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German Pages 270 Year 2020
Schriften zum Prozessrecht Band 270
Der Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens im Insolvenzrecht Von Christopher Lutz
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTOPHER LUTZ
Der Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens im Insolvenzrecht
Schriften zum Prozessrecht Band 270
Der Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens im Insolvenzrecht Von Christopher Lutz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahr 2020 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D5 Alle Rechte vorbehalten © 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-18045-5 (Print) ISBN 978-3-428-58045-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2019/2020 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Rechtsprechung sowie Literatur konnten weitgehend bis Anfang März 2020 berücksichtigt werden. Zuvorderst möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. (McGill) danken. Er hat nicht nur meine Begeisterung für das Insolvenzrecht geweckt und mir die Gelegenheit gegeben, viele schöne Jahre an dem von ihm geleiteten Institut für deutsches und internationales Zivilverfahrensrecht zu verbringen, sondern diese Arbeit zu jeder Zeit auch fachlich gefördert. Dabei hat er – wohl wissend, mit welchen Widrigkeiten die Erstellung einer solchen Arbeit verbunden sein kann – ein feines Gespür für die von Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Haferkamp im Vorwort seiner Dissertationsschrift zur Rechtmissbrauchslehre bereits scherzhaft beschriebene „labile Psyche“ eines Doktoranden aufgebracht. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Eberhard Schilken für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie die hilfreichen Anregungen im Rahmen seiner Bewertung. Zum Gelingen dieser Arbeit haben darüber hinaus zahlreiche weitere Menschen einen Beitrag geleistet. Ihnen allen schulde ich ebenfalls großen Dank. Da wären zunächst die vielen liebenswerten Kolleginnen und Kollegen des vorerwähnten Instituts, die mir über die Jahre sehr ans Herz gewachsen sind und ohne deren tägliches Zutun die Erstellung dieser Arbeit weitaus weniger Freude bereitet hätte. Namentlich genannt seien an dieser Stelle Dr. Johannes Richter sowie David Rüther, LL.M. (Columbia), denn sie haben die Arbeit in zahlreichen Gesprächen zudem in fachlicher Hinsicht vorangetrieben. Auf vielfältige Art und Weise gefördert haben diese Arbeit ferner Dr. Asher Brungs, Lukas Klement, LL.M. sowie Dr. Maximilian Schmidt. Ihr freundschaftlicher Rückhalt war für die Erstellung der Arbeit ebenso bedeutsam wie die Ermutigungen meiner Freundin Johanna Steffens, die während der gesamten Entstehungszeit über die Maßen Geduld und Verständnis aufgebracht hat und auch dann keinen Groll gehegt hat, wenn ich dem Institut gegenüber dem sonntäglichen Ausflug ohne jede Notwendigkeit einmal wieder den Vorzug gegeben habe. Den größten Dank schulde ich ohne jeden Zweifel meiner Familie, allen voran meinen lieben Eltern. Ihre aufopferungsvolle Unterstützung und ihr steter Zuspruch waren für mich auch bei der Erstellung dieser Arbeit von unschätzbarem Wert. Ihnen ist die Arbeit in tiefer Dankbarkeit gewidmet. Bonn, im März 2020
Christopher Lutz
Inhaltsverzeichnis Einleitung
17
I. Problemstellung und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1. Teil
Grundlagen der Missbrauchslehre und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren 21
1. Kapitel
Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
22
I. Geschichtliche Entwicklung des Rechtsmissbrauchs im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . 22 II. Wesen des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Innen- oder Außentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 IV. Individueller und institutioneller Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Fallgruppen des individuellen Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Früheres unredliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 aa) Unredlicher Erwerb der eigenen Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 bb) Unredliche Vereitelung von Gegenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 cc) Kein genereller Missbrauchseinwand bei vertrags- oder gesetzeswidrigem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 b) Widersprüchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 c) Gegenwärtig unredliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 aa) Geringfügiges Eigeninteresse und Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . 33 bb) Fehlendes Eigeninteresse und zweckwidrige Rechtsausübung . . . . . . . . 34 2. Anwendungsfälle institutionellen Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 V. Verhältnis des Rechtsmissbrauchs zu anderen Instituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Abgrenzung zur Normauslegung und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Abgrenzung zur Gesetzesumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Abgrenzung zum Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
8
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel
Rechtsmissbrauch im Zivilprozessrecht
40
I. Geschichtliche Entwicklung des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozessrecht . . . . . . . . 40 II. Rechtsmissbrauch und treuwidriges Verhalten im Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . 41 1. Rechtsmissbrauchsverbot im Erkenntnis- und Zwangsvollstreckungsverfahren . 41 a) Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 c) Gründe für die beschränkte Geltung der Missbrauchslehre . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Differenzierung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Verhältnis von Rechtsmissbrauch zum Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Rechtsschutzinteresse als Anknüpfungspunkt für Missbrauch im Prozessrecht . . 46 3. Fälle fehlenden Rechtsschutzinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Nichterreichen der Prozesszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Unzweckmäßige Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Zweckwidrige Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
3. Kapitel
Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
51
I. Missbrauchsausschluss durch Ordnungsfunktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Institutionelle Bedeutung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Rechtsschutzinteresse als Anknüpfungspunkt des Missbrauchseinwands . . . . . . 54 3. Aktienrechtliche Anfechtungsklage als Vergleichsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Missbrauch der Anfechtungsbefugnis durch den Aktionär . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Missbräuchliche Anfechtungsklage – Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Übertragbarkeit der Missbrauchsdogmatik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Missbräuchlicher Einsatz des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Differenzierung zwischen individuellem und institutionellem Missbrauch . . . . . 60 a) Individueller Missbrauch des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) Früheres unredliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 bb) Widersprüchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 cc) Gegenwärtig unredliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (1) Fehlendes schützenwertes Eigeninteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (2) Verfolgung verfahrensfremder Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Inhaltsverzeichnis
9
(a) Gläubigeranträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (aa) Druckanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (bb) Ausforschungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (cc) Ausschaltung eines Wettbewerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (dd) Beendigung von Schuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (b) Schuldneranträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (c) Stellungnahme und Analyse der Fälle unter Berücksichtigung der Missbrauchslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Institutioneller Missbrauch des Insolvenzverfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Antragspflicht und Missbrauchsvorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Beweis- und Darlegungslast für den Missbrauchseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Missbrauchseinwand gegen die Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens . . . 80 1. Missbräuchliche Erledigungserklärung bei Gläubigeranträgen . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Missbrauch und Rücknahmeberechtigung bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Keine Einschränkung allein im Hinblick auf § 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Gefahr des Leerlaufens der Antragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Antragspflicht gem. § 15a InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Missbrauch durch Verhinderung einer Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
2. Teil
Sanierung und Missbrauchsvorwurf 94
4. Kapitel
Die strategische Insolvenz im deutschen Insolvenzrecht
95
I. Sanierungsmöglichkeiten des Insolvenzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Frühere Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) . . . 96 a) Gesetzliche Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Gesellschaftsrechtliches Gestaltungspotenzial in der Insolvenz . . . . . . . . . . . 97 II. Strategische Insolvenz als Besonderheit des Sanierungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die Insolvenzgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
10
Inhaltsverzeichnis 3. Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Fazit: Insolvenzeröffnungsgründe lassen Gestaltungsspielraum . . . . . . . . . . . . . 103
IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
5. Kapitel
Missbrauch durch den Schuldner?
105
I. Werbung mit der Eigenverwaltung – Beispielsfall aus der Sanierungspraxis . . . . . . 106 II. (Vorläufige) Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren – Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Missbrauchsvorwurf im Zusammenhang mit der (vorläufigen) Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) (Vorläufige) Eigenverwaltung gem. §§ 270 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Stellungnahme unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre 108 a) Missbrauchseinwand vor dem Hintergrund der Masseschmälerung . . . . . . . . 108 b) Missbrauchseinwand bei zielgerichteter Herbeiführung der Insolvenzsituation 110 III. Rechtsschutzmöglichkeiten und haftungsrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . 113 1. Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Haftungsrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
6. Kapitel
Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
118
I. Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG – Beispielsfall aus der Sanierungspraxis . . . . . 118 1. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Verdrängung eines Minderheitsgesellschafters – Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Reichweite des Gesellschafterschutzes durch das wertbezogene Schutzkonzept des ESUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Am Liquidationswert orientierter Vergleichsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Einschränkungen zum Schutz des Minderheitsgesellschafters . . . . . . . . . . . . 122 aa) Wirtschaftlicher Ausgleich der Sonderrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Unzulässigkeit der Verschlechterung der Mitgliedschaft bei nicht bezifferbarer Werthaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 c) Stellungnahme und Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . 124
Inhaltsverzeichnis
11
2. Schutz des Minderheitsgesellschafters durch die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Ursprung und Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Potenzielle Wirkung der Treuepflichten in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Fortgeltung der Treuepflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Überlagerung der Treuepflichten durch das Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . 127 bb) Keine Auswirkung auf die Treuepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Ausschluss im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Geltung im Vorfeld der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Schutz des Minderheitsgesellschafters durch den gegen das Insolvenzverfahren gerichteten Missbrauchsvorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Meinungsstand zum zweckwidrigen Einsatz des Insolvenzverfahrens . . . . . . 131 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Untersuchung des Missbrauchseinwands unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Teleologische Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) § 1 InsO und die Zielsetzung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . 136 (2) Zweckwidrigkeitsvorwurf vor dem Hintergrund der dienenden Funktion des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 cc) Verbleibt ein Anwendungsbereich des Missbrauchseinwands? . . . . . . . . 142 III. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Rechtsschutz im Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Rechtsschutzinteresse analog § 14 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Regelung des § 34 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Überlegung einer analogen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (1) Analoge Anwendung auf die Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Analoge Anwendung auf die Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (a) Planwidrigkeit der Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (aa) Unmittelbare Betroffenheit zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (bb) Gleichwohl keine planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . 148 (b) Verfassungsrechtliche Notwendigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (c) De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Schutzschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Zulässigkeit der Schutzschrift im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Schutzschrift aus Gesellschaftersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 d) Anspruch auf Unterlassung und Rücknahme eines Insolvenzantrages . . . . . . 153
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Inhaltsverzeichnis aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (1) Einflussnahme auf die Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (2) Außerinsolvenzgerichtlicher Rechtsschutz des Minderheitsgesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Stellungnahme zum außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz . . . . . . . . 156 (1) Differenzierung zwischen Begründetheit und Zulässigkeit . . . . . . . . 156 (2) Materiell-rechtlicher Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (a) Allgemein zivilrechtlicher Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (b) Einfluss des Gesellschaftsrechts auf Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (aa) Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an die Antragstellung 158 (bb) Einfluss auf Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche 159 (3) Zulässigkeit außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . 160 (a) Identität des Prüfungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (b) Keine Verzögerungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Rechtsschutz im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Überprüfbarkeit der Unzulässigkeit durch das Insolvenzgericht . . . . . . . . . . . 165 aa) § 250 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 250 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Unzulässigkeit der Maßnahme als Teil der Inhaltsprüfung . . . . . . . . 166 (2) Keine umfassende Zweckmäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (3) Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf die Vornahme unzulässiger Planmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (a) Ausschluss des Einwands der Unzulässigkeit durch die Verfahrenseröffnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (b) Keine Auswirkungen der rechtskräftigen Eröffnungsentscheidung 169 (aa) Reichweite und Bedeutung der Rechtskraft im Hinblick auf den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (bb) Mangelnde Schutzwürdigkeit – Grundsätze der Quasires titution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Außerinsolvenzgerichtlicher Rechtsschutz gegen den Insolvenzplan . . . . . . . 172 aa) Materiell-rechtlicher Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Zulässigkeit außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . 173 c) Rechtsschutz gegen die Planbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Beschwerderecht gem. § 253 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Erweiterung des Beschwerderechts bei unzulässigen Maßnahmen . . . . . 175 cc) Ausschluss des „Freigabeverfahrens“ gem. § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO . . . 177 dd) Verhältnis zum Minderheitenschutzantrag gem. § 251 InsO . . . . . . . . . . . 177
Inhaltsverzeichnis
13
IV. Haftungsrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Allgemein zivilrechtliche Haftung bei unzulässiger Verfahrenseinleitung und Vornahme einer unzulässigen Planmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Gesellschaftsrechtlicher Einfluss auf die Haftungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Ansprüche gegen die Geschäftsleitung bei Missachtung der gesellschaftsinternen Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Ansprüche gegen Mehrheitsgesellschafter wegen Verletzung der Treuepflicht 181 3. Einzelfragen zum Schadensersatzanspruch auf Rechtsfolgenebene . . . . . . . . . . . 182 a) Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands – Naturalrestitution . . . . . . . 182 aa) Unmöglichkeit der Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Normativer Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Nachweisbarkeit von Schaden und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Mitverschulden gem. § 254 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
7. Kapitel
Missbrauch durch die Gläubiger?
189
I. Pfleiderer AG und IVG Immobilien AG – Beispielsfälle aus der Sanierungspraxis . 190 1. Pfleiderer AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. IVG Immobilien AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 II. (Feindliche) Übernahme durch die Gläubiger – Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Debt Equity Swap gem. § 225a Abs. 2 Satz 1 InsO – Übernahme im Insolvenz verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Kapitalherabsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 c) Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 d) Bewertung der Anteile der Altgesellschafter und das in diesem Zusammenhang diskutierte Missbrauchsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Distressed Debt Investing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Geschäftsmodell und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Investorstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Active und Passive Investing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Einfluss durch Financial Covenants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
14
Inhaltsverzeichnis c) Rechtsfragen bezüglich des Forderungserwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Forderungserwerb aus schuldrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Forderungserwerb aus insolvenzrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Stellungnahme zur Zulässigkeit von Unternehmensübernahmen und dem dies bezüglich erhobenen Missbrauchsvorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Vorwurf der Instrumentalisierung und des Missbrauchs des Insolvenzverfahrens bei Unternehmensübernahmen mittels Debt Equity Swap . . . . . . . . . . . 204 b) Treuepflichtbindung der Gläubiger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Einschränkung des Distressed Debt Investing? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
III. Rechtsschutzmöglichkeiten und haftungsrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Haftungsrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Schlussbetrachtung I.
217
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
Abkürzungen BeckRS COMI D. ders. / dies. EuInsVO FAZ FG gem. IfM jurisPR-InsR MwStR Vorbem.
Rechtsprechungsdatenbank in beck-online Center of Main Interests Digesta Iustiniani derselbe / dieselbe Europäische Insolvenzverordnung Frankfurter Allgemeine Zeitung Festgabe gemäß Institut für Mittelstandsforschung Bonn juris Praxisreport Insolvenzrecht MehrwertSteuerrecht Vorbemerkung
Im Übrigen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Auflage, Berlin / Boston 2015 sowie Duden, Die deutsche Rechtschreibung, 27. Auflage, Berlin 2017 verwiesen.
Einleitung I. Problemstellung und Zielsetzung „Jedem Rechtsinstitut droht der Missbrauch“, konstatiert der frühere weitere aufsichtführende Richter der Insolvenzabteilung des Amtsgerichts Mannheim Zipperer im Rahmen seiner Untersuchung der Rechtsschutzmöglichkeiten von Gesellschaftern im Insolvenzeröffnungsverfahren.1 Lässt man den Blick über die Literatur und Rechtsprechung zum Insolvenzrecht schweifen, so scheint dies nach allgemeiner Auffassung auch für das Insolvenzverfahren zu gelten. Schon zu Zeiten der KO war anerkannt, dass der Konkursantrag etwa bei verfahrensfremder Zweckverfolgung als missbräuchlich zurückzuweisen war. Auch nach Einführung der InsO wurden Insolvenzanträge vereinzelt immer wieder als missbräuchlich zurückgewiesen und zuletzt mehren sich die Stimmen, die die Erledigungserklärung eines Gläubigerantrages nach Begleichung der dem Antrag zugrunde liegenden Forderung zum Schutze der übrigen Gläubiger als missbräuchlich beurteilen. Besondere Brisanz hat der gegen das Insolvenzverfahren gerichtete Missbrauchsvorwurf darüber hinaus durch die gesetzlichen Änderungen des ESUG2 erhalten. Das Insolvenzverfahren wird seither in zunehmendem Maße auch als Gestaltungsmittel wahrgenommen und stellt sich gleichsam als „Transmissionsriemen“ eigener Interessen dar.3 Insbesondere der Fall um die Suhrkamp Verlagsgesellschaft, in dem der Minderheitsgesellschafter über das Insolvenzplanverfahren im Wege einer Umwandlung de facto entmachtet und damit eine Gesellschafterauseinandersetzung beseitigt wurde,4 hat das Gestaltungspotenzial der gesetzlichen Änderungen eindrucksvoll unter Beweis gestellt und wird dementsprechend vielfach auch als „Geburtsstunde“5 strategischer Insolvenzen in Deutschland bezeichnet. In die euphorische Stimmung um die Neuerungen mischte sich jedoch ebenso Skepsis ob der gesetzlichen Ausgestaltung der (vorläufigen) Eigenverwaltung, des Schutzschirmverfahrens sowie der Reichweite gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen im Insolvenzplanverfahren. In diesem Zusammenhang war zuletzt immer wieder vom Missbrauch des Insolvenzverfahrens die Rede.6 Anders als in den zahlreichen 1
Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2009). Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 07.12.2011, BGBl. I, S. 2582 ff. 3 Weitzmann, in: FG Wehr, S. 385 (393). 4 Vgl. hierzu noch 6. Kapitel I. 5 Hölzle, ZIP 2015, 83 (84). 6 Für die (vorläufige) Eigenverwaltung sowie das Schutzschirmverfahren vgl. Hölzle, ZIP 2012, 158 (159); Pape, in: FS Vallender, S. 363 (372); Brünkmans, in: HK, InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 6; Foltis, in: FK, InsO, vor §§ 270 ff. Rz. 11. Die Frage des Rechtsmissbrauchs diskutieren 2
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Einleitung
monografischen Abhandlungen zum ESUG, deren Anlass ebenso wie für diese Arbeit das Insolvenzverfahren über das Vermögen des bereits genannten namhaften deutschen Verlages gewesen sein dürfte, bildet der gegen die Sanierungsinstru mente der InsO gerichtete Missbrauchsvorwurf den Schwerpunkt und nicht nur einen Teilaspekt der vorliegenden Untersuchung.7 Darüber hinaus soll die Arbeit ganz allgemein einen Beitrag zu dem im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren erhobenen Missbrauchsvorwurf leisten. Es wird sich zeigen, dass mit dem Vorwurf oftmals zu unbedacht umgegangen wird. Im Umgang mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs sollte man es keinesfalls darauf anlegen, dass sich hierfür bloß ein Gefühl einstellt,8 sondern unter Rückgriff auf die Grundsätze der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre zumindest im Ansatz eine klare Einordnung ermöglichen. Andernfalls läuft man Gefahr, die Verfahrenseinleitung zu eilig als missbräuchlich zurückzuweisen.9 Die Arbeit wird schließlich aufzeigen, dass der Einwand des Rechtsmissbrauchs im Insolvenzrecht auf wenige Ausnahmefälle begrenzt und in praktischer Hinsicht damit nur von geringer Bedeutung ist.
II. Gang der Untersuchung Im ersten Teil der Untersuchung sind einleitend die Grundlagen der Missbrauchsdogmatik darzustellen. Angesichts der nahezu unerschöpflichen Literatur und Rechtsprechung zum Rechtsmissbrauch muss sich die Arbeit hier auf eine kursorische Darstellung beschränken. Es geht darum, die wesentlichen Merkmale der Missbrauchslehre im materiellen Zivilrecht wie auch im Zivilprozessrecht
im Zusammenhang mit dem Einsatz zur Beseitigung einer Gesellschafterauseinandersetzung unter anderem Lang / Muschalle, NZI 2013, 953 ff.; Möhlenkamp, BB 2013, 2828 ff.; Brinkmann, ZIP 2014, 197 ff.; Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 ff.; Prütting, in: FS Kübler, S. 567 ff.; Werner, NWB 2014, 1453 (1459); Ley, in: FS Beck, S. 319 ff.; Pape, ZIP 2013, 2285 (2293). In Bezug auf die Übernahme mittels insolvenzrechtlichen Debt Equity Swaps findet sich der gegen das Insolvenzverfahren gerichtete Missbrauchseinwand etwa bei H.-F. Müller, DB 2014, 41 (44); Möhlenkamp, BB 2013, 2828 (2830); Frind, WM 2014, 590 (595); Marotzke, ZInsO 2015, 325 (330) wieder. 7 Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 130 ff.; Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 269 ff.; Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 56 ff., 197 ff.; Brosent, Strategische Insolvenzen, S. 151 ff. sowie J.-H. Kern, Die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Insolvenzplanverfahren, S. 125 ff., der sich mit dem aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht abgeleiteten Missbrauchsvorwurf auseinandergesetzt hat. 8 So aber offenbar Möhlenkamp, BB 2013, 2828 (2830), der es im Hinblick auf den durch das ESUG geschaffenen Gestaltungsspielraum für erforderlich hält, dass sich für die Annahme von Rechtsmissbrauch eben „ein Gefühl“ einstellt. 9 Das gilt insbesondere dann, wenn dieser (vermeintlich) missbilligenswerte Motive zugrunde liegen, vgl. zu diesem Problem allgemein Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 202 sowie Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 308 f.
Einleitung
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wiederzugeben, um den Einwand des Missbrauchs zum einen von anderen Pro blemkreisen abzugrenzen und zum anderen auf diese Grundsätze im Rahmen der darauffolgenden Analyse zurückgreifen zu können. Sodann ist speziell der Frage nach dem Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren nachzugehen. Das Insolvenzverfahren bringt eine „multipolare Konfliktlage“10 zwischen den Verfahrensbeteiligten mit sich, die die Beurteilung der Missbräuchlichkeit gegenüber dem Verhältnis bloß zweier Rechtssubjekte entschieden erschwert. Es wird zu klären sein, inwiefern sich die ordnende Funktion des Verfahrens auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs auswirkt. In diesem Zusammenhang bietet sich ein Vergleich zur aktienrechtlichen Anfechtungsklage an, welche über den subjektivrechtlichen Charakter hinaus die Funktion einer objektiven Rechtskontrolle hat und damit der Erga-omnes-Wirkung des Insolvenzverfahrens angenähert ist. Unter Rückgriff auf die Differenzierung zwischen individuellem und institutionellem Missbrauch sollen die in Rechtsprechung und Literatur diskutierten Fälle zunächst geordnet und sodann einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Im Rahmen dieser Analyse wird auch auf den rechtlichen Charakter der Antragspflicht und die Auswirkungen selbiger auf den Missbrauchseinwand einzugehen sein. Abschließend ist zu erörtern, inwieweit Erledigungserklärungen von Gläubigeranträgen und der Rücknahme von Eigenanträgen juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs gemacht werden kann. Gegenstand des zweiten Teils der Arbeit ist der gegen die Sanierungsinstrumente der InsO gerichtete Missbrauchsvorwurf. Unter Berücksichtigung der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse ist zu untersuchen, ob und inwieweit in Bezug auf Sanier ungsmaßnahmen und den strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens berechtigterweise von einem Rechtsmissbrauch gesprochen werden kann. Zunächst wird dies für den Schuldner zu klären sein, dem mitunter vorgeworfen wird, das Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren missbräuchlich einzusetzen. Im Anschluss daran gilt es, den gegen den Mehrheitsgesellschafter gerichteten Missbrauchsvorwurf zu analysieren, der durch das Insolvenzverfahren der Suhrkamp Verlagsgesellschaft in der Diskussion um den Missbrauch der Sanierungsinstrumente der InsO zweifelsohne im Mittelpunkt stand. Dabei geht es ebenso wie bei dem gegen die Gläubiger in Bezug auf die Unternehmensübernahme mittels insolvenzrechtlichen Debt Equity Swaps gerichteten und im Anschluss hieran zu erörternden Missbrauchseinwand um das gesellschaftsrechtliche Gestaltungspotenzial der Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens.11 Im Anschluss an die Untersuchung des gegen die Sanierungsinstrumente gerichteten Missbrauchsvorwurfs soll jeweils der Frage nach den Rechtsschutzmöglichkeiten und haftungsrechtlichen Konsequenzen nachgegangen werden. Insbesondere der Rechtsschutz der Gesellschafter wird bei den unter dem Gesichtspunkt des 10
So die Wortwahl von Wallner, ZIP 2015, 997 (1001). Mitunter werden die Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens als „in hohem Maße missbrauchsanfällig“ beschrieben, vgl. H.-F. Müller, DB 2014, 41 (45). 11
20
Einleitung
Missbrauchs diskutierten Problemen allgemeinhin als unzureichend empfunden,12 was zugleich die Bedeutsamkeit alternativer Abwehrmöglichkeiten wie auch das Interesse an haftungsrechtlichen Folgen steigert. Teilweise kann für die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen bezüglich des Missbrauchs der Sanierungsmaßnahmen auf die bisherige Judikatur und Literatur zum Missbrauch des Insolvenzverfahrens zurückgegriffen werden. So sind beispielsweise Überlegungen hinsichtlich prozessgerichtlichen Rechtsschutzes außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht neu und im Rahmen der vorliegenden Untersuchung von Nutzen. Gleiches gilt im Hinblick auf die Haftungsansprüche. Darüber hinaus stellen sich weitere Probleme, die im Kontext missbräuchlichen Verhaltens im Insolvenzverfahren bisher nicht aufgefallen sind, wie etwa die Auswirkungen einer rechtskräftigen Eröffnungsentscheidung auf einen erst im Planverfahren erhobenen Missbrauchseinwand. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse sowie mit einem Ausblick, in dem die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung in den Kontext der Diskussion um die Ausgestaltung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens eingeordnet werden.
12
Pleister / T holen, ZIP 2015, 414 (418); C. Schäfer, ZIP 2013, 2237 (2244); ders., ZIP 2015, 1208 (1212); ders., ZIP 2019, 1305 (1308 f.); H.-F. Müller, DB 2014, 41 (43); Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (271); Böcker, DZWIR 2015, 125 (132); Brinkmann, ZIP 2014, 197 (203); ders., in: FS Schilken, S. 631 (639).
1. Teil
Grundlagen der Missbrauchslehre und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren Eine Untersuchung des Missbrauchsvorwurfs im Insolvenzverfahren setzt die Kenntnis der dogmatischen Grundlagen voraus. Nur anhand dieser kann bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen von einem missbräuchlichen Verhalten auszugehen ist. Da das Insolvenzrecht eine Zusammenfassung materiell- und verfahrensrechtlicher Regelungen enthält,1 muss man sich mit den Grundlagen der Missbrauchslehre sowohl im materiellen Zivilrecht als auch im Zivilprozessrecht vertraut machen. Die Schwierigkeit einer solchen Darstellung besteht darin, dass die schier unüberschaubare Anzahl an Literatur und Judikatur zum Rechtsmissbrauch keine identischen Begriffe verwendet.2 Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen den zur Systematisierung missbräuchlicher Verhaltensweisen gebildeten Fallgruppen fließend sind. Gleichwohl gilt es, sich im Folgenden einen Überblick über die wohl als herrschend zu bezeichnenden dogmatischen Grundzüge zu verschaffen. Es wird aufzuzeigen sein, unter welchen Voraussetzungen eine Rechtsausübung missbräuchlich sein kann. Dabei ist nicht nur auf die soeben erwähnten Fallgruppen zum Missbrauch einzugehen, die im materiellen Recht zumeist im Rahmen des § 242 BGB und im Prozessrecht im Hinblick auf das Rechtsschutzinteresse diskutiert werden. Um eine kritische Untersuchung des mitunter undifferenzierten und notbehelfsmäßigen Gebrauchs des Missbrauchseinwands3 vornehmen zu können, muss der Einwand darüber hinaus von anderen Instituten abgegrenzt werden. Im Anschluss an die Darstellung gilt es unter Rückgriff auf die dogmatischen Grundlagen zu bestimmen, inwieweit von einem Missbrauch im Insolvenzverfahren gesprochen werden kann und ob der Missbrauchseinwand in den bisher diskutierten Konstellationen überhaupt berechtigterweise erhoben wurde.
1
Unter Hinweis auf die KO und deren Aufbau Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 3.01 ff. So auch die Einschätzung von Reuß, forum shopping, S. 203; Eichenhofer, Rechtsmissbrauch, S. 173. Der Rechtsmissbrauch im Sinne einer zu missbilligenden Rechtsausübung wird teilweise auch als Missbrauch „im engeren Sinn“ verstanden, vgl. Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 239 ff.; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 57 ff.; ähnlich auch Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 37 f. So fehlt sie etwa bei Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 213 ff.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 38 ff.; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 38 ff.; Böttcher, in: Erman, BGB, § 242 Rz. 101 ff. 3 Siehe hierzu bereits Einleitung I. 2
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
1. Kapitel
Rechtsmissbrauch im Zivilrecht I. Geschichtliche Entwicklung des Rechtsmissbrauchs im Privatrecht Die Geschichte des Rechtsmissbrauchs reicht zurück bis ins römische Recht. Mehrfach zitiert wird zwar die Äußerung von Gaius „nullus videtur dolo facere, qui suo iure utitur“,4 was übersetzt bedeutet, dass niemand, der sein Recht gebraucht, arglistig zu handeln scheint.5 Dennoch finden sich auch im Römischen Recht Aussagen und Wertungen, die aus heutiger Sicht Teil der Missbrauchsdogmatik sind.6 Eine allgemeine Missbrauchstheorie entwickelte sich zu dieser Zeit jedoch nicht.7 Das Schikaneverbot wurde im klassischen Recht nur für jeden Einzelfall bestimmt.8 Die exceptio doli diente dazu, die zumeist starren Regeln des römischen Rechts in bestimmten Fällen durch „billiges Recht“ zu ersetzen.9 In der neueren Privatrechtsgeschichte wurden Überlegungen zum Missbrauch von Rechten zuerst von der französischen Rechtslehre angestellt, die sodann in Deutschland aufgegriffen wurden.10 Die Lehre vom Rechtsmissbrauch in ihrer heutigen Gestalt fußt primär auf der in Frankreich entwickelten Lehre vom „abus de droit“.11 Während im Code civil von 1804 kein allgemeines Verbot missbräuchlichen Verhaltens aufgenommen wurde, kam es infolge mehrerer Gerichtsentscheidungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Thematik.12 Aus dieser Zeit stammt auch der berühmte Satz Planiols „le droit cesse où l’abus commence“13, mit dem sich der französische Privatrechtslehrer 4
D. 50, 17, 55. Vgl. zur Interpretation und Allgemeingültigkeit der Aussage Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 25. 6 Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 63; Bokelmann, Rechtsmissbrauch des Anfechtungsrechts durch den Aktionär?, S. 97; Kaser / Knütel / L ohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rz. 3 sowie § 4 Rz. 15. Trotz Bestimmung abstrakter Tatbestandsmerkmale und Abhandlungen zur Theorie des Rechtsmissbrauchs findet sich in der Literatur auch heute noch größtenteils eine Aufteilung in Fallgruppen. Dies merken unter anderem auch Brinkmann, ZIP 2014, 197 (198); Haferkamp, in: HKK, BGB, § 242 Rz. 64 an. 7 Eisser, in: summum ius summa iniuria, S. 1 (12); Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 63; Kreller, in: Deutsche Landesreferate zum II. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag 1937, S. 1 (24); Guski, Rechtsmissbrauch als Paradoxie, S. 177. 8 Kaser / Knütel / L ohsse, Römisches Privatrecht, § 4 Rz. 15. 9 Enneccerus / Nipperdey, Allgemeiner Teil, S. 1440. 10 Etwa zu erkennen bei Oppenheimer, Gesetzesmissbrauch, S. 94 ff.; Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 68; Rüdy, Rechtsmissbrauch, S. 2 ff. Zu der Entwicklung vgl. auch Eichenhofer, Rechtsmissbrauch, S. 113 ff. 11 Fleischer, JZ 2003, 865. 12 Fleischer, JZ 2003, 865 f. 13 Planiol, Traité élémentaire de droit civile, Rz. 366. 5
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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gegen die Verwendung des Terminus „Rechtsmissbrauch“ aussprach.14 Der Rechtsgelehrte Josserand ging von der Geltung des Rechtsmissbrauchsverbots im französischen Recht aus und stellte Kriterien zur Bestimmung solchen Verhaltens auf.15 Im deutschen Privatrecht wurde die Untersuchung und Handhabung missbräuchlichen Verhaltens insbesondere durch die Schaffung der §§ 226, 242 und 826 BGB vorangetrieben.16 Diese Entwicklung sowie die französische Lehre vom „abus de droit“ verstärkten auch in Deutschland die Diskussion um den Missbrauch von Rechten. Die Auseinandersetzung brachte unter anderem die Abhandlungen Oppenheimers, Rüdys und Sieberts hervor,17 unter denen die Arbeit von Siebert hervorzuheben ist. Dieser ging davon aus, dass ein Tatbestand des Rechtsmissbrauchs nicht einheitlich gefasst werden könne.18 Er vertrat die Auffassung, dass bei nutzloser Schädigung Dritter, also bei mangelndem eigenem Interesse, auf § 226 BGB zurückzugreifen ist. Bei übermäßigem Eigennutz, d. h. einer unzureichenden Berücksichtigung schutzwürdiger Gegeninteressen, zog er die §§ 826, 242 BGB heran, wobei er bei Vorliegen einer Sonderbeziehung auf § 242 BGB und außerhalb von Sonderbeziehungen auf § 826 BGB zurückgriff.19 Für den Fall der Überschreitung dieser Ausübungsschranken sprach Siebert von einem „Handeln ohne Recht“.20 In Anbetracht des weitreichenden Geltungsbereichs der von ihm untersuchten Tatbestände ging er jedoch davon aus, dass die Anwendung der Lehre von der Unzulässigkeit der Rechtsausübung in Einzelfällen eingeschränkt oder gänzlich ausgeschlossen ist.21 Wie schon das RG im Jahre 193522 folgte auch der BGH der Lehre Sieberts.23 In der Kommentarliteratur findet sich vereinzelt ebenso ein Verweis auf diese Aus 14
Hierzu stellt Fleischer, JZ 2003, 865 (866) fest, dass gerade dieser Satz, der ursprünglich gegen die Missbrauchslehre angeführt wurde, den Befürwortern heute als Definition dient. Zur Kritik Planiols vgl. auch Eichenhofer, Rechtsmissbrauch, S. 64 f. 15 Josserand, De l’esprit des droits et de leur relativité, S. 1 ff. sowie 311 ff. 16 Ausführlich hierzu Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 108 ff. Zur Entwicklung der Rechtsmissbrauchslehre vor der Schaffung des BGB, vgl. etwa Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 60 ff. 17 Oppenheimer, Gesetzesmissbrauch, insbesondere S. 128 ff.; Rüdy, Rechtsmissbrauch; Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung. 18 Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 76. 19 Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 127 ff. Auch in späteren Abhandlungen setzt sich dieses Verständnis fort, so etwa in der Kommentierung von Siebert, in: Soergel, BGB, 9. Auflage, Vor § 226 Rz. 19: „Gemeinsam ist den §§ 226, 826 und 242 der Grundgedanke, dass derjenige keinen Rechtsschutz verdient, der von seinem Recht entgegen dem vom Gesetz erstrebten Zweck (bes. Interessenausgleich) Gebrauch macht und sich damit über die dem Recht immanente Grenze zum Schaden seines Rechtsgenossen hinwegsetzt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Ausübung eines Rechts unzulässig.“ 20 Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 90. 21 Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 126. 22 RG, Urt. v. 22.01.1935 – II 198/34, RGZ 146, 385 (396). Gegenstand des Urteils war eine aktienrechtliche Anfechtungsklage. 23 BGH, Urt. v. 12.07.1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94 (103 f.). Zu der Entwicklung des Rechtsmissbrauchs in der Bundesrepublik vgl. Eichenhofer, Rechtsmissbrauch, S. 157 ff.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
führungen.24 Dennoch sollte die Arbeit Sieberts niemals ohne Hinweis auf dessen Zugehörigkeit zur Kieler Schule und die Bedeutung seiner Arbeit für den Nationalsozialismus herangezogen werden.25 Vornehmlich Haferkamp hat mehrfach Kritik an der Lehre und der damit verknüpften rechtspolitischen Bedeutung geübt.26 Wenngleich Haferkamp der Lehre Sieberts nicht Folge leistet27 und darüber hinaus mit Recht deutliche Worte findet,28 stellt auch er fest, dass die heutige Rechtsmissbrauchslehre nicht als nationalsozialistisch bezeichnet werden kann.29 Der rechtsdogmatische Wert der Arbeit sollte trotz der aufgezeigten Umstände nicht unterschätzt werden. Unbestimmte Begriffe wie Treu und Glauben und gute Sitten lassen dem Rechtsanwender die Möglichkeit der Auslegung. Gerade die historische Einordnung der Lehre macht eine differenzierte und distanzierte Betrachtung möglich und mahnt zu einer stets kritischen Betrachtung im Falle ihrer Anwendung.30
II. Wesen des Rechtsmissbrauchs Es ist Aufgabe des Rechts, das Zusammenleben zu regeln und soziale Ordnungsverhältnisse zu schaffen. In Erfüllung dieser Aufgabe verleiht die Rechtsordnung jedem Einzelnen subjektive Rechte.31 Gegenstand der Rechtsmissbrauchslehre sind das subjektive Recht und dessen Schranken. Die Grenzen der Rechtsausübung sind nicht allein dann erreicht, wenn ein Recht über seine inhaltlich genau beschriebenen tatbestandlichen Grenzen hinaus in Anspruch genommen wird. Auch wenn von einem an sich bestehenden Recht Gebrauch gemacht wird, kann das handelnde Rechtssubjekt an der Ausübung gehindert sein.32 Der Rechtsmissbrauch ist jedoch kein „außerrechtliches Phänomen“, sondern vielmehr Teil der Rechtsordnung.33 Im Ergebnis soll die Durchsetzung der ratio legis gefördert und ein gerechter Interessenausgleich erreicht werden, bei dem die Position des Rechtsausübenden und die des Gegenübers sorgsam gegeneinander abzuwägen sind.34 24
Vgl. etwa Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 205 ff. So kritisiert etwa Brinkmann, ZIP 2014, 197 (198) das oftmalige Fehlen eines kritischen Verweises. 26 Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 183 ff. 27 Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 352 f. 28 Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 342: „Zunächst ruft die Feststellung, dass eine heute im Zivilrecht bedeutsame Lehre maßgeblich rechtsfeindlichen Einflüssen entsprungen ist, eine gewisse Fassungslosigkeit hervor.“ 29 Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 342. 30 Ebenso Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 206. 31 Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 65. 32 Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 65 ff. 33 Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 84. Allerdings geht Mader zu weit, weil er das Rechtsmissbrauchsverbot sogar als Teil des Sachnormenbestands der Rechtsordnung ansieht. 34 So auch Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 84; Reuß, forum shopping, S. 205 f. 25
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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Ist von Rechtsmissbrauch die Rede, so findet sich in der Regel zugleich ein Verweis auf § 242 BGB.35 Dieser Umstand veranlasst Looschelders / Olzen wohl auch zu dem richtigen Fazit, dass in der heutigen Zeit der Gedanke des Rechtsmissbrauchs als Ausprägung des § 242 BGB im Vordergrund steht.36 Nach der heute kaum noch vertretenen Ansicht Teichmanns handelt es sich bei dem Rechtsmissbrauchsverbot um eine eigenständige Rechtsfigur.37 Für eine solche Sichtweise dürften zwar die §§ 226, 826 BGB anzuführen sein, anhand derer zu erkennen ist, dass das Gesetz keine schrankenlose Rechtsausübung ermöglicht.38 Dagegen dürfte sprechen, dass sich diesen Normen nicht hinreichend konkrete Erfordernisse für ein solches Missbrauchsverbot entnehmen lassen.39 Gegen die Annahme lässt sich ferner anführen, dass sich der Gesetzgeber mit einem allgemeinen von § 242 BGB losgelöstem Missbrauchsverbot im Rahmen des Entstehungsprozesses des BGB auseinandergesetzt und von der Einführung einer solchen Vorschrift im Hinblick auf die drohende Aufweichung von festen Rechtsnormen abgesehen hat.40 Die praktischen Auswirkungen dieser unterschiedlichen Ansätze sind jedoch gering. Zum einen verschafft eine Anknüpfung an den wenig ergiebigen Wortlaut des § 242 BGB ohnehin kein höheres Maß an Klarheit.41 Zum anderen ist für den Rechtsmissbrauch unabhängig von der Annahme eines allgemeinen Missbrauchsverbots im Rahmen bestehender Sonderverbindungen auf § 242 BGB abzustellen.42 Diese Annahme lässt sich auf den Wortlaut des § 242 BGB stützen, denn ob die Inanspruchnahme eines Rechts missbräuchlich ist, steht im engen Zusammenhang mit dem Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme, das auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben von den Parteien eines Schuldverhältnisses zu fordern ist.43
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Böttcher, in: Erman, BGB, § 242 Rz. 101 ff.; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 47 ff.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 40; Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 31 ff.; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 213; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 199 ff.; Gernhuber, JuS 1983, 764 (765); Repgen, in: Staudinger, BGB, § 226 Rz. 12. Vgl. hierzu auch Teichmann, in: Soergel, BGB, 12. Auflage, § 242 Rz. 11. 36 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 213. Kritisch hierzu Eichenhofer, Rechtsmissbrauch, S. 172 f., 250 f., der vor diesem Hintergrund den Rückgriff auf den Begriff des Rechtsmissbrauchs für entbehrlich hält. 37 Teichmann, in: Soergel, BGB, 12. Auflage, § 242 Rz. 11 ff. 38 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 213. 39 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 213. 40 So die Einschätzung von C. Heinrich, in: FS Laufs, S. 586 (590); Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 215. 41 Ebenso Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 74. 42 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 214. 43 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 214. Zum Rücksichtnahmegebot Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 24; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 177 ff.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
III. Innen- oder Außentheorie Bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Missbrauchslehre war zu erkennen, dass die Wirkung von rechtsmissbräuchlichem Verhalten nicht abschließend geklärt ist. Mittlerweile kann die sogenannte Innentheorie im deutschen Zivilrecht als herrschend bezeichnet werden.44 Grundgedanken dieser Lehre finden sich bereits bei Gierke45 und wurden durch die Arbeit Sieberts fortentwickelt. Die Bezeichnung ist dabei Ausdruck des Verständnisses vom Rechtsmissbrauch. Vertreter dieser Lehre bestimmen die Schranken aus dem Inhalt des Rechts, der sich durch einen relativen Charakter auszeichnet. Die Außentheorie sieht in der sitten- und treuwidrigen Rechtsausübung eine externe Beschränkung subjektiver Rechte. Diese Grenze ergibt sich nicht aus dem jeweiligen Inhalt des Rechts, denn dieses besteht zwar, kann aber nicht ausgeübt werden.46 Die Generalklauseln sind dieser Ansicht zufolge Teil einer „zweiten, korrigierenden Rechtsordnung“.47 Teilweise wird sogar die Ansicht vertreten, dass die beiden Theorien einander nicht ausschließen.48 Dem kann nicht zugestimmt werden. Auch wenn sich die Überlegungen, die bei der Feststellung missbräuchlichen Verhaltens vorgenommen werden müssen, in praktischer Hinsicht zugegebenermaßen überschneiden,49 bleibt die Differenzierung angesichts des unterschiedlichen Verständnisses der Schrankensystematik in methodischer Hinsicht von Bedeutung.50 Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung51 hat die Unterscheidung jedoch keinen Einfluss auf die Darlegungs- und Beweislast. Unter Zugrundelegung des allgemein anerkannten Begünstigungsprinzips obliegt die Darlegungs- und Beweislast demjenigen, der sich auf einen ihn begünstigenden Umstand beruft.52 Aus diesem Grund ist es ganz gleich, welcher Theorie man folgt, die Beweislast trifft
44 BGH, Urt. v. 27.02.2018 – VI ZR 109/17, NJW 2018, 1756 (1758); BAG, Beschl. v. 15.03.2011 – 10 AZB 32/10, NJW 2011, 2684 (2686); Gernhuber, JuS 1983, 764 (765); Fleischer, JZ 2003, 865 (867); Repgen, in: Staudinger, BGB, § 226 Rz. 11; Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 116; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 216; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 38; Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 16. Letzterer aber mit Hinweis darauf, dass es seit geraumer Zeit keine eingehende Diskussion über die Frage des Grundverständnisses des Rechtsmissbrauchs gegeben hat, vgl. dort S. 343. 45 Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 251 ff., 319 ff.; Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 15 f. 46 Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 69 f.; Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 353 f.; Hager, Schikane und Rechtsmissbrauch, S. 45. 47 Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 353. 48 Reuß, forum shopping, S. 216; Hager, Schikane und Rechtsmissbrauch, S. 108. 49 Kritisch zu beiden Theorien Christensen / Kudlich, in: Norm und Entscheidung, S. 189 (200 f.). 50 So auch Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 70. 51 So etwa Repgen, in: Staudinger, BGB, § 226 Rz. 11. 52 Vgl. zu diesem Grundsatz Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 39; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 21; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 85.
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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denjenigen, der den Rechtsmissbrauch geltend macht, weil es sich dabei um einen für ihn günstigen Umstand handelt.53
IV. Individueller und institutioneller Rechtsmissbrauch Die Lehre vom Rechtsmissbrauch behandelt primär die Ausübung subjektiver Rechte. In abstrakter Hinsicht wird in Anlehnung an Esser54 und Raiser55 zwischen dem individuellen und dem institutionellen Rechtsmissbrauch differenziert.56 Beim individuellen Rechtsmissbrauch liegt der Grund für die Unzulässigkeit der Rechtsausübung in dem persönlichen Verhältnis der Parteien.57 Die Schranken sind nicht das Ergebnis einer teleologischen Auslegung des in Anspruch genommenen Rechtsinstituts, sondern vielmehr das Resultat einer Interessenabwägung zwischen den Beteiligten.58 Beim Institutsmissbrauch geht es um eine Erweiterung der Missbrauchserwägungen auf alle möglichen Arten von Rechtslagen und Rechtspositionen, auf die sich ein Rechtssubjekt berufen kann.59 Der institutionelle Rechtsmissbrauch beschreibt Fälle, in denen die Ausübung des Rechts gegen den Zweck des Rechtsinstituts verstößt, dem dieses Institut dienen soll.60 Auf das Vorliegen einer Sonderverbindung kann hier verzichtet werden.61 Vor diesem Hintergrund mag es zunächst verwundern, dass der Einwand des Institutsmissbrauchs oftmals auf § 242 BGB gestützt wird, der – wie bereits dargestellt – eine bestehende Rechtsbeziehung
53 Allgemein zur Darlegungs- und Beweislastverteilung beim Rechtsmissbrauch BVerfG, Beschl. v. 24.06.1988 – 1 BvR 736/88, NJW 1988, 2233; Mankowski, JZ 2016, 787 (789). 54 Esser, Schuldrecht, § 34 Rz. 6 f. 55 Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145 (150 f.). 56 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 40; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 204; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 51; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 217; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 37; Rebe, JA 1977, 6 (8); Schneider, Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht, S. 93 ff.; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 36 f.; Guski, Rechtsmissbrauch als Paradoxie, S. 174 f. 57 Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145 (150); Teichmann, JA 1985, 497 (498); Zimmermann, Rechtsmissbrauchsverbot im Recht der EG, S. 128. 58 Schneider, Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht, S. 93; S chubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 204; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 37. 59 Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 143. 60 Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145 (151); Schneider, Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht, S. 94; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 217. Hiermit ist eine dem objektivrechtlichen Zweck des Rechtsinstituts zuwiderlaufende Anwendung gemeint, denn allein die Absicht, das Rechtsinstitut entfremden zu wollen, führt nicht zur Bejahung eines institutionellen Missbrauchs, vgl. Donner, Die missbräuchliche Anfechtung aktien- und umwandlungsrechtlicher Strukturmaßnahmen, S. 84 f. Weniger deutlich demgegenüber Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 189 ff., der den Missbrauch der aktienrechtlichen Anfechtungsklage entgegen der herrschenden Meinung dem institutionellen Rechtsmissbrauch zuordnet. Zum gegen die Anfechtungsklage erhobenen Missbrauchseinwand vgl. noch 3. Kapitel I. 3. a) aa). 61 So Reuß, forum shopping, S. 223.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
zwischen den handelnden Akteuren voraussetzt.62 Selbstverständlich kann jedoch auch bei der Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs eine Sonderverbindung bestehen, sodass der Rückgriff auf § 242 BGB als in Vertragsbeziehungen vorrangigen Anknüpfungspunkt des Missbrauchseinwands zulässig ist.63 Die Grenze zwischen den beiden Kategorien ist mitunter fließend,64 was schon zu Beginn der Ausführungen Raisers deutlich wird, wenn davon die Rede ist, dass sich subjektive Rechte und Institutionen als Gestaltungsprinzipien des ganzen Privatrechts ergänzen und somit als verschiedene Aspekte dieser Ordnung erscheinen.65 Für die praktische Anwendung ist die vorgenommene Differenzierung trotz der genannten Überschneidungen hilfreich, denn zur Begründung des Missbrauchsvorwurfs genügt in den Fällen institutionellen Missbrauchs bereits die Abweichung vom Zweck des Rechtsinstituts in objektiver Hinsicht, weshalb ein besonderes Augenmerk auf die Zweckbestimmung der Vorschrift zu richten ist.66 Subjektive Momente sind dann nicht erforderlich, können aber dazu verwendet werden, den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu verstärken oder zu entkräften.67 1. Fallgruppen des individuellen Rechtsmissbrauchs Zum Zweck der Konkretisierung hat die Rechtswissenschaft mit Hinweis darauf, dass stets eine Abwägung im Einzelfall erforderlich bleibt, Fallgruppen gebildet, in denen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten jedenfalls naheliegt, wobei weder die Terminologie noch die Einteilung einheitlich ist.68 Nach allgemeiner Meinung kann sich die Unzulässigkeit der Rechtsausübung aus früherem Verhalten, der Art und Weise der gegenwärtigen Rechtsausübung sowie im Hinblick auf widersprüchliches Verhalten zwischen früherem und gegenwärtigem Verhalten ergeben.69 62 Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145 (152). Dagegen Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 37. 63 So schon Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145 (152). Siehe hierzu auch C. Heinrich, in: FS Laufs, S. 586 (592) sowie 1. Kapitel II. 64 Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 144. Zu den mit der Abgrenzung verbundenen Schwierigkeiten vgl. auch Guski, Rechtsmissbrauch als Paradoxie, S. 174 f., 233. 65 Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145 (149). 66 So auch Gernhuber, JuS 1983, 764 (766). Er spricht allerdings davon, dass diese Fälle oft durch entsprechende teleologische Auslegung gehandhabt werden können. Zum Verhältnis von Rechtsmissbrauch zur Gesetzesauslegung vgl. noch 1. Kapitel V. 1. 67 Vgl. Schneider, Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht, S. 95. 68 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 219; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 57. Zur Praxis der Fallgruppenbildung vgl. auch Schmitt-Kästner, Bürgerlich-rechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, S. 27; Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 93 f. 69 Vgl. die Einteilung bei Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 42 ff.; Schneider, Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht, S. 41 ff.; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 233 ff.; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 38 ff.; Zimmermann, Rechtsmissbrauchsverbot im Recht der EG, S. 133 ff.
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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a) Früheres unredliches Verhalten Auf früheres unredliches Verhalten kann der Missbrauchseinwand gestützt werden, wenn die eigene Rechtsstellung unredlich erworben wurde, Gegenrechte unredlich vereitelt wurden oder wenn der Rechtsausübende sich zuvor vertrags- oder gesetzeswidrig verhalten hat.70 aa) Unredlicher Erwerb der eigenen Rechtsstellung Von einem Rechtsmissbrauch ist auszugehen, wenn das geltend gemachte Recht selbst unredlich erworben wurde oder der Rechtsinhaber die tatbestandlichen Voraussetzungen des Rechts in missbilligenswerter Weise herbeigeführt hat.71 Eine gesetzliche Ausprägung findet dieser Grundsatz etwa in § 162 Abs. 2 BGB, wonach es dem Rechtsausübenden verwehrt bleibt, sich auf den Eintritt oder Nichteintritt eines Ereignisses zu berufen, wenn er hierauf selbst treuwidrig hingearbeitet hat.72 Ein arglistiges Verhalten ist zur Begründung der Unzulässigkeit nach überwiegender Auffassung jedoch nicht zu fordern.73 Dieser Missbrauchseinwand findet vornehmlich im Vertragsrecht Anwendung, wenn es um die Ausübung rechtsgeschäftlich begründeter Rechte geht.74 So ist die Geltendmachung vertraglicher Rechte in der Regel unzulässig, wenn der Vertragsschluss als solcher zu missbilligen ist.75 Hiervon ist etwa auszugehen, wenn der Stellvertreter seine Vertretungsmacht durch kollusives Zusammenwirken mit einem Vertragspartner überschreitet.76 Darüber hinaus können auch Rechte auf gesetzlicher Grundlage durch ein missbilligendes früheres Verhalten herbeigeführt werden.77 Ausgeschlossen ist etwa ein Kündigungsrecht, wenn der Kündigende den Kündigungsgrund selbst treuwidrig geschaffen hat.78 Des Missbrauchseinwands bedarf es jedoch überhaupt nur dort, wo nicht speziellere Vorschriften ausreichend Schutz vor dem unredlichen Erwerb einer Rechts 70
Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 44 ff.; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 82 ff.; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 234 ff. 71 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 256 ff. 72 Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 42; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 82; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 234. 73 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 43; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 241. So auch Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 255, der zumindest „schwächere Verschuldensmerkmale“ fordert. 74 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 256 ff.; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 235 ff. 75 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 237 sowie 239. 76 BGH, Urt. v. 30.01.2002 – IV ZR 23/01, NJW 2002, 1497 (1498); BGH, Urt. v. 27.02.2008 – IV ZR 270/06, NJW-RR 2008, 977 (978). 77 BGH, Urt. v. 27.02.2018 – VI ZR 109/17, NJW 2018, 1756 (1758); Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 269; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 43. 78 Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 64; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 273.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
stellung vermitteln. Liegt ein gesetzes- oder sittenwidriges Verhalten vor, so ist vorrangig gegenüber dem Missbrauchseinwand zu prüfen, ob das Rechtsgeschäft nicht schon gem. §§ 134, 138 BGB nichtig ist.79 Darüber hinaus enthält das Gesetz bei arglistiger Täuschung in Form des Anfechtungsrechts gem. § 123 BGB einen spezielleren Rechtsbehelf gegenüber dem auf § 242 BGB gestützten Missbrauchseinwand, dass das Recht auf arglistige Weise erlangt wurde.80 bb) Unredliche Vereitelung von Gegenrechten Der Vorwurf früheren missbräuchlichen Verhaltens kann darüber hinaus daran geknüpft werden, dass Rechte der Gegenpartei vereitelt wurden.81 Auch dieser Gedanke ist gesetzlich verankert, vgl. §§ 162 Abs. 1, 815 BGB.82 Ein in diesem Zusammenhang typischerweise genanntes Beispiel ist die Zugangsvereitelung.83 Wer den Zugang einer Willenserklärung vereitelt, kann sich nicht darauf berufen, dass die Willenserklärung nicht wirksam zugegangen ist.84 cc) Kein genereller Missbrauchseinwand bei vertrags- oder gesetzeswidrigem Verhalten Darüber hinaus vermag jedoch nicht jedes vertrags- oder gesetzeswidrige Verhalten die Geltendmachung von Rechten auszuschließen.85 Dem BGB ist ein allgemeiner Ausschlussgrund aufgrund nicht rechtstreuen Verhaltens fremd.86 Vielmehr sieht das Gesetz an zahlreichen Stellen Sanktionen für Pflichtverletzungen und Abwehrmöglichkeiten vor,87 sodass es des Rückgriffs auf den Missbrauchseinwand nicht bedarf.88 Im Vertragsrecht ist gleichwohl anerkannt, dass Gläubigerrechte auf Grundlage des § 242 BGB im Einzelfall eingeschränkt werden kön 79
Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 239, 362 ff. sowie 365. Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 256. 81 Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 46; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 245; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 307. 82 Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 46; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 81. 83 Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 81; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 46. 84 BGH, Urt. v. 13.06.1952 – I ZR 158/51, NJW 1952, 1169; BGH, Urt. v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, NJW 1998, 976 (977). 85 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 46; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 250. 86 BGH, Urt. 28.10.2009 – IV ZR 140/08, NJW 2010, 289 (290); Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 250; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 72; Teichmann, in: Soergel, BGB, 12. Auflage, § 242 Rz. 287. 87 Vgl. Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 250 mit Hinweis auf die §§ 241a, 661a, 817 sowie 654 BGB. 88 Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 47; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 252. 80
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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nen.89 Voraussetzung für die Annahme eines rechtlich missbilligten Verhaltens ist auch dabei stets eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Maßgeblich sind das Schutzinteresse des Schuldners auf der einen Seite und das Leistungsinteresse des Gläubigers auf der anderen Seite.90 Mit Blick auf die gesetzlichen Wertungen der §§ 314, 324 BGB ist ferner zu fordern, dass eine erhebliche Pflichtverletzung des Gläubigers vorliegt und die Durchsetzung der Gläubigerrechte den Schuldner zudem stark belasten würde.91 b) Widersprüchliches Verhalten Eine weitere Form des Rechtsmissbrauchs bildet das widersprüchliche Verhalten.92 Im Unterschied zum unredlichen Erwerb eines Rechts ist das frühere Verhalten in diesen Fällen nicht zu missbilligen. Die spätere Rechtsausübung kann gleichwohl unzulässig sein, wenn sich das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf schutzwürdig erscheinen.93 Vereinzelt wird zwar angenommen, dass es des Einwands widersprüchlichen Verhaltens nicht bedarf, weil in den beschriebenen Fällen bereits ein konkludenter Verzicht anzunehmen sei.94 Diese Annahme würde jedoch einen entsprechenden Rechtsfolgewillen voraussetzen, der in zahlreichen Fällen nicht besteht.95 Der Einwand lässt sich entweder auf die sachliche Unvereinbarkeit des früheren mit dem späteren Verhalten oder auf einen beim Gegner geschaffenen Vertrauenstatbestand stützen,96 wobei es oftmals auch zu Überschneidungen der beiden Aspekte kommt.97 Ob die Geltendmachung einer Rechtsposition vor dem Hintergrund widersprüchlichen Verhaltens als missbräuchlich und unzulässig zu bewerten ist, muss durch eine Interessenabwägung im Einzelfall bestimmt werden.98 Von einem schutzwürdigen Vertrauen ist auszugehen, wenn der Berechtigte durch sein früheres Verhalten bei dem Betroffenen den Eindruck erweckt hat, er 89
Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 48. Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 253. 91 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 253. 92 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 55; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 88; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 314 ff. 93 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 314; BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 103/11, NJW-RR 2013, 757 (759). 94 Wieling, AcP 176, 334 (335). 95 Teichmann, JA 1985, 497 (500). 96 BGH, Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 154/14, NJW 2015, 1087 (1089); BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 103/11, NJW-RR 2013, 757 (759); Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 314; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 55 ff. 97 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 314. 98 BGH, Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 154/14, NJW 2015, 1087 (1089); Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 289. 90
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
werde sein Recht nicht in dieser Form, nicht zu dieser Zeit oder überhaupt nicht geltend machen, und sich der Betroffene im Vertrauen darauf in einer Weise eingerichtet hat, dass ihm die damit verbundenen Änderungen nun nicht mehr zugemutet werden können.99 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn wirtschaftliche Dispositionen vorgenommen wurden.100 Als Anknüpfungspunkt für das geschaffene Vertrauen dienen häufig frühere Mitteilungen oder Zusicherungen.101 Eine sachliche Unvereinbarkeit liegt demgegenüber vor, wenn zwischen dem gegenwärtigen und dem früheren Verhalten ein unauflösbarer Widerspruch liegt.102 Weil aber nicht schon jedes widersprüchliche Verhalten zu beanstanden ist, ist eine unzulässige Rechtsausübung nur in Ausnahmefällen anzunehmen.103 Eine besondere Stellung im Rahmen dieser Fallgruppe nimmt die Verwirkung infolge Zeitablaufs ein.104 Das frühere Verhalten besteht dort in einem Unterlassen, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und durch das der Rechtsausübende einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.105 Aufgrund der sachlichen Nähe zur Verjährung hat sich der Einwand der Verwirkung in der Vergangenheit jedoch in mancherlei Hinsicht eigenständig entwickelt.106 Durch die Verwirkung soll der Schuldner insbesondere bei sehr langen Verjährungsfristen davor geschützt werden, dass ein Recht geltend gemacht wird, obwohl besondere Umstände dazu führen, dass sich die Geltendmachung des Rechts durch den Gläubiger als widersprüchlich und missbräuchlich erweist.107 Keinesfalls aber erfasst die Verwirkung nur Rechte, die der Verjährung unterliegen, sondern grundsätzlich alle Rechte und Rechtspositionen.108
99
Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 56 f.; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 48. Schulze, in: Hk, BGB, § 242 Rz. 37; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 293; Teichmann, JA 1985, 497 (501); Canaris, Vertrauenshaftung, S. 295 f. zur Haftung in den Fällen widersprüchlichen Verhaltens bei Formmängeln. 101 Schulze, in: Hk, BGB, § 242 Rz. 37; Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 57. 102 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 296. 103 Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 131; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 296. Ähnlich auch BGH, Urt. v. 20.03.1986 – III ZR 236/84, NJW 1986, 2104 (2107) zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Wechsels der Rechtsauffassung. Ebenso Teichmann, JA 1985, 497 (500). 104 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 315; Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 61; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 89. 105 BGH, Urt. v. 23.01.2014 – VII ZR 177/13, NJW 2014, 1230 (1231); Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 87; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 89 f. 106 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 315; Böttcher, in: Erman, BGB, § 242 Rz. 123. 107 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 87; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 301. 108 Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 89. 100
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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c) Gegenwärtig unredliches Verhalten Von einem Rechtsmissbrauch ist ferner auszugehen, wenn die Rechtsausübung als solche zu missbilligen ist.109 Die Besonderheit dieser Fallgruppe besteht in der wertenden Missbilligung und dem daraus resultierenden rechtlich-sittlichen Vorwurf.110 aa) Geringfügiges Eigeninteresse und Unverhältnismäßigkeit Die Rechtsausübung kann unter diesem Gesichtspunkt bereits im Hinblick auf die fehlende objektive Schutzwürdigkeit des Interesses unzulässig sein.111 Grundlage des Missbrauchsvorwurfs ist dann ein Interessenvergleich.112 Ein subjektives Unwerturteil ist für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht zu fordern.113 Zwar wird der Rechtsinhaber in diesen Fällen ein sachliches Interesse an der Geltendmachung seines Anspruchs haben, doch hat dieses im Hinblick auf die als höher zu bewertende Schutzbedürftigkeit der gegnerischen Interessen zurückzutreten.114 Dabei führt jedoch nicht jedwedes Ungleichgewicht zu einer Beschränkung des Rechts. Ein korrigierender Eingriff in rechtsgeschäftlich oder gesetzlich begründete Rechte und Rechtspositionen ist überhaupt nur dann zulässig, wenn eine grobe und unerträgliche Unbilligkeit vorliegt.115 Als missbilligenswert ist es in der Vergangenheit etwa bewertet worden, wenn der Schuldner durch die Geltendmachung zu einem gesetzes- oder sittenwidrigen Verhalten gezwungen wurde.116 Da der Grundsatz an vielen Stellen des Gesetzes zum Ausdruck kommt, bedarf es des hierauf gestützten Missbrauchseinwands jedoch oftmals nicht.117 Fließend sind die Übergänge zu dem auf Unverhältismäßigkeit gestützen Missbrauchseinwand, der ebenfalls an das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme 109
Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 255; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 239; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 85. 110 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 239. 111 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 239. 112 Bork, Allgemeiner Teil, Rz. 348 f.; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 262 sowie Canaris, JZ 1987, 993 (1002) im Hinblick auf die Einstandspflicht für außerordentlich hohe Schäden. 113 Vgl. etwa Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 35; Bork, Allge meiner Teil, Rz. 348; Böttcher / Hohloch, in: Erman, BGB, § 242 Rz. 14; Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 34. 114 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 263. 115 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 461. 116 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 267. Vgl. etwa auch BGH, Urt. v. 11.11.1993 – I ZR 225/91, NJW 1994, 728 (730) zum vertraglichen Anspruch auf Einhaltung einer rabattrechtswidrigen Vereinbarung. 117 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 469. So ist für den Fall der rechtlichen Unmöglichkeit vorrangig auf § 275 Abs. 1 BGB abzustellen, vgl. Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 267 ff.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
anknüpft.118 Die Rechtsausübung ist unter diesem Gesichtspunkt unzulässig, wenn sie sich als unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des anderen Teils darstellt.119 Hiervon ist auszugehen, wenn es auf der Gegenseite zu unverhältnismäßig großen Nachteilen kommt und dem Berechtigten zugleich weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die seinen Interessen ebenso gut Rechnung getragen hätten oder ihm zumindest zumutbar gewesen wären.120 Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang die Kündigung oder der Rücktritt als Reaktion auf einen unerheblichen Zahlungsrückstand zu nennen.121 Mit der Annahme des Missbrauchsvorwurfs ist auch in diesen Fällen größte Zurückhaltung geboten, denn das BGB sieht keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz vor, dass an eine geringfügige Beeinträchtigung überhaupt keine Reaktion geknüpft werden darf.122 Vielmehr ist der Gedanke in zahlreichen vorrangigen Vorschriften verankert, sodass der Rückgriff auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs in diesem Zusammenhang weder nötig noch möglich ist.123 bb) Fehlendes Eigeninteresse und zweckwidrige Rechtsausübung Ein Missbrauch ist ferner anzunehmen, wenn der Berechtigte an der Rechtsausübung kein schutzwürdiges Eigeninteresse hat.124 Dementsprechend kann der Missbrauchsvorwurf grundsätzlich auch auf subjektive Merkmale gestützt werden.125 Wie sich § 226 BGB entnehmen lässt, ist eine Rechtsausübung unzulässig, wenn damit allein der Zweck verfolgt wird, dem Betroffenen einen Schaden zuzufügen.126 Fehlt dieser Ausschließlichkeitsaspekt oder ist er nicht nachweisbar, kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs greifen.127 Zwar bedarf die Rechtsausübung im freiheitlich geprägten bürgerlichen Recht keiner Rechtfertigung, sodass 118 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 277; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 106. 119 BGH, Urt. v. 28.09.1984 – V ZR 43/83, NJW 1985, 266 (267); Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 277; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 106. 120 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 473. 121 BGH, Urt. v. 28.09.1984 – V ZR 43/83, NJW 1985, 266 (267). 122 Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 53. 123 Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 40; Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 53. 124 BGH, Urt. v. 04.03.1993 – IX ZR 151/92, NJW 1993, 2041 (2042); Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 83; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 258; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 38. 125 BGH, Urt. 21.02.1952 – IV ZR 120/51, NJW 1952, 701 (702) zur Unzulässigkeit einer auf arglistige Täuschung gestützten Klage auf Aufhebung der Ehe; Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 86. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei subjektiven Merkmalen um berücksichtigungsfähige Elemente im Rahmen der Missbrauchsprüfung, vgl. Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 208, 239. 126 Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 49; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 50; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 240 sowie etwa Benecke, ZIP 2016, 1897 (1901) zum Verbraucherwiderrufsrecht nach § 355 BGB. 127 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 258.
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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die Wirksamkeit grundsätzlich nicht von dem mit ihr verfolgten Motiv abhängt.128 Die Verfolgung gesetzes- oder vertragsfremder oder unlauterer Zwecke ist jedoch nicht ausnahmslos zulässig.129 Wenn durch die Rechtsausübung eine Situation entsteht, die es als untragbar erscheinen lässt, das aus der Gesetzesanwendung folgende Resultat zu akzeptieren,130 kann ein gesetzlich vorgesehenes Ergebnis im Einzelfall über § 242 BGB korrigiert werden. Dies wird man überhaupt nur annehmen können, wenn die Rechtsausübung gegen rechtsethische Minima verstößt.131 Hierfür wird eine Nähe zur Schädigungsabsicht zu fordern sein,132 nur dann wird auch – wie allseits gefordert133 – ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Rechtsausübung fehlen. Schwierigkeiten bereitet die Prüfung eines auf subjektive Zweckverfolgung gestützten Missbrauchseinwands mitunter, wenn der Rechtsausübung – so wie wohl zumeist üblich – mehrere Motive zugrunde liegen. Es stellt sich dann die Frage, inwieweit dies der Annahme eines Rechtsmissbrauchs entgegensteht. Teilweise wird hier auf das Verhältnis der Zwecke zueinander abgestellt und danach differenziert, ob eines der Motive als Hauptmotiv auszumachen ist.134 In praktischer Hinsicht sind derartige Differenzierungen kaum handhabbar. Grundsätzlich steht jedwedes berechtigte Interesse der Annahme unzulässiger Rechtsausübung entgegen. Das lässt sich aus dem Rechtsgedanken des § 226 BGB ableiten.135 128
Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 119. BGH, Urt. v. 21.02.1952 – IV ZR 120/51, NJW 1952, 701 (702); BGH, Urt. v. 29.04.1959 – IV ZR 265/58, NJW 1959, 2207 (2208); BGH, Beschl. v. 14.07.2008 – II ZR 204/07, NJW 2008, 3438; BGH, Urt. v. 23.01.1997 – IX ZR 69/96, NJW 1997, 1003 (1004); Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 259. Dies entspricht auch der Auffassung des BAG im Rahmen von Schadensersatz- und Entschädigungsklage nach § 15 AGG, vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 25.10.2018 – 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527 (533). Zur herrschenden Innentheorie vgl. bereits 1. Kapitel III.; Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 136; ähnlich auch Repgen, in: Staudinger, BGB, § 226 Rz. 11; Bork, Allgemeiner Teil, Rz. 343. 130 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.05.2016 – I-17 U 175/15, BeckRS 2016, 11304 Rz. 19; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 202. Restriktiver demgegenüber etwa Gernhuber, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 151 (158 ff.) zum Verhältnis von § 242 BGB zu § 125 BGB. 131 Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 136 mit Hinweis auf RG, Urt. v. 03.12.1909 – II 190/09, RGZ 72, 251 (254). In diese Richtung auch Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 241, die den Rechtsmissbrauch als „gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf rechtsethische Prinzipien“ ansehen. Vgl. auch Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 87 f. 132 Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 136. 133 Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 83; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 258; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 38. 134 Etwa Pohle, in: FS Lent, S. 195 (220), der es allerdings generell ablehnt, einer Klage, die einen prozessfremden Zweck verfolgt, den Rechtsschutz zu versagen. Vgl. ferner Guski, Rechtsmissbrauch als Paradoxie, S. 234, 245. 135 Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 40; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rz. 77. Ebenso Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 138, der insoweit zwischen absoluter und relativer subjektiver Zweckbindung unterscheidet. Nur wenn das Gesetz konkrete Motive verbietet, wie beispielsweise im Rahmen des AGG, geht er von der Unzulässigkeit der Handlung aus. 129
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann es als rechtsmissbräuchlich gewertet werden, wenn ein Vertragsschuldner zum Vertragsbruch verleitet oder ein fremder Vertragsbruch ausgenutzt wird.136 Aber auch dann ist erforderlich, dass das Eindringen des Dritten in die Beziehungen der Vertragspartner durch ein besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet ist.137 Anzunehmen ist dies etwa bei einem kollusiven Zusammenwirken mit dem Vertragsschuldner, das auf die Vereitelung der Rechte des Vertragsgläubigers angelegt ist, wenn verwerfliche Mittel zur Umstimmung des Vertragsschuldners angewendet wurden oder bei einem Missverhältnis von Zweck und Mittel, wenn dieses in der konkreten Situation mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist.138 2. Anwendungsfälle institutionellen Missbrauchs Wie bereits erörtert, findet der institutionelle Missbrauch demgegenüber nicht nur bei der Ausübung subjektiver Rechte Anwendung, sondern bei jedem zweckwidrigen Einsatz von Normen und Rechtsinstituten.139 In diesem Zusammenhang wurden in der Vergangenheit insbesondere Fälle der Durchgriffshaftung bei missbräuchlichem Einsatz einer Rechtsform sowie der Einwendungsdurchgriff beim Missbrauch von Gestaltungsformen des bürgerlichen Rechts diskutiert.140 Die Rechtsprechung hat unter dem Gesichtspunkt des institutionellen Missbrauchs einen direkten Haftungsdurchgriff der Gläubiger einer Kapitalgesellschaft gegen dahinterstehende Gesellschafter in Betracht gezogen, wenn der Alleingesellschafter den Eindruck der persönlichen Haftung hervorgerufen hat.141 Darüber hinaus wird der Missbrauchseinwand bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen bemüht.142
V. Verhältnis des Rechtsmissbrauchs zu anderen Instituten Im folgenden Abschnitt soll der Rechtsmissbrauch zu anderen Rechtsinstituten abgegrenzt werden. Dies beugt zum einen Missverständnissen vor und eröffnet bei Gemeinsamkeiten zum anderen die Möglichkeit der Übertragbarkeit der rechtlichen Handhabung. Letzteres ist insbesondere für die Rechtsschutzmöglichkeiten in Betrugsfällen relevant. 136
BGH, Beschl. v. 14.07.2008 – II ZR 204/07, NJW 2008, 3438. BGH, Beschl. v. 14.07.2008 – II ZR 204/07, NJW 2008, 3438. 138 BGH, Beschl. v. 14.07.2008 – II ZR 204/07, NJW 2008, 3438. 139 Benecke, Gesetzesumgehung, S. 47; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 205 ff. 140 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 40; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 207; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 51. 141 BGH, Urt. v. 29.11.1956 – II ZR 156/55, NJW 1957, 181 (182); BGH, Urt. v. 04.05.1977 – VIII ZR 298/75, NJW 1977, 1449. 142 BAG, Urt. v. 21.02.2018 – 7 AZR 765/16, NZA 2018, 858; Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 51; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 40. 137
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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1. Abgrenzung zur Normauslegung und Rechtsfortbildung Die Figur des Rechtsmissbrauchs ist grundsätzlich von der Normauslegung und der Rechtsfortbildung zu unterscheiden.143 Das gilt auch für den Einwand des institutionellen Rechtsmissbrauchs, bei dem der Zweck der Vorschrift im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Im Hinblick auf die Anknüpfung an den Gesetzeszweck und höherrangige Normen sind die Gesetzesauslegung, die teleologische Reduktion sowie die Analogie grundsätzlich zwar vorrangig gegenüber dem Einwand des institutionellen Missbrauchs.144 Ein Rückgriff auf den Missbrauchseinwand kommt aber namentlich in Betracht, wenn der Gesetzeszweck nicht vollständig durch das Gesetz und seinen Wortlaut umgesetzt wurde und keine Analogie möglich ist, weil sie nur zu einem Ähnlichkeitsschluss auf nicht geregelte Fallgruppen führt.145 Selbiges gilt dann, wenn die teleologische Reduktion ausscheidet.146 Ein Beispiel hierfür ist die Anwendung des institutionellen Missbrauchs bei Kettenbefristungen im Arbeitsrecht.147 Trotz Vorliegens einer Sachgrundbefristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG kann der wiederholte Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages missbräuchlich sein, wenn sich nach Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie der Anzahl der Vertragsverlängerungen ergibt, dass der Schutz des Arbeitnehmers vor Kettenarbeitsverhältnissen unterlaufen wird.148 Der Rückgriff auf den Einwand des institutionellen Rechtsmissbrauchs mag auch dann zulässig sein, wenn methodische Unklarheiten bei der Gesetzesauslegung bestehen. Dies ist etwa im europäischen
143 Fleischer, JZ 2003, 865 (870); Rebe, JA 1977, 6 (7); Reuß, forum shopping, S. 208 ff. mit exemplarischer Darstellung. Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 84 sieht das Rechtsmissbrauchsverbot sogar als Teil des Sachnormenbestands der Rechtsordnung an. 144 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 207; Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 170 ff. Dass die teleologische Reduktion dem Einwand des institutionellen Rechtsmissbrauchs häufig vorgehen wird, lässt sich etwa anhand der von Florstedt, ZIP 2018, 1661 (1663) zugrunde gelegten Definition des Institusmissbrauchs erkennen. Demnach liegt ein solcher vor, wenn „die durch Sachverhaltsgestaltung erreichte ‚Ausnutzung‘ rechtlicher Spielräume und ‚Lücken‘ im Ergebnis zu dem Wertungsgehalt rechtlicher Institutionen im Widerspruch steht“. 145 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 207. 146 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 207. Kritisch demgegenüber Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 37, der den institutionellen Missbrauch lediglich als „Denkfigur“ für sinnvoll erachtet. Für die Verzichtbarkeit sogar Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 76 ff; Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 148. 147 BAG, Urt. v. 19.02.2014 – 7 AZR 260/12, NZA-RR 2014, 408 (411); Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 207 sowie 278. 148 BAG, Urt. v. 19.02.2014 – 7 AZR 260/12, NZA-RR 2014, 408 (411 f.). Die Rechtsmissbrauchskontrolle dient dazu, § 5 Abs. 1 Anhang RL 1999/70/EG im nationalen Befristungsrecht effektiv durchzusetzen. Teilweise wird deshalb auch das Mittel einer richtlinienkonformen Auslegung vorgeschlagen. Um einen umfassenden Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten zu können, ist jedoch vorrangig auf das Missbrauchsverbot abzustellen. Im Einzelnen hierzu Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 278 f.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Recht der Fall.149 Dort erkennt der EuGH das Missbrauchsverbot als allgemeinen Rechtsgrundsatz an.150 In ständiger Rechtsprechung geht er von einem Missbrauch aus, wenn der Rechtsinhaber unrechtmäßige Vorteile anstrebt, die dem Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift widersprechen.151 Darüber hinaus löst der EuGH durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs auch die Fälle der Gesetzesumgehung, die sich bei Zugrundelegung der deutschen Methodenlehre ebenso gut durch die Auslegung der entsprechenden Normen lösen ließen.152 2. Abgrenzung zur Gesetzesumgehung Die Gemeinsamkeiten zwischen der Gesetzesumgehung und dem Rechtsmissbrauch zeigen sich vor allem dann, wenn es um die Beschreibung der Lebenssachverhalte geht, für die diese Begriffe herangezogen werden. In beiden Konstellationen entspricht es dem Ziel der Rechtsausübenden, aus ihrer Sicht günstige Rechtsfolgen herbeizuführen, die die Rechtsordnung ihnen schlussendlich doch versagt.153 Ein entscheidender Unterschied liegt allerdings in der Betrachtungsweise. Unter einer Umgehungsgestaltung versteht man nach allgemeiner Auffassung die Wahrnehmung einer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit, die dazu geeignet ist, die Rechtsfolgen belastender Normen auszusetzen oder die einer begünstigenden Vorschrift auszulösen.154 Diese Definition macht deutlich, dass bei Umgehungsgeschäften die Rechtsfolge im Zentrum der Beurteilung steht, während das Rechtsmissbrauchsverbot das Mittel in den Blick nimmt.155 Noch signifikanter wird der genannte Unterschied beispielsweise bei schikanösem Verhalten.156 Die Wahrnehmung einer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit dient in diesem Fall nicht der Umgehung einer Vorschrift im Sinne der genannten Definition, sondern allein der Schädigung einer anderen Person.157 Angesichts der genannten Parallelen könnte man die Gesetzesumgehung sogar weitergehend als einen Unterfall
149
Schneider, Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht, S. 62 ff.; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 155 ff. sowie 205 ff. 150 EuGH, Urt. v. 05.07.2007, Kofoed, C-321/05, EuZW 2007, 641 (642); EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Cussens u. a., C-251/16, MwStR 2018, 217 (220). 151 Zu den einzelnen Voraussetzungen der Missbrauchsprüfung vgl. EuGH, Urt. v. 14.12.2000, Emsland-Stärke, C-110/99, BeckRS 2004, 74133 Rz. 39. 152 Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 156. 153 Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 17. Zu diesem „Verwandtschaftsverhältnis“ auch B enecke, Gesetzesumgehung, S. 48 ff. 154 Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 11 f. 155 So auch Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 17. 156 Ähnlich Reuß, forum shopping, S. 221; Benecke, Gesetzesumgehung, S. 48; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 13 f. 157 Letztlich ist aber auch in diesem Zusammenhang eine klare Trennung nicht immer möglich. Denkbar ist ebenso, dass zu dem schikanösen Verhalten auch eine „drittschützende“ Norm umgangen wird.
1. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilrecht
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des Rechtsmissbrauchsverbots verstehen.158 Ein unterschiedliches Verständnis des Normenmissbrauchs liegt beiden Instituten jedenfalls nicht zugrunde.159 3. Abgrenzung zum Betrug Abzugrenzen ist das Rechtsmissbrauchsverbot darüber hinaus vom Betrug. Rechtsmissbräuchliches Verhalten erfordert, dass die Ausübung des Rechts in formeller Hinsicht den Gesetzesanforderungen entspricht.160 Das Handeln muss also den „Buchstaben des Rechts“ entsprechen.161 Demgegenüber ist unter betrügerischem Verhalten im Rechtssinne die Täuschung über Tatsachen zu verstehen. Bei wertender Betrachtung werden in beiden Konstellationen zwar zu missbilligende Ziele verfolgt, anders als beim Rechtsmissbrauch liegen die Voraussetzungen für die Ausübung eines Rechts in den Fällen des Betruges jedoch nicht vor, sie werden vielmehr nur behauptet oder auf andere Weise vorgetäuscht.162
VI. Zusammenfassung Das Rechtsmissbrauchsverbot ist Mittel zur Ordnung des Rechts. Die Schranken der Ausübung ergeben sich nach der herrschenden Innentheorie aus dem Inhalt der Rechte selbst. Mit der herrschenden Ansicht dürfte davon auszugehen sein, dass es sich bei dem Rechtsmissbrauchsverbot nicht um ein eigenständiges Rechts institut handelt. In praktischer Hinsicht ist diese Unterscheidung jedoch vor allem deshalb ohne Relevanz, da zahlreiche der heute als missbräuchlich beschriebenen Konstellationen dem Anwendungsbereich des § 242 BGB unterfallen. Abstrakt ist zwischen dem individuellen und dem institutionellen Rechtsmissbrauch zu differenzieren. Während es bei letzterem um die vornehmlich objektiv zweckwidrige Inanspruchnahme von Rechtsinstituten und Rechtsnormen geht, sind die Schranken im Falle individuellen Rechtsmissbrauchs nicht das Ergebnis teleologischer Überlegungen, sondern einer Abwägung der Interessen der Betroffenen. Der Missbrauchsvorwurf ist in diesen Fällen das Ergebnis einer wertenden Missbilligung. Der Vorwurf individuellen Rechtsmissbrauchs kann sich aus früherem Verhalten, 158 So Reuß, forum shopping, S. 221. Wohl auch Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 67, der in der Gesetzsumgehung einen durch die Umgehungshandlung gekennzeichneten Sonderfall des Gesetzesmissbrauchs sieht. Anderer Ansicht sind etwa Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 77 f.; Benecke, Gesetzesumgehung, S. 49 mit der Bezeichnung als „aliud“. 159 So schon Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 63. 160 Reuß, forum shopping, S. 222; Brinkmann, ZIP 2014, 197 (198). 161 Christensen / Kudlich, in: Norm und Entscheidung, S. 189 (190). 162 Fleischer, JZ 2003, 865 (870); Reuß, forum shopping, S. 222; Brinkmann, ZIP 2014, 197 (198) mit Hinweis auf die manipulative, nur vermeintliche Verlagerung des COMI zum Zwecke der Firmenbestattung, vgl. BGH, Beschl. v. 13.12.2007 – IX ZB 238/06, BeckRS 2008, 00720.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
der Art und Weise der gegenwärtigen Rechtsausübung sowie durch widersprüchliches Verhalten zwischen früherem und gegenwärtigem Verhalten ergeben. Die Fallgruppe des gegenwärtigen unredlichen Verhaltens ist in praktischer Hinsicht wohl am bedeutsamsten. Hiervon sind die Fälle der Unverhältnismäßigkeit sowie des nur geringfügigen oder gar fehlenden Eigeninteresses des Rechtsausübenden erfasst, wovon insbesondere bei einer zweckwidrigen Rechtsausübung auszugehen ist. Als rechtsmissbräuchlich kann es gewertet werden, wenn gesetzes- oder vertragsfremde oder unlautere Zwecke verfolgt werden. Allerdings lässt jedwedes berechtigte Interesse an der Rechtsverfolgung den Missbrauchsvorwurf entfallen. In der beschränkenden Funktion steht der Missbrauchseinwand in Konkurrenz zu anderen Normen sowie Rechtsinstituten, die sich ebenso limitierend auf eine Rechtsstellung auswirken können. Im Hinblick auf die Anknüpfung an den Gesetzeszweck und höherrangige Normen sind die Gesetzesauslegung, die teleologische Reduktion sowie die Analogie grundsätzlich vorrangig gegenüber dem Einwand des institutionellen Missbrauchs. Abzugrenzen ist das Verbot missbräuchlichen Verhaltens ferner vom Betrug. Bei wertender Betrachtung geht es sowohl beim Betrug als auch beim Rechtsmissbrauch darum, dass der Handelnde ein Ziel anstrebt, das er auf rechtlich unbedenkliche Weise nicht erreichen kann. Anders als beim Rechtsmissbrauch liegen beim Betrug die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsausübung allerdings schon gar nicht vor. 2. Kapitel
Rechtsmissbrauch im Zivilprozessrecht I. Geschichtliche Entwicklung des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozessrecht Seinen Ursprung hat das Verbot missbräuchlichen Verhaltens im materiellen Recht.163 Mit der wachsenden Bedeutung der Generalklauseln hielt das Prinzip von Treu und Glauben und damit auch der Grundsatz redlicher Prozessführung Einzug in das Zivilprozessrecht,164 nachdem dagegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch die Verschiedenheit zwischen dem materiellen Recht und dem Zivilprozessrecht angeführt worden war.165 Diese Ansicht hat sich seither in Rechtsprechung und Literatur gehalten und wird nur noch selten hinterfragt.166 163
1. Kapitel I. So das Fazit von Baumgärtel, ZZP 69, 89 (90). 165 Pollak, ZZP 33, 235 (253). Gegen die Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben im Grunde ebenso, jedoch mit Einschränkungen zur Thematik des prozessualen Verschuldens Görres, ZZP 34, 1 (6 ff.). 166 RG, Urt. v. 01.06.1921 – V 82/21, RGZ 102, 217 (222): „Einem solchen Verhalten […] muss der Beklagte jedenfalls […] mit der Einrede der Arglist entgegentreten können. Dafür, dass eine solche dem materiellen Vertragsrecht entspringende Einrede einem auf prozessua 164
2. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilprozessrecht
41
II. Rechtsmissbrauch und treuwidriges Verhalten im Zivilprozessrecht Entsprechend der im materiellen Recht begründeten Innentheorie geht die Rechtsprechung im Verfahrensrecht ebenso davon aus, dass den prozessualen Befugnissen eine immanente Inhaltsbeschränkung zugrunde liegt.167 Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt. Gerade im Hinblick auf die Unterschiede zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren ergeben sich einige Besonderheiten, die im Folgenden dargestellt werden sollen. 1. Rechtsmissbrauchsverbot im Erkenntnis- und Zwangsvollstreckungsverfahren a) Erkenntnisverfahren Rechtsmissbräuchlich kann die Verfahrenseinleitung wie auch die Vornahme weiterer prozessualer Handlungen sein. Die Unzulässigkeit beruht entweder auf einer funktionswidrigen Heranziehung des Zivilprozesses als Rechtsinstitut168 oder auf der Verletzung von Treu und Glauben infolge konkreten Prozessverhaltens,169 denn auch im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren unterfällt der Missbrauch prozessualer Befugnisse dem Grundsatz von Treu und Glauben.170 Dessen Anwendbarkeit ergibt sich im Prozessrecht zwar nicht aus dem zugrunde liegenden materiellen Rechtsverhältnis,171 dafür aber aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtslem Gebiete liegenden Verhalten einer Partei nicht entgegengesetzt werden könnte, bietet die Prozessordnung keinen Anhalt.“ Ebenso BGH, Urt. v. 10.03.1956 – IV ZR 336/55, BGHZ 20, 198 (206); BGH, Urt. v. 23.10.1990 – VI ZR 105/90, BGHZ 112, 345 (349); BGH, Urt. v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, NJW 2002, 827 (828); BGH, Beschl. v. 20.11.2012 – VI ZB 1/12, NJW 2013, 1369; Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 93 ff.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Einleitung Rz. 41; Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 221, 232 f.; Becker, in: B / L/H / A /G, ZPO, Einl. III Rz. 54 f.; Seiler, in: Thomas / P utzo, ZPO, Einl III Rz. 17; Lüttring haus, ZZP 127, 29; Thannhäuser, Rechtsschutzbedürfnis im Zivilprozess, S. 106; Teichmann, in: Soergel, BGB, 12. Auflage, § 242 Rz. 83 ff.; Pfister, Die neuere Rechtsprechung zu Treu und Glauben im Zivilprozeß, S. 29; Jänich, ZZP 109, 183 (187); Sutschet, in: BeckOK, BGB, § 242 Rz. 9 f.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 4; Kramme, in: P / W/W, BGB, § 242 Rz. 6 f.; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 1102; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 104 ff. Kritisch zuletzt etwa Prütting, in: FS Stürner, S. 455 ff. sowie Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 214 ff. 167 BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 249/90, NJW 1992, 569 (571) zur aktienrechtlichen Anfechtungsklage gem. § 246 AktG. 168 Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 150. 169 Wobei insofern oftmals nicht expliziter unterschieden wird, vgl. etwa Prütting, in: FS Stürner, S. 455 (461); ders., in: FS Kübler, S. 567 (570 f.), dessen Betrachtungen sich insbesondere auf die letztgenannte Fallgruppe beziehen. 170 Vgl. etwa Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 221 f. 171 Baumgärtel, ZZP 69, 89 (107).
42
1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
ordnung.172 Demgegenüber halten Kritiker den Grundsatz von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Eigenart von § 242 BGB und den übrigen Regelungen der ZPO für ausgeschlossen.173 Der Umstand, dass das Prozessverhältnis mit dem materiell-rechtlichen Verhältnis nicht vergleichbar ist, schließt den Rückgriff auf das Verbot treuwidrigen Verhaltens im Prozessrecht jedoch nicht gänzlich aus.174 Bei der Prüfung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Zivilprozess muss allerdings in besonderem Maße auf das öffentliche Interesse und den Grundsatz der Formstrenge geachtet werden, die das allgemeine Missbrauchsverbot zurückdrängen.175 So gilt es stets zu hinterfragen, ob die Norm, auf die das jeweilige Handeln gestützt wird, der Rechtssicherheit dient oder der Maßstab von Treu und Glauben herangezogen werden darf.176 Der restriktiven und einzelfallbezogenen Handhabung des Missbrauchsverbots im Prozessrecht kann verständlicherweise der Vorwurf der Unübersichtlichkeit gemacht werden,177 doch richtet sich dieser vielmehr gegen die Eigenart einer Generalklausel im Allgemeinen als gegen die grundsätzliche Geltung des Prinzips von Treu und Glauben im Zivilprozessrecht. Die ZPO enthält einige Vorschriften, die durchaus als besondere Ausprägungen des Grundsatzes einer redlichen Prozessführung verstanden werden können. § 138 Abs. 1 ZPO etwa statuiert die Erklärungspflicht über Tatsachen sowie die Wahrheitspflicht und gem. § 114 ZPO besteht kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverteidigung oder -verfolgung mutwillig erscheint. Diese Normen sind jedoch allesamt nicht als abschließende Regelungen eines Missbrauchsverbots zu verstehen,178 sondern vielmehr als Hinweise darauf, dass auch dem Prozessrecht der Gedanke von Treu und Glauben nicht fremd ist.179 Gerade das prozessrechtliche Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses kann als Hinweis auf die Pflicht zur redlichen Prozessführung verstanden werden. Diese Voraussetzung ist nicht auf die Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO beschränkt, sondern ist nach allgemeiner Meinung Voraussetzung sämtlicher prozessualer Erwirkungshandlungen.180
172 Baumgärtel, ZZP 69, 89 (91); Becker, in: B / L/H / A/G, ZPO, Einl. III Rz. 54; Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 222. 173 So etwa Prütting, in: FS Stürner, S. 455 (458 ff.). 174 Vgl. Dölle, in: FS Riese, S. 279 (287). 175 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 1104; Rauscher, in: MüKo, ZPO, Einleitung Rz. 37; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 4. 176 Baumgärtel, ZZP 86, 353 (359 f.). 177 So etwa Prütting, in: FS Stürner, S. 455 (460). 178 Anderer Ansicht ist demgegenüber Prütting, in: FS Stürner, S. 455 (460). 179 So auch Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 222. 180 Anders, in: B / L/H / A /G, ZPO, Grdz. I § 253 Rz. 34. Zum Rechtsschutzinteresse vgl. noch 2. Kapitel III.
2. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilprozessrecht
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b) Zwangsvollstreckungsverfahren Die Ausführungen zum Erkenntnisverfahren gelten im Grunde auch für das Vollstreckungsverfahren.181 Neben dem bereits genannten Rechtsschutzbedürfnis kann im Vollstreckungsrecht zur Begründung der Anwendbarkeit eines Missbrauchsverbots auch auf § 765a ZPO verwiesen werden. Die Vorschrift liefert einen doppelten Erkenntnisgewinn. Zum einen zeigt sie, dass dem Vollstreckungsrecht missbräuchliches bzw. treuwidriges Verhalten nicht gänzlich unbekannt ist.182 Als gesetzgeberische Entscheidung kann sie dahingehend verstanden werden, dass trotz bestehenden öffentlichen Interesses an einer funktionsfähigen Zivilprozessordnung gleichwohl Raum für die Annahme treuwidrigen Verhaltens bleibt. Zum anderen ist ihr zu entnehmen, dass dieser Einwand zwar restriktiv zu handhaben ist, doch nicht gänzlich außen vor gelassen werden sollte. Der Grundsatz des streng formalisierten Vollstreckungsverfahrens sowie das öffentliche Interesse an einem effektiven und durchsetzungsstarken Vollstreckungsverfahren machen auch hier eine restriktive Handhabung des Rechtsmissbrauchsverbots erforderlich.183 So handelt es sich etwa bei den Pfändungsschutzvorschriften der §§ 811, 811a, 811c, 812 ZPO um abschließende und den Einwand treuwidrigen und missbräuchlichen Verhaltens ausschließende Normen.184 c) Gründe für die beschränkte Geltung der Missbrauchslehre Im Wesentlichen lassen sich für die eingeschränkte Geltung des Missbrauchseinwands drei miteinander verknüpfte Aspekte anführen. Sie sollen an dieser Stelle nochmals zusammengefasst werden. Die restriktive Handhabung des Missbrauchseinwands ist zunächst auf die Tatsache zurückzuführen, dass sich die Parteien eines Zivilprozesses in einer Streit- bzw. Konfliktsituation befinden, in der die Annahme gegenseitiger Treueund Rücksichtnahmepflichten bereits für sich genommen fernliegt.185 Hiermit verknüpft ist auch der Hinweis auf die Unterscheidung zwischen materiellem 181
Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 1124 ff. Ebenso Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 222; Pfister, Die neuere Rechtsprechung zu Treu und Glauben im Zivilprozeß, S. 30; Baumgärtel, ZZP 69, 89 (99). 183 Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rz. 1124 ff.; Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 109; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rz. 4; Schmitt-Kästner, Bürgerlichrechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, S. 55. 184 Prütting, in: FS Stürner, S. 455 (462), der aus den bereits genannten Gründen ein umfassendes Prinzip von Treu und Glauben ablehnt. 185 Der Hinweis auf die Streitsituation findet sich etwa bei Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 222 und Görres, ZZP 34, 1 (6), der – anders als hier – die Geltung von Treu und Glauben im Ergebnis ablehnt. Auf die eingeschränkte Geltung vor dem Hintergrund gegenläufiger Parteiinteressen weist auch Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 41 hin. 182
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Recht und dem Verfahrensrecht. Ein Gleichlauf zwischen materiell-rechtlichen Verhaltenspflichten und prozessualem Auftreten würde die Grenzen der beiden Rechtsbereiche verwischen.186 Einschränkende Auswirkungen auf die an eine redliche Prozessführung zu stellenden Anforderungen hat darüber hinaus das öffentliche Interesse an der Rechtssicherheit, denn die prozessuale Durchsetzung privater Rechte muss durch ein funktionsfähiges und effektives System gewährleistet sein.187 2. Differenzierung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht Angesichts der beschriebenen Unterschiede ist stets zu klären, ob sich der Missbrauchseinwand auf die Prozesshandlung oder vielmehr den materiellen (etwa klageweise geltend gemachten) Anspruch bezieht. Hier ist eine strikte Trennung nötig, denn eine Vermischung der Einwände würde dazu führen, dass im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer Prozesshandlung bereits eine Sachentscheidung vorgenommen würde.188 Materiell-rechtliche Verstöße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben werden allerdings nicht allein dadurch zu prozessualen Handlungen, weil sie im Prozess erfolgen.189 Vielmehr ist eine sorgfältige Abgrenzung vorzunehmen.190 Worauf sich der Einwand des Rechtsmissbrauchs bezieht, kann sachgerecht ermittelt werden, indem danach gefragt wird, ob die Nachteile der Rechtsausübung in prozessualer oder materiell-rechtlicher Hinsicht eintreten.191 Verlängert das prozessuale Verhalten einer Partei das Verfahren beispielsweise in zeitlicher Hinsicht, so sind die Nachteile des Handelns prozessualer Art und lassen den materiellrechtlichen Anspruch unberührt. Der Missbrauchseinwand bezieht sich dann auf die Prozesshandlung.
186
Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 222. Demgegenüber hält Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 231 f. den Unterschied von Privat- und Prozesshandlungen in Bezug auf ein prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot für weniger bedeutsam. 187 Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 138; Rauscher, in: MüKo, ZPO, Einleitung Rz. 37; Baur, in: summum ius summa iniuria, S. 97 (112). Kritisch hierzu Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 234 f. 188 Baumgärtel, ZZP 86, 353 (361). 189 Baumgärtel, ZZP 86, 353 (361); Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 223. 190 Das zeigt auch das aus der BAG-Rechtsprechung entnommene Beispiel von Baumgärtel, ZZP 86, 353 (362). Eine Angestellte klagte gegen eine im Jahr 1946 ausgesprochene fristlose Kündigung. Nachdem sie die Klage vergleichsweise zurückgenommen hatte, klagte sie im Jahr 1960 erneut. Das BAG ging von einer Verwirkung der Klagebefugnis aus, wohingegen Baumgärtel eine materiell-rechtliche Verwirkung annimmt. 191 Baumgärtel, ZZP 86, 353 (361).
2. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilprozessrecht
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III. Verhältnis von Rechtsmissbrauch zum Rechtsschutzinteresse Für das materielle Zivilrecht wurden bereits Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Missbrauchsverbot und verwandten Rechtsinstituten aufgezeigt.192 Im Zivilprozessrecht drängt sich insofern die Frage nach dem Verhältnis des Grundsatzes von Treu und Glauben und seiner Ausprägung in Form des Verbots missbräuchlichen Verhaltens zum Rechtsschutzinteresse auf. Dieses Verhältnis ist gerade für die hier vorgenommene Untersuchung bedeutsam, denn die InsO knüpft die Zulässigkeit des Insolvenzantrages mit § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ebenfalls an das Erfordernis eines rechtlichen Interesses. 1. Gesetzliche Regelung Die ZPO statuiert das Rechtsschutzbedürfnis nicht als allgemeines Institut des Prozessrechts, es findet sich lediglich an einigen Stellen wie beispielsweise in § 66 Abs. 1 sowie in § 256 Abs. 1 ZPO.193 Ausweislich des Wortlauts der letztgenannten Vorschrift gilt das Erfordernis eines rechtlichen Interesses für Klagen allein im Rahmen der Feststellungsklage. Darüber hinaus entspricht es der herrschenden Ansicht, dass dieses generell für prozessuale Erwirkungshandlungen194 und damit für sämtliche Klagearten195 und auch für die Berufung wie auch die Revision196 zu fordern ist. Unter dem Rechtsschutzbedürfnis versteht man ein berechtigtes Interesse des Klägers daran, zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzes ein Zivilgericht in Anspruch zu nehmen.197 Das rechtliche Interesse eines Rechtsuchenden ist grundsätzlich zu bejahen, das heißt, die Unzulässigkeit wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses bildet die Ausnahme.198
192
1. Kapitel V. Vgl. Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 136. 194 Blomeyer, Zivilprozessrecht, S. 180. Für eine Anwendung auf sämtliche Prozesshandlungen im Vollstreckungsverfahren Schmitt-Kästner, Bürgerlich-rechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, S. 56. 195 Greger, in: Zöller, ZPO, Vor § 253 Rz. 18 ff.; Seiler, in: Thomas / Putzo, ZPO, Vorbem. § 253 Rz. 26 f.; Becker-Eberhard, in: MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. Rz. 11 f.; Geisler, in: Prütting / Gehrlein, ZPO, § 253 Rz. 45. Differenzierter auch Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 137; Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 78. 196 Anders, in: B / L/H / A/G, ZPO, Grdz. I § 253 Rz. 34. 197 BGH, Urt. v. 14.12.1988 – VIII ZR 31/88, NJW-RR 1989, 263 (264); Seiler, in: Thomas / Putzo, ZPO, Vorbem. § 253 Rz. 26; Anders, in: B / L/H / A/G, ZPO, Grdz. I § 253 Rz. 33; Greger, in: Zöller, ZPO, Vor § 253 Rz. 18. 198 Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 148; Schilken, Zivilprozessrecht, Rz. 181; Pohlmann, Zivilprozessrecht, Rz. 271. 193
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
2. Rechtsschutzinteresse als Anknüpfungspunkt für Missbrauch im Prozessrecht Der Versuch einer Abgrenzung zwischen dem Rechtsschutzinteresse und dem Gebot von Treu und Glauben geht namentlich auf Baumgärtel zurück. Ihmzufolge soll sich das Gebot der redlichen Prozessführung auf das Verhalten der Parteien im Prozess beziehen, während beim Rechtsschutzbedürfnis der mit der Klage oder sonstigen Prozesshandlung intendierte Zweck im Vordergrund steht.199 Diese Unterscheidung ist teilweise so verstanden worden, dass lediglich der institutionelle Missbrauch des Verfahrens unter das Rechtsschutzinteresse fällt.200 Mit Blick auf den weit gefassten Wortlaut dieser Zulässigkeitsvoraussetzung erscheint ein solches Verständnis allerdings zu eng. Das rechtliche Interesse kann nicht nur dann ausgeschlossen sein, wenn die Klageerhebung schon in objektiver Hinsicht den Verfahrenszweck verfehlt, sondern auch wenn sie subjektiv prozesszweckwidrig ist. Letztlich ist die Frage nach dem Verhältnis von Rechtsschutzinteresse zum Grundsatz von Treu und Glauben damit vor allem terminologischer Natur.201 Sofern es zu Überschneidungen im Anwendungsbereich kommt, namentlich bei zweckwidriger und interesseloser Klageerhebung, kann jedenfalls auf das Rechtsschutzbedürfnis als prozessrechtlich spezielleres Institut zurückgegriffen werden.202 Der Grundsatz von Treu und Glauben bleibt in den Fällen von Bedeutung, in denen eine Lösung über das Merkmal des rechtlichen Interesses ausgeschlossen ist.203
199
Baumgärtel, ZZP 69, 89 (99). So etwa Mader, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, S. 152, der ausdrücklich festhält, dass das Rechtsschutzinteresse als prozessrechtliches Äquivalent des institutionellen Missbrauchs anzusehen sei. Auch Pohle, in: FS Lent, S. 195 (227) spricht davon, dass bei der Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses oftmals nur das Allgemeininteresse in den Mittelpunkt gerückt wird. Teilweise ist die Einordnung nicht ganz deutlich, vgl. Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 160 ff. Dieser grenzt das Rechtsschutzbedürfnis lediglich vom institutionellen Rechtsmissbrauch ab, was wiederum vermuten lässt, dass auch er in dieser Hinsicht von einer Vergleichbarkeit ausgeht. 201 So auch Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 154; Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 93. Weniger deutlich, aber im Grunde ebenso Becker-Eberhard, in: MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. Rz. 12. Kritisch auch Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozess, S. 45 ff. Anderer Ansicht offenbar Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 240 f., 242 sowie Schmitt-Kästner, Bürgerlich-rechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, S. 59, der bei der Verfolgung sachwidriger Zwecke auf das in § 242 verankerte Rechtsmissbrauchsverbot zurückgreifen will. 202 Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 93; Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 155 sowie Stephan, Rechtsschutzbedürfnis, S. 47 f., der das Rechtsschutzbedürfnis in dogmatischer Hinsicht für den „bestgeeigneten Ort“ hält, um die Pflicht des Staates zur Rechtsschutzgewährung vor schikanöser und verfahrensfremder Zweckverfolgung zu schützen. 203 Beispielhaft dürfte die Klagerücknahme gem. § 269 ZPO zu nennen sein, die nach Treu und Glauben unwirksam sein kann, vgl. Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, § 269 Rz. 10. Auch für die Verwirkung wird teilweise auf Treu und Glauben verwiesen, vgl. Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 159; anderer Ansicht hingegen Stephan, Rechtsschutzbedürfnis, S. 47 sowie 74. Weitere Beispiele bei Brehm, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 1 Rz. 227 ff. 200
2. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilprozessrecht
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3. Fälle fehlenden Rechtsschutzinteresses Die Rechtsprechung sowie die Literatur greifen zum Zwecke der Konkretisierung des Rechtsschutzinteresses auf Fallgruppen zurück. An einem rechtlichen Interesse mangelt es nach allgemeiner Auffassung, wenn der Prozesszweck nicht zu erreichen ist, der Prozess unzweckmäßig ist, weil der Kläger das Rechtsschutzziel auf einfacherem oder billigerem Weg erreichen kann, oder aber prozessfremde Zwecke verfolgt werden.204 Die Konstellationen enstprechen damit den Fällen, die im materiellen Zivilrecht unter dem Gesichtspunkt des individuellen Rechtsmissbrauchs diskutiert werden.205 a) Nichterreichen der Prozesszwecke So fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn ein Prozess zur Verwirklichung subjektiver Rechte nicht erforderlich ist und die Durchsetzung zumutbar ohne gerichtliche Hilfe möglich ist.206 Hiervon ist auszugehen, wenn der Gläubiger bereits einen vollstreckbaren Titel über die Klageforderung hat und aus diesem unschwer die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben kann.207 b) Unzweckmäßige Prozesse Nach allgemeinem Verständnis fehlt das Rechtsschutzinteresse ferner, wenn das Rechtsschutzziel auf einfacherem und billigerem Wege zu erreichen ist.208 Da zwischen den prozessualen Möglichkeiten jedoch grundsätzlich Wahlfreiheit besteht,209 muss der Kläger ein schnelleres und billigeres Verfahren überhaupt nur dann wählen, wenn sich auf Grundlage eines umfassenden Vergleichs ergibt, dass sich sein Rechtsschutzziel hierdurch ebenso sicher wie wirkungsvoll herbeiführen lässt.210 204
So die übliche Unterteilung, vgl. Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 78 ff.; Seiler, in: Thomas / Putzo, ZPO, Vorbem. § 253 Rz. 27; Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, § 90 Rz. 31 ff. 205 1. Kapitel IV. 1. Im Hinblick auf die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke weist auf diese Überschneidung auch Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 46 hin. 206 Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 79. 207 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 07.12.1988 – IVb ZR 49/88, NJW-RR 1989, 318 (319); BGH, Beschl. v. 09.07.2009 – IX ZR 29/09, NJW-RR 2009, 1148 (1149). Zu den Ausnahmen hiervon vgl. etwa Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 79 mit weiteren Nachweisen. 208 BGH, Urt. v. 28.03.1996 – IX ZR 77/95, NJW 1996, 2035 (2036); BGH, Urt. v. 24.02.1994 – IX ZR 120/93, NJW 1994, 1351 (1352). 209 BGH, Urt. v. 09.04.1987 – IX ZR 138/86, NJW 1987, 2863; BGH, Urt. v. 18.04.2013 – III ZR 156/12, NJW 2013, 2201. 210 BGH, Urt. v. 24.02.1994 – IX ZR 120/93, NJW 1994, 1351; BGH, Beschl. v. 09.07.2009 – IX ZR 29/09, NJW-RR 2009, 1148 (1149); BGH, Beschl. v. 10.02.2016 – IV AR (VZ) 8/15, NJW-RR 2016, 445; Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 145.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
c) Zweckwidrige Prozesse Rechtsschutz soll schlussendlich nur demjenigen gewährt werden, der schutzwürdige Interessen verfolgt und seine Rechte nicht missbraucht.211 Eine Klage ist demnach als unzulässig abzuweisen, wenn es dem Kläger mit seiner Klageerhebung darum geht, die Gerichte unnütz oder unlauter in Anspruch zu nehmen.212 Keinesfalls ist jedoch für die Zulässigkeit erforderlich, dass der Kläger den Wunsch nach einem Urteil oder gar einen Rechtsschutzwillen hat.213 Von einem fehlenden Rechtsschutzinteresse ist auszugehen, wenn die Klage objektiv schlechthin sinnlos ist, sodass der Kläger unter keinem Gesichtspunkt einen schutzwürdigen Vorteil durch sein Begehren erlangen kann.214 Unzulässig soll eine Klage darüber hinaus sein, wenn subjektiv allein missbräuchliche Zwecke verfolgt werden.215 Dem ist vor dem Hintergrund des zu der zweckwidrigen Interessenverfolgung im materiellen Recht Gesagten zuzustimmen. Für die Annahme der Unzulässigkeit wird ferner gefordert, dass es sich um einen Fall des „evidenten Missbrauchs“216 handeln muss, weil die Versagung des Rechtsschutzes allein wegen subjektiver Absichten für kaum vertretbar gehalten wird.217 Mit der Forderung nach „Evidenz“ dürfte wie schon im materiellen Recht gemeint sein, dass die Klage unter Berücksich tigung wertender Missbilligung und des daraus resultierenden rechtlich-sittlichen Vorwurfs als offensichtlich unzulässig zu bewerten ist.218 Das legen auch die weiteren Ausführungen nahe, wenn es dort heißt, das Gericht dürfe keinesfalls zum
211
Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 154; Assmann, in Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 93. 212 BGH, Beschl. v. 18.06.1970 – X ZB 2/70, NJW 1970, 2023 (2024) mit Hinweis auf RG, Urt. v. 05.05.1937 – V 206/36, RGZ 155, 72 (75); Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 93; Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 154; Thannhäuser, Rechtsschutzbedürfnis im Zivilprozess, S. 97. 213 So Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 40 ff. entgegen der herrschenden Auffassung, vgl. Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 93; Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 148. 214 BGH, Urt. v. 28.03.1996 – IX ZR 77/95, NJW 1996, 2035 (2037); Bacher, in: BeckOK, ZPO, § 253 Rz. 30. 215 Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 100; Bacher, in: BeckOK, ZPO, § 253 Rz. 30a; Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 154. In diese Richtung ebenfalls Stephan, Das Rechtsschutzbedürfnis, S. 44 ff. 216 Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 100, wörtlich heißt es dort: „Zwar ist ein missbräuchlicher subjektiver Zweck schwer nachweisbar und die Versagung des Rechtsschutzes allein wegen einer subjektiven Absicht kaum vertretbar. Jedoch muss in Fällen evidenten Missbrauchs das Rechtsschutzbedürfnis versagt werden, um das Gericht nicht zum ‚Handlanger‘ von missbilligenden Interessen zu machen.“ Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 154 spricht in diesem Zusammenhang von einer Klage, die „unzweifelhaft prozessfremde Ziele verfolgt“. 217 Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 100; ganz ablehnend sogar Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 462. 218 1. Kapitel IV. 1. c) bb).
2. Kap.: Rechtsmissbrauch im Zivilprozessrecht
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„Handlanger von zu missbilligenden Interessen“ werden.219 Rechtsprechung und Literatur orientieren sich – wie auch sonst in Fragen missbräuchlicher Rechtsausübung – an Fallkonstellationen. So wird es als unzulässig angesehen, wenn die Justiz durch querulatorische Klagen gleichsam verhöhnt wird und der Kläger den verfolgten verfahrensfremden Zweck zum alleinigen Prozesszweck erhebt, ohne dass die Sachentscheidung für ihn von Bedeutung ist.220 Wird eingewendet, der Kläger verfolge lediglich eine interessenlose Klage, dann führt auch dies nur im Ausnahmefall zur Unzulässigkeit.221 Nach herrschender Auffassung steht dem Kläger nämlich auch dann ein Rechtsschutzbedürfnis zu, wenn er lediglich Kleinstforderungen verfolgt. Nur wenn die Klageerhebung als schikanös zu werten ist, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.222 Umstritten ist demgegenüber, ob die Klageerhebung auch dann als missbräuchlich zu werten ist, wenn der Kläger damit das Ziel verfolgt, Rechtsauskünfte zu erlangen.223 Da die Motive und Zwecksetzungen üblicherweise nicht kundgetan werden,224 kann hierauf regelmäßig nur aufgrund objektiver Indizien geschlossen werden,225 was für sich genommen nicht zu beanstanden ist.226 Als ein gewichtiges Indiz wird 219
Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 100; ähnlich auch Buß, NJW 1998, 337 (339). An dieser Sichtweise wird vereinzelt Kritik geübt, vgl. etwa Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 132 sowie 307, der eine seiner Wortwahl nach „deontisch“ motivierte Korrektur offenbar auch für den Fall ablehnt, dass die Handlung nachteilige Folgen für andere hat, diese aber nicht als (objektiv) missbilligend einzuschätzen sind, sondern allenfalls im Zusammenhang mit bestimmten Motiven und Zwecksetzungen des Handelnden, wie etwa einer Schädigungsabsicht. 220 Anders, in: B / L/H / A/G, ZPO, Grdz. I § 253 Rz. 33 f.; Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 100. 221 Buß, NJW 1998, 337 (344); Foerste, in: Musielak / Voit, ZPO, Vor § 253 Rz. 9; Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 103. 222 BGH, Urt. v. 26.06.1973 – X ZR 23/71, NJW 1973, 2063 (2064); Buß, NJW 1998, 337 (338, 344); Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 103. Anderer Auffassung demgegenüber AG Stuttgart, Urt. v. 10.10.1989 – 8 C 7155/89, NJW 1990, 1054. 223 Für die Annahme eines Missbrauchs BGH, Urt. v. 26.06.1973 – X ZR 23/71, NJW 1973, 2063 (2064); Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 154; Thannhäuser, Rechtsschutzbedürfnis im Zivilprozess, S. 93. Dagegen Assmann, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, Vor § 253 Rz. 97. 224 Eine Ausnahme dürfte hier etwa die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.01.2009 – 5 U 183/07, WM 2009, 309 ff. bilden. In diesem Fall wurde die Anfechtungsklage eines Aktionärs als missbräuchlich zurückgewiesen, nachdem dieser im laufenden Anfechtungsverfahren über seinen Prozessbevollmächtigten der beklagten Aktiengesellschaft einen Vergleichsvorschlag übermittelt hatte, in dem vorgesehen war, dass die Gesellschaft unter Garantie der Großaktionärin jedem der Aktionäre, die ablehnend in der Hauptversammlung gestimmt hatten, Bezugsrechte hinsichtlich der Aktien aus der Kapitalerhöhung einräumen sollte. Der Anfechtungskläger hatte seine Absichten auf diese – aus seiner Sicht ungeschickten – Weise sogar in gedruckter Form offenbart. 225 BGH, Urt. v. 21.10.2016 – V ZR 230/15, NJW 2017, 674 (675); Bacher, in: BeckOK, ZPO, § 253 Rz. 30a; Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 305; Guski, Rechtsmissbrauch als Paradoxie, S. 108. 226 Zu dieser „Indizienlösung“ allgemein vgl. Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 35 f. Speziell zum Vorwurf des Missbrauchs der Anfechtungsklage vgl. etwa Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 28; Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 245 Rz. 62;
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
in diesem Zusammenhang jedoch häufig die offensichtliche Unbegründetheit des Begehrens gewertet.227 Dies mag auf den ersten Blick nachvollziehbar sein, da der Antragsteller schon von vornherein kein berechtigtes Interesse an einer stattgebenden Entscheidung haben kann, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.228 Wieso es in einem solchen Fall allerdings überhaupt des Rückgriffs auf die Motiv- und Zweckkontrolle bedarf, erschließt sich nicht.229 Wenn in Wirklichkeit objektive Umstände für die Entscheidung ausschlaggebend sind, dann ist dem Antrag vielmehr im Hinblick auf die Unbegründetheit nicht stattzugeben. Das Rechtsschutzbedürfnis darf nicht herangezogen werden, um dogamatisch unzureichend geklärte Fragen zu umgehen oder gar eine Prüfung der Begründetheit zu vermeiden.230 Jedenfalls sollte in einem solchen Fall nicht von Rechtsmissbrauch gesprochen werden. Zwar mag es dem allgemeinen Sprachgebrauch nach als „missbräuchlich“ zu bewerten sein, einen Antrag zu stellen, ohne dass in der Sache ein Anspruch besteht. Von einem Rechtsmissbrauch in dem Sinne, dass zwar die Voraussetzungen für die Rechtsausübung vorliegen, die Ausübung aber gleichwohl als unzulässig zu bewerten ist, ist dann aber nicht auszugehen.
IV. Zusammenfassung Das Verbot missbräuchlichen Verhaltens findet auch im Zivilprozessrecht Anwendung. Das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen und effektiven System privater Rechtsdurchsetzung, die Streit- und Konfliktsituation sowie die Unterschiede zu einer materiell-rechtlichen Sonderverbindung begrenzen zwar den Geltungsumfang des Grundsatzes von Treu und Glauben im ZivilprozessMartens / Martens, AG 2009, 173 (175 f.). Demgegenüber dürfte der diesbezüglichen Ansicht von Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 308 ff., 462 nicht zu folgen sein. Dieser geht davon aus, dass es des Rückgriffs auf die Motive und Absichten zur Begründung der Unzulässigkeit überhaupt nicht bedarf, da der Missbrauchsvorwurf in den Fällen, in denen Rechtsschutzgesuche und Prozesshandlungen wegen der zu missbilligenden Zwecksetzung als missbräuchlich eingestuft werden, auch auf objektive Umstände gestützt werden könne. Wie bereits erörtert, ist es vielmehr die Gesamtschau aus objektiven und subjektiven Elementen, die die Ausübung eines Rechts im Einzelfall unzulässig machen kann, vgl. 1. Kapitel IV. 1. c) bb). 227 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 183; Günther, NJW 1986, 281 (285) zum Ablehnungsgesuch eines Richters. 228 Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 305 mit Hinweis Meyer-Goßner, NStZ 2006, 53 (54) und dessen Kritik am praktischen Umgang mit der Richterablehnung im Strafprozess. 229 Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 305, 462. 230 Vgl. Becker-Eberhard, in: MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. Rz. 12. Zu dieser Gefahr auch Pohle, in: FS Lent, S. 195 (212); Blomeyer, Zivilprozessrecht, S. 179 f.; Baumgärtel, in: FS Schima, S. 41 (43); Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 73 (74); Roth, in: Stein / Jonas, ZPO, vor § 253 Rz. 139 und 141; Anders, in: B / L/H / A /G, ZPO, Grdz. I § 253 Rz. 33; Greger, in: Zöller, ZPO, Vor § 253 Rz. 18; Thannhäuser, Rechtsschutzbedürfnis im Zivilprozess, S. 106; Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 307 sowie 462.
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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recht, schließen diesen jedoch nicht gänzlich aus. Vorrangiger Anknüpfungspunkt für die Missbrauchsprüfung bei prozessualen Erwirkungshandlungen ist das Rechtsschutzinteresse. An einem rechtlichen Interesse mangelt es, wenn der Prozesszweck nicht zu erreichen ist, der Prozess unzweckmäßig ist oder aber prozessfremde Zwecke verfolgt werden. Die Konstellationen enstprechen damit den Fällen, die im materiellen Zivilrecht unter dem Gesichtspunkt des individuellen Rechtsmissbrauchs diskutiert werden. Wie im materiellen Recht ist auch im Prozessrecht mit der Annahme eines Rechtsmissbrauchs im Hinblick auf die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke Zurückhaltung geboten. Eine Klage kann überhaupt nur dann als unzulässig abgewiesen werden, wenn die Klageerhebung unter Berücksichtigung wertender Missbilligung und des daraus resultierenden rechtlich-sittlichen Vorwurfs als missbräuchlich zu bewerten ist. Das Rechtsschutzbedürfnis darf in diesen Fällen insbesondere nicht herangezogen werden, um eine Auseinandersetzung mit dogmatisch unzureichend geklärten Fragen zu umgehen oder gar eine Prüfung der Begründetheit zu vermeiden. Ist eine Klage offensichtlich unbegründet, so ist sie nicht als unzulässig, sondern vielmehr als unbegründet abzuweisen. Von einem Rechtsmissbrauch sollte in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden. 3. Kapitel
Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren Vom Missbrauch des Insolvenzverfahrens war vor der Reform des Insolvenzrechts durch das ESUG nur selten die Rede. Erst durch die gesetzlichen Änderungen und insbesondere durch das Insolvenzverfahren der Suhrkamp Verlagsgesellschaft231 rückte der Einwand in den Fokus der Wissenschaft.232 Im folgenden Kapitel soll anhand der zuvor geschilderten Grundlagen der Rechtsmissbrauchslehre herausgearbeitet werden, unter welchen Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung der Vorwurf des Missbrauchs zu machen ist. Zunächst wird jedoch zu klären sein, ob das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren überhaupt Gegenstand einer missbräuchlichen Rechtsausübung sein kann. Ausführungen zur Anwendbarkeit des Missbrauchsgedankens im nationalen Insolvenzrecht finden sich selten.233 Die Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs wird anscheinend vorausgesetzt, was im Hinblick auf den Ursprung der allgemeinen Missbrauchs 231
Vgl. hierzu noch 6. Kapitel I. Hierzu unter anderem Lang / Muschalle, NZI 2013, 953 ff.; Möhlenkamp, BB 2013, 2828 ff.; Brinkmann, ZIP 2014, 197 ff.; Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 ff.; Prütting, in: FS Kübler, S. 567 ff.; Werner, NWB 2014, 1453 (1459); Ley, in: FS Beck, S. 319 ff. Aus der jüngeren Vergangenheit vgl. Lüke, KTS 2019, 261 (262 ff.). 233 Vgl. Prütting, in: FS Stürner, S. 455 ff.; Zipperer, NZI 2010, 281 ff. Anders ist dies im Umgang mit forum shopping im internationalen Insolvenzrecht, vgl. etwa Reuß, forum shopping; Schneider, Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht; Lüer, in: Uhlen bruck, InsO, 14. Auflage, Art. 3 Rz. 40 EuInsVO. 232
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
lehre keineswegs selbstverständlich erscheint, denn dieser liegt die Vorstellung eines Zwei-Personen-Verhältnisses zugrunde, innerhalb dessen es die Grenzen zulässiger Rechtsausübung zu bestimmen gilt.234 Dabei entspricht es der allgemeinen Meinung, dass auch ein Verfahren missbräuchlich betrieben werden kann.235 Für das Insolvenzverfahren besteht jedoch die Besonderheit, dass es nicht nur zwei Rechtssubjekte, sondern eine Vielzahl von Personen betrifft. Der Eröffnungsantrag ist ein auf Individual- und Allgemeininteressen beruhendes Initiativrecht.236 Deshalb ist zu klären, ob nicht bereits die Ordnungsfunktion in Verbindung mit der allseitigen Wirkung den Einwand des Rechtsmissbrauchs auszuschließen vermag.237 In einem weiteren Schritt soll der Missbrauchseinwand anhand der in Rechtsprechung und Literatur bisher erörterten Fallkonstellationen in Bezug auf das Insolvenzverfahren unter Berücksichtigung der soeben dargestellten Grundsätze der Rechtsmissbrauchslehre systematisiert und erläutert werden. Wohl am bedeutsamsten im Rahmen der Diskussion um den Missbrauch des Insolvenzverfahrens sind die Fälle, bei denen die Antragstellung von der Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke als missbräuchlich und damit unzulässig eingestuft worden ist. Sie sollen im Zuge dieser Untersuchung daher eingehender betrachtet und einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Im Anschluss daran wird zu erörtern sein, wie sich der Missbrauchsvorwurf bei einem Schuldnerantrag zur Antragspflicht verhält, denn der Rechtsmissbrauch als immanente Rechtsüberschreitung setzt logisch einen Handlungsspielraum voraus, der bei einer Antragspflicht nicht besteht. Zudem wurde der Missbrauchseinwand bisher nicht nur im Hinblick auf die Einleitung des Insolvenzverfahrens, sondern ebenso gegen die Rücknahme sowie die Erledigungserklärung eines Insolvenzantrages erhoben. Im letzten Abschnitt soll auch dieser Einwand untersucht und sodann herausgearbeitet werden, inwieweit er sich vom Missbrauchsvorwurf gegen die Verfahrenseinleitung unterscheidet.
I. Missbrauchsausschluss durch Ordnungsfunktion? 1. Institutionelle Bedeutung des Insolvenzverfahrens Das Verfahren richtet sich gem. § 1 InsO gegen den Schuldner als Anspruchsgegner und Träger des zu verwertenden Vermögens.238 Über die vermögensrechtliche Betroffenheit hinaus berührt es den Schuldner auch persönlich.239 „Klassisch 234
1. Kapitel II. sowie IV. Vgl. bereits 2. Kapitel. 236 Häsemeyer, Schadenshaftung, S. 155. 237 In diese Richtung auch Ley, in: FS Beck, S. 319 (324), der mit Verweis auf die Gläubiger befriedigung und die Marktbereinigungsfunktion den Einwand des Rechtsmissbrauchs bei einem Eröffnungsantrag eines Gläubigers im Regelfall für ausgeschlossen hält. 238 Bork, Insolvenzrecht, Rz. 33. 239 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 6.16. 235
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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verfahrensbeteiligt“ sind ferner die Gläubiger,240 deren Hauptinteresse in der Befriedigung ihrer Forderung liegt.241 Seit Einführung des ESUG bietet die InsO auch Eingriffsmöglichkeiten in Rechte der Gesellschafter, wodurch diese in erheb lichem Maße beeinträchtigt werden können, wenngleich sie nicht zu Verfahrensbeteiligten im herkömmlich verstandenen Sinne zu zählen sind.242 Innerhalb dieser „multipolaren Konfliktlage“243 kommt dem Insolvenzverfahren ein ordnender Charakter zu. Mit Häsemeyer lässt sich feststellen, dass das Insolvenzrecht eine amtliche Haftungsgesamtabwicklung darstellt, die der Herstellung sozialen Friedens, möglichst gleicher Haftungsbedingungen aller Gläubiger und der Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz der Schuldner dient.244 Die geltende Wirtschaftsordnung bietet jedem Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit, sich in eigener Verantwortung zu verschulden. Diese Garantie kann jedoch nur eingehalten werden, sofern ein staatliches Schuldenbereinigungsverfahren bereitgehalten wird.245 Die gesetzliche Regulierung ist in Anbetracht der wirtschaftlichen, sozialen und teilweise auch politischen Bedeutung von Insolvenzen notwendig, um den Einzelzugriff der Gläubiger unterbinden zu können.246 Im Hinblick auf die privatrechtliche Struktur sollte das Insolvenzrecht zwar nicht dem Wirtschaftsrecht zugeordnet werden,247 doch besteht aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der Verfahrensdurchführung gleichwohl ein enger Zusammenhang zum Wirtschaftsleben.248 Forderungsverluste und insolvenzbedingte Arbeitsplatzverluste sind nur zwei der zahlreichen Indikatoren, anhand derer sich die volkswirtschaftlichen Auswirkungen messen lassen.249 Neben diese genannten einzelwirtschaftlichen Auswirkungen treten auch gesamtwirtschaftliche wie etwa eine effizientere Ressourcenverteilung.250 Im Insolvenzverfahren wird das schuldnerische Vermögen liquidiert. Diese Konsequenzen machen das Insolvenzrecht zwangsläufig zu einem Teil der Marktwirtschaft.251 Zudem drängt das Insolvenzverfahren wettbewerbsunfähige Teilnehmer vom Markt und entfaltet somit auch eine marktbereinigende Funk-
240
Holzer, in: Beck / Depré, Praxis der Insolvenz, § 3 Rz. 93. Holzer, in: Beck / Depré, Praxis der Insolvenz, § 3 Rz. 93; Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 899; Bork, Insolvenzrecht, Rz. 81. 242 Vgl. hierzu noch 4. Kapitel I. 2. b). 243 So Wallner, ZIP 2015, 997 (1001). Zu diesem Interessenwiderstreit auch Roth, Interessenwiderstreit im Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 181. 244 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 2.00; Reischl, Insolvenzrecht, Rz. 5 f. 245 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 5.01. 246 Ganter / Bruns, in: MüKo, InsO, § 1 Rz. 8; Balz, ZIP 1988, 1438 (1439); ders., in: Kölner Schrift zur InsO, 2. Auflage, S. 6. 247 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 1.08. Anders wohl Uhlenbruck, NJW 2000, 1386; Weitzmann, in: FG Wehr, S. 385 (394). Mit Hinweis auf die mangelnde praktische Bedeutung dieser Diskussion Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 7. 248 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 5.01; Paulus, ZIP 2000, 2189. 249 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 5.02. 250 Graf Lambsdorff, ZIP 1987, 809 f. 251 Keller, Insolvenzrecht, Rz. 6. 241
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
tion.252 Dem Insolvenzrecht kommt damit innerhalb der sozialen Marktwirtschaft eine Ordnungsaufgabe zu.253 2. Rechtsschutzinteresse als Anknüpfungspunkt des Missbrauchseinwands Angesichts der Ordnungsfunktion stellt sich die Frage, ob der Einwand des Rechtsmissbrauchs bezüglich der Verfahrenseinleitung überhaupt erhoben werden kann. Dies richtet sich danach, inwieweit das beschriebene öffentliche Interesse bei der Verfahrenseinleitung zu berücksichtigen ist. In diesem Zusammenhang ist auf den im Insolvenzverfahren geltenden Dispositionsgrundsatz sowie das im Rahmen der Antragstellung zu fordernde rechtliche Interesse zu verweisen. Ein durch die Dispositionsmaxime gekennzeichnetes Verfahren macht die Einleitung, den weiteren Verlauf sowie die Verfahrensbeendigung von den Beteiligten abhängig. Im Gegensatz hierzu steht das Offizialprinzip, wonach die Verfahrenseinleitung, -bestimmung und -beendigung von Amts wegen erfolgen.254 Wie § 13 InsO zeigt, prägt der Grundsatz der Dispositionsfreiheit vor allem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.255 Nach Abs. 1 erfolgt die Verfahrenseröffnung nur auf Antrag, der wiederum nach Abs. 2 bis zur Eröffnung oder rechtskräftigen Abweisung zurückgenommen werden kann.256 Dieser Handlungsspielraum eröffnet zugleich die Möglichkeit, das Insolvenzverfahren missbräuchlich einzusetzen. Hinzu kommt, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO für Gläubigeranträge ein rechtliches Interesse als Zulässigkeitsvoraussetzung statuiert, welches bereits zu Zeiten der KO als allgemein anerkannte Voraussetzung eines Konkursantrages galt, wenngleich es damals noch nicht positiv verankert war.257 Angesichts der genannten Über 252
Uhlenbruck / Delhaes, Konkurs- und Vergleichsverfahren, Rz. 1; Thole, KTS 2019, 289 (291). 253 BT-Drucks. 12/2443, S. 75. Zu der Ordnungsfunktion auch Paulus, NZI 2015, 1001 (1003); Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 6; Flessner, KTS 2010, 127 (143): „Das Insolvenzrecht ist also Ordnungsrecht, es beseitigt die Störung der schuldrechtlichen Ordnung […].“ Flessners Einordnung in den Bereich des Gefahrenabwehrrechts geht indes zu weit, entfernt sie das Insolvenzverfahren doch zu sehr vom Gedanken privatrechtlicher Haftungsverwirklichung. 254 Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 14; Rauscher, in: MüKo, ZPO, Einleitung Rz. 294 ff.; Musielak, in: ders. / Voit, ZPO, Einleitung Rz. 35 f. 255 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.02; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 14; Beth, NZI 2014, 487 ff.; Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 21. 256 Nachdem der Eröffnungsbeschluss ergangen ist, besteht seitens des Gerichts die Möglichkeit einer Änderung oder einer Aufhebung von Amts wegen, vgl. BGH, Beschl. v. 13.07.2006 – IX ZB 117/04, NZI 2006, 599 (600); AG Göttingen, Beschl. v. 19.06.2015 – 71 IK 53/15 EIN, ZInsO 2016, 287 sowie AG Göttingen, Beschl. v. 07.08.2019 – 74 IK 185/19, NZI 2019, 861. 257 Siehe schon Weber, in: Jaeger, KO, § 103 Anm. 6; Hess, in: ders., KO, § 105 Rz. 4; K. Schmidt, in: Kilger / K. Schmidt, KO, § 105 Rz. 2; Unger, KTS 1962, 205 (209).
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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schneidungen von Rechtsschutzbedürfnis und Rechtsmissbrauchsverbot258 zeigt die Kodifizierung, dass auch der Gesetzgeber nicht von einem uneingeschränkten Antragsrecht ausgegangen ist.259 Seine Haltung lässt sich noch deutlicher den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen. Dort ist ausdrücklich davon die Rede, dass mit dem Antragserfordernis des rechtlichen Interesses dem Missbrauch des Insolvenzantrages vorgebeugt werden soll.260 Dass die InsO für Insolvenzanträge des Schuldners demgegenüber ausdrücklich kein rechtliches Interesse im Rahmen der Antragstellung verlangt, steht der Annahme eines missbräuchlichen Einsatzes nicht entgegen. Da die InsO nur geringe rechtliche Voraussetzungen für Insolvenzanträge eines Schuldners vorsieht, verwundert es kaum, dass es auch an der Zulässigkeitsvoraussetzung eines rechtlichen Interesses mangelt. Über die Gründe für diese rechtliche Situation schweigt sich der Gesetzgeber in der Begründung zur InsO aus. Zu mutmaßen ist, dass das Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzung des rechtlichen Interesses im Wesentlichen den als negativ zu bewertenden gesellschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen eines Insolvenzverfahrens geschuldet ist.261 Bei Schaffung des § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO dürfte man davon ausgegangen sein, dass kein Schuldner ohne plausible Gründe einen Eigenantrag stellen würde, wenn das Verfahren nicht zumindest zur Entschuldung führen könnte. Demgegenüber mag es nicht zu überzeugen, die Geltung des Missbrauchsverbots im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG und den daraus resultierenden Eigentumsschutz herzuleiten.262 Die Frage des Rechtsmissbrauchs ist grundsätzlich von der Frage der Verfassungsmäßigkeit zu trennen.263 Das sollte zwar nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Begrenzung der Rechtsausübungsmöglichkeiten durch das Rechtsmissbrauchsverbot sich auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht auswirkt,264 im Grunde ist der Missbrauchseinwand dem Einwand der Verfassungswidrigkeit aber vorgelagert. Für den Fall drohender Verfassungswidrigkeit ist ohnehin vorrangig auf die verfassungskonforme Auslegung zurückzugreifen.265
258
2. Kapitel III. So auch das Fazit von Guski, WM 2011, 103. 260 BT-Drucks. 12/2443, S. 113. 261 So auch Delhaes, Insolvenzantrag, S. 84; Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 187 f.; Gundlach / Müller / Rautmann, ZInsO 2015, 889; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 27. 262 In diese Richtung aber Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 58 f. 263 Ähnlich schon Brinkmann, ZIP 2014, 197 (202). 264 Vgl. hierzu noch 6. Kapitel II. 3. b) bb) (2). 265 Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 135 f., 171 ff.; Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 160. 259
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
3. Aktienrechtliche Anfechtungsklage als Vergleichsfall Die Annahme, dass die Ordnungsfunktion dem Missbrauchseinwand nicht entgegensteht, bestätigt auch ein Vergleich mit der aktienrechtlichen Anfechtungsklage. Dort wird seit Jahren der Missbrauch der Anfechtungsbefugnis des Aktionärs erörtert.266 Die Anfechtungsklage erfüllt nach allgemeiner Auffassung eine Doppelfunktion. Zum einen dient sie dem Schutz individueller Rechtspositionen, zum anderen hat sie als Instrument zur Kontrolle der Gesetz- und Rechtmäßigkeit des Organhandelns einer Kapitalgesellschaft eine objektive Kontrollfunktion.267 Der Aktionär hat das Recht, sich gegen rechtswidrige Beschlüsse zur Wehr zu setzen und diese anzufechten. Ausfluss der genannten objektiven Kontrollfunktion ist das erga omnes wirkende Urteil eines Anfechtungsverfahrens.268 Auch durch die Auslösung einer Registersperre wie etwa gem. §§ 319 Abs. 5, 327e Abs. 2 AktG sowie gem. § 16 Abs. 2 UmwG betrifft die Anfechtungsklage einen erweiterten Personenkreis. In vergleichbarer Weise kommt dem Insolvenzverfahren zumindest aus Gläubigersicht eine doppelte Funktion zu. Es verhilft dem Gläubiger zur Durchsetzung seines Anspruchs und dient als Gesamtvollstreckungsverfahren ebenso der Gläubigergesamtheit. Obwohl es im Insolvenzverfahren nicht um die Geltendmachung eines rechtmäßigen Zustands geht, besteht angesichts der Ordnungsfunktion auf Seiten der Gläubiger ebenfalls ein großes Interesse an der Durchführung des Verfahrens wie auf Seiten der Aktionäre bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses im Rahmen einer Anfechtungklage. Im Folgenden soll die Dogmatik um den Missbrauch der aktienrechtlichen Anfechtungsklage deshalb skizziert und für die Beantwortung der Frage, ob das Insolvenzverfahren trotz seiner Ordnungsfunktion als Objekt missbräuchlicher Rechtsausübung überhaupt in Betracht kommt, fruchtbar gemacht werden. a) Missbrauch der Anfechtungsbefugnis durch den Aktionär aa) Missbräuchliche Anfechtungsklage – Grundsätze Die missbräuchliche Ausübung von Aktionärsrechten – insbesondere der Anfechtungsklage – war eines der „drängendsten Probleme“ der letzten Jahrzehnte im 266
Der Vergleich mit der Anfechtungsklage im Aktienrecht findet sich im Ansatz schon bei Brinkmann, ZIP 2014, 197 (198). Zum Missbrauch der aktienrechtlichen Anfechtungsklage zuletzt etwa Bayer / Hoffmann, AG 2017, 155 ff., die darauf hinweisen, dass die Problematik keinesfalls mehr so relevant ist, wie das in den Jahrzehnten zuvor der Fall war. 267 Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 243 Rz. 3 sowie § 245 Rz. 3; Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 243 Rz. 6 sowie Dornbach, Anfechtungsklage, S. 163 ff., der jedoch fordert, die Aufsichts- und Kontrollfunktion der Anfechtungsklage de lege ferenda abzuschaffen. 268 Lutter, NJW 1969, 1873 (1877); Hirte, BB 1988, 1469 (1470); Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 16 f.; Dornbach, Anfechtungsklage, S. 148 ff.
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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Gesellschaftsrecht,269 das der Gesetzgeber mit dem UMAG270 und dem ARUG271 immerhin zu entschärfen vermochte.272 Ungeachtet der legislatorischen Bemühungen haben Rechtsprechung und Literatur mit dem Missbrauchseinwand die Möglichkeit einer einzelfallbezogenen Sanktionierung entwickelt. Die Diskussion um die missbräuchliche Ausübung der Anfechtungsklage zeigt, dass der Einwand des Rechtsmissbrauchs dort anfangs zum Teil nicht anerkannt wurde. Unter Berücksichtigung der objektiven Kontrollfunktion273 hielten einige Stimmen die missbräuchliche Ausübung für ausgeschlossen.274 Das Eigeninteresse des Klägers sei nicht zu berücksichtigen, da die Anfechtungsklage der Herstellung eines rechtmäßigen Zustands diene, der auch andere Aktionäre, die Aktionärsgläubiger und die Allgemeinheit betreffe.275 Mittlerweile ist die Missbrauchsmöglichkeit der aktienrechtlichen Anfechtungsklage jedoch anerkannt. Dem Missbrauchseinwand steht nach Auffassung des BGH nicht entgegen, dass die Erhebung einer Anfechtungsklage ein rechtliches Interesse nicht voraussetzt. Die Kontrollfunktion stehe lediglich dem institutionellen Missbrauch des Anfechtungsrechts entgegen, da mit der Durchführung der Anfechtungsklage zugleich die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses als Ziel des Anfechtungsrechts erreicht wird.276 Nach Ansicht des BGH kann der Anfechtungsklage jedenfalls der Einwand des individuellen Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden. In einer Faustformel hält der BGH fest, eine Klage sei jedenfalls dann missbräuchlich, wenn der „Kläger die Klage mit dem Ziel führt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann“.277 Die Fälle des Missbrauchs bleiben indes nicht auf diese Fallgruppe beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Anfechtungsklage aus eigensüchtigen Motiven heraus ver-
269 Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 22; Donner, Die missbräuchliche Anfechtung aktien- und umwandlungsrechtlicher Strukturmaßnahmen, S. 24 f.; Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 41 ff. Zum Missbrauch des aktienrechtlichen Statusverfahrens OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.06.2018 – I-26 W 12/17, NJW-RR 2018, 1055 sowie Brungs, Statusverfahren, S. 111 ff. 270 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.09.2005, BGBl. I S. 2802. 271 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.07.2009, BGBl. I S. 2479. 272 Die entspricht der gegenwärtigen Einschätzung in Wissenschaft und Praxis: Koch, NJW-Beilage 2018, 50 (51); Lieder, NZG 2018, 1321 (1325); Nietsch, NZG 2018, 1334. 273 Teilweise ist auch von der Polizeifunktion der Anfechtungsklage die Rede, vgl. Grigoleit, AG 2018, 645 (648). 274 Bokelmann, BB 1972, 733 (736 f.); ders., Rechtsmissbrauch des Anfechtungsrechts durch den Aktionär?, S. 139; Mestmäcker, BB 1961, 945 (951 f.). 275 Bokelmann, BB 1972, 733 (736 f.); Mestmäcker, BB 1961, 945 (951 f.). 276 BGH, Urt. v. 22.05.1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689 (2692); Donner, Die missbräuchliche Anfechtung aktien- und umwandlungsrechtlicher Strukturmaßnahmen, S. 83 ff.; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 24. 277 BGH, Urt. v. 22.05.1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
folgt wird.278 Ein rein objektiver Missbrauch ist dafür nicht ausreichend, umgekehrt ist in subjektiver Hinsicht auch kein gesteigerter Missbrauch in Gestalt von strafrechtlich relevantem Verhalten oder gar Schikane im Sinne des § 226 BGB zu fordern.279 Unter die Faustformel des BGH fallen zuvorderst die sogenannten „Abkauffälle“, wie sie von Rechtsprechung und Literatur genannt werden.280 Der Missbrauch wird durch den der Anfechtungsklage immanenten „Lästigkeitswert“ ermöglicht. Bei eintragungsbedürftigen Hauptversammlungsbeschlüssen kommt der Anfechtungsklage aufgrund der Registersperre ein erhebliches Druckpotenzial zu, das sich der Aktionär im Wege der Kommerzialisierung zunutze macht. Er verfolgt mit der Klage das Ziel, die Gesellschaft zu Zahlungen oder anderen Vorteilsgewährungen zu veranlassen.281 Neben dieser wohl bedeutsamsten Fallgruppe sind weitere Konstellationen des Missbrauchs der Anfechtungsklage denkbar. So wurde es als missbräuchlich angesehen, wenn der Aktionär die Klage erhebt, um die Gesellschaft unter „seinen Einfluss zu bringen und zu vernichten“.282 Gleiches gilt, wenn der Gesellschaft der Wille des Aktionärs erpresserisch aufgezwungen werden soll, sofern dessen Bestreben darauf abzielt, die Aktien anderer Gesellschafter an sich zu bringen und eine Vorstandsposition einzunehmen.283 Erweist sich die Anfechtungsklage als rechtsmissbräuchlich, wird die Klage ohne Rücksicht darauf, ob die Anfechtungsgründe gem. § 243 AktG vorliegen, abgewiesen.284 Nach allgemeiner Auffassung fehlt es dem Kläger an der Anfechtungsbefugnis, womit die Klage als unbegründet abzuweisen ist.285 Darüber hinaus stehen der betroffenen Aktiengesellschaft Schadensersatzansprüche gegen den Kläger zu, die sie im Nachhinein geltend machen kann.286
278
BGH, Urt. v. 22.05.1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689 (2691); OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.03.2002 – 20 W 32/2001, DB 2003, 33 f.; Kiethe, NZG 2004, 489 (491); Donner, Die missbräuchliche Anfechtung aktien- und umwandlungsrechtlicher Strukturmaßnahmen, S. 85 ff.; Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 54 Fn. 247; Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 245 Rz. 58; Heuser, Shareholder Activism, S. 145 ff. 279 Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 24. Weitaus skeptischer Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozess, S. 313. 280 Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 245 Rz. 59. 281 Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 19 ff.; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 23; Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 245 Rz. 59. Als unzulässig wird die Anfechtungsklage etwa auch behandelt, wenn es darum geht, die Gesellschaft in einem gegen diese geführten Schadensersatzprozess zum Nachgeben zu zwingen, vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 22.12.1995 – 5 W 42, 43/95, NJW-RR 1996, 417. 282 BGH, Urt. v. 06.10.1960 – II ZR 150/58, NJW 1961, 26 (27). 283 RG, Urt. v. 22.01.1935 – II 198/34, RGZ 146, 385 (395 ff.). 284 Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 245 Rz. 63; Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 54 f.; Hirte, BB 1988, 1469 (1474). 285 BGH, Urt. v. 15.06.1992 – II ZR 173/91, ZIP 1992, 1391; BGH, Urt. v. 05.04.1993 – II ZR 238/91, NJW 1993, 1976 (1977); Hirte, BB 1988, 1469 (1474); Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 54; Kiethe, NZG 2004, 489 (491); Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 245 Rz. 63; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 30. 286 Im Einzelnen hierzu Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 80 ff.
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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bb) Dogmatische Anknüpfung Während das RG bei einer missbräuchlichen Anfechtungsklage noch die Treuepflicht zur Begründung der Unzulässigkeit heranzog,287 ist der BGH vom Erfordernis einer Treuepflichtverletzung abgerückt288 und stellt geringere Anforderungen an den Missbrauchseinwand.289 Dabei ist zu vermuten, dass er diese Abweichung auch durch die Wahl einer anderen Rechtsgrundlage verdeutlichen wollte.290 Sofern erkennbar bleibt, dass es für den Missbrauch nicht auf die strengen Voraussetzungen des RG ankommt, kann dieser trotz der vermeintlich deutlichen Aussage des BGH in dogmatischer Hinsicht ebenso auf einen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gestützt werden.291 b) Übertragbarkeit der Missbrauchsdogmatik? Betrachtet man den Umgang mit dem Missbrauch aktienrechtlicher Anfechtungsklagen, fällt zunächst auf, dass die Anfechtungsklage auch dann als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen wird, wenn ein Anfechtungsgrund vorliegt.292 Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Klage hängt somit nicht von deren Begründetheit ab, was sich zudem mit dem engen Verständnis des Missbrauchsbegriffs deckt.293 Ebenso wenig wie die Rechtmäßigkeitskontrolle dem Missbrauchsvorwurf gegen die aktienrechtliche Anfechtungsklage entgegensteht, überzeugt es für das Insolvenzverfahren, den Missbrauch mit Blick auf die Bedeutsamkeit als Gesamtvollstreckungsverfahren auszuschließen. In Anbetracht der eingangs dargestellten Differenzierung zwischen individuellem und institutionellem Rechtsmissbrauch294 steht dieser Einwand jedenfalls der Möglichkeit eines individuellen Missbrauchs nicht im Weg. Wie die Anfechtungsklage kann auch das Insolvenzverfahren zur Durchsetzung sachfremder eigennütziger Interessen zweckentfremdet werden. Wenn schon die auf eine objektive Rechtskontrolle abzielende aktienrechtliche Anfechtungsklage nach Abwägung im Einzelfall unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben missbräuchlich sein kann, gilt das erst recht für 287
RG, Urt. v. 22.01.1935 – II 198/34, RGZ 146, 385 (395): „Seine Schranke findet dieses Anfechtungsrecht des Aktionärs jedoch dort, wo es mit der das gesamte Aktienrecht beherrschenden […] Treupflicht, die jedem Aktionär der Gesellschaft gegenüber obliegt, in Widerspruch steht. Der Aktionär hat sich bei allen seinen Maßnahmen als Glied der Gemeinschaft zu fühlen, der er angehört, und ist gehalten, die Treupflicht gegenüber dieser Gemeinschaft zur obersten Richtschnur seines Handelns zu machen.“ 288 BGH, Urt. v. 22.05.1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689 (2692). 289 Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 53 Fn. 246. 290 So auch die Einschätzung von Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 26. 291 Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 245 Rz. 57; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 26. 292 Dies hebt auch Brinkmann, ZIP 2014, 197 (198) hervor. 293 Vgl. hierzu bereits 2. Kapitel III. 3. c). 294 1. Kapitel IV.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
das Insolvenzverfahren, das in verfahrensrechtlicher Hinsicht sogar ausdrücklich ein rechtliches Interesse voraussetzt.
II. Missbräuchlicher Einsatz des Insolvenzverfahrens Für die Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Einleitung des Insolvenzverfahrens als missbräuchlich zu bewerten ist, ist auf die in der Rechtsprechung und Literatur anerkannten Grundsätze zurückzugreifen.295 Dabei bietet es sich auch für das Insolvenzrecht an, zwischen dem individuellen und institutionellen Missbrauchseinwand zu differenzieren. Diese Unterscheidung ermöglicht für den weiteren Gang der Untersuchung zudem eine klare Einordnung des im Insolvenzrecht oftmals uneinheitlich verwendeten Missbrauchsvorwurfs. 1. Differenzierung zwischen individuellem und institutionellem Missbrauch a) Individueller Missbrauch des Insolvenzverfahrens Es entspricht der allgemeinen Auffassung, dass die Ausübung eines Rechts im Hinblick auf früheres unredliches, widersprüchliches sowie gegenwärtig unredliches Verhalten als individuell rechtsmissbräuchlich bewertet werden kann. Unter dem Gesichtspunkt einer solchen wertenden Missbilligung kann auch gegenüber der Einleitung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich der Vorwurf des Missbrauchs erhoben werden, doch dürften der Antragstellung nicht alle im Zusammenhang mit dem individuellen Missbrauch diskutierten Einwände entgegenzuhalten sein. aa) Früheres unredliches Verhalten Dies gilt namentlich für den auf früheres unredliches Verhalten gestützten Missbrauchseinwand. Dieser beruht auf dem Prinzip, dass niemand einen Vorteil aus einer treuwidrig herbeigeführten Lage ziehen darf. Er findet vornehmlich in Vertragsbeziehungen Anwendung, wenn die eigene Rechtsstellung unredlich erworben wurde, Gegenrechte unredlich vereitelt wurden oder dem Rechtsausübenden im Vorhinein der Vorwurf eigenen gesetzes- und insbesondere vertragswidrigen Verhaltens zu machen ist.296 Dass sich dieser Einwand nur schwerlich auf die Antragstellung im Insolvenzverfahren übertragen lässt, wird schon in Anbetracht des ursprünglichen Anwendungsbereichs deutlich. Aber auch in praktischer Hinsicht bedarf es dieses Einwands nicht. Zwar kann die Herbeiführung der Insolvenz 295 296
1. Kapitel IV. 1. Kapitel IV. 1. a).
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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eröffnungsvoraussetzungen im Einzelfall gesetzeswidrig sein, wenn beispielsweise Forderungen treuwidrig geltend gemacht werden, die für die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit relevant sind.297 Weil der Einwand dann aber bereits im Rahmen der Prüfung des Eröffnungsgrundes zu berücksichtigen ist, bedarf es des Missbrauchseinwands gegen die Antragstellung in diesen Fällen schon gar nicht.298 Gleiches gilt für den Vorwurf, die dem Gläubigerantrag zugrunde liegende Forderung sei durch betrügerisches und damit gesetzeswidriges Verhalten erlangt worden. Dann dürfte bereits ein entsprechender Vortrag des Schuldners im Eröffnungsverfahren verhindern, dass es auf Grundlage einer solchen Forderung zur Verfahrenseröffnung kommt. Zwar darf das Gericht sich bei der Feststellung der dem Antrag zugrunde liegenden Forderung grundsätzlich mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit begnügen,299 der Schuldner kann jedoch Einwendungen gegen die Forderung gegenglaubhaft machen, indem er substantiiert entsprechende Umstände vorträgt und sich der Mittel des § 294 ZPO bedient.300 bb) Widersprüchliches Verhalten Der Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens kann für die Insolvenzantragstellung demgegenüber durchaus von Bedeutung sein. Die Widersprüchlichkeit kann sich entweder aus der sachlichen Unvereinbarkeit von früherem mit späterem Verhalten oder im Hinblick auf einen bewirkten Vertrauenstatbestand ergeben.301 Die Einleitung des Insolvenzverfahrens ist demnach unzulässig, wenn ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, der mit der Verfahrenseinleitung in Widerspruch steht, oder aber die Ausübung der prozessualen Befugnis wegen sachlicher Unvereinbarkeit als missbräuchlich zu bewerten ist. Ob für den Vorwurf auf den Grundsatz von Treu und Glauben oder aber das Rechtsschutzinteresse abzustellen ist,302 braucht im Hinblick auf die Einigkeit bezüglich der Voraussetzungen nicht entschieden zu werden. 297 Zum Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die Insolvenzeröffnungsgründe vgl. noch 4. Kapitel III. 298 Nicht ganz deutlich wird dies bei Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenzbzw. Insolvenzplanverfahren, S. 72 f. und 74, der für den Fall, dass die Geltendmachung der Forderung gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstößt, anderer Auffassung zu sein scheint, aber wenig später die hier vertretene Ansicht einnimmt. 299 BGH, Beschl. v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, NJW 2008, 1380; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 36. Ähnlich auch Leithaus / Wachholtz, ZIP 2019, 649 (651, 653). 300 Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 36; Gundlach, in: K. Schmidt, InsO, § 14 Rz. 20; Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 83; BGH, Beschl. v. 29.03.2007 – IX ZB 141/06, NZI 2007, 408 (409). 301 1. Kapitel IV. 1. b). 302 Im Zusammenhang mit widersprüchlichem Verhalten verweist Vuia, in: MüKo, InsO, § 14 Rz. 37 auf die Regeln von Treu und Glauben, die auch im Insolvenzeröffnungsverfahren zu gelten hätten, spricht sodann aber von fehlendem rechtlichen Interesse. Für das Fehlen eines rechtlichen Interesses in diesen Fällen hingegen Geißler, ZInsO 2014, 14 (17); Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 113 ff.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Als Beispiel für einen Fall sachlicher Unvereinbarkeit kann eine Entscheidung des AG Leipzig herangezogen werden.303 In dem Verfahren hatte die Gläubigerin vor der Antragstellung keinen Vollstreckungsversuch bezüglich der dem Insolvenz antrag zugrunde liegenden Forderungen unternommen, der Schuldnerin trotz mehrfacher Aufforderung nicht ihre Bankverbindung zur Forderungsbegleichung genannt und zudem die Tilgung der Forderung durch einen Dritten, der von der Schuldnerin hierzu auf Kredit angewiesen wurde, nach Antragstellung abgelehnt.304 Damit hatte sie im Vorfeld der Antragstellung zwar keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, ihr Verhalten war jedoch widersinnig, da sie mit der Antragstellung einerseits die Befriedigung ihrer Forderung verfolgte, andererseits anfechtungsfeste Zahlungen auf die antragsbegründenden Forderungen verhinderte. Wenngleich das AG Leipzig den Eröffnungsantrag in diesem Beschluss letztlich nicht im Hinblick auf das widersprüchliche Verhalten als unzulässig zurückgewiesen hat, hat es doch ausgeführt, dass es „im Zusammenhang mit dem rechtlichen Interesse an der Stellung eines Insolvenzantrages“ zu sehen sei, wenn ein antragstellender Gläubiger einen Geldbetrag, der zur vollständigen Befriedigung der dem Antrag zugrunde liegenden Forderungen gedacht ist, zurückweist. Der Gläubiger setze sich, so das Insolvenzgericht, im Hinblick auf den Selbstzweck seines Insolvenzantrages in Widerspruch, wenn er die Tilgung seiner Forderung ablehnt oder gar verhindert.305 Dass der Antragsteller sich in einem solchen Fall auch im Annahmeverzug befunden haben dürfte, steht der Antragsberechtigung nicht entgegen. Nach § 14 InsO ist lediglich die Glaubhaftmachung einer fälligen und durchsetzbaren Forderung erforderlich.306 Der Annahmeverzug, der regelmäßig nur eine Obliegenheitsverletzung darstellt,307 lässt diese Voraussetzungen aber unberührt. Der Antrag kann zudem unzulässig sein, wenn der Gläubiger vor der Antragstellung in besonderem Maße dahingehend Vertrauen in Anspruch genommen hat, dass er – zumindest einstweilen – keinen Insolvenzantrag stellen wird. Mangelnde Disponibilität über das Antragsrecht steht dieser Annahme jedenfalls nicht entgegen. Vielmehr ist es unstreitig, dass durch Erklärung oder Vertrag auf das Antragsrecht ausdrücklich verzichtet werden kann, sofern erkennbar bleibt, welche antragsbegründenden Forderungen hiervon erfasst sein sollen.308 Dies ergibt sich daraus, dass das Antragsrecht dem Gläubiger zur Durchsetzung seiner eigenen Forderung dient und dieser damit nicht wie etwa bei einem Popularantrag die Rechte der übrigen Gläubiger geltend macht.309
303
AG Leipzig, Beschl. v. 10.02.2010 – 401 IN 3811/09, ZInsO 2010, 1239. AG Leipzig, Beschl. v. 10.02.2010 – 401 IN 3811/09, ZInsO 2010, 1239 (1243). 305 AG Leipzig, Beschl. v. 10.02.2010 – 401 IN 3811/09, ZInsO 2010, 1239 (1243 f.). 306 Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 71. 307 Ernst, in: MüKo, BGB, § 286 Rz. 5. 308 Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 37 f.; Sternal, in: HK, InsO, § 14 Rz. 42; Geißler, ZInsO 2014, 1201 (1204); Bohn, KTS 1955, 135 (137 f.). 309 So auch Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 37; Delhaes, Insolvenzantrag, S. 137; Bohn, KTS 1955, 135 (137); Pape, in: K / P/B, InsO, § 13 Rz. 221. 304
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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Die Schaffung eines entsprechenden Vertrauenstatbestands ist vor allem im Hinblick auf vorinsolvenzliche Sanierungsverhandlungen denkbar. Wurde einer außerinsolvenzlichen Sanierung zugestimmt, führt eine solche Vereinbarung regelmäßig zur Unzulässigkeit des Insolvenzantrages. Der antragstellende Gläubiger verhält sich durch die Antragstellung widersprüchlich, denn durch seine Zustimmung hat er das Vertrauen begründet, dass er keinen Insolvenzantrag stellen wird.310 Oftmals wird in diesem Zusammenhang aber bereits von einem konkludenten Verzicht auszugehen sein. Die Auswirkungen laufender Sanierungsverhandlungen auf das Antragsrecht dürften hingegen schwerer zu beurteilen sein. Richtig ist, dass Sanierungsverhandlungen allein nicht ausreichen, um die Unzulässigkeit des Antrages zu begründen.311 Ob ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, dürfte sich sachgerechterweise nach den Erfolgsaussichten des Sanierungskonzeptes und dem Grad der Mitarbeit des antragstellenden Gläubigers richten.312 Steht die Restrukturierung für den Schuldner erkennbar auf tönernen Füßen, muss er auch bei Sanierungsverhandlungen mit einer Antragstellung seitens des Gläubigers rechnen.313 Wenn ein Gläubiger in einem solchen Fall jedoch auf andere Weise konkrete Anhaltspunkte dafür setzt, dass er vorerst keinen Insolvenzantrag stellen wird, kann der Antrag auch bei weniger erfolgversprechenden Restrukturierungen als missbräuchlich und unzulässig zurückgewiesen werden. Inwieweit sein Antragsrecht in zeitlicher Hinsicht begrenzt ist, ist dann anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. cc) Gegenwärtig unredliches Verhalten Wie im allgemeinen bürgerlichen Recht hat der auf gegenwärtiges unredliches Verhalten gestützte Missbrauchseinwand auch in der Diskussion um den Missbrauch des Insolvenzverfahrens die größte Relevanz. Diese Kategorie erfasst die Fälle des fehlenden, geringfügigen sowie nicht schutzwürdigen Eigeninteresses und die Konstellationen verfahrensfremder Zweckverfolgung.314 (1) Fehlendes schützenwertes Eigeninteresse Ein schützenswertes Interesse fehlt dem Antragsteller, wenn er durch das Insol venzverfahren keine Besserstellung zu erwarten hat.315 Dass aussonderungsberech 310
Ebenso Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 116. Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 14 Rz. 3. Ebenso im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen Vuia, in: MüKo, InsO, § 14 Rz. 32. 312 Ebenso Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 117. 313 Wohl auch Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 117. 314 1. Kapitel IV. 1. c) sowie 2. Kapitel III. 3. 315 So die Bezeichnung der Fallgruppe bei Linker, in: HambK, InsO, § 14 Rz. 46 ff. Ähnlich Kexel, in: Graf-Schlicker, InsO, § 14 Rz. 11. 311
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
tigte Gläubiger, denen zugleich eine persönliche Forderung gegen den Schuldner zusteht, kein rechtliches Interesse an der Verfahrenseröffnung haben können, lässt sich bereits der Gesetzesbegründung entnehmen.316 Demgegenüber besitzen abson derungsberechtigte Gläubiger, denen der Schuldner auch persönlich haftet, grundsätzlich ein rechtliches Interesse. Wenn sie allerdings vollständig gesichert sind, bringt ihnen das Insolvenzverfahren keinerlei Vorteile mehr, sodass der Insolvenzantrag auch dann unzulässig ist.317 Mit derselben Argumentation könnte man geneigt sein, auch nachrangigen Gläubigern den Einwand missbräuchlichen Verhaltens entgegenzuhalten, wenn sie einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen, denn während der vollumfänglich dinglich gesicherte Gläubiger mit der vollständigen Befriedigung seiner Forderung rechnen kann, besteht für den nachrangigen Gläubiger in der Regel keine Aussicht auf Befriedigung.318 Der BGH hat allerdings ein rechtliches Interesse der Gesellschafter als nachrangige Gläubiger gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auch dann angenommen, wenn aus Gesellschaftersicht zu erwarten ist, dass sie im anschließenden Insolvenzverfahren leer ausgehen. Zum einen sehe das Gesetz die Gesellschafter, die auch Gläubiger sind, als Verfahrensbeteiligte vor und zum anderen hänge das Antragsrecht nicht davon ab, ob der Gläubiger Befriedigung erlangen kann, was sich bereits aus der Zulässigkeit des Antrages im Falle vollständiger Masseunzulänglichkeit ergebe.319 (2) Verfolgung verfahrensfremder Zwecke Zu der Missbrauchskategorie gegenwärtigen unredlichen Verhaltens gehört auch die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke. Als missbräuchlich ist die Antrag stellung demnach grundsätzlich zu bewerten, wenn der Antragsteller mit dem Insolvenzverfahren einen vom Grundsatz der gemeinschaftlichen Gläubiger befriedigung gem. § 1 Satz 1 InsO abweichenden Zweck verfolgt.320 In diesem Zusammenhang sind in der insolvenzgerichtlichen Rechtsprechung in der Vergangenheit Druck- und Ausforschungsanträge sowie Insolvenzanträge diskutiert worden, mit denen es dem Antragsteller darauf ankam, mittels des Insolvenzverfahrens einen Wettbewerber zu verdrängen oder ein Dauerschuldverhältnis zu beenden. Anders als bei den übrigen dem individuellen Missbrauch zuzuordnenden Fällen besteht hier teilweise Uneinigkeit darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen diese überhaupt als missbräuchlich eingeordnet werden können. Aus diesem Grund 316
BT-Drucks. 12/2443, S. 113. BGH, Beschl. v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, NJW 2008, 1380 (1381); BGH, Beschl. v. 05.05.2011 – IX ZB 250/10, NZI 2011, 632; Linker, in: HambK, InsO, § 14 Rz. 47. 318 Andres, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 39 Rz. 3. 319 BGH, Beschl. v. 23.09.2010 – IX ZB 282/09, ZIP 2010, 2055 (2056). Zustimmend Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 88; Mönning, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 14 Rz. 34; Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 104; Leithaus, in: Andres / ders., InsO, § 14 Rz. 8; Bußhardt, in: Braun, InsO, § 14 Rz. 17; Nissen, in: Bork / Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Kapitel 4 Rz. 39. 320 Zur Zielsetzung des Insolvenzverfahrens vgl. noch 6. Kapitel II. 3. b) bb) (1). 317
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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sollen die in der Vergangenheit diskutierten Fälle zunächst dargestellt und unter Berücksichtigung der Grundsätze der Zulässigkeit verfahrensfremder Zweckverfolgung321 untersucht werden. (a) Gläubigeranträge (aa) Druckanträge Bereits im Gesetzesentwurf der Bundesregierung finden sich die Druckanträge als Musterbeispiel missbräuchlicher Insolvenzanträge. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien soll ein Antrag unzulässig sein, wenn er dazu dient, einen solventen Schuldner zur Begleichung einer Forderung anzuhalten.322 Dieser legislatorischen Entscheidung folgen auch die Gerichte und erklären Druckanträge in ständiger Rechtsprechung für unzulässig.323 Wie der Bezeichnung zu entnehmen ist, sind die Insolvenzanträge durch die Ausübung von Druck auf den Schuldner gekennzeichnet. Der antragstellende Gläubiger macht sich die existenzbedrohende Wirkung eines Insolvenzantrages zunutze, um den Schuldner zu einer Handlung zu veranlassen.324 Eine solche Handlung kann die Tilgung einer Forderung,325 die Erzwingung einer Ratenzahlung,326 die Durchsetzung einer zweifelhaften Forderung327 oder einer sonstigen rechtsgeschäftlichen Handlung sein. Dabei kommt es dem Gläubiger bei der Antragstellung nicht auf die Verfahrenseröffnung an. Vielmehr plant er von dem Insolvenzantrag Abstand zu nehmen, sobald er sein Ziel erreicht hat, denn nur auf diese Weise kann er sich die durch den Druckantrag erlangten Vorteile sichern. 321
1. Kapitel IV. 1. c) bb) sowie 2. Kapitel III. 3. c). BT-Drucks. 12/2443, S. 113. Demgegenüber Bußhardt, in: Braun, InsO, 6. Auflage, § 14 Rz. 10. 323 AG Oldenburg, Beschl. v. 22.04.2002 – 60 IN 10/02, NZI 2002, 391; AG Hamburg, Beschl. v. 12.05.2000 – 67g IN 44/99, ZIP 2000, 1019; AG Duisburg, Beschl. v. 28.12.2001 – 62 IK 99/01, NZI 2002, 211; AG Duisburg, Beschl. v. 18.11.2002 – 62 IN 171/02, NZI 2003, 161; AG Potsdam, Beschl. v. 13.12.2002 – 35 IN 1499/02, NZI 2003, 155. Auch in der Literatur ist die Unzulässigkeit von Druckanträgen schon lange Zeit anerkannt, vgl. Krantz, NJW 1951, 291; Boennecke, KTS 1955, 173. 324 Der zweckwidrige Einsatz von Maßnahmen wird auch für die Einzelvollstreckung diskutiert, vgl. Schmitt-Kästner, Bürgerlich-rechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, S. 97 ff. Hierbei geht es etwa um den Einsatz des Verfahrens auf Abgabe der Vemögensauskunft und der Erzwingungshaft als Druckmittel zur Forderungseintreibung. 325 AG Duisburg, Beschl. v. 18.11.2002 – 62 IN 171/02, NZI 2003, 161; AG Duisburg, Beschl. v. 28.12.2001 – 62 IK 99/01, NZI 2002, 211; AG Hamburg, Beschl. v. 12.05.2000 – 67g IN 44/99, ZIP 2000, 1019; AG Holzminden, Beschl. v. 09.07.1987 – 8 N 8/87, ZIP 1987, 1272. 326 AG Duisburg, Beschl. v. 18.11.2002 – 62 IN 171/02, NZI 2003, 161; AG Oldenburg, Beschl. v. 22.04.2002 – 60 IN 10/02, NZI 2002, 391; LG Koblenz, Beschl. v. 16.05.1975 – 4 T 208/75, RPfleger 1975, 318. 327 AG Wuppertal, Beschl. v. 05.04.2012 – 145 IN 163/11, ZInsO 2012, 1531. 322
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Jedenfalls bei den Entscheidungen in der jüngeren Vergangenheit ging es nicht um die Frage, ob das Insolvenzverfahren wegen missbräuchlicher Antragstellung nicht zu eröffnen war, sondern darum, eine angemessene Kostenentscheidung zu treffen.328 Den Fällen der Rechtsprechung lag zumeist eine Erledigungssituation zugrunde: Der Gläubiger hat zunächst einen Insolvenzantrag gestellt, um auf den Schuldner Druck auszuüben und diesen zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten anzuhalten. Nachdem der Schuldner gezahlt hat, will sich der Gläubiger die Vorteile gegenüber den anderen Gläubigern sichern und vom Insolvenzantrag Abstand nehmen. Eine Rücknahme des Insolvenzantrages scheidet für den Gläubiger aufgrund der für ihn negativen Kostenentscheidung gem. § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO regelmäßig aus. Deshalb erklärt er den Insolvenzantrag für erledigt.329 Der Schuldner wird sich dieser Erledigungserklärung regelmäßig anschließen, sodass eine Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO zu treffen ist.330 Im Rahmen dieser Kostenentscheidung berücksichtigen die Gerichte, ob ein Druckantrag vorgelegen hat, denn dann hat der Gläubiger im Hinblick auf den wegen des fehlenden Rechtsschutz interesses unzulässigen Insolvenzantrag die Kosten des Verfahrens zu tragen. Umstritten ist insoweit, welche Beweisanzeichen in diesen Erledigungssituationen für einen Druckantrag sprechen.331 Die Annahme liegt jedenfalls nahe, wenn der Gläubiger etwa Teilzahlungen annimmt und für den restlichen Teil der Forderung Ratenzahlung vereinbart.332 Besonders deutlich wird die Absicht, wenn bei Ausbleiben der Zahlung ein erneuter Antrag angedroht wird und ein vorläufiger Insolvenzverwalter in entsprechende Abreden nicht eingeweiht wird.333 Darüber 328 Vgl. AG Köln, Beschl. v. 20.10.2018 – 75 IN 309/17, NZI 2018, 68; LG Köln, Beschl. v. 05.03.2018 – 1 T 5/18, NZI 2018, 355; LG Köln, Beschl. v. 24.08.2016 – 13 T 87/16, ZInsO 2016, 1997 sowie Brzoza, NJW 2019, 335 (336). Entscheidungen, in denen der Insolvenzantrag als unzulässiger Druckantrag zurückgewiesen wurde, kamen zuletzt – soweit ersichtlich – selten vor. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Entscheidung des AG Duisburg, Beschl. v. 28.12.2001 – 62 IK 99/01, NZI 2002, 211. Das AG hat den Insolvenzantrag eines Gläubigers in diesem Verfahren als unzulässig zurückgewiesen, weil dieser nach erfolgter Teilleistung mitgeteilt hatte, er werde den Insolvenzantrag erst nach Zahlung des rückständigen Gesamtbetrages für erledigt erklären. 329 Vgl. hierzu etwa Kreplin / Fanselow, in: BeckOF Prozess, 12.1.4; Mönning, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 13 Rz. 113 ff. 330 So auch die Einschätzung von Foerste, ZInsO 2017, 1263 (1264). 331 So hat etwa das LG Köln, Beschl. v. 24.08.2016 – 13 T 87/16, ZInsO 2016, 1997 (1998) unter Bezugnahme auf das AG Hamburg, Beschl. v. 27.09.2011 – 67c IN 74/11, NZI 2011, 859 schon vor der Reform des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz v. 29.03.2017, BGBl. I S. 654, die Auffassung vertreten, dass ein Druckantrag immer dann vorliegt, wenn der Gläubiger den Antrag trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO für erledigt erklärt hat. Zuletzt auch wieder AG Köln, Beschl. v. 30.01.2019 – 74 IN 238/18, NZI 2019, 617 (620). Zustimmend Frind, ZInsO 2016, 2337 (2339 f.); von einer fehlerhaften Beweiswürdigung geht demgegenüber Foerste, ZInsO 2017, 1263 (1265 f.) aus. Skeptisch auch Weber, ZInsO 2017, 2261 (2262). Kritisch zu dieser „Bestrafung“ des Antragstellers Pape, in: K / P/B, InsO, § 13 Rz. 244. 332 AG Duisburg, Beschl. v. 18.11.2002 – 62 IN 171/02, NZI 2003, 161. 333 AG Oldenburg, Beschl. v. 22.04.2002 – 60 IN 10/02, NZI 2002, 391.
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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hinaus kann auch das ständige und ungeordnete Nachschieben von Forderungen ein Indiz für einen Druckantrag sein,334 wie der Versuch, das Eröffnungsverfahren zu verlangsamen.335 (bb) Ausforschungsanträge Missbräuchlich sollen auch die sogenannten Ausforschungsanträge sein, bei denen es den Gläubigern darauf ankommt, sich durch die Antragstellung Informationen über das Vermögen des Schuldners zu verschaffen, um diese zum Zweck der eigenen Rechtsverfolgung außerhalb des Insolvenzverfahrens zu nutzen.336 Die praktische Relevanz dieser Fallgruppe dürfte allerdings äußerst gering sein, denn die InsO sieht im Rahmen des Eröffnungsverfahrens schon keinen Auskunftsanspruch für Gläubiger vor,337 sodass es diesen auch nicht ohne Weiteres möglich ist, Informationen über das schuldnerische Vermögen einzuholen. Zwar kann der antragstellende Gläubiger durch die Anhörung des Schuldners gem. § 14 Abs. 2 InsO an entsprechende Informationen gelangen, wenn das Gericht ihm zu den Behauptungen des Schuldners und den von diesem beigebrachten Mitteln der Glaubhaftmachung seinerseits rechtliches Gehör gewährt. Wie die Praxis zeigt, äußert sich der Schuldner zu den die Zulässigkeit des Antrages betreffenden Umständen oftmals allerdings nicht umgehend, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits gerichtliche Ermittlungen zur Aufklärung seiner Vermögensverhältnisse laufen.338 Ferner besteht für den Gläubiger bei dieser Vorgehensweise die Gefahr, dass das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner untersagt und damit den Einzelzugriff verhindert. Diesem Risiko kann er jedenfalls nicht durch eine bedingte Antragstellung vorbeugen, da diese nach ganz herrschender Auffassung unzulässig ist.339 Statt einer bedingten Antragstellung könnte der Gläubiger das Gericht allerdings darum bitten, einen Hinweis zu geben, sofern es vorläufige Maßnahmen anzuordnen gedenkt, um den Antrag dann noch zurückziehen zu können und die Befriedigung seiner Forderung unter Zuhilfenahme etwaiger im Eröffnungsverfahren gewonnener Informationen auf anderem Wege zu suchen.340 Eine solche Vorgehensweise dürfte zugleich als Indiz für einen Ausforschungsantrag zu werten sein. Keine indizielle Wirkung hat 334
AG Wuppertal, Beschl. v. 05.04.2012 – 145 IN 163/11, ZInsO 2012, 1531. Vuia, in: MüKo, InsO, § 14 Rz. 30; AG Göttingen, Beschl. v. 28.09.2011 – 71 IN 85/11, ZVI 2012, 12. 336 BGH, Beschl. v. 15.07.2004 – IX ZB 280/03, ZVI 2004, 753 (754); AG Gummersbach, Beschl. v. 06.11.1962 – 6 N 12/62, KTS 1964, 61; Uhlenbruck, NJW 1968, 685 (686); Delhaes, Insolvenzantrag, S. 88; Geißler, ZInsO 2014, 14 (15). 337 Vuia, in: MüKo, InsO, § 20 Rz. 14. 338 Vuia, in: MüKo, InsO, § 14 Rz. 147. 339 BGH, Urt. v. 13.04.2006 – IX ZR 158/05, NZI 2006, 469; Schmerbach, NZI 2003, 421 (426); Uhlenbruck, in: ders., InsO, § 13 Rz. 7; Linker, in: HambK, InsO, § 13 Rz. 4. 340 Auch Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 149 geht davon aus, dass der Anwendungsbereich dieser Fallgruppe nicht gänzlich ausgeschlossen ist. 335
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
es demgegenüber, wenn der Gläubiger Anfragen des vorläufigen Insolvenzverwalters oder des Insolvenzgerichts hinsichtlich etwaiger Anfechtungsansprüche unbeantwortet lässt, obwohl er diese ohne großen Aufwand beantworten könnte.341 Der BGH hat diesbezüglich richtigerweise entschieden, dass die Zulässigkeit eines Insolvenzantrages schon deshalb nicht an die Beantwortung von Fragen zu Anfechtungsvoraussetzungen geknüpft werden könne, weil die InsO Auskunftspflichten möglicher Anfechtungsschuldner überhaupt nicht vorsieht.342 (cc) Ausschaltung eines Wettbewerbers Als zweckwidrig und missbräuchlich wird es teilweise ebenfalls angesehen, wenn es dem Antragsteller darum geht, einen Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Fallgestaltung sind die von der Rechtsprechung behandelten Fälle selten. So hat etwa das OLG Frankfurt einen Insolvenzantrag als unzulässig zurückgewiesen, in dem sich die antragstellende Gläubigerin auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin berief und das Rechtsschutzinteresse damit begründete, dass die Schuldnerin nach wie vor werbend tätig sei und somit der eigenen Auftragsabwicklung schade.343 Das Gericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass das Ziel der Gläubigerin, Schaden vom eigenen Unternehmen abzuwenden, zwar berechtigt sei, zur Begründung des rechtlichen Interesses eines Insolvenzantrages jedoch nicht ausreiche.344 Die Antragstellerin habe, so die Argumentation des Gerichts, die Zweifel an dem Willen der Durchführung des Insolvenzverfahrens im Interesse der Gläubigergemeinschaft nicht widerlegen können.345 Auch der BGH musste sich bereits mit der Verdrängungsmotivation eines Antragstellers im Rahmen eines Insolvenzverfahrens befassen. Der Entscheidung346 lag der Antrag einer Gesellschafterin zugrunde, die gegen die Insolvenzschuldnerin eine Forderung in Höhe von 13 Millionen Euro hatte, die später auf eine Teilforderung von einer Million Euro reduziert wurde. In dem Fall war zu vermuten, dass die Antragstellerin die Gesellschaft übernehmen wollte. Der BGH stellte fest, dass das Rechtsschutzinteresse allenfalls dann ausnahmsweise fehle, wenn der Antrag allein zu dem Zweck gestellt werde, einen Konkurrenten aus dem Wettbewerb zu drängen. Sofern der Gläubiger neben einer quotalen Befriedigung auch die Ausschaltung eines zahlungsunfähigen Wettbewerbers erstrebe, könne das Rechts 341
BGH, Beschl. v. 07.02.2008 – IX ZB 137/07, ZVI 2008, 112. BGH, Beschl. v. 07.02.2008 – IX ZB 137/07, ZVI 2008, 112 (113). 343 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 29.12.1983 – 14W 187/83, ZIP 1984, 195. 344 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 29.12.1983 – 14W 187/83, ZIP 1984, 195 (196). 345 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 29.12.1983 – 14W 187/83, ZIP 1984, 195. 346 BGH, Beschl. v. 19.05.2011 – IX ZB 214/10, NZI 2011, 540. So schon zuvor LG Koblenz, Beschl. v. 16.05.1975 – 4 T 208/75, RPfleger 1975, 318; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 03.05.1971 – 6 W 145/71, KTS 1971, 285 (286). 342
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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schutzinteresse dagegen nicht versagt werden. Bleibe das Ziel, den insolventen Schuldner an einer weiteren Tätigkeit zu hindern, nur Nebenzweck, könne dieser mit Blick auf den allgemeinen Verkehrsschutz zur Vermeidung einer fortwährenden Gläubigergefährdung das Rechtsschutzinteresse nicht ausschließen.347 (dd) Beendigung von Schuldverhältnissen Missbräuchlich soll die Verfahrenseinleitung zudem sein, wenn der Antragsteller mit den Mitteln der InsO eine schnelle Vertragsabwicklung herbeiführen will. Bereits in einer frühen Entscheidung wies der BGH einen Konkursantrag als unzulässig zurück, mit dem ein Kündigungsgrund für einen zwischen dem Schuldner und einem Dritten bestehenden Pachtvertrag geschaffen werden sollte.348 Antragstellerin in der zugrunde liegenden Entscheidung war ein Bundesland, das eine seit Längerem fällige Forderung auf Rückzahlung eines Flüchtlingskredits beizutreiben versuchte.349 Der Schuldner warf dem Land vor, die Voraussetzungen für die Aufhebung seines Pachtvertrages über einen Steinbruch zu schaffen, der zwischen dem Schuldner und einer weiteren Person bestand. Das Land habe sich, so die weitere Behauptung des Schuldners, von dem potenziellen neuen Pächter für die Stellung des Konkursantrages versprechen lassen, dass dieser die gegen den Schuldner bestehenden Forderungen erfüllen werde, wenn es zur Kündigung seitens des Verpächters im Insolvenzverfahren komme und er den Steinbruch pachten könne. Der BGH ging von einer missbräuchlichen Ausnutzung des Konkursverfahrens aus, da dieses nur als Mittel zum Zweck benutzt werde, dem Schuldner ein an sich günstiges Pachtobjekt durch Kündigung des Pachtverhältnisses nach § 19 KO zu entziehen, der es in seiner damaligen Fassung auch dem Verpächter erlaubte, unter Einhaltung einer gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist
347 BGH, Beschl. v. 19.05.2011 – IX ZB 214/10, NZI 2011, 540 (541). Diese Rechtsprechung ist größtenteils auf Zustimmung gestoßen, vgl. Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 102; Sternal, in: HK, InsO, § 14 Rz. 34; Mönning, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 14 Rz. 19; Wienberg, in: Hess / Weis / ders., InsO, § 14 Rz. 19; K. Schmidt, JuS 2012, 464 (465); Cranshaw, jurisPR-InsR 16/2011 Anm. 2; Ley, in: FS Beck, S. 319 (326); OVG Lüneburg, Beschl. v. 17.10.2018 – 9 ME 106/18, ZInsO 2018, 2701 (2702). Zuvor schon Baur, JZ 1951, 209 (210); Unger, KTS 1962, 205 (214, 216); Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 144. 348 BGH, Urt. v. 22.05.1962 – VI ZR 256/61, BB 1962, 973. Bereits das OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.10.1954 – 3 W 76/54, MDR 1955, 175 hatte einen Antrag als unzulässig eingestuft, in dem mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur die unverzügliche Abwicklung eines Pachtverhältnisses erreicht werden sollte. Diese Rechtsprechung wurde im Folgenden bestätigt: BGH, Beschl. v. 29.06.2006 – IX ZB 245/05, NZI 2006, 588 (590); BGH, Beschl. v. 08.05.2008 – IX ZB 195/07, juris und ist auf breite Zustimmung gestoßen: Frind, EWiR 2006, 595 (596); Gundlach, in: K. Schmidt, InsO, § 14 Rz. 25; Mönning, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 14 Rz. 20; Uhlenbruck, NJW 1968, 685 (686); Haarmeyer / Wutzke / Förster, InsO, S. 160; Unger, KTS 1962, 205 (216); Ley, in: FS Beck, S. 319 (324). Ablehnend mit Blick auf die Begründetheit eines Insolvenzantrages hingegen Wagner, in: MüKo, BGB, § 826 Rz. 241. 349 BGH, Urt. v. 22.05.1962 – VI ZR 256/61, BB 1962, 973.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
zu kündigen.350 Zur Begründung führte der BGH an, dass den Gläubigern sowie dem Konkursverwalter daran gelegen sei, dem Schuldner den Pachtvertrag möglichst lange zu erhalten, weil die Erträge des Pachtverhältnisses zur Abdeckung der Schulden verwandt werden können. Die Beendigung des Pachtverhältnisses führe demgegenüber lediglich zur Neuverpachtung, ohne dass die Konkursmasse hiervon profitiere. Der BGH vertrat insoweit die Auffassung, dass es gegen das Anstandsdenken aller billig und gerecht Denkender verstoße und damit zu missbilligen sei, wenn ein Gläubiger die Eröffnung des Konkurses nicht betreibt, um Vollstreckungsmöglichkeiten zu erhalten, sondern nur darauf abzielt, die Beendigung des für seinen Schuldner günstigen Pachtverhältnisses zugunsten einer ihm genehmen Person zu erzwingen. Zur Begründung der Sittenwidrigkeit zog er das Versprechen des Pachtinteressenten heran, für den Ausfall der Forderungen aufzukommen, und nahm ferner auf den Umstand Bezug, dass es sich bei dem Antragsteller um einen Träger hoheitlicher Gewalt handelte, der sich – wenngleich er hier privatrechtlich gehandelt habe – dem aus Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Sozialstaatsprinzip nicht entziehen könne.351 (b) Schuldneranträge Auch bei Schuldneranträgen soll die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke zur Unzulässigkeit führen. So wird der Insolvenzantrag eines Schuldners als missbräuchlich angesehen, wenn er nachweislich nur zu dem Zweck gestellt wurde, einstweiligen Vollstreckungsschutz zu erlangen.352 Die praktische Bedeutung dieser Fallgruppe dürfte wie bei den Ausforschungsanträgen äußerst gering sein, denn die Anordnung einstweiligen Vollstreckungsschutzes liegt im Ermessen des Insolvenzgerichts353 und ist für den Insolvenzschuldner damit nur bedingt planbar. Anders könnte dies etwa im Rahmen des Schutzschirmverfahrens zu bewerten 350
Nach der heutigen Rechtslage dürfte die Stellung eines Insolvenzantrages zur Beendigung eines Pacht- und Mietverhältnisses allerdings nicht mehr in Betracht kommen. Ein Sonderkündigungsrecht steht ausweislich des § 109 Abs. 1 InsO nur noch dem Insolvenzverwalter des insolventen Mieters oder Pächters zur Verfügung, vgl. Ganter, ZIP 2019, 97 (99). Zudem ist das Kündigungsrecht des Vermieters in der Insolvenz des Mieters in erheblichem Maße durch § 112 InsO eingeschränkt. Für den Gläubiger ist dementsprechend keine Situation vorstellbar, in der die Stellung eines Insolvenzantrages den Vorteil einer zügigen Vertragsabwicklung eines Miet- oder Pachtvertrages mit sich bringen würde. Eine Kündigung ist zwar nicht generell ausgeschlossen, doch kann sie lediglich für den Fall des Zahlungsverzugs nach Stellung des Eröffnungsantrages erklärt werden. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 146. 351 BGH, Urt. v. 22.05.1962 – VI ZR 256/61, BB 1962, 973 f. 352 Sternal, in: HK, InsO, § 13 Rz. 27; Schmerbach, in: FK, InsO, § 14 Rz. 146; Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 191 f. (allerdings nicht zum vorläufigen Vollstreckungsschutz, sondern zu den §§ 89, 90 InsO); Zipperer, NZI 2010, 281 (282); Unger, KTS 1962, 205 (217) (zum früheren § 14 KO). 353 Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 21 Rz. 26a f.; Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 14 Rz. 3.
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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sein. Beantragt der Schuldner neben der Eigenverwaltung und der Vorbereitung einer Sanierung zugleich den Erlass des in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO geregelten Vollstreckungsschutzes, müsste das Insolvenzgericht gem. § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO abweichend von einem üblichen Eröffnungsverfahren diesem Antrag sogar nachkommen und könnte nicht zwischen weiteren Sicherungsmaßnahmen wählen. Aber auch dann mindern die mit einer Antragstellung verbundenen negativen wirtschaftlichen Konsequenzen354 die Attraktivität einer solchen Vorgehensweise erheblich. Für den ebenfalls im Zusammenhang mit dem Missbrauch des Insolvenzverfahrens diskutierten Fall, dass es dem Antragsteller darauf ankommt, durch Insolvenzgeld einen Wettbewerber aus dem Feld zu schlagen,355 dürfte es gänzlich an einem praktischen Anwendungsfall fehlen. Das ergibt sich schon daraus, dass das Insolvenzgeld regelmäßig zu Sanierungszwecken aufgewendet wird.356 Dass hierdurch ein ebenso strauchelnder Wettbewerber aus dem Markt gedrängt werden kann, dürfte angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Insolvenzgeldempfängers ein rein theoretischer Fall bleiben. Auf dessen Seite wird regelmäßig schon keine oder jedenfalls nur eine unzureichende Liquidität vorliegen, sodass er das Insolvenzgeld bereits für die Aufrechterhaltung oder gar die Wiederherstellung seines operativen Geschäfts aufwenden muss.357 (c) Stellungnahme und Analyse der Fälle unter Berücksichtigung der Missbrauchslehre Im Rahmen der Ausführungen zur allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre wurde aufgezeigt, unter welchen Voraussetzungen eine Motivkontrolle überhaupt zulässig ist. Da grundsätzlich keine Motivkontrolle stattfindet, ist für die Annahme des Missbrauchseinwands entscheidend, dass die Zweckverfolgung gegen rechtsethische Minima verstößt. Ob dem Antragsteller ein rechtlich-sittlicher Vorwurf zu machen ist, muss unter Berücksichtigung und Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls geprüft werden. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass jeder sachliche Grund der Rechtsverfolgung den Missbrauchsvorwurf regelmäßig entfallen lässt.358
354
Hierzu noch ausführlich 3. Kapitel II. 2. Ohne weitergehende Erläuterung findet sich diese Überlegung bei Zipperer, NZI 2010, 281 (283). Hierbei dürfte es allerdings nicht um die Frage gehen, inwieweit der Einsatz des Insolvenzgeldes als Sanierungsmittel als „missbräuchlich“ zu werten ist, vgl. hierzu Bertram, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 110 Rz. 4; Grepl, Die Funktionen des Insolvenzgeldes, S. 164 ff., 190 ff.; Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, S. 62 ff. 356 Vgl. nur Undritz, in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 38 sowie § 7 Rz. 168 ff.; Bertram, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 110 Rz. 4 ff. 357 Zu der üblichen Situation Undritz, in: Kübler, HRI, § 7 Rz. 168. 358 1. Kapitel IV. 1. c) bb). 355
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen ist der Rechtsprechung insoweit zuzustimmen, als sie Druck- und Ausforschungsanträge sowie Schuldneranträge, die zum Zwecke der Erlangung vorläufigen Vollstreckungsschutzes gestellt werden, als missbräuchlich einstuft. Der Missbrauchsvorwurf lässt sich hier darauf stützen, dass die Vorgehensweise des Antragstellers darauf angelegt ist, die Gläubiger zu schädigen.359 Bei Druck- und Ausforschungsanträgen will der antragstellende Gläubiger eine Befriedigung seiner Forderung vor den anderen Gläubigern erreichen und sich diese Vorteile durch die Rücknahme des Insolvenzantrages oder eine Erledigungserklärung sichern. Auch dem antragstellenden Schuldner, der mit der Antragstellung allein das Ziel verfolgt, zeitweise Vollstreckungsschutz zu erlangen, kommt es nicht auf die Verfahrenseröffnung an. Vielmehr will er den Zugriff der Gläubiger auf sein Vermögen durch die Untersagung künftiger Vollstreckungsmaßnahmen verhindern und seinen Insolvenzantrag anschließend zurücknehmen. Im Hinblick darauf verdient es Zustimmung, wenn derartige Anträge zum Schutz der Gläubiger frühzeitig als unzulässig zurückgewiesen werden. Ob demgegenüber nicht die das Insolvenzeröffnungsverfahren beendende Handlung als missbräuchlich zu behandeln ist, wird noch zu klären sein.360 Vergegenwärtigen sollte man sich im Zusammenhang mit der Zurückweisung eines Insolvenzantrages schließlich noch, dass zum Zeitpunkt der Zurückweisung regelmäßig noch keine Feststellungen über das Vorliegen der Insolvenzgründe getroffen wurden, was darauf zurückzuführen ist, dass das Zulassungsverfahren dem Eröffnungsverfahren vorgelagert ist.361 Für den Fall, dass sich dem Insolvenzgericht die Intention des Antragstellers erst zu einem Zeitpunkt offenbaren sollte, zu dem aus Sicht des Gerichts bereits sämtliche Eröffnungsvoraussetzungen vorliegen, kann der Insolvenzantrag demgegenüber nicht mehr mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass er ursprünglich nicht mit der Intention gestellt worden ist, die Verfahrenseröffnung herbeizuführen. Deutlich wird das insbesondere bei den Druckanträgen. Wenn der Gläubiger den Antrag stellt und hieran bis zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung festhält, dann ist das Verfahren auch zu eröffnen, wenngleich seine eigentliche Intention zu missbilligen war. Der Gläubiger hat ein berechtigtes Interesse an der Verfahrenseröffnung, wenn es zuvor nicht zur Befriedigung seiner Forderung gekommen ist. Dass die Verfahrenseröffnung erfolgen muss, gilt insbesondere im Hinblick auf die Anfechtbarkeit von Zahlungen gem. § 133 InsO, die zur Abwendung von Druckanträgen geleistet wurden.362 Durch die Verfahrenseröffnung wird gewährleistet, dass entsprechende Zahlungen der Masse wieder zugeführt werden.
359
Guski, Rechtsmissbrauch als Paradoxie, S. 238 rückt demgegenüber die widersprüchliche Verhaltensweise des Antragstellers in den Vordergrund. 360 3. Kapitel III. 361 Zu der zweiteiligen Struktur des Insolvenzeröffnungsverfahrens Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (642); Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 12 Rz. 2. 362 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02, NJW 2004, 1385; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, NZI 2012, 963; Borries / Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 133 Rz. 19.
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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Die Rechtsprechung zur Ausschaltung eines Wettbewerbers ist demgegenüber weitaus kritischer zu bewerten. Anders als bei Druck- und Ausforschungsanträgen intendiert der antragstellende Gläubiger dort die Durchführung des Insolvenzverfahrens, denn nur dann kommt es je nach Gesellschaftsform gem. § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG oder § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG zur Auflösung des Konkurrenten. Das individuell zu bestimmende Rechtsschutzinteresse kann zwar nicht allein darauf zurückgeführt werden, dass ein lebensunfähiges Unternehmen aus dem Wirtschaftsleben ausscheidet,363 da dies den Insolvenzantrag unzulässigerweise zu einem Popularantrag machen würde.364 Dem Einwand des Missbrauchs steht aber entgegen, dass es dem Gläubiger bei der Verdrängung aus dem Markt notwendigerweise ebenfalls um seine quotale Befriedigung geht. Das Verfahren mag an dieser Stelle zwar nicht dem eigentlichen Ziel des Antragstellers entsprechen, die Befriedigung seiner Forderungen ist jedoch ein notwendiges Zwischenziel. Damit liegt ein sachlicher Grund für die Antragstellung vor, der den Vorwurf des Missbrauchs bereits entfallen lässt.365 Andere den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründende Umstände sind in den Rechtsprechungsfällen nicht erkennbar. Für die Annahme eines Missbrauchs wegen verfahrensfremder Zweckverfolgung genügt es nicht, dass der Gläubiger „unter anderem“ verfahrensfremde Zwecke verfolgt. Dies hebt auch der BGH zu Recht hervor.366 Darüber hinaus reicht es aber ebenso wenig aus, wenn sich das Verhältnis von Haupt- und Nebenzweck für den Gläubiger verkehrt hat, wovon der BGH auszugehen scheint.367 Für eine derartige Annahme bleibt höchstens dann Raum, wenn es sich um schädigendes oder gar schikanöses Verhalten handelt. Dass dies dann, wenn der Schuldner infolge der Insolvenz aus dem Markt ausscheidet, nicht anzunehmen ist, liegt auf der Hand. Diese Konsequenz hätte der Schuldner durch die rechtzeitige Sanierung des Unternehmens im Vorhinein selbst verhindern können, sodass von einer Schädigung bei einem im Übrigen begründeten Insol-
363
Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 14 Rz. 5; ders., in: FS F. Weber, S. 181 (191); Unger, KTS 1962, 205 (216). Abweichend wohl Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 145, der das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Hinblick auf das Allgemeininteresse am Marktaustritt des insolventen Schuldners grundsätzlich auch dann bejaht, wenn hinter der Antragstellung die Motivation des Antragstellers steht, einen missliebigen Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. 364 In diese Richtung auch Cranshaw, jurisPR-InsR 16/2011 Anm. 2, C. 365 Ebenso Guski, WM 2011, 103 (106); Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 14 Rz. 5; Fridgen, GWR 2011, 342 und wohl auch Geißler, ZInsO 2014, 14 (18 f.). Frind, EWiR 2011, 467 (468) hält den Missbrauch des Insolvenzverfahrens in diesem Fall für undenkbar. Er begründet dies jedoch damit, dass das Insolvenzrecht durch Sanierung auch zur Erhaltung eines Unternehmens beitragen kann und ein Missbrauch demzufolge schon ausgeschlossen ist. 366 BGH, Beschl. v. 19.05.2011 – IX ZB 214/10, NZI 2011, 540 (541). 367 So die Wortwahl von Pohle, in: FS Lent, S. 195 (220), der es ablehnt, einer Klage, die einen prozessfremden Zweck verfolgt, den Rechtsschutz zu versagen. Auch der BGH unterscheidet in seiner Begründung hiernach. Ähnlich differenziert auch Gundlach, in: K. Schmidt, InsO, § 14 Rz. 25, der einen Missbrauch annimmt, sofern der Gläubiger ein anderes „Hauptziel“ verfolgt.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
venzantrag jedenfalls nicht gesprochen werden kann.368 Zudem handelt es sich bei dem Ausscheiden eines insolventen oder gar vermögenslosen Schuldners um eine legitime Wirkung des Insolvenzverfahrens und damit schon gar nicht um einen insolvenzfremden Zweck.369 Als nicht unproblematisch ist deshalb auch die Rechtsprechung zu bewerten, die Insolvenzanträge als missbräuchlich eingeordnet hat, sofern es dem antragstellenden Gläubiger darauf ankam, im eröffneten Verfahren ein Vertragsverhältnis zu beenden. Allein die Absicht, ein Gestaltungsrecht ausüben zu wollen, das dem Antragsteller durch das Insolvenzverfahren vermittelt wird, stellt nicht ohne Weiteres eine missbräuchliche Antragstellung dar. Dies zeigt auch eine jüngere Entscheidung des BGH.370 Die antragstellende Gläubigerin hatte mit notariellem Kaufvertrag ein Grundstück an die Schuldnerin veräußert. In dem Kaufvertrag unterwarf sich diese wegen der Kaufpreiszahlung der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen. Nachdem die erste Kaufpreisrate fällig geworden war, zahlte die Schuldnerin nicht. Ein Vollstreckungsversuch der Gläubigerin blieb erfolglos, sodass sie schließlich einen Insolvenzantrag stellte. Die Schuldnerin verteidigte sich sodann unter anderem damit, dass es der Gläubigerin nur darauf ankomme, sich vom Vertrag zu lösen. Der BGH bejahte das rechtliche Interesse am Insolvenzantrag gleichwohl. Das Wahlrecht gem. § 103 InsO lasse, so die Argumentation des Gerichts, das wirtschaftliche Interesse nicht entfallen, da der Gläubiger im Falle der Erfüllungswahl seine Gegenleistung und im Falle der Ablehnung einen Anspruch wegen Nichterfüllung zur Tabelle anmelden könne.371 Aus welchem Grund aber die Durchführung eines Insolvenzverfahrens zu dem Zweck der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses und der gleichzeitig zwangsweisen Durchsetzung eigener Forderungen missbräuchlich sein soll, erschließt sich demgegenüber nicht.372 Anders dürfte dies – und insoweit könnte der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1962 doch zugestimmt werden – zu beurteilen sein, wenn sich das Vorgehen unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände als vorsätzlich sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB erweist. Hierfür könnte sprechen, dass sich der Gläubiger in der zugrunde liegenden Entscheidung für den Ausfall seiner Forderungen im Zuge des Insolvenzverfahrens einen Entschädigungsanspruch von dem Interessenten des zu verpachtenden Grundstücks hat versprechen lassen. Insoweit besteht zumindest im Ansatz eine Vergleichbarkeit zu den Fällen, in denen ein Vertragspartner von einem anderen zum Vertragsbruch verleitet wird, weil dieser selbst Interesse an dem Abschluss des Vertrages hat. Innerhalb dieser Konstellation misst die Rechtsprechung jedenfalls dem Umstand besonderes Gewicht zu, wenn der Dritte sich seinerseits verpflichtet, den Vertragsschuldner von sämtlichen Scha 368
Vuia, in: MüKo, InsO, § 14 Rz. 36. Ähnlich Vuia, in: MüKo, InsO, § 14 Rz. 36 sowie Smid, DZWIR 2012, 1 (4). 370 BGH, Beschl. v. 29.06.2006 – IX ZB 245/05, NZI 2006, 588. 371 BGH, Beschl. v. 29.06.2006 – IX ZB 245/05, NZI 2006, 588 (589). 372 Mit Blick auf die Begründetheit eines Insolvenzantrages kommt auch Wagner, in: MüKo, BGB, § 826 Rz. 241 zu dieser Einschätzung. 369
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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densersatzansprüchen des Vertragsgläubigers freizustellen.373 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang zudem, dass es sich bei der Entscheidung angesichts der Beteiligung eines Hoheitsträgers ohnehin um eine besonders gelagerte Situation gehandelt hat, die nicht ohne Weiteres auf andere Fälle übertragen werden kann. Abschließend lässt sich festhalten: An die Annahme des individuellen Missbrauchs wegen verfahrensfremder Zweckverfolgung sind auch im Insolvenzrecht hohe Anforderungen zu stellen. Anders als einige Kommentierungen und auch die Entscheidung des BGH zur Verdrängung eines Wettbewerbers vermuten lassen, ist ein Missbrauch nicht per se schon dann anzunehmen, wenn der Antragsteller das Insolvenzverfahren zwar durchführen möchte, es ihm dabei aber allein subjektiv nicht auf die gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger ankommt. Nur für den Fall, dass besondere Umstände hinzukommen, die die Antragstellung als sittenwidrig erscheinen lassen, ist von einem Missbrauch auszugehen. Für diese Annahme genügt es nicht, wenn der Wille des Antragstellers darauf gerichtet ist, die gesetzlichen und üblichen Folgen des Insolvenzverfahrens herbeizuführen. Als missbräuchlich können Insolvenzanträge jedoch zurückgewiesen werden, wenn durch die Antragstellung die Gefahr der Schädigung der Gläubiger droht, wovon bei Druck- und Ausforschungsanträgen ebenso auszugehen ist, wie wenn mit der Antragstellung allein der Zweck verfolgt wird, für eine gewisse Zeit vorläufigen Vollstreckungsschutz zu erlangen. Aufgrund der Ausgestaltung des Insolvenzeröffnungsverfahrens und der negativen Konsequenzen einer Antragstellung bleibt der Missbrauchsvorwurf in praktischer Hinsicht allerdings auf die Druckanträge beschränkt. b) Institutioneller Missbrauch des Insolvenzverfahrens? Neben den individuellen Rechtsmissbrauch tritt der institutionelle Rechtsmissbrauch, der mitunter auch als „Instituts-“374 oder „Normenmissbrauch“375 bezeichnet wird. Der Rechtsausübende missbraucht demnach eine Rechtsnorm oder eine rechtliche Gestaltungsmöglichkeit institutionell, wenn er sie objektiv oder sinnwidrig nutzt.376 Der Verfahrenseinleitung dürfte dieser Einwand damit nur mittelbar entgegenzuhalten sein, denn angesichts des erheblichen gesellschaftsrechtlichen Gestaltungspotenzials seit den gesetzlichen Änderungen des ESUG377 erscheint er vor allem im Hinblick auf den Einsatz von gesellschaftsrechtlichen Planmaßnahmen innerhalb eines Insolvenzverfahrens denkbar. Wollte man in diesem Zu 373 BGH, Urt. v. 02.06.1981 – VI ZR 28/80, NJW 1981, 2184; BGH, Urt. v. 01.04.1992 – IV ZR 332/90, NJW 1992, 2152 (2153). 374 Raiser, in: summum ius summa inuria, S. 145 (164). 375 Teichmann, in: Soergel, BGB, 12. Auflage, § 242 Rz. 14; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rz. 34. 376 Hierzu bereits 1. Kapitel IV. 377 Vgl. hierzu noch 4. Kapitel I. 2.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
sammenhang jedoch von einem institutionellen Rechtsmissbrauch sprechen, ließe dies das Verhältnis zur teleologischen Auslegung und insbesondere zur teleologischen Reduktion außer Acht. Der Institutsmissbrauch wird nämlich stets nur dort bemüht, wo es an einer ausdrücklichen Zweckregelung mangelt oder Unsicherheit über die Zulässigkeit methodischer Mittel besteht.378 An beidem fehlt es aber im Geltungsbereich der InsO. Steht der Vorwurf im Raum, eine Gestaltungsmaßnahme werde im Hinblick auf die aus § 1 InsO folgende Zwecksetzung des Insolvenzverfahrens objektiv funktionswidrig eingesetzt, und gründet der Missbrauchsvorwurf demgegenüber nicht vornehmlich darauf, dass es dem Antragsteller subjektiv schon gar nicht auf die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung ankommt, so ist vorrangig die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion zu erörtern. Auf diese sollte unter anderem zurückgegriffen werden, um Einschränkungen vorzunehmen, die durch den Sinn und Zweck der einschränkenden Normen selbst oder den vorrangigen Zweck einer anderen Vorschrift geboten erscheinen.379 Ob das Gestaltungspotenzial des § 225a InsO vor dem Hintergrund der Zwecksetzung des § 1 InsO im Einzelfall teleologisch zu reduzieren ist, wird noch im Zusammenhang mit den gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen und deren Konsequenzen zu klären sein.380 An dieser Stelle genügt es, festzuhalten, dass es des Einwands eines institutionellen Missbrauchs im Insolvenzrecht angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Verankerung des Verfahrenszwecks nicht bedarf. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte für diesen Fall auch nicht von Missbrauch gesprochen werden. Das methodisch anzuwendende Werkzeug ist die teleologische Reduktion. 2. Antragspflicht und Missbrauchsvorwurf Gegenüber den Gläubigeranträgen ergibt sich bei Schuldneranträgen im Hinblick auf die Antragspflicht eine Besonderheit im Rahmen der Missbrauchsprüfung, denn den Rechtsmissbrauch kennzeichnet, dass die Ausübung eines subjektiven Rechts unzulässig ist, weil sie sich außerhalb der Bahnen des Rechts bewegt. Hat der Rechtsinhaber schon gar keine Wahlfreiheit über den Gebrauch oder Nichtgebrauch seiner Rechtsposition, dann ist die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens von vornherein ausgeschlossen.381 Für das Insolvenzverfahrensrecht ist insoweit § 15a InsO zu berücksichtigen. Die Vorschrift statuiert für die Organe juristischer Personen und für Gesellschaften, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt haftet, eine Antragspflicht. Diese lässt dem Antragsteller mit Blick auf die strafrechtlichen Konsequenzen keine Wahlfreiheit. Die Verfahrenseinleitung ist gesetzgeberisch intendiert und das Verfahren bei Vorliegen der Voraussetzun 378
Vgl. hierzu bereits 1. Kapitel V. 1. Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 211. 380 6. Kapitel II. 3. b) bb). 381 Vgl. Knödler, Mißbrauch von Rechten, selbstwidersprüchliches Verhalten und Verwirkung im öffentlichen Recht, S. 257. Hierbei handelt es sich um einen Grundsatz, der für missbräuchliches Verhalten in jedem Rechtsgebiet gilt. 379
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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gen zwingend zu eröffnen, weshalb der Eigenantrag eines Schuldners in den Fällen einer bestehenden Antragspflicht zum Zeitpunkt der Antragstellung folglich nicht missbräuchlich sein kann.382 Im Hinblick auf die Self fulfilling Prophecy383 eines Insolvenzantrages kann es damit zu der Situation kommen, dass die Antragstellung zwar als missbräuchlich zu werten ist, weil die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt weder zahlungsunfähig noch überschuldet ist, der Antrag im Hinblick auf das Vorliegen eines zwingenden Insolvenzeröffnungsgrundes zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung jedoch nicht mehr als missbräuchlich zurückgewiesen werden kann. Ist die Antragstellung erst einmal erfolgt, entwickelt das Verfahren nach Bekanntwerden regelmäßig eine nicht mehr zu kontrollierende Eigendynamik.384 Wenn das geschäftliche Umfeld des Schuldners Kenntnis von der Antragstellung erlangt, birgt dies das Risiko, dass sich Lieferanten, Kunden und Arbeitnehmer vom Unternehmen abwenden. Von Seiten der Banken ist zu befürchten, dass diese die Kreditlinien reduzieren oder gar kündigen und Kredite fällig stellen, was die Liquidität des ohnehin schon wirtschaftlich strauchelnden Unternehmens weitergehend belastet.385 Darüber hinaus lässt der Imageschaden den Unternehmenswert mitunter erheblich sinken.386 Da das Insolvenzgericht für gewöhnlich erst nach drei Monaten über den Antrag entscheidet,387 liegt bis zu diesem Zeitpunkt möglicherweise ein zwingender Eröffnungsgrund in Form von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor.388 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die InsO weder eine öffentliche Bekanntmachung noch die individuelle Mitteilung an bekannte Gläubiger vorschreibt389 und Daten über den Schuldner üblicherweise erst mit der Verfahrenseröffnung veröffentlicht werden.390 Von der Antragstellung erlangen die Gläubiger durch Mitteilungen des Schuldners oder die öffentliche Bekanntmachung der Bestellung eines vorläufigen Verwalters gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 382
So auch das Fazit von Lang / Muschalle, NZI 2013, 953 (955); Brinkmann, ZIP 2014, 197 (199); Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268); Gundlach / Müller / Rautmann, ZInsO 2015, 889 (890 f.); Böcker, ZInsO 2015, 773 (781). Anderer Ansicht Schmetzer, Schutz der Anteils inhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 70 f. Allerdings berücksichtigt dieser die Insolvenzgründe im Rahmen der Missbrauchsprüfung und kommt damit nach eigener Aussage nahezu stets zum gleichen Ergebnis. 383 Dieser Begriff findet sich bereits bei K. Schmidt, Gutachten zum 54. DJT, S. D 98. 384 Jaffé / Friedrich, ZIP 2008, 1849 (1856); Jacoby, ZGR 2010, 359 (365). 385 Jacoby, ZGR 2010, 359 (365); Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 34; Westpfahl, ZGR 2010, 385 (392); Ritter, Unternehmenssanierung, S. 286 f. 386 Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 334 f. 387 Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (640); Icks / Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 11, 75 sowie die statistische Erhebung von Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, S. 44. 388 Neußner, in: Kübler, HRI, 2. Auflage, § 6 Rz. 65. 389 Heese, Gläubigerinformation, S. 145 f. Ausführlich zur Zulässigkeit von Auskunfts anträgen und entsprechenden Pflichten des Insolvenzgerichts vgl. ders., Gläubigerinformation, S. 188 ff. 390 Heyer, ZVI 2015, 45 (47).
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
InsO üblicherweise dennoch Kenntnis.391 Gleiches gilt für die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gem. §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 270b InsO, wenn man davon ausgeht, dass diese öffentlich bekannt zu machen ist.392 Hält man sie demgegenüber für unzulässig oder in einem seltenen Fall nicht für geboten, besteht sogar hypothetisch die Möglichkeit, die Sanierung im Stillen vorzubereiten. Auch dann aber zeigt die Praxis, dass die Schuldner für Transparenz sorgen393 oder es wie im Suhrkamp-Fall zu einem öffentlichen Streit der Gesellschafter kommt.394 Angesichts der erfolgreichen Sanierungsfälle seit Erlass des ESUG liegt immerhin die Vermutung nahe, dass das oftmals beschworene Stigma der Insolvenz künftig nur noch in abgeschwächter Form fortwirkt,395 womit auch die Brisanz der eingangs skizzierten Konstellation schwinden dürfte. 3. Beweis- und Darlegungslast für den Missbrauchseinwand Der Einwand missbräuchlichen Verhaltens ist wie im materiellen Recht und im Zivilprozessrecht auch im Insolvenzrecht eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung.396 Fehlt das als Zulässigkeitsvoraussetzung normierte Rechtsschutzbedürfnis zum Zeitpunkt der Antragstellung, ist dieser Umstand vom Insolvenzgericht von Amts wegen zu berücksichtigen.397 Die Beweislast für das 391
Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 23 Rz. 4; Schmerbach, in: FK, InsO, § 23 Rz. 1; Pape, in: K / B/P, InsO, § 23 Rz. 3; Schröder, in: HambK, InsO, § 2 Rz. 4; Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (636). 392 Einige halten die Veröffentlichung für zwingend: Frind, ZInsO 2013, 279 (288); Foltis, in: FK, InsO, § 270b Rz. 29. Andere wiederum für grundsätzlich ausgeschlossen: Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 260; Keller, ZIP 2012, 1895 (1901); wohl auch Pape, ZInsO 2013, 2129 (2135). Für eine Veröffentlichung nach pflichtgemäßem Ermessen demgegenüber Schmerbach, in: FK, InsO, § 23 Rz. 5 ff.; AG Göttingen, Beschl. v. 28.11.2012 – 74 IN 160/12, ZInsO 2012, 2413 (2416); Buchalik, ZInsO 2012, 349 (354). 393 Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 5. Zu den Vorteilen dieser Öffentlichkeitsarbeit Richter / Pluta, BB 2012, 1591 (1594); Frind, ZInsO 2013, 279 (288); ders., WM 2014, 590 (593). 394 Vgl. hierzu noch 6. Kapitel I. 395 Braun, „Die Insolvenz verliert das Stigma des Scheiterns“, http://insolvenzblog.de/dieinsolvenz-verliert-das-stigma-des-scheiterns/2013/05/10/ (zuletzt abgerufen am 24.11.2018). Zur „Entstigmatisierung“ auch Uhlenbruck, in: K. Schmidt / ders., GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 4.9 Kritischer demgegenüber J. Heinrich, NZI 2012, 235 (239 ff.). Diesen Mentalitätswechsel haben einige Befragungen bezüglich des ESUG unter Restrukturierungsexperten bestätigt, vgl. Kremers / Hoffmann, ZInsO 2013, 289. Auch im Bericht über die Erfahrungen mit der Anwendung des ESUG vom Oktober 2018 ist die Rede davon, dass das ESUG als ein wichtiger Meilenstein für eine positive Veränderung der Insolvenzkultur angesehen wird, wenngleich die im Zuge der Untersuchung durchgeführte Befragung ergeben hat, dass sich das Stigma der Insolvenz nur leicht abgeschwächt hat, vgl. ESUG-Bericht, S. 38 f.; vgl. hierzu auch die Einschätzung von Beissenhirtz, ZInsO 2019, 180 (183); Buchalik, ZInsO 2019, 465 (480). 396 So auch Zipperer, NZI 2010, 281 (284). 397 Unger, KTS 1962, 205 (209); Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 16, 40; Geißler, ZInsO 2014, 14; Schmerbach, in: FK, InsO, § 14 Rz. 105; Vuia, in: MüKo, InsO, § 14 Rz. 19; Delhaes, Insolvenzantrag, S. 84.
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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Vorliegen der Zulässigkeitsvorraussetzungen und damit auch für das rechtliche Interesse trägt der Antragsteller.398 Während beim Gläubigerantrag die Forderung und der Eröffnungsgrund lediglich glaubhaft zu machen sind, müssen die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen zur vollen Überzeugung des Gerichts vorliegen.399 Der Gläubiger muss ein rechtliches Interesse an der Verfahrenseröffnung und der damit verbundenen anteiligen Befriedigung seiner Forderung im Insolvenzverfahren haben, das durch die gemeinschaftliche Befriedigung sämtlichen Gläubigern zugutekommt.400 Da der Gläubiger bei Antragstellung Forderung und Insolvenzgrund glaubhaft zu machen hat, ist hiervon regelmäßig auszugehen. Das rechtliche Interesse des Gläubigers ist gleichsam indiziert,401 sodass eine explizite Darlegung oder ein entsprechender Beweis grundsätzlich nicht zu fordern sind.402 Sofern der Vorwurf missbräuchlicher Verfahrenseinleitung erhoben wird, sind die tatsäch lichen Voraussetzungen folglich von demjenigen glaubhaft zu machen, der sich auf ihn beruft.403 Gleiches gilt für Eigenanträge des Schuldners, denn das rechtliche Interesse dürfte für den Schuldnerantrag aufgrund der nachteiligen Folgen der Verfahrenseröffnung ebenfalls indiziert sein.404 Das Eröffnungsverfahren kann in das Zulassungsverfahren und das Eröffnungs verfahren im engeren Sinne unterteilt werden,405 wobei die Entscheidung über die Zulässigkeit verfahrensrechtlich nicht eigenständig ausformuliert ist.406 Im Zulassungsverfahren gilt der Beibringungsrundsatz, nach der Entscheidung über die Zulassung der Amtsermittlungsgrundsatz, vgl. § 5 InsO.407 Für den Missbrauchsvorwurf ist dies insofern interessant, als das Fehlen eines etwaigen rechtlichen 398 Allgemein zur formellen und materiellen Beweislast im Insolvenzeröffnungsverfahren vgl. Laumen / Vallender, NZI 2016, 609 (611 f.). 399 Schmerbach, in: FK, InsO, § 14 Rz. 174. 400 Linker, in: HambK, InsO, § 14 Rz. 44; Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 96 mit Hinweis darauf, dass diese Voraussetzung bei einem Antrag durch nachrangige Gläubiger zu modifizieren sei. 401 Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 96; Guski, WM 2011, 103 (104); Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 14 Rz. 2; Gundlach, in: K. Schmidt, InsO, § 14 Rz. 24. Dabei ist das Rechtsschutzinteresse stets von der materiellen Gläubigerstellung zu trennen. Wenngleich beide Voraussetzungen der Begrenzung des Kreises der Antragsteller dienen, sind sie doch verschieden, vgl. Guski, WM 2011, 103 (106). 402 So auch Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 41. 403 BGH, Beschl. v. 29.06.2006 – IX ZB 245/05, NZI 2006, 588. 404 So auch Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 27; Gundlach / Müller / Rautmann, ZInsO 2015, 889 f. 405 Vgl. Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (642); Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts- Handbuch, § 12 Rz. 2. 406 Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (642), der der Zulassungsentscheidung in Anbetracht ihrer Bedeutsamkeit für den weiteren Verfahrensgang de lege ferenda in Form eines Einleitungsbeschlusses einen eigenen verfahrensrechtlichen Charakter zuteilwerden lassen möchte. 407 Ganter / Bruns, in: MüKo, InsO, § 5 Rz. 12a f.; Baumert, in: Braun, InsO, § 5 Rz. 7 f.; BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, ZInsO 2003, 217 (218); Graeber, ZInsO 2003, 551 (552).
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Interesses bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zu beachten ist.408 Dem gemäß stellt sich die Frage, ob der Amtsermittlungsgrundsatz im Anschluss an die Zulässigkeitsentscheidung in gleichem Maße für die Missbrauchsprüfung bzw. die Prüfung des rechtlichen Interesses gilt. Dagegen wird angeführt, dass sich die Amtsermittlungspflicht lediglich auf den Verfahrensgegenstand beziehe.409 Das kann nicht überzeugen, denn zum einen kommt der Entscheidung über die Zulassung des Antrages schon keine Bindungswirkung zu und zum anderen lässt sich auch dem Wortlaut des § 5 InsO keine Einschränkung im Hinblick auf den Prüfungsumfang nach Zulassung des Antrages entnehmen.410 Unabhängig davon ist das Insolvenzgericht ohnehin nicht daran gehindert, bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung auf Tatsachen zurückzugreifen, auf die es von einem Beteiligten lediglich nur nicht hingewiesen worden ist.411
III. Missbrauchseinwand gegen die Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens Über die Verfahrenseinleitung hinaus spielt der Missbrauchsvorwurf auch im Hinblick auf die Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens eine Rolle. So wurde die Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs in der Vergangenheit sowohl in Bezug auf Erledigungserklärungen von Gläubigeranträgen als auch im Zusammenhang mit der Rücknahme von Eigenanträgen diskutiert, wenn es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft gehandelt hat. Abschließend soll es daher um diese beiden Konstellationen gehen. Dabei wird herauszuarbeiten sein, worauf sich der Missbrauchseinwand jeweils stützt und inwieweit er sich von den zuvor besprochenen Konstellationen unterscheidet. 1. Missbräuchliche Erledigungserklärung bei Gläubigeranträgen Die Diskussion um missbräuchliche Erledigungserklärungen von Gläubigeranträgen ist vor allem auf die Rechtsprechung einiger Insolvenzgerichte zurückzuführen.412 Das AG Hamburg etwa ging davon aus, dass die Dispositionsmaxime nach 408
Linker, in: HambK, InsO, § 14 Rz. 4. Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 42. 410 Für die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes, jedoch ohne Begründung Ganter / Bruns, in: MüKo, InsO, § 5 Rz. 14. 411 Lang, Rechtsschutzinteresse, S. 17. Zu solchen beispielhaften Indizien etwa Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268). 412 Auch nach Ansicht einiger Stimmen in der Literatur ist die Grenze des Missbrauchs überschritten, wenn Erledigungserklärungen eine Situation herbeiführen, die mit den wesentlichen Grundsätzen des Insolvenzrechts nicht vereinbar ist, vgl. Vuia, in: MüKo, InsO, § 13 Rz. 141; Brückl / Kersten, NZI 2004, 422 (429); Frind / Schmidt, ZInsO 2002, 8 (9); Gundlach, in: K. Schmidt, InsO, § 13 Rz. 36; Sternal, in: HK, InsO, § 13 Rz. 31; Zipperer, NZI 2010, 409
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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Antragstellung durch das Verfahrensziel der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung aus § 1 InsO in Verbindung mit den Vorschriften der §§ 130 ff. InsO, §§ 283c, 26, 27 StGB und § 134 BGB einzuschränken sei.413 In dem Verfahren unterrichtete die antragstellende Gläubigerin das Insolvenzgericht ohne nähere Angaben über eine Zahlung auf ihre Forderung und erklärte den Antrag in vollem Umfang für erledigt. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass lediglich ein Teilbetrag der Forderung erbracht worden war, stellte das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erledigungserklärung und die Fortsetzung des Verfahrens mit der Begründung fest, dass das Vorgehen der Antragstellerin die Befriedigung aller Gläubiger in einem geordneten Verfahren und damit die Zielsetzung des Insolvenzverfahrens unterlaufe. Zudem hielt das Gericht es für unzumutbar, insolvente Betriebe weiterhin im Wirtschaftsleben zu belassen. Die Erledigungserklärung sei unwirksam, da sie dem einmal in Gang gesetzten Verfahrenszweck des § 1 InsO zuwiderlaufe und zudem gegen § 134 BGB verstoße.414 Das Verfahren könne demgemäß nur beendet werden, wenn dies im Sinne aller Gläubiger sei oder deren erkennbarer Wille dem nicht entgegenstünde.415 Auch das AG Duisburg416 hielt die Erledigungserklärung eines antragstellenden Gläubigers wegen Rechtsmissbrauchs für unwirksam. Der Gläubiger hatte trotz Zustimmungsvorbehalts gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO eine Zahlung des Schuldners angenommen, die diesem aufgrund einer Vereinbarung mit einem Dritten zur Verfügung gestellt worden war. Da nach Auffassung des Gerichts die Zahlungsunfähigkeit auch noch nach dieser Zahlung fortbestand und der Schuldner ebenfalls keinen Grund zur Annahme hatte, dass diese entfallen sei, hielt das Gericht den Antrag aufrecht und begründete dies in seinem Beschluss mit dem eklatanten Widerspruch zum Verfahrenszweck des § 1 InsO.417 In einem ähnlichen Fall stufte das LG Duisburg die Erledigungserklärung eines Gläubigers wegen Rechtsmissbrauchs als unwirksam ein. Der Gläubiger hatte trotz angeordneter Verfügungsbeschränkung eine Zahlung des Schuldners angenommen und den Antrag für erledigt erklärt, ohne jedoch einen Hinweis für das Entfallen der 281 (283); Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 10 Rz. 24; Uhlenbruck / Schmahl, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Auflage, § 10 Rz. 21; Webel, ZInsO 2017, 2261 (2262 f.). Als herrschend kann diese Auffassung jedoch nicht bezeichnet werden, denn oftmals wird in der Literatur überhaupt nicht auf diese Möglichkeit der Einschränkbarkeit hingewiesen, vgl. Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 40 ff.; Linker, in: HambK, InsO, § 13 Rz. 50 ff.; Delhaes, Insolvenzantrag, S. 185 ff.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.06; Keller, Insolvenzrecht, Rz. 532 ff. Auch die Rechtsprechung greift hierauf nicht ausnahmslos zurück, vgl. LG Hamburg, Beschl. v. 06.12.2001 – 326 T 144/01, NZI 2002, 164; AG Duisburg, Beschl. v. 18.11.2002 – 62 IN 171/02, NZI 2003, 161. 413 AG Hamburg, Beschl. v. 10.10.2002 – 67c IN 377/02, NZI 2003, 104. Ferner findet sich die Insolvenzverschleppung als Ausgangspunkt des Missbrauchsvorwurfs, vgl. Gundlach, in: K. Schmidt, InsO, § 14 Rz. 36; Sternal, in: HK, InsO, § 13 Rz. 31. 414 AG Hamburg, Beschl. v. 10.10.2002 – 67c IN 377/02, NZI 2003, 104. 415 AG Hamburg, Beschl. v. 10.10.2002 – 67c IN 377/02, NZI 2003, 104. So schon zuvor Frind / Schmidt, ZInsO 2002, 8 (9). 416 AG Duisburg, Beschl. v. 29.06.2004 – 62 IN 189/04, ZVI 2005, 129. 417 AG Duisburg, Beschl. v. 29.06.2004 – 62 IN 189/04, ZVI 2005, 129 (132).
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Zahlungsunfähigkeit zu liefern.418 Ihm wurde deshalb vorgeworfen, sich trotz fortbestehender Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes einen Vorteil sichern zu wollen, der offenkundig und schwerwiegend gegen den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz verstoße.419 Die Dispositionsfreiheit des Gläubigers sei nach § 242 BGB einzuschränken, wenn die prozessualen Rechte zu verfahrensfremden und nicht schutzwürdigen Zwecken eingesetzt werden.420 2. Missbrauch und Rücknahmeberechtigung bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit Anders als bei den Erledigungserklärungen von Gläubigern ist der Missbrauchseinwand bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, eng mit der Frage nach der Befugnis zur Rücknahme eines Insolvenzantrages nach dem Wechsel eines alleinigen Geschäftsführers oder für den Fall einer mehrgliedrigen Vertretung verknüpft. Hat der Geschäftsführer den Insolvenzantrag gestellt und wird er hinterher abberufen oder legt er sein Amt nieder, bleibt der Insolvenzantrag wirksam.421 Wenn anschließend ein neuer Geschäftsführer bestellt wird, ist streitig, ob dieser den Antrag zurücknehmen kann. Nach einer Auffassung kann und darf ein Insolvenzantrag nur von demjenigen zurückgenommen werden, der den Antrag gestellt hat.422 Andernfalls bestünde die Gefahr des Leerlaufens der Antragspflicht aus § 15a InsO. Der hierdurch zum Ausdruck kommende Gläubigerschutz würde unterlaufen, wenn der Antrag ohne Weiteres zurückgenommen werden könnte. Dem neuen Geschäftsführer bliebe damit nur der Weg der sofortigen Beschwerde gem. § 34 Abs. 2 InsO, um gegen die Eröffnungsentscheidung vorzugehen. Dem wird von einer anderen Auffassung entgegengehalten, dass die Schuldnerin mit ihrem Vermögen und nicht ihr organschaftlicher Vertreter Subjekt des Insolvenzverfahrens sei.423 Auch Befürworter einer Beschränkung der Rücknahmebefugnis lassen im Hinblick auf die drohende Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft in den Fällen, in denen der 418
LG Duisburg, Beschl. v. 28.11.2008 – 7 T 231/08, NZI 2009, 911 (912). LG Duisburg, Beschl. v. 28.11.2008 – 7 T 231/08, NZI 2009, 911 (912). 420 LG Duisburg, Beschl. v. 28.11.2008 – 7 T 231/08, NZI 2009, 911 (912). 421 Linker, in: HambK, InsO, § 13 Rz. 60; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 160. 422 LG Dortmund, Beschl. v. 23.09.1985 – 9 T 560/85, NJW-RR 1986, 258; AG Duisburg, Beschl. v. 03.11.1994 – 43 N 231/94, ZIP 1995, 582; AG Potsdam, Beschl. v. 11.04.2000 – 35 IN 110/00, NZI 2000, 328; LG Tübingen, Beschl. v. 10.08.1960 – 1 T 67/60, KTS 1961, 158; Schmerbach, in: FK, InsO, § 15 Rz. 34; Hess, in: ders. / Weis / Wienberg, InsO, § 13 Rz. 26. Wohl auch Vuia, NZI 2019, 507 (508); Pape, in: K / P/B, InsO, § 13 Rz. 233. 423 Linker, in: HambK, InsO, § 13 Rz. 61; LG Berlin, Beschl. v. 25.02.1974 – 81 T 656/73, KTS 1974, 182 (183); Fenski, BB 1988, 2265 (2266); Gundlach, in: K. Schmidt, InsO, § 13 Rz. 38. 419
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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Geschäftsführer sein Amt niedergelegt hat oder abberufen wurde, die Rücknahme des Insolvenzantrages durch einen neu bestellten Geschäftsführer zu.424 In diesem Sinne dürfte auch eine Entscheidung des BGH425 aus dem Jahr 2008 zu verstehen sein.426 In dem zugrunde liegenden Beschluss hatte einer von zwei alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern den Insolvenzantrag gestellt, woraufhin das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen gem. §§ 21, 22 InsO erlassen und einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt hat. Gegenstand des Beschlusses war die sofortige Beschwerde der Gesellschaft gegen diese Maßnahmen, denn nachdem die Bestellung des antragstellenden Geschäftsführers von der Gesellschafterversammlung widerrufen worden war, hatte der nunmehr verbleibende alleinige Geschäftsführer den Antrag wieder zurückgenommen. Der BGH ging davon aus, dass die Rücknahme des Insolvenzantrages unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 InsO wirksam sei, wenn allein der die Rücknahme erklärende Geschäftsführer die Gesellschaft vertreten kann, weil der antragstellende Geschäftsführer in der Zwischenzeit wirksam abberufen wurde.427 Wohl angesichts der Konsequenz, dass der Dispositionsfreiheit damit nahezu immer der Vorrang gegenüber dem Interesse der Gläubiger an der Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen zu geben sein wird, soll die Rücknahmeerklärung nach Auffassung des BGH nur vorbehaltlich einer missbräuchlichen Ausübung möglich sein. Zwar würden die Interessen der Allgemeinheit regelmäßig durch die vorhandenen Straf- und Haftungsvorschriften zum Nachteil derjenigen Organmitglieder geschützt, die die Rücknahme erklärt hätten, doch sei die Rücknahme darüber hinaus unzulässig, wenn es darum ginge, eine sachliche Prüfung des Antrages zu verhindern.428 Offengelassen hat der BGH demgegenüber die Frage, ob sich das Spannungsverhältnis zwischen dem Dispositionsgrundsatz und der Erweiterung des Antragsrechts in § 15 Abs. 1 InsO im Fall der Antragstellung nur eines Mitglieds des Vertretungsorgans in der Regel allein dadurch lösen lässt, dass eine Rücknahme des Antrages ausschließlich von derjenigen natürlichen Person erklärt werden kann, die den Antrag auch gestellt hat. Wie schon in der zuvor beschriebenen Konstellation des Geschäftsführerwechsels werden auch hier im Wesentlichen zwei Positionen vertreten. Im Sinne eines lückenlosen Gläubigerschutzes hält eine Ansicht die Rücknahme durch eine andere Person als den Antragsteller für unzulässig. Das Argument drohender Handlungsunfähigkeit könne nicht angeführt werden, sodass auch die Vertreter der Gläubigerschutzlehre, die eine Ausnahme für den Fall des Geschäftsführerwechsels machen, nur den Antragsteller als rücknahme 424
Sternal, in: HK, InsO, § 13 Rz. 32; H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 15 Rz. 58; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 160; vgl. auch Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, Rz. 849, 853. 425 BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – IX ZB 122/07, NJW-RR 2008, 1439. 426 Für die Übertragbarkeit der Entscheidung auf den Fall der Auswechslung eines alleinigen organschaftlichen Vertreters vgl. auch Bußhardt, in: Braun, InsO, § 13 Rz. 22 und 25. 427 BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – IX ZB 122/07, NJW-RR 2008, 1439. 428 BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – IX ZB 122/07, NJW-RR 2008, 1439 (1440).
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befugt ansehen.429 Rechtssicherheit und Rechtsklarheit machen nach dieser Auffassung die Einschränkung der Dispositionsbefugnis erforderlich. Die Gesellschaft genieße einen doppelten Schutz: Zum einen sei der Eröffnungsgrund gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 InsO glaubhaft zu machen und zum anderen seien nach § 15 Abs. 2 Satz 2 InsO auch die übrigen Mitglieder zu hören. Zudem könne jeder der Geschäftsführer im Falle der Eröffnung sofortige Beschwerde gem. § 34 Abs. 2 InsO einlegen.430 Bei drohender Zahlungsunfähigkeit sollen mangels Antragspflicht die gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregeln maßgeblich sein.431 Teilweise wird jedoch vertreten, die Rücknahme durch die übrigen Vertretungsberechtigten sei auch in diesen Fällen unmöglich. § 18 InsO sei zu entnehmen, dass eine rechtzeitige Sanierung ermöglicht werden solle. Sofern die (übrigen) Gesellschafter / Geschäftsführer kein Interesse hieran haben, bestünde die Gefahr, dass das Sanierungsziel unterlaufen werde.432 Während der Großteil der Stimmen in der Literatur bei einer Antragsrücknahme im Fall der Mehrfachvertretung mit Abweichungen den Gläubigerschutz in den Vordergrund stellt, greifen einige auch hier strikt auf die Vertretungsregeln zurück. Danach wird es als ausreichend angesehen, wenn derjenige, der den Antrag der Gesellschaft zurücknimmt, zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt ist.433 Vereinzelt wird aber auch hier eine Ausnahme für den Fall des evidenten Missbrauchs der Vertretungsmacht angenommen.434 3. Stellungnahme Im Unterschied zur missbräuchlichen Antragstellung beruht der Missbrauchseinwand in den oben genannten Fällen auf der Überlegung, dass dem Insolvenzgericht nicht ohne Weiteres die Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen entzogen werden soll. Der Einwand fußt jedoch auch hier darauf, dass sich in dem einen Fall der Gläubiger und in dem anderen Fall der Schuldner unredlich verhält, wenn er die Verfahrenseröffnung verhindert und es hierdurch zur Gefahr der Schädigung der Gläubiger kommt. In der Sache geht es sowohl bei der Rechtsprechung zu den Erledigungserklärungen der Gläubiger als auch bei der Diskussion um den Missbrauch der Rücknahmeberechtigung bei juristischen Personen und Gesellschaften
429 Schmerbach, in: FK, InsO, § 15 Rz. 33; Sternal, in: HK, InsO, § 13 Rz. 32; Uhlenbruck, in: ders., InsO, 13. Auflage, § 13 Rz. 125 f.; Klöhn, in: MüKo, InsO, § 15 Rz. 83; Haarmeyer / Wutzke / Förster, InsO, S. 155; Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 10 Rz. 5 f. 430 Schmerbach, in: FK, InsO, § 15 Rz. 33. 431 Uhlenbruck, in: ders., InsO, 13. Auflage, § 13 Rz. 127; Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, Rz. 850 f.; Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 10 Rz. 7; Klöhn, in: MüKo, InsO, § 15 Rz. 94. 432 Schmerbach, in: FK, InsO, § 15 Rz. 35. 433 LG Berlin, Beschl. v. 25.02.1974 – 81 T 656/73, KTS 1974, 182; Fenski, BB 1988, 2265 (2266 f.); Delhaes, Insolvenzantrag, S. 191 ff.; Uhlenbruck, KTS 1994, 169 (172). Mit Bedenken und gesetzlichen Änderungsvorschlägen wohl auch N. Schmidt, ZInsO 2015, 2168 (2169). 434 K. Schmidt, ZGR 1998, 633 (655).
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ohne Rechtspersönlichkeit darum, ob und inwieweit die Dispositionsfreiheit zum Schutze der übrigen Gläubiger einzuschränken ist. a) Keine Einschränkung allein im Hinblick auf § 1 InsO Mit einigen Stimmen in der Literatur435 dürfte es im Hinblick auf die Dispositionsfreiheit ausgeschlossen sein, den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung heranzuziehen, um die Erledigung eines Insolvenzantrages für unzulässig zu erklären. Das Antragserfordernis ist nicht allein auf die mangelnde praktische Umsetzbarkeit einer amtswegigen Verfahrenseinleitung zurückzuführen, sondern Ausfluss der privatrechtlichen Haftungsverwirklichung des Insolvenzverfahrens. Der einmal gestellte Antrag kann nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, die Antragstellung liege im Interesse der Gläubiger. Der Gesetzgeber hat sich bei der Entstehung der KO und der InsO bewusst für die Dispositionsfreiheit entschieden436 und damit von den Regelungen der preußischen Konkursordnung von 1855 abgewendet. Diese sah neben der Anzeige der Zahlungseinstellung durch den Schuldner und dem mit ausdrücklichen Beweisen unterstützten Antrag eines Gläubigers für den kaufmännischen Konkurs in § 118 noch die Möglichkeit einer Verfahrenseröffnung durch das Konkursgericht vor, wenn dieses auf andere Weise Kenntnis von der Nonvalenz des Schuldners erhalten hatte und zudem besondere Nachteile für die Gläubiger zu erwarten waren. Die amtswegige Verfahrenseröffnung hielt man im Handelsverkehr für notwendig, um die Sicherung entfernter Gläubiger gewährleisten zu können.437 Bereits mit der Konkursordnung von 1877 gab man die Verfahrenseröffnung von Amts wegen jedoch auf.438 Im Entstehungsprozess der InsO wurden sodann zwar nochmals Überlegungen bezüglicher einer amtswegigen Verfahrenseröffnung angestellt, doch schon der Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht zeigte demgegenüber eine klar ablehnende Haltung. Diese sei weder mit der „bestehenden Wirtschaftsordnung“ noch mit der „privatrechtlichen Dispositionsfreiheit“ der Gläubiger vereinbar.439 Zudem äußerte die Insolvenzrechtskommission hinsichtlich der Umsetzbarkeit einer amtswegigen Verfahrenseröffnung praktische Bedenken. Die Kommission bezweifelte, dass das 435
Schmahl, NZI 2002, 177 (185); Ferslev, EWiR 2003, 605 (606); Foerste, ZInsO 2017, 1263 (1267). Mit erheblichen Bedenken auch Pape, in: K / P/B, InsO, § 13 Rz. 243 f. sowie Gerke, ZInsO 2003, 873 ff., der eine Rücknahmesperre nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen allerdings grundsätzlich für wünschenswert erachtet. 436 So auch das Fazit von Schmahl, NZI 2002, 177 (185). 437 Goltdammer, KO, S. 295. 438 Wie § 95 der KO von 1877 zeigt, wurde das Konkursverfahren ausnahmslos als Antragsverfahren ausgestaltet. Zur Antragstellung waren sowohl die Konkursgläubiger als auch die Gemeinschuldner berechtigt. An dieser Regelung hat auch die Reform der KO im Jahre 1898 nichts geändert, denn hierdurch wurde lediglich der Antragsgrundsatz in § 103 KO verschoben und ferner dadurch erweitert, dass der Antrag eines Teils des Schuldnerorgans zur Verfahrenseröffnung nunmehr ausreichte. 439 Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 98.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Insolvenzgericht oder eine Behörde im Falle der Insolvenz rechtzeitig genug reagieren könnte, da der Eintritt des Insolvenzgrundes eher verborgen bleiben dürfte.440 Im Regierungsentwurf der InsO von 1992 findet sich zur amtswegigen Verfahrenseröffnung dann nur noch der Hinweis, dass allein der Antragsgrundsatz mit der bestehenden Wirtschafts- und Privatrechtsordnung vereinbar sei.441 Das zeigt, dass für die Beibehaltung der Dispositionsfreiheit neben praktischen vor allem auch dogmatische Erwägungen entscheidend waren. Die Durchsetzung des objektiven Rechts ist damit vergleichbar mit dem Zivilprozess mittelbare Folge der Durchsetzung subjektiver Rechte.442 Dem Gläubiger bleibt es folglich selbst überlassen, ob er seine Forderung im Wege des Gesamtvollstreckungsverfahrens – auch zugunsten der übrigen Gläubiger – geltend macht. An dieser Einschätzung hat sich auch im Hinblick auf die Reform des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO nichts geändert. Zwar kann seit dem 5. April 2017 der Insolvenzantrag stets aufrechterhalten werden, wenn die Forderung nach Antragstellung beglichen wird, während die Verfahrenseröffnung bei einem forderungslosen Antrag zuvor nur möglich war, wenn in einem Zeitraum von zwei Jahren vor der Antragstellung bereits ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gestellt worden war und der Antragsteller diesen auch glaubhaft machen konnte. Vom Dispositionsgrundsatz ist der Gesetzgeber damit aber nicht abgewichen. Die Gesetzesänderung ermöglicht dem Gläubiger die Verfahrenseinleitung trotz forderungslosen Antrages und schützt damit die übrigen Gläubiger.443 Mit dieser Möglichkeit geht jedoch nicht zugleich die Pflicht einher, den Antrag aufrechtzuerhalten. Dem antragstellenden Gläubiger bleibt es unbenommen, seinen Antrag zurückzunehmen. Auch wenn es dem Gesetzgeber bei den neuerlichen Änderungen darauf ankam, die Fortsetzung wirtschaftlicher Aktivitäten durch insolvente Unternehmen noch frühzeitiger als bisher zu unterbinden,444 ist er wie schon bei der letzten Gesetzesänderung im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes aus dem Jahr 2011445 vom Antragserfordernis nicht abgerückt.446 Bereits damals hatten Stimmen in der Literatur gefordert, die Dispositionsbefugnis zu beschränken und eine Verfahrenseröffnung durch eine Verkürzung des Rücknahmerechts
440
Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 98. BT-Drucks. 12/2443, S. 113. 442 Zur zivilgerichtlichen Klage im öffentlichen Interesse Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 38. Die Dispositionsmaxime ist zugleich Ausdruck gesetzgeberischer Entscheidung für die Schaffung der Ordnung durch private Interessenverfolgung, vgl. Guski, WM 2011, 103 (104). 443 So wurde bereits in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Neuregelung das Ziel verfolgt, eine möglichst frühe Abklärung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu fördern, vgl. BT-Drucks. 18/7054, S. 16. 444 BT-Drucks. 18/7054, S. 16; Laroche, ZInsO 2015, 2511 (2512) sowie Bußhardt, in: Braun, InsO, § 14 Rz. 40. 445 Art. 3 Haushaltbegleitgesetz 2011 v. 09.12.2010, BGBl. I S. 1893. 446 Vgl. hierzu Kollbach / L odyga / Z anthoff, NZI 2010, 932 (933). 441
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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oder die Statuierung einer Eröffnung von Amts wegen zu gewährleisten.447 Dem Konzept ist der Gesetzgeber abermals nicht gefolgt.448 Vor diesem Hintergrund erscheint es deshalb systemwidrig, eine Erledigungserklärung im Hinblick auf § 1 InsO und das Interesse der Gesamtheit der Gläubiger an der Verfahrenseröffnung als missbräuchlich einzuordnen. Wird der Antrag zurückgenommen oder für erledigt erklärt, besteht stets die Gefahr, dass es im Folgenden zu einer weiteren Verschlechterung der finanziellen Lage des Schuldners kommt und mangels frühzeitiger Verfahrenseinleitung die Befriedigungsaussichten der übrigen Gläubiger gefährdet werden. Dieses Risiko ist jedoch sowohl der Antragsrücknahme als auch der Erledigungserklärung gleichsam immanent. Geschützt werden die Gläubiger im Übrigen durch die Pflicht zur Antragstellung gem. § 15a InsO449 sowie den Umstand, dass jeder Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen und somit das taktische Vorgehen des Antragstellers unterbinden kann.450 Die übrigen Gläubiger stehen also ohnehin nicht rechtlos da. Anders wäre die Frage der Missbräuchlichkeit möglicherweise zu beurteilen, wollte man mit Häsemeyer den Gläubiger als Sachwalter fremder Interessen ansehen451 oder ginge man von einer Treuepflichtbindung der Gläubiger im Vorfeld der Verfahrenseröffnung aus,452 denn eine eigennützige Rücknahme entspräche mit Sicherheit nicht dem Interesse der Gläubigergemeinschaft. Gegen diese Auffassung spricht jedoch das Erfordernis eines individuellen Antragsinteresses eines Gläubigerantrages und die Tatsache, dass der Schutz der übrigen Gläubiger lediglich reflexartig eintritt.453 Im Ergebnis kommt eine auf den Missbrauchseinwand gestützte Einschränkung des Dispositionsgrundsatzes zum Schutze der Befriedigungsaussichten der übrigen 447
So etwa Frind, ZInsO 2005, 790 (791); ders., ZInsO 2010, 1784 (1786); Marotzke, ZInsO 2010, 2163 (2167). 448 Ebenso Foerste, ZInsO 2017, 1263 (1266); AG Hannover, Beschl. v. 28.12.2018 – 908 IN 538/18–7, ZIP 2018, 1080 (1081). 449 Und die damit einhergehende straf- und haftungsrechtliche Verantwortlichkeit, vgl. BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – IX ZB 122/07, NJW-RR 2008, 1439 (1440). 450 Schmahl, NZI 2002, 177 (185). 451 Häsemeyer, Schadenshaftung, S. 155; ders., Insolvenzrecht, Rz. 7.09b. 452 So heißt es etwa bei D. Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, Rz. 353 ff.: „Ziel des vorläufigen Insolvenzverfahrens ist die Bewertung des Vermögens des Schuldners sowie die Verhütung nachteiliger Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners zu Lasten der Insolvenzgläubiger. Die Intensität und der Umfang der Treuepflichten unter den Insolvenzgläubigern werden vom Verfahrensziel des vorläufigen Insolvenzverfahrens geprägt. Die Mitglieder der schlichten Insolvenzgläubiger-Interessengemeinschaft treffen im vorläufigen Insolvenzverfahren aufgrund ihrer passiven Treuepflichten grundsätzlich nur geringe Verpflichtungen. Sie beruhen in erster Linie darauf, dass der einzelne Insolvenzgläubiger oder die Insolvenzgläubigergruppe mit ihren Handlungen keine unberechtigten Sondervorteile aus der Situation des vorläufigen Insolvenzverfahrens gegenüber den anderen Gläubigern zieht.“ 453 Mit Blick auf die Haftung bei fahrlässig gestellten Insolvenzanträgen ebenfalls kritisch Schillgalis, Rechtsschutz des Schuldners bei fahrlässig unberechtigten Insolvenzanträgen, S. 41.
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
Gläubiger damit nicht in Betracht. Das Insolvenzeröffnungsverfahren würde sich auf diese Weise zu sehr einem Amtsverfahren annähern. b) Gefahr des Leerlaufens der Antragspflicht Zwar spricht auch bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechts persönlichkeit, die keinen persönlich haftenden Gesellschafter haben, der Wortlaut des § 13 Abs. 2 InsO im Grunde gegen eine Beschränkung der Dispositionsbefugnis.454 Im Hinblick auf die Gefahr des Leerlaufens der Antragspflicht aus § 15a InsO kann die Antragsrücknahme bei Schuldneranträgen im Einzelfall jedoch missbräuchlich sein. Dies gilt sowohl für den Fall der Auswechslung des vertretungsberechtigten Antragstellers als auch dann, wenn nur einer von mehreren Vertretungsberechtigten den Insolvenzantrag gestellt hat und nunmehr ein anderer Berechtigter diesen zurücknehmen will. aa) Antragspflicht gem. § 15a InsO Während die Erledigungserklärung eines Gläubigerantrages nicht allein deshalb als unwirksam behandelt werden kann, weil sie den übrigen Gläubigern zum Nachteil gereicht, besteht bei Eigenanträgen von juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, im Falle von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eine Antragspflicht. Nach herrschender Ansicht sollen überschuldete und zahlungsunfähige Gesellschaften durch die haftungsbewehrte Antragspflicht vom Geschäftsverkehr ferngehalten werden, um vorhandene und potenzielle Gläubiger zu schützen.455 Hieran ändert auch die teilweise geübte Kritik an der Effektivität der Insolvenzantragspflicht nichts,456 denn sie lässt die gesetzgeberische Zielsetzung unberührt. Im MoMiG-Gesetzesentwurf der Bundesregierung spricht sich der Gesetzgeber unter Berufung auf die Historie der Antragspflicht für die Schutzfunktion zugunsten der Alt- und Neugläubiger aus.457 Aufgrund dieses deutlich 454
So auch die Argumentation von N. Schmidt, ZInsO 2015, 2168 (2169). BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – IX ZB 122/07, NJW-RR 2008, 1439 (1440) Rz. 11; BGH, Urt. v. 06.06.1994 – II ZR 292/91, NJW 1994, 2220 (2222) zum Schutzgesetzcharakter des § 64 GmbHG a. F. Zu dieser Entwicklung Gehrlein, ZInsO 2015, 477. 456 Schädlich, Insolvenzantragspflicht, S. 60 f., der mit Blick auf eine statistische Analyse aufzeigt, dass die Insolvenzantragspflicht keinen merklichen Einfluss auf Insolvenzen von Unternehmen und die Eindämmung masseloser Verfahren hat. 457 BT-Drucks. 16/6140, S. 55: „Anlässlich der Reform des GmbH-Rechts ist es geboten, auf den Sinn und Zweck der Insolvenzantragspflicht abzustellen. Dieser ist ein insolvenzrechtlicher. Bezweckt wird durch die Antragspflicht die rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens und damit der Schutz sowohl der Altgläubiger vor weiterer Verringerung der Haftungsmasse als auch der Neugläubiger vor Vertragsabschluss mit notleidenden Gesellschaften. Dieser Regelungszweck ist von jeher Anliegen des Insolvenzrechts.“ 455
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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formulierten Regelungszwecks kann der Ansicht, die der Insolvenzantragspflicht eine ausschließlich gesellschaftsrechtliche Bedeutung zuteilwerden lässt, nicht gefolgt werden.458 Die Antragspflicht hat in erster Linie insolvenzrechtliche Bedeutung.459 § 15a InsO beschreibt die Voraussetzungen, unter denen die Gesamtvollstreckung mit der gleichmäßigen Befriedigung der Gesamtheit der Gläubiger gem. § 1 InsO Vorrang gegenüber der Individualvollstreckung genießt.460 Damit liegt auf der Hand, warum die Rücknahme des Insolvenzantrages bei einem auf Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestützten Insolvenzantrag grundsätzlich missbräuchlich sein kann. Anders als bei der zuvor besprochenen Beschränkung auf Grundlage von § 1 InsO steht hier im Hinblick auf § 15a InsO mit legislatorischer Autorität fest, dass der Insolvenzantrag zwingend zu stellen ist, wenn einer der beiden dort genannten Eröffnungsgründe vorliegt. Da es bei drohender Zahlungsunfähigkeit bereits keine Pflicht zur Antragstellung gibt, kann die Rücknahme in diesen Fällen auch nicht missbräuchlich sein. Das „Ob“ der Sanierung steht im Ermessen der Gesellschaft.461 Es wäre verfehlt, die Gesellschaft an einem Verfahren festzuhalten, zu dessen Durchführung sie nicht verpflichtet ist. bb) Missbrauch durch Verhinderung einer Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen Wollte man die Rücknahme eines jeden auf Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestützten Insolvenzantrages als unzulässige Rechtsausübung werten, würde dies den Dispositionsgrundsatz jedoch zu sehr zurückdrängen. Dagegen spricht bereits, dass der Gesetzgeber das Rücknahmerecht auch für den Fall, dass der Insolvenzantrag auf einen die Antragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO begründenden Eröffnungsgrund gestützt wurde, nicht eingeschränkt hat. In Betracht kommt die Annahme deshalb überhaupt nur dort, wo der Insolvenzantrag von einer vertretungsberechtigten Person gestellt worden ist, die an der späteren Rücknahme nicht mehr beteiligt ist. Dieser Ansicht scheint auch der BGH zu sein. Vor dem Hintergrund der erweiterten Antragsbefugnis des § 15 Abs. 2 InsO hält er einen Missbrauch nach dem Ausscheiden oder der Auswechslung des Antragstellers für möglich, wenn durch die Rücknahme bereits die Prüfung des Antrages verhindert werden soll.462 Im Grunde dürfte die Rücknahmeerklärung damit als 458 Namentlich Hirte hält die Antragspflicht als solche für wirkungslos. Diese sei nichts anderes als die Grundlage für Haftungsansprüche und demzufolge sei deren Abschaffung bei gleichzeitiger Erweiterung der Gläubigerantragsrechte zu fordern, vgl. Hirte, in: FS Lüer, S. 387 (392); ders., in: FS Schäfer, S. 605 (616 f.). Zustimmend Seibel, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der Gesellschaft, S. 121. Auch Schädlich, Insolvenzantragspflicht, S. 65 betrachtet die Insolvenzantragspflicht als Bestandteil des gesellschaftsrechtlichen Kapitalschutzsystems. 459 Steffek, in: K / P/B, InsO, § 15a Rz. 3. 460 So auch Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (270). 461 Zur Entscheidungsverantwortung des GmbH-Geschäftsführers etwa Geißler, ZInsO 2013, 919 ff. 462 BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – IX ZB 122/07, NJW-RR 2008, 1439 (1440).
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
missbräuchlich zu bewerten sein, wenn diese nicht die Folge einer sachlichen Auseinandersetzung über das Vorliegen der Insolvenzgründe ist, sondern primär mit der Intention erfolgt, dem Gericht die Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen zu entziehen. Das dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn aus Sicht des Gerichts bereits abzusehen sein sollte, dass die Gesellschaft zahlungsunfähig und / oder überschuldet ist, und damit auch tatsächlich eine Antragspflicht besteht.463 Die Dispositionsfreiheit hat dem objektiven Gläubigerinteresse in diesen Fällen zu weichen und es ist dem Schuldner im Hinblick auf das potenzielle Vorliegen eines zur Antragstellung verpflichtenden Insolvenzeröffnungsgrundes ferner zumutbar, den Antrag aufrechtzuerhalten. Als Hinweis auf einen solchen Missbrauch kann gewertet werden, wenn der Antragsteller allein wegen der Antragstellung aus seinem Amt entfernt oder aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde.464 Hierzu kann der ehemalige Antragsberechtigte analog § 15 Abs. 2 Satz 3 InsO gehört werden.465 Der Schuldner steht im Übrigen nicht rechtlos da. Ihm ist in einem solchen Fall vielmehr zumutbar, gegen die spätere Eröffnungsentscheidung im Wege der sofortigen Beschwerde gem. § 34 Abs. 2 InsO vorzugehen. Diese Grundsätze dürften in gleicher Weise für den Fall einer mehrgliedrigen Vertretung gelten, wenn eine vertretungsberechtigte Person den Insolvenzantrag gestellt hat und eine andere Person diesen zurücknehmen will, ohne dass es zwischenzeitlich zu einem Ausscheiden oder einem Austausch der antragstellenden Person gekommen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn man mit einem Teil in Rechtsprechung und Literatur davon ausgeht, dass sich die Rücknahmeberechtigung bei einer mehrgliedrigen Vertretung nach den Vertretungsvorschriften richtet,466 denn auch in diesen Fällen droht andernfalls eine Umgehung der Antragspflicht.467 Vor dem unberechtigten Eigenantrag nur eines Vertretungsberechtigten schützt bei mehrgliedriger Vertretung neben § 34 Abs. 2 InsO zudem § 15 Abs. 2 InsO.468 Folgt man dagegen der Auffassung, die das Rücknahmerecht mit Blick auf die dem Gläubigerinteresse dienende Erweiterung des Antragsrechts gem. § 15 Abs. 1 InsO 463 Ebenso jüngst AG Freiburg, Beschl. v. 11.02.2019 – 8 IN 730/18, NZI 2019, 506 (507). Zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung bestanden angesichts einer Mitteilung des Sachverständigen und vorläufigen Insolvenzverwalters aus Sicht des Gerichts keine Zweifel an der Zahlungsunfähigkeit sowie der Überschuldung. Ähnlich bereits Tetzlaff, jurisPR-InsR 21/2008 Anm. 3. 464 AG Freiburg, Beschl. v. 11.02.2019 – 8 IN 730/18, NZI 2019, 506 (507) sowie Klöhn, in: MüKo, InsO, § 15 Rz. 84. Letzterer weist zu Recht darauf hin, dass für diesen Fall zudem geprüft werden sollte, ob die Organ- bzw. Gesellschafterstellung überhaupt wirksam begründet wurde. Zur Frage der Wirksamkeit der Niederlegung bei geschäftsführendem Alleingesellschafter vgl. BayObLG, Beschl. v. 15.06.1999 – 3Z BR 35/99, ZIP 1999, 1599; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.12.2000 – 3 Wx 393/00, ZInsO 2001, 323. 465 Klöhn, in: MüKo, InsO, § 15 Rz. 84. 466 Hierzu bereits 3. Kapitel III. 2. 467 So dürfte auch der Hinweis von K. Schmidt, ZGR 1998, 633 (655) zu verstehen sein, der für die Rücknahmebefugnis auf die Vertretungsregeln abstellt, aber eine Ausnahme für den Fall des evidenten Missbrauchs der Vertretungsmacht machen will. 468 Haas, DStR 1998, 1359 (1361); Mönning, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 15 Rz. 3.
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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dahingehend beschränken will,469 dass die Antragsrücknahme ausschließlich von derjenigen natürlichen Person erklärt werden kann, die den Antrag auch gestellt hat, dürften die Gläubiger vor einer missbräuchlichen Rücknahme regelmäßig bereits dadurch geschützt werden, dass der Vertretungsberechtigte von seiner Einschätzung im Hinblick auf das Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen, die ihn letztlich zu Antragstellung bewogen haben, regelmäßig nicht abrücken und den Antrag deshalb auch nicht zurücknehmen wird. Der BGH hat zu dieser Frage in der genannten Entscheidung keine Stellung genommen. Da er bereits offenlassen konnte, ob die Rücknahmebefugnis bei mehreren Vertretungsberechtigten im Hinblick auf die §§ 15, 15a InsO einzuschränken ist, musste er sich allerdings auch nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob die Rücknahmeerklärung in diesem Zusammenhang ebenfalls wegen Missbrauchs unwirksam sein kann. In praktischer Hinsicht ist der Einwand des Rechtsmissbrauchs allerdings nur schwerlich nachzuweisen, da kaum feststellbar ist, ob dem Insolvenzgericht durch die Rücknahme die sachliche Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen entzogen werden soll, wenn der Insolvenzantrag noch ungeprüft ist, was bei einer frühzeitigen Rücknahme regelmäßig der Fall sein wird.470 Dies aber steht der Annahme, die Antragsrücknahme könne im Einzelfall missbräuchlich sein, ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass die Rücknahmeerklärung als Verfahrenshandlung einzuordnen ist.471 Bereits an anderer Stelle wurde aufgezeigt, dass der Missbrauchseinwand – wenn auch unter Einschränkungen – gegen Verfahrenshandlungen erhoben werden kann.472 Insbesondere entspricht es der im Zivilprozess herrschenden Meinung, dass die Klagerücknahme des Vertreters einer juristischen Person unzulässig sein kann, wenn diese unter offensichtlichem Missbrauch der Vertretungsmacht erfolgt.473 Die Unsicherheit über die Wirksamkeit einer Rücknahme des Insolvenzantrages kann darüber hinaus gerichtlich geklärt und beseitigt werden. Sofern Ungewissheit über die Wirksamkeit einer verfahrensbeendenden Prozesshandlung besteht und die Eröffnungsentscheidung zum Vornahmezeitpunkt noch nicht entscheidungsreif ist, kann das Insolvenzgericht in einer Zwischenentscheidung gem. § 303 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO feststellen, dass die Prozesshandlung das Insolvenzverfahren nicht beendet hat. Gegen diese Entscheidung ist die sofortige Beschwerde gem. § 269 Abs. 4, 5 ZPO statthaft.474
469
3. Kapitel III. 2. Ebenso Pape, in: K / P/B, InsO, § 13 Rz. 234. Zu der Schwierigkeit eines solchen Nachweises auch Horstkotte, ZInsO 2017, 146 (147); N. Schmidt / Gundlach, DStR 2019, 2088 (2091). 471 So aber Horstkotte, ZInsO 2017, 146 (147) sowie Vuia, NZI 2019, 507 (508). 472 2. Kapitel II. 473 BGH, Beschl. v. 01.03.1962 – II ZR 217/57, II ZR 1/62, BB 1962, 385; Saenger, in: Hk, ZPO, § 269 Rz. 26. 474 Für die Erledigungserklärung gilt die Vorschrift in analoger Anwendung, vgl. LG Duisburg, Beschl. v. 28.11.2008 – 7 T 231/08, NZI 2009, 911; LG Frankenthal, Beschl. v. 17.05.2013 – 1 T 91/13, NZI 2013, 1030 (1031); Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 10 Rz. 26. 470
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1. Teil: Grundlagen und der Missbrauchsvorwurf im Insolvenzverfahren
IV. Zusammenfassung Trotz der Bedeutung als Gesamtvollstreckungsverfahren und der damit einhergehenden Ordnungsfunktion kann das Insolvenzverfahren Gegenstand einer missbräuchlichen Rechtsausübung sein. Der Verfahrenseinleitung kann der Einwand des individuellen Missbrauchs entgegengehalten werden, wenn der Antragsteller sich hierdurch widersprüchlich oder gegenwärtig unredlich verhält. Für Eigenanträge des Schuldners gilt dies allerdings nur, soweit zum Zeitpunkt der Antragstellung kein die Antragspflicht gem. § 15a InsO begründender Eröffnungsgrund vorliegt. Wie im allgemeinen bürgerlichen Recht stehen die Fälle der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke in der Diskussion um den Missbrauch des Insolvenzverfahrens im Vordergrund. Doch dürfte ein Insolvenzantrag mit Ausnahme der Druckanträge unter diesem Gesichtspunkt kaum als missbräuchlich zurückzuweisen sein. Zum einen ist der praktische Anwendungsbereich zahlreicher in diesem Zusammenhang diskutierter Konstellationen äußerst gering. Zum anderen dürften die Voraussetzungen für die Annahme einer missbräuchlichen Verfahrenseinleitung selten vorliegen. Dem Insolvenzrecht ist wie dem Zivilrecht im Allgemeinen eine Motivkontrolle grundsätzlich fremd, sodass dem Antragsteller die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke ohnehin nicht per se zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der Antragstellung im Hinblick auf die Zweckverfolgung ein rechtlich-sittlicher Vorwurf zu machen ist, wovon kaum auszugehen sein dürfte, wenn der Antragsteller die Verfahrenseröffnung intendiert. Für die Annahme eines Missbrauchs genügt es nicht, wenn es diesem lediglich darauf ankommt, dass ein Wettbewerber nach Beendigung des Insolvenzverfahrens aus dem Markt ausscheidet. Hierbei handelt es sich um die regelmäßige Folge eines Insolvenzverfahrens und damit um keinen den Missbrauch begründenden Umstand. Gleiches gilt für den Fall, dass der Antragsteller das Verfahren betreibt, um nach der Verfahrenseröffnung die ihm durch die InsO vermittelten Gestaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs müssen auch in diesem Zusammenhang weitere Umstände hinzukommen. Demgegenüber sind Druckanträge im Hinblick darauf, dass es dem antragstellenden Gläubiger zum Zeitpunkt der Antragstellung überhaupt nicht auf die Durchführung des Insolvenzverfahrens ankommt und er eine Befriedigung seiner Forderung zu Lasten der übrigen Gläubiger erreichen will, zu missbilligen. Sollte sich dem Insolvenzgericht die Eigenschaft als Druckantrag erst zu einem Zeitpunkt offenbaren, zu dem die Eröffnungsvoraussetzungen bereits zur Überzeugung des Gerichts vorliegen, kann der Antrag im Hinblick auf die ursprüngliche Zweckverfolgung jedoch nicht mehr als missbräuchlich zurückgewiesen werden. Eine Schädigung der Gläubiger droht angesichts der Verfahrenseröffnung dann nicht mehr. Der Einwand des institutionellen Missbrauchs ist im Insolvenzrecht mit Blick auf die ausdrückliche gesetzliche Verankerung des Verfahrenszwecks in § 1 InsO demgegenüber ausgeschlossen. Steht der Vorwurf eines objektiv funktionswidrigen Einsatzes einzelner Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb des Insolvenzverfahrens
3. Kap.: Missbrauchsvorwurf und Insolvenzverfahren
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im Raum, ist vorrangig auf das Mittel der teleologischen Reduktion zurückzugreifen. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte in diesem Zusammenhang nicht vom Missbrauch des Insolvenzverfahrens gesprochen werden. Nicht nur der Verfahrenseinleitung kann unter dem Gesichtspunkt unredlichen Verhaltens ein Missbrauchsvorwurf gemacht werden. Als missbräuchlich kann im Einzelfall auch die Rücknahme eines Eigenantrages einer juristischen Person oder Gesellschaft bewertet werden, bei der keine natürliche Person persönlich haftet. Das gilt im Hinblick auf die Gefahr des Leerlaufens der Antragspflicht gem. § 15a InsO dann, wenn die Rücknahme erklärt wird, nachdem der vertretungsberechtigte Antragsteller ausgewechselt wurde oder ausgeschieden ist, und dem Insolvenzgericht hierdurch die sachliche Prüfung eines auf Zahlungsunfähigkeit und / oder Überschuldung gestützten Antrages entzogen werden soll. Geht man davon aus, dass der Insolvenzantrag im Falle mehrfacher Vertretungsberechtigung auch von einer anderen Person als dem Antragsteller zurückgenommen werden kann, dürfte unter den genannten Voraussetzungen ebenfalls von einer missbräuchlichen Rücknahme auszugehen sein. Entgegen der Auffassung einiger Insolvenzgerichte kann bei der Erledigungserklärung eines antragstellenden Gläubigers im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung demgegenüber nicht der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs erhoben werden. Die Dispositionsfreiheit prägt das Insolvenzeröffnungsverfahren und ist einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung geschuldet. Dem Gläubiger bleibt es selbst überlassen, ob er seine Forderung im Wege des Gesamtvollstreckungsverfahrens – auch zugunsten der übrigen Gläubiger – geltend macht. Hielte man ihn an seinem Antrag fest, würde man das Insolvenzverfahren auf diese Weise zu einem Verfahren von Amts wegen machen.
2. Teil
Sanierung und Missbrauchsvorwurf Der Einwand des Rechtsmissbrauchs beschränkt sich nicht auf die bisher erörterten Konstellationen. Das ESUG hat die Attraktivität des Insolvenzverfahrens als Mittel der Reorganisation gesteigert.1 Unternehmer und Unternehmen beschäftigen sich in Krisenzeiten mittlerweile weit im Vorfeld der Insolvenz mit Sanierungsmöglichkeiten.2 Immer wieder ist im Zusammenhang mit einem derartigen strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens vom Missbrauch die Rede, wobei der Einwand im Hinblick auf die Möglichkeit des zwangsweisen Einbezugs der Gesellschafter die größte Aufmerksamkeit genießt. Um dem gegen die Sanierungsinstrumente gerichteten Missbrauchseinwand auf den Grund gehen zu können, gilt es sich in der gebotenen Kürze die Änderungen des ESUG und insbesondere das gesellschaftsrechtliche Gestaltungspotenzial vor Augen zu führen. Hierbei handelt es sich um die Grundlagen für die weitere Untersuchung, denn es ist unerlässlich, sich einen Überblick über die Reichweite und Folgen der gesetzlichen Modifizierungen sowie der dahinterstehenden Regelungszwecke zu verschaffen, um in einem weiteren Schritt ausloten zu können, wo die Grenzen zulässiger Rechtsausübung verlaufen. Sodann ist der Blick auf den im Zusammenhang mit Sanierungsmaßnahmen erhobenen Missbrauchseinwand zu richten. In der Rechtsprechung und Literatur hat sich gezeigt, dass die Möglichkeit des Missbrauchs sowohl für den Schuldner, den Mehrheitsgesellschafter wie auch die Gläubiger diskutiert wird. An dieser Unterteilung orientiert sich auch die weitere Untersuchung, wobei die Art der Darstellung nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die Grenzen mitunter fließend sind. Unter Berücksichtigung der bisher gewonnen Erkenntnisse ist zu klären, ob und inwieweit in Bezug auf Sanierungsmaßnahmen und den strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens berechtigterweise von einem Rechtsmissbrauch gesprochen werden kann. Im Anschluss hieran sollen die Rechtsschutzmöglichkeiten sowie die haftungsrechtlichen Folgen in den unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Fällen erörtert werden.
1
ESUG-Bericht, S. 38 f. Deutlich positiver noch Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (266); Madaus, NZI 2017, 329 (332). 2 Graf Brockdorff / Heintze / Rolle, BB 2014, 1859 (1866); Graf Brockdorff, BB 2013, 3009. So auch die Einschätzung von Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (266).
4. Kap.: Die strategische Insolvenz im deutschen Insolvenzrecht
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4. Kapitel
Die strategische Insolvenz im deutschen Insolvenzrecht Zu Zeiten der KO mangelte es schlichtweg an Regelungen zur Rettung eines Unternehmens, weshalb Sanierungsfälle Seltenheitswert hatten. Selbst nach Einführung der InsO stand das Insolvenzverfahren „im Ruf eines zu vermeidenden Übels“, da hiermit stets unternehmerisches Scheitern verbunden wurde.3 Den gesetzlichen Änderungen des ESUG ist es zu verdanken, dass das Insolvenzrecht in sanierungsrechtlicher Hinsicht mittlerweile einen größeren Gestaltungsspielraum vorsieht. Bevor es um die Frage des Missbrauchs von Sanierungsmaßnahmen geht, soll zunächst das restrukturierungsrechtliche Gestaltungspotenzial des Insolvenzrechts grob umrissen werden. Unter Berücksichtigung der Insolvenzeröffnungsgründe ist darüber hinaus vorab festzustellen, inwieweit auf die Herbeiführung einer Insolvenzsituation und damit auf die Anwendbarkeit der insolvenzrechtlichen Vorschriften Einfluss genommen werden kann.
I. Sanierungsmöglichkeiten des Insolvenzrechts 1. Frühere Rechtslage In der KO stand die Zerschlagungsinsolvenz im Vordergrund.4 Daran hat auch die Einführung der VerglO nichts geändert, die bis zu ihrer Abschaffung im Rahmen der Einführung der InsO ein regelrechtes Schattendasein fristete. Gerade einmal ein Prozent der Insolvenzen wurde über die gesetzlichen Gestaltungs möglichkeiten der VerglO gelöst. Grund für die praktische Bedeutungslosigkeit des Vergleichsverfahrens war insbesondere der stark eingeschränkte Anwendungs bereich, denn das Verfahren konnte lediglich in den Fällen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eingeleitet werden. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die für die Sanierung erforderliche Masse bereits zu stark geschmälert, sodass auch die Mindestquote gem. § 7 VerglO nicht mehr erreicht werden konnte.5 Dementsprechend war es das erklärte Ziel der InsO, das größtenteils funktionsunfähig gewordene Konkurs- und Vergleichsrecht zu modernisieren.6 Der Gesetzgeber wollte unter anderem die Fälle der Massearmut bekämpfen und darüber hinaus
3
Eidenmüller, ZIP 2014, 1197; Hübler, Die Eigenverwaltung des Schuldners als Instrument der Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren, S. 2. Zu der Entwicklung im US-amerikanischen Insolvenzrecht vgl. Delaney, Strategic Bankruptcy, S. 11 ff. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 72; Hübler, Die Eigenverwaltung des Schuldners als Instrument der Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren, S. 30 ff. 5 Hierzu Hübler, Die Eigenverwaltung des Schuldners als Instrument der Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren, S. 32. 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 1.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
auch die Sanierungschancen krisengeschüttelter Unternehmen erhöhen. Zu diesem Zweck führte er das Insolvenzplanverfahren ein, womit es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht werden sollte, die Sanierung, Entschuldung und auch die Verwertung selbst zu regeln.7 Für gesellschaftsrechtliche Beschlüsse galten jedoch auch nach Einführung der InsO die Vorschriften des Gesellschaftsrechts, sodass Sanierungsmaßnahmen in dieser Hinsicht nur im Einverständnis mit den Gesellschaftern getroffen werden konnten.8 Um die Restrukturierungsmöglichkeiten darüber hinaus zu verbessern und eine frühzeitige Verfahrenseinleitung zu ermöglichen, wurde ferner der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit eingeführt.9 Die im Zuge der Insolvenzrechtsreform geschaffene Eigenverwaltung des Schuldners sollte die Geschäftsleitung eines existenzbedrohten Unternehmens zu einer frühzeitigen Verfahrenseinleitung motivieren und damit ebenfalls der Sanierung dienen.10 2. Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) a) Gesetzliche Änderungen Da weder das Insolvenzplanverfahren, die Eigenverwaltung noch der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit in der erwarteten Weise zum Einsatz kamen,11 wurden schon bald Forderungen nach einer legislatorischen Nachbesserung laut. Diese mündeten sodann in das am 13. Dezember 2011 verkündete Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG).12 Das Gesetz brachte zahlreiche Neuerungen mit sich, ohne jedoch die grundsätzliche Sanierungskonzeption der InsO zu verändern.13 Der Gesetzgeber hat sich ganz be-
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BT-Drucks. 12/2443, S. 90 ff. Umfassend zu den Schwächen der gesetzlichen Regelungen vor Einführung des ESUG Brüning, Gesellschafter und Insolvenzplan, S. 87 ff.; Gräfin v. Spee, Gesellschafter im Reorganisationsverfahren, S. 81 ff., 128 f.; Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 39 ff.; Thies, in: HambK, InsO, Vorbem. zu §§ 217 ff. Rz. 4. 9 BT-Drucks. 12/2443, S. 80, 84. 10 BT-Drucks. 12/2443, S. 100; Hübler, Die Eigenverwaltung des Schuldners als Instrument zur Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren, S. 76 ff. 11 Zum Planverfahren Thies, in: HambK, InsO, Vorbem. zu §§ 217 ff. Rz. 28 f.; Eidenmüller, in: MüKo, InsO, Vor §§ 217–269 Rz. 64; Vallender, NZI 2010, 838 (841). Zur Eigenverwaltung C. Kern, in: MüKo, InsO, Vor §§ 270–285 Rz. 16 ff. Zur drohenden Zahlungsunfähigkeit Drukarczyk, in: MüKo, InsO, § 18 Rz. 3; Schröder, in: HambK, InsO, § 18 Rz. 3; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rz. 5 ff.; Brinkmann, in: K. Schmidt / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 5.39. So auch die Einschätzung des Gesetzgebers, vgl. BT-Drucks. 1/5712, S. 17. 12 Hübler, Die Eigenverwaltung des Schuldners als Instrument der Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren, S. 129 ff. 13 Curtze, Der strategische Einsatz des Insolvenzplanverfahrens durch den Vorstand der AG, S. 14; Eidenmüller, in: MüKo, InsO, Vor §§ 217–269 Rz. 68, 70; J. Heinrich, NZI 2012, 235; K. Schmidt, BB 2011, 1603 (1604). 8
4. Kap.: Die strategische Insolvenz im deutschen Insolvenzrecht
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wusst für einen „Relaunch“14 des Insolvenzplanverfahrens entschieden. Im Zuge der Reform wurde die Gläubigermitwirkung im Insolvenzverfahren ausgedehnt, das Insolvenzplanverfahren durch die Erweiterung der Instrumente zum Eingriff in die Gesellschafterrechte gestärkt und die Eigenverwaltung gefördert.15 Für die Eigenverwaltung ist seither gem. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO lediglich zu fordern, dass keine Umstände bekannt sind, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen.16 Ferner verhindert § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO, dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird oder sein Handeln unter einen Zustimmungs vorbehalt gestellt wird.17 Von Bedeutung für die Sanierung ist ferner das in § 270b InsO verankerte Schutzschirmverfahren, denn es erlaubt dem Schuldner, die Sanierung in Eigenverwaltung selbst vorzubereiten.18 Hierbei handelt es sich um ein Eröffnungsverfahren, das dem Schuldner in besonderem Maße Handlungsbefugnisse überlässt19 und darüber hinaus die einzelnen Sanierungsinstrumente der InsO gewissermaßen miteinander verknüpft.20 b) Gesellschaftsrechtliches Gestaltungspotenzial in der Insolvenz Zu den wichtigsten Regelungen zählt die Möglichkeit eines zwangsweisen Einbezugs von Gesellschaftern, denn bis zu den gesetzlichen Änderungen des ESUG waren im Insolvenzplanverfahren ausschließlich die Gläubiger zwangsweise planunterworfen.21 Hierdurch können weitreichende Änderungen der gesellschaftsrechtlichen Strukturen erreicht werden.22 Es verwundert daher kaum, dass die Möglichkeit zur Vornahme gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen das Interesse an der Durchführung eines Insolvenzverfahrens gesteigert hat.23 Die grundlegende 14
Die Bezeichnung stammt von Frind, ZInsO 2010, 1426. K. Schmidt, BB 2011, 1603 (1606 ff.); Göb, NZG 2012, 371 f. 16 BT-Drucks. 17/5712, S. 38; Hölzle, ZIP 2012, 158 ff.; Hübler, Die Eigenverwaltung des Schuldners als Instrument zur Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren, S. 143 ff. 17 BT-Drucks. 17/5712, S. 39. 18 BT-Drucks. 17/5712, S. 40; Schelo, ZIP 2012, 712 ff.; Hübler, Die Eigenverwaltung des Schuldners als Instrument zur Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren, S. 204 ff. 19 BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 20 Curtze, Der strategische Einsatz des Insolvenzplanverfahrens durch den Vorstand der AG, S. 18; Pape, in: K / P/B, InsO, § 270b Rz. 13. 21 In dogmatischer Hinsicht gibt es mehrere Begründungsansätze zur Einbeziehung der Gesellschafter, vgl. Prusko, Gesellschafterstellung in der Insolvenz, S. 150 ff.; Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 171 ff.; Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 41 ff. Mitunter werden sie auch als „doppelt-nachrangige Gläubiger“ bezeichnet, vgl. Thole, ZIP 2013, 1937 (1943); Bitter, ZGR 2010, 147 (191). 22 Seit den Änderungen lässt sich das Insolvenzplanverfahren nicht mehr als gesellschaftsrechtlich neutral beschreiben, vgl. Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 209; Simon / Merkelbach, NZG 2012, 121 f.; Hölzle, ZIP 2014, 1819 (1820); Römermann, GmbHR 2012, 421 (422); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 63 ff. 23 Laroche / Pruskowski / Schöttler / Siebert / Vallender, ZIP 2014, 2153 (2159); ESUG-Bericht, S. 164 ff.; Eidenmüller, in: MüKo, InsO, Vor §§ 217–269 Rz. 66 sowie 72 f. 15
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Vorschrift für die Eingriffe in die Rechte der Gesellschafter ist § 225a Abs. 3 InsO. Demnach kann im Insolvenzplan jede Regelung getroffen werden, „die gesellschaftsrechtlich zulässig“ ist. § 225a Abs. 2 und Abs. 3 InsO werden übereinstimmend zumindest dahingehend verstanden, dass jedenfalls der Form nach sämtliche aus dem Gesellschaftsrecht bekannten Maßnahmen getroffen werden können. Hierzu zählen die (zwangsweise) Übertragung von Anteilen, auch im Rahmen eines Debt Equity Swaps, die Fortsetzung der Gesellschaft, der Ausschluss von Bezugsrechten und darüber hinausgehende Strukturmaßnahmen wie etwa Satzungsänderungen oder Umwandlungsbeschlüsse nach dem UmwG.24 Streit herrscht indessen über das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zum Insolvenzrecht, denn außerhalb eines Insolvenzverfahrens genießen die Gesellschafter einen umfassenderen Schutz.25 In der folgenden Untersuchung wird auf das Verhältnis von Gesellschafts- zum Insolvenzrecht nur für die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht genauer einzugehen sein, da der Vorwurf des Missbrauchs nach einer teilweise vertretenen Ansicht hieraus abzuleiten ist.
II. Strategische Insolvenz als Besonderheit des Sanierungsrechts Der weitreichende Gestaltungsspielraum ebnet den Weg, die InsO zur Erreichung von Zielen einzusetzen, die sich außerhalb des Insolvenzverfahrens insbesondere wegen vorrangiger gesellschaftsrechtlicher Regelungen nicht erreichen ließen, und eröffnet damit zugleich die Möglichkeit für einen strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens im deutschen Recht.26 Als strategisch ist der Einsatz des Insolvenz 24
Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 229 ff.; Eidenmüller, in: MüKo, InsO, § 225a Rz. 23 ff.; Hölzle, in: HRI, § 31 Rz. 30 ff.; Brünkmans, ZInsO 2014, 993. Der Debt Equity Swap wird als Spezialfall einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme verstanden, vgl. Eidenmüller, in: MüKo, InsO, § 225a Rz. 28 mit Verweis auf BT-Drucks. 17/5712, S. 32. 25 Im Einzelfall ist umstritten, inwieweit gesellschaftsrechtliche Vorgaben zu beachten sind. Da die Anforderungen von der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Maßnahme abhängen, lässt sich kaum ein umfassendes Meinungsbild zeichnen. Uneinigkeit besteht bereits hinsichtlich der Geltung allgemeiner gesellschaftsrechtlicher Schutzmechanismen wie Treuepflichten, des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und Minderheitenschutzes, wenngleich die herrschende Meinung von einem Vorrang des Insolvenzrechts ausgeht, vgl. hierzu Haas, in: HK, InsO, § 225a Rz. 8 f.; ders., NZG 2012, 961 (965); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 81 ff.; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 35; Eidenmüller, NJW 2014, 17 (18); ders., in: MüKo, InsO, § 225a Rz. 77 ff.; Hölzle, ZIP 2015, 83 (85); Decher / Voland, ZIP 2013, 103 (106); Brünkmans, ZInsO 2014, 993 (996); Smid / Rattunde / Martini, Insolvenzplan, Rz. 9.6 und 9.10. Abweichend etwa Simon / Merkelbach, NZG 2012, 121 (125); C. Schäfer, ZIP 2014, 2417 (2418 ff.); ders., ZIP 2015, 1208 (1209 f.); Klausmann, NZG 2015, 1300 (1304); Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 225a Rz. 41. Kritisch auch Böcker, ZInsO 2015, 773 (780 f.). 26 Nicht umsonst wird der Fall um die Suhrkamp Verlagsgesellschaft auch als „Geburtsstunde der strategischen Insolvenz in Deutschland“ bezeichnet, vgl. Hölzle, ZIP 2015, 83 (84). Die Bezeichnung wählen in diesem Zusammenhang auch Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1198); Bähr, EWiR 2015, 49 (50); Brinkmann, ZIP 2014, 197 („strategischer Eigenantrag“); Mönning,
4. Kap.: Die strategische Insolvenz im deutschen Insolvenzrecht
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verfahrens zu bezeichnen, wenn der Antrag im Hinblick auf die Erreichung eines wirtschaftlichen Ziels freiwillig gestellt wurde.27 Die Bezeichnung entstammt dem US-amerikanischen Insolvenzrecht, wo das Chapter 11-Verfahren des Bankruptcy Codes schon seit Längerem eingesetzt wird, um bestimmte wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Das Verfahren wird dort im Sinne einer „business strategy“28 oder „corporate strategy“29 verstanden.30 Dem deutschen Insolvenzrecht war der Begriff bislang fremd. Ein wirtschaftlich sinnvoller Einsatz des Insolvenzverfahrens war faktisch ausgeschlossen. Die bisherige Darstellung hat gezeigt, dass nach Verfahrenseröffnung kaum Gestaltungsmöglichkeiten verblieben, die einen strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens sinnvoll erscheinen ließen.31 Seit den Neuerungen des ESUG wird das Insolvenzverfahren jedoch auch in Deutschland als echte Handlungsalternative wahrgenommen.32 Im Hinblick auf den Bedeutungszuwachs von Unternehmensinsolvenzen hat sich der Begriff zwar gerade für Schuldneranträge durchgesetzt,33 doch können auch Gläubiger ein Interesse an der Durchführung des Insolvenzplanverfahrens haben. Für die Annahme einer strategischen Insolvenz ist ferner nicht zwingend zu fordern, dass bereits die Verfahrenseinleitung strategisch zum Zwecke der Vornahme gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsmaßnahmen erfolgt. Auch wenn nur einzelne Maßnahmen innerhalb des Insolvenzverfahrens, deren Vornahme bei Verfahrenseinleitung noch nicht geplant war, strategisch eingesetzt werden, kann von einem strategischen Einsatz des gesamten Insolvenzverfahrens gesprochen werden.34
in: FS Kübler, S. 431 ff.; Böcker, DZWIR 2015, 125; ders., ZInsO 2015, 773 („strategisch geplante Insolvenz“); Cranshaw / Knöpnadel, ZInsO 2016, 357 (364); Hölzle, in: FS Derleder, S. 223 („strategische Option“); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 7 ff.; Seibt / Bulgrin, ZIP 2017, 353 (354); Skauradszun, DB 2014, 2694; K. Schmidt, in: ders. / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 4.4; Graf Brockdorff / Heintze / Rolle, BB 2014, 1859 (1860) („strategische Alternative“). Schlussendlich hat die Bezeichnung auch im Rahmen der Evaluierung des ESUG ihren Platz gefunden, vgl. ESUG-Bericht, S. 177. 27 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1198). 28 Delaney, Strategic Bankruptcy, S. 4. 29 Delaney, Strategic Bankruptcy. S. 34. 30 In der Vergangenheit gab es einige Fälle, anhand derer sich die unterschiedlichen Zielsetzungen erkennen lassen. Diese hat Delaney, Strategic Bankruptcy, S. 60 ff. eingehend untersucht. Auch in deutschen Abhandlungen werden sie aufgegriffen, vgl. Eidenmüller, ZIP 2014, 1197; Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 9 ff. 31 So dürfte die vom BGH entschiedene Fallgruppe der Beendigung von Dauerschuldverhältnissen nach heutiger Rechtslage zumindest aus Gläubigersicht nicht mehr möglich sein, vgl. hierzu bereits 3. Kapitel II. 1. a) cc) (2) (a) (dd). 32 Ehlers, BB 2013, 1539 spricht davon, dass es zur Manager- und Beratungspflicht in Insolvenznähe gehört, die Optionen der InsO strategisch einzubeziehen. Vgl. hierzu auch ESUG-Bericht, S. 177. 33 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1198). So wird auch im US-amerikanischen Recht regelmäßig ein Missbrauch durch den Schuldner erörtert, vgl. Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 113. 34 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1198).
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Von der strategischen Insolvenz im hier verstandenen Sinne sind die Fälle des forum shoppings zu trennen.35 Das forum shopping beschreibt eine Situation, in der der Verfahrensstandort strategisch ausgewählt wird, „um ein für den Antragsteller möglichst günstiges Recht zur Anwendung zu bringen“.36 Die internationale Zuständigkeit der Insolvenzgerichte bestimmt sich ebenso wie das auf das Insolvenzverfahren anwendbare Recht gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nach dem COMI. Zur Begrenzung der Verlagerung des COMI mit dem Ziel, die Zuständigkeit sowie das anwendbare Recht zu beeinflussen, wird zwar ebenso auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs zurückgegriffen.37 Allerdings geht es dabei nicht um die Grenzen materiell-rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, sodass das forum shopping auch nicht Gegenstand der weiteren Untersuchung sein soll.
III. Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die Insolvenzgründe Angesichts des erweiterten Handlungsspielraums stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Regulierungsbedürftigkeit strategischer Insolvenzen und der Gefahr des Missbrauchs. Grundsätzlich gilt: Je geringer die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausübung eines Rechts sind, desto größer ist die Gefahr einer zweckwidrigen und damit dem allgemeinen Sprachgebrauch nach missbräuchlichen Ausübung.38 Aufschluss über das Missbrauchspotenzial der Handlungsbefugnisse des ESUG geben damit die Insolvenzeröffnungsgründe, denn sie bilden im Zusammenspiel mit der Verfahrenseröffnung die Voraussetzung für die Vornahme von Sanierungsmaßnahmen im Rahmen des Insolvenzverfahrens.39 Es ist insbesondere zu klären, inwieweit die Verfahrensbeteiligten Einfluss auf die Eröffnungsgründe der Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO, der drohenden Zahlungsunfähigkeit gem. 35
So auch Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 22. Brinkmann, in: K. Schmidt, InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 2. 37 Genau genommen ist strittig, ob auf die Rechtsmissbrauchslehre zurückzugreifen ist oder eine enge Auslegung des COMI genügt, vgl. Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 40. Für die Missbrauchslehre Eidenmüller, in: de la Feria / Vogenauer, Prohibition of Abuse of Law, S. 137 (144 ff.); Reuß, forum shopping, S. 199 ff.; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, S. 370 ff.; Schneider, Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht, S. 155 ff. Dagegen Thole, ZZP 122, 423 (439); Brinkmann, in: K. Schmidt, InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 16. Für eine zurückhaltende Anwendung des Rechtsmissbrauchsgedankens auch Gruber, in: FS Schilken, S. 679 (684 ff.). Zur Problematik des forum shoppings im US-amerikanischen Insolvenzrecht vgl. LoPucki, Courting Failure, S. 9 ff. 38 Der Gesetzgeber bestimmt den Sinn und Zweck eines Rechts in erster Linie selbst, sodass der Einwand der Zweckwidrigkeit insbesondere dann anzunehmen ist, wenn das Gesetz Gestaltungsmöglichkeiten gestattet, die der Gesetzgeber übersehen hat und die sich erst im Nachhinein herausstellen. Entscheidendes Kriterium der Unzulässigkeit ist, ob der Gesetz geber diese Handlungsmöglichkeit unterbunden hätte, vgl. BSG, Urt. v. 25.06.2009 – B 10 EG 3/08 R, NJW 2010, 1485 (1486). 39 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1201) bezeichnet sie als „regulatorische Weichenstellung“. Hierzu auch Flessner, KTS 2010, 127 (143); Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 154. 36
4. Kap.: Die strategische Insolvenz im deutschen Insolvenzrecht
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§ 18 InsO sowie der Überschuldung gem. § 19 InsO nehmen können. Nur so kann deren regulierende Wirkung bewertet und festgestellt werden, ob der Missbrauchseinwand gerade bei strategischen Eigenanträgen – wie es teilweise behauptet wird – nahezu unmöglich ist.40 1. Zahlungsunfähigkeit Der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit bietet nur ein geringes Gestaltungspotenzial. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Tatbestand trotz der herrschenden Auffassung von einer Zeitraumilliquidität stichtagsbezogen ist.41 Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, vgl. § 17 Abs. 2 InsO. Zahlungsunfähigkeit beschreibt damit die Situation der Geldilliquidität.42 Kann der Schuldner zehn oder mehr Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten für mehr als drei Wochen nicht tilgen, so ist er zahlungsunfähig.43 Einflussmöglichkeiten auf den Liquiditätsstatus haben Gläubiger wie auch Gesellschafter zwar insofern, als es ihnen überlassen bleibt, ob sie eine fällige Forderung ernsthaft einfordern und damit dafür sorgen, dass die Verbindlichkeit in die Liquiditätsbilanz aufgenommen wird.44 Für Gesellschafterforderungen gilt dies jedoch ohnehin nur, soweit der Geltendmachung keine gesellschaftsrechtlichen Einwendungen, wie beispielsweise gesellschaftsrechtliche Treuepflichten, entgegenstehen.45
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So Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1202). Der Einwand könne nur erhoben werden, wenn ein Insolvenzgrund manipulativ herbeigeführt worden sei. 41 BGH, Urt. v. 24.05.2005 – IX ZR 123/04, NJW 2005, 3062; BGH, Urt. v. 27.03.2012 – II ZR 171/10, NZG 2012, 672; Pohl, Zahlungsunfähigkeit, S. 68. 42 Brahmstaedt, Zahlungsunfähigkeit, S. 46; K. Schmidt, in: ders., InsO, § 17 Rz. 14. 43 BGH, Urt. v. 08.12.2005 – IX ZR 182/01, NJW 2006, 1348 (1350 f.); BGH, Urt. v. 24.05.2005 – IX ZR 123/04, NJW 2005, 3062 (3064); Bußhardt, in: Braun, InsO, § 17 Rz. 8 ff.; Mönning / Gutheil, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 17 Rz. 19. 44 Für Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern gilt dies ohnehin nur, wenn man diese in die Liquiditätsprüfung miteinbezieht, vgl. Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 87; H .-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 17 Rz. 11. Umstritten ist dies unter anderem in den Fällen, in denen sich Leistungsverweigerungsrechte aus § 64 Satz 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG, §§ 130a Abs. 1 Satz 3, 177a HGB ergeben. Für die Berücksichtigung trotz § 64 Satz 3 GmbHG etwa Haas, in: Baumbach / Hueck, GmbHG, Vor § 64 Rz. 10a; Brahmstaedt, Zahlungsunfähigkeit, S. 78 ff. Dagegen Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 94; K. Schmidt, in: ders., InsO, § 17 Rz. 10. 45 So bereits Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 120 ff., der ferner auf die Grundsätze der Kapitalerhaltung und das Verbot der Insolvenzverursachung verweist. Die (zeitweise) begrenzende Wirkung der Treuepflichten ist anerkannt, vgl. Grunewald, in: MüKo, HGB, § 169 Rz. 7; Roth, in: Baumbach / Hopt, HGB, § 169 Rz. 3; ders., in: Baumbach / Hopt, HGB, § 122 Rz. 9; Ehricke, in: E / B/J / S, HGB, § 122 Rz. 34a; Fölsing, ZInsO 2013, 1325 (1328); Meyer, ZInsO 2013, 2361 (2362); OLG Bamberg, Urt. v. 17.06.2005 – 6 U 56/04, NZG 2005, 808, und grundsätzlich auch auf Kapitalgesellschaften übertragbar, vgl. Merkt, in: MüKo, GmbHG, § 13 Rz. 148; Fastrich, in: Baumbach / Hueck, GmbHG, § 13 Rz. 27.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
2. Überschuldung Mehr Gestaltungsspielraum bietet demgegenüber der Insolvenzgrund der Überschuldung. Von einer Überschuldung ist auszugehen, wenn die Aktiva des Schuldners nicht mehr ausreichen, um die Verbindlichkeiten der Gläubiger zu decken.46 Der Tatbestand der Überschuldung ist in § 19 Abs. 2 InsO legaldefiniert. Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff setzt sich aus der rechnerischen Überschuldung und dem Fehlen einer positiven Fortführungsprognose zusammen.47 Wie bei der Liquiditätsprüfung im Rahmen von § 17 InsO sind Gesellschafterforderungen auch bei der Überschuldungsprüfung zu berücksichtigen, zumindest sofern diesbezüglich keine Rangrücktrittserklärungen gem. § 39 Abs. 2 InsO abgegeben worden sind, vgl. § 19 Abs. 2 InsO. Weil den Gesellschaftern die Entscheidung über die Abgabe einer Rangrücktrittserklärung freigestellt ist, kann man in dieser Hinsicht zwar von einer Einflussmöglichkeit sprechen,48 einen größeren Gestaltungsspielraum gegenüber dem Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit bietet die Überschuldung jedoch vor allem im Hinblick auf die bilanzielle Überschuldungsprüfung. So kann die Geschäftsführung unter Umständen übermäßige – in bilanzrechtlicher Hinsicht unbedenkliche – Rückstellungen gem. §§ 249, 253 Abs. 1 Sätze 2, 3 sowie Abs. 2 HGB bilden, um die Überschuldung herbeizuführen.49 Dies gilt allerdings nur vorbehaltlich der gesellschaftsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften50 und Treuepflichten, die neben die handelsrechtlichen Regeln der §§ 238 ff. HGB treten und Bilanzierungsmaßnahmen ebenfalls beschränken können.51 3. Drohende Zahlungsunfähigkeit Auch der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit ermöglicht einen erweiterten Gestaltungsspielraum. Hierbei handelt es sich um eine „Neuschöpfung“52 der InsO, die auf den Ersten Bericht der Insolvenzrechtskommission 46
Leithaus, in: Andres / ders., InsO, § 19 Rz. 2. K. Schmidt, in: ders., InsO, § 19 Rz. 13; Schröder, in: HambK, InsO, § 19 Rz. 10; Hüttinger, Vorinsolvenzliche Sanierung des Unternehmensträgers, S. 132 ff. 48 So auch Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 127. Zur „Tiefe“ der Rangrücktrittserklärung BGH, Urt. v. 05.03.2015 – IX ZR 133/14, NJW 2015, 1672; Vallender, NJW 2016, 1360 (1361). 49 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1202). Allgemein zur Passivierungsfähigkeit Kühne, in: Nickert / Lamberti, Überschuldungs- und Zahlungsunfähigkeitsprüfung, Rz. 922 ff.; T. Schäfer, Überschuldung, S. 150 ff. Mit Vorschlägen zu Einschränkungsmöglichkeiten vgl. auch ESUG-Bericht, S. 177. 50 Priester, in: MüKo, HGB, § 120 Rz. 12; C. Schäfer, in: Staub, HGB, § 120 Rz. 7 und 10; Haas, in: Röhricht / Graf von Westphalen / ders., in: HGB, § 120 Rz. 5. 51 BGH, Urt. v. 14.02.1974 – II ZR 76/72, WM 1974, 392 (393); BGH, Urt. v. 29.03.1996 – II ZR 263/94, NJW 1996, 1678 (1681); Priester, in: MüKo, HGB, § 120 Rz. 63; C. Schäfer, in: Staub, HGB, § 120 Rz. 20; Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 128 f. 52 K. Schmidt, in: ders., InsO, § 18 Rz. 1. 47
4. Kap.: Die strategische Insolvenz im deutschen Insolvenzrecht
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zurückgeht.53 Ausweislich der Regierungserklärung wurde er geschaffen, um dem Schuldner Gelegenheit zu geben, bereits vor Eintritt der materiellen Insolvenz „Gegenmaßnahmen einzuleiten“.54 Der Eröffnungstatbestand ist daher insbesondere im Zusammenhang mit den Sanierungsoptionen der InsO zu sehen. Drohende Zahlungsunfähigkeit bedeutet prognostizierte Zahlungsunfähigkeit.55 Gemäß § 18 Abs. 2 InsO droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Einigkeit besteht darüber, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher sein muss als der Nichteintritt.56 Streitig ist demgegenüber, welche Verbindlichkeiten bei der Prüfung drohender Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind und von welcher Dauer hinsichtlich des Prognosezeitraums auszugehen ist.57 Der BGH hat festgestellt, dass bestehende Zahlungspflichten selbst dann zu berücksichtigen sind, wenn die Fälligkeit im Prognosezeitraum nicht sicher, aber überwiegend wahrscheinlich ist.58 Zur Dauer des Prognosezeitraums hat er sich bisher jedoch nicht geäußert.59 Die herrschende Auffassung in der Literatur geht von einem Zeitraum von zwei Jahren aus.60 4. Fazit: Insolvenzeröffnungsgründe lassen Gestaltungsspielraum Zwar beschreiben Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung wirtschaftlich kritische Situationen, in denen es um die Erhaltung und die Erhöhung der Haftungsmasse geht. Aus diesem Grund führt das Insolvenzverfahren dann zumeist auch zu einer Restrukturierung der Finanzen61 und die Restrukturierungsmaßnahmen dienen bereits objektiv der Gläubigerbefriedigung. Gleichwohl kann es zu Konstellationen kommen, in denen die Gläubigerbefriedigung im Rahmen insolvenzrechtlicher Restrukturierungen nicht im Vordergrund steht,62 was darauf 53
Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 110. BT-Drucks. 12/2443, S. 114. 55 K. Schmidt, in: ders., InsO, § 18 Rz. 12. 56 BGH, Urt. v. 05.12.2013 – IX ZR 93/11, ZInsO 2014, 77 (78). Die Wahrscheinlichkeit muss über 50 Prozent liegen, vgl. Schröder, in: HambK, InsO, § 18 Rz. 11; Rüntz / L aroche, in: HK, InsO, § 18 Rz. 12; Mönning, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 18 Rz. 24. 57 Überblicksartig zum Meinungsstand Schröder, in: HambK, InsO, § 18 Rz. 6, 12; Pape, in: K / P/B, InsO, § 18 Rz. 6 ff., 9 ff. 58 BGH, Urt. v. 05.12.2013 – IX ZR 93/11, ZInsO 2014, 77 (78); BGH, Urt. v. 22.05.2014 – IX ZR 95/13, ZInsO 2014, 1326 (1330). 59 BGH, Urt. v. 22.05.2014 – IX ZR 95/13, ZInsO 2014, 1326 (1331). 60 Rüntz / L aroche, in: HK, InsO, § 18 Rz. 7; Leithaus, in: Andres / ders., InsO, § 18 Rz. 5; H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 7; Pape, in: K / P/B, InsO, § 18 Rz. 9; Bremen, in: Graf-Schlicker, InsO, § 18 Rz. 12; Gundlach, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 19. Demgegenüber stellen K. Schmidt, in: ders., InsO, § 18 Rz. 27; Bußhardt, in: Braun, InsO, § 18 Rz. 8 auf den Einzelfall ab. 61 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1202). 62 Dies muss auch Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1202) eingestehen. 54
104
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
zurückzuführen ist, dass man die Regulierungs- oder auch Filterfunktion der Insolvenzgründe durchaus kritisch bewerten kann.63 Anlass hierzu geben die skizzierten Handlungsspielräume.64 Das gilt insbesondere für den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit, der sich als prospektiver Eröffnungsgrund65 als variabel erweist.66 Zur Zeit der Antragstellung liegt nämlich noch keine materielle Insolvenz oder auch Insolvenz im „eigentlichen Sinne“ vor,67 sodass sich die Behauptung einer regulierenden Wirkung der Eröffnungsgründe jedenfalls für diesen Eröffnungsgrund nicht ohne Einschränkung aufrechterhalten lässt. Auch der BGH scheint diese Auffassung zu teilen. Er hat im Rahmen einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 zur Anerkennung des Chapter 11-Verfahrens als Insolvenzverfahren auf die Gemeinsamkeiten zum deutschen Insolvenzrecht hingewiesen. Dem Einwand, dass das Chapter 11-Verfahren im Gegensatz zum deutschen Recht keinen Eröffnungsgrund voraussetze, hielt er den Eröffnungsgrund des § 18 InsO entgegen.68 Diesen Unterschied zum amerikanischen Recht stuft der BGH zwar als „graduell erheblich“, aber nicht als „prinzipiell“ ein. Damit besteht vor allem bei drohender Zahlungsunfähigkeit aus Gesellschaftersicht das Risiko, dass das Insolvenzrecht aus ihrer Sicht zweckwidrig zur Vornahme gesellschaftsrechtlicher Änderungen eingesetzt wird, ohne dass diese Maßnahmen einen unmittelbaren Bezug zur Gläubigerbefriedigung haben.69
IV. Zusammenfassung Das ESUG hat das Insolvenzrecht in erheblichem Maße verändert, indem es die „gesellschaftsrechtliche Neutralität“ des Insolvenzplanverfahrens aufgehoben hat, Eingriffe in die Rechte der Gesellschafter zulässt und auch im Übrigen Sa 63
Vgl. auch R. Fischer, NZI 2013, 823 (827), der aufzeigt, dass die Insolvenztatbestände keinen vollständigen Schutz davor bieten, dass das Verfahren zu einem Zeitpunkt eröffnet wird, zu dem der Wert der Mitgliedschaft noch einen positiven Wert aufweist. Auch Haas, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 91 Rz. 42 spricht von einem „weiten Beurteilungsspielraum“. 64 Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rz. 7; Nickert, in: ders. / Lamberti, Überschuldungs- und Zahlungsunfähigkeitsprüfung, Rz. 212 ff. 65 Vgl. hierzu Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 35 mit weiteren Nachweisen. 66 Tetzlaff, ZInsO 2008, 137 (143). Viel drastischer Siemon, ZInsO 2014, 172 (175), der davon spricht, dass „die Insolvenzgründe faktisch in die Disposition der das Verfahren betreibenden Beteiligten“ gestellt werden. So spricht auch K. Schmidt lediglich von einem „gewissen Schutz“ der Minderheitsgesellschafter. Gegen einen Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit sei demgegenüber nur die Mehrheit geschützt, vgl. K. Schmidt, in: ders. / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 4.8; deutlich wird dies auch bei Krull, Stellung und Schutz des Mehrheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 270 f. 67 Madaus, Insolvenzplan, S. 8 f. 68 BGH, Urt. v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (861). 69 Mit Blick auf gesellschaftsrechtliche Maßnahmen Rendels / Z abel, Insolvenzplan, Rz. 233a. Allgemein zum Gestaltungsspielraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit Leithaus, in: Andres / ders., InsO, § 18 Rz. 7.
5. Kap.: Missbrauch durch den Schuldner?
105
nierungsmöglichkeiten geschaffen hat. Mit den gesetzlichen Änderungen hat die strategische Insolvenz Einzug in das deutsche Recht gehalten. Seinen Ursprung hat der Begriff im US-amerikanischen Recht, wo hinsichtlich des Einsatzes des Chapter 11-Verfahrens bereits seit längerer Zeit die Rede von „strategic bankruptcy“ ist. Im deutschen Recht ist die strategische Insolvenz insbesondere im Hinblick auf das Eigenverwaltungsverfahren sowie die Vornahme gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen im Insolvenzplanverfahren denkbar. Die Eröffnungsgründe schränken die Möglichkeit eines strategischen Einsatzes des Insolvenzverfahrens hierzulande zwar ein, doch schließt deren regulierende Wirkung die Möglichkeit nicht zur Gänze aus. Vor allem dem Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit fehlt es an Trennschärfe. Auch die anderen Eröffnungsgründe bieten Gestaltungsmöglichkeiten, die zum Zwecke der Verfahrenseinleitung genutzt werden können. 5. Kapitel
Missbrauch durch den Schuldner? In der Vergangenheit bezog sich der gegen den Schuldner gerichtete Missbrauchsvorwurf vornehmlich auf den Einsatz des Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahrens. Zuletzt hat das Schreiben einer Düsseldorfer Insolvenzberaterkanzlei für einige Aufmerksamkeit gesorgt, in dem mit der Unternehmenssanierung im Rahmen eines Eigenverwaltungsverfahrens geworben wurde. Dieses Werbeschreiben soll als Beispiel für den als missbräuchlich empfundenen Einsatz des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner dienen und der Untersuchung vorangestellt werden. Sodann wird aufzuzeigen sein, inwiefern darüber hinaus im Hinblick auf das (vorläufige) Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren von einem Missbrauch die Rede ist, bevor diese Einordnung einer kritischen Würdigung unterzogen werden soll. Dabei bleiben die Fälle, in denen der Missbrauchsvorwurf wie im noch näher zu besprechenden Insolvenzverfahren der Suhrkamp Verlagsgesellschaft in erster Linie den Inhalt des Insolvenzplans betrifft, außer Betracht. Der Missbrauchseinwand richtet sich dann nämlich nur mittelbar gegen die Eigenverwaltung, die entsprechend der gesetzgeberischen Vorstellung die Durchführung des Insolvenzplanverfahrens erleichtert und attraktiver gestaltet.70
70
Zum engen Zusammenhang von Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren nach dem Leitbild des ESUG vgl. M. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 531 f. sowie Meller-Hannich, KTS 2017, 309 (317).
106
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
I. Werbung mit der Eigenverwaltung – Beispielsfall aus der Sanierungspraxis Im Herbst 2017 berichtete die Presse darüber, dass eine Düsseldorfer Insolvenzberaterkanzlei im Sommer 2017 an zahlreiche Unternehmen aus der Mode- und Textilbranche ein mehrseitiges Schreiben adressiert hatte, in dem offen mit den „Sondervorteilen“ der gezielten Insolvenz in Eigenverwaltung geworben wurde, um das Eigenkapital zu stärken.71 In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass dieser Weg zahlreiche Spielräume zur Verhandlung mit Gläubigern und anderen Beteiligten biete und die Geschäfte ohne Veränderungen und gegebenenfalls ohne eine Auswechslung des Managements fortgesetzt werden können.72 Zusammenfassend heißt es darin: „Am Ende des Verfahrens steht ein Plan, mit dem die Befriedigung gesicherter und ungesicherter Gläubiger geregelt wird. Ungesicherte Gläubiger erhalten meist nur eine geringe Quote, die nicht selten aus der laufenden Liquidität generiert werden kann. Der Rest der Forderungen gilt dann als erlassen, was oft zu einer massiven Stärkung des Eigenkapitals führt. Verbesserungen der Eigenkapitalquote von mehr als 50 Prozent sind eher die Regel als die Ausnahme und eine Finanzierung des Verfahrens durch Insolvenzgeld, Nichtabführung von Umsatzsteuer, Lohnsteuer und sonstiger Steuern während des vorläufigen Verfahrens und die Nichtzahlung ungesicherter Altverbindlichkeiten zeigen Effekte, die in der Regel eine Mittelzuführung von außen überflüssig macht.“73
II. (Vorläufige) Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren – Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten? 1. Missbrauchsvorwurf im Zusammenhang mit der (vorläufigen) Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren a) (Vorläufige) Eigenverwaltung gem. §§ 270 ff. InsO Seit den gesetzlichen Änderungen des ESUG wird über den in dem Werbeschreiben beschriebenen Fall hinaus vermehrt vor den mit der Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren verbundenen Missbrauchsgefahren gewarnt.74 71 https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article169009828/Unsittliches-Angebot-fuerTrigema-Chef-Grupp.html (zuletzt abgerufen am 24.04.2019); https://www.focus.de/finanzen/ news/unternehmen/auf-kosten-der-steuerzahler-anwalt-will-trigema-cheff-in-die-insolvenz- locken_id_7674921.html (zuletzt abgerufen am 24.04.2019); https://www.lto.de/recht/kanzleien- unternehmen/k/trigema-kanzlei-buchalik-broemmekamp-akquise-schreiben-werbung-m itplaninsolvenz/ (zuletzt abgerufen am 24.04.2019). 72 https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article169009828/Unsittliches-Angebot-fuerTrigema-Chef-Grupp.html (zuletzt abgerufen am 24.04.2019). 73 https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article169009828/Unsittliches-Angebot-fuerTrigema-Chef-Grupp.html (zuletzt abgerufen am 24.04.2019). 74 Brünkmans, in: HK, InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 6; Foltis, in: FK, InsO, vor §§ 270 ff. Rz. 10 ff.; Häsemeyer, in: FS Schilken, S. 693 (695); Hölzle, ZIP 2012, 158 (159); Pape, in: FS
5. Kap.: Missbrauch durch den Schuldner?
107
Ein Missbrauchsrisiko bestünde bereits im Hinblick auf die Anordnungsvoraussetzungen der Eigenverwaltung.75 Ferner drohe ein Missbrauch durch die Rolle der Berater, die für die meisten Schuldner zur Durchführung einer Eigenverwaltung unentbehrlich sind.76 Diesbezüglich wird unter anderem kritisiert, dass die Berater einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses gem. § 22a Abs. 2 InsO ausüben, der dann wiederum den vom Berater bevorzugten und „mitgebrachten“ Sachwalter, der seinerseits in ein Belohnungs- und Abhängigkeitssystem des Beraters eingebunden ist, einstimmig vorschlägt.77 Da das Insolvenzgericht den eigenverwaltenden Schuldner anders als den Sachwalter im Rahmen seiner Tätigkeit nicht überwacht, sind die Gläubiger jedoch darauf angewiesen, dass der Sachwalter das Insolvenzgericht und sie selbst über etwaige Verstöße gegen insolvenzrechtliche Vorschriften unterrichtet.78 Die Einsetzung eines nicht unabhängigen Sachwalters erhöht damit das Risiko, dass gläubigerschädigende Handlungen unentdeckt bleiben. Darüber hinaus wird davor gewarnt, dass das Verfahren zur weiteren Schädigung der Gläubiger missbraucht werden könne, wenn der Schuldner durch unnötige und überzogene Honorare auszubluten droht.79 b) Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO Auch in Bezug auf das Schutzschirmverfahren in § 270b InsO wird vor der Gefahr des Rechtsmissbrauchs gewarnt.80 Mit Blick auf die geringere Kontrolldichte des in § 270b InsO geregelten Verfahrens wurde das Schutzschirmverfahren in der Vergangenheit als „missbrauchsanfälliger“ gegenüber der vorläufigen Eigen verwaltung beschrieben.81 Dieser Einwand betrifft insbesondere die Möglichkeit des Schuldners, das dem Insolvenzverfahren vorgeschaltete Schutzschirmverfahren eigenverantwortlich zu führen.82 Als missbräuchlich wird es darüber hinaus bewertet, wenn durch Stundungsvereinbarungen mit Gläubigern eine zu erwartende Vallender, S. 363 (372). Neu ist die Skepsis gegenüber der Eigenverwaltung keineswegs, so wurde bereits im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses der InsO vor den Risiken der Selbstverwaltung gewarnt, vgl. etwa Grub, WM 1994, 880 (881). 75 Vgl. Hölzle, ZIP 2012, 158 (159); Pape, ZIP 2013, 2285 (2293); Frind, WM 2014, 590 (595). Diese Bedenken werden auch in der im Rahmen der Evaluierung des ESUG durch geführten Befragung deutlich, vgl. ESUG-Bericht, S. 40, 50 und 112. 76 Hammes, NZI 2017, 233 (234). 77 Hammes, NZI 2017, 233 (234); Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 2; Graeber, in: FS Vallender, S. 165 (178) sowie ESUG-Bericht, S. 226. 78 Frind, WM 2014, 590 (594); Fiebig, in: HambK, InsO, § 270 Rz. 58. 79 Hammes, NZI 2017, 233 (235); Pape, ZInsO 2018, 2725 (2735). Zu den hohen Beraterkosten vgl. auch Madaus, KTS 2015, 115 (135); Rendels, in: FS Kübler, S. 577 ff. sowie die Ergebnisse der Befragung im Rahmen der Evaluierung des ESUG, vgl. ESUG-Bericht, S. 40. 80 Ganter, NZI 2012, 985 (988); Willemsen / Rechel, BB 2011, 834 (837); Spliedt / Fridgen, in: BK, InsO, § 270b Rz. 8. 81 Willemsen / Rechel, BB 2011, 834 (837); Ganter, NZI 2012, 985 (988). 82 Ganter, NZI 2012, 985 (988); Spliedt / Fridgen, in: BK, InsO, § 270b Rz. 8.
108
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Zahlungsunfähigkeit hinausgeschoben oder eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit beseitigt wird, um letztlich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen das Schutzschirmverfahren zu ermöglichen.83 So hat etwa das AG Erfurt entschieden, dass das Schutzschirmverfahren von vornherein ausscheidet, soweit das Unternehmen zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits zahlungsunfähig war und diese Zahlungsunfähigkeit allein durch eine Stundungsvereinbarung mit den Gläubigern nur zeitweise aufgeschoben wurde und damit alsbald wieder einzutreten droht.84 2. Stellungnahme unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre Bei genauer Betrachtung lässt sich der gegen den Schuldner erhobene Missbrauchseinwand damit in zweierlei Hinsicht unterteilen: Von einem Missbrauch ist zum einen dann die Rede, wenn das Insolvenzverfahren – wie in dem vorangestellten Beispiel aus der Sanierungspraxis – von an sich „wirtschaftlich mehr oder weniger gesunden“ Unternehmen strategisch genutzt wird, um sich auf Kosten Dritter, also der Gläubiger sowie des Staates, zu sanieren. Zum anderen spricht insbesondere die Literatur von einem Missbrauch in den Fällen, in denen durch die Anordnung des Schutzschirmverfahrens oder der (vorläufigen) Eigenverwaltung das Risiko einer (weitergehenden) Gläubigerschädigung droht.85 Gleiches gilt für das durch die Beratertätigkeit angedeutete Missbrauchsrisiko. Im Hinblick auf die als zu hoch empfundenen Beraterkosten geht es hier ebenfalls um die Gefahr der Gläubigerschädigung. a) Missbrauchseinwand vor dem Hintergrund der Masseschmälerung Legt man die allgemeine Definition des Rechtsmissbrauchs zugrunde, zeigt sich, dass es sich bei dem auf die verschleppte Insolvenz bezogenen Missbrauchsvorwurf nicht um einen Fall des Rechtsmissbrauchs dergestalt handelt, dass ein bestehendes Recht entgegen seiner Grenze ausgeübt wird.86 Hintergrund des in der Vergangenheit vermehrt verlautbarten Missbrauchseinwands sind vielmehr die gesetzlichen Änderungen, die das ESUG im Hinblick auf die Anordnung der Eigenverwaltung mit sich gebracht hat, und deren Auswirkungen auf den Grundsatz 83
Fiebig, in: HambK, InsO, § 270b Rz. 5. Vergleichbar auch Ganter, NZI 2012, 985 (988) für den Fall, dass der Schuldner durch Versprechungen, deren Unerfüllbarkeit nur ihm bekannt sind, die Gläubiger zu einem einstweiligen Stillhalten veranlasst, um in der Zwischenzeit einen Schutzschirmantrag zu stellen. 84 AG Erfurt, Beschl. v. 13.04.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944. 85 Frind, ZIP 2017, 993 (994); ders., WM 2014, 590 (597); Pape, ZInsO 2018, 2725 (2735) sowie Hammes, ZIP 2017, 1505. Generell zum Risiko des Scheiterns einer Sanierung Brinkmann / Zipperer, ZIP 2011, 1337 (1338). 86 Vgl. 1. Kapitel II. sowie III.
5. Kap.: Missbrauch durch den Schuldner?
109
der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung.87 Da das ESUG zu einer Änderung der „Feststellungslast“ geführt hat,88 gehen Unsicherheiten im Hinblick auf die Anordnungsvoraussetzungen nicht mehr zu Lasten des Schuldners, womit sich die Aussichten des Schuldners auf die Eigenverwaltung spürbar erhöht haben.89 Genügte vormals noch der „böse Anschein“ zur Ablehnung der Eigenverwaltung, müssen heute tatsächlich konkrete Umstände bekannt sein, die darauf schließen lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird.90 Aufgrund der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung kommt es dazu, dass das Insolvenzgericht die Anordnungsvoraussetzungen in Fällen annimmt, in denen dies nach Auffassung der Kritiker eine zu große Gefährdung der Gläubiger darstellt.91 Ob sich ein ausreichender Gläubigerschutz durch eine strenge Handhabung der gesetzlichen Vorschriften durch die Gerichte, Verwalter und Berater in den als missbrauchs anfällig beschriebenen Fällen erreichen lässt92 oder ob gesetzliche Nachjustierungen notwendig sind,93 soll für die hier vorzunehmende Untersuchung und Einordnung des Missbrauchseinwands nicht weiter von Interesse sein. Auch der gegen das Schutzschirmverfahren vorgebrachte Missbrauchseinwand hat seinen Ursprung in den hiermit verbundenen Risiken für die Gläubiger. Dies liegt vor allem darin begründet, dass das Schutzschirmverfahren dem Schuldner und den Beratern einen großen Einfluss gewährt, wenn sie nach der Einrichtung
87 Deutlich wird dies insbesondere bei den Vertretern der Literatur, die das Missbrauchspotenzial der gesetzgeberischen Änderungen als weniger gravierend einordnen und vielmehr den Umgang mit den Befugnissen durch die Beteiligten kritisieren. So heißt es etwa bei Haarmeyer, ZInsO 2013, 2345: „[…] es läutet auch der Verband der Insolvenzverwalter (VID) die Alarmglocke des angeblichen Missbrauchs in der Eigenverwaltung unter dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) und ruft mit kräftiger Stimme nach dem sofortigen Einschreiten der Gesetzgeber.“ Ähnlich auch Foltis, in: FK, InsO, vor §§ 270 ff. Rz. 12: „Der rechtsmissbräuchliche Einsatz der Eigenverwaltung ist weniger ein Problem der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Einzelregelungen, das Problem liegt vielmehr im Gebrauch dieser Regelungen und der Kontrolle des Gebrauches durch die Verantwortungsbeteiligten im Einzelfall.“ 88 Vgl. bereits 4. Kapitel I. 2. a). 89 Henkel, ZIP 2015, 562 (569); Brinkmann / Zipperer, ZIP 2011, 1337 (1345). 90 Henkel, ZIP 2015, 562 (569); Rattunde, in: Borchardt / Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1683. 91 Zum Fehlen hinreichend klarer gesetzlicher Vorgaben für die Anordnung der Eigenverwaltung ESUG-Bericht, S. 71 ff., 79 ff. In Anlehnung hieran Pape, ZInsO 2018, 2725, der dieselben Bedenken hinsichtlich der Ausgestaltung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens hegt. Zur beschränkten Tatsachengrundlage vgl. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 52. 92 So Haarmeyer, ZInsO 2013, 2345. Ähnlich auch Frind, WM 2014, 590 (595) sowie ders., NZI 2014, 937 ff. speziell zu den an den vorläufigen Sachwalter in der Eigenverwaltung zu stellenden Anforderungen sowie dessen Pflichtenkreis. 93 Verbesserungsvorschläge wurden etwa im Rahmen eines ZIP-Kolloquiums im Dezember 2017 gefasst, vgl. Brinkmann / Denkhaus / Horstkotte / Schmidt / Westpfahl / Wierzbinski / Ziegenhagen, ZIP 2017, 2430 (2431) und finden sich naturgemäß auch im ESUG-Bericht, S. 70 ff., 99 f., 117 sowie 298.
110
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
eines „Family and friends“-Gläubigerausschusses den vorläufigen und endgül tigen Sachwalter bestimmen.94 Auch hier werden die Anordnungsvoraussetzungen als zu niedrig empfunden.95 Ein Fall des Rechtsmissbrauchs wie er im ersten Teil der Arbeit beschrieben wurde, liegt hier ebenso wenig vor, wie wenn das Schutzschirmverfahren durch falsche Angaben erschlichen wird.96 Wenngleich in diesem Zusammenhang ebenfalls vom Missbrauch des Schutzschirmverfahrens die Rede ist,97 handelt es sich unter Berücksichtigung der zu Beginn der Arbeit aufgezeigten Differenzierung dem allgemeinen Sprachgebrauch nach um einen Fall des Betruges.98 Wird die Zahlungsunfähigkeit durch Stundungsvereinbarungen vermieden oder beseitigt, um „unter den Schutzschirm“ zu gelangen, kann ebenfalls auf den Missbrauchseinwand verzichtet werden. Es ist nicht erforderlich, die Stundung bereits im Rahmen der Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen außer Acht zu lassen und von der Zahlungsunfähigkeit auszugehen.99 Zum einen können derartige Umstände, sollten sie dem Gericht schon vor der Anordnung zur Kenntnis gelangen, unter dem Gesichtspunkt der Aussichtslosigkeit der Sanierung im Rahmen der Entscheidung über die Anordnung gem. § 270b Abs. 1 InsO berücksichtigt werden. Zum anderen können die zu erwartenden Nachteile auch noch nachträglich zur Aufhebung der Anordnung des Schutzschirmverfahrens führen, vgl. § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 InsO.100 b) Missbrauchseinwand bei zielgerichteter Herbeiführung der Insolvenzsituation Zum Schutz der Gläubiger wird der Missbrauchseinwand auch dann bemüht, wenn er sich gegen die gezielte Herbeiführung des Insolvenzverfahrens zum Zwecke der Durchführung einer Eigenverwaltung richtet. Anders als in den zuvor genannten Fällen droht die Schädigung der Gläubiger dann jedoch nicht durch eine verschleppte Insolvenz, sondern vielmehr durch das eingeleitete Insolvenzverfahren selbst. Dem Schuldner kommt es nämlich darauf an, die Gläubiger angesichts des drohenden Insolvenzverfahrens zu Zugeständnissen zu bewegen und dazu zu drängen, auf ihre Ansprüche unter dem Eindruck der Insolvenzsituation zumindest
94
Pape, ZInsO 2018, 2725 (2726). Vgl. etwa Riggert, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 270b Rz. 35. 96 Zu „fragwürdigen Bescheinigungen“ zur Erreichung des Schutzschirmverfahrens vgl. auch Pape, in: K / P/B, InsO, § 270b Rz. 23. 97 Brand, KTS 2014, 1 (7); Ganter, NZI 2012, 985 (988). 98 Vgl. hierzu 1. Kapitel V. 3. sowie Brand, KTS 2014, 1 (23). Täuscht der Organwalter der Schuldnergesellschaft den Sanierungsgutachter über die Zahlungs- bzw. Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft, macht er sich gem. § 15a Abs. 4 InsO sowie gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8 Var. 2 StGB strafbar, vgl. Brand, KTS 2014, 1 (23). 99 So aber Ganter, NZI 2012, 985 (988). Weitergehend AG Erfurt, Beschl. v. 13.04.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944. 100 Ebenso Fiebig, in: HambK, InsO, § 270b Rz. 5. 95
5. Kap.: Missbrauch durch den Schuldner?
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in Teilen zu verzichten, obwohl dies zur Rettung des Unternehmens nicht erforderlich ist. Bereits im ersten Teil der Arbeit hat sich jedoch gezeigt, dass es des gegen das Insolvenzverfahren gerichteten Missbrauchseinwands nicht bedarf, wenn die Insolvenzgründe absichtlich herbeigeführt werden.101 Vielmehr macht eine eingehende Prüfung der Eröffnungsgründe, wozu die mit der Geltendmachung von Forderungen verbundenen Rechtsfragen gehören, den Rückgriff auf den Missbrauchseinwand entbehrlich. Dies lässt sich auch anhand des im Zuge der Berichterstattung über das Werbeschreiben skizzierten Weges zur Herbeiführung der Insolvenz demonstrieren. In diesem Zusammenhang wurde vorgeschlagen, die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen, indem sich der Unternehmer von seiner Firma zunächst eine möglichst große Summe auszahlen lässt und diese auf seine Frau oder seine Kinder übertragt, die dem Unternehmen das Geld wiederum in Form eines Darlehens mit zu hohen Zinsen zur Verfügung stellen. Nach einer gewissen Frist sollen sie dann die Rückzahlung des Kredits verlangen, wozu das Unternehmen nach Vorstellung der Beteiligten trotz aller Gewinne nicht imstande sein solle.102 Die für die Zahlungsunfähigkeit geforderte objektive Zahlungsunfähigkeit, also ein festgestelltes Unvermögen, fällige Zahlungspflichten zu erfüllen,103 lässt sich durch derartige Vermögensverschiebungen jedoch gerade nicht herbeiführen.104 Zwar ist der Umstand, dass die Zuwendungen des Unternehmers an seine Familienmitglieder unter den Voraussetzungen von § 134 oder § 133 InsO womöglich anfechtbar sind, für die Aufstellung der Liquiditätsbilanz unbeachtlich, weil die Insolvenzanfechtungs ansprüche erst mit der Vefahrenseröffnung entstehen und damit keine Berücksichtigung als Zahlungsmittel finden.105 Im Rahmen der Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen muss demgegenüber aber berücksichtigt werden, wenn dem Schuldner gegen die Verbindlichkeiten aufrechenbare Gegenansprüche zustehen.106 Gerade hiervon dürfte in der beschriebenen Situation auch auszugehen sein, weil zumindest die den Vermögensverschiebungen zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte
101
3. Kapitel II. 1. a) aa). So die Erklärung eines Experten gegenüber einem Redakteur des Wirtschaftsmagazins BILANZ, vgl. https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article169009828/Unsittliches-Angebotfuer-Trigema-Chef-Grupp.html (zuletzt abgerufen am 24.04.2019). 103 Mönning / Gutheil, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 17 Rz. 12. 104 Seitens des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter in Deutschland (VID) wird ein solches Vorgehen offenbar für möglich gehalten. Im Zuge der Berichterstattung zu dem Werbeschreiben erklärte der Geschäftsführer des Verbandes Dr. Daniel Bergner im Rahmen eines Pressestatements, dass eine solche Vorgehensweise zwar „rechtlich möglich“, aber „ethisch-moralisch fragwürdig“ sei. 105 BGH, Beschl. v. 27.07.2006 – IX ZB 204/04, NZI 2006, 693 (694); Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 52; Dittmer, Feststellung der Zahlungsunfähigkeit von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, S. 124 f.; Wolfer, in: BeckOK, InsO, § 17 Rz. 20. 106 Umstritten dürfte nur sein, inwieweit Forderungen gegenüber Dritten im Rahmen der Liquiditätsprüfung Berücksichtigung finden können, vgl. Brahmstaedt, Zahlungsunfähigkeit, S. 48 ff. 102
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
gem. § 138 BGB als sittenwidrig zu beurteilen sind und dem schuldnerischen Unternehmen damit bereicherungsrechtliche Rückzahlungsansprüche zustehen. Nach herrschender Auffassung gehen die Anfechtungsvorschriften dem Einwand der Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB zwar vor, sodass nicht jedes anfechtbare Rechtsgeschäft sittenwidrig und damit nichtig ist.107 Die allgemeine Vorschrift des § 138 BGB kommt neben den Anfechtungsvorschriften jedoch zur Anwendung, wenn das Rechtsgeschäft besondere, über die Gläubigerbenachteiligung hinausgehende Umstände aufweist.108 Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls. So liegt die Annahme der Sittenwidrigkeit etwa dann nahe, wenn ein planmäßiges Zusammenwirken mit eingeweihten Helfern vorliegt, um das wesentliche pfändbare Vermögen vor dem Zugriff der Gläubiger zu retten.109 Als sittenwidrige Gläubigerbenachteiligung ist in der Vergangenheit auch ein Sicherungsgeschäft eingeordnet worden, mit dem der Schuldner nahezu sein gesamtes freies Vermögen auf einen Gläubiger überträgt, wenn dieses dazu geeignet und bestimmt ist, andere gegenwärtige oder künftige Gläubiger über seine Kreditwürdigkeit zu täuschen und diese hierdurch etwa zur Vergabe weiterer Kredite zu verleiten.110 Die im Zusammenhang mit dem Werbeschreiben vorgeschlagenen Vermögensverschiebungen sind zwar nicht darauf gerichtet, die Gläubiger durch den Entzug von Vermögen unmittelbar zu schädigen, sondern vielmehr die Einleitung des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen. Gleichwohl kommt es nach dem planmäßigen Zusammenspiel des Schuldners mit seinen Familienangehörigen auch hier zur Schädigung der Gläubiger, da diese unter dem Eindruck des gezielt herbeigeführten Insolvenzverfahrens zumindest teilweise zum Verzicht auf ihre Ansprüche gedrängt werden sollen. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wird dadurch verstärkt, dass nicht nur die Gläubiger, sondern auch die Allgemeinheit geschädigt zu werden droht, wenn der Schuldner bis zur Verfahrenseröffnung Insolvenzgeld erhält, das zur Rettung des Unternehmens nicht erforderlich ist. Es entspricht der allgemeinen Meinung, dass auch derartige die Allgemeinheit schädigende Handlungen in die Gesamtabwägung des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit einzustellen sind.111 Das hierfür auf Seiten sämtlicher Beteiligter geforderte Bewusstsein für 107 BGH, Urt. v. 23.04.2002 – XI ZR 136/01, NZI 2002, 430 (432); BGH, Urt. v. 12.04.2016 – XI ZR 305/14, NZI 2016, 659 (661); Borries / Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 40. 108 BGH, Urt. v. 12.04.2016 – XI ZR 305/14, NZI 2016, 659 (661); Borries / Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 40; Rogge / L eptien, in: HambK, InsO, Vorbem. zu §§ 129 ff. Rz. 10. Zum Anfechtungsgesetz vgl. auch BGH, Urt. v. 04.03.1993 – IX ZR 151/92, NJW 1993, 2041 f.; BGH, Urt. v. 07.04.2005 – IX ZR 258/01, NJW-RR 2005, 1361 (1362); Armbrüster, in: MüKo, BGB, § 138 Rz. 6. 109 RG, Urt. v. 17.10.1910 – V 601/09, RGZ 74, 215 (219); BGH, Urt. v. 13.07.1995 – IX ZR 81/94, NJW 1995, 2846 (2850). 110 RG, Urt. v. 08.11.1927 – (VII) VI 315/27, RGZ 118, 361 (363); BGH, Urt. v. 16.03.1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668; BGH, Urt. v. 12.04.2016 – XI ZR 305/14, NZI 2016, 659 (660); Sack / Fischinger, in: Staudinger, BGB, § 138 Rz. 49. 111 BGH, Urt. v. 06.12.1989 – VIII ZR 310/88, NJW 1990, 567 (568); Dörner, in: Hk, BGB, § 138 Rz. 4, 13; Ellenberger, in: Palandt, BGB, § 138 Rz. 40; Mayer-Maly, AcP 194, 105 (146 f.); Sack / Fischinger, in: Staudinger, BGB, § 138 Rz. 470.
5. Kap.: Missbrauch durch den Schuldner?
113
die Benachteiligung112 wäre angesichts der Absprachen zwischen dem Schuldner und seinen Familienangehörigen ebenso anzunehmen. Die konsequente Prüfung der Eröffnungsvoraussetzung macht den Rückgriff auf den wenig spezifischen Missbrauchseinwand grundsätzlich entbehrlich. Zugegebenermaßen gilt das auf den ersten Blick nur für die Fälle, in denen der Empfänger der Vermögenswerte und der spätere Gläubiger personenidentisch sind. Nimmt der Schuldner einen Kredit auf und lässt die Kreditsumme an ein Familienmitglied auszahlen, um die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen, und ist er infolgedessen nicht in der Lage, die fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen, so lässt sich die Zahlungsunfähigkeit nicht mit den soeben dargestellten Überlegungen ablehnen. Gegen das Kreditinstitut stehen dem schuldnerischen Unternehmen nämlich keine aufrechenbaren Gegenansprüche zu, die im Rahmen der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen wären. Der Einwand der Sittenwidrigkeit greift hier nicht ein, da die Bank in der Regel keine Kenntnis von der Intention des Schuldners haben dürfte. Dass die Zahlung an das Familienmitglied möglicherweise anfechtbar ist, beseitigt die Illiquidität auch in diesem Fall nicht. Des Missbrauchseinwands braucht es hier gleichwohl nicht. Die Attraktivität einer solchen Vorgehensweise und damit auch die Gefahr einer Gläubigerschädigung dürfte schon deshalb äußerst gering sein, weil ein derartiger Fall sich nicht für ein Eigenverwaltungs- und erst recht nicht für ein Schutzschirmverfahren eignet. Das Insolvenzgericht wird den Antrag auf Eigenverwaltung nämlich ablehnen, wenn sich im Rahmen der Nachteilsprüfung gem. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Schuldner im Vorfeld der Antragstellung Vermögen beiseitegeschafft hat.113
III. Rechtsschutzmöglichkeiten und haftungsrechtliche Konsequenzen Da die gesetzliche Ausgestaltung der §§ 270 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2, 270b InsO das Risiko einer Durchführung der (vorläufigen) Eigenverwaltung sowie des Schutzschirmverfahrens für den Fall, dass dem Antrag „unseriöse Motive“ des Schuldners zugrunde liegen, nur unzureichend verhindert,114 sind für die Gläubiger sowohl die Rechtsschutzmöglichkeiten als auch die haftungsrechtlichen Konsequenzen von besonderem Interesse.
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BGH, Urt. v. 27.01.1966 – VII ZR 16/64, WM 1966, 495 (496); BGH, Urt. v. 06.12.1989 – VIII ZR 310/88, NJW 1990, 567 (568). 113 Fiebig, in: HambK, InsO, § 270 Rz. 23; C. Kern, in: MüKo, InsO, § 270 Rz. 60. 114 So auch Pape, in: K / P/B, InsO, § 270 Rz. 196.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
1. Rechtsschutzmöglichkeiten Gegen die Anordnung der Eigenverwaltung steht den Gläubigern jedoch ebenso wenig115 wie gegen die Anordnung des Schutzschirmverfahrens ein Rechtsmittel zu.116 Gleiches gilt für die Entscheidung des Insolvenzgerichts, von der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts und der damit einhergehenden Bestellung eines vorläufigen Sachwalters abzusehen.117 Im Hinblick auf die Verfahrensanordnung bleibt für die Gläubiger damit lediglich die Möglichkeit, mittels einer Schutzschrift auf die Bedenken gegen die Anordnung der Eigenverwaltung hinzuweisen118 oder dies im Rahmen eines von ihnen selbst gestellten Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu tun.119 Ratsam ist das für die Gläubiger schon allein deshalb, weil sie hierdurch vermeiden können, dass bereits im Eröffnungsverfahren die „Weichen“ durch einen mitgebrachten vorläufigen Sachwalter und einen vorläufigen Gläubigerausschuss für eine Durchführung des Verfahrens in Eigenverwaltung gestellt werden.120 Allerdings ist auch dieser Schutz nur eingeschränkt, da die Gläubiger hierfür Kenntnis von der drohenden oder vorgenommenen Antragstellung haben müssen. Im laufenden Eigenverwaltungsverfahren besteht für die Gläubiger demgegenüber die Möglichkeit, die Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO zu beantragen.121 Dies macht für sie unter Umständen dann Sinn, wenn sie Gefahr laufen, durch den Schuldner bei Antragstellung in Anbetracht der drohenden Zahlungsunfähigkeit zum Vergleichsabschluss genötigt zu werden.122 Auch das Schutzschirmverfahren kann, wie sich aus § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 InsO ergibt, aufgehoben werden, wenn die angestrebte Sanierung aussichtslos geworden und damit die bedeutsamste Anordnungsvoraussetzung weggefallen ist.123 Als problematisch 115
Das gilt ganz gleich, ob die Anordnung der Eigenverwaltung in einer isolierten Entscheidung oder im Eröffnungsbeschluss getroffen wird, vgl. BGH, Beschl. v. 11.01.2007 – IX ZB 10/05, NJW-RR 2007, 559 (560); Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 56; Pape, in: K / P/B, InsO, § 270 Rz. 172; Fiebig, in: HambK, InsO, § 270 Rz. 54; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 26. 116 Leithaus, in: Andres / ders., InsO, § 270b Rz. 25. 117 Leithaus, in: Andres / ders., InsO, § 270a Rz. 15; C. Kern, in: MüKo, InsO, § 270a Rz. 68. 118 C. Kern, in: MüKo, InsO, § 270 Rz. 41; Brünkmans, in: HK, InsO, § 270 Rz. 13; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 39; AG Köln, Beschl. v. 01.07.2013 – 72 IN 211/13, NZI 2013, 796; Bichlmeier, DZWIR 2000, 62 (66); Wehdeking, DZWIR 2005, 139 (140); Kunz / Weiß, ZIP 2019, 908 (909). Einschränkend Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 582. Ablehnend Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 183. 119 C. Kern, in: MüKo, InsO, § 270 Rz. 41. 120 C. Kern, in: MüKo, InsO, § 270 Rz. 41; zu dem Risiko der einseitigen Beeinflussung des Verfahrens durch den jeweiligen Antragsteller vgl. auch Pape, in: K / P/B, InsO, § 270 Rz. 156. 121 Foltis, in: FK, InsO, § 272 Rz. 6 ff.; Fiebig, in: HambK, InsO, § 272 Rz. 1 ff.; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 2 ff. 122 Pape, in: K / P/B, InsO, § 270 Rz. 172. 123 Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270b Rz. 15; Fiebig, in: HambK, InsO, § 270b Rz. 36. Im Übrigen besteht diese Pflicht auch dann, wenn von allem Anfang Zahlungsunfähigkeit vorgelegen hat, vgl. C. Kern, in: MüKo, InsO, § 270b Rz. 140.
5. Kap.: Missbrauch durch den Schuldner?
115
erweist sich allerdings auch hier wieder die Frage der Kenntnis.124 Ausweislich des § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO haben Schuldner und Sachwalter dem Insolvenzgericht nur den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen. Das Scheitern von Sanierungsbemühungen muss demgegenüber nicht zwingend mitgeteilt werden, sodass die gerichtlich eingeräumte Frist ausgeschöpft wird und eine frühere Entscheidung über den Insolvenzantrag und die damit verbundenen Risiken zeitlich nach hinten verschoben werden.125 Die Möglichkeit zur Aufhebung besteht ferner für den Fall, dass sich die Bescheinigung nachträglich als unrichtig herausstellt.126 2. Haftungsrechtliche Folgen In den unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Fällen, in denen es zur Schädigung der Gläubigergesamtheit sowie einzelner Gläubiger kommt, spielt neben den beschriebenen Rechtsschutzmöglichkeiten der durch Haftungsansprüche vermittelte Schutz eine wichtige Rolle. Das gilt inbesondere für die Außenhaftung der handelnden Akteure. Im Eigenverwaltungsverfahren haften die Geschäftsleitungsorgane des Schuldners den Gläubigern unter anderem in entsprechender Anwendung der §§ 60, 61 InsO, wenn sie ihre insolvenzrechtlichen Pflichten verletzen.127 Gleiches gilt nach wohl überwiegender Meinung für das Eröffnungsverfahren.128 Neben der Haftung der Organe und Organmitglieder des schuldnerischen Unternehmens kommt ferner die Haftung des (vorläufigen) Sachwalters, der Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses, des Ausstellers der Bescheinigung sowie externer Berater in Betracht. Ausweislich des § 274 Abs. 1 InsO, der über § 270a Abs. 1 Satz 2 und § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO auch im Eröffnungsverfahren gilt, haftet der (vorläufige) Sachwalter bei einem schuldhaften Verstoß gegen seine insolvenzrechtlichen Pflichten gem. § 60 InsO.129 Für die Schädigung der Insolvenzmasse und einzelner Gläubiger besteht eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit allerdings nur insoweit, als diese durch die Verletzung der insolvenzrechtlichen Pflichten ermöglicht wurde.130 124 So spricht namentlich Tetzlaff, in: MüKo, InsO, 3. Auflage, § 272 Rz. 46 f. in Bezug auf die Vorschrift des § 272 InsO und den Ausschluss eines Tätigwerdens von Amts wegen von einer „Fehlentscheidung des Gesetzgebers“. 125 Fiebig, in: HambK, InsO, § 270b Rz. 36. 126 Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270b Rz. 73; A. Schmidt / Linker, ZIP 2012, 963 (965); Foltis, in: FK, InsO, § 270b Rz. 58. 127 BGH, Urt. v. 26.04.2018 – IX ZR 238/17, NZI 2018, 519. Zu weiteren potenziellen Ansprüchen vgl. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 19 ff.; König, Haftung bei der Eigenverwaltung, S. 131 ff., 339 ff. 128 Hölzle, ZIP 2018, 1669 (1670 f.); Fiebig, in: HambK, InsO, § 270a Rz. 44; M. Hofmann, in: Kübler, HRI, § 7 Rz. 228. Zum Streitstand siehe auch Schulte-Kaubrügger, ZIP 2019, 345 (347 f.). 129 M. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 525; Pape, in: K / P/B, InsO, § 270a Rz. 25; Hedaiat- Rad, Sachwalter in der Eigenverwaltung, Rz. 373 ff. 130 Pape, in: K / P/B, InsO, § 274 Rz. 53; M. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 527.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Grundlage der Haftung der Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses sind die §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 71 InsO. Die persönliche Haftung der Mitglieder beschränkt sich nach § 71 InsO jedoch auf die Haftung gegenüber absonderungsberechtigten Gläubigern und den Insolvenzgläubigern.131 In Betracht kommt eine Haftung zum einen im Hinblick auf die Auswahl des vorläufigen Sachwalters, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes ungeeignet oder die Wahl nicht darauf gerichtet ist, die Interessen der Gläubiger bestmöglich wahrzunehmen132 und zum anderen im Hinblick auf das Recht gem. § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO, die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens zu beantragen.133 Der Aussteller einer Bescheinigung im Sinne des § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO haftet den Gläubigern jedenfalls auf Grundlage des § 826 BGB, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig eine unrichtige Bescheinigung ausstellt.134 Auch gegen externe Berater, die üblicherweise nicht im Außenverhältnis haften,135 sind deliktsrechtliche Ansprüche auf dieser Grundlage denkbar, wenn sie in Kenntnis der drohenden Gläubigergefährdung zur Eigenverwaltung oder zu der Ausstellung einer fehlerhaften Bescheinigung raten. Zuletzt und wohl nur ausnahmsweise besteht für die Gläubiger die Möglichkeit, im Falle einer Amtspflichtverletzung des Insolvenzrichters einen Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gegen das jeweilige Bundesland geltend zu machen.136 Eine Amtspflichtverletzung kommt sowohl im Hinblick auf die Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung als auch bei einer Verletzung der Pflicht zur Aufhebung des laufenden Schutzschirmverfahrens nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 InsO in Betracht.137
IV. Zusammenfassung Soweit vom Missbrauch der (vorläufigen) Eigenverwaltung oder des Schutzschirmverfahrens die Rede ist, meint dies keinen Rechtsmissbrauch im Sinne einer Überschreitung der dem Gesetz immanenten Grenzen. Vielmehr werden auf diese Weise die gesetzlichen Regelungen des ESUG kritisiert, die mit Rücksicht auf den 131 Brinkmann, DB 2012, 1369 (1370); Schulte-Kaubrügger, ZIP 2019, 345 (351); de Bruyn, Vorläufiger Gläubigerausschuss, Rz. 497; Weiß, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 71 Rz. 5 ff. 132 Frind, ZIP 2012, 1380 (1385); de Bruyn, Vorläufiger Gläubigerausschuss, Rz. 522 f. 133 Brinkmann, DB 2012, 1369 (1370); Frind, ZIP 2012, 1380 (1385); Cranshaw, ZInsO 2012, 1151 (1153). 134 Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270b Rz. 6; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270b Rz. 39; Riggert, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 270b Rz. 11a; Brinkmann, DB 2012, 1313. In welchem Umfang gegenüber Dritten eine weitere Haftung besteht, ist indes umstritten, vgl. Brinkmann, DB 2012, 1313 (1314 ff.); Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270b Rz. 36 ff.; Graf-Schlicker, in: dies., InsO, § 270b Rz. 27; Pape, in: K / P/B, InsO, § 270b Rz. 53 ff. 135 Schulte-Kaubrügger, ZIP 2019, 345 (352). 136 Brinkmann, DB 2012, 1369 (1371); Knop, Amtshaftungsansprüche bei insolvenzgerichtlichen Pflichtverletzungen, S. 170 ff. 137 Brinkmann, DB 2012, 1369 (1371 f.); Knop, Amtshaftungsansprüche bei insolvenzgerichtlichen Pflichtverletzungen, S. 172 sowie 207.
5. Kap.: Missbrauch durch den Schuldner?
117
Gläubigerschutz und den in § 1 Satz 1 InsO geregelten Grundsatz bestmöglicher Gläubigerbefriedigung schlichtweg als unzureichend empfunden werden. Wird das Insolvenzverfahren von an sich „wirtschaftlich mehr oder weniger gesunden“ Unternehmen strategisch dazu eingesetzt, um sich auf Kosten der Gläubiger sowie des Staates zu sanieren, bedarf es des Rückgriffs auf den Missbrauchseinwand demgegenüber schon gar nicht. Vorrangig ist eine eingehende Prüfung der Eröffnungsgründe, wozu die mit der Geltendmachung von Forderungen verbundenen Rechtsfragen gehören. Unter Umständen können Vermögensverschiebungen als sittenwidrig zu behandeln sein, sodass schon keine materielle Insolvenz anzunehmen ist, oder aber dem antragstellenden Schuldner ist der Zugang zur Eigenverwaltung sowie dem vorgelagerten Schutzschirmverfahren mit Blick auf Vermögensverschiebungen im Vorfeld der Antragstellung im Rahmen der Nachteilsprüfung gem. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu verwehren. Soweit es dem Schuldner durch die Verschleierung von Vermögenswerten darum geht, einen Insolvenzgrund vorzuspiegeln, liegt in Anbetracht der fehlenden Anordnungsvoraussetzungen schon kein Rechtsmissbrauch, sondern angesichts des Vortäuschens von wahrheitswidrigen Tatsachen dem allgemeinen Sprachgebrauch nach ein Fall des Betruges vor. Abgesehen von der Möglichkeit zur Einreichung einer Schutzschrift bleibt der Gläubigerschutz in den unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Fällen der (vorläufigen) Eigenverwaltung sowie des Schutzschirmverfahrens darauf beschränkt, die Verfahrensaufhebung unter den Voraussetzungen der §§ 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 270b Abs. 4 InsO zu veranlassen. Weil sich der verfahrensrechtliche Schutz in der Praxis oftmals als unzureichend erweist, ist der durch das Haftungsrecht vermittelte Schutz für die Gläubiger von Bedeutung. Im Eigenverwaltungssowie im Eröffnungsverfahren haften die Geschäftsleitungsorgane des Schuldners den Gläubigern unter anderem in entsprechender Anwendung der §§ 60, 61 InsO, wenn sie ihre insolvenzrechtlichen Pflichten verletzen. Neben der Haftung der Organe und Organmitglieder des schuldnerischen Unternehmens haftet den Gläubigern bei Verstoß gegen seine insolvenzrechtlichen Pflichten gem. §§ 60, 274 Abs. 1, 270a Abs. 1 Satz 2, 270b Abs. 2 Satz 1 InsO der (vorläufige) Sachwalter. Die persönliche Haftung der Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses ist nach §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 71 InsO auf die absonderungsberechtigten Gläubiger und Insolvenzgläubiger beschränkt. Gegen den Aussteller einer Bescheinigung im Sinne des § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO können Haftungsansprüche jedenfalls auf Grundlage des § 826 BGB geltend gemacht werden, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig eine unrichtige Bescheinigung ausstellt. Externe Berater haften üblicherweise nicht im Außenverhältnis. Sofern sie in Kenntnis der drohenden Gläubigerschädigung zur Eigenverwaltung oder zu der Ausstellung einer fehlerhaften Bescheinigung raten, kommen deliktsrechtliche Ansprüche jedoch auch gegen sie in Betracht. Bei einer schuldhaften Amtspflichtverletzung in Bezug auf die dem Gericht im Zusammenhang mit der (vorläufigen) Eigenverwaltung sowie dem Schutzschirmverfahren obliegenden Pflichten sind schließlich ausnahmsweise auch Amtshaftungsansprüche denkbar.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
6. Kapitel
Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter? In der Vergangenheit wurde nicht nur dem Schuldner gegenüber der Vorwurf gemacht, er missbrauche die durch das ESUG geschaffenen Sanierungsmöglichkeiten der InsO. Im Mittelpunkt der Diskussion um den Missbrauch stand vor allem der strategische Einsatz des Insolvenzverfahrens mit dem Ziel, das gesellschaftsrechtliche Gestaltungspotenzial zu nutzen. Das insoweit eindrucksvollste Beispiel ist das Verfahren der Suhrkamp Verlagsgesellschaft. Dort wurde über das Insolvenzplanverfahren im Wege einer Umwandlung ein Gesellschafterstreit gelöst, indem der Minderheitsgesellschafter de facto entmachtet wurde.138 Zu Illustrationszwecken soll das Verfahren um die Suhrkamp Verlagsgesellschaft in der folgenden Untersuchung vorangestellt werden, bevor zu klären ist, inwieweit das Insolvenzrecht zur Verdrängung eines Minderheitsgesellschafters eingesetzt werden kann und wo die Grenze zur unzulässigen Rechtsausübung beim Einsatz gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen verläuft. Im Anschluss daran wird auch hier auf die Rechtsschutzmöglichkeiten der Gesellschafter wie auch die haftungsrechtlichen Konsequenzen einzugehen sein.
I. Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG – Beispielsfall aus der Sanierungspraxis 1. Ausgangssituation Die heutige Suhrkamp Verlag AG war vormals in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG verfasst. Der Verlag ist Teil einer Verlagsgruppe, der neben dem Suhrkamp Verlag noch weitere Verlagshäuser angehören. Die persönlich haftende Gesellschafterin der Schuldner-KG war die Suhrkamp Verlagsleitungs-GmbH. Kommanditisten waren die Unseld Familienstiftung mit 61 Prozent der Anteile und die Medienholding AG mit den übrigen 39 Prozent. Über Jahre hinweg bestand andauernder Streit zwischen der Medienholding und der Unseld Familienstiftung, der sich wegen umfangreicher Mitbestimmungsbefugnisse auch auf das operative Geschäft des Verlagshauses auswirkte. Die Auseinandersetzung mündete schlussendlich in der Einleitung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Suhrkamp Verlags. Dem Insolvenzantrag vorausgegangen war ein Urteil des LG Frankfurt a. M.,139 das der Medienholding gegen die spätere Insolvenzschuldnerin einen Zahlungsanspruch als Auszahlung des Anteils am Bilanzgewinn aus den Vorjahren zusprach. Auch der Familienstiftung stand ein solcher Anspruch zu. Der Versuch, qualifizierte Rangrücktritte bezüglich der genannten Ansprüche zu 138 139
Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 ff. LG Frankfurt a. M., Urt. v. 20.03.2013 – 3–13 O 119/12, ZIP 2013, 1280.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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erreichen, scheiterte in gleicher Weise wie die Vornahme liquiditätsstabilisierender Maßnahmen, woraufhin die Geschäftsführung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Überschuldung stellte. Wesentlicher Inhalt des daraufhin vorgelegten Insolvenzplans, den die Minderheitsgesellschafterin zur Vermeidung des Verlusts ihrer Mitbestimmungsrechte unbedingt vermeiden wollte, war die Umwandlung der Schuldnerin in eine Aktiengesellschaft. Der Plan sah darüber hinaus eine Kapitalerhöhung und Vinkulierung gem. § 68 Abs. 2 Satz 1 AktG vor, durch die sich der Wert der Beteiligung ebenfalls reduzierte.140 2. Verfahrensgang Nach Eingang des Insolvenzantrages eröffnete das AG Charlottenburg das Insolvenzverfahren und bestätigte den Insolvenzplan. Noch vor dieser Entscheidung hatte der Minderheitsgesellschafter den Versuch unternommen, das Insolvenzverfahren mitsamt dem Insolvenzplan zu verhindern. Zunächst sollte der Mehrheitsgesellschafter zur Stundung und Erklärung eines qualifizierten Rangrücktritts bezüglich seiner Gewinnforderungen gegen die Gesellschaft verpflichtet werden.141 Nachdem dieses Unterfangen nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte,142 wurde versucht, im Wege einstweiligen Rechtsschutzes Einfluss auf das Stimmverhalten der Mehrheitsgesellschafterin im Planverfahren zu nehmen. Das LG Frankfurt a. M. war von einem groben Treuepflichtverstoß ausgegangen und hatte der Mehrheitsgesellschafterin untersagt, in der Gläubigerversammlung für die Annahme des Insolvenzplans zu stimmen.143 Das OLG Frankfurt a. M. entschied daraufhin jedoch, dass für die rechtliche Würdigung des Verhaltens der Gesellschafter nur das Insolvenzgericht zuständig sei, und stellte die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des LG ein.144 Der Insolvenzplan wurde anschließend vom Insolvenzgericht bestätigt, die dagegen eingelegte Beschwerde des Minderheitsgesellschafters wies das LG Berlin als unzulässig zurück und traf vorsorglich einen Freigabebeschluss gem. § 253 Abs. 4 InsO. Am 17. Juli 2014 hob der BGH die Entscheidung des LG Berlin auf und verwies die Rechtssache zurück. Das LG wies die Beschwerde sodann erneut im Rahmen eines Freigabebeschlusses zurück. Rechtsmittel konnten dagegen nicht mehr eingelegt werden. Auch der auf verfassungsgerichtlicher Ebene angestrebte Rechtsschutz hatte nicht den vom Minderheitsgesellschafter gewünschten Erfolg. Das BVerfG lehnte den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, nachdem es im Rahmen einer Folgenabwägung die 140 Fölsing, ZInsO 2014, 1591 (1592). Ausführlich zum gesamten Verfahrensgang auch Böcker, ZInsO 2015, 773 (774 f.). 141 LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 19.07.2013 – 3–09 O 78/13, NZI 2013, 749; LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.08.2013 – 3–09 O 78/13, NZI 2013, 981. 142 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 29.08.2013 – 5 U 135/13, juris. 143 LG Frankfurt a. M., Urt. v. 10.09.2013 – 3–09 O 96/13, NZI 2013, 986. Vgl. auch Göb, NZI 2013, 963 (967). 144 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2013 – 5 U 145/13, NZI 2013, 978.
120
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
negativen Konsequenzen einer Ablehnung für geringer erachtet hatte als bei Erlass einer einstweiligen Anordnung.145
II. Verdrängung eines Minderheitsgesellschafters – Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten? Das Suhrkamp-Verfahren hat gezeigt, dass das Insolvenzplanverfahren eingesetzt werden kann, um den Einfluss des Minderheitsgesellschafters zu verringern. Der Grund hierfür ist die Ausschaltung der gesellschaftsrechtlichen Schutzmechanismen,146 die für einen Eingriff in die Rechte der Gesellschafter deutlich höhere Hürden aufstellen als die Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens. Für die Vornahme eines Gesellschaftsformwechsels, durch den auch gesellschaftsinterne Machtverhältnisse verschoben werden können, bedarf es außerhalb des Insolvenzverfahrens nach § 217 UmwG nämlich der Zustimmung der Gesamtheit der Gesellschafter.147 Ob und bejahendenfalls inwieweit das Insovenzverfahren zulässigerweise zur Auflösung eines Gesellschafterkonflikts und damit auch zur Verdrängung eines Minderheitsgesellschafters eingesetzt werden kann, wird unterschiedlich beantwortet. Teilweise werden derartige Sanierungsmaßnahmen als zweckwidrig eingestuft und der Insolvenzantrag wie auch der Insolvenzplan demzufolge als unzulässig qualifiziert. Darüber hinaus werden weitere Konzepte zum Schutz des Minderheitsgesellschafters vertreten. Die Anknüpfungspunkte sind dabei unterschiedlicher Natur. Während einige von einer Schlechterstellung gem. § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO ausgehen, um die beschriebenen umfangreichen Handlungsbefugnisse im Rahmen einer Restrukturierung zu restringieren, bemühen andere die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht zum Schutz des Minderheitsgesellschafters. 1. Reichweite des Gesellschafterschutzes durch das wertbezogene Schutzkonzept des ESUG Unabhängig vom Einwand des Rechtsmissbrauchs und der Anwendbarkeit gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten stellt sich zunächst die Frage danach, inwieweit das wertbezogene Schutzkonzept des ESUG Lösungswege bereithält, eine Entmachtung des Minderheitsgesellschafters wie im Fall Suhrkamp zu verhindern. Hierfür ist der Vergleichsmaßstab im Rahmen der Schlechterstellungsprüfung gem. §§ 251, 253 InsO maßgeblich. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO muss der Beschwerdeführer nämlich glaubhaft machen, dass er durch den Insolvenzplan 145
BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13, NJW 2015, 465. Siehe hierzu bereits 4. Kapitel I. 2. b). 147 Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (266). Allgemein zu den Strukturmaßnahmen Simon / Brünkmans, ZIP 2014, 657 (659); Madaus, ZIP 2012, 2133 ff. 146
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
121
schlechter steht, als er ohne den Plan stünde. Zu entscheiden ist deshalb, wann eine Schlechterstellung des Minderheitsgesellschafters gem. § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO bzw. eine Besserstellung des Mehrheitsgesellschafters gem. § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO anzunehmen ist.148 a) Am Liquidationswert orientierter Vergleichsmaßstab Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum ESUG ist für die Schlechterstellungsprüfung das Resultat einer Verwertung ohne Insolvenzplan zugrunde zu legen.149 Aus diesem Grund geht die wohl überwiegende Meinung davon aus, dass sich die Schlechterstellungsprüfung am Liquidationserlös zu orientieren hat, und stellt demgemäß einen Vergleich zwischen der Stellung der Gesellschafter nach Durchführung der Insolvenzplanmaßnahmen und für den Fall der Liquidation des Unternehmensträgers an.150 Hierdurch grenzt sich die nunmehr herrschende Meinung von der früheren Rechtsprechung des BGH151 vor Einführung des ESUG ab, wonach eine Beschwer in Form einer Schlechterstellung durch den Plan gegenüber einem durchgeführten Regelinsolvenzverfahren nicht erforderlich war. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Anteile im Falle der Insolvenz üblicherweise für wertlos hält,152 ist selbstverständlich nicht zu schließen, dass die Anteile stets mit null bewertet werden müssen.153 Andernfalls wäre sowohl die Ausgleichspflicht gem. § 253 Abs. 3 InsO als auch die Einbeziehung der Gesellschafter in das Planverfahren als eigene Gruppe überhaupt obsolet.154 Auch der BGH hat in seiner Entscheidung zum Suhrkamp-Fall, in der es allein um verfahrensrechtliche Aspekte ging, Zweifel daran geäußert, ob angesichts des Fortbestands des Unternehmens der § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO zugrunde liegende Regelfall gegeben sei, in 148
Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 285a. BT-Drucks. 17/5712, S. 34. Dort heißt es ausdrücklich, „dass die „Anteilsinhaber den Liquidationswert ihrer Rechtsstellung nicht verlieren und durch den Plan nicht schlechtergestellt werden, als bei einer Abwicklung des Rechtsträgers.“ 150 Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 9, 13; Sinz, in: MüKo, InsO, § 253 Rz. 32; Streit / Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 19, 22; Braun / Frank, in: Braun, InsO, § 253 Rz. 5; Thies, in: HambK, InsO, § 253 Rz. 18; Gräfin v. Spee, Gesellschafter im Reorganisationsverfahren, S. 160 ff.; Hirte / Knof / Mock, BB 2011, 632 (641); Decher / Voland, ZIP 2013, 103 (107 f.); Leib / Rendels, EWiR 2015, 23 (24); Hölzle, ZIP 2014, 1819 (1822); Altmeppen, in: FS Hommelhoff, S. 1 (19); G. Fischer, NZI 2013, 513 (519); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 55; Rendels / Zabel, Insolvenzplan, Rz. 527. Vgl. auch LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, NZI 2015, 66 (68); LG Hamburg, Beschl. v. 10.12.2014 – 326 T 163/14, ZInsO 2015, 159 (161); Hiebert, ZInsO 2015, 161 (162). Diese Einschätzung teilt auch der ESUG-Bericht, S. 189 f. 151 BGH, Beschl. v. 13.01.2011 – IX ZB 29/10, ZInsO 2011, 280 (281); BGH, Beschl. v. 15.07.2010 – IX ZB 65/10, NZI 2010, 734 (736). 152 BT-Drucks. 17/5712, S. 32. 153 Thole, ZIP 2013, 1937 (1940); C. Schäfer, ZIP 2015, 1208 (1210); ders., ZIP 2014, 2417 (2419); ders., ZIP 2013, 2237 (2240); ders. / Wüstemann, ZIP 2014, 1757 (1768); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 51 f. Vgl. für die Berechnung auch ESUG-Bericht, S. 189. 154 C. Schäfer, ZIP 2013, 2237 (2240); ders. / Wüstemann, ZIP 2014, 1757 (1758). 149
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
dem der Beteiligungswert an einer insolventen Gesellschaft mit null zu bewerten ist.155 Praktische Konsequenz einer am Liquidationswert orientierten Berechnung ist gleichwohl eine äußerst schwache Position des Minderheitsgesellschafters, die sich gerade auch dann zeigt, wenn diesem gesellschaftsvertraglich Sonderrechte zustehen.156 b) Einschränkungen zum Schutz des Minderheitsgesellschafters Gegenüber der Ansicht, dass sich die Schlechterstellungsprüfung anhand des Liquidationsszenarios zu bestimmen hat, finden sich zahlreiche modifizierende Ansätze. Teilweise wird das wertbezogene Schutzkonzept des ESUG überhaupt für nicht verfassungsgemäß gehalten.157 Vor allem besteht Streit darüber, inwieweit der Fortführungswert der Anteile berücksichtigungsfähig ist.158 Zum Schutz des Minderheitsgesellschafters sind im Rahmen der Diskussion um den strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens insbesondere zwei Ansätze vorgeschlagen worden, auf die im Folgenden gesondert eingegangen werden soll. aa) Wirtschaftlicher Ausgleich der Sonderrechte Nach Ansicht von Madaus soll eine Pflicht der Gesellschaft zur Zahlung einer Entschädigung bei Verlust von Sonderrechten bestehen, wenn man mit der genannten herrschenden Auffassung das Liquidationsszenario als Alternative zum Planverfahren im Rahmen von § 251 Abs. 1 Nr. 2 und § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO berücksichtigt.159 Zwar stünden dem Minderheitsgesellschafter gegen die Eröffnung von Insolvenz- und Planverfahren ebenso wenig Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung wie gegen einzelne Planmaßnahmen,160 er habe aber die Möglichkeit, einen Ausgleich über § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu erlangen, der zugleich verfassungs-
155
BGH, Beschl. v. 17.07.2014 – IX ZB 13/14, ZInsO 2014, 1552 (1557). Vgl. im Einzelnen Hölzle, ZIP 2014, 1819 (1822). 157 Bedenken bei C. Schäfer, ZIP 2014, 2417 (2420); Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 104 f.; H.-F. Müller, KTS 2012, 419 (425 ff.); ders., DB 2014, 41 (42); Stöber, ZInsO 2013, 2457 (2459 f.); Pape, ZInsO 2016, 125 (126). Für die Verfassungsmäßigkeit BT-Drucks. 17/5712, S. 18; Smid, ZInsO 2014, 1873 (1874); Decher / Voland, ZIP 2013, 103 (108 ff.); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 240; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 6 ff. Überblicksartig zur Diskussion vgl. ESUG-Bericht, S. 170, wo ausdrücklich die Rede davon ist, dass die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der ESUG-Regelungen nicht ausgeräumt sind, aber die aktuelle rechtspolitische Diskussion über die Regelungen zumindest derzeit nicht bestimmen. 158 Eine Zusammenfassung des Streitstands findet sich etwa bei J. Schmidt, in: Kübler, HRI, § 34 Rz. 88 ff.; Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 59 ff. mit weiteren Nachweisen. 159 Madaus, ZIP 2014, 500 (507). 160 Madaus, ZIP 2014, 500 (503 ff.). 156
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
123
rechtlich geboten sei.161 Hierzu ordnet Madaus die Minderheitsgesellschafter gem. § 222 Abs. 2 InsO zwingend einer eigenen Gruppe zu.162 Verweigern sie dem Plan ihre Zustimmung, so wäre diesem Plan gem. § 250 Nr. 1 InsO die Bestätigung zu versagen.163 Um dieses Blockadepotenzial zu überbrücken, greift er dann aber auf das Obstruktionsverbot gem. § 245 Abs. 1 InsO zurück. Bei wirtschaftlicher Gesamtbetrachtung liege zwar eine Besserstellung des Mehrheitsgesellschafters im Sinne von § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO vor, doch ermögliche es § 245 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 2 InsO wiederum diese Besserstellung wirtschaftlich auszugleichen. Nach dem Lösungsvorschlag von Madaus entsteht hierdurch die Situation eines „insolvenzrechtlichen Squeeze out“,164 wonach die rechtliche Besserstellung des Mehrheitsgesellschafters dem Minderheitsgesellschafter finanziell auszugleichen ist. bb) Unzulässigkeit der Verschlechterung der Mitgliedschaft bei nicht bezifferbarer Werthaltigkeit Nach einer weiteren in der Literatur vertretenen Auffassung soll die Umgestaltung von Gesellschaftsanteilen im Insolvenzplan stets unzulässig sein, wenn es hierdurch zu einem Wertverlust der Mitgliedschaft kommt, der nicht beziffert werden kann.165 Die insolvenzrechtlichen Verfahrensvorschriften könnten die zwingenden materiellen Schutzinstrumente nicht suspendieren.166 Die vermögensbezogene Sichtweise des Insolvenzrechts stoße dann an ihre Grenzen, wenn die Nachteile auf Modifizierungen der fortbestehenden Mitgliedschaft beruhen.167 Die Mitgliedschaft und der darin enthaltene Vermögenswert könnten nicht voneinander getrennt werden, da die Modalitäten selbiger zu den wertbildenden Faktoren gehörten. Allein der Umstand, dass der Nachteil bei Kürzung mitgliedschaftlicher Rechte für den Gesellschafter nicht bezifferbar ist, begründe die Unzulässigkeit solcher Maßnahmen.168
161
Madaus, ZIP 2014, 500 (507). Madaus, ZIP 2014, 500 (506 f.). Die Einordnung von Minderheits- und Mehrheitsgesellschafter in nur eine Gruppe sei angesichts des Gleichbehandlungsgebots aus § 226 Abs. 1 InsO unzulässig, wenn es zu einer Neuverteilung der Machtverhältnisse kommt. 163 Madaus, ZIP 2014, 500 (507). 164 Madaus, ZIP 2014, 500 (507). 165 C. Schäfer, ZIP 2014, 2417 (2419). 166 C. Schäfer, ZIP 2014, 2417 (2418 f.). 167 C. Schäfer, ZIP 2014, 2417 (2419); ders., ZIP 2013, 2237 (2240, 2242) noch mit stärkerem Blick auf die Treuepflichten. 168 C. Schäfer, ZIP 2014, 2417 (2419). Ähnlich auch Westermann, NZG 2015, 134 (138 sowie 142), wobei nicht eindeutig erkennbar ist, ob er zur Begründung auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht abstellt oder per se von der Unzulässigkeit der Maßnahme ausgeht. 162
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
c) Stellungnahme und Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit soll die Verfassungsmäßigkeit des ESUG unterstellt werden, denn die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit ist von der Frage des Missbrauchs grundsätzlich zu trennen.169 Ferner ist im Folgenden mit der Gesetzesbegründung und der herrschenden Ansicht davon auszugehen, dass für die Bewertung der Anteile bei der Schlechterstellungsprüfung grundsätzlich der Liquidationswert zugrunde zu legen ist. Wie noch im Rahmen der Unternehmensübernahme mittels Debt Equity Swap zu zeigen sein wird, mag man hiervon zur Vermeidung des Missbrauchseinwands im Ausnahmefall abrücken. In einer Konstellation, wie sie dem Insolvenzverfahren der Suhrkamp Verlagsgesellschaft zugrunde lag, bieten jedoch auch die modifizierenden Ansichten keinen umfänglichen Schutz, denn dem Gesellschafter gewähren sie im besten Fall einen Wertersatz für seine Beteiligung. Die Vornahme der Planmaßnahme kann er, anders als bei dem auf die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten und den zweckwidrigen Einsatz gestützten Missbrauchseinwand, nicht verhindern. Dies kann auch der Lösung über einen insolvenzrechtlichen Squeeze-out entgegengehalten werden. Sie steht zudem nicht mit dem Wortlaut des § 222 Abs. 2 Satz 1 InsO in Einklang, wonach die Gruppenbildung nach wirtschaftlichen Interessen lediglich fakultativ ist.170 Einzig die Ansicht, die eine Umgestaltung von Gesellschaftsanteilen im Insolvenzplan für unzulässig erachtet, wenn es hierdurch zu einem Wertverlust der Mitgliedschaft kommt, der nicht beziffert werden kann, bietet dem Minderheitsgesellschafter einen solchen Schutz. Hierfür findet sich jedoch schon kein Anhaltspunkt im Gesetz. Soweit auf die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten abgestellt wird, setzt dies deren Anwendbarkeit im eröffneten Insolvenzverfahren voraus, die es im folgenden Abschnitt zu erörtern gilt. 2. Schutz des Minderheitsgesellschafters durch die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten Zum Zwecke der Begrenzung gesellschaftsrechtlicher Eingriffsbefugnisse wird auf den Missbrauchseinwand nicht allein vor dem Hintergrund der haftungsrechtlichen Ausrichtung des Insolvenzverfahrens und der Verfahrenszweckbestimmung des § 1 InsO zurückgegriffen, sondern auch im Hinblick auf einen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten.171 Für ein besseres Verständnis der gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten sollen zunächst ihr Ursprung und ihre
169
Vgl. hierzu bereits 3. Kapitel I. 2. Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 22. 171 Auch der Minderheitsgesellschafter im Suhrkamp-Fall hat auf diese Weise versucht, die Zustimmung der Mehrheitsgesellschafterin zum Insolvenzplan zu verhindern, vgl. LG Frankfurt a. M., Urt. v. 10.09.2013 – 3-09 O 96/13, NZI 2013, 986. Zum Einwand der Zweckwidrigkeit vgl. noch 6. Kapitel II. 3. 170
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
125
Wirkungsweise erläutert werden. Sodann ist auf ihre Geltung in Bezug auf das Insolvenzverfahren einzugehen. Dabei sind im Wesentlichen zwei Meinungsstränge auszumachen. Während sich eine Ansicht für die uneingeschränkte Fortgeltung der Treuepflichten auch in der Insolvenz ausspricht, hält eine andere Ansicht sie für ausgeschlossen oder modifiziert deren Wirkung. a) Ursprung und Wirkungsweise Die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten bilden einen wesentlichen Teil des Verbandsrechts und sind für das Gesellschaftsverhältnis schlechthin konstitutiv.172 Ihren Ursprung hat die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Recht der Personengesellschaften, wo sie ihre Grundlage in der Mitgliedschaft, also dem der Gesellschaft zugrunde liegenden Vertrag hat. Sie wird durch das objektive Recht ausgestaltet und prägt das Sonderrechtsverhältnis der Gesellschafter.173 Die Schutzrichtung ist eine doppelte: Da die Mitgliedschaft innerhalb einer Gesellschaft ein Rechtsverhältnis zwischen den Gesellschaftern untereinander und zu der Gesellschaft selbst herstellt, wirkt auch die aus ihr abgeleitete Treuepflicht in diese beiden Richtungen.174 Sie tritt indes nicht nur als Minderheitenschutzrecht in Erscheinung, sondern gilt in gleicher Weise für die Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Einzelbefugnisse und Minderheitsrechte.175 Inhaltlich vermag die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht die Ausübung bestehender Rechte zu begrenzen und darüber hinaus auch Pflichten zu begründen.176 Die jeweiligen Auswirkungen der Treuepflichten sind vom Einzelfall abhängig. Als entscheidende Faktoren sind die Realstruktur der Gesellschaft sowie der Zweck der Gesellschaft auszumachen.177 Dabei gilt: Je personalisierter die gesellschaftliche Struktur ist, desto intensiver wirken die Treuepflichten.178 Der BGH übertrug die aus dem Personengesellschaftsrecht bekannten Treuepflichten mit dem ITT-Urteil179 zunächst auf die GmbH und anschließend im Girmes-Urteil180 auf das Aktienrecht. In der letztgenannten Entscheidung wurde auch die Frage nach einer positiven Zustimmungs-
172
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 1 a); Priester, in: FS Kübler, S. 557 (561); Thole, ZIP 2013, 1937 (1938); Roth, in: Baumbach / Hopt, HGB, § 109 Rz. 23. 173 K. Schmidt, in: MüKo, HGB, § 105 Rz. 188. 174 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 1 b) und c); Born, in: E / B/J / S, HGB, § 109 Rz. 20; Roth, in: Baumbach / Hopt, HGB, § 109 Rz. 23. 175 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 3 b) und c). 176 Roth, in: Baumbach / Hopt, HGB, § 109 Rz. 23; K. Schmidt, in: MüKo, HGB, § 105 Rz. 191 f.; Finckh, in: Henssler / Strohn, Gesellschaftsrecht, § 109 HGB Rz. 24. 177 Born, in: E / B/J / S, HGB, § 109 Rz. 20; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 2 d); C. Hofmann, Minderheitenschutz im Gesellschaftsrecht, S. 29. 178 K. Schmidt, in: MüKo, HGB, § 105 Rz. 190; Roth, in: Baumbach / Hopt, HGB, § 109 Rz. 23; Lieder, in: Oetker, HGB, § 109 Rz. 25. 179 BGH, Urt. v. 05.06.1975 – II ZR 23/74, NJW 1976, 191. 180 BGH, Urt. v. 20.03.1995 – II ZR 205/94, NJW 1995, 1739.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
pflicht zu einer Sanierungsmaßnahme diskutiert, die den Auftakt zur Diskussion um die Wirkungsweise der Treuepflichten in Sanierungssituationen in Gang setzte.181 Seit der „Sanieren oder Ausscheiden“-Rechtsprechung182 zum Personen gesellschaftsrecht ist im Grunde anerkannt, dass die Gesellschafter auch in außerinsolvenzlichen Sanierungssituationen einander treuepflichtig verbunden sind.183 Die Folgen eines Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten hängen von der jeweils verletzten Pflicht ab. Denkbar sind Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Auch kann einer treuwidrigen Rechtsausübung die Anerkennung gänzlich verweigert werden. Bei einer treuepflichtwidrigen Stimmabgabe sind etwa die abgegebenen Stimmen nichtig und werden nicht berücksichtigt.184 b) Potenzielle Wirkung der Treuepflichten in der Insolvenz Für das Insolvenzverfahren ist vor allem die handlungsbegrenzende Wirkung der mitgliedschaftlichen Treuepflichten von Interesse. Auch der Minderheitsgesellschafter im Suhrkamp-Fall hat sich auf die handlungsbegrenzende Wirkung der Treuepflichten berufen und eingewandt, dass die geplante Umwandlung treuwidrig sei, sodass die Zustimmung zum Insolvenzplan nicht erteilt werden dürfe. Die pflichtbegründende Wirkung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten dürfte angesichts des in § 245 Abs. 1, 3 InsO geregelten Obstruktionsverbots im Insolvenzplanverfahren keine Rolle spielen. Hierdurch kann die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe fingiert werden, sodass es der gerichtlichen Durchsetzung einer Zustimmung nicht bedarf und ein Rückgriff auf gesellschaftsrechtliche Treuepflichten entbehrlich ist. c) Fortgeltung der Treuepflichten? Auf diese handlungsbegrenzende Wirkung aber kann nur abgestellt werden, wenn die Treuepflichten in der Insolvenz fortgelten. Es ist anerkannt, dass die Treuepflichten der Gesellschafter in außerinsolvenzlichen und außergerichtlichen Sanierungssituationen ihre Wirkung behalten.185 Inwiefern diese Aussage auch für das Eröffnungsverfahren und ein laufendes Insolvenzverfahren Geltung beansprucht, ist umstritten. Geht man von einer uneingeschränkten Fortgeltung der 181
Thole, ZIP 2013, 1937 (1938). BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, NJW 2010, 65. 183 Thole, ZIP 2013, 1937 (1938). 184 Zum Kapitalgesellschaftsrecht BGH, Urt. v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, NJW 1991, 846; Seibt, ZIP 2014, 1909 (1915); Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 179 Rz. 31. Zum Personen gesellschaftsrecht Roth, in: Baumbach / Hopt, HGB, § 109 Rz. 28; Lieder, in: Oetker, HGB, § 109 Rz. 32; Born, in: E / B/J / S, HGB, § 109 Rz. 25. 185 Thole, ZIP 2013, 1937 (1938); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 81 f. 182
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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Treuepflichten aus, so begrenzen diese auch im Insolvenzverfahren die Befugnisse des § 225a InsO. Oftmals werden die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze und mit ihnen die Treuepflichten hingegen als vom Insolvenzrecht überlagert angesehen. Der Diskussionsstand um das Für und Wider der Geltung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten im Insolvenzverfahren lässt sich grob in zwei Meinungsstränge aufteilen. In der nun folgenden Darstellung sind prozessrechtliche Einwände betreffend den außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz ausgeklammert.186 Nur soweit es für die Beantwortung der Frage nach der materialen Geltung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht auf verfahrensrechtliche Vorschriften des Insolvenzplans ankommt, wird auf diese einzugehen sein. aa) Überlagerung der Treuepflichten durch das Insolvenzrecht Die wohl herrschende Meinung geht davon aus, dass die Treuepflichten durch das Insolvenzrecht überlagert werden.187 Wesentliche Determinanten der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sind die objektive Rechtsordnung und der Gesellschaftszweck. An diese beiden Punkte knüpft auch die ablehnende Ansicht argumentativ an. Da mit der Insolvenzeröffnung der Verband aufgelöst wird, entfalle die Zweckförderungspflicht, an deren Stelle wiederum der Insolvenzzweck der Gläubigerbefriedigung trete.188 In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird auf die Vorschriften des ESUG und deren Regelungszweck verwiesen. Die Vermischung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht sowie die von einem „Treuepflicht-Torpedo“ ausgehende Gefahr für eine reibungslose und praktikable Sanierung stünden der Anwendbarkeit von Treuepflichten im Insolvenzverfahren entgegen.189 Es sei das erklärte Ziel des Gesetzgebers gewesen, die Blockademacht der Gesellschafter zu durchbrechen.190 Die gesetzgeberische Entscheidung, Anteile in der Insolvenz als 186
Vgl. hierzu noch 6. Kapitel III. 1. d). Hölzle, ZIP 2013, 1846 (1847); Eidenmüller, in: MüKo, InsO, § 225a Rz. 79; ders., NJW 2014, 17 (18); OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2013 – 5 U 145/13, NZI 2013, 978 (979); Haas, NZG 2012, 961 (965); Kluth, GWR 2013, 524; Thole, ZIP 2013, 1937 (1939 ff.); Graf Brockdorff / Heintze / Rolle, BB 2014, 1859 (1860 f.); Seibt / Bulgrin, ZIP 2017, 353 (358 ff.) sowie Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 298 ff., die die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht jedoch für anwendbar erachtet, wenn die gesellschaftsrechtliche Maßnahme keinen Bezug zur Gläubigerbefriedigung und letztlich ebenso wenig einen Massebezug aufweist. 188 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2013 – 5 U 145/13, NZI 2013, 978 (979); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 83 f., 86; Eidenmüller, in: MüKo, InsO, § 225a Rz. 79. Weniger drastisch Priester, in: FS Kübler, S. 557 (564), der von einer Modifizierung der Treuepflichten ausgeht, soweit der Zweck des Insolvenzrechts vorrangig ist. 189 Thole, ZIP 2013, 1937 (1940 f.); OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2013 – 5 U 145/13, NZI 2013, 978 (979). Ebenso für den Vorrang des Insolvenzrechts Hölzle, ZIP 2014, 1819, der angesichts des Beschwerdegegenstands der kommentierten Entscheidung des BGH die Treuepflichtbindung gänzlich außer Betracht lässt. 190 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2013 – 5 U 145/13, NZI 2013, 978 (980); Thole, ZIP 2013, 1937 (1940). 187
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
wertlos anzusehen, komme in den Regelungen des ESUG mehrfach zum Ausdruck und offenbare die nachgeordnete Stellung der Gesellschafter.191 Der statusrechtliche Schutz sei ihnen jedenfalls entzogen, sodass sie nur noch als Verfahrens beteiligte am Planverfahren zu behandeln seien.192 Die gesetzlichen Vorschriften des Minderheitenschutzes im Insolvenzplanverfahren werden aufgrund der vergleichbaren Schutzrichtung dann als vorrangig erachtet. Im Rahmen der Argumentation wird insbesondere § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO herangezogen. Die Vorschrift schließe sämtliche Stimmrechtsbeschränkungen aus, wozu auch die handlungsbegrenzend wirkende Treuepflicht gehören soll.193 Danach überlagere das Insolvenzrecht im Ergebnis in verfahrensrechtlicher und auch materieller Hinsicht das Gesellschaftsrecht sowie die darin verwurzelten Grundsätze. Dementsprechend bleibt dem Gesellschafter der Einwand treuwidrigen Verhaltens nach Stellung eines Eröffnungsantrages nach dieser Ansicht verwehrt. Hierzu ist wohl auch die Ansicht zu zählen, wonach sich die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten während des Insolvenzverfahrens am vermögensbezogenen System des ESUG messen lassen müssen.194 Im Ergebnis führt sie jedenfalls zu keiner abweichenden Bewertung. bb) Keine Auswirkung auf die Treuepflichten Demgegenüber haben sich auch einige Stimmen der Entscheidung des LG Frankfurt a. M. angeschlossen und gehen von einer Fortgeltung der Treuepflichten im Insolvenzverfahren aus.195 Im Zentrum der Begründung steht § 225a InsO. 191
Hölzle, ZIP 2013, 1846 (1847, 1851); Thole, ZIP 2013, 1937 (1940). Thole, ZIP 2013, 1937 (1943); OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2013 – 5 U 145/13, NZI 2013, 978 (979). 193 Thole, ZIP 2013, 1937 (1943); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 85; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2013 – 5 U 145/13, NZI 2013, 978 (979). 194 Priester, in: FS Kübler, S. 557 (565 f.). Maßgebliches Kriterium für das Vorliegen eines Treuepflichtverstoßes sei demnach eine erhebliche Schlechterstellung, die sich zwangsläufig am vermögensbezogenen System der InsO zu orientieren habe. 195 Stöber, ZInsO 2013, 2457 (2463 f.); Spliedt, ZInsO 2013, 2155 (2166 f.); C. Schäfer, ZIP 2013, 2237 (2243); Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 193, der grundsätzlich von der Fortgeltung der Treuepflicht ausgeht, deren Bedeutung im Einzelfall aber vom Fortführungswert der Gesellschaftsanteile abhängig machen will; im Ergebnis auch J.-H. Kern, Die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Insolvenzplanverfahren, S. 351 ff., der das „Ob“ der Fortgeltung der Treuepflichten von einer Auslegung der einzelnen Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens und das „Wie“ von der inhaltlichen Ausrichtung des Insolvenzplans abhängig macht. Für die Fortgeltung der Treuepflicht schon vor dem Urteil des LG Frankfurt a. M. und im Anschluss daran Fölsing, ZInsO 2013, 1325 (1330); ders., ZInsO 2013, 2263 f. Im Grunde ist auch H.-F. Müller, DB 2014, 41 (45) für eine modifizierte Fortgeltung der Treuepflicht. Meyer, ZInsO 2013, 2361 (2368) hält die Treuepflichten zwar für anwendbar, verneint jedoch die Kausalität einer Treuepflichtverletzung, weil die Zustimmung der Gesellschafter für die Annahme des Insolvenzplans nicht erforderlich sei. Auf die Möglichkeit, die Gesellschafter zu überstimmen, weist ferner Brinkmann, ZIP 2014, 197 (203) hin. 192
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
129
Die Norm sei unter Berücksichtigung von Art. 9 GG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Treuepflichten fortgelten. Ein schwerwiegender Verstoß müsse von Verfassungs wegen über die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht angreifbar sein.196 Eine Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Insolvenzrecht wird nur insofern angenommen, als die insolvenzliche Aufopferungspflicht das aus der Treuepflicht abgeleitete Blockadeverbot der einzelnen Gesellschafter überlagert.197 Die der Treuepflicht zu entnehmenden Schranken der Mehrheitsmacht blieben hingegen bestehen.198 Einer Stimmrechtsbeschränkung könne auch § 238a InsO nicht entgegenstehen. Da § 238a Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmt, dass sich das Stimmrecht allein nach der Beteiligung am gezeichneten Kapital oder dem Vermögen des Schuldners richtet, könne vom Ausschluss der Beschränkungen gem. § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO nur die Bemessung des Stimmrechts erfasst sein.199 Zugleich warnt man vor der Gefahr einer Verlagerung gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten in ein Insolvenzverfahren.200 d) Stellungnahme aa) Ausschluss im eröffneten Verfahren Für den Ausschluss der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht streitet vor allem die Zusammenschau der gesetzlichen Regelungen. § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO steht zu der Einflussnahme auf das Stimmverhalten jedoch nur prima facie im Widerspruch. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht scheint aufgrund ihrer rechtsbeschränkenden Wirkung als Ausübungsschranke dem Wortlaut zufolge ausgeschlossen zu sein. Auch den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich zu der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht keine ausdrückliche Aussage entnehmen. Dort heißt es, dass in der Insolvenz allein die Kapitalbeteiligung relevant sein könne. Stimmrechtsbeschränkungen, Mehrstimmrechte oder Sonderstimmrechte seien bei der Bemessung des Stimmrechts nicht zu berücksichtigen.201 Das LG Frankfurt a. M. hat zu Recht festgehalten, dass § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO die Treuepflicht im Insolvenzplanverfahren nicht auszuschließen vermag.202 Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht wird in der Tat nicht gegen die Bemessung der Stimmrechte erhoben, sondern gegen den Inhalt der Maßnahme. Insofern steht § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO dem Einwand treuwidrigen Verhaltens nicht entgegen.
196
Stöber, ZInsO 2013, 2457 (2463). C. Schäfer, ZIP 2013, 2237 (2241 f.). 198 C. Schäfer, ZIP 2013, 2237 (2241). 199 LG Frankfurt a. M., Urt. v. 10.09.2013 – 3–09 O 96/13, NZI 2013, 986 (990) unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 200 LG Frankfurt a. M., Urt. v. 10.09.2013 – 3–09 O 96/13, NZI 2013, 986 (989). 201 BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 202 Anders Thole, ZIP 2013, 1937 (1943). 197
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Gegen die Geltung gesellschaftsrechtlicher Schutzmechanismen kann allerdings auf die §§ 251, 253 InsO mit der Begründung verwiesen werden, dass die rein vermögensrechtliche Ausgestaltung des Rechtsschutzes der Gesellschafter im Insolvenzplanverfahren die materiellen Vorgaben des Gesellschaftsrechts verdrängt.203 Dem könnte man zwar entgegenhalten, dass sich der verfahrensrechtliche Rechtsschutz nicht auf die Treuepflichten im Rahmen einer inhaltlichen Prüfung der Maßnahmen auswirkt, doch hat bereits Thole hierzu richtigerweise festgestellt, dass eine trennscharfe Einordnung der Treuepflichten in die Kategorien „formell“ und „materiell“ nicht möglich ist. Er schlägt vor, die Frage allgemeiner danach zu stellen, ob es im Insolvenzplanverfahren noch Platz für eine überlagernde Treuepflicht gibt, die das Abstimmungsverhalten eines Gesellschafters beeinflusst.204 Dagegen sprechen dann aber der Minderheitenschutz des § 251 InsO sowie der darin enthaltene Gedanke einer vermögensbezogenen Betrachtung. Bei einigen Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens handelt es sich um spezielle Verankerungen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Hierzu zählen das Obstruktionsverbot, welches vor einer unberechtigten Blockade schützt, sowie der Minderheitenschutz des § 251 InsO. Letztere Vorschrift modifiziert den üblicherweise geltenden Schutz des Minderheitsgesellschafters und genießt als lex specialis gegenüber diesem Vorrang. Überall dort, wo der Gesetzgeber zur Regelung eines nicht kodifizierten Rechtsinstituts tätig geworden ist, bleibt kein Raum mehr für die Anwendbarkeit allgemeiner Grundsätze.205 Die Berücksichtigung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten würde darüber hinaus das wertbezogene Schutzkonzept des ESUG unzulässigerweise in Frage stellen. Auch wenn man die Entscheidung des Gesetzgebers für ein solches Konzept in rechtspolitischer Hinsicht für kritikwürdig hält, ist die Entscheidung als solche zu akzeptieren.206 bb) Geltung im Vorfeld der Insolvenz Die Argumentation für einen Ausschluss gesellschaftsinterner Vorschriften mitsamt der Treuepflichtbindung mag im eröffneten Verfahren überzeugen, nicht aber für die Zeit vor Antragstellung und das Eröffnungsverfahren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der gesetzlich geregelte Minderheitenschutz als tragendes Argument gegen die Fortgeltung der Treuepflichten207 vor Verfahrenseröffnung keine Wirkung entfaltet. Es könnte zwar angenommen werden, dass dieser die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen bereits im Vorfeld beeinflusst, womit die Wirkung der Treuepflichten gleichsam schon im Falle drohender Insolvenz ein-
203
Vgl. auch H.-F. Müller, DB 2014, 41 (44 f.). Thole, ZIP 2013, 1937 (1941). 205 Ebenso Haas, NZG 2012, 961 (965); Thole, ZIP 2013, 1937 (1942 f.). 206 So schon Thole, ZIP 2013, 1937 (1940). 207 Eidenmüller, NJW 2014, 17 (18); Madaus, ZIP 2014, 500 (504); H.-F. Müller, DB 2014, 41 (45). 204
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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geschränkt wäre. Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass der rein vermögensbezogene Rechtsschutz speziell auf das eröffnete Verfahren zugeschnitten ist.208 Eine Ausweitung dieses ohnehin schon einschneidenden Eingriffs in die Gesellschaftsbeteiligung lässt sich vor der Verfahrenseröffnung nicht rechtfertigen. Das gilt umso mehr, als durch den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung erheblich nach vorne verlagert werden kann.209 Die Antragstellung ist in diesem Fall bloß fakultativ.210 Auch gesetzgeberische Motive stehen dieser Annahme nicht entgegen. In der Begründung zum ESUG zeigt sich an mehreren Stellen, dass mit dem Gesetz nur die Sanierung im Insolvenzplanverfahren geregelt werden sollte.211 Das erklärte Ziel, „Hemmnisse“ und „Verzögerungen“ abzubauen, bezieht sich ausdrücklich nur auf das Insolvenzplanverfahren.212 Bis zu der mit der Verfahrenseröffnung einhergehenden Änderung des Gesellschaftszwecks213 bleiben die gesellschaftsrechtlichen Strukturen bestehen. Gesellschafts- und Insolvenzrecht sind, solange sich der Vorrang des Insolvenzrechts nicht normativ begründen lässt, autonom.214 Vor und nach Antragstellung kann die Treuepflicht gegen die Antragstellung215 oder zur Vermeidung eines Antragsgrundes216 geltend gemacht werden. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht kann etwa dazu verpflichten, einen Anspruch nicht fällig zu stellen oder einen bereits fälligen Anspruch zu stunden.217 3. Schutz des Minderheitsgesellschafters durch den gegen das Insolvenzverfahren gerichteten Missbrauchsvorwurf a) Meinungsstand zum zweckwidrigen Einsatz des Insolvenzverfahrens Darüber hinaus wird der strategische Einsatz des Insolvenzverfahrens im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich erachtet. Schon zu einer Zeit, zu der sich die InsO gegenüber dem Gesellschaftsrecht noch „neutral“ verhielt, warnten selbst die Befürworter einer Reform des Insolvenzplanverfahrens vor dem Missbrauch der
208 Im Grunde auch Möhlenkamp, BB 2013, 2828 (2829): „Die Legitimität eines durch Anteilsinhaber ungestörten Insolvenzverfahrens sinkt aber in dem Maße, wie der Gesellschaftsanteil schon vor oder zu Beginn der Insolvenz noch einen (Sanierungs-)Wert hat.“ 209 Vgl. hierzu bereits 4. Kapitel III. 3. 210 Vgl. noch 6. Kapitel III. 1. d) bb) (2) (b) (aa) zu den gesellschaftsinternen Voraussetzungen. 211 BT-Drucks. 17/5712, S. 17 ff. 212 BT-Drucks. 17/5712, S. 19. 213 Hierzu Thole, ZIP 2013, 1937 (1943). 214 Bedenken gegen den Vorrang des Insolvenzrechts vor Verfahrenseröffnung finden sich auch bei Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2006) sowie Saenger / Al-Wraikat, NZG 2013, 1201 (1206). 215 Ebenso Meyer, ZInsO 2013, 2361 (2367). 216 Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (269 f.). 217 Vgl. noch 6. Kapitel III. 1. d) bb) (2) (b) (bb).
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Sanierungsmöglichkeiten.218 Gegenstand des Missbrauchsvorwurfs ist dann nicht die Ausübung des Planvorlagerechts, wie es der Regelung des § 231 Abs. 2 InsO zugrunde liegt,219 sondern der Planinhalt. Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens mit dem Ziel der Vornahme einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme, wie etwa einer Umwandlung, soll missbräuchlich sein, wenn sich die Regelungen des Insolvenzplans auf die Maßnahmen des § 225a InsO beschränken, also ein reiner „§ 225a-Plan“220 vorliegt. Die Zweckwidrigkeit der Nutzung ließe sich für diesen Fall aus dem Verfahrenszweck des § 1 Satz 1 InsO herleiten.221 Auch wenn der Sanierungsgedanke das Insolvenzrecht beherrscht und die Gesetzesänderungen der letzten Jahre bestimmt habe, müssten sich die Sanierungsmittel am Verfahrenszweck der Gläubigerbefriedigung gem. § 1 Satz 1 InsO messen lassen.222 Dementsprechend stünde das Hinausdrängen eines Gesellschafters nicht im Einklang mit dem Verfahrenszweck der Gläubigerbefriedigung und sei demzufolge als missbräuchlich zu qualifizieren.223 Zur Schlichtung einer gesellschaftsinternen Auseinandersetzung müsse vorrangig auf die entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Mittel zurückgegriffen werden.224 So bestünde im Personengesellschafts 218 Brüning, Gesellschafter und Insolvenzplan, S. 360; Sassenrath, ZIP 2003, 1517 (1526). Zu diesen Risiken bereits nach Einführung der InsO Smid / Rattunde, in: Smid, InsO, § 221 Rz. 16. 219 Wird eine verfahrensrechtliche Handlung allein zu Verzögerungszwecken eingesetzt, so ist diese schon nach prozessrechtlichen Grundsätzen unzulässig. Verzögert der Schuldner durch die Vorlage von „Plan um Plan“ die Verwertung und Verteilung, so steht diese Zielsetzung im Widerspruch zum Verfahrenszweck des § 217 InsO, vgl. Eidenmüller, in: MüKo, InsO, § 218 Rz. 173. 220 So die Wortwahl von H.-F. Müller, DB 2014, 41 (45). 221 Brinkmann, ZIP 2014, 197 (199). Ebenso Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268 sowie 271); Brünkmans, in: ders. / T hole, Insolvenzplan, § 30 Rz. 88 ff.; Werner, NWB 2014, 1453 (1459); Meyer, DB 2015, 538 (540). Auch Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 283; ders., ZIP 2014, 1937 (1945); Priester, in: FS Kübler, S. 557 (565) sowie K. Schmidt, in: ders. / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 8.1 gehen grundsätzlich von der Möglichkeit eines insolvenzzweckwidrigen Insolvenzplans aus. 222 Brinkmann, ZIP 2014, 197 (199 f.); K. Schmidt, in: ders. / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 8.1. In diese Richtung auch Kayser, Beilage ZIP 22/2016, 40. 223 Brinkmann, ZIP 2014, 197 (200); Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268); Brünkmans / Greif-Werner, ZInsO 2015, 1585 (1592); Brünkmans, in: ders. / Thole, Insolvenzplan, § 30 Rz. 89. Allgemein Zweifel an der Zulässigkeit hegen auch H.-F. Müller, NZI 2014, 756 (757); Pape, ZInsO 2013, 2129 (2136) sowie Paulus in seiner gutachterlichen Stellungnahme zur Causa Suhrkamp im Auftrag der Medien Holding AG, abrufbar unter: http://prozessbeobachter.net/ news/wp-content/uploads/2013/09/PAULUS-Gutachten-Stellungnahme.pdf (zuletzt abgerufen am 14.07.2019). Verständnis für diese Auffassung zeigen auch die Forscher der ESUG-Evaluierung, wenn es auf S. 176 des Berichts heißt: „Die Analyse von Literatur und Fallstudien zeigt zugleich, dass sich Unmut an der ESUG-Regelung [§ 225a Abs. 3 InsO, Anm. d. Verf.] dann entzündet, wenn – wie im Suhrkamp-Fall – ein Missbrauch vorzuliegen scheint. Pläne und Insolvenzverfahren, die bei einer Gläubigebefriedigung von 100 Prozent allein dazu dienen, Machtverhältnisse zwischen Gesellschaftern zu verändern, müssen sich kritische Fragen aus dem gesellschaftsrechtlichen Schrifttum gefallen lassen.“ 224 Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268). Generell zum freiwilligen und unfreiwilligen Ausscheiden des Gesellschafters C. Hofmann, Minderheitenschutz im Gesellschaftsrecht,
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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recht gem. § 140 HGB die Möglichkeit einer Ausschließungsklage, bei der GmbH könnten die Geschäftsanteile nur unter den Voraussetzungen des § 34 GmbHG eingezogen werden.225 Anderen Stimmen zufolge tritt die Bedeutung von § 1 InsO zurück. Gesellschaftsrechtliche Restrukturierungsmaßnahmen sollen immer schon dann zulässig sein, wenn sie die Haftungsmasse, also den haftenden Unternehmenswert erhöhen.226 Teilweise wird es sogar für ausreichend erachtet, wenn sie auf irgendeine Weise dem Unternehmen nützen. So soll die Auflösung eines Gesellschafterkonflikts zulässig sein, wenn hierdurch die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft und eine durch § 18 InsO konkretisierte Gefahr des Unternehmenserfolgs abgewendet werden kann.227 Anhaltspunkte für diese Sichtweise lassen sich auch einem der beiden verfassungsgerichtlichen Beschlüsse zum Fall Suhrkamp entnehmen. Das BVerfG hatte über einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG zu entscheiden, mit dem der Minderheitsgesellschafter sich gegen das Eröffnungsverfahren und die Bestätigung des Insolvenzplans wandte. Um das Resultat der doppelten Nachteilsabwägung zu stärken, legte das BVerfG darüber hinaus Zweifel an der Sanierungsfähigkeit des Verlagshauses dar, sollte der Insolvenzplan nicht durchgeführt werden. Unter Hinweis auf die Uneinigkeit der Gesellschafter sei es nicht vorstellbar, wie eine Sanierung des Unternehmens bei Beibehaltung des maßgeblichen Einflusses beider Gesellschafter aussehen könnte.228 Es scheint, als hielte das BVerfG es für zulässig, mit dem Insolvenzverfahren die durch einen Gesellschafterstreit bedingte Blockade zu lösen.229 Zweifel an der Notwendigkeit
S. 367 ff. Kritisch auch K. Schmidt am 18. Juni 2015 auf der Feier zum zehnjährigen Beste hen des Zentrums für Insolvenz und Sanierung an der Universität Mannheim e. V. (ZIS), demzufolge die InsO bei der Sanierung als „Blaupause“, aber nicht als „Königsweg“ zu nutzen sei, vgl. INDat Report 04/2015, S. 28 ff., abrufbar unter: http://www.zis.uni-mannheim. de/veranstaltungen/f ruehere_veranstaltungen/insolvenzrechtstage/ab%202014/2015_06_19/ Kongresse&Tagungen_ Mannheimer%20Insolvenzrechtstag_INDat-Report-04_2015.pdf (zuletzt abgerufen am 02.07.2019); Jahn, Joachim: „Sorge vor Missbrauch des Insolvenzrechts – Erfahrungen zeigen: Reform hat ‚strategische Insolvenzen‘ ermöglicht“, in: FAZ, 01.07.2015, S. 16. 225 Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268). 226 Eidenmüller, ZIP 2013, 1197 (1202). 227 Madaus, ZIP 2014, 500 (501). Vergleichbar auch Gundlach / Müller / Rautmann, ZInsO 2015, 889 (891), die den Missbrauchseinwand schon ablehnen wollen, wenn das Insolvenzplanverfahren für den Schuldner sinnvoll ist. In Anlehnung hieran ähnlich Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 139 sowie Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 62 ff., 202 f., die sich ebenso wie Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 279 für die Einordnung in die Kategorie des Missbrauchs an der Art und Weise der Gesellschafterauseinandersetzung sowie dem Grund hierfür orientieren. 228 BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13, NJW 2015, 465 (468). 229 So deutet auch Bähr, EWiR 2015, 49 (50) die Entscheidung. Er konstatiert: „Jeder, der ‚strategische Insolvenzen‘ zur planvollen Erreichung eines wirtschaftlichen Ziels in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs andenkt, wird sich durch solche Anmerkungen ermutigt fühlen.“
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
der Durchführung des Insolvenzverfahrens unter Berücksichtigung der Haftungsverwirklichung lässt das BVerfG nicht aufkommen. b) Stellungnahme aa) Untersuchung des Missbrauchseinwands unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre Bei genauerer Betrachtung des Missbrauchseinwands scheint es, als ließen die Befürworter die Grundsätze der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre außer Betracht.230 Unter Rückgriff auf das Argument der Zweckwidrigkeit wird die Lösung einer gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung jedenfalls dann als missbräuchlich bewertet, wenn einem Gesellschafter im Wege der Planmaßnahme Minderheitsrechte genommen werden und er auf diese Weise gleichsam entmachtet wird. Unzureichend ist dabei insbesondere die Differenzierung danach, ob dem Mehrheitsgesellschafter vorgeworfen wird, das Insolvenzplanverfahren bereits objektiv zweckwidrig einzusetzen oder vielmehr subjektiv einen verfahrensfremden Zweck zu verfolgen.231 Der Umstand, dass die Durchführung eines Insolvenzverfahrens im Wesentlichen als missbräuchlich empfunden wird, wenn sich der Inhalt des Insolvenzplans auf eine Maßnahme des § 225a InsO beschränkt und der Insolvenzplan aus Sicht der Kritiker damit nicht dem Verfahrenszweck des § 1 Satz 1 InsO dient, lässt den Schluss zu, dass der Missbrauchsvorwurf vornehmlich auf die objektive Zweckwidrigkeit gestützt wird.232 Noch deutlicher wird dies, wenn darauf verwiesen wird, dass sich die Sanierungsmittel am Verfahrenszweck des § 1 Satz 1 230
Mit Ausnahme von Florstedt, ZIP 2018, 1661 (1664) der im Zusammenhang mit der Untersuchung des Missbrauchs des aktienrechtlichen Squeeze-outs auch kurz auf die Causa Suhrkamp zu sprechen kommt, wurde auf dieses Versäumnis bisher auch nicht hingewiesen. 231 So heißt es bei Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 272 etwa, dass die „zugrunde liegende Motivation des Antragstellers […] die Grundlage für die Beurteilung einer (möglicherweise) missbräuchlichen Antragstellung“ bildet. Demgegenüber stellt Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 62 ff. einerseits auf objektive Umstände ab, greift dann aber auch wieder auf die Verfahrenszweckverfolgung zurück, obwohl er zuvor noch festgestellt hat, dass der Antragsteller keine „bestimmten Absichten“ verfolgen muss. Auch Brosent, Strategische Insolvenzen, S. 166, 224 ff. sowie 228 differenziert diesbezüglich nicht hinreichend. 232 Das zeigt etwa auch die Darstellung des Meinungsspektrums in Bezug auf die Zulässigkeit des Einsatzes des Insolvenzverfahrens zur Lösung einer Gesellschafterauseinandersetzung bei Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 61 f. und wird auch deutlich bei Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 276 und 283, die zur Begründung des Missbrauchs zunächst nur die subjektive Zweckverfolgung heranzieht, anschließend aber auf die objektive Zweckwidrigkeit abstellt, wenn es wenig später heißt, dass ein ausschließlich insolvenzzweckwidrigen Zwecken „dienender“ Insolvenzantrag missbräuchlich sei.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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InsO messen lassen müssen. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre handelt es sich in der Sache damit um den Vorwurf des institutionellen Missbrauchs.233 Bereits an anderer Stelle wurde darauf hingewiesen, dass es dieses Einwands mit Blick auf die normative Verankerung des Verfahrenszwecks im Insolvenzrecht überhaupt nicht bedarf und in methodischer Hinsicht auf das Mittel der teleologischen Reduktion zurückzugreifen ist.234 Setzt man sich dann mit der Frage einer teleologischen Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO auseinander, so wird – losgelöst von der Pauschalität des Missbrauchseinwands – schnell erkennbar, dass sich hinter der Diskussion um den Missbrauch und der Zweckwidrigkeit die seit den gesetzlichen Änderungen des ESUG schwelende Auseinandersetzung um das Verhältnis von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht verbirgt. Eine teleologische Reduktion ist nur vorzunehmen, wenn Sachverhalte, die nach dem Wortlaut der Norm an sich erfasst würden, von der Anwendung der Norm im Hinblick auf den Gesetzeszweck auszuschließen sind. Da § 1 InsO auch für das Insolvenzplanverfahren maßgeblich ist,235 ist für die Beantwortung der Frage, ob im Einzelfall eine teleologische Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO vorzunehmen ist, entscheidend, wie man das Verhältnis der Sanierung zum Grundsatz der Gläubigerbefriedigung bewertet. Hält man die Sanierung für ein gleichwertiges Verfahrensziel, kann man den Einsatz des Insolvenzverfahrens zu diesem Zweck schon gar nicht als zweckwidrig beurteilen. Legt man demgegenüber eine haftungsrechtliche Ausrichtung des Insolvenzverfahrens zugrunde, ist zu klären, inwieweit die der Gläubigerbefriedigung dienende Funktion einzelner Planmaßnahmen zu verstehen ist.
233
In dieser Hinsicht zutreffend Florstedt, ZIP 2018, 1661 (1664). 3. Kapitel II. 1. b). Genau dieser Umstand findet bei Florstedt, ZIP 2018, 1661 (1664) jedoch keine Berücksichtigung, weshalb ihm auch nicht zugestimmt werden kann, wenn er den Einwand des institutionellen Missbrauchs in diesem Zusammenhang für zielführend erachtet. Zur Bedeutung der teleologischen Auslegung im Insolvenzrecht vgl. Foerste, in: FS Haarmeyer, S. 27 ff. 235 Eidenmüller, in: MüKo, InsO, Vor §§ 217–269 Rz. 1; Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 1; Rühle, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 217 Rz. 5; Andres, in: ders. / Leithaus, InsO, vor §§ 217–269, Rz. 1 („Dies [der Insolvenzplan, Anm. d. Verf.] dient letztendlich dem Ziel des § 1 Abs. 1, der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger.“); Koch / deBra, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 66 Rz. 1. Anderer Ansicht ist offenbar Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 297, wenn sie konstatiert, dass einzelne gesellschaftsrechtliche Sanierungsmaßnahmen nicht dem Zweck der Gläubigerbefriedigung dienen müssen, sondern es vielmehr auf eine Gesamtschau der Maßnahmen ankomme. Dies verwundert im Hinblick darauf, dass sie an anderer Stelle das Primat der Gläubigerbefriedigung hervorhebt, vgl. dies., Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 57 ff. 234
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
bb) Teleologische Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO? (1) § 1 InsO und die Zielsetzung des Insolvenzverfahrens Orientiert man sich am Wortlaut von § 1 InsO, ist allein die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung als eindeutiges Ziel auszumachen. § 1 Satz 1 InsO nennt zugleich die Mittel, die zur Erreichung des Verfahrensziels eingesetzt werden können: Das Vermögen kann verwertet und der daraus erlangte Erlös verteilt werden, oder aber im Insolvenzplan wird eine abweichende Lösung zum Erhalt des Unternehmens getroffen, die jedoch in gleicher Weise der Gläubigerbefriedigung dienen muss. Den Regelungsinhalt eines Insolvenzplans wiederum konkretisiert § 217 InsO. Der Erhalt des Unternehmens erscheint damit lediglich als Mittel der Gläubigerbefriedigung, nicht aber als eigenständiges Ziel, geschweige denn als ein solches von gleichem Rang.236 Die amtliche Überschrift „Ziele des Insolvenzverfahrens“ legt jedoch die Vermutung nahe, dass es über die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung hinaus noch weitere Ziele geben muss.237 Ob die Unternehmenserhaltung als eigenständiges Verfahrensziel einzuordnen ist, ist jedoch umstritten. Unter den Befürwortern dieser Auslegung wird die Sanierung teilweise als gleichrangig angesehen,238 während andere der Sanierung zumindest den Rang eines Nebenziels einräumen.239 Eine Vielzahl spricht der Sanierung mit Verweis auf den Wortlaut des § 1 Satz 1 InsO indes den Charakter eines Verfahrensziels ab und ordnet sie als bloßes Mittel zum Zweck ein.240 In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum Entwurf der InsO wird die bestmögliche Gläubigerbefriedigung als „einheitliches Hauptziel des Insolvenzverfahrens“241 bezeichnet. Sie präge das gesamte Insolvenzverfahren und sei als solches „in erster Linie maßgeblich für die Entscheidungen, 236
Eidenmüller, ZIP 2010, 649 (650); Buchalik, ZInsO 2015, 484 (485); Henckel, in: Jaeger, InsO, § 1 Rz. 2 noch vor den Änderungen des ESUG; Brinkmann / Zipperer, ZIP 2011, 1337 (1338). 237 Buchalik, ZInsO 2015, 484 (485). 238 Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 21. Offenbar auch Rattunde, ZIP 2003, 2103. 239 Smid, in: ders., InsO, § 1 Rz. 40; Ganter / Bruns, in: MüKo, InsO, § 1 Rz. 85. 240 Sternal, in: HK, InsO, § 1 Rz. 3; Brinkmann / Zipperer, ZIP 2011, 1137 (1138); Henckel, in: Jaeger, InsO, § 1 Rz. 2 noch vor den Änderungen des ESUG. Diesem Auslegungsergebnis hat sich auch die Rechtsprechung angeschlossen und ist in einigen Entscheidungen vom Vorrang des Grundsatzes der Gläubigerbefriedigung ausgegangen, vgl. BGH, Urt. v. 21.04.2005 – IX ZR 281/03, NJW 2005, 2015 (2016); BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405 (407). Abweichend BVerwG, Urt. v. 13.04.2005 – 6 C 4/04, NJW-RR 2005, 1207 (1210). Das BVerwG ordnet die Sanierung dort noch vor Inkrafttreten des ESUG als eigenständiges Verfahrensziel ein, äußert sich aber nicht zum Verhältnis der Verfahrensziele. Auch das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum Ausschluss juristischer Personen von der Bestellung als Insolvenzverwalter die vollstreckungsrechtliche Zuordnung des Insolvenzrechts betont, vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.01.2016 – 1 BvR 3102/13, NJW 2016, 930 (932). Ähnlich bereits BVerfG, Beschl. v. 23.05.2006 – 1 BvR 2530/04, NZI 2006, 453 (454). 241 BT-Drucks. 12/2443, S. 108 sowie Smid, DZWIR 1997, 309 (311).
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
137
die innerhalb des Verfahrens zu treffen sind“.242 Das zeigt sich konkret bei der Bestimmung der Handlungsbefugnisse. Der Insolvenzverwalter hat sich bei Ausübung seiner Tätigkeit ebenso wie das Insolvenzgericht bei der Inanspruchnahme von Aufsichts- und Eingriffsbefugnissen nach Auffassung des Gesetzgebers an der Zweckbestimmung zu orientieren.243 Dem Unternehmenserhalt spricht der Gesetzgeber ausdrücklich den Status eines eigenständigen Regelungsziels ab.244 Er schreibt auch nicht vor, wann die Sanierung des Schuldners als Mittel der Gläubigerbefriedigung zu wählen ist. Liquidation, Sanierung und übertragende Sanierung sind gleichrangig, die Wahl zwischen ihnen bleibt den Gläubigern überlassen.245 Angesichts der gesetzlichen Änderungen durch das ESUG stellt sich jedoch die Frage, ob hierdurch zugleich ein Bedeutungswandel der in § 1 InsO normierten Zielsetzung vollzogen worden ist. Der Gesetzgeber hat den Wortlaut des § 1 InsO zwar nicht angetastet,246 damit steht allerdings nicht zugleich fest, dass auch seine Sichtweise auf die Zielsetzung unverändert geblieben ist. Vor allem ist zu klären, ob dem Unternehmenserhalt und der Sanierung nunmehr die Eigenschaft eines eigenständigen Ziels innerhalb des Insolvenzverfahrens zukommt. In der Gesetzesbegründung zum ESUG stellt die Bundesregierung klar, dass die Reform die Fortführung sanierungsfähiger Unternehmen erleichtern und damit Arbeitsplätze erhalten soll.247 Das geltende Recht hindere die frühzeitige Sanierung insolvenzbedrohter Unternehmen, sodass ein Antrag mit dem Ziel der Sanierung des Unternehmens nach wie vor die große Ausnahme bilde.248 Der Gesetzgeber will solche Sanierungspläne offenbar unterstützen und nimmt die Sanierung als wünschenswertes, legitimes Ziel wahr. Hierzu stärkt er den Gläubigereinfluss und baut das Insolvenzplanverfahren aus.249 Welche Bedeutung dies für den in § 1 InsO normierten Verfahrenszweck hat, scheint er erkannt zu haben und konstatiert: „Vorrangiges Ziel des Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Daran wird festgehalten.“250 Ausweislich seiner Stellungnahme ging auch der Bundesrat davon aus, dass der Grundgedanke einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung nach wie vor als tragendes Prinzip des Insolvenzverfahrens anzusehen ist.251 Damit 242
BT-Drucks. 12/2443, S. 108. BT-Drucks. 12/2443, S. 108 f. 244 BT-Drucks. 12/2443, S. 109. 245 BT-Drucks. 12/2443, S. 77 f. An dieser Stelle bezeichnet der Gesetzgeber die drei Varianten sogar als „Verfahrensziele“. An der Einordnung als Mittel zur Gläubigerbefriedigung ändert dies indes nichts, denn nach wie vor ist in diesem Kontext die Rede von „Verwertungsarten“. 246 Abweichend hiervon hat Bork, ZIP 2010, 397 (412) vor Erlass des ESUG gefordert, dass die Sanierung als Verfahrensziel in § 217 InsO festgeschrieben werden sollte. 247 BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 248 BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 249 Im Einzelnen BT-Drucks. 17/5712, S. 17 ff. 250 BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 251 BT-Drucks. 17/5712, S. 54: „Dem Grundgedanken der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung verpflichtet, hat der Gesetzgeber das Insolvenzplanverfahren ergebnisoffen konzipiert.“ 243
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
lässt sich für das ESUG ein eindeutiges Resümee ziehen: Die gesetzlichen Neuerungen stehen hinsichtlich ihrer Zwecksetzung in Kontinuität zur InsO.252 Trotz umfassender Änderungen und Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten hat sich die legislatorische Sicht auf das Insolvenzverfahren als ein der Haftungsverwirklichung dienendes Instrument nicht verändert. Der oftmals erwähnte Widerspruch zwischen den durch das ESUG geschaffenen Handlungsmöglichkeiten und dem in § 1 InsO aufgeführten Zweck ist jedoch weniger gravierend als es scheint. In der Tat besteht ein „Spannungsverhältnis“253 zwischen der Gläubigerbefriedigung einerseits und der erstrebten Sanierung andererseits. Dieses lässt sich jedoch durch die ausdrücklichen Aussagen in der Gesetzesbegründung eindeutig und zweifelsfrei zugunsten der Gläubigerbefriedigung auflösen. Das Primat der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung kann – entgegen teilweise verlautbarter Kritik254 – nicht als Relikt vergangener Tage beiseitegeschoben werden. Das zeigt nicht nur die Gesetzesbegründung, sondern auch die in § 217 InsO vorgenommene Änderung. Denn ausweislich des Wortlauts knüpft der Insolvenzplan ebenfalls an die Gläubigerbefriedigung an. Der Gesetzgeber hat im Zuge der Änderungen durch das ESUG allein den Satz 2 angefügt, um deutlich zu machen, dass nunmehr auch in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen eingegriffen werden kann. Nach wie vor aber dient die Sanierung dementsprechend der Gläubigerbefriedigung. An diesem Auslegungsergebnis ändert auch § 18 InsO nichts.255 Der Antragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit fördert zielgerichtet die frühzeitige Antragstellung.256 Er schafft lediglich die Voraussetzung zur Ausübung der Handlungsbefugnisse der InsO. Auf den Zweck des Insolvenzverfahrens, der wiederum in § 1 InsO festgeschrieben ist, nimmt der Antragsgrund keinen Einfluss. Beide Normen wurden mit Schaffung der InsO eingeführt. Es ist nicht davon auszugehen, dass mit § 18 InsO
252 Ebenso Frind, BB 2013, 265 (268); Thole, JZ 2011, 765 (772); Vallender, DB 2012, 1609; Frind, ZInsO 2011, 373 (381); Brinkmann / Zipperer, ZIP 2011, 1337 (1338); Braun / Heinrich, NZI 2011, 505 (516); Buchalik, ZInsO 2015, 484 (486). Abweichend und gegen den Wortlaut von Norm und Regierungsbegründung Ahrens, in: ders. / Gehrlein / R ingstmeier, Insolvenzrecht, § 1 Rz. 5 ff., der die Sanierung wie auch die Gläubigerbefriedigung und Restschuldbefreiung als Primärziele auffasst. Ebenso Reischl, Insolvenzrecht, Rz. 3; Pape, in: K / P/B, InsO, § 270b Rz. 14 ff. 253 So die Wortwahl von A. Schmidt, in: HambK, InsO, § 1 Rz. 41. Ebenso Brinkmann / Zipperer, ZIP 2011, 1337 (1339), die damit jedoch allein das Verhältnis der Eigenverwaltung zur traditionellen Insolvenzrechtsdogmatik beschreiben. Weitergehend sogar Paulus, NZI 2015, 1001 (1004), der gar von einer „Inkompatibilität von Absicht und Realität“ in Bezug auf die gesetzlichen Änderungen und § 1 InsO spricht. 254 Zuletzt wieder Buchalik, ZInsO 2019, 465 (480). 255 In diese Richtung aber Madaus, ZIP 2014, 500 (501). Dieser erkennt – vgl. hierzu auch Madaus, JZ 2016, 548 (549) – die Gläubigerbefriedigung zwar als primäres Verfahrensziel an, hält die Auflösung eines Gesellschafterstreits mit Blick auf den Antragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit jedoch für zulässig. 256 Ebenso BT-Drucks. 12/2443, S. 114.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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der Verfahrenszweck erweitert werden sollte. Dies zeigt auch die Gesetzesbegründung, in der es vorrangig um die Haftungsverwirklichung der Gläubiger geht.257 Der Charakter eines selbständigen Verfahrensziels ist der Sanierung angesichts der gesetzgeberischen Abgrenzung zum „vorrangigen Ziel“ der Gläubigerbefriedigung zwar nicht mehr abzusprechen.258 Es handelt sich hierbei jedoch um ein Verfahrensziel, das gegenüber der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung als nachrangig einzuordnen ist. Die der Gläubigerbefriedigung dienende Funktion der Sanierung wurde keineswegs beseitigt.259 Nach wie vor stehen die Gläubiger und die Befriedigung ihrer Forderungen durch eine möglichst hohe Quote im Mittelpunkt des Insolvenzverfahrens.260 Ist das erklärte Ziel eines intendierten oder eingeleiteten Insolvenzverfahrens die Sanierung, so muss sie sich am Primat der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung messen lassen.261 Diese Sichtweise des Gesetzgebers kann ferner nicht dadurch unterlaufen werden, dass das Ziel der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger möglichst weit ausgelegt262 oder in die Bedeutungslosigkeit verbannt wird.263 Andernfalls löst man sich unzulässigerweise von der haftungsrechtlichen Position und vollstreckungsrechtlichen Herkunft des Insolvenzverfahrens, von der die InsO bislang nicht abgerückt ist.264
257
BT-Drucks. 12/2443 S. 114 f. So kann der antragstellende Schuldner etwa zur Vorlage eines Liquiditätsplans durch das Insolvenzgericht aufgefordert werden. 258 So auch die Einschätzung von Kirchhof, in: HK, InsO, 7. Auflage, § 1 Rz. 3, der den Zweck der Unternehmenserhaltung durch das ESUG „aufgewertet“ sieht. Die Einordnung der Haftungsverwirklichung als primäres Verfahrensziel findet sich auch bei Beck, in: Beck / Depré, Praxis der Insolvenz, § 1 Rz. 4 ff. und Uhlenbruck, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 1 Rz. 43. Für die Einordnung als „eigenständiges Zwischenziel“ ferner Hancioglu, Gesellschafterschutz beim Debt-Equity Swap mittels Insolvenzplan, S. 36. 259 Mit Verweis auf Häsemeyer, in: FS Gerhardt, S. 341 (354) macht auch Brinkmann, in: ders. / Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155 (156) darauf aufmerksam. Vgl. auch Lüke, KTS 2019, 261 (265). 260 Kirchhof, in: HK, InsO, 7. Auflage, § 1 Rz. 4; Jacoby, ZGR 2010, 359 (361); Pape, ZInsO 2016, 2149. 261 Ebenso Vaske, Sofortige Beschwerde, S. 16; Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 58, 278. Ähnlich auch Bremen, NZI 2014, 137 (138), der in der Sanierung – abweichend von der hier vertretenen Ansicht – nicht einmal ein subsidiäres Verfahrensziel erblickt. 262 Soweit aber der Versuch von Buchalik, ZInsO 2015, 484 (486) und ders. / Schröder, ZInsO 2016, 189 f., die dieses Interesse einer zeitraumbezogenen Betrachtung unterziehen wollen. Ähnlich wohl auch Madaus, ZIP 2014, 500 (501). 263 Flessner, KTS 2010, 127 (142). Zu einer solchen „Offenheit des Ausgangsmodells“ ebenso Paulus, NZI 2015, 1001 (1006). 264 Thole, ZIP 2013, 1937 (1940). Das erkennt wohl auch Buchalik, ZInsO 2015, 484 (489) und fordert ein außerinsolvenzliches Sanierungsverfahren: „Vorzugswürdig ist die Schaffung eines besonderen gerichtlichen Sanierungsverfahrens außerhalb der InsO, das von der Grundrichtung her auf die Sanierung und damit den Unternehmenserhalt angelegt ist und nicht vorrangig auf eine möglichst hohe Insolvenzquote zielt.“ Großzügiger hingegen ders. / Schröder, ZInsO 2016, 189.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
(2) Zweckwidrigkeitsvorwurf vor dem Hintergrund der dienenden Funktion des Insolvenzverfahrens Die teleologische Reduktion kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn ein zweckwidriger Einsatz der Handlungsbefugnisse vorliegt. Entscheidend ist deshalb, unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass eine Planmaßnahme nicht der Gläubigerbefriedigung dient und damit als zweckwidrig zu beurteilen ist. Legt man ein enges Verständnis zugrunde, kann einer Planmaßnahme die dienende Funktion bereits dann abgesprochen werden, wenn alle nicht-nachrangigen Insolvenzgläubiger auch ohne die Insolvenzplanmaßnahme mit einer Insolvenzquote von 100 Prozent rechnen können und es an einem leistungswirtschaftlichen Sanierungskonzept fehlt.265 Damit wären solche Planmaßnahmen als unzulässig zu behandeln, die zur vollständigen Gläubigerbefriedigung weder geeignet noch erforderlich sind266 oder bei denen sich kein konkreter Zusammenhang zur Gläubigerbefriedigung feststellen lässt.267 Eine zumindest skeptische Haltung gegenüber Planmaßnahmen, die zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich sind, lässt sich im Ansatz auch der Suhrkamp-Entscheidung des BGH entnehmen, wo das Gericht – losgelöst vom hier diskutierten Einwand der Zweckwidrigkeit – immerhin kritisch angemerkt hat, dass die dort vorgenommenen Sanierungsmaßnahmen zur Befriedigung der Gläubiger offenbar nicht notwendig waren und die Schuldnerin dementsprechend auch in ihrer bisherigen Rechtsform hätte weitergeführt werden können.268 Verlangt man den gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen eine derartige haftungsverwirklichende Ausrichtung ab, so entschärft sich hierdurch jedenfalls die im Zuge des ESUG in Gang gesetzte Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Eingriffe in die Rechte der Gesellschafter.269 Die Eingriffe in die grundrechtlich 265 So Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268 sowie 272). Skeptisch ebenfalls Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 299 f., die aber nicht an die der Gläubigerbefriedigung dienende Funktion des Insolvenzplanverfahrens anknüpft, sondern an die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, die nach der hier vertretenen Auffassung mit Verfahrenseröffnung suspendiert ist, vgl. 6. Kapitel II. 2. d). 266 In diese Richtung auch Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (272). Ähnlich ferner Westermann, NZG 2015, 134 (137, 142), der erhebliche Zweifel daran hegt, ob das Insolvenzverfahren als gesellschaftsrechtliche Maßnahme eingesetzt wird, auch wenn damit zugleich der Nebenzweck der Sanierung verfolgt wird. 267 Für gewahrt halten Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (273) den Bezug zur Gläubigerbefriedigung etwa dann, wenn die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft zur Vorbereitung eines Börsengangs mit dem Ziel der Eigenkapitalfinanzierung über den Kapitalmarkt vorgenommen wird. 268 BGH, Beschl. v. 17.07.2014 – IX ZB 13/14, ZInsO 2014, 1552 (1557). 269 Ohne weitergehende Begründung ebenfalls Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (274); Brünkmans, in: ders. / Thole, Insolvenzplan, § 30 Rz. 90; Stöber, ZInsO 2013, 2457 (2459 f.). Auch Spetzler, Eingriffe in die Rechte von Anteilseignern im Insolvenzverfahren, S. 59 f. hat
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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geschützten Rechte der Art. 14 Abs. 1, 9 sowie 12 Abs. 1 GG270 dürften sich vor allem dann rechtfertigen lassen, wenn man hierfür das Befriedigungsinteresse der Gläubiger, das gleichfalls durch Art. 14 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt ist,271 heranzieht. Drohen die Gläubiger mit ihren Forderungen nicht auszufallen, können ihre Grundrechtspositionen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nur noch insofern einbezogen werden, als es für das Unternehmen und damit auch für sie selbst auf längere Sicht gesehen vorteilhafter ist, wenn etwa eine Blockadesituation innerhalb einer Gesellschaft beseitigt wird. Zwar bleibt Art. 14 Abs. 1 GG in Form des Befriedigungsinteresses der Gläubiger berücksichtigungsfähig, allerdings ist dieser Schutz aufgrund der zukunftsbezogenen Betrachtung von geringerer Intensität. Das Eigentumsgrundrecht schützt das Erworbene im Rahmen einer Bestandsgarantie und nicht eine allgemeine vermögensmäßige Exspektanz.272 Die gesamtwirtschaftlichen Interessen sind zwar verfassungsrechtlich schützenswert,273 aber zugleich unkonkret und wiegen damit in der Angemessenheitsprüfung weniger schwer, weshalb sie zur Rechtfertigung der Eingriffe in die Gesellschafterrechte möglicherweise nicht ausreichen. Gegen eine solche restriktive Sichtweise lassen sich jedoch ebenso gewichtige Argumente anführen. Zum einen kann im Hinblick auf die Gesetzesbegründung zum ESUG bezweifelt werden, ob den gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen überhaupt ein Bezug zur Masse und zur Gläubigerbefriedigung abzuverlangen ist.274 Bei Sanierungsmaßnahmen wie der Umwandlung ist dieser Massebezug sicherlich weniger deutlich als im Rahmen eines Debt Equity Swaps.275 Abgesehen davon kann man den Bezug zur Masse und Gläubigerbefriedigung auch daraus ableiten, dass ein Gesellschafterkonflikt das operative Geschäft der Gesellschaft beein-
sich mit den Auswirkungen des Missbrauchseinwands auf die verfassungsrechtliche Bewertung auseinandergesetzt. Sie widmet sich jedoch nur der Gefahr des Vortäuschens eines Insolvenzgrundes und nicht den Fällen, in denen der Einwand einer fehlenden haftungsbezogenen Ausrichtung erhoben wird. 270 Spetzler, Eingriffe in die Rechte von Anteilseignern im Insolvenzverfahren, S. 45; Segmiller, Kapitalmaßnahmen in der Insolvenz, S. 64; Büchele, Eingriff in Gesellschafterrechte im Insolvenzplan, S. 111 ff.; Verse, ZGR 2010, 299 (309 ff.). 271 BVerfG, Beschl. v. 08.06.1977 – 2 BvR 499/74, 2 BvR 1042/75, NJW 1977, 2024 (2027); BVerfG, Beschl. v. 09.01.1991 – 1 BvR 929/89, NJW 1991, 1807; Papier / Shirvani, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 14 Rz. 322. 272 Papier / Shirvani, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 14 Rz. 114 sowie 160. 273 Dies ergibt sich aus der Sozialbindung des Eigentums, vgl. Papier / Shirvani, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 14 Rz. 453 ff.; Spetzler, Eingriffe in die Rechte von Anteilseignern im Insolvenzverfahren, S. 50. 274 Hölzle, ZIP 2014, 1819 (1821); ders. / Beyß, ZIP 2016, 1461. In diese Richtung auch Curtze, Der strategische Einsatz des Insolvenzplanverfahrens durch den Vorstand der AG, S. 101. Noack / Schneiders, DB 2016, 1619 (1622) sind der Auffassung, dass das Gesetz keine Grundlage für die Einschränkung biete, dass nur solche Maßnahmen möglich sind, die der Gläubigerbefriedigung zuträglich sind. Auch sie halten einen Massebezug ebenso wenig für erforderlich. 275 Vgl. hierzu noch 7. Kapitel II. 3. a).
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
trächtigt und daher auch über das Insolvenzrecht aufgelöst werden kann.276 Zweifel an einer so eng verstandenen dienenden Funktion kann man ferner im Hinblick auf die Schutzrichtung des Grundsatzes der Haftungsverwirklichung haben. Dieser Grundsatz schützt seinem Wortlaut nach die Gläubiger, nicht jedoch die Rechte von Minderheitsgesellschaftern. Es geht – wie auch die Gesetzesbegründung zum ESUG zeigt – darum, bei sämtlichen Sanierungsmaßnahmen die Gläubiger nicht schlechterzustellen. Verhält sich die Maßnahme den Gläubigern gegenüber gleichsam neutral, ist eine teleologische Reduktion jedenfalls zum Schutz der Gläubiger nicht erforderlich. Anders ist dies in den Fällen zum rechtsgeschäftlichen Handeln des Insolvenzverwalters.277 Dort ist anerkannt, dass Verfügungen des Insolvenzverwalters, die dem Zweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung offensichtlich zuwiderlaufen, unwirksam sind.278 cc) Verbleibt ein Anwendungsbereich des Missbrauchseinwands? Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich hinter der Auseinandersetzung um den Vorwurf des Missbrauchs des Insolvenzverfahrens die Frage der objektiven Zweckwidrigkeit und damit letztlich die Frage nach der teleologischen Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO verbirgt. Statt auf den undifferenzierten Einwand des Rechtsmissbrauchs zurückzugreifen, sollte die als unbillig empfundene Regelungsweite offen angesprochen und das Mittel der teleologischen Reduktion gewählt werden. Dies bietet freilich Angriffsfläche, weil sich dann offenbart, dass hinter dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ein recht enges Verständnis der Vorschriften des ESUG steht, woran man aus den genannten Gründen mehr als nur erhebliche Zweifel haben kann. Von einem Rechtsmissbrauch im Sinne einer immanenten Rechtsüberschreitung wird man damit kaum einmal sprechen können. Reduziert man den weitreichenden Gestaltungsspielraum des § 225a Abs. 3 InsO unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Haftungsverwirklichung, bedarf es des gegen das Insolvenzverfahren gerichteten Missbrauchseinwands überhaupt nicht. Hält man aus Gläubigersicht neutrale Maßnahmen für zulässig, so kann sich der Missbrauchseinwand – unabhängig von der objektiven Zweckwidrigkeit – nach allgemeinen Grundsätzen zwar auch auf das gegenwärtige Verhalten des Mehrheitsgesellschafters stützen. In praktischer Hinsicht dürfte dieser Einwand jedoch nur im seltensten Fall an 276
Böcker, DZWIR 2014, 331 (336); Madaus, ZIP 2014, 500 (501) sowie Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 34. In Anlehnung hieran unter anderem auch Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 74 f. und 139 f.; offenbar auch Brosent, Strategische Insolvenzen, S. 165 sowie 229. 277 Demgegenüber gehen Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (272) von der Vergleichbarkeit aus. 278 BGH, Urt. v. 25.04.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093; BGH, Beschl. v. 20.03.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884; D. Schulz, EWiR 2008, 471; Pape, ZInsO 2016, 2149 (2152). Kritisch hierzu Klinck, KTS 2019, 1 (27 f.).
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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zunehmen sein. Ebenso wenig wie ein im Übrigen begründeter Insolvenzantrag als missbräuchlich zurückzuweisen war, weil es dem Antragsteller auf die Verdrängung eines Wettbewerbers ankam,279 kann dem Mehrheitsgesellschafter der Vorwurf gemacht werden, er löse einen Gesellschafterstreit mit den Mitteln des Insolvenzverfahrens, wenn man hierin eine grundsätzlich zulässige Folge der Sanierung im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens erblickt. Nur wenn dem Mehrheitsgesellschafter bei wertender Betrachtung ein rechtlich-sittlicher Vorwurf zu machen ist, kann nach den zu Beginn der Arbeit festgestellten Grundsätzen von einem Rechtsmissbrauch ausgegangen werden.280 Denkbar ist dies wohl nur dann, wenn es dem Mehrheitsgesellschafter darauf ankommt, den Minderheitsgesellschafter zu schädigen, und er keinerlei schützenswertes Eigeninteresse verfolgt.281 Wie bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage282 wird hiervon etwa auszugehen sein, wenn es dem Mehrheitsgesellschafter auf die Vornahme der gesellschaftsrechtlichen Maßnahme überhaupt nicht ankommt, sondern darauf, von dem Mitgesellschafter einen vermögenswerten Vorteil zu erpressen, auf den er keinen Anspruch hat.283 Die Ausnutzung der durch das Insolvenzrecht vermittelten Handlungsbefugnisse genügt hierfür jedenfalls nicht. Bei der Lösung eines Gesellschafterstreits wird auch zu berücksichtigen sein, inwieweit durch die fortwährende Auseinandersetzung Gläubigerinteressen gefährdet werden.284 Zudem kann darauf abgestellt werden, auf welche Weise das Insolvenzverfahren herbeigeführt wurde.285 Bei einem Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Anforderungen im Vorfeld
279
Vgl. hierzu bereits 3. Kapitel II. 1. a) cc) (2) (c). Dieser wesentliche Hinweis fehlt in der Definition des Missbrauchs von Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1202) wie auch in der hieran anknüpfenden Definition von Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 138 f. 281 Dass ein im Übrigen begründeter Insolvenzantrag nicht schon allein deshalb unzulässig ist, weil es dem Antragsteller subjektiv nicht auf die Gläubigerbefriedigung ankommt, wurde mit Blick auf die allgemeine Rechtsmissbrauchslehre bereits an anderer Stelle aufgezeigt, vgl. 3. Kapitel II. 1. a) cc) (2) (c). Deshalb überzeugt auch der pauschale Verweis auf die Rechtsprechung zu den Druckanträgen und die Rechtsprechung zur Antragstellung zwecks Vertragsbeendigung wie etwa bei Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 275 und Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 137 nicht. 282 Vgl. zu den „Abkauffällen“ bereits 3. Kapitel I. 3. a). 283 Auch Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 63 skizziert ein solches Erpressungsszenario. Allerdings hält er die Lösung eines Gesellschafterstreits darüber hinaus für missbräuchlich, wenn das Insolvenzverfahren „nur eingeleitet wird, um Maßnahmen durchzusetzen, die mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln nicht durchsetzbar sind“. 284 Madaus, ZIP 2014, 500 (501). Unter Bezugnahme auf diesen ebenso Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 139; Schmetzer, Schutz der Anteilsinhaber im Insolvenz- bzw. Insolvenzplanverfahren, S. 63 f. 285 Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 141 f.; Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 281. Im Hinblick auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht auch Fölsing, ZInsO 2013, 1325 (1330). 280
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
der Antragstellung besteht – wie noch zu sehen sein wird – für die Gesellschafter jedoch die Möglichkeit, außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz zu erreichen.286 Soweit man die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten als anwendbar erachtet, sollte aus Gründen der Klarheit nicht vom Missbrauch gesprochen werden. Angesichts der Verbundenheit von Rechtsmissbrauchsverbot und Treuepflichten287 ist es zwar nachvollziehbar, einen Verstoß gegen diese als rechtsmissbräuchlich zu bezeichnen.288 Dies lässt aber außer Acht, dass die Voraussetzungen für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs im Sinne einer zu missbilligenden Rechtsausübung weitaus enger gefasst sind als die Treuepflichten.289 Für die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten gilt das erst recht. Bei dem Missbrauchsverbot handelt es sich lediglich um einen Teilaspekt der mitgliedschaftlichen Treuepflicht.290 Zwar stellt jeder Rechtsmissbrauch einen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht dar, umgekehrt ist aber nicht jeder Verstoß gegen die Treuepflicht missbräuchlichem Verhalten gleichzusetzen.291 Die besondere Interessenlage, die vertrauensbasierte Verbundenheit sowie die Einwirkungsmacht innerhalb einer auf vertraglichem Zusammenschluss beruhenden Gesellschaft stellen weitaus höhere Anforderungen an die Rechtsausübung innerhalb einer Gesellschaft als die zur Vermeidung des Rechtsmissbrauchs einzuhaltenden Minimalstandards.292
III. Rechtsschutz In der Diskussion um den Missbrauch des Insolvenzverfahrens durch den Mehrheitsgesellschafter nehmen nicht zuletzt Fragen des Rechtsschutzes einen großen Platz ein. Hält man die Vornahme einer gesellschaftsrechtlichen Planmaßnahme 286
Vgl. noch 6. Kapitel III. 1. d) bb). 1. Kapitel II. sowie IV. 288 So etwa im Zusammenhang mit dem gegen das Insolvenzplanverfahren gerichteten Missbrauchsvorwurf Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 297. Auch in der Rechtsprechung zeigt sich, dass der Einwand des Rechtsmissbrauchs und der Treuwidrigkeit bedeutungsgleich verwendet werden. Ein Beispiel hierfür ist BGH, Urt. v. 20.03.1968 – VIII ZR 153/65, BeckRS 1968, 31182204, in dem es um die Verwirkung von Rechten aus dem Bürgschaftsvertrag ging. Dort heißt es ausdrücklich: „Im einen wie im anderen Falle verliert der Bürgschaftsgläubiger seinen Bürgschaftsanspruch wegen Rechtsmißbrauchs jedoch nur, wenn sein Verhalten gegen Treu und Glauben verstößt.“ 289 Diese Differenzierung wird schon in Anbetracht der Gliederung der Kommentierung des § 242 BGB bei Schubert, in: MüKo, BGB, § 242 Rz. 166 ff. und 199 ff. deutlich. 290 Remberg, Rechtsmissbrauchsverbot im Gesellschaftsrecht, S. 84; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, S. 315, der davon ausgeht, dass „im Anwendungsbereich der verschiedenartigen Treubindungen […] der Gedanke des Rechtsmissbrauchs […] keine eigenständige Bedeutung“ hat. 291 Henze, BB 1996, 489 (494); Heuser, Shareholder Activism, S. 106; Remberg, Rechtsmissbrauchsverbot im Gesellschaftsrecht, S. 86. 292 Vgl. Remberg, Rechtsmissbrauchsverbot im Gesellschaftsrecht, S. 79. 287
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
145
unter den beschriebenen Voraussetzungen für unzulässig, so stellt sich die Frage nach den Abwehrmöglichkeiten in gleicher Weise, wie wenn man derartige, für die Gläubiger neutrale Maßnahmen zwar für zulässig erachtet, im Einzelfall aber im Hinblick auf ein fehlendes schutzwürdiges Eigeninteresse als individuell rechtsmissbräuchlich beurteilt. In zeitlicher Hinsicht kann zwischen der Zeit vor Antragstellung, dem Insolvenzeröffnungsverfahren und dem eröffneten Verfahren differenziert werden. Diese Unterscheidung ist unter dem Gesichtspunkt der Effektivität auch sinnvoll, denn angesichts der einschneidenden Wirkung gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen dürfte das Interesse an präventivem Rechtsschutz weitaus höher sein. 1. Rechtsschutz im Eröffnungsverfahren a) Rechtsschutzinteresse analog § 14 Abs. 1 InsO Rechtsschutz gegen einen Insolvenzantrag im Eröffnungsverfahren bietet zuvorderst das Insolvenzgericht. Im Rahmen der Zulässigkeit hat das Gericht für Anträge des Schuldners unter anderem zu prüfen, ob ein rechtliches Interesse analog § 14 InsO vorliegt. Bewertet man den Insolvenzantrag im Einzelfall als individuell rechtsmissbräuchlich, so ist das rechtliche Interesse an der Antragstellung zu verneinen.293 Gleiches dürfte dann gelten, wenn der Schuldner das Insolvenzverfahren einleitet, um eine Planmaßnahme durchzuführen, die zwar nicht als missbräuchlich, jedoch in Anbetracht einer teleologischen Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO als unzulässig zu behandeln ist. Erforderlich dürfte dies jedenfalls in den Fällen sein, in denen die im Insolvenzplan vorgesehene Maßnahme angesichts der Self fulfilling Prophecy zur Befriedigung der Gläubiger gleichsam nachträglich erforderlich wird. Besteht zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Insolvenzantrag ein die Antragspflicht begründender Insolvenzgrund, kann der Eigenantrag jedoch ohnehin nicht als missbräuchlich zurückgewiesen werden.294 b) Sofortige Beschwerde Wenn das Verfahren trotz fehlenden rechtlichen Interesses eröffnet wird, stellt sich die Frage nach möglichen Abwehrmaßnahmen gegen die Verfahrenseröffnung. Auf der Suche hiernach fällt der Blick schnell auf die sofortige Beschwerde gem. § 34 Abs. 2 InsO.
293 294
Vgl. hierzu bereits 3. Kapitel I. 2. sowie II. 1. a). 3. Kapitel II. 2.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
aa) Regelung des § 34 Abs. 2 InsO Das Recht, sofortige Beschwerde einzulegen, steht ausweislich des Wortlauts allein dem Schuldner zu.295 Die Beschwerde ist begründet, wenn der Eröffnungsbeschluss zu Unrecht ergangen ist, weil Zulässigkeits- oder Begründetheits voraussetzungen fehlerhaft festgestellt worden sind.296 Mangelt es dem Gläubiger am berechtigten Interesse an der Antragstellung, so kann der Schuldner dies mittels der sofortigen Beschwerde angreifen. In gleicher Weise ist denkbar, dass sich die Gesellschafter gegen einen Antrag des Schuldners zur Wehr setzen wollen. Der Wortlaut von § 34 Abs. 2 InsO aber versperrt diesen Weg. In methodischer Hinsicht verbleibt damit lediglich die analoge Anwendung dieses Rechtsbehelfs, denn nach § 6 Abs. 1 Satz 1 InsO unterliegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen das Gesetz eine sofortige Beschwerde vorsieht. bb) Überlegung einer analogen Anwendung Während die Annahme einer vergleichbaren Interessenlage mit Blick auf den prozessrechtlichen Charakter der insolvenzgerichtlichen Entscheidung naheliegt, ist die Voraussetzung einer planwidrigen Regelungslücke zweifelhaft. Ob eine solche Lücke innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes anzunehmen ist, bestimmt sich nach dem Standpunkt des Gesetzes sowie der gesetzgeberischen Regelungsabsicht.297 (1) Analoge Anwendung auf die Gläubiger Zweifelhaft ist die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke vor allem für die Gläubiger, denn § 34 Abs. 2 InsO steht in der Tradition des § 109 KO, der ebenfalls keinen Rechtsbehelf des Gläubigers gegen die Eröffnungsentscheidung vorsah.298 Zur Begründung führte der Gesetzgeber damals aus, dass die Verfahrenseröffnung im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger erfolge, weshalb nicht ein einziger dagegen vorgehen könne.299 Diese Ausführungen dürften im Grunde 295
Etwas anderes gilt ausweislich des Art. 102c § 4 EGInsO im Hinblick auf die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren. Hierüber kann das Fehlen der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens gerügt werden. 296 Busch, in: MüKo, InsO, § 34 Rz. 72; Mönning, in: Nerlich / Römermann, InsO, § 34 Rz. 27; Sternal, in: HK, InsO, § 34 Rz. 17; Keller, in: K. Schmidt, InsO, § 34 Rz. 33. 297 Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 194. 298 BT-Drucks. 12/2443, S. 121 nimmt für die Rechtsmittel explizit Bezug auf § 109 KO. Das Beschwerderecht des Schuldners wurde nur insofern erweitert, als es nunmehr bei der Abweisung mangels Masse für jeden Schuldner das Recht zur sofortigen Beschwerde vorsieht. 299 Begründung zum Entwurf einer KO, S. 334 f.; Weber, in: Jaeger, KO, § 109 Anm. 2.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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auch heute noch Geltung beanspruchen, wenngleich hiergegen zu Recht vorgebracht wird, dass die Gläubigerrechte im Zuge der Neuerungen des ESUG mehr denn je durch die Verfahrenseröffnung beeinträchtigt werden können.300 Nicht zwingend ist deshalb die Annahme, dem Gläubiger fehle das Interesse, die Verfahrenseröffnung anzugreifen, oder das Interesse sei gegenüber dem Interesse der Gläubigergesamtheit an der Verfahrenseröffnung weniger schützenswert. An der eindeutigen legislatorischen Haltung gegenüber Gläubigerrechtsbehelfen im Eröffnungsverfahren ändert dies freilich nichts.301 Hiergegen wurden vielfach verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht, die im Ergebnis jedoch erfolglos blieben.302 Gegen weitgehende Beteiligungsrechte der Gläubiger spricht entschieden, dass hierunter die Effektivität des Verfahrens leiden würde. Es genügt daher – auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht –, wenn die Gläubiger sich gegenüber dem Gericht zu Wort melden können und ihr Vorbringen bei der Eröffnungsentscheidung berücksichtigt wird.303 Eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit ist abzulehnen. (2) Analoge Anwendung auf die Gesellschafter (a) Planwidrigkeit der Regelungslücke Für die Gesellschafter ist die Planwidrigkeit der Regelungslücke weniger eindeutig. Als § 34 InsO geschaffen wurde, sah die InsO noch keine Eingriffe in die Rechte der Gesellschafter vor. Deshalb lässt sich die Planwidrigkeit nicht einfach mit den gesetzgeberischen Aussagen zu § 34 InsO ablehnen.304 Gegen die Planwidrigkeit wird angeführt, dass eine Beeinträchtigung der Gesellschafterrechte erst durch das Planverfahren drohe und ein Beschwerderecht der Gesellschafter zu einer Besserstellung gegenüber den Gläubigern führen würde.305 Entscheidend für die Annahme der Planwidrigkeit ist jedoch vielmehr, ob durch den Rechtsschutz im Insolvenzplanverfahren zugleich der präventive Rechtsschutz durch das Insolvenzgericht ausgeschlossen ist, denn § 253 InsO regelt, dass gegen den Bestätigungsbeschluss die sofortige Beschwerde zulässig ist.306
300
Zu dieser Gefahr Brinkmann, in: FS Schilken, S. 634 f. Diese hat sich zuletzt auch im Rahmen der bereits erwähnten Einführung des Art. 102c § 4 EGInsO gezeigt, vgl. Fn. 295. 302 BVerfG, Beschl. v. 26.10.1989 – 1 BvR 1130/89, NJW 1990, 1902 (zu § 109 KO); Schilken, in: Jaeger, InsO, § 34 Rz. 19. Ebenso Brinkmann, in: FS Schilken, S. 634 ff. 303 Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (638). 304 Thole, ZIP 2013, 1937 (1945); Brinkmann, ZIP 2014, 197 (203); Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2003). 305 Thole, ZIP 2013, 1937 (1945); Madaus, ZIP 2014, 500 (503). 306 Thole, ZIP 2013, 1937 (1945). 301
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
(aa) Unmittelbare Betroffenheit zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung Die Annahme einer unmittelbaren Betroffenheit der Gesellschafter ist alles andere als fernliegend, denn schon mit der Verfahrenseröffnung wird die Rechts stellung eines jeden Gesellschafters grundlegend beeinflusst, auch wenn sich ihre Situation in rechtlicher Hinsicht erst mit der Umsetzung des Insolvenzplans ändert.307 Das zeigt schon die suspendierende Wirkung, die die Verfahrenseröffnung auf die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten hat. Auch kann hierfür eine Entscheidung des BVerfG angeführt werden, das für den vergleichbaren Fall der gerichtlichen Auflösung einer GmbH von einer unmittelbaren Betroffenheit der Gesellschafter ausgegangen ist.308 Es liegt fern zu glauben, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Überlegungen zum Inhalt des Insolvenzplans angestellt wurden. Gerade der strategische Einsatz des Insolvenzverfahrens ist durch ein planvoll eingeleitetes Verfahren gekennzeichnet, bei dem ein Sanierungskonzept bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegt. Der Eröffnungsantrag wird zudem mit einem Antrag auf vorläufige Eigenverwaltung gem. §§ 270a ff. InsO verknüpft sein, damit der Schuldner den Sanierungsvorgang selbst steuern kann. Die Beeinträchtigung der Gesellschafter als „allenfalls ernstliche, nicht auszuschließende Möglichkeiten“309 abzutun, ist nicht überzeugend. Das hat das Verfahren um die Suhrkamp Verlagsgesellschaft nur zu deutlich gemacht.310 Unter diesem Gesichtpunkt wäre die Planwidrigkeit jedenfalls nicht auszuschließen. (bb) Gleichwohl keine planwidrige Regelungslücke Abzulehnen ist die Planwidrigkeit der Regelungslücke jedoch unter Berücksich tigung der gesetzlichen Regelungen der InsO. In den Gesetzgebungsmaterialien des ESUG findet sich zwar keine Aussage über die Annahme einer sofortigen Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss. Zur geänderten Fassung des § 253 InsO heißt es jedoch ausdrücklich, dass den Anteilsinhabern im Zusammenhang mit den Änderungen künftig die sofortige Beschwerde gegen den Bestätigungs- oder Versagungsbeschluss zustehen muss.311 Vor dem Hintergrund des unmissverständlichen Wortlauts von § 6 InsO liegt es deshalb nahe, eine abschließende Regelung 307 AG Charlottenburg, Beschl. v. 20.06.2013 – 36s IN 2196/13, ZInsO 2013, 2501 (2502); Marotzke, ZInsO 2015, 325 (329); Haarmeyer, ZInsO 2013, 2504; Brinkmann, ZIP 2014, 197 (203). 308 Marotzke, ZInsO 2015, 325 (329) mit Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 09.02.1982 – 1 BvR 191/81, NJW 1982, 1635 (1636). Das BVerfG hat in dieser Entscheidung zur GmbHAuflösungsk lage festgestellt, dass aus Art. 103 Abs. 1 GG die Verpflichtung des Zivilgerichts folge, die Mitgesellschafter eines die Auflösung der GmbH beantragenden Klägers nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. 309 So die Wortwahl von Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2004). 310 Vgl. 6. Kapitel I. 311 BT-Drucks. 17/5712, S. 35.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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anzunehmen.312 Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dem Gesellschafter unter Berücksichtigung von § 6 InsO nur repressiven Rechtsschutz gewähren wollte. Die Planwidrigkeit der Regelungslücke im präventiven Rechtsschutz ist damit in erheblichem Maße in Zweifel zu ziehen.313 (b) Verfassungsrechtliche Notwendigkeit? Ein abweichendes Ergebnis könnte allenfalls noch aus verfassungsrechtlicher Sicht anzunehmen sein. Geht man von einer unmittelbaren Betroffenheit der Gesellschafter durch die Verfahrenseröffnung aus, so ist jedenfalls der Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG eröffnet.314 Allein daraus lässt sich jedoch nicht die verfas sungsrechtliche Notwendigkeit der sofortigen Beschwerde ableiten, denn ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf einen Rechtsbehelf besteht nur, sofern das Recht auf rechtliches Gehör verletzt wird.315 Als Mittel gegen eine unterbliebene Anhörung kann jedoch ebenso gut auf die Anhörungsrüge gem. § 4 InsO in Verbindung mit § 321a ZPO zurückgegriffen werden,316 deren Anwendbarkeit im Insolvenzverfahrensrecht grundsätzlich anerkannt ist.317 Die Vorschrift ersetzt die frühere insolvenzgerichtliche Praxis,318 nach der Entscheidungen bei „greifbarer Gesetzeswidrigkeit“ mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden konnten.319 Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 321a Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO sind bei der Rüge eines Gesellschafters jedenfalls erfüllt. Aus Gesellschaftersicht mangelt es zum einen an einem Rechtsbehelf und im Hinblick auf die unmittelbare Betroffenheit ist den Gesellschaftern zum anderen rechtliches Gehör zu verschaffen, womit im Falle einer unterbliebenen Anhörung zudem davon auszugehen ist, 312
Im Grunde ähnlich Stamer, Rechtsbehelfe im Insolvenzverfahren, S. 129. Sie geht über die hier vertretene Ansicht hinaus davon aus, dass § 6 InsO generell die analoge Anwendung einer sofortigen Beschwerde sperrt, da bereits keine planwidrige Regelungslücke vorliege. Der Gesetzgeber habe sich ganz bewusst für eine Beschränkung des Beschwerderechts ausgesprochen, um einen zügigen Verfahrensverlauf zu gewähren. Diese Bedenken teilt auch Madaus, ZIP 2014, 500 (503). 313 Ebenso Thole, ZIP 2013, 1937 (1945); Madaus, ZIP 2014, 500 (503). 314 Zum Anspruch auf rechtliches Gehör BVerfG, Beschl. v. 10.03.2014 – 1 BvR 1104/11, NZA 2014, 496 (497); BVerfG, Beschl. v. 03.11.1983 – 2 BvR 348/83, NJW 1984, 719. 315 BVerfG, Beschl. v. 30.04.2003 – 1 PBvU 1/12, NJW 2003, 1924. 316 Marotzke, ZInsO 2015, 325 (330). 317 Hierzu Stamer, Rechtsbehelfe im Insolvenzverfahren, S. 152 f. 318 BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZA 22/00, IX ZA 23/00, NZI 2001, 140; BGH, Beschl. v. 07.07.1997 – II ZB 7/97, NJW 1997, 3318. 319 Sternal, in: HK, InsO, § 6 Rz. 16; Ganter / Bruns, in: MüKo, InsO, § 6 Rz. 70; Kohte, in: FK, InsO, § 4d Rz. 19; Pape, in: Uhlenbruck, InsO, § 6 Rz. 9. Allgemein hierzu BGH, Beschl. v. 07.03.2002 – IX ZB 11/02, NJW 2002, 1577; LG Göttingen, Beschl. v. 03.07.2015 – 10 T 32/15, ZIP 2016, 283. Die Rechtsprechung gewährt dem Schuldner noch immer die sofortige Beschwerde, wenn die Entscheidung des Insolvenzgerichts eine dem Gesetz fremde Maßnahme enthält und zugleich in den grundgesetzlich geschützten Bereich eingreift, vgl. BGH, Beschl. v. 04.03.2004 – IX ZB 133/03, ZInsO 2004, 550.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
dass das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise im Sinne des § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO verletzt hat. Der Gehörsrüge kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Gesellschafter nicht formell verfahrensbeteiligt sind.320 Eine wortlautgetreue Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Partei“ scheint dies zwar zu bestätigen, doch spricht der Regelungszweck dagegen. Der Gesetzgeber hat § 321a ZPO geschaffen, um entscheidungserhebliche Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu heilen, wenn dieses gem. Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert ist.321 Deshalb können nicht allein die formellen Verfahrensbeteiligten, sondern auch Dritte die Gehörsrüge vorbringen.322 Wie das Suhrkamp-Verfahren gezeigt hat, werden die Gesellschafter im Eröffnungsverfahren durchaus vom Insolvenzgericht gehört, sodass es der Gehörsrüge nur selten einmal bedarf.323 (c) De lege ferenda Auch wenn die sofortige Beschwerde für die Gesellschafter de lege lata ausgeschlossen ist, ist sie de lege ferenda gleichwohl wünschenswert.324 Die Gefahr, dass es hierdurch wie vor dem ESUG erneut zu einer Blockademacht der Gesellschafter325 dergestalt kommt, dass sich diese ihr Beschwerderecht ähnlich wie beim Missbrauch der aktienrechtlichen Anfechtungsklage abkaufen lassen, ist minimal. Der sofortigen Beschwerde gem. § 4 InsO in Verbindung mit § 570 Abs. 1 ZPO mangelt es bereits an der aufschiebenden Wirkung,326 die das Druckpotenzial der aktienrechtlichen Anfechtungsklage ungemein erhöht.327 320
Unter Berufung auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte aber Marotzke, ZInsO 2015, 325 (330). 321 BT-Drucks. 15/3706, S. 13 ff.; Bacher, in: BeckOK, ZPO, § 321a Rz. 1; Musielak, in: ders. / Voit, ZPO, § 321a Rz. 1; Seiler, in: Thomas / Putzo, ZPO, § 321a Rz. 1; BGH, Beschl. v. 20.11.2007 – VI ZR 38/07, NJW 2008, 923. 322 Bacher, in: BeckOK, ZPO, § 321a Rz. 24, 50. 323 Brinkmann, ZIP 2014, 197 (203) mit Hinweis auf AG Charlottenburg, Beschl. v. 20.06.2013 – 36s IN 2196/13, ZInsO 2013, 2501. 324 Pleister / T holen, ZIP 2015, 414 (418); C. Schäfer, ZIP 2013, 2237 (2244); C. Schäfer, ZIP 2015, 1208 (1212); H.-F. Müller, DB 2014, 41 (43); Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (271); Böcker, DZWIR 2015, 10 (20); ders., DZWIR 2015, 125 (132). Madaus, ZIP 2014, 500 (503) hingegen schlägt vor, dem Minderheitsgesellschafter ein Ablehnungsrecht gegen die Gutachtertätigkeit des mitgebrachten vorläufigen Sachwalters aus §§ 406, 42 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO zu gewähren. Kommt das Insolvenzgericht dem Gesuch nicht nach, sei die sofortige Beschwerde gem. § 4 InsO in Verbindung mit § 406 Abs. 5 ZPO statthaft. 325 Zu dieser Blockademacht vor dem ESUG vgl. Brüning, Gesellschafter und Insolvenzplan, S. 119 ff.; Simon, CFL 2010, 448; J. Schmidt, GWR 2010, 568 (569); Spetzler, KTS 2010, 433 (434 ff.). Auch der Gesetzgber wollte die Macht der Gesellschafter durch das ESUG einschränken, vgl. BT-Drucks. 17/5712, S. 2, 17. 326 Zur fehlenden aufschiebenden Wirkung Ganter / Bruns, in: MüKo, InsO, § 6 Rz. 51; A ndres, in: ders. / Leithaus, InsO, § 6 Rz. 17; Baumert, in: Braun, InsO, § 6 Rz. 31 f. Brinkmann, ZIP 2014, 197 (204) schlägt zur Lösung des Problems die Einführung eines Mindestquorums vor. 327 Vgl. 3. Kapitel I. 3.
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c) Schutzschrift Angesichts der de lege lata bestehenden Rechtsschutzlücke gewinnt darüber hinaus die Schutzschrift an Bedeutung. Hierbei handelt es sich zwar nicht um einen förmlichen Rechtsbehelf wie bei der sofortigen Beschwerde, doch erlaubt sie es demjenigen, der sich gegen den Antrag zur Wehr setzen möchte, das Insolvenzgericht darauf aufmerksam zu machen, dass der Einsatz des Verfahrens der Durchführung einer – aus welchem Grund auch immer – unzulässigen Planmaßnahme dient. Diese Möglichkeit besteht auch noch, wenn der Antrag vom Gericht nicht als unzulässig verworfen worden ist.328 aa) Zulässigkeit der Schutzschrift im Insolvenzverfahren Die Schutzschrift hat ihren Ursprung im Wettbewerbsrecht,329 findet aber ebenso allgemein bei Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Anordnung im Zivilverfahren Anwendung.330 Nach einer erweiterten Definition ist der Anwendungsbereich nicht auf eine bestimmte Verfahrensart beschränkt. Danach handelt es sich bei der Schutzschrift um einen bei Gericht einzureichenden Schriftsatz, mit dem der Gegner eines als bevorstehend vermuteten gerichtlichen Verfahrens oder ein durch die gerichtliche Entscheidung Betroffener seinen Standpunkt vorsorglich zu Gehör bringen kann.331 Im Insolvenzrecht steht dem Schuldner bei drohender oder erfolgter Antragstellung durch den Gläubiger nach nahezu einhelliger Meinung das Recht zu, eine Schutzschrift einzureichen.332 Gleiches gilt für den Gläubiger im Hinblick auf die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung sowie des Schutzschirmverfahrens.333 Hält man die Schutzschrift für anwendbar, wenn die Anhörung des Antragsgegners vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung gesetzlich freigestellt oder gar ausgeschlossen ist,334 so verwundert diese Annahme zwar nicht für die Gläubiger, wohl aber für den Schuldner, da dieser gem. § 14 Abs. 2 InsO bei einem Fremdantrag zwingend zu hören ist. Die Pflicht zur Anhörung besteht allerdings nur, sofern der Antrag zulässig ist. Dem Schuldner droht bereits mit der Antragstellung der Erlass einstweiliger Sicherungsmaßnahmen gem. §§ 21, 23
328
Siehe zu dieser Problematik bereits 3. Kapitel II. 3. Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 572; Spernath, Schutzschrift, S. 1 ff. 330 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 945a Rz. 1; May, Die Schutzschrift im Arrest- und Einstweiligen Verfügungs-Verfahren, S. 40 ff. 331 Hirte, MDR 1988, 639 (640); Spernath, Schutzschrift, S. 3 f. 332 Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 574 ff.; Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts- Handbuch, § 12 Rz. 32; Rein, NZI 2006, 354 (355); Schmerbach, in: FK, InsO, § 14 Rz. 255; Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 157. Anders noch ders., in: Uhlenbruck, InsO, 13. Auflage, § 10 Rz. 11 sowie Uhlenbruck / Delhaes, Konkurs- und Vergleichsverfahren, Rz. 171. 333 Vgl. hierzu bereits 5. Kapitel III. 1. 334 Spernath, Schutzschrift, S. 5. 329
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
InsO, gegen die er sich mittels Schutzschrift zur Wehr setzen können soll.335 Für die Zulässigkeit der Schutzschrift sprechen zudem die Parallelen zwischen dem Insolvenzeröffnungsverfahren und dem Eilverfahren gem. §§ 916 ff. ZPO.336 bb) Schutzschrift aus Gesellschaftersicht Seit den gesetzlichen Änderungen des ESUG wird die Schutzschrift auch für die Gesellschafter diskutiert.337 Das ist nachvollziehbar, denn angesichts des umfangreichen Gestaltungspotenzials des Insolvenzplanverfahrens haben die Gesellschafter ein Interesse daran, sich frühzeitig gegen die Antragstellung zu wehren. Die Bedenken, die schon in der Zeit vor dem ESUG gegen die Zulässigkeit einer Gesellschafterschutzschrift vorgebracht wurden, überzeugen nicht. Das Argument, die Schutzschrift sei bereits im Hinblick auf die Antragspflicht unzulässig,338 greift bei einem auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Antrag gar nicht erst ein.339 Soweit die Unzulässigkeit damit begründet wurde, dass zwischen den Gesellschaftern und der schuldnerischen Gesellschaft kein insolvenzrechtliches Prozessrechtsverhältnis besteht und gesellschaftsinterne Maßnahmen vorrangig gegenüber der Schutzschrift sind,340 kann dem nicht gefolgt werden. Dem Einwand, es fehle an dem für die Zulässigkeit der Schutzschrift erforderlichen Prozessrechtsverhältnis vor der Antragstellung, ist der Vorwurf einer zu formalen Anknüpfung zu machen. Dieses Argument wurde bereits gegen die Schutzschrift eines Schuldners vorgebracht und konnte auch dort angesichts der Notwendigkeit eines präventiven Schutzes vor der Antragstellung nicht überzeugen.341 Dass diese Notwendigkeit trotz gesellschaftsrechtlicher Abwehrmaßnahmen gerade auch für den Minderheitsgesellschafter besteht, hat das Insolvenzverfahren der Suhrkamp Verlagsgesellschaft eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Zwar kann gegen die Schutzschrift angeführt werden, dass bei einer mitunter hohen Gesellschafterzahl ein vermehrter Aufwand des Insolvenzgerichts droht. Insoweit besteht jedoch die Möglichkeit, wie es im Hinblick auf eine analoge Anwendung des § 34 Abs. 2
335
Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 575; Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 12 Rz. 32; Pape, in: Uhlenbruck, InsO, § 10 Rz. 11. 336 Vgl. Schillgalis, Rechtsschutz des Schuldners bei fahrlässig unberechtigten Insolvenzanträgen, S. 148. 337 Der Vorschlag, die Schutzschrift als Abwehrmaßnahme einzusetzen, findet sich bei Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268, 270); Schmerbach, in: FK, InsO, § 14 Rz. 256; Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (641). 338 Zur Antragspflicht des Geschäftsführers einer GmbH vgl. Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 578. 339 Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2003). 340 Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 578 f.; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 183. 341 Zu den anfänglichen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Schutzschrift im Rahmen des Insolvenzverfahrens vgl. Frege / Keller / Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 573.
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InsO ebenfalls vorgeschlagen wird,342 nur die Schutzschriften der Gesellschafter zuzulassen, die ohne Schwierigkeiten feststellbar sind oder denen mehr als nur vermögensmäßige Nachteile drohen. Die Schutzschrift ist damit auch aus Gesellschaftersicht ein zulässiges Mittel, um bereits gegen die Antragstellung vorzugehen, wenn eine unzulässige Planmaßnahme droht. Allerdings kann sie nur zum Einsatz kommen, wenn der Gesellschafter Kenntnis vom geplanten Insolvenzantrag erlangt, weshalb auch sie keinen vollumfänglichen Schutz bieten kann.343 d) Anspruch auf Unterlassung und Rücknahme eines Insolvenzantrages In Anbetracht des begrenzten und zugleich nur eingeschränkt effizienten Rechtsschutzes im eröffneten Verfahren verwundert es kaum, dass darüber hinaus die Möglichkeit eines präventiven außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes als alternative Abwehrmaßnahme diskutiert wird. Auf diese Weise könnte dem Antragsteller die Verfahrenseinleitung untersagt oder Einfluss auf das vorinsolvenzliche Verhalten des Mehrheitsgesellschafters genommen werden, wie es im Fall der Suhrkamp Verlagsgesellschaft versucht wurde. Die Frage nach der Reichweite außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes ist nicht neu. Ausgehend von den hierzu bislang angestellten Überlegungen, soll im Folgenden geklärt werden, inwiefern für den Minderheitsgesellschafter die Möglichkeit besteht, außerinsolvenzgerichtlich gegen die Verfahrenseinleitung vorzugehen. aa) Meinungsstand (1) Einflussnahme auf die Antragstellung Der BGH hat die Haftung eines antragstellenden Gläubigers bereits in einer frühen Entscheidung auf § 826 BGB mit der Begründung beschränkt, dass derjenige nicht rechtswidrig handelt, der ein staatlich geregeltes Verfahren in Anspruch nimmt.344 Diese Rechtsprechung wurde fortlaufend bestätigt345 und auch innerhalb der Literatur besteht in Anlehnung an die Haftung bei unberechtigter Rechtsverfolgung346
342
Marotzke, ZInsO 2015, 325 (329, 334); Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (639 sowie 641). 343 Zu dieser Einschränkung in der Praxis Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2004). 344 BGH, Urt. v. 03.10.1961 – VI ZR 242/60, KTS 1961, 183. 345 BGH, Urt. v. 22.05.1962 – VI ZR 256/61, BB 1962, 973 (974); BGH, Urt. v. 13.03.1979 – VI ZR 117/77, NJW 1979, 1351 (1352 f.); BGH, Urt. v. 12.05.1992 – VI ZR 257/91, ZIP 1992, 847; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.1993 – 10 U 17/93, ZIP 1994, 479. 346 Wagner, in: MüKo, BGB, § 826 Rz. 226 ff.; Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rz. 545 ff.; Schreiber, ZZP 105, 129 (144); Häsemeyer, Schadenshaftung, S. 129 ff.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
jedenfalls Konsens über die Haftung in den Fällen des § 826 BGB.347 Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung wird wiederum angenommen, wenn die Antragstellung als missbräuchlich zu werten ist.348 In Rechtsprechung und Literatur geht es dabei zumeist um die Frage wertmäßigen Schadensersatzes. Rar gesät sind demgegenüber die Fälle, in denen der Versuch unternommen wurde, außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz gegen einen missbräuchlich zu bewertenden Antrag zu erreichen. Eines der wenigen Beispiele ist ein Beschluss des OLG Koblenz349 aus dem Jahr 2005. Die Schuldnerin beantragte in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, der antragstellenden Gläubigerin aufzugeben, den gestellten Antrag zurückzunehmen und einen neuen Antrag nicht zu stellen. Zuvor hatte das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen angeordnet und einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Das Gericht hat den Anspruch zwar im konkreten Fall verneint, hält ihn potenziell aber für möglich. Der Antrag sei zulässig, jedoch nicht begründet, weil kein Sachverhalt glaubhaft gemacht wurde, der den Anspruch auf Rücknahme und Unterlassung begründen würde.350 Das Gericht geht davon aus, dass der Rechtsschutz gegen unzulässige und unbegründete Insolvenzanträge im Eröffnungsverfahren grundsätzlich nur durch das Insolvenzgericht gewährt wird, macht für den Missbrauch des Antragsrechts jedoch eine Ausnahme. Sofern der Antragsteller das Insolvenzverfahren zur Erreichung verfahrensfremder Ziele einsetze, könne der Schuldner im Wege der einstweiligen Verfügung negatorischen Rechtsschutz verlangen. Wegen der mit der Antragstellung verbundenen Beeinträchtigung sei ein effektiver Rechtsschutz nicht anders zu gewährleisten. Ein Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger ist nach Auffassung des Gerichts allerdings nur zu bejahen, wenn sich der Gläubiger durch die Antragstellung gegenüber dem Schuldner schadensersatzpflichtig machen würde, also wie dargestellt bei vorsätzlicher sittenwidriger Schadenszufügung durch ein mit unlauteren Mitteln betriebenes Verfahren. Die Literatur steht dem Versuch der Einflussnahme durch Rechtsverfolgung außerhalb des Insolvenzverfahrens generell skeptisch gegenüber und verweist den Schuldner auf die nachträgliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen.351
347
Schmerbach, in: FK, InsO, § 13 Rz. 303; Pape, in: K / P/B, InsO, § 13 Rz. 216; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 54; Gundlach, in: K. Schmidt, InsO, § 13 Rz. 45; Häsemeyer, Schadenshaftung, S. 155. 348 Schillgalis, Rechtsschutz des Schuldners bei fahrlässig unberechtigten Insolvenzanträgen, S. 30; Pape, ZIP 1995, 624 (626) mit dem Hinweis auf die Druckanträge; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 54; Vuia, in: MüKo, InsO, § 14 Rz. 13. Ebenso BGH, Urt. v. 22.05.1962 – VI ZR 256/61, BB 1962, 973 (974). 349 OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2005 – 10 W 705/05, NZI 2006, 353. 350 OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2005 – 10 W 705/05, NZI 2006, 353. 351 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.09a; Gogger, Insolvenzgläubiger-Handbuch, § 2 Rz. 73 f.; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 47; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 158; Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 142; Ley, in: FS Beck, S. 319 (330). Für die Zulässigkeit hingegen Vuia, in: MüKo, InsO, § 13 Rz. 115; Rein, NZI 2006, 354.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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(2) Außerinsolvenzgerichtlicher Rechtsschutz des Minderheitsgesellschafters In Ermangelung von Rechtsbehelfsmöglichkeiten im Insolvenzeröffnungs verfahren wird seit den Änderungen des ESUG vermehrt vorgeschlagen, den Gesellschaftern durch präventiven Rechtsschutz außerhalb des Verfahrens Abwehrmöglichkeiten zu verschaffen. Neben dem auf § 826 BGB gestützten Anspruch auf Rücknahme des Insolvenzantrages sollen sich im Hinblick auf den strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens auch auf Grundlage des Gesellschaftsrechts Ansprüche ergeben. Ein Teil der Vertreter, die entsprechend der hier für vorzugswürdig erachteten Ansicht352 von der Geltung der Treuepflichten vor Verfahrenseröffnung ausgehen, gewähren den Gesellschaftern einen Anspruch auf Rücknahme des Insolvenzantrages oder Unterlassung der Antragstellung wegen Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht auf Grundlage des § 280 Abs. 1 BGB sowie § 1004 BGB analog in Verbindung mit der sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Treuepflicht.353 Darüber hinaus soll treuepflichtwidriges Verhalten nicht allein Ansprüche in Bezug auf die Antragstellung begründen. Im Suhrkamp-Verfahren unternahm der Minderheitsgesellschafter den Versuch, sowohl auf das Abstimmungsverhalten der Mehrheitsgesellschafterin im Planverfahren Einfluss zu nehmen als auch die Verfahrenseröffnung zu verhindern, indem er die Stundung der Gesellschafterforderung für die Dauer des Schutzschirmverfahrens sowie die Erklärung eines qualifizierten Rangrücktritts hinsichtlich Gewinnansprüchen forderte.354 Ansprüche, die hierauf gerichtet sind, sollen sowohl den Mitgesellschaftern als auch der Gesellschaft zustehen und im Wege einer actio pro socio geltend gemacht werden können.355 Um die Effektivität der Ansprüche sicherzustellen, hält man zudem die Geltendmachung im Wege einstweiligen Rechtsschutzes für zulässig.356 Die Durchsetzbarkeit sei aber nur anzunehmen, wenn man davon ausgeht, dass im einstweiligen Rechtsschutz überhaupt die Abgabe einer Willenserklärung erreicht werden kann.357
352
6. Kapitel II. 2. d). Meyer, ZInsO 2013, 2361 (2365, 2367); Stöber, ZInsO 2013, 2457 (2465). Vgl. in Bezug auf den Insolvenzplan auch J.-H. Kern, Die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Insolvenzplanverfahren, S. 358 f. Aus verfahrensrechtlichen Gründen demgegenüber ablehnend Lang / Muschalle, NZI 2013, 953 (957); Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2005). 354 LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 19.07.2013 – 3–09 O 78/13, NZI 2013, 749 und nachfolgend LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.08.2013 – 3–09 O 78/13, NZI 2013, 981. Zu den Ansprüchen auf Abgabe einer Rangrücktritts- sowie einer Stundungserklärung vgl. auch Fölsing, NZI 2013, 750 f.; Schult, GWR 2013, 405. Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil wurde letztlich gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt, vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 07.10.2013 – 5 U 135/13, ZIP 2013, 2022. 355 Hierzu LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.08.2013 – 3–09 O78/13, NZI 2013, 981 (985). 356 H.-F. Müller, DB 2014, 41 (43); Stöber, ZInsO 2013, 2457 (2465) sowie Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (269). 357 Im Hinblick auf die hier aufgezeigte Problematik dafür etwa H.-F. Müller, DB 2014, 41 (43). Dagegen Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2006). 353
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
bb) Stellungnahme zum außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz (1) Differenzierung zwischen Begründetheit und Zulässigkeit Um bestimmen zu können, in welchem Umfang für den Minderheitsgesellschafter außerinsolvenzgerichtlicher Rechtsschutz in Betracht kommt, müssen die materiell- und prozessrechtlichen Probleme strikt voneinander getrennt werden. Zunächst ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Rücknahme des gestellten Antrages oder Beseitigung der Insolvenzsituation besteht. Erst danach kann man sich der Frage widmen, ob dieser durchsetzbar ist.358 In prozessrechtlicher Hinsicht ist aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Rücknahmemöglichkeit nach § 13 Abs. 2 InsO sowie der mit der Antragstellung verbundenen Folgen359 die Zulässigkeit einstweiligen Rechtsschutzes von besonderem Interesse. (2) Materiell-rechtlicher Anspruch Auf materiell-rechtlicher Ebene bietet es sich an, zwischen dem allgemein zivilrechtlichen Anspruch und den auf das Gesellschaftsrecht gestützten Ansprüchen zu unterscheiden. (a) Allgemein zivilrechtlicher Anspruch Zur Erreichung der Verfahrensbeendigung kommen sowohl Schadensersatzansprüche als auch negatorische Ansprüche in Betracht. Ist ein Insolvenzantrag bereits gestellt und liegen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vor, kann die Verfahrensbeendigung gem. § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich im Wege der Naturalrestitution verlangt werden. Mit der herrschenden Auffassung ist davon auszugehen, dass die Antragsrücknahme nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB und damit insbesondere für den Fall des Missbrauchs verlangt werden kann. Betrachtet man die in Rechtsprechung und Literatur unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Konstellationen, so fällt auf, dass es sich dabei vornehmlich um Fälle handelt, in denen schon kein Eröffnungsgrund vorliegt und die Antragstellung damit in der Sache bereits unberechtigt ist,360 was angesichts
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Diese Rechtsfragen trennt auch Vuia, in: MüKo, InsO, § 13 Rz. 114 f. In Bezug auf die Treuepflichten und deren Einfluss auf das Stimmverhalten im Insolvenzplanverfahren, vgl. auch Bähr / Schwartz, EWiR 2013, 753 (754). 359 Zur Self fulfilling Prophecy vgl. bereits 3. Kapitel II. 2. 360 Deutlich wird das etwa auch bei Pape, ZIP 1995, 623 (627), der im Hinblick auf den Missbrauch von Fällen verfahrensfremder Zweckverfolgung spricht, im Ergebnis aber folgendermaßen konstatiert: „Als Fazit ist festzuhalten, dass sich Schadensersatzansprüche wegen im
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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der zivilprozessualen Einordnung einer offensichtlich unbegründeten Klage in die Kategorie des Missbrauchs und des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nicht verwundert.361 Von einem Anspruch aus § 826 BGB ist darüber hinaus auch dann auszugehen, wenn eine Insolvenzsituation tatsächlich vorliegt und der Antrag im Ausnahmefall als missbräuchlich zu bewerten ist.362 Dass bei einem Rechtsmissbrauch und entsprechender subjektiver Vorwerfbarkeit die Voraussetzungen des § 826 BGB anzunehmen sind, entspricht der allgemeinen Meinung363 und zeigt sich auch anhand der Haftung infolge des Missbrauchs der aktienrechtlichen Anfechtungsklage,364 deren Vergleichbarkeit bereits zu Beginn der Arbeit herausgestellt wurde.365 Dieser Annahme steht auch nicht entgegen, dass die Schadensersatzansprüche in erster Linie im Rahmen von Gläubigeranträgen diskutiert werden. Der Anspruch aus § 826 BGB steht jedem Geschädigten zu, sodass er bei Beeinträchtigung der Beteiligung auch vom Gesellschafter geltend gemacht werden kann.366 Da § 1004 Abs. 1 BGB auf alle absoluten Rechte sowie die durch §§ 823 Abs. 2, 824, 825, 826 BGB deliktisch geschützten Rechtsgüter analog anzuwenden ist,367 kann ein Anspruch auch aus § 1004 BGB in analoger Anwendung folgen. Dieser kann sowohl auf Beseitigung eines bereits gestellten Antrages als auch auf Unterlassung künftiger Antragstellung gerichtet sein. Für die Voraussetzungen eines Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs ist auf die von der Rechtsprechung zum Schadensersatz entwickelten Grundsätze zurückzugreifen,368 denn die Bedenken, Ergebnis unbegründeter Konkursanträge nur dann ergeben können, wenn dem Antragsteller nachzuweisen ist, dass er den Weg des Konkursverfahrens rechtsmißbräuchlich gewählt hat, um den Schuldner zu schädigen.“ 361 2. Kapitel III. 3. c). 362 Vgl hierzu bereits 3. Kapitel II. 1. a) cc) (2) (c). 363 RG, Urt. v. 23.11.1936 – VI 199/36, RGZ 152, 397 (400); Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rz. 15 ff.; Leidner, Rechtsmissbrauch im Zivilprozess, S. 124; Förster, in: BeckOK, BGB, § 826 Rz. 11; Hönn, in: Soergel, BGB, § 826 Rz. 191 ff. 364 Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 245 Rz. 63; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 245 Rz. 30; Schatz, Missbrauch der Anfechtungsbefugnis, S. 80 ff.; Heuser, Shareholder Activism, S. 154. Auch die Rechtsprechung ist von der Schadensersatzpflicht infolge Missbrauchs ausgegangen, vgl. LG Frankfurt a. M., Urt. v. 02.10.2007 – 3–5 O 177/07, NZG 2007, 949; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.01.2009 – 5 U 183/07, WM 2009, 309; LG Hamburg, Urt. v. 15.06.2009 – 321 O 430/07, ZIP 2009, 1960; OLG Hamburg, Urt. v. 20.10.2010 – 11 U 127/09, NZG 2011, 232, das die Schadensersatzpflicht im Ergebnis mangels Zurechnungszusammenhang zwischen Anfechtungsklage und Schadensersatzbegehren verneinte. 365 Zur Vergleichbarkeit 3. Kapitel I. 3. 366 Zu den haftungsrechtlichen Folgen und dem deliktsrechtlichen Schutz der Mitgliedschaft vgl. auch noch 6. Kapitel IV. 367 Herrler, in: Palandt, BGB, § 1004 Rz. 4; Englert, in: P / W/W, BGB, § 1004 Rz. 3; Raff, in: MüKo, BGB, § 1004 Rz. 41; Berger, in: Jauernig, BGB, § 1004 Rz. 2; BGH, Urt. v. 17.07.2008 – I ZR 219/05, NJW 2008, 3565 (3566). 368 OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2005 – 10 W 705/05, NZI 2006, 353: „Ein Anspruch des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, die Stellung eines Insolvenzantrages zu unterlassen, besteht dann, wenn der Gläubiger sich durch den unberechtigt gestellten Insolvenzantrag schadensersatzpflichtig machen würde.“ Zustimmend Sternal, in: HK, InsO, § 14 Rz. 66; Rein, NZI 2006, 354.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
die gegen einen lückenlosen Rechtsschutz bei unberechtigt gestellten Insolvenz anträgen vorgetragen werden, sind in gleicher Weise auf die Fälle des § 1004 Abs. 1 BGB übertragbar. Ist die Verfahrenseinleitung im Hinblick auf die intendierten Planmaßnahmen unzulässig und sind zugleich die subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt, dann besteht auch ein Anspruch auf Unterlassung der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung. (b) Einfluss des Gesellschaftsrechts auf Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche Inwieweit der Minderheitsgesellschafter über den allgemein zivilrechtlichen Anspruch hinaus die Möglichkeit hat, außerhalb des Insolvenzverfahrens gegen die Verfahrenseinleitung vorzugehen, hängt wiederum davon ab, welche gesellschaftsrechtlichen Anforderungen man an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt. (aa) Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an die Antragstellung Nach der hier vertretenen Auffassung gelten die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten in der Zeit vor der Antragstellung sowie im Eröffnungsverfahren uneingeschränkt,369 sodass sich der Mehrheitsgesellschafter hieran bei einem strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens messen lassen muss. Zudem dürfte die Geschäftsleitung jedenfalls bei einem auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Antrag nicht in der Entscheidung frei sein. Während sie in den Fällen von Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO und Überschuldung gem. § 19 InsO aufgrund der Antragspflicht keine weiteren Pflichten im Rahmen der Antragstellung zu berücksichtigen hat,370 sind die gesellschaftsinternen Voraussetzungen für einen auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Antrag umstritten. Diese hängen im Einzelnen vom Kompetenzgefüge wie auch vom Haftungsrisiko der Gesellschafter ab und sind für jede Gesellschaftsform gesondert zu bestimmen.371 Das OLG München hat in einem Verfahren einer Publikums-KG gegen den Geschäftsfüh-
369
6. Kapitel II. 2. d). Brinkmann, ZIP 2014, 197 (204); ders., in: FS Seibert, S. 165 (172); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 144 f. 371 Für die AG wird eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit diskutiert, während die herrschende Auffassung aufgrund der persönlichen Haftung innerhalb einer OHG keinen Gesellschafterbeschluss fordert, vgl. Wertenbruch, DB 2013, 1592 (1596); S aenger / Al-Wraikat, NZG 2013, 1201 (1204); K. Schmidt, in: ders., InsO, § 18 Rz. 31; Wortberg, ZInsO 2004, 707 (712 f.); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 145 ff.; Curtze, Der strategische Einsatz des Insolvenzplanverfahrens durch den Vorstand der AG, S. 63 ff.; Kleindiek, in: FS K. Schmidt, S. 655 (667 ff.). Um diesen Problemen zumindest bei der GmbH und bei Personengesellschaften vorzubeugen, sollte eine klare gesellschaftsvertragliche Regelung vereinbart werden, vgl. Brinkmann, ZIP 2014, 197 (204). 370
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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rer einer Komplementär-GmbH entschieden, dass dieser nach § 43 Abs. 2 GmbHG haftet, sofern er ohne Zustimmung der Kommanditgesellschaft das Insolvenzverfahren wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einleitet.372 Diese Entscheidung hat zu Recht viel Zustimmung erhalten und entspricht der schon zuvor vertretenen herrschenden Auffassung.373 In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht überzeugt die Annahme eines Grundlagengeschäfts.374 Auflösung und Liquidation als mögliche Konsequenzen der Verfahrenseröffnung ändern den Gesellschaftszweck mit der Folge, dass nicht bloß von einer Geschäftsführungsmaßnahme die Rede sein kann. Für die GmbH ist § 49 Abs. 2 GmbHG ein weiteres Argument zu entnehmen. Mit Blick auf die einschneidenden Folgen der Verfahrenseröffnung für die Gesellschaft und deren Gesellschafter ist die Erforderlichkeit einer Einberufung gem. § 49 Abs. 2 GmbHG im Interesse der Gesellschafter anzunehmen.375 Da bei drohender Zahlungsunfähigkeit keine Antragspflicht besteht, treten einmal mehr die Interessen der Gesellschafter als „wirtschaftliche Eigentümer des Gesellschafterunternehmens“ in den Vordergrund.376 (bb) Einfluss auf Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche Die Treuepflichten wie auch die gesellschaftsinternen Voraussetzungen erweitern den Umfang der bereits erörterten Unterlassungs- und Schadensersatz ansprüche. Die Beschränkung der Ansprüche auf die Fälle des § 826 BGB kann mit Blick auf die Sorgfaltspflichten innerhalb eines gesellschaftsrechtlichen Verbunds für den Mehrheitsgesellschafter nicht überzeugen. Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche des Minderheitsgesellschafters sind – über die Voraussetzungen des § 826 BGB hinaus – gegen den Mehrheitsgesellschafter unter den Voraussetzungen des § 280 BGB in Verbindung mit dem Gesellschaftsvertrag und des § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Mitgliedschaftsrechts denkbar.377 Neben Ansprüchen auf Unterlassung oder Rücknahme der Antragstellung können unter Rückgriff auf die Treuepflicht im Einzelfall auch die Stundung einer Gesellschafterforderung für die Dauer des Schutzschirmverfahrens sowie die Erklärung eines
372
OLG München, Urt. v. 21.03.2013 – 23 U 3344/12, NZI 2013, 542. Pape, ZInsO 2013, 2129 (2136 f.); Jakobs / Hoffmann, EWiR 2013, 483 (484); Saenger / Al-Wraikat, NZG 2013, 1201 (1206); Meyer, ZInsO 2013, 2361 (2364); Petrovicki, GWR 2013, 227. Im Anschluss hieran Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2006); H.-F. Müller, DB 2014, 41 (44); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 147 ff. 374 OLG München, Urt. v. 21.03.2013 – 23 U 3344/12, NZI 2013, 542 (545); Bork, ZIP 2011, 101 (108); K. Schmidt, in: ders., InsO, § 18 Rz. 31. 375 Saenger / Al-Wraikat, NZG 2013, 1201 (1203); Geißler, ZInsO 2013, 919 (922). 376 So zutreffend OLG München, Urt. v. 21.03.2013 – 23 U 3344/12, NZI 2013, 542 (545). 377 Hiervon gehen auch Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (269) aus, allerdings ohne auf das Verhältnis zu § 826 BGB einzugehen. Für einen Unterlassungsanspruch sind ferner Meyer, ZInsO 2013, 2361 (2365); Haas, in: HK, InsO, § 225a Rz. 19; Geißler, ZInsO 2014, 1201 (1203); Stöber, ZInsO 2013, 2457 (2465), der diesen sogar für verfassungsrechtlich geboten hält. 373
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
qualifizierten Rangrücktritts gefordert werden, um die Insolvenzsituation zu beseitigen oder zu vermeiden.378 Hält man die Beteiligung der Gesellschafter für einen auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Insolvenzantrag für erforderlich und verstößt die Geschäftsleitung gegen dieses Erfordernis, so steht dem Minderheitsgesellschafter ein gegen die Geschäftsleitung gerichteter Anspruch auf Antragsrücknahme jedoch grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB zu.379 Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wird darüber hinaus nur anzunehmen sein, wenn man der Mitgliedschaft auch gegenüber der Geschäftsleitung einen deliktischen Schutz zubilligt.380 (3) Zulässigkeit außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes Nachdem nun festgestellt wurde, dass in materiell-rechtlicher Hinsicht Ansprüche sowohl auf Rücknahme des Insolvenzantrages als auch auf Abgabe von Stundungs- oder Rangrücktrittserklärungen zur Abwendung oder Beseitigung einer Insolvenzsituation in Betracht kommen, stellt sich die Frage, ob diese Ansprüche außerinsolvenzgerichtlich durchgesetzt werden können. Angesichts der mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Konsequenzen und im Hinblick darauf, dass der Insolvenzantrag nur bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zurückgenommen werden kann, ist der einstweilige Rechtsschutz dabei von besonderer Bedeutung.381 Hält man die Geltendmachung von Ansprüchen auf Abgabe einer Willenserklärung im Wege einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich für zulässig,382 ist zu klären, ob auf den Ablauf eines rechtsstaatlich geregelten Verfahrens durch ein anderes gerichtliches Verfahren Einfluss genommen werden kann. Dieses allgemein pro 378
LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 19.07.2013 – 3–09 O 78/13, NZI 2013, 749 und nachfolgend LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.08.2013 – 3–09 O 78/13, NZI 2013, 981. Zu den beiden Ansprüchen Fölsing, NZI 2013, 750 f.; Schult, GWR 2013, 405. Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil wurde letztlich gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt, vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 07.10.2013 – 5 U 135/13, ZIP 2013, 2022. 379 Vgl. zu den gegen die Geschäftsleitung gerichteten Haftungsansprüchen noch 6. Kapitel IV. 2. a). 380 Hierzu Beurskens, in: Baumbach / Hueck, GmbHG, § 43 Rz. 117; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 93 Rz. 64. Explizit für die Antragstellung bejahen dies Wortberg, ZInsO 2004, 707 (711); Leinekugel / Skauradszun, GmbHR 2011, 1121 (1126); Geißler, ZInsO 2013, 919 (923 f.); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 198 f. Vgl. auch noch 6. Kapitel IV. 2. a). 381 Dass ein Unterlassungstitel aus einem regulären Verfahren stammt, dürfte ein rein hypothetischer Fall sein. Anderer Auffassung wohl Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2006), der eine solche Konstellation im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulässigkeit außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes diskutiert. 382 Vgl. zum Streitstand Gaul / Schilken / Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rz. 26; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 152 ff.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rz. 9 sowie § 938 Rz. 2; Haertlein, in: Hk, ZVR, § 928 Rz. 13; Drescher, in: MüKo, ZPO, § 938 Rz. 53.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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zessrechtliche Problem stellt sich für das Eröffnungsverfahren in gleicher Weise wie für das eröffnete Verfahren. Für allgemein als missbräuchlich beschriebene Anträge wird seit Längerem diskutiert, ob ein solcher Rechtsschutz auch vor den Prozessgerichten zulässig ist. Gegen eine solche „Rechtsschutzverdoppelung“383 spricht grundsätzlich zweierlei. Erstens birgt ein weiteres Verfahren die Gefahr von Kompetenzkonflikten, zweitens droht die Missachtung von insolvenzrechtlichen Regelungszusammenhängen.384 (a) Identität des Prüfungsumfangs Die Möglichkeit außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes wird bisher vor allem für Schuldner diskutiert, wenn diese gegen Insolvenzanträge von Gläubigern öffentlich-rechtlicher Forderungen im Hinblick auf eine fehlerhafte Ermessensausübung vorgehen, und wird in diesem Zusammenhang auch gebilligt.385 Die überwiegende Meinung in der Literatur lehnt den Rechtsschutz außerhalb eines Insolvenzverfahrens jedoch mit der Begründung ab, dass allein dem Insolvenzgericht die Prüfungskompetenz hinsichtlich der Zulässigkeit eines Antrages zustehe.386 Für die Annahme prozessgerichtlichen Rechtsschutzes kann es jedenfalls nicht genügen, wenn lediglich auf die Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Anspruchs zurückgegriffen wird. Es muss die eingangs dargestellte Differenzierung zwischen materiellem Recht und der prozessualen Durchsetzbarkeit beachtet werden. Entscheidend ist deshalb, ob der Prüfungsumfang von Insolvenz- und Prozess gericht identisch ist.
383
Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.09a. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.09a. 385 Die Rechtsprechung billigt in diesen Fällen prozessgerichtlichen Rechtsschutz des Schuldners, vgl. BFH, Beschl. v. 20.11.1984 – VII B 39/84, ZIP 1985, 1160; BFH, Urt. v. 19.12.1989 – VII R 30/89, ZIP 1991, 458; BFH, Beschl. v. 11.12.1990 – VII B 94/90, juris; BFH, Beschl. v. 25.02.2011 – VII B 226/10, juris; BSG, Urt. v. 09.11.1977 – 3 RK 5/76, JZ 1978, 318; FG München, Beschl. v. 23.07.2009 – 14 V 1869/09, ZInsO 2009, 2348; FG Köln, Beschl. v. 19.03.2009 – 15 V 111/09, ZInsO 2009, 1296; FG Niedersachsen, Beschl. v. 27.10.2010 – 15 V 340/10, ZInsO 2011, 587; VG Ansbach, Beschl. v. 22.10.2015 – AN 11 E 15.01794, NZI 2015, 994; FG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 28.08.2015 – 3 V 65/15, ZInsO 2016, 401; FG München, Beschl. v. 24.07.2018 – 7 V 1728/18, ZInsO 2019, 1272; FG Hamburg, Beschl. v. 02.07.2019 – 2 V 121/19, ZIP 2019, 1976 (1977). 386 Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 142; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 47; Schmerbach, in: FK, InsO, § 14 Rz. 136; ders., ZInsO 2011, 895 (899); Gogger, Insolvenzgläubiger-Handbuch, § 2 Rz. 69 ff.; Kalmes, BB 1989, 818 (819 f.) mit Hinweis auf den konkursrechtlichen Charakter der Antragstellung; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 158 (Ausschluss nur für ordentliche Gerichtsbarkeit); AG Göttingen, Beschl. v. 31.05.2011 – 74 IN 174/10, ZInsO 2011, 1258. Anderer Ansicht Vuia, in: MüKo, InsO, § 13 Rz. 115 sowie § 14 Rz. 116; Sternal, in: HK, InsO, § 14 Rz. 43; Bußhardt, in: Braun, InsO, § 14 Rz. 44. Für vorläufigen Rechtsschutz gegen Anträge des Finanzamts Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 185 ff. sowie Schmittmann, in: FS Haarmeyer, S. 289 (296). 384
162
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Bereits zu Beginn dieses Abschnitts wurde darauf hingwiesen, dass das Insolvenzgericht zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes prüfen muss, ob der Antragsteller eine unter den hier beschriebenen Voraussetzungen unzulässige Planmaßnahme intendiert und das Verfahren deshalb nicht zu eröffnen ist.387 Bei dem auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gestützten Anspruch auf Rücknahme des Insolvenzantrages geht es damit um genau diesselben Fragen, mit denen sich das Insolvenzgericht bei der Zulässigkeitsprüfung zu beschäftigen hat, sodass dieser Anspruch nicht im Wege außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes geltend gemacht werden kann. Sofern sich der Streitgegenstand des Prozessgerichts mit dem Prüfungsgegenstand des Insolvenzgerichts überschneidet, besteht die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, die es zu vermeiden gilt. Dies entspricht auch dem allgemein zivilprozessrechtlichen Grundsatz, demzufolge gegen die gericht liche Rechtsverfolgung, Rechtsverteidigung und das Vorbringen einer Partei grundsätzlich kein Unterlassungsanspruch und auch kein negatorischer Rechtsschutz seitens der anderen Partei besteht.388 Das gilt nicht nur für den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten,389 sondern auch zu den Sozial- und Finanzgerichten. Deshalb kann die außerinsolvenzgerichtliche Zuständigkeit der Sozial- und Finanzgerichte auch nicht einfach mit dem Hinweis auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Antragstellung bejaht werden.390 Entscheidend ist der Prüfungsumfang, ganz gleich, welche Rechtsnatur die Handlung hat. Nach diesen Grundsätzen ist allein der auf gesellschaftsrechtliche Anspruchsgrundlagen gestützte außerinsolvenzgerichtliche Rechtsschutz zulässig. Die Erklärung eines (qualifizierten) Rangrücktritts ist ebenso wie die Stundung einer Forderung des Gesellschafters nicht Gegenstand der Eröffnungsentscheidung des Insolvenzgerichts. Zwar ist das Bestehen eines Eröffnungsgrunds gem. § 16 InsO Gegenstand insolvenzgerichtlicher Prüfung.391 Bei der Prüfung der Insolvenzreife darf das Insolvenzgericht eine Rangrücktritts- ebenso wie eine Stundungserklärung jedoch erst berücksichtigen, wenn diese abgegeben worden ist.392 Auch ein Anspruch auf Unterlassung oder Rücknahme des Insolvenzantrages ist außerinsolvenzgerichtlich durchsetzbar, wenn vor dem Antrag wegen drohender Zahlungs 387
6. Kapitel III. 1. a). Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rz. 8.27 Überschrift „Prozessführung“; BGH, Urt. v. 15.11.2012 – I ZR 128/11, NZM 2013, 589 (590); BGH, Urt. v. 19.07.2012 – I ZR 105/11, GRUR 2013, 305 (306). Der Grundsatz ist auch verfassungsrechtlich anerkannt, vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.06.1996 – 1 BvR 1398/94, NJW 1996, 3267; BVerfG, Beschl. v. 02.07.2013 – 1 BvR 1751/12, NJW 2013, 3021 (3022). 389 Gegen den Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten spricht zudem, dass die InsO in § 180 oder § 251 Abs. 3 Satz 2 ausdrücklich und abschließend die Zuständigkeit der Zivilgerichte regelt, vgl. H.-F. Müller, DB 2014, 41 (45). 390 Von den Vertretern außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes wird sie teilweise als Verwaltungsakt, teilweise als schlichtes öffentlich-rechtliches Handeln angesehen, vgl. Häse meyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.09a. 391 Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 144; Schmerbach, ZInsO 2011, 895 (899). 392 Im Hinblick auf die Abgabe einer Rangrücktrittserklärung ebenso H.-F. Müller, DB 2014, 41 (43). Abweichend Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (269 f.). 388
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
163
unfähigkeit kein Gesellschafterbeschluss eingeholt wurde, obwohl dies gesellschaftsrechtlich erforderlich war.393 Anders dürfte dies zu beurteilen sein, wenn man der Meinung folgt, die für diesen Fall auf die Grundsätze über den Missbrauch des Vertretungsrechts zurückgreift,394 denn dann würde das Insolvenzgericht diesen Umstand sehr wohl im Rahmen der Eröffnungsentscheidung prüfen. Gegen die Anwendbarkeit der vertretungsrechtlichen Missbrauchsgrundsätze spricht jedoch § 18 Abs. 3 InsO.395 Der BGH mag zwar entschieden haben, dass ein fehlender Gesellschaftersbeschluss zur Annahme des Missbrauchs der Vertretungsmacht führen kann.396 Diese Feststellungen beziehen sich jedoch auf rechtsgeschäftliches Handeln und sind nur vorbehaltlich prozessrechtlicher Besonderheiten auf Verfahrenshandlungen übertragbar. Für den Insolvenzantrag bestimmt § 18 Abs. 3 InsO gerade, dass allein auf die Vertretungsmacht im Außenverhältnis abzustellen ist. Die Vorschrift regelt den Schutz vor potenziellen gesellschaftsinternen Auseinandersetzungen bezüglich eines auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Insolvenzantrages abschließend. Somit sind keine widersprüchlichen Entscheidungen zu befürchten. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass das ordentliche Gericht nach der hier vertretenen Sichtweise zugleich prüfen müsste, ob nicht ein die Antragspflicht begründender Insolvenzgrund vorliegt.397 Dies stellt jedoch keinen Eingriff in die Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts dar, denn die Prüfung erfolgt lediglich zur Feststellung eines gesellschaftsrechtlichen Anspruchs, der für das Insolvenzgericht grundsätzlich irrelevant ist. Ein fehlender Gesellschafterbeschluss mag als Indiz für den zweckwidrigen Einsatz des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen sein,398 um eine Eröffnungsvoraussetzung handelt es sich hierbei aber nicht. (b) Keine Verzögerungsgefahr Da der Rechtsschutz außerhalb des Insolvenzverfahrens ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung leerläuft, besteht zugegebenermaßen zwar die Gefahr, dass es zu einer Art Wettlauf zwischen beiden Verfahrensarten kommt.399 Eine Verzöge
393
Vgl. bereits 6. Kapitel III. 1. d) bb) (2) (b) (aa). H.-F. Müller, DB 2014, 41 (44); Meyer, ZInsO 2013, 2361 (2365); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 162 ff.; Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (268). 395 So bereits Tetzlaff, ZInsO 2008, 137 (141); Wertenbruch, DB 2013, 1592 (1593); Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631 (641 Fn. 28). Ebenso für die Zulässigkeit, jedoch ohne weitere Begründung Thole, ZIP 2013, 1937 (1939); K. Schmidt, in: ders., InsO, § 18 Rz. 30 f. 396 BGH, Urt. v. 14.03.1988 – II ZR 211/87, NJW 1988, 2241. 397 So der Einwand von H.-F. Müller, DB 2014, 41 (44), der das Problem deshalb über die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht lösen will. 398 LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.08.2013 – 3–09 O 78/13, NZI 2013, 981 (983) zur indiziellen Wirkung eines fehlenden Gesellschafterbeschlusses. 399 Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 22 f.; Schmerbach, ZInsO 2011, 895 (898); Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 142 f. 394
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
rung des Insolvenzverfahrens ist hierdurch jedoch nicht zu befürchten,400 da es dem Insolvenzgericht nicht gestattet ist, den Ablauf des Eröffnungsverfahrens zu verzögern, nur weil zugleich ein Eilverfahren in Gang gesetzt wurde. Dies wäre ein Verstoß gegen § 14 InsO und würde den Zweck eines Insolvenzverfahrens zudem in erheblichem Maße gefährden.401 (c) Zusammenfassung Es bleibt festzuhalten, dass der insolvenzgerichtliche Rechtsschutz den Rechtsschutz vor den Prozessgerichten grundsätzlich verdrängt.402 Aufgrund der vorran gigen Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts ist einer weiteren Klage das Rechtsschutzbedürfnis zu versagen.403 Das gilt grundsätzlich auch für den Rechtsschutz des Minderheitsgesellschafters, jedoch nur soweit sich der Prüfungsumfang des Prozessgerichts mit dem des Insolvenzgerichts überschneidet. Steht dem Minderheitsgesellschafter ein auf gesellschaftsrechtlichen Erwägungen gestützter Anspruch zu, den das Insolvenzgericht nicht oder jedenfalls nicht in gleichem Umfang prüft, so kann dieser auch außerinsolvenzgerichtlich geltend gemacht werden. In der praktischen Umsetzung ist der Rechtsschutz außerhalb des Insolvenzverfahrens jedoch nur ein schwaches Schwert. Zum einen ist das Insolvenzgericht nicht an die einstweilige Anordnung gebunden. Der Prüfungsmaßstab für die Verfahrenseröffnung richtet sich nämlich allein nach der InsO,404 sodass die Antragstellung auch dann prozessrechtlich wirksam ist, wenn auf diese Weise gegen eine Anordnung verstoßen wurde. Zum anderen hat der Antragsteller nur bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung die Möglichkeit der Verfahrensbeendigung, sodass der Rechtsschutz lediglich über einen kurzen Zeitraum besteht.405 Diese beiden gewichtigen Einwände muss man auch als Befürworter außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes anerkennen.406
400
Ebenso Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 194. Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 143. 402 Zur Verfassungsmäßigkeit Schilken, in: Jaeger, InsO, § 34 Rz. 19 mit Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 26.10.1989 – 1 BvR 1130/89, NJW 1990, 1902; Stamer, Rechtsbehelfe im Insolvenzverfahren, S. 182. 403 BGH, Beschl. v. 15.11.2012 – I ZR 128/11, NZM 2013, 589. 404 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.09a; AG Göttingen, Beschl. v. 31.05.2011 – 74 IN 174/10, ZInsO 2011, 1258. 405 Ebenso Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 13 Rz. 23; Pape, in: K / P/B, InsO, § 14 Rz. 143. 406 Allgemein zum prozessgerichtlichen Rechtsschutz Vuia, in: MüKo, InsO, § 13 Rz. 114. Gleiches gilt auch für einen auf den Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Treuepflichten gestützten Unterlassungsantrag, vgl. Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (269). 401
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
165
2. Rechtsschutz im eröffneten Verfahren Der Schutz vor unzulässigen Sanierungsmaßnahmen bleibt nicht auf das Eröffnungsverfahren beschränkt. Waren die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zum Zeitpunkt der Antragstellung entweder noch nicht geplant, nicht erkennbar oder aber hat das Insolvenzgericht den Antrag trotz der intendierten, aber als unzulässig zu bewertenden Planmaßnahme gleichwohl nicht zurückgewiesen, stellt sich die Frage nach den Rechtsschutzmöglichkeiten in einem eröffneten Verfahren. a) Überprüfbarkeit der Unzulässigkeit durch das Insolvenzgericht Gemäß § 248 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht den Plan zu bestätigen. § 250 InsO regelt, unter welchen Voraussetzungen die Bestätigung von Amts wegen zu versagen ist. Eine Inhaltsprüfung kann ferner im Rahmen von § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vorgenommen werden. aa) § 250 Nr. 2 InsO Aufgrund der tatbestandlichen Voraussetzung der „Unlauterkeit“ liegt eine Subsumtion einer als missbräuchlich oder zumindest im Hinblick auf die objektive Zweckwidrigkeit unzulässigen Sanierungsmaßnahme unter § 250 Nr. 2 InsO nahe.407 Dabei stellt sich jedoch zwangsläufig die Frage, ob sich der Unlauterkeits einwand auch auf den Inhalt der Planmaßnahmen bezieht. Dem Plan ist die Zustimmung ausweislich des Wortlauts lediglich dann zu versagen, wenn die Annahme unlauter herbeigeführt worden ist. Beispielhaft führt das Gesetz die Begünstigung eines Beteiligten an, womit jede Besserstellung gegenüber einem anderen Beteiligten gemeint ist. Wichtigster Fall ist nach allgemeiner Auffassung der verdeckte Stimmenkauf.408 Das zeigt, dass der Unlauterkeitseinwand sich auf das Zustandekommen des Insolvenzplans und nicht die darin getroffenen Regelungen bezieht. Diese Sichtweise bestätigt ferner ein Blick in die Kommentarliteratur. Weitere dort zu findende Beispielsfälle sind die Forderungsteilung, also die Aufteilung einer Forderung auf mehrere Gläubiger, um die gruppeninterne Kopfmehrheit gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu erzielen sowie die Erlangung einer Zustimmung durch Täuschung, Drohung oder auch einseitig bevorzugende Neben-
407
Zur unlauteren Herbeiführung des Insolvenzplans auch Fölsing, ZInsO 2014, 1591 (1593), der diesen Vorwurf im Hinblick auf das Verhalten des Investors vor der Annahme des Insolvenzplans im Fall Suhrkamp erörtert. 408 Sinz, in: MüKo, InsO, § 250 Rz. 45; Pleister, in: K / P/B, InsO, § 250 Rz. 16 mit Hinweis auf BT-Drucks. 12/2443, S. 211. Laut Gesetzesbegründung ist die Bestätigung des Insolvenzplans bei Abstimmungsverfälschungen zu versagen.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
abreden.409 Die Vornahme einer unzulässigen Planmaßnahme mag zwar unlauter sein, doch betrifft dies den Regelungsgegenstand und nicht die Annahme des Insolvenzplans. Niemand wirkt dabei manipulativ auf das Abstimmungsergebnis ein. Folglich kann § 250 Nr. 2 InsO nicht als Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Kontrolle unzulässiger Sanierungsmaßnahmen dienen.410 Anders mag dies zu beurteilen sein, wenn ein Investor etwa im Auftrag der Mehrheitsgesellschafterin die Forderungen der Insolvenzgläubiger aufgekauft hat, um für den Plan zu stimmen, und dafür den Nennwert gezahlt hat, obwohl zumindest mit einem teilweisen Ausfall der Forderung zu rechnen war, denn dann bezieht sich der Unlauterkeitsvorwurf ersichtlich auf das Zustandekommen des Insolvenzplans.411 bb) § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 250 Nr. 1 InsO (1) Unzulässigkeit der Maßnahme als Teil der Inhaltsprüfung Da der Einwand die inhaltliche Ausgestaltung des Insolvenzplans betrifft, kommen als Anknüpfungspunkte ferner § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 wie auch § 250 Nr. 1 InsO in Betracht. Danach prüft das Insolvenzgericht, ob die Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Insolvenzplans in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind.412 Die Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans sind die §§ 217 und 219 bis 230 InsO.413 Löst man den Einwand fehlender Haftungsverwirklichung und den damit einhergehenden Vorwurf der Zweckwidrigkeit über das Mittel der teleologischen Reduktion, ist ein so verstandener Missbrauchseinwand in jedem Fall Teil der Inhaltsprüfung.414 Da es sich bei § 225a Abs. 3 InsO um eine Vorschrift über den Inhalt des Insolvenzplans im Sinne
409
Sinz, in: MüKo, InsO, § 250 Rz. 47 f.; Thies, in: HambK, InsO, § 250 Rz. 13; Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 30. Der BGH etwa hält jeden Forderungskauf, für den ein höherer Preis als die im Insolvenzplan zu erwartende Quote vereinbart wird, um Einfluss auf das Abstimmungsergebnis zu nehmen, für unlauter, vgl. BGH, Beschl. v. 03.03.2005 – IX ZB 153/04, NZI 2005, 325 (327). Ein weiteres Beispiel lieferte ein Fall des AG Köln, Beschl. v. 06.04.2016 – 74 IN 45/15, NZI 2016, 537, in dem Forderungen fingiert und unwahre Tatsachen zur Erreichung von Mehrheiten im Insolvenzplan vorgetragen wurden. 410 Im Ergebnis ebenso Spliedt, ZInsO 2013, 2155 (2157). 411 Fölsing, ZInsO 2014, 1591 (1593); H.-F. Müller, NZI 2014, 756 (757). Vgl. hierzu noch 7. Kapitel II. 2. c) bb) sowie 3. c). 412 Das Insolvenzgericht ist jedoch nicht durch die Entscheidung der Vorprüfung präjudiziert, vgl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 2 f.; Sinz, in: MüKo, InsO, § 250 Rz. 5; Andres, in: ders. / Leithaus, InsO, § 250 Rz. 3. 413 Braun / Frank, in: Braun, InsO, § 250 Rz. 2; Thies, in: HambK, InsO, § 250 Rz. 4; Pleister, in: K / P/B, InsO, § 250 Rz. 5; Sinz, in: MüKo, InsO, § 250 Rz. 6. 414 Wenn auch unter Rückgriff auf den Missbrauchseinwand im Grunde ebenso Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (273 f.); Meyer, DB 2015, 538 (540); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 178 f., 183 f.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
167
des § 250 Nr. 1 InsO handelt,415 hat das Insolvenzgericht auch zu prüfen, ob die geplante Sanierungsmaßnahme noch von der Vorschrift gedeckt ist. Gleiches gilt angesichts der Einordnung des Rechtsmissbrauchs als immanente Rechtsüberschreitung auch dann, wenn die Planmaßnahme sich als individuell rechtsmissbräuchlich erweist.416 Ob der Verstoß zudem als wesentlich im Sinne des § 250 Nr. 1 InsO einzuordnen ist, hängt nach allgemeiner Meinung davon ab, ob er Auswirkungen auf das Zustandekommen des Plans hatte oder ob er die Abstimmung beeinflussen kann.417 Dieses Kriterium ist zielführend, wenn es um einen Fehler im darstellenden Teil geht oder gegen die Vorschrift der Gruppenbildung nach § 222 InsO verstoßen wurde. Betrifft der Verstoß hingegen den gestaltenden Teil, so hat er stets Einfluss auf das Zustandekommen, da die Abstimmungsberechtigten den Plan zur Durchsetzung der Regelungen angenommen haben. Die Kausalitätsfrage erübrigt sich, wenn im Insolvenzplan eine Maßnahme getroffen wird, die außerhalb des Zulässigen liegt. (2) Keine umfassende Zweckmäßigkeitsprüfung Da der Prüfungsumfang des Insolvenzgerichts anerkanntermaßen beschränkt ist, muss darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer umfassenden Zweckmäßigkeits prüfung kommt. Das Insolvenzgericht prüft insbesondere nicht die Erfolgsaussichten des Plans oder dessen Wirtschaftlichkeit.418 Für die Beantwortung der für die Annahme einer teleologischen Reduktion unter anderem maßgeblichen Frage, ob die vollständige Gläubigerbefriedigung in gleicher Weise durch eine alternative Planregelung erreicht werden könnte, hat das Insolvenzgericht deshalb Beurteilungen, Wertungen und Einschätzungen der Mehrheit der Abstimmenden zu respektieren. Das Insolvenzgericht kann die Bestätigung von Amts wegen gem. 415
Braun / Frank, in: Braun, InsO, § 250 Rz. 2; Thies, in: HambK, InsO, § 250 Rz. 4; Pleister, in: K / P/B, InsO, § 250 Rz. 5; Sinz, in: MüKo, InsO, § 250 Rz. 6 sowie Hancioglu, Gesellschafterschutz beim Debt-Equity Swap mittels Insolvenzplan, S. 217, 273, der in einzelnen Fällen zum Schutze der Gesellschafter besondere Anforderungen an die Zulässigkeit gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen stellt und diese im Rahmen des § 250 InsO als Teil der Inhaltsprüfung ansieht. 416 Anderer Auffassung ist Krull, Stellung und Schutz des Minderheitsgesellschafters der schuldnerischen GmbH & Co. KG im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, S. 298 und 306, die die Unzulässigkeit derartiger Maßnahmen mit einem Verstoß gegen die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten begründet, die sie für anwendbar hält, wenn die Maßnahme keinen Bezug zur Gläubigerbefriedigung hat. Doch geht sie vor dem Hintergrund des Wortlauts von § 225a Abs. 3 InsO davon aus, dass das Insolvenzgericht nicht berechtigt ist, die Unzulässigkeit einer solchen Maßnahme zu prüfen. 417 Jaffé, in: FK, InsO, § 250 Rz. 5; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 6. 418 BGH, Beschl. v. 07.07.2005 – IX ZB 266/04, NZI 2005, 619 (621); LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335 (338); Sinz, in: MüKo, InsO, § 250 Rz. 5; Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 14; Smid / Rattunde / Martini, Insolvenzplan, Rz. 17.7 sowie 17.18; Laroche, in: Brünkmans / Thole, Insolvenzplan, § 14 Rz. 22.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
§ 250 Nr. 1 InsO aus diesem Grund nur versagen, wenn die mangelnde Erforderlichkeit offensichtlich ist.419 (3) Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf die Vornahme unzulässiger Planmaßnahmen Bereits im Rahmen der Missbrauchsdiskussion im Suhrkamp-Fall kam die Frage auf, ob die rechtskräftige Verfahrenseröffnung dem Missbrauchseinwand im Planverfahren im Wege steht.420 Diese Frage dürfte sich jedoch gar nicht erst stellen, wenn man davon ausgeht, dass sich mit der Argumentation der Befürworter eines Verfahrensmissbrauchs vielmehr die teleologische Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO begründen lässt. Zwar wurde zur Wahrung der Rechte der Anteilsinhaber vorgeschlagen, einen Insolvenzantrag auch dann als unzulässig zurückzuweisen, wenn im Rahmen des Insolvenzverfahrens Maßnahmen, die nicht mehr auf § 225a Abs. 3 InsO gestützt werden können, geplant sind.421 Allein der Umstand, dass ein solcher Antrag nicht bereits im Zuge des Eröffnungsverfahrens als unzulässig zurückgewiesen wurde, führt aber nicht dazu, dass eine gesetzlich unzulässige Planmaßnahme vorgenommen werden darf. Die eingangs aufgeworfene Frage stellt sich damit überhaupt nur bei dem auf individuelle Umstände gestützten Missbrauchseinwand und dem eher unwahrscheinlichen Fall einer zu missbilligenden Zweckverfolgung. (a) Ausschluss des Einwands der Unzulässigkeit durch die Verfahrenseröffnung? Nach § 27 InsO ergeht die Verfahrenseröffnung in Form eines Eröffnungsbeschlusses, der für alle Beteiligten bindend ist.422 Er entfaltet Rechtswirkung, wenn ihm kein die Nichtigkeit begründender Fehler anhaftet.423 Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass der Eröffnungsbeschluss für das Insolvenzverfahren von grundlegender Bedeutung ist. Das Vertrauen in die Eröffnungsentscheidung und das Bedürfnis an Rechtssicherheit sind entsprechend hoch, sodass 419
Hierfür zuvor schon H.-F. Müller, DB 2014, 41 (44). Der Insolvenzplan könne angesichts der bestandskräftigen Verfahrenseröffnung nicht als unzulässig zurückgewiesen werden, vgl. Spliedt, ZInsO 2013, 2155 (2157). 421 6. Kapitel III. 1. a). 422 Pape, in: K / P/B, InsO, § 27 Rz. 31. Im Hinblick auf den Insolvenzgrund gilt das allerdings nicht, vgl. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 27 Rz. 21. Hat das Insolvenzgericht das Verfahren also ursprünglich wegen drohender Zahlungsunfähigkeit eröffnet, so steht dies der Annahme des Eröffnungsgrundes der Überschuldung nicht entgegen, sofern diese schon zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vorlag. 423 Hierzu BGH, Urt. v. 09.01.2003 – IX ZR 85/02, NZI 2003, 197; BGH, Urt. v. 14.01.1991 – II ZR 112/90, NJW 1991, 922. 420
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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von der Nichtigkeit nur in außerordentlichen Fällen auszugehen ist. Zum anderen entspricht dies auch dem allgemeinen Grundsatz, dass gerichtliche Anordnungen nur als nichtig zu behandeln sind, wenn der Mangel offensichtlich und schwerwiegend ist.424 Den allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen entsprechend können Mängel der Verfahrenseröffnung nach Eintritt der Rechtskraft nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden.425 Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass auch der Missbrauchsvorwurf, bei dem es sich um einen vom Insolvenzgericht im Rahmen der Eröffnungsentscheidung zu prüfenden Umstand handelt,426 ausgeschlossen ist, wenn das Verfahren einmal eröffnet und die Eröffnungsentscheidung rechtskräftig geworden ist. (b) Keine Auswirkungen der rechtskräftigen Eröffnungsentscheidung (aa) Reichweite und Bedeutung der Rechtskraft im Hinblick auf den Insolvenzplan Schon die Reichweite und Bedeutung der Rechtskrafterstreckung dürfte für den Fall eines missbräuchlichen Einsatzes einer Planmaßnahme kritisch zu hinter fragen sein. In Bezug auf das Schutzschirmverfahren vertritt namentlich Fölsing die Auffassung, dass dieses bei missbräuchlicher Einleitung von Amts wegen aufgehoben werden kann.427 Zur Begründung weist er darauf hin, dass in der Bewilligung des Verfahrens keine Entscheidung über den Insolvenzantrag liegt. Dieser Aussage liegt eine Konstellation zugrunde, in der der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und zugleich den Schutzschirmantrag gem. § 270b InsO gestellt hat. Über den Eröffnungsantrag gem. § 13 Abs. 1 InsO hat das Gericht noch nicht entschieden, sondern nur über die Bewilligung der vorläufigen Eigenverwaltung. Der Annahme Fölsings ist unter Berücksichtigung der Rechtsfolgen des § 270b InsO zuzustimmen. Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung sind allein Dauer und Umfang des „Schutzschirms“, die Aufsicht durch den vorläufigen Sachwalter sowie die Begründung von Masseverbindlichkeiten.428 Damit ist noch keine Aussage über die Zulässigkeit des Insolvenzverfahrens in seiner Gesamtheit getroffen. Der Missbrauchsvorwurf steht der Zulässigkeit des Eröffnungsantrages
424
Zu den Gründen BGH, Urt. v. 09.01.2003 – IX ZR 85/02, NZI 2003, 197 f. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 27 Rz. 21; Denkhaus, in: HambK, InsO, § 27 Rz. 32; Rüntz / L aroche, in: HK, InsO, § 27 Rz. 39; Schilken, in: Jaeger, InsO, § 34 Rz. 39; Holzer, in: K / P/B, InsO, § 34 Rz. 32. 426 3. Kapitel I. 2. 427 Fölsing, ZInsO 2013, 1325 (1331). 428 Fiebig, in: HambK, InsO, § 270b Rz. 24 ff.; C. Kern, in: MüKo, InsO, § 270b Rz. 76 ff.; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270b Rz. 9 ff. 425
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
entgegen und wird auch erst in diesem Zusammenhang geprüft. Dem Insolvenzgericht steht es also zu, das Schutzschirmverfahren aufzuheben. Ebenso wenig sperrt eine rechtskräftige Eröffnungsentscheidung die Geltendmachung des Missbrauchseinwands gegenüber gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen im Insolvenzplan. Bei dem Eröffnungsbeschluss handelt es sich um eine doppelfunktionale Entscheidung. Es kommt zu einer verfahrenseinleitenden Anordnung sowie zu einer rechtsgestaltenden Entscheidung, weil die Eröffnungsvoraussetzungen festgestellt werden.429 Wichtigster Inhalt der Eröffnungsentscheidung sind der Ausspruch der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Einsetzung einer externen Überwachung des schuldnerischen Vermögens.430 Des Weiteren enthält der Beschluss noch weitere organisatorische Angaben, die in den §§ 27 ff. InsO konkretisiert werden.431 Die Entscheidung ist der materiellen Rechtskraft jedoch nur insofern fähig, als es nicht um die Feststellung der Eröffnungsvoraussetzungen geht. Der Grund hierfür liegt in der Abweichung von einer normalen zivilprozessualen Gestaltungsklage. Anders als im Zivilprozessrecht gibt es im Insolvenzrecht keinen dem prozessualen Anspruch auf Gestaltung angenäherten Insolvenzanspruch des Antragstellers, der Gegenstand materieller Rechtskraft sein könnte.432 Angesichts der aufgeführten Wirkung der Rechtskraft kann zwar nicht mehr geltend gemacht werden, dass das Verfahren auf einen unzulässigen Antrag eröffnet worden ist. Über die Befugnis zur Ausübung weiterer Rechte innerhalb des Insolvenzverfahrens wird jedoch keine Aussage getroffen. So sagt die Verfahrenseröffnung für sich genommen nichts über die Zulässigkeit eines Insolvenzplans aus. Dieser muss vielmehr den Voraussetzungen der §§ 217 ff. InsO genügen. Setzt sich der Einwand des Missbrauchs dementsprechend nach Verfahrenseröffnung fort und bezieht er sich zudem auf die Ausübung eines weiteren Rechts, dann kann der Einwand noch zu diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden.433 Eine abweichende Bewertung ist auch nicht etwa deshalb anzunehmen, weil bei einem Verfahren gem. § 270b InsO die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung der Entscheidung über die Bestätigung des Insolvenzplans zeitlich angenähert ist.434 Es handelt sich noch immer um zwei voneinander zu separierende Entscheidungen.
429
Schilken, in: Jaeger, InsO, § 27 Rz. 4. Busch, in: MüKo, InsO, §§ 27–29 Rz. 17; Denkhaus, in: HambK, InsO, § 27 Rz. 10 ff.; Holzler, in: K / P/B, InsO, § 27 Rz. 9 ff. 431 Busch, in: MüKo, InsO, §§ 27–29 Rz. 17. 432 Schilken, in: Jaeger, InsO, § 27 Rz. 5. 433 Abweichend Smid, ZInsO 2014, 1873 (1880), der eine weitergehende Tatbestandswirkung des Eröffnungsbeschlusses annimmt. 434 Vgl. hierzu BT-Drucks. 17/5712, S. 40; C. Kern, in: MüKo, InsO, § 270b Rz. 142. 430
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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(bb) Mangelnde Schutzwürdigkeit – Grundsätze der Quasirestitution Gegen den Ausschluss eines fortgesetzten Missbrauchseinwands lässt sich da rüber hinaus die mangelnde Schutzbedürftigkeit des Antragstellers anführen. Diese resultiert zum einen aus der bereits genannten Reichweite der Rechtskrafterstreckung und zum anderen aus dem Missbrauchsvorwurf an sich.435 Das erwähnte Vertrauen ist der Grund dafür, dass Verfahrensfehler nicht vollumfänglich berücksichtigt werden können. Dieses Vertrauen aber ist nicht schutzwürdig, denn ist der Insolvenzantrag als missbräuchlich zu bewerten, kann der Antragsteller schon nicht berechtigterweise auf die Verfahrenseröffnung vertrauen. Die missbräuchliche Ausübung einer Handlungsbefugnis wird von der Rechtsordnung weder geduldet noch geschützt. In zivilprozessualer Hinsicht findet sich eine vergleichbare Argumentation im Hinblick auf die Voraussetzungen der Rechtskraftdurchbrechung. Grundsätzlich ist eine rechtskräftig ergangene Entscheidung der erneuten Überprüfung in einem nachfolgenden Verfahren entzogen.436 Denkbar ist allerdings, dass Gerechtigkeitserwägungen schwerer wiegen als der Einwand der Rechtssicherheit. Dann kommt es zur Durchbrechung der Rechtskraft.437 Wie die Vorschriften der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 233 ff. ZPO, der Abänderungs- und Nachforderungsklage gem. §§ 323 f. ZPO und der Nichtigkeits- bzw. Restitutionsklage gem. §§ 578 ff. ZPO zeigen, lässt sich dieser Grundsatz schon dem Gesetz entnehmen.438 Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass die Rechtskraft auch außerhalb dieser Vorschriften unter den Voraussetzungen des § 826 BGB durchbrochen werden kann. Nach dieser richterlichen Rechtsfortbildung439 rechtfertigen sowohl die Erschleichung als auch die sittenwidrige Ausnutzung eines Urteils die Rechtskraftdurchbrechung.440 Im Ergebnis ist das Urteil zwar nicht aufzuheben, jedoch kann der Kläger die Vollstreckung aus dem Urteil 435 Ähnlich Fölsing, ZInsO 2013, 2155 (2157) für den missbräuchlichen Einsatz des Schutzschirmverfahrens. In Bezug auf den Insolvenzplan ders., ZInsO 2013, 2263 (2264). 436 Gruber, in: BeckOK, ZPO, § 322 Rz. 77; Gottwald, in: MüKo, ZPO, § 322 Rz. 204; Saenger, in: Hk, ZPO, § 322 Rz. 49; Musielak, in: ders. / Voit, ZPO, § 322 Rz. 88; BGH, Urt. v. 06.03.1985 – IVb ZR 76/83, NJW 1985, 2535. 437 Saenger, in: Hk, ZPO, § 322 Rz. 49; Gottwald, in: MüKo, ZPO, § 322 Rz. 206; Schmitt-Kästner, Bürgerlich-rechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, S. 160 ff. 438 Saenger, in: Hk, ZPO, § 322 Rz. 50 ff.; Büscher, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, § 322 Rz. 218 ff.; Musielak, in: ders. / Voit, ZPO, § 322 Rz. 89. 439 Saenger, in: Hk, ZPO, § 322 Rz. 51; Gottwald, in: MüKo, ZPO, § 322 Rz. 221; Musielak, in: ders. / Voit, ZPO, § 322 Rz. 93. Kritisch hierzu Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 99 ff.; ders., Möglichkeiten und Grenzen der Rechtskraftdurchbrechung, S. 40 ff. 440 BGH, Urt. v. 11.07.2002 – IX ZR 326/99, NJW 2002, 2940 (2943); BGH, Urt. v. 24.09.1987 – III ZR 187/86, NJW 1987, 3256 (3257); BGH, Urt. v. 05.06.1963 – IV ZR 136/62, NJW 1964, 349. Diese Differenzierung entspricht auch der aufgezeigten Differenzierung der allgemeinen Missbrauchsdogmatik, gemäß derer der Missbrauchsvorwurf sich entweder auf die Schaffung der Voraussetzungen oder aber die Rechtsausübung selbst bezieht.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
verhindern, indem er die Unterlassung selbiger oder aber die Herausgabe des Vollstreckungstitels verlangt.441 Die Zulässigkeit einer Klage nach § 826 BGB im Insolvenzverfahrensrecht wird – soweit ersichtlich – nicht diskutiert. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass die Wiederaufnahme eines Verfahrens gem. § 4 InsO in Verbindung mit §§ 578 ff. ZPO zulässig ist,442 woraus geschlossen werden kann, dass dieser Fall der gesetzlichen Durchbrechung der Rechtskraft übertragbar ist. Ob das für eine Klage gem. § 826 BGB in gleicher Weise anzunehmen ist, mag mit Blick auf die Wirkung der Verfahrenseröffnung für eine Vielzahl an Verfahrensbeteiligten zweifelhaft sein. Eine Entscheidung hierüber muss jedoch gar nicht getroffen werden, denn bei der zu beantwortenden Frage geht es nicht um die Aufhebung oder den Abbruch des eröffneten Insolvenzverfahrens, sondern darum, ob gegen den vorgelegten Insolvenzplan der Einwand des Missbrauchs erhoben werden kann, obwohl er bereits im Rahmen der Eröffnungsentscheidung hätte berücksichtigt werden können. Die Unzulässigkeit der Ausübung von Verfahrensrechten im eröffneten Verfahren ist weniger einschneidend als die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, sodass die Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit nicht überzeugen. Im Gegenteil: Liegen die Voraussetzungen für eine Quasirestitution vor oder sind die tatsächlichen Gegebenheiten einem solchen Fall angenähert, sollte die missbräuchliche Verfahrenseröffnung, wenn sie schon nicht aufgehoben werden kann, zumindest nicht bindende Grundlage weiterer Entscheidungen sein. Der Umstand, dass zuvor das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, hindert das Gericht also nicht an einer Bestätigungsversagung. Der Missbrauchseinwand des Insolvenzverfahrens wirkt zum Zeitpunkt der Planvorlage noch nach und wird durch die Verfahrenseröffnung nicht ausgeschlossen. b) Außerinsolvenzgerichtlicher Rechtsschutz gegen den Insolvenzplan Für das eröffnete Verfahren stellt sich wie für das Eröffnungsverfahren die Frage, inwiefern außerinsolvenzgerichtlich und damit präventiv Einfluss auf das Verfahren genommen werden kann. Auf diese Weise könnte bereits in den Planerstellungsvorgang eingegriffen und so verhindert werden, dass es zur Annahme eines unzulässigen Insolvenzplans kommt. Im Hinblick auf den präventiven Rechtsschutz im Planverfahren ist für die Zeit vor dem und im Eröffnungsverfahren in gleicher Weise zwischen den materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Abwehr- bzw. Unterlassungsanspruchs und der prozessualen Durchsetzbarkeit zu differenzieren.
441
BGH, Urt. v. 05.03.1958 – IV ZR 307/57, NJW 1958, 826 (827). BGH, Beschl. v. 02.02.2006 – IX ZB 279/04, NJW-RR 2006, 912. Noch zum Konkurseröffnungsbeschluss LG Münster, Beschl. v. 08.03.2001 – 5 T 124/01, NZI 2001, 485. Zustimmend Denkhaus, in: HambK, InsO, § 27 Rz. 42; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 27 Rz. 23. 442
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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aa) Materiell-rechtlicher Anspruch Die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten gelten im eröffneten Insolvenz verfahren nicht fort.443 Als taugliche Anspruchsgrundlage gegen die Mitgesellschafter können sie dementsprechend nicht mehr herangezogen werden. In Betracht kommt lediglich die Geltendmachung allgemeiner zivilrechtlicher Ansprüche. Ist die intendierte Planmaßnahme unter den beschriebenen Voraussetzungen als unzulässig einzuordnen und bejaht man im Übrigen die Voraussetzungen des § 826 BGB, kann hieraus ein materiell-rechtlicher Abwehranspruch entstehen, der etwa darauf gerichtet sein kann, ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zu verhindern. bb) Zulässigkeit außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutzes In prozessrechtlicher Hinsicht regen sich gegen die Einflussnahme auf das Insolvenzplanverfahren allerdings dieselben Bedenken, wie sie schon gegen den außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz im Eröffnungsverfahren vorgebracht wurden. Hier wie dort entscheidet der Prüfungsumfang des Insolvenzgerichts darüber, ob unzulässigerweise in dessen Zuständigkeitsbereich eingegriffen wird. Die Untersuchung zu § 250 Nr. 1 InsO hat gezeigt, dass es dem Insolvenzgericht obliegt, neben dem Zustandekommen auch den Inhalt und die Zulässigkeit des Insolvenzplans zu prüfen. Damit ist zugleich der prozessgerichtliche Rechtsschutz außerhalb des eröffneten Verfahrens gesperrt, denn andernfalls griffe das Prozessgericht in den Zuständigkeitsbereich des Insolvenzgerichts ein.444 Aus Gesellschaftersicht besteht damit in keinerlei Weise die Möglichkeit, präventiv gegen den Insolvenzplan vorzugehen. Gesellschafter können sich lediglich gegen die gerichtliche Planbestätigung zur Wehr setzen oder nach Abschluss des Insolvenzverfahrens Schadensersatzansprüche geltend machen. Beide Alternativen gilt es daher im Folgenden zu erörtern. c) Rechtsschutz gegen die Planbestätigung Ist der Plan trotz der Unzulässigkeit bestätigt worden, so ist die sofortige Beschwerde gem. § 253 Abs. 1 InsO der statthafte Rechtsbehelf.
443
Vgl. bereits 6. Kapitel II. 2. d) aa). Einer solchen Klage mangelt es nach allgemeiner Auffassung am Rechtsschutzbedürfnis. Siehe hierzu schon 6. Kapitel III. 1. d) bb). 444
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
aa) Beschwerderecht gem. § 253 InsO Erklärtes Ziel des ESUG-Gesetzgebers war die moderate Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten.445 Infolgedessen ist die sofortige Beschwerde unter anderem durch formelle wie materielle Voraussetzungen erschwert worden.446 § 253 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO setzen voraus, dass die Gesellschafter als beschwerdeberechtigte Beteiligte vor der Bestätigung gegen den Plan votiert und ihm im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen haben. § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO enthält die Voraussetzung einer materiellen Beschwer. Vor dem Inkrafttreten des ESUG genügte nach der Rechtsprechung des BGH für die Annahme einer materiellen Beschwer bereits, wenn der Insolvenzplan die Rechte des Beschwerdeführers beeinträchtigte.447 Das Beschwerdegericht prüfte sodann im Rahmen der Begründetheit die Einhaltung des gesamten Rechtsrahmens der §§ 217 ff. InsO.448 Nunmehr ist gem. § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO eine wesentliche Schlechterstellung Zulässigkeitsvoraussetzung. Maßgeblich ist insoweit das wertbezogene Schutzkonzept des ESUG. Es obliegt dem Beschwerdeführer eine wesentliche Schlechterstellung glaubhaft zu machen, wobei als Vergleichsmaßstab grundsätzlich das Verwertungsszenario nach Maßgabe eines Regelinsolvenzverfahrens zu beachten ist.449 Die Glaubhaftmachung stellt für die Anteilsinhaber eine erhebliche Hürde dar, denn ihre Position ist aufgrund ihrer vermögensrechtlichen Stellung im Insolvenzverfahren weitaus schlechter als die eines beschwerdeführenden Gläubigers.450 Sollte es ihnen gleichwohl gelingen, eine wesentliche Schlechterstellung nachzuweisen, dann besteht gem. § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Möglichkeit einer wertmäßigen Kompensation.451 Wird die Beschwerde erhoben, so kann der Insolvenzverwalter oder – über den Wortlaut der Norm hinaus – der eigenverwaltende
445
BT-Drucks. 17/5712, S. 35. Hierzu Madaus, NZI 2012, 597. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 1; Vaske, Sofortige Beschwerde, S. 93; Rendels / Zabel, Insolvenzplan, Rz. 526 f.; Haas, in: HK, InsO, § 253 Rz. 4; Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 4; Smid, ZInsO 2014, 1873 (1876). 447 BGH, Beschl. v. 07.07.2005 – IX ZB 266/04, NZI 2005, 619 (620); BGH, Beschl. v. 15.07.2010 – IX ZB 65/10, NZI 2010, 734 (736); BGH, Beschl. v. 13.01.2011 – IX ZB 29/10, ZInsO 2011, 280 (281). 448 Vaske, Sofortige Beschwerde, S. 206; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 9; Jaffé, in: FK, InsO, § 253 Rz. 6, 14. 449 Vgl. bereits 6. Kapitel II. 1. a). BT-Drucks. 17/5712, S. 34; Andres, in: ders. / Leithaus, InsO, § 253 Rz. 5a; G. Fischer, NZI 2013, 513 (519); Sinz, in: MüKo, InsO, § 253 Rz. 32; Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 8; Braun / Frank, in: Braun, InsO, § 253 Rz. 5; Rendels / Z abel, Insolvenzplan, Rz. 527, 530a; Hölzle, ZIP 2014, 1819 (1822); Altmeppen, in: FS Hommelhoff, S. 1 (19). 450 Vaske, Sofortige Beschwerde, S. 189, 193 f.; Lehmann / Rühle, NZI 2014, 889 (892); Burmeister / Schmidt-Hern, in: Kübler, HRI, § 43 Rz. 140; Thole, ZIP 2013, 1937 (1940); Brinkmann, WM 2011, 97 (100). Dass die Anteilsinhaber in der Gesellschaftsinsolvenz eine sehr schwache Position haben, wurde bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, vgl. 6. Kapitel II. 1. a). 451 G. Fischer, NZI 2013, 513 (519); Pleister, in: K / P/B, InsO, § 253 Rz. 21. 446
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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Schuldner452 ein Freigabeverfahren gem. § 253 Abs. 4 InsO einleiten, um die Sanierung dennoch voranzutreiben. Dem Beschwerdeführer verbleibt auch dann nur eine finanzielle Kompensation in Form von Schadensersatzansprüchen, die er auf dem ordentlichen Rechtsweg geltend machen muss, vgl. § 253 Abs. 4 Satz 3, 4 InsO.453 Der Einwand der Unzulässigkeit als Teil der Inhaltsprüfung ist nach hier vertretener Auffassung zwar im Rahmen der Bestätigungsentscheidung zu berücksichtigen, die beschwerderechtliche Geltendmachung hingegen hinge darüber hinaus von der Glaubhaftmachung einer wesentlichen Schlechterstellung ab, sodass der Bestätigungsbeschluss nur selten erfolgreich angegriffen werden kann. Beim Einwand der Unzulässigkeit handelt es sich letztlich um den Vorwurf einer Rechtsverletzung, der nach der beschriebenen früheren Rechtslage genügt hätte, nunmehr allerdings nicht mehr ausreichen soll. Diese Annahme entspricht auch der Rechtsprechung einiger Gerichte, die den Zugang zur sofortigen Beschwerde ablehnen, sofern der Beschwerdeführer lediglich eine Rechtsverletzung geltend macht.454 bb) Erweiterung des Beschwerderechts bei unzulässigen Maßnahmen An dieser Rechtsschutzbeschränkung wird von vielen Seiten Kritik geübt. Ausgangspunkt der kritischen Stimmen ist stets das wertbezogene Schutzkonzept der InsO, welches für inadäquat gehalten wird.455 Versteht man die der Gläubigerbefriedigung dienende Funktion des Insolvenzverfahrens in der beschriebenen Weise und nimmt im Einzelfall eine teleologische Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO vor, so ist es nur konsequent, wenn man auch § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO teleologisch reduziert und bei einer als zweckwidrig zu bewertenden Planmaßnahme von einer Schlechterstellungsprüfung absieht.456 Nur so wird man sicherstellen können, dass auch die Gesellschafter die Möglichkeit haben, gegen einen solchen Verstoß vorzugehen. Das muss angesichts der Schwere des Rechtsverstoßes auch für den Fall gelten, dass die Planmaßnahme als individuell rechtsmissbräuchlich zu bewerten ist. Zwar wird demgegenüber verbreitet angenommen, dass selbst ein schwerer Rechtsfehler nicht mittels der sofortigen Beschwerde gerügt werden kann, wenn diese nicht zugleich eine wirtschaftliche Schlechterstellung nach sich 452
Lehmann / Rühle, NZI 2014, 889 (891); Haas, in: HK, InsO, § 253 Rz. 15; G. Fischer, NZI 2013, 513 (516); LG Berlin, Beschl. v. 14.04.2014 – 51 T 107/14, ZInsO 2014, 963 (964). 453 Madaus, NZI 2012, 597 (599); Skauradszun, DZWIR 2014, 338 (343); Lehmann / Rühle, NZI 2014, 889 (895). 454 LG Düsseldorf, Beschl. v. 10.09.2014 – 25 T 23/14, ZInsO 2014, 1963; LG Bonn, Beschl. v. 10.07.2014 – 6 T 178/14, ZInsO 2015, 43 (44). 455 Vgl. bereits 6. Kapitel II. 1. b). 456 Anders in Bezug auf die Geltendmachung einer etwaigen Insolvenzzweckwidrigkeit Brosent, Strategische Insolvenzen, S. 290 f., die die Möglichkeit einer Einschränkung der Voraussetzungen der §§ 251, 253 InsO nicht in Betracht zieht, wenig überzeugend aber eine Zurückweisung des Plans wegen Insolvenzzweckwidrigkeit auf Grundlage des § 231 InsO für möglich erachtet, vgl. dies., Strategische Insolvenzen, S. 258 f.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
zieht.457 Das kann jedoch nicht überzeugen. Neben dem praktischen Bedürfnis, schwerwiegende Verstöße auch dann zu kontrollieren, wenn das wirtschaftliche Ergebnis nicht messbar ist,458 zeigt ein Blick in die Gesetzesbegründung, dass diese Annahme wohl auch dem gesetzgeberischen Willen entsprechen dürfte. Es wurde bereits eingangs darauf hingewiesen, dass es das erklärte Ziel des Gesetzgebers war, den Rechtsschutz im Insolvenzplanverfahren lediglich „moderat“ zu beschränken.459 Dem steht es nicht entgegen, wenn das Erfordernis der Glaubhaftmachung der Schlechterstellung für die Fälle der offensichtlichen Unzulässigkeit gleichsam teleologisch reduziert wird. Eine Rückkehr zur vormals geltenden Rechtslage bedeutet dies jedenfalls nicht, denn hiernach genügte die Geltendmachung einer jeden Rechtsverletzung, selbst wenn eine unbedeutende verfahrensrechtliche Vorschrift missachtet wurde. Bei den unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Fällen geht es jedoch um die Zulässigkeit der Planmaßnahme und damit um einen wesentlichen Bestandteil der Inhaltsprüfung des Insolvenzplans.460 Gegenüber den sonst vertretenen Lösungen zur Modifikation des Vergleichsmaßstabs hat diese Ansicht den Vorteil, dass sie das wertbezogene Schutzkonzept der InsO nicht in seiner Gesamtheit in Frage stellt, sondern lediglich für einen Ausnahmefall modifiziert. Ob es sich hierbei zugleich um das Ergebnis einer notwendigen verfassungskonformen Auslegung handelt, soll hier nicht entschieden werden. Bereits an anderer Stelle wurde darauf aufmerksam gemacht, dass eine klare haftungsrechtliche Ausrichtung des gesamten Insolvenzverfahrens die Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit entschärft.461 Wenn man davon ausgeht, dass Art. 14 und Art. 9 GG in materiell-rechtlicher Hinsicht für eine teleogischen Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO streiten, dann ist es nur konsequent, im Hinblick auf die Grundrechte auch die prozessuale Geltendmachung einer unzulässigen Maßnahme in Form der sofortigen Beschwerde gem. § 253 Abs. 1 InsO zu fordern.462
457 LG Düsseldorf, Beschl. v. 10.09.2014 – 25 T 23/14, ZInsO 2014, 1963; LG Bonn, Beschl. v. 10.07.2014 – 6 T 178/14, ZInsO 2015, 43 (44); Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 9; ohne Hinweis auf eine Einschränkung auch Vaske, Sofortige Beschwerde, S. 145 f. 458 Hierzu Rendels / Z abel, Insolvenzplan, Rz. 530b. 459 BT-Drucks. 17/5712, S. 35. 460 Zum gleichen Ergebnis kommt wohl auch Madaus, EWiR 2014, 521 (522). Für den Fall einer Rechtsverletzung, in dem zugleich keine quantitative Schlechterstellung auszumachen ist, fordert er in Anlehnung an § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO ein „überragendes Rechtsschutzinteresse“. 461 Vgl. bereits 6. Kapitel II. 3. b) bb) (2). 462 Soweit ersichtlich noch Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (274), die für eine verfas sungskonforme Auslegung sind. Für die Verfassungswidrigkeit von § 253 InsO in seiner gegenwärtigen Fassung allerdings ohne Annahme des hier skizzierten Auslegungsergebnisses Hancioglu, Gesellschafterschutz beim Debt-Equity Swap mittels Insolvenzplan, S. 233.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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cc) Ausschluss des „Freigabeverfahrens“ gem. § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO In den unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Fällen kann die Beschwerde auch nicht gem. § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO auf Antrag des Insolvenzverwalters unverzüglich zurückgewiesen werden. Das Freigabeverfahren ist gem. § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO nämlich ausgeschlossen, wenn ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. Die Vorschrift entstammt dem Aktienrecht und ist § 246a AktG nachgebildet. In Anlehnung an § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, für den eine massive Verletzung elementarer Aktionärsrechte vorliegen muss,463 ist für Satz 2 des § 253 Abs. 4 InsO ein ähnlich hoher Maßstab zugrunde zu legen.464 Bei § 225a Abs. 3 InsO handelt es sich um eine zentrale Vorschrift des Insolvenzplanverfahrens. Die Vornahme hierdurch nicht gedeckter oder auch als individuell rechtsmissbräuchlich zu qualifizierender Maßnahmen kann ausnahmslos als schwerwiegender Eingriff in die Rechte der durch das Insolvenzverfahren Betroffenen qualifiziert werden.465 dd) Verhältnis zum Minderheitenschutzantrag gem. § 251 InsO Vor der insolvenzgerichtlichen Entscheidung über Bestätigung oder Ablehnung des Insolvenzplans sind die Anteilsinhaber ferner berechtigt, einen Antrag auf Minderheitenschutz gem. § 251 InsO zu stellen. Dieser bezweckt den Schutz eines Anteilsinhabers oder Gläubigers, der innerhalb der Gruppe überstimmt wurde,466 und ist damit vor allem für den unterlegenen Minderheitsgesellschafter von Bedeutung. Für den Minderheitenschutzantrag gelten die Ausführungen zur sofortigen Beschwerde entsprechend, sodass mit diesem Antrag gleichfalls die Unzulässigkeit der Sanierungsmaßnahme geltend gemacht werden kann.467 Der Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO ist jedoch keine Beschwerdevoraussetzung und damit nicht zwingend vor der sofortigen Beschwerde zu erheben.468 463
Hüffer / C . Schäfer, in: MüKo, AktG, § 246a Rz. 26; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 246a Rz. 22; Drescher, in: Henssler / Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246a AktG Rz. 9. 464 Nach überwiegender Meinung ist nicht nur die Bedeutung der verletzten Norm, sondern es sind auch das konkrete Ausmaß und die konkreten Auswirkungen maßgeblich, vgl. Haas, in: HK, InsO, § 253 Rz. 15; Pleister, in: K / P/B, InsO, § 253 Rz. 34 f.; G. Fischer, NZI 2013, 513 (518); Lehmann / Rühle, NZI 2014, 889 (892) sowie Burmeister / Schmidt-Hern, in: Kübler, HRI, § 43 Rz. 171 f., die indes keine allzu hohen Anforderungen fordern. 465 Im Ergebnis ebenso C. Schäfer, ZIP 2014, 2417 (2420); ders., ZIP 2015, 1208 (1212). 466 Rendels / Z abel, Insolvenzplan, Rz. 499; Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 1; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 1; Sinz, in: MüKo, InsO, § 251 Rz. 1. 467 Ebenso im Hinblick auf den Missbrauchseinwand Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (274 f.). Für die Anwendbarkeit ohne Rückgriff auf den Missbrauchseinwand C. Schäfer, ZIP 2014, 2417 (2420). 468 BGH, Beschl. v. 17.07.2014 − IX ZB 13/14, ZInsO 2014, 1552; Meller-Hannich, LMK 2014, 363952; Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 42. Anderer Auffassung Jaffé, in: FK, InsO, § 253 Rz. 7.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
IV. Haftungsrechtliche Folgen Der bisher beschriebene Schutz bezog sich auf die Zeit vor der Eröffnung sowie während des laufenden Insolvenzverfahrens. Unter Berücksichtigung der mit der Antragstellung verbundenen Konsequenzen469 ist dieser weitaus effektiver als der nachgelagerte haftungsrechtliche Rechtsschutz.470 Weil gerade der vorgelagerte Schutz aufgrund der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten im Eröffnungsverfahren und der strengen Rechtsprechung einiger Gerichte bezüglich der Geltendmachung von Rechtsfehlern, die nicht zugleich eine wertmäßige Schlechterstellung begründen,471 nicht immer zu erreichen sein wird, besteht aus Gesellschaftersicht ebenfalls ein großes Interesse an den haftungsrechtlichen Ansprüchen infolge unzulässiger Sanierungsmaßnahmen. 1. Allgemein zivilrechtliche Haftung bei unzulässiger Verfahrenseinleitung und Vornahme einer unzulässigen Planmaßnahme Bereits in Bezug auf den außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz wurde erwähnt, dass der Antragsteller nach allgemeiner Meinung bei missbräuchlicher Antragstellung unter den Voraussetzungen des § 826 BGB haftet.472 Das gilt sowohl für Gläubiger-473 als auch für Eigenanträge.474 In diesem Zusammenhang wurde zwar auch darauf hingewiesen, dass sich die Ausführungen zur Haftung wegen missbräuchlicher Antragstellung zumeist auf Fälle beziehen, in denen die Antragstellung in der Sache unberechtigt war, weil schon kein Eröffnungsgrund vorlag,475 was angesichts der zivilprozessualen Einordnung offensichtlich unbegründeter Klagen in die Kategorie des Missbrauchs und des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nicht verwunderte.476 Von einer Haftung war aber auch dann auszugehen, wenn eine Insolvenzsituation tatsächlich vorliegt und der Antrag im Ausnahmefall als missbräuchlich zu bewerten ist.477 Bei der Berechnung des Schadensersatzes in Geld muss jedoch darauf geachtet werden, ob der Schaden wirklich die Folge 469
Zur Self fulfilling Prophecy bereits 3. Kapitel II. 2. Ebenso Möhlenkamp, BB 2013, 2828 (2830). Optimistischer Brinkmann, ZIP 2014, 197 (206); Zipperer, ZIP 2015, 2008 (2009); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 196 f. 471 6. Kapitel III. 2. c) aa). 472 Vgl. bereits 6. Kapitel III. 1. d) aa) (1). 473 BGH, Urt. v. 03.10.1961 – VI ZR 242/60, KTS 1961, 183; BGH, Urt. v. 13.03.1979 – VI ZR 117/77, NJW 1979, 1351 (1352); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.1993 – 10 U 17/93, ZIP 1994, 479; OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2005 – 10 W 705/05, NZI 2006, 353; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 49; Pape, in: K / P/B, InsO, § 13 Rz. 216. 474 Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 52; Schmerbach, in: FK, InsO, § 13 Rz. 303 ff.; Pape, in: K / P/B, InsO, § 13 Rz. 219. 475 6. Kapitel III. 1. d) bb) (2) (a). 476 2. Kapitel III. 3. c). 477 Vgl. hierzu bereits 6. Kapitel III. 1. d) bb) (2) (a). 470
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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missbräuchlicher Antragstellung oder gleichsam die Konsequenz einer materiellen Insolvenz ist, die den Vorwurf des individuellen Rechtsmissbrauchs denknotwendig voraussetzt.478 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht auch den Gesellschaftern bei der Vornahme einer als individuell rechtsmissbräuchlich zu bewertenden Planmaßnahme ein Anspruch aus § 826 BGB zu, wenn es hierdurch zu einem Schaden etwa in Form des Entzugs oder der Aushöhlung ihrer Mitgliedschaftsrechte kommt.479 Der Anspruch kann unter den Voraussetzungen des § 830 BGB gegen sämtliche an der Verfahrenseinleitung sowie am Planverfahren beteiligten Personen geltend gemacht werden. Als Anspruchsgegner kommt neben den Mitgesellschaftern,480 auf deren Initiative das Insolvenzverfahren strategisch betrieben wird,481 die vertretungsberechtigte Geschäftsleitung in Betracht.482 Häufig wird diese das Verfahren nämlich einleiten sowie an der Ausarbeitung des Insolvenzplans beteiligt sein. Sollte der vorläufige Sachwalter an der Erstellung des Insolvenzplans, der eine unzulässige Planmaßnahme vorsieht, mitwirken, haftet auch er unter den Voraussetzungen des § 826 BGB.483 Wie beim Insolvenzverwalter ist die deliktische Haftung des Sachwalters neben dem Schadensersatzanspruch aus § 274 Abs. 1 in Verbindung mit § 60 InsO wegen Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten nicht ausgeschlossen.484 Auf Grundlage des § 826 BGB kommen schließlich auch Ansprüche gegen die eintretenden Neugesellschafter in Betracht.485 Dies gilt jedoch nur, soweit sie Kenntnis von dem als sittenwidrige Schädigung zu bewertenden Verhalten des Mehrheitsgesellschafters haben.486 Auch wenn man die Planmaßnahme im Hinblick auf die der Gläubigerbefriedigung dienende Funktion des Insolvenzplanverfahrens infolge einer teleologischen Reduktion des § 225a Abs. 3 InsO für unzulässig hält, dürfte ein auf § 826 BGB gestützter Anspruch in Betracht kommen. Zwar ist ein solcher Schadensersatzanspruch nur anzunehmen, wenn die rechtswidrige Handlung zugleich als vor 478
1. Kapitel V. 3. Die Aushöhlung der Mitgliedschaftsrechte hält auch Fölsing, ZInsO 2013, 2115 (2116) für einen insolvenzbedingten Schaden. 480 Vgl. etwa Thole, ZIP 2013, 1937 (1944); Haas, in: HK, InsO, § 225a Rz. 19. 481 Zum Fall des Management-Buy-outs vgl. noch 7. Kapitel II. 482 Wortberg, ZInsO 2004, 707 (712); Geißler, ZInsO 2013, 919 (923); Fölsing, ZInsO 2013, 1325 (1331); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 199. 483 Die Haftung des Sachwalters hält auch Fölsing, ZInsO 2013, 2115 (2116) grundsätzlich für möglich. Damit dürfte er jedoch insbesondere den Fall einer gezielten Herbeiführung einer Überschuldungssituation im Blick gehabt haben, vgl. ders., ZInsO 2013, 1325 (1332). 484 Vgl. Baumert, in: Braun, InsO, § 60 Rz. 29; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 109. 485 Vgl. auch Wertenbruch, ZIP 2013, 1694 (1703) mit Bezugnahme auf den Fall, dass einem Mitgesellschafter der Vorwurf einer treuepflichtwidrigen Herbeiführung der Insolvenzsituation zu machen ist und die als Neugesellschafter eintretenden Gläubiger Kenntnis von dieser Treuepflichtverletzung haben. 486 Die Übernahme eines Unternehmens im Wege eines Debt Equity Swaps vermag den Missbrauchsvorwurf für sich genommen demgegenüber nicht zu begründen, vgl. 7. Kapitel II. 3. a). 479
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
sätzliche sittenwidrige Schädigung einzuordnen ist.487 Angesichts der für die Annahme einer teleologischen Reduktion geforderten Voraussetzungen und der mit der Durchführung des Insolvenzverfahrens verbundenen Konsequenzen dürfte hiervon aber auszugehen sein.488 2. Gesellschaftsrechtlicher Einfluss auf die Haftungsansprüche In den unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Fällen kommen, je nachdem welche gesellschaftsrechtlichen Anforderungen man im Hinblick auf die Verfahrenseinleitung für maßgeblich hält, gegen die Geschäftsleitung sowie den Mehrheitsgesellschafter weitere auf Schadensersatz gerichtete Anspruchsgrundlagen in Betracht.489 a) Ansprüche gegen die Geschäftsleitung bei Missachtung der gesellschaftsinternen Kompetenzverteilung Die Haftung der Geschäftsleitung kann neben dem Vorwurf der Beteiligung an einem missbräuchlichen Einsatz des Insolvenzverfahrens auch auf den Verstoß gegen die ihr im Hinblick auf die Antragstellung obliegenden Pflichten gestützt werden. Das gilt freilich nur, wenn man für einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit die Einholung eines Gesellschafterbeschlusses für erforderlich hält.490 Sofern auf Seiten der Gesellschaft ein Schaden auszumachen ist,491 stehen die Haftungsansprüche gegen die Geschäftsleitung grundsätzlich der Gesellschaft zu. Stellt etwa der Geschäftsführer einer GmbH einen Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, ohne einen Gesellschafterbeschluss einzuholen, dann haftet er der Gesellschaft nach überwiegender Ansicht dem Grunde nach 487
Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rz. 54. Aus diesem Grund ist ein „lediglich“ rechtswidriger Vollstreckungsbescheid auch nicht per se als sittenwidrig einzuordnen und eine Durchbrechung der Rechtskraft auf Grundlage des § 826 BGB möglich. Für die Annahme der Sittenwidrigkeit ist neben der materiellen Unrichtigkeit und der entsprechenden Kenntnis des Titelgläubigers zu fordern, dass besondere Umstände, wie beispielsweise die Titelerschleichung, hinzukommen, vgl. BGH, Urt. v. 09.02.1999 – VI ZR 9/98, NJW 1999, 1257 (1258); BGH, Urt. v. 29.06.2005 – VIII ZR 299/04, NJW 2005, 2991 (2994); Olzen, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, § 700 Rz. 21; Voit, in: Musielak / ders., ZPO, § 700 Rz. 3. 488 Zu den engen Voraussetzungen sowie zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Insolvenzgerichts vgl. bereits 6. Kapitel II. 3. b) bb) sowie III. 2. a) bb) (2). 489 Hierauf wurde bereits im Rahmen der Ausführungen zum außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz hingewiesen, vgl. 6. Kapitel III. 1. d) bb) (2) (b). 490 Vgl. auch hierzu bereits 6. Kapitel III. 1. d) bb) (2) (b) (aa). 491 Leinekugel / Skauradszun, GmbHR 2011, 1121 (1127). Kritischer zum Schaden der Gesellschaft Wortberg, ZInsO 2004, 707 (712). Umstritten ist in diesem Zusammenhang hingegen die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule. Dagegen etwa OLG München, Urt. v. 21.03.2013 – 23 U 3344/12, NZI 2013, 542 (544).
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
181
gem. § 43 Abs. 2 GmbHG und § 280 Abs. 1 BGB.492 Für die Vorstandsmitglieder einer AG ergibt sich die Haftung aus § 93 Abs. 2 AktG.493 Da auch der Anstellungsvertrag mit der Gesellschaft grundsätzlich keine Schutzwirkung zugunsten der Gesellschafter entfaltet,494 kommt ein direkter Anspruch der Anteilsinhaber gegen die Geschäftsleitung nur auf Grundlage des Deliktsrechts in Betracht. Billigt man der Mitgliedschaft gegenüber der Geschäftsleitung deliktischen Schutz zu, so kann sich ein Schadensersatzanspruch auch unter den gegenüber § 826 BGB weniger strengen Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB ergeben.495 b) Ansprüche gegen Mehrheitsgesellschafter wegen Verletzung der Treuepflicht Gegen die Mitgesellschafter kommen darüber hinaus Ansprüche wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten gem. § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Gesellschaftsvertrag in Betracht.496 Da der Wirkungsbereich der Treuepflicht nach der hier vertretenen Auffassung auf die Zeit vor Verfahrenseröffnung beschränkt ist, kann eine Handlung nur dann als Treuepflichtverletzung gewertet werden, wenn sie vor Verfahrenseröffnung vorgenommen wurde.497 Vor dem Hintergund des gesellschaftsrechtlichen Gestaltungspotenzials im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens kann es im Einzelfall als treuwidrig zu bewerten sein, wenn ein Gesellschafter durch die Fälligstellung von Gewinn- oder Darlehensforderungen bewusst eine Insolvenzsituation herbeiführt. Das gilt jedenfalls dann, wenn man einen Vorrang der außergerichtlichen vor der gerichtlichen Sanierung annimmt.498 In jedem Fall ist von einer Treuepflichtverletzung auszugehen, wenn
492
OLG München, Urt. v. 21.03.2013 – 23 U 3344/12, NZI 2013, 542 (543); K. Schmidt, in: ders., InsO, § 18 Rz. 31; Jakobs / Hoffmann, EWiR 2013, 483; Wortberg, ZInsO 2004, 707 (712); Tetzlaff, ZInsO 2008, 137 (140); Saenger / Al-Wraikat, NZG 2013, 1201 (1204 f.); Westermann, NZG 2015, 134 (136); Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, Rz. 501; Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 197; Schröder, in: HambK, InsO, § 18 Rz. 17; Henssler, ZInsO 1999, 121 (125 f.); Ehlers, ZInsO 2005, 169 (172); Geißler, ZInsO 2013, 919 (923); Leinekugel / Skauradszun, GmbHR 2011, 1121 (1126); Bork, ZIP 2011, 101 (109). 493 Wortberg, ZInsO 2004, 707 (712). 494 Fleischer, in: MüKo, GmbHG, § 43 Rz. 335; Beurskens, in: Baumbach / Hueck, GmbHG, § 43 Rz. 116 jeweils mit weiteren Nachweisen und Hinweis auf die von der Rechtsprechung gebildeten Ausnahmen sowie für die AG Spindler, in: MüKo, AktG, § 93 Rz. 334. 495 Hierzu Beurskens, in: Baumbach / Hueck, GmbHG, § 43 Rz. 117; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 93 Rz. 64. Explizit für die Antragstellung bejahen dies Wortberg, ZInsO 2004, 707 (711); Leinekugel / Skauradszun, GmbHR 2011, 1121 (1126); Geißler, ZInsO 2013, 919 (923 f.); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 198 f. 496 Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (269); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 201 f.; Haas, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 91 Rz. 42; ders., in: HK, InsO, § 225a Rz. 19. 497 Vgl. hierzu bereits 6. Kapitel II. 2. d). 498 Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 202. Zu den Voraussetzungen im Einzelnen Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (269).
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
ein Gesellschafter auf die Verfahrenseinleitung durch die Geschäftsleitung hinwirkt, um eine Planmaßnahme durchführen zu können, die unter Berücksichtigung der hier aufgezeigten Grundsätze unzulässig ist. Die einmal entstandenen Haftungsansprüche gegen die Mitgesellschafter erledigen sich auch nicht durch die Planbestätigung.499 Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung über den Insolvenzplan ist die alternative Insolvenzbewältigung gegenüber dem Regelverfahren.500 Gesellschaftsinterne Rechtsverletzungen vor Verfahrenseröffnung sind mithin schon nicht von der Rechtskraft des Insolvenzplans betroffen und deshalb vermag die Rechtskraft auch einen Treuepflichtverstoß nicht auszuschließen. 3. Einzelfragen zum Schadensersatzanspruch auf Rechtsfolgenebene Während die für die Haftung dem Grunde nach maßgeblichen Anspruchsgrundlagen noch klar zu bestimmen sind, stellen sich auf Rechtsfolgenseite zahlreiche Einzelfragen. Die aus Gesellschaftersicht wohl wichtigste Frage betrifft den Umfang der Schadensersatzansprüche: Kann der Minderheitsgesellschafter verlangen, dass Maßnahmen gem. § 225a Abs. 3 InsO rückgängig zu machen sind? Hieran schließen sich Überlegungen zur Nachweisbarkeit von Schaden und Kausalität an. Mit Blick auf die dargestellten Rechtsschutzmöglichkeiten501 ist ferner zu erörtern, wie es sich auswirkt, wenn die Gesellschafter trotz des unzulässigen Einsatzes des Insolvenzverfahrens untätig bleiben. a) Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands – Naturalrestitution Rechtsfolge der genannten Schadensersatzansprüche ist grundsätzlich die Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB. Wurden dem Minderheitsgesellschafter etwa durch eine im Insolvenzplan vorgesehene Umwandlung, die unter den hier beschriebenen Voraussetzungen als unzulässig einzuordnen ist, Sonderrechte entzogen, könnte er demgemäß verlangen, dass die Strukturmaßnahme rückgängig gemacht wird. Da die Naturalrestitution dem schadensrechtlichen Grundsatz entspricht,502 sollte sie nicht vorschnell beiseitegeschoben werden.503 Ausgeschlossen
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Ebenso Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2008). Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2008). Zur Rechtskraft der Verfahrenseröffnung vgl. im Übrigen 6. Kapitel III. 2. a) bb) (3) (b) (aa). 501 6. Kapitel III. 502 BGH, Urt. v. 25.10.1996 – V ZR 158/95, NJW 1997, 520; Flume, in: BeckOK, BGB, § 249 Rz. 55; Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rz. 1; Ekkenga / Kuntz, in: Soergel, BGB, § 249 Rz. 1; Ebert, in: Erman, BGB, § 249 Rz. 1 und § 251 Rz. 1; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 249 Rz. 2; Larenz, Schuldrecht I, § 18 I. 503 Vgl. auch Brinkmann, ZIP 2014, 197 (206). 500
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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ist sie nur, wenn sie unmöglich oder unzumutbar ist, vgl. § 251 BGB.504 Unmöglichkeit meint sowohl die tatsächliche wie auch die rechtliche Unmöglichkeit. Darunter fallen Konstellationen, für die das Gesetz ausdrücklich oder indirekt anordnet, dass der Restitutionsanspruch nicht gegeben sein soll.505 Im Folgenden ist deshalb zu prüfen, ob die Restitution der gesellschaftsrechtlichen Planmaßnahme aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist. aa) Unmöglichkeit der Naturalrestitution Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ist grundsätzlich auch geschuldet, wenn Gesellschafterrechte beeinträchtigt wurden. Verliert der Anteilsinhaber seine Mitgliedschaft, so ist er berechtigt, die Wiedereinräumung vergleichbarer Mitgliedschaftsrechte zu fordern.506 Dem steht jedenfalls nicht das Insolvenzverfahren entgegen, da die Gesellschaft nach rechtskräftiger Planbestätigung gem. § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO ihre Verfügungsbefugnis zurückerhält und unter anderem zur Vornahme von Strukturveränderungen berechtigt ist.507 Damit ist die Naturalrestitution zumindest theoretisch denkbar. Sofern Ansprüche gegen die Mehrheitsgesellschafter bestehen, sind diese dazu verpflichtet, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Ist im Zuge des Insolvenzplanverfahrens eine Umwandlung erfolgt, wäre auch diese gesellschaftsrechtliche Maßnahme rückgängig zu machen. Erforderlich ist dann, dass die Voraussetzungen des UmwG im Einzelnen vorliegen. Wurde die Gesellschaft von einer Kommanditgesellschaft durch den Insolvenzplan in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, müssten nunmehr die Voraussetzungen der §§ 228 ff. UmwG erfüllt sein. Das setzt wiederum voraus, dass mit den Ersatzansprüchen die entsprechenden Mehrheiten für einen Beschluss erreicht werden. In rechtlicher Hinsicht ist die Restitution damit zumindest theoretisch möglich. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Anspruchsgegner nur die früheren Mitgesellschafter sind und sich die Beteiligungsverhältnisse nicht geändert haben. Sollten im Zuge des Planverfahrens weitere Gesellschafter eingetreten sein, setzt ein auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands gerichteter Anspruch ferner eine entsprechende Haftung der Neugesellschafter voraus.508
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Oetker, in: MüKo, BGB, § 249 Rz. 334 sowie § 251 Rz. 2; Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 251 Rz. 6 ff., 16 ff.; Ebert, in: Erman, BGB, § 251 Rz. 2 ff.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 251 Rz. 3 f. 505 Oetker, in: MüKo, BGB, § 249 Rz. 334; Ekkenga / Kuntz, in: Soergel, BGB, § 251 Rz. 4. 506 BGH, Urt. v. 18.04.2002 – IX ZR 72/99, NZG 2002, 1010 (1013); Ekkenga / Kuntz, in: Soergel, BGB, § 249 Rz. 249. 507 Wertenbruch, ZIP 2013, 1693 (1703). Auch Westermann, NZG 2015, 134 (143) sieht „insolvenzrechtliche Positionen“ als nicht verletzt an. 508 Vgl. bereits 6. Kapitel IV. 1.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
bb) Normativer Ausschluss Dem Wiederherstellungsverlangen könnte indes entgegenzusetzen sein, dass die Restitution in normativer Hinsicht ausgeschlossen ist. Gemeint ist hiermit keine rechtliche Unmöglichkeit dergestalt, dass es an den Voraussetzungen zur Rückgängigmachung scheitert, sondern dass die Wiederherstellung ausgeschlossen ist, weil sich dies den gesetzlichen Vorschriften entnehmen lässt. In der insolvenzrechtlichen Literatur wird solch ein normativer Ausschluss teilweise mit Blick auf § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO angenommen.509 Wie bereits aufgezeigt wurde, ermöglicht es die Vorschrift dem Insolvenzgericht, eine erhobene sofortige Beschwerde zurückzuweisen, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Insolvenzplans vorrangig erscheint. Dem Beschwerdeführer bleibt es im Anschluss daran verwehrt, die Rückgängigmachung des Insolvenzplans zu fordern, und er muss sich mit der wertmäßigen Kompensation begnügen. Gleiches soll für die Schadensersatzansprüche infolge einer unzulässigen Planmaßnahme gelten. Mit dieser Argumentation ließ sich jedoch schon die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde nicht überzeugend begründen.510 Werden mittels des Insolvenzverfahrens unzulässige Planmaßnahmen vorgenommen, die im Hinblick auf den Grundsatz der Gläubigerbefriedigung als zweckwidrig erscheinen oder unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände als individuell rechtsmissbräuchlich zu beurteilen sind, so handelt es sich in jedem Fall um einen besonders schweren Rechtsverstoß, bei dem sich der Minderheitsgesellschafter auch auf der Ebene des Schadensersatzes nicht grundsätzlich mit einer wertmäßigen Schadenskompensation begnügen muss. Gleichwohl wird die Restitution mit Blick auf die Schutzwürdigkeit und das Vertrauen der Planbeteiligten sowie Dritter in den rechtskräftigen Insolvenzplan abgelehnt. Die Interessen der eintretenden Gläubiger als Neugesellschafter sind jedoch bereits dadurch geschützt, dass dem Minderheitsgesellschafter gegen sie schon kein Haftungsanspruch zustehen wird, wenn ihnen nicht auch der Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu machen ist.511 Soweit das Interesse der Vertragspartner, die mit dem neu strukturierten Unternehmen Geschäfte abschließen, am Fortbestand der Rechtsfolgen des Insolvenzplans gegenüber dem des übergangenen Minderheitsgesellschafters als vorrangig bewertet wird,512 vermag die Interessenabwägung in dieser Pauschalität jedoch nicht zu überzeugen. Der Insolvenzplan kann zum einen gem. § 260 Abs. 2 InsO vorsehen, dass die 509
Fölsing, ZInsO 2013, 2263 (2264); Skauradszun, DB 2014, 2694 (2699); Fölsing, ZInsO 2015, 88 (89). Bedenken unter Berücksichtigung dieser Vorschrift finden sich auch bei Westermann, NZG 2015, 134 (143). 510 Ebenso Wertenbruch, ZIP 2013, 1693 (1703); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 205 f.; Weber, Umwandlungsmaßnahmen als Sanierungsinstrument, S. 365. Vgl. auch 6. Kapitel III. 2. c) cc). 511 Vgl. 6. Kapitel IV. 1. 512 Fölsing, ZInsO 2013, 2263 (2264); ders., ZInsO 2015, 88 (89); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 206.
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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Erfüllung des Plans sowie der Gläubigeransprüche überwacht wird, womit das Befriedigungsinteresse abgesichert wird. Zum anderen greift für die Restitution einer Strukturmaßnahme das UmwG ein, das an zahlreichen Stellen neben den Anteilsinhabern auch die Gläubiger der umwandelnden Gesellschaft schützt.513 Ein genereller Ausschluss der Naturalrestitution ist damit abzulehnen, wenngleich deren praktische Relevanz zugegebenermaßen äußerst gering sein dürfte.514 b) Nachweisbarkeit von Schaden und Kausalität Als problematisch erweist sich auf Rechtsfolgenseite zudem die Nachweisbarkeit von Kausalität und Schaden. Auf der Ebene des haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Tatbestands muss der Gesellschafter nachweisen, dass die Rechtsverletzung kausal auf der Verfahrenseinleitung sowie der Planmaßnahme beruht. Die Problematik um den Kausalitätsnachweis besteht sowohl für missbräuchlich gestellte Insolvenzanträge von Gläubigerseite, wenn die Gesellschaft Schadensersatzansprüche geltend macht, als auch für den Schaden, der auf Gesellschafterseite eintritt.515 Wurden dem Minderheitsgesellschafter in unzulässiger Weise mittels des Insolvenzplans Rechte entzogen, dann kann der Kausalitätsnachweis allerdings eindeutig erbracht werden. Die Probleme konzentrieren sich – sofern die Naturalrestitution unmöglich ist – auf die Feststellung und Berechnung der Schadenshöhe.516 Diese hat sich am Wert der verlorenen Beteiligung zu orientieren. Für die Berechnung ist die Wertdifferenz zwischen dem Zerschlagungswert des Anteils und seinem Fortführungswert unter Berücksichtigung der Mitverwaltungs- und Bezugsrechte zugrunde zu legen.517 Dem Schadensersatzanspruch kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Beteiligung während des Insolvenzverfahrens wertlos war oder hierdurch wertlos geworden ist, denn maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt, zu dem die schädigende Handlung vorgenommen wurde.518 Für den Anteilsinhaber besteht im Haftungsprozess allerdings die Schwierigkeit, einen konkreten Wert seines Anteils zu beweisen.519 Bei einem 513
Vgl. Bunting, in: Kraft / Redenius-Hövermann, Umwandlungsrecht, S. 236 ff., 244 ff.; Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 38 Rz. 16; Kalss, in: Semler / Stengel, UmwG, § 204 Rz. 3 f.; Winter, in: Schmitt / Hörtnagl / Stratz, UmwG, § 204 Rz. 1. 514 Ebenso Brinkmann, ZIP 2014, 197 (206); Weber, Umwandlungsmaßnahmen als Sanierungsinstrument, S. 368. Im Hinblick auf eine gesellschaftsrechtswidrige Antragstellung auch Madaus, ZIP 2014, 500 (502). 515 Zu den Beweisproblemen der Kausalität Leinekugel / Skauradszun, GmbHR 2011, 1121 (1127); Tetzlaff, ZInsO 2008, 137 (140 f.); Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 204. 516 Zu den Beweisproblemen bezüglich der Schadenshöhe vgl. Brinkmann, ZIP 2014, 197 (206); Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (269); Werner, NWB 2014, 1453 (1460); Westermann, NZG 2015, 134 (143); Skauradszun, DB 2014, 2694 (2696, 2699). 517 Zipperer, ZIP 2015, 2002 (2009). 518 Brinkmann, ZIP 2014, 197 (206); Werner, NWB 2014, 1453 (1460). 519 Möhlenkamp, BB 2013, 2828 (2830).
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit ist seitens des Anspruchsgegners ferner nicht auszuschließen, dass dieser einwendet, die materielle Insolvenz gem. §§ 17, 19 InsO wäre ohnehin eingetreten. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Fall der hypothetischen Kausalität, mit der die Verteidigung nicht ausnahmslos zulässig ist.520 Der BGH hat im Zusammenhang mit der Vornahme unberechtigter Scheckproteste, durch die einem Unternehmen nachweislich Kredite entzogen worden sind, festgestellt, dass im Rahmen der Schadensersatzprüfung durchaus zu berücksichtigen ist, dass das Unternehmen nicht mehr lebensfähig war und wegen mangelnder Rentabilität sowie wachsender Verschuldung unvermeidbar hätte liquidiert werden müssen. Nach Auffassung des BGH ist in diesem Zusammenhang auf dieselben Gesichtspunkte wie bei den Anlagefällen zurückzugreifen.521 Wird vorgetragen, dass die Anteile ohnehin aufgrund der drohenden materiellen Insolvenz wertlos geworden wären, dann besteht eine Vergleichbarkeit zu der dargestellten Rechtsprechung. Ein Unterschied zum Fall des BGH liegt allerdings darin, dass die Anteilsinhaber einen Schaden geltend machen und nicht die Gesellschaft. Auf die aufgezeigte Parallele aber hat dies keine Auswirkungen, denn hierbei handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Schadensrechts, der ebenfalls auf die Schadensersatzansprüche der Gesellschafter Anwendung findet. Dieser Einwand kann in gewissem Umfang auch schon bei der Wertbemessung der Anteile berücksichtigt werden, indem man den aktuellen Wert bei Antragstellung unter Hinzuziehung künftiger Entwicklung beurteilt. c) Mitverschulden gem. § 254 BGB Einen weiteren Problemkreis in Bezug auf die Schadensersatzansprüche stellt die Mitverschuldensprüfung gem. § 254 BGB dar. Die Vorschrift differenziert danach, ob sich das Mitverschulden auf die Entstehung des Schadens oder die Schadensabwendung bzw. -minderung bezieht. Nicht ausgeschlossen ist, dass der Minderheitsgesellschafter zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, indem er selbst in vorwerfbarer Weise eine Krise der Gesellschaft hervorgerufen hat. Vorrangig wird man diesen Umstand schon auf der Ebene des Tatbestands zu berücksichtigen haben, denn der Vorwurf des Missbrauchs und der sittenwidrigen Schädigung kann entfallen, wenn es darum geht, eine gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung aufzulösen. Darüber hinaus ist aber auch auf Rechtsfolgenebene die Kürzung des Schadensersatzanspruchs gerechtfertigt. Für den Anspruch aus § 826 BGB ist jedoch zu beachten, dass bloß 520
Hierzu Oetker, in: MüKo, BGB, § 249 Rz. 207 ff.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, Vorb. v. § 249 Rz. 55 ff.; Ekkenga / Kunz, in: Soergel, BGB, Vor § 249 Rz. 210 ff. Die Beweislast dafür, dass der Schaden auf jeden Fall eingetreten wäre, trägt der Schädiger, vgl. BGH, Urt. v. 13.10.1966 – II ZR 173/64, NJW 1967, 551 (552); BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, NZI 2008, 242 (244); BGH, Urt. v. 22.05.2012 – VI ZR 157/11, NJW 2012, 2024 (2025). 521 BGH, Urt. v. 30.09.1968 – II ZR 224/66, BB 1968, 1307 (1308).
6. Kap.: Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter?
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fahrlässiges Mitverschulden bei der Schadensentstehung nicht für eine Kürzung des Anspruchs ausreicht.522 Denkbar ist auch, dass dem Gesellschafter der Vorwurf zu machen ist, den Schaden im Sinne des § 254 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 BGB nicht abgewendet zu haben. Nach dem hier vertretenen Konzept hat der Minderheitsgesellschafter durchaus die Möglichkeit, in den unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Fällen mit der sofortigen Beschwerde gegen einen Insolvenzplan vorzugehen.523 Versäumt er es, gegen die aus seiner Sicht unzulässige Planmaßnahme vorzugehen, ist ein Mitverschulden zumindest denkbar, denn nach allgemeiner Meinung fällt auch der Nichtgebrauch von Rechtsbehelfen unter § 254 Abs. 2 BGB.524 Anders als für das Mitverschulden bei Schadensentstehung gem. § 254 Abs. 1 BGB gelten für den Anspruch aus § 826 BGB hinsichtlich der Abwendungs- und Minderungspflichten keine Besonderheiten.525
V. Zusammenfassung Die Untersuchung hat gezeigt, dass es bei dem Missbrauchseinwand um die Regelungsweite und das grundsätzliche Verständnis des Insolvenzverfahrens vor dem Hintergrund des in § 1 Satz 1 InsO geregelten Grundsatzes der Haftungsverwirklichung geht. Von einem Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter wird man daher nur selten sprechen können. Die Lösung einer gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung mag man im Hinblick auf ein enges Verständnis der dienenden Funktion des Insolvenzplans für unzulässig halten, wenn mit einer vollständigen Befriedigung der Gläubiger auch ohne Vornahme der Planmaßnahme zu rechnen ist, die Maßnahme zur Gläubigerbefriedigung damit weder geeignet noch erforderlich ist und es an einem leistungswirtschaftlichen Sanierungskonzept fehlt. Entsprechend der Untergeordnetheit des institutionellen Missbrauchseinwands sollte dann jedoch auf das Mittel der teleologischen Reduktion zurückgegriffen werden. Hält man eine derartige Maßnahme demgegenüber für zulässig, kann sich der Einwand des Missbrauchs noch auf die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke beziehen. Ebenso wenig wie ein Insolvenzantrag als missbräuchlich zurückzuweisen war, weil es dem Antragsteller auf die Verdrängung eines Wettbewerbers ankam, kann dem Mehrheitsgesellschafter der Vorwurf gemacht werden, er löse einen Gesellschafterstreit mit den Mitteln des Insolvenzverfahrens, wenn man hierin eine 522
BGH, Urt. v. 06.12.1983 – VI ZR 60/82, NJW 1984, 921 (922); BGH, Urt. v. 09.10.1991 – VIII ZR 19/91, NJW 1992, 310 (311). 523 6. Kapitel III. 2. c) bb). 524 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen BGH, Urt. v. 26.01.1984 – III ZR 216/82, NJW 1984, 1169 (1172); BGH, Urt. v. 12.03.1990 – II ZR 179/89, NJW 1990, 2877 (2878); BGH, Urt. v. 20.01.1994 – IX ZR 46/93, NJW 1994, 1211 (1212); BGH, Urt. v. 20.02.2003 – IX ZR 384/99, ZIP 2003, 803 (805); Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 254 Rz. 45; Oetker, in: MüKo, BGB, § 254 Rz. 96. 525 Sprau, in: Palandt, BGB, § 826 Rz. 16.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
grundsätzlich zulässige Folge der Sanierung im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens erblickt. Erforderlich für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs ist auch hier, dass dem Handelnden vor dem Hintergrund einer wertenden Missbilligung ein rechtlich-sittlicher Vorwurf zu machen ist, wovon allenfalls auszugehen sein dürfte, wenn es dem Mehrheitsgesellschafter auf die Schädigung des Minderheitsgesellschafters ankommt, ohne dass er auch nur ein eigenes schützenswertes Interesse an der Durchführung der Sanierungsmaßnahme hat. Unabhängig vom Missbrauchseinwand kann die Einleitung des Insolvenzverfahrens einen Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Treuepflichten darstellen, die erst nach der Verfahrenseröffnung durch die vorrangigen Regelungen des Insolvenzrechts überlagert werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte ein Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als solcher ausdrücklich benannt und nicht nur von einem Rechtsmissbrauch gesprochen werden. Bei dem Missbrauchsverbot handelt es sich lediglich um einen Teilaspekt der mitgliedschaftlichen Treuepflicht, die weitaus höhere Anforderungen an die Rechtsausübung stellt als die zur Vermeidung des Rechtsmissbrauchs einzuhaltenden Minimalstandards. Einem Insolvenzantrag, der mit der Intention gestellt wurde, eine unter den hier beschriebenen Voraussetzungen unzulässige Planmaßnahme vorzunehmen, ist schon zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes das Rechtsschutzinteresse zu versagen. Dies gilt allerdings nur, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung kein zur Antragstellung verpflichtender Insolvenzgrund vorliegt. Gegen die Eröffnungsentscheidung kann der Minderheitsgesellschafter mangels Planwidrigkeit der Regelungslücke zwar nicht analog § 34 Abs. 2 InsO die sofortige Beschwerde erheben, jedoch stehen ihm weitere Abwehrmöglichkeiten zu. Zum einen besteht die Möglichkeit, eine Schutzschrift beim Insolvenzgericht einzureichen, und zum anderen kann er im Eröffnungsverfahren außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz erlangen. Soweit sich der Prüfungsmaßstab des Prozessgerichts mit dem des Insolvenzgerichts nicht überschneidet, fehlt es außerinsolvenzgerichtlichen Klagen und Anträgen im einstweiligen Rechtsschutz auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Die Gesellschafter sind zudem im eröffneten Insolvenzverfahren geschützt. Ein Insolvenzplan, der eine unter den hier dargestellten Voraussetzungen unzulässige Maßnahme vorsieht, ist gem. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 250 Nr. 1 InsO zurückzuweisen. Die rechtskräftige Verfahrenseröffnung steht dieser Annahme nicht entgegen. Wehren können sich die Gesellschafter gegen einen solchen Insolvenzplan mittels des Minderheitenschutzantrages gem. § 251 Abs. 1 InsO und der sofortigen Beschwerde gem. § 253 Abs. 1 InsO. Die Rechtsschutzmöglichkeiten sind auch dann einsetzbar, wenn es um die Geltendmachung eines besonders schweren Rechtsverstoßes geht, wozu die Überschreitung des § 225a Abs. 3 InsO ebenso zu zählen ist wie der auf individuelle Umstände gestützte Missbrauchsvorwurf. Die Glaubhaftmachung einer Schlechterstellung ist in diesen Fällen nicht erforderlich. Wird das Insolvenzverfahren unzulässigerweise eingesetzt, so zieht dies zugleich haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich. Den Gesellschaftern steht dem
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
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Grunde nach ein Anspruch aus § 826 BGB zu, wenn es hierdurch zu einem Schaden etwa in Form des Entzugs oder der Aushöhlung ihrer Mitgliedschaftsrechte kommt. Unter den Voraussetzungen des § 830 BGB kann sich dieser Anspruch gegen sämtliche an der Verfahrenseinleitung sowie am Planverfahren beteiligten Personen richten, wobei insbesondere die Mitgesellschafter sowie die Geschäftsleitung als Anspruchsgegner in Betracht kommen. Auf Rechtsfolgenebene ergeben sich teilweise erhebliche Beweisprobleme hinsichtlich des Nachweises der haftungsbegründenden wie auch haftungsausfüllenden Kausalität. Dem Schadensersatzanspruch kann der Einwand hypothetischer Kausalität wie auch der Vorwurf des Mitverschuldens entgegenstehen. Grundsätzlich kommt zwar die Wiedereinräumung von Beteiligungen oder Gesellschafterrechten in Betracht. Im Hinblick auf die in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten dürfte ein solcher Anspruch jedoch nahezu faktisch ausgeschlossen sein. 7. Kapitel
Missbrauch durch die Gläubiger? Der strategische Einsatz des Insolvenzverfahrens durch den Mehrheitsgesellschafter nimmt in der Diskussion um den Missbrauch des Insolvenzverfahrens sicherlich den größten Platz ein. Gleichwohl sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass im Hinblick auf die Einführung des insovenzrechtlichen Debt Equity Swaps und der hierdurch geschaffenen Möglichkeit der Übernahme des Schuldners zugleich vor dem Missbrauch des Insolvenzverfahrens durch die Gläubiger gewarnt wurde.526 Karsten Schmidt titelte schon früh nach Einführung des ESUG: „Die Gläubiger okkupieren die Burg!“527. Teilweise war sogar noch einschneidender von einer „kalten Enteignung“528 sowie von einer „Pervertierung“529 die Rede. Um den Gestaltungsspielraum des ESUG im Hinblick auf eine Unternehmensübernahme aufzuzeigen, sollen zunächst zwei Beispielsfälle aus der Sanierungspraxis dargestellt werden. Es handelt sich dabei um das Insolvenzverfahren der Pfleiderer 526
Bereits vor Einführung des ESUG wurde auf dieses Risiko hingewiesen, vgl. Brinkmann, WM 2011, 97 (101); Urlaub, ZIP 2011, 1040 (1044). Nach den Gesetzesänderungen H.-F. Müller, DB 2014, 41 (44 f.); Brinkmann, in: FS Schilken, S. 630 (634); Möhlenkamp, BB 2013, 2828 (2830); Frind, WM 2014, 590 (595); Marotzke, ZInsO 2015, 325 (330). Ein Hinweis findet sich ebenfalls in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses, der eine Evaluation des ESUG nach fünf Jahren vorschlägt, um unter anderem zu prüfen, ob „der DebtEquity-Swap im nennenswerten Umfang grob egoistische Strategien ermöglicht, die sich zum Nachteil der Unternehmen und ihrer Arbeiter ausgewirkt haben“, vgl. BT-Drucks. 17/7511, S. 5. 527 K. Schmidt, ZIP 2012, 2085 ff. 528 Decher / Voland, ZIP 2013, 103, die diesem Einwand aber entgegentreten. 529 Die Wortwahl stammt vom Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) Marc Tüngler, der auf diese Weise seinerzeit die Übernahme der IVG Immobilien AG charakterisierte, vgl. http://www.dsw-info.de/DSW-IVG-Aktionaere-klagengeg.2007.0.html (zuletzt abgerufen am 17.05.2016).
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
AG, das bereits kurz nach Einführung des ESUG für Aufsehen sorgte, sowie das der IVG Immobilien AG. Im Anschluss daran wird zu klären sein, wo die Grenze der zulässigen Rechtsausübung bei einer Unternehmensübernahme mittels Insolvenzverfahren verläuft und inwiefern überhaupt von einem Missbrauch durch die Gläubiger gesprochen werden kann. Zuletzt sind auch in diesem Zusammenhang Rechtsschutzmöglichkeiten und haftungsrechtliche Folgen zu erörtern.
I. Pfleiderer AG und IVG Immobilien AG – Beispielsfälle aus der Sanierungspraxis 1. Pfleiderer AG a) Ausgangssituation Bei der Pfleiderer AG handelte es sich um eine börsennotierte, jedoch größtenteils fremdkapitalisierte Holding. Sie war die Obergesellschaft der Pfleiderer-Gruppe, die schwerpunktmäßig Holzwerkstoffe herstellt.530 Im Zuge der Finanzkrise geriet die Gesellschaft in erhebliche Schwierigkeiten, sodass die Kreditbedingungen nicht eingehalten werden konnten. Nachdem ein Sanierungsversuch mittels Restrukturierungsrahmenvertrag an der fehlenden Bereitschaft einiger Aktionäre und Anleihegläubiger scheiterte, stellte die Pfleiderer AG am 28. März 2012 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen wegen Überschuldung nach § 19 InsO. Nachfolgend wurde die beantragte Eigenverwaltung angeordnet und das Insolvenzverfahren am 17. April 2012 eröffnet.531 b) Verfahrensgang Im Anschluss an die Verfahrenseröffnung entwickelte die Gesellschaft mit ihren Beratern einen Insolvenzplan, der an die begonnenen Sanierungsbemühungen anknüpfte. Der Plan war auf die Sanierung und Rekapitalisierung der Schuldnerin durch eine Investmentgesellschaft gerichtet, die alleinige Gesellschafterin werden sollte.532 Die Investorin übernahm dafür einen erheblichen Teil der Finanzverbindlichkeiten im Wege der Schuldübernahme. Der Insolvenzplan sah einen Kapitalschnitt vor: Durch eine Kapitalherabsetzung auf null, eine Aufhebung des bei der Schuldnerin bestehenden genehmigten und bedingten Kapitals, einen Be 530 https://holding.pfleiderer.com/de/content/Holding/Unternehmensgeschichte/1177.596. 548.html (zuletzt abgerufen am 15.04.2016). 531 K. Schmidt, ZIP 2012, 2085; https://www.goerg.de/de/aktuelles/pressemitteilungen/ rekapitalisierung_der_pfleiderer_ag_mit_eintragung_von_kapitalmassnahmen_erfolgreich_ abgeschlossen.37267.html (zuletzt abgerufen am 15.03.2019); Decher / Voland, ZIP 2013, 103. 532 K. Schmidt, ZIP 2012, 2085; Pleister, GWR 2013, 220 (222).
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
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zugsrechtsausschluss sowie eine Bar- und Sachkapitalerhöhung, die unter anderem darin bestand, dass die sich aus den Finanzhilfen ergebenden Regressansprüche der Investmentgesellschaft gegen die Aktiengesellschaft abgetreten wurden, übernahm die Investorin Pfleiderer. Neben den genannten Kapitalmaßnahmen sah der Plan die Enthaftung für Verbindlichkeiten nachgeordneter Gesellschaften, die Entflechtung von Gesellschaften und die Zahlung einer Insolvenzquote vor. Nachrangige Gläubiger und Aktionäre erhielten keine Leistungen.533 Nachdem sowohl die Gläubiger als auch die Aktionäre zugestimmt hatten, bestätigte das AG Düsseldorf als zuständiges Insolvenzgericht den Insolvenzplan.534 Die Gesellschaft wurde nach Durchführung des Insolvenzplanverfahrens aus dem Insolvenzverfahren entlassen. 2. IVG Immobilien AG a) Ausgangssituation Die IVG ist eine Immobiliengesellschaft, die aus der bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft mbH hervorgegangen ist. Die Gesellschaft hatte schon Jahre vor der Insolvenzantragstellung im August 2013 wirtschaftliche Probleme. Wegen weitreichender Abschreibungen auf den Immobilienbestand und erheblicher Schwierigkeiten bei der Umsetzung geplanter Projekte spitzte sich die Lage weiter zu. Nachdem auch hier eine außergerichtliche Sanierung gescheitert war, sah die Gesellschaft keine andere Möglichkeit, als den Weg des Insolvenzverfahrens zu beschreiten. Die Situation vor Antragstellung war insbesondere durch einen Interessenwiderstreit der Gläubigergruppen gekennzeichnet. Im Sommer 2013 beliefen sich die Schulden insgesamt auf 4 Milliarden Euro. Mit rund 2,44 Milliarden Euro handelte es sich beim größten Teil dieser Schulden um besicherte Darlehen und Kreditlinien. Circa 1,33 Milliarden Euro stammten aus einem teilweise besicherten syndizierten Kredit. Schon zu Beginn des Jahres 2013 hatten sich einige Banken zurückgezogen und Forderungen in Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro an Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften zu etwa 80 Prozent des Nominalwertes übertragen. Darüber hinaus bestand noch eine Wandelanleihe in Höhe von 400 Millionen Euro.535 Im Spätsommer des Jahres 2013 wurde die Sanierung über ein Schutzschirmverfahren mit anschließendem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eingeleitet.536 533
Zum Inhalt des Insolvenzplans vgl. K. Schmidt, ZIP 2012, 2085; https://www.goerg. de/de/aktuelles/pressemitteilungen/insolvenzplan_pfleiderer_ag_findet_zustimmung_der_ glaubiger.36961.html (zuletzt abgerufen am 15.03.2019); Decher / Voland, ZIP 2013, 103. 534 http://www.dgap.de/dgap/News/corporate/pfleiderer-sanierung-der-pfleiderer-erfolgreich- abgeschlossen/?newsID=741233 (zuletzt abgerufen am 15.03.2019). 535 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/immobilienkonzern-ivg-einsturz gefahr-auf-der-dauerbaustelle-12287980.html (zuletzt abgerufen am 15.03.2019). 536 https://www.goerg.de/de/aktuelles/pressemitteilungen/ivg_immobilien_ag_insolvenz plan_ rechtskraftig_bestatigt.41432.html (zuletzt abgerufen am 15.03.2019).
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
b) Verfahrensgang Im Anschluss an die Verfahrenseröffnung wurde ein außerordentlich komplexer Insolvenzplan erstellt. Während der Plan für die Aktionäre keine Quote vorsah, erhielten die übrigen nicht nachrangigen Gläubiger eine Barquote von 60 Prozent, ebenso wie die nicht umwandlungswilligen Gläubiger des syndizierten Darlehens und der Wandelanleihe. Den wandlungsbereiten Gläubigern stand neben einer höheren uneinheitlichen Planquote zudem ein uneinheitlicher Prozentsatz am Kostenanteil zu, bei dem es sich laut Insolvenzplan um quotenberechtigte Zinsen und Kosten handelte. Für die Gläubiger des syndizierten Darlehens kam zudem ein Prozent Wandlungsincentive hinzu. Zu vermuten ist, dass es sich bei dem Kostenanteil und der Wandlungsincentive um einen Ausgleich dafür handelte, dass die wandlungswilligen Gläubiger je Aktie nicht lediglich ihren quotalen Anspruch umtauschten, sondern ferner einen Euro in bar je Aktie leisten mussten. Der Plan hatte – wie schon bei Pfleiderer – Übernahmecharakter, denn im Ergebnis führte er zu einer 100-prozentigen Beteiligung der umtauschwilligen Gläubiger. Die „neuen“ Anteilsinhaber setzten sich zu 80 Prozent aus den Gläubigern des syndizierten Darlehens und zu 20 Prozent aus den Gläubiger der Wandelanleihe zusammen.537 Nach der positiven Abstimmung und Planbestätigung durch das Insolvenzgericht wurde gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde gem. § 253 InsO erhoben. Mit Beschluss vom 10. Juli 2014 wies das LG Bonn die Beschwerde mit der Begründung als unzulässig zurück, die „alten“ Anteilsinhaber hätten den Nachweis der wesentlichen Schlechterstellung gem. § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO nicht erbracht.538
II. (Feindliche) Übernahme durch die Gläubiger – Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten? Die vorangestellten Fälle539 um die beiden Aktiengesellschaften verdeutlichen, dass sich das Insolvenzplanverfahren grundsätzlich als Mittel zur Unternehmensübernahme eignet und als solches auch in der Praxis Verwendung findet.540 Über das Ziel der Unternehmensübernahme hinaus kann der Gläubiger die Weiterveräuße 537
Zum Inhalt des Insolvenzplans vgl. http://www.manager-magazin.de/immobilien/artikel/ insolvenzplan-ivg-immobilien-ag-a-957211.html (zuletzt abgerufen am 15.03.2019); http:// www.manager-magazin.de/immobilien/artikel/ivg-immobilien-glaeubiger-werden-eigentuemer- a-955346.html (zuletzt abgerufen am 15.03.2019). 538 LG Bonn, Beschl. v. 10.07.2014 – 6 T 178/14, ZInsO 2015, 43 (44). 539 Die Fälle sind in Anbetracht ihres großen medialen Interesses ausgewählt worden. In der Reihe der Sanierungsfälle unter dem ESUG kann ferner die Restrukturierung der centrotherm photovoltaics AG genannt werden, in der die Beteiligungsverhältnisse mittels Insolvenzplan geändert wurden, vgl. hierzu Pleister, GWR 2013, 220 (222). 540 So auch Florstedt, ZIP 2015, 2345; Brinkmann, WM 2017, 1033. Der praktische Anwendungsbereich sollte jedoch nicht überschätzt werden. Die im Rahmen der von der Bundes regierung veranlassten Evaluierung des ESUG durchgeführte Befragung hat gezeigt, dass von der Möglichkeit der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital eher in geringem Maße
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
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rung des Unternehmens nach erfolgreichem Kontrollgewinn intendieren oder es kommt ihm darauf an, einzelne Vermögenswerte eines Konkurrenten zu erlangen, wie etwa Patente oder Lizenzen.541 Im Mittelpunkt des gegen die Übernahme gerichteten Missbrauchsvorwurfs steht der Debt Equity Swap, der es den Gläubigern ermöglicht, ihre Forderungen gegen Eigenkapital zu tauschen. Um eine abschließende Bewertung des Missbrauchsvorwurfs vornehmen zu können, gilt es sich zunächst einen Überblick über die Voraussetzungen und die Wirkungsweise des Debt Equity Swaps als Übernahmeinstrumentarium zu verschaffen. Im Anschluss daran ist der Blick auf das Vorkommen und die Praxis des Distressed Debt Investings, also des Handels mit notleidenden Krediten, zu richten, da auch diesbezüglich oftmals der Vorwurf einer Instrumentalisierung des Insolvenzverfahrens erhoben wird.542 Die Überschrift dieses Kapitels sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grenze zur zuvor besprochenen Konstellation des Missbrauchs durch den Mehrheitsgesellschafter fließend sein kann. Dies ist im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückzuführen. Erstens können die Gesellschafter zugleich Gläubiger des Schuldners sein. Als solche haben sie die Möglichkeit, den Insolvenzantrag selbst zu stellen.543 Teilweise wurde die Antragsberechtigung von Gesellschaftern aufgrund der Nachrangigkeit ihrer Forderungen angezweifelt,544 doch hat der BGH sich diesen Zweifeln nicht angeschlossen.545 Zweitens ist es für die übernahmewilligen Gläubiger unter Umständen notwendig, die Geschäftsleitung und auch weitere Gesellschafter der Schuldnerin als Partner zu gewinnen und mit diesen gemeinsam die Übernahme vorzunehmen.546 Auf deren Mitwirkung sind die Gläubiger allerdings nur angewiesen, wenn es um die Verfahrenseröffnung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit geht, denn für die Fälle von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung steht den Gläubigern ein eigenes Antragsrecht zu. Diese Besonderheiten sind im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung zu bedenken. Gebrauch gemacht wurde, vgl. ESUG-Bericht, S. 25, 165 und 170. Anders noch die Einschätzung von Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 58; Pleister, GWR 2013, 220 (222). 541 Zur letztgenannten Absicht J. Heinrich, NZI 2012, 235 (241). 542 Der Vorwurf der Instrumentalisierung findet sich etwa bei K. Schmidt, in: ders. / U hlen bruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 4.8, wo von einer „Verfremdung“ die Rede ist; Hancioglu, Gesellschafterschutz beim Debt-Equity Swap mittels Insolvenzplan, S. 251 f.; Brinkmann, WM 2011, 97 (101), wobei der Einwand eher rechtspolitischer Art ist. Auch bei Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 596 f. ist von Missbrauchsgefahren die Rede. 543 Hierzu ebenfalls Geißler, ZInsO 2014, 1201 ff.; Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 32 f. Das Forderungsrecht kann darauf beruhen, dass der Gesellschafter Waren geliefert, Geschäftsräume vermietet oder ein Darlehen hingegeben hat. 544 Demgemäß soll der Antrag nur zulässig sein, wenn zumindest eine teilweise Befriedigung zu erwarten ist, vgl. Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 14 Rz. 13. Zum Streitstand Gundlach / Müller, EWiR 2010, 819. 545 BGH, Beschl. v. 23.09.2010 – IX ZB 282/09, ZIP 2010, 2055 (2056) sowie bereits 3. Kapitel II. 1. a) cc) (1). 546 Zu der Gefahr eines Management-Buy-outs und der Zusammenarbeit der Geschäftsleitung mit Gläubigern Tetzlaff, ZInsO 2008, 137 (141).
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
1. Debt Equity Swap gem. § 225a Abs. 2 Satz 1 InsO – Übernahme im Insolvenzverfahren Beim Debt Equity Swap handelt es sich um einen in § 225a Abs. 2 Satz 1 InsO speziell geregelten Anwendungsfall einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme. Er ermöglicht den Tausch von Fremd- zu Eigenkapital547 und kann mithin als Instrument zur Übernahme eines Unternehmens herangezogen werden. Sofern die Gläubiger an einer Gesellschaftsbeteiligung interessiert sind und der Insolvenzplan diese vorsieht, können die Gläubiger ihre Forderungen als Sacheinlagen einbringen.548 Als „klassisch“ kann man die Umsetzung mittels Kapitalmaßnahmen beschreiben, wie sie auch gesetzlich in § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO geregelt ist.549 Zur Durchführung eines Debt Equity Swaps wird ein Kapitalschnitt mit nomineller Kapitalherabsetzung und hieran anknüpfender effektiver Kapitalerhöhung vorgenommen.550 a) Kapitalherabsetzung Bei der Kapitalherabsetzung handelt es sich um einen wesentlichen Bestandteil eines Debt Equity Swaps. Zu Sanierungszwecken ist zunächst eine vereinfachte Kapitalherabsetzung möglich.551 Diese ist zwar keine Voraussetzung für die Sachkapitalerhöhung durch Schuldbefreiung,552 doch werden die umtauschwilligen Gläubiger sie gleichwohl fordern, da die Altgesellschafter an der Einlageleistung der eintretenden Gläubiger andernfalls stimm- und vermögensrechtlich partizipieren, ohne sich an der Sanierung beteiligt zu haben.553 Sollen die Altgesellschafter aus Sicht der Gläubiger zur Gänze aus dem Unternehmen ausscheiden, muss der Insolvenzplan eine Kapitalherabsetzung auf null vorsehen.554 Gerade bei einem Debt Equity Swap in der Insolvenz einer Gesellschaft dürfte diese Kapitalmaßnahme den Regelfall bilden.555
547 Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, Rz. 323; Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 87; Spliedt, GmbHR 2012, 462; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 225a Rz. 18. 548 Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, Rz. 323. 549 Gutowski, Debt Equity Swap, S. 325. 550 Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, Rz. 323; Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 59; P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 82; Gutowski, Debt Equity Swap, S. 327 f.; Hancioglu, Gesellschafterschutz beim Debt-Equity Swap mittels Insolvenzplan, S. 43. 551 Burkert, Debt Equity Swap, S. 80; Gutowski, Debt Equity Swap, S. 327. 552 Hagemann, Debt Equity Swaps, S. 36; P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 82. 553 P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 82; Hagemann, Debt Equity Swaps, S. 37; Ekkenga, ZGR 2009, 581 (592 f.). 554 Hagemann, Debt Equity Swaps, S. 37. 555 Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 59; Burkert, Debt Equity Swap, S. 80.
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
195
b) Kapitalerhöhung Nach erfolgter Kapitalherabsetzung kommt es anschließend zu einer Kapitalerhöhung durch Sacheinlage in Form der Forderungseinbringung, wodurch neue Anteilsrechte entstehen.556 Im Zuge dieses Vorgangs werden die Forderungen an die Gesellschaft abgetreten, womit sie infolge von Konfusion erlöschen, oder aber die eintretenden Gläubiger erklären einen Forderungsverzicht.557 Bei einer Kapitalherabsetzung auf null ist zudem erforderlich, dass gem. § 58a Abs. 4 GmbHG und § 229 Abs. 3 in Verbindung mit § 228 Abs. 1 AktG im Wege einer gleichzeitigen Barkapitalerhöhung der maßgebliche Mindeststammkapitalbetrag bzw. Mindestbetrag des Nennkapitals wieder erreicht wird.558 c) Bezugsrechtsausschluss Die Kapitalherabsetzung auf null genügt jedoch nicht, um die Altgesellschafter aus dem Unternehmen zu drängen, denn sowohl den Aktionären wie auch den Gesellschaftern einer GmbH steht grundsätzlich ein Bezugsrecht zu, aufgrund dessen sie einen Anspruch darauf haben, an der Kapitalerhöhung im Verhältnis zu ihrer bisherigen Beteiligung teilzunehmen. Bei einer Aktiengesellschaft folgt dies aus § 186 AktG, für das Recht der GmbH ist auf diese Vorschrift in analoger Anwendung zurückzugreifen.559 Sollen die Gesellschafter trotz Fortführung des Unternehmens ausgeschlossen werden, ist daher ferner ein Ausschluss des beschriebenen Bezugsrechts notwendig,560 den § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO auch ausdrücklich vorsieht. Aufgrund der einschneidenden Wirkung sind die rechtlichen Voraussetzungen jedoch ä ußerst umstritten. Außerhalb der Insolvenz werden an einen Bezugsrechtsausschluss hohe Anforderungen gestellt. Erforderlich ist insoweit eine sachliche Rechtfertigung in Form einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der Bezugsrechtsausschluss muss folglich dem Interesse der Gesellschaft entsprechen, ferner geeignet, erforderlich sowie angemessen sein.561 Erfolgt eine Kapitalerhöhung durch Sacheinlage zum Zwecke 556
Thies, in: HambK, InsO, § 225a Rz. 22; Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 96. Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, Rz. 323; Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 60; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 20. 558 Eidenmüller, in: MüKo, InsO, § 225a Rz. 42; Burkert, Debt Equity Swap, S. 82. 559 So jedenfalls Servatius, in: Baumbach / Hueck, GmbHG, § 55 Rz. 20; Lieder, in: MüKo, GmbHG, § 55 Rz. 70; Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 24 Rz. 24; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 37 V 1 a) ee); Priester, in: Scholz, GmbHG, § 55 Rz. 42, was der mittlerweile wohl herrschenden Ansicht entspricht. Der BGH hat die Frage bisher offengelassen, vgl. BGH, Urt. v. 18.04.2005 – II ZR 151/03, NZG 2005, 551 (553). 560 Wertenbruch, ZIP 2013, 1693 (1696); Burkert, Debt Equity Swap, S. 90. 561 BGH, Urt. v. 13.03.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316 (1317); BGH, Urt. v. 19.04.1982 – II ZR 55/81, NJW 1982, 2444; BGH, Urt. v. 23.06.1997 – II ZR 132/93, NJW 1997, 2815; Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 186 Rz. 25 ff.; Hermanns, in: Henssler / Strohn, Gesellschaftsrecht, 557
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
der Sanierung und sind nur die Gläubiger bereit, durch die Einbringung ihrer Forderung eine Sanierung zu leisten, dann ist der Bezugsrechtsausschluss außerhalb einer Insolvenzsituation in der Regel gerechtfertigt.562 Bei einer Barkapitalerhöhung außerhalb des Insolvenzfalls wird vertreten, dass ein Ausschluss des Bezugsrechts zulässig ist, sofern der neue Investor andernfalls nicht investieren würde, er die Aktien zusammen erwerben will und eine alternative Sanierungsoption nicht in Sicht ist.563 Für die Zeit während eines Insolvenzverfahrens besteht Uneinigkeit darüber, ob ein Bezugsrechtsausschluss ebenfalls eine sachliche Rechtfertigung voraussetzt.564 Die Gesetzgebungsmaterialien zum ESUG sind in dieser Hinsicht nicht ergiebig. Bemüht man in diesem Zusammenhang das Primat des Insolvenzrechts, so entfällt das Erfordernis einer materiellen Rechtfertigung.565 Ein nicht unerheblicher Teil stellt die Zulässigkeit demgegenüber unter den Vorbehalt, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung positiv ausfällt. Während einige dies für den Insolvenzfall regelmäßig bejahen,566 bedarf es nach anderer Auffassung stets einer sachlichen Rechtfertigung, um einen insolvenzrechtlichen Squeeze-out zu verhindern. An der Verhältnismäßigkeit soll es mangeln, wenn den Altgesellschaftern zu keiner Zeit die Möglichkeit eröffnet wurde, sich an der Sanierung zu beteiligen.567 d) Bewertung der Anteile der Altgesellschafter und das in diesem Zusammenhang diskutierte Missbrauchsrisiko Über den Streitpunkt des Bezugsrechts hinaus gibt es im Rahmen des Debt Equity Swaps zahlreiche umstrittene Rechtsfragen. Hierzu zählen die Einbringungsfähigkeit von Gesellschafterforderungen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wie auch die Frage nach der Bewertung der einzubringenden Forderungen.568 Da sich der gegen die Unternehmensübernahme im Zuge eines Insolvenzverfahrens erhobene Missbrauchsvorwurf im Wesentlichen auf das „Herausdrängen“ der Altgesellschafter stützt, ist für die Untersuchung des Missbrauchsvorwurfs neben der bereits § 186 AktG Rz. 12. Für die GmbH vgl. Lüker, in: MüKo, GmbHG, § 55 Rz. 80; Servatius, in: Baumbach / Hueck, GmbHG, § 55 Rz. 25 ff.; Arnold / Born, in: Bork / Schäfer, GmbHG, § 55 Rz. 28. 562 Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 186 Rz. 35; Florstedt, ZIP 2014, 1513 (1515) mit Hinweis auf OLG Köln, Beschl. v. 13.01.2014 – 18 U 175/13, ZIP 2014, 263 (266). 563 Decher / Voland, ZIP 2013, 103 (105); Rendels / Z abel, Insolvenzplan, Rz. 258. 564 Überblicksartig zum Streitstand Brünkmans, in: ders. / Thole, Insolvenzplan, § 31 Rz. 283 ff. 565 Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, Rz. 322; Decher / Voland, ZIP 2013, 103 (106); R. Fischer, NZI 2013, 823 (827, 830); Eidenmüller, NJW 2014, 17 (18); Rendels / Z abel, Insolvenzplan, Rz. 261; Seibt / Bulgrin, ZIP 2017, 353 (359 f.). 566 Horstkotte / Martini, ZInsO 2012, 557 (563 Fn. 45); Madaus, ZIP 2012, 2133 (2137 Fn. 33). 567 Simon / Merkelbach, NZG 2012, 121 (125 f.); K. Schmidt, ZGR 2012, 566 (580). Noch zum ESUG-Entwurf Brinkmann, WM 2011, 97 (101). In Anbetracht der geltenden Rechtslage allerdings kritisch ders., ZIP 2014, 197 (201 f.). Ebenfalls skeptisch Hancioglu, Gesellschafterschutz beim Debt-Equity Swap mittels Insolvenzplan, S. 270, der danach differenzieren will, ob der Mehrheitsgesellschafter vor der Insolvenz eine ernsthafte Sanierung blockiert hat. 568 Im Einzelnen hierzu Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, Rz. 326 ff.; Rendels / Zabel, Insolvenzplan, Rz. 253 ff.
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
197
angesprochenen Frage nach der Zulässigkeit von Bezugsrechtsausschlüssen insbesondere von Bedeutung, auf welche Weise bei der Vornahme eines Debt Equity Swaps die Anteile der Alt-Anteilseigner zu bewerten sind.569 Die Beantwortung dieser Frage hat nämlich entscheidenden Einfluss darauf, unter welchen Voraussetzungen die Zustimmung der Altgesellschafter, die im Rahmen des Planverfahrens gem. § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO eine eigene Gruppe bilden, über das Obstruktionsverbot gem. § 245 InsO ersetzt werden kann. Gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist Voraussetzung für die Zustimmungsfiktion, dass die Altgesellschafter durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden. Gerade bei einer hohen Bewertung der Anteile der Altgesellschafter erfordert die Umsetzung eines Debt Equity Swaps mittels Insolvenzplan die Bereitstellung von finanziellen Mitteln, um eine angemessene Beteiligung an dem wirtschaftlichen Wert, der auf der Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll, zu gewährleisten.570 Wie bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnt wurde, besteht Uneinigkeit bezüglich der Frage, welcher Maßstab für die Bewertung der Anteile der Altgesellschafter herangezogen werden sollte. Im Rahmen des Debt Equity Swaps geht es dabei im Wesentlichen um die Frage, ob für die Wertberechnung auf den Liquidationswert oder auf den Fortführungswert mit oder ohne Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen zurückzugreifen ist.571 Orientiert man sich mit der auch hier zugrundegelegten herrschenden Auffassung für die Berechnung am Liquidationswert,572 drängt sich gleichwohl die Frage auf, ob zur Verhinderung einer als unbillig empfundenen Unternehmensübernahme hiervon in bestimmten Konstellationen eine Ausnahme zu machen ist. So weist etwa Pühl darauf hin, dass die Anteilsbewertung der Alt-Anteilseigner unter Berücksichtigung des Missbrauchspotenzials zu erfolgen hat.573 Es sei zu beachten, dass zumindest eine Minderheit574 der Gesellschafter innerhalb des Insolvenzplanverfahrens einen praktisch unaufhaltsamen Zugriff auf ihre Anteilsrechte durch die Gläubigergemeinschaft dulden müsse, der einzuschränken sei.575 Je nach wirtschaftlicher Lage der Unternehmen 569
Vgl. zu den unterschiedlichen Bewertungsansätzen bereits 6. Kapitel II. 1. Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 677 f. 571 Vgl. P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 175 ff.; Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 702 ff.; Gutowski, Debt Equity Swap, S. 301 ff.; Kleindiek, in: FS Hommelhoff, S. 543 (558); Hancioglu, Gesellschafterschutz beim Debt-Equity Swap mittels Insolvenzplan, S. 85 ff. 572 6. Kapitel II. 1. a) sowie c). 573 Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 734 ff. und 745 f. unter Bezugnahme auf Willemsen / Rechel, BB 2010, 2059 (2064). 574 Die Mehrheit der Gesellschafter dürfte die Bestätigung eines Plans jedenfalls verhindern können, wenn die Gläubiger wirtschaftliche Werte erhalten, die den vollen Betrag ihres Anspruchs übersteigen. Verweigert sie einem solchen Insolvenzplan die Zustimmung, kann diese im Hinblick auf § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO nämlich nicht ersetzt werden, vgl. auch insoweit Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 734 sowie Fn. 1699. 575 Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 734. Nicht ganz deutlich wird, ob dies aus seiner Sicht lediglich Ausfluss rechtspolitischer Kritik an der Instrumentalisierung des Insolvenzverfahrens durch Investoren oder vielmehr das Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung ist, 570
198
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
unterscheidet er zwischen zwei Szenarien: Die Berechnung anhand des Liquidationswertes soll folgerichtig sein, wenn eine leistungswirtschaftliche Sanierung vorgenommen wird, bei der die Gläubiger auf Forderungen verzichten und selbige in Eigenkapital umwandeln. Voraussetzung ist aber, dass das Unternehmen vor Durchführung des Planverfahrens defizitär arbeitet und darüber hinaus hohe Verbindlichkeiten bestehen. Zweifel an der Bewertungsmethode drängen sich nach Ansicht von Pühl jedoch dann auf, wenn Investoren notleidende Forderungen eines Unternehmens erwerben, das zwar kriselt, aber noch nicht überschuldet ist.576 Führen sie durch Fälligstellung der Darlehen den Zustand der Zahlungsunfähigkeit herbei, um die Altgesellschafter herauszudrängen, sei es angesichts der geringfügigeren finanzwirtschaftlichen Sanierungsopfer und der regelrechten Ausnutzung des Insolvenzverfahrens unangemessen, auch dann den Liquidationswert anzusetzen.577 Sofern der Fortführungswert ohne insolvenzspezifische Sanierungsmaßnahmen die Summe der Verbindlichkeit übertrifft, sei dieser als Bewertungsmaßstab heranzuziehen, da den Alt-Anteilseignern andernfalls der Wert ihres Unternehmens entzogen würde.578 Dies sei darauf zurückzuführen, dass die Abfindung der Gesellschafter auch in der beschriebenen Insolvenzsituation bei Zugrundelegung des Liquidationswertes ihrer Beteiligung regelmäßig so niedrig sein würde, dass er nicht die Höhe von 100 Prozent der Gläubigerforderungen erreichen wird und somit keine Zahlungen an die Altgesellschafter notwendig werden würden.579 Der Ansatz des Fortführungswertes ohne Sanierungsmaßnahmen soll deshalb als Missbrauchsprüfung eingesetzt werden, um zu verhindern, dass die Gläubiger auf Kosten der Gesellschafter profitieren, wenn das Unternehmen auch ohne Sanierungsmaßnahmen Ertragsüberschüsse generieren kann.580 Den Fall, dass die Schuldnerin illiquide, aber zu Liquidationswerten nicht überschuldet ist, nahmen auch Stockhausen / Balthasar auf dem 12. Deutschen Insolvenzrechtstag im Jahr 2015 zum Anlass, um auf die aus ihrer Sicht bestehenden Grenzen der durch das ESUG geschaffenen Möglichkeiten einer Unternehmensübernahme hinzuweisen. Im Hinblick auf die Gefahr einer Überschreitung der Funktion des Zwangsvollstreckungsrechts als Instrument der Gläubigerbefriedigung hielten sie in einer solchen Konstellation bereits die Kapitalherabsetzung auf null für unzulässig, wenn der Insolvenzplan ferner bei gleichzeitigem Bezugsrechtsausschluss einen Debt Equity Swap vorsieht.581 vgl. ders., Debt Equity Swap, Rz. 596 ff. sowie Fn. 1707. Auch Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 111; K. Schmidt, BB 2011, 1603 (1607) teilen die Einschätzung, dass die Zustimmung der Altgesellschafter nach den Vorschriften des ESUG nahezu entbehrlich ist. 576 Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 734, 736. 577 Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 734, 736. 578 Vgl. Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 736 in Anlehnung an das bereits bei Simon, CFL 2010, 448 (456) skizzierte Szenario. 579 Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 736. 580 Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 745 f. 581 Stockhausen / Balthasar, Komplexe Insolvenzpläne am Beispiel der IVG, 12. Deutscher Insolvenzrechtstag vom 18. bis 20. März 2015, Folie 13 (unveröffentlichte Vortragspräsentation).
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
199
2. Distressed Debt Investing Die soeben dargestellte Möglichkeit der Unternehmensübernahme hat zugleich die Attraktivität des Distressed Debt Tradings erhöht.582 Weil nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Handel mit notleidenden Krediten im Vorfeld der Insolvenz der Vorwurf einer Instrumentalisierung des Insolvenzverfahrens erhoben wurde,583 ist im Folgenden auch hierauf ein Blick zu werfen. a) Geschäftsmodell und Abgrenzung Während die Kreditinstitute in einer finanziellen Krise ihrer Schuldnerin früher Forderungsinhaber blieben und sich an der Sanierung beteiligten oder die Darlehensverträge selbst abwickelten, ist seit einiger Zeit zu beobachten, dass sie die Forderungen entgeltlich an institutionelle Investoren übertragen.584 Der Fall der IVG Immobilien AG ist nur eines von mehreren Beispielen hierfür. Dort hatten die Kreditinstitute die ungesicherten Darlehensforderungen an Investoren bereits im Vorfeld der Insolvenz veräußert. Den Handel mit solchen notleidenden Krediten bezeichnet man als Distressed Debt Trading.585 Der Begriff kommt aus den USA, wo Verbindlichkeiten als „distressed“ bezeichnet werden, wenn sich der Schuldner in einem Chapter 11-Verfahren befindet.586 In Deutschland kann den gesetzlichen Vorschriften eine solch klare Definition nicht entnommen werden. Das Distressed Debt Investing kennzeichnet hierzulande den Vorgang, dass Investoren Anleihen, Schuldtitel und Forderungen von insolvenzgefährdeten Unternehmen erwerben, um damit Gewinne zu erzielen.587
Nach Rendels / Z abel, Insolvenzplan, Rz. 263 kann der Ausschluss unter Umständen als sachwidrig zu beurteilen sein. Zu den Voraussetzungen der Sachwidrigkeit äußern sie sich jedoch nicht. 582 Siemon, ZInsO 2014, 172 (174). 583 Siemon, ZInsO 2014, 172 (174). K. Schmidt, in: ders. / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 4.8. 584 Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.426; Halász / Kloster, WM 2006, 2152; Meyer-Löwy / Bruder, GmbHR 2012, 432 (438); Reifert / Meiners, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 109 (112); Aleth / Böhle, DStR 2010, 1186; Redeker, BB 2007, 673; Daimer, Distressed Debt, S. 8. 585 Kestler / Striegel / Jesch, NZI 2005, 417 (419); Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.426; Siemon, ZInsO 2014, 172 (176); Vallender, NZI 2007, 129 (132); Halász / Kloster, WM 2006, 2152; Meyer-Löwy / Bruder, GmbHR 2012, 432 (438); Daimer, Distressed Debt, S. 1 f. 586 Daimer, Distressed Debt, S. 3; Siemon, ZInsO 2014, 172 (176); Bücker / Petersen, ZGR 2013, 802 (804 f.). 587 Siemon, ZInsO 2014, 172 (176). Der Schwerpunkt liegt indes auf dem Erwerb von Forderungen, zu den Transaktionsformen im Einzelnen vgl. Daimer, Distressed Debt, S. 4 f. und 34 ff.
200
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
b) Investorstrategien Als primäres Motiv der Investoren ist die Gewinnerwirtschaftung zu nennen, welches auf zweierlei Weise erreicht werden kann. Hinsichtlich der Investorstrategien ist zwischen dem Active und Passive Investing zu differenzieren.588 aa) Active und Passive Investing Dem Investment passiver Investoren liegt die Einschätzung zugrunde, dass die Verkäufer der notleidenden Kredite den Wert zu gering einschätzen. Die Investoren spekulieren darauf, dass es infolge einer erfolgreichen Sanierung oder lohnenswerten Liquidation von Kreditsicherheiten zu einer Wertsteigerung kommt. Dementsprechend unternehmen sie auch keine nennenswerten Anstrengungen, um einen Wertzuwachs zu erreichen, und verhalten sich demgemäß passiv.589 Ist eine Wertsteigerung eingetreten, realisieren sie diese als Handelsgewinn etwa durch den Weiterverkauf des höher bewerteten Darlehens,590 weshalb man in diesem Zusammenhang auch von einer „Verwertungsstrategie“591 sprechen kann. Das aktive Investment kennzeichnet demgegenüber den Wertzuwachs als Ergebnis aktiven Managements.592 In diesem Fall entwirft der Investor selbst Sanierungskonzepte, deren Bestandteil oftmals Umwandlungen der Darlehen in Eigenkapital sind.593 Folglich bezeichnet man dieses Vorgehen auch als „Eigenkapitalstrategie“.594 Werden Forderungen gezielt aufgekauft, um anschließend eine Wandlung in Eigenkapital vorzunehmen, spricht man auch von der Loan-to-own-Strategie.595 Der Wertzuwachs wird dann durch den Verkauf des sanierten Unternehmens realisiert.596 Das Risiko im Falle des Scheiterns ist im Vergleich zur hohen Rendite gering, da die Kreditforderungen oftmals weit unter ihrem Nennwert gekauft werden.597 588
Reuter / Buschmann, ZIP 2008, 1003; Daimer, Distressed Debt, S. 9 f.; Kuder / Unver dorben, in: K. Schmidt / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.429 f.; Siemon, ZInsO 2014, 172 (176). 589 Daimer, Distressed Debt, S. 10. 590 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1384; Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.429. 591 Reuter / Buschmann, ZIP 2008, 1003. 592 Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.430; Siemon, ZInsO 2014, 172 (176); Daimer, Distressed Debt, S. 10. 593 Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.430; Vallender, NZI 2007, 129 (132); Graf Brockdorff, BB 2013, 3009. 594 Reuter / Buschmann, ZIP 2008, 1003 (zur Rechtslage vor ESUG); Meyer-Löwy / Bruder, GmbHR 2012, 432 (438). 595 Aleth / Böhle, DStR 2010, 1186 (1188); Reifert / Meiners, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 109 (112); Bücker / Petersen, ZGR 2013, 802 (804); Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 22. 596 Madaus, Insolvenzplan, S. 25; Kestler / Striegel / Jesch, NZI 2005, 417 (419); Reifert / Meiners, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 109 (113 ff.). 597 P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 54 f.; Redeker, BB 2007, 673.
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
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An dem Investment sind in der Regel Finanzinvestoren, Hedgefonds und Investmentbanken beteiligt, wobei Letztere die Koordination der Prozesse und die Verhandlungen mit den weiteren Beteiligten übernehmen.598 Wie auch die „Verwertungsstrategie“ setzt die „Eigenkapitalstrategie“ nicht zwangsläufig die Insolvenz des Schuldners voraus, doch hat das ESUG mit der Einführung von Debt Equity Swaps zu spürbaren Erleichterungen geführt und damit die Unternehmensübernahme in der Insolvenz interessanter gemacht.599 Von diesen beiden Investorstrategien steht vor allem das Active Investing in der Diskussion, denn neben erhöhten Sanierungschancen birgt es in gleicher Weise auch Risiken. Grundsätzlich ist es als positiv zu bewerten, wenn Investmentgesellschaften „frisches“ Kapital zur Verfügung stellen oder sogar Eigenkapitalpositionen übernehmen, weil sich die Sanierung des Schuldners dann einfacher gestaltet.600 Diese Sanierungsmaßnahmen sind jedoch zugleich Anknüpfungspunkt kritischer Stimmen. So wird den Investoren vorgeworfen, es käme ihnen bei der Sanierung nur auf die Rendite ohne Rücksicht auf den wirtschaftlichen Erfolg an.601 Die Rettung des Unternehmens sei dabei oftmals nur Effekt, nicht aber Ziel der beteiligten Investoren.602 Hinzu kommt, dass die Investoren ihren Fokus ebenfalls auf Unternehmen richten, die operativ bereits den Turnaround geschafft haben, das Finanzergebnis oder weitere Umstände indes zu negativen Jahresfehlbeträgen führen, sodass der Mehrwert ihrer Sanierungsmaßnahmen bezweifelt wird.603 bb) Einfluss durch Financial Covenants Eine besondere Rolle im Rahmen des Distressed Debt Investings kommt sogenannten Financial Covenants zu, deren Bedeutung sich seit der Finanzmarktkrise erneut verstärkt hat.604 Grundsätzlich sollen sie den Kreditgebern als Kontrollinstrumente dienen, denn sie verpflichten den Schuldner beispielsweise zur Einhal 598
Daimer, Distressed Debt, S. 6. Siemon, ZInsO 2014, 172 (177); Bücker / Petersen, ZGR 2013, 802 (805 ff.); Spliedt, GmbHR 2012, 462 (471); Meyer-Löwy / Bruder, GmbHR 2012, 432 (439); Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, Rz. 325; Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 58; vgl. zu den gesetzlichen Änderungen auch 4. Kapitel I. 2. b). Zur Eigenkapitalstrategie vor der Geltung des ESUG vgl. Reuter / Buschmann, ZIP 2008, 1003 (1009 f.). 600 Reuter / Buschmann, ZIP 2008, 1003 (1004); Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.427. 601 Ekkenga, ZGR 2009, 581 f.; Daimer, Distressed Debt, S. 52; Siemon, ZInsO 2014, 172 (176). Allgemein kritisch hierzu H.-F. Müller, DB 2014, 41 (44). 602 Hagemann, Debt Equity Swaps, S. 28; P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 54. 603 Daimer, Distressed Debt, S. 54. In diese Richtung auch Reifert / Meiners, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 109 (115); Siemon, ZInsO 2014, 172 (176). 604 Siemon, ZInsO 2014, 172 (182); Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 117; Hannen, DB 2012, 2233. Zur Bedeutung in Deutschland vgl. auch Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 33 sowie 43. Insbesondere bei Leveraged-Buyout-Kredit verträgen sind diese Standard, vgl. Hiltner / Tunda, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 66 (67 ff., 74). 599
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
tung vertraglich festgehaltener Kennzahlen zum Eigenkapital, zur Verschuldung, zum Ertrag oder der Liquidität.605 Je nach vertraglicher Gestaltung kann ein dahingehender Verstoß den ursprünglichen Darlehensgeber oder Käufer respektive Investor zur Kündigung des Kreditvertrages berechtigen.606 Vor dem Hintergrund der Übernahmemöglichkeit durch den Insolvenzplan ist insbesondere die Möglichkeit aktiver Einflussnahme auf den Eintritt der Insolvenz für Investoren von Interesse. Covenants berechtigen etwa dazu, eine Zinssatzerhöhung zu fordern oder ein Darlehen vorzeitig fällig zu stellen.607 Dadurch besteht das Risiko, dass Gläubiger die Insolvenz zielgerichtet herbeiführen, um die Gesellschafter in dieser Situation aus dem Unternehmen zu drängen.608 c) Rechtsfragen bezüglich des Forderungserwerbs aa) Forderungserwerb aus schuldrechtlicher Sicht Ihre Strategien können die Distressed-Debt-Investoren auf unterschiedliche Weise verfolgen. Möglich sind Übertragungen an einen einzigen Käufer oder auch an mehrere Erwerber, was durch Syndizierungen oder Verbriefungen ermöglicht wird.609 Für den dinglichen Erwerb von Krediten kommen die Vertragsübernahme, die Einräumung von Unterbeteiligungen sowie die Abtretung der Forderungen gem. § 398 BGB in Betracht.610 Die typische Transaktion zwischen einem Kreditinstitut und einem Investor vollzieht sich dabei in zwei Schritten. Zunächst erhält der Investor mit Zahlung der Kaufpreisforderung Zug um Zug eine Unterbeteiligung, die nicht notwendigerweise offengelegt wird. Der Grund hierfür ist, dass unter Umständen die Mitwirkung bzw. Zustimmung des Schuldners erforderlich ist, dessen Beteiligung der Übertragung aber nicht zwingend entgegenstehen
605 Carli / Rieder / Mückl, ZIP 2010, 1737 (1738); Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 33 sowie 43; Hannen, DB 2012, 2233 (2234 f.). 606 Zu den Rechtsfolgen beim Breach of Covenants vgl. Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 45 ff.; Hiltner / Tunda, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 66 (74 ff.); Siemon, ZInsO 2014, 172 (182). Abweichende Vereinbarungen von § 488 Abs. 3 BGB sind im Rahmen des § 489 BGB grundsätzlich gestattet. Im Falle ihrer Unwirksamkeit ist der Darlehensvertrag im Übrigen wirksam, vgl. Berger, in: MüKo, BGB, § 488 Rz. 240 f. und § 489 Rz. 19 ff. 607 Carli / Rieder / Mückl, ZIP 2010, 1737 (1738); Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 116 f.; Hiltner / Tunda, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 66 (74 f.). 608 Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 115 ff. Allgemein zum Risiko konfligierender Interessen zwischen Fremdkapitalgebern und finanziertem Unternehmen vgl. Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 81 ff. 609 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1385. 610 Reuter / Buschmann, ZIP 2008, 1003 (1004); Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.431; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1385; Bergjan, ZIP 2012, 1997 f.
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
203
soll.611 Darüber hinaus ist auch bei einfachen Abtretungen ohne Mitwirkung des Schuldners die Zustimmung Dritter, insbesondere anderer Kreditinstitute, erforderlich. Dieser Mithilfe bedarf es zwar nicht zur Übertragung von Forderungen, wohl aber von Kreditsicherheiten (an denen der Investor unter Umständen ebenfalls interessiert ist), denn bei Unternehmenskrediten ist es üblich, dass die Kreditgeber einen Sicherheitenpool bilden.612 Um die Zeiträume zu überbrücken, tritt der Investor erst in einem zweiten Schritt im Außenverhältnis in die Stellung des Darlehensgebers ein. Vorher hält er sowohl die veräußerten Forderungen als auch deren Kreditsicherheiten treuhänderisch für den Erwerber.613 Aus schuldrechtlicher Sicht ist das Distressed Debt Trading unbedenklich.614 Gegen die Abtretung wurden vor allem datenschutzrechtliche Einwände erhoben, weil das Distressed Debt Trading oftmals mit einer Einsichtnahme des Darlehenserwerbers nach § 18 KWG verbunden ist und der Veräußerer den Erwerber im Rahmen des ihm Möglichen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners aufklären wird.615 Weder datenschutzrechtliche Regelungen noch die aus dem Bankgeheimnis resultierenden Vertraulichkeitspflichten stehen der Abtretung jedoch entgegen. Bereits im Jahr 2007 hat der BGH in einem Grundsatzurteil entschieden, dass der rein schuldrechtliche Charakter der aus dem Bankgeheimnis resultierenden Verschwiegenheitspflicht kein dinglich wirkendes Abtretungsverbot begründen kann.616 Außerdem stünde eine Prüfung der Zulässigkeit nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG für jeden Einzelfall der gesetzgeberischen Entscheidung der freien Abtretbarkeit der Forderung entgegen.617 Das letztgenannte Argument dürfte auch nach Einführung der DSGVO gelten, weil auch Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DSGVO wie § 28 BDSG eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Interessen des abtretenden Kreditinstituts erforderlich machen würde.618 Ungeachtet dessen sind gerade die datenschutzrechtlichen Fragen für Loan-to-own-Geschäfte häufig ohnehin nicht von Bedeutung, da die DSGVO wie schon das BDSG ausweislich des Art. 2 Abs. 1 allein auf personenbezogene Daten Anwendung findet und damit nur Informationen erfasst, die sich auf eine identifizierte oder zumindest identifizierbare natürliche Person beziehen.619 611 Beispielhaft Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.432. 612 Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.433, 2.445 ff. 613 Zu diesem zweistufigen Vollzug Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.431 f. 614 Reuter / Buschmann, ZIP 2008, 1003 (1007); Aleth / Böhle, DStR 2010, 1186 (1187); Palenker, Loan-to-own, S. 309 ff. 615 Reuter / Buschmann, ZIP 2008, 1003 (1004 ff.); Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.433, 2.434 ff. 616 BGH, Urt. v. 27.02.2007 – XI ZR 195/05, NJW 2007, 2106 (2107 f.). 617 BGH, Urt. v. 27.02.2007 – XI ZR 195/05, NJW 2007, 2106 (2109). 618 Albers / Veit, in: BeckOK, Datenschutzrecht, Art. 6 DSGVO Rz. 45 ff. 619 Vgl. noch zum BDSG Nobbe, ZIP 2008, 97 (101); Franke, Debt Equity Swaps, S. 65 sowie Palenker, Loan-to-own, S. 313 Fn. 20.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
bb) Forderungserwerb aus insolvenzrechtlicher Sicht Aus insolvenzrechtlicher Sicht mag dies im Einzelfall anders zu beurteilen sein. Grundsätzlich ist der Erwerb einer Forderung auch noch während eines eröffneten Insolvenzverfahrens zulässig, denn ein reiner Gläubigerwechsel berührt die Insolvenzmasse nicht, womit die Verbote der §§ 81, 91 InsO nicht eingreifen. Kauft allerdings ein Gläubiger oder Dritter anderen Insolvenzgläubigern die Forderungen mit dem Ziel ab, eine Abstimmungsmehrheit zur Annahme des Insolvenzplans zu erreichen, und zahlt er dafür einen Preis, der die Befriedigungsquote eines vorgesehenen Insolvenzplans übersteigt, so ist der Forderungskauf gem. § 226 Abs. 3 InsO unwirksam. War der Erwerb für die Annahme ferner ursächlich, so ist dem Insolvenzplan sogar die Bestätigung gem. § 250 Nr. 2 InsO zu versagen. Dies hat der BGH jedenfalls für einen Fall entschieden, in dem ein vereinbarter Forderungskaufvertrag erst nach der Planannahme wirksam werden sollte, die Gläubiger dem Käufer zuvor aber schon eine Stimmrechtsvollmacht erteilt hatten.620 3. Stellungnahme zur Zulässigkeit von Unternehmensübernahmen und dem diesbezüglich erhobenen Missbrauchsvorwurf Wie schon in den vorhergehenden Kapiteln soll nunmehr auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Unternehmensübernahme durch Distressed-Debt-Investoren mittels eines im Insolvenzplan vorgesehenen Debt Equity Swaps geklärt werden, inwiefern überhaupt von einem Missbrauch gesprochen werden kann und wo die Grenzen zulässiger Rechtsausübung verlaufen. Hierfür ist abermals auf die Grundsätze der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre zurückzugreifen. a) Vorwurf der Instrumentalisierung und des Missbrauchs des Insolvenzverfahrens bei Unternehmensübernahmen mittels Debt Equity Swap Im Rahmen der Untersuchung des gegen den Mehrheitsgesellschafter gerichteten Vorwurfs des Missbrauchs des Insolvenzverfahrens hat sich gezeigt, dass es des Einwands des Rechtsmissbrauchs angesichts des Vorrangs der teleologischen Reduktion nicht bedarf, wenn der Missbrauchsvorwurf mit einem objektiv zweck 620
BGH, Beschl. v. 03.03.2005 – IX ZB 153/04, NZI 2005, 325. Bis zu dieser Entscheidung war umstritten, ob auch der Forderungskauf zur Erreichung einer Abstimmungsmehrheit unter den gegebenen Voraussetzungen als unzulässig zu bewerten war. Gegenüber der vom BGH vertretenen Ansicht wurde angenommen, dass die Zulässigkeit allein von der Offenlegung des Abstimmungskaufs abhängig sei (vgl. Sinz, in: MüKo, InsO, 2. Auflage, § 250 Rz. 26 mit Hinweis auf die Vorauflage) oder immer dann anzunehmen sei, wenn ein Dritter an die Stelle des Gläubigers trete, der ein Interesse am Forderungserwerb vorweisen konnte (so noch zum Vergleichsverfahren Krebs, NJW 1951, 788 (789)).
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
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widrigen Einsatz von Planmaßnahmen begründet wird. Es wurde herausgearbeitet, dass man die der Gläubigerbefriedigung dienende Funktion einer gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahme bei Zugrundelegung eines engen Verständnisses von § 1 Satz 1 InsO verneinen kann, wenn diese allein den Planinhalt ausmacht, kein leistungs- oder finanzwirtschaftliches Sanierungskonzept vorgelegt wurde und die Maßnahme zur vollständigen Befriedigung der Gläubiger nicht erforderlich ist. Ein solcher Einwand vermag gegenüber dem Debt Equity Swap grundsätzlich nur eingeschränkt durchzugreifen. Anders als etwa bei einem Rechtsformwechsel handelt es sich hierbei um ein „klassisches Sanierungsinstrument“, weshalb den Gläubigern gegenüber auch nicht der Vorwurf gemacht werden kann, sie verstoßen gegen den Zweck des Insolvenzverfahrens.621 Als Restrukturierungsmaßnahme hat der Debt Equity Swap einen unmittelbar bilanzbereinigenden Effekt, denn neben der Kapitalerhöhung verringert sich gleichzeitig die Fremdkapitalbelastung,622 wodurch die Gläubigerrechte gestärkt werden.623 Durch den Tausch von Fremd- in Eigenkapital kann zum einen in bilanzrechtlicher Hinsicht eine Überschuldung im Sinne des § 19 InsO beseitigt werden. Zum anderen wirkt sich der Debt Equity Swap positiv auf den Liquiditätsstatus aus, da sich mit der Umwandlung Zins- und Tilgungsleistungen minimieren oder sogar gänzlich entfallen.624 Die der Gläubigerbefriedigung dienende Funktion kann letztlich nur in dem von Stockhausen / Balthasar beschriebenen Beispiel einer Unternehmensübernahme bezweifelt werden, wenn das schuldnerische Unternehmen illiquide, aber zu Liquidationswerten nicht überschuldet ist und eine Kapitalherabsetzung auf null bei gleichzeitigem Bezugsrechtsausschluss vorgenommen wird. In diesem Fall hat die Strukturmaßnahme nämlich allein die Verdrängung der Altgesellschafter zur Folge. Dass der Bezugsrechtsausschluss gem. § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO bei Zugrundelegung eines engen Verständnisses der der Gläubigerbefriedigung dienenden Funktion des Insolvenzverfahrens ebenfalls aus teleologischen Gründen ausgeschlossen werden kann, muss allerdings bezweifelt werden. Zunächst ist zu bedenken, dass diese Maßnahme bei gleichzeitiger Kapitalherabsetzung auf null nur möglich ist, wenn man mit der herrschenden Auffassung davon ausgeht, dass die insolvenzrechtlichen Regelungen die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen gleichsam derogieren und damit das Erfordernis einer Verhältnis-
621
Brünkmans / Uebele, ZInsO 2014, 265 (273). In diesem Sinne wohl auch Spliedt, GmbHR 2012, 462 (470); Weber, Umwandlungsmaßnahmen als Sanierungsinstrument, S. 342 f. 622 Hagemann, Debt Equity Swaps, S. 26; Halász / Kloster, WM 2006, 2152; P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 56 f. Spliedt, GmbHR 2012, 462 (470 f.) bewertet den Debt Equity Swap als Sanierungsmittel in der Insolvenz generell jedoch kritisch. 623 Decher / Voland, ZIP 2013, 103 (109). 624 P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 59; Hirte / Knof / Mock, DB 2011, 632 (638). Allgemein zu den Effekten sowie Vor- und Nachteilen P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 56 ff.; Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 13 ff.
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
mäßigkeitsprüfung entfällt.625 Zweifelhaft ist der Einwand der Zweckwidrigkeit dann jedoch noch immer mit Blick auf den durch die Regelungen des Insolvenzplans vermittelten Schutz, der bei der Unternehmensübernahme im Zuge eines Debt Equity Swaps – anders als in dem im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Beispiel, in dem dem Minderheitsgesellschafter durch eine Umwandlung seine gesellschaftsvertraglich vereinbarten Minderheitsrechte genommen wurden – als ausreichend zu erachten sein dürfte. Ist eine Gesellschaft nicht überschuldet und haben die Gesellschaftsanteile noch einen Wert, muss der Insolvenzplan gem. § 225a Abs. 2 InsO eine Entschädigung vorsehen. Andernfalls besteht keine Möglichkeit, die verweigerte Zustimmung der Altgesellschafter im Rahmen der Abstimmung des Insolvenzplanverfahrens zu ersetzen.626 Der Lösungsvorschlag von Pühl zeigt, dass die Interessen der Altgesellschafter in wirtschaftlicher Hinsicht angemessen berücksichtigt werden können, wenn für die Bewertung ihrer Gesellschaftsanteile im Rahmen der Schlechterstellungsprüfung des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Fortführungswert zugrunde gelegt wird. Zwar sind die Altgesellschafter demzufolge nicht in der Lage, ihr Ausscheiden zu verhindern. Sie können jedoch von vornherein nur aus der Gesellschaft gedrängt werden, wenn sie einen angemessenen Ausgleich hierfür erhalten,627 was der rein wirtschaftlichen Ausrichtung der durch das ESUG geschaffenen Änderungen entspricht.628 Dass die Vergleichsrechnung Unsicherheiten und praktische Schwierigkeiten mit sich bringt, ist als Folge der gesetzlichen Ausgestaltung hinzunehmen.629 Auf diesen Umstand kann ein Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht gestützt werden. Losgelöst von dem auf den fehlenden Bezug zur Gläubigerbefriedigung gestützten Einwand der Instrumentalisierung des Insolvenzverfahrens und damit letztlich auch von der Frage nach der Regelungsweite des § 225a Abs. 2 InsO drängt sich im Zusammenhang mit der feindlichen Unternehmensübernahme ein Vergleich mit dem zum Zwecke der Verdrängung eines Wettbewerbers gestellten Insolvenzantrag auf.630 Der BGH hatte diesbezüglich entschieden, dass ein Insolvenzantrag auch im Hinblick auf den mit der Antragstellung subjektiv verfolgten Zweck als missbräuchlich zurückgewiesen werden kann. Unter Berücksichtigung der Grundsätze der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre sowie der Zulässigkeit einer Kontrolle subjektiver Zweckverfolgung wurde bereits darauf hingewiesen, dass die alleinige Absicht, den Wettbewerber zu verdrängen, nicht genügt, um einen Insolvenzantrag als missbräuchlich zurückzuweisen. Ein individueller Rechtsmissbrauch wird 625
Wertenbruch, ZIP 2013, 1693 (1697 ff., 1704) fordert darüber hinaus stets eine vollständige Verhältnismäßigkeitsprüfung im verfassungsrechtlichen Sinn. Einen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt aber sieht das ESUG nicht vor, vgl. Brinkmann, ZIP 2014, 197 (201). 626 Eidenmüller, in: MüKo, InsO, § 225a Rz. 42 f.; Eidenmüller / Engert ZIP 2009, 541 (549). 627 Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 736. 628 Vgl. hierzu 4. Kapitel I. 2. b) sowie 6. Kapitel II. 1. 629 Lüer / Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 8; zu den Berechnungen auch Drukarczyk / Schüler, in: MüKo, InsO, § 245 Rz. 43 ff. 630 Auch K. Schmidt, in: ders. / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 4.5 zieht diesen Vergleich.
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
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im Hinblick auf die Zweckverfolgung nur dort anzunehmen sein, wo die Antragstellung vor dem Hintergrund einer wertenden Missbilligung als rechtlich-sittlich verwerflich erscheint, was unter Berücksichtigung und Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist. Hiervon ist jedenfalls bei einem im Übrigen begründeten Insolvenzantrag trotz Verdrängungsabsicht nicht auszugehen. Zum einen hätte die Schuldnerin ihr Ausscheiden aus dem Markt selbst durch eine rechtzeitige Sanierung verhindern können und zum anderen handelt es sich bei dem Ausscheiden eines insolventen oder gar vermögenslosen Schuldners um eine legitime Folge des Insolvenzverfahrens.631 Anders mag dies zu bewerten sein, wenn keine materielle Insolvenz vorliegt, doch bedarf es des Missbrauchseinwands dann schon überhaupt nicht. Daran anknüpfend wurde im Rahmen der Untersuchung des gegen den Mehrheitsgesellschafter erhobenen Missbrauchsvorwurfs dargelegt, dass es für die Annahme eines Verfahrensmissbrauchs auch in diesem Zusammenhang nicht genügt, wenn es dem Antragsteller allein um die Vornahme gesetzlich zulässiger Sanierungsmaßnahmen geht.632 Während ein individueller Rechtsmissbrauch bei der Vornahme einer Umwandlung zumindest noch denkbar ist, ist dies im Hinblick auf den Sanierungseffekt eines Debt Equity Swaps sowie die wirtschaftliche Entschädigung der Gesellschafter bei einer geplanten Unternehmensübernahme nicht der Fall. Auch von einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung kann unter Berücksichtigung der wertmäßigen Kompensation nicht ausgegangen werden. In praktischer Hinsicht wird ein Gläubigerantrag, der in Erwartung einer möglichen Übernahme des Gesellschafterunternehmens gestellt wurde, damit nicht lediglich „nicht notwendig“633 wegen Missbrauchs als unzulässig zu behandeln sein, sondern vielmehr überhaupt nicht.634 Dieser Feststellung steht freilich nicht die Annahme entgegen, dass die Wirkungen eines rechtswidrigen Insolvenzplans im Einzelfall durch einen Anspruch aus § 826 BGB durchbrochen werden können, wenn bewusst ein rechtswidriger Insolvenzplan erstellt wurde.635 Insoweit gilt es zu beachten, dass der Missbrauchsvorwurf sich dann aus der Rechtswidrigkeit der Übernahme ableitet und die Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht allein wegen der geplanten 631
3. Kapitel II. 1. a) cc) (2) (c). 6. Kapitel II. 3. b) cc). 633 So die Einschätzung von K. Schmidt, in: ders. / U hlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 4.5. 634 Soweit Wertenbruch, ZIP 2013, 1693 (1703) und Hancioglu, Gesellschafterschutz beim Debt-Equity Swap mittels Insolvenzplan, S. 251 f. einen Anspruch aus § 826 BGB auch bei einem Debt Equity Swap für möglich halten und in diesem Zusammenhang von einem Fall des Missbrauchs sprechen, widerspricht dies der hier vertretenen Auffassung nicht. Wertenbruch diskutiert einen Fall des Missbrauchs lediglich im Hinblick auf die Kenntnis der eintretenden Gläubiger von einem vorhergehenden Treuepflichtverstoß eines Mitgesellschafters und nicht im Hinblick auf die Unternehmensübernahme als solche, vgl. bereits 6. Kapitel IV. 1. Hancioglu will auf diese Weise die Wirkungen eines Insolvenzplanverfahrens rückgängig machen, wenn die Voraussetzungen des aus seiner Sicht im Einzelfall erforderlichen Bezugsrechtsausschluss nicht vorgelegen haben. 635 Konkret zum Anspruch aus § 826 BGB bereits 6. Kapitel IV. 1. und vgl. noch 7. Kapitel III. 2. 632
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Übernahme als rechtsmissbräuchlich zu behandeln ist. Für die Annahme eines auf die subjektive Zweckverfolgung gestützten Missbrauchseinwands genügt es nicht, wenn eine Regelung als generell zu weit formuliert und die Anwendungsfälle damit als unangemessen empfunden werden.636 Gerade dies scheint jedoch der Grund für den Vorwurf der Instrumentalisierung des Insolvenzverfahrens als Mittel der Unternehmensübernahme zu sein. Soweit man die Vorschriften des ESUG bereits im Hinblick auf ihre Regelungsweite für verfassungswidrig hält, sollte man dies deutlich hervorheben. Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ist vom Vorwurf der Verfassungswidrigkeit nämlich grundsätzlich zu trennen.637 Eine abweichende Beurteilung hinsichtlich des Missbrauchsvorwurfs ergibt sich schließlich auch nicht aus einem Vergleich mit der Handhabung des aktienrechtlichen Squeeze-outs, für den im Einzelfall ebenso die Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs diskutiert wird.638 Ein Fall des Missbrauchs wird angesichts der vollständigen Unternehmensübernahme dort zwar angenommen, wenn vor dem Squeeze-out ein Formwechsel vorgenommen wurde und weitere Anhaltspunkte für eine Verdrängungsabsicht sprechen.639 Zum einen wird der Missbrauchseinwand vor dem Hintergrund der eindeutigen gesetzlichen Regelungen des Squeeze-outs teilweise nur unter Berücksichtigung vorheriger Absprachen für unzulässig gehalten,640 zum anderen stützt sich der Einwand grundsätzlich auf einen Verstoß gegen
636 Namentlich Loyal, Ungeschriebene Korrekturinstrumente im Zivilprozessrecht, S. 308 f. weist darauf hin, dass über das Mittel eines subjektiven Rechtsmissbrauchs keine generelle Gesetzeskorrektur vorgenommen werden kann. Dennoch scheint dies oftmals der Grund für den Missbrauchseinwand zu sein. Vgl. etwa Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 129, der davon ausgeht, dass es auch im Insolvenzplanverfahren Fälle gibt, in denen der „pauschal vorgenommene Interessenausgleich in Form der generellen Zuweisung des Eingriffsrechts an die Gläubiger nicht gerecht wird“. 637 Zum Verhältnis vgl. bereits 3. Kapitel I. 2. 638 Der Vergleich mit dem aktienrechtlichen Squeeze-out findet sich gleichfalls bei Frauer, Gesellschafterrechte im Insolvenzplanverfahren, S. 125 ff. Allerdings geht es diesem – wie aus der Fn. 636 hervorgeht – darum, aufzuzeigen, dass der pauschal vorgenommene Interessenausgleich nicht nur beim aktienrechtlichen Squeeze-out, sondern auch im Insolvenzplanverfahren im Einzelfall der Korrektur bedarf. 639 Grunewald, ZIP 2002, 18 (21 f.); dies., in: MüKo, AktG, § 327a Rz. 24; Schröder / Wirsch, ZGR 2012, 660 (696); Koch, in: Hüffer / ders., AktG, § 327a Rz. 21. Ausführlich zu den denkbaren Missbrauchskonstellationen Bühler, BB 2017, 2886 ff. 640 So stellt nach Auffassung von BGH, Urt. v. 16.03.2009 – II ZR 302/06, NZG 2009, 585 (587) die Beschaffung der Mehrheit im Wege eines Wertpapierdarlehens grundsätzlich keinen Rechtsmissbrauch dar. Das OLG Köln, Urt. v. 14.12.2017 – 18 AktG 1/17, NZG 2018, 459 (462) hat einen umwandlungsrechtlichen Squeeze-out für rechtsmissbräuchlich gehalten, der nach den Feststellungen des Gerichts dazu diente, eine Haftung des Hauptaktionärs nach §§ 311, 317 AktG abzuwenden. Da den Antragstellern jedoch ein Ausgleich gewährt wurde, hatte der Rechtsmissbrauchseinwand keinen Erfolg. Kritisch im Hinblick darauf, dass der Senat nicht gewürdigt hat, dass der Squeeze-out auch der Ordnung der Konzernstruktur diente, Bühler, BB 2017, 2886 (2892); diesbezüglich zustimmend hingegen Florstedt, ZIP 2018, 1661 (1666). Grundsätzliche Bedenken gegenüber dem Missbrauchseinwand hat angesichts der Unbestimmtheit etwa Mock, WM 2019, 1905 (1948).
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
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die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht.641 Diese aber geht über den allgemeinen Missbrauchseinwand hinaus und verlangt ein erhöhtes Maß an Rücksichtnahme gegenüber den Interessen des durch die Rechtsausübung Betroffenen,642 sodass die Grundsätze auf den typischen Fall der Unternehmensübernahme im Anschluss an ein Distressed Debt Investing und eine Antragstellung durch die Gläubiger nicht übertragbar sind.643 b) Treuepflichtbindung der Gläubiger? Anders als bei dem strategischen Einsatz des Insolvenzverfahrens durch den Mehrheitsgesellschafter kann bei der Unternehmensübernahme durch die Gläubiger zur Begründung des Missbrauchsvorwurfs auch nicht auf eine Treuepflichtverletzung zurückgegriffen werden, da die Gläubiger grundsätzlich nicht an Treuepflichten gebunden sind. Dies gilt sowohl gegenüber der hier nicht weiter relevanten Beziehung zu den anderen Gläubigern als auch gegenüber dem Schuldner selbst. Es ist nicht überzeugend, allein aufgrund der einschneidenden Konsequenzen der Verfahrenseröffnung bereits vor Entstehung einer verfahrensrechtlichen Rechtsbeziehung von einer begrenzenden Wirkung des § 242 BGB in analoger Anwendung auszugehen.644 Darüber hinaus dürfte die Zulässigkeit der Antragstellung im Hinblick auf das Verhältnis von Treu und Glauben zum Rechtsschutzinteresse645 auch unter Rückgriff auf § 242 BGB ohnehin nicht abweichend zu beurteilen sein. Ein Rückgriff auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht mag demgegenüber möglich sein, wenn der antragstellende Gläubiger zugleich Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin ist. Allein der Umstand, dass der Gesellschafter Inhaber einer Forderung gegen die Gesellschaft ist, rechtfertigt nämlich nicht die Entbindung von den Treuepflichten, die bis zur Eröffnung über das Insolvenzverfahren vollumfänglich Geltung beanspruchen.646 Das Befriedigungsinteresse kann vielmehr im Rahmen einer Interessenabwägung einbezogen werden. Die begrenzende Wirkung der Treuepflichtbindung endet nämlich dort, wo auf Seiten des Gesellschafters beachtliche Interessen vorliegen.647 Umgekehrt ist auch zu berücksichtigen, dass bei Vorliegen der Insolvenzeröffnungsgründe der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das gesellschaftliche Interesse an einer Vermeidung der Antragstellung kaum Gewicht hat.648 641
Vgl. hierzu Schröder / Wirsch, ZGR 2012, 660 (696). 6. Kapitel II. 2. a). 643 Zur Treuepflichtbindung der Gläubiger vgl. noch 7. Kapitel II. 3. b). 644 So aber Zipperer, NZI 2010, 281 (284). 645 Vgl. hierzu bereits 2. Kapitel III. 2. 646 Hierzu bereits 6. Kapitel II. 2. d). 647 Ebenso Geißler, ZInsO 2014, 1201 (1202). 648 So schon Geißler, ZInsO 2014, 1201 (1202). In Anlehnung hieran ebenfalls Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 33. 642
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
c) Einschränkung des Distressed Debt Investing? Von einem Missbrauch des Insolvenzverfahrens lässt sich schließlich auch nicht im Hinblick auf das Distressed Debt Investing sprechen. Die Kritik hieran ist vielmehr rechtspolitischer Natur.649 Jedenfalls verstößt der Forderungserwerb zum Zweck des Aufbaus von Fremdkapitalpositionen zur Vorbereitung einer Übernahme grundsätzlich nicht gegen geltendes Recht. Das gilt jedenfalls vorbehaltlich der Umgehung kapitalmarktrechtlicher Transparenzvorschriften, die für die vorliegende Untersuchung keine Rolle spielen sollen.650 Hinzu kommt, dass der Handel mit notleidenden Krediten und Forderungen in wirtschaftlicher Hinsicht sogar wohlfahrtssteigernde Wirkung haben kann, denn unter Berücksichtigung der Chance, ein Unternehmen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu übernehmen, steigt zugleich der Handelswert der Forderungen. Unter Umständen sind die Kaufinteressenten angesichts dieser Option bereit, die Forderungen zu einem höheren Preis als dem wirklichen Wert zu erwerben.651 Dann aber ist darauf zu achten, dass es hierdurch nicht zu einem unzulässigen Stimmenkauf kommt. Die Entscheidung des BGH652 zu den insolvenzrechtlichen Auswirkungen eines Forderungskaufs zur Erreichung einer Stimmenmehrheit im Insolvenzplanverfahren findet im Grunde auch auf das Distressed Debt Trading Anwendung. Hieran ändert es nichts, wenn der Forderungskaufvertrag unabhängig vom Planergebnis wirksam sein soll.653 Die Rechtsprechung des BGH ist eindeutig und unmissverständlich dahingehend zu verstehen, dass der Forderungskauf unzulässig ist, wenn der dafür geleistete Preis über der im Insolvenzplan zu erwartenden oder vereinbarten Quote liegt.654 Dass der Forderungskauf in der zugrunde liegenden Entscheidung von der Abstimmung im Planverfahren abhängig war, verdeutlichte zwar die Konnexität zwischen Kaufvertrag und Abstimmungsverhalten, ist jedoch nicht als Voraussetzung der Unzulässigkeit anzusehen. Da Investoren die Forderungen beim Handel mit notleidenden Krediten oftmals mit erheblichen Abschlägen vom Nennwert aufkaufen, dürfte der praktische Anwendungsbereich der beschriebenen Situation ohnehin gering sein.655 Dies zeigen auch die Insolvenzverfahren der Pfleiderer AG und der IVG Immobilien AG. In rechtlicher Hinsicht ist ferner zu berücksichtigen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Aufkauf der Forderungen und dem Erreichen einer Stimmenmehrheit geben muss. Je weiter der Kaufvertragsabschluss im 649 Zu den einzelnen Vorschlägen zur Einschränkung des Distressed Debt Investings Pühl, Debt Equity Swap, Rz. 602 ff. 650 Hierzu Florstedt, ZIP 2015, 2345 ff.; Brinkmann, WM 2017, 1033 ff. 651 Altmeppen, in: FS Hommelhoff, S. 1 (20); P. Schulz, Debt Equity Swap, S. 135. 652 7. Kapitel II. 2. c) bb). 653 So aber Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 226 Rz. 8. 654 BGH, Beschl. v. 03.03.2005 – IX ZB 153/04, NZI 2005, 325 (327): „Von einer dritten Meinung wird jeder Forderungskauf zu einem höheren Preis als der im Insolvenzplan vorgesehenen Quote als unlautere Handlung angesehen; […] Die zuletzt genannte Auffassung ist im Grundsatz zutreffend.“ Zustimmend auch Bähr / L andry, EWiR 2005, 547 (548); Stürner / Rink, LMK 2005, 154689; Smid, DZWIR 2005, 234 (235). 655 Diese Einschätzung teilt Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1412.
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
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Vorfeld der Insolvenz liegt, desto unwahrscheinlicher ist diese Konnexität. Es darf zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass der Erwerber bei wirtschaftlicher Betrachtung oftmals das Planrisiko übernimmt, was im Rahmen der Unlauterkeitsprüfung gleichfalls zu berücksichtigen ist.656 Will der Schuldner sich in weiterem Maße vor Distressed Debt Investing schützen, so muss er ein Abtretungsverbot vereinbaren. Ihm kommt insoweit § 354a Abs. 2 HGB zugute, mit dessen Einführung die Verkehrsfähigkeit von Forderungen erheblich eingeschränkt wurde.657 Soweit der Vorwurf der Instrumentalisierung des Insolvenzverfahrens damit begründet wird, dass die Insolvenz zum Zwecke der Unternehmensübernahme über Financial Covenants vorsätzlich herbeigeführt wurde,658 sollte zunächst einmal klargestellt werden, dass der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs die Insolvenz antragstellung lediglich mittelbar betrifft, da er sich primär gegen das Verhalten der Parteien bei der Vertragsdurchführung richtet und es damit als undifferenziert zu werten ist, in diesem Zusammenhang von einem Missbrauch des Insolvenzverfahrens zu sprechen.659 Rechtlos stehen die Schuldner aber auch in dieser Hinsicht nicht da, denn Schutz vor übermäßigem Einfluss der Gläubiger bietet das allgemeine Vertragsrecht. Die Ausübung des ordentlichen Kündigungsrechts muss sich an dem im Vertragsrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben messen lassen.660 Bei einer außerordentlichen Kündigung ist der Treuepflichtgedanke schon Teil des Tatbestands des wichtigen Grundes und im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten.661 Die Kündigung eines Kredits kann zeitweise unzulässig sein, wenn der Schaden auf Seiten des Kreditnehmers in einem groben Missverhältnis zu den Vorteilen des Darlehensgebers steht.662 Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen kann damit auch eine Kündigung wegen Verstoßes gegen Covenants im Ausnahmefall unzulässig sein, wenn es allein darum geht, die Illiquidität zur Vorbereitung einer Unternehmensübernahme herbeizuführen. Als mildere Mittel gegenüber einer Kündigung und sofortigen Rückzahlungsforderung bestehen im praktischen Umgang mit Financial Covenants alternative Handlungsmöglichkeiten. So kann der Gläubiger etwa eine Standstill-Erklärung abgeben, durch die der Kreditgeber auf die Durchsetzung der Rechtsfolgen einer 656
Zu sogenannten „Besserungsscheinen“ vgl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 226 Rz. 8. Auf die Änderungen durch das Risikobegrenzungsgesetz verweisen ebenfalls Kuder / Unverdorben, in: K. Schmidt / Uhlenbruck, GmbH in Krise und Insolvenz, Rz. 2.437. 658 Siemon, ZInsO 2014, 172 (174). 659 Vgl. hierzu bereits 3. Kapitel II. 1. a) aa). 660 Berger, in: MüKo, BGB, § 488 Rz. 236; Seifert, in: Soergel, BGB, § 488 Rz. 195; Mülbert, in: Staudinger, BGB, § 488 Rz. 312; Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 1265. 661 Zur Schrankenproblematik bei der außerordentlichen Kündigung Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 1269 f. Eigenständige Bedeutung kommt dem Missbrauchsverbot nach Ansicht von Canaris lediglich dann zu, wenn es um die zeitliche Begrenzung dieses Rechts im Sinne einer Verwirkung geht. Zu dem auf Unverhältnismäßigkeit gestützten Missbrauchseinwand vgl. bereits 1. Kapitel IV. 1. c) aa) sowie Mülbert, in: Staudinger, BGB, § 488 Rz. 312. 662 BGH, Urt. v. 18.12.1980 – III ZR 157/78, WM 1981, 150 (151); BGH, Urt. v. 06.03.1986 – III ZR 245/84, NJW 1986, 1928 (1930). Zustimmend Mülbert, in: Staudinger, BGB, § 488 Rz. 312; Seifert, in: Soergel, BGB, § 488 Rz. 195. 657
212
2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Covenant-Verletzung ohne weitere Forderungen verzichtet.663 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit dem Schuldner einen Covenant Waiver einzuräumen, bei dem er auf die Kündigung des Kreditverhältnisses zumindest vorübergehend verzichtet und im Gegenzug die Zahlung einer gesonderten Gebühr oder weitere Leistungen zum Ausgleich des damit einhergehenden Risikos erhält.664 Im Hinblick auf die Gefahr der Insolvenzanfechtung wird der Gläubiger hierauf jedoch nur selten verwiesen werden können. Auch ist dieser Schutz nicht unbeschränkt, denn das geltende Recht kennt keinen allgemeinen Grundsatz, der die Kündigung eines Darlehens sperrt, wenn hierdurch der Zusammenbruch des Unternehmens droht.665 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Bank weder zur Kreditbelassung noch -gewährung verpflichtet.666
III. Rechtsschutzmöglichkeiten und haftungsrechtliche Folgen Inwieweit den Altgesellschaftern im Hinblick auf die Unternehmensübernahme Rechtsschutzmöglichkeiten und haftungsrechtliche Ansprüche zustehen können, hängt davon ab, auf welche der hier dargestellten Arten und Weisen man die Gesellschafter vor der Übernahme der Gesellschaft durch Gläubiger schützen will. 1. Rechtsschutzmöglichkeiten Entsprechend der bereits im vorhergehenden Abschnitt getroffenen Differenzierung ist auf der Ebene des Rechtsschutzes in gleicher Weise danach zu differenzieren, ob sich der Missbrauchseinwand gegen die Unternehmensübernahme und das vor diesem Hintergrund betriebene Insolvenzverfahren oder vielmehr gegen die Herbeiführung einer Insolvenzsituation durch Kündigung oder Fälligstellung eines Darlehens richtet. Sollte Letzteres der Fall sein, muss sich der Schuldner nämlich im Klageverfahren vor den allgemeinen Zivilgerichten zur Wehr setzen. Im Hinblick auf den Schutz vor der Unternehmensübernahme ist – wie schon bei der Diskussion um den Missbrauch durch den Mehrheitsgesellschafter – zwischen dem Schutz vor und nach Verfahrenseröffnung zu unterscheiden. Die Untersuchung hat ergeben, dass ein zum Zwecke der Übernahme des Schuldners gestellter Insolvenzantrag nicht als missbräuchlich zurückzuweisen ist. Gegen eine Antragstellung können die Altgesellschafter deshalb überhaupt 663
Hiltner / Tunda, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 66 (75). Zu den einzelnen Instrumentarien der Insolvenzvermeidung vgl. Hiltner / Tunda, in: Reifert, Finanzielle Restrukturierung, S. 66 (75 ff.). 665 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.01.1992 – 4 U 80/90, WM 1992, 1018 (1022). 666 BGH, Urt. v. 30.04.1992 – IX ZR 176/91, NJW 1992, 1960; BGH, Urt. v. 29.05.2001 – VI ZR 114/00, NJW 2001, 2632. Zustimmend Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.232; Berger, in: MüKo, BGB, § 488 Rz. 237; Seifert, in: Soergel, BGB, § 488 Rz. 195. 664
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
213
nur vorgehen, wenn die Geschäftsleitung einen auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Antrag gestellt hat, ohne zuvor einen Gesellschafterbeschluss einzuholen.667 Da nach der hier vertretenen Auffassung die Missachtung gesellschaftsinterner Voraussetzungen für das Insolvenzgericht unbeachtlich ist, besteht für die Gesellschafter lediglich die Möglichkeit, außerinsolvenzgerichtlich Rechtsschutz zu suchen.668 In praktischer Hinsicht dürfte es zu dem beschriebenen Fall ohnehin nur im Rahmen eines (Leveraged) Management-Buy-outs kommen, der keine typische Konstellation des Distressed Debt Investings darstellt. Da die Interessen der Gesellschafter in diesem Fall häufig gleichlaufend darauf gerichtet sind, die drohende Übernahme durch das Insolvenzverfahren zu verhindern, können sie je nach Gesellschaftsform zudem auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage gegen die Antragstellung der Geschäftsleitung vorgehen,669 sodass es des durch ein außerinsolvenzgerichtliches Verfahren vermittelten Schutzes nicht immer bedarf. Im Übrigen konzentriert sich der Rechtsschutz auf das Insolvenzplanverfahren. Greift man auf die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätze zurück und fordert etwa für den Bezugsrechtsausschluss stets eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, dann ist es zum Schutz der Gesellschafter schon nicht erforderlich, den Gläubigerantrag wegen eines fehlenden rechtlichen Interesses gem. § 14 Abs. 1 InsO zurückzuweisen, wenn die Gläubiger einen unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Ausschluss intendieren.670 Einem Insolvenzplan dieses Inhalts wäre gem. § 250 Nr. 1 InsO die Bestätigung von Amts wegen zu versagen oder aber der Plan wäre bereits im Rahmen der Vorprüfung gem. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zurückzuweisen. Orientiert man sich am wertbezogenen Schutzkonzept des ESUG und legt zum Schutz der Altgesellschafter anstelle des Liquidationswertes ihrer Beteiligung den Fortführungswert im Rahmen der Schlechterstellungsprüfung zugrunde, wenn die schuldnerische Gesellschaft zahlungsunfähig, nicht aber zu Liquidationswerten überschuldet ist, dann ist der durch das Insolvenzplanverfahren vermittelte Rechtsschutz in jedem Fall vorrangig. Die Altgesellschafter sind in der bereits beschriebenen Weise durch die Ausgestaltung des Obstruktionsverbots gem. § 245 InsO, den Minderheitenschutzantrag gem. § 251 InsO sowie die sofortige Beschwerde gem. § 253 InsO ausreichend geschützt. Ausweislich des § 251 Abs. 3 InsO sowie des Verweises in § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO genügt es, wenn im gestaltenden Teil des Plans Mittel für den Fall bereitgestellt werden, dass ein
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Vgl. bereits 6. Kapitel III. 1. d) bb) (2) (b) (bb). 6. Kapitel III. 1. d) bb) (3) (a). 669 So besteht jedenfalls in der GmbH aufgrund des Grundsatzes der Weisungsabhängigkeit für die Gesellschafter die Möglichkeit, der Geschäftsführung gem. §§ 37 Abs. 1, 47 GmbHG die Weisung zu erteilen, den Insolvenzantrag zurückzunehmen, oder aber sie berufen die Geschäftsführung gem. § 38 GmbHG ab. 670 Anders mag das in den Fällen zu beurteilen sein, in denen ein auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützter Eigenantrag dazu führt, dass die Planmaßnahme zur Gläubigerbefriedigung erst während des Verfahrens erforderlich wird und der Rechtsschutz innerhalb des Planverfahrens unzureichend erscheint, vgl. 6. Kapitel III. 1. a). 668
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist. Ob die Altgesellschafter einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhalten, ist außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären. 2. Haftungsrechtliche Folgen Während im Zuge der Untersuchung des gegen den Mehrheitgesellschafter gerichteten Missbrauchseinwands ein Anspruch aus § 826 BGB im Ausnahmefall möglich erschien, kommt ein solcher gegen die übernahmewilligen Gläubiger gerichteter Anspruch aus den bereits genannten Gründen nicht in Betracht. Fordert man für den Bezugsrechtsausschluss eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und kommt es trotz Unverhältnismäßigkeit zur Bestätigung des Insolvenzplans, so liegt schlichtweg ein rechtswidriger Insolvenzplan vor. Gleiches gilt, wenn die Zustimmung der Gesellschafter fingiert wird, ohne dass die Voraussetzungen des § 245 InsO vorliegen. Die Altgesellschafter sind in derartigen Fällen gehalten, die beschriebenen Rechtsschutzmöglichkeiten wahrzunehmen, um die Planbestätigung und die damit verbundene Rechtskraft gem. §§ 254 Abs. 1, 254b InsO zu verhindern.671 Unter Umständen mögen die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt sein, sodass den Altgesellschaftern trotz rechtskräftigen Insolvenzplans zumindest ein wertmäßiger Schadensersatzanspruch zustehen kann. Bereits an anderer Stelle wurde jedoch darauf hingewiesen, dass der Vorwurf einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung bei einer Normverletzung nicht per se anzunehmen ist.672 Auch sei an dieser Stelle nochmals daran erinnert, dass es hierbei nicht um einen Fall des Rechtsmissbrauchs geht, sondern vielmehr um einen Schadensersatzanspruch aufgrund eines rechtswidrigen Insolvenzplans. Haftungsrechtliche Ansprüche kommen in den unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs diskutierten Fällen deshalb zumeist nur gegen die Geschäftsleitung in Betracht, wenn man für den auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Insolvenzantrag in Abhängigkeit von der Gesellschaftsform die Einholung eines Gesellschafterbeschlusses für erforderlich hält und die Geschäftsleitung gegen dieses Erfordernis verstößt. Die Haftung gegenüber den Gesellschaftern ergibt sich dann aus §§ 823 Abs. 1, 826 BGB, wobei nur die infolge der Antragstellung eingetretene Wertminderung der Gesellschaftsanteile ersatzfähig ist.673
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Auch im Rahmen der Diskussion um die Durchbrechung der Rechtskraft durch eine Klage nach § 826 BGB wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger grundsätzlich dazu angehalten ist, die Vollstreckung aus einem unrichtigen Titel durch weitere Abwehrmöglichkeiten zu verhindern, vgl. 6. Kapitel III. 2. a) bb) (3) (b) (bb). Zu den Rechtsschutzmöglichkeiten innerhalb eines Planverfahrens vgl. 6. Kapitel III. 2. 672 6. Kapitel IV. 1. 673 Vgl. hierzu bereits 6. Kapitel IV. 2. a) sowie Bulgrin, Strategische Insolvenz, S. 198 ff. mit weiteren Nachweisen.
7. Kap.: Missbrauch durch die Gläubiger?
215
IV. Zusammenfassung Die Übernahme des Schuldners durch die Gläubiger mittels Insolvenzplan ist für sich genommen nicht als missbräuchlich zu kategorisieren. Mit einem Debt Equity Swap werden die Gläubiger durch die Beteiligung an der Gesellschaft befriedigt. Es handelt sich hierbei um ein klassisches Sanierungsinstrument, sodass grundsätzlich nicht eingewendet werden kann, die Planmaßnahme verstoße gegen die Gläubigerbefriedigung als den institutionellen Zweck des Insolvenzverfahrens. Hält man eine Planmaßnahme im Hinblick auf die haftungsrechtliche Funktion des Insolvenzverfahrens für zweckwidrig, wenn die Maßnahme zur Gläubigerbefriedigung weder geeignet noch erforderlich ist, mag man die vollständige Übernahme des Schuldners durch eine Kapitalherabsetzung auf null sowie einen Bezugsrechtsausschluss für unzulässig halten, wenn das schuldnerische Unternehmen illiquide, aber zu Liquidationswerten nicht überschuldet ist, weil eine solche Strukturmaßnahme nur darauf gerichtet sein kann, die Altgesellschafter zu verdrängen. Des Missbrauchseinwands bedarf es dann aber nicht. Hält man die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Schutzmechanismen im Insolvenzverfahren für anwendbar, so sind die Altgesellschafter bereits hierüber geschützt. Der Rückgriff auf den Missbrauchseinwand ist aber auch dann nicht erforderlich, wenn man an das wertbezogene Schutzkonzept des ESUG anknüpft. Ist eine Gesellschaft nicht überschuldet und haben die Gesellschaftsanteile noch einen Wert, muss der Insolvenzplan gem. § 225a Abs. 2 InsO eine Entschädigung vorsehen. Andernfalls besteht keine Möglichkeit, die verweigerte Zustimmung der Altgesellschafter im Rahmen der Abstimmung des Insolvenzplanverfahrens zu ersetzen. Um die Interessen der Altgesellschafter in wirtschaftlicher Hinsicht angemessen berücksichtigen zu können, ist für die Bewertung ihrer Gesellschaftsanteile im Rahmen der Schlechterstellungsprüfung des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Fortführungswert zugrunde zu legen. Ein Missbrauch des Insolvenzverfahrens kann auch nicht allein deshalb angenommen werden, weil sich die Gläubiger die Forderungen in der Erwartung einer Unternehmensübernahme vor der Verfahrenseröffnung verschafft haben. Die bisherige Untersuchung hat bereits gezeigt, dass ein Insolvenzantrag wegen der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke nur unter äußerst engen Voraussetzungen als missbräuchlich zu bewerten ist. Im Hinblick auf die Grundsätze der allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre ist zu fordern, dass dem Antragsteller vor dem Hintergrund einer wertenden Missbilligung ein rechtlich-sittlicher Vorwurf zu machen ist, was unter Berücksichtigung und Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist. Diesbezüglich wurde bereits im Zusammenhang mit dem gegen den Mehrheitsgesellschafter erhobenen Missbrauchsvorwurf dargelegt, dass es für die Annahme eines Missbrauchs nicht genügt, wenn es dem Antragsteller nur um die Vornahme gesetzlich zulässiger Sanierungsmaßnahmen geht. Während bei der Vornahme einer Umwandlung ein individueller Missbrauch zumindest noch denkbar war, ist dies mit Blick auf den Sanierungseffekt eines Debt Equity Swaps
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2. Teil: Sanierung und Missbrauchsvorwurf
sowie die wirtschaftliche Entschädigung der Gesellschafter bei einer geplanten Unternehmensübernahme nicht der Fall. Gegen die Zulässigkeit des Distressed Debt Tradings und Investings bestehen in schuldrechtlicher wie insolvenzrechtlicher Hinsicht keine Bedenken. Nur ausnahmsweise wird der Forderungserwerb § 226 Abs. 3 InsO unterfallen und dem Insolvenzplan infolge des Verstoßes die Bestätigung von Amts wegen gem. § 250 Nr. 2 InsO zu versagen sein. Schutz vor dem Einfluss von Covenants gewährt das Vertragsrecht. Die Kündigung und Fälligstellung eines Darlehens werden jedoch kaum einmal als missbräuchlich zu bewerten sein. Die Rechtsschutzmöglichkeiten und die haftungsrechtlichen Konsequenzen bestimmen sich danach, auf welche Art und Weise man die Gesellschafter vor der Übernahme der Gesellschaft durch Gläubiger schützen will. Da ein zum Zwecke der Übernahme des Schuldners gestellter Insolvenzantrag nicht als missbräuchlich einzuordnen ist, ist ein entsprechender Antrag weder als unzulässig zurückzuweisen, noch zieht er haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich. Fordert man für den Bezugsrechtsausschluss eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und kommt es trotz Unverhältnismäßigkeit zur Bestätigung des Insolvenzplans, so liegt schlichtweg ein rechtswidriger Insolvenzplan vor. Gleiches gilt, wenn die Zustimmung der Gesellschafter fingiert wird, ohne dass die Voraussetzungen des § 245 InsO vorliegen. Die Altgesellschafter haben dann die Möglichkeit, mit der sofortigen Beschwerde ihre Rechte geltend zu machen. Nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 826 BGB steht den Altgesellschaftern ein Schadensersatzanspruch wegen der Vornahme rechtswidriger Planmaßnahmen zu.
Schlussbetrachtung I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Die Untersuchung hat gezeigt, dass das Insolvenzverfahren trotz seiner Bedeutung als Gesamtvollstreckungsverfahren und der damit einhergehenden Ordnungsfunktion Gegenstand einer missbräuchlichen Rechtsausübung sein kann. Die Verfahrenseinleitung kann als individuell rechtsmissbräuchlich zu bewerten sein, wenn der Antragsteller sich hierdurch widersprüchlich oder gegenwärtig unredlich verhält. Für Eigenanträge des Schuldners gilt dies allerdings nur, soweit zum Zeitpunkt der Antragstellung kein die Antragspflicht gem. § 15a InsO begründender Eröffnungsgrund vorliegt. In der Diskussion um den Missbrauch des Insolvenzverfahrens stehen die Fälle der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke im Vordergrund, doch dürfte ein Insolvenzantrag unter diesem Gesichtspunkt mit Ausnahme von Druckanträgen kaum als missbräuchlich zurückzuweisen sein. Zum einen ist der praktische Anwendungsbereich zahlreicher in diesem Zusammenhang diskutierter Konstellationen äußerst gering. Zum anderen dürften die Voraussetzungen für die Annahme einer missbräuchlichen Verfahrenseinleitung selten vorliegen. Dem Insolvenzrecht ist wie dem Zivilrecht im Allgemeinen eine Motivkontrolle grundsätzlich fremd, sodass dem Antragsteller die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke ohnehin nicht per se zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn dem Antragsteller bei einer wertenden Missbilligung ein rechtlich-sittlicher Vorwurf zu machen ist, wovon kaum auszugehen sein dürfte, wenn er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens intendiert. Für die Annahme eines Missbrauchs genügt es nicht, wenn es dem Antragsteller lediglich darauf ankommt, dass ein Wettbewerber nach Beendigung des Insolvenzverfahrens aus dem Markt ausscheidet. Hierbei handelt es sich um die regelmäßige Folge eines Insolvenzverfahrens und damit um keinen den Missbrauch begründenden Umstand. Gleiches gilt für den Fall, dass der Antragsteller das Verfahren betreibt, um nach der Verfahrenseröffnung die ihm durch die InsO vermittelten Gestaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs müssen auch in diesem Zusammenhang weitere Umstände hinzukommen. Demgegenüber sind Druckanträge im Hinblick darauf, dass es dem antragstellenden Gläubiger zum Zeitpunkt der Antragstellung überhaupt nicht auf die Durchführung des Insolvenzverfahren ankommt und er eine Befriedigung seiner Forderung zu Lasten der übrigen Gläubiger erreichen will, zu missbilligen. Das gilt allerdings nur, soweit auch ein Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht wurde. Mangelt es dem Antrag bereits an dieser Voraussetzung, bedarf es des Rückgriffs auf den Missbrauchseinwand erst gar nicht. Sollte sich dem In-
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Schlussbetrachtung
solvenzgericht die Eigenschaft als Druckantrag ferner erst zu einem Zeitpunkt offenbaren, zu dem die Eröffnungsvoraussetzungen bereits zur Überzeugung des Gerichts vorliegen, kann der Antrag im Hinblick auf die ursprüngliche Zweckverfolgung jedenfalls nicht mehr als missbräuchlich zurückgewiesen werden. Eine Schädigung der Gläubiger droht in einem solchen Fall angesichts der Verfahrenseröffnung nicht mehr. Nicht nur der Verfahrenseinleitung kann unter dem Gesichtspunkt unredlichen Verhaltens ein Missbrauchsvorwurf gemacht werden. Als missbräuchlich kann im Einzelfall auch die Rücknahme eines Eigenantrages einer juristischen Person oder Gesellschaft zu behandeln sein, bei der keine natürliche Person persönlich haftet. Das gilt im Hinblick auf die Gefahr des Leerlaufens der Antragspflicht gem. § 15a InsO dann, wenn die Rücknahme erklärt wird, nachdem der vertretungsberechtigte Antragsteller ausgewechselt wurde oder ausgeschieden ist, und dem Insolvenzgericht hierdurch die sachliche Prüfung eines auf Zahlungsunfähigkeit und / oder Überschuldung gestützten Antrages entzogen werden soll. Geht man davon aus, dass der Insolvenzantrag im Falle mehrfacher Vertretungsberechtigung auch von einer anderen Person als dem Antragsteller zurückgenommen werden kann, dürfte unter den genannten Voraussetzungen ebenfalls von einer missbräuchlichen Rücknahme auszugehen sein. Entgegen der Auffassung einiger Insolvenzgerichte kann demgegenüber der Erledigungserklärung eines antragstellenden Gläubigers nicht wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden. Die Dispositionsfreiheit prägt das Insolvenzeröffnungsverfahren und ist einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung geschuldet. Dem Gläubiger bleibt es selbst überlassen, ob er seine Forderung im Wege des Gesamtvollstreckungsverfahrens – auch zugunsten der übrigen Gläubiger – geltend macht. Hielte man ihn an seinem Antrag fest, würde man das Insolvenzverfahren auf diese Weise zu einem Verfahren von Amts wegen machen. Die Diskussion um den Missbrauch des Insolvenzverfahrens wurde zuletzt durch die gesetzlichen Änderungen des ESUG verstärkt, durch die zugleich die strategische Insolvenz Einzug in das deutsche Recht gehalten hat. Die vorliegende Untersuchung hat indes gezeigt, dass auch der gegen die Sanierungsinstrumente der InsO gerichtete Missbrauchseinwand von geringer Bedeutung ist. Soweit vom Missbrauch der (vorläufigen) Eigenverwaltung oder des Schutzschirmverfahrens durch den Schuldner die Rede ist, meint dies keinen Rechtsmissbrauch im Sinne einer Überschreitung der dem Gesetz immanenten Grenzen. Vielmehr werden auf diese Weise die gesetzlichen Regelungen des ESUG kritisiert, die mit Rücksicht auf den Gläubigerschutz und den in § 1 Satz 1 InsO geregelten Grundsatz bestmöglicher Gläubigerbefriedigung schlichtweg als unzureichend empfunden werden. Wird das Insolvenzverfahren von an sich „wirtschaftlich mehr oder weniger gesunden“ Unternehmen strategisch dazu eingesetzt, um sich auf Kosten der Gläubiger sowie des Staates zu sanieren, bedarf es des Rückgriffs auf
Schlussbetrachtung
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den Missbrauchseinwand demgegenüber schon gar nicht. Vorrangig ist eine eingehende Prüfung der Eröffnungsgründe, wozu die mit der Geltendmachung von Forderungen verbundenen Rechtsfragen gehören. Unter Umständen können Vermögensverschiebungen als sittenwidrig zu behandeln sein, sodass schon keine materielle Insolvenz anzunehmen ist, oder aber dem antragstellenden Schuldner ist der Zugang zur Eigenverwaltung sowie dem vorgelagerten Schutzschirmverfahren mit Blick auf Vermögensverschiebungen im Vorfeld der Antragstellung im Rahmen der Nachteilsprüfung gem. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu verwehren. Soweit es dem Schuldner durch die Verschleierung von Vermögenswerten darum geht, einen Insolvenzgrund vorzuspiegeln, liegt in Anbetracht der fehlenden Anordnungsvoraussetzungen schon kein Rechtsmissbrauch, sondern angesichts des Vortäuschens von wahrheitswidrigen Tatsachen dem allgemeinen Sprachgebrauch nach ein Fall des Betruges vor. Auch mit dem gegen den Mehrheitsgesellschafter gerichteten Missbrauchseinwand ist ein behutsamerer Umgang geboten. Hier hat die Untersuchung gezeigt, dass es bei der Diskussion um den Missbrauch des Insolvenzverfahrens um die Regelungsweite des § 225a Abs. 3 InsO und das grundsätzliche Verständnis des Insolvenzverfahrens vor dem Hintergrund des in § 1 Satz 1 InsO geregelten Grundsatzes der Haftungsverwirklichung geht. Die Lösung einer gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung mit Mitteln des Insolvenzrechts mag man im Hinblick auf ein enges Verständnis der dienenden Funktion des Insolvenzplans als missbräuchlich erachten, wenn mit einer vollständigen Befriedigung der Gläubiger auch ohne Vornahme der Planmaßnahme zu rechnen ist, die Maßnahme zur Gläubigerbefriedigung damit weder geeignet noch erforderlich ist und es an einem leistungswirtschaftlichen Sanierungskonzept fehlt. Steht der Vorwurf eines solchen objektiv funktionswidrigen Einsatzes einzelner Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb des Insolvenzverfahrens im Raum, ist im Hinblick auf die gesetzliche Verankerung des Verfahrenszwecks in § 1 InsO statt auf den Einwand des institutionellen Missbrauchs jedoch vorrangig auf das Mittel der teleologischen Reduktion zurückzugreifen. Hält man eine derartige Maßnahme demgegenüber für zulässig, lässt sich der Vorwurf missbräuchlicher Rechtsausübung zwar noch auf die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke stützen. Ebenso wenig wie ein Insolvenzantrag als missbräuchlich zurückzuweisen ist, wenn es dem Antragsteller auf die Verdrängung eines Wettbewerbers ankommt, kann dem Mehrheitsgesellschafter indes der Vorwurf gemacht werden, er löse einen Gesellschafterstreit mit den Mitteln des Insolvenzverfahrens, sofern man hierin eine grundsätzlich zulässige Folge der Sanierung im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens sieht. Erforderlich für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs ist auch hier, dass dem Mehrheitsgesellschafter vor dem Hintergrund einer wertenden Missbilligung ein rechtlich-sittlicher Vorwurf zu machen ist, wovon allenfalls auszugehen sein dürfte, wenn es ihm auf die Schädigung des Minderheitsgesellschafters ankommt, ohne dass er auch nur ein eigenes schützenswertes Interesse an der Durchführung der Sanierungsmaßnahme hat. Unabhängig vom Missbrauchseinwand kann die Einleitung des Insolvenzverfahrens
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Schlussbetrachtung
einen Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Treuepflichten darstellen, die erst nach der Verfahrenseröffnung durch die vorrangigen Regelungen des Insolvenzrechts überlagert werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte ein Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als solche ausdrücklich benannt und nicht nur von einem Rechtsmissbrauch gesprochen werden. Bei dem Missbrauchsverbot handelt es sich lediglich um einen Teilaspekt der mitgliedschaftlichen Treuepflicht, die weitaus höhere Anforderungen an die Rechtsausübung stellt als die zur Vermeidung des Rechtsmissbrauchs einzuhaltenden Minimalstandards. Einem Insolvenzantrag, der mit der Intention gestellt wurde, eine unter den beschriebenen Voraussetzungen unzulässige Planmaßnahme vorzunehmen, ist schon zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes das Rechtsschutzinteresse zu versagen. Dies gilt allerdings nur, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung kein zur Antragstellung verpflichtender Insolvenzgrund vorliegt. Gegen die Eröffnungsentscheidung kann der Minderheitsgesellschafter mangels Planwidrigkeit der Regelungslücke zwar nicht analog § 34 Abs. 2 InsO die sofortige Beschwerde erheben, jedoch stehen ihm weitere Abwehrmöglichkeiten zu. Zum einen besteht die Möglichkeit, eine Schutzschrift beim Insolvenzgericht einzureichen und zum anderen kann er im Eröffnungsverfahren außerinsolvenzgerichtlichen Rechtsschutz erlangen. Soweit sich der Prüfungsmaßstab des Prozessgerichts mit dem des Insolvenzgerichts nicht überschneidet, fehlt es außerinsolvenzgerichtlichen Klagen und Anträgen im einstweiligen Rechtsschutz auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Die Gesellschafter sind ferner im eröffneten Insolvenzverfahren geschützt. Ein Insolvenzplan, der eine unter den beschriebenen Voraussetzungen unzulässige Maßnahme vorsieht, ist gem. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 250 Nr. 1 InsO zurückzuweisen. Die rechtskräftige Verfahrenseröffnung steht dieser Annahme nicht entgegen. Wehren können sich die Gesellschafter gegen einen solchen Insolvenzplan mittels des Minderheitenschutzantrages gem. § 251 Abs. 1 InsO und der sofortigen Beschwerde gem. § 253 Abs. 1 InsO. Die Rechtsschutzmöglichkeiten sind auch dann einsetzbar, wenn es um die Geltendmachung eines besonders schweren Rechtsverstoßes geht, wozu die Überschreitung des § 225a Abs. 3 InsO ebenso zu zählen ist wie der auf individuelle Umstände gestützte Missbrauchsvorwurf. Die Glaubhaftmachung einer Schlechterstellung ist in diesen Fällen nicht erforderlich. Wird das Insolvenzverfahren unzulässigerweise eingesetzt, so zieht dies zugleich haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich. Den Gesellschaftern steht dem Grunde nach ein Anspruch aus § 826 BGB zu, wenn es hierdurch zu einem Schaden etwa in Form des Entzugs oder der Aushöhlung ihrer Mitgliedschaftsrechte kommt. Unter den Voraussetzungen des § 830 BGB kann sich dieser Anspruch gegen sämtliche an der Verfahrenseinleitung sowie am Planverfahren beteiligten Personen richten, wobei insbesondere die Mitgesellschafter sowie die Geschäftsleitung als Anspruchsgegner in Betracht kommen. Auf Rechtsfolgenebene ergeben sich teilweise erhebliche Beweisprobleme hinsichtlich des Nachweises der haftungsbe-
Schlussbetrachtung
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gründenden und haftungsausfüllenden Kausalität. Dem Schadensersatzanspruch können der Einwand hypothetischer Kausalität wie auch der Vorwurf des Mitverschuldens entgegenstehen. Grundsätzlich kommt zwar die Wiedereinräumung von Beteiligungen oder Gesellschafterrechten in Betracht. Im Hinblick auf die in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten dürfte ein solcher Anspruch faktisch jedoch nahezu ausgeschlossen sein. Anders als die Verdrängung eines Minderheitsgesellschafters kann die Übernahme des Schuldners durch die Gläubiger mittels Insolvenzplan für sich genommen nicht als missbräuchlich bewertet werden. Mit einem Debt Equity Swap werden die Gläubiger durch die Beteiligung an der Gesellschaft befriedigt. Es handelt sich hierbei um ein klassisches Sanierungsinstrument, sodass grundsätzlich nicht eingewendet werden kann, die Planmaßnahme verstoße gegen den Grundsatz der Gläubigerbefriedigung als den institutionellen Zweck eines Insolvenzverfahrens. Hält man eine Planmaßnahme im Hinblick auf die haftungsrechtliche Funktion des Insolvenzverfahrens für zweckwidrig, wenn die Maßnahme zur Gläubigerbefriedigung weder geeignet noch erforderlich ist, mag man die vollständige Übernahme des Schuldners durch eine Kapitalherabsetzung auf null sowie einen Bezugsrechtsausschluss für unzulässig halten, wenn das schuldnerische Unternehmen illiquide, aber zu Liquidationswerten nicht überschuldet ist, weil eine solche Strukturmaßnahme nur darauf gerichtet sein kann, die Altgesellschafter zu verdrängen. Des Missbrauchseinwands bedarf es dann aber nicht. Geht man davon aus, dass das Insolvenzrecht das Gesellschaftsrecht nicht derogiert, so sind die Altgesellschafter bereits hierüber geschützt. Auch bei Zugrundelegung des wertbezogenen Schutzkonzepts des ESUG ist der Rückgriff auf den Missbrauchseinwand entbehrlich, wenn man in der beschriebenen Insolvenzsituation für die Bewertung der Gesellschaftsanteile im Rahmen der Schlechterstellungsprüfung des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO den Fortführungswert heranzieht und damit zumindest die wirtschaftlichen Interessen der Altgesellschafter sicherstellt. Als missbräuchlich ist die Verfahrenseinleitung auch nicht zu bewerten, wenn sich die Gläubiger die Forderungen in der Erwartung einer Unternehmensübernahme vor der Verfahrenseröffnung verschafft haben. Wie schon im Zusammenhang mit dem gegen den Mehrheitsgesellschafter gerichteten Missbrauchsvorwurf erwähnt wurde, kann von einem Missbrauch des Verfahrens wegen verfahrensfremder Zweckverfolgung nicht deshalb ausgegangen werden, weil es dem Antragsteller allein um die Vornahme gesetzlich zulässiger Sanierungsmaßnahmen geht. Während die Annahme eines individuellen Missbrauchs bei einer Umwandlung zumindest noch denkbar ist, ist dies im Hinblick auf den Sanierungseffekt eines Debt Equity Swaps sowie die wirtschaftliche Entschädigung der Gesellschafter bei einer geplanten Unternehmensübernahme nicht der Fall. Da ein zum Zwecke der Übernahme des Schuldners gestellter Insolvenzantrag nicht als missbräuchlich einzuordnen ist, ist ein entsprechender Antrag weder als unzulässig zurückzuweisen, noch zieht er haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich. Auf Schadensersatz gerichtete Ansprüche kommen bei einer Unternehmens-
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Schlussbetrachtung
übernahme mittels Insolvenzverfahren zumeist nur gegen die Geschäftsleitung in Betracht, wenn man – in Abhängigkeit von der Gesellschaftsform – für den auf die drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Insolvenzantrag die Einholung eines Gesellschafterbeschlusses für erforderlich hält und die Geschäftsleitung gegen dieses Erfordernis verstoßen hat. Dies dürfte überhaupt nur in einem Fall eines (Leveraged) Management-Buy-outs zu erwarten sein.
II. Ausblick Die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung sind auch im Kontext der Diskussion um die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens zu sehen. Hat sich der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2011 mit der Schaffung des ESUG noch gegen ein solches Verfahren entschieden,1 ist es nunmehr auf die Initiative der Europäischen Kommission zurückzuführen, dass es künftig ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren geben wird. Während die Kommission den Mitgliedstaaten in ihrer Empfehlung C(2014) 1500 vom 12. März 2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen die Schaffung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens lediglich nahegelegt hatte, ist sie nunmehr selbst tätig geworden. Am 16. Juli 2019 ist die Richtlinie (EU) 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz in Kraft getreten, die unter anderem die Einführung eines präventiven Restrukturierungsrahmens vorsieht. Auch wenn über die konkrete Ausgestaltung durch den bundesdeutschen Gesetzgeber derzeit nur Mutmaßungen angestellt und Empfehlungen abgegeben werden können,2 zeichnet sich schon jetzt ab, dass es auch in Bezug auf dieses Verfahren zur Diskussion um den Missbrauch kommen wird. Gegenwärtig geht es hierbei zwar noch vornehmlich darum, die Handlungsbefugnisse von vornherein zu begrenzen und einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen sämtlicher Beteiligten zu erreichen.3 Je nachdem, welche Gestaltungsmöglichkeiten das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren vorsehen wird, ist auch hier im Hinblick auf eine als zweckwidrig empfundene Verfahrenseinleitung mit dem Missbrauchseinwand zu rechnen. Dies gilt vor allem, wenn die gesetzlichen Änderungen zwangsweise Eingriffe in die Rechte der Gesellschafter vorsehen sollten.4 Auch dann ist darauf zu achten, die gesetzgeberischen Wertentscheidun 1 BT-Drucks. 17/7511, S. 4 f. Hierzu auch Lürken, NZI 2015, 3; Graf-Schlicker, Beilage ZIP 22/2016, 21 (22); Vallender, Beilage ZIP 22/2016, 82; Brömmekamp, ZInsO 2016, 500; Siemon, NZI 2016, 57; Zipperer, ZInsO 2016, 831 (832). 2 Skauradzun, KTS 2019, 161 (164 ff.); Flöther, ZInsO 2019, 1582 (1584 ff.). Noch zum Entwurf der Richtlinie Walker / Mielke / Bombe, ZIP 2018, 815 (816 ff.); H.-F. Müller, ZGR 2018, 56 (59 ff.); Thole, ZIP 2017, 101 (102 ff.); Heß, Restrukturierung des Insolvenzrechts, S. 57 ff.; Schluck-Amend, ZRP 2017, 6 (7 ff.). 3 Deutlich wird dies etwa bei Beissenhirtz, ZInsO 2019, 180 (183); H.-F. Müller, ZGR 2018, 56 (73); Hölzle, ZIP 2017, 1307 (1310). 4 Vgl. hierzu Skauradszun, NZG 2019, 761 ff.; C. Schäfer, ZIP 2019, 1645 (1646 f.).
Schlussbetrachtung
223
gen nicht zu unterlaufen. Inwieweit der Grundsatz der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung als Anknüpfungspunkt der Missbrauchsprüfung herangezogen werden kann, wird im Wesentlichen von der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens abhängen.5
5 Für die grundsätzliche Beibehaltung der der Gläubigerbefriedigung dienenden Funktion bei der Schaffung eines präventiven Restrukturierungsrahmens etwa Thole, KTS 2019, 289 (298 ff.).
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BGH, Urt. v. 15.06.1992 – II ZR 173/91
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BGH, Urt. v. 11.07.2002 – IX ZR 326/99
NJW 2002, S. 2940–2943
BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02
ZInsO 2003, S. 217–219
BGH, Urt. v. 09.01.2003 – IX ZR 85/02
NZI 2003, S. 197–199
BGH, Urt. v. 20.02.2003 – IX ZR 384/99
ZIP 2003, S. 803–806
BGH, Urt. v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02
NJW 2004, S. 1385–1388
BGH, Beschl. v. 04.03.2004 – IX ZB 133/03
ZInsO 2004, S. 550–552
BGH, Beschl. v. 15.07.2004 – IX ZB 280/03
ZVI 2004, S. 753–754
BGH, Beschl. v. 03.03.2005 – IX ZB 153/04
NZI 2005, S. 325–328
BGH, Urt. v. 07.04.2005 – IX ZR 258/01
NJW-RR 2005, S. 1361–1363
BGH, Urt. v. 18.04.2005 – II ZR 151/03
NZG 2005, S. 551–554
BGH, Urt. v. 21.04.2005 – IX ZR 281/03
NJW 2005, S. 2015–2017
BGH, Urt. v. 24.05.2005 – IX ZR 123/04
NJW 2005, S. 3062–3066
BGH, Urt. v. 29.06.2005 – VIII ZR 299/04
NJW 2005, S. 2991–2995
BGH, Beschl. v. 07.07.2005 – IX ZB 266/04
NZI 2005, S. 619–621
BGH, Urt. v. 08.12.2005 – IX ZR 182/01
NJW 2006, S. 1348–1351
BGH, Beschl. v. 02.02.2006 – IX ZB 279/04
NJW-RR 2006, S. 912–913
BGH, Urt. v. 13.04.2006 – IX ZR 158/05
NZI 2006, S. 469–472
BGH, Beschl. v. 29.06.2006 – IX ZB 245/05
NZI 2006, S. 588–590
BGH, Beschl. v. 13.07.2006 – IX ZB 117/04
NZI 2006, S. 599–601
BGH, Beschl. v. 27.07.2006 – IX ZB 204/04
NZI 2006, S. 693–696
BGH, Beschl. v. 11.01.2007 – IX ZB 10/05
NJW-RR 2007, S. 559–661
BGH, Urt. v. 27.02.2007 – XI ZR 195/05
NJW 2007, S. 2106–2110
BGH, Beschl. v. 29.03.2007 – IX ZB 141/06
NZI 2007, S. 408–409
263
Entscheidungsverzeichnis BGH, Beschl. v. 20.11.2007 – VI ZR 38/07
NJW 2008, S. 923–924
BGH, Beschl. v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07
NJW 2008, S. 1380–1381
BGH, Beschl. v. 13.12.2007 – IX ZB 238/06
BeckRS 2008, 00720
BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06
NZI 2008, S. 242–244
BGH, Beschl. v. 07.02.2008 – IX ZB 137/07
ZVI 2008, S. 112–113
BGH, Beschl. v. 20.03.2008 – IX ZR 68/06
ZIP 2008, S. 884–885
BGH, Beschl. v. 08.05.2008 – IX ZB 195/07
juris
BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – IX ZB 122/07
NJW-RR 2008, S. 1439–1440
BGH, Beschl. v. 14.07.2008 – II ZR 204/07
NJW 2008, S. 3438–3439
BGH, Urt. v. 17.07.2008 – I ZR 219/05
NJW 2008, S. 3565–3569
BGH, Urt. v. 16.03.2009 – II ZR 302/06
NZG 2009, S. 585–589
BGH, Beschl. v. 09.07.2009 – IX ZR 29/09
NJW-RR 2009, S. 1148–1150
BGH, Urt. v. 13.10.2009 – X ZR 79/06
NZI 2009, S. 859–862
BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08
NJW 2010, S. 65–69
BGH, Urt. v. 28.10.2009 – IV ZR 140/08
NJW 2010, S. 289–292
BGH, Beschl. v. 15.07.2010 – IX ZB 65/10
NZI 2010, S. 734–738
BGH, Beschl. v. 23.09.2010 – IX ZB 282/09
ZIP 2010, S. 2055–2056
BGH, Beschl. v. 13.01.2011 – IX ZB 29/10
ZInsO 2011, S. 280–281
BGH, Beschl. v. 05.05.2011 – IX ZB 250/10
NZI 2011, S. 632–633
BGH, Beschl. v. 19.05.2011 – IX ZB 214/10
NZI 2011, S. 540–541
BGH, Urt. v. 27.03.2012 – II ZR 171/10
NZG 2012, S. 672–674
BGH, Urt. v. 22.05.2012 – VI ZR 157/11
NJW 2012, S. 2024–2026
BGH, Urt. v. 19.07.2012 – I ZR 105/11
GRUR 2013, S. 305–307
BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11
NZI 2012, S. 963–965
BGH, Urt. v. 15.11.2012 – I ZR 128/11
NZM 2013, S. 589–590
BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 103/11
NJW-RR 2013, S. 757–759
BGH, Beschl. v. 20.11.2012 – VI ZB 1/12
NJW 2013, S. 1369–1370
BGH, Urt. v. 18.04.2013 – III ZR 156/12
NJW 2013, S. 2201–2203
BGH, Urt. v. 05.12.2013 – IX ZR 93/11
ZInsO 2014, S. 77–79
BGH, Urt. v. 23.01.2014 – VII ZR 177/13
NJW 2014, S. 1230–1231
BGH, Urt. v. 22.05.2014 – IX ZR 95/13
ZInsO 2014, S. 1326–1331
BGH, Beschl. v. 17.07.2014 – IX ZB 13/14
ZInsO 2014, S. 1552–1559
264
Entscheidungsverzeichnis
BGH, Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 154/14
NJW 2015, S. 1087–1093
BGH, Urt. v. 05.03.2015 – IX ZR 133/14
NJW 2015, S. 1672–1677
BGH, Beschl. v. 10.02.2016 – IV AR (VZ) 8/15
NJW-RR 2016, S. 445–447
BGH, Urt. v. 12.04.2016 – XI ZR 305/14
NZI 2016, S. 659–662
BGH, Urt. v. 21.10.2016 – V ZR 230/15
NJW 2017, S. 674–676
BGH, Urt. v. 27.02.2018 – VI ZR 109/17
NJW 2018, S. 1756–1758
BGH, Urt. v. 26.04.2018 – IX ZR 238/17
NZI 2018, S. 519–527
OLG Bamberg, Urt. v. 17.06.2005 – 6 U 56/04
NZG 2005, S. 808–809
BayObLG, Beschl. v. 15.06.1999 – 3Z BR 35/99
ZIP 1999, S. 1599–1600
OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.1993 – 10 U 17/93
ZIP 1994, S. 479–480
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.12.2000 – 3 Wx 393/00
ZInsO 2001, S. 323–324
OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.05.2016 – I 17 U 175/15
BeckRS 2016, 11304
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.06.2018 – I-26 W 12/17
NJW-RR 2018, S. 1055–1059
OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 03.05.1971 – 6 W 145/71
KTS 1971, S. 285–286
OLG Frankfurt a. M., Beschl. 29.12.1983 – 14W 187/83
ZIP 1984, S. 195–196
OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.01.1992 – 4 U 80/90
WM 1992, S. 1018–1023
OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 22.12.1995 – 5 W 42, 43/95 NJW-RR 1996, S. 417–418 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.01.2009 – 5 U 183/07
WM 2009, S. 309–313
OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 29.08.2013 – 5 U 135/13
juris
OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2013 – 5 U 145/13
NZI 2013, S. 978–981
OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 07.10.2013 – 5 U 135/13
ZIP 2013, S. 2022–2024
OLG Hamburg, Urt. v. 20.10.2010 – 11 U 127/09
NZG 2011, S. 232–233
OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2005 – 10 W 705/05
NZI 2006, S. 353–355
OLG Köln, Beschl. v. 13.01.2014 – 18 U 175/13
ZIP 2014, S. 263–268
OLG Köln, Urt. v. 14.12.2017 – 18 AktG 1/17
NZG 2018, S. 459–465
OLG München, Urt. v. 21.03.2013 – 23 U 3344/12
NZI 2013, S. 542–546
OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.10.1954 – 3 W 76/54
MDR 1955, S. 175–176
OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.03.2002 – 20 W 32/2001
DB 2003, S. 33–36
LG Berlin, Beschl. v. 25.02.1974 – 81 T 656/73
KTS 1974, S. 182–184
LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2004 – 86 T 578/04
NZI 2005, S. 335–338
LG Berlin, Beschl. v. 14.04.2014 – 51 T 107/14
ZInsO 2014, S. 963–965
LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2014 – 51 T 696/14
NZI 2015, S. 66–72
265
Entscheidungsverzeichnis LG Bonn, Beschl. v. 10.07.2014 – 6 T 178/14
ZInsO 2015, S. 43–45
LG Dortmund, Beschl. v. 23.09.1985 – 9 T 560/85
NJW-RR 1986, S. 258–259
LG Duisburg, Beschl. v. 28.11.2008 – 7 T 231/08
NZI 2009, S. 911–912
LG Düsseldorf, Beschl. v. 10.09.2014 – 25 T 23/14
ZInsO 2014, S. 1963
LG Frankenthal, Beschl. v. 17.05.2013 – 1 T 91/13
NZI 2013, S. 1030–1032
LG Frankfurt a. M., Urt. v. 02.10.2007 – 3–5 O 177/07
NZG 2007, S. 949–951
LG Frankfurt a. M., Urt. v. 20.03.2013 – 3–13 O 119/12
ZIP 2013, S. 1280–1283
LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 19.07.2013 – 3–09 O 78/13
NZI 2013, S. 749–751
LG Frankfurt a. M., Urt. v. 13.08.2013 – 3–09 O 78/13
NZI 2013, S. 981–985
LG Frankfurt a. M., Urt. v. 10.09.2013 – 3–09 O 96/13
NZI 2013, S. 986–990
LG Göttingen, Beschl. v. 03.07.2015 – 10 T 32/15
ZIP 2016, S. 283
LG Hamburg, Beschl. v. 06.12.2001 – 326 T 144/01
NZI 2002, S. 164–165
LG Hamburg, Urt. v. 15.06.2009 – 321 O 430/07
ZIP 2009, S. 1960–1962
LG Hamburg, Beschl. v. 10.12.2014 – 326 T 163/14
ZInsO 2015, S. 159–162
LG Koblenz, Beschl. v. 16.05.1975 – 4 T 208/75
RPfleger 1975, S. 318–319
LG Köln, Beschl. v. 24.08.2016 – 13 T 87/16
ZInsO 2016, S. 1997–1999
LG Köln, Beschl. v. 05.03.2018 – 1 T 5/18
NZI 2018, S. 355–356
LG Münster, Beschl. v. 08.03.2001 – 5 T 124/01
NZI 2001, S. 485–486
LG Tübingen, Beschl. v. 10.08.1960 – 1 T 67/60
KTS 1961, S. 158–160
AG Charlottenburg, Beschl. v. 20.06.2013 – 36s IN 2196/13 ZInsO 2013, S. 2501–2505 AG Duisburg, Beschl. v. 03.11.1994 – 43 N 231/94
ZIP 1995, S. 582–584
AG Duisburg, Beschl. v. 28.12.2001 – 62 IK 99/01
NZI 2002, S. 211
AG Duisburg, Beschl. v. 18.11.2002 – 62 IN 171/02
NZI 2003, S. 161
AG Duisburg, Beschl. v. 29.06.2004 – 62 IN 189/04
ZVI 2005, S. 129–132
AG Erfurt, Beschl. v. 13.04.2012 – 172 IN 190/12
ZInsO 2012, S. 944–945
AG Freiburg, Beschl. v. 11.02.2019 – 8 IN 730/18
NZI 2019, S. 506–508
AG Göttingen, Beschl. v. 31.05.2011 – 74 IN 174/10
ZInsO 2011, S. 1258–1260
AG Göttingen, Beschl. v. 28.09.2011 – 71 IN 85/11
ZVI 2012, S. 12
AG Göttingen, Beschl. v. 28.11.2012 – 74 IN 160/12
ZInsO 2012, S. 2413–2416
AG Göttingen, Beschl. v. 19.06.2015 – 71 IK 53/15 EIN
ZInsO 2016, S. 287
AG Göttingen, Beschl. v. 07.08.2019 – 74 IK 185/19
NZI 2019, S. 861
AG Gummersbach, Beschl. v. 06.11.1962 – 6 N 12/62
KTS 1964, S. 61
266
Entscheidungsverzeichnis
AG Hamburg, Beschl. v. 12.05.2000 – 67 g IN 44/99
ZIP 2000, S. 1019–1020
AG Hamburg, Beschl. v. 10.10.2002 – 67c IN 377/02
NZI 2003, S. 104
AG Hamburg, Beschl. v. 27.09.2011 – 67c IN 74/11
NZI 2011, S. 859–860
AG Hannover, Beschl. v. 28.12.2018 – 908 IN 538/18 – 7
ZIP 2019, S. 1080–1081
AG Holzminden, Beschl. v. 09.07.1987 – 8 N 8/87
ZIP 1987, S. 1272–1273
AG Köln, Beschl. v. 01.07.2013 – 72 IN 211/13
NZI 2013, S. 796
AG Köln, Beschl. v. 06.04.2016 – 74 IN 45/15
NZI 2016, S. 537–539
AG Köln, Beschl. v. 20.10.2018 – 75 IN 309/17
NZI 2018, S. 68–69
AG Köln, Beschl. v. 30.01.2019 – 74 IN 238/18
NZI 2019, S. 617–622
AG Leipzig, Beschl. v. 10.02.2010 – 401 IN 381/09
ZInsO 2010, S. 1239–1245
AG Oldenburg, Beschl. v. 22.04.2002 – 60 IN 10/02
NZI 2002, S. 391
AG Potsdam, Beschl. v. 11.04.2000 – 35 IN 110/00
NZI 2000, S. 328–329
AG Potsdam, Beschl. v. 13.12.2002 – 35 IN 1499/02
NZI 2003, S. 155–157
AG Stuttgart, Urt. v. 10.10.1989 – 8 C 7155/89
NJW 1990, S. 1054
AG Wuppertal, Beschl. v. 05.04.2012 – 145 IN 163/11
ZInsO 2012, S. 1531–1535
Arbeitsgerichtsbarkeit BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04
NZA 2005, S. 405–408
BAG, Beschl. v. 15.03.2011 – 10 AZB 32/10
NJW 2011, S. 2684–2686
BAG, Urt. v. 19.02.2014 – 7 AZR 260/12
NZA-RR 2014, S. 408–412
BAG, Urt. v. 21.02.2018 – 7 AZR 765/16
NZA 2018, S. 858–863
BAG, Urt. v. 25.10.2018 – 8 AZR 562/16
NZA 2019, S. 527–535
Verwaltungsgerichtsbarkeit BVerwG, Urt. v. 13.04.2005 – 6 C 4/04
NJW-RR 2005, S. 1207–1211
OVG Lüneburg, Beschl. v. 17.10.2018 – 9 ME 106/18
ZInsO 2018, S. 2701–2705
VG Ansbach, Beschl. v. 22.10.2015 – AN 11 E 15.01794
NZI 2015, S. 994–997
Sozialgerichtsbarkeit BSG, Urt. v. 09.11.1977 – 3 RK 5/76
JZ 1978, S. 318–319
BSG, Urt. v. 25.06.2009 – B 10 EG 3/08 R
NJW 2010, S. 1485–1487
267
Entscheidungsverzeichnis
Finanzgerichtsbarkeit BFH, Beschl. v. 20.11.1984 – VII B 39/84
ZIP 1985, S. 1160–1163
BFH, Urt. v. 19.12.1989 – VII R 30/89
ZIP 1991, S. 458–463
BFH, Beschl. v. 11.12.1990 – VII B 94/90
juris
BFH, Beschl. v. 25.02.2011 – VII B 226/10
juris
FG Köln, Beschl. v. 19.03.2009 – 15 V 111/09
ZInsO 2009, S. 1296–1301
FG Hamburg, Beschl. v. 02.07.2019 – 2 V 121/19
ZIP 2019, S. 1976–1979
FG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 28.08.2015 – 3 V 65/15 ZInsO 2016, S. 401–405 FG München, Beschl. v. 23.07.2009 – 14 V 1869/09
ZInsO 2009, S. 2348–2349
FG München, Beschl. v. 24.07.2018 – 7 V 1728/18
ZInsO 2019, S. 1272–1273
FG Niedersachsen, Beschl. v. 27.10.2010 – 15 V 340/10
ZInsO 2011, S. 587–590
Sachverzeichnis Abkauffälle 58, 150 Abus de droit 22 f. Amtsermittlungsgrundsatz 79 f. Amtshaftung 116 Anfechtungsklage 56 ff., 143, 150, 157 Antragspflicht 52, 76 ff., 82 ff., 88 ff., 145, 152, 158 f., 163 ARUG 57 Ausforschungsanträge 67 f., 70 ff., 75 Außentheorie 26 f. Betrug 39, 61, 110, 117 Beweisanzeichen 66 Beweislast 26 f., 78 ff. Bezugsrechtsausschluss 195 ff., 205, 213 f. Chapter 11-Verfahren 99, 104 f., 199 COMI 100 Covenants 201 f., 211 f. Darlegungslast 26 f., 78 ff. Debt Equity Swap 98, 124, 141, 189, 193 ff., 201, 204 ff. Dispositionsgrundsatz 54, 80 ff. Distressed Debt Investing 193, 199 ff., 209, 210 ff. Drohende Zahlungsunfähigkeit 84, 89, 102 f., 152, 158 ff., 162 f., 180, 186, 193, 213 f. Druckanträge 65 ff., 72, 75 Durchgriffshaftung 36 Eigeninteresse 33 ff., 40, 57, 63 f., 143 Eigentumsschutz 55, 141 (Vorläufige) Eigenverwaltung 71, 96 ff., 105 ff., 148, 151, 169 Erkenntnisverfahren 41 f. Erledigung 52, 66, 72, 80 ff. Erpressung 58, 143 Erweiterte Antragsbefugnis 89 ESUG 95 ff. Exceptio doli 22
Feststellungsklage 42, 45 Fortführungswert 122, 185, 197 f., 206, 213 forum shopping 100 Freigabeverfahren 174 f., 177 Gehörsrüge 149 f. Gesellschafterauseinandersetzung 132, 134 f., 143, 163, 186 Gesetzesumgehung 38 f. Gläubigerbefriedigung 64, 76, 103 f., 108 f., 127, 132 ff., 136 ff., 204 ff. Gläubigerbenachteiligung 112 Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz 82, 85 Gläubigerschädigung 107, 108 ff., 115 Illiquidität 101, 113, 198 Innentheorie 26 f. Insolvenzgeld 71, 112 (Vorläufiger) Insolvenzverwalter 66, 68, 83, 137, 142, 174, 177, 179 Investing – Active Investing 200 f. – Passive Investing 200 Kapitalerhöhung 195 ff., 205 Kapitalherabsetzung 194, 198, 205 f. Kaufmännischer Konkurs 85 Kieler Schule 24 Liquidationswert 121 f., 124, 197 f., 213 Loan-to-own 200, 203 Management-Buy-out 193, 213 Masseschmälerung 108 ff. Masseunzulänglichkeit 64 Minderheitenschutzantrag 177, 213 MoMiG 88 Nachrangige Gläubiger 64 Naturalrestitution 156, 182 ff.
Sachverzeichnis Normauslegung 37 Obstruktionsverbot 123, 126, 130, 197, 213 Ordnungsfunktion 52 ff. Popularantrag 62, 73 Qualifizierter Rangrücktritt 102, 155, 160, 162 Rechtsfortbildung 37 f. Rechtskraft – Durchbrechung 171 f. – Insolvenzplan 182 ff., 214 – Verfahrenseröffnung 168 ff. Rechtsmissbrauch – individueller 27 ff., 47, 57, 59, 60 ff., 142 ff., 179, 206 f. – institutioneller 27 f., 36, 37 f., 46, 57, 59, 75 f., 134 f. Rechtsschutzinteresse – Insolvenzantrag 54 f., 61, 66, 68 f., 73 f., 78 f., 145, 209 – Klage 45 ff. Rechtsüberschreitung 52, 142, 167 Rechtsvereitelung 30, 36, 60 Rücknahme – Insolvenzantrag 52, 66, 72, 80 ff., 153 ff., 160 ff. – Klage 46, 91 Rücksichtnahme 25, 33 f., 43, 209 Sachwalter 78, 107, 110, 114 ff., 169, 179 Schikane 22, 38, 49, 58, 73 Schlechterstellung 120 ff., 174 ff., 206, 213 f. Schutzschirmverfahren 70, 97, 105 ff., 151, 169 f. Schutzschrift 114, 151 ff. Self fulfilling Prophecy 77, 145 Sittenwidrigkeit 30, 33, 70, 73 ff., 111 ff. Sofortige Beschwerde – gegen die Planbestätigung 174 ff., 184, 213 – gegen die Verfahrenseröffnung 84, 90 f., 145 ff.
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Sozialstaatsprinzip 70 Squeeze-out – aktienrechtlicher 208 f. – insolvenzrechtlicher 123 f., 196 Stigma der Insolvenz 78 Stimmrechtsbeschränkung 128 f. Strategische Insolvenz 95 ff., 122, 131 ff., 148, 155, 158, 209 Treuepflichten – der Gesellschafter 59, 101 f., 120, 124 ff., 144, 148, 155, 158 f., 173, 181 f., 208 f. – der Gläubiger 87, 209 Überschuldung 77, 88 ff., 102 f., 158, 193, 198, 205 f., 209, 213 UMAG 57 Umwandlung 126, 132, 141 f., 182 f., 206 ff. Unredliches Verhalten 29 ff., 33 ff., 60 ff., 84 Unternehmensübernahme 192 ff., 199 ff., 204 ff. Unverhältnismäßigkeit 33 f., 213 f. Verdrängung eines Wettbewerbers 68 f., 71, 73 ff., 143, 206 f. Verwirkung 32 Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren 222 f. Vorläufiger Vollstreckungsschutz 70 f., 72, 75 Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung 74, 154, 158, 162, 171 f., 179 f., 184, 186 f., 207, 214 Wertbezogenes Schutzkonzept 120 ff., 130, 174 ff., 213 f. Widersprüchliches Verhalten 31 f., 61 ff. Zahlungsunfähigkeit 61, 77, 88 ff., 101, 103, 108 ff., 158, 193, 198, 209, 213 Zwangsvollstreckungsverfahren 43 Zweckwidrigkeit – objektive 36, 134 f., 142 f., 165 – subjektive 34 ff., 46, 48 ff., 134 f., 142 f.