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German Pages 281 Year 1996
THOMAS PLÜMPER
Der Wandel weltwirtschaftlicher Institutionen
Schriften zu internationalen Wirtschaftsfragen Band 20
Der Wandel weltwirtschaftlicher Institutionen Regimedynamik durch ökonomische Prozesse
Von
Thomas Plümper
DUßcker & Humblot · Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Plümper, Thomas: Der Wandel weltwirtschaftlicher Institutionen: Regimedynamik durch ökonomische Prozesse / von Thomas Plümper. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zu internationalen Wirtschaftsfragen ; Bd. 20) Zug\.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08621-X NE:GT
D 188 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6984 ISBN 3-428-08621-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @i
Vorwort Dieses Buch nahm seinen Ausgangspunkt in der mittlerweile zum Allgemeingut gehörenden These, daß die zunehmende Interdependenz zwischen den Staaten eine nationale Wirtschaftspolitik erschwert oder gar unmöglich macht. Der anfängliche Plan, die Möglichkeiten und Grenzen der multilateralen Steuerung ökonomischer Prozesse zu untersuchen, erwies sich (zumindest im Rahmen einer Dissertation) jedoch schnell als undurchführbar. Weder die Wirtschafts- noch die Politikwissenschaft verstehen die Wirkung und Funktion politisch implementierter Institutionen auf das Handeln von Wirtschaftssubjekten hinreichend gut und können deshalb Aussagen über die Wirkung von Institutionen und deren Steuerleistung machen. In beiden Disziplinen sind zudem die Möglichkeiten begrenzt, ökonomische beziehungsweise politische Prozesse in ihrer Wechselwirkung zu konzeptionalisieren. Hinter dieser Problematik lag jedoch ein Forschungsgegenstand, dessen Vorteil vor allem in der direkten Anknüpfungsmöglichkeit an institutionelle Ansätze bestand. Unterstützt wurde der Perspektiven wechsel durch Otto Keck, der nicht nur die Betreuung der Dissertation zu einem Zeitpunkt übernahm, als bereits weit mehr als ein Konzept und das Inhaltsverzeichnis geschrieben war. Er hat durch seine Bereitschaft, das Manuskript wiederholt zu lesen und zu diskutieren, auch einen großen und positiven Einfluß auf die vorliegende Publikation genommen. Mein Dank für eine Vielzahl wertvoller Anregungen gehört auch den weiteren Mitgliedern meiner Prüfungskommission, die zugleich kritische aber wohlwollende Leser dieser Arbeit waren: Klaus Hüfner, Michael Bolle und Reinhard Rode. Thomas Gehring, Rainer Land, Petra Stykow und Sven Lindström verdanke ich anregende inhaltliche Diskussionen, in denen 'das Private' nicht zu kurz kam. Für wichtige Hinweise zu Einzelaspekten und vor allem zu methodischen Problemen danke ich Volker Rittberger, Helmut Wiesen thaI , Fritz W. Scharpf und den Teilnehmern der Sektionstagung 'Internationale Politik' der DVPW im Frühjahr 1993 in Arnoldshain. Thomas Plümper
Inhaltsverzeichnis Teil J
Einleitung
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Teil 2
Defizite der Konzeption von Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
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A. Die modeme Internationale Politische Ökonomie .......................................... 22 I. Themen und Debatten der Internationalen Politischen Ökonomie ............... 24 I. Die Internationale Politische Ökonomie des Realismus ......................... 24 2. Die immanente Kritik des klassischen Realismus .................................. 27 3. Die neo-institutionelle Kritik der Theorie hegemonialer Stabilität ......... 30 a) Regime und Regimewirkung ............................................................... 31 b) Internationale Kooperation .................................................................. 36 11. Ausblick ..................................................................................................... 44
B. Konkurrierende Konzeptionen von Wandel .................................................... 47 I. Wandel als abhängige Variable der Politik ................................................. 48
I. Struktureller Wandel.. ............................................................................. 51 2. Wandel als dichotomes Konstrukt.. ........................................................ 54 3. Multiple Ursachen und Heterogenität des Wandels ................................ 55 11. Funktionalistische Regimetheorie als Alternative? ..................................... 59 III. Struktureller Wandel und Perzeptionen ..................................................... 64 Teil 3 Theoretische Aspekte des Wandels in der Internationalen Politischen Ökonomie
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A. Struktur und Strukturierung ............................................................................ 66 I. Zentrale Begriffe und Konzepte ................................................................... 67 11. Giddens' Strukturierungstheorie ................................................................. 70 I. Giddens' Strukturkonzept ....................................................................... 71 2. Strukturierung ......................................................................................... 75 3. Struktur und individuelle Filter............................................................... 77 III. Epistemologische Regimetheorie .............................................................. 79
B. Kognitive Grundlagen institutionellen Wandels ............................................. 82
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Inhaltsverzeichnis 1. Rationalität in den Internationalen Beziehungen ......................................... 82 I!. Rationalität und ihre Kritik. ........................................................................ 84 I. Gebundene Rationalität und die Bildung von Routinen ......................... 87 2. Unsicherheit, Verlustvermeidung und Routinenwechsel ........................ 92 a) Unsicherheit und die Aufgabe von Routinen ....................................... 94 b) Verlustvermeidung, gebundene Rationalität und Kooperation ............ 97 c) Strukturen und Strukturierung in sozialen Situationen ........................ 99 C. Akteure und Interaktionen in der Weltwirtschaft .......................................... 1. Wirtschaftssubjekte als Abhängige in der Orthodoxie ............................... H. Staaten und Wirtschaftssubjekte als Akteure ........................................... 1. Staatliche Autorität in der Weltwirtschaft ............................................ 2. Wirtschaftssubjekte als handelnde Einheiten ....................................... H1. Interaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten und Staaten ..................... 1. Interessenvertretung .............................................................................. 2. Informationsbereitstellung .................................................................... IV. Politische Ökonomie als einheitliches Konzept ...................................... V. Wirtschaftssubjekte und institutioneller Wandel .....................................
101 102 104 109 114 115 120 121 123 125
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik .................................... 1. Die Struktur der Politischen Ökonomie ..................................................... I. Ein einführendes Puzzle ........................................................................ 2. Markt, Weltmarkt und Strukturen ........................................................ 3. Regime und Märkte: Eine Antwort auf Lester Thurow ........................ H. Regimewandel und Strukturierungstheorie .............................................. 1. Modalitäten von Regimewandel ........................................................... 2. Ein Modell der strukturellen Wirkung internationaler Politik .............. 3. Ein Modell der strukturellen Wirkung ökonomischer Prozesse ............ III. Politische Konsequenzen ökonomischer Prozesse ................................... 1. Die Internationale Politische Ökonomie institutionellen Wandels ....... 2. Marktprozesse und die Wirkung internationaler Regime ..................... 3. Wirkungswandel der Regime und Regimewandel ............................... 4. Akteure, Verhaltenskonzeption und institutioneller Wandel ................
130 131 131 133 138 140 141 143 145 146 149 150 153 155
Teil 4
Regimedynamik durch ökonomische Prozesse A. Der Wirkungswandel internationaler Regime .............................................. 1. Der Kollaps des Bretton-Woods-Systems .................................................. 1. Erklärungen des Scheiterns des Bretton-Woods-Systems ..................... a) Theorie hegemonialer Stabilität... ...................................................... b) Regimetheorie ................................................................................... 2. Ökonomische Ursachen des Regimeniedergangs ................................. 3. Die Politische Ökonomie monetärer Dynamik ..................................... 11. Regimestabilität und Strukturierung des Welthandels ............................. I. Die Politik des internationalen Handels: Orthodoxe Analysen .............
157 157 159 161 162 163 166 171 173 174
Inhaltsverzeichnis
a) Theorie hegemonialer Stabilität.. ....................................................... b) Regimetheorie ................................................................................... 2. Stabilität und Wandel des GATI: Die 80er Jahre ................................ a) Protektion versus weltwirtschaftliche Integration? ............................ b) Der Erfolg der Uruguay-Runde als 'Puzzle' ...................................... c) Der Erfolg der Uruguay-Runde im Spiegel der Theorien .................. 3. Wirtschaftssubjekte und weltwirtschaftIiche Integration ...................... III. Der Niedergang internationaler Regime .................................................. I. Die ökonomische FWlktion internationaler Regime .............................. 2. Zweck und Funktion ökonomischer Regime ........................................
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174 178 181 182 184 187 189 191 192 193
B. Kooperative Regimebildung ......................................................................... 195 I. Die Internationalisierung des Bankwesens ................................................ 195 I. Die Risiken deregulierter Finanzmärkte ............................................... 197 2. Die Problemstellung orthodoxer Theorien ............................................ 199 II. Die Verhandlung des Finanzmarktregimes .............................................. 201 I. Das Baseler-Konkordat ......................................................................... 203 2. Der Baseler-Akkord .............................................................................. 207 3. Die Rolle der Banken im Finanzmarktregime ...................................... 212 III. Die Politische Ökonomie der Wechselkursstabilisierung ........................ 213 I. Orthodoxe Positionen ............................................................................ 215 2. Das Plaza-Abkommen .......................................................................... 216 3. Die Reaktion der Wirtschaftssubjekte auf das Plaza-Abkommen ........ 219 4. Der G-7 Gipfel in Tokio ........................................................................ 221 5. Der Louvre-Akkord .............................................................................. 223 IV. Regimebildung und Regimeumfeld ........................................................ 226 C. Dynamik und Stabilität weltwirtschaftlicher Institutionen ........................... 231 I. Funktion und Wandel internationaler Institutionen ................................... 232 I. Institutionalisierung internationaler Regime ......................................... 234 2. Institutionelles Management und Harmonisierung ............................... 237 II. Die Organisation internationaler Regime ................................................. 242 I. Regimeverteidigung und Institutionalisierungsgrad ............................. 243 2. Die Bedeutung von Organisationen ...................................................... 244 3. Regimeanpassung und Problemakkumulation ...................................... 247 4. Kognitive Prozesse und internationale politische Entscheidungen ....... 249 III. Schluß: Internationale Institutionen und Globalisierung ......................... 252
Literatur
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Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abb.l: Abb.2: Abb.3: Abb.4: Abb.5: Abb.6: Abb.7: Abb.8: Abb.9:
Gefangenendilemma ........................................................................ 40 Symmetrisches Harmonie-Spiel ...................................................... .41 Asymmetrisches Harmonie-Spiel .................................................... .42 Battle-of-the Sexes-Spiel ................................................................. 45 Tversky-Kahneman-Wertfunktion ................................................... 96 Die Politische Ökonomie von Kontinuität und Wandel .................. 142 Die strukturelle Wirkung internationaler Politik ............................ 144 Die strukturelle Wirkung ökonomischer Prozesse .......................... 145 Die Veränderung der Weltmarktintegration der USA, Japans und Deutschlands, 1960-1992 ................................... 183 Abb.lO: Partizipation, Gremien und Ziele internationaler Wirtschaftspolitik .... 238
Tabelle: Prozentuale Veränderung von Weltgüterproduktion und Güterhandel, 1982-1992 ......................................................... 182
Teil 1
Einleitung Die Globalisierung der Weltwirtschaft hat nicht nur zu einem steilen Anstieg des materiellen Wohlstandes zumindest in einigen ausgesuchten 'Zentren', sondern auch zu einem verstärkten Wettbewerb zwischen den Unternehmen und zwischen den Industriestandorten geführt. Die letzten zwei Jahrzehnte haben auch verdeutlicht, daß mit einer zunehmenden Integration der Weltwirtschaft eine Reihe von unerwünschten Folgeerscheinungen auftritt. Angefangen vom Aussterben oder der Abwanderung 'alter' Industrien aus den früh-industriellen Gebieten Europas und Nordamerikas bis hin zur Deregulierung ganzer Industriezweige und zum Abbau des Sozialstaates aus Gründen des globalen Wettbewerbs lassen sich gegenwärtig eine Reihe integrationsbedingter wirtschaftlicher Probleme identifizieren. Damit ging eine Verstärkung der Interdependenz zwischen den Staaten einher. Kein nationales Wirtschaftssystem bleibt heute von der Wirtschaftspolitik anderer Staaten unbeeinflußt. Vor allem wegen des beinahe vollständigen Abbaus internationaler Kapitalverkehrskontrollen und der fortschreitenden Professionalisierung und Globalisierung des Bankwesens verbietet sich für die Staaten in vielen Fällen ein unilaterales Management ökonomischer Prozesse. Zunehmend lassen sich unerwünschte Folgeerscheinungen nur noch gemeinsam, durch zwischenstaatliche Kooperation abfedern. Selbst relativ gering in die Weltwirtschaft integrierte Staaten wie die USA und Japan müssen ihre Wirtschaftspolitik häufig multilateral mit ihren wichtigsten Handelspartnern abstimmen, um gegenüber den Wirtschaftssubjekten und gegenüber ökonomischen Prozessen an Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Eine zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnende Begleiterscheinung globaler ökonomischer Prozesse besteht darin, daß die in der Nachkriegspe-
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Teil I: Einleitung
riode verhandelten und geschaffenen weltwirtschaftlichen Institutionen wie das GATI und das Bretton-Woods-System von der Globalisierung, die sie zum Teil selbst institutionell mit hervorgerufen haben, nicht unbeeinflußt blieben. Selbst wenn sie - wie das GATI - fortbestehen, verlieren sie in bezug auf ihre ursprüngliche Funktion teilweise an Bedeutung. Sie suchen sich entweder neue Aufgaben oder müssen von den Staaten an die veränderten Umweltbedingungen angepaßt werden. Gleichzeitig werden weitere Institutionen etabliert, die entweder neu entstandene Probleme regeln oder alte Probleme lösen helfen sollen. Doch die Staaten stehen multilateralen 'Lösungen' ihrer nationalen Wirtschaftsprobleme nicht immer aufgeschlossen gegenüber. Zwischenstaatliche Kooperation ist zwar möglich, doch es ist häufig weder die erste Option der Staaten noch sind kooperative Maßnahmen leicht zu verhandeln. Die Staaten haben unterschiedliche und partiell unvereinbare Interessen. Selbst wenn ein gemeinsames, von allen wichtigen Staaten geteiltes Ziel besteht, können politische Probleme auftreten, die eine kooperative Lösung erschweren. So ist häufig die Verteilung von Gewinnen und vor allem von Kosten umstritten. Gelegentlich tritt auch das bekannte Kollektivgutproblem auf, da oftmals Schwierigkeiten bestehen, alle Staaten angemessen an der 'Produktion' eines öffentlichen Gutes zu beteiligen. Internationale Kooperation erscheint vor dem Hintergrund der Globalisierung als Problem, das eng an weltwirtschaftliche Interessen- und Umfeldkonstellationen gekoppelt ist. Lösungen, die den Staaten zu einem bestimmten Zeitpunkt wegen divergierender Interessen ausgeschlossen scheinen, werden einige Jahre später beschlossen, ohne daß sich die Interessen im wesentlichen angenähert haben. Als Beispiele für diesen Fall können Wechselkursmanagement im Rahmen der G-7, die Finanzmarktregulation in der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und der Abschluß der Uruguay-Runde im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATI) gelten. Zwar sind diese Fälle höchst unterschiedlich gelagert, aber sie verdeutlichen den Zusammenhang von Umweltbedingungen und der Auflösung von Kooperationsblockaden. In der Internationalen Politischen Ökonomie wurden die Bedingungen weltwirtschaftlicher Stabilität lange aus einer systemischen und machtpolitischen Perspektive betrachtet. Ausgangspunkt der Theorieentwicklung der siebziger Jahre war der beobachtete hegemoniale Niedergang der USA. Für den an Machtkonstellationen orientierten Realismus schien damit fest-
Teil I: Einleitung
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zustehen, daß auch die in der Nachkriegsphase von den USA geschaffenen Institutionen nicht länger zu stabilisieren und aufrechtzuerhalten seien. Die Ursache für die erwartete Destabilisierung wurde darin gesehen, daß die Kosten der Bereitstellung der öffentlichen Güter weltwirtschaftliche Stabilität und Sicherheit nicht länger aufgebracht werden oder daß die strukturellen Bedingungen, beispielsweise die Existenz eines dominierenden Weltgeldes, nicht länger gegeben seien. Als Referenzfall konnten die Realisten, die diese Idee vertraten, auf den Niedergang und die Aufgabe des Systems fester Wechselkurse von Bretton Woods verweisen. I Der Neo-Institutionalismus, der in der amerikanisch dominierten Debatte verwies dagegen auf den Fortbestand anderer, ebenfalls von den USA geschaffenen und dominierten Institutionen. Als 'Referenzinstitution' diente ihnen vor allem das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, das GA TI. Der in der Theorie hegemonialer Stabilität behauptete einfache Zusammenhang, das erwies sich spätestens Anfang der achtziger Jahre, war offenkundig falsch. Internationale Regime waren und sind stabiler als der Realismus angenommen hatte. 2 Zunächst wurde diese Stabilität den Regimen selbst zugesprochen. Institutionen seien selbststabilisierend und keineswegs einfach abhängige Variablen eines dominierenden Staates, argumentierte Stephen Krasner. 3 Mitte der achtziger Jahre führte Robert Keohane die Stabilität internationaler Institutionen auf die in vielen Politikfeldern zu beobachtende internationale Kooperation zurück. Durch Kooperation können Staaten nicht nur internationale Institutionen schaffen, sie können bestehende Institutionen auch kooperativ stabilisieren, wobei letzteres als einfachere Aufgabe angesehen wird. 4 Keohanes After Hegemony hat die Aufmerksamkeit von der Problematik der Stabilität und des Wandels internationaler Institutionen auf die BedinI Vgl. Robert Gilpin: The Politics of Transnational Economic Relations, International Organization 25, 1971, 403ff.; Stephen D. Krasner: State Power and the Structure of International Trade, World Politics 28, 1976, S. 323.
2 Vgl. die Beiträge in Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983. 3 Stephen D. Krasner: Regimes as Intervening Variables, in: derselbe (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983. 4 Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 50.
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Teil 1: Einleitung
gun gen und Möglichkeiten internationaler Kooperation gelenkt. Diese Thematik und die sich daran entzündende Debatte erwies sich als sehr fruchtbar. Infolge der Theoriedebatte zwischen Neo-Institutionalisten und Neo-Realisten geben selbst Vertreter des lange Zeit sehr stabilen letztgenannten Paradigmas einzelne Kerntheoreme ihres Ansatzes auf oder schwächen einige ihrer Annahmen ab. Hier ist vor allem an Joseph Grieco zu denken, der nicht nur internationale Kooperation grundsätzlich als möglich betrachtet (wenngleich er sehr rigide Bedingungen voraussetzt), sondern implizit auch die EG als Akteur anerkennt. 5 Ein anderer Grund für den umfassenden Aufmerksamkeitswechsel mag darin bestanden haben, daß mit der Theorie der hegemonialen Stabilität eine zwar umstrittene, aber dennoch akzeptierte Theorie institutionellen Wandels verfügbar war. Diese wurde von ihrem deterministischen Kern befreit 6 und konnte dennoch immer dann herangezogen werden, wenn internationale Institutionen von den Staaten aufgegeben wurden. Insofern gab es zwar Anlaß zur Unzufriedenheit mit der Theorie, aber trotz der mangelhaften Operationalisierbarkeit nur wenig zwingende Gründe, nach einem Ersatz zu suchen. Den Spagat zwischen Akzeptanz und Kritik an der Theorie hegemonialer Stabilität, die institutionellen Wandel zu einer abhängigen Variable der machtpolitischen Konstellation im internationalen System macht, verdeutlichen zwei der herausragenden Theoretiker der Internationalen Beziehungen. Robert Keohane schreibt: "The dominanee of a single great power may eontribute to order in world polities, in particular eireumstanees, but it is not a suffieient eondition and there is little reason to believe that it is neeessary." 7
Wenn die Existenz eines Hegemons eine zwar hilfreiche, aber nicht notwendige Bedingung der Produktion von Ordnung im internationalen System ist, dann gibt es keinen Grund anzunehmen, daß der hegemoniale Niedergang zu einer Aufgabe internationaler Regime führt. Dieser einschränkenden Kritik stimmt Oran Young im Kern zu, dennoch bescheinigt er der Theorie hegemonialer Stabilität, ein vergleichsweise unkomplizierter und damit attraktiver Erklärungsansatz zu sein: 5 Vgl. Joseph Grieco: Cooperation among Nations, Ithaca 1990. 6 Vgl. David A. Lake: Leadership, Hegemony, and the International Economy, International Studies Quarterly, 37, S. 462. 7 Rohert O. Keohane, After Hegemony, Princeton 1984, S. 46.
Teil I: Einleitung
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"There are no necessary conditions for change in international regimes, and (... ) any of a variety of factors may be sufficient to preeipitate major changes in prevailing social institutions in real-world situations. This variety may seem frustrating to those seeking to construct a parsimonious theory of stability and change in international regimes. For all its shorteomings, the hypothesis of hegemonie stability offered the attraetion of a simple theory emphasizing a single master variable." 8
Folgt man Young liegt die Attraktivität der Theorie hegemonialer Stabilität darin, daß sie mit wenigen Theorieelementen auskommt. Trotz der allgemein anerkannten ungleichen Entwicklungen verschiedener internationaler Institutionen wurde die Theorie hegemonialer Stabilität nicht aufgegeben. Der Fortbestand der Theorie hegemonialer Stabilität, deren Attraktivität sich vor allem an Robert Gilpins The Political Economy of International Relations und an Paul Kennedys Rise and Fall ofGreat Powers zeigte, ist verwunderlich, zumal auch Young zugibt, daß die Annahme der hegemonialen Stabilität "tot ist". 9 Dies ist zum Teil der Tatsache geschuldet, daß die Hegemonialtheorie von ihren deterministischen Elementen befreit wurde. Es war damit weiterhin möglich, die Aufgabe internationaler Institutionen und zunehmend auch die Regionalisierung der Weltwirtschaft mit Machtvariationen und dem Ende der amerikanischen Hegemonie zu erklären, aber andererseits konnten aus der Theorie keine Annahmen bezüglich der Stabilität und des Fortbestandes internationaler Institutionen mehr abgeleitet werden. Damit war die Theorie nicht mehr zu falsifizieren und der Legitimationsdruck sank. Es scheint somit, als ob die Disziplin der Internationalen Beziehungen eine späte Bestätigung für Thomas Kuhns und Imre Lakatos' These liefert, daß eine Falsifikation nicht ausreicht, um die Wissenschaftler zur Aufgabe einer Theorie zu bewegen, sondern daß zusätzlich eine bessere Theorie vorliegen muß.IO Dies kann zwar eine Erklärung für die andauernde Dominanz der Theorie hegemonialer Stabilität für die Analyse weltwirtschaftlicher Dynamik sein, dennoch sollte erwartet werden, daß ein Unbehagen
8
Vgl. Oran Young: International Regimes, World Politics 39, 1986, S. 112f.
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Young, a.a.O., S. 113.
10 Vgl. Thomas Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1973; Imre Lakatos: The Methodology of Scientific Research Programmes, Cambridge 1978.
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Teil I: Einleitung
mit diesem Verfahren verbunden ist, welches zu einer verstärkten Forschungsanstrengung auf diesem Gebiet führt. Im folgenden soll der Theorie hegemonialer Stabilität ein Konzept entgegengesetzt werden, das ökonomische Strukturierungsprozesse an die Stelle von Veränderungen globaler Machtstrukturen setzt. Die abhängige Variable der Theorie hegemonialer Stabilität, die Existenz und Stabilität spezifischer Institutionen, wird weitgehend beibehalten. Auch in dieser Untersuchung geht es um den Wandel der zentralen Prinzipien und Normen eines Regimes ebenso wie um Regimegründung und -aufgabe, also in der Terminologie Oran Youngs um Regimetransformationen. ll Grundsätzlich ermöglicht der in Teil 3 entwickelte Ansatz darüber hinaus eine veränderte und vertiefte Wahrnehmung und Interpretation des Wirkungswandels weltwirtschaftlicher Institutionen. Im folgenden werden zwei Annahmen entwickelt und begründet, die zwar vom Neo-Institutionalismus abweichen aber dennoch durchaus in diesen integrierbar sind und die Dynamik internationaler Institutionen im Hinblick auf ihre Wirkung erklären. Zunächst wird das Rationalitätskonzept gelockert, damit die Existenz von Routinen und der Fortbestand internationaler Institutionen nicht nur aus der Perspektive des Akteursinteresses, sondern auch durch deren Risiko- und Unsicherheitsaversion erklärt werden kann. Diese Annahme trägt zur Erklärung eines in allen Fällen zu beobachtenden time gap zwischen ökonomischen Prozessen und den politischen Reaktionen auf diese bei. Die von den Wirtschaftssubjekten hervorgerufenen (globalen) ökonomischen Prozesse führen letztlich zu einer Nachfrage nach und zu einer Veränderung der Wirkung von weltwirtschaftlichen Institutionen. Sowohl die Entstehung als auch der Wandel weltwirtschaftlicher Institutionen wird somit ohne Rückgriff auf globale machtpolitische Konstellationen erklärt. An Stelle dessen tritt der Versuch von Staaten, krisenbedingte Verluste durch kooperative Handlungen zu vermeiden. Die Bereitschaft der Staaten zu Kooperation wächst insofern mit ihrer Risikoperzeption. Je größer die erwarteten Verluste relativ zum Status Quo, desto eher sind die Staaten in internationalen Verhandlungen zu Zugeständnissen bereit.
11 Vgl. Dran Young: Regime Dynamies, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983.
Teil I: Einleitung
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Anders als die orthodoxen Fonnulierungen des Neo-Institutionalismus und des Neorealismus kommt der hier entwickelte Ansatz nicht mit Staaten als einzigen Akteuren aus. Die Prämisse, daß Staaten die wichtigsten Akteure der internationalen Politik sind, wird hingegen erneut begründet und damit beibehalten. Beibehalten werden ebenfalls die beiden Kernaussagen des Neo-Institutionalismus, denen zufolge Institutionen eine Rolle spielen und Kooperation möglich ist. In Teil 2 wird diese Theorieentwicklung für den Bereich der Internationalen Politischen Ökonomie zunächst nachgezeichnet, um dann auf die konkurrierenden Konzeptionen des Wandels in den unterschiedlichen Ansätzen der internationalen Politik einzugehen. In Teil 3 werden einzelne Theorieelemente des Neo-Institutionalismus durch abweichende Konzeptionen ersetzt, die letztlich eine Dynamisierung des Ansatzes ennöglichen sollen. Die Vorgehensweise ergibt sich aus der Notwendigkeit, einzelne 'Bausteine' der dominierenden Ansätze zu entfernen und durch neue 'Bausteine' - quasi chirurgisch - zu ersetzen. Daß die Wissenschaft die Möglichkeit und das Recht dazu hat, sollte nach Imre Lakatos' Unterscheidung zwischen dem harten Kern einer Theorie und deren Zusatzannahmen sowie seinen Hinweisen über den Umgang mit falsifizierten Theorien nicht mehr umstritten sein. 12 Die anschließend vorgenommenen Änderungen lassen den harten Kern des Neo-Institutionalismus unberührt. Im wesentlichen werden zwei Änderungen und eine Ergänzung vorgenommen: Zunächst wird die dominierende ontologische durch eine epistemologische Institutionenkonzeption ersetzt. Strukturen und Institutionen werden dann nicht mehr als Umfeld von Handlungen oder als Grenzen der Handlungsoptionen konzipiert, sondern als Grundlage von Entscheidungen der Akteure. Die auf Durkheim zurückzuführende ontologische Analyse von Institutionen als etwas Seiendem ist immer dann irreführend, wenn ihre Wirkung über die Zeit beobachtet wird. Ontologische Betrachtungsweisen von Institutionen neigen dazu, die Stabilität von Institutionen auf Kosten ihrer Veränderung überzubewerten. Dies ist in vielen Fällen bereits in der Definition angelegt. Institutionen werden vielfach durch die von ihnen ausgehende Stabilisierung von Handlungen definiert. Eine epistemologische Betrachtungsweise von Institutionen verortet diese dagegen im 12 Vgl Imre Lakatos: The Methodology of Scientific Research Programmes, Cambridge 1978. 2 Plümper
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Teil 1: Einleitung
Entscheidungsprozeß der Akteure. Institutionen eXistIeren deshalb nicht außerhalb der Wahrnehmung durch diejenigen Akteure, deren Handlungen sie erst beeinflussen und hervortreten lassen. Im Anschluß daran wird eine, die neuere heterodoxe Entwicklung in der Ökonomie nachzeichnende, Entscheidungstheorie diskutiert. Im Unterschied zu orthodoxen Entscheidungstheorien wird das Verhalten nicht als strukturell determiniert betrachtet. Vielmehr spielen psychologische und kognitive Prozesse der Entscheider eine besondere Rolle für die Veränderung von Verhaltensmustern und damit auch für die Stabilität von Institutionen. Daraus folgt, daß Entscheidungen, das Verhalten zu verändern, den zentralen Analysegegenstand bilden. I3 Untersucht werden insofern unintendierte systemische Konsequenzen von intendiertem Verhalten. Diese entscheidungstheoretischen Grundlagen werden mit einer institutionellen Theorie verknüpft - ein Ansatz, der in der jüngsten ökonomischen Debatte zunehmend an Einfluß gewinnt, zumal der Eindruck entstand, auf diese Weise lasse sich die Einheit der Sozialwissenschaften wiederherstellen - wie auch der Gewinner des Nobelpreises für Ökonomie, Douglass North, ausführt: "Building a theory of institutions on the foundation of individual choices is a step toward reconciling differences between econornics and other social sciences. The choice theoretic approach is essential because a logically consistent, potentially testable set of hypotheses rnust be built on a theory of human behavior." 14
Jede sozialwissenschaftliche Theorie basiert explizit oder implizit auf einem Satz von Verhaltensannahmen. Diese zu verdeutlichen und ihnen zugleich eine analytische Bedeutung beizumessen, macht die Stärken der Rational-Choice-Theorie und des gegenwärtigen Institutionalismus aus.
13 Dies ist in der Adaption der ökonomischen Methode in den Sozialwissenschaften nicht immer hinreichend berücksichtigt worden. Vgl. beispielsweise Michael Zürn: Interessen und Institutionen in der internationalen Politik, Opladen 1992. Zürn behält das in der Politikwissenschaft dominierende Handlungsmodell bei. Er kann dies aber nur, weil er Akteure als perfekt informierte Maximierer ansieht. Damit fallen kognitive Prozesse, Entscheidungen und Handlungen unmittelbar zusammen. 14 Douglass North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990, S. 5.
Teil I: Einleitung
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Die Veränderung des in der aktuellen Debatte vorherrschenden Rationalitätskonzeptes dient im wesentlichen der Vermeidung einer systematischen Schwäche des Neo-Institutionalismus. Dieser basiert auf der Regime- und der Kooperationstheorie, ohne daß die Kernaussage der Regimetheorie, Institutions matter, innerhalb der Kooperationstheorie aufgenommen und diskutiert wird. 15 Der Grund für dieses Defizit liegt in der, innerhalb der Kooperationsdebatte dominierenden Konzeption des rationalen, maximierenden Akteurs. Diese Annahme macht eine eigenständige Wirkung von Institutionen nicht nur verzichtbar, sondern schließt sie sogar aus, da sich maximierende Akteure opportunistisch im Sinne Oliver Williamsons verhalten. 16 Institutionen sind demnach nur solange stabil, wie sich keine Gelegenheit zu opportunistischem Verhalten bietet beziehungsweise wie die Institutionen selbst die Anreize zu Opportunismus beseitigen. Im folgenden wird dagegen die Möglichkeit opportunistischen Verhaltens staatlicher Akteure nicht gänzlich ausgeschlossen, jedoch wird mit Hilfe der Routinenkonzeption argumentiert, daß Akteure keineswegs jede Gelegenheit zu Opportunismus wahrnehmen. Tatsächlich läßt sich in den internationalen Wirtschafts beziehungen im Verhalten der Staaten gegenüber den 'Rules of the Game' kein nennenswert opportunistisches Verhalten ausmachen. 17 Auch für die Analyse des institutionellen Wandels in Teil 15 Damit so11 selbstverständlich nicht behauptet werden, daß eine einheitliche Theorie der Wirkung von Institutionen und der Bedingungen von Kooperation unmöglich ist. Es so11lediglich eine solche Verbindung innerhalb der Theorien Internationaler Beziehungen und hier spezie11 innerhalb des Neo-Institutionalismus angemahnt werden. Im Rahmen der methodischen Grundlagen der Kooperationstheorie a11erdings kann ein Wirkungsverlust der Regime durch Opportunismus nur dann negiert werden, wenn angenommen wird, daß Institutionen den Anreiz zu Opportunismus beseitigen. Institutionen stabilisieren sich dann selbst durch die Stabilisierung kooperativen Verhaltens. Auch wenn die faktische Existenz solcher Institutionen keineswegs ausgeschlossen ist (Standards), ist diese Konste11ation im vieldiskutierten Gefangenendilemma jedoch ausdrücklich nicht gegeben. 16 Vgl. Oliver Williamson: The Economic Institutions of Capitalism, New York 1985, S. 47.
17 Lois Henkin hat diesen Sachverhalt sehr pointiert ausgedrückt: "Almost a11 nations observe almost a11 principles of international law and a11 of their obligation almost a11 the time." Louis Henkin: How Nations Behave, 2. Aufl. New York 1979, S. 47. Gleichzeitig ist unbestritten, daß mit Ausnahme von Standards nahezu a11e spezifischen Institutionen einen Anreiz enthalten, gegen ihre Normen zu verstoßen.
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Teil I: Einleitung
4 ist wichtiger, daß kein Fall existiert, in dem das 'Free-Riding' staatlicher Akteure zum Verfall internationaler Institutionen geführt oder die Bildung internationaler Institutionen verhindert hat. Damit gibt es keinen Anlaß, die Kooperationsfähigkeit von Staaten grundsätzlich zu bezweifeln. Nicht-opportunistisches Verhalten wird in Teil 3 damit erklärt, daß Akteure ihre Optionen nicht grundsätzlich kalkulieren und insofern - vor allem um die Transaktionskosten des Entscheidungsprozesses zu senken - relativ stabile Routinen entwickeln. Schließlich wird das 'Staat-als-wichtigster-Akteur' -Modell um Wirtschafts subjekte ergänzt. Diese analytische Existenz von Wirtschaftssubjekten ist unverzichtbar für eine auf ökonomischen Prozessen aufbauende Theorie der Internationalen Politischen Ökonomie, da ihr Verhalten aggregiert zu den ökonomischen Prozessen führt, die ihrerseits den Auslöser der Wirkungsänderung weltwirtschaftlicher Institutionen darstellen. Die Aufnahme von Wirtschaftssubjekten ist allerdings nur insofern eine Innovation des Neo-Institutionalismus, als dieser in der (modifizierten, nichtdeterministischen) Theorie hegemonialer Stabilität auf Wirtschaftssubjekte zur Erklärung des Wandels weltwirtschaftlicher Regime verzichtet. Die These, daß Staaten die wichtigsten Akteure der internationalen Politik seien, wird hingegen beibehalten und aus theoretischer Perspektive erneut begründet. Von den in Teil 4 diskutierten empirischen Fällen gehören zwei zum Standardrepertoire der Disziplin Internationale Beziehungen. Die unterschiedlichen Entwicklungsgeschichten des GATT und des Bretton-WoodsSystems trugen nicht nur maßgeblich zur Entstehung der Regimetheorie bei, sondern die Unterschiede in der Genese der beiden weltwirtschaftlichen Institutionen bilden darüber hinaus ein bleibendes und bislang nicht befriedigend beantwortetes Riitsel der Internationalen Politischen Ökonomie. Anschließend werden anhand dieser beiden Studien vor allem auch die unterschiedlichen Modalitäten einer Wirkungsveränderung internationaler Regime diskutiert, wobei anknüpfend an Teil 3 vor allem die kognitiven Bedingungen von Regimeanpassung und die funktionalen Bedingungen eines Regimes für die ökonomischen Transaktionen von Wirtschaftssubjekten herausgearbeitet werden. Die zweite Gruppe der empirischen Fälle beschäftigt sich mit Regimebildungsprozessen. Im Unterschied zur Nachkriegsphase, in der unter dem Eindruck, daß ökonomische Probleme (die Weltwirtschaftskrise) maßgeb-
Teil I: Einleitung
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lieh zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beigetragen haben, die institutionellen Grundlagen einer Integration der Weltwirtschaft geschaffen wurden, sind moderne weltwirtschaftliche Regime eine Reaktion auf ein spezifisches Problem. In den beiden Studien zur Verhandlung des internationalen Finanzmarktregimes und des Regimes zur Stabilisierung der Wechselkurse wird versucht, den prozessualen Charakter von Regimebildung, die unterschiedlichen Modalitäten der Beteiligung von Wirtschaftssubjekten im Regimebildungsprozeß die kognitiven Bedingungen von Regi me bildung herauszuarbeiten. Es erscheint wichtig, anzumerken, daß nicht für eine Überwindung der zum Teil kritisierten orthodoxen Ansätze des Realismus und des NeoInstitutionalismus plädiert wird, sondern lediglich für die Ersetzung ihrer Konzeptionen von Wandel. Von besonderer Bedeutung ist deshalb die abschließend vorgenommene Integration der Annahmen in den NeoInstitutionalismus. Über die notwendigen Veränderungen in Teil 3 hinaus, die kompatibel zu den Kernaussagen des Neo-Institutionalismus sind, werden keine grundsätzlichen Abweichungen vorgenommen. Es scheint sogar möglich, die Theorie institutionellen Wandels in den Realismus zu integrieren, obwohl diese Option nicht verfolgt werden soll.
Teil 2
Defizite der Konzeption von Wandel in der R ealism us-versus-Institu tio nalism us-De ba tte Modem rnacroeconomic theory (... ) will never resolve the problem that it confronts unless its practitioners recognize that the decisions made by the political process critically affect the functioning of economies. Although at an ad-hoc level we have begun to recognize this, much more integration of politics and economics than has been accomplished so far is needed. This can only be done by a modeling of the politicaleconomic process that incorporates the specific institutions involved and the consequent structure of political economic exchange. Douglass C. North
A. Die moderne Internationale Politische Ökonomie Im folgenden Teil wird die um Fragen des Systemmanagements und der zwischenstaatlichen Kooperationsfähigkeit kreisende dritte Debatte der Theorien Internationaler Beziehungen im Bereich der Internationalen Politischen Ökonomie nachgezeichnet.\ Insofern wird eine Basis geschaffen, \ Vgl. David A. Baldwin (Hrsg.): Neorealism and Neoliberalism, New York 1993; Josef Lapid: On the Prospects of International Theory in a Post-Positivist Era, International Studies Quarterly 33, 1989; Kenneth J. Holsti: The Dividing Discipline, London 1985; Kenneth J. Holsti: Mirror, Mirror on the Wall, Which are the Fairest Theories of All, International Studies Quarterly 33, 1989; Otto Keck: The New Institutionalism and the Relative-Gains-Debate, in: Frank Pfetsch (Hrsg.): International Relations and Pan-Europe, Münster 1993. Aus einem sicherheitspolitischen Blick-
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von der ausgehend später abweichende Annahmen formuliert werden. Der Begriff 'Politische Ökonomie' ist eine Wortschöpfung des frühen siebzehnten Jahrhunderts. Folgt man Richard Teichgraeber, wurde er von Antoine de Montchretien geprägt, der dem französischen König am Beispiel eines Familienhaushaltes Grundgesetze des Managements des Politischen beizubringen versuchte. 2 Nachdem der Begriff bereits 1776 von Adam Smith 3 als Bezeichnung für eine Methode und Theorie benutzt wurde, erlangte er im neunzehnten Jahrhundert eine weite Verbreitung und große Akzeptanz. Zeitgenössische Versuche, eine Wirtschaft als 'Politische Ökonomie' zu beschreiben,4 beginnen meist mit einer der folgenden ähnelnden Beschreibung: ,,For the state, territorial boundaries are a necessary basis of national autonomy and political unity. For the market, the elimination of all political and other obstacles to the operation of the price mechanism is imperative. The tension between these two fundamentally different ways of ordering human relationship has profoundly shaped the course of modern history and constitutes the crucial problem in the study of political economy." 5
winkel diskutieren Gunther Hellmann und Reinhard Wolf dieselbe Debatte, vgl.: Systemische Theorien nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, Österreichische Zeitung für Politikwissenschaft 22, 1993. 2 Vgl. Antoine de Montchrt!tien: Traicte de I' Oeconomie Politique, 1615, zitiert in: Richard F. Teichgraeber: Preface, in: John Dunn: The Economic Limits to Modem Politics, Cambridge 1990, S. vii.
3 Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, New York 1976-79, Erstauflage 1776. 4 Eine kleine Auswahl, der (subjektiv) wichtigsten, neueren Monographien zur Internationalen Politischen Ökonomie, ausgewählt im Sinne einer möglichst großen Bandbreite der Positionen: Robert W. Cox: Production, Power and World Order, New York 1987; Bruno Frey: International Political Economics, New York 1984; Stephen Gill/ David Law: The Global Political Economy, Wheatsheaf 1989; Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987; Robert Heilbroner: The Nature and Logic of Capitalism, New York 1985; Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984; Susan Strange: States and Markets, London 1988.
5 Gilpin, a.a.O., S. IOf.; Vgl. auch Stephen Gill/ David Law, a.a.O., S. xviii; Keohane, a.a.O. Die (neoklassische) Reduzierung von Märkten auf den Preismechanismus wird in einem späteren Kapitel zurückgewiesen.
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Teil 2: Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
I. Themen und Debatten der Internationalen Politischen Ökonomie
Beinahe vom Anbeginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Politischer Ökonomie, ab Beginn des siebzehnten Jahrhunderts etwa, existierte ein Zweig, der sich dezidiert mit grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit beschäftigte. Die klassische Internationale Politische Ökonomie beschäftigte sich mit der Problematik der Wohlfahrtsmehrung aus der Sicht der Außenwirtschaftspolitik eines Staates. Die moderne Internationale Politische Ökonomie begreift die Wirtschaft dagegen als Weltwirtschaft und befaßt sich eher aus systemischer Perspektive mit Wirtschaftspolitik.
1. Die Internationale Politische Ökonomie des Realismus
Für den Realismus als die dominierende politikwissenschaftliche Theorie der Internationalen Beziehungen in der Nachkriegsperiode entspricht die Vermehrung der Macht vielfach dem einzigen, zumindest aber dem dominierenden Ziel staatlicher Tätigkeit. Der relative Machtzuwachs eines Staates bedeutet gleichzeitig immer auch den relativen Machtverlust eines oder al1er anderen Staaten. Staatliche Politik erschöpft sich in dem Streben nach einem möglichst großen Anteil an der Macht und letztlich in einem Kampf um Positionen in einer Rangordnung al1er Staaten, der für Realisten in einem anarchischen Umfeld stattfindet. Das internationale System entspricht dem Hobbesschen 'Kampfe aller gegen al1e'. Darunter wird ein andauernder Konfliktzustand zwischen al1en Akteuren verstanden, da das betrachtete Spiel als Verteilungskampf beziehungsweise Nul1-SummenSpiel aufgefaßt wird. 6 Die drei zentralen Annahmen der Realisten, der anarchische Charakter des internationalen Systems, souveräne Staaten als wichtigste Akteure der internationalen Beziehungen und staatliches Verhalten als rationales Handeln mit dem Zweck der Statusmaximierung durch
6 Diese Aussagen sind den folgenden realistischen Werken entnommen: Edward H. Carr: The Twenty Years' Crises 1919-1939, London 1959; Hans J. Morgenthau: Polities among Nations, 5. Aufl. New York 1973; Kenneth M. Waltz: Man, the State, and War, New York 1959, S. 198; derselbe: Theory of International Politics, Reading 1979; Joseph M. Grieco: Anarchy and the Limits of Cooperation, International Organisation 42, 1988.
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Machtakkumulation bilden das 'realistische' Paradigma, auf dem sich jede realistische Analyse und Theoriebildung implizit oder explizit vollzieht. Beinahe selbstverständlich bestimmt dieses Paradigma auch die Behandlung ökonomischer Probleme im Rahmen des Realismus. Damit ist die Konsequenz verbunden, daß Wohlfahrt für realistische Autoren kein autonomes Ziel staatlichen Handelns ist, sondern als 'nationale Wirtschaftskraft ' nur ein Mittel zum Zweck des relativen Machtzuwachses: "Economic strength has always been an instrument of political power. (... ) For everyone ( ... ) agrees that, in case of need, guns must come before butter. The question asked is always (... ), have we aIready sufficient guns to enable us to afford some butter?" 7
Der normale Reflex eines sich dezidiert realistisch verhaltenden Staates ist eine merkantilistische Wirtschaftspolitik, die eine ökonomische Autarkie anstrebt. Diese wird nicht nur als 'soziale Notwendigkeit', sondern auch als Instrument und Bedingung politischer Macht aufgefaßt. Staaten, denen eine an Autarkie orientierte Wirtschaftspolitik unmöglich scheint, sollten im bilateralen Verhältnis zu ihren Handelspartnern zumindest eine Politik der asymmetrischen Interdependenz zu ihren Gunsten anstreben.B Die im Ergebnis merkantilistische Betrachtung der Wirtschaftspolitik durch die Realisten beruht auf der Dominanz der militärischen Sicherheit gegenüber der ökonomischen Effizienz. Denn der sich 'realistisch' verhaltende Staat muß eine Importabhängigkeit von essentiellen Gütern unbedingt vermeiden. Selbst wenn die nationale Produktion auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig ist und Importe effizient wären, muß der Staat seinen nationalen Markt für viele Produkte durch Importquoten und Schutzzölle abschotten. Er wird es als notwendig erachten, zumindest eine eigene Nahrungsmittel-, Schwer-, und Waffenindustrie zu besitzen. 9 7 Carr, a.a.O., S. 145ff.
8 Dies kann zu einer pervertierten Betrachtung von Wirtschaftspolitik führen, wie das folgende Beispiel beweist: Ein Staat darf sich erfolgreich nennen, wenn er in einer Weltwirtschaftskrise lediglich 20% seines Bruttosozialprodukts verliert, während das BSP der übrigen Welt um 30% zurückginge. Als Politik müßten konsequente Realisten diesem Staat empfehlen, eine Weltwirtschaftskrise auszulösen, wenn es ihm nur möglich ist. 9 Nicht ohne Ironie kann darauf verwiesen werden, daß sich die Beschreibung der idealtypischen Wirtschaftspolitik eines realistischen Staates bei Josef Stalin findet: Probleme des Leninismus, in: Werke, Berlin 1972.
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Realistische Staaten ordnen ihre Wirtschaftspolitik ihrer politischen Souveränität und der Integrität ihrer Grenzen unter. I 0 Durch diese Annahme kann jede Abweichung von liberalen Prinzipien sicherheitspolitisch erklärt werden. 11 Eine Mischkalkulation von Wohlfahrts- und Sicherheitsinteressen dürfte dann allerdings nur zu Veränderungen der Wirtschaftspolitik führen, wenn sich das Sicherheitskalkül eines Staates verändert. Solange zwei Staaten verbündet sind, sollten sie sich gegenseitig nahezu freien Marktzugang einräumen, während die Entstehung oder Verschärfung eines Konflikts mit einer Zunahme der Protektionen einherginge (und umgekehrt). Selbst wenn darüber hinweggesehen wird, daß schon das Verhältnis zwischen den beiden Staatszielen von den Vertretern dieses Ansatzes bislang nicht befriedigend beschrieben wurde,12 kann das Konzept von Staatsinteressen empirisch nicht überzeugen. Es wird vor allem durch die Existenz ökonomischer Konflikte zwischen militärischen Verbündeten in Frage gestellt. Auch wenn von der heute wenig eindeutigen globalen Sicherheitslage einmal abgesehen wird, lassen sich viele Belege für Handelskriege zwischen militärisch alliierten Staaten finden. Der 'Hähnchenkrieg' zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA in den sechziger Jahren ist ebenso ein Beispiel wie die amerikanisch-japanischen Beziehungen nach 1980. 13 Reicht das Konzept des 'Staatsinteresses' nicht aus, um eine liberale oder merkantilistische Wirtschaftspolitik eines Staates zu begründen, so ist es
10 Richard Rosecrance unterscheidet zwischen Territorialstaaten, die primär Sicherheitsziele verfolgen, und Handelsstaaten, denen es hauptsächlich um die Steigerung der nationalen Wohlfahrt geht. Vgl. Richard Rosecrance: Tbe Rise of the Trading State, New York 1986.
11 Dieser Ansatz stammt ursprünglich von Jacob Viner und wird heute beispielsweise von Robert Gilpin, David Lake und Benjamin Cohen vertreten. Vgl. Jacob Viner: Power versus Plenty as Objectives of Foreign Policy in the Seventeenth and Eightteenth Century, World Politics 1, 1948; Robert Gilpin: Tbe Political Economy of International Relations, Princeton 1987; David Lake: Power, Protection and Free Trade, Ithaca 1988; Benjamin J. Cohen: Crossing Frontiers, Boulder 1991. 12 Dies gesteht auch Benjamin Cohen zu. Vgl. Benjamin J. Cohen: Tbe Political Economy of International Trade, International Organization 44, 1990, S. 274. 13 Darüber hinaus finden sich weitere Beispiele bei John A. C. Conybeare: Trade Wars, New York 1987. Vgl. auch Tbomas Plümper: Wirtschaftspolitik als internationaler Koordinierungsprozeß, INITIAL Nr. 1, 1994, S. 28ff.
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gänzlich ungeeignet, um empirisch beobachtbare Veränderungen in dieser konkreten Politik zu erklären. Die Entwicklung von Wirtschaftskonflikten zwischen militärisch Verbündeten kann nicht an der Konfliktsituation im Kalten Krieg festgemacht werden. So entstanden beispielsweise der amerikanisch-japanische Wirtschafts- und Handelskonflikt und das 'Star Wars'Projekt gleichzeitig. Die Verschärfung der globalen sicherheitspolitischen Antagonie wurde nicht von einem zunehmenden Harmoniebedürfnis zwischen den Verbündeten begleitet.
2. Die immanente Kritik des klassischen Realismus
Trotz der Widersprüche zwischen dem Merkantilismus der herrschenden politikwissenschaftlichen Theorie und dem nach Smith und Ricardo dominierenden Liberalismus der ökonomischen Theorie waren bis in die achtziger Jahre alle Versuche gescheitert, die pessimistische WeItsicht des Realismus durch eine Formulierung der Theorie internationaler Politik zu überwinden, die einem in der Nachkriegsphase zunächst immer liberaler werdenden Weltwirtschaftssystem gerecht wurde. Der letztendlich erfolgreiche Anstoß zur Versöhnung des Realismus mit dem liberalen Dogma der Ökonomie wurde dann von einer Seite initiiert, von der sie nicht erwartet worden war. In einer Untersuchung der Weltwirtschaftskrise von 1929 behauptete der Ökonom Charles P. Kindleberger, die Schwere der Krise sei dadurch hervorgerufen worden, daß Großbritannien die Weltwirtschaft nicht (wie im neunzehnten Jahrhundert) stabilisieren konnte und die USA sie nicht stabilisieren wollten. Daraus folgerte er, daß die Stabilität und die Liberalität der Weltwirtschaft von der Existenz einer dominierenden Nation abhängt. I 4 Die Aufgabe dieses 'Leaders' unter sich zyklisch ergebenden krisenhaften Bedingungen 15 umfaßt die Aufnahme von wichtigen Gütern, deren Nachfrage zusammengebrochen ist, die Aufrechterhaltung eines Kapitalexportes an potentielle Schuldner, die Übernahme der 'lender-oflast-resort' -Funktion in finanziellen Krisen, die Verteidigung relativ stabi-
14 Vgl. Charles P. Kindleberger: The World in Depression, Berkeley 1973; und derselbe explizit in: Dominanee and Leadership in the International Economy: Exploitation, Publie Goods, and Free Riders, International Studies Quarterly 25, 1981, S. 247. 15 Vgl. Charles P. Kindleberger: Manias, Panies, and Crashes, New York 1978.
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ler Wechselkurse und die Koordination der makroökonomischen Politik zwischen den wichtigsten Staaten. 16 Daraus entwickelten im Denken der Realisten geschulte Politikwissenschaftler wie Stephen Krasner und Robert Gilpin die 'Theorie hegemonialer Stabilität'.J7 Sie gingen davon aus, daß es im Interesse der ökonomisch führenden Staaten liege, ein liberales Weltwirtschaftssystem zu schaffen. 18 Bei einer entsprechenden globalen Machtkonstellation kann der stärkste Staat, der Hegemon, sein Interesse an einem liberalen Weltwirtschaftssystem durch die Etablierung entsprechender internationaler Regime Ausdruck verleihen. Häufig wird er Staaten, die durch die Einführung eines liberalen Handelssystems zumindest kurzfristig verlieren werden, zur Partizipation zwingen müssen. Im Interesse des Hegemons und in seiner Verantwortung liegt die Verteidigung der spezifischen Institutionen und die Durchsetzung der Einhaltung zentraler Regeln. 19 Die ursprüngliche Version der Theorie hegemonialer Stabilität nahm an, daß eine liberale Weltwirtschaft eine abhängige Variable der Existenz eines Hegemons ist. 2o Die Theorie hegemonialer Stabilität gelangte wegen 16 Charles P. Kindleberger: Hierarchy versus Inertial Cooperation, International Organization 40,1986, S. 841; Vgl. auch sein The World in Depression, Berkely, ab der zweiten Auflage von 1986. 17 Stephen D. Krasner: State Power and the Structure of International Trade, World Politics 28, 1976; Robert Gilpin: U.S. Power and the Multinational Corporation, New York 1975; derselbe: War and Change in World Politics, New York 1981. Der Name wurde von Robert O. Keohane vorgeschlagen. Vgl.: The Theory of Hegemonie Stability and Changes in International Economic Regimes, 1967-1977, in: Holsti, Oie et al. (Hrsg.): Change in the International System, Boulder 1980, S. 132.
18 Dies wird von John Conybeare bestritten, da der Hegemon immer die Option besitzt, seine Macht in bilateralen Verhandlungen durchzusetzen, um ungleiche Verträge abzuschließen. Vgl. John A. C. Conybeare: Trade Wars, New York 1987, S. 59ff.; und derselbe: Public Goods, Prisoner's Dilemmas and the International Politieal Economy, International Studies Quarterly 28, 1984, S. 5ff. 19 Vgl. Harry G. Johnson: Trade Negotiations and the New International Monetary System, Leiden 1976, S. 17; Robert Keohanel Joseph S. Nye: Power and Interdependence, Boston 1977, S. 44. 20 Vgl. zur Kritik Duncan Snidal: The Limits of Hegemonie Stability Theory, International Organization 39, 1985; Richard Higgott: Toward a Nonhegemonic IPE, in: Craig Murphyl Roger Tooze: The New International Political Economy, Boulder 1991.
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der mit ihr verbundenen Konsequenzen (und weil sich Krisenprognosen besonders gut vermarkten lassen) bis auf die Titelseiten der Zeitungen. Denn wenn es eines Hegemons bedarf, um ein liberales Weltwirtschaftssystem zu schaffen, dann (so wurde angenommen) wird dieses aller Voraussicht nach zusammen mit dem Hegemon untergehen. 21 Das Ende der amerikanischen Hegemonie· - so die Prognose - bedeute auch das Ende eines liberalen Weltwirtschaftssystems. Nachdem diese Prognose nicht in der erwarteten Weise eintrat, wurde die Theorie in verschiedener Hinsicht modifiziert. So gestehen heute viele Vertreter der orthodoxen Ansätze ein, daß die Existenz eines Hegemons zwar eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung stabiler weltwirtschaftlicher Beziehungen ist. 22 Zusätzlich wird in modemen For-
21 Die größte Popularität unter den "Deklinisten" hat Paul Kennedy erreicht. Vgl. sein: The Rise and Fall of Great Powers, New York 1987. Versuche, diese Prognose empirisch zu überprüfen haben bestenfalls eine schwache Stützung des Argumentes gebracht. Vgl. Michael C. Webb/ Stephen D. Krasner: Hegemonic Stability Theory, Review ofIntemational Studies 15, 1989. Die Autoren argumentieren dann weiter, daß diese schwache Unterstützung daher stammt, daß die USA ihre hegemoniale Macht noch nicht verloren haben. Sie vergessen, daß ein Hegemon, der seiner hegemonialen Verantwortung nicht nachkommt, nicht zur Stützung des Systems beitragen kann. Unabhängig, ob die USA noch Hegemon sein könnten, wenn sie wollten, ist deshalb zumindest die Relevanz des Arguments bestreitbar. Ich habe in einer empirischen Überprüfung der Theorie ebenfalls keine Stützung der Prognosen der Theorie entdecken können und daraus den Schluß gezogen, die Theorie sei fehlerhaft. Vgl. Thomas Plümper: Weltordnungsdebaue und die Prognosefähigkeit der Theorien internationaler Politik, WeItTrends 4, 1994. 22 Vgl. John G. Ruggie: International Regimes, Transactions, and Change, International Organizations 36, 1982, S. 382; Peter Katzenstein: International Relations and Domestic Structures, International Organization 30, 1976; David A. Lake: Leadership, Hegemony, and the International Economy, International Studies Quarterly 37, 1993, S. 463ff. Als Beispiel eines Hegemons ohne liberale Einstellung dient Holland im siebzehnten Jahrhundert. Vgl. Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 32. Robert Gilpin trägt zur Verwirrung bei, indem er Holland eben wegen seiner merkantilistischen Politik nicht als Hegemon betrachtet. Gilpin benutzt den Terminus Hegemon demnach nur für dominante und liberale Staaten. Vgl. Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 73f. (Fn. 8). Zur Kritik der Theorie vgl. Richard K. Ashley: Imposing International Purpose, in: ErnstOUo Czempiel/ James N. Rosenau (Hrsg.): Global Changes and Theoretical ChaIlenges, Lexington 1989, Richard Higgott: Toward a Nonhegemonic IPE, in: Craig Murphy/ Roger Tooze (Hrsg.): The New International Political Economy, Boulder 1991.
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mulierungen der Theorie nicht mehr die Stabilität internationaler Wirtschaftsorganisationen und Institutionen in Frage gestellt, sondern der Grad weltwirtschaftlicher Integration. 23 Ohne Hegemon, der die Weltwirtschaft stabilisiert, desintegriert sie und es bilden sich regionale Wirtschaftszonen um die 'Regionalhegernone' USA, Japan und die EG. Vertreter der Theorie hegemonialer Stabilität neigen dazu, das amerikanische Zeitalter aus Gründen der Stabilität zu preisen, und implizieren, das Hegemonialsystem schaffe für alle Staaten einen Nettogewinn. 24 Mit der Hegemonialtheorie war erstmals eine Verbindung zwischen der an Macht orientierten Methode des Realismus und dem Liberalismus der Ökonomie möglich. Daran lag und liegt der Reiz von Kindlebergers wirtschaftshistorischer Untersuchung für die Politikwissenschaft. Der Theorie hegemonialer Stabilität war die Versöhnung des politischen Realismus mit dem ökonomischen Liberalismus gelungen.
3. Die neo-institutionelle Kritik der Theorie hegemonialer Stabilität
Nachdem der Fortbestand des GATI verdeutlichte, daß die Prognosen der ursprünglichen Theorie hegemonialer Stabilität fehlerhaft waren, mußte die Theorie entweder aufgegeben oder um Zusatzannahmen erweitert werden. Die als Kritik formulierte, neo-institutionelle und nicht-immanente Kritik an der Theorie hegemonialer Stabilität zielt in zwei Richtungen: Zum einen wird die deterministische Konsequenz des hegemonialen Niedergangs bestritten, da die vom Hegemon geschaffene Ordnung in Form weltwirtschaftlicher 'Regime' fortbesteht. Und zum anderen wird behauptet, daß zwischenstaatliche Kooperation einer Reihe von wichtigen Nicht-
23 Vgl. in diesem Sinne Lester Thurow: Head to Head: The Coming Economie Battle between Japan, Europe and America, London 1993; Jeffrey E. Garten: A Cold Peace: America, Japan, Germany and the Struggle for Supremacy, New York 1992. Beides, also die Aufgabe globaler Wirtschaftsorganisationen und eine Regionalisierung des Weltmarktes behauptet Theodore Geiger: The Future of the International System, Allen & Unwin, Boston 1988. Zur Kritik Thomas Plümper: Weltordnungsdebatte und die Prognosefähigkeit der Theorien internationaler Politik, WeItTrends 4, 1994; vgl. auch Lake, a.a.O. 24 Vgl. Duncan Snidal: The Limits of Hegemonie Stability Theory, International Organization 39, 1985.
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Hegemonen den Hegemon ersetzen kann. Beide Erklärungen können offensichtlich dazu verwendet werden, die Theorie hegemonialer Stabilität in einer veränderten Form fortbestehen zu lassen. Das heißt, beide Kritikpunkte können als Zusatzannahmen integriert werden: Der hegemoniale Niedergang (der USA) führt insofern nur noch langfristig zu einer weltwirtschaftlichen Desintegration, wenn sich keine Gruppe kooperierender Staaten findet, die den Hegemon ersetzt. Die Fristigkeit ergibt sich dabei durch die Institutionen innewohnende Selbststabilisierung.
a) Regime und Regimewirkung Der Begriff der 'Regime' ist innerhalb der Theorien der internationalen Beziehungen mittlerweile vertraut. Im weitesten Sinn steht er für die institutionelle Ordnung innerhalb eines Problemfeldes. Unter diesem Konsens haben sich allerdings zwei unterschiedliche regimetheoretische Ansätze gebildet: Ein auf dem methodologischen Individualismus beruhender, strukturalistischer Ansatz und ein holistisch-soziologischer, funktionalistischer Ansatz. 2S Das Wort 'Regime' wurde in dem sich herausbildenden Kontext erstmals von John Gerard Ruggie verwandt. Danach entspricht ein Regime einem "set of mutual expectations, generally agreed-to rules, regulations and plans, in accordance with which organizational energies and financial commitments are allocated." 26
Im sei ben Jahr wurde der Begriff in etwas anderer Bedeutung von Richard Cooper benutzt. Dieser definierte
2S Vgl. Robert O. Keohane: International Institutionalism, in: derselbe: International Institutions and State Power, Boulder 1989. Es gibt mittlerweile mehrere Versuche, beide Ansätze zu integrieren. Von diesen ist Keohanes After Hegemony der prominenteste. Es scheint, als ob die Integration immer dann erfolgversprechend ist, wenn die Funktion von Regimen in eine im Grunde strukturalistische Theorie integriert wird, während der umgekehrte Weg an der zu weiten Regimedefinition der Funktionalisten scheitert.
26 John G. Ruggie: International Response to Technology, International Organizati on 29,1975.
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,,regime as any particular set of mIes or conventions governing (monetary and financial) relations between countries." 27
An diesen Definitionen lassen sich die Unterschiede zwischen strukturalistischen und funktionalistischen Ansätzen exemplarisch darstellen. Charakteristisch für strukturalistische Ansätze ist die Betonung der Normen und Institutionen und ihrer Wirksarnkeit,28 die quasi definitorisch vorausgesetzt wird, obwohl sie im Grunde erst nachgewiesen werden soll. Dagegen fokussieren funktionalistische Ansätze auf dem Verhalten der Akteure, welches zwar durch Regime, aber nur indirekt über eine Veränderung der Verhaltenserwartung beeinflußt wird. Der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Konzeptionen ergibt sich bereits bei der Identifikation von Regimen: Für die Strukturalisten können Regime auf der Grundlage von expliziten Regeln identifiziert werden, für die Funktionalisten auf der Basis von beobachtetem stabilem Verhalten. 29 Die Denkschulen haben Stärken und Schwächen. Die Stärken des Funktionalismus liegen in ihrem Fokus auf Situationsdeutungen der Akteure. Die Strukturalisten leiten dagegen Institutionen nicht aus dem Verhalten der Akteure ab, sondern betrachten konkrete, politisch implementierte Regel werke und Organisationen. Andererseits neigen die Strukturalisten zu einer handlungsdeterminierenden Konzeption von Strukturen, während die Funktionalisten umgekehrt dazu neigen, alle Faktoren, die Verhaltenserwartungen beeinflussen, unterschiedslos als Regime zu betrachten. 30
27 Vgl. Richard N. Cooper: Choice of an International Monetary System, International Organization 29, 1975, hier zitiert nach: Richard N. Cooper: The International Monetary System, Cambridge 1987, S. 2. Vgl. auch Ernst B. Haas ist: On Systems and International Regimes, Wor1d Politics 27, 1975.
28 Daraus ergibt sich implizit, daß eine Gruppe unwirksamer Normen kein Regime darstellt. Explizit hat das die 'deutsche Schule' der Regimetheorie um Volker Rittberger als sinnvoll ausgegeben. Vgl. Volker Rittberger (Hrsg.): International Regimes in East-West Politics, London 1990. 29 Vgl. Robert O. Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger: Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 27. 30 Vgl. insbesondere die Arbeiten von Oran Young: International Regimes, World Politics 39, 1986; und derselbe: Regime Dynamics, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983.
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Den entscheidenden Anstoß 31 erhielt die Regimetheorie im Oktober 1980, als sich die führenden 'Regimetheoretiker' auf einer Konferenz in Los Angeles trafen, um ihre mehr oder weniger individuell entwickelten Ansätze zu diskutieren und die bestehenden Unstimmigkeiten nach Möglichkeit auszuräumen. 32 Während dieser Konferenz einigten sich die Teilnehmer auf eine, gegenwärtig überwiegend Verwendung findende, einheitliche, aber eklektische Regimedefinition: "International Regimes are defined as principles, nonns, rules, and decisionmaking procedures around which actors' expectations converge in a given issuearea. (... ) Principles are be1iefs of fact, causation, and rectitude. Norms are standards of behavior defined in tenns of rights and obligations. Rules are specific prescriptions or proscriptions for action. Decision-making procedures are prevailing practices for making and implementing collective choice." 33
Regime ergänzen und korrigieren den Realismus durch die Aufnahme einer abhängigen, aber "intervenierenden" und "interaktiven" Variable. Zwar bleiben die (staatlichen) Akteure die vordergründig bestimmende Komponente der Analyse, weil nur sie Handlungen ausführen. Doch bei der Festlegung ihrer Handlungen lassen sich die Akteure von bestehenden Regimen leiten. Dies könnte auch eine für Realisten akzeptable Annahme sein, wenn die Regimetheorie nicht konstatieren würde, daß es zu Spannungen zwischen der Regimewirkung und der Machtverteilung zwischen den Akteuren kommen 31 Vgl. Friedrich Kratochwill John G. Ruggie: International Organization: State of the Art on an Art of the State, International Organization 40, 1986 siehe insbesondere die Grafik auf Seite 761.
32 Keohane und Nye betonen den breiten Konsens der entwickelten Regimedefinition, beklagen allerdings, daß die Grenze zwischen Regimes und Nicht-Regimes verwischt worden sei. Vgl. Robert O. Keohanel Joseph S. Nye: Power and Interdependence revisited, International Organization 41,1987, S. 741. 33 Stephen D. Krasner: Regimes as Intervening Variables, in: derselbe: International Regimes, Ithaca 1983. Die Definition unterscheidet sich geringfügig von derjenigen, welche die Konferenzteilnehmer verabschiedeten. Die 'Originalversion' findet sich zitiert bei: Jock A. Finlaysonl Mark W. Zacher: The GATT and the Regulation of Trade Barriers, International Organization 35, 1981. Zu Recht hat Susan Strange beklagt, daß das Konzept von Regimes dadurch so weit gefaßt wird, daß es beinahe jede einigermaßen stabile Verteilung von Macht umfaßt. Susan Strange: Cave! Hic Dragones: A Critique of Regime Analysis, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983. 3 PlÜInper
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kann. Eine Veränderung der Machtverteilung resultiert nicht zwangsläufig in einer Änderung der internationalen Politik, weil Regime Verteilungskonstellationen stabilisieren. Stephen Krasner formuliert das 'Credo' der Regimetheoretiker folgendermaßen: "Principles, norms, rules, and procedures may not conform with the preferences of the most powerful state. Ultimately state power and interest condition both regime structures and related behavior, but there may be a wide area of leeway." 34 und "Once regimes are established they may feed back on the basic causal variables that gave rise to them in the first place. They may alter the distribution of power. They may change assessments of interest. Regimes may become interactive, not simply intervening variables." 35 Die Regimetheorie erklärt den politischen Einfluß der Regime dadurch, daß Regime einfacher zu verteidigen als zu etablieren sind. Ihrer Existenz wird von den Akteuren ein Wert beigemessen, der die Kosten der Nichtrealisierung machtpolitisch durchsetzbarer Ziele übertrifft. In diesem langfristigen Wert der Regime liegt der Anknüpfungspunkt an die Theorie hegemonialer Stabilität. Obwohl die Regimetheorie der Hegemonialtheorie folgt, daß Hegemonialperioden mit dem Verlust der ökonomischen Dominanz des Hegemons enden, gehen sie von einem möglichen Fortbestand der Regime aus. In einem permanent Veränderungen unterworfenen internationalen System stellen Regime zwangsläufig Quellen von Kontinuität dar. Wenn zumindest innerhalb der Regimetheorie Konsens darüber herrscht, daß die Verhaltenskalkulation der Akteure von ihren Interessen und bestehenden Normen beeinflußt werden, dann entsteht durch eine Veränderung der Interessen oder deren Durchsetzungspotential ein Spannungsfeld. Dieses kulminiert langfristig in einer Regimeentwicklung, eventuell gar in einem faktischen Kollaps des Regimes. Der Realismus leugnet dieses Spannungsfeld, indem er Regime als reine Epiphänomene qualifiziert. Als solche haben sie nur Bestand, solange sich die Interessen
34 Stephen D. Krasner: Regimes as Intervening Variables, in: derselbe (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983. 35 Stephen D. Krasner: Regimes and the Limits of Realism, in: derselbe (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983, S. 358.
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der dominierenden Staaten oder die systemische Machtstruktur nicht ändern. 36 In den letzten Jahren ist mehrfach versucht worden, die behauptete Regimewirkung durch eine empirische Analyse zu stützen. Derartige Untersuchungen müssen kontrafaktisch 37 geführt werden, weil die Sozialwissenschaft die Wirkung oder Nichtwirkung einzelner Komponenten in einem Systems schwer nachweisen kann. Bislang jedenfalls liegt ein schlüssiger Nachweis der behaupteten Wirkung von Normen, Institutionen und Regimen nur in Ansätzen vor. Aber immerhin wird für das GATT und selbst für internationale Währungsbeziehungen eine Wirkung auf das Verhalten von Staaten angenommen. Jock Finlayson und Mark Zacher behaupten etwa, daß die Normen und Regeln zwar das Produkt der Präferenzen der mächtigen Staaten sind, daß aber eben diese Normen auch die politische Entscheidungsfreiheit der Staaten einschränken, die sie schufen. Und Benjamin Cohen versucht zu zeigen, daß sich die Veränderungen im internationalen Währungssystem normgeleitet vollzogen. Zumindest in seinen wesentlichen Elementen habe das Regime deshalb einen Einfluß auf das Verhalten der Staaten. 38
36 Vgl. beispielsweise Kenneth Waltz: Theory of International Politics, Reading
1979.
37 "Ist ein Problemfeld nicht durch ein Regime verregelt, muß gezeigt werden, weiche Veränderungen eintreten würden, gäbe es ein Regime. Wenn das Problemfeld durch ein Regime verregelt ist, wäre zu zeigen, daß die Ergebnisse ohne das Regime anders wären." Efinger, Manfred et al.: Internationale Regime und internationale Politik, in: Politische Vierteljahresschrift Sonderband 21, Opladen 1990, S. 273f. Siehe auch Volker Rittberger/ Michael Zürn: Towards Regulated Anarchy in EastWest Relations, in: Volker Rittberger (Hrsg.): International Regimes in East-West Politics, London 1990, S. 47. An dieser Stelle kann angemerkt werden, daß es fraglich ist, ob die Existenz eines Nicht-Regimes mit den Mitteln der Regimetheorie analytisch umfassend dargestellt werden kann. Ist ein Problemfeld unverregelt, kann auf keinen Fall gezeigt werden, welche Veränderungen mit einem Regime einträten, da die Regulation und die Akzeptanz des Regimes zwangsläufig unbekannt bliebe. 38 Jock A. Finlaysonl Mark W. Zacher: The GATT and the Regulation of Trade Barriers, International Organization 35, 1981, S. 601. Benjamin J. Cohen: Balance-ofPayments Financing: Evolution of a Regime, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983, S. 334. Vgl. auch Robert O. Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 30; und Manfred Efinger et al.: Internationale Regime
36
Teil 2: Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
b) Internationale Kooperation Nachdem Robert Keohane in After Hegemony zeigte, daß internationale Kooperation nach dem Niedergang eines Hegemons Regime zu stabilisieren vermag, entwickelte sich eine zweite Debatte zwischen den konträren Positionen über die Fähigkeit der Staaten zu Kooperation. 39 Hatte die Debatte zwischen Realisten und Institutionalisten anfangs die Problematik der Regimestabilisierung zum Gegenstand, wechselte das Thema nun zu kooperativer Regimebildung ohne Hegemon. Dabei rückten empirische Untersuchungen zunehmend in den Hintergrund und nach der Veröffentlichung von Robert Axelrods The Evolution 0/ Cooperation wurde eine dezidiert spieltheoretische Beweisführung populär. Nach einer weitgehend akzeptierten Definition findet zwischenstaatliche Kooperation statt, "when ac tors adjust their behavior to the actual or anticipated preferences of others, through a process of policy coordination." 40
Trotz dieser allgemein akzeptierten Definition blieb es umstritten, unter welchen Bedingungen Kooperation zwischen Staaten zustande kommt und welchen Stellenwert sie im internationalen System hat. 41 Die theoretisch geführte Debatte bringt es mit sich, daß die 'Herausforderer', die Neo-Institutionalisten, den Großteil der Überzeugungsarbeit leisten müssen, statt daß die Realisten ihre der empirischen Evidenz entgegenstehende Positionen verteidigen. Der Standpunkt der Herausgeforderten ist klar. Für Realisten schafft die Anarchie im internationalen System ein Umfeld der Konkurrenz und der Konflikte, durch das zwischenstaatliche Kooperation
und internationale Politik, in: Politische Vierteljahresschriften Sonderband Nr.21, Opladen 1990, S. 274. 39 Diese Debatte ist zusammengefaßt in David A. Baldwin (Hrsg.): Neorealism and Neoliberalism, New York. 40 Robert O. Keohane: After Hegemony , Princeton 1984, S. 51; Kenneth A. Oye (Hrsg.): Cooperation under Anarchy, Princeton 1986; Robert Putnaml David Bayne: Hanging Together, Cambridge, 2. Auflage 1987; Joseph M. Grieco: Cooperation among Nations, Ithaca 1990; Peter M. Haas: Saving the Mediterranean, New York 1990; Helen Milner: International Theories of Cooperation among Nations, World Politics 44, 1992, S. 467. 41
Vgl. Milner, a.a.O., S. 468.
A. Moderne Internationale Politische Ökonomie
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wirkungsvoll verhindert wird. Da die Staaten nicht nur auf absoluten, sondern in erster Linie auf relativen Gewinnen bedacht sind, können einzelne Staaten versucht sein, internationale Kooperationsformen scheitern zu lassen, weil sie annehmen, ihr Partner erziele aus der Kooperation einen größeren Gewinn als sie. Für Realisten existieren folglich zwei hauptsächliche Barrieren zwischenstaatlicher Kooperation: Die Angst der Akteure betrogen zu werden und das dominierende Interesse an relativen Gewinnen, das nur eine Seite verwirklichen kann. 42 Daraus folgt, daß Kooperation am wahrscheinlichsten ist, wenn die Verteilung von Kooperationsgewinnen in einer Weise erfolgt, daß die existierende Rangliste zwischen den Staaten sich nicht verändert. 43 Kooperation gilt für Realisten eher als Ausnahme; selbst wenn alle beteiligten Parteien deutlich machen, sich absprachekonform zu verhalten, sind verteilungsneutrale Ergebnisse schwer auszuhandeln. Die Hegemonialtheorie kann auf diese rigide Annahme nicht verzichten, ohne ihr Fundament zu verlieren: Wenn sie die Kooperationsfähigkeit und die Kooperationswilligkeit von Staaten nicht weitgehend ausschließt, kann sie die grundsätzliche Bedeutung eines Hegemonialsystems in der Analyse nicht aufrechterhalten. Deshalb ist sie durch den empirischen Nachweis von Kooperation und den theoretischen Nachweis von Kooperationsfähigkeit zwischen staatlichen Akteuren sehr verwundbar. Beobachtete kooperative Verhaltensweisen der Staaten werden notwendigerweise als reine Epiphänomene qualifiziert 44 oder als vom Hegemon durchgesetzt angenommen. 45 42 Joseph M. Grieco: Anarchy and the Limits of Cooperation, International Organization 42,1988, S. 487.
43 Vgl. Joseph M. Grieco: Cooperation among Nations, Ithaca 1990. 44 Vgl. deutlich Hans Morgenthau: Politics among Nations, New York 1948, S.
509. Das Problem des empirischen Nachweises von Kooperation liegt darin, daß die beobachtete politische Handlung der Akteure in einem kontrafaktischen Nachweis auf die zwischen ihnen stattfindende Kooperation zurückgeführt wird. Damit wird implizit oder explizit angenommen, daß sich die Akteure ohne Kooperation anders verhielten. Die Epiphänomen-These basiert auf dem Gedanken, daß beobachtbare Institutionen lediglich eine zugrunde liegende Macht-Interessen-Konstellation widerspiegeln. Vgl. Susan Strange: Cave! Hic Dragones: A Critique of Regime Analysis, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983; Kenneth N. Waltz: Theory of International Politics, Reading 1979. 45 Vgl. Joanne Gowa: Anarchy, Egoism, and Third Images, International Organizati on 40, 1986, S. 174.
38
Teil 2: Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
Der besondere Stellenwert von Hegemonialstaaten in der Theorie wird durch die Annahme unterstrichen, daß die stärksten und die schwächsten Staaten am wenigsten Besorgnis um einen relativen Niedergang haben und am ehesten kooperationswillig sind. Die Staaten der Mitte müssen dagegen ihre Position am sorgfältigsten verteidigen und kalkulieren ihre Interessen als relative Statusmaximierer. 46 Die neo-institutionelle Kritik hat die Prämisse der Realisten bezüglich des 'relativen Gewinn-maximierenden Verhaltens der Akteure' zunächst unbeachtet gelassen 47 und gelangte infolgedessen zu einer anderen Sichtweise auf die Problematik zwischenstaatlicher Kooperation. Beibehalten wurde hingegen die Position, daß die Staaten kein einheitliches Wertesystem vertreten müssen, damit Kooperation möglich wird. Auch wenn sie sich rein an ihrem Interesse orientieren, gilt Kooperation als möglich. 48 Der den verschiedenen Modellen zugrundeliegende Konflikt kann anhand einer Differenzierung von Fritz W. Scharpf verdeutlicht werden. Scharpf unterscheidet zwischen 'Konfrontation', 'Verhandlung' und 'Problemlösung'. In der Sprache der Theorien internationaler Politik beschreibt Konfrontation eine konfliktuelle Entscheidung in Null-Summen-Spielen: Es gibt Sieger und Verlierer. Der Begriff der Verhandlung bezeichnet Verteilungskämpfe in Positiv-Summen-Spielen. Problem lösung kennzeichnet harmonische 'Spiele', in denen positive Ergebnisse ausschließlich nichtkonfliktuell erzielt werden. 49
46 Vgl. etwa Duncan Snidal: The Limits of Hegemonie Stability Theory, International Organization 39,1985; David Lake: Power, Protection and Free Trade, Ithaca 1988. 47 Die anderen Prämissen sind beibehalten worden und es spricht alles dafür, daß der Institutionalismus die Veränderung der zentralen Annahme zunächst nieht bemerkte, bis sie von Joseph Grieco auf diese Problematik aufmerksam gemacht wurde. Vgl. Joseph M. Grieco: Anarchy and the Limits of Cooperation, International Organization 42, 1988.
48 Robert Keohane: International Institutions and State Power, Boulder 1989, S.159. 49 Vgl. Fritz W. Scharpf: Political Institutions, Decision Styles, and Policy Choices, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Politieal Choiee, Frankfurt 1991, S. 63. Ich danke Volker Schneider für den Hinweis, daß die Unterscheidung bei Scharpf im Entscheidungsverhalten der Akteure und nicht strukturell begründet ist. Ich denke jedoch, daß es im Sinne einer parsimonischen Rational Choiee Konzeption mehr Sinn macht, unterschiedliche Konfliktpotentiale zunächst strukturell zu begründen.
A. Modeme Internationale Politische Ökonomie
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Das letztere Modell wird in der Internationalen Politik verständlicherweise kaum diskutiert; die Debatte kreist primär um die Frage, ob internationale Konflikte dem ersten oder zweiten Modell entsprechen. Tatsächlich nimmt die liberale Ökonomie aber grundsätzlich an, daß weltwirtschaftliche Integration und Arbeitsteilung den Staaten einen Nettogewinn schaffe, den sie auch anstreben. Rein abstrakt ließe sich also argumentieren, daß internationale weltwirtschaftliche Kooperation immer einem Positiv-Summen-Verteilungskonflikt entspricht. Entstehen derartige distributive Konflikte, liegt offenkundig ein Verhandlungsspiel vor. Aber auch harmonische Spiele scheinen immer dann vorstellbar, wenn die unilaterale Politik eines Staates allen Staaten zugute kommt. Zu denken wäre hier etwa an eine Stabilisierung des Dollarkurses durch eine stabilitäts-orientierte Währungsund Finanzpolitik der USA. Dennoch haben Neo-Realisten zu argumentieren versucht, daß internationale Politik grundsätzlich in Konfrontation aufgelöst werden muß, da Staaten eben nicht an ihrem reinen Nutzen, sondern zumindest auch an ihrem (relativen) Status interessiert seien. Neo-Institutionalisten bauten ihre Theorie zunächst auf dem zweiten Modell auf. Die Auseinandersetzung mit dem Realismus wird von den Neo-Institutionalisten überwiegend spieltheoretisch geführt. 50 Im Mittelpunkt der Debatte zwischen Realisten und Institutionalisten steht dabei das Gefangenendilemma, 51 das vordergründig der strhktur des internationalen Systems entspricht. Es zeigt, daß rationales Verhalten der Akteure zu suboptimalem Verhalten führen kann, daß sich also aus den dominanten Strategien der Akteure ein 50 Vgl. für die Neo-Institutionalisten: Robert Axelrod: The Evolution of Co-operation, New York 1984; Duncan Snidal: Relative Gains and the Pattern of International Cooperation, Arneriean Political Science Review 85, 1991; Duncan Snidal: Coordination versus Prisoners' Dilemma: Implications for International Cooperation and Regimes, American Political Science Review 79, 1985; verschiedene Beiträge in: Kenneth A. Oye (Hrsg.): Cooperation under Anarchy, Princeton 1986; Arthur A. Stein: Coordination and Collaboration in an Anarchie World, International Organization 36, 1982. Für die Neo-Realisten: Joseph M. Grieco: Realist Theory and the Problem of International Cooperation, Journal of Politics 40, 1988. Vgl. auch David A. Baldwin (Hrsg.): Neorealism and Neoliberalism, New York 1993. 51 Vgl. Joseph M. Grieco: Realist Theory and the Problem of International Cooperation, Journal of Politics 40, 1988, S. 601; Mancur Olson: The Logic of Collective Action, Cambridge 1965. Andere Modelle werden vorgestellt in Duncan Snidal: The Game Theory of International Politics, in: Kenneth Oye (Hrsg.): Cooperation under Anarchy, Princeton 1986; R. Harrison Wagner: The Theory of Games and the Problem of International Cooperation, American Politieal Science Review 70, Juni 1983.
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Teil 2: Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
pareto-defizientes Gleichgewicht ergibt. 52 In der Sprache der Spieltheorie, der 'Payoff Struktur', ausgedrückt, ergibt sich folgendes Bild 53:
Spieler A
C
C 3,3
D
4,1
Spieler B
D 1,4 2,2
Abb.l: Gefangenendilemma Wenn die Spieler absolute Gewinnmaximierer (oder absolute Verlustminimierer) sind, haben sie das gleiche Präferenzschema DC>CC>DD>CD. In einem isolierten Spiel wird deshalb das Ergebnis [DD] erwartet, weil unkooperatives Verhalten - unabhängig von dem erwarteten Zug des Partners - rational ist. Erwartet der Akteur ein kooperatives Verhalten seines Gegenübers, kann er diesen durch unkooperatives Verhalten ausbeuten; erwartet er dagegen unkooperatives Verhalten, darf er nicht kooperieren, da er selbst ansonsten ausgebeutet wird. Falls das Spiel wiederholt wird, kann sich unter Umständen, etwa wenn beide Akteure sich zunächst kooperativ verhalten und zumindest einer 'tit for tat' spielt, das Ergebnis [CC] einstellen. 54 Die Akteure bewerten dann ihr langfristiges absolutes Ergebnis höher als die kurzfristig erreichbaren absoluten und relativen Gewinne. Dennoch fällt auf, daß die symmetrische Darstellung des Gefangenendilemmas die Frage etwaiger relationaler Gewinnpräferenzen der Akteure vermeidet. Das Ergebnis ist sowohl bei gegenseitigem kooperativem Ver52 Vgl. vor allem Robert Axelrod: The Evolution of Cooperation, New York 1984. 53 Ich passe im folgenden die Bezeichnung innerhalb der Grafik und der Präferenzschemata der amerikanischen Schreibweise an und bezeichne kooperatives Verhalten mit [C(=Cooperation») und unkooperatives Verhalten mit [D(=Defection»). Innerhalb der Präfenzschemata bekommt der jeweilige Akteur den ersten Buchstaben des Aktionspaares zugewiesen, also DC, wenn der Akteur nicht-kooperiert und sein Partner kooperiert. 54 Dies ist das Ergebnis einer Computersimulation von Robert Axelrod. The Evolution of Cooperation, New York 1984. Der Akteur, der 'tit for tat' spielt, wiederholt bei jedem Zug den vorherigen Zug des Partners.
A. Modeme Internationale Politische Ökonomie
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halten als auch bei gegenseitiger Defektion identisch. Überwiegend drücken die Werte in den Matrizen der Spieltheorie allerdings gar nicht die erwartete Verteilung, sondern die Präferenzen der Akteure aus. Rückschlüsse auf relative Gewinne sind in diesem Fall grundsätzlich nicht möglich, da der Kalkulationsprozeß der Akteure abgeschlossen ist. Eine Berücksichtigung von Verteilungskonflikten durch die Akteure findet dagegen bereits im Präferenzbildungsprozeß statt.
In der komplexen Realität der Weltwirtschaft sind symmetrische Ergebnisse nicht sehr wahrscheinlich. Das GATI beispielsweise hat für alle kooperierenden Staaten eine unklare Kosten- und Nutzenstruktur. Höchst unwahrscheinlich ist es, daß die Nettogewinne etwa der unlängst abgeschlossenen Uruguay-Runde symmetrisch oder wenigstens proportional verteilt sind. Ferner kann festgestellt werden, daß durch die implizite Prämisse des symmetrischen Gefangenendilemmas die zentrale Annahme der Realisten, Akteure seien relative Gewinnmaximierer, zunächst weitgehend ausgeblendet wurde. Zwar nehmen Realisten an, daß die Akteure einen Anreiz zu opportunistischem Verhalten haben, da in Situationen, in denen nur der Gesprächspartner kooperiert, relative Gewinne realisiert werden können. Doch auch die Neo-Institutionalisten müssen dies annehmen, da die absoluten Gewinne bei [DC] die absoluten Gewinne bei [CC] übersteigen. Insgesamt ist das Präferenzschema in diesem speziellen Fall gleich. Dennoch halten Realisten Kooperation weiterhin für nahezu ausgeschlossen. Daß sich die Debatte mit den eingesetzten Mitteln nicht entscheiden läßt, läßt sich anhand des folgenden Spieles verdeutlichen:
Spieler A
C
C 4,4
D
3,2
Spieler B
D 2,3 1,1
Abb.2: Symmetrisches Harmonie-Spiel Hier erwarteten Neo-Institutionalisten lange Zeit ein harmonisches Verhalten der Akteure, die beide Kooperation gegenüber Nicht-Kooperation präferieren. Das Präferenzschema in diesem Fall wäre CC>DC>CD>DD. Doch relative Gewinnmaximierer würden das Schema DC>CC=DD>CD aufweisen und können das Spiel von daher keineswegs als Harmonie anse-
42
Teil 2: Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
hen. Ähnliche Ergebnisse lassen sich mit unsymmetrischen Spielen simulieren:
Spieler A
C
C 5,6
D
4,1
Spieler B
D 3,4 1,0
Abb.3: Asymmetrisches Harmonie-Spiel Auch in diesem Fall zeigt sich, daß das Präferenzschema der Akteure wechselt, je nachdem, ob sie als absolute oder als relative Gewinnmaximierer verstanden werden. Neo-Institutionalisten erwarteten für die Spieler A und Bein Präferenzschema von CC>DC>CD>DD. Dies entspricht der Präferenzordnung eines Harmoniespiels, wobei Spieler A und Spieler B (aus Nettonutzenperspektive) eine dominante, kooperative Strategie haben. Realisten interpretieren für Spieler A das Schema DC>DD>CC=CD und für B das Schema CC=DC>DD>CD. Während Institutionalisten auch hier ein kooperatives Verhaltens beider Akteure erwarten, schließt die Annahme eines statusmaximierenden Verhalten der Akteure Kooperation aus, da die dominante Strategie für Spieler A nun nicht-kooperativ ist. Dennoch haben einige Realisten, veranlaßt durch die Debatte um internationale Kooperation, ihre Position geringfügig modifiziert. Kooperation wird zwar weiterhin für unmöglich gehalten, wenn die Gewinne zwischen den Akteuren ungleich verteilt werden, doch lassen sich unterschiedliche Gewinne durch Ausgleichszahlungen egalisieren, was zu kooperativem Verhalten führen kann: "States define balance and equity as a distribution of gains that roughly maintains pre-cooperation balances of capabilities. To attain this (... ) states offer their partners concessions; in exchange, they expect to receive approximately equal compensations." 55
55 Joseph M. Grieco: Cooperation among Nations, Ithaca 1990, S. 47. Vgl. auch Fritz W. Scharpf: Political Institutions, Decision Styles, and Policy Choices, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Political Choice, Frankfurt 1991, S. 70.
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In der Weltwirtschaft macht es kaum Schwierigkeiten, sich Modalitäten für Ausgleichszahlungen vorzustellen und empirische Beispiele zu finden. Ein deutliches Beispiel stellen die finanziellen Zusagen der EG an die lateinamerikanischen Bananenproduzenten dar, die notwendig wurden, nachdem Costa Rica, Kolumbien, Guatemala, Nicaragua und Venezuela im Juni 1992 die Einführung eines Streitschlichtungs-Panels im GATI durchgesetzt hatten. 56 Duncan Snidal hat diese Debatte deshalb unter Aufnahme des These Joseph Griecos fortgesetzt, daß Akteure zwischen relativen und absoluten gewichten. Er konstatiert hingegen abweichend von Grieco, daß ,PIe realist argument that relative gains seeking greatly diminishes possibilities for international cooperation is not generalizable. It applies in the special case of tight bipolarity between states that care only about relative gains. (...) The resulting conc1usions connect relative gains to prevailing hypothesis about international relations theory and are plausible in light of postwar experience. Many of these irnplications should be unsurprising to both institutionalists and realists, since they correspond to prevailing acadernic folk wisdorn. Others do not fit weH with realist belief." 57
Die Annahme, Staaten strebten sowohl absolute als auch relative Gewinne an und legten ihre Interessen in einer Mischkalkulation fest, führt zur Aufgabe der Betrachtung von internationaler Politik als Null-Summen-Spiel und zur Möglichkeit zwischenstaatlicher Kooperation. 58 Otto Keck hat darauf hingewiesen, daß solche gemischte Gewinnorientierung Kooperation nur dann grundsätzlich verhindern kann, wenn die Kooperationsgewinne nicht teilbar sind, oder wenn weder durch einen Ressourcentransfer noch durch eine Kopplung von Verteilungsspielen sichergestellt wird, daß die allgemeinen Relationen gewahrt bleiben. 59 56 Vgl. GAlT: Focus - Newsletter 99, GATI, Genf 1993. 57 Duncan Snidal: Relative Gains and the Pattern of International Cooperation, Arnerican Political Science Review 85,1991, S. 722.
58 Robert Gilpin behauptet, daß internationale Politik immer die Form eines NullSummen-Spiels annimmt. Vgl. sein: US Power and the Multinational Corporation, New York 1975, S. 22ff. In der Zwischenzeit hat Gilpin diese Position etwas relativiert. Vgl.: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987. In einem reinen Null-Summen-Spiel gibt es keinen Unterschied, ob sich der Staat nutzenoder statusmaximierend verhält. Vgl. Duncan Snidal: Relative Gains and the Pattern ofinternational Cooperation, American Political Science Review 85, 1991, S. 703.
59 Vgl. Otto Keck: The New Institutionalism and the Relative-Gains-Debate, in: Frank R. Pfetsch (Hrsg.): International Relations and Pan-Europe, Münster 1993, S. 58.
44
Teil 2: Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
11. Ausblick Die Internationale Politische Ökonomie hat, ausgehend von der Methodik der Politischen Ökonomie und inhaltlich beeinflußt von der Theorieentwicklung im Bereich der Internationalen Beziehungen, in den letzten zwei Jahrzehnten zwei zentrale Fragestellungen diskutiert: Die erste betrifft das Akteurverhalten, die zweite beschäftigte sich mit dem Systemmanagement. In bei den Fällen steht die Problematik der Verteidigung einer liberalen Weltwirtschaft im Mittelpunkt des Interesses. 60 Diese Themen sind zuletzt von der nur selten empirisch argumentierenden Kooperationstheorie überlagert worden. Dies hat vor allem den - für die Frage des Systemmanagements unverzichtbaren - Erkenntnisstand der Sozialwissenschaften über die Bedingungen, die zu einer Institutionenbildung führen, deutlich erweitert. Axelrods einflußreiches Buch The Evolution 0/ Cooperation hat zu einer Renaissance institutioneller Ansätze in beinahe allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen und zu einer Bedeutungssteigerung des methodologischen Individualismus geführt. Im Forschungsgebiet Internationale Beziehungen hat vor allem die Kooperationsdebatte davon profitiert. Über die Bedingungen zwischenstaatlicher Kooperation vermag die Disziplin heute wesentlich mehr zu sagen, als noch vor zehn Jahren, obwohl es künftig gilt, den Hinweis von Robert Axelrod und Robert Keohane stärker zu beachten, daß internationale Kooperation kontextabhängig iSt. 61 Insofern hat die Kooperationsdebatte bislang unter ihrem relativ hohen Abstraktionsgrad gelitten. Dies sind aber nur nachrangige Kritikpunkte. Die nur selten stattfindende Anwendung der Theorie auf empirische Fälle ist beispielsweise dem geringen Alter der Kooperationsdebatte geschuldet. Umstrittener wird die Einschätzung der Theorieentwicklung in den Theorien der Internationalen Beziehungen der letzten zwei Dekaden dann, wenn die Regimetheorie und die Kooperationsdebatte im Zusammenhang betrachtet werden. Dieser Zusammenhang ist zwar im Übergang zum Ter60 Vgl. Benjamin J. Cohen: The Political Economy of International Trade, International Organization 44, 1990. Zur Kritik vgl. Craig Murphy/ Roger Tooze: Getting Beyond the Common Sense of the IPE Orthodoxie, in: dieselben (Hrsg.): The New International Political Economy, Boulder 1991. 61 Robert Axelrodl Robert O. Keohane: Achieving Cooperation under Anarchy, in: Kennth Oye (Hrsg.): Cooperation under Anarchy, Princeton 1987, S. 238.
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minus Neo-Institutionalismus angelegt gewesen, es wird aber deutlich, daß die Bedingungen von stabilem Verhalten der Akteure unterschiedlich begründet werden: Während die Regimetheorie noch behauptet, daß Regimes matter, daß also Institutionen das Verhalten der Akteure auch gegen sich wandelnde Interessen zumindest zeitweise stabilisieren, wird in der Kooperationsdebatte gezeigt, daß die Ausbildung von Institutionen durch wiederholtes kooperatives Verhalten im Interesse der Akteure liegt. In letzterem Fall stabilisieren sich Institutionen nicht selber, sondern sie werden durch die Erwartungen und daraus resultierenden Interessen der Akteure stabilisiert. Erst in letzter Zeit wurde eine stärkere Verbindung zwischen institutionellen Theorien und Kooperationstheorien angemahnt: Roland Czada, Michael Zürn und Otto Keck haben in Deutschland unabhängig voneinander darauf verwiesen, daß Institutionen eine um so größere Bedeutung haben, je umstrittener Kooperation ist. Wenn sich Distributionsprobleme stellen, können Institutionen zwischen den Akteuren eine vermittelnde Rolle spielen. 62 Dies kann einerseits nahelegen, Institutionen als Akteure zu betrachten. Doch das gelingt nur dann überzeugend, wenn sie als Organisationen mit Entscheidungs- und Handlungskapazität ausgestattet sind. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, Institutionen als Distributionsfunktion zu sehen, welche die Interessenkonstellation der Akteure verändert. Dabei gilt, daß Institutionen unstrittig eine Rolle spielen, wenn sie die Interessen der Akteure verändern. Dies kann aber nur in ausgesuchten Spielen, etwa dem 'battle of the sexes' angenommen werden. In solchen Situationen besteht trotz gegebenenfalls vorhandener Einigungskonflikte nach der Einigung auf einen Standard kein Anreiz mehr, diesen einseitig zu verlassen.
Spieler A
C
C 4,3
D
1,1
Spieler B
D 2,2 3,4
Abb.4: Battle-of-the Sexes-Spiel 62 Vgl. Roland Czada: Interest Groups, Self-Interest and the Institutionalization of Political Action, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Political Choice, Frankfurt 1991; S. 260ff.; Michael Zürn: Interessen und Institutionen in der internationalen Politik, Opladen 1992.
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Teil 2: Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
Die Einigung auf einen einheitlichen Standard ist in diesem Fall selbststabilisierend. In den weitgehend als Beschreibung des internationalen Systems geltenden Gefangenendilemma-Situationen gilt dies dagegen nicht. Mit oder ohne Institutionen haben die Akteure immer einen Anreiz, nicht zu kooperieren. Die zentrale Problematik von Gefangenendilemma-Situationen besteht darin, abweichendes Verhalten zu beobachten und regel-entsprechendes Verhalten durchzusetzen. Der Neo-Institutionalismus kann damit zwar durchaus als Theorie der Regimebildung (Kooperationstheorie ) und als Theorie der Regimewirkung (Regimetheorie) zusammengefaßt werden, die Wirkung der Existenz von Institutionen auf die Wahrscheinlichkeit von Kooperation in der internationalen Politik bleibt aber bislang unklar. 63 Derzeit scheint die bislang überwiegend in den USA und von Amerikanern geführte Debatte zwischen Institutionalisten und Realisten als zugunsten des ersteren Ansatzes entschieden. Die Disziplin der Internationalen Politischen Ökonomie befindet sich - wie andere sozial wissenschaftliche Disziplinen auch - in der Phase der Herausbildung einer neuen dominierenden institutionellen Theorie.
63 Vgl. Robert Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 100ff.
B. Konkurrierende Konzeptionen von Wandel Es fällt zwar schwer zu sagen, welche Faktoren es bewirken, daß gerade ein Thema zu einer Debatte führt. Doch es läßt sich unschwer zeigen, daß Wandel für die Theorien der Internationalen Beziehungen und der Internationalen Politischen Ökonomie und vor allem für die Debatte zwischen Neo-Institutionalisten und Realisten kein Thema werden konnte, weil sich deren Konzepte von institutionellem Wandel sehr ähneln. I Insofern scheint es gerechtfertigt, im folgenden alle Theorien, in denen institutioneller Wandel 'politisch durchgesetzt' wird, als 'Orthodoxie' zu bezeichnen. 2 Das heißt konkret: In den orthodoxen Ansätzen findet institutioneller Wandel statt, wenn die Staaten die Normen internationaler Regime ändern. Orthodoxe Ansätze der Internationalen Politischen Ökonomie sind dementsprechend dadurch gekennzeichnet, daß die Politik die unabhängige, und die ökonomischen Transaktionen die abhängige Variable darstellen. Wandel der Regimewirkung wird nicht als analytisch relevant betrachtet. Diese Zusammenfassung der konkurrierenden Ansätze unterscheidet sich von einer Kategorisierung, die David Lake getroffen hat. Er differenziert eindeutig zwischen der neo-institutionellen Theorie von Wandel, die er als Leadership Theory bezeichnet, und der realistischen Theorie von Wandel, die er Hegemony Theory nennt. 3 Die Unterscheidung von Lake ist durchI Vgl. auch Virginia Haufler: International Regimes and Non-State Actors, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 95. Hauflers Ansicht, die hier geteilt wird, kontrastiert mit der Behauptung Oran Youngs, daß die Suche nach den Determinanten von Stabilität und Wandel von internationalen Institutionen die Regimetheorie geprägt hat. Vgl. Oran Young: International Regimes, World Politics 39,1986, S. Illf. 2 Der Begriff der 'Orthodoxie' meint das starre Festhalten an einer Lehrmeinung oder an einer überkommenen Auffassung. Im folgenden wird er in der ersten Bedeutung verwand, dem starren Festhalten an der Lehrmeinung, daß Veränderungen in der internationalen Politik durch die Variable Macht verursacht werden. 3 Vgl. David A: Lake: Leadership, Hegemony, and the International Economy, International Studies Quarterly 37, 1993.
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Teil 2: Wandel in der Realismus-versus-Institutionalismus-Debatte
aus sinnvoll, da sie auf der Einschätzung von Kooperationsfähigkeit der Akteure beruht und somit einen Versuch darstellt, die Regimetheorie und die Kooperationsdebatte zu integrieren. Wird angenommen, daß Staaten kooperationsfähig sind, summiert Lake dies unter dem Begriff der Leadership-Theory, wird die Möglichkeit zwischenstaatlicher Kooperation ausgeschlossen, stellt die Theorie für Lake eine Version der HegemonyTheory dar. Er muß jedoch zugeben, daß vor allem Robert Gilpin Elemente beider Theorien integriert und daß sich die Theorien nicht prinzipiell ausschließen. Für die Debatte zwischen Neo-Institutionalisten und Realisten mag der Hinweis Lakes dennoch von Bedeutung sein (obwohl sich vermutlich jeder Beteiligte implizit dieser Unterscheidung bewußt war); für die im folgenden geführte Auseinandersetzung ist der Hinweis hingegen eher nachrangig und unbedeutend, da die Kritik am Machtparadigma der Orthodoxie erfolgt.
I. Wandel als abhängige Variable der Politik
Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, Wandel als abhängige Variable der internationalen Politik zu konzeptionalisieren. Die erste Möglichkeit wird von der Theorie hegemonialer Stabilität und der dominierenden, strukturellen Variante der Regimetheorie genutzt. Sie verortet Wandel in Veränderungen von Machtkonstellationen, das heißt, einige Staaten werden mächtiger, andere verlieren an Macht. Besonderes Augenmerk wird hier dem Fall des Machtverlustes des mächtigsten Staates, des Hegemons, gewidmet. Die zweite Methode entspricht dem Konzept der traditionellen Außenpolitikforschung, die Wandel als Veränderung der Politik eines Staates betrachtet. 4 Obwohl beide Modelle unterschiedliche Modalitäten von Wandel darstellen und sich eher ergänzen als ausschließen, werden sie innerhalb der Theoriedebatte über Internationale Politik aus Gründen der traditionellen Konkurrenz zwischen 'systemischen' und 'nicht-systemischen' Ansätzen einander gegenüber gestellt. Auch wenn die nicht-systemischen Ansätze im weiteren Verlauf der Untersuchung eine untergeordnete Bedeutung haben, können beide Konzeptionen dennoch gemeinsam diskutiert 4 Eine sich anbietende Synthese beider Ansätze formuliert Robert Gilpin: War and Change in World Politics, New York 1981. Zur Kritik vgl. James D. Morrow: Social Choice and System Structure in World Politics, World Politics 52, 1988, S. 90ff.
B. Konkurrierende Konzeptionen von Wandel
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werden, da sie darin übereinstimmen, internationale Politik als 'Motor' weltwirtschaftlichen Wandels zu betrachten. Obwohl die Regimetheorie hauptsächlich zur Überwindung des engen analytischen Rahmens und vor allem des Determinismus der Theorie hegemonialer Stabilität entwickelt wurde, entsprechen sich beide konkurrierende systemische Theorien in ihrer Konzeptionalisierung von Wandel immerhin insoweit, als daß sie die Veränderung der relativen Position der Staaten oder Veränderungen der globalen Machtverteilung als eine Ursache des Wandels ausmachen. s Die Theorie hegemonialer Stabilität konstatiert einen weltpolitischen Zyklus, in dem Hegemonialphasen von Phasen der nichthegemonialen Konkurrenz abgelöst werden, wobei sich verschiedene Hegemonialordnungen nur graduell unterscheiden: "The great turning points in world history have been provided by these hegemonie struggles among politieal rivals; these periodie eonfliets have reeorded the international system and propelled history in new and uneharted direetions. (... ) The outeomes of these wars affeet the eeonomie, soeial, and ideologieal struetures of individual societies as well as the strueture of the larger international system." 6
Der enge Zusammenhang zwischen dem Niedergang des Hegemons und dem Kollaps der von ihm durchgesetzten Ordnung wird zwar von der Regimetheorie bezweifelt, doch beschränkt sie sich in ihrer ursprünglichen Formulierung darauf, ein 'Time Gap' zwischen Ursache und Wirkung einzuführen. Demnach sind zwei Faktoren für den möglichen Fortbestand von Teilen einer hegemonialen Ordnung über den Zeitpunkt des Niederganges des Hegemons hinweg verantwortlich: Zum einen können Staaten kooperierend die Funktion des Hegemons ersetzen und zum zweiten kalkulieren die Staaten die Bedeutung von Regimen in langfristiger Hinsicht.? Je höher 5 Vgl. Christer Jönsson: International Aviation and the Polities of Regime Change, New York 1987, S. 16; Paul R. Viotti: Politics and Money: The Construetion, Maintainance and Transformation of International Monetary Regimes, Dissertation, University of California 1978, S. 69ff. 6 Robert Gilpin: War and Change in World Politics, Cambridge 1981, S. 203.
7 Charles B. Kindleberger: International Public Goods without International Government, American Economic Review 76, 1986, S. 8. Siehe auch Stephen D. Krasner: Structural Conflict: The Third World Against Global Liberalism, Berkeley 1985, S. 290; Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 50, 102; Ernst B. Haas: Issue-Linkage and International Regimes, World Polities 32, 1980, S. 357ff. 4 Plümper
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der langfristige Wert von Regimen durch die Staaten bemessen wird, desto eher werden sie bereit sein, diese entgegen ihren kurzfristigen Interessen kooperativ zu stabilisieren. Selbst in Fällen, in denen Regime als nicht verteidigungsfähig oder -würdig angesehen werden, ist es für die Akteure oftmals rationaler, die Regulation des Regimes zu verändern und zumindest den institutionellen Rahmen aufrechtzuerhalten, als das Regime abzuschaffen.8 Unabhängig von der in dieser Hinsicht unterschiedlichen Betrachtung der Wirkung von Wandel basieren die Hegemonialtheorie und die Regimetheorie auf gleichen Prämissen, von denen eine explizit genannt wird und eine implizit bleibt. Explizit wird für heide Theorien nur die Veränderung der Macht- oder Interessenkonstellation als Ursache von Wandel anerkannt. Die implizite Identität beider Theorien liegt in der Annahme, daß Regime nur durch die Staaten als Akteure geändert werden können. Obwohl die Regimetheoretiker Regime als unabhängige und interaktive Variablen betrachten,9 sehen sie Regimewandel als eine abhängige Variable der systemischen Machtstruktur zwischen Staaten an. Konzeptionswandel auf der Akteursebene gilt als das zentrale Element von institutionellem Wandel in den akteursbezogenen Regime-Ansätzen. IO Ihnen ist die Idee gemein, daß, gleich was die Ursache von Wandel letztlich ist, die Akteure einen Lernprozeß durchmachen, bevor sie ihr Verhalten ändern. Charles Hermann hat (in seiner 'Presidential Address' vor der International Studies Association) vier Ursachen von außenpolitischem Wandel identifiziert: Er nennt Überzeugung anderer Akteure, Einflußnahme der Bürokratie, Strukturwandel der nationalen Politik und "externe Schocks" .11 Damit trägt er der Tatsache Rechnung, daß ein Konzeptions-
8 Ein vergleichbares Argument findet sich bei Keohane, a.a.O., S. \07. 9 So etwa Stephen D. Krasner: Regimes as Intervening Variables, und derselbe: Regimes as Autonomous Variables, jeweils in: derselbe (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983. 10 In letzter Zeit hat sich ein umfangreiches Forschungsprogramm um verschiedene zentrale Begriffe gebildet. Dennoch macht es Sinn, den 'epistemic communities' -Ansatz, den älteren 'behaviouralistischen' Ansatz und den 'kognitiven' Ansatz zu subsumieren. Robert Keohane hat dafür das Label 'reflektive' Ansätze vorgeschlagen. Vgl. Rohert O. Keohane: InternationalInstitutions, in: derselbe: International Institutions and State Power, Boulder 1989, S.166ff.
I ICharies F. Hermann: Changing Course, International Studies Quarterly 34, 1990, S. 13. Der Punkt der Einflußnahme der Bürokratie erscheint methodisch undurchdacht
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wandel nur infolge eines Anreizes stattfindet. Dennoch behaupten die Vertreter derartiger kognitiver Ansätze, daß sie sich von strukturell orientierten, systemischen Ansätzen grundlegend unterscheiden, weil sie der Politik trotz struktureller 'constraints' einen großen Gestaltungsspielraum zubilligen. t2 Tatsächlich aber trifft ihre Kritik lediglich die struktur-deterministischen Ansätze.
1. Struktureller Wandel
Der Begriff der Struktur ist innerhalb der Theorien Internationaler Politik ein zwar wichtiges, aber nur undeutlich entwickeltes Konzept. Robert Gilpin definiert Struktur als die Teile des (ökonomischen) Ganzen, die über eine Zeitperiode vergleichsweise stabil bleiben. Die Ausstattung der Welt mit Ressourcen, ihre Verteilung auf verschiedene Akteure und andere als 'gegeben' geltende Elemente gelten als StrukturenP Kenneth Waltz, der als Pionier des "positionalen Modells internationaler Strukturen" 14 angesehen wird, nennt das "Arrangement", die "Positionierung" und die "Situation" der Akteure in ihrem sozialen System. 15 Sowohl bei Waltz als auch bei Gilpin wirkt Struktur als Handlungsrahmen, der soziale Phänomene ordnet. Gilpin beispielsweise beschreibt Struktur als System von Grenzen und Möglichkeiten von Handlungen. Struktur und Aktion sind - so bese-
(warum sollte die Bürokratie plötzlich Einfluß nehmen, wenn sie es zuvor nicht getan hat?) und zudem empirisch nicht überzeugend. 12 V gl. Peter M. Haas: Introduction: Epistemic Communities and International Policy Coordination, International Organization 46, 1992, S. 2. Wie im nächsten Teil gezeigt werden soll, basiert dieses Behauptung auf einer eingeschränkten Wahrnehmung von Strukturen. Dieser Vorwurf findet zwar in den Theorien und Analysen mancher 'Strukturalisten' seine Berechtigung, doch ist dies keinesfalls eine zwingende Konsequenz struktureller Ansätze. t3 Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 79. Gilpin beruft sich mit dieser Definition auf R.M. Hartweil: Progress and Dissimilarity in Historical Perspective, in: Charles Kindleberger/ Guido di Tella (Hrsg.): Economics in the Long View, New York 1982, S. 102. 14 V gl. David Dessler: What's at Stake in the Agent-Structure Debate, International Organization 43, 1989, S. 448ff.
15 Vgl. Kenneth N. Waltz: Theory ofInternational Politics, Reading 1979, S. 81.
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hen - zwei unterschiedliche ontologische Einheiten, wobei Handlung eine abhängige Variable der Struktur darstellt. Der Begriff der Struktur stieß nicht zuletzt wegen der derart unpräzisen Definition und vor allem wegen seiner inhaltlichen Verbindung mit einer reinen machttheoretischen Analyse in den Theorien internationalen Beziehungen auf viel Ablehnung: ,,(Structuralism) tends to overstate the constraints on choice and understate decision makers' continuing enmeshment in past experiences with collaboration." 16
Die Kritik des Funktionalismus am Strukturalismus richtet sich zu Recht gegen den Determinismus struktureller Theorien. In ihrer Ablehnung des gesamten Konzeptes gehen die Funktionalisten aber zu weit. Der Wert der an sozialen Lernprozessen orientierten Ansätze besteht nicht in der Überwindung der strukturellen Ansätze, sondern in dem Hinweis, daß ein Unterschied zwischen individuellen und kollektiven Entscheidungen besteht. Letztere beruhen häufig auf Verhandlungen und somit auf einem Prozeß, der die Wahrnehmung der Optionen und der Präferenzen der Akteure verändert. Strukturelle Theorien der Internationalen Politik weisen eine zweite, mindestens ebenso ernste Problematik auf, die sich als roter Faden durch die Schriften 'struktureller' Autoren zieht: ,,From the coaction of like units emerges a structure that affects and constraints all of them. Once formed, a market (that is a system) becomes a force in itself, and a force that the constitutive units acting singly or in small numbers cannot control." 17
Um Strukturen verstehen zu können, müssen Akteure von Strukturen, beziehungsweise, so Waltz, die Position von den Interaktionen der Akteure unterschieden werden. 18 Wenn Theorien darauf beruhen, daß nur ein Strukturelement existiert und daß die Handlungen der Akteure wirkungsvoll von der Struktur auf eine Option begrenzt werden, sind sie zwangsläufig deterministisch. I 9
16
Ernst B. Haas: When Knowledge is Power, Berkeley 1990, S. 8.
17
Kenneth N. Waltz: Theory of International Politics, Reading 1979, S. 90.
18
Vgl. Waltz, a.a.O., S. 80.
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Die Grenzen eines parsimonischen und detenninistischen Ansatzes lassen sich am Beispiel Waltz' verdeutlichen: Die Struktur ist nach Waltz durch den Zustand der Anarchie und durch die systemische Machtverteilung hinreichend gekennzeichnet. Anarchie und Machtverteilung erzwingen aber, wie alle Strukturen, keine Handlungen. Um von der Struktur ausgehend eine konkrete Handlung analysieren zu können, übernimmt Wal tz das rationale maximierende Akteurverhalten aus der neoklassischen Ökonomie. Nach Waltz ennöglicht nur diese Rationalität den Akteuren das •Überleben ' in einer anarchischen Umwelt. 20 Selbst wenn es Akteure gibt, die sich nicht in WaItzschen Sinne rational verhalten, so sorgt der Ausleseprozeß dafür, daß nur die rationalsten Akteure fortbestehen. Dies ennöglicht, daß zumindest langfristig von Strukturen auf Handlungen geschlossen werden kann. Im Unterschied zu funktionalistischen Ansätzen beharren strukturelle Ansätze darauf, daß die Intentionalität und Rationalität individueller Entscheidungen und Handlungen nicht ausschließlich von individuellen Präferenzen geprägt wird, sondern daß ein kultureller, sozialer, ökonomischer und politischer •Vorausleseprozeß' existiert, der die Entscheidungen und Handlungen von Individuen mindestens ebenso prägt wie deren individuelle Präferenzen. Mit dieser Konzeption sind zwangsläufig Probleme der Erklärung von Strukturveränderungen verbunden. Der orthodoxe Strukturalismus behilft sich mit Konstrukten willkürlicher Veränderungen von Institutionen: Regime verändern sich, weil sich Staaten als maßgebliche Akteure bemühen, sie zu verändern. Anreize zur politischen Strukturveränderung resultieren aus Veränderungen innerhalb der globalen Machtkonstellation, die ihrerseits durch verschiedene Wachstumsraten und Veränderungen der dominierenden Sektoren verursacht werden. 21
19 Zur Kritik vgl. auch Michael Zürn: Interessen und Institutionen in der internationalen Politik, Opladen 1992.
20 Vgl. Waltz, a.a.O., S. 165; vgl. auch Robert O. Keohane: Structural Realism and Beyond, in: derselbe (Hrsg.): Neorealism and Its Critics, New York 1986. 21 Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S.8Iff.
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2. Wandel als dichotomes Konstrukt
Die wenigsten existierenden Theorien der Weltpolitik sind tatsächlich dynamisch. Vielmehr beschreiben sie die Wirkung von Wandel, gleich ob dieser an langfristigen Gesetzmäßigkeiten oder an der kurzfristigen normativen Ordnung bemessen wird, als einen kompletten Austausch eines statischen Zustandes gegen einen anderen. 22 Dialektische Brüche können nicht in historischer, sondern einzig in einer zeit-komparativen Perspektive erklärt werden. So mag die Wirkung von Wandel augenfälliger werden, doch die Wirkungsweise wird undurchsichtig. Die Theorie hegemonialer Stabilität und die Regimetheorie betrachten im Unterschied zu Waltz nicht ausschließlich Systemstrukturen, sondern zusätzlich die normative Ordnung staatlicher Regulation. Dennoch sind ihre Konzeptionen von Wandel ebenso dialektisch und innerhalb der Analyse einer gegebenen Ordnung statisch; auch sie behandeln Wandel nicht als Evolution, sondern als Austausch zweier 'Ordnungen ': "By largely treating eooperation as a binary phenornena ( ... ), they direet attention away frorn key issues of distribution as weil as integrative potential." 23
Wandel als Austausch einer normativ stabilisierten Ordnung gegen eine zweite, neue Ordnung bedingt die Konsequenz, daß Regime nur bestehenbleiben, zusammenbrechen oder von den Staaten verändert werden können. 24 Regime werden, abstrakt ausgedrückt, ausschließlich in ihrer Eigen-
22 Am deutlichsten wird dies bei Kenneth Waltz: "Structural change is rare, and when it occurs revolutionary." Kenneth Waltz: Theory of International Politics, Reading 1979, S. 80. Zur Kritik vgl. Christer Jönsson: International Aviation and the Politics of Regime Change, London 1987.
23 James K. Sebenius: Challenging Conventional Wisdom of International Cooperation, International Organization 46, 1992, S. 323f. 24 Robert O. Keohane: The Theory of Hegemonie Stability and Changes in International Economic Regimes, 1967-1977, in Holsti et al. (Hrsg.): Change in the International System, Boulder 1980, S. 156; Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 72ff. Susan Strange hat dieser Ansatz treffend als "the politics of international economic relations" bezeichnet, weil er ausschließlich eine politische Dynamik zuläßt. Vgl. Susan Strange: An EcIeetic Approach, in: Craig Murphyl Roger Tooze (Hrsg.): The New International Politieal Economy, Boulder 1991, S. 34.
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schaft als Elemente gesehen. 25 In dieser können sie nur sein oder nichtsein, und wenn sie sind, können sie durch politische Handlungen verändert werden. Diese ontologische Sichtweise ist weder funktionell, noch wird sie dem Charakter von Institutionen gerecht. Institutionen existieren nicht ausschließlich, weil Akteure wollen, daß sie existieren. Die Wirkung von Institutionen ist deshalb ein zentrales Element, allerdings ist sie nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für ihre Existenz. Institutionen existieren aber nicht im physischen Sinn. Sie existieren vielmehr in der Vorstellungswelt der Akteure, die ihren normativen Gehalt in ihren Entscheidungsprozeß einfließen lassen. Diese epistemologische Sichtweise ermöglicht ein duales Konzept von Regimewandel, in dem zwischen dem Wirkungswandel von Normen und dem Wandel der Normen selbst unterschieden werden kann.
3. Multiple Ursachen und Heterogenität des Wandels Das vielleicht größte Problem der systemischen Ansätze des Institutionalismus resultiert aus einem eng ausgelegten Parsimonitätsprinzip. Wirkungsveränderungen internationaler Regime werden aus eben diesen Parsimonitätsgründen auf die gleiche Ursache zurückgeführt wie ein Regimekollaps: auf Variationen der globalen Machtverteilung. Die Problematik der Unterschiedlichkeit von Regimewandel, Regimeveränderung und Regimebildung kommt in der derzeitigen Debatte nur unterschwellig zum Ausdruck. Keohane etwa betrachtet Institutionen als hilfreiche Instrumente zur Vereinfachung von Kooperation. 26 Aber es wird schnell deutlich, daß Institutionen ihrerseits das Resultat wiederholter Kooperation sind. Folgt man der Orthodoxie, findet institutioneller Wandel statt, wenn Regime durch einen oder mehrere Staaten willentlich verändert werden 25 Diese Methode geht durchaus konform mit der "ersten und grundlegenden Regel" der soziologischen Methode, die darin besteht, "die soziologischen Tatbestände wie Dinge zu betrachten." Vgl. Emile Durkheim: Die Regeln der soziologischen Methode, Frankfurt 1984 (Erstauflage 1894/95), S. 115ff. Für eine Kritik an der ontologischen Konzeptionalisierung von Institutionen durch die Regimetheorie vgl. Friedrich Kratochwill John G. Ruggie: International Organization: AState of the Art on an Art of the State, International Organization 40, 1986, S. 764ff. 26
Vgl. Keohane, After Hegemony, Princeton 1984.
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oder wenn die Akteure die Institutionen nicht mehr stabilisieren und diese daraufhin zusammenbrechen. Für einen solcherart verstandenen Wandel lassen sich verschiedene Gründe anführen: 1. Institutionen existieren nicht unbeobachtet. Weil auch politisch geschaffene internationale Institutionen, Regime, anders wirken als ursprünglich intendiert, kann eine Veränderung der Normen und Prinzipien angeraten erscheinen. 2. Es kann zu einem allgemeinen Wandel der Interessen kommen, in dessen Folge Veränderungen der Regime notwendig erscheinen. In beiden Fällen wird institutioneller Wandel konfliktfrei und kooperativ vorgenommen werden. 3. Die Bedingungen, die zu Regimebildung geführt haben, verändern sich. In vielen Fällen vollziehen sich politische Veränderungen der Regime nicht konfliktfrei. Gerade die Theorie hegemonialer Stabilität hat umstrittene Fälle von Regimeveränderung im Auge. Je nach der Struktur des Konflikts und der Parteien wird Wandel durch Dissens unmöglich oder verzögert. Wandel ist als Folge des dichotomen Konzeptes von Kooperation innerhalb der Kooperationsdebatte zwischen den Neo-Realisten und Neo-Institutionalisten polarisiert worden. Ebenso wie die Debatte nur zwei 'Aggregatzustände' des Begriffes Kooperation kennt, nämlich Kooperation und keine Kooperation, existiert nur Wandel und kein Wandel. Einigkeit zwischen den konkurrierenden Schulen herrscht dann insoweit, daß kein Regimewandel stattfindet, wenn keine der genannten Veränderungen innerhalb des politischen Umfeldes eintreten. Die eindeutig meistdiskutierte und am stärksten ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungene Veränderung des internationalen Systems der Nachkriegsperiode wird mit dem Ende des Zeitalters der amerikanischen Hegemonie in Verbindung gebracht. 27 Vertretern dieser Position zufolge haben die USA nacheinander die ökonomische Basis, den politischen Wil-
27 Nur wenige 'einsame Rufer in der Wüste' wie Susan Strange, Bruce Russett und Joseph Nye gehen so weit, von einer fortdauernden Hegemonie der USA zu sprechen. Vgl. Joseph S. Nye: Understanding U.S. Strength, Foreign Policy 72; Susan Strange: The Persistent Myth of Lost Hegemony, International Organisation 41, 1987; Bruce Russett: The Mysterious Case of Vanishing Hegemony, International Organization 39, 1985.
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len und das Image einer globalen Führungsrnacht verloren. Zwangsläufig veränderte sich das institutionelle Design der Wirtschaftsorganisationen der Nachkriegszeit, das ursprünglich als politisches System konzipiert war. 28 Dies ist nicht zuletzt der Beobachtung zu verdanken gewesen, daß selbst schwache Staaten wie Schweden in der Lage sind, gegen den ursprünglichen Widerstand eines vermeintlich mächtigen Staates eine Regimebildung voranzutreiben. 29 Eine Diffusion der globalen Machtkonstellation kann auch zu institutionellem Wandel führen, indem sie dazu zwingt, mehr Staaten an der Regimebildung zu beteiligen. Durch einen großen Beteiligtenkreis wird der Verhandlungsprozeß erschwert, und die destruktiven Effekte von 'FreeRiding' im weItwirtschaftlichen Management werden verstärkt. Ohne daß sich das Interesse eines der beteiligten Staaten oder die Rangfolge zwischen den Staaten ändert, kann eine diffuse Machtverteilung dazu führen, daß heterogenere Interessen in Einklang gebracht werden müssen. Günstigstenfalls führt eine diffuse Machtverteilung zur Bildung von Verhandlungskoalitionen. Dadurch wird einerseits der Kreis der Verhandlungsparteien reduziert; doch andererseits wird der Verhandlungsspielraum der Unterhändler eingeschränkt, da sich die Koalitionäre vor den eigentlichen Verhandlungen auf einer gemeinsamen Basis einigen. Damit sind zwei Probleme verbunden: Zum einen sind die Positionen der einzelnen Koalitionen nicht homogen, sondern sie ähneln gelegentlich EinkauJszetteln, auf denen Forderungen und Zielvorstellungen einfach summiert werden. Und zum anderen sind Interessenkoalitionen häufig so instabil, daß die Ergebnisse einer Einigung unter den Mitgliedern einer Koalition nachträglich kaum noch verhandelt werden können. Als problematisch muß angesehen werden, daß strukturelle und relationale Macht in einer Verhandlungssituation untrennbar miteinander verbunden sind. Verhandlungsmacht ist die Fähigkeit zu bestimmen, wer mit am 28 Vgl. Richard N. Gardner: Sterling-Dollar Diplomaey in Current Perspeetive, New York 1980; Charles S. Maier: The Politics of Produetivity, in: Peter l. Katzenstein (Hrsg.): Between Power and Plenty, Madison 1978; Robert O. Keohane: Hegemonie Leadership und U.S Foreign Economie Poliey in the Long Deeade of the 1950's, in: Wiiliam P. Avery/ David P. Rapkin (Hrsg.): Ameriea in aChanging World Politieal Economy, New York 1982; G. lohn Ikenberry: Rethinking the Origins of American Hegemony, Politieal Seienee Quarterly 104, 1989. 29 Vgl. auch Thomas Gehring: Dynamic International Regimes, Frankfurt 1994.
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Tisch sitzt, worüber diskutiert wird, auf welcher Grundlage diskutiert wird, was angestrebt wird und ähnliches. 30 Selbst in einem stabilen, eindeutigen Hegemonialsystem, in dem der Hegemon alle genannten Fähigkeiten in sich vereint, kann er nicht verhindern, daß ein Argument seine Konzeption des Problems und seine Ziele ändert. 31 Die orthodoxe Diskussion um weltwirtschaftlichen Wandel kann zusammenfassend auf ein Paarkreuz reduziert werden: Verändert sich ein Regime, ohne daß sich die systemische Machtkonstellation ändert, muß sich das Interesse eines dominierenden oder mehrerer Staaten verändert haben. Ist deren Interesse dagegen gleich geblieben, muß sich die Machtkonstellation zumindest innerhalb des betreffenden Problemfeldes verändert haben. 32 Bleibt ein Regime bestehen, gilt umgekehrt für Realisten, daß die Machtkonstellation und das Interesse konstant blieben. Für Neo-Institutionalisten kann sich beides geändert haben, da sich Regime quasi selbst stabilisieren. Im Anschluß an die institutionelle Kritik der Regimetheorie wurde die Theorie hegemonialer Stabilität zwar sukzessive von ihrem 'harten Kern' befreit, doch die daran beteiligten Vertreter des Neo-Institutionalismus haben bislang zu wenig getan, um eine Überprüfung ihrer Folgerungen zu ermöglichen. 33 Die Regimetheorie wurde aufgrund und anhand der Erfahrungen mit dem GATI entwickelt und scheint zur Erklärung von Prozessen in diesem Problemfeld angemessen und erklärungsrelevant zu sein. Doch bereits der Versuch, die Genese der Internationalen Energie Agentur im Erdölregime mit dieser Theorie vorzunehmen, stößt auf große Probleme. 34 Es kann kaum angenommen werden, daß die Notwendigkeit der Regimebildung eine Folge des hegemonialen Niedergangs der USA war. 30 Vgl. Stephen D. Krasner: Global Communications and National Power, World Politics 43, 1991, S. 337. 31 James K. Sebenius: Challenging Conventional Wisdom of International Cooperation, International Organization Vol 46, 1992, S. 341. 32 Nicht auszuschließen ist auch, daß beide Gründe gleichzeitig wirken. Vgl. Paul
R. Viotti: Politics and Money, Dissertation, University of California, Berkeley 1978.
33 Vgl. Rohert Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 24; Rohert O. Keohanel Joseph S. Nye: Power and Interdependence revisited, International Organization 41, 1987, S. 742; vgl. auch Thomas Plümper: Weltordnungsdebatte und die Prognosefähigkeit der Theorien internationaler Politik, WeItTrends 4, 1994. 34 Vgl. Rohert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 217ff.
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Sie ist weitaus eher eine Folge der Emanzipation der erdölexportierenden Staaten. Die aber haben nicht plötzlich an Macht gewonnen, sondern nur begonnen, ihre Macht politisch einzusetzen. Insgesamt existiert derzeit keine, für den Neo-Institutionalismus unverzichtbare, überzeugende Theorie zur Begründung von Variationen der Regimedynamik in verschiedenen Problemfeldern. 35 Die Regimetheorie hat zwar bewiesen, daß sie nicht die "vorübergehende Mode" ist, für die sie von Susan Strange 1983 noch gehalten wurde. 36 Dennoch ist die Theorie weit davon entfernt, ein vollständig entwickelter Ansatz der Theorien internationaler Beziehungen zu sein. Über die zwei 'offenen' Forschungsgebiete hinaus, die Robert Keohane in seinem jüngsten programmatischen Artikel zur Regimeforschung nannte, namentlich Regimewirkung und Regimevariationen,37 bleibt auch der Wandel internationaler Regime letztlich nicht befriedigend erklärt.
11. Funktionalistische Regimetheorie als Alternative?
Vor dem Hintergrund der Probleme der strukturalistischen Ansätze mit der Erklärung von institutionellem Wandel verwundert es nicht, daß verschiedene Alternativen zu der im letzten Kapitel diskutierten macht-zentrierten Variante der Theorie des Regimewandels entwickelt wurden. Diese werden von der Literatur meist unter dem Label der funktionalistischen Theorien subsumiert. Diese Kategorisierung ist - wie alle wissenschaftlichen Schubladen - nicht unproblematisch, aber immerhin ist den verschiedenen Theorien gemein, daß sie auf Machtvariationen verzichten und statt dessen Informationen und Wissen betonen. Die funktionalistische Theorie des Regimewandels baut auf kognitiven Prozessen der Akteure auf. 38
35 Vgl. auch Robert O. Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 45. 36 Susan Strange: Cave! Hic Dragones: A Critique of Regime Analysis, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983. 37 Robert O. Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993. 38 Ernst B. Haas hat diese Theorie am weitesten vorangebracht. Vgl.: When Knowledge is Power, Berkeley 1990. Vgl. auch Christer Jönsson: Cognitive Factors in Ex-
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Der Funktionalismus ist zuletzt von Robert Keohane gegen die Kritik von Volker Rittberger und Michael Zürn ("the functional theory of international regimes does not contribute to explaining regime formation") 39 verteidigt worden. Nach Keohane vermag der Funktionalismus zu erklären, warum zunehmende zwischenstaatliche Interdependenz zu mehr Regimen geführt hat. 40 Tatsächlich ist die strukturalistische Leadership-Theorie dazu nicht in der Lage, weil sie zu sehr auf der Theorie hegemonialer Stabilität aufbaut, die ihrerseits eine Theorie des Regimeniedergangs darstellt. Auch die Kooperationsdebatte hat bislang nicht zu beantworten versucht, wann Kooperation angestrebt wird. Statt dessen hat sie erfolgreich diskutiert, unter welchen Bedingungen Kooperation erfolgreich sein kann. Eine sich zum Teil dezidiert auf die Regimetheorie beziehende Theorie hat versucht, einen funktionalistischen Ansatz außerhalb des methodologischen Individualismus anzusiedeln. Der 'epistemic communities' Ansatz identifiziert mit 'Experten' eine global einflußreiche Gruppe von Akteuren, die keinerlei Interessen hat. Externer (wissenschaftlicher) Expertise wird eine entscheidende Bedeutung für die Stabilität des internationalen Systems zugewiesen, da diese Experten die Interessenformulierung der Staaten beeinflussen. Darüber hinaus stärkt diese Einflußnahme den Konsens zwischen den Staaten, denn anders als Staaten, denen häufig eine unterschiedliche Interessenlage zugebilligt wird, können Expertengruppen gegenüber einem eng umrissenen Problem eine einhellige Meinung haben. Wertekonsens wird über Interessendivergenz gestellt. Dies ist ein Problem des Ansatzes, denn unzweifelhaft existieren sowohl Problemfelder, in denen Werte hinter ökonomische Interessen zurücktreten, als auch Problemfelder, in denen Werte über ökonomische Interessen dominieren. 41 Eine
plaining Regime Dynamics, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 219. 39 Volker Rittberger/ Michael Zürn: Towards Regulated Anarchy in East-West Relations, in: Volker Rittberger (Hrsg.): International Regimes in East-West-Politics, London 1990, S. 29. 40 Robert O. Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 36 (FN 7); vgl. auch Fritz W. Scharpf: Coordination in Hierarchies and Networks, in: derselbe (Hrsg.): Games in Hierarchies and Networks, Frankfurt 1993, S. 125. 41 Zwischen Werten und Interessen besteht nicht notwendigerweise die Dichotomie, die Kritiker des Rational-Choice-Ansatzes darin sehen. Vielmehr können Werte direkt als
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vollständige Theorie müßte von daher eine Idee besitzen, wann welches Prinzip dominiert. Als dominierende funktionale Theorie des Wandels kann das Konzept des Lernens von Ernst Haas angesehen werden. Haas geht davon aus, daß sich Regimewandel darin manifestiert, daß Akteure lernen, und daß dieser Perzeptionswandel unmittelbar zu Regimewandel führt. 42 In diesem Sinne mutmaßt Christer Jönsson, Lernen sei ein Synonym für Regimewande1. 43 Es ist unbestritten, daß beides historisch miteinander einhergeht, doch damit ist die Leistungsfähigkeit der Theorie noch nicht gegeben,44 zumal der Anspruch erhoben wird, mit dieser Konzeption können alle Arten von Regimewandel, also Regimegründung, -veränderung und -aufgabe auf kognitive Prozesse zurückgeführt werden. Unklar bleibt bislang allerdings, unter welchen Bedingungen Akteure lernen. Die von Jönsson am deutlichsten ausgedrückte Vermutung der Identität von Lernen und Wandel ließe sich nur aufrechterhalten, wenn gezeigt werden könnte, daß Regime perfekt und einzig von Akteursperzeptionen abhängig sind. Damit müßte beispielsweise auch der als Kollaps beschriebene Niedergang des Festkurssystems von Bretton Woods als Resultat eines Lernprozesses durch die Akteure darstellbar sein. Wenn dieser Nachweis gelänge, wäre die vom Neo-Institutionalismus gegen den Realismus vertretene These der autonomen Regimewirkung geschwächt. Wenn die Staaten das Bretton-Woods-System freiwillig aufgegeben hätten, läge der Verdacht nahe, andere Institutionen bestünden ebenfalls lediglich fort, weil es den Interessen der Hauptakteure diene. Funktionalistische Ansätze haben aber dennoch unbestritten ihre Stärken. Im Hinblick auf die Konzeption von Wandel bestehen diese in dem Versuch, einen einheitlichen Nenner für unterschiedliche Ursachen von Wan-
utilaristisches Ziel der Akteure (und damit als Interesse) verstanden werden. Vgl. Thomas Plümper: Quasi-rationale Akteure und die Funktion internationaler Institutionen, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2, 1995, S. 56.
42 Ernst B. Haas: When Knowledge is Power, Berkely 1990. 43 Vgl. Christer Jönsson: Cognitive Factors in Explaining Regime Dynamics, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S.219. 44 Vgl. auch Robert O. Keohanel Joseph S. Nye: Power and Interdependence revisited, International Organization 41, 1987, S. 479ff.
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deI (und Stabilität) zu identifizieren. Anders als die strukturellen Ansätze brauchen die kognitiven Ansätze keine dominierende, strukturelle Ursache von Wandel. Sie können allerdings ihr Versprechen, mehr zu sein als ein Korrelat der strukturellen Ansätze, nicht einlösen, denn ein Perzeptionswandel führt keineswegs direkt zu außenpolitischen Anpassungsprozessen, da die Struktur der nationalen Entscheidungsgremien ebenso wie die Struktur des internationalen Systems schnelle Anpassungsprozesse oftmals verhindert. 45 Zusätzlich führt die Kritik am Determinismus des Strukturalismus zu einem Empirismus der funktionellen Ansätze. In ihrem Bemühen um realistische Annahmen werden sie oftmals rein deskriptiv. Eine Integration struktureller und kognitiver Ansätze könnte aber durchaus sowohl den Determinismus der strukturellen Ansätze als auch den Empirismus der kognitiven Ansätze überwinden. Die Möglichkeit einer Integration wird häufig durch ein gegenseitiges Unverständnis verstellt. Die berechtigten Einwände gegen den Funktionalismus haben beispielsweise Klaus Dieter Wolf veranlaßt, grundsätzlich gegen eine Integration von kognitiven Prozessen der Akteure in die Regimetheorie zu votieren. Er begründet diese Position methodisch, da Lernprozesse einer Erklärung bedürfen, die außerhalb der eigentlichen Regimetheorie liegt, weil "deren abhängige Variable nicht der Wandel von Interessenswahrnehmungen oder die Bedingungen von Lernprozessen sind. ( ... ) Lernprozesse stellen weder eine neue subsystemische noch überhaupt eine Kategorie von Einflußfaktoren auf internationale Regime dar, sondern lediglich eine neue abhängige Variable für bereits bekannte." 46
Diese These geht zu weit, selbst wenn man Wolf an seiner eigenen Position mißt. Nach Wolf existieren vier Grundfragen der Regimeanalyse, namentlich: Wie entstehen Regime? Wie kann die Struktur von Regimen erklärt werden? Wie können Kontinuität und Wandel von Regimen erklärt werden? Welche Wirkungen haben Regime? 47 Vor allem Wolfs dritte Grundfrage korrespondiert schlecht mit seiner Ablehnung von kognitiven
45 Vgl. Kjell Goldmann: Change and Stability in Foreign Policy, New York 1988,
S.3.
46 Klaus Dieter Wolf: Internationale Regime zur Verteilung globaler Ressourcen, Baden-Baden 1991, S.92 (FN102). 47 Wolf, a.a.O., S.92, vgl. auch S. 47.
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Prozessen, denn einerseits ist nicht von der Hand zu weisen, daß Lernen eine Ursache von Regimeentstehung oder -wandel ist und andererseits können diese Lernprozesse auch nicht auf andere Variablen zurückgeführt werden, etwa auf Veränderungen der Machtstruktur. Das erkennbare Unbehagen mit der funktionalistischen Theorie, das Wolf - wie bereits zitiert - mit Volker Rittberger und Michael Zürn teilt, ist aber berechtigt. Es sei daran erinnert, daß eine Theorie des Wandels wie jede wissenschaftliche Theorie eine Überprüfung ihrer Folgerungen gestatten sollte. Für dynamische Ansätze folgt daraus, daß sie zumindest für eine eng umrissene Konstellation prognosefähig sein müssen. 'Lernen und Adaption' können als positive Konzepte von Wandel nur verteidigt werden, wenn das Konzept um eine Theorie ergänzt wird, die zu erklären vermag, unter welchen Umständen Akteure lernen (resp. unter welchen Umständen Akteure nicht lernen) und unter welchen Bedingungen sich veränderte Perzeptionen in Regimewandel niederschlagen. Eine Kritik der bisherigen Leistung einer kognitiven Theorie für den Neo-Institutionalismus fällt entsprechend zwiespältig aus. Zum einen ist Robert Keohane zuzustimmen, wenn er dem Funktionalismus zubilligt, den Zusammenhang zwischen zunehmender Interdependenz und Regimebildung erkannt zu haben. Doch das Problem bleibt bestehen, daß die Zunahme der Interdependenz nicht in jedem Problemfeld zu Regimebildung führt und daß eine Theorie von Regimewandel auch eine Theorie des Funktionswandels von Regimen umfassen sollte. Beides kann die auf Lernprozessen aufbauende funktionalistische Regimetheorie derzeit nicht leisten. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß sich der Funktionalismus mit seinen Defiziten in guter Gesellschaft befindet. Auch die Theorie hegemonialer Stabilität wurde, nach der Falsifikation der ursprünglichen, deterministischen Theorie durch den Fortbestand des GA TI, um ihre Prognosefähigkeit 'erleichtert'. Die auf Kooperationsfähigkeit der Akteure basierende Leadership-Theorie hatte im Anschluß an Robert Keohanes After Hegemony behauptet, die Stabilität von Regimen sei eine abhängige Variable eines Hegemonialsystems oder zwischenstaatlicher Kooperation einer Gruppe von hinreichend mächtigen Staaten. 48 Diese strukturalistische Regime-
48 Vgl. Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984; Kenneth A. Oye: Cooperation under Anarchy, Princeton 1986; Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987.
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theorie wäre nur dann prognosefähig geblieben, wenn sie verdeutlicht hätte, unter welchen Bedingungen der Versuch einer zwischenstaatlichen Kooperation unternommen wird und unter welchen Bedingungen dieser Versuch erfolgreich ist. Zwar hat die Spieltheorie die Bedingungen erfolgreicher Kooperation eng umrissen, doch die Anwendung der Spiel theorie auf empirische Fälle von Regimewandel ist (derzeit noch) unbefriedigend. Zusätzlich scheint auch die Spieltheorie Erklärungsschwierigkeiten mit zumindest zwei Phänomenen zu haben: Erstens hat die Zahl der Regime in der Nachkriegsperiode und auch nach dem Ende der amerikanischen Hegemonie zugenommen, und zweitens führt dennoch selbst die konsensuale Nachfrage nach Regimen nicht zwangsläufig zu einer Regimebildung. Der erste Kritikpunkt verweist darauf, daß die Zunahme zwischenstaatlicher Konflikte zu mehr Regimen statt zu weniger Regimen führt. Der zweite Punkt, den man im Anschluß an Keohane als 'Romeo-und-Julia-Effekt' bezeichnen kann,49 erweist sich als fundamentaler, weil die Spieltheorie von einer harmonischen Interessenkonstellation auf kooperatives Verhalten der Akteure schließen muß.
IH. Struktureller Wandel und Perzeptionen
Eine vorsichtige Integration von strukturellem Wandel und kognitiven Prozessen auf der Akteursebene vermag die jeweiligen Defizite der Konzeptionen zu überwinden. Strukturelle Veränderungen dienen als Initial von Lerneffekten, während eine psychologisch informierte Konzeption von Perzeptionswandel eine spieltheoretische Analyse der Möglichkeit von Kooperation mit einem dynamischen Faktor versehen kann. Kognitive Faktoren können in diesem Sinne eine Vermittlung zwischen den spieltheoretischen Theoremen und gegebenenfalls abweichenden empirischen Beobachtungen übernehmen. Gleichzeitig dienen die strukturellen Faktoren dazu, quasi 'objektive' Bedingungen für einen Perzeptionswandel aller oder einzelner Akteure zu formulieren. In dem anschließenden Theorieteil wird durch die Adaption von verschiedenen, in der 'Psychological Economics' entwickelten Theoremen eine Verbindung von strukturellen und kognitiven Theorieelementen kon49 Vgl. Robert O. Keohane, a.a.O., S. 65.
B. Konkurrierende Konzeptionen von Wandel
65
struiert. Ausgehend von der von Anthony Giddens entwickelten epistemologischen Strukturkonzeption werden die kognitiven Grundlagen institutionellen Wandels konzipiert, um diese abschließend auf der Grundlage einer zweiteiligen Akteurskonzeption zu einer, auf ökonomischen Prozessen basierenden Theorie des Funktionswandels weltwirtschaftlicher Institutionen zu erweitern.
S Plümper
Teil 3
Theoretische Aspekte des Wandels in der Internationalen Politischen Ökonomie No less than anyone else, students of world politics live and work in conceptual jails. James Rosenau
A. Struktur und Strukturierung Die bei den im letzten Kapitel diskutierten neo-institutionellen Ansätze, die funktionalistische und die strukturelle Regimetheorie, haben unbestritten ihre Stärken und Schwächen auf verschiedenen Feldern. Eine Integration böte sich demnach an, doch diese scheitert zunächst daran, daß sie methodisch nicht sinnvoll zu bewerkstelligen ist. Das Defizit der funktionalistischen Konzeption, also das Fehlen überprüfbarer Annahmen bezüglich der Bedingungen von Lernprozessen, kann nicht einfach durch eine strukturalistische Theorie der 'Ursachen von Lernprozessen' ergänzt werden. Wenn Akteure aufgrund strukturellen Wandels lernen, ist die funktionalistische Theorie überflüssig, da sich eine Verhaltensänderung problemlos auf die mit dem strukturellen Wandel einhergehende wechselnde Attraktivität unterschiedlicher Optionen zurückführen läßt. Dies zu analysieren ist die Domäne der Rational-Choice-Theorie, auf welcher der strukturelle Zweig der Regimetheorie beruht. Eine zwar komplexere, aber dafür methodisch überzeugendere Integration beider Ansätze muß vor diesem Hintergrund davon ausgehen, daß kognitive Faktoren zwischen den spieItheoretischen Modellen des Strukturalismus und den partiell abweichenden empirischen Beobachtungen vermitteln. Eine solche Brückenannahme wird anschließend im Rahmen einer Kon-
A. Struktur und Slruklurierung
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zeption des Perzeptionswandels vor dem Hintergrund begrenzter Rationalität formuliert. Mit Hilfe adaptierter Theoreme der Transaktionskostenökonomik und der psychologischen Ökonomie ist zu erklären, daß Institutionen nicht kontinuierlich an strukturellen Wandel angepaßt werden (wie sich aus dem Modell der Nettonutzenmaximierung ergibt), sondern daß diese Anpassung verzögert erfolgt. Davor wird allerdings die zuvor kritisierte ontologische durch eine epistemologische Institutionenkonzeption ersetzt. Dies dient dem Zweck, den Entscheidungsprozessen der Akteure eine größere Bedeutung innerhalb des Neo-Institutionalismus zu gewähren. Darüber hinaus dient auch diese Veränderung der Integration von Funktionalismus und Strukturalismus, da strukturelle Ansätze gegenüber dem Funktionswandel von Institutionen geöffnet werden. In den beiden abschließenden Kapiteln dieses Teiles werden die Modalitäten der Interaktion zwischen Staaten und Wirtschaftssubjekten dargestellt. Diese Diskussion ist unverzichtbar, da die von den Wirtschaftssubjekten vorgenommenen ökonomischen Transaktionen die Initialdynamik zu (nachholendem) institutionellen Wandel hervorrufen. Die Aufnahme von Wirtschaftssubjekten ist die weitestgehende Veränderung des Neo-Institutionalismus, da dieser sich zumeist mit Staaten als Akteuren begnügt. I In dieser Arbeit wird nun eine zweite Gruppe von Akteuren eingeführt. Diese handeln und entscheiden ebenso, wie Staaten handeln und entscheiden, sie machen allerdings - dies wird später ausführlicher diskutiert und konzeptionalisiert - keine Politik. Dennoch ist unbestritten, daß erst die Einführung von Wirtschaftssubjekten die Möglichkeit eröffnet, strategische Interaktionen zwischen den unterschiedlichen Akteursgruppen zu analysieren.
I. Zentrale Begriffe und Konzepte
Um einen schnellen Einstieg in die im folgenden entwickelte dynamische Theorie der Internationalen Politischen Ökonomie zu ermöglichen, werden
I Robert Keohane und Joseph Nye etwa haben die ökonomische Sphäre der Weltwirtschaft lediglich als ökonomische Prozesse aufgenommen und integriert. Vgl. ihr: Power and Interdependence, 2.Aufl., Boston 1989.
68
Teil 3: Theoretische Aspekte
im folgenden die zentralen Begriffe der Struktur definiert und voneinander abgegrenzt. Die Struktur setzt sich aus Regeln zusammen, die von den Akteuren als gültig angesehen werden und Verhaltensmuster ausprägen, sowie den Ressourcen, die für Handlungen zur Verfügung stehen. Die Struktur wirkt direkt auf den Entscheidungsprozeß bei Akteuren ein, sie verursacht aber keine Handlungen. Entscheider besitzen die Perzeption einer UrsacheWirkungs-Kette von sozialen Handlungen, unter deren Beachtung sie zwischen verschiedenen Optionen entscheiden. In Entscheidungsprozessen reduzieren Akteure ihre Optionen auf eine Handlung. Struktur, wie oben definiert, ist Kalkulationsgrundlage intendiert rationaler Entscheidungen der Akteure. Der Begriff der Institution 2 bezeichnet sowohl spezifische Institutionen als auch Konventionen. Gemäß einer soziologischen Definition kennzeichnet er ein von Menschen geschaffenes Übereinkommen, sich gemäß einer oder mehreren Regeln zu verhalten. Der in der Internationalen Politischen Ökonomie bislang am weitesten akzeptierteste Versuch, Institutionen zu definieren, stammt von Robert Keohane. Danach sind Institutionen ,,related
2 Die begriffliche Trennung von Regimen und Institutionen ist auf der Grundlage einer soziologischen Definition beider Begriffe umstritten. Für Keohane, Young und Haas sind Regime eine spezielle Form beziehungsweise eine Untergruppe der Institutionen. Die dadurch entstehende Konfusion läßt sich durch ein Zitat von Haas am besten verdeutlichen: ,,A regime, with its associated organization, is a specific institution, nested in another specific institution." Ernst B. Haas: When Knowledge is Power, Berkeley 1990, S. 172ff. Eine vertiefende Diskussion der Begriffe findet sich bei: Robert O. Keohane: Neoliberal Institutionalism, in: derselbe: InternationalInstitutions and State Power, Boulder 1989, S. 3f; Oran Young: Regime Dynamics, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983, S. 93. Andrew Hurrell hat in der Öffnung der Regimetheorie zu einer Theorie internationaler Institutionen, die er an der Person Keohanes festmacht (die aber ganz grundsätzlich zu beobachten ist) eine Möglichkeit gesehen, die Regimetheorie und die traditionelle Völkerrechtslehre näher zusammenzubringen. Vgl. Andrew Hurrell: International Society and the Study of Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 54. Vgl. unter diesem Gesichtspunkt auch Friedrich Kratochwil: Contract and Regimes: Do Issue Specifity and Variations of Formality Matter?, ebenfalls in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993; und Thomas Gehring: Dynamic International Regimes, Frankfurt 1994.
A. Struktur und Strukturierung
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complexes of rules and nonns, identifiable in space and time." 3 An anderer Stelle hat Keohane seinen Institutionenbegriff präzisiert. Das Konzept umfaßt fonnelle zwischenstaatliche oder transnationale Organisationen, internationale Regime, die durch explizite Regeln und durch die Anerkennung ihrer Gültigkeit durch die Akteure gekennzeichnet sind und Konventionen, die das Verhalten von Akteuren prägen, aber informell sind. 4 Regime werden im folgenden synonym zum Begriff der 'spezifischen Institution' gebraucht. Beide Begriffe beziehen sich auf den intendierten Versuch, eine Gruppe von Regeln zu schaffen, um ein bestimmtes Akteursverhalten durchzusetzen. Der Regimebegriff meint ein Netz von Normen, Prinzipien, Organisationen, Verträgen und Abkommen, die Entscheidungen und das Verhalten von Akteuren in einem Problemfeld prägen. Im Unterschied zur Standarddefinition der Regimetheorie schließt die im folgenden verwandte Definition Konventionen aus. Es geht dabei primär um bewußte Steuerungsprozesse, die auf einer Entscheidung basieren. Regime erfüllen eine 'governance' Funktion. Konventionen resultieren dagegen nicht aus (kooperativen) Entscheidungen und werden insofern nicht berücksichtigt Eine Organisation ist eine spezifische Institution, die auf einem oder mehreren Verträgen beruht und intern durch eine autoritäre Hierarchie geprägt wird. Organisationen können Entscheidungen treffen und sind im Unterschied zu Regimen und Konventionen mit einer Handlungskapazität ausgestattet. 5 Organisationen interagieren mit ihrem Umfeld. Funktionell ausgedrückt: Institutionen sind Mittel zur externen Reduzierung von Komplexität durch Akteure; Organisationen sind Mittel zur internen Verar-
3 Robert O. Keohane: InternationalInstitutions, Ithaca 1989, S. 3f. 4 Vgl. Robert O. Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 28; derselbe: InternationalInstitutions, Ithaca 1989. 5 Die Definitionen der Begriffe Institution und Organisation folgen im wesentlichen Keohane, a.a.O., S. 162,175 (FN 2); Robert O. Keohane: Neoliberal Institutionalism: A Perspective on World Politics, in: derselbe: InternationalInstitutions and State Power, Boulder 1989; Alexander WendtJ Raymond Duvall: Institutions and International Order, in: Ernst-Otto Czempiel/ James N. Rosenau (Hrsg.): Global Changes and Theoretical Challenges, Lexington 1989.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
beitung von Komplexität als Akteur selbst und gegebenenfalls für andere Akteure. 6 Normen und Regeln sind der kleinste gemeinsame Nenner aller hier definierten Begriffe. Alle Institutionen lassen sich auf Normen zurückführen.? Nach Luhmann sind Normen ,,kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen".s Sie sind sowohl das kleinste Element von Strukturen, als auch ein konstitutiver Bestandteil von Institutionen und Regimen. Normen sind Verhaltensvorschriften, die Verhaltenserwartungen begründen und Entscheidungen beeinflussen.
11. Giddens' Strukturierungstheorie
Handlungen rationaler Akteure verändern sich, wenn sich deren Kalkulationsgrundlagen oder die Entscheidungsprozesse verändern. Das entscheidende Element an Wandel stellt insofern die Entscheidung der Akteure dar, sich künftig anders als bisher zu verhalten. Da der Beobachtungsgegenstand für die Sozialwissenschaften grundsätzlich nicht das Individuum, sondern die Gesellschaft oder besser vielleicht ein soziales System ist, stellen Strukturen und Strukturveränderungen, definiert als dauerhafte Veränderung sozialer Interaktionen, die abhängige Variable dar. Es wird bereits hier deutlich, daß die orthodoxe Konzeption von Struktur nicht mit diesen Annahmen in Übereinstimmung gebracht werden kann. Struktur besteht nicht allein als Begrenzung des Handlungspotentials der Akteure und noch weniger in der Verteilung von Handlungspotential
6 Eine Unterscheidung zwischen Organisationen und Institutionen wird in der Ökonomie eingeklagt von Douglass C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990; derselbe: Institutions and Credible Commitment, Journal of Institutional and Theoretical Economics 149, 1993. In der institutionellen Theoriedebatte der Internationalen Politik konnte ich einen entsprechenden Hinweis nur bei Ouo Keck finden. Vgl. Otto Keck: Der neue Institutionalismus in der Theorie der Internationalen Politik, Politische Vierteljahresschrift 32, 1991, S. 638. Eine systematische Diskussion der Unterscheidung steht in der Internationalen Politik noch aus. 7 Vgl. Friedrich Kratochwil: Rules, Norms, and Decisions, Cambridge 1989.
8 Niklas Luhmann: Rechtssoziologie, 3. Auf!. Opladen 1987, S. 43.
A. Struktur und Strukturierung
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(Macht) zu einem gegebenen Zeitpunkt, sondern entspricht der umfassenden Grundlage von Entscheidungen. Entscheidungen werden nicht allein auf der Grundlage von Handlungspotential, sondern auch vor dem Hintergrund sich verändernder Strukturbedingungen getroffen. Lange Zeit schien zwischen strukturellen und dynamischen Ansätzen ein Widerspruch zu bestehen, da Strukturen als stabile Umgebung von Handlung begriffen wurden. Daß dies nicht notwendigerweise so sein muß, hat Anthony Giddens in seiner Strukturierungstheorie gezeigt. Um den gewählten Ansatz zu verdeutlichen, werden die für diese Arbeit wichtigsten Elemente und Theoreme der Giddensschen Methode hier zunächst dargestellt. Giddens hat aber keine Theorie entwickelt, die ohne weiteres auf verschiedene ökonomische Prozesse angewendet werden kann. Die Konzepte dieser Theorie, so warnt Giddens, "should for many research purposes be regarded as sensitizing devices, nothing more. ( ... ) They may be useful for thinking about research problems and the interpretation ofresearch results." 9
Damit ist eine Einladung verbunden, die Strukturierungstheorie für andere Wissenschaftsbereiche nutzbar zu machen. Dies ist für den Bereich der Internationalen Beziehungen zumindest abstrakt bereits geschehen. lo Als besonders fruchtbar mag sich Giddens Anstoß erweisen, Ontologie und Epistemologie aufeinander bezogen zu konzipieren. I I
1. Giddens' Strukturkonzept
Strukturen werden von der orthodoxen Internationalen Politischen Ökonomie als manifest, als Stabilisatoren, betrachtet, die sich über eine hinrei-
9 Anthony Giddens: The Constitution of Society, Cambridge 1984, S. 326. In diesem Sinne muß auch Alexander Wendt verstanden werden, wenn es schreibt, daß "structuration theory by itself ( ... ) does not make a direct contribution to our substantive understanding of international relations per se." Alexander Wendt: The AgentStructure Problem in International Relations Theory, International Organization 41, 1987, S. 369. 10 Vgl. David Dessler: What's at Stake in the Agent-Structure Debate, International Organization 43, 1989; Alexander E. Wendt, a.a.O. ll
Dessler, a.a.O., S. 444.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
chend lange Zeit nicht ändern. Dies entspricht der rein ontologischen Betrachtungsweise, wie sie Durkheim in seiner Soziologischen Methode gefordert hat.J2 Giddens sieht Strukturen dagegen als Einfluß auf Entscheidungen, die sich durch Verhaltensänderungen der Akteure ebenfalls ändern. Seine Strukturen existieren nicht per se, sondern sie manifestieren sich in den Entscheidungen, Handlungen und Erwartungen der Akteure. Die Analyseebene wird dadurch von der Analyse der strukturellen Einheiten auf die Analyse der strukturellen Wirkung von Verhaltensänderungen verschoben. Strukturen sind für Giddens epistemologisch fundiert. Im Unterschied zu dem, wie Giddens sagt, "naiven Strukturalismus", dem sich vor allem der Realismus, aber zum Teil auch der Neo-Institutionalismus, bedient, bestehen Strukturen nicht extern zu menschlichen Handlungen. Strukturen werden vielmehr von menschlichen Handlungen erst geschaffen: "To say that structure is a virtual order of transformative relations means that social systems, as reproduced by social practices, do not have structures but rather exhibit structural properties and that structure exists, as time-space presence, only in the instantiations in such practicies and as memory traces orienting the conduct of knowledgeable human agents." 13
Strukturen manifestieren sich in der Perzeption der Akteure hinsichtlich des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs von Handlungen. Von Strukturwandel kann nur gesprochen werden, wenn verschiedene Entscheidungen oder die aus ihnen resultierenden Handlungen in einem Zusammenhang betrachtet werden. Wenn eine Handlung isoliert betrachtet wird, kann weder sinnvoll mit dem Begriff der Struktur operiert, noch zwischen zwei isolierten Handlungen ein Wandel konstatiert werden. Einzelne Ereignisse können sich nicht ändern; sie finden nur statt. 14
12 Vgl. Emile Durkheim: Die Regeln der soziologischen Methode, Frankfurt 1984, S. 115. (Erscheinungsjahr des französischen Originals 1895). 13 Anthony Giddens: The Constitution of Society, Cambridge 1984, S. 17. Für eine Anwendung dieser Methode auf internationale Institutionen vgl. Alexander Wendt: Anarchy is what States make of It: The Social Construction of Power Politics, International Organization 46, 1992, insbesondere S. 399ff. 14 In diesem Sinne auch Ronald A. Heiner: The Origins of Predictable Behavior, American Economic Review 73, 1983.
A. Struktur und Strukturierung
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Strukturen existieren als kognitive Einflußfaktoren im Entscheidungsprozeß der Akteure. Ein kulturbedingter Konsens wirkt strukturell, weil individuelle Rationalität unter Interdependenzbedingungen nur in einem gesellschaftlichen Kontext ausgeübt werden kann. Strukturen werden durch die Erinnerung der Akteure an vergangene Interaktionen zwischen Teilen der sozialen Gesellschaft gebildet. Die Akteure treffen deshalb nicht nur Entscheidungen, die von der Struktur maßgeblich beeinflußt werden, sie schaffen und erneuern durch ihre Handlungen die Beschränkungen und Möglichkeiten, welche die Struktur ihnen eröffnet. 15 Strukturen existieren nicht unabhängig von Handlungen und Erwartungen, und umgekehrt: Handlungen und Erwartungen existieren nicht unabhängig von Strukturen. Die Struktur veranlaßt verschiedene Akteure zu einer in ähnlicher Weise eingeschränkten Verhaltenskalkulation und 'zwingt' sie in letzter Hinsicht in eine Vielzahl von identifizierbaren Verhaltensmustern. Die Struktur ruft zwar keine Handlungen hervor, doch wenn Akteure Handlungen begehen, sind sie in ihrer Handlungsfreiheit einerseits durch die Struktur begrenzt und andererseits werden Handlungen durch eine Struktur erst möglich. Dennoch determinieren Strukturen keine Entscheidungen. 16 Die These der Theorie hegemonialer Stabilität, daß hegemoniale Machtverteilung zu Regimebildung und nicht-hegemoniale Machtverteilungen zu Regimeniedergang führen, scheitert zumindest im ersten Teil der Aussage daran, daß Strukturen keine Handlungen erzwingen. Die Freiheit der Akteure zu Handlungen wird durch Strukturen nicht eingeschränkt. Die eigentliche Struktur kann damit sinnvoll in die Ebenen der Sozialisation, der spezifischen Institutionen und der Konventionen unterteilt werdenP Sozialisation bezeichnet dann die individuell psychologischen Ver-
15 Walter Carlsnaes: On Analysing the Dynamics of Foreign Policy Change, Cooperation and Conflict 28, 1993, S. 13; Alexander E. Wendt: The Agent-Structure Problem in International Relations Theory, International Organization 41, 1987. 16 Vgl. in aller Deutlichkeit Fritz W. Scharpf: Political Institutions, Decision Styles, and Policy Choices, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Politica1 Choice, Frankfurt 1991, S. 53f.; Renate Mayntzl Fritz W. Scharpf: Akteurbezogener Institutionalismus als analytischer Ansatz, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 1994, S. 8.
17 Die erste Ebene firmiert bei Giddens, aber auch bei David Easton, unter dem Begriff der höherrangigen Strukturen, die letzten beiden der niederen Strukturen. Die beiden letzten Gruppen können unter dem Begriff der Institutionen subsumiert wer-
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Teil 3: Theoretische Aspekte
haltensbegrenzungen in gesellschaftlichen Interaktionen. Nicht jedes Individuum zieht alle theoretisch möglichen Optionen in Erwägung. Ähnliches gilt ebenso für Organisationen und Staaten. Die Sozialisation gleicht quasi als höhere Strukturebene einer unsichtbaren Macht, die im Hintergrund eines Systems operiert. 18 Unterschiede in der Sozialisation von Akteuren greifen häufig auf die Wirkung politisch implementierter Normen über. Das GAIT beinhaltet zwar für die USA und Japan sehr ähnliche Vorschriften, doch die Neigung der Japaner, vornehmlich japanische Produkte zu kaufen, kann nicht durch Zollsenkungen oder durch die Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse reguliert werden. Die gleiche Regulation wirkt in unterschiedlichen Gesellschaften verschieden. Japan kann deshalb bei in weltweitem Vergleich niedrigen Importhemmnissen und einer überbewerteten Währung einen Handelsbilanzüberschuß erwirtschaften. Strukturelemente werden von unterschiedlichen Akteuren in unterschiedlichen Wirkungszusammenhängen gesehen und unterschiedlich gewichtet. In der zweiten Ebene der Struktur, der Ebene der Institutionen, werden Verhaltensvorschriften subsumiert. Das sind Normenbündel, deren Befolgung oder Nichtbefolgung von den Akteuren beobachtet werden kann. Dazu ist es notwendig, daß Kenntnis über die jeweiligen Normen besteht. Nichtbefolgung kann, muß aber nicht sanktioniert werden. 19 Weiterhin kann zwischen positiv gesetzten Normen und nicht gesetzten beziehungsweise nicht setzbaren Normen unterschieden werden. Die Existenz von Konventionen kann durch positives Recht unterstützt werden, aber sie läßt sich nicht erzwingen. Die oftmals behaupteten Unterschiede zwischen einem Staat, der Recht durch das Monopol der Gewaltanwendung durchsetzen kann, und dem 'anarchischen' internationalen System sind - so gesehen gering. Entscheidend ist letztlich, ob Regelbefolgung beobachtet werden kann und ob die Erwartung existiert, daß gesetztes Recht oder Konventionen befolgt werden. Institutionen wirken dann bereits über die Erwartungen auf die Entscheidungen und Handlungen der Akteure. Ihre Wirkung muß aber nicht durchgesetzt werden. den. Vgl. Anthony Giddens: The Constitution of Society, Cambridge 1984, S. 16ff; David Easton: The Analysis of Political Structure, New York 1990. Giddens und Easton entwickeln ihre Methodik ohne formalen Bezug; im Hintergrund stehen besonders bei Easton deutlich die Analyse nationaler politischer Systeme. 18 Vgl. Easton, a.a.O., S. 3. 19
Vgl. Elinor Ostrom: Governing the Commons, Cambridge 1991, S. 94ff.
A. Struktur und Strukturierung
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2. Strukturierung Die Analyse der Struktur in den internationalen Beziehungen führt zu den Bestimmungsfaktoren der Entscheidungen von Akteuren. Sie ist eine logische Vorbedingung der Analyse von strategischen Akteursbeziehungen. Strukturen sind zwar stabil, doch nicht fix; vielmehr treten innerhalb der Struktur Veränderungen auf, die sich zu einer Entwicklung verdichten und in einem Prozeß kulminieren können. Struktur ist ebenso das Ergebnis wie das Medium von Handlungen. 20 Das Konzept der Struktur muß vor diesem Hintergrund als Prozeß der Strukturierung verstanden werden; die Struktur existiert nicht per se, sondern nur zu jedem gegebenen Zeitpunkt als Kalkulations- und Handlungsgrundlage der Akteure. Dies kann gar nicht anders sein, da Struktur an den Begriff der Entscheidung gekoppelt ist, und jeder Entscheidung ein einzelner Zeitpunkt zugewiesen wird. Der Prozeß der Strukturierung ergibt sich dadurch, daß jede Erfahrung mit vorhergegangenen Entscheidungen als gelernte Erfahrung in folgende Entscheidungen einfließt. Verändern sich Entscheidungen mit der Zeit, ändert sich graduell auch die Struktur. Mit anderen Worten: Struktureller Wandel tritt auf, wenn hinreichend viele Akteure ihre Entscheidungen und damit verbunden auch ihre Handlungen ändern. Die Idee der Strukturierung beinhaltet keine Aufhebung des Strukturbegriffes. Die Strukturierungstheorie nimmt sowohl an, daß Strukturen zu jedem gegebenen Zeitpunkt existieren, als auch, daß bestehende Strukturen in jeder neuen Struktur fortbestehen, die sich aufgrund einer Veränderung der Kalkulation von Akteuren ergibt. Vor dem Hintergrund der Strukturierungstheorie kann die Kritik der verhaltenssoziologischen Ansätze innerhalb der Theorien Internationaler Beziehungen an den strukturellen Ansätzen zurückgewiesen werden. Diese Kritik richtete sich überwiegend an die Statik der strukturellen Ansätze. 21 Da eine dynamische und strukturelle Theorie möglich ist, kann der zentrale Kritikpunkt nicht aufrecht erhalten werden. Tatsächlich greifen selbst 'kognitive', 'epistemologische' oder 'funktionale' Ansätze implizit auf die von ihnen kritisierten strukturellen Aspekte zurück. Sie kommen nicht um20 Vgl. David Dessler: What's at Stake in the Agent-Structure Debate, International Organization 43, 1989, S. 452. 21
Ernst B. Haas: When Knowledge is Power, Berkeley 1990, S. 8.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
hin anzunehmen, daß Lernprozesse zwischen verhandelnden Akteuren auf einer individuellen, selektiven Wahrnehmung der real existierenden Entscheidungsmöglichkeiten basieren. Staatliche Akteure (oder ihre Agenten) wissen um ihre Ziele und um ihr Potential und selbst wenn die Wahrnehmung von beiden fortgesetzten Veränderungen unterworfen ist, fließt die Perzeption doch in die Interessenartikulation, die Verhandlungsposition und - genügend Einfluß vorausgesetzt - auch in das Verhandlungsergebnis ein. Gleichzeitig beruht der Entscheidungsprozeß als solcher auf einer institutionalisierten, strukturellen Auswahl eines Modus unter vielen. Die vollständige Negierung von Strukturen muß zwangsläufig zu einer nichthierarchischen, gemeinschaftlichen Auswahl der Partizipienten, des Gremiums und des Verhandlungsmodus führen, bevor kooperativ agiert werden kann. Anschließend darf dieses Verfahren weder implizit noch explizit als 'Muster' für weitere Aktionen angesehen werden. Ohne Struktur wäre jede Handlung eine Einzelaktion. Handlungen werden nicht einfach nur von Akteuren ausgeführt, sondern Sozialität reproduziert sich selbst durch Handlungen. 22 Der analytische Rückgriff auf das Konzept der Struktur setzt lediglich voraus, daß Akteure innerhalb ihrer Entscheidungsprozesse ihre Optionen wissentlich oder unwissentlich auf mehr als eine und weniger als unendlich viele begrenzen und daß sie individuell Präferenzen bezüglich der von ihnen als möglich erachteten Optionen besitzen. Die Strukturierungstheorie ist wertvoll, um den "Weg des institutionellen Wandels" 23 zu begründen. Nimmt man zu einem gegebenen Zeitpunkt eine gegebene Struktur an, kann kein einzelner Akteur die Struktur beliebig verändern. Institutioneller Wandel vollzieht sich in kleinen, einzelnen Schritten: "Path dependence is a way to narrow conceptionally the choice set and link decision making through time. It is not a story of inevitability in which the past neatly predicts the future." 24
22 Vgl. Anthony Giddens: The Constitution of Society, Cambridge 1984, S. 2; Nicholas Rowe: Rules and Institutions, New York 1989, S. lff. 23 Dieser Begriff ist Douglass North entliehen. Vgl. Douglass C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990, S. 92ff. 24 North, a.a.O., S. 98f. In diesem Sinne auch Stephen D. Krasner: Sovereignty: An Institutional Perspective, Comparative Political Studies 21, 1988, S. 67; Christer Jöns-
A. Struktur und Strukturierung
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3. Struktur und individuelle Filter
Ein Problem der sozialwissenschaftlichen Strukturanalyse liegt in dem Rückgriff auf Systemstrukturen. Zwar existieren Strukturen nur für Interaktionszusammenhänge und für soziale Systeme, doch keine Struktur wirkt für jeden einzelnen Akteur gleich. Ganz im Gegenteil läßt eine Struktur verschiedenen Akteuren verschiedene Optionen, weil das Wesen eines Akteurs, seine Ausstattung, sein Ansehen, sein Charakter, als Filter wirkt. Dieser wirkt quasi als Katalysator und ist zwischen die eigentliche Struktur und die Entscheidung eines spezifischen Akteurs geschaltet. Er verstärkt einige Strukturelemente für einen bestimmten Akteur, andere dagegen schwächt er ab. 25 Individuelle Filter ergeben sich aus der nationalen Kultur und den historischen Erfahrungen der Nationen ebenso wie aus den spezifischen Interessen und der Ausstattung der Staaten mit 'Macht'. Die Bundesrepublik Deutschland wird nur schwer zu bewegen sein, die Rolle der Weltkonjunkturlokomotive zu übernehmen, weil die Akzeptanz von Inflation in Deutschland niedriger ist als in anderen Staaten. Und auch auf die handlungsleitenden Unterschiede zwischen 'korporatistischen' und 'libertär' organisierten Staaten ist verschiedentlich verwiesen worden. 26 Die USA haben andere Handlungsoptionen als etwa die Schweiz oder Südafrika. Dies heißt nicht unbedingt, daß die USA einen größeren Handlungsspielraum besitzen (das mag so sein); in erster Linie haben alle Staaten unterschiedliche Handlungsoptionen.
son: Cognitive Factors in Explaining Regime Dynamies, in: Volker Rittberger: Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 215ff. 25 Dies wird deutlich bei der modemen Spielart des Realismus, der sich Neo- oder struktureller Realismus nennt und auf Kenneth Waltz beruht. Auch die strukturellen Ansätze des Neo-Institutionalismus gehen keineswegs 'ganzheitlicher' mit ihrem Strukturbegriff um. Gleichzeitig behandeln diese Ansätze Macht als einziges oder zumindest dominierendes Strukturmerkmal. Für eine umfassende Diskussion von Strukturfiltern vgl. Jon Elster: Ulysses and the Sirens, Cambridge 1979; Adrienne Windhoff-Heritier: Institutions, Interest and Political Choice, in: dies.! Roland Czada (Hrsg.): Political Choice, Frankfurt 1991, S. 38f.
26 Vgl. etwa Wolfgang Merkei: Verstaatlichung, Privatisierung und Sozialdemokratie, in: Heidrun Abromeitl U1rich Jürgens (Hrsg.): Die politische Logik wirtschaftlichen Handeins, Berlin 1992.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
Ein Entscheidungsmodell, das individuelle Filter integriert, wurde von Ingvar Johansson entwickelt. Er beginnt bei einem Modell des methodischen Individualismus, das er Neo-Kantisch nennt, und das die orthodoxe Konzeptionalisierung von Strukturen gut charakterisiert: 1. 2. 3. 4.
Akteur A ist in der Situation C. In einer Situation C ist die Handlung d angemessen und rational. Akteure handeln immer rational. Deshalb entscheidet sich A für d und führt d aus.27
Dieses Modell erweist sich in Hinsicht auf die Entscheidungskapazität der Akteure, ihre Kenntnisse der Situation in der sie sich befinden und auf ihr Entscheidungsverfahren als zu vereinfachend. Deshalb hat sich Johansson veranlaßt gesehen, das oben dargestellte dominierende 'Rationalitätsprinzip , der Sozial wissenschaft fortzuentwickeln: 1. Akteur a des Typus A war in einer Situation s des Typs S. 2. Akteur a hat sich selbst in einer Situation des Typs S gesehen. 3. In einer solchen Situation S ist t die angemessene Handlung für einen Akteur des Typs A. 4. Akteure entscheiden sich normalerweise, in einer als angemessen befundenen Weise zu handeln. Sie können allerdings von nicht vollständig rationalen Faktoren beeinflußt werden. 5. Akteur a entscheidet sich, rational zu handeln und war nicht von irrationalen Faktoren beeinflußt. 6. Deshalb hat a versucht, t zu tun. 28 Dieses Modell hat im Vergleich zum ersteren den Vorteil, gegebenenfalls von begrenzter Rationalität der Akteure ausgehen zu können und ihre individuelle Lageeinschätzung zu berücksichtigen, da die Anforderungen an ihre Rationalität vermindert wurde.
27 Vgl. Ingvar Johansson: Ontological Investigations: An Inquiry into the Categories of Nature, Man and Society, London 1989, S. 263. 28 Johansson, a.a.O., S. 267ff.
A. Struktur und Strukturierung
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III. Epistemologische Regimetheorie Ausgehend von Giddens Strukturierungstheorie können nun einige Modifikationen der Regimetheorie vorgenommen werden, welche die zwei Kerntheoreme unberücksichtigt lassen, denen zufolge Regime das Verhalten der Akteure beeinflussen und stabilisieren sowie Regime selbststabilisierende Variablen sind und als Intermediäre zwischen Wandel und Kontinuität wirken. 29 Die Annahme selbststabilisierender Regime kann weder in eine epistemologische Institutionenkonzeption, wie sie in Giddens Strukturierungstheorie angelegt ist, noch in eine Entscheidungstheorie übernommen werden. In ersterer können Institutionen nicht länger als soziale Fakten begriffen werden, sondern sie konstituieren sich im Entscheidungsprozeß der Akteure. Institutionen und Regime sind dann solange stabil, wie sie die Entscheidungen der Akteure stabilisieren. Insofern kann eine Ähnlichkeit mit der Regimedefinition des Funktionalismus nicht ganz vermieden werden, derzufolge sich Regime durch ihre Wirkung als Regime erweisen. Keohane nennt dieses Verfahren die Definition und Identifikation von Regimen auf der Grundlage von beobachtetem Verhalten. 3o Das klingt zunächst unproblematisch, aber das originäre Thema der Regimewirkung kann kaum thematisiert werden, wenn es per definitionem vorausgesetzt wird. In der vorliegenden Arbeit wird die Tautologie des Funktionalismus reduziert, indem nur spezifische, also willentlich, per kooperativem Beschluß implementierte Institutionen als Regime definiert und betrachtet werden. 31 Begründet werden kann diese Methode nicht zuletzt, da die Bindungswirkung von spezifischen Institutionen naturgemäß geringer ist als die Bin29 Vgl. Stephen D. Krasner: Regimes as Intervening Variables, in: derselbe (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983. 30 Robert Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 27. 31 Auch Keohane hat diese Definition zuletzt als die Vernünftigste empfohlen. Vgl. Keohane, a.a.O., S. 28. Trotzdem ist diese Definition noch nicht perfekt. Probleme entstehen zwar nicht bei um Organisationen gruppierte Regime, aber Probleme sind regelmäßig bei Verträgen zu erwarten, soweit sie ein Regime schaffen. Denn es macht natürlich keinen Sinn, eine funktionslose Institution, etwa die Grenzziehung der Wiener Verträge, als Regime zu betrachten, während von einer funktionslosen Organisation immer noch irgendweIche Impulse ausgehen.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
dungs wirkung von Konventionen. Zusätzlich schwinden Konventionen im Unterschied zu spezifischen Institutionen unmittelbar und vollständig, wenn sie ungebräuchlich werden. Die Wirkung eines institutionalisierten Regimes erscheint dagegen als Variable: Eine spezifische Institution kann existieren und dennoch ihre Wirkung verändern und verlieren. Ob man eine existierende, aber weitgehend wirkungslose spezifische Institution dann noch als Regime bezeichnet, steht frei. Die Wissenschaftlichkeit eines funktionalistischen Regimeansatzes bleibt darüber hinaus gewahrt, wenn zwischen Normen und Institutionen auf der einen und Entscheidungsprozeduren auf der anderen Seite differenziert wird. Diese in der Regirnedefinition angelegte Unterscheidung ermöglicht nicht nur, zwischen nicht intendiertem Wirkungswandel eines Regimes und intendiertem Regimewandel zu unterscheiden, sondern sie ermöglicht auch eine Annäherung an das Phänomen der Regimewirkung. Wird angenommen, daß Institutionen durch stabile Entscheidungsgrundlagen gebildet und durch Routinenbildung quasi internalisiert werden, erweist sich die Regimewirkung an stabilem Verhalten der Akteure trotz eines sich verändernden Regimeumfeldes. Damit kann auf die ('was-wäre-wenn') Annahmen kontrafaktischer Beweisführung weitgehend verzichtet werden. Statt dessen muß die Ungleichzeitigkeit zweier aufeinander bezogener Prozesse analytisch nachgewiesen werden. Staatliches Verhalten, internationale Kooperation und Regimebefolgung finden insofern in einem ökonomischen Umfeld statt. Wird gezeigt, daß das Umfeld stabil bleibt, sollte ein stabiles staatliches Verhalten nicht verwundern. Ist das Umfeld dagegen dynamisch und bleibt die staatliche Politik dennoch stabil, scheint eine Regimewirkung zunächst plausibel. Tatsächlich greift diese Beweisführung aber etwas zu kurz. So kann gezeigt werden, daß die Dynamik der Weltwirtschaft zwischen 1945 und etwa 1970 eine intendierte Dynamik war. Die zunehmende Integration der Weltwirtschaft und vor allem die daraus resultierenden Wohlfahrtsimpulse waren im Sinne der staatlichen Politik und können als beabsichtigte Regimefunktion angesehen werden. Wenn sich ein Regimeumfeld im Sinne des Regimes verändert, kann zwar unter Umständen eine Regimewirkung angenommen werden. Sie kann aber kaum nachgewiesen werden, da keine Anreize entstehen, die eine Veränderung staatlichen Verhaltens angeraten erscheinen lassen. Insofern erweist sich eine Regimewirkung tatsächlich erst bei abnehmender faktischer Regimefunktionalität und gleichzeitigem stabilem Verhalten.
A. Struktur und Strukturierung
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Als zweites Problem kommt hinzu, daß die Differenzen zwischen ökonomischem Wandel und politischer Stabilität eine Frage der Fristigkeit darstellt. Da Staaten Routinen ausprägen, kann stabiles Verhalten entweder auf die Wirkung von Institutionen, auf Perzeptionen oder auf Wahrnehmungsblockaden zurückgeführt werden. Für die Soziologie liegt zwischen den Begriffen kein großer Unterschied, aber für die Politikwissenschaft und die Ökonomie, für die Interessen traditionell eine große Bedeutung besitzen, ist die Unterscheidung bedeutsam. Als dritter und letzter Kritikpunkt dürfte sich in vielen Fällen zeigen, daß die Bestimmung von Systemgrenzen (oder eines Problemfeldes) zu vage ist, um vollständig überzeugen zu können. So leuchtet nur innerhalb des liberalen wirtschaftspolitischen Dogmas ein, daß die Weltwirtschaftskrise Anfang der neunziger Jahre mit handelspolitischen statt mit konjunkturpolitischen Mitteln eingedämmt werden sollte. Erst als sich die Krise bis Ende 1993 weiter vertiefte, wurde im institutionellen Rahmen der G-7 eine jobs conference einberufen. Zunächst aber wurden die Hoffnungen der internationalen Politik auf eine Ankurbelung der Weltwirtschaft beinahe ausschließlich auf die Uruguay-Runde des GATI gelegt. Vergleichbares trifft auf die Begründung von währungspolitischen Devisenmarktinterventionen zu. Das Für und Wider eines Wechselkursmanagements erschließt sich nicht aus ordnungspolitischen Erwägungen, sondern vornehmlich aus der (angenommenen) Effizienz eines Wechselkursregimes für die Weltwirtschaft als Ganzes. Stabile Wechselkurse sind kein politisches Ziel per se, sondern sie dienen der Integration der Weltwirtschaft. Immerhin werden die Grenzen von Problemfeldern deutlicher, wenn die Ursache-WirkungsPerzeption der Akteure untersucht wird. Obwohl die Kritikpunkte nicht leichtgenommen werden sollten, scheinen die Vorteile und Möglichkeiten gegenüber den Nachteilen und Problemen zu überwiegen. Einige Probleme lassen sich wahrscheinlich durch weitere Forschung in den Griff bekommen: So kann die Unterscheidung zwischen intendiertem und nicht-intendiertem Wandel im Hinblick auf die Steuerleistung eines Regimes analysiert werden. Und auch die Abgrenzung der Problemfelder läßt sich vermutlich durch eine empirisch gestützte komparative Untersuchung schärfer fassen.
6 Plümper
B. Kognitive Grundlagen institutionellen Wandels Die orthodoxe Konzeption der Theorien Internationaler Politik basiert seit Kenneth Waltz' Theory ofWorld Politics überwiegend auf einer vergleichbaren Methodik und nimmt nutzenmaximierendes Entscheidungsverhalten der staatlichen Akteure an. In diesem Kapitel soll dagegen ein Verhaltensmodell adaptiert werden, das dem Schema von Johansson folgt, ohne - wie dieses - die Fähigkeit zu positiven Aussagen aufzugeben.
I. Rationalität in den Internationalen Beziehungen
Gunther Hellman und Reinhard Wolf haben in ihrem Rückblick auf die "Neo-Realismus-Institutionalismus-Debatte" behauptet, diese Debatte sei deshalb so fruchtbar gewesen, weil die beteiligten Wissenschaftler (unter anderem) auf einheitliche Annahmen über das Akteursverhalten zurückgegriffen haben: "Der Staat wird in beiden Ansätzen übereinstimmend als rationaler Egoist verstanden, d. h. als ein einheitlicher Akteur, der zielbewußt die ihm verfügbaren Mittel einsetzt, um seine eigenen Interessen durchzusetzen." 1
Übereinstimmend wird angenommen, daß Staaten rationale Akteure sind, die sich nutzenmaximierend verhalten. 2 Unterschiede zwischen den Neo1 Vgl. Gunther Hellmanl Reinhard Wolf: Systemische Theorien nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, in: Österreichische Zeitschrift für Politik 22, 1993, S. 156. Zur Kritik der Prämissen des Realismus vor allem Helen Milner: The Assumption of Anarchy in International Relations Theory, Review ofinternational Studies 17, 1991. 2 Vgl. Kennth Waltz: Theory of World Politics, Reading 1979, S. Iff.; Stephen D. Krasner: International Regimes, Ithaca 1983, S. vii. Andrew Kyddl Duncan Snidal: Progress in Game-Theoretical Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 127; Gunther Hellmannl Reinhard Wolf: Systemische Theorien nach dem Ende des OstWest-Konflikts, Österreichische Zeitschrift für Politik 22, 1993, S. 156f. Zur Kritik vgl. auch Richard Higgott: Toward a Nonhegemonie IPE, in: Craig Murphy I Roger
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Institutionalisten werden in der Präferenzordnung der Staaten gesehen: Realisten betrachten Staaten als' Statusmaximierer', die nach relativen Gewinnen streben beziehungsweise relative Verluste zu vermeiden trachten, während Institutionalisten entweder eine 'absolute Gewinn- oder Nutzenmaximierung '. Statusmaximierende Akteure bewerten ihren erwarteten Nutzen relativ zu dem erwarteten Nutzen ihrer Interaktionspartner und versuchen, sich in einer hypothetischen Rangliste aller Staaten möglichst weit oben anzusiedeln A.kteure, die absolute Gewinne anstreben, berücksichtigen dagegen nur ihren eigenen erwarteten Nutzen. 3 Beide Rational-Choice-Konzeptionen ermöglichen den Verzicht auf eine Theorie innerstaatlicher Entscheidungen. Unter Annahme homogener Ziele, die entweder relativ oder absolut maximiert werden, werden die internen Bedingungen staatlicher Handlungen zu einer 'Black Box', da die Auswahl der Ziele und die Methodenwahl ihrer Verfolgung innergesellschaftlich nicht umstritten sein kann. Michael Mastanduno, David Lake und lohn Ikenberry haben dies folgendermaßen kommentiert: ,,1t is ironie that the Realist tradition places the state at the center of its analysis but fails to develop a cornprehensive theoretical appreciation of its nature or logic." 4
Diese Konzeption ist zwar auch von Seiten der Regimetheorie, etwa von Robert Keohane,5 kritisiert worden, nichtsdestotrotz hat sie Aufnahme in den Neo-Institutionalismus gefunden. Im folgenden wird ein der wirtschaftswissenschaftlichen Heterodoxie entlehntes Entscheidungsmodell von Akteuren adaptiert. 6 Das Bestreben
Tooze (Hrsg.): The New International Political Economy, Boulder 1991, S. 100; Robert Jervis: Realism, Game-Theory and Cooperation, World Politics 40,1988, S. 347f. 3 Vgl. Oran Young: International Regimes, World Politics 39,1986, S. 118ff. 4 Vgl. Michael Mastanduno et al.: Toward a Realist Theory of State Action, International Studies Quarterly 33, 1989, S. 471.
5 "Understanding the general principles of state action and the practices of governments is a necessary basis for attempts to refine theory or to extend the analysis to non-state actors." Robert O. Keohane: Theory of World Politics: Structural Realism and Beyond, in: A. Finifter (Hrsg.): Political Science, American Political Science Association, Washington 1983, S. 503f. In After Hegemony hat Keohane diese Kritik aber nicht eingelöst.
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geht dabei in zwei Richtungen: Erstens soll die Annahme maximierenden Verhaltens aufgegeben werden, ohne den Anspruch positiver, d.h. prognosefähiger Wissenschaft aufgeben zu müssen. Und zweitens soll auf der Basis dieser Verhaltensannahmen eine Konzeption von Wandel formuliert werden, die später als Theorie der politischen Reaktion von Staaten auf ökonomische Prozesse der Begründung von politischen Veränderungen der Regimes dienen soll.
11. Rationalität und ihre Kritik
Rationalität ist definiert als Fähigkeit der Akteure, die relevanten Alternativen zu unterscheiden und zwischen den Optionen gemäß ihrer Präferenzen auszuwählen.? Diese Präferenzen werden heuristisch als stabil angenommen 8 und basieren auf der Vergleichbarkeit eines Zweckes. Zum
6 Im folgenden werden identische entscheidungstheoretische Annahmen für Individuen, Gruppen und Organisationen (und also vor allem auch Staaten) als Akteure getroffen. Gleiche Verhaltensannahmen für Individuen und Gruppen sind nicht unproblematisch, doch ich gehe davon aus, daß die Gemeinsamkeiten des Entscheidungsprozesses größer sind als die Unterschiede, so daß ein einheitliches Verhaltensmodell nicht zuletzt aus Parsimonitätsgründen akzeptabel erscheint. Auf die Unterschiede der strukturellen Bedingungen von Entscheidungsprozessen verschiedener Akteure (nicht auf Unterschiede des Entscheidungsprozesses) wird im nächsten Kapitel verwiesen. Im empirischen Teil wird dagegen ausschließlich auf staatliche Entscheidungen rekurriert. Zur Kritik der von mir gewählten Methode vgl. Johan P. Olsen: Political Science and Organization Theory: Parallel Agendas but Mutual Disregard, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Political Choice, Frankfurt 1991, S. 89ff. 7 Diese entscheidungs-prozessuale Definition ist weit davon entfernt, konsensual zu sein. Vgl. zuletzt wieder die Kritik von Amartya Sen: Intemal Consistency of Choice, Econometrica 61, 1993. Ein grundsätzlich anderes Modell verwenden Handlungstheorien. Rationalität wird von ihnen als Möglichkeit definiert, Handlungen zu begründen. Vgl. etwa Nicholas Rescher: Rationality: A Philosophical Inquiry into the Nature and the Rationale of Reason, Oxford 1988; Bemhard Peters: Rationalität, Recht und Gesellschaft, Frankfurt 1991, S. l67ff. In der terminologie von Rational Choice Ansätzen wird die Begründbarkeit von Handlungen als Vernunft bezeichnet. Vielen Diskussionen über die Zweckmäßigkeit von Rational Choice Ansätzen liegt somit ein semantisches, definitionsbedingtes Mißverständnis zugrunde.
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Zeitpunkt der rationalen Entscheidung werden Präferenzen aufgrund von mehr oder weniger fundierten Erwartungen gebildet. Diese Rückführung von Präferenzen auf Erwartungen entkräftet die oftmals behauptete Unvergleichbarkeit von 'Äpfeln und Birnen', da der Akteur nicht wirklich Äpfeln und Birnen vergleicht, sondern den erwarteten Genuß. Rationalität kann insofern als allgemeines Prinzip anerkannt werden. Mehr noch: Jede Entscheidung muß als subjektiv rational angesehen werden, solange die Akteure nicht dezidiert auf nicht-rationale Entscheidungskriterien, beispielsweise einen Losentscheid,9 zurückgreifen. Tatsächlich können die Sozialwissenschaften die Annahme von Rationalität kaum venneiden, da sie durch die Verarbeitung von Zufall überfordert wären. Insbesondere institutionelle Ansätze, die Akteursverhalten als regel-rational konzipieren, basieren auf 'intelligenten' Entscheidungen, I 0 da viele Institutionen die Option implizieren, sich nicht regelkonfonn zu verhalten. Doch die Rationalitätsannahme prägt keineswegs eine einheitliche Entscheidungskonzeption aus. Vielmehr wird das Rationalitätskonzept in jedem Fall mit unterschiedlichen Zusatzannahmen verbunden. Die behauptete Problematik des Rationalitätskonzeptes resultiert denn auch nicht eigentlich aus der Annahme von rationalem Wahlverhalten, sondern liegt in diesen Zusatzannahmen verborgen. Die der maximierenden RationalChoice-Theorie entlehnte Public-Choice-Theorie unterstellt dem Staat entsprechend ein weitgehend rationales, maximierendes Verhalten. Es setzt voraus, daß Staaten über konsistente Präferenzen verfügen.
8 Wären Präferenzen nicht stabil, könnte jede Verhaltensänderung mit einer Präferenzänderung erklärt werden. Damit wäre aber noch nicht erklärt, was Präferenzänderungen verursacht. 9 Obwohl ein Losentscheid selbst keine rationale Entscheidung darstellt, kann die Entscheidung, auf einen Losentscheid zurückzugreifen, rational sein. Dies gilt immer dann, wenn sich die Akteure z.B. in einer 'battle-of-the-sexes' Situation befinden und eine Nicht-Einigung kostspielig ist. 10 Vgl. Johan P. Olsen: Political Science and Organization Theory: Parallel Agendas but Mutual Disregard, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Political Choice, Frankfurt 1991, S. 111; Niklas Rowe: Rules and Institutions, New York 1989. Daniel Kahneman: New Challenges to the Rationality Assumption, Journal of Institutional and Theoretical Economics 150, 1994, S. 32.
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Die Kritik an diesem Modell ist so alt wie das Modell selbst. Sie beruht allerdings zum Teil auf einer mißverstandenen Begrifflichkeit. II Die Akteure wurden von der Ökonomie, die als 'Mutter der Entscheidungstheorie' gelten darf, nicht als objektiv rational, also nicht als allwissend, sondern als subjektiv, oder vielleicht besser als intendiert rational, aufgefaßt. Diese Rationalität führt in Einzelfällen nicht zwangsläufig zur besten Wahl, doch zur Beschreibung des Gesamtsystems gilt Rationalität als beste Annahme. Die Summe der Entscheidungen legt den Schluß nahe, die einzelne Entscheidung wäre perfekt rational. I 2 Als grundsätzliche Kritik an der Adaption der Rational-Choice-Theorie durch die Theorien internationaler Politik muß aber bereits eingangs darauf hingewiesen werden, daß es für die Überzeugungskraft der 'als-ob-Annahme' einen Unterschied macht, ob die Ökonomie auf potentiell 4 Milliarden Akteure verweisen kann oder die Theorien Internationaler Politik auf 180. Doch die Diskussion der Rational-Choice-Theorie in der Ökonomie kann mögliche Auswege aus dem Dilemma aufzeigen. Heterodoxe Ansätze weisen in letzter Zeit vermehrt auf die Möglichkeit hin, positive und realitätsnahe Theoreme zu entwickeln. Autoren wie Herbert Simon, Amos Tversky, Daniel Kahneman, Richard Thaler, Ronald Heiner, Richard Nelson, Sidney Winter und Douglass North haben Ansätze entwickelt, die sich bei aller Verschiedenheit - an einem anderen Rationalitätsbegriff und einem anderen Entscheidungsmodell orientieren. I3 Mit der Aufgabe der Annahme maximierenden Verhaltens gelangt die Ökonomie, anders als etwa
11 Die problematische Begrifflichkeit äußert sich am deutlichsten darin, Strukturen und kognitive Prozesse als zwei unterschiedliche und unvereinbare Konzepte zu sehen. Vgl. Ernst B. Haas: When Knowledge is Power, Berkely 1990. Abweichend dazu Christer Jönsson: Cognitive Factors in Explaining Regime Dynamics, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 202f., der kognitive Theorien gegen den Vorwurf der Irrationalität verteidigt. 12 Vgl. ausführlich wiederum Milton Friedman: The Methodology of Positive Economics, in: derselbe: Essays in Positive Economics, Chicago 1953.
13 Vgl. die Beiträge in dem Sammelband von Stephen D. Littlechild (Hrsg.): Economics as a Process, Cambridge 1986; Richard Nelson! Sidney Winter: An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge 1982; Douglass North: Institutions, Institutional Change, and Economic Performance, Cambridge 1990; Richard Thaler: Quasi Rational Economics, New York 1991.
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Friedman in seinem Essay zur Methodologie bereits an das Ende ihrer Prognosefähigkeit.
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anzunehmen scheint, nicht
Den genannten Autoren ist zugleich gemein, daß Institutionen im Mittelpunkt ihrer Überlegungen stehen - und dies macht sie für eine Adaption durch den politikwissenschaftlichen Neo-Institutionalismus offen und interessant. Robert Keohane hat die Möglichkeit einer Integration am Beispiel des Bounded Rationality Konzeptes von Herbert Simon verdeutlicht. IS Er nutzt die Theorie, um auf die Bedeutung der Regime als Instrumente der Reduzierung von Unsicherheit zu verweisen. Doch der Hinweis von Keohane wurde von der orthodoxen Internationalen Politischen Ökonomie bislang kaum konzeptionell aufgenommen 16 und ist auch von Keohane selbst nicht weiter verfolgt worden.
1. Gebundene Rationalität und die Bildung von Routinen
Ein realistischeres Verhaltensmodell ist das Modell gebundener Rationalität von Herbert Simon. Danach versuchen die Akteure zwar rational zu handeln, sie sind aber tatsächlich nur begrenzt dazu in der Lage. 17 Simon
14 Milton Friedman: The Methodology of Positive Economies, in: derselbe: Essays in Positive Economies, Chieago 1953.
IS Vgl. vor allem Kapitel 7 in Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. IlOff. Vgl. auch die grundsätzlich andere Adaption des organisationsökonomischen Komplexitätsbegriffes bei James N. Rosenau: Turbulence in World Polities, Princeton 1990, S. 63ff. 16 Das soll nicht heißen, daß es niemanden gibt, der diesen Gedanken aufgegriffen hätte. Vgl. vor allem Oran Young: International Cooperation: Building Regimes for Natural Ressources and the Environment, Ithaca 1989; Christer Jönsson: Cognitive Factors in Explaining Regime Dynamics, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993.
17 Vgl. Herbert Simon: Administrative Behaviour, 2. Auf!. New York 1965, S. xxiv. Simon bezeichnet sein Konzept als 'bounded rationality'. In der deutschen Überstzung seines Buches Reason in Human Affairs (Stanford 1983; deutsch: Homo Rationalis: Die Vernunft im menschlichen Leben, Frankfurt 1993) lautet der Begriff begrenzte Rationalität. Gebhard Kirchgässner benutzt den Terminus eingeschränkte Rationalität (Gebhard Kirchgässner: Homo Oeconomicus, Tübingen 1991). Ich denke dagegen, daß beide Übersetzungen nicht der gesamten Komplexität des Begriffes in der Verwendung durch Simon gerecht wird: Denn anders als Kirchgäss-
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führt das auf die begrenzte Kapazität des menschlichen Gehirns zurück. Dies bedeutet zweierlei: Erstens kann der Akteur, der mit einem Problem konfrontiert wird, weder alle Optionen vollständig überblicken, noch kann er alle Konsequenzen seiner Wahl perfekt antizipieren. Und zweitens kann sich diese Option, selbst wenn er kurzfristig richtig entschieden hat, immer noch als langfristig suboptimal erweisen. Simon nimmt deshalb an, daß die Akteure ihren Anspruch grundsätzlich reduzieren, um den Entscheidungsprozeß zu vereinfachen, und ersetzt die Maximizing-Annahme durch das Konzept des Satisjicing. 18 Akteure suchen nicht nach der besten Alternative zwischen den von ihnen als möglich erachteten Optionen (weil sie diese nicht kennen), sondern vergleichen die von ihnen erwarteten Ergebnisse mit ihren Ansprüchen. Genügt ihnen das erzielte Ergebnis, wenden sie das Verhaltensmuster auf künftige vergleichbare Entscheidungen an, ansonsten suchen sie weiter, bis sie eine befriedigende Alternative gefunden haben oder bis sie einsehen, daß sie ihre Ansprüche reduzieren müssen. Obwohl das Modell von Simon als vollständiger Ersatz zum neoklassischen Rationalismuskonzept gedacht ist, überzeugt es immer dann besonders, wenn verschiedene Entscheidungen in einem Zusammenhang gesehen werden. Vom Satisficing-Modell ist es nur ein kleiner Schritt zur Theorie der Routinenbildung. 19 Das Konzept der Routinenbildung ist für die Soziologie und vor allem auch für die Strukturierungstheorie ebenso von zentraler Bedeutung wie für die 'behavioural economics': "The concept of routinization, as grounded in the practical consciousness, is vital to the theory of structuration. Routine is integral both to the continuity of the personality of the agent, as he or she moves along the path of daily activities, and to the institutions of society, which are such only through their continued reproduction." 20
ner anzunehmen scheint, wird die Rationalität bei Simon nicht nur durch die Kalkulationskapazität und die Genügsamkeit der Menschen begrenzt, sondern sie ist auch durch Werte, Intuition und Institutionen vorgeprägt. Die rationale Kalkulation der Entscheider ist gebunden. 18 Vgl. Herbert Simon: Rational Decision Making in Business Organization, American Economic Review 69, 1979; Ronald A. Heiner: The Origins of Predictable Behaviour, American Economic Review 73, 1983. 19 Vgl. Richard Nelson! Sidney Winter: An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge 1982.
20 Vgl. Anthony Giddens: The Constitution of Society, Cambridge 1984, S. 60ff.
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Routinen werden von allen Entscheidern ausgeprägt, also von Individuen, Organisationen und auch Staaten. Die Akteure werden durch die begrenzte Kapazität des menschlichen Hirns und zeitliche Grenzen in einem Entscheidungsprozeß zur Bildung von Routinen angeregt. Die Entscheider können deshalb nicht alle Probleme, Optionen und Konsequenzen kalkulieren. 21 Sie behalten ihre Routinen normalerweise bei, solange ihre selbstgesteckten Erwartungen in Erfüllung gehen. Erst wenn die Akteure ihr Mindestziel nicht mehr erreichen und zugleich die Aussicht auf eine erfolgreichere neue Strategie besteht,22 verändern sie ihr ökonomisches Verhalten. Aus dem Blickwinkel der Routinenkonzeption erhält man einen anderen Zugang zu dem Phänomen des Wandels als aus dem Blickwinkel der maximierenden Rational-Choice-Theorie. Während für letztere eine Veränderung des Umfeldes, d.h. die Entstehung einer besseren Option zu einer Verhaltensänderung des Akteurs führt, kann die Routinentheorie auf kognitive Prozesse zurückgreifen. Routinen prägen nicht nur Verhalten aus, sie schaffen darüber hinaus Erwartungs- und Handlungssicherheit. Umgekehrt werden Routinen durch Unsicherheit stabilisiert, solange unbekannt ist, ob die Aufgabe von Routinen auch langfristig zu einem besseren Ergebnis führt. Um Routinen aufzugeben, bedarf es eines größeren Anreizes. Es genügt im Normalfall nicht, daß kurzfristig die Gelegenheit zu Opportunismus besteht, solange die langfristigen Implikationen unsicher scheinen. Weil sie Erwartungen an die Handlungen anderer Akteure schaffen, verbinden und integrieren sie diese untereinander und in der Zeit. Individuelle Routinen können zu gesellschaftlichen Institutionen werden und stellen damit eine Kraft zur Reduzierung von Unsicherheit dar. 23 Die Kraft von Routinen wirkt dann am stärksten, wenn die Akteure Handlungsalternativen ohne Bedauern und freiwillig ausklammern, weil
21 Vgl. Johan P. Olsen: Political Science and Organization Theory: Parallel Agendas but Mutual Disregard, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Political Choice, Frankfurt 1991, S. 89. 22 Vgl. Brian J. Loasby: Managerial Decision Processes, Scottish Journal of Economics 14, 1967, S. 250. 23 Volker Bornschier: Politökonomische Regime: Das Zusammenspiel langer Weilen in Politik und Wirtschaft, in: Heidrun Abromeitl U1rich Jürgens (Hrsg.): Die politische Logik wirtschaftlichen Handeins, Berlin 1992, S. 338.
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das tatsächlich erreichte Ergebnis ihren Ansprüchen genügt oder weil sie auf Werte oder Nonnen zurückgreifen, die ihnen ein maximierendes Verhalten verbieten. Richard Thaler hat für den freiwilligen Verzicht auf maximierendes Verhalten den Begriff der 'Quasi-Rationalität' geprägt. Thaler geht mit diesem Konzept von der Satisficing-Annahme Simons aus und erweitert diese um die Annahme freiwillig suboptimalen Verhaltens. Im Unterschied zu routinengeleitetem Verhalten findet ein dezidierter Entscheidungsprozeß statt, und trotzdem entscheiden sich die Akteure nicht für die beste, die maximierende Option. Thaler stellt sich bewußt dem Anspruch, 'positive' Wissenschaft zu betreiben.2 4 Die Akteure, so der Kern seiner Annahme, machen systematische Fehler in ihrer Kalkulation. Bei quasi rationalem Verhalten erzielen die Akteure suboptimale Ergebnisse und machen keine Anstalten, ihren Nutzen zu erhöhen, obwohl das möglich ist und sie von dieser Möglichkeit wissen. 25 Dieses Muster ändert sich auch nicht grundsätzlich, wenn Gruppen oder Organisationen beobachtet werden. 26 Da diese Abweichungen von der Nutzenmaximierung systematisch und regelmäßig auftreten, lassen sich hinreichend eindeutige Voraussagen treffen. Interessanterweise ist quasi-rationales Verhalten von der RationalitätsDefinition der Rational-Choice-Theorie gedeckt, da diese lediglich intendiert rationales Verhalten verlangt. Seine Konsequenzen finden jedoch im Nonnalfall keinen Eingang in die Modellbildung, da die Maximierungsannahme verletzt wird. Wenn Rationalität als Verhalten definiert wird, das einen Zweck verfolgt und für das Akteure sich entscheiden, führt die Adaption von Quasi-Rationalität dazu, daß das Kerntheorem der RationalChoice-Ansätze (wenn auch modifiziert) beibehalten wird, der Schutzgürtel, die Annahme des 'als-ob-Maximizing', hingegen aufgegeben wird. Dies ist die weitestmögliche Definition von Rationalität, weil sie nur ge-
24 Vgl. beispielsweise Richard H. Thaler: Toward a Positive Theory of Consumer Choice, Journal of Economic Behaviour and Organization I, 1980; vgl. auch George Quattronel Amos Tversky: Contrasting Rational and Psychological Analyses of Political Choice, American Political Science Review 82, 1988. 25 Vgl. Richard H Thaler: Quasi Rational Economics, New York 1991, S. xxi.; Robert H. Frank: Rethinking Rational Choice, in: Roger Friedlandl A.F. Robertson (Hrsg.): Beyond the Marketplace, New York 1990, S. 54.
26 Vgl. Erich Weede: Mensch und Gesellschaft, Tübingen 1992, S. 11 ff.
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wollt irrationales Verhalten, etwa einen Losentscheid und reflexhaftes Verhalten ausschließt. Quasi-rationales-Verhalten kann verschieden begründet werden. Die meistdiskutierten Beispiele sind Altruismus und Fairneß. Beide Verhaltensweisen lassen sich in der Realität häufig beobachten und werden von Vertretern der Rational-Choice-Theorie häufig entweder als Anomalie behandelt oder geleugnet. 27 Die Entscheidung zu altruistischem Verhalten wird nicht vom Nutzenkalkül der Entscheider, sondern von deren Werten dominiert. 28 Allerdings kann die Erreichung der Wohlfahrt anderer Akteure auch als individuelles Ziel aufgefaßt werden, so daß scheinbar altruistisches Verhalten dem Erreichen eigener Ziele dient. 29 Ein anderer Zusammenhang zur Routinenkonzeption kann darin vermutet werden, daß etwa Altruismus in engen Interaktionssystemen durchaus rational sein kann, wenn begründet erwartet werden darf, daß altruistisches Verhalten später erwidert wird oder daß externe Anreize mit altruistischem Verhalten verbunden sind. 3D Ein weitere typische 'Anomalie' menschlichen Verhaltens ist die Neigung auf dynamische Prozesse unangemessen zu reagieren. Die Entscheider neigen in solchen Fällen zu einem deutlichen Übersteuern. 3 ) Dieses Verhalten findet sich auf Kapitalmärkten häufig: Vermögensbesitzer 'wetten' noch dann mit dem Trend, wenn die eigentliche Ursache oder der Auslöser des Trends längst ausgereizt ist. Wird ihnen die Übersteuerung dann bewußt, tritt eine Neigung zum Übersteuern in die entgegengesetzte Richtung ein. Derart überzogene Reaktionen auf ökonomische Prozesse können eine verheerende Wirkung haben, insbesondere wenn sie sich mit unzureichen27 Vgl. Mancur Olson: The Logic of Collective Action, Cambridge 1965; Kenneth Arrow: Social Responsibility and Economic Efficiency, Public Policy 21, 1973.
28 Vgl. Robert Boyd/ Peter Richerson: The Evolution of Norms, Journal of Instituti on al and Theoretical Economics 150, 1994, S. 84ff.; Daniel Kahneman et al.: Fairness as Constraint on Profit Seeking, American Economic Review 76, 1986; Ken Binmore: Game Theory and the Social Contract, Cambridge 1994. 29 Vgl. Otto Keck: Rationales kommunikatives Handeln in den internationalen Beziehungen, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2, 1995.
3D Vgl. Kjell Hausken: Intra-Level and Inter-Level Interactions, Rationality and Society 1995, im Erscheinen.
31 Vgl. dazu ausführlich Dietrich Dörner: Strategisches Denken in komplexen Situationen, Reinbek 1993, S. 50f., S. 156ff.
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den oder falschen Problemanalysen paaren. Die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre kann als gutes Beispiel dafür dienen. 32
2. Unsicherheit, Verlustvermeidung und Routinenwechsel
Anreize werden selektiv wahrgenommen. Was einem Akteur als Anreiz ausreicht, wird einen anderen Akteur nicht notwendigerweise ebenfalls zu einer Verhaltensänderung bewegen können. Ohne Zusatzannahmen kann deshalb auch die Änderung von Strukturen nicht mit einer eindeutigen Aussage über das Verhalten einer Gruppe von Akteuren verknüpft werden. Grundsätzlich gilt aber, daß nicht jedes Verhalten auf Routinen zurückgeführt werden kann. Insbesondere unvorhergesehene Situationen, die traditionell mit dem Konzept der Unsicherheit beschrieben werden, zwingen die Akteure, Entscheidungen zu treffen und gegebenenfalls ihre Routinen zu überdenken. 33 lohn Maynard Keynes hat ein Konzept von Unsicherheit als Grundlage von Verhalten und Verhaltensänderung entwickelt. Für Keynes beruht Unsicherheit darauf, daß die Zukunft unbekannt ist. 34 Keynes'sche Unsicherheit baut auf einem Konzept von Zeit auf und ist an die Folgen mehrerer möglicher Handlungen gekoppelt. Der von den Akteuren antizipierte Grad der Unsicherheit ist eine Funktion der Komplexität von Entscheidungen. Komplexität bedeutet, daß nicht alle Optionen während eines Entscheidungsprozesses im Hinblick auf ihre Wahrscheinlichkeit und ihre
32 Vgl. Charles Kindleberger: Die Weltwirtschaftskrise, München 1973. 33 Johan P. Olsen: Political Science and Organization Theory: Parallel Agendas but Mutual Disregard, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Political Choice, Frankfurt 1991, S. 91. 34 "The sense in which I am using the term (uncertainty) is that which the prospect of the European war is uncertain, or the prize of copper or the rate of interest twenty years hence, or the obsolescence of a new invention or the position of private weaIth owners in the social system in 1970. About these matters there is no scientific basis on which to form any caIculable probability whatever. We simply do not know." John M. Keynes: The General Theory of Employment, Quarterly Journal of Economics 51, 1937, S. 214.
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Folgen kalkuliert werden können. 35 Das Konzept der Komplexität läßt sich am Beispiel des Schachspieles darstellen, da in keiner Phase des Spieles alle möglichen Optionen kalkuliert werden. 36 Unsicherheit resultiert daraus, daß die Konsequenzen von Entscheidungen in vielen Fällen nicht vollständig sicher vorausgesagt werden können. In der Definition Amos Tverskys und Daniel Kahnemans ausgedrückt: ,,A decision problem is defined by the acts or options among which one must choose, the possible outcomes or consequences of these acts, and the contingencies or conditional probabilities that relate outcomes to acts." 37
Handlungen sind mit einem Risiko des Irrtums der zugrunde liegenden Entscheidung behaftet,38 weil einzelne Handlungen irreversibel sind. Doch nicht Handlungen sind vielfach eigentlich falsch, sondern die Entscheidungen. 39 Ausgeführte Entscheidungen können nicht rückgängig gemacht werden; allein die Routinen von Entscheidungsprozessen und die in Erwägung gezogenen Kalkulationsgrundlagen können nach einem Irrtum revidiert werden. Bestenfalls ist die Inforrnationsaufnahme mit höheren Trans-
35 Angenommen, ein Wirtschaftssubjekt glaubt, fünf Optionen zu haben. Diese müssen dann mit der Zahl der als möglich erachteten Konsequenzen multipliziert werden. Wenn wir ein bestes, ein mittleres und schlechtestes Szenario zugrundelegen, müssen 15 Ereignisse kalkuliert werden und zwar im Hinblick auf die drei Effekte unserer Zielmatrix und die drei Zeithorizonte. Dies ergibt letztlich 135 Kalkulationen. Dies erscheint noch möglich, aber die Frage, ob diese Kalkulationen erstellt werden, ist abhängig von der Relevanz der Entscheidung. 36 Michael Cohenl Robert Axelrod: Coping with Complexity, American Economic Review 74,1984. 37 Amos Tversky/ Daniel Kahneman: The Framing of Decisions and the Psychology of Choice, Science 211, 1981, S. 453.
38 Vgl. Dirk Baecker: Information und Risiko in der Marktwirtschaft, Frankfurt 1988, S. 12; Nik1as Luhmann: Die Welt als Wille ohne Vorstellung: Sicherheit und Risiko aus der Sicht der Sozialwissenschaften, Die politische Meinung 239, 1986. 39 Natürlich können auch Handlungen falsch (ausgeführt) sein, etwa wenn die intendierte Absicht nicht erreicht wird. Wenn ein Basketballspieler den Ball nicht in den Korb trifft, kann sowohl die Handlung als auch die Entscheidung falsch sein: Eine fehlerhafte Entscheidung ist aber nur dann zu konstatieren, wenn ein anderer Spieler besser positioniert war oder wenn der Werfer noch fünf Meter näher an den Korb hätte laufen können. Die Rationalität von Entscheidungen ist ohne Kenntnis der Entscheidungsstruktur nicht einzuschätzen, selbst wenn davon ausgegangen werden kann, daß das Ziel nicht erreicht wurde.
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aktionskosten verbunden,4O im schlechtesten Fall steigt die Fehlerquote der Kalkulation an: "Under uncertainty, (... ) each action that may be chosen is identified with a distribution of potential outcome, not with a unique outcome. Implicit in uncertainty is the consequence that these distributions of potentialoutcomes are overlapping. It is worth emphasis that each possible action has a distribution of potentialoutcomes, only one of wh ich will materialize if the action is taken, and one that cannot be foreseen. Essentially the task is converted into making a decision whose potential outcome distribution is preferable, that is, choosing the action with the optimum distribution." 41
Rationalität kann unter der Maßgabe von Unsicherheit um die Komponenten der Eintreffwahrscheinlichkeit und der Robustheit gegenüber Risiken erweitert werden. Dies ist die Essenz der heute vorherrschen Expected Utility Theory. Die Verhaltensmaxime, derzufolge Akteure ihr Verhalten so ausrichten sollen, daß das relativ bessere Ergebnis herauskommt, wenn die schlimmstmögliche Entwicklung eintritt,42 ist ein Verstoß gegen die Maximizing-Annahme und gegen die Annahme der Risikoneutralität der Akteure. Vielmehr existiert zwischen Maximierung und Überleben als Zielvorstellung ökonomischen Kalküls eine Konkurrenzstellung, die nur aus einem Modell getilgt werden kann, wenn kalkulierbare Wahrscheinlichkeiten als einzige Quelle von Unsicherheit angenommen werden. Wenn einer der beiden Koeffizienten 'Nutzen' und 'Wahrscheinlichkeit' unsicher ist (und in der Realität sind häufig beide unsicher), muß sich der Akteur zwischen der subjektiv effizientesten und der subjektiv sichersten Option entscheiden, ohne daß er annehmen kann, daß diese Optionen immer zusammenfallen.
a) Unsicherheit und die Aufgabe von Routinen Indem Unsicherheit als dynamisches Element thematisiert wird, kann eine Änderung der Routinen dadurch erklärt werden, daß sich die Einschät-
40 Vgl. Herbert A. Simon: Theories of Decision-Making in Economics and Behavioural Science, American Economic Review 44, 1959, S. 269. 41 Armen A. Alchian: Uncertainty, Evolution and Economic Theory, Journal of PoIitical Economy 58, 1950, S. 21lff.
42 Vgl. auch Gebhard Kirchgässner: Homo Oeconomicus, Tübingen 1991, S. 193.
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zung der Konsequenzen des routinegemäßen Verhaltens ändert. Diese Änderung des Verhaltens dient nicht der Gewinnmaximierung, sondern der Minimierung oder der Reduzierung von Unsicherheit und der Vermeidung von Verlusten. Dennoch wird das Rationalitätsprinzip gewahrt: Die Zielorientierung der Entscheider gilt aber nur, wenn die eine Routine aufgegeben werden soll. Entscheidungen werden nicht kontinuierlich, sondern nur als Reaktion auf einen Anreiz getroffen. Damit scheint in einer Entscheidungstheorie eine Integration von psychologisch-soziologischen und ökonomisch-rationalistischen Ansätzen erreichbar. Amos Tversky und Daniel Kahneman haben komplexere verhaltenssoziologische Experimente gemacht und darauf aufbauend einige Verhaltensannahmen abgeleitet, die sie der Ökonomie ganz dezidiert als Alternative vorschlagen. 43 Es wird gezeigt, daß der Ausgang einer Entscheidung von der Art und Weise abhängt, wie die Entscheidungsproblematik sich dem Entscheider präsentiert. 44 Tversky und Kahneman stellen fest, daß sich Menschen risikovermeidend verhalten und nehmen davon ausgehend eine nicht-lineare Wertfunktion an. 45 Verlassen Akteure die ausgetretenen Pfade ihrer 'normalen', routinemäßigen Praxis, wird die Kalkulation jeder einzelnen Option mit einem antizipierten Risiko belegt. 46 Selbst wenn der
43 Vgl. Amos Tversky/ Daniel Kahneman: Prospect Theory: An Analysis of Decisi on under Risk, Econometrica 47, 1979; dieselben: The Framing of Decision and Rational Choice, Science 211, 1981; dieselben: Choices, Values, and Frames, American Psychologist 39, 1984. 44 Vgl. Herbert A. Simon: Homo Rationalis: Die Vernunft im menschlichen Leben, Frankfurt 1993, S. 33.
45 Vgl. Amos Tversky/ Daniel Kahneman: Judgement under Uncertainty: Heuristics and Biases, Science 185, 1974; dies.: The Framing of Decisions and the Psychology of Choice, Science 211, 1981, S. 453ff; Robert H. Frank: Rethinking Rational Choice, in: Roger Friedlandl A.F. Robertson (Hrsg.): Beyond the Marketplace, New York 1990, S. 69ff. Um die 'Ökonomisierung' dieses Ansatzes hat sich vor allem Richard Thaler verdient gemacht. Vgl. seine Aufsatzsammlung: Quasi Rational Economics, New York 1991. Für eine Anwendung des Theorems auf Wahlverhalten vgl. George Quattrone/ Amos Tversky: Contrasting Rational and Psychological Analysis of Political Choice, American Political Science Review 82, 1988.
46 Auch routinegeleitetes Verhalten wird mit einem Risiko belegt. Doch wenn sich die Ergebnisse verschlechtern, weil Verhalten nicht geändert wurde, wird dies nicht der Entscheidung zugesprochen, das Verhalten nicht zu ändern, weil diese Entscheidung nicht als solche wahrgenommen wurde.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
günstige Ausgang einer Option höhere Profite und Marktanteile erwarten läßt, wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gewählt, wenn der ungünstigste Ausgang der Option den Akteur gefährdet. 47 Schon in weit weniger dramatischen Situationen wechseln Menschen ihre Präferenz, wenn sie mit einer Wahl zwischen zwei unterschiedlich wahrscheinlichen Gewinnen oder in einer zweiten Entscheidung mit unterschiedlich wahrscheinlichen Verlusten konfrontiert werden. Die Gelegenheit eines relativ großen Gewinns wird möglicherweise nicht wahrgenommen, wenn sie mit der Möglichkeit eines relativ geringen Verlustes einhergeht. Amos Tversky und DanieI Kahneman geben für Entscheidungen unter Unsicherheit die folgende asymmetrische Wertfunktion an 48 :
~
- - -- §
1
...
:> I---------t'---------l.~
0
Abb. 5: Tversky-Kahneman-Wertfunktion Unter der Annahme von Routinen kann aus der Tversky-KahnemanWertfunktion gefolgert werden, daß Wirtschaftssubjekte ihr Verhalten eher ändern, wenn sie bei Beibehaltung ihres bisherigen Verhaltens Verluste erwarten als wenn die Möglichkeit zusätzlicher Gewinne winkt. Diese 47 Dies ist der Grund, warum Unternehmen so seIten spekulieren. Unternehmen orientieren sich generell an einer risikominimierenden Untemehmensstrategie. Japanische Unternehmen engagieren sich darüber hinaus auch selten in 'unternehmensfremden' Geschäftstätigkeiten; sie akzeptieren lieber niedrige Kapitalerträge durch Industrieproduktion als hohe Kapitalerträge durch Anlage in festverzinslichen Wertpapieren. 48 Amos Tversky/ Daniel Kahneman: Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk, Econometrica 47, 1979, S. 269. Eine Wertfunktion weist einer linear ansteigenden Nutzenfunktion subjektive Werte zu, die durchaus nicht-linear sein können.
B. Kognitive Grundlagen institutionellen Wandels
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Annahmen sind weitgehend kompatibel mit der Annahme, daß Organisationen die Verteidigung ihrer Existenz als Zweck verfolgen. Ronald Heiner hat zur Begründung dieses Verhaltens in einem Rückgriff auf die Akustik das 'Geräusch-Rausch-Verhältnis' eingeführt. Es basiert darauf, daß neue Informationen in dem 'Rauschen' bekannter Informationen leicht untergehen. Das Verhalten wird deshalb weder kontinuierlich angepaßt, noch ignorieren die Entscheider neue Informationen komplett und insofern verhalten sie sich immer gleich. Vielmehr existieren punktuelle Sensibilitäten. Auf neue und undeutliche Signale reagieren die Akteure kaum, um später auf wiederholte oder starke Signale verspätet und möglicherweise überstark zu reagieren. 49 Damit können zwei Modalitäten der Aufgabe von Routinen unterschieden werden: Gemäß Simons Konzept werden Routinen aufgegeben, wenn die Akteure die Erreichung ihrer Mindestziele nicht mehr gewährleistet sehen, und entsprechend Tversky und Kahnemans Wertfunktion werden Routinen aufgegeben, wenn sich die Akteure von einem Verlust bedroht sehen.
b) Verlustvermeidung, gebundene Rationalität und Kooperation Daß kognitive Kooperationsbarrieren auch bei symmetrischer Gewinnverteilung existieren können, ist in den Theorien der internationalen Beziehungen bislang unbeobachtet geblieben. Der Rückgriff auf begrenzte Rationalität und dominante Verlustvermeidungsstrategien führt hier aI1erdings zu einer größeren Skepsis hinsichtlich der Überwindung auf Kooperationsblockaden, als der Neo-Institutionalismus bislang annimmt. George Quattrone und Amos Tversky haben experimentell verdeutlicht, daß das Nachgeben eines Akteurs in einem Problemfeld bei gleichzeitigem Nachgeben des Kooperationspartners an der ungleichen Wertzuweisung von Gewinnen und Verlusten scheitern kann. 5o In Verhandlungen nehmen Akteure typischerweise eine Orientierung an relativen Gewinnen an, nachdem die Parteien ihre Vorstellungen und Ziele verdeutlicht haben. Ab die49 Ronald A. Heiner: Uncertainty, Signal-Detection Experiments, and Modeling Behaviour, in: Richard N. Langlois: Economics as a Process, Cambridge 1986, S. 88. 50 George Quattronel Amos Tversky: Contrasting Rational and Psychological Analysis of Political Choice, American Political Science Review 82, 1988. 7 Plümper
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Teil 3: Theoretische Aspekte
sem Zeitpunkt setzen die Akteure ihre Zugeständnisse in ein Verhältnis zu den Zugeständnissen ihrer Verhandlungspartner. Dies verweist darauf, das die Struktur von Spielen nicht objektiv, sondern von verschiedenen Akteuren jeweils subjektiv wahrgenommen wird. Die für beide Akteure identische Strukturperzeption, auf die die Spieltheorie typischerweise zurückgreift, ist häufig irreführend. Dies kann am Beispiel eines einfachen Gefangenendilemmas verdeutlicht werden, in dem beide Akteure annehmen, bei gegenseitiger Kooperation zwar absolute Gewinne, aber zugleich relative Verluste zu erleiden. Die kooperative Lösung nimmt für beide Akteure zumindest subjektiv einen unterschiedlichen Wert an. Derartige kognitiven Kooperationsblockaden treten in Verhandlungen und vor allem in Fällen von Problemverknüpfungen auf. Sie ergeben sich daraus, daß das Nachgeben eines Akteurs von diesem selbst als bedeutender angesehen wird, als daß der Kooperationspartner das gleiche Verhalten als Entgegenkommen einschätzt. Das Risikovermeidungstheorem hilft hier erklärend weiter: Entgegenkommen wird als Verlust überproportional gewichtet, die Zugeständnisse des Verhandlungspartners werden dagegen (als Gewinne) systematisch geringer eingeschätzt. Das Problem wird dadurch verstärkt, daß eine (voreilige) Konzession eines Akteurs die Bedeutung des Entgegenkommens subjektiv reduziert. 51 Dies verdeutlicht, daß Kooperation durch ein dezidiert verlustminimierendes Verhalten der Akteure nicht nur gefördert, sondern auch verhindert werden kann. Diese Problematik läßt sich spieltheoretisch durch eine unterschiedlichen Gewichtung eines Spieles durch zwei Akteure wiedergeben. Die Spiel theorie hat ihre Matrizen überwiegend objektiv konzipiert; d.h. beide Akteure weisen eine gleiche Perzeption der Struktur eines Spieles auf. Die 'Framing' -Problematik weist aber darauf hin, daß beide Akteure in einem objektiv verteilungsneutralen Spiel, den Eindruck haben können, daß ihre eigenen Konzessionen bedeutender sind als die Konzessionen der Kooperationspartner. Beide Akteure haben den Eindruck, relative Verluste zu erleiden. Das 'Spiel' erscheint beiden Akteuren deshalb unterschiedlich. Ein derartiges kognitives Kooperationshemmnis ist auf der Handlungsebene naturgemäß unüberwindbar, weil es nicht zu einer Initial-
51 Janice Gross Stein und Richard Lebow haben die Abrüstungsproblematik unter diesem Gesichtspunkt analysiert. Vgl. Richard Lebowl Janice Gross Stein: Beyond Deterrence, Journal of Social Issues 43, 1987.
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kooperation kommt und die Akteure außer Stande sind, Erfahrungen mit der tatsächlichen Verteilungssituation zu machen. Nur wenn über Kooperation verhandelt wird, können Akteure ihre Perzeptionen annähern und unter Umständen kompatibel gestalten.
c) Strukturen und Strukturierung in sozialen Situationen Douglass North hat der Neoklassik und der neoklassischen Institutionenlehre unterstellt, daß der Wandel von Institutionen durch ökonomische Prozesse auf der Grundlage des neoklassischen Verhaltensmodells nicht hinreichend erklärt werden kann und daß das Verhaltensmodell die Erklärung institutionellen Wandels sogar lange Zeit verhindert hat. 52 Für North macht die Annahmen einer maximierenden Rationalität eine dynamische Theorie unmöglich. 53 Erst die Aufweichung der rigiden Annahmen des neoklassischen Verhaltensmodells ermöglicht die Formulierung einer auf ökonomischen Prozessen beruhenden Theorie institutionellen Wandels. Nur wenn Routinen eine wichtiger Bestandteil des Verhaltens von Akteuren sind, können die Akteure Erwartungen an das Verhalten ihrer Interaktionspartner richten. 54 Da rationale Akteure Strukturen ausbilden, um Interaktionen zu vereinfachen, haben Handlungen eine individuelle und eine soziale Bedeutung. Erstens stehen sie für sich und werden im Hinblick auf die Erreichung eines selbstgesteckten Zieles bewertet, und zweitens stellen
52 Vgl. Douglass North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990, S. 7 und S. 17. Vgl. ähnlich Thesen bei Herbert Simon: Homo Rationalis: Die Vernunft im menschlichen Leben, Frankfurt 1993, S. 47ff; Richard Nelson! Sidney Winter: An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge 1982, S. 23ff. Veblen hat bereits 1919 eine ähnliche Kritik vorgebracht. Vgl.: Why is Economics not an Evolutionary Science?, in: derselbe: The Place of Science in Modern Civilization, New York 1919. 53 Da sind sich Herbert Simon für die Ökonomie und Christer Jönsson für die Theorien internationaler Politik einig. Vgl. Herbert Simon: Homo Rationalis: Die Vernunft im menschlichen Leben, Frankfurt 1993, S. 82ff.; Christer Jönsson: Cognitive Factors in Explaining Regime Dynamics, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993., S. 216. 54 Vgl. Ronald Heiner: The Origins of Predictable Behavior, American Economic Review 73, 1983.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
sie eine Möglichkeit der Kommunikation zwischen Akteuren dar und bilden die Grundlage der künftigen Entscheidungsprozesse. Soziale Situationen zeichnen sich dadurch aus, daß das Ergebnis einer Handlung nicht allein durch die Handlung hervorgerufen wird, sondern durch die Reaktion anderer Akteure auf die Handlung beeinflußt wird. Die Bewertung der Optionen durch einen Akteur hängen dann davon ab, wie er das Verhalten und die Reaktion anderer Akteure auf sein Verhalten einschätzt. 55 Damit ergeben sich verschiedene Ebenen, an denen der Prozeß der Strukturierung in sozialen Sytemen ansetzen kann: 1. Der Akteur ändert seine Perzeption von Realität (eventuell, weil sich die Realität geändert hat oder weil die Reaktion auf vergangene Aktionen unerwartet ausgefallen ist) und entscheidet anders, als er zuvor in einer vergleichbaren Situation entschieden hat. 56 2. Der Akteur ändert seine Interessen und! oder sein Wertesystem. 3. Der Akteur antizipiert eine andere Reaktion der involvierten Parteien. 4. Der Akteur kalkuliert, daß sich andere Akteure als bisher in vergleichbaren Situationen als involviert betrachten. Sozialer Wandel beruht auf Prozessen zwischen Interaktionspartnern. Das dynamische Element resultiert daraus, daß Akteure auf Verhaltensänderungen ihrer Interaktionspartner reagieren und diese wiederum auf die Reaktion. Solche Anpassungen an Strukturveränderungen erfolgen jedoch nicht unmittelbar. Akteure benötigen Zeit für die Wahrnehmungen, für eine Kalkulation der zur Verfügung stehenden Optionen und für die eigentliche Verhaltensanpassung.
55 Vgl. aueh Neil R. Riehardson: Dyadie Case Studies in the Contemporary Study of Foreign Poliey Behaviour, in: CharIes Herrnann et al. (Hrsg.): New Direetions in the Study of Foreign Policy, Boston 1987,167. 56 Vgl. dazu vor allem Herbert Simon: Rationality in Psyehology and Economics, in: Robin Hogarth/ Melvin Reder (Hrsg.): The Behavioural Foundations of Economies, Journal of Business 59, 1986, S. 21Of.; Ronald Heiner: The Origins of Predietable Behaviour, Ameriean Eeonomie Review 73, 1983.
c. Akteure und Interaktionen in der Weltwirtschaft Die Vertreter der Theorien der Internationalen Politik und der Internationalen Politischen Ökonomie sind sich - ganz überwiegend I - einig, daß die Behauptung, Staaten seien die wichtigsten Akteure in den internationalen Beziehungen, sinnvoll ist. Im Diktum Thomas Kuhns: Die Konzeptionalisierung der Weltwirtschaft beziehungsweise der Weltwirtschaftsbeziehungen auf der Basis einer Staat-Markt-Dichotomie ist paradigmatisch. 2 In diesem Kapitel werden die Grundlagen der orthodoxen Konzeption nun dahingehend verändert, daß Wirtschafts subjekte zusätzlich zu den Staaten als Akteure konzeptionalisiert werden. Eine solche Annahme dient der Erweiterung der bestehenden Ansätze, wie sie bereits zu Anfang der siebziger Jahre in der Transnationalismus-Debatte versucht wurde. Dennoch knüpft dieses Kapitel keinesfalls an die zu Recht an dem Versuch gescheiterte Idee an, auch die Interaktionen zwischen Staaten und Wirtschafts subjekten auf den Faktor Macht zu reduzieren. Die Macht der Wirtschaftssubjekte, so die These, schränkt den Gestaltungsspielraum der Staaten ein. Die 'Macht' von Wirtschaftssubjekten unterscheidet sich jedoch erheblich von der Macht der Staaten, Regeln zu errichten und durchzusetzen.
I Ausnahmen, die allerdings die Regel zu bestätigenscheinen, sind: James N. Rosenau: Turbulence in World Politics, Princeton 1990; Lorraine Eden: Bringing the Firm Back In: Multinationals in International Political Economy, Millenium 20, 1991; Susan Strange: Big Business and the State, Millenium 20, 1991; John Stopford/ Susan Strange: Rival States, Rival Firms, Cambridge 1991; Virginia Haufler: International Regimes and Non-State Actors, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993.
2 Vgl. Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl., Frankfurt 1973. Die sich daran anschließende, umfangreiche Diskussion muß hier nicht dokumentiert werden. Es gibt viele Beispiele für die Behauptung, Staaten seien die dominanten Akteure der internationalen Politik. Statt einer Aufzählung vieler Beiträge genügt an dieser Stelle vielleicht der Hinweis auf Kenneth N. Waltz: Theory ofInternational Politics, New York 1979, S. 95f.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
Im Neo-Institutionalismus hat die Transnationalismus-Debatte kaum eine Rolle gespielt, obwohl die an der Formulierung der Ansätze beteiligten Wissenschaftler zum Teil dieselben waren. Der Transnationalismus ist eine der seltenen Konzepte, die nur eine kurze Modeerscheinung waren und beinahe vollständig aufgegeben wurden. Eine Rolle mag dabei die Tatsache gespielt haben, daß sich bereits Mitte der siebziger Jahre eine beinahe vollständige Abkehr vom Thema der Akteure und eine Hinwendung zum Thema der systemischen Bedingungen von internationaler Politik abzeichnete. Dementsprechend werden heute nur wenige empirische Rätsel durch eine Erweiterung der Akteurskonzeption zu lösen versucht. 3 Dies kann verwundern, da beide Ansätze sehr direkt aufeinander bezogen werden können. So hat auch Oran Young schon zu einem frühen Zeitpunkt der Regimedebatte festgestellt, daß die Mitglieder eines internationalen Regimes immer Staaten, die Parteien, welche die Handlungen ausführen, die vom Regime reguliert werden, dagegen oftmals private Akteure sind. 4 Zumindest für den Bereich der Internationalen Politischen Ökonomie ist dieser Tatbestand unstrittig und die Frage nach den Konsequenzen ist - etwa für die Problembereiche Regimebildung, Regimewirkung und Regimewandel - naheliegend. Daß diese Fragen dennoch nicht gestellt wurden (oder den zentralen Organen International Organization und World Polities nicht veröffentlichenswert schienen), verdeutlicht einmal mehr den eingeengten Blickwinkel, der durch thematisch bestimmte Debatten hervorgerufen wird.
I. Wirtschaftssubjekte als Abhängige in der Orthodoxie
Der gemeinsame Nenner von Neoklassik und liberaler Politischer Ökonomie ist die Darstellung und Behandlung von Wirtschaftssubjekten als Trivialmasehinen, denen eine Handlungsfreiheit nicht zugestanden wird. 5
3 Vgl. als ein Beispiel Helen Milner: Resisting Protectionism: Global Industries and the Politics of International Trade, Princeton 1988. Für den Versuch einer methodischen Neubestimmung vgl. die Diskussion in Millenium 20, 1991, vor allem Lorraine Eden: Bringing the Firm Back In, Millenium 20, 1991. 4 Oran Young: Regime Dynamics, International Organization 36,1982, S. 93. 5 Zur Kritik der Theorie internationaler Politik in diesem Zusammenhang vgl. Vir-
ginia Haufler: International Regimes and Non-State Actors, in: Volker Rittberger: Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 106; für eine ähnliche
C. Akteure und Interaktionen
\03
Ihnen wird keine Wahl eingeräumt, denn ein 'rationales Individuum' mit 'gegebenen Präferenzen' hat bei 'perfekter Information' nur eine, die 'rationale' Option. 6 Dies erlaubt methodologisch ihre Vernachlässigung; sie werden zu abhängigen Variablen und damit zugleich analytisch endogen. Sowohl der ökonomische als auch der politikwissenschaftliche Ansatz kommen praktisch ohne Wirtschaftssubjekte aus und dennoch haben die neoklassischen Wirtschaftswissenschaften und die Politische Ökonomie dieses Akteursproblem 7 entgegengesetzt zu lösen versucht. Die Neoklassik baut auf rationalen Entscheidungen von Individuen auf und macht diese zu ausführenden Organen der Marktlogik. Sie kommt damit vollständig ohne Akteure aus, denen der Status von Variablen zugestanden wird.8 Die orthodoxe Politische Ökonomie übernimmt dieses Konzept der Neoklassik stillschweigend; offenkundig sieht sie keine Notwendigkeit, die Übernahme so allgemein akzeptierter Annahmen aus der Nachbardisziplin kritisch zu reflektieren. Dies führt aber dazu, daß das ökonomische Verhalten von Wirtschaftssubjekten methodologisch gar nicht mehr erklärt wird. Anders allerdings als die liberale Ökonomie verzichtet die Internationale Politische Ökonomie nicht ganz auf Akteure. Ihre Vorstellung einer Weltwirtschaft basiert auf einer Markt-Staat-Dichotomie. Staaten werden insofern als Akteure anerkannt. Doch die Politische Ökonomie der Weltwirtschaft macht Wirtschaftssubjekte konzeptionell ebenfalls zu abhängigen VariaKritik an der Ökonomie vgl. Helmut Arndt: Die Evolutorische Wirtschaftstheorie, Berlin 1992, S. 97ff. 6 Das neoklassische Konzept von Rationalität (als logische Rangliste von Präferenzen) findet sich am besten ausgedrückt bei Kenneth Arrow: Social Choice and Individual Values, New York 1951, S. 254. Zur Kritik vgl. vor allem Amartya Sen: Rational Fools? A Critique of the Behavioural Foundations of Economic Theory, in: derselbe (Hrsg.): Choice, Welfare, and Measurement, Oxford 1982.
7 Die sogenannte Transnationalismus-Debatte war sich dieses Problems bewußt. Sie ist dennoch daran gescheitert, daß sie die funktionalen Unterschiede zwischen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren verwischt hat. Dies wird bei Dieter Ruloff besonders deutlich. Vgl. sein Weltstaat oder Staatenwelt, München 1988, S. 17. 8 Vgl. Roger Friedlandl A.F. Robertson: Beyond the Marketplace, in: dieselben (Hrsg.): Beyond the Marketplace, New York 1990, S. 9ff.; Douglass C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990, S. 107; James A. Caporaso: Microeconomics and International Political Economy, in: ErnstOtto Czempiel/ James N. Rosenau (Hrsg.): Global Changes and Theoretical Challenges, Lexington 1990, S. 146.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
bIen der Staat-Markt-Dichotomie. Der Markt ist allerdings kein gedachter perfekter Markt, die Existenz von Staaten bedingt politisch motivierte Interventionen, die als Störfaktoren der Marktlogik fungieren und deshalb ebenfalls analysiert werden sollten. Da sich mit dem durch die Politik vorgegebenen institutionellen Rahmen eine Marktlogik entwickelt, auf deren Grundlage sich die Wirtschaftssubjekte maximierend verhalten, erscheint die Steuerleistung der Politik als absolut. Nichtstaatliche Akteure richten ihr Verhalten entsprechend den Gegebenheiten aus, die durch die Begriffe Staat und Markt als Struktur ihrer ökonomischen Transaktionen gekennzeichnet sind. Aus dieser Marktkonzeption ergibt sich der Verlust einer Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte, weil die Summe der freiwillig vorgenommenen ökonomischen Transaktionen (der Markt) durch die Verteilungsfunktion der Politischen Ökonomie determiniert wird. Die eigentlichen Akteure der Ökonomie, die Wirtschaftssubjekte, werden zu ausführenden Organen der StaatMarkt-Dichotomie. Je nachdem, wieviel Freiheiten der Staat ihnen läßt, führen sie ihre ökonomischen Transaktionen gesamtwirtschaftlich mehr oder weniger effizient aus. Gleich, ob die Neoklassik Institutionen als zu einem gegebenen Zeitpunkt effizienteste Institution betrachtet,9 oder ob die Politische Ökonomie das ökonomische Verhalten von Wirtschafts subjekten als Datum und die Regulation der Märkte als variabel ansieht, werden Wirtschaftssubjekte zu abhängigen Variablen.
11. Staaten und Wirtschaftssubjekte als Akteure
Bevor näher auf die Beziehung zwischen den Akteursgruppen eingegangen werden kann, empfiehlt es sich, die Bedingungen zu diskutieren, unter denen Makroakteure wie Staaten und Unternehmen innerhalb des Paradigmas einer Entscheidungstheorie tatsächlich als Akteure auftreten. Dabei muß zwischen Entscheidungen und Handlungen unterschieden werden.
9 Vgl. Annen A. AIchian: Uncertainty, Evolution and Economic Theory, Journal of Political Economy 58, 1950; Kenneth A: Shepsle: Institutional Equilibrium and Equilibrium Institutions, Centre for the Study of American Business Working Paper Nr. 82, St. Louis, 1983.
C. Akteure und Interaktionen
105
Der 'methodologische Individualismus' behauptet, daß allein individuelle Einheiten handeln können, und er mag auf einer abstrakten Ebene recht haben. I 0 Natürlich gibt es auch innerhalb der Theorien der Internationalen Beziehungen Vertreter dieser Methode. So argumentiert Charles Kegley, daß Umstände keine Entscheidungen treffen. Deshalb sollen Theorien über die Ursachen von Wandel mit Individuen beginnen, weil nur Personen denken, präferieren und handeln. I I Staaten und Wirtschaftssubjekte 12 (insofern sie Unternehmen sind) agieren aus dieser Perspektive nicht; jegliche Politik und Geschäftsaktivität muß auf Individuen zurückgeführt werden. Offenkundig besteht zwischen Kegleys Formulierung und der ökonomischen Methode die Gemeinsamkeit des Entscheidungsbegriffes. Unzweifelhaft treffen Situationen keine Entscheidung, doch Akteure treffen ihre Entscheidung auch nicht ohne Berücksichtigung der Situation, in der sie sich befinden. Eine Handlung oder Entscheidung ist nicht per se vernünftig, sondern allein in Bezug auf eine Situation. Strukturen (Situationen) entscheiden nicht, aber es ist ebenso zweifelhaft, ob Akteure (Personen) ohne Situation entscheiden. Wird das Handlungsmodell zugunsten eines 'echten' Entscheidungsmodelles zurückgewiesen (und wird akzeptiert, daß das Entscheidende an einer Handlung die Entscheidung ist), sind auch Staaten und Wirtschaftssubjekte Akteure, weil sie und wenn sie Entscheidungen treffen. Im Unterschied zu den auf dem methodischen Individualismus beruhenden Ansätzen der Internationalen Politik von Charles Kegley, Walter Carlsnaes und
10 Das Zugeständnis, daß die Aussage 'nur Individuen handeln' richtig ist, stammt von Stephen Lukes, der allerdings gleichzeitig nicht auf eine Kritik verzichtet. Siehe sein: Methodological Individualism Reconcidered, in: derselbe (Hrsg.): Essays in Social Theory, London 1977. Die These stimmt insofern, daß auch die Handlungen von Organisationen von Individuen ausgeführt werden. 11 Charles W. Kegley: Decision Regimes and the Corporative Study of Foreign PoIicy, in: Charles Hermann et al. (Hrsg.): New Directions in the Study of Foreign PoIicy, London 1987, S. 249. Für eine Verteidigung des Individualismus in der Ökonomie vgl. Friedrich von Hayek: Individualism and Economic Order, Chicago 1949. 12 Der Terminus der Wirtschaftsubjekte fungiert im folgenden als Sammelbezeichnung für Individuen und Unternehmen. Er um faßt also das breite Spektrum der ökonomisch agierenden Einheiten: Vom Konsumenten und Touristen bis zum Multinationalen Konzern.
106
Teil 3: Theoretische Aspekte
neuerdings Robert Keohane,13 müssen deshalb die politischen Ursachen von Wandel nicht bei Individuen verortet werden. Es ist methodisch nicht immer möglich, die Entscheidung eines Gremiums oder einer Organisation auf die individuellen Präferenzen der an der Entscheidung beteiligten Individuen zu reduzieren, wie das 'CondorcetParadox' zeigt. 14 Das Paradox basiert auf drei Akteuren I, 11 und III und drei Optionen A, Bund C. Die Präferenzschemata der Akteure seien: I: 11: III:
A>B>C B>C>A C>A>B
Kein Prinzip führt hier zu einer eindeutigen Mehrheit und zu einem widerspruchsfreien Verfahren. Wenn zunächst I und 11 abstimmen, werden sie sich auf B einigen, aber dieser Entscheid wird von III opponiert werden. Die durch ein Mehrheitsprinzip ermittelte Präferenzordnung lautet A>B>C>A. Das Transitivitätsprinzip, demzufolge aus A>B und B>C folgt, daß auch A>C ist im obigen Beispiel verletzt. 15 James Morrow hat dieses
13 Vgl. Waller Carlsnaes: On Analysing the Dynamics of Foreign Policy Change, Cooperation and Conflict 28, 1993; Charles W. Kegley: Decision Regimes and the Corparative Study of Foreign Policy, in: Charles Hermann et al. (Hrsg.): New Directions in the Study of Foreign Policy, London 1987; Robert O. Keohane: International Liberalism Reconcidered, in: John Dunn (Hrsg.): The Economic Limits to Modern Politics, Cambridge 1990. Weitere Versuche, eine liberale Theorie internationaler Beziehungen zu formulieren, finden sich etwa bei Andrew Moravcik: Liberalism and International Relations Theory, unveröffentlichtes Manuskript, Harvard U niversity, Center for European Studies Working Paper No. 92-6; Michael Zürn: We can do much better! Aber muß es auf Amerikanisch sein?, Zeitschrift für Internationale Beziehungen I. 14 Marquis de Condorcet: Essai sur I'application de I'analyse a la probabilite des decisions rendues a la pluralite des voix, Paris 1785, nachgedruckt durch Chelsea, New York 1972.
15 Für moderne und vertiefende Diskussionen eines ähnlich gelagerten Paradoxes siehe Kenneth J. Arrow: Social Choice and Individual Values, New York 1951; Amartay Sen: Collective Choice and Social Welfare, San Francisco 1970; N. J. Schofield: Social Choice and Democracy, Berlin 1985; Gebhard Kirchgässner: Homo Economicus, Tübingen 1991. Der einzige mir bekannte Versuch, dieses Theorem für die Internationale Politik nutzbar zu machen, ist James D. Morrow: Social Choice and System Structure in World Politics, World Politics 52, 1988.
c. Akteure und Interaktionen
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Theorem in der Fonnulierung durch Kenneth Arrow 16 benutzt, um zu argumentieren, daß das Ergebnis einer sozialen Interaktion nicht allein durch die Präferenzen der Akteure bestimmt werden kann. Zusätzlich müssen kooperative Entscheidungen als Prozeß beschrieben werden. Ein solcher Prozeß kann dazu führen, daß Gruppen die Entscheidungen der Individuen verändern. Dies kann eine Verbesserung darstellen, aber auch eine Verschlechterung des Ergebnisses. Dies resultiert daraus, daß Gruppen individuelle Fehler korrigieren können. Aber umgekehrt sind Gruppen 'Konsensmaschinen '. Eine von einer Gruppe gefaßte Überzeugung wird von den Individuen häufig beibehalten, unabhängig von ihrer Richtigkeit. 17 Dennoch werden diese Überlegungen - aus Parsimonitätsgründen - immer dann zurückgestellt, wenn Makroakteure wie Staaten und Unternehmen als Akteure betrachtet werden. Sie spielen im folgenden nur dann eine Rolle, wenn Interaktion zwischen Makroakteuren betrachtet wird. Indem die Strukturierungstheorie auf Strukturen statt auf Präferenzen basiert, steht sie der Frage von Makroakteuren aufgeschlossen gegenüber. Giddens spricht auch von 'agent' und 'agency',18 und unterscheidet nicht zwischen Individuen und Kollektiven. Aus dem Blickwinkel der Strukturierungstheorie schaffen staatliche und nichtstaatliche Akteure durch ihre Handlungen Bedingungen (Strukturen), innerhalb derer andere und künftige Akteure Entscheidungen treffen, die ihrerseits die dominanten Merkmale der existierenden Strukturen unter veränderten historischen Bedingungen neu- und wiedererschaffen. 19 Die Wahrnehmung der Handlung eines Akteurs stellt eine Grundlage der Entscheidung eines anderen Akteurs dar.
16 Vgl. Arrow, a.a.O.; Amartya Sen: Rationality and Social Choice, American Economic Review 85, 1995. 17 Vgl. Erich Weede: Mensch und Gesellschaft, Tübingen 1992, S. 11ff und die dort zitierte Literatur, vor allem George Caspar Homanns: Theorie der sozialen Gruppe, Opladen 1972; Peter Hofstätter: Gruppendynamik, Reinbek 1971. V gl. abweichend Hans Geser: Organisationen als soziale Akteure, Zeitschrift für Soziologie 19, 1990. 18 Vgl. Anthony Giddens: The Constitution of Society, Cambridge 1984, S. 5ff. 19 Vgl. Philip G. Cemy: The Changing Architecture of Politics, London 1990, S.
29; Walter Carlsnaes: On Analysing the Dynamics of Foreign Policy Change, Cooperation and Conflict 28, 1993.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
Die Strukturierungstheorie eröffnet (wie alle Entscheidungstheorien) die Möglichkeit einer Verbindung von Mikro- und Makro-Ebenen. Dies kann nicht nur zu einer funktionierenden Konzeptionalisierung von Makroakteuren als kollektive Gremien von (hierarchischen oder egalitären) Entscheidungsprozessen dienen, es kann - wie im folgenden gezeigt wird - auch zu einem umfassenden Verständnis von Strukturen als Grundlage von Entscheidungen genutzt werden. Die neuere Theorieentwicklung der Internationalen Politik hat die Staaten zu den zentralen Akteuren gemacht, und die Bedingungen ihrer Handlungen systemisch zu erklären versucht. Nur eine Minderheit hat den umgekehrten Weg beschritten und versucht, die Welt durch staatliche Präferenzen und Verhaltensmuster zu beschreiben. Während erstere die Formulierung von Politik im nationalen Rahmen durch eine vage Rationalitätsannahme externalisieren, behandeln die letztgenannten die systemischen Grenzen von Präferenzdurchsetzung günstigstenfalls als 'Black Box'. Derzeit geraten die beiden Ansätze tendenziell unter Legitimationsdruck, doch Versuche, beide Ansätze durch einen 'Mikro-Makro-Link' zu integrieren, sind eher selten,20 wenngleich die Forderung danach evident ist: "We live in a world of individuals along with their motives, purposes, actions, and consequences, both intended and unintended; at the same time, we are all aware of and speak (at least for convenience) of phenomena that suggest the importance of organized social wholes. If we assurne that the latter domain is not just aseries of shorthand expression for discussing bundles of individuals, than a pointed question suggests itself: What connective tissue exists, if any, between the micro and macro levels?" 21
'Mikro-Level' -Theorien, die deutlich herausstellen, daß jede Aktion eines Staates in letzter Instanz durch Individuen ausgeführt wird,22 vernach-
20 Versuche in diese Richtung sind: Jeffrey C. Alexander (Hrsg.): The Micro-Macro Link, Berkeley 1987; James A. Caporaso: Microeconomics and International Political Economy, in: Ernst-Otto Czempiel/ James N. Rosenau: Global Changes and Theoretical Challenges, Lexington 1990, S. I 35ff.; James N. Rosenau: Turbulence in World Politics, Princeton 1990, S. 141ff. 21
James A. Caporaso: a.a.O., S. 136.
22 Vgl. vor allem Charles W. Kegley: Decision Regimes and the Comparative Study of Foreign Policy, in: Charles Hermann et al. (Hrsg.): New Directions in the Study of Foreign Policy, London 1987; Robert O. Keohane: International Liberalism Reconcidered, in: John Dunn (Hrsg.): The Economic Limits to Modern Politics, Cam-
C. Akteure und Interaktionen
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lässigen einerseits die oftmals mögliche Austauschbarkeit von handelnden Individuen und andererseits die Tatsache, daß Gruppen mehr sind als die Summe ihrer Teile. Sie übersehen aber vor allem auch, daß die Aufgabe von Sozialwissenschaften nicht darin besteht, das Verhalten von Individuen zu erklären. Individuelles Verhalten ist nur insoweit sozialwissenschaftlich relevant, wie gesellschaftliche, soziale Phänomene durch eine Aggregation individuellen Verhaltens erklärt werden.
1. Staatliche Autorität in der Weltwirtschaft
'Staaten' sind heute in ihrer politischen Einflußnahme auf die Ökonomie komplexe Gebilde, die nicht nur durch Steuergesetzgebung in die Wirtschaft eingreifen, sondern auch Subventionen vergeben, staatliche Monopole aufrecht erhalten und sich als Wettbewerbshüter in die Organisation von Unternehmen einmischen. Staaten sind auch Wirtschaftssubjekte, da sie als Konsumenten und Produzenten, durch Eigentum an Produktionsmitteln, auftreten. Die Staatsquote variiert sehr stark zwischen verschiedenen Ländern und nimmt historisch betrachtet tendenziell zu. Im folgenden werden die Staaten dennoch ausschließlich durch die Funktionen der Normimplementierungskompetenz und der Marktinterventionen charakterisiert. Das heißt, es wird angenommen, das Staaten in ihrer Eigenschaft als Wirtschaftssubjekte auch wie Wirtschaftssubjekte agieren und keine dezidiert politischen Ziele verfolgen. 23 Die Staaten werden als Summe politischer Entscheidungsorgane mit der Funktion der Koordination, Mediation und Kooperation gesellschaftlicher Interaktionen verstanden. Auch in der Weltwirtschaft sind es die Staaten, die in Verhandlungen Normen schaffen; es sind die Staaten, die sich vorbehalten, Eingriffe in die Mechanismen des Weltmarktes vornehmen. 24 Diese Eingriffe beruhen auf bridge 1990; Michael Zürn: We can do much better! Aber muß es auf Amerikanisch sein?, Zeitschrift für Internationale Beziehungen I. 23 Vgl. Helmut Arndt: Die Evolutorische Wirtschaftstheorie, Berlin 1992, S. 283. 24 Wird die Funktion des Staates so definiert, entfällt eine der zentralen, wenngleich heuristischen Annahmen der orthodoxen Analyse internationaler Beziehungen: Die Annahme des Staates als homogener und rationaler Akteur. Zum einen muß der Staat nicht mehr als homogen aufgefaßt werden, da deutlich zwischen der strukturellen Komponente des Staates als Akteur und der ausführenden, aber abhängigen Rolle
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Teil 3: Theoretische Aspekte
zwei voneinander verschiedenen Optionen: Zum einen haben die Staaten die Macht, durch nationale Regulation den Grad der Integration der nationalen Ökonomie in den Weltmarkt einzuschränken. Im Extremfall kann dies zur völligen Dissoziation des nationalen Marktes vom Weltmarkt führen. Im Normalfall begnügen sich Staaten, ihre Märkte teilweise vom Weltmarkt abzuschotten. Dies bedeutet nichts weiter, als daß die Preisbildungsmechanismen und die Distributionsfunktion des Weltmarktes durch Nichtzulassung ausländischer Anbieter für Güter und Dienstleistungen selektiv ausgeschaltet werden. Zum anderen schaffen die Staaten in internationalen Verhandlungen Normen, die für alle Wirtschafts subjekte aus den Signatarstaaten bindend sind. Dies heißt nicht, daß sie in jedem Fall befolgt werden, doch sie werden kalkuliert. Staaten existieren und sie 'machen' Politik, aber ein Staat kann nicht von der Gesellschaft getrennt werden: Staaten existieren nicht ohne Gesellschaft, nur Gesellschaften bestehen ohne Staaten. Folglich ist ein Staat eine Institution, welche die Mitglieder einer Gesellschaft sich geben. 25 Der Staat ist allerdings auch als Institution kein homogener Akteur, keine autonome Willens- und Aktionseinheit. Der Staat muß als polyzentrischer Akteur begriffen werden, als rahmen setzende Ordnungsinstanz. 26 Als Instituder privaten, nicht-staatlichen Akteure unterschieden wird. Zum anderen, und das erscheint mir bedeutender, besteht keine Notwendigkeit, staatliches Verhalten als rational einzuschätzen. Vielmehr bleibt Raum für eine umfassende Analyse der nationalen Entscheidungsfindungsprozesse, die im Entscheidungsfall zu nationalen und internationalen Regulationen führen können, aber nicht müssen. Verdeutlicht werden kann diese Problematik am Beispiel der EG-Agrarpolitik, bei der die Bauernverbände (und mit ihnen die Agrarstaaten) eine Fortsetzung der ökonomisch unsinnigen Abschottung fordern, während die exportorientierten Unternehmen eine Öffnung der Märkte fordern, um die Entwicklungsländer in die Lage zu versetzen, mehr Industrieprodukte zu importieren. Die Aufgabe der Annahme des Staates als perfekt rationaler Akteur im Sinne der Nutzenmaximierung wird auch durch eine Untersuchung Krasner gestützt, in der er feststellt, daß die USA "was capable of defining its own autonomous goals ( ... ) in a nonlogical manner." Vgl. Stephen D. Krasner: Defining the National Interest, Princeton 1978, S. 333. 25 Vgl. Nicholas Rowe: Rules and Institutions, New York 1989, S. 9. 26 Vgl. Michael Zürn: Bringing the Second Image Back In, in: Volker Rittberger
(Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 29lff.; Arno Waschkuhn: Grenzen des politisch-ökonomischen Ansatzes Olsons aus systemtheoretischer Sicht, in: Klaus Schubert (Hrsg.): Leistungen und Grenzen Politisch-Ökonomischer Theorie, Darmstadt 1992, S. 41.
c. Akteure und Interaktionen
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tion hat der Staat eine Funktion für die Gesellschaft; er trifft Entscheidungen und setzt diese um. Der Wert des Staates für die Gesellschaft ergibt sich aus der Vereinfachung von Entscheidungen. 27 Staatliche Politik kann daher auch als Ergebnis aller gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse angesehen werden, wenngleich darin eine Abstraktion liegt, da der Staat eigene Interessen ausprägt. Dennoch muß sich ein Staat, bevor er nach außen als Akteur auftreten kann, nach innen als soziale Beziehung der Gesellschaft konstituieren. 28 Diese Konzeption des Staates ermöglicht, die Institution Staat auf' das Politische' zu reduzieren. Der Staat wird das ausführende Organ der gesellschaftlich relevanten Entscheidungsgremien oder seiner eigenen Interessen. In vielen Fällen mag es ausreichend sein, aus Parsimonitätsgründen auf die letztere Abstraktion zu vertrauen. Es ist aber immerhin möglich, die 'Black Box' zu öffnen. 29
In einer dynamischen Theorie ist die Berücksichtigung der internen Prozesse immer dann angeraten, wenn eine grundlegende Veränderung der Politik oder Interessenartikulation eines Staates nicht auf systemische Gründe zurückgeführt werden kann. Wenn dagegen grundsätzlich angenommen wird, die internen Faktoren externer Entscheidungen in einer Internationalen Theorie als 'B lack Box' behandeln zu können, gelingt die Identifikation einer homogenen Interessenlage und deren stringenten Umsetzung in 'Außenpolitik' allein auf der Definitionsebene. 3o Ein gutes Beispiel liefern hier die klassischen Arbeiten des Realismus, die 'Überleben' als Makroziel und die Vergrößerung der relativen Macht als Mittel defiAus Parsimonitätsgründen bezieht Robert Keohane eine ablehnende Position zu den Versuchen, die internen Entscheidungsprozesse eines Staates in system ische Theorien zu integrieren. Vgl. Robert Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 25f. 27 Die Kosten des Staates für die Gesellschaft sind umso größer, je größer die Abweichung der Entscheidungen staatlicher Organe von den Entscheidungen ist, weIche die Gesellschaft als Ganzes getroffen hätte. 28 Vgl. lustin Rosenberg: A Non-Realist Theory of Sovereignty, Millenium 19, 1990, S. 251.
29 Vgl. Michael Zürn: Bringing the Second Image Back in, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993. 30 Für eine ausführliche Kritik vgl. Richard K. Ashley: Imposing International Purpose, in Ernst-Otto Czempiell lames N. Rosenau (Hrsg.): Global Changes and Theoretical Challenges, Lexington 1989, S. 255; Richard Higgott: Toward a Nonhegemonic IPE, in: Craig Murphy/ Roger Tooze (Hrsg.): The New International Political Economy, Boulder 1991, S. 102f.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
nierten. Nur damit gelang es, eine eindeutige politische Handlungsanweisung mitzuliefern. Diese Eindeutigkeit wurde auch in der realistischen Internationalen Politischen Ökonomie verteidigt, indem Wohlfahrt und Macht als langfristig harmonische Ziele dargestellt wurden. 31 Wird diese Annahme dagegen verworfen, entstehen kurzfristig Zielkonflikte, die allein intern entschieden werden können. Es gibt keine systemische Instanz, die den Staaten vorschreibt, eine dezidiert an Sicherheit oder Wohlfahrt orientierte Politik zu betreiben. Es gibt eventuell systemische Faktoren, die eines der Ziele dominanter erscheinen läßt. Das Ende des Kalten Krieges hat zu einem systemisch begründeten Rückgang der Bedeutung von Sicherheitspolitik geführt; eine Weltwirtschaftskrise führt umgekehrt zu einem Bedeutungsgewinn von Wirtschaftspolitik. Fällt beides historisch zusammen, entsteht beinahe notgedrungen eine gesellschaftliche Diskussion um die Verteilung der Friedensrendite. Deutlich häufiger wird Wandel in der Politik eines Staates aber dadurch hervorgerufen, daß - etwa nach einem Machtwechsel - die bisherigen Routinen einer kritischen Würdigung unterzogen werden und sich neue Optionen als offenstehend erweisen. Abstrahiert man von deklamierten 'Mega-Zielen', wird unklar, welche Funktionen und Methoden das 'Überleben' letztlich ermöglichen und welche Maßnahmen im Interesse des Staates liegen. Auf die damit verbundene Problematik hat Raymond Vernon bereits 1971 aufmerksam gemacht. In seiner Analyse der wachsenden Rolle der 'Transnationalen Konzerne' in der Weltwirtschaft untersuchte er auch die spezifischen Interessen der Wirtschaftssubjekte und des Staates und stellte fest, daß die Frage, ob die USA von den auswärtigen Aktivitäten ihrer Multinationals profitiert, überaus kompliziert zu beantworten ist. Gemessen am Aktienbesitz sind diese Unternehmen zu über 90% amerikanisch, gemessen am Produktiv kapital nur zu 25%, doch weniger als I % der Angestellten sind Amerikaner und die Steuern werden fast zu 100% im Ausland abgeführt. 32 Entgegen der 31 Vgl. Jacob Viner: Power versus Plenty as Objectives of Foreign Policy in the Seventeenth and Eighteenth Century, World Politics I, 1948. Der Artikel von Viner markiert in dieser Hinsicht einen konzeptionellen Bruch gegenüber den früheren Arbeiten von Edward Carr und ist bis heute beibehalten worden: Michael Mastanduno et al.: Toward a Realist Theory of State Action, International Studies Quarterly 33, 1989, S.462f. 32
Raymond Vernon: Sovereignty at Bay, New York 1971, S. 264.
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eigentlichen Intention Vernons 33 gab das Buch den Anstoß für eine Diskussion über die Zukunft des Staates. Diese gipfelte in dem Postulat, die zunehmende ökonomische Interdependenz lasse die Rolle des Nationalstaates zunehmend als Anachronismus erscheinen. 34 Daraus ergebe sich, daß die Kontrolle der weltwirtschaftlichen Beziehungen langfristig den Multinationalen Konzernen zufällt: ,,In an important sense, the fundamental problem of the future is the conflict between the political forces of nationalism and the economic forces pressing for world integration. This conflict currently appears as one between the national government and the international corporation, in which the balance of power at least superficially appears to lie on the side of the national government. But in the longer TUn economic forces are likely to predominate over political. (... ) Ultimately, a world federal government will appear as the only rational method for coping with the world's economic problems." 35
Während die Prognose eines Weltstaatenbundes mit einer einheitlichen Legislative kaum aufrecht erhalten wird, kann die Kritik, das Modell der Staatenwelt klammere die nichtstaatlichen Akteure und ihre allokationsrelevanten Interaktionen analytisch aus,36 als alIgemein anerkannt gelten. Dies veranlaßt viele Autoren zu einem 'Eiertanz' bei der Nennung der Akteure der Weltpolitik. 37
33 Vgl. Raymond Vernon: Exploring the Global Economy, Lanham 1985, S. 62; Vgl. auch seinen Bezug auf Robert Gilpin: Three Models of the Future, in: G. Modelski (Hrsg.): Transnational Corporations and World Order, San Francisco 1979, S. 37. 34 Heute wird diese Position am eindeutigsten von James N. Rosenau verteten. Vgl. sein Turbulence in World Politics, Princeton 1990, S. 459. Die Position ist als liberal, charakterisiert worden, da dem Staat keinerlei Funktion in der Weltwirtschaft zugewiesen wird. So beispielsweise von Stephen GilV David Law: The Political Economy, Wheatsheaf 1988, S. 360; Charles P. Kindleberger: American Business Abroad, New Haven 1969. 35 Harry G. Johnson: International Economic Questions Facing Britain, the United States, and Canada in the 70's, British-North American Research Association 1970, S. 24.
36 Vgl. Ernst-Otto Czempiel: Internationale Politik: Ein Konfliktmodell, Paderborn u.a. 1981, S. 67. Eine ähnliche Kritik an der Staatszentriertheit (des Neorealismus) findet sich bei Richard K. Ashley: The Poverty of Neorealism, in: Robert O. Keohane (Hrsg.): Neorealism and its Critics, New York 1986, S. 268ff. 37 Vgl. beispielsweise Dieter Ruloff: Weltstaat oder Staatenwelt, München 1988, S. 17. 8 Plümper
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2. Wirtschaftssubjekte als handelnde Einheiten Wirtschaftssubjekte werden im folgenden auf ihre ökonomischen Interessen reduziert. Sie streben eine Maximierung ihrer Gewinne, Umsätze und Marktanteile an. Um dies in einem globalen Umfeld zu erreichen, müssen sie sich Märkte erschließen, ihre Ausstattung mit den notwendigen Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Ressourcen und Technologie sicherstellen und ihre Konkurrenzfähigkeit durch qualitativ und im Hinblick auf die Preise wettbewerbsfähige Produktion aufrechterhalten und verbessern. Um sich langfristige Wachstumsmöglichkeiten zu sichern und globale Konkurrenzfähigkeit zu behalten, müssen Unternehmen aus vielen Branchen mittlerweile international produzieren. 38 Dies verweist darauf, daß die Optionen globaler Geschäftstätigkeit für die Wirtschaftssubjekte vielfältiger Natur sind: Transaktionen in diesem Sinne umfassen nicht nur den Güter- und Dienstleistungshandel, sondern auch Kapitalimporte und -exporte bis hin zu Auslandsinvestitionen. Wirtschaftssubjekte agieren vor dem Hintergrund des ökonomischen und politischen Umfeldes, in dem sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben. Sie treffen ihre Unternehmensentscheidungen auf der Grundlage einer Analyse ihrer Stellung im (brancheninternen) Wettbewerb und unter möglichst geschickter Ausnutzung des rechtlichen und politischen Umfeldes, das nicht zuletzt die Staaten welt ihnen bietet. Anders ausgedrückt: Ökonomische Rationalität ist systemgebunden. Im Merkantilismus erscheinen den Wirtschafts subjekten andere Maßnahmen rational als in einer liberalen Marktoder einer Planwirtschaft und selbst innerhalb eines Wirtschaftssystems ist Rationalität wirtschaftlicher Entscheidungen kontext- und zeitabhängig. Wirtschaftssubjekte führen ökonomische Transaktionen durch, die maßgeblich von auf kulturellen Standards beruhenden Präferenzen basieren und von den Gesetzen des Marktes und der normativen Regulation der Staaten geprägt werden. Ist beides bekannt (und wird vorausgesetzt, daß den Wirtschaftssubjekten beides bekannt ist) und unter der Annahme von rationalen Entscheidungen, wären die Handlungen der Wirtschaftssubjekte
38 Susan Strange schätzt, daß die auf Auslandsinvestitionen beruhende Werterzeugung internationaler Unternehmen 1985 erstmals den Wert des gesamten internationalen Handels überschritt. Vgl. Susan Strange: An EcIectic Approach, in: Craig Murphy/ Roger Tooze (Hrsg.): The New International Political Economy, Boulder 1991, S. 42.
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vollständig prognostizierbar. Nachdem die Konzeption perfekter Rationalität aufgegeben wurde, müssen auch die daraus folgenden Konsequenzen zurückgewiesen werden: Da Wirtschaftssubjekte ebenso wie Staaten nicht perfekt rational sind, werden politische Entscheidungen ebensowenig wie die Marktlogik perfekt internalisiert und umgesetzt. Hierin liegt nicht die analytische Grenze des Verhaltens von einzelnen Akteuren, sondern vielmehr eine Ursache von systemischem Wandel auf der Makroebene. Weil einzelne Wirtschaftssubjekte die Freiheit besitzen, eine soziale Situation anders und vielleicht sogar fehlerhaft zu interpretieren, kann Wandel der weltwirtschaftlichen Gesamtsystems verursachen. Diese Dynamik mag in Systemen mit verschiedenen Akteursgruppen auch durch eine Interessenkollision zwischen durch Markteffizienz hervorgerufenen und nonnativ fundierten politischen Entscheidungen initialisiert werden. Dieses Phänomen läßt sich am besten am Beispiel von Waffenexporten in Krisengebiete erklären. Die Nachfrage nach Waffen ist in Krisengebieten naturgemäß sehr hoch. Dies ruft vergleichsweise hohe Preise hervor, die wiederum eine Reihe von Waffenhändlern veranlassen, ihre Waffen vorrangig dorthin zu exportieren. Andererseits verbieten fast alle Staaten den Export von Waffen diese Regionen. Ökonomisch betrachtet erhöht dies die Preise weiter, weil die Zahl der Anbieter um diejenigen reduziert wird, die ausschließlich legale Geschäfte betreiben. Dadurch wird wiederum der ökonomische Anreiz des Regelverstoßes größer. Da es keine einheitliche Verhaltenslogik gibt und beide Optionen rational begründet werden können, ist ein durchaus abweichendes, selbst ein auf Zufälligkeiten beruhendes Verhalten des Gesamtsystems denkbar und wahrscheinlich.
111. Interaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten und Staaten
Eine Theorie der Internationalen Politischen Ökonomie darf nicht nur zusätzliche Akteure einführen, sondern sie muß auch die Interaktionen innerhalb der und zwischen den verschiedenen Gruppen von Akteuren konzeptionell und funktionell unterscheiden. In der Transnationalismusliteratur sind diese Unterscheidungen dadurch verwischt worden, daß sowohl Staaten als auch Wirtschaftssubjekte auf das Interaktionsprinzip 'Macht' reduziert wurden. Gleichzeitig haben die verschiedenen Versionen des
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Transnationalismus die Beeinflussung von Politik mit politischen Aktionen gleichgesetzt. 39 Sie haben damit implizit (und ohne es selbst zu wissen?) eine außerordentlich breite Definition von Politik. Nachdem zwischen den Zielen der Staaten und denen der Wirtschaftssubjekte unterschieden worden ist, kann nun die Frage der Interaktion zwischen beiden Akteursgruppen behandelt werden. Dabei gilt grundsätzlich, daß sich die Staaten das Primat der Reglementierung der Weltwirtschaft vorbehalten, obwohl in Einzelfällen nichtstaatliche Akteure ebenfalls internationale Abkommen mit einer gewissen strukturellen Bedeutung abschließen. Im Konfliktfall mit von nichtstaatlichen Akteuren erlassenen Regeln dominieren zwischenstaatliche Regelungen. 40 Die Staaten haben eine (imperfekte) Steuerungsfunktion gegenüber ökonomischen Transaktionen, während die Wirtschafts subjekte nur einen (ebenso imperfekten) Einfluß gegenüber den politischen Aktionen aufweisen. 41 Staaten können jederzeit Absprachen privater Akteure durch ihre Rechtsetzungskompetenz aufheben. Umgekehrt ist dies undenkbar. Nur wenn die Staatengemeinschaft ihre Regelungskompetenzen nicht wahrnehmen, können private Akteure den Freiraum zu regulierenden Maßnahmen nutzen. Dieser Fall kann eintreten, wenn die Staaten auf die Kräfte des Marktes vertrauen oder sich untereinander nicht einigen können.
39 Vgl. beispielsweise Stephen Gill/ David Law: Global Hegemony and the Structural Power of Capital, International Studies Quarterly 33, 1989. Gill und Law machen nach meiner Meinung den Fehler, die Wirtschaftssubjekte (das Kapital) als homogen Block mit einheitlichen Interessen zu behandeln. Gleichzeitig erkennen sie, daß die strukturelle Macht des Kapitals erst in Oligo- und Monopolen eine wesentliche Rolle spielt, während die passive Macht der Wirtschaftssubjekte in dezentralen Entscheidungen wie etwa einem Investitionsstreik liegt.
40 Vgl. Kenneth N. Waltz: Theory of International Politics, Reading 1979, S. 94f. Dies wird auch von Virginia Haufler nicht grundsätzlich bestritten, sie legt jedoch zu Recht viel Wert auf die Erkenntnis, daß private Regime, d.h. Regime nicht-staatlicher Akteure, existieren. Vgl. Virginia Haufler: International Regimes and Non-state Actors, in: Volker Rittberger: Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 109f. 41 Stephen D. Krasner: Regimes as Autonomous Variables, in: derselbe (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983, S. 367; vgl. auch Oran Young: Regime Dynamics, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983, 93. Diese Position wird von Rosenau kritisiert. Vgl. James N. Rosenau: Turbulence in World Politics, Princeton 1990, S. 244f.
C. Akteure und Interaktionen
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Obwohl sich die Staaten das Primat der Regulation gegenüber den Wirtschaftssubjekten vorbehalten, ist das Verhältnis zwischen ihnen nicht so einseitig, wie es hier bislang dargestellt wurde. Wirtschaftssubjekte machen zwar keine Politik, doch sind sie weder macht- noch einflußlos. Sie sind insofern auch nicht einfach abhängige Variablen. Obwohl die Unternehmen die Struktur der Weltwirtschaft nur in Ausnahmefällen direkt gestalten können, haben sie doch in jedem Fall indirekte Einflußmöglichkeiten. Das heißt, sie können die Staaten veranlassen, in ihrem Sinne zu agieren. Der Einfluß der international agierenden Wirtschaftssubjekte äußert sich in verschiedenen Zusammenhängen: 1. Sie stehen nicht abseits der nationalen Entscheidungsprozesse und können aktiv in die nationale Gesetzgebung und zum Teil in die zwischenstaatlichen Entscheidungsprozesse eingreifen. 2. Die Wirtschaftssubjekte besitzen in einer Weltwirtschaft, die keine Kapitalverkehrskontrollen mehr kennt, die Macht der Regulationsvermeidung. Sie können ihre ökonomischen Transaktionen dem Einflußbereich jedes einzelnen Staates entziehen. Die Einflußmöglichkeit der Wirtschaftssubjekte resultiert demnach aus zwei Quellen: der meist 'Lobbyismus' genannten Partizipation an Entscheidungen und der Regulationsvermeidung. 42 Unter Lobbyismus ist die direkte Einflußnahme auf politische Entscheidungen staatlicher Akteure im nationalen Rahmen zu verstehen. Die Unternehmen lassen sich den Lobbyismus sehr viel kosten. Dennoch sind seine Ergebnisse eher ambivalent zu beurteilen. Diese Ambivalenz resultiert vornehmlich aus der Heterogenität der Interessen unter den verschiedenen Lobbyisten. Nicht nur der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital, den marxistisch orientierte Autoren betonen,43 vor allem auch die Interessendivergenzen zwischen Exporteuren und Importeuren, Landwirtschaft und Industrie, national agierenden und international investierenden Unternehmen erschweren die politischen Ent-
42 Vgl. G.K. Helleiner: Transnational Enterprises and the New Political Economy of US Trade Policy, Oxford Economic Papers 29, 1977. 43 Vgl. beispeilsweise Stephen Gill/ David Law: The Global Political Economy, Wheatsheaf 1988, S. 87ff; William K. Tabb: Capital Mobility, the Restructering of Production, and the Politics of Labor, in: Charles MacEwani William Tabb (Hrsg.): Instability and Change in the World Economy, New York 1989, S. 271 ff.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
scheidungen der Politik. 44 Häufig lassen sich verschiedene Lobbyisten durch eine geschickte Politik gegeneinander ausspielen. Die Möglichkeit zu Lobbyismus ist gegeben, weil die Regierungen, weitgehend unabhängig von ihrer politischen Couleur, ihre Entscheidungen nicht frei treffen. Sie sind abhängig von der öffentlichen Meinung und von einer Expertise in der Behandlung komplexer Sachfragen. Die Wirtschafts subjekte haben einen großen Einfluß auf die öffentliche Meinung, da ihnen eine Expertise in ökonomischen Fragen zugebilligt wird. Da in liberalen Volkswirtschaften die Rolle und Funktion von Wirtschafts subjekten bei der Erreichung von Wachstumszielen unumstritten ist, wird die Forderung nach einem positiven Geschäftsklima allgemein anerkannt. Damit werden häufig konkrete politische Forderungen transportiert. 45 Von größerem Gewicht scheinen die indirekten Einflußmöglichkeiten der großen international agierenden Konzerne zu sein. Unter den Bedingungen der freien Kapitalmobilität können die international operierenden Unternehmen ihre Investitionen frei plazieren. Freier Kapitalfluß schafft bei gleichzeitiger Existenz von verschiedenen, regulierten Einheiten eine indirekte Macht der Unternehmen über die Staaten, da durch deren Möglichkeit, ihren Produktionsstandort frei zu wählen, ein Wettbewerb um die Investitionen der 'Multis' eingesetzt hat. 46 Auch hier sind die Interessen von Finanzdienstleistern, chemischen Unternehmen oder Ölgesellschaften unterschiedlich einzuschätzen. Doch Schlagworte wie 'Off-Shore-Banking', 'Ökodumping' oder 'Sozialdumping' weisen auf die genutzte Möglichkeit der kompetitiven Deregulierung hin. Zum Zeitpunkt der Auswahl eines Produktionsstandortes fallen die beiden Einflußfaktoren der Wirtschaftssubjekte auf staatliche Politik zusammen. Wenn Unternehmen für den Weltmarkt produzieren wollen, haben sie nicht zuletzt wegen der abnehmenden Bedeutung von Transportkosten eine globale Auswahl an Produktionsstandorten. Da Auslandsinvestitionen spätestens seit dem Entwicklungserfolg der 'vier asiatischen Tiger' in nahezu allen Entwicklungsländern willkommen sind, weil sie Arbeitsplätze, 44 Vgl. Stephen D. Krasner: Defining the National Interest, Princeton 1978; Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 240f. 45 V gl. Charles LindbIom: Politics and Markets, New York 1987, S. 170ff; Stephen Gill/ David Law: The Global Political Economy, Wheatsheaf 1988, S. 85ff.
46 Vgl. Stephen GiIIl David Law, a.a.O., S. 84.
C. Akteure und Interaktionen
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Steuereinnahmen und eine Verbesserung der Handelsbilanz versprechen, besitzen die Unternehmen eine große Verhandlungsmacht über die Steuergesetzgebung, die Arbeitsschutz- und Umweltauflagen und nicht zuletzt die Regulation des Kapitalexportes zur Repatriierung der Gewinne. 47 Nur Staaten, die optimale Bedingungen, also beispielsweise einen niedrigen Regulationsgrad, bieten, können auf Wachstumsimpulse durch Investitionen hoffen. 48 In diesem Fall können die Wirtschafts subjekte die Option der Regulationsvermeidung als Verhandlungsstärke gegen einzelne Staaten ins Feld führen. Der Zusammenhang zwischen nationaler Deregulierung und internationaler (Re-) Regulierung ist aus der Diskussion der internationalen Finanzmarktregulation bekannt. 49 Die Deregulierung der Finanzmärkte wird direkt auf den harten Standortwettbewerb zwischen den Finanzplätzen um die lukrative internationale Geschäftstätigkeit zurückgeführt. Es gilt tendenziell, daß Regulation ein Kostenfaktor für die Wirtschaftssubjekte darstellt. Um diesen zu vermindern oder zu vermeiden, wählen diese einen niedriger regulierten Finanzmarkt um Transaktionen durchzuführen. Diese Beobachtung trifft auf viele Problemfelder zu: Auf Umweltgesetzgebung ebenso wie auf Unternehmensbesteuerung, auf Arbeitsschutz ebenso wie auf Kinderarbeit. In diesem Zusammenhang sind auch Protektion und Subvention zu sehen, die eine Renaissance erleben, weil sie international mittlerweile weit verbreitete Praxis sind und ansteckend wirken. In der Möglichkeit des Ausspielens der Staaten gegeneinander liegt die politische Macht der Wirtschaftssubjekte. Diese sind zwar nicht konstruk-
47 Vgl. Stefan Sinn: Competing for Capital, Tübingen 1993. Ein weiterer wichtiger, allerdings schwer aushandelbarer Kostenfaktor ist die landesweit übliche Korruptionssteuer. Dies erklärt zu einem Großteil den Zusammenhang zwischen politischer Stabilität und Auslandsinvestitionen. 48 Vgl. Susan Strange: An Ec1ectic Approach, in: Craig Murphy/ Roger Tooze (Hrsg.): The New International Political Economy, Boulder 1991, S. 44. 49 Edward J. Kane: Competitive Financial Reregulation, in: Richard Portes/ Alexander Swoboda (Hrsg.): Threats to International Financial Stability, Cambridge 1987, S. 111. Für einen Überblick über die nationale Deregulierungspolitik verschiedenen Staaten vgl. Sarkis J. Khoury: The Deregulation of World Financial Markets, New York 1990. Von besonderem Interesse ist auch die Deregulierung des britischen Finanzmarktes, da dieser lange Zeit als Trendsetter und Schrittmacher fungierte. Vgl. dazu vor allem A.W. Mullineux: U.K. Banking after Deregulation, London 1987.
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tiv, weil sie keine weltwirtschaftlichen Regulationen schaffen, doch sie können die existierenden Nonnen umgehen und untergraben und so mittelfristig zu einer Erosion der bestehenden Ordnung beitragen. Auch die Freiheit der Vennögensbesitzer in einem globalen Finanzmarkt schränkt die Möglichkeit, Wirtschaftspolitik an nationalen Interessen auszurichten, weitgehend ein. 50 Als Beispiel läßt sich die französische Wirtschaftspolitik unter dem Sozialisten Mitterand anführen, der bis 1981 durch eine betont keynesianische Politik eine Ankurbelung der französischen Wirtschaft versuchte. Doch die daraufhin einsetzende Kapitalflucht und der 'run auf den Franc' ließen diese Politik scheitern. Diese indirekte Politikbeeinflussung ist aber nicht die einzige Methode der Einflußnahme. Im direkten Verhältnis von Wirtschaftssubjekten zu Staaten kann zwischen Interessenvertretung und Infonnationsbereitstellung unterschieden werden.
1. Interessenvertretung Die weltweit operierenden Wirtschaftssubjekte versuchen, die Staaten aus ihrem spezifischen Interesse und in ihrer Eigenschaft als Investoren, als Handel treibende Akteure und als Vennögensbesitzer zu beeinflussen. Gelegentlich werden 'multinationale' Wirtschafts subjekte an der internationalen Regimebildung beteiligt. Weitaus häufiger stellen sie das Objekt der Regulierung dar. Doch auch die ausschließlich in einem Land operierenden Unternehmen haben Interessen, die sie legitimerweise durchzusetzen versuchen. Forderungen nach Schutzzoll, nach Subventionen, Kapitalverkehrskontrollen und ähnlichem sind in allen Staaten nachweisbar. Der Einfluß verschiedener Interessengruppen auf die Politik kann mit Mitteln der Theorie internationaler Politik nicht evaluiert werden. Klar ist in jedem Fall, daß sehr einflußreiche Interessengruppen Staaten zu einer gesamtwirtschaftlich suboptimalen Politik veranlassen können. Das bekannteste Beispiel für die zu suboptimalen Ergebnissen führende Macht von Interessengruppen ist die Landwirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft. Offenkundig kann internationale Politik unabhängig von einem Nettonut-
50 Vgl. Jeffrey A. Frieden: Invested Interest: The Politics of National Economic Policies in a World of Global Finance, International Organization 45, 1991, S. 427.
c. Akteure und Interaktionen
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zen für den Gesamtstaat nur schwer durchgesetzt werden, wenn sie einzelne einflußreiche Interessengruppen in ihren Rechten beschneidet. 51 Wirtschafts subjekte und Individuen sind leichter als große kollektive Akteure (wie etwa Staaten) in der Lage, ihre wirtschaftspolitischen Präferenzen anhand ökonomischer Kriterien zu bestimmen. Ein Unternehmen ist eher in der Lage zu berechnen, welche Konsequenzen die Öffnung 'seines' Marktes für ausländische Anbieter zumindest kurz- und mittelfristig hat. Protektionismus ist in solchen Sektoren am wahrscheinlichsten, in denen die Industrieunternehmen die geringste Exportabhängigkeit aufweisen. 52 Ein Unternehmen, das ausschließlich für den nationalen Markt produziert und nur nationale Geschäftsbeziehungen hat, wird, wenn es Marktanteile an ausländische Unternehmen verliert, Protektion fordern.
2. Informationsbereitstellung
Als letzte wichtige Ursache der Veränderung der Interaktion zwischen Staaten auf der einen und Wirtschaftssubjekten und Individuen auf der anderen Seite muß die zunehmende Komplexität der globalen Probleme angeführt werden. Da in einer Gesellschaft von Staaten mit einer diffusen Machtverteilung Hierarchien tendenziell ausgeglichen werden und die Politikformulierung eher konsensual und immer seltener hegemonial oder durch Zwang vorgenommen wird, bekommen Argumente einen höheren Stellenwert. Die Informationsbeschaffung, die heute notwendig ist, um eigene Interessen in internationalen Verhandlungen adäquat und erfolg-
51 Douglas Nelson hat den Staaten, eben weil sie keine einheitliche Akteure sind, ein rationales Verhalten grundsätzlich abgesprochen. Dies läuft jedoch mit seiner eigenen Definition von Rationalität keineswegs konform, derzufolge rationales Verhalten durch den Versuch bestimmt ist, die präferierte Option zu erreichen. Solange Optionen nicht objektivierbar sind, können auch Präferenzen nur subjektiv sein. Die Aufnahme von intertemporärem Präferenzwandel durch interne Veränderungen der Machtkonstellation eines Staates entsprechen - auch wenn sie anders begründet sind dem Präferenzwechsel von Individuen, beispielsweise entsprechend der Grenznutzentheorie. Vgl. Douglas Nelson: Trade Policy Games, in: Craig Murphy/ Roger Tooze (Hrsg.): The New International Political Economy, Boulder 1991, S. 131.
52 Vgl. Helen V. Milner: Resisting Protectionism: GlobalIndustries and the Politics of International Trade, Princeton 1988, S. 18ff.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
reich zu vertreten, verändert die Fonnulierung der Interessen selbst. 53 Verhandlungen finden in einem Zustand unvollständiger Infonnation statt; die Argumentation einer Partei ist um so funktioneller, je eher sie zusätzliche Infonnationen bereitstellt. Lernen in einem Konflikt und Verhandeln unter Unsicherheit sind nicht zu trennende Kategorien internationaler Verhandlungen. 54 Wie die Theorie epistemischer Gemeinschaften annimmt, können zusätzliche Infonnationen die Verhandlungen erleichtern; sie können sie entgegen den Annahmen der Theorie aber auch erschweren. 55 Wenn die Minimalziele der Akteure gleich bleiben, der Verteilungsspielraum als wachsend angenommen wird, erleichtert dies die Verhandlungen, während der umgekehrte Fall, eine abnehmende Verteilungserwartung und steigende Ansprüche, zu einer Erschwerung führt. Als •unabhängig , erachtete Meinungen von Individuen sind als Quelle von Infonnationen für das Verhandlungsergebnis relevant, wenn ihre Infonnationsbeschaffung und -bereitstellung in einer einheitlichen Meinung kumuliert und nicht in einem gegensätzlichen Diskurs. Die Mitglieder dieser Gemeinschaften teilen ein Interesse an einem eng umrissenen Problemfeld und generieren Infonnationen, die sich zu einem einheitlichen Set von Werten, Mechanismen und Kriterien zusammenfassen lassen. 56 Wenn ein Staat eine Position vertritt, die konträr zu der von solchen Gemeinschaften geäußerten Vorstellungen verläuft, wird er große Schwierigkeiten haben, seine Position in Verhandlungen durchzusetzen. Die zunehmende Bedeutung derartiger Deutungsgemeinschaften für eine Vielzahl von Verhand53 Thomas Gehring: Dynamic International Regimes, Frankfurt 1994; Peter Haas: Saving the Mediterranean, New York 1990; Peter Haas, (Hrsg.): Epistemic Communities, (Sonderband der) International Organization 46, 1992; darin insbesondere: James K. Sebenius: Challenging Convetional Wisdom of International Cooperation, International Organization 46, 1992. 54 Vgl. Arthur Applebaum: Knowledge and Negotiation, Bargaining under Uncertainty, Dissertation, Harvard University, Cambridge 1987.
55 Vgl. die Beiträge in der von Peter Haas herausgegebenen Themenausgabe der International Organisation: Epistemic Communities, International Organization 46, 1992. Auch Gehring scheint davon auszugehen, daß zusätzliche Informationen die Verhandlungen grundsätzlich erleichtern. Vgl. Thomas Gehring: Dynamic International Regimes, Frankfurt 1994, S. 406ff. 56 Vgl. Peter Haas, a.a.O.
c. Akteure uNd Interaktionen
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lungen ist evident. Vor allem im Bereich des globalen Umweltschutzes spielen sie wichtige Rolle. Aber auch im Bereich der Weltwirtschaft stellen Individuen und Wirtschafts subjekte heute eine Vielzahl von Infonnationen bereit, die Politik beeinflussen.
IV. Politische Ökonomie als einheitliches Konzept
Die engen Verbindungen twiSchen Wirtschaftssubjekten und Regierungen hat Charles Lindbloril zusaftltnengefaßt: "Governments exercise broad authority over business activities. But the exercise of that authority is curbed and shaped by the concern of government officials for its possible adverse etTects of business, since adverse effects can cause unemployment and other consequences that governments are unwilling to accept. (... ) Hence, even the unspoken possibility of adversity for business operates as an all-pervasive constraint oft government authority. (... ) Business officials are privileged not only with respect to the care with which governments satisfies business needs in general but also in privileged roles as participants in policy deliberations in governtnent. At least hypothetically, government always has the option (... ) of refusing further privilege and simply terminating private entetprise in a firm, industry or the entire system." 57
Zwischen Staaten und Wirtschaftssubjekten existiert ein komplexes Interaktionsnetz. Beide Seiten besitzen in ihrem Metier eine grundSätzliche Entscheidungsfreiheit, doch sie können ihre Entscheidungen nicht unbeeinflußt von der erwarteten Reaktion der 'anderen Seite' treffen. Diese Verbindung zwischen beiden Akteursgruppen kann durch ein Entscheidungsmodell und vor allem mit Hilfe der Spieltheorie untersucht werden, da in fast allen Entscheidungen die Auswirkungen etwaiger Handlungen auf die andere Gruppe und die Handlungen der anderen Gruppe herangezogen werden. Die begriffliche Trennung der Entscheidungsebene unterschiedlicher Akteursgruppen kann in einer 'Politischen Ökonomie' anhand des Begriffes der Politik erfolgen. Wirtschaftspolitik kann dann als Summe derjenigen staatlichen Handlungen definiert werden, weIche die Rahmenbedingungen ökonomischer Transaktionen beeinflussen und die Rationalität ökonomi-
57
Charles Lindbiom: Politics and Markets, New York 1987, S. 178f.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
schen HandeIns absichtsvoll und zielgerichtet verändern. Auf der Grundlage dieser Definition machen Wirtschaftssubjekte nur in identifizierbaren, und vor allem eng umrissenen Ausnahmefällen Politik. Autonome Wirtschaftssubjekte stehen in keinem Autoritätsverhältnis zueinander und ihr Verhältnis zu ausgeführten politischen Aktionen der Staaten wird durch Regulationsbefolgung oder Regulationsvermeidung, nicht durch souveräne Regulationsverhandlung oder gar Regulationssetzung geprägt. Wenn Wirtschaftssubjekte Einfluß geltend machen wollen, kann dies deshalb nur auf der Ebene der Entscheidungsprozesse ansetzen. Ist eine Regulation erst einmal beschlossen, können Wirtschaftssubjekte nur noch für Regulationsignorierung oder -vermeidung optieren und plädieren, daß die Regulation durch den Staat geändert wird. Ein direkter Zugriff auf Regeln und Normen ist ihnen verwehrt. Idealtypisch und analytisch finden sich in der internationalen politischen Ökonomie drei Typen von Interaktionen: zwischen Staaten, zwischen Wirtschafts subjekten und zwischen Staaten und Wirtschaftssubjekten. Die Aufgabe der ersten beiden Ebenen und die ausschließliche Analyse der dritten Ebene führt ebenso in die Irre, wie die ausschließliche Analyse einer der ersten Ebenen. Betrachtet man die drei Handlungszusammenhänge aus dem Blickwinkel von Akteuren und deren Entscheidungen bleiben nur zwei Ebenen, da es lediglich zwei Akteursgruppen gibt: Die Politik wird in der Institution Staat entschieden, und zwar nicht ohne daß die Entscheidungsorgane externe, gesellschaftliche Konsultationen eingeholt haben. Die ökonomischen Transaktionen werden innerhalb der Entscheidungsorgane der Wirtschaftssubjekte bestimmt, und zwar nicht, ohne daß die Entscheider die normative Struktur ihrer angestrebten Handlungen 'beobachtet' haben. 58 Die Unterscheidung wird durch die verschiedenen, wenngleich nicht gegensätzlichen Interessenlagen der Staaten und Wirtschaftssubjekte zusätzlich legitimiert. Staaten sind entsprechend ihrer Funktion als Organe der Durchsetzung von kollektiven oder dominierenden Interessen der in ihnen
58 Vgl. dazu Robert D. Putnam: Diplomacy and Domestic Politics: The Logic of Two-Level Games, International Organization 42, 1988; Keisuke Iida: When and how do Domestic Constraints Matter?, Journal of Conflict Resolution 37, 1993.
C. Akteure und Interaktionen
125
lebenden Individuen und Kollektiven definiert,59 während Wirtschaftssubjekte 'quasi individuelle' und autonome ökonomische Interessen verfolgen. Trotz der Unterschiede kann eine Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen nur vollständig sein, wenn den grenzüberschreitend agierenden Nichtstaaten eine Funktion und Einfluß zugestanden wird. Eine Theorie der Interaktion zwischen der Makro- und der Mikro-Ebene 60 als Bestandteil der Theorie internationaler Beziehungen darf private Akteure nicht als abhängige Variable der Markt-Staat-Dichotomie negieren. In einer institutionellen Theorie muß die Aufmerksamkeit deshalb darauf gerichtet werden, daß politisch implementierte Regeln zu ökonomischer Rationalität führen und umgekehrt, ökonomische Transaktionen politische Entscheidungen und die Struktur des politischen Systems beeinflussen. Wandel in einem gesellschaftlichen Teilbereich führt zu Anpassungen, d.h. Wandel in dem anderen. 61
v. Wirtschaftssubjekte und institutioneller Wandel Die Diskussion über Regimewirkung und über institutionellen Wandel kann durch die zweiteilige Akteurskonzeption eine grundsätzliche Erweiterung erfahren. Es genügt nun nicht zu fragen, ob existierende Regime das Verhalten von Staaten stabilisieren. In der Internationalen Politischen Ökonomie ist die Wirkung der Regime auf die ökonomischen Transaktionen der Wirtschaftssubjekte von mindestens ebenso großer Bedeutung. Genau an dieser Stelle macht der Versuch, staatliche Interessen innerhalb der Konzeption von Wirtschaftspolitik zu formulieren, überhaupt erst Sinn gleich ob diese Interessen letztlich in nationaler oder internationaler Politik ihren Ausdruck finden. Die Stabilität von weltwirtschaftlichen Institutionen bemißt sich dann an der von ihnen ausgehenden Steuerleistung im Hinblick auf (globale oder
59 Vgl. G.K. Helleiner: Transnational Enterprises and the New Political Economy ofUS Trade Policy, Oxford Economic Papers 29,1977. 60 James N. Rosenau: Turbu1ence in Wor1d Politics, Princeton 1990, S. 14lff.
61 Vgl. Douglass North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990, S. 48ff.
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Teil 3'
Theoretisch~ A~pekte
gegebenenfalls regionale) ökonomische Prozesse. Dabei muß zwischen intendierter und unintendierter Dynamik unterschieden werden. Eine intendierte Dynamik wirkt im Sinne des Regimes und insofern eher stabilisierend. Die zunehmende Integration der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg war eine solche gewollte Dynamik und hat weder das Welthandelsregime noch die Weltwährungsordnung destabilisiert. Es kann und wird vielfach wegen der Komplexität der Weltwirtschaft allerdings auch zu nicht-intendierten Prozessen kommen. Wechselkursschwankungen, eine weitreichende Deregulierung durch den verschärften Standortwettbewerb, schneller struktureller Wandel oder die Erosion des Sozialstaates können als unintendiert~ Konsequenzen gewollter weltwirtschaftlicher Integration verstanden werden. Bei nicht-intendierten Prozessen ist zwischen hinnehmbaren und nichthinnehmbaren Prozessen zu unterscheiden, Die Staaten haben höchst unterschiedliche Optionen, um auf für sie inakzeptable weltwirtschaftliche Prozes,se zu reagieren. Der unilaterale Reflex vieler Staaten besteht in der graduellen und partiellen Desintegration aus der Weltwirtschaft. Kapitalverkehrskontrollen, bnportquoten oder freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen sind in der heutigen Staaten welt unterschiedlich populär, aber allesamt Ausdruck des Versuchs, die Auswirkungen globaler ökonomischer P'TOzesse im nationalen Rahmen zu begrenzen. Nationale Maßnahmen erscheinen den Staaten vor allem dann unvermeidbar, wenn eine starke Interessenkollosion vorliegt und wenn die ökonomischen Probleme des einen Staates aus dem ökonomischen Erfolg eines anderen Staates zu resultieren scheinen. Andere ungewollte Prozesse erscheinen aber allen oder zumindest vielen Staaten schädlich für die stabile Entwicklung der Weltwirtschaft und der darin integrierten Volkswirtschaften. Die Entwicklung des Dollarkurses Mitte der achtziger Jahre und die Deregulierung der Finanzmärkte stellte sich den Industriestaaten jeweils erst zu einem krisenhaften Zeitpunkt als ein Problem dar, dem mit den Mineln des Nationalstaates nicht beizukommen ist. Eine Unterscheidung zwischen 'Nachkriegsregimen' und neueren, 'posthegemonialen ' Regimen kapn vor diesem Hintergrund darauf basieren, daß erstere einen ökonomisches Prozeß hervorrufen sollten und letztere die ungewollten Konsequenzen dieser Prozesse abfedern oder beseitigen sollten, ohne die erreichte w\?ltwirtschaftliche Iplegration zu gefährden. Die in den siebziger und achtziger Jahren entstandenen Regime dienen insofern
C. Akteure und Interaktionen
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nur indirekt der weltwirtschaftlichen Integration. Sie eröffnen den Staaten zwei Handlungsoptionen: Die Staaten können einerseits - ebenso wie in der Nachkriegsphase - ein Regelwerk schaffen, mit dem weltwirtschaftliehe Prozesse handhabbar und gestaltbar sind. Kompetitive Deregulation kann beispielsweise durch die Einigung auf Mindeststandards rückgängig gemacht werden. Die Staaten sind aber auch in der Lage, gegen die von den Wirtschafts subjekten ausgehende Dynamik ökonomischer Prozesse zu intervenieren. Zu denken ist hier etwa an Wechselkursmanagement durch abgestimmte Interventionen der Notenbanken. Der Bestand von Institutionen und Organisationen verfolgt im Hinblick auf die Reaktionszeit abgestimmter staatlicher Interventionen auch einen Selbstzweck. 62 Es ist sinfivoll und läl3t sich entsprechend empirisch beobachten, in den verschiedenen Bereichen der Weltpolitik eine Mindestausstattung an multilateral zusammengesetzten Gremien und Organisationen einzurichten. Die Existenz solcher Gremien reduziert (ökonomisch gesehen) die Transaktionskosten ihrer Schaffung. Koordinierungsprozesse verlaufen schneller und effizienter, wenn auf bestehende Gremien zurückgegriffen werden kann. 63 Kurz: Handlungsorientiertes Management und die Existenz von institutionalisierten Entscheidungligremien sind keine Gegensätze. Damit existiert auch der Gegensatz zwi~chen Intervention und Regimen nicht in grundsätzlicher Form. Tatsächlich ergibt sich der Wert von internationalen Regimen immer dann ausschließlich aus ihrer Funktion der Komplexitätsreduzierung, wenn die Regime auf Institutionen basieren. Besitzen die Regime dagegen eine Organisationsstruktur, steigt der Wert weiter ~m, da diese Organisationen nicht lediglich institutionelle Verhaltensrichtlinien anbieten. Sie stellen auch ein Entscheidungsgremium mit festgelegt~f Partizipation zur Verfügung und entwickeln spezielle Kenntnisse, die als interne Expertise direkt
62 Vielfach wird die Krise von Institlltionen diskutiert, als läge in der Umgestaltung dieser Institutionen bereits die Lösung. Vgl. Miriam Camps: The Reform of Global Economic Organizations, New York 1981; D. B. Steel.e: The Case for Economic Management and UN System Reform, International Organ.ization 39, 1985. 63 Diese These wird ausführlich diskutiert und begründet von Robert Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 49ff.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
in die Entscheidung und deren Umsetzung einfließen können. 64 Es gilt aber, daß Regime, deren primärer Zweck die Harmonisierung ist, eher mit einem starren Normen- und Regulationssystem ausgestattet werden (können) als Regime, die primär dem Management ökonomischer Prozesse dienen. Durch die Evaluierung der Wirkung von politischer Regulation und Intervention auf ökonomische Prozesse kann zugleich eine bereits seit langem im Raum stehende Kritik an der Regimetheorie abgeschwächt oder gar ausgeräumt werden. Charles Kindleberger hatte die Regimetheorie in einer Rezension von Keohanes After Hegemony kritisiert, da 'Regime' in krisenhaften Situationen nicht handeln. 65 Kindleberger hat, wenn er von einer Krise spricht, eine Weltwährungskrise und den Crash der internationalen Finanzmärkte vor Augen. Wenn er von Regimen spricht, denkt er dagegen an Regeln, die für ihn mehr oder weniger eindeutige Verhaltensanweisungen formulieren. Seine Kritik ist auf der Grundlage dieser Prämissen sicher berechtigt: Normen sind ungeeignet, Krisen grundsätzlich zu verhindern und Normen sind noch weit weniger imstande, Krisen zu lösen. Normen können aber den Ausbruch von Krisen sehr wohl unwahrscheinlicher machen. Kindlebergers Bild von Regimen ist allerdings nicht nur in dieser Hinsicht zu eng. Eine sehr viel grundsätzlichere Kritik muß daran ansetzen, daß er den Regimebegriff auf Normen reduziert. Selbst wenn man ihm zugestehen muß, daß diese Einschränkung in der strukturellen Regimetheorie und im Neo-Institutionalismus zum Teil angelegt ist, zielt die Kritik doch an beiden Ansätzen vorbei, denn Regime umfassen entsprechend der konsensualen Definition auch Entscheidungsgremien und Modalitäten von Entscheidungsverfahren. Die Differenzierung zwischen regelgebundener Stabilisierung und handlungsorientierter Intervention, das heißt, die Frage, ob Problemfelder durch Regime verregelt oder durch Einführung von Entscheidungs gremien gemanaged werden sollen, ermöglicht nicht nur eine weitere Unterscheidung, sondern zeigt auch, daß die Regimetheorie Ent-
64 Für eine umfassende Diskussion, wie sich Organisationen in (auf Kenntnissen basierende) interne Rollen ausdifferenzieren vgl. Richard Nelson! Sidney Winter: An Evolutionary Theory ofEconomic Change, Cambridge 1982, S. 72ff. 65 Vgl. Kindlebergers Rezension von Keohanes 'After Hegemony': Hierarchy versus Inertial Cooperation, International Organization 40, 1986.
c. Akteure und Interaktionen
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scheidungen und Interventionen nicht unbedingt geringer schätzen muß als normative Erwartungen und Verhaltensanweisungen. Die Diskussion über 'norm-governed intervention' versus 'discrete intervention' ist zwar bislang nicht von dem politologischen Strang der Internationalen Politischen Ökonomie geführt worden, sie hat aber in der von Ökonomen geführten Debatte über die Möglichkeit international koordinierter Makropolitik relativ viel Raum eingenommen. 66 Dabei ist der falsche Anschein entstanden, daß zwischen normgeleitetem Verhalten und diskretionären Interventionen ein Gegensatz existiert. Tatsächlich können beide Steuerleistungen innerhalb eines Regimes stattfinden. In jedem Fall erleichtert ein bestehendes Regime durch die Institutionalisierung von Entscheidungsgremien und -prozessen auch diskrete Interventionen, wie sich vor allem am Beispiel der Weltwirtschaftsgipfel verdeutlichen läßt.67 Die Ausgestaltung eines Regimes ist deshalb nicht zuletzt von der intendierten Wirkung auf die Verhaltenskalkulation der Wirtschafts subjekte abhängig. Die beinahe durchgängig vorzufmdende Begrenzung des Neo-Institutionalismus auf zwischenstaatliche Politik führt deshalb zu Forschungsdesideraten nicht nur im Hinblick auf institutionellen Wandel, sondern auch im Hinblick auf das institutionelle Design eines Regimes.
66 Vgl. etwa Paul Levine/ David Currie: Does International Macroeconomic Policy Coordination Pay and is it Sustainable?, Oxford Economic Papers 39, 1987; Jeffrey Frankel/ Katharine Rockett: International Macroeconomic Policy Coordination When Policymakers Do Not Agree on the True Model, American Economic Review 78, 1988; Jocelyn Horne/ Paul Masson: Scope and Limits of International Economic Cooperation and Policy Coordination, IMF Staff Papers 35, 1988; Wendy Dobson: Economic Policy Coordination, Institute for International Economics, Washington 1991. 67 Vgl. auch Thomas Plümper: Wirtschaftspolitik als internationaler Koordinierungsprozeß, INITIAL 111994, S. 30f. 9 Plümper
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, den Neo-Institutionalismus um die Entscheidungstheorie und die Strukturierungstheorie zu einer dynamischen institutionellen Variante der Internationalen Politischen Ökonomie zu erweitern. Diese Verbindung ist einerseits einfach herzustellen, denn Institutionen sind aus dem Blickwinkel der Akteure betrachtet Routinen. Für Institutionen, wie auch für die Regime der Regimetheorie gilt demnach, was zuvor von Routinen gesagt wurde: Sie sind in ihrem normativen Kern stabil und wirken im Entscheidungsprozeß der Akteure. Sie werden aber auch von Akteuren an eine Veränderung des Regimeumfeldes angepaßt, wenn sich diese von einem Verlust bedroht sehen, oder wenn das Ergebnis von institutionell geleitetem Verhalten als unbefriedigend erachtet wird. Auf der anderen Seite ist eine Integration der Konzepte in den Neo-Institutionalismus jedoch nicht problemlos möglich, denn nicht nur die Betrachtung von Institutionen aus epistemologischer statt aus ontologischer Sicht und die Aufgabe der Maximierungsannahme der RationalChoice-Theorie erfordern ein Umdenken, auch die duale Akteurskonzeption verlangt nach einer anderen, nach einer Zwei-Ebenen Betrachtungsweise von strukturellem Wandel. Die methodischen Abweichungen, die durch eine Zwei-Ebenen Akteurskonzeption entstehen, werden zunächst anhand des Begriffes der Struktur der Weltwirtschaft verdeutlicht. Damit wird gleichzeitig das Konzept der Interdependenz dem veränderten Akteurskreis angepaßt. 1 Dies verfolgt auch den Zweck, die Aufnahme von Wirtschafts subjekten in den Kreis der Akteure strukturell zu begründen - und damit der Strukturierungstheorie Genüge zu tun. Zweitens werden die verschiedenen Ebenen weltwirt-
1 Dies ist keineswegs neu. Die Notwendigkeit dieser Auffassung wurde schon sehr früh von Karl Kaiser gesehen und aufgezeigt, sie ist aber nicht wirklich umgesetzt worden. Vgl. Karl Kaiser: Transnational Politics, International Organization 25, 1971. Vgl. neuerdings wieder John Stopford/ Susan Strange: Rival States, Rival Firms: Competition for World Market Shares, Cambridge 1991, vor allem S. 20f.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
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schaftlicher Dynamik in die Debatte eingeführt. Damit soll vor allem verdeutlicht werden, daß Dynamik dadurch entsteht, daß Wirtschafts subjekte und Staaten ihre Entscheidungen wechselseitig den veränderten Rahmenbedingungen anpassen, die durch veränderte Handlungen der jeweils anderen Akteure entstehen.
I. Die Struktur der Politischen Ökonomie
Die Hauptströmung der Internationalen Politischen Ökonomie akzeptiert das neoklassische Forschungsprogramm insoweit, als daß Märkte auf die ihnen inhärente Allokationsfunktion reduziert werden. Der Markt erscheint dann als ein Prinzip zur allokativen Verteilung knapper Ressourcen, deren Distribution über den Preismechanismus gesteuert wird. Die 'Politik' wird konsequenterweise funktional entgegensetzt konzeptionalisiert; das heißt, sie wird ebenfalls auf ein Prinzip zur Verteilung knapper Ressourcen reduziert. Dies ermöglicht die methodische Auflösung einer Ökonomie auf der Strecke zwischen perfekter politischer Distribution und vollständiger Distribution durch den Markt. 2 Entweder der Markt verteilt nach den ökonomischen Gesichtspunkten Angebot, Kaufkraft und Nachfrage; oder die Staaten verteilen nach politischen Gesichtspunkten wie etwa Macht. Dies hat die Konsequenz, daß ein liberaler Markt stets ein perfekt integrierter Markt ist. Das gilt auch und sogar für den Weltmarkt: Die Abwesenheit staatlicher Intervention und Regulation (und bei einigen Autoren auch die Abwesenheit von Marktversagen) führt in der orthodoxen Vorstellung zu einem vollständig integrierten Weltmarkt.
I. Ein einführendes Puule
Ein exemplarisches 'Puzzle' aus dem Forschungsfeld der Internationalen Politischen Ökonomie kann Lester Thurows Head to Head entnommen werden. Darin diskutiert Thurow die politische Konkurrenz der industrialisierten Zentren USA, Japan und Europa um die Dominanz über die 2 Vgl. in diesem Sinne besonders Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
Struktur der Weltwirtschaft. Thurows Modell basiert auf der von den Ökonomen Mundell und Fleming unabhängig voneinander entwickelten Theorie, wonach die Bildung marktgemäßer Wechselkurse von der Zulässigkeit monetärer Transaktionen am Geld- und Kapitalmarkt abhängig ist. Der Zusammenhang zwischen Kapitalverkehrskontrollen, Zinssätzen und politischer Autonomie im Mundell-Fleming-Modell ist einfach: Zwischen den politischen Zielen Wechselkursstabilität, monetäre Autonomie des Nationalstaates und Zulassung von Kapitalmobilität besteht ein rigider trade-off; es können immer nur zwei Ziele gleichzeitig erreicht werden. Bei freien Wechselkursen und ohne Kapitalverkehrskontrollen sind die Staaten gezwungen, ihre Zinspolitik an internationalen Standards zu orientieren, weil sie ansonsten massive Kapitalabflüsse hinnehmen müssen. Die Währungspolitik wird dann von dem Land mit der stabilsten weltmarktfähigen Währung aufgezeigt. Eine politisch (de jure) vollständige Integration einer nationalen Ökonomie in das internationale Finanzsystem liegt dann vor, wenn die nationale Währung konvertibel ist und wenn keine Regulation grenzüberschreitende Geld- und Kapitaltransaktionen be- oder verhindert. Eine nicht nur regulative sondern auch ökonomische Integration nationaler Finanzmärkte zu einem globalen Finanzmarkt ist erst dann zu verzeichnen, wenn entweder der unwahrscheinliche Fall gleicher Zins-, Spar- und Investitionsraten vorliegt, oder wenn es zu einem selbsttätigen Ausgleich kommt. Daß eben dies trotz des weitgehenden Wegfalls der nationalen Finanzmarktregulation in den achtziger Jahren empirisch nicht beobachtet werden konnte, ist von dem MIT-Ökonomen Lester Thurow als 'Puzzle' dargestellt worden: "The existence of persistent interest rate differentials and the dose connection between local savings and local investment pose both an intellectual challenge and a practical problem. Intellectually, the continued existence of these differentials is difficult to explain. One can argue that the world doesn't yet really have a world capital market, but if this is so, questions, to which there are really no good answers, immediately arise, such as: Why not? And what will it take to bring areal world capital market about? (... ) Small interest differentials can be explained, but the large differentials that actually exist cannot. To this day what was observed in the 1980s remains a genuine mystery. No one has a convincing explanation of how wh at did happen could have happened." 3
3 Lester Thurow: Head to Head: The Coming Economic Battle Among Japan, Europe and America, London 1993, S. 44; vgl. auch die Entdeckung des Puzzle bei Mar-
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
133
Es wird deutlich, daß Thurow aus der Abwesenheit desintegrativer politischer Elemente auf einen perfekt integrierten Markt schließt. Das verweist darauf, daß für ihn keine desintegrativen ökonomischen Struktunnerkmale und somit auch kein Marktversagen existieren: Freie Märkte sind perfekte Märkte.
2. Markt, Weltmarkt und Strukturen Aus dem Blickwinkel der ökonomischen Institutionen- und Transaktionskostenanalyse besitzt ein Markt vielfältigere Funktionen und Aufgaben als neoklassisch geprägte Ökonomen anzunehmen scheinen, aber auch als sich aus der Dichotomisierung von 'Staat' und 'Markt' ergibt. Zwar gibt es keine einheitliche Definition von Märkten unter Institutionalisten, doch kann die Struktur der Institution 'Markt' an die Parameter 'Infonnationsbereitstellung' und 'Unsicherheitsreduzierung' geknüpft werden. Daraus ergibt sich, daß die Distributionsfunktion als eine Folge des Verhaltens von Wirtschaftssubjekten angesehen wird, zu dem sich die Marktteilnehmer auf der Grundlage ihrer Infonnationen und Perzeptionen entscheiden. Der Weltmarkt kann unter diesem Gesichtspunkt als Summe der grenzüberschreitenden ökonomischen Transaktionen begriffen werden, zu denen sich Wirtschafts subjekte vor dem Hintergrund von veränderlichen Strukturelementen freiwillig entscheiden. Der Markt ist mit anderen Worten die Summe aller freiwilligen ökonomischen Transaktionen - und die Distribution von Gütern stellt lediglich deren Konsequenz dar. Dieses Konzept hat zur Folge, daß das vereinfachende Konzept der StaatMarkt-Dichotomie aufgegeben werden muß. Es besteht weder ein Grund zu der Annahme, daß freie Märkte perfekte Infonnationen und Kalkulationssicherheit schaffen, noch reduziert jede Art von politischer Intervention die Freiheit der Akteure zu ökonomischen Transaktionen. Einige Regulationen schaffen vielmehr Anreize und rufen so ökonomische Handlungen
tin Feldstein/ Charles Horioka: Domestic Saving and International Capital Flows, Economic Journal 90, 1980 und für einen aktuellen empirischen Test: Tamim Bayoumi: Saving-Investment Correlations: Immobile Capital, Government Policy, or Endogenous Behaviour?, IMF Staff Papers 37, 1990.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
erst hervor. Die Staaten bildung und der Prozeß ökonomischer Produktivitätssteigerung verlaufen nicht zufällig historisch parallel, sie basieren auch aufeinander. Die politische Organisationsform Staat hat durch die Sicherung von Eigentumsrechten die Kalkulationssicherheit ökonomischer Transaktionen maßgeblich erhöht. Wenn Märkte nicht als abstraktes Modell der effizienten Distribution von Waren definiert werden, sondern als reale Institutionen, müssen sie als veränderlich und sogar als veränderbar begriffen werden. 4 Tatsächlich ist die Struktur der Märkte durch dezentrale Entscheidungen der Marktteilnehmer veränderlich; veränderbar ist sie durch politische Entscheidungen und Handlungen der Staaten. Märkte und politische Institutionen zu ihrer Beeinflussung schaffen zusammen eine Wirtschaft, die ein weitaus komplexeres System als ein Markt bildet. Allan Gruchy hat dies folgendermaßen dargestellt: "The picture of the economy (... ) is that of a system of power, with elements of both conflict and harmony, and with conflict as both causes and consequences of economic evolution. It is, even more fundamentally, a picture of deep cumulative causation between market forces and institutions; of profound impacts of organization and control forces; of existential systemic diversity and openendedness; of multiple social valuational processes, incIuding the market; of inevitable and deep legal foundations; and of individual and collective action." 5
Die anschauliche Beschreibung Gruchys entstand in der Auseinandersetzung mit einer nationalen Ökonomie. Die Weltwirtschaft weist als zusätzliches Strukturmerkmal eine geographische Komponente auf, die sich am besten durch die Darstellung der Extreme erschließen läßt. Ein Extrem ist die vollständige Dissoziation in einzelne nationale Märkte. Selbst wenn Wirtschaftssubjekte aus verschiedenen Staaten ökonomische Transaktionen miteinander vornehmen, kann dennoch von einem Weltmarkt im engeren Sinn nicht gesprochen werden, solange die Unterscheidung zwischen 4 Eine ausführliche Begründung für diese These, die eine tendenzielle Rückbesinnung auf die Klassik bedeutet, findet sich bei dem neoklassischen Institutionalisten Thrainn Eggertson. Vgl. sein Economic Behavior and Institutions, Cambridge 1990, S. 3ff. Vgl. auch James M. Buchanan: What should Economists Do?, Southern Economic Journal 30, 1964, S. 213-222; Douglass C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990; Oliver Williamson: The Economic Institutions of Capitalism, New York 1985. 5 Allan Gruchy: Modern Economic Thought, New York 1947, S. 4.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
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nationalem Markt und Außenwirtschaftsbeziehungen für ihre Entscheidungen relevant ist. Das andere Extrem ist eine perfekt integrierte Weltwirtschaft. Märkte als Institutionen entsprechen der Summe aller freiwillig vorgenommenen grenzüberschreitenden ökonomischen Transaktionen. Ohne Wirtschaftssubjekte, die ökonomische Transaktionen vornehmen, gibt es - definitionsgemäß - keine Märkte. Beide Extreme sind in der ökonomischen Modellwelt ebenso weitverbreitet wie realwirtschaftlich unrealistisch. Die vollständige Dissoziation war nur für einzelne Staaten eine denkbare Alternative, zumal es im zwanzigsten Jahrhundert einer radikal anti-kapitalistischen Politik und eines entwickelten Repressionsapparates bedarf, um die Dissoziation gegenüber den nationalen Wirtschaftssubjekten durchzusetzen. 6 Das andere Extrem scheitert schon vordergründig daran, daß Staaten existieren und daß die Schaffung und Verteidigung eines liberalen Weltwirtschaftssystems weder ihre einzige noch ihre vorrangige ökonomische Aufgabe ist. Politik erscheint je nach Perspektive als ein Kompromiß zwischen verschiedenen Staatszielen oder zwischen dem nicht-kompatiblen Einfluß verschiedener Interessengruppen.? Die perfekte Integration scheitert aber auch hintergründig daran, daß für die unterschiedlichen Transaktionen der Wirtschaftssubjekte ein jeweils idealer Wirtschaftsraum mit einer optimalen Anzahl von Marktteilnehmern existiert. Diese optimale Marktreichweite muß aber keineswegs der Weltmarkt sein. Ein Weltmarkt für Hühnereier wird vermutlich auch künftig nicht existieren, während ein Markt für Hochtechnologie-Produkte vielleicht ausschließlich global existieren kann. Das Konzept eines perfekten Weltmarktes setzt weiterhin voraus, daß die Wirtschafts subjekte keine Neigung besitzen, einheimische Produkte den 6 Diese These beruht darauf, daß grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit älter ist als das Staatensystem. Marxisten, vor allem Karl Polanyi, haben dagegen viel Mühe auf den Nachweis verwandt, daß das ursprüngliche (Weltwirtschafts-) System ohne Eigentumsrechte, also prä-kapitalistisch oder sozialistisch war. Vgl. sein: Ökonomie und Gesellschaft, Frankfurt 1979, S. 129ff. 7 Die Staatsziele werden in Deutschland durch das 'magische Viereck' ausgedrückt. Niemand hat bislang argumentiert, daß sich diese Ziele harmonisch zueinander verhalten. Die zweite Begründung, die Interessensgruppen, basiert darauf, daß es entgegen der Behauptung vieler marxistischer Theoretiker weder 'das Kapital', noch einen dominierenden Wirtschaftssektor gibt. Verschiedene Interessensgruppen, Importeure, Exporteure, nicht-weltmarktfähige Unternehmen, Landwirte und Banken haben verschiedene Interessen und alle wollen diese in der Politik wiederfinden.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
ausländischen Produkten vorzuziehen. Der Marktanteil deutscher, amerikanischer und japanischer Pkws wäre - mit anderen Worten - bei einem angenommenen rationalen Verhalten der Konsumenten und Produzenten in Deutschland, den USA, Japan, aber auch Australien und Kamerun gleich oder zumindest nur marginal unterschiedlich.8 Unterschiede dürften nur bei speziellen Gütern, die sehr hohe Transportkostenanteile aufweisen, bei Dienstleistungen und durch eine regional unterschiedliche Gesellschaftsstruktur, etwa durch unterschiedliche Wohlfahrt, entstehen. Sucht man eine einheitliche strukturelle Basis für die weltwirtschaftliche Dynamik, die durch Veränderungen der Weltmarktperzeption entsteht, bietet sich der Begriff der imperfekten Integration der Weltwirtschaft an. 9 Eine imperfekt integrierte Weltwirtschaft stellt nicht nur ein Mittelding zwischen den Idealtypen 'perfekte Dissoziation' und 'perfekte Integration' dar. I 0 Im Unterschied zu diesen eindeutigen und stabilen Zuständen ist der Grad der Integration für unterschiedliche Waren und zu unterschiedlichen Zeiten seinerseits different. Das heißt, mit der Aufgabe des Konzeptes der
8 Paul Krugman errechnet für die USA eine 'marginal propensity' von über 80%; von jedem Dollar, den die Amerikaner ausgeben, geben sie achtzig Cents für amerikanische Produkte aus. Der Rest der Welt, gibt von einem Dollar bestenfalls \0 Cent für amerikanische Produkte aus. Selbst wenn man bedenkt, daß einige Produkte nicht weltmarktfähig sind, weil ihr Wert im Vergleich zu den Transportkosten zu gering ist, sind die Zahlen hinreichend eindeutig: Sie zeigen die mikroökonomischen Konsequenzen imperfekter weltwirtschaftlicher Integration auf. Gleichzeitig zeigt auch diese Rechenmethode wieder, daß die Weltmarktintegration Deutschlands viel größer ist als die der USA. Vgl. Paul R. Krugman: Exchange-Rate Instability, Cambridge 1989, S. 12f. 9 Paul Krugman hat überzeugend gezeigt, daß die Weltwirtschaft - entgegen der auf Schumpeter zurückgehenden, weitverbreiteten Meinung, daß die Integration auf neuen Technologien beruht und sich ständig vertieft - in den achtziger Jahren nur unwesentlich stärker integriert gewesen ist als vor dem ersten Weltkrieg. Die entscheidende Technologie für die Integration der einzelnen Märkte war die Dampfmaschine und nicht der Computer. Die starke Internationalisierung nach dem zweiten Weltkrieg läßt sich als Erholung von einem unterdurchschnittlich niedrigen Niveau deuten. Dies erklärt die Verlangsamung des Trends während der achtziger Jahre: "Thus, the idea that the growing integration of the world economy has somehow brought us into a wholly new era shows a lack of historical sense." Vgl. Krugman, a.a.O., S. 8. 10 Ein Grund dafür, daß die Ökonomie so gerne mit einfachen Modellen operiert, scheint darin zu bestehen, daß eine angenommene perfekte Integration statisch und somit unzweifelhaft einfacher handzuhaben ist als eine komplexe, variable imperfekte Integration.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
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perfekten Integration ergibt sich eine zusätzliche Variable. Dies erschwert die Modellbildung, aber es macht sie keineswegs unmöglich, wie auch Paul Krugman nachgewiesen hat. I I Das wichtigste politische desintegrative Strukturmerkmal der Weltwirtschaft ist die Existenz 'souveräner' Staaten. Der politische Versuch, Strukturierungsprozesse zu steuern, fmdet in 'Zeit und Raum' statt, und die wichtigsten Strukturelemente der Weltwirtschaft bestehen aus denjenigen spezifischen Institutionen, die eine Unterscheidung zwischen nationalen und dem globalen Markt ermöglichen. Auch Regulationen sind Strukturelemente. Sie beeinflussen Verhalten, weil sie die Attraktivität einzelner Optionen verändern. Das wichtigste ökonomische desintegrierende Strukturmerkmal der Weltwirtschaft sind die Kosten, die durch Wirtschaftstätigkeit in Raum und Zeit entstehen. Hier darf keineswegs nur an Transportkosten gedacht werden, vor allem die Bereitstellung und Sammlung von Informationen ist mit wachsender Distanz und in fremden Sprachen und Kulturen mindestens ebenso kostenintensiv. Das Problem der unvollständigen Information kann nicht gelöst werden. Allein Börsen sind imstande, Information hinreichend perfekt zur Verfügung zu stellen. Es werden allerdings nur die wenigsten Güter und Dienstleistungen auf Börsen gehandelt. Außerdem können Börsen allein wegen der institutionellen Zugangsbeschränkung funktionieren. 12 Die zweite Funktionseinschränkung, die Unsicherheit in der Zeit, ist mindestens ebenso problematisch. Da ökonomische Transaktionen einen Zeitraum - etwa zwischen der Entscheidung zur Produktion und der Distribution der produzierten Güter - beanspruchen und zugleich von vielen ökonomischen Transaktionen eine erhebliche Bindungswirkung ausgeht (Investitionsentscheidung), produzieren sie selbst Unsicherheit. Die meist nicht perfekt integrierten Märkte der Realität lassen sich auf eine Mischung aus politischen und ökonomischen Marktimperfektheiten zurückführen. Dies läßt sich in der Weltwirtschaft am Beispiel der Exi-
11 Vgl. Pau1 R. Krugman: Exchange-Rate Instability, Cambridge 1989. 12 Leon Wal ras behandelt eine Börse als Musterbeispiel eines perfekten Marktes. Damit hat er die Preisbildungs- und Markträumungsfunktion im Auge. Rudolf Richter verweist dagegen aus institutioneller Sicht ebenfalls auf die Zugangsbeschränkung. Vgl. Leon Wal ras: Elements of Pure Economics or the Theory of Social Wealth, London 1926, S. 83f.; Rudolf Richter: Institutionen ökonomisch analysiert, Tübingen 1994, S. 26.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
stenz verschiedener Währungen leicht zeigen, zumal sich deren Wechselkurse keineswegs lehrbuchhaft zueinander verhalten. Verschiedene Währungen dürfen als Zeichen eines imperfekten Marktes gewertet werden, da sie den Wirtschaftssubjekten keine einheitlichen und keine vollständigen Informationen zur Verfügung stellen. 13 Ursächlich für diese unvollkommene und unvollständige Information ist zunächst die simple Tatsache, daß verschiedene Währungen nebeneinander existieren. Dies kann als politische Desintegration verstanden werden. Die größeren Störungen der Informationssicherheit treten aber auf, weil die Währungen einer variablen Bewertung durch die Wirtschaftssubjekte unterliegen. Wenn Märkte den Wirtschaftssubjekten keine perfekten und homogenen Informationen zur Verfügung stellen, reagieren die Marktteilnehmer durch die Schaffung unsicherheitsreduzierender Institutionen. Es kann also nicht überraschen, daß Institutionen in der Weltwirtschaft nicht nur existent sind, die Weltwirtschaft ist vielmehr hochgradig institutionalisiert. 14 Mehr noch: Internationale Wirtschaftsbeziehungen und weltwirtschaftliche Transaktionen sind ohne Institutionen kaum möglich. Auch hier gilt: Institutionen werden durch Handlungen konstituiert und ermöglichen Handlungen. 15
3. Regime und Märkte: Eine Antwort auf Lester Thurow
Die Marktstruktur kann unzweifelhaft durch die Normen der Regime beeinflußt werden. Das Weltwährungsregime versucht die Problematik, daß es kein einheitliches Weltgeld gibt, in den Griff zu bekommen. Das Handelsregime GATT versucht, einen Weltmarkt zu schaffen, indem die
13
Vgl. Paul R. Krugman: Exchange-Rate Instability, Cambridge 1989, S. 13.
Vgl. Kenneth N. Waltz: Theory of International Politics, Reading 1979, S. 114; Robert O. Keohane: InternationalInstitutions, International Studies Quarterly 32, 1988, S. I; Harvey Molotch: Sociology and Economy, in: Herbert Gans: Sociology in America, New York 1990. 14
15 Die gleiche Perspektive aus soziologischer, ökonomischer und politologischer Sicht finden sich bei Anthony Giddens: The Constitution of Society, Cambridge 1984, S. 28ff.; Wesley C. MitcheII: The Role of Money in Economic History, in: Lane Boersma (Hrsg.): Enterprise and Secular Change, London 1953; Walter Carlsnaes: The Agency-Structure Problem in Foreign Policy Analysis, International Studies Quarterly 36, 1992.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
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Zollmauern zwischen nationalen Märkten (nicht zwischen Staaten!) abgebaut werden und nicht-tarifäre Regulation untersagt wird. Es ist ebenso unmöglich, die Veränderung der Bedeutung von Währungen durch einen Wandel des Regimes zu erklären, wie es nicht vollständig gelingt, HandeIsströme und Kapitalströme und vor allem Veränderungen daran durch zu- oder abnehmende Zollschranken zu erklären. Das Rätsel des trotz aller Deregulierung nicht perfekt existierenden integrierten Weltkapitalmarktes beantwortet sich einfach: Er existiert nicht, weil die Wirtschaftssubjekte über keine gleichmäßigen Informationen bezüglich ihrer nationalen und den internationalen Optionen verfügen. Sie haben insofern keine vollständige Perzeption der weltwirtschaftlichen Anreize und bewerten grenzüberschreitende ökonomischen Transaktionen (hier: Kapitalanlagen) als riskanter. Zwar gibt es gegenwärtig keine Regulation mehr, die eine globale Streuung des Portfolios oder die Mitnahme von Arbitrage-Gewinnen zwischen den verschiedenen internationalen Finanzmärkten verhindert. Dennoch werden Transaktionen nur relativ selten im Hinblick auf einen Weltfinanzmarkt kalkuliert, weil Informationen im Bereich der internationalen Kapitalanlagen viel schwieriger zu sammeln sind und mit einem größeren Unsicherheitsfaktor belegt werden, als in den konkurrierenden nationalen Kapitalanlagen. 16 Ökonomisch ausgedrückt: Eine nationale Kapitalanlage verursacht weitaus niedrigere Transaktionskosten. Dies verändert sich nur dadurch, daß zusätzliche Handlungsmöglichkeiten wahrgenommen werden. Erst wenn plötzlich neue Informationen auftauchen und umfassend diskutiert werden, sind die Wirtschafts subjekte bereit, eine Änderung ihres Verhaltens in Erwägung zu ziehen. 17
16 Die fehlende Weltmarktperzeption kann extreme Ausmaße annehmen. So hat die Weltbank Ende 1993 erstmalig eine D-Mark-Anleihe aufgelegt, die etwas höher verzinst war als eine vergleichbare Bundesbankanleihe. Eingedenk der Tatsache, daß die Weltbank- Anleihen von den Mitgliedsländern garantiert werden und die Weltbank dementsprechend mit einem Rating von 'AAA' belegt wird, weil sie so sicher ist wie der Beste ihrer Gläubiger, sollte eine gute Absatzchance in Deutschland erwartet werden. Die Emmissionsbank erwartet hingegen ein schleppendes Geschäft. Vgl. Tagesspiegel vom 10.09.1993. 17 In Deutschland war dies der Fall, als die Kapitalertragssteuer eingeführt wurde. Gleichzeitig kann mit diesem Beispiel gezeigt werden, daß die Wirtschaftssubjekte nicht autonom ihre beste Option kalkulieren, sondern der Sprache des Marktes oder einer Mode vertrauten und ihr Kapital überwiegend in Luxemburger D-Mark Anlagen
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Teil 3: Theoretische Aspekte
Auf der Grundlage dieser These wird deutlich, warum die imperfekte Integration der Weltfinanzmärkte für Lester Thurow überhaupt zu einem Puzzle werden konnte: Für ihn (aber nicht nur für ihn) sind die ökonomischen Transaktionen der Wirtschaftssubjekte abhängige Variablen der politischen Regulation in einem Feld. Freie Märkte sind perfekt und im Ergebnis perfekt integrierte Märkte. Für diese Art von Liberalismus schränkt jede Regulation die Perfektion der Märkte ein und kann nur in wenigen Fällen begründet werden. 18 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß je geringer die Informationen über ausländische Finanzmärkte ist, desto größer ist auch das antizipierte Risiko. Zugleich ist die Information über 'fremde' Finanzmärkte geringer, weil es aufwendiger ist, Informationen über sie zu sammeln. Ein weiteres Risiko internationaler Portfolios besteht im Wechselkursrisiko, gegen das man sich nur mit zusätzlichen Kosten absichern kann (durch DevisenOptionen). Mit zunehmendem Risiko sinkt der Grad der Integration von Finanzmärkten.
11. Regimewandel und Strukturierungstheorie
Ökonomische Prozesse, die einen Wirkungswandel internationaler Institutionen bedingen, und politische Steuerungsversuche, die ökonomische Anpassungen nach sich ziehen, laufen in der Weltwirtschaft simultan ab. Während die Staaten politisch und gegebenenfalls regulativ auf ökonomische Prozesse reagieren, verändern die Wirtschaftssubjekte ihr Verhalten weiter. Es scheint müßig zu diskutieren, ob die Beobachtung von Edward Kane, daß sich die ökonomische Anpassung der Wirtschaftssubjekte an veränderte politische Bedingungen schneller vollzieht als die politische Reaktion auf ökonomischen Wandel, grundsätzlich zutrifft oder ob es eine spezielle Bedingung der Dienstleistungsbranche ist. Zumindest das grundsätzliche Phänomen trifft für viele weitere Problemfelder zu: "The regulatory dialectic depicts (... ) regulation as an endless game of strategy in which two teams of players (... ) make alternative moves. Changes in the ecoinvestierten. In der Zwischenzeit ist aber bekannt, daß die Transaktionskosten der Kapitalflucht vielfach die Zinsunterschiede übertrafen. 18 Vgl. dazu Milton Friedman: Capitalism and Freedom, Chicago 1962.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
141
nomic environment, and in the competitive system of regulation alter the potential moves available to both teams at each turn. The freedom and speed with which different players formulate and execute their moves constitute their adapti ve efficiency." 19
Ökonomischer Wandel wird durch nicht intendierte Konsequenzen ökonomischer Handlungen, durch Anpassungen der Kalkulationsgrundlage an Informationen und durch die Entwicklung und Einführung neuer Waren und Produktionstechnologien hervorgerufen. Zusätzlich kann von Staaten implementierte Regulation ebenso als Ursache ökonomischen Wandels angesehen werden wie ein Krieg, ein Börsencrash und die (bislang hypothetisch bleibende) Erfindung des Kernfusionsreaktors. Daß derartigen ökonomischen Entwicklungen Regimekonsequenzen beigemessen werden müssen, wird an der anzunehmenden Auswirkung des Kernfusionsreaktors etwa auf die OPEC deutlich, deren Bestand unter derartig rigiden UmweItveränderungen bedroht scheint. Solche ökonomischen Prozesse beginnen auf der Entscheidungsebene eines einzelnen oder einzelner Wirtschaftssubjekte und werden durch Marktbeobachtung der Konkurrenten, durch Kopieren erfolgreicher Geschäftsstrategien zu einem Trend verdichtet.
1. Modalitäten von Regimewandel
In einem Paarkreuz von polit-ökonomischem Wandel und Kontinuität lassen sich vier idealtypische Zustände, politische Steurung, Kodifikation, Wirkungs wandel spezifischer Institutionen und statischer Zustand identifizieren, die in dem folgenden Schaubild jeweils einem Quadranten zugeordnet werden:
19 Edward J. Kane: Competitive Financial Reregulation in International Perspective, in: Richard Portes! Alexander Svoboda (Hrsg.): Threats to International Financial Stability, Cambridge 1987, S. 115.
142
Teil 3: Theoretische Aspekte
ökonomische Transaktionen Wandel Kontinuität politische Regulation
Wandel
Kontinuität
I
politische Steuerung
III Wirkungs wandel spezifischer Institutionen
II
IV
Kodifikationen 20 statischer Zustand
Abb. 6: Die Politische Ökonomie von Kontinuität und Wandel Das erste Feld, hier als politische Steuerung bezeichnet, kennzeichnet einen Prozeß, in dem entweder politischer Wandel stattfindet und die Wirtschaftssubjekte ihre ökonomischen Transaktionen sofort anpassen, oder einen Prozeß, in dem sich die ökonomischen Transaktionen ändern und die Staaten ihre Regulation sofort anpassen oder ein Prozeß, in dem politischer und ökonomischer Wandel stattfindet, doch keine Anpassung an den anderen Prozeß stattfindet. Das zweite Feld, 'Kodifikationen', kennzeichnet einen Prozeß, in dem zwar politische Regulation stattfindet, doch lediglich der 'Status Quo' verregelt wird. Dieser Fall ist häufig im Bereich des Umweltschutzes anzutreffen, wenn politische Umweltstandards unterhalb des bereits verwirklichten und umgesetzten technischen Standards angesiedelt werden. Das dritte Feld tritt zumindest zeitweise in allen Strukturierungsprozessen auf. Die ökonomischen Transaktionen ändern die Wirkung der Regime und die Politik reagiert - aus welchen Gründen auch immer - nicht. In diesem Fall verändert sich die Funktion der Institutionen. Der vierte Fall ist entgegen den Annahmen der orthodoxen Internationalen Politischen Ökonomie sehr selten. In Marktwirtschaften haben ökonomische Transaktionen eine eigenständige Dynamik.
20 Kodifikation bezeichnet die Umwandlung eines gegebenen und stabilen Zustandes in positives Recht. Sie sind in der Politik nicht ganz ungewöhnlich, als Beispiel mag der Deutsch-Polnische Grenzvertrag dienen, der die bestehende Oder-NeißeGrenze festschrieb. In der Politischen Ökonomie lassen sich Beispiele für Kodifikationen häufig finden: Etwa die Festsetzung auf Grenzwerte, die von der Industrie schon lange eingehal~en werden oder im Bereich fester Wechselkurse, wenn der offizielle Wechselkurs, zu dem niemand Geld anbietet, dem Schwarzmarktkurs angeglichen wird.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
143
In den beiden nördlichen Quadranten werden die Institutionen verändert. In den beiden westlichen Quadranten ändert sich die Funktion der Institutionen. Für diese Untersuchung sind diese Felder I und III von besonderer Bedeutung. Sie stellen in idealtypischer Weise zwei Modi weltwirtschaftlichen Wandels dar. Der erste Typus entspricht der Dynamik der orthodoxen Ansätze der Politischen Ökonomie: Die Politik verändert sich, etwa durch Regulation, und die Ökonomie reagiert darauf durch eine Anpassungsleistung. Im Modus gemäß Feld III können sich hingegen die ökonomischen Transaktionen verändern. Die Wirtschaftssubjekte verändern ihre ökonomischen Transaktionen, und beeinflussen dadurch die Struktur der Weltwirtschaft, ohne daß zwangsläufig eine politische Reaktion der Politik erfolgt. Von besonderem analytischen Interesse sind die Situationen, in denen es zu Disparitäten zwischen der Dynamik von staatlicher Regulation und dem Markt kommt. Entweder die Staaten reagieren nicht, sehr verspätet oder falsch auf ökonomische Strukturierungsprozesse. Ein Prozeß, der durch Wandel der ökonomischen und gleichzeitigen Anpassungen der politischen Ebene gekennzeichnet wird, erscheint zwar vordergründig als optimal, doch diese Einschätzung verkennt den ambivalenten Charakter von Normen und normativer Stabilität. 21 Oftmals führen Handlungen zu unintendierten Konsequenzen, die das ursprüngliche Problem vergleichsweise klein erscheinen lassen. So ist vor allem die Weltwirtschaftskrise 1929 durch politische Fehler, mit denen kleinere Übel beseitigt werden sollten, erschwert worden.
2. Ein Modell der strukturellen Wirkung internationaler Politik
Wie das nächste Schaubild verdeutlicht, wird internationale Politik von Staaten gemacht und hat direkte Auswirkungen auf die spezifischen Konventionen und die nationalen Entscheidungsprozesse sowie indirekte Auswirkungen auf die ökonomischen Transaktionen der Wirtschaftssubjekte.
21 Vgl. Susan Strange: Cave! Hic Dragones: A Critique of Regime Analysis, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983, S. 353f.
Teil 3: Theoretische Aspekte
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spezifische Institutionen q
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Konventionen
iJ
q
internationald Politik
q
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nationale Entscheidun~rozesse
q
Wirtschaftssub'ekte
iJ
Staaten
,(J
ökonomische Transaktionen
Kontrolle: Einfluß: Abb. 7: Die strukturelle Wirkung internationaler Politik Internationale Politik übt einen dreifachen Einfluß auf ökonomische Transaktionen aus. Erstens können die Staaten die spezifischen Institutionen der Weltwirtschaft (die ökonomischen internationalen Regime) verändern. Dadurch werden die Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte direkt, also auch ohne Umweg über nationale Regulation beeinflußt. Die Entscheidung, das Festkurssystem von Bretton Woods aufzugeben, hat die Nachfrage nach Finanzderivaten, etwa nach Währungsfutures, deutlich erhöht. Zweitens können sich die weltwirtschaftlichen Konventionen der Regimeänderung anpassen. Das vielleicht beste Beispiel in dieser Hinsicht ist die Aufgabe fester Wechselkurse. Und drittens beeinflußt internationale Politik nationale Politik, die wiederum die ökonomischen Transaktionen der Wirtschaftssubjekte beeinflußt. Damit können drei Modi politischen Wandels unterschieden werden. UniLateraLe Maßnahmen können Konsequenzen für internationale Regime nach sich ziehen. Deutlich wurde dieser Fall durch die einseitige Aufhebung der Goldeinlöseverpflichtung durch die USA, die letztlich zum Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems führte. Aggregierte Prozesse basieren auf dezentralen Entscheidungen einzelner Akteure, die nur in ihrem gleichgerichteten Zusammenwirken zu konkreten systemweiten Veränderungen führen. Der Terminus 'aggregiert' bezieht sich auf die Un-
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D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
geplantheit von Wandel; er entsteht quasi als' Massenphänomen ' und bildet die Summe aus dezentral getroffenen Entscheidungen. Die Veränderung des dominierenden Musters von Wirtschaftspolitik hin zu einem liberalen Monetarismus ist ein Beispiel dafür. Die Wirkung internationaler Regime auf die Wirtschaftssubjekte wird davon direkt beeinflußt. Nationale Regulation, die von verschiedenen Staaten implementiert wird, kann sich ebenfalls zu einem aggregierten Trend verdichten. Kooperative Prozesse haben dagegen ihren Ausgangspunkt in zentral vereinbarten gemeinsamen Handlungen. Kooperative Regimebildung oder -veränderung fallen unter diese Kategorie. Kooperative Entscheidungen werden willentlich hervorgerufen. Wenn unterschiedliche Partizipienten im Entscheidungsprozeß unterschiedliche Ziele verwirklichen wollen, abweichende Vorstellungen über die Zusammenhänge haben, oder einige Akteure nicht handeln wollen, werden kollektive Entscheidungen zu einem Verhandlungsproblem.
3. Ein Modell der strukturellen Wirkung ökonomischer Prozesse Von Änderungen ökonomischer Transaktionen gehen ebenfalls vielfältige strukturelle Wirkungen aus: ~ ~
spezifische Institutionen iI Konventionen nationale Entscheidungsprozesse
Staaten Kontrolle: Einfluß:
Wirtschaftssubjekte
Abb. 8: Die strukturelle Wirkung ökonomischer Prozesse
\0 Plümper
146
Teil 3: Theoretische Aspekte
Ökonomische Wandlungsprozesse können eine indirekte Wirkungsveränderung der spezifischen Institutionen zur Folge haben, da nationale und internationale politische Entscheidungen beeinflußt werden. Häufiger basiert ökonomischer Wandel dagegen auf einer Vielzahl von kleinen und nur von einzelnen Wirtschaftssubjekten vorgenommenen Veränderungen der ökonomischen Transaktionen, welche die Wirkung der internationalen Institutionen betreffen.
III. Politische Konsequenzen ökonomischer Prozesse
Die Dynamik der Weltwirtschaft, die unter dem Stichwort der zunehmenden Interdependenz diskutiert wird, wirkt sich auf die politischen Optionen der Staaten aus. Die Zeiten, in denen der Keynesianismus als einzig richtige Wirtschaftspolitik galt, sind lange vorbei. Die Legitimität von Wirtschaftspolitik hängt von der sozio-ökonomischen Performance der Gesellschaften ab. Erreicht ein Staat ein hohes Wirtschaftswachstum und annähernd Vollbeschäftigung, wird die Wirtschaftspolitik allgemein als 'richtig' betrachtet. Dies bedeutet umgekehrt, daß 'richtige' Wirtschaftspolitik 'falsch' werden kann, wenn sich die Erfolge plötzlich nicht mehr einstellen. 22 Das Ende der innenpolitischen Durchsetzbarkeit keynesianischer Wirtschaftspolitik war mit Einführung der vollständigen Konvertibilität der wichtigsten Währungen und der Aufhebung von Kapitalverkehrskontrollen, spätestens aber mit der Freigabe der Wechselkurse beendet. Dennoch war Keynesianismus .zumindest noch für 'linke' Regierungen bis Anfang der achtziger Jahre denkbar. Erst als das 'Mitterand-Experiment' an der unmittelbar einsetzenden Kapitalflucht scheiterte, war der Lernprozeß abgeschlossen. Dabei hatte Richard Cooper bereits 1972 behauptet, daß Interdependenz die Effektivität nationaler Politik untergräbt und deshalb die nationale Autonomie und Durchsetzbarkeit von politischen Zielen bedrohe. 23 22 Thornas Plürnper: Wirtschaftspolitik als internationaler Koordinierungsprozeß, INITIAL 1/1994, S. 25. 23 Richard N. Cooper: Econornic Interdependence and Foreign Policy in the Seventies, World Politics 24, 1972, S. 164; vgl. auch K. J. Holsti: A New International Politics? Diplornacy in Cornplex Interdependence, International Organization 32, 1978.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
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Die beiden letzten Jahrzehnte haben eine Reihe bedeutender weltwirtschaftlicher Veränderungen hervorgebracht. Die Aufmerksamkeit der 'zuständigen' wissenschaftlichen Disziplinen haben vor allem die enormen Wechselkursschwankungen, insbesondere des US-Dollars, die zunehmende Bedeutung von Finanzmarkttransaktionen, die Verschuldungskrise der Dritten Welt, der Anstieg der Direktinvestitionen und die Bedeutungszunahme von Dienstleistungstransaktionen gefunden. Unbestritten ist, daß diese Entwicklungen sowohl ökonomische als auch politische Implikationen haben; umstritten ist dagegen, ob diese Prozesse auf ökonomischen oder politischen Ursachen basieren. Die zunehmende Interdependenz zwischen den nicht länger national denkbaren Ökonomien hat in den siebziger und achtziger Jahren zu einer hohen Parallelität der konjunkturellen Entwicklung geführt. 24 Dadurch wurde die wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit der Nationalstaaten eingeschränkt und dies hat der alten Laissez-Faire-Doktrin zu neuem Ansehen verholfen. Weil alle oder doch zumindest nahezu alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen, durch die die Handlungsoptionen der Wirtschaftssubjekte eingeschränkt werden, wegen der globalen Standortkonkurrenz als 'falsch' gelten, wurden die achtziger Jahre von Begriffen wie Deregulierung und Liberalisierung bestimmt. Das Motto war: Was alle machen, kann nicht falsch sein. Die Staaten haben in dieser Situation zu einer wirtschaftspolitischen 'Wait-and-See' Attitüde gegriffen. Sie mußten aber schnell erkennen, daß keine Eingriffe in Wirtschaftsprozesse ebenso falsch sein können wie Eingriffe. Vor allem die weiter unten eingehender diskutierte Geschichte des Wechselkursmanagements im institutionellen Rahmen der Weltwirtschaftsgipfel verdeutlicht, daß eine liberale Politik, in diesem Fall eine liberale Währungspolitik, zu Entwicklungen führen kann, die von den Staaten kurzfristig als falsch beurteilt werden. Selbst so dogmatische Politiker wie Ronald Reagan gaben in solchen Fällen ihre liberale Einstellung auf. Doch die wenigen Beispiele einer aktiven Wirtschaftspolitik in den achtziger Jahren vermögen den generellen Eindruck, daß eine aktive Politik nur in den wenigsten Fällen implementiert wurde, nicht verdecken. Man sollte 24 Vgl. Klaus Voy/ Wemer Polster: Konjunkturen, Akkumulation und Geldwert: Gesamtwirtschaftliche Entwicklungslinien in der Bundesrepublik, in: dieselben/ Klaus Thomasberger (Hrsg.): Marktwirtschaft und politische Regulierung, Marburg 1991.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
dementsprechend davon ausgehen, daß die Staaten nicht kontinuierlich auf ökonomische Entwicklungen reagieren. Statt dessen warten sie zunächst lange ab, Entwicklungen teilweise beobachtend und teilweise auch ignorierend. Tatsächlich stehen die Veränderungen der nationalen Wirtschaftspolitiken und die weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen in einem engen Zusammenhang zueinander. Die wachsende Interdependenz zwischen den in den Weltmarkt integrierten Volkswirtschaften hat nicht nur sehr parallel verlaufende Konjunkturzyklen hervorgerufen, sondern auch eine ökonomische Konkurrenz, die nicht länger ausschließlich um Weltmarktanteile geführt wird. Vielmehr konkurrieren Staaten heute in einem Ausmaße wie nie zuvor um ihre Existenz als Produktionsstandort für spezifische, als wichtig erachtete Industrien. 25 Diese Konkurrenz kann nicht allein mit den klassischen Instrumenten der Handels- und Subventionspolitik entschieden werden. Statt dessen rücken Fragen der Marktordnung immer stärker in den Mittelpunkt. Damit verbindet sich ein Deregulationswettlauf zwischen nationalen Standorten, der von der Wissenschaft zuerst im Bereich der Finanzmärkte beschrieben wurde. 26 Diese 'Competitive Deregulation' ist aber längst auf Bereiche wie Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen ausgeweitet worden. Umgekehrt zeigt sich, daß der zunehmende Wettbewerb zwischen den Staaten die negativen Begleiterscheinungen der Interdependenz nicht abfedert, sondern eher verstärkt. Die Geschwindigkeit des Strukturwandels innerhalb 25 Bei der Auswahl der essentiellen, förderungswürdigen Industrien gibt es zwischen den verschiedenen Staaten große Unterschiede. Während Japan und andere ostasiatische Staaten gezielt Fördermittel in Zukunftsindustrien pumpen, subventionieren westeuropäische und nordamerikanische Regierungen überwiegend nicht konkurrenzfähige Industriezweige. Als Erklärung für die Unterschiede der Strukturpolitik können unterschiedliche kulturelle Ausprägungen angeführt werden, aber auch die interne Einfluß- und Interessenskonstellation. Vgl. dazu Mancur Olson: The Rise and Decline of Nations, New Haven 1982. Vgl. auch John StopfordJ Susan Strange: Rival States, Rival Firrns: Competition for World Market Shares, Cambridge 1991. 26 Vgl. Edward J. Kane: Accelerating Inflation, Technological Innovation, and the Decreasing Effectiveness of Banking Regulation, Journal of Finance 36, 1981; derselbe: Competitive Financial Reregulation, in: Richard Portes/ Alexander Swoboda (Hrsg.): Threats to International Financial Stability, Cambridge 1987; Ian H. Giddy: Domestic Regulation versus International Competition in Banking, Kredit und Kapital 8,1984.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
149
der Staaten, der durch Technologietransfer und die Veränderung der Konkurrenzfähigkeit einzelner Standorte hervorgerufen wird, hat heute eine zuvor für unmöglich gehaltene Geschwindigkeit erreicht. 27
J. Die Internationale Politische Ökonomie institutionellen Wandels
Vertreter des Funktionalismus haben die These aufgestellt, daß die zunehmende Interdependenz zu einer vermehrten Nachfrage nach internationalen Regimen führt und dadurch die numerische Zunahme internationaler Institutionen erklärt. Ebenso unbestritten sollte es sein, daß ökonomischen Prozessen Auswirkungen auf internationale Regime beigemessen werden müssen. Die Tertiarisierung der nationalen Ökonomien, die unter dem Stichwort der Dienstleistungsgesellschaft diskutiert wird, hat nicht nur die Nachfrage nach einem Dienstleistungsabkommen erhöht, sondern auch die Bedeutung des GATI für die Weltwirtschaft reduziert, weil der Anteil der von der Welthandelsorganisation abgedeckten Transaktionen gesunken ist. Die Vermutung, daß ökonomische Prozesse und Regimewandel in einem engen Zusammenhang zueinander stehen, liegt nahe. Robert Keohane und Joseph Nye haben in Power and Interdependence ein Modell des Regimewandels diskutiert, das auf ökonomischen Prozessen beruht. 28 Ausgangspunkt dieses Modells sind die technologischen und ökonomischen Veränderungen des zwanzigstens Jahrhunderts, die internationale Regime von Zeit zu Zeit obsolet machen. Keohane und Nye nehmen an, daß Regime nicht in der Lage sind, mit der Dynamik Schritt zu halten, die von der zunehmenden Zahl von Transaktionen oder neuen Organisationsformen, etwa Transnationalen Unternehmen, ausgeht. Zusätzlich folgt aus diesem ökonomischen Prozeßmodell, daß die Staaten mehr Gewicht auf die nationale Wohlfahrt legen und sich aus diesem Grund international wenig kooperativ verhalten. Es gibt allerdings - wie die bei27 Vgl. beispielsweise Sir Austin Robinsons Economist-Artikel: "We are only at the beginning of seeing the difficulties of running the multinational world in wh ich the transfer of technology is unbelievable rapid, in which comparative advantage in shifts in a few years from the Clyde to the Dutch, the Sweds, the Japanese and the Taiwanese ... ", (Economist vom 20.12.1986). 28 Robert O. Keohanel Joseph S. Nye: Power and Interdependence, 2. Aufl. Boston 1989, S. 39ff.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
den derzeit wohl einflußreichsten amerikanischen Theoretiker der internationalen Politik richtig behaupten - kaum Anhaltspunkte, daß dieses ModelI und seine Voraussagen die Realität hinreichend exakt widerspiegeln. Keohane und Nye haben das ökonomische ProzeßmodelI aus diesem Grund verworfen. Da aber derzeit keine überzeugende und positive Theorie von Regimewandel existiert, war die Ablehnung des Modells voreilig. Um ökonomische Prozesse angemessener zu konzeptionalisieren und in die Theorie zu integrieren kann zwischen institutionelIem Wandel der Regimenormen und -verfahren, der überwiegend politisch implementiert wird, und einem Wirkungswandel der Regime unterschieden werden. Letzterer findet weitaus häufiger und regelmäßiger statt und ist komplexer. Wirkungswandel von Regimen findet statt, wenn Akteure in einem institutionalisierten Umfeld ihr Verhalten ändern. Nach der Erweiterung der Akteure um Wirtschaftssubjekte können auch nichtstaatliche Akteure einen Wirkungswandel der Regime hervorrufen, wenn sie ihre ökonomischen Transaktionen ändern. Ein solcher Wirkungswandel muß die Regime nicht zwangsläufig in ihrer Existenz bedrohen. Die Geschichte des GATI von 1950 bis Anfang der achtziger Jahre kann durchaus als Erfolg angesehen werden. Die Wirtschaftssubjekte haben ihre internationalen Transaktionen stärker ausgeweitet als ihre nationale Produktion. Der Wirkungswandel des GA TI muß als Bedeutungszunahme begriffen werden. In den achtziger Jahren sind aber internationale Direktinvestitionen zunehmend wichtiger geworden. Deshalb machen ökonomische Prozesse Regime nicht in jedem FalI obsolet, sie haben aber direkte Auswirkungen auf die Wirkung von Regimen.
2. Marktprozesse und die Wirkung internationaler Regime Die strukturelle Dynamik einer imperfekt integrierten Weltwirtschaft kann eine politische Anpassung der internationalen Regime erzwingen oder die spezifischen Institutionen und Weltwirtschaftsorganisationen einem Wirkungswandel unterwerfen, an dessen Ende die Funktionslosigkeit der Institutionen steht. Das verbindende Glied zwischen der Struktur dezentraler Konventionen und der von den Staaten geschaffenen institutionellen Ordnung der Weltwirtschaft ist die Weltmarktperzeption der Wirtschaftssubjekte. Ihre Dynamik erhält sie durch die Unsicherheitsfaktoren,
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
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mit der internationale Wirtschaftstätigkeit belegt wird, und durch Lernprozesse. Verändert sich die Struktur ökonomischer Transaktionen, können die Regime ihre eigentliche Aufgabe der Steuerung ökonomischer Prozesse verlieren und nur eine pervertierte Wirkung behalten. Allerdings sollte Kalkulationsunsicherheit nicht per se negativ beurteilt werden, weil sie zugleich Chance und Risiko für die Akteure darstellt und ihnen Anreize bietet. Ökonomische Prozesse resultieren aus ökonomischen Anreizen, die in Marktwirtschaften in einem Wettbewerb der Wirtschaftssubjekte kulminieren. Nimmt man an, daß Wirtschaftssubjekte vollständig informiert sind und rationale Handlungen ausführen, gibt es für ökonomische Prozesse keinen Anreiz. Nur weil ökonomische Transaktionen nicht perfekt sind, können sie verbessert werden. 29 Lernprozesse basieren auf Anreizen; erst diese Anreize schaffen Wettbewerb und liefern die Begründung für eine Marktwirtschaft. Unsicherheit, Lernprozesse und die institutionelle Struktur von Wirtschaftstätigkeit sind von Douglass North in einen Zusammenhang gebracht worden: "Discovering markets, evaluating markets and techniques, and managing employees do not occur in a vacuum. They entail the development of tacit knowledge to unravel the complexities associated with problems of measurement and enforcement. The kinds of information and knowledge required by the entrepreneur are in good part a consequence of a particular institutional context. That context will not only shape the internal organization and determine the extend of vertical integration and governance structure, but also determine the pliable margins that offer the greatest promise in maximizing the organization's objectives." 30
Unsicherheit kann reduziert werden, indem die Kalkulationsgrundlage der Akteure in einem sozialen System stabilisiert wird. Sicherheit entsteht, mit anderen Worten, dadurch, daß die Akteure die Grundlagen der Verhaltenskalkulation der anderen Akteure zu kennen glauben. Da Unsicherheit durch Interaktionen hervorgerufen wird, versuchen die Akteure, ihre normativen Erwartungen zu koordinieren. Dies geschieht häufig durch spezifi29 Vgl. Armen A. Alchian: Uncertainty, Evolution and Economic Theory, Journal of Political Economy 58, 1950. 30 Douglass C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990, S. 77. Vgl. auch Richard Nelson! Sidney Winter: An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge 1982; Oliver Williamson: The Economic Institutions of Capitalism, New York 1985.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
sche Institutionen, in denen sich Akteure zu einem bestimmten Verhalten verpflichten. Die Reduzierung von Unsicherheit durch Institutionen ist eine maßgebliche Voraussetzung einer dynamischen Weltwirtschaft und sowohl Grundlage als auch Methode weltwirtschaftlichen Managements. Die Stabilisierung der Weltwirtschaft ist für die Staaten aus internen Gründen Voraussetzung für eine Integration in einen liberalen Weltmarkt. Da Handlungen nicht nur auf gesellschaftlichen Netzwerken, sondern auch auf Institutionen basieren, sind Regime, Nonnen, Abkommen und Organisationen der naheliegende Weg, bewußt und ziel gerichtet Verhaltenskalkulationen und letztlich auch Verhalten zu beeinflussen. Institutionen sind ein Mittel, um einen Prozeß der gewollten Strukturierung einzuleiten oder um einen ungewollten Prozeß der Strukturierung zu verhindern. Da spezifische Institutionen aber nur eine Ebene der Strukturelemente darstellen - und Erwartungen und Verhalten nicht vollständig detenninieren - ist die politische Steuerung imperfekt. Die Steuerbarkeit menschlichen Verhaltens basiert demnach auf zwei Koeffizienten: der Stabilität von Institutionen und der durch sie hervorgerufenen Prägung von Verhaltenserwartungen (Eindeutigkeit) und dem Anteil spezifischer Institutionen an der Struktur. Es scheint ausgeschlossen, daß beide Koeffizienten 100% erreichen. Für den Neo-Institutionalismus sind diese Überlegungen nicht belanglos. Evolutionäre Wirtschaftsprozesse werden nicht nur durch die bestehenden Institutionen beeinflußt, sie verhalten sich auch umgekehrt gegenüber den weltwirtschaftlichen Regimen nicht neutral. Der Versuch der Wirtschaftssubjekte, den Grad der Erreichung von Unternehmenszielen zu maximieren, kann die Fonn annehmen, Entscheidungen innerhalb eines gegebenen Systems von Hemmnissen zu verändern oder die Hemmnisse selbst zu verändern. 31 Die Nonnen internationaler Regime sind insofern auch Variablen für die Wirtschaftssubjekte. Diese können durch eine Veränderung ihrer Geschäftstätigkeit die Wirkung der weltwirtschaftlichen Institutionen beeinflussen. Es ist allerdings zu beachten, daß die Nonnen von Regimen für Wirtschaftssubjekte nicht direkt änderbar sind. Regimewandel durch Veränderungen ökonomischer Transaktionen ist immer Wirkungswandel.
31 Vgl. Douglass C. North, a.a.O., S. 79. Für eine umfassende Diskussion des ökonomischen Verhaltens innerhalb eines gegebenen institutionellen Systems vgl. auch Oliver Williamson, a.a.O ..
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
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3. Wirkungswandel der Regime und Regimewandel
Ökonomische Prozesse führen nicht nur zu einem Wirkungswandel der Regime, sie gehen ebenso zu Lasten der Steuerleistung der Politik, solange die politischen Institutionen den veränderten Rahmenbedingungen nicht angepaßt werden. Die Politik reagiert, wie in der Diskussion der kognitiven Grundlagen der Entscheidungstheorie dargelegt wurde, nicht kontinuierlich auf diesen Verlust. Tatsächlich gibt es drei Möglichkeiten, ökonomische Prozesse und Regime miteinander in Verbindung zu setzen. Zunächst führen ökonomische Prozesse zu einem Wirkungs wandel des Regimes. Die gleiche Regel, die gleiche Norm mag zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich angewandt werden und eine andere Bedeutung haben, doch ihr Bestand muß dadurch keineswegs gefährdet sein. Ökonomische Prozesse können aber auch zu einem weitgehenden Wirkungs wandel der Regime führen, so daß die Alternativen Aufgabe, vollständiger Wirkungsverlust und Regimeanpassung bestehen. Deshalb ist es notwendig, zwischen dem Wirkungswandel von Regimen und dem eigentlichen, politisch implementierten Wandel der Institution zu unterscheiden. Nur in letzterem Fall kann der Beobachter Wandel direkt an dem Regime erkennen, da sich die maßgeblichen Prinzipien, Normen, Regeln und Entscheidungsprozeduren ändern. Welche Entwicklung ein mit einem ökonomischen Prozeß konfrontiertes Regime nehmen wird, ist von einer Reihe von Faktoren abhängig, die erst auf der Grundlage der empirischen Untersuchungen des nächsten Teiles dieser Untersuchung diskutiert werden sollen. Die hilfreiche Unterscheidung zwischen statischen und dynamischen Regimen, die von Thomas Gehring in die Regimetheorie eingeführt worden ist,32 kann aber bereits an dieser Stelle diskutiert werden. Diese Unterscheidung wurzelt in der Regimedefinition, da Entscheidungsprozeduren als Bestandteil von Regimen gelten. Der Institutionalisierungsgrad von Entscheidungsgremien kann aber stark voneinander abweichen. Das GA TI etwa kennt die Welthandelsrunden, die in unterschiedlichen Intervallen tagen. Diese Runden ermöglichen den VER-
32 Thomas Gehring: Dynamic International Regimes, Frankfurt 1994; ders.: Dynamische internationale Regime, unveröffentliches Manuskript, Tagung der Sektion Internationale Politik der DVPW in Arnoldshain 22.-24.02.1993.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
das Regime dynamisch zu gestalten und auf ökonomische Prozesse zu reagieren. Zu erwarten ist deshalb, daß dynamische Regime eine größere Variabilität der zentralen Normen und deshalb einen längeren Bestand haben. 34 Solche Anpassungen treten routinemäßig auf, ohne die Identität der Regime zu verändern. Der eigentliche Grund der Unterscheidung liegt aber tiefer. Zu Recht stellt Thomas Gehring fest, daß es Regime gibt, die auf eine Stabilisierung des Akteurverhaltens abzielen, während andere Regime eine Entwicklungsrichtung verfolgen. Die Normen der Regime sollen sich verändern. Die Akteure verfolgen mit dem GATI nicht das Ziel, einen völlig liberalen Weltmarkt durchzusetzen, sondern sie wollen internationale Transaktionen sukzessive liberalisieren. Von den Regimen geht insofern bereits eine intendierte ökonomische Dynamik aus.
TRAGSPARTEIEN,33
Bei der Analyse dynamischer Regime läßt sich die in diesem Kapitel entwickelte Konzeption von Wandel nicht problemlos umsetzen. Hier ist zumindest eine Differenzierung zwischen einer prozessoralen oder (wie Johan Olsen schreibt) inkrementalen Regimedynamik und der transformativen Regimedynamik notwendig. Erstere wird von den staatlichen Akteuren im Regime angelegt und die insofern antizipierbar ist, während letztere eine Reaktion auf besondere Umstände darstellt und von den Akteuren deshalb als außergewöhnlich betrachtet wird und die nicht antizipiert werden kann. Wenn Regime sich transformieren, verändern sich die institutionelle Identität und das Repertoire an Routinen. Dies geschieht im Normalfall im Zusammenhang mit einer Krise. 35 Unter dem Begriff der Transformation versteht Young "signifikante Veränderungen" der Normen und Regeln sowie der Natur der Regimebefolgung. Der Begriff der Signifikanz ist jedoch nicht hinreichend exakt und scheint auch kaum geschärft werden zu können. Erst die Unterscheidung
33 Wenn der Begriff Vertragsparteien in Kapitälchen gesetzt wird, ist im GATI die Gesamtheit der Mitgliedsstaaten gemeint. 34 Thomas Gehring: Dynamische internationale Regime, unveröffentliches Manuskript, Tagung der Sektion Internationale Politik der DVPW in Arnoldshain 22.24.02.1993, S. 22f. 35 Vgl. Johan P. Olsen: Political Science and Organization Theory: Parallel Agendas but Mutual Disregard, in: Adrienne Windhoff-Heritierl Roland Czada (Hrsg.): Political Choice, Frankfurt 1991, S. 92.
D. Ökonomischer Wandel und institutionelle Dynamik
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zwischen Wandel und Transfonnation ennöglicht eine präzise Konzeption. Regimewandel bezeichnet die im Regime angelegten und von den Akteuren verarbeitbaren institutionellen Veränderungen. Regimetransfonnation bezeichnet dagegen Veränderungen, die externe, also außerhalb der Institution liegende Ursachen hat. Deutlicher: Regimewandel ist die von den Akteuren gewollte Veränderung eines Regimes in eine festgelegte Richtung, Regimetransfonnation ist die reaktive Veränderung eines Regimes, mit der die Akteure auf eine Entwicklung innerhalb des Problemfeldes reagieren. Auch James Rosenau hält eine solche Unterscheidung für wichtig, da der Grad der Stabilität eines "Systems" abhängig ist von der Geschwindigkeit der Veränderung der zentralen Parameter. 36 Stabilität erscheint dann nicht mehr als Unveränderlichkeit, sondern lediglich als handhabbare, antizipierte Veränderlichkeit.
4. Akteure, Verhaltenskonzeption und institutioneller Wandel
Im Rahmen einer Entscheidungstheorie muß der systemisch-strukturelle Anspruch an Theoriebildung in den Internationalen Beziehungen nicht aufgegeben werden. Dennoch ist es möglich, nicht-teleologischen Wandel konzeptionell zu integrieren und diesen in nicht detenninistischen Annahmen aufzulösen. Eine solche Analyse von Wandel 'at the margin' wird durch ein zweigeteiltes Akteurskonzept ennöglicht. Die Tatsache, daß mit den Wirtschaftssubjekten eine Gruppe von Akteuren besteht, die nicht Mitglieder, sondern Objekte des Regimes sind, führt dazu, daß abweichendes Verhalten nicht als Regulationsbruch identifiziert werden kann. Das eigentliche Regime ist zunächst faktisch nicht betroffen; betroffen ist aber sehr wohl seine Wirkung auf die ökonomischen Transaktionen der Wirtschaftssubjekte. Entsprechend finden Veränderungen der Regimewirkung, die von Wirtschaftssubjekten initiiert werden, auf der Funktionsebene statt. Schon Marx hatte im Anschluß an Hegel erkannt, daß 'Wandel at the margin' nicht zu unmittelbaren institutionellen Anpassungen führt. Marx behauptete deshalb, daß erst Widersprüche entstehen, bevor sich revolutionäre institutionelle Anpassungen durchsetzen lassen. 37 Auf einem Abstrak36 James N. Rosenau: Turbulence in World Politics, Princeton 1990, S. 82. 37 Kar! Marx: Kritik der politischen Ökonomie, Dietz, Berlin 1951, S. 13.
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Teil 3: Theoretische Aspekte
tionsniveau, das deutlich unter gesellschaftlichen Prozessen liegt, entspricht die Aufgabe der Maximizing-Annahme zugunsten des Konzeptes der Routinenbildung dem gleichen Zweck. Verhaltensänderungen der einen Akteursgruppe führen dann nicht zu - empirisch nicht beobachtbaren - unmittelbaren Anpassungsprozessen. Statt dessen führen Prozesse zu sporadisch erfolgenden, sich als dialektische Brüche und Regimetransformation zeigenden, Anpassungsprozessen der zweiten Akteursgruppe, hier der Staaten. Diese Veränderung der Akteurskonzeption und der Verhaltensannahmen ist kein Verstoß gegen die Methodik der Regimetheorie. Es stellt vielmehr eine Erweiterung dar, die durch den damit verbundenen Erklärungszuwachs gerechtfertigt ist.
Teil 4
Regimedynamik durch ökonomische Prozesse The construction and destruction of ( ... ) institutions economic and noneconomic - do not occur in a vacuum, but are the result of people's perceptions stemming from historically derived opportunities and values. Douglass C. North
A. Der Wirkungswandel internationaler Regime An dieser Stelle wird das zentrale Thema der an der Empirie orientierten Debatte zwischen der Regimetheorie und der Theorie hegemonialer Stabilität aufgenommen. Die politikwissenschaftliche Internationale Politische Ökonomie hat in der Theorie hegemonialer Stabilität globale Machtvariationen als Ursache weltwirtschaftlichen Wandels identifiziert. Die Regimetheorie hat später den deterministischen Zusammenhang zwischen der Existenz eines Hegemons und dem Kollaps der von diesem implementierten Regime bestritten, allerdings ohne eine konkurrierende Theorie institutionellen Wandels anbieten zu können. Anschließend werden im vorangehenden Teil getroffenen theoretischen Annahmen zur Analyse institutionellen Wandels in der internationalen politischen Ökonomie genutzt. Dabei wird anders als noch in den grundsätzlichen Überlegungen nicht primär eine Wirkungsveränderung der Regime als zu untersuchendes Phänomen betrachtet, sondern vielmehr der Aufstieg und Fall internationaler Regime als Reaktion auf ökonomische Prozesse. Nur so kann die thematische Identität mit der Theorie hegemonialer Stabilität hergestellt werden. Das heißt, daß anschließend ökono-
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Teil 4: Regimedynamik durch ökonomische Prozesse
misch bedingte Wirkungsveränderungen von weltwirtschaftlichen Institutionen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt berücksichtigt werden, wie sich dieser Wirkungswandel zu ihrem Fortbestand verhält. Darüber hinaus soll die These, daß eine kooperative Veränderungen von Regimen durch die Staaten mit der Wahrnehmung einer Krise einhergehen, empirisch belegt werden, und die abweichende Genese von verschiedenen Regimen durch die spezifische Funktion der internationalen Institutionen für Wirtschaftssubjekte erklärt werden. Es geht dabei allerdings nicht um eine Überprüfung der Theorie im Popperschen Sinne, sondern im wesentlichen darum, die Anreizstruktur politischer Entscheidungen im Hinblick auf kooperativ vereinbarte Regimetransformationen zu diskutieren. In diesem und dem folgenden Kapitel wird nach kognitiven Prozessen, nach Wahrnehmungen von weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen gefragt, die zu einer politischen Änderung der Regime führen (können), bevor dann in einem weiteren Kapitel der Aspekt der Interaktion zwischen Staaten und Wirtschafts subjekten bei der Implementierung und Interpretation von weltwirtschaftlicher Regulation diskutiert wird. Dabei stehen die Möglichkeiten der Wirtschaftssubjekte im Vordergrund, Regimebildungsprozesse zu beeinflussen. Der von der Theorie hegemonialer Stabilität beschriebene zwangsläufige Zusammenhang zwischen dem relativen Niedergang eines Hegemons und dem Kollaps der (weltwirtschaftlichen) internationalen Regime ist von der Regimetheorie mit dem Verweis auf den Fortbestand des GATT zurückgewiesen worden. Offensichtlich konnten internationale Abkommen und Regel werke auch in einem nicht-hegemonialen, merkantilistischen Konkurrenzsystem fortbestehen. Aber die Frage ist zu stellen, ob die Regimetheorie den Fortbestand des GATT durch die Eigenstabilisierung internationaler Institutionen wirklich überzeugend zu erklären vermag. Immerhin war auch das Bretton-Woods-System eine Institution. Die zentrale Annahmen der Regimetheorie, Regime seien selbststabilisierend, ist deshalb keineswegs plausibel. Denn wenn einige Regime nach dem Auftreten von Machtvariationen aufgegeben werden und andere fortbestehen, kann es nicht die reine Existenz der Regime sein, die Regime stabilisiert. In der Diskussion fehlt demzufolge eine zusätzliche Variable, die zur Erklärung der unterschiedlichen Genese verschiedener weltwirtschaftlicher Institutionen herangezogen werden kann. Diese Variable, so wird anschließend gezeigt, besteht in der Wirkung einer internationalen Institution
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für die Wirtschaftssubjekte. Ökonomische Strukturierungsprozesse führen zu einem Wirkungswandel weltwirtschaftlicher Institutionen, der - gleichgültig ob dieser Prozeß intendiert oder nicht-intendiert ist - oftmals mit ungewollten Begleiterscheinungen verbunden auftritt. Der Fortbestand eines Regimes allerdings ist auch davon abhängig, ob die Staaten sich selbst verpflichtet haben, gegen einen nicht-intendierten Wirkungswandel zu intervenieren oder ob sie diesen zulassen können.
I. Der Kollaps des Bretton-Woods-Systems Das Bretton-Woods-System wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffen, um mit Hilfe fester Wechselkurse zur Liberalisierung und Integration der Weltwirtschaft beizutragen. Das Festkurssystem basierte auf einem Gold-Dollar-Standard, d.h. die Paritäten der Währungen untereinander wurden rechnerisch durch ihre Relation zum Gold gebildet, die Einlöseverpflichtung in Gold bestand allerdings nur für den Dollar. Gerade diese Golddeckung hat wesentlich zur Mythenbildung über die häufig als Untergang oder Kollaps bezeichnete Aufgabe des Systems fester Wechselkurse beigetragen. Drei Daten charakterisieren diesen Niedergang des Bretton-Woods-Systems: Der 17. März 1968, an dem die USA ihre Einlöseverpflichtung gegenüber privaten Akteuren zum Kurs von 35$ pro Feinunze Gold auflösten, der 15. August 1971, an dem auch die Einlöseverpflichtung zur festgelegten Goldparität gegenüber Staaten einseitig aufgehoben wurde, und der 12. März 1973, an dem die Staaten zu frei floatenden Wechselkursen übergingen und das System fester Wechselkurse aufgegeben wurde. Der große Überhang an akkumulierten Dollarreserven in Überschußländem wie Deutschland und Japan hatte eine Einlösung gegen Gold, zu der sich die USA im Abkommen von Bretton Woods verpflichtet hatten, schon seit Anfang der sechziger Jahre unwahrscheinlich gemacht. Eine frühe Reaktion der USA auf die Deckungslücke war die Einführung des zweigleisigen Goldstandards am 17. März 1968. Gold wurde nur noch an staatliche Agenten und nicht mehr an 'Private' zum festgelegten Preis abgegeben. Folgerichtig verdreifachte sich der Goldpreis auf dem Londoner Markt bis 1973 und stieg über 100 Dollar pro Feinunze. Gleichzeitig versuchten die USA, andere Staaten zu einem 'freiwilligen' Verzicht auf die Umwandlung ihrer Dollarreserven in Gold und zu einer gleichzeitigen
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Teil 4: Regimedynamik durch ökonomische Prozesse
Abwertung des Dollars zu bewegen. l Doch diese lehnten, angeführt von Frankreich, dieses Ansinnen ab. 2 Die USA entgegneten mit einer Politik des 'benign neglect': Sie überließen anderen die Verteidigung des Festkurssystems, indem sie sich während der Währungskrisen von 1969 und 1971 passiv verhielten und ihre nationale Wirtschaftspolitik ohne Rücksicht auf die internationalen Konsequenzen verfolgten. Gleichzeitig beuteten sie ihren Status als Weltgeldproduzent aus, weil sie ihre Zahlungsbilanzdefizite in Dollar finanzierten. Damit verspielten sie die einzigartige Reputation ihrer Währung bei den Vermögensbesitzern. Der Dollar stand in dieser Zeit unter einer permanenten Abwertungserwartung. Deshalb verschlechterte sich die Zahlungsbilanz der USA wegen der sehr hohen Kapitalabflüsse zusehends. Die amerikanische Handelsbilanz wies 1971 zum erstenmal im zwanzigsten Jahrhundert ein Defizit auf. 3 Spätestens im Sommer 1971 wurde klar, daß die Inflationsrate des Dollars im Vergleich zu der anderer wichtiger Währungen ernsthaft 'out of line' und der Dollar überbewertet war. 4 Am 13. August des gleichen Jahres, einem Freitag, tauschte die Bank of England 750 Millionen Dollar bei der Federal Reserve Bank gegen Gold. Zwei Tage später schlossen die USA unter Verletzung des Bretton-Woods-Abkommens das Goldfenster. Bereits kurze Zeit nach der Aufgabe des Gold-Dollar Standards wurden intensive Verhandlungen über die Zukunft des Währungssystems und vor allem über das angestrebte künftige Wechselkursmanagement aufgenommen. Am 17. und 18. Dezember 1971 vereinbarten die Länder der GIO eine Neuorientierung des Festkurssystems. Diese kurzfristig erreichte Vereinbarung wurde durch den IWF und die OECD ermöglicht, deren Mitarbeiter die notwendige Vorarbeit geleistet hatten. Da festzustehen schien,
1 Die USA waren wegen der herausragenden Stellung des Dollars im BrettonWoods-System als einziges Land nicht in der Lage, die eigene Währung einseitig abzuwerten. Die USA konnten die anderen Staaten lediglich bitten oder zwingen, ihre Währungen kollektiv aufzuwerten.
2 Als einziges Land verzichtete Deutschland bereits 1967 auf das Goldeinlöserecht. 3 Vgl. Joan E. Spero: The Politics of International Economic Relations, New York
1985, S. 54.
4 Vgl. Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 139.
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daß die engen Margen des Bretton-Woods-Systems nicht länger zu verteidigen waren, vereinbarten die Staaten eine Ausweitung der Bandbreite auf 4,5%, also 2,25% über und unter der Dollarparität. Zuvor wurden die Kurse neu festgesetzt. Der Dollar wurde im Vergleich zu allen übrigen Währungen abgewertet; am geringsten gegenüber der italienischen Lira und der schwedischen Krone mit nur 7,5%, gegenüber dem Yen mit 16,9% am stärksten. Zusätzlich wurde der offizielle Preis einer Feinunze Gold von 35 auf 38 Dollar erhöht. Diese Entscheidung war nach der einseitigen Auflösung der Einlöseverpflichtung unbedeutend, da die USA Gold nur noch zu Marktpreisen verkauften. Nach der Verabschiedung dieses Smithsonian-Agreements gewann der Dollar seine Stellung als Interventionswährung zurück. Das genügte dennoch nicht, um das Gesamtsystem ausreichend zu stabilisieren. Die wachsende Attraktivität der D-Mark gegenüber dem US-Dollar, die aus dem Zinsvorsprung der deutschen Währung resultierte, untergrub das BrettonWoods-System vollständig. Auch spätere Neufestsetzungen der Währungsparitäten waren nicht erfolgreich, zumal das Zahlungsbilanzdefizit der USA nicht schnell genug beseitigt werden konnte, um den Dollar zu stabilisieren. Der Auszug des britischen Pfunds aus dem europäischen Währungsverbund war das Signal, das zum Ende des SmithsonianAgreements führte. Die Briten ließen das Pfund frei floaten. Dieser Schritt wurde von anderen Staaten beinahe unmittelbar nachvollzogen. Am Ende war das Smithsonian-Agreement gescheitert und ein System freier Wechselkurse installiert. Die Staaten hatten gelernt, so meint Ricardo Parboni, daß sich Marktkräfte nicht vollständig eliminieren lassen. 5
1. Erklärungen des Scheiterns des Bretton-Woods-Systems
Für fast alle wissenschaftlichen Phänomene gibt es eine Reihe von konkurrierenden Erklärungen. Dies trifft auf den Niedergang des BrettonWoods-Systems besonders zu, da dieser nicht nur einen weltwirtschaftlichen Wendepunkt markiert, sondern weil dieses Ereignis auch von besonderer Bedeutung für die Theoriebildung in der Internationalen Politischen Ökonomie war. 5 Vgl. Riccardo Parboni: The Dollar and Its Rivals, London 1981. 11 Plümper
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Teil 4: Regimedynamik durch ökonomische Prozesse
a) Theorie hegemonialer Stabilität Realisten suchen die Ursachen für das Scheitern des Bretton-WoodsSystems in der ständigen Spannung zwischen nationalen Wirtschaftszielen und der internationalen Machtkonstellation: ,,As long as the United States was willing and able to supply (... ) leadership, a liberal order triumphed over the forces of economic nationalism. When U.S. leadership faltered in response to the exigencies of the Vietnam War and the relative decline of U.S. Power technical economics could find no solution. The subsequent crisis of the international monetary system was less a problem of inadequate economic theory and more a political problem of inadequate economic and politicalleadership." 6
Vertreter der Theorie hegemonialer Stabilität geraten durch den frühen Kollaps des Festkurssystems von Bretton Woods allerdings in eine gelinde Verlegenheit, weil kaum jemand anzunehmen bereit ist, daß die amerikanische Hegemonie vor 1970 beendet wurde. Robert Gilpin behilft sich mit der Annahme, daß die amerikanische Hegemonie zwar noch bestand, die USA aber ihrer Verpflichtung für die Stabilisierung der internationalen Wirtschaftsregime wegen des Vietnamkrieges nicht nachkommen konnten. 7 Im Gilpinschen Konzept entspricht leadership dem Potential eines Hegemons, das auf einem "allgemeinen Glauben an seine Legitimität" basiert, aber durch die mit seiner Verteidigung verbundenen Kosten begrenzt wird.B
6 Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 139; ganz ähnlich auch Theodore Geiger: The Future of the International System, Boston 1988, S. 31 ff.
7 Gilpin, a.a.O. ,S. 139. 8 Gilpin, a.a.O., S. 73. Die Identität von hegemony und leadership zeichnet realistische Ansätze aus, während in neo-institutionalistischen Ansätzen die Möglichkeit von kooperativem leadership nicht ausgeschlossen wird. Vgl. vor allem Gilpin (S. 73) und Kindleberger für den Realismus. Charles P. Kindleberger: The World in Depression, 1929-1939, Berkeley 1973, S. 134. Für den Neo-Institutionalismus Robert Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 244ff. und G. John Ikenberry: Rethinking the Origins of American Hegemony, Political Science Quarterly 104, 1989. Kurt Hübner hat im Anschluß an Duncan Snidal auf eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit von Hegemonie-Konzepten verwiesen: Während Charles Kindleberger von einem benevolenten Hegemon ausgeht, ist der Hegemon bei Gilpin primär eigeninteressiert. Vgl. Kurt Hübner: Anmerkungen zu den Konzepten Hegemonie, 00-
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Eine zweite Gruppe Realisten begründet das Scheitern von Bretton Woods mit der veränderten Interessenlage der USA. Mit anderen Worten: Der Hegemon USA hat bewußt und willentlich ein neues Weltwährungssystem durchgesetzt, um seine politische und ökonomische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. 9 Gemäß dieser These resultierte die veränderte Interessenlage aus dem drohenden Ausverkauf der Goldvorräte von Fort Knox und aus der Möglichkeit, eine reale Reduzierung der amerikanischen Auslandsschulden durch die Abwertung des Dollars durchzusetzen. lo Für diese Gruppe von Realisten waren die Schließung des Goldfensters und die Dollarabwertung "im Interesse der USA".I I
b) Regimetheorie Der Neo-Institutionalismus und zuvor die Regimetheorie haben sich im Unterschied zur Theorie hegemonialer Stabilität wenig mit der Ursache des Endes von Bretton Woods befaßt. Es wird weithin akzeptiert, daß der Niedergang des Bretton-Woods-Systems einem Regimekollaps gleichkommt. 12 Doch dieser Zusammenbruch wird nicht als komplett angesehen: Einige Prinzipien, etwa das Prinzip des 'embedded liberalism', also der Vorzug des Wohlfahrtstaatsprinzips gegenüber vollständiger finanzieller
minanz, Macht, Kooperation in der globalen Ökonomie, Prokla 81, 1990, S. 78ff. Duncan Snidal: The Limits of Hegemonie Stability Theory, International Organization 39, 1985. Diese Unterscheidungen sind zwar nicht unbedeutend, für die hier vorzunehmende Abgrenzung aber nachrangig, da eine Kritik von Machtveränderungen als Ursache von Regimewandel beide Konzeptionen einschließt. 9 Vgl. Joanne Gowa: Closing the Gold Window: Domestie Polities and the End of Bretton Woods, Ithaca 1983; Susan Strange: Casino Capitalism, Oxford 1986. Paul R. Viotti hat auf beide Erklärungen, systemic distribution of capabilities und interest calculation zurückgegriffen. Vgl. Paul R. Viotti: Politics and Money: The Construction, Maintenance, and Transformation of International Monetary Regimes, Dissertation, University of California, Berkeley 1978, S. 118. 10 Letzterer Punkt ist allerdings unlogisch, da die amerikanischen Schulden in Dollar denominiert waren.
11 Benjamin J. Cohen: In Whose Interest? International Banking and American Foreign Policy, New Haven 1987. 12 Vgl. Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 186.
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Liberalisierung, bestehen fort. 13 Der Grund für diese relative Vernachlässigung liegt auf der Hand: Die Neo-Institutionalisten wollten die Annahmen der Realisten über den Zusammenhang des Hegemonialzyklus mit dem Untergang der internationalen Regime widerlegen. An einem empirischen Beispiel, das die Auffassungen der Realisten bestätigt, waren sie nicht interessiert. Dennoch hat Robert Keohane den Versuch unternommen, die Theorie hegemonialer Stabilität in ihrem eigenen Metier, dem Untergang von Regimen, herauszufordern. Dies gelingt ihm, wie er selbst meint, nur zum Teil. Die Hegemonialtheorie ist zumindest hilfreich, um den vollständigen Wandel der zentralen Normen des Währungsregimes zu erklären. Keohanes Kritik setzt an der Phase nach der Aufgabe des Systems fester Wechselkurse an. Hier, so meint Keohane, würde deutlich, daß die USA mächtig genug waren, um ein neues System nach ihren Vorstellungen und Interessen zu schaffen. Keohane unterstellt, das System flexibler Wechselkurse, wie es dann letztlich installiert wurde, sei nicht nur im Interesse der USA, sondern auch deren politisches Ziel gewesen. 14 Allerdings waren es die USA, die zuvor das Smithsonian-Agreement angeregt und letztlich auch durchgesetzt hatten. Keohanes Analyse greift auf das sogenannte Triffin-Dilemma zurück. Robert Triffin hatte sehr früh, lange vor dem Kollaps des Festkurssystems, auf eine institutionelle Schwäche des Systems von Bretton Woods verwiesen: Eine wachsende Weltwirtschaft hat einen steigenden Bedarf an internationaler Liquidität. Innerhalb des Gold-Dollar-Standards kann diese Nachfrage nur durch einen permanenten Kapitalexport der USA ausgeglichen werden. Die USA müssen, um eine weltweite Deflation zu vermeiden, ein permanentes Handelsbilanzdefizit aufweisen. Irgendwann wird der Bestand an Dollar außerhalb der USA unzweifelhaft die Goldreserven von Fort Knox übersteigen. 15 Dann wird eine Vertrauenskrise gegenüber 13 Vgl. John Gerard Ruggie: International Regimes, Transactions and Change; Benjamin J. Cohen: Balance of Payments Financing: Evolution of a Regime, beide Aufsätze erschienen in: Stephen Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983.
14 Vgl. Robert O. Keohane: The Theory of Hegemonie Stability and Changes in International Economic Regimes, 1967-1977, in Holsti, OIe et al. (Hrsg.): Change in the International System, Boulder 1980, S. 15lf. 15 Die USA haben dieser Entwicklung durch einen massiven Abbau ihrer Währungs- und Goldreserven Vorschub geleistet. Betrugen die Goldreserven der USA
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dem Dollar entstehen. 16 Jeder Akteur (Staat) hat sich regelkonform verhalten, und dennoch wurde das Regime zusehends destabilisiert. 'Schuld' an der Währungskrise der frühen siebziger Jahre waren inadequate Regimeprinzipien und damit die Politiker der vierziger Jahre, vor allem White, die ein imperfektes System entwarfen. Der Regimewandel wird von Triffin durch einen ökonomischen Prozeß begründet, der die Interessen der USA an der Beibehaltung der Golddeckung fundamental änderte. Sowohl die von Neo-Institutionalisten herangezogene Triffin-DilemmaBegründung als auch die von den Realisten vorgebrachte Interessen-Begründung können zwar das Ende von Bretton Woods erklären. Sie bieten aber keine Begründung für das in einem direkten Zusammenhang stehende schnelle Scheitern des Smithsonian-Agreements. Zu bedenken ist immerhin, daß Richard Nixon das Abkommen seinerzeit als "the most significant monetary achievement in the history of the world" bezeichnete. Selbst wenn die USA an einer Schließung des Goldfensters interessiert waren, wie Triffin und Cohen zu Recht anmerken, bleibt offen, warum auch das neue Festkurssystem ihres Smithsonian-Agreements scheitern mußte. Schließlich war eine Golddeckung des Dollars in den Verhandlungen ausdrücklich ausgeschlossen worden.17 Der Gold-Dollar-Standard war insofern von einem reinen Dollar-Standard abgelöst worden. 18 Darüber hinaus kooperierten die Notenbanken relativ eng, um die neuen Wechselkurse zu verteidigen. Von den drei diskutierten Theorien scheint die Theorie hegemonialer Stabilität am besten in der Lage, den Zusammenbruch des Bretton-WoodsSystems und zugleich das Scheitern des Smithsonian Abkommens zu erklä1950 noch 22,8 Mrd. US-Dollar sank der Bestand bis Ende 1971 auf 10,2 Mrd. Dollar. Im Verhältnis dazu stiegen die Währungsreserven außerhalb der USA von ca. 24 Mrd. Dollar 1950 auf ca. 107 Mrd. Dollar 1971. Vgl. IMF: International Financial Statistics, Washington, versch. Jahrgänge. 16 Vgl. Robert Triffin: Europe and the Money Muddle, New Haven 1957. Fehler im institutionellen Design von Bretton-Woods konstatiert auch Benjamin J. Cohen. Vgl.: Organizing the World's Money, New York 1977. 17 Zwar wurde eine nominelle Gold-Dollar-Parität von nunmehr 38$ je Feinunze beibehalten, doch die USA gingen keine Verpflichtung ein, Gold zu diesem oder einem anderen Kurs einzulösen. 18
557.
Vgl. auch Hermann van der Wee: Der gebremste Wohlstand, München 1984, S.
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ren. Notwendig ist lediglich die Annahme, daß die USA die jeweilige Regelbefolgung nicht durchsetzen konnten, weil ihre Macht dazu nicht mehr ausreichte. Doch wenn allein Macht als Variable zugelassen wird, erscheint verwunderlich, daß die maßgeblichen Regelverstöße gegen das Bretton-Woods-System von den USA vorgenommen wurden. Schließlich hat, abgesehen von den USA, kein Staat die 'Spielregeln' von Bretton Woods verletzt und das Smithsonian-Agreement wurde erst von Großbritannien verletzt, nachdem die erheblichen Turbulenzen auf den Finanzmärkten nicht durch kooperative Politik der Staaten beseitigt werden konnten. Insofern ist die Annahme naheliegend, daß Hegernone andere Interessen haben als Nicht-Hegemone und daß die USA die Durchsetzung ihrer Interessen im Bretton-Woods-System nicht länger gewährleistet sahen. Doch selbst aus dieser Perspektive muß unerklärt bleiben, warum die Aufgabe des Festkurssystems im Interesse der USA war und sie dennoch zunächst maßgeblich daran beteiligt waren, ein neues Festkurssystem zu installieren. Der Neo-Institutionalismus kann die realistische Erklärung der Aufgabe des Bretton-Woods-Systems akzeptieren. Er kann aber das Scheitern der von allen Akteuren gewünschten Kooperation im Smithsonian-Agreement mit den ihm zur Verfügung stehenden Theoremen nicht befriedigend erklären.
2. Ökonomische Ursachen des Regimeniedergangs
Erst wenn zusätzlich Wirtschaftssubjekte als Akteure in die Analyse eingeführt werden, kann eine befriedigendere Theorie der Aufgabe des Festkurssystems, also des Scheiterns des Bretton-Woods-Systems und des Smithsonian-Abkommens, entwickelt werden. Der Grund für das Scheitern des Bretton-Woods-System wird dann auf das ökonomische Kalkül der Vermögensbesitzer zurückgeführt, die den Dollar nicht mehr als alleiniges Medium internationaler Liquidität ansahen und seine Weltgeldfunktion faktisch durch einen Multiwährungsstandard ersetzt hatten, indem sie ihre Portfolios diversifizierten. Dieser Prozeß begann lange vor der Schließung des Goldfensters und in der Tat war die Einführung des 'zweigliedrigen Goldpreis Arrangements' eine Folge der schwindenden Bedeutung des Dollars. Die Aufhebung der Golddeckung war nicht ursächlich für das Ende des Festkurssystems von Bretton Woods; Grund waren Veränderun-
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gen der Akzeptanz nationaler Währungen als internationale Liquidität durch die Wirtschaftssubjekte. 19 So gesehen war der Erfolg des Bretton-Woods-Systems bei der Wechselkursstabilisierung ursächlich für seinen Zusammenbruch. Ronald McKinnon hat die Stabilisierung gegen jedwede ökonomischen Fundamentaldaten als "official schizophrenia" bezeichnet. 2o Er erklärt diese 'Schizophrenie' dadurch, daß sie für alle Beteiligten bequem war. Die Staaten übersahen oder ignorierten aber die wachsende Konkurrenzfähigkeit vor allem der europäischen Währungen als Anlagemedium. In einem System flexibler Wechselkurse tragen diejenigen Währungen zur internationalen Liquidität bei, die uneingeschränkt handelbar sind und deren relativem Wert von den Wirtschaftssubjekten Vertrauen entgegengebracht wird. Die uneingeschränkte Handelbarkeit von Währungen umfaßt die vollständige Konvertibilität und den Verzicht auf Kapitalverkehrskontrollen. 21 Eine ausreichend große Zahl weltmarkttauglicher Währungen vorausgesetzt, entscheiden die Wirtschaftssubjekte über die Menge an internationaler Liquidität. WeItmarkttaugliches Geld kann jedes nationale Geld, jede Ware (Silber, Gold) und jede internationale Verrechnungseinheit sein. Jede Anlage stellt Liquidität dar, die ein Akteur nutzen kann, um eine Transaktion zu zahlen oder eine Schuld zu begleichen. 22 Damit eine Transaktion stattfindet, müssen sich alle beteiligten Seiten auf ein Medium, auf ein Geld einigen. Akzeptiert ein Partner das Medium nicht, kommt keine Transaktion zustande. Ein einheitliches Weltgeld unterliegt dem Dilemma, zwischen dem ökonomischen Kalkül der Vermögensbesitzer und dem Kapitalbedarf der
19 Paul de Grauwe hat gezeigt, daß die Weltgeldrnenge dann besonders groß war, wenn der Dollar schwach war, und besonders klein, wenn der Dollar stark war. Vgl. Paul de Grauwe: International Money, Oxford 1989.
20 Ronald Mc Kinnon: The Rules of the Game: International Money in Historical Perspective, Journal of Economic Literature 31, 1993, S. 20. 21 Selbst eine stabile Währung wie der japanische Yen wurde nur sehr zurückhaltend als internationale Anlagewährung genutzt, weil Japan lange Zeit eine überdurchschnittliche Regulation seiner Finanzmärkte aufrechterhalten hat. 22 Vgl. Michael Aglietta: The Creation of International Liquidity, in: Loukas Tsoukalis (Hrsg.): The Political Economy of International Money, London 1985, S. 173; Hans-Joachim Stadermann: Wirtschaftspolitik, Tübingen 1992, S. 9lf.
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Wirtschaftssubjekte zerrieben zu werden: Entweder der Hegemon hält sein Geld knapp, dann greifen die Wirtschaftssubjekte auf andere Währungen zurück, um den Bedarf an internationaler Liquidität zu decken. Oder der Hegemon entknappt sein Geld, dann greifen die Vermögensbesitzer auf andere knappe Währungen zurück, um ihr Kapital anzulegen, weil das Weltgeld in einem Festkurssystem unter Abwertungsverdacht und in einem Regime flexibler Wechselkurse unter Abwertungsdruck gerät. Das TriffinDilemma gilt - auf diese Weise nur geringfügig modifiziert - unabhängig vom Gold, das angeblich den Wert des Geldes deckt. Gold- und andere Warenstandards sind ein Mythos, weil kein Gut der Welt einen Wert aus sich selbst hat. Werte entstehen durch Wertschätzung der Wirtschaftssubjekte. Sie sind zum Teil institutionell etabliert, und zum anderen Teil werden sie durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage verändert. Der Strukturierungsprozeß, der das Ende des Bretton-Woods-Systems hervorrief, kann als Übergang von einem Dollar-Weltgeld zu einem Multiwährungsstandard beschrieben werden. 23 Mit dem Übergang zur Währungskonvertibilität in Europa im Jahr 1958 stieg die Zahl der potentiellen Anlage- und Reservewährungen. Zwar genoß der Dollar noch erhebliche nicht-pekuniäre Vertrauen seffekte , doch zugleich wandelte sich der Bestand an internationaler Liquidität von einem chronischen Defizit zu einem potentiellen Überschuß. Steht mehr Liquidität zur Verfügung, als zur Finanzierung weltwirtschaftlicher Transaktionen und als Reserve- und Anlagemedium benötigt wird, entsteht eine Konkurrenz zwischen den Währungen. Die Wirtschafts subjekte hatten erstmals mehrere Optionen zur Verfügung: Sie konnten ihre internationalen Transaktionen in verschiedenen Währungen fakturieren und vor allem konnten sie ihr Vermögen in auf verschiedene Währungen lautende Schuldtitel anlegen. Veränderungen der Wechselkursparitäten sind auch in einem Festkurssystem unvermeidbar, solange die makroökonomischen Kennziffern zwischen verschiedenen Ländern variieren und Ungleichgewichte in der Zahlungsbilanz nicht institutionell ausgeschlossen oder zumindest begrenzt
23 Vgl. Hajo Riese/ Peter Bernd Spahn (Hrsg.): Internationale Geldwirtschaft, Regensburg 1989 und die dort aufgeführten Schriften der sogenannten Berliner Schule, vor allem von Hansjörg Herr und Hans-Joachim Stadermann.
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werden. 24 Der Keynes-Plan sah in dieser Hinsicht vor, mit dem Bancor ein internationales Reservemedium zu schaffen, und sowohl Guthaben als auch Defizite mit einer Abgabeverpflichtung zu belegen. Dies hätte Defizit- und Überschußländer zum Abbau von Ungleichgewichten veranlaßt. Doch die USA, die davon ausgingen, 'für immer' ein Kreditgeber zu sein, konnten sich aus verständlichen, aber - wie sich später erwiesen hat kurzsichtigen Gründen nicht für diesen Plan erwärmen. Aber der IWF, dessen Statut eine Neufestsetzung der Wechselkurse vorsah, machte kaum einmal Gebrauch von dieser Möglichkeit. Auch als 1968 die politischen Unruhen in Frankreich die Stabilität des Franc erschütterten, weigerte sich de Gaulle, den Franc durch eine Änderung der Dollarparität abzuwerten. Erst ein gutes Jahr später wurden die Disparitäten zwischen der Bewertung durch die Wirtschaftssubjekte und den politisch verteidigten Wechselkursen durch eine Abwertung des Franc bei gleichzeitiger Aufwertung der D-Mark teilweise ausgeglichen. Die D-Mark zeigte sich, auch im Vergleich zum Dollar, als zu stark: 1970 wuchsen die deutschen Dollarreserven wegen der enormen Kapitalimporte um etwa 7 Mrd. Dollar. Am 5. Mai 1971 mußte die deutsche Bundesbank in einer Stunde 1 Mrd. Dollar kaufen, um die Wechselkursparitäten zu verteidigen. Als am 10. Mai der Devisenhandel wieder aufgenommen wurde, floateten die D-Mark und der niederländische Gulden frei. 25 Obwohl durch die sich an die Währungskrise anschließenden Realignments der Wechselkurse versucht wurde, den Druck aus den Finanzmärkten zu nehmen, blieb die Unsicherheit über den Wert der Währungen erhalten. Im 6. August 1971 veröffentlichte der amerikanische Kongreß den sogenannten Reuss-Report, in dem behauptet wurde, der ausbleibende Erfolg und der unzureichende Charakter der Wechselkurs-Realignments mache die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen notwendig. Die Veröffentlichung dieses Berichts führte zu einer Flucht aus dem Dollar. Am darauffolgenden Montag, dem 9. August, erreichten die Dollarverkäufe 3,7 Mrd. Dollar. Eine Woche später gab Nixon die Aufhebung der Dollarkonvertibilität und die Einführung einer Importsteuer von 10% bekannt. Das Bret24 Für eine umfassende Darstellung vgl. John H. Williams: Postwar Monetary Plans and Other Essays, New York 1947; Richard N. Gardner: Sterling-Dollar Diplomacy in Current Perspective, 3. Aufl., New York 1980.
25 Vgl. Daniel R. Kane: Principles of International Finance, London 1988, S. 243ff.
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ton-Woods-Abkommen bestand nicht mehr; bis auf den japanischen Yen floateten alle wichtigen Währungen. Japan konnte aufgrund der rigiden Kapitalverkehrskontrollen darauf verzichten: Der Yen war kein Bestandteil internationaler Liquidität. Wäre die Probleminterpretation des Triffin-Dilemmas ausreichend gewesen, hätte durch die Aufhebung der Goldeinlösepflicht eine Beruhigung der Finanzmärkte eintreten müssen. Doch die nächsten Turbulenzen ließen nur ein halbes Jahr auf sich warten: Großbritanniens Versuch, das Pfund in die 'Schlange-im-Tunnel' -Regelung des europäischen Währungssystems zu integrieren, scheiterte an "heftigen spekulativen Attacken".26 Wieder ein halbes Jahr später annoncierte Italien gesplittete Wechselkurse. Die 'kommerzielle Lira' sollte den festen Wechselkurs beibehalten, während die 'finanzielle Lira' frei floaten durfte. Gleichzeitig erreichte der Schweizer Franken seinen oberen Interventionspunkt, und statt unbegrenzt Dollar zu akkumulieren, wurde der Wechselkurs des Franken freigegeben. Zwischen dem 1. und dem 9. Februar 1973 intervenierten die Notenbanken, allen voran die deutsche Bundesbank, mit etwa 10 Mrd. Dollar, um den Kurs der amerikanischen Währung zu verteidigen. Die Stabilisierung hielt nur knapp zwei Wochen vor, und nachdem die deutsche Bundesbank erneut 2,9 Mrd. Dollar aufgekauft hatte, ohne einen Erfolg zu erzielen, wurden die Finanzmärkte geschlossen. Als die Märkte am 19. März wieder geöffnet wurden, floateten alle wichtigen Anlagewährungen gegenüber dem Dollar. Diese Ereignisse verdeutlichen zweierlei: Einerseits haben die Staaten das Festkurssystem von Bretton Woods nicht kampflos oder gar freiwillig aufgegeben. Wäre der Kollaps des Regimes auf einen Wertewandel zurückzuführen, hätten sich die Staaten nicht gegen seine Aufgabe gewehrt. Und zweitens gab es keinen Staat, der sich den ihm auferlegten Verpflichtungen durch Free-Riding entzog und auf Interventionen gegen spekulative Attacken verzichtete. Das Bretton-Woods-System ist nicht aus Gründen gescheitert, die innerhalb der Staaten welt zu suchen sind. Sein Scheitern ist auch nicht dadurch hervorgerufen worden, daß der Hegemon die Kosten der Verteidigung des Regimes nicht mehr übernehmen oder nicht länger auf kooperierende Staaten abwälzen konnte. Das Ende des Bretton-WoodsSystems ist - um in der ökonomischen Sprache zu bleiben - dadurch her26 Kane, a.a.O., S. 245.
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vorgerufen worden, daß die Kosten der Regimeverteidigung plötzlich exorbitant stiegen. Zusätzliche Kosten entstanden in diesem Fall durch die Währungsinterventionen, die die Wechselkurse stabilisieren sollten, und durch den rapiden Anstieg der Inflationsraten. Die Währungskrise, die letztlich zum Ende des Festkurssystems führte, war nicht ausschließlich ein Resultat der Aufhebung des Goldstandards, sondern vor allem ein Resultat der Währungsturbulenzen. Dies wurde unmittelbar deutlich, als die Golddeckung aufgehoben wurde, aber die Turbulenzen andauerten.27 Währungsturbulenzen entstehen durch die Suche der Vermögensbesitzer nach einer neuen, besseren Anlage- und Portfoliostrategie. Die Konvertibilität der Währungen und die Öffnung der Finanzmärkte als Ursache ökonomischer Unsicherheit waren nicht die Folge des Verlustes der amerikanischen Hegemonie, sondern ein erklärtes Ziel der Währungspolitik des IWF und seiner Mitglieder in der Nachkriegsperiode.
3. Die Politische Ökonomie monetärer Dynamik
Die Entwicklung des internationalen Währungssystems der Nachkriegsperiode entsprach zunächst einer Annäherung der tatsächlichen an die in Bretton Woods niedergelegten Regeln. Soweit exakte Terminierungen innerhalb eines Strukturierungsprozesses überhaupt möglich sind, kann der Anfang vom Ende des Dollar-Weltgeldsystems auf 1958 festgelegt werden. In diesem Jahr wurden die europäischen Währungen konvertibel gestaltet. Damit wurde einerseits lediglich das Bretton-Woods-Abkommen verwirklicht, doch andererseits ein nicht intendierter und nicht vorausgesehener Übergang von einem Dollarstandard zu einem Währungskonkurrenzsystem initiiert. Das Potential, die Ressourcen zu einem Multiwährungsstandard waren mit einem Mal existent. Es dauerte dennoch gut zehn Jahre, bis sich die Währungskonkurrenz soweit entwickelt hatte, daß der Dollarstandard unter Druck geriet. Danach dauerte es weitere fünf Jahre bis das Festkurssystem endgültig daran scheiterte, daß die Wechselkurse
27 Paul Krugman folgert daraus, daß Währungsturbulenzen ohne Annahme von Unsicherheit, das heißt auf der Grundlage perfekter Rationalität nicht erklärt werden können. Vgl. Paul Krugman: Exchange-Rate Instability, Cambridge 1989.
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Teil 4: Regimedynamik durch ökonomische Prozesse
nicht nur fest, sondern geradezu fixiert waren 28 und der Dollar gleichzeitig dem Vermögenssicherungskalkül der Wirtschafts subjekte nicht länger uneingeschränkt entsprach. Es gab Ende der sechziger Jahre keine Dollarlükke, sondern einen potentiellen Überschuß an internationaler Liquidität. Doch noch 1971, als die USA die Goldeinlöseverpflichtung einseitig aufkündigten, widmeten sich die Politiker in den Industriestaaten vorrangig der Möglichkeit einer Erhöhung der globalen Liquidität. 29 Das Beispiel des Bretton-Woods-Systems zeigt, daß stabile Normen mit veränderter Perzeptionen und veränderten ökonomischen Transaktionen der Wirtschafts subjekte einhergehen können. Normen stabilisieren nicht nur staatliches Verhalten, sondern auch ökonomische Transaktionen, aber diese Stabilisierung erfolgt nicht zeitlich unbegrenzt. Die künstliche Stabilität der Wechselkurse in den sechziger Jahren ließ sich eine Zeitlang aufrecht erhalten. Dies gelang aber nur, weil die Wirtschaftssubjekte eine stabile Perzeption von diesen Wechselkursen hatten. Als die Diskrepanzen innerhalb des Weltwährungssystems offenkundig wurden, brach diese Einschätzung zusammen und Unsicherheit über die künftige Wechselkursentwicklung machte sich breit. Die leidtragende Währung war der Dollar, und spätestens Anfang der siebziger Jahre war allgemein anerkannt, daß der Dollar überbewertet war. Das Festkurssystem hatte nur eine Weile entgegen dem aufkeimenden Mißtrauen in seine Stabilität bei den Vermögensbesitzern fortexistieren können. 30 Systeme fester Wechselkurse lassen eine Weile die trügerische Sicherheit entstehen, daß die Stabilität immer währt. Doch es zeigt sich, daß der Verlust dieser Sicherheit und ihr Umschlagen in Unsicherheit zu Überreaktionen der Anleger führen.
28 Die Wechselkursrealignments zwischen dem Dollar und den Währungen anderer Industriestaaten in der Zeit von 1949 bis 1969 lassen sich an einer Hand abzählen: Frankreich zweimal 1957-58, Deutschland 1961, Großbritannien 1967 sowie Deutschland und Frankreich 1969. Vgl. Ronald Mc Kinnon: The Rules of the Game: International Money in Historical Perspective, Journal of Economic Literature 31, 1993, S. 15. 29 Vgl. Hermann van der Wee: Der gebremste Wohlstand, München, S. 541. 30 Daß sich Geschichte durchaus wiederholen kann, haben die Turbulenzen im Europäischen Währungssystem 1992 gezeigt Vgl. Claus Thomasberger: Geldpolitik und europäische Währungsintegration, in: INITIAL, 1994.
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Die Aufgabe des Bretton-Woods-Systems war nicht ausschließlich eine ,,non decision", wie Susan Strange mutmaßt. 3 ) Vielmehr haben die USA eine Reihe von Entscheidungen getroffen und Maßnahmen ergriffen, die einen Kollaps des Systems fester Wechselkurse letztendlich unvermeidlich erschienen ließen. Ob aber wirklich schon 1968 eine bewußte Entscheidung gefällt wurde, ein System flexibler Wechselkurse einzurichten, erscheint mehr als fraglich. Viel wahrscheinlicher ist es, daß sich die USA mit einer Reihe von Problemen konfrontiert sahen, auf die sie die jeweils naheliegende Lösung gesucht hatten: Die Schließung des Goldfensters für Wirtschaftssubjekte; dann der gescheiterte Versuch, die anderen Staaten zu drängen, von ihrem Recht, Dollar in Gold umzutauschen, keinen Gebrauch zu machen; danach die einseitige Aufhebung der Einlöseverpflichtung und schließlich die Aufgabe fester Wechselkurse. All dies läßt ein 'Grand Design' vermissen. Dies gilt vor allem für den letzten Schritt. An dem erst 1978 endgültig aufgegebenen Bemühen, ein neues System fester Wechselkurse zu installieren, wird auch die Ziellosigkeit der politischen Maßnahmen sehr deutlich. 32 Insofern spricht alles dafür, daß sich die politischen Entscheidungsträger und die Wirtschaftssubjekte in den USA nicht bewußt waren, daß die Schließung des Goldfensters für private Akteure langfristig zu einem vollständigen Kollaps des Bretton-Woods-Systems führen würde.
11. Regimestabilität und Strukturierung des Welthandels Anders als das Bretton-Woods-System zeichnet sich das GATI durch eine große Stabilität der zentralen Normen und Prinzipien aus. Die Welthandelsorganisation hatte in den bislang vierzig Jahren seiner Existenz weder seine Organisationsstruktur noch seine zentralen Regeln verändert. Erst mit dem Abschluß der Uruguay-Runde im Dezember 1993 wurden bedeutende Modifikationen vorgenommen. Nicht von ungefähr hat diese Stabilität das Denken über internationale Institutionen und vor allem über deren Stabilität maßgeblich beeinflußt. Dennoch ist in den achtziger Jahren wiederholt darauf hingewiesen worden, daß das GA TI in eine Krise gera-
3)
Vgl. Susan Strange: Casino Capitalism, London 1987.
32 In der jüngsten Gegenwart wird dieses Thema aber erneut diskutiert, so daß ein
letztes Wort vielleicht noch nicht gesprochen ist.
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ten sei. 33 Die zunehmende nicht-tarifäre Protektion, vor allem die Importquoten und freiwilligen Exportbeschränkungen drohten das GATI erodieren zu lassen. Dieser diskutierte und problematisierter Funktionsverlust des GATI in den achtziger Jahren liefert den Ausgangspunkt für die folgende Diskussion der Dynamik des internationalen Handels. Als für die Theorieentwicklung interessantester Punkt erweist sich, daß das GA TI im Unterschied zum Bretton-Woods-System gestärkt aus seiner Krise hervorgegangen ist. Um der hinter diesen Prozessen liegenden Komplexität der Funktion des GATI gerecht werden zu können, wird deshalb in der folgenden kurzen Studie die Untersuchungsperspektive mehrmals geändert. Zunächst werden die institutionellen Stabilität und der Grad der Normbefolgung betrachtet. Anschließend wird zur Problemfeld übergreifenden Problematik des Konfliktes zwischen Handel und Investitionen übergeleitet, bevor abschließend der verspätete Abschluß der Uruguay-Runde thematisiert wird. Dies ermöglicht eine umfassendere Diskussion des Zusammenhangs zwischen internationalen Institutionen und weltwirtschaftlichen Strukturierungsprozessen als eine auf Normen und Prinzipien begrenzte Analyse.
1. Die Politik des internationalen Handels: Orthodoxe Analysen
Auch das GATI spielte für die Theoriedebatte zwischen Realisten und Neo-Institutionalisten eine besondere Bedeutung. Für letztere diente es als Nachweis, daß der von der Theorie hegemonialer Stabilität behauptete, deterministische Zusammenhang zwischen dem Niedergang eines Hegemons und der Instabilität der internationalen Regime falsch war.
a) Theorie hegemonialer Stabilität Der Realismus hat mit der Theorie der hegemonialen Stabilität eine 'dynamische' Theorie hervorgebracht, die nur in der späteren, moderaten Formulierung durch Keohane und insbesondere durch Gilpin eine Erklärung für die 33 Vgl. die Diskussion von Michael A. Samuels: The Decline of Multilateralism: Can we prevent it?, The World Today, Januar 1990.
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Zunahme des Protektionismus in den achtziger Jahren bietet. Wird die Theorie handelsbezogen verwendet, basiert sie auf der Annahme von sich abschottenden Staaten in einem anarchischen internationalen System. Es wird angenommen, daß alle Staaten ohne den Zwang des Hegemons auf eine dezidiert merkantilistische Handelspolitik zurückgreifen. Erst der Hegemon setzt ein internationales Regime durch, das den Staaten eine liberale Handelspolitik aufzwingt. In der Nachkriegsphase ist diese Rolle (angeblich) von den USA durch die Gründung des GATI wahrgenommen worden. 34 Das GATI ist 1948 gegründet worden, um freieren und fairen Handel durch die Reduzierung der kriegs bedingt hohen internationalen Zollmauem zu erreichen. Die zentralen Prinzipien des GATI sind Liberalisierung (das Verbot nicht-tarifärer Protektion und das Gebot der Zollreduzierung), Nicht-Diskriminierung (das Verbot der Benachteiligung ausgewählter Staaten) und Reziprozität. 35 Die Effektivität des GATI ist an diesen Prinzipien bemessen worden: "Between the mid-1960s and early 1980s the regime became less effective. National controls on trade, often under the guise of industrial policy, proliferated for a wide variety of other manufactured goods. The proportion of trade covered by govemmental controls rose sharply in 1970s. ( ... ) Most observers would have agreed with the Managing Director of the IMF when he declared (... ) that these pressures for the adoption of protectionist measures have intensified and that these pressures threaten to fragment the world economy." 36
34 Der Zusammenhang zwischen der Existenz eines Hegemons und der Gründung internationaler Regime ist bezweifelt worden. Siehe vor allem Peter Burnham: The Political Economy of Postwar Reconstruction, London 1990; und G. John Ikenberry: Rethinking the Origins of Postwar Economic Order, Political Science Quarterly \04, 1989; derselbe: A World Economy Restored: Expert Consensus and the Anglo-American Postwar Settlement, International Organization 46, 1992.
35 In diesem Zusammenhang kennt das GATI zwei wichtige Ausnahmen: Die sogenannten 'Grandfather Rights', die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehende Präferenzen anerkannten, und die zunehmend an Bedeutung gewinnenden Zollunionen. Für eine knappe Diskussion der zentralen Prinzipien vgl. Frieder Roessler: The Scope, Limits and Function ofthe GATI Legal System, World Economy 8, 1985; und für eine Diskussion der wechselnden historischen Bedeutung einzelner Normen Jock A. Finlaysonl Mark W. Zacher: The GA TI and the Regulation of Trade Barriers, in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983.
36 Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 188; vgl. auch Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 191; Judith Goldstein: Ideas, Institutions, and American Trade Policy, International Orga-
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Die orthodoxe Begründung für diesen empirisch beobachteten Sachverhalt liefert der hegemoniale Niedergang der USA, die wachsende handelspolitische Bedeutung Japans und Europas sowie der ökonomische Aufstieg der Schwellenländer in den Kreis der wettbewerbsfähigen Produzenten von Medium- und High-Tech ProduktenY Doch trotz der Zunahme von neoprotektionistischen Maßnahmen, die zwar einen Verstoß gegen das GATT darstellen,38 sind die ursprünglichen Prognosen der Theorie hegemonialer Stabilität nicht bestätigt worden. Folgt man den ursprünglichen Vertretern der Theorie hegemonialer Stabilität, hätte das GATT nach dem Ende der amerikanischen Hegemonie ebenso kollabieren müssen wie das Festkurssystem von Bretton Woods. 39 Trotz einiger Modifikationen der Theorie, die methodisch vor allem im Verzicht auf deterministische Aussagen bestanden, erwarten (Neo-) Realisten kurzfristig eine Erosion des Regimes und halten den Bestand des Regimes mittelfristig für gefährdet. 40 Realisten prognostizieren heute eine Regionalisierung des Welthandels und die Herausbildung dreier Wirtschaftsblöcke um die Zentren USA, Japan und Europa, sowie einen erheblichen Anstieg von protektionistischen Maßnahmen zwischen den Blöcken
nization 42, 1988, S. 179f; David B. Yoffie: Power and Protectionism, New York 1983. 37 Eine von der Argumentationsweise typische orthodoxe Analyse des Neo-Protektionismus stammt von Robert E. Ba1dwin: The New Protectionism: A Response to Shifts in National Economic Power, in: Dominik Salvatore (Hrsg.): The New ProtectionistThreat to World Welfare, Amsterdam 1986, S. 221.
38 Vgl. John H. Jackson: Consistency of Export-Restraint Arrangement with the GATT, The World Economy 11, 1988, S. 497. 39 Prognosen dieser Art finden sich vor allem bei Stephen D. Krasner: State Power and the Structure of International Trade, World Politics 28, 1976; und Robert Gilpin: US Power and the Multinational Corporation, New York 1975. 40 Vgl. Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 191ff; Robert E. Baldwin: The New Protectionism: A Response to Shifts in National Economic Power, in: Dominik Salvatore (Hrsg.): The New Protectionist Threat to World Welfare, Amsterdam 1986. Jagdish BhagwatiJ Douglas Irwin: The Return of the Reciprocitarians: US Trade Policy Today, The World Economy 10, 1987. Robert Gilpin argumentiert an dieser Stelle zum Teil fragwürdig, weil er den wichtigsten Parameter weltwirtschaftIicher Integration, das Verhältnis von Welthandelswachstum zum Wachstum der Weltproduktion, unbeachtet läßt.
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und auf Reziprozität beharrende Handelspolitik der Staaten. 41 Bestehende internationale Organisationen werden im Zuge dieser Veränderungen entweder angepaßt oder aufgegeben: "The arguments over burdensharing and the regional tensions among the Big Three will be mirrored in the international economic institutions. To the extend that the Big Three have divergent interests and pressures, these institutions will become baulegrounds rather than forums to solve problems. (... ) Conflicts among the Big Three will arise out of differing conceptions of what international institutions should do, how they should be organized and financed, and who should control them. (... ) Beyond these specific problems, there is even a bigger one - centrifugal forces in the Big Three that undermine public support for international organizations in general." 42
Aus einem funktionellen Blickwinkel behauptete Lester Thurow schon 1988, das GATI sei tot. 43 Regimestabilität wird von Thurow abweichend von der strukturellen Regimetheorie nicht an der Existenz eines Regelwerkes gemessen, sondern (im Sinne Ruggies) an der Normbefolgung. Insofern ist ihm zu folgen, wenn er die Maßnahmen der Umgehung von GATI-Bestimmungen, vor allem die 'freiwilligen Exportbeschränkungen' als ernste Einschränkung der Funktion des GATI betrachtet. Doch bei genauerer Betrachtung verliert das Argument an Bedeutung. Die eigentliche Aufgabe des GATI ist, anders als Thurow suggeriert, nicht die Produktion eines vollständig integrierten Weltmarktes, d.h. Freihandel, sondern die zunehmende Integration der Weltwirtschaft. Solange der Welthandel in Relation zur Weltproduktion wächst, kann davon ausgegangen werden, daß das GATI dieser Aufgabe nachkommt - mit allen Einschränkungen.
41 Robert E. Baldwin empfiehlt diese Verhandlungsstrategie geradezu. Vgl. sein: Alternative Liberalization Strategies, in Herbert Giersch (Hrsg.): Free Trade in the World Econorny, Institut für Weltwirtschaft, Kiel 1987; derselbe: Toward More Efficient Procedures for Multilateral Trade Negotiations, Aussenwirtschaft 41, 1986.
42 Jeffrey E. Garten: A Cold Peace: Arnerica, Japan, Gerrnany and the Struggle for Supremacy, New York 1992, S. 184ff.
43 Dies behauptet zumindest Michael A. Samuels, allerdings ohne Beleg. Vgl. sein: The Dec\ine ofMultilateraIism: Can we Prevent It?, The World Today, Januar 1990, S. 6. 12 P1ümper
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b) Regimetheorie Der Wandel des GATT läßt sich nur in Abgrenzung von und in Relation zu Stabilität erkennen und analysieren. 44 Das theoriebildende WandelKontinuität-Gegensatzpaar der Regimetheorie besteht in der Annahme des Niedergangs der amerikanischen Hegemonie und des Fortbestandes des GATT als weltwirtschaftliche Institution. Die zentrale Annahme der Theorie hegemonialer Stabilität wird nicht grundsätzlich bezweifelt; auch die Regimetheorie geht von einem Zusammenhang zwischen Machtstruktur und der Stabilität des Regimes aus. Sie ergänzte diese Annahmen jedoch ursprünglich um die stabilisierende Wirkung von internationalen Regimen. Dies wird in einem Gedanken deutlich, den Robert Keohane jüngst geäußert hat. Die Wirkung des GATT, so Keohane, zeige sich daran, daß es fortbesteht, obwohl er sich nicht vorstellen könne, daß das GATT unter den gegenwärtigen Bedingungen neu geschaffen werden kann. 45 Dies ist eine durchaus typische These für den Neo-Institutionalismus, an der sich Reste der Theorie hegemonialer Stabilität zeigen. Es ist allerdings unbestritten, daß es post-hegemonial zur Gründung einer Reihe von bedeutenden Regimen gekommen ist. Bespiele dafür sind das General Agreement on Trade in Services (GATS), das bezüglich der ökonomischen Bedeutung für die Industriestaaten an die Bedeutung des GATT heranreicht, der BaselerAkkord und das G-7 Wechselkursmanagement. Von der reinen Existenz auf eine Selbststabilisierung zu schließen ist demnach nicht unproblematisch. Die Wirkung des GATT ist von den Vertretern der Regimetheorie allerdings auch anhand seines mildernden Einflusses auf die protektionistischen Maßnahmen der Staaten nachgewiesen worden. Um diese Wirkung des GATT auf den Welthandel zu begründen, muß von der Annahme ausgegangen werden, ohne GATT sei der Grad der Protektion höher oder die Art der Protektion anders. Da ersteres schwerlich gezeigt werden kann, hat Keohane die Unterscheidung zwischen Liberalität und Nicht-Diskriminierung des Handelsregimes auf der einen und Kooperation in Handelsfragen auf der anderen Seite als Indikator genannt. Selbst bei geringerer Befolgung des Liberalitätsprinzips des GATT ist der Grad der Kooperation der Staa44 Vgl. James N. Rosenau: Turbulence in World Politics, Princeton 1990, S. 68ff. 45 Vgl. Robert O. Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger: Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 33.
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ten im GATI gestiegen. 46 Zusätzlich argumentiert Charles Lipson, daß sich der Wandel des Welthandelsregimes normgeleitet vollzog. 47 Zwar wird zugestanden, daß die Nicht-Diskriminierungsklausel gegenwärtig häufiger verletzt wird als in der direkten Nachkriegsphase, doch die anderen Regeln und vor allem die zentralen Prinzipien werden weiterhin anerkannt: "Reciprocity, multilateralism, transparency of trade barriers, the right to safeguard actions against import surges, and the goal of liberalizing trade barriers are still the basic tenets of modem trade relationship. Moreover, the GA TI is still the institutional mechanism for making rules and coordinating the reduction of trade barriers." 48
Lipson erkennt allerdings auch an, daß die Regimetheorie die Strukturierungsprozesse des Welthandels nur unzureichend zu erklären vermag. Er unterstreicht einerseits die Regimewirkung des GATI von allen Neo-Institutionalisten am eindeutigsten und versucht andererseits gleichzeitig, diese Prozesse als Ergebnis der Anreize zu erklären, die vom GATI geschaffen wurden. Ökonomische Veränderungen sind für Lipson eine Folge der politischen Dynamik des GATI.49 Damit wird deutlich, daß Neo-Institutionalisten und Realisten über zwei unterschiedliche Aspekte des GATI reden. Sowohl die Stabilität der Prinzipien und Normen als auch die zunehmende Umgehung der GATI-Regeln sind zu beobachten. Interessant ist, daß die dominierende Methode der Umgehung von GATI-Regeln, die freiwilligen Exportbeschränkungen, kooperativ vereinbart wird. Dies verweist einerseits darauf, daß die Staaten das GATI schätzen, aber nicht in jedem Fall glauben, es auch anwenden zu können. Und andererseits wehren sich die erfolgreichen Exportstaaten nur schwach gegen freiwillige Exportbeschränkungen, weil ihnen die mögliche Alternative, die Aufgabe des GATI, als schlechtere Option erscheint.
46 Robert O. Keohane: After Hegemony, Princeton 1984, S. 189f.
47 Vgl. Charles Lipson: The Transformation of Trade, S. 268; Jock A. Finlayson/ Mark W. Zacher: The GATI and the Regulation of Trade Barriers, jeweils in: Stephen D. Krasner (Hrsg.): International Regimes, Ithaca 1983, S. 598ff. 48 Lipson, a.a.O., S. 268.
49 Vgl. Lipson, a.a.O.; und derselbe: Standing Guard: Protecting Foreign Capital in the Nineteenth and Twentieth Century, Berkeley 1985. Vgl. auch die Anmerkung dazu von John Ruggie in: International Regimes, Transactions and Change, International Organization 36, 1982, S. 199.
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Orthodoxe Analysen internationaler Handelspolitik gehen meist von einer auf Charles Kindleberger zurückzuführenden Prämisse aus, derzufolge ein liberales internationales Handelssystem ein öffentliches Gut ist. Öffentliche Güter sind Dienstleistungen, bei denen der Ausschluß einzelner Konsumenten unmöglich ist und dessen Konsumtion durch einen Verbraucher die Konsumierbarkeit durch andere Verbraucher nicht einschränkt. 50 "In the econornic sphere, various international public goods have been identified: an open trading system, including freedorn of the seas, well-defined propertyrights, standards of weights and rneasures that rnay include international rnoney, or fixed exchange-rates and the like." 51
John Conybeare hat diese Ausgangsposition verworfen. Freihandel kann nicht als öffentliches Gut angesehen werden, weil Staaten oder einzelne Wirtschaftssubjekte problemlos von der Partizipation ausgeschlossen werden können. 52 Handelskonflikte und ein liberales Handelssystem widersprechen sich keinesfalls. Die Anwendung der Theorie öffentlicher Güter führt überdies dazu, daß die Belastbarkeit eines liberalen Handelssystems unterschätzt wird. Denn wenn Ausschlußmöglichkeiten existieren, so legt es die Logik eines Gefangenendilemmas nahe, dann können ein Abkommen oder regelkonform Verhalten relativ leicht durchgesetzt werden. Sowohl der Realismus als auch der Neo-Institutionalismus erklären jeweils nur einen Teil der Realität. Wenn Veränderungen der globalen Machtverteilung, wie vor allem der Realismus annimmt, die einzige Ursache von Regimewandel sind, können die Unterschiede in der Entwicklung der Normbefolgung im Textilhandel, im Autohandel und im Handel mit Mi-
50 Vgl. Charles P. Kindleberger: International Public Goods without International Government, American Economic Review 76, 1986, S. 2. 51 Kindleberger, a.a.O., S. 7f.; derselbe: Dominance and Leadership in the International Economy: Exploitation, Public Goods, and Free-Rides, International Studies Quarterly 27, 1981, S.243. Vgl. auch Benjamin J. Cohen: The Political Economy of International Trade, International Organization 44, 1990; Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 74; Joanna Gowa: Public Goods and Political Institutions: Trade and Monetary Policy Processes in the United States, International Organization 42, 1988.
52 Vgl. John A. C. Conybeare: Managing International Trade Conflicts, Journal of International Affairs 42, 1988, S. 81; derselbe: Public Goods, Prisoner's Dilemmas and the International Political Econorny, International Studies Quarterly 28, 1984, S. 5ff.
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krochips schwerlich erklärt werden. 53 Die in einigen Sektoren schleichende Erosion, die das GATT seit Ende der siebzig er Jahre erfährt, wird von der Regimetheorie zum Teil nicht beobachtet. Der Realismus gesteht den weltwirtschaftlichen Institutionen dagegen keine Zähigkeit zu: Für ihn haben Staaten prinzipiell konträre Interessen und die daraus entstehenden Konflikte zerstören die Stabilität der Regime.
2. Stabilität und Wandel des GA1T: Die 80er Jahre
Der Reiz des GATT für die Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie resultiert aus der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Prozesse: Zum einen deckt das GATT nach Auskunft der Weltbank einen immer geringer werdenden Anteil der grenzüberschreitenden ökonomischen Transaktionen ab. 54 Zugleich wird der Geist des GATT zunehmend häufiger verletzt. Beides läßt sich offenkundig als Regimeniedergang im Sinne der Theorie hegemonialer Stabilität interpretieren. Gleichzeitig wächst der Welthandel unbeeindruckt weiter, und zwar fast durchweg schneller als die Weltproduktion. Und die lange Zeit nicht im GATT regulierten Sektoren, vor allem die Dienstleistungen, wachsen schneller als die klassischen GATI-Güter. Aus der orthodoxen, staats-zentrierten Internationalen Politischen Ökonomie ergibt sich eine Betrachtungsweise, derzufolge die kritische Größe der Regimestabilität in der Befolgung der GATT-Regeln durch die Staaten besteht. Je liberaler die Handelspolitik der Staaten, desto stabiler das GATT. Unter dem Gesichtspunkt der Wirkung für Wirtschaftssubjekte reicht diese Fragestellung nicht aus. Hier ist es angeraten, die Stabilität des GATT zusätzlich an seiner Wirkung auf die ökonomischen Transaktionen der Wirtschafts subjekte zu bemessen. Als Parameter, die diese Wirkung reflektieren, können das Wachstum des Handels, das Verhältnis des Wachstums des Handels der vom GATT gedeckten Sektoren mit anderen Sektoren und vor allem die Weltmarktintegration (das Verhältnis zwischen Handel und Produktion) angesehen werden.
53 Vgl. Charles Lipson: The Transformation of Trade, in: Stephen D. Krasner: International Regimes, Ithaca 1983, S. 236. 54 Vgl. Weltbank: Weltentwicklungsbericht 1987, Washington 1987, S. 154.
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a) Protektion versus weltwirtschaftliche Integration? Eine der zentralen Prämissen der liberalen Internationalen Politischen Ökonomie lautet, daß eine Zunahme der Protektion zu einer Abnahme der weltwirtschaftlichen Verflechtung führt. Die These basiert auf der Umkehrung der beobachteten Entwicklung, daß die Liberalisierung der Nachkriegsphase mit einer bislang nicht dagewesen weltwirtschaftlichen Integration einher ging. Während der achtziger Jahren ging eine Zunahme des Protektionismus jedoch mit einem Wachstum des Welthandels einher. Prozentuale Veränderung von Weltgüterproduktion und Güterhandel, 1982-1992 55 Handel Produktion Differenz 1960-70 8,5 6,0 2,5 1970-80 5,0 4,0 1,0 1980-90 3,5 2,0 1,5 1980 2,5 0,5 2,0 0,5 0,0 1981 0,5 1982 -3,0 -2,0 -1,0 2,5 2,0 1983 0,5 8,0 6,0 1984 2,0 1985 3,0 3,0 0,0 4,0 1986 3,0 1,0 1987 6,0 3,0 3,0 8,0 5,0 1988 3,0 7,0 1989 4,0 3,0 1990 5,0 2,0 3,0 1991 3,0 0,0 3,0 1992 4,0 1,0 3,0 1,5 1,0 1993 2,5 Quelle: GA TI: International Trade, jährlich; und dasselbe: Focus - Newsletter No. 98, Genf 1993; dasselbe: Focus - Newsletter No. 108, Genf 1994
Das bereits 1983 von Charles Lipson festgestellte Ausmaß der Umgehung von GA TI-Regeln durch die Staaten hat sich in der zweiten Häfte 55
Die Werte sind auf halbe Prozentpunkte gerundet.
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der achtziger Jahre weiter verstärkt. 56 Einerseits versuchen die Staaten direkte Verstöße gegen das GATI zu venneiden, doch die Zunahme der Importquoten und der 'freiwilligen' Exportbeschränkungen zeigt eine graduelle Abkehr vom Freihandelsprinzip des GATI. Trotzdem wuchs der Welthandel wie Tabelle 1 zeigt während des letzten Jahrzehnts (mit Ausnahme des Jahres 1982) durchgängig. Der Vergleich zwischen der weltweiten Produktion von Gütern und dem internationalen Güterhandel zeigt, daß der Handel in den Krisenjahren zwischen 1982 und 1992 stärker gewachsen ist als die Produktion der vom GATI gedeckten Gütern. Beobachtet man allein die für Jahrzehnte aggregierten Daten läßt sich zwar ein Rückgang der Zunahme ökonomischer Integration nach Ende der amerikanischen Hegemonie feststellen. Dies ist im wesentlichen ein Resultat der Erholung von einer kriegsbedingten Desintegration während der fünfziger und sechziger Jahre. Eine nach-hegemoniale Desintegration läßt sich keineswegs beobachten, denn dafür müßte die Weltgüterproduktion definitionsgemäß schneller wachsen als der Handel. Insbesondere die Zunahme der weltwirtschaftlichen Integration während der krisenhaften achtziger Jahre verdeutlicht, daß ein Zusammenhang zwischen der Existenz eines Hegemons und der weltwirtschaftlichen Integration nicht existiert. Weltmarktintegration (ExpoMlIP: 1960=1.0»
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Abb. 9: Die Veränderung der Weltmarktintegration der USA, Japans und Deutschlands, 1960-1992
56 V gl. Charles Lipson: The Transfonnation of Trade, in: Stephen D. Krasner: International Regimes, Ithaca 1983, S. 255ff; Jagdish Bhagwati: Protectionism, Cambridge 1988.
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Im Gegensatz zur orthodoxen These läßt sich für die achtziger Jahre eine Zunahme der weltwirtschaftlichen Integration feststellen und auch die Weltmarktintegration der regionalen Zentren USA, Deutschlands und Japans stieg an. 57 Eine Indiz für die Desintegrationsthese der Theorie hegemonialer Stabilität läßt sich an obiger Grafik nicht entdecken. Statt dessen kann ein relativ deutlicher Zusammenhang zur Wechselkursentwicklung ausgemacht werden. Sowohl die amerikanische Überbewertungspolitik 1981-1987 wie auch die japanische 'Desintegration' zwischen 1985 und 1988 ist primär auf die Aufwertung des Yen gegenüber dem Dollar und der D-Mark zurückzuführen. 58 Helen Milner erklärt den Bestand des GATT und die weiterhin zunehmende weltwirtschaftliche Integration als Ergebnis der veränderten Einstellung der in den Weltmarkt integrierten Industrieunternehmen. Diese fordern aufgrund der gestiegenen weltwirtschaftlichen Verflechtungen gegenwärtig seltener intervenierende Maßnahmen des Staates als während der strukturell angeblich vergleichbaren zwanziger Jahre. 59 Es sind zwar die Staaten, die Handelsbeschränkungen einführen, aber sie tun es nicht allein aus einem staatlichen Interesse, sondern lassen sich von 'ihren' Wirtschaftssubjekten beeinflussen.
b) Der Erfolg der Uruguay-Runde als 'Puzzle' Das GA TI hat seine bislang ambitionierteste Welthandelsrunde 60 Ende des Jahres 1993 erfolgreich beendet, obwohl es lange Zeit so aussah, als ob
57 Die Grafik verdeutlicht nicht die absolute Weltmarktintegration, sondern die relative WeItmarktintegration im Vergleich zum Status Quo 1960.
58 Der Zusammenhang zwischen realen Wechselkursen und der Handelsbilanz ist umstritten. Vgl. beispielsweise die Beiträge in dem von Fred Bergsten herausgegebenen Sammelband: International Adjustment and Financing, Institute for International Economics, Washington 1991. An dem oben abgebildeten Indikator, der Weltmarktintegration, läßt sich Wirkung von Wechselkursen immerhin gut ausmachen - besser als an der Handelsbilanz. 59 Helen Milner: Trading Places: Industries for Free Trade, World Politics 40, 1988, S. 375. 60 Vgl. die Einschätzung der Uruguay-Runde durch das GATT: "Success! The most comprehensive Round ever is conc\uded." GATT: Focus Newsletter Nr. 104, Genf, Dezember 1993.
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der Konflikt im Agrarbereich zwischen den USA und Europa eine Einigung unmöglich machen würde. Von den Ergebnissen können vier hervorgehoben werden: 1. Das GATI ist von einem multilateralen Vertrag zu einer echten internationalen Organisation, der World Trade Organisation (WTO), ausgebaut worden.
2. Erstmals ist der Handel mit Dienstleistungen im General Agreement on Trade in Services (GATS) liberalisiert worden. 3. Nicht-tarifäre Protektion muß in Zölle umgewandelt werden. 4. Das GATI, oder neuerdings die WTO, ist mit einem einflußreichen Streitschlichtungsverfahren ausgestattet worden, dem Dispute SettlementBody. Dieser Erfolg war nur zu erreichen, weil andere Konflikte nicht vollständig gelöst wurden. Es wurde aber auch kein Bereich grundsätzlich ausgeschlossen. Insgesamt überwiegen die Erfolge gegenüber den Mißerfolgen in Zahl und Bedeutung. Dies ist von der Orthodoxie nicht nur nicht prognostiziert, sondern geradezu ausgeschlossen worden. Robert Gilpin und Robert Baldwin etwa sahen die Ursache der behaupteten Schwächung des GATI in einer Diffusion globaler Macht, die sich vor allem im Aufstieg einiger südostasiatischer Staaten zu Wettbewerbern selbst im Hochtechnologiebereich ausdrückt: "The relative dec1ine in the size and competitiveness of the American economy also contributed to the slowing of world trade and the rise of protectionism. (... ) By the late 1970's, several broad changes had begun to erode the GATT' system of trade liberalization." 61
Und Lester Thurow wirft einen Blick nach vom: ,,1t is an old axiom of history that the rules of trade are written by those who control access to the world's largest market. (... ) As the world's largest market, the House of Europe will be writing the rules of world trade in the twenty-first century, and the rest of the world will simply have to leam to play their economic game." 62
61 Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. I 94f.; Robert E. Baldwin: The New Protectionism: A Response to Shifts in National Economic Power, in: Dominik Salvatore (Hrsg.): The New Protectionist Threat to World Welfare, Amsterdam 1986.
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Teil 4: Regimedynamik durch ökonomische Prozesse
Thurow geht von einem Wandel der internationalen Organisationen aus, weil Europa angeblich eine weniger liberale Einstellung gegenüber dem Handel hat als die USA. Wenn Europa der größte Markt ist und deshalb die Regeln schreibt, dann muß ein Handelssystem erwartet werden, daß mit dem (nur unschön zu übersetzenden) Begriff des 'Managed Trade' bezeichnet wird. Dies erscheint im Lichte der Vereinbarung des General Agreement on Trade in Services als übertriebene Skepsis. Im GATS hat das Prinzip des 'Liberalismus' in der Regelung, daß ausländische Unternehmen wie inländische behandelt werden müssen, Ausdruck gefunden. Das heißt, Dienstleistungsmärkte müssen von den Staaten nicht im traditionellen Sinn liberalisiert (dereguliert) werden; Post- und Bahnmonopole sind ebenso denkbar wie weitreichende und umfassende Regulationen einzelner Marktsegmente, doch ausländische Anbieter müssen nationalen Anbietern gleichgestellt werden. Darüber hinaus muß die bestehende Regulation in einem Marktsegment transparent gemacht werden. 63 Die Bedeutung dieses neuen Abkommens steht der Bedeutung des GATI dennoch in nichts nach, weil Dienstleistungstransaktionen zu Anfang der neunziger Jahre etwa 35% des Welthandels ausmachten und für einige Staaten, vor allem für Großbritannien und die USA, wichtiger sind als Güterhandel. 64 Im GATI selbst entspricht die Einrichtung eines Streitschlichtungsverfahrens, das der WTO direkt unterstellt ist und anders als der Internationale Gerichtshof bindende Urteile fällt, einer Aufgabe nationaler Souveränität, die langfristig bedeutender sein könnte als die zusätzliche Liberalisierung des Welthandels. Von einem funktionierenden Streitschlichtungsverfahren verspricht sich das GATI eine Erhöhung der Normbefolgung 65 und eine größere Verläßlichkeit des Welthandelsregimes für die Wirtschaftssubjekte.
62 Lester Thurow: Head to Head: The Coming Economic Battle Among Japan, Europe and America, London 1993, S. 75. 63 Vgl. GATI: Focus-Newsletter Nr. 104, Genf 1993, S. 11 f. 64 Vgl. IMF: Balance of Trade Statistics, versch. Jahrgänge, Washington; GATI: International Trade, Genf 1989, S. 23ff.; Stephen F. Benz: Trade Liberalization and the Global Service Economy, Journal of World Trade Law 19, 1985. 65 Vgl. lohn H. Jackson: Strengthening the International Legal Framework of the GATI-MTN System, in: Ernst-U1rich Petersmannl Meinhard Hilf (Hrsg.): The New
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c) Der Erfolg der Uruguay-Runde im Spiegel der Theorien Während die Realisten Gilpin und Thurow einen posthegemonialen Bedeutungsverlust des GATI erwarten, glaubt Keohane, zumindest eine intensiver werdende Kooperation ausschließen zu können. 66 Der Abschluß der Uruguay-Runde widerlegt diese Annahme. 67 Für eine an ökonomischen Prozessen orientierte Theorie ist der Erfolg dagegen nicht primär erklärungsbedürftig. Die dreijährige Verlängerung der Verhandlungsphase kann mit der Komplexität der neuen Problembereiche erklärt werden. Zwar kamen fast alle Verhandlungsgruppen mit Ausnahme der Nahrungsmittelgruppe beinahe innerhalb des ursprünglichen Zeitrahmens zu einem Ergebnis,68 doch die amerikanische 'alles-oder-nichts' -Attitüde und das französische Beharren auf dem europäischen Agrarregime schlossen eine Einigung lange Zeit aus. Warum aber kam die Einigung dann relativ schnell und für viele Beobachter überraschend zustande? Ein Grund liegt in dem Auslaufen der 'FastTrack'-Regelung in den USA. Die Fast-Track-Regelung erlaubt dem Präsidenten, Handelsabkommen zur Gänze und am Kongreß vorbei abzuschließen. Ohne diese Regelung behält sich der Kongreß das Recht vor, über jede einzelne Regelung des Abkommens abzustimmen. Dies würde nicht nur eine erhebliche Verzögerung der Ratifizierung des Abkommens
GATT Round of Multilateral Trade Negotiations, Kluwer, Deventer 1988; Ernst-UIrich Petersmann: Strengthening GATT Procedures for Settling Trade Disputes, in: The Wor1d Economy 11, 1988.
66 Vgl. Robert O. Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger: Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 33. 67 Vertreter des GATT setzen sich mit den Gründen des neuerlichen Erfolges nicht auseinander, sie können aber einen gewissen Triumph gegenüber den Pessimisten nicht verhehlen: "Not long ago, there were dire predictions about GATf's demise, followed by a collapse of the multilateral trading regime. It was believed that the world would be divided into regional trading blocks and that trade wars were inevitable. We have proved the cassandras wrong. Today, not only the GATT is alive and kicking, it will soon metamorphose itself into a vastly more important and expanded institution." B.K. Zutchi, Vorsitzender der Vertragsparteien, zitiert nach GATT: Focus - Newsletter Nr. 105, Genf 1984, S. I. 68 Vgl. die Zwischenergebnisse des mid-term review, in GATT: Focus-Newsletter NT. 61, Genf 1989.
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bedeuten, es mußte in diesem Fall auch mit erheblichen Abweichungen vom multilateralen Verhandlungsergebnis gerechnet werden. So wichtig diese Regel für das exakte Datum des Abschlusses gewesen sein mag - das neue GATT-Abkommen wurde am letzten Tag der FastTrack-Regelung unterzeichnet - so wenig kann sie erklären, warum nicht im ersten Fall, an dem die Regelung zuvor auslief, im Dezember 1990, ein Abkommen abgeschlossen wurde. Das Signal-Rausch-Abstands-Theorem, demzufolge gleiche Signale von den Akteuren in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich wahrgenommen werden, und das Tversky-Kahneman-Theorem, demzufolge die Akteure etwaige Verluste höher bewerten als identische Gewinne, können diese Entwicklung überzeugend erklären. 69 Dabei muß berücksichtigt werden, daß Ende des Jahres 1990 die Golfkrise die Aufmerksamkeit der Welt fesselte. Die Weltwirtschaft erreichte vergleichsweise hohe Wachstumszahlen und der Welthandel wuchs. Die handelspolitischen Divergenzen zwischen der EG und den USA erschienen wesentlich wichtiger als der erfolgreiche Abschluß der Uruguay-Runde. Insofern wurde der Uruguay-Runde 1990 eine eher geringe Bedeutung und dem transatlantischen Agrarkonflikt eine vergleichsweise hohe Bedeutung beigemessen. Deshalb wurde die Fast-Track-Regelung der USA erst am 23. Juli 1991 erneuert - für zwei weitere Jahre. 7o Zwei Jahre später, als die Regelung erneut auszulaufen drohte, war die Situation der Weltwirtschaft eine andere: Alle OECD-Staaten waren in einer Rezession, manche gar in einer Depression. 71 Die Weltwirtschaft hatte Wachstumsimpulse dringend nötig. Diese Situation ermöglichte vielen Regierungen, ungewöhnliche Maßnahmen vorzunehmen. Südkorea und Japan öffneten ihre Reismärkte. Das war eine Entscheidung, die intern schwieriger durchzusetzen war, als die Anpassungen des EG-Agrarregimes in Frankreich. Es gibt zusammenfassend einige Anhaltspunkte dafür, daß 69 Für eine Integration beider Theoreme vergleiche Thomas Plümper: Quasi-rationale Akteure und die Funktion internationaler Institutionen, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2, S. 64ff. 70 Vgl. GA TI: Focus-Newsletter Nr. 82, Genf, Juli 1991, S. I. 71 Legt man die amerikanische Sprachregelung an, die von einer Depression ausgeht, wenn die Produktion abnimmt, und den Begriff Rezession verwendet, wenn das Wachstum des Output vier Quartale nacheinander sinkt, befand sich auch Deutschland in einer Depression. Im deutschen Sprachgebrauch wurde allerdings der Begriff Rezession verwendet.
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die Wahrnehmung der Krise den Verhandlungsetfolg ermöglichte. Mit Tversky und Kahneman kann die Verlustvermeidungspräferenz der Entscheider für den Durchbruch in Genf verantwortlich gemacht werden. Unter dem Druck drohender Wohlfahrtsverluste sind selbst unpopuläre politische Maßnahmen durchsetzbar; ohne diesen Druck erscheint der Politik, aber nicht nur der Politik, keine Entscheidung oftmals als richtige Option.
3. Wirtschaftssubjekte und weltwirtschaftliehe Integration
Wenn die Internationale Politische Ökonomie nur Staaten als Akteure zur Theoriebildung heranzieht, beschränkt sie sich auf politische Grenzen der weltwirtschaftlichen Integration. Freie Märkte, so die der neoklassischen Ökonomie entlehnte Prämisse, sind petfekt integrierte Märkte. In einer Wirtschaft ohne Transaktionskosten und Unsicherheit wäre das so. Aber diese Modellwelt existiert nicht. In der Realität findet die Integration der Weltwirtschaft ihre natürlichen Grenzen in der begrenzten Kapazität der Menschen zu ökonomischem Kalkül. Allerdings verursachen hohe Transaktionskosten und Unsicherheit über künftige Entwicklungen auch umgekehrt ein Fortdauern hoher weltwirtschaftlicher Integration. Selbst wenn die Wirtschaftssubjekte auf einzelnen Märkten keine Gewinne mehr erzielen können, werden sie den Markt nicht sofort verlassen wollen. Dies hat zwei Ursachen: Zum einen ist der Markteintritt mit Kosten verbunden, die später zwar als 'sunk costs' betrachtet werden können, die aber dennoch nicht unmittelbar abgeschrieben werden. Diese Kosten setzen sich zusammen aus der Entwicklung eines Marketingund Distributionsnetzes, aus den Werbekosten, die mit der Markteinführung eines Produktes verbunden sind, und aus den Kosten, die anfallen, um die rechtlichen und ökonomischen Grundlagen eines Marktes zu etfassen: "The obvious point is the naive one that a firm will be willing to break into a market only if it expects to cover sunk costs, and that on ce the costs are sunk it will be willing to stay in the market even it is able to cover only its variable costs." 72
72 Paul Krugman: Exchange-Rate Instability, Carnbridge 1989, S. 45.
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Dazu kommt, daß bei den Wirtschaftssubjekten nahezu immer Unsicherheit über die künftige Entwicklung der Ertragslage in (fremden) Märkten besteht. Obwohl Verluste gemacht werden, erscheint unklar, ob in Zukunft wieder Gewinne erwirtschaftet werden können. Gerade wenn die Verluste politische Ursachen haben, beispielsweise weil die Zölle erhöht wurden und das Produkt gegenüber nationalen Anbietern nicht mehr konkurrenzfähig produziert werden kann, besteht doch die Möglichkeit, daß die nächste Regierung diese Maßnahme wieder rückgängig macht. Noch eindeutiger liegt der Fall bei wechselkursbedingten Veränderungen der Konkurrenzfähigkeit. Hochvolatile Wechselkurse veranlassen Wirtschaftssubjekte, eine 'wait-and-see' -Attitüde einzunehmen; sie schrecken davor zurück, neue Märkte zu betreten oder bereits betretene Märkte zu verlassen,73 da beides mit Kosten verbunden ist. Nicht nur die Wirkung, selbst der Bestand weltwirtschaftlicher Regime ist partiell von der Geschäftstätigkeit der Wirtschaftssubjekte abhängig. Es sind zwar Staaten, die das GATI anwenden und in nationale Politik umsetzen, doch ihre Motivation für eine Veränderung der Politik resultiert letztlich aus ökonomischen Prozessen. Wie Helen Milner gezeigt hat,74 reichen ökonomische Spannungen und der Verlust von Weubewerbsfähigkeit der einheimischen Industrie nicht aus, Staaten zu protektionistischen Maßnahmen zu veranlassen. Sie reagieren fast immer erst auf entsprechende Anstöße der Wirtschaftssubjekte. Bleiben diese aus (etwa weil Gegenmaßnahmen in deren Exportmärkten zu erwarten sind), halten sich die Staaten weitgehend zurück. Diese Kritik geht an den harten Kern der Annahme staatlicher Interessen. Würde die Annahme homogener Akteure und Interessen vollständig verworfen werden, wäre die gesamte Kooperationsdebatte fragwürdig. Staaten wären dann weder Status- noch Wohlfahrtsmaximierer, sondern Interessenvertreter 'ihrer' Wirtschaftssubjekte. Doch so weit muß man nicht gehen. Die Politik basiert auf relativ stabilen Werten und Interessenwahrnehmungen. Diese Konstellation prägt politische Routinen in Form von selbst auferlegten Verpflichtungen aus. Eine liberale Wirtschaftspolitik, also möglichst geringe Staatseingriffe und möglichst wenig politische Stö73 Vgl. Krugman, a.a.O., S. 54. 74 Helen Milner: Trading Places: Industries for Free Trade, World Politics 40,
1988, S. 375.
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rungen internationaler Geschäftstätigkeit, ist eine solche Verpflichtung. Diese wird eingehalten, solange kein interner Akteur dagegen interveniert und solange nicht rnakroökonomische Entwicklungen eintreten, die als Problem interpretiert werden. Die Forderung einiger Unternehmen nach verstärkter Protektion kann nur erfolgreich sein und in Politik umgesetzt werden, wenn beispielsweise ein Leistungsbilanzdefizit hinzukommt. Und umgekehrt führt ein Leistungsbilanzdefizit nicht zu einer Erhöhung der Protektion, wenn nicht Wirtschaftssubjekte dies fordern. Doch die Uruguay-Runde des GATI und die Endphase des Bretton-WoodsSystems verdeutlichen ebenfalls, daß in krisenhaften Situationen die Bereitschaft zu Kooperation oftmals steigt. Umgekehrt werden Handelskriege eher in relativ stabilen weltwirtschaftlichen Wachstumsperioden geführt. In Krisensituationen kann ein verstärkter Aktionismus, eine Zunahme der Bereitschaft, Routinen aufzugeben, festgestellt werden. Ob diese Bereitschaft zu mehr oder weniger Liberalität führt, ist unbestimmt. Erwartet werden muß zumindest eine Zunahme von Verhandlungen; ob diese Verhandlungen dann tatsächlich zum Erfolg führen, hängt auch von der langfristigen Bedeutung der ökonomischen Krise ab.
III. Der Niedergang internationaler Regime
Die zwei Studien zum Niedergang des Festkurssystems von Bretton Woods und zur Entwicklung des Welthandelsregimes GATI haben gezeigt, daß Regimewandel ein einfaches, aber auch ein komplexes Phänomen sein kann. Nicht immer verhalten sich Regime so eindeutig wie das Festkurssystem von Bretton Woods und werden aufgegeben. Das GATT hat eine weitaus unterschiedlichere Reaktion gezeigt. Wenn die Veränderung der Funktion des GATI nicht einfach als Regimeniedergang interpretiert wird, und der Abschluß der Uruguay-Runde verbietet dies, fällt die Option des Rückgriffes auf die Theorie hegemonialer Stabilität weg. Geht man von einer prinzipiell unterschiedlichen Genese bei einem ähnlichen oder gleichen politischen Umfeld der Regime aus und folgt der Interpretation des Neo-Institutionalismus, wird entweder der Kollaps des Bretton-Woods-Systems oder der Fortbestand des GATI erklärungsbedürftig. Doch die unter diesem Gesichtspunkt berechtigte Kritik des Neo-Institutionalismus am Realismus hat bislang nicht zu einer 'harten' Theorie des
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Regimewandels geführt. Die Orthodoxie konnte nicht anders verfahren, als dieses Puzzle ungeklärt und unerklärt im Raum stehen zu lassen, weil die einzigen ihr zur Verfügung stehenden Variablen konstant blieben: Beide Regime weisen in etwa die gleichen dominierenden Akteure auf. Damit entstand der Ausweg, die Machtstruktur zwischen Problemfeldern zu unterscheiden, um innerhalb des orthodoxen Paradigmas zu einer Erklärung zu kommen. Dies ist allerdings eine Erklärung, die Zirkelschlüsse nahelegt.
1. Die ökonomische Funktion internationaler Regime Sowohl das Festkurssystem von Bretton Woods als auch das Handelsregime GATI haben ihre Wirkung unter dem Einfluß von weltwirtschaftlichen Strukturierungsprozessen graduell und kontinuierlich verändert. In bei den Fällen erfolgte der Versuch politischer Anpassungsmaßnahmen erst auf der Höhe einer Krise, entweder der Institution oder des direkten Regimeumfeldes. Bis dahin waren die Normen, Prinzipien und Entscheidungsprozesse durch einen hohen Grad an Kontinuität gekennzeichnet. Im Unterschied zum Bretton-Woods-System, in dem Anpassungen der Wechselkurse nur selten vorkamen und gegenüber der ursprünglichen Intention von White und Keynes von den USA institutionell erschwert wurden, ist das GATI in den verschiedenen Welthandelsrunden fortgesetzt Veränderungen unterworfen worden. Doch diese politischen Eingriffe betrafen nicht die generellen Prinzipien wie Freihandel, Meistbegünstigungsklausel und Reziprozität, sondern spezielle Normen und vor allem eine Reduzierung der Zölle. Die Unterschiede der Entwicklung beider Regime kann eine Untersuchung der 'Regimevariationen' erklären. Wenn die Akteure nahezu identisch sind und auch die Machtstruktur gleich ist, dann können die Regime Unterschiede aufweisen. Die so begründete 'Regimekomparatistik' ist ein derzeit noch relativ wenig entwickeltes Forschungsfeld. 75 Robert Keohane erschließt dieses Gebiet durch eine Diskussion der Regimewirkung, warnt aber ebenso wie Ernst Haas davor, diese als Ersatz für die traditionelle
75 Vgl. Robert Keohane: The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger (Hrsg.): Regime Theory and International Relations, Oxford 1993, S. 34ff.
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Interpretation mit dem von den Begriffen Macht, Interesse und Interdependenz geprägten Paradigmas zu betrachten.7 6
2. Zweck und Funktion ökonomischer Regime Der Wandel ökonomischer Regime kann überzeugender erklärt werden, wenn ihre Wirkung auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte berücksichtigt wird. Weltwirtschaftliche Regime sollen ein spezielles Verhaltensmuster bei Wirtschaftssubjekten hervorrufen oder unterbinden, verändern oder ermöglichen. Dies gelingt ihnen, indem sie den erwarteten Nutzen verschiedener Optionen gezielt beeinflussen und auf diese Weise eine Steuerleistung im Hinblick auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte ausüben. Es kann unterschieden werden zwischen Regimen, welche ökonomische Transaktionen hervorrufen sollen, und Regimen, die spezielle ökonomische Transaktionen verhindern oder eine bestimmte Art und Weise der Transaktion ausprägen sollen. Im ersten Fall, in dem ein Regime spezielle, zusätzliche Transaktionen ermöglichen soll, ist der Bestand des Regimes durch Funktionsverlust nicht direkt gefährdet, weil dadurch, daß eine mögliche Option nicht ausgeführt wird, nicht gegen die Regulation verstoßen wird. Schlimmstenfalls wird die Regulation irrelevant. Ist das Regime mit einer Organisation verbunden, sucht sich letztere wahrscheinlich eine neue Aufgabe. Wenn die Funktion des Regimes gegenüber den Wirtschaftssubjekten darin besteht, spezielle Transaktionen zu unterbinden, ist die Wahrnehmung seiner Unwirksamkeit viel größer, weil indirekt gegen die Regulation verstoßen werden kann. Die Wirkung der beiden in diesem Kapitel untersuchten Regime auf das ökonomische Verhalten der Wirtschaftssubjekte ist im Sinne dieser Unterscheidung different. Die Wirtschafts subjekte können mit ihren Transaktionen nicht gegen die Intention des GATT verstoßen, Handel zu ermöglichen. Als Extrem hätten sie lediglich darauf verzichten können, Handel zu treiben. Der Bestand des GATT wäre durch diese 'Nichthandlung' der Wirtschaftssubjekte allerdings nicht gefährdet gewesen. Dies war im Fall des Bretton-Woods-Systems anders. Die Freiheit der Wirtschafts subjekte 76 Vgl. Keohane, a.a.O., S. 37; Ernst B. Haas: Beyond the Nation-State, Stanford 1964, S. 26ff. 13 Plümpcr
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zu einer beliebigen Wechsel kurs bildung auf den Finanzmärkten war nicht eingeschränkt. Es war den Wirtschaftssubjekten keinesfalls verboten, Währungen zu anderen als den politisch festgesetzten Paritäten zu handeln. Wenn es solche Vorschriften gab, so waren diese stets im Zusammenhang mit national implementierten Kapitalverkehrskontrollen eingeführt worden. Das Bretton-Woods-Regime forderte demgegenüber vielmehr eine freie Konvertibilität der Währungen. Seit diese 1958 in den meisten westeuropäischen Staaten eingeführt war, bildeten sich die Preise von Währungen am Markt. Die Wirtschafts subjekte waren seitdem weitgehend frei, Währungen zu beliebigen Preisen zu handeln. Im Festkurssystem war es dennoch lange Zeit 'irrational', den Transaktionen einen, gegen die funktionierende Stabilisierung der Erwartungshaltung gerichteten, grundsätzlich anderen Wechselkurs als den im Bretton-Woods-Abkommen festgelegten Kurs zugrunde zu legen. In dem Augenblick, in dem die Stabilisierung der Erwartungshaltung der Wirtschaftssubjekte von dem Regime nicht mehr sichergestellt wurde, konnten die Wirtschaftssubjekte nicht davon abgehalten werden, die Währungen zu anderen als den festgelegten Kursen zu tauschen. Unterschiede zwischen den politisch festgelegten Kursen und den Marktkursen setzte die Stabilität des Regimes einem unmittelbaren Druck aus. Die Unterscheidung zwischen ermöglichenden und einschränkenden Regimen vermag die größere Stabilität des GATT und die schnelle Aufgabe des Festkurssystems von Bretton Woods zu erklären. Die wesentliche Aufgabe des GATT besteht in der Schaffung von konkurrenzgleichem Marktzugang durch Handel. Selbst wenn die Wirtschaftssubjekte freiwillig keinen grenzüberschreitenden Handel mehr vornähmen, läge kein Verstoß gegen das GATT vor. Kann das GATT seine Wirkung auf die Transaktionen von Wirtschaftssubjekten entweder allgemein oder für ausgesuchte Produkte nicht gewährleisten, hat es zwar keine Aufgabe mehr, doch da die Erosion schleichend erfolgt, kann das Regime unter Umständen bestehenbleiben. Der Fall des Bretton-Woods-Systems ist anders gelagert. Das Regime hatte die Aufgabe, die Wechselkurse zwischen den Staaten innerhalb einer schmalen Bandbreite um feste Paritäten zu stabilisieren. Als dies nicht mehr gelang, war das Scheitern evident. Der Wirkungsverlust der spezifischen Institution erfolgt in diesen Fällen 'eruptiv'.
B. Kooperative Regimebildung Der Neo-Institutionalismus kennt zwei Modalitäten von Regimebildung. Entweder ein Hegemon installiert weltwirtschaftliche Institutionen oder sie entstehen durch zwischenstaatliche Kooperation. In diesem Kapitel werden nun kooperative, post-hegemoniale Regimebildungsprozesse auf ihre Bedingungsfaktoren untersucht. In der Theoriedebatte wurde in dieser Hinsieht bislang die Bedingung der Kooperationsfähigkeit staatlicher Akteure diskutiert.! Die Kooperationsfähigkeit von Staaten wird gegenwärtig als gegeben, nieht aber als hinreichend für den Erfolg internationaler Kooperation angenommen. Vielmehr spielen auch kognitive Bedingungen eine Rolle. Eine allgemeinere Theorie des Wandels weltwirtschaftlicher Regime kann insofern nicht allein auf der Interessenkonstellation basieren. Das folgende Kapitel thematisiert aber nicht allein die kognitiven Ursachen von Institutionenbildung, sondern auch die Modalitäten von Interaktionen zwischen Staaten und Wirtschaftssubjekten diskutiert. Diese Interaktionen haben einen großen Einfluß auf die ökonomische Wirkung des Regimes.
I. Die Internationalisierung des Bankwesens
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden internationale Bankgeschäfte im erwähnenswerten Umfang erst dann getätigt, als die europäischen Währungen Ende der fünfziger Jahre von den Fesseln der Nichtkonvertibilität und der Kapitalverkehrskontrollen befreit wurden. Im Anschluß an den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems und dem damit verbundenen Übergang zu flexiblen Wechselkursen im Jahr 1973 sind die internationalen Finanzmärkte quasi 'explodiert'. Wachstumsraten in Größenordnungen von zwanzig Prozent waren während der siebziger Jahre durchaus norma1. 2 ! Vgl. Kenneth Oye (Hrsg.): Cooperation under Anarchy, Princeton 1985; David A. Baldwin (Hrsg.): Neorealism and Neoliberalism, New York 1993.
2 Vgl. Bank for International Settlements: Jahresbericht, BIS, Basel, jährlich.
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Drei Prozesse, Deregulierung, Produktdiversifizierung und wachsende Interdependenzen, kennzeichnen diese Internationalisierung der Bankgeschäfte. 3 Zunächst entstand eine Standortkonkurrenz zwischen den verschiedenen Bankpl ätzen , welche die Aufsichtsbehörden zu einer weitgehenden Deregulation veranIaßt hat. Den Trend haben diejenigen Bankplätze vorgegeben, die im internationalen Vergleich den niedrigsten Regulationsgrad aufweisen konnten. Dies waren die sogenannten 'Off-Shore'-Zentren, von denen Hongkong und Singapur die größten und bekanntesten sind. Doch die traditionellen Marktplätze wie London und New York und später auch Tokio und Frankfurt haben schnell nachgezogen und behaupten sich heute weiter an der Spitze der internationalen Finanzmärkte, die heute aber rund um den Globus verteilt sind. Infolge der Deregulierung und des zunehmenden Wettbewerbes kam es zu einer Kette von Finanzinnovationen, die das Produktangebot der Banken deutlich erweiterten. Zwei Ursachen sind für diese Diversifizierung des Angebots verantwortlich: Zum einen entstand durch die Internationalisierung eine größere Unübersichtlichkeit des Marktes, die Risiken mit sich brachte, gegen die sich die Wirtschafts subjekte bei den Banken durch geeignete Produktauswahl 'versichern' konnten. Und andererseits reagierten die Banken mit neuen Finanzprodukten auf staatliche Regulation. Parallel dazu entstand ein Inter-Bank-Markt, in dem die Banken untereinander Finanztitel handeln und sich gegenseitig kurzfristige Kredite einräumen. 4 Ende 1988 betrug der Bestand der Inter-Bank Nettokreditvergabe 1937 Mrd. US-Dollar. Die internationalen Nettoausleihen der Banken an NichtBanken betrugen zum gleichen Zeitpunkt etwa 2220 Mrd. Dollar. 5 Die Inter-Bank Geschäfte machen also gut 45% der gesamten internationalen Geschäftstätigkeit der Banken aus.
3 Vgl. R M. Pecchioli: The InternationaIisation of Banking, OECD, Paris 1983, S. 106. 4 Vgl. Bank for International Settlements: The InternationalInterbank Market, BIS, Basel 1983, S. 7. 5 Vgl. Bank for International Settlements: 58. Jahresbericht, BIS, Basel 1988, S. 123. Die Zahlen beruhen auf Schätzungen der Bank und resultieren letztlich aus den Angaben der an die BIS berichtenden Banken.
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1. Die Risiken deregulierter Finanzmärkte
Die Deregulierung und Internationalisierung der Bankgeschäfte und die sich daraus ergebenden Einführung der Finanzinnovationen hat die Wertpapiermärkte professionalisiert. 6 Private Anleger tauchen nur noch vereinzelt auf, der Großteil der Geschäfte wird von gewerblichen Anlegern getätigt. Diese zeichnen sich durch eine internationale Orientierung und eine permanente, computergestützte Marktbeobachtung aus. Die Reaktionszeiten sind dadurch extrem kurz und die Reaktionsweise der Anleger ist gleich oder zumindest ähnlich geworden. Ein erkanntes, aber kaum zu überwindendes Grundproblem des Computerzeitalters stellt die hohe Verbreitung einiger weniger Programme und die 'Entscheidungsbefugnis' der Rechner dar. Aus einer Börsentendenz wird ein Trend, da gleiche Computerprogramme gleiche Informationen gleich aufbereiten und gleiche Kaufund Verkauforders geben. Der Computercrash ist keine Fiktion mehr, sondern, wie der 19. Oktober 1989 gezeigt hat, eine reale Gefahr. Wenn die Profite international verteilt werden, trifft dies auch für die Verluste zu. Das Scheitern einer Bank, die eine kritische Größe und eine hohe internationale Geschäftstätigkeit erreicht, kann dadurch eine Kettenreaktion auslösen. 7 Darüber hinaus lassen sich zusätzliche Gründe für eine kooperative Regulation der Finanzmärkte anführen: Erstens bringt es das Wesen des Bankgewerbes mit sich, daß sich sowohl die Umsätze als auch die Gewinne durch risikoreiche Geschäfte kurzfristig steigern lassen, wie nicht zuletzt die Affäre um die 'Saving and Loan Institutions' in den USA verdeutlicht hat. Doch es ist nur zu einem kleinen Teil eigenes Kapital, das Banken einsetzen. Vielmehr agieren sie als Finanzintermediäre, die zwischen Sparern und Kreditnehmern vermitteln. Der Zusammenbruch einer Bank trifft deshalb nicht nur die Anteilseigner, sondern vor allem die Sparer oder aber den Staat, der für die Spareinlagen aufkommt. Zweitens wird die internationale Konkurrenz zwischen den Geschäftsbanken weniger
6 Robert D. Honnats: International Capital Markets and Financial Flows, in: Surandra K. Kaushik: (Hrsg.): International Banking and World Economic Growth, New York 1987, S. 18. 7 Anthony Saunders: The Inter-Bank Market, in: Richard Portes/ Alexander Swoboda (Hrsg.): Threats to International Financial Stability, Cambridge 1987, S. 196.
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durch die Fähigkeit oder Unfähigkeit der Banker entschieden als durch die Regulation auf den Heimatmärkten. Insbesondere eine vergleichsweise niedrige Eigenkapitalvorschrift 8 erhöht das mögliche Geschäftsvolumen deutlich. Zuletzt sorgt der Zusammenbruch einer Bank nicht zu einer Steigerung der Produktivität des Bankensektors. Vielmehr bringt es die interne Verflechtung der Banken durch die Inter-Bank-Geschäfte mit sich, daß der Konkurs einer Bank die Kapitalisierung aller Partnerbanken reduziert und damit die Krisenanfälligkeit fördert. Die Aufsichtsbehörden und die Banken stehen gemeinsam vor dem Dilemma, daß sie einerseits ein Mindestmaß an Regulation benötigen, um die Sicherheit und langfristige Funktionsfähigkeit des Finanzsystems zu gewährleisten, daß aber andererseits der internationale Wettbewerb zwischen den Banken und der Standortwettbewerb zwischen den 'Regulationsindustrien ' 9 ein im internationalen Maßstab niedriges Regulationsniveau prämiert. Der 'Trade-Off' zwischen nationaler Regulation und internationaler Wettbewerbsfähigkeit kann unilateral nicht überwunden werden. 10 Das Risiko deregulierter Finanzmärkte wurde den Akteuren mit jeder neuen Krise deutlicher vor Augen geführt.
8 Die Festlegung einer Eigenkapitalanforderung, im angelsächsischen Sprachgebrauch 'capital adequacy assessment', kann zwei grundsätzlich verschiedene Formen annehmen: Die meisten Staaten (auch die Bundesrepublik Deutschland) verlangen vor der Zulassung einer Bank den Nachweis oder die Einlage einer bestimmten Summe Geldes. Darüber hinaus begrenzen viele Staaten die Geschäftstätigkeit einer Bank zusätzlich auf ein bestimmtes Verhältnis zu einem definierten Eigenkapital, wobei der Begriff von Land zu Land unterschiedliche Bedeutung besitzen kann. Das Verhältnis wird in Prozent ausgedrückt. Eine Eigenkapitalquote von 5% bedeutet, daß die Bank für 5$ an Eigenkapital 100$ an Einlagen akzeptieren darf, und damit auch 100$ ausleihen kann, insofern keine Hinterlegpflicht bei der Notenbank besteht. Ist hier oder im folgenden von Eigen- oder Mindestkapitalvorschriften die Rede, ist die zweite, umfassendere Bedeutung gemeint. 9 Der Begriff Regulationsindustrie, stammt von Edward Kane und drückt die Konkurrenzsituation zwischen den Regulatoren aus. Vgl. Edward J. Kane: Competitive Financial Reregulation, in: Richard Portes! Alexander Swoboda (Hrsg.): Threats to International Financial Stability, Cambridge 1987. 10 Vgl. Ethan B. Kapstein: Resolving the Regulator's Dilemma: International Coordination of Banking Regulations, International Organization 43, 1989, S. 327.
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2. Die Problemstellung orthodoxer Theorien
Die in den achtziger Jahren verstärkt zu beobachtende Deregulation der nationalen Finanzmärkte ist von der orthodoxen Internationalen Politischen Ökonomie kaum beachtet worden, weil sie als nationale Maßnahme scheinbar nicht in den Katalog des Forschungsgebietes paßt. Ein Phänomen wird für die Orthodoxie nur dann zu einem Gegenstand der Internationalen Politik, wenn mehrere Staaten politisch miteinander interagieren. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß die in den siebziger Jahren einsetzende und sich in den achtziger Jahren beschleunigende Deregulation der Finanzmärkte kaum als internationales Phänomen mit systemischen Untersachen wahrgenommen wurde. Monetäre Fragen werden von der Orthodoxie primär unter dem Gesichtspunkt der Stabilität der Finanzmärkte diskutiert. Charles Kindleberger sieht im Hegemon den einzigen, der das öffentliche Gut internationaler Finanzbeziehungen gegen die stets aktuelle Bedrohung durch 'Panies, Manias and Crashes' stabilisieren kann. 11 Für Robert Gilpin gelten internationale Finanzbeziehungen als wichtige integrierende Kraft der Weltwirtschaft. 12 Diese Kraft, so Gilpin, wirkt nicht unabhängig von der Existenz eines Hegemons: "International finanee and the exereise of intluenee by the hegemonie power over international eeonomie and politieal affairs are closely related. The hegemon is both the manager and a primary benefieiary of the finaneial system. (... ) As Ameriean eeonomie hegemony decIines, the question is whether Japan, as the emergent finaneial power, ean assume this erueial role of eeonomie leadership." 13
Für die Vertreter der Theorie hegemonialer Stabilität scheint klar, daß das Management des internationalen Finanzsystems nach dem Ende der
11 Vgl. Charles P. Kindleberger: International Publie Goods without International Government, Ameriean Economic Review 76, 1986, S. 7f.; derselbe: Dominance and Leadership in the International Economy: Exploitation, Public Goods, and Free-Rides, International Studies Quarterly 27, 1981; derselbe: Manias, Panics, and Crashes, Basic Books, New York 1978; vgl auch sein The World in Depression, Berkeley 1973. 12 Vgl. Robert Gilpin: The Politieal Economy of International Relations, Prineeton 1987, S. 306. 13
Gilpin, a.a.O., S. 307.
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amerikanischen Hegemonie komplizierter geworden ist. 14 Während der Hegemonialzeit dehnten die USA ihre hegemoniale Kontrolle durch Schatzbriefe selbst auf die sogenannten 'Euro-Dollar-Märkte' aus, doch nach dem Niedergang der amerikanischen Hegemonie und dem rapiden Schwinden der GläubigersteIlung der USA konnten die Finanzmärkte nur durch die japanische Unterstützung stabilisiert werden. 15 Diese Annahme des Realisten Gilpin geht offenkundig stark in Richtung der Neo-Institutionalisten, die in Kooperation einen Ersatz für einen Hegemon ansehen. Dennoch behauptet nicht nur Kindlebergers sondern auch Gilpin, daß monetäre Stabilität nicht durch Institutionen, sondern nur durch geeignete Intervention des Hegemons, vor allem durch dessen Wahrnehmung der 'lender of last resort' Funktion, gewährleistet werden kann. In Ausübung dieser Funktion wird den Finanzmärkten im Krisenfall Liquidität zur Verfügung gestellt. Die Bedeutung eines Hegemons besteht nach Kindleberger nun darin, daß der dominierende Staat die Leitwährung besitzt und schon deshalb prädestiniert ist, Liquidität zur Verfügung zu stellen. Mit der Anwendung der Theorie hegemonialer Stabilität auf die Finanzmärkte wird weder von dem starren Staat-als-Akteur-Schema noch von der Dominanz der politischen Macht abgewichen: Die institutionelle Marktstruktur ist für Kindleberger und Gilpin im Vergleich zur Stabilisierung der Finanzmärkte durch einen Hegemon unbedeutend. Susan Strange, die den Untergang der amerikanischen Hegemonie bezweifelt, 16 argumentiert aus ebenfalls realistischer Perspektive nahezu entgegengesetzt: ,,In this international monetary structure no change in collective management takes place - whether for better or worse - that is not initiated by the United States." 17 14 Vgl. Miles Kahler: Polities and International Debt, International Organization 39,1985, S. 36lf.
15 Vgl. Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 328ff.; David E. Spiro: Policy Coordination in the International Political Economy, Dissertation, Princeton University 1987. 16 Vgl. Susan Strange: The Persistent Myth of Lost Hegemony, International Organization 41, 1987; vgl. auch Bruce M. Russett: The Mysterious Case of Vanishing Hegemony: Or Is Mark Twain really Dead?, International Organization 39, 1985; Miehael C. Webb/ Stephen D. Krasner: Hegemonie Stability Theory, Review of International Studies 15, 1989.
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Zur Stützung ihrer These verweist Strange auf den Verzicht, nach dem Kollaps des Systems von Bretton Woods ein neues Festkurssystem einzuführen. Sie interpretiert die "Nicht-Entscheidung" als Bereitschaft, die Märkte allein zu lassen; zugleich bemängelt sie eine fehlende institutionelle Sicherung des internationalen Bankwesens,18 vor allem auf das Fehlen eines 'lender of last resort'.19 Als letztes und wichtigstes Argument zählt sie die verschiedenen Schritte der Deregulierung des amerikanischen Bankensystems während der letzten zwei Dekaden auf. Sie nimmt an, daß die nationale Politik der USA als 'Elefant' des internationalen Finanzsystems weitgehende Auswirkungen erst auf die unregulierten Eurowährungsmärkte und dann auf die anderen Finanzplätze hat. 2o Die weltweit in allen Industriestaaten stattfindende Deregulierung der Finanzmärkte geht für Strange von den USA aus. Diese These ist empirisch betrachtet nicht unproblematisch. Die ersten Fremdwährungsgeschäfte der Nachkriegszeit wurden in London zugelassen. 21 Ursache war, daß die Sowjetunion ihr Dollarvermögen dem Zugriff der USA entziehen wollte. Auch die eigentlich als Deregulierung aufgefaßten Liberalisierungsmaßnahmen wurden ursprünglich nicht in den USA eingeführt, sondern waren maßgeblich von den Off-Shore-Märkten ini tiiert. 22
11. Die Verhandlung des Finanzmarktregimes Die Kooperation der Bankaufsichtsbehörden begann 1974, als der InterBank Markt durch eine Serie von Konkursen international operierender Banken destabilisiert wurde. In Deutschland waren das 'Bankhaus Herstatt' und die 'Hessische Landesbank Girozentrale' betroffen, in den USA betraf die Bankenkrise die 'Franklin National Bank' und die 'US National Bank
17
Susan Strange: Casino Capitalism, Oxford 1986, S. 30.
18 Strange, a.a.O., S. 38ff. 19 Strange, a.a.O., S. 46; Robert Gilpin: The Political Economy of International
Relations, Princeton 1987, S. 340. 20 Vgl. Strange, a.a.O., S. 47ff.
21 Die Nachfrage danach entstand, weil die UdSSR ihr Dollarvermögen wegen des Kalten Krieges (und einer für möglich gehaltenen Enteignung) aus den USA abzog. 22 Vgl. R. M. Pecchioli: The Internationalisation of Banking, OECD, Paris 1983.
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of San Diego' . Dazu kam die israelisch kontrollierte 'International Credit Bank' mit Sitz in der Schweiz. 23 Unter dem Eindruck der Insolvenzen gründeten Repräsentanten der GI 0 24 sowie der Schweiz und Luxemburgs im Rahmen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Bank for International Settlements, BIS) das 'Committee on Banking Regulation and Supervisory Practices' , das allgemeine Prinzipien für die Überwachung der internationalen Geschäftstätigkeit von Banken erarbeiten sollte. Das übergeordnete Ziel des Komitees, das nach seinem Vorsitzenden Cooke benannt wurde, bestand in der Errichtung eines funktionierenden internationalen Frühwarnsystems für die Finanzmärkte. 25 Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat das Komitee zwei Abkommen ausgearbeitet. Das 'Baseler-Konkordat' (in bisher zwei Fassungen) und die 'BIS Capital Adequacy Rules', die auch Baseler-Akkord genannt werden. Die Ergebnisse des Komitees waren zunächst informel1. 26 Das BaselerKonkordat entspricht formal einem 'Gentlemen's Agreement'. Mit der Regulierung der Eigenkapitalausstattung im Jahre 1988 waren weitreichende Eingriffe in das Konkurrenzgefüge der internationalen Finanzmärkte verbunden und es erschien den Aufsichtsbehörden notwendig, unkooperatives Verhalten einzelner Regulationsbehörden zu vermeiden. Der Baseler-Ak-
23 An dem Scheitern des Bankhauses Herstatt war auch die Deutsche Bundesbank nicht ganz schuldlos, da sie der Privatbank angeblich unerwartet untersagte, spezielle Geschäfte (mid-day trading) in New York zu tätigen. Vgl. Eugene L. Versluysen: The Political Economy of International Finance, Westmead 1981, S. 104f.; und für eine Fallstudie des Scheiterns einer international operierenden Bank Joan Spero: The Failure of the FrankIin National Bank, New York 1980. 24 Die Gruppe der 10 umfaßte ursprünglich Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, die Niederlande, Schweden und die USA. Später wurde die GIO - ohne den Namen in GI3 zu wechseln - um Dänemark, Irland und Luxemburg erweitert. 25 Vgl. Jim P. Hawley: Protecting Capital from Itself, International Organization 38, 1984, S. 146.
26 Die unterschiedlichen Methoden der OECD-Staaten bei der Überwachung der Auslandsniederlassungen ihrer Banken finden sich beschrieben in: R. M. Pecchioli: The Internationalisation of Banking, OECD, Paris 1983, S. 193ff. Diese OECD-Studie war maßgeblich für die Entstehung eines Problembewußtseins gegenüber den internationalen Finanzmärkten. Sie rangiert deshalb auch unter den meist zitiertesten Arbeiten über internationale Bankenregulierung.
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kord ist deshalb ein formaler Vertrag zwischen den Bankaufsichtsbehörden der Staaten, der den Zweck hat, die nationalen Regulationen anzugleichen.
1. Das Baseler-Konkordat
Die Bankenkrise von 1974 verdeutlichte den engen Zusammenhang zwischen den internationalen und den nationalen Märkten. Sie kam für alle Zentralbanken überraschend, da den nationalen Aufsichtsbehörden keinerlei Informationen über die internationale Geschäftstätigkeit der von ihnen beaufsichtigten Banken vorlag. Vor allem die Konkurse des Bankhauses Herstatt und der Franklin National Bank resultierten aus Fremdwährungsgeschäften. Nur durch die 'de facto' Funktion des 'lender of last resort' , die von verschiedenen Zentralbanken ausgeübt wurde, konnte die Krise eingedämmt und auf letztlich fünf Banken beschränkt werden. Das Baseler-Konkordat vom Dezember 1975 war der erste Schritt zu einer notwendigen Kooperation der Aufsichtsbehörden. 27 Es führte eine ,,moralische Verantwortung" der Muttergesellschaft für ihre Auslandstöchter ein. Gleichzeitig wurde jeder Zentralbank der am Konkordat beteiligten Staaten die Aufgabe übertragen, alle Geschäftstätigkeit der in ihrem Zuständigkeitsbereich niedergelassenen Banken zu überwachen und andere betroffene Zentral banken im Fall.! von Liquiditätsproblemen in Kenntnis zu setzen. Obwohl mit dem ersten Baseler-Konkordat die Verantwortlichkeit für einzelne Banken und deren Auslandsniederlassungen hinreichend geregelt wurde, vermied das Abkommen die Festlegung einer eindeutigen Zuständigkeit für globale Bankkrisen. Ein internationaler 'lender of last resort' wurde nicht eingerichtet. Vor allem wurde der Text des ersten Baseler Abkommens nicht veröffentlicht. Statt dessen publizierten die Zentralbankpräsidenten ein Presse-Kommunique mit folgendem Wortlaut: "Die Notenbankpräsidenten hatten einen Meinungsaustausch über das Problem des lender of last resort in den Euromärkten. Sie stimmten darin überein, daß es unpraktisch sei, detaillierte Regeln und Prozeduren für die kurzfristig Bereitstellung von Liquidität im Voraus niederzulegen. Mit Befriedigung stellen sie je-
27 Vgl. Edward J. Kane: Competitive Financial Reregulation, in: Richard Portes/ Alexander Swoboda (Hrsg.): Threats to International Financial Stability, Cambridge 1987, S. 141.
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doch fest, daß Mittel für diesen Zweck zur Verfügung stehen und im Notfall eingesetzt werden." 28
Trotz des Verzichtes auf klare Regeln trat mit dem ersten Konkordat eine Beruhigung der Finanzmärkte ein und in den folgenden Jahren kam es zu keinem Konkurs einer international operierenden Geschäftsbank. Dann wurde die Banco Ambrosiano, damals die größte Privatbank Italiens, am Wochenende des 10. und 11. Juli 1982 von den italienischen Aufsichtsbehörden beschlagnahmt, weil ihr wegen überfälligen Auslandsgeschäften in Höhe von etwa einer Milliarde US-Dollar der Konkurs drohte. Doch die italienische Zentralbank erklärte sich als nicht zuständig, die 'Banco Ambrosiano Holding' zu unterstützen, da sie die Luxemburger Tochter nicht als Bank betrachtete und keine Unterstützung an eine "juristische Person" leisten wolle, die sie nicht beaufsichtigt. Die Tatsache, daß dieses Ereignis unerwartet über die Finanzwelt hereinbrechen konnte, verdeutlicht die Grenzen des ersten Baseler-Konkordats. Offenkundig gab es trotz der Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden weitreichende Informationsdefizite, die durch die Verschachtelung der Banco Ambrosiano verstärkt wurden. Wegen der Krise der Bank sahen sich die Aufsichtsbehörden veranlaßt, ihre Zusammenarbeit einer grundlegenden Revision zu unterziehen und diese zu stärken, zumal die gewachsene Akzeptanz des ersten Konkordats eine Neuformulierung des Textes und Verschärfung der Bestimmungen erlaubte. 29 Ähnlich der ersten Version des Konkordat blieb die revidierte zweite Version eine unverbindliche Absprache zwischen den Zentral banken. Wie der diesmal veröffentlichte Text ausführt, müssen die vereinbarten Prinzipien nicht in die nationale Regulation überführt werden, sondern stellen vielmehr empfohlene Richtlinien dar, die von den Mitgliedsstaaten ent28 Vgl. auch Kenneth W. Dam: The Rules of the Game, Chicago 1982, S. 326. 29 Vor allem in den USA entwickelte die Regierung Carter nach der Dollarkrise von 1978 eine positive Einstellung gegenüber einem internationalen Management der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Dazu gehörte auch der Versuch, die sogenannten Euro-Dollar-Märkte zu regulieren, der in dem Vorschlag zum Eurocurrency Market Control Act des Jahres 1979 kulminierte. Nachdem der Gesetzesentwurf nach einer Anhörung und trotz vieler positiver Stimmen - wegen des unilateralen Ansatzes scheiterte, blieb von diesem Regulationsversuch allein ein deutlich erhöhtes Problembewußtsein in der amerikanischen Politik - bis schließlich mit Ronald Reagan der Lassez-Faire-Liberalismus ins Weiße Haus einzog.
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sprechend ihren Möglichkeiten umgesetzt werden sollen. Inhaltlich ist die revidierte Fassung dagegen eine deutliche Erweiterung der ursprünglichen Version. Zentraler Gedanke des zweiten Abschnittes dieses Abkommens ist, daß nur die "effektive Kooperation" zwischen den Überwachungsinstanzen die Überwachung der internationalen Geschäftstätigkeit der Banken gewährleistet. Im Unterschied zum ersten Konkordat wurde vereinbart, den Informationsaustausch zwischen den Aufsichtsbehörden gegenseitig und regelmäßig vorzunehmen. In der ersten Version erfolgte der Informationsfluß noch einseitig in Richtung auf die Aufsichtsbehörde des Mutterinstituts und vor allem nur in besonderen Fällen. Die zweite Version führte dagegen sogar aus, daß in Fällen, in denen die Überwachung durch die Aufsichtsbehörde des Gastlandes unzureichend erscheint, die für die Bank zuständige Instanz ihre Kontrolle nach Möglichkeit über die nationalen Grenzen ausdehnen solle. Wenn sich eine derartige Ausweitung der Kontrollfunktion als unmöglich erweist, soll die "parent authority", die heimische Aufsichtsbehörde der Muttergesellschaft die Bank zur Aufgabe ihrer Auslandsniederlassung bewegen. Die Wirkung des Konkordats im Hinblick auf die Überwachung und die weiterführende Kooperation der Aufsichtsbehörden läßt sich nur schwer beurteilen. Zum einen sind die Ereignisse, die sich ohne das Konkordat eingestellt hätten, unbekannt und zum anderen werden konkrete Aktionen der Aufsichtsbehörden, die aus der Kooperation erfolgen und direkt auf die Geschäftstätigkeit einer Bank Einfluß nehmen, nicht veröffentlicht. Die Grenzen der Überwachung wurden im Fall der wegen Betruges geschlossenen Bank of Credit and Commerce International (BCCI) erneut aufgezeigt. Diese konnte einige Jahre lang auf allen Finanzplätzen der Welt Kapital aufnehmen und damit kriminelle Aktivitäten finanzieren. Da die Überwachung in der derzeitigen Form alierdings auf Liquiditätskrisen abgestellt und mit der Erkennung von Betrug beinahe zwangsweise überfordert ist, liegt eine klare Evidenz für das Scheitern der Überwachung nicht vor. 30 Bewußt unklar gelassen wurde auch in der zweiten Version des Konkordats die Frage, ob es mit dieser Fassung zu einer Regelung der internatio-
30 Dies könnte allerdings zum Teil der Tatsache geschuldet sein, daß sich die Banken im Zuge der Verschuldungskrise zurückhalten und sich nicht auf risikoreiche internationale Transaktionen einlassen.
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nalen 'lender of last resort' -Funktion gekommen war. Mit Hilfe einer solchen Funktion könnten Konflikte wie im Fall der Banco Ambrosiano künftig vermieden werden. Die Deutsche Bundesbank verweist gegenwärtig auf die Presseerklärung der Notenbanken der wichtigsten Industriestaaten zum ersten Baseler-Konkordat. Daraus geht hervor, daß sich die Notenbanken auf eine Verteilung der lender-of-Iast-resort- Funktion verständigt haben. Für die deutsche Zentralbank bedeutet dies, daß "der Euro-Markt bei globalen Liquiditätsschwierigkeiten (... ) mit Notenbankhilfe rechnen kann".31 Allerdings läßt die Bundesbank weiterhin offen, welche Notenbank welcher Bank und vor allem welchen Auslandsniederlassungen unter welchen Bedingungen beistehen soll. Die im Konkordat vorgenommene exakte Unterscheidung in Zweigstellen, Tochtergesellschaften und Konsortien ist für eine reine Überwachungsfunktion überflüssig. Erst in Verbindung mit der 'lender-of-Iastresort' -Funktion macht diese Spezifizierung überhaupt Sinn. Da darüber hinaus alle Regulationsinstanzen von der Notwendigkeit einer internationalen Regelung auf diesem Gebiet überzeugt sind, kann angenommen werden, daß dem Baseler-Konkordat seit der zweiten Fassung tatsächlich die Festlegung der Zuständigkeit für die Versorgung der Finanzunternehmen mit Liquidität in Krisen beizumessen ist, ohne daß allerdings die Zentralbanken bei einzelnen Fällen unterhalb einer allgemeinen Finanz- und Liquiditätskrise einschreiten müssen. Die international tätigen Banken haben dem Konkordat diese Funktion 1982 im Fall der Banco Ambrosiano zugewiesen. Nachdem die italienischen Behörden ihre Nicht-Zuständigkeit für die Luxemburger Tochter der Banco Ambrosiano erklärt hatten, tätigte keine internationale Bank weitere Geschäfte mit der Holding und der Mutter. Dadurch war die Refinanzierungsmöglichkeit der Bank derart eingeschränkt, daß sie trotz der Übernahme der Bank durch die italienischen Behörden Konkurs anmelden mußte. Künftig ist zu erwarten, daß Banken und Aufsichtsbehörden die in Liquiditätsprobleme geratenen Auslandstöchter unterstützen, weil ansonsten die Geschäftstätigkeit der Muttergesellschaft gefährdet wird. Nicht zuletzt dieser Vorfall verdeutlicht die hohe Akzeptanz des Baseler-Konkordats bei den international operierenden Geschäftsbanken. Die Banken wis31 Deutsche Bundesbank: Internationale Organisationen und Abkommen im Bereich von Währung und Wirtschaft, Frankfurt 1986, S. 161.
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sen um ihre Anfälligkeit gegenüber Liquiditätsengpässen eines ihrer Konkurrenten, der wegen des Inter-Bank-Marktes fast immer auch ein Geschäftspartner ist. Aus diesem Risikobewußtsein heraus setzten die Banken eine umfassendere Interpretation des internationalen Abkommens durch als die Signatarstaaten ursprünglich intendierten.
2. Der Base/er-Akkord
Ähnlich wie die Bankenkrise des Jahres 1974 die Entstehung des Baseler-Konkordats und der Fall der Banco Ambrosiano dessen Fortentwicklung maßgeblich begünstigte, bedurfte es für die Trendwende von kriseneindämmender zu krisenvermeidender internationaler Regulation eines spezifischen Anlasses. In diesem Fall lieferte der offene Ausbruch der Verschuldungskrise der Dritten Welt 32 die Initialzündung. Kaum eine in die Verschuldungskrise verstrickte Bank schien damals gegen ein Schuldenmoratorium aller lateinamerikanischen Staaten gesichert zu sein. Vor allem die amerikanischen Banken wiesen nur geringe Rückstellungen auf und waren zudem verpflichtet, nicht bediente Kredite kurzfristig abzuschreiben. 33 In diesem Zusammenhang wurde die Problematik der Unterkapitalisierung von Banken deutlich und die Zentralbanken beauftragten das CookeKomitee mit der Untersuchung der Bankbilanzen im Hinblick auf die Eigenkapitalquote. Das Verhältnis zwischen dem Eigenkapital einer Bank und den 'fremden' Einlagen gehört zu den wichtigsten Kennziffern bei der Überwachung einer Bank. Eine extrem niedrige Eigenkapitalquote ist ein ernstes Krisenanzeichen. Aus diesem Grund gehört die Festlegung dieser Ziel größe zu den anerkannten Eckpfeilern der Bankenregulation. 34 Die 32 Einen Monat nach der Schließung der Banco Ambrosiano, am 12 August 1982, erklärte der mexikanische Außenminister Silva Herzog die Zahlungsunfähigkeit seines Landes. 33 Vgl. Benjamin J. Cohen: In Whose Interest?, New Haven 1986; Jeffrey A. Frieden: Banking on the World: The Politics of American International Finance, New York 1987. 34 Vgl. auch Ernst Baltensperger/ Jean Dermine: The Role of Public Policy in Ensuring Financial Stability, in: Richard Portes! Alexander Swoboda (Hrsg.): Threats to International Financial Stability, Cambridge 1987, S. 85.
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Untersuchung ergab zweierlei: Erstens nahm die Eigenkapitalausstattung der Banken tendenziell ab,35 und zweitens versteckten die Banken einen nicht unerheblichen Teil ihrer Einlagen außerhalb ihrer Bilanzen, um auf diese Weise die nationalen Regulationen zu umgehen. 36 Die BIS folgerte daraus, daß die Regulation des Eigenkapitals alle Bankgeschäfte erfassen müsse und ging von der Notwendigkeit einer Risikoeinschätzung der Aktiva aus. 37 Unmittelbar im Anschluß an die Veröffentlichung des Berichtes begannen die in der BIS zusammengeschlossenen Notenbanken Verhandlungen über einheitliche Eigenkapitalstandards. Sie konnten sich an Erfahrungen und Methoden derjenigen Länder orientieren, die bereits ein Verfahren zur Messung des Risikos des Bankkapitals entwickelt hatten. Gleichzeitig verhinderten die unterschiedlichen Regulationen in den verschiedenen Staaten einen schnellen Verhandlungserfolg, da keine Regulationsinstanz ihre eigene Sichtweise aufgeben wollte. 38 Somit stagnierten die Gespräche über Mindestkapitalstandards wegen der gegensätzlichen Vorstellungen der nationalen Behörden und vor allem der aus den unterschiedlichen Banksysternen resultierenden unterschiedlichen Interessen der Banken. Im Jahr 1984 begann das Federal Reserve Board (FED) der USA unter ihrem Vorsitzenden Paul Vo1cker einen Alleingang, um eine Mindestkapitalquote festzulegen. Dieser scheiterte am Widerstand der einflußreichen
35 In den USA hatte die Eigenkapitalausstattung der Banken 1980 mit 4,5% den geringsten Stand in der Nachkriegsperiode erreicht. Vgl. IMF: International Capital Markets, IMF, Washington 1986, S. 42. 36 Vgl. Ethan B. Kapstein: Between Power and Purpose: Central Bankers and the Politics of Regulatory Convergence, International Organization 46, 1992, S. 275; derselbe: Resolving the Regulator's Dilemma: International Coordination of Banking Regulations, International Organization 43, 1989, S. 337. 37 Vgl. Bank for International Settlements: The Management of Banks' OffBalance Sheet Exposures, BIS, Basel 1986; und dieselbe: Recent Innovations in International Banking, BIS, Basel 1986. 38 Vgl. G1enn Tobin: National Rules and Global Money, Dissertation, Harvard Universität, Cambridge 1989. Der Präsident der deutschen Bundesbank, KarlOtto Pöhl, ging sogar soweit zu behaupten, eine Notwendigkeit, die Bestimmungen innerhalb der G 10 anzugleichen, bestehe nicht. Vgl. KarlOtto Pöhl: The European Monetary System, Thesenpapier eines Vortrages, gehalten am 4. Mai 1987 an der Harvard Universität.
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American Bankers Association (ABA), welche die internationale Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Banken bedroht sah. Kurz danach begann auch die EG, im Rahmen ihres Binnenmarktprojektes Gespräche über eine Vereinheitlichung der Eigenkapitalanforderung zu führen. Anfangs gingen die europäischen Unterhändler von dem Ziel aus, eine Empfehlung zu verabschieden. Doch als sich der Ansatz änderte und nun eine bindende Direktive ausgehandelt werden sollte, wurde die Fed hellhörig, denn die USA besaßen starke eigene Interessen an einer Regulation, doch ihre Notenbank war von den EG-Verhandlungen ausgeschlossen. Dies veranlaßte die Fed, ihre Strategie zu ändern und bilaterale Gespräche mit Verantwortlichen der Bank of England aufzunehmen. Die Briten verhandelten zwar im Rahmen der EG, doch sie befürchteten ihrerseits, sich gegen die einheitliche Sichtweise der Deutschen und Franzosen nicht durchsetzen zu können. Die größte Bedrohung ihrer Interessen sahen die angelsächsischen Notenbanken in einem möglichen Schuldenerlaß gegenüber den hochverschuldeten Entwicklungsländern. Eine solche, die Konkurrenzfähigkeit der angelsächsischen Banken bedrohende Maßnahme war vor allem in Deutschland von Alfred Herrhausen, dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank, vertreten worden. 39 Im Ergebnis kam es zu einer Kooperationskonkurrenz zwischen dem Cooke-Komitee der Bank für internationalen Zahlungsausgleich, der Kommission der Europäischen Gemeinschaft und dem gemeinsamen Gremium des Federal Reserve Board und der Bank of England. 4o Die angelsächsischen Notenbanken besaßen eine in wesentlichen Elementen kompatible Einschätzung. Da die britische Zentralbank zudem im Jahre 1980 ein System der Risikobewertung für Bankkapital eingeführt hatte, waren die Verhandlungen relativ einfach und schon im Januar 1987 einigten sich der Federal Reserve Board und die Bank of England auf eine gemeinsame Definition
39 Vgl. Ethan B. Kapstein: Between Power and Purpose: Central Bankers and the Politics of Regulatory Convergence, International Organization 46, 1992, S. 266. 40 Regulationswettläufe sind in Fällen, in denen Standards ausgehandelt werden sollen, häufig zu beobachten. Ein weiteres Beispiel ist die Anpassung der Telegrafennetze im achtzehnten Jahrhundert. Umgekehrt zeigt sich etwa in den Fällen der Videorekorder und des hochauflösenden Fernsehens HDTV, daß sich kein Standard entwikkelt, wenn verschiedene wichtige Akteure unilateral agieren und keine Koalitionen entstehen. 14 Plümper
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und Festlegung der Kapitalstandards. 41 Zur Beschwichtigung der American Bankers Association legten die Notenbanken fest, daß die vereinbarten Regeln alle international operierenden Geschäftsbanken betreffen, die in einem der beiden Länder tätig sind. Trotzdem wurde das Abkommen von den amerikanischen Banken kritisiert. 42 Im Hintergrund der Kritik stand allerdings auch weiterhin der drohende Verlust der Wettbewerbsposition gegenüber ausländischen, vor allem gegenüber den japanischen Banken. Die USA und Großbritannien versuchten deshalb, andere Notenbanken zu einem Anschluß an ihr bilaterales Abkommen zu bewegen. Tatsächlich nahm die Bank of Japan im Juni 1987 Verhandlungen mit dem Ziel der Unterzeichnung des Abkommens auf. 43 Dieser Schritt überraschte die Finanzwelt, denn die japanische Bankenregulation wies traditionell niedrige Eigenkapitalquoten auf. Daraus resultierte ein enormer Wettbewerbsvorteil für die japanischen Banken. 44 Die Kooperationsbereitschaft der Bank of Japan basierte letztlich auf zwei etwas widersprüchlichen Motiven: Erstens stand Japan zu dieser Zeit wegen seines großen Handelsbilanzüberschusses unter politischem Druck und betrachteten diese Verhandlung als 'good will' Aktion, und zweitens kam ihr der auswärtige Druck nicht ungelegen, um eine Verbesserung der Bankenregulation gegen die eigenen Geschäftsbanken durchzusetzen. Im September verbreitete sich das Gerücht, daß die übrigen Staaten der GlO bereit seien, die Bestimmungen des U.S./U.K. Akkords bei Gewäh-
41 Die Übereinkunft beinhaltete eine Definition des Begriffes Kapital und eine Bewertung des Risikos nach Art der Einlage sowie eine FestIegung der notwendigen Kapitaldeckung für die unterschiedlichen Aktiva. In der FestIegung der Risikoeinschätzung folgte der U.S./U.K. Banking Accord weitgehend der Pionierarbeit der Bank of England. 42 Besonders negativ wurde die FestIegung der Risikoeinschätzung bewertet, derzufolge Staatsanleihen als risikolos und private Kredite als risikoreich eingestuft wurden. Lowell Bryan von McKinsey & Company sah darin den Versuch, auf eine preiswerte Weise zu einer Finanzierung des Budgetdefizits zu gelangen. Vgl. Lowell Bryan: Capital Guidelines could weaken Banks, Wall Street Journal vom 23. April 1987, S. 35.
43 Vgl. Peter König: Into the Maelstrom, Euromoney (1987) S. 67ff. 44 Vgl. James K. Sebenius: Challenging Conventional Explanations of International Cooperation, International Organization 46, 1992, S. 345.
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rung einer Übergangsfrist anzuerkennen. 45 Doch diese Überlegungen wurden zugunsten der Wiederaufnahme der Verhandlungen im Rahmen der BIS aufgegeben. Die plötzliche Kooperationsbereitschaft aller Notenbanken wurde nicht zuletzt durch erste Anzeichen eines Vertrauensverlustes der Vermögenseigentümer gegenüber den internationalen Banken und dem Finanzsystem hervorgerufen. 46 Unter dem Eindruck einer möglichen Finanzkrise wurde "ernsthaft, hart und außergewöhnlich schnell" verhandelt. 47 Bereits drei Monate später, im Dezember 1987, wurden die BISRegeln über die Kapitalausstattung, der Baseler-Akkord, beschlossen. Von der bilateralen Übereinkunft zwischen den USA und Großbritanniens bestand unterschieden sie sich im wesentlichen, da die BIS-Verhandlungsrunde die Interessen der Deutschen und Japaner durch eine zweigeteilte Kapitaldefinition stärker berücksichtigte. Dennoch ermöglichte die Sequenzialisierung des Entscheidungsprozesses den angelsächsischen Notenbanken, ihre Vorstellungen gegen die abweichenden Interessen der deutschen, französischen und japanischen Notenbanken durchsetzen. Das Abkommen ist aus drei Gründen als die substantiellste kooperative Regulationsmaßnahme der Bankgeschichte 48 bezeichnet worden: Erstens gelang es der GI 0 (beziehungsweise der Bank for International Settlements, welche die Verhandlungen federführend leitete), einen einheitlichen Begriff von 'Kapital' zu entwickeln und zugleich festzulegen, wieviel Eigenkapital eine Bank letztlich aufweisen sollte. Beides konnte erst nach einer harten Kontroverse entschieden werden, die wegen der nationalen Unterschiede der Banken 49 aufkam. Die Regulationsinstanz eines jeden 45 Vgl. Maximilian J.B. Hall: The BIS Capital Adequacy Rules, Banca Nationale Dei Lavoro Quarterly Review No. 169, 1989, S. 208. 46 Die Aktienkurse der Banken fielen zwischen 8% in London und 40% in Frankfurt, während die jeweiligen Börsenindices sich zumindest behaupteten. Die Vertrauenskrise der Anleger betraf demnach allein die Banken. Vgl. The Economist: International Banking Survey, vom 21. März 1987. 47 Vgl. Peter Hayward: Prospects for International Cooperation by Bank Supervisor' s, The International Lawyer 24, 1990, S. 791. 48 Vgl. James W. Dean: Conservative versus Liberal Regulation of International Banking, Journal of World Trade 23, 1989, S. 5. 49 Für einen Vergleich der verschiedenen nationalen Banksysteme siehe Andrew W. Mullineux: International Banking and Financial Systems, London 1987; Glenn Tobin: National Rules and Global Money, Dissertation, Harvard Universität, Cambridge 1989.
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Landes agierte als Lobby der eigenen Bankenindustrie. Zweitens konterkarierte die Einführung international gültiger Vorschriften den in den achtziger Jahren dominierenden Trend zur Deregulierung. Und drittens kennzeichnet das Abkommen einen konzeptionellen Bruch mit dem Baseler-Konkordat, da sich das Konkordat damit begnügte, die Auswirkung etwaiger Bankkrisen einzudämmen, der Baseler-Akkord dagegen bereits das Entstehen von Krisen verhindern soll.50 Ende 1992 trat die letzte Stufe des 'Baseler-Akkordes' in Kraft. Damit ist zwar kein neues Weltwährungssystem geschaffen, doch immerhin ist eine neue Epoche des internationalen Finanzsystems nach Bretton Woods eingeleitet worden. Die antizipierten Verluste durch unkooperatives Verhalten waren die vorherrschenden Antriebskräfte der Kooperationsbereitschaft der Akteure. Immer wenn die Regulationsbehörden glaubten, ein mit der Internationalisierung der Finanzmärkte entstandenes Problem in den Griff bekommen zu haben, wurden sie durch eine neue Krise zu neuen, verstärkten Regulationen veran1aßt.
3. Die Rolle der Banken im Finanzmarktregime
Die international operierenden Geschäftsbanken haben das gegenwärtige Design des Finanzmarktregimes in einer Weise mitbestimmt, welche die Beschränkung der Analyse zwischenstaatlicher Kooperation auf staatliche Akteure fragwürdig erscheinen läßt. Die Geschäftsbanken haben nicht nur ein kooperatives Vorgehen der Regulatoren dadurch erzwungen, daß sie sich erfolgreich gegen 'nationale Alleingänge' gewehrt haben, sie beteiligen sich auch aktiv an der Interpretation der Abkommen. Die Notenbanken haben lange als Agenten des 'nationalen Interesses' agiert und die Bankstandards in einer Deregulationsspirale immer weiter herab geschraubt. Im Zuge der Liberalisierung der Finanzmärkte sind nicht nur überflüssige Vorschriften abgeschafft worden. Quasi als Begleiterscheinung wurde die Sicherheit des globalen Finanzsystems erheblich reduziert. Spätestens 1982, mit dem Konkurs der Banco Ambrosiano und dem Ausbruch der Verschuldungskrise der Dritten Welt, wurden den Banken die 50 V gl. James W. Dean: Conservative versus Liberal Regulation of International Banking, Journal of World Trade 23, 1989.
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deregulationsbedingten Risiken deutlich. Obwohl keine Informationen darüber vorliegen, wieviele Banken seinerzeit Abschreibungen und Wertberichtigungen vornehmen mußten, kann davon ausgegangen werden, daß fast jede international operierende Großbank die Auswirkungen zu spüren bekam. Dennoch haben die nationalen Interessenvertretungen der Banken nationale Alleingänge der Staaten auch nach 1982 stets verhindert. Viel stärker als die Staaten haben die Banken den 'alle-oder-keiner' -Ansatz verfolgt. Der Baseler-Akkord, der das Ende des globalen Deregulationswettbewerbes bedeutet, wird heute von allen Seiten begrüßt. Im Juni 1992, noch vor der eruptiv ausgebrochenen Krise des EWS, stellten die Manager der wichtigsten Geschäftsbanken auf der jährlich stattfindenden International Monetary Conference (IMC) in Übereinstimmung mit dem jüngsten Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich fest, daß diejenigen nationalen Finanzmärkte, in denen die Deregulation am langsamsten und am zurückhaltendsten vollzogen wurde, heute nicht nur die stabilsten sind, sondern auch die konkurrenzfähigsten Geschäftsbanken beheimaten. Alexandre Lamfalussy, der Generalmanager der BIS, faßt die übereinstimmende Position von Geschäfts- und Zentralbankern zusammen: ,)f the process of deregulation is not accornpanied by strengthened supervision, rigorous enforcernent of the rules and by appropriate rnacroeconornic policies, things can easily get out of hand." 51
111. Die Politische Ökonomie der Wechselkursstabilisierung
Nach dem Ende des Festkurssystems von Bretton Woods und nachdem diplomatische Anstrengungen, ein neues Festkurssystem zu errichten, nicht erfolgreich waren, hat sich ein System flexibler Wechselkurse herausgebildet. Trotz gelegentlich heftiger Kritik an der Disfunktionalität dieses Systems 52 und obwohl in der Internationalen Politischen Ökonomie die Vertreter eines Festkurssystems mittlerweile vermutlich die Befürworter des derzeitigen Systems überwiegen, scheint eine Änderung (ohne eine 51 Klaus C. Engelen: Mea Culpa from the Tower of Basle, The International Economy, JulV August 1992.
52 Vgl. etwa Susan Strange: Casino Capitalism, Oxford 1986.
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Krise des Weltwährungssystems oder eines Finanzcrashes) derzeit ausgeschlossen. Unterhalb dieser grundsätzlichen Problematik des Wechselkursregimes hat sich aber eine Trendwende ergeben. Galt bis 1986 ein aktives und abgestimmtes Wechselkursmanagement noch als Verstoß gegen die liberale Grundordnung, so ist es seitdem eine typische Begleiterscheinung internationaler Wirtschaftspolitik geworden. Das Gremium, in dem Geldmarktinterventionen beschlossen werden, ist der Weltwirtschaftsgipfel. Der' Psychologie des Marktes', also der Reaktion der Wirtschaftssubjekte auf politische Eingriffe der Staaten, kommt eine bedeutende Rolle bei der Beeinflussung der Wechselkurse zu. Es kann nicht das Ziel der intervenierenden Staaten sein, gegen die Kräfte des Marktes zu arbeiten, da die Transaktionssummen der internationalen Finanzmärkte 53 die Reserven der Staaten bei weitem übertreffen. Die Staaten sind vielmehr darauf angewiesen, die Marktkräfte für sich arbeiten lassen. Nur dann kommt der begrenzten Interventionskasse der Staaten keine Bedeutung mehr zu. Dazu ist es erforderlich, die Erwartungshaltung der Marktteilnehmer, vor allem der institutionellen Großanleger (der Banken), zu beeinflussen und langfristig zu verändern. Diese Regeln haben die Staaten erstmals befolgt, als der Dollar im Anschluß an das 'Plaza-Abkommen' innerhalb von knapp zwei Jahren in seinem Wert halbiert wurde. Das kollektive und auf Intervention beruhende Wechselkursmanagement hatte damals großen Erfolg. 54
53 Eine internationale, in New York, London und Tokio durchgeführte Erhebung über die Devisenmärkte im Frühjahr 1986 ergab, daß die Kassa- und Tenningeschäfte auf allen drei Märkten zusammen einen Umsatz von ca. 200 Mrd. Dollar im Tagesdurchschnitt erreichten. Vgl. BIS: 57. Jahresbericht, Basel 1987, S. 176. 54 Mittlerweile sind selbst die prinzipiellen Gegner staatlicher Eingriffe vorsichtig in ihrer ablehnenden Bewertung von Währungsmanipulationen im allgemeinen und dem Plaza-Management im besonderen: "Left to its own devices, with merely a signal from the summit, the market may decide that current exchange rates are appropriate. ( ... ) However, such intervention, even if effective, only works in the short run." Bernhard M. Wolf: The International Monetary System, in: Omar F. Hamouda u.a. (Hrsg.): The Future of the International Monetary System, Aldershot 1989, S. 214.
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I. Orthodoxe Positionen
Als besonderes Problem bei der Stabilisierung der Wechselkurse gelten den orthodoxen Ansätzen die im Normalfall unterschiedliche Interessenlage der Staaten. 55 Fast jedes Land vermag den Wert seiner Währung für die Handels- und Industriepolitik zu instrumentalisieren. Eine dauerhaft unterbewertete Währung stimuliert im Sinne der Wirtschaftsziele die Exporte und verbessert so im Normalfall die Handelsbilanz. Hinzu kommt, daß 'Gleichgewichtskurse ' zwar als analytisches Konzept nützlich sein können, daß aber dennoch keine unanfechtbare Möglichkeit besteht, Gleichgewichte zu bestimmen. 56 Da ist es für die Formulierung international abgestimmter Wechselkurspolitik einfacher und funktioneller, auf große Ungleichgewichte zu warten und dann zu versuchen, diese durch fiskalische und monetäre Maßnahmen abzubauen. Ab einem bestimmten Grad ist die Feststellung von Ungleichgewichten leicht. Dennoch ist es für die Staaten immer besonders schwierig, zu einem Entschluß über die anzustrebenden Wechselkursrelationen und die zu ihrer Erreichung notwendigen Interventionen zu kommen, wenn die grundlegenden Leistungsbilanzungleichgewichte sehr groß sind und sie nur mit langen Verzögerungen auf Wechselkursanpassungen reagieren. Abgestimmte Maßnahmen werden weiter erschwert, wenn starke Unsicherheiten über die mittelfristige Entwicklung der Weltwirtschaft bestehen und wenn mit wachsender Globalisierung der Finanzmärkte das Volumen des international einsetzbaren Kapitals in Relation zu den Handelsströmen sehr groß geworden ist. Die Ansätze des Realismus haben vor diesem Hintergrund die Möglichkeit fester Wechselkurse an die Existenz eines Hegemons und an die unbedingte Vermeidung von Free-Riding gekoppelt: 57
55 Vgl. vor allem Jeffrey FrankeIl Katharine Rockett: International Macroeconomic Policy Coordination when Policy-Makers do not Agree on the Model, American Economic Review 78, 1988. 56 BIS: 57. Jahresbericht, Basel 1987, S. 174.
57 Vgl. Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 118ff.; Charles P. Kindleberger: International Public Goods without International Government, American Economic Review 76, 1986; Robert O. Keohane: The Theory of Hegemonie Stability and Changes in International Regimes, 1967-1977, in: Holsti, OIe et al. (Hrsg.): Change in the International System, Boulder 1980.
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"The United States, when forcing the revaluation of the yen and the mark, failed to recognize adequately the considerable diffusion of economic power that had taken place in the 1970's and early 1980's. (... ) South Korea, Canada, and other countries were among the principal beneficiaries of the dollar devaluation because they had pegged their own currencies to the dollar. (... ) In brief, monetary coordination will require the achievement of consensus among a growing number of competitive economies if it is to be successful." 58 Über die Problematik der wachsenden Anzahl wichtiger Akteure und die damit verbundene zunehmende Möglichkeit des Trittbrettfahrens hinaus sah Gilpin drei Ursachen, die eine Koordination der Wirtschaftspolitik zwischen den Staaten der G-7 verhindern: I. Staaten versuchen, einen Handelsbilanzüberschuß zu erwirtschaften. 2. Staaten wollen ihre wirtschaftspolitische Souveränität nicht aufgeben. 3. Es besteht nur selten Konsens über die Notwendigkeit koordinierter Wirtschaftspolitik. Der Erfolg des Wechselkursmanagements muß dem Realismus im Rückblick als 'Puzzle' erscheinen. Dies teilt er allerdings mit den meisten Einschätzungen von Ökonomen im Vorfeld der Währungskooperation.
2. Das Plaza-Abkommen Die führenden westlichen Industriestaaten hatten die Weltwirtschaftsgipfel von Anfang an genutzt, um sich ihre Wirtschaftspolitik gegenseitig offenzulegen und wenn nötig (und möglich) miteinander abzustimmen. Trotzdem kam dem Plaza-Abkommen eine über die Ergebnisse der 'normalen' Weltwirtschaftsgipfel hinausgehende, besondere Bedeutung zu, weil die weltwirtschaftlichen Probleme, die mit dem Abkommen angegangen werden sollten, von besonderer Dringlichkeit waren. Die positive Erwartungshaltung nach der Wahl Reagans zum amerikanischen Präsidenten und die hohen Zinsen in den USA riefen einen erhöhten Zustrom ausländischen Kapitals in Dollaranlagen hervor, der den Kurs des Dollars schnell steigen ließ. Spätestens nach Überschreiten der Grenze von 2,50 DM pro Dollar war dann eine objektive Überbewertung des Dollars
58 Gilpin, a.a.O., S. 163.
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erreicht. 59 Doch von den Fesseln der staatlichen Einflußnahme befreit, gewann die amerikanische Währung bis Anfang 1985 weiter an Wert und erreichte am 25. Februar mit 263,65 Yen und einen Tag später mit 3,47 DM ihren historischen Höchstwert. Der Höhenflug des Dollars war eine nicht ungewollte Konsequenz des vor allem in den USA dominierenden liberalen Verständnisses von Wirtschaftspolitik. Noch im Frühjahr des Jahres 1985 sah die Reagan-Administration in der Stärke des Dollars einen Beweis für den Erfolg der amerikanischen Wirtschaftspolitik. 60 Die wirtschaftspolitische Konzeption der 'Reaganomics' setzte vollständig und uneingeschränkt auf die 'Magie des Marktes'. Dies verbot eine aktive Rolle des Staates in der Wirtschaft und jeden Eingriff in den Kurs des Dollars. Die Wirtschafts subjekte vertrauten auf die Versprechen der monetaristischen Angebots-Ökonomen, die sich von einer Politik des knappen Geldes eine schnelle Erholung der amerikanischen Wirtschaft versprachen. 61 Die Folge war ein kontinuierliches Ansteigen des Dollarkurses. Als allerdings die negativen Begleiteffekte dieser Politik, vor allem die globalen Handelsungleichgewichte, deutlich wurden, wurde entgegen aller Dogmatik gehandelt. Das 'Plaza-Agreement' 62 vom 22. September 1985 markiert die Trendwende zu einem aktiven, auf zwischenstaatlicher Kooperation beruhendem Wechselkursmanagement. 63 Wie üblich wurde das New Yorker Treffen der Notenbankchefs und Finanzminister von Wirt59 Vgl. Reinhard Rode: Der Niedergang der amerikanischen Wirtschaft, München 1988, S. 71. 60 Vgl. Paul Krugman: The Age of Diminished Expectations, Cambridge 1990, S.
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61 Zur monetaristischen Politik unter Reagan bemerkt Paul Krugman lakonisch: "When Ronald Reagan was elected, the supply-siders got a chance to try out their ideas. Unfortunately, they failed." Krugman, a.a.O., S. 16. 62 Der offizielle Name der Übereinkunft lautet: Announcement of the Ministers of Finance and Central Bank Governors of France, Germany, Japan, the United Kingdom, and the United States (Plaza Agreement).
63 Ermöglicht wurde die Aufgabe fundamentaler Grundsätze der amerikanischen Wirtschaftspolitik erst durch einen Wechsel innerhalb der Führungselite Washingtons. Im Januar 1985 tauschten der bisherige Finanzminister, Donald Regan, und der Stabschef des Weißen Hauses, James A. Baker, die Ämter. Auch der Stellvertreter Regans, R. Tim McNamar, und Reagans Staatssekretär für internationale Angelegenheiten, Beryl Sprinkel, mußten ihre Positionen räumen. Sie wurden durch die Pragmatiker Richard Darman und David Mulford ersetzt.
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schaftsexperten, den sogenannten Sherpas, vorbereitet. Diese handelten am 15. September 1985 in London bereits die prinzipielle Übereinkunft aus, die dann später von den Finanzministern und Notenbankchefs der zahlreich erschienenen Weltpresse vorgestellt wurden. Auch die Anpassung der Wechselkurse wurde bereits im Vorfeld beschlossen; offen blieben lediglich einige strittige Fonnulierungen. Die verbleibenden semantischen Probleme betrafen die fehlende Bereitschaft der deutschen Delegation, gemeinsam mit den Japanem als 'Überschußland' charakterisiert zu werden, die Vermeidung des Wortes 'Intervention' auf Verlangen der USA und vor allem die Frage, ob das Presse-Communique die Abwertung des Dollar oder die AUfwertung der übrigen Währungen gegenüber dem Dollar als Ziel benennen sollte. Nachdem alle Streitpunkte bezüglich der Formulierungen beseitigt waren, lautete der relevante Abschnitt des Plaza-Abkommens: "The Ministers and Govemors agreed that exchange rates should play a role in adjusting extemal imbalances. In order to do this, exchange rates should better reflect fundamental economic conditions than has been the case. They believe that agreed policy actions must be implemented and reinforced to improve the fundamentals further, and that in view of the present and prospective changes in fundamentals, some further orderly appreciation of the main non-dollar currencies against the dollar is desirable. They stand ready to cooperate more c\osely to encourage this when to do so would be he\pful." 64
Besondere politische Brisanz hatte die Frage der Interventionsstrategie. Umstritten war, welche Wechselkurse innerhalb welchen Zeitraumes angestrebt werden sollten und welches Land wie viele seiner Reserven zur Intervention nutzen sollte.65 Hier konnten sich die USA durchsetzten, die davon ausgingen, daß kurzfristig höchstens eine Abwertung des Dollars um 10-12 % kontrollierbar sein würde. Das bedeutete eine Yen-Dollar Relation von 214-218 und einen Wechselkurs des Dollars zur D-Mark von 2,54,- bis 2,59,-. Für die Interventionen war eine Dauer von sechs Wochen vorgesehen. Die gesamte Interventionssumme wurde mit 18 Mrd. Dollar angegeben, wobei das Maximum pro Intervention etwa 300-400 Millionen Dollar be-
64 Yoichi Funabashi: From the Plaza to the Louvre, Institute for International Economics, Washington 1988, S. 263. 65 Vgl. Funabashi, a.a.O., S. 16.
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tragen sollte. Als Interventioüswährungen waren der Dollar, Yen und 0Mark vorgesehen, während d~t französische Franc und das britische Pfund nur in Ausnahmefällen einges6tzt werden sollten.66 Die Hauptlast der In~ terventionen wurde den USA und Japan aufgebürdet. Die Ausführung behielten sich die jeweiligen Notenbahkchefs vor. 61
3. Die Reaktion der WirtschajtssubjekU! aUf das Plaza-Abkommen
Allein die Veröffentlichung des 'Atinounceinent of the Ministers of Finance and Central Bank Governors of France, Oerrhahy, Japan, the United Kingdom, and the United States', also des Plaza-Abkommens war geeignet, die Anlagestrategie der Wirtschaftssubjekte auf den internationalen Finanzmärkten zu beeinflussen. Der erste Bankplatz, auf dem am Montag nach dem Treffen Geschäfte getätigt werden konnten, war Wellington in Neuseeland. Hier fiel der Kurs des Dollars von 239 auf 234 Yen. Am gleichen Tag, nur einige Zeitzonen später, intervefiierte die Deutsche Bundesbank in Frankfurt. Es war der erste währungspolitische Eingriff der deutschen Notenbank seit mehr als einem halben Jahr. Der Eröffnungskurs in New York lag interventionsbedingt bereits bei 231 Yen pro Dollar. Doch auch die US-Währungsbehörden intervenierten, da sich die Wirtschaftssub jekte eines Falls des Dollars unter einen Kurs von 230 Yen widersetzten. Der Schlußkurs des Dollars in New York lag bei nur noch 225,5 Yen. An einem einzigen Tag war die US amerikanische Währung durch die Ankündigung internationaler Kooperation und durch die massiven Eingriffe um fast 6% gefallen. a
In der folgenden Woche testeten die Wirtschaftssubjekte den Bestand der Abwertung. Insbesondere japanische Anleger zeigten eine fortgesetzt hohe 66 Das war ein ausdrücklicher Wunsch der USA, die dadurch ihre Yen und D-MarkReserven zu schützen gedachten. 67 Dies war damals noch in den Ländern, in denen die Notenbank traditionell ein verlängerter Arm der Politik ist (vor allem in Frankreich) ein sensibles Thema. Noch aufsehenerregender ist allerdings die Tatsache (so man Funabashi Glauben schenkt), daß die Zentralbankchefs sich weigerten, die Auswirkungen der Interventionspolitik auf die Entwicklung der Zinssätze im Beisein von Politikern zu diskutieren. Vgl. Yoichi Funabashi: From the Plaza to the Louvre, Institute for International Economics, Washington 1988, S. 21.
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Nachfrage nach Dollars. Aber die Bank of Japan hielt dem Druck durch enorme Dollarverkäufe stand. Während des Septembers 1985 nahmen die ausgewiesenen japanischen Reserven um fast eine Milliarde Dollar ab. Im Oktober festigte sich der Kurs wieder etwas, weil auf der Jahrestagung von Weltbank und Weltwährungsfonds in Seoul keine zusätzlichen Maßnahmen beschlossen wurden. Doch diese Erholung währte nur kurz. Am 16. Oktober kauften die USA D-Mark für insgesamt 797 Mill. Dollar. Bereits Ende Oktober konnten die Notenbanken ihre Interventionen einstellen. Der Dollar hatte gegenüber der D-Mark 10,5%, gegenüber dem Yen 13% und gegenüber dem Pfund 8% seines Vor-Plaza Wertes verloren. Unterstützung erhielten die Aktionen der G-5 Staaten von Italien, das damals nicht Mitglied der G-5 war. Die Italiener beabsichtigten ursprünglich, gegen die D-Mark zu intervenieren, um den Kurs der Lira im EWS halten zu können. Doch der deutsche Notenbankpräsident Pöhl konnte die Italiener davon überzeugen, zu kooperieren und Dollars zu verkaufen. 68 Mit dem Verweis auf dieses einheitliche europäische Handeln begegneten die Deutschen der amerikanischen Kritik, zu wenig zu partizipieren. Die Briten dagegen, die ihre Währung nicht in das Europäische Währungssystem (EWS) eingebunden hatten, hielten sich merklich zurück. Besonders aktiv zeigten sich die Japaner, obwohl der Yen dadurch gegenüber den europäischen Währungen aufgewertet wurde. Doch trotz einer Abwertung von mittlerweile 25% verschlechterte sich das Handelsbilanzdefizit der USA auch 1986 weiter. Die USA folgerten daraus, daß der Dollar noch weiter abgewertet werden müsse. 69 Zunächst aber wurde der Kurs des Dollars von den USA mit dem Ziel instrumentalisiert, die G-5 Partner zu einer Senkung der Zinssätze zu animieren. Die USA erwarteten niedrigere Wachstumsraten für 1986 und zur Ankurbelung ihrer Wirtschaft waren sie auf niedrigere Zinssätze angewiesen. Doch be68 Vgl. Yoichi Funabashi, a.a.O., S. 30. Die realistische Position, derzufolge 'FreeRiding' die Möglichkeit zwischenstaatlicher Kooperation verhindert, muß vor diesem Hintergrund neu bedacht werden. 69 Ökonomen sprachen dagegen von den Folgen der J-Kurve, die eine Reaktion der Handelsbilanz lediglich verzögere. Die J-Kurve besagt, daß der Auftragsbestand zwischen zwei Ländern eine Verschlechterung der Handelsbilanz für das abwertende Land bewirkt. Erst nach einiger Zeit schlägt die Kurve um, und die relative Verbilligung der Produktion führt zu vermehrten Exporten durch das Land mit der abgewerteten Währung.
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reits ein Jahr später sahen die USA in der Koordinierung 70 der Wirtschaftspolitik einen unverzichtbaren Bestandteil des Managements der internationalen Währungsbeziehungen.7 1 Auf Druck der USA wurden die Zinsraten tatsächlich am 6.17. März 1986 gesenkt. Deutschland senkte den Diskontsatz ebenso wie Japan von 4 auf 3,5%. Einen Tag später senkten auch die USA den Eckzins um einen halben Prozentpunkt auf 7%. Das war der niedrigste Stand seit acht Jahren.
4. Der G-7 Gipfel in Tokio Neun Monate nach dem Treffen der G-5 im New Yorker Plaza-Hotel tagte der Weltwirtschaftsgipfel erneut, diesmal im Rahmen der G-7 um kanadische und italienische Vertreter erweitert. Das Treffen fand in Japan statt. Die Japaner hatten die größten Schwierigkeiten mit der Wechselkursentwicklung der zurückliegenden neun Monate. Die japanische Währung war von 240 auf 170 Yen gegenüber dem Dollar - also um fast dreißig Prozent - aufgewertet worden. Die Folgen für die japanische Wirtschaft waren unübersehbar. Die japanischen Politiker fürchteten eine Rezession, und Ministerpräsident Nakasone geriet innerhalb seiner Partei, der LDP, unter politischen Druck. Das Problem schien diesmal eher die Stärke des Yen als die Stärke des Dollars zu sein. Doch das Gipfeltreffen wurde wiederum von den Vorschlägen der USA dominiert. Deren Unterhändler James Baker setzte eine neue Initiative für eine erweiterte Koordinierung der Wirtschaftspolitik durch, in der die Stabilisierung der Wechselkurse nur eine Komponente war. Anhand einer
70 Die geläufigste Definition des Begriffes Koordinierung lautet "to plan jointly broad economic targets and the general policies to achieve them, and to bear in mind the effects on each other of their policies not because of indirect repercussion but because the governments have struck a bargain that take into account the other's interest", vgl. Roland Vaubel: Coordination or Competition among National Macroeconomic Policies, in: Fritz Machlup et al. (Hrsg.) Reflections on a Troubled World Economy, London 1983, S. 5; Thomas Plümper: Wirtschaftspolitik als internationaler Koordinierungsprozeß, INITIAL 1/1994. 71 In London war eine koordinierte Wirtschaftspolitik noch am Widerstand von Pöhl und Volcker gescheitert. Die Notenbankpräsidenten wollten sich ihre Kompetenz über die Währungspolitik nicht von den Politikern nehmen lassen.
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T~il 4: Regimedynamik Ql!FCh ökonomische Prozesse
r~gelmi\.ßigen Überwachung von als maßgeblich erachteten Wirtschaftsindikatoren wie Wachstumsrate, Inflationsrate, Zinssatz,n Haushaltsdefizit, Hllndelsbilanzen, R~serven und Geldmengenwachstum 73 sollten gemein~1l{l1 Maßnahmen zur Angleichung d~r Wirtschaftsentwicklung der sieben Länd~r beschlossen werden. Aber den europäischen Staaten und Japan gelan~ es, die amerikanischen Vorschläge zu verWässern. Statt des amerika~iscl1en Konzeptes, d~s deutliche Aspekte eines regelgeleiteten Automatismus erkennen ließ, bevorzugten sie einen unverfänglicheren, diskreten AnslltZ. Robert Gilpin begründet die Opposition folgendermaßen: "America's economic partners feared thilt a:greement on a system of managed cutTencies would mean areturn to the problems of the 1970s, and they were strongly opppsed to a glose relinking of their eCQnomies with that of the United S~tes." 74
])ennoch war die beschlossene Koordinierung der Wirtschaftspolitik nicht neu. Bereits seit 1982 kons.ultierten die Teilnehmer der Weltwirtichaftsgipfel regelmäßig den Weltwährungsfonds, der eine Übersicht der Wtrts