch genommen wurden. Mit ihr gewannen Konzeptionen eines vermeintlich unpolitischen, aber vor allem jenseits parlamentarischer Formen operierenden Verwaltungsstaates an Boden.112 Staats- und Kommunalbeamte waren dementsprechend stark an Leitbildern der Selbstverwaltung orientiert. Sie wollten keinen „öden Verwaltungszentralismus“113 und standen dem oszillierenden Wachstum der Reichsverwaltung ausgesprochen skeptisch bis ablehnend gegenüber. In ihrer Idealvorstellung eines funktionsfähigen Reiches sollten Entscheidungen an untergeordnete und periphere Behörden verlagert werden. So wurde nach der Revolution zeitweise erwogen, „die zentralen Reichsbehörden und Wirtschaftsinstitutionen nicht allzu zahlreich in Berlin zu versammeln“. Stattdessen sollten wichtige Reichseinrichtungen in den Süden verlegt werden.114 Die Weigerung der Berliner Zentrale, Kompetenzen an regionale Instanzen abzugeben, und die nicht immer auf landsmannschaftliche Empfindlichkeiten achtende Stellenbesetzung der Reichsbehörden ließen vor allem in den süddeutschen Staaten, aber auch in Sachsen oder Thüringen, die stets latent vorhandenen antipreußischen Gefühle wieder aufleben.115 Die Zeiten, in denen Reichspolitik und preußische Politik eng verbunden waren, lagen noch nicht lange zurück. Mitunter wurden antipreußische Ressentiments auch ganz gezielt eingesetzt, um die Reichspo111 Siehe die Sammlung Hugo Preuß, Staat, Recht und Freiheit. Aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte, mit einem Geleitwort von Theodor Heuss, Tübingen 1926. Heuss hatte davor gewarnt, Demokratie und Selbstverwaltung verkürzt als harmonisch miteinander verbundene Erscheinungen zu betrachten, vgl. ders., Demokratie und Selbstverwaltung, Berlin 1921. 112 Nolte, Stände, Selbstverwaltung und politische Nation (2003), S.139–158, insbesondere S. 152ff. und Heinz Duchhardt, Die Stein-Jubiläen des 20. Jahrhunderts, S. 179– 191. 113 BHStAM MA 1943 / 103 445 Siegfried Graf v. Roedern (Staatsminister a.D., Vorsitzender des Bundes zur Erneuerung des Reiches 1929/30) an Walther Jahn (genannt als Fabrikbesitzer), Hamburg 12. April 1931. 114 Einheitsstaat und süddeutsche Interessen, in: Volkszeitung Karlsruhe, 13.10.1919. 115 Exemplarisch der Reich-Länder-Streit um die Besetzung des Verwaltungsrates der Reichsbahngesellschaft bei Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 649ff.

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litik zu kritisieren, ohne dass man sich dem Vorwurf der Reichsfeindlichkeit aussetzte. So stützte der badische Landtagspräsident Eugen Baumgartner seine Denkschrift für eine Reföderalisierung der Weimarer Republik auf Anwürfe über den zunehmenden Einfluss preußischer Beamter in den Reichsbehörden vor Ort.116 Tatsächlich hütete die Reichsministerialbürokratie nicht nur ihre alten und durch die Weimarer Verfassung neu gewonnen Zuständigkeiten. Wie bereits im Kaiserreich vielfach beklagt, versuchte sie, den bestehenden Einfluss der Länder und ihrer Verwaltungen zu umgehen oder abzuschwächen.117 So wurden diese bei der Neubildung von Reichsfonds für wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Projekte sowie bei der Verteilung der Dotationen kaum noch kontaktiert.118 Das Bestreben, eine reichseigene Verwaltung aufzubauen, trug nicht unwesentlich zu der expandierenden und wenig transparenten Kompetenzverflechtung von Reich und Ländern bei, die schließlich in Forderungen nach einer umfassenden Verwaltungsreform mündete.119 Den Wunsch nach einem Abbau von Bürokratie, nach mehr Flexibilität und Rücksicht auf regionale Besonderheiten projizierten Verwaltungsexperten stark auf den dezentralisierten Einheitsstaat, der exekutive Aufgaben soweit wie möglich auf die kommunalen oder Länderbehörden übertrug, um dort Selbstständigkeit und Selbstverwaltung zu erhöhen. Die im Gegenzug geplante Verlagerung politischer Entscheidungen zum Reich konnten Kommunal- und Ministerialbeamte dabei offensichtlich leichter akzeptieren als Landtagsabgeordnete und Länderregierungen. Ein wichtiger Zusammenhang von Verwaltungsstrukturen, auf den die jüngere Verwaltungsgeschichtsschreibung aufmerksam gemacht hat, bestand zwischen den sozialen und kulturellen Identitäten sowie den Karrieren des dazugehörigen Personals.120 Im Deutschen Reich fehlte im Unterschied zu 116 Eugen Baumgartner, Das Reich und die Länder. Denkschrift über den Ausgleich der Zuständigkeiten zwischen dem Reich und seinen Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung, dem badischen Landtag vorgelegt, Karlsruhe 1923. 117 Bilfinger, Einfluss der Einzelstaaten auf die Bildung des Reichswillens, S. 13ff. 118 Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S. 81f. 119 „Die Folge ist, dass die öffentlichen Mittel nicht nach einem einheitlichen Plan sorgfältig und sparsam ihren Zwecken zugeführt werden, sondern dass vielfach an der einen Stelle mit doppelten Händen ausgeschüttet wird, was an anderer Stelle bitter nötig wäre. Hier kann nur durch Zusammenfassung der Verwaltung in einer Hand Ordnung geschaffen werden.“ ebenda, S. 92. 120 Die ältere Verwaltungsgeschichte begnügt sich im Allgemeinen mit einer politik-, sozial- und wirtschaftshistorisch gestützten Beschreibung von Behörden, ohne deren Einbindung in Gesellschaften zu reflektieren. Zumeist wird davon ausgegangen,

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Frankreich oder Italien traditionell ein zentral organisiertes Rekrutierungssystem. Sowohl in Preußen als auch im Reich wurde der Nachwuchs für die höhere Verwaltungslaufbahn immer noch dezentral ausgewählt und ausgebildet. Einen Posten in einem preußischen Ministerium oder gar einem Reichsamt bekam man demzufolge erst nach einer längeren Tätigkeit in der Provinz oder in den Ländern.121 Der ehemalige badische Staatspräsident und Finanzminister Köhler, der 1927 unter dem vierten Kabinett Marx an die Spitze des Reichsfinanzministeriums wechselte, und der in Berlin eine die Autonomie der Länder schmälernde Steuervereinheitlichungspolitik betrieb, bekannte offenherzig: „Wenn ich Länderfinanzminister wäre, würde es mir nicht schwer fallen, diesen Entwurf ohne Weiteres zu verurteilen.“122 Dass die nach Berlin gehenden süddeutschen Beamten „leider Gottes gleich den Genius loci“123 annähmen, beklagte der württembergische Staatspräsident Bazille. Solange sie ihre Karrieren nicht in Berlin fortsetzten, wo sie deutlicher mit den Anforderungen einer regional und sozial ausgewogenen Bewältigung der Kriegsfolgelasten und einer Sanierung der Reichsfinanzen konfrontiert wurden, engagierten sich Beamte in den Ländern gegen eine übermäßige Unitarisierung. Sie profilierten sich in kommunalen Behörden und Länderministerien als Neugliederungsfachleute vor Ort und bestimmten die Art der Auseinandersetzung um eine Bundesstaatsreform ganz wesentlich mit. Da sie ihre Argumentation auf Expertenwissen stützten und diese oftmals auf verwaltungsspezifische Zielsetzungen reduzierten, entzogen sie Bürgern und Politikern jedoch vielfach die Kompetenz zur Mitsprache. Mit den oft strukturkonservativen Einstellungen der Landesregierungen kollidierend, mangelte es vielen ihrer Reformpläne zudem an politischem Gewicht. Ohne ausgeprägten Realitätssinn schlug beispielsweise Otto Frielinghaus, Ministerialdirektor im preußischen Handelsministerium,124 die Bezirke der Landesarbeitsämter als Bausteine eines dezentralisierten Einheitsstaates vor. Auf Energiequellen und Verkehrsbezirke als Grenzkriterien hoben die Konzeptionen des Regierungs-

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dass staatliche Behörden notwendig seien, ohne ihre Entstehung und Entwicklung zu hinterfragen. Ein gutes Beispiel bilden die Bände der ansonsten äußerst nützlichen fünfbändigen Deutschen Verwaltungsgeschichte, hg. v. Kurt G. A. Jeserich / Hans Pohl / Georg-Christoph Unruh, Stuttgart 1983–1988. Arpad von Klimo, Zwischen Zentralstaat und Peripherie, in: Janz u.a. (Hg.), Zentralismus und Föderalismus, S. 91–102. BHStAM MA 1943 / 103 787 Finanzministerbesprechung zum Steuervereinheitlichungsgesetz, Berlin 18.5.1927. HStAS E 151 / 02,1 Verhandlungen des Württembergischen Landtags, 169. Sitzung, 4.11.1927, Sp. 4305. Otto Frielinghaus, Der dezentralisierte Einheitsstaat, Berlin 1928.

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und Baurates Hans Baumann125 und von Hans Rabe126 ab. Mangelndes Gespür für das politisch Machbare zeigte aber auch der Ministerialdirektor im Reichsernährungsministerium Erwin Ritter,127 der in seiner Reichslandkonstruktion 1927 die preußischen Provinzen zu freien Reichsländern erhob. Was als effizient gedacht wurde, widersprach nicht nur den historisch gewachsenen Verwaltungsstrukturen. In den Konflikten um eine „rationale“ Neugliederung wurde schließlich vor allem das Spannungsverhältnis zwischen der Eigenlogik der Bürokratie und den Partizipationsansprüchen derjenigen manifest, die das Versprechen einer demokratischen Selbstverwaltung ernst nahmen.

3.3. Der rationalisierte Staat – Ordnungsvorstellungen wirtschaftlicher Verbände Auch aus der Wirtschaft kamen Vorschläge zur Neugliederung des Reiches. Sie konnten unmittelbar an industrielle Leitbilder anknüpfen und deren Einfluss auf die Weimarer Bundesstaatsdebatte verstärken. Begriffe der Rationalisierung wie Effizienz, Normung und Typisierung dienten der Zukunftsantizipation. Sie bildeten auch ein Orientierungsangebot für Planungs- und Entwicklungsperspektiven staatlicher Organisation. „Intensität und Rationalität des Betriebes sind charakteristische Zeichen des modernen Staates wie der modernen Wirtschaft“, beschrieb der Sozialhistoriker Otto Hintze 1927 den weithin anerkannten Zusammenhang von Wirtschaft und Gesellschaft.128 In der Reichsreformfrage gelangte Hintze zu dem Schluss, dass die an den Ländern hängenden „Gemüthswerte“ nicht mehr zeitgemäß für eine Generation seien, „die den Staat als einen nach rationellen Grundsätzen zu führenden Anstaltsstaat“ begriffen habe. Das unbedingte Festhalten am föderalen Ländererbe lehnte er als „einen irrationalen Traditionalismus, der mit gesunden, modernen Betriebsgrundsätzen“ nicht mehr in Einklang zu bringen sei, ab.129 Die Industrialisierungs- und Bürokratisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts hatten die Bevölkerungsstruktur verändert. Sie brachten neue Siedlungsund erweiterte Verkehrs- und Kommunikationssysteme hervor, führten zu einer 125 Hans Baumann, Kraftquellen und Verkehr als bestimmende Faktoren deutscher Wirtschaftsgebiete, Berlin 1923. 126 Hans Rabe, Der Eisenbahngüterverkehr in den Jahren 1913 und 1925, o. O. 1927/28. 127 Erwin Ritter, Freie Reichsländer. Vorschläge zum Ausbau des Reichs, Köln 1927. 128 Otto Hintze, Der Staat als Betrieb und die Verfassungsreform, in: ders., Soziologie und Geschichte, 23. Aufl., Göttingen 1964, S. 207. 129 Ebenda, S. 209.

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Reduzierung der Handarbeit und zur Massenproduktion und Massendistribution. Der im Zuge dieser Entwicklung neu implizierte Gedanke der Vernetzung und Mobilität drängte sichtbar ältere räumliche Bindungen zurück.130 Wirtschaft und Verwaltung wurden daher als raumbildende Faktoren ernst genommen. Von ihren eigendynamischen Entwicklungen ließ sich die politische Kultur nicht einfach abkoppeln.

Dezentrale Industrialisierung Friedrich List hatte bereits im 19. Jahrhundert die Nationalökonomie als ein Thema in die sehr komplexe Kritik am Deutschen Bund eingefügt. Vom Standpunkt ökonomischer Sachlogik erschienen ihm seine handels- und wirtschaftspolitisch voneinander abgeschiedenen Einzelstaaten als viel zu kleinräumige Wirtschaftseinheiten. Industrielle Entwicklung konnte sich demnach nur im weiten Raum der gesamten Nation entfalten.131 Die in Anknüpfung an List von Heinrich Treitschke geförderte Legendenbildung, den Deutschen Zollverein als unmittelbaren Vorläufer des Reiches von 1871 anzusehen, blieb sodann für einen autistischen Zug deutscher Politik symptomatisch, wirtschaftliche Belange als spezifische Angelegenheiten eines mächtigen, geeinten Nationalstaates zu behandeln.132 Volkswirtschaft wurde in diesem Sinne zu einer Angele130 Zur Erleichterung einer bis dahin „sehr beschwerlichen Raumüberwindung“ und zum Zusammenhang von Rationalisierungsbewegung und neuen Verhaltensweisen bzw. neuer Alltagskultur vgl. Peter Borscheid, Die Tempomacher. Die Rationalisierungsbewegung und die Beschleunigung des Lebens in den Weimarer Jahren, in: ZUG, 41 (1996) 2, S. 125–138, zit. S. 126; Christian Kleinschmidt, Technik und Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007, S. 26–31. 131 Friedrich List, Denkschrift die Handels- und Gewerbeverhältnisse Deutschlands betreffend, in: ders., Schriften, Reden, Briefe, Bd. 1 (1933), S. 530f. Die Kritik Lists an der „Vielstaaterei“ aufgreifend: Eisenbahnen und Autostraßen. Friedrich List im Spiegel der Gegenwart, hg. vom Deutschen Verkehrsverein, Leipzig 1929, S. 28. 132 Zahlreiche Historiker mehrerer Generationen haben, im Anschluss an die von Heinrich von Treitschke und Gustav Schmoller begründete Sicht, den Einfluss Preußens auf die Industrialisierung als bedeutend oder zumindest sehr förderlich beschrieben: Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 5 Bde. 1879–89; Gustav Schmoller / Otto Hintze (Hg.), Die preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den Großen – Acta Borussica – Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, 3 Bde., Berlin 1892; Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 3 Bde., Freiburg 1933– 1937; William Otto Henderson, The State and the Industrial Revolution in Prussia 1740–1870, Liverpool 1967; Friedrich Facius, Wirtschaft und Staat. Die Entwick-

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genheit von Einigkeit und der „radikalen Beseitigung alles Trennenden“, damit Deutschland „als Ganzes Weltwirtschaft betreiben“ könne.133 Die Idee der Nationalisierung des Ökonomischen und umgekehrt der Ökonomisierung des Nationalen überdauerte den Zusammenbruch des Kaiserreiches. Sie wurde auch von Akteuren der Revolution aufgegriffen. Ohne eine Überwindung der Trennung in einzelne Bundesstaaten, gaben Vertreter von Arbeiter- und Soldatenräten in Thüringen zu Protokoll, versinke Deutschland zurück in Uneinigkeiten: „Weil die wirtschaftlichen Grundlagen der einzelnen Teile des Reiches zu verschieden seien, würden zuerst die Staaten hoch kommen, die die Urstoffe besäßen, dann diejenigen, die an dem großen Verkehrswege, dem Meere lägen, und die anderen würden zurück bleiben. Aber jetzt müsse es doch vor allem heißen, einer solle des anderen Last mit tragen.“134 An Aussagen wie diesen lässt sich ablesen, dass auch nach 1918 ein ausgesprochenes Bedürfnis bestand, die politische und wirtschaftliche Einheit miteinander zu verknüpfen. Zwar hatte der Nationalstaat von 1871 einen deutschen Wirtschaftsraum vollendet und eine nationale Wirtschaftsordnung geschaffen. Ökonomische Prozesse waren jedoch nie autochthon nationale, sondern sie waren auch in die Rahmenbedingungen globaler Prozesse eingebunden. Aus dem 19. Jahrhundert heraus war für diese Weltwirtschaft allerdings charakteristisch, dass „nicht nur einzelne Individuen, sondern Nationen und ihre politisch-administrativen Systeme miteinander konkurrierten“.135 Als dementsprechend entscheidend wurde die Frage behandelt, ob die im Raumbild der hiesigen Industrialisierung überdauerten territorialstaatlichen Besonderheiten des deutschen Bundesstaates eher einen Wettbewerbsvorteil oder eher einen Wettbewerbsnachteil gegenüber lung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis 1945, Boppard a. Rhein 1959; Wilhelm Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens, Berlin 1984. Die preußische Führungsrolle bei der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands betont auch Hans-Werner Hahn, Voraussetzungen und Folgen der preußischen Führungsrolle im Deutschen Zollverein, in: Helmut Berding (Hg.), Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1984, S. 45–70. 133 Eine Gegenposition der großdeutschen Partei vertrat zum Beispiel Ottomar Schuchardt, Wirtschaft und bündischer Aufbau, in: Vom Dritten Reich. Halbmonatsschrift für die Neugliederung Deutschlands. Deutsche föderalistische Korrespondenz, Ausgabe Sachsen, Jg. 3, Nr. 18, 20.9.1928, S. 5–6. 134 ThHSTAW Staatsministerium Nr. 1 Protokoll der Tagung der Arbeiter- und Soldatenräte des 36. Wahlkreises in Erfurt am 10.12.1918 in Erfurt, Bl. 7. 135 Gerold Ambrosius, Staat und Wirtschaftsordnung. Eine Einführung in Theorie und Geschichte, Stuttgart 2001, S. 146.

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Frankreich oder England darstellten. Hubert Kiesewetter hat dazu zwei Perioden unterschieden: In der ersten Phase bremste ein enger Partikularismus die wirtschaftliche Entwicklung. In der zweiten Phase jedoch trieb die föderale Struktur einen regionalen Wettbewerb zwischen den deutschen Staaten voran. Die dem Bundesstaat zugeschriebenen Funktionen und Gestaltungsansprüche trugen so wesentlich dazu bei, dass Deutschland innerhalb weniger Jahrzehnte von einem Nachzügler zum führenden europäischen Industriestaat aufsteigen konnte.136 Kiesewetters Periodisierung gründet auf dem anerkannten Zusammenhang des Politischen und des Ökonomischen. Zwar wurde im 19. Jahrhundert besonders anschaulich, dass eine moderne Wirtschaftsentwicklung nicht vom Staat „geschaffen“ werden konnte. Jedoch hat die historische Forschung anhand der einzelnen deutschen Bundesstaaten inzwischen empirisch nachgewiesen, wie tief die monarchischen Regierungen und Senate der Hansestädte in den Prozess der Industrialisierung eingegriffen haben: mit agrarischen und gewerblichen Reformen, mit Verfassungs-, Rechts- und Eigentumsordnungen, mit der Etablierung von Institutionen, mit Darlehen und finanziellen Hilfen, der Gründung von Banken, mit der Förderung des Schul- und Bildungswesens, mit dem Bau von Straßen, Eisenbahnen und Kanälen. Die regionalen Unterschiede in der Industrialisierung Deutschlands lassen sich kaum erklären, wenn nicht die Industrialisierung fördernde wie hemmende Maßnahmen der einzelnen Bundesstaaten berücksichtigt werden. Im Bereich der Technologie- und Wirtschaftsförderung hatten vor allem Sachsen und Preußen eine führende Rolle eingenommen, während die süddeutschen Staaten Bayern, Baden und Württemberg mit einer zeitlichen Verzögerung folgten. Nach dem sukzessiven Rückzug aus der direkten Gewerbeförderung verlagerten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die staatlichen Interventionsbereiche. Die Bürokratien engagierten sich nun besonders im Bereich des Verkehrswesens und beim Ausbau technischer Infrastrukturen.137 136 Als hemmende Faktoren nennt Hubert Kiesewetter ein zersplittertes Rechtssystem und die Behinderung des Handels durch Zölle und Mautlinien, vgl. ders., Industrielle Revolution in Deutschland. Regionen als Wachstumsmotoren, Stuttgart 2004, S. 11f. 137 Zur führenden Rolle Sachsens und Preußens Rudolf Forberger, Die industrielle Revolution in Sachsen 1800–1861, 2 Bde., Berlin 1982; Hubert Kiesewetter, Staat und regionale Industrialisierung. Württemberg und Sachsen im 19. Jahrhundert, in: ders. / Rainer Fremdling (Hg.), Staat, Region, Industrialisierung, Ostfildern 1985, S. 108– 132. Für die süddeutschen Staaten siehe Hans Mauersberg, Bayerische Entwicklungspolitik 1818–1823. Die etatmäßigen bayerischen Industrie- und Kulturfonds, München 1987; Irene Burkhardt, Das Verhältnis von Wirtschaft und Verwaltung in Bayern während der Anfänge der Industrialisierung (1834–1868), Berlin 2001.

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Aufgrund der dezentralen Struktur des Deutschen Bundes und des Reichs wurde so mitunter zwar ein Überangebot an Institutionen geschaffen, aber die Wirtschaft konnte auch in einen „groß geschneiderten Mantel bereitgestellter Infrastruktureinrichtungen“138 hineinwachsen. Eine weitgehend autonome Gestaltung der einzelnen Gliedstaaten führte schließlich dahin, dass es im Vergleich mit anderen europäischen Staaten weniger Hinterland gab.139 Die Besonderheiten föderaler Strukturen konnten dementsprechend auch in der Zwischenkriegszeit als ein wirtschaftlicher Wettbewerbsvorteil angesehen werden, wie ein damaliger Vergleich des neuen Luftverkehrs und des entsprechenden Flugnetzes zwischen Frankreich und Deutschland zeigt: „Der innere Luftverkehr in Deutschland hat seine stärkste Anregung aus der Konkurrenz der Länder und der Städte empfangen, die sich bei dem Ausbau des Luftverkehrs nicht zurückdrängen lassen wollten. In Frankreich ist alles zentralisiert und der Staat hat keine Konkurrenz.“ Zur Unterscheidung wurde auch auf die statistische Seite verwiesen: Während in Deutschland etwa 50 000 Kilometer tagtäglich planmäßig beflogen würden, betrage diese Zahl in Frankreich nur etwa 18 000 Kilometer.140 Andererseits wurden Überkapazitäten und Entscheidungsprozesse einer föderal ausgerichteten Wirtschaftsordnung in den 1920er Jahren als unzureichend für eine moderne Verkehrs- und Kommunikationsentwicklung abgelehnt. Georg Dewald, der als Mitglied des Landtags in Bayern eine Minderheitenposition vertrat, forderte 1928 für die Entwicklung von „Weltverkehrsstrassen“ die Ausdehnung der Kompetenzen des Reiches. Nichts, so erklärte Dewald mit Blick auf den Bau von Autobahnen, sei zersplitterter und uneinheitlicher als das deutsche Straßenbauwesen, das „wie in der Zeit der seligen Postkutsche“ noch Sache der Länder sei: „Jedes Land experimentiert auf eigene Faust herum, probiert eine Reihe von modernen Straßenbauweisen aus, als ob das gleiche nicht von einer Zentralstelle aus geschehen könnte … Man 138 Schremmer, Föderativer Staatsverbund, öffentliche Finanzen und Industrialisierung, S. 27. 139 Die Perspektive einer regionalen Differenzierung wirtschaftlichen Wachstums und gesellschaftlicher Entwicklung hat sich in der wirtschaftshistorischen Diskussion der letzten Jahrzehnte als besonders fruchtbar erwiesen, vgl. den Forschungsüberblick bei Toni Pierenkemper, Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert, München 1994, S. 100–105; Dieter Langewiesche, Föderalismus und Zentralismus im deutschen Kaiserreich, in: Janz u.a. (Hg.), Zentralismus und Föderalismus (2000), S. 83f.; Dirk van Laak, Infrastrukturgeschichte, in: GG 27 (2001), S. 367–393. 140 Einen „Luftverkehr großen Stils“ zu entfalten, biete Frankreich daher allein sein Kolonialreich, BHStAM MA 1943 / 103 218 Verkehrsluftfahrt in Frankreich, in: Lokalanzeiger, Abendblatt 30.5.1928.

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redet zwar auch über deutsche Autostraßen, aber man darf gespannt sein, wie solche werden sollen, wenn einmal die praktische Frage aufgeworfen wird, wie eine solche Durchgangsstraße sich mit den vielerlei ‚Zuständigkeiten‛ der einzelnen Länder auseinander setzt.“141 Die Überführung der Länder-Eisenbahnen in die Hoheit des Reiches durch die Weimarer Verfassung galt als erster Schritt auf dem Weg zu einer „einheitlichen Verkehrsanstalt“. In ihr sollten „Wirtschaftsgebiete“ neu zusammengeführt werden, „die aller engste Verkehrsverknüpfungen und eine große Verwandtschaft in ihrem industriellen und landwirtschaftlichen Aufbau“ aufzuweisen hatten. Die Bildung neuer Reichsbahndirektionsbezirke, welche die „höchst unzweckmäßig geformt(en)“ Ländergrenzen überwinden sollten, erwies sich jedoch schwieriger als ursprünglich angenommen.142 Mitunter zeigte sich nämlich recht schnell, dass eine „zentralistisch aufgezogene Reichsbahngesellschaft“ den Bedürfnissen vor Ort nicht immer gerecht wurde. So erinnerte der Vorsitzende des Verbandes der Mitteldeutschen Industrie Demmer an die Vorteile einer dezentralen Verkehrs- und Wirtschaftsstruktur vor 1918. Damals hätten die Länder bei dem Ausbau ihres Netzes und in der Tarifpolitik auch „einmal die Unrentabilität einer Strecke oder einer Verkehrslinie“ in Kauf genommen, „um irgendein Wirtschaftsgebiet zu fördern“.143 Für das Moderieren der industriellen Entwicklung waren bis 1918 die für die Wirtschaftspolitik zuständigen Bundesstaaten wichtiger als das Reich, welches vornehmlich durch Gesetze im Steuer-, Verkehrs-, Technik- und Sozialversicherungsrecht regulierend bzw. normsetzend in die Wirtschaftstätigkeit einzugreifen suchte.144 Es wurde zudem wie die Bundesstaaten ein wichtiger Auftraggeber. Bisher ist nur wenig erforscht, inwieweit durch Art und Umfang staatlicher Auftragsvergabe bewusste Wachstumssicherung und konjunkturglättende Maßnahmen betrieben werden konnten.145 Die wichtigsten politischen Instrumente zur aktiven Gestaltung und sozialen Stabilisierung der industriellen Entwicklung sowie eine kooperative Integration wirtschaftlicher 141 BHStAM MA 1943 / 103 218 Georg Dewald (Mitglied des bayerischen Landtages), in: Süddeutsche Reichskorrespondenz Karlsruhe, 18.8.1928. 142 Kurt Giese, Neuordnung der Reichsbahndirektionsbezirke in Mitteldeutschland, Leipzig 1929, S. 176ff. 143 Gegen den zentralistischen Unitarismus. Für stärkere Berücksichtigung der Wirtschaftsgebiete, besonders im endgültigen Reichswirtschaftsrat. Über die Aufgaben der industriellen Landesverbände, Weimar 1927. 144 Rudolf Boch, Staat und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, München 2004, S. 52. 145 Für das Kaiserreich und insbesondere die staatliche Förderung der Schiffbauindustrie vgl. ebenda, S. 44.

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Interessen in Entscheidungsabläufe waren jedenfalls bereits im Kaiserreich ausgebildet.146 Entsprechend schärften wirtschafts- und ordnungspolitische Fragen das bundesstaatliche Problembewusstsein. Der Erste Weltkrieg hatte zudem bestehende Tendenzen zentraler staatlicher Wirtschaftslenkung deutlich verstärkt. So hatte die Rohstoffbewirtschaftung den beteiligten Industrien eine Art Zwangssyndizierung gebracht, die von der 1914 gegründeten Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium kontrolliert wurde. Zentralisierende Maßnahmen waren auch in der Zwangsbewirtschaftung der Lebensmittelversorgung eingeführt worden. Sie war von zunächst lokalen, dann aber bald reichsweit festgesetzten Höchstpreisen, über staatliche Importmonopole und Exportverbote bis hin zu Rationierung und Mangelverwaltung durch zentrale Reichsstellen fortgeschritten. Es entstand so ein umfangreicher Erfassungs-, Verwaltungs- und Verteilungsapparat, der mit dem 1916 gegründeten Kriegsernährungsamt seine Vollendung fand. Auch die Rüstungswirtschaft und der Arbeitsmarkt wurden im Zuge des Hindenburgprogramms und des Hilfsdienstgesetzes von 1916 zentraler staatlicher und militärischer Kontrolle unterworfen. Das im selben Jahr gegründete Kriegsamt sollte diese Belange bündeln.147 Die im Kaiserreich eingeleitete Entwicklung Berlins zum wichtigsten Finanzzentrum Deutschlands wurde dadurch weiter angetrieben. Die Stadt war Sitz mächtiger Universalbanken, obwohl sie kaum natürliche Standortvorteile besaß. Weder hatte sie wie Hamburg einen großen Hafen noch lag sie auf einer wichtigen Handelsroute. Anders als Köln oder Essen befand sich Berlin auch fernab der wichtigen Industrieregionen. Aber die Metropole an der Spree war seit 1871 Sitz der Regierung und der Zentrale der Deutschen Reichsbank und Reichshauptbank. Ihr Aufstieg zum Finanzzentrum verdeutlicht, wie eng zeitweilig die finanziellen Mechanismen mit dem Regierungshandeln verknüpft waren. Die Hauptstadt des Reiches gehörte zum neuen Typus von Finanzzentren, wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert herausbildeten. Nach dem älteren merkantilen Modell hätte am ehesten Hamburg eine führende Rolle im Reich beanspruchen können. Die deutschen Banken hatten sich jedoch weit stärker der Industrie- als der Handelsfinanzierung zugewandt, und sie waren mehr als andernorts in die Politik eingebunden. Ausländisches Kapital und Kredite, die in den 1920er Jahren in beträchtlichem Umfang nach Deutschland flossen, und die ein wichtiger Motor für die wirtschaftliche Entwicklung der Weimarer Republik

146 Zur so genannten „produktiven Ordnungspolitik“ des Staates vgl. ebenda, S. 49–54. 147 Kriegsernährungsamt (Hg.), Kriegsernährungswirtschaft 1917, Berlin 1917.

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seit 1924 waren, wurden überwiegend in das Berliner Finanzzentrum geleitet.148 Während der Inflationszeit konnten die großen Berliner Banken zudem die für sie vorteilhaften Umstände und die Nähe zur Reichsbank ausnutzen, um ihre eigenen Positionen auf Kosten ihrer Konkurrenten in den Ländern, die oft unter Kapitalknappheit litten, auszubauen.149 Das Ergebnis dieser Entwicklung war, dass „Berlin den Rest Deutschlands finanziell dominierte“.150 Die wachsende Bedeutung der Hauptstadt gewann schnell an Eigendynamik. Der Umstand, dass die wichtigsten politischen und finanziellen Entscheidungen in Berlin getroffen wurden, zog andere Institutionen nach und erklärt auch die starke Politisierung der Wirtschaftspresse.151 1926 hatten nach Berechnungen des Statistischen Reichsamtes mehr als eineinhalb Tausend Konzerne und Interessengemeinschaften ihren Sitz in Berlin. Hinzu kamen die wichtigsten Unternehmerverbände und drei Fünftel aller Arbeitgeberorganisationen, die Hälfte aller Angestelltenverbände und sieben Zehntel aller Beamtenorganisationen.152

148 William C. McNeil, American Money and the Weimar Republic. Economics and Politics on the Eve of the Great Depression, New York 1986. 149 Rudolf Pfannenschmidt, Die Konzentration und Expansion im deutschen Bankwesen während und nach der Inflation, Bielefeld 1928, S. 26. 150 Harold James, Strukturwandel in Kriegs- und Krisenzeiten, in: Hans Pohl (Hg.), Geschichte des Finanzplatzes Berlin, Frankfurt a. Main 2002, S. 157–213, hier S. 163. 151 Die bedeutendste liberale Wirtschaftszeitung Deutschlands, die Frankfurter Zeitung, wurde nicht in Berlin herausgegeben. Zu den einflussreichen Berliner Wirtschaftszeitungen zählten der Berliner Börsen Courier (gegründet 1866) und die Berliner Börsenzeitung (gegründet 1855), welche sich während der Weimarer Republik zunehmend an den rechten Rand des politischen Spektrums bewegte. Die Tendenz zur Politisierung zeigte sich auch deutlich in zwei Neugründungen: Die Wochenzeitschrift Der deutsche Volkswirt (1926) orientierte sich mit ihrer Mischung aus wirtschaftlicher Analyse und politischem Kommentar am einflussreichen britischen Economist. Ihre Redaktion stand in engen Kontakten zum Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht, der die Publikation für seine Kampagnen gegen die Regierung nutzte. Den Gegenpol bildeten die Veröffentlichungen des neuen Instituts für Konjunkturforschung, das 1925 vom Präsidenten des Statistischen Reichsamtes, Ernst Wagemann, gegründet worden war, vgl. James, Strukturwandel in Kriegs- und Krisenzeiten, S. 169f. 152 Wie der Zentralausschuss der Unternehmerverbände, der Reichsverband der Deutschen Industrie, die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, der Hansabund, der Zentralverband des deutschen Großhandels, die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels, der Zentralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes, der Reichsverband des Deutschen Verkehrsgewerbes, BHStAM MA 1943 / 103 327 Wirtschaftliche Zentralisierung, Finanzkonzentration.

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Dass sich nach dem Krieg die wirtschaftliche und politische Vorrangstellung Berlins nicht mehr rückgängig machen ließ, erzeugte Ressentiments seitens der Länder und in den preußischen Provinzen. In Bayern, Sachsen und im Rheinland wurden Forderungen nach einer Dezentralisierung der Wirtschaftsund Finanzstrukturen erhoben, die durch die allgemeine monetäre und wirtschaftliche Instabilität nach dem Ersten Weltkrieg beflügelt wurden. Unter der Parole „Los von Berlin“, die ein Verlangen nach regionaler Selbsthilfe ausdrückte, wurden sogar neue Währungen gefordert.153 In Bayern betrieb die Regierungspartei BVP eine eigene Wirtschaftszeitung, in der gegen die verbreitete Ansicht angeschrieben wurde, die ganze Wirtschaft fordere einen „einheitlichen Willen der Reichsregierung“. Dies würde vornehmlich „den großen Ballungsgebieten im Westen des Reiches und in Mitteldeutschland Vorteile“154 einräumen. Die regierungsnahe Bayerische Staatszeitung argumentierte in die gleiche Richtung: „Wir bewegen uns in einem Taumel wirtschaftlicher Machtentfaltung und Machtanhäufung einer IG Farbenindustrie, eines Stahltrusts, einer AEG … und übersehen, dass deren Früchte in der Hauptsache in Norddeutschland reifen und dass dabei unsere eigene im Arbeitgeber wie im Arbeitnehmer auf der Scholle und der Familie aufgebaute Mittel- und Kleinwirtschaft zum Darniederliegen kommt.“155 Selbst in der süddeutschen sozialdemokratischen Presse 1919 hielt man es bei aller Sympathie für den Einheitsstaat doch „für ratsam, die zentralen Reichsbehörden und Wirtschaftsinstitutionen nicht allzu zahlreich in Berlin zu versammeln“ und plädierte für eine Verlegung wichtiger Reichsbehörden in den Süden.156 In welchem Maße sich Entscheidungen an die Spree verlagert hatten, zeigten die Aktivitäten der Gesandtschaften der Länder in der Weimarer Republik, die sich insbesondere um die Behauptung regionaler Wirtschaftsinteressen kümmerten. Da vorwiegend mittelständische Familienbetriebe aufgrund ihrer Struktur, Größe und Bedeutung über keinen nennenswerten Einfluss in den wirtschaftlichen Interessenvereinigungen auf Reichsebene verfügten, waren 153 Harold James hat dazu bemerkt, dass die Gefährdung föderaler Gebilde durch Hyperinflation kein einmaliges historisches Phänomen darstellt. Die Sowjetunion und Jugoslawien als jüngste Beispiele der Vergangenheit hätten gezeigt, dass Inflation einen wichtigen ursächlichen Anteil für das Auseinanderbrechen föderaler Staatengebilde darstellen kann, ders., Strukturwandel in Kriegs- und Krisenzeiten, S. 164, Fn. 22. 154 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft, München 21.8.1928, Entwurf, S. 1. 155 BHSTAM MA 1943 / 103 327 Wirtschaftliche Zentralisierung, Bayerische Staatszeitung, 30.7.1928. 156 Einheitsstaat und süddeutsche Interessen, Volkszeitung Karlsruhe, 13.10.1919.

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sie in besonderer Weise auf den Einfluss und die Vermittlung der Landesregierungen angewiesen. Der Braunschweiger Gesandte Friedrich Boden, der dieses Amt von 1906 bis 1934 ausübte, setzte hier einen Hauptakzent seiner Tätigkeit. 1919/20 gliederte die Braunschweiger Regierung der Gesandtschaft eine „wirtschaftliche Vertretung an“, deren Personal- und Mietkosten durch Handel und Industrie mitfinanziert wurden.157 Ähnliche wirtschaftspolitische Sonderabteilungen ihrer Vertretungen in Berlin besaßen auch Bayern, Württemberg und Sachsen. Das Engagement erstreckte sich auf verschiedene Bereiche: die Beschaffung von Staatsaufträgen, die Beschaffung von Krediten bei der Reichsbank, im Bereich der staatlichen Exportförderungspolitik, insbesondere der Zollpolitik, der Erteilung von Außenhandelsbewilligungen und der diplomatischen Unterstützung für Firmen im Ausland. Für vom Weltmarkt besonders abhängige Branchen sowie für Regionen mit Strukturproblemen suchten die Ländervertretungen in Berlin außerdem Reichsfonds nutzbar zu machen. Die Reichsfinanzreform von 1919/20 bedeutete für alle Länder jedoch eine erhebliche Einschränkung ihres wirtschafts- und ordnungspolitischen Gestaltungsspielraumes. Der Hauptteil der Steuereinnahmen floss danach dem Reich zu, zu dessen Gunsten sich die finanziellen Fundamente verschoben.158 Die Steuer- und Wohlfahrtspolitik wurde dementsprechend zu einem der größten Konfliktpunkte zwischen Reich und Ländern. Landesregierungen griffen wiederholt zum Mittel der Steuererhöhung, um die hohen Defizite ihrer Staatshaushalte auszugleichen. Da die Landessteuern in erster Linie Grund-, Gewerbe- und Hauszinssteuern waren, erfolgte dies vor allem zu Lasten von Industrie- und Landwirtschaftsbetrieben. Das Argument, wegen hoher Steuern und Abgaben nicht konkurrenzfähig zu sein, gehörte daher zu einem Standardvorwurf der Wirtschaft gegen die Länder.159 Neben territorialen Verlusten, Einbußen an Produktionskapazitäten und Reparationsleistungen als außenpolitische Faktoren waren es aus Sicht der 157 Birgit Pollmann, Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft in Braunschweig 1896– 1930, in: Werner Pöls / Klaus Erich Pollmann (Hg.), Moderne Braunschweigische Geschichte, Hildesheim 1982, S. 189–199. 158 BAB R 43 II / 1371 Berufsstand Industriel, aus der Verbandszeitschrift sächsischer Industrieller, Nr. 20, 1933. 159 Deutlich wurde dieser Vorwurf im „Manifest der Wirtschaft“, einer gemeinsamen Erklärung der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft vom 29.9.1931, erhoben, in: Deutsche Wirtschaftszeitung, 28 (1931), Nr. 40, 1. 10.1931, S. 949ff. Insbesondere der Deutsche Industrie- und Handelstag appellierte an die Reichsregierung und die Länder, eine Reichsreform durchzusetzen, HStAD 10719 / 40018 Deutscher Industrie- und Handelstag, Berlin 12.12.1931.

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Unternehmer und Wirtschaftspolitiker auch die innenpolitischen Einflüsse, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigten. Die Revolution 1918/19 mit zahlreichen Produktionsausfällen, die Demobilmachung und staatliche Regulierungen im Zuge des sich entwickelnden Weimarer Sozialstaates zogen den Ruf nach einer Wiederherstellung der Entfaltungsmöglichkeiten freier Marktwirtschaft nach sich. Andere Probleme, unter denen die internationale Konkurrenzfähigkeit litt, blieben dabei auf der Strecke. So war in vielen Branchen die Umstellung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft nur unzureichend bewältigt worden. Eine Schuld an Missständen und Krisen ließ sich jedoch allzu leicht von der Unternehmensführung auf den Staat und seine Regelungskapazität übertragen.160 Um an das Wirtschaftswachstum der Vorkriegszeit wieder anknüpfen zu können, entstand aber spätestens im Zuge von Inflation und Währungsstabilisierung das Bedürfnis nach umfassenden betrieblichen und überbetrieblichen Rationalisierungsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang setzte sich seit den 1920er Jahren das Schlagwort Rationalisierung im öffentlichen Diskurs durch.161 Ziel und Gegenstand des Begriffes war zwar zeitlos gedacht ökonomisches Handeln. Mit dem Konzept Rationalisierung verbanden sich aber gleichzeitig konkrete Hoffnungen, die sowohl Unternehmer und Gewerkschafter als auch staatliche Institutionen und Verbände nach dem Ersten Weltkrieg in eine planmäßig und effizient gestaltete Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung setzten. Speziell für die Weimarer Bundesstaatsdebatte wurde die Vorstellung von Rationalisierung mit einem starken staatlichen Einfluss bedeutsam.162 Als ideologisch aufgeladene Gemeinwohlformel und mit dem Anstrich eines Gemeinschaftsprojektes versehen, wurde der Begriff daher gegen die traditionelle Länderstaatlichkeit und für ein einheitliches Reich geltend gemacht. 1928 nannte der württembergische Staatspräsident Bazille die seiner Meinung nach wichtigsten Quellen für ein zentralisierendes und vereinheitlichendes Staatsdenken: Die Entwicklungen in Technik und Verkehr hätten den Gedanken zweifellos nahe gelegt. Auch die irrtümliche Vorstellung der 160 BAB R 43 I / 2311 Rede des Vorsitzenden des Verbandes Sächsischer Industrieller auf der Märztagung des Verbandes. Bericht des Staatssekretärs in der Reichskanzlei Pünder, April 1932, Bl. 340–342. Ein Teil der durch den Krieg bedingten Strukturverschiebungen, insbesondere die Waffenproduktion, konnten im Übergang zur Friedenswirtschaft korrigiert werden. Der Anpassungsprozess reichte insgesamt jedoch bis in die schwierige Zeit der Weltwirtschaftskrise. Erst 1927 wurde im Durchschnitt der Vorkriegsstand der Industrieproduktion wieder erreicht, vgl. Pierenkemper, Gewerbe und Industrie, S. 36f. 161 Kleinschmidt, Technik und Wirtschaft, S. 32ff. 162 Borscheid, Die Tempomacher, S. 125–128.

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deutschen Wirtschaft, die das Reich als großen Fabrikbetrieb auffasse, führe dazu. Sodann suchten die Unitarier die wahren Quellen der Not zu verdecken und priesen als Rettungsmittel den deutschen Einheitsstaat.163

Industrielle und landwirtschaftliche Verbände Die Betonung der Vor- und Nachteile föderaler Perspektiven für die Wirtschaftsentwicklung hing im Einzelnen von den konkreten Interessenlagen industrieller und agrarischer Verbände ab.164 Preußische und nichtpreußische Industrielle, so hat Peter Ullmann die Konfliktlinien im Unternehmerlager vor 1918 beschrieben, standen sich dabei in den Verbänden der Schwerindustrie und der Fertigindustrie gegenüber. Letztere, seit 1895 im Bund der Industriellen zusammengeschlossen, waren dezentral organisiert. Ihr Verbandsföderalismus galt als wesentlich, zumal er mit dem Zentralismus der Schwerindustrie kontrastierte.165 Nach der Vereinigung zum Reichsverband deutscher Industrieller 1919 bestanden die Gegensätze im Unternehmerlager fort. Vor allem die klassische Schwerindustrie setzte weiterhin auf eine staatsinterventionistische Politik und einen mächtigen Nationalstaat. Die jüngeren Konsumgüterindustrien, Dienstleistungsbranchen und vor allem mittelständische Unternehmen vertraten dagegen eher autonomistische und dezentrale Positionen. Mit der Übernahme der Militärkontingente und der Eisenbahnen war das Reich auch zum wichtigen öffentlichen Auftraggeber geworden, was vor allem der „Industrie von Berlin und Umgegend“ zu Buche geschlagen wurde. So forderten sächsische Industrielle, die „Nichtbeachtung der besonderen Standortverhältnisse Sachsens durch hauptsächlich zentrale Maßnahmen“ der Reichspolitik 163 BHStAM MA 1943 / 103 280 Bayerische Gesandtschaft Stuttgart, 27.2.1928. 164 Anselm Doering-Manteuffel (Hg.), Strukturmerkmale der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, München 2006. In der Forschung steht der Begriff „Korporativismus“ für das im Kaiserreich ausgeprägte System der kollektiven Vertretung und staatlichen Moderierung von Interessen. Für das Spannungsfeld von Staat und Wirtschaft fehlen moderne politikgeschichtliche Analysen, ebenso ideen- und mentalitätsgeschichtliche Forschungen zu den historischen Akteuren in Verbänden und Verwaltung, vgl. zum Stand der Forschung Boch, Staat und Wirtschaft, S. 77–84. 165 Hans-Peter Ullmann, Interessenverbände in Deutschland, Frankfurt a. Main 1988, S.  81–89; Hans-Peter Ullmann, Der Bund der Industriellen. Organisation, Einfluß und Politik klein- und mittelbetrieblicher Industrieller im Deutschen Kaiserreich 1895–1914, Göttingen 1976. Zur Formierung der Industrieverbände und ihren deutlichen Interessenunterschieden vgl. auch Pierenkemper, Gewerbe und Industrie, S. 74– 87.

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zu korrigieren. Regionale Konjunkturentwicklungen und „ihre maßgebenden Faktoren“ der Nachkriegsordnung sollten stattdessen stärker gewichtet werden, damit der „Berliner Zentralismus“ nicht weiter zu einer „Entblutung der wichtigen Arbeitsgebiete an der Peripherie des Reiches“ führe.166 Unter der Führung Wilhelm Wittkes wurde insbesondere der Verband sächsischer Industrieller zum schärfsten Kritiker der Berliner Regierungen und der Weimarer Republik. Er galt als Vorreiter unter den industriellen Fachverbänden, die eine autoritäre Staatsführung anstrebten und die den sozialen Ausgleich im parlamentarisch-demokratischen Bundesstaat ablehnten. 1923 hatten die Aktivitäten sächsischer Industrieller maßgeblich zur Reichsintervention gegen die linksgerichtete Landesregierung Zeigner beigetragen. Mit ihrem Sturz aber waren die Probleme des Exportlandes Sachsens nicht gelöst. Die an Berlin adressierten Klagen richteten sich nun gegen die Kreditknappheit und hohe Transportkosten. Auch der Bezug teurer Ruhrkohle wurde als besonders nachteilig dargestellt, um mehr Rücksicht vom Reich zu verlangen. Das galt vor allem hinsichtlich des verlorenen Wettbewerbsvorteils als „Billigland“, da sich das niedrigere sächsische Lohnniveau im Zuge der Etablierung des sozialen Wohlfahrtsstaates und der Einführung zentraler Lohnschlichtung nach 1918 dem Rest des Reiches hatte anpassen müssen. Zwischen 1926 und 1928 erfasste die sächsische Wirtschaft zwar eine kurze Zwischenkonjunktur, danach verschlechterte sich die Lage jedoch wieder und weitete sich zu einer dramatischen Krise aus. Bereits Mitte des Jahres 1929 litt Sachsen unter der höchsten Arbeitslosenrate aller deutschen Regionen.167 Auch der Verband der mitteldeutschen Industrie sprach sich gegen einen „zentralistischen Unitarismus“ in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus: „Wenn man auch von vornherein ausscheiden kann“, hieß es in einer 1927 verbreiteten Grundsatzerklärung zu Reichsreformfragen, „dass politisch-partikularistische Ideen bei der Industrie Boden finden, so kann doch wohl gesagt werden, dass in vielen Teilen Deutschlands gegen eine Unitarisierung starke Bedenken laut geworden sind.“ Eine ausgewogene Wirtschaftspolitik dürfe demnach nicht nur die Reichsgewalt stärken, sondern müsse auch die „kultu166 BAB R 43 I / 2312 Verband sächsischer Industrieller, Dresden, Dezember 1932, Bl. 108; BAB R 43 I / 2312 Sachsen und seine besondere Lage im Reich. Untersuchung des Leiters des Statistischen Reichsamts Bramstedt. 167 Claus-Christian Szejnmann, Sächsische Unternehmer und die Weimarer Demokratie. Zur Rolle der sächsischen Unternehmer in der Zeit der Weltwirtschaftskrise und des Aufstiegs des Nationalsozialismus, in: Ulrich Hess u.a. (Hg.), Unternehmer in Sachsen. Aufstieg – Krise – Untergang – Neubeginn, Leipzig 1998, S. 165–192, hier S. 172f.

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rellen und wirtschaftlichen Besonderheiten der auch in ihrer wirtschaftlichen Struktur so außerordentlich verschiedenartigen Reichsgebiete“ berücksichtigen. Auch hier ging es insbesondere um die Eindämmung des nivellierenden Weimarer Wohlfahrts- und Sozialstaates und um eine Kurskorrektur der „Kriegswirtschaft und der von Planwirtschaftsideen stark beeinflussten Nachkriegsjahre“, in denen der Gedanke zentraler Wirtschaftsführung an Boden gewonnen hatte: „Es ist wie ein Axiom bei vielen geworden, dass die Wirtschaftsführung allein von der Reichsmetropole nach vorwiegend fachlichen Gesichtspunkten bestimmt werden muss.“ Demgegenüber wären die Beziehungen, die die Industrien mit der Region verknüpften, zurückgetreten.168 In ähnliche Richtung plädierte der Vorsitzende des Verbandes pfälzischer Industrieller Hermann L. Oehlert für eine „Abkehr von dem übertriebenen Nachkriegs-Zentralismus und ein stärkeres Herausarbeiten der Selbständigkeit der Länder“. Es sei „ungesund, wenn sich Wirtschaft und Wirtschaftsführung immer mehr in Berlin konzentriert, wo dann ein Kreis von Persönlichkeiten – besonders der großen wirtschaftlichen Konzerne – ihren Einfluss auf eine Reichsregierung ausüben kann, ohne genügend unter der in jedem Falle notwendigen Kontrolle des übrigen Teils der Wirtschaft zu stehen“. Für die an der Peripherie des Reiches gelegenen Länder wäre es besonders schwierig, ihren wirtschaftlichen Belangen entsprechenden Nachdruck zu verleihen, wenn sie zu Reichsprovinzen degradiert würden. Mit den westlichen preußischen Provinzen ließe sich die Pfalz „als eine Expositur Bayerns“ nicht vergleichen, da insbesondere die Rheinprovinz und Westfalen „durch das Schwergewicht ihrer Industrie auf alle Fälle entsprechenden Einfluss in Berlin“ haben würden, sie „außerdem infolge ihres grossen Volumens sich in Köln / Düsseldorf entsprechende Schwerpunkte schaffen“ könnten. Die Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre sah der Pfälzer Industrielle daher als eine einmalige Gelegenheit „um große Fehler, die bei der Umwälzung und dem Wiederaufbau der Jahre 1918/19 gemacht wurden,“ zu korrigieren und die Struktur des Reiches wieder mehr der bismarckschen Föderativverfassung zu nähern.169 Für die Landwirtschaft hat Gustavo Corni das Spannungsverhältnis von zentralen und regionalen Komponenten als ein Grundelement der deutschen Agrargeschichte seit 1871 beschrieben. Nach dem Ersten Weltkrieg drängten hier die zentrifugalen Tendenzen mit durchschlagender Kraft an die Oberfläche. Der 1921 gegründete Reichslandbund war keineswegs die Fortsetzung 168 Alle Zitate Demmer, Gegen den zentralistischen Unitarismus. Eine programmatische Rede auf der Mitgliederversammlung des Verbandes der deutschen Industrie, Weimar 1927. 169 BHStAM MA 1943 / 103 442 Pfalz, Südwestdeutschland 1928.

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des vorhergehenden Bunds der Landwirte unter anderem Namen, denn die Fähigkeit der preußischen Großagrarier zur Hegemonie und mit ihr die bestimmende zentralisierende Politik war unweigerlich dahin. Bis zu seiner Auflösung 1933 blieb der Reichslandbund eine Föderation von Landbünden, die auf ihre Autonomie bedacht waren, und die sich in erster Linie für die spezifischen Belange ihrer Region einsetzten. In der Agrarkrise 1928 bemühten sich die örtlichen Landbünde intensiv darum, dass die eigene Region ihren Anteil an den finanziellen Hilfen bekam, welche die Reichsregierung seit 1927 für die krisengeschüttelten Ostgebiete zu bewilligen begonnen hatte. Die Wiederherstellung des Agrarprotektionismus, für die sich der Reichslandbund einsetzte, wurde jedoch nicht reichsweit unterstützt. Insbesondere Agrarregionen, die sich auf die Tierhaltung spezialisiert hatten, wurden von den am Ende der Weimarer Republik durch Zoll- und Notverordnungsregelungen des Reiches hochgehaltenen Preisen für Roggen und Getreide schwer benachteiligt, und gerieten in einen „Verschuldungsboom“.170 Entsprechend hoch wurden aufgrund solcher Erfahrungen föderale Gestaltungsräume bewertet. Seit 1924 traten die Landbünde in einigen Ländern selbst zur Wahl an, wobei sie sich regionaler Bezeichnungen bedienten, etwa in Baden, in Hessen, Thüringen und in Württemberg.171 Insgesamt wirkten die in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre offenbarten Grenzen zentraler Regulierungsmöglichkeiten ernüchternd. Der Lehre, die man aus dieser Krise ziehen konnte, folgte eine Rückbesinnung auf „eine individualisierte, feinmaschige und dezentralisierte“ Wirtschaftsordnung und keine „neue zentralistische Welle“, wie sie „vom Kampffeld einer Reichsreform“ und der Notverordnungspraxis der Weimarer Präsidialregierungen auszugehen drohte.172 Die 1931 ausgelöste Bankenkrise, die Regionalbanken 170 Wolfgang Günther, Freistaat und Land Oldenburg (1918–1946), in: Albrecht Eckhardt / Heinrich Schmidt (Hg.), Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch, Oldenburg 1987, S. 429. 171 Der Reichslandbund wuchs auf bis zu zwei Millionen Mitglieder an, das waren allein sechsmal mehr als der kapillar organisierte „Bund der Landwirte“, vgl. Gustavo Corni, Zentralismus und Lokalismus in der deutschen Landwirtschaft, in: Janz u.a. (Hg.), Zentralismus und Föderalismus (2000), S. 206–213; Stephanie Merkenich, Grüne Front gegen Weimar. Reichslandbund und agrarischer Lobbyismus, 1918–1933, Düsseldorf 1998. 172 BHStAM MA 1943 / 103 321 Bericht über die Kundgebung führender sächsischer Beamten-, Kultur- und Wirtschaftsverbände am 29.04.1932, in der Anlage Veröffentlichung des Verbandes Sächsischer Industrieller, Heft Nr. 66. Beteiligt waren der sächsische Ministerpräsident Schieck, der Verband sächsischer Industrieller, der Sächsische Landbund, die sächsischen Arbeitgeberverbände, das sächsische Hand-

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offenbar besser überstanden als die Berliner Großbanken, galt geradezu als Paradebeispiel für eine die Wirtschaft schädigende zentrale Interventionspolitik: Vor einer „Sanierung des Zentralismus im Bankgewerbe“ mit Hilfe der Reichsbank warnten sächsische Politiker und Unternehmer, da dieser „Weg über Wirtschaftsleichen“ führe.173 Im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurde vor allem der Begriff Rationalisierung und damit ein wichtiges Leitbild einheitsstaatlicher Konzepte desavouiert. Betriebswirtschaftlich gesehen waren die seit den 1920er Jahren eingeleiteten technischen Rationalisierungsmaßnahmen zwar durchaus erfolgreich. Aus makroökonomischer Sicht jedoch wurden Rationalisierungsmaßnahmen für die mit ihnen verbundenen brach liegenden Kapazitäten und damit für die krisenhaften Entwicklungen am Ende der Weimarer Republik verantwortlich gemacht. Zunehmend prägte nun der Begriff der „Fehlrationalisierung“ den öffentlichen Diskurs, und die Sympathien für zentrale Strukturen wurden deutlich geschmälert.174 Abneigungen gegen den Einheitsstaat wurden auch aus dem anerkannten Zusammenhang von Wirtschaft und politischer Kultur abgeleitet. Den Bund zur Erneuerung des Reiches, der seit den 1930er Jahren autoritäre Reformpläne verfolgte, bezeichneten entschiedene Föderalisten als „eine schwerindustrielle Organisation zur Verpreußung des Reiches“.175 Aufgrund der revolutionären Erfahrungen und der verbreiteten Angst vor einem bolschewistischen Umsturz wurde das föderale Grundmuster der Republik noch einmal hochgehalten: Durch eine übermäßige wirtschaftliche und politische Zentralisation würden auf der einen Seite vor allem die Großbanken und die Schwerindustrie zu einer unheilvollen Machtstellung im Reiche gelangen, während auf der anderen Seite der Einfluss der radikalen Parteien noch werk, der Einzelhandel, der Kleinhandel, die Kaufmannschaft, der Anwaltsverein, Verbände der Staatsbeamten, die kommunalen Verbände, kirchliche und kulturelle Vereinigungen. 173 Ebenda. Das gesetzgeberische Resultat der weit reichenden Debatte einer Reform und Umgestaltung des deutschen Bankensektors 1934 legte die Grundlagen für seine spätere Entwicklung nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch in der Bundesrepublik. Wirtschaftshistoriker haben in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es sich bei der Schwächung zentralisierter Großbanken zugunsten kommunaler Sparkassen in der Folge der Weltwirtschaftskrise um ein europaweites Phänomen handelte, das eigenen ökonomischen Mechanismen entsprach und daher nur sehr begrenzt auf politische Kursentscheidungen zurückzuführen ist, vgl. James, Strukturwandel in Kriegs- und Krisenzeiten, S. 186–189. 174 Pierenkemper, Gewerbe und Industrie, S. 43f. 175 Vom Dritten Reich, Jg. 3, Nr. 21, 8.11.1928, S. 1.

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größer werden würde.176 Der Staat dürfe der Wirtschaft zwar nicht freien Lauf lassen, aber sich auch nicht in das andere Extrem drängen lassen, „das über die Vertrustung zur Verreichlichung (Politisierung!) und schließlich zur Bolschewisierung und damit zur Vernichtung der Selbständigkeit aller wichtigen wirtschaftlichen Unternehmungen führen muss.“177 Den Vorzug erhielt dementsprechend ein Reich, dessen Stabilität in dezentralen Strukturen verankert wurde. Die Bestandteile seiner institutionellen Ordnung, die Wirtschaftsliberalen vor Augen standen, wenn sie sich mit dem Weimarer Bundesstaat auseinandersetzten, waren aber vornehmlich nicht die Länder, sondern die Gemeinden, Städte, Provinzen oder Regionen.

Reichswirtschaftsrat und Wirtschaftsprovinzen In der Bundesstaatsdebatte erwies sich vor allem der Gedanke von Wirtschaftsprovinzen als tragfähig, da er sich konkret mit der Einrichtung des vorläufigen Reichswirtschaftsrates und zu schaffender Bezirkswirtschaftsräte verbinden ließ. Im entsprechenden Artikel 165 der Weimarer Verfassung war auf diese Weise der Rätegedanke berücksichtigt worden, jedoch auf die Wirtschaft abgelenkt und damit seiner ursprünglichen politischen Tragweite entkleidet.178 Selbstbewusst agierende Unternehmer leiteten daraus ambitionierte ordnungspolitische Ansprüche gegenüber Regierungen, Parlamenten und der Verwaltung ab. Deren Umsetzung hätte einerseits eine Aushöhlung der Ländergewalt bedeutet. Andererseits schwebte ihnen das Ziel vor, wirtschaftliche Einflussfaktoren vom Reich auf die Regionen zu verlagern. Das Interesse der Öffentlichkeit wandte sich in erster Linie der Auseinandersetzung um die künftigen Grenzen der Wirtschaftsbezirke zu und nicht der zumindest gleich bedeutenden Frage ihrer Zuständigkeiten. Kontroverse Diskussionen gab es um den Einfluss, der den regionalen Interessenvertretungen, vor allem den kleinen und mittleren Industrie- und Handelskammern, gegenüber den reichs176 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft, München 1.10.1928, Entwurf, S. 1. 177 BHStAM MA 1943 / 103 288 Bayerisches Staatsministerium des Äußern an die bayerische Gesandtschaft Berlin, Abdruck, 5.8.1931, darin auch die Beiträge Erich Weitzenegger, Wirtschaft und Weltanschauung sowie Ludwig Alpers, Wirtschaft schläfst du?, in: Vom Dritten Reich. Halbmonatsschrift für die Neugliederung Deutschlands. Deutsche föderalistische Korrespondenz, Jg. 3, Nr. 21, Hannover 8.11.1928. 178 Cora Berliner, Die Aufgaben der Bezirkswirtschaftsräte, in: Recht und Wirtschaft, 10. Jg. (1921), Heft 4, S. 72f.; Willibalt Apelt, Vom Bundesstaat zum Regionalstaat. Betrachtungen zum endgültigen Reichswirtschaftsrat, Berlin 1927, S. 6.

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weit agierenden Fachverbänden künftig zugestanden werden sollte. In die Pflicht genommen, den von der Reichsverfassung unreflektiert vorgegebenen Begriff von Wirtschaftsgebieten zu füllen, entzündeten sich die Debatten erneut an der Zuordnung jener Gebiete, deren politische Neugliederung ohnehin sehr umstritten war: die Hansestädte, Mitteldeutschland, Niedersachsen, das Rheinland und Westfalen.179Ansässige Unternehmerorganisationen konkurrierten miteinander um eigene Bezirke. Auf niedersächsischer Seite war in diesem Zusammenhang die temperamentvolle Rede vom „Ruhr-Imperialismus“.180 Die Provinz Sachsen und die Länder Anhalt und Thüringen umfasste seit 1921 der Wirtschaftsverband Mitteldeutschland, der ursprünglich auch die Länder Braunschweig und Sachsen einbeziehen sollte. Unter der Leitung des Landbundvorsitzenden und Mitgliedes des sächsischen Provinziallandtages Tilo von Wilmowsky wuchs er in den 1920er Jahren zu einer einflussreichen Organisation heran, die ab 1928 auch alle größeren Vereine, Verbände und Kammern des Bezirkes Leipzig umfasste.181 Neben dem Einsatz für Absatzund Finanzfragen sowie in sozialen Aspekten engagierte sich der Verband besonders für eine Territorial- und Verwaltungsreform.182 1928 übernahm Wilmowsky den stellvertretenden Vorsitz im Bund zur Erneuerung des Reiches, wo er seinen Reichsreformvorstellungen, insbesondere der Vereinigung Anhalts mit der Provinz Sachsen, Nachdruck verlieh. Die sächsische Provinzialregierung hatte demgegenüber 1925 nach dem Beispiel des Ruhrgebietes einen „Landesplanungsverband für den engeren mitteldeutschen Industriebezirk“ eingerichtet. Er sollte regulierend und raumordnend in die Ballungsgebiete wirken und galt bald als Modell für eine regionale Strukturplanung, die den weiteren industriellen Aufschluss eines Gebietes über die Landesgrenzen hinweg förderte.183 Dort wo die industrielle Entwicklung und Migration die Verankerung der Bevölkerung in der Region nicht aufgelöst hatte und die Landwirtschaft in ihrer strukturellen Bedeutung nicht an den Rand gedrängt war, konnten sich 179 Erwin Scheu, Deutschlands Wirtschaftsprovinzen und Wirtschaftsbezirke, Berlin 1928; Neumann, Politischer Regionalismus, S. 375ff. 180 Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung, S. 159. 181 Schwierigkeiten, die Ausdruck eines Kampfes um Führungspositionen waren, gab es mit Magdeburgs Wirtschaftskreisen, die Sonderinteressen verfolgten und einen eigenen Verband installierten. Tilo Freiherr von Wilmowsky, Rückblickend möchte ich sagen, Oldenburg / Hamburg 1961. 182 Walter Hoffmann, Der mitteldeutsche Wirtschaftsbezirk, Halle 1922; ders. (Hg.), Mitteldeutschland, das neue Wirtschaftszentrum, Berlin 1926. 183 Roswitha Berndt, Das Territorium Sachsen-Anhalt in der Weimarer Republik, in: Geschichte Sachsen-Anhalts, Bd. 3, Berlin 1994, S. 116f.

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wirtschaftliche Raumplanungen auch auf ethnische Argumentationen und Stammes-Konstruktionen berufen. Die Konstruktion eines Wirtschaftsgebietes erhielt gerade durch die Übereinstimmung zu grundlegend sozialen und kulturellen, im landschaftlichen Rahmen angesiedelten Bindungen eine besondere Glaubwürdigkeit, die sie für Unternehmer und Arbeiterschaft gleichermaßen akzeptabel machte wie für den Wissenschafts- und Kulturbereich. Jedoch wurden diese Aspekte hintangestellt, wo sie mit industriellen und gewerblichen Interessen nicht in Einklang zu bringen waren. Landwirtschaft und Handwerk, die stärker auf den regionalen Markt orientiert blieben, waren dabei weit eher geneigt, an landschaftlichen und politischen Traditionen festzuhalten. Jedoch führten die vielfach zu Tage tretenden Schwierigkeiten, ökonomisch sinnvolle Territorien abzugrenzen, relativ schnell zu der Einsicht, dass feste Grenzen der räumlichen Dynamik von Bevölkerung und Wirtschaft kaum Rechnung trugen und je älter desto mehr in dieser Hinsicht wieder überholt sein würden. Homogenitätskriterien für einen Wirtschaftsraum zu finden, blieb eine ungelöste Aufgabe. Gleiches traf auf die Auslegung regionaler Eigenarten zu. Gebietsgröße beispielsweise mochte ein wirtschaftsförderlicher Faktor sein, hinreichend für die wirtschaftliche Prosperität und finanzielle Stabilität war er mit Sicherheit nicht, wie Vergleiche zwischen dem kleinen, industriell aufstrebenden Anhalt und dem größeren Bayern zeigten. Die Entwicklung von Regionen war zudem von der Konjunktur abhängig. Hatten vor der Wirtschafts- und Staatskrise vor allem die agrarisch strukturierten Länder Schwierigkeiten, ihre Eigenständigkeit zu finanzieren, wurde dies 1930 auch zu einem Dauerproblem für die Länder mit ausgeprägten Industrieregionen. In der Diskussion um einen künftigen Regionalstaat dominierte schließlich die vage Hoffnung, dass sich Provinzen bzw. Länder und Wirtschaftsgebiete irgendwie angleichen würden.184

3.4. Das Reich als vernetztes Städtesystem – Ordnungsvorstellungen kommunaler Verbände Traditionell bildeten die Kommunen dezentrale politische Orte des Reiches. Ihre Einbindung in neue Verkehrs- und Kommunikationsnetze, steigende Einwohnerzahlen, die Erweiterung des Pendlereinzugsbereichs sowie die Entdeckung des Freizeitwertes der Umgebung und seine planmäßige Vermarktung führten zu einer Ausdehnung der Städte ins Umland. Durch städtische Agglo184 Apelt, Vom Bundesstaat zum Regionalstaat (1927) und Haubold Wilhelm, Reichswirtschaftsrat und Reichsreform, Berlin 1933.

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merationen wie Hamburg-Altona, Frankfurt-Offenbach oder Mannheim-Ludwigshafen verliefen die alten Ländergrenzen aus dem 19. Jahrhundert, die als Problem städtischer Planung wahrgenommen wurden. Für Kommunalpolitiker gab es daher ausreichend Gründe, sich in der Reichsreformdebatte zu Wort zu melden.185 Was Jürgen Reulecke in seinem Überblick der deutschen Stadtgeschichte vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Sammelbegriff Urbanisierung bezeichnet hat, war ein höchst komplexer Vorgang. Seine Antriebskräfte in der Industrialisierungsphase speisten sich jedoch im Wesentlichen aus zwei Wurzeln: aus der im Gefolge der Mobilisierungs- und Emanzipationsprozesse vollzogenen Öffnung der bis dahin weithin abgeschlossenen Verfassungen der Städte und aus der von der Industrie rasant vorwärts getriebenen Verstädterung. Der Begriff der Emanzipation steht in diesem Kontext nicht nur für die entsprechenden Bestrebungen des Bürgertums und später des Proletariats, sondern auch für eine zunehmende Emanzipation von der Raumgebundenheit. In der Durchbruchsphase der Urbanisierung wichen traditionelle zentripetale Merkmale der Stadt einem nunmehr zentrifugalen Charakter. Das betraf nicht nur die Binnenwanderungsströme, sondern vor allem auch die hervortretenden wirtschaftlichen und kulturellen Leitbildfunktionen der Städte für die Gesamtgesellschaft.186 Bereits Goethe hatte in seinen Gesprächen mit Eckermann über die kulturelle Bedeutung der Städte nachgedacht: „Wodurch ist Deutschland groß als durch eine bewunderungswürdige Volkskultur, die alle Teile des Reiches gleichmäßig durchdrungen hat. Sind es aber nicht die einzelnen Fürstensitze, von denen sie ausgeht und welche ihre Träger und Pfleger sind? – Gesetzt wir hätten in Deutschland seit Jahrhunderten nur die beiden Residenzstädte Wien und Berlin oder gar nur eine, da möchte ich doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stände, ja auch um einen überall verbreiteten Wohlstand der mit der Kultur Hand in Hand geht.“187 Die Stadt war auch ein Lieblingsthema der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert. In seinem posthum publizierten Text „Die Stadt“ hatte Max 185 Weitere Beispiele sind Wesermünde-Bremerhaven oder Ulm-Neuulm, vgl. Friedrich Walter, Schicksal einer deutschen Stadt. Geschichte Mannheims 1907–1945, Bd. II 1925–1945, Frankfurt a. Main 1950, S. 9–21 und S. 85f. 186 Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, 3. Aufl., Frankfurt a. Main 1992, S. 147ff. Reulecke folgend Hans Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, München 1995, S. 450f. 187 Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, München 1984, S. 605f. (23.10.1828)

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Weber eine vorläufige Synthese seiner Studien über die Besonderheit der europäischen Entwicklung seit der Antike vorgelegt.188 Der italienischen Geschichte galt eine besondere Aufmerksamkeit. In hoher Zahl lagen vielbändige, aus den Quellen erarbeitete Stadtgeschichten Nord- und Mittelitaliens vor. Ihre Autoren galten als Anwälte des italienischen Munizipalismus und Lokalismus und standen im 19. Jahrhundert auf den Barrikaden gegen die Entstehung eines risorgimentalen Einheitsstaates. In ihren Beiträgen fanden sich Passagen über die kleinstaatliche Verfassung, die Freiheit garantieren und die daher die Machtvorteile des Großstaates aufwiegen würde. Der Schriftsteller Hermann Hesse, der die italienischen Städte vor dem Ersten Weltkrieg kennenlernte, schrieb von den Glücksgefühlen, die ihn bei der Entdeckung norditalienischer Städte überkamen.189 Seit Aristoteles galt nicht der imperiale Großstaat, sondern der überschaubare Stadtstaat als das normative Urbild einer menschengerechten Politik. Auch Jacob Burckhardt erwähnte den Stadtstaat der alten Griechen in seinem positiven Urteil über den Kleinstaat.190 Vor 1918 hatte auch Hugo Preuß dafür geworben, dass die bürgerliche Gesellschaft von der kommunalen Ebene aus den alten Obrigkeitsstaat überwinden und über die Selbstregierung der Gemeinden zu einer neuen politisch-demokratischen Ordnung finden sollte.191 Die Reichsreformdebatte spiegelte diese historischen Verarbeitungen wieder. So wurden im Vorfeld der Landesgründung 1920 die thüringischen Staaten „ähnlich wie die des griechischen Altertums“ als eine Art Stadtstaatengebilde bezeichnet. Die Pflege von Kunst und Wissenschaft, die Verbreitung von Bildung und die daraus erwachsenen Verdienste Thüringens um die deutsche und um die Weltkultur wurden ausdrücklich der Polyzentralität dieses Raumes und seiner Kulturzentren in den thüringischen Hauptstädten zugeschrieben. Eine unitarische Lösung der Einigung Thüringens wurde daher abgelehnt und ein Staatenverband angestrebt, in dem die Einzelstaaten „unter einer gemeinsamen Regierung, Verwaltung und Volksvertretung so lose, als dies ohne Ver-

188 Max Weber, Die Stadt, Tübingen 2000. 189 Jens Petersen, Italien in seiner Vielfalt – Das Prinzip der Stadt als Erklärungsmodell der Nationalgeschichte, in: Janz u.a. (Hg.), Zentralismus und Föderalismus (2000), S. 250. 190 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen. Über geschichtliches Studium. Historische Fragmente, Leipzig 1985, S. 45; 1928 schilderte der französische Sozialhistoriker Gustave Glotz die Vorteile dieses kleinräumigen Gemeinwesens, Gustave Glotz, La cité greque, Paris 1928, insbesondere S. 33f. 191 Die bereits erwähnte Habilitationsschrift von Preuß, Gemeinde, Staat und Reich als Gebietskörperschaften (1889).

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eitelung des angestrebten Ziels möglich“ sei, zusammengefasst werden sollten.192 Auf den Städten lagen zudem erhebliche Hoffnungen für eine Stabilisierung des Reiches, das mit den Folgen der Kriegsniederlage konfrontiert war: „Weil es heute um Sein oder Nichtsein des Deutschen Volkes geht, weil es gilt, diese Zeit der Not zu überwinden, gerade darum haben die deutschen Städte die selbstverständliche Pflicht, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leistungen von höchster Vollkommenheit zu entwickeln. Beruht doch vornehmlich auf den Leistungen der Städte auch die Zukunft der deutschen Wirtschaft und damit die Wohlfahrt des ganzen Volkes.“193 In der Retrospektive galten die Jahrzehnte seit 1890 Weimarer Kommunalpolitikern geradezu als Glanzzeit des deutschen Städtewesens. Für den Ersten Weltkrieg fällt das in Stadtgeschichten und Autobiographien gefällte Urteil ebenso eindeutig aus: Den Städten wurde ein entscheidender Anteil für eine lange Aufrechterhaltung der Heimatfront zugeschrieben. Das noch in Friedenszeiten ausgebildete Instrumentarium der Daseinsfürsorge und eine leistungsfähige kommunale Selbstverwaltung bildeten die Grundlagen für eine von Stadt zu Stadt zwar unterschiedliche, aber durchweg gelungene Bewältigung der Kriegsfolgen für die Bevölkerung. Dass Städte wie Hamburg und Frankfurt nicht selten in eine sie behindernde territoriale Struktur eingebunden waren, verursachte daher ausreichend Kritik an der föderalen Ordnung. Historische Ländergrenzen wurden dementsprechend als nachteilig für die Leistungsfähigkeit des ganzen Reiches angesehen. Hauptsächlich aber führten die vielfältigen Kriegsfolgekosten, die Konsequenzen der Erzberger‘schen Finanzreform 1919 für die Kommunen und die Inflation 1923 zu einer Krise städtischer Selbstverwaltung. Diese Krise trug mehr als die Einbindung des Städtesystems in die Länderstruktur dazu bei, dass die Gestaltungsmöglichkeiten kommunaler Gremien und Institutionen eingeengt wurden, in die Prozesse von Urbanisierung und Verstädterung weitsichtig und planend einzugreifen. Eine reichsorientierte und staatsinterventionistische Politik beraubte die Städte wichtiger Instrumente, die bis dahin die Grundlage einer eigenständigen Politik gebildet hatten. Detaillierte Ausführungsbestimmungen reichsgesetzlicher Regelungen und strenge Kontrollen stellten sie zunehmend in den Rang von Exekutivbehörden des Reichs.194 Die Reichs192 Kurt Hoßfeld, Einigung Thüringens. Grundlagen und Vorschläge, Gotha 1918, S. 18. 193 Grundfragen der kommunalen Neugliederung. Denkschrift des preußischen Städtetages 1929, 2. Aufl., Berlin 1929, S. 32. 194 Die Entwicklung aus Sicht des Deutschen Städtetages zusammenfassend Oskar Mulert, Reichspolitik und Städte, in: Der Deutsche Städtetag 1927, S. 37–67 und ders.,

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finanzreform 1919/20 nahm den Städten die finanzielle Basis ihrer Selbstregierung. Künftig waren sie von Finanzüberweisungen des Reiches und der Länder abhängig, wobei die Gemeinden wiederholt klagten, „als die staatsrechtlich Schwächsten zuerst auf der Strecken (zu) bleiben“.195 Im Gegenzug wurde davor gewarnt, das „Danaidenfaß der Gemeindefinanzen aufzufüllen“.196 Der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer sah die städtische Entwicklung daher in den 1920er Jahren an einem Punkt angelangt, an dem sich entscheiden müsse, „ob die Selbstverwaltungskörper lebende Organismen bleiben sollen, oder ob sie zu erstarrten Unterverwaltungsinstanzen herabsinken“ würden.197 Die Äußerungen des Mannheimer Oberbürgermeisters Heimerich fielen nicht weniger dramatisch aus: „Die Städte sind gewissermaßen eingeklemmt zwischen dem Reich und dem Land, zu dessen Territorium sie gehören, und sind zugleich das Opfer der mannigfachen Reibungen geworden, die die Neugestaltung der Beziehungen zwischen Reich und Ländern mit sich gebracht hat.“ Der Weimarer Bundesstaat habe sich in zwei Richtungen auf die Gemeinden ausgewirkt. Sie hätten ihre finanzielle Selbstständigkeit in weitem Umfang verloren; seien zu „Kostgängern des Reiches und der Länder“ geworden, und nach dem Motto, „daß, wer bezahlt, auch anzuschaffen hat“, wären ihnen immer weitergehende Bindungen auferlegt worden. Des Weiteren habe der Aufbau eines Verwaltungsapparates des Reiches dazu geführt, dass ursprünglich elementare Gemeindeaufgaben auf das Reich übergingen. Setzten sich die Regulierungs- und Aufsichtsbestrebungen des Reiches wie bei der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegen die Gemeinden weiter fort, so bliebe nur noch die Frage, „wann der Moment gekommen sein wird, in dem man die mit schönen Worten auch heute noch so viel gefeierte Selbstverwaltung zu Grabe trägt und nach dem Beispiel romanischer Länder ein Präfektursystem an ihre Stelle“ setzte.198 Niedergang und Wandel kommunaler Selbstverwaltung sind eine relativ intensiv untersuchte Facette der deutschen Stadt- und Urbanisierungsge-

195 196 197 198

Reichsaufbau und Selbstverwaltung, in: Jahresversammlung des Deutschen Städtetages in Breslau 1928, Berlin 1928, S. 21–45. Hier liegt im Übrigen einer der Gründe dafür, dass die Nationalsozialisten die traditionelle Selbstverwaltung fast unwidersprochen für tot erklären konnten, vgl. Reulecke, Geschichte der Urbanisierung, S. 153. Mulert, Reichsaufbau und Selbstverwaltung, S. 30. Zit. nach Mulert, Reichspolitik und Städte, S. 41. Stenographischer Bericht, in: Der Deutsche Städtetag (1927), S. 81. Hermann Heimerich, Lebenserinnerungen eines Mannheimer Oberbürgermeisters, Stuttgart 1981, S. 72.

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schichte im frühen 20. Jahrhundert. Der Grundtenor lautet, dass die bürgerliche Gesellschaft, die der Stadt entstammte, im Zuge ihres Aufstieges die wirtschaftliche und kulturelle Autonomie der Städte zugunsten nationaler Institutionen destruierte.199 Die Beteiligung kommunaler Politiker und ihrer Verbände an der Reichsreformdiskussion stellt sich daher in erster Linie als Problem der Selbstbehauptung und Verteidigung städtischen Handlungsspielraums dar. Sie hatten sich damit auseinanderzusetzen, „daß das Lob auf die Selbstverwaltung, das von vielen Seiten immer gesungen“ wurde, in der politischen Praxis einer weitgehenden Einschränkung städtischer Selbstregierung gegenüberstand.200 Eine Untersuchung kommunaler Positionen, die in eigenständigen Reichsreformplänen von Städten und engagierten Kundgebungen ihrer Spitzenverbände artikuliert wurden, verdeutlicht zunächst, dass Lokalität und Regionalität nicht unbedingt in einem unversöhnlichen Gegensatz zur Zentrale vorgestellt wurden. Hugo Preuß hatte dem künftigen Deutschland zugedacht, nicht mehr länger auf eine fortgesetzte „Stärkung der Staatsgewalt“ zu setzen, sondern die „politische Erziehung eines unpolitischen Volkes“ in Angriff zu nehmen, das seine Regierung selbst in die Hand nahm. Zu diesem Zweck sollte die „organisierte Volksgemeinschaft“ zum „körperschaftlichen Volksstaat“ werden und mit einer „Wiederbelebung der Städtefreiheit“ beginnen.201 Blieben in Preußen nach den Steinschen Reformen kommunale Selbstverwaltung und staatliche Verwaltung streng voneinander getrennt, so wollte Preuß’ eine „einheitliche genossenschaftliche Organisation von unten herauf“. Sie sollte „eine äußerste Erweckung des Gemeingeistes durch die Teilnahme des Volkes am öffentlichen Leben, der Regierten an der Regierung“ gewährleisten und die teilnehmenden Bürger aus dem engeren Kreis kommunaler Erfahrung Schritt für Schritt bis an die großen Dinge der Politik heranführen.202 Preuß’ Vorstellungen enthielten nicht nur das Projekt einer Vereinheitlichung des Kommunalrechts, das bis in die preußischen Provinzen hinein zersplittert war, sondern auch die Bildung kommunaler Gebietskörperschaften mit einer begrenzten Autonomie. Die Republik als vollkommenes Gebilde eines Selfgovernment etwa nach englischem Muster, in dem sich local und 199 Reulecke, Geschichte der Urbanisierung, S. 152f. 200 So der Nürnberger Oberbürgermeister Luppe-Nürnberg im Namen der DDP-Fraktion des Deutschen Städtetages, Stenographischer Bericht, in: Der Deutsche Städtetag 1927, S. 86. 201 Hugo Preuß, Das deutsche Volk und die Politik, 9.-13. Tsd., Berlin 1919, S. 70ff. und 90ff. 202 Ders., Die Entwicklung des deutschen Städtewesens, Leipzig 1906, S. 278.

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central government widerspruchsfrei ineinander fügen würden, war eine Vision, die in dieser Konsequenz kaum jemals dargestellt worden war und die in der Realität auf die Problematik der Länderstaatlichkeit stieß. Das Ansinnen, einen „örtlichen, leistungsfähigen Unterbau für das Reichsganze“ zu schaffen, lief unweigerlich darauf hinaus, die lokale Selbstverwaltung und die Reichsgewalt zu Lasten der Länder zu stärken. Die seit 1921 diskutierte Reichsstädteordnung folgte dem unmittelbaren Bedürfnis der Gemeinden nach einer klaren Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten gegenüber dem Reich und den Ländern. Ein einheitliches Städterecht sollte der Selbstverwaltung der Gemeinden, ihren Aufgaben und Finanzhaushalten wieder eine sichere Fundierung bieten.203 Die Proklamation der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages 1927 für eine weitgehende Dezentralisation der Verwaltung und eine unmittelbare Verbindung der Gemeinden zum Reich galten als folgerichtiger Schritt auf diesem Weg.204 Sein Präsident Oskar Mulert erklärte dazu: „Je stärker sich Reichsregierung und Reichstag übertriebenen Zentralisationstendenzen widersetzen, desto stärker wird in allen Teilen des Volkes der Reichsgedanke. Vereinheitlichung ist nur dann ein Fortschritt, wenn sie gleichzeitig getragen wird von weitgehender Dezentralisation. (Sehr richtig!) Je größer die Gebiete sind, für die einheitliche Rechtsnormen aufgestellt werden, desto größer die Gefahr der Schematisierung! Die Vereinheitlichung der Grundlagen und Grundsätze darf den berechtigten örtlichen Besonderheiten nicht Gewalt antun wollen. Pflege des Gemeinschaftslebens in örtlicher Zusammenarbeit ist alte deutsche Wesensart. Die Kulturmittelpunkte, die wir in unseren deutschen Städten besitzen, sind Kraftquellen deutschen Geistes- und Wirtschaftslebens und zugleich die stärksten Pfeiler der deutschen Einheit.“205 Mulert forderte die Einrichtung eines kommunalen Ausschusses im Reichstag, eine Kommunalabteilung im Innenministerium und eine Beteiligung im Reichswirtschaftsrat, um den Einfluss des Städtetags auf Reichsebene zu sichern.206 Im Jahr darauf erneuerte der Verband in Breslau sein Bekenntnis zum dezentralisierten Einheits- und Selbstverwaltungsstaat. Der Weg dorthin sollte „klar und planvoll weiter gegangen werden“. Dabei müssten jedoch „die regionalen Interessen ausreichend berücksichtigt werden“, insbesondere sei „die Selbständigkeit und Beweglichkeit der gemeindlichen Selbstverwaltung zu 203 Reichsstädteordnung. Entwurf und Begründung, Berlin 1930, S. 17–21. 204 Entschließung zum Verhandlungsthema „Reichspolitik und Städte“, in: Der Deutsche Städtetag 1927, S. 111f., hier S. 111. 205 Mulert, Reichspolitik und Städte, S. 52. 206 Ebenda.

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stärken“, da sie „den Unterbau des Reichs und der Länder“ bildeten. Mit der Verabschiedung einer Reichsstädteordnung wollte man das Fundament für die künftige Staatsformung sichern: „Nur auf Gebietskörperschaften, die nach Größe und Leistungsfähigkeit ihren Aufgaben gewachsen sind, kann sich ein einheitlicher Reichsaufbau gründen.“207 An der Leistungsfähigkeit und Bedeutung der Städte ausgerichtete Modelle für eine Neugliederung des Deutschen Reiches existierten seit Mitte der 1920er Jahre. Danach sollten Großstädte mit angrenzenden Landkreisen neue Räume bilden. Es ist nahe liegend, dass der Einheitsstaatsgedanke von den Städten kaum aufgegriffen wurde, um die ihnen verbliebene Selbstständigkeit noch weiter zu beeinträchtigen. Ganz im Gegenteil, die Städte wollten wichtige Kompetenzen, die bisher den Länderregierungen zustanden, übernehmen: „Sie werden also, wenn einmal der Einheitsstaat marschiert und die Ländergrenzen fallen unter der Devise ‚Selbstverwaltung‘ Rechte für sich in Anspruch nehmen … eine Regierungsgewalt darstellen, die unter Umständen stärker ist als die Gewalt der heutigen Länderregierungen.“208 In diesem Licht zielte das städtische Votum für den Einheitsstaat darauf, Kompetenzverschiebungen und eine innerpolitische Flurbereinigung nach rein kommunalpolitischen Gesichtspunkten zu erreichen. Unter dem Leitgedanken des Unitarismus wurde nichts anderes erstrebt als die Ablösung des Länderföderalismus durch eine Art föderalen Munizipalismus. Die künftigen Grenzen sollten so verlaufen, dass die neuen Stadt-Staaten-Gebilde eine große innere Geschlossenheit und Tragfähigkeit besaßen. Auf diese Weise sollte einer schrittweisen Aushöhlung durch die Reichsgewalt vorgebeugt werden.209 In Reminiszenzen an die Vergangenheit wurde zwar eingeräumt, „daß sich die Städte unter der Länderzuständigkeit glücklicher und besser entwickelt“ hätten als in der Gegenwart, „wo sie gewissermaßen zwei Herren zu dienen haben und noch dazu zwei Herren, die in so vielen Punkten miteinander uneinig sind“. Jedoch galt „eine Rückwärtsentwicklung zum Land unter Ein207 Entschließung zum Verhandlungsthema „Reichsaufbau und Selbstverwaltung“, in: Jahresversammlung des Deutschen Städtetages in Breslau (1928), S. 94ff. Die Opposition gegen die Reichsreformpläne des Deutschen Städtetages gruppierte sich um die Kommunalpolitiker der BVP und der DNVP. So verwies der Regensburger Oberbürgermeister Hipp auf den unpräzisen Einheitsstaatsgedanken, dessen Anhänger sich für die Zukunft vor allem in einem einig wären: „der Negation der Selbständigkeit der Länder“, Stenographischer Bericht, in: ebenda, S. 66–69, zit. S. 68. 208 Zur Magdeburger Städtetagung und Einheitsstaat, in: Augsburger Postzeitung, 25.10.1927. 209 Grundfragen der kommunalen Neugliederung. Denkschrift des preußischen Städtetages, 2. Aufl., Berlin 1929.

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schränkung der Reichszuständigkeiten“ als anachronistisch. Wie im Mittelalter sollten die Städte stattdessen „gegen die Territorialherren“ zum Träger des deutschen Einheitsgedankens werden und damit ihre vermeintlich historische Aufgabe vollenden.210 Bei den Länderregierungen stießen diese Vorstellungen verständlicherweise auf wenig Gegenliebe. Insbesondere der bayerische Ministerpräsident Held hielt die Vorstellungen des Deutschen Städtebundes für unverträglich mit dem bayerischen Verständnis eines Föderalismus, auf den die Seydelsche Tradition nachwirkte. Er lehnte sie als „willkommene Unterstützung der nach dem Einheitsreich strebenden Kräfte“ ab. Das Engagement kommunaler Reichsverbände in Bayern wurde dementsprechend aufmerksam verfolgt.211 Die Kundgebungen städtischer Spitzenverbände für den deutschen Einheitsstaat zielten jedoch eher auf ein polyzentrisches Reich auf der Basis eines vernetzten Städtesystems ab. Mit Hilfe ausführlicher Analysen von Bevölkerungsentwicklungen, Pendler- und Verkehrsströmen wurden Grenzen und räumliche Ausdehnungen urbaner Großregionen neu definiert. Die Weimarer Reichsreformdebatte hat daher vieles zur Entwicklung der Städtestatistik, Stadtgeographie und -soziologie, der Kommunalwissenschaften, der Siedlungsökologie und Städtebauforschung beigetragen. Die analytisch hergeleitete Problematik fragmentierter Gebietsstrukturen ließ sich jedoch kaum zufriedenstellend lösen. Wie bei der Diskussion um Wirtschaftsprovinzen zeigten auch die urbanen Neugliederungsprojekte, wie wenig sich Sozial- und Wirtschaftsräume dauerhaft an politische Grenzen binden lassen.212 Eine vornehmlich sozioökonomische Betrachtungsweise verpasste es zudem, den Bundesstaat in seiner Vollständigkeit zu begreifen und für die angestrebten Reformen eine breite Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen, die vor allem die Auswirkungen auf ihre Lebensräume und das gesellschaftliche Zusammenleben in Betrachtung zog.213

210 Heimerich, Lebenserinnerungen S. 72. 211 BHStM MA 1943 / 103 285 Heinrich Held zur Tätigkeit des Verbandes der deutschen Landkreistage, München 10.11.1926. 212 Als Suburbanisierung oder auch Reurbanisierung hat die jüngere Forschung die heterogenen Trends einer Weiterentwicklung des deutschen und europäischen Städtewesens im 20. Jahrhundert beschrieben, vgl. Friedrich Lenger / Klaus Tenfelde (Hg.), Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung – Entwicklung – Erosion, Köln 2006; Walter Siebel (Hg.), Die europäische Stadt, Frankfurt a. Main 2004. 213 Auf dieses Problem wies Reichsfinanzminister Köhler auf der Sitzung des Deutschen Städtetages in Magdeburg hin: „Das große Problem des Unitarismus und Föderalismus geht nicht nur um Wirtschaftsgrenzen und um Betätigungskompetenzen … es

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Unter der positiven Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Kommunen während des Ersten Weltkrieges trübte sich zudem der Blick für die Konkurrenzsituation unter den Städten. Es gab Unterschiede zwischen den Kommunen, die von der Kriegskonjunktur profitiert hatten und jenen, die der Aufschwung der Kriegsindustrie kaum, sehr spät oder gar nicht betroffen hatte. Die Bestimmungen des Versailler Vertrages über die Beschränkungen deutscher Militärgewalt, Gebietsabtretungen und Besatzungszonen hatten die Ungleichheiten noch vertieft. Nur wenige Kommunen konnten die Kriegsfolgen so schnell bewältigen wie Hamburg. Es hieß, die Stadt habe „rasch den gewaltigen Rhythmus wiedergefunden“, der sie bereits 1914 vor anderen Städten ausgezeichnet habe. Schwierigkeiten bestanden vor allem dort, wo starke Garnisonen oder Einzelindustrien, wie etwa der Schiffbau, die wirtschaftliche Basis bildeten. Kiel und Wilhelmshaven galten als Paradebeispiele für solche Städte, „die zwar nicht sterben, aber auch nicht richtig leben“ konnten.214 In den Besatzungszonen bzw. den angrenzenden Gebieten veränderten sich die industriellen und gewerblichen Standortbedingungen, und es verlagerten sich Handels- und Verkehrswege. Frankfurter Kommunalpolitiker beispielsweise klagten, dass die Entwicklung der Stadt an der Peripherie zur französischen Besatzungszone gehemmt werde. Der Abstieg des einstigen Wahl- und Krönungsortes der Kaiser im Heiligen Römischen Reich und Sitz des Deutschen Bundes hatte bereits im 19. Jahrhundert mit der preußischen Annexion und dem Aufstieg Berlins als Reichshauptstadt begonnen. Das besondere Engagement Frankfurter Kommunalpolitiker in der Reichsreformdebatte zielte daher darauf, verlorene Positionen der Stadt zurück zu gewinnen. Nicht allen ehemaligen Residenzstädten gelang zudem die Umstellung nach dem Sturz der Monarchien. Das Wachstum großer Metropolen wie Berlin, Köln, Hamburg oder Frankfurt bedrängte außerdem benachbarte, kleinere Kommunen.215 Über die bereits bestehenden Gegensätze entstanden so neue Polaritäten im Städtesystem, die sich in einem ausgeprägten Wettbewerbsdenken von Kommunalpolitikern niederschlugen. Entsprechend bemerkte der Mannheimer Oberbürgermeister Hermann Heimerich zu den Problemen deutscher Städtepolitik in der Nachkriegszeit: Jede Stadt müsse sich genau überlegen, „wie sie ihre Wirtschaftsgrundlage bewahrt, sichert und erweitert“. Ein generelles politisches Modell gebe es daher für die Zukunft der Städte nicht. Vielmehr sollten sie sich aus ihrem historischen Werdegang, der Eigenart ihrer geographischen Lage und

geht auch um die Seelen der Millionen deutschen Volksgenossen, die südlich des Mains wohnen.“ Stenographischer Bericht, in: Der Deutsche Städtetag 1927, S. 59. 214 Heimerich, Lebenserinnerungen, S. 71. 215 Ebenda.

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der Bevölkerung heraus weiterentwickeln. Dementsprechend wurden einerseits Eingemeindungen als sinnvoll angesehen, andererseits wurde die Möglichkeit städtischer Zusammenschlüsse ins Auge gefasst. Aber es gab auch Städte, die sich damit abfinden sollten, „daß die alte Größe nicht mehr zu erreichen ist und daß Bescheidenheit der Weisheit bester (!) Schluß“ sei.216 Deutsche Stadtverwaltungen verfolgten daher mit besonderer Aufmerksamkeit den Verlauf der Weimarer Bundesstaatsdebatte. Ambitionierte Pläne kommunaler Akteure für eine Reichsreform217 betonten den Vorrang weniger Großstädte, die auf dem Papier zu Zentren neuer Großprovinzen wurden. Von den zu integrierenden Städten wurde dagegen der „vielberufene Gedanke der städtischen Selbstverwaltung“ verteidigt. Insbesondere die neue Staatsform der Republik setze voraus, „daß der Staatsbürger unter kommunalen Verhältnissen lebe, die für ihn noch übersehbar seien und bei denen er seinen persönlichen Einfluß im Verhältnis zur Gesamtheit noch einigermaßen abschätzen“ könne. Großstädte wie Berlin, Hamburg, Frankfurt oder Köln böten diese Möglichkeiten längst nicht mehr.218 Die Städte waren insgesamt zwar höchst bedeutsame, sich in ihrer gesamtgesellschaftlichen Funktion und Wahrnehmung aber auch stark wandelnde soziale Subsysteme.219 In der Endphase der Republik war die kommunale Selbstverwaltung und Autonomie zudem in die Kritik gegen die Weimarer Republik als Ganzes

216 Ebenda. 217 Erfurt und Thüringen. Die Interessen der Stadt Erfurt bei der Neuordnung des Reiches, Erfurt 1930; Walter Leiske (Hg.), Leipzig und Mitteldeutschland. Ein Beitrag zur Neugliederung des Reiches. Denkschrift, Leipzig 1928. In beiden Fällen ging es den Wortführern darum, eine gegebene Hauptstadtrolle dieser Städte in einem geeinten Mitteldeutschland zu beweisen. In Kassel entwarf der Stadtplaner Fritz Stück ein Großraumkonzept, das er mit einer Neugliederung des nordhessischen Raumes verknüpfte. Fritz Stück, Um Kassels Zukunft, Kassel 1930; vgl. auch Folckert LükenIsberner, Fritz Stück und die Stadtplanungsdiskussion im Kassel der Weimarer Republik, in: HessJbLdG 40 (1990) S. 219–240, hier S. 237–239. 218 Edward P. Becker, Hessen das chattische Stammland und die Reichsreform, Marburg a. d. Lahn 1932, S. 52. 219 Kritisiert wurde, dass sie ohne Rücksicht auf historisch-politische Räume, „einheitliche Räume willkürlicher Größe“ entwarfen, ohne sich um die politische Realisierung ihrer Reißbrettentwürfe zu sorgen, „nach denen von Frankfurt bis zur Wasserkante kaum eine Grenze unverändert“ bleiben sollte, Ottmar Bühler, Der heutige Stand der Verwaltungs- und Verfassungsreform, 2. Aufl., Stuttgart 1931, S. 22 und Vogel, Reichsgliederung und Reichsreform, S. 2f.

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einbezogen220 und ließ den städtischen Spitzenverbänden wenig Chancen zur Durchsetzung ihrer eigenständigen Reichsreformziele.

Der Rhein-Mainische Städtekranz Die Initiativen der Stadt Frankfurt in der Reichsreformdebatte beruhten ähnlich der Groß-Hamburg-Frage auf wirtschaftspolitischen Argumenten, die sich gegen das bestehende enge Geflecht von Landes- und Verwaltungsgrenzen in diesem Raum richteten.221 Auch von Frankfurter Kommunalpolitikern wurden die Großraum-Pläne damit begründet, dass die Stadt als Industriemetropole und traditionell bedeutender Ort für den Außen- und Transithandel eine wichtige Funktion im gesamtdeutschen Interesse erfüllen würde.222 Frankfurt hatte überdies den Verlust der Hauptstadtrolle im Deutschen Bund und die Deklassierung zu einer nachgeordneten Provinzstadt nach der preußischen Annexion nie akzeptiert. Seine Kommunalbeamten sahen daher in einem polyzentrischen Reich auf der Grundlage städtischer Ballungsräume eine Chance, die Tradition früherer Reichsunmittelbarkeit mit neuem Leben zu erfüllen und Frankfurt wieder eine „moderne Weltstellung als internationale Handels- und Gewerbestadt“223 zu verschaffen. Der im Vergleich mit den preußischen Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts ältere Gedanke städtischer Selbstverwaltung, wie ihn die Freie Reichsstadt verkörpert hatte, war auch nach 1866 in Erinnerung geblieben. Er habe Frankfurt „eine, in anderen Städten weniger zu beobachtende, …eigentümliche Färbung“ erhalten.224 Unter dem Eindruck der Revolution, „in der ‚Unmögliches‘ zur Wirklichkeit wurde“, sahen sich Kommunalpolitiker am Main „neuen grundstürzenden Regelungen in der Wirtschaft und in der Verwaltung“225 gegenüber, die sie als Chance begriffen, freier und unbeschwerter zu agieren als es für die

220 Eine Zusammenfassung städtekritischer Positionen bei Mulert, Reichspolitik und Städte, S. 7. 221 Der Rhein-Mainische Städtekranz mit seiner Zentrale Frankfurt am Main im Südwestdeutschen Wirtschaftsgebiet, Frankfurt a. Main 1924. 222 Ebenda, S. 104. 223 B. Müller, Volk und Scholle. Zur Siedlungsgeschichte der Stadt, in: ebenda, S. 113; vgl. auch Hermann Broecker, Frankfurt als Börsen- und Finanzplatz, in: ebenda, S. 122. 224 Richard Wachsmuth, Die Frankfurter Universität und ihre Forschungsinstitute, in: ebenda, S. 127. 225 Der Rhein-Mainische Städtekranz, S. 3.

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Entwicklung Frankfurts bis dahin möglich war.226 Unter der Fahne der Wahrung städtischer Selbstverwaltungsrechte war man bereit „neue Wege zu gehen, neue Formen anzuwenden“.227 Publizistischer Wortführer der Frankfurter Neugliederungswünsche war der Architekt und Stadtplaner August Weitzel, dem die Stadt für seine Aktivitäten ein eigenes Planungsamt einrichtete. Der von Weitzel entwickelte Gedanke eines südwestdeutschen Wirtschaftsgebietes wurde in den 1920er Jahren mit großem propagandistischem Aufwand verfochten. Die uneingeschränkte Unterstützung des Projektes sowohl durch den Magistrat als auch durch die heimischen Wirtschaftsverbände sicherte dem Groß-Frankfurt-Gedanken eine entsprechende Breitenwirkung. Wissenschaftlich vertreten wurde er durch den 1929 von namhaften Geografen herausgegebenen „Rhein-Mainischen Atlas für Wirtschaft, Verwaltung und Unterricht“.228 Das ihm zugrunde liegende Modell zentralisierter Großprovinzen, die sich um industrielle Ballungszentren bilden sollten, erlangte in der Bundesstaatsdebatte eine überregionale Bedeutung.229 226 Frankfurt am Main hatte sich erst 1910 mit dem Rest des Landkreises Frankfurt und seinen zehn Gemeinden vereinigt. Der bis dahin einzig denkbare Weg der Eingemeindung wurde wegen der Verbindung mit preußischen, hessischen und bayerischen Gebietsteilen als unzureichend für die großstädtische Entwicklung angesehen, vgl. Stein, Die Verwaltungsreform und -ordnung des Rhein-Mainischen Städtekranzes, in: ebenda, S. 133. 227 Ebenda, S. 136. 228 Rhein-Mainischer Atlas für Wirtschaft, Verwaltung und Unterricht. 30 Karten und Text, bearb. in der Rhein-Mainischen Forschung des geographischen Instituts der Universität Frankfurt a. Main, hg. von Walter Behrmann und Otto Maull, Frankfurt a. Main 1929. In starker Kontrastierung zur bestehenden staatlich-administrativen Gebietsaufteilung suchte der Atlas die natur- und kulturlandschaftliche Geschlossenheit dieses Großraumes mit seinem Zentrum Frankfurt herauszustellen. Im Rahmen dieser Konzeption zeigten die historischen Karten Beispiele früherer Raumstrukturen auf. Generalisierend wurde ihre Entwicklung seit dem Mittelalter als Bestreben interpretiert, einen einheitlichen „rhein-mainischen Lebensraum“ und Machtbereich zusammenzufassen. Zum Rhein-Mainischen Atlas vgl. Reuling, Reichsreform und Landesgeschichte, S. 294–296; ders., Der hessische Raum als „Geschichtslandschaft“. Die Entwicklung der historischen Raumvorstellungen im Spiegel der hessischen Atlasunternehmen, in: HessJbLdG 34, 1984, S. 163–192; Eckhart G. Franz, Der Weg nach Groß-Hessen. Staatsbildung und Landesbewusstsein im Hessischen 1803–1946, in: BDLG 132 (1996), S. 71–90; Dieter Rebentisch, Anfänge der Raumordnung und Regionalplanung im Rhein-Main-Gebiet, in: HessJbLdG 25, 1975, S. 307–339. 229 BHStAM MA 1943 / 103 314 Der Rhein-Mainische Städtekranz 1925/29, Deutschlands Neugliederung in 12 Reichsländer nach dem „Frankfurter Entwurf“ von A. Weitzel, Frankfurt a. Main 1931.

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Abb. 5  Der Rhein-Mainische Städtekranz mit seiner Zentrale Frankfurt am Main im Südwestdeutschen Wirtschaftsgebiet, Frankfurt a. Main 1924, o. S.

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Abb. 6  August Weitzel, Siedlungs- und Verkehrsübersicht des Rhein-Mainischen Städtekranzes, in: Der Rhein-Mainische Städtekranz mit seiner Zentrale Frankfurt am Main im Südwestdeutschen Wirtschaftsgebiet, Frankfurt a. Main 1924, S. 30.

Theoretisch fußte der Frankfurter Plan auf umfassenden Raumwirtschaftstheorien, die von der im 19. Jahrhundert entwickelten landwirtschaftlichen Standortlehre Johann Heinrich von Thünens auf industrielle Strukturen übertragen und durch weitere Erklärungszusammenhänge ergänzt worden waren.230 Die nicht historisch und empirisch fundierten Modelle einer kreisförmigen Anordnung zeichneten sich durch ein hohes Abstraktionsniveau aus, das der Komplexität der regionalen Verhältnisse kaum gerecht wurde. Vor allem aber ver230 Alfred Weber, Über den Standort der Industrien, Tübingen 1909.

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nachlässigte das statische Konzept dieser Pläne den eigentlich interessierenden Aspekt des ökonomischen Wachstums.231 Die Großstadtregion Frankfurt wurde von innen nach außen in Form von Ringen, Zonen oder Sektoren abgebildet. Den Mittelpunkt bildete Frankfurt als Verwaltungssitz eines südwestdeutschen Wirtschaftsgebietes, das preußische, hessische und bayerische Gebietsteile einbezog. Zum umliegenden Städtekranz gehörten Darmstadt, Mainz, Wiesbaden, Offenbach und Hanau. Das Rhein-Main-Gebiet bildete schließlich den Kern eines künftigen „Reichslandes Rheinfranken“.232 Zum Ausgangspunkt aller Überlegungen erhob Weitzel die Industrie und deren räumliche Verteilung und Gestaltung. An ihr richtete er idealtypisch Siedlung und Verkehr aus, die er als die beiden Grundpfeiler städtischer Entwicklung ansah. Erstrebenswert für Weitzel war die „günstigste Verteilung und Gestaltung der Wohnstätten, der Stätten für die Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten und schließlich die Unterbringung der Institute der Wissenschaft und Kunst“. Seine auf sozioökonomischen Annahmen entwickelte Neugestaltung beschrieb Weitzel als organisches Gebilde. Um „die Keimzelle des Frankfurter Börsen-, Handels- und Messezentrums“ gruppierte er das „gesamte Zellgewebe Groß-Frankfurt“. In östlicher und westlicher Richtung befanden sich zwei Industriezonen, die sich auf Räume von jeweils zehn Kilometern Durchmesser erstreckten. Nördlich und südlich davon ordnete Weitzel die so genannten Wohn- und Waldzonen an. „Vitale Urzelle“ dieses Großstadtgebildes Südwestdeutschland waren Handel und Börse mit Messegebäuden, Einrichtungen für Nachrichten- und Transportverkehrsmittel sowie Forschungs- und Bildungsinstitute in einem Umkreis von fünf Kilometern. Die projizierten Schifffahrtsstraßen der Rhein-Main-Donau- und Main-WeserVerbindung sollten das Eisenbahnnetz ergänzen und die Kohlezufuhr von der Rheinschifffahrt in den besetzten Gebieten unabhängig machen. Im Resultat nahm das Denkbild einer homogenen und wirtschaftlich weitgehend autarken Region Gestalt an.233 231 Pierenkemper, Gewerbe und Industrie, S. 100; Rainer Fremdling u.a., Regionale Differenzierung in Deutschland als Schwerpunkt wirtschaftshistorischer Forschung, in: ders. u.a. (Hg.), Industrialisierung und Raum. Studien zur regionalen Differenzierung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1979, S. 9–26. 232 Es sollten ferner das gesamte nördliche Hessen, das Rhein-Mosel-Gebiet, die Saarlande, die Pfalz, Nordbaden und die unterfränkischen Mainlande eingeschlossen sein, vgl. August Weitzel, Die regionale Gliederung Deutschlands nach Verkehrs- und Wirtschaftsgebieten, in: Erde und Wirtschaft, 2 (1927), S. 1f. 233 August Weitzel, Siedlung und Verkehr Groß-Frankfurt a. M., in: Der Rhein-Mainische Städtekranz, 1924, S. 102f.

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Solange Frankfurt sich auf seine Funktion als industrielles Ballungszentrum beschränkte und Darmstadt als eine Art „Washington“ eine politische Zukunft gesichert war, standen die hessischen Regierungen den Frankfurter Plänen aufgeschlossen gegenüber.234 Aus der Sicht des Reiches verwiesen die wirtschaftlichen und ideellen Potenzen eines rhein-mainischen Wirtschaftsgebietes einen „französierten linksrheinischen ‚Pufferstaat’ ins Reich der Phantome“. Insbesondere das Auswärtige Amt hat daher während der deutschfranzösischen Spannungen der frühen 1920er Jahre die Frankfurter Pläne mit Wohlwollen begleitet, da sie „neben den Annäherungen und Ausgleichungen in Industrie-, Handels- und Landwirtschaftsangelegenheiten, Arbeiterfragen, Verkehrsmaßnahmen u.a.m. naturgemäß auch ein innigeres politisches und kulturelles Zusammengehen“ versprachen.235

Mannheim und Ludwigshafen – Pläne für ein Oberrheinisches Zentrum Auf eine regionale Lösung, die zeitweise auch im Kontext der Bildung eines größeren Südweststaates erörtert wurde, zielte die Vereinigung von Ludwigshafen und Mannheim zu einer oberrheinischen Handels- und Industriemetropole.236 Federführend war hier der Oberbürgermeister von Mannheim Hermann Heimerich.237 Die frühere Hauptstadt der Kurpfalz war im Zuge des umfangreichen Territorial- und Länderschachers am Ende des Alten Reiches 1803 mit der übrigen rechtsrheinischen Pfalz an Baden gefallen und lag nun im äußersten nordwestlichen Zipfel des Landes, eingeschlossen von hessischen und bayerischen Territorien. Den ersten und einzigen badischen SPDOberbürgermeister in der Weimarer Republik verband nur wenig mit dem badischen Staat. Heimerich sah seine Stadt vielmehr als eine Art Fremdkörper im Land an: „Je mehr Mannheim sich als Handels-, Industrie- und Verkehrszentrum entwickelte, desto weniger passte es in die sonst doch ziemlich kleinen badischen Verhältnisse. Ja, wenn Mannheim wenigstens noch die Hauptstadt des badischen Landes geworden wäre; aber dafür war es schon seiner 234 BAB R 43 I / 2271 Bericht Lerchenfeld, Reichsvertretung in Darmstadt, 4.5.1921, Abschrift. 235 BAB R 43 I / 2271 Bericht David, Reichsvertretung in Darmstadt, 5.3.1922, Bl. 87. 236 Walter, Geschichte Mannheims, Bd. II, S. 87 und 136f. 237 Biographische und bibliographische Angaben zu Hermann Heimerich von Jörg Schadt in: Heimerich, Lebenserinnerungen (1981). Zur Wahl Heimerichs zum ersten sozialdemokratischen Bürgermeister Mannheims vgl. ebenda, S. 80ff.

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Lage nach nicht geeignet, außerdem wachte die in Karlsruhe sitzende badische Regierung eifrig darüber, dass dieser Beamtenstadt die Nahrungsgrundlage nicht beeinträchtigt wurde. So gelangte nach Mannheim kein zentrales Landesoder Reichsamt … Mannheim erfreute sich auch in wirtschaftlicher Beziehung keiner besonderen Förderung durch den Staat, sondern hat sich im letzten Viertel des neunzehnten und im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts ganz aus eigener Kraft zu einer Wirtschaftsmetropole emporgearbeitet.“238 Die Rede von der roten Hochburg Mannheim, die in der politischen Auseinandersetzung gern geführt wurde, war zum einen auf die Tatsache bezogen, dass die von Industriearbeitern geprägte Mannheimer Lokalorganisation der SPD allein über ein Viertel der SPD-Mitglieder des Landes Baden stellte. Es suggerierte zum anderen eine Geschlossenheit der demokratischen und kommunistischen Linken, die jedoch weder vor 1933 noch 1945 bestanden hat.239 Auch mentalitätsgeschichtliche Aspekte wurden als Gründe für die „Fremdheit und Spannung“ zwischen der „Mannheimer Ecke“ und dem übrigen Baden angeführt: „Der Pfälzer ist ein ganz anderer Menschenschlag (als) der Alemanne.“240 Der SPD-Politiker Heimerich hielt es daher für ein schweres Versäumnis, dass die Republik in ihrer Gründungsphase nicht den direkten Weg zum dezentralisierten Einheitsstaat gefunden hatte, und stattdessen die Länder in ihren Zuständigkeiten und Befugnissen immer weiter beschränkt habe. Aus dieser „Politik der Halbheiten“ wären „eine Reihe von Fehlkonstruktionen“ entstanden, die sich „unheilvoll“ auswirkten.241 Vor seiner Wahl in Mannheim 1928 hatte der bis dahin in Kiel amtierende Bürgermeister in einem Artikel über „Probleme deutscher Städtepolitik in der Nachkriegszeit“ sein grundlegendes Bekenntnis zur Reichsreform abgelegt, in dem er darlegte, dass die kommunale Selbstverwaltung in den Kompetenzkonflikten zwischen Reich und Ländern zerrieben werde.242 Heimerich entfaltete in Mannheim eine rege Aktivität, welche die Reichsreform im öffentlichen Bewusstsein wach hielt.243 Die Zusammenarbeit der Städte Mannheim und 238 Heimerich, Lebenserinnerungen, S. 65. 239 Christian Peters, „Glücklicherweise bilden wir eine Ausnahme“ Mannheim in den fünfziger Jahren, Stuttgart 2002, S. 81ff. 240 Heimerich, Lebenserinnerungen, S. 65. 241 BHStAM MA 1943 / 103 442 Bayerische Gesandtschaft, Stuttgart, 13.12.1932. Auszug aus einer Rede des Oberbürgermeisters von Mannheim zur Eröffnung der neuen Rheinbrücke zwischen Ludwigshafen und Mannheim. 242 Abgedruckt in: Heimerich, Lebenserinnerungen, S. 69–72. 243 Die seit 1929 von der Stadt Mannheim herausgegebene Zweimonatsschrift „Die lebendige Stadt“ wurde in den Dienst dieser Bemühungen gestellt.

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Ludwigshafen,244 erweitert um Heidelberg, stand unter dem – wenn auch unausgesprochenen – Ziel, den Rhein als Landesgrenze zu marginalisieren: „Die drei Städte liegen in einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet; ihre Gemarkung ist heute schon größer als die Gemarkung Frankfurts, und wird nach Durchführung einiger Eingemeindungen die Gemarkung Kölns überschreiten. Daß ein so großes aneinander gerücktes Städtegebiet gewisse gemeinsame Regulierungen erfordert, kann niemand bestreiten.“ Der Ludwigshafener Bürgermeister Weiß betonte, dass „der Rhein keine Grenze“ sei, „sondern der Zeuge, daß wir als einheitliches Wirtschaftsgebiet in der Vergangenheit zusammengehört haben, in der Gegenwart zusammenleben müssten und in der Zukunft auch gemeinsam leben sollten.“245 Eine nach dem Neubau der Rheinbrücke verbreitete Luftaufnahme von Mannheim und Ludwigshafen veranschaulichte das Verbindende und Trennende der Landesgrenze, an der die beiden Städte in Nachbarschaft lagen.246 Als der Reichsrat im September 1929 Baden bereiste, um sich von den Problemen der so genannten Grenzlandlage zu überzeugen, wurde er in Mannheim mit einer Denkschrift konfrontiert, die die Lage der Industriestadt am badisch-bayerisch-hessischen Dreiländereck als eines der „Paradebeispiele für die Schädigung einer Stadtwirtschaft durch veraltete innerdeutsche Grenzen“ anführte. Die Kommunalpolitiker plädierten darin für eine „zeitgemäßere, mehr nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorzunehmende Gliederung des Reiches“, zumindest aber für mehr Gemeinsamkeiten in den Grenzräumen.247 Der Mannheimer Oberbürgermeister erklärte dazu in der Karlsruher Zeitung: „Einer Verödung der Provinz durch falschen Zentralismus wird am besten durch eine starke Zusammenfassung der draußen vorhandenen Kräfte vorgebeugt werden können.“248 Unmittelbar nach Kriegsende knüpfte Heimerich an seine Bemühungen in der Weimarer Republik für eine Neugliederung des Südwestens an. Im Frühjahr 1945 legte er ein Memorandum vor, das die Zusammenfassung des ehe-

244 Konkrete Schritte zielten auf eine Vereinigung der Hafen- und Verkehrsverwaltung und der Stadtplanung sowie auf eine Zusammenfassung der technischen Betriebe der Gas-, Wasser- und Stromversorgung, vgl. Die lebendige Stadt. Zweimonatsschrift der Stadt Mannheim, 3. Jahr, Heft 5, 1931/32. 245 Wege und Ziele der deutschen Gemeinden, in: Volkszeitung Heidelberg, 27.2.1929. 246 Die lebendige Stadt. Zweimonatsschrift der Stadt Mannheim, 3 (1931/32), Heft 5. 247 Mannheim. Bilder und Zahlen. Sorgen und Wünsche. Dem Reichsrat überreicht bei seinem Besuch in Mannheim am 26.9.1929, zusammengestellt von Sigmund Schott / Johann Höber, Mannheim 1929. 248 Der Besuch des Reichsrates in Baden, in: Karlsruher Zeitung, 1.10.1929.

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mals kurpfälzischen Kernlands beiderseits des Rheins vorsah.249 Ein ähnlicher Plan war schon unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 von dem aus Mannheim stammenden Ebersbacher Bürgermeister John Gustav Weiß vorgelegt worden.250 Der „Kampf um den Südweststaat“ nach 1945, bei dem die Konzeptionen auf der Ebene konkreter Politik erneut ins Kraut schossen, endete 1952 mit dem Zusammenschluss Badens und Württembergs zu einem Bundesland. Der an der Neugliederung maßgeblich beteiligte Theodor Heuss nannte Baden-Württemberg danach ein „Modell deutscher Möglichkeiten“.251

249 Gemeinsam mit Fritz Cahn-Garnier, abgedruckt bei Günther Haselier, Die Bildung des Landes Württemberg-Baden 1945/46, in: Oberrheinische Studien 2 (1973), S. 267–278. Heimerich war Vorsitzender sowohl des rechtsrheinischen Aktionsausschusses für die Wiedervereinigung der rechts und links des Rheins gelegenen pfälzischen Gebiete als auch des Aktionsausschusses für den Südweststaat. Seit 1952 gehörte er dem Sachverständigenausschuss für die Neugliederung des Bundesgebietes und seit 1957 auch dem Sachverständigenausschuss zur Vereinfachung der Verwaltung in Bund, Ländern und Gemeinden an, vgl. Heimerich, Lebenserinnerungen, S. 75. 250 John Gustav Weiß, Lebenserinnerungen eines badischen Kommunalpolitikers, bearb. von Jörg Schadt, Stuttgart 1981, S. 160ff. 251 Thomas Schnabel, Geschichte von Baden und Württemberg 1900–1952, hg. vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart u.a. 2000, S. 274–282, zit. S. 5 und Otto-Heinrich Elias, Vom Schwäbischen Kreis zum Südweststaat, in: BDLG 132 (1996), S. 165–172.

4. Die Reich-Länder-Reform als politisches Dauerthema der Weimarer Republik 4.1. Föderative Ordnung aus der Krise 1918-1923 Kriegsniederlage und Novemberrevolution hatten in den deutschen Teilstaaten die Monarchie, aber nicht ihre Existenz als Bundesstaaten beseitigt. Die Staatsgewalt lag allein beim Volk. Das waren die für das Weimarer Verfassungswerk feststehenden Ausgangspunkte. Ein parlamentarisches System in Artikel zu fassen und Grundrechte zu formulieren, erschien danach als eine folgerichtige und verhältnismäßig einfache Aufgabe der konstituierenden Nationalversammlung. Als ungewiss galt jedoch, ob die parlamentarischen und demokratischen Prinzipien überzeugend umgesetzt werden und die Gesellschaft eine positive Einstellung zur Republik finden konnte.1 So bemerkte der amerikanische Kommentator Walter James Shepard 1920, niemand könne voraussagen, ob der Gedanke der Demokratie in die Köpfe und Herzen der Deutschen finden würde, denn das Wohl einer Nation und der Erfolg einer Regierung hingen weniger von der geschriebenen Verfassung ab: „Very much depends upon other things. The economic and social conditions are fundamental. The national political psychology counts for much. Certainly inherited political traditions, ingrained political habits and methods, the strength and intelligence of a broadly based public opinion are often decisive factors.“2 Obwohl Shepard die Weimarer Verfassung nicht für perfekt hielt, war er dennoch zuversichtlich, „that the german nation may emerge from the present situation a fit member of the sisterhood of democratic states“.3 Die Entscheidung, ob das Deutsche Reich weiter in seiner bundesstaatlichen Konstruktion getragen oder ob die Nation in einem Einheitsstaat zusammengefasst werden sollte, lag dabei weitgehend bei den Deutschen selbst. Die Neuordnung der Beziehungen zwischen Reich und Ländern galt jedoch

1 Neuere Einsichten dazu tauchen in der Fachliteratur schon seit längerem nicht mehr auf. Den „Still“stand der Forschung zusammenfassend Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, 6. Aufl., München 2002, S. 166ff. und Dieter Gessner, Die Weimarer Republik, Darmstadt 2002, S. 24ff. 2 Walter James Shepard, The New German Constitution, in: American political science review, 14 (1920), S. 34–52, zit. 51. 3 Ebenda.

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als „besonders schwere Aufgabe für das Verfassungswerk“.4 Die Siegermächte beschnitten zwar das Reichsgebiet und untersagten auch die Verbindung Österreichs mit Deutschland. Sie erteilten aber keine Auflagen für die Ausgestaltung der Republik als Bundesstaat und für eine Territorialreform, wie sie zum Beispiel in einer Option für eine Aufteilung Preußens denkbar gewesen wäre. Das war ein erheblicher Unterschied zur Politik der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg.5 Diejenigen, die sich in Deutschland mit ausländischen Verfassungstraditionen auseinandersetzten, richteten den Blick auf das britische Empire, Italien und hauptsächlich auf die Schweiz und die Vereinigten Staaten.6 Die Perzeption der französischen Verfassungsentwicklung hingegen wurzelte traditionell auf dem Boden einer antiwestlichen Revolutions- und Parlamentarismuskritik. Zentralismus entsprang demnach „dem Gedanken des romanischen Absolutismus und besonders der französischen Revolution“7 und galt der eigenen Entwicklung als fremd. Aber auch die Inhalte des Schweizer und vor allem des nordamerikanischen Föderalismus lagen außerhalb der deutschen Perspektiven. Obwohl in der politischen Sprache der Rekurs auf dessen Begriffe und Termini üblich war, blieb die Substanz seiner Institutionen weiterhin fern, wie es unter anderem die Ablehnung der Staatenhauslösung nach dem Vorbild des amerikanischen Senats 1919 offenbarte. Später brachten deutsche Verfassungskommentatoren das amerikanische Modell gerne als Argumentationsbasis für die Ausdehnung der Reichskompetenzen ins Spiel. Dem Ministerialrat in der Verfassungsabteilung des Reichsministeriums Georg Kaisenberg hielt James M. Beck, einflussreicher Verfassungskommentator und von 1921 bis 1925 United States Solicitor General,8 jedoch entgegen: „I am not sure, how4 Preuß, Das Verfassungswerk von Weimar, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 89. 5 Krüger, Einflüsse der Verfassung der Vereinigten Staaten, S. 240 und 243 und zu den außenpolitischen Bedingungen der Entstehung der Weimarer Verfassung, die den Ausgleich zwischen Unitariern und Föderalisten erleichtert haben, Peter Grupp / Pierre Jardin, Das Auswärtige Amt und die Entstehung der Weimarer Verfassung, in: Francia 9 (1981), S. 473–493. 6 Rudolf Hübner, Die Staatsform der Republik, Bonn 1919. 7 BHStAM MA 1943 / 103 279 A. Wahl, Zentralismus oder Föderalismus, in: Schwäbischer Merkur, 14.5.1927. 8 James Montgomery Beck, Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika: „Was war, was ist – was wird?“, hg. von Alfred Friedmann, Berlin 1926; die Erstausgabe The constitution of the United States: yesterday, today – and tomorrow erschien 1922 in New York; als US Solicitor General vertrat Beck die Bundesregierung vor dem Obersten Gerichtshof, dieser wird vom Präsidenten mit Zustimmung des Senats ernannt und hat den dritthöchsten Rang im Justizministerium.

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ever, that he realizes that the essential intention of the constitutional organization is still effective. That intention was to give the individual states of their own local affairs and, in fact, the individual states still have that control. What has changed is not the constitutional position but the affairs themselves …“ So schränke die Verfassung der Vereinigten Staaten die legislativen wie exekutiven Möglichkeiten der Washingtoner Regierung ein, in die Kompetenzen der Bundesstaaten einzugreifen: „The essence of it is that a complete local autonomy exists in things that are really local and that the national government does not and can not interfere with this. That is the vital contrast with the present German system in which the national government can interfere with anything and everything in local affairs if it really wants to.”9 Ein wichtiges Merkmal für ausländische Verfassungskommentatoren war die Interpretation des Souveränitätsgedankens. So bemerkte der Franzose Brunet 1921 auf die Frage, ob die Weimarer Republik ein „federal state or a single state“ sei: „Nearly all the german jurists have attempted to answer this question and are almost equally divided in the answer. Some of them observe that the states have no longer the power to fix the form of their governments and that they can no longer change the organic provisions of their Constitutions; that the Reich can prescribe changes against their will and even order new formations of the country. The Reich is in control of sovereignty and of the life and death of German states. It may against their will deprive them of their sovereignty.“ Als Beleg für die Entwicklung zum dezentralisierten Einheitsstaat führte Brunet den Kontinuitätsbruch der Finanzbeziehungen zwischen Reich und Ländern an: „The states are no longer independent states, they are only autonomous administrative bodies within the Reich. The Reich has become a single decentralized state.“10 Wie sehr die eigenen nationalen Kontexte ausländische Perspektiven auf den Weimarer Bundesstaat bestimmten, verdeutlicht der Blick nach Italien. Gegnern der Mussolini-Diktatur erschien die föderale Ordnung Weimars als eine „Schule der politischen Reife des deutschen Volkes“, das „die plötzlichen Feuerbrünste politischer Leidenschaften“ und die Kriegsfolgen gemeistert hatte. Der Zusammenhang von Demokratie und föderalen Traditionen wurde 9 BHStAM MA 1943 / 103 419 Abschrift vom 9.2.1932, Replik auf Georg Kaisenberg, Bundeszuständigkeit und Staatenrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Deutsche Juristenzeitung, 37,2 (1932), S. 139–142. 10 René Brunet, The New German Constitution. Translated from the French by Joseph Golomb. Foreword by Charles A. Beard, New York 1922, S. 70. (Die französische Fassung erschien unter dem Titel La constitution Allemande du 11 août 1919, Paris 1921.) Zu Brunet vgl. Gruner, 1849–1919–1949, S. 310.

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dabei besonders hervorgehoben: Vielleicht hätte in jeder anderen Nation Europas ein so schrecklicher Krieg, gefolgt von einer so endgültigen Niederlage, zum Zusammenbruch geführt. Der deutsche Föderalismus aber habe dem Handstreich von Kapp, dem auf halbem Weg gescheiterten Marsch von Hitler und Ludendorff von München nach Berlin sowie den kommunistischen Unruhen in Berlin und anderen kleinen Städten widerstehen können. Hätte Berlin nach 1918 alles politische und administrative Leben in sich zusammengefasst, wäre eine Krone oder ein Volkskommissariat wahrscheinlich gewesen. Stattdessen jedoch habe jeder einzelne Bundesstaat den jakobinischen Versuchen beim Nachbarn zusehen können, die nicht die Kraft besessen hätten, sich auf andere auszudehnen.11

Der republikanische Bundesstaat als Provisorium Der Prozess der Weimarer Verfassungsschöpfung umfasste sowohl die Entscheidungen während der „Übergangszeit“ zwischen November 1918 und Februar 1919 als auch die eigentlichen Verfassungsberatungen nach dem Zusammentritt der Nationalversammlung. Im Ergebnis wurde die bundesstaatliche Ordnung mit föderalen und unitarischen Elementen bestätigt.12 Für die Entwicklung im Reich war zunächst die lokale Berliner Regierung entscheidend gewesen. Auf sie stützten sich in der ersten Zeit die sechs Volksbeauftragten, die die Leitung der Regierungsgeschäfte übernommen hatten. Ihre Legitimation erweiterte sich erst, als im Dezember 1918 Abgeordnete der Arbeiter- und Soldatenräte aus ganz Deutschland den Reichsrätekongress konstituierten und sich mehrheitlich für Wahlen zu einer Nationalversammlung aussprachen. Differenzen zwischen dem Rat der Volksbeauftragten in Berlin und den Revolutionsregierungen der Bundesstaaten wurden erstmals auf der Reichskonferenz der deutschen Länder am 25. November 1918 offenbar. Fast überraschend ergab sich, dass eine konstituierende Nationalversammlung schnell einberufen werden sollte. Diese Entscheidung stand nicht nur in 11 BHSTAM MA 1943 / 103 282 Perchè la germania non è crollata, in: La Voce Republicana, Rom 8.1.1926, S. 1 (Deutsche Übersetzung des Originals, 30.11.1926). 12 Eine entsprechend breit angelegte Monographie zu Genesis und Gestalt des Weimarer Verfassungswerkes liegt nach zahlreichen Spezialstudien bis heute nicht vor. Für das Reich-Länder-Verhältnis während der Revolutionsjahre und den Anteil der Länder am Verfassungsgebungsprozess mit der Perspektive auf Süddeutschland vgl. die Studie von Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik (1970), außerdem Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1 (1963), S. 21–173.

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Rivalität zur möglichen Einberufung des 1912 gewählten Reichstags und zu einer Rätediktatur, sondern auch zu einem provisorischen Präsidium der Länder mit außenpolitischen Befugnissen, wie es der bayerische Ministerpräsident Eisner in heftiger Gegenrede gefordert hatte. An eine sukzessive Neuordnung von unten nach oben war damit nicht mehr zu denken. Ehe die Länder an die Ausarbeitung eigener Verfassungen gingen, wurde die neue Reichsverfassung vorbereitet. Die provisorische Regierung in Berlin gewann damit einen Vorsprung, der einem verfassungspolitischen Primat gleichkam.13 Aus der zeitgenössischen Handlungsperspektive ergaben sich durchaus mehrere Gründe dafür, den Einheitsstaat an die Stelle des bismarckschen Bundesstaates zu setzen. In dem alten hegemonialen Föderalsystem konnte der König von Preußen über die übrigen Monarchen erhöht werden, in der demokratischen Republik jedoch nicht der preußische Wähler über die übrigen deutschen Wähler. Wenn eine bundesstaatliche Konstruktion erhalten bleiben sollte, konnte daher nur von dem Prinzip einer unbedingten Gleichberechtigung aller Teilstaaten ausgegangen werden.14 Dabei traf man aber wieder auf ein Problem, das schon in der Frankfurter Paulskirche 1848 eine entscheidende Rolle gespielt hatte: Wie konnte man dem demokratischen Prinzip in einem Bundesstaat gerecht werden, dessen Glieder eine so unterschiedliche Größe und Bedeutung aufwiesen wie Preußen auf der einen Seite und Lippe oder Mecklenburg-Strelitz auf der anderen Seite? Im Lager der Sozialdemokraten und vor allem der bürgerlichen Demokraten waren zudem entschiedene Unitarier zu finden, die in der Nationalstaatstradition von 1848/49 standen und die Parlamentarisierung und Demokratisierung mit einer gegenbismarckschen Reichsstruktur gleichsetzten. Demnach sollten Länder im Reichsverband möglichst proportional zu ihrer Bevölkerungszahl vertreten sein. Das Programm einer regionalen Mitbestimmung auf der Grundlage „höchstpotenzierter Selbstverwaltung“ sah ihre Neugliederung in hinreichend große Territorien vor, die für wirtschaftlich und verwaltungstechnisch vernünftig gehalten wurden.15 SPD, DDP und Zentrumspartei ver13 Ebenda, S. 112f. 14 „In einem Bundesstaat, in dem die Staatsgewalt den Fürsten zustand, war es möglich, den mächtigsten von ihnen, den König von Preußen, über die andern zu stellen. In einem Staat, in dem die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, darf die Verfassung nicht ein Land über ein anderes setzen. Sie kann nicht einen Landtag über die Landtage der anderen Länder erheben; sie kann nicht die Bevölkerung eines Gebiets als berufen ansehen, über die Bevölkerung des andern Gebiets zu herrschen.“ Erwin Ritter, Freie Reichsländer. Vorschläge zum Ausbau des Reiches, Köln 1927, S. 24. 15 Eine Übersicht der Pläne in BAB R 43 I / 1877 und das Schriftenverzeichnis in der Programmschrift des Bundes zur Erneuerung des Reiches, Bund und Länder (1928),

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banden ihren Verfassungsauftrag außerdem mit einem sozialstaatlichen Gedanken, der auf die gerechte Verteilung der Kriegsfolgelasten, einen Abbau von Armutsregionen und eine Angleichung der Lebensbedingungen zielte, und der sich damit gegen die jedem Bundesstaat innewohnende Möglichkeit zur differentiellen Gestaltung von Leistungen und Lasten richten musste.16 Folgerichtig entstanden während der Verfassungsberatungen Überlegungen für eine Aufteilung Preußens,17 die einen entscheidenden Impuls erhalten sollten. Hugo Preuß brachte statt des alten Bundesratsmodells mit Regierungsvertretern den Vorschlag direkter Wahlen zu einem Staatenhaus ein. Konzeptionell argumentierte Preuß hier sehr entschieden: Erst, wenn in der Länderkammer nicht mehr Regierungen von Einzelstaaten vertreten waren, sondern gewählte Volksvertreter „nach dem Vorbild der ,andern Bundesstaaten‘, dem amerikanischen Senat und dem schweizerischen Ständerat“,18 war für ihn der qualitative Sprung zum modernen Bundesstaat bewerkstelligt. Die sächsische Regierung erkannte hellsichtig, dass mit dem Entwurf von Wahlbezirken zum Staatenhaus und einer entsprechenden Stimmgewichtung nach Bevölkerungszahlen auch eine Anregung für die Neugliederung der Länder in den Raum gestellt war: „Die Einwohnerzahl, über die der einzelne Freistaat künftig verfügt, wird für dessen Stellung im Reich nicht ohne Einfluss sein. Nicht nur die Zahl der Abgeordneten zum Volkshaus, sondern auch die der Abgeordneten zum Staatenhaus wird von der Einwohnerzahl des einzelnen Freistaates abhängen; denn auf eine Million Landeseinwohner soll grundsätzlich ein Abgeordneter zum Staatenhaus entfallen (§ 33).“ Da anzunehmen sei, „dass dem Staate mit der stärkeren Vertretung auch der größere Einfluß im Reich zufallen“ werde, sei diese Vorschrift geeignet, „fördernd auf die Bildung größerer Staatsgebilde zu wirken“. Daraus schloss man einerseits, dass Sachsen als Mittelstaat unbeS. 113–134; u.a. Lohmeyer, Zentralismus oder Selbstverwaltung (1928); HöpkerAschoff, Deutscher Einheitsstaat (1928); Wilhelm Külz, Wege zum deutschen Einheitsstaat, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung, 1.1.1928; Friedrich Meinicke, Das Reich der Zukunft, in: Kölnische Zeitung, 18.1.1931. 16 Matthias Erzberger beispielsweise wollte „dem Ruf nach Sozialisierung Gehör verschaffen“ und mit seiner Steuerreform einen Teil des „Sozialstaates der Zukunft“ verwirklichen. „Ein guter Finanzminister“ war für ihn „der beste Sozialminister“, Verhandlungen der Verfassunggebenden Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Bd. 327, S. 1377. 17 „Ein wirklicher Bundesstaat ist undenkbar, wenn eines seiner Glieder vier Siebentel des Ganzen umfaßt. Um dieses Problem kommen wir nicht herum.“ So Preuß, Presseerklärung über Reichsverfassung und Einmütigkeit im Kabinett (1919), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 81. 18 Preuß, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung (1923), in: ebenda, S. 334.

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sorgt sein durfte, sogar auf einen Zuwachs durch thüringische und preußische Gebiete hoffen durfte. Andererseits berücksichtigte man in Dresden auch die Widerstände, die einer Verselbstständigung preußischer Provinzen und der Zusammenlegung von Kleinstaaten entgegenstanden. So könne der Vorstoß Preuß auch die Folge haben, „dass die Aufteilung Preußens nicht in dem Umfang erfolgt, wie die Reichsleitung anzunehmen scheint.“19 Analog zur Reichsebene hatte in Preußen ein Rat der Volksbeauftragten aus SPD und USPD die provisorische Regierung übernommen. Damit war bereits in den wenigen Tagen des Regierungswechsels eine Chance versäumt, wie Preuß rückschauend festhielt: „Der Umsturz in Berlin hätte damals ohne ernste sachliche Schwierigkeit der neuen revolutionären Reichsregierung die Möglichkeit geboten, ihre Hand auf Preußen zu legen, sich als Reichs- und preußische Regierung zugleich zu konstituieren und damit einen wesentlichen Schritt vorwärts zur Lösung des preußischen Problems zu tun. Stattdessen schuf man schleunigst wieder eine besondere preußische Staatsregierung, (…) und verbaute damit auch diesen Weg.“20 Sowohl die preußische provisorische Regierung als auch der seit 1920 amtierende Ministerpräsident Otto Braun versteiften sich auf die Integrität Preußens und trugen schlagkräftige Argumente vor, um Neugliederungspläne aus den Angeln zu heben. Die Idee der demokratischen Staatsgestaltung und der Einheit des Reiches werde auf den Kopf gestellt, wenn man zahlreiche Länder mit ebenso vielen Regierungen und Verwaltungsapparaten schaffe. Es sollte genau umgekehrt verfahren werden und Angliederungen an Preußen gefördert werden: „Preußen mit seinen 40 Millionen Einwohnern muss unversehrt erhalten bleiben, denn es wird und muss schließlich doch den Kern des zu schaffenden Einheitsstaates bilden.“21 Das war in Kurzform der Grundgedanke einer Politik, wie sie Otto Braun bis zum Ende der Weimarer Republik vertreten sollte, die er über ein Großpreußen zum Einheitsstaat umgestalten wollte.22

19 HStAD 10719 / 383 Beschluss des Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, Dresden 24.1.1919, Abschrift an den sächsischen Gesandten in Weimar Koch, Bl. 26f. 20 Hugo Preuß, Artikel 18 der Reichsverfassung. Seine Entstehung und Bedeutung, Berlin 1922, S. 5. 21 Otto Braun, Deutscher Einheitsstaat oder Föderativsystem?, Berlin 1927, S. 32. 22 Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie, Frankfurt a. Main u.a. 1977, S. 584–601. Hugo Preuß vermied sein Bekenntnis zum Einheitsstaat, sobald dieser Gedanke allzu beflissen von Preußen vorangestellt wurde, denn man würde „darin draußen stets Zentralisation, und das heißt im Sinne des größten Teils von Deutschlands leider ,Verpreußung’ sehen“. Preuß, Rede in der Preußischen Landesversammlung (1920), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 123.

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Unter den Volksbeauftragten fand 1918 die Auflösung Preußens mit Friedrich Ebert nur einen Befürworter. Viele Sozialdemokraten sahen in Preußen eine starke Klammer zwischen dem Westen und Osten des Reiches, zwischen Industriezentren und agrarischer Provinz, zwischen katholischen und protestantischen Bevölkerungszentren. Ihre Weigerung, den Provinzen mehr Rechte zuzugestehen, entsprang daher nicht zuletzt der Sorge, dass die östlich und nördlich der Elbe gelegenen Provinzen – mit Ausnahme Schlesiens – antidemokratisch und antirepublikanisch regiert werden könnten. Aus ähnlichen Rücksichten waren auch Zentrumspolitiker geneigt, den Provinzen nicht die wichtigsten Verwaltungen in eigener Regie zu überlassen. Die katholische Partei begriff sehr wohl, dass ihr Einfluss im Norden und Osten Preußens vor allem auf der preußischen Zentralverwaltung beruhte.23 Außenpolitische Unterstützung für ein ungeteiltes Preußen kam auch aus dem Auswärtigen Amt. Das betraf zum einen die Impulse gegen ein preußenakzentuiertes Reich, die von einem erwarteten Anschluss Österreichs ausgingen. Noch bevor die Siegermächte jedoch mit einem Verbot eingriffen, warnten Diplomaten vor einem „fait accompli“, da „Frankreich zur Vergewaltigung des deutschen Rheinlands gereizt werden würde“.24 Zum anderen wurden Frankreichs Deutschlandpolitik und die Einheit Preußens als Klammer des Reiches argumentativ eng miteinander verknüpft. Loslösungsbestrebungen aus dem preußischen Staatsverband würden „Frankreichs Neigung zur Randstaatenpolitik“ entgegenkommen und die Reichsgrenzen gefährden.25 Kleinere Länder, so lautete daher ein tragendes Motiv, hätten dem außenpolitischen Druck weniger standhalten können als der Großstaat Preußen.26 Schließlich stellte die Frage nach dem Fortbestand des preußischen Staates auch die Existenzberechtigung aller alten Bundesstaaten zur Disposition. Die Revolution hatte diese nicht beseitigt, sondern im Gegenteil durch die Beteiligung des Volkes an den regionalen Regierungen neu gefestigt. So fasste Preuß die Ausgangslage im November 1918 zusammen: „Anders als bei den Revolutionen fester gefügter Nationalstaaten hatte sich hier die entscheidende Um23 Hans Nawiasky, Grundgedanken der Reichsverfassung, München / Leipzig 1920, S. 63; Arnold Brecht, Mit der Kraft des Geistes. Lebenserinnerungen zweite Hälfte 1927–1967, Stuttgart 1967, S. 71f. 24 Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 379. 25 Zit. Preuß, Pressegespräch zum Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt (1919), in: ebenda, S. 78; Grupp / Jardin, Entstehung der Weimarer Verfassung, S. 482ff. 26 Schulze, Otto Braun, S. 252–264; Schulze, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 234–248.

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wälzung nicht im Zentrum vollzogen und von dort aus verbreitet, sondern sie schritt eher umgekehrt von der Peripherie zum Zentrum fort. Jedenfalls war es eine sehr dezentralisierte Revolution; dem überkommenen Bestand der 25 Einzelstaaten entsprachen 25 Einzelrevolutiönchen; und eben dadurch wurde dieser Bestand in den neuen Zustand hinübergerettet.“27 In einer Rede vor der Nationalversammlung am 6. Februar 1919 trug auch Friedrich Ebert dem Umstand Rechnung, dass die Einzelstaaten und ihre Bürokratien längst auf dem Boden gesicherter Realitäten standen und ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der Reichsverfassung erwirkt hatten: „Deutschland darf nicht wieder dem alten Elend der Zersplitterung und Verengung anheim fallen. (Bravo!) Geschichte und Anlage hemmen zwar einen straff zentralisierten Einheitsstaat zu bilden. Viele Stämme und viele Dialekte sind in Deutschland vereinigt, aber sie müssen zu einer Nation und einer Sprache zusammenklingen (Lebhafter Beifall!) Die Abgrenzung zwischen Reichsrecht und Stammesrecht mag im einzelnen umstritten bleiben. Im Grossen müssen wir uns aber alle einig sein, daß nur eine ungehemmte einheitliche Entwicklungsmöglichkeit unseres Wirtschaftslebens, ein politisch aktionsfähiges, fest gefügtes einiges Deutschland die Zukunft unseres Volkes sicherstellen kann (Bravo!) In diesem starken deutschen Volksstaat soll jeder Stamm seine wertvollsten Eigenschaften frei zu schöner Blüte entfalten können.“28 Die Bundesstaaten koordinierten ihre Politik gegen den unitarischen Druck des Reiches in den Nachfolgeinstitutionen des Bundesrates, der Staatenkonferenz und dem Staatenausschuss. In vorderster Linie protestierten hier gerade die sozialistischen Nachfolger der Landesfürsten gegen den Plan Hugo Preuß’, das Reich in einen „dezentralen Einheitsstaat mit potenzierten Selbstverwaltungskörpern“ umzugestalten. Die Namen der Gesandten, die an den Staatenkonferenzen im November 1918 und Januar 1919 teilnahmen, lassen sich leicht mit den Auseinandersetzungen zwischen Reich und Einzelstaaten unter Wilhelm II. zusammenbringen. Die meisten von ihnen entstammten bereits der Monarchie, waren später im Reichsrat tätig und verkörperten daher Kontinuität und Tradition.29 Auf der Länderkonferenz am 25. Januar 1919 in Berlin 27 Preuß, Artikel 18, S. 3. 28 Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Bd. 326, Berlin 1919, S. 433. 29 Für Bayern Konrad Ritter von Preger, für Sachsen der Bevollmächtigte zum Bundesrat Graf von Holtzendorff und Legationsrat Poetzsch (später Poetzsch-Heffter), der hessische Gesandte Freiherr von Biegeleben, der ebenfalls bereits dem Bundesrat angehört hatte, der thüringische Bevollmächtigte zum Bundesrat Paulssen, der im Bundesrat mit Ausnahme von Sachsen-Meiningen die thüringischen Staaten vertreten

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machten die Revolutionsregierungen deutlich, dass sie keine Experimente mit dem Bundesstaat zulassen würden. Sie erreichten die Rückverwandlung der Ländervertretung aus einer parlamentarischen zweiten Kammer (StaatenhausLösung) in eine dem alten Bundesratsmodell ähnelnde Gesandtenkonferenz, wie sie sich mit dem Reichsrat durchsetzte.30 In der Verfassungssystematik stand der Reichsrat nach Reichstag und Reichspräsident bzw. Reichsregierung an dritter Stelle. In der Praxis gewann er jedoch wachsende Bedeutung, da seine Arbeit und die tagespolitische Wahrnehmung nicht durch wechselnde Landesminister bestimmt waren. Der Reichsrat galt als „ein in seiner Zusammensetzung ziemlich konstanter Beamtenkörper, der in zahlreichen persönlichen und kollegialen Beziehungen mit der Reichsbeamtenschaft verbunden war“.31 Es entwickelten sich Instrumente der Kooperation, wie die in wechselnden Abständen tagenden Ministerkonferenzen zwischen Reichs- und Länderregierungen oder die Besprechungen zwischen den Ressortchefs des Reichs und Preußens. Zumal die innere Verwaltung nicht mehr ausschließlich bei den Ländern lag, sondern mit den neuen Reichsfinanz- und Reichsarbeitsverwaltungen abzustimmen war.32 Nach dem Vorbild der Weimarer Nationalversammlung wurden 1919 in allen Ländern konstituierende Landesparlamente einberufen. Sie sollten die Königreiche und großen wie kleinen Herzog- und Fürstentümer in Freistaaten umwandeln und damit die Bundesstaaten auch nach der Revolution als Länder erhalten.33 Nach außen sichtbar wurden die alten Staatsinsignien adaptiert. Sachsen behielt den Kern seines Landeswappens bei. Das so genannte kleine sächsische Staatswappen, schwarz und gold, neunmal geteilt, mit einem schrägrechten Rautenkranz belegt, wurde nur ohne Krone weitergeführt. Auch in Bayern war unstrittig, dass das Wappenabzeichen des Freistaates auf den ursprünglich begründeten dynastischen Sinnbildern beruhen sollte. Versuche,

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hatte, für Meiningen wirkte wie im Bundesrat der bayerische Ministerialdirektor Münzel, für Braunschweig fungierte wie im Bundesrat der Gesandte Boden, BAK Kleine Erwerbungen 295 Friedrich Tischbein, Aus dem Reichsrat. Erinnerungen eines mecklenburgischen stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat 1919–1934, Manuskript, Bl. 15ff.; Lilla, Der Reichsrat (2006). Ebenda, S.14–19. Eine für den Reichsrat positive Bilanz der Mitwirkung an Gesetzgebung und Verwaltung findet sich bei Lilla, Reichsrat, S. 35–39. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 1182; Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 151ff., aus der zeitgenössischen Literatur exemplarisch Karl Bilfinger, Der Reichsrat. Bedeutung und Zusammensetzung, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, Tübingen 1930, S. 545f. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 744–852.

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der revolutionären Entwicklung in München durch die Jakobinermütze bildlich Ausdruck zu verleihen, scheiterten.34 Der Landtag von Oldenburg hielt die nach der Revolution benutzten Embleme aus zwei Eichenzweigen für unwürdig und wollte das alte Staatswappen ohne monarchische Insignien zurück, weil es nicht „durch irgendein Phantasiewappen“ zu ersetzen sei.35 In Baden gab es zwar einen Wettbewerb mit hoher Beteiligung. Gegen die 61 eingereichten Entwürfe obsiegte jedoch auch hier das traditionelle Wappenschild, das im 19. Jahrhundert vom Großherzogtum als Symbol staatlicher Einheit von den badischen Markgrafen übernommen worden war.36 Das ausgeprägte Landesbewusstsein korrespondierte zudem mit einer „Reichsverdrossenheit“, die genau besehen eine Verdrossenheit gegen das hegemoniale Preußen war.37 Namentlich in Süddeutschland und in Sachsen betrachtete man den verlorenen Krieg als einen preußischen. Die Los-vonBerlin-Bewegung, die sich während dieser Zeit artikulierte, schwamm zudem auf einer Woge ordnungspolitischer Vorbehalte und Befürchtungen vor einem sozialistischen Deutschland. Besonders in der verworrenen Lage der Januarkämpfe 1919 stand Berlin für eine Diktatur der Straße. Die Aversion gegen das „rote Berlin“ wurde durch wirtschaftliche Desorganisation erhärtet, und sie fand besonders in den als religions- und kirchenfeindlich angesehenen Maßnahmen des preußischen Kultusministeriums ihre Bestätigung.38 In Braunschweig wiederum galt die Entscheidung der provisorischen Zentralregierung für eine parlamentarische Republik als konterrevolutionärer Akt. Die von der linkssozialistischen Regierung Oeter angestrebte nordwestdeutsche Räterepublik sollte am Vorabend der erwarteten Weltrevolution aus dem Reich ausscheiden.39 Unter dem Eindruck eines drohenden Reichszerfalls wurde der erste unitarische Verfassungsentwurf föderalistisch zurückgebogen. Das Ergebnis war 34 Wilhelm Volkert, Die Wappenzeichen des Landes Bayern, in: ZBLG 44 (1981), S. 691. 35 StAO 131 / 765 Landtag, 21.6.1919. 36 GLAK 233 / 28175 Badische Wappen mit einem Memorandum des Badischen Generallandesarchivs, 20.3.1919, den neuen Entwürfen in der Karlsruher Zeitung, 29.11.1920 und dem Protokoll des Wettbewerbs, 20.2.1920. 37 Andere Ressentiments wie die antibayerischen Vorbehalte in der Pfalz fielen demgegenüber weniger ins Gewicht, dazu Celia Applegate, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkley 1990, S. 111 und dies., Zwischen Heimat und Nation. Die pfälzische Identität im 19. und 20. Jahrhundert, Kaiserslautern 2007. 38 Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 28–43; Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, S. 99–108. 39 Ernst-August Roloff, Braunschweig und der Staat von Weimar. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 1918–1933, Braunschweig 1964, S. 47.

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ein Kompromiss zwischen „Einheit und Sonderung“, der einerseits die Reichsgewalt stärkte und andererseits den Ländern, wie sie der Sturz der Dynastie zurückgelassen hatte, „das höchste Maß an Selbständigkeit“ in der „nationalen Lebenseinheit“ bewahren sollte.40 Anhaltend blieb eine Enttäuschung über die Schwerkraft der Überlieferung und das allzu rasche Auslaufen der bundesstaatlichen Neuordnungsimpulse. Dass die Novemberrevolution die Monarchie gestürzt, die dynastische Länderstaatlichkeit jedoch nicht tangiert hatte, monierten viele Zeitgenossen als „Ausbleiben einer zweiten Revolution“. Thomas Mann, der öffentlich für die Republik und ihre Werte warb, beschrieb ihre föderale Struktur als anachronistisch und Erblast älterer Regionalität. Um „das Versagen der deutschen Revolution vor ihren eigentlichen schöpferischen Aufgaben“ wettzumachen, trat er dafür ein, den „versäumten Augenblick“ nachzuholen. Dabei erschien es ihm nach fast zehn Jahren jedoch nicht sicher, „ob und wie es möglich sein wird, das kalte Eisen zu schmieden“ und er fragte: „Ist (…) der Mensch heute reif und stolz genug, um seine Angelegenheiten zu frei gewählter Stunde nach Vernunftbeschluss zu ordnen, statt, wie bisher, die Neuordnung der historischen Katastrophe anheim zugeben? Und hat sich, besonders gefragt, das deutsche Volk hinlänglich in das Neue gefunden, um schon heute aufgelegt zu sein, in freier Begeisterung die Hand an sein entfürstetes Reich zu legen, und es nach den Bedürfnissen von Gegenwart und Zukunft umzugestalten?“41 Eine „Reichsreform“ war zwar nicht an die Weimarer Epoche gebunden, sondern ein Thema, das sich durch die gesamte neuere deutsche Verfassungsund Verwaltungsgeschichte zog. Doch gewann es nach 1919 an Schärfe, als zahlreiche ältere Strukturprobleme des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses zu Tage traten. Neue regionale Strukturen, Metropol- und Wirtschaftsregionen sowie veränderte soziale Milieus ließen sich in allen Industriestaaten dieser Zeit beobachten. Vor dem Hintergrund einer mit Kriegsniederlage, Revolution und Staatskrisen ringenden labilen Republik wurde eine Lösung der deutschen Probleme jedoch als besonders dringlich empfunden.42 Umfassend 40 Preuß, Das Verfassungswerk von Weimar (1919), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 86. 41 Thomas Mann, Die historische Überholtheit der gegenwärtigen Reichsverfassung – Geschichte durch Vernunft – Der gegenwärtige Zustand unnatürlich, in: Neugliederung des Reiches (Beilage zum Hannoverschen Kurier), Nr. 472/73, 9.10.1927, S. 1. 42 Eine Zusammenfassung der föderalen und unitarischen Einwände und Reformvorschläge bei Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S. 79–132; Arnold Brecht, Verhältnis des Reichs zu den Ländern. Die Mängel des gegenwärtigen Zustands und ihre Tragweite, in: Reichsministerium des Innern (Hg.), Verfassungsaus-

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war daher die Mängelliste, deren Behebung an eine Reichsreform adressiert wurde. Dazu zählten auch die Beziehungen von Legislative und Exekutive, Parlamentarismus und autoritär-präsidialer „Reserveverfassung“. Zwei Grundprobleme prägten den Diskurs um den Bundesstaat: die territoriale Frage, die sich auf die politisch-geografische Gestaltung der Länder bezog, und die so genannte funktionale Frage der Abgrenzung von Reichs- und Länderkompetenzen.43 Die Weimarer Verfassung untergrub erstmals den Anspruch der Länder auf ein „Hausgut“ an Eigenstaatlichkeit, indem sie dem Grundprinzip „Reichsrecht bricht Landrecht“44 folgte und dem Reich erhebliche Not- und Ausnahmerechte gegenüber den Ländern einräumte. Mit der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten und dem Instrument der Reichsexekution existierten erhebliche Einbruchstellen für den Bundesstaat.45 Kritikwürdig an der frühen Anwendung gegen die linksgerichtete Regierung Sachsens 1923 waren sowohl die verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber Bayern als auch das praktische Vorgehen im Rückgriff auf obrigkeitsstaatliche Kategorien des militärischen Belagerungszustandes, wie es Hugo Preuß hervorhob: „Befehle eines Generals an eine Landesregierung oder eine Landesvertretung sind in der bürgerlichen Republik ein Unding.“ Es tauge die beste Verfassung nichts, „wenn sie von ihren berufenen Vollstreckern falsch oder dilettantisch angewendet wird“.46 Auch die Karlsruher Zeitung sah wie Preuß in dem Aufkommen rechtlicher und politischer Zweifel vornehmlich einen „Bankrott der Reichsautorität“, denn es würde dadurch glatt zugegeben, „dass das Reich nur noch in der Lage ist, seine Autorität kleineren Ländern gegenüber zu wahren. Damit würde aber dem ganzen Gebäude des Reiches und seiner Verfassung nicht nur der rechtliche, sondern auch der moralische Boden unter den Füßen weggezogen werden.“47 Die Möglichkeit der Ausübung einer Landesdiktaturgewalt fand keinen Anklang. Zumal die Münchner Regierung unter Eugen von Knilling diesen Weg am 26. September 1923 dem Reich gegenüber demonstriert hatte und

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schuss der Länderkonferenz, Beratungsunterlagen 1928, Berlin 1929, S. 305–311; ders., Reich und Länder, in: Die Gesellschaft (1928), S. 15–28. Arnold Brecht, Föderalismus, Regionalismus und die Teilung Preußens, Bonn 1949, S. 127. WRV, Artikel 13,1. Leo Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1922, S. 154 ff., 254f. Die Einwände im Detail bei Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 382. Um die Verfassung, in: Karlsruher Zeitung 252, 30.10.1923.

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mit dem eingesetzten „Triumvirat“ aus dem Regierungspräsidenten von Oberbayern Gustav Ritter von Kahr, dem bayerischen Wehrkreiskommandeur und General Otto von Lossow sowie dem Chef der bayerischen Landespolizei Oberst Hans von Seißer das Damoklesschwert einer Rechtsdiktatur über dem Freistaat Bayern und der Republik schwebte.48 Die Landesregierungen dürften, so mahnten die deutschen Staatstheoretiker, nicht in die Lage versetzt werden, „die Reichsgewalt schachmatt zu setzen“49. Angesichts der republikfeindlichen Radikalisierungen 1923 und des Sündenregisters einzelner Länderregierungen sahen sich hauptsächlich die Unitarier im Aufwind, sobald sie für die „Schlagkraft der unbedingten Autorität“ der Reichsgewalt plädierten. Vorzugsweise sollte diese nicht, wie in den Konflikten mit Sachsen und Bayern geschehen, „durch Unsicherheit in der Anwendung“ von Artikel 48 geschmälert werden.50

Die Ausweitung der Reichskompetenzen Kennzeichnend für den Unitarisierungsschub der Kriegs- und Nachkriegszeit wurde die Änderung der Finanzverfassung zugunsten des Reiches.51 In den Debatten über eine „angemessene Finanzverfassung“, die zwischen Reichsgründung und nationalsozialistischer Machtergreifung geführt wurden, stand stets der Zusammenhang zwischen öffentlichen Finanzen und politischer Machtverteilung im Mittelpunkt. Es ging darum, wie die als erstrebenswert angesehene politisch-soziale Ordnung auch staatsfinanziell abgesichert werden konnte, und weniger um eine vernünftige, aufgabengerechte Kalkulation, wie es mitunter den Anschein hatte. Peter-Christian Witt hat darauf verwiesen, dass sowohl 1867/71 als auch 1918/1919 eine Finanzverfassung festgeschrieben wurde, die „vergangenheits- und nicht zukunftsorientiert“ war. So wurde während der Reichsgründungszeit von den Interessen der in den Bundesstaaten Herrschenden aus entschieden, dem Reich die indirekten Steuern, den Bundesstaaten die direkten Steuern zu belassen. Der demokratisch gewählte 48 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 347–349. 49 Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Juristentages, Bd. 33, Tübingen 1925, S. 87. 50 Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), S. 382. 51 Peter-Christian Witt, Finanzen und Politik im Bundesstaat. Deutschland 1871–1933, in: ders. / Jochen Huhn (Hg.), Föderalismus in Deutschland. Traditionen und gegenwärtige Probleme, Baden-Baden 1992, S. 75–100; Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 215–224.

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Reichstag bestimmte so nur über die den Verbrauch belastenden Steuern und Abgaben, die alle Staatsbürger ohne Ansehen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufzubringen hatten. In den bundesstaatlichen Parlamenten und den städtischen Bürgerschaften, von deren Wahl die Mehrheit der Reichstagswähler ausgeschlossen war, wurde dagegen über die einkommens- und vermögenswirksamen Steuern entschieden.52 Die Erfahrungen mit der bundesstaatlichen Präponderanz in der Zeit des Kaiserreichs führten dann 1918 zu einer Überbewertung des Reiches in der Weimarer Finanzverfassung.53 War das Kaiserreich der finanz- und steuerpolitische Kostgänger der Bundesstaaten gewesen, kehrte sich dieses Verhältnis nun gänzlich um: In Weimar wurden die Länder zu Kostgängern des Reiches.54 Nach Maßstäben, welche die Forschung für eine „angemessene“ föderale Finanzverfassung aufgestellt hat, wurde in dem einen wie dem anderen Fall an bundesstaatlichen Regeln vorbei gehandelt.55 Sie beruhen auf einer Finanzausstattung, die es sowohl dem Bund als auch seinen Gliedern und deren Kommunen ermöglicht, eine eigenständige, das heißt aber auch abweichende Ziele verfolgende Ausgabenpolitik zu betreiben. Andernfalls gäbe es kaum überzeugende Gründe für ein föderales System, denn der Einheitsstaat böte sich als eine kostengünstige Alternative an. Länder und Kommunen bezogen in Weimar nur noch wenige Einnahmen, über die sie politisch eigenständig verfügen konnten. Die Weimarer Verfassung enthielt außerdem eine Generalklausel, mit der das Reich gegen jede von den Ländern vorgesehene Steuer oder Abgabe vorgehen konnte, um eine Schädigung seiner eigenen Einnahmen oder Handelsbeziehungen auszuschließen, Doppelbesteuerung zu vermeiden oder inhaltlich unbestimmt „wichtige Gesellschaftsinteressen zu wahren“.56 Die ursprünglich erwogene ländereigene Verwaltung direkter Steuern wurde im Laufe der Verfassungsberatungen ersatzlos gestrichen. Länder und Gemeinden verzichteten schließlich wegen der hohen Kosten auf die Verwaltung

52 Witt, Finanzen und Politik im Bundesstaat, S. 88. 53 Matthias Erzberger, Reden zur Neuordnung des deutschen Finanzwesens, Berlin 1919, S. 9f. 54 Theodor von Pistorius, Das neue Reichsfinanzrecht, in: JöR 10 (1921), S. 13; siehe auch Gerhard Anschütz, Die Verfassung vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 7. Aufl., Berlin 1928. 55 Zum Problem einer systemgerechten Finanzverfassung im Bundesstaat vgl. Witt, Finanzen und Politik im Bundesstaat, S. 75–78 sowie Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 565–583. 56 WRV, Artikel 8 und 11.

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der ihnen verbliebenen Steuern und Abgaben, so dass die gesamte Finanzverwaltung auf das Reich überging.57 Im Unterschied zu anderen Politikbereichen gab es daher bei der Neuordnung der öffentlichen Finanzen durch die Erzberger’sche Reichsfinanzreform 1919/20 einen deutlichen Kontinuitätsbruch. Mit dem Verlust der Steuern aus direktem Einkommen und Vermögen verloren die Länder und Gemeinden einen wichtigen Teil ihrer früheren politischen Gestaltungsfreiheit, die bis 1918 vornehmlich das Besitzbürgertum privilegiert hatte. Die regierenden Sozialdemokraten stellten jedoch kaum in Rechnung, dass sich die politischen Verhältnisse in den Bundesstaaten und Gemeinden nach 1918 auch in dieser Hinsicht grundlegend gewandelt hatten, und entscheidende Hindernisse wie das Dreiklassenwahlrecht für ihr Hauptanliegen einer gerechteren Steuer- und Verteilungspolitik aus dem Weg geräumt waren. Die bürgerlichen Demokraten opponierten nicht, da die mit der Reichseinkommenssteuer verbundenen vermögensrechtlichen Eingriffe als Alternative zu einer drohenden Sozialisierung nach der Revolution billigend in Kauf genommen wurden. Weitere Überlegungen bezogen sich auf die im Krieg jedermann deutlich gewordene geringe Leistungsfähigkeit des bundesstaatlichen Finanzsystems. Orientiert an den Erfordernissen der gewaltigen Kriegsfolgelasten und Reparationsansprüche, die auf die Weimarer Republik zukamen, warb die Reichsbürokratie erfolgreich für eine effizient gestaltete, auf das Reich gerichtete Finanzordnung.58 Nicht zuletzt spielten parteipolitische Aspekte eine Rolle. Die Angriffe der Deutschnationalen gegen Erzberger beeinträchtigten die Widerstandsmöglichkeiten der Landesregierungen,59 so dass sich die völlige Neuordnung der Staatsfinanzen zwischen 1918 und 1920 in kurzer Zeit durchsetzen und wie aus einem Guss gestalten ließ.60 Unter dem dominierenden Drang zur Vereinheitlichung und „Verreichlichung“, der die erstrebenswerte Gleichheit der Lebensbedingungen und eine 57 Johannes Popitz, Die staatsrechtlichen Grundlagen des öffentlichen Finanzwesens, unter besonderer Berücksichtigung des Finanzausgleichs zwischen Reich und Ländern, in: Recht und Staat im Neuen Deutschland, hg. von Bernhard Harms, Berlin 1929, S. 176, 198ff. 58 AdHL NSA IV 1 B / 1 Beratung von Reichssteuerplänen mit dem Protokoll der Finanzministerkonferenz in Weimar am 29. und 30.1.1919 und mit den Ausführungen des Staatssekretärs im Reichsministerium der Finanzen Schiffer, Deutschlands Finanzlage und Steuerpolitik (Rede in der Berliner Handelskammer auf Einladung des Deutschen Industrie- und Handelstages am 9.12.1918), Berlin 1919. 59 Witt, Finanzen und Politik im Bundesstaat, S. 94. 60 Paul Beusch, Die Neuordnung des deutschen Finanzwesens, Mönchen-Gladbach 1920.

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gerechte Verteilung der Kriegsfolgekosten gewährleisten sollte, litt das finanzielle Auskommen vieler Länder und Gemeinden. So beklagte der sächsische Finanzminister Nitzschke61 in einem Interview mit der New Yorker Staatszeitung, dass das Reich „mit Gewaltmaßnahmen seine Finanzen balanciere, ohne auf das grenzenlose Finanzelend der Einzelstaaten Rücksicht zu nehmen“.62 Am Rande eines Staatsbankrotts erwog Schaumburg-Lippe 1926 den Anschluss an Preußen. 1928/29 folgte Mecklenburg-Schwerin, das die Übertragung von Verwaltungsaufgaben an das Reich erwog, um sich finanzielle Entlastung zu verschaffen. Die in solchen Fällen eingeholten Gutachten des Reichsparkommissars gingen jedoch über ein temporäres Krisenmanagement hinaus und arbeiteten einer Reichsreform vor. Verwaltungsexperten aus dem Umkreis des Vorsitzenden des Reichsrechnungshofes Friedrich Saemisch, dem das Amt des Reichsparkommissars übertragen wurde, gaben ab 1927 die Zeitschrift „Reich und Länder“ heraus. Ihr erster Artikel stammte aus der Feder von Saemisch selbst und hatte bezeichnenderweise die „Vereinheitlichung der Haushaltspläne“ zum Gegenstand.63 In den ersten Jahren der Weimarer Republik hatte sich die konservativ gesinnte hohe Beamtenschaft dagegen noch reserviert gegenüber den unitarischen Plänen der Weimarer Koalitionsparteien verhalten. Staatssekretär Johannes Popitz zählte zu den wenigen Ausnahmen im Reichsfinanzministerium.64 Ursprünglich sollte die Erzberger‘sche Finanzreform nicht nur das Reich, sondern auch die Länder und Kommunen hinreichend ausstatten. Die Finanzen, über die sie verfügen konnten, stammten aus drei Quellen: nichtsteuerlichen Einnahmen, Landesabgaben und Reichssteuerüberweisungen.65 Bis in die zweite Hälfte der 1920er Jahre erscheint daher die Kostgänger-Formel bezogen auf die Länder durchaus fraglich, da sie sich trotz der formal-rechtlichen Dominanz des Reiches in der Finanzpolitik durchaus behaupten konnten. Dies belegen etwa die kontinuierlichen Erhöhungen der Beteiligungsquoten 61 Emil Robert Nitzschke (1870–1921) DDP, MdR 1919–1920, Zweite Sächsische Kammer (1909–1918), MdL (1919–1920), Finanzminister (Oktober 1919–1920). 62 BAB R 43 I / 2307, Bl. 79–78 Bericht der preußischen Gesandtschaft Nr. 199, Dresden, 10.12.1919 (Abschrift). 63 Vgl. Moritz Saemisch, Die Vereinheitlichung der Haushaltspläne, in: Reich und Länder, 1 (1927/28,) H. 1, S. 3–12. Zu Einfluss und Kritik des Reichssparkommissars vgl. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 526–534. 64 Gerhard Schulz, Über Johannes Popitz (1884–1945), in: Der Staat 24 (1985), S. 485– 511. 65 Hans Nawiasky, Das Problem der kleineren und leistungsschwachen Länder. Zugleich ein Beitrag zum Finanzausgleich, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz, Beratungsunterlagen 1928, S. 294–297.

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an den Steuererträgen des Reiches. Im Jahr 1929 war zudem das Aufkommen der eigenen Einnahmen und Steuern der Länder immer noch größer als die Zuweisungen von Seiten des Reiches.66 Allerdings kam ein endgültiger Finanzausgleich und mit ihm eine klare Trennung der Steuerquellen von Reich und Ländern in der Weimarer Republik nicht zustande – ungeachtet der Dringlichkeit, die das Problem besaß. Nach den Finanzausgleichsgesetzen von 1923 bzw. 1926 hatte das Reich den Ländern die Kosten zu ersetzen, wenn es ihnen neue Aufgaben durch Reichsgesetze auferlegte oder bestehende Aufgaben erweiterte.67 De facto blieb diese Bestimmung weitgehend Theorie, wie der preußische Ministerpräsident Braun 1927 über die finanzpolitische Wirklichkeit bemerkte: „Praktisch gestaltet sich die Sache heute so, dass durch die Reichsgesetzgebung den Ländern fortgesetzt neue Lasten auferlegt werden, ohne dass ihnen die Möglichkeit eröffnet wird, sich neue Einnahmen zu verschaffen.“68 Wirksam wurde jedoch der umstrittene Paragraph 35 des Finanzausgleichsgesetzes. Er begünstigte Länder, deren Einnahmen unter achtzig Prozent des Reichsdurchschnitts der Einkommenssteuer – pro Kopf gerechnet – blieben, mit Zuschüssen aus dem Reichshaushalt. 1926 erhielten beispielsweise Schaumburg-Lippe (271 000 RM), Waldeck (695 000 RM), MecklenburgStrelitz (909 000 RM), Lippe (1 233 000 RM), Oldenburg (2 049 000 RM), Mecklenburg-Schwerin (4 578 000 RM) und Bayern (6 227 000 RM) sogenannte Ergänzungszuschüsse.69 Die Kritik an Paragraph 35, den Otto Braun als einen nach der Inflation „vergessenen Regenschirm“ bezeichnete, verweist auf die Defensive der föderalen Ordnung, die von der Sparpolitik des Reiches bedrängt wurde. Johannes Popitz, Staatssekretär im Reichsministerium für 66 Zu dieser Abwägung gelangt mit der Betonung zeitgenössischer Bewertungen Heiko Holste, Der deutsche Bundessstaat im Wandel, S. 402. 67 Zu den Forderungen der Länder und Gemeinden nach einer angemessenen Beteiligung an der Reichssteuer AdHL NSA V1, 1a/ 2 Lübecker Finanzbehörde an den Senat, 16.12.1921; Johannes Popitz, Die deutschen Finanzen, in: Zehn Jahre deutsche Geschichte, Berlin 1928, S. 182–190; Ottmar Bühler, Die Zuständigkeitsverteilung auf dem Gebiete des Finanzwesens, in: Anschütz / Thoma (Hg.), Handbuch des deutschen Staatsrecht, Bd. I, S. 339. 68 Braun, Deutscher Einheitsstaat oder Föderativsystem?, S. 23f. 69 Pro Kopf gerechnet entsprach das für Schaumburg-Lippe (5,64 RM), Waldeck (12,45 RM), Mecklenburg-Strelitz (8,24 RM), Lippe (7,53 RM), Oldenburg (3,76 RM), Mecklenburg-Schwerin (6,79 RM), Bayern (0,84 RM), vgl. Brecht, Verhältnis des Reichs zu den Ländern, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 309; Popitz, Die staatsrechtlichen Grundlagen des deutschen Finanzwesens, S. 205.

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Finanzen formulierte 1927 sein Gesetz von der „Anziehungskraft des größten Etats“. Nur das Reich sei in der Lage, in Krisenfällen wie der Massenarbeitslosigkeit die nötigen Mittel aufzubringen. Damit dringe es ungewollt in die Zuständigkeiten der Länder ein. Es komme zu einer Verwischung der Aufgabenteilung und unterstützt von der politischen Vorrangstellung des Reichstages ergebe sich letztlich eine unvermeidliche Anziehungskraft des Zentralstaates,70 so dass die Länder unter die „goldenen Zügel“ des Reiches geraten würden. Die Länderregierungen leisteten demnach „wohl Widerstand im politischen Meinungskampf“, jedoch sei „der Wunsch nach Entlastung, nach dem finanziellen Eintreten des Reiches … stärker als alle Sorgen um die Einzelstaatlichkeit.“71 Diese finanzpolitisch verursachte Unitarisierung brachte der Lübecker Gesandte Meyer-Luerßen bereits 1924 ganz ähnlich auf den Punkt. Nachdem die Länder im Reichsfinanzministerium „gehört“ wurden, setze „das Reich, das alle Vorlagen bereits genau ausgearbeitet“ habe, das um, „was es für wirtschaftlich und politisch notwendig“ halte.72 Im Wesentlichen hatten die zwischen November 1918 und März 1920 getroffenen Regelungen der Finanzbeziehungen zwischen Reich und Ländern jedoch bis in die Spätphase der Republik Bestand. Erst unter der Präsidialregierung Heinrich Brünings wurden die Länder und Gemeinden 1931 fiskalisch mediatisiert, so dass mit der Aufhebung ihrer Verantwortung für öffentliche Einnahmen und Ausgaben in finanzpolitischer Hinsicht die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik vorweggenommen wurde.73 Am Beginn dieser Entwicklung stand der steigende Finanzbedarf des Reiches für die Aufwendung der Reparationszahlungen und die Bewältigung der Langzeitarbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise, nachdem das Reich bereits 1927 die Arbeitslosenfürsorge von den Gemeinden übernommen hatte. Zwar blieb es bei den Beteilungsquoten der Länder an den Steuererträgen des Reiches, aber das Reich kürzte die zu verteilenden Mittel durch Vorwegentnahmen zu seinen Gunsten und begrenzte die an die Länder zu verteilenden Summen. Aufgrund dieser Maßnahmen und mit sinkenden Ein70 Johannes Popitz, Der Finanzausgleich, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, hg. von Wilhelm Gerloff und Franz Meisel, Bd. II, Tübingen 1927, S. 338–375, zit. S. 403; dazu auch Holste, Der deutsche Bundesstaat im Wandel, S. 402ff. 71 zit. nach G. Lassar, Die reichseigene Verwaltung, in: Recht und Staat im neuen Deutschland (Vorlesungen gehalten in der Deutschen Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung, 1), o. J., S. 234. 72 AdHL NSA V 1, 1a/2 Lübecksche Gesandtschaft, Berlin 31.10.1924. 73 Witt, Finanzen und Politik im Bundesstaat, S. 97f.

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nahmen reduzierten sich die Zuweisungen an die Länder dramatisch. 1931 erhielten die Länder nur noch 75,3 Prozent, 1932 nur noch 56,1 Prozent der Summe, die sie 1925 aus Umsatz-, Einkommens- und Körperschaftsteuern erhalten hatten.74

Territorialreform Neugliederungspläne tangierten unmittelbar die Existenz Preußens sowie die Zukunft der kleinen und mittelgroßen Länder. Daher wurde diesem Aspekt der Reichsreform eine größere öffentliche Aufmerksamkeit zu Teil als den Problemen der Kompetenzverteilung zwischen Reich und Ländern, die den eigentlichen Kern der bundesstaatlichen Organisation ausmachten. War die Rede von einer Reichsreform, so griff man als erstes nach einer Landkarte, unterstrich „den Ort, in dem man lebt“, und diskutierte „über schöne weite Grenzen um diesen Ort herum“. Gewissenhaft wurden dabei „sprachlich (mundartliche), stammesmäßige Zusammenhänge“ und „Grenzen gleicher Volksgewohnheiten“ geprüft, „Gebirgszüge, Stromlinien, Verkehrsnetze“ berücksichtigt sowie „wirtschaftliche Zusammenhänge, geographische Richtungen des Handels und Gewerbes“ festgestellt. Im Ergebnis entstanden bis heute geschätzte interdisziplinäre und komprimierte landeskundliche Sammlungen, so „wie man bei der Alchemie zwar kein Gold aber andere wertvolle Dinge fand“,75 da die wesentliche Voraussetzung einer Territorialreform, die Dezentralisierung Preußens, scheiterte. Ein erster konkreter Vorschlag zur Abgrenzung von 16 neuen Ländern mit mindestens einer Million Einwohnern stammte 1918 von dem Berliner Geographen Walther Vogel. Die drei Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck sollten in einem zu bildenden Land Niedersachsen aufgehen, größere Teile Mecklenburgs wurden einem künftigen Land Brandenburg zugeschlagen. Der Erfurter Regierungsbezirk diente als Mitgift für ein Großthüringen. Auch das Rheinland, Westfalen und Hessen wären nach Vogels Plan Freistaaten geworden. Die Version berücksichtigte zudem noch einen Anschluss Österreichs, das in den „Kranz der übrigen deutschen Staaten eingefügt“ würde.76 74 Holste, Der deutsche Bundesstaat im Wandel, S. 402–405, die Zahlen stammen aus: Finanzverwaltung und Finanzausgleich in der Weimarer Republik, hg. vom Institut „Finanzen und Steuern“, Bonn 1956, S. 56. 75 Arnold Brecht, Die Neugestaltung des Reiches, in: Oscar Müller (Hg.), Krisis. Ein politisches Manifest, Weimar 1932, S. 42f. 76 Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung (1919).

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Hugo Preuß unterbreitete in den Verfassungsberatungen einen Vorschlag für Wahlbezirke zu einem Staatenhaus als Vertretung der Regionen, der dann als Folie für die Bildung von 16 bzw. nach dem Ausschluss von Österreich 14 Freistaaten aufgegriffen wurde. Preuß Skizze war zunächst nur in wenigen als vertraulich bezeichneten Exemplaren gedruckt worden, die nicht publiziert werden sollten. Demgemäß enthielt der erste veröffentlichte Entwurf an Stelle der konkreten Vorschläge neuer Wahlbezirke zum Staatenhaus nur den knappen Paragraphen 35: „Bis sich die neuen Freistaaten gebildet haben, wird ein provisorisches Staatenhause eingerichtet (nach Vorschriften, deren Fassung vorbehalten bleibt).“77 Jedoch gelangte die gestrichene Fassung der konkreten Neugliederung von Wahlbezirken zum Staatenhaus durch eine Indiskretion in die Presse. Preuß Neugliederungsvorschlag wurde so noch vor der amtlichen Veröffentlichung des ersten Entwurfs bekannt, der obendrein wegen der Besetzung der Reichsdruckerei in den Januarkämpfen 1919 durch Spartakisten mit einer Woche Verspätung ausgeliefert wurde. So konnte Preuß vorgeworfen werden, er habe die „Zerschlagung Preußens“ und eine Neugliederung dekretieren wollen.78 Die heftige Erregung über diesen Punkt machte sich besonders auf der Staatenkonferenz am 25. Januar 1919 bemerkbar, weshalb Preuß nochmals erklärte: „Wie die Dinge liegen, wird aber die Sache nicht von oben gemacht, sondern sich entwickeln müssen.“79 Nach einer kontroversen Diskussion in der Weimarer Nationalversammlung über die Ländergrenzen wurde das territoriale Problem der Reichsstruktur jedoch vertagt. Artikel 18 der Verfassung ließ den Weg zu einer Neugliederung des Reiches offen. Gebietsänderungen wurden dabei ausdrücklich an die Zustimmung der Bevölkerung gebunden. Für das Rheinland einigten sich die großen Fraktionen im Reichstag auf Sperrfristen. Es wurde vereinbart, überhaupt keine Abstimmung über Gebietsänderungen vorzunehmen, solange „fremde Besatzungstruppen dort auf deutschem Boden stehen“.80 Gegner der dynastischen Länderstaatlichkeit sprachen deshalb vom „Friedhof des neuen Reichsgedankens“81. Eine entscheidende Lücke hatte der Artikel 18 zudem 77 Preuß, Entwurf der künftigen Reichsverfassung, S. 42. 78 Preuß, Artikel 18 der Reichsverfassung, S. 6f. 79 Preuß, Pressegespräch zum Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt (1919), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 79. 80 GLAK 233 / 12897 Ausführung des Artikels 18 der Reichsverfassung 1921–1923 und Frankfurter Zeitung, Nr. 488, 3.7.1922. 81 Bröker, Lippe als selbständiger Staat, S. 7. Das Verdikt gegen die demokratische Legitimation von Gebietsveränderungen fand auch nach dem Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen mit dem ähnlichen Artikel 29 des Grundgesetzes viele Parteigänger vgl. Deuerlein, Föderalismus, S. 192.

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nicht schließen können. Er gab keine Auskunft, wie die Abstimmungsgebiete zu begrenzen waren, insbesondere, ob bei einer Neugliederung das Votum der Bevölkerung des gesamten betroffenen Landes einzuholen war. Der Reichsratsbevollmächtigte Lübecks bemerkte zu Recht, dass die Exklaven Oldenburgs gewiss niemals zur Vereinigung mit einem Nachbarland gelangen würden, wenn der gesamte Freistaat darüber abstimmen würde.82 Baden plädierte für eine Streichung des gesamten Neugliederungsparagraphen. Dort sah man durch Artikel 18 den Weg zu einem borussifizierten Norddeutschland vorgezeichnet, solange die preußischen Delegierten versuchten, jede Aufteilung Preußens zu verhindern. Baden, Mecklenburg, Weimar und Anhalt waren in den Verfassungsberatungen über die Vertretung der Regionen im Staatenhaus vergeblich für eine niedrige Mindestgröße von einer halben Million Einwohner eingetreten, um so den Druck auf die Existenz der norddeutschen Kleinstaaten abzumildern.83 Die auf Initiative der DDP-Fraktion von der Nationalversammlung 1920 ins Leben gerufene Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches sollte Artikel 18 politisch umsetzen. Reichsinnenminister Koch-Weser, der wie Preuß und andere DDP-Politiker für die Auflösung Preußens und einen dezentralisierten Einheitsstaat engagiert war, nutzte die Kommission als Vehikel dieser Pläne.84 Dementsprechend beschäftigte sie sich auch mit den Autonomiebestrebungen in den preußischen Provinzen, agierte jedoch wirkungslos. Die am 3.9.1922 in Oberschlesien und am 18.5.1924 in Hannover veranstalteten Abstimmungen über das Ausscheiden der Provinzen aus Preußen hatten für die Befürworter der Selbstständigkeit katastrophale Ergebnisse. Es waren eher Bagatellfragen wie die Vereinigung Pyrmonts und Waldecks mit Preußen 1922 und 1929, die gelöst werden konnten. Auch der Zusammenschluss der thüringischen Staaten 1920 ist dieser dem Reichsministerium des Innern angegliederten Kommission nicht zuzuschreiben.85 Die Kritik Hugo Preuß an der dynastischen Länderstaatlichkeit, die seiner Ansicht nach Fortschritt, Verwaltungseffizienz und ein optimales Zusammenleben der deutschen Stämme behinderten, wurde in der Weimarer Bundes82 ThHStAW Staatsministerium Nr. 21 Bericht Münzel, Berlin 19.6.1922, Bl. 21. 83 GLAK 233/ 12891 Bericht des badischen Gesandten Berlin, 8.2.1919. Zu den Verhandlungen im Staatenausschuss ausführlich Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 159ff. 84 Ebenda, S. 302–310. 85 Die Arbeiten der Zentralstelle für die Gliederung des Reiches, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 65–69; Georg Kaisenberg, Die Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches, Braunschweig 1927/28.

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staatsdebatte jedoch immer wieder aufgegriffen. Es entstanden umfangreiche Werke über das Rhein-Main-Gebiet mit dem Mittelpunkt Frankfurt, über Niedersachsen mit weiten Grenzen um Hannover, über Obersachsen und Westfalen sowie über Thüringen vom Standpunkt Erfurts aus. Die gewonnenen Erkenntnisse schärften jedoch in der Neugliederungsfrage eher das Bewusstsein gegen eine Reichsreform „vom grünen Tisch aus mit Zirkel und Lineal“86 oder „die Herbeiführung des Einheitsstaates im Wege eines Reichsdeputationshauptschlusses“87 als dass sie zu einer erhofften „Landgewinnung“88 beitrugen.

4.2. Die Reich-Länder-Reformdebatte 1924–1930 Nicht allein die süddeutschen Staaten, sondern – bis heute kaum wahrgenommen – auch die nord- und mitteldeutschen Länder traten entschieden für den Bundesstaat ein. Preußen und Bayern bildeten die politisch gegensätzlichen Pole eines breit gefächerten Konfliktfeldes. Mit wechselnden Konstellationen und Schwerpunkten durchzogen die Auseinandersetzungen dieser beiden Länder die gesamte Geschichte der Weimarer Republik. Die von bayerischer Seite noch unter der rechtskonservativen Regierung Eugen von Knilling 1924 geforderte Rückkehr zur Bismarck-Verfassung hatte gezeigt, dass es nicht allein um das Axiom des Föderalismus ging. München hatte dem angeblich starken Zusammenhalt der Bundesstaaten unter der Monarchie eine schwache Bindekraft der Republik gegenübergestellt, und mit der Berufung auf die Verfassungsautonomie der Länder die republikanische Staatsform in Frage gestellt.89 Durch die Reaktionen auf die bayerische Denkschrift von 1924 trat das Problem einer Reichsreform wieder in den Vordergrund. Die Erwiderung aus dem Reichsministerium des Innern erschöpfte sich zwar in einem Memorandum, welches die inneren Widersprüche des bayerischen Papiers aufzeigte.90 86 87 88 89

Bund zur Erneuerung des Reiches, Reich und Länder, S. 61. HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft, München 12.11.1927, Entwurf, S. 6. Brecht, Die Neugestaltung des Reichs, S. 43. Die Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung „Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung“ von 1924 ist abgedruckt in: Verfassungsausschuss der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 343–361. 90 Die Denkschrift hatte eine Rückkehr zur Bismarck-Verfassung gefordert, dabei aber ihr Herzstück, die preußische Hegemonie mit der Personalunion von Kaiser und preußischem König geflissentlich ignoriert. Außerdem relativierte das Memorandum des Reichsinnenministeriums die scheinbar drastischen Gegensätze zwischen altem und neuem Verfassungsrecht, denn trotz aller föderalen Rhetorik konnte sie an die bereits im Bismarck-Reich vollzogene unitarische Entwicklung im Bundesstaatsdenken und

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Aber das öffentliche Interesse war geweckt, und es wurde durch die Debatte um den Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden noch verstärkt. Politische und wirtschaftliche Vereinigungen nahmen Stellung, kommunale Organisationen unterbreiteten eigene Reichsreformpläne. Führende Landespolitiker meldeten sich zu Wort und die Parteien wurden programmatisch aktiv. Der Bürgermeister von Hamburg Petersen sprach 1928 sogar von einer „sich dauernd in ihrer Leidenschaft steigernden Volksbewegung“.91 Die Konflikte mit Bayern indessen hatten sich seit 1924 unter der Regierung Held abgeschwächt, der Separatismus-Verdacht gegen München verblasste. In der bayerischen Denkschrift „Über die fortschreitende Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder unter der Weimarer Verfassung“ von 192692 waren die Akzente des bayerischen Föderalismus bereits deutlich verschoben. Die Münchner Regierung bemühte sich jetzt mehr um eine Eindämmung des Unitarismus in der geltenden Verfassung als einer Wiederherstellung des kaiserzeitlichen Föderalismus das Wort zu reden. Held bestand auf bayerischer Eigenstaatlichkeit, die er durch „unentziehbare Hoheitsrechte“ und eine Abgrenzung zur Reichsgewalt garantiert wissen wollte.93

Wiederaufnahme der Reichsreformbestrebungen In der akademischen und politischen Diskussion blieben Unitarisierungsbestrebungen virulent. Das betraf vor allem die Kehrtwende der rechtskonservativen Parteien und wirtschaftlichen Interessenverbände, die sich zuerst gegen die als unerträglich empfundene Erzberger’sche Reichsfinanzreform gewandt hatten. Sie sahen in den Ländern und Gemeinden nunmehr jedoch eine unerträgliche in der politischen Praxis anknüpfen. Das Memorandum der Reichsregierung zur bayerischen Denkschrift von 1924 ist abgedruckt in: ebenda, S. 7–60. Als Verfasser gilt der damalige Leiter der Verfassungsabteilung im Reichsministerium des Innern Arnold Brecht. 91 Carl Wilhelm Petersen, Veränderungen des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern. Bericht auf der Länderkonferenz, in: Reichsministerium des Innern (Hg.), Die Länderkonferenz, Berlin 1928, S. 7. 92 BHStAM MA 1943 / 103 352 Denkschrift. Die Eigenstaatlichkeit der Länder unter der Weimarer Verfassung, Januar 1926, Bl. 19–26. 93 Vgl. die Nachweise bei Friedrich Poetzsch, Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, in: JöR 13 (1925), S. 1–248, S. 78f. und Heinrich Held, Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung, München 1929. Zu den bayerischen Denkschriften vgl. auch Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 457–462 und S. 482–485.

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Verschwendung finanzieller Ressourcen und forderten, dass ihnen weitere Einschränkungen auferlegt werden sollten.94 Diese Kehrtwende spiegelte vor allem die Tatsache wider, dass in Ländern und Gemeinden überwiegend Weimarer Koalitionen den Ton angaben, die außerdem den Sozialstaatsauftrag der Weimarer Verfassung nicht einfach beiseite schoben. Sozialdemokraten, die noch 1918/19 mit größter Eindringlichkeit die Reichseinheitlichkeit gefordert hatten, verteidigten die Gestaltungsspielräume der Länder. Im Gegensatz zur Wirtschafts-, Verkehrs-, Sozial- und Finanzpolitik war die Kultur-, Bildungs- und Polizeihoheit der Länder kaum angetastet worden. Namentlich in der Auseinandersetzung um das Reichsschulgesetz vermochten sich die Länder zu behaupten, während das reichseinheitliche Wohlfahrtssystem Bismarckscher Prägung mit dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1927 und dem Aufbau einer Reichsarbeitsverwaltung seinen äußerst umstrittenen Schlussstein erhielt.95 Die deutschnationale Beteiligung an der Diskussion weitete sich aus. Ihre seit Mitte der 1920er Jahre verbreiteten autoritären Pläne setzten auf einen starken Staat. Dazu zählten sie nicht nur die Stärkung des Reichspräsidenten, sondern im Gegenzug auch die Beschränkung der Länder und ihrer Parlamentsrechte. Die demokratischen Wortführer einer unitarischen Reichsreform gerieten dadurch in das Dilemma, sich gegen solche Pläne verteidigen zu müssen, ohne den eigenen Standpunkt aufzugeben. Mit ihren Hinweisen auf die vermeintlich hohen Kosten für Landesminister und Parlamentarier redeten sie oftmals ungewollt jenem Anti-Parlamentarismus das Wort, der Parlamente als „Quasselbuden“ schmähte, und der nach einer harten Hand und einem durchsetzungsfähigen Machtstaat verlangte.96

94 Walter Adametz / Karl Eugen Mößner, Die deutsche Verwaltungs- und Verfassungsreform in Zahlen. Eine vergleichende Darstellung der Staatsausgaben des Reiches und der Länder nach Verwaltungszwecken und Verwendungsarten im Rechnungsjahre 1927 unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Steuerkraft und Verwaltungsaufwand (Veröffentlichung der Spitzenverbände von Banken, Handel, Handwerk und Industrie), Berlin 1928 und BAB R 43 I / 1873 Aide mémoire des Reichsverbandes der Deutschen Industrie vom 23.11.1927, auch abgedruckt in: Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 659–664. 95 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 771. 96 Zum Beispiel der Staatsrechtslehrer Hermann Heller, der sich vorbehaltlos für die Weimarer Republik einsetzte: „Die Weimarer Verfassung ist auf halbem Wege stehengeblieben, sie hat Sein und Schein der ‚Länder‛ nicht zur Deckung gebracht. Sie hat ihnen den Schein einer staatsähnlichen Organisation belassen, mit Regierungen, Ministern, Gesandten und Parlamenten, und hat trotzdem ihr wahres Sein als bloße Verwaltungskörper kaum gewahrt.“ Hermann Heller, Die Neuordnung des Reiches im

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Im republikanischen Lager mehrten sich daher die Stimmen, die mahnten, man dürfe nicht „nach Reformen schreien, wenn die größten Gedanken und Forderungen unserer Reichsverfassung kaum oder überhaupt noch nicht Verwirklichung gefunden haben“.97 Ein deutliches Symptom für den Stimmungswechsel war, dass nun statt Bayern das „republikanische Bollwerk“ Preußen ins Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen Reich und Ländern rückte. So führten 1927 die Auseinandersetzungen des preußischen Ministerpräsidenten Braun mit dem neuen rechtsorientierten Bürgerblockkabinett Marx um die Regelung des Länderfinanzausgleichs zu einer Wiederaufnahme der Reichsreformbestrebungen. Seit der Installierung des vierten Reichskabinetts hatten sich die Anzeichen für eine Annäherung zwischen der Reichsregierung und Bayern verdichtet. Diese wurde jedoch mit großzügigen finanziellen Zugeständnissen an die Münchner Regierung und auf Kosten der anderen Länder, in erster Linie der finanzstarken Industrieländer Preußen, Sachsen, aber auch Anhalts und des Stadtstaates Hamburg, bezahlt. Damit war der Finanzausgleich zwar nicht endgültig geregelt, aber durchaus ein Präjudiz für die endgültige Einnahmeverteilung der Reichsüberweisungssteuern und Lastenausgleichsbeträge auf die einzelnen Länder geschaffen.98 In einer Rede vor der sozialdemokratischen Studentenvereinigung an der Berliner Humboldt-Universität, die Braun in einer Broschüre drucken ließ, führte er der Öffentlichkeit die unbefriedigende Lastenverteilung zwischen dem Reich und den Ländern vor, um gleichzeitig deutlich zu machen, dass eine endgültige Regelung ohne die führende Beteiligung Preußens nicht zu erreichen sei. Brauns Ausführungen gipfelten schließlich in der Forderung,

Verhältnis zu seinen Ländern (1931), in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Christoph Müller, Bd. 2: Recht, Staat, Macht, 2. Aufl., Tübingen 1991, S. 396. 97 Die Republik und wir. Rede des Ministerialdirektors z. D. Dr. Karl Spiecker vor der Reichskonferenz des Deutschen Republikanischen Reichsbundes in Berlin am 25. November 1925, Berlin 1928, S. 6. 98 Am 7.4.1927 lehnte der Reichsrat Einsprüche von Sachsen, Anhalt, Preußen und Hamburg gegen das Finanzausgleichsgesetz und vor allem gegen die Benachteiligung finanzstarker Industrieländer ab, vgl. zu den Konflikten zwischen dem Reich und Preußen unter dem vierten Reichskabinett Marx Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 543–563 und Schulze, Otto Braun, S. 587ff.; aus den zahlreichen zeitgenössischen Kommentaren Otto Becker, Weimarer Reichsverfassung und nationale Entwicklung, Berlin 1931.

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die Staatlichkeit der Länder auf dem Wege der fortschreitenden Ausschöpfung aller Zuständigkeiten allmählich zu beseitigen.99 Braun kritisierte zunächst, dass die unausgewogene föderale Struktur des Reiches dazu führe, dass einzelne Länder zu Lasten anderer finanzielle Sonderwünsche durchsetzen würden. Dies war ein direkter Seitenhieb auf das steuerschwache Bayern und die norddeutschen Kleinstaaten, von denen Schaumburg-Lippe im Juni 1926 die Regierung Braun mit einer Volksabstimmung gegen den Anschluss an Preußen brüskiert hatte. Die Rede des preußischen Ministerpräsidenten, die sich nur vordergründig mit Finanzfragen befasste, enthielt daher eine scharfe Abrechnung mit „Kleinstaaterei“ und dem „bayerischen Partikularismus“: Der gegenwärtige Zustand in dem deutschen Föderativstaat sei „überaus unwirtschaftlich und teuer und in seinem Ergebnis auch so wenig befriedigend, dass er dringend Abänderung“ erheische.100 Die Republik sah Braun besser im Einheitsstaat aufgehoben. In einem ersten Schritt sollte das Reich die Länder finanziell entlasten, diese aber gleichzeitig zu bloßen Verwaltungseinheiten herabsetzen. Gegen den zu erwartenden Widerstand einzelner Länderregierungen und Länderparlamente, so verkündete der preußische Ministerpräsident, werde es nicht schwer fallen „eine mächtige Volksbewegung zu entfachen, die dann über all jene Partikularisten hinweggehen würde, die sich der deutschen Einheitsbewegung hindernd in den Weg stellen.“101 Dass die Einheit des Reiches nur über die republikanische Ordnungszelle Preußen, dem sich die anderen Länder anschließen sollten, nicht aber durch die Zerschlagung Preußens zu lösen sei, war dabei eine Grundüberzeugung der Regierung Braun. Preußische Sozialdemokraten hatten sie detailliert wie lakonisch, intern wie öffentlich vielfach wiederholt. Sie war jedem bekannt, der sich für die Haltung Brauns zur Reichsreformfrage interessierte. Selbst das Loblied, das der führende Sozialdemokrat auf Bismarck aufbrachte, konnte in diesem Kontext nicht überraschen.102 Allerdings fand Braun schnell heraus, dass er sich auf glattes Parkett begeben hatte. Er konnte zwar die Initiative in der Reichsreformfrage an sich ziehen. Es war aber keineswegs sicher, ob es ihm gelang, diesen Vorsprung zu halten und die Debatte zu präjudizieren. Die plötzliche Aktivität Preußens in der Reichsreformfrage löste in der Reichskanzlei zunächst Verlegenheit aus, denn 99 Braun, Einheitsstaat oder Föderativsystem?; StAH 135–1 I-IV / 1019 Reden und Vorträge des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun zur Frage der Reichs- und Verwaltungsreform 1927–1931. 100 Braun, Einheitsstaat oder Föderativsystem, S. 27. 101 Ebenda. 102 Schulze, Otto Braun, S. 585.

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die Reichsregierung war sich gar nicht sicher über den einzuschlagenden Weg. Die deutschnationalen Kabinettsmitglieder kalkulierten ein, dass der Vorstoß Otto Brauns zu einer Festigung der preußischen Position und damit auch des sozialdemokratischen Einflusses im Reich führen konnte. Auch Reichsfinanzminister Köhler zeigte sich aus denselben Gründen an der Reichsreformfrage zunächst völlig uninteressiert.103 Jedoch besaß auch die Reichsseite ein lebhaftes Interesse an der Revision der Reich-Länder-Struktur, und zwar nicht nur aus den seit der Reichsverfassung bekannten Gründen. Schwerer wog die bereits vorhersehbare Krise des Reichshaushaltes. Unabhängig vom künftigen Konjunkturverlauf war sicher, dass die finanziellen Mittel, die dem Reich für Ausgaben zur Verfügung standen, sinken würden. Zum einen stiegen die Länderanteile nach einem gesetzlich festgelegten Schlüssel, zum anderen nahmen die Reparationszahlungen aus dem Haushalt zu.104 „Wir müssen zu einer Generalbereinigung der finanziellen Differenzen gelangen oder einer Art Gottesfrieden zwischen Reich und Ländern und diesen zwischen den Ländern selbst für mindestens so lange Zeit aufrichten, als das Reich die Gefahrenzone des Reparationsproblems auf seiner Bahn durchläuft.“105 In diese Richtung einer Senkung der Staatsausgaben denkend, fühlte sich Reichswirtschaftsminister Curtius auch bestärkt durch die Denkschriften der wirtschaftlichen Spitzenverbände, namentlich des Reichsverbandes der Deutschen Industrie und des alliierten Reparationsagenten in 103 Reichsinnenminister v. Keudell und Reichsfinanzminister Köhler wahrten eine sichtbare Opposition gegen eine zu weit gehende Vorbereitung der Länderkonferenz, während die treibenden Kräfte dieser Richtung Reichswirtschaftsminister Curtius, der Reichssparkommissar Saemisch und die beiden Staatssekretäre Popitz und Pünder waren, zu den Vorbereitungen der Reichsregierung auf die Länderkonferenz vgl. im Detail Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 577–584. 104 Reparationszahlungen nach dem Londoner Abkommen (in Mill. RM) für die Jahre 1926: 549,8; 1927: 898,7; 1928: 1247,2; 1929: 1540,0; Überweisungen an die Länder für die Jahre 1926: 2829,2; 1927: 3231,9; 1928: 3407,8: 1929: keine Angabe; und dem Reich zur Verfügung stehende Finanzen in den Jahren 1926: 2588,4; 1927: 2300,0; 1928: 1890,0; 1929: keine Angabe, vgl. Brecht, Verhältnis des Reichs zu den Ländern, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 310 sowie Michael A. Kanther, Reichsreform und Staatsfinanzen. Zu den Hintergründen der Reichsreformdiskussion von 1918–1935, in: Volker Ackermann (Hg.), Anknüpfungen. Kulturgeschichte, Landesgeschichte, Zeitgeschichte, Essen 1995, S. 184–200. Siehe auch Der Finanzausgleich im Deutschen Reich, bearb. im Statistischen Reichsamt, Bd. 1: Der Finanzausgleich zwischen Reich und Ländern, 1931. 105 StAO 113 / 9 Bd. 2 Abdruck der Rede des Reichswirtschaftsministers Julius Curtius (DVP) am 7.2.1929 vor dem Verband der Auswärtigen Presse.

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Deutschland Parker Gilbert vom 20. Oktober 1927.106 Die in ihnen enthaltene grundsätzliche und heftige Kritik an dem öffentlichen Haushaltsgebaren in Deutschland löste eine regelrechte Reform-Konjunktur aus. Gilbert rügte insbesondere die übermäßige Kreditbeanspruchung durch Länder und Gemeinden und zog daraus den Schluss, dass die Reichsregierung eine stärkere Verantwortung für die Ausgabenpolitik wahrnehmen müsse. In diesem Kontext haben die Reparationsmächte jedoch niemals die Forderung nach einer Zentralisation des Reiches gestellt. Zusammenfassend erklärte der Generalagent für Reparationsfragen in seinem letzten Bericht, was am meisten nottue, sei „das Erwachen des Verantwortungsbewusstseins bei den öffentlichen Organen, und dies kann, unter Beiseitelassung von Fragen der Verfassungsreform, am besten dadurch erzielt werden, dass die in Rede stehenden Verantwortlichkeiten klar definiert und zwischen dem Reich einerseits und den Ländern und Gemeinden andererseits gebührend verteilt werden.“107 In der öffentlichen Wahrnehmung wurden die Memoranden des Reparationsagenten aber in erster Linie dahingehend interpretiert, dass der Versailler Vertrag und die Reparationsverpflichtungen zwangsläufig zum Einheitsstaat führen müssten.108 Reichsfinanzminister Heinrich Köhler verkürzte die Dinge so: Der Reparationsagent habe die Steuerverteilung als zu günstig für die Länder hingestellt und sein Bericht habe dem Reich recht geschadet.109

Dezentralisierter Einheitsstaat und Reichslandlösung Seit 1927 wurde von daher wieder eine Fülle von Reichsreformplänen unterbreitet. Durchweg zielten sie auf eine Territorialreform und entsprechende „Flurbereinigungen“. Dabei war kaum zu übersehen, dass unter dem Schlag106 Bericht des Generalagenten für Reparationszahlungen, Berlin 1928, Anlage I, S. 210ff. 107 Zit. nach einer Denkschrift der bayerischen Staatsregierung 1931, die sich auch mit dem vermeintlichen Zusammenhang zwischen einer unitarischen Reichsreform und den Reparationsforderungen der Alliierten befasste, ThHStAW Staatsministerium Nr. 40 Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung über die Aushöhlung der Länder durch die Notverordnung des Reiches, 1931, zit. S. 5. 108 Wegen der starken Einheitsstaatsbewegung, bei der eine Reföderalisierung als nahezu aussichtslos erschien, reagierte die bayerische Regierung ausgesprochen zurückhaltend. BHStAM MA 1943 / 103 256 Kommissionsbericht zur Frage „Änderung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern“, München 6.12.1927 (Abschrift). 109 HStAD 10719 / 327 Vertretung Sachsens beim Reich, Berlin 4.10.1927, Konferenz der Länderchefs über das Steuervereinheitlichungsgesetz, Besoldungsgesetz und das Problem „Reich und Länder“ am 3.10.1927.

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wort vom Einheitsstaat äußerst heterogene Zukunftsvorstellungen subsumiert wurden. Ein Einheitsstaat, der den Regionen die Selbstregierung und Möglichkeit einer selbstständigen Entwicklung nahm, war jedoch kaum vermittelbar. Das Preuß’sche Programm „höchstpotenzierter Selbstverwaltungskörper“ in einem dezentralisierten Einheitsstaat wurde daher nach 1919 modifiziert. Ein politisch einflussreiches Konzept stammte vom Reichsinnenminister Erich Koch-Weser. Koch ging von dem Grundgedanken aus, dass das Reich nicht mit einem Schlag, sondern nach und nach die Länderrechte aushöhlen und an sich ziehen sollte. Es war nach der Überzeugung des ehemaligen Kommunalpolitikers angemessen, die Länder schrittweise zu „entstaatlichen“ und sie in „Selbstverwaltungskörper mit einer Verfassung, wie wir sie in unseren großen Städten haben“, umzuwandeln. Dabei hielt es Koch-Weser für ein Gebot der Staatsräson, Preußen aufzuteilen, um einer Neugliederung Norddeutschlands den Weg zu bahnen. Im Ergebnis sollten dort zwölf gleichgroße Selbstverwaltungsgebiete entstehen.110 Einzelne Städte und kommunale Spitzenverbände haben das Konzept seines „dezentralisierten Einheits- und Selbstverwaltungsstaates“ weiter ausgefaltet. Sie fühlten sich sowohl durch das Reich als auch durch die Länder in der Kommunalpolitik eingeengt, im Finanzausgleich benachteiligt und vor allem im Sozialbereich mit Aufgaben überlastet. Die Konzeption eines dezentralisierten Einheitsstaates, die eine Stärkung der Reichsgewalt an der Spitze und eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung an der Basis zu Lasten bzw. unter Ausschluss der Länder anstrebte, fiel daher auf fruchtbaren Boden. Namentlich der Deutsche Städtetag forderte eine entsprechende Bereinigung der Reich-Länder-Probleme und die Neuordnung der Beziehungen von Gemeinden und Reich. Eine weitgehende Selbstverwaltung von Kommunalverbänden sollte den Abbau der Länderkompetenzen auffangen und ein neues Gegengewicht zur Reichszentrale schaffen. Zur Optimierung der kommunalen Organisation wurden eine Reichsstädte-, Reichskreis- und eine Reichslandgemeinde-

110 BAB R 43 I / 1872 Denkschrift Erich Koch-Wesers „Über den Übergang zum Einheitsstaat“, 12.1.1920, Bl. 78–84. Im Vorfeld der Länderkonferenz hat Erich KochWeser seine Anschauungen weiter ausgeführt, in der Presse erschienen u.a.: Der Unterbau des Einheitsstaates, in: Vossische Zeitung, 27.11.1927; Der Weg zum dezentralisierten Einheitsstaat, Berliner Tageblatt, 2.8.1927; Referat bei den Verhandlungen des Hamburger Reichsparteitages der Deutschen Demokratischen Partei, hg. von der Reichsgeschäftsstelle sowie Einheit und Selbstverwaltung (1928) und Die Reichsreform, Zwischenlösung oder Endlösung, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 279–282.

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ordnung angestrebt. Schließlich sollte der Reichsrat durch Kommunalpolitiker und eine Verknüpfung mit dem Reichswirtschaftsrat erweitert werden.111 Der Gedanke war einem Vorschlag des sächsischen Innenminister Willibalt Apelt entlehnt, der auf der Basis eines veränderten Reichswirtschaftsrates die regionalen Einflüsse sichern wollte.112 Rückhalt fanden solche Vorstellungen vor allem bei mittelständischen Unternehmerverbänden. Sie füllten den Gedanken der Wirtschaftsprovinzen mit Leben, um ihr Einflussgebiet gegenüber Konkurrenten und den auf Reichsebene agierenden Industriellen abzugrenzen. Die imaginierten Provinzen negierten zwar die Ländergrenzen, doch bewegten sich auch diese Planungen durchaus in einem weiten Rahmen dezentraler Vorstellungen.113 Alle Varianten des dezentralisierten Einheitsstaates zielten auf die Bildung von Regionen, die zwischen den preußischen Provinzen und den süddeutschen Ländern die Mitte hielten.114 Anhänger dieses Konzeptes mussten daher von der Zerschlagung Preußens und der Mediatisierung kleiner Länder ausgehen. Typische Beispiele waren die Großhamburg-, die Großthüringen-, Großhessen-, Großschwaben- und Niedersachsenpläne oder die Planungen im mitteldeutschen und Oldenburg-Bremer Raum.115 Wegen des Widerstandes der preußischen und süddeutschen Regierungen gegen einen „dezentralisierten Einheitsstaat“ kam 1927 erstmals eine „Norddeutsche Sonderlösung“ ins Gespräch, die Preußen ohne weitere Veränderung mit dem Reich vereinigen sollte. Die so genannte Reichslandlösung ließ allerdings offen, was daraus für die nord-, mittel- und süddeutschen Länder folgte.116 Eine Variante des Ministerialdirektors im Reichsernährungsministerium

111 Exemplarisch für städtische Reformziele des Königsberger Oberbürgermeisters und Mitglied des Reichswirtschaftsrates Lohmeyer, Zentralismus oder Selbstverwaltung (1928). Zur öffentlichen Diskussion siehe StAH 135–1 I-IV / 1014 Verhandlungen und Stellungnahmen der Organisation der Städte und Landgemeinden zur Frage der Reichs- und Verwaltungsreform, insbesondere Reichsstädtebund, Deutscher und Preußischer Städtetag, Deutscher und Preußischer Landgemeindetag. 112 Apelt, Vom Bundesstaat zum Regionalstaat (1927). 113 Scheu, Wirtschaftsprovinzen und Wirtschaftsbezirke (1928). 114 Arnold Brecht, Der Traum vom mittleren Typ, in: Reichs- und preußisches Verwaltungsblatt (1930), S. 1–2. 115 Zu den Neugliederungsdebatten in der Presse vgl. StAH 135–1 I-IV / 1012–1014, 1022, 4296, 4385. 116 Erstmals bei Adam Stegerwald, Zusammenbruch und Wiederaufbau, Berlin 1922, der größere Rechte und die Reichsunmittelbarkeit für die preußischen Provinzen in einem Reichsland Preußen forderte. Mit dem Ausbau des Reichswirtschaftsrates zu

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Erwin Ritter117 überließ die Einbeziehung Süddeutschlands einer späteren Reform, während die preußischen Provinzen, abgerundet durch die norddeutschen Kleinstaaten, Reichsländer werden sollten. Neben 15 Reichsländern ließ Ritter neun alte Länder unverändert bestehen und er empfahl, es jeder Provinz selbst zu überlassen, wann sie Reichsland werden wollte.118 Politisch einflussreich war demgegenüber die Reichslandlösung des Bundes zur Erneuerung des Reiches, deren erste Fassungen vom Düsseldorfer Landrat Wilhelm Kitz (Zentrum) und dem preußischen Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff (DDP) stammten. Während Kitz sich mit der Schaffung eines Reichslandes Preußen begnügte,119 plädierte Höpker-Aschoff für die Einbeziehung ganz Norddeutschlands, einschließlich Sachsens, Thüringens und Hessens.120 Diese noch skizzenhaften Programme entwickelte der Bund zur Erneuerung des Reiches, der zunächst ein breites politisches Spektrum umfasste und auf dem Boden der Weimarer Republik stand, weiter. Seine Mitglieder erhofften sich von einer Reform die Freisetzung von Kräften und Reserven der „Staatsmaschine“, um die Nation wieder wettbewerbsfähig zu machen: „Die Stellung jedes großen Wirtschaftskonzerns in der Welt hängt heute davon ab, ob seine Leiter es verstehen, den Betrieb auf das äußerste zu rationalisieren, ihn so zu gestalten, daß der nach neuester technischer Erfahrung höchstmögliche Grad seiner Wirksamkeit erzielt wird.“ In diesem zeitgenössischen Modernisierungsdenken wurde auch eine „rationelle Gestaltung des Staatsaufbaus“ für möglich gehalten. Ausdrücklich verworfen wurde dabei „der Weg der allmählichen Einverleibung der sämtlichen kleineren und mittleren Länder Nord- und Mitteldeutschlands in Preußen“, denn daraus würde vor allem die preußische Regierung neben der Reichsregierung gestärkt hervorgehen. Auch wurde die in den Ländern und ihren Parlamenten verbreitete Stimmung berücksichtigt, die, „wohl bereit wären, im Reich, nicht aber in Preußen aufzugehen“.121 Nord- und Mitteldeutschland sollten daher, in einem Land zusammengefasst, direkt dem Reich unterstellt werden. Die Reichsregierung wäre dann

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einer zweiten Kammer neben dem Reichstag wollte der Gewerkschaftsführer ein „organisches Verhältnis“ zwischen Staat und organisierter Wirtschaft schaffen. Ritter, Freie Reichsländer (1927), S. 49–55. Bestehen blieben Bayern, Baden, Württemberg, Hessen, Sachsen, Thüringen und die drei Hansestädte, ebenda, S. 51, 79. Kitz, Reichsland Preußen (1927). Höpker-Aschoff, Deutscher Einheitsstaat (1928), insbes. S. 20. Bund zur Erneuerung des Reiches, Reich und Länder, S. 41.

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zugleich Regierung des Reichslandes gewesen. Während Thüringen, Hessen und Mecklenburg sowie die Hansestädte Hamburg und Bremen eigene Provinzen bildeten, sollten die kleineren Länder im Sinne einer „Flurbereinigung“ an die bereits bestehenden preußischen Provinzen angegliedert werden.122 Eine räumliche Ausdehnung bevölkerungsarmer Reichslandprovinzen, etwa die Zusammenfassung von Mecklenburg mit Pommern oder Schleswig-Holstein, wurde verworfen. Die regionalen Einheiten autonomer Selbstverwaltung sollten überschaubar bleiben, insbesondere die „Provinzialhauptstadt für viele Provinzeingesessene“ erreichbar bleiben.123 Nach dem preußischen Vorbild war ein Staatsrat vorgesehen, in den die Provinziallandtage Abgeordnete entsandten.124 Während die Stimmen für den Reichsrat durch die Provinzialverwaltungen des Reichslandes und unverändert durch die süddeutschen Landesregierungen Bayerns, Württembergs und Badens instruiert werden sollten.125 Entsprechend kritisierte der Oberbürgermeister der in Neugliederungsfragen engagierten Stadt Frankfurt am Main Ludwig Landmann eine zu große Rücksichtnahme auf den süddeutschen Föderalismus,126 während in Nord- und Mitteldeutschland demgegenüber bisher eigenständige Länder zu Selbstverwaltungsgebilden herabgestuft würden, was durch die Bezeichnung „Provinz“ noch zusätzlich betont sei. Als Lösung, die auf halbem Weg stehen blieb, stieß die Reichslandlösung des Bundes zur Erneuerung des Reiches jedoch gerade in Süddeutschland auf heftige Ablehnung. Das historische Vorbild des Norddeutschen Bundes vor Augen, fürchteten die mit den süddeutschen Regierungserklärungen konform gehenden Pressekommentare, die Entwicklung werde vor der Mainlinie nicht Halt machen: Ein zwangsläufiger Anschluss Süddeutschlands an das Reichsland würde dann den Zentralismus auf ganz

122 „Um beim Bilde der ländlichen Flurbereinigung zu bleiben, so würde, wenn Preußen und vielleicht Hessen, Mecklenburg oder Hamburg dem Aufgehen in einem Reichsland zugestimmt hätten, eine so überwältigende Mehrheit der … Beteiligten vorhanden sein, daß eine Zusammenlegung des ganzen zerrissenen Gebiets zu gut abgerundeten Provinzen des Reichslandes nicht von Inhabern einiger Parzellen, wie etwa Schaumburg-Lippe, verhindert werden dürfte.“ Bund zur Erneuerung des Reiches, Reich und Länder, S. 58. 123 Ebenda, S. 62. 124 Ebenda, S. 71. 125 Ebenda, S. 68f. 126 Hans Luther, „Um die Reichsreform“, Vortrag gehalten am 4.12.1928 in der Mitgliederversammlung des Verbandes Mitteldeutscher Industrieller e.V., S. 13–16; vgl. John, Reichsreformdiskussion, S. 106.

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Deutschland ausdehnen.127 Die Erwartung, eine Beschränkung der Reichsreform auf den Norden werde die Zustimmung des Südens sichern, erfüllte sich dementsprechend nicht. Die Konstruktion eines besonderen Reichslandes fand keine Mehrheiten, sie bildete jedoch die Folie für eine „Differenzierende Lösung“, auf die sich 1928 bis 1930 Reichsregierung und Länder verständigten.

Länderkonferenz 1928–1930 Am 18. November 1927 nahm die Reichsregierung erstmals offiziell Stellung zu der neu entfachten Bundesstaatsdebatte. Obwohl das Reich-Länder-Problem von allen Reichskanzlern seit 1919 als eine Frage der Strukturfestigkeit der Weimarer Republik erkannt worden war,128 überraschte doch die Entschiedenheit, mit der es plötzlich verhandelt werden sollte. Reichskanzler Wilhelm Marx hatte deutliche Worte gefunden: Man müsse sich von nicht mehr in die Jetztzeit passenden historischen Reminiszenzen und Einrichtungen befreien und das zu schwere Gewand der Behörden und Verwaltungsorganisationen durch ein leichteres, zeitgemäßes ersetzen. Marx teilte die Länder in zwei Gruppen ein. Er unterschied zum einen diejenigen, die den Willen und die innere Kraft besäßen, ihr eigenes staatliches Leben weiterzuführen, und zum anderen Länder, bei denen diese Voraussetzungen nicht zuträfen und für die eine neue Existenzform gefunden werden sollte.129 Die meisten Landesregierungen sahen darin einen „Meilenstein auf dem Wege zum völligen Einheitsstaat“.130 Sie waren über den Vorstoß der Reichsregierung nicht rechtzeitig informiert oder im Vorfeld gar zur Mitarbeit herangezogen worden. Man wisse ja gar nicht, so erklärte der sächsische Vertreter im Reichsrat Georg Gradnauer sein Misstrauen, welche Länder ihre Eigenständigkeit aufzugeben bereit wären. Schließlich hätte sich kein Land als zu dieser Kategorie gehörig beim Reich angemeldet.131 Trotz der Gerüchte über ein bevorstehendes großes „Pronunziamento für den Einheitsstaat“ durch den preußischen Ministerpräsidenten, zeigte Reichs127 Vgl. die Sammlung der staatlichen Pressestelle des Hamburger Senates StAH 135–1 I-IV / 4289 Vorträge des Reichskanzlers a.D. über die geplante Reichs- und Verwaltungsreform 1928–1931. 128 HStAD 10719 / 40018 Reichsreform. Amtliche Kundgebungen. 129 HStAD 10719 / 40018 Reichskanzler Marx am 18.11.1927 am Festabend des Vereins Berliner Presse zu Ehren der Reichs- und der Staatsregierung. 130 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft, München 12.11.1927, Entwurf, S. 5. 131 HStAD 10719 / 390 Sächsische Gesandtschaft Gradnauer, Berlin 23.11.1927.

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kanzler Marx dann jedoch kaum Eile, die in Aussicht gestellte Länderkonferenz einzuberufen.132 Der preußische Ministerpräsident Braun trat bereits den geordneten Rückzug an. Er hatte zur Kenntnis nehmen müssen, dass er mit seiner Reichsreforminitiative zu weit gegangen war. Insbesondere hatte er dadurch die Basis der preußischen Politik, die Koalition mit dem Zentrum, in Gefahr gebracht.133 In Presse und Öffentlichkeit verstärkte die Verunsicherung über diese dem äußeren Anschein nach mysteriöse Politik der Regierungen Konjekturen aller Art.134 Vom 16. bis zum 18. Januar 1928 trat die Konferenz der Ministerpräsidenten der deutschen Länder, später kurzweg die Länderkonferenz genannt, zusammen.135 Der Name bedeutete nicht, dass eine Reichsreform allein in die Hände der Länder gelegt werden sollte. Er steht überhaupt für regelmäßige Zusammenkünfte der Reichsregierung mit den Ministerpräsidenten zu Fragen der inneren Politik, von denen die Beratung 1928 über die Reform des Bundesstaates nach der Staatenkonferenz am 25. Januar 1919 am bekanntesten wurde.136 Reichs- und Ländervertreter tauschten ihre Standpunkte aus und vertagten eine Lösung der unverrückt stehen gebliebenen Gegensätze. Der Bremer Gesandte Nebelthau hatte schon im Vorfeld der Länderkonferenz geunkt, „dass sich am Schluß alle Teilnehmer darüber einig sein werden, daß das Abendessen beim Reichspräsidenten der bedeutendste Teil der Veranstaltung gewesen“137 sei. In München, wo sich die Regierung Held um die Sammlung des föderalen Lagers gesorgt hatte, zeigte man sich über den offenen Konferenzausgang zufrieden und feierte in Überschätzung der Lage einen Sieg der Länder.138 Diejenigen, die ihre Erwartungen auf die Durchsetzung des Einheitsstaates gerichtet hatten – ob mit oder ohne Preußen – zeichneten von der Länderkonferenz hingegen ein „trauriges Bild der Uneinigkeit, der Beschränktheit, des ideenlosen, reaktionären Konservatismus“.139 132 Ebenda. 133 Schulze, Otto Braun, S. 592–595. 134 Siehe die Presseberichte in: StAH 135–1 I-IV / 4293, Bd. 1, 10.1927–6.1928. 135 Die gesamte Literatur der vorbereitenden Denkschriften, der Verhandlungen und Beschlüsse der Länderkonferenz, ihrer Ausschüsse und Unterausschüsse, ist einzeln verzeichnet bei Franz Albrecht Medicus, Reichsreform und Länderkonferenz. Die Beratungen der Länderkonferenz und ihrer Ausschüsse, Berlin 1930. 136 BHStAM MA 1943 / 103 364 Memorandum Ministerialrat Karl Sommer, Vorschläge für eine Reichsreform. 137 StAB 4.49–411/83 Bremer Gesandtschaft, 13.1.1928. 138 BAB R 43 I / 1875 Bericht Vertreter der Reichsregierung in München, 19.1.1928 und 24.1.1928. 139 Die verpfuschte Länderkonferenz, in: Volksfreund, Karlsruhe, 18.1.1928.

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Die Ausarbeitung eines praktikablen Reformprogrammes übertrug die Länderkonferenz einem Verfassungsausschuss. Die zwanzig Mitglieder des Gremiums wurden zur Hälfte von der Reichsregierung, zur anderen Hälfte durch die Länder ernannt. Unter ihnen befanden sich namhafte Staatsrechtler. Die Ländervertreter waren allesamt Regierungschefs, mit einer Ausnahme: Otto Braun lehnte es ab, in den Verfassungsausschuss einzutreten. Die Vertretung Preußens übernahm stattdessen der Regierungsbeamte Arnold Brecht. Brauns so demonstrativ zur Schau gestelltes Desinteresse war brüskierend, und wurde von den übrigen Ministerpräsidenten auch so aufgefasst, wie aus einem Memorandum der bayerischen Regierung hervorgeht: „Für Preussen war von Anfang an der Gedanke unerträglich, die deutschen Länder, etwa gar unter Einbeziehung preussischer Enklaven oder sonstiger in die übrigen Länder eingestreuter preussischer Gebietsteile neuzugliedern.“ Stattdessen verfolge Preußen das Ziel „dass es im ganzen Norden des Reiches ausser Preussen überhaupt keine Länder, sondern nur noch Provinzen gebe, die bei der späteren Neugliederung nichts mehr mitzureden hätten“. Aus allen vorsichtig formulierten Vorträgen und Abhandlungen des preußischen Vertreters auf der Länderkonferenz ginge klar hervor, dass Preußen wohl kaum daran denke, die Beschlüsse der Länderkonferenz dort zugrunde zu legen, wo sie ihm „nicht genehm“ seien.140 Die Vorschläge Brechts im Verfassungsausschuss der Länderkonferenz blieben unverbindlich, denn außer dem preußischen Ministerpräsidenten war auch kein anderes Regierungsmitglied an den Arbeiten der Länderkonferenz beteiligt. Preußen war also de facto nicht vertreten.141 Im Verlauf der zweijährigen Beratungen zeigte sich, dass die Entsendung Brechts, gewollt oder nicht gewollt, weitere Vorteile für Preußen besaß. Brecht und der Vertreter Sachsens Fritz Poetzsch-Heffter, ein Verfassungsrechtler ersten Ranges, beherrschten aufgrund ihrer fachlichen Überlegenheit binnen kurzem die Beratungen.142 Obwohl Preußens Beteiligung an der Länderkonferenz über die Entsendung eines Fachmannes immer unverbindlich blieb, konnte die Regierung Braun so maßgeblichen Einfluss auf die langsam entstehende Gesamtkonzeption der so genannten „Differenzierten Gesamtlösung“ gewinnen.143 Der zutiefst national-unitarisch eingestellte Brecht suchte die preußische Staatsgewalt durch 140 BHStAM MA 1943 / 103 364 Bayerisches Memorandum von Karl Sommer. Vorschläge für eine Reichsreform, S. 4, 6. 141 Brecht, Mit der Kraft des Geistes, S. 84, 92. 142 Verfassungsausschuß der Länderkonferenz, Verhandlungen vom 5./6. 7.1919, insbes. S. 5–11, 49–52, 70–71. 143 Ebenda, S. 70–84.

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eine Vereinigung mit der Reichsregierung nicht nur vor „falsche(n) Dezentralisationsexperimenten“ zu bewahren, sondern sie sogar noch zu stärken. Eine große Mehrheit wolle „in Preußen Sicherheitspolizei, Gemeinde-, Gewerbeund Schulaufsicht nicht auf die Provinzen dezentralisieren“, die „Verbindung Ost-West“ sei die „große politische Aufgabe des preußischen Staates“, dazu komme die Notwendigkeit eines „großstaatlichen Beamtentums“.144 „Die Brücke über die Elbe“, so erklärte Brecht, sei gegenwärtig „gefährdeter als die Brücke über den Main“.145 Nach Innen hielt sich der preußische Ministerpräsident Otto Braun den Rücken frei, da er seine Absichten in der Reichsreform nicht mehr gegen die Koalition und das Kabinett zu behaupten brauchte.146 Braun musste bei seinem Vorstoß für den Einheitsstaat zudem stets einrechnen, dass die Anhänger einer Auflösung Preußens die Oberhand gewinnen könnten. Nachdem er in der Reichsreform zunächst die Initiative ergriffen hatte, verfolgte er bald eine andere Strategie. Durch finanziellen Druck und Anschlussverhandlungen mit den benachbarten Kleinstaaten suchte der preußische Ministerpräsident vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Richtung der sozialdemokratischen Politik war mehr als deutlich: Mit einer Wiederaufnahme der preußischen Arrondierungspolitik, wie sie Jahrhunderte hindurch betrieben worden war, zielte die Regierung Braun auf die Schaffung eines preußisch dominierten Norddeutschlands, dem sich die übrigen Länder südlich der Mainlinie anschließen sollten und das die Reichsregierung zwingen würde, in irgendeiner Form die Fusion mit der preußischen Regierung zu suchen, um nicht „als körperloser Wasserkopf neben dem Inhaber der eigentlichen Gewalt, dem preußischen Kabinett, zu vegetieren“.147 Der preußische Ministerpräsident Otto Braun hatte immer wieder den Geist Bismarcks beschworen, aber weniger um ihn als Vorbild zu preisen, sondern um zu unterstreichen, dass eine von zeitlichen und ideologischen Umständen unabhängige politische Logik existierte, die auf der geographischen, wirtschaftlichen und staatlich-strukturellen Lage Preußens beruhe. Ein großpreu144 Arnold Brecht während der Verhandlungen am 5.7.1929, zit. Verfassungsausschuß der Länderkonferenz, S. 6; ders., Mögliches und Unmögliches, in: Die Justiz III (1927/28), S. 462–469, siehe auch Heiko Holste, Reichsreform und „Preußenschlag“, in: Claus-Dieter Krohn / Corinna R. Unger, Arnold Brecht, Stuttgart 2006, S. 55–82, insbesondere S. 62–82. 145 Brecht, Die Neugestaltung des Reichs, S. 41. 146 Wo liegt die Entscheidung? Preußen auf der Länderkonferenz, in: Frankfurter Zeitung, 10.7.1929. 147 Ebenda.

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ßisches Kleindeutschland erschien als eine konsequente Lösung nationaler Forderungen – einst die Errichtung des deutschen Nationalstaates, jetzt dessen Vollendung durch die Beseitigung des lastenden Reich-Länder-Problems.148 Die Parallele zur Reichsgründung 1871 hinkte allerdings, denn Preußen hatte es in der Weimarer Republik mit einer prinzipiell übergeordneten Macht zu tun: Reichspräsident und Reichsregierung besaßen Macht und Mittel, ihre Politik nach innen durchzusetzen. Die Ultima Ratio – die Reichsexekution, wie sie gegen Sachsen 1923 bereits ausgeführt worden war – bekam Preußen schließlich 1932 zu spüren. Vorerst aber schöpfte Braun aus dem schmalen Arsenal, das ihm für die Verwirklichung seines preußischen Einheitsstaatsprojektes zur Verfügung stand. Mit dem Regierungsantritt Hermann Müllers im Juni 1928 hatten sich die Aussichten dafür erheblich verbessert. Der neue Reichskanzler war ein bekennender Unitarist: „Was uns noch nottut, ist Verstärkung der Reichsgewalt, ist Aufstieg zum Einheitsstaat, in dem die deutschen Stämme wirklich zu einer Nation werden.“ Eine „Wahrung der Eigenart der einzelnen Reichsteile, die Erhaltung der Eigentümlichkeit der einzelnen deutschen Stämme“ hielt Hermann Müller „bei jeder zweckmäßigen regionalen Gliederung des deutschen Reiches“ für möglich.149 Brauns Doppelstrategie hatte nunmehr die Unterstützung der Sozialdemokraten in der Reichsregierung, der als Reichsinnenminister auch der ehemalige preußische Innenminister Carl Severing angehörte. Während durch den Ministerialdirektor Brecht im Verfassungsausschuss der Länderkonferenz alle Versuche einer Aufteilung Preußens blockiert wurden, bahnten Braun und Severing eine großpreußische Lösung an. Die norddeutschen kleinen Länder sollten finanziell soweit unter Druck gesetzt werden, dass sie einen Anschluss an Preußen als einzigen Rettungsanker aufgriffen. „In einer Entschiedenheit, wie man sie in der Frage des Einheitsstaates aus dem Munde von Vertretern der Reichsregierung bisher nicht gehört hat,“ alarmierte der Lübecker Gesandte den Senat der Hansestadt, „trat der politische Machtwille zur Verein-

148 Schulze, Otto Braun, S. 596. 149 Reichsvorstand des Deutschen Republikanischen Reichsbundes (Hg.), Welche Wege führen zum deutschen Einheitsstaat? Ermöglicht er stärksten Abbau des übermäßigen Verwaltungsapparates, Rationalisierung der Wirtschaft, Förderung der Sozialpolitik und dient er den nationalen Lebensnotwendigkeiten der deutschen Kultur? Der Führertagung am 25. und 26. September 1926 im Rathaus zu Berlin als Material überreicht, mit einem Vorwort des Reichskanzlers a. D. Hermann Müller, M.d.R., S. 5–7, hier zitiert, S. 6f.

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heitlichung unter möglichster Vermeidung einer zurzeit schwer zu erreichenden Änderung der Reichsverfassung unverhüllt hervor.“150 Als die Länderkonferenz im Juni 1930 ihre Tätigkeit einstellte, konnte die preußische Regierung mit dem Ergebnis der „Differenzierten Gesamtlösung“ zufrieden sein. Die kleineren norddeutschen Länder sollten durch einfaches Reichsgesetz in Preußen eingegliedert, und der so entstehende norddeutsche Einheitsstaat durch eine Zusammenlegung der preußischen mit der Reichsregierung befestigt werden. Die bisherigen preußischen Provinzen, arrondiert durch die kleinen und mitteldeutschen Länder, fungierten danach in Form von Selbstverwaltungsgebilden als „Länder neuer Art“, während die so genannten „Länder alter Art“ Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden vorerst ihre Eigenregierung behalten sollten. Allerdings war die Zukunft der Länder alter wie neuer Art nach reichseinheitlichen Gesichtspunkten zu ordnen, wobei an die Übertragung weiterer Länderkompetenzen an das Reich und an eine Reichsauftragsverwaltung gedacht wurde. Preußen blieb ungeteilt, denn alle wesentlichen Exekutivaufgaben, namentlich Justiz, Polizei, Gemeindeaufsicht, Gewerbeaufsicht, Schulaufsicht und Kirchensachen, blieben in der obersten Instanz zentralisiert.151 Da wesentliche Aspekte der Finanzverfassung und Neugliederungsfragen von der Länderkonferenz ausgespart wurden, konnten ihre Beschlüsse in der konkreten Ausgestaltung jedoch nach wie vor einen unitarischen, preußischhegemonialen oder föderalen Charakter entwickeln. Überdies waren die Beschlüsse in keiner Weise rechtsverbindlich. Sie mussten erst den Reichstag und Reichsrat passieren. Im legislativen Verfahren konnte sich daher manches ändern. Während Unitarier eine neue Mainlinie entstehen sahen und sich um die Festigung der „süddeutschen Eigenbrödelei“ sorgten, fürchteten Födera150 „Als der mecklenburg-schwerinsche Finanzminister Asch dargelegt hatte, daß durch die geplanten Realsteuern die Leistungsfähigkeit Mecklenburgs zu sehr beeinflusst würde, erwiderte ihm Reichsfinanzminister Dr. Hilferding ganz offen, die neuen Entwürfe seien wohl nicht der Grund, vielmehr scheine Mecklenburg-Schwerin überhaupt nicht mehr ein leistungsfähiges Land zu sein. Wenn je, so zeigte gerade die gestrige Aussprache deutlich, daß endlich eine längst geplante neutrale Instanz geschaffen werden muß, die objektiv und unbeeinflusst die Entscheidung trifft, ob ein Gesetz verfassungsändernd ist oder nicht.“ AdHL NSA I.1.13 Bericht Meyer Lürßen, 30.10.1928. 151 Der vom Verfassungsausschuss mit fünfzehn von zwanzig Stimmen gefasste Beschluss einer „Differenzierten Gesamtlösung“ ist abgedruckt bei Medicus, Reichsreform und Länderkonferenz, S. 60ff. Siehe auch Dietrich Lothar Weyermann, Wesen und Bedeutung der sogenannten differenzierten (differenzierenden) Lösung des Reichsreformproblems, Berlin 1932.

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listen gerade die Dynamik der politischen Entwicklung. Bayern lehnte die „Differenzierte Gesamtlösung“ als Vorstufe zu einem gesamtdeutschen Einheitsstaat rundweg ab.152 In der Öffentlichkeit konnte der ausgesprochen komplexe und komplizierte Vorschlag nur wenig Begeisterung wecken. Allzu einseitig von verwaltungstechnischen Vorstellungen und Absichten getragen, ignorierte er, dass Differenzen und Konflikte zwischen Reich und Ländern nicht allein institutionelle Ursachen hatten, sondern in parteipolitischen Mehrheiten und Divergenzen wurzelten. Eine Personalunion von Reichskanzler und preußischem Ministerpräsident mit einer doppelten Verantwortlichkeit gegenüber Reichstag und preußischem Landtag hatte bereits im ausgehenden Kaiserreich die Amtsinhaber in große Schwierigkeiten gebracht. Unwahrscheinlich erschien erst recht die Stabilität einer Weimarer Regierung, die zwei Parlamenten, im Reich und in Preußen, gegenüber trat. Die sozialdemokratische Landtagsfraktion stand einer Verschmelzung von preußischer und Reichsregierungsspitze nach dem Regierungsantritt Brünings äußerst kühl gegenüber. Wenn überhaupt, hatte Severing bereits 1928 im Reichstag erklärt, so käme eine Zusammenfassung der beiden Berliner Regierungen nur in Frage, wenn sie auch politisch gleichartig wären. Zur Zeit der Kanzlerschaft Hermann Müllers wäre eine weitgehende politische Übereinstimmung gewährleistet gewesen, unter der Regierung Brüning war sie seit dem 30. März 1930 mehr als fraglich. Als die preußische Regierung Reichskanzler Brüning dennoch aufforderte, die vom Verfassungsausschuss 1930 für Nord- und Mitteldeutschland empfohlene Reform umzusetzen, zeigte dieser keine Neigung tätig zu werden.153

Kleine Länderkonferenz 1929 Während Preußen und die Reichsregierung seit 1928 den Druck auf die norddeutschen Länder verstärkt hatten, organisierten sich diese in einer „Kleinen Länderkonferenz“. Bremen und Hamburg beteiligten sich nicht, da sie als Stadtstaaten in Reichsreformfragen eigene Interessen verfolgten, die der Präsident des Bremer Senats Donanth folgendermaßen umschrieb: „Bremen hat als Stadtstaat und als räumlich kleinstes unter den deutschen Ländern seine staatliche Selbstständigkeit niemals als Selbstzweck, sondern immer nur als 152 Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 592. 153 Brecht, Mit der Kraft des Geistes, S. 92ff.; Gerhard Anschütz, Aus meinem Leben, Frankfurt a. Main 1993, S. 300f.; Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 599–606; Schulze, Otto Braun, S. 601f., 689–693.

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Vorbedingung für die Aufrechterhaltung seiner Seehafenstellung betrachtet. Es erstrebt daher für sich bei der Reichsreform eine Regelung, die ihm für seine Seehafen-Aufgaben die erforderliche Bewegungsfreiheit und die erforderliche finanzielle Leistungsfähigkeit sichert. Unsere Stellung ist deshalb etwas anders wie die der anderen deutschen Länder.“154 Das erste Treffen der Regierungen Anhalts, Braunschweigs, Oldenburgs, Thüringens, der beiden Mecklenburg und Lippe sowie Lübecks fand am 6. Dezember 1929 in Schwerin statt.155 Zur zweiten „Konferenz der kleinen Länder“ lud die Anhalter Regierung am 28. Juli 1930 nach Dessau ein.156 Im Gegensatz zu den so genannten großen Ländern hatten sich die kleinen Länder in den Verhandlungen über die Reichsreform zurückgehalten. Dieses Verhalten entsprach einer traditionellen kleinstaatlichen Existenzpolitik – dem Gebot zur Anpassung und zum Ausgleich. Die Konfrontation oder gar den offenen Konflikt mit Preußen hatten seine kleinen Nachbarn seit jeher zu vermeiden gesucht. Außer Mecklenburg-Schwerin und Anhalt waren die kleinen Länder an den Beratungen der Länderkonferenz nicht beteiligt worden. Oldenburg und Braunschweig lehnten Verhandlungen mit dem Reich über eine Reichsreform ab, solange sie nicht „von dem Gedanken einer gleichmäßigen Behandlung der süddeutschen Länder mit allen anderen Ländern getragen“ wurden. Nach dem alten Grundsatz – qui tacet, consentire videtur / Wer schweigt, scheint zuzustimmen – wollten die Regierungen durch die „kleinen Länderkonferenzen“ nun verhindern, dass ihre abwartende Haltung als stilles Einverständnis zur „Verpreußung Norddeutschlands“ missdeutet werden konnte.157 Währenddessen wurden – teils unter dem Druck eines drohenden Anschlusses an Preußen – konstruktive Lösungen gefunden. Die langwierigen Probleme, die in den Wirtschaftsregionen von Unterweser und Unterelbe bestanden, wurden durch „großzügige Verständigungen“ der Hansestädte mit

154 StAO 131 / 9,2 An den Ministerpräsidenten Oldenburgs Finckh, 29.11.1929. 155 Aus den Akten der Reichskanzlei im Bundesarchiv und des Landeshauptarchivs sowie den stenographischen Landtagsprotokollen lässt sich die Reichspolitik der mecklenburgischen Kabinette rekonstruieren, die sich seit 1926 mehrfach mit der Frage eines Anschlusses an Preußen zu befassen hatten. Aus dieser Zeit stammende Presseberichte und Denkschriften geben darüber hinaus Auskunft über ein mecklenburgisches Eigenbewusstsein, siehe die entsprechenden Kapitel zu den einzelnen Ländern im Anschluss. 156 Als nächster Konferenzort war Oldenburg gewählt worden, StAO 131 / 9,2 Aufzeichnung über die Länderbesprechung in Dessau am 28.7.1930, Bl. 107. 157 Ebenda.

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Preußen gelöst.158 Ein Austausch von Enklaven und Exklaven brachte Erfolge einer „praktischen Reichsreform“, die durch die Länder selbst ausgehandelt wurden. So lange derartige Probleme nicht gelöst waren, hatten Unitarier „die Buntscheckigkeit der Länder infolge der kleinen und kleinsten Enklaven“ immer wieder kritisieren können.159 Der erfolgreiche Abschluss seit langem geführter Verhandlungen über einen Gebietsaustausch an der sächsisch-thüringischen Grenze ermutigte Thüringen und Sachsen, ihre Zukunft in einer Verwaltungsgemeinschaft zu suchen, die durch gemeinsame Parlamentsausschüsse vorbereitet werden sollte. Die innere Organisation Deutschlands, erklärte die sächsische Regierung Heldt, werde man „nur innerhalb der historischen Grenzen verbessern können“.160 Ein Vorzeigeprojekt war der gemeinsame Bau des größten europäischen Wasserkraftwerkes an der Saale. Es manifestiere sich ein Geist, Gebiete so zu verwalten, als ob Ländergrenzen nicht vorhanden waren, bemerkte die Frankfurter Zeitung: „Man spricht, aller beengenden Staatlichkeit entkleidet, über Ferngas, Überlandleitungen, Kraftverkehr.“161 Konflikte und Probleme, die in der Länderstruktur lägen, könnten dementsprechend auch ohne eine grundstürzende Änderung der Verfassung gelöst werden. Der Gedanke eines weiteren Ausbaus der Reichsgewalt war insbesondere dann nicht besonders werbefähig, wenn das Reich selbst ungenügende Proben seiner Verwaltungskunst vorführte.162 Die neue Reichsfinanzverwaltung und Reichsarbeitsverwaltung wurden dann „als einzelne Säulen, die einsam in stiller Pracht außerhalb des übrigen Staatsgebäudes stehen“,163 wahrgenommen. Die Reich-Länder-Debatte führte daher oft wider Erwarten zum Verständnis für die Länder, deren Behauptungswille ungebrochen war.164 „Mit lächelndem Gesicht sich abbauen zu lassen“, kommentierte die Frankfurter Zeitung die Länderkonferenz, „das ist nicht jedermanns Sache. Den eigenen Abbau selbst zu betreiben, ihm den Weg zu bahnen, mit Entschlossenheit und gar mit der Begeisterung, die zu großen Reformen gehört, ihn zum Ziel zu führen 158 Staatsvertrag über eine Gemeinschaftsarbeit zwischen Bremen und Preußen, Hamburg-preußischer Vertrag zur Bereinigung der Hafen- und Landesplanungsverhältnisse an der Niederelbe, 1928. 159 AdHL NSA I. 2/13a Bericht des Bremer Gesandten an den Bürgermeister Löwigt, 27.10.1928. 160 HStAD 10722 / 373 Regierungserklärung zur Landtagsanfrage Nr. 814. 161 HStAD 10719 / 4002 Länder auf Abbau. Was will Braunschweig, in: Frankfurter Zeitung, 9.3.1930. 162 HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft, München 9.12.1929. 163 Bund zur Erneuerung des Reiches, Reich und Länder, S. 30. 164 HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft, München 5.3.1929, Entwurf, S. 5.

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– kann das überhaupt erwartet werden?“ Den deutschen Ländern werde eine solche Selbstverleugnung zugemutet, indem sie das „Vaterland aus unglückseliger Vielstaaterei herausführen und den deutschen Einheitsstaat schaffen“ sollen.165 Die bayerische Regierung Held sah sich nach der Länderkonferenz in ihrem Eintreten für die geltende Verfassung bestätigt, weil „die Einstellung jener auf ihre Selbständigkeit bedachten Länder nicht zu dem gewünschten Erfolg führte, die glaubten, durch ein Entgegenkommen in diesen oder jenen Einzelheiten mehr an Selbständigkeit für sich retten zu können als durch grundsätzliche Ablehnung aller Eingriffe in ihre Hoheitsrechte“.166 Schließlich zeigte die durch die Weltwirtschaftslage Anfang der 1930er Jahre ausgelöste Krise die Grenzen zentraler Regulierungsmöglichkeiten auf. Gegenüber einer noch in den 1920er Jahren vorherrschenden technokratischen Reformvorstellung und Rationalisierungseuphorie stärkte sie das Bewusstsein für ein Reich, dessen Stabilität besser durch dezentrale Strukturen garantiert werden konnte. Die Ende der 1920er Jahre wieder aufbrechende theoretische Grundlagendebatte der deutschen Staatsrechtslehre um das Wesen des Bundesstaates lässt sich in den Beiträgen der Sachverständigen auf der Länderkonferenz nachverfolgen. Über die Positionen der drei führenden Weimarer Staatsrechtler auf der Länderkonferenz berichtete der Braunschweigische Gesandte Boden: „Sie machten dem alten Satz, dass, wo drei Juristen zusammen sind, wenigstens vier Meinungen bestehen müssen, alle Ehre und hatten eigentlich in keiner der grossen Fragen enge Berührung miteinander. Der eine (Anschütz) war Bekenner des dezentralisierten Einheitsstaates, der andere (Triepel) erklärte sich für die Aufrechterhaltung einer Vormachtstellung Preußens im Reich und der Dritte (Nawiasky) wollte überhaupt nur von einer kleinen Reichsreform, d. h. Beseitigung dieser und jener kleinen Mängel der Reichsverfassung etwas wissen.“167 Deutlich erkennbar wurde eine Tendenz, die sich vom unitarischen Paradigma der Kaiserzeit und der Nachkriegszeit absetzte und die das zusammengesetzte Wesen des Bundesstaates aus Reich und Ländern wieder stärker akzentuierte. So beklagte Preußens Verhandlungsführer Arnold Brecht 1931 das nachlassende öffentliche Interesse an einer Änderung der bundesstaatlichen Ordnung: „Vor einigen Jahren war es so, daß man bereits überzeugt war, es müsse 165 BHStAM MA 1943 / 103 366 Frankfurter Zeitung, 2.11.1928. 166 BHStAM MA 1943 / 103 364 Memorandum zur Länderkonferenz und zum Entwurf Brechts über ein Verfassungsgesetz zur Reichsreform, 1931. 167 StAO 131 / 8 Braunschweigische und Anhaltinische Gesandtschaft (Abschrift), Berlin 25.10.1928, Bl. 302.

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schnell etwas geschehen und konzentrierte sich auf das Wie. (…) Dann aber wurde allmählich wieder ein gewisser Wandel fühlbar. Während noch vor kurzem die Überzeugung dahin ging, daß die Warumfrage entschieden wäre, daß unter allen Umständen die Reichsreform gemacht und nun endlich die Wiefrage abschließend geklärt werden müsse, hört man heute wieder die Meinung, daß es in diesem Augenblicke viel dringendere Fragen als die Reichsreform gebe. Man fragt wieder, ist es eigentlich notwendig, daß die Sache schnell in Angriff genommen wird?“168

4.3. „Kalte Unitarisierung“ – „Reichsreform“ per Notverordnung 1930–1933 Mit dem ersten Reichskanzler der Präsidialkabinette Heinrich Brüning fanden preußisch akzentuierte Pläne einer Reichsreform einen entschiedenen Gegner. Brüning fand, wie er dem mecklenburgischen Gesandten Tischbein anvertraute, „an Preußens Annexionspolitik keinen Gefallen“169. Bereits in den ersten Tagen seiner Kanzlerschaft hatte er den Vertretern der kleinen Länder in Berlin zu verstehen gegeben, dass er „unter allen Umständen die …. Bestrebungen, durch finanzpolitische Maßnahmen und namentlich durch die Beseitigung des § 35 einen Druck auf diese kleinen Länder auszuüben, bekämpfen“ werde.170 Brüning unterstützte zwar eine Adresse an die Reichsregierung, „dem Reichstag einen Gesetzentwurf über eine umfassende Reichsreform vorzulegen“, verknüpfte dies aber mit der machiavellistischen Begründung, „da er gerade als sozialdemokratischer Antrag künftig eine sehr wertvolle Waffe gegenüber etwaigen preußischen Schwierigkeiten werden könne“.171 Brüning ging es darum, den Zeitpunkt, zu dem er eine Reichsreform nach seinen eigenen Vorstellungen durchsetzen konnte, freizuhalten. Der große Rahmen dieser Vorstellungen blieb den Zeitgenossen jedoch unsichtbar. Erst die nach seinem Tod erschienenen Memoiren enthüllten sein Konzept, das, wie Hagen Schulze bemerkt hat, „an Großartigkeit wie politischer Urteilslosigkeit seines gleichen“ suchte.172 Zunächst wollte es Brüning darum gehen, die Wirtschaftskrise und die damit verbundene politische Radikalisierung zu überwinden, und eine 168 Brecht, Reichsreform. Warum und Wie?, S. 9. 169 BAK Kleine Erwerbungen 295 Friedrich Tischbein, Bl. 153. 170 Ebenda. 171 BAB R 43 I / 1882, Vermerk v. Hagenows, 22.5.1930. 172 Schulze, Otto Braun, S. 692.

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Revision des Versailler Vertrages zu erreichen. Dann wäre es für ihn an der Zeit für eine Reichsreform gewesen, für die Verschmelzung der Reichs- mit der bis dahin konservativ gedachten preußischen Regierungsspitze, die aber auch nur dem letzten großen Ziel zu dienen hatte: der Wiedereinführung der Monarchie.173 Brünings Vorstellungen hingen also wie die Pläne Brauns dem Leitgedanken einer Bismarckschen Lösung und dem fast klassischen Denkmodell einer Personal- oder zumindest teilweisen Kabinettsunion zwischen dem Reich und Preußen an.

Reichsreform durch Notverordnungen Die preußische Regierung hatte nach dem Ausscheiden der SPD aus der Reichsregierung und dem Antritt des ersten Präsidialkabinetts im März 1930 eigentlich kaum die Neigung zu einer Personalunion. Dennoch wurde sie nur wenige Wochen später erneut aktiv, und Otto Braun setzte eine Reichsreform wieder auf die politische Tagesordnung. Die sich Ende 1929 massiv bemerkbar machende Weltwirtschaftskrise hatte den preußischen Staat an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht. Braun glaubte zudem, dass das republiktreue Preußen den heftiger werdenden Angriffen der radikalen Parteien allein wenig entgegenzusetzen hatte. Ende Juli 1930 beauftragte er daher Arnold Brecht, die rechtlichen Grundlagen für ein Aufgehen Preußens im Reich zu sondieren. Brecht sollte dabei auch die Variante einer präsidialen Notverordnung in Betracht ziehen. Dieser entwarf ein die Verfassung änderndes Reichsgesetz, das zunächst in das offenkundig aussichtslose Gesetzgebungsverfahren gebracht werden sollte und das sodann als „Notverordnung des Reichspräsidenten über die Vereinfachung der deutschen Gesamtverwaltung“ umgesetzt werden konnte. Vorgesehen war, dass Preußen und alle Länder mit weniger als zwei Millionen Einwohnern – das waren alle außer die süddeutschen Länder und Sachsen – auf die Polizeihoheit, die Finanz- und Justizverwaltung sowie die Gemeindeaufsicht zugunsten des Reiches verzichten sollten. Außerdem formulierte Brecht eine Bekanntmachung des Reichspräsidenten über die Ernennung der preußischen Minister zu Reichsministern und fühlte mit diesen Plänen – unter ausdrücklichem Vorbehalt der Personalfrage – bei der Reichsregierung vor.174 173 Siehe Heinrich Brüning, Memoiren 1918–1934, Stuttgart 1980, S. 372f., 453ff. und Brecht, Mit der Kraft des Geistes, S. 632f. 174 Arnold Brecht, Stationen der Reichsreform, in: Vossische Zeitung, 21.8.1932, S. 1f. Die Öffentlichkeit war von Gerüchten aufgeschreckt, seitdem Braun am 11. August

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Unter dem Eindruck des Wahlerfolges der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 und einer nicht auszuschließenden Beteiligung Hitlers und Hugenbergs im Falle des Scheiterns der Brüningregierung entschloss sich die SPD nicht nur zur parlamentarischen Überlebenshilfe. Im November 1931 bot Otto Braun Reichskanzler Heinrich Brüning die preußische Ministerpräsidentschaft an, um den Dualismus der beiden Regierungen zu beseitigen, und damit eine zentrale Reichsreformaufgabe zu lösen. Die SPD berücksichtigte dabei die Regierungszusammensetzung in Preußen. Sie hätte so den Zentrumspolitiker Brüning in Preußen einbinden können, dessen Notverordnungspolitik sie wiederum auf Reichsebene tolerierte. Brüning hatte demgegenüber die Möglichkeit, der SPD den Bruch der preußischen Regierungskoalition und eine Ersetzung der SPD durch die DNVP anzukündigen.175 Mit der Etablierung der Präsidialkabinette schwand die bis Anfang der 1930er Jahre verbreitete Überzeugung, es sei im Sinne der Stabilität des Reiches sinnvoll, sich über Fragen der Reich-Länder-Beziehungen nach demokratischen Regeln zu streiten und zu verständigen. Stattdessen wurde ein Umbau des Bundesstaates im Zeichen der außerordentlichen Gesetzgebung des Reichspräsidenten nach Artikel 48 eingeleitet, für den sich der Begriff der „kalten Unitarisierung“ einbürgerte.176 Eine Entwicklung, die sich als ausgesprochen janusköpfig beschreiben lässt. Denn es waren die preußischen Sozialdemokraten, die dabei vorangingen, „den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben“,177 indem sie mit Hilfe von Artikel 48 eine tief greifende Änderung der Weimarer Verfassung erwogen. Sie selbst trugen somit Wesentliches zum Politikwechsel zwischen Reich und Ländern bei, der sich 1932 gegen das „republikanische Bollwerk“ Preußen selbst richten sollte, als die Regierung Papen die Überlegungen zur Lösung des preußisch-deutschen Strukturproblems mit einer politischen Akzentverschiebung gegen die republikanischen Kräfte reaktivierte. Seit dem Amtsantritt Brünings wurde der ursprüngliche Charakter von Artikel 48, „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ zu gewähr1930 aus der Reserve getreten war, ohne Genaues über seine Pläne zu sagen. Brecht suchte daraufhin die Wogen zu glätten, vgl. ders., Reichsreform und Notverordnung, in: Berliner Tageblatt, 28.8.1931, S. 1f. 175 Zur Logik der sozialdemokratischen Politik vgl. Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, 2. Aufl., München 2007, S. 588. Zum Scheitern des Vorstoßes an Hindenburg vgl. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 3: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930–1933, Berlin / New York 1992, S. 747f. 176 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft, München 12.11.1927, Entwurf, S. 5. 177 Schulze, Otto Braun, S. 692.

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leisten, weit überschritten. Die Anwendung der Diktaturgewalt sollte nunmehr auch „finanzielle, wirtschaftliche und soziale Notstände“ beheben. Fortschreitend wurden die Rechte der Länder auf Gebieten beschnitten, die bis dahin noch nicht dem Reich zustanden. Vor allem im Budgetrecht und in der Ausübung der Polizeigewalt wurde ihr Gestaltungsraum weit eingeschränkt.178 Die zeitweiligen Finanzprobleme einzelner Länder wuchsen sich zu einem alle Landesregierungen betreffenden Dauerproblem aus, das durch die rigorose Spar- und Deflationspolitik der Brüning-Ära noch verschärft wurde. Die Akten der Reichskanzlei enthalten eine Fülle von Dokumenten, welche die prekäre Lage verdeutlichen: Die Eingabe des württembergischen Staatspräsidenten vom Oktober 1930 gegen das Brüningsche Finanzprogramm, die Entschließung des Oldenburger Landtages vom Juni 1931, die – da das Staatsministerium eine vermittelnde Position einnahm – zu einer Staatskrise in diesem Land führte, und ein Ersuchen der fünf kleinen Länder Thüringen, Oldenburg, Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz vom September 1931, ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern. Der preußische Ministerpräsident stützte die bayerischen Klagen über die „Aushöhlung der Länder durch die Notverordnungen des Reiches“, welche in einer Denkschrift vom November 1931 gipfelten, wenn er der Reichsregierung ein Finanzgebaren vorwarf, „das mit der Vorstellung operiert, als ob eine finanzielle Balancierung des Reichs ohne gleichzeitige Berücksichtigung der Länder und Gemeinden möglich sei“.179 Die Präsidialregierungen beanspruchten dagegen – eine alte Forderung industrieller Spitzenverbände aufgreifend und dem hierarchischen konstruierten Reich-Länder-Gefüge folgend – erhebliche Kontroll- und Einflussrechte gegenüber dem Etatrecht und den Ausgaben der Länder. Die Notverordnungspolitik entmachtete die Landtage, und die Landesregierungen bekamen unter Verweis auf die prekäre Haushaltslage aus Berlin immer mehr vorgeschrieben, was sie auszuführen hatten: „In Wirklichkeit sind die Länder gezwungen, alle Forderungen der Reichsregierung zu erfüllen, wenn sie sich nicht der Gefahr der finanziellen Aushungerung aussetzen wollen. Das bedeutet tatsächlich die Aufhebung der Selbständigkeit der Länder.“180

178 BHStAM MA 1943 / 103 287 Die Aushöhlung der Länder durch die Notverordnungen des Reiches, München 13.11.1931, Abschrift. 179 BAB R 43 I / 2311 Der preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler, Berlin 24.7.1931. 180 HStAD 10693 Landtag, Nr. 2913 Antrag der deutschnationalen Landtagfraktion, Dresden 1.9.1931.

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Die Dietramszeller Notverordnung vom 24. August 1931181 ermächtigte die Landesregierungen eigenverantwortlich ihre Haushalte zu sanieren und die Länderparlamente auszuschalten. Finanzpolitische Entscheidungen einer Landesregierung konnten demnach nur noch vom Reichspräsidenten oder vom Reichsrat aufgehoben werden.182 Was auf den ersten Blick wie eine tief greifende Stärkung der Länderregierungen aussah, und gegenüber den Landtagen war das auch der Fall, erwies sich bei näherer Betrachtung als eine geschickt von Brüning installierte Maßnahme. Brüning spekulierte darauf, dass „binnen Jahresfrist ein großer Teil der Länder kommen würde mit der Bitte, ihnen diese prinzipiell nicht neue, aber ihnen jetzt praktisch erst aufgezwungene Verantwortung wieder abzunehmen“. Das Reich würde daraufhin die Verwaltung dieser Länder übernehmen können. Um den geeigneten Druck hinter diese Spielart der Reichsreform zu setzen, hatte Brüning die Absicht, „mit dem System der Subventionen von Ländern und Gemeinden aus der Reichskasse“ zu brechen.183 Im Februar 1932 verpflichtete sich die preußische Regierung im Gegenzug für einen weiteren Reichskredit, Verhandlungen über eine gemeinsame Verwaltung mit dem Reich aufzunehmen. Der streng vertraulich behandelte Beschluss verdeutlicht noch einmal, wie groß die Bereitschaft zur Preisgabe Preußens im Vorfeld des „Preußenschlags“ bereits war.184 Auch wenn Brünings „kalte Unitarisierungspolitik“ kaum als planvolle Umsetzung eines autoritären Reichsumbaus gelten kann, waren die von ihr ausgehenden reflektorischen Wirkungen gleichwohl so stark, dass sie das politisch-psychologische Klima der nationalsozialistischen Gleichschaltung vorbereiten halfen, allein was die Hinnahme der sich in ihrem Vorfeld abspielenden Ereignisse in Preußen anbetrifft. So verloren die republikanischen Eliten den Einfluss im Bund zur Erneuerung des Reiches, der in den 1930er Jahren autoritäre Pläne zur „Sicherung einer einheitlichen politischen Führung“ verfolgte.185 Otto Geßler, Nachfolger des ersten Vorsitzenden Hans Luther, brachte die Anekdote in Umlauf, er habe in Leipzig als Student gehört, wie ein Professor einen Kandidaten fragte, was ein Bundesstaat sei. Als dieser keine Antwort wusste, soll der Professor gesagt haben: „Herr Kandidat, sagen sie irgendeinen Blödsinn; es wird sich sicher eine Autorität finden, die diesen 181 Die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Haushalte von Ländern und Gemeinden vom 24.8.1931 ist abgedruckt in: Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 444f. 182 vgl. dazu Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 3, S. 487–492. 183 Brüning, Memoiren, S. 372. 184 Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 3, S. 747f. 185 Bund zur Erneuerung des Reiches, Das Problem des Reichsrates, Berlin 1930, S. 13.

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Blödsinn vertritt.“186 Sein Verdikt gegen die seiner Ansicht nach fruchtlose theoretische und politische Grundlagendebatte über eine angemessene föderative Ordnung der Republik verband Geßler mit einem Appell, den Weimarer Bundesstaat zu überwinden.187 1933 folgte die Erklärung des Bundes zur Erneuerung des Reiches, die nationalsozialistischen Gleichschaltungsmaßnahmen mit ihrer „eindeutigen Entscheidung für die Souveränität des Reiches gegenüber den Ländern“ seien „das notwendige und auch von ihm erstrebte Ergebnis unserer nationalen Entwicklung“188.

Reichsexekution gegen Preußen 1932 Die entscheidenden Schritte gegen die Unabhängigkeit der Länder leitete 1932 das Kabinett „der nationalen Konzentration“ Papen ein. Ausgangspunkt war der Streit um die Polizeihoheit der Länder und die Aufhebung des SAVerbotes durch das Reich,189 in dessen Kontext der preußischen Regierung die Schuld an den folgenden bürgerkriegsähnlichen Zuständen angelastet wurde. Scheinbar unverfänglich rückte die Regierung Papen nun dem Dualismus zwischen Reich und Preußen zu Leibe, der auch all denen, die an einer ausgewogenen bundesstaatlichen Ordnung interessiert waren, ein Dorn im Auge war. Mit der Reichsexekution gegen Preußen am 20. Juli 1932 war der entscheidende Präzedenzfall für die Absetzung einer Länderregierung durch die Reichsregierung geschaffen, und es mehrten sich die Stimmen, die zu gleichartigen Maßnahmen in Bayern trieben. Norddeutsche Zeitungen sekundierten solchen Wünschen und prognostizierten einen schweren Existenzkampf der Länder.190 Reichsinnenminister Freiherr von Gayl kündigte während der Ver-

186 StAO 131 / 10 Erklärung des Arbeitsausschusses Reich und Heimat gegen den Lutherbund. 187 Otto Geßler, Die politischen Probleme der Reichsreform. Vortrag im Industrieclub Düsseldorf am 8.2.1932, Düsseldorf 1932, S. 8. 188 Bund zur Erneuerung des Reiches, Die Reichsreform, Berlin 1933, S. III. 189 Unter dem Kabinett Brüning hatte das Verhältnis zwischen Reichsregierung und Ländern gerade in diesem Punkt noch für Entspannung gesorgt. In der Bekämpfung der zunehmenden Radikalisierung des öffentlichen Lebens durch NSDAP und KPD durch Notverordnungen arbeiteten beide Seiten eng zusammen. Den Höhepunkt dieser Kooperation stellte das Verbot von SA und SS am 13.4.1932 dar, vgl. Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 318. 190 HStAD 10719 / 327 Vertretung Sachsens beim Reich, Berlin 21.9.1932.

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fassungsfeier am 11. August 1932 an, die Rolle des „ehrlichen Makler(s)“ bei der „Bereinigung der deutschen Landkarte“ übernehmen zu wollen.191 In den Ländern wuchs die Sorge, „man könne eines Morgens vor einer über Nacht beschlossenen Reichsreform stehen und wohl gar zu einem durch Notverordnung neu gegliederten Reich gehören“.192 Mit der Frage nach der Zukunft des Reichsrates waren bereits die Weichen für eine neue Konfrontation gestellt. Reichskanzler Papen beanspruchte, die Hälfte der preußischen Stimmen im Reichsrat zu instruieren. Die Länderregierungen beriefen sich dagegen auf die Verfassung, nach der die kommissarische Regierung das preußische Stimmführungsrecht im Reichsrat nicht einfach ausüben konnte. Nur vorübergehend lenkte die Reichsregierung ein. Die preußischen Regierungsstimmen blieben in der ersten Sitzung nach dem „Preußenschlag“ noch unvertreten. Reichsinnenminister von Gayl sorgte jedoch dafür, dass der Reichsrat mehrere Wochen vertagt wurde. Schließlich konnten die Länder nicht verhindern, dass die Vertreter der kommissarischen Regierung in Preußen an den Reichsratssitzungen teilnahmen und sich – entgegen der Verfassung – auch an den Abstimmungen beteiligten.193 Bayern und Baden erhoben daher wie Preußen Klage beim Staatsgerichtshof in Leipzig, der über die Verfassungsmäßigkeit der Absetzung der preußischen Regierung durch das Reich befinden sollte. Vor einem politischen Schulterschluss, einem gemeinsamen Protest mit Preußen, scheuten sie wie die anderen Länder jedoch zurück.194 Als nach sechstägigen Verhandlungen über die Reichsexekution der größte Weimarer Verfassungsstreit am 25. Oktober 1932 zu Ende ging, war die vom Leipziger Gerichtshof vorgenommene Teilung der preußischen Staatsgewalt denkbar ungeeignet, die Zukunft Preußens zu sichern. Die Entscheidung bestätigte sowohl die vom Reich eingesetzte kommissarische Regierung, welche die gesamte Landesverwaltung erledigte, als auch die preußischen Minister der abgelösten, aber noch geschäftsführenden Regierung Braun, der allein repräsentative Aufgaben blieben.195 191 BHStAM MA 1943 / 103 261 Wilhelm Freiherr von Gayl: Verfassungsrede bei der Feier der Reichsregierung am 11. August 1932, Berlin 1932. 192 STAB 3-R.1.a. / 359 Vertraulicher Bericht des bremischen Vertreters beim Reich Dr. Nebelthau vom 10.9.1932 an die Senatskommission für Reichs- und Auswärtige Angelegenheiten. 193 BAK Kleine Erwerbungen 295 Friedrich Tischbein, Bl. 188. 194 Zur Position der süddeutschen Länder vgl. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 3, S. 932ff.; Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 321–333. 195 „Brecht hat das Recht, Bracht hat die Macht“ war eine alltagsweltlich eingängige Interpretation, die die Lage in Preußen nach dem Urteil des Staatsgerichtshofes be-

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Den Verzicht der preußischen Regierung auf einen wirksamen Widerstand gegen die Reichsexekution hat die Forschung vielfach als stille Kapitulation und kampflose Preisgabe der Demokratie und der föderalen Ordnung kritisiert, aber stets Mühe gehabt, das Zustandekommen dieser „Fehlentscheidung“ bzw. Schwäche zu erklären.196 In den eigenen unitarischen Reichsreformplänen mit der Vision einer Personalunion befangen, kritisierten jedoch sowohl Otto Braun als auch Arnold Brecht weniger das Ergebnis des Preußenschlages als vielmehr seine Legitimation und die Art und Weise des praktischen Vorgehens durch die Regierung Papen. Widerstand war für die preußischen Sozialdemokraten daher keineswegs das Gebot der Stunde. Arnold Brecht, der Preußen vor dem Staatsgerichtshof vertrat, stellte sich vor allem zwei Fragen: „Wie befreit man die Reichsreform von diesem Geburtsfehler einer Strafexpedition gegen Preußen, aus der niemals eine gesunde Reichsreform entstehen kann? Wie verwandelt man den einstweilen labilen Zustand der Personalunion in eine dauernde organische Einrichtung?“197 Weder Otto Braun noch sein Regierungsbeamter Arnold Brecht waren grundsätzlich gegen eine Verbindung Preußens mit dem Reich und einen Kontinuitätsbruch mit der föderalen Ordnung eingestellt.198 Die süddeutschen Länder und Sachsen blieben vornehmlich auf die Sicherung ihrer Länderrechte fixiert. So bemühte sich der bayerische Ministerpräsident Held bei der Regierung Papen um eine „ausreichende Sicherung für die außerpreußischen Länder“, und er forderte „die endliche und endgültige Abdrosselung der Aushöhlungspolitik gegenüber den Ländern“ durch das Reich.199 Die Bereitschaft, sich mit der Reichsexekution 1932 abzufinden, ging zu Lasten der Weimarer Verfassung, in der die Rechte aller Länder noch sicher verankert waren. An sie hatten sich auch die Richter des Leipziger Staatsgerichtshofs gehalten, die die Anwendung von Artikel 48 gegen Preußen als teilweise verfassungswidrig einstuften. Wie bereits in der Debatte um

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zeichnete, unbelegt in Jürgen Bay, Der Preußenkonflikt. Ein Kapitel aus der Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, Erlangen 1965, S. 218. Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik, Bd. 2: Von der Konferenz von Locarno bis zu Hitlers Machtübernahme, Zürich 1956, S. 511; Karl-Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 2. Nachdruck der 5. Aufl. 1971, Düsseldorf 1984, S. 525; Schulze, Otto Braun, S. 747; Ludwig Biewer, Preußen und das Reich in der Weimarer Republik, in: Oswald Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich, Köln 1987, S. 355. Brecht, Stationen der Reichsreform, S. 2. Holste, Reichsreform und „Preußenschlag“, S. 72–82. HStAD 10719 / 327 Der bayerische Ministerpräsident Held an den Reichskanzler Papen, München 8.11.1932, Kopie an die Vertretung Sachsens beim Reich.

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die Legitimation der Reichsexekution gegen Sachsen ging es um die rechtlich zweifelhafte Anwendung des ersten Absatzes, der herangezogen wurde, um eine Pflichtverletzung der Landesregierungen zu begründen.200 Eine Vereinbarung hingegen über existenzielle Garantien für die Länder, die nach vertraulichen Gesprächen mit der Reichsregierung vorbereitet worden war, wurde wegen des Rücktritts Papens am 18. November 1932 nicht mehr unterzeichnet. Der neue Reichskanzler Kurt von Schleicher erklärte, sich nicht auf derartige Abkommen mit den Ländern einlassen zu wollen.201

4.4. „Reichsreform“erwartungen und Polykratie im NS-Staat Adolf Hitler besaß ebenso wie sein engerer Führerkreis ein ambivalentes Verhältnis zu staatlichen Normen und bürokratischen Strukturen. Gewiss war vorerst, dass föderale und demokratische Formen der so genannten Weimarer „Systemzeit“ in einem autoritär organisierten Staatswesen keine Grundlage mehr besaßen. Ungewiss war dagegen, wie der ideologische und politische Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten nach der „Machtergreifung“ gleichermaßen effektiv, juristisch wirksam und verwaltungstechnisch umgesetzt werden sollte. Zweifelsohne wollten die NS-Eliten mehr als eine Indienstnahme des bisherigen Staatsapparates, was sie mit dem Ziel einer spezifisch nationalsozialistischen Form der Herrschaftsausübung immer wieder verkündeten. Doch fehlten ein geschlossenes, theoretisch tragfähiges Konzept und wohl auch die Neigung zu einer radikalen und systematischen Beseitigung tradierter Institutionen und Strukturen. Deren vorübergehende Akzeptanz und Nutzung, insbesondere die des Verwaltungsapparates von Reich, Ländern und Gemeinden, erleichterte vielmehr den Auf- und Ausbau der NS-Diktatur.202

200 Preußen contra Reich, S. 81 und S. 124ff., vgl. in diesem Buch auch S. 378 ff. 201 HStAD 10719 / 327 Vertretung Sachsens beim Reich, Berlin 15.12.1932. 202 Zur Gleichschaltung der Länder und zur Entstehung neuer politischer Gewalten Baum, Die „Reichsreform“ im Dritten Reich, S. 36–56; Martin Broszat, Der Staat Hitler. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, 4. Aufl., München 1974, S. 130–172; Karsten Rudolph, Nationalsozialisten in Ministersesseln. Die Machtübernahme der NSDAP und die Länder 1929–1933, in: Christian Jansen / Lutz Niethammer / Bernd Weisbrod (Hg.), Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1995, S. 244–266; Dieter Rebentisch, Verfassungswandel und Verwaltungsstaat vor und nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Jürgen Heideking u.a. (Hg.), Wege in die Zeitgeschichte, Berlin 1989, S. 123–150.

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Die Rechte der Länder wurden bereits durch die „zweite Preußenaktion“ vom 6. Februar 1933, nach der sämtliche Kompetenzen der preußischen Landesregierung dem Reichskommissar übertragen wurden, weiter geschmälert. Preußen blieb jedoch das einzige Land, welches nochmals in Leipzig Klage einreichte.203 Nach dem letzten Urteil des Staatgerichtshofes war das Vertrauen in die Verfassungsjustiz erschüttert. Die Reichsexekution 1932 jedoch hatte nur einen Vorgeschmack davon gegeben, wie eine entschlossene Reichsgewalt gegen politisch unbotmäßige Länder vorgehen würde. Franz von Papen hatte sich auf die „Einordnungspflicht“ der Länder gegenüber dem Reich berufen können. Adolf Hitler erweiterte diese juristische Konstruktion zur allgemeinen Pflicht der Länder, die Grundlinien der Reichspolitik zu übernehmen.204

Der endgültige Bruch mit der föderalen Ordnung Bis weit in den Februar 1933 hinein hielt sich dessen ungeachtet die Illusion, das Reich würde vor Übergriffen gegen die Eigenständigkeit anderer Länder zurückscheuen. Diese fatale Fehleinschätzung teilte auch der Verfassungsexperte der bayerischen Regierung Karl Sommer, wenn er noch am Vorabend der Machtergreifung meinte: „Auf große Sicht gesehen heißt das brennende Problem nicht wie es heute scheinen könnte Diktatur oder Demokratie. Welche Entscheidungen auch die kommenden Monate und Jahre bringen werden, die Frage Föderalismus oder Unitarismus ist Schicksalsfrage für das Reich.“205 In diesem Licht erschienen Regierungsumbildungen als Schlüssel zur Eigenständigkeit, wie etwa der Rücktritt der sozialdemokratischen Senatsmitglieder in Hamburg. Entsprechende Ratschläge zur Anpassung an die Reichspolitik verbreitete auch die bürgerliche Presse in Bremen: „Wie man auch immer zu den Dingen im Reich und in Preußen stehen mag – es ist politisch nur folgerichtig, dass, wenn selbst das größere Hamburg sich eine dem Kurs der Reichsregierung widersprechende Politik nicht leisten zu können glaubt, Bremen auch keinen anderen Weg gehen kann als den, seinen Regierungskurs in einen gewissen Einklang mit den politischen Gegebenheiten im Reich zu bringen und die längst fällige Senatsumbildung vorzunehmen.“206 Der Kerngedanke dieser taktischen Überlegungen war, dass die Nationalsozialisten sich 203 Holste, Reichsreform und „Preußenschlag“, S. 81. 204 Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg 1932, S. 30ff. 205 BHStAM MA 1943 / 103 417 Ministerialrat Karl Sommer an Rudolf Henle (Professor der Juristischen Fakultät der Universität Rostock), München 27.1.1933. 206 „Und Bremen?“, in: Bremer Nachrichten, 4.3.1933.

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mit einem „marxistenfreien“ Senat zufrieden geben würden. Der von rechtsstaatlichen Skrupeln kaum beengte nationalsozialistische Reichsinnenminister Frick ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass die Nationalsozialisten selbst an die Macht drängten: „Wir haben die Tatsache zu verzeichnen, dass gewisse Länderregierungen den Sinn der neuen Zeit noch nicht recht verstanden haben und der Politik der Reichsregierung Widerstand leisten. Das ist sowohl in süd- als auch in norddeutschen Ländern der Fall. Ich als Reichsinnenminister möchte diese Länder dringend warnen, auf diesem gefährlichen Pfad weiter zu wandern.“207 Der trotz des enormen Drucks der Nationalsozialisten fehlende Realitätssinn in den süddeutschen Ländern und den Senaten der Hansestädte hing wohl auch mit dem Glauben an die Rechtsstaatlichkeit und die Bedürfnisse einer zweckrational zu organisierenden modernen Gesellschaft zusammen, der die Phantasie versperrte. Dort konnte bzw. wollte man sich offenbar keine ideologisch geleitete, auf persönliche Treue und Gefolgschaft beruhende Entwicklung vorstellen. Der Bremer Gesandte rechnete immerhin mit einer Parteiwirtschaft, „von deren Rücksichtslosigkeit man sich kaum einen Begriff machen kann“.208 In Sachsen existierte bis zum 10. März 1933 eine bürgerliche Minderheitsregierung, die zum Rücktritt gezwungen wurde. Zu den Ländern, die noch keine NS-Regierung hatten, zählten außer Sachsen auch Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Schaumburg-Lippe und die drei Hansestädte, die Anfang März 1933 zwangsweise mit Reichskommissaren bedacht wurden.209 Trotz der willkürlichen und demütigenden Eingriffe rückten Sozialdemokraten wie bürgerliche Politiker jedoch in den ersten Wochen nicht von dem Glauben an das Episodenhafte des nationalsozialistischen Erfolges ab. Vergleiche der „Machtergreifung“ mit der Zeit der Arbeiter- und Soldatenräte nach dem Ersten Weltkrieg 1918/19 schürten vielmehr Hoffnungen, dass sich die Verhältnisse nach anfänglichen Übergriffen wieder normalisieren würden und die Wiederkehr verfassungsmäßiger Zustände im Bereich des Möglichen lag.210 Der Reichsrat nahm am 23. März 1933 das Ermächtigungsgesetz, das der Hitlerregierung außerordentliche Vollmachten verlieh, ohne Widerspruch

207 Bremer Nachrichten, 25.2.1933. 208 Zit. nach Holger G. Hasenkamp, Die freie Hansestadt Bremen und das Reich 1928– 1933, Bremen 1981, S. 156. 209 Vgl. Andreas Wagner,, „Machtergreifung in Sachsen“. NSDAP und staatliche Verwaltung 1930–1935, Köln 2004 und Baum, „Reichsreform“ im Dritten Reich, S. 38. 210 Ebenda, S. 185f.

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zur Kenntnis, was nach der Entsendung von Reichskommissaren in die Landesregierungen nicht weiter erstaunlich war.211 Nach dem zentralistischen Führerprinzip setzten die Nationalsozialisten auf Länderebene die politische Ausschaltung aller Minister, Abgeordneten und höheren Staatsbeamten durch, die nicht der NSDAP oder der DNVP angehörten. Das „Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 31. März 1933, kurz „Gleichschaltungsgesetz“ genannt, schrieb unmissverständlich „eine Gleichmäßigkeit der politischen Intentionen in Reich und Ländern“ vor.212 Es ermächtigte die Landesregierungen, Gesetze ohne Zustimmung der Landtage und auch im Widerspruch zur Landesverfassung zu erlassen. Landtage und Bürgerschaften wurden nach den Ergebnissen der letzten Reichstagswahl am 5. März 1933 umgebildet. Ob die Landtage in dieser Zusammensetzung erhalten bleiben sollten, blieb zunächst im Dunkeln. Das „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 7. April 1933, auch als „Reichsstatthaltergesetz“ bezeichnet, etablierte in den Ländern mit Ausnahme Preußens direkte Beauftragte des Reichskanzlers. Die Reichsstatthalter, die in der Regel von Hitler selbst aus den NSDAP-Gauleitern rekrutiert wurden, bekamen diktatorische Vollmachten zugewiesen. Sie waren den Landesregierungen übergeordnet, konnten deren Mitglieder sowie Spitzenbeamte und Juristen ernennen und entlassen. Das gerade den Landesregierungen erteilte Gesetzgebungsrecht ging auf die Reichsstatthalter über. Gleichzeitig wurde das Amt des Staatspräsidenten in einigen Ländern abgeschafft. Mit den letzten Sitzungen der Landtage, die den Rahmen für die öffentlich inszenierten Regierungsumbildungen abgaben, verzichteten die Nationalsozialisten ganz auf die ursprüngliche Vorstellung, sie als akklamierendes Organ zu nutzen.213 Die wesentlichen bundesstaatlichen Elemente der Reichsverfassung, nämlich der unabhängige Länderparlamentarismus, die Möglichkeit einer eigenständigen Landespolitik sowie die Mitwirkung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches, hatten damit endgültig ihre Bedeutung verloren. Wenn Anhänger des Nationalsozialismus wie der Staatsrechtler Otto Koellreutter die Durchsetzung des Führerprinzips auf der „Basis einer notwendigen politischen Einheit zwischen Reich und Länder(n)“ ver-

211 Fritz Poetzsch-Heffter, Vom Deutschen Staatsleben, in: JöR 22 (1935), S. 129ff. 212 Programmatische Erklärung anlässlich der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes vor dem Reichstag am 23.3.1933, vgl. Franz Albrecht Medicus, Programm der Reichsregierung und Ermächtigungsgesetz, Berlin 1933, S. 5. 213 Baum, „Reichsreform“ im Dritten Reich, S. 37ff.

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kündeten, übersahen sie gleichsam die Friktionen, die die Ablösung des Weimarer Bundesstaates durch die NS-Diktatur mit sich brachte.214

In Erwartung einer nationalsozialistischen Reichsreform Eine Frage, welche die nationalsozialistischen Länderregierungen im ersten Jahr der Machtergreifung umtrieb und diese nach allen Seiten politisch aktiv werden ließ, war die durch das Reichsstatthaltergesetz ausgelöste Ungewissheit über ihre Stellung im „Dritten Reich“. Die Reichskanzlei ließ dazu verlauten, bei den Vorarbeiten zum Reichsstatthaltergesetz habe man von den beiden Teilaufgaben der Reichsreform lediglich die Neuordnung des Reiches, nicht aber die Neugliederung des deutschen Staatsgebietes angehen wollen. So habe man zunächst eigentlich bei jedem Land an einen Statthalter gedacht, dann aber eingesehen, dass es am besten sei, die Hansestädte sowie die kleineren und mittleren Länder unter gemeinsamen Statthaltern zu vereinigen.215 Die Zeitspanne zwischen der Verkündung des Reichsstatthaltergesetzes Anfang April und der Bestallung der neuen Amtsträger füllten dementsprechend Diskussionen über künftige territoriale Einheiten des NS-Staates, die an die Weimarer Reichsreformdiskussionen und an die vorhandene Gaustruktur anknüpften. Das Geschehen um die Reichstatthalterfrage, das sich sowohl in der Öffentlichkeit als auch hinter den Kulissen abspielte, überdeckte dabei, dass die nationalsozialistische Machtausübung nicht auf legaler Grundlage zustande gekommen war. Vielmehr förderte es die Bereitschaft zur Unterstützung der kommissarischen Machthaber vor Ort, die Hitler in die Landesregierungen entsandt hatte. Bei den Funktionseliten bestimmte das Weimarer Reichsreformdenken nach wie vor das Verständnis von den Auswirkungen der politischen Entwicklung. Wie weit zum Beispiel Arnold Brechts Engagement für sein Weimarer Reichsreformprojekt reichte, hatte eine letzte Presseveröffentlichung durch ihn am 10. März 1933 in der Vossischen Zeitung gezeigt. Nicht mehr unter seinem Namen, aber mit dem Hinweis „aus Kreisen der frü-

214 Otto Koellreuter, Die nationale Revolution und die Reichsreform, Berlin 1933, S. 7. 215 STAB 3-R.1.h / 2 Staatssekretär Lammers zur Vorgeschichte des Reichsstatthaltergesetzes bei einer Anhörung der Hansestädte über die Frage der Statthalterschaft am 19.4.1933, Aktennotiz des bremischen Vertreters Dr. Firke und der schriftliche Bericht des hamburgischen Gesandten Eiffe über den Empfang der hanseatischen Vertreter in der Reichskanzlei am 19.4.1933, abgedruckt in: Henning Timpke (Hg.), Dokumente zur Gleichschaltung des Landes Hamburg 1933, Frankfurt a. Main 1964.

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heren Länderkonferenz“ hatte Brecht mehr als einen Monat nach dem Machtantritt Adolf Hitlers einen Vorschlag zur Reichsreform vorgelegt.216 Der sächsische Gesandte Holtzendorff glaubte noch im Juli 1933, dass die Ausschaltung des Reichsrates nur eine vorübergehende Maßnahme sei. Der „gefährlichste Gegner der Länder“ war für ihn „von jeher die Reichsbürokratie“. Von Adolf Hitler erwartete er „Schutz gegen eine übertriebene Zentralisation und kulturelle Auspowerung der Provinz“, und Holtzendorff nahm an, dass er „daher ihren Fortbestand wünsche“. Der Regierung in Dresden empfahl er deshalb den Ausbau ihrer Berliner Vertretung voranzutreiben: „Die Angriffe auf die Länder und ihrer Vertretungen sind nicht neu. Die Vertretungen sind besonders den Reichsbehörden lästig, weil sie in nachdrücklicher Weise die Interessen ihrer Länder zu vertreten imstande sind … Leider muss aber festgestellt werden, dass eine Schwächung der Stellung der Länder in Berlin vielfach auch dadurch erfolgt, dass in der Heimat immer wieder Stimmen laut werden, welche die Berliner Vertretungen für entbehrlichen und überflüssigen Luxus halten, wie dies besonders von den Vertretern der SPD und der Demokratischen Partei geschehen ist.“217 Am 17. Oktober 1933 berichtete der sächsische Gesandte: „Wenn nach den von mir getroffenen Feststellungen mit einer Reichsreform schon für die nächsten Monate und in Gestalt einer völligen Unitarisierung wohl nicht gerechnet zu werden braucht, so besteht angesichts der raschen Entwicklung der Zeitverhältnisse natürlich keine Sicherheit dagegen, dass die Länder doch noch überrascht werden.“218 Währenddessen wurden die früheren Ministerkonferenzen219 in der Reichskanzlei von den Konferenzen der inzwischen ernannten Reichsstatthalter abgelöst.220 Die traditionelle Länderstaatlichkeit war längst bedeutungslos, als am 30. Januar 1934, dem ersten Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung, das verfassungsändernde Gesetz über den Neuaufbau des Reiches die föderative Grundordnung außer Kraft setzte, ohne jedoch die Neuorga216 Brecht, Vorschlag zur Reichsreform, in: Vossische Zeitung, 10.3.1933, S. 3. 217 HStAD 10719 / 357 Vertretung Sachsens beim Reich, Graf von Holtzendorff an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten Dresden, 3.7.1933. 218 HStAD 10719 / 357 Vertretung Sachsens beim Reich, Reitzsch, Berlin 17.10.1933, Bl. 80. 219 1933 wurden nur noch vereinzelt Länderkonferenzen abgehalten, bei denen es sich jedoch ausnahmslos um Fachkonferenzen bestimmter Ressorts und nicht um die Behandlung grundlegender Fragen der inneren Politik durch Mitglieder der Reichsregierung und die Ministerpräsidenten der Länder handelte, vgl. die Übersicht bei Fritz Poetzsch-Heffter, Vom deutschen Staatsleben, S. 155. 220 STAB 3-R.1.a. / 358 Schreiben des Reichsministers des Innern an die Reichsstatthalter und Landesregierungen vom 2.7.1933.

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nisation des Reiches zu bestimmen und den „Führerstaat“ durch eine eigene Verfassung zu normieren. Staatsrechtler wie Ernst Rudolf Huber kommentierten den NS-Staat fortan als „ungeschriebene lebendige Ordnung“, in der „die politische Gemeinschaft des deutschen Volkes ihre Einheit und Ganzheit findet“.221 In einer Rundfunkrede, die am 2. Januar 1934 im Völkischen Beobachter abgedruckt wurde, rechnete Reichsinnenminister Frick mit der Geschichte der föderalen Vergangenheit des Reiches ab. Sinnbild des Scheiterns des Alten Reiches, das den „deutschen Boden“ zum „Kriegsschauplatz Europas“ gemacht habe, waren ihm „die Ruinen deutscher Burgen, Städte und Dörfer“. Bismarcks „Reich der Macht, Ehre und Würde“ beschrieb er als Staat mit erheblichen Konstruktionsfehlern: „Auch das zweite Reich ließ die Ländergrenzen, die durch Kriege und Heiraten unter den Fürstenstaaten entstanden waren, die daher nicht die Volksstämme, nicht die Landstämme und nicht die Wirtschaft berücksichtigten, unangetastet. Die Bundesstaaten behielten grundsätzlich ihre Selbständigkeit, die sich zum Nachteil des Ganzen auswirkte.“ Die Ersetzung der bundesstaatlichen Ordnung durch den nationalsozialistischen „Freiheitsstaat“ propagierte Frick als die Erfüllung einer „Sehnsucht des deutschen Menschen, seinem Leben als Volk auch die äußere geschlossene Form zu geben“.222 Um auch symbolisch ein Zeichen zu setzen, zerstörten örtliche Verbände der Hitlerjugend und SA-Einheiten vielerorts die Grenzpfähle zwischen den ehemaligen Weimarer Ländern.223 Der NS-Staat hatte die bundesstaatlichen Einrichtungen erst entwertet, dann überflüssig gemacht. Unter diesen Umständen wog es nicht schwer, dass am 14. Februar 1934 der Reichsrat aufgehoben wurde. Die Frankfurter Zeitung würdigte in einer Art Nachruf noch einmal das in der Weimarer Verfassungspraxis wachsende Gewicht des Reichsrates, bevor sie ganz auf der Linie des zentralistischen Führerstaates einen Schlusspunkt unter „die historische Rolle des Reichsrats als Sinnbild der Reste deutscher Kleinstaaterei“ setzte: „Als Verkörperung der föderalistischen Kräfte hat er seinen Sinn verloren. Seine 221 Ernst Rudolf Huber, Verfassungsrecht des großdeutschen Reiches, 2., stark erweiterte Auflage, Hamburg 1939, S. 55; Gerhard Krebs, A step toward Reichsreform in Germany, in: The American Political Science Review, 32 / 3 (1938), p. 536–541. 222 GLAK 233 / 25692 Frick, Volk und Staat sind eins geworden. Vom Bundesstaat zum Freiheitsstaat, in: Völkischer Beobachter München 2.2.1934. 223 So an der württembergisch-preußischen Grenze Hohenzollern GLAK 233 / 25692 Neue Badische Landeszeitung, 19.2.1934 und an der preußisch-sächsischen Grenze GStA PK, I. HA Rep. 90 A / 3145 Behebung der durch Angehörige der Hitlerjugend verursachten Grenzschäden an der preußisch-sächsischen Landesgrenze 10.1934 – 4.1936.

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andere Bedeutung, eine Balance zu bilden gegenüber dem Reichstag und so die Gewaltenteilung zu ermöglichen, ist ebenfalls gegenstandslos geworden. Der autoritäre Staat kennt keine Gewaltenteilung mehr. Die souveräne Gewalt des Staatsvolkes wird durch den Führer der Regierung allein repräsentiert.“224 Auf die Ausübung der dem Reich schlagartig zufallenden Kompetenzen, die bislang der Verwaltung der Länder vorbehalten waren, war die Reichsbürokratie jedoch nicht vorbereitet. Aus diesem Grunde fiel den Landesbehörden ein großer Teil der entzogenen Aufgaben als Auftragsverwaltung zu. Frick, dessen Reichsinnenministerium als „Dame ohne Unterleib“ karikiert wurde, hielt indessen mit seinen Aussagen im Völkischen Beobachter die Erwartung einer Neubildung von Reichsgauen aufrecht. Nichts läge, äußerte sich Frick, der nationalsozialistischen Regierung ferner als „öder Zentralismus und Gleichmacherei“. Stattdessen sollte „dem Betätigungs- und Gestaltungsdrang in den deutschen Gauen freie Hand“ gelassen werden. Der NS-Staat würde dabei „alle verkehrs- und wirtschaftspolitisch zweckmäßigen Gebietseinheiten beachten und als Grundlage des Reichsaufbaus benützen“ müssen.225 Eine regionale Neugliederung und eine Verwaltungsreform standen damit weiterhin im Raum, ohne dass sie jemals entscheidend angegangen wurden. Aber die in ihr steckende Virulenz hielt unter den regionalen NS-Führern ständig Unruhe und Argwohn wach. Seit der „Machtergreifung“ kursierten zahlreiche alte und neue Denkschriften in der Öffentlichkeit. Einen vorübergehenden Einfluss erlangten die Überlegungen des Magdeburger Regierungspräsidenten Nicolai, dem auch die Idee zugeschrieben wurde, Reichsstatthalter einzusetzen.226 Nicolai wechselte bald darauf als Experte für Angelegenheiten der Reichsreform ins Reichsinnenministerium. Nach den Vorstellungen Nicolais sollte der NS-Staat in dreizehn Länder gegliedert sein, wobei die drei Hansestädte in einem Land „Niedersachsen“ aufgehen sollten.227 Der Hauptwiderstand gegen die Pläne Nicolais ging dabei von Göring aus, den Adolf

224 GLAK 233 / 25692 Frankfurter Zeitung, 16.2.1934. 225 GLAK 233 / 25692 Interview mit dem Völkischen Beobachter, in: Der Führer, 23.6.1934. 226 StAB 4.49–411 / 83 Bericht des bremischen Vertreters beim Reich Brandt vom 15.10.1933. 227 Bestehend aus den Provinzen Schleswig-Holstein und Hannover, mit Ausnahme des Regierungsbezirkes Osnabrück, ferner dem nördlichen Teil von Oldenburg, den Ländern Braunschweig und Schaumburg-Lippe, vgl. auch Nicolai, Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 40.

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Hitler nach der Machtübernahme zum Ministerpräsidenten von Preußen ernannt hatte.228 1933 verlief die Diskussion der Reichsreform noch in der Öffentlichkeit, dann wurde sie – um die innerpolitische Konsolidierung nicht zu gefährden – auf Weisung Adolf Hitlers im Dezember abrupt abgebrochen „und der gesamten Presse verboten, überhaupt noch Auslassungen über die künftige Reichsreform zu bringen“229. Dennoch hielt sich nach dem Neuaufbaugesetz vom 30. Januar 1934 – kraftvoll als „Jahrtausendwerk“230 gepriesen – die Erwartung, dass sich der NS-Staat „in einem Zwischenstadium“ befinde231 und eine „Reichsreform im weitesten Sinne des Wortes“ noch bevorstehe.232 In regionalen Zeitungen sah man der Umsetzung einer Neugliederung und einem Umbau der Verwaltungsorganisation weiter entgegen und titelte martialisch „Reichsreform marschiert“.233 Die Nationalsozialisten stellten die Gleichschaltung der Länder indessen als Erfüllung der in die Anfangsjahre der Weimarer Republik zurückreichenden Bestrebungen dar. Die Umsetzung einer neuen Territorialgliederung und Kompetenzverteilung folgte nicht nach. Varianten der Verquickung von rationalem Verwaltungshandeln, persönlichen Interessen und Rivalitäten sowie die Verpflichtung auf ein persönliches Treue- und Gefolgschaftsverhältnis, mitsamt den Begleiterscheinungen von bürokratischem Leerlauf bis zur Korruption, übertrafen noch das Zerrbild des Weimarer Bundesstaates und wi228 Der gleichgeschaltete Senat Bremens konnte in dem Widerstand Görings gegen eine Zerschlagung Preußens auf die „sicherste Stütze“ für die „ihm am Herzen liegende Erhaltung, Stellung und Bedeutung der Hansestädte“ bauen, StAB 4.49–411 / 83 Bremische Vertretung beim Reich an Bürgermeister Markert, 15.8.1934. 229 Telegramm von Staatssekretär Lammers an Reichsstatthalter Röver vom 12.12.1933, abschriftlich an das Staatsamt für Reichs- und auswärtige Angelegenheiten in Bremen, StAB 3-R.2.1 Reichsreform nach dem Antritt der nationalsozialistischen Regierung. 230 Franz Albrecht Medicus, Das Reichsministerium des Innern, Berlin 1940. 231 F. Bezler, Das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, Heidelberg 1934, S. 15. 232 Helmut Nicolai, Der Neuaufbau des Reichs nach dem Reichsreformgesetz vom 30. Januar 1934, Berlin 1934, S. 31 und StAB 3-R.1.a.358 Bericht der Bremer Nachrichten über einen Vortrag des Staatssekretärs im Reichsministerium des Innern über das Thema Reichsreform unter dem Titel: Brauchen wir eine Verfassung?, in der Gesellschaft der Berliner Freunde der Deutschen Akademie am 14.5.1936. Außerdem die deutsche Übersetzung aus der Times vom 9.11.1936 über Gerüchte einer „NaziVerfassungsänderung“ durch die Errichtung von Reichsgauen. 233 GLAK 233 / 25692 Neuaufbau des Reiches 1934, daraus zitiert die Bayerische Staatszeitung, 18./19.2.1934 und Der Führer, 3.5.1934.

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dersprachen der Vorstellung eines aufeinander eingespielten, leistungsfähigen Organismus. Die Forschung hat inzwischen die ältere, dominierende zentralstaatliche Perspektive auf die NS-Diktatur durch den Blick auf den „Nationalsozialismus in der Region“ erweitert.234 Nachdem die Umsetzung der NS-Herrschaft vor Ort bis zum Ende der 1960er Jahre kaum behandelt worden war, wandte sich das Interesse nun stärker den regionalen Machtzentren und der Tätigkeit der Sondergewalten sowie der regionalen und lokalen Behörden zu. Neben der „Zerschlagung jedes echten Föderalismus“ und dem durch die Erfordernisse der Kriegswirtschaft vorangetriebenen Prozess weiterer Zentralisierung kennzeichnete den NS-Staat das Nebeneinander von Zentralismus und Partikularherrschaft.235 Dabei ist in der Gesamttendenz eine integrierende und zentripetale Kraft der „Polykratie“ des NS-Staates mit erheblichen Steuerungs-, Mobilisierungs- und Koordinationswirkungen beschrieben worden.236

234 Peter Hüttenbergers bekanntes Werk über die Gauleiter aus dem Jahre 1969 war eines der Bücher, die den Beginn einer veränderten Sichtweise auf das Dritte Reich signalisierten. Peter Hüttenberger, Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP, Stuttgart 1969; zit. nach Horst Möller u.a. (Hg.), Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich, München 1996. Aus den inzwischen zahlreich erschienen Regionalstudien z.B. Hermann Rumschöttel / Walter Ziegler (Hg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945, München 2004. 235 Ritter, Föderalismus und Parlamentarismus, S. 45. 236 Zu Interaktionen und Effizienz diverser Bürokratien und eines system- und verwaltungsstabilisierenden Behördenhandelns auf Reichs- und regionaler Ebene vgl. u.a. Wolf Gruner / Armin Nolzen (Hg.), Bürokratien. Initiative und Effizienz, Berlin 2001; Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat, 2. Aufl., hg. und eingeleitet von Alexander v. Brünneck, Hamburg 2001; Rüdiger Hachtmann / Winfried Süss (Hg.), Hitlers Kommissare. Sondergewalten in der nationalsozialistischen Diktatur, Göttingen 2006; Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939–1945, Stuttgart 1989.

5. Die Länder in der Bundesstaatsdebatte 5.1. Freistaaten, Reichsländer oder preußische Provinzen? – Perspektiven für die norddeutschen Kleinstaaten Ein Blick auf die deutsche Landkarte bot 1918 folgendes Bild: Von insgesamt 25 Bundesstaaten, lagen – abgesehen von der preußischen Exklave Hohenzollern – drei südlich des Mains. 21 Bundesstaaten erstreckten sich nördlich, Hessen lag beiderseitig des Flusses. Hessen und die drei süddeutschen Staaten waren in der napoleonischen Zeit als geschlossene Territorien entstanden und hatten dabei die zahllosen, früher bestehenden kleineren Herrschaften gänzlich aufgesogen. Im Norden existierten, abgesehen von Sachsen und Preußen, eine Reihe von Stadt-, Mittel- und Kleinstaaten, von denen nur Hamburg und Mecklenburg-Schwerin mehr Einwohner als München besaßen. Zudem waren ihre geographische Konfiguration und die Grenzverläufe merkwürdig kompliziert. Thüringens Einigung war 1920 ohne den Einschluss thüringischer Gebietsteile, die seit den napoleonischen Kriegen an Preußen gefallen waren, erfolgt. Das Land Anhalt lag wie eine Insel in der preußischen Provinz Sachsen. Der Volksstaat Hessen(-Darmstadt) umfasste ein weit kleineres Territorium als die preußische Provinz ehemals hessischer Gebiete. Die lippischen und mecklenburgischen Territorien waren immer noch in je zwei Landesteile gespalten.1 So wurde die territoriale Struktur des Reiches seit dem 19. Jahrhundert zunehmend als eine anachronistische, entwicklungshemmende Struktur begriffen. Ihre Genese galt als ein tragischer, allenfalls durch patriarchalische Landespflege und kulturelle Leistung kompensierter Irrweg. Auf dem Wiener Kongress sprach der französische Außenminister Talleyrand von Staaten dritter und vierter Ordnung, den „états aux intérêts limités“.2 In den internationalen Beziehungen erfuhren sie auch später nur eine gewisse Wertschätzung, wenn sie den auf Macht- und Interessenausgleich bedachten europäischen Großmächten dabei helfen konnten, unter sich eine Art Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. In der Debatte um eine Reorganisation des Deutschen Bundes wurde 1 Zu Einwohnerzahlen und Gebietsumfang der Länder vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 670f. sowie die Statistik zur „mangelnden Homogenität“ der Länder, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 101. 2 Michael Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß, Mainz 1996.

Perspektiven für die norddeutschen Kleinstaaten

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so über die „Duodez- oder vielmehr Centesimalstaaten“ im „Liliput-Revier Deutschlands“ gespottet.3 Heinrich von Treitschke brandmarkte die „unausrottbaren Gebrechen“ von Kleinstaaterei, in der „das politische und geistige Leben in dünnen Bächlein zerteilt“ dahinriesele.4 Friedrich Engels hatte das pejorative Wort von der „thüringischen Narrenjacke“5 geprägt, und „Thüringer Kleinstaatenjammer“ lautete der Titel einer 1906 erschienen Flugschrift des Meininger sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten und Verlegers Arthur Hofmann.6 1924 erschien eine Glosse über Schaumburg-Lippe von Hermann Löns, der 1909 als Redakteur bei der hiesigen Landeszeitung angestellt worden war: „Wenn man von Köln nach Berlin fährt, dann erblickt man kurz hinter Minden plötzlich blau, weiß und rot angestrichene Grenzpfähle, und wenn man seine Reisegefährten fragt: ‚Was ist denn das?‛, so erhält man die Antwort: ‚Ach das war eben Schaumburg-Lippe.‘“7 Über Braunschweig war eine entsprechende Anekdote vom „heimattreuen Studenten“ im Umlauf, „der auf der Fahrt zur technischen Landeshochschule in Braunschweig, elfmal die Grenze des Vaterlandes queren“ müsse.8 Braunschweig erstreckte sich über vier kleine und zwei größere Gebietsteile und mindestens 27 territoriale Partikel, die sämtlich von preußischen Gebietsteilen umschlossen waren. Das Land wurde dementsprechend auch als „ein erkalteter Meteorregen von Souveränität aus vergangenen Tagen“ beschrieben, der „sehr unbequem für Preußen“ mitten in dessen Territorium stecke.9 Karikaturisten haben die kleinen Länder vielfach als störend für die nationale Einigungsbewegung dargestellt.10 3 Augsburger Allgemeine Zeitung vom 12.2.1851, zit. in: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Abt. III, Bd. 1: Die Dresdner Konferenzen und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850/51, bearb. von Jürgen Müller, München 1996, S. 209–211. 4 Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Zweiter Teil: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen, Leipzig 1927, S. 398f. 5 Friedrich Engels, Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891, in: Werke. Karl Marx, Friedrich Engels, Bd. 22, 4. Aufl., Berlin 1974, S. 235. 6 Arthur Hofmann, Thüringer Kleinstaatenjammer. Ein Weckruf an alle Thüringer ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit, Saalfeld 1906. 7 Hermann Löns, Duodez, 7. Aufl., Hannover 1992, S. 9. 8 HStAD 10719 / 4002 Länder auf Abbau. Was will Braunschweig, in: Frankfurter Zeitung, 9.3.1930. 9 Ebenda. 10 Zum negativen „Image“ der kleinen Bundesstaaten und Länder sowie zur engen Verbindung des polemisch verwendeten Terminus „Kleinstaaterei“ mit der Wahrnehmung des Alten Reiches vgl. Stefan Gerber, Reichspatriotismus, Dynastie und Konstitution – die thüringischen Staaten und das Alte Reich im langen 19. Jahrhundert, in: Asche u.a. (Hg.), Was vom Alten Reiche blieb, S. 261–288.

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Lange Zeit ist so ein ausgleichender und integrierend wirkender Beitrag kleinstaatlicher Strukturen in Vergessenheit geraten. Fürsprecher der Kleinstaaten erinnerten daran, dass sie sich weitaus stärker als die eigennützigeren süd- und mitteldeutschen größeren Staaten für Reichsgedanken und Nationaleinheit engagierten.11 Sie beriefen sich vorzugsweise auf Bismarck, der die norddeutschen Mittel- und Kleinstaaten erhalten habe, damit sie die größeren Bundesstaaten daran hinderten, den Reichsbau zu sprengen.12 Die Sozialdemokraten verstanden sie in der Kaiserzeit als „Wall gegen das preußische Junkertum“13. Weimar ist dementsprechend nicht zufällig als Tagungsort der verfassunggebenden Nationalversammlung gewählt worden. Neben dem Vorzug eines relativ ruhigen Ortes in revolutionär bewegten Zeiten setzten die Gründungsväter der Weimarer Republik auf die ausgleichenden Wirkungen der thüringischen Kleinstaatenwelt gegenüber Preußen und den süddeutschen Staaten, wo Weimar eher als Berlin akzeptiert wurde. Und in Bezug auf das Ausland meinte Friedrich Ebert, dort würde man es sicher als angenehm empfinden, „wenn man den Geist von Weimar mit dem Aufbau eines neuen Deutschen Reiches“14 verbände. Die auf die thüringische Kleinstaaten-Metropole zurückgehenden Bezeichnungen Weimarer Republik und Weimarer Verfassung wurden so zu nationalen Symbolen eines demokratischen Neubeginns, aber auch des Scheiterns der ersten deutschen Republik. Ihre Krisen-, Erosions- und Polarisierungstendenzen zogen gerade die kleinen Länder in ihren Bann. Frühe nationalsozialistische Wahlerfolge und Regierungsbeteiligungen in Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg und Braunschweig, das 1932 Adolf Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft verlieh, stehen für den Verlust ihrer Ausgleichs11 Dass in der NS-Propaganda der Reichsgedanke und die Bedeutung kleiner Länder wieder positiv verknüpft wurden, ist eine Erklärung für den frühen Erfolg der Nationalsozialisten in Mecklenburg-Schwerin, Thüringen, Oldenburg und Braunschweig, vgl. Fritz Hartung, Thüringen und die deutsche Einheitsbewegung im 19. Jahrhundert, in: BDLG 83 (1938) S. 3–17; Erich Maschke, Thüringen in der Reichsgeschichte, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, 32 (1937) S. 289–387. 12 Zit. u. a. in: Norddeutschland als Einheitsstaat, Sonderabdruck der Jenaischen Zeitung, 29.4.1929. 13 ThHSTAW Staatsministerium Nr. 1, Reißaus, Arbeiter- und Soldatenrat Erfurt, Protokoll der Tagung der Arbeiter- und Soldatenräte des 36. Wahlkreises in Erfurt am 10.12.1918 in Erfurt, Bl. 7. 14 Zit. nach Susanne Miller / Heinrich Potthoff (Bearb.), Die Regierung des Rates der Volksbeauftragten 1918/19, Düsseldorf 1969, S. 225.

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wirkungen und zeigen die Grenzen kleinstaatlicher Funktionen und Entwicklungswege auf.15 Sie haben nicht zuletzt den historiographischen Leumund der norddeutschen Länder gegenüber Preußen und den süddeutschen Staaten als republikanische beziehungsweise föderale Bollwerke weiter verschlechtert. Die Ursachen der frühen nationalsozialistischen Machtergreifung in Thüringen, Oldenburg oder Mecklenburg dürfen jedoch nicht ausschließlich in diesen Ländern selbst oder in einer vermeintlichen Fragmentierung der Republik unter kleinstaatlichen Verhältnissen gesucht werden. Fragen nach ihrer künftigen Regierung und ihrer Parteibuchpolitik machten der NSDAP bei Landtagswahlen durchaus schwer zu schaffen. In beiden Fällen ging es darum, ob die Nationalsozialisten in der Landespolitik eigene Entscheidungen treffen konnten oder aber Weisungen des Führers zu befolgen hätten. Da das Führerprinzip mit der Eigenständigkeit der Länder nicht vereinbar war, gerieten sie schnell unter Zugzwang. Jedoch boten die Folgen der Weltwirtschaftskrise und des Sparkurses der Reichsregierungen, die sich in den kleinen Ländern besonders nachteilig auswirkten, der NSDAP vielfache Möglichkeiten der Agitation. Der Wahlkampf um die Macht in den Freistaaten wurde dort von den Nationalsozialisten mit allen Mitteln und einem relativ hohen propagandistischen Aufwand geführt.16 Einerseits stellten sich Erfolge in den homogen strukturierten kleineren Ländern relativ rasch ein, da in überschaubaren Räumen der Ausbau ihrer Organisation und die Durchdringung des gesellschaftlichen Gefüges durch Neugründungen oder durch die Unterwanderung regionaler Interessengruppen offenbar schneller gelangen. Andererseits konnten die durch die Wahlpropaganda der Hitlerpartei hoch gesetzten Erwartungen kaum eingelöst werden, sodass die Bevölkerung auf die NS-Regierungstätigkeit in den Ländern vielfach enttäuscht reagierte.17 Die ungewisse Antwort auf die Frage, ob sich die NSDAP in den Länderregierungen vor 1933 behaupten oder ob sie dem Druck der überspannten Hoffnungen und der Unzufriedenheit ihrer Wähler unter15 Bei den Landtagswahlen 1932 erreichte die NSDAP in Anhalt: 40,9 %, in Thüringen: 42,5 %, in Oldenburg: 48,4 %, in Mecklenburg-Schwerin: 49,0 %, davon abweichend wegen des Einflusses der DNVP (31,0 %) in Mecklenburg-Strelitz aber nur 23,9 %, vgl. Jürgen W. Falter / Thomas Lindenberger / Siegfried Schumann (Hg.), Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919– 1933, München 1986, S. 89–110. 16 Zum propagandistischen Aufwand der „Lippe-Wahl“ am 15.1.1933 vgl. Wulfmeyer, Lippe 1933, S. 7–13. 17 Klaus Schaap, Die Endphase der Weimarer Republik im Freistaat Oldenburg 1928– 1932, Düsseldorf 1978 und ders., Oldenburgs Weg ins „Dritte Reich“, Oldenburg 1983.

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liegen sollte, wurde am Ende jedoch nicht in Oldenburg oder Mecklenburg gegeben. Die Entscheidung darüber fiel im Reich durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Ihre Einbindung in die gesamtdeutsche Entwicklung, ihre geografische Situation und Integrationskraft waren für die Zukunftsfähigkeit der nord- und mitteldeutschen Kleinstaaten schon immer bedeutsamer als ihre territoriale Größe. Der Zwang nach Anpassung ließ hier zudem nie ernsthaft den Gedanken einer Konkurrenz oder eines Hindernisses für Preußen aufkommen. Anhalt, Thüringen, Braunschweig, die beiden Lippe und Mecklenburg, Oldenburg und Waldeck unterschieden sich darin von Sachsen, einem sich meistens in Konfrontation zu Preußen befindenden Mittelstaat. Sie sicherten ihre Existenz auch im Gegensatz zum größeren Hannover, das im Wettstreit mit Preußen um die Vormachtstellung in Norddeutschland stand, jedoch mit der Ausdehnung des Hohenzollernstaates nach Westen seit dem 17. Jahrhundert zu Lasten der welfischen Ansprüche und Hoffnungen nicht mehr Schritt halten konnte. Hannover wurde schließlich annektiert, weil es die Führungsrolle des übermächtigen Nachbarn im Vorfeld der Reichsgründung nicht akzeptieren wollte.18 Nach der Einverleibung von Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt in Preußen suchte Bismarck mit Rücksicht auf die noch zu gewinnenden süddeutschen Staaten den Eindruck des demonstrierten preußischen Appetits durch eine möglichst schonende Behandlung der Kleinstaaten in Vergessenheit zu bringen. Unter der bismarckschen Reichsverfassung standen die kleinen Fürstentümer und Großherzogtümer daher unter einem bis dahin kaum gekannten Schutz. Allerdings waren es nicht allein äußere Gründe, welche die Weiterexistenz dieser kleinen Staaten bedingten. Neben der hegemonialen Föderativverfassung der Kaiserzeit hat auch eine innere Reformfähigkeit zu ihrem Erhalt beigetragen.19 18 Dieter Brosius, Eigenständigkeit oder Souveränitätsverzicht. Hannover, Braunschweig, Oldenburg und die preußische Suprematie in Nordwestdeutschland, in: BDLG 132 (1996), S. 13–31, insbesondere S. 27ff. und ders., Hannover und Preußen vor 1866, in: Rainer Sabelleck (Hg.), Hannovers Übergang zur preußischen Provinz 1866, Hannover 1995, S. 23–29. 19 Eine Gesamtuntersuchung der kleinstaatlichen Verfassungspolitik in der Reichsgründungszeit steht noch aus, zuletzt Karl Lange, Bismarck und die norddeutschen Kleinstaaten im Jahre 1866, Berlin 1930. Jüngere Untersuchungen für einzelne Staaten liegen jedoch vor, zum Beispiel durch Klaus Lampe, Oldenburg und Preußen 1815–1871, Hildesheim 1972 oder Volker Höffer, Die Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im Prozess der Herstellung der nationalen Einheit 1858– 1871, Rostock 1991.

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In der Weimarer Republik wurden die kleinen Länder dagegen überwiegend als unliebsame Relikte einer dynastischen Länderstaatlichkeit gesehen. Wenn Staatsrechtlehrer auf den Willen und die Fähigkeit zur Eigenstaatlichkeit der Länder, zur eigenen Politik und Verwaltung sowie auf ein vorhandenes Staatsbewusstsein abstellten, so bezogen sie sich vornehmlich auf die größeren Länder wie Preußen, Bayern oder Sachsen.20 Die an diesen Beispielen gewonnenen Erkenntnisse waren jedoch kaum auf Anhalt, Lippe oder Waldeck übertragbar. Und so entstanden bezüglich der „Zwerggebilde“ bzw. „Zwergländer“ erhebliche Zweifel.21 Unter demokratischen Prämissen lag es außerdem nahe, das Volk und die Bevölkerungszahlen als Ausgangspunkt der staatlichen Ordnung zu nehmen, und damit die bereits im Bismarckreich bestehenden beträchtlichen Disproportionalitäten der historisch legitimierten Stimmgewichtung der Bundesstaaten zu beseitigen.22 So bezeichnete der Hamburger Bürgermeister Carl Petersen 1928 die „unorganische Struktur des Reichsrats“ als eine schwere Fehlerquelle der Verfassung: „Die Mitwirkung des Einflusses der Länder auf die Reichswillensbildung ließ sich bei der Verschiedenheit der Größe und Bedeutung der Länder … nur unorganisch vollziehen“, nachdem 1919 das „politische Leben im Reich nach dem demokratischen Prinzip aufgebaut“ worden sei. „Wäre dieses demokratische Prinzip auch im Reichsrat durchgeführt und würde das kleinste deutsche Land eine Stimme haben, dann ständen nach der Bevölkerungszahl Preußen 793 Stimmen zu.“23 Darum verlangte Petersen, der ein bekennender Anhänger des dezentralisierten Einheitsstaates war, eine demokratische „Einwirkung der Länder auf die Reichswillensbildung“ nachzuholen. Dazu setzte er nach der ursprünglichen Staatenhausidee von Hugo Preuß jedoch die „Untergliederung des Reiches in Gebilde“ voraus, „die kul20 Holste, Der deutsche Bundesstaat, S. 532. 21 Abweichend dazu Nawiasky, Das Problem der kleineren und der leistungsschwachen Länder, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 291–297 und Heinrich Held, Die Mängel des deutschen Verfassungslebens, der sich mit den Verdikten gegen die „Zwergländer“ auseinandersetzte, in: ebenda, S. 387–390, zit. S. 390. 22 Bei der Reichsgründung 1871 stand dem preußischen Anteil an der Reichsbevölkerung von 60 Prozent ein Drittel der Stimmen im Bundesrat gegenüber. Wie das zehn Mal kleinere Schaumburg-Lippe führte Hamburg nur eine Stimme. Braunschweig und Mecklenburg-Schwerin besaßen dagegen jeweils zwei Stimmen, obgleich Hamburg bereits bei der Reichsgründung bzw. bis zur Jahrhundertwende eine größere Einwohnerzahl besaß, Holste, Der deutsche Bundesstaat, S. 202 f. 23 Petersen, Veränderung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern, in: Die Länderkonferenz, Berlin 1928, S. 3.

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turell und wirtschaftlich voll lebensfähig sind“ und die „im Rahmen des Reiches ihr Eigenleben führen“ konnten.24 Gegen dieses Prinzip, „die Daseinsberechtigung der Gliedstaaten an der Hand irgendeines rein quantitativen Maßstabes wie etwa der Einwohnerzahl“ zu beurteilen, hat die Anhalter Regierung 1919 gleichwohl das menschliche Maß überschaubarer politischer Einheiten hervorgehoben und darüber hinaus argumentiert: „Volksgemeinschaften, die, wie es in Anhalt der Fall ist, seit vielen Jahrhunderten auf Gedeih und Verderb in sich verbunden waren,“ dürften nicht „unter offener oder verdeckter Ausschaltung des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung von oben her in neue mehr oder weniger künstliche Staatsbildungen“ eingegliedert werden. Denn dies „würde in jedem Falle einen durch nichts zu verklebenden Riß in dem Neubau der deutschen Republik hinterlassen. Keine Zentralisation, die entgegen der inneren Überzeugung der Mehrheit der beteiligten Volksgemeinschaft unmittelbar oder mittelbar erzwungen wird, kann zum Heile der Gesamtheit ausschlagen; sie würde stets einen Bruch mit den obersten Grundsätzen der Demokratie, einen Rückfall in die Machtpolitik des alten Obrigkeitsstaates bedeuten.“25 Anhalt hatte sich seit der Novemberrevolution wie alle deutschen Länder mit weniger als einer Million Einwohner gegen Reichsreform- und Großraumpläne zu behaupten, welche die selbstständigen Freistaaten – auch das erst 1920 neu gegründete Thüringen – zu preußischen Kreisen, Provinzen oder Reichsländern machen wollten. Zu keinem Zeitpunkt zwischen 1918 und 1933 galt ihre Zukunft als gesichert. Auch die in einer föderalen Denktradition stehenden Modelle plädierten für ein organisch gegliedertes Reich mit höchstens einem Dutzend Länder als anzustrebendes Reichsideal. Da es in der Reichsreformdiskussion aussichtslos erschien, mit Bayern und Preußen zu einer Einigung zu gelangen, wurde die Neuordnung der norddeutschen Mittel- und Kleinstaatenwelt als eine Alternative angegangen. Die bayerische Regierung glaubte im Vorfeld der Länderkonferenz 1927, dass eine Mediatisierung der zehn „Kleinstaaten oder Zwergländer“ mit einer Bevölkerung von 2,9 Millionen Einwohnern und zehn Reichsratsstimmen für Bayern „zu ertragen wäre“. Da die Gesamtzahl der Stimmen gemindert würde und kein Land mehr als 40 Prozent bzw. zwei Fünftel im Reichsrat auf sich vereinen durfte, musste sich der zulässige Anteil Preußens minimieren, während er für Bayern unverändert bleiben konnte. Jenseits dieser strategischen Überlegungen sah sich München jedoch mehr als „Anwalt der kleinen Länder“ gefordert, da Preußen den Medi24 Ebenda, S. 12 25 HStAS E 130 b / 2113 Denkschrift über die künftige Stellung des Freistaates Anhalt im Deutschen Reich, 1919.

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atisierungsdruck auf seine norddeutschen Nachbarn erhöhte und eine Dezentralisierung Norddeutschlands hintertrieb: „Bayern muss sich auf die Gefahr hin, dass ihm Rückständigkeit vorgeworfen wird, hier unbedingt zum Fürsprecher der kleinen Länder machen, somit sie den Willen zur Eigenstaatlichkeit besitzen. Auch solche Länder haben nach Art. 8 R.V. ein Recht zu leben und Anspruch auf einen gerechten Finanzausgleich, solange sie ihre Eigenstaatlichkeit wahren wollen.“26 Föderalisten in Norddeutschland kritisierten, dass Bayern den preußischdeutschen Dualismus „als tragbar“ hinstellte. Sie adressierten an München die Forderung endlich „den Satz von seiner Unhaltbarkeit“ zu akzeptieren und „den Kampf um die Aufgliederung Preußens“ aufzunehmen. Es sei eine „abenteuerliche“ Auffassung, Preußens Dezentralisierung durch die Mediatisierung der norddeutschen Länder vorantreiben zu wollen. Ihre Solidarität gehöre daher Mecklenburg, Schaumburg-Lippe oder den Autonomiebewegungen in den preußischen Provinzen: „Will man Bundesgenossen gewinnen, so darf man sie nicht vorher umbringen.“27 Vom Standpunkt des Reiches spielte die Existenz Lippes oder Mecklenburg-Strelitz’ kaum eine Rolle. Für die inneren Verhältnisse dieser Länder aber bedeutete die Eigenständigkeit sehr viel. Sie war eine der wichtigsten Fragen ihrer inneren Politik. Die Unterscheidung in kleine und große und davon abgeleitet in lebensunfähige und lebensfähige Länder beruhte letztlich auf kaum belastbaren Kriterien, nach denen die bundesstaatliche Ordnung des Reiches hätte plausibel erfasst werden können. Analog zum Maßstab für die Abgrenzung von Großstädten, der auf 100 000 Einwohner festgelegt wurde, wurden auch die Länder nach ihrer Einwohnerzahl klassifiziert. Von den 17 Freistaaten ohne Waldeck lagen allein sieben Länder und die Hansestädte Bremen und Lübeck unterhalb dieser fiktiven Grenze von einer Million Einwohnern. Zu ihnen zählten Mecklenburg-Schwerin (674 000 EW), Oldenburg (545 000 EW), Braunschweig (501 900 EW), Anhalt (351 000 EW), Lippe (163 600 EW), Mecklenburg-Strelitz (110 300 EW) und Schaumburg-Lippe (48 000 EW). Hans Nawiasky, der einer Minderheit 26 BHStAM MA 1943 / 103 256 Memorandum zur Revision der Weimarer Reichsverfassung, 1927 (Abschrift). 27 BHStAM MA 1943 / 103 417 Rudolf Henle an Karl Sommer, 5.1.1930 und exemplarisch die Schriften von Rudolf Henle, Länderkonferenz und Einheitsstaat, München 1928; ders., Kleindeutscher Einheitsstaat oder großdeutsches Reich. Kritische Stellungnahme zum Vorschlag des Verfassungsausschusses der Länderkonferenz, Köln 1929; ders., Großpreußische oder großdeutsche Lösung? Worte zur Reichsreform, Rostock 1930; ders., Reichsreform und Länderstaat, Rostock 1931.

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von Staatsrechtlern angehörte, die sich gegen diese Normierung wandte, verglich das Deutsche Reich mit der sehr viel kleineren Schweiz und ihrer „sehr gesunden politischen und wirtschaftlichen Entwicklung“. Aus der Perspektive auf die Schweizer Kantone sei kein einziges deutsches Land veranlasst, an seiner staatlichen Existenzmöglichkeit den leisesten Zweifel zu hegen.28 Der Nawiasky-Verweis auf die Schweiz war wie so vieles von allen Seiten wenig überzeugend, denn die einzelnen Länder sahen sich spezifischen Problemen in Gesetzgebung, Verwaltung und der Verfügbarkeit von Ressourcen ausgesetzt. So flossen weder finanzielle Transferzahlungen ausschließlich von den so genannten kleinen in die so genannten großen Länder noch wuchs per se die Wirtschaftskraft letzterer stärker als im Reichsdurchschnitt.29 Im Rahmen des Reichsfinanzausgleichs profitierte neben beiden Mecklenburg, Oldenburg und Lippe, die weit unter dem Reichsdurchschnitt liegende Steuereinkommen aufwiesen, auch Bayern als Mittelstaat von Zuwendungen der fiskalisch potenten Stadtstaaten und Länder, zu denen neben Preußen, Sachsen und Württemberg auch das industriell aufstrebende Anhalt zählte.30 Bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 hatten die überwiegend agrarisch strukturierten Länder Mühe, sich zu finanzieren und in der Verwaltung handlungsfähig zu bleiben. Im Gegensatz zu Hessen, den Mecklenburgs oder Schaumburg-Lippe drohte aber beispielsweise Lippe kein Staatsbankrott. Ein Gutachten des Reichssparkommissars von 1930 führte diesen Umstand darauf zurück, dass die lippische Verwaltung keineswegs „besonders aufwendig“ sei und entkräftete damit ein Hauptargument der Unitarier.31 Andere Länder erwogen, einen Teil der Landesaufgaben gemeinschaftlich auszuüben, wie dies mit den Reichsratsvertretungen und zahlreichen Verwaltungsgemeinschaften bereits praktiziert wurde. Kooperative Strategien und grenzüberschreitendes Handeln wahrten den kleinen Ländern Chancen, eine eigenständige Politik zu betreiben. Dafür sprachen weitere Faktoren wie Bürgernähe und politische Partizipationsmöglichkeiten. Jacob Burckhardts Warnungen vor den Gefahren der Großstaaten und sein klassischer Gedanke, der 28 BHSTA München MA 1943 / 103 345 Material der Länderkonferenz. Hans Nawiasky, Ausführungen für den Verfassungsausschuss der Länder zu dem Problem der kleineren und der leistungsschwachen Länder. 29 Lebensfähigkeit und Lebenswille, in: Generalanzeiger für beide Mecklenburg und Nachbargebiete, Neustrelitz, 30.12.1931. 30 Johannes Popitz, Der Reichsfinanzausgleich und seine Bedeutung für die Finanzlage des Reiches, der Länder und Gemeinden. Veröffentlichungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Berlin 1930. 31 Gutachten des Reichssparkommissars über die Landesverwaltung Detmold 1930, S. 215.

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Kleinstaat sei „vorhanden, damit ein Fleck auf der Welt sei, wo die größtmögliche Quote der Staatsangehörigen Bürger im vollen Sinne sind“,32 erinnerten daran, dass scheinbar beengte Räume durchaus bürgernahe und vergleichsweise freie, vor allem überschaubare Verhältnisse beinhalten konnten.33 Im Rückgriff auf Gedankengänge von Leibnitz und Goethe über kultur- und libertätsfördernde Wirkungen deutscher Polyzentralität wurde Staatenfülle darüber hinaus als kulturelles Potenzial und als Indikator deutscher Freiheit verstanden. In Kontrast zu zentralisierten Staaten ergab sich daher eher ein positives Bild kleinstaatlicher Vielfalt als die Chimäre lähmender Zersplitterung. Nur wenige Autoren, die sich mit der deutschen Nationsbildung befasst haben, billigen den Kleinstaaten jedoch eine geschichtsbildende Kraft zu. Eine Mehrheit sieht in ihnen eher hemmende und letztlich destruktive Faktoren. Auch in der jüngeren Historiographie geraten die eigenständigen Wege der Kleinstaaten zwischen dem gegenseitigen Vorwurf eines süddeutschen Partikular- bzw. preußischen Hegemonialföderalismus leicht in Vergessenheit. Exemplarisch dafür steht das vor allem auf den süddeutschen und hessischen Raum bezogene Konzept eines Dritten Deutschland, welches als alternatives Integrationsmodell einer mittelstaatlich-staatenbündischen statt preußisch dominierten Nationaleinheit verstanden wird. Seit den 1990er Jahren hat sich das Forschungsinteresse an alternativen Nationsgründungsmodellen auch wieder der sächsischen Politik zugewandt.34 Wie vormals Bayern, Württemberg, Baden und Sachsen im Schatten der preußischen Geschichte standen, stehen nunmehr jedoch die Kleinstaaten im Schatten der Mittelstaaten, die als eigentliche Träger eines alternativen Weges zwischen großstaatlicher Machtpolitik und den vermeintlich partikularistischen Kleinstaaten wahrgenommen werden. Und so wundert es kaum, dass das so genannte Vierte Deutschland35 häufig nach den selbst kritisierten

32 Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, S. 45. 33 Daran anknüpfend der Burckhardt-Biograph Werner Kaegi, Über den Kleinstaat in der älteren Geschichte Europas, in: ders., Historische Mediationen, 2. Folge, Zürich 1946, S. 45–80. 34 Jonas Flöter, Beust und die Reform des Deutschen Bundes, 1850–1866. Sächsischmittelstaatliche Koalitionspolitik im Kontext der deutschen Frage, Köln 2001; ders., „Aufrechterhaltung und Kräftigung des Föderativen Bandes.“ Johann von Sachsen und die Idee des Dritten Deutschland, in: Winfried Müller / Martina Schattkowsky (Hg.), Zwischen Tradition und Modernität. König Johann von Sachsen 1801–1873, Leipzig 2004, S. 89–107. 35 Diesen Begriff verwendet Gerber, Reichspatriotismus, Dynastie und Konstitution, S. 266.

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Macht- und Großraumkategorien des 19. Jahrhunderts, wie sie einst der Preußenhistoriker Treitschke formulierte, beurteilt wird.36 Kritisch diesem Denkmuster gegenüber eingestellt, aber auch jenseits einer idyllisierenden Kleinstaatenromantik, die an die frühere Hof- und Dynastiegeschichtsschreibung anknüpft, stellen neuere Ansätze und Fragestellungen daher weniger die Grenzen als vielmehr Eigenheit und Entwicklungspotenzial kleinstaatlicher Strukturen in den Mittelpunkt. Angesichts vorhandener Defizite hat zuerst die Regionalgeschichtsforschung den kleinen Einheiten wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet und sich der wissenschaftlichen Betrachtung kleinerer Länder zugewandt.37 Auf der Suche nach ihrem Sinn geht es dabei nicht um ein banales Eruieren von hervorragenden Eigenschaften, ihre Stilisierung zu Idealstaaten oder das Aufrufen von Stereotypen wie etwa der Vorstellung, große Länder wären arrogant und autoritär, kleine Länder hingegen nett und demokratisch.38 Gemeint ist eine urteilsoffene Herangehensweise, die ein allzu einseitig getroffenes negatives Urteil wieder ins Lot bringt und sie zunächst als legitime Entwicklungsvariante begreift. Anregend für die akademische Auseinandersetzung mit der so genannten Kleinstaaten-Problematik sind auch gesellschaftliche Veränderungen seit den 1990er Jahren, die den Alten Kontinent geopolitisch verändert haben und durch die sich der Anteil kleinerer Staaten in Europa signifikant erhöht hat.39

Braunschweig In Braunschweig wurden Sinn und Nutzen der Eigenstaatlichkeit nach der Novemberrevolution zunächst unterschiedlich bewertet. Während Hugo Preuß in seinem Verfassungsentwurf die Beseitigung der so genannten nicht lebensfä36 John, Die Thüringer Kleinstaaten – Entwicklungs- oder Beharrungsfaktoren?, S. 91– 149, insbesondere S. 112. 37 Einen kursorischen Forschungsüberblick bietet Gerber, Reichspatriotismus, Dynastie und Konstitution, S. 286–272. 38 Kleine Länder, in: Ästhetik und Kommunikation 30, Heft 107 (1999), S. 15. 39 Angesichts schwerfälliger nationaler und übernationaler Administrationsstrukturen und den Integrationskrisen einer immer größer werdenden Europäischen Union wird es insbesondere als nützlich erachtet, Erkenntnisse über Zweck, Funktion und Aufgabe kleiner politischer Einheiten sowie regionaler und föderaler Bewegungen zu gewinnen, vgl. Romain Kirt / Arno Waschkuhn (Hg.), Kleinstaaten-Kontinent Europa. Probleme und Perspektiven, Baden-Baden 2001; Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein, Kleinstaat – Keinstaat? Wien u.a. 2001.

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higen Kleinstaaten mit weniger als einer Million Einwohnern ins Auge fasste, fühlten sich die sozialistischen Machthaber Braunschweigs keineswegs als Liquidationsregierung, sondern leiteten Maßnahmen zur Restitution der alten Staatsorgane ein. Sepp Oerter, der Vorsitzende der Regierung der Volkskommissare, beurteilte dabei das Kräfteverhältnis für die Verwirklichung einer sozialistischen Ordnung optimistisch, so dass er auch in Landtagswahlen keine ernsthafte Gefährdung dieses Zieles sah. Von daher fand im USPD-beherrschten Braunschweig am 22. Dezember 1918, wie zuvor in Anhalt und Mecklenburg-Strelitz am 15. Dezember, eine der ersten Wahlen im Reich nach der Revolution statt.40 Oerter wollte Braunschweig zu einem sozialistischen Musterland ausbauen. Er wandte sich dabei jedoch gegen das marxistisch-leninistischen Pathos der Zentralisation. Eine föderale Ordnung war seiner Ansicht nach die ideale Form des sozialistischen Zukunftsstaates, denn „der Zentralismus“ sei „ein Ausfluß der kapitalistischen Wirtschaftsform, die im Staatszentralismus ihre stärkste Stütze und Kraft“ habe. Nur eine auf föderativer Grundlage beruhende sozialistische Republik entspräche demnach den Grundsätzen des Sozialismus.41 Ein kräftiger Antrieb der Braunschweiger USPD-Politik in den Jahren 1918/19 lag in der Annahme, von Braunschweig aus auf das Schicksal der Revolution Einfluss nehmen zu können. Braunschweig war eine der wenigen Hoffnungen, die den Kommunisten und Unabhängigen blieben, nachdem in Berlin Karl Liebknechts Versuch scheiterte, die Räterepublik durchzusetzen. Nach den Spartakisten-Aufständen suchten in dem Kleinstaat mehrere bekannte Revolutionäre Asyl. Unter ihnen befand sich auch der Berliner Polizeipräsident Eichhorn, der den Anlass zu den Unruhen in der Hauptstadt gegeben hatte.42 Nach Vorstellung der Braunschweiger USPD sollten die revolutionären Zentren des Reiches ihre Rätesysteme festigen und sozialistische Freistaaten ausbilden, um sich dann in einer nordwestdeutschen Bundesrepublik zusammenzuschließen. Um ihre Gründung vorzubereiten, berief Sepp Oerter im Januar 1919 einen Kongress von Arbeiter- und Soldatenräten ein. Zu 40 Der Stimmenanteil betrug für USPD 24,3 %, SPD 27,7 %, DDP 21,8%, Landeswahlverband 26,2 %, vgl. Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 92; Maria Spreen-Rauscher, Von der Sozialistischen Räterepublik zum Freistaat Braunschweig, in: Werner Pöls / Klaus Erich Pollmann (Hg.), Moderne Braunschweigische Geschichte, Hildesheim 1982, S. 204. 41 Die Denkschrift Sepp Oerters wurde wörtlich abgedruckt in: Braunschweigische Anzeigen, 28.12.1918. 42 Roloff, Braunschweig und der Staat von Weimar, S. 47.

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den projizierten zehn Freistaaten zählte mit Braunschweig-Lüneburg auch ein vergrößertes Braunschweig. Die zerrissene Struktur des Landes43 sollte durch großzügige Abrundung mit preußischen Gebietsteilen überwunden werden. Als Sitz der Bundesregierung wurde Kassel ins Auge gefasst.44 Diese wäre nicht nur in der Lage, sich gegen die Reichsregierung zu behaupten, sondern sogar die Errichtung des Rätesystems in ganz Deutschland durchzusetzen. Andernfalls sollte sich die nordwestdeutsche Räterepublik im Dienste der Weltrevolution ganz vom Reich trennen, wobei Oerter separate Friedensverhandlungen mit der Entente nicht ausschloss.45 Er schürte damit neben den Loslösungsbestrebungen in Süddeutschland und im Rheinland Befürchtungen vor einer „Absonderung der Rand-Freistaaten“, die daher in einer dezentralisierten Reichsorganisation fester verankert werden sollten.46 In der sozialdemokratischen und bürgerlichen Presse, die ihre Hoffnung auf die Nationalversammlung setzte, wurden die separatistischen Pläne der 43 Die sechs Kreise des Landes ergaben zusammen eine Fläche von 3 672 Quadratkilometern. Von den 494 000 Einwohnern 1910 lebte beinahe jeder Dritte in der Landeshauptstadt. 1925 überschritt die Gesamteinwohnerzahl des Herzogtums gerade eine halbe Million, 1928 zählte die Stadt Braunschweig 150 000 Einwohner. Die Mehrheit der Braunschweiger lebte in den 433 Flecken und Landgemeinden, die übrigen in den 12 Städten der Landkreise, von denen Wolfenbüttel mit rund 19 000 die größte, Hasselfelde mit 2 600 Einwohnern die kleinste war, vgl. ebenda, S. 17f. 44 Der Kongressaufruf vom 13.1.1919 schloss eine nur vage bestimmte Grenze zum Hamburger Staatsgebiet ein, folgte der Elbe bis in die Nähe Magdeburgs, rundete die Westgrenze Anhalts ab und stellte dann über Nordhausen und Göttingen führend die Verbindung mit der südlichen braunschweigischen Grenze her. Von dort wurde zunächst der braunschweigische Grenzverlauf zugrunde gelegt und dann östlich von Hannover zurück nach Hamburg geführt. Der Aufruf wurde in der gesamten Lokalpresse abgedruckt, so in: Braunschweiger Anzeiger 14.1.1919, Volksfreund 16.1.1919 und Braunschweigische Sozialistische Landeskorrespondenz, 13.1.1919. Das Konzept, welches Oerter dem Kongress am 25.1.1919 unterbreitete, ging wesentlich weiter. Der Freistaat Braunschweig-Lüneburg sollte im Süden das ganze Harzgebiet umfassen, im Norden einen Zugang zur Nordsee haben. Die westliche Grenzlinie sollte die Stadt Hannover umgehend, Weser und Aller folgend, das Amt Thedinghausen einbeziehen. Im Osten erstreckte sich das Braunschweiger Staatsgebiet bis zur Elbe, erweitert durch Lüneburg, Uelzen und die westlichen Gebietsteile Anhalts. Der „Freistaat Hannover“ sollte dagegen außer der Landeshauptstadt lediglich aus Ostfriesland bestehen, vgl. SpreenRauscher, Von der Sozialistischen Räterepublik zum Freistaat Braunschweig, S. 208f. und StAW 12 neu Präs. 4 13 /4343 Die Bildung von Freistaaten im Reich 1919–1921. 45 Die Entschließung ist abgedruckt in: StAW 30 Slg 2, Nr. 12 Braunschweigische Landeszeitung, 26.1.1919. 46 So Preuß in einem Pressegespräch über die vorläufige Reichsgewalt (1919), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 79.

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USPD-Regierung Oerter besorgt bis empört aufgenommen.47 Auch der Hannoveraner Arbeiter- und Soldatenrat gab sich skeptisch gegenüber der „großbraunschweigischen Politik“. Das Ministerium in Anhalt zeigte kein Interesse an einer nordwestdeutschen Bundesrepublik und die linkssozialistische Bremer Regierung, auf der noch die meisten Hoffnungen lagen, wurde nach Unruhen von Reichstruppen abgesetzt.48 Der Einmarsch der Reichswehr im April 1919 setzte schließlich die parlamentarische Republik in Braunschweig durch und beendete einen Zustand, der das Land für die Reichsregierung „zu einer isolierten Insel mitten im Reich“49 gemacht hatte. Allein gegen die Stimmen Braunschweigs und Gothas war auf der ersten Staatenkonferenz am 25. November 1918 die Durchführung von Wahlen zur Nationalversammlung beschlossen worden. Um die seiner Ansicht nach konterrevolutionäre Berliner Politik zu bekämpfen, hatte Sepp Oerter die Regierungskompetenzen Braunschweigs ausgeschöpft, was sich – um ein weiteres Beispiel zu nennen – in dem eigenmächtigen Vorgehen bei der Demobilmachung in Braunschweig zeigte.50 Alternativen zu einem selbstständigen Braunschweig entwickelten zunächst die MSPD und die DDP, die die dynastische Länderstaatlichkeit in einem dezentralisierten Einheitsstaat aufheben wollten. Heinrich Jasper (MSPD), den die provisorische Reichsregierung kurzerhand nach Braunschweig beordert hatte, regte Mitte Dezember 1918 daher einen Zusammenschluss des Herzogtums mit der Provinz Hannover an.51 Das Niedersachsenkonzept, das den Grundgedanken Hugo Preuß’ für eine Neugliederung des Reiches nach der Revolution aufgriff,52 sollte Heinrich Jasper auch später als Ministerpräsident verfolgen. Jaspers Reichsreformpolitik lag dabei eine doppelte Absicht zugrunde. Zum einen ließ ein Zusammengehen mit dem von den Mehrheitssozialisten beherrschten Hannover auf eine Majorisierung der einflussreichen

47 Eine ausführliche Dokumentation des Presseechos außerhalb Braunschweigs in der Zeitungsauschnittsammlung StAW 30 Slg 2. 48 Roloff, Braunschweig und der Staat von Weimar, S. 47. 49 BAB R 43 / I 2265 Abschrift der Reichskanzlei, Bl. 118. 50 BAB R 43 / I 2265 Bericht des Kommandeurs des Freiwilligen Landesjäger Korps Maercker, Braunschweig 26.4.1919, Bl. 136. 51 Die Grundgedanken der Politik Jaspers erschienen in fast allen Braunschweiger Tageszeitungen, siehe StAW 30 Slg 2, Nr. 12 Braunschweigische Landeszeitung und StAW 12 neu Präs. 4 13 /4343 Die Bildung von Freistaaten im Reich. 52 Ein am Konzept Preuß’ ausgerichteter Gliederungsvorschlag sah 1919 die Bildung eines aus Hannover, Schleswig-Holstein, Oldenburg und Braunschweig bestehenden Niedersachsen vor, siehe Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung, S. 9f.

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Braunschweiger USPD hoffen.53 Daneben aber boten die rechtzeitige Auflösung Preußens sowie die Integration Braunschweigs in eine neu entstehende politisch und wirtschaftlich potente Provinz Niedersachsen die Aussicht, dem Land den Anschluss an Preußen zu ersparen. Ein geeigneter Ansatzpunkt dafür war zunächst die Unterstützung der von der Deutsch-Hannoverschen Partei getragenen Los-von-Preußen-Bewegung. Aufgrund ihrer rätefeindlichen und antipreußischen Tendenzen wurden die Gedanken auch über die sozialdemokratischen Kreise hinweg positiv aufgenommen. Ressentiments gegenüber Preußen wurzelten in dem Gefühl ständiger Benachteiligung und politischer Ohnmacht gegenüber dem Nachbarn. So wurde der Verkehrspolitik Preußens, das in den 1880er Jahren die Braunschweiger Eisenbahnen erworben hatte, die schlechte Verkehrsverbindung der Landesteile angelastet. Als besonderer Anstoß galt die Eisenbahnlinie Hannover-Stendal-Berlin, die das Herzogtum nördlich umging.54 Die Vereitelung von „Bismarcks Reichs-Eisenbahnprojekt“, rief Hugo Preuß auch den Braunschweigern die Geburtsfehler des Kaiserreiches noch einmal ins Gedächtnis, hätte gerade Preußen mit seinen Staatsbahnen „ungeheure Machtmittel zur Befestigung seiner Suprematie über das Reich“ überlassen.55 Bei den Sozialdemokraten verstärkten die Erfahrungen politischer Verfolgung unter dem Sozialistengesetz die Ablehnung des preußischen Staates. Die Anhänger der welfischen Bewegung wiederum hatten die Verletzungen des dynastischen Rechts noch nicht verwunden. Mit der Revolution 1918 schien ihnen die historische Stunde der Restitution der staatlichen Selbstständigkeit Hannovers gekommen, dem sich auch Braunschweig anschließen sollte.56 Propreußisch dachten allein DVP-Anhänger. Einem unitarischen Verständnis des nationalen Machtstaates anhängend, knüpften sie an die Programmatik der Alldeutschen an, die bereits 1909 die Umbildung des Herzogtums in ein

53 Bis 1933 blieb der einstige USPD-Politiker Otto Grotewohl eine dominierende Persönlichkeit in der Braunschweiger SPD. Den gemäßigten Flügel präsentierte Heinrich Jasper, vgl. Roloff, Braunschweig und der Staat von Weimar, S. 98. 54 Pollmann, Staat und Wirtschaft in Braunschweig, S. 186 und Roloff, Braunschweig und der Staat von Weimar, S. 14ff. 55 Preuß, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung (1923), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 332. 56 Vgl. hierzu die programmatische Rede des Sprechers der Braunschweiger Welfenbewegung August Hampe in der Landesversammlung am 11.1.1919, Verhandlungen 1919/20, S. 37ff.

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Reichsland gefordert hatten. Ebenso wie 1909 trafen diese Bestrebungen bei der Bevölkerung aber auf wenig Resonanz.57 Nachdem eine Auflösung Preußens sowohl in den Verfassungsberatungen als auch in der Neugliederungskommission gescheitert war, stand die Selbstständigkeit Braunschweigs nicht mehr ernsthaft zur Debatte. Auf dem Höhepunkt der Inflation geäußerte Zweifel waren mit der beginnenden Stabilisierung der Republik nur noch vereinzelt zu vernehmen.58 Parteiübergreifend wurden stattdessen Traditionen und auch wirtschaftliche Interessen betont, die für ein eigenständiges Braunschweig sprachen. Mit dem Gesandten Friedrich Boden, der die Interessen des Landes nicht nur im Reichsrat, sondern seit 1906 bereits im Bundesrat und in dem nach der Novemberrevolution gebildeten Staatenausschuss vertreten hatte, suchten die Landesregierungen Braunschweigs ihren Einfluss auf die Reichspolitik zu sichern. Boden war Doyen der Ländergesandten und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses. Zeitweise vertrat er auch Anhalt und Mecklenburg-Strelitz im Reichsrat. Über die vielen Regierungswechsel blieb er bis 1934 im Amt. Aufgrund seiner Erfahrung und Reputation erwies sich Bodens Präsenz in Berlin als ausgesprochen nützlich. Bereits 1919/20 war der sozialdemokratische Ministerpräsident Jasper der Empfehlung Bodens gefolgt, der Gesandtschaft eine wirtschaftliche Abteilung anzugliedern, wie sie auch Bayern, Sachsen und Württemberg besaßen. Im Unterschied zu anderen Ländern wurde ihr kostenaufwendiger Unterhalt im Braunschweiger Landtag dabei wenig debattiert. Vielmehr trug auch die bürgerliche Regierung Marquordt (1924-1928) der anerkannten Bedeutung der Braunschweiger Vertretung im Reichsrat durch die Aufstockung des Etats und des Personals Rechnung.59 Die verarbeitende Industrie in Braunschweig, die mit der Landwirtschaft verbunden war, prägten vor allem Mittelbetriebe in Familienbesitz. Da diese keinen nennenswerten Einfluss in den wirtschaftlichen Interessenvereinigungen auf Reichsebene besaßen, waren sie auf regionale Verbände und vor allem auf die Landesregierungen angewiesen.60 Diese nutzten – unabhängig von ihrer politischen Zusammensetzung – ihren engen wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum, um die Verkehrsanbindung Braunschweigs zu verbessern. So investierte Braunschweig vor allem in den Ausbau des Straßennetzes und 57 Karl Lange, Braunschweig Reichsland? Die Alldeutschen und die Thronfolgefrage, in: Braunschweigisches Jahrbuch, 60 (1979), S. 109ff. 58 Roloff, Braunschweig und der Staat von Weimar, S. 16. 59 Zur Rolle Friedrich Bodens vgl. Pollmann, Staat und Wirtschaft in Braunschweig, S. 189–199. 60 Ebenda, S. 187

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den Anschluss an das Wasserstraßennetz, um die schlechte Eisenbahnanbindung auszugleichen. Das Reich finanzierte den Ausbau des Mittellandkanals bis Braunschweig, dessen Hafen 1933 angebunden wurde. Seine Fortführung bis zur Elbe, gegen die sowohl die Reichsbahn als auch die oberschlesische Montanindustrie ihren Einfluss geltend machten, scheiterte in der Weimarer Republik jedoch an der Halbierung der Finanzierung im Reichstag. Weder für das Land noch für die Stadt Braunschweig war es möglich, die finanziellen Kürzungen zu kompensieren.61 Wenig erfolgreich waren zudem Versuche, aus der Landeshauptstadt einen Knotenpunkt für den aufstrebenden Luftverkehr zu machen.62 Da der Hauptteil der Steuereinnahmen nach der Erzberger’schen Finanzreform dem Reich zufloss, mussten alle Braunschweiger Landesregierungen zu unliebsamen Steuererhöhungen greifen, um den enormen Finanzbedarf ihrer Strukturförderungsmaßnahmen finanzieren zu können. Da die Landessteuern in erster Linie Industrie und Landwirtschaft belasteten, wurde ihre Steuerpolitik so zu einem der größten Konfliktpunkte. Mit den Gegensätzen der Parteien in der Schul- und Personalpolitik führte sie zu einer starken Polarisierung der Braunschweiger Landespolitik in der Weimarer Republik. Vor allem die SPD konnte unter dem jungen Volksbildungsminister Hans Sievers auf Erfolge ihrer Reformpolitik zurückblicken. Die neunklassige Volksschule in den Städten, ganztägige Berufsschulen und die Hochschulbildung der Volksschullehrer63 waren daher tragende Motive für die Braunschweiger Sozialdemokraten, die Aufgabe ihrer Regierungskompetenzen möglichst weit hinauszuschieben.64 Die Diskussion um die Zukunft des Landes kam erneut in Gang, als die Reichsregierung Marx 1927 eine Reich-Länder-Reform ankündigte. Aufmerksam verfolgte man in Braunschweig die preußischen Mediatisierungsbestrebungen gegenüber den anderen norddeutschen Nachbarn, wissend um die verhängnisvolle Rückwirkung, die ein Anschluss dieser Länder an Preußen auf Braunschweig haben würde. Aus Verlautbarungen der sozialdemokratischen Regierung Jasper war notorisch, dass diese für einen Anschluss an Preu61 Während die Reichsbahn einen Rückgang ihrer Gütertransporte in Ost-WestRichtung befürchtete, wollte die oberschlesische Montanindustrie die Konkurrenz der Ruhrkohle infolge eines Zugangs zur Elbe und zum Wasserstraßennetz in Mittelund Ostdeutschland verhindern, Rohloff, Braunschweig und der Staat von Weimar, S. 130f. 62 Zur Verkehrspolitik der Landesregierungen vgl. Roloff, Braunschweig und der Staat von Weimar, S. 16. 63 Zur Braunschweiger Bildungsreformpolitik, vgl. ebenda, S. 129. 64 HStAD 10719 / 4002 Länder auf Abbau. Was will Braunschweig, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 182, 9.3.1930.

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ßen nicht zu haben war. Ein in diese Richtung von der DNVP gestellter Antrag wurde im Landtag mit breiter Mehrheit abgelehnt.65 In der Folge hielten sich alle drei politischen Gruppen im Landtag, die regierenden Sozialdemokraten, die bürgerlichen Mittelparteien und die Rechte in der Anschlussfrage zurück. Ein 1929 gegründeter, parteiübergreifender „Schutz- und Trutzbund für Braunschweig“ suchte auch außerhalb des Landes politische Verbündete, um Braunschweig als „Bastion des Föderalismus“ zu sichern.66 Der sozialdemokratische Ministerpräsident Heinrich Jasper wollte das zerlappte Land lieber in einem einheitlichen Niedersachsen aufgehen lassen als es seinen Berliner Parteigenossen zu übergeben. Alle Hoffnungen setze er daher in „die ihm viel sympathischere, von ihm immer wieder befürwortete große Reichsreform“. Der Oberpräsident der Provinz Hannover, Gustav Noske, der von der preußischen Regierung vorgeschickt wurde, musste daher ernüchtert feststellen, dass die Braunschweiger Sozialdemokraten „nicht die lautesten Rufer nach dem Aufgehen in Preußen seien“, und wenn überhaupt, dann nur unter finanziellem Druck an den preußischen Verhandlungstisch zu zwingen wären.67 Im Juni 1930 räumte Heinrich Jasper ein, dass die Lage Braunschweigs in Folge der Weltwirtschaftskrise katastrophal war: „Wir wissen nicht, was wir verantworten, noch ausgeben … Wir tappen vollkommen im Dunkeln.“68 Von der Bankrotterklärung der Landesregierung profitierten nun vor allem die Nationalsozialisten, die sich zum Sprecher aller Sorgen in der Bevölkerung machten. Die frühe Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten 1930 in Braunschweig69 wurde zudem begünstigt von den zeitgleich zu den Landtagswahlen stattfindenden Reichstagswahlen am 14. September. Fast sechseinhalb Millionen Deutsche votierten für Hitler – achtmal so viele wie zwei Jahre zuvor. Andere Landtagswahlen wie die vom Juni 1930 in Sachsen hatten bereits

65 BAB R 43 / I 2267 Der Vorsitzende des Braunschweigischen Staatsministeriums an den Reichskanzler Hermann Müller SPD, 26.3.1929. 66 BHStAM MA 1943 / 103 320 Der Schutz- und Trutzbund für Braunschweig an den bayerischen Ministerpräsidenten Held, Braunschweig 14.11.1931. 67 GStAPK, I. HA Rep. 90 A / 3020 Verhandlungen über den Anschluss des Freistaates Braunschweig an Preußen, Abschrift einer Besprechung des Oberpräsidenten von Hannover Noske mit den Braunschweiger Ministern Jasper, Sievers und Steinbrecher, Hannover 15.1.1930. 68 Verhandlungen des Landtags des Freistaates Braunschweig, 26.6.1930, Sp. 2841. 69 Zum Aufstieg der Nationalsozialisten in Braunschweig vgl. Roloff, Braunschweig und der Staat von Weimar, S. 161–186.

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auf dieses politische Erdbeben hingedeutet.70 In Verkennung der eigentlichen Ursachen wurde der Wahlerfolg Hitlers von der demokratischen Presse jedoch vornehmlich als „eine gefährliche Folge der immer noch bestehenden deutschen Kleinstaaterei“71 interpretiert. Die Nationalsozialisten nutzten auch in Braunschweig die eigenständigen Rechte der Länder für ihren Kampf gegen die Weimarer Republik aus. Die Einbürgerung Adolf Hitlers als braunschweigischer Regierungsrat des Landesbau- und Vermessungsamtes im Jahr 1932 machte die Kandidatur des Österreichers für die Reichspräsidentenwahl überhaupt erst möglich. Ein entsprechendes Gewicht wurde auf die propagandistische Aufwertung der kleinen Länder gelegt. Am 10. und 11. Oktober 1931 schlossen sich NSDAP, DNVP und Stahlhelm im Land Braunschweig öffentlichkeitswirksam zur Harzburger Front zusammen. Eine Woche später fand dort auch die bis dahin größte Demonstration paramilitärischer NS-Einheiten statt.72

Oldenburg Der Oldenburger Landtag war das einzige Parlament im Reich, das 1918 nicht aufgelöst wurde, und der daher ein wichtiges Element der Kontinuität darstellte.73 Die Eigenständigkeit wurde nach der Revolution von fast allen Parteien in Oldenburg rundweg bejaht. Dahinter stand nicht nur ein ausgeprägtes Landes70 In Sachsen stieg der Anteil der NSDAP-Stimmen bei den Landtagswahlen vom 12.5.1929 zum 22.6.1930 von 5 auf 14,4 %, in Oldenburg gab es am 14.9.1930 die folgende Stimmenverteilung: SPD (41 %), Bürgerliche Einheitsliste (26 %), NSDAP (22,2 %), KPD (6,8 %), DDP (3 %), sonstige (1 %), vgl. Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 41, 44 und 108. 71 BAB R 43 I / 2267 Berliner Tageblatt, 1.11.1930, Abendausgabe, S. 1. 72 Rudolf Morsey, „Hitler als Braunschweigischer Regierungsrat“, in: VfZ 9 (1960), S. 419–448 und Ian Kershaw, Hitler, Bd. 1: 1889–1936, München 2002, S. 448, 455, 533. 73 Die Regionalgeschichte Oldenburgs gliedert die Weimarer Epoche in drei Abschnitte. In den Jahren 1919 bis 1923 stützte sich die Landesregierung Tantzen auf die Weimarer Koalition, 1923 bis 1932 folgten neun Jahre die Beamtenregierungen Finckh und Cassebohm ohne feste parlamentarische Mehrheiten, danach ein knappes Jahr die NS-Alleinherrschaft der Regierung Röver mit einer absoluten Mehrheit der NSDAP im Landtag (1932/33) vgl. Wolfgang Günther, Freistaat und Land Oldenburg (1918–1946), in: Albrecht Eckhardt / Heinrich Schmidt (Hg.), Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch, Oldenburg 1987, S. 403–489; Zur Geschichte Oldenburgs in der Weimarer Republik siehe auch Schaap, Die Endphase der Weimarer Republik im Freistaat Oldenburg (1978).

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bewusstsein, das in einer relativ kurzen hundertjährigen gemeinsamen Geschichte wurzelte. Ausschlaggebend waren auch wirtschaftliche und sozialdefensive Motive. Im Vergleich zu anderen Weimarer Ländern stach das niedrige Realsteuerniveau hervor, das allerdings nur durch finanzielle Ergänzungszuweisungen des Reiches möglich wurde. Oldenburg war eines der steuerschwächsten Agrarländer und daher durch den Paragraphen 35 des Finanzausgleichsgesetzes begünstigt. Die Abgaben, die Oldenburg auf Grund und Boden, auf Gebäude und Gewerbebetriebe selbst festlegen konnte, waren erheblich niedriger als beispielsweise in Preußen. Alle Landesregierungen waren stark und unmittelbar am Wachstum der Landwirtschaft interessiert, die sich im Zuge der Industrialisierung auf die Viehwirtschaft und die Versorgung der industriellen Ballungsgebiete spezialisiert hatte. Die Oldenburger Agrarpolitik war dementsprechend stark verbraucherorientiert und überdies wegen des Zukaufs von Futtermitteln im Gegensatz zur ostelbischen Getreidewirtschaft an niedrigen Einfuhrzöllen interessiert. Die Begünstigung des deutschen Getreideanbaus durch die Reichspolitik, auf die der Einfluss der ostelbischen Agrarproduzenten traditionell hoch war, bedeutete schließlich einen schweren Nachteil für die nordwestdeutschen Mastgebiete.74 In der Weimarer Republik behauptete Oldenburg seine Eigenständigkeit in zwei Richtungen. Es kämpfte auf allen Ebenen gegen eine drohende Streichung des Paragraphen 35 und gegen die Eingriffe des Reiches in die Höhe und Struktur seiner steuerlichen Einnahmen. Außerdem sah das Land seine Zukunft durch Neugliederungspläne gefährdet. Mit Argwohn wurden 1918/19 von Bremen ausgehende Ambitionen verfolgt, Oldenburg an die Hansestadt anzugliedern. Einer entsprechenden Anfrage Bremens gegenüber verhielt sich das Landesdirektorium reserviert. Gespräche mit dem Senat über das Für und Wider eines Zusammenschlusses wurden mehrmals vertagt. Schließlich kamen sie nicht mehr zustande.75 „Nichts würde der gesamten oldenburgischen Bevölkerung unsympathischer sein als eine solche Verbindung“,76 wurde dem mit der Ausarbeitung der Reichsverfassung beauftragten Hugo Preuß Anfang 74 Bernd Mütter, „Auf den Großmärkten des rheinisch-westfälischen Industriegebiets bildet das Oldenburger Schwein eine Klasse für sich.“ Viehzucht im Herzogtum Oldenburg während der Industrialisierungsepoche, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 76 (2004) S. 1–26, hier S. 2ff. 75 StAO 131 / 43 Zusammenschluss der Freistaaten Bremen und Oldenburg 1919–1931, Bl. 11. Senatskommission für Reichs- und Auswärtige Angelegenheiten, Bremen 19.4.1919 an das Landtagsdirektorium des Freistaates Oldenburg mit der entsprechenden Antwort vom 29.4.1919. 76 StAO 131 / 43 An den Staatssekretär des Innern, Oldenburg 6.1.1919, Bl. 5 und 6.

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des Jahres 1919 mitgeteilt. Hatten die Hafenstädte Bremen und Hamburg ihren Anspruch auf Eigenständigkeit mit ihren außenwirtschaftlichen Funktionen begründet, so verwies Oldenburg auf seine Rolle als Agrarproduzent für die Versorgung der industriellen Ballungszentren: „… es wirke, wie ohne Ruhmredigkeit gesagt werden darf, durch das Zusammenwirken von Staat und Selbstverwaltung, wie sie nur in einem kleineren Staatswesen möglich ist, vorbildlich auf diesen Gebieten.“77 Nach den gescheiterten Verhandlungen über einen Austausch der Landesteile Birkenfeld und Lübeck in der Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches war auch die Auflösung des Gesamtstaates ein Tabu.78 Eine Auseinandersetzung mit den Niedersachsen- und später auch mit den Westfalenplänen wurde daher in den 1920er Jahren als dringendes landespolitisches Anliegen empfunden. Nach dem Vorstoß des preußischen Ministerpräsidenten für einen neuen Länderfinanzausgleich 1927, der von der Reichsregierung Marx aufgegriffen wurde und der die Bundesstaatsdebatte neu entfachte, wurde die Aufhebung der Eigenständigkeit zu einem permanenten Problem für Oldenburg. Nach dem Regierungsantritt des sozialdemokratischen Reichskanzlers und bekennenden Unitariers Hermann Müller, der die Anschlusspolitik der preußischen Regierung noch einmal beflügelte, bemühte sich der Oldenburger Staatsminister Finckh daher um ein Bündnis der Länderregierungen: „Die Entwicklung im Reich, wie sie sich jetzt in der Bildung des neuen Kabinetts zeigt, erfüllt mich … auch insofern mit grosser Sorge, als es sich um die Frage der Aufrechterhaltung des föderalistischen Charakters des Reiches und um die Gewährung genügender finanzieller Mittel für diesen Zweck handelt.“79 Am Rand des Staatsbankrotts stand das Land jedoch erst, nachdem die Regierung Brüning umfassende Kontroll- und Einflussrechte gegenüber dem Etat und den Ausgaben der Länder auf dem Weg der Notverordnungen durchsetzte. Das Steuervereinheitlichungsgesetz 1931 präjudizierte den Länderfinanzausgleich zum Nachteil der Länder mit einer vornehmlich agrarischen Struktur. 77 StAO 131 / 43 An Hugo Preuß, 30.12.1918. 78 In Birkenfeld schlossen sich die Parteien den so genannten Königswinterer Beschlüssen vom 9.6.1921 an, wonach keine Volksabstimmungen über territoriale Veränderungen stattfinden sollten, solange die rechtsrheinischen Gebiete besetzt waren. Im Landesteil Lübeck trat ein vom Oldenburger Ministerium Tantzen finanziell unterstützter und hauptsächlich von der Wirtschaft getragener „Abwehrausschuss“ der Angliederungskampagne der Hansestadt Lübeck im Frühjahr 1922 entgegen, StAO 131 / 40, 41 und 44 und BAB R 43 I / 2278. 79 StAO 131 / 8 Finckh an den thüringischen Staatsminister Leutheusser, 30.6.1928.

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Brüning setzte seine Absicht um, mit dem System der Subventionen von Ländern und Gemeinden aus der Reichskasse zu brechen. Die dringenden Hilfegesuche des Oldenburger Staatsministeriums an den Reichskanzler, „doch nochmals ernstlich zu prüfen, ob dieser durch die Notverordnung in Fluss gebrachte, sich für ein lebensfähiges und lebenswilliges Land wie Oldenburg zur Existenzvernichtung auswirkende Gedanke tatsächlich weiter verfolgt werden darf“80, drangen nicht durch.81 Trotz der Auswirkungen der desolaten Wirtschaftslage und des Spar- und Deflationsprogrammes Brünings hielt auch die Landesregierung Cassebohm an der Eigenstaatlichkeit fest: „99 vom Hundert der Bevölkerung steht für die Selbständigkeit des Landes; eine Reichsreform unter Ausnutzung der unverschuldeten Krisis würde den schärfsten aktiven Widerstand der Bevölkerung finden.“82 Die Finanzmisere Oldenburgs galt in erster Linie als eine Folge der Verknüpfung der Weltwirtschaftskrise und politischer Fehlentscheidungen des Reiches. Allein diese wurden dafür verantwortlich gemacht, dass Oldenburg „die Kehle zugeschnürt“83 wurde. „Ungerechte Gesetze“, die „lediglich auf die Verpreussung der kleinen norddeutschen Agrarstaaten abzielen“, seien die Ursache für den drohenden „Ruin der oldenburgischen Finanzen“.84 1931 waren die kurzfristig fälligen Kreditrückzahlungen Oldenburgs bereits höher als die gesamten Landes- und Reichssteuereinnahmen. „Sämtliche Neuanschaffungen, Arbeiten an den Staatsstrassen, Bauten und andere Ausgaben“ waren gestoppt worden. Ein Ende der Gehaltskürzungen für die Landesbeamten war zudem nicht abzusehen.85 Da die Schuld für das Finanzdebakel jedoch ausschließlich beim Reich gesucht wurde, konnte sich die Landesregierung immer noch auf eine in der Bevölkerung verbreitete Ablehnung gegen Angriffe auf das „partikularistische Oldenburg“ stützen.86 Die Wähler der Rechtsparteien, die den Hauptteil der Landessteuern aufbrachten, und die Wirtschaftsverbände schätzten die Vorteile der „Realsteueroase“ Oldenburg. Politisch hegten sie daher – anders als in Anhalt oder Thüringen – eine tiefe Abneigung gegen das „rote Preußen“. Das Zentrum sorgte 80 BAB R 43 I / 2278 Staatsministerium des Freistaates Oldenburg an den Reichskanzler, Oldenburg 16.4.1931. 81 Siehe den Schriftwechsel des Oldenburger Staatsministeriums mit der Reichsregierung in BA R 43 I / 2278. 82 BAB R 43 I / 2278 Staatsministerium Oldenburg, 18.4.1932. 83 BAB R 43 I / 2278 Staatsministerium Oldenburg an den Reichsfinanzminister, 24.10.1931. 84 HStAS E 130b / 2111 Oldenburg 1919–1935, Bl. 10 Staatsministerium des Freistaates Oldenburg an den württembergischen Staatspräsidenten, Oldenburg 16.4.1931. 85 BAB R 43 I / 2278 Staatsministerium Oldenburg, 14.8.1931. 86 Quer durch die deutschen Vaterländer, in: Kölnische Zeitung, 30.12.1928, S. 1.

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sich um den Einfluss auf das katholische Münsterland. Unterstützung fand die Beamtenregierung Cassebohm auch bei der Landesbürokratie, die einen Stellenabbau in der Verwaltung fürchtete. Einen Vorgeschmack darauf bot 1928 die Reichspost, die Einsparungen in der Verwaltung zum Nachteil Oldenburgs durchsetzte. Ihre Rationalisierungsmaßnahmen alarmierte die Bevölkerung, die sich gegen eine als überzogen empfundene Zentralisierung empörte.87 Von allen norddeutschen Staaten stand Oldenburg in dem Ruf, „dem Gedanken des Einheitsstaates am ablehnendsten“ gegenüberzustehen.88 So hob die württembergische Regierung den ausgesprochenen Wert Oldenburgs für die Sicherung föderaler Ansprüche hervor: Im Reichsrat konnten Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden zwar zusammen eine Verfassungsänderung verhindern, doch war ihr einheitliches Vorgehen bei wechselnden parlamentarischen Mehrheiten keineswegs gesichert, so dass die Stimmen der kleinen norddeutschen Agrarländer gegenüber Preußen durchaus ins Gewicht fielen.89 Eine Ausnahme war der DDP-Politiker Theodor Tantzen, der seine Position zur Eigenständigkeit Oldenburgs als Reichstagsabgeordneter in Berlin neu justierte. Als Ministerpräsident der Weimarer Koalition von 1919 bis 1923 hatte Tantzen noch für die Integration eines eigenständigen Oldenburgs in den neuen demokratischen Staat gesorgt. Nach seiner Wahl in den Reichstag 1928, für die er auf sein Landtagsmandat verzichtete, trat er jedoch mit Nachdruck für eine Reichsreform ein. Auf dem Parteitag der DDP legte Tantzen im selben Jahr ein klares Bekenntnis zum Einheitsstaat ab, da „in allen Kreisen, Parteien und Gebieten Deutschlands die Zwangsläufigkeit der Entwicklung zum Einheitsstaat immer mehr erkannt wird und die Verteidiger der Beibehaltung des bisherigen Zustandes in eine immer schwächere Defensivposition gedrängt werden.“90 Für die Sinnesänderung Tantzens ist zu bedenken, dass er sich 1919 als Ministerpräsident wohl mehr an seinem Amt als an der programmatischen Ausrichtung der DDP für den dezentralisierten Einheitsstaat orientierte, und sich schließlich als Parlamentarier wieder mehr an seine Überzeugung gebunden sah.91 Ein anderer Aspekt war die Rechtsentwicklung in den 87 BAB R 43 I / 2278 Staatsminister Finckh an den Reichspostminister, Oldenburg 8.2.1928. 88 Quer durch die deutschen Vaterländer, in: Kölnische Zeitung, 30.12.1928, S. 1. 89 HStAS E 130b / 2111 Das württembergische Finanzministerium an das Staatsministerium Oldenburgs, 27.4.1931. 90 StAO 131 / 8 Erhaltung Oldenburgs als selbständiges Land, Bl. 275. 91 So veröffentlichte Theodor Tantzen im Berliner Tageblatt einen Artikel mit der Überschrift „Kleinstaat, Parlamentarismus, Selbständigkeit“, in dem er unter anderem ausführte, dass „das parlamentarische System in Oldenburg lächerlich wirke.“ Berliner Tageblatt, 7.8.1928 im Bestand StAO 131/ 747.

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nördlichen Kleinterritorien. So verfügten SPD und DDP in der Oldenburger Landesversammlung 1919 noch mit 64,5 % Stimmenanteil über eine solide Mehrheit, die bis 1925 auf eine Minderheit von 36 % einfiel. 1932 waren es nur noch 21 %.92 Oldenburg zählte schließlich zu den kleinen Ländern, denen die Nationalsozialisten eine besondere Zuwendung als „Angriffspunkt(e)“ gegen die Republik widmeten. Den „Befehl“, das Amt des Ministerpräsidenten in Oldenburg zu übernehmen, holte sich der Gauleiter der NSDAP Carl Röver von seinem Parteiführer Adolf Hitler, dessen Auftrag er als vorrangige Legitimationsgrundlage ansah. Die Wahl Rövers durch den Oldenburger Landtag am 16. Juni 1932 wurde von verfassungswidrigen Kautelen der 24 NS-Abgeordneten, die mit zwei Abgeordneten der DNVP und einem Abgeordneten der Landvolkpartei die Regierungsmehrheit sicherten, begleitet. Die Ausschaltung des Landtages erfolgte hier am 6. Juli 1932 mit Hilfe der Dietramszeller Notverordnung vom August 1931, die von den einzelnen Landesregierungen sehr unterschiedlich gehandhabt wurde.93 Die NS-Regierung Röver stellte die unbefristete Vertagung des Parlaments unter die Parole: „Die Staatsregierung will das Land retten und einen Wiederaufstieg anbahnen“. Die Bevölkerung sollte sich auf eine „Opferbereitschaft zur Rettung ihres Landes und ihrer Gemeinden“ einstimmen.94 An die Regierung gelangt, stand das Kabinett unter dem Nationalsozialisten Röver jedoch vor ähnlichen Schwierigkeiten wie die frühere Beamtenregierung, den Landeshaushalt auszugleichen. Steuern und Pachten gingen nicht mehr ein als zuvor, die finanzielle Situation verschlechterte sich weiter. Um überhaupt etwas Positives bieten zu können, hatte sich Röver um Kredite bemüht, war damit aber bereits am Widerstand in der Parteispitze gescheitert. Die NS-Landesregierung geriet dementsprechend schnell unter Zugzwang, ihre Wahlversprechen einzulösen. Dem traditionellen Ort politischer Auseinandersetzungen hatte sie sich zwar durch die Auflösung des Oldenburger Parlaments entzogen, sie musste dafür aber in Kauf nehmen, dass sich die Kritik umso heftiger in der Presse entlud. In der Kritik am „Novembersystem“ und in einer opportunistischen Tagespolitik vermochte die NSDAP zwar viele ihrer Anhänger zu überzeugen, sie enttäuschte aber in der Praxis der Landespolitik. Der wachsende Zuspruch zum Koalitionspartner DNVP und die Stimmenverluste für die NSDAP waren zwar kein Votum für die Weimarer Republik, sie 92 Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 100. 93 Darauf verwies u.a. Brecht, Die Neugestaltung des Reiches, S. 39. 94 BHStAM MA 1943 / 103 308 Sitzung des Oldenburger Landtages 1.7.1932, in: Nachrichten für Stadt und Land, 6.7.1932.

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können aber durchaus als eine Entscheidung gegen die uneingeschränkte Parteiherrschaft in Oldenburg angesehen werden. Angesichts der Wählervoten hat die regionale NS-Forschung ein durchaus plausibles Urteil über die Regierung Röver gefällt: „Ohne die Machtübernahme im Reich am 30. Januar 1933 wäre die Alleinherrschaft der NSDAP in Oldenburg gescheitert.“95 Die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik aber ließ sich in Oldenburg leichter als in anderen Territorien des Reiches durchsetzen, weil hier die Nationalsozialisten bereits seit neun Monaten regiert hatten. Im Zusammenhang mit dem Reichsstatthaltergesetz und der Erwartung einer Reichsreform setzte sich die Konkurrenz zwischen Oldenburg und seinen Nachbarn um den regionalen Einflussbereich fort. Die nationalsozialistische Landesregierung Röver hatte nach ihrem Amtsantritt 1932 zunächst die Vorstellung eines Verwaltungsraumes Weser-Ems des Jever Bürgermeisters Georg Müller favorisiert. Er sollte den Reichstagswahlkreis ohne Bremen, dazu aber Gebiete der preußischen Regierungsbezirke Stade und Hannover umfassen.96 Eine im Herbst 1933 eingesetzte Kommission erarbeitete dann eine neue Denkschrift mit dem Titel „Der Raum Weser-Ems. Die Nordwestmark des Deutschen Reiches“.97 Röver und dem in die Bremer Landesregierung entsandten Reichskommissar Markert gelang es, die Errichtung einer gemeinsamen Reichsstatthalterschaft für Bremen und Hamburg unter dem Hamburger Gauleiter Kaufmann zu vereiteln. Die vorübergehend demonstrierte Einigkeit Oldenburgs und Bremens war gleichermaßen gegen Hannover wie gegen die Pläne des Reichs- und preußischen Innenministers Göring gerichtet, Bremen in Preußen einzugliedern.98 Im Ergebnis setzte sich die bevorzugte Lösung eines Reichsstatthalters für Oldenburg und Bremen in der Person Rövers durch, dessen ungesättigtes Machtstreben auf einen vergrößerten Reichsgau unter politischer Führung Oldenburgs abzielte.99 95 96 97 98

Günther, Freistaat und Land Oldenburg, S. 448. Georg Müller, Der Raum Weser-Ems, Oldenburg 1932. StAO 131 / 303 Akte betreffend Neuaufbau des Reiches, Bl. 196–274. Auf einer Sitzung des Reichsinnenministeriums am 7.5.1937 wurden diese Gegensätze erneut deutlich, vgl. den Sitzungsbericht vom 13.5.1937 in: StAO 131 / 303 Akte betreffend Neuaufbau des Reiches, Bl. 373. 99 Die Einsetzung Rövers als Reichsstatthalter für Oldenburg und Bremen nährte die Hoffnung auf eine eigenständige NS-Regionalpolitik: „Während man sich früher darauf glaubte beschränken zu müssen, die Eigenständigkeit gegenüber den Machtgelüsten und Ausdehnungsbestrebungen der preußischen Provinz Hannover (Niedersachsen!) und neuerdings Westfalens zu begründen und zu verteidigen, wird man jetzt die Ziele weiter stecken können und müssen.“ StAO 131 / 303 Anmerkung zu einem Bericht der Vertretung Oldenburgs beim Reich, 20.5.1933.

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Die Neugliederung des Reichsgebietes, wie sie als Vollendung der Reichsreform von den Nationalsozialisten erwartet wurde, erschöpfte sich jedoch auf eine kleine „norddeutsche Flurbereinigung“ durch den Zusammenschluss Mecklenburgs 1934 und die Arrondierung Hamburgs 1937. Oldenburg erhielt dabei den Stadtkreis Wilhelmshaven. Die beiden oldenburgischen Landesteile Lübeck und Eutin fielen an Preußen. Wie weit Wunsch und Wirklichkeit der Neugliederung des Reichs auseinanderklafften, zeigen die Reden, die bei den zahlreichen Eingliederungsfeiern gehalten wurden. In Erwartung einer großen Reichsreform bemühte sich Gauleiter und Reichsstatthalter Carl Röver auch nach 1937, den Parteigau Weser-Ems zu einem Reichsgau – mit dem Namen Weser-Ems oder Nordsee-Gau – auszubauen.100 Diese Versuche sind ebenso gescheitert wie die anderer Parteiführer, soweit ihre Gebiete im „Altreich“ lagen. Bis zum Ende der NS-Herrschaft blieb es bei einem Nebeneinander von Reichsstatthalter, den Landesregierungen von Oldenburg und Bremen und den Bezirksregierungen Aurich und Osnabrück.101

Anhalt Das dichtbesiedelte Anhalt schob sich geographisch zwischen die provinzialsächsischen Regierungsbezirke Magdeburg und Merseburg. Staatsrechtlich blieben anhaltinische und preußische Territorien zwar getrennt. In Wirtschaft, Verwaltung und Parteistrukturen wuchsen die Provinz Sachsen und der Freistaat jedoch eng zusammen. Vor allem der Industrialisierungsprozess am 100 So in einem Schreiben des Gauleiters und Reichsstatthalters Röver an den Reichsund preußischen Innenminister Frick vom 26.5.1937, in: StAO 131/303, Bl. 387. Im Jahr 1938 wurde zu diesem Zweck eine „Forschungsgemeinschaft für den Raum Weser-Ems e.V.“ gegen die von Hannover ausgehende „Niedersachsen-Propaganda“ ins Leben gerufen. Das geplante „Heimatwerk. Der Nordseegau Weser-Ems“ als Antwort auf den von der Gegenseite 1939 herausgegebenen „Geschichtlichen Handatlas Niedersachsen“ ist jedoch nicht mehr erschienen. Den „Vorbereitungen“ eines Reichsgaues waren auch die Bemühungen Rövers um gemeinsame „Landes“- und Reichsbehörden in Oldenburg und Bremen gewidmet siehe dazu StAO 131/ 303 und Albrecht Eckhardt, Oldenburg und Niedersachsen, in: ders. / Heinrich Schmidt (Hg.), Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg 1987, S. 494f. 101 Eine Verwaltungsreform, die 1932/33 in Oldenburg durchgesetzt wurde, entfaltete vorübergehend eine reichsweite Ausstrahlung, führte aber auch zu Kontroversen, wie mit Preußen oder Württemberg, bis die ganze Debatte über ein einheitliches Konzept einer Verwaltungsreform im Juli 1935 untersagt wurde, vgl. zu den Verwaltungs- und Gebietsreformen nach 1933 Günther, Freistaat und Land Oldenburg, S. 450–456.

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neuen Standort Halle-Merseburg veränderte die gesamte Region. Die auf den Braunkohlebergbau gestützte Chemieindustrie schuf damals eines der jüngsten industriellen Ballungszentren. Im Unterschied zu den älteren Industrieregionen Deutschlands befand sich dieser Raum in stetiger Aufwärtsentwicklung.102 Im Freistaat Anhalt waren fast die Hälfte der Erwerbstätigen in Industrie und Handwerk und nur ein Viertel in der Landwirtschaft beschäftigt.103 Das hatte seinen Grund auch in den ungewöhnlichen Urbanisierungsprozessen des jungen mitteldeutschen Industriegebietes. Hier lebte die Arbeiterbevölkerung weit dezentralisierter als in den älteren deutschen Industrieregionen. Die aus ehemaligen Bauerndörfern neu entstehenden Siedlungen lagen wie die kleinen und mittleren Städte verkehrsgünstig zu den Gruben und Werken. Für Arbeiter und Angestellte waren sie mit der Eisenbahn, elektrifizierten Überlandbahnen, Fahrrädern oder Bussen gut zu erreichen. Pendelbewegungen führten über die territorialen Grenzen hinweg vor allem nach Leuna und in die preußischen Städte Magdeburg, Halle, Wolfen, Bitterfeld wie umgekehrt ins anhaltinische Dessau. Das gesamte Territorium war sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr verkehrstechnisch gut erschlossen.104 Neben Hamburg, Preußen und Hessen war Anhalt ein Land mit einer langen sozialdemokratischen Regierungskontinuität. Von 1918 bis 1932 stand dem Freistaat eine SPD-DDP-Koalition vor, deren Grundlage überdurchschnittlich hohe Wahlergebnisse der SPD waren.105 Unter den Sozialdemokraten Anhalts war dabei eine dezidiert reformistische und nicht zentralistische Sozialismusvorstellung verbreitet. Selbstverwaltung und die weitgehende Verlagerung von Entscheidungen auf untere demokratische Ebenen bildeten den Kern ihrer Staatsauffassungen: „Ein Sozialismus, der alles von oben her 102 Berndt, Das Territorium Sachsen-Anhalt in der Weimarer Republik, S. 104–111. 103 Das 1863 wiedervereinigte Herzogtum Anhalt war schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts eines der industriell hoch entwickelten Gebiete Deutschlands. Die anhaltinische Industrie gründete sich – in der Reihenfolge ihrer Expansion – auf die Zuckerfabrikation, den Kalibergbau, die chemische Industrie und auf den Maschinenbau. Anhalt besaß neben den natürlichen Standortbedingungen insbesondere eine günstige Infrastruktur, vgl. Torsten Kupfer, Das rückständige Anhalt? Anmerkungen zum wirtschaftlichen Entwicklungsstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltinische Landeskunde, 2 (1993), S. 144–151; Fritz Voigt, Die Entwicklung und der Stand der anhaltinischen Industrie, Diss., Halle 1933. 104 Landesplanung im engeren mitteldeutschen Industriebezirk. Ihre Aufgaben, Grundlagen und Ergebnisse, hg. von der Landesplanung Merseburg, Merseburg 1932. 105 Die SPD erreichte bei Landtagswahlen in Anhalt 58 % (1918), 35,8 % (1920), 37 % und 41 % (1924), 42,4 % (1928); 34,3 % (1932), Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 89.

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leiten wollte, wäre die unerträglichste Tyrannei, für die sich die Bonzen selber vielleicht begeistern könnten, nicht aber die von oben her zu kommandierende und kommandierte Masse des Volkes.“106 Mit Blick auf die Geschichte sahen es Sozialdemokraten in Anhalt als erwiesen an, „dass kleine und kleinste Demokratien ihre Aufgaben in vollendeter Weise und oft wesentlich besser als größere erfüllt haben“. Das Nachtgemälde vom „Kleinstaatenelend“ suchten sie auch historisch durch das Idealbild der attischen Demokratie und den Verweis auf die mittelalterliche Stadtstaatengeschichte zu erhellen. Der Schweizer Bundesstaat war für die Anhalter Revolutionsführer 1918 zudem das hervorragende Vorbild „gut geleiteter Kleinstaaten auf ausgesprochen demokratischer Grundlage“.107 Als charismatischer sozialdemokratischer Parteiführer war Heinrich Peus eine wichtige Integrationsfigur Anhalts. Seine Gegner karikierten ihn nicht ohne eine Spur der Achtung als „scheinsozialistischen Halbgott im schönen Ländle Anhalt“. Die Verehrung für Peus nahm in den 1920er Jahren teilweise personenkultartige Züge an, wenn er unter anderem als „großer Stürmer“ und „unser Meister“ gefeiert und der Anhalt verändernde „Peus-Geist“ beschworen wurde.108 An Peus Seite stand Heinrich Deist, der von 1918 bis 1932 stellvertretender Staatsratsvorsitzender, Staatsratsvorsitzender bzw. Ministerpräsident Anhalts war.109 1919 hatte seine Regierung die konstituierende Nationalversammlung aufgefordert, das Selbstbestimmungsrecht der Kleinstaaten zu respektieren. Mit einer föderativen deutschen Republik verband sie große Hoffnungen auf eine friedliche Nachkriegsordnung, in der die „Geltung der Völker“ nicht mehr von machtstaatlichen Maßstäben wie „der Zahl ihrer Soldaten abhängig“ sein sollte, sondern von ihren kulturellen und wirtschaftlichen Friedensleistungen. Für die Unterscheidung von kleinen und großen Ländern mit mehr oder weniger als einer Million Einwohnern seien zu „rohe Maßstäbe“ der Vergangenheit zu Grunde gelegt, die Anhalt zu einem „Land zweiten Ranges“ degradierten.110 Trotz einer offensiven Eigenständigkeitspolitik blieb die Anhalter Regierung gegenüber größeren, realistischen Lösungen von unten aufgeschlossen 106 Volksfreund für Zerbst und Umgebung, 5.5.1927 zit. nach Torsten Kupfer, Sozialdemokratie im Freistaat Anhalt 1918–1933, Weimar u. a. 1996, S. 40. 107 HStAS E 130 b / 2113 Denkschrift über die künftige Stellung des Freistaates Anhalt im Deutschen Reich, 1919. 108 Alle Zitate bei Kupfer, Sozialdemokratie im Freistaat Anhalt, S. 47. 109 Ebenda, S. 48. 110 HStAS E 130 b / 2113 Denkschrift über die künftige Stellung des Freistaates Anhalt im Deutschen Reich, 1919.

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und sondierte eine Vereinigung mit anderen nord- und mitteldeutschen Ländern.111 Den Großthüringen-Plänen in Weimar, unter Einschluss der sieben thüringischen Staaten und von preußischen Gebietsteilen, stand der Staatsrat im Dezember 1918 aufgeschlossen gegenüber. Separatistische Pläne einer föderalen nordwestdeutschen Räterepublik, welche die Braunschweiger Revolutionsführer der USPD Anfang 1919 bewarben, quittierte Anhalt dagegen mit einem deutlichen Nein. Eher abwartend stand Anhalt auch dem Gedanken eines mitteldeutschen sozialistischen Staatenbundes gegenüber. Nachdem die deutsche Verfassungsdiskussion gegen eine Aufteilung Preußens verlaufen war, suchten die Regierungen mit sozialistischer Mehrheit in Braunschweig, Sachsen, Thüringen und Anhalt eine Arbeitsgemeinschaft zu gründen. Sie sollte den Einfluss dieser Länder im Reich stärken und beruhte auf dem gemeinsamen Interesse, sich gegen einen drohenden Anschluss an Preußen zu wappnen. Obwohl entsprechende Ministertreffen in Weimar Ende 1921 ergebnislos verliefen,112 blieb der Gedanke eines roten mitteldeutschen Blocks lebendig. Im Vorfeld der Reichsexekution gegen Sachsen wurde er Anfang Oktober 1923 noch einmal von der kommunistischen Presse aufgegriffen.113 Es gehört zu den vielen Facetten der Reichsreformdebatte, dass sich in Anhalt allein der Landbund und die Deutschnationalen einen Anschluss an Preußen vorstellen konnten und dafür auch die parlamentarischen Vorarbeiten einleiteten. Die als unerträglich empfundene steuerliche Belastung in der Landwirtschaft trieb ausgerechnet die Rechte dazu, Schutz vor der eigenen sozialdemokratischen Landesregierung bei einer anderen zu suchen. Die Grundwertsteuer war an den bodenreformerischen Zielen der Dessauer Regierung ausgerichtet und belastete besonders den größeren Grundbesitz. Mit seinem Anschlussantrag stand der Landbund allerdings allein. Von den anderen Parteien, vor allem aber von der linksrepublikanischen Mehrheit, wurden ebenso wirtschaftliche und kulturelle Aspekte argumentativ virulent gemacht: Anhalt würde nicht nur seinen Staatsbesitz – die Domänen, Forsten und Bergwerke – an Preußen verlieren, sondern auch den Ruf eines mitteldeutschen Kulturzentrums gefährden. Die affirmative Identitätspolitik Anhalts ging zurück bis auf den Dessau-Wörlitzer Kulturkreis, der bereits im damaligen Kontext als Zentrum des moralischen und intellektuellen Aufbruchs des späten 18. Jahrhunderts galt und der als Gegenentwurf zum Militärstaat preußischen 111 ThHStAW Staatsministerium Nr. 1 Der Anhalter Staatsrat an die Weimarer Landesregierung, 20.12.1918. 112 Anhaltisches Volksblatt, 30.12.1921. 113 Rote Fahne, 10.10.1923.

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Zuschnitts angesehen wurde.114 Im Unterschied zu Preußen und nach dem Vorbild der Länder Sachsen und Thüringen waren zudem in Anhalt die wissenschaftliche Lehrerbildung und neue Schularten etabliert worden.115 Die Geschichte Anhalts bleibt für die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus insgesamt sehr lückenhaft, da die archivalischen Quellen im Zweiten Weltkrieg weitgehend vernichtet wurden. Dabei ist gerade Anhalt als wirtschaftlich und republikanisch starkes Land ein Sonderfall unter den kleinen norddeutschen Ländern. Bei den ersten Landeswahlen im Reich am 15.12.1918 erreichten SPD und DDP 92 %. Auch Ende 1924, nach dem Rechtsruck in anderen Ländern waren es noch 48,3 % gegen einen konservativen Block „Volksgemeinschaft“, der mit 38,8 % in der Minderheit blieb. Am 24. April 1932 aber stimmten allein 40,9 % der Wähler für die NSDAP und nur noch 35,8 % für SPD und DDP.116 Über die Ursachen, die dazu führten, dass ausgerechnet im lange republikanisch regierten Anhalt im Mai 1932 eine NSDAP / DNVP-Regierung und mit Alfred Freyberg der erste nationalsozialistische Ministerpräsident eines Landes eingesetzt wurden, ist bislang wenig bekannt. Den Verlust seiner Macht im Zuge der Durchsetzung des nationalsozialistischen Zentralstaates hat Alfred Freyberg, der seit 1936 auch Mitglied des bedeutungslosen Reichstags war,117 nur schlecht verwinden können. Freybergs Klage gegenüber Reinhard Heydrich, dem damaligen Leiter der Sicherheitspolizei des Reiches, verdeutlicht den Verfassungswandel nach 1933 aus der Sicht eines regionalen NS-Funktionärs: „Im Mai 1937 werden es fünf Jahre, als ich in Anhalt mein Amt als erster nationalsozialistischer Länderministerpräsident in Deutschland antrat. Damals zu den mehrfachen Wahlen verbreiteten die Marxisten Flugblätter, die sich mit dem ‚System Freyberg’ beschäftigten, heute darf ich ohne Genehmigung

114 Erhard Hirsch, Dessau-Wörlitz, Aufklärung und Frühklassik, in: Michael Stürmer (Hg.), Scherben des Glücks, Klassizismus und Revolution, Berlin 1987, S. 30ff. Siehe auch HStAS E 130 b / 2113 Denkschrift über die künftige Stellung des Freistaates Anhalt im Deutschen Reich, 1919. 115 LHAS-A, Dessau 3 / 1 Gutachten über Ersparnismöglichkeiten in der anhaltinischen Staatsverwaltung, enthält unter anderem einen Überblick zum Verwaltungsaufbau und Vorschläge für Reformen, über die Zusammensetzung des Anhaltinischen Landtag und über die Zusammensetzung des Schulwesens mit grafischen Darstellungen 1931. 116 Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 89. 117 Joachim Lilla, Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstages 1933–1945, Düsseldorf 2004.

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von Berlin nicht einmal mehr einen Assessor vorübergehend auf einen Monat einstellen.“118

Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz Die geografische Lage der beiden Mecklenburg legte eine Vereinigung nach dem Ende von Ständeverfassung und Monarchie nahe. Mecklenburg-Strelitz bildete kein geschlossenes Territorium, sondern zerfiel neben kleineren Enklaven in zwei Landesteile. Das Stargarder Land und das Fürstentum Ratzeburg waren durch die gesamte Breite Mecklenburg-Schwerins voneinander getrennt. Neben dieser Gemengelage wies die mecklenburgische Historie zudem viele integrierende Züge auf. Ungeachtet der dynastischen Landesteilungen war Mecklenburg bis 1918 ein weitgehend homogener frühneuzeitlicher Ständestaat gewesen. Dies fand auch nach der Revolution seine Anknüpfung in zahlreichen gemeinsamen Verwaltungsbehörden wie dem Oberlandesgericht in Rostock.119 Das gegenseitige Nachfolgerecht der mecklenburgischen Fürsten hatte bis 1918 die Zusammengehörigkeit der Landesteile betont. Außerdem war die Selbstständigkeit der mecklenburgischen Territorien durch den gemeinsamen Verfassungsvertrag und die in ihm festgeschriebene ständische Union stark beschränkt gewesen. Die wiederholten, beiderseitigen Versuche der Herzöge und Großherzöge, ihre Souveränität zu behaupten und die Verbindung zwischen dem Strelitzer und dem Schweriner Landesteil zu lockern oder ganz aufzuheben, scheiterten immer wieder am Widerstand der Stände. Sie verkörperten nicht nur symbolisch, sondern auch institutionell die Einheit des Landes. Als am Ende des Ersten Weltkrieges der monarchische Dualismus wegfiel, stand daher sogar ein Land unter einer Krone in Aussicht. Nach dem Selbstmord des Strelitzer Großherzogs Adolf Friedrich VI. zögerte der Schweriner Regent jedoch in den letzten acht Monaten der Monarchie, seine Thronfolgerechte als 118 ThHStAW Der Reichsstatthalter in Thüringen Nr. 183, Abschrift eines Schreibens Freybergs an Heydrich, Dessau, 24.11.1936. 119 Außerdem existierten zahlreiche gemeinsame Interessenvertretungen und Berufsorganisationen für beide Länder. 1925 schlossen sich die Handwerkskammer, Handelskammer und die Landwirtschaftskammer für Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz zum Verband der Mecklenburgischen Wirtschaftskammern zusammen, siehe BAB R 43 I / 1877 Übersicht des Reichsministers des Innern über die zwischen den Ländern bestehenden Verwaltungsgemeinschaften und Gemeinschaftsvereinbarungen, Berlin, 12.7.1928.

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nächster Agnat durchzusetzen und damit die Vereinigung Mecklenburgs zu verwirklichen, gegen die sich vor allem in Mecklenburg-Strelitz Widerstand bildete. Die Bewegung für ein selbstständiges Großherzogtum MecklenburgStrelitz knüpfte an Heimatgefühle an und sie führte zudem die prekäre Schweriner Finanzlage ins Feld. Der Freistaat pflegte schließlich das stark betonte Landesbewusstsein weiter. Der Logik einer offensiven Eigenstaatspolitik mit der Tendenz zur partikularen Abschließung gegen den mecklenburgischen Nachbarn folgend, arbeitete Mecklenburg-Strelitz eilig ein neues Grundgesetz aus und verabschiedete als erstes Land des Reiches am 29. Januar 1919 eine Verfassung. 1922 folgte die symbolische Verstärkung durch ein Landeswappen, welches auf blaurotgelbem Schilde den Stargarder Burgturm, den mecklenburgischen Büffelkopf und das Ratzeburger Kreuz zeigte und das von einem Spruchband mit dem Namen Freistaat Mecklenburg-Strelitz umgeben war.120 Ernsthafte Einigungsversuche der mecklenburgischen Freistaaten hat es in der Weimarer Republik daher nicht gegeben. Eher entfernten sich beide Länder voneinander, vor allem weil die bis dahin vorhandene Verklammerung eines gemeinsamen Landtages weggefallen war. Außerdem wurden die Unterschiede stark herausgekehrt, um den Strelitzern und Schwerinern – entsprechend der nun vertieften innermecklenburgischen Grenze – das Gefühl einer eigenen Identität zu geben. Die Wirtschafts- und Verkehrsanbindungen verwiesen darüber hinaus das Stargarder Land auf Berlin, während sie in Mecklenburg-Schwerin vor allem auf Hamburg zielten. In einem großen Mecklenburg wäre Mecklenburg-Strelitz zudem an die Peripherie gedrängt worden. Die Rolle eines Randbezirkes spielte das kleinere Mecklenburg bereits in den Organisationsstrukturen der Arbeiterparteien. Auch die Nationalsozialisten unterschätzten die Eigenständigkeit Strelitz’, wodurch sie den Deutschnationalen unterlegen blieben, die auf regionale Führer wie den Vorsitzenden der Stargarder Ritterschaft und Staatsminister Heinrich von Michael zurückgreifen konnten.121 Neugliederungspläne ließen für Mecklenburg an Vielfalt nichts zu wünschen übrig.122 Sie stimmten eigentlich nur in dem einen Punkt überein, dass 120 BAB, R 43 I / 2276 Akten betreffend Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz 1919–1930. 121 BAB 43 II / 1351 Heinrich von Michael an Friedrich Hildebrandt, Schönhausen, 27.7.1933 sowie Beate Behrens, Mit Hitler zur Macht. Aufstieg des Nationalsozialismus in Mecklenburg und Lübeck 1922–1933, Rostock 1998, S. 140. 122 Anke John, Freistaat, preußische Provinz oder Reichsland? Die Selbstbehauptung der mecklenburgischen Länder in der Weimarer Republik, in: Mecklenburgische Jahrbücher 120 (2005), S. 157–174.

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sie die beiden Freistaaten nicht bestehen ließen. Der so genannte Frankfurter Entwurf von August Weitzel, der auf eine reichsweite Resonanz stieß, teilte Deutschland in zwölf Reichsländer, wobei eine der neuen Ländergrenzen quer durch Mecklenburg lief: westlich von Arendsee, östlich von Blankenberg und Karow und westlich von Röbel durchschnitt sie die Seenplatte.123 Andere Vorschläge wiederum befassten sich mit der Frage, an welches Territorium Mecklenburg anzuschließen sei. Johann Ulrich Folkers, Professor für Geographie und Pädagogik an der Rostocker Universität und der Landesgeschichtsschreibung vor allem als Bauernhausforscher geläufig, unterbreitete die sogenannte Ostseelösung. Sie zielte auf den politischen Zusammenschluss Schleswig-Holsteins, Lübecks und Mecklenburgs zu einem Gebilde, das den Namen Nordmark führen sollte.124 Der neue Nordstaat war ein Konstrukt, dessen Grenzen sich jedoch weder historisch, noch geografisch oder bevölkerungsgeschichtlich definieren ließen. Für Mecklenburg betraf dies vor allem die sprachlich-kulturelle Abgrenzung gegen Vorpommern und die Einbindung des Strelitzer Landesteils. Befürworter der Nordmarklösung waren sich deshalb darüber im Klaren, dass die Bildung dieses neuen Landes letztlich nur „durch einen Willensakt […] erzwungen werden“125 könne. Der Rückgriff auf die mittelalterliche Geschichte bis zu Heinrich dem Löwen sollte dabei historisch gemeinsame Identitäten stiften und fehlende Zusammengehörigkeitsgefühle „zwischen Ostelbien und Westelbien“ kompensieren. Mit Heinrich dem Löwen wurde zugleich eine Spur aufgenommen, der zufolge die welfische Unterwerfung der Obotriten als eine noch nicht abgeschlossene Aufgabe angesehen wurde. Insbesondere Mecklenburg galt als rückständiges Land, das „in der Erstarrung des ständischen Staatswesens“ bis 1918 den Anschluss an die altdeutsche Kulturprovinz verloren hätte.126 Um dieses seit dem 19. Jahrhundert verbreitete Klischee der Rückständigkeit zu erhärten, wurde auf die geringe Bevölkerungsdichte, den schwachen Urbanisierungsgrad und eine vermeintliche Industrielosigkeit verwiesen, wobei mindestens die Städte Rostock und Wismar in ihrem Gewicht gegen das „platte Land“ vernachlässigt 123 August Weitzel, Die regionale Gliederung Deutschlands nach Verkehrs- und Wirtschaftsgebieten, in: Erde und Wirtschaft, 2 (1927), S. 1f. und ders., Die regionale Gliederung des deutschen Einheitsstaates, Berlin 1928. 124 Johann Ulrich Folkers, Die Nordmark als Einheit durch Geschichte und Volkstum, in: Nordmark, die Ostseelösung für Schleswig-Holstein, Lübeck, Mecklenburg, Rendsburg 1932, S. 12–22; ders., Mecklenburg in der Neugliederung des Deutschen Reiches, in: Zeitschrift für Geopolitik VIII / 7, Heidelberg 1931, S. 517–524. 125 Folkers, Nordmark, S. 15f. 126 Ebenda.

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wurden. Als historische Mission Schleswig-Holsteins wurde demgemäß eine „neue Ostlandwanderung“ ins Auge gefasst. Sie sollte durch „Siedlung und Hilfe der Bauernsöhne des Westens“ die Landflucht von den mecklenburgischen Gütern beenden und das Erbe deutscher Kultur gegen den slawischen Einfluss der in der Landwirtschaft beschäftigten polnischen Saisonarbeiter erhalten.127 Die hier anklingenden Bevölkerungs- und Raumordnungskonzepte brachten Folkers in Verbindung mit der „Blut- und Boden“-Ideologie des Nationalsozialismus. Den Gegenpol zur Nordmarklösung bildeten Überlegungen von Rudolf Henle. Henle lehrte als Jurist an der Rostocker Universität und war Mitglied der Reichsgemeinschaft für Föderalisten. Mit seinem Staatsideal unvereinbar waren ein zentralisierter norddeutscher Großblock und eine Verpreußung der kleinen Länder. Henle plädierte stattdessen für eine Reföderalisierung des Reiches, die Selbstständigkeit kleiner und mittlerer Länder und eine Aufgliederung Preußens, die ihm ohne Revision der auf Preußen zentrierten Geschichtsbetrachtung und ohne Abschied vom Nationalheros Bismarck unmöglich erschien. Mit Blick auf eine künftige „Wiedervereinigung“ mit Österreich hielt er den Länderstaat für die einzige großdeutsche Option. Zudem könne auch nur der Länderstaat „die deutsche Volksseele vor der Vernichtung durch eine seelenlose Staatsmaschinerie“128 bewahren. Henle, der den Kontakt zur Münchner Ministerialbürokratie suchte, sah dabei in Bayern die einzig verbliebene Garantiemacht Mecklenburgs in der Weimarer Republik.129 Der 1928 die Reich-Länder-Debatte prägende Vorschlag des Bundes zur Erneuerung des Reiches schlug immerhin eine selbstständige Reichsprovinz vor, welche die Schweriner und Strelitzer Landesteile zusammenführen sollte. Ein einheitliches Mecklenburg, das mindestens die Größe einer preußischen Provinz erreichte, galt dabei als Grundvoraussetzung für eine längerfristige mecklenburgische Selbstständigkeit. Die beiden Mecklenburg zusammen hätten ein Land von 784 000 Einwohnern und 16 057 qkm ergeben. Damit lagen sie zwar unter der in der Neugliederungsdebatte breit akzeptierten Mindestgröße eines zukunftsfähigen Landes, für das die zehnfache Einwohnerzahl einer Großstadt (eine Million) veranschlagt wurde. Sie wären aber gemessen an der Fläche größer gewesen als Sachsen, Baden, Thüringen oder Hessen und als die preußischen Provinzen Schleswig-Holstein und Hessen-Nassau. 127 Folkers, Mecklenburg in der Neugliederung, S. 523f. 128 Rudolf Henle, Einheitsstaat und Länderstaat, in: Bayerische Staatszeitung, 26.3.1928, S. 1. 129 Henle, Großpreußische oder großdeutsche Lösung? (1930), ders., Reichsreform und Länderstaat (1931) sowie die Akte über Henle im BHStAM MA 1943 / 103 417.

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Um eine Ausdehnung der Reichsprovinzen nicht mehr als nötig zu strapazieren, sollte ihnen daher der Anspruch auf eine Eigenregierung bzw. autonome Selbstverwaltung zugebilligt werden.130 Mecklenburg-Strelitz strebte 1930 unter dem Staatsminister Kurt Freiherr von Reibnitz (SPD) den Anschluss an Preußen an, um das Land vor einem Staatsbankrott zu bewahren.131 Als „letzter Rettungsanker“ sollte Preußen Mecklenburg-Strelitz vor einem „elenden Siechtum“ bewahren.132 Zunächst wurde ein so genannter Preußenausschuss gebildet, der ein halbes Jahr lang tagte, indem jedoch keine Majorität für eine Aufgabe des Landes zustande kam. Da sich zudem keine Aussicht auf eine Zweidrittelmehrheit im Landtag abzeichnete, musste das Staatsministerium seine Anschlussvorlage133 zurückziehen.134 Wie im stark verschuldeten Mecklenburg-Strelitz hing auch die finanzielle Lage des Schweriner Landes von der Konjunktur der Landwirtschaft ab, die sich seit 1928 in einer Krise befand. Um dem größeren Mecklenburg noch einmal Luft zu verschaffen und den Staatshaushalt zu entlasten, bot die SPD-Landesregierung unter Paul Schröder daher dem Reich 1928 seine Justizverwaltung an.135 Der freiwillige Verzicht auf einen wichtigen Kompetenzbereich sollte das Land aus seiner existenziellen Krise führen und langfristig die Selbstständigkeit retten. Die von der SPD geführte Reichsregierung Müller drängte das Schweriner Kabinett jedoch zu Anschlussverhandlungen mit Preußen. Als treibende Kraft stach hier der ehemalige preußische und zu 130 Bund zur Erneuerung des Reiches, Reich und Länder, Berlin 1928; vgl. auch Nawiasky, Das Problem der kleineren und der leistungsschwachen Länder, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 291–297. 131 Wörtlich erklärte von Reibnitz am 6. Februar 1930 in seiner Etatrede vor dem Landtag, „auf gut deutsch Mecklenburg-Strelitz könnte so lange selbständig bleiben, als es noch Gläubiger findet, die ihm in den nächsten Jahren die zur Aufrechterhaltung der Selbständigkeit nötigen Millionen vorstrecken.“, Mecklenburg-Strelitz, 5. Landtag, Stenographische Berichte, 6.2.1930, Sp. 1179f. 132 Roderich Hustaedt (DDP), Mecklenburg-Strelitz, 5. Landtag, 25.6.1931, Sp. 1808, 1811. 133 Zur Bildung des Preußenausschusses: Mecklenburg-Strelitz, 5. Landtag, 28.11.1930, Sp. 1609–1614, die Beratung der Anschlussvorlage: Mecklenburg-Strelitz, 5. Landtag, 25./26.6.1931, Sp. 1770–1872. 134 Reibnitz trug seine auf Preußen orientierte Politik den Vorwurf ein, er betrachte sich nur noch als der „Konkursverwalter des Landes“, Landeszeitung, 1. Beilage, 28.11.1931, S. 1. 135 BAB, R 43 I / 2276 Besprechung im Reichsjustizministerium über die Übernahme der mecklenburg-schwerinschen Justizverwaltung auf das Reich, 14.6.1928 (Abschrift).

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dieser Zeit Reichsinnenminister Carl Severing hervor. Severing gab seinem Parteigenossen Schröder dabei deutlich zu verstehen, dass die „Wohlfahrt der mecklenburgischen Bevölkerung“ nicht in der Eigenstaatlichkeit Mecklenburg-Schwerins liege, sondern in einer Zukunft als „freies Glied des größeren Staatswesens“.136 Die Rolle eines schlechten Beraters übernahm der als Reichssparkommissar entsandte Präsident des Rechnungshofes Saemisch, der – wie es von Landes- und Reichsregierung vereinbart worden war – für Mecklenburg-Schwerin einen Sanierungsplan vorlegen sollte, indessen aber Meldungen über einen faktisch bevorstehenden Konkurs des Landes nach Berlin sandte.137 Als dies durch eine Indiskretion in der Presse bekannt wurde, argwöhnten Ministerpräsident Schröder und sein Finanzminister Asch mit Fug und Recht den Ausverkauf des Landes an Preußen „im Eilzugstempo“.138 Der Landtag aber hatte sich bereits auf die Erhaltung der Selbstständigkeit festgelegt. So war weder eine Zweidrittelmehrheit im Parlament für den Weg nach Preußen vorhanden noch die Aussicht auf eine preußenfreundliche Volksabstimmung gegeben.139 Ein Anschlussvertrag hätte demnach nur oktroyiert werden können. Die Regierung Braun aber wollte nach den negativen Erfahrungen mit SchaumburgLippe1926, dessen Bevölkerung in einer Volksbefragung gegen eine Zukunft in Preußen gestimmt hatte, nicht um jeden Preis eine Arrondierung des preußischen Territoriums durchsetzen. Nachdem sich die nachfolgende Regierung unter Karl Eschenburg (DNVP) vergeblich um die Einbeziehung der mecklenburgischen Landwirtschaft in die 136 BAB, R 43 I / 2276 Reichsinnenminister Severing an den Mecklenburg-Schweriner Ministerpräsidenten Schröder, Berlin, 12.1.1929 (Abschrift). 137 BAB R 43 I / 2276 Schreiben des Reichssparkommissars Saemisch an Reichskanzler Müller, 18.11.1928. 138 BAB R 43 I / 2276 Protestnote des Schweriner Ministerpräsidenten Paul Schröder an das Reichskabinett, Schwerin, 10.11. 1928. Das Kabinett Müller war bereits am 29.11.1928 zu dem Schluss gekommen, Mecklenburg-Schwerin an den Verhandlungstisch mit Preußen zu bringen, BAB, R 43 I / 2276 Kabinettssitzung zur Finanzlage Mecklenburg-Schwerins am 29.11.1928. 139 Justiz- und Kultusminister Richard Möller (DDP) erklärte, „daß in weit rechts stehenden Kreisen Mecklenburg-Schwerins ein ausgesprochenes Heimatgefühl vorhanden sei, das zu dem Verlangen auf Beibehaltung der Selbständigkeit führe. In den links stehenden Kreisen und auch in den Kreisen der Deutschen Volkspartei und der Wirtschaftlichen Vereinigung sei ein Nationalgefühl vorhanden. Dieses richte sich jedoch auf das Reich, nicht auf den Anschluss an Preußen.“ BAB R 43 I / 2276 Besprechung zur Lage Mecklenburg-Schwerins zwischen dem Reichskabinett Müller und der Schweriner Regierung Schröder, 18.1.1929 (Abschrift).

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Osthilfe und finanzielle Beihilfen für die Ernteschäden des Dürresommers 1930 bemüht hatte, folgte 1931 auch in Schwerin der Offenbarungseid. Das Kabinett stand nun „vis-à-vis de rien“.140 Ministerpräsident Eschenburg verglich seine Regierung mit einer Schiffsbesatzung, die „auf das dunkle Meer des Jahres 1931“ hinausfuhr, ohne Kurs und Ziel der Fahrt zu kennen, allerdings entschlossen, nicht unterzugehen.141 Anders ausgedrückt bewegte das Schweriner Kabinett die Frage, wie lange sich das Land noch halten konnte. Dabei setzte der deutschnationale Ministerpräsident auf das Präsidialkabinett Brüning, das kein Interesse daran zeigen sollte, „auf der deutschen Landkarte Mecklenburg-Schwerin auszuradieren und als mehr oder weniger reife Frucht Preußen zufallen“ zu lassen, das von den Sozialdemokraten regiert wurde.142 Die Sozialdemokraten in Mecklenburg-Schwerin wiederum bezeichneten sich zwar als „Gegner der Kleinstaaterei“ und Verfechter eines „organisch gegliederten Einheitsstaates“, sie wollten aber, dass Mecklenburg direkt in einem Großdeutschland aufging und nicht auf den ungewissen Umweg eines Großpreußen gezwungen wurde.143 Reichseinheitlichkeit war für die sozialdemokratischen Abgeordneten vor allem eine Frage der sozialen und kulturellen Gleichheit. Ein föderales System, das auch der Verschiedenheit der Lebenswelten Rechnung trug und diese bewahren sollte, war damit nur bedingt vereinbar. Die mecklenburgische Kleinstaatlichkeit erschien ihnen darüber hinaus als dynastisches Relikt der Vergangenheit „mit zwei Palästen und Fuhrwerk für die Minister“144. Aber auch für die mecklenburgischen Sozialdemokraten wog der Besitz von Macht letzten Endes schwerer als die ideologische Tradition. Die Revolution hatte sie an die Regierung gebracht,145 und auch die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten beider Mecklenburg waren wie in anderen Ländern kaum freiwillig bereit, die Verfügung über die 140 BAB R 43 I / 2276 Anfrage zur Osthilfe an Reichskanzler Heinrich Brüning, Schwerin 30.4.1930 und an den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Schwerin 13.10.1930 sowie BAB R 43 I / 2277 Bericht der Reichskanzlei zum Treffen Eschenburgs mit Brüning über die Finanzlage Mecklenburg-Schwerins am 22.12.1930. 141 Mecklenburg-Schwerin, 6. Landtag, Stenographische Berichte, 18.2.1931, Sp. 2354. 142 BAB R 43 I/ 2277 Bericht der Reichskanzlei zum Treffen von Eschenburg mit Brüning am 21.2.1931. 143 Albert Schulz (SPD), Mecklenburg-Schwerin, 4. Landtag, 27.1.1927, Sp. 983. 144 Carl Moltmann (SPD), Mecklenburg-Schwerin, 4. Landtag, 30.12.1926, Sp. 739. 145 1919 starteten SPD und DDP in Mecklenburg-Schwerin mit 75,2 %, und außer bei den Krisenwahlen im Februar 1924 (22,8 %) und 1932 (30 %) bewegte sich die SPD bei den Wahlergebnissen um 40 %. In Mecklenburg-Strelitz erreichten SPD und DDP 1918 sogar 91,1 %, seit 1923 blieb die SPD dort aber weit unter 40 % Wähleranteil, vgl. Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 98f.

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wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung ihres Landes an die Berliner Reichszentrale oder an einen größeren Nachbarn abzutreten. Solange die Länder existierten, sollte das Reich dafür sorgen, dass Mecklenburg keine „Kulturwüste“ werde.146 Die Strelitzer Sozialdemokraten hielten im ersten Jahrzehnt Weimars die gerade gerettete Eigenständigkeit ihres Landes hoch, auf die sie sich 1921 programmatisch festgelegt hatten: „Vorläufig aber haben wir die Selbstständigkeit unseres Landes noch nicht aufgegeben, und es wäre taktisch unklug, sie von sich zu stoßen. Wir wollen sie auskosten und das tun, was die erste Regierung als Programm der Mecklenburg-Strelitzer Regierung kundgetan hat. Die Frage der Verschmelzung aber gehört einer späteren Zeit an. Wie die Dinge sich in Deutschland überhaupt gestalten ist nicht abzusehen. Man weiß nicht, ob Bayern […] vom Reich abfällt. Man weiß nicht, ob man wieder dazu kommt, föderalistische Staatengebilde zu schaffen, oder die ganze Verwaltung des Reiches zu vereinfachen, indem man die ganzen Kleinstaatengebilde aufsaugt. Aber das gehört einer anderen Zeit an.“147 Aus der praktisch-politischen Perspektive der bürgerlichen Mitte und der Rechten drohte eine Verschlechterung ihrer Regierungsaussichten nach einem Anschluss an das sozialdemokratisch regierte Preußen.148 Mit dem Verweis auf die Republikanisierung der preußischen Polizei und Verwaltung fanden sich auch die Deutsch-Völkischen auf der Seite der Preußengegner ein. Nach den Worten ihres Strelitzer Abgeordneten Hinz galt es zu verhindern, „dass die Gottlosenzentrale in Berlin hier eine Filiale aufmacht“ und sich die „Nationalistenverfolgung hemmungslos austoben“ könne.149 Eine ähnliche Variante von Landespatriotismus pflegten auch die Kommunisten. Für sie war die Preußenfrage eine Macht- und Klassenkampfangelegenheit. Mit Blick auf die „künftigen Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit“ zielten die Anschlusspläne demnach auf einen straff zentralisierten Staat und damit auf eine Verbesserung der Machtinstrumente des kapi146 Julius Asch (Staatsminister für Finanzen und Landwirtschaft, SPD) MecklenburgSchwerin, 4. Landtag, 28.1.1927, Sp. 1046f. 147 Bartosch (Landtagspräsident, SPD), Mecklenburg-Schwerin, 2. Landtag, 21.3.1921, Sp. 1294. 148 Mecklenburg-Strelitz war wie Mecklenburg-Schwerin politisch eher gespalten, 1928 kamen SPD und DDP bei den Landtagswahlen auf 42,5 %, die DNVP und berufsständische Organisationen lagen in Strelitz ebenfalls bei 40 %. In Mecklenburg-Schwerin kamen DNVP und die Deutschvölkischen 1924 auf 48,2 %, 1929 erreichte eine Einheitsliste rechts der Mitte 44,6 %, siehe Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 99. 149 Hinz (Deutschvölkische Freiheitsbewegung), Mecklenburg-Strelitz, 5. Landtag, 26.6.1931, Sp. 1830.

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talistischen Systems.150 Die so genannte Preußenfrage wurde hier zu einem weiteren ideologischen Baustein der Sozialfaschismusthese, nach der die „Sozialdemokraten die eifrigsten Wegbereiter der faschistischen Diktatur“ und lediglich „Vollstreckungsorgane der Hindenburg-Brüning-Diktatur“ wären.151 Die Rechte der Länder aber erschienen in diesem Kontext als vollkommen nachrangig. Aus Sicht der Kommunisten unterlagen sie dem unaufhaltsamen, weil gesetzmäßigen Gang der Weltgeschichte. Oder wie es der Schweriner Landtagsabgeordnete Wenzel formulierte, „wenn wir die Rationalisierung durch das Klassenkampfprogramm des Proletariats durchgeführt haben, dann werden wir mit dem Spuk der Länderregierungen aufräumen“.152 In den Standesgruppen wurde die preußische Anschlussfrage indessen recht unbefangen erörtert. Dies betraf zum Beispiel die Beamtenschaft und insbesondere die Landesbeamten, deren Karriere- und Verdienstaussichten unter der Kleinstaatlichkeit und finanziellen Labilität der mecklenburgischen Länder litten und die sich gegenüber den besser gestellten Reichsbeamten benachteiligt fühlten.153 Wenn man auch nicht von einer mecklenburgischen Anschlussbewegung an Preußen oder das Reich sprechen kann, so war doch eine Bühne errichtet, von der aus die Unzufriedenheit über die Wirtschaftsund Steuerpolitik der Landesregierungen artikuliert werden konnte. Die Städte fühlten sich gegenüber dem Land finanziell zurückgesetzt und in der Ausnutzung ihrer Steuerquellen eingeschränkt. Rostocks Bürgermeister Ernst Heyde150 Schultz (KPD), Mecklenburg-Strelitz, 5. ordentlicher Landtag, 28.11.1930, Sp. 1612– 1615. 151 „Gerade weil man weiß, daß das kapitalistische System am Boden liegt, weil man keinen Ausweg weiß, sucht man nach einem Mittel, um bei den zukünftigen Kämpfen der rebellierenden Masse der Arbeiterschaft, der kleinen Gewerbetreibenden und Geschäftsleute, der Angestellten und unteren Beamten entscheidend entgegentreten zu können, und das kann man nur, wenn man einen straff zentralisierten Staat hat, und bei diesem zukünftigen Kampfe bildet jeder kleine Einzelstaat ein Hindernis, man muß dieses Staatswesen vollständig in Händen haben, und deshalb Anschluß!“ Mecklenburg-Strelitz, 5. ordentlicher Landtag, 25.6.1931, Sp. 1815–1820. 152 Mecklenburg-Schwerin, 4. Landtag, 5.11.1926, Sp. 487. 153 Für den Vorsitzenden des Beamtenbundes in Mecklenburg Bernöft war dies eine reine „Zweckmäßigkeitsfrage, die am allerwenigsten mit Gefühlsduselei gelöst werden könne.“ Bernöft griff dabei auch die Vorstellung eines mecklenburgischen „Rückzuggebietes“ in der Moderne an: „Wenn […] nicht einmal Europa ohne die Erzeugnisse Amerikas auskommen kann, kann umsoweniger unser Ländchen ohne diejenigen des Westens leben. Wir befinden uns zwar angeblich in dem Lande, wo Milch und Honig fließt, aber wir haben wohl noch in Erinnerung, wie uns die Kohle fehlte, und welch mangelhafter Ersatz der Torf war.“ Bernöft, Die Frage des Anschlusses an Preußen, in: Mecklenburgisches Beamtenblatt, 8. (1926), S. 2.

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mann wurde 1926 mit dem Satz zitiert, er könne es nicht verdenken, wenn die Stadtverwaltungen der größeren mecklenburgischen Städte „mit Neid über die Grenzen sehen, wo die preußischen Städte infolge ihrer besseren finanziellen Stellung günstigeren Zukunftsmöglichkeiten entgegensehen“.154 Die Landwirtschaft dagegen sah in einem Anschluss an Preußen einen Opfergang zugunsten der preußischen Industrieregionen. Man wollte lieber „Herr im eigenen Hause“ sein statt als eine Minderheit im preußischen Abgeordnetenhaus unterzugehen. Eine Rolle in der Debatte spielten auch konfessionelle und sprachlich-kulturelle Unterschiede. In den alten preußischen Provinzen bestand die evangelische unierte Kirche, wogegen die überwiegende Mehrheit der Mecklenburger lutherischen Bekenntnisses war. Nachteile wurden auch für die Landesuniversität Rostock erwartet, die sich gegenüber der preußischen Alma Mater Greifswald zu behaupten hätte, und für die mecklenburgischen Landestheater, deren Zukunft als Provinzbühnen in Preußen schwarz gemalt wurde. Daneben traten auch in Mecklenburg alte Ressentiments gegen den größeren Nachbarn. So wurden die preußische Besatzung während des Siebenjährigen Krieges, die so genannte Preußentied, und das Diktum Friedrichs des Großen „Mecklenburg ist ein Mehlsack, je mehr man ihn klopft, desto mehr stäubt er“ wieder in Erinnerung gerufen.155 Der Landbund hatte bereits im Herbst 1923 unter dem Eindruck von Inflation und Ruhrbesetzung die Parole „Mecklenburg den Mecklenburgern!“ verkündet.156 Die Agrarier argumentierten vor allem historisch, Anschlussverhandlungen mit Preußen waren für sie Landesverrat. Für die überzeugten Antirepublikaner, zu denen die Mehrheit der Gutsbesitzer zu rechnen ist, untermauerte die Eigenstaatlichkeit auch die vage Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Landesmonarchie an der Spitze einer ständestaatlichen Ordnung. Der Fürst sollte „Hüsung“ finden, wenn die politischen Verhältnisse sich ändern würden und er zurückkehren könnte. Derartige Restaurationswünsche wurden von präindustriellen Denkweisen eingerahmt, die in den Landtagen vor allem durch die Deutschnationalen und Nationalsozialisten reflektiert wurden, wenn beispielsweise darauf verwiesen wurde, dass ebenso „wie der Landwirt in Notfällen seine Strohdächer flickt, … der Staat seine löchrigen Dächer einmal 154 Rostocker Gewerbeblatt, Organ des Rostocker Gewerbevereins, 2 (1926) Heft 14, S. 5. 155 Rechtfertigt sich der staatliche Anschluß Mecklenburgs an Preußen?, in: Rostocker Anzeiger, Organ des Landbundes Mecklenburg-Schwerin, 18.3.1926, S. 1. 156 BAB, R 43 I / 2276. Die Parole wurde dann vor allem durch die DNVP als Schlagwort für die mecklenburgische Selbstständigkeit populär, vgl. Ludwig Iven (DNVP), Mecklenburg-Schwerin, 3. Landtag, 10.3.1926, Sp. 3653.

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das eine oder das andere Jahr flicken“ kann „ohne kostspielige Reparaturen oder Neubauten vorzunehmen“.157 Das Strelitzer Staatsbewusstsein wurde auf „die […] heimattreuen Bauern und Bürger“, zurückgeführt, deren „gleichsam holzschnitthafter Charakter […] zu schade“ sei für „die Vergroßstädterung.“158 Mit einer solchen Apologie auf ein selbstständiges Mecklenburg haben die deutschnationalen Rechten ihr Ansehen leichter steigern können als mit weniger populären Sanierungsplänen. Die Rückbesinnung auf Heimat und Scholle bot ihren Wählern letzten Endes Orientierungshilfen in den unsicheren Zeiten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels der Weimarer Moderne. Auch Friedrich Hildebrandt, von Beruf Landarbeiter und Wortführer der NSDAP im Schweriner Landtag, knüpfte an diese vormodernen Identifikationsmuster an. Die Weimarer Republik verglich er mit einem kranken Organismus, dessen Wasserkopf Berlin und die Parteienplutokratie waren und der nur durch „den Ansturm der kleinen (gesunden) Zellen“ vor dem „jüdischen Marxismus“ gerettet werden könne.159 Als „gesunde“ Zellen sah Hildebrandt die norddeutschen Agrarländer an, die er im Gegensatz zur Großstadtmetropole Berlin zu den eigentlichen Kulturzentren Deutschlands verklärte.160 Es deutet auch in Mecklenburg einiges darauf hin, dass die Nationalsozialisten von der besonderen Krise der mittel- und norddeutschen Kleinstaaten profitieren konnten. Wie in Thüringen, Braunschweig und Oldenburg etablierte sich im Schweriner Landtag eine starke Landtagsfraktion der NSDAP, die in einer Koalitionsregierung mit den Deutschnationalen seit Juli 1932 den Ministerpräsidenten der Regierung Walter Granzow stellte.161 Nach der Machtübernahme wollten sich die regionalen NS-Führer nicht einfach über die Länderstruktur hinwegsetzen. So hat Gauleiter Hildebrandt nach seiner Ernennung zum Reichsstatthalter und Regierungskommissar die Möglichkeit einer Vereinigung Mecklenburgs zunächst sondiert und dazu Verhandlungen mit den ehemaligen deutschnationalen Vertretern sowie mit den Standesgruppen der Ritterschaft, dem Landbund und der Handwerks- und Handelskammer geführt.162 Die Gleichschaltung beider Länderparlamente 157 von Waldow (DNVP), Mecklenburg-Strelitz, 5. Landtag, 6.2.1930, Sp. 1185. 158 Der Vorsitzende der deutschnationalen Fraktion des Landtages Everling, in: Landeszeitung, 1. Beilage, 21.5.1932, S. 1. 159 Mecklenburg-Schwerin, 6. Landtag, 12.7.1929, Sp. 91. 160 Ebd., 5.2.1930, Sp. 725ff. 161 Im Juni 1932 hatte die NSDAP bei den Landtagswahlen 49 % erreicht, die DNVP 9,1 %, Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 98; Behrens, Aufstieg des Nationalsozialismus in Mecklenburg und Lübeck, S. 140. 162 BAB R 43 II / 1351 Reichsstatthalter Hildebrandt an Adolf Hitler, Schwerin 26.7.1933.

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machte schließlich den Weg dafür frei. Am 13. Oktober 1933 beschlossen die beiden Landtage im Fürstensaal des Rostocker Rathauses den Zusammenschluss der beiden Länder Schwerin und Strelitz, der zu Jahresbeginn 1934 erfolgte. Wie einst Versailles das Gründungssymbol des Deutschen Reiches wurde, propagierten nun die lokalen NSDAP-Führer die Rostocker Vereinigungsfeier zum Ausgangsort des „Dritten Reiches“, das Strelitzer „Völklein“ wurde zum „leuchtenden Beispiel“ für den nationalsozialistischen Staat.163 Hildebrandt hat sich auch um einen Anschluss Lübecks an Mecklenburg bemüht. 1937 wurde der Stadtstaat Lübeck jedoch als Ausgleich für die Gebietsabtretungen in der Groß-Hamburgfrage preußisch.164

Schaumburg-Lippe und Lippe Obwohl die sozialdemokratischen Regierungen in beiden Lippes nach 1918 nicht daran glaubten, dass die beiden Länder langfristig mehr als ein Provisorium sein könnten, zögerten sie, gegen die Stimmung in der Bevölkerung den Anschluss an Preußen energisch zu betreiben.165 1918/19 griffen sie zunächst die Absichten Hugo Preuß’ auf, die norddeutschen Kleinstaaten zu lebensfähigen Einheiten, nach Wahlkreisen zu einem Staatenhaus mit mindestens zwei Millionen Einwohnern zusammenzuschließen. Nach dem Vorbild der thüringischen Einigungsbewegung zielten die Überlegungen auf einen Zusammenschluss beider Lippe mit Waldeck-Pyrmont und hessischen wie preußischen Gebietsteilen zu einer neuen Gesamtrepublik. Die unrealistischen Weserstaatspläne,166 mit denen sich ein Ausschuss der Zentralstelle für die Neugliederung des Reiches befasste, scheiterten bereits im Ansatz an den unüberbrückbaren Differenzen zwischen den beiden lippischen Ländern. Besonders galten sie für die wirtschaftlichen Ausrichtungen in dieser Region, die sowohl in das 163 Mecklenburg-Strelitz, 7. Landtag, 13.10.1933, Sp. 34. 164 BAB R 43 / 1351 Reichsstatthalter Hildebrandt an Adolf Hitler, Schwerin, 7. November 1933; über das Groß-Hamburg-Gesetz Helge bei der Wieden, Die Reichsreform als Aufgabe. Der geschichtliche Hintergrund zum Groß-Hamburg-Gesetz, in: BDLG 135 (1999), S. 123–152. 165 Ernst Böhme, Schaumburg und die Gründung des Landes Niedersachsen, in: Hubert Höing (Hg.), Vom Ständestaat zur freiheitlich-demokratischen Republik. Etappen in Schaumburg, Melle 1995, S. 220. 166 Zur Schaffung einer „Weserfestung“ vgl. Heinrich Hunke, Lippe und seine Stellung in der Reichsreform. Eine wirtschafts- und verkehrsgeografische Untersuchung, Hannover 1932 und zu den Weserstaatsplänen Neumann, Politischer Regionalismus und staatliche Neugliederung, S. 90–96.

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niedersächsische als auch in das rheinisch-westfälische Industriegebiet führten. In ihrer Administration waren beide Länder zudem in unterschiedlichem Grad von Preußen abhängig.167 Die Neugliederungskommission des Reiches kam 1922 zu dem Ergebnis, dass „eine Notwendigkeit zur Veränderung der staatsrechtlichen Grundlagen des Landes Lippe zur Zeit nicht vorliege“.168 Während damit die Eigenständigkeit Lippes für eine unbestimmte Dauer gesichert schien, wurde für Schaumburg-Lippe die Vereinigung mit Preußen empfohlen, konkret eine Angliederung an die Provinz Hannover. Schaumburg-Lippe war als Spottbild der Kleinstaatlichkeit bekannt. Der Fläche nach zweitkleinstes und der Einwohnerzahl nach kleinstes Herrschaftsgebiet hatte das Land seit dem 19. Jahrhundert immer wieder als Sinnbild für Partikularismus und Duodezherrlichkeit herhalten müssen.169 Dennoch misslang ein Anschluss an Preußen gleich zweimal während der Weimarer Republik.170 Dies lag nicht allein daran, dass die bürgerlichen Parteien eine Aversion gegen das „rote Berlin“ pflegten, sondern auch an der SPD, die in Schaumburg-Lippe bis auf wenige Jahre immer Regierungspartei war. Seit dem Kaiserreich konnte sie auf eine starke Anhängerschaft bauen. Dieses sozialdemokratische Milieu kann wie im Falle anderer Weimarer Länder dafür verantwortlich gemacht werden, dass sich die Bevölkerung eng mit dem Kleinstaat identifizierte.171

167 Siehe Heinrich Hunke, Lippe und seine Stellung in der Reichsreform (1932). Die Gegensätze brachen erneut auf, als die Briten im Juni 1945 Schaumburg-Lippe dem wieder eingesetzten Landespräsidenten von Lippe, Heinrich Drake, unterstellten. Der Protest gegen diese Personalunion ist beschrieben von Behr, Um die staatliche Selbständigkeit Lippes und Schaumburg-Lippes, S. 55f., Ursula Rombeck-Jaschinski, Heinrich Drake und Lippe, Düsseldorf 1984, S. 198f. 168 BAB R 43 I / 1861 Bericht der Kommission an die Zentralstelle für die Gliederung des Reiches, Bl. 175ff. 169 Hermann Löns, Duodez als unveröffentlichtes Manuskript erschien 1924 in der Zeitschrift Jugend 32 (1924), S. 817ff., außerdem die Satire von Georg Grabenhorst, Der Raum Schaumburg-Lippe, Bd. 1: Grundlagen und Zusammenhänge aufgrund außerordentlich exakter wissenschaftlicher Forschungen unvoreingenommen dargestellt von Erik von Nordenskjöld, Flensburg 1932. 170 Gerhard Knake, Preußen und Schaumburg-Lippe 1866–1933, Hildesheim 1970, S. 127–192; Neumann, Politischer Regionalismus und staatliche Neugliederung, S. 181–198. 171 Karl Rauchschwalbe, Geschichte der lippischen Sozialdemokratie, Bielefeld 1979 und den Tagungsbeitrag von Karl-Heinz Schneider (2006), Zwischen Fürstentum und sozialdemokratischem Freistaat. Konzeptionen kleinstaatlicher Existenz zwischen 1866 und 1933 am Beispiel Schaumburg-Lippes, vgl. Wolfgang Brandes, Tagungsbericht:

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Waren in Schaumburg-Lippe für den Anschluss an eine preußische Provinz zunächst vor allem die administrativen Verflechtungen mit Preußen geltend gemacht worden, traten bald auch finanzielle Probleme des Landes in den Vordergrund. Nach 1918 reichten die geringeren Erträge aus dem Staatsbesitz nicht aus, um die schwache Steuerkraft des Landes auszugleichen. Straßenunterhaltung, Rechtspflege, das Schul- und Bildungswesen und die soziale Fürsorge waren aus Landesmitteln kaum noch zu finanzieren. Anschlusswünsche gingen 1920 daher zunächst von der sozialdemokratischen Regierung aus.172 Seit 1923 unterstützte auch der Landtag entsprechende Verhandlungen mit Preußen. Im Januar 1924 fanden in Bückeburg dazu erste Gespräche mit dem preußischen Innenminister Carl Severing statt. Sie wurden nach den Landtagswahlen von 1925, in denen die SPD vorübergehend die absolute Mehrheit verlor, von den bürgerlichen Mitgliedern der neuen Regierung fortgeführt.173 Auch sie hielten mit ihrer Meinung nicht zurück, dass Schaumburg-Lippe die Voraussetzungen fehlten, um alleine existieren zu können. Es sei demnach nicht „sehnsuchtsvolle Liebe“, die die kleinen Länder in Preußens „Arme treibt“, sondern die Sorge, „dass Schaumburg-Lippe ein verarmtes verkümmerndes Staatsgebilde“ werde.174 Da die Alternative eines Anschlusses an ein selbstständiges Niedersachsen in weite Ferne gerückt war, nachdem die deutsche Verfassungsdiskussion gegen eine Aufteilung Preußens verlief, erschien die preußische Lösung für Schaumburg-Lippe als einzige Option. Die Gründe für die 1926 in einer Volksabstimmung knappe Ablehnung des Projektes waren demgegenüber vielschichtig.175 Was als „Beispiel für andere“ gelten sollte, war in seinem technokratischen Anliegen nicht zu einer Herzensangelegenheit der Bevölkerung geworden, Die „preußische Periode“ in Niedersachsen – ein Zwischenspiel? (abgerufen am 1.9.2011). 172 Denkschrift der Schaumburg-Lippischen Landesregierung über einen Anschluss des Staates Schaumburg-Lippe an Preußen, o. O. 1920. 173 Karl Heinz Schneider, Der schaumburg-lippische Landtag und seine Abgeordneten, in: Hubert Höing (Hg.), Vom Ständestaat zur freiheitlich-demokratischen Republik. Etappen in Schaumburg, Melle 1995, S. 157; Dieter Poestges, Die Frage eines Anschlusses an Preußen im Parteienstreit 1918 bis 1926, in: Schaumburg-Lippische Mitteilungen 1982, S. 5–55. 174 Soll Schaumburg-Lippe an Preußen angeschlossen werden? Darlegungen der Schaumburg-Lippischen Landesregierung, Minden 1926, S. 12. 175 Am 6.6.1926 beteiligten sich 68,6 % der Wahlberechtigten in Schaumburg-Lippe an der Volksabstimmung. 46,7 % stimmten dem Anschluss an Preußen zu, 53,3 % lehnten ihn ab.

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und auch die indifferente Haltung des Bückeburger Landtages war kaum zu übersehen. Die Sozialdemokraten wünschten zwar wie die in der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft vereinigten Parteien eine Volksabstimmung, damit die Diskussionen um die Zukunft des Landes endlich zur Ruhe kämen. Sie nahmen aber selbst keine Position dazu ein. Die Appelle des sozialdemokratischen Staatsrates Erich Steinbrecher, Gefühle zurückzuhalten, und stattdessen nüchtern „einer Welt der rauen Wirklichkeit“ Rechnung zu tragen,176 blieben wirkungslos.177 Programmatische Grundüberzeugungen der SPD für die Reichseinheit waren der Bevölkerung auf diese Weise nur schwer zu vermitteln. Wie sehr Emotionen mitspielten, wurde in den Landtagsdebatten deutlich: „Seit Großvaters Zeiten ist Schaumburg ein selbständiges Land und hat sogar sein eigenes Militär gehabt … Stolz sind unsere Väter auf den weißen Kittel und den roten Rock gewesen. Die äußere Schale hat sich allerdings im Laufe der Jahre gewandelt, der Kern aber, das Herz, ist das alte, d. h. schaumburglippische. Sollen wir unser schaumburg-lippisches Herz nun verleugnen und unser Väter Erbe an Preußen verschenken? … Noch sind wir frei und selbständig, noch sind wir eigene Herren auf eigenem Boden! Wollen wir denn Preußenknechte werden?“178 Angesichts der Stabilisierung der Weimarer Republik nach der „Umwälzungspsychose“ und der Nachkriegskrise blickten die Anschlussgegner wieder optimistischer in die Zukunft. Sie waren überzeugt, dass die Engpässe des seit Jahrhunderten existierenden Kleinstaates nicht mehr als eine ephemere Krise sein konnten.179 Auch in Lippe bestanden erhebliche Bedenken gegen einen großpreußischen Staat, dessen Schwergewicht man nicht durch einen Anschluss des eigenen Landes vermehren wollte.180 So fand Heinrich Drake, Sozialdemokrat im Landespräsidium, bei den eigenen Genossen keine Unterstützung, als er im März 1920 mit dem preußischen Staatsministerium unverbindliche Verhandlungen über die Eingliederung Lippes in Preußen aufnahm. Entsprechende Sondierungen behielten auch später einen zweifelhaften Ruf „als sozialdemokratisches Komplott in groß-preußischen Interessen“.181 Drake blieb das Ende der Selbstständigkeit 176 Rede des Staatsrats Steinbrecher in der Sitzung des Schaumburg-Lippischen Landtags vom 17.2.1926, in: Soll Schaumburg-Lippe an Preußen angeschlossen werden?, S. 19 (Anlage 3). 177 Behr, Um die staatliche Selbständigkeit Lippes und Schaumburg-Lippes, S. 60. 178 Landtagsverhandlung, Bückeburg 13.7.1925. 179 Bolte, Weshalb wir Schaumburg-Lipper bleiben, S. 15. 180 Sollen wir preußisch werden?, in: Volksblatt, Detmold 19./20.9.1920. 181 Lippische Zukunftsfragen, in: Hannoversche Landeszeitung, 12.2.1924.

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Lippes dennoch ein ernstes Anliegen. Sie sollte aber nur auf dem Altar des Vaterlandes geopfert werden, wenn sich daran die gewünschte Reichseinheit und eine lebenskräftige Selbstverwaltung anschlössen. Eine Aufgabe der Eigenständigkeit unter allen Umständen und zum Nutzen eines vergrößerten Preußen lehnte er vehement ab.182 Insbesondere wandte er sich gegen den Versuch, „den Einzelstaaten nicht verfassungsmäßig, sondern durch das Röhrchen der Steuer- und Finanzgesetze das Lebenslicht auszublasen“183. So trat Drake einerseits zwar für die Beseitigung der „patriarchalisch konservativen deutschen Henkeltöpfchen“184 ein, andererseits aber machte er den Paragraphen 35 des Finanzausgleichsgesetzes nutzbar. Danach sollte jedem Land, dessen Steueranteile aus den eigenen Einnahmen hinter dem Reichsdurchschnitt um mehr als zwanzig Prozent zurückblieben, der Fehlbetrag bis zu dieser Zwanzig-Prozent-Grenze erstattet werden. Außer Lippe konnten aus dieser Bestimmung noch weitere Länder, darunter auch Bayern, einen Anspruch auf Zahlungen ableiten.185 Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, war der Anschluss an Preußen für die Wirtschaft des Landes kein Thema. Hinsichtlich seiner Steuerkraft stand Lippe im Reich zwar an letzter Stelle, das galt aber auch für die Realsteuerbelastung. Anders als in Hessen, den Mecklenburg oder Schaumburg-Lippe drohte Lippe kein Staatsbankrott. Ein Gutachten des Reichssparkommissars fand 1930 an der Verwaltung wenig auszusetzen.186 In der Anschlussfrage ist Lippe daher nie in ein so konkretes Stadium getreten wie Schaumburg-Lippe. Nach wiederholten Interventionen der preußischen Regierung, die wie im Falle Schaumburg-Lippes auf eine rasche Entscheidung drängte, entschied das Lippische Landespräsidium 1927 klar gegen die Aufgabe der Eigenständigkeit.187 Wie sehr die öffentliche Meinung und Identitätsfragen in kleinen Ländern wie den beiden Lippes unterschätzt wurden, hatte bereits ein Bericht des preußischen Ministerialdirektors Nobis an die Zentralstelle für die Neugliederung des Reiches zum Ausdruck gebracht. Danach schwangen erheblich mehr 182 Heinrich Drake, Die Verwaltung des lippischen Landes, in: Hermann Niebuhr (Bearb.), Der Anschluss Lippes an Nordrhein-Westfalen. Behauptung und Ende staatlicher Selbständigkeit 1802/3–1947, Detmold 1984, S. 105f. 183 Ebenda. 184 Heinrich Drake, Landespolitische Zeitfragen, in: Lippischer Kalender, Detmold 1926, S. 53. 185 Rombeck-Jaschinski, Heinrich Drake, S. 109–120. 186 Gutachten des Reichssparkommissars über die Landesverwaltung Detmold 1930, besonders S. 215. 187 Eine Haltung, die auch dokumentiert war in der Schrift von Bröker, Lippe als selbständiger Staat oder Anschluß an Preußen? (1926).

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sachlich-nüchterne Motive und emotionale Momente mit, als es die Berliner Politik wahrnehmen wollte: „Die weit verbreitete Anschauung, dass mit dem Fortfall der dynastischen Interessen die Kleinstaaten sozusagen automatisch verschwinden würden, ist ein psychologischer Irrtum. Auch nach Fortfall des Fürstenhauses ist die Anhänglichkeit an die alt gewohnten, oft recht behäbigen Verhältnisse der Heimat eine tiefgehende. Man spricht wohl viel von der Notwendigkeit einer Änderung, aber wenn es ernst wird, scheut man vor der Preisgabe lieb gewonnener Dinge zurück. In dieser Anhänglichkeit liegen meines Erachtens gemütliche Werte des deutschen Volkes, die man besonders in unserer materiellen Zeit nur aus zwingenden Gründen aufgeben sollte, ihre Erhaltung lohne jedenfalls, einige verwaltungstechnische Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen.“188

Waldeck Die Kündigung des Akzessionsvertrages mit Waldeck war eine unmittelbare Reaktion Preußens auf die Abstimmungsniederlage in Schaumburg-Lippe 1926. Ein Schritt, bei dem sich die Regierung Braun vollkommen im Klaren darüber sein musste, dass so der Anschluss Waldecks erzwungen werden würde. Die Begründung, man wolle Waldeck die Möglichkeit geben, „frei von jedem preußischen Einfluss seine Verfassung und Regierungsform nach den Erfordernissen der Reichsverfassung zu gestalten“189, erschien daher unverhohlen zynisch. Seit Preußen 1868 die Verwaltung übernommen hatte,190 kannte Waldeck nur noch eine sehr eingeschränkte Selbstständigkeit, so dass dem ehemaligen Fürstentum nach der Angliederung der Exklave Pyrmont an Preußen 1921191 derselbe Weg gewiesen worden war. Der Akzessionsvertrag

188 Zit. nach HStAD 10702 / 12 Anschluss kleiner Länder an Preußen, Memorandum Ministerium des Innern an die Staatskanzlei, Dresden 21.10.1927, Bl. 132. 189 GStAPK I. HA. Rep. 84 a / 9874 Kopie der Kündigung des Akzessionsvertrages vom 30.6.1926. Zur Rückwirkung der Abstimmung in Schaumburg Lippe Carl Severing, Mein Lebensweg, Bd. 2, Köln 1950, S. 89. GStAPK I. HA. Rep. 84a / 9874 Sitzung des preußischen Staatsministeriums, 15.6.1926. 190 Gerhard Menk, Das Ende des Freistaates Waldeck. Möglichkeiten und Grenzen kleinstaatlicher Existenz in Kaiserreich und Weimarer Republik, 2. Aufl., Bad Arolsen 1998, S. 29ff. 191 Am 30.11.1921 wurden die Stadt Pyrmont und der umliegende Bezirk auf Grund eines Volksentscheides aus dem Freistaat aus- und der preußischen Provinz Hannover eingegliedert, im Detail dazu Menk, Das Ende des Freistaates Waldeck, S. 91–108.

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galt bereits im Kaiserreich als eine „staatsrechtliche Ungeheuerlichkeit“, da er allen Souveränitätstheorien nach der Reichsgründung widersprach.192 Obwohl mit dem Ende der Monarchie eine tragende Säule Waldeck-Pyrmonts wegfiel, setzte erst relativ spät, und zwar im Vorfeld der Landtagswahlen, Anfang März 1919, die rege Diskussion um die Zukunft des Landes ein. Umstritten blieben die Alternativen eines eigenständigen Landes, GroßhessenPläne und die Anschlussoptionen an preußische Provinzen.193 Die Ende 1920 gebildete Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches, die Waldeck als einen ihrer wichtigsten Fälle auserkoren hatte, plädierte mit Rücksicht auf das „waldeckische Gemeinschaftsgefühl“ für eine Vereinigung mit der Provinz Hessen-Nassau und gegen die Option einer Verbindung mit der Provinz Westfalen. Ein Anschluss an Preußen wurde jedoch ausdrücklich an die Befragung der Waldecker geknüpft, ungeachtet des Umstandes, dass ihre Zustimmung kaum zu erwarten war. Die Kommission lehnte jeden „Druck auf die beteiligte Bevölkerung“ als „nicht im Geiste der Reichsverfassung“ stehend ab.194 Fortan sah sich Waldeck dennoch Begehrlichkeiten preußischer Nachbarkreise gegenüber, die in dem Freistaat eine zu verteilende Gebietsmasse sahen. In Waldeck blieben die Weimarer Parteien SPD und DDP in der Minderheit, da sie – obwohl ihre Mitglieder und Anhänger in der Anschlussfrage selbst geteilter Auffassungen blieben – für den Weg nach Preußen standen. Der Landbund, die Deutschnationalen und die Deutsche Volkspartei wollten hingegen den status quo der Beziehungen zu Preußen „wenn irgend möglich aufrechterhalten“. Neben einer eigenen Gesetzgebung, die den Besonderheiten der dominierenden Land- und Forstwirtschaft mit ihren kleinen und mittleren Betrieben Rechnung trug – zum Beispiel durch eine geringe Grundsteuer –, spielte auch die Verfügung über den Anteil an der Reichseinkommenssteuer mit, den Waldeck erhielt. Die Größe des Landes wurde als überschaubar geschätzt: Für den Fall eines Anschlusses an Preußen drohe nicht nur „die Unbequemlichkeit, weitere Wege zum Sitze der Verwaltungsbehörde zu machen“, sondern auch ein Verlust an Bürgernähe. So wollte man nicht auf die drei Landräte verzichten, welche „in ständiger enger Fühlung mit der Gesamtbe192 Accessionserfahrungen im Fürstentum Waldeck, in: Grenzboten 32 (1873), S. 361– 368, S. 378. 193 Zu den in Waldeck bestehenden außerordentlich vielfältigen Meinungen in der noch als offen empfundenen Neugliederungsdebatte 1919 siehe Menk, Das Ende des Freistaates Waldeck, S. 51–66, 73–77. 194 BAB R 43 I / 2317 Bericht der Zentralstelle für die Gliederung des Reiches für die Frage 2: Waldeck-Pyrmont, Berlin 10.11.1921, S. 6f.

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völkerung“ stünden und auf die spezifischen Interessen der drei Landkreise und Kommunalverbände Waldecks eingehen könnten.195 Zur Identitätsstiftung trug auch die rege Erinnerungspolitik eines um die Jahrhundertwende gegründeten Waldecker Geschichtsvereins bei, dessen Publikationen die Pflege des Heimatgedankens als besonders erstrebenswertes Ziel hervorhoben.196 Trotz der überwiegenden Ablehnung in Waldeck versuchte Preußen in den 1920er Jahren den Anschluss dennoch zu beschleunigen. Es lehnte 1923 und 1926 nicht nur einen eigenen Verfassungsentwurf der Waldecker Landesvertretung197 als Zeugnis einer anhaltenden Eigenständigkeitspolitik ab, sondern entzog mit der Kündigung des Akzessionsvertrags von 1867 Waldeck auch die finanziellen Zuschüsse zu seiner Verwaltung. Mit dem eher erzwungenen Anschluss 1929 brachte Preußen seinen ersten größeren Gebietsgewinn seit Bestehen der Weimarer Verfassung unter Dach und Fach. Die Politik der Regierung Braun gegenüber Waldeck hatte dabei ausgeprägte programmatische Züge. Der Anschluss sollte nur der Auftakt einer Lösung des norddeutschen Kleinstaatenproblems sein. Im Reichsrat warb Preußen für den „Anfang einer gesunden und wirtschaftlichen Flurbereinigung“. Zudem forderte der preußische Ministerpräsident, dass die kleinen Länder eine Selbstständigkeit mit allen ihren Konsequenzen, mit allen Vorteilen, aber auch allen Nachteilen erhalten sollten.198 Die preußische Argumentation aus der Finanz- und Verwaltungsperspektive erwies sich dabei als wenig stichhaltig. Wenn nämlich die Frankfurter Zeitung, aber auch die Berliner Börsenzeitung übereinstimmend feststellten, dass sich finanziell mit dem Anschluss so gut wie nichts ändere, war einem der herausragenden Argumente Preußens die Spitze genommen.199 Auch die Haltung der Waldecker Regierung, die das Ende der Eigenständigkeit als „Naturnotwendigkeit“ hinnahm, erschien dementsprechend wenig überzeugend. Die Vorbehalte der Bevölkerung blieben bis zu den Anschlussfeierlichkeiten am 1. April 1929 virulent. Entgegen ursprünglichen Planungen schickte die Regierung Braun daher vorsorglich nur ein kleines Aufgebot an Politikern und Spitzenbeamten. Die Frankfurter Zeitung berichtete über „Ein

195 Ebenda. 196 Christian Fleischhauer, Schwarz-Rot-Gold. Waldeckisches Heimatbuch. Ein Lesebuch für jung und alt, 2. Aufl., Bad Wildungen 1925. 197 Der Entwurf ist abgedruckt in: Menk, Ende des Freistaates Waldeck, S. 288–301. 198 GLAK 236 /29116 Bericht des badischen Vertreters im Reichsrat Honold, 8.11.1928 und GStAPK, I. HA Rep. 90 A / 3021 Eingliederung Waldecks in Preußen 1928. 199 Ab Sonntag ist Waldeck preußisch, in: Berliner Börsenzeitung, 29.3.1929.

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frostiges Hochzeitsfest“, auf dem der preußische Innenminister Grzesinski mit unüberhörbaren Pfiffen und eisigem Schweigen empfangen worden sei.200 In Waldeck wurde nicht nur das Ende einer langen staatlichen Tradition wahrgenommen. Auch das Prinzip der Volkssouveränität, das seit 1918 zum Legitimationsprinzip schlechthin erhoben wurde, schien verletzt. Im Lichte einer verweigerten Volksabstimmung und des abgeschnittenen Weges zur Restauration der Monarchie verbanden sich mit dem Mediatisierungstrauma gleich mehrere problematische Aspekte für die Akzeptanz der Weimarer Ordnung.201 Die preußische Regierung musste daher auch etwas gegen den Eindruck unternehmen, der Anschluss sei ein Rechts- und Traditionsbruch für Waldeck. Eine durch Berlin und Kassel inszenierte größere Ausstellung über das „Land Waldeck“, die am 1. April 1929 in der ehemaligen Landeshauptstadt Arolsen eröffnet wurde, reduzierte die Geschichte überwiegend auf die preußisch-waldeckischen Beziehungen seit dem frühen 19. Jahrhundert und schlug die Brücke in erster Linie zur preußischen Provinz Hessen-Nassau. Das offizielle Erinnerungsunternehmen umwarb den ehemaligen Kleinstaat, der dabei durchaus mit Respekt behandelt wurde.202 Im Geleitwort des Ausstellungskataloges war die Rede von der „geschichtliche(n) Formung Deutschlands“ und „der Mannigfaltigkeit seiner Gliederung“, der „Fülle und Vielstrebigkeit der geistigen Energien“, durchweg jedoch mit einer unitarischen Note versehen, die Regionalität ausschließlich „auf das Ganze des nationalen Daseins“ bezog.203 Während der Anschluss aus waldeckischer Sicht ein nicht unbedingt befriedigendes Ergebnis der Neugliederungsdebatte darstellte, sah dies aus der Berliner Perspektive freilich anders aus. Die lange wirkungslos gebliebene Debatte der Neuordnung des Reiches hatte einen neuen Impuls erhalten. Anders als im Fall der thüringischen Landesgründung 1920 durfte sich Preußen außerdem als Nutznießer der Veränderung fühlen. Der Anschluss Waldecks 200 Ein Grund für die Ablehnung Grzesinskis lag in seiner früheren Rolle als Vorsitzender der Kasseler Räteregierung, die 1918 in Waldeck-Pyrmont die Absetzung des Fürsten Friedrich erzwungen hatte, vgl. GStAPK I. HA Rep. 84 a Nr. 9875 Frankfurter Zeitung, 2.4.1929. 201 Zur Abkehr des Fürstenhauses von alten Traditionen und ihrer Verbindung mit dem Nationalsozialismus, Menk, Das Ende des Freistaates Waldeck, S. 238–261. 202 Weder das Fürstenhaus noch die ehemalige Landeshauptstadt, die sich als Verlierer des Anschlusses sahen, beteiligten sich mit Exponaten und zeigten eine ostentative Zurückhaltung gegenüber der Ausstellung, vgl. ebenda, S. 230–233. 203 Geleitwort des Kasseler Kunsthistorikers Karl Luthmer in: Land Waldeck. Wanderausstellung, veranstaltet vom Museumsverband für Kurhessen und Waldeck, Kassel 1929.

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lag ganz auf der Linie derjenigen Zentralisierungstheoretiker, die Preußen seit dem 19. Jahrhundert als den Dreh- und Angelpunkt aller Einigungsbestrebungen ansahen. Mit dem absehbaren Ende des Freistaates schwand insbesondere der Alpdruck der preußischen Abstimmungsniederlage in Schaumburg-Lippe. Allen Unkenrufen zum Trotz, schien in diesem Fall ein vorläufiger Beweis der zentripetalen Funktion Preußens erbracht.

5.2. Eigenständigkeit im Reichsinteresse – Die Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck Die drei Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck verband das Interesse am Außenhandel und an der Schifffahrt. Die protestantischen Großstädte teilten zudem eine Jahrhunderte alte gemeinsame Geschichte, die republikanische Regierungsform und das Regierungssystem der Senatsverfassung. Das Kräftespiel europäischer Mächte hatte die vielfach geltend gemachten Rechtsansprüche der Hansestädte gesichert. Zu allen Zeiten war ihre Unabhängigkeit jedoch ein gefährdetes Gut. Nachdem Bremen, Hamburg und Lübeck nicht in die Konkursmasse des Alten Reiches geraten waren, hatten sie sich daher stets bemüht, ihre untergegangene Reichsfreiheit in zeitgemäßer Form zu erneuern und verfassungsrechtlich abzusichern. Der traditionelle Wunsch nach politischer Neutralität und Handelsfreiheit behielt nach den Erfahrungen mit dem napoleonischen Hegemonialsystem einen hohen Stellenwert, denn die lieb gewonnene Vorstellung von unantastbaren Handelsimperien gehörte seitdem endgültig der Vergangenheit an.204 Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges waren die gemeinsamen Interessen Hamburgs, Bremens und Lübecks von der „Hanseatischen Gesandtschaft in 204 So Senator Vermehren in einer Ansprache am 4.6.1926 zur 700-Jahrfeier der Reichsfreiheit in Lübeck, in: AdHL IV 1 B 2 Die Siebenhundertjahrfeier Lübecks als freie Reichsstadt 1926. Zur Behauptung der Selbstständigkeit der Hansestädte im 19. und 20. Jahrhundert vgl. auch Gerhard Ahrens, Die freien Hansestädte zwischen Bedrohung und Selbstbehauptung, in: BDLG 132 (1996), S. 1–12; Wolf D. Gruner, Die gerettete Selbständigkeit. Überlegungen zur Geschichte der Hansestadt Bremen seit den Transformationsprozessen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in: Thomas Stamm-Kuhlmann (Hg.), Geschichtsbilder, Wiesbaden 2003, S. 60–84; ders., Hamburg und die Hansestädte in der Frühgeschichte des Deutschen Bundes (1815–1825). Zwischen internationaler Neutralität und deutschem Sonderbund, in: Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 2 (1988), S. 73–115 und Gerhard Schneider, Gefährdung und Verlust der Eigenstaatlichkeit der Freien und Hansestadt Lübeck und seine Folgen, Lübeck 1986.

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Berlin“ vertreten worden. Sie war das für die drei Hansestädte bedeutendste Instrument einer einheitlichen Einflussnahme auf die Gesetzgebung und Politik des Kaiserreiches gewesen, wenngleich eine Rivalität zwischen Hamburg und Bremen fortbestand. Vor allem die zunehmende Konkurrenz der nach Westeuropa und Übersee ausgerichteten Häfen zwang die Gesandten wiederholt, für beide Städte getrennt abzustimmen. Bremen, das sich oft durch Alleingänge Hamburgs düpiert fühlte, setzte in der Weimarer Republik schließlich das Ende der Hanseatische Gemeinschaft durch, das wohl nicht zu Unrecht als das „einschneidendste Ereignis in der Geschichte der Hansestädte seit 1630“205 bezeichnet worden ist. Es ist schwer abzuschätzen, wie weit die Position der Hansestädte im Reich durch die Aufhebung ihrer gemeinsamen Berliner Gesandtschaft 1920 tatsächlich geschwächt worden ist, besaßen sie doch mit vier Stimmen im Reichsrat gemeinsam so viel Einfluss wie Württemberg.206 Im Vergleich zu seinem distanzierten Verhältnis gegenüber Bremen verband Hamburg mehr mit Lübeck. Die geringere Entfernung beider Städte, ihr im Unterschied zur Weserstadt gemeinschaftliches Bekenntnis zum lutherischen Glauben und schließlich die fehlende Wettbewerbssituation der beiden Nord- und Ostseehäfen boten bessere Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Politik.207 Zur Weimarer Zeit hat es jedoch kein engeres Bündnis zwischen den drei Hansestädten mehr gegeben. Es fanden keine regelmäßigen Zusammenkünfte, höchstens noch sporadische Konsultationen statt. Ebenso existierte auch kein bündiger Katalog von wichtigen politischen und wirtschaftlichen Vorhaben. Eine Besonderheit bildeten jedoch die Absprachen in Fragen der Reichsreform und das gemeinsame Vorgehen Hamburgs und Bremens auf der Länderkonferenz 1928. Beide Bürgermeister, Donandt und Petersen, erreichten, dass die Frage der Selbstständigkeit der Hansestädte von keiner Seite in Zweifel gezogen wurde. Sie argumentierten dabei weniger historisch, sondern rückten vor allem die wirtschaftliche Bedeutung der Hansestädte in den Vordergrund. Ihre Stellung als Hafenorte und Handelsplätze sowie ihre Bedeutung für den Überseehandel wurden unabhängig von jeder künftigen Staatsform herausgehoben. Die unterschiedlichen Staatstheorien wurden vorwiegend nach dem Maß an Selbstverwaltung beurteilt, welches sie den drei Hansestädten garantieren würden. Im Politischen waren sie seit 205 Ebenda, S. 3. 206 Ahasver von Brandt, Das Ende der Hanseatischen Gemeinschaft. Ein Beitrag zur neuesten Geschichte der Hansestädte, in: HGBll 74 (1956) S. 65–96 und Holger G. Hasenkamp, Die freie Hansestadt Bremen und das Reich 1928–1933, Bremen 1981, S. 41f. 207 Ahrens, Die Freien Hansestädte zwischen Bedrohung und Selbstbehauptung, S. 2f.

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jeher auf eine neutrale Position bedacht und ließen sich nur ungern in grobe Alternativen einspannen. Auch in der Reichsreformdiskussion befleißigten sie sich daher einer strikten Neutralität gegenüber allen außerhalb ihrer Ziele und Einflusssphären liegenden Problemen und Lösungsangeboten. Weder wurden die Bürgermeister der Hansestädte ihrem Ruf gerecht, ausgesprochene Unitarier zu sein, noch ließen sie sich bindend in die Nähe einer föderalen Interessengruppierung rücken.208 Ihre Selbstständigkeit haben die Hansestädte denn auch weniger durch ein prinzipielles Eintreten für föderale Verfassungspositionen zu schützen gesucht als in der Betonung eines Sonderstatus unter den Ländern, der ihnen vor allem die Entscheidungen in Handelssachen und ein selbst bestimmtes Gemeinwesen ermöglichte. So nahm der Bremer Bürgermeister Martin Donandt den Standpunkt ein, dass Bremen seine staatliche Selbstständigkeit nicht, wie manche der früheren monarchischen Kleinstaaten, geschichtlichen Zufälligkeiten verdanke, sondern den besonderen Aufgaben, die es in Welthandel, Schifffahrt und Hafenbau für Deutschland zu erfüllen habe. Diese Argumentation griff die Forderung der Weimarer Verfassung auf, wonach die Gliederung des Reiches in Länder „den wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistungen des Volkes dienen“ sollte.209 Der Gedanke, dass ein blühender Handel der Nerv aller Dinge sei, verfehlte seine Wirkung im Reich nicht. Nicht allein, dass die deutsche Seegeltung ein politisches Lieblingskind der kaiserlichen Reichsregierung gewesen war. Es mochte auch einleuchtend sein, dass die Leitung von Hafenstädten nicht von einer ortsfremden und verständnislosen Bürokratie abhängig sein durfte, sollte sie zu effektivem Handeln befähigt sein.

Hamburg Die Enge des Hamburger Territoriums kontrastierte mit der rasanten Entwicklung der Stadt. Ihr Einfluss auf die umgrenzenden preußischen Gemeinden, die Interessen bei der Nutzung und Erschließung der Elbe, ihrer Nebenarme und Abzweigungen hatten seit der Vereinigung Hannovers und Schleswig208 So zum Beispiel die Richtlinien über die Stellung Bremens zur Reichsreform im Januar 1929, die erste Fassung stammt vom 15.2.1928, vgl. Hasenkamp, Hansestadt Bremen, S. 90; Gruner, Die gerettete Selbständigkeit, S. 76f. und auch die Memoiren des Bremer Bürgermeisters und Senators Theodor Spitta, Aus meinem Leben, München 1969, S. 307ff., der als maßgeblicher Verfasser der Bremer Landesverfassung von 1920 gilt. 209 WRV, Artikel 18.

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Holsteins Verhandlungen über die gemeinsame Ländergrenze mit Preußen nötig gemacht. Der Köhlbrandvertrag von 1908 zwischen der Hansestadt und dem Hohenzollernstaat regelte zwar eine Reihe wichtiger Punkte, aber als endgültige Regelung galt dieser Staatsvertrag nicht.210 In der Hoffnung auf einen deutschen Sieg, von dem Preußen territorial profitieren würde, meldete Hamburg daher im Zusammenhang der deutschen Kriegszieldebatte des Ersten Weltkrieges erstmals den Wunsch an, sein Stadtgebiet über die aus dem Mittelalter überkommenen Grenzen hinaus zu erweitern. Der Senat verwies auf die zunehmende Bedeutung Hamburgs als Welthandelsplatz und die Entwicklung zur Großstadt, infolgedessen ausreichender Raum für kommunale Einrichtungen und Wohnanlagen benötigt werde.211 Als nach der Kriegsniederlage des Reiches von preußischen Gebietsgewinnen und entsprechenden Kompensationsansprüchen der Bundesstaaten nicht mehr die Rede sein konnte, fanden die Erweiterungspläne Hamburgs in der Neugliederungsdiskussion eine neue Grundlage. Eine Arrondierung des Hamburger Stadtgebietes um preußisches Territorium besaß in gewissem Maße Modellcharakter für stadtstaatliche Reformbestrebungen im Weimarer Bundesstaat. Das wirtschaftliche Leistungsvermögen Hamburgs wurde zudem so eng mit der Grenzfrage verknüpft, dass der Senat behauptete, „in nicht mehr ferner Zeit ohne Hinzunahme nichthamburgischen Geländes nicht mehr in der Lage zu sein“, die Erfordernisse von Handel und Schifffahrt ausreichend befriedigen zu können.212 Im Wesentlichen wurden in den 1920er Jahren drei zwingende Gründe für eine Vergrößerung Hamburgs ins Feld geführt: Erstens reiche das vorhandene Territorium nicht aus, um für eine wachsende Bevölkerung neue Siedlungen planen zu können. Zweitens fehle es Hamburg an ausreichend und geeignetem Gelände für die Ansiedlung von Industrie. Und drittens behindere die Grenzlage Hamburgs zu Preußen einen weiteren Ausbau des Hafens zur Befriedigung eines wachsenden deutschen Welthandels.213 Allein im Zeitraum zwischen 1889 und 1919 hatte sich die Bevölkerung im Stadtgebiet von 548 000 auf 999 860 nahezu verdoppelt und die Millionengrenze erreicht. Die Nachkriegszeit brachte eine weitere Zunahme der Bevölkerung im Stadtgebiet. Wich210 Werner Johe, Territorialer Expansionsdrang oder wirtschaftliche Notwendigkeit? Die Groß-Hamburg-Frage, in: ZVHG 64 (1978), S. 150f. 211 Karl-Heinz Janssen, Macht und Verblendung. Kriegszielpolitik der deutschen Bundesstaaten 1914/18, Göttingen 1963, S. 55. 212 Die Meinung des Hamburger Senats wurde durch ein Gutachten des Staatsrechtlers Rudolf Laun gestützt, BAB R 43 I / 1861. 213 Johe, Groß-Hamburg-Frage, S. 174.

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tige preußische Vororte wie das dicht besiedelte Altona blieben jedoch vom Untergrund- und Eisenbahnnetz ausgeschlossen. Die Hamburger Grenze zerschnitt auch Autobus- und Taxameterdroschkenrouten.214 Im Süden der Stadt waren die Gegensätze von Land zu Land noch am ehesten sichtbar, wie ein Zeitgenosse in seinen Eindrücken vom „Hamburg-preußischen Kampfgebiet“ schilderte: „Ein eigenartiger Zauber empfängt den Besucher, der sich von der ‚Landesgrenze‛ mit dem preußischen Adler und dem Hamburger Wappen her Wilhelmsburg nähert: in das politische Rokoko des 18. Jahrhunderts gekleidet, grüßt ihn der wirtschaftliche Realismus des 20. Jahrhunderts. Vergebens wird man vielleicht im ganzen Vaterland einen zweiten Flecken suchen, auf dem ländliche und industrielle Kultur, konservativer Stillstand und moderner Fortschritt auf engem Raume so beieinander wohnen …“215 In der Einsicht, dass territoriale Gebietsansprüche gegen Preußen nur schwer durchsetzbar sein würden, wurde die Funktion Hamburgs für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Reiches herausgestrichen. Die Liste der Leistungen und patriotischen Verdienste der Hansestadt, die der Senat zur Rechtfertigung seines GroßhamburgPlanes anführte, war entsprechend lang: Hamburgs Handel vertrete Deutschland in der Welt, durch hanseatischen Unternehmungsgeist würden die Güter der Welt Deutschland nutzbar gemacht. Eine Einschränkung der wirtschaftlichen Entwicklung Hamburgs durch preußische Landesgrenzen bedeute dementsprechend eine erhebliche Verletzung von Reichsinteressen. Nicht nur dem Senat erschien der Wunsch Hamburgs als vollkommen berechtigt, „sein Gebiet um die Flächen zu vergrößern, deren es … bedarf, um nicht einen Stillstand oder gar Rückschritt zu erleiden, um vielmehr seine Stellung im Reiche und in der Welt und damit deutschen Handel und Verkehr aufrecht zu erhalten und weiter zu entwickeln.“216 Nach der Konstituierung der Nationalversammlung kam es zu ersten Kontakten zwischen der preußischen Regierung und dem Hamburger Senat, der, ermutigt durch den ersten Verfassungsentwurf und die darin enthaltene Neuglie-

214 GStA PK, VI. HA N1 Otto Braun, A 54 / 1 Druckschriften zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1927–1930, Denkschrift über die Entwicklung des großhamburgischen Städtegebietes o.V., o. D., S. 3. 215 Fahrt durch das hamburg-preußische Kampfgebiet. Ein erschauter Beitrag zur GroßHamburg-Frage, in: Hamburger Blätter (17/18), 7.5.1927. 216 BAB 43 I / 1861 Denkschrift über die Notwendigkeit einer Erweiterung des hamburgischen Staatsgebiets vom 7.12.1915.

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derungsabsicht Hugo Preuß’, ein Maximalprogramm an Forderungen vertrat.217 1920 wurde die Groß-Hamburg-Frage der beim Reichsministerium geschaffenen Zentralstelle für die Gliederung des Reiches überwiesen. Ihre Gutachten sollten Preußen und Hamburg eine Einigung erleichtern.218 In der erstmals öffentlichen Debatte verhärteten sich indessen die Fronten. Die Vertragsentwürfe wurden immer perfektionistischer und zugleich unüberschaubarer, je öfter sich die Gutachter mit dem Problem befassten. Die Positionen Preußens und Hamburgs blieben hingegen eindeutig und waren durch nichts zu erschüttern. Preußen strebte eine verwaltungsorganisatorische Lösung an und bevorzugte die gemeinsame Erschließung und Ausnutzung des preußischen Geländes für die Hafen- und Siedlungsentwicklung, mit der Option, eine preußisch-hamburgische Verwaltungsgemeinschaft auf das gesamte Gebiet der Elbe auszudehnen. Erst unter dieser Voraussetzung zeigte sich die preußische Regierung zu einem Austausch von Territorien willens. Hamburg bestand dagegen auf einer Abtretung preußischer Gebiete an Hamburg ohne Gegenleistung. Bei diesem Stand der Dinge wurden die Verhandlungen 1926 ergebnislos abgebrochen. Bürgermeister Carl Petersen war durch die preußische Reichsreformpolitik alarmiert. Er erkannte darin den Versuch, die Lebensfähigkeit Hamburgs einzuschränken, damit seine staatliche Eigenständigkeit zu untergraben und schlussendlich „durch die Aufsaugung der norddeutschen Kleinstaaten ein Großpreußen“ als Kern eines deutschen Einheitsstaates zu verwirklichen.219 Die preußische Regierung hingegen weigerte sich, die weitgehende Identifizierung der Interessen Hamburgs mit dem Reich anzuerkennen. Die Einordnung der Hamburger Wünsche in ein vermeintliches Reichsinteresse wurde als folgenreicher propagandistischer Schachzug empfunden, der Preußen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit den Verzicht auf Teile seines Territoriums zumutete. Bereits der preußische Ministerpräsident Stegerwald wollte nicht

217 StAH 111–1.26 Cl.IVLit A Fasc. 4 Denkschrift über die Notwendigkeit einer Erweiterung des hamburgischen Staatsgebiets, 7.4.1919 und Fred S. Baumann, GroßHamburg, Hamburg 1919. 218 Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass eine Lösung im deutschen Interesse liege. Ihre Vorschläge beschränkten sich jedoch auf eine verwaltungsorganisatorische Lösung, lediglich in Bezug auf die Hafenerweiterungswünsche kam sie den Hamburger Wünschen nach einer territorialen Erweiterung des Stadtgebietes entgegen, vgl. BAB R 43 I / 2269 Gutachten der Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reichs vom 24.1.1922. 219 StAH 111–1.26 Cl. IV Lit A Fasc. 22 Petersen betr. die Groß-Hamburg-Frage.

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hinnehmen, dass eine deutsche Landesregierung „in amtlicher Form und öffentlich Anspruch auf Gebietsteile eines anderen deutschen Landes“ erhebt.220 Der Interessenkonflikt wurde akribisch, aber ebenso öffentlichkeitswirksam ausgetragen. Verwies die Berliner Regierung auf die durch hansestädtische Lastkraftwagen „in Grund und Boden gefahrenen“ preußischen Provinzialstraßen, revanchierte sich Hamburg mit dem Vorwurf, die preußische Bürokratie verschleppe abgeschlossene Verträge zum Nachteil Hamburgs. Um dem eigenen Standpunkt deutschlandweit Gehör zu verschaffen eröffnete der Senat eine Presse-Kampagne. Eine „Arbeitsgemeinschaft Groß-Hamburg“ wurde ins Leben gerufen. Sie konnte über eine eigene Schriftenreihe verfügen, welche der Bevölkerung die territorialen Wünsche des Senats zu vermitteln suchte.221 Mit taktischem Geschick und einer vorzugsweisen Behandlung von Journalisten gelang es Hamburg dabei, die deutsche Presse fast ausnahmslos auf seine Seite zu ziehen. Das betraf selbst die allgemeine Stimmungslage in Berlin, die der für Neugliederungsfragen zuständige preußische Staatskommissar Südekum 1922 so charakterisierte: „Alles, was Hamburg wünscht, ist bis zum Beweis des Gegenteils als berechtigt anzuerkennen; alles was Preußen in dieser Frage etwa einwendet, ist bis zum Beweis des Gegenteils unbedingt als partikularistisch, engherzig und ohne Verständnis für die deutschen Gesamtinteressen zu beurteilen.“222 Teil dieser offensiven Kommunikationsstrategie des Hamburger Senats war eine Denkschrift, die im September 1921 gedruckt, allen Landesregierungen sowie der Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches beim Reichsinnenministerium zugesendet wurde. Auf 65 Seiten wurden hier die territorialen Ansprüche Hamburgs ausgebreitet und durch ein umfangreiches Karten- und Bildmaterial untermauert.223 Die nördlich an Hamburg grenzenden preußischen Gemeinden traten aufgrund der engen Bindungen an die Hansestadt für einen Zusammenschluss ein. Durch eine direkte Teilhabe am Wirtschaftsleben Hamburgs versprachen sie sich auch eine Verbesserung ihrer finanziellen Lage. Eine Variante dieser 220 StAH 111–1.26 Cl.IVLit A Fasc. 7 Schreiben des preußischen Ministerpräsidenten Stegerwald an den Senat, in dem er auf die Verbreitung der Denkschrift des Hamburger Senats reagierte, 4.10.1921. 221 Material und Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft in: StAH 135–1 I-IV / 1023 Schriftwechsel der Arbeitsgemeinschaft Groß-Hamburg 2.1919–1923, Bde. 1–3. 222 Ausführungen des preußischen Staatskommissars Südekum vor der Presse am 6.1.1922, in: Ebenda, Bd. 1. 223 StAH 111–1.26 Cl. IV Lit A Fasc. 10 Großhamburg. Denkschrift des Hamburger Senats, Hamburg 1921.

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Haltung vertrat der Altonaer Bürgermeister Schnackenburg. Er schlug vor, Hamburg in Preußen aufgehen zu lassen und einer so geschaffenen „autonomen preußischen Großprovinz Hamburg“ eine Sonderstellung einzuräumen.224 Insgesamt aber überwogen in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein die Stimmen, die einen Verzicht auf preußisches Land entschieden ablehnten. Die Provinz hatte bereits den Verlust Nordschleswigs im Gefolge des Versailler Vertrages zu verkraften und wollte unter diesen Umständen nicht auch noch auf den wirtschaftlich potenten und bevölkerungsreichen südlichen Teil verzichten. Auch in der Provinz Hannover fanden sich kaum Fürsprecher für die Hamburger Wünsche. Eine Überlassung hannoverscher Gebiete an Hamburg wäre vor allem der vom Regierungspräsidenten Gustav Noske bekämpften Deutsch-Hannoveraner Partei entgegengekommen, die eine Verkleinerung ehemals welfischen Territoriums zum willkommenen Anlass für eine Intensivierung der Autonomiebestrebungen in Hannover genommen hätte. Die Regierung Braun und die Provinzialvertretungen Preußens wollten daher die Sonderwünsche der Gemeinden nicht vertreten. Die Situation der hamburgischen Nachbarstädte suchten sie stattdessen durch umfangreiche Eingemeindungen zu verbessern.225 Die Groß-Hamburg-Frage ist exemplarisch für das ausgeprägte Misstrauen und Konkurrenzdenken der Länder, das zu einem erheblichen Teil dem Bewusstsein ihrer fragilen Eigenständigkeit geschuldet war. Sie war in der Weimarer Republik nicht mehr sicher und fest verankert, was die öffentliche Debatte der Reichsreformdiskussion unterstrich. Dass die Länder in einer ihrer wichtigsten Aufgaben versagten, und zwar die Ausbalancierung von politischen und wirtschaftlichen Gegensätzen in Deutschland zu erleichtern, hat zugleich die unitarischen Tendenzen beflügelt.226 Pragmatische Lösungen einer interstädtischen Zusammenarbeit, welche die Planung eines gesamten Städtegebietes und die Verbesserung der Infrastruktur vorangetrieben hätten, konnten kaum oder überhaupt nicht ausgeschöpft werden.227 Wie schwer solche Vereinbarungen zustande kamen, zeigte der 1928 gefundene Kompromiss 224 BAB 43 I / 2269 Votum Schnackenburgs zum Gutachten der Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches vom 24.1.1922. Die Zentralstelle lehnte den Vorschlag ab. 225 Zum Diskussionsverlauf ausführlich Johe, Groß-Hamburg-Frage, S. 161–170. 226 Die ältere Forschung, die der Argumentation der einseitigen Treuepflicht der Länder folgt, hatte stets Mühe gehabt, die tiefen Konflikte zwischen den Ländern zu erklären. Von einer vermeintlich mangelnden Identifikation Hamburgs und Preußens mit dem Reich ausgehend auch Johe, ebenda, S. 169. 227 GStAPK, VI. HA N1 Otto Braun A 54 / 1 Denkschrift über die Entwicklung des großhamburgischen Städtegebietes o.V., o.D., S. 4.

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eines Hafengemeinschaftsvertrages zwischen Hamburg und Preußen, der nicht ohne Ironie als „Locarno an der Unterelbe“228 bezeichnet wurde. Hamburgs Interessen an einer Reform des Bundesstaates lagen in der Behauptung und Erweiterung seiner politischen Bewegungsfreiheit als reichsunmittelbare Industrie- und Hafenmetropole. Bürgermeister Petersen glaubte dies am Besten in einem künftigen dezentralisierten Einheits- und Selbstverwaltungsstaat ohne ein mächtiges Preußen sichern zu können. Unter dem Motto „Wir sind bereit unsere Flagge einzuziehen, aber nur um die Reichsflagge, nicht um die preußische Flagge dafür zu hissen“229, rekurrierten Hamburgs Vorstellungen auf das von Hugo Preuß in der Verfassungsdiskussion projizierte Modell einer Republik der Selbstverwaltung, in der sich lokale und zentrale Regierung zusammenfügten. Daran anschließend zeigte sich eine gewisse Affinität zu Denkmodellen kommunaler Spitzenverbände, die an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Bedeutung städtischer Ballungszentren ausgerichtet waren und die den Länderföderalismus durch eine Art föderalen Munizipalismus zu ersetzen suchten.

Bremen Von der Weser aus ist im Unterschied zu Hamburg mehr als einmal offiziell und inoffiziell betont worden, dass „Bremen sich in seinem Hafengebiet wie überhaupt in seinen politischen Grenzen saturiert“230 fühle. Dabei wurde geltend gemacht, dass Bremen ohne seine historisch gewachsene Selbstständigkeit nicht in der Lage gewesen wäre, „seine Seegeltung zu erringen und zu behaupten“. Eine daraus abgeleitete Aufgabe für den globalen Handel wurde höher gewichtet als die „Schwierigkeiten, die sich aus den Landesgrenzen und den nachbarlichen Gegensätzen früher oder später“ ergeben hätten. Die Eigenständigkeit Bremens galt als Preis, „der alles in allem doch nicht zu hoch“ sei.231 228 Bremer Volkszeitung, 7.12.1928. 229 StAH 111–1.26 Cl. IV Lit A Fasc. 20 Petersen auf der Tagung der demokratischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder Preußens, Hamburgs und Bremens am 12.12.1926 im alten Rathaus von Hannover, Bl. 5–8. 230 Johann Müllershausen, Die Stellung Bremens im Reich, in: Deutsche Presse 19 (1929), S. 290, ebenso Thalenhorst, Bremen im Rahmen einer Neugliederung, S. 19ff. 231 StAB 3-R.1.a.469 Memorandum der Senatskommission für Reichs- und auswärtige Angelegenheiten, Bremen 21.7.1928; Zur Politik Bremens Gruner, Die gerettete Selbständigkeit, S. 60–84.

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Nervosität gegenüber dem eigenen Schicksal nährten in Bremen die Konflikte an der Unterweser, die verschiedene Pläne für eine Neugliederung in diesem Raum beförderten. Danach musste die Hansestadt damit rechnen, in einem Küstenstaat aufzugehen oder auf den Status einer „Provinzstadt innerhalb eines Bezirkes Niedersachsen“232 abzufallen. Eine Lösung der Probleme Bremens mit seinen Nachbarn, die sich aus der gemeinsamen Lage an der Weser ergaben, wurde wie in der Groß-Hamburg-Frage durch das Souveränitätsdenken der Länder zusätzlich erschwert. Eine Folge waren langwierige Verhandlungen mit Preußen und Oldenburg über den Ausbau der Weser als Zufahrtsweg der Seeschifffahrt oder mit Thüringen und Braunschweig über die Verchlorung des Bremer Trinkwassergebietes durch die Kaliindustrie an den Zuflüssen Werra, Leine und Aller. Einer länderübergreifenden Kommunalplanung und Wirtschaftsförderung im Raum Bremerhaven-Wesermünde stand zudem die preußisch-bremische Rivalität in diesem Küstenraum entgegen.233 Aus der Sicht des Bremer Senates lag die Schuld daran bei der preußischen Regierung, der sie vorwarf, eine „von Wesermünde ausgehende, auf eine Einverleibung Bremerhavens gerichtete Agitation“ zu unterstützen. Von daher wachte der Bremer Senat mit Argusaugen über die Landesgrenze zu Preußen. Eine Änderung des Status quo in diesem Gebiet würde nicht nur die Zerstörung des „bremischen Hafenorganismus“ bedeuten, sondern letzten Endes eine „Schwächung der seewirtschaftlichen Stellung Deutschlands“ herbeiführen.234 Der Bremer Bürgermeister Spitta mahnte 1926 zur Umsicht, weil die „preußische Politik darauf ausgeht, Bremen und Bremerhaven so einzuschließen, dass sie in Preußen aufgehen müssen“. Zur Verständigung über jegliche Fragen war der Bremer Bürgermeister erst bereit, „wenn die Gedanken einer Vergewaltigung der Hansestädte aus der preußischen Politik ausscheiden und Preußen davon durchdrungen ist, dass die Hansestädte selbständig bleiben müssen“.235 Ein wunder Punkt in den Anstrengungen Bremens lag in dem dauernden Bestreben, eine Gleichstellung mit Hamburg zu erreichen. Der Umstand, dass in den Ausschüssen der Länderkonferenz von den drei Stadtstaaten nur Ham232 Quer durch die deutschen Vaterländer, in: Kölnische Zeitung, 30.12.1928, S. 1. 233 StAB 3-R.1.a.469 Memorandum der Senatskommission für Reichs- und auswärtige Angelegenheiten, Bremen 21.7.1928. 234 Ebenda. 235 StAB 3-R.1.a.359 Tagung der demokratischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder Preußens, Hamburgs und Bremens zur Erörterung des Unterelbe- und des Unterweser-Problems am 12.12.1926 in Hannover, Bl. 17.

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burg vertreten war, sorgte beim Bremer Senat für Anspannung. Zweifel an der Hamburger Loyalität und der Versicherung eines gemeinsamen Vorgehens wurden deutlich in der Bitte, einen Zuhörer Bremens in die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Länderkonferenz entsenden zu dürfen und – als dies abschlägig beschieden wurde – in der Suche nach einem vertrauenswürdigen Informanten. Ausgerechnet der preußische Verhandlungsführer Arnold Brecht erklärte sich daraufhin bereit, „Bremens Ohr“ im Verfassungsausschuss zu sein. Brechts Lösungsvorschläge gingen ohne Weiteres davon aus, dass die im Gemenge mit den preußischen Provinzen bestehenden norddeutschen Kleinstaaten territorial zusammengeschlossen werden würden und dass die ihrer Selbstständigkeit entkleideten Hansestädte lediglich einige Sonderrechte erhalten sollten.236 Zu einer Solidarisierung Bremens mit den anderen norddeutschen Kleinstaaten kam es in der Länderkonferenz nicht, denn eine Bundesgenossenschaft mit Oldenburg, den Mecklenburg oder Anhalt war kaum mit dem Bestreben Bremens vereinbar, sich unter Hinweis auf seine Sonderstellung als Hansestadt für eine unterschiedliche Behandlung zu profilieren. Gegenüber dem Oldenburger Ministerpräsidenten Finckh äußerte sich der Bremer Bürgermeister Donanth unverblümt: „Bremen hat als Stadtstaat und räumlich Kleinstes unter den deutschen Ländern seine staatliche Selbständigkeit niemals als Selbstzweck, sondern immer nur als Vorbedingung für die Aufrechterhaltung seiner Seehafenstellung betrachtet. Es erstrebt daher für sich bei der Reichsreform eine Regelung, die ihm für seine Seehafen-Aufgaben die erforderliche Bewegungsfreiheit und die erforderliche finanzielle Leistungsfähigkeit sichert. Unsere Stellung zu der schwebenden Frage ist deshalb etwas anders wie die der anderen deutschen Länder.“237 Unausgesprochen blieb, dass Bremen die als notwendig anerkannte Reichsreform als gescheitert ansah, „wenn gerade die kleineren Länder Norddeutschlands, wenn auch nur als Länder neuen Rechts, erhalten blieben“.238 In der Folgerichtigkeit dieses politischen Konzeptes sagte der Bremer Senat eine Teilnahme an der Konferenz der kleinen Länder im Dezember 1929 in Schwerin ab, die schließlich unter der beachtlichen Teilnahme nord- und mitteldeutscher Länder stattfand und die eine Interessengemeinschaft in 236 StAB 3-R.1.a.359 Schreiben Brechts vom 28.1.1929 und AdHL NSA I 13 B Arnold Brecht, Vorschläge für die Änderung des Verhältnisse des Reiches zu den Ländern auf der Länderkonferenz 22.10.-24.10.1928, S. 7. 237 StAO 131 / 9 Donandt an Ministerpräsident Finckh, 29.11.1929. 238 StAB 3.-R.1.a.359 Notiz Bürgermeister Donandt über ein Gespräch mit dem oldenburgischen Ministerpräsidenten Finckh, 23.11.1929.

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Reichsreformfragen anbahnen sollte. Die Bremer Lokalpresse spottete über den „Klub der norddeutschen Länder“ und stellte befriedigt fest, dass sich der eigene Senat an den „Sonderbestrebungen“ nicht beteiligte: „Wenn ganz Kleine ganz große Politik machen wollen, geht die Sache gewöhnlich schief.“ Besonders hervorgehoben wurde die Teilung Mecklenburgs in zwei Freistaaten, deren Vereinigung bzw. Eingemeindung in das Reich als einzig vernünftiger Gedanke bezeichnet wurde. Auch der schlechte Leumund Mecklenburgs als vermeintlich rückständiges und industrieloses „plattes Land“ schlug in der Presse durch. Eine Länderkonferenz müsse erreichen, „dass endlich und zuerst diese beiden Bluts- und Kartoffelverwandten in einem Topf zu einem Block oder Brei zusammengekocht werden.“ Es sei dementsprechend kein Weltuntergang, „wenn ein Grenzpfahl zwischen zwei Kartoffeläckern verschoben würde“.239 Die lokale Presse wähnte Bremen in einer hanseatischen Interessenverbindung besser aufgehoben. Der Senat, so die Bremer Volkszeitung, „sollte sich hüten durch zweideutige Haltung Misstrauen zu erregen“, denn man könne nicht „unverbrüchliche Freundschaft gegen Hamburg markieren und in hochtrabenden Trinksprüchen hanseatische Verbundenheit und Bundestreue feiern und im Geheimen mit Mecklenburg … intrig(i)eren“.240

Lübeck Lübeck hielt sich für zu klein und einflusslos, um eine eigene Politik zu betreiben und war in der Reichsreform auf einen bündnisfähigen Partner angewiesen.241 Richtschnur seines Handelns war die Maxime, sich bei Unstimmigkeiten unter den beiden Schwesterstädten an der Seite Hamburgs zu halten.242 Im Vergleich zu den anderen beiden Hansestädten fielen die Zukunftsprognosen Lübecks jedoch eher düster aus. Hugo Preuß hatte in seinen Verfassungsüberlegungen ohne das große Preußen und ohne die kleinen Territorien gerechnet, für die Hansestädte aber wollte er eine Ausnahme gelten lassen. Hamburg und 239 StAB 3-R.1.a.359 Bremer Volkszeitung, 6.12.1929. 240 StAB 3-R.1.a.359 Bremer Volkszeitung, 5.12.1929. 241 Zur Behauptung der Eigenständigkeit Lübecks vgl. die sehr detaillierte Darstellung von Schneider, Gefährdung und Verlust der Eigenstaatlichkeit, S. 23–112; Hartmut Fuchs, Die Angliederung benachbarter Gebiete nach dem Ersten Weltkrieg, in: ZVLGA 52 (1972), S. 90ff. und Antjekathrin Graßmann (Hg.), Lübeckische Geschichte, 3. verbesserte und ergänzte Aufl. 1997, S. 685f., 703f., 714f. 242 Eine 16-Punkte-Liste für die Eigenständigkeit Lübecks in: Ernst Timm, Lübeck im Deutschen Reiche. Eine Denkschrift, Lübeck 1928, S. 41ff. mit der empfohlenen Anlehnung an Hamburg, S. 43f.

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Bremen sollten erhalten bleiben, weil der gute Klang des hanseatischen Namens im deutschen Außen- und Überseehandel und die Stadtrepubliken für eine Bewältigung der Kriegsfolgen als besonders wertvoll erschienen. Lübeck wurde dabei nicht erwähnt, woraufhin der Senat 1919 eine breit gestreute „Werbung für den Fortbestand der Selbständigkeit“ ins Leben rief, die auf die Bedeutung Lübecks und seiner Ostseewirtschaft fokussiert war.243 Das erfolgreiche Argumentationsmuster der beiden größeren Hansestädte „eine höchst wichtige nationalwirtschaftliche Spezialmission“ zu erfüllen, kehrte sich letzten Endes gegen Lübeck, dem der Anschluss an einen leistungsfähigen Nachbarn nahegelegt wurde. Im Gegensatz zu Hamburg und Bremen hatte Lübeck eine besondere volkswirtschaftliche Bedeutung nicht vorzuweisen, da die beiden preußischen Ostseehäfen Kiel und Stettin für den Ostseehandel ebenso bedeutsam waren. Die Stadt hatte im Kaiserreich zwar nochmals eine eindrucksvolle Wirtschaftsblüte erlebt, aber bereits im 19. Jahrhundert nicht mehr an die wirtschaftliche Dynamik früherer Jahrhunderte anknüpfen können. Lübeck galt von daher als bestes Beispiel dafür, dass „eine unmittelbar über Schiffsumschlag und Hafenverkehr wachende Landessouveränität kein Monopol auf eine wirklich überseeische Bedeutung“ mehr besäße.244 Für eine Ausformung des Weimarer Bundesstaates spielten in diesen Überlegungen gewachsene historische Einheiten gar keine Rolle mehr: „Jede eigene Staatssouveränität aber, und mag sie traditionell noch so wertvoll sein, wird doch in dem Augenblick zum allgemeinen Übel, indem sie aufhört, wirksame Kräfte zu entwickeln.“245 Die 700-Jahrfeier der Reichsfreiheit 1926 sollte schließlich die letzte große Präsentation Lübecks als selbstständiger Stadtstaat werden.246 243 Ein vom Lübecker Senat in Auftrag gegebenes Memorandum, das sich auf die Denkschrift Preuß’ bezog, wollte die Sonderstellung Bremens und Hamburgs auch für Lübeck gelten lassen, mit der Begründung, „daß der Name des Hauptes der alten Hanse in der Ostseewirtschaft nicht weniger hell klingt, als der Name der beiden Schwesterstädte im ozeanischen Verkehr“. Die Denkschrift wurde an die Nationalversammlung und den Staatenausschuss, die Ministerien des Reiches und der Bundesstaaten sowie an verschiedene Reichsverbände geschickt, AdHL NSA I 2/5 Lübeck im neuen Reich. Denkschrift im Auftrage des Senates verfasst von der Handelskammer zu Lübeck, Februar 1919, das Zitat S. 1. 244 StAB 4.49–411 / 83 Berliner Tageblatt und Handelszeitung, 3.9.1929. 245 Ebenda. 246 AdHL NSA IV 1 B / 2 Die Siebenhundertjahrfeier Lübecks als freie Reichsstadt 1926. Ein Lübecker Revisionsversuch für die Eigenständigkeit der Hansestadt nach 1945 scheiterte am Bundesverfassungsgericht (1956). Hamburg und Bremen traten neben den neun anderen Ländern dem Grundgesetz bei, das sie in alphabetischer Reihen-

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Indem die Weimarer Reichsverfassung die Aufzählung der Stadtstaaten umgekehrt hatte, trug auch sie in erheblichem Maße dazu bei, dass im Bewusstsein der Weimarer Zeitgenossen die traditionalen Elemente deutscher Bundesstaatlichkeit verblassten. Wurden bis dahin Lübeck (1226), Bremen (1646) und Hamburg (1768) nach dem Erwerb der Reichsstandschaft aufgeführt, gewichtete die Aufzählung 1919 nach demokratischen Prinzipien vor allem die Bevölkerungszahl. An erster Stelle stand demnach Hamburg, das sogar über zwei Stimmen im Reichsrat verfügte, gefolgt von Bremen und an letzter Stelle nun Lübeck.247 Zu den Anstrengungen Lübecks für die Erhaltung seiner Eigenständigkeit zählen die seit Anfang der 1920er Jahre unternommenen Versuche, sein Staatsgebiet zu erweitern. So förderte der Senat die Anschlussbestrebungen in der oldenburgischen Exklave Lübeck und er bemühte sich um den zum Land Mecklenburg-Strelitz gehörenden Landesteil Ratzeburg.248 Die von Lübeck betriebene Eigenständigkeitspolitik und seine territorialen Wünsche ließen in der Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches jedoch nur die Gegensätze in diesen Fragen hervortreten.249 Unter dem sozialdemokratischen Bürgermeister Paul Löwigt griff der Lübecker Senat außerdem die Idee eines größeren Kommunalverbandes mit Hamburg auf, um gegenüber der seit 1927 wieder belebten Erwartung einer Reichsreform aus der Reserve zu treten: „Vom Lübecker Standpunkt wird man anzustreben haben, daß entweder die drei Hansestädte in einer ihren besonderen handelspolitischen Aufgaben Genüge leistenden Form in kommunalpolitischer Sicht selbständig erhalten bleiben oder daß Lübeck einem größeren, die nordmärkischen Gebiete an Ost- und Nordsee umfassenden Kommunalverfolge unterzeichneten, vgl. Schneider, Gefährdung und Verlust der Eigenstaatlichkeit, S. 163–182. 247 WRV, in: Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 151–180. 248 AdHL NSA II, 2/13a Die politische Vereinigung der Provinz Lübeck mit der Freien und Hansestadt Lübeck. Denkschrift hg. von dem Lübecker Ausschuß für die Provinz Lübeck, o.J., Die Zukunft des oldenburgischen Landesteils Lübeck. Denkschrift im Auftrage des Stadtmagistrats und des Stadtrates der Stadt Bad Schwartau verfasst von Bürgermeister Gleiniger, Lübeck 1920, Gutachten betreffend die Angliederung benachbarter Gebietsteile an das Gebiet der Freien und Hansestadt Lübeck. Handelskammer zu Lübeck, im Mai 1921. Eine ausführliche Darstellung dieser Anschlussbestrebungen bietet Fuchs, Lübeck und die Angliederung benachbarter Gebiete, S. 90ff. 249 AdHL NSA II 2/13a Lübeck, Gutachten von Prof. Hermann Schumacher, Berlin, Januar 1923 und NSA III 1 B/18 Anschluss von Gebietsteilen Preußens, Oldenburgs und Mecklenburgs an Lübeck 1918–1928.

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band mit Hamburg als Mittelpunkt angegliedert wird.“ Diese beiden Möglichkeiten für die Behauptung eines hohen Maßes an Selbstverwaltung vor Augen empfahl ein Memorandum des Lübecker Senats „einen engeren Anschluß an Hamburg als das durch die Umstände Gebotene anzusehen“.250 Angesichts der preußischen Unnachgiebigkeit in der Grenzfrage war der Groß-Hamburg-Gedanke bereits an Lübeck herangetragen worden. Die 1927 gegründete Gesellschaft hanseatischer Kaufleute und Industrieller setzte sich zunächst pragmatische Ziele: Sie sollte die bestehende Eisenbahnverbindung verbessern, einen gemeinsamen Land- und Seeflughafen in Travemünde und den Bau einer Autobahn Hamburg-Lübeck fördern. Außerdem sollte die Gesellschaft in Hamburg für neue Wohn- und Industrieansiedlungen werben. Nach dem Beitritt von Hamburger und Lübecker Senatsmitgliedern intensivierte die Hamburg-Lübeck-Gesellschaft dann politische Strategien, die auf einen Zusammenschluss beider Hansestädte abzielten.251 Die im Schutz der Gesellschaft unauffällig geführten Verhandlungen zwischen den Regierungen gediehen bis zur Vorlage eines Verfassungsentwurfes des Landes „Freie und Hansestädte Hamburg-Lübeck“.252 Öffentlich bekannt wurden diese Vereinigungsschritte erst im Februar 1931, als die sozialdemokratischen Bürgerschaftsfraktionen eine Resolution zur Hamburg-Lübeck-Frage, die den Zusammenschluss beider Städte forderte, in ihrer Parteipresse veröffentlichten.253 Sowohl in Hamburg als auch in Lübeck wurde das Projekt als „Agitationsobjekt für die im nächsten Jahr stattfindenden Bürgerschaftswahlen ausgeschlachtet“,254 so dass ihm die bürgerlichen Parteien skeptisch begegneten. Im Licht der Medien und der Wahlen wurden zudem die Garantien Lübecks vor einer wirtschaftlichen Dominanz des ungleich stärkeren Partners 250 AdHL NSA III 1 A / 33 Richtlinien für die Beurteilung der Hamburg-Lübeck-Frage vom Lübecker Standpunkt, 4.6.1929, auch abgedruckt in: Schneider, Gefährdung und Verlust der Eigenstaatlichkeit, S. 193f. 251 AdHL NSA II, 2/13a Schreiben über die Ziele der Hamburg-Lübeck Gesellschaft vom Bremer Gesandten Meyer-Lüerßen an den Vorsitzenden des Lutherbundes, den ehemaligen Reichskanzler Luther, Berlin 5.7.1928 (Abschrift). 252 Zu den Details der Verhandlungen siehe Schneider, Gefährdung und Verlust der Eigenstaatlichkeit, S. 43–70. 253 Die von dem Lübecker Reichstags- und Bürgerschaftsabgeordneten Dr. Julius Leber aufgestellten Richtlinien wurden am 7.2.1931 in den SPD-Parteiorganen „Lübecker Volksbote“ und „Hamburger Echo“ veröffentlicht. Sie sind ebenfalls in ungekürzter Form abgedruckt bei Brandt, Das Ende der hanseatischen Gemeinschaft, S. 65 ff. und S. 82. 254 BHSTAM MA 1943 / 103 316 Bayerische Gesandtschaft, Berlin 19.2.1931.

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Hamburg hinterfragt. Dass Hamburg in seinen künftigen wirtschaftspolitischen Planungen und Entscheidungen den Hafen Lübeck und seine Industrien berücksichtigen würde, war vorerst nicht mehr als ein frommer Wunsch.255 Bürgerliche Redakteure und Politiker, die vormals für die kleinhanseatische Lösung eingetreten waren, wurden unsicher und wechselten sogar die Seiten. Einige sprachen sich für ein engeres Zusammengehen mit Preußen aus,256 andere plädierten für die Bildung eines neuen Ostseelandes aus Lübeck und Schleswig-Holstein oder aus Lübeck, dem oldenburgischen Gebietsteil Eutin, dem Kreis Herzogtum Lauenburg und den beiden Mecklenburg.257 Die relativ weit fortgeschrittenen Verhandlungen über einen Staat Hamburg-Lübeck scheiterten 1932, da der Hamburger Senat der kleineren „Schwesterstadt“ weder eine autonome Stellung noch die Abwicklung des Hamburger Ostseehandels über den Lübecker Hafen zusichern wollte.258 Fragwürdig bleibt, ob das Reich und Preußen dem Zusammenschluss der Hansestädte überhaupt zugestimmt hätten. Die preußische Regierung Braun hatte bereits durchblicken lassen, „dass Preußen eine zu weitgehende Verbindung Hamburgs mit Lübeck nicht dulden werde“.259 Für einen Versuch des Lübecker Senats, sich nach der Reichsexekution gegen Preußen mit der Regierung Papen einig zu werden, war es dann zu spät.260 In Berlin wurde die Reichsreform auf dem „Weg der kalten Unitarisierung“ fortgesetzt. Über die Einstellung der Reichsregierung Papen unterrichtete der Hamburger Bürgermeister Petersen seinen Amtskollegen Löwigt: Es sei beabsichtigt, „in Norddeutschland eine Reihe von Ländern wegen ihrer Lebensunfähigkeit und Kleinheit preußischen Provinzen zuzuteilen, Hamburg und Bremen würden ihre Selbständigkeit behalten, zweifelhaft sei es bei Lübeck“.261

255 AdHL NSA III 2 C / 29 Denkschrift „Die engere Verbindung als Gesamtproblem“, 1929. 256 Paul Geister, Lübecks Zukunft. Seine Stellung zur Reichsreform, zu Hamburg und Preußen, Lübeck 1931. 257 Gerhart Bartsch u.a. (Hg.), Nordmark. Die Ostseelösung für Schleswig Holstein, Lübeck, Mecklenburg. Eine Denkschrift zur Reichsreform, Rendsburg 1931. 258 AdHL NSA III 1A / 33 Sitzung des Senats vom 15.2.1932. Der Beschluss über die vorläufige Aussetzung der Verhandlungen mit Hamburg bedeutete ihr Ende. 259 AdHL NSA III 1A / 34 Bericht des Bremer Gesandten Meyer Lüerßen an Bürgermeister Löwigt, 17.3.1930. 260 AdHL NSA III 1A / 34 Verhandlungsangebot des Bremer Senates an das Reichsministerium des Innern, 4.10.1932. 261 AdHL NSA III 1A / 34 Schreiben Petersen an den Lübecker Bürgermeister, 14.10.1932.

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In der 1933 ausgelösten Ungewissheit über die Stellung der Länder im „Dritten Reich“ knüpften die Hansestädte noch einmal an Reichsreformdiskussionen der Weimarer Republik an, um auf funktionale und territoriale Veränderungen im Zuge der Gleichschaltungspolitik vorbereitet zu sein. Sie folgten damit den Hinweisen aus der Reichsregierung, welche die Hansestädte unter einem Reichsstatthalter stärker zusammenfassen wollte.262 Hamburg besaß in dieser Hinsicht die strategisch günstigste Position unter den Hansestädten. Zwischen Bremen und Lübeck liegend, verfügte es über eine eigene Gauleitung und durch seine rechtzeitige Hinwendung zur „nationalen Regierung“ auch über den Ruf, ein verlässlicherer politischer Partner zu sein als die beiden Schwesterstädte, deren Regierungsverhältnisse erst durch die Entsendung eines Reichskommissars an das Reich angepasst worden waren. Die Gunst der Stunde nutzend, wurde der hamburgische Gesandte Eiffe daher von seinem Senat angewiesen, die Ernennung des Hamburger Gauleiters Karl Kauffmann zum gemeinsamen Reichsstatthalter der Hansestädte zu betreiben.263 Gegen das Hegemoniestreben Hamburgs und in der frühen Einsicht, dass eine eigene Statthalterschaft für Bremen unrealistisch sei, suchten die regierenden Nationalsozialisten eine enge Bindung an Oldenburg. Der Vertreter Bremens beim Reich Fischer betonte, „daß die Freiheit Bremens und seine selbständige wirtschaftliche Weiterentwicklung unter einer Reichsstatthalterschaft, die in Hamburg ihren Sitz hat, endgültig begraben“ sei. Sollten die Gründe für die Selbstständigkeit Bremens nicht durchdringen, empfahl er „die Unterstellung unter Oldenburg als dem benachbarten, wirtschaftlich verwandten Weser-Ems-Gebiet“.264 Die Bremer Wirtschaft, soweit sie sich an der öffentlichen Diskussion beteiligte oder sich mit Zuschriften an die Regierungsstellen wandte,265 vertrat ebenfalls die Auffassung, wenn Bremen schon nicht mehr allein sein Schicksal bestimmen könne, sei es gewiss das kleinere Übel, unter eine Reichsstatthalterschaft Weser-Ems zu geraten. Ginge der „Vortragsweg über Hamburg“, warnte der Bremer Großkaufmann Ludwig Roselius die 262 So diskrete Hinweise aus dem Reichsministerium des Innern, „dass der Gedanke, für die drei Hansestädte einen Reichsstatthalter zu ernennen“, sich erheblich festgesetzt habe. StAB4.49–327 / 69 Bericht Dr. Firles an Reichskommissar Dr. Markert vom 10.4.1933. Die Bremer Presse setzte sich daraufhin mit der vertrauten Fragestellung „Bremen und die Reichsreform“ auseinander, in: Bremer Nationalsozialistische Zeitung, 9.4.1933 und Weserzeitung, 8.4.1933. 263 Baum, „Reichsreform“ im Dritten Reich, S. 38. 264 StAB 3-R.1.h.2 Schreiben Fischers an Reichskommissar Markert, 12.4.1933. 265 Zum Sprachrohr bremischer Wirtschaftsinteressen machte sich in der Zeit vom 7.4. bis zum 5.5.1933 namentlich die „Weser-Zeitung“.

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allgemeine Besorgnis artikulierend, so „würde in Bremens Straßen bald Gras wachsen“.266 Ein Konzept war die „Idee des Hansischen Bundes“. Es beruhte auf einer Denkschrift der nationalsozialistischen Parteileitungen und Bürgerschaftsfraktionen der Hansestädte aus dem Jahr 1931.267 Die Initiatoren Bremen und Lübeck strebten an, die Hansestädte gleichberechtigt und unmittelbar der Reichsstatthalterschaft Adolf Hitlers zu unterstellen. Der Weg über den Hansischen Bund bestach vor allem durch seine starke Ausrichtung auf die für die gesamte deutsche Wirtschaft bedeutsame Sonderstellung der Seehäfen. Insofern entsprach er durchaus dem traditionellen Selbstverständnis der drei Hansestädte. Der Versuch, an ihre alte Einigkeit anzuknüpfen, scheiterte, da Hamburg eine Vormachtstellung anstrebte, Bremen deutlich auf Distanz ging und nur Lübeck zur Vermittlung bereit abwartete. Die Verfassung des Hansischen Bundes war zudem äußerst kompliziert und daher mit der nationalsozialistischen Denkweise schwer vereinbar.268 Die Entscheidung Hitlers in der Statthalterfrage hielt sich letzten Endes an die Gaueinteilung: Am 5. Mai 1933 wurde Carl Röver zum Reichsstatthalter in Oldenburg und Bremen bestellt, in Hamburg am 16. Mai 1933 Karl Kaufmann. Am längsten ließ die Ernennung des Gauleiters Friedrich Hildebrandt für Mecklenburg-Schwerin, Lübeck und Mecklenburg-Strelitz auf sich warten. Sie fand erst am 26. Mai 1933 statt, also dem Tag der Vereidigung der Reichsstatthalter vor dem Reichspräsidenten in Berlin. Die Verbindung Bremens mit dem agrarischen Nachbarstaat Oldenburg war dabei eine Notlösung, die den „Grundsätzen der bremischen Politik“ wenig entsprach. Aus dem Widerstreit der wirtschaftlichen Interessen der Hansestadt mit der betont „partikularistisch-oldenburgischen“ Gesinnung des Reichsstatthalters Röver sollten dann auch bald die ersten Konflikte aufbrechen.269 Nach der Errichtung

266 StAB 3-R.1.h.2 Schreiben an Reichskommissar Markert, 11.4.1933. 267 StAB 3-R.1.h.2 Der Hansische Bund. Denkschrift der nationalsozialistischen Parteileitungen und Bürgerschaftsfraktionen der Hansestädte, entworfen von Werner Daitz, Lübeck April / Mai 1931. 268 Nach innen wurde ein Staatenbund und nach außen ein Bundesstaat mit einem Präsidium projiziert, das von Jahr zu Jahr zwischen Bremen, Hamburg und Lübeck wechseln sollte. Dem Reichskanzler sollte für den Geschäftsverkehr das Kollegium der Gesandten der Hansestädte in Berlin zur Verfügung stehen, wobei die Geschäftsführung jeweils von dem Gesandten wahrgenommen worden wäre, dessen Stadt gerade den Vorsitz im Bündnis inne hatte, vgl. ebenda. 269 Richard Duckwitz, Bremen zur Zeit der Demokratie und Diktatur. Erlebte Probleme und Lösungen, Bremen 1950.

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einer gemeinsamen Statthalterschaft strebte Röver die Eingliederung Bremens in einen künftigen Reichsgau Weser-Ems an.270 Die Absichten des Gauleiters Hildebrandt, nach der Vereinigung von Mecklenburg-Strelitz und Mecklenburg-Schwerin 1934 den parteipolitischen Gau durch eine Eingliederung Lübecks für einen Reichsgau zu prädestinieren, vereitelte 1937 das Groß-Hamburg-Gesetz. Lübeck wurde als Ausgleich für die Gebietserweiterungen Hamburgs preußisch.271

5.3. Mitteldeutschland als Idee – Thüringen, Sachsen und Hessen Der Begriff Mitteldeutschland entstammt wirtschaftlichen und administrativen Großraumplanungen und Integrationsanstrengungen. In den Neugliederungsprojekten der 1920er und 1930er Jahre trafen diese auf sehr disparate historische und kulturelle Identitäten und brachten entsprechend vielfältige territoriale Zuordnungen hervor. Bis heute kann die Frage kaum beantwortet werden, was den mitteldeutschen Geschichtsraum eigentlich von anderen Territorien abhob, denn über die bloße Mittellage hinaus lassen sich für mitteldeutsche Länder kaum eindeutige Bestimmungskriterien und Faktoren in Anschlag bringen.272

270 Hasenkamp, Hansestadt Bremen, S. 275–277. 271 Zur Entstehung des Groß-Hamburg-Gesetzes aus der Perspektive Lübecks im Detail Schneider, Gefährdung und Verlust der Eigenstaatlichkeit, S. 93–161. 272 Mathias Tullner, Die Entstehung der Konzeption von „Sachsen-Anhalt“ und das Problem der föderalen Neugliederung Mitteldeutschlands in der Zeit der Weimarer Republik, in: BDLG 131 (1995), S. 305–341; ders., Erhard Hübener und die Provinz Sachsen – Mitteldeutschland-Pläne und Reichsreform, in: Michael Richter (Hg.), Länder, Gaue und Bezirke. Mitteldeutschland im 20. Jahrhundert, Dresden 2007, S. 73–84 und Jürgen John, „Deutschlands Mitte“. Konturen eines Forschungsprojektes, in: Monika Gibas (Hg.): Mitten und Grenzen. Zu zentralen Deutungsmustern der Nation, Leipzig 2003, S. 108–144. In der Bundesrepublik wurde Mitteldeutschland als Sammelbegriff für die DDR-Gebiete und als Leitbegriff für entsprechend stellvertretende landeskundliche Forschungen und deren Beitrag zur kulturellen Einheit der Nation verwendet, in der DDR aus gleichem Grund abgelehnt. Im Zuge der Entspannungspolitik in den 1970er und 1980er Jahren zeigte sich ein kontaktbemühter Wandel im bundesdeutschen Gebrauch ab. Seit 1989 hat der Mitteldeutschlandbegriff in Bezug auf die neuen Bundesländer einen engeren Bezug erfahren und eine Renaissance erlebt, vgl. Jürgen John, Die Idee „Mitteldeutschland“, in: Richter (Hg.), Länder, Gaue und Bezirke, S. 25–33 und Rudolf Bentzinger, Mitteldeutschland, ein

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Die preußische Provinz Sachsen sowie die Länder Anhalt und Thüringen mit ihren hoch entwickelten Industriegebieten waren seit 1921 im „Wirtschaftsverband Mitteldeutschland“ zusammengeschlossen, der in Halle seinen Sitz hatte.273 Ursprünglich sollte dieser auch die Länder Sachsen und Braunschweig umfassen, die ebenso ein Teil der bis nach Hessen ausgreifenden imaginären mitteldeutschen Landkarte waren. In der Weimarer Bundesstaatsdebatte wurde diesem Raum eine ausgleichende und bindende Funktion für das Reichsgefüge zugeschrieben. Eine Vereinigung Thüringens und Sachsens zu einem mitteldeutschen Großstaat sollte zum Beispiel „eine Brücke“ zwischen dem Norden und dem Süden des Reiches schlagen und „etwaige Differenzen zwischen Preußen und Süddeutschland beheben“ helfen.274 Gegen großpreußische Reichsreformprojekte wurde insbesondere die sächsische Regierung Heldt aktiv, die über den ersten Schritt einer Verwaltungsgemeinschaft mit Thüringen, Hessen, Anhalt und Braunschweig ein sächsisch dominiertes Mitteldeutschland anstrebte. In ein konkretes Stadium gelangten jedoch lediglich Absprachen mit dem thüringischen Staatsministerium, durch die „ein mitteldeutsches Bollwerk gegen Preußen und den Reichszentralismus“275 errichtet werden sollte. Nach der Reichsgründung von 1871 und dem Untergang des preußischdeutschen Kaiserreichs 1918 bestanden für Dresden wieder Aussichten, an die Trias-Idee der sächsisch-bayerischen Politik des 19. Jahrhunderts und ihren konsensualen Föderalismus anzuknüpfen. Daher richtete sich die sächsische Landespolitik nach der Direktive, „zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten jonglieren und womöglich gar den Ausschlag geben, zugleich aber auch den gefürchteten deutschen Einheitsstaat verhindern“.276 Der sozialdemokratische Ministerpräsident Max Heldt (1924–1929), der den ersten Landesregierungen bereits als Minister angehört hatte, wollte die Schaffung „eines für Deutschlands Bestand unentbehrlichen Zwischengliedes“277, das die „Aufreibung des Nordens gegen den Süden“ verhindern und die Statik der

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Konstrukt?, in: Erik Gieseking (Hg.), Zum Ideologieproblem in der Geschichte, Lauf a. d. Pregnitz 2006, S. 95–106. Matthias Buchholz, Der Wirtschaftsverband Mitteldeutschland 1921–1936, Halle 1998. Gesamtministerium Altenburg (Hg.), Denkschrift betrifft die Frage eines „vereinigten Thüringens“ oder Sachsen-Thüringens“, Altenburg, 8.3.1919, S. 2, zit. nach Häupel, Die Gründung des Landes Thüringen, S. 81. Mitteldeutschland und Sachsen-Thüringen, in: Frankfurter Zeitung, 4.8.1928. Sächsische Außenpolitik, in: Kölnische Zeitung, 21.10.1928. Sachsen-Thüringen, das mitteldeutsche Zwischenglied, in: Allgemeine thüringische Landeszeitung, 8.8.1929.

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Republik durch einen „territorialen Balken Sachsen-Thüringen im Reich“278 sichern sollte. Der Erhalt Hessens und Thüringens lag daher im ureigenen Interesse Sachsens und der süddeutschen Länder, die beiden Ländern in dieser Frage sekundierten.279 Mehr Missfallen als Zustimmung löste demgegenüber die Chimäre einer sozialistischen Blockbildung aus. Zwar verfehlten die Treffen zwischen den linksrepublikanischen Regierungen Braunschweigs, Sachsens, Thüringens und Anhalts seit 1919 ihr Anliegen, durch gemeinsame Absprachen Einfluss auf die Reichspolitik zu gewinnen.280 Der vertrauliche Charakter der Gespräche hatte jedoch viele Spekulationen über einen „sozialistischen mitteldeutschen Bund“ ausgelöst. Angefacht von der kommunistischen Propaganda, die mit ihrem revolutionären Enthusiasmus einer einheitlichen mitteldeutschen roten Front frenetisch beipflichtete, schlachtete die bürgerliche Presse in der Nachkriegskrise die Ministerpräsidententreffen für antisozialistische Kampagnen aus.281

Thüringen Thüringen galt im 19. Jahrhundert als kleinstaatliche Region schlechthin, so dass eine Vereinigung ihrer Territorien zu einer zentralen Forderung der Novemberrevolution wurde. Auch wenn die Wurzeln des thüringischen Einigungsprozesses weiter zurück reichen, ist die einzige Landesneugründung der Weimarer Republik von daher eng mit der politischen Umwälzung 1918/19 verbunden.282 Bereits im 19. Jahrhundert hatten sich die miteinander vernetzten und ähnlich strukturierten ernestinischen, schwarzburgischen und reußischen Staaten 278 Thüringens Anschlußfrage, in: Chemnitzer Zeitung, Nr. 249, 21.10.1929. 279 HStAD 10719 / 394 Sächsische Gesandtschaft, Gradnauer, 16.8.1928. 280 ThHStAW Staatsministerium Nr. 80 Schreiben Sepp Oerters an die Regierungen Sachsens und Thüringens, 10.10.1921; vgl. auch Häupel, Die Gründung des Landes Thüringen, S. 125–127. 281 So kommentierte die braunschweigische Landeszeitung, dass von der Sozialdemokratie geplant sei, „mit den roten Ländern Sachsen und Thüringen eine Gemeinschaft zur Aufrechterhaltung … einer sozialdemokratischen Diktatur zu bilden.“ Freiheit, Braunschweig 20.12.1921. 282 Für die Sozialdemokratische Partei und als Auftakt für die Einigungsbewegung vor dem Ersten Weltkrieg die Schrift von Hofmann, Thüringer Kleinstaatenjammer (1906). Für die Nationalliberalen, die ebenfalls in der Thüringer Vereinigungsbewegung aktiv wurden steht die Schrift von Hoßfeld, Einigung Thüringens (1918).

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unter dem Begriff Thüringen enger zusammengefunden. Sie schufen gemeinsame Einrichtungen, Zoll- und Eisenbahnvereine und erwogen unter dem Druck der Einigungsbewegung und der Frankfurter Reichsgewalt während der 1848er Revolution ihren Zusammenschluss. Als kleinstaatliches Thüringen stellten sie den Kern des späteren Landes dar, wobei der Weimarer Staat mit dem Status eines Großherzogtums, mit der ernestinischen Gesamtuniversität Jena und den meisten Gemeinschaftseinrichtungen die integrierende Rolle eines primus inter pares beanspruchte. In der Landesgründung 1920 schlug sich dies in den Entscheidungen für Weimar als Hauptstadt und für Jena als Landesuniversität nieder.283 Im Schatten Sachsens hatten sich die thüringischen Territorien zu einer typischen Industrie-Agrarregion entwickelt. Im Umfeld der Reichsgründung 1871 waren sie ein Kerngebiet des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus sowie ein Zentrum der frühen Arbeiterbewegung, später wurden sie zu einer Hochburg der Sozialdemokratie. Sie zählten um 1900 – wie das ebenfalls kleinstaatliche, wenn auch kleinere und im provinzsächsischen Wirtschaftsraum aufgehende Anhalt – zu den am dichtesten industrialisierten und besonders exportintensiven Gebieten des Deutschen Reiches. Ihr Industrialisierungsgrad übertraf bei weitem den des preußischen Thüringen,284 das im Ergebnis der napoleonischen Expansion und der territorialen Flurbereinigungen im Zeitraum zwischen 1802 und 1855 entstanden war. Innerhalb der kontrastgeprägten preußischen Provinz Sachsen umspannte das preußische Thüringen den Regierungsbezirk Erfurt sowie Teile des Regierungsbezirkes Merseburg, die sich aber eher dem strukturell ausgeglichenen Thüringen annäherten. Im Thüringer Raum existierten daher bereits vor der Landesgründung dichte und durchmischte Strukturen. Es gab keine großstädtischen Ballungsräume und keine beherrschende Metropole mit einem strukturschwachen Hinterland.285 Stattdessen stützten sich die Landesregierungen in den 1920er Jahren auf eine gewachsene Polyzentralität und kulturelle Durchdringung des Raumes, die identitätsstiftend wirkte: „Die politische Zerrissenheit Thürin283 John, Die Thüringer Kleinstaaten. Entwicklungs- oder Beharrungsfaktoren?, S. 91– 98. 284 Ebenda, S. 137ff. 285 Die acht thüringischen Kleinstaaten, das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, die Herzogtümer Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg und Gotha sowie die Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß älterer Linie und Reuß jüngerer Linie drängten sich auf einer Gesamtfläche von 12 325 Quadratmetern und zerfielen, teilweise territorial voneinander getrennt, in 16 größere und 60 kleinere Teile, dazu waren in das Territorium preußische Gebiete eingeschlossen.

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gens – mag man sich auch sonst zu ihr stellen, wie man will – hat doch die Folge gehabt, dass auch kleine Städte und Gebiete zu kulturellen Mittelpunkten mit einem regen geistigen und auch wirtschaftlichen Eigenleben geworden sind.“286 Die Thüringer Frage war ein zeitgenössischer, oft als Schlagwort benutzter Ausdruck für die staatlichen Konsolidierungs- und Neugliederungsbestrebungen in der Gründungsphase der Weimarer Republik. Im Kontext des Ringens um eine föderale oder unitarische Reichsstruktur durchlief sie mehrere Stufen: Zunächst erfolgte die Gründung der Thüringer Freistaaten als Vorstufe zur Bildung eines Gesamtstaates, der dann in Form der Thüringer Gemeinschaft bis August 1919 konkretere Gestalt annahm. In der letzten Etappe von Januar bis Mai 1920 bereitete der Thüringer Volks- und Staatsrat, als Vertretung der Thüringer Gemeinschaft, die Landesgründung vor.287 Zu den wichtigen Maßnahmen gehörte auch die Einrichtung eines Presseamtes, das für den neuen Freistaat warb.288 Sobald in den 1920er Jahren Neugliederungspläne wieder im Gespräch waren, konzentrierte sich das wissenschaftliche Interesse besonders auf die gelungene Thüringer Landesgründung, in deren „Vereinigungstechnik“ ein Vorbild für den Zusammenschluss anderer Territorien des Reiches gesucht wurde.289 Mit ähnlichen Intentionen veröffentlichten auch Thüringer Politiker ihre Memoiren.290 Gegenüber dem klassischen Weg der Neugründung über ein Staatenparlament besaß der konföderale Weg der Thüringer Landesbildung den Vorteil, dass die Einzelstaaten durch eine schrittweise Abgabe ihrer Kompetenzen an die Gemeinschaft und eine bindende gemeinsame Verfassung schneller zusammenzuführen waren. Die Schwelle der Eigeninteressen konnte auf diese 286 BHStAM MA 1943 / 102 028 Presseamt Thüringen, 11.3.1922. 287 Karl-Eckhard Hahn, Von der Novemberrevolution 1918 bis zum endgültigen Erlöschen der Thüringer Staaten und Gebiete zum 1. April 1923, in: Die vergessenen Parlamente. Landtage und Gebietsvertretungen in den Thüringer Staaten und Gebieten 1919 bis 1923, Rudolstadt 2002, S. 11–52; Häupel, Die Gründung des Landes Thüringen (1995). 288 BAB R 43 I / 2312 Preußische Gesandtschaft in Weimar, 1.10.1919. 289 Karl Du Mont, Der Zusammenschluß Thüringens, eine staatswissenschaftliche Untersuchung, Gotha 1927. 290 Richard Leutheußer, Von den sieben Einzelstaaten zum Einheitsstaat, in: Thüringer Jahrbuch. Politik und Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft im Lande Thüringen 1 (1926), S. 3–11; Georg Witzmann, Die staatliche Einigung Thüringens, in: Thüringer Jahrbuch 3 (1928), S. 23–30 und Hermann Brill, Reichsreform – eine thüringische Schicksalsfrage, Altenburg 1932.

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Weise leichter überwunden und der provisorische Verfassungszustand in absehbarer Zeit beendet werden. Die vorhandene Alternative einer konstituierenden Thüringer Nationalversammlung hätte weit stärker die gegensätzlichen Standpunkte in der öffentlichen Debatte hervortreten lassen. Unmittelbar nach dem Sturz der Dynastien wurde bereits über verschiedene territoriale Lösungen gestritten, die in eigens dafür gegründeten Schriftenreihen ausgebreitet wurden. Diejenigen, welche die acht Thüringer Staaten einschließlich der preußischen Gebietsteile zu einem „Großthüringen“ zusammenschließen wollten, gingen von der Aufteilung bzw. Auflösung des preußischen Staates aus.291 Ihre preußisch orientierten Kontrahenten vertraten hingegen die Meinung, dass ein Bundesstaat Großthüringen weder einen wirtschaftlichen Gewinn, noch wichtige Einsparungen in der Verwaltung bringen würde, so dass der Anschluss der thüringischen Kleinstaaten an den preußischen Staatsverband die beste Lösung sei.292 Beide Richtungen unterschätzten entweder die zentripetalen Interessen Preußens, das nur die Angliederung angrenzender Gebiete an den Hohenzollernstaat akzeptierte, oder die lebensweltlichen Traditionen in der Thüringer Region. Viele Autoren rechneten überdies zu sehr auf wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven oder betonten einseitig kulturpolitische Integrationsfaktoren, wenn sie beispielsweise die eigene Kultur in Preußen untergehen sahen. Der Großthüringenplan platzte endgültig im August 1919. Dies lag nicht zuletzt am Widerstand in den thüringischen Territorien Preußens selbst, der sich unter der Losung formierte: „Wir sind Preußen und wollen es auch fernerhin bleiben!“ In Protesterklärungen mehrerer Ortschaften, Kreise und Verbände, denen lange Unterschriftenlisten beigefügt waren, wurde bekundet, die Bevölkerung sei in „einer hundertjährigen glorreichen Geschichte mit dem preußischen Staate zusammengewachsen“ und werde sich von diesem unter keinen Umständen trennen lassen. Die Ortsgruppen des Bundes der Landwirte bezeichneten Preußen als ihr „Mutterland“, an das sie ihre wirtschaftliche Zukunft binden wollten.293 Realisiert wurde 1920 daher der kleinthüringische 291 In der Schriftenreihe „Das neue Thüringen“, die sich später als das Sprachrohr der Thüringer Gemeinschaft etablierte, wurde das allgemeine Konzept zur Bildung Großthüringens hinsichtlich seiner staatsrechtlichen, verwaltungstechnischen, wirtschaftlichen, infrastrukturellen und sozialstaatlichen Konsequenzen ausgebaut: Edwin Redslob (Hg.), Das neue Thüringen, Erfurt 1919–1920; Kurt Hoßfeld, Preußische Provinz oder Reichsland Thüringen, Salzungen 1919. 292 Der propreußische Standpunkt findet sich in der Schriftenreihe Die Thüringische Frage, Halle 1919. 293 GStAPK, I. HA Rep. 90 A / 297 Bestrebungen nach staatlicher Vereinigung Thüringens unter Anschluss oder Austausch preußischer Gebietsteile, insbesondere durch

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Zusammenschluss ohne preußische Gebietsteile und ohne das Land Coburg, in dem ökonomische Motive und ethnische Argumente für Franken den Ausschlag für einen bayerischen Anschluss gaben.294 Angesichts der komplexen Ausgangslage entwickelten sich die Protagonisten der Landesgründung Thüringens eher zu Pragmatikern als zu konsequenten Verfechtern der einen oder anderen Richtung. Die aus dem sozialistischen und linksbürgerlichen Milieu stammenden Politiker hatten zunächst einen großthüringischen Zusammenschluss angestrebt und sich hierfür mehrere Optionen offen gehalten. Die Variante eines Bundes-Freistaates Thüringen wurde vor allem von den bürgerlichen Parteien und von wirtschaftlichen Standesgruppen vorgezogen. Zur Gründung einer Provinz Thüringen als Teil einer Einheitsrepublik bekannten sich vornehmlich die beiden sozialdemokratischen Parteien. Neben diesen Thüringenplänen drohte aber auch eine Aufteilung der Region an Bayern, Sachsen und Preußen. Es bestanden also mehrere Anschlussvarianten, die durch geschicktes Taktieren der Arbeiter- und Soldatenräte sowie der parlamentarischen Landesregierungen lange in alle Richtungen offen gehalten wurden.295 So hatte der Sachsen-Meininger Landtag seine Zurückhaltung gegenüber der Thüringer Gemeinschaft damit begründet, dass die Kleinstaaten allein keinen lebensfähigen Staat bilden könnten. Die eigentlichen Gründe für die Vorbehalte lagen jedoch in der Rivalität des zweitgrößten Thüringer Staates zu Sachsen-Weimar-Eisenach, die sich unter anderem in der Ablehnung Weimars als Landeshauptstadt artikulierte. Von daher präferierte der Landtag Sachsen-Meiningens die Bildung eines großthüringischen Staates unter der Obhut Preußens.296 Im Gegenzug hatte Weimar schon immer wenig Interesse an preußischen Gebieten und einer potentiellen Landeshauptstadt Erfurt gezeigt und favorisierte von vornherein die kleinthüringische Lösung.297 Umstritten war auch, welches Gremium die zentrale Koordination des Vereinigungsprozess übernehmen sollte und ob dieser in parlamentarische Bahnen gelenkt werden sollte. Nachdem die Räte ins Abseits gedrängt waren, verteidigten die Regierungen der thüringischen Staaten den Führungsanspruch gegen ihre Parlamente. Trotz des Wegfalls dynastischer Hürden war die Kon-

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Bildung von Wirtschaftsgemeinschaften, Bd. 1: 1919–1920. Kundgebungen gegen die Abtretung preußischer Gebietsteile an Preußen. Jürgen Erdmann, Coburg, Bayern und das Reich 1918–1923, Coburg 1969. ThHStAW, Staatsministerium Nr. 1, Protokoll einer Tagung der Arbeiter- und Soldatenräte am 10.12.1918 in Erfurt. Häupel, Gründung des Landes Thüringen, S. 92f. BAB R 43 I / 2313 Preußische Gesandtschaft in Weimar, 20.9.1919, Bl. 22.

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stituierung eines gemeinsamen Freistaates also keineswegs leichter geworden. Der revolutionäre Umbruch hatte für die Einigung Thüringens durch den Sturz der Fürsten zwar neue Perspektiven eröffnet, aber zugleich auch eine Reihe neuer Fragen aufgeworfen. Die Landesgründung galt vor allem den bürgerlichen Parteien und der Rechten als provisorisch. In ihren Augen war das kleinthüringische, linkrepublikanisch regierte Land ein politisch und finanziell unmögliches Staatsgebilde, das sie mit Hohn und Spott bedachten, sobald sich die Möglichkeit dazu bot.298 Wie in Anhalt war es auch in Thüringen der Landbund, der unter einer linksrepublikanischen Regierung Frölich den Anschluss an das „gemäßigtere“ Preußen suchte, während die Deutschnationalen sich eher abwartend verhielten. Die Sozialdemokraten Thüringens waren für die Vereinigung mit Preußen oder Sachsen nicht zu haben. Auch der Landesparteivorstand der DDP trat für ein eigenständiges Land Thüringen ein.299 Als seit Februar 1924 mit der Thüringer Ordnungsbund-Regierung unter Richard Leutheußer (DVP) wieder ein bürgerliches Kabinett amtierte, hatte der Anschlussgedanke zusätzlich an Akzeptanz und an werbender Kraft verloren.300 Als Stereotyp existierte der „an kleinstaatliche Verhältnisse gewöhnte“ Thüringer, dem Preußen und Sachsen „unheimlich“ seien.301 1929 legte die Weimarer Landesregierung unter dem DDP-Politiker Arnold Paulssen schließlich eine Denkschrift vor, in der sie klarstellte, dass jede „Lösung, die Thüringen zu einem bedeutungs- und einflusslosen Anhängsel irgend eines anderen mitteldeutschen Gebildes werden ließe“, nicht tragbar sei.302 Thüringen, das durch die Landesgründung 1920 für sich eine Vorreiterrolle bei der Neugliederung des Reiches beanspruchen konnte, war „der Reichsreform durchaus nicht abgeneigt“. Auf der Länderkonferenz verlangte Paulssen allerdings, „daß Thüringen in sich als Bestandteil des Reiches erhalten bleibt“ 298 Das schöne Land Thuringia, in: Altenburger Landeszeitung, 11.4.1923 und die Parodie auf das Lied der Mignon aus Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre: Kennst du das Land, wo rot die Blumen blühn, in: Eisenacher Zeitung, 22.5.1923. 299 HStAD 10701 / 12 Memorandum der Dresdner Staatskanzlei über einen Anschluss kleiner Länder an Preußen, Bl. 135 und Leutheußer, Von sieben Einzelstaaten zum Einheitsstaat, S. 10f. 300 BHStAM MA 1943 / 102 025 Bayerische Gesandtschaft zu einem Anschluss Thüringens an Preußen, Berlin 25.6.1924 und ThHStAW Staatsministerium 42, Memorandum zur Anschlussfrage Thüringen, 2.10.1929. 301 Otto Koellreutter, Thüringen und die deutsche Einheit, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 8.7.1928. 302 Johannes Müller, Thüringen und seine Stellung in und zu Mitteldeutschland, Weimar 1929.

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und man es nicht „früher oder später in Preußen eingliedern“ werde.303 Dahingehend vermisste er vor allem eine „klare Stellungnahme von Preußen“304. Wie der hessische Staatspräsident Adelung legte Paulssen auf die parlamentarische Verankerung einer Verfassungsreform wert. Sie würde sich nur durchsetzen lassen, „wenn sie auch in den breiten Massen des Volkes mit großer Klarheit aufgefaßt und von diesen getragen“ werde. Jedoch sei „in dieser Beziehung noch eine große Gleichgültigkeit vorhanden“. Paulssen hielt es daher für dringend erforderlich, „daß wir die Dinge, die wir hier beschließen, auf möglichst einfache Formeln bringen, und daß wir alles Beiwerk, das nicht unbedingt nötig ist, ausschalten, damit auf diese Weise das Interesse des Volkes gewonnen wird.“305 Will man den Beitrag Thüringens zur Bundesstaatsdebatte bewerten, so sind einerseits die Vorbildfunktion eines geglückten Zusammenschlusses von Kleinstaaten und eine flexible, auf den Ausgleich zwischen Nord- und Süddeutschland gerichtete Eigenständigkeitspolitik hervorzuheben. Andererseits bestärkten die Ausschläge der Landespolitik nach Links und Rechts die unitarischen Neigungen zugunsten einer durchsetzungsfähigen Reichsgewalt, die die Einheit des Weimarer Staates garantieren sollte. Während des Kapp-Putsches im Frühjahr 1920 bestand in den thüringischen Kleinstaaten eine diffuse Gemengelage aus verfassungstreuer Notwehr, räterepublikanischer Revolte, verfassungsrettendem Reichswehreinsatz und Militärrevolte. Im Auftrag der Putschisten hatten aufständische Reichswehrtruppen die Regierungen dreier thüringischer Länder abgesetzt, worauf die überwiegend linksrepublikanischen Regierungen dort zur militärischen Selbsthilfe griffen. Dabei dauerten die Maßnahmen vielerorts über den Zusammenbruch des Kapp-Regimes an, um die Etablierung eines Rätesystems durchzusetzen. Während die meisten Länder nach Berufung eines Reichskommissars wieder in geordnete Bahnen zurückfanden, hielten im thüringischen Land Sachsen-Gotha die Unruhen jedoch an, so dass es am 10. April 1920 zur Reichsexekution und in der Folge zu Neuwahl einer bürgerlichen Landesregierung kam. Da der Reichsinnenminister an die Landesregierung Sachsen-Gothas appellierte, sich der Reichsexekution zu fügen, „um ein Einschreiten der bewaffneten Macht nach Möglichkeit zu vermeiden“306, und ein Landesbeirat dem Reichskommissar zur Seite gestellt wurde, ist der Vorrang milderer, ziviler Mittel in diesem Fall gegen

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Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Verhandlungen am 5./6.7.1929, S. 38, 54. Ebenda, S. 54. Ebenda, S. 38. Abgedruckt bei Fritz Poetzsch, in: JöR 13 (1925), S. 140.

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die harten Aktionen gegen Sachsen 1923 und Preußen 1932 hervorgehoben worden.307 Die günstige Situation der thüringischen Landesgründung zum 1. Mai 1920 nutzte vor allem der zweiten, sozialdemokratischen Regierung Frölich, die, auf eine Parlamentsmehrheit gestützt, Reformen in der Kultur- und Bildungspolitik rasch und umfassend umsetzte. Innerhalb von nur zwei Jahren wurden von ihr die wichtigsten Grundlagen für den inneren Aufbau des Landes gelegt.308 Dabei suchte das thüringische Staatsministerium eigene Wege – Stichwort Gemeindesozialismus – zu gehen und orientierte sich insbesondere nicht am preußischen Vorbild des Verwaltungsaufbaus. Deutschlands nach 1919 bekannteste Kunst-, Design- und Architekturschule, die BauhausSchule und Thüringens Theater entwickelten sich außerdem zu einem „kulturellen Labor der Moderne“.309 Auch die als „Greilsche Schulreform“ in die Geschichte eingegangene Erneuerung des Thüringer Bildungswesens erregte über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen. Mit dem Ziel, die Bildungschancen aller Bevölkerungsschichten anzugleichen, profilierten sich die Thüringer Landespolitiker deutlich als linksrepublikanische Reformer. Das auf Reichsebene gescheiterte Einheitsschulmodell wurde etabliert und reformpädagogische Schulversuche wurden gefördert. Dazu gehörte auch die Verlagerung der Lehrerausbildung an die Universität und der damit verbundene Ausbau der Erziehungswissenschaften, der nicht nur die Gleichstellung der Lehrer auf hohem Niveau zur Folge hatte, sondern auch ein breites Feld für pädagogische Forschungen eröffnete. In der Weimarer Republik waren es insgesamt vor allem die kleinen Territorien und Sachsen, welche gesellschaftliche Bereiche wie das Bildungswesen modernisierten. Thüringen, gefolgt von Anhalt, Hessen, Braunschweig, Hamburg und Lippe, schrieb so erstmals ein Hochschulstudium für Volksschullehrer fest.310 Auf politischen Druck aus Berlin, aber weniger konfliktträchtig als bei der Reichsexekution in Sachsen, wurde die seit dem 16. Oktober 1923 un307 Häupel, Gründung des Landes Thüringen, S. 98–102; Holste, Der deutsche Bundesstaat im Wandel, S. 486. 308 R. D. Tracey, Reform in the Early Weimar Republic, The Thuringian Example, in: Journal of Modern History 44 (1972), S. 195ff. 309 Burkhard Stenzel / Klaus Jürgen Winkler, Kontroversen und Kulturpolitik im Thüringer Landtag 1920–1933, Weimar 1999, S. 43ff. 310 Ebenda, S. 21–26 und Burkhard Poste, Die Schulreform in Sachsen 1918–1923. Eine vergessene Tradition deutscher Schulgeschichte, Frankfurt a. Main u.a. 1993, S. 545. An der überlieferten Tradition hielten Baden, Bayern, Württemberg und Mecklenburg-Schwerin fest; Preußen beschritt mit der Akademie-Form einen dritten Weg, vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 971.

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ter Frölich bestehende Regierungskoalition der thüringischen SPD mit der KPD beendet. Nach dem Rückzug der beiden kommunistischen Minister am 12. November 1923 blieb August Frölich als Chef einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung noch bis zu den vorgezogenen Landtagswahlen im Februar 1924 im Amt, die für die SPD den Abschied von der Regierungsmacht bedeuteten.311 Unter anderen Vorzeichen wurde Thüringen 1929/30 erneut zu einem Experimentierfeld der Innen- und Bildungspolitik, nachdem die NSDAP in die Landesregierung gewählt worden war.312 Der erste NSDAP-Landesminister Wilhelm Frick,313 der dieses Schlüsselressort besetzte, entließ republiktreue Beamte aus der Landesverwaltung, dem Schulwesen und den Polizeibehörden. Der völkisch-rassistische Architekt Paul Schultze-Naumburg wurde zum Direktor der Vereinigten Kunstlehranstalten in Weimar ernannt – dem Gründungsort der Bauhaus-Schule von Walter Gropius, die bereits 1925 unter dem politischen und finanziellen Druck der thüringischen Ordnungsbund-Regierung Leutheußer ins anhaltinische Dessau ausgewichen war. Mit dem Erlass „Wider die Negerkultur des deutschen Volkstums“ ging Frick gegen die seiner Ansicht nach „verjudeten“ Spielpläne in den Thüringer Theatern vor. Ein in Deutschland bis dahin einmaliger Vorgang war auch die Berufung des NSRasseforschers Hans Friedrich Karl Günther auf einen für ihn eigens eingerichteten Lehrstuhl für Sozialanthropologie an der Universität Jena.314 Das republikfeindliche Sündenregister des thüringischen NS-Staatsministers bestärkte die Reichsregierung Müller in der unitarischen Auslegung der Verfassung, die die Länder auf eine Gehorsamspflicht gegenüber dem Reich festlegte. Der Streit zwischen Weimar und Berlin um die republikfeindliche Personalpolitik und die Sperrung der Polizeikostenzuschüsse in Höhe von einer Viertelmillionen Mark durch den Reichsinnenminister Carl Severing,315 in dem sich weder die eine noch die andere Seite verfassungsgemäß verhielt, offenbarte daher noch einmal die als tief empfundene Problematik der Beziehun311 Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, 15–20 Tsd., München 1998, S. 236. 312 Wegen seines Wechsels zwischen den politischen Extremen wurde Thüringen auch „Das Land der Krisen“ genannt, in: Quer durch die deutschen Vaterländer, in: Kölnische Zeitung, 30.12.1928, S. 1. 313 Günter Neliba, Wilhelm Frick. Der Legalist des Unrechtsstaates. Eine politische Biographie, Paderborn 1992. 314 Stenzel / Winkler, Kontroversen und Kulturpolitik im Thüringer Landtag, S. 33–35. 315 BAB R 43 II / 2315 Vertretung der Reichsregierung in München, 31.3.1930; BHStAM MA 1943 / 103 487 Konflikt zwischen dem Reichsministerium des Innern und der Thüringischen Staatsregierung.

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gen von Reich und Ländern im Weimarer Bundesstaat. Der in diesem Konflikt geschlossene Vergleich kam allerdings einer „unverblümten Niederlage“ der Reichsregierung gleich.316 Die Konflikte zwischen Thüringen und dem Reich 1923 und 1930 verweisen deshalb auch darauf, dass die Reichsregierungen ihre ausgedehnte Ordnungsmacht für das föderale Miteinander nicht konsequent gehandhabt haben, sondern, dass ihr Handeln vielfach von politischer Opportunität bestimmt war. Hugo Preuß hat darin bereits 1923 eine Ermutigung zum Verfassungsbruch für republikfeindliche Länder gesehen.317 Im August 1932 erhielt Thüringen eine fast ausschließlich nationalsozialistische Regierung, die in diese Richtung eine unbeirrte Eigenständigkeitspolitik fortsetzte. Mit ihren Vorstellungen, Thüringen als selbstständige Verwaltungseinheit in der Größe des NSDAP-Gaues umzugestalten, knüpfte die SaucklerMarschler-Regierung dabei an das großthüringische Modell der Revolutionszeit an. Eine entsprechende Weisung vom 8. Januar 1933 zur „Vorbereitung einer Denkschrift zum Erhalt der Selbständigkeit Thüringens“, die Eröffnung des Thüringenhauses in der Reichshauptstadt am 22. September 1933318 oder die Umdeutung des Thüringischen Staatswappens von 1920 mit den sieben Sternen durch den älteren thüringischen Wappenlöwen und das Hakenkreuz waren Ausdruck einer aktiven regionalen NS-Politik. Die Behauptung eines eigenständigen Thüringens im „Dritten Reich“ symbolisierte auch eine Plakette, die das neue Staatswappen zusammen mit dem Reichsadler zeigte und die als eine Art Verdienstorden an Nationalsozialisten der ersten Stunde verliehen wurde.319 Was die konkreten Vorstellungen der thüringischen NS-Führung anbelangt, so waren die Erwartungen an eine Reichsreform und die Zukunft Thüringens auch hier weiter gefasst, als es die politischen Realitäten erlaubten, denn sie stellten grundsätzlich die Existenz Preußens zur Disposition. Reichsstatthalter Sauckel hatte betont, es dürfe in Deutschland keinerlei Hegemoniekämpfe mehr geben. Die Hegemonie Preußens sei zur Verwirklichung der Reichspolitik des 316 So die Bewertung durch Heiko Holste, Bundesstaat im Wandel, S. 481. 317 Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 382. 318 Sauckel übersandte Adolf Hitler Fotografien von der Einweihung des Thüringenhauses, BAB R 43 II / 1372 Weimar 11.6.1934, Bl. 204. Das Thüringenhaus wurde 1933 als ehemaliges Bankgebäude nach Kauf, Um- und Ausbau zur Repräsentanz des Landes umfunktioniert, vgl. Thüringer Ministerium für Bundesangelegenheiten in der Staatskanzlei (Hg.), Thüringens Weg von Bonn nach Berlin, Erfurt 1999. 319 BAB R 43 II / 1372 Reichsstatthalter Fritz Sauckel an Adolf Hitler, Weimar 25.9.1933.

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„eisernen Kanzlers“ notwendig gewesen. Jetzt aber sei Preußens Mission erfüllt, und bei einer Neugestaltung des Reiches dürfe lediglich die Vernunft maßgebend sein, eine starke unantastbare Souveränität des Reiches zu schaffen, die aus dem gesamten deutschen Volke komme.320 Im März 1934 gab Hermann Göring, der sich zum „Hüter Preußens“321 bestellt sah, dem vom Thüringer Minister zum Reichsinnenminister aufgestiegenen Wilhelm Frick deutlich zu verstehen, dass der Bestand Preußens nicht zur Disposition stehe.322

Sachsen In Sachsen gab zunächst ein Aufruf der Volksbeauftragten vom 18. November 1918 für eine einheitliche großdeutsche Volksrepublik den Schlussakkord für das föderale Erbe. Der betonte Unitarismus Richard Lipinskis (USPD) stieß jedoch bei SPD-Politikern in der Revolutionsregierung auf Widerspruch. Für Hermann Kahmann war die Zukunft des Reiches nur mit einer weitgehenden Selbstverwaltung „einzelner Unterstaaten“ erstrebenswert, die jedoch nicht mit den gegenwärtigen „26 Staaten und Stätchen“ identisch sein sollte. Auf die Frage nach der Zukunft Sachsens erklärte er, „kein Partikularist zu sein“, und auch „keineswegs länderhungrig“, dennoch wolle er „mit Entschiedenheit“ dafür eintreten, „die Grenzen Sachsens bei der Neugestaltung möglichst auszudehnen“. Sachsen sollte sich so in „10 bis 14 Einzelstaaten“ des Reiches einfügen, „die ungefähr gleich groß sind und wirtschaftlich und landschaftlich zusammengehören.“323 Da auch der erste Verfassungsentwurf von Hugo Preuß diese Neugliederung in Aussicht gestellt hatte, bemühte sich die Revolutionsregierung um eine Vergrößerung Sachsens, die in konkrete Pläne zur Schaffung eines Bundesstaates Obersachsen bzw. Großsachsen mündeten. Durch den Anschluss der preußischen Oberlausitz und Niederlausitz, von Gebieten des Thüringer 320 BAB R 43 II / 1372 Reichsstatthalter Fritz Sauckel an den Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers, Weimar 23.10.1933, Abschrift. 321 BAB R 43 II / 1372 Wolffs Telegraphen Büro, Nr. 1454, 16.6.1933. 322 Heinrich Achler (Hg.), Thüringens Sendung, Weimar 1933; Martin Schultze, Nationalsozialistische Regierungstätigkeit in Thüringen 1932/33, Weimar 1933; dazu Willy Schilling, Die Sauckel-Marschler-Regierung und das Ende des Parlamentarismus in Thüringen 1932/33, in: Zwischen Landesgründung und Gleichschaltung. Die Regierungsbildung in Thüringen seit 1920 und das Ende der parlamentarischen Demokratie 1932/33, Rudolstadt 2001, S. 142–148. 323 HStAD 10719 / 383 Vortrag über die Neugestaltung Sachsens des Vollzugsausschusses des Arbeiter- und Soldatenrates Dresden am 9.1.1919, Bl. 19ff.

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Waldes – einschließlich der preußischen Enklaven – und Teilen der Provinz Sachsen südlich von Anhalt hätte ein Großsachsen ein Territorium von 38 000 Quadratkilometern mit rund acht Millionen Einwohnern umfasst. In der Erwartung, das künftige Reich würde fortan aus höchstens zehn bis fünfzehn Ländern bestehen, und ein neuer Bund ohne das Übergewicht Preußens im Reich zustande kommen, erschien die Vergrößerung Sachsens geradezu als zwingend, damit „wir nicht an die Wand gedrückt werden“.324 Dresden musste dabei jedoch auf Nachdruck von oben hoffen, denn Sachsen übte 1918/19 als vom Krieg besonders in Mitleidenschaft gezogener Industriestaat „keinerlei Anziehungskraft auf die umliegenden deutschen Gebiete“ aus.325 Da den sächsischen Vergrößerungsplänen der „notwendige Resonanzboden“326 fehlte, war eine Realisierung der Dresdner Neugliederungspläne also entscheidend von der Nationalversammlung und der Reichsleitung abhängig. Handelsbeschränkungen in der Kriegs- und Nachkriegszeit hatten das rohstoffarme und auf den Weltmarkt orientierte Sachsen stark in Mitleidenschaft gezogen. Weil das Land nur einen relativ unbedeutenden landwirtschaftlichen Sektor besaß, der die Ernährung der eigenen Bevölkerung sichern konnte, litt es besondere Not.327 Mit den sächsischen Vergrößerungsplänen um landwirtschaftliche Flächen, insbesondere um Wittenberg und Torgau, wurde daher auch einer Überwindung der Lebensmittelknappheit höchste Priorität eingeräumt: „Zunächst und vor allem geht der Wunsch Sachsens auf Vergrößerung der landwirtschaftlichen Fläche. Der Krieg und die Zeit nach dem Krieg haben so gewaltige Zerstörungen aller Werte in seine in der Hauptsache auf die Erzeugung hochwertiger, für den Weltmarkt eingestellter Industrie gebracht, daß ein Sachsen ohne eine ausgedehnte landwirtschaftliche Fläche mit ihrer gesicherten Steuerkraft einfach nicht mehr lebensfähig wäre.“328 Nach dem Ausschluss Österreichs aus der deutschen Frage 1866, den die Alliierten 1919 erneuerten, und im Zuge der Neuordnung Mitteleuropas nach dem Ersten Weltkrieg wurde Sachsen endgültig an den geographischen Rand des Reiches gedrängt. Nicht nur, dass der Handel nach Osten zusammenbrach, 324 Ebenda, Bl. 22f. 325 HStAD 10719 / 383 Denkschrift Sachsen und die Neugestaltung des Reiches, Anfang Januar 1919. 326 HStAD 10719 / 383 Abschrift des Vortrages Kahmanns auf der Sitzung des Arbeiterund Soldatenrates über die Neugestaltung Sachsens am 9.1.1919. 327 Claus-Christian W. Szejnmann, Vom Traum zum Alptraum. Sachsen in der Weimarer Republik, Leipzig 2000, S. 26ff. 328 HStAD 10719 / 383 Beschluss des Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, Dresden 24.1.1919, Abschrift an den sächsischen Gesandten in Weimar Koch, Bl. 27.

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auch der immer wichtiger werdende Export in den Westen war durch Sachsens verkehrsungünstige Lage von hohen Transportkosten belastet. Die Gründungen Polens und der Tschechoslowakei, wo erheblich niedrigere Löhne gezahlt wurden als in Sachsen, verschlossen nicht nur Rohstoffquellen, sondern auch wichtige Absatzgebiete. Die Finanzknappheit verhinderte zudem notwendige Modernisierungen des ältesten deutschen Industriegebietes, das einst Schrittmacher der Entwicklung gewesen war, sich nun aber vor allem auf Einzelunternehmer, Mittel- und Kleinbetriebe stützte, deren wirtschaftliche Prosperität vor dem Krieg stark an niedrige Löhne und geringe Realsteuern gebunden war. Die Folgeprobleme des Krieges und die Weimarer Sozialgesetzgebung wirkten sich daher in Sachsen besonders aus. Die Ursachen der wirtschaftlichen Misere wurzelten aber auch in globalen Zusammenhängen, auf die das exportorientierte Land, das als „Wetterwinkel der Konjunktur“ einen Namen hatte, besonders empfindsam reagierte. In der Weltwirtschaftskrise setzte die Arbeitslosigkeit hier wesentlich früher ein als im übrigen Deutschland. Die Zahlen der Firmenzusammenbrüche und Erwerbslosen lagen weit über dem Reichsdurchschnitt, so dass die finanziellen Reserven des „einst besten Steuerzahlers in Deutschland“ schnell erschöpft waren.329 Als in der Verfassungsdebatte 1919 schließlich entschieden war, eine Auflösung Preußens und damit die territoriale Neugestaltung Deutschlands aufzuschieben, war den Großsachsen- und Großthüringen-Plänen die wichtigste Voraussetzung genommen. Sachsen suchte daraufhin seine Zukunft in einem engeren Zusammenschluss mit Thüringen.330 Die Westgrenze Sachsens blieb während der Weimarer Republik zur Diskussion gestellt, und die sächsischen Vergrößerungsbestrebungen kamen im Zusammenhang mit den Mitteldeutschlandplänen nicht zur Ruhe. Aus Dresdner Sicht galt die Leipziger Teilung des wettinischen Territorialkomplexes im 15. Jahrhundert als ein unzureichend kompensierter Willkürakt, der einen gleichsam naturgegebenen mitteldeutschen Großraum und sächsisch-thüringischen Verbund zerschlagen hatte, und ohne den es den Aufstieg Brandenburg-Preußens nicht gegeben hätte. Dabei 329 BAB R 43 I / 2311 Aufzeichnung über ein Gespräch des Reichskanzlers mit sächsischen Industrievertretern, Berlin 29.1.1931 und BAB R 43 I / 2312 Sachsen und seine besondere Lage im Reich, Bl. 93–100. Die genauen Ursachen, warum Sachsen schwer von der Nachkriegskrise und der Weltwirtschaftskrise getroffen wurde, sind komplex. Weitgehender Konsens besteht darüber, dass der Kern des Problems in der besonderen Wirtschaftsstruktur lag, denn Sachsen war eine veraltete Industrieregion, vgl. Katrin Keller, Landesgeschichte Sachsen, Stuttgart 2002, S. 321ff. 330 HStAD 10719 / 386 Gradnauer an den Staatsminister von Sachsen-Altenburg, Dresden 19.2.1919, Bl. 8–10.

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wurden die vorangehenden Konflikte im „sächsischen Bruderkrieg“ ebenso übersehen wie die befriedenden Wirkungen dieser Teilung. Hier zeigt sich die Kehrseite einer Sicht, die zwar die mittelstaatliche gegen die preußische Perspektive betonte, für den mitteldeutschen Raum aber selbst in den kritisierten Machtstaatskategorien dachte.331 Der von Sachsen aus propagierte Gedanke einer Annäherung der alten Ernestinerlande an das albertinische Sachsen, die auch als „Zwillinge mit sehr verschiedener Entwicklung“332 bezeichnet wurden, war in Thüringen daher wenig populär. Hier begegnete man der wettinisch-albertinischen Staats- und Dynastiegeschichte argwöhnisch, sobald sie den sächsischen Führungsanspruch untermauern sollte. Vor der Hand zeigte sich bereits 1919 weder in der breiten Öffentlichkeit noch in der Thüringer Presse die Neigung zu einer Vereinigung mit Sachsen. Die Regierung von Sachsen-Altenburg, die diesen Plänen noch am ehesten aufgeschlossen gegenüberstand,333 hielt eine nahe Verwirklichung des Projektes daher für aussichtslos: Eine Vereinigung mit Sachsen brauche Jahre zu ihrer Entwicklung. Sie „müsse dem Thüringer durch seine Presse langsam eingehämmert werden, ehe er sich zu einem Schritt entschließe. Die Regierung könne dabei wenig, die Presse viel tun“.334 Der sächsische Gesandte Walter Franz Koch fasste am 4. März 1919 die Einwände gegen den unbeliebten Nachbarn folgendermaßen zusammen: „Einmal der politische: Wer wird sich einem Staat anschließen, in dem die Gefahr sozialistischer Experimente größer als in jedem anderen ist, in dem das Bürgertum weniger als in jedem anderen zur Mitregierung berufen sein wird? Weiter ein wirtschaftlicher: Sachsens Finanzen werden weit stärker beschädigt aus dem Krieg hervorgehen als die irgendeines thüringischen Staates, und sie werden sich bei der einseitigen Fundierung auf der Industrie schwerer erholen als anderwärts – wer wird an der hohen Steuerlast Sachsens teilnehmen wollen? Endlich ein verwaltungstechnischer: Dresden ist als Hauptstadt für Großsachsen ungeeignet, es liegt für die meisten Orte Thüringens weiter entfernt als Berlin.“335

331 John, Thüringer Kleinstaaten – Entwicklungs- oder Beharrungsfaktoren?, S. 116. 332 Otto Kunze, Sachsen und Thüringen, in: Vom Dritten Reich. Halbmonatsschrift für die Neugliederung Deutschlands. Deutsche föderalistische Korrespondenz, Jg. 3, Nr. 18, 20.9.1928, S. 2. 333 HStAD 10719 / 386 Bericht über ein Gespräch mit dem Staatsminister von SachsenAltenburg Wilhelm Tell, Dresden 4.3.1919. 334 HStAD 10719 / 386 Der sächsische Gesandte Koch in Weimar an das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, Dresden 4.3.1919, Bl. 11. 335 Ebenda, Bl. 12.

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Dennoch erhielten die Pläne eines geeinten Groß-Sachsens, Mitteldeutschlands bzw. eines Zusammenschlusses Sachsens und Thüringens, die 1928 in Verhandlungen über eine Verwaltungsgemeinschaft beider Staaten mündeten, durch die Weimarer Reichsreformbestrebungen stets neuen Auftrieb. Der mitteldeutsche Gedanke stand hier im Kontext der Neugliederungspläne für Norddeutschland und für den Südwesten des Reiches. Er sollte die Bedeutung mitteldeutscher Länder „als starkes Bindeglied zwischen Nord und Süd“ wieder aufnehmen und auf Dauer sichern.336 Die Dresdner Politik stand dabei in der Tradition einer möglichst eigenständigen mittelstaatlichen Politik, die mit einer dezidiert antipreußischen Haltung verknüpft war. Nach dem Ende des Kaiserreiches konnte Dresden wieder hoffen, eine eigenständige Rolle in der deutschen Politik zu übernehmen. Die Verfassungsdiskussion 1918/19 bot eine dankbar aufgegriffene Möglichkeit, Sachsen in den Grenzen vor 1815 zu restituieren und eine durchaus kapitale mittelstaatliche Position zurück zu gewinnen, die bis zur Reichsgründung 1871 in der Konzeption des Dritten Deutschlands und eines von Dresden verfochtenen konsensualen Föderalismus vorhanden gewesen war. So wurde „der große staatsmännische Zug“, welcher die so genannte „Ära Beust“ zwischen 1849 und 1866 ausgezeichnet hatte, in Erinnerung gerufen. Der sächsische Außenminister und Vorsitzende des Gesamtministeriums Friedrich Ferdinand von Beust war gewissermaßen als Gegenspieler Otto von Bismarcks in die Geschichte eingegangen, da er eine grundlegende Reform des Deutschen Bundes in Richtung eines Bundesstaates mit einem ausschlaggebenden Gewicht der Mittelstaaten und kleineren Staaten angestrebt hatte.337 Dass diese Option letzten Endes an den Großmächten Preußen und Österreich gescheitert war, hatte Sachsen nach 1871 den Ruf „lächerlichen Größenwahns“ eingetragen. Dresden konnte sich daher durch die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg, die zu großen Teilen Preußen zugewiesen wurde, in gewisser Weise als rehabilitiert ansehen. In der Rückschau hatte Sachsen eben doch auf der richtigen Seite gestanden: „Deutschland ist auch immer zu viel durch die Berliner Brille gesehen worden“, erklärten die Revolutionsführer in Sachsen, und dadurch sei „viel Unheil“ gestiftet worden.338 Eine Renaissance mittelstaatlicher Konzepte sollte das Reich wieder in die richtigen Bahnen lenken und insbesondere den preußisch-unitarischen Nationalismus 336 HStAD 10722 / 373 Gottschald an den bayerischen Gesandten Tischer, Dresden 18.6.1928, S. 2f. 337 Flöter, Beust und die Reform des Deutschen Bundes (2001). 338 HStAD 10719 / 383 Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrates über die Neugestaltung Sachsens, 9.1.1919.

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eindämmen.339 Folgerichtig bewarb sich Dresden 1919 als Tagungsort der Nationalversammlung und versuchte Weimar den Rang streitig zu machen.340 In der Verfassungsdiskussion kooperierte die Landesregierung Gradnauer mit Rückendeckung des Landtages, einschließlich der sozialdemokratischen Fraktion, eng mit den süddeutschen Regierungen.341 Dem Stuttgarter Programm gegen eine Unitarisierung des Reiches schloss sie sich im Mai 1919 mit der Begründung an, dass der vollkommene Einheitsstaat „nicht erreichbar, aber auch kein Glück“ sei.342 Zu einer Nagelprobe, wie weit der republikanische Bundesstaat unterschiedliche politische Ansätze tolerierte und zuließ, wurde das „linksrepublikanische Projekt“343 in Sachsen, das deutlich gegen den Rechtsruck in der Reichspolitik gerichtet war und das als ernsthafte Alternative zum „phlegmatischen Reichsmodell“ und zur preußischen Politik verstanden werden konnte.344 Mit diesem Selbstverständnis rückte der Freistaat Sachsen wieder in den Mittelpunkt des nationalen Interesses. Das Kabinett Buck, das aus Vertretern der Mehrheitssozialisten und der USPD bestand, und die SPD-Minderheitsregierung Zeigner, die mit der KPD eine Tolerierungsvereinbarung geschlossen hatte, vermaßen mit ihrem Reformkurs, wie groß die politischen Gestaltungsräume der Länder waren, eine von der Reichsentwicklung abweichende Innenpolitik zu betreiben. Die Reichsexekution gegen die sächsische Regierung 1923 offenbarte, dass die Entscheidung, wie weit diese nach links auszubauen war, letzten Endes beim Reich lag.345 Sachsen hatte nach der Revolution 1918 auf eine Konsolidierung der Demokratie hingearbeitet: die Republikanisierung der Landesverwaltung und Polizei, die Zurückdrängung gegenrevolutionärer Organisationen, die Be339 Ottomar Schuchardt, Das ganze Sachsen. Die deutschen und weltpolitischen Aufgaben des Sachsentums, in: Sächsische Volkszeitung, o. D. 1928. 340 HStAD 10719 / 383 Telegramm Gradnauers an den Volksbeauftragten Ebert, Dresden 20.1.1919. 341 Die sächsische Gesandtschaft in München bestand bis 1929, vgl. R 43 I / 2311, Bl. 8. 342 GLAK 233/ 12889 Bericht der badischen Gesandtschaft, Berlin 29.5.1919 343 Die Bezeichnung von Karsten Rudolph ist auch von der thüringischen Landesgeschichtsschreibung übernommen worden, vgl. ders., Die Sozialdemokratie in der Regierung. Das linksrepublikanische Projekt in Sachsen 1920–1922, in: Helga Grebing u.a. (Hg.), Demokratie und Emanzipation zwischen Saale und Elbe. Beiträge zur Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung bis 1933, Essen 1993, S. 212ff. 344 Karsten Rudolph, Die sächsische Sozialdemokratie vom Kaiserreich zur Republik 1871–1923, Weimar 1995. 345 Karl Heinrich Pohl, Die Zerstörung des linksrepublikanischen Projektes in Sachsen. Zu Stresemanns „Krisenlösungsstrategie“ im Jahre 1923, in: GWU 7/8, S. 442–455.

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kämpfung von Arbeitslosigkeit und industrieller Krise machten Fortschritte. Die neue Verfassung des Sachsens vom 26. Oktober 1920 hatte die Stellung des Landesparlaments gestärkt. Mit Volksbegehren und Volksentscheid waren auch Formen direkter Demokratie vorgesehen.346 Dies ist umso bemerkenswerter, als die SPD-geführte Landesregierung durch ihre Abhängigkeit von den Kommunisten an sich auf wackligen Beinen stand. So riefen kommunistische Abgeordnete im Landtag dazu auf, die Verfassung zu beseitigen und das Parlament zu stürzen. Oder sie erklärten, die Massen sollten von der Illusion befreit werden, „dass eine sozialistische Regierung wie in Sachsen zum Sozialismus führen oder das Elend beseitigen kann“.347 In diesen problematischen Kontext gehört auch die Vorbereitung einer deutschen revolutionären Erhebung im Oktober 1923, die ihren Ausgangspunkt in Sachsen und Thüringen nehmen sollte. Die am 21. März 1923 legal zustande gekommene Regierung Zeigner, die mit der Beteiligung der Kommunisten an der Regierung und ihrer Einbindung in die parlamentarische Verantwortung auch hoffte, den Putsch-Plänen den Wind aus den Segeln zu nehmen, konnte trotz mehrerer Misstrauensvoten nicht gestürzt werden. Die bürgerlichen Parteien und Interessenverbände appellierten daher an das Reich.348 Sie lagen der Berliner Regierung in den Ohren, den Verhältnissen in Sachsen energisch entgegenzuwirken, und zwar notfalls mit dem Einsatz der Reichswehr. Der Sächsische Industriellenverband beklagte sich mehrfach über die Personalpolitik des Dresdner SPD-Innenministers Herman Liebmann und über die vom Ministerpräsidenten Erich Zeigner angekündigten „sozialistischen Experimente“.349 Der Bischof von Meißen Christian Schreiber hatte bereits 1922 gegenüber der SPD-Landesregierung Buck eine Wiederherstellung der Reichsautorität gefordert, die seiner Ansicht zufolge in Sachsen „nach und nach zu einem Spielball gewalttätiger religions-

346 Ebenda, S. 446–449. 347 Zit. nach Mike Schmeitzner, Die sozialdemokratischen Landtagsfraktionen im Freistaat Sachsen (1919–1933), in: ders. / Michael Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie im Sächsischen Landtag. Darstellung und Dokumentation 1877–1997, Dresden 1997, S. 14. 348 Keller, Landesgeschichte Sachsen, S. 270ff. 349 BAB R 43 I / 2308, R 43 / I 2309 und R 43 I / 2310, darin enthalten Sachsens industrielle Produktion unter sozialistisch-kommunistischem Terror. Denkschrift des Verbandes sächsischer Industrieller über Ausschreitungen gegen Industrielle, Angestellte und Arbeiter im Jahre 1923 (Veröffentlichungen des Verbandes Sächsischer Industrieller, Heft XXXIX), Dresden 1923.

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und christenthumsfeindlicher Gelüste“ geworden sei.350 Föderale Skrupel, soweit sie im bürgerlichen Lager bestanden, schwanden gegenüber der größeren Furcht vor einer sächsischen „Politik kommunistischer Hörigkeit“.351 Unter dem Eindruck von Inflation und Ruhrbesetzung hatte die am 21. März gebildete Einheitsfrontregierung Zeigner zudem eine öffentliche Debatte über die Gefahren, die der Republik drohten, vom Zaun gebrochen. Reichskanzler Stresemann empörte sich, „dass es allen bisherigen Gepflogenheiten im Verkehr des Reichs mit den Ländern widerstreitet“, wenn ein Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung vor dem Landtag die Reichsregierung angreife. Meinungsverschiedenheiten zwischen Reich und Ländern sollten „nur durch unmittelbare Fühlungnahme, nicht durch Angriffe in der Öffentlichkeit erledigt werden“. Besonders in der Nachkriegszeit galt jede Kritik als „eine Gefahr für die Einheitsfront im Innern und für die einheitliche Vertretung der Interessen des Reichs dem Ausland gegenüber“.352 Im Duktus der zeitgenössischen Staatslehre wurde von der sächsischen Landesregierung eine Orientierung an der Reichspolitik verlangt, wozu auch gehörte, dass die „Verunglimpfung der höchsten Einrichtungen des Reiches“ beendet werde.353 Stattdessen jedoch hielt der Schriftsteller Heinrich Mann im sächsischen Landtag ein scharfes Plädoyer für den „freien Volksstaat“. Im Reichstag, so hielt er dagegen, fühle man sich wie „im Hause der Gespenster“, von dem „ein Wort, gar eine Tat des Lebens überhaupt nicht zu erwarten“ seien.354 Am 27. Oktober forderte Reichskanzler Stresemann den sächsischen Ministerpräsidenten ultimativ auf, eine Landesregierung ohne Kommunisten zu bilden. Das Ultimatum Stresemanns stellte fest, dass ihre Regierungsbeteiligung auf Grund des Gesamtprogramms der KPD mit verfassungsmäßigen Zuständen unvereinbar sei. Die sächsische Antwort, die fristgerecht einen Tag später in Berlin eintraf, war ein klares Nein: Nur der sächsische Landtag sei legitimiert, die Regierung abzurufen. Der Reichspräsident ermächtigte daraufhin den Reichskanzler auf Grund von Artikel 48 der Reichsverfassung, die 350 BAB R 43I / 2307 Der Bischof von Meißen in Bautzen Dr. Christian Schreiber an Reichskanzler Wirth, Bautzen, 9.11.1922, Bl. 216ff. (Abschrift) 351 BAB R 43 I / 2308 Deutschnationale Volkspartei, Landesverband Sachsen, Dresden 10.8.1923. 352 BAB R 43 I / 2307 Stresemann zu den Vorwürfen gegen die Reichsregierung in der am 11.4.1923 vor dem Landtag abgegebenen sächsischen Regierungserklärung (Abschrift), April 1923, Bl. 283. 353 BAB R 43 I / 2308 Reichswehrminister Geßler an den Reichskanzler zur Verfassungsfeier der sächsischen Regierung, Berlin 23.8.1923, Bl. 226. 354 BAB R 43 I / 2308 Auszug aus Heinrich Manns Festansprache zur Verfassungsfeier 1923, Bl. 227.

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Mitglieder der sächsischen Regierung sowie der Landes- und Gemeindebehörden zu entlassen. Stresemann ernannte den früheren Reichsjustizminister und damaligen Reichstagsabgeordneten der DVP Karl Rudolf Heinze zum Reichskommissar für Sachsen. Am frühen Nachmittag des 29. Oktober zog die Reichswehr vor die Dresdner Ministerien und zwang die Minister, angeblich mit entsichertem Gewehr, ihre Diensträume zu verlassen. Am 30. Oktober erklärte Zeigner offiziell seinen Rücktritt und damit zugleich den des Gesamtministeriums. Am 31. Oktober wählte der sächsische Landtag den früheren Wirtschaftsminister Alfred Fellisch zum Ministerpräsidenten einer rein sozialdemokratischen Minderheitsregierung, die von der DDP toleriert wurde. Noch am gleichen Tag beendete Reichspräsident Ebert auf Ersuchen Stresemanns das Mandat des Reichskommissars. In der Bewertung der Reichsexekution gegen Sachsen 1923 hat die historische Forschung – vor allem im Vergleich zum Preußenschlag 1932 – meistens ein Auge zugedrückt,355 obwohl es zeitgenössisch bereits kritische Einwände gegen die Auslegung der Verfassung gab. Worauf stützte sich die Kritik? Die Bildung der Einheitsfrontregierungen aus SPD und KPD in Dresden und Weimar erfolgte 1923 durch parlamentarische Mehrheitsentscheidungen. Formell konnte das Reich gegen das Zustandekommen der neuen Kabinette daher nichts einwenden, zumal sie keine Schritte unternahmen, die man hätte als reichsfeindlich bezeichnen können. Jedoch ließ sich die Auffassung vertreten, dass die Aufnahme von erklärten Gegnern der Reichsverfassung in die Regierung eines deutschen Landes eine Verletzung der Reichsverfassung bedeutet und deshalb als ultima ratio eine Reichsexekution nach Artikel 48, Absatz 1 gerechtfertigt sei: „Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.“356 Da die Reichsregierung 1922 jedoch nichts gegen die republikfeindliche Landesregierung Kahr in Bayern unternommen hatte, blieb die Legitimation der Maßnahmen gegen Sachsen 1923 umstritten. Hugo Preuß hat die verfassungswidrige Ungleichbehandlung Sachsens und Bayerns herausgestellt: „In Sachsen haben einzelne Mitglieder der Landesregierung zum Widerstand gegen die Reichsregierung aufgefordert; in Bayern hat die gesamte Landesregierung als solche den Maßregeln der Reichsregierung unter mehrfachem Bruch der klarsten Bestimmungen der Reichsverfassung und mit Hilfe militärischer Meuterei tatsächlich Widerstand geleistet. Indem die Reichsregierung dagegen nicht 355 Winkler, Weimar, S. 224–230; abweichend davon Pohl, Die Zerstörung des linksrepublikanischen Projektes in Sachsen, S. 442–455. 356 WRV, Artikel 48, Absatz 1

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aufgrund des Artikels 48 Abs. 1 vorgegangen ist, hat sie seiner Anwendung gegen Sachsen selbst die verfassungsrechtliche Voraussetzung entzogen; denn die prinzipielle Gleichberechtigung der Länder im Verhältnis zum Reich ist ein unbestrittener Rechtsgrundsatz der Verfassung.“357 Nach Preuß‘ Meinung konnte das Vorgehen in Dresden daher nur auf die Diktaturkompetenz nach Artikel 48, Absatz 2 gestützt werden: „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten (…)“358 Jedoch habe das Reich auch hier die fast unbegrenzten Vollmachten nicht „mit sorgfältiger Korrektheit“ angewendet: „Daß man die Krawalle und Plünderungen in Sachsen, nicht aber die wiederholten Verfassungsbrüche, militärischen und zivilen Insurrektionen in Bayern für erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hält, ist keine Frage des Verfassungsrechts, sondern des politischen Ermessens; die beiden Länder werden in diesem Fall rechtlich, freilich um so offenkundiger politisch verschieden behandelt.“359 Außerdem kenne Absatz 2 „überhaupt keinen Ausnahme- oder Belagerungszustand, und vollends keinen militärischen“.360 Als Mittel der Reichsaufsicht sprach die Verfassung zwar ausdrücklich von der „bewaffneten Macht“, damit war jedoch lediglich das schärfste Mittel genannt, nicht das einzige. In Frage kam auch politischer oder wirtschaftlicher Druck, etwa durch Zurückhaltung von finanziellen Reichszuschüssen.361 Intern räumte die Reichsregierung ein, dass die Besetzung des Dresdner Ministeriums, das Auffahren von Maschinengewehren und die Militäraktion gegen den Landtag die Reichsexekution in den Verdacht eines Militärputsches gerückt hatten.362 Zumal die Reichswehr im Vorfeld der Reichsexekution ganz

357 Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 384. 358 WRV, Artikel 48, Absatz 2. 359 Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar (1924), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 384. 360 Ebenda. 361 Zu Voraussetzungen und Mitteln der Reichsexekution siehe Holste, Bundesstaat im Wandel, S. 481–484. 362 BAB R 43 I / 2309 Protokoll über die Sitzung des Reichsministeriums zur Lage in Sachsen vom 29.10.1923. Entsprechend heikel war „die Stellung der Reichsregierung in diesem Verfassungsrechtsstreit“. Sachsen klagte beim Leipziger Staatsgerichtshof, zog die Klage aber im Februar 1926 zurück, R 43 I / 2310, Bl. 109f.

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Sachsen ihrer Kontrolle unterworfen hatte.363 Es wurde auch nicht bestritten, dass die sächsische Regierung abgesetzt worden war, um die antirepublikanische Rechte in Bayern zu beschwichtigen.364 Preuß stützte seine Vorwürfe zum Vorgehen gegen Sachsen auf die Entstehungsgeschichte und den republikanischen Geist der Verfassung, denn das Recht des Reichspräsidenten, Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu treffen und damit in die Kompetenz der Länder einzugreifen, war in der Verfassung selbst nicht begrenzt worden. Die wichtige, für die ganze bundesstaatliche Ordnung entscheidende Bestimmung dieser Grenze, kritisierte der Rechtspositivist Hans Kelsen im Zusammenhang des Wiederholungsfalls gegen Preußen 1932, sei in der Weimarer Verfassung nicht vorhanden. Kelsen hielt daher auch eine extensive Übertragung von Landeskompetenzen auf das Reich für möglich, zumal das vorgesehene Ausführungsgesetz (Artikel 48, Absatz 5) niemals erlassen wurde. Die Berufung des Leipziger Staatsgerichtshofes auf die Unterscheidung der beiden Absätze, die im Preußenurteil 1932 zum Tragen kam, hielt er schlussendlich für wenig ergiebig: „Solange es die Verfassung selbst nicht verhindert, ist sie selbst es, die die Möglichkeit schafft, durch die Anwendung des Artikel 48/II das Reich aus einem Bundesstaat in einen Einheitsstaat zu verwandeln.“365 Die Sozialdemokraten, welche die größte Partei in Sachsen stellten, blieben auch nach 1923 auf der „föderalistischen Welle“, die sie in der Nachkriegszeit erfasst hatte. Bis zum Juni 1929 in allen sächsischen Kabinetten vertreten, hielten sie die Landesregierung für „etwas sehr Bedeutsames und unbedingt Beizubehaltendes“.366 Mit Abstand zur Reichsexekution wurden der Einmarsch der Reichswehr und die Absetzung der Landesregierung 1923 nun auch im bürgerlichen Lager wesentlich kritischer beurteilt: Man hätte die Hilfe des Reiches „um den Preis des Rechtes im eignen Haus“ angerufen. Die SPD/KPD-Einheitsfrontregierung Zeigner galt zwar immer noch als „Missre-

363 Zum Verbot der proletarischen Hundertschaften am 13.10.1923, zur Unterstellung der sächsischen Polizei und dem Einmarsch der Reichswehr seit dem 21.10.1923 vgl. Winkler, Weimar, S. 224–226. 364 So erklärte der Reichskanzler die „Bereinigung Sachsens ist Voraussetzung des Sieges über Bayern“, BAB R 43 / 2309 Parteiführerbesprechung am 29.10.1923, Bl. 222. 365 Hans Kelsen, Das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober 1932, in: Die Justiz, November/Dezember 1932, VIII. Band, Heft 2/3, S. 65–91, zit. S. 90. 366 BAB R 43 I / 2310 Vortrag von Staatssekretär Pünder über ein Gespräch mit dem sächsischen Vertreter zum Reichsrat Georg Gradnauer zur Länderkonferenz, Berlin 22.11.1927, Bl. 288f.

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gierung, aber der Weg zum Besseren war zu teuer erkauft mit diesem Schlag gegen die Selbständigkeit der Länder.“367 Insbesondere Klagen über die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Reiches, die „jedes Verständnis für die Sonderart und die Standortbedingungen der sächsischen Wirtschaft vermissen“ ließe, rissen nicht ab.368 Berlin hänge Sachsen den Brotkorb immer höher, kritisierte der sächsische deutschnationale Landtagsabgeordnete Siegert auf dem Chemnitzer Landesparteitag 1931 die Spar- und Deflationspolitik der Reichsregierung Brüning, die als Hauptgrund für die katastrophalen Folgen der Weltwirtschaftskrise in Sachsen angesehen wurde.369 In Sachsen sei „schon mancher Saulus des Einheitsstaates zum Paulus des Bundesstaates“ geworden, sobald er erst die praktischen Folgen des Unitarismus gespürt hat, erklärte der sächsische Vertreter in München der bayerischen Regierung.370 In der Länderkonferenz, die von 1928 bis 1930 über eine Reichsreform beriet, war der stellvertretende Bevollmächtigte Sachsens zum Reichsrat Fritz Poetzsch-Heffter besonders engagiert. Aufgrund seiner fachlichen Überlegenheit dominierte der Staatsrechtler gemeinsam mit dem preußischen Regierungsbeamten Arnold Brecht deutlich die Diskussion. Gleich Brecht fehlte aber auch Poetzsch-Heffter der politische Rückhalt für die Umsetzung seiner Ambitionen.371 Seine Hoffnung, dass „die extremen Zentralisten bei ihrer Aushöhlungspolitik durch eine solche Reform nur gestört werden“, schoss weit über das Ziel sächsischer Politik hinaus.372 Im Interesse der Erhaltung Sachsens hatte Poetzsch-Heffter empfohlen, „äußere Prestigeformen“ der Länder preiszugeben, wenn im Gegenzug die Ausdehnung der Reichskompetenzen gestoppt und die Selbstverwaltung der Länder ausgebaut werden würde. Nichts tun für die Reichsreform hieß seiner Meinung nach den „Aushöhlungsprozeß weitergehenlassen und ruhig dabei zu stehen, während der Verwaltungszen-

367 Otto Kunze, Sachsen und Thüringen, in: Vom Dritten Reich, 20.9.1928. 368 HStAD 10719 / Nr. 4002 Berichte des Landtages. Anfrage der Deutschnationalen Landtagsfraktion, 4.4.1932 sowie Kundgebung der sächsischen Wirtschafts-, Kommunal-, Kultur- und Beamtenverbände im Dresdner Vereinshaus, 29.4.1932. 369 Landesparteitag der Deutschnationalen Volkspartei in Chemnitz, in: Leipziger Neuester Kurier, 2.5.1931. 370 BHStAM MA 1943 / 103 321 Gottschald an Sommer, 24.5.1932. 371 Fritz Poetzsch-Heffter, Grundgedanken der Reichsreform, Berlin 1931. 372 HStAD 10722 / 370 Poetzsch-Heffter an den sächsischen Gesandten in München Gottschald, Berlin 17.11.1928.

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tralismus sich breit macht“, und er fragte: „Wollen die Länder warten, bis sie einmal wie ein Skelett im staatlichen Purpur dastehen?“373 Der sächsische Vertreter zum Reichsrat Georg Gradnauer hat darauf eine klare Antwort gegeben, indem er Poetzsch-Heffter deutlich zu verstehen gab, wie die „Lebensinteressen peripherer Gebiete“ und eine „verstärkte Selbstverwaltung und Einwirkungsmöglichkeit … auf Gesetzgebung und Reichsverwaltung“ in Zukunft gesichert werden sollten: „In der bisherigen Erhaltung der Landesregierung und des Landtages“ sah der einstige Vorsitzende der sächsischen Volksregierung und erste Ministerpräsident des Freistaates „im Wesentlichen die Gewährleistung einer hinreichenden Selbstverwaltung, die auch bei neuer staatrechtlicher Gestaltung im Verhältnis zwischen Reich und Ländern aufrechterhalten werden müsse“.374 Die Regierung in Dresden legte ihrem Vertreter auf der Länderkonferenz Poetzsch-Heffter schließlich mehr Zurückhaltung ans Herz: „Wenn Brecht vorschwebt alle Länder außer den drei süddeutschen und Sachsen in ein Großpreußen hineinzubekommen, dann bleiben wir als ‚Heimatschutzbezirk‛ zwar zunächst übrig, der Weg wird aber doch dann … zum zentralisierten Einheitsstaat führen“.375 Im Diskussionsverlauf der Länderkonferenz lag der Erhalt Hessens und Thüringens im Selbsterhaltungsinteresse Sachsens, das beiden Ländern in dieser Frage sekundierte.376 Zugleich blieb das Industrieland Sachsen an einer Schmälerung des Länderfinanzausgleichs interessiert, der kleinen Ländern und Bayern zu Gute kam.377 Die durch Dresden angeregten Mitteldeutschlandpläne fanden in Thüringen, das sich nicht nur von Preußen, sondern auch von Sachsen bedrängt fühlen musste, kein Gehör. Selbst der so behutsame Plan einer Verwaltungsunion 1928 verursachte eine öffentliche Protestwelle, an der sich unter ande-

373 HStAD 10722 / 370 Poetzsch-Heffter an den sächsischen Gesandten in München Gottschald, Berlin 20.10. 1928. 374 HStAD 10719 / 390 Sächsische Gesandtschaft, Gradnauer, Berlin 23.11.1927. 375 HStAD 10719 / 390 Ministerialrat Schettler an Poetzsch-Heffter, Dresden 16.9.1929. 376 HStAD 10719 / 394 Sächsische Gesandtschaft, Gradnauer, 16.8.1928. 377 Mit der Begründung, dass der Finanzausgleich „Millionen aus dem sächsischen Steueraufkommen stammender Gelder Sachsens zugunsten anderer Länder entzöge“, BAB R 43 I / 2311 Vermerk der Reichskanzlei über eine Besprechung mit dem sächsischen Finanz- und Wirtschaftsminister Hans Hedrich, weiteren Vertretern der sächsischen Regierung und einer Abordnung des Verbandes deutscher Industrieller, Bl. 123.

Thüringen, Sachsen und Hessen

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ren 70 Professoren der Jenaer Universität und alle drei thüringischen Handelskammern beteiligten.378 Das Scheitern der Großsachsen- und Mitteldeutschlandpläne und die teils widersprüchlichen sächsischen Positionen in der Reichsreformdebatte wurden in der Öffentlichkeit als gescheiterte Wiederbelebung der alten TriasIdee sächsisch-bayerischer Politik karikiert. So kommentierte die Kölnische Zeitung: „Als dieser Tag ein Ausländer eine für ihn wichtige Auskunft beim sächsischen ‚Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten‛ einholen wollte, erfuhr er zu seiner Überraschung, dass man dort zwei Tage nicht amtiere, weil die Scheuerfrauen am Werke seien. Die Räume des hohen Ministeriums zu säubern. Ein fühlbarer Schade ist der Außenpolitik des sächsischen Staates aus diesem Scheuerfest nicht entstanden, und Skeptiker behaupten, die Scheuerfrauen sollten das ganze Jahr hindurch arbeiten – das sei nicht nur billiger, sondern würde Sachsen auch vor Niederlagen und Blamagen auf das Sicherste bewahren.“379 Aus den Fehlschlägen Sachsens in der Reichseinigungs- und Reichsreformpolitik seit dem Ende des Alten Reiches haben die Nationalsozialisten einen Mangel an „Staatsgefühl im sächsischen Volk“ abgeleitet. Und so stimmte eine Darstellung der sächsischen Geschichte, die 1935 erschien, in den Abgesang auf ein eigenständiges Land Sachsen ein: „Bei dem an sich schwachen eigenstaatlichen Wollen im Lande wird ihm der Weg zur Reichseinheit in unseren Tagen leichter, als dies bei den Ländern mit ausgeprägtem staatlichen Eigenleben der Fall ist.“380 Die Zukunft Sachsens sollte „wieder stärker vom Gesamtdeutschtum, vom Reichsgedanken her bestimmt sein“ und nach ihren Irrwegen „wieder einbiegen in eine Linie geschichtlichen Gesamterlebens, die das deutsche Volk im Spätmittelalter verlassen“ hätte. Gegenüber einer „überzeitlichen Idee des Reichs und seiner Sendung in der Geschichte“ erschien der „Teilstaat“ Sachsen nur noch als ein ephemeres historisches Gebilde.381 Im Spannungsfeld von nationalsozialistischem Reichszentralismus und Gaupartikularismus haben gleichsam tief sitzende lokale und regionale Traditionen zur Akzeptanz des Nationalsozialismus in der Bevölkerung beigetra-

378 Roswitha Berndt, Das Projekt Mitteldeutschland in den Reichsreformplänen der Weimarer Republik, in: JbRegionalG 16/I (1989), S. 147–155, S. 153. 379 Sächsische Außenpolitik, in: Kölnische Zeitung, 21.10.1928. 380 Rudolf Kötzsche / Hellmut Kretzschmar, Sächsische Geschichte. Werden und Wandlungen eines Deutschen Stammes und seiner Heimat im Rahmen der Deutschen Geschichte, Bd. 2, Dresden 1935, S. 249. 381 Ebenda.

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gen.382 Der Prozess der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten verlief in Sachsen in den gleichen Schritten wie in allen anderen deutschen Ländern. Eine Rivalität lokaler NS-Funktionäre personifizierte sich in NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Martin Mutschmann und dem in Sachsen eingesetzten Reichskommissar Manfred von Killinger, der von dieser Position aus das Nachsehen hatte.383

Hessen Mit seinem zweigeteilten Territorium im zersplitterten Rhein-Main-Gebiet galt auch Hessen als „ein Schulbeispiel für die Notwendigkeit einer baldigen und gründlichen Reichsreform“384. Die preußischen Annexionen Kurhessens, Nassaus und Frankfurts 1866/67 hatten zwar zu einer gewissen Flurbereinigung im hessisch-mittelrheinischen Raum geführt, jedoch verfügte auch die preußische Provinz Hessen-Nassau mit ihrem Frankfurter Schlauch über keinen befriedigenden territorialen Zuschnitt.

382 Zur Rolle regionaler Strukturen in Sachsen vgl. Claus-Christian Szejnmann, Nazism in Central Germany. The Brownshirts in „Red” Saxony, Oxford / New York 1999; Thomas Schaarschmidt, Regionalkultur und Diktatur 1918–1961. Sächsische Heimatbewegung und Heimat-Propaganda im Dritten Reich und in der SBZ/DDR, Köln 2004 sowie Wagner, „Machtergreifung” in Sachsen (2004). 383 „Man wird einsehen, dass dem Streben Einzelner nach Macht und Einfluss, und sei es nach den Jahren des Kampfes noch so verständlich, doch Grenzen gesetzt sind, wenn der Führer meint, dass zur Leitung eines Landes und zur Führung der Ministerialgeschäfte doch eben andere Erfahrungen und Eigenschaften nötig sind, dass zu dem Opfermut und zu dem festen Willen auch Personalkenntnis hinzutreten muss, gründliche Kenntnis der Verwaltung und Justiz in all ihren Zweigen.“ BAB R 43 II / 1371 Vortrag des Landesleiters des Nationalsozialistischen Juristenbundes für Sachsen und Thüringen und Justizbeauftragten der kommissarischen Regierung Sachsens Hanns Fritzsche, 6.4.1933, S. 7 und R 43 II / 1371 Ernennung Mutschmanns zum Reichsstatthalter durch Hindenburg, Berlin 5.5.1933, Bl. 52. 384 Walter Friedensburg, Hessen-Kassel und das Rhein-Main-Gebiet, in: Südwestdeutschland als Kultur- und Wirtschaftseinheit, Sieben Rundfunkvorträge, 1931, S. 36–50, auch abgedruckt in: Hessenland 42 (1931) S. 1–6, zit. S. 1; Ulrich Reuling, Reichsreform und Landesgeschichte. Thüringen und Hessen in der Länderneugliederungsdiskussion der Weimarer Republik, in: Michael Gockel (Hg.), Aspekte thüringisch-hessischer Geschichte, Marburg 1992 und Eckhardt G. Franz, Der Weg nach Groß-Hessen. Staatsbildung und Landesbewusstsein im Hessischen 1803–1946, in: BDLG 132 (1996), S. 71–90, insbes. S. 82–87.

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Nach der Novemberrevolution erhielt eine antipreußische GroßhessenBewegung Auftrieb,385 welche vor allem in der Provinz Hessen-Nassau, aber auch im Land Hessen und im Hessischen Volksbund organisiert war. Über die Tagespresse, Flugschriften sowie eigens gegründete Zeitschriften386 erreichte sie vergleichbar der Großthüringen-Bewegung eine große Öffentlichkeitswirksamkeit, bis sie 1924 mit dem Hessischen Volksbund wieder in der Bedeutungslosigkeit versank. Programmatisch ging der Volksbund von einer Auflösung Preußens und einer Brückenfunktion des hessischen Raumes zwischen Nord- und Süddeutschland aus. In der Zeitschrift seines Landesverbandes Hessen-Nassau erschien dazu das folgende Gedicht: „Wollt Ihr ein neues Preußen / Gebt unsre Heimat frei! / Dann laßt Euch Brüder heißen / Der’n Losung ,Deutschland‘ sei / Dann stehn wir an der Wende / Im deutschen Vaterland / Dann reichen wir die Hände / Hin ob der Elbe Strand!“387 Der Terminus Groß-Hessen griff in das überlieferte dynastische Ländergefüge ein, welches das ehemalige Großherzogtum Hessen(-Darmstadt) und die preußische Provinz Kurhessen mit Frankfurt, Wiesbaden und der Provinzhauptstadt Kassel umfasste. Er war erstmals 1909 in den Überlegungen des Großherzogs Ernst Ludwig begründet worden. In einer Art Fürstenspiegel hatte der Monarch die Vision eines in zehn „volksmännisch“(e) Bundesstaaten gegliederten Deutschlands dargelegt, dem er auch ein territorial nicht näher umschriebenes Großhessen zurechnete.388 Stand dieses eher beiläufig entwickelte hessische Gesamtkonzept aus der Kaiserzeit isoliert und insbesondere noch ohne Rücksichtnahme auf dynastische Herrschaftsansprüche, konnte die 1918 entstandene Großhessenbewegung für sich in Anspruch nehmen, dass ihre Vorstellungen im Grunde den 385 Friedrich Peter Kahlenberg, Großhessenpläne und Separatismus, in: Geschichtliche Landeskunde 5/II (1969), S. 355–395; Reuling, Reichsreform und Landesgeschichte, S. 277–280. 386 Fritz Stück, Freistaat Hessen? Ein Mahnwort 1918. Das Fragezeichen wich in der 1919 erschienenen 2. Aufl. einem Ausrufungszeichen; außerdem Hessische Freiheitsblätter. Deutsch-föderalistische Korrespondenz Nr. 1–20, Cassel 1919/20. Im Anschluss erschienen unter dem Titel: Hessen. Zeitschrift für die Einheit und Freiheit des Hessenlandes und für den Neuaufbau des Reiches, Nr. 1–5, 1920–24, ab 1925 als neue Hessische Zeitung, die wöchentlich herauskam; vgl. auch Friedrich Peter Kahlenberg, Großhessenpläne und Separatismus, in: Festschrift Ludwig Petry, Wiesbaden 1969, S. 365. 387 „Preußens Ar?“, in: Hessen. Zeitschrift des Landesverbandes Hessen-Nassau im Hessischen Volksbund, 15.8.1921. 388 Zu den hessischen Vereinigungskonzepten im 19. Jahrhundert siehe Franz, Der Weg nach Groß-Hessen, S. 71–90, hier S. 74–81.

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ursprünglichen Entwürfen Hugo Preuß’ und seiner Berater für eine neue Reichsverfassung entsprachen. Für eine Zusammenfassung des preußischen Hessen-Nassaus mit Waldeck, dem Land Hessen, der bayerischen Rheinpfalz und den ehemals pfälzischen Gebieten Nordbadens mit Mannheim und Heidelberg trat 1919 auch der renommierte Geograph Walter Vogel ein.389 Wie der in verschiedenen Variationen vorgebrachte Appell an eine vermeintliche Stammeseinheit der Chatten-Hessen zeigte, wurzelten hessische Raumvorstellungen in ihrer Entstehungsphase dabei weniger in verwaltungsund wirtschaftsgeographischen Gedanken als in stammesgeschichtlichen und historischen Überlegungen. Da jedoch vergangene Herrschaftsbildungen unterschiedlich gewichtet und beurteilt wurden, prallten mit „Hessen“ und „Rheinfranken“ bald zwei Konzepte über die historisch vorgezeichneten Wege einer Neugliederung aufeinander. Für die Ausformung von Kulturlandschaften wurden insbesondere frühgeschichtliche Siedlungsvorgänge und Herrschaftsverhältnisse als bedeutsam angesehen. Der aus dieser Geschichte gewonnene Stammesbegriff wurde sodann zu einem zeitlosen Grundmuster verdichtet, das bis in die Gegenwart verfolgt wurde. Damit verbunden war die Neigung, ausgesprochen selektiv vorzugehen und spätere historische Ereignisse, die der eigenen Festlegung und Abgrenzung historischer Landschaften widersprachen, zu relativieren. So wurde das Land Hessen im Streit der Gelehrten als Ort des Hessentums und des Hessengedankens durchaus abgelehnt, da es nur wenige hessische Gebietssplitter enthalten würde und vor allem im Ergebnis dynastischer Staatsbildung entstanden sei. Der vom preußischen Regierungsbezirk Kassel beförderten Meinungsbildung, der kurhessische Norden habe daher nichts mit dem Rhein-Main-Gebiet gemeinsam und müsse in einem erweiterten Wirtschaftsgebiet und einer eigenen Verwaltungseinheit Nordhessen aufgehen, standen wiederum die Auffassungen von Historikern entgegen, die sich für die Darmstädter Großhessen-Propaganda und die Groß-Rhein-Franken-Pläne einspannen ließen.390 Eine überregionale Bedeutung erlangten in den 1920er Jahren die Reichsreforminitiativen der Stadt Frankfurt. August Weitzel entwickelte seinen Großhessenplan auf der Basis einer Neugliederung des Reiches unter wirtschaftsgeografischen Gesichtspunkten weiter. Der so genannte Frankfurter Entwurf war ein Modell für zentralisierte Großprovinzen, die um industrielle Ballungszentren angelegt werden sollten. Für den hessischen Raum wollte Weitzel ein „Rheinfranken“ schaffen, mit Frankfurt als Verwaltungssitz eines 389 Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung, S. 12f. 390 Eine ausführliche Darstellung der Kontroverse durch Reuling, Reichsreform und Landesgeschichte, S. 285–296.

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südwestdeutschen Wirtschaftsgebietes, das preußische, hessische und bayerische Gebietsteile einbezog.391 Die von 1919 bis 1927 amtierende Landesregierung unter dem SPD-Ministerpräsidenten Carl Ulrich begann konzeptionell im Sommer 1919 aktiv zu werden. Ihre Vergrößerungswünsche gingen jedoch von anderen Prämissen als die Großhessenbewegung aus.392 Das Projekt eines „Klammerstaates“ in Gestalt einer mittelrheinischen Republik bzw. Rheinfränkischen Republik begegnete vorrangig Separationsbestrebungen und Besatzungsproblemen, die 1919 mit der Ausrufung der Rheinischen Republik einen Höhepunkt erreichten und die angesichts der offenkundigen französischen Protektion als Bedrohung für den Volksstaat Hessen wahrgenommen wurden. Der neue „Gliedstaat Mittelrhein“ sollte von daher als „ein wirtschaftlich kräftiges Staatswesen“ zu einem „festen Eckpfeiler“ des Reiches ausgebaut werden, der „in glücklicher Weise die Länder links und rechts des Mittelrheins“ miteinander verbinden und außerdem eine „Mainbrücke“ zwischen dem Norden und Süden des Reiches schlagen würde.393 Dauerhaft glaubten hessische Landes- und Kommunalpolitiker, nur in einem vergrößerten Hessen die Nachteile der Rheinlandbesetzung mit dem französischen Hauptquartier in Mainz ausgleichen zu können, wie es vergleichsweise in den großen Ländern Preußen und Bayern mit besetzten Landesteilen der Fall war.394 Als Preußen sich brüsk gegen jede Abtrennung preußischer Gebietsteile wandte, wurde die Notlage des Landes auf das Schuldnerkonto des Reiches gesetzt, weil dieses die wirtschaftlichen Auswirkungen der französischen Besetzung, die auf die Ländergrenzen keine Rücksicht nahm, einem kleinen Land 391 Weitzel, Die regionale Gliederung des deutschen Einheitsstaates (1928) und ders., Die raumverschiebende Auswirkung der Neugliederung im rheinfränkischen Wirtschaftsgebiet, Braunschweig u. a. 1929. 392 Das erweiterte Konzept zur Großhessenbewegung entwarf der Darmstädter Archivdirektor Julius Reinhard Dieterich, Großhessen oder Rheinfranken? Darmstadt 1919. Über die großhessischen Forderungen hinaus umfasste es die Pfalz, wenn möglich auch Aschaffenburg, das oldenburgische Birkenfeld und das ehemals pfälzische Nordbaden, ders., Die Reichsreform und Hessen. Vortrag bei der Historischen Fachschaft der Universität Gießen 16.7.1930 Vortragsmanuskript, abgedruckt in: Volk und Scholle 8 (1930), S. 328–334, in: HStADa O 61 Dieterich. 393 BAB R 43 I / 2271 Staatsminister Carl Ulrich an Friedrich Ebert, Darmstadt 30.6.1919, Abschrift, Bl. 40f. 394 Besprechung zwischen Reichs- und Ländervertretern über die großhessische Frage, Weimar 14.7.1919, in: Akten der Reichskanzlei, Das Kabinett Bauer, Bd. 1, Boppard a. Rhein 1980, S. 120–128 und BAB R 43 I / 2271 Der Reichsvertreter in Darmstadt, 1.2.1922, Bl. 6.

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wie Hessen allein zumuten würde. In Hessen, so argumentierte der Vertreter der Reichsregierung in Darmstadt David ganz auf der Linie des hessischen Finanzministers Konrad Henrich (DDP), sei den Betrieben von der Konkurrenz in den nicht besetzten Reichsgebieten während des Ruhrkampfes „die Kundschaft abgejagt worden“, so dass nunmehr das Reich mit Staatsaufträgen aushelfen müsse.395 Bei kritischer Betrachtung war die wirtschaftlich angespannte Situation Hessens nur zum Teil eine Folge von Ruhrkampf und Besatzung, denn die hohe Arbeitslosigkeit und die schwindenden Steuereinnahmen des Volksstaates waren ebenso von strukturellen Krisen bedingt.396 Die andauernden Klagen über die ausbleibende Solidarität des Reiches und die 1925 einsetzende Debatte über die Selbstständigkeit des Landes zielten vornehmlich auf eine Wiederaufnahme von Transferzahlungen in die besetzten Gebiete, wie sie unter dem suggestiven Eindruck eines gemeinsamen nationalen Schicksals während des Ruhrkampfes geleistet worden waren. Wenn Hessen schon „die ideellen und geistigen Nöte der Besatzung als selbstverständlich allein“ zu tragen hätte, sei Berlin wenigstens zu finanzieller Unterstützung verpflichtet.397 Der Appell, das Reich müsse einspringen, „um zu einer Rettung für sich und dadurch auch für uns zu kommen“, untermauerte zusätzliche Forderungen nach finanziellen Reichszuschüssen: „Wenn es in dieser Westecke, die nicht nur von Frankreich dauernd beobachtet wird, sondern wo sich Städte und Industrie zusammenballen wie nur an wenigen Plätzen Deutschlands und wo eine sehr leicht erregbare Bevölkerung wohnt, zum Aufstand kommt, dann werden die Wirkungen unübersehbar sein. Da wir im neutralen Gebiet wohnen und deshalb keine Reichswehr haben, wird eine Niederschlagung des Aufstandes undenkbar sein. Die grosse Gefahr besteht, dass dann die Franzosen ‚zur Sicherung der Ruhe in ihrem Gebiet‛ einmarschieren werden.“398 Mit größerer politischer Phantasie und Gestaltungswillen in der Reichsreformdebatte agierte das von 1928 bis 1933 amtierende hessische Kabinett mit Staatspräsident Bernhard Adelung (SPD) und Innenminister Wilhelm Leuschner (SPD).399 Leuschner verband die wirtschaftspolitischen Motive der 395 BAB R 43 I / 2271 Reichsvertretung Darmstadt, 14.11.1925, Abschrift, Bl. 210, und am 19.1.1926, Bl. 229f. 396 BAB R 43 I / 2271 Memoranden der Reichsministerien zur Denkschrift der hessischen Regierung vom 15.3.1926, Bl. 283–289. 397 BAB R 43 I / 2272 Memorandum der hessischen Regierung, 25.3.1928, Bl. 70–77, hier Bl. 74. 398 BAB R 43 I / 2272 Schreiben des hessischen Finanzministers, 14.7.1931 und BAB R 43 I / 2271 Bl. 232ff. 399 HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft München, 22.12.1928 (Entwurf).

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Rhein-Main-Pläne und die durch die Großhessen-Propaganda angefachten historischen Emotionen zu einem erweiterten Reichslandkonzept, in dem der hessische Volksstaat seine Selbstständigkeit aufgeben und mit Frankfurt und dem umliegenden Rhein-Main-Gebiet zusammengeschlossen werden sollte: „Dem gesunden, nüchternen Sinn der Bevölkerung widerstrebt es, dass hier, wo diesseits und jenseits der hessisch-preußischen Grenzpfähle nach Mundart, Menschenschlag und kultureller Vergangenheit alles ein Stamm ist, zehn Jahre nach der Abdankung der Dynastien noch immer Hoheitsgrenzen von wirtschaftlich völlig unsinniger Linienführung auseinanderhalten wollen, was nun einmal zusammengehört.“400 Die hessischen Sozialdemokraten waren schon seit 1918 für eine Stärkung der Reichsgewalt und eine Flurbereinigung eingetreten. Sie sahen sich nicht zuletzt aufgrund ihres unitarisch gehaltenen Parteiprogrammes dazu berufen, mit einer Art Pilotprojekt eine „Brücke zum Einheitsstaat“ zu bauen und Hessen zum „Schrittmacher des neuen Reiches“ zu machen. Dabei setzten sie sich jedoch nachhaltig für den Zusammenhalt des hessischen Territoriums ein.401 Die Stadt Frankfurt schien im Interesse des „rhein-mainischen Verständigungsgedankens“ sogar zu einer Aufgabe ihrer Hauptstadtambitionen bereit zu sein.402 Von Preußen wurde daher 1928 erwartet, dass es auf der Länderkonferenz „gerade dort Farbe bekenne, wo es ihm unangenehm sei, d. h. besonders in der hessischen Frage“.403 Eine hessische Lösung lehnten die preußischen Genossen jedoch ebenso deutlich ab wie sie es gegenüber anderen Länderregierungen taten, die dem Konzept eines dezentralisierten Einheitsstaates aufgeschlossen gegenüberstanden. Stattdessen empfahl der SPD-Innenminister Albert Grzesinski den Darmstädtern eine für sie kaum akzeptable Verwaltungsgemeinschaft mit Preußen nach dem Vorbild Waldecks, das zu dieser Zeit endgültig preußisch wurde.404 Da auch die Länderkonferenz die beiden wichtigsten Anliegen Hessens, die Neugliederungsfrage und den Finanzausgleich, nur sporadisch behandelte, 400 Der SPD-Politiker preschte mit seinem Vorschlag öffentlichkeitswirksam am 18.1. in der Frankfurter Zeitung vor: Wilhelm Leuschner, Die Brücke zum Einheitsstaat. Ein Vorschlag zur Reichsreform, in: Frankfurter Zeitung, 18.1.1929 und zu den Reaktionen HStADa O29 / 26. Weitere Presseveröffentlichungen Wilhelm Leuschners in HStADa O29 / 25. 401 HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft München, 22.12.1928 (Entwurf). 402 Ebenda, 12.11.1929, S. 2. 403 Ebenda, 22.12.1928 (Entwurf). 404 HStAD Bibliothek Nr. G 809 / 20 Albert Grzesinski, Reichsreform im Rhein-MainGebiet. Antwort und Gegenvorschlag, in: Frankfurter Zeitung, 16.3.1929.

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schwand die anfangs ausgesprochene Reformfreudigkeit der hessischen Regierung. Die Erwartungen der Regierung Adelung auf eine „volksbefreiende echte Dezentralisation“ des Reiches wurden während der Länderkonferenz soweit gedämpft, dass diese sich auf den Standpunkt versteifte, „lieber noch vorläufig ein nicht abgerundetes Land Hessen zu behalten als praktisch eine preußische Provinz zu werden“.405 Adelung lehnte die Sonderbehandlung der süddeutschen Länder ebenso ab wie „ein zentralistisch verwaltetes Norddeutschland“, in dem „so ziemlich alles beim alten bleibt“, wenn der Volksstaat Hessen mit preußischen Gebietsteilen „nach dem Länderschema ,neuer Art‘“ zusammengelegt werden würde. Und in die Runde des Verfassungsausschusses der Länderkonferenz am 5. Juli 1929 fragte der hessische Staatspräsident: „Glauben Sie, daß sich in Hessen, aber auch in den angrenzenden Gebietsteilen für ein solches Maß der ‚Selbständigkeit‘ Begeisterung erwecken ließe? Wahrhaftig nicht.“406 Adelung wollte daher die Zuständigkeitsfrage der Länder konkretisiert wissen: „Unterschätzen Sie nicht, daß Thüringen und Hessen über 3 000 000 Einwohner haben und daß es insgesamt 7 Millionen sind, deren Schicksal sie im Dunkeln lassen und die man nicht vom grünen Tisch so oder so einteilen kann.“ Er verwies zudem auf die demokratische Legitimation einer Verfassungsänderung durch die Länderparlamente und den Reichstag. Die Verhandlungen zur „Differenzierten Gesamtlösung“ würden dagegen so geführt, „daß man eine große Volksbewegung auf diese Dinge nicht einstellen kann“.407 In der Endphase der Weimarer Republik regte sich im preußischen Regierungsbezirk Kassel eine letzte regionale Initiative zur Neugliederung des hessischen Raumes. Der Vorstoß für eine nordhessische Verwaltungseinheit blieb jedoch wie alle vorangegangenen Bemühungen ohne politische Resonanz.408 Neugliederungsansätze nach 1933 vermochten die bestehende Teilung des vom machtbewussten Gauleiter Jakob Sprenger in Frankfurt anvisierten „Reichsgau Rhein-Main“ nicht zu überwinden.409 Erst nach 1945 sollten sich die in der Gründungsphase der Weimarer Republik entwickelten Vorstellungen der großhessischen Bewegung, die auf einen Zusammenschluss des Landes 405 HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft München, 12.11.1928 (Entwurf). 406 Verfassungsausschuß der Länderkonferenz, Verhandlungen 5./6.7.1929, S. 42. 407 Ebenda. 408 Becker, Hessen und die Reichsreform (1932). 409 Ein wichtiger Schritt zu diesem Ziel sollte die noch 1944 durchgesetzte Neubildung der Provinz Kurhessen und Nassau sein, vgl. Dieter Rebentisch, Der Gau HessenNassau und die nationalsozialistische Reichsreform, in: Nassauische Annalen, 89 (1978), S. 128–162.

Bayern, Württemberg, Baden

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Hessen mit der preußischen Provinz Hessen-Nassau abzielten, als zukunftsträchtig erweisen.410

5.4. Föderative Konzepte südlich der Mainlinie – Bayern, Württemberg, Baden Bayern, Württemberg und Baden hatten dem Ruf als „Hüter des Föderalismus“411 gerecht zu werden, denn ihre Regierungen und Regierten pflegten ein ausgeprägtes Landesbewusstsein. Außerdem bildeten sie neben Sachsen und Preußen die größeren Flächenstaaten des Reiches. Ihr territorialer Zusammenhalt „südlich der Mainlinie“ unterstrich den Eindruck eines gemeinsamen Auftretens und gab ihrem Handeln Gewicht. Die äußere Geschlossenheit des Bildes täuschte dabei leicht darüber hinweg, dass die süddeutschen Länder nicht immer einheitlicher Auffassung waren. So hielt man es auch nach der Revolution in München für ein Gebot der politischen Klugheit, „nicht auf verfassungsmäßigen Zusammenschluss auszugehen, sondern sich unbeschadet der Freiheit und vollen politischen Beweglichkeit“412 zu verständigen. Wolfgang Benz hat die Politik der süddeutschen Staaten, zu denen zeitweise auch Hessen kam, während des Weimarer Verfassungsgebungsprozesses in drei Phasen unterschieden: In der ersten Phase bestand Einigkeit in der Ablehnung einer Rätediktatur nach bolschewistischem Modell, wobei sich der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner nicht der unbedingten Forderung nach der Durchsetzung des parlamentarischen Systems anschloss. Eisner suchte vielmehr nach einem Kompromiss zwischen Rätesystem und parlamentarischer Demokratie. Eine Kooperation der drei Länder in einer ständigen Süddeutschen Kommission zu institutionalisieren, blieb daher im Ansatz stecken. Unter dem Leitgedanken einer von Baden in die Diskussion eingebrachten Südbundidee konnten Karlsruhe, Stuttgart und München jedoch auf die verfassungsrechtliche Neuordnung Deutschlands Einfluss nehmen. In Umkehr der Ereignisse von 1871 sollte ein Bund der süddeutschen Staaten die Basis für das neue Reich bilden, dem sich die übrigen Staaten anschließen sollten. Das Programm zielte auf die Erhaltung eines Bundesstaates, auf die Bildung einer aktionsfähigen Reichsregierung und Nationalversammlung sowie auf den schnellen Abschluss eines 410 Franz, Der Weg nach Groß-Hessen, S. 88f. 411 Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 338. 412 BHStAM MA 1943 / 103 256 Kommissionsbericht zur Frage „Änderung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern“, München, Dezember 1927 (Abschrift).

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Friedensvertrages. Ein Präliminarfrieden eines bereits geordnete Verhältnisse vorweisenden Südbundes mit der Entente sollte dabei den Friedensschluss für das gesamte Reich einleiten.413 Die zweite Phase leiteten die Veröffentlichung des ersten Verfassungsentwurfes am 20. Januar 1919 und die im vereinten Protest erzwungene Staatenkonferenz der Revolutionsregierungen am 25. Januar ein. Auf dem Weg nach Berlin hatten die süddeutschen Regierungen eine „Notverfassung“ mit wesentlichen föderalen Garantien verabreden können. So gelang es ihnen, die Staatenhauslösung aus gewählten Abgeordneten der Regionen und die damit verbundene Entwicklung zum dezentralisierten Einheitsstaat aus Selbstverwaltungseinheiten, wie sie Hugo Preuß vorgesehen hatte, abzubiegen. Sie verankerten auf der Staatenkonferenz das Mitspracherecht der Bundesstaaten in der Verfassungsdiskussion durch den vorläufigen Staatenausschuss, der in der Nachfolge des Bundesrates stand und der den späteren Reichsrat präjudizierte. Nachdem der gemeinsame Protest gegen eine zu starke Unitarisierung und die Neugliederung des Reiches erfolgreich war, unternahm Württemberg im März 1919 einen neuen Vorstoß für eine stärkere institutionalisierte Bindung mit Baden und Bayern in einer Süddeutschen Kommission. Sie scheiterte jedoch endgültig am Desinteresse Bayerns und den Differenzen im Verfassungsgebungsprozess. Das bayerische Kabinett Eisner lag dabei auf einer Linie mit der Ministerialbürokratie und bayerischen Staatsrechtlern, die mit der Seydelschen Staatsrechtslehre vertraut, das Recht der Nationalversammlung bestritten, eine neue Verfassung zu beschließen. Die südwestdeutschen Regierungen stellten dagegen die Souveränität der Konstituante nicht grundsätzlich in Frage. Verschiedenartigkeit ergab sich zudem aus der Stellung zu den süddeutschen Reservatrechten. Sie wurden von Baden und Württemberg eher pragmatisch, aus utilitären Motiven verteidigt, von Bayern jedoch grundsätzlich als Attribute der Eigenstaatlichkeit beansprucht. Diese Differenzen überwogen die Gemeinsamkeiten zwischen den süddeutschen Staaten bereits vor der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung. Eine letzte Konferenz vor der Schlussberatung der Weimarer Nationalversammlung fand am 12. Juli 1919 als gemeinsame Sitzung des württembergischen, badischen und hessischen Staatsministeriums statt. Die Debatte ergab fünf Leitsätze, vier davon befassten sich mit der unitarischen Finanzordnung, im fünften wurde nochmals die Abgrenzung der Länderrechte von der Reichsgewalt eingefordert. Aus diesen Leitsätzen entstand in den folgenden Tagen im Schoß der württembergischen Regierung eine Kundgebung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig 413 Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, S. 51–83; Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 28–43.

Bayern, Württemberg, Baden

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ließ. Obwohl die „Heidelberger Resolution“ nie an die Reichsregierung abgesandt wurde, gilt sie für die gereizte Stimmung in Süddeutschland als aufschlussreiches Dokument.414 Die südwestdeutschen Regierungen hatten das Tempo unterschätzt, mit dem die Nationalversammlung in den letzten Julitagen 1919 die Verfassung in dritter Lesung durchbrachte, und sie wollten sich mit einer verspäteten Protestaktion nicht auch noch der Lächerlichkeit preisgeben. Dass die Reichsregierung föderale Garantien zugesichert, aber nicht eingehalten hatte, nahmen dagegen das bayerische Kabinett Hoffmann und der bayerische Landtag nur noch resigniert zur Kenntnis.415 Nach Inkrafttreten der Weimarer Verfassung trat die süddeutsche Politik in eine dritte Phase ein: Sie richtete sich nunmehr gegen den anhaltenden Unitarisierungsdruck der Reichspolitik. Die bayerische Politik mündete jedoch nach dem Regierungswechsel im Frühjahr 1920 in eine starke, von der BVP getragene Gegenbewegung zur Weimarer Verfassung ein, die sich in den Forderungen des Bamberger Programmes zu einer Revision der Reichsverfassung artikulierte. Den Kampf um seine Justiz- und Polizeihoheit führte Bayern mit scharfer Konfliktbereitschaft. Dabei waren es vor allem die antidemokratischen und antirepublikanischen Komponenten seiner an sich anerkannten partikularen Interessen, die München isolierten. Sie wurden von den republiktreuen Regierungen Baden und Württembergs ebenso wenig gebilligt wie der kaum bemäntelte hegemoniale Anspruch Bayerns auf die Gefolgschaft seiner süddeutschen Nachbarn.416 Die Grundidee der als separatistisch geltenden Politik der bayerischen Landesregierungen Kahr, Lerchenfeld und Knilling bestand in der „Abkapselung“ nach Norden, um nach dem Trauma von Revolution und Räterepublik die Reichspolitik von Bayern abzuwenden. Der „Kampf Berlin-München“ wurde in diesem Sinne verstanden als „ein Kampf des linksgerichteten Nordens gegen das katholische Bayern“, das den „letzten Felsblock gegen die rote

414 Die Heidelberger Resolution ist abgedruckt und kommentiert bei Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, S. 176f. 415 Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, S. 164–184; Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 47–81, zur Heidelberger Resolution insbesondere S. 77ff. 416 Trotz anfänglicher Unterstützung fanden aus diesen Gründen die Einwohnerwehrpolitik Kahrs, die bayerischen Sondervertretungen auf den internationalen Konferenzen, der Widerstand gegen die Republikschutzgesetze und der Konflikt um den Ausnahmezustand in Bayern keine Unterstützung, vgl. Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, S. 185–324.

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Sturmflut in Deutschland“ darstellte.417 Die von den südwestdeutschen Zentrumspolitkern geführten Reichsregierungen Fehrenbach und Wirth konnten nur von sehr weit rechts so wahrgenommen werden. Da die ersten Jahre der Republik für das Verhältnis der süddeutschen Länder zum Reich inzwischen ausführlich dargestellt wurden, sollen im Folgenden vor allem die 1924 einsetzenden Diskussionen um die Zukunft des Weimarer Bundesstaates im Fokus der Betrachtung stehen. Während Bayern sich nur allmählich vom Seydelschen Souveränitätsverständnis lösen konnte, waren die badischen und württembergischen Regierungen geneigt, ihre Eigenregierung auch staatstheoretisch neu zu begründen und verfassungsrechtlich zu verankern. Der sächsische Gesandte in München hat den Gegensatz der süddeutschen Länder so formuliert, dass zwar „alle süddeutschen Länder eine durch die Verfassung gesicherte Eigenständigkeit und Selbstverwaltung zu behalten einig sind, dass aber Bayern insofern eine Sonderhaltung einnimmt, als es darüber hinaus entscheidendes Gewicht legt auf Anerkennung einer Staatspersönlichkeit“.418 Von daher wurde auch das Verhältnis zwischen Reich und Preußen unterschiedlich bewertet. Während München den Dualismus geflissentlich überging und den preußischen Großstaat belassen wollte, wie er war, konnten sich Karlsruhe und Stuttgart nur in der Lösung dieses Problems eine echte bundesstaatliche Zukunft vorstellen. Auf der Länderkonferenz, die von 1928 bis 1929 über eine Reichsreform verhandelte, bezeichnete der württembergische Staatspräsident Eugen Bolz die „Frage Reich und Preußen“ als „Kernfrage des ganzen Problems“. Ohne positives Resultat einer Neugliederung und Dezentralisation Norddeutschlands dürfe man nicht auseinandergehen: „Wenn wir nichts fertig bringen, dann geht der Prozeß, der beim Reich zu konstatieren ist, weiter, daß die Zuständigkeit der Länder fortgesetzt ausgehöhlt wird, und daß schließlich von den Ländern alter Art nichts mehr übrig bleibt.“419 Während Bayern gegen eine Territorialreform die historische Legitimation der Länder ansprach, wurden in dieser Hinsicht gerade die süddeutschen Grenzen in vielerlei Hinsicht als Kunstprodukte der napoleonischen Epoche eingeordnet. Als bürokratisch konstruierte Gebilde hatten Bayern, Baden und Württemberg erst ein Jahrhundert zuvor ihre endgültige territoriale Gestalt gefunden. Dieser Traditionsmangel war trotz der erfolgreichen Staatsinte417 BHStAM MA 1943 / 102 675 Graf von Lerchenfeld an die bayerische Gesandtschaft in Rom, München 3.8.1922. 418 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten Dresden, München 2.11.1928, S. 5. 419 Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Verhandlungen vom 5./6.7.1929, S. 35.

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gration420 im 19. Jahrhundert in den Köpfen der Bevölkerung noch vielfach gegenwärtig. Dort, wo das Alte Reich positiv erinnert wurde, die Territorien vor 1806 noch einen Identifikationsrahmen boten und diese Erfahrungen auf moderne, grenzübergreifende ökonomisch-soziale Bindungen trafen, wurden zentrifugale Kräfte wirksam. Die Neugliederungsdebatte berührte daher nicht nur Nord- und Mitteldeutschland, sondern auch die territoriale Integrität Bayerns, Badens und Württembergs. Abgesehen von Baden, dessen Grenzlandlage nach dem Versailler Vertrag als problematisch empfunden wurde, waren die süddeutschen Länder jedoch territorial saturiert und ihre Regierungen daher an Länderneubildungen südlich der Mainlinie entweder nur mäßig oder gar nicht interessiert. Angesichts einer geringeren Intensität der Industrialisierung und Verkehrsentwicklung entfielen aber auch hier viele Probleme, die in Mittel- und Norddeutschland zu lösen waren.421 Württemberg und Baden hatten längst nicht so starke Erschütterungen in der Revolution zu spüren bekommen. Der Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur Republik war hier relativ reibungslos vonstattengegangen, so dass der Antrieb zum gesellschaftlichen Strukturwandel ebenfalls geringer war. Im Vertrauen zu einer „milderen politischen Kultur“ setzte man im Südwesten eher auf eine ruhige und organische Weiterentwicklung als durch revolutionierende Veränderungen eine ungewisse Zukunft vor Augen zu haben. Die „ehernen Gesetze der politischen Courtoisie“ sollten beispielsweise für Württemberg garantieren, dass das Land „niemals in politische Siedehitze“ geraten würde.422 Tiefgreifende Reichsreformpläne verband die süddeutsche Presse mit Stereotypen von der „Nachwirkung preußischen Polizeigeistes“ und dem „Hang des Deutschen zum Ordnen und Systematisieren“. Wobei die 420 Bayern gilt der Forschung nahezu als Paradebeispiel, um zu belegen, dass sich der Prozess der Nationsbildung in Deutschland sowohl auf der gesamtdeutschen wie auf der partikularstaatlichen Ebene vollzog. So haben Untersuchungen zur bayerischen Reichshistoriographie nach 1806 die Ausprägung eines bayerischen Nationsverständnisses nachgewiesen, das „die Existenz einer deutschen Nation anerkannte, einen zentralistischen Nationalstaat jedoch als Bruch mit der Geschichte verabscheute“. Dabei wurde die Breitenwirkung nachgewiesen, die von einem aus der Tradition der Reichsnation geschöpften föderativen Nationalbewusstsein ausging, siehe dazu Volker Sellin, Nationalbewusstsein und Partikularismus in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Jan Assmann, Tonio Hölscher (Hg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. Main 1988, S. 241–264, zit. S. 257; Langewiesche, Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation, S. 219. 421 Zur ausgeglichenen sozialen Gesellschaftsstruktur Württembergs vgl. Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 27. 422 HStAS, E 130b / 2135 Württemberg an der Schwelle des neuen Jahres, 31.12.1927.

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Vorstellung, dass „eine Sache durch Übersichtlichkeit und Ordnung besser werde und größeren Erfolg garantiere“, auf die norddeutsche Mentalität abgeschrieben wurde.423

Bayern Bayern bekam mit der verfassungsmäßigen Übernahme einstiger Landeskompetenzen in die Reichszuständigkeit, etwa hinsichtlich der Post, der Eisenbahn und des Militärwesens sowie mit der umfassenden Finanzreform, die die einstigen Verhältnisse zwischen Reich und Ländern nahezu umkehrte, den Bedeutungsverlust der süddeutschen Länder nach 1918 deutlich zu spüren. Weitere unitarische Initiativen des Jahres 1920 wie die Forderung des Reichsfinanzministers Matthias Erzberger nach einer Verreichlichung der Justiz sowie die Denkschriften von Reichsinnenminister Koch-Weser (DDP) und dem preußischen Staatskommissar Bill Drews424 für eine Vereinfachung der Verwaltung machten deutlich, dass dabei das Ende der unitarischen Phase längst noch nicht erreicht war. Im Gegenzug wurde daher der Ruf nach einer Stärkung der föderalistischen Elemente der Reichsverfassung lauter. Die Debatte um eine „Reföderalisierung“ der Republik wurde bis 1924 ganz maßgeblich von der Bayerischen Volkspartei geführt. Sie orientierte sich am bismarckschen Bundesstaat425 und war nicht bereit, die Verfassungsordnung und die darin festgelegte Kompetenzverteilung zwischen Reich und Ländern hinzunehmen. Unmittelbar nach dem Regierungsantritt der nach rechts gerückten BVP kam es daher zu Konflikten mit dem Reich. Beflügelt von einer prinzipiellen Gegnerschaft zur Republik nach dem Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch waren die bayerischen Regierungen dabei auch unter Berufung auf angeblich „unentziehbare Hoheitsrechte“ zum Verfassungsbruch fähig. 1920 ging es um die Auflösung der bayerischen Einwohnerwehren. Nach den Morden an dem ehemaligen Reichsfinanzminister Matthias Erzberger und 423 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft, München 1.10.1928, Entwurf, S. 1. 424 Bill Drews, Grundzüge zur Verwaltungsreform, Berlin 1919, BHSTAM MA 1943 / 103 333 Koch Weser, die Inhalte referiert auch Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 252. 425 Zu den Forderungen ihres Bamberger Programmes gehörten eine gleichberechtigte zweite Kammer, die unbeschränkte Verfassungsautonomie und Steuerhoheit der Länder, weitere Beschränkung der Reichskompetenzen, u.a. das Gesandtschafts- und Vertragsschlussrecht mit dem Ausland sowie ein Kontingentsheer, Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, S. 135f., 141f.

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Reichsaußenminister Walther Rathenau weigerte sich Bayern 1922 die Republikschutzgesetze auszuführen. 1923 folgten schließlich die Verhängung des Ausnahmezustandes durch die Ausübung der Landesdiktaturgewalt in Bayern426 und eine offene Rebellion, als die bayerische Regierung versuchte, sich der im Land stationierten Reichswehrtruppen zu bemächtigen. Den abschließenden Höhepunkt bildete der Putsch-Versuch Adolf Hitlers im November.427 Obwohl die als „bayerische Frage“ bezeichneten Konflikte den Föderalismus Münchens diskreditierten, war die durch vielerlei Probleme geschwächte Reichsregierungen Wirth im August 1922 kompromissbereit.428 Reichskanzler Stresemann vereinbarte 1923 mit den Ländern sogar „Verhandlungen über die fernere Gestaltung des Verhältnisses von Reich und Ländern im Sinne einer größeren Selbständigkeit der Länder“429, die dann jedoch bis zur Länderkonferenz 1928 vertagt wurden. Das ablehnende Memorandum auf die noch unter der rechtskonservativen Regierung Eugen von Knilling 1924 verfasste Denkschrift „Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung“430 beendete schließlich diese erste, konfliktreiche Reichsreformphase. Probleme der Reich-LänderStruktur, die auch in Bayern weiterwirkten, waren die Neugliederungsfrage, der Finanzausgleich zwischen Bayern und dem Reich sowie der Auftrag zur Verwaltungsvereinfachung durch den Abbau von Behörden, der in der Weimarer Republik als effektivste Sparpolitik galt. In Franken bestand nach wie vor ein ausgeprägtes Misstrauen gegen den Münchener Zentralismus und die altbayerische Dominanz. So forderte die Frankenbewegung auf dem Höhepunkt der Krise 1923 eine selbstständige fränkische Republik. Um die „Narrenstreiche der Hakenkreuzler und der von angeblichem Patriotismus triefenden Vaterländischen“ gegen die Republik abzuwehren, wurde an die „reichstreuen Franken“ appelliert, die „Grenze nach dem vergifteten Süden“ zu schließen.431 Zwar blieben die Bestrebungen zu einem selbstständigen Franken marginal, aber Neugliederungspläne nährten 426 WRV, Artikel 48, Absatz 4. 427 Zu den Ereignissen siehe Winkler, Weimar, S. 131f., S. 138, S. 175ff., S. 210–212. 428 Vgl. Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, S. 306ff. Das „Berliner Protokoll“ vom 11.8.1922 sowie das Schreiben von Reichskanzler Wirth vom 23.8.1922 sind abgedruckt bei Fritz Poetzsch, JöR 13 (1925), S. 85, 90. 429 Der Beschluss der Reich-Länder-Konferenz vom 24.10.1923 ist ebenfalls abgedruckt bei Fritz Poetzsch, JöR 13 (1925), S. 95, zum Kontext von Reföderalisierung und Verfassungskämpfen siehe auch Holste, Der deutsche Bundesstaat, S. 325–328. 430 Die Denkschriften sind abgedruckt in: Verfassungsausschuss der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 7–60, 343–361. 431 BHStAM MA 1943 / 103 319 Die Frankenbewegung 1923. Bericht der Polizeidirektion Nürnberg-Fürth an den Generalstaatskommissar München, 13.12.1923.

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stets die Sorge um die Integrität Bayerns, das nur noch ein „Torso“ bliebe, wenn „die schwach bebauten ackerbautreibenden Gebiete im Süden durch die volkreichen industriellen Gebiete im Norden“ getrennt werden würden.432 In den Groß-Thüringen-Plänen und Mitteldeutschlandkonzepten der 1920er Jahre wurden grenzübergreifende neue wirtschaftliche Zusammenhänge, die das östliche Franken mit Thüringen und Sachsen verbanden, aufgegriffen.433 Sowohl Erwägungen über einen Rheinstaat als auch Varianten eines neuen Südweststaates schlossen die bayerische, linksrheinische Expositur ein, so dass München in der Pfalzpolitik keine Konzessionen machte.434 Eine historische Westorientierung wurde zudem im Aschaffenburger Gebiet wiederbelebt, das wirtschaftlich zum Rhein-Main-Raum mit dem Zentrum Frankfurt gravitierte und dessen periphere Lage in Bayern als Nachteil empfunden wurde: „Das Untermaingebiet fühlt sich stiefmütterlich behandelt, nebendraußen! Während die direkte Bahn nach Wertheim immer noch fehlt und viele Stunden Umfahrt erst nach Würzburg führen, reißen eine prachtvolle Autostraße und beste Zugverbindungen den ganzen Verkehr nach Frankfurt. Die Frankfurter bevölkern in Massen den Spessart und sein Nachbargebiet. Kein Wunder, dass man mehr von Frankfurt als von Würzburg hört, von München der Landeshauptstadt gar nicht zu reden.“435 Alle Neugliederungsversuche nach 1918 haben Bayern daher an die Seite Preußens getrieben, dessen Erhaltung München als „stärksten Unterpfand eines lebensfähigen föderativen Systems“ verteidigte, das nicht durch einen neuen „Reichsdeputationshauptschluss“ leichtfertig zu gefährden sei. Jede Maßnahme in diese Richtung rief, so der sächsische Vertreter in München, sofort die „gesammelte föderalistische Streitmacht auf den Plan“.436 In der Diskussion um eine angemessene Finanzverfassung forderte München, die wirtschaftlich schwächeren Länder wie Bayern zu berücksichtigen und das Steuersystem sowie die Steuersätze auf Bayerns gemischte Wirt432 BHSTA München MA 1943/103081 Gegen die Angliederung fränkischer Gebietsteile (Nordbayern) an eine zu schaffende Republik Groß-Thüringen, Handelskammer für Oberfranken, Bayreuth 4.1.1919. 433 BHStAM MA 1943 / 103 319 Bund Ostfranken. 434 BHStAM MA 1943 / 102 033 Loslösungsbestrebungen in der Pfalz; MA 1943 / 103 442 Neugliederung Deutschlands, Pfalz, Südwestdeutschland 1928; MA 1943 / 103 314 Der Rhein-Mainische Städtekranz 1925/29; MA 1943 / 103 317 Reichsland Großschwaben und Kapitel Städte; zusammenfassend Hans Fenske, Vier bewegte Jahrzehnte. Bayern und die Pfalz 1918–1956, in: ZBLG 61 (1998), S. 413–416. 435 BHSTAM MA 1943 / 103 314 Hessen. Der Rhein-Mainische Städtekranz, in: Fränkisches Volksblatt, 25.6.1929. 436 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft, München 12.11.1927, Entwurf, S. 4.

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schaftsstruktur aus Landwirtschaft, Kleingewerbe und Industrie anzupassen, statt „durch eine finanzielle Aushungerung der Länder das Ziel des Einheitsstaates“ anzustreben. Man sah den „Tag kommen, wo man überhaupt nicht mehr von unserem Standpunkt aus in Bayern über Gelder zu disponieren hat, auch nicht für die Wirtschaft und ihre Forderungen, sondern wo nur ein Wille und ein Ausgangspunkt für die Disponierung gegeben ist, und zwar die Zentralstelle in Berlin.“437 Eine „internationale Konzernierung und internationale Vertrustung“ wurde im Landtag „mit größten Gefahren“ nicht nur für den gewerblichen Mittelstand und die Landwirtschaft, sondern für das gesamte Gebiet der Außen-, Innen- und Sozialpolitik verbunden.438 Die bayerische Eigenständigkeitspolitik wurzelte fest in konservativen Strukturen und sie richtete sich an dem Leitbild einer „bodenständigen Industrie“ aus.439 So konnten gerade die Heimatverbände „gegen den Berliner Länderfraß“ einer Reichsreform mobilisieren.440 In volkstümlicher Rhetorik wurde gegen die „Entrechtung Bayerns“ demonstriert: „Stundenlang durchzieht der riesige Zug die Straßen Rosenheims: kein Pomp und Aufwand keine theatralische Schaustellung. Kaum, dass einer seine Kriegsauszeichnung angelegt hat. Das braucht es nicht. Daß sie alle ihre Pflicht getan haben, weiß ja jeder. Keiner will sich vor dem andern hervortun. Zu Tausenden sind sie angeschwollen, die da hinziehn mit dem steten, schweren Bauernschritt, den Gamsbart auf dem Hütl, dahinschreiten, breitspurig, wuchtig, schicksalshaft, nur um ohne Worte zu sagen: ‚Wir sind auch noch da‘.“441 Anhänger des Einheitsstaates fanden sich eher bei den wirtschaftlichen, kommunalen und bürokratischen Eliten, wie aus einem „Lagebericht“ des Regierungspräsidenten von Schwaben und Neuburg in dieser Zeit hervorging: „Die Einheitsstaatler (Unitaristen) haben zweifellos an Boden gewonnen. Die Verreichlichung des Heeres, der Finanzverwaltung, von Bahn und Post und vieles andere … werden vom Großteil der Bevölkerung als gegeben hingenommen. In den Kreisen der Wirtschaft lässt die Abneigung gegen den Einheitsstaat nach, zum Teil verspricht man sich … sogar Vorteile. Auch manche

437 Verhandlungen des Bayerischen Landtags, 16.11.1927, S. 173. 438 Ebenda, 30.11.1926, S. 124. 439 Barbara Pöhlmann, Heinrich Held als Bayerischer Ministerpräsident (1924–1933). Eine Studie zu neun Jahren bayerischer Staatspolitik, München 1996, S. 106–113. 440 BHStAM MA 1943 / 103 422 Stimmung der Bevölkerung 1929 mit Berichten über Kundgebungen in Bamberg, Aschaffenburg, Landshut, Rosenheim. 441 BHStAM MA 1943 / 103 422 Das Volk steht auf. Kundgebung des Chiemgaues in Rosenheim, in: Oberbayerischer Gebirgsbote, 22.01.1929.

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Kommunalpolitiker finden am Einheitsstaat Geschmack. In der Beamtenschaft sind viele … offene oder geheime Einheitsstaatler.“442 Um die verbreitete Meinung zu widerlegen, dass Einsparungen im Staatshaushalt nur durch eine unitarische Politik möglich seien, unterzog sich Bayern wie andere Länder einer umfassenden Verwaltungsreform. Wegen ihres ideologischen Impetus’ galt sie auch als das „Lieblings- und das Schmerzenskind“443 der Regierung Held, die zu beweisen suchte, dass die Rationalisierung der Verwaltung durch den Einheitsstaat ein „Phantom“ sei, dagegen die „politisch und technische Überlegenheit der Länder im Aufbau und in der Durchführung der Staatsverwaltung eine Tatsache“. Bayerische Beamte stellten akribische Berechnungen an, um die Doktrin vom „billigeren Einheitsstaat“ zu entkräften: Das „Bestreben von einem einzigen Punkt alles für ein weites Reich zu ordnen und zu leiten“ führe „notwendig nicht nur zu geistloser, geradezu schädlicher Nivellierung, sondern auch zur Bürokratisierung und in deren Folgen zu Überorganisation und verschwenderischer Aufblähung des Behördenapparates und des Beamtenkörpers.“444 Unter dem BVP-Ministerpräsidenten Heinrich Held445 festigten sich die bayerischen Regierungsverhältnisse bis 1933 auf lange Dauer, was als „eine neue Ära, eine Ära der Staatsautorität“446 wahrgenommen wurde.447 Der Zeit der Verfassungskonflikte folgte die Zeit der Verfassungsdiskussion.448 Held arbeitete an einer merklichen Verbesserung der Beziehungen zwischen Berlin und München, um den bis zu seinem Amtsantritt im Juni 1924 verspielten politischen Kredit des Landes zurück zu gewinnen. Mit ihm war das Ende einer restaurativen Politik erreicht, die zwar der emotional geprägten Abhängigkeit vieler bayerischer Föderalisten von ihrer dynastischen Vergangenheit und einer verbreiteten skeptischen und ablehnenden Haltung gegenüber der Republik entsprochen hatte, die Bayern aber auch in den Verruf der Reichs- und Re-

442 BHStAM MA 1943 / 103 422 Bericht des Regierungspräsidenten von Schwaben und Neuburg, Augsburg 19.10.1928. 443 BAB 43 I / 2250 Bericht des Vertreters der Reichsregierung, 3.4.1928. 444 BHStAM MA 1943 / 103 256 Kommissionsbericht, München Dezember 1927 (Abschrift). Siehe auch Karl Sommer, Bundesstaat, Einheitsstaat und die Höhe der öffentlichen Ausgaben. Ein Beitrag zur Verfassungsfrage, Berlin 1928. 445 Pöhlmann, Heinrich Held, S. 67–75 und Karl Bosl, Heinrich Held. Journalist – Parteipolitiker – Staatsmann, in: ZBLG 31 (1968) S. 747–767. 446 Regensburger Anzeiger, 3.5.1924. 447 Pöhlmann, Heinrich Held, S. 40. 448 So formulierte es Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, S. 317.

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publikfeindlichkeit gebracht hatte.449 So machte der DDP-Verfassungsexperte Erich Koch-Weser Anfang 1924 deutlich, die Arbeiterklasse wolle von einem „Föderalismus zu Frankreichs Freude“ und von einem „weiß-blauen chambre séparée im deutschen Saale“ nichts mehr wissen.450 Held wusste, dass die in der Bayerischen Denkschrift von 1924 noch durch seinem Vorgänger Knilling angeregte Rückbesinnung auf die Bismarckverfassung mit ihren bayerischen Reservatrechten und der Vorstellung eines Bundes souveräner Staaten wenig hilfreich war. Ihm ging es stattdessen eher um die Entkräftung einer unitarischen Auslegung der geltenden Verfassung als um eine Wiederherstellung der kaiserzeitlichen Föderativordnung mit ihrer unwillkommenen Stärkung Preußens. Dieser vernunftrepublikanische Wandel schlug sich in der zweiten bayerischen Denkschrift „Über die fortschreitende Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder unter der Weimarer Verfassung“ von 1926 nieder.451 Die stark gouvernemental gehaltene Föderalismuspolitik, die in der Ära Held die Münchener Regierungsstellen in stetiger Beschäftigung hielt, besaß dabei eine deutlich defensive Komponente. In der regierungsnahen Presse wurde sie auch als eine „mit großem Geschick durchgehaltene Abwehrschlacht“452 charakterisiert. Held verwies auf die Übersteigerung einer unitarischen Reichspolitik, die „Sirenenklängen“ gleiche und auf die sich die Länder daher nicht einlassen dürften. Der „machtpolitische Wahn der Unitarier“ sei dabei „so blind“, dass sie „die Gefahren eines erbitterten Kampfes der Länder um ihre Rechte in Kauf nehmen“ würden. Held glaubte zu dieser Zeit nicht an einen durchschlagenden Erfolg seiner programmatischen Reföderalisierungspolitik. Er wollte die Entwicklung aber auch nicht einfach hinnehmen, sondern „die unitarischen Absichten des Reichs ins Unrecht setzen“ und „zum mindesten eine Erschwe-

449 Da sie gleichzeitig immer wieder ihren konservativen und nationalen Charakter hervorhob, begab sie sich auf eine „middling position, which remained a difficult one to maintain“, Dorondo, Bavaria and german Federalism, S. 12. 450 Bayerische Denkschrift 1924, in: Münchner Post, 18.1.1924. 451 Die Denkschrift ist abgedruckt in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 362–385, darin enthalten auch die Memoranden Die Mängel des deutschen Verfassungslebens und Vorschläge zur Änderung der Reichsverfassung vom Oktober 1928, S. 386–432; außerdem BHStAM MA 1943 / 103 286 Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung München 1929 sowie Held, Zuständigkeit der sogenannten Länder neuer Art (1929). 452 HStAD 10722 / 370 Bericht der Sächsischen Vertretung in München, 19.11.1928, S. 3.

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rung der Entwicklung und Verzögerung in ihrem Tempo“ bewirken.453 Weimar trug für den bayerischen Ministerpräsidenten zunehmend eine „föderalistische Fassade“. Die durch seinen Vorgänger Knilling 1924 erhobene Forderung einer Verfassungsrevision wurde durch ihn jedoch dahingehend präzisiert, dass sie „lediglich die Rückkehr zu der geistig-politischen Grundeinstellung“ bedeuten könne, mit der Bismarck an die Regelung des Verhältnisses zwischen Reich und Bundesstaaten herangegangen sei und nicht „ohne weiteres und in allem die Rückkehr zu der praktischen Ausgestaltung“ des bismarckschen Reichsaufbaus. Dazu zählte er angesichts der andauernden Unitarisierungsinitiativen vor allem die Einhegung der Reichskompetenzen.454 Heinrich Held verwies dabei ausdrücklich auf den Zusammenhang zwischen föderaler Ordnung und demokratischem Prinzip: „Die Föderatividee bringt den Staatsbürger der Staatsgewalt näher und erhöht seine Interessen am Staat. Staatspolitische Selbstbestimmung und staatspolitische Freiheit sind die Prinzipien jeder wahren Demokratie, erhöhen das staatliche Verantwortlichkeitsgefühl des einzelnen Staatsbürgers.“ In Krisen wie zu Zeiten des Kapp-Putsches, des Hitler-Putsches oder während der Zeigner-Ära habe er wie das „Schotensystem eines Seeschiffes“ gewirkt und die Republik wegen der „fehlenden Zusammenballung der Staatsgewalt an einer Zentrale“ gerettet. Der Föderalismus sei daher „keine Eigenbrödelei der einzelnen Länder und Stämme“, sondern „das Prinzip der Einheit, des kulturellen Lebens und Fortschritts, der inneren Sicherung und Ordnung.“455 Für auswärtige Betrachter, wie die französische, republikanische Zeitung Le Temps, unterhielt Bayern zwar nach wie vor einen Kult der Monarchie und ein starkes Landesbewusstsein, fand aber keinen Gefallen mehr an einer gegen die Weimarer Republik gerichteten „Politik ohne Zukunft“.456 Dass 453 BHStAM MA 1943 / 103 284 Held an den Vorsitzenden der Reichstagsfraktion der BVP Leicht, München 18.12.1925. 454 Münchener neueste Nachrichten, 29.12.1925. Anfang der 1930er Jahre gab die Regierung Held eine wissenschaftliche Untersuchung der Grundauffassung Bismarcks bei der Schaffung und weiteren Gestaltung der Reichsverfassung in Auftrag und schickte dazu den Staatsarchivrat Winkler zum Aktenstudium nach Berlin, BHStAM MA 1943 / 103 445 Neugliederung Deutschlands. Das preußisch-deutsche Problem. 455 BHStAM MA 1943 / 103 342 Memorandum Heinrich Held, Föderativ- oder Einheitssystem. Welchem System (dem unitarischen oder Föderativ-System) ist vom Standpunkt der verschiedenen nationalen materiellen und ideellen Werte in Deutschland der Vorzug zu geben? 1928. 456 Die Stunde, in der Bayern „eine wichtige Machtrolle in Europa“ hätte spielen können, so Le Temps, sei verstrichen: „Die republikanische Regierung hat trotz ihrer Schwäche den Grundsatz der deutschen Einheit gerettet, welche die Alliierten nicht

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das Kabinett Held seit 1924 die republikfeindlichen Parteien sowohl von rechts als auch von links von der Regierung ausschloss und damit wesentlich zur Festigung des Weimarer Systems in Bayern beitrug, erkannten auch die Sozialdemokraten an. Sie hielten deutlich Distanz zur einheitsstaatlichen Programmatik der Reichspartei, die in Bayern „keine gute Wahlparole“ abgab. Nicht nur „in der breiten Menge der sozialdemokratischen Wählerschaft, sondern auch unter deren Führern“, bemerkte der sächsische Vertreter in München, „gibt es einige, die innerlich ziemlich bayerisch-partikularistisch denken“.457 Was die Größe Preußens im Reich anging, blieb die bayerische Regierung dabei, Probleme zu ignorieren. In der Groß-Hamburg-Frage hielt sich München ausgesprochen bedeckt, um preußische Befindlichkeiten zu schonen. Und auch der durch Braun angestrengten Mediatisierung der kleinen Länder stand die Regierung Held lange Zeit indifferent gegenüber: „Selbst wenn alle Kleinstaaten in Nord- und Mitteldeutschland bis herunter zu Hessen von diesem Vorgang betroffen würden“, rechneten die Münchner Regierungsbeamten aus, „so würde das einen Zuwachs von etwa 4 Millionen Einwohner für Preußen bedeuten. Preußen hätte dann also statt 38,1 rund 42,2 Millionen Einwohner.“ Bayern habe kein besonderes Interesse, sich hiergegen zu wehren. Unerwünscht war lediglich die „Ausdehnung des Aufsaugungsprozesses auf Hamburg, unerträglich bei Hessen, einmal weil dieser Zuwachs doch stärker ins Gewicht fallen würde und sodann wegen des Hereingreifens nach Süddeutschland und der Wirkungen namentlich auf Baden und die Pfalz.“458 Karl Schwend, der in den 1950er Jahren das Föderalismusverständnis der bayerischen Exekutive und der BVP-Führung in Weimar beschrieben hat,459 empfahl

zerstören wollten, obwohl es ihnen kurz nach dem Siege leicht möglich gewesen wäre.“ Bayern habe sich „allmählich den durch die Umstände diktierten Notwendigkeiten gebeugt“ und begnüge sich „mit dem Schein einer Selbständigkeit im Rahmen des Reiches“. BHStAM MA 1943 / 103 490 Das doppelköpfige Deutschland!, in: Le Temps 10.11.1924 (Übersetzung). 457 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft an das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, München 30.1.1928, Entwurf, S. 1f. 458 BHStAM MA / 103 256 Kommissionsbericht zur Frage „Änderung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern“, München, Dezember 1927 (Abschrift). 459 Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur (1954). Eine entsprechende Einordnung als Rechtfertigung der in der Weimarer Republik verfolgten Politik durch Schwend vgl. Heinz Gollwitzer, Bayern 1918–1933, in: VfZ 3 (1955), S. 363–387, S. 366f.

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1927, wie immer es im Norden ausgehe, die Länder des Südens müssten für einen Bundesstaat eintreten.460 In einer Replik gab der rheinische Föderalist Benedikt Schmittmann daher zu bedenken: „Wenn das Reich wirklich organischer Glieder bedarf, dann müssen wir folgegerecht für das ganze Reich eine solche Untergliederung verlangen. Preußen und Bayern jedoch konservieren sich gegenseitig“. Daraus könne aber „kein Reich erwachsen, dem ein organisch gegliederter, lebensstarker Unterbau Kraft zuströmt.“461Anhänger eines „echten Föderalismus“ gingen von der Auflösung Preußens aus, im Sinne des viel beachteten Schriftstellers Constantin Frantz (1817–1891) und seiner These: „Der Löwe und die Maus können nicht miteinander konföderieren“. Sie schlossen sich 1924 im „Reichs- und Heimatbund deutscher Katholiken“ zusammen, der mit Protestanten eine „Reichsarbeitsgemeinschaft deutscher Föderalisten“ bildete.462 Die Einengung der Perspektive auf Süddeutschland stellte den bayerischen Föderalismus immer wieder unter den Verdacht „reaktionärer Eigenbrötelei“. Dies erleichterte es den Unitariern, Bayern als „Störenfried der deutschen Einheit“ vorzuführen.463 Der Vorsitzende der Reichstagsfraktion der Bayerischen Volkspartei von 1920 bis 1933 wünschte daher einen Kurswechsel seiner Partei. Die Auffassung einer jüngeren Generation in der BVP vertretend, rügte Johann Leicht den „verknöcherten Föderalismus“ der bayerischen Regierungsmitglieder seiner Partei, und er forderte für die Länderkonferenz 1928,

460 Schwend fasste seine Entwicklung zum Norden des Reiches folgendermaßen zusammen: „Mag die Entwicklung im Norden gehen, wie sie will, die Länder des deutschen Süden wollen und müssen Bundesstaaten bleiben nicht nur um ihres eigenen Lebensgesetzes willen, sondern um des Reiches willen, das unter keinen Umständen seinen bundesstaatlichen Charakter verlieren darf, so unvollkommen dieser deutsche Bundesstaat in seiner kleindeutsch-großpreußischen Beschränkung auch sein mag.“ Karl Schwend, Süddeutsche Gedanken über die Weiterentwicklung des deutschen Staates, in: Der deutsche Süden, 2 (1927), S. 2f. 461 Außerdem in diese Richtung denkend für eine niedersächsische Lösung Johannes Rathje und für Mecklenburg C. A. von Pentz, die die unterschiedliche Behandlung von Nord- und Mitteldeutschland einerseits und Süddeutschland andererseits ablehnten. Alle Beiträge unter Süd und Nord im deutschen Föderalismus, in: Allgemeine Rundschau, 24 (1927), S. 83ff., zit. S. 83. 462 Schönhoven, Die bayerische Volkspartei (1972) und ders., Zwischen Anpassung und Ausschaltung. Die Bayerische Volkspartei in der Endphase der Weimarer Republik 1932/33, in: HZ 224 (1977), S. 340–378. 463 HSTAD 10722 / 370 Der sächsische Gesandte Gottschald an den sächsischen Vertreter im Reichsrat Poetzsch-Heffter in Berlin, München 20.11.1928, (Entwurf).

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„jetzt selbst mit einem fortschrittlichen Programm“ vor die Öffentlichkeit zu treten.464 In der Erwartung eines „unitarischen Ansturms“ hielt es die Regierung Held jedoch für ratsam, „nicht selbst zu der Reform im jetzigen Zeitpunkt zu treiben“. Unter der Devise „Treue um Treue, man bräuchte die Verfassung nicht zu ändern, wenn das Reich selbst die Verfassung beachten wollte“, suchte die bayerische Regierung „die Mängel des deutschen Verfassungslebens“ weniger in den Zusammenhängen der bundesstaatlichen Ordnung als in ihrer Handhabung. Die Liste der Beschwerden über die Initiativen zur Unitarisierung des Reiches, die Held der Länderkonferenz vorlegte, war dementsprechend lang.465 Die anderen Konferenzteilnehmer sahen darin ein destruktives Verhalten Helds, der „nur zu kritisieren“ hätte, um sich auf eine „Anklageschrift gegen das Reich“ zurückzuziehen. Bayerns stets mit Misstrauen bedachter Anspruch auf eine Sonderrolle ließ die Sympathien weiter abkühlen: „Opfer zu bringen“, meinte der Vertreter Sachsens im Reichsrat, Georg Gradnauer, „hätte Bayern um so mehr Anlaß, als es bei der eigenen verhältnismäßig geringen wirtschaftlichen Entwicklung seit dem Kriege die Aufrechterhaltung seiner Wirtschaft und seines staatlichen Lebens in hohem Maße der Entwicklung und Arbeit der anderen Länder verdankt! Der Standpunkt, Norddeutschland möge seine Angelegenheiten mit dem Reiche in Ordnung bringen, aber Süddeutschland in Ruhe lassen, ist doch alles andere als Mitarbeit am Reiche.“ Unverständlich sei ihm auch, dass Bayern „nicht vielmehr seine Mission in der Führung der süddeutschen Länder erblickt, sondern im Gegenteil zuweilen, wenn es gilt, für den eigenen Staat Vorteile zu erlangen, die anderen süddeutschen Länder auch dem Reiche gegenüber im Stiche läßt.“466 Nach dem Kabinettswechsel von Brüning zu Papen trat das Kabinett Held in eine scharfe Opposition zur Reichsregierung.467 Indem München seinen Reichspostminister Georg Schätzel aus Berlin zurückzog, hob es jede perso464 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft in München an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten Dresden, München 22.10.1928, S. 1f. 465 Unter anderem die geplante Reichsstädteordnung, die Vereinheitlichung der Realsteuergesetze der Länder, die Regelung von Feier- und Gedenktagen, Held, Die Mängel des deutschen Verfassungslebens, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 395–431. 466 HStAD 10722 / 370 Sächsische Gesandtschaft in München, 1.10.1928, S. 5 (Entwurf). 467 Für den Fall der Fortsetzung der Reichsreformpolitik wurde ein Reich vergleichbar einem „Eisenbetonbau in neuer Sachlichkeit“ erwartet, BHStAM MA 1943 / 103 321 Sommer an Gottschald, München 31.5.1932.

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nelle Verbindung mit Berlin auf. Nach sieben Jahren hatte die Landesregierung damit keinen Beobachter und Sachverwalter bayerischer Belange mehr in der Reichsregierung. Eine Verständigung unmöglich machten die Aufhebung des SA-Verbotes, Papens „Preußenschlag“ und die in diesem Zusammenhang erneut aufgeworfene Frage der Reichsreform.468 Das republikanische Lager zollte Bayern nun Respekt, in den Zeitungen wurden die „Bollwerke des Südens“ und „ihre Demonstration, sich nicht ausschalten zu lassen“469 gewürdigt. Die süddeutschen Länder, so schrieb die Frankfurter Zeitung, können bei gefährlichen Experimenten Papens „zu Garanten des Verfassungslebens“ werden, „da es in der Linie der gegenwärtigen Männer liegt, den dünnen Faden der Legalität reißen zu lassen.“470 „Ein wahres Kesseltreiben“ der rechtskonservativen und nationalsozialistischen Presse veranlasste Held, beim Reichsinnenminister von Gayl vorstellig zu werden. Er zitierte Joseph Goebbels, der gedroht hatte, „dem süddeutschen Pack“ müsse man „die Faust unter die Nase halten“.471 In dieser Zeit wurde zudem die Dolchstoßlegende um eine antiföderale Komponente erweitert. Danach war es die Zukunftsfrage des Reiches, ob der bayerischen Regierung „der schon erhobene Dolch aus der Hand gewunden“ werden würde.472 Nachdem Papen die Reichsexekution gegen Preußen durchsetzte, war es für München zwingend, den Staatsgerichtshof in Leipzig anzurufen, um Länderrechte zu wahren. Es bestand für München jedoch „kein Grund, dass sich nun die Bayerische Regierung der preußischen an die Rockschöße hänge oder gar in fraglichem Streit als Protektor Preußens erscheine.“473 Unmissverständlich war auch eine politische Rede Helds: „Es ist mir nicht eingefallen mit dieser Maßnahme die preußische Regierung zu decken. Die habe ich nicht zu decken.“ Unter Hinweis auf die „zentralistisch-unitarischen Gebaren gerade der preußischen Staatsregierung“ sprach der bayerische Ministerpräsident sogar davon, dass Preußen im Grunde ganz recht geschehe und die Maßnahme ihre „pädagogische Wirkung für die Zukunft“ tun möge.474 468 BHStAM MA 1943 / 103 322 Reichskommissar für Preußen. 469 Stuttgarter Neues Tagblatt vom 10.6.1932; Vossische Zeitung vom 10.6.1932; Berliner Tageblatt vom 10.6.1932. 470 Frankfurter Zeitung, 11.6.1932. 471 BHStAM MA 1943 / 103 218 Der bayerische Ministerpräsident an den Reichsminister des Innern Frhr. von Gayl, München 6.7.1932. 472 Ebenda. 473 BHStAM MA 1943 / 103 395 Aufzeichnung des bayerischen Bevollmächtigten Quarck, 21.7.1932. 474 Rede Helds „zur politischen Lage“ am 25.7.1932, in: Regensburger Anzeiger, 27.7.1932.

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Papens anschließende Bemühungen um die süddeutschen Länder, deren taktische Spitze vor allem auf die seit August 1932 laufenden Verhandlungen mit den Nationalsozialisten gerichtet waren, hielt man in München zwar nur für Gesten, doch berührten diese angenehm. Anfang September ernannte der Reichskanzler einen „Sondergesandten“ und Vertrauensmann für Bayern, Württemberg, Baden und Sachsen. Einen Höhepunkt erreichte die Annäherung an Süddeutschland mit Papens Staatsbesuch in München am 12. Oktober.475 Nach der Reichsexekution gegen Preußen am 20. Juli 1932 spielten Bayern und die südwestdeutschen Länder so noch einmal eine gewisse Rolle. Gleichwohl glichen sie nach der Übertragung der Regierung des größten Landes an Papen, der sich als Reichskommissar einsetzen ließ, eher „einem liegen gebliebenen erratischen Block in einer weithin veränderten politischen Landschaft“.476 Im Frühjahr 1933 versuchte Ministerpräsident Held die Politik einer „Abkapselung“ gegen Norddeutschland noch einmal für Bayern nutzbar zu machen. Eine Restauration der Wittelsbacher Monarchie sollte Bayern 1933 aus der Hitlerdiktatur herausreißen und die Eigenständigkeit des Landes gegen die Entwicklung im Reich schützen. Unter anderen Prämissen war dies bereits in der rätesozialistischen Periode 1919 erprobt worden, und nach dem politischen Rechtsruck der regierenden BVP 1920 bis 1924, mit dem Bayern nach dem Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch vorübergehend zu einer „Ordnungzelle“ des Reiches wurde.477

Württemberg Die Eigenständigkeitspolitik Württembergs gründete auf das Selbstverständnis einer Landesbürokratie, die zutiefst davon überzeugt war, das Land besser verwalten zu können als es die Berliner Behörden je tun könnten. Gegenüber den vielfältigen Problemen der Reichsreform akzentuierten die württembergischen Regierungen Wilhelm Bazille (DNVP) und Eugen Bolz (Zentrum) daher die Sorgen vor einer mentalitätsfernen und teuren Verwaltungszentralisie-

475 HSTAS E 130b / 1858 Bericht des württembergischen Gesandten, München, 13.10.1932. 476 Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 322. 477 Zu den Verhandlungen über ein Generalkommissariat des Kronprinzen Rupprecht, die von der BVP mit Unterstützung des Bayerischen Heimat- und Königsbundes, aber auch der Sozialdemokratie geführt wurden vgl. Pöhlmann, Heinrich Held, S. 223– 230.

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rung.478 Die Stuttgarter Minister, die durchweg aus der höheren Beamtenschaft stammten, beklagten „die dauernde Zuständigkeitsverschiebung durch die Zuständigkeitshamsterei“ der Reichsbürokratie.479 Um das von der Wirtschaft ausstrahlende Leitbild einer Rationalisierung und Spezialisierung moderner Ordnungen zu entkräften, machten sie insbesondere die altliberalen Werte einer bürgernahen Landesverwaltung argumentativ virulent. Gegen eine „Neugliederung des deutschen Reiches nach dem Muster der Bezirkseinteilung einer Gewerkschaft oder eines Industriellen-Verbandes“ wandte Innenminister und Staatspräsident Eugen Bolz 1928 ein, dass es die Verwaltung „nicht mit der Erzeugung von Gütern, sondern mit der Behandlung von Menschen zu tun“ habe, und der Staat daher die „Arbeits- und Organisationsformen der Industrie nicht ohne weiteres übernehmen“ könne. Eine bürgernahe Selbstverwaltung sei nur in einem „persönlich und räumlich abgegrenzten Rahmen möglich“ und nicht in einem „wichtig tuenden, die Geschäfte aufblähenden Spezialitätentum“ wie es die Reichsbürokratie anstrebe.480 Von dort wurden immer wieder die Übergenauigkeit und die vielfach unwirtschaftliche Kleinarbeit in der württembergischen Landesverwaltung angeführt, die eng mit der kleinbürgerlichen und regionalen Herkunft ihrer Beamtenschaft zusammenhing. Die Einteilung Württembergs in kleine Verwaltungsbezirke mit guten sozialen Aufstiegschancen konservierte diesen Geist, so dass die Vorschläge des Reichssparkommissars 1930 für eine großzügige Verwaltungsreform den Lebensnerv schwäbischer Empfindungen trafen und eine Welle der Entrüstung auslösten.481 „Bis der Süddeutsche das Wort Wurst ausgesprochen hat, hat der Norddeutsche sie bereits gegessen“, war ein verbreiteter Aphorismus für die Mentalitätsunterschiede: Der „Vorzug der größeren Fixigkeit“ hätte aber auch den Nachteil einer „geringeren Richtigkeit“.482 Obwohl Stuttgart nicht so offensiv wie München argumentierte, an den praktischen Fragen der bundesstaatlichen Ordnung war die Landesregierung 478 HStAS E 151 / 02, Nr. 1 Auszüge aus den Verhandlungen des Württembergischen Landtages, 4./5.11.1927 zur Frage Unitarismus und Föderalismus, Redebeiträge Staatspräsident Bazille und Innenminister Bolz. 479 HStAD 10722 / 370 An das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten 15.10.1928, Entwurf, S. 1. 480 HStAS E130b / 855 Memorandum des Württembergischen Innenministeriums zum Verhältnis von Reich und Ländern, Stuttgart 14.7.1928. 481 Das Gutachten des Reichssparkommissars wurde im April 1930 veröffentlicht, vgl. Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 51f. und 156. 482 HStAS E 151 / 02, 1 Verhandlungen des Württembergischen Landtags, 4.11.1927, Sp. 4305.

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nicht weniger interessiert. Württemberg, das zu den steuerstarken Ländern zählte, setzte sich so prinzipiell für die Erhaltung der sogenannten „ArmeLänder-Klausel“ ein. Von den Reichsüberweisungen nach Paragraphen 35 profitierten neben Bayern vor allem die agrarisch strukturierten Länder. Gerade im Lastenausgleich zwischen den Ländern sah Stuttgart ein wesentliches bundesstaatliches Element, das auf keinen Fall preisgegeben werden durfte.483 Zumal das Reich und Preußen auf eine Streichung dieser Zuweisungen drängten, um kleine Länder zur Aufgabe ihrer Eigenständigkeit zu bewegen. Länder, die bestehen wollen, so lautete ein Tenor vieler Stimmen, müssten sich auch selbst finanzieren können.484 In dem seit 1927 bis in die Ära Brüning andauernden Konflikt um die Finanzbeziehungen zwischen Reich und Ländern verlangten die Regierungen Bazille und Bolz zudem wirksame Garantien für die Kompetenzen der Länder gegen die „Aushöhlungspolitik“ des Reiches: „Wir wollen dem Reich geben, was des Reiches ist. Wir müssen aber auch verlangen, daß das Reich den Ländern die Aufgaben überlässt, die zweckmäßiger und besser von den Ländern erfüllt werden. Was dem Reich und den Ländern not tut, ist eine klare Verteilung der öffentlichen Aufgaben zwischen dem Reich und den Ländern.“ Als Hauptgegner galt die Reichsbürokratie, die „von Berlin aus dem Volke als die große Rationalisierung der öffentlichen Verwaltung vorgespielt wird, von der unsere Rettung im Innern und unsere Leistungsfähigkeit nach Außen abhängen soll.“485 Der seit Juni 1928 amtierende Staatspräsident und Zentrumspolitiker Eugen Bolz blieb auch gegenüber den preußischen Mediatisierungsbestrebungen in Norddeutschland und der hinhaltenden Taktik der Regierung Braun auf der 483 HStAS E 130b / 2111 Schreiben des württembergischen Finanzministeriums an das Staatsministerium Oldenburg, 16.2.1928. 484 Otto Braun bezeichnete den Paragraphen des Finanzausgleichsgesetz zum Auftakt der Länderkonferenz 1928 als „stehen gelassenen Regenschirm“, den man nach der Beendigung der Inflation vergessen habe zu streichen: „Bleibt er aber nicht bestehen, dann ist zwar bei vielen Ländern noch der Wille, aber nicht mehr die Kraft vorhanden, die Eigenstaatlichkeit zu bewahren, und das wird zweifellos auch auf den Willen zur Staatlichkeit eine gewisse Wirkung ausüben“, vgl. Die Länderkonferenz, Berlin 1928, S. 41. 485 Entwurf eines Schreibens der württembergischen Regierung vom 18.11.1927 an Reichskanzler Marx, zit. nach Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 99, ausführlich dazu auch S. 94–101; des Weiteren die Kritik von Eugen Bolz auf der Länderkonferenz 1928 an den Initiativen zur Unitarisierung des Reiches, ders.: Verhältnis zwischen Reich und Länder, in: Verfassungsauschuß der Länderkonferenz, Beratungsunterlagen 1928, S. 470–477.

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Länderkonferenz empfindlich. Die Frage nach Sicherungen für ein föderales Süddeutschland verknüpfte Stuttgart jetzt eng mit der Lösung der Preußenfrage in Nord- und Mitteldeutschland. Hier lag ein bezeichnender Unterschied zu Bayern, das am Status quo so wenig wie möglich zu rühren wünschte. Der Punkt der größten Entfernung zwischen den bayerischen und württembergischen Regierungen war im Frühjahr 1929 mit der konstruktiven Beteiligung Stuttgarts an den Verhandlungen der Länderkonferenz über eine Revision der Reich-Länder-Beziehungen erreicht.486 „Wenn wir nichts fertig bringen“, war der württembergische Staatspräsident überzeugt, „dann geht der Prozeß, der beim Reich zu konstatieren ist, weiter, daß die Zuständigkeit der Länder fortgesetzt ausgehöhlt wird, und daß schließlich von den Ländern alter Art nichts übrigbleibt.“ Für ihn sei es deshalb „notwendig, daß der Länderauschuß nicht ohne ein positives Resultat auseinandergeht“, und Preußen als „Kernfrage des ganzen Problems“ angesehen werde.487 Der Stuttgarter Staatspräsident Eugen Bolz blieb dabei zunächst auf dem vom Bund zur Erneuerung des Reiches gemachten Vorschlag eines norddeutschen Reichslandes fixiert, in dem Preußen aufgehen sollte. Das Schwergewicht dieser Blockbildung nördlich der Mainlinie sah Bolz durch die deutliche Stärkung der Selbstverwaltungsrechte der preußischen Provinzen und einen verfassungsrechtlichen Schutz Süddeutschlands ausreichend kompensiert. Durch eine schrittweise Dezentralisierung des Reichslandes in so genannte „Länder neuer Art“ glaubte er, dass die föderale Zukunft gesichert werde. Dabei setzte er auf eine Entwicklung zum echten Bundesstaat, welche die anfangs eingeschränkte Selbstständigkeit der neuen Länder ausweitete und diese den süddeutschen Ländern anglich. Für die „Länder alter Art“ bestand Bolz auf einem „Verfassungsschutz“, damit „endlich einmal Ruhe eintritt und daß die Länder alter Art sich nicht der Gefahr ausgesetzt sehen: nach der ersten Reichsreform Stück für Stück des Restes zu verlieren“.488 Da die von der Länderkonferenz projizierte „Differenzierte Gesamtlösung“ ausgesprochen interpretationsbedürftig blieb, ließ sich die Entwicklung jedoch in entgegengesetzte Richtungen denken. Der Weg zum preußisch akzentuierten Einheitsstaat war in dem Entwurf ebenso sichtbar angelegt, sobald nicht wie bei Bolz der föderale Selbstständigkeitsdrang der norddeutschen

486 Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 105–113. 487 Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Niederschrift über die Verhandlungen am 5./6.7.1929, S. 35. 488 Ebenda, S. 53.

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„Länder neuer Art“, sondern „Zentralisierung“ und „Auftragsverwaltung“ als die historisch zwingenden Ideen zugrunde gelegt wurden.489 Die Neigung Stuttgarts, im Ausbau einer leistungsfähigen und politisch nicht gebundenen Länderbürokratie ein Unterpfand der Eigenregierung zu sehen, verweist auf die liberal-konservativen Traditionen der Regierungskoalition Bolz und auf ihre prekäre parlamentarische Position.490 Sie identifizierte sich daher mit der Forderung einer „Entpolitisierung der Länder“, die sich gegen die Landtage richtete und die ihrem Wunschbild einer nicht mehr parlamentarisch verantwortlichen Landesregierung entsprach. Auch Neugliederungsdebatten491 stellte sich der württembergische Staatspräsident nicht in den Weg.492 Bolz dachte daran, dass ein südwestdeutscher Staat nicht nur „gegen die Berliner Zentralisierungsbestrebungen ein größeres Schwergewicht als die kleinen Länder“ bilden könnte.493 Er sah in einem südwestdeutschen Zusammenschluss auch einen Gegenpol zum bayerischen Nachbarn. Mit diesen Überlegungen knüpfte der Zentrumspolitiker an die seit der Revolution in der Diskussion gebliebenen Neugliederungsbestrebungen an, die den südwestdeutschen Raum zu einer „festen scharfen Ecke ausgebaut“ sehen wollten, und zwar „gleichberechtigt und selbständig im Rahmen des gesamten Reiches“.494 Eugen Bolz’ Mitwirkung an der „Differenzierten Gesamtlösung“ der Länderkonferenz ließ allerdings nach, als er feststellte, dass der gefundene Kompromiss deutlich zugunsten einer preußisch-unitarischen Lösung ausgelegt wurde. Nach fast zwei Jahren räumte er im November 1929 ein, dass ihm „die Freude an der früheren Arbeit durch die inzwischen vorgenommenen Veränderungen verdorben“ sei.495 489 So deutlich benannt durch Hans Nawiasky, ebenda, S. 33. 490 Nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten am 8.6.1928 war es Bolz nur mit Hilfe der Geschäftsordnung, die Enthaltungen wie Neinstimmen wertete, gelungen, die ersten Misstrauensvoten gegen seine Regierung zu überstehen, Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 38. 491 Zu den Bestrebungen seit 1800, den gesamten südwestdeutschen Raum zu vereinigen siehe Elias, Vom Schwäbischen Kreis zum Südweststaat, S. 151–172, für die Weimarer Republik insbesondere S. 161–165. 492 HStAS E 151 / 02,10 Verhandlungen des Württembergischen Landtags, 7.3.1930, Sp. 1962. 493 HStAS E 130 b / 2141 Sitzung des Staatsministeriums zur Vereinigung von Württemberg und Baden, 10.2.1930, Bl. 33. 494 In der Presse wiedergegebene Äußerung des hessischen Justizministers Otto Rudolf von Brentano, Ein südwestdeutscher Parlamentariertag, in: Karlsruher Zeitung, 9.10.1920. 495 HStAS E 130 b / 2137 Niederschrift der Sitzung vom 18. und 19.11.1929.

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Nach dem Wechsel von der SPD-geführten Regierung Müller zum Präsidialkabinett Brüning waren von der unitarischen Politik des Reiches zwar kaum Abweichungen bemerkbar. Jedoch erinnerte der neue Reichskanzler an die Schicksalsverbundenheit von Reich und Ländern, und er sprach im Reichsrat die Einmütigkeit aller bürokratischen Gesinnung an, die den Staat unter allen Umständen in Ordnung wissen wollte. Damit konnte Stuttgart auf einen Strukturwechsel hoffen, in dessen Folge der Reichsrat aus dem Schatten des nicht mehr aktionsfähigen Reichstages treten und die Vertretung der Länder künftig die Rolle eines „Ersatzgesetzgebers“ übernehmen würde.496 Zuversichtlich berichtete der württembergische Gesandte daher im Juni 1930 nach Stuttgart, dass es ausgeschlossen sei, „dass die Reichsreform jetzt oder später irgendeinmal im Wege der Notverordnungen angepackt und zu einer Lösung gebracht werden könnte“.497 Während die bayerische Regierung Held die unitarische Notverordnungspraxis Brünings keineswegs akzeptierte, verhielt sich die württembergische Regierung durchaus kooperativ. Da Eugen Bolz‘ Appelle zur Verteidigung der Länderstaatlichkeit mit einer elementaren Angst um die Zukunft der Ära Brüning korrespondierten, bekam er das Image eines „braven Konfirmanden“, mit dem Berlin glaube „Kegel schieben zu können“.498 Dazu trug auch die ambivalente Aufnahme der Dietramszeller Notverordnung vom 24. August 1931 in Stuttgart bei, durch die das Budgetrecht der Landtage ausgehebelt werden konnte. Brüning ermächtigte die Länderregierungen eigenverantwortlich Etatsanierungen vorzunehmen, ohne dabei jedoch wie gewohnt auf die Zuschüsse des Reiches rechnen zu können. Dabei spekulierte er darauf, dass viele Länder eine Sanierung aus eigener Kraft nicht mehr leisten könnten und sich in dieser Zwangslage eine Reichsreform leichter durchsetzen ließ. Einen von daher begründeten bayerischen Einwand gegen diese Notverordnung verkehrte Stuttgart jedoch in die Überzeugung, die Einschränkung des Länderparlamentarismus bedeute in Wahrheit geradezu eine Steigerung der Länderstaatlichkeit. Als Bolz dennoch an der Verfassungsmäßigkeit der Dietramszeller Notverordnung zweifelte, verwiesen seine Beamten auf die weiten Möglichkeiten, die sich in der politischen Praxis ergaben. Nur eine Grenze, so entsprach es ihrer tiefen Überzeugung, dürfte nicht überschrit-

496 Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 195–204. 497 HStAS E 130b / 2138 Bericht des württembergischen Gesandten in Berlin an das Staatsministerium, 20.6.1931. 498 BHStAM MA 1943 / 103 315 Prof. Haug, Umfall Württembergs bei der Reichsreform, in: Süddeutsche Zeitung, 12.1.1932.

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ten werden: Die Exekutive müsse in doppelter Gestalt in Reich und Ländern weiter bestehen.499 Für „unerträglich“ hielt Stuttgart daher alle Maßnahmen, die die finanzpolitische Gestaltungskraft der Landesregierung einschränkten.500 Württembergs relativ günstige wirtschaftliche Situation führte außerdem dazu, dass es aus den Notfonds des Reichs kaum etwas erhielt und so die deutlich sinkenden Steuerzuweisungen des Reiches an die Länder nicht ausgleichen konnte. Seinen Missmut artikulierte Bolz in einer Denkschrift an Brüning, Anfang Januar 1932: „Ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß durch die fortgesetzten Benachteiligungen, die Württemberg immer wieder vom Reiche erfahren musste, bei der württembergischen Bevölkerung eine starke Verbitterung eingetreten ist. Württemberg hat sich bisher von keinem anderen Land an Reichstreue übertreffen lassen, aber die vielfachen Zurücksetzungen und Schädigungen, die wir auf den mannigfachen Gebieten verzeichnen mussten … lassen in Württemberg allmählich eine Stimmung des Misstrauens und der Gegnerschaft gegen Berlin um sich greifen, die das ganze Staatsministerium und mich persönlich mit allergrößter Sorge erfüllt.“501 Aber auch als mit dem Regierungswechsel zu Franz von Papen das stillschweigend vorausgesetzte Einvernehmen der Zentrumspolitiker Eugen Bolz und Heinrich Brüning über die Grenzen der Notverordnungen wegfiel, blieben die Stuttgarter Minister auf dem Weg beamtenmäßiger Pflichterfüllung. Ihre rein defensive Haltung verschloss sich jeder kämpferischen Initiative. Insbesondere Eugen Bolz vermochte sich nicht von der im Weimarer Staatsdenken verbreiteten Fiktion zu lösen, die vornehmlich die Länder zur Treuepflicht gegenüber dem Reich anhielt.502 Trotz echter Sorgen um das Schicksal Württembergs und die Länderstaatlichkeit wurde daher konsequent das Prinzip durchgehalten, die Politik der Reichsregierung nicht mit Politik zu bekämpfen.503 Der bayerischen und badischen Klage beim Staatsgerichtshof gegen den Staatsstreich Papens in Preußen schloss sich die württembergische Regierung nicht an. Was sich schon in Württembergs zögernder Haltung am 20. Juli 1932 angedeutet hatte, setzte sich auch im Reichsrat fort. Preußen gelang es daher 499 HStAS E 151 / 2,1 Aktenvortrag des Staatsministeriums, 1.9.1931. 500 Ebenda. 501 HStAS E 130b / 2138 Denkschrift über die finanzielle Benachteiligung Württembergs gegenüber anderen Reichsteilen, 7.1.1932. 502 HStAS E 130 b / 2101 Bezüglich der Reichsexekution gegen Sachsen 1923 erinnerte Bolz mit Heinrich Triepel an die vermeintliche Treuepflicht der Länder gegenüber dem Reich. 503 Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 294.

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nicht, den Reichsrat im Protest gegen die Reichsregierung Papen zu vereinen.504 In zwei politischen Reden in München am 28. November 1932 und an der Hochschule für Politik in Berlin am 14. Dezember 1932 legte Bolz stattdessen noch einmal seine Gedanken zur Reichsreform dar, und warnte davor, sie auf dem Weg der Diktatur zu verwirklichen.505 Nach der Machtübernahme durch Hitler erschien auch in Württemberg die Anpassung der Stuttgarter Regierungsverhältnisse als Schlüssel zur Erhaltung der Eigenständigkeit. Von einer parlamentarisch konstituierten, nationalsozialistisch konformen Regierung wurde angenommen, dass sie besser als ein Reichskommissar die württembergischen Belange im Reich und eine Selbstverwaltung des Landes wahren könnte. Eugen Bolz, der die NSDAP offen ablehnte, wurde am 11. März 1933 aus dem Amt gedrängt. Die Wahl des Gauleiters Wilhelm Murr zum württembergischen Staatsminister durch den Landtag, die an die Einwilligung Hitlers gebunden war, trübte dabei auch in Stuttgart den Blick für den tiefen Wandel, der sich im Verhältnis von Reich und Ländern inzwischen vollzogen hatte.506

Baden Unmittelbar nach der Novemberrevolution entstand eine großschwäbische Bewegung, die für eine Vereinigung Badens mit Württemberg und mit schwäbischen Teilen Bayerns warb.507 Sie traf auf Wiedervereinigungsbestrebungen in den ehemaligen kurpfälzischen Gebieten beiderseits des Rheins und auf Pläne für die Bildung eines südwestdeutschen Staates durch die Zusammenlegung der Pfalz, Badens, Württembergs und Südhessens.508 504 505 506 507

Ebenda, S. 300. HSTA Stuttgart E 130 b / 2139 Stuttgarter Neues Tagblatt, Nr. 560, 29.11.1932. Zu den Details Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 344–352. Das so genannte „Schwabenkapitel“ entstand in Ulm, vgl. HStAS E 130 b / 2141. Neuen Aufwind erhielt der Plan einer Angliederung schwäbischer Teile Bayerns an Württemberg 1929–1931 von Augsburg aus, vgl. BHStAM MA 1943 / 103 317 Reichsland Großschwaben und Konstantin Bertele, Reichsland Groß-Schwaben mit Stuttgart und Augsburg, Kempten 1930; Ludwig Hammerschlag, Die Probleme des Bezirkswirtschaftsrates und das Problem des westdeutschen Staates, Freiburg 1925; dazu die Darstellung von Jürgen Heideking, Volksstaat oder Reichsprovinz? Die württembergischen Sozialdemokraten und das Reich-Länder-Problem in der Revolution von 1918/19, in: ZWLG 40 (1981), S. 603–618. 508 Beide Pläne angeregt durch John Gustav Weiß, Bürgermeister der nordbadischen Stadt Eberbach. GLAK 233 / 12976 Schreiben Weiß vom 2.12.1918 und Weiß, Le-

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Die badische Revolutionsregierung zeigte indessen wenig Verständnis für diese Gedankenspiele, die sie als „staatsgefährdend“ ablehnte.509 Dennoch wurde in der Nachkriegszeit immer wieder über die Zukunft eines selbstständigen Badens diskutiert.510 Baden hatte als so genanntes Grenzland mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen. Das Wirtschaftsgebiet der oberrheinischen Tiefebene war in der Folge des Versailler Vertrages geteilt worden, was Baden nahe Bezugsquellen von Rohstoffen und Absatzmärkte versperrte. Die Neuorientierung ins Reich wurde durch längere Transportwege und mangelnde Verkehrsverbindungen nach Osten behindert. Wenig Anreiz zur Ansiedlung neuer Betriebe bot auch die Nachbarschaft zu Frankreich mit der jederzeit möglichen Besetzung. Und die neutrale Zone, die den größten Teil des Landes einbezog, nahm Baden die Garnisonen als Wirtschaftsfaktor. Hinzu kam, dass Baden die Ansiedlung vertriebener Deutscher aus ElsaßLothringen zu verkraften hatte. Unter diesen ungünstigen Nachkriegsbedingungen stagnierte die badische Wirtschaft, und die Steuerkraft des Landes schwand, während die Arbeitslosenzahlen überdurchschnittlich anstiegen.511 Das benachbarte Württemberg, das weniger direkt als Baden mit den Folgen des Versailler Vertrages konfrontiert war, und dessen Konjunktur wesentlich günstiger verlief, begegnete einer südwestdeutschen Territorialreform eher zurückhaltend. Für den Fall einer Vereinigung von Baden und Württemberg sollten aber „kleinliche, bürokratische Bedenken“ zurückgestellt werden.512 Während der ersten Kontaktaufnahme der provisorischen Regierungen Ende November 1918 hatten sich Sozialdemokraten für eine Vereinigung Württembergs mit Baden und Hessen ausgesprochen. Auch führende Vertreter des Zentrums und der DDP sahen große Vorteile in der Schaffung eines südwestdeutschen Gegengewichtes zu Preußen, das sie durch die Vereinigung

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benserinnerungen, S. 160 ff. Im Detail auch Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 108–126. GLAK 233 / 24312 Protokoll Staatsministerium, 9.12.1918 und GLAK 233/ 12976 Schreiben des badischen Außenministers Dietrich an den Bürgermeister der Stadt Erbach vom 5.12.1918. Elias, Vom Schwäbischen Kreis zum Südweststaat, S. 151–172. Vgl. Badische Denkschrift über die wirtschaftliche und kulturelle Notlage Badens als Grenzland und besetztes Gebiet, in: Karlsruher Zeitung, 6.4.1929 und Karl Scheffelmaier, Die Folgen der neuen Grenzziehung für das Land Baden, in: Zeitschrift für Geopolitik, 7,2 (1930), S. 702–716 sowie Herrmann Schäfer, Wirtschaftliche und soziale Probleme des Grenzlandes, in: Josef Becker u.a. (Hg.), Badische Geschichte. Vom Großherzogtum bis zur Gegenwart, Stuttgart 1979, S. 186ff. HSTAS 130 b / 2141 Protokoll einer Sitzung des Staatsministeriums Stuttgart, 28.12.1920.

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Badens und Württembergs, unter Einbeziehung des preußischen Regierungsbezirkes Hohenzollern und der Pfalz bilden wollten. Auf württembergische Initiative trafen sich am 28. März 1919 daher Abgeordnete der konstituierenden Nationalversammlung in Weimar, um über die Vereinigung beider Länder zu beraten.513 Die badischen Wortführer, der Abgeordnete Oskar Geck und der Landtagsabgeordnete Emil Kraus, wiederholten, dass Baden durch seine Öffnung nach Osten nur gewinnen könne. Auf sich allein gestellt, bleibe es dagegen „ein völlig unorganisches Staatsgebilde, zusammengeflickt von Napoleons Gnaden“ mit einer „geografisch … außerordentlich unglücklichen Konfiguration“, das angesichts der zu erwartenden Beseitigung der norddeutschen Kleinstaaten zum „kleinsten aller deutschen Gliedstaaten“ zu werden drohe. Zudem seien zwei Parlamente, zwei Regierungen und zwei Staatsverwaltungen für insgesamt nur viereinhalb Millionen Einwohner „ein Luxus …, eine Unwirtschaftlichkeit und Verschleuderung von Zeit und Geld, die … nicht mehr zu rechtfertigen seien.“514 Kraus wertete die Neugliederungsfrage als „eines der wichtigsten Kernprobleme der Einheitsstaatsfrage“. Baden sei an der Grenze gegen Frankreich zu klein und wirtschaftlich unbedeutend und es habe zu wenig Einfluss in Berlin.515 Eine Ländervereinigung wurde vor allem im badischen Mannheim befürwortet, dessen Einzugsgebiet durch die Landesgrenzen zu Hessen im Norden und zur bayerischen Pfalz im Osten durchschnitten wurde. Sie fand auch im grenznahen Heidelberg, in Pforzheim und im Schwarzwald Unterstützer. In der badischen Rheinebene, den Städten Offenburg, Freiburg, Lörrach und natürlich in Karlsruhe waren wiederum die Gegner in der Mehrheit.516 Die badische Landesregierung sah die Vorteile einer Neugliederung vornehmlich auf württembergischer Seite liegen. Mannheim als wirtschaftlicher Mittelpunkt Badens und Karlsruhe als Hauptstadt und kultureller Vorort wür513 HSTAS E 130 b / 2141 Bericht der Württembergischen Gesandtschaft an das Staatsministerium, Berlin 3.4.1919, GLAK 233 / 34826, Bericht des badischen Gesandten, Berlin 1.4.1919. 514 Die Rede Gecks auf der SPD-Landekonferenz am 28.4.1919 ist abgedruckt in: Günter Cordes, Krieg, Revolution, Republik. Die Jahre 1918 bis 1920 in Baden und Württemberg. Eine Dokumentation, Ulm 1978, S. 177. 515 Zur Einheitsstaatsfrage, in: Volkszeitung, Heidelberg, 2.2.1920. 516 HSTAS E 130 b / 2135 Oskar Geck, Der politische Skandal der südwestdeutschen Kleinstaaterei, in: Volksstimme Mannheim Nr. 29, 30.1.1922; Die südwestdeutsche Ländervereinigung, in: ebenda, 4.1.1924; HSTAS E 151 / 02,10 Walther Tuckermann, Mannheim und die Neugliederung. Einheit der Oberrheineben, in: Frankfurter Zeitung, 8.8.1930, S. 3f.

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den durch Stuttgart als wahrscheinlichem Zentrum des neuen Staates erhebliche Bedeutungseinbußen hinnehmen müssen. Einen Konflikt mit Bayern, das keine Kompromisse in Bezug auf die Pfalz machte, hielt Karlsruhe für so gut wie sicher und war daher nicht bereit, „ein Staatswesen mit selbständiger Vergangenheit und Gegenwart …, von hundertjährigem Bestand und einem eigenen Staatsbewusstsein geschichtswidrig zu vernichten“.517 Die badischen Vereinigungsgegner argumentierten in der Presse emotional und warnten davor, „dass die Württemberger unser badisches Land mit Stumpf und Stiel verschlucken wollten. Der Württemberger sei der bessere Geschäftsmann und halte immer die geschäftliche Seite fest.“518Auch im badischen Landtag fand sich keine Mehrheit. Das Zentrum verlangte Garantien für den föderalen Reichsaufbau und lehnte die Vereinigung als Schritt zum Einheitsstaat ab. Die Sprecher der DDP und der DNVP ließen erkennen, dass ihre Parteien noch keine einheitliche Linie in dieser Frage gefunden hatten. Der badische SPD-Arbeitsminister Wilhelm Engler sah indessen mit dem Südweststaat schon ein zweites Bayern entstehen, welches die zentrifugalen Kräfte im Reich stärken würde. Aus den Erfahrungen mit Preußen und Bayern wurde großen Staaten eher die Neigung zu einer „Sonderpolitik“ zugetraut: „Nachdem der Verkehr und das Finanzwesen verreichlicht sind, liegen wirtschaftliche Gründe für die Vereinigung nicht vor, politische Gründe sprechen dagegen, weil durch große Bundesstaaten die Reichseinheit gefährdet und die Schaffung von richtigen Reichsprovinzen in anderen Bundesstaaten verhindert wird.“519 Gegenüber der 1920 eingesetzten Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches trat Karlsruhe daher für die Erhaltung des Status quo ein. Auch Preußen, das seinen Gebietsstand in Süddeutschland nicht aufgeben wollte, und Württemberg, das die Vorteile einer Übernahme Hohenzollerns als gering bewertete, waren nach Inkrafttreten der Weimarer Verfassung nicht an einer Lösung territorialer Problemfälle interessiert.520 Auf dem Höhepunkt der Inflation und der französischen Besetzung 1923 unternahm der württembergische Staatspräsident Johannes von Hieber (DDP) einen nächsten Vorstoß. Mit einer „Staatsvereinfachung“ wollte er dem Spar517 GLAK 233 / 28179 Denkschrift zur Vereinigung von Baden und Württemberg, 28.4.1919. 518 Die Vereinigung von Baden und Württemberg, in: Volksfreund, Karlsruhe, 22.6.1921. 519 Arbeitsminister Engler auf einer SPD-Versammlung am 22.6.1921, in: ebenda, 23.6.1921. 520 GLAK 233 / 12976 Die Gliederung des Deutschen Reiches 1920 und Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 127–139.

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zwang in der öffentlichen Verwaltung gerecht werden. Die Grenzlage Badens ansprechend, sollte ein Südweststaat außerdem den französischen Ausdehnungsbestrebungen Einhalt gebieten.521 Als sich 1927 die Anzeichen für eine Reichsreform wieder verdichteten, erhielt der Zusammenschluss neuen Auftrieb.522 In weit stärkerem Maße als in den Anfangsjahren der Republik spielten nun finanz- und wirtschaftspolitische Argumente eine Rolle.523 Im badischen Zentrum rührten aufgefrischte Südweststaatsgedanken aber auch aus der Annäherung an die Bayerische Volkspartei und damit verbundene Akzente eines „echten“ Föderalismus. Im April 1928 hob schließlich auch der württembergische Innenminister Eugen Bolz die Vorteile eines südwestdeutschen Zusammenschlusses hervor. Die Initiative sollte jedoch aus taktischen Gründen bei Karlsruhe liegen, um die bestehenden Vorbehalte gegen ein „GroßWürttemberg“ auszuräumen. Der badische Minister für Inneres Adam Remmele (SPD) legte seine Vorschläge für eine Reich-Länder-Reform am 31. Dezember 1928 vor. Nachdem Remmele noch 1924 die Einhaltung des Weimarer Verfassungskompromisses gefordert hatte,524 rückte er nun von der einfachen Fortführung des Bundesstaates ab. Remmele plädierte stattdessen für den dezentralisierten Einheitsstaat, dessen Rückgrat die autonome Selbstverwaltung der Länder bilden sollte. In der Neugliederungsfrage ließ er erkennen, dass Südwestdeutschland nach einer Vereinigung von Baden und Württemberg nach diesem Modell mehr Einfluss und Stabilität besitzen würde. Bayern wollte er nicht unberührt lassen. Eine Bereitschaft zur Veränderung bestand auch hinsichtlich der norddeutschen Staaten. Remmele setzte hier auf eine „vernünftige regionale Gliederung, die es den Reichsbehörden erst gestattet, an leistungsfähige, aber nicht übermäßige Verwaltungsgebilde (Länder) zu dezentralisieren.“525 Von einer Reichsreform erwartete Remmele schließlich die Beendigung der Aus521 HSTAS E 130 b / 2141 Schreiben des württembergischen Staatspräsidenten v. Hieber an den badischen Staatspräsident Köhler v. 7.12.1923; GLAK 233 / 28179 Schreiben v. Hieber an Köhler, 7.12.1923. 522 Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 274–288. 523 Eine in Freiburg vorliegende Dissertation suchte den Nachweis über die bereits vollzogene Wirtschaftseinheit Badens und Württembergs zu erbringen, Hammerschlag, Die Probleme des Bezirkswirtschaftsrates und das Problem des südwestdeutschen Staates (1925) und GLAK 233 / 28179 Richard Prietze, Die Vereinigung Württembergs, Badens und Hohenzollerns zu einem Freistaat, ihre allgemeine politische Bedeutung und praktische Durchführung 1931 (Manuskript, maschinenschriftlich). 524 Adam Remmele, Staatsumwälzung und Neuaufbau in Baden. Ein Beitrag zur politischen Geschichte Badens 1914/1924, Karlsruhe 1925. 525 Der Einheitsstaat und die politische Lage, in: Volksfreund, 23.1.1928.

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höhlungspolitik des Reiches. Wenn auch im Vergleich zu 1919 in wesentlich niedrigerem Umfang, wollte er Länderkompetenzen in der Verfassung sicher verankert wissen: „Reichsregierung und Reichstag sollten einmal wissen, daß es bestimmte Gebiete von Aufgaben gibt, die absolut den Ländern für den Vollzug zuzuschreiben sind und daß darüber hinaus eine Vereinbarung der Aufgaben stattfinden sollte auch in der Reichsverfassung, so daß wir für eine längere Frist Streit über diese Dinge nicht mehr haben.“526 Unter sozialstaatlichen Prämissen sollte eine starke Reichsgewalt vor allem für die erfolgreiche Bewältigung von Arbeitslosigkeit und sozialer Not sorgen. Am Beispiel des Kapp-Putsches, der nicht zuletzt an der abweisenden Haltung der südwestdeutschen Regierungen gescheitert war, hatte der SPDPolitiker aber auch erfahren, wie wichtig die föderale Ordnung für den Bestand der Republik gewesen war. Remmele wünschte daher, dass Regierungen mit SPD-Beteiligung korrigierend auf die Reichspolitik einwirken konnten, falls die SPD dort in der Opposition sei.527 Seine deutlich föderale Interpretation des dezentralisierten Einheitsstaates528 auf der Länderkonferenz forderte letzten Endes den Widerstand aller Seiten heraus. So wies Hans Nawiaksy Remmele vorsorglich darauf hin, dass die Verhandlungen über die „Differenzierte Gesamtlösung“ seinen Ideen zuwiderlaufe, „daß das, was den Ländern neuer Art im Norden an Dezentralisation geboten wird, eigentlich beinahe null ist, fast gar nichts gegenüber dem heutigen Zustand, den die preußischen Provinzen schon haben.“529 In Baden fehlte dem badischen Staatspräsidenten und Innenminister nicht nur die Un526 Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Niederschrift über die Verhandlungen. 5./6.7.1929, S. 20. 527 Adam Remmele, Vorschläge für die Reichs- und Länderreform, Karlsruhe 1929; ders., Zum Problem Einheitsstaat, in: Die Gesellschaft 6/1 (1929), S. 501–510; ders., Die erste Etappe der Reichsreform, in: Die Gesellschaft 7/2 (1930), S. 103–111; ders., Der Einheitsstaat und die politische Lage, in: Volksfreund, 23.1.1928; Staatspräsident Remmele über Einheitsstaat und Länderkonferenz, in: Karlsruher Zeitung, 26.1.1928 sowie GLAK 233 / 28179 Vereinigung von Baden und Württemberg, Niederschrift einer Rede Remmeles für die sozialdemokratische Presse in Baden, Karlsruhe 13.2.1930. 528 So war sich Remmele „todsicher“, dass sich die „föderativen Kräfte in Hannover, in Braunschweig, im Rheinland usw. schon bemerkbar machen, um im Sinne des Aufbaus dieser Länder als Selbstverwaltungskörper das Erforderliche“ zur Lösung des preußischen Problems und zur Dezentralisierung Norddeutschlands beizutragen, Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Niederschrift über die Verhandlungen, 5./6.7.1929, S. 20. 529 Ebenda, S. 33.

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terstützung seiner Parteifreunde und des Kabinetts, auch die öffentlichen Meinungen waren viel zu disparat, um den Plänen Tatsachen folgen zu lassen und etwa die südwestdeutsche Vereinigung voranzutreiben.530 Neben Adam Remmele hat sich auch der badische Kultusminister und Staatspräsident Willy Hellpach (DDP) Gedanken über die Zukunft im dezentralisierten Einheitsstaat gemacht. Als größten Strukturfehler der Länderstaatlichkeit bezeichnete Hellpach „die künstliche Überhitzung der politischen Atmosphäre“. In der geringen Beteiligung an den badischen Landtagswahlen 1925531 sah er ein deutliches Anzeichen dafür, dass die „Spielerei mit Parteien, Koalitionen, Regierungswechseln, mit einem Parlamentarismus, dem jede natürliche Grundlage“ fehle, zur „vollständigen Abkehr vom politischen Leben“ führen werde.532 Deshalb sprach er sich für eine „Entpolitisierung der Länder“ aus. Um sie im Interesse einer bürgernahen Verwaltung erhalten zu können, regte Hellpach den Ersatz der Länderminister durch gewählte Staatssekretäre an.533 Im Vergleich mit der DDP und ihrer programmatischen Ausrichtung am dezentralisierten Einheitsstaat534 sowie einer konsequent für die Reföderalisierung der bestehenden Verfassung eintretenden Zentrumspartei in Baden535 530 Zu den Reaktionen vgl. Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 232–233, 239f. 531 Die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Baden betrug 88,1 % (1919), 69,1 % (1921), erreichte mit 54,2 % (1925) einen Tiefpunkt und lag auch bei der Landtagswahl 1929 mit 61,4 % unter dem Reichsdurchschnitt, vgl. Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 90. 532 Willy Hellpach, Entpolitisierung – die Rettung für die deutschen Länder, in: Stuttgarter Neues Tagblatt, 12.6.1926. 533 Ders., Die Parlamentskrise und die Verfassung von Weimar, S. 1- 20 und Politische Prognose für Deutschland (1928). 534 Auch der Vorsitzende der badischen DDP Hermann Dietrich wandelte sich zu einem Befürworter des dezentralisierten Einheitsstaates mit autonomen Selbstverwaltungsprovinzen, vgl. die Denkschriften Hermann Dietrichs 1919 in GLAK 233 / 12889 und GLAK 233 / 34672 sowie Adelheid von Saldern, Hermann Dietrich. Ein Staatsmann der Weimarer Republik, Boppard a. Rhein 1966, S. 32 ff. 535 Forderungen des Zentrums nach einer Reföderalisierung der Weimarer Verfassung manifestierten sich in den Denkschriften des badischen Zentrumspolitikers und Landtagspräsidenten Eugen Baumgartner, Das Reich und die Länder (1923). Die Differenzen des badischen Zentrums zur Politik der BVP betonte der badische Beobachter: „Das badische Land hat die Wünsche auf Respektierung seiner Eigenart nie nach Art des bayerischen Volkes zum Ausdruck gebracht. Jeder nach seiner Fasson. Die Wünsche sind bei uns trotzdem sehr lebendig.“ HStAS E 130b / 2105 Badischer Beobachter, Karlsruhe, Nr. 280 v. 6.12.1923.

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hat Manfred Peter Heimers herausgearbeitet, dass die badische SPD in der Reichsreformpolitik uneins agierte, und erst in der Zeit der Präsidialkabinette aus Opposition zur Reichsentwicklung „ins föderalistische Fahrwasser“ zurückfand.536 Insbesondere über einen Südweststaat führten die Sozialdemokraten, die mit dem Zentrum und der DDP die Weimarer Landesregierungen trugen,537 eine emotional gefärbte Debatte. Wegen der württembergischen Regierungsverhältnisse lehnten viele den Südweststaat als „Defensivaktion nach zwei Richtungen“ ab. Die Vereinigungsbewegung galt zum einen als „ein partikularistisch-föderativer Versuch, durch Schaffung eines starken süddeutschen Blocks die Abwehrkraft der auf den Föderalismus schwörenden Staaten gegen die Vereinheitlichungstendenz zu vergrößern“ und zum anderen als „ein allgemein-politisch, vor allem katholisch-politisch orientierter rechtsgerichteter Versuch, durch Schaffung des bekannten süddeutschen, nach Oesterreich hinüberspielenden reaktionären Blocks, der linksgerichteten und fortschrittlichen Tendenz, die von Preußen ausgeht, ein Paroli zu bieten“.538 Die badische Phobie vor einer Umarmung durch den ungeliebten Nachbarn im Osten war 1930 jedoch wie schon zu Beginn der 1920er Jahre kaum begründet.539 Aufgrund der schlechteren Finanz- und Wirtschaftslage Badens behandelte das Stuttgarter Kabinett die Neugliederung eher zurückhaltend,540 und der deutschnationale Finanzminister Alfred Dehlinger lehnte den Südweststaat ab, da er für Württemberg nicht nur wirtschaftliche Belastungen, sondern auch einen politischen Linksruck, mindestens aber eine Stärkung des Zentrums befürchtete.541 Die badische Presse empörte sich entsprechend darüber, die „Sache so hinzustellen, als ob wir in Baden schon aus dem letzten Loch pfeifen würden und unter allen Umständen einen Anschluss an einen Stärkeren suchen müssten“.542 536 Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 299–338. 537 Zusammen erreichten die republikanischen Parteien bei den badischen Landtagswahlen satte Mehrheiten 91,5 % (1919), 69,1 % (1921), 66,3 % (1925) und 63,5 % (1929), vgl. Falter, Wahlen und Abstimmungen, S. 90. 538 Nordbaden und Großschwaben, in: Volksstimme Mannheim, 4.2.1930, zit. nach Heimers, Unitarismus und süddeutsches Selbstbewusstsein, S. 284. 539 Neugliederungsgesuche aus Baden wurden abgewiesen, HSTA Stuttgart E 130 b / 2141, eine Zurückhaltung, die vor allem die einer Vereinigung widerstrebenden Kreise „entwaffnete“, vgl. HSTA Stuttgart E 151 / 2,10 Bericht der Württembergischen Gesandtschaft, Berlin, 19.12.1920. 540 HSTAS E 130 b / 2141 Bl. 33 Sitzung des Staatsministeriums zur Vereinigung von Württemberg und Baden, 10.2.1930. 541 BHStAM MA 1943 / 103 315 Bayerische Gesandtschaft Stuttgart, 20.04.1931 542 Ebenda, mit dem entsprechenden Artikel im Deutschen Volksblatt, 23.4.1931.

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Die im NS-Staat fortdauernden Erwartungen einer Verwaltungs- und Territorialreform erfüllten sich auch im Südwesten nicht. Die NS-Gaue waren mit den alten Ländern identisch, nur die preußische Exklave Hohenzollern wurde in den Gau Württemberg integriert. Den Arbeiten Nicolais im Reichsinnenministerium für eine völkischen Gesichtspunkten entsprechende Territorial- und Verwaltungsreform suchte die badische NS-Regierung mit dem Gedanken einer „Südwestmark“ zu begegnen. Sie wollte Baden als einheitliches Verwaltungsgebiet nach Norden über die Pfalz, bis zum Saargebiet und in die Rheinprovinz ausdehnen. Der Name Baden war bewusst vermieden worden, um nicht „in den Geruch particularistischer Interessen“ zu kommen. Karlsruhe hielt es für angebracht, „den alten Gedanken der deutschen Grenzmark in den Vordergrund zu rücken, was im Endeffekt ungefähr das gleiche bedeutet, unserem Vorschein jedoch den Schein der reinen Landespolitik nimmt.“543 Einer Vereinigung Badens und Württembergs standen die regionalen NS-Führer ablehnend bzw. distanziert gegenüber. Sie hatten sich jedoch gegen Pläne zu behaupten, die den Norden Badens zugunsten des Gaues Franken abspalten wollten. Badens Westgrenze war noch einmal während des Krieges berührt, als Gauleiter Robert Wagner einen Reichsgau Oberrhein einrichtete und badische Behörden ins elsässische Straßburg verlegte.544

5.5. „Klammer des Reiches“ oder „Auflösung“ – Preußen als Streitfrage Preußen war mit den Wahlen zu einer eigenen Landesversammlung am 26. Januar 1919 restituiert. Obwohl durch die Gebietsabtretungen in Folge des Versailler Friedensvertrages – abgesehen vom Reichsland Elsaß-Lothringen – ausschließlich preußisches Territorium betroffen war, blieb es das mit Abstand größte Land des Deutschen Reiches. Preußen umfasste zwei Drittel der Bevölkerung und drei Fünftel des Reichsterritoriums. Dennoch konnte von der alten Sonder- und Vorrangstellung nach der Bismarckverfassung keine Rede mehr sein. Die Rechte des Reichsrats als Ländervertretung waren deutlich gemindert. Trotz seines in der Praxis erheblichen Bedeutungszuwachses spielte er im Unterschied zum Bundesrat nur noch eine untergeordnete Rolle in der Reichspolitik. Eine Führung und Privilegierung Preußens in der neuen Ländervertretung verhinderten zudem die so genannten „clausulae antiborussicae“, nach 543 GLAK 233 / 25814 Memorandum des Ministerpräsidenten Walter Köhler an den Reichstatthalter Robert Wagner, Karlsruhe, 9.12.1933. 544 Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg, S. 211ff.

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denen kein Land mehr als zwei Fünftel aller Stimmen im Reichsrat erhalten sollte und die Hälfte der Reichsratsstimmen den preußischen Provinzen zufiel.545 Das freie Mandat der Provinzialvertreter korrespondierte mit der Option auf eine Neugliederung Preußens. Es sollte den Gesamtstaat schwächen und die Autonomisierung seiner Provinzen fördern.546 Ein einmaliger Vorstoß, das freie Stimmrecht der Provinzialvertreter einzuschränken, stand daher nicht nur im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung, sondern dies scheiterte 1926 auch am Einspruch des preußischen Staatsrates. Preußen besaß im Reichsrat demnach kaum mehr Einfluss als die mittleren Länder.547 Allerdings blieb Preußen wegen seiner stabilen Regierungsverhältnisse ein politisches Schwergewicht des Reiches. Der Sozialdemokrat Otto Braun war von 1920 bis 1932/33 fast ununterbrochen Ministerpräsident. Von einigen Monaten des Jahres 1921 ausgenommen, bestanden die preußischen Regierungen durchweg aus Mitgliedern der Weimarer Koalitionsparteien SPD, DDP und Zentrum, zu denen 1921 bis 1925 noch die DVP stieß. Während im Reich keiner der insgesamt zwölf Reichskanzler der zwanzig Kabinette mehr als drei Jahre regierte, galt Preußen hingegen als „republikanisches Bollwerk“ der Weimarer Reichsverfassung.548 Ungeachtet dessen hat die Regierung Braun in der nach 1919 anhaltenden Verfassungsdebatte jedoch nicht vermitteln können, welche langfristigen Perspektiven ein republikanisches Preußen im Reich haben sollte. Nach demokratischen Maßstäben wurde die Größe Preußens in der bundesstaatlichen Ordnung als problematisch angesehen. Viele Kritiker in dieser Strukturfrage betonten die Spannungen zwischen dem Gesamtstaat und seinem drei Fünftel davon umfassenden Gliedstaat. Ihre Regierungen lagen sich in der 545 Zur Privilegierung Preußens im Bundesrat und zu den strukturellen Unterschieden des Reichsrats siehe Georg Christoph Unruh, Die verfassungsrechtliche Stellung Preußens im Norddeutschen Bund und im Deutschen Reich nach den Verfassungen von 1867/1871 und 1919, in: Oswald Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich, Köln 1987, S. 261–272; Holste, Der deutsche Bundesstaat, S. 203, 430–466. 546 Ebenda, S. 434. 547 Von Mitte 1921 bis Mitte 1928 konnte Preußen bei 259 namentlichen Abstimmungen im Reichsrat nur bei 48 seine Gesamtstimmzahl abgeben, in 63 Fällen hatte es ebenso viele oder weniger Stimmen als Bayern und 54 Mal wurde Preußen überstimmt, weil Vertreter der preußischen Provinzen gegen die Zentralregierung votierten, Biewer, Preußen und das Reich in der Weimarer Republik, S. 334. 548 Zu diesem übereinstimmenden Urteil kommen die Studien von Eimers, Das Verhältnis von Preußen und Reich (1969); Biewer, Preußen und das Reich in der Weimarer Republik (1987) und Horst Möller, Parlamentarismus in Preußen 1919–1932, Düsseldorf 1985.

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Berliner Wilhelmstraße direkt gegenüber, die Reichskanzlei im Haus Nummer 1974, das preußische Staatsministerium vis-à-vis in Nummer 63. Konflikte zwischen verschiedenen Koalitionsregierungen im Reich und in Preußen wurden mitunter auch überbetont, wenn es um die Erstellung von Diagnosen ging, die auf ein Ende des „preußisch-deutschen Dualismus“ zielten. Dann wurde geflissentlich ignoriert, dass sich die Regierung Braun trotz aller Streitigkeiten prinzipiell loyal und stützend zu jeder Reichsregierung verhielt.549 Für die Zukunft des größten Landes existierten zwei Konzepte, die sich in der Reichsreformdebatte diametral gegenüberstanden. Zum einen sollte eine stärkere administrative Verklammerung zwischen Preußen und dem Reich erreicht werden. Zum anderen blieb seit dem ersten Verfassungsentwurf von Hugo Preuß die Auflösung Preußens eine fortwirkende Option, die sich auf die Autonomiebestrebungen der preußischen Provinzen und Neugliederungspläne nach Artikel 18 der WRV stützte. Die preußischen Sozialdemokraten, die die Einflussnahme ihres republikanisch regierten Landes auf das Reich absichern wollten, konnten sich nichts anderes vorstellen als Preußen unversehrt zu erhalten. Um dies zu rechtfertigen, fanden sie eine Formel, die die programmatische Vorliebe der SPD zu einer einheitlichen Republik und die konsequente Eigenstaatlichkeitspolitik der Landespartei in Deckung brachte. In einer Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion der Nationalversammlung in Weimar am 25. Februar 1919 hatte Otto Braun erklärt, man müsse sich vorläufig mit dem Gedanken der Föderativrepublik abfinden. Aber in ihrem Rahmen müsse man sich bemühen, „der Einheitsrepublik so nahe wie möglich zu kommen. Zu dem Ziele hin wäre nichts schädlicher, nichts eine größere Vergeudung von Mitteln und Kräften, als die Zerschlagung Preußens in eine Reihe leistungsunfähiger Staaten“.550 Eine starke preußische Staatsgewalt mochte nicht nur verhindern, dass die nördlich und östlich gelegenen Provinzen antidemokratisch und antirepublikanisch regiert werden könnten. Über ein Großpreußen sollte auch der Weg zum deutschen Einheitsstaat mit einer stabilen republikanischen Regierung des Reiches führen. Entsprechend galt es, Preußen als „Rückrat der Republik“551 und als eine starke Klammer zwischen dem Westen und Osten des Reiches, zwischen industriellen und agrarischen sowie zwischen katholischen und protestanti549 „Doch muß sich Preußen der Macht, die es hat, in weiser Selbstbeschränkung mehr und mehr begeben, und muß hier eine anschmiegsame Politik führen, soweit es sich um das Reich handelt.“ Brecht, Reichsreform. Warum und wie?, S. 6. 550 Zit. nach Schulze, Otto Braun, S. 255. 551 GStAPK, Rep. 92 Otto Braun, Nr. D 33; Otto Braun, Preußen als Bürge des Bestandes der deutschen Republik, in: Le Petit Journal, 1926.

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schen Gebieten zu erhalten. Auch das Zentrum musste in Rechnung ziehen, dass sein Einfluss im protestantischen Norden und Osten Preußens vor allem durch seine Beteiligung an der Berliner Zentralregierung gesichert wurde.552 Nach dem Geschichtsbild der konservativen Rechten, die das Bismarckreich glorifizierten, wiederum erschien eine Zerschlagung seiner Gründungsmacht als unakzeptabel: „Die entscheidende Tatsache der geschichtlichen Entwicklung ist das Entstehen des preußischen Großstaates und seiner Vorherrschaft in Mittel- und Norddeutschland. Preußen ist das Schicksal des Reichs, ist es seit 1870 gewesen und ist es noch heute.“553 Besonders wirksam waren nach Ende des Kaiserreiches vor allem außenpolitische Argumente, die weiter für den Zentralstaat Preußen sprachen. Er schien den separatistischen Bedrängnissen an den Grenzen zu Frankreich und Polen besser gewachsen als selbstständige Provinzen.554 Der Gesandte Bremens Friedrich Nebelthau brachte die Vorbehalte einer Mehrheit des Reichsrates auf die Gleichung „finis Borussiae“ – „finis Germaniae“.555 In einem Gutachten an die Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches formulierte der preußische Justiz- und Innenminister Wolfgang Heine die Vorbehalte seiner Regierung gegen eine Erneuerung der Landkarte: „Ganz abgesehen von der Frage, ob dies eine Stärkung der republikanischen Tendenzen bringen würde, so liegt darin jedenfalls eine Vergrößerung der Gefahr einer neuen Zweiteilung Deutschlands nach französischen Wünschen.“556 Nach Ansicht der preußischen Sozialdemokraten brachte Preußen von allen Bundesstaaten auch historisch die besten Voraussetzungen ein, „das Reich zusammenzuhalten“.557 Über alle Parteigrenzen hinweg waren sich darin die preußische Regierung, der Landtag und der preußische Staatsrat in bemerkenswerter Weise ei552 Nawiasky, Grundgedanken der Reichsverfassung, S. 63. 553 Otto Koellreutter, Thüringen und die deutsche Einheit, in: Deutsche Allgemeine Zeitung Berlin, 8.7.1928 sowie ders., Die innerpolitische Gliederung des deutschen Volkes als nationales Problem, in: „Wille und Weg“, 1928. 554 In den besetzten Gebieten des Deutschen Reiches: der preußischen Rheinprovinz, den linksrheinischen Teilen des Freistaates Hessen (Rheinhessen), Bayerns (Pfalz) und in dem oldenburgischen Birkenfeld, in Ostpreußen regten sich ebenfalls Loslösungsbestrebungen mit dem Ziel eines selbstständigen Oststaates. Die neuere Forschung hat inzwischen jedoch die reale Bedrohung dieser separatistischen Bewegungen relativiert, vgl. Bert Becker, Pommerscher Separatismus 1918/19, in: Baltische Studien, Neue Folge 84 (1998), S. 72–84. 555 STAB 4.49–403 / 81 Preußen 1920–1936. 556 Denkschrift Wolfgang Heines über das Verhältnis Reich und Preußen vom 23.3.1921, abgedruckt in: Eimers, Preußen und Reich, S. 443–463, zit. S. 449. 557 Ebenda, S. 463.

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nig. Lobreden, die sowohl von den Republikanern als auch von der Rechten auf Preußens Geschichte und seine „staatsbildenden Energien“ gehalten wurden, untermauerten den Selbstbehauptungswillen des Landes.558 Im Anschluss an die Verfassungsberatungen sowie die Neugliederungsdebatten um Artikel 18 offenbarte daher auch die Länderkonferenz seit ihrem Zusammentritt 1928, wie gering die Aussichten waren, den „preußischen Zentralismus“ in Norddeutschland zu lockern. Mahnend wurde in Wort und Bild die Forderung nach der territorialen Unversehrtheit Preußens mit der Sicherung der Reichseinheit verknüpft. Im Abstimmungskampf um die Eigenständigkeit Hannovers setzte die preußische Regierung auf ihren obersten Beamten der Provinz, den von 1920 bis 1933 amtierenden Oberpräsident Gustav Noske. Ihre scharfe Propaganda gegen den Neugliederungsartikel 18 drückte auch die mangelnde Achtung gegenüber einem Verfassungsrecht aus. So bildete eines der Flugblätter und Plakate gegen die Volksbefragung über die Unabhängigkeit der Provinz einen Arbeiter ab, der mit schwerem Hammer einen Artikel 18 symbolisierenden Spaltklotz in das Reich schlägt. Im Kontext propreußischer Reden und Aufrufe wurde die welfisch-niedersächsische Autonomiebewegung dabei vor allem als Erfüllungsgehilfe französischer Revisionsanstrengungen stigmatisiert. Gegenüber dem Selbstständigkeitsdrang einzelner Provinzen und Gebietsansprüchen angrenzender Freistaaten verhinderte Preußen konsequent die Verkleinerung seines Territoriums. Anschauliche Beispiele boten die Unnachgiebigkeit gegenüber den Wünschen Thüringens, Hamburgs oder Bremens nach kleinen Gebietsabtretungen oder die starre Haltung in der Hessenfrage, die alle Reichsreformgedanken ins Leere führten.559 Nur eine wesentliche Frage, bilanzierte Hugo Preuß 1920 sein Weimarer Verfassungswerk, habe man „notgedrungen und bewußt ungelöst“ gelassen: „Ohne Hineinziehung Preußens“ sei „eine ersprießliche Neugliederung des Reiches unmöglich.“ Man habe statt dessen „eine Unwahrheit legalisieren“ müssen, „nämlich die Fiktion, daß Preußen ein Land sei wie die anderen deutschen Länder.“560 Der in München lehrende Staatsrechtler Hans Nawiasky, der 1920 eine Gleichordnung von Reich und Länder im Bundesstaat theoretisch begründet hatte, bezeichnete es als „Quadratur des Zirkels, …eine Dezentrali558 ThHStAW Bevollmächtigter Nr. 47, Denkschrift der Oberpräsidenten und Landeshauptleute Preußens gegen die beabsichtigte Erweiterung der Provinzialautonomie. 559 HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, München 29.5.1929, S. 3f. 560 Preuß, Zur preußischen Verfassungsfrage (1920), in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 138.

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Abb. 7  Preußisches Flugblatt, in: Der Kampf um die Vorabstimmung in Hannover im Jahre 1924, hg. im Auftrag der Deutsch-Hannoverschen Partei, Hannover 1924, S. 32.

sation in Deutschland vorzunehmen, ohne Preußen zu zerschlagen.“ Unter Berücksichtigung der Widerstände gegen eine Neugliederung zog er auf der Länderkonferenz 1928 den Schluss, „daß man die Reichsreform in diesem Sinne überhaupt nicht machen kann; sie kommt nicht zu einem klaren Ergebnis.“561 Die Kompromisslosigkeit, mit der die preußische Regierung ihre Staatsräson in Gebietsfragen durchsetzte, betraf selbst weit entfernte Gebietsteile wie Hohenzollern-Sigmaringen.562 Neugliederungspläne, die Preußen um das Rheinland, Hessen-Nassau oder ein künftiges Niedersachsen verkleinern wollten, sollte dadurch jede Aussicht genommen werden. Unmittelbar nach der Revolution hatten sie als Verfassungskonzepte für das Reich durchaus den Eindruck erweckt, dass der preußische Staat aus seinen Provinzen heraus der Auflösung preisgegeben sei. Anknüpfend an historische Vorläufer waren damit andere Kontinuitätsfiktionen in die Bundesstaatsdebatte eingeflossen, die als Alternativen zum dynastischen Ländererbgut des 19. Jahrhunderts gelten 561 Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Verhandlungen 5./6.7.1929, S. 33. 562 HStAD 10701 / 12 Sächsische Gesandtschaft an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, München 10.4.1928. Bl. 172f.

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konnten. Mit Niedersachsen, Westfalen, Obersachsen oder Thüringen wurden sie auch durch Hugo Preuß aufgegriffen, der im ersten Verfassungsentwurf gegen die „Zufallsbildungen rein dynastischer Hauspolitik“563 die Auflösung Preußens und die Bildung neuer Freistaaten angeregt hatte. Einen echten Bundesstaat hielt er nur für möglich, „wenn Deutschland sich gliedert in Freistaaten von wenigstens annähernd gleicher Größe und Macht, bestimmt durch wirtschaftliche und kulturelle Zusammenhänge wie durch Stammesgemeinschaft, als wenn es auch fernerhin den großpreußischen Block mit seinem unvermeidlichen Hegemonieanspruch in sich schließt“.564 Für eine Neuordnung Nordwestdeutschlands waren bereits während der napoleonischen Fremdherrschaft Pläne von einem welfischen Großreich zwischen Elbe und Schelde entstanden, das nach der erhofften Niederwerfung Napoleons stark genug sein sollte, um Preußen Paroli zu bieten. Im Vormärz wurde schließlich die Verwendung des Begriffes Niedersachsen populär. Trotz der Existenz eines niedersächsischen Reichskreises bis 1806 hatte die Bezeichnung bis dahin aber eher ein Schattendasein geführt, sodass sie sich nur noch historischen Fachgelehrten erschlossen hatte. Dies änderte sich erst mit der national-liberalen Bewegung, die nach 1815 die Stammesidee für die deutsche Einigung als eine vom Volk ausgehende Kraft aufnahm und den Begriff im Sinne einer Erziehung zu deutsch-national gesinnten Niedersachsen verbreitete. Zugleich nahm auch die hannoversche Monarchie den Niedersachsengedanken für sich in Diensten. Nach der Annexion Hannovers durch Preußen im Vorfeld der Reichsgründung knüpfte die DeutschHannoversche Partei (DHP), die sich als Opposition gegen den Verlust der Selbstständigkeit und die Entthronung des Welfenhauses formierte, an diese Grundlinien an.565 Artikel 18 der Weimarer Reichsverfassung besaß für die DHP eine zentrale Bedeutung, denn er schien der nach der Revolution erweiterten Kernforderung der Partei für die Restitution Hannovers den Weg zu ebnen. In einem zu bildenden niedersächsischen Land sollten die preußische Provinz Hannover, Bre563 „Ihr angebliches geschichtliches Wachstum hält vor keiner unbefangenen geschichtlichen Prüfung stand und ist zudem großenteils recht jungen Datums.” Preuß, Entwurf der künftigen Reichsverfassung, S. 8. 564 Ebenda, S. 15. 565 Wolfgang Kothe, Die Gedanken zur Neugliederung des Reiches 1918–1945 in ihrer Bedeutung für Nordwestdeutschland, in: Westfälische Forschungen, 6 (1953), S. 182–196; Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung (1926); Schnath, Gebietsentwicklung Niedersachsens (1929); ders., Hannover und Westfalen in der Raumgeschichte Nordwestdeutschlands, Braunschweig 1932.

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men, Braunschweig, Oldenburg und die beiden lippischen Länder aufgehen. Die Aneignung dieses Niedersachsengedankens, dem es an einer konkreten historischen Bezugsgröße fehlte, war in der stark an Tradition und konservativen Werten ausgerichteten Partei zwar nicht leicht zu vermitteln, er sollte die Deutsch-Hannoveraner jedoch bündnisfähig machen.566 Was sich noch bis 1918 als mittelstaatlich-partikulares Sonderbewusstsein und Restaurationswunsch manifestiert hatte, richtete sich nun auf den nationalen Gedanken einer Territorialreform und Stabilisierung des Reiches.567 In der Verfassungsdiskussion der Nationalversammlung argumentierte der DHP-Abgeordnete Hermann Colshorn in diesem Sinne für die Autonomiebewegung. Den preußischen Justizminister Heine, der einem unversehrten Preußen das Wort redete, bezeichnete Colshorn als „Verteidiger der alten Gewaltpolitik“, die nun „anstatt in schwarz-weißem Gewande in rotem Gewande“ erscheine. Die Ablehnung einer Volksbefragung über die Zukunft der Provinz Hannover durch die preußischen Sozialdemokraten verstoße, so Colshorn, im Kern gegen demokratische Prinzipien. Heine verleugne „die Souveränität des Volkes“ und den „Grundsatz: Gleiches Recht für alle!“ Sollten die Sozialdemokraten nicht bereit sein, die „alten Gedankengänge“ preußischer Politik preiszugeben, werde daher „das niedersächsische Volk den Kampf fortsetzen“.568 Der programmatische Wandel der Deutsch-Hannoverschen Partei scheiterte 1924 mit dem deutlichen Ergebnis einer Volksabstimmung gegen ein selbstständiges Hannover. Ihren größten Einfluss hatte die DHP 1919 und im Krisenjahr 1923 vornehmlich als eine Protestpartei erreicht, deren politische Integrationsfähigkeit jedoch gering blieb.569 Mit dem Oberpräsidenten Noske agierte demgegenüber in Hannover einer der energischsten SPD-Politiker für die Aufrechterhaltung der territorialen Integrität Preußens. In Übereinstimmung mit der einheitsstaatlichen Zukunftsvision Otto Brauns war Noske zwar bereit, auch Preußen in Frage zu stellen. Der Weg zum Einheitsstaat aber führte für ihn über eine starke preußische Zentralgewalt und den Anschluss der

566 So trat bereits am 9.1.1919 die DDP für die Schaffung eines Nordwest-Niedersachsens ein, gebildet aus dem alten Königreich Hannover, dem ehemaligen Großherzogtum Oldenburg, aus Bremen, Braunschweig und den beiden lippischen Ländern, Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung, S. 50f. 567 Aufruf der DHP, in: Deutsche Volkszeitung, 12.11.1918. 568 Colshorn (DHP) in der ersten Beratung der Nationalversammlung über den „Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reiches“ am 3.3.1919, in: Die Deutsche Nationalversammlung 1919/20, Bd. 2, Berlin 1919, S. 211. 569 Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung, S. 82.

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norddeutschen Staatenwelt an die Provinzen, also über Großpreußen und nicht über ein selbstständiges Land Niedersachsen.570 Unter diesem Leitgedanken griff der Provinziallandtag in Hannover Ende der 1920er Jahre noch einmal Überlegungen für eine Neugliederung des niedersächsischen Raumes auf, die Oldenburg und Braunschweig einschlossen.571 Herausgefordert durch die Pläne der Provinz Hannover antwortete die Provinz Westfalen mit einem viel beachteten wissenschaftlichen Projekt über den Raum Westfalen.572 Der Niedersachsengedanke erlebte eine Renaissance, weil zum einen der mit ihm verbundene Stammesbegriff viele Vorbehalte gegen den raschen Wandel der industriellen Moderne aufnahm. Das Bedürfnis nach Wahrung und Pflege der Heimat war eingebunden in eine agrarromantische Idealisierung von Scholle und Bauerntum. Zum anderen wurde er durch das Aufsuchen der dezidiert nicht im politischen Raum angesiedelten Komponenten wie Sprache, Sitte, Brauchtum und Kultur als Kategorie im Wissenschaftsbereich entfaltet und zu einem integrativen Leitbegriff entwickelt, der für eine Neuordnung jenseits der vorgegebenen politischen Grenzen dienstbar gemacht werden konnte. Der Niedersachsenidee wiederum standen andere Konzepte einer westdeutschen Räterepublik Braunschweig oder eines Weser-Ems-Staates entgegen. Den nach dem Krieg aufkommenden Bezeichnungen Rheinische Republik, Rheinisch-westfälische beziehungsweise Westdeutsche Republik lagen ebenso unterschiedliche raumpolitische Erwartungen zugrunde. Als zu integrierende Territorien wurden neben der Rheinprovinz die preußischen Provinzen Westfalen, Hessen-Nassau sowie Rheinhessen (im Land Hessen) und die Pfalz (als bayerische Expositur) einbezogen. 1923 verfolgte Konrad Adenauer die Idee, mindestens die Rheinprovinz aus Preußen herauszulösen.573 Ein weiterer Vorstoß zu einer preußischen Teillösung ging von sächsischen Provinzialpolitikern aus. 1926 adressierte der Merseburger Provinziallandtag an die Regierung in Berlin den Wunsch, die politische Einheit Mitteldeutschlands durch die Bildung von „staatlichen Interessengemeinschaften“, jedoch 570 Zu Bedingungen und Verlauf der Vorabstimmung in Hannover Neumann, Politischer Regionalismus, S. 276–373; Erich Rosendahl, Geschichte Niedersachsens im Spiegel der Reichsgeschichte dargestellt, Hannover 1927. 571 Kurt Brüning, Niedersachsen im Rahmen der Neugliederung des Reiches, 2 Bde., 2. Aufl., Hannover 1929, 1931; Fritz Decken, Bahn frei für ein reichsunmittelbares Niedersachsen!, Hannover 1930. 572 Hermann Aubin (Hg.), Der Raum Westfalen, Bde. 1 und 2, Berlin 1931/32. Weitere Bände folgten 1934, 1955 und 1958. 573 Vogel, Deutsche Reichsgliederung und Reichsreform, S. 129–167.

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unter Ausschluss des Landes Sachsen, voranzutreiben. Die wiederholten Kundgebungen und Vorschläge des Provinziallandtages folgten zunächst den Gedankengängen zum „Dezentralisierten Einheitsstaat“. Da sie die Aufgliederung Preußens aus der Entstehungszeit der Weimarer Verfassung berührten, wurden sie im preußischen Innenministerium reserviert aufgenommen. Der sächsische Provinzialausschuss fügte sich daraufhin der Vorgabe aus Berlin, auf einen Anschluss angrenzender Länder hinzuarbeiten. So wurde erwogen, in einem ersten Schritt die Vereinigung von Thüringen, Anhalt und Braunschweig mit Preußen durch Staatsverträge vorzubereiten, die zunächst Justiz und Verwaltung der Länder angleichen sollten. Eine für die Beseitigung der „innerstaatlichen Schranken“ werbende Denkschrift, die der in diesen Fragen federführende Landeshauptmann Erhard Hübener (DDP) herausgab, erschien Ende 1927 unter dem Titel „Mitteldeutschland auf dem Weg zur Einheit“. Als Autoren meldeten sich Unternehmer, Wissenschaftler der Universität Halle, Provinzialbeamte und Gewerkschaftsvertreter zu Wort.574 Wegen des Scheiterns einer auf Preußen fixierten Lösung entwickelte Hübener 1929 ein mitteldeutsches Modell, das Sachsen unangetastet ließ und das Thüringen um die vorwiegend zur Provinz Sachsen gehörigen Gebiete arrondierte. Der größere Teil der Provinz Sachsen sollte mit dem Land Anhalt als „Sachsen-Anhalt“ eine dritte Einheit bilden. In Anlehnung an die vom Lutherbund eingebrachte Reichslandlösung waren die neuen Einheiten nicht mehr notwendig als Bestandteile Preußens gedacht. Der Vorschlag des provinzialsächsischen Landeshauptmanns für eine Dreiteilung Mitteldeutschlands ließ aber auch die Möglichkeit offen, dass sowohl Sachsen-Anhalt als auch das vergrößerte Thüringen in ein „domestiziertes“ Preußen eintreten könnten.575 Angetrieben wurden provinzialsächsische Mitteldeutschlandplanungen durch die Probleme einer ausgesprochen heterogenen Provinzstruktur. Als Zweckverband sehr verschiedenartiger und von nichtpreußischen Gebietsteilen durchsetzter Territorien 1816 geschaffen, stellte die Provinz Sachsen eine Art Schmelztiegel dar, der über die preußischen Grenzen hinaus verbindend wirkte. Mit einem nördlichen Halle-Magdeburger und einem südlichen Erfurter Raum hatten sich hier unterschiedliche Regionalmilieus herausgebildet, die als Kern bzw. Teilgebiete für territoriale Neubildungen prädestiniert 574 Hübener (Hg.), Mitteldeutschland auf dem Weg zur Einheit (1927). 575 Mathias Tullner, Erhard Hübener und die Provinz Sachsen, S. 78–82; Die Konzepte und Lösungsvorschläge Hübeners wurden ediert durch Mathias Tullner / Wilfried Lübeck (Hg.), Erhard Hübener, Mitteldeutschland und Sachsen-Anhalt. Schriften, Reden, Dokumente des Landeshauptmann und Ministerpräsidenten, Halle 2001.

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zu sein schienen.576 Auch die Einzugsbereiche der nach 1919 neu errichteten Reichsämter stimmten mit vorhandenen regionalen Bezügen wenig überein, was sich in Auseinandersetzungen um Grenzen, etwa der Reichsbahndirektionsbezirke, niederschlug.577 Da sich die Landesregierung Braun nicht aus den Niedersachsen- und Mitteldeutschland-Debatten heraushalten konnte, ergriff sie diese als Gelegenheit, den preußischen Einfluss auszuweiten. Das Konzept des deutschen Einheitsstaates, das die preußische Landesregierung vertrat, basierte auf dem Zwischenschritt einer Mediatisierung der nord- und mitteldeutschen Länder. 1923 erklärte Otto Braun, Preußen werde nichts tun, „um irgendwie einen Druck in diesem Sinne auszuüben, sondern bemühe sich nur, eine Politik zu treiben, die bei diesen Staaten die Neigung auslöse, sich Preußen anzugliedern.“578 Mit welchen Mitteln diese Neigung gefördert werden sollte, darüber gibt unter anderem ein Schriftwechsel zwischen Otto Braun und dem preußischen Finanzminister Höpker-Aschoff Aufschluss: „Preußen ist in den letzten Jahren bestrebt gewesen, durch Entgegenkommen die Anschlussfreudigkeit der kleinen Länder zu beleben. Bisher konnte aber nur die Erfahrung gemacht werden, dass in den in Frage kommenden Kleinstaaten, wie Waldeck, Lippe und ähnliche mehr, die Neigung zum Anschluß an Preußen nur dann stärker wurde, wenn Schwierigkeiten wirtschaftlicher und administrativer Art diese Länder bedrückten. In dem Maße, wie diese Schwierigkeiten durch Hilfeleistungen seitens Preußens oder des Reichs behoben wurden, sank auch die Neigung zur Aufgabe der staatlichen Selbständigkeit. Ich halte daher nach wie vor an meinem Standpunkt fest, dass man den Kleinstaaten durch ein möglichst geringes Entgegenkommen zum Bewusstsein bringen muß, dass sie keine Existenzberechtigung haben.“579 576 Insbesondere ging es um eine Abgrenzung gegenüber Thüringen und Hannover, aber auch um die Einbeziehung einer Landschaft wie der Altmark, vgl. Erhard Hübener, Die Neugliederung Mitteldeutschlands, in: Reich und Länder, Sonderdruck (1929), S. 7ff.; ders., Reichsreform und Harzgebiet. Gutachten über eine Neuregelung der Grenze zwischen den Provinzen Sachsen und Hannover, Merseburg 1930. 577 Giese, Neuordnung der Reichsbahndirektionsbezirke (1929); R. v. Kienitz, Muß der Sitz der Reichsbahndirektion Halle nach Leipzig verlegt werden? Eine Gegenschrift zu der Schrift „Neuordnung der Reichsbahndirektionsbezirke in Mitteldeutschland“ v. K. Giese, Halle 1930; Kurt Giese, Neuordnung der Reichsbahndirektionsbezirke in Mitteldeutschland, Kritik der Einwendungen, Leipzig 1930. 578 GStAPK I. HA Rep. 90 A / 297 Hauptausschusssitzung des preußischen Landtags, 26.4.1923. 579 GStAPK I. HA Rep. 90 A / 298 Anschluss von Schaumburg Lippe an Preußen, Vermerk Brauns, 27.7.1925.

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Ab Mitte der 1920er Jahre steuerten mehrere nord- und mitteldeutsche Länder, denen der horizontale Finanzausgleich nach Paragraph 35 zugutekam, auf eine Haushaltskrise zu. Preußen konnte daher den finanzpolitischen Hebel bedienen, um sie für einen Anschluss „reif“ zu machen. Den Weg zum Einheitsstaat über Preußen sollte der „leere Geldbeutel als Erzieher“ ebnen.580 1926 wurde zudem ein Ausschuss des preußischen Landtages ins Leben gerufen, der die Integration der kleinen norddeutschen Länder fördern und vorbereiten sollte. Wollte die Regierung Braun Preußen vergrößern, musste sie sich auch zu Zugeständnissen an die norddeutschen Nachbarn entschließen, um die in der Verfassung vorgesehene Hürde der Volksbefragung zu nehmen. Letztlich wurde das Verfahren nur in Schaumburg-Lippe durchgeführt und hier scheiterte der Anschluss an Preußen mit 1400 Gegenstimmen. Der Ausgang der Volksbefragung wurde dennoch über die Landesgrenzen hinaus als Schwächung des preußischen „Hegemonialstrebens in Norddeutschland“, als verderblich für den „Landhunger des Geistes von Potsdam“ und als Stärkung des föderalen Gedankens gefeiert.581 Der hohe Stellenwert, der hier einer an sich knappen preußischen Abstimmungsniederlage beigemessen wurde, führt direkt auf die verbreiteten Zweifel am „Staatscharakter“ der kleinen Länder und die damit zusammenhängende Akzeptanz der preußischen Anschlusspolitik in Norddeutschland zurück. Eine Mediatisierung der norddeutschen Kleinstaaten durch Preußen erschien in der Nachkriegsordnung sogar als durchaus berechtigte Kompensation für die territorialen Verluste Preußens durch den Versailler Vertrag.582 Bayerns Haltung gegenüber den preußischen Ausdehnungswünschen war bis zur Amtszeit der Großen Koalition unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller von Juni 1928 bis März 1930 eher indifferent.583 Erst aus den Erfahrungen der in dieser Zeit tagenden Länderkonferenz über eine zunehmend preußisch akzentuierte Reichsreform wollte sich auch in München niemand mehr darauf einlassen, nur von Preußen und den anderen vier großen Ländern Bayern, Württemberg, Baden und Sachsen zu reden: „Von den nord- und mitteldeutschen Ländern ganz zu schweigen, ist eine gefährliche Taktik. Bayern wird sich in Zukunft anders einstellen.“584 580 Der Weg zum Einheitsstaat, in: Hamburgischer Korrespondent, 14.2.1927, S. 1. 581 Kurt Jähnichen, Obersachsen, in: Vom Dritten Reich, 20.9.1928, S. 3. 582 BHStAMMA 1943 / 103 306 Von Breuning, Staatsminister a.D. an Ministerpräsident Held, 5.8.1929. 583 HStAD 10701 / 12 Ministerium des Innern an die Staatskanzlei, 5.3.1928, Bl. 139. 584 So eine Einschätzung des sächsischen Vertreters, HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft, München 30.7.1929, S. 4.

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Während der Verhandlungen über eine Reichsreform wandte sich der bayerische Ministerpräsident Held an den oldenburgischen Staatsminister Finckh und den mecklenburgischen Gesandten Tischbein, um ihnen gegenüber Brauns Politik „nach brutalem Machtstandpunkt“ beizustehen.585 Vor allem der ehemalige preußische Innenminister Carl Severing, der als neuer Reichsinnenminister im Kabinett Müller die Vorarbeiten zur Reichsreform von seinem Vorgänger Wilhelm von Keudell (DVP) übernommen hatte, forcierte eine Zentralisierung Norddeutschlands. Seine Bemerkung, er habe nun „die Ermächtigung, zu den Regierungen der kleineren Länder zu reisen und ihnen zu empfehlen, sich aufzuhängen“586, beschreibt treffend die für die preußische Regierung einmalige Chance, unter der kongruenten Regierungskoalition in Preußen und im Reich, eine Reichsreform und die „Bereinigung der norddeutschen Landkarte“ nach ihren Wünschen durchzusetzen.587 Mit Nachdruck setzte sich Otto Braun zugleich für die ersatzlose Streichung des Paragraphen 35 ein, der im Finanzausgleich zwischen Reich und Ländern den einkommensschwachen Ländern zugutekam. Seine Aufhebung hätte eine Reihe von Landesregierungen, wie Braun es beabsichtigte, in Schwierigkeiten gebracht. 1929 waren die Länder Thüringen, beide Mecklenburg, Oldenburg, Anhalt, Lippe und Schaumburg-Lippe sowie – und das bereicherte die preußische Finanzpolitik um eine weitere Komponente – Bayern betroffen.588 Bereits im Frühjahr 1930 konnte Preußen auf ein äußerst zufriedenstellendes Ergebnis seiner Doppelstrategie zurückblicken. Während Ministerialdirektor Arnold Brecht im Verfassungsausschuss der Länderkonferenz alle Beschlüsse, die zu einer Aufteilung Preußens geführt hätten, blockiert hatte, waren die Aussichten auf ein Gelingen der Reichsreform unter großpreußischen Auspizien greifbar nahe gerückt. Aber nur wenige Tage nach einem Reichsratsbeschluss über die Änderung des Finanzausgleichs zwischen Reich und Ländern am 27. März 1930 war die Reichsregierung Müller zusammengebrochen und mit ihr die entscheidende Komponente in der preußischen Reichsreformkonzeption: die Rückendeckung durch die Reichsregierung. Braun unternahm im Herbst 1931 nochmals einen Vorstoß, mit Hilfe von Artikel 48, die leitenden Ämter im Reich und in Preußen zu vereinen. Eine angeregte Personalunion leitender Minister und die Übergabe des preußischen 585 LHAS 5.12-2 / 1 371 Konferenz der leitenden Minister der nord- und mitteldeutschen Länder in Schwerin am 6.12.1929. 586 Gegenüber dem sächsischen Vertreter zum Reichsrat, in: HStAD 10719 / 390 Gradnauer an Poetzsch-Heffter, Berlin 21.9.1928. 587 HStAD 10719 / 390 Sächsische Gesandtschaft, Berlin 14.9.1929. 588 Länder auf Abbau. Was will Braunschweig, in: Frankfurter Zeitung, 9.3.1930.

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Ministerpräsidiums an den Reichskanzler scheiterten jedoch teils am Zögern der beiden Regierungschefs Otto Braun und Heinrich Brüning, teils an Reichspräsident Hindenburg und der Reichswehrführung.589 Die verhängnisvolle Strategie der Regierung Braun, einen tief greifenden Umbau des Bundesstaates mit Hilfe der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten zu erreichen und dafür notfalls eine Verfassungsüberschreitung zu billigen, kehrte sich wenige Monate später gegen die inzwischen angeschlagene Regierungsbastion der Sozialdemokraten. Unter dem Präsidialkabinett Papen wurde am 20. Juli 1932 die Reichsexekution gegen Preußen vollzogen. Die nun herbeigeführte Lösung des preußischen Problems besaß eine deutliche politische Akzentverschiebung. Außer dem seit 1918 dringenden Desiderat, ein drängendes Strukturproblem des Weimarer Bundesstaates endlich zu lösen, spielte die Idee einer „nationalen Konzentrationsregierung“ hinein, die Hindenburg zu dieser Zeit hegte. Dem dafür notwendigen politischen Brückenschlag vom Zentrum bis zu den Nationalsozialisten stand jedoch die geschäftsführende Preußenregierung aus SPD, Zentrum und Staatspartei im Weg. Um diese ihm nicht genehme politische Variante des preußischdeutschen „Dualismus“ zu beseitigen, bestellte Reichspräsident Hindenburg daher den neuen Reichskanzler Franz von Papen zum Reichskommissar für das Land Preußen und übertrug ihm die Vollmacht zur Amtsenthebung der Regierung Braun.590 Dass kein wirksamer Widerstand gegen die Reichsexekution gegen Preußen zustande kam, hatte gleichsam vielschichtige Gründe. Otto Braun selbst räumte ein, dass eine Reichsreform per Notverordnung und die Vereinigung der Regierungsgewalt Preußens mit dem Reich seiner Grundidee entsprach. Wenn von ihm auch „nicht in der Art des Zustandekommens und noch weniger in dem geschaffenen Zerrbild“ akzeptiert, so hatte er doch Hemmun-

589 Zu den Überlegungen Brauns, des preußischen Finanzministers Höpker-Aschoff und Brünings Plänen der Einsetzung eines Reichskommissars, vgl. Seiberth, „Preußen contra Reich“ S. 46–58; Schulze, Otto Braun, S. 638ff., 694ff., 704ff. Im Nachhinein bekannte Heinrich Brüning, Memoiren, S. 247: „Ein Schritt von gewaltiger Tragweite. Als Reichskanzler konnte ich vom Reichspräsidenten entlassen werden, als preußischer Ministerpräsident nicht.“ 590 Zur Haltung Hindenburgs, der vor allem darauf bedacht war, dass die präsidialen Maßnahmen juristisch Bestand hatten, dessen „formaler Rigorismus“ jedoch nichts mit einer inhaltlichen Durchdringung von Buchstaben und Geist der Verfassung zu tun hatte, Pyta, Hindenburg, S. 701–713, zit. S. 701, 712. Zur unmittelbaren Vorgeschichte der Reichsexekution Seiberth, „Preußen contra Reich“, S. 62–72.

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gen, sich mit aller Konsequenz gegen diese Entwicklung zu wehren.591 Nach der Verkündung des Urteils im Prozess „Preußen contra Reich“ vor dem Leipziger Staatsgerichtshof am 25. Oktober 1932, das den für die Kläger so wichtigen preußischen Ehrenpunkt der Pflichterfüllung im Regierungshandeln anerkannte, haben Otto Braun und Arnold Brecht vielmehr ihre Bemühungen um eine gesetzliche Regelung wieder aufgenommen. Als Braun am 26. Oktober vor die Presse trat, führte er aus, dass er zu einer loyalen Ausführung des Urteils bereit sei. Die Atmosphäre hielt er für bereinigt, da die „Diffamierung der preußischen Regierung“ durch den Staatsgerichtshof aufgehoben sei. Braun deutete sogar den Eingriff des Reiches in eine günstige Gelegenheit um, eine Reichsreform zu vollenden. Der gewaltsame Weg einer Reichsexekution, den die Regierung Papen eingeschlagen habe, sei dafür zwar nicht geeignet. Aber es sei denkbar, dass man diesen Weg sobald wie möglich verlasse und sich zusammensetze, um „in vernünftiger Weise die beiderseitigen zentralen Stellen zusammenzufassen“.592 Mit der Übersendung eines Gesetzentwurfes an die Reichskanzlei durch Brecht am 9. Dezember bestand die Kooperationsbereitschaft der Regierung Braun auch gegenüber Reichskanzler Schleicher fort. Der Vorstoß sollte, aus der Rückschau Brechts betrachtet, einen „letzten Versuch“ darstellen, sozusagen „buchstäblich in letzter Minute“ doch noch zu einer Reichsreform zu kommen.593 Über die eigene Partei hinaus lösten diese Kundgebungen der Verständigungsbereitschaft Verwunderung aus.594 Preußens als historische Kontinuität wahrgenommene Zentralisierungspolitik in Norddeutschland erschwerte zudem die Verbundenheit der Länderregierungen mit Preußen. Selbst die Parteigänger eines großpreußischen Staates hatten die fehlende werbende Kraft preußischer Politik immer wieder beklagt. Otto Braun, der sich in dieser Frage als ein „tatkräftiger Fürsprecher eines demokratisch-republikanisch gereinigten autoritativen Staatsgedankens“ profilierte, erinnerte dabei eher an seine monarchischen Vorgänger als an einen sozialdemokratischen Parteiführer.595 In dem nahezu erzwungenen Anschluss Waldecks an Preußen wurde nicht allein in Süddeutschland ein „Ausdruck preussischer Gewaltpolitik“ gesehen. Den Vorwurf, Preußen verstünde es 591 Otto Braun an Arnold Brecht, Badgastein 29.8.1932, abgedruckt in: Brecht, Mit der Kraft des Geistes, S. 438 und Severing, Mein Lebensweg, Bd. 2, S. 352ff. 592 Nach einem Bericht der Frankfurter Zeitung, 27.10.1932, 2. Morgenblatt, S. 1. 593 Brecht, Mit der Kraft des Geistes, S. 94. 594 Siehe dazu Seiberth, „Preußen contra Reich“, S. 209–213. 595 So Otto Koellreutter, Thüringen und die deutsche Einheit, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 8.7.1929.

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nicht, Sympathien in Deutschland zu erwerben, parierte Braun 1929 im preußischen Landtag lediglich mit dürren Worten: Die Frage der Reichsreform dürfe nicht nach Sympathien oder Antipathien entschieden werden.596 Sein Biograph Hagen Schulze hat Brauns schroffe Art, sein auf Rationalität, Effektivität und Funktionalität ausgerichtetes Denken und Handeln sowie seinen unreflektierten Patriotismus beschrieben, die als prägende Kräfte eines preußischen Regierungsstils über die Revolution hinweg wahrgenommen wurden.597 Diese Veranlagungen und seine ausgeprägte Affinität zu Preußen konnten daher in einer verkürzten und ausgesprochen selektiven Lesart leicht mit traditionellen Eigenschaften und Einstellungen der preußischen Herrschaftsschicht vor 1918 identifiziert werden. So hatte der Badische Beobachter 1929 knapp auf Oswald Spenglers Streitschrift „Preußentum und Sozialismus“598 verwiesen und kam zu dem Ergebnis, „alter preussischer Geist und sozialistische Gesinnung“ seien ein und dasselbe. Zur preußischen Art gehöre es, dass der Einzelwille im Gesamtwillen aufzugehen habe. Auch der ausgeprägte Machtgedanke von früher sei derselbe geblieben. Das von Preußen unablässig vorgetragene Argument, die Provinzen müssten schon aus außenpolitischen Gründen zusammengehalten werden, wurde in anderen Ländern als „eine Beleidigung, die das einstige weisse Junkertum so wenig empfinde wie das heutige rote Junkertum“ aufgefasst. Das Rheinland und die Pfalz seien mit den Separatisten auch ohne die „Brandenburgische Gouvernante“ fertig geworden.599 Die öffentliche Meinung während der 1928 bis 1930 tagenden Länderkonferenz über eine Reichsreform prägten heftige Ressentiments gegen Preußen. Die Frankfurter Zeitung warf dem preußischen Ministerpräsidenten einen „reaktionären Föderalismus“ und „partikularistische Verständnislosigkeit“ vor: „Das was den Begriff Preussen vornehmlich im deutschen Volk unpopulär macht, sei die gewalttätig sture Art des preussischen Menschen … Je häufiger sich preussische Minister über den Weg des Einheitsstaates äussern, desto zweifelhafter würden auch die Aussichten dieser preussischen Taktik“.600 Und das Stuttgarter Neue Tageblatt meinte, der preußische Eigenwille habe ein Ausmaß erreicht „wie ihn die preussischen Konservativen seiner Zeit wahrhaftig auch nicht rücksichtsloser aufbringen konnten. Der ostpreußische Sozi-

596 597 598 599 600

HStAD 10722 / 371 Sächsische Gesandtschaft, München, 29.5.1929, S. 6. Schulze, Otto Braun, S. 250f. Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, München 1919. Badischer Beobachter, 18.7.1929. Frankfurter Zeitung, 23.4.1929.

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aldemokrat Braun und die ostpreussischen Adeligen früherer Zeit“ seien sich „sehr zum Verwechseln ähnlich“.601 Die Ausbreitung dieser geschichtsideologischen Beliebigkeit auf dem Höhepunkt der Reich-Länder-Debatte wurde nicht zuletzt durch eine 1914/18 einsetzende Krise der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Preußen befördert. Seitdem galt das Interesse weniger der Forschung als der Propaganda negativer und positiver Preußenbilder.602 Zum Ende der Weimarer Republik waren Angebote und Orientierungen in Bezug auf eine republikanisch-preußische Staatsidee daher rar, so dass auch aus diesem Grund kein wirksamer Widerstand gegen den „Preußenschlag“ Papens zustandekam. Wenn die Länder Bayern und Baden neben Preußen – vertreten durch das amtsenthobene preußische Staatsministerium sowie die preußischen Zentrumsund SPD-Fraktionen im Landtag – vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig klagten, handelten sie vornehmlich in eigener Sache. Die Verfassungsbeschwerden beruhten auf zwei Anträgen. Der erste Antrag (Preußen contra Reich) bezog sich auf die tatsächlichen Vorgänge des Preußenschlages und verlangte, die Amtsenthebung der Regierung Braun sowie die Entsendung eigener Bevollmächtigter in den Reichsrat durch die Reichsregierung als verfassungswidrig einzustufen. Der zweite Antrag (Länder contra Reich) hob dagegen auf eine generelle Feststellung ab, wie weit der Reichspräsident in die bundesstaatliche Ordnung eingreifen durfte. Die Prozessvertreter der Länder hielten es mit der Verfassung nicht vereinbar, wenn Mitglieder einer Landesregierung dauernd oder vorübergehend entlassen würden oder die Vertretung eines Landes im Reichsrat beeinträchtigt sei. In der Sache sollte so eine Grenze gegen die fortschreitende Unitarisierung des Reiches durch die präsidiale Notverordnungspolitik gezogen werden.603 Das Gericht leitete aus der Reichsverfassung selbst solche Eingriffsgrenzen ab. Das Homogenitätsgebot von Artikel 17 sollte diktaturfest bleiben. Ebenso wie der Bestand einer parlamentarischen Regierung in allen Ländern der Weimarer Republik wurde darüber hinaus auch die Vertretung im Reichsrat durch die Landesregierungen für unantastbar erklärt. Schließlich überprüfte das Gericht erstmals konsequent die Voraussetzungen einer Reichsexekution. Der Vorwurf einer Pflichtverletzung gegen die geschäftsführende preußische Re601 Stuttgarter Neues Tageblatt, 5.3.1929. 602 Wolfgang Neugebauer, Das Alte Preußen. Aspekte der neuesten Forschung, in: Historisches Jahrbuch, 122 (2002), S. 463–482, hier S. 464f.; Thomas Stamm-Kuhlmann, Borussentum oder preußische Geschichtsschreibung, in: Halle und die deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, Halle 2002, S. 108–120. 603 Zur Klage vgl. Seiberth, „Preußen contra Reich“, S. 145–147.

Preußen als Streitfrage

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gierung erwies sich dabei als juristische Achillesverse des „Preußenschlags“. Im Urteilsspruch des Staatsgerichtshofes vom 25. Oktober 1932 wurde diese Begründung, die sich auf den ersten Absatz von Artikel 48 stützte, nicht anerkannt.604 Der damit gewonnene Schutz der Länder und der bundesstaatlichen Ordnung vor Eingriffen wurde aber wieder zunichte gemacht. Durch die Diktaturkompetenz im zweiten Absatz, waren die Maßnahmen wiederum nicht begrenzt, mit deren Hilfe die anerkannten bürgerkriegsähnlichen Zustände nach der Aufhebung des SA-Verbotes behoben und die „Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ beendet werden durften. „Das Preußenschlag-Urteil“, so hat es der Jurist Heiko Holste pointiert formuliert, „führte dazu, dass Reichskommissare das Land regierten, ohne Regierung zu sein, und daneben eine Landesregierung bestehen musste, auch wenn sie das Land nicht regieren durfte.“605 Der zeitgenössische Aphorismus „Brecht hat das Recht, Bracht hat die Macht“606 beschrieb in gleicher Weise den paradoxen Zustand, dass der geschäftsführende Ministerpräsident der „Hoheitsregierung“ wieder Otto Braun war, die faktische Macht aber bei den Vertretern der Kommissarsregierung Franz Bracht lag. Den Zustand, dass es mit der erfolgreichen Klage der preußischen Regierung und dem Urteil des Leipziger Staatsgerichtshofes zwei Regierungen in Preußen gab – beendete am 6. Februar 1933 die Verordnung des Reichspräsidenten „zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen“, welche Preußen unmittelbar dem Reich unterstellte. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ wurde mit dem Tag von Potsdam die Vereinigung des nationalsozialistischen Reichs mit Preußen öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt. Als Maßnahme der „Reichsreform“ propagiert, wurde so ein Schein von Legalität gewahrt.607 Obwohl zahlreiche Reichs- und preußische Behörden zusammengelegt wurden, ging Hitler diesen Weg nicht weiter. Preußen behielt mit Herman Göring einen eigenen Ministerpräsidenten. Auch das Finanzministerium des Reiches und Preußens blieben bis 1944 getrennt. Erst die Verhaftung und Hinrichtung des preußischen Finanzministers Johannes Popitz, der nach dem geplanten Attentat auf Hitler am 20. Juli für eine neue Regierung vorgesehen war und der im Widerstand eigene Verfassungspläne

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Ebenda, S. 157–160, 170ff. So pointiert Holste, Der deutsche Bundesstaat, S. 510. Unbelegt bei Bay, Der Preußenkonflikt, S. 218. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 8, S. 1120–1129.

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entwickelt hatte, veranlasste die Übernahme, die offiziell als Maßnahme einer Konzentration der Kräfte im Krieg propagiert wurde.608 In Kenntnis der Vor- und der Nachgeschichte des 20. Juli 1932 ließe sich festhalten, dass sich in der Reichsexekution gegen Preußen die beiden zentralen Probleme offenbarten, die in der Weimarer Reichsreformdiskussion über die bundesstaatliche Ordnung trotz aller ernsthaften Anstrengungen nicht gelöst werden konnten: Zum einen war der ungeteilte preußische Zentralstaat gegenüber der Möglichkeit eines Reichszugriffes offener als vielgestaltige, autonome Länder, die durch eine Neugliederung des Reiches entstanden wären. Zum anderen wurde die bundesstaatliche Ordnung das Opfer der extensiven Auslegung der Diktaturkompetenz von Reichspräsident und Reichsregierung. Die „Verreichung der Länder“ durch die Missachtung der föderalen Aufgabenteilung wäre sicher schwerer gefallen, wenn einer der vielen Vorschläge „über die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern“609 durchgedrungen wäre.

608 Gerhard Schulz, Johannes Popitz, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20, Berlin 2001, S. 620f.; Brecht, Föderalismus, S. 194. 609 So u.a. Adam Remmele auf der Länderkonferenz, vgl. Verfassungsausschuß, Verhandlungen 5./6.7.1929, S. 18ff.

6. Ergebnisse: Welche Perspektiven besaß die föderale Ordnung in Weimar? Mit dem Begriff „föderative Nation“ hat die jüngere Forschung einen wesentlichen Grundzug der deutschen Geschichte hervorgehoben, der die Kraft und Bedeutung einzelstaatlicher Traditionen und regionaler Bindungen in der modernen Gesellschaft beschreibt. In der Weimarer Republik wurde eine institutionelle und territoriale Neugestaltung der Reich-Länder-Beziehungen angestrebt. Diese Reichsreformdiskussion verweist darauf, dass trotz der historischen Kontinuität des deutschen Bundesstaates über 1918 hinaus, die Bindungen der Weimarer Gesellschaft an den traditionellen Föderalismus distanzierter waren als es bislang angenommen wurde. Zur Debatte stand, ob der Bundesstaat oder der Einheitsstaat die ideale Staatsform für das Reich darstellen sollten, ob das Verhältnis zwischen dem Reich und Preußen neu zu regeln war und welche historischen Länder aufzulösen seien.

Theoriebildung und Kommunikation unitarischer und föderaler Konzepte Seit dem 19. Jahrhundert war die „föderative Nation“ mit der weitgehend ungelösten Aufgabe konfrontiert, eine moderne Bundesstaatsvorstellung zu finden. Aus dem Alten Reich vor 1806 war zwar der Gedanke einer gegliederten föderalen Ordnung weiter getragen worden, eine Verfassung im modernen Sinne hatte das Reich aber nicht ausgebildet. Auch die Weimarer Republik hatte nach dem Scheitern der konstitutionellen Monarchie 1918 demgemäß die Herausforderung zu bewältigen, das Reich mit den Gliedstaaten in Deckung zu bringen und diese in einem republikanischen Bundesstaat zu vereinen. Dabei knüpfte die Republik an das traditionelle, dominierende Einheitlichkeitsparadigma des kaiserzeitlichen Bundesstaatsdenkens an, statt sich in verfassungsrechtlich vergleichender Perspektive am amerikanischen Modell eines aufgabengeteilten Föderalismus zu orientieren, wie es seit dem Vormärz durch die Vermittlung durch Georg Waitz in der deutschen Verfassungsdiskussion rezipiert worden war. Die grundsätzlich heterogenen Strömungen der historischen und zeitgenössischen Staatsrechtslehre wurden von einflussreichen Verfassungskommentatoren wie Gerhard Anschütz und Heinrich Triepel dominiert, die eine dezidiert unitarische Haltung einnahmen. In ihrer typischen Überspitzung spiegelten sich deren Positionen in dem fortgesetzten Bekennt-

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nis wider, dass im Notfall das Reich alles, die Länder nichts seien. Ankerpunkte im wissenschaftlichen Theoriestreit um die methodischen Grundlagen und die Kommentierung einer an der Verfassung orientierten Politik waren die Begriffe Souveränität und Bundestreue. Der Bundestreuegedanke wurde dabei nicht mehr wie ursprünglich als politischer Begriff der Bewahrung einzelstaatlicher Positionen gegenüber dem Reich verstanden, sondern er wurde auf der Basis einer rigiden Souveränitätsinterpretation zu Gunsten des Reiches neu bewertet. Maßgebend wurde die Fiktion einer prinzipiellen Unterordnung und Gehorsamspflicht der Länder, die in den Kategorien eines mächtigen – bzw. nach Revolution und Kriegsniederlage wieder zu alter Geltung strebenden – Nationalstaates befangen blieb. Das daraus abgeleitete Konstrukt eines hierarchischen Reichsaufbaus und die reichsfixierte Einordnung der Länder als Gebilde „minderen Grades und Ranges“1 zeigte sich nicht nur in den akademischen Diskussionen der Staatstheoretiker. Eine extensive Interpretation des Weimarer Verfassungskompromisses zu Lasten der Länder lieferte auch die Legitimation für eine Ausweitung der Reichskompetenzen. Angesichts der fortgesetzten Unitarisierungsinitiativen beklagten Föderalisten daher die mangelnde Abgrenzung der Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern. Die Konflikte der Weimarer Republik boten überdies genügend Gelegenheiten, die Länder zu einer gegenüber der Reichspolitik einseitig geforderten Treuepflicht anzuhalten. Gerade das Trauma des Krisenjahres 1923 bestärkte Unitarier in der Auffassung, dass es einer starken Zentralgewalt zur Sicherung des Reiches bedürfe. Das republikfeindliche Münchener Spektakel seit dem Kapp-Lüttwitz-Putsch, separatistische Bewegungen sowie linke Aufstandsversuche in einzelnen Ländern begünstigten das Renommee einer starken Reichsautorität und schmälerten den Ruf der Landespolitik nach mehr Föderalismus, der wesentlich vom Argument der Selbsthilfe und der Rücksichtnahme auf regionale Unterschiede bei der Bewältigung der Nachkriegsfolgen getragen wurde. In den späten 1920er Jahren flammte die wissenschaftliche Debatte um die Wesensmerkmale des Bundesstaates wieder auf. Die Rückbesinnung auf den Grundgedanken der geteilten Staatlichkeit und die Kritik am vormodernen Souveränitätsbegriff Bodins leiteten eine erkennbare Gegenbewegung ein, die sich vom Paradigma einer Vormachtstellung des Reiches gegenüber den Ländern wieder distanzierte. Das Charakteristikum des Bundesstaates, so führte bahnbrechend Hans Nawiasky aus, bestehe in seiner Unvollständigkeit. Bund und Gliedstaaten bedürften der gegenseitigen Ergänzung und verfügten beide 1 Anschütz, Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung, S. 6.

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über Souveränität in ihren jeweiligen Kompetenzbereichen. Erst beide Teile zusammen würden einen vollständigen Staat bilden.2 Die Verknüpfung der an sich vermittelnden Idee des zusammengesetzten Staates mit dem Topos der Bundestreue offenbarte dabei die tiefe Problematik unterschiedlich auslegbarer Verfassungsprinzipien. Der Appell des Staatsrechtlers Rudolf Smend, dass ein Staat sich integrieren müsse, setzte den Akzent zwar gegen die Auflösung des Weimarer Bundesstaates. Smends Integrationstheorie hatte aber auch eine Kehrseite. Angesichts extremer Konflikte zwischen Reich und Ländern konnte sie den Bundesstaat ebenso gut delegitimieren. Soweit die Länder zur nationalen Integration nicht in der Lage wären, urteilte beispielswiese der rechtskonservative Staatstheoretiker Otto Koellreutter, sei „staatliche Herrschaft technischer Leerlauf und damit sinnlos geworden“.3 Auch wenn die Reichsreformdebatte mitunter den Charakter einer reinen Spezialistendebatte hatte, so hing die Durchschlagskraft unitarischer Initiativen und föderaler Positionen in der modernen Kommunikationsgesellschaft und erst recht unter demokratischen Vorzeichen davon ab, ob sie den Wählern erfolgreich vermittelt werden konnten. Bundesstaat und Einheitsstaat wie Reich und Länder aber waren zunächst nur abstrakte Begriffe, die konkretisiert und veranschaulicht werden mussten, damit sie medial wirken konnten. So beruhten unitarische und föderale Argumentationen auf sprachlich und visuell vermittelten Vorstellungsbildern, welche erst die Herstellung eines verbindlichen Wertekataloges bundes- bzw. einheitsstaatlicher Konzeptionen ermöglichten. Der Organismustopos diente zur Abwehr umstürzender Ordnungsideen und Bestrebungen, lokale, regionale und territoriale Gewalten im Zuge staatlicher Zentralisation einzuebnen. Wer ihn verwendete, dachte eher strukturkonservativ und in historisch-dynamischen als in rationalen und geschichtslosen Zusammenhängen. Im Kern seiner verschiedenen Deutungen und Argumentationszusammenhänge enthielt der Organismusgedanke das Bedürfnis nach interaktiven Strukturen und Vorstellungen einer sich immanent entwickelnden Ordnungsstruktur zwischen dem Ganzen und seinen Gliedern, wie sie metaphorisch bereits vor 1806 durch das Reich als Körper und im 19. Jahrhundert durch neue figurative Volks- und Nationsbilder erfasst worden war. Der analogen Beschreibung des Reiches als gedachter, lebendiger Volkskörper entsprach demzufolge am ehesten eine verfassungspolitische Gestaltung, die Rücksicht auf historisch vorgefasste Einheiten nahm. Um zu einem gleichgewichtigen 2 Nawiasky, Der Bundesstaat, S. 115. 3 Koellreutter, Integrationslehre und Reichsreform, S. 16.

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Föderalismus bzw. einem System von Provinzen mit starker Selbstverwaltung zu gelangen, basierten viele Neugliederungspläne auf kulturell-sprachlichen und ethnisch gedachten Stammeskonstrukten, deren vermeintlich historische Kontinuität über die dynastische Länderstaatlichkeit hinausgeführt wurde. Unterschiede in Dialekt, Mentalität und Volksbräuchen waren dabei zwar unmittelbare Erfahrungsbestände. In der raumpolitischen Analyse aber war das ausgesprochen selektiv angewandte und zeitlos verkürzte Stammeskonzept wenig überzeugend, so dass diejenigen, die sich an der Präambel der Weimarer Verfassung orientierten und ein Volk „einig in seinen Stämmen“ anstrebten, eher zur Dekonstruktion des Denkbildes vom Reich als Stammesverband beigetragen haben. Unitarier bedienten sich vor allem dann der Naturmetaphorik, wenn sie dem evolutionären Bedeutungsstrang eines künftigen Einheitsstaates stärkeres Gewicht verleihen wollten. Der Rückgriff auf natürliche Wachstums- und Reifeprozesse konnte, da Vereinheitlichung und Zentralisation gar nicht erst von rationalen Entscheidungen abhängig gemacht wurden, außerdem konfliktträchtige Widersprüche banalisieren. So wirkte der Gedanke entlastend, dass die Einschränkung der Länderkompetenzen unvermeidlich sei, und daher nicht aufgehalten werden könne. Wichtig für die Weimarer Reichsreformdebatte wurde insbesondere der zeitgenössische Rationalisierungsdiskurs, der die Vorstellung vom zeitlos gedachten ökonomischen Handeln auf die effektive Formung politischer Gemeinwesen übertrug. Mit dem Nimbus einer Gemeinwohlformel versehen, wurde auch hier ein Rahmen gegen die traditionelle Länderstaatlichkeit abgesteckt und der Bundesstaat daran gemessen, ob er mit den Innovationen von Technik, Verkehr und Kommunikation Schritt halten konnte. Aus Mangel an Geschichtsbildern konnten Unitarier so auf wirkungsvolle Metaphern der Technifizierung, Industrialisierung und Rationalisierung zurückgreifen, die zu Fahnenwörtern einer freien Gestaltung der Staatsordnung jenseits föderaler Traditionen wurden. Effizient, sparsam und wirtschaftlich waren die am häufigsten verwendeten Attribute, mit denen unitarische und vereinheitlichende Visionen bedacht wurden. Die frostigen, da betont emotionsarm vorgetragenen Rationalisierungsargumente waren aber eher selten hilfreich, um den Abbau landsmannschaftlicher Verbundenheit und teils irrationaler Regionalismen zu ermöglichen. Die Erfahrungen des industriell geführten Ersten Weltkrieges und die Folgen der Weltwirtschaftskrise 1929 trugen außerdem dazu bei, dass die neuen Leitbilder an Überzeugungskraft verloren. Mit dem Wandel ihrer ursprünglich positiven Attribute gingen deshalb unitarischen und vereinheitlichenden Konzepten medial wirksame Topoi verloren. Föderalisten leiteten aus der Novemberrevolution und den Krisen

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des Reiches nach 1918 einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Zentralisation und politischer Radikalisierung ab. Auch mit der Stigmatisierung einer Fehlrationalisierung im Zusammenhang von Massenarbeitslosigkeit und brach liegenden ökonomischen Kapazitäten während der Weltwirtschaftskrise konnte das föderale Grundmuster der Weimarer Republik wieder überzeugter vertreten werden.

Föderalisten und Unitarier – zur Interpretationsbedürftigkeit des Einheitsstaatsgedankens Insgesamt verliefen die Fronten zwischen Reichs- und Länderregierungen sowie zwischen Unitariern und Föderalisten, aber es gab keinen grundlegenden politischen Richtungsstreit zwischen den Weimarer Parteien und dem rechtskonservativen Lager. In Fragen der bundesstaatlichen Entwicklung kam daher nicht immer deutlich zum Ausdruck, wofür die Parteien eigentlich standen. Oft hing die Haltung von Abgeordneten ein und derselben Partei entscheidend davon ab, ob sie dem Reichstag oder einem Landtag angehörten, und auf welcher Ebene sie glaubten, ihre sozialen, wirtschaftlichen und konfessionellen Ziele am besten verwirklichen zu können. Dass in diesem Zusammenhang oftmals ein ausgeprägter Sinn für die Differenz von Verfassungspositionen und laufender Politik verloren ging, zeigten die Konflikte zwischen Landesund Reichsregierungen mit politisch gegensätzlichen Koalitionen, die bis zu Reichsexekutionen gegen Sachsen 1923 sowie gegen Preußen 1932 eskalierten. Die Hauptakteure einer Reichsreform fanden sich parteipolitisch gesehen in der DDP, die an der Entstehung der Weimarer Verfassung entscheidend beteiligt gewesen war und die eine parlamentarische Unitarisierung unter Betonung der Selbstverwaltung regionaler Einheiten anstrebte. Während Hugo Preuß mit seinen Vorstellungen von der Auflösung des preußischen Staates und einer gleichmäßigen Aufteilung der deutschen Landkarte zum „Vater der Gliederungsproblematik“ wurde, widmete sich Max Weber stärker der Aufgabenverteilung zwischen Reich und Ländern. Beide Aspekte der bundesstaatlichen Organisation waren jedoch eng aufeinander bezogen. Das von Hugo Preuß entwickelte Konzept des „dezentralisierten Einheitsstaates“ wurde von namhaften DDP-Politikern, wie dem Reichsinnenminister Erich Koch-Weser oder dem provinzialsächsischen Landeshauptmann Erhard Hübener, in der Reichsreformdebatte weiter ausgefaltet. Die Setzung eigener programmatischer Akzente lässt sich dagegen bei der ebenfalls aus der liberalen Bewegung hervorgegangenen DVP kaum ausfindig machen. Dieser Befund hängt we-

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sentlich damit zusammen, dass die Aufmerksamkeit der Deutschen Volkspartei während der Höhepunkte der Weimarer Bundesstaatsdebatte in innerparteilichen Konflikten absorbiert war. Zum Verhältnis zwischen Reich und Preußen pflegte die DVP jedoch eine besondere Affinität, nachdem ihre preußische Landtagsfraktion 1925 die Große Koalition in Preußen aufgekündigt hatte. Die Dauerklage über den preußisch-deutschen Dualismus hing an dem Gedanken, den eigenen Einfluss hier wie dort gleich zu gestalten und das Fehlen in Preußen verankerter Parteistrukturen zu kompensieren. Die preußische Politik wurde von den Parteiführern schließlich immer noch betrachtet als arcanum imperii. Die DVP stimmte daher dem Grundgedanken einer Reichslandlösung für Preußen zu, die der Bund zur Erneuerung des Reiches unter Leitung des DVP-Mitgliedes und ehemaligen Reichskanzlers Hans Luther 1928 in die Diskussion brachte. Bei den Sozialdemokraten schlugen stets traditionelle Länderpositionen in der programmatisch unitarischen Ausrichtung der SPD durch. Zu den großen Kontroversen, die unter Sozialdemokraten ausgefochten wurden, gehörte die Auseinandersetzung um den Fortbestand Preußens. Während seine Fürsprecher glaubten, mit Hilfe eines stabilen, republikanisch regierten Preußens die sozialistischen Ziele besser durchsetzen und über Preußen den Einheitsstaat aufbauen zu können, bezogen sich Preußens Widersacher auf die problematische hegemoniale Vergangenheit des Hohenzollernstaates. Viele Sozialdemokraten hingen Preußen und dem Bundesrat die Blockade des parlamentarischen Potenzials der konstitutionellen Monarchie an. Sie forderten daher seine Auflösung in Provinzen, wie es Hugo Preuß 1919 in seinem ersten Entwurf zur neuen Reichsverfassung vorgesehen hatte. Die Forderung nach dem Einheitsstaat trug in dem einen wie dem anderen Fall daher eher den Charakter eines Bekenntnisses zum Zukunftsstaat, denn über seine konkrete politische Umsetzung existierten auch in der SPD sehr unterschiedliche, zum Teil wenig konkrete Auffassungen. Parteigremien, die sich mit diesem Thema befassten, konnten sich nur zu sehr allgemein gehaltenen Aussagen durchringen. Für das Zentrum gehörte die Bundesstaats- und Reichsgliederungsproblematik zu den Streitfragen, wie Politik aus dem Glauben heraus zu gestalten sei. Die Verfassungsberatungen 1919, die Reichsfinanzreform unter Federführung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger oder Forderungen nach einer kulturpolitischen Betätigung des Reiches zeigten, dass das Zentrum damit rechnete, seine Ziele am besten über seine Schlüsselpositionen in den Reichsregierungen und in Preußen verwirklichen zu können. Die eindeutige Vermessung eines unitarischen Maßstabes und die Affinität zum preußischen Zentralismus führten in der Folge nicht nur zur Abspaltung des bayerischen Parteiflügels, der BVP, sondern sorgten auch allgemein mit Blick auf die föderalen Tradi-

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tionen der Partei für reichlich Irritation. Die politischen Axiome miteinander zu verbinden, wurde erst durch einen Bedeutungswandel möglich, der Föderalismus nicht mehr in Beziehung zu den historischen Ländern setzte, sondern zu Stammesstrukturen. Auch wenn die Länder programmatisch als „Hüter der Landschaft und als Anwalt eines lebendigen Volkstums“ angesprochen wurden, schmälerte die Betonung eines ethnisch-kulturell gedachten Föderalismus ihre verfassungsrechtlich-politische Legitimation. Das Verfassungsideal der Deutschnationalen Partei bestand in der Wiederherstellung der bismarckschen Verfassung mit ihrer hegemonialen Struktur. Trotz sozialdemokratischer Regierungsverhältnisse wurde Preußen wie im 19. Jahrhundert als europäische Großmacht und Kraftquell für das Reich wahrgenommen und sollte demgemäß nicht – wie in der Weimarer Verfassung – behandelt werden wie alle anderen Länder. Die zugleich antirepublikanisch ausgerichteten Reichsreformforderungen der DNVP schlossen in die Reorganisation der Beziehungen zwischen Reich, Ländern und Gemeinden die Minderung von Parlamentsrechten ein. Dieses Ziel sollte nicht nur über eine Stärkung der Präsidialgewalt an der Reichsspitze erreicht werden, sondern auch durch ein stärkeres Gewicht des Reichsrates als korporativ-föderatives Verfassungsorgan gegen den Reichstag. Die Ablehnung des „Parteienbundesstaates“ bezog natürlich die Länderparlamente ein, deren Abschaffung den Weg für unabhängige Länderbürokratien ebnen sollte. Insgesamt begünstigte die Reichsreformdebatte ein Klima, in dem die Nationalsozialisten ihre Vorstellung von einem hierarchisch strukturierten Reich leichter verwirklichen konnten. Ihre Deklamation staatlicher und völkischer Einheit, in der die Länder nur noch als sekundäre Größe erschienen, und die Gleichschaltungspolitik 1933/34 lagen offenbar ganz auf der Linie unitarischer Erwartungen an eine Reichsreform. Das „kraftvolle nationale Reich“ der Zukunft sollte einen absoluten Vorrang gegenüber den Gliedstaaten haben. Hitlers nationalsozialistische Vergangenheits- und Gegenwartsbetrachtungen sowie seine Prognose über die Zukunft von Verwaltung, Kommunikation und Verkehr in dem als Programmschrift geltenden Buch „Mein Kampf“ waren eindeutig zentralistisch orientiert. In einer durch den unaufhaltsamen Modernisierungsprozess vorangetriebenen Verdichtung des Raumes und einer Vereinheitlichung der Lebensbedingungen, so hieß es, würden auch die Länder und Einzelstaaten nivelliert und ihrer Identität beraubt werden. Aus taktischpolitischen Erwägungen suchte die NSDAP andererseits Rechtspositionen der Weimarer Länder gegen das Reich nutzbar zu machen. Der Kampf gegen Zentralisation wurde dann als legitim erachtet, wenn er auf ein gegen die „Novemberdemokratie“ gerichtetes höheres Nationalinteresse gestützt war. In diesem Sinne haben die Nationalsozialisten gerade den kleinen Ländern als

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Angriffspunkten für eine Auflösung der Weimarer Republik ihre besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Die Verwirklichung radikaler Staatsvorstellungen behielten auch die Kommunisten in ihren Wortmeldungen zur Reichsreform fest im Blick. Sie bekannten sich zur Priorität von Vereinheitlichung und Zentralisierung, verbanden diese aber mit einer Destruktion der Reichszentralgewalt als Voraussetzung für die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Dass das Schlagwort vom Einheitsstaat ein in verschiedene Richtungen auslegbarer Begriff war, verdeutlichen auch Reichsreformpläne kommunaler Politiker und ihrer Spitzenverbände. Ihr Bekenntnis zum dezentralisierten Einheitsund Selbstverwaltungsstaat zielte auf ein polyzentrisches Reich als vernetztes Städtesystem mit dem Vorrang weniger Großstädte. Tragendes Motiv war eine Krise kommunaler Selbstverwaltung, die ursächlich in den hohen Kriegsfolgebelastungen der Kommunen und dem Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden wurzelte. Während die Erzberger‘sche Reichsfinanzreform zur finanziellen Abhängigkeit der Kommunen führte, waren Großstädte wie Hamburg, Frankfurt oder Mannheim noch zusätzlich in eine ihre Entwicklung und Stadtplanung behindernde territoriale Struktur eingebunden. Das Konzept vom dezentralisierten Einheitsstaat trug daher auch die Hoffnung, dass eine Stärkung der lokalen Selbstverwaltung und der Reichsgewalt zu Lasten der Länder den städtischen Gestaltungsspielraum sichern und kommunale Ausgaben und Einnahmen wieder ausreichend fundieren würde. Abstrakt-wissenschaftliche Modelle begründeten urbane Großgebilde, die integrationsfähig und wirtschaftlich weitgehend autark gedacht waren, um der ausgreifenden Reichsgewalt etwas entgegensetzen zu können. Besonders das von Frankfurter Kommunalpolitikern und Stadtplanern entworfene, politisch einflussreiche Projekt des Rhein-Mainischen Städtekranzes, mit dem die Mainmetropole an die Tradition ihrer frühneuzeitlichen Reichsunmittelbarkeit und die im 19. Jahrhundert verlorene Hauptstadtfunktion anknüpfte, wurde mit einem hohen wissenschaftlichen und propagandistischen Einsatz verfochten. Es erlangte eine entsprechende überregionale Bedeutung, die bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ausstrahlen sollte. Ein anderes Beispiel stellte die angestrebte Vereinigung der städtischen Agglomeration Mannheim und Ludwigshafen dar, die zeitweise auch im Kontext der Bildung eines größeren Südweststaates um Baden und Württemberg erörtert wurde. Überlegungen selbstbewusst agierender wirtschaftlicher Standesorganisationen rekurrierten in ihren Planungen auf den engen Zusammenhang von Ökonomie, Politik und Staatsaufbau. Als tragfähig erwies sich vor allem der Ge-

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danke von Wirtschaftsbezirken und Provinzen, die als Unterbau des neuen Reichswirtschaftsrates projiziert wurden und denen Aufgaben der regionalen Wirtschaftslenkung und Verwaltung zufallen sollten. De facto liefen auch diese Pläne auf eine Aushöhlung der Ländergewalt und eine Verlagerung von Kompetenzen auf neue regionale Einheiten hinaus. Sie füllten den von der Reichsverfassung vorgegebenen Begriff der Wirtschaftsgebiete, was der Idee eines Reiches aus homogenen Wirtschaftsprovinzen vorübergehend politische Resonanz verschaffte. Die Suche nach Identitäts- und Homogenitätskriterien ließ jedoch viele Probleme ungelöst: Die neuen Provinzgrenzen trugen der räumlichen Dynamik von Bevölkerung und Wirtschaft ebenso wenig Rechnung wie die historischen Ländergrenzen. Gebietsgröße mochte ein wirtschaftsförderlicher Faktor sein, hinreichend aber – so zeigten das industriell aufstrebende Anhalt und das strukturkonservative Bayern – konnten dadurch weder Prosperität noch finanzielle Stabilität begründet werden. Gegensätze bestanden wie bereits vor 1918 zwischen den reichsfixierten Verbänden der Schwerindustrie und den regionalen Interessenvertretungen der Fertigindustrie. Deren mittelständische Unternehmer vertraten überwiegend autonomistische und dezentrale Positionen, die sich sowohl gegen eine zentralisierte Berliner Finanzpolitik als auch gegen staatliche Planungs- und Nivellierungstendenzen des Weimarer Wohlfahrts- und Sozialstaates richteten. Auch der von Agrariern 1921 gegründete Reichslandbund war ein Zusammenschluss regionaler Verbände, die auf Autonomie bedacht waren, und die sich für die spezifischen Interessen ihrer jeweiligen Region einsetzten. Appelle für die Wiederherstellung des Agrarprotektionismus und die am Ende der Weimarer Republik durch Zoll- und Notstandsregelungen hoch gehaltenen Preise für Roggen und Getreide nutzten – um ein Beispiel zu geben – vor allem den preußischen Getreideproduzenten. Dagegen verteuerten sie den Futterzukauf in den Agrarregionen, die sich auf die Tierproduktion spezialisiert hatten. Aus Brünings Notverordnungs- und Sparpolitik und der Massenarbeitslosigkeit Anfang der 1930er Jahre konnten daher auch Mängel zentraler Regulierungsmöglichkeiten abgeleitet werden. Gegenüber dem behaupteten Versagen der Reichspolitik wurde so noch einmal das Bewusstsein für das Potenzial einer Krisenbewältigung unter föderalen Bedingungen geschärft.

Verfassungskompromiss, Länderkonferenz und „Kalte Unitarisierungspolitik“ – Perioden der Weimarer Bundesstaatsdebatte Für die relativ kurze Dauer der Weimarer Bundesstaatsdebatte lassen sich im Wesentlichen drei Perioden unterscheiden:

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Die informellen und offiziösen Weimarer Verfassungsberatungen zwischen dem Reich und den Länderregierungen gelangten in dieser Sache – im Unterschied zur klar entschiedenen Frage Räterepublik oder parlamentarische Demokratie – zu einem Kompromiss von föderalen und unitarischen Elementen, bei dem beide Seiten fortan nach einer Reform der aus ihrer Sicht unpassenden Bestimmungen strebten. Entsprechend dem offenen Charakter und der lebensweltlichen Anpassungsfähigkeit jeder Verfassung war es weniger eine Frage des geschriebenen Textes als vielmehr eine Frage der Interpretation und politischen Praxis, ob sich die Weimarer Republik künftig als ein „single or federal state“ entwickeln würde. Sorgen um die Integrität des Reiches im Westen und Osten sowie Unruhe und Aufstände im Innern der Republik begünstigten in der Nachkriegszeit zunächst eine reichsfixierte Staatspraxis, die dementsprechend schnell an Boden gewann. Der tiefste Einschnitt, die völlige Neuordnung der Staatsfinanzen durch die Reichsfinanzreform zu Lasten der Länder, ließ sich 1918 bis 1920 in relativ kurzer Zeit durchsetzen und wie aus einem Guss gestalten. Auch die potentiellen Gefährdungen und Langzeitfolgen der mit erheblichen Notstands- und Ausnahmerechten begründeten Reichsexekution gegen Sachsen für die föderale Ordnung waren 1923 noch kein ernstes Thema. Es gelang dagegen nicht, das dynastische Ländererbgut des heterogenen Bundesstaates in einer ausgewogenen föderalen Struktur aufzulösen. Die Konzeption Hugo Preuß’, den republikanischen Bundesstaat auf gleich großen, wirtschaftlich und sozial ausgewogenen autonomen Selbstverwaltungseinheiten zu fundieren, blieb über die Verfassungsberatungen 1919 hinaus ein Integrationsmodell, das trotz seines Scheiterns am Widerstand der Länder noch lange nachwirken sollte. Eine auf Initiative der DDP von der Nationalversammlung ins Leben gerufene „Zentralstelle für die Gliederung des Deutschen Reiches“ agierte jedoch wirkungslos, als sie den Neugliederungsartikel 18 der Weimarer Verfassung politisch umsetzen sollte. Selbst der Zusammenschluss der thüringischen Staaten 1920 ist dieser beim Reichsministerium des Innern angebundenen Kommission nicht zuzurechnen. Ihre Gutachten lenkten den Blick auf die im Bewusstsein der Bevölkerung weiterlebenden historischen Zugehörigkeiten und regionalen Identitäten, die nicht – und dies war ein verbreiteter Trugschluss der Nachkriegsjahre – mit den Dynastien untergegangen waren. Die zweite Periode wurde 1924 mit einer von Bayern ausgehenden Denkschriftenkultur gegen den Unitarisierungsschub der Revolutions- und Nachkriegszeit eröffnet. Die Parteien und führende Politiker der Länder nahmen jetzt programmatisch Stellung. Außerdem traten kommunale Organisationen

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und wirtschaftliche Standesvertretungen mit eigenen Reichsreformkonzepten hervor. Varianten von Niedersachen-, Mitteldeutschland- und Südweststaatsplänen knüpften an Preuß’ Konzept des „dezentralisierten Einheitsstaates“ an. Da diese Pläne von politischen Einheiten mittlerer Größe für das gesamte Reich ausgingen, implizierten sie eine Aufteilung Preußens und den Zusammenschluss bzw. die Angliederung kleiner Länder. Zwischen der als Lösung anvisierten Selbstverwaltung regionaler Provinzen im Einheitsstaat und den bestehenden traditionellen Ländern im Bundesstaat lassen sich die Grenzen jedoch nicht scharf ziehen. Hugo Preuß selbst hatte der Frage, ob das Reich noch ein Bundesstaat oder schon ein dezentralisierter Einheitsstaat sei, wenig Bedeutung beigemessen, so dass man vor einer undifferenzierten Interpretation zeitgenössischer Schlagworte besorgt sein sollte. Einerseits konnte mit dem „Dezentralisierten Einheitsstaat“ ein Übermaß an Unitarisierung durch Auftragsverwaltung und demzufolge ohne Autonomie der Regionen bzw. Provinzen gemeint sein. Andererseits kamen Konzepte, die unter dem Leitbild des „dezentralisierten Einheitsstaates“ vorgetragen wurden, einem gleichgewichtigen Länderföderalismus nahe, wenn an Lokalparlamenten und Lokalregierungen sowie an gewählten bzw. designierten Repräsentanten der Regionen festgehalten wurde. Neugliederungspläne erhielten zudem mehr Zuspruch, wenn sie noch an ältere historische Vorprägungen anknüpfen konnten. Damit flossen Kontinuitätsfiktionen in die Bundesstaatsdebatte ein, die als Alternativen zur dynastischen Länderstaatlichkeit aufgegriffen wurden. Wegen des festen Widerstandes Preußens und Bayerns gegen den „Dezentralisierten Einheitsstaat“, der durch Neugliederungen ihre territoriale Integrität in Frage stellte, kam 1927 erstmals eine norddeutsche Teillösung ins Gespräch, die Preußen ohne weitere Veränderung mit dem Reich vereinigen sollte. Die so genannte Reichslandlösung, die am einflussreichsten vom parteiübergreifenden Bund zur Erneuerung des Reiches vertreten wurde, ließ jedoch offen, was daraus für die nord-, mittel- und süddeutschen Länder sowie insgesamt für die föderale Ordnung folgen würde. Die strategische Beschränkung der Reichsreform auf den Norden, welche auf die Zustimmung der süddeutschen Regierungen zielte, vermochte ebenso wenig wie die Literatur zum „Dezentralisierten Einheitsstaat“ Mehrheiten zu bündeln. Sie stellte jedoch eine Folie für die so genannte „Differenzierte Gesamtlösung“ dar. Diese weit gefasste Kompromissformel, auf die sich 1928 bis 1930 eine Länderkonferenz verständigte, enthielt im Laufe der Beratungen allerdings einen deutlichen propreußischen Impetus. Die dritte Periode fällt mit der Zeit der Präsidialkabinette zusammen. Anfang der 1930er Jahre schwand der bis dahin bestehende Konsens, es sei im Sinne

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der Stabilität des Reiches besser, sich über Fragen der Reich-Länder-Struktur zu streiten, und eine territoriale und institutionelle Reichsreform auf dem Verhandlungsweg zu erreichen. Brünings Sparmaßnahmen kamen einer finanzpolitischen Mediatisierung gleich, in deren Ergebnis die Länder nicht mehr selbstständig über Einnahmen und Ausgaben verfügen konnten. Mit der Begründung, nur das Reich sei in der Lage, die für die Überwindung der Krise nötigen finanziellen Mittel aufzubringen, wurden Länderkompetenzen unterlaufen und die fortschreitende Unitarisierung durch die präsidiale Notverordnungspolitik gerechtfertigt. Die Reichsexekution gegen die preußische Landesregierung am 20. Juli 1932 und der anschließende Prozess vor dem Leipziger Staatsgerichtshof „Preußen contra Reich“ sollten schließlich klarlegen, wie weit der Reichspräsident in die bundesstaatliche Ordnung eingreifen konnte. Das „Weimarer Verfassungsgericht“, das erstmals für die Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern eingerichtet worden war, leitete aus der Verfassung selbst solche Eingriffsgrenzen ab. Das Homogenitätsgebot parlamentarischer Regierungen in allen Ländern der Weimarer Republik sowie der Reichsrat wurden für unantastbar erklärt bzw. für diktaturfest befunden. Außerdem wurden konsequent die Voraussetzungen für eine Reichsexekution geprüft, so dass der „Preußenschlag“ als teilweise verfassungswidrig eingestuft wurde. Der damit gewonnene Schutz der Länder und der bundesstaatlichen Ordnung wurde aber wieder zunichte gemacht durch die Diktaturkompetenz des Reichspräsidenten. Denn es wurde keine Grenze für diejenigen Maßnahmen gezogen, mit deren Hilfe in Preußen die allgemein anerkannten bürgerkriegsähnlichen Zustände nach der Aufhebung des SA-Verbotes behoben und die „Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ beendet werden durfte. Für den Abbau des Bundesstaates mit Hilfe der außerordentlichen Gesetzgebung des Reichspräsidenten nach Artikel 48, Absatz 2 bürgerte sich daher der Begriff „Kalte Unitarisierung“ ein. Diese Form der „Reichsreform“politik beeinflusste bis weit nach 1933 das Verständnis von den Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtübernahme. Ihre reflektorischen Ausstrahlungen waren so stark, dass sogar die Ausschaltung des Reichsrates nur für eine vorübergehende Maßnahme gehalten werden konnte. Gegner der Länder war für viele Landespolitiker zunächst nicht Hitler, sondern nach den Erfahrungen der Weimarer Jahre die Reichsbürokratie. Während die Reichsseite aus wechselnden Mehrheits- und Minderheitsfraktionen stets schwächer als die Länder koordiniert war, waren gerade von ihr starke unitarisierende Impulse ausgegangen. Die bis ins Detail ausgreifenden Planungen der Bürokratie standen in einer längeren Tradition moderner Verwaltungsreformen und zielten auf eine perfektionierte Ordnung, von der man sich eine leichtere Kompensation der

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Folgebelastungen des Ersten Weltkrieges und eine Stabilisierung des Reiches erhoffte. Knapp ein Jahr nach der Machtergreifung verlief die Diskussion um eine Reichsreform noch in der Öffentlichkeit und im Reichsministerium des Innern, bis sie im Dezember 1933 angesichts unerwünschter Konflikte auf Weisung Hitlers abrupt abgebrochen wurde.

Profilierte Eigenständigkeitspolitik und Strategien der Länder Bezüglich der Weimarer Reichsreform sind bisher vornehmlich das besondere Verhältnis zwischen dem Reich und Preußen sowie die Sonderrolle Bayerns betrachtet worden. Historiker, die föderale Traditionen vor allem in den süddeutschen Territorien des Reiches verorten, haben leicht übersehen können, dass ein ausgeprägtes Eigenbewusstsein auch andernorts vorhanden war. Nicht allein Bayern, Württemberg, Baden und Sachsen, sondern auch nordund mitteldeutsche Länder betrieben nach 1918 eine profilierte Eigenständigkeitspolitik, und ihre Regierungen setzten sich für die Kontinuität der föderalen Ordnung ein. Erst durch die Einbeziehung aller mittleren und kleineren Länder entsteht daher ein Gesamtbild des Weimarer Bundesstaates. Als Problemfälle der Eigenstaatlichkeit der Länder und der Bundesstaatlichkeit des Reiches behandelt, wurden ihnen kaum noch politische und wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten sowie eigene Mittel und Strategien zugestanden, ihre Zukunft zu sichern. Sobald auf den Willen und die Fähigkeit zu einer eigenen Politik und Verwaltungsführung abgestellt wurde, dienten vornehmlich die größeren Länder wie Preußen, Bayern oder Sachsen als Beispiele. Da die gewonnenen Befunde direkt auf Anhalt, Lippe oder Mecklenburg-Strelitz übertragen wurden, kam eine Unterscheidung in „lebensfähige“ Länder und „lebensunfähige“ Länder zustande. Vor allem der preußische Ministerpräsident Otto Braun bediente ab Mitte der 1920er Jahre den Hebel des Finanzausgleichs, um steuerschwache kleine Länder zu einem Anschluss an den preußischen Großstaat zu treiben. Die Widerstände gegen eine Mediatisierung der kleineren Territorien beruhten auf gleich mehreren problematischen Aspekten für die Akzeptanz der Weimarer Ordnung. Die Eingliederung in bestehende bzw. neue Länder wurde als Verletzung eines zentralen demokratischen Prinzips – des Selbstbestimmungsrechtes der Bevölkerung – und als ein Rückgriff auf obrigkeitsstaatliche Machtmittel angesehen. Als Preußen 1929 den Anschluss Waldecks erzwang, nahmen Zeitgenossen daher nicht nur das Ende einer langen staatlichen Tradition wahr. Im Lichte einer verweigerten Volksabstimmung wurde auch das

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Prinzip der Volkssouveränität in Frage gestellt, das 1918 zum Legitimationsprinzip schlechthin erhoben wurde und das daher seinen Niederschlag im so genannten Neugliederungs-Artikel 18 der Weimarer Reichsverfassung fand. Unter demokratischen Prämissen lag es andererseits durchaus nahe, das Volk als ideellen Ausgangspunkt einer staatlichen Ordnung zu nehmen, und die bereits im Bismarckreich bestehenden Disproportionen der Stimmgewichtung in der Ländervertretung zu beseitigen. In den Verfassungsberatungen war dies jedoch nicht durchgedrungen, wie die Ablehnung des Staatenhaus-Typs in Form einer gewählten zweiten Kammer zeigt. Stattdessen hatte sich die Kontinuität des Bundesrat-Typs als eine Art ständiger Gesandtenkonferenz der Länderregierungen im Reichsrat durchgesetzt. Wäre hier das demokratische Prinzip zugrunde gelegt worden, hätte das kleinste Land eine Stimme und Preußen 793 Stimmen besessen. Vom Standpunkt des Reiches aus gesehen, kam einer Mediatisierung Braunschweigs, Oldenburgs oder Anhalts kaum eine Bedeutung zu. Die Frage nach der Zukunft einer eigenständigen Landespolitik bedeutete für die betroffenen Länder jedoch sehr viel. Braunschweigs Eigenständigkeit beispielsweise stand landespolitisch seit dem Ende der Räterepublik nicht mehr ernsthaft zur Debatte, weil die eng mit dem Agrarsektor verbundene regionale Industrie auf die Landesregierung angewiesen war, die ihren engen wirtschaftspolitischen Gestaltungsraum vor allem dazu nutzte, die Verkehrsanbindungen Braunschweigs zu verbessern. In Oldenburg war die steuerliche Förderung der Landwirtschaft, die sich auf die Massentierhaltung und die Versorgung industrieller Ballungsgebiete spezialisiert hatte, ein zentrales landespolitisches Anliegen. Da die Oldenburger Landwirte die Vorteile der „Realsteueroase“ schätzten und im Unterschied zur ostelbischen Getreidewirtschaft an niedrigen Einfuhrzöllen des Reiches interessiert waren, bestanden in Oldenburg ebenso wie beispielsweise in Mecklenburg-Schwerin für eine unitarische Finanzpolitik und eine Verpreußung der norddeutschen Agrarstaaten wenig Sympathien. In Anhalt wiederum standen bodenreformerische Ziele in den dezentral zu den Bergbaugruben und Chemiewerken entstehenden Industriedörfern im Vordergrund. Für die Konservativen und den Landbund war daher aus pekuniären Motiven ein Anschluss an das sozialdemokratische Preußen durchaus denkbar. In dem dicht besiedelten Land, das vom aufstrebenden industriellen Ballungszentrum Halle-Merseburg profitierte, stellte ihre Anschlussneigung jedoch nur eine Minderheitsmeinung dar. Für die fast durchgängig regierende SPD-DDP-Koalition in Dessau bildeten Selbstverwaltung und die weitgehende Verlagerung politischer Entscheidungen auf untere demokratische Ebenen den Kern einer nicht zentralistischen Sozialismusauffassung,

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die sie auf ihre reformerische Regierungspraxis übertrug. Eigene Wege ging auch die Thüringer Regierung, die sich nach der Landesgründung nicht am preußischen Verwaltungsaufbau orientierte und stattdessen die Idee eines Gemeindesozialismus praktisch zu erproben begann. Errungenschaften in der Volksbildungspolitik und der akademischen Lehrerbildung, die das Ziel der Angleichung von Bildungschancen aller Bevölkerungsschichten näher rückten, lieferten linksrepublikanischen Regierungen in Sachsen, Thüringen, Braunschweig und Anhalt besonders schlagkräftige Argumente gegen die Herausgabe ihres Staatsapparates an Preußen. In Dessau, Weimar oder Schwerin wogen die landespolitischen Möglichkeiten letzten Endes daher weit mehr als die ideologische Tradition. Kritische Einwände gegen Kleinstaaterei trugen hier oft nur einen deklamatorischen Charakter. Wenn überhaupt sollten diese Länder nicht über den Umweg eines Großpreußen mediatisiert werden, sondern direkt auf dem Altar des Vaterlandes geopfert werden, wenn sich daran die Reichseinheit und eine autonome Selbstverwaltung der Regionen anschlössen. In der Debatte wurden nicht nur tief verwurzelte antipreußische Ressentiments wieder aufgefrischt. Sie konturierte auch konfessionelle und sprachlich-kulturelle Differenzen in dem mitunter oberflächlich als einheitlich wahrgenommenen norddeutschen Block. Thüringen und Anhalt, die sich in der Abgrenzung zu Preußen stets als ein Zentrum des intellektuellen und moralischen Aufbruchs verstanden hatten, zeichnete zum Beispiel eine affirmative kulturelle Identitätspolitik aus, deren neues Aushängeschild mit dem Bauhaus die weltweit bekannte Design- und Architekturschule der klassischen Moderne wurde. Dass sich die Bevölkerung mit einem kleinen Land identifizieren konnte, zeigte die knapp gescheiterte Volksabstimmung in Schaumburg-Lippe 1926 über den Anschluss des Landes an Preußen. In einer diachronen Betrachtung der Jahrhunderte alten Landesgeschichte und angesichts wechselnder Konjunkturen der vergleichsweise kurzen Zeitspanne der Weimarer Jahre stellten sich die finanziellen Nöte aus Sicht der kleinen Länder außerdem eher als eine ephemere Krise denn als Schlusspunkt ihrer Eigenständigkeit dar. Vorstößen für Neugliederungen, die wie der Niedersachsengedanke vom Eigenständigkeitsdrang in den preußischen Provinzen ausgingen, begegneten die kleineren Länder dagegen wesentlich offener als einem Anschluss an den preußischen Großstaat. Initiativ wurden auch die Landesregierungen in Sachsen, Baden und Hessen, da diese Länder mit der Grenzlage und Besatzungssituation in besonderem Maße die Folgen des Ersten Weltkrieges und die Auswirkungen des Versailler Vertrages zu spüren bekamen. Die Westgrenze Sachsens blieb durch

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die Dresdner Vergrößerungsbestrebungen und Mitteldeutschlandplanungen während der Weimarer Republik zur Diskussion gestellt. Territorial sollten so die sächsischen Bestrebungen abgesichert werden, nach 1918 eine starke mittelstaatliche Position zurück zu gewinnen und den preußisch-unitarischen Nationalismus einzudämmen, wie es bereits in der Konzeption des Dritten Deutschlands bis zur Reichsgründung 1871 verfochten wurde. Das Scheitern der Großsachsen- und Mitteldeutschlandpläne ist dementsprechend als misslungene Renaissance der alten Trias-Idee wahrgenommen worden. Die Karlsruher Regierung, die wegen der lang gestreckten Grenze Badens zu Frankreich mit besonderen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen hatte, griff auf dem Höhepunkt der Reichsreformdebatte 1927/28 die Idee eines Südweststaates auf. Hessische Landes- und Kommunalpolitiker glaubten, die Nachteile der Rheinlandbesatzung dauerhaft nur in einem vergrößerten Hessen ausgleichen zu können, wie es analog in den größeren Ländern Preußen und Bayern möglich war. In Bayern nährten diese Neugliederungspläne stets die Sorge um die eigene territoriale Integrität. Die Münchner Regierung Held stellte sich daher an die Seite Preußens, das gegenüber den Autonomiebestrebungen seiner Provinzen und Gebietsansprüchen angrenzender Länder und der Stadtstaaten konsequent die Verkleinerung seines Territoriums verhinderte. Tragendes Motiv für das von der preußischen Regierung Braun verfolgte Konzept, über ein Großpreußen den deutschen Einheitsstaat zu verwirklichen, war die Aussicht, so zu einer stabilen republikanischen Regierung im Reich zu gelangen. Dies entsprach auch den Vorstellungen derjenigen, die Preußen seit dem 19. Jahrhundert als Dreh- und Angelpunkt aller Einigungsbestrebungen sahen und die eine Mediatisierung der norddeutschen Länder als folgerichtigen Schritt forderten. Sowohl die Verfassungsdebatten in der Nachkriegszeit als auch im Umfeld der Länderkonferenz 1928 bis 1930 zeigten daher, wie begrenzt die Möglichkeiten waren, am Status quo des preußischen Zentralstaates zu rühren. Die Alternative einer auf die Vereinigung beider Berliner Regierungen zugeschnittenen Reichsreform wurde schließlich mit einer rechten Akzentverschiebung am 20. Juli 1932 aufgegriffen, gegen die kein wirksamer Widerstand zustande kam. Die amtsenthobene preußische Landesregierung Braun verhielt sich stattdessen kooperationsbereit, da eine Reichsreform per Notverordnung und mit dem Ergebnis der Vereinigung der beiden Regierungsgewalten ihrer Grundidee entsprach. Unter dem Präsidialkabinett Brüning war im Vorfeld der Ereignisse auch der preußische Ministerpräsident bereit gewesen, den Umbau des Bundesstaates mit Hilfe der Diktaturkompetenz des Reichspräsidenten zu erreichen und dafür eine Verfassungsüberschreitung in Kauf zu nehmen.

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Brauns irritierende Verständigungsangebote nach dem „Preußenschlag“ und die als historische Kontinuität wahrgenommene preußische Zentralisierungspolitik in Norddeutschland schwächten zudem die Solidarität und Konfliktbereitschaft der anderen Länderregierungen. Diesen gelang es in Anbetracht der problematischen Eigenständigkeitspolitik Preußens und Bayerns sowie der Unitarisierungsinitiativen des Reiches nur bedingt, sich auf gemeinsame Positionen festzulegen, etwa postivrechtlich durch die Berufung auf föderale Verfassungselemente. Eine wichtige Argumentationslinie richtete sich vielmehr an der Forderung der Weimarer Verfassung aus, wonach die Gliederung des Reiches in Länder „der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung des Volkes dienen“4 sollte. Dieser deutlich funktionale Legitimitätsmaßstab korrespondierte mit der im deutschen Bundesstaatsdenken verbreiteten Fiktion einer einseitigen Treuepflicht der Länder. Bereits die Umkehrung der Aufzählung der Stadtstaaten in der Reichsverfassung, die nicht mehr nach dem Erwerb der Reichsstandschaft, sondern nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft erfolgte, ließ die traditionalen und verbindenden Legitimitätsmomente deutscher Bundesstaatlichkeit verblassen. Die Hansestädte argumentierten dementsprechend auch weniger historisch. Sie beriefen sich, wenn es um ihre Unabhängigkeit und um Gebietserweiterungen ging, auf ihre besonderen Aufgaben, die sie in Welthandel, Schifffahrt und Hafenbau für das Reich zu erfüllen hatten und die daher nicht einer ortsfremden und verständnislosen Verwaltung übertragen werden dürften. Die erfolgreich auf das wirtschaftliche Leistungsvermögen und nationalökonomische Zusammenhänge abstellende Rechtfertigung der Reichsunmittelbarkeit beider großer Hansestädte kehrte sich letzten Endes gegen das kleinere Lübeck. Nahm man wie bereits Hugo Preuß den deutschen Außenund Überseehandel zum politischen Maßstab, so fiel der Vergleich mit den preußischen Ostseehäfen Kiel und Stettin für Lübeck katastrophal aus, und es gab kaum noch Argumente, die für eine Eigenstaatlichkeit der alten Hansemetropole ins Gewicht fielen. Oldenburg und die beiden Mecklenburg verwiesen auf ihre Funktionen als Agrarproduzenten für die Lebensmittelversorgung der industriellen Ballungszentren, der sie am besten unter einer Landesregierung gerecht werden würden, die am Wohlergehen der Landwirtschaft interessiert war. Hessen und Thüringen betonten ihre geografische Mittellage. Für die Stabilität des Reiches galten sie als wichtige Zwischenglieder, auf deren ausgleichende Wirkung zwischen Preußen und den süddeutschen Ländern nicht verzichtet werden durfte. Die 4 Artikel 18, WRV.

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Thüringer Landesgründung ließ sich zudem, sobald Neugliederungen im Gespräch waren, durch den Hinweis aufwerten, die am eigenen Beispiel demonstrierte „Vereinigungstechnik“ könnte auch ein Vorbild für das Reich sein. In Stuttgart suchte die Landesbürokratie die Existenzberechtigung Württembergs in aufwändigen Kosten-Nutzen-Abwägungen der bürgernahen Selbstverwaltung gegenüber einer für mentalitätsfern und unzweckmäßig gehaltenen Verwaltungszentralisierung zu beweisen. Aus echter Sorge um die Länderstaatlichkeit setzte sich Württemberg zudem für die Aufrechterhaltung des Finanzausgleichs zugunsten mehrerer kleiner Länder ein. Auch Bayern unterzog sich einer ideologisch motivierten und konfliktträchtigen Verwaltungsreform, um einen Beweis der Funktionsfähigkeit der Länder zu erbringen und die Behauptung zu widerlegen, dass diese als effektivste Sparpolitik angesehene Maßnahme besser und wirksamer im technisch perfektionierten und „billigeren Einheitsstaat“ möglich sei. Heinrich Helds Reföderalisierungspolitik hielt die Münchener Regierungsstellen seit 1924 in stetiger Beschäftigung. Ihr stark moralisierender Impetus zielte darauf, das Unrecht einer vornehmlich unitarischen Auslegung der Verfassung und die Machtanmaßungen des Reiches öffentlich präsent zu halten. Eine entsprechend obstinat vorgetragene Kritik am Reich, die mit der Aufforderung verbunden war, zum wahren föderalen Geist der Verfassung zurückzukehren, vermochte sich jedoch nicht von dem Verdacht bayerischer Eigenbelange und restaurativer Interessen zu befreien und konnte daher politisch kaum etwas bewirken.

Fazit Vorstellungen über den Bundesstaat wurden sowohl über die „harten“, staatlichen Institutionen ausgedrückt als auch in „weichen“ Metaphern und alltagsweltlichen Narrativen fixiert. Beide Bereiche, die staatsrechtliche Theoriebildung und die populär-alltagsweltlichen Reflexionshilfen über die föderale Ordnung, wirkten in den politischen Prozessen und Debatten zusammen. Sie führten in der relativ kurzen Dauer der Weimarer Republik aber nicht zu einer wechselseitigen Verständigung zwischen mitunter restaurativ denkenden Altföderalisten und den oft zweckrational argumentierenden geistigen Wegbereitern einer Reform. Tendenzen einer zunehmenden Unitarisierung des Reiches wurden aus den Eigenheiten des deutschen Bundesstaatsdenkens heraus akzeptiert und mit Blick auf die Bewältigung von Revolution, Kriegsniederlage, Wirtschaftskrisen und Massenarbeitslosigkeit als besonders dringend empfunden.

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Zudem korrespondierte die Entwicklung der modernen, nivellierenden Massen- und Kommunikationsgesellschaft mit einem starken Streben nach mehr Einheit im Aufbau des Staates und seiner Organisationsstrukturen. Die vielfach verbreitete Weimarer Forderung nach dem Einheitsstaat bleibt dennoch in hohem Maße interpretationsbedürftig, da unter ihrem Dach auch eine Stabilisierung und Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung angestrebt wurde. Größeren Zuspruch und Einfluss besaß gerade die Reichsreformliteratur, die sich auf das föderale Substrat der Weimarer Gesellschaft im Sinne verwurzelter regionaler Identitäten und auf die Notwendigkeit einer dezentralen Staatsformung stützte. Außer der staatstheoretischen Grundlagensuche über das Wesen des Bundesstaates zeichnete sich wissenschaftsgeschichtlich auch die Anwendung wirtschaftsgeografischer, soziologischer, volkskundlicher und regionalgeschichtlicher Methoden zur Fundierung der Neugliederungsdebatte ab. Eine überwiegend aus der formaljuristischen Perspektive getroffene Meinung, der Weimarer Bundesstaat sei ungewollt gewesen und mit dem demokratischen und republikanischen Wandel nicht verknüpft worden, greift daher zu kurz.5 Insgesamt mangelte es der Diskussion aber an abwägenden Urteilen, staatsjuristischem und innerparteilichem Konsens sowie vermittelnden Visualisierungen in der Politik, die für die Bewerkstelligung einer Reform des republikanischen Bundesstaates mit seinem heterogenen dynastischen Erbgut und verwurzelten Regionalismen notwendig gewesen wären. Im Übergang zum präsidialen Regierungssystem der 1930er Jahre offenbarten sich dann die zentralen Probleme, die in der Weimarer Reichsreformdiskussion trotz ernsthaften Bemühens nicht gelöst worden waren. Durch die fehlende Abgrenzung der föderalen Aufgaben- und Finanzverteilung zwischen Reich und Ländern unterlag die bundesstaatliche Ordnung der extensiven Auslegung der Diktaturkompetenz des Reichspräsidenten. Darüber hinaus erleichterte der trotz vieler Neugliederungsvorstöße ungeteilte und als problematisch anerkannte Zentralstaat Preußen den Reichszugriff. Nach der „Machtergreifung“ bestand die Fiktion einer durch die Nationalsozialisten zu vollendenden Reichsreform, zu der die Republik nicht fähig gewesen sei, und die daher an die Hitlerregierung adressiert wurde. Diese stellte die Gleichschaltung von Reich und Ländern als Überwindung jahrhundertelanger Zerrissenheit dar und sah in der Ablösung des Bundesstaates durch den nationalsozialistischen „Freiheitsstaat“ den Endpunkt aller nationalen 5 So resümierend Heiko Holste: „Eine positive Begründung für den Bundesstaat, eine funktionale Verknüpfung mit Freiheit und Demokratie erfolgte in Weimar aber nicht.“, ders., Der deutsche Bundesstaat im Wandel, S. 545.

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Einheitsbestrebungen. Eine Neugliederung und Verwaltungsreform blieben nach dem Ende der föderalen Ordnung jedoch weiterhin unerledigt, so dass die „Polykratie“ des NS-Staates durch Zentralismus und Partikularherrschaft gekennzeichnet war.

7. Ausblick: Kontinuitäten des Weimarer Reichsreformdenkens nach 1945 Abschließend soll die Kontinuitätsfrage aufgeworfen werden, ob in der Weimarer Reichsreformdebatte trotz ihres Scheiterns nicht doch die Töne einer Zukunftsmusik angeschlagen wurden. Die Annullierung der Länderrechte durch die Nationalsozialisten sowie die Kriegsniederlage und Besetzung Deutschlands durch die Alliierten führten 1945 in eine Situation, die im Vergleich zu 1918 Grenzänderungen und Länderneubildungen relativ leicht zuließ. Was die Diskussionen um die Reichsreform der Weimarer Republik nicht bewirken konnten, ist unter den Bedingungen des militärisch-politischen Zusammenbruches schließlich durchgesetzt worden: Die Zerschlagung Preußens und eine Umgestaltung der deutschen Landkarte. Wenn Bundesländer heute historische Namen wie Hessen oder Thüringen tragen, so haben sie doch wenig mit den Freistaaten zu tun, die ihnen zeitlich vorausgegangen sind. Sie sind ebenso neu konstruiert worden. In der sowjetischen Besatzungszone ging der Aufbau zunächst von den Gemeinden, Kreisen und den neu etablierten fünf Ländern Sachsen, SachsenAnhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern aus. Der territorialen Gestaltung Mitteldeutschlands lagen dabei provinzialsächsische Reichsreformplanungen aus den 1930er Jahren zugrunde, deren Grenzziehung zwischen drei Reichsprovinzen Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt weitgehend umgesetzt wurde.1 Nach den Wahlen vom Oktober 1946 besaßen auch die Länder in der sowjetischen Besatzungszone zunächst eigene Landtage mit einer relativ starken Stellung der bürgerlichen Parteien CDU und LDP. Zur Durchsetzung der SED-Diktatur wurden jedoch die Kompetenzen der Länder und der Kommunen zugunsten zentraler Institutionen immer mehr ausgehöhlt. Die Umbildung der Länder in 15 Bezirke ohne regionale Autonomie erfolgte schließlich im Jahr 1952.2 1 Henning Mielke, Die Auflösung der Länder in der SBZ/DDR. Von der deutschen Selbstverwaltung zum sozialistischen Einheitsstaat nach sowjetischem Modell 1945–1952, Stuttgart 1995; Karl-Heinz Hajna, Länder – Bezirke – Länder. Zur Territorialstruktur im Osten Deutschlands 1945–1990, Frankfurt a. Main 1995 sowie Tullner, Erhard Hübener und die Provinz Sachsen, S. 83f. 2 Die Länderkammer der DDR existierte noch bis 1958, vgl. Dierk Hoffmann, Die DDR unter Ulbricht. Gewaltsame Neuordnung und gescheiterte Modernisierung, Zürich 2003, S. 43ff.

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Bei der Gründung der Bundesrepublik 1949 erhielten die Länder demgegenüber mit eigenen Kompetenzen in der Gesetzgebung, mit Landtagen, Länderregierungen und Verwaltungen eine relativ eigenständige Stellung. Dabei wurzelt auch das Grundgesetz der Bundesrepublik erkennbar in dem eigenwilligen Bundesstaatsmodell bismarckscher Prägung.3 Eine deutliche Kontinuität zu den Verfassungen des Kaiserreiches und der Weimarer Republik findet sich in der Institution des Bundesrates als Vertretungsorgan der Länderregierungen und der Landesbürokratien, aber auch in der Unterscheidung der Kompetenzbereiche. Sie umfassen in einem ersten Teil die Gesetzgebungskompetenzen, in einem zweiten Teil die Verwaltungskompetenzen und in einem dritten Teil Bestimmungen über die Finanzmittel. Wie in den Vorgängerverfassungen spielte auch im Grundgesetz die für die meisten traditionellen Bundesstaaten und vor allem für die USA typische Alternative eines aufgabengeteilten Föderalismus keine Rolle, nach dem die Aufgaben generell der Zentrale oder den Gliedstaaten zugewiesen werden – mit der daran gekoppelten Gesetzgebung, Verwaltung und entsprechenden Finanzlast.4

Alliierte Vorgaben und Grundideen der Weimarer Reichsreformdebatte Die Renaissance des Föderalismus beruhte zwar auf den Interessen der Besatzungsmächte, die durch ein System föderaler „checks and balances“ eine Machtkonzentration in der Mitte Europas verhindern wollten, dennoch wirkten auf seine konkrete Gestaltung vor allem deutsche Verfassungstraditionen und die konkreten Bedingungen des Wiederaufbaus zurück. Die Hauptalliierten wünschten nach Kriegsende aus unterschiedlichen Motiven keine Teilung Deutschlands, sondern hielten es für besser, seine Dezentralisierung zu einer föderalen Verfassungsordnung zu protegieren. Eine Rolle spielten dabei Motive des „containment“ gegenüber sowjetischen Hegemoniebestrebungen und die Reparationsfrage.5 Trotz ihrer eigenen Interessenlage waren sich die Briten 3 Rudolf Morsey, Die Entstehung des Bundesrates im Parlamentarischen Rat, in: Bundesrat (Hg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, Bad Honnef / Darmstadt 1974, S. 63–77. 4 Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 143. 5 Gruner, Deutschlandpolitische Grundsatzpositionen 1945–1949, Bd. 5, S. 1405–1488; Hans-Peter Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, 2. Aufl., Stuttgart 1980, S. 119ff. und 149ff. Rolf Steiniger hat am Beispiel Nordrhein-Westfalens nachgewiesen, dass es bei aller deutschen Beteiligung letzten Endes doch die Entscheidungen der Sieger-

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dabei bewusst, dass das künftige politische System für Deutschland nur Bestand haben würde, wenn sich die Bevölkerungsmehrheit mit ihm identifizieren konnte. Aus neueren Forschungen ist bekannt, dass auch die Amerikaner frühzeitig den Deutschen die praktische Arbeit überlassen wollten.6 Implementiert durch deutsche Experten sowie britische und amerikanische Deutschlandspezialisten in den Forschungsabteilungen kehrten daher Gedanken aus der Weimarer Reichsreformdiskussion wieder. Ihre damaligen Hauptakteure waren zudem als Ministerpräsidenten in den Verwaltungen und Landesparteien am Wiederaufbau entscheidend beteiligt und versuchten im Zusammenspiel mit oder konträr zu den Besatzungsmächten, ihre früheren Konzepte für eine effektive Formung der Staatsstrukturen sowie für die inneren Ländergrenzen umzusetzen. Im Bewusstsein der außenpolitischen Dimension der deutschen Frage wurden jedoch nun Probleme der europäischen Nachkriegsordnung stärker einbezogen. Legitimität stifteten zudem Bezüge auf Pläne des Widerstandes gegen Hitler,7 welche an die Diskussionen der Weimarer Republik angeknüpft hatten: Sollte das Nachkriegsdeutschland ein föderaler Bundesstaat oder ein dezentralisierter Einheitsstaat werden? Was war die ideale Form deutscher Staatlichkeit? Aus der bewussten Verarbeitung der Weimarer Erfahrungen konnten nach 1945 ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden, wie die Differenzen zwischen den Anhängern einer strikt auf Aufgabentrennung angelegmächte waren, welchen die Bundesländer ihre heutige Existenz verdanken, Rolf Steininger, Großbritannien und die Gründung Nordrhein-Westfalens, in: Kurt Düwell (Hg.), Nordrhein-Westfalen im Industriezeitalter, Bd. 3, Wuppertal 1984, S. 214–231; Rolf Steininger, Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1988. 6 Gruner, Deutschlandpolitische Grundsatzpositionen 1945–1946, S. 1433, 1448. 7 „Es soll uns eine Mahnung zur Tat sein, daß noch vor dem einsamen Tod (…) einer der Männer des 20. Juli, Johannes Popitz, schon im Gefängnis, noch vier Monate nach der Mitteilung des Todesurteils, weiterarbeitete an seinen Lebenserfahrungen zur Reform, zur Reichsreform.“ zit. Werner Münchheimer, Die Neugliederung Deutschlands. Grundlagen – Ziele – Kritik und die Pläne zur „Reichsreform“ von 1919–1945, Frankfurt a. Main 1949, S. 54. Der Appell betraf vor allem das Denkschriftenmaterial, das dem „Kreisauer Kreis“ entstammte, und die Studien zu einer Reichsreform von Johannes Popitz, vgl. dazu Ger van Roon, Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, München 1967. Zu Andeutungen von Popitz in einem Vortrag vor der Mittwochsgesellschaft Klaus Scholder (Hg.), Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932 bis 1944, Berlin 1982, S. 327ff.; außerdem Gerhard Schulz, Nationalpatriotismus im Widerstand. Ein Problem der europäischen Krise und des Zweiten Weltkriegs nach vier Jahrzehnten Widerstandsgeschichte, in: VfZ 32, 3 (1984), S. 331–372, hier S. 348f.

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ten föderalen Ordnung und den eher unitarisch orientierten Parteigängern eines dezentralisierten Einheitsstaates zeigten. Die Frage, ob eine föderale oder eine unitarische Orientierung besser für eine effiziente Wirtschafts- und Finanzpolitik geeignet wäre, ließ sich dabei nicht sachlogisch – etwa aus den vielen gegenläufigen Gutachten der Weimarer Verwaltungsspezialisten – beantworten. Auch die Behauptung – um ein anderes Beispiel zu geben –, dass die angestrebte Mediatisierung der kleinen Länder oder eine frühzeitige Verbindung der Berliner Regierungen 1933 eine Diktatur verhindert hätten, war allein aus kontrafaktischen Vergangenheitsbetrachtungen nicht mehr zu beweisen. Die Präferenzen für eine starke Zentralgewalt bzw. die regionale Eigenständigkeitsbestrebungen der Akteure in der Verfassungsdiskussion nach 1945 waren vielmehr eine Frage ihrer Wahrnehmung, ihrer ideologischen Grundprägung und vor allem ihrer konkreten Interessen.8 So griff Arnold Brecht,9 der bereits vor Ende des Zweiten Weltkrieges als Berater der amerikanischen Außenpolitik tätig war und der auch bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes beratend mitwirkte, auf seine alten Kenntnisse der Reichsreformfragen zurück und er suchte die Tür für die Schaffung einer starken Bundesgewalt offen zu halten.10 Die nach dem Krieg verbreitete These, dass Länder mit einer zentralisierten Struktur einer totalitären Diktatur leichter zum Opfer fallen würden als Bundesstaaten, hielt der ehemals preußische Verfassungsexperte für eine Verwechselung von Ursache und Wirkung: „Gerade die Schwäche zentraler Staatsgewalt und die Zersplitterung der Macht führt in Notzeiten leicht zum Ruf nach dem Diktator. Das zentralisierte Preu-

8 Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 145. Bei Ernst Deuerlein ist die Rede von einer „Empfehlung des Föderalismus als eines therapeutischen Mittels gegen eine in die totale Katastrophe führende Politik“ mit einer enormen „virulenten psychologischen Belastung“, ohne dass ein nicht widerlegbarer Beweis vorläge, Deuerlein, Föderalismus, S. 229. 9 Corinna R. Unger, Wissenschaftlicher und politischer Berater der US-Regierung im und nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Claus Dieter Crohn / dies. (Hg.), Arnold Brecht 1884–1977, Stuttgart 2006, S. 129–150; Brecht, Mit der Kraft des Geistes, S. 357f.; Volker Depkat, Lebenswenden und Zeitenwenden, Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, München 2007, S. 512f. 10 Brechts Studie Federalism and Regionalism in Germany – The Division auf Prussia, New York 1945, erstreckte ihren Einfluss vor allem auf amerikanische und englische Regierungskreise, während die deutsche Übersetzung des Buches erst nach Verabschiedung des Grundgesetzes erschien und nur noch bei Staatsrechtlern und Historikern Beachtung fand, Brecht, Mit der Kraft des Geistes, S. 356.

Kontinuitäten des Weimarer Reichsreformdenkens nach 1945

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ßen hat dem Nationalsozialismus am längsten widerstanden.“11 Für die künftige Sicherung Deutschlands gegen eine diktatorische Machtübernahme hielt Brecht daher andere Elemente der Staatsverfassung für weitaus wichtiger als den Föderalismus. Im Unterschied zur Länderkonferenz war Brecht dabei nicht mehr durch die Überlegung gehemmt, dass eine Reichsreform nur mit Zustimmung Preußens möglich war. Dafür musste er aber berücksichtigen, dass die Neugestaltung die Akzeptanz der Alliierten voraussetzte, die eine so starke Reichsgewalt wie sie Brecht auf der Länderkonferenz für Norddeutschland vorgeschlagen hatte, nicht dulden würden. Brecht baute seine Prognosen für die Nachkriegsentwicklung daher auf einer modifizierten „Differenzierten Gesamtlösung“ auf, an deren Zustandekommen und Popularisierung er Ende der 1920er Jahre maßgeblich beteiligt gewesen war. Zunächst wollte Brecht die Annullierung aller Länderrechte durch Hitler rückgängig machen. Eine Ausnahme machte er für Preußen und die kleinen Länder, die weniger als zwei Millionen Einwohner besaßen: „Denn schon vor Hitler war die Notwendigkeit, die Grenzen der kleinen Länder zu berichtigen, allseitig anerkannt, besonders von allen demokratisch gesonnenen Persönlichkeiten.“12 Die neuen Länder, die der mittleren Größe der alten süddeutschen Länder anzupassen waren, sollten für die Übergangszeit der militärischen Zentralregierung und später einer deutschen Bundesgewalt unterstellt werden: Über die Neugliederung und die Selbstverwaltungsrechte Norddeutschlands sollte „das Gesamtvolk“ auf dem Weg der einfachen Gesetzgebung entscheiden können. Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden würden in ihren alten Rechten zunächst erhalten bleiben, wobei Brecht offen ließ, „ob es nicht zweckmäßig wäre, auch die Frage der Grenzen der vier alten Länder einfacher Gesetzgebung zu überlassen.“13 Schließlich gab es seiner Meinung nach hinreichend Gründe für einen Zusammenschluss Badens und Württembergs und die Trennung der Pfalz von Bayern. Einzelne Gebiete des bayerischen Regierungsbezirkes Franken und der nördlichen Teile Württembergs und Badens konnte Brecht sich in Anlehnung an die Großhessenpläne der 1920er Jahre in einem neuen Land vorstellen, das Frankfurter Kommunalpolitiker um die Mainmetropole gruppieren wollten.14 Was Brecht im Mai 1945 als Wiederherstellung der föderalen Ordnung proklamierte, war seinem Wesen nach ein unitarisches Konstrukt, wie er es 11 Ebenda, S. 410 sowie den Aufsatz Arnold Brecht, The New German Constitution, in: Social Research, Bd. 16 (1949), S. 425–473. 12 Brecht, Föderalismus, S. 215. 13 Ebenda, S. 215. 14 Ebenda.

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bereits 1928 bis 1930 auf der Länderkonferenz vertreten hatte. Die Grundlage sollte „das verfassungsmäßige Länderrecht bilden, an der Gesamtregierung Deutschlands beteiligt zu sein, nicht aber – mindestens nicht im größten Teil des Reiches – irgendeine unabänderliche Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern“.15 Um der Auflösung Preußens den Makel eines alliierten Verfassungsdiktates zu nehmen, verwies Brecht auf die Weimarer Verfassungsdebatte, die den Gedanken ursprünglich „ohne jede Rücksicht auf Gedankengänge des Auslandes oder sonstige außenpolitische Motive“16 entfaltet habe. Das Problem, bundesstaatliche und demokratische Prinzipien miteinander zu verbinden, kreiste erneut um die Größe Preußens.17 Der ehemalige Ministerpräsident Otto Braun, dessen Person in Weimar mit einem starken, republikanisch regierten Preußen identifiziert worden war, stand auch nach 1945 einer seiner Meinung nach „Neustaatenbildungs- und Verfassungsschusterei“18 verständnislos gegenüber. Während er bedauerte, dass sich in Deutschland „der Zonenföderalismus austobt“,19 zog Brecht andere Schlussfolgerungen aus den historischen Erfahrungen: „Gewiß, erleichterte die zentralisierte preußische Verwaltung die demokratische Kontrolle der reaktionären Provinzen so lange, als die preußische Zentralregierung selbst demokratisch zusammengesetzt war. Es ist aber nicht weniger wahr, daß sowohl zur kaiserlichen Zeit als auch unter Hitler die zentralisierte preußische Staatsgewalt genauso gut für den entgegengesetzten Zweck gebraucht werden konnte – nämlich um die demokratisch gesinnten Volksteile unter der Kontrolle autoritärer Regierungen zu halten.“20 Föderalisten wiederum verbanden mit dem Ende Preußens andere Perspektiven. Für sie besaß die Schaffung eines Bundesstaates mit gleichberechtigten und gleichgewichtigen Ländern, in denen hegemoniale Kräfte für nicht mehr entwicklungsfähig erachtet wurden, nunmehr eine echte Chance. Die Erneuerung dieser Vorstellung in einer noch nicht formierten öffentlichen Debatte erfolgte durch Politiker und Publizisten, die sich bereits vor 1933 für eine Reföderalisierung des Weimarer Bundesstaates eingesetzt hatten, wobei die 15 Ebenda, S. 216f. 16 Ebenda, S. 211. 17 „Solange Preußen ungeteilt bestand, war es unmöglich, allen Ländern gleiche Stimmen zu geben“, ebenda, S. 213f. 18 GStAPK Rep. 92 VI HA N1, C I 272 Otto Braun an Paul Schwarz (Dt. Konsul in New York 1929–1933), Ascona 30.8.1949. 19 Ebenda, Otto Braun an Paul Schwarz, Ascona, 3.2.1947. 20 Brecht, Föderalismus, S. 211.

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bayerische Regierung erneut früh den Ton vorgab.21 Der „Kriegszentralismus“ galt gleich 1918 als ein starkes Argument gegen den Einheitsstaat.22 Ausgehend von dem Aspekt der Friedenssicherung durch föderale Strukturen wurde dabei nicht nur der deutsche, sondern auch der europäisch-internationale Rahmen der Nachkriegsordnung einbezogen, wobei die Akzente durchaus unterschiedlich gesetzt wurden. Emigranten, die ihre schmerzlichen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Zentralstaat verarbeiteten und die im Exil in den USA oder der Schweiz von der Wirklichkeit und Wirksamkeit dieser Bundesstaaten beeindruckt waren, setzten sich besonders leidenschaftlich für eine föderale Neuordnung ein. In der Überzeugung, nur durch die Verwirklichung eines echten Bundesstaates werde in Deutschland eine abermalige Diktatur verhindert, wuchsen ihre Vorstellungen oftmals über die engeren nationalen Grenzen und weit über das politisch Machbare der Gegenwart hinaus.23 Der Sozialdemokrat und Schriftsteller Kurt Karl Doberer kündigte beispielsweise das Ende souveräner Nationalstaaten an, wenn er dafür eintrat, dass die deutschen Länder zentrale Hoheitsrechte nicht mehr an das Reich abtreten, sondern direkt „in die Obhut europäischer internationaler Verwaltungskörper geben“ sollten.24 In einem Plädoyer für einen europäischen Bundesstaat sprach sich auch der Staatsrechtler und SPD-Politiker Carlo Schmid für einen Abschied vom „Dogma der Unteilbarkeit der Souveränität“ aus. Seine Wertschätzung für einen Föderalismus in europäischen Zusammenhängen verband er aber mit gegenteiligen Konsequenzen für den deutschen Staatsaufbau, für den er eher eine starke Bundesgewalt wünschte.25 Das Europaargument konnte also,

21 Wilhelm Hoegner, Föderalismus, Unitarismus oder Separatismus?, in: Süddeutsche Zeitung, 13.11.1945; Hans Ehard, Freiheit und Föderalismus, München 1947; Wilhelm Röpke, Die deutsche Frage, Erlenbach-Zürich 1945; Hans Nawiasky, Kann das deutsche Volk für Demokratie und Weltfrieden gewonnen werden? Zürich 1946; Oskar Stark, Wege zur Demokratie in Deutschland, Freiburg i. Breisgau 1947; Franz Josef Hylander, Universalismus und Föderalismus als Erbe und Aufgabe des christlichen Abendlandes, München 1946; Walter Ferber, Der Föderalismus, Augsburg 1946. 22 Kurt Karl Doberer, Die Vereinigten Staaten von Deutschland, München 1947. 23 Deuerlein, Föderalismus, S. 221. 24 Doberer, Die Vereinigten Staaten von Deutschland, S. 156. In Anlehnung an Weimar schlug der ehemalige Leiter der akademischen Legion des Reichsbanners Schwarzrotgold als Präambel vor: „Die Deutschen Republiken, einig in dem Willen, organische Glieder eines neuen Europas zu sein, haben sich im Namen des Volkes diese Verfassung gegeben“, ebenda, S. 149f. 25 Carlo Schmid, Deutschland und der Europarat in Straßburg, Köln, 1949, S. 13.

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wie viele andere Argumente der Unitarismus-Föderalismus-Debatte, in beide Richtungen gelesen werden. Unitarier lagen nach 1945 durchaus im Trend, wenn sie die Priorität des Reiches und die Unterordnung der Länder forderten und damit an die rigiden Souveränitätsvorstellungen im deutschen Bundesstaatsdenken anknüpften.26 In einer Zeit, „in der ganze Großstädte in einer Nacht verbrannten, in der 15 Millionen Deutsche ihre Heimat verloren“ wurden „historische Souveränitätsrechte“ der Länder als unverbindlich behandelt.27 Das Positionspapier der Londoner Exilparteiorganisation der SPD hatte – dem Preuß’schen Konzept der gestuften Dezentralisierung von 1918 folgend – einen „Einheitsstaat mit weitgehender Dezentralisierung und Selbstverwaltung“ vorgesehen, der durch eine weit reichende Neugliederung der Länder flankiert werden sollte.28 In ihren politischen Leitsätzen 1946 bekräftigten die Sozialdemokraten, dass die deutsche Republik der Zukunft aus Ländern bestehen soll, „die nicht in ihrer eigenen Existenz ihren höchsten Zweck sehen, sondern die sich nur als Bausteine einer höheren nationalen Ordnung betrachten.“ Da geschichtliche Traditionen den „Notwendigkeiten der Gegenwart“ hintangestellt wurden, sollten weder den damaligen Ländern noch den Provinzen Garantien für ihre eigenständige Zukunft und territoriale Integrität gegeben werden.29 Die Sozialdemokraten gingen im Ringen um die beste Verfassungsform für Deutschland also zunächst von einem traditionell unitarisch-republikanischen Staatsideal aus, das Weimarer Vorstellungen des dezentralisierten Einheitsstaates aufgriff. Dies traf jedoch wie bereits 1918 bei den SPD-Ministerpräsi-

26 Sie lassen sich wie die Föderalisten in der gesamten Breite des politischen Spektrums nachweisen. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg analysierte Max Schulemann die Reichsreformpläne von Zentrum, SPD, BVP und DNVP. Seine Analyse war stark von dem Bemühen gekennzeichnet, parteipolitische Zielsetzungen als Gruppenegoismus zu verurteilen, der das Gesamtinteresse von Volk und Reich unberücksichtigt ließ, Schulemann, Parteien und Reichsreform (1945). Zu den deutschlandpolitischen Positionen der großen Parteien nach 1945 vgl. Gruner, Deutschlandpolitische Grundsatzpositionen, S. 1449–1463, S. 1486f. und ders., 1849–1919–1949. Deutsche Verfassungstraditionen, S. 326–332. 27 Münchheimer, Neugliederung Deutschlands, S. 23. 28 Die Londoner „Richtlinien für eine deutsche Staatsverfassung“ vom November 1945 sind abgedruckt in: Michael Antoni, Sozialdemokratie und Grundgesetz, Bd. 1, Berlin 1991, S. 303ff. 29 Ossip K. Flechtheim (Hg.), Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945, Bd. 3, 2. Teil, Berlin 1963, S. 17f.

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denten auf erfolgreichen Widerstand.30 Gegenüber den nach dem Krieg recht schnell wieder aufgebauten Landesbürokratien und Landesregierungen als Exponenten deutscher Interessen, waren die politischen Parteien, deren Aufbau durch die Militärregierungen zunächst ganz gezielt behindert worden war, im Hintertreffen. Die Länderexekutiven waren auch nicht bereit, sich den erst allmählich herausbildenden Parteiorganisationen unterzuordnen und suchten dementsprechend auf die Gestaltung der deutschen Staatsordnung ihren eigenen Einfluss gelten zu machen.31 Da es unter ihnen jedoch zu keiner wirklichen Verständigung über die Organisation des anzustrebenden Bundesstaates kam, ging die Initiative später an die Parteien über.32 Für die SED, die einen gesamtdeutschen zentralistischen Verfassungsentwurf vorlegte, lehnte Otto Grotewohl 1947 eine föderale Ordnung ab: „Wir suchen 30 Die Bildung der Länder fand ihren Abschluss mit dem Prozess der Verfassungsgebung. Innerhalb kurzer Zeit hatten die ausdrücklich als verfassungsgebende Versammlungen gewählten Landesparlamente ihre Aufgabe erfüllt. Die ersten Landesordnungen traten in der amerikanischen Zone schon im November / Dezember 1946 in Kraft, formell erlassen als Akt der Militärregierung, die Länder der französischen Zone folgten im Mai 1947. Einzig in der britischen Zone schob man den Erlass von Landesverfassungen auf, die erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes verabschiedet werden konnten. Inhaltlich betonten die Verfassungen zum einen den Staatscharakter der Länder, zum anderen unterstrichen sie das Selbstverständnis der Länder als Gliedstaaten eines künftigen deutschen Gesamtstaates. Die Landesverfassungen trafen damit eine Vorentscheidung für ein bundesstaatliches System, Frank R. Pfetsch, Verfassungspolitik der Nachkriegszeit, Darmstadt 1985, S. 55f.; Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945–1949, Stuttgart 1983, S. 242f. 31 So erarbeitete der Verfassungsreferent der bayerischen Staatskanzlei, Friedrich Glum, unter Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD) 1946 einen Verfassungsentwurf mit deutlich staatenbündischen Elementen. Der Entwurf wurde veröffentlicht in Friedrich Glum, Der künftige deutsche Bundesstaat, München 1946, S. 31ff.; Marie Elise FoelzSchroeter, Föderalistische Politik und nationale Repräsentation 1945–1947. Westdeutsche Länderregierungen, zonale Bürokratien und politische Parteien im Widerstreit, Stuttgart 1974, S. 43ff.; zur komplizierten Organisationsgeschichte der SPD in den Jahren ab 1945 siehe Antoni, Sozialdemokratie und Grundgesetz, S. 120ff. sowie Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 172f., 180. 32 So stießen die extrem länderfreundlichen Konstruktionen der bayerischen Regierung bei den anderen Landesregierungen auf Bedenken. Weder im Stuttgarter Länderrat der amerikanischen Besatzungszone und erst recht nicht in den Bizonengremien gelang eine Einigung, vgl. Friedrich Glum, Zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Erlebtes und Erdachtes in vier Reichen, Bonn 1964, S. 601f. Über das Scheitern der Ministerpräsidentenkonferenzen, zunächst in Bremen, dann im Juni 1947 in München vgl. Foelz-Schroeter, Föderalistische Politik, S. 81ff., 103ff.; außerdem Eschenburg, Jahre der Besatzung, 1983, S. 30f.

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die Staatsform, welche die dunklen reaktionären Kräfte entmachtet, und diese Staatsform kann nicht der Bundesstaat oder der Staatenbund sein, denn hinter dem Partikularismus steckt die Reaktion. Die Kleinstaaterei ist heute noch dasselbe, was sie seit Jahrzehnten in Deutschland war, das politische Kampffeld antidemokratischer Kräfte.“33 Ebenfalls auf der Linie des „Dezentralisierten Einheitsstaates“ argumentierend, wollte Grotewohl jedoch keinen „öden Zentralismus“ oder einen „obrigkeitlich unifizierten zentralistischen Bürokratismus“, sondern proklamierte eine Entfaltung der Selbstverwaltung aller mittleren und unteren Staatsorgane in einer Deutschen Demokratischen Republik.34 Eine mit der SPD vergleichbare Kontinuität im Erbe der ReichsreformGedanken lässt sich für die FDP nachweisen, in der ehemalige DDP-Politiker wie Hermann Höpker-Aschoff den Ton angaben. Gerade die in der republikanischen Tradition geprägte DDP, der auch Hugo Preuß angehört hatte, war eine der Hauptantriebskräfte der Weimarer Reichsreformbewegung gewesen. Es gab kaum ein wichtiges Mitglied der DDP, das nicht für eine Dezentralisierung des Reiches und autonome Selbstverwaltungseinheiten eingetreten war. Entsprechend befürworteten die Liberalen, vor allem in der britischen Zone, einen reinen „Verwaltungsföderalismus“ mit Ländern ohne „Staatsgepräge“.35 Heterogen war das Meinungsbild vor allem in den neu gegründeten christdemokratischen Parteien. Als Sammelparteien neuen Typs vereinten CDU und CSU unterschiedliche historische Traditionen, wie sich in teils hitzigen Debatten um einen Verfassungsentwurf zeigte. Ein Teil der CSU verharrte in den alten Obstruktionsmustern des traditionalistisch-altbayerischen Flügels der BVP gegen jegliche Form zentraler Institutionenbildung und ging auf die Überlegungen eines deutschen Staatenbundes zurück. Der Ellwanger Kreis, eine gemeinsame, von Mitgliedern der süddeutschen Länderexekutiven dominierte Arbeitsgemeinschaft von CDU/CSU-Politikern, plädierte dagegen für einen Bundesstaat, in dem Kompetenzrechte zwischen Bund und Ländern geteilt sein sollten.36 In den vorwiegend protestantischen Regionen des Nordens, 33 Otto Grotewohl, Deutsche Verfassungspläne, Berlin 1947, S. 57. 34 Ebenda. 35 Karl Heinz Lamberty, Die Stellung der Liberalen zum föderativen Staatsaufbau in der Entstehungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1945–1949, Bonn 1981; Thomas Aders, Die Utopie vom Staat über den Parteien. Biographische Annäherung an Hermann Höpker-Aschoff (1883–1954), Frankfurt a. Main 1994, S. 244 und die „Richtlinien für die künftige Verfassung“ der FDP der britischen Zone 1947, abgedruckt bei Pfetsch, Verfassungspolitik der Nachkriegszeit, S. 103f. 36 Zur Entstehungsgeschichte und den Zielen des Ellwanger Kreises vgl. Gruner, Deutschlandpolitische Grundsatzpositionen 1945–1949, S. 1461.

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wo die Erbmasse des Zentrums zu vernachlässigen war, formten dagegen eher nationalkonservativ-unitarische Strömungen die Neugründungen der CDU.37 Als mit der Entscheidung der Londoner Sechsmächtekonferenz für einen eigenen Weststaat und der Übergabe der „Frankfurter Dokumente“ an die Ministerpräsidenten im Juli 1948 der verfassungspolitische Weg zur Bundesrepublik geebnet worden war, wurde die „Idee einer Staatsneuordnung durch Reichsreform“ noch einmal angefacht. Die Alliierten hatten sich in ihren Empfehlungen mit der Forderung nach einer „Regierungsform des föderalistischen Typs“ begnügt, welche die Balance zwischen den Rechten der Länder und einer angemessenen Bundesgewalt halten sollte. Außerdem wurden die Länderregierungen zu einer Neugliederung der Ländergrenzen aufgefordert, die zu große und zu kleine Länder vermeiden sollte.38

Neugliederungsdebatten und Artikel 29 des Grundgesetzes Angesichts von „nicht ausgeführten Reichsreformplänen aus drei Jahrzehnten“ schien früheren Neugliederungstheoretikern nun die Stunde gekommen zu sein, „ein Zeichen wirklichen Fortschritts zu geben und Probleme zu lösen, um die Generationen unnütz gestritten haben, ohne zu handeln.“39 Eine ihrer Ansicht nach „im ersten Notbau nach der Staatskatastrophe“ geschaffene „unorganische Landeseinteilung“40 der Besatzungsmächte hielten sie für kaum akzeptabel. Die Nachkriegsordnung galt nur als „eine Stufe einer ganz einheitlichen Entwicklung der Abnahme kleiner Länder …, die lediglich nicht zu dem natürlichen Ende der Neuformung Deutschlands weitergeführt wurde, 37 Ernst Deuerlein, CDU/CSU 1945–1957. Beiträge zur Zeitgeschichte, Köln 1957, S. 38ff.; Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945–1949, Stuttgart 1983, S. 185, 193f. 38 Außerdem enthielten sie die Grundzüge eines zukünftigen Besatzungsstatutes, vgl. Büro der Ministerpräsidenten des amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebietes (Hg.), Dokumente betreffend die Begründung einer neuen staatlichen Ordnung in den amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen, Wiesbaden 1948, S. 15–17. 39 Exemplarisch dafür stehen die erneuten Bestrebungen in Frankfurt, die Mainmetropole zur Landeshauptstadt Hessens zu machen, mit der Begründung, dass damit „die Einheit und Zuordnung von zentralem Ort und Raum“ wieder hergestellt werden würde, Münchheimer, Neugliederung Deutschlands (1949); eine Darstellung einzelner Weimarer Reichsreformpläne auch bei Günter Weber, Reformpläne zur Weimarer Reichsverfassung (1947). 40 Münchheimer, Neugliederung Deutschlands, S. 15.

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sondern in einem regellosen, ungeordneten, sinnlosen und veralteten Zufallsergebnis steckengeblieben“ sei. Historisch angelehnte Grenzen würden dazu führen, dass „falsch geformte Gebietskörper“ eine „künstlich planerische Gestaltung“ erzeugen. Wenn Länder „ihre unsinnige Existenz zu beschönigen oder überhaupt nur zu ermöglichen“ suchten, würde Planung „nach verfehlten Prämissen durchgeführt“, zentrale Orte würden „durch politische Orte“ gehindert und so genannte „Grenzabschnürungsschäden“ wären zu befürchten. Eine Planung, „eingezwängt in die heutigen Zufallsgrenzen“ erschien daher als eine „Negation der Logik, der Vernunft und des Geistes wirklicher Planung, eine contradictio in adiecto, die jeden Wiederaufbau z. T. zur gequälten Farce“ werden ließe.41 Nach dem tragenden Motiv, man wolle „lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als Unordnung ertragen“42, knüpfte die Planungseuphorie nach dem Zweiten Weltkrieg auch an die alte Suggestion von Ordnung an, welche für die Behebung der Kriegsfolgen und die Leistung der Reparationen eine rationale Regulierung und Wirtschaftssteuerung in einem effizienten Staat voraussetzte.43 Mit Ausnahme der seit 1920 angestrebten und nach dem Krieg umgesetzten Neubildungen Niedersachsen, Hessen und Thüringen waren die meisten deutschen Länder für ambitionierte Plänemacher denn auch keine „urkräftigen, blutvollen lebenden Organismen mehr“, sondern „Konglomerate unzusammengehöriger Gebiete“ und daher neu zu gestalten.44 Die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen zerschnitt alte Länder und ehemalige Provinzen. Unterschiedliche Zielvorstellungen der Besatzungsmächte hatten zudem ihren Niederschlag in den zonalen Institutionen gefunden. In der sowjetischen Besatzungszone wurde die im Kern zentralistische Organisation als Modell verstanden, das in einem späteren Stadium auf ganz Deutschland auszudehnen sei. Zwar nahmen in der SBZ früh Länderverwaltungen die Arbeit auf, ihre Kompetenzen wurden aber zugleich durch parallel errichtete Zentralbehörden und die umfassende Beaufsichtigung und Bewachung der SMAD beschnitten.45 Die französische Militärregierung für Württemberg-Hohenzollern, Südbaden und Rheinland-Pfalz verfolgte eine extrem dezentrale Politik, die sich – ganz im Sinne traditioneller französischer Sicherheitskonzepte – zunächst der Schaffung gesamtdeutscher Verwaltungen widersetzte, bis die von Ameri-

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Ebenda, S. 17. Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 18. Ebenda, S. 7. Oeter, Subsidiarität und Integration, S. 98.

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kanern und Briten geschaffene gemeinsame Bizone zum Kristallisationskern für den deutschen Weststaat werden sollte.46 Der Schwerpunkt der amerikanischen Politik lag auf einer bundesstaatlichen Strukturierung ihrer Zone, in der die gegründeten Länder Bayern, Hessen, Bremen und Nordwürttemberg-Nordbaden eigene Regierungen besaßen. Das gemeinsame Organ war der Stuttgarter Länderrat. Die britische Besatzung begnügte sich zunächst noch mit der Beibehaltung der alten preußischen Provinzialgliederung, die durchsetzt war mit Exklaven der Weimarer Länder Braunschweig, Oldenburg, Lippe-Detmold sowie Schaumburg-Lippe. Erst 1946 ging die britische Militärregierung dazu über, sie zu Flächenländern zusammenzufügen. So entstanden 1946 Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg als oberste Verwaltungseinheiten mit nur geringen Kompetenzen. Als Beratungsgremium wurde im gleichen Jahr auch der Zonenbeirat geschaffen. Für die wechselseitigen Gebietsansprüche der nach 1945 gebildeten Länder und divergierende Neugliederungsvorstellungen ihrer Regierungen47 sei an dieser Stelle exemplarisch auf die Debatten um die Neugliederung der britischen Zone im Zonenbeirat verwiesen. Dort versuchten die Vertreter der beiden kleinen Länder, Theodor Tantzen in Oldenburg und Alfred Kubel für Braunschweig, die Selbstständigkeit zu retten, indem sie Pläne vorlegten, die ihre Territorien auf Kosten Hannovers beträchtlich erweitern sollten. Beide hatten das Nachsehen gegenüber dem hannoverschen Ministerpräsidenten Wilhelm Knopf, dessen Vorschlag für ein mit Schaumburg-Lippe zu bildendes Land Niedersachsen sich durchsetzte.48 Parallel verfolgte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Kurt Schumacher 1945 den Plan eines Nordweststaates, der durch den Zusammenschluss von Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen neben Nordrhein-Westfalen ein „leistungsfähiges Bundesland“ schaffen sollte. Alte wie neue Provinz-, Länder- und Besatzungszonengrenzen wurden nicht zuletzt wieder durch Kriegsfolgeprobleme in Frage gestellt. So belasteten der Ausfall der rüstungsorientierten Werftindustrie und Marine, die Lage zur sowjetischen Besatzungszone und der Flüchtlingsstrom besonders Schleswig-Holstein. Sein Wirtschafts- und Finanzpotenzial wurde 46 Gruner, Deutschlandpolitische Grundsatzpositionen 1945–1949, S. 1444. 47 Pfentsch, Verfassungspolitik der Nachkriegszeit, S. 76 sowie Johannes Volker Wagner, Einleitung, in: Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. 1, Boppard a. Rhein 1975, S. LXI ff. 48 Teile der Bevölkerung trauerten dem Verlust der Eigenständigkeit noch lange nach, wie in Oldenburg ein Volksbegehren 1956 und ein Volksentscheid 1975 zeigten, vgl. Brosius, Eigenständigkeit oder Souveränitätsverzicht, S. 31.

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soweit reduziert, dass es geringer war als zu jenen Zeiten, in denen das Land preußische Provinz war.49 Die Frage der „Lebens- und Leistungsfähigkeit“ der neuen Länder in den Besatzungszonen wurde deshalb bereits mit ihrer Entstehung aufgeworfen. Insbesondere Schleswig-Holstein galt als „armer Lazarus“, als ein „Land wider Willen“.50 Ein Nordweststaat stieß wiederum auf den erfolgreichen Widerstand Hamburgs und Bremens, die ihre Hafenfunktion und „zweifellos überragende Wirtschaftskraft im Bundesinteresse“ gegen die von Frankfurt erneut in die Debatte geworfene „Citythese“ behaupteten, der zufolge es eine „natürliche Schwerpunktbildung der Großstädte“ auf die „Hinterländer“ SchleswigHolstein und Niedersachsen gäbe.51 Eine Neugliederung blieb dementsprechend auch nach 1945 so heikel, dass die Ländergrenzen aus den Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rates ausgeklammert wurden52 und diese – wie bereits in der Weimarer Verfassung geschehen – nur als Provisorium in das Grundgesetz eingingen. Die Neugliederung des Bundesgebietes „unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges“ wurde 1952 einem Sachverständigenausschuss übertragen.53 Sein führender Kopf Hans Luther verfügte als ehemaliger Vorsitzender des 1927 gegründeten Bundes zur Erneuerung des Reiches nicht nur über spezielle Reichsreformkenntnisse, sondern auch über die entsprechenden personellen Verbindungen.54

49 Andere Vorschläge für einen Nordweststaat richteten sich auf Zusammenschlüsse von Schleswig-Holstein und Niedersachsen, von Schleswig-Holstein und Hamburg einerseits sowie Niedersachsen und Bremen andererseits oder die Bildung eines Elbuferstaates aus Schleswig-Holstein, Hamburg und angrenzenden nordöstlichen Teilen Niedersachsens, BHStAM Stk 110 113 / 2 Mangoldt, Beurteilung der Frage Schleswig-Holstein, Januar 1954. 50 Ebenda, S. 3. 51 Ebenda, S. 31ff. 52 Auf einer gemeinsamen Konferenz der Ministerpräsidenten mit den drei Militärgouverneuren am 26.7.1948, Wagner, Einleitung, S. LIff.; vgl. auch das Protokoll der Konferenz, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. 1, S. 273. 53 Der auch als Luther-Kommission bezeichnete Ausschuss bestand von 1952 bis 1955, Bundesminister des Innern (Hg.), Die Neugliederung des Bundesgebietes. Gutachten des von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenausschusses, Bonn u.a. 1955. 54 Hans Luther, Politiker ohne Partei. Erinnerungen, Stuttgart 1960, S. 419–425.

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Unitarier und Föderalisten – zur Wiederaufnahme Weimarer Gegensätze Die Auseinandersetzungen zwischen Unitariern und Föderalisten in der Formierungsphase beider deutscher Staaten stellten daher vielfach die Wiederaufnahme alter Gegensätze dar, die mit ähnlichen Argumenten wie in der Weimarer Republik ausgetragen wurden. Dass das Grundgesetz ebenso wie die Weimarer Verfassung in dieser Hinsicht ein Kompromissgebilde war, aus dem sich wiederum verschiedene Deutungen und Konstruktionen für die Zukunft des deutschen Bundesstaates ableiten ließen, stand den Beteiligten deutlich vor Augen. Dementsprechend wurde die Auseinandersetzung unmittelbar nach Verabschiedung des Grundgesetzes fortgesetzt. Das herrschende Paradigma der Unitarier schien wie in der Weimarer Zeit deutlich durch: die Länder wurden mehr als Träger einer dezentralisierten Bundesgewalt gesehen denn als historisch legitimierte Einheiten mit politischen Eigenständigkeitsrechten. Das „Fiktive“ des Föderalismus unter dem Grundgesetz, so wurde vielfach betont, werde besonders an den Bestimmungen über die Neugliederung des Bundesgebietes in Artikel 29 deutlich. Allein, dass das Grundgesetz den Bestand der Länder für disponibel erkläre und ihre verwaltungspolitische Funktionalität besonders gewichte, zeigte den großen Abstand zu einem bündischen System, für das die Unverletzlichkeit seiner Glieder essentiell war. Allerdings forderte das Grundgesetz im Unterschied zur Reichsreformdebatte in der Weimarer Republik keine Mindestgröße der Länder mehr. Gegenüber der großstaatlich gedachten Vielfalt wurden nun andere Faktoren stärker berücksichtigt. Die Aufgabe, erklärte der Tübinger Staatsrechtler Hermann von Mangoldt, der an der Entstehung des Neugliederungsartikels 29 im Grundgesetz55 federführend beteiligt war, bestehe nicht allein darin „nach der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit neue Ländergrenzen zu ziehen, sondern es kommt darauf an, dass das, soweit es irgend geht, unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge geschieht. Landsmannschaftliche Verbundenheit ist dabei der weitere Begriff der Stammesverbundenheit. Es genügt dazu die innere Verbundenheit einer Bevölkerung im Raum, sie braucht nicht auch gleichen Stammes zu sein … sind diese drei Faktoren nicht gegeben, so werden sich die betreffenden Länder nur allzu leicht an den im Verfolg davon auftretenden

55 Bis 1955 war der Neugliederungsartikel von den Alliierten suspendiert und er wurde mehrfach geändert, so dass aus der ursprünglichen Pflicht zur Neugliederung zuletzt eine Kann-Bestimmung wurde, vgl. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 185.

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Spannungen und Gegensätzlichkeiten verzehren …“56 Es gehe nicht darum, so Mangoldt, Länder etwa gleicher Größe und Leistungsfähigkeit zu schaffen, sondern die Länder „so groß zu machen, dass sie die ihnen obliegenden Aufgaben, und zwar sowohl die Ausführung der Bundesgesetze als auch ihre eigenstaatlichen Aufgaben, erfüllen könnten. Dabei werde ein kleineres Land mit stärkerer innerer Geschlossenheit diesem Anspruch vielleicht eher gerecht werden können als ein größeres, aber uneinheitlich zusammengesetztes Land.“57 Für Neugliederungen des Bundesgebietes gab der Sachverständigenausschuss 1953 außerdem zu bedenken: „Wenige grosse Länder … werden entweder so starke zentrifugale Kräfte entwickeln, dass der Staatszusammenhalt auseinanderbricht … oder der Zentralismus wird sich so in die Macht setzen, dass vom Begriff Bundesstaat höchstens der Name übrig bleibt.“58 In einer Grundstimmung des Ärgers über die versagte Einheit brachten Unitarier wiederum zentrale Argumente aus der Weimarer Reichsreformdebatte ein: die Dezentralisation der Exekutive führe zu einer „aufwendigen Hypertrophie der Kabinette, Ministerien, Staatsgerichtshöfe, Rechnungshöfe usw.“ und verhindere ein effizientes System wirtschafts- und sozialpolitischer Steuerung. Ein weiterer neuralgischer Punkt war die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern.59 Föderalisten hingegen konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Atmosphäre im Parlamentarischen Rat „sich für das Durchdringen der zentralistischen Bestrebungen als recht günstig erwiesen“60 hatte. Unter den Staatsrechtlern wies vor allem Hans Nawiasky, dem bereits in Weimar die Rolle des vermittelnden Dritten zugeschrieben werden kann, auf die Ergänzungsbedürftigkeit von Reich bzw. Bund und Ländern hin. Nawiasky sah zwar eine gewisse Position der Länder im Grundgesetz garantiert, aber dem Bund sei durch eine Reihe von Bestimmungen auch das Recht eingeräumt, Verschiebungen zu seinen Gunsten vorzunehmen. Nawiaskys Analyse führte zu einem „mosaikartigen Bild“ aus Ansätzen zu einer Beherrschung 56 BHStAM Stk 110 113 / 2 Mangoldt, Beurteilung der Frage Schleswig-Holstein, Januar 1954, S. 6. 57 Ebenda, S. 6. 58 Ebenda, S. 9. 59 Zur Kritik der Unitarier Oeter, Subsidiarität und Integration, S. 148–151, der prototypisch für die staatsrechtliche Diskussion Werner Weber anführt, ders., Fiktionen und Gefahren des westdeutschen Föderalismus, in: ders., Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, Stuttgart 1951, S. 86. 60 Hans Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1950, S. 48. Zur Kritik der Föderalisten am Grundgesetz vgl. Oeter, Subsidiarität und Integration, S. 153–156.

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der Länder durch den Bund und Bruchstücken einer gleichberechtigten Behandlung von Bund und Ländern.61 In welchem Umfang der Bund die Gesetzgebung an sich ziehe, machte er weitgehend davon abhängig, „wie weit die zentralistischen Bestrebungen sich durchsetzen bzw. die föderalistischen einen mäßigenden Einfluß werden ausüben können“.62 Ausgleichende Bewertungen hatten es aber nach wie vor schwer. Die unüberbrückbaren Divergenzen in der Wahrnehmung des Bundesstaates bei Föderalisten und Unitaristen wurden durch ein ausgeprägtes Empfinden der beschränkten Entscheidungsfreiheit deutscher Politik gegenüber den Besatzungsmächten eher noch verstärkt,63 und sie führten in der Folge auf beiden Seiten zu Anstrengungen, die „unpassenden“ Elemente im Grundgesetz zu überwinden.64 Unitarisierungs- und Reföderalisierungs-Initiativen schlugen sich nicht nur in den unterschiedlichen staatsrechtlichen Schulen nieder, sondern bestimmten für die nächsten Jahrzehnte auch das Denken und Handeln der entscheidenden politischen Akteure.65

61 62 63 64

Nawiasky, Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 75f. Ebenda, S. 41. Deuerlein, Föderalismus, S. 231. Für bereits in Weimar überzeugte Unitarier wie Otto Koellreutter hatte die Entwicklung zum dezentralisierten Einheitsstaat lediglich einen Rückschlag erlitten, ders., Deutsches Staatsrecht, Stuttgart 1953, S. 137ff. Karl Löwenstein hielt den Föderalismus in Westdeutschland für „künstlich und unfruchtbar, trotz der endlosen Arbeit, die Militärregierungen und deutsche Politiker darauf verwenden zu müssen geglaubt“ hätten. Dass das Grundgesetz weniger unitarisch ausfiel als die Weimarer Verfassung, wurde durch die optimistische Prognose wettgemacht, „dass die unabdingbare Tatsache der Wirtschaftseinheit des gesamten Bundesgebiets … einen echten Föderalismus“ einfach nicht mehr zulasse, Karl Löwenstein, Verfassungsrecht und Verfassungsrealität, in: AöR 77 (1951/52) S. 387, 415f. Für die Positionen der Föderalisten der am Tag nach der Verkündigung des Grundgesetzes veröffentlichte Aufsatz Wilhelm Röpke, Staatsordnung des Gleichgewichts, in: Neue Zürcher Zeitung, 24.5.1949, außerdem Gruner, 1849–1919–1949. Verfassungstraditionen, S. 335–339. 65 Arthur B. Gunlicks, The Länder and German federalism (Issues in German politics), Manchester 2003; Gabriele Metzler, Einheit und Konkurrenz im Bundesstaat, Föderalismus in der BRD 1949–2000, in: Thomas Kühne / Cornelia Rauh-Kühne (Hg.), Raum und Geschichte. Regionale Traditionen und föderative Ordnungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Leinfelden 2001, S. 232–256. Zu den Neugliederungsbestrebungen seit 1949 Reinhard Schiffers, Weniger Länder – mehr Föderalismus? Die Neugliederung des Bundes im Widerstreit der Parteien 1948/49–1990, Düsseldorf 1996 und Burg, Die Neugliederung deutscher Länder (1996).

418

Ausblick

Für die Entwicklung des deutschen Bundesstaates seit 1949 hat Gerhard A. Ritter66 schließlich die folgenden Haupttendenzen beschrieben: Der Münchner Historiker sieht in dem Zuwachs an Staatsaufgaben eine Ursache dafür, dass der Bund seine Kompetenzen immer weiter ausgedehnt habe. Die Angleichung der Lebensverhältnisse im Sozialstaat sowie die Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Krieges und später der Wiedervereinigung sollten zentral geregelt werden. Aus diesen Beweggründen seien schließlich auch die unter dem Druck der Alliierten ins Grundgesetz aufgenommenen Beschränkungen für die Ausübung einer konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes, bei der Bundes- und Landesrecht aufeinandertreffen, faktisch ignoriert worden. Durch eine Änderung des Grundgesetzes 1969 wurden stattdessen so genannte „Gemeinschaftsaufgaben“ geschaffen, so dass auch im ausschließlichen Aufgabenbereich der Länder ein „kooperativer Föderalismus“ und eine Art Selbstkoordination der Länderregierung, wie sie zum Beispiel die Kultusministerkonferenz darstellt, entstanden. Ein gewisses Gegengewicht zur Ausdehnung der Bundeskompetenzen sieht Ritter im größeren Einfluss des Bundesrates. Der Anteil der Gesetze, die nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden dürfen, ist danach auf etwa 60 Prozent angestiegen. Durch eine Grundgesetzänderung haben die Länder 1992 sogar ein Mitspracherecht in der Politik des Bundes bei der Europäischen Union erreicht. Diese Art und Weise des Zusammenwirkens von Bund und Ländern, lautet heute ein verbreitetes Urteil, führe jedoch zu einer „allumfassenden Aufgabenund Finanzverflechtung zwischen Bund und Ländern“, die schließlich auch als „Politikverflechtungsfalle“67 in Verruf gekommen ist. Wiederholt ist die Verfassungsentwicklung an einem Punkt angelangt, an dem Politik, Wirtschaft und Wissenschaft eine grundlegende Reform des deutschen Bundesstaates für notwendig erachteten. Ziele und Problemlagen einer „Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“68 wie die Lockerung der Verflechtung zwischen Bund und Ländern, eine Reform der Finanzverfassung und die Stärkung der 66 Gerhard A. Ritter, Föderalismus und Parlamentarismus in Deutschland in Geschichte und Gegenwart, München 2005, S. 49–51. 67 Fritz W. Scharpf, Die Politikverflechtungsfalle. Europäische Integration und deutscher Föderalismus im Vergleich, in: PVS 26 (1985), S. 323–356; Fritz W. Scharpf / Bernd Reissert / Fritz Schnabel, Politikverflechtung. Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, Kronberg / Ts. 1976. 68 So der Titel der 2003 eingesetzten Föderalismuskommission, vgl. Dokumentation der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Berlin 2005; vgl. auch Astrid Lorenz, Föderalismusreform & Co. Warum ändert sich das Grundgesetz?, Berlin 2007.

Kontinuitäten des Weimarer Reichsreformdenkens nach 1945

419

Autonomie der Länder führen bis auf die Weimarer Bundesstaatsdebatte zurück. Insofern verdeutlicht diese Untersuchung auch, was Zeitgeschichte in ihrem ursprünglichen Sinn bedeutet. Sie ist Geschichte, die ihren Ausgang noch nicht kennt.

1.  Walther Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung (1919) Karte im Original in: Walther Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung. Mit einer Karte, Berlin 1919.

8.1. Weimarer Neugliederungspläne im Kartenbild

2.  Hugo Preuß, Bildung neuer Freistaaten (1919) Karten 2 bis 7 sind Rekonstruktionen, vorgenommen durch Werner Münchheimer, Die Neugliederung Deutschlands. Grundlagen – Ziele – Kritik und die Pläne zur Reichsreform von 1919–1945, Frankfurt a. Main 1949.

424 Anhang

425

3.  Walter Tuckermann, Stammeskonzept (1920)

Weimarer Neugliederungspläne im Kartenbild

4.  August Weitzel, Frankfurter Entwurf (1926)

426 Anhang

427

5.  Hans Rabe, Wirtschaftsgebiete (1927/28)

Weimarer Neugliederungspläne im Kartenbild

6.  Erwin Scheu, Wirtschaftsprovinzen (1928)

428 Anhang

7.  Bund zur Erneuerung des Reiches, Reichsländer (1928) und Länderkonferenz, Differenzierende Gesamtlösung (1928–31)

Weimarer Neugliederungspläne im Kartenbild

429

430

Anhang

8.2. Der Weimarer Bundesstaat in der Statistik Fläche und Wohnbevölkerung. Stand vom 16. Juni 19251 Fläche

Nr.

Land in qkm

1

Preußen

291 700,45

2

Bayern

3 4

Wohnbevölkerung

v.H. der Reichsfläche

Zahl

i.v.H. der Reichsbevölkerung

pro qkm überhaupt

v.H. des Reichsdurchschnitts

62,23 38 120 173

61,08

130,68

98,14

75 996,47

16,21

7 379 594

11,82

97,10

72,93

Sachsen

14 992,94

3,20

4 992 320

8,00

332,98

250,08

Württemberg

19 507,63

4,16

2 580 235

4,13

132,27

99,34

5

Baden

15 070,87

3,22

2 312 462

3,71

153,44

115,24

6

Thüringen

11 724,39

2,50

1 609 300

2,58

133,26

103,09

7

Hessen

7 692,94

1,64

1 347 279

2,16

175,13

131,53

8

MecklenburgSchwerin

13 126,92

2,80

674 045

1,08

51,35

38,57

9

Oldenburg

6 423,98

1,37

545 172

0,87

84,87

63,74

10 Braunschweig

3 672,05

0,78

501 875

0,80

136,67

102,64

11 Anhalt

2 299,28

0,49

351 045

0,56

152,67

114,66

12 Lippe

1 215,16

0,26

163 648

0,26

134,67

101,14

Mecklenburg13 Strelitz

2 929,50

0,63

110 269

0,18

37,64

28,27

14 Waldeck

1 055,43

0,23

55 816

0,09

52,88

39,71

340,30

0,07

48 046

0,08

141,19

106,04

16 Hamburg

415,26

0,09

1 152 523

1,85

2 775,43 2 084,44

17 Bremen

256,39

0,06

338 846

0,54

1 321,60

992,56

18 Lübeck

297,71

0,06

127 971

0,21

429,85

322,83

15

SchaumburgLippe

1 Mangelnde Homogenität der Länder, in: Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Beratungsunterlagen 1928, S. 101.

431

Der Weimarer Bundesstaat in der Statistik

Die Volksvertretungen im Reich und in den Ländern2 Nr.

Volksvertretung

Dauer Legislaturperiode

Abgeordnete (Stand Anfang Mai 1928)

Anzahl

Mindestalter (für Abgeordnete)

Wohnbevölkerung auf einen Abgeordneten

Reichstag

4

493

25

125 594

1

Preußen

4

450

25

84 711

2

Bayern

4

129

25

57 206

3

Sachsen

4

96

20

57 206

4

Württemberg

4

80

20

32 253

5

Baden

4

72

25

32 118

6

Thüringen

3

56

20

28 738

7

Hessen

3

70

25

19 247

8

MecklenburgSchwerin

3

51

20

13 217

9

Oldenburg

3

48

20

10 456

10 Braunschweig

3

48

20

10 456

11 Anhalt

4

36

20

9 751

12 Lippe

4

21

25

7 793

13 Mecklenburg-Strelitz

4

35

25

3 151

14 Waldeck

3

17

25

3 283

15 Schaumburg-Lippe

3

15

27

3 203

Landtage zusammen

1 216 Bürgerschaften in

16 Hamburg

3

160

25

7 203

17 Bremen

3

120

20

2 824

18 Lübeck

3

80

25

1 600

2 Ebenda, S. 129.

432

Anhang

Einkommenssteuer u. Körperschaftsteuer auf den Kopf der Wohnbevölkerung 1925/263

Nr. Land

Wohnbevölkerung am 16. Juni 1925

Jahressoll an veranlagter Einkommenssteuer in 1000 RM

je Kopf RM

1

Preußen

38 120 173

775 973

20,35

2

Bayern

7 379 594

125 295

16,98

3

Sachsen

4 992 320

171 520

34,35

4

Württemberg

2 580 235

60 537

23,46

5

Baden

2 312 462

43 196

18,68

6

Thüringen

1 609 300

31 196

19,38

7

Hessen

1 347 279

21 825

16,20

8

Mecklenburg-Schwerin

674 045

10 150

15,06

9

Oldenburg

545 172

8 930

16,38

10 Braunschweig

501 875

10 365

20,65

11 Anhalt

351 045

6 131

17,46

12 Lippe

163 648

1 996

12,19

13 Mecklenburg-Strelitz

110 269

1 223

11,09

55 816

415

7,43

14 Waldeck 15 Schaumburg-Lippe

48 046

679

14,13

1 152 523

55 719

48,34

17 Bremen

338 846

18 794

55,46

18 Lübeck

127 971

3 178

24,83

62 410 619

1 347 122

21,58

16 Hamburg

Deutsches Reich

3 Ebenda, S. 159.

Ungedruckte Quellen

433

8.3. Ungedruckte Quellen BHSTAM (Bayerisches Hauptstaatsarchiv München) MA 1943 Bayerisches Staatsministerium des Äußern / 102 025–102 028; 102 033; 102 675–102 676; 102 678–102 680; 102 682; 103 001; 103 014–103 015; 103 092; 103 081; 103 240–103 243; 103 253–103 157; 103 259–103 261; 103 271–103 273; 103 279–103 288; 103 293–103 311; 103 313–103 345; 103 348–103 355; 103 358– 103 451; 103 479–103 484; 103 487 StAB (Staatsarchiv Bremen) Senatsregistratur 3-C.4.b.1.54; 3-F.1.a.1.352; 3-J.1.1304; 3-R.1.a.358; 3-R.1.a.359; 3-R.1.a.385; 3-R.1.a.414; 3-R.1.a.469; 3-R.1.c.7; 3-R.1.h.2; 3-R.2.1; 3-R.2.3; 3-R.2.27 Bremische Vertretung beim Reich 4.49-327/69; 4.49-411/83 StABü (Staatsarchiv Bückeburg) L 4 Schaumburg-Lippische Landesregierung 112; 113; 544; 545; 546, 547; 548 HStAD (Hauptstaatsarchiv Dresden) 10701 Staatskanzlei, 1./1.3. Reichsreform und Verwaltungsreform 7; 8; 9; 10; 11; 12; 13–14; 16–19; 99–100; 101–103; 149–151 10736 Ministerium des Innern 9339; 9295; 9321 10693 Landtag 2910; 2912; 2913; 2916; 2917 10722 Sächsische Gesandtschaft für Bayern in München 370–372 10719 Sächsische Gesandtschaft für Preußen beim Deutschen Reich, Berlin 327; 357; 361; 363; 379–383 a; 386; 390–393; 394–400; 4001-25 10717 Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten 1055; 1056; 1484; 1489 LHAS-A (Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau) Staatsministerium Dessau 3 / 0; 1 HStADa (Hauptstaatsarchiv Darmstadt) O 29 Leuschner 25; 26; 27 O 61 Dieterich 2/16 StADe (Staatsarchiv Detmold) D 72 / 718 Heinrich Drake L 75 x / 1 Kabinettsministerium, Staatsministerium, Landespräsidium 17; 23; 24 StAH (Staatsarchiv Hamburg) 135-1 I-IV Staatliche Pressestelle 1012–1023; 4293–4303; 4347–4362; 7729 132-1 II Senatskommission für die Reichs- und Auswärtigen Angelegenheiten II 1; 2; 3; 8 111-1 Senatsakten, Band 26, Cl. IV Lit. A; Nr.1 Generalia Vol. 9, Fasc. 1-22

434

Anhang

GLAK (Generallandesarchiv Karlsruhe) 233 Staatsministerium 12891; 12892; 12897; 12899; 12956; 12963; 12971; 12974; 12976; 12977; 25682; 25683; 25686; 25690–25693; 25699; 25706; 25707; 25716; 25718; 28701; 28175; 28179; 28180; 27906; 34672 AdHL (Archiv der Hansestadt Lübeck) NSA Neues Senatsarchiv, Abteilung I Gruppe 1 / 6; 12; 14; Gruppe 2 / 5; 10; 13 A; 13 B; 13 C; 17; 18 Gruppe 6 / 9; Gruppe 7; Gruppe 14 / 11; 12; 13; 14; Gruppe 15 / 12; 13; 15 NSA Neues Senatsarchiv, Abteilung III Gruppe 1 A / 33; 34a; 34b; 44; Gruppe 1 B / 18; 25; 27; 29; 31; 32 NSA IV 1 B Neues Senatsarchiv, Unterabteilung IV 1 B Gruppe 2 / 31 NSA VI 6 Neues Senatsarchiv, Unterabteilung IV 6, Gruppe 5 / 5 NSA V 1 Neues Senatsarchiv, Abteilung V, Unterabteilung V 1, Gruppe 1 a / 1,2 StAO (Staatsarchiv Oldenburg) 131 Oldenburgisches Staatsministerium 8; 9; 10; 40–41; 43; 44; 303; 765; 747 132 Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten 100; 338 LHAS (Landeshauptarchiv Schwerin) 5.12-2/1 Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten IV.a.1. / 136–138; 142; 371; 382; 397 5.12-2/3 Mecklenburgische Gesandtschaft in Berlin A / 6; 7; 47; 57; 58-74; 82; 285– 287; 912; 954; 958; 976 4.12-2/2 Mecklenburg-Strelitzer Vertretung beim Reich 20; 21; 22 HStAS (Hauptstaatsarchiv Stuttgart) E 130 b Staatsministerium 1855–1858; 1926; 2082; 2083; 2089–2093; 2101; 2102; 2105; 2107–2121; 2124–2133; 2135–2142 E 151 / 02 Innenministerium Abteilung II Reich und Länder 1; 3; 4; 8–21 ThStAW (Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar) Staatsministerium 1; 2; 21; 40–48; 80; 100–102; 106 Ministerium des Innern. Allgemeine Abteilung (A) 211; 575; 583–587; 595–596; 598; 615; 616 Stellvertretender Bevollmächtigter Thüringens im Reichsrat 1; 47; 48 Der Reichsstatthalter in Thüringen (1933–1945) 132 StAW (Staatsarchiv Wolfenbüttel) 12 Neu Präs. 4 13 / 37386–37390; 4343; 4344 30 Slg 2 / 12

Gedruckte Quellen

435

GStAPK (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin) GStA PK, I. HA Rep. 90 A Staatsministerium, jüngere Registratur 101; 103; 178; 221– 226; 284–298; 2493; 2494; 2505; 2529–2540; 2590; 2680; 3018–3021; 3145; 3146 GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium jüngere Registratur, Bd. 2, 2575 GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium jüngere Registratur, Bd. 3, 2491; 2492 GStA PK, I. HA Rep. 92 VI.HA N1 Otto Braun A Nr. 54/1 BAB (Bundesarchiv Berlin) R 43 Reichskanzlei I / 2327; I / 2328; I / 2331; I / 2332; I / 2388–2390; I / 2228 f.; II / 1349; I / 2276–2277; II / 1351; I / 2278; II / 1352; I / 2279; II / 1362–1363; I / 2280–2284; I / 2306; I / 2264a–2267; II / 1323; II / 1319; II / 1344; I / 2268–2270; I / 2271–2272; II / 1345; I / 2273–2274; I / 2275; II / 1347; I / 2307–2312; II / 1371; I / 2313–2316; II / 1372; I / 2317; I / 2318; II / 1374; I / 1861; I / 1872–1887

8.4. Gedruckte Quellen bis 1949 Heinrich Achler (Hg.), Thüringens Sendung, Weimar 1933. Acta Borussica, Neue Folge: Die Protokolle des preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Hildesheim 1999ff. Walter Adametz / Karl Eugen Mößner, Die deutsche Verwaltungs- und Verfassungsreform in Zahlen. Eine vergleichende Darstellung der Staatsausgaben des Reiches und der Länder nach Verwaltungszwecken und Verwendungsarten im Rechnungsjahre 1927 unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Steuerkraft und Verwaltungsaufwand (Veröffentlichung der Spitzenverbände von Banken, Handel, Handwerk und Industrie), Berlin 1928. Akten der Reichskanzlei, hg. für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Karl Dietrich Erdmann und für das Bundesarchiv von Tilmann Koops, Boppard a. Rhein 1968ff. Gerhard Anschütz, Bismarck und die Reichsverfassung, ein Vortrag, Berlin 1899. Gerhard Anschütz, Drei Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung. Rede, gehalten bei der Jahresfeier der Universität Heidelberg am 22. November 1922, 4.–6. Tausend, Tübingen 1923. Gerhard Anschütz / Karl Bilfinger, Der deutsche Föderalismus. Referate der Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Jena am 14. und 15. April 1924, mit Eröffnungsansprache und einer Zusammenfassung der Diskussionsreden (Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, 1) Berlin 1924. Gerhard Anschütz, Die Verfassung vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 7. Aufl., Berlin 1928. Willibalt Apelt, Vom Bundesstaat zum Regionalstaat. Betrachtungen zum endgültigen Reichswirtschaftsrat (Der Deutsche Einheitsstaat, 1), Berlin 1927.

Gedruckte Quellen

435

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444

Anhang

Edwin Redslob (Hg.), Das neue Thüringen, Erfurt 1919–1920. Im Einzelnen erschienen folgende Hefte: 1. Edwin Redslob, Die Thüringer Einheitsbewegung, Erfurt 1919. 2. Johannes Müller, Thüringen als Verwaltungseinheit, Erfurt 1919. 3. Max Richter, Die thüringische Industrie. Ihre Stellung in der deutschen Volkswirtschaft und ihre Beziehungen zum Weltmarkt, Erfurt 1919. 4. Joseph Wolf, Die Wasserkräfte von Werra und Saale und ihre wirtschaftliche Bedeutung, Erfurt 1919. 5. Heinrich Hornschuh, Aufgaben der Thüringer Forstwirtschaft, Erfurt 1919. 6. Ernst Devrient, Grenzen und Staatsgebiete in Thüringen und ihre Geschichte, Erfurt 1919. 7. F. Grober / A. Hobstetter, Die Vereinheitlichung der Gesundheitspflege im Lande Thüringen, Erfurt 1919. 8. Eduard Rosenthal, Die staatsrechtlichen Grundlagen des Landes Thüringen: Verfassung, Gemeinschaftsvertrag und Landtagswahlgesetz, Erfurt 1920. Reichsministerium des Innern (Hg.), Die Länderkonferenz, Berlin 1928. Reichsministerium des Innern (Hg.), Verfassungsausschuss der Länderkonferenz, Beratungsunterlagen 1928, Berlin 1929. Reichsministerium des Innern (Hg.), Verfassungsausschuss der Länderkonferenz. Verhandlungen der Unterausschüsse vom 5. und 6. Juli 1929, Berlin 1930. Reichsstädteordnung. Entwurf und Begründung (Schriftenreihe des Deutschen Städtetages), Berlin 1930. Adam Remmele, Staatsumwälzung und Neuaufbau in Baden. Ein Beitrag zur politischen Geschichte Badens 1914/1924, Karlsruhe 1925. Adam Remmele, Vorschläge für die Reichs- und Länderreform, Karlsruhe 1929. Der Rhein-Mainische Städtekranz mit seiner Zentrale Frankfurt am Main im südwestdeutschen Wirtschaftsgebiet, Frankfurt a. Main 1924. Rhein-Mainischer Atlas für Wirtschaft, Verwaltung und Unterricht. 30 Karten und Text, bearb. in der Rhein-Mainischen Forschung des geographischen Instituts der Universität Frankfurt a. Main, hg. von Walter Behrmann und Otto Maull, Frankfurt a. Main 1929. Fritz Rickhey, Die hannoversch-niedersächsische Freistaatsbewegung. (Die niederdeutsche Frage, VIII), Diss., Münster 1926. Erwin Ritter, Freie Reichsländer. Vorschläge zum Ausbau des Reichs, Köln 1927. Wilhelm Röpke, Die deutsche Frage, Erlenbach-Zürich 1945. Erich Rosendahl, Geschichte Niedersachsens im Spiegel der Reichsgeschichte dargestellt, Hannover 1927. Carl von Rotteck / Carl Theodor Welcker (Hg.), Staats-Lexicon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, Bd. 3, Altona 1836. Arnold Ruge, Ueber die intellectuelle Allianz der Deutschen und Franzosen, 2. Aufl., Bd. 2, Mannheim 1847. Arnold Ruge, Aufruf zur Einheit, Berlin 1866. Hermann L. Schaefer, Lippes Selbständigkeit und seine wirtschaftliche Kraft, Detmold 1930. Erwin Scheu, Deutschlands wirtschaftsgeographische Harmonie, Breslau 1924.

Gedruckte Quellen

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446

Anhang

Oskar Stark, Wege zur Demokratie in Deutschland, Freiburg i. Breisgau 1947. Adam Stegerwald, Zusammenbruch und Wiederaufbau, Berlin 1922. Karl vom und zum Stein, Briefe und amtliche Schriften. Bd. 3, Stuttgart 1961. Friedrich Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht, Bd. 1, Berlin 1924. Gustav Stresemann, Vermächtnis. Der Nachlass in drei Bänden, hg. von Henry Bernhard, Bd. 3, Berlin 1933. Fritz Stück, Freistaat Hessen? Ein Mahnwort 1918. Fritz Stück, Um Kassels Zukunft, Kassel 1930. Südwestdeutschland als Kultur- und Wirtschaftseinheit, sieben Rundfunkvorträge, Frankfurt a. Main 1931. Carl Thalenhorst, Bremen im Rahmen einer Neugliederung des Reiches, Bremen 1932. Richard Thoma, Die Forderung des Einheitsstaates. Festrede zur Reichsgründungsfeier der Universität Heidelberg am 18. Januar 1928, Heidelberg 1928. Richard Thoma, Das Reich als Bundesstaat, in: ders. / Gerhard Anschütz (Hg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. 1, 1930, S. 169ff. Die Thüringische Frage, Halle 1919–1920. Im Einzelnen erschienen folgende Hefte: 1. Herrmann Nollau, Staatsrechtliche Untersuchung über die möglichen Formen der Lösung der thüringischen Frage, Halle 1919. 2. Helmut Wolff, Vom Wirtschaftsleben in Thüringen, Halle 1919. 3. Walter Friedensburg, Aus der Geschichte Thüringens, Halle 1920. 4. Ders., Hundert Jahre preußischer Verwaltung in Thüringen, Halle 1920. Ernst Timm, Lübeck im Deutschen Reiche. Eine Denkschrift, Lübeck 1928. Henning Timpke (Hg.), Dokumente zur Gleichschaltung des Landes Hamburg 1933, Frankfurt a. Main 1964. Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Erster Teil: Bis zum zweiten Pariser Frieden, Leipzig 1927. Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Zweiter Teil: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen, Leipzig 1927. Heinrich von Treitschke, Bundesstaat und Einheitsstaat (1964), in: ders., Aufsätze, Reden und Briefe hg. von Karl Martin Schiller, Bd. 3: Schriften und Reden zur Zeitgeschichte I, Meersburg 1929, S. 9–146. Heinrich Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche. Eine staatsrechtliche und politische Studie, Tübingen 1907. Heinrich Triepel, Der Föderalismus und die Revision der Weimarer Reichsverfassung, in: Zeitschrift für Politik 14 (1924), S. 193–230. Heinrich Triepel, Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern. Beiträge zur Auslegung des Artikels 19 der Weimarer Reichsverfassung (Reprint, 1923), Bad Homburg 1965. Gegen den zentralistischen Unitarismus. Für stärkere Berücksichtigung der Wirtschaftsgebiete, besonders im endgültigen Reichswirtschaftsrat. Über die Aufgaben der industriellen Landesverbände, Weimar 1927. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Taschen-Gesetzsammlung) hg. von Friedrich Giese, Berlin 1919.

Literatur nach 1949

447

Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Niederschrift über die Verhandlungen der Unterausschüsse vom 5. und 6. Juli 1929 im Reichsministerium des Innern, Berlin 1930. Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Berlin 1919/20. Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, Berlin 1871ff. Walther Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung, Berlin 1919. Walther Vogel, Deutsche Reichsgliederung und Reichsreform in Vergangenheit und Gegenwart, Leipzig 1932. Fritz Voigt, Die Entwicklung und der Stand der anhaltinischen Industrie, Diss., Halle 1933. Georg Waitz, Das Wesen des Bundesstaates, in: ders., Grundzüge der Politik, Kiel 1862, S. 153–218. Alfred Weber, Über den Standort der Industrien, Tübingen 1909. Günter Weber, Die wichtigsten Reformpläne der Weimarer Reichsverfassung betreffend das Verhältnis Reich-Länder (Unitarismus-Föderalismus), Köln 1947. Max Weber, Gesammelte politische Schriften, München 1921. Max Weber, Zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918–1920, hg. von Wolfgang J. Mommsen, Tübingen 1988. Max Weber, Die Stadt (Schriften und Reden, 22,5), Tübingen 2000. Welche Wege führen zum deutschen Einheitsstaat? Verhandlungsbericht des Deutschen Republikanischen Reichsbundes am 25./26. September 1926 in Berlin, Frankfurt a. Main 1926. John Gustav Weiß, Lebenserinnerungen eines badischen Kommunalpolitikers, bearb. von Jörg Schadt (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Mannheim, 6), Stuttgart 1981. August Weitzel, Die regionale Gliederung des deutschen Einheitsstaates, Berlin 1928. August Weitzel, Die raumverschiebende Auswirkung der Neugliederung im rheinfränkischen Wirtschaftsgebiet, Braunschweig / Berlin / Hamburg 1929. Lothar Weyermann, Wesen und Bedeutung der sogenannten differenzierten (differenzierenden) Lösung des Reichsreformproblems, Berlin 1932. Haubold Wilhelm, Reichswirtschaftsrat und Reichsreform, Berlin 1933. Leo Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1922. Leo Wittmayer, Schwächen der neuen deutschen Bundesstaatslehre, in: ZÖR 3 (1922/23), S. 503–520. Georg Witzmann, Die staatliche Einigung Thüringens, in: Thüringer Jahrbuch, Politik und Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft im Lande Thüringen 3 (1928), S. 23–30. Zeitschrift Geopolitik. Monatshefte für deutsches Auslandswissen, hg. vom Institut für Geosoziologie, Heidelberg 1924ff.

8.5. Literatur nach 1949 Thomas Aders, Die Utopie vom Staat über den Parteien. Biographische Annäherung an Hermann Höpker-Aschoff 1883–1954 (Münchener Studien zur neueren und neuesten Geschichte, 9), Frankfurt a. Main 1994.

Literatur nach 1949

447

Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Niederschrift über die Verhandlungen der Unterausschüsse vom 5. und 6. Juli 1929 im Reichsministerium des Innern, Berlin 1930. Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Berlin 1919/20. Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, Berlin 1871ff. Walther Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung, Berlin 1919. Walther Vogel, Deutsche Reichsgliederung und Reichsreform in Vergangenheit und Gegenwart, Leipzig 1932. Fritz Voigt, Die Entwicklung und der Stand der anhaltinischen Industrie, Diss., Halle 1933. Georg Waitz, Das Wesen des Bundesstaates, in: ders., Grundzüge der Politik, Kiel 1862, S. 153–218. Alfred Weber, Über den Standort der Industrien, Tübingen 1909. Günter Weber, Die wichtigsten Reformpläne der Weimarer Reichsverfassung betreffend das Verhältnis Reich-Länder (Unitarismus-Föderalismus), Köln 1947. Max Weber, Gesammelte politische Schriften, München 1921. Max Weber, Zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918–1920, hg. von Wolfgang J. Mommsen, Tübingen 1988. Max Weber, Die Stadt (Schriften und Reden, 22,5), Tübingen 2000. Welche Wege führen zum deutschen Einheitsstaat? Verhandlungsbericht des Deutschen Republikanischen Reichsbundes am 25./26. September 1926 in Berlin, Frankfurt a. Main 1926. John Gustav Weiß, Lebenserinnerungen eines badischen Kommunalpolitikers, bearb. von Jörg Schadt (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Mannheim, 6), Stuttgart 1981. August Weitzel, Die regionale Gliederung des deutschen Einheitsstaates, Berlin 1928. August Weitzel, Die raumverschiebende Auswirkung der Neugliederung im rheinfränkischen Wirtschaftsgebiet, Braunschweig / Berlin / Hamburg 1929. Lothar Weyermann, Wesen und Bedeutung der sogenannten differenzierten (differenzierenden) Lösung des Reichsreformproblems, Berlin 1932. Haubold Wilhelm, Reichswirtschaftsrat und Reichsreform, Berlin 1933. Leo Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1922. Leo Wittmayer, Schwächen der neuen deutschen Bundesstaatslehre, in: ZÖR 3 (1922/23), S. 503–520. Georg Witzmann, Die staatliche Einigung Thüringens, in: Thüringer Jahrbuch, Politik und Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft im Lande Thüringen 3 (1928), S. 23–30. Zeitschrift Geopolitik. Monatshefte für deutsches Auslandswissen, hg. vom Institut für Geosoziologie, Heidelberg 1924ff.

8.5. Literatur nach 1949 Thomas Aders, Die Utopie vom Staat über den Parteien. Biographische Annäherung an Hermann Höpker-Aschoff 1883–1954 (Münchener Studien zur neueren und neuesten Geschichte, 9), Frankfurt a. Main 1994.

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Gerhard Ahrens, Die freien Hansestädte zwischen Bedrohung und Selbstbehauptung, in: BDLG 132 (1996), S. 1–12. Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik. Eine vergleichende Analyse der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Volkspartei, Düsseldorf 1972. Gerold Ambrosius, Staat und Wirtschaftsordnung. Eine Einführung in Theorie und Geschichte, Stuttgart 2001. Heinz Angermeier, Die Reichsreform 1410–1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984. Gerhard Anschütz, Aus meinem Leben, Frankfurt a. Main 1993. Jürgen Angelow, Der Deutsche Bund, Darmstadt 2003. Michael Antoni, Sozialdemokratie und Grundgesetz, Bd. 1: Verfassungspolitische Vorstellungen der SPD von den Anfängen bis zur Konstituierung des Parlamentarischen Rates 1948 (Politologische Studien, 34), Berlin 1991. Celia Applegate, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkley 1990. Celia Applegate, Zwischen Heimat und Nation. Die pfälzische Identität im 19. und 20. Jahrhundert, Kaiserslautern 2007. Karl Otmar von Aretin, Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648–1806), Stuttgart 1993. Erwein Freiherr von Aretin, Das missverstandene Reich, in: Fritz Büchner, Was ist das Reich? Eine Aussprache unter Deutschen, Oldenburg 1932, S. 81ff. Matthias Asche / Thomas Nicklas / Matthias Stickler (Hg.), Was vom Alten Reiche blieb … Deutungen, Institutionen und Bilder des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 19. und 20. Jahrhundert, München 2011. Walter Baum, Die „Reichsreform“ im Dritten Reich, in: VfZ 3 (1955), S. 36–56. Jürgen Bay, Der Preußenkonflikt. Ein Kapitel aus der Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, Erlangen 1965. Bert Becker, Pommerscher Separatismus 1918/19, in: Baltische Studien, Neue Folge 84 (1998), S. 72–84. Hans-Joachim Behr, „Eine überlebte, unsinnige und unzweckmäßige Zeitwidrigkeit?“ – um die staatliche Selbständigkeit Lippes und Schaumburg-Lippes, in: BDLG 132 (1996), S. 33–69. Beate Behrens, Mit Hitler zur Macht. Aufstieg des Nationalsozialismus in Mecklenburg und Lübeck 1922–1933, Rostock 1998. Rudolf Bentzinger, Mitteldeutschland, ein Konstrukt?, in: Erik Gieseking (Hg.), Zum Ideologieproblem in der Geschichte, Lauf a. d. Pegnitz 2006, S. 95–106. Wolfgang Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1918–1923 (Beiträge zur historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter, 4), Berlin 1970. Roswitha Berndt, Der Kampf des deutschen Imperialismus um eine zentralistische Wirtschafts-, Verkehrs- und Finanzpolitik in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, in: Studia historiae oeconomicae, Poznan 1978, S. 141–152. Roswitha Berndt, Imperialistische Reichsreformpläne in der Weimarer Republik, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Halle, 29, 2 (1980), S. 31–42.

Literatur nach 1949

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Detlef Lehnert

Weimarer Bundesstaat zwischen Unitarismus und Föderalismus – ein Nachwort Deutsche Geschichte 1918 bis 1933 wird auch in Zukunft noch mit neuen Themenbereichen zu entdecken bleiben – aber zur Weimarer Republik schienen die wesentlichen Aspekte inzwischen abgehandelt. Diese Unterscheidung mag zunächst verwundern; doch legt sie ein wichtiger Teil der geschichtswissenschaftlichen Neuansätze des vergangenen Jahrzehnts nahe: Diese sind dadurch charakterisiert, sich in verstärkter Hinwendung zu kulturwissenschaftlicher Betrachtungsweise vom primären Bezug auf die Systembrüche der Kriegsund Zwischenkriegsjahre zu lösen und damit auch traditionelle Epochengrenzen zu überschreiten.1 Nicht wenig erstaunt zeigten sich aber erhebliche Teile der Fachwelt anlässlich des Erscheinens einer grundlegenden Studie zum Reichstag der Weimarer Republik unter der Leitfrage „Parlamentarische Kultur“2 vor einer Dekade. Tatsächlich war diese konstitutive Institution der parlamentarischen Demokratie erst dermaßen verspätet über eine punktuelle Einbeziehung hinaus eingehender in den Blick geraten. Auch die umfangreichen wissenschaftlichen Biografien der beiden Reichspräsidenten sind erst vor wenigen Jahren erschienen.3 Ganz ähnlich ist das hiermit vorgelegte Werk von Anke John „Der Weimarer Bundesstaat“ im Kernbereich des institutionellen Gefüges jener Republik angesiedelt. Wiederum drängt sich die Frage auf, warum ein dermaßen zentrales Thema nicht bereits früher bearbeitet wurde – und inwieweit dann tatsächlich insgesamt schon die Zeit der Verabschiedung einer klassischen Republikgeschichte herangereift gewesen sein konnte. Eine Teilantwort mag der einschüchternde Umfang der nun allmählich zwei Generationen zurückliegen1

2

3

Vgl. Nadine Rossol, Chancen der Weimarer Republik, in: Neue Politische Literatur 55 (2010), S. 393–419; Benjamin Ziemann, Weimar was Weimar. Politics, Culture and the Emplotment of the German Republic, in: German History 28 (2010), S. 542–571. Vgl. Thomas Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, Düsseldorf 2002. Vgl. Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert 1971–1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn 2006; Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007.

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Detlef Lehnert

den Studien von Gerhard Schulz geben.4 Allerdings hat dieser, wie die Autorin mit Recht hervorhebt (S. 20–22), noch in traditioneller Weise das Verhältnis des Reiches zu Preußen und daneben am ehesten die Sonderrolle Bayerns ins Zentrum des Interesses gerückt. Es ist zwar nicht schon Befangenheit in einem auf Machttatsachen fixierten Geschichtsbild, die Konzentration von mehr als 60 % der Stimmberechtigten in einem früheren Hegemonialstaat zur Kenntnis zu nehmen.5 Immerhin gelten in einer Demokratie zunächst einmal auch das „one man, one vote“-Prinzip und die Mehrheitsregel. Allerdings wird das Majorzsystem einer nicht auf kleinteilige Homogenität, sondern großstaatliche Heterogenität angelegten modernen Demokratie einerseits durch grundrechtsbasierten Minderheitenschutz, andererseits durch föderale Kompetenzverteilung begrenzt. Schon deshalb verdienen zum Verständnis bundesstaatlicher Einheit aus der Vielfalt („E pluribus unum“ heißt es dazu symbolkräftig in den USA) neben den Mittel- auch die Kleinstaaten die ihnen gebührende Berücksichtigung.6 Es gehört zu den Vorzügen des historiografischen Ansatzes der Autorin, dass sich die vorgelegte Abhandlung in vielerlei Hinsicht auf solchen bundesstaatlichen Länder-Pluralismus7 wirk4

Um hier nur den ersten, wesentlich auf das Reich/Länder-Problem zentrierten ersten Teil zu erwähnen: Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. 1: Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919–1930, Berlin 1987 (1963). 5 Bei den gleichzeitig stattfindenden Reichs- und Landtagswahlen am 20. Mai 1928 gab es in Preußen 25,15 Mio., im Reich 41,22 Mio. Stimmberechtigte, das entsprach einem preußischen Anteil von 61,0 %. 6 Knapp ein Drittel der US-Bundesstaaten erreichen heute jeweils nicht einmal ein Zehntel der Bevölkerungszahl des zweitgrößten (Texas, hinter Kalifornien). Für die Weimarer Republik galt das sogar für knapp mehr als die Hälfte der Länder. Dennoch machte erst das Übergewicht Preußens diesen graduellen Unterschied in der überlieferten Kleinstaatlichkeit zu einem grundlegenden Strukturproblem, das nach Überzeugung auch vieler Befürworter des Föderalismus die innere Balance deutscher Bundesstaatlichkeit verhinderte. 7 Es ist eine problematische Engführung, die Weimarer Staatsrechtsdebatte vornehmlich nur auf „Verbändepluralismustheorie“ zu befragen – so jedoch auch noch jüngst die sonst in vielem wichtige Studie von Kathrin Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats, Tübingen 2010, S. 255–279. Wirkungsvolle Verbandsmacht gab es auch schon im Kaiserreich, doch zur modernen Pluralismustheorie gehören zugleich politisch-kulturelle und politisch-institutionelle Merkmale wie ein Stufenbau der Gebietskörperschaften mit jeweiligen Gestaltungsräumen; vgl. dazu Dian Schefold, Hugo Preuß (1860–1925). Von der Stadtverfassung

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lich eingelassen hat, ohne den roten Faden der Argumentation in regionalgeschichtlichen Details zu verlieren. Im Ergebnis wird so nicht allein unser Wissen über die Strategien und Motive der Akteure in den kleineren Territorien der Weimarer Republik erweitert, sondern dieses wird auch zu einem Gesamtbild des Weimarer Bundesstaates zusammengefügt.

I. Dabei können sich gerade ein interdisziplinärer Blickwinkel sowie die Quellenvielfalt für manche Deutungsöffnung bewähren. Die Thematik Bundesstaat ist nun einmal ohne Bezugnahme auf verfassungsgeschichtliche und staatsrechtliche Gesichtspunkte kaum angemessen zu behandeln, und in die konkrete Verfassungspraxis sind politikwissenschaftliche Gesichtspunkte einzubeziehen. Zusammen mit der kantonalisierten Schweiz und den bereits ihrem Namen nach föderativ zusammengefügten United States of America galt Deutschland stets als drittes Ursprungsgebiet der Bundesstaatlichkeit. Entsprechend umfangreich ist die Literatur dazu, und zwar in Grundfragen über Epochengrenzen hinausweisend. Für die tatsächliche Entwicklung seit der Weimarer Republik hat die rechtswissenschaftliche Verfassungsgeschichte wie auch die vergleichende Politikwissenschaft den Theoriebegriff „unitarischer Bundesstaat“ vorgeschlagen.8 Dies mag auf den ersten Blick ein sehr problematischer Begriff sein, wird doch Unitarismus stets als Gegenpol zum Föderalismus und nicht selten Föderalismus – jedenfalls deutschsprachig – als gleichbedeutend mit Bundesstaatlichkeit verwendet. Englischsprachig „Federal Republic“ meint aber eher „föderal“ gegliederten Unitarismus im Sinne eines solchen „unitarischen“ Bundesstaats,

8

zur Staatsverfassung der Weimarer Republik, in: Helmut Heinrichs u.a. (Hg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 429–453. So Heiko Holste, Der deutsche Bundesstaat im Wandel (1867–1933), Berlin 2002, S. 533; Gerhard Lehmbruch, Der unitarische Bundesstaat in Deutschland: Pfadabhängigkeit und Wandel, in: Arthur Benz / ders. (Hg.), Föderalismus. Analysen in entwicklungsgeschichtlicher und vergleichender Perspektive (PVS Sonderheft 32), Wiesbaden 2002, S. 53–110. Zur Begriffsprägung bereits Konrad Hesse, Der unitarische Bundesstaat, Karlsruhe 1962 (dort S. 9 die Abgrenzung vom Begriff der Zentralisierung, der zu sehr auf das förmliche zentrale Entscheidungsrecht abstellt und die begleitenden informellen Prozesse der Unitarisierung unterschätzt). Hingegen zeigt schon die Formulierung des Titels bei Heidrun Abromeit, Der verkappte Einheitsstaat, Opladen 1992, eine normative Kritik.

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also nur einen Gegenpol zu einer zentralistischen Staatsorganisation des klassischen „romanischen“ Typs. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem seiner meistdiskutierten Urteile die werdende Europäische Union als dritten Weg des „Staatenverbunds“ zwischen den Polaritäten des bloßen Staatenbundes und des integrierten Bundesstaats definiert.9 Dies reflektiert umgekehrt auch die zuvor erfolgte Bedeutungsverschiebung der Bundesstaatlichkeit vom bündischen zum unitarischen Verständnis hin. In der Verfassungsgeschichte und Politiktheorie kundige Leser mögen solche eher bemühten als klaren Deutungsversuche an die Staatsrechtstrias von Georg Waitz aus den frühen 1860er Jahren erinnern. Bevor das Bismarckreich vollendete Machttatsachen schuf und ihm mit dem Labandschen Staatsrechtspositivismus die herrschende Lehre über zahlreiche Lücken der Reichsverfassung von 1871 hinweg geholfen hat, näherte sich dieser gemäßigt liberale Gelehrte dem Problem der Souveränität einer Mehrebenen-Staatlichkeit gleichfalls dreifaltig: „Im Staatenbund ist es die Gesamtheit nicht, im Staatenreich sind es die Glieder nicht; im Bundesstaat müssen es beide sein.“10 In staatenbündischer Gemeinschaft gaben, so betrachtet, die in Föderation verbundenen Einzelstaaten ihre Souveränität nicht auf, sondern konnten nur auf deren Grundlagen weitere staatsvertragliche Regelungen treffen – insoweit war dies noch kein neuer Gedanke. Mit dem eigenständigen Begriff des Staatenreiches ahnte der an Tocquevilles damals aktueller Föderalismuslehre geschulte Waitz möglicherweise schon voraus: Eine künftige Reichsgründung könnte letztlich das tatsächliche Ende jedenfalls der Vielgestaltigkeit einzelstaatlicher Souveränitätsrechte bedeuten und die gegenteilige Versicherung an weitere „Souveräne“ nur deren Beschwichtigung dienen. Von solchem gegliederten Reichsunitarismus hob sich für Waitz die ursprüngliche Bundesstaatslehre durch „geteilte“ Souveränität nach Art genuiner, für die Zentralgewalt unverfügbarer Eigenkompetenzen der Gliedstaaten ab. Damit wäre eine (unlimitierte) Kompetenz-Kompetenz der Bundesebene als Zentralisierungsmacht unvereinbar gewesen. 9

BVerfGE 89, 155 vom 12. Oktober 1993; vgl. dazu Franz C. Mayer, Kompetenzüberschreitung und Letztentscheidung. Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Letztentscheidung über Ultra-vires-Akte in Mehrebenensystemen. Eine rechtsvergleichende Betrachtung von Konflikten zwischen Gerichten am Beispiel der EU und der USA, München 2000. 10 Georg Waitz, Grundzüge der Politik, Kiel 1862, S. 164. Beim Publikationsort und -jahr wird eine bis 1864 zu verzeichnende besondere föderative Situation in Schleswig-Holstein ins historische Gedächtnis zurückgerufen.

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Was die Bismarcksche Reichsgründung noch in der Schwebe belassen hatte, wurde nach Beseitigung der einzelstaatlichen Monarchien im Gefolge der erzwungenen Abdankung Kaiser Wilhelm II. dann für die Weimarer Republik endgültig im Sinne eines neuartigen Staatenreichs und nicht der älteren deutschen Bundesstaatslehre entschieden. „Reichsrecht bricht Landrecht“ (Art. 13 WRV) beantwortet zwar nicht alle Kompetenz-, aber die Souveränitätsfragen vollkommen eindeutig, ohne dass solches im Stufenbau der Gebietskörperschaften zentralistisch oder gar tendenziell staatsautoritär gegen Länderrechte missverstanden werden sollte. Denn es hat zwar im geltenden Grundgesetz – wie vieles entgegen der Beschwörungsformel, dass „Bonn nicht Weimar“ gewesen sei – Art. 31 den sinngleichen Wortlaut „Bundesrecht bricht Landesrecht“. Doch ist gemäß Art. 79,3 die „Gliederung des Bundes in Länder“ sogar für verfassungsändernde Mehrheiten unantastbar, die ohnehin eine Zweidrittelmehrheit auch im Bundesrat vorsehen (Art. 79,2 GG). Damit setzt unser Grundgesetz außer Übergriffen gegen Grundrechte der Einzelperson (Art. 1) und des Staatsvolks insgesamt (Art. 20) auch diejenigen gegen Länder – wie die Reichsexekution gegen Sachsen 1923 und den „Preußenschlag“ 1932 – ins Unrecht. Jedenfalls gilt dies außerhalb von Gesetzesverstößen oder unmittelbarer Gefahrenabwehr (Art. 91 GG). Überdies ist der Gebrauch des „Bundeszwanges“ gegen einzelne Länder nur „mit Zustimmung des Bundesrates“ (Art. 37 GG) möglich. Dies ist unter den vielzitierten „Lehren aus Weimar“ gebührend zu berücksichtigen.11 Gegen die ältere Bundesstaatslehre u.a. von Waitz lässt sich aus späterer Perspektive einwenden, dass er die Neukonstitution des Schweizer Bundesstaates von 1848 mit jedenfalls angelegter Tendenz zur Auszehrung kantonaler Souveränitätsrechte noch nicht abzuschätzen und erst recht nicht das Ergebnis des amerikanischen Bürgerkriegs bis 1865 schon wissen konnte. Dieser hat jenseits von zählebigen Stimmungslagen letztlich keinen staatsrechtlichen und politiktheoretischen Raum für die partikularistische südstaatliche Doktrin belassen. Dem modernen Bundesstaat nach Art der Schweiz und der USA 11 Dass zum Inflationshöhepunkt 1923 und Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise 1932 soziale und politische Spannungen bestanden, erläutert historische Hintergründe, aber ökonomische Notlagen sind nicht durch Verfassungsverstöße zu beheben. Entgegen einer im Vergleich zu Preußen 1932 in der historischen Literatur lange Zeit eher nachsichtigen Beurteilung der Reichsexekution von 1923 bestand für den „Verfassungsvater“ schon damals kein Zweifel an der Unzulässigkeit nach Duldung der bayerischen Sonderentwicklung. Vgl. dazu Hugo Preuß, Gesammelte Schriften, Bd. 4: Politik und Verfassung in der Weimarer Republik, Tübingen 2008, S. 35 (Einleitung mit Belegstellen).

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hatte sich trotz des eigentümlichen Sonderstatus der faktischen preußischen Hegemonie im angelegten Entwicklungspotential auch das Deutsche Reich seit 1871 angenähert. Dabei handelte es sich gerade nach historischen Kategorien eher um einen gegliederten, im besonderen Reich-Preußen-Verhältnis gewissermaßen auch gedoppelten und verbundenen Unitarismus mit gleichwohl substantiellen Autonomierechten der inkorporierten Einzelstaaten.12 Neben dem revolutionsbedingten Sturz Kaiser Wilhelm II. am 9.11.1918 und der Wahl einer konstituierenden Nationalversammlung am 19.1.1919, die kurz darauf gerade auch mit Rücksicht auf die außerpreußischen Befindlichkeiten in Weimar zusammentrat13, ist das Fortbestehen der Einzelstaaten hinter dem Sturz auch ihrer Monarchien14 selten angemessen berücksichtigt worden. Die Novemberereignisse 1918, nach den Worten des linksliberalen „Berliner Tageblatt“-Chefredakteurs Theodor Wolff – gemessen an der Machtfülle des Obrigkeitsregimes vor und im Krieg – die „größte aller Revolutionen“15, zeigten nur teilweise national-politische Impulse. Der Haupttendenz nach war dies eine zugleich regionalistische Neuordnung, die neben den „Rat der Volksbeauftragten“ als „sechsköpfiger Reichskanzler“ unmittelbar wieder die entsprechende preußische Regierung als „sechsköpfiger Ministerpräsident“16 und die übrigen einzelstaatlichen Organe stellte.17 Das lag insbesondere auch im Kontinuitätsfaktor der Verwaltungen begründet. Nicht allein das Beispiel Preußens unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Otto Braun bezeugte aber, dass bei geeigneten politischen Konstellationen nicht schon die äußerlich

12 Zu Langzeitperspektiven der Bundesstaatsdebatten bis zur Gegenwart vgl. den Überblick bei Dian Schefold, Europäische Verfassung und Bundesstaats-Diskussion des 19. Jahrhunderts, in: Institut für Europäische Verfassungswissenschaften (Hg.), Die Europäische Union als Verfassungsordnung, Berlin 2004, S. 73–92. 13 Vgl. Heiko Holste, Weichenstellung Weimar – Der Tagungsort der Nationalversammlung als Vorentscheidung über Föderalismus und Zentralismus, in: Die Weimarer Verfassung – Wert und Wirkung für die Demokratie, Hg. Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Thüringen, Erfurt 2009, S. 107–117. 14 Vgl. Lothar Machtan, Abdankung. Wie Deutschlands Monarchen aus der Geschichte fielen, Berlin 2008. 15 Berliner Tageblatt, 10.11.1918 (Leitartikel von T.W.). 16 So die Formulierungen bei Philipp Scheidemann, Der Zusammenbruch, Berlin 1921, S. 211. 17 Vgl. den Überblick bei Erich Kittel, Novemberumsturz 1918. Bemerkungen zu einer vergleichenden Revolutionsgeschichte der deutschen Länder, in: BDLG 104 (1968), S. 42–108.

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überlieferte Länder- und Verwaltungsstruktur die weitgehende Blockade von manchen inneren Reformansätzen bewirken musste.18

II. Nachdem sich bislang eher die juristische und politikwissenschaftliche Literatur systematisch mit Problemen des Bundesstaats befasst hat, gestattet nun die breit angelegte historische Analyse von Anke John eine Gegenüberstellung auch mit den mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen für diverse Lösungsversuche. Jedenfalls seitdem etwaige weitergehende Möglichkeiten der ersten Revolutionswochen nicht genutzt wurden, also bereits im ersten „Weimarer“ Jahr 1919, war auch und gerade in einer auf Selbstregierung angelegten neuen Staatsform schon durch baldige Neuwahl der Landesparlamente mit weiterhin ausgeprägter Orientierung der jeweiligen Bevölkerung an ihren einzelstaatlichen Gestaltungsräumen zu rechnen. Der historische Beschleunigungsfaktor „Zeitenwende“ in einer Revolution mag zunächst auch raumüberwindende Potenzen freisetzen können, die von einer vom tradierten Bestand der Strukturen und Normen ausgehenden Geschichts- und Rechtswissenschaft zuweilen unterschätzt worden sind.19 Aber spätestens mit Rückkehr zu den auf Verlässlichkeit angelegten Temporalstrukturen seit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (WRV) im August 1919 ließ sich nur von der vorhandenen Staatsraumgestaltung ausgehend etwas neu bewegen. So gesehen ist es nicht ganz wenig, dass 1920 immerhin die Neubildung des Landes Thüringen aus vormals acht „Zwergterritorien“ gelang und Preußen durch Provinzialvertreter im Reichsrat (Art. 63 WRV) eine innere Gliederung zuvor hegemonialer Großstaatlichkeit erfuhr. Unter Geltung des Grundgesetzes ist es auch nur frühzeitig (im Jahre 1952) zur Entstehung des neuen gemeinsamen Landes Baden-Württemberg gekommen, nachdem die Länderneugliederung in der Besatzungszeit nicht allein selbstbestimmt erfolgte. Hingegen scheiterte später auch die Vereinigung von

18 Vgl. Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung, Frankfurt a. Main 1977. 19 In der Republik Österreich wurde Anfang der 1920er Jahre das in manchem nahezu an Preußen heranreichende Übergewicht des Nordostens durch einvernehmliche Trennung in die Landesteile Wien und Niederösterreich vermindert. Die analog einfachste Lösung für Preußen wäre möglicherweise die Aufgliederung in drei Landesteile Brandenburg-Preußen, Niedersachsen und Rheinland-Westfalen gewesen.

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Berlin und Brandenburg nach dem Wiederaufleben von Ländern im Gefolge des Endes der DDR. Die Autorin erweitert den Horizont der zeitgenössischen und retrospektiven Neugliederungs-Debatte, indem sie nach einer – aus nationalpolitischer Geschichtsschreibung überlieferten – Infragestellung der Einzelstaatsvielfalt nunmehr auch die Motive und Ziele der Befürworter der Tendenzen in Richtung einheitsstaatlicher Zusammenfassung problematisiert. So unbestreitbar in Regionalegoismen und Realitätsverweigerung gegenüber den Kriegsfolgelasten befangen manche Argumente von einzelstaatlichen Vertretern und Interessenten sich dargeboten haben, zeigten doch auch die Plädoyers für Neugliederung und Einheitsstaatlichkeit ihre fragwürdigen Seiten: Das Leitbild eines tendenziell zentralisierten Rationalisierungsprozesses der Staatsmaschinerie geriet nicht allein mit tradierten Anhänglichkeiten an „organisch gewachsene“ Territorien in Kollision. Es richtete sich nicht selten auch gegen die Vielfalt der gewählten Körperschaften auf unterschiedlichen Gebietsebenen und betraf damit mögliche Chancen zusätzlicher demokratischer Lernprozesse von unten. Indem gleichermaßen dezentralisierende Neugliederungs- und zentralisierende Verreichlichungs-Ziele an Grenzen stießen und immer noch eher wenige Neuordnungsimpulse sich auf die Kommunal- und Länderebene konzentrierten, blieb die Weimarer Bundesstaatlichkeit in einem labilen Zustand. Mit der Problematisierung mancher allzu schematisch formulierter Sonderwegsthesen hat sich weithin auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich deutsche Nationalstaatsbildung nicht ohne weiteres von französischen und britischen Mustern inspirieren lassen konnte – von dem völlig anderen Entstehungshintergrund der USA noch ganz abgesehen. Der zunächst vielversprechende Weg einer italienischen Nationalmonarchie mündete bekanntlich schon 1922 in einen Diktatur-Zentralismus, jenes häufig mehr als nur klammheimliche Vorbild mancher Beschwörungsformeln zugunsten der Reichsautorität in krisenhaften Weimarer Zeiten 1923 und seit 1930. Im Spannungsverhältnis zur unitarisierenden Tendenz gleichermaßen im Reichsstaatsrecht – von Laband bis zum WRV-Kommentator Anschütz20 – wie auch der preußenakzentuierten Nationalgeschichte nach Art Treitschkes blieben Gesellschaft und Kultur in Deutschland strukturell wie mental wesentlich regionalistisch differenziert. Ein umfassend organisiertes zentralistisches Gepräge wiesen hierzulande bezeichnenderweise nur die beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts auf, die na20 Vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 11. Aufl. Berlin 1929 (zuletzt 1933); zu den Einzelstaaten: Fabian Wittreck (Hg.), Weimarer Landesverfassungen. Die Verfassungsurkunden der deutschen Freistaaten 1918–1933, Tübingen 2004.

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tionalsozialistische seit 1933 wie auch die stalinistische nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem traditionellen Verwaltungszentralismus des Spätabsolutismus fehlte hingegen noch die gesellschaftliche wie die kulturelle Prägekraft späterer autoritärer bzw. totalitärer Regime. Eine zeitgemäßere demokratische Weiterführung der Waitzschen Bundesstaatslehre möchte die Autorin im Wirken des Staatsrechtlers Hans Nawiasky erkennen. Dieser war ursprünglich ohne rechtsdogmatische Strenge der österreichischen Kelsen-Schule verbunden, später auch zunehmend durch eigene Anschauung am Schweizer Bundesstaatsmodell orientiert. Insbesondere war er durch seinen Münchener Lehrstuhl mit bayerischen Angelegenheiten sozusagen zwischen Hindenburg, Held und Hoegner betraut. Nawiasky vertrat 1932 eine über die Verteidigung des Föderalismus nun vernunftrepublikanisch bekehrte bayerische Staatsregierung unter dem BVP-Politiker Heinrich Held im Prozess gegen das „Preußenschlag“-Präsidialkabinett des rechtskatholischen Kanzlers Franz von Papen. Er beteiligte sich dann auch noch, vom späteren Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner aus Kontakten im Schweizer Exil zur Mitarbeit reaktiviert, am Zustandekommen des Grundgesetzes 1948/49.21 Mit nicht allzu vielen Staatsrechtskollegen gehört Nawiasky daher zu jenen Gelehrten, die es für demokratische Wege von Weimar nach Bonn neu zu entdecken gilt. Dieser Staatsrechtslehrer hatte die schwarz-rot-goldene Synthese geradewegs in seiner Person vereint: Ursprünglich wohl als ein Liberaler (jüdischer Herkunft) einzustufen, wurde er als Katholik für die BVP-Regierung tätig, und er scheute dann auch nicht die Nähe zu einem sozialdemokratischen Widerstandskämpfer mit betont föderalistischen Ansichten wie Hoegner.22 Die Mitprägung aus österreichischen und schweizerischen, nicht allein bayerischen Einflüssen macht es zur Aufgabe künftiger Forschung, dann auch für andere deutsche Reichsteile die ideen- und realgeschichtlichen Verflechtungen mit den Nachbarländern im Westen, Norden und Osten näher zu untersuchen. Die ältere Lehrmeinung der geteilten bzw. gedoppelten Souveränität – des Reiches wie der Einzelstaaten im jeweiligen Wirkungskreis – kann gegenüber diesem Einwand kaum Bestand haben: Es müsste beiden dann gedanklich eine Rechtssouveränität vorgeordnet sein, die für das Reich auf Dauer unverfüg21 Vgl. den Überblick bei Hans Friedrich Zacher, Hans Nawiasky (1880–1961). Ein Leben für Bundesstaat, Rechtsstaat und Demokratie, in: Heinrichs u.a., Deutsche Juristen (wie Anm. 7), S. 677–692. 22 Vgl. Wilhelm Hoegner, Der schwierige Außenseiter. Erinnerungen eines Abgeordneten, Emigranten und Ministerpräsidenten, München 1959; vor der Autobiografie hat er auch eine Geschichtsdarstellung zur Weimarer Republik präsentiert: Ders., Die verratene Republik. Geschichte der deutschen Gegenrevolution, München 1958.

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bar gestellte einzelstaatliche Kompetenzen abschirmt. Zum Ordnungsentwurf der „Verfassungssouveränität“23 gehört aber eine gerade auch für Kompetenzstreitigkeiten zuständige starke Verfassungsgerichtsbarkeit und ggf. zusätzlich die prinzipielle Unantastbarkeit wesentlicher Verfassungsgrundlagen (wie hinsichtlich Art. 1 und 20 in Verbindung mit Art. 79,3 GG). Von beidem konnte in der Weimarer Republik, als dagegen Einwände der Staatsautorität bzw. des Primats der Demokratie überwogen24, nicht die Rede sein. Dies offenbarte auch das Versagen des noch im kaiserzeitlichen Staatssouveränitätsdogma befangenen Staatsgerichtshofes vor der Herausforderung des autoritären und antiföderalistischen Verfassungsbruchs im „Preußenschlag“ 1932. Das seit dem Präsidialkabinett unter dem Zentrumskatholiken Heinrich Brüning immer mehr zum Regelfall gewordene Regieren mit Notverordnungen sprach ebenso wie die gar zu dessen Ausschaltung gedachte zweifache Auflösung des Reichstages 1932 auch jeder Vorstellung von Parlamentssouveränität nur Hohn. So blieb in ständigen Wahlakten vom März 1932 bis März 1933 am ehesten noch ein trügerischer Schein der Volkssouveränität gewahrt. Doch konnte, wer in historisch singulärer Krisenlage binnen Jahresfrist sechsmal – zu Reichspräsidenten-, Reichstags- und überwiegend auch Landtagswahlen – an die Urnen gerufen wurde, sich dann tatsächlich auch mehr als Sargträger der so beerdigten Weimarer Republik instrumentalisiert sehen. Die von der Reichsgründung 1871 und auch in der Weimarer Periode nicht überwundenen einzelstaatlich-bündischen Traditionslinien klingen noch heute ein wenig im Namen Bundesrepublik an. Sie begründen eine aus Zerstörungsakten von 1932/33 zusätzlich genährte Skepsis gegenüber unitarischer Engführung des Prinzips der Volkssouveränität, das in Art. 1 WRV normiert wurde: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Allerdings fügte Art. 5 hinzu, dass solche demokratische Staatsgewalt „in Länderangelegenheiten durch die Organe der Länder auf Grund der Landesverfassungen ausgeübt“ werden soll. Das war jedoch der einzige positivrechtliche Anknüpfungspunkt für einen verbleibenden Rest einzelstaatlicher Souveränitätsansprüche, denn Art. 6 bis 18 zeigten eher reichskompetenzfreundliches Gepräge. Dies rechtfertigt die erwähnte Charakterisierung als unitarischer Bundesstaat, im Sinne des „unita23 Vgl. die typologische Einordnung bei Heidrun Abromeit, Volkssouveränität, Parlamentssouveränität, Verfassungssouveränität: Drei Realmodelle der Legitimation staatlichen Handelns, in: PVS 36 (1995), S. 49–66; dazu mehr verfassungsgeschichtlich argumentierend Hans Vorländer, Die drei Entwicklungswege des Konstitutionalismus in Europa, in: Europäische Union (wie Anm. 12), S. 21–42. 24 Vgl. Helge Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und den Me­ thodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984.

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rischen Verbundföderalismus“ der Einbeziehung von Ländern in Bundesangelegenheiten.25 Wer aber Volkssouveränität bezogen auf das eine (nicht immer schon pluralistisch gegliederte) Volk homogenisierend ausrichtete, disponierte sie offenbar jedenfalls unter damaligen historischen Bedingungen auf das eine Reich hin – und dieses ließ sich dann leichter von dem einen „Führer“ verfassungsfremd usurpieren. Von normenlogisch konzipierter Rechts- sowie funktions- und systemorientierter Politikwissenschaft wird nicht immer hinreichend bedacht, dass Geschichte stets auf unterschiedlichen Pfadspuren verlaufen kann. Noch bis zum Präsidialkabinett Brüning hätte der ungeteilte Bestand Preußens eine Chance bieten können, die Rechtsstaatsautorität gegen die tiefe Krise und von ihr genährten Extreme zu setzen, aber 1932 unter Papen wurde so der Übergang zur Diktatur erleichtert. Auch ein verfassungsrechtliches Normen- und politisches Institutionengefüge definiert erst die Möglichkeitsräume, in denen sich konkretes geschichtliches Handeln ausprägt.

III. Wenn aber Volkssouveränität schon im Ursprung pluralistisch gegliedert, also in jeweiliger gesellschaftlicher und kultureller Heterogenität gedanklich konzipiert und politisch organisiert wird26, fällt der Blick auch mehr als bislang üblich auf die Landtage als Ort demokratischer Willensbildung. Zwar kann von deren genereller historiografischer Vernachlässigung nicht gesprochen werden.27 Auch war es sicher nicht die Aufgabe der mit diesem Band 3 der Reihe „Historische Demokratieforschung“ vorgelegten Analysen von Anke John, die bislang fehlenden Länderstudien in dann notgedrungen stark verknappter 25 Lehmbruch, Bundesstaat (wie Anm. 8), S. 55 und passim. Eine publizistische Übertreibung ist es hingegen, den „missglückten Weimarer Bundesstaat“ als geprägt durch „extremen Zentralismus“ abzustempeln, als hätte es nicht z.B. auch partikularistischrepublikfeindliche Eskapaden wie vom Kapp- bis zum Hitlerputsch in Bayern unter wesentlicher Beteiligung dortiger Staatsorgane gegeben (http://www.tagesspiegel.de/ meinung/unsere-zentralistische-republik/1918918.html). Vom gleichen Autor liegt auch eine Überblicksdarstellung vor: Albert Funk, Kleine Geschichte des Föderalismus. Vom Fürstenbund zur Bundesrepublik, Paderborn 2010. 26 Vgl. dazu nun Andreas Voßkuhle, Hugo Preuß als Vordenker einer Verfassungstheorie des Pluralismus, in: Jürgen Kocka / Günter Stock (Hg.), Hugo Preuß: Vordenker der Pluralismustheorie, Berlin 2011, S. 23–42. 27 Vgl. insbesondere Horst Möller, Parlamentarismus in Preußen 1919–1932, Düsseldorf 1985.

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Form zu ergänzen. Dies ist eine Publikation zum Weimarer Bundesstaat, also über die Einheit aus der Vielfalt, nicht zur landesgeschichtlichen und regionalgesellschaftlichen Vielgestaltigkeit selbst.28 Insofern verweist es lediglich auf weitere Forschungsperspektiven, wenn abschließend noch einige Überlegungen zu einer seitens der Autorin mehrfach offen angesprochenen dunklen Seite der buntscheckigen Kleinstaatlichkeit angestrengt werden sollen: In etlichen dieser Territorien waren noch spektakulärere Wahlergebnisse der NSDAP als reichsweit zu verzeichnen. Der groteske Einbürgerungsakt Hitlers im zu Beginn der Republik noch linksgerichteten Braunschweig durch Ernennung zum Regierungsrat (zwecks Kandidatur zur Reichspräsidentenwahl 1932) und der Propagandaeffekt der Landtagswahlen in Lippe am 15.1.1933 kurz vor seiner Ernennung zum Reichskanzler sind aber ohne weitere Analyse noch kein hinreichender Beleg. Unter Vernachlässigung Preußens, dies allein schon wegen seines prägenden Einflusses auf Reichstagswahlergebnisse, und des (in Preußen aufgehenden, zuletzt 1925 zur Landesvertretung wählenden) Waldeck-Pyrmont verbleiben insgesamt 16 Länder der Weimarer Republik zur vergleichenden Betrachtung.29 Kaum einen Beitrag zur Fragestellung kann Baden leisten, das zuletzt am 27.10.1929 wählte und wo 7 % NSDAP-Stimmen offenbar wesentlich von regelrechten Auflösungserscheinungen der DNVP auf nur 3,7 % (nach 12,2 % im Jahre 1925) profitierten, während das katholische („schwarze“) wie das sozialistische („rote“) Milieu stabil blieb.30 Dies wurde bis April 1932 in Bayern schon anders, indem nur die BVP ihr ungefähres Drittel aller Stimmen und Mandate behauptete, hingegen die 28 Bei Regionalkulturen ist von regionalgesellschaftlichen Differenzierungen auszugehen, die allerdings häufig nicht mit den Landesgrenzen übereinstimmten. Wie „der“ Staat ist auch „die“ Gesellschaft bezogen auf das heterogene Deutschland eher nur eine unitarisierende Fiktion, die hinter moderner Pluralismustheorie zurückbleibt. Wer regionale Strukturähnlichkeiten sucht, wird sie häufig sogar eher noch über nationale Grenzen hinweg als z.B. zwischen Hamburg und Niederbayern oder innerhalb Preußens zwischen Köln und Hinterpommern finden. 29 Die Basisdaten sind entnommen der Struktur- und Länderübersicht bei Jürgen W. Falter u.a., Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik, München 1986, S. 88–113. Dort auch dokumentierte Wahlen zu den preußischen Provinziallandtagen (S. 102 ff.) sind kein brauchbarer Ersatz, da sie zuletzt im November 1929 und dann erst wieder im März 1933 stattfanden. 30 Auffällig geringer als reichsweit waren die Beteiligungsraten nur in Baden, so dass sonst kein wesentlicher Einfluss davon ausgegangen sein dürfte – zumal es hier nicht um letzte quantifizierende Nuancen, sondern nur um erste Abschätzung der qualitativen Haupttendenzen gehen kann.

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NSDAP nahezu gleichziehen konnte und dabei offenbar krisenbedingt Unzufriedene sehr unterschiedlicher Herkunft sammelte. Das war auf jeweils niedrigerem Anteilsniveau ebenso der gleichzeitige Trend in Württemberg, in dem aber der standesregionalistische „Bauern- und Weingärtnerbund“ sich mit 10,7 % besser als ähnliche Gruppierungen gegen die NSDAP-Konkurrenz behauptete. Einen nennenswerten Katholiken- und somit Zentrumsanteil hatte außerhalb Süddeutschlands nur Hessen (auf dem Durchschnittsniveau Preußens) und mit Abstrichen noch Oldenburg. Für Hessen dürften zum überwiegenden Teil das weitgehende Fehlen einer DNVP-Konkurrenz und im Rest der vom Reichsdurchschnitt etwas nach oben abweichende ländliche und agrarische Bevölkerungsteil die auffallende NSDAP-Stärke von 44 % zu den Landtagswahlen am 19.6.1932 erklären. Einzig für Oldenburg fehlen hinreichende strukturelle Erklärungsfaktoren. Die 48,4 % der NSDAP am 29.5.1932, trotz reichsdurchschnittlicher Zentrums- und DNVP-Anteile, lassen sich nicht allein mit dem stärkeren Agrarsektor und dessen Selbstständigen verständlich machen, sondern hatten offenbar auch zusätzlich besondere landespolitische Hintergründe.31 Oldenburg zeigte in den allgemeinen Indikatoren insgesamt die relativ größte Strukturähnlichkeit mit Württemberg, sogar einschließlich der Stimmenverteilung zur Nationalversammlung 1919. Aber dann erreichte der „Württembergische Bauernund Weingärtnerbund“ 1920–1928 jeweils 18–20 % der Stimmen. Hingegen erfolgte in Oldenburg die Rechtsabwanderung bis hin zur NSDAP über Zwischenetappen reichsweit kandidierender Parteien mit besonderer Stärke der DVP. Zu ähnlich hohen Anteilen wie Bayern und Oldenburg vom Agrarsektor geprägt waren sonst nur die beiden Mecklenburg, die aber dabei weitaus mehr Landarbeiter aufwiesen. Dies wird auch der Grund dafür sein, dass zwar die SPD in Mecklenburg-Schwerin im Juni 1929 mit 38,3 % deutlich über dem Reichsdurchschnitt vertreten war und dies mit Einschränkungen sogar im Juni 1932 mit 30 % noch zutreffend blieb. Das Rekordergebnis von 49 % der NSDAP bei den Landtagswahlen 1932 ist dort außer dem Fehlen katholischer Kandidatur mit dem starken Agrarsektor erklärbar. Dieser ließ in Krisenzeiten Landarbeiter zur NSDAP so wie in Städten Fabrikarbeiter zur KPD abströmen. Darüber hinaus wird sich eine überdurchschnittliche Verschuldung der selbstständigen Landwirte in gleiche Richtung ausgewirkt haben. Die Namensgebung „Einheitsliste Nationaler Mecklenburger“ für eine 1929 bereits 44,6 % erreichende

31 Vgl. Klaus Schaap, Die Endphase der Weimarer Republik im Freistaat Oldenburg 1928–1932, Düsseldorf 1978.

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Sammelkandidatur rechts von der schwachen DDP bot wenig Anhaltspunkte für ein vorrangiges politisches Regionalprofil. Ein Sonderphänomen war eher die im März 1932 mit 31 % restaurierte Führungsrolle der DNVP in Mecklenburg-Strelitz, das neben den beiden Lippe das einzige Land ohne eine Stadt von mindestens 50.000 Einwohnern blieb. Dort fiel der SPD-Rückgang von stattlichen 37,9 % (Januar 1928) auf 26,9 % (März 1932) deutlicher aus und beerbte die NSDAP (23,9 %) wesentlich nur eine Vielzahl regionaler Sondergruppen. Die beiden Lippe unterschieden sich durch lediglich mittlere Anteile des Agrarsektors von den beiden Mecklenburg. So konnte bei den Landtagswahlen in Schaumburg-Lippe im Mai 1931 die SPD ihre ungewöhnliche Stärke mit 44,6 % weitgehend behaupten und blieb die NSDAP mit 27 % gemessen am damaligen Stand in Oldenburg (37,2 %) nur mäßig erfolgreich. Auch bei den legendären Landtagswahlen am 15.1.1933 in Lippe war der Propagandaeffekt größer als das wirkliche Ergebnis: 39,5 % NSDAP-Stimmen waren 1932/33 für evangelische und sonst gemischte Territorien strukturtypisch, was auch für SPD (30,1 %) und KPD (11,2 %) galt. Eine Besonderheit war eher das Fortbestehen der DVP (4,4 %) und des Evangelischen Volksdienstes (4,6 %) neben der DNVP (6,1 %), so dass NSDAP und DNVP keine eigene Mehrheit im Landtag erreichten. Gleiches kann für die Hansestädte nicht überraschen, gerade die NSDAP war dort schwächer als in ländlichen evangelischen Gebieten. Der interne Unterschied lag darin, dass sich in Bremen neben der NSDAP im November 1930 die DVP (12,5 %), in Hamburg sogar noch im April 1932 die DDP (11,2 %) als bürgerliche Parteien weit mehr als sonst behaupteten. Hingegen überlebten in Lübeck bis November 1932 nur Reste früherer Bürgerblocklisten mit zusammen 11 %. Das von allen Flächenstaaten am meisten industriell-urban geprägte Sachsen entsprach auch in den Wahlergebnissen ungefähr den Hansestädten. Diese zeigten also wahlstatistisch keine strukturuntypische zusätzliche Resistenz gegen den Rechtstrend. Die Aussagekraft des letztmaligen sächsischen Landtagsresultats vom Juni 1930 ist hinsichtlich der gerade erst aufstrebenden NSDAP (14,4 %) begrenzt. Aber es fällt doch auf, dass standespolitische Listen wie die Wirtschaftspartei (10,6 %) weniger Anteilsverluste hinzunehmen hatten als DNVP und DVP, die von zusammengerechnet 21,4 % (1929) auf 13,5 % verloren. Im benachbarten, deutlich weniger bzw. kleinstädtischer urbanisierten Thüringen überstand die Landtagswahl im Juli 1932 neben der nun die Linksparteien knapp überholenden NSDAP (42,5 %) nur die „Landvolk“Liste (8,3 %) in nennenswerter Größenordnung. Zuvor hatten „Thüringer Ordnungsbund“ (Februar 1924) und „Einheitsliste“ (Juni 1927) die Sammlung rechts der Mitte zu bewerkstelligen vermocht.

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Noch mehr ein typisches Ergebnis für evangelische Gebiete mit gemischter Sozialstruktur zeigte Anhalt zur Landtagswahl im April 1932 mit 40,9 % NSDAP, aber immerhin noch 34,3 % der zuvor führenden SPD. Doch auch hier gab es in Form der „Volksgemeinschaft“ aus den etablierten Parteien rechts von DDP und Zentrum schon im November 1924 einen sammlungspolitischen Vorläufer mit 38,8 % der Stimmen. Dies mag auch die frühe Machtübernahme der NSDAP (Mai 1932) bündnisstrategisch später erleichtert haben. In jener Einheitsliste hatten sich neben DNVP, DVP und Wirtschaftspartei auch Land- und Bauernbund sowie die Haus- und Grundbesitzer zusammengeschlossen. Das ähnlich strukturierte Braunschweig stimmte zuletzt in einem Akt mit den Reichstagswahlen vom 14.9.1930 ab und zeigte neben einer weiter starken SPD (41 %) eine „Bürgerliche Einheitsliste“ (26 %) rechts von der DDP, noch vor der erstarkten NSDAP (22,2 %).32 Die Schlüsselfrage gerade zur Braunschweiger Tragikomödie mit dem „Regierungsrat“ Hitler lautete also: Warum tendierten derartige bürgerliche Einheitslisten, die auch in anderen Einzelstaaten der Weimarer Republik wohlbemerkt fast ausnahmslos nur rechts von DDP und Zentrum existierten, im Zweifel stets in Richtung der NSDAP – und bekämpfen diese nie im Zweckbündnis mit der um 1930 fast überall landespolitisch eher gemäßigten SPD?

IV. Letztlich führt die Sichtung der Landtagswahlergebnisse am Ende der Weimarer Republik nicht zur Bestätigung einer besonderen Anfälligkeit dieser Handlungsebene für NSDAP-Erfolgsspiralen zur Macht, allerdings ebenso wenig zu Anzeichen höherer Resistenz. Von den zehn Ländern (ohne Preußen), die 1932/33 vor Machtantritt Hitlers wählten, lagen Bayern, Hamburg, Lübeck, Mecklenburg-Strelitz und Württemberg unter dem NSDAP-Reichsdurch32 Zur politischen Landesgeschichte vgl. Richard Bein, Braunschweig zwischen rechts und links. Der Freistaat 1918 bis 1930, Braunschweig 1990; Ernst-August Roloff, Bürgertum und Nationalsozialismus 1930–1933. Braunschweigs Weg ins Dritte Reich, Hannover 1961. Zur gleichzeitigen Reichstagswahl erhielt die NSDAP im Land Braunschweig mit 26,6 % sogar 4,4 % mehr Stimmen, was eine singuläre Abweichung bildete; vgl. Falter u.a., Wahlen (wie Anm. 29), S. 117. Somit behauptete sich eine rechtsbürgerliche „Einheitsliste“ besser als Einzelparteien gegen die NSDAP, was umgekehrt deren wahlstrategisches Erfolgsprofil als Sammlungsbewegung des „nationalen“ Lagers unterstreicht.

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schnitt von 1932, aber Hessen, Lippe, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg und Thüringen über diesem.33 Mit Ausnahme Oldenburgs, wo sich von 1928 bis 1931/32 tatsächlich ein in solcher Höhe unerwarteter Erdrutsch von einem gemäßigten zum NSDAP-dominierten Parteiengefüge ereignete, zeigten sich auf Landesebene wesentlich gleiche Struktureffekte wie auf Reichsebene. Auffällig sind allein die Sammlungslisten rechts der Mitte: Von der Anhaltinischen „Volksgemeinschaft“ 1924 und dem Braunschweiger „Landeswahlverband“ 1918–22 bzw. dortiger „Bürgerlicher Einheitsliste“ 1930, über die Bremer „Einheitsliste“ 1927 und die Lübecker Formationen (1921 „Bürgerliche Parteiliste“, 1924 „Wirtschaftsgemeinschaft“, 1926/29 „Hanseatischer Volksbund“), die Mecklenburg-Strelitzer „Wirtschaftliche Vereinigung“ 1919/20, die Mecklenburg-Schweriner „Einheitsliste“ 1929, die Schaumburg-Lippische „Einheitsliste“ 1925 bis hin zum „Thüringer Ordnungsbund“ 1924 und dortiger „Einheitsliste“ 1927 war dies ein verbreitetes, aber bislang ganz unzureichend berücksichtigtes Phänomen in den kleineren Ländern der Weimarer Republik. Weder eine auf die Bundesstaatsproblematik zentrierte Monografie noch erst recht ein Nachwort kann der geeignete Ort sein, dazu Einzeluntersuchungen mehr als nur anzuregen. Die summarische Betrachtung führt aber bereits zu einer Hypothesenbildung: Ohnehin fehlte in allen diesen – fast rein evangelischen – Ländern die katholische Zentrumspartei (oder BVP) als nennenswerter Faktor. Ganz offensichtlich war es keiner der „bürgerlichen“ bzw. „nationalen“ Parteien gelungen, bestimmte Wählersegmente jenseits von „roten“ und „schwarzen“ Milieus an sich zu binden. In keinem dieser Länder mit Ausnahme Thüringens (Juli 1932 wie bereits Februar 1924) war die SPD auch landespolitisch von besonderer KPD-Stärke herausgefordert. So formierten sich rechtsbürgerliche „Einheitslisten“ gegen eine dort mehr oder minder überdurchschnittliche Stärke der SPD. Wo hingegen in anderen evangelischen Ländern die DDP, DVP, DNVP oder eine Standes- bzw. eine Regionalpartei auch in der Weltwirtschaftskrise noch überwiegend loyale Stimmenpotentiale halten konnten, bestand zuvor weniger Neigung zu Blockbildungen – und dann etwas mehr Resistenz gegenüber jedenfalls NSDAPRekordziffern. Auch im für Vergleiche zumindest mit Süddeutschland zu selten herangezogenen Österreich war 1927 republikweit eine christlichsozial-deutschnatio33 Da Preußen ziemlich genau dem Reichsdurchschnitt entsprach (nicht allein weil es ihn prägte), ist diese relative Gleichverteilung dann auch ein statistischer Effekt, der aber keine Anhaltspunkte wesentlicher landespolitischer Sondertendenzen zugunsten der NSDAP bietet.

Weimarer Bundesstaat zwischen Unitarismus und Föderalismus

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nale „Einheitsliste“ gegen die Sozialdemokraten angetreten. Diese wurden in einer über die Heimwehren nun auch gewaltbereit rechtslastigen Propaganda als „90prozentige Bolschewisten“ denunziert, obschon die SDAP 1919 kommunistische Aufstandsversuche niedergehalten und die KPÖ auf Sektenniveau begrenzt hatte. Analog dazu gab es am Ende der Weimarer Republik in fast keiner der von „Einheitslisten“ zeitweise beeinflussten Regionen eine reale „bolschewistische Gefahr“. Auch die antikatholischen Deutungsmuster hatten sich gegenüber dem Kaiserreich allmählich so weit abgeschliffen, dass kaum mehr nach der Konfession Hitlers gefragt wurde. Gegen eine Überschätzung des mentalen Regionalismus spricht die zweimalige bayerische Unterstützung für den preußischen Generalfeldmarschall Hindenburg und die ausgeprägteste Hochburgen-Konzentration für den grenzösterreichischen Bajuwaren Hitler in Nord- und Ostdeutschland. In beiden Fällen war ein aus der Wahlforschung hinlänglich bekannter Oppositionseffekt wohl ausschlaggebend: Die BVP nahm 1925 der katholischen Schwesterpartei Zentrum das Reichs- und Preußenbündnis mit der SPD in den Gründungsjahren der Republik übel. Vergleichbare evangelische Gruppierungen im Norden und Osten straften die DDP, DVP und zuletzt die DNVP für ihre Regierungsbeteiligungen auch ohne Einbeziehung der SPD ab. Dass vor allem „Einheit“ die sammlungspolitische Zauberformel für Landeswahlgemeinschaften bildete, sollte gegenüber etwaigen Konstruktionen skeptisch machen, die Landesparlamente mit ihrem Stimmvolk-Unterbau und Bürokratie-Überbau als Bastionen der Vielfalt zu deuten. Auch war die weitgehende Zurückhaltung in der pointierten Verwendung des Landesnamens für Kandidaturen ein Indiz, dass Regionalgruppen auch kleinerer Territorien den Eindruck von „Kirchtumspolitik“ vermeiden wollten und zwecks Formung von „Einheit“ lieber Kollektivbegriffe von „Volk“ oder „Wirtschaft“ zum Beleg ihrer „nationalen“ Zuverlässigkeit benutzten. Sogar im außerhalb der Landeshauptstadt und der Hansestädte Rostock und Wismar stark ländlich-agrarisch geprägten Mecklenburg-Schwerin war ein „Mecklenburgischer Dorfbund“ 1919–21 in Wahlen nicht sehr erfolgreich. Aber die „Einheitsliste Nationaler Mecklenburger“ 1929 kam in der Sammlungswirkung nahe an die SPD 1919 und die NSDAP 1932 heran. Von der Republikgründungspartei SPD, zunächst unterstützt von der DDP, zur Republikzerstörungspartei NSDAP führt auch die stufenweise Machtverlagerung nach rechts auf Reichsebene, so dass zusätzliche Länderstudien diesbezüglich wenig neuen spektakulären Erkenntnisgewinn bringen dürften. Aber ein dort verbreitetes Phänomen der Einheitskandidaturen rechts von DDP und Zentrum könnte ergänzende Aufschlüsse versprechen. Die NSDAP ist offenbar wesentlich als krisenbedingte Verschärfung derartiger „nationaler“ Sammlungsbestrebungen jenseits des

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„roten“ und „schwarzen“ Integrationsmilieus und eines kleinen reformliberalen Kultur- und altkonservativen Traditionsmilieus zu begreifen.34

34 Auch dies ist gegen den nur aus Wahlergebnissen hergeleiteten Unbegriff eines „,liberal-faschistischen Milieus‘“ und die Auflistung gar noch einer Linie „Liberale und demokratische Fraktionen in der Paulskirche“ von 1848 bis zur NSDAP unter „Nationales Lager“ einzuwenden; Karl Rohe, Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteiensysteme im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. Main 1992, S. 147 und S. 258 f./Abb.1. Zwar überwog im vormals nationalliberalen Stimmenpotential gewiss eindeutig die „nationale“ Sammlungstendenz. Aber in städtischen Traditionsvierteln des entschiedenen Linksliberalismus finden sich 1932 – nach dem Verschwinden der DDP – gegen den Trend auch Gewinne von SPD und Zentrum als verbleibende Fluchtburgen gegen die NSDAP-Bedrohung. Vgl. dazu Martin Liepach, Das Wahlverhalten der jüdischen Bevölkerung in der Weimarer Republik, Tübingen 1996, mit dem bürgerlichen Frankfurter Westen und dessen zu über 20 % jüdischer Bevölkerung (S. 223): Dort konnten von September 1930 bis November 1932 bei Reichstagswahlen und deren steigender Beteiligungsrate (von 71 auf 78 %) die Verluste der DDP/Staatspartei von 16,1 auf 4,4 % durch Gewinne der SPD von 12,9 auf 18,2 % und der Zentrumspartei von 8,3 auf 11,8 % nahezu kompensiert werden (S. 289, bezogen auf die Stimmberechtigten ermittelt). Schon die Fusion der DDP mit dem (teils antisemitischen) Jungdeutschen Orden zur Deutschen Staatspartei hatte deren jüdische Unterstützung stark vermindert, so dass jene Hochburgen-Ergebnisse in reduziertem Maße auch die Abwanderung nicht-jüdischen vormaligen DDP-Potentials zu SPD und Zentrum indizieren. – Ähnliche Phänomene gab es z.B. auch in Wien, der Anteil kulturliberaler „Rot“- und wirtschaftsliberaler „Schwarz“-Wähler sollte ausweislich der Auflagenziffern entsprechend ausgerichteter liberaler Presseorgane dort nicht unterschätzt werden. Vgl. Detlef Lehnert, Die „Erfolgsspirale“ der Ungleichzeitigkeit. Bewertungsmuster der NSDAP-Wahlergebnisse in der Berliner und Wiener Tagespresse, Opladen 1998.

Eckhard JEssE

systEmwEchsEl in dEutschl and 1918/19 – 1933 – 1945/49 – 1989/90

Der bekannte und streitbare Politikwissenschaftler Eckhard Jesse legt mit dieser pointierten Untersuchung die Synthese seiner Forschungsarbeit zur deutschen politischen Geschichte im 20. Jahrhundert vor, wie es sie mit dieser Akzentsetzung bislang nicht gibt. Eckhard Jesse […] schreckt nicht davor zurück, unbequeme Wahrheiten auszusprechen […] mit Gewinn vom allgemeinen Publikum, Schülern und Studenten und auch von den Fachkollegen zu lesen. Rheinischer Merkur Souverän und nachvollziehbar erklärt Jesse Ursachen und Wirkungen […] das alles nie trocken, sondern mit zahlreichen Pointen und Zitaten angereichert. Aachener Zeitung 2., durchgesehene AuflAge 2011. 280 s. gb. 135 x 210 mm. Isbn 978-3-412-20803-5

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