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German Pages 270 [279] Year 2019
Der versöhnte Blick und die Gabe des Anderen
Florian Klug
Der versöhnte Blick und die Gabe des Anderen Eine ästhetische relecture der Erbsünde
Ferdinand Schöningh
Umschlagabbildung: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Narcissus (Öl auf Leinwand, 1594-1596)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. Zugl. Dissertation an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg © 2019 Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-506-79273-0 (paperback) ISBN 978-3-657-79273-3 (e-book)
Inhaltsverzeichnis Vorwort und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Der parallaktische Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.1 Ereignis und Parallaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.1.1 Das Ereignis bei Žižek und Badiou . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1.2 Die parallaktische Gabe als Horizont der Subjektivierung bei Marion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.2 Das Kreuz als parallaktischer Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3 Der neue Blick der Heilsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.3.1 Urgeschichte und Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.3.2 Paradies und Adam. Oder: Die christologische Aufhebung des adamitischen Zustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2 Gott und Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.1 Die trinitarische Dimension der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.2 Freiheit und Gnade in der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3 Personalität und das vollendete Menschsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.1 Der trinitarische Gott in vollkommener Personalität . . . . . . . . . . . 85 3.2 Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.3 Menschsein in erotischer Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.4 Subjektivität, Personalität und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4 Gnade als Begegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4.1 Die Selbstoffenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4.2 Die bleibende Begegnung – die Gegenwart Christi in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 4.2.1 Leib und Glieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4.2.2 Die Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4.2.3 Die Eucharistie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.3 Die Begegnung Christi in den Marginalisierten . . . . . . . . . . . . . . . . 188
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Inhaltsverzeichnis
5 Die Distanz von Gott und Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.1 Die Ironie und die Bindungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.1.1 Die Verzweiflung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5.2 Der Exzess der Deutungshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 5.3 Das Böse und das verschlossene Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5.4 Die Erbsünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Vorwort und Danksagung Der christliche Glaube zeigt sich nicht darin, auf einzelne Punkte im Leben reduziert zu werden, an denen eine liturgische Feier stattfindet: Er ist kein punktuelles Geschehen, sondern lässt sich im besonderen Maße besser verstehen, wenn er in prozessualer Hinsicht verstanden wird. Es ist eine der maßgeblichen Einsichten des Alten Testamentes, dass Gott sein Volk begleitet und es in eine herrliche Zukunft führen wird. Diese Grundüberzeugung hat auch bei dieser Arbeit die Weichen gestellt, den christlichen Glauben von einer göttlichen Begleitung durch den Alltag hindurch und in jeder zwischenmenschlichen Begegnung erfahrbar zu verstehen. Was der Mensch ist, wird und sein kann, geschieht nicht in erster Linie in selbstschöpferischer Weise von innen heraus, sondern wird durch die Begegnung mit den Anderen angestoßen. Diesen Anderen, die mir diese Arbeit gedanklich ermöglichen, ist hier ein besonderer Dank auszusprechen. Ohne diese Menschen wäre nicht nur diese Arbeit nicht möglich, sondern auch deren Entstehungszeit unfassbar arm und langweilig gewesen. Allen voran ist Prof. Dr. Otmar Meuffels zu danken, der nicht nur das Projekt zu jeder Zeit unterstützt und befürwortet hat, sondern darüber hinaus bei kritischen Punkten immer zur Diskussion zur Seite stand und den Anspruch der Arbeit stets nach oben taxierte, dass Fördern und Fordern stets im Gleichgewicht zu einander standen. Prof. Dr. Jürgen Bründl ist nicht nur dafür Dank auszusprechen, dass er die Zweitkorrektur übernimmt, sondern dass er auch schon im Vorfeld dieser Arbeit zahlreiche Gedanken diskutierte, so dass sich einige gedankliche Knoten während der Abfassung leichter lösen ließen. Um die gedankliche Konzeption der Arbeit auch über ihren Probe- und Entwurfstatus hinaus zu entwickeln, war ich für jede Art von professioneller Rückmeldung dankbar und konnte dadurch die gedankliche Linie in hoffentlich verständlicherer Weise stringenter und präziser ausarbeiten. Dafür danke ich insbesondere Prof. Dr. Helmut Hoping, dass ich meine Arbeit noch in einem unausgereiften Status in Freiburg zur Diskussion stellen durfte und wichtige Impulse mit nach Hause nehmen durfte. Die Beziehung zur Freiburger Universität wäre ohne Peter Paul Morgalla nicht möglich gewesen, der auch entschieden dazu motiviert hat, theologisches Denken jenseits der ausgetretenen Wege in Angriff zu nehmen, wofür auch eigens zu danken ist. Dem Nachwuchsnetzwerk Dogmatik und Fundamentaltheologie gilt es in gleicher Hinsicht Anerkennung zu zollen, dass eigene, unfertige Gedanken zur Probe gestellt, außerhalb der üblichen Formate theologisiert und in erfrischender Weise theologische Forschung mit freundschaftlicher Begegnung verbunden
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Vorwort und Danksagung
werden kann. Exemplarisch möchte ich hier DDr. Jakob Deibl, Mattia Coser und Marlene Moschko-Peetz meinen Dank aussprechen. Motivation und Zuspruch kam von vielerlei Seiten, wobei ich für jedes einzelne Wort dankbar bin. Im besonderen Maße bin ich meiner Frau, Janina Klug, zu Dank verpflichtet, da ihre Worte stets den eigenen Elan neu belebten und ihre Motivation nie eine selbstgefällige Ruhe einkehren ließen. Ihre motivierende Unruhe und die begeisternde Begegnung mit ihr als Andere haben erst die Arbeit ermöglicht. Maximilian Schultes und Felix Fleckenstein möchte ich nicht nur für ihre Korrekturarbeit aufrichtig danken, sondern mich auch für die mehrfachen Diskussionsabende, die manchen Abend und manche Nacht verschlungen haben, herzlichst bedanken. Der Abschluss dieser Arbeit brachte einiges an Unvorhersehbarem mit sich, das alleine nicht zu stemmen gewesen wäre, was im positiven, negativen wie auch existenziellen Verständnis zu einer umfassenden Ent-Täuschung geführt hat. Ich möchte meinen tiefsten Dank daher an Prof. Dr. Matthias Reményi aussprechen, dass er in die Bresche gesprungen ist und an Stellen helfen konnte, die der eigenen Handlungsfähigkeit völlig entzogen sind. Ganz besonders möchte ich mich für die finanzielle Unterstützung durch das Bistum Würzburg bedanken. Kein Mensch ist eine Insel und so wäre es fatal, sich bei einer theologischen Fragestellung seine eigene Sicht immer wieder aufs Neue selbst zu bestätigen. Man würde zu einem Wissen gelangen, das man auch schon davor besaß, weshalb ich den Genannten nochmals von ganzem Herzen meinen Dank aussprechen möchte. Angemessen meinen Eltern an dieser Stelle zu danken, würde den Rahmen bei Weitem sprengen. Würzburg, im Januar 2018
Einleitung Der Komplex um den Erbsündendiskurs hat sich durch viele Verstellungen und unsaubere Vulgär-Theologien zu einem verminten Feld entwickelt, auf dem kaum eine Diskussion ohne Schieflage des Diskussionsgegenstands geführt werden kann. Weshalb es gilt, dieses Feld sehr behutsam und nur mit Bedacht zu betreten, ohne aus historisch gewachsenen Vorannahmen dem Diskussionsgegenstand unsachgemäß entgegen zu treten. So zeigt sich alleine der Begriff der Erbsünde (lat. peccatum originale) schon mit deutlichen Verständnisschwierigkeiten versehen, da eine Sünde im eigentlichen Sinn eine zu verantwortende Handlung einer Person ist.1 Entscheidende Abgrenzung zwischen Sünde und einem profanen Vergehen mit einem Schaden findet sich darin, dass die Sünde des Menschen vor Gott geschieht und ihm gegenüber auch zu verantworten ist.2 Nun stellt sich das Problem, dass von der ‚Erbsünde‘ nicht im strengen Sinn als Sünde gesprochen werden kann, da sie der Menschheit im Allgemeinen nicht als persönlich begangene Tat zugerechnet werden kann. Da die Erbsünde dennoch einen Wahrheitsgehalt in Hinblick auf die universelle Erlösung des Menschen durch die Heilstat Christi beinhaltet, gilt es zweierlei zu beachten: So ist zum Einen, wie das Konzil von Trient und auch Karl Rahner erklären, die Erbsünde zwar durch das faktische Menschsein dem Menschen inhärent,3 aber da es keine zu verantwortende Tat der jeweiligen Person ist, ist es notwendig, ein analoges Verständnis von Sünde auszuweisen: Es ist dabei [im Diskurs um die Erbsünde] von vornherein selbstverständlich, daß das Wort Sünde, wenn es für die personale schlechte Entscheidung eines Subjekts gebraucht wird und wenn es andererseits für eine Unheilssituation 1 Vgl. Ernst, Stefan: Grundfragen christlicher Ethik. Eine Einführung. München 2009, S. 273. 279-281. 300. 2 Vgl. Ricœur, Paul: Symbolik des Bösen. Phänomenologie der Schuld II. Freiburg/München 1971, S. 60-63. Damit ist die Sünde nicht alleine ein Schaden, sondern vor allem eine Belastung der interpersonellen Relation. 3 So definiert das Konzil von Trient, dass sich der Mensch die Erbsünde nicht durch Nachahmung, sondern durch sein Gezeugtsein (was als faktisches Menschsein verstanden werden kann) zuzieht (‚propagatione, non imitatione‘; DH 1513) und alleine durch die Gnade Christi davon befreit wird. Damit übernimmt das Konzil die Grundkonzeption Augustins, wobei es jedoch an entscheidenden Stellen von seiner Perspektive abweicht. Vgl. Pröpper, Thomas: Theologische Anthropologie. Zweiter Teilband. Freiburg/Basel/Wien 2015, S. 1071. 1081-1086. Demnächst zitiert mit: Th A. Vgl. Gründel, Johannes: Schuld und Versöhnung. Mainz 1985, S. 110.
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Einleitung verwendet wird, die von fremder Entscheidung sich herleitet, in keiner Weise univok, sondern nur in einem analogen Sinn gebraucht wird.4 [Was] der Apostel bisweilen ‚Sünde‘(vgl. Röm 6,12-15; 7,7. 14-20) nennt – Sünde genannt wird, hat die katholische Kirche, so erklärt das heilige Konzil, niemals (dahingehend) verstanden, daß sie in den Wiedergeborenen wahrhaft und eigentlich Sünde wäre, sondern daß sie aus der Sünde ist und zur Sünde geneigt macht. (DH 1515)
Zum Anderen gilt es, sobald die Diskussion der Erbsünde virulent wird, den Erkenntnishorizont festzuhalten, warum überhaupt von dieser gesprochen werden kann: Ihre Aufhebung in der Rechtfertigungstat Christi. Es spricht Bände, dass im Alten Testament die Diskussion um die Sündigkeit des Volkes Israel und einzelner Menschen viel Raum einnimmt, aber die Sünde Adams nahezu vollständig aus dem Blick fällt bzw. erst gar nicht in Betrachtung kommt.5 Erst durch die Aufhebung der Sünde Adams ist es überhaupt möglich, sie zu erkennen und anschließend in Metaphern und Bildern einzufassen, um ihrem universellen Umfang einen Ausdruck zu geben. Maßgebliches Zentrum ist und bleibt die erlösende Tat Christi, die der stete Betrachtungshintergrund sein muss, sobald die Diskussion um die Erbsünde ansetzt. Hierbei besteht die Gefahr, dass die theologische Diskussion auf die schiefe Ebene gerät, sobald das staurologische Zentrum in die Peripherie gedrängt wird. Aus diesem Grund möchte diese Arbeit sich auf die erlösende Tat Jesu Christi am Kreuz als normatives Zentrum für die Analyse der Erbsünde beziehen, die auch mit erkenntnistheoretischen Einsichten einhergeht, wann, wie und warum die Menschheit ihre Eingebundenheit in die Erbsündenstruktur erkennen kann.6 Eine Diskussion, die das Christus-Ereignis hingegen nur am Rande betrachtet, hat ihr normatives Zentrum und die erkenntnistheoretische Grundlage aus den Augen verloren. So entscheidend Augustinus wichtige Impulse für die Erbsündentheologie im Streit mit Pelagius und seinen Schülern lieferte, so sehr gab er auch der Diskussion ein schweres Erbe mit, da in seiner Argumentation die faktische Erlöstheit durch das Kreuz nur marginal betrachtet wird und er durch das Verkennen der metaphorischen Bildlichkeit der Schöpfungsberichte die 4 Rahner, Karl: Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums. Freiburg/Basel/Wien 61991, S. 118. 5 Eine Ausnahme findet sich bei Hos 6,7, doch auch diese Sicht auf Adam lässt sich von biblischer Seite mit Sir 49,16 kontrastieren. 6 Ein ähnliches Angehen hat James Alison mit seiner Arbeit zur Erbsündenthematik vorgelegt, der mit der Mimesis- und Sündenbockanalyse von René Girard den Bedeutungsgehalt der Erbsünde untersucht. Auch bei ihm bleibt das normative Zentrum die Aufhebung der Erbsünde durch die Tat Jesu Christi. Vgl. Alison, James: The Joy of Being Wrong. Original Sin Through Easter Eyes. Foreword by Sebastian Moore. New York 1998.
Einleitung
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Diskussion um die menschliche Gefallenheit naturalisiert und das Theologumenon in einen biologistischen Diskurs überführt: Die Erbsünde wird zu einem dinghaften Mangel des Menschen, wobei Augustinus in seiner Analyse der superbia als eigentlichem Grund der Paradiesvertreibung den passenden Weg aufzeigte: Aber sie fingen erst an, insgeheim böse zu sein, um dann in offenen Ungehorsam zu fallen. Denn sie hätten das böse Werk nicht vollbracht, wäre nicht böse Wille voraufgegangen. Womit beginnt aber begann der böse Wille? Keine andere Antwort ist möglich als: mit Hochmut [superbia]. Denn ‚Hochmut ist der Anfang aller Sünde.‘7
Wie Ruhstorfer sehr stimmig aufzeigt, ist der Hochmut (superbia) eine Haltung, die einen Machtgewinn des Menschen gegenüber Gott anstrebt und daher mit Distanznahme und zunehmender Abgrenzung und Isolation einhergeht.8 Die superbia ist Ausdruck des menschlichen Abgrenzungsstrebens, um selbst sein zu können „wie Gott“ (Gen 3,5); der Mensch erkennt den Rangunterschied zwischen Gott und sich selbst nicht an – Konsequenz dieser Haltung ist der Verlust der Nähe Gottes, weil er sich selbst aus eigenem Antrieb in eine Position jenseits der göttlichen Nähe setzt.9 Was in Analogie zur Exkommunikation als Tatstrafe gesehen werden kann: Der Handelnde nimmt durch seine Tat die Exkommunikation selbst vor, indem er sich selbst außerhalb der Gemeinschaft der Kirche positioniert. Die Feststellung der Exkommunikation durch die kirchliche Gerichtsbarkeit ist nur noch ein sekundärer Akt.10 Wie durch das Tridentinum und Rahner schon angemerkt wurde, kann die Erbsünde nicht im strengen Sinne als Sünde verstanden werden, weil die Zurechenbarkeit der handelnden Person nicht gegeben ist. Dennoch beinhaltet der Begriff dieser speziellen Sünde einen bleibenden Wahrheitsgehalt, weswegen es überzogen wäre, nur wegen der Analogizität auf den Begriff verzichten zu wollen.11 Deswegen empfiehlt es sich nach augustinischer superbia-Konzeption
7 Augustinus: Vom Gottesstaat (De civitate dei). Übersetzt von Wilhelm Thimme. Eingeleitet und erläutert von Carl Andresen. Bd. 2: Buch 11 bis 22. Zürich/München 21978, S. 183 (XIV,13). Vgl. Ruhstorfer, Karlheinz: Konversionen. Eine Archäologie der Bestimmung des Menschen bei Foucault, Nietzsche, Augustinus und Paulus. Paderborn u.a. 2004, S. 300. 8 Vgl. Ruhstorfer, Karlheinz: Konversionen. Eine Archäologie der Bestimmung des Menschen bei Foucault, Nietzsche, Augustinus und Paulus. Paderborn u.a. 2004, S. 300f. 9 So kann als eigentliches Charakteristikum der Paradiessituation die Nähe des Menschen in der Selbstmitteilung Gottes gesehen werden, welche gottgewollt ist und deren Verlust nicht als Schicksal oder Verhängnis zu verstehen ist. Vgl. Ruhstorfer, Konversionen, S. 299. 10 Vgl. CIC 1983, c. 1364 § 1. Vgl. Alison, Joy of Being wrong, S. 301. 11 Vgl. Rahner, Grundkurs, S. 118.
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Einleitung
und Analogizität, die Erbsünde als menschliches Dispositiv12 der Distanz und Entfremdung als eine erste Arbeitshypothese festzuhalten, von der aus die Arbeit ihren Gang nimmt.13 Um die Jetztsituation des Menschen mit aufrichtiger Ernsthaftigkeit zu schätzen und um das Gespräch mit den aktuellen philosophischen Diskussionen zu suchen, soll in Anlehnung an Michel Foucault und Karlheinz Ruhstorfer eine archäologische Methode gewählt werden,14 die sich stratigraphisch von der faktischen Aufhebung der Erbsünde durch Jesus Christus im Kreuzesgeschehen und deren philosophischen Verstehensmöglichkeiten bis hin zu der Aufarbeitung der Bildwelt der Schöpfungsberichte bewegt und sich der Gegebenheit des Menschseins nähert. Diese Arbeit möchte explizit keine dogmengeschichtliche Aufarbeitung der Erbsünde sein, sondern sie versucht dem Kreuzesgeschehen Christi den normativen Platz innerhalb der römisch-katholischen Diskussion um die Erbsünde einzuräumen, um von dort das Erbsündendogma einer relecture zu unterziehen.15 12 Vgl. Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin 1978, S. 119-121. Foucault versteht das Dispositiv als vorgegebenes Netz von Beziehungen, welches Thematisiertes/Bewusstes wie auch Unthematisiertes/Unbewusstes umfasst und daher einen enormen Strukturumfang besitzt, der nicht auf stimmige oder passende Elemente reduziert werden braucht. Ein Dispositiv umfasst gerade auch heterogene Elemente, welches „Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze“ (ebd., S. 119f.) einbindet. 13 Es sei nur der Vollständigkeit halber auf das posthume Buch Foucaults verwiesen, das die Sexualität im spätantiken Christentum behandelt und mit einer Augustinus-Analyse endet: Vgl. Foucault, Michel: Histoire de la sexualité. Bd. 4: Les aveux de la chair. Paris 2018. 14 Vgl. Ruhstorfer, Karlheinz: Gotteslehre (GGD; 2). Paderborn u.a. 2010, S. 12. 34. Vgl. ders., Konversionen, S. 47-51. Vgl. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens (suhrkamp Theorie). Frankfurt 1973, S. 193-200. Diese Methode scheint mir geeignet, um von einem aktuellen Wissenshorizont oder Vor-Urteil im Sinne Gadamers aus, einen Untersuchungsgegenstand nicht in einer anachronistischen Weise zu überrumpeln und den eigenen Verstehenshorizont in den Gegenstand hinein zu projizieren. Ein Verstehen eines historischen Artefaktes in seiner originären Welt ist nicht mehr möglich, sobald wir eine davon differente Welt einnehmen. Es kann aber von der Jetztsituation aus nach der Relevanz des Gegenstandes für unsere Welt gefragt und ein Antwortversuch unternommen werden. Vgl. Gadamer, Hans-Georg: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (GW; 1). Tübingen 61990, S. 271f. 309. 392f. Statt aber eine transzendentale Untersuchungsmethode und -fragestellung zu benutzen, soll die Gegebenheit der menschlichen Situation in reduktiver Weise freigelegt werden. 15 Für einen Überblick über das dogmengeschichtliche Verständnis der Erbsündentheologie: Vgl. Schmaus, Michael u.a. (Hg.): Handbuch der Dogmengeschichte. Bd. II. Faszikel 3a-3c. Freiburg 1979-2007. Für einen Überblick über die ökumenische Dimension der Erbsündentheologie: Vgl. Böttigheimer, Christoph: Der Mensch im Spannungsfeld von Sünde und Freiheit. Die ökumenische Relevanz der Erbsündenlehre. St. Ottilien 1994.
Kapitel 1
Der parallaktische Blick Jede Aussage, die getätigt wird, steht nicht in einem luftleeren Raum, sondern ist durch verschiedenste Struktur- und Horizontvorgaben geprägt, so dass es keine klinisch reine Aussage geben kann, welche nicht durch Vorannahmen bestimmt ist. Dies wird von Gadamer mit den Begriffen des Vorurteils und des bedingenden Horizonts aufgearbeitet.1 Somit sind der Ort und die Position der eigenen Person erkenntnisbildend und müssen in der Analyse des jeweiligen Wissens und Sprechens stets mitbedacht werden. Ändert man nun aber seine eigene Position, lässt dies den eigenen Horizont nicht unangetastet, sondern verschiebt ihn gleichermaßen instantan dazu mit. Aber da ein Ding jeglicher Art nie rein und vorurteilsfrei bedacht und mit ihm umgegangen werden kann, kann dieses Ding niemals jenseits einer menschlichen (prozesshaften) Erfahrung begegnen – es gibt also kein Ding an sich für den Menschen.2 Aus diesem Grund bringt die Horizontverschiebung durch den Positionswechsel automatisch eine Veränderung der Erfahrungsdimension gegenüber dem Ding mit sich: Verändere ich meine Position, bleibt der Gegenstand nicht der gleiche, sondern verändert sich gewissermaßen automatisch mit der Bewegung. Diese Konstellation von veränderter Position mit gleichzeitiger Veränderung des Gegenstandes wird in der Physik mit ‚Parallaxe‘ beschrieben,3 wobei dies auch Anwendung in philosophischen Überlegungen findet: Es ist eher so, daß […] Subjekt und Objekt in sich vermittelt sind, so daß eine epistemologische Verschiebung des Standpunktes des Subjektes stets eine ontologische Verschiebung im Objekt selbst reflektiert. Oder um es lacanianisch auszudrücken: Der Blick des Subjektes ist immer schon in das wahrgenommene Objekt eingeschrieben, und zwar in Gestalt des blindes Flecks, also dessen, was ‚in dem Objekt mehr ist als das Objekt selbst‘, dem Punkt, von dem aus das Objekt selbst den Blick erwidert.4
1 Vgl. Gadamer, Hermeneutik I, S. 271f. 309. 392f. 2 Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, in: Ders.: Werke in sechs Bänden. Hg. v. Weischedel, Wilhelm. Bd. II. Darmstadt 72011, S. 77f. (A30-31/B 45-47). Demnächst zitiert mit: KrV. 3 Vgl. Berliner, Arnold: Lehrbuch der Physik. In elementarer Darstellung. Berlin 41928, S. 8. 4 Žižek, Slavoj: Parallaxe. Aus dem Englischen von Frank Born. Frankfurt 2006, S. 21. Vgl. ebd., S. 194f. 8.
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1. Der parallaktische Blick
Diese erkenntnistheoretische Aufarbeitung hat einen außerordentlich wichtigen Stellenwert, wenn es um den Diskussionsgegenstand der Erbsünde und der menschlichen Gefallenheit geht, denn von der Erbsünde kann alleine über deren Aufhebung gesprochen werden; erst durch die Erlösung Jesu Christi ist die Erbsünde erkennbar.5 Von einer Außenposition des Nichterlöstseins scheint dies nicht möglich, da die zuvorkommende Gnade des Herrn maßgeblich ist, wie Augustinus im Streit gegen die (Semi-)Pelagianer richtig insistierte, weil Erlösung reine ungeschuldete, nicht instrumentalisierbare und nicht einforderbare Gnade ist.6 Nur durch (die rechtfertigende) Gnade kann der parallaktische Wechsel vorgenommen werden, indem man von einer Außen- zu einer Innenposition wechselt.7 1.1
Ereignis und Parallaxe
Dass der menschliche Wissens- und Welthorizont erfahrungsbestimmt ist, bestätigt in anschaulicher Art und Weise, dass die menschliche Existenz nicht statisch verstanden werden sollte, sondern vielmehr als dynamischer Prozess zu sehen ist, in welchem der jeweilige Mensch ist, zu welchem er erst wird, wie es Heidegger in der Aufarbeitung des Existenz-Begriffs als Heraustreten aus einem Selbstand nahelegt.8 So ist es besser, von einer Subjektwerdung statt von einem Subjektsein zu sprechen. Beachtlich ist, wenn man sich neuere Veröffentlichungen hinsichtlich des Themas der Subjektphilosophie ansieht, dass die zwei prominentesten Vertreter eines aktualisierten Marxismus christliche Theologumena und vor allem den Apostel Paulus heranziehen, um ihre subjekttheoretischen Aussagen inhaltlich zu untermauern. Maßgebliches Gewicht fällt dabei auf die fundamentale Entscheidungsgeste Pauli, um von ihm aus eine Subjekttheorie im Ereignishorizont darzulegen. Weiter soll dann auf den Phänomenologen Jean-Luc Marion eingegangen werden, der durch seine Aufarbeitung des Gabe-Diskurses im epistemologischen Horizont herausstellen kann, welche Anforderungen hinsichtlich der Erkenntnistheorie und des Subjektstatus notwendig sind, um nicht in einer egozentrischen, solipsistischen Innerlichkeit verhaftet zu sein, sondern in 5 Vgl. Balthasar, Hans Urs von: Glaubhaft ist nur die Liebe. Einsiedeln 72011, S. 43. 6 Vgl. Vgl. Ganoczy, Alexandre: Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen. Grundriß der Gnadenlehre. Düsseldorf 1989, S. 118f. 124f. 7 Vgl. KKK 387. 8 Vgl. Heidegger, Martin: Brief über den Humanismus, in: Ders.: Wegmarken (GA; 9). Frankfurt 1976, S. 324-327.
Ereignis und Parallaxe
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Offenheit die alterierende Welt gezeigt zu bekommen. Um die Welt in ihrer Gegebenheit erfahren zu können, braucht es einen offenen Blick und eine dem Phänomen angemessene Haltung, damit seine Phänomenalität erfahrbar ist. Die Aufarbeitung der Gegebenheit der Gabe bei Marion macht deutlich, dass die Betrachtung und die Deutung des Dings und der Welt nicht nur vom Subjekt abhängig sind, sondern dass sogar vielmehr die Haltung und die Vorentscheidung, mit der man dem Phänomen begegnet, derart den Blick des Einzelnen überformen, dass ein Erfahrenkönnen der Welt und des eigenen Menschseins durch eine egozentrisch-narzisstische Perspektive unmöglich wird. Um die Welt erfahren zu können und dadurch ein Selbst zu werden, braucht es eine fundamentale Offenheit. 1.1.1 Das Ereignis bei Žižek und Badiou Die Grundlage der Subjektwerdung liegt bei Alain Badiou und Slavoj Žižek in dem Einbruch eines Ereignisses in den menschlichen Wirklichkeitshorizont, das nicht evident beweisbar ist – also objektiv unentscheidbar ist –, aber der entscheidende Faktor besteht darin, dass sich der Einzelne zu diesem Ereignis in einer existenziellen Entscheidungsgeste bekennt und ihm in einer Haltung der Treue anhängt.9 Mit Kierkegaard gesprochen: Es ist der unvertretbare Sprung in den Glauben.10 Als Beispiel für ein solches Ereignis gibt Badiou die Französische Revolution an, bei der von einem Blickpunkt des vor-revolutionären Zustandes die Revolution in ihrer Ereignishaftigkeit nicht erkannt werden kann: Vielmehr wird das Geschehene11 als illegitimes Aufbegehren des Dritten Standes verstanden, denn das Ereignis kann von einer (geschlossenen) Innenperspektive nicht beschrieben und erkannt werden. Die topographische Unterscheidung von Innen- und Außenperspektive bei Badiou zeigt seine Abwendung von der Phänomenologie Heideggers und dessen poetischem Diskurs hin zur mathematischen Phänomenologie: Während bei Heidegger der Ort eines Ereignisses sich innerhalb des Seins als Präsenzüberschuss befindet, an dem sich die Wahrheit
9 Der Ereignisbegriff von Badiou und Žižek kann auch im Hinblick auf den Weg von der Offenbarung zum Dogma diskutiert werden und findet dort eine gute theoretische Grundlage, um der Prozess des Symbolisierungsgeschehens zu beschreiben. Vgl. Klug, Florian: Sprache, Geist und Dogma. Über den Einbruch Gottes in die Wirklichkeit des Menschen und dessen sprachliche Aufarbeitung. Paderborn u.a. 2016, S. 68-85. 10 Vgl. Kierkegaard, Sören: Furcht und Zittern (Gesammelte Werke und Tagebücher; 3). Simmerath 2004, S. 31. Demnächst zitiert mit: FuZ. 11 Wichtig ist hierbei, dass die entscheidenden Geschehnisse schon in der Vergangenheit liegen, welche dann erst in der Subjektwerdung retrospektiv gedeutet werden.
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1. Der parallaktische Blick
entbirgt und dem offenen Blick zeigt,12 entstammt das Ereignis bei Badiou nicht der bereits bestehenden Situation, sondern ist ein außenstehendes Element der Situationserweiterung. Im Anschluss an die Zahlentheorie Cantors ist der Raum des Seins primär leer und wird erst sekundär gefüllt. Diese Füllung des Raumes durch die Elemente ist durch reine Mannigfaltigkeit der Elemente geprägt, die erst dadurch verstehbar werden, wenn sie durch einen Zähloperator (ergo: einen Zählenden) gezählt, abstrahiert und durch eine Spaltung von Referent und Signifikant bzw. Präsentation und Repräsentation zu einer Menge zusammengefasst werden.13 Erst durch die erkennende Zähloperation eines Operators wird die unendliche, ungezählte Menge als Mannigfaltigkeit begrenzt, strukturiert und benannt. Die gezählte Situation ist eine verfasste Situation, in welcher Regeln des Zählens et cetera selbständig erarbeitet wurden. Die gezählte Situationsverfassung bringt eine binäre Unterscheidung von legal und illegal mit sich – was mit der gezählten Situation übereinstimmt und den (selbstgesetzten) Regeln entspricht, ist legal; was nicht übereinstimmt, ist folglich illegal. Badiou folgt hierbei der konstruktivistischen Theorie, nach welcher der eigene Horizont und das Wissen davon, was auch die Benennungsmöglichkeiten vollständig einschließt, stets geschlossen und enzyklopädisch ist:14 Das Wissen beruhigt die Passion des Seins. Es bemisst den Überschuss, zähmt die Verfassung und ordnet das Unendliche der Situation am Horizont einer konstruktiven Vorgehensweise an, die sich auf das schon Bekannte stützt.15
Die gezählte Situation ist daher für die Innenperspektive als verfasste Situation ein kohärentes und geschlossenes System. Die Frage der Subjektivität wird nun virulent, wenn die Frage des Ereignisses im Raum steht und beantwortet sein will. Durch zwei Aspekte bleibt die Frage, ob ein Geschehnis als Ereignis zu deuten ist, unentscheidbar: So zum einen die Geschlossenheit und die enzyklopädisch-konstruktivistische Vollständigkeit der Perspektive der Innensituation.16 Nur, was in der Situation vor-
12 Vgl. Badiou, Alain: Das Sein und das Ereignis. Aus dem Französischen von Gernot Kamecke. Berlin 2005, S. 23f. Demnächst zitiert mit: SuE. Vgl. Heidegger, Martin: Der Ursprung des Kunstwerkes, in: Ders.: Holzwege (GA; 5). Frankfurt 1977, S. 1-71; hier: S. 58-66. 13 Vgl. Badiou, SuE, S. 42-66. Deshalb gilt auch die Zahlentheorie Cantors als Theorie der reinen Vielheit. 14 Vgl. Badiou, SuE, S. 323-332. 15 Badiou, SuE, S. 332. Somit tritt die verfasste Situation als geschlossenes, kohärentes System auf. 16 Vgl. Badiou, SuE, S. 115. 118f.
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handen ist, akzeptiert und gezählt wurde, ist legal.17 Zum anderen befindet sich das Ereignis außerhalb der Situation, in der Situationserweiterung, und zeigt sich nur am Rand der Situation.18 Das ‚Ereignis ist ein Moment der ‚Wahrheit‘, der in die vorhandene Situation, in die Gewohnheit des habiter eine neue, ganz andere Seinsweise einführt. Es lässt etwas geschehen, worüber die Situation nicht Rechenschaft geben kann. Das Wesen des Ereignisses ist die Negativität des Bruchs, die etwas ganz Anderes beginnen lässt.19
Das Ereignis ist ein von außen einbrechendes Moment, das die Regeln und den vorgegebenen Horizont nicht nur überschreitet, sondern auch vielmehr in Frage stellt, weil es mit dem vorgefassten Horizont nicht harmonisierbar ist und eine neue Interpretation erfordert. In Begriffen der Mengenlehre ist ein der Situation fremdes Ereignis folgendermaßen beschreibbar: Das Ereignis ist also in der Tat jene Vielheit, die zugleich ihre gesamte Stätte präsentiert und durch den reinen, der eigenen Vielheit immanenten Signifikanten seiner selbst durch die Präsentation selbst präsentiert, das heißt das Eins der unendlichen Vielheit, die sie ist.20
Das Ereignis ist also der übergeordnete Punkt, der alle vorherigen Elemente und die gesamte geschlossene Situation zusammenfasst und mit allen Elementen in Verbindung setzt, welche zuvor ausgeschlossen und für illegal gehalten wurden. Aus diesem Grund bezeichnet Badiou das Ultra-Eins als generisches Moment.21 Doch nun kommt es zum entscheidenden Punkt in der Fragestellung des Ereignisbegriffs: die Kriteriologie bzw. die Entscheidung des Einzelnen, ob ein Ereignis stattgefunden hat. Von der Innenperspektive (aus dem Raum der enzyklopädisch-geschlossenen Situation) ist ein Ereignis nicht erkennbar und 17 Außenstehende Elemente, die jenseits des vorhandenen Raumes (=Stätte) vorkommen, sind daher illegal. 18 Würde sich das Ereignis in der Situation befinden, so hätte es längst deduziert werden können bzw. wäre längst deduziert worden, weshalb es kein Ereignis mehr wäre. 19 Han, Byung-Chul: Agonie des Eros. Berlin 42015, S. 57f. 20 Badiou, SuE, S. 207. 21 Vgl. Badiou, SuE, S. 207. Vgl. Žižek, Slavoj: Die Tücke des Subjekts. Aus dem Englischen übersetzt von Eva Gilma, Andreas Hofbauer, Hans Hildebrandt und Anne von der Heiden. Frankfurt 2001, S. 187. 273. So kann das Ereignis hegelianisch auch als Aufhebung verstanden werden, bei dem kein Element nihiliert, dafür aber in seiner bestehenden Struktur entfunktionalisiert und auf eine höhere Stufe gehoben wird. Vgl. Kehl, Medard: Eschatologie. Würzburg 1986, S. 91-95.
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fällt unter die Kategorie der Illegalität. Es bricht aus dem Nichts bzw. aus einem Raum jenseits des Seins ein und stellt die gegebene Situation als auch das Wissen des Einzelnen von dieser Situation radikal in Frage.22 Im Übrigen, und dies ist ein kapitaler Punkt, gibt es in der konstruktivistischen Auffassung des Seins keinen Ort für das Stattfinden eines Ereignisses. […] Der Konstruktivismus hat keinen Bedarf, über das Nicht-Sein des Ereignisses zu entscheiden, denn er weiß ja gar nichts von dessen Unentscheidbarkeit. […] Im Fall des ereignishaften Ultra-Eins vollzieht sich die Operation nicht, und dies genügt dem konstruktivistischen Denken, um all dem, was auf diese Weise die Autorität der Sprache untergräbt, jegliches Sein abzusprechen. […] Das Ereignis ist nicht, weil es unkonstruierbar ist. Der Eingriff ist undenkbar, weil er über das Immanenzverhältnis zwischen der Sprache und der Situation hinausschießt.23
Um das Ereignis in seiner Ereignishaftigkeit zu erkennen und zu bestätigen, braucht es den engagierten Blick und die Entscheidungsgeste für das Ereignis und gegen die (illusorisch) geschlossene Verfasstheit der Situation:24 Nur in der Entscheidungsüberschreitung gegen die Konservativität der verfassten Situation ist das Ereignis erkennbar, was aber unter epistemologischem Aspekt sein zirkuläres Begründungsverhältnis anzeigt:25 Es erkennt derjenige das Ereignis, der sich dafür entschieden hat, es erkennen zu wollen.26 Das Ereignis bricht zufällig (im strengen Sinne) ein und bleibt anonym, bis es aus engagierter Perspektive benannt worden ist:27 Aus dem illegalen und illegi22 Vgl. Žižek, Tücke, S. 175. 187. 193. 23 Badiou, SuE, S. 326f. 24 Vgl. Žižek, Tücke, S. 185. 187. 190. 249. Eine ähnliche Erkenntnismechanik lässt sich bei Balthasar nachweisen: Vgl. Balthasar, Hans Urs von: Herrlichkeit: Eine theologische Ästhetik. Bd. 1: Schau der Gestalt. Einsiedeln 31988, S. 220: „Diese Erfahrung kann nicht anders gewonnen werden, als indem sie eben gemacht wird, und machen kann sie nur, wer sich überlässt und in Fahrt kommt, wer also seinen Glauben vollzieht und als Glaubender existiert.“. 25 Vgl. Žižek, Slavoj: Was ist ein Ereignis?. Aus dem Englischen von Karen Genschow. Frankfurt 2014, S. 8. 152. 26 Dieser Punkt bringt Badiou von philosophischer Seite die Kritik ein, eine laisierte Gnade zu vertreten. Nach Žižek ist dies vielmehr als Vorzug, denn als Nachteil zu sehen. Vgl. Žižek, Slavoj: Die gnadenlose Liebe. Aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider (stw; 1545). Frankfurt 2001, S. 147. 177. 27 Vgl. Badiou, SuE, S. 224f. 232-236. Erst was sprachlich benannt und damit in den eigenen Horizont integriert worden ist, kann zur eigenen Welt werden, wie Ludwig Wittgenstein in besonderer Weise anzeigte: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ (Wittgenstein, Ludwig: Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logicophilosophicus. Kritische Edition. Hg. v. Brian McGuiness und Joachim Schulte. Frankfurt 1989, 5.6 [S. 134].) Diese Benennung ist das konstruktivistische Pendant zur
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timen Aufbegehren des Dritten Standes wird nach der perspektivverändernden Entscheidungsgeste die Französische Revolution – woran für Žižek deutlich wird, dass die engagierte Perspektive Teil des Ereignisses selbst ist.28 Von hier aus gilt es, die Betrachtung auf das Subjekt zu wenden und dessen Stellung im bzw. zum Ereignis zu thematisieren. So muss zuerst festgehalten werden, dass das Ereignis primär ist und das Subjekt ihm gegenüber auf einer sekundären Position steht: Das Ereignis hat stattgefunden bzw. seinen Startpunkt überschritten und sich damit der Situation angenähert oder ragt u.U. in sie hinein. In einem sekundären Akt nach dem Hereinbrechen in die Situation entscheidet sich der Einzelne für oder gegen die Existenz des Ereignisses und benennt dieses nach einer positiven Entscheidung mit einer interpretierenden Handlung: Erst jetzt gilt der Einzelne als Subjekt, während der Nicht-Entschiedene in einem prä-subjektiven Zustand verharrt.29 Das Subjekt entsteht durch die Fundamentalgeste der Entscheidung, die nach Badiou als aktives Involviertsein des ‚Eingriffs‘ bzw. der ‚Intervention‘ beginnt und mit der Haltung der ‚Treue‘ fortgesetzt wird, denn die Entscheidung für das Ereignis ist eben kein einmaliger Akt, sondern wird nur durch diesen begonnen und mit einer ek-sistenziellen Konsequenz weitergeführt: Das Ereignis besitzt daher für das Subjekt eine bleibende Gültigkeit, denn es hat die vergangene Situation aufgehoben und durch sein Eintreten eine neue Erkenntnisposition und Wissensdimension aufgestoßen, die anzeigt, dass es kein kurzzeitiges Erscheinen einer transzendenten Idee war, die sich danach wieder in die Verbergung zurückgezogen hat. Doch Innen- und Außenperspektive klaffen durch die Notwendigkeit der subjektivierenden Entscheidungsgeste auseinander und durch ihre Inkommensurabilität können beide nicht miteinander harmonisiert werden:
mengentheoretischen Zählung, bei der erst das als Zahl erkannt wurde, nachdem es gezählt worden ist. 28 Vgl. Žižek, Tücke, S. 175. 185. So gibt es de facto auch keinen neutralen Blick, sondern nur in dieser Hinsicht einen Blick der parteiischen Neutralität. 29 Vgl. Badiou, SuE, S. 234. 249-251. 260. Vgl. Žižek, Tücke, S. 175. Auch wenn Badiou seine Abkehr von Heidegger und dessen poetischem Diskurs angibt, zeigt sich deutlich die Parallele zur Man-Konzeption Heideggers: „Der Akt setzt die bestehende Ordnung aus und öffnet damit das Feld für einen Neubeginn. Er bezeichnet den Moment, in dem das Phantasma durchquert wird: […] Einen Akt zu vollziehen heißt, ein Ende setzen und einen Anfang machen. Anfangen, neu beginnen kann man nur, wenn man in der Lage ist, aufzuhören. Der Akt ist immer mit einer traumatischen Situation verwoben. Erweckungserlebnisse, wie die Wandlung des Saulus zum Paulus auf dessen Weg nach Damaskus, sind gute Beispiele dafür.“ (Heil, Reinhard: Zur Aktualität von Slavoj Žižek. Einleitung in sein Werk. Wiesbaden 2010, S. 85.).
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1. Der parallaktische Blick Für eine etablierte politische Ordnung ist der revolutionäre Tumult, der sie umzustürzen droht, eine chaotische Verirrung, während vom Standpunkt der Revolution aus das Ancien Régime selbst die Bezeichnung für Unordnung ist, für einen undurchdringlichen und letztlich ‚irrationalen‘ Despotismus.30
1.1.2 Die parallaktische Gabe als Horizont der Subjektivierung bei Marion Die Welt des Menschen ist nicht unmittelbar einsichtig – die Sicht des Menschen auf die Welt und auf deren Dinge stehen zur Debatte und können auch missverstanden und fehlgedeutet werden. Die Welt des Menschen ist in einem hohen Maße fragwürdig, was auch seine Sicht auf die Welt und sein eigenes Selbstverständnis fragwürdig und in seiner Fragilität prekär werden lässt.31 Um der epistemologischen Gewissheit eines Dings (als Gegenstand der Betrachtung) gerecht zu werden, das nicht von einem vorgegebenen Horizont begrenzt und eingeengt wird, greift Jean-Luc Marion auf Husserls Konzeption der phänomenologische Reduktion (‚So viel Scheinen, so viel […] Sein‘)32 zurück, radikalisiert sie aber unter phänomenologischer Verschärfung zur ‚Anti-Methode‘33 (‚So viel Schein, so viel Sein‘):34 Ein Ding ist nicht unmittelbar selbstevident, sondern steht in der Notwendigkeit, wenn es sich in reduktiver Betrachtung selbst zeigt, gedeutet zu werden – es ist ein deut- und streitbares
30 Žižek, Tücke, S. 187. 31 Dass das Denkgebäude Marions manche Schwierigkeiten durch die vorgenommen, aber z.T. unthematisierten Prämissen mit sich bringt, kann Lorenz Puntel in sehr aufschlussreicher Weise aufzeigen. Puntels Blick, der das Werk Marions aus einer kritischen Perspektive liest, zeigt manche Unsauberkeiten und z.T. schwerwiegende Inkonsistenzen Marions und kann dadurch einige offene Fragen klären. Die Lektüre ist sehr zu empfehlen. Vgl. Puntel, Lorenz B.: Eine fundamentale und umfassende Kritik der Denkrichtung Jean-Luc Marions, in: in: Gerl-Falkovitz, Hanna-Barabara (Hg.): Jean-Luc Marion. Studien zum Werk. Dresden 2013, S. 47-101. 32 Husserl, Edmund: Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge (Hua; I). Den Haag 1973, S. 133 (§46). Die notwendige phänomenologische Reduktion wird später hinsichtlich des Subjektstatus ausführlicher behandelt. Hier sei nur auf die epistemologische Notwendigkeit der Reduktion hingewiesen, um ein Ding als solches auch jenseits des beschränkten Horizontes erfahren zu können. Wichtig ist allerdings anzumerken, dass hier kein reiner Husserl als Referenz angegeben wird, sondern ein Husserl, der durch die durch die Vermittlung über Heidegger gelesen wird. Vgl. Gondek, Hans-Dieter/Tengelyi, László: Neue Phänomenologie in Frankreich (stw; 1974). Berlin 2011, S. 156f. 33 Marion, Jean-Luc: Gegeben sei. Entwurf einer Phänomenologie der Gegebenheit. Aus dem Französischen übersetzt von Thomas Alferi (Eichstätter philosophische Studien; 2). Freiburg/München 2015, S. 32. Die Anti-Methode hat den Zweck, einen transzendentalen Subjektstatus nicht mehr als Ausgangspunkt phänomenologischer Untersuchungen ausweisen zu müssen, sondern radikal phänomenologisch zu arbeiten. 34 Marion, Gegeben sei, S. 20. 33. Vgl. ebd., S. 38-40.
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Phänomen, denn es deutet sich nicht selbst.35 Um dem Ding angemessen begegnen zu können, darf es nicht verzweckt werden oder durch sonstige Fremdbestimmungen verfremdet werden: Das Ding in seiner strengen Gegebenheit soll den Raum erhalten, sich selbst präsentieren zu können, um somit nicht als sozial verwobene Gabe (eines Gebers) zu erscheinen.36 Der Gegenstand in seiner Gegebenheit, als Gabe, muss hierzu reduziert werden, was u.a. eine Loslösung von einem vermeintlichen Geber und Empfänger mit sich bringt.37 Einer reduzierten Perspektive kann sich die Gabe als sie selbst zeigen (Selbstmanifestation); sie kann nicht angeeignet werden, ohne sie zu verkennen – sie kann alleine empfangen werden, was den Gabenempfänger auf einen sekundären und passiven Status verweist, da die primäre Initiative der Selbstkundgabe der Gabe selbst vorbehalten ist: Die Gabe nimmt eine epistemologische Immanenz ein;38 erst nachdem sie sich gezeigt hat, kann sie empfangen und aus dem Empfang heraus gedeutet werden. Der Empfang der Gabe macht sie erst für den Empfangenden sichtbar.39 Ohne reduktive Offenheit für die Gabe und deren Empfang wird zwar etwas erkannt, aber nicht die Gabe selbst, denn diese kann vom Empfänger weder eingefordert, noch darüber verfügt werden: Ohnmacht und Passivität sind epistemologische Notwendigkeiten.40 Sie kann
35 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 130f. 36 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 88f. 157. Die Unmöglichkeit, die reine Gabe zu denken, weil sie immer in einen Zusammenhang von Geber und Empfänger steht, wurde von Jacques Derrida aufgezeigt. Marion nimmt dessen Grundlegung ernst, nimmt aber nicht die sozialen Interaktionen, sondern den epistemologischen Status des Dings als maßgeblichen Punkt seiner Aufarbeitung. Vgl. Derrida, Jacques: Falschgeld. Zeit geben I. Aus dem Französischen von Andreas Knop u. Michael Wetzel. München 1993, S. 17-25. 37 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 41. 88f. 216f. Damit erscheint die (reduzierte) Gabe als Paradigma des Dings, was dazu führt den Gabebegriff deutlich erweitert zu fassen und ihn nicht alleine auf seine Alltagsbedeutung zu beschränken. 38 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 216f. Zu diesem Punkt gibt Burkard Liebsch die Notwendigkeit der rezeptiven Interpretation durch den Empfänger an, da die Gabe nie im Raum stehen bleibt, sondern erst als Gabe erkannt ist, sobald sie von einem Subjekt empfangen wurde. Vgl. Liebsch, Burkhard: Zur Rekonfiguration der Sozialphilosophie. Ontologie – Phänomenologie – Kritik, in: PR (2013) 60, S. 91-129; hier: S. 105f. Trotz der epistemologischen Fokussierung auf die Gegebenheit bei Marion wird das rezeptive Moment bei ihm nicht ungebührlich vernachlässigt. 39 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 187: „Doch die Beschreibung des Gabe-Phänomens kann – da es hier der Geber ist, der ausbleibt – nur vom Gabe-Empfänger aus, der die Rolle eines reinen phänomenologischen Bewusstseins innehat, unternommen werden. Der GabeEmpfänger erhält den Auftrag, die Gabe – das, was dem Wesen der Gabe entspricht – zu konstituieren.“ 40 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 160f. 224. 332.
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nur erwartet werden, was eine reduktive Haltung der Offenheit zur notwendigen Voraussetzung hat, damit sich die Gabe zeigen kann.41 Die Offenheit schafft Raum, dass sich die unvorhersehbare Gabe manifestieren kann. Da sie aber von ihrem Geber reduziert und losgelöst erscheint, bricht sie kontingent und unkontrollierbar in das Sichtfeld des Einzelnen ein: Die Unvorhersehbarkeit des kontingenten Einbruchs zeigt ihr Kommen von einem nicht definierbaren Ursprung – sie kommt von anderswoher.42 Die Gabe zeigt sich selbst initiativ und bringt als Potenz einen vernehmbaren Effekt mit sich, der erkannt und effektiv wird, wenn die Gabe wahrgenommen und angenommen wird.43 Wird die Gabe angenommen, wird sie selbst schaubar und ihre Potenzialität in Effektivität freigesetzt, was aber nicht konform zum eigenen Horizont geschieht bzw. geschehen muss – das kontingente Einbrechen der Gabe als irritierender Schock, wie es sich im Kunstwerk zeigt:44 „Unsere Initiative schränkt sich auf die Bereitschaft ein, den Schock ihrer Anamorphose zu erhalten, ihre (Ein)Treffer-Schläge zu erhalten.“45 Die Gabe erscheint mit einem anti-evidenten Auftreten.46 Paradigmatischen Status, um das Einbrechen der Gabe in den Horizont des Einzelnen verstehbar zu machen, hat bei Marion das gesättigte Phänomen, welches einen Überschuss an Anschauung mit sich bringt, der nicht in beherrschbarer und definierbarer Weise in einen Begriff gefasst werden kann:47 Die Unmöglichkeit dieses Aufstellens gemäß einem Begriff rührt daraus, dass die überreiche Anschauung nicht mehr durch irgendwelche apriorische Regeln exponiert werden kann, sondern dass sie diese überflutet. Die Anschauung lässt sich nicht mehr in einem Begriff exponieren, sie sättigt ihn und macht ihn überexponiert – unsichtbar, unlesbar, und zwar nicht aus einem Mangel, sondern aus einem Überschuss an Licht. Dass der ästhetischen Idee selbst durch diesen Überschuss verwehrt wird, ihre Anschauung innerhalb begrifflicher 41 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 257. 424. 42 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 220: „Das ‚Anderswo‘ weist somit auf die erste grundlegende Eigenschaft gegebener Phänomene – nach der Gleichung: von-Sich-geben und Sich-zeigen – hin, nämlich diejenige, bei der sie sich unabhängig von unseren Tauschakten, Wirkursachen und Voraussichten erfüllen, bei der sie auf dem lasten, an den sie herantreten.“ Vgl. ebd., S. 301. 43 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 96-98. 101f. 44 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 98. 234f. Marion möchte seine Kunstwerkauffassung von derjenigen Heideggers unterschieden wissen, weil Heidegger in dieser Hinsicht das Schöne nicht (mehr) in seine Betrachtung einbezieht und den Horizont auf die Wahrheitsfrage einengt. Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 168. 45 Marion, Geben sei, S. 235. 46 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 49. 220. Weil Gaben bewusstseinsextern erscheinen und nicht aus einem Horizont deduziert werden können, sind Gaben per Definition anti-evident. 47 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 336-340. 361.
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Grenzen zu organisieren und damit einen definierten Gegenstand zu sehen zu geben, qualifiziert sie indessen nicht ab, da diese ‚inexponible Vorstellung‘ – die endlich als das, was sie ist, anerkannt wird – ihrem ‚freien Spiele‘ nachgeht. Und dieses Spiel ist das Spiel des Erhabenen.48
Marion nimmt das Erhabene Kants als maßgebliches Interpretament, um dem (gesättigten) Phänomen den epistemologisch primären Status (im Gegensatz zur Metaphysik)49 zuzuweisen, während die beobachtende und deutende Instanz (das Ich) auf den sekundären Status verwiesen wird, welche das Phänomen nur empfangen, deuten und bezeugen, aber niemals definieren kann: Bei einer Sättigung empfindet das Ich zwar ein Nicht-Zusammenstimmen zwischen einem zumindest potenziellen Phänomen und seinen subjektiven Erfahrungsbedingungen[,] und folglich kann es hier keinen Gegenstand konstituieren. Aber dieses Verfehlen einer Vergegenständlichung impliziert keineswegs, dass hier absolut nichts erscheinen würde. Im Gegenteil: Die gesättigte Anschauung drängt sich – insoweit sie das Phänomen unanvisierbar, nicht tolerierbar und absolut (unbedingt) macht – wegen eines Überschusses, nicht aus Mangel als exzeptionelles Phänomen auf. Gesättigte Phänomene weigern sich, sich als Gegenstände beobachten zu lassen, eben weil sie mit einem vielfachen und unbeschreiblichen Überschuss erscheinen, der jede Konstitutionsbemühung zunichte macht. Ein gesättigtes Phänomen ist als ein ungegenständliches oder besser: als ein nicht zu vergegenständlichendes Phänomen zu bestimmen.50
Die Erhabenheit des gesättigten Phänomens (mit seinem übervollen und überhellen Scheinen) macht einen direkten Zugriff der beobachtenden Instanz auf dieses unmöglich, weswegen Marion zur Verdeutlichung Caravaggios ‚Berufung des Hl. Matthäus‘ anführt, bei dem Licht- und Blickführung nicht Jesus Christus als den Berufenden in den Fokus stellen (als Ursprung der Gabe der Berufungsgnade), sondern die deutende Fragegeste des (rezeptiven) Matthäus in indirektem Verweis das entscheidende Moment des Bildes ist.51 Das 48 Marion, Gegeben sei, S. 339. Mit Zitaten Kants aus der KdU. 49 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 266: „Sie [die Metaphysik] qualifiziert ein Phänomen im Namen einer, sich auf sein Erscheinen gerade nicht beziehenden Instanz ab.“ Der Fakt des Erscheinens, der Modus des Erscheinens und der Ort des Erscheinens eines Phänomens spielen nur eine marginale Rolle einer strengen (jenseitigen) Metaphysik. Deshalb sieht Marion die Phänomenologie als eigentlicher Erbe der Philosophie nach dem Ende der Metaphysik. Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 153. 50 Marion, Gegeben sei, S. 361. 51 Das gesättigte Phänomen wird daher auch von Marion in Anschluss an Platons Höhlengleichnis als die blendende Sonne verstanden, welche nach dem Gang aus der Höhle zwar die realen Gegenstände beleuchtet und so auf indirekte Art schaubar ist, aber selbst nicht direkt vernehmbar ist, weil der direkte Blick durch die Überhelle der Sonne schmerzhaft ist. Vgl. Platon: Politeia. Der Staat. Bearbeitet von Dietrich Kurz. Griechischer Text von
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gesättigte Phänomen ist nur indirekt erfahrbar und ausweisbar, weil seine Sättigung eine Unmittelbarkeit hinsichtlich der Zugriffsmöglichkeit nicht zulässt. Das gesättigte Phänomen ist blendend und irritierend gleichermaßen, weil sich seine Präsenz vernehmen, aber die Präsenz nicht definieren und begreifen und dadurch intentional abbilden lässt: Es zeichnet sich durch eine Gegenerfahrung und Gegenintentionalität aus.52 Gegenerfahrung stellt die Erfahrung dessen dar, was den Bedingungen von Gegenstandserfahrung unweigerlich widerspricht. […] Denn wenn das Ich einem gesättigten Phänomen gegenübersteht, dann kann es dieses nicht sehen. Doch es kann dieses auch nicht wie einen einfachen Gegenstand, der ihm zur Verfügung steht, beobachten. […] Es sieht die Überfülle gegebener Anschauung. Oder besser noch: Es sieht diese gerade nicht klar und deutlich als solche, verunmöglicht der Überschuss doch ihre Beobachtung und erschwert er ihre Beherrschung. […] Es sieht nichts (insbesondere keinen Gegenstand) deutlich, sondern es empfindet klar sein Unvermögen, das Unmaß des in der Anschauung Gegebenen, vor allem also das Durcheinanderwirbeln des Sichtbaren, den Lärm einer schlecht empfangenen Nachricht, die Vernebelung der Endlichkeit, beherrschen zu können. Es empfängt reine Gegebenheit, gerade weil es darin kein Gegebenes, das sich vergegenständlichen ließe, mehr ausmachen kann.53
Die vernehmende Instanz ist zwar ein passiver Beobachter, der immer nur einen sekundären Status innehat, aber durch seine reduktive Offenheit, Annahme und rekonstruierende Deutung wird er zum Indikator des gesättigten Phänomens: Er zeigt die Spur des gesättigten Phänomens durch seine Zeugenschaft an. Das gesättigte Phänomen ruft ihn zur Antwort und Verantwortung an.54 Die Gabe bricht als Ereignis (mit Verweis auf Badiou)55 ein,56 bringt mit Èmile Chambry. Deutsche Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, in: Ders.: Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch. Hg. v. Gunther Eigler. Vierter Band. Darmstadt 62011, 515c-517c (S. 556-563). Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 348. 52 Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 182f. 53 Marion, Gegeben sei, S. 364f. Mit Rekurs auf Heidegger und sein Verständnis Gabe und Gegebenheit. 54 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 366f. Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 196f. 55 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 271. 290. 297. Die phänomenologischen Konsequenzen, die beide aus dem Einbruch des Phänomens ziehen, stehen doch in großer Parallelität zueinander, weswegen sie beide als wichtige Referenzautoren der hiesigen Arbeit herangezogen werden. Die wechselseitige Parallelität ist wirklich frappierend, auch wenn Marion in der Analyse Badious einen unpräzisen Seinsbegriff attestieren will. Grund für diese Annahme könnte die nicht ausgewiesene Ungegebenheit des Seins wie auch der punktuelle Einbruch des Ereignisses sein, der seine Punktualität für die nachfolgende Zeit eine Quasi-Statik mit sich bringt (vgl. ebd., S. 271). Dies sind aber nur Spekulationen und Mutmaßungen, die Marion selbst nicht im Text ausweist. 56 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 352-354.
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ihrer Eigenheit eine Irritation und Gegenintentionalität (als Para-Doxie = Gegen-Scheinen) mit sich, welcher sich der Einzelne gegenüber verhalten muss. Die Fundamentalentscheidung von Verweigerung und Ablehnung oder Annahme des Anrufs und Deutung geschieht als Antwort in Verantwortung, weswegen der Zeuge (als Ich-Instanz) das Ereignis als rekonstruierte Ge-Schichte benennen und erzählen kann und als Phänomen in eine Deutegemeinschaft einbringen kann.57 Der Einzelne empfängt seine Selbstheit als Zeuge durch den Ereigniseinbruch von außen und kann durch die Annahme des Anrufs des gesättigten Phänomens (Antlitz des Menschen und Ikone als maßgebliche Phänomene mit höchstem Überschuss) in der Antwort die indirekte Sichtbarkeit des Phänomens anzeigen und selbst durch das Verhalten zu einer Subjektivierung gelangen.58 Aus dieser Gabebewegung zeigt sich, dass das Selbstbewusstsein des Einzelnen daher nicht originär unmittelbar gegeben ist, sondern sich der Gabe von außen verdankt, die dieses irritierend gibt und eröffnet:59 Das Selbst steht in einem Verhältnis des Dativs.60 Der (primär ungehörte und anonyme) Anruf von außen, wie er durch das Antlitz als Paradigma des gesättigten Phänomens einbricht, erfordert eine (andauernde) offene Haltung und Antwort. Denn trotz ihrer punktuellen Notwendigkeit der Antwortgabe kann die einmalige Antwort nicht in eine Statik überführt werden; die einbrechende Anfrage bleibt bestehen, weil sie sich weiterhin demjenigen ereignishaft gibt, der sich ihr in Vertrauen öffnet und die Nicht-Evidenz ohne ausgreifende Gewalt aushalten kann.61 Der Ruf bricht in die Gegenwart des Einzelnen ein und fordert dadurch eine subjektivierende Verantwortung heraus, weswegen der Einbruch die Geschichtlichkeit durch Annahme, Deutung und Selbstverortung eröffnet.62 Erst die Deutung, Annahme und Antwort lassen die Gabe in ihrer Gegebenheit bzw. das Antlitz mit seinem Anruf sichtbar werden bzw. aus der Unsichtbarkeit heraustreten. Diese Konstellation darf nicht in eine Statik überführt werden, da diese sich dem 57 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 379-385. 491. Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 205. 58 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 473-479. Das Eigentliche eines Seienden ist niemals direkt schaubar; die Substanz eines Dings lässt sich nicht in unmittelbarer Weise an seiner Oberfläche ablesen, sondern ist nur über eine vernehmende Rekonstruktion indirekt zugänglich und ausweisbar: In paradoxer Weise spricht deshalb Marion von der Substanz als Akzidenz der Akzidenz, weil sie ohne den empfangenden Blick des passiven Beobachters nicht erkennbar wäre – ihr Status ist prekär und fragil. Vgl. ebd., S. 276. Vgl. Gondek/ Tengelyi, Phänomenologie, S. 188. 59 Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 173. 192. 194: „So wird das Subjekt dazu gezwungen, das ‚ich denke‘ für ein ‚ich bin affiziert‘ geradezu preiszugeben.“ (ebd., S. 192.) 60 Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 194. 61 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 496. 62 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 497f.
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unerwartbaren Einbrechen eines sich gebenden Ereignisses oder Phänomens verschließen würde und jenes nicht mehr erkennbar wäre. Es braucht daher eine Pädagogik der ästhetischen Haltung, wobei sich hier die Offenheit des Blicks als Aufgabe auszeichnet, um überhaupt die sich zeigende Gabe erfahren zu können:63 Das Gegebene bezeugt durch die Erschütterung seines Hereinbrechens, die es in einem ständigen Vibrieren hält, nicht nur sein unumkehrbares und intrinsisches Differieren, sondern auch sein unablässig verlorengegangenes und wieder neu aufgenommenes Ankommen. Es bezeugt so, dass es sein Erscheinen (sein Sich-Zeigen) nur sich, seinem (sich gebenden) Sich verdankt. […] Von hier aus müssen wir ein Sehen dessen lernen, was sich zeigt, insofern es sich schlicht und einfach – und streng genommen – in der absoluten Freiheit seines Erscheinens zeigt. Und dieses Lernen geht nicht ohne Mühe, denn das, was sich zeigt, gibt sich zuerst. Um nun aber das zu sehen, was sich gibt, muss man zunächst darauf verzichten, es zu konstituieren und zu erfassen (im cartesischen Sinne), um es einfach nur zu empfangen.64
Die Sichtbarkeit der Welt ist nicht unmittelbar gegeben, sondern sie braucht eine ästhetische Haltung, um sich überhaupt etwas zeigen zu lassen. Die Ästhetik ist nicht, sondern sie vollzieht sich und hat dadurch einen prozesshaften Charakter. Das, was wir sehen, und das, was wir sind, ist an das rückgekoppelt, was wir erfahren haben bzw. werden und wie wir uns und die Welt verstehen können: Grundgelegt durch die Gabe-Theorie Marions können wir im Anschluss an das Ereignis- und Subjektverständnis Žižeks und Badious folgern, dass der Ort in der Welt, von dem aus wir denken und handeln, dadurch bestimmt ist, ob wir offen sind und dem vertrauen, was sich uns zeigt – oder ob wir uns in solipsistischer Egozentrik vor der Welt verschließen.
63 Die Ästhetik als αἴσθησις hat eine durchweg rezeptive Dimension der Haltung, indem Gegenstände sinnlich als wahr angenommen werden und somit von einer präreflexiven Wahl bestimmt sind, die eigens in den Blick zu nehmen und zu schulen ist. Wahrnehmung geschieht nicht unmittelbar, sondern ist hochgradig selektiv. ‚Was ist denn ‚wahrnehmen‘? Etwas-als-wahr-nehmen: Ja sagen zu Etwas.‘ (Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente. 1884-1885 (KSA; 11). München 1999, S. 464 (34 [132])). Vgl. Ortland, Eberhard: Wahrnehmung. IV. Neuzeit: Von Kant bis zum 20. Jh., in: HWPh (2004) 12, Sp. 209-217; hier: Sp. 214. 64 Marion, Gegeben sei, S. 524.
Das Kreuz als parallaktischer Ort
1.2
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Das Kreuz als parallaktischer Ort
Die Vorgegebenheit des Ereignisses (mit Marion gesprochen: als von außen kommende Gabe) bringt es mit sich, dass es nicht selbst erzeugt werden kann, sondern der Einzelne sich dem Ereignis gegenüber in primärer Passivität vorfindet: Was das Ereignis ist, kann vom Einzelnen weder kontrolliert noch erahnt werden. Es bricht vielmehr erschreckend in den Horizont des Einzelnen ein, weswegen die Irritation eines der charakteristischsten Merkmale des Ereignisses selbst ist. Diese Irritation und das die Existenz betreffende Engagement sehen Žižek und Badiou in paradigmatischer Größe aber im christlichen Wahrheitsereignis präsentiert: Es stellt sich die unerwartete Besonderheit ein, die sonst nur in der theologischen Binnendiskussion zu erwarten wäre:65 Das Wahrheitsereignis par excellence sehen beide im Kreuzes- und Auferstehungsgeschehen Christi (in Verbindung mit der paulinischen Entscheidungsgeste und anschließender Deutung). Die Fokussierung fällt hierbei im besonderen Maße auf die Auferstehung Christi, die nach Badiou den Kerngehalt des christlichen Glaubens ausmacht.66 Den zentralen Punkt in der subjekttheoretischen Diskussion von Badiou und Žižek nimmt die Entscheidungsgeste Pauli für das geschehene ChristusEreignis ein, zu welchem er sich bekennt, dass der für uns gestorbene Christus erstanden ist (vgl. 1 Kor 15, 13-21): So hat das Subjektkonzept von Badiou und Žižek seinen theoretischen Fixpunkt in der nicht-vermittelbaren Fundamentalentscheidung, welche nicht diskutiert, abgewogen oder ironisiert werden kann, sondern entweder vorgenommen oder unterlassen wird – ohne Stützung durch ein äußeres Vermittlungsmoment oder externe Autoritätsmarker betrifft dies gnadenhaft alleine den Existenzentwurf Pauli.67 Durch den Eingriffsakt der Treueentscheidung wechselt Paulus vom prä-subjektiven Zustand in den Subjektstatus. Das Wie der Glaubensentscheidung lässt sich bei beiden nicht exakt angeben und hat vielmehr den Status einer Lücke oder einer 65 Žižek und Badiou sind beide – nach eigenen Angaben – Atheisten, die aber mit Notwendigkeit auf christliche Theologumena (wie Gnade, Auferstehung, Inkarnation, Passion et cetera) angewiesen sind. 66 Hier weicht Žižek entscheidend von Badiou in seinen Darlegungen ab, weil aus seiner Perspektive die Irritation des Todes Christi am Kreuz bedeutsamer erscheint, weil es das Eindringen des traumatischen Realen nach Lacan in besonderer Weise anzeigt. Vgl. Žižek, Tücke, S. 192-195. Vgl. Ders.: Dialectical clarity versus the misty conceit of paradox, in: Ders./Milbank, John: The monstrosity of Christ. Paradox or dialectic?. Edited by Davis, Chreston. Cambridge/London 2009, S. 234-306; hier: S. 279. 67 Badiou, Alain: Paulus. Die Begründung des Universalismus (transpositionen; 36). Zürich/ Berlin 2009, S. 12. 22-25. 64-67.
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Leerstelle, weswegen beide in diesem Fall auch auf den Begriff der Gnade zurückgreifen müssen.68 Das Kreuz als Ereignis-Ort konfrontiert in seiner drastischen Bildlichkeit und fordert das bestehende Symbolsystem derart heraus, dass es zerbricht, weil es keine Möglichkeit hat, das Ereignis des Kreuzes mit dem vorhandenen sprachlichen Material und den bestehenden theologischen Motiven aufzuarbeiten. Das Ereignis des Kreuzes überschreitet den gegenwärtigen Horizont sowohl des jüdischen als auch des griechischen Symbolsystems der Religion und fordert in seinem generischen Benennungsaspekt dazu auf, ein neues und adäquateres Symbolsystem zu erzeugen, um das Ereignis verstehbar zu machen.69 So erkennt der engagierte Blick im Christus-Ereignis die Grenzen und die Aufhebung der bestehenden Diskurse des Jüdischen und des Griechischen, weshalb hier 1 Kor 1, 18-25 eine prominente Rolle in der Darstellung einnimmt: Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden. Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloß Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen.70
68 Vgl. Badiou, Paulus, S. 72f. 86. 133. In psychoanalytischer Diktion versucht Žižek das Ereignis als Einbruch des Realen nach Lacan zu beschreiben, wobei es auch gegen Finkelde als sinnvoll erscheint, das Ereignis bei Badiou als Reales nach Lacan zu verstehen, da auch Badiou den Begriff des Realen anführt. Vgl. Finkelde, Dominik: Politische Eschatologie nach Paulus. Badiou – Agamben – Žižek – Santner. Wien 2007, S. 31f. 103. 113. 115. Vgl. Badiou, SuE, S. 225. 327. 428. Vgl. Žižek, Tücke, S. 275. Zum Verständnis des Realen: Vgl. Lacan, Jaques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Das Seminar Buch XI (1964). Übersetzt von Norbert Haas. Olten/Freiburg 21980, S. 74-76. 69 Das Reale des Ereignisses als von außen hereinbrechende Infragestellung des gegenwärtigen Zustandes muss, damit es verstehbar werden kann, in den Bereich des Symbolischen überführt werden. Zur Erklärung der Wirklichkeitstriade (Reales – Symbolisches – Imaginäres) siehe: Vgl. Lacan, Jaques: Encore. Das Seminar Buch XX (1972-1973). Textherstellung durch Jaques-Alain Miller. Übersetzt von Norbert Haas, Vreni Haas und Hans-Joachim Metzger. Weinheim/Berlin 1986, S. 97. 70 Alle Bibelzitate entstammen, soweit nicht anders angegeben, der Einheitsübersetzung.
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Durch die erkannte Gültigkeit des Christus-Ereignisses zeigen sich der logische Weisheitsdiskurs wie auch der jüdische Zeichendiskurs in ihrer Ungültigkeit, woran die Schibboleth-Logik der Ereignisperspektive zum Tragen kommt.71 Weil es mit dem sprachlich-denkerischen Instrumentarium der jeweiligen Diskurse nicht beherrscht werden kann, wird es zur Torheit, zum Skandalon und zum Ärgernis: Es bedeutet ganz einfach, dass dieses Ereignis so beschaffen ist, dass der philosophische Logos es auszusprechen nicht imstande ist. Dahinter steht die These, dass ein Ereignis nicht zuletzt an dem Phänomen erkennbar ist, ein Punkt des Realen zu sein, vor dem die Sprache versagt.72
Weil die Philosophie ein Herrschaftsdiskurs ist, der versucht, über interne Deduktion eines Weisheitsaxioms die Welt verstehbar zu machen, steht im Gegensatz zum griechisch-jüdischen Verständnisstreben aus eigenen Fähigkeiten und selbstgewählter Souveränität der christlich-paulinische Diskurs der Anti-Philosophie: So ist Paulus als Christ par excellence ein Anti-Philosoph, weil die Entscheidung für das Ereignis des Kreuzes und auch das Kreuz selbst nicht mit den Diskursen der Weisheit wie des (Macht-)Zeichens beschreibbar ist und dadurch beide selbst für ungültig erklärt werden.73 In Konsequenz sollte die Interpretation der paulinischen Theologie durch Alain Badiou keinesfalls exkludierend verstanden werden, weil sich durch das Kreuzesereignisse ein Universalisierungsprozess vollzieht. Dieses (ver-)störende und irritierende Einbrechen des Ereignisses zeigt sich im Kreuzesgeschehen in voller Drastik, das nicht nur neu-strukturierend ist, sondern auch Offenbarungscharakter besitzt (im Speziellen in der Bildlichkeit der mk Passion): Im Moment des Sterbens Christi am Kreuz zerreißt der Tempelvorhang. Dabei zeigt sich der Tempel in seiner Leere, wobei anschließend die Äußerung des Hauptmanns unter dem Kreuz eine eindeutige Interpretation des Kreuzes als Offenbarungsort anzeigt (vgl. Mk 15, 37-39).74 71 Obwohl eine gewisse Nähe zum Fideismus nicht abstreitbar ist, ist dieser dennoch entschieden zurückzuweisen, da zum einen eine exakte Kriteriologie für das Ereignis im Gegensatz zum Pseudo-Ereignis angegeben werden kann und zum anderen eine interne Kohärenz und Plausibilität ausweisbar ist. Die Akzeptanz der internen Kohärenz steht und fällt mit der axiomatischen Entscheidung für oder gegen das Ereignis. Vgl. Žižek, Tücke, S. 190. 72 Badiou, Paulus, S. 60. 73 Vgl. Badiou, Paulus, S. 25f. 61. 67f. 74f. 104. Daher ist die Philosophie für Paulus nicht falsch oder illusionär – sie ist in ihrer Gültigkeit schlicht aufgehoben. 74 Vgl. Gnilka, Joachim: Das Evangelium nach Markus. 2. Teilband. Mk 8, 27-16, 20 (EKK; II/2). Neukirchen-Vluyn 31989, S. 324. In dieser Untersuchung sollen drei biblische
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Um die Drastik des Kreuzes als Ort der Gottesbegegnung einsichtiger herauszustellen, gilt es die Präsentation des Kreuzes mit den damaligen Messiasvorstellungen abzugleichen. Die (relativ diffusen) Messiaserwartungen beinhalten vielfach die Hoffnung auf ein politisches Anbrechen der Gottesherrschaft, wobei sich in letztgültiger Weise die Gerechtigkeit Gottes zeigen sollte, die ein Friedensreich ohne jegliche Feindschaft (zwischen Völkern, Menschen, der Schöpfung et cetera) mit sich bringen sollte (vgl. Jes 11, 6-8; 19, 18-25; 66, 18-24; Mi 4, 3f.; Ez 34, 25), wobei an der Spitze des neuen Volkes ein Messias die gekommene Gottesherrschaft anzeigen sollte, welche ihr Zentrum am Zion als Wohnort Gottes hat.75 Das Reich Gottes in seiner Spanne zwischen präsentischer Erfülltheit und futurischer Entfaltung bildet zweifelsfrei das Zentrum der jesuanischen Botschaft, wobei diese Botschaft in vielerlei Fällen zum Konflikt mit dem jüdischen Establishment, der religiösen Führung sowie der politischen Besatzungsmacht führte. Abweichende Vorstellungen zum angebrochenen Gottesreich jesuanischer Verkündigung dürften dabei ihr Übriges getan haben, so dass es letztendlich zum Tod am Kreuz kam.76 Versucht man eine konsistente Deutung des Verhältnisses Jesu zum Tempel als Kristallisationspunkt seiner Beziehung zur angebrochenen und sich entfaltenden Gottesherrschaft, so sind verschiedene Punkte zu beachten: Das Tempelverständnis im zeitgenössischen Judentum, der Umgang Jesu mit Reinen und Unreinen, das Tempelwort Jesu, das letzte Abendmahl und das Kreuz als Aufhebungsort. Der Tempel war im zeitgenössischen Judentum der maßgebliche Ort für die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk, weil alleine an diesem Ort die Möglichkeit bestand, Gott angemessen zu verehren und ihm ein Opfer darzubringen, in dem er seinen Namen wohnen lässt.77 So hatte das Opfer für Gott auch keinen Selbstzweck, sondern stand im Dienst, ihm selbst nahe zu kommen: Durch den Tempel und den dortigen Kult war es möglich, „Zutritt in den Lebens- und Machtbereich Gottes und unmittelbare Partizipation an der segnenden und rettenden Gottesnähe“ zu erhalten.78 Somit ist der Tempel Bildorte in den Fokus gerückt werden: Das Paradies, das Kreuz mit dem Tempel und das Himmlische Jerusalem, um jeweils eine Beziehung der Nähe aufzuzeigen. 75 Vgl. Gnilka, Joachim: Jesus von Nazaret. Botschaft und Geschichte. Freiburg 62000, S. 254256. Neben der Erwartung eines Messias ist auch die Erwartung zweier Messiase (ein königlicher und ein priesterlicher) in Qumran bezeugt – mit Berufung auf Sach 6, 13. 76 Möglicherweise als politischer Verurteilter, wobei der Titel ‚König der Juden‘ als Kreuzesinschrift als ein deutlicher Hinweis darauf gesehen werden kann. Vgl. Theißen, Gerd/ Merz, Annette: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. Göttingen 42011, S. 401f. 77 Vgl. Theißen/Merz, historische Jesus, S. 127. 78 Zenger, Erich: ‚Ich liebe den Ort, da deine Herrlichkeit wohnt‘ (Ps 26,8). Tempeltheologische Semiotisierung des Alltags im Psalter, in: Kehl, Othmar/Zenger, Erich: Gottesstadt
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der ausgezeichnete Ort der Begegnung und der Nähe, wobei aber die kultische Reinheit die Voraussetzung ist, um Gott angemessen gegenübertreten zu können.79 Will man das Lebens-, Handlungs- und Predigtprogramm Jesu, so pointiert wie nur möglich zusammenfassen, so wäre eine mögliche Antwort: Es ist die Überwindung von Ausschlussmechanismen, um den Menschen einen universellen Zugang zur gemeinschaftlichen Begegnung mit und vor Gott in seinem Reich zu ermöglichen. Die binäre Unterscheidung von rein und unrein kann im tempeltheologischen Kontext ihre Berechtigung haben, um angemessen vor Gott treten zu können. Doch führt sie zu (akzentuiert) gesellschaftlichen Ausschlüssen, wird sie in hohem Maße fragwürdig. Das Handeln Jesu in therapeutischen Maßnahmen (vgl. Lk 5, 12-16 u.ö.) kann als Aufhebung von sozialem Ausschluss gesehen werden, um nach der Absonderung vom Volk wieder in dieses integriert zu sein.80 Der Umgang Jesu mit den jüdischen Reinheitsgesetzen zeigt, dass er an die Grenzen des Judentums ging bzw. diese sogar teilweise überschritt. Im Besonderen zeigt sich dies an jenem höchstwahrscheinlich authentischen Logion:81 „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein“ (Mk 7, 15). Auch das Tempelwort Jesu in Verbindung mit seiner u.U. historischen Tempelaktion dürfte auf deutliches Missfallen gestoßen sein:82 „Ich werde diesen von Menschen erbauten Tempel niederreißen und in drei Tagen einen anderen errichten, der nicht von Menschenhand gemacht ist“ (Mk 14, 58). Die Ankündigung, dass das kultische Zentrum und der entscheidende Begegnungsort von Gott und Mensch zerstört werde und in drei Tagen aufgebaut werde,83 betrifft und Gottesgarten. Zu Geschichte und Theologie des Jerusalemer Tempels (QD; 191). Freiburg 2002, S. 180-206; hier: S. 181. 79 Vgl. Herr, Bertram: ‚Deinem Haus gebührt Heiligkeit, Jhwh, alle Tage‘. Typen und Funktionen von Sakralbauten im vorexilischen Israel. Berlin 2000, S. 107f. In negativer Sichtweise produziert so die Tempelettiquette einen Ausschlussmechanismus. 80 Vgl. Bovon, François: Das Evangelim nach Lukas. 1. Teilband: Lk 1, 1-9, 50 (EKK; III/1). Neukirchen-Vluyn 1989, S. 239. 81 Vgl. Becker, Jürgen: Jesus von Nazaret. Berlin/New York 1996, S. 380-382. 82 Becker spricht sich gegen eine Historizität der Perikope aus und ordnet sie der mk. Redaktion zu. Vgl. Becker, Jesus, S. 404-410. Für die Historizität sprechen sich Merz und Theißen aus, die das Tempelwort in Harmonie zum apokalyptischen Kontext der jesuanischen Botschaft sehen. Vgl. Theißen/Merz, historische Jesus, S. 380f. 83 Auch das Joh-Evangelium (Joh 2, 19-22) überliefert diese Perikope, nur wird hier eine Spiritualisierung und Deutung auf den Leib des Herrn vorgenommen, die aber – auch im Hinblick der weiteren Analyse – nicht ohne Berechtigung erscheint: „Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut, und du willst
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das Jerusalemer Stadtverständnis in einer Art und Weise, dass es nicht ohne Weiteres hingenommen werden kann. Das Problem ist nicht der Tempel an sich, weil dieser als Wohnort des Namens und der Herrlichkeit Gottes Anteil an dessen Heiligkeit hat und dadurch heilig ist – das eminente Problem ist der menschliche Umgang mit diesem,84 was sich als Problem in der Beziehung zwischen Gott und Mensch deuten lässt: Der von Gott gewährte Begegnungsort ist durch menschliche Pervertierung entfunktionalisiert worden und lässt, da er auf seine Oberfläche reduziert wurde, kaum mehr eine Nähe von Gott zum Menschen zu.85 Doch nach Theißen und Merz geht es dem historischen Tempelwort Jesu nicht um eine Wiederherstellung des Tempels in seiner ursprünglichen Gestalt – also eine Wiederkehr zu einer guten und gottgewollten Anfangsgestalt: Es ging hier nicht um eine Reform des Tempels innerhalb der gegenwärtigen Geschichte, sondern um sein Verschwinden mit dieser vergehenden Welt. Eine solche Weissagung musste als Drohung verstanden werden.86
Die Gemeinschaftsdimension ist ein markanter Eckpfeiler des Lebens, Handelns und Sterbens Jesu – besonderer Ausdruck erhält dieses Moment im Letzten Abendmahl: Theißen und Merz gehen von der Historizität sowohl von der Tempelaktion mit zugehörigem Tempelwort und dem Letzten Abendmahl aus und lesen beide Geschehnisse im Sinnzusammenhang des Kultes: So sehen sie den Komplex von Tempelaktion und Tempelwort als „kultkritische Symbolhandlung“,87 wobei darauffolgend das Letzte Abendmahl als „kultstiftende Symbolhandlung“ zu sehen ist.88 Damit werden beide Begebenheiten zu einer Sinneinheit zusammengenommen, in der sich beide Punkte gegenseitig in ihrer Beziehung zueinander interpretieren. Hinweise für die Plausibilität dieser Lesart geben das Logion „das ist mein Leib“ (Lk 22, 19; Mk 14, 22), wie möglicherweise auch das anschließende Logion „dieser Kelch ist der neue ihn in drei Tagen wieder aufrichten? Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er von den Toten auferstanden war, erinnerten sich seine Jünger, daß er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte.“ 84 Vgl. Gnilka, Jesus von Nazaret, S. 279. 85 Mit Jean-Luc Marion gesprochen, könnte man dies als Idolisierung zu beschreiben versuchen, da eine Ikone in ihrer Begegnungsdimension auf ihre Oberfläche zum Idol reduziert wurde. Vgl. Marion, Jean-Luc: Gott ohne Sein. Aus dem Französischen übersetzt von Alwin Letzkus. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Karlheinz Ruhstorfer. Paderborn u.a. 2014, S. 40-46. 86 Theißen/Merz, historische Jesus, S. 381. 87 Theißen/Merz, historische Jesus, S. 380. 88 Theißen/Merz, historische Jesus, S. 382.
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Bund“ (Lk 22, 20), denn statt einem Opfer im Tempel Raum zu geben, findet sich dies nun im gemeinsamen Mahl der Jünger mit proleptischer Antizipation am eschatologischen Freudenmahl im Reich Gottes. Deshalb lässt sich sagen, dass der interpretierende Zusatz des Joh-Evangeliums kein sinnverstellendes Additivum darstellt, sondern aus dieser Perspektive den Sinn der Handlung deutlich transparenter werden lässt.89 Auch die Fußwaschung der Jünger lässt sich in diesen Zusammenhang kohärent integrieren: Denn statt sich an die offiziellen Waschungs- und Reinheitsriten des Tempelbetriebs zu halten, wird die jesuanische Fußwaschung in diesem Rahmen maßgeblich, weil der Tempel in seiner Funktion überholt und aufgehoben ist.90 Wenn man an dieser Stelle über die Textoberfläche und die mögliche historische Rekonstruktion hinausgehen muss, liegt eine Deutung nahe, die dadurch begründet ist, dass der jüdische Kult niemals Selbstzweck war, sondern in seiner tempeltheologischen Ausformung stets das Ziel hatte, die Nähe und die Gemeinschaft von Gott und Mensch zu ermöglichen. Somit kann im Kultsubstitut des Abendmahls (und dessen anamnetischer Wiederholung) die Begegnungsmöglichkeit von Gott und Mensch (nachösterlich und weiterhin endzeitlich) im gemeinsamen Mahl aktualisiert und auf eine universelle Ebene der angebrochenen und umfassenden Gottesherrschaft geführt werden: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18, 20).91 Der Höhepunkt dieses tempeltheologischen Aufhebungskomplexes findet sich in der mk Passionsgeschichte: Jesus zitiert den Beginn von Ps 22 an, es kommt zur Spottfrage der Umstehenden, ob er nach Elija rufe, Jesus stirbt, der Tempelvorhang zerreißt und der römische Hauptmann bekennt, dass Gottes Sohn verstorben ist. Entscheidend scheint hier, dass nach dem Versterben Jesu der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel zerreißt.92 Das Allerheiligste war der Ort, an dem die Lade ihren Platz hatte, wo sie am jom kippur vom 89 Vgl. Schnackenburg, Rudolf: Das Johannesevagelium. Erster Teil. Einleitung und Kommentar zu den Kapiteln 1-4 (HThK.NT; 4,1). Freiburg 1979, S. 364f. 90 Vgl. Theißen/Merz, historische Jesus, S. 382. 91 Vgl. Gnilka, Joachim: Das Matthäusevangelium. Zweiter Teil. Kommentar zu den Kapiteln 14, 1-28, 20 und Einleitungsfragen (HThK. NT; I/2). Freiburg 1988, S. 140: Hier verspricht er „jenen zwei oder drei, die im Namen Jesu sich versammeln seine Gegenwart. Diese Gegenwart bezieht sich zunächst auf das gemeinsame Gebet V. 19 […; und] ist kausal aufzulösen: im Wissen um seine Gegenwart, weil er unter ihnen ist, versammeln sie sich (vgl. 10, 41). […] Jesus zieht mit seiner Kirche wie Jahve mit seinem Volk. Dabei ist er sogar mit der kleinen Schar von zwei oder drei. Christologisch ist die Übertragung von Funktionen Jahves auf Jesus bedeutungsvoll“ (ebd.). 92 Die Deutung auf den Vorhang vor dem Allerheiligsten statt auf den Vorhang der Vorhalle scheint bildtheologisch am plausibelsten. Vgl. Gnilka, EKK II/2, S. 324.
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Hohepriester zur Entsühnung des Volkes mit Blut besprengt wurde, und an dem der Name und die Herrlichkeit Gottes die bildlose Präsenz Gottes anzeigten:93 Wir haben also die Zuversicht, Brüder, durch das Blut Jesu in das Heiligtum einzutreten. Er hat uns den neuen und lebendigen Weg erschlossen durch den Vorhang hindurch, das heißt durch sein Fleisch. Da wir einen Hohenpriester haben, der über das Haus Gottes gestellt ist, laßt uns mit aufrichtigem Herzen und in voller Gewißheit des Glaubens hintreten, das Herz durch Besprengung gereinigt vom schlechten Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser. (Hebr 10, 29-22)
Im Moment des Zerreißens wird die verhüllende Funktion des Vorhangs nichtig, die zuvor darin bestanden hat, die Heiligkeit und die Majestät Gottes nicht dem unverhüllten Blick auszusetzen. Durch das Zerreißen zeigt sich die nun bestehende Leere des Tempels, wobei dies als Universalisierungsgeste verstanden werden kann, denn: Seine Entfernung wird dann als Eröffnung des Zugangs zu Gott für die Nichtpriester und Heiden oder als Offenbarung der Majestät Gottes verstanden. Eröffnung des Zugangs bzw. Offenbarung Gottes geschehen im Tode Jesu.94
Das Kreuz wird damit zum maßgeblichen Offenbarungsort, so dass dort Gott in seiner Nähe und Hin-Gabe für den Menschen am Kreuz zu finden ist und sich ihnen eine unmittelbare Nähe und Gemeinschaft zeigt – aber in einer völlig subversiven und durchkreuzend-irritierenden Infragestellung menschlicher Majestäts- und Hoheitsvorstellungen.95 Die Bestätigung des Kreuzes als Offenbarungsort findet sich im Bekenntnis des römischen Hauptmanns, wobei auch in seinem Bekenntnis nochmals der Universalisierungsaspekt der göttlichen Offenbarung unterstrichen wird, indem das Zeugnis nicht von einem der umstehenden Juden oder von einem möglicherweise verbliebenen Jünger geäußert wird, sondern von einem (kultisch unreinen) Soldaten.96 Die Deutung des Kreuzes als Offenbarungsort und Zeichen der universellen Rechtfertigungsbotschaft ist nicht automatisch mit dem Kreuz an sich gegeben. Die Torheits- und Ärgernisdiskussion Pauli zeigt vielmehr an, dass das Kreuz eine radikale Infragestellung eines Welthorizontes (im Sinne eines 93 Vgl. Janowski, Bernd: Die heilige Wohnung des Höchsten. Kosmologische Implikationen der Jerusalemer Tempeltheologie, in: Kehl, Othmar/Zenger, Erich: Gottesstadt und Gottesgarten. Zu Geschichte und Theologie des Jerusalemer Tempels (QD; 191). Freiburg 2002, S. 24-68; hier: S. 25. Vgl. Theißen/Merz, historische Jesus, S. 127. 94 Gnilka, EKK II/2, S. 323f. 95 Vgl. Kertelge, Karl: Markusevangelium (NEB; 2). Würzburg 1994, S. 159. 96 Vgl. Gnilka, EKK II/2, S. 324f.
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notwendigen, aber zu überwindenden Vorurteils nach Gadamer)97 ist und alleine seine Präsenz keine Deutung mit sich bringt. Vertraut man auf die inhaltliche Richtigkeit von 1 Joh 4, 16b („Gott ist die Liebe“) und füllt den Begriff der Liebe innerbiblisch mit 1 Kor 13, dass die Liebe kein Zwangsmoment kennt, heißt dies in theologisch-hermeneutischer Sicht, dass eine bildlich-sakramentale Präsenz Gottes in der menschlichen Wirklichkeit sich dem Menschen nicht aufzwingt. Die sakramentale Bildlichkeit ist vielmehr ein anfragendes Angebot an den Menschen, welches erst in einem sekundären Schritt von ihm gedeutet werden muss.98 So geht das Phänomen seiner Interpretation und Einbindung in die Welt des Einzelnen voraus, was die Deutung und Repräsentation zu einem sekundären Aspekt gegenüber der primären Präsenz des Phänomens macht. Die Deutung des Ereignisses erfolgt analog zur Deutung des Kreuzes als Offenbarungs- und Heilsort nicht automatisch-instantan und ist daher, weil es unter der Bedingung der menschlichen Freiheit geschieht, nicht logisch-evident.99 Der Einzelne muss sich gegenüber dem Kreuz (bzw. dem Ereignis) positionieren – mit Kierkegaard gedacht: Erst aus dem Sprung in den Glauben lässt sich das Kreuz als Heilsort erkennen und das vorherige Ärgernis über das Kreuz durch die menschliche Vorannahme (vermeintlicher) göttlicher Größe und Herrlichkeit überwinden. Die Neupositionierung gegenüber dem Kreuz eröffnet mit dem Sprung in den Glauben eine neue Erkenntnisdimension, die das Verständnis von der Beziehung von Gott und den Menschen aufhebt und dazu erheblich erweitert: Durch das Kreuz lässt sich die Beziehung von Gott und Mensch über die Nähe neu buchstabieren, was das Kreuz zu einem bzw. dem parallaktischen Ort macht, weil die Neupositionierung ihm gegenüber keine Negation, sondern eine erhebliche Verständniserweiterung mit sich bringt. Das Kreuz wird dann zum Erkenntnisort über die verwundene menschliche Situation vor Gott und den göttlichen Willen, dem Menschen trotz dessen Verschlossenheit nahe zu sein und ihm neu die Begegnungsmöglichkeit zu eröffnen: Wohl erkennen wir an der Gottesverlassenheit des Gekreuzigten, wovon wir erlöst und bewahrt sind, vom endgültigen Gottesverlust, der uns durch keine eigene Anstrengung außerhalb der Gnade je erspart worden wäre; […].100
97 Vgl. Gadamer, Hermeneutik I, S. 271f. 309. 362f. 392f. 98 Vgl. Klug, Sprache, Geist und Dogma, S. 43. 99 Was aber keine Unsinnigkeit des Kreuzes mit sich bringt, sondern durch eine interne Argumentation plausibilisiert werden kann. 100 Balthasar, Glaubhaft, S. 62.
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1. Der parallaktische Blick
Der neue Blick der Heilsgeschichte
Die Geschichte ist für den Menschen dadurch verständlich, dass sie von der Gegenwart aus in einer retrospektiven Reflektion betrachtet, zerlegt und neu geordnet wird: Die verschiedenen Schichten werden in einen verstehbaren Zusammenhang gesetzt und gedeutet – durch die relecture des Vergangen werden (unentdecktes) Potenzial, Verbindungsglieder und neue Sinnzusammenhänge für die eigene Gegenwart entdeckt und in einer Geschichte weitererzählt.101 So ist ein Geschichtsverständnis und eine Positionierung der eigenen Lebenswelt in der Gegenwart nur durch die Retrospektive möglich – nur das vergangene Phänomen ist deutbar. Dies zeichnet seine Möglichkeit zur Relevanz aus – nur ein vom Einzelnen gedeutetes Phänomen kann in eine Beziehung zu dessen Lebens- und Wirklichkeitsverständnis treten und dadurch Relevanz erhalten: Von der Gegenwart aus betrachtet der Einzelne das Vergangene, um von hier im Zwischenfeld von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont auf (s)eine Zukunft zu hoffen.102 Der Einzelne ordnet und deutet das Erfahrene neu, um ein (stets vorläufiges und somit zukunftsoffenes) Verständnis seiner eigenen Lebensgeschichte zu erhalten.103 Bei diesem Deutungsakt liegt zwar ein individueller Fixpunkt vor,104 dass die Annahme bzw. Weigerung gegenüber einem Phänomen unvertretbar dem Einzelnen ansteht, aber dennoch ist diese Deutung niemals ein rein individueller Akt. Die Deutung geschieht in Sprache und deren Bildern, die immer ein soziales Phänomen sind und die damit nie aus einem gesellschaftlichen Horizont zu lösen sind.105 Noch augenfälliger zeigt sich der gesellschaftliche As101 Vgl. Ricœur, Paul: Zeit und Erzählung. Bd. III: Die erzählte Zeit. Aus dem Französischen von Andreas Knop (Übergänge; 18/III). München 22007, S. 310. 367-370. 102 Vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 346f. 366-368. 103 Vgl. Gadamer, Hermeneutik I, S. 107-109. 304. 104 „Um eine Gegenwart zu haben, auch das haben wir bei Benveniste gelernt, muß jemand sprechen; die Gegenwart wird dann signalisiert durch die Koinzidenz zwischen dem Ereignis und der Rede, die etwas über es aussagt; um von der Zeit der Chronik zur erlebten Zeit zurückzugelangen, muß man also durch die linguistische Zeit hindurch, die Bezug nimmt auf die Rede; dies ist der Grund, weshalb ein vollständiges und eindeutiges Datum weder zukünftig noch vergangen genannt werden kann, solange man nicht das Datum des Aussageaktes kennt, in dem es zur Sprache kommt“ (Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 172f.). 105 Vgl. Lacan, Jaques: Schriften I. Ausgewählt und hg. von Norbert Haas. Olten/Freiburg 1973, S. 112. 63-70. 85. 97. Sprechen und Denken geschieht in Netzwerken und in Textverkettungen, die stets traditionsgebunden sind und daher nie vollständig kontrolliert werden können. Vgl. Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Jannidis, Fotis u.a. (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft (RUB; 18058). Stuttgart 2000, S. 185-193; hier: S. 190-192. „Die vielfältige Schrift kann nämlich nur entwirrt, nicht entziffert werden. Die Struktur kann zwar
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pekt hinsichtlich der Artikulation einer (versprechend-bindenden) Deutung: Sie geschieht in gesellschaftlich bedingter Sprache und wird nicht in solipsistischer Weise im eigenen Horizont zurückgehalten, sondern stets einem (wenn auch nur vorläufig-virtuellen, imaginierten) Gegenüber mitgeteilt oder ihm gegenüber bezeugt:106 Sprache und Deutung geschehen in einer zwischenmenschlichen Beziehung. Entscheidend ist die soziale Dimension hinsichtlich der Deutung in einer parallaktischen Situation: Die neue Perspektive ist vor allem durch eine Irritation gegenüber dem vorherigen Verständnishorizont und dessen anschließender Erweiterung geprägt. Da aber die Parallaxe wie auch das Ereignis ungedeutet hereinbrechen und keine externen Autoritätsmarker mit sich bringen, sind sie auf eine Deutung mit anschließender Plausibilisierung angewiesen. Die Irritation der Parallaxe stellt in Frage und evoziert somit Unsicherheit, da vermeintliche Gewissheiten aufgekündigt werden. Anschaulich zeigt sich die Irritation mit interner, aber gemeinschaftlicher Deutung und Plausibilisierung in der Emmaus-Perikope (vgl. Lk 24, 13-35):107 Von Trauer und Enttäuschung gezeichnet flüchten die Jünger aus Jerusalem, können die hoffnungsvolle Perspektive der Frauen vom leeren Grab (noch) nicht annehmen, werden vom erstandenen Herr begleitet und erkennen ihn erst in der Retrospektive: In der dialektischen Vermittlung von präsenter Absenz geschieht die Perspektiverweiterung des glaubenden Blickes, die aber in dialogischer Verwiesenheit gegenseitige Deutung und Versprachlichung braucht („Und sie sagten zueinander: Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“ Lk 24, 32), um die Irritationsverhaftung zu verlassen.108 in allen ihren Wiederholungen und auf allen ihren Ebenen nachvollzogen werden (so wie man eine Laufmasche ‚verfolgen‘ kann), aber ohne Anfang und ohne Ende. Der Raum der Schrift kann durchwandert, aber nicht durchstoßen werden. Die Schrift bildet unentwegt Sinn, aber nur, um ihn wieder aufzulösen. Sie führt zu einer systematischen Befreiung vom Sinn. Genau dadurch setzt die Literatur (man sollte von nun an besser sagen: die Schrift), die dem Text (und der Welt als Text) ein ‚Geheimnis‘, das heißt einen endgültigen Sinn, verweigert, eine Tätigkeit frei, die man gegentheologisch und wahrhaft revolutionär nennen könnte“ (ebd., S. 191). 106 Vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 378. 107 Vgl. Meuffels, Otmar: Gott erfahren. Theologisch-philosophische Bausteine zur Gotteslehre (RPT; 19). Tübingen 2006, S. 55-59. 108 Diese Deutung geschieht nicht rein menschlich, weil schon die Eröffnung der Glaubensperspektive gnadenhaft bedingt ist. So erfolgt auch die Deutung und Versprachlichung in dialogischer Weise unter Führung des Hl. Geistes, was aber keinesfalls die menschliche Freiheit aufkündigt, sondern sie einbezieht. Erzwingbar ist die Führung des Hl. Geistes keinesfalls, da er weht, wo er will (vgl. Joh 3, 8), und die göttliche Souveränität nicht menschlicherseits kontrollierbar ist.
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Diese parallaktische Perspektive von Kreuz und Auferstehung eröffnet eine neue Deutung der Geschichte: So findet eine endzeitliche Perspektive Einzug in das geschichtliche Denken, das in besonderer Weise als Heilsgeschichte gesehen wird, weil es die menschliche Lebenswelt nicht rein immanent-geschlossen betrachtet, sondern sich unter der Begleitung Gottes weiß, weswegen aus der bezeugten Ereignishaftigkeit von Kreuz und Auferstehung die Phänomene der Geschichte neu geordnet und strukturiert werden. Diese Deutung geschieht aber nicht im luftleeren Vakuum, sondern in einem sprachlich vorstrukturierten Raum, der selbst schon bildhaft gefüllt ist und dessen Bilder aus der Ereignis- und Glaubensperspektive neu geordnet werden, wie z.B. im vierten Lied vom Gottesknecht (Jes 52, 13-53, 12) im NT. Weil die Begegnung von Gott und Mensch nicht in identischer Weise sprachlich abgebildet werden kann, braucht sie eine Versprachlichungsform, die weder die Göttlichkeit Gottes versucht einzuschränken noch vollends einzufassen vermag: Sie muss bildlich-ikonisch offen sein und muss ebenso mit der paradoxalen Anforderung, Gott nicht aussagen zu können und ihn trotzdem sprachlich zu bezeugen, umgehen können. Diese paradoxale Situation kann auch als Verletzung der Prädiaktionsregel verstanden werden: Weil Gott nicht definitorisch werden kann, muss er anders beschrieben werden. Dies geschieht durch die Metapher.109 Sie ist eine Sprachform, die in ihrer Uneindeutigkeit auch Unabgeschlossenheit und somit auch eine bildliche Offenheit mit sich bringt: Damit wird die Metapher zum Imaginationsort, der in Wechselwirkung zwischen Text und eigenem Erfahrungshorizont steht und daher neue Verständnisarten generieren kann.110 Sie besitzt aus diesem Grund eine ausgezeichnete Ikonizität, da ihr Sinngehalt nicht in der Wortoberfläche sein Ende findet, sondern einen Bedeutungsüberschuss durch Überschreitung mit sich bringt.111 Diese Offenheit der Metapher ermöglicht ein generationsübergreifendes Verständnis, so dass ein Untergang einer Welt im Sinne Heideggers nicht automatisch zur Irrelevanz der Texte führt:112 Zwar sind durch den Untergang einer Welt Leerstellen im Text entstanden, die durch applizierende Phantasie neu angeeignet werden müssen, aber im Aufnehmen und Weiterführen der 109 Vgl. Ricœur, Paul: Die lebendige Metapher. Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe. Aus dem Französischen von Rainer Rochlitz (Übergänge; 12). München 32004, S. VI. 23. 187. 224f. 279. 110 Vgl. Ricœur, lebendige Metapher, S. 191f. 201. 208. 237f. 241. 284f. Vgl. ders., Symbolik des Bösen, S. 26f. 111 Vgl. Ricœur, lebendige Metapher, S. 192. 200. 203. 278f. 112 Vgl. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 192006, S. 63-76. 132. Demnächst zitiert mit: SuZ.
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Textspuren und Weitererzählen der Tradition wird ein Textnetzwerk in generationsübergreifender Dimension aufgezeigt,113 das kein antiquiertes Relikt ist, sondern durch seine offene Bildlichkeit Gegenwartsrelevanz mit sich bringt.114 Doch dazu ist notwendig, ein objektivistisches, von einer neutralen Perspektive aus geschehendes Geschichtsverständnis abzulegen, um einer subjektivenintersubjektiven Deutung mit aktualisiertem Gegenwartsbezug Raum zu gewähren:115 Deshalb führt auch Paul Ricœur in diesem Zusammenhang das Geschichtsverständnis Friedrich Nietzsches an: „Nur aus der höchsten Kraft der Gegenwart dürft ihr das Vergangene deuten […]“.116 In besonderer Weise gilt dies für die kanonischen Texte der Bibel, die in ihrer offenen Ikonizität keine abschließende Versprachlichung Gottes versuchen, sondern als Ikone generationsübergreifend eine narrative Identität des Christentums ermöglichen:117 Von den Offenbarungsmomenten, über die Selbstoffenbarung, durch und mit der Tradition erzählt das Christentum sich seine Geschichte von Gott und sich mit Blick auf die erhoffte Zukunft. Diese Geschichtsdeutung ist nicht statisch und auch nicht totalisierend, sondern muss vom Einzelnen in einer Fundamentalentscheidung zu seiner Biographie angenommen werden, damit er selbst die Geschichte unter der Ereignishaftigkeit des Kreuzes als Heilsgeschichte verstehen und erleben kann. Diese Deutung zwingt sich ihm nicht auf, sondern bietet sich ihm als die eine, aber ‚schwache‘ Wahrheit an,118 um aber durch sie ein metaphorisches Bildnetzwerk zu haben, das eine narrative Identität in der Kirche ermöglicht. 113 Vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 299f. Es geschieht kein absoluter Weltuntergang, sondern durch die Spur ist weiterführende Erzählung möglich, deren Relevanz bis in die Gegenwart reicht, um von hier aus in einem „synoptische[n] Gesamturteil“ eine Zukunft zu erhoffen (Ders.: Zeit und Erzählung I. Zeit und historische Erzählung. Aus dem Französischen (Übergänge; 18/I). München 22007, S. 234.). 114 Vgl. Askani, Hans-Christoph: Schöpfung als Bekenntnis (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie; 50). Tübingen 2006, S. 30f. 34f. Es wird hier im biblischen Bereich kein Punkt, sondern eine Geschichte von Geschichten erzählt, die weitergeführt und zu einem Textgewebe verkettet werden, damit daraus eine gemeinsame Geschichte wird. Schöpfung ist in der biblischen Erfahrung kein einmaliger Akt, der dann zur Trennung führt, sondern ein weitergehendes Verhältnis. Vgl. ebd., S. 60f. 115 Vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 124f. 171. 116 Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben (KSA; 1). München 1999, S. 293f. Vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 385. 117 Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 220. Vgl. Klug, Sprache, Geist und Dogma, S. 45. 118 Vgl. Vattimo, Gianni: Glauben – Philosophieren. Aus dem Italienische übersetzt von Christiane Schultz (RUB; 9664). Stuttgart 2007, S. 33f. Vgl. Meuffels, Gott erfahren, S. 31. Dass die christliche Wahrheit sich durch ihre schwache Form der Un-Macht (im Sinne Balthasars) auszeichnet, sollte nicht als Makel verstanden werden, da sie durch ihre
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1.3.1 Urgeschichte und Mythos Die Bildwelt und -gestaltung der biblischen Urgeschichte (Gen 1-11; insbesondere 1, 1-3, 24) erweckt bei einem (spät-) modernen Leser unmittelbar den Eindruck, dass hier auf der Textoberfläche ein Mythos abgebildet werde. Dass diese Rezeptionswirkung eine gewisse Berechtigung hat, ist der Bildwelt geschuldet, die – vor allem durch die naturwissenschaftliche Kritik119 – nicht mehr naturalistisch, sondern wieder bildlich gelesen werden kann: Eine hochverdichtete Bildwelt bringt zum Ausdruck, dass Gott in seinem Ratschluss die Schöpfung (handwerklich) ins Sein gesetzt hat und innerhalb der Schöpfung dem Menschen einen privilegierten Platz zukommen lässt. Dieser Platz findet seinen lokalen Fixpunkt in einem wunderbaren Garten, der aber niemals von einem Menschen wieder betreten werden konnte.120 Stellt man diese Bildwelt aber in ihren altorientalischen Horizont, ergeben sich nicht nur entscheidende Differenzen hinsichtlich der Verarbeitung des bildlichen Materials, sondern auch – dies ist entscheidend – Differenzen auf der Metaebene im Geschichts- und Weltverständnis: Die Differenzen auf der Metaebene geben dann berechtigten Anlass dazu, von der Bildwelt der biblischen Urgeschichte nicht als Mythos, sondern als Darstellung in mythischer Gestalt zu sprechen. Um diese Differenz aber sauber zu unterscheiden, muss vorher der Mythos in seinen konstitutiven Punkten aufgearbeitet werden. Folgt man Mircea Eliade, Claude Levi-Strauss sowie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno als einige der maßgeblichen Theoretiker des Mythos, so stellt sich dieser als ein sprachlicher Versuch in vernünftig-verstehbarer Form dar, Grundgegebenheiten des Menschen in einer ewig gültigen Vergangenheit auszudrücken und auch anzusiedeln:121
Schwachheit die menschliche Freiheit ermöglicht und respektiert. Eine starke Wahrheit, die unmittelbar evident ist und zwingt, ist vielmehr durch einen inhärenten Gewaltmoment gekennzeichnet, das keine Freiheit oder Entscheidung zulässt. Vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 314f. 119 Hier sind im Besonderen Charles Darwin und seine Spielart der Evolutionstheorie ausschlaggebend gewesen. 120 Zieht man die Mythenbeschreibung Sallusts, dass der Mythos das darstellt, „was niemals war und immer ist“ (Sallust, De diis et mundo 4) heran, könnte die biblische Urgeschichte als Mythos verstanden werden. Doch da einen Mythos mehr ausmacht, als menschliche Grundbedingungen in einem narrativen Ursprungsgeschehen zu verorten, sollte die biblische Urgeschichte nicht vorschnell derart kategorisiert werden. 121 Vgl. Waldenfels, Hans: Mythos und christlicher Logos, in: Scheffczyk, Leo (Hg.): Rationalität. Ihre Entwicklung und ihre Grenzen (Grenzfragen; 16). Freiburg/München 1989, S. 253289; hier: S. 255f. 283.
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Der Mythos erzählt eine heilige Geschichte, d.h. ein primordiales Ereignis, das am Anbeginn der Zeit, ab initio, stattgefunden hat. Eine heilige Geschichte erzählen bedeutet aber soviel wie ein Mysterium enthüllen, denn die Personen des Mythos sind keine menschlichen Wesen: sie sind Götter oder Kulturheroen, und deshalb bilden ihre gesta Mysterien, die der Mensch nicht erfahren könnte, wenn sie ihm nicht enthüllt würden. Der Mythos ist also die Geschichte dessen, was sich in illo tempore zugetragen hat, der Bericht über das, was die Götter oder die göttlichen Wesen am Anbeginn der Zeit getan haben. Einen Mythos ‚sagen‘ heißt verkünden, was ab origine geschehen ist. Sobald der Mythos einmal ‚gesagt‘, d.h. enthüllt worden ist, wird er zur unumstößlichen Wahrheit: er gründet die absolute Wahrheit. […] Der Mythos verkündet das Erscheinen einer neuen kosmischen ‚Situation‘ oder eines primordialen Ereignisses. Er ist also immer der Bericht einer ‚Schöpfung‘: man erzählt, wie etwas ausgeführt wurde, wie es zu sein begann. Aus diesem Grund steht der Mythos in engem Zusammenhang mit der Ontologie: er spricht nur von Realitäten, von dem, was sich real ereignet, sich voll und ganz manifestiert hat.122
Dass die vermeintliche Primitivität des mythischen Ausdrucks nicht in radikaler Opposition zu einem logisch-wissenschaftlichen Denken steht,123 war ein besonderes Anliegen von Adorno und Horkheimer, die der aufgeklärten und vorurteilsfreien Wissenschaftsperspektive mit ihrer logischen Rationalitätsfixierung ihren eigenen blinden Fleck und ihre dialektische Gebundenheit vorhielten:124 Die Mythologie selbst hat den Prozeß der Aufklärung ins Spiel gebracht, in dem mit unausweichlicher Notwendigkeit immer wieder jede bestimmte theoretische Ansicht der vernichtenden Kritik verfällt, nur ein Glaube zu sein, bis selbst nur noch die Begriffe des Geistes, der Wahrheit, ja der Aufklärung zum animistischen Zauber geworden sind. […] Wie die Mythen schon Aufklärung vollziehen, so verstrickt Aufklärung mit jedem ihrer Schritte tiefer sich in Mythologie. Allen Stoff empfängt sie von den Mythen, um sie zu zerstören, und als Richtende gerät sie in den mythischen Bann. Sie will dem Prozeß von Schicksal und Vergeltung 122 Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Frankfurt 21985, S. 85. 123 Insbesondere ist diese Deutung durch die Perfektibilitätssicht der europäischen Aufklärung entstanden, die sich in einer Denkhaltung verortete, in welcher sich der Mensch stets weiter von seiner vorurteilsvertrickten und primitiven Vergangenheit lösen und sich einem zu einem vollendeten und aufgeklärten Menschen entwickeln sollte. 124 Dies kann mit Jaques Derrida als Logozentrismus beschrieben werden, der darin eine wissenschaftliche Ausschlussstrategie sah, die ihre eigene Eingebundenheit in die umfassende Textstruktur menschlichen Sprechens und Denkens nicht sehen wollte. Vgl. ders.: Grammatologie. Übersetzt von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler (stw; 417). Frankfurt 31990, S. 11f. u.ö. Es kann deshalb nicht darum gehen, der Irrationalität das Wort zu reden, sondern selbst die Bedingtheit logischen wie mythischen Redens und Denkens mit zu reflektieren.
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1. Der parallaktische Blick sich entziehen, indem sie an ihm selbst Vergeltung übt. In den Mythen muß alles Geschehen Buße dafür tun, daß es geschah. Dabei bleibt es in der Aufklärung: die Tatsache wird nichtig, kaum daß sie geschah. […] Das Prinzip der Immanenz, der Erklärung jeden Geschehens als Wiederholung, das die Aufklärung wider die mythische Einbildungskraft vertritt, ist das des Mythos selber. […] diese trockene Weisheit reproduziert bloß die phantastische, die sie verwirft; die Sanktion des Schicksals, das durch Vergeltung unablässig wieder herstellt, was je schon war. […] Aufklärung zersetzt das Unrecht der alten Ungleichheit, das unvermittelte Herrentum, verewigt es aber zugleich in der universalen Vermittlung, dem Beziehen jeglichen Seienden auf jegliches. […] sie schneidet das Inkommensurable weg.125
Deshalb stehen Mythos und Logos auch nicht in Über- oder Unterordnung bzw. in einem Entwicklungsverhältnis vom Primitiven zum Kulturellen zueinander. Sie sind vielmehr zwei gleichursprüngliche Arten der Weltbetrachtung und -beschreibung, weshalb mythische Logik und wissenschaftliche Logik ihre jeweilige Ausdrucksmethodik mit sich bringen.126 In gewisser Hinsicht kann daher sogar von einer Notwendigkeit der mythischen Sprache gesprochen werden, in welcher Unaussagbares gesagt werden kann.127 Von einem Kindheitsstatus der Menschheit, die sich sehr unbeholfen in mythischer Sprache ausdrücken muss, kann nicht gesprochen werden, da mit Claude Levi-Strauss und seinen Untersuchungen sehr anschaulich wurde, dass im ‚wilden Denken‘ des Mythos eine enorme Abstraktionsfähigkeit zu finden ist.128 Es erscheint die mythische Reflexion als eine intellektuelle Form der Bastelei. Die Wissenschaft baut sich ganz und gar auf der Unterscheidung zwischen Zufälligem und Notwendigem auf, die gleichzeitig zwischen Ereignis und Struktur ist. Die Qualitäten, die sie bei ihrer Entstehung für sich in Anspruch nahm, waren genau diejenigen, die, da sie nicht der gelebten Erfahrung angehörten, außerhalb der Ereignisse und ihnen gleichsam fremd bleiben […]. Die Eigenart des mythischen Denkens besteht, wie der Bastelei auf praktischem Gebiet, 125 Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt 1969, S. 17-19. 126 Vgl. Waldenfels, Mythos, S. 266. Zur etymologischen Aufarbeitung von logos und mythos: Vgl. Jamme, Christoph: ‚Gott an hat ein Gewand‘. Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos-Theorien der Gegenwart. Frankfurt 1991, S. 22. Die Gleichursprünglichkeit von Mythos und Logik sieht auch Martin Heidegger, der Dichten und Denken in einem konnektiven Verhältnis zueinander versteht, weswegen Denken selbst als Dichten verstanden werden kann. Vgl. ders.: Nachwort zu ‚Was ist Metaphysik‘, in: Ders.: Wegmarken (GA; 9). Frankfurt 1976, S. 311f. Vgl. ders.: Sein und Wahrheit (GA; 36/37). Frankfurt 2001, S. 116f. 127 Vgl. Ricœur, Paul: Die Fehlbarkeit des Menschen. Phänomenologie der Schuld I. Freiburg/ München 1971, S. 24. 128 Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 64.
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darin, strukturierte Gesamtheiten zu erarbeiten, nicht unmittelbar mit Hilfe anderer strukturierter Gesamtheiten, sondern durch Verwendung der Überreste von Ereignissen […] Abfälle, Bruchstücke, fossile Zeugen der Geschichte eines Individuums oder einer Gesellschaft. In gewissem Sinn ist also das Verhältnis zwischen Diachronie und Synchronie umgekehrt: das mythische Denken, dieser Bastler, erarbeitet Strukturen, indem es Ereignisse oder vielmehr Überreste von Ereignissen ordnet, während die Wissenschaft, ‚unterwegs‘ allein deshalb, weil sie sich stets begründet, sich in Form von Ereignissen ihre Mittel und Ergebnisse schafft, dank den Strukturen, die sie unermüdlich herstellt und die ihre Hypothesen und Theorien bilden. Aber täuschen wir uns nicht: es handelt sich nicht um zwei Stadien oder um zwei Phasen der Entwicklung des Wissens, denn beide Wege sind gleichermaßen gültig. […] Und das mythische Denken ist nicht nur der Gefangene von Ereignissen und Erfahrungen, die es unablässig ordnet und neuordnet, um in ihnen einen Sinn zu entdecken; es ist auch befreiend: durch den Protest, den es gegen den Un-Sinn erhebt, mit dem die Wissenschaft zunächst resignierend einen Kompromiß schloß.129
Mit Blumenberg sowie Adorno und Horkheimer kann im menschlichen Symbolisierungsgeschehen des Mythos ein Rationalisierungsstreben erkannt werden, in welchem menschliche Dominanz und (narrative) Beherrschung von zuvor Unerklärbaren einen konstitutiven Teil haben, indem eine mythische „Entmächtigung der Mächte“130 als „Entängstigung des Menschen vor allen ihm unbegreiflichen Gewalten“131 stattfindet: Der Mythos betreibt damit eine spezifische Art von Aufarbeitung von natürlichen Gegebenheiten – damit findet im Mythos selbst Aufklärung statt:132 In mythischer Aufarbeitung zeigt sich der Mensch als selbstbehauptendes und -erklärendes Wesen.133 Die Verortung dieser Grundgegebenheit findet in der Vergangenheit statt, die im Status ewiger Gültigkeit steht und sich somit auch mit einem absoluten Wahrheitsanspruch ausgestattet sieht.134 Das maßgebliche Moment der Geschichte ist hierdurch nicht die Gegenwart, sondern Gültigkeit wird der Vergangenheit als Ursprungswahrheit zugeschrieben. Der Konnex von Gegenwart und Vergangenheit findet seinen Ort im Kult, indem das Ursprungsgeschehen des Mythos in mimetischer Art nachvollzogen wird und der Mensch an dieser ewig gültigen Wahrheit Anteil hat,135 wodurch eine Einschreibung der 129 Vgl. Lévi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt 1968, S. 35f. 130 Horkheimer/Adorno, Dialektik, S. 53. 131 Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos. Frankfurt 41986, S. 597. 132 Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 96. 133 Vgl. Blumenberg, Arbeit, S. 152. Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 101. 134 Vgl. Eliade, Heilige, S. 78. 135 Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 149. 153-155. 162. Vgl. Rendtorff, Rolf: Kult, Mythos und Geschichte im Alten Israel, in: Ders.: Gesammelte Studien zum Alten Testament (Theologische Bücherei; 57). München 1975, S. 110-118; hier: S. 111.
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Existenz in diese Ordnung gelingt und der Mensch vervollkommnet wird bzw. sich Anhalt an der versöhnten Wirklichkeit der maßgeblichen Urzeit erhofft.136 So wird auch der Kult in diesem zyklischen Geschichtsverständnis vergangenheitszentriert bestimmt und repetitiv wiederholt: Man wird wahrhaft Mensch nur, indem man sich der Lehre der Mythen angleicht, also indem man die Götter nachahmt.137
Dadurch besitzen Kult und Mythos eine Funktion der sozialen Einigung,138 weil den anteilhabenden Menschen Zugang zum entscheidenden Moment der Geschichte gewährt wird und dies auch noch im Mythos ein holistisches Narrativ als umfassender Welthorizont findet. Der mythische Blick zeigt sich damit als radikal retrospektiv, weswegen Fragen von Zukunft und Verheißung irrelevant erscheinen.139 Die Geschichtsperspektive zeigt sich daher als der entscheidende Divergenzpunkt zwischen der altorientalischen Umwelt und Israel selbst: Im Laufe der Erfahrung mit Begegnung von Gott und seinem Volk löst es sich von einem mythisch-retrospektiven Geschichtsbild und öffnet dieses hin zur Teleologie: Die Vergangenheit wird zwar erinnert, aber als Einlösung der göttlichen Verheißung in einmaliger Manifestation, was auch den Gegenwarts- und Zukunftshorizont bestimmt.140 Gegenwart und Zukunft sind für Israel der Raum, in dem sich die Verheißungen Gottes erfüllen werden.141 Statt an ein zyklisches Welt- und Zeitverständnis der altorientalischen Umwelt gebunden zu sein, entwickelt sich in Israel durch die (irritierende) Begegnung von Gott und Mensch in der Zeit ein – soweit bisher erkennbar – einzigartiges Zeitverständnis von Einmaligkeit des Geschehenen und Linearität des Zeitverlaufs.142 Hierin wird 136 Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 192f. Vgl. Chauvet, Louis-Marie: Symbol und Sakrament. Eine sakramentale Relecture der christlichen Existenz. Übersetzt von Thomas Fries (Theologie der Liturgie; 8). Regensburg 2015, S. 326f. 137 Eliade, Heilige, S. 89. So stehen Kult/Ritus und Mythos in einer engsten Verbindung. Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 149f. 138 Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 159-161. 139 Vgl. auf der Maur, Hansjörg: Feiern im Rhythmus der Zeit I. Herrenfeste in Woche und Zeit (Handbuch der Liturgiewissenschaft; 5). Regensburg 1983, S. 23f. Vgl. Bieritz, Karl-Heinrich: Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart. München 1994, S. 24f. 140 Vgl. Rendtorff, Kult, S. 118. Vgl. Bieritz, Kirchenjahr, S. 26f. 141 Vgl. Pannenberg, Wolfhart: Die weltgründende Funktion des Mythos und der christliche Offenbarungsglaube, in: Schmid, Hans Heinrich (Hg.): Mythos und Rationalität. Gütersloh 1988, S. 108-122; hier: S. 113-116. 142 Vgl. Bieritz, Kirchenjahr, S. 25. Vgl. auf der Maur, Feiern im Rhythmus, S. 23. Geht man von einer jüdisch-christlichen Prägung des Abendlandes aus, wird es auch verständlich,
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die Zukunft in der zielgerichteten Hoffnungsperspektive entscheidend, weil sich dort die göttliche Verheißung erfüllen wird.143 Um aber dieses Geschichtsverständnis selbst ausdrücken zu können, bedient sich Israel der mythischen Sprache und Bilder der Umwelt, weil das Mythische bzw. der Mythos die Möglichkeit besitzt, eine Wirklichkeit zu beschreiben, die sich nicht in eindeutig definierte und distinkte Begriffe überführen lässt und dadurch in großer Nähe zur Metapher steht.144 Weil die Metapher keine Abgeschlossenheit der Sprache mit sich bringt, wird die Offenheit der mythischen Bilder zur steten Aufgabe, gedeutet zu werden.145 Israel bedient sich der mythischen Bildwelt, verfremdet und karikiert sie, um die eigene Geschichtsperspektive abbilden zu können, ohne aber die Axiomatik des Mythos zu teilen. Mit Blumenberg gesprochen: Israel arbeitet am Mythos.146 Die Abweichung der biblischen Urgeschichte wird durch die Unharmonisierbarkeit der beiden Schöpfungsberichte zueinander offensichtlich. Wenn Claude Lévi-Strauss den Mythenerzähler auch durch die ‚bricolage‘ als Bastler der mythischen Erzählung ausweist,147 bei dem diese eine Konsistenz in seinem Gesamtrahmen ausweisbar ist, trifft dies nicht für die biblischen Schöpfungsberichte zu, die durch eine nicht nivillierbare Spannung konfrontativ zueinander stehen. Alleine die Anordnung spricht hier Bände. So verwendet die biblische Urgeschichte Motive aus der altorientalischen Umwelt, ohne aber deren geschichtliche, narrative oder kultische Axiomatik zu teilen, denn die Motive werden gebrochen-kontrastiv in karikierender Weise verwendet:148 So scheint es plausibel, dass die einmalige Verwendung von ‚Leuchten‘ bzw. ‚Lichtern‘ in Gen 1, 16a in Bezug auf die allgegenwärtigen Astralkulte gesetzt wurde.149 Die ansonsten im alten Orient mit immenser Würde und Hoheit versehenen Gestirne, denen eigene Kulte gewidmet
warum das mythische Denken derart an Plausibilität eingebüßt hat. Nach Jamme, der Gehlen zitiert, war der entscheidende Punkt, der zum Untergang des Mythos geführt hat, das linear-historische Bewusstsein. Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 191. 143 Vgl. Bieritz, Kirchenjahr, S. 26f. 144 Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 104. 168-174. 145 Vgl. Askani, Schöpfung als Bekenntnis, S. 26. Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 27: „das Symbol [i.e. eine mythisch-metaphorische Wirklichkeitsbeschreibung] gibt zu denken.“ 146 Vgl. Blumenberg, Arbeit am Mythos. Vgl. Waldenfels, Mythos, S. 268f. Weswegen auch Ricœur dem Mythos oder vielmehr der mythischen Metaphorik eine Notwendigkeit im menschlichen Denken attestiert: Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 398f. 147 Vgl. Jamme, Gott an hat, S. 29f. Vgl. Lévi-Strauss, Das wilde Denken, S. 35f. 148 Vgl. Pannenberg, weltgründende Funktion des Mythos, S. 115-117. 120-122. 149 Vgl. Seebass, Horst: Genesis I. Die Urgeschichte (1,1-11,26). Neukirchen-Vluyn 1996, S. 74.
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wurden, werden zu Funktionsträgern degradiert.150 Stellt man auch das Motiv der Menschenschöpfung in den altorientalischen Horizont, werden die Differenzen und die karikierende Darstellung offensichtlich: Im babylonischen Enuma-Elisch-Mythos werden die Menschen durch Marduk dafür erschaffen, den Göttern Dienst zu leisten und diese zu entlasten. Von einer solchen Dienst- oder Knechtsposition kann im priesterschriftlichen (und auch im nicht-priesterschriftlichen) Schöpfungsbericht keine Rede sein, weil der Mensch aus dem Anspruch geschaffen wird, „Abbild Gottes“ (Gen 1, 25f.) zu sein.151 Die nahestehendste Parallele findet sich im altägyptischen Bereich, wo alleine der Pharao das Recht und die Würde besitzt, Abbild Gottes sein zu dürfen.152 Auch die Schlange in Gen 3, 1 lässt sich in einer karikierenden Lesart verstehen, die sich gegen einen aus Kanaan stammenden Schlangenkult richtet, in welchem die Schlange ein Lebens- und Weisheitstier ist, und deshalb verehrt wird: Hier wird sie in abgrenzender Weise zum Verführer erklärt.153 Auch mit der Gewaltlosigkeit hebt sich die biblische Urgeschichte von dem Großteil der altorientalischen Umwelt ab:154 Es muss keinem Gott erst der Schädel o.Ä. gespalten werden, um Material für die Schöpfung zu haben – alles geschieht aus dem seinssetzenden Schaffen des alleinigen Gottes, neben dem alles kreatürlich ist.155 Auch in der Darstellung des Sündenfalls wird gezeigt, dass Gewalt keinen strukturellen Ort im monotheistischen Schöpfungshorizont hat und diese rein kreatürlichen Ursprungs ist: Das Böse sowie die Sünde sind kein böses Geschick oder fatales Verhängnis, sondern stehen (auch) in der Verantwortung des Menschen für seine zukunftsoffenen Handlungen mit entsprechenden Konsequenzen.156 Dabei wird auch hier keine systematische 150 Ihre Existenz ist bedingt und nicht ursprunglos gegeben. Sie sind rein kreatürlich und mehr auch nicht. Vgl. Westermann, Claus: Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (Biblischer Kommentar. Altes Testament; I/1). Neukirchen-Vluyn 1974, S. 176f. 151 Vgl. Westermann, Genesis, S. 95. 152 Vgl. Seebass, Genesis, S. 79-81. Vgl. Westermann, Genesis, S. 209-213. 153 Vgl. Westermann, Genesis, S. 323. Obwohl Westermann die kultische Dimension des Schlangenmotivs erkennt, geht er dann nicht weit genug, um auch den verzerrenden und verstellenden Charakter der Anführung der Schlange anzuerkennen, denn es verwundert die Geringschätzung des Schlangenmotivs in der Narration. Vgl. ebd., S. 324f. 154 Einige Ausnahmen gibt es: So gibt es zum Beispiel in Ägypten die Vorstellung einer Schöpfung durch das gebieterische Wort Ras. 155 Diese binäre Unterscheidung, die zwischen Gott und allem Kreatürlichen trennt, bietet dann die Grundlage, um in späterer Zeit von der creatio ex nihilo zu sprechen. 156 Mit Augustinus führt Ruhstorfer dementsprechend aus: „Die Ursache des malum, nicht im Sinne des Mangels, sondern des Bösen, ist der freie Wille des Geschöpfs.“ (Ruhstorfer, Konversionen, S. 266.) Ein natürliches Prinzip des Bösen würde zu einer dualistischen Ontologie führen, die dem biblischen Schöpfungverständnis grundsätzlich widersprechen würde.
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und totalisierende Erklärung des Bösen geliefert, weswegen die Bildwelt des Mythischen von entscheidender Notwendigkeit ist, um überhaupt sprachfähig zu sein.157 Die Grundgegebenheit des Bösen in der Welt wird erkannt und metaphorisch im Bild der Schlange, von der sich der Mensch verführen lässt, aufgearbeitet;158 eine Notwendigkeit des Bösen im schöpfungstheologischen Horizont ist aber nicht gegeben.159 Der Wille Gottes war auch prälapsarisch erkennbar – insbesondere unter relationaler Hinsicht, wie der Mensch sich im gegebenen Lebensraum zu Gott verhalten soll:160 Das Gebot eröffnet somit eine Möglichkeit, sich zu dem Gebietenden zu verhalten. Es wird dem Menschen in diesem Gebot etwas zugetraut, er wird in einen Raum der Freiheit gestellt, die das Tier nicht hat, es ist keine Einengung, sondern eine Erweiterung seiner Existenzmöglichkeiten […].161
Der Baum ist daher gewissermaßen ein metaphorischer Freiheitsmarker, der anzeigt, dass die menschliche Freiheit besteht – es gibt die Möglichkeit einer Entscheidung: Akzeptanz des göttlichen Gebots oder Infragestellung und 157 Eindeutigkeiten werden gerade vom Mythos durch seine Bildlichkeit vermieden, weswegen jedes Bild eine Multiperspektivität mit sich bringt, die nicht totalisierend vereinseitigt werden darf, um eine konsistente Erklärung zu erhalten. Dies wäre Gewalt gegenüber dem Text. Dieses Thema wird ausführlicher unter den Punkten 5.1 und 5.2 behandelt. 158 Vgl. Westermann, Genesis, S. 325: „Das Böse oder die Kraft der Verführung, von der Gn 3 spricht, muß ein menschliches Phänomen sein, ebenso wie die Sünde des Menschen, die Übertretung. Adam steht in Gn 2-3 in gar keiner Weise für Israel, Adam repräsentiert die Menschheit. Damit, daß in Kap. 3 J [= der Jahwist] die Menschen durch die kluge Schlange, ein Geschöpf Gottes, verführt werden läßt, bringt er zum Ausdruck, daß es nicht möglich ist, die Herkunft des Bösen zu erkennen. Es bleibt bei der schroffen Aporie, daß Gott das Wesen geschaffen hat, das den Menschen zum Ungehorsam verführt; das Böse bleibt in seiner Herkunft absolut rätselhaft.“ Hier muss korrigierend hinzugefügt werden: Das Böse bleibt auf der geschöpflichen Ebene unerklärlich – auf der ontologischen Ebene hat es prinzipiell keinen Ort: Es ist ein Abfall vom Guten der göttlichen Schöpfungsordnung. 159 Dass die Schlange aber zum Paradigma des Bösen wird und mit Satan bzw. dem Teufel identifiziert wird, hat zwar an der Textoberfläche selbst wenig Anhalt, aber dennoch lässt sich dies über die Entzweiung der menschlichen Gemeinschaft und die personelle Desintegration plausibilisieren, da der Teufel nach griechischer Etymologie der διάβολος [= Verleumder, der wahr und falsch absichtlich vertauscht] ist. Wie auch Ratzinger und Lehmann deutet Bründl den Teufel als metaphorische Ausgestaltung der Unperson, die die gesellschaftlichen Bedingungen des gelingenden Zusammenlebens zerstört. Vgl. Bründl, Jürgen: Die Masken des Bösen. Eine Theologie des Teufels (BDS; 34). Würzburg 2002, S. 345-368. 401-404. Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 296. 160 Vgl. Arneth, Martin: Durch Adams Fall ist ganz verderbt …. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte (Forschung zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testamentes; 217). Göttingen 2007, S. 125. 161 Westermann, Genesis, S. 304.
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Verwerfung des göttlichen Gebots.162 Die paradiesischen Menschen treffen diese Entscheidung, indem sie die göttliche Schöpfungsordnung hinterfragen, anzweifeln und faktisch die eigene Deutungshoheit als maßgeblicher ansehen: Es kommt zur zweifelnden und nicht vertrauenden Differenz des Menschen gegenüber Gott, was eine Distanz zwischen Gott und Mensch mit sich führt: Sie stellen den Willen Gottes aktiv in Frage. So wird durch die menschliche Handlung das Paradies als Ort der Gemeinschaftssituation angezweifelt und dadurch die Gemeinschaft sowohl zwischen Gott als auch zu sich selbst auf die schiefe Ebene gebracht. Das Paradies kann in seiner metaphorischen Dimension als bildliche Ausgestaltung des Schöpfungsratschlusses gesehen werden, wobei die Distanz aus der Infragestellung des Willens Gottes dem Willen des Schöpfers entgegen steht und nicht sein sollte; diese Distanz ist daher im heilsgeschichtlichen Narrativ derart eingefasst, um letztendlich aufgehoben zu werden. Ebenso zeichnet sich der Mensch im paradiesischen Bild dadurch aus, dass er kein Solitär ist, sondern grundlegend als Gemeinschaftswesen konzipiert ist: Erst in der Gemeinschaftssituation (von Mann und Frau) ist der Mensch wahrhafter Mensch in Integrität mit sich selbst – es besteht eine Angewiesenheit auf ein differentes Gegenüber.163 Dass die menschliche Gemeinschaft prinzipiell gottgewollt ist, zeigt auch der priesterschriftliche Schöpfungsbericht: Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen. (Gen 1, 26-28)164
162 Vgl. Ernst, Grundfragen, S. 261. 273: „In jeder einzelnen Handlung nämlich wird immer auch – wenn auch zumeist nicht bewusst – implizit eine grundsätzliche Wahl oder eine Grundentscheidung des Handelnden getroffen, in der er auch über sich selbst entscheidet“ (ebd., S. 273). 163 So zeigt sich für Askani auch, dass Differenz und Trennung nicht per se negativ zu verstehen ist, sondern Differenz auch Freigabe bedeuten kann, durch welche ein Raum der Gegenseitigkeit gewährt werden kann. Vgl. Askani, Schöpfung als Bekenntnis, S. 60f. 71. 164 Beachtenswert in entscheidendem Maße ist, dass der Segen über den Menschen stets im Plural gesprochen wird. Nach dem Willen des Schöpfers ist der Mensch ein Gemeinschaftswesen. Es lässt sich deswegen von der menschlichen Differenz-Struktur als Raumeröffnung der Selbstfindungsmöglichkeit sprechen.
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Nur in seiner Gemeinschaftssituation ist der Mensch Ebenbild Gottes – isoliert er sich von der Gemeinschaft und verweigert er sich dem Zusammenleben, lässt sich nach dem Bild des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts folgern, dass er einen entscheidenden Aspekt seiner göttlichen Würde einbüßt. Seine Ebenbildlichkeit wird verzerrt: „Gottes Geschöpf ist nicht schon der Mensch in seinem Vorhandensein, sondern erst der Mensch in der Gemeinschaft.“165 Trotz des textgeschichtlich höheren Alters der nicht-priesterschriftlichen Erzählung nimmt diese im narrativen Verlauf das Bild der gemeinschaftlichen Schöpfungsbestimmung wieder auf und kommentiert diese hinsichtlich ihrer weltlichen Faktizität: Der Mensch lebt zwar noch in gemeinschaftlicher Weise zusammen, aber dennoch hat dieses Zusammenleben einen gebrochenen Charakter, indem prälapsarisch der Jubel des Menschen über seine Gefährtenschaft (vgl. Gen 2, 23) eine ungehaltene Freude über sein Dasein in Gemeinschaft ausweist,166 das sich dann aber postlapsarisch als gestörte Gemeinschaftsbeziehung sowohl sich selbst gegenüber als auch gegenüber Gott darstellt: „Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren“ (Gen 3, 7).167 Auch wenn Arneth hier von der „Entdeckung ethischreligiöser Personalität“ spricht,168 muss er dies als Abstiegssituation kennzeichnen, da nun der Mensch in Ambivalenz zu sich selbst und zu Gott steht.169 So können Nacktheit und Scham als Konsequenz des menschlichen Zweifels gegenüber dem Heilswillen Gottes gesehen werden – indem der Mensch Gott in Frage stellt, stellt er auch sich (und seinen Ort in der Schöpfung) in Frage. Die Infragestellung geschieht aus Zweifel, und der Zweifel generiert Unsicherheit und Desintegriertheit gegenüber sich selbst, was sich in Scham und Nacktheit äußert. Als Reaktion der Scham erfolgt eine Distanzbewegung aus
165 Westermann, Claus: Genesis 1-11 (Erträge der Forschung; 7). Darmstadt 1972, S. 31. Demnächst zitiert als: Westermann, Genesis [TB]. 166 Dieser Jubel des Mannes über die Gemeinschaft mit der Frau markiert eine Reflektionsstufe, die schon vor dem Sündenfall liegt. Es braucht nicht zwingenderweise den Sündenfall, um zu einer Reflektion des eigenen Daseins zu kommen, wie Hegel den Sündenfall deuten will. Der Jubel zeigt eine Erkenntnis über einen aufgehobenen Mangel des eigenen Daseins an, indem durch die Gemeinschaft von Mann und Frau das vollere Leben möglich ist. Der Jubel präsentiert einen Zustand des für-sich statt der Darstellung Hegels, die einen unmittelbaren Zustand des reinen an-sich in prä-lapsarischer Hinsicht unterläuft. Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes, in: Ders.: Hauptwerke in sechs Bänden. Bd. 2. Hamburg 2015, S. 412 (722-724). Demnächst zitiert mit: PhG. 167 Vgl. Gen 2, 25: „Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.“ 168 Arneth, Durch Adams Fall, S. 127. 169 Vgl. Arneth, Durch Adams Fall, S. 127.
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dem vollen Zusammenleben von Gott und Mensch um dem Menschen selbst:170 Der Mensch isoliert sich durch den selbstgeschaffenen Zweifel. Weil er aber nicht Souverän seiner eigenen Schöpfungsbestimmung ist, sondern an sie in geschöpflicher Weise gebunden bleibt, ist er auch postlapsarisch auf die Gemeinschaft verwiesen und findet nur dort sein volles Menschsein. Die Paradiesgeschichte kann daher als bildlich-metaphorische Ausgestaltung dieser Distanzierungsfaktizität verstanden werden, die aus gläubiger Perspektive nicht von göttlicher Seite gewollt ist, nun aber faktisch das Leben des Menschen bestimmt. Die Distanz von Gott und Mensch ist nicht in der Schöpfungsordnung grundgelegt, sondern ein sekundäres Dispositiv des menschlichen Lebens. Die Bildwelt des Paradieses kann in dieser Deutung eine eigentliche Unmittelbarkeit von Gott und Mensch anzeigen, die aber menschlicherseits korrumpiert wurde. Die Paradieserzählung ist daher eine metaphorische Ausgestaltung einer Distanzierungsfaktizität. Mit dem Kirchenrecht gedacht kann hier von einer Tatstrafe gesprochen werden:171 Der Mensch wirft sich durch seine nicht vertrauende, in Frage stellende und anzweifelnde Handlung und Haltung (im Sinne einer Grundentscheidung) selbst aus dem Raum der unmittelbaren Nähe Gottes – er distanziert sich von ihm durch den Zweifel. Die Vertreibung durch Gott ist nur noch ein formeller Akt, da der Mensch sich schon von diesem Ort der Unmittelbarkeit und der vertrauensvollen Nähe selbst entfernt hat. Dass dieser Verlust der Nähe bei eigentlicher Gutheit der Schöpfung nicht im Sinne der Schöpfungsordnung liegt, wird im Bild des Paradieses sagbar, ohne aber eine totalisierende Erklärung liefern zu wollen. Das Bild von der ehemaligen Situation der Gottesnähe und der selbstgeschaffenen Vertreibung sollte aber nicht isoliert stehen bleiben, da es in einem narrativen Horizont steht: Israel erzählt seine Geschichte von der Begegnung von Gott und sich, wobei es auf die mythische Bildwelt der Umwelt angewiesen ist, die es aber verfremdet verwendet. Diese Erzählung versprachlicht den Weg von Israel und Gott durch die Zeit hindurch. Auch die Paradieserzählung ist Teil dieser narrativen Identität und steht daher in konsekutiver Verbundenheit mit dem nachfolgenden Erzählungsteil, was auch über Stichworte ersichtlich ist, die eine vernähende Wirkung haben: So ist der Adamsfluch aus Gen 3, 17 in narrativer Gestaltung mit der Wiedererwähnung des Fluches in
170 Bildlich dargestellt im Herstellen eines Schurzes – als Schutzgeste gegenüber dem Blick des Anderen. 171 Vgl. CIC 1983, c. 1364 § 1.
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Gen 5, 29 verwoben.172 So zeigt sich eine narrative Absicht der beiden Schöpfungsberichte, indem Aspekte universellen Menschseins unter dem Aspekt der Begegnung mit dem einen Gott und seiner Begleitung seines Volkes interpretiert werden: Diese Absicht von J [dem Jahwisten] und P [der priesterschriftlichen Tradition], Menschheitstraditionen vom Anfang aufzunehmen und gewandelt weiterzugeben, daß sie in der Jahwegemeinde gehört werden, und diese Menschheitstraditionen in Verbindung zu bringen mit den Israel eigenen, aus dem Bekenntnis zu Jahwe, dem Retter, erwachsenen Traditionen, muß als solche theologisch anerkannt und gewertet werden.173
Israel erzählt von Grundbedingungen des Menschseins, verwendet dazu mythische Bilder der Umwelt in gebrochen-karikierter Form und verbindet sie anschließend mit der eigenen Erzählung der Begleitung Gottes.174 Trotz der menschlichen Isolationsbewegung durch Zweifel und Nicht-Vertrauen begleitet Gott die Schöpfung und zeigt sich ihr in vermittelter, sakramentaler Weise: Er lässt seine Schöpfung nicht alleine. Die neue Situation der Unmittelbarkeit von Gott und Mensch lokalisiert sich heilsgeschichtlich am Kreuz, indem der Tempel als Begegnungsort in Vermittlung aufgehoben wird, um Gott neu unmittelbar nahe zu sein. Paradies und Adam. Oder: Die christologische Aufhebung des adamitischen Zustandes Um die veränderte Wirklichkeit des Menschen durch das Kreuzesgeschehen Christi beschreibbar zu machen, greift Paulus auf die typologische Gegenüberstellung von Adam und Christus bzw. von alten Adam und neuem Adam zurück. Die prominente Perikope Röm 5, 12-21 ist nicht das erstmalige Auftauchen der Adam-Christus-Typologie, sondern wurde von Paulus zuvor schon in 1 Kor 15, 21. 45-49 verwendet. Die unvermittelte Arbeit mit dieser Typologie in 1.3.2
172 Vgl. Arneth, Durch Adams Fall, S. 106-109. Da Gen 5, 29 aus der priesterschriftlichen Tradition stammt, von der auch der erste Schöpfungsbericht geschrieben ist, ist über den Konnex von 3, 17 mit 5, 29 auch eine (nicht-nivillierende und den Eigengehalt bestehen lassende) Lesbarkeit des ersten mit zweiten Schöpfungsbericht möglich: Es zeigt sich hier sehr stark, dass die Urgeschichte eine narrative Linie ausweist. Arneth plädiert auch dafür, unter dem Fluch-Konnex von 3, 17 und 5, 29 den ersten und zweiten Schöpfungsbericht unter dem Aspekt von Fluch und Segen zu betrachten, da die motivische Verbundenheit auch gegeben ist. 173 Westermann, Genesis, S. 90. 174 Weswegen auch an die Anfänge (Gen 1, 1-11, 9) die Geschichte Gottes mit den Erzvätern (Gen 11, 10-36, 43) anschließt.
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1 Kor spricht dafür, dass sie in Korinth schon bekannt war.175 Dies deutet auf eine sehr frühe Traditionsbildung und auf eine transformierende Rezeption des vereinzelten Auftauchens der Adam-Paradies-Motivik im Judentum. Die spärlichen Stellen, in denen Adam im jüdischen Horizont als Typos des Menschseins gebraucht wird, stehen im radikalen Kontrast zu einem christlich-paulinischen Adam-Christus-Verhältnis: Zwar wird eine vorstrukturierte Situation des menschlichen Lebens durch das Paradiesgeschehen (z.T. mit dem Fokus auf Eva)176 erkannt,177 aber die Tragweite der postlapsarischen Verfassung ist erst mit dem Kreuz als parallaktischem Ort gegeben: In der jüdischen Adamsmotivik gibt es durch die Treue zum Gesetz die Möglichkeit, im Stand der Gerechten zu stehen – eine Ausweglosigkeit für den Menschen, seiner eigenen Situation zu entkommen, wird nicht gesehen, weil unter diesem Aspekt das Gesetz überflüssig wäre:178 Werkgerechtigkeit durch Gesetzesobservanz scheint hier möglich. Der Wirkung der Sünde Adams steht hier also keinerlei entsprechende messianische Gegenwirkung gegenüber; denn mit dem Gesetz liegt ja jedem Menschen der Weg zum Heil offen, darüber hinaus gibt es [aus jüdischer Sicht] für den Sünder keine Heilsmöglichkeit. […] Der paulinische Gedanke setzt also nur hinsichtlich der Adam-Seite jüdische Tradition voraus, nicht dagegen auf der Christus-Seite. […] Dieser Radikalität der Sünde Adams entspricht auf der Gegenseite der Radikalität der Gnade Christi. Was Paulus von ihr sagt, hat nicht nur keinerlei Analogien in jüdischer Adam-Tradition, sondern widerspricht auch deren Axiom, der Tora als Kriterium sowohl von Sünde wie von Gerechtigkeit.179
Schaut man auf die Beschreibung Pauli, mit der er die beiden typologischen Situationen inhaltlich ausgestaltet, so zeigt sich, dass Paulus nicht eine passive Statik des Menschen präsentieren will, sondern vielmehr eine aktive Haltung des Menschen gegenüber Gott zum Ausdruck bringen möchte: Feindschaft und Ungehorsam gegen Glaube und Gehorsam, wobei als inhaltliche Ausformung des Ungehorsams und der Feindschaft der Mensch sich derart gegenüber Gott 175 Vgl. Pesch, Rudolf: Römerbrief (NEB; 6). Würzburg 21987, S. 52. Vgl. Wilckens, Ulrich: Der Brief an die Römer. Teilband I. Röm 1-5 (EKK; VI/1). Neukirchen-Vluyn 21987, S. 308. Vgl. Schrage, Wolfgang: Der erste Brief an die Korinther. 4. Teilband. 1 Kor 15, 1-16,24 (EKK; VII/4). Neukirchen-Vluyn 2001, S. 162. 176 Vgl. Sir 25, 24: „Von einer Frau nahm die Sünde ihren Anfang, ihretwegen müssen wir alle sterben.“ Weder auf Adam noch auf Eva bezogen, findet sich in Weish 2, 23f. die Erklärung über den Neid des Teufels: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören.“ 177 Vgl. Wilckens, Brief an die Römer I, S. 311. 178 Vgl. Wilckens, Brief an die Römer I, S. 311. 179 Wilckens, Brief an die Römer I, S. 312f.
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verhält, dass er sich von Gott abwendet, weil er Zweifel an seiner Güte hat und ihm so zum Feind wird.180 Hieraus spricht ein Souveränitätsgedanke, dass der Mensch es Gott nicht zutraut, das Leben des Menschen zum Guten und zur Erfüllung zu lenken, weswegen der Mensch aus Angst und Zweifel gegenüber der Macht und der Güte Gottes sich an sich selbst wendet und in eine Haltung der Selbstrechtfertigung verfällt (vgl. Röm 7, 8), in der die Begierde erwacht und von nun an das menschliche Leben bestimmt.181 Durch das Erwachen der Begierde geschieht mit Ruster gesprochen eine autopoietische, selbstverstärkende Rückkopplung:182 Im Sündigen des Menschen, das jeweils eine Grundentscheidung der existenziellen Haltung in der einzelnen Handlung des Menschen mit sich bringt,183 gewinnt die Sünde eine performative Eigenwirklichkeit, die das menschliche Leben und die Welt des Menschen in radikaler Weise überformt.184 Der Mensch befindet sich daher aus eigenem Machtwillen in einer nicht mehr kontrollierbaren und ohnmächtigen Verfassung, wie es entschieden von Augustinus hervorgehoben wird.185 Das gegenwärtige Wohnen des Menschen wird von seiner eigenen Ohnmacht gekennzeichnet. Der Mensch hat keine Macht über sich selbst. Er tut das, was er nicht will. So wird die Sache bezogen auf die Macht des Schöpfers und die Ohnmacht des Geschöpfs. Dieses Machtverhältnis resultiert aus einem geschichtlichen Vorgang, an dessen Anfang die Schöpfung und der Sündenfall stehen. Also ist die Sache Augustins das gebrochene Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf.186
180 Vgl. Pesch, Römerbrief, S. 53f. 181 Vgl. Pesch, Römerbrief, S. 55. 182 Vgl. Ruster, Thomas: Von Menschen, Mächten und Gewalten. Eine Himmelslehre. Ostfildern 22007, S. 93-96. 198-205. So präzise Ruster hier die sich selbst verstärkende Wirklichkeit der Sünde beschreiben kann, hat seine Analyse eine christologische Schieflage: Das Aufbrechen der sündhaften Wirklichkeit zu einem neuen, befreiten Leben kommt kaum zur Sprache. Eine ähnliche Sicht auf die selbstverstärkende Wirkung der sozialen Überformung der Handlung lässt sich auch bei Kotsko in Hinsicht auf die Angst und das koreanische Konzept des han finden. Vgl. Kotsko, Adam: The Politics of Redemption. The Social Logic of Salvation. London/New York 2010, S. 37f. 197f. 183 Vgl. Ernst, Grundfragen, S. 261. 273. 184 Vgl. Wilckens, Brief an die Römer I, S. 314f. Hier scheint es einen Ansatzpunkt für die geschlechtliche Weitergabe der Erbsünde nach Augustinus zu geben: Durch das Gezeugtwerden tritt der Mensch in eine Welt (im Sinne Heideggers) ein, die vorstrukturiert und durch Selbstverständlichkeiten des menschlichen Lebens (Gewinnlogik, Profitmaximierung, egozentrische Isolation) ‚alternativlos‘ geworden ist. Es gibt für den Menschen keine Möglichkeit sich jenseits des Christus-Ereignisses von dieser Welt zu distanzieren. Die Überformung der Sünde bindet ihn. 185 Vgl. Ruhstorfer, Konversionen, S. 285. 186 Ruhstorfer, Konversionen, S. 285.
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1. Der parallaktische Blick
Selbst das Gesetz kann hier keine Hilfe mehr sein, da das Gesetz diese Wirkung der inneren Verstrickung in das egozentrische Souveränitätsstreben nur noch verstärkt und nicht aufheben kann: Erlösung soll dadurch geschehen, dass man sich durch eigene Werke vor dem Urteil Gottes schützt – was Paulus als „sich im Gesetz rühmen“ (vgl. Röm 3, 27f.) bezeichnet.187 Eine Selbsterlösung durch eigene Werke – die sog. Werkgerechtigkeit – ist nicht möglich, da Rettung und Gnade Handlungsweisen sind, die alleine Gott vorbehalten sind – der Mensch bleibt in seinem Souveränitätsphantasma gefangen. Rechtfertigung geschieht, wie Paulus an Abraham demonstriert (vgl. Röm 4, 1-5), alleine aus der glaubenden Offenheit gegenüber dem Willen Gottes, der Gott keine Vorgaben macht, wie die Gnade inhaltlich bestimmt sein muss: Glaube und Unglaube sind daher habituelle Haltungen, die das Grundverhältnis gegenüber Gott anzeigen. Von diesen Aspekten aus – mit der mythisch-kritischen Aufarbeitung der Adamsfigur in der Genesis – lässt sich plausibilisieren, dass die konfrontative Diskussion um den exakten Wortlaut und die Übersetzung von Röm 5, 12b nach streng-paulinischer oder augustinischer Art ein Scheingefecht ist,188 da die Verwendung der Adamsfigur als Typos der menschlichen Situation (in ihrer Universalität) beide Richtungen als zwei Seiten einer Medaille mit sich bringt – die menschliche Situation des faktischen Sündigseins wird mit der Adamsfigur in einem metaphorisch-mythischen Ursprungsgeschehen dargestellt und versprachlicht.189 Um aber die Universalität der Sünde, die nicht-selbstaufhebbare Situation des Menschen und die metaphorisch-mythische Dimension der Adamstypologie adäquat zu thematisieren, kann es nicht genug betont werden, dass der Hintergrund, auf dem dies erkannt werden kann, das Kreuzesgeschehen Christi ist.190 Die Frontstellung zwischen Gottesfeindlichkeit mit dem Versuch der egozentrischen Deutungshoheit darüber, was gut und richtig sei, und dem 187 Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 162f. 188 Natürlich hat Augustinus in den älteren Textfassung der Vetus latina und der Vulgata falsche Übersetzungen von ἐφ‘ ὧ vorliegen, das mit in quo übersetzt wird, aber eigentlich mit eo quod übersetzt werden sollte. Vgl. Ruhstorfer, Konversionen, S. 298. An der Faktizität der menschlichen Verfassung ändert dies nichts – vielmehr werden die richtige Übersetzung und die Fehlübersetzung zusammen erst dem Problem gerecht, denn Adam ist keine historische Individualgestalt, sondern in ihm sind als metaphorische Person individuelle wie auch kollektive Aspekte darstellbar. 189 Vgl. Wilckens, Brief an die Römer I, S. 305. 317-321. 190 Es gilt hier in besonderem Maße die Hierarchie der Wahrheiten (UR 11, 3) zu beachten, dass das Zentrum des christlichen Glaubens (der Glaube an den trinitarischen Gott mit der erlösenden Selbstoffenbarung Jesu Christi) ist. Nachgeordnet hierzu steht die erbsündliche Verfasstheit des postlapsarischen Menschen. Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 350f.
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Glauben, der sich durch eine vertrauende Offenheit gegenüber dem Willen Gottes auszeichnet, lässt sich auch in der Haltung gegenüber dem Kreuz ausweisen: Die voreingenommene Perspektive, die ausschließlich den eigenen kontingenten (Vernunft-)Horizont gelten lassen will, steht dem Kreuz in seiner drastischen Bildlichkeit und Erlösungsdimension ungläubig und feindlich gegenüber, weil die eigene Verschlossenheit den Einzelnen daran hindert, in einer existenziellen Geste den Sprung in den Glauben zu wagen.191 Statt sich im Kreuzesgeschehen die versöhnende Begegnung mit Gott zeigen zu lassen, wird das Kreuz als Torheit und Ärgernis verstanden (vgl. 1 Kor 1, 18-25), weil es nicht der soteriologischen Erwartung des eigenen Horizonts entspricht bzw. entsprechen soll: Die Offenbarung Gottes, die sich in einer (vermeintlichen) Ohnmachtsgeste zeigt, kann mit einem triumphalen Aufreißen des Himmels und einem pompösen Einzug der Herrlichkeit Gottes nicht harmonisiert werden. In der torhaften Deutung des Kreuzes zeigt sich vielmehr eine Herrschaftsgeste, die darin besteht, dass nicht der Wille Gottes und die Art seiner Offenbarung maßgeblich sind, sondern die Vorstellung des Menschen, was dieser als Rettungs- und Offenbarungsgeschehen in seiner Welt gelten lassen will:192 Im Grunde ist die paulinische Idee die, dass jüdischer und griechischer Diskurs die beiden Seiten derselben Figur von Herrschaft sind. […] Die Schwäche des jüdischen Diskurses besteht für den Juden Paulus darin, dass seine Logik des exzeptionellen Zeichens nur für die griechische kosmische Totalität gültig ist. Der Jude ist die Ausnahme vom Griechen. Daraus ergibt sich zunächst, dass keiner der beiden Diskurse universal sein kann, weil jeder das Fortbestehen des anderen voraussetzt; und weiter, dass die zwei Diskurse beide gemeinsam annehmen, dass uns im Universum der Schlüssel zum Heil gegeben ist, sei es über die direkte Beherrschung der Totalität (griechische Weisheit), sei es über die Beherrschung der schriftlichen Tradition und die Entzifferung der Zeichen (jüdischer Ritualismus und jüdische Prophetie).193
Es gilt hier aber auch die Grenzen der Interpretation Badious zu erkennen und über seine Interpretation des jüdischen Diskurses hinauszugehen, weil eine (strenge) Vorläufigkeit des jüdischen Glaubens von theologischer Seite hinsichtlich der Unaufkündbarkeit des göttlichen Bundes (vgl. NA 4) nicht haltbar ist:
191 Vgl. Kierkegaard, FuZ, S. 31. Vgl. Vattimo, Glauben – Philosophieren, S. 96. 192 Vgl. Schrage, erste Brief an die Korinther IV, S. 175-181. 193 Badiou, Paulus, S. 55. Deutungshoheit zeigt sich damit als unverhohlener Machtdiskurs.
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1. Der parallaktische Blick Deshalb kann die Kirche nicht vergessen, dass sie durch jenes Volk, mit dem den Alten Bund zu schließen Gott aufgrund seiner unaussprechlichen Barmherzigkeit geruht hat, die Offenbarung des Alten Testaments empfangen hat und genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums, in den die Zweige des wilden Ölbaums der Heiden eingepfropft sind.194 (NA 4,2)
Die Lesbarkeit des Kreuzes als Offenbarungsort Gottes ist daher auch nur gegeben, wenn man den jüdischen Glauben wie dessen Prophetie als (bleibende) hermeneutische Vorgaben annehmen kann. Ohne die Offenbarung Gottes im Alten Bund wie auch die prophetisch-hermeneutische Schulung, um die Zeichen Gottes zu deuten, würde das Kreuz nicht nur bei einer Anti-Evidenz stehenbleiben, sondern es blieb in kryptischer Weise dem Menschen unverständlich. Die Kirche ist daher bleibend auf das Judentum und dessen Erfahrung und Deutungen angewiesen – die Kirche stammt aus dem Judentum und ersetzt dieses nicht: „Die Herkunft der Kirche bestimmt ihre Gegenwart und bleibende Zukunft. Das ‚patrimonium spirituale‘ ist präsentisch zu lesen.“195 Die Offenbarung Gottes deutet sich nicht selbst, sondern bietet sich dem Menschen zur Interpretation an, wobei dies jenseits eines stets zu aktualisierendem jüdischen Erbes nicht möglich ist. Die alttestamentlichen Begegnungen von Gott und Mensch (Abraham, Hiob, babylonisches Exil u.v.m.) zeigen in sehr plastischer Weise, dass dieses Geschehen kein harmloses Aufeinandertreffen ist. In Auswirkung dessen bleibt der Einzelne nicht der Gleiche wie zuvor. Er muss durch diese verstörendirritierende Begegnung seine Erwartungshaltung ablegen, um Größeres, als er zuvor gedacht und erwartet hat, gezeigt zu bekommen. In Konsequenz dieses Ereignisses versteht der Mensch aus seinem erweiterten (Wissens- und Verständnis-)Horizont größere Zusammenhänge und kann in seiner nachträglichen Deutung des Ereignisses ein vergrößertes Ordnungsgefüge rekonstruieren. Gnade als Geschehen der Begegnung mit Gott geschieht nicht so, dass es für den Menschen derart angenehm ist, dass er sich nicht dazu verhalten und verändern muss.196 Das Aufscheinen der göttlichen Herrlichkeit zeigt 194 zit. nach: Hünermann, Peter (Hg.): Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen. Lateinisch-deutsche Studienausgabe, in: HThK. Vat II (2009) 1, S. 359. Die Dokumente des Zweiten Vatikanums werden, wenn nicht anders angemerkt, nach dieser Ausgabe zitiert. 195 Siebenrock, Roman A.: Theologischer Kommentar zur Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Nostra aetate, in: HThK. Vat II (2009) 3, S. 591693; hier: S. 661. 196 Der Ruf kommt von außen und fordert den Menschen zu verantwortlichem Handeln auf, wobei es bei Abraham hinsichtlich des geforderten Opfers zu einer Aporie kommt: Eine nicht zu verantwortende Tat wird aus der Unsichtbarkeit von ihm gefordert. Der religiöse Verantwortungsbegriff ist nach Derrida streng aporetisch, wenn man ihn alleine auf
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sich nicht als vor-harmonisiert mit dem eigenen Verständnishorizont, sondern erscheint in überschwänglicher Maßlosigkeit gegenüber menschlicher Vorstellungskraft.197 Im klaren Gegensatz zum jüdisch-christlichen Begriff der Wahrheit als auf einer äußeren traumatischen Begegnung beruhend (der göttliche Ruf an das jüdische Volk, Gottes Ruf nach Abraham, die rätselhafte Gnade – all das ist mit unseren angeborenen Qualitäten inkompatibel, sogar mit unserer angeborenen Ethik), verstehen sowohl das Heidentum wie die Gnostik (die Wiedereinschreibung der jüdisch-christlichen Haltung in das Heidentum) den Weg zur Wahrheit als ‚innere Reise‘ einer spirituellen Selbstreinigung, als Rückkehr zum wahren inneren Selbst, als ‚Wiederentdeckung‘ des Selbst. Kierkegaard hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der zentrale Gegensatz der westlichen Spiritualität derjenige zwischen Sokrates und Christus ist: die innere Reise der Erinnerung versus die Wiedergeburt durch den Schock der äußeren Begegnung. Im jüdisch-christlichen Feld ist Gott selbst der äußerste Störenfried, der Eindringling, der brutal die Harmonie unseres Lebens durcheinander bringt.198 Die christliche Wahrheit ist dagegen die der Offenbarung, die genau das Gegenteil einer solchen [sokratisch-platonischen] Wiedererinnerung ist: Die Wahrheit wohnt mir nicht inne, ist nicht die (Wieder-) Entdeckung dessen, was schon in mir ist, sondern ein Ereignis, etwas, das mir auf gewaltsame Weise von außen durch eine traumatische Begegnung aufgebürdet wird, die die eigentlichen Grundlagen meines Seins erschüttert.199
Die Begegnung mit Gott kann somit als radikale und (vermeintlich) unmögliche Infragestellung des eigenen Selbstentwurfs und des eigenen Verhaltens gegenüber Gott gesehen werden,200 welches sich an der Wahl zwischen vertrauender Offenheit oder zweifelnder Weigerung entscheidet. In entschiedener Weise muss hier dem oft vorgebrachten Vorwurf des sacrificium intellectus entgegnet werden, dass es sich im Glauben nicht um eine Opferung der eigenen Vernünftigkeit und Kritikfähigkeit handelt. Denn um der eigenen egozentrischen Verschlossenheit entgegen zu wirken und das Menschsein in seiner primären Rezeptivität und Passivität anzuerkennen,201 scheint die Offenheit Kongruenz mit vernünftigen Handlungen reduziert. Vgl. Derrida, Jacques: Den Tod geben, in: Haverkamp, Anselm (Hg.): Gewalt und Gerechtigkeit. Derrida – Benjamin (es; 1706). Frankfurt 1993, S. 331-445; hier: S. 352-357. 375-378. 197 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 402f. 423. 198 Žižek, Slavoj: Lacan. Eine Einführung. Aus dem Englischen von Karen Genschow und Alexander Roesler. Frankfurt 42013, S. 131. Vgl. ders., Was ist ein Ereignis, S. 42. Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 175. 181. 199 Žižek, Tücke, S. 293. 200 Vgl. Derrida, Den Tod geben, S. 368. 201 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 321-323. Es ‚entscheidet nicht mehr das Ich über die Phänomene, sondern es empfängt sie.‘ (ebd., S. 322) So zeigt sich in der primären Passivität des Menschen seine Grundbedingung, um für den Anderen aufgeschlossen zu sein. Bevor der
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1. Der parallaktische Blick
als Bereitschaftshaltung des Menschen unabdingbar: Der Mensch zeigt sich hierin als Empfangender, der an seinem primären Ort ein Wesen der Rezeption ist.202 Nimmt man das Lernen der Sprache als Paradigma für die menschlichen Wesensentfaltung, zeigt sich, dass die passive Rezeptivität die Bedingung dafür ist, um überhaupt sprechen zu können – ist keine Offenheit und keine Rezeptionshaltung anzutreffen, gelingt kein Sprechen, womit der Mensch sich selbst nicht sagen kann. Wo keine Offenheit anzutreffen ist, kann das Neue nicht erfahren werden, was den Einzelnen in seiner Entwicklung hindert und ihn in eine selbstverursachte Statik versetzt. Nimmt man diese Verschlossenheitshaltung mit der Maßgeblichkeit des eigenen Horizonts als Grundhaltung für den Erfahrungs- und Begegnungsakt, dann trifft der Mensch in der Begegnung mit Gott diesen nicht an bzw. lässt sich von ihm nicht erreichen, weil der Mensch an der Oberfläche des Idols verhaftet bleibt und er sich durch seine Blickhaltung keine Tiefe jenseits der Oberfläche zeigen lässt: Während der Mensch das Idol durch seinen Blick ermöglicht, so ist es im Gegenteil in der ehrfürchtigen Betrachtung der Ikone der Blick des Unsichtbaren selbst, der den Menschen anzielt. Die Ikone blickt uns an – sie betrifft uns darin, dass sie in sichtbarer Weise die Intention des Unsichtbaren sich ereignen lässt. […] Die Ikone öffnet sich auf ein Antlitz hin, in dem der Blick des Menschen nichts sieht, sondern vom Sichtbaren durch die Gnade des Sichtbaren selbst ins Unendliche zum Unsichtbaren aufsteigt: Anstelle des unsichtbaren Spiegels, der den menschlichen Blick auf sich allein zurückwarf und das Unsichtbare zensierte, öffnet sich die Ikone auf ein Antlitz hin, das unsere Blicke anblickt, um sie in seiner Tiefe zu versammeln.203
Mensch Handelnder ist, ist er erst Rezipient und Empfangender (einer Gabe). Vgl. Heidegger, Martin: Vom Wesen der Wahrheit, in: Ders.: Wegmarken (GA; 9). Frankfurt 1976, S. 177-202; hier: S. 188f.: „Das Sicheinlassen auf die Entborgenheit des Seienden verliert sich nicht in dieser [Entbergung], sondern entfaltet sich zu einem Zurücktreten vor dem Seienden, damit dieses in dem, was es ist und wie es ist, sich offenbare und die vorstellende Angleichung aus ihm das Richtmaß nehme. Als dieses Sein-lassen setzt es sich dem Seienden als einem solchen aus und versetzt alles Verhalten ins Offene. Das Sein-lassen, d.h. die Freiheit ist in sich aus-setzend, ek-sistent. Das auf das Wesen der Wahrheit hin erblickte Wesen der Freiheit zeigt sich als die Aussetzung in die Entborgenheit des Seienden.“ Vgl. ders., SuZ, S. 163. 202 Vgl. Askani, Schöpfung als Bekenntnis, S. 146. 151f. Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 237: „die Passivität [hat] den Vorrang vor der Aktivität. Als Passivität wohlverstanden eines in seiner Empfänglichkeit je schon aktiven Wesens, dessen Grundakt eben im Empfangenkönnen besteht.“ Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 167. Vgl. Ricœur, Fehlbarkeit des Menschen, S. 61. 203 Marion, Gott ohne Sein, S. 40f. Vgl. ders.: Gegeben sei, S. 389-391.
Der neue Blick der Heilsgeschichte
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Begegnet der Einzelne dem Kreuz in ikonischer Offenheit und bleibt nicht bei der Deutung des Kreuzes als Torheit an dessen Oberfläche stehen, zeigt sich ihm jenseits dieser Oberfläche Gott selbst, der nicht mehr im Tempel durch seinen Namen und seine Herrlichkeit anwesend ist, sondern sich dem Menschen am Kreuz in selbstmitteilender Weise präsentiert und ihm seinen Heilswillen als Begegnung von Gott und Mensch anbietet. Von hier aus ist eine Deutung der Erbsünde unter dem Paradigma der Gnade als Begegnungswirklichkeit möglich: Indem der Mensch am Heilswillen Gottes gezweifelt und ihn in Frage gestellt hat, wendet er sich in deutungshoheitlicher Weise von diesem ab und verschließt sich in der Haltung des Souveränitätsstrebens und der Selbstrechtfertigung: Gefangenschaft im Souveränitätsphantasma. Die durch den Zweifel gestiftete Entfremdung von Gott und Mensch gipfelt im Verlust der unmittelbaren Nähe, wodurch die menschliche Welt von Zweifel und Entfremdung überformt wird,204 so dass sich die Erbsünde ständig neu reaktualisiert, weil der Mensch in diese Welt geboren wird. Er empfängt eine Welt, die von Sorge und Egozentrik zerfressen ist, weshalb sich Angst und Sorge als (im strengen Sinn Heideggers) Existenzial des Menschen ausmachen lassen.205 Lässt man die Gnade Gottes zu und begegnet dem Kreuz in Offenheit, zeigt sich am Kreuz Gott, dessen Herrlichkeit und Name nicht mehr in sakramentaler Vermittlung im Tempel wohnen. Dann lässt sich mit dem Soldaten unterm Kreuz sagen: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mk 15, 39). In der gnadenhaften Begegnung mit Jesus Christus am Kreuz wird die selbstverursachte, aber nicht mehr selbst revidierbare Verschlossenheit zu einer neu gewährten Offenheit aufgehoben, in der eine neue Nähe erfahren werden kann: Es geschieht eine Dezentrierung der eigenen Abschottung. Doch weil das Kreuz in Einmaligkeit vor zweitausend Jahren sich ereignete, ist nun die Frage zu stellen, welche Gültigkeit und welche Relevanz dies für den heutigen Menschen hat, um eine bleibende Begegnungswirklichkeit von Gott und Mensch auch heute noch ausweisen zu können. Der Weg der Darlegung soll mit der Schöpfung und deren innertrinitarischer Verortung seinen Ausgang nehmen.
204 Aus theologischer Sicht kann hierin die Wurzel von Isolation, Egozentrik und bösen Handlungen gesehen werden. 205 Vgl. Heidegger, SuZ, S. 192f. „Die Überlassenheit des Daseins an es selbst zeigt sich ursprünglich konkret in der Angst. Das Sich-vor-weg-sein besagt voller gefaßt: Sich-vorwegim-schon-sein-in-einer-Welt.“ (ebd., S. 192.) „Die Sorge liegt als ursprüngliche Strukturganzheit existenzial-apriorisch ‚vor‘ jeder, das heißt immer schon in jeder faktischen ‚Verhaltung‘ und ‚Lage‘ des Daseins.“ (ebd., S. 193.)
Kapitel 2
Gott und Mensch 2.1
Die trinitarische Dimension der Schöpfung
Um den Bezug zur heutigen Lebenswelt des Menschen in Relation zu Gott auszuweisen, darf nicht einfach bei der philosophisch unabschließbaren Frage nach dem Ursprung des Seins und einer postulatorischen Antwort stehen geblieben werden, sondern hier gilt es, eo ipso eine fundierte theologische Antwort auszuweisen, die zum einen die Offenbarung Jesu Christi als grundlegende Axiomatik annimmt und dies zum anderen in Anschluss an die theologische Tradition mit Impulsgebern aus der aktuellen Philosophie zu einer verantwortbaren und plausiblen Antwort weiterführt, worin der Mensch sein wahrhaftes Menschsein findet. Eine Frontstellung oder Isolation von Schöpfer und Schöpfung bzw. Geschöpf, wie es im physikotheologischen Gottesbild der Aufklärung seinen Ausdruck fand, wäre von theologischer Seite eine äußerst unbefriedigende Antwort, weil die Beziehung von Schöpfer und Schöpfung sich alleine auf den Schöpfungsakt selbst beziehen würde.1 Eine weitere Begleitung der Schöpfung oder gar eine Begegnung von Gott und Mensch im liturgischen Geschehen sind nach physikotheologischer bzw. deistischer Perspektive nicht erwartet,2 da nach dem Schöpfungsakt die Schöpfung in determinierter Autonomie ihrem eigenen Entwicklungsgang folgt.3 Völlig konträr steht dazu das jüdisch-christliche Gottes- und Schöpfungsverständnis, das seine Grundlegung in der historischen Erfahrung der Begegnung hat, welche nach und nach versprachlicht und innerhalb der Deutegemeinschaft verständlicher wurde: So lassen sich noch Spuren in der Bibel von einem Sippengott in einem polytheistischen Horizont finden, die sich mehr und mehr zu einem monolatrischen Verständnis verdichteten (vgl. Ps 82) und im monotheistischen Bekenntnis (vgl. Dtn 6,4) ihren Höhepunkt zur Zeit des 1 Vgl. Gawlick, Günter: Deismus, in: HWPh (1972) 2, Sp. 44-47; hier: Sp. 45. 2 Vgl. Schröder, Winfried: Natürliche Religion und Religionskritik in der Frühaufklärung, in: Bödeker, Hans Erich: Strukturen der deutschen Frühaufklärung 1680-1720 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 168). Göttingen 2008, S. 147-164; hier: S. 152. 3 Exemplarisch kann dies bei Leibniz mit der ‚besten aller möglichen Welten‘ gesehen werden, die nur ein minimales Intervall von Gestaltungsfreiheit hat, weil ansonsten die Maximierung des besten Welt nicht mehr gegeben wäre. Vgl. Oelmüller, Willi: Philosophische Aufklärung. Ein Orientierungsversuch. München 1994, S. 129. 131.
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2. Gott und Mensch
babylonischen Exils fanden. Doch die erkennende Begegnung von Gott und Mensch ging weitere Schritte: Von der Grundlage der äußeren ontologischen Einzigkeit und Unendlichkeit Gottes aus wurde das menschliche Verständnis durch die heilsgeschichtliche Erfahrung zur inneren Pluralität weitergeführt. Die äußere Einzigkeit Gottes sorgt nicht in notwendiger Weise dafür, dass die äußere Einzigkeit mit einer inneren Einzigkeit und Einsamkeit einhergehen muss, sondern sie bietet den Raum, dass Gott selbst in plural-dynamischer Weise in trinitarischer Gestalt existieren kann. Die heilsgeschichtliche Erfahrung mit den göttlichen Personen, insbesondere in der Selbstoffenbarung des Sohnes Jesus Christus, der ganz aus der Beziehung zum Vater im Hl. Geist lebt und wirkt, lies den Menschen die immanente Trinität erkennen.4 Nimmt man die äußere Einzigkeit des Monotheismus und die innere Pluralität der Trinität zum Ausgang, von dem aus nach dem Ort der Schöpfung im Seinshorizont gefragt werden kann, schließt sich eine Frontstellung von Gott und Schöpfung von selbst aus: Gott ist unendlich, weil er durch kein zweites Prinzip begrenzt werden kann, deshalb kann es zu ihm kein Außen geben.5 Er ist der umgebende und umgrenzende Raum des Seins in personaler Weise – mit Jean-Luc Marion gilt es sogar, Gott jenseits des Seins zu verstehen, weil das Sein erst durch die Gebung Gottes existent wird.6 Alles Geschöpfliche findet sich daher nach christlichem Schöpfungshorizont in Gott selbst verortet – die Schöpfung geschieht innerhalb Gottes.7 Einen Ort jenseits Gottes entzieht sich damit der trinitarischen Schöpfungsgrundlage, weswegen auch die Hölle nicht als lokaler Ort zu verstehen ist, sondern vielmehr die Haltung der Weigerung und Verschließung in Einsamkeit gegenüber der Bezogenheit zu und auf Gott in seinem Heilswillen in bildlich-metaphorischer Weise zu beschreiben versucht. Die Hölle ist als existenzielle Haltung der sich weigernden Isolation verstehbar.8
4 Vgl. Schmaus, Michael: Glaube der Kirche. 6 Bde. St. Ottilien 21979-1982. Hier: Ders., GdK II, S. 83. 106. 170. Im Folgenden wird dieses Werk mit GdK abgekürzt zitiert. 5 Deshalb sieht Joseph Ratzinger es dahingehend, dass erst durch den Trinitätsglauben eine dualistische Logik von Einheit und Vielheit sowie strenger Gegenüberstellung von Innen und Außen überwunden werden konnte, weil die Erfahrung mit dem dreieinen Gott eine solches gesprengt habe. Vgl. Ratzinger, Joseph: Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis. Mit einem neuen einleitenden Essay. München 52005, S. 166. 6 Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 162-171. 7 Vgl. Balthasar, Hans-Urs von: Theodramatik IV, S. 361. 8 Vgl. Ratzinger, Einführung, S. 283. Vgl. Müller, Gerhard Ludwig: Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie. Freiburg/Basel/Wien 1995, S. 563. Vgl. Balthasar, Hans Urs von: Kleiner Diskurs über die Hölle. Apokatastasis (Neue Kriterien; 1). Einsiedeln 52013, S. 11. 30f.
Die trinitarische Dimension der Schöpfung
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Um die Schöpfung innergöttlich verorten zu können, muss der nach Außen hin eine Gott im Innern differenziert werden, um eine Frontstellung von Schöpfer und Schöpfung nicht aufkommen zu lassen. Um die innere Differenzierung und Pluralität Gottes auszudrücken und dieser gerecht zu werden, muss auch auf die Begrifflichkeit der Person zurückgegriffen werden: Die genauen etymologischen Hintergründe lassen sich nicht bis ins Detail erhellen, dennoch greift in der Rezeption der spätantiken Geistesgeschichte das lateinische persona auf das griechische πρόσωπον (Gesicht, Maske) als individuelles Auftreten einer Rolle im Theater und das griechische ὑπόστασις (individuelle Erscheinung eines handelnden Menschen) zurück,9 um aufgrund des biblischen Menschenbildes und der heilsökonomischen Differenzierung entscheidend vom christlichen Menschen-, Welt- und Gottesverständnis geprägt zu werden. Während in der antiken Philosophie noch durch den Einzelnen hindurch eine größere Allgemeinheit mit höherer Würde und Gültigkeit gesehen wurde, die den Einzelnen relativierte, war von biblischer Seite das Angesprochenwerden des Menschen durch den Ruf Gottes ein entscheidender Faktor,10 um die konkrete Individualität und Unvertretbarkeit als maßgebliche Punkte herauszustellen, die dann den Personenbegriff in christlicher Perspektive prägten: Die Würde des Einzelnen wurde umfassender und das Konzept der Individualität prägte sich mehr und mehr aus.11 Desweiteren war die Frage nach dem Wesen Jesu Christi auch ein Schleifstein, an dem der Personenbegriff und -status eine weitreichende Prägung erhielt: Gegen den Nestorianismus, der Jesus Christus in eine einzelne Menschenhypostase und eine Gotteshypostase zu trennen versuchte, und gegen den Modalismus, der keiner göttlichen Person eine unaustauschbare Eigenwirklichkeit zusprechen wollte, bildete sich im Horizont der Personenstatus der göttlichen Personen im Spannungsfeld von unvertretbarer Eigenwürde im heilsökonomischen Geschehen sowie der (gleichursprünglichen) Relationalität der göttlichen Personen zueinander im innertrinitarischen Geschehen aus.12 Die Diskussion des Personenbegriffs im göttlichen Horizont hat entschieden dazu beigetragen, um auch die Frage der menschlichen Personalität zu 9 Vgl. Wildfeuer, Armin G: Person, Personalität. I. Philosophisch, in: LThK (32006) 8, Sp. 42-46; hier: Sp. 42-44. Eingehender wird der Aspekt der Personalität Gottes in Kap. 3.1 behandelt. 10 Vgl. Jes 43, 1: „Jetzt aber – so spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir.“ Vgl. Jes 45, 4. 11 Vgl. Greshake, Gisbert: Person, Personalität. II. Theologiegeschichtlich u. systematischtheologisch, in: LThK (32006) 8, Sp. 46-50; hier: Sp. 46f. 12 Vgl. Greshake, Person, Sp. 47-49.
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2. Gott und Mensch
erhellen – vor allem weil nach christlichen Menschenbild der Mensch als Geschöpf Ebenbild Gottes ist. Dabei ist jedoch auf die ontologische Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf zu achten, um nicht einen Personenstatus der innertrinitarischen Relationalität unkommentiert auf den Menschen zu übertragen.13 Es gilt das patristische Axiom: „opera sanctae trinitatis ad intra sunt divisa, ad extra sunt indivisa.“14 Nach dieser trinitarischen Grundregel, die Augustinus zugeschrieben wird, gilt es das Wirken Gottes im Zusammenklang der Personen als ein einzelnes Wirken, das aber nicht die Proprietäten der einzelnen Personen tangiert oder nivelliert:15 Die drei göttlichen Personen stehen in ontologischer Perspektive gleichursprünglich zueinander,16 so dass es weder eine Über- noch Unterordnung der Personen zueinander geben kann. Doch in (rein) logischer Hinsicht lässt sich eine Reihung vornehmen, von der aus sich die Proprietäten der Personen als angemessen ausweisen lassen. Mit Basilius von Cäserea lässt sich das gemeinsame Schöpfen Gottes als synergetisches
13 Die Frage des Unterschieds zwischen menschlicher und göttlicher Personalität wird in Kapitel 3 behandelt. Auch den Perspektiven göttlicher Hervorgänge sowie einer patrozentrischen Trinität soll dort nachgegangen werden. 14 Vgl. Augustinus: Sermo 81 (PL 38, 445-467; hier: 458-460): „Omnia autem haec operatur unus atque idem Spiritus.“ (ebd., Sp. 459). Dieser Gedanke wurde auch von Karl Rahner aufgenommen und zu dem Spitzensatz weitergeführt: „Die ‚ökonomische‘ Trinität ist die ‚immanente‘ Trinität und umgekehrt.“ (Rahner, Karl: Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte, in: MySal [1967] 2, S. 317-401; hier: S. 328.) Weiter führt aber Rahner aus, um nicht die Wirklichkeit Gottes in Unterkomplexität zu begegnen: Es gibt nichts Heilsgeschichtliches, nichts ‚Ökonomisches‘, was nicht in gleicher Weise vom dreifaltige Gott als ganzem und von jeder Person im einzelnen und für sich gesagt werden kann; falsch ist somit auch umgekehrt der Satz: In einer Lehre von der Trinität (als der Aussage von den göttlichen Personen im allgemeinen und im einzelnen) kann es nur Aussagen geben, die Innergöttliches betreffen. Sicher richtig ist der Satz: „Trinitätslehre und Ökonomielehre (Trinitätslehre und Heilslehre) lassen sich nicht adäquat von einander unterscheiden“ (ebd., S. 329.). 15 Vgl. DH 367 [Brief an Kaiser Justin]: „[…] Groß und unbegreiflich ist das Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit: Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist, ungeteilte Dreifaltigkeit; und dennoch ist bekannt, daß es die Eigentümlichkeit [Proprietät, lat. proprium] des Vaters ist, daß er den Sohn zeugte, die Eigentümlichkeit des Sohnes Gottes, daß er aus dem Vater dem Vater gleich geboren wurde, auch bekannt, was die Eigentümlichkeit des Heiligen Geistes ist.“ Die Proprietäten sind hier in besonderem Maße als angemessene Interpretationskategorie auszuweisen, um die Personenwürde im innertrinitarischen Geschehen festzuhalten: Wenn der Begriff der Individualität je mehr Probleme als Nutzen bringen würde, ist der Aspekt der Nichtaustauschbarkeit hinsichtlich der Personenwürde herauszustellen, um einem modalistischen Verständnis entschieden zu begegnen. 16 Vgl. Schmaus, GdK II, S. 170. 268-270. Vgl. ders., GdK III, S. 166f.
Die trinitarische Dimension der Schöpfung
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Zusammenwirken der göttlichen Personen verstehen, dass jede von ihnen auf ihre Art und Weise das gemeinsame Schöpfungshandeln trägt.17 In logischer Hinsicht ist der primär Handelnde Gott-Vater, der in Liebe seinen Sohn als ewiges Gegenüber von gleicher ontologischer Qualität zeugt. Bruno Forte versucht dies, über die Metapher des Schweigens und deren Gegenüberstellung im Sprechen des ewigen Wortes zu beschreiben. Aus dem ursprungslosen Schweigen des Vaters geht das ewige Wort in unlösbarer Verbindung hervor.18 Marius Victorinus deutet unter dem personalen Differenzaspekt die alleinige Vaterschaft des Vaters dahingehend, dass er ohne den Sohn nur potenziell existent ist und er mit dem Sohn selbst aktual geworden ist: Die Person des Vaters alleine sei ein schweigendes Wort ohne den Sohn, was dann auch auf den Geist ausgeweitet wird.19 Um nicht die Schöpfung in Frontstellung zum göttlichen Liebesraum zu verorten, empfiehlt es sich an diesem Überlegungspunkt, von der Aktion des Vaters als primärem Agens auszugehen: Dieser wendet sich der Sohn in liebender Antwort zu und der Sohn antwortet ihm in liebend-bestätigender Weise, so dass ein dialogisches Verhältnis besteht, welches im Liebesüberschuss der beiden noch im Hl. Geist eine eigene Personenqualität gewinnt und im Bund der Liebe zueinander seine Proprietät findet.20 Der eine Gott ist daher nicht in statischer Weise als absolute Nadelspitze des seinsmetaphysischen Gebäudes zu verstehen, sondern ist vielmehr in konträrer Perspektive ein hoch-dynamisches, relationales Wesen, dass durch seine eigene liebende Verräumlichung im Gewährenlassen und Anerkennen des Anderen sogar der Schöpfung ihren Raum innerhalb des eigenen Liebesgeschehens eröffnen kann. Diese Relationalität und Gemeinschaftlichkeit gilt es hinsichtlich der Personalität, noch eigens zu thematisieren, wobei dann auch die Metaphern von Hervorgang und innertrinitarischer Prozessualität eigens zu beleuchten sind, da sie u.U. zu einer schiefen Ebene hinsichtlich der trinitarischen Wesensbestimmung führen können – dennoch sollen sie hier vorerst in ihrer schöpfungstheologischen Erklärungsfähigkeit angewandt werden.21
17 Vgl. Ganoczy, Alexandre: Der dreieinige Schöpfer. Trinitätstheologie und Synergie. Darmstadt 2001, S. 24f. 18 Vgl. Forte, Bruno: „Offenbarung“ oder „re-velatio“?. Offenbarung, Hermeneutik und Theologie, in: Schockenhoff, Eberhard/Walter, Peter (Hg.): Dogma und Glaube. Bausteine für eine theologische Erkenntnislehre. Festschrift für Bischof Walter Kasper. Mainz 1993, S. 193-212; hier: S. 208f. 19 Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 40f. 20 Vgl. Schmaus, GdK I/1, S. 69. Vgl. ders., GdK II, S. 198-200. 21 Genaueres hierzu ist unter 3.4 zu finden.
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2. Gott und Mensch
Der ursprungslose Vater spricht sein schöpferisches Wort als bara-Tat durch den Sohn aus:22 Aus dem schöpferischen Sprechen Gottes erhält alles Geschöpfliche seine Wirklichkeit, weswegen auch das Böse keinen ontologischen Status im christlichen Schöpfungshorizont haben kann. Der schultheologische Terminus ‚creatio ex nihilo‘ beschreibt deshalb, dass alles, was Gott schafft, von ihm gewollt ist und keiner (unkontrollierbaren) materiellen Grundlage bedarf – was ist, weil es geschaffen wurde, ist gut, weil es von Gott gewollt ist. Das innergöttliche Sprechen (des einen Gottes) lässt auch die Schöpfung nicht außerhalb Gottes stehen, sondern verortet sie in Gott selbst, weil sie durch den Sohn am Ort des Sohnes (im Hl. Geist) geschaffen ist: Der eine Gott ist der Schöpfer;23 nicht eine einzelne Person, wobei aber hinsichtlich der Verortung eine christologische Akzentuierung redlich erscheint. Der Sohn ist für die Schöpfung gewissermaßen als deren Matrix und Logik zu verstehen,24 weswegen auch im Frühchristentum σοψια- und λογος-Spekulationen zusammengenommen wurden, um den ontologischen Horizont von Inkarnation und Soteriologie Christi verstehbar zu machen (vgl. Joh 1, 1-11) und die erneute Begegnungsmöglichkeit mit dem Vater durch den Sohn anzuzeigen.25 Dennoch besteht zwischen dem göttlichen Wort des Sohnes und der Schöpfung durch das Wort am Ort des Sohnes zwar eine ontologische Differenz, die aber eine Begegnung von Gott und Mensch ermöglicht: Die Differenz zwischen dem schweigenden Gott, dem Ort und dem Wort der Schöpfung lässt die Schöpfung stets angesprochen sein, ohne sich aber dieser in Zwang aufzudrängen und sie in die göttliche communio zu nötigen. Der innergöttliche Raum der Personendifferenz eröffnet durch die Ansiedlung der Schöpfung am Ort des Sohnes einen Raum, der Freiheit und Möglichkeit der Selbstfindung und Selbstgestaltung in gemeinschaftlicher Dimension eröffnet.26 Die Schöpfung ist an22 Hebr. bara beschreibt ein gebieterisches Sprechen, dass nicht-existente Dinge existent werden lässt. Diese Handlungsqualität ist alleine Gott vorbehalten und kann nicht auf etwas Geschöpfliches übertragen werden. 23 Vgl. DH 800. 1333. 24 Ohne aber in die Gegenüberstellung von Urbild und Abbild platonischer Philosophie zu gelangen, weil die Schöpfung in ihrem So-Sein eine Eigenwürde hat, die sich nicht erst dem Urbild angleichen muss, um Eigenwürde zu besitzen. Vgl. Balthasar, Hans Urs von: Theodramatik. Bd. II: Die Personen des Spiels. Teil 2: Die Personen in Christus. Einsiedeln 1978, S. 232-238. 25 Vgl. Scholtissek, Klaus: „Er kam in sein Eigentum – und die Eigenen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1, 11). Jesus – Mittler und Ort rettender vita communis in Gott nach dem Johannesevangelium, in: GuL (1999) 72, S. 436-453; hier: S. 444-451. 26 Diese schöpfungstheologische Bestimmung besitzt auch deshalb eine eschatologische Relevanz, weil es von hier aus das umfassenden Heilshandeln und den universalen Vollendungswillen zu denken gilt. Vgl. Schmaus, GdK VI/1, S. 51f. 59: „Gottes Liebe umfängt
Die trinitarische Dimension der Schöpfung
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gesprochen und eingeladen, wozu sie sich aber in einem sekundären Schritt verhalten muss, indem sie sich für Annahme oder Weigerung entscheidet. Entscheidet sich der Einzelne für die Annahme des Glaubens in Offenheit, wird er durch die gnadenhafte Gabe des Hl. Geistes als personaler Operator des Glaubenkönnens in die trinitarische communio eingebunden27 und kann im Wort der Schrift in ikonischer Weise ihre göttliche Wahrheit erkennen.28 Durch die Inkarnation und das Kreuz Christi sowie im Hl. Geist findet eine Begegnung des Menschen mit Gott statt, so dass die Nähe von Gott und Mensch nicht in einem vulgär-theologischen Sinn auf Anfang und Ende der Schöpfung bzw. auf den Tod des Einzelnen beschränkt werden kann. Durch die heilsgeschichtliche Erfahrung Israels und deren kirchliche Aufarbeitung und Weiterführung hat sich der schultheologische Begriff der creatio continua herausgebildet: Die Begegnung von Gott und Mensch ist nicht auf den Anfang (creatio prima bzw. creatio orginalis) und die Vollendung (creatio nova) eingegrenzt, sondern findet ebenso in der Gegenwart statt, die aber in einer teleologischen Perspektive verortet ist. Die Schöpfung ist kein einmaliger Akt, der durch die Entstehung der ontologischen Differenz instantan zur Distanz führen würde, sondern Schöpfung versteht sich biblisch als Beginn eines zuvor nicht dagewesenen Verhältnisses, das von geschichtlicher Begegnung und andauernder Nähe geprägt ist.29 Die Schöpfung wird in ihrer Existent von göttlicher Seite gehalten und begleitet, wobei diese Begleitung in paradigmatischer Gestalt im kirchlichen Geschehen (insbesondere in der Liturgie mit ihrer epikletischen Dimension) erfahren werden kann.30 Auch wenn die Selbstoffenbarung Gottes und die gnadenhafte Begegnung von Gott und Mensch ihren Höhepunkt mit Jesus Christus gefunden haben (vgl. DV 4), weil hier das Gesprächsangebot in Unmittelbarkeit neu eröffnet wurde, bedeutet dies keinesfalls, dass zuvor eine Begleitung der Schöpfung und seines Volkes nicht stattgefunden hat. Gott begleitet die Schöpfung durch alle Zeiten, verlässt sie auch in der Sünde nicht und sammelt die (aus Glauben)
alle Menschen. Niemand geht verloren außer durch seine Schuld. […] Jeder Mensch hat die Gnade für seine Vollendung“ (ebd., S. 59). 27 Vgl. Bründl, Jürgen: Gottes Nähe. Der Heilige Geist und das Problem der Negativität in der Theologie. Freiburg/Basel/Wien 2010, S. 53. Vgl. Kehl, Medard: Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. Dettelbach 2009, S. 72. 28 Vgl. Forte, „Offenbarung“, S. 211. Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 37. 40f. 220. 29 Vgl. Askani, Schöpfung als Bekenntnis, S. 60f. Schöpfung ist eine Verhältnisbestimmung von Gott zum Menschen. 30 Vgl. Kehl, Kirche, S. 37. 51. 64f.
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2. Gott und Mensch
Gerechten in der ecclesia ab Abel, um diese bei sich in Christusförmigkeit wohnen zu lassen:31 Der ewige Vater hat nach dem völlig freien und verborgenen Ratschluss seiner Weisheit und Güte die gesamte Welt erschaffen; er hat beschlossen, die Menschen zur Teilnahme am göttlichen Leben zu erheben, und als sie in Adam gefallen waren, verließ er sie nicht, indem er ihnen stets Hilfen zum Heil im Hinblick auf Christus, den Erlöser, gewährte, ‚der das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung‘ (Kol 1, 15). Alle Erwählten aber hat der Vater vor den Zeiten ‚vorhergewusst und vorherbestimmt, gleichförmig zu werden dem Bild seines Sohnes, auf das Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern‘ (Röm 8, 29). Die aber an Christus glauben, beschloss er in der heiligen Kirche zusammenzurufen, die , schon dem Ursprung der Welt vorausgestaltet, in der Geschichte des Volkes Israel und im Alten Bund auf wunderbare Weise vorbereitet, in den letzten Zeiten gegründet, durch die Ausgießung des Geistes offenbart wurde und am Ende der Zeiten in Herrlichkeit vollendet werden wird. Dann aber werden, wie man bei den heiligen Vätern liest, alle Gerechten von Adam an, ‚von dem gerechten Abel bis zum letzten Erwählten‘, in der allgemeinen Kirche beim Vater versammelt werden. (DV 2,1)
Versucht man den Heilsratschluss Gottes und seinen Schöpfungswillen prägnant zusammenzufassen, besteht dieser darin, dass die Schöpfung, die am Ort des Sohnes geschaffen wurde, in unmittelbar-begegnender Weise am Leben Gottes als Gegenüber teilnehmen darf: Die Christusförmigkeit. Tatsächlich wird nur im Mysterium des fleischgewordenen Wortes das Mysterium des Menschen wahrhaft klar. Denn Adam, der erste Mensch, war das Urbild des künftigen, nämlich Christi, des Herrn. Christus, der schlechthin neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Mysteriums des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen kund und erschließt ihm seine höchste Berufung. (Es ist) also keineswegs verwunderlich, dass in Ihm die vorgenannten Wahrheiten ihren Quell finden und ihren Gipfelpunkt erreichen. Der ‚das Bild des unsichtbaren Gottes‘ ist (Kol 1, 15), ist selber der vollkommene Mensch, der den Kindern Adams die göttliche Ähnlichkeit, die von der ersten Sünde her verunstaltet war, wiederherstellte. Da in ihm die menschliche Natur, nicht zerstört ist, ist sie eben dadurch auch in uns zu erhabener Würde erhoben worden. Denn Er, der Sohn Gottes, hat Sich durch seine Fleischwerdung
31 Vgl. Kehl, Kirche, S. 85. 91. Erst durch die Angleichung an die Gestalt Christi – als unmittelbares Gegenüber des Vaters – erlangt der Mensch seine wahre Identität. Vgl. Hünermann, Peter: Theologischer Kommentar zur Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, in: HThK. Vat II (2009) 2, S. 263-582; hier: S. 357: „Ist der Mensch schon als Bild Gottes Krone der Schöpfung, so ist Christus, der Sohn des Vaters, das Zielbild aller Geschöpfe. Er ist zugleich in seiner Erhöhung der Erstgeborene aller Kreatur. Von daher sind die Menschen gerufen, dem Bild des Sohnes ähnlich zu werden. Darin erfüllt sich ihr Menschsein.“
Die trinitarische Dimension der Schöpfung
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gewissermaßen mit jedem Menschen geeint. […] in allem uns gleich, ausgenommen die Sünde. […] Das gilt nicht nur für die Christgläubigen, sondern auch für alle Menschen guten Willens, in deren Herz die Gnade auf unsichtbare Weise wirkt. Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da die letzte Berufung des Menschen wahrhaft eine ist, nämlich die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, in einer Gott bekannten Weise diesem österlichen Mysterium zugesellt zu werden. Solcher Art und so groß ist das Mysterium des Menschen, das durch die christliche Offenbarung den Glaubenden aufleuchtet. Durch Christus und in Christus also wird das Rätsel von Schmerz und Tod erhellt, das uns außerhalb seines Evangeliums zudeckt. Christus ist auferstanden, indem Er durch seinen Tod den Tod vernichtete, und hat uns das Leben geschenkt, auf dass wir, Söhne im Sohn, im Geist rufen: Abba, Vater.32
In der Offenbarung Christi geschieht somit eine aufklärerische Tat Gottes, indem Gott dem Menschen das wahrhafte Menschsein anzeigt, dadurch dass er Mensch wird, und dem Menschen auch das wahrhafte Menschsein (jenseits einer selbstrechtfertigenden Egozentrik) ermöglicht. Hierin zeigt sich die irritierende Größe Gottes, dass er nicht in einer Erhabenheitsgeste vom Menschen distanziert bleibt, sondern in seiner Göttlichkeit sich erniedrigt und dem Menschen auf Augenhöhe die Perspektive des wahren Menschseins anbietet.33 Rechtfertigung – als eine Haltung des angemessen Auftretens vor Gott – ist nach paulinischer Theologie darin begründet, dass der Einzelne Gott glaubend Vertrauen schenkt (vgl. Röm 4, 13: Rechtfertigung Abrahams aus Glauben): Es ist eine vertrauensvolle Offenheit, die nicht durch allzu menschliche Vorannahmen den Ratschluss Gottes eingrenzen will, sondern in Offenheit auf die Begegnung mit Gott vertraut und sich in irritierender, aber horizonterweiternder Weise die Göttlichkeit Gottes zeigen lässt: Er nimmt das Angebot Gottes des wahrhaften, unverschlossenen Menschseins an – trotz der Irritation. Die Irritation par excellence geschah im Kreuzesgeschehen, als die menschliche Erwartung einer politischen Messianität, welche alle Fremden aus dem gelobten Land vertreibt, oder jeglichen Triumphalismus durchkreuzt wurde:34
32 G S 22, 1-2. 5-6. 33 Vgl. Sander, Hans-Joachim: Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, in: HThK. Vat II (2009) 4, S. 581-886; hier: S. 739-741. 34 Im Vertrauen in das Kreuzesgeschehen und dessen Richtigkeit findet sich nach augustinischer Sicht die Höchstform des personalen Glaubensaktes. Vgl. TeSelle, Eugene: Fides, in: AL (1996-2002) 2, Sp. 1333-1340; hier: Sp. 1335.
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2. Gott und Mensch
Die Begegnung mit Gott erfolgt im ersten Moment als radikale Irritation,35 die aber egozentrische Verschlossenheit aufbrechen kann. Dies zusammengenommen kann mit Medard Kehl und Irenäus von Lyon Jesus Christus als Matrix des Schöpfungsanfangs, ihre Reaktualisierung, ihr Ziel und Verheißung gesehen werden, weil durch ihn die Schöpfung (‚am Ort des Sohnes‘) geschaffen wurde und sie auch durch ihn in ein neues, gnadenhaftes Verhältnis gesetzt wurde: Er rekapituliert (recapitulatio) die Schöpfung durch sein Heilsgeschick, ohne das Vergangene zu tilgen, wodurch die Schöpfung wieder in die gottgewollte Ordnung der οἰκονομία überführt wurde.36 In Christus geschieht eine neue Unmittelbarkeit, die in teleologisch-eschatologischer Perspektive für die gesamte Schöpfung als Zielperspektive vorgegeben ist: Der status quo von Kreuz und eucharistischer Begegnung ist ein Moment in der endzeitlichen Entfaltung hin zum Himmlischen Jerusalem – die Schöpfung steht aus, in Ganzheit christusförmig zu werden. Die Vollendung der Schöpfung ist dann gegeben, wenn sie totus Christus geworden ist.37 In der ausstehenden Zeit der Entfaltung des Reiches Gottes (vgl. Mk 1, 15) bis zu dessen Abschluss bleibt Gott seiner Schöpfung im Hl. Geist und in der Christus-Begegnung nahe. Gott gewährt seiner Schöpfung auch den Raum, eigene Schritte der Annäherung auf Gott selbst hinzugehen: Die Begegnung von Gott und Mensch ist kein einseitiges Moment, auch wenn er der primär Handelnde und der die Begegnung Ermöglichende ist – sie hat eine dialogische Komponente, indem Gott dem Menschen durch Christus in Menschengestalt auf Augenhöhe entgegen tritt und ihm sein wahres Antlitz gezeigt hat und weiterhin zeigt (vgl. GS 22).38
35 Vgl. Žižek, Tücke, S. 293. 472. 36 Vgl. Kehl, Medard: Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung. Unter Mitwirkung von Hans-Dieter Mutschler und Michael Sievernich. Freiburg/Basel/Wien 2006, S. 156-173. In Jesus Christus wird das Schöpfungshandeln Gottes neu inkorporiert und in potenzierter Bindung zum Gemeinschaftsdasein Gottes gestellt. 37 Vgl. Schmaus, GdK VI/2, S. 330f. Auch wenn Schmaus hinsichtlich der Vollendung der Schöpfung im Rückgriff auf Thomas von Aquin von einer Kreisbewegung spricht (vgl. ders., GdK III, S. 44-49. 55.), gilt es dieses von einem zyklischen Weltverständnis abzuheben, da die Einmaligkeit der Geschichte und deren Zielstruktur sich völlig konträr zu diesem verhalten. Auch ist durch das Kreuzesgeschehen Christi nicht einfach eine Rückkehr zu dem prälapsarischen Zustand gegeben, sondern durch das Gnadenereignis Christi am Kreuz wurde eine größere, hoffnungsvollere und nähere Begegnung von Gott und Mensch durch die Aufhebung (im hegelschen Sinn: Erinnerung/Zusammenfassung, Entfunktionalisierung, Steigerung) ermöglicht. Vgl. Kehl, Eschatologie, S. 91-95. Vgl. ders., Kirche, S. 254f. 38 Ohne aber die Asymmetrie von Gott und Mensch zu nivellieren.
Freiheit und Gnade in der Schöpfung
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Trotz der eigenverschuldeten Abkehr der Menschen von Gott, die das Verhältnis nachhaltig gestört hat, bleibt er seiner Schöpfung treu, weil seine Zusage und sein Wort Bestand haben und ewig gültig sind (vgl. Jes 40, 8; 1 Petr 1, 25): Aus der heilsgeschichtlichen Begegnung hat der Mensch Gott als den Einen, seinen Gott, erkannt, der ihm die ewige Bundestreue zugesichert hat, die kein Ende kennt (vgl. Gen 9, 8-17). Aus der Begegnung in der Gegenwart mit Gott im Alten Bund und zuhöchst im Kreuz wurde die Vergangenheit verstehbar und transparent, dass erst von hier aus die Verhältnisverstellung durch die Sünde erkennbar wurde und die Hoffnungsperspektive für die vollendete Zukunft in voller Gestalt aufkam. Aus der Gegenwart zeigt sich Gott als Anfang und Ziel der Schöpfung, wobei er diese nicht alleine und in absoluter Distanz zu sich verweilen lässt, sondern diese hält, fortbestehen lässt und ihr einen Raum der Entfaltung ermöglicht: Er ist der kontinuierliche Begleiter seiner creatio continua.39 2.2
Freiheit und Gnade in der Schöpfung
Die metaphorische Mehrdimensionalität der paradiesischen Bildwelt ging im Laufe der Zeit verloren und wurde nicht mehr als Kontrastfolie zu altorientalischen Mythen erkannt, wodurch das Paradiesgeschehen und der Sündenfall vereindeutigt und naturalisiert wurden.40 Durch die vereindeutigende Lesart, die nur noch marginal im weiteren heilsgeschichtlichen Narrativ eingebunden wurde, kam es durch die Perspektive der Gefallenheit und der Vertreibung zu einer Frontstellung von Schöpfer und Schöpfung, welche hinsichtlich des Menschen derart weitergeführt wurde, dass man zwischen einem unbegnadeten Naturzustand und einem übernatürlichen Gnadenzustand unterschied.41 Ausgehend von der absoluten Ungeschuldetheit der Gnade, wobei deren Gewährung alleine im Ermessen Gottes liegt und nicht vom Menschen eingeklagt oder von sich aus erworben werden kann, kommt es bei Augustinus zum Gedanken der radikalen Passivität des Menschen, welche den postlapsarischen Status des Menschen bestimmt.42 39 Vgl. Kehl, Gott sah, S. 36. 40 Auswirkungen dieser Naturalisierung sind u.a. die Diskussion um Monogenismus, prälapsarische Sterblichkeit, Urstandsgnade u.v.m. Diese Entwicklung wurde maßgeblich von Augustinus herbeigeführt, der bestimmte Wegmarken der Erbsündenlehre setzte, die von seinen Vorgängern nicht angeleitet wurden, aber von der Augustinus-Rezeption weitergeführt wurden. Vgl. Pröpper, Th A II, S. 998. 1020. 41 Vgl. Faber, Eva-Maria: Natur u. Gnade, in: LThK (32006) 7, Sp. 667-671; hier: Sp. 668. 42 Vgl. Pröpper, Th A II, S. 1012f.
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2. Gott und Mensch
Zur Überwindung bzw. Korrektur des ‚Zwei-Stockwerke-Denkens‘ trugen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in dessen erster Hälfte die Franzosen Pierre Teilhard de Chardin und Henri de Lubac sowie Gottlieb Söhngen, Romano Guardini, Michael Schmaus als auch Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar bei,43 indem das reiche Erbe der Patristik reaktualisiert und maßgebliche Inspirationsquelle für ein theologisches Denken wurde, das die heilsgeschichtliche Begegnung von Gott und Mensch forciert in den Fokus nahm:44 Gnade wird hierbei nicht als Objekt oder dingliches Etwas verstanden, sondern durch die Zusammenschau von ökonomischer und immanenter Trinität wurde Gnade wieder verstärkt als personales Geschehen der Begegnung von Gott und Mensch erkannt.45 Durch die innertrinitarische Verortung der Schöpfung wird einsichtig, dass es keine Frontstellung von Schöpfer und Schöpfung geben kann, weil sie stets in das Innere Gottes eingeborgen ist.46 Rahner versuchte diese Lokalisierung des Menschen mit einer relationalen Ausrichtung des Menschen auf Gott hin mit dem ‚übernatürlichen Existenzial‘ beschreibbar zu machen, dass jeder Mensch eine apriorische Ausrichtung auf Gott hat, in dem er als Ziel seines Strebens personelle Vollendung findet.47 Von der trinitätstheologischen Vorgabe, dass die Schöpfung in Gott schon stets eingeborgen ist, ändert sich der anschließende Betrachtungshorizont: Der Mensch existiert beständig Gott gegenüber, was die heilsgeschichtliche Erfahrung Israels in der Treue des Herrn deutlich gemacht hat, wobei nun die Frage der Erkennbarkeit Gottes bzw. der Erkenntnisfähigkeit des Menschen sowie Freiheit und Offenheit des Menschen gegenüber der göttlichen Begegnungsgabe im Raum steht: Das Verhalten des Menschen gegenüber Gott tritt in den Mittelpunkt und wird unter dem Aspekt der Freiheit diskutiert: Der Mensch ist dadurch ausgezeichnet und in Gottesebenbildlichkeit geschaffen, dass er frei handeln kann. Diese Freiheit ist jedoch nicht ursprungslos und unbedingt dem Menschen inhärent, sondern zeichnet sich nach transzendentaltheologischer Perspektive dadurch aus, dass sie von Gott bedingt und abhängig ist, während
43 Vgl. Pröpper, Thomas: Theologische Anthropologie. Erster Teilband. Freiburg/Basel/Wien 2015, S. 223. Demnächst zitiert mit: Pröpper, Th A I. 44 Vgl. Pröpper, Th A I, S. 223f. 45 Vgl. Faber, Natur, Sp. 669f. 46 Vgl. Meuffels, Hans Otmar: Einbergung des Menschen in das Mysterium der dreieinigen Liebe. Eine trinitarische Anthropologie nach Hans Urs von Balthasar (BDS; 11). Würzburg 1991, S. 258-263. 309-327. 511-513. 47 Vgl. Rahner, Grundkurs, S. 132-139. Vgl. Pröpper, Th A I, S. 294-297.
Freiheit und Gnade in der Schöpfung
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Gott selbst als freie Existenz nicht bedingt, ursprungslos und alleine sich selbst zum Grund hat.48 Um in der Begegnung mit Gott eine freie Antwort als Handlung geben zu können, braucht es in transzendentaltheologischer Perspektive eine formal gegebene Grundfreiheit des Menschen.49 Den logisch nächsten Schritt beschreibt Pröpper mit Fichte als Akt der Öffnung und Annahme der Gabe der Freiheit, um wahrer Mensch im Gegenüber Gottes zu werden: Das Nicht-Ich, Gott, gewährt als anstoßendes Moment dem Menschen – als jeweiliges Ich – die Gabe der Freiheit, was den Menschen in einem sekundären Schritt dazu bringt, sich der Gabe gegenüber zu verhalten und sich Gott gegenüber zu positionieren – in Annahme oder Weigerung.50 Dadurch steht die menschliche Freiheit in einem stets grundgegebenen Verhältnis der responsorischen Aktivität. Entweder öffnet sich der Mensch dem gebenden Geber oder er verschließt sich in solipsistischer Autonomie, indem er dem Ursprung seiner Freiheit seine Achtung verweigert.51 Der Mensch hat die Freiheit als abhängige Gabe erhalten, weswegen sich bei ihm in einer freien Handlung stets ein Zweifaches realisiert: Zum einen ist in jeder Handlung nach transzendentaltheologischer Perspektive Gott als bedingender, aber selbst unbedingter Grund und Ursprung eingefasst.52 Zum anderen wird mit jeder Handlung eine Grundentscheidung getroffen, wie sich der Einzelne gegenüber dem Grund der Freiheit verhält.53 Hier gilt es dennoch 48 Vgl. Hoping, Helmut: Freiheit im Widerspruch. Eine Untersuchung zur Erbsündenlehre im Ausgang von Immanuel Kant (IThS; 30). Innsbruck/Wien 1990, S. 38-41. 49 Vgl. Pröpper, Th A I, S. 488-490. Gäbe es das grundgegebene Freiheitspotenzial des Menschen nicht, würde man von Neuem die Frage um das Gnadengeschehen mit radikaler Passivität und prädestinatorischer Gnadengabe stellen müssen. 50 Vgl. Pröpper, Th A I, S. 521. 539. Das Ich wird nach Fichte erst wirklich, wenn es sich in einer Tathandlung positioniert, setzt und dazu verhält, dass es von einem Nicht-Ich angestoßen wurde. Erst durch den Anstoß von außen erkennt das Ich sich selbst im Gegenüber zum Nicht-Ich. Darauf folgt der Setzungsakt des eigenen Selbst als sekundärer Schritt dem Nicht-Ich gegenüber. Das Ich entsteht daher aus dem Prozess der responsorischen Aktivität gegenüber seinem Außen. Vgl. Žižek, Slavoj: Weniger als nichts. Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus. Aus dem Englischen von Frank Born. Berlin 2014, S. 210-215. 242f. 51 Selbstwerdung vollzieht sich daher nach Pröpper als Öffnung und entäußernder Rückbezug, wobei hier eine Fundamentalentscheidung und Wahl des Verhältnisses zu Gott stattfindet. Weswegen mit Kierkegaard eine dialektisch-paradoxale Situation ausgewiesen werden kann: Im sich entäußernden Sprung in den Glauben verlässt der Einzelne seine egozentrische Selbstverhaftung, um dadurch sich selbst gegeben zu bekommen. Vgl. Pröpper, Th A I, S. 501-504. 521. 52 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 38f. 53 Vgl. Pröpper, Th A I, S. 501-504. Vgl. Ernst, Grundfragen, S. 261. 273.
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2. Gott und Mensch
zu beachten, dass der Mensch (zwar) eine Grundentscheidung trifft, diese aber in eine vorgeprägte und vorstrukturierte Situation eingelassen ist, so dass der Mensch nie rein abstrakt, als leeres Blatt, in der Welt steht, sondern eine geschichtliche Existenz mit seinen Mitmenschen führt und somit geschichtlich bedingt ist.54 Somit kann mit Pröpper Freiheit als Akt der Selbstwahl bzw. responsorische Selbstpositionierung und Verortung gegenüber dem bestimmenden Urgrund verstanden werden: „Also ist Freiheit (mit einem Wort) als Fähigkeit der Selbstbestimmung zu denken. Wirkliche Selbstbestimmung ist sie erst durch die tatsächliche Affirmattion eines Inhalts.“55 Die Gegebenheit menschlicher Freiheit muss von diesem in einem existenziellen Schritt verantwortet werden, der unvertretbar nur von ihm als Einzelner ausgeführt werden kann. In Ausübung der Freiheit mit der gleichzeitigen Grundentscheidung zeigt sich, dass Freiheit primär eine Haltung darstellt, bevor sie als Fähigkeit in aktuale Handlungen übergeht. Biblisch gesprochen kann diese Haltung zwei Alternativen annehmen: die Haltung des Fleisches (σαρξ) oder die Haltung des Geistes (πνευμα) (vgl. Röm 8, 1-11), die als Metapher für die Haltung der Weigerung und Isolation oder die Haltung der Offenheit und Annahme steht, wobei trotz der begrifflichen Dichotomie kein dualistisches Konzept vertreten wird.56 Von hier aus lässt sich plausibel in freiheitstheoretischer Perspektive ausweisen, dass der Einzelne sich selbst entfremdet, wenn er sich gegenüber dem gewährenden und tragenden Urgrund verweigert: Gesteht er seiner eigenen Freiheit keine Bedingtheit zu und will sich vielmehr von seiner eigenen Bedingtheit im Gewaltakt isolierend befreien, verschließt er sich gegenüber dem Unbedingten und wird unfrei.57 Die Erbsünde lässt sich in dieser Konzeption als Schuldverfallenheit beschreiben, durch welche der Mensch aus dem ihm gewährten Freiheitsrahmen gewaltsam ausbricht und in Konsequenz daraus unfrei wird. Durch die Verweigerung der annehmenden, sich öffnenden Grundhaltung gegenüber der unbedingten Bedingung kommt es zu einer Überformung der menschlichen Freiheit in negativer Hinsicht. Helmut Hoping beschreibt die Erbsünde daher mit kantischen Denkmitteln als Weigerung der absoluten Wahl, den Ursprung der eigenen Freiheit und der gesamten Freiheitssituation anzuerkennen, wodurch die eigene Freiheit in erbsündlicher Weise verstellt wird:58 Die Sünde kommt in die menschliche Geschichte und wirkt dort durch die transzendentale 54 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 39-41. 55 Pröpper, Th A II, S. 705. Vgl. Hoping, Freiheit, S. 235-237. 56 Vgl. Pröpper, Th A I, S. 140f. 57 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 43f. 58 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 260-267. Vgl. Essen, Georg: „Da ist keiner, der nicht sündigt, nicht einer …“. Analyse und Kritik gegenwärtiger Erbsündentheologien und ihr Beitrag für das seit Paulus gestellte Problem, in: Pröpper, Th A II, S. 1092-1156; hier: S. 1131-1143.
Freiheit und Gnade in der Schöpfung
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Weigerung fort, was zur Schuldverfallenheit gegenüber ihrem Ursprung führt.59 Mit Julia Knop gesprochen findet durch die erbsündliche Weigerungsgeste eine Überformung der menschlichen Handlungslogik und deren Freiheit statt, so dass es zu einem neuen „Apriori (propagatione) der Konstitution (Selbsttat) der Freiheitsrealität“ kommt.60 Von der Aufarbeitung der Erbsünde unter dem Aspekt der Freiheit ist es einsichtig, Sünde nicht als dinghaften Makel, Befleckung oder Mangel zu verstehen, sondern sie als verkehrte Verhältnisbestimmung oder als einen Relationsbegriff zu begreifen.61 Im fundamentalen Sinn (unter dem Anspruch der existenziellen Verantwortung) ist Sünde daher als eine verkehrte bzw. pervertierte Grundhaltung des Menschen in der Ausrichtung zu Gott verstehbar.62 Statt sich Gott gegenüber in einer anerkennenden Haltung zu befinden, (ver) kehrt sich der Mensch in eine egozentrische Autonomiebewegung: Er wendet sich von seinem Ermöglichungs- und Zielgrund ab und setzt sich selbst zum bestimmenden Maßstab.63 Seine absolutierende Autonomiebestrebung führt durch die existenzielle Abwendungsgeste zu Isolation und Verschlossenheit – das zwanghafte und gewalttätige Freiseinwollen bringt als Konsequenz Unfreiheit mit sich, von welcher der Mensch sich nicht selbst befreien kann. Eine Selbsterlösung ist ihm daher nicht möglich – er ist in einer Verfallenheitssituation verhaftet.64 Freiheit geschieht nicht solipsistisch, sondern ist ein relationales Geschehen. Sie kann sich nicht ohne ein (personales) Gegenüber mit eigener Freiheit, welchem man sich frei gegenüber verhalten und selbst in der eigenen Freiheit bestätigt wird, vollziehen. Daher kann sich Freiheit nur im Gegenüber eines Anderen und als Antwortgeschehen verwirklichen:65
59 Das Böse – als Abstraktum der bösen Handlungen des Menschen – entstammt einer bösen Gesinnung, wodurch der Ursprung des Bösen nicht mythisch grundgegeben ist, sondern der Freiheit des Menschen entstammt. Der Mensch setzt sich selbst zur obersten Bedingungen, wobei durch die Verkehrung der (handlungsleitenden) Maximen der Hang zum Bösen entsteht – der entspringende Akt lässt sich dabei aber nicht historisch datieren. Vgl. Hoping, Freiheit, S. 198-207. 60 Knop, Julia: Sünde, Freiheit, Endlichkeit. Christliche Sündentheologie im theologischen Diskurs der Gegenwart (ratio fidei; 31). Regensburg 2007, S. 339. Vgl. Essen, Da ist keiner, S. 1141. 61 Vgl. Pröpper, Th A II, S. 680f. 685. 719. 885. 62 Vgl. Pröpper, Th A II, S. 681f. 63 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 202f. 64 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 207. 216. 65 Grundgelegt zeigt sich dies durch die primäre Passivität des Menschen, die auch in relationaler Sicht als Reaktivität mit Fichte verstanden werden kann. Vgl. Žižek, Weniger als nichts, S. 210-215. 242f. Vgl. Hoping, Freiheit, S. 242.
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2. Gott und Mensch Die Geschichte der Freiheit unseres Selbstseins kann als Gestalt- und Selbstfindungsprozeß verstanden werden. Eine Selbst-Findung der Freiheit ist dabei nur in der Übernahme von Nicht-Identität möglich. Nur durch das Andere der Freiheit kann die Freiheit zu sich selbst kommen.66
Deswegen gilt es, Freiheit nicht nur als relationales, sondern darüber hinaus als interaktionales und intersubjektives Geschehen zu verstehen. Die andere Freiheit ist also immer schon die Freiheit des Anderen. Als der Gehalt, durch den Freiheit sich erfüllt, ist damit die Freiheit des Anderen zu denken. […] Eine Affirmation der Freiheit ohne die Anerkennung der Freiheit des Anderen ist eine Existenzweise menschlichen Selbstseins, in der dieses sich selbst entfremdet ist. Nur in der Affirmation der Freiheit des Anderen ist die eigene Freiheit wirklich bei sich selbst. Die ab-solute Selbstaffirmation der Freiheit führt nämlich in der Konsequenz zu einer Freiheit, die selbst-los ist, selbst-los, weil auf eine einsame Identität reduziert.67
Wenn Freiheit nur ihre Erfüllung findet, indem man sie in und als Freiheit an einem personellen Gegenüber ausübt, dann erscheint aus dieser Sicht Freiheit als die einzig adäquate Verwirklichung des zwischenmenschlichen Verhältnisses.68 Wenn Freiheit nur dann vollständig erfüllt ist, wenn man sich zu ihrem Ursprung in freier und affirmierender Weise verhält, kann dieser Ursprung nur ein personales Wesen sein, weil man sich einem Theorem oder einem anonymen Postulat gegenüber nicht in Freiheit verhalten kann: Hier wäre nur eine einseitige Beziehung gegeben, welche nicht in der Möglichkeit steht, reziprok affirmiert zu werden. Gott (als Ursprung und bedingungslose Bedingung der Freiheit) muss daher personal verstanden werden.69 Wenn das Ereignis des Seins als ein ‚Geschick aus Freiheit für Freiheit‘ gedacht werden muß, ist mit der notwendigen Idee vollkommener Freiheit die ‚ontologische Differenz‘, die mit dem Ereignis des Seins gegeben ist, auf eine Differenz hin zu überschreiten, die man die Freiheitsdifferenz nennen könnte: die Differenz zwischen vollkommener und endlicher Freiheit im Ereignis von Sein, Zeit und Geschichte. Von der Freiheitsdifferenz läßt sich dieses Ereignis als Offenbarung vollkommener Freiheit denken. […] Von Gott wäre dann mit Schelling als ‚Herr des Seyns‘ und Grund unserer Freiheit zu sprechen. Darüber hinaus würde sich ergeben, daß eine Offenbarung Gottes in der Geschichte ein durchaus sinnvoller Gedanke ist. […] 66 Hoping, Freiheit, S. 242. 67 Hoping, Freiheit, S. 244f. 68 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 137-143. 151f. So lässt sich dann die Verwirklichung dieses Freiheitsbegriffs auch als Inhalt des kategorischen Imperativs verstehen. 69 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 256-258.
Freiheit und Gnade in der Schöpfung
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Die transzendentale Freiheitslehre als Erste Philosophie zeigt auch die transzendentale Möglichkeit jener Offenbarung, die im christlichen Offenbarungsbegriff vorausgesetzt ist. Denn in seiner höchst möglichen Realität läßt sich das unbedingte Sich-öffnen vollkommener Freiheit als Selbstoffenbarung Gottes in einem Menschen denken, nämlich als der schlechthin unbedingte Ent-schluß Gottes für den Menschen, als der Jesus existiert. […] Der Ent-schluß Gottes für den Menschen in Jesus wäre ‚der notwendige Bezugsrahmen …, innerhalb dessen der Entschluß transzendentaler Freiheit aufgegeben ist‘.70
Hierbei besteht aber die eminente Gefahr, in einen Zirkelschluss zu geraten, wenn Freiheit durch Freiheit begründet, mit Freiheit beantwortet und Freiheit zum Inhalt hat, und diese Anstrengung nur im Rahmen eines vernünftigen Freiheitsbegriffs vorgenommen wird.71 So gerne aus transzendentaltheologischer Perspektive in Freiheitshinsicht auf Kant verwiesen wird und mit seinen Denkmitteln argumentiert wird, wird von Kant sehr klar ausgewiesen, dass Freiheit keine transzendentale Kategorie ist, sondern den Status eines Postulats innehat.72 Auch von Seiten Nietzsches wird der epistemologische Status der Freiheit sehr kritisch erkannt, indem er in den nachgelassenen Fragmenten
70 Hoping, Freiheit, S. 257f. Mit integrierten Zitaten von Krings und Heidegger. Die Methodik und das Anliegen Hopings sind beachtenswert und auch scheinen die Konsequenzen seiner Rekonstruktion theologisch tragbar – es stellt sich aber grundsätzlich die Frage (sowohl an Hoping als auch an Pröpper, Striet und Essen), ob die Freiheitsanalyse das geeignete Paradigma ist, die göttliche Wirklichkeit theologisch angemessen aufzuarbeiten. 71 Vgl. Kant, Immanuel: KrV, B XIIIf. (S. 23): Durch die Experimente von Galilei und Torricelli wurde zwar die Naturwissenschaft in ihrem Erkenntnisfortschritt in vernünftiger Weise voran gebracht, dennoch ist die Vernünftigkeit hier selbst zu befragen: „so ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leitband gängeln lassen müsse […]. Und so hat sogar die Physik die so vorteilhafte Revolution ihrer Denkart lediglich dem Einfalle zu verdanken, demjenigen, was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt […].“ Vgl. Fischer, Norbert/Hattrup, Dieter: Metaphysik aus dem Anspruch des Anderen. Kant und Levinas. Paderborn u.a. 1999, S. 24. 31. Gott wird auf einen Begriff der Freiheit reduziert und durch die Begriffsdefinition seines Seins seiner Göttlichkeit und Alterität beraubt – ein Gott, der nur Freiheit ist, ist kein Gott mehr. Vgl. Fößl, Thomas Peter: Freiheit als Paradigma der Theologie? Methodische und inhaltliche Anfragen an das Theoriekonzept von Thomas Pröpper, in: ThPh (2007) 82, S. 217-251; hier: S. 235f.: „Ein Gottesbegriff aber, innerhalb dessen die Wirklichkeit ‚Gottes‘ eingeklammert wird, stellt m.E. einen Selbstwiderspruch dar“ (ebd.). 72 Vgl. Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, in: Ders.: Werke in sechs Bänden. Hg. v. Weischedel, Wilhelm. Bd. IV. Darmstadt 72011, S. 103-302; hier: A 238f. (S. 264.).
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2. Gott und Mensch
schreibt, dass Freiheit kein Phänomen der Ästhetik ist und damit der Anschauung bzw. der betrachtenden Analyse nicht zur Verfügung steht.73 Bleibt man aber bei der transzendentalontologischen Betrachtung Gottes hinsichtlich des Freiheitsdiskurses stehen, dann wird der christliche Glaube zu einer allseits konsistenten, aber harmlosen Vernunftreligion, wobei gerade die Begegnung mit Gott sich nicht (vollständig) vernünftig aufarbeiten lässt – es gilt vielmehr: Deus semper maior.74 Die Begegnung von Gott und Mensch zeigt vielmehr an Abraham, dass sie eine radikale Infragestellung des menschlichen Vernunfthorizontes ist: „Gott [ist] selbst der äußerste Störenfried, der Eindringling, der brutal die Harmonie unseres Lebens durcheinander bringt.“75 Die erlösende und gnadenvolle Begegnung von Gott und Mensch kann als befreiendes Zeigen des wahren Menschseins in gelingender Freiheit verstanden werden,76 wobei dieses Zeigen verstörend, irritierend und schmerzhaft ist, weil der Mensch seine eigene Fehlbarkeit und Sündhaftigkeit erkennen kann. James Alison warnt daher eindringlich, in Bezug auf Erlösung und Erbsünde das christliche Menschenverständnis auf eine transzendentale Anthropologie zu reduzieren: If we detach the doctrine of the universal vocation to theiosis from the element of discovery in hope of something which contradicts our daily life experience and turn it into a quasi-philosophical description of what we all are, inescapably, then we merely transform the doctrine of security of salvation […] into a universal philosophical principle. This means, in theological terms, that the anthropology in question becomes an anthropology of presumption, a subtle form of anonymous semi-Pelagianism, and thus shortcuts the way in which discovery 73 Vgl. Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente. 1885-1887 (KSA; 12). München 1999, S. 269f. „Die Freiheit ist undenkbar in der Erscheinungswelt, es sei die äußere oder die innere“ (ebd., S. 270). 74 Vgl. Fößl, Freiheit als Paradigma. S. 231. Fößl sieht klar die inhaltlichen Schwierigkeiten, wenn voraussetzungslose und voraussetzungsreiche Methode vermengt werden und eine theologische Analyse von einer philosophischen Methode überformt werden soll: „Ist der philosophieinterne Diskurs aber – wie bei Pröpper – eine Funktion des theologischen, dann zerschlägt die Theologie früher oder später doch das Ergebnis der transzendentalen Freiheitsanalyse aufgrund der ebenso brachialen wie unausweichlich theologischen Erkenntnis, dass es neben Gott nichts Unbedingtes gibt, auch keine formal unbedingte Freiheit. […] Dies ist der Fall, weil die ‚Idee Gottes‘ ausdrücklich […] als menschlicher Gedanke eingeführt wird und somit zugleich und unabweislich als eine Funktion des denkenden Subjekts bestimmt ist. Damit aber muss die ‚Idee Gottes‘ notwendigerweise als ein kontingenter Gedanke aufgefasst werden, gedacht von jener Vernunft, für deren Freiheitsanalyse ein ‚gesichertes Kontingenzbewusstsein‘ geradezu konstitutiv ist“ (ebd.). 75 Žižek, Lacan, S. 131. 76 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 287-290. Balthasar, Hans Urs von: Theodramatik. Bd. II: Die Personen des Spiels. Teil 1: Der Mensch in Gott. Einsiedeln 1976, S. 28-30.
Freiheit und Gnade in der Schöpfung
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of the universality of the call to theiosis is, for each of its participants, a radical conversion and part of the revelation of salvation.77
Statt Freiheit im transzendentalen Horizont zu abstrahieren und von der irritierenden und uneindeutigen Wirklichkeit zu lösen, empfiehlt es sich, die Verwirklichungsstätte und das Realisationsmoment der Freiheit – das Kreuz und die zwischenmenschliche Begegnung – in den Fokus zu nehmen und phänomenologisch zu untersuchen. Kant geht in Sachen Freiheitsanalyse nicht (alleine) hypothetisch-postulatorisch vor, sondern befragt auch die reale Wirklichkeit der menschlichen Begegnung auf ihren philosophischen Gehalt: Beim unmittelbaren Aufeinandertreffen des Menschen rückt die Frage nach der Freiheit und dem Verhalten dem Anderen gegenüber nicht als intellektuell-theoretische Fragestellung in den Mittelpunkt, sondern das (hoffentlich) gewaltfreie Zusammentreffen wird von einer ästhetischen Regung geleitet, die durch die Wahrnehmung des Anderen ausgelöst wird:78 Die Achtung vor dem Anderen. Das Gefühl der Achtung, das aber mit seiner Beschränkung auf das Sittengesetz als Inhalt und seiner apriorischen Gegebenheit kein Gefühl im eigentlichen Sinn ist, kann nur in analoger Weise als Sinn verstanden werden.79 Inhaltlich beschränkt sich das Gefühl der Achtung auf das Sittengesetz, welches besagt, dass Personen in anerkennender Freiheit zu behandeln sind (ergo: als Zweck an sich),80 was aber durch die Axiomatik und den postulatorischen Charakter der Freiheit zu einem rein formellen Begriff führt.81 Geht man über die Textoberfläche Kants hinaus, ist es möglich, den Begriff der Person und das Gefühl der Achtung als Phänomen des Erhabenen zu deuten, wodurch Kant an Emmanuel Levinas anschlussfähig wäre.82 Achtung ist in Verbindung mit dem kategorischen 77 Alison, Joy of Being Wrong, S. 43. 78 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 242: „Eine Selbst-Findung der Freiheit ist dabei nur in der Übernahme der Nicht-Identität möglich. Nur durch das Andere der Freiheit kann die Freiheit zu sich selbst kommen.“ 79 Vgl. Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften Bd. 18. Abt. 3: Handschriftlicher Nachlaß. Bd. V: Metaphysik. 2. Teil. Berlin 1928, S. 185 (Nr. 5448): „Also ist der sensus moralis nur per analogiam so genannt und soll nicht Sinn, sondern Gesinnung heissen, nach welcher die moralische motiven in dem Subiekt eben so wie stimuli necessitiren. Es ist also in sensu proprio ein Unding, ein blos analogon sensus und dienet nur, ein Vermögen (nicht receptivitaet), wovor wir keinen Nahmen haben, auszudrücken.“ Vgl. Hoping, Freiheit, S. 154. 80 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 150f. Vgl. Vgl. Ricœur, Fehlbarkeit des Menschen, S. 101. 81 Vgl. Kant, Immanuel: KpV, A 139 (S. 199). Vgl. Hoping, Freiheit, S. 151. 155. 82 Vgl. Kant, KpV, A 289 (S. 300). Ein ähnlicher Gedanke, bei dem die Freiheit und das Erhabene zusammengebracht wird, findet sich hier: Vgl. Loock, Reinhard: Idee und Reflexion bei Kant (Schriften zur Transzendentalphilosophie; 12). Hamburg 1998, S. 210-212.
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Imperativ keineswegs als apriorisch gegeben, sondern erscheint in aposterioscher Rezeptivität: Der Ruf ergeht an den Einzelnen – diesem hat er in eine Geste der Haltung (Offenheit oder Weigerung) zu entsprechen. Bei der (rezeptiven, nachgeordneten) Betrachtung eines Phänomens des Erhabenen kommt es zu einer Anschauung ohne Begriff, weil das Phänomen zu groß ist um in einem abschließenden Begriff totalisiert zu werden:83 Das Erhabene überschreitet jeden Definitionsangang durch seinen phänomenologischen Überschuss. Das Erhabene als Grenzphänomen der menschlichen Perzeptionsfähigkeit kann daher im Anschluss an Jean-Luc Marion, als gesättigtes Phänomen benannt werden: „Gesättigte Phänomene lassen sich beschreiben als der Quantität nach unanvisierbare, der Qualität nach unerträgliche, der Relation nach abgelöste, der Modalität nach unanschauliche.“84 Die Vernunft scheitert beim Erhabenen an einer Synthetisierung, wobei aber das Erhabene ein Gefühl der Achtung mit der Handlungsform des Sollens mit sich bringt.85 Einfach gesprochen kommt es beim Erhabenen zu einem Staunen durch die schiere Größe, der gegenüber man sich in ihrer Würde angemessen verhalten soll.86 Ein Erhabenheitsphänomen überschreitet den Rahmen der Endlichkeit und bringt einen Ausblick auf die Idee der Unendlichkeit mit sich: „Erhaben ist also die Natur in derjenigen ihrer Erscheinungen, deren Anschauung die Idee ihrer Unendlichkeit mit sich führt.“87 Statt Freiheit als harmonischen Vernunftbegriff zu haben, kann mit Levinas das verstörende Treffen auf den Anderen als Aufscheinen des metaphysischen Risses verstanden werden, von welchem aus das Sein in ikonischer Weise durchscheint.88 Das Treffen auf das Antlitz des Anderen ist „Anruf 83 Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, in: Ders.: Werke in sechs Bänden. Hg. v. Weischedel, Wilhelm. Bd. V. Darmstadt 72011, S. 171-620, hier: A 103-105 B 104-106 (S. 349). Vgl. ebd., A 91f. B 92f. (S. 341): „Das Unendliche aber ist schlechthin (nicht bloß komparativ) groß. Mit diesem verglichen ist alles andere (von derselben Art Größen) klein. Aber, was das Vornehmste ist, es als ein Ganzes auch nur denken zu können, zeigt ein Vermögen des Gemüts an, welches allen Maßstab der Sinne übertrifft. Denn dazu würde eine Zusammenfassung erfordert werden, welche einen Maßstab als Einheit lieferte, der zum Unendlichen ein bestimmtes, in Zahlen angebliches Verhältnis hätte: welches unmöglich ist.“ Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 339. 370f. 84 Marion, Gegeben sei, S. 341. Die Sättigung meint hier im konkreten Fall, dass der phänomenologische Überschuss jeden Anschauungsmangel im Phänomen ausschließt, weil sich dieses übervoll zeigt. 85 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 184f. 86 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 342f. 87 Kant, KdU, A 92 B 93 (S. 342). 88 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 248-252. Vgl. Marion, Jean-Luc: Das Erotische. Ein Phänomen. Sechs Meditationen. Übersetzt aus dem Französischen von Alwin Letzkus. Freiburg/ München 22013, S. 120. Vgl. ders., Gegeben sei, S. 346f.
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und Unterweisung, Aufnahme der Beziehung mit mir – ethische Beziehung.“89 Durch die öffnende Begegnung mit dem Anderen kann die eigene Verschlossenheit hin zu Exteriorität und Dezentrierung aufgebrochen werden. Der Nächste kann hierbei als dezentrierender Anderer wirken,90 weswegen in der Begegnung mit dem Anderen die Autonomie der Moral an ihre Grenzen kommt und mit Levinas als Heteronomie – Gesetzgebung von außen – verstanden werden kann. In der autonomen Vernunft werden Anderen vielmehr Grenzen gesetzt und sie werden in vernünftigen Begriffen derart eingefasst, dass seine Alterität durch eine definitorische Bestimmung ausgegrenzt wird. Der Andere wird neutralisiert, wobei er seine Alterität verweigert bekommt und ihm dadurch Gewalt angetan wird.91 Freiheit als Postulat ist nicht gegeben, sondern wird verwirklicht, indem der Einzelne auf den Anderen trifft und dieser Irritation mit sich bringt: Die Gegenwart des Anderen – eine privilegierte Heteronomie – verletzt nicht die Freiheit, sondern setzt sie ein, ist ihre Investitur. Die Scham für sich selbst, die Gegenwart und das Begehren des Anderen sind nicht die Verneinung des Wissens: Erst im Wissen artikulieren sie sich. Das Wesen der Vernunft besteht nicht darin, den Menschen seines Grundes sowie seiner Vermögen zu versichern, sondern ihn in Frage zu stellen und ihn zur Gerechtigkeit einzuladen.92
Das Treffen auf den Anderen wird in entscheidender Weise durch sein Antlitz geprägt. Seine Präsenz stellt mit seinem Antlitz meinen Horizont in Frage, weil die Wirkung des Antlitzes auf den Einzelnen eine Irritation und Störung der jeweiligen gewöhnlichen und harmonischen Welt ist. Das Treffen auf das Antlitz ist nicht kalkulierbar oder vernünftig beherrschbar, weil der Andere 89 Vgl. Levinas, Emmanuel: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriotität. Übersetzt von Nikolaus Krewani. Freiburg/München 52014, S. 264. Demnächst zitiert mit: Levinas, TU. 90 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 251. 91 Vgl. Levinas, TU, S. 51f. Dem Anderen kann nicht neutral, objektiv oder rein vernünftig begegnet werden, weil Vernunft schon stets einen Ausschlussmechanismus gegenüber dem Irritierenden bzw. Nicht-Vernünftigen hat. Eine Logik der reinen Vernünftigkeit ist daher nicht wertfrei vorhanden, weil sie stets in Diskurse eingebunden ist, die von Machtfragen durchsetzt sind. Es braucht daher zwingend die Subjektivierungsgeste der Entscheidung gegenüber dem Anderen, um ihn als Anderen erkennen zu können. Vgl. Derrida, Jacques: Gewalt und Metaphysik. Essay über das Denken von Emmanuel Levinas‘, in: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Übersetzt von Rodolphe Gasché (stw; 177). Frankfurt 1976, S. 121235; hier: S. 149. 92 Levinas, TU, S. 122. Levinas wendet sich in seiner Darstellung von einer (sokratischplatonischen) Innerlichkeitsbewegung ab und verweist darauf, dass Sinn als gelingende Existenz der irritierende Erfahrung des Äußeren Begegnung braucht. Vgl. ebd., S. 123: „Der äußerste Schritt der Metaphysik vollzieht sich nicht als ‚Erkenne dich selbst‘“.
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mit seinem Antlitz in das jeweilige Leben einbricht, dies radikal ethisch befragt und ein Sollen fordert, ohne aber selbst eine Antwort zu liefern.93 Das Antlitz kann nicht begrifflich beherrscht oder begriffen werden – in der Passivität des Einbruchs wird der Beobachter zum (sekundären, rezeptiven) Zeugen des Antlitzes als überschießendes, gesättigtes Phänomen.94 Weil das Antlitz einen nicht kalkulierbaren, nicht synthetisierbaren Überschuss mit sich bringt, der ein unabschließbarer Aufruf und Aufbruch ist, bringt hier Levinas das Unendliche als stets weiterführende Bewegung ins Spiel: Das Antlitz ist ein Phänomen des Unendlichen bzw. gewährt in seiner Präsenz einen Blick auf das Unendliche, weswegen der Andere mit seinem Antlitz einen Charakter der Epiphanie mit sich bringt. Beim Treffen auf das Antlitz und dessen Schauen kann dies als Offenbarungsmoment verstanden werden.95 Durch den (dynamischen) Überschuss ist eine abschließende (statische) Totalisierung nicht möglich96 – eine Totalisierung stellt vielmehr einen Gewaltakt dar, weil sie eine künstliche Eingrenzung vornimmt, die den Anderen in seiner Alterität nicht gewähren lässt, sondern ihn vom eigenen Standpunkt aus zu beherrschen versucht.97 Um dem Anderen in seiner Alterität gerecht zu werden, gilt es eine Haltung der Offenheit bzw. des unabgeschlossenen Blicks einzunehmen,98 da das
93 Vgl. Levinas, TU, S. 10, 45f., 88f., 366-369, 430. „Eine Beziehung, deren Termini keine Totalität bilden, kann sich also in der allgemeinen Ökonomie des Seins nur zwischen mir und dem Anderen ereignen, als Von-Angesicht-zu-Angesicht, als Vorzeichnung einer Tiefendistanz, der Distanz der Rede, der Güte, des Begehrens. Diese Beziehung kann nicht zurückgeführt werden auf die Verknüpfung, die die synthetische Tätigkeit des Verstandes zwischen den verschiedenen Termini herstellt; […]“ (ebd., S. 45) Das unbedingte Sollen, das das Antlitz mit sich bringt, ist das Verbot des Mordes: „Diese Unendlichkeit, die stärker ist als der Mord, widersteht uns schon in seinem Antlitz, ist sein Antlitz, ist der ursprüngliche Ausdruck, ist das erste Wort: ‚Du wirst keinen Mord begehen.‘“ (ebd., S. 285). Vgl. Marzano, Michela: Philosophie des Körpers. Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl. München 2013, S. 65. Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 390. 94 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 366f. 95 Vgl. Levinas, TU, S. 64. 107f. 280. 96 Vgl. Levinas, TU, S. 320f. 97 Vgl. Levinas, TU, S. 284. 327. 98 Vgl. Hoping, Freiheit, S. 248f. Deswegen kann hier diese Offenheitsforderung auch analog zur Empathie (als gewählte Grundhaltung) verstanden werden: „Empathie ist nichts, was uns einfach so zustößt, kein Meteoritenschauer von kreuz und quer durchs Gehirn feuernden Synapsen, sondern basiert auf einer Entscheidung, die wir treffen: einem anderen Menschen Aufmerksamkeit zu zollen, aus uns herauszutreten. Empathie ist das Produkt einer Anstrengung, […]“ (Jamison, Leslie: Die Empathie-Tests. Über Einfühlung und das Leiden Anderer. Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Berlin 2015, S. 46.).
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Primäre in der Begegnung vom Anderen (Nicht-Ich)99 ausgeht und die eigene Person in nachgeordneter Weise dem Phänomen gegenüber steht und dieses betrachtet. Dies ist der Grund, warum Levinas von einer Ethik als Optik spricht und diese als erste Philosophie verstanden wissen will.100 Von der Gegebenheit der Freiheit durch den Anderen lässt sich auch bei Levinas das Ich in der Gegebenheit durch den Anderen verstehen, denn eine Person wird erst zu einem Selbst bzw. Ich, indem es in Offenheit irritierend erfährt und empfängt.101 Durch den Anderen erfährt der Einzelne Dezentrierung und Exteriorität, weswegen Selbstwerdung kein solipsistisches Geschehen ist, sondern grundlegend an die Alterität und das Erscheinen des Unendlichen gebunden ist.102 Eine egoistische Haltung ist daher genauso wie ein Stehen im Zweifel zu vermeiden, weil hierin die Richtigkeit der begegnenden Außenwelt und deren Irritation in Frage gestellt wird: Im Egoismus kommt es zu einer Verschließungsgeste,103 welche Statik statt Prozess, Bewegung und Entwicklung mit sich bringt.104 Der geschlossene Horizont der Totalität wird in der Begegnung mit dem Anderen aufgebrochen. Durch ihn hindurch bzw. über sein Antlitz zeigt sich 99 Hier lässt sich durchaus eine Nähe zu Fichte attestieren. Vgl. Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, in: Fichte, Immanuel Hermann: Fichtes Werke. Bd. I: Zur theoretischen Philosophie I. Berlin 1971, S. 83-328. „So gewiss das unbedingte Zugestehen der absoluten Gewissheit des Satzes: – A nicht = A unter den Thatsachen des empirischen Bewusstseyns vorkommt: so gewiss wird dem Ich schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich. […] Von allem, was dem Ich zukommt, muss kraft der blossen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen.“ (ebd., S. 104 [{20}, 18]) „Auf die ins Unendliche hinaus gehende Thätigkeit des Ich, in welcher eben darum, weil sie in Unendliche hinaus geht, nichts unterschieden werden kann, geschieht ein Anstoss; und die Thätigkeit, die dabei keineswegs vernichtet werden soll, wird reflectirt, nach innen getrieben; sie bekommt die gerad‘ umgekehrte Richtung“ (ebd., S. 227f. [{199}, 193]). 100 Vgl. Levinas, TU, S. 23, 81, 148, 289, 442. Gerechtigkeit als ethische Optik lässt eine Parallele auch bei Nietzsche im Zarathustra erkennen. Vgl. Stegmaier, Werner: Emmanuel Levinas zur Einführung. Hamburg 22013, S. 165. 101 Vgl. Levinas, TU, S. 40, 60, 118, 280, 366-369. Vgl. Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. I-IV (KSA; 4). München 1999, S. 77: „Das Du ist älter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch nicht das Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächsten. Rathe ich euch zur Nächstenliebe? Lieber rathe ich euch zur Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe.“ So lässt sich sowohl chronologisch als auch entwicklungspsychologisch die Vorrangigkeit des Du vor dem Ich festhalten. Vgl. Lacan, Jacques: Freuds technische Schriften. Das Seminar Buch I (1953-1954). Textherstellung durch Jacques-Alain Miller. Aus dem Französischen von Werner Hamacher. Wien/Berlin 2015, S. 213. 102 Vgl. Alison, Joy of Being wrong, S. 30. 150. Vgl. Hoping, Freiheit, S. 251. 103 Vgl. Levinas, TU, S. 127f. 104 Levinas versteht den Menschen als Wesen des unabschließbaren Begehrens, das vom Anderen ausgeht, aber niemals abgeschlossen werden kann, weshalb das Begehren einen unendlichen Charakter besitzt. Vgl. Levinas, TU, S. 36. 63f.
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ausschnittsweise das Unendliche: Der Andere wird zum Ort der Epiphanie, indem die egoistische Statik überschritten wird und sich eine Transzendenzbewegung vollzieht. Die Andersheit des Anderen hängt nicht von irgendeiner Qualität ab, die ihn von mir unterschiede; denn eine Unterscheidung dieser Art würde zwischen uns gerade jene Gemeinsamkeit der Gattung voraussetzen, die die Andersheit schon vernichtet. […] Der Andere bleibt unendlich transzendent, unendlich fremd – aber sein Antlitz, in dem sich seine Epiphanie ereignet und das nach mir ruft, bricht mit der Welt, die unsere gemeinsame Welt sein kann, deren Virtualitäten implizit in unserer Natur enthalten sind und die wir ebenso durch unsere Existenz entfalten.105
Von dieser phänomenologischen Aufarbeitung der irritierend-überschreitenden Begegnung kann Levinas den Gottesbezug ins Spiel bringen und das Antlitz des Anderen zum ausgezeichneten Offenbarungsort machen, an dem sich die Herrlichkeit Gottes zeigen kann: Die Nähe des Anderen, die Nähe des Nächsten ist im Sein ein unerläßliches Moment der Offenbarung, Moment einer absoluten (d.h. aus jeder Beziehung losgelösten) Gegenwart, die sich ausdrückt. Die eigentliche Epiphanie des Anderen besteht darin, uns durch sein Elend im Antlitz des Fremden, der Witwe und des Waisen zu fordern. […] Dem Blick, der sich auf ihn richtet, ist das direkte Verständnis Gottes unmöglich; der Grund für diese Unmöglichkeit ist nicht die Begrenztheit unseres Verstehens, sondern der Umstand, daß die Beziehung mit dem Unendlichen die vollständige Transzendenz des Anderen respektiert, ohne durch es behext zu werden; der Grund ist der Umstand, daß unsere Möglichkeit, das Unendliche im Menschen zu empfangen weiter reicht als das Verstehen, das seinen Gegenstand thematisiert und sich einverleibt. […] Der Andere ist der eigentliche Ort der metaphysischen Wahrheit und für meine Beziehung zu Gott unerläßlich. Er spielt keineswegs die Rolle des Vermittlers. Der Andere ist nicht die Inkarnation Gottes; vielmehr ist er durch sein Antlitz, in dem er körperlos ist, die Manifestation der Höhe, in der sich Gott offenbart.106
Dennoch muss einer vorschnellen Vereindeutigung des Antlitzes im Gottesbezug die Uneindeutigkeit des phänomenalen Überschusses sowie die Unverortbarkeit wie auch die Unbeherrschbarkeit der Herkunft des Unendlichen und Transzendenten festgehalten werden. Es zeigt sich nicht ein eindeutiges Phänomen, sondern es erscheint eine irritierende Spur.107 In philosophischer 105 Levinas, TU, S. 277f. Vgl. ebd., S. 10. 433. 106 Levinas, TU, S. 107f. 107 Vgl. Fischer/Hattrup, Metaphysik, S. 234. Vgl. Stegmaier, Levinas, S. 124f. Vgl. Nancy, JeanLuc: Dekonstruktion des Christentums. Aus dem Französischen von Esther von der Osten. Berlin/Zürich 2008, S. 79f.
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Redlichkeit wird auch von Levinas die Grenze zwischen Philosophie und Theologie ernst genommen, wobei er die Diskussion mit der Theologie nicht scheut und anschlussfähig bleiben möchte. Es gilt deshalb auch die Alterität Gottes in philosophischer Hinsicht in den Blick zu nehmen, ohne sie vorschnell konfessionell zu integrieren. Der Andere ist gewiß nicht Gott, aber er ist auch nichts anderes als Gott. Zu sagen, der Andere sei Gott, setzt die Überzeugung voraus, genügend Klarheit über Gott zu besitzen, um damit den dunklen Begriff des Anderen klären zu können. Zu sagen, der Andere sei bestimmt nicht Gott, setzt noch mehr voraus, da diese Aussage nun vertiefte Erkenntnis auch über den Anderen zu besitzen vorgibt.108
Doch trotz aller Uneindeutigkeiten und Verschiebungen durch den Spurcharakter des Phänomens lässt sich bei Levinas herausstellen, dass das Aufscheinen Gottes stets im personalen Bezug steht und nicht die Form eines theoretischen Postulats innerhalb einer konsistenten Theorie erhält, weil Theorie selbst als begriffliche Verkürzung Gewalt mit sich bringt.109 Der (göttliche) Überschuss der Transzendenz scheint am bzw. durch das Antlitz auf, was Gott in die personale Nähe führt und somit theologisch aufgegriffen werden kann. Vom biblischen Verständnis her gilt es, Gnade nicht in dinghafter Form zu verstehen – sie beschreibt vielmehr die Begegnungsdimension von Gott und Mensch in der Welt. Die Präsenz Gottes zeigt sich in der Welt nicht unmittelbar und evident-objektiv, weil ansonsten keine Freiheit des Menschen mehr möglich wäre, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Er würde unmittelbar vor dem Antlitz Gottes stehen.110 Durch die biblische Begegnung von Gott und Israel sowie die Inkarnation des Sohnes in die menschliche Gestalt, die seine Göttlichkeit nicht aufhebt, kann die Präsenzweise Gottes in der Welt mit vermittelt oder ‚sakramental‘ angegeben werden: Gott geht nicht im innerweltlichen Phänomen auf, sondern das Phänomen erhält von göttlicher Seite einen Überschuss, welcher die gegenständliche Wirklichkeit nicht negiert, sondern bestehen lässt, aber darüber hinaus die objektivierbare Oberfläche übersteigt. Die objektive Gegebenheit eines Phänomens, das über seine Oberfläche hinaus noch einen Überschuss besitzt, kann mit Jean-Luc Marion als gesättigtes 108 Fischer/Hattrup, Metaphysik, S. 251. 109 Vgl. Levinas, TU, S. 49f. 439. 110 Vgl. Ex 33, 20: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben.“ Vgl. Kant, KrV, A 536 B 564 (S. 491): „Denn, sind Erscheinungen Dinge an sich selbst, so ist Freiheit nicht zu retten.“ Auch wenn Gott nicht das Ding an sich ist und auch jenseits eines dinglichen Verständnisses steht, soll die Evidenz hier der entscheidende Punkt sein: Evidenz lässt keine Interpretation zu, sondern kommt mit einer nicht diskutierbaren Eindeutigkeit einher.
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Phänomen und als Ikone beschrieben werden.111 Um aber eine Ikone als eine solche sich zeigen zu lassen, muss die (vermeintlich) objektive Perspektive der Wissenschaft (als Zugriffsmöglichkeit auf die Welt) verlassen werden, um die Subjektivität und deren Haltung in den Blick zu nehmen. Jean-Luc Marion steht methodologisch in der Schülerschaft Edmund Husserls: Philosophie als strenge Wissenschaft muss nach Husserl, um seinen Gegenstand genau und vorurteilsfrei (in Fortführung der Aufklärung) verstehen zu können, sich von Vorurteilen, erkenntnistheoretischen Dispositionen und weltprägenden Horizonten befreien. Erst dann ist eine wissenschaftliche Konzentration auf den Gegenstand als solchen möglich: „Zu den Sachen selbst“112 ist daher die Losung Husserls, um die Philosophie nach dem Ende des Idealismus wieder durch die phänomenologische Methodik wissenschaftsfähig zu machen. Christlicher Glaube ist für Husserl, ohne dies abwertend zu meinen, eine derartige Vorprägung, die die Gegebenheit des Gegenstandes verstellt und somit eine saubere, philosophische Analyse verhindert.113 Um die radikale Gegebenheit eines Gegenstandes erfassen zu können, ist eine phänomenologische Reduktion notwendig,114 weswegen Marion methodologische Prämisse äußert: „Je 111 Die Ikone steht damit im Gegensatz zum Idol, das alleine reine Oberfläche in seiner Gegebenheit bietet. Die Ikone besitzt daher einen größeren Wirklichkeitsbereich, da sie sich nicht auf die Oberfläche reduziert. Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 40f. Vgl. ders., Gegeben sei, S. 385-387. Das Idol ist statisch, da es durch den solipsistischen Blick des Betrachters rein auf die (begriffliche und begreifbare) Oberfläche reduziert wird. 112 Vgl. Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis (Hua; XIX/1). Den Haag/Boston/Lancaster 1984, S. 10: „Wir wollen uns schlechterdings nicht mit ‚bloßen Worten‘, das ist mit einem bloß symbolischen Wortverständnis, zufrieden geben, […]. Bedeutungen, die nur von entfernten, verschwommenen, uneigentlichen Anschauungen – wenn überhaupt von irgendwelchen – belebt sind, können uns nicht genug tun. Wir wollen auf die ‚Sachen selbst‘ zurückgehen.“ Vgl. ders., Hu II, S. 60: „Man sehe sich doch nur die Phänomene selbst an, statt nur von oben her über sie zu reden und zu konstruieren.“ 113 Marion behält im Anschluss an Husserl die atheistische Methodik bei, kommt aber durch die Beeinflussung Balthasars zu dem Ausgangspunkt, dass das eigentliche Gottesverständnis durch die Kreuzesoffenbarung von außen einbricht und daher das Phänomen der Gegebenheit schlechthin ist. Vgl. Alferi, Thomas: ‚… die Unfasslichkeit der uns übersteigend-zuvorkommenden Liebe Gottes …‘. Von Balthasar als Orientierung für Marion, in: Gerl-Falkovitz, Hanna-Barabara (Hg.): Jean-Luc Marion. Studien zum Werk. Dresden 2013, S. 103-125; hier: S. 108f. 115. 114 Vgl. Husserl, Hua II, S. 60f.: „Demnach bedeutet die phänomenologische Reduktion nicht etwa die Einschränkung der Untersuchung auf die Sphäre der reellen Immanenz […], sondern die Beschränkung auf die Sphäre der reinen Selbstgegebenheiten […]. Mit einem Wort, Beschränkung auf die reine Evidenz, […]. Absolute Gegebenheit ist ein Letztes.“ Vgl. ebd., S. 7-9. Diese Reduktion besteht in einem Reduktionsprozess: 1. Schritt besteht darin, eine subjektive Haltung, die emotional beeinflusst ist, auszuschalten. Es gilt, eine
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mehr Reduktion, umso mehr Gegebenheit.“115 Durch die radikale Reduktion kann sich das Phänomen selbst präsentieren, ohne durch Vorannahmen oder Horizontverengungen verstellt zu werden.116 „Ein Phänomen ist nur insoweit absolut gegeben, wie es das Reduktionsverfahren durchlief.“117 Mit Martin Heidegger übernimmt Marion die Grundintention der phänomenologischen Reduktion, um aber anschließend nicht mehr den Konsequenzen Husserls zu folgen, sondern um eine noch weiter radikalisierte Phänomenologie zu betreiben: Für Husserl ist die phänomenologische Reduktion […] die Methode der Rückführung des phänomenologischen Blickes von der natürlichen Einstellung des in die Welt der Dinge und Personen hineinlebenden Menschen auf das transzendentale Bewußtseinsleben und dessen noetisch-noematisch Erlebnisse, in denen sich die Objekte als Bewußtseinskorrelate konstituieren. Für uns bedeutet die phänomenologische Reduktion die Rückführung des phänomenologischen Blickes von der wie immer bestimmten Erfassung des Seienden auf das Verstehen des Seins (Entwerfen auf die Welt seiner Unverborgenheit) dieses Seienden. […] Die pure Anwendung [der phänomenologischen Methode] ist nur ein negativ methodisches Verhalten, das nicht nur der Ergänzung durch ein positives bedarf, sondern ausdrücklich der Hinführung zum Sein, d.h. der Leitung. Das Sein wird nicht so zugänglich wie Seiendes, wie finden es nicht einfach vor, sondern es muß […] jeweils in einem freien Entwurf in den Blick gebracht werden.118
So übernimmt Marion von Heidegger den Primat des Phänomens, welches sich in seiner Gegebenheit zeigt, um erst in sekundärer Position den Phänomenologen in den Blick zu nehmen.119 Zuerst steht das Phänomen unthematisiert im Raum, wobei es in einem zweiten Schritt auf den Betrachter trifft, dem es sich zeigt, wobei dieser seine Vorannahmen in radikaler Weise zu reduzieren hat, um nicht in verstellender Weise das Phänomen zu verfremden oder objektivistische Haltung einzunehmen. 2. Schritt beinhaltet, empirisch oder theoretisch erworbenes Wissen auszuklammern. 3. Schritt geht darauf hin, einen Wissenshintergrund der Tradition (einen Traditionshorizont) auszuklammern. 115 Marion, Gegeben sei, S. 39. Marion möchte „wieviel Reduktion, soviel Gegebenheit“ als grundlegende Formulierung des ersten Prinzips der Phänomenologie angeben, um die husserlschen Formulierungen der phänomenologischen Prinzipien dadurch zusammenzufassen und zu komplettieren. Vgl. ders.: Eine andere ‚Erste Philosophie‘ und die Frage der Gegebenheit, in: Gabel, Michael/Joas, Hans (Hg.): Von der Ursprünglichkeit der Gabe. Jean-Luc Marions Phänomenologie in der Diskussion (scientia & religio; 4). Freiburg/ München 2007, S. 56-77; hier: S. 66. 116 Vgl. Marion, Eine andere ‚Erste Philosophie‘, S. 66-70. 117 Marion, Gegeben sei, S. 40. 118 Heidegger, Martin: Grundprobleme der Phänomenologie (GA; 24). Frankfurt 1975, S. 29. 119 Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 162f.
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überformen. Die Reduktionsbereitschaft des Betrachtenden ist daher eine Haltung, welche eine vorherige Entscheidung verlangt, ob man dem Phänomen in Offenheit begegnet oder weiterhin den eigenen Horizont maßgeblich sein lässt:120 Tritt man dem Phänomen unverschlossen und in Offenheit gegenüber, ist dadurch ein Raum eröffnet, indem sich dieses in seiner Eigenheit (mit Heidegger: in seinem Sein) zeigen oder vielmehr entbergen kann. Von hier aus ist es verständlich, warum Marion betont, dass der offene Blick des Betrachtenden der Ikone erst Raum gewährt, weil die Verschlossenheitsgeste ihn daran hindert, dass sich ein Phänomen in ikonischer Weise selbst präsentieren kann.121 Eine bestimmte Klasse an Phänomenen – die gesättigten/saturierten Phänomene – lassen sich begrifflich-theoretisch nicht eingrenzen, weil sie einen Überschuss besitzen, der eine Eingrenzung unmöglich macht: Das gesättigte Phänomen ist stets größer als je eine eingrenzende Theorie sein könnte.122 Von hier aus ist es ein Leichtes die Brücke zu Kant und dem Begriff des Erhabenen (als ästhetische Idee) zu schlagen.123 Die Ikone, worunter Marion auch im Anschluss an Lévinas ‚das Antlitz‘ zählt,124 zeigt mehr als ein Begriff fassen kann: Sie ist nicht nur Anschauung ohne Begriff, sondern auch (sich) Zeigendes ohne Begriff. Als ein ikonisches (gesättigtes) Phänomen gibt Marion die eucharistische Gabe an, die in ihrer (Vor-) Gegebenheit und ihrem Überschuss sich niemals abschließend erklären oder definieren lässt und auch mit keiner letztgültigen und konsistenten Theorie harmonisierbar ist: Die eucharistische Gabe ist größer als jede sakramententheologische Aufarbeitung.
120 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 439-445. Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 205: „Es handelt sich dabei um eine Art ursprünglicher Wahl, die über das Schicksal des Verhältnisses von Gabenereignis und Phänomenalisierung entscheidet. Mit den gesättigten Phänomenen macht man nämlich die Erfahrung, dass nur derjenige sie sehen kann, der sie sehen will.“ Beschreibt man Reduktion als ein Raumgewähren, lässt sich dies auch mit der gläubigen Haltung der Demut und des Gehorsams umfassen, der eine grundsätzliche Bereitschaft anzeigt. Vgl. Balthasar, Glaubhaft, S. 66. 121 Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 37-40. 122 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 341-358. Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 160. 178-188. 123 Vgl. Kant, KdU, A 190f. B193f. (S. 413): „unter einer ästhetischen Idee aber verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann. – Man sieht leicht, daß sie das Gegenstück von einer Vernunftidee sei, welche umgekehrt ein Begriff ist, dem keine Anschauung (Vorstellung der Einbildungskraft) adäquat sein kann.“ Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 179f. 124 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 389-391. Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 187.
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Das, was die geweihte Hostie erzwingt, oder besser ermöglicht, das ist die irreduzible Exteriorität einer Gegenwart/eines Geschenks [frz. présent], zu der/ dem sich Christus für uns in diesem Ding macht, das ihm zum sakramentalen Leib wird. Dass diese Exteriorität, die weit davon entfernt ist, die innigste Nähe zu verbieten, sondern diese vielmehr erst ermöglicht, indem sie diese davor bewahrt, in die Idolatrie abzugleiten, das können nur jene verkennen, die sich nicht für die Distanz öffnen wollen. Allein die Distanz [als Achtungsgeste; FK], indem sie einen deutlichen Abstand zwischen den beiden Beziehungspunkten (Personen) bewahrt, macht die Kommunion möglich, und vermittelt auf unmittelbare Weise die Beziehung. Auch hier muss man noch einmal wählen zwischen dem Idol und der Distanz.125
Doch kommen wir nun zu einer entscheidenden Leerstelle in der Philosophie Marions – wie kommt es, dass der idolatrische Blick sich zum ikonischen Blick ändert – oder dogmatischer gesprochen: Wie lässt sich das Gnadengeschehen verstehen? Weil Marion im Anschluss an Husserl Philosophie als strenge Wissenschaft unter reduktiver und damit atheistischer Methode versteht,126 stellt sich die perspektivische Frage der gnadenhaften Erkenntnis.127 Die Ikone offenbart sich dem Menschen in gnadenhafter Weise und sprengt damit auch einen so vermeintlich konsistenten Theorierahmen: Die Offenbarung verdient in der Tat ihren Namen nur insofern, als sie jede Antizipation der Perzeption überrascht und jede Analogie der Perzeption überholt. Von dem, was sich offenbart, hat das Ich keine Idee, keinen Entwurf, keine Erwartung. Es gibt mehr: […] Was sich in der Offenbarung ausweist, kann sich nur aufweisen in dem Unvermögen, irgendetwas zu erleben. Der Empfänger der Offenbarung bewahrt kein gemeinsames Maß mit dem, was ihm die Offenbarung mitteilt. Andernfalls wäre die Offenbarung nicht notwendig gewesen.128 125 Marion, Gott ohne Sein, S. 261f. 126 Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 158. 165. 127 Es ist eine Antwort im Sinne Marions über die Erkennbarkeit des Ikonischen möglich, indem alleine schon die Ikonizität des ausgewiesenen Phänomens eine theoretische (und damit atheistische) Eingrenzung und umfassende Aufarbeitung unmöglich macht, weil sein Überschuss einen Schlusspunkt verhindert, gilt dies hier im gesteigerten Maße von der Herkunft der Ikone selbst, weswegen sie von philosophischer Seite nun in ihrer unthematisierten Gegebenheit betrachtet werden sollte. 128 Marion, Jean-Luc: Aspekte der Religionsphänomenologie: Grund, Horizont und Offenbarung, in: Gabel, Michael/Joas, Hans (Hg.): Von der Ursprünglichkeit der Gabe. Jean-Luc Marions Phänomenologie in der Diskussion (scientia & religio; 4). Freiburg/München 2007, S. 15-36; hier: S. 25f. „Was sich offenbart, weist sich nicht zwingend aus, weil es die Dimension des Erlebnisses überschreitet. Was man so unsauber eine Ekstase nennt, läuft in der Tat auf die ‚Nacht der Sinne‘ hinaus, worin sich das Offenbarte gegenwärtigt, gerade weil es sich nicht beweisen lässt. […] Das Erlebnis des Glaubens bleibt erst, weil das prüfende Ich zuerst glaubt.“ (ebd., S. 26) „Die Neutralität – und selbst der ‚Schein eines extrem individualistischen Atheismus‘ der Fundamentalontologie – verschließt die
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Gnade ist von hier aus möglich, als Ereignis zu verstehen, wobei aber das Ereignis nach Badiou eine erkenntnistheoretische Neuformulierung der eigenen Perspektive mit sich bringt, da durch die Situationserweiterung ein neuer Rahmen und ein neuer Horizont folgt:129 Hier scheitert die Philosophie als strenge Methode des objektiven Blicks, der vorurteilsfrei arbeiten kann. Um die eucharistische Gabe als Leib Christi und Gabe des Herrn zu verstehen, ist die begnadete Position des Glaubens unumgängliche Notwendigkeit.130 Diese formale Gnade als Perspektivangebot des ikonischen Blicks kann aber in ihrer Gegebenheit nicht weiter theoretisiert werden, sondern durch ihren apriorischen Status (des Perpektivischen) nur als Haltung angenommen werden.131 In der gnadenhaften Schau des Anderen durch und mit dem ikonischen Blick scheint ein nicht-theoretisierbarer Überschuss durch, der kantisch als ‚erhaben‘ verstanden werden kann – die Bedingung dieser Perspektive (als Formalobjekt des Glaubens) entzieht sich im gesteigerten Maße dem theoretischen Zugriff, weil sie auf der Stufe der apriorischen Unbedingtheit und damit auf der Metaebene der eigenen (endlichen) Perspektive liegt. Gnade kann somit nicht streng philosophisch eingeholt werden; von der biblischen Erfahrung aus können wir Gnade als irritierende Begegnungswirklichkeit verstehen, welche im Sinne Badious ereignishaft den Horizont des Einzelnen erschüttert und dieser anschließend rekonstruierend in einem neuen Sinnzusammenhang neugeordnet werden kann. Das göttliche Antlitz wird hier – als überzähliges, außenstehendes Element132 – zur Nahtstelle, an dem sich die Elemente der eigenen Welt neu zusammenfügen lassen und der eigene Horizont einen erweiterten Umfang und eine neue, relative Konsistenz erhält, ohne aber abschließend (im idealistischen Horizont) fixierbar im Sinne der Perfektion zu sein: Der ikonische Blick bleibt offen. Möglichkeit einer Offenbarung, zunächst indem sie gerade die Offenbarung auf die Manifestation eines Seienden zurückführt, vor allem aber, indem sie vorweg entscheidet, dass die Offenbarung bereits ein Seiendes betrifft“ (ebd., S. 34). 129 Die Wahrheit als gnadenhaftes Ereignis ordnet die Elemente der Situation neu an, weswegen Badiou die Wahrheit auch generisch nennt, indem aus der Entscheidungsgeste für die Wahrheit eine neue Perspektive erwächst. Vgl. Badiou, SuE, S. 369. 419. 130 Vgl. Bründl, Gottes Nähe, S. 19. 51. 53. 131 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 156f. Eine Vorbedingung des Erfahrbaren kann deshalb nicht in Begriffen der Erfahrung aufgearbeitet werden und bleibt deshalb inhaltlich leer. Der Mensch bleibt streng auf der Seite des Endlichen und kann nicht auf die Seite des Unbedingten wechseln. Was Theoretisierungen der Gnade zur Folge haben können, haben Augustinus und Calvin gezeigt: Hier wurden menschliche Horizonte maßgeblich, die im Endeffekt dazu führten, die Liebe Gottes in Schieflage zu bringen und Gnade dinghaft zu verstehen. 132 Vgl. Badiou, SuE, S. 207.
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Das Christus-Ereignis auf Golgota ist verstörend und irritierend; es bleibt ein unabschließbares Heilsgeheimnis für den Menschen, das sich dem glaubenden Blick in ikonischer Weise entborgen hat und so zum axiomatischen Strukturierungspunkt werden konnte, von dem aus sich die Erfahrung und die Vergangenheit in heilsgeschichtlicher Perspektive neu ordnen lassen (vgl. 1 Kor 1, 18-25), ohne aber selbst vollständig integrierbar zu sein:133 Leiden, Sterben und Auferstehen des Herrn bleiben Heilsgeheimnis – sie haben einen unendlichen Spur-Charakter, der einen verstehbaren Weg der heilsgeschichtlichen Begleitung anzeigt, wobei unendlich eher als unabschließbare Bewegungsrichtung (der heilsgeschichtlichen Vollendung) verstanden werden sollte.134 Gnade lässt sich in dieser Hinsicht als prozessualen Startpunkt und Bedingung sowie weitertragende Bewegung der (heilsgeschichtlichen) Begegnung von Gott und Mensch verstehen, wobei Gnade in diesem Kontext mit übervoller, irritierender Anschauung (als Schauen-Dürfen eines gesättigten Phänomens) verstanden werden kann.135 Während das Erhabene ein Grenzbegriff der Philosophie ist, kann Gnade als ein Grenzbegriff der Theologie verstanden werden.136 Es empfiehlt sich daher, Gnade nicht unter dem Aspekt von Freiheit und Rationalität verstehen zu wollen, weil die Argumentation von hier aus leicht ins Hochspekulative abdriften kann und die Maßgabe der biblischen Erfahrung aus dem Auge verliert, sondern vielmehr als ästhetisches Problem in den Blick zu nehmen.137 Gnade ermöglicht als lumen fidei eine Kategorisierung der 133 Vgl. Marion, andere ‚Erste Philosophie‘, S. 58f. Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 333. 134 Vgl. Marion, Aspekte der Religionsphänomenologie, S. 35: „Die Offenbarung impliziert eine Inszenierung, also lässt sie sich dazu herab, einen Horizont zu übernehmen. Sie weist aber gleichwohl jede Bedingung, die ihrer Möglichkeit a priori gegeben ist, zurück. Diese paradoxen Forderungen bezeichnen exakt die konkrete Antwort: Die Offenbarung setzt sich in einem Horizont nur dann in Szene, wenn sie ihn ausfüllt. […] Was sich jedoch so offenbart, füllt in dem Maße die Dimensionen und Möglichkeiten, die dieser Rahmen gewährt, dass das resultierende Phänomen sich selbst in Schwierigkeiten bringt.“ 135 Gnade meint also die Gleichzeitigkeit von Bedingung und Begegnung, die Erhabenheit des Göttlichen schauen zu können und dessen Größe zu erahnen. 136 An diesem Punkt lässt sich fragen, ob die Ausführungen Marions zur Ikone et cetera in die Philosophie oder schon in die Theologie fallen – oder ob Marion Theologie und Philosophie zusammenführt bzw. hinsichtlich der Prämissen gar nicht getrennt hat. Puntel bemerkt daher im Zusammenhang mit der Gegebenheit als Grundphänomen, dass Marions Prämissen hinsichtlich Ontologie unthematisiert und eine stillschweigende offenbarungstheologische Fundierung haben: „[…] die kaum bestreitbare Tatsache, dass Marion sich stillschweigend auf eine theologische Sicht stützt, wobei ‚theologisch‘ hier sowohl im Sinne der theologischen Philosophie als auch der Offenbarungstheologie zu verstehen ist“ (Puntel, fundamentale und umfassende Kritik, S. 77. Vgl. ebd., S. 75.). 137 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 166f.
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(erhabenen bzw. sakramentalen) Phänomene, so dass durch die Gnade die gnadenhafte Begegnung erkannt und gedeutet werden kann:138 Weil das Glaubenslicht als Vermögen, dem Göttlichen Gottes zu begegnen einerseits als Gnade geschenkt und eingegossen, andererseits aber doch dem Geist in sein zentrales Apriori eingesenkt wird, und deshalb grundsätzlich menschenförmig, im Erblicken der Wirklichkeit im Rahmen des Sinnlichen sich bestätigt, ist dem Glaubenden zwar die grundlegende Glaubensmöglichkeit vorgegeben und in ihm bereitgelegt, aber sie enthebt ihn nicht der menschlichen Anstrengung, nach der rechten Gestalt des zu Glaubenden prüfend Ausschau zu halten und sich die einmal gefundene existenziell einzubilden. Die synthetische Kraft des aktiven Glaubens-‚Vermögens‘ (als habitus und virtus fidei) liegt primär gar nicht im Glaubenden selbst, sondern in Gott, der sich offenbarend ihm einwohnt, und an dessen Licht und Akt der Glaubende teilbekommt; dies Befremdliche erfährt der Glaubende gerade in der Begegnung mit der Glaubensgestalt in der Geschichte, in der ihm Gott erst wirklich zum Gegenüber wird: die Kraft, die dem Christen seinen synthetisierenden Akt überhaupt ermöglicht, liegt für ihn in Jesus Christus […], an den er nur so glauben kann, dass Jesus Christus seinem Unglauben hilft, und nicht einmalig auslösend ihm zum initium fidei verhilft, sondern ihm den Glauben so schenkt, dass das Zentrum in Christus bleibt. […] Gott wird nur durch Gott erkannt. […] Nun erhellt endgültig, dass man die Aktseite (das, was wir das theologische Apriori des Glaubenslichtes nannten) und die Gegenstandsseite (das Erblicken Christi als der Epiphanie Gottes) zwar unterscheiden, aber niemals scheiden kann.139
Glaube und Gnade zeigt sich daher von seiner biblischen Erfahrungswirklichkeit als interpersonales Begegnungsgeschehen, wobei die primäre Initiative von Gott ausgeht und die Bedingungen selbst geschaffen werden, ohne aber die menschliche Freiheit aufzukündigen. Trotz der Begegnung von Gott und Mensch auf der Ebene des Phänomenalen wird hierdurch nicht die (erkenntnistheoretische) Höhendifferenz zwischen diesen eingeebnet, denn der erhabene Überschusscharakter des Phänomens bringt keine automatische Deutung mit sich, sondern steht in seiner irritierenden Uneindeutigkeit an, auf dass zu ihm Stellung bezogen und eine Haltung angenommen wird.140
138 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 165. 169. Vgl. ders., Glaubhaft, S. 34-38. 139 Balthasar, Herrlichkeit I, S. 172f. 140 Vgl. Balthasar, Glaubhaft, S. 46f.
Kapitel 3
Personalität und das vollendete Menschsein 3.1
Der trinitarische Gott in vollkommener Personalität
Schaut man auf das Alte Testament, stellt man zweifelsfrei fest, dass der biblische Text von Brüchen, Unklarheiten und unharmonisierbaren Stellen durchzogen ist. Das Alte Testament bietet keine (im philosophisch-logischen Sinn) konsistente Darlegung, wie man diesen Gott zu verstehen hat. Was aus der Perspektive einer flüchtigen Betrachtung gegen die Autorität dieses Textes sprechen könnte, zeigt in einer reflektierteren Betrachtung vielmehr die Tiefe des Textes: Nicht die Absolutheit der Textoberfläche steht im Fokus und ist maßgeblich, sondern der entscheidende Maßstab ist die irritierende Begegnung mit dem Absoluten, dem Gott Israels. Gott zeigte sich seinem Volk nicht in unmittelbar-evidenter Weise, wobei der phänomenalen Begegnung auch nicht automatisch die entsprechende (und richtige) Deutung mitgeliefert worden ist. Er offenbart sich in vermittelt-irritierender Weise – diese Offenbarung (als personale Begegnung) zu deuten, zu verstehen und in einer existenziellen Bedeutsamkeit einzubinden, liegt dementsprechend in der Verantwortung und Freiheit seines Volkes. Die verschiedenen Schichten und Stufen der Erfahrung sprechen für eine begleitende Nähe Gottes durch die Zeit, so dass die biblische Zeit als Heilsgeschichte verstehbar ist. Statt die Konsistenz eines Theorems auszuweisen, zeigt sich in der Bibel die Übergröße eines Gottes, der sein Volk begleitet, zu diesem spricht und von diesem auch angesprochen werden kann. Diese begleitende Begegnung bringt es mit sich, dass die Personalität Gottes als die eine, absolute Personalität erkannt werden konnte, wofür heute der Abstraktionsterminus des Monotheismus angewendet werden kann. In überzeichnender Weise könnte hier davon gesprochen werden, dass das Alte Testament seine Aufarbeitung der heilsgeschichtlichen Begegnung in bildlichpoetischer Form versucht, ohne aber im strengen Sinne auf die Ebene der philosophisch-begrifflichen Abstraktion überzugehen. Von der monotheistischen Erkenntnis aus lässt sich zum Neuen Testament übergehen. Der Monotheismus erhält axiomatische Gültigkeit und wird auch in dieser Form von Jesus Christus selbst anerkannt und bestätigt (vgl. Mk 12, 29), doch bleibt die horizonterweiternde Erfahrung nicht am Punkt der monotheistischen Grundlegung stehen, sondern wird durch die ereignishafte Begegnung mit Jesus Christus mit dessen Leben, Kreuz und Auferstehung auf irritierende Art und Weise weitergeführt, die aber in ihrer Deutungsfrage
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
eine Problemlage mit sich bringt: Wie lässt sich die monotheistische Grundlegung beibehalten, dem Todes- und Auferstehungsgeschick Christi eine soteriologische Bedeutung zuschreiben und dabei die personalitätsgewährende Differenz zwischen dem Sohn und dem Vater als plausibel ausweisen? Im Ringen um angemessene Antwortversuche kommt es im biblischen Text nicht zu abschließenden und endgültigen Aussagen (vgl. Joh 10, 30 vs. Joh 14, 28), die aber versuchen, eine Relationalität bzw. (ontologische) Beziehungswirklichkeit von Vater und Sohn zueinander im bildlichen Horizont auszudrücken. Erste Abstraktionsversuche der urchristlichen Bekenntnisbildung gehen von binitarischen Formeln aus, die versuchen, Vater und Sohn gleichrangig auszuweisen (vgl. 1 Kor 8, 6). Die binitarischen Formeln werden im weiteren Verlauf um den Hl. Geist ergänzt und zu einem trinitarischen Bekenntnis erweitert (vgl. Mt 28, 19). Mit dem Abschluss der kanonischen Schriften war die Fragestellung über das Verhältnis von Vater und Sohn (und auch im Ansatz mit Einbeziehung des Hl. Geistes) nicht abschließend geklärt, sondern vielmehr mit interpretationsoffenen Andeutungen und Bildern ausgekleidet, die in ihrer inspirierten Gültigkeit die maßgeblichen Linien vorgezeichnet haben, in welchen sich die Diskussionen der folgenden Jahrhunderte bewegen sollten. Von hier aus starteten viele Aufarbeitungsversuche, die eine genauere und durchsichtigere Klärung des innertrinitarischen Verhältnisses angehen und dabei auf Konzepte und Begriffe der damaligen Popularphilosophie zurückgreifen. Aus der Einsicht, dass das Auftreten Jesu Christi im endzeitlichen Horizont eine größere Bedeutung als die bisherigen Prophetien einnimmt, entfaltet sich die Erkenntnis der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus: Gott zeigt sich den Menschen in liebender Weise – nicht als Abstraktum, sondern als Gott, der in sich selbst beziehungsreich ist und auch zur Welt in Beziehung steht. Um aber dies aufarbeiten zu können, wird die Bildlichkeit der biblischen Sprache überschritten und mit dem antiken, philosophischen Denken in Verbindung gebracht, um ein innergöttliches Relationsverhältnis, das seine Begründung aus der Selbstoffenbarung erhält, ausweisen zu können.1 Eine relativ frühe Stufe dieses Unternehmens lässt sich bei Tertullian finden, bei dem sich zum ersten Mal der Neologismus ‚trinitas‘ (als Zusammensetzung von ‚unitas‘ und ‚tria‘) nachweisen lässt.2 Tertullian argumentiert für 1 Vgl. Dirscherl, Erwin: Das Sprechen Gottes als personales Beziehungsgeschehen, in: Ders./ u.a. (Hg.): Einander zugewandt. Die Rezeption des christlich-jüdischen Dialogs in der Dogmatik. Paderborn u.a. 2005, S. 35-52; hier: S. 44f. 2 Vgl. Tertullian: Adversus Praxean. Gegen Praxeas. Übersetzt und eingeleitet von HermannJosef Sieben (FC; 34). Freiburg u.a. 2001, 2,4 (S. 106f.): „[…] quae unitatem in trinitatem disponit, tres dirigens Patrem et Filium et Spiritum, tres autem non statu sed gradu, nec substantia
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die Eigenwirklichkeit der göttlichen Personen und deren gleiche Ranghöhe und Würde zum einen gegen modalistische Verstehensmodelle, die den Monotheismus unter Aufgabe der innergöttlichen Pluralität und Personalität beibehalten wollen, und zum anderen gegen subordinatiatorische Ansichten, die nur dem Vater die volle Göttlichkeit zugestehen.3 Um die gleiche Würde und den gleichen Rang hinsichtlich der vollen Göttlichkeit anzuzeigen, greift er auf den Personenbegriff zurück, wobei die drei göttlichen Personen ihre ontologische Grundlage in der einen, göttlichen Substanz haben. In der bildlichen Aufarbeitung greift Tertullian auf die Analogie von Quelle, Fluss und Wasserkanal zurück,4 wobei die eine Substanz sich hier im Bild des Wassers findet. Dennoch zeigt das Bild, dass der logische Ursprung und das einheitsstiftende Moment bei der Person des Vaters liegen: Wie die Quelle ist der Vater der unerschöpfliche Ursprung der Gottheit; und wie der Fluss aus der Quelle entspringt, so geht der Sohn aus dem Vater hervor und bringt das Heil zu den Menschen; und so wie das Wasser durch Wasserkanäle auf die Felder verteilt werden kann, so wird der Heilige Geist auf die Gläubigen verteilt und macht sie fruchtbar.5
Auch wenn das Bild und die personelle Aufarbeitung eine starke Begründung gegen den Modalismus bieten, hat doch die patrozentrische Bildlichkeit eine Schieflage, da sie einerseits den Vater zum Zentrum der göttlichen Beziehungen macht und die Prozessualität der Überzeitlichkeit bzw. der Gleichursprünglichkeit der göttlichen Personen nicht angemessen begegnen kann.6 Weswegen hier als maßgeblich Perspektive gelten soll, dass eine bildliche Aufarbeitung der (geoffenbarten) Seinswirklichkeit Gottes geeignet ist, wenn sie der Gleichrangigkeit in ihrer Gemeinschaftsdimension angemessen begegnet und diese auch versprachlichen kann. Ein weiteres Paradigma der trinitätstheologischen Aufarbeitung kann bei Augustinus gefunden werden, dessen Trinitätstheologie nachfolgend in sed forma, nec potestate sed specie, unius autem substantiae et unius status et unius potestatis, quia unus Deus ex quo et gradus isti et forma et species in nomina Patris et Filii et Spiritus Sancti deputantur.“ (ebd., 2,4 [S. 106]). Demnächst zitiert als: adv. Prax. Vgl. Greshake, Gisbert: Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie. Freiburg u.a. 21997, S. 84. 3 Vgl. Dünzl, Franz: Kleine Geschichte des trinitarischen Dogmas in der Alten Kirche (Grundlagen Theologie): Freiburg u.a. 22011, S. 40-44. 4 Vgl. Tertullian, adv. Prax., 8, 5-7 (S. 132-135). Vgl. Dünzl, Geschichte, S. 43. 5 Dünzl, Geschichte, S. 43. 6 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 85. 89. 183-200. Vgl. Markschies, Christoph: „… et tamen non tres dii, sed unus deus …“. Zum Stand der Erforschung der altkirchlichen Trinitätstheologie, in: MJTh (1998) 10, S. 155-179; hier: S. 165f.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
eminenter Weise die westliche Theologie des gesamten Mittelalters prägt. Um einen theologisch redlichen Ausgangspunkt für die Verstehbarkeit der Trinität für den Menschen einzunehmen, geht Augustinus in De trinitate von der Ebenbildlichkeit des Menschen als imago Dei aus, um von der menschlichen Wirklichkeit in einer Aufstiegsbewegung zu analogen Aussagen über das trinitarische Wesen Gottes zu gelangen.7 Der Mensch ist in seiner Ebenbildlichkeit nicht alleine nach dem Bild des Sohnes, der zweiten Hypostase, geschaffen, sondern hat nach Augustinus die gesamte Trinität als Vorgabe seiner Geschöpflichkeit.8 Über Ternare der menschlichen (Geist-) Wirklichkeit versucht er das trinitarische Sein einsichtig und verstehbar zu machen.9 Der dreifache Seinsgehalt kann demnach in Strukturen der Selbstliebe und der Selbsterkenntnis aufgearbeitet werden, indem aber Augustinus von dem einzelnen Menschen ausgeht, um die Wirklichkeit Gottes aufzuarbeiten, ist die Einheit das maßgebliche Moment der Betrachtung.10 Einer personellen Gemeinschaftsebene als Raum echter Pluralität bietet daher die augustinische Trinitätslehre keinerlei Grundlage, denn persona ist für ihn alleine ‚eine Art negative Hilfskonstruktion‘.11 Von einer kommunikativen Gemeinschaft, die innergöttlich einen Raum der Alterität zulässt, kann hier nicht gesprochen werden. Der Liebesternar Augustins bezieht sich bezeichnenderweise auch nicht auf ein differentes Gegenüber des Menschen, sondern hat die menschliche Selbstliebe zur Grundlage.12 Eine Personenwirklichkeit lässt sich bei ihm 7 Vgl. Schmaus, Michael: Die psychologische Trinitätslehre des Hl. Augustinus (MBTh; 11). Münster 1927, S. 195-200. Vgl. Augustinus: Über den dreieinigen Gott. Ausgewählt und übertragen von Michael Schmaus. München 1951, S. 15 (I/II). 123 (IX/I). 150-152 (X/XI). 204 (XIV/III). 8 Vgl. Schmaus, psychologische Trinitätslehre, S. 198. 9 So z.B. memoria, intelligentia/intellectus, voluntas oder mens, notitia, amor u. a. 10 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 98. 11 Greshake, dreieine Gott, S. 96. Vgl. Studer, Basil: Augustins De trinitate. Eine Einführung. Paderborn u.a. 2005, S. 162. 12 Durch den immensen Einfluss Augustins auf die weitere theologische Entwicklung blieb diese personelle Verkürzung nicht ohne Folgen. Vgl. Ratzinger, Joseph: Dogma und Verkündigung. München 31977, S. 219: „Die Ausklammerung dieser Wir-Realität Gottes, die in der Dreistufung des ‚durch Christus im Heiligen Geist zum Vater‘ zum Vorschein kommt und uns in das Wir Gottes und so in das Wir der Mitmenschen einfügt, diese Ausklammerung der Wir-Realität Gottes aus der christlichen Frömmigkeit hat sich […] innerhalb der Trinitätslehre Augustins vollzogen und war eine der folgenschwersten Entwicklungen der abendländischen Kirche, die sowohl den Kirchenbegriff grundlegend beeinflußt hat wie auch das Verständnis der Person, die nun in das individualistisch verengte Ich und Du abgedrängt wurde, das in dieser Verengung doch gerade auch das Du verliert. Es war in der Tat die Folge der Trinitätslehre Augustins, daß die Personen Gottes gänzlich ins Innere Gottes eingeschlossen wurden, Gott nach außen hin zum reinen Ich wurde und daß so die ganze Wir-Dimension ihren Ort in der Theologie verloren hat, […].“
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innertrinitarisch nur schwer erkennen, weswegen Schmaus zum Schluss hinsichtlich des gesteigerten Abstraktionsniveaus kommt: „Zu dem ipsum esse läßt sich schwer ein Gebet verrichten.“13 Auch wenn Augustinus im fünften Buch von De trinitate die Anwendbarkeit der aristotelischen Kategorienlehre kritisiert und ihrem möglichen Gebrauch widerspricht,14 weil der akzidentielle Status der Relationskategorie für Gott nicht gelten kann – nichts in oder an Gott ist akzidentiell –, versucht er die göttlichen Personen relational zu beschreiben, was aber nur bedingt gelingt, da der Vater das einheitsstiftende Moment ist, von dem sowohl der Sohn als auch der Hl. Geist ausgehen.15 Jenseits der augustinischen Textoberfläche war er aber der entscheidende Impulsgeber, dass sich im Westen eine streng relationale Trinitätslehre unter dem Anspruch der Gemeinschaftssituation ausbilden konnte (v.a. Thomas von Aquin, Richard von St. Victor, Bonaventura).16 Im Osten lässt sich im 4. Jahrhundert eine elaborierte Diskurslandschaft hinsichtlich der trinitätsrelevanten Terminologie ausweisen. Im Fokus der Betrachtung stehen die Begriffe, um der geoffenbarten Wirklichkeit Gottes angemessen und präzise zu begegnen. Die AT-Übersetzung (LXX) greift, um das panîm Gottes (sein Antlitz/Gesicht) zu beschreiben, auf πρόσωπον zurück, wobei Greshake darauf hinweist, dass dieser Begriff – entgegen der gängigen etymologischen Erläuterung – erst in abgeleiteter Weise die Maske des griechischen Theaterwesens beschreibt. Die primäre Bedeutung umfasst das Gesicht, das Antlitz oder die mit den Augen vernehmbare Gestalt eines Menschen.17 Ein philosophisch präziser Terminus ist das πρόσωπον im 4. und 5. Jahrhundert noch nicht, weswegen auch seine Anfälligkeit für modalistische Tendenzen durch den abgeleiteten Wortsinn gegeben war. Terminologische Präzision erlangt er erst, nachdem lehramtlich auf dem 2. Konzil von Konstantinopel die (relative) Synomie von πρόσωπον und ὕποστασις hinsichtlich der trinitarischen
13 Schmaus, Michael: Die Denkform Augustins in seinem Werk de trinitate. Vorgetragen am 1. Juni 1962 (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Sitzungsberichte; 1962/6). München 1962, S. 17. 14 Vgl. Studer, Augustins De trinitate, S. 137. 187. 15 Vgl. Studer, Augustins De trinitate, S. 187. Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 48-50. Daneben denkt Augustinus den Hl. Geist nahezu rein funktionell: Statt einer eigenen Wirklichkeit ist der Hl. Geist stets das verbindende Band, sowohl innergöttlich als auch zwischen Gott und Schöpfung. Vgl. Schmaus, GdK II, S. 201. Weswegen auch Werbicks Analyse der augustinischen Trinitätslehre als zu optimistisch gelten muss. Vgl. Werbick, Jürgen: M. Trinitätslehre, in: Schneider, Theodor: Handbuch der Dogmatik. Bd. 2. Düsseldorf 42009, S. 481-576; S. 500f. 16 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 99. 17 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 79.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
Wirklichkeit festgestellt wurde:18 Gott hat ein Wesen (ουσια) in drei Hypostasen oder Personen. Trotz der lehramtlichen Entwicklung behält πρόσωπον seinen Ursprung in der lebensweltlichen Grundlage, der eine Erscheinungsdimension im zwischenmenschlichen Horizont als Begegnungsbeschreibung umfasst.19 ὕποστασις beschreibt als Modebegriff der damaligen Popularphilosophie ein einzelnes Ding als konkrete Entität. Es ist mehr als die sichtbare Oberfläche einer darunter liegenden Grundlage (Substanz/ουσια), wobei auch durch die textuelle Verwobenheit der Begriffe innerhalb von verschiedenen Philosophieschulen eine terminologische Klärung erst durch die christliche Theologie geleistet wurde.20 Dieses Spannungsverhältnis von πρόσωπον zu ὕποστασις ermöglicht dann auch im weiteren, in Analogie von der göttlichen Personenwirklichkeit zu einer Aussage der menschlichen Personalität überzugehen, die beiden Momenten von Innen- wie Außenbeziehung gleichermaßen gerecht wird: Personsein steht offenbar in einer grundsätzlichen Spannung, die etwa durch die Begriffe hypostasis: in sich geschlossene Festigkeit des real existierenden Einzelnen und prosopon (persona): Erscheinung für andere, ‚Rolle‘ im gesellschaftlichen Miteinander indiziert wird.21
Maßgebliche Wegbereiter einer Trinitätstheologie, die dem Einzel- wie dem Gemeinschaftsmoment des göttlichen Personseins wie auch dem gleichzeitigen Einheits- und Pluralitätshorizont in gleichberechtigter Weise aufarbeiten, waren die Kappadokier (Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa). Durch ihre begriffliche Arbeit um ουσια, ὕποστασις und πρόσωπον wurden diese (relativ) trennscharf voneinander unterschieden und für eine gemeinschaftsfokussierte Trinitätstheologie zum ersten Mal aufbereitet, so dass Ontologie und Relationalität auf gleichem Niveau behandelt werden. Deswegen schreibt Ionannis Zizioulas Folgendes unter dem Anspruch der göttlichen Offenbarung unter einem relationalen Personenverständnis, das dann von der göttlichen Grundlage zur Ontologie entfaltet wurde: Bis zur Zeit der Kappadozier und ihren Bemühungen um die Trinitätslehre besagte die Gleichsetzung von ousia und hypostasis lediglich, daß die konkrete 18 Vgl. DH 421: „Wer nicht die eine Natur bzw. Wesenheit, die eine Kraft und Macht, die wesensgleiche Dreifaltigkeit und die eine Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes bekennt, die in drei Hypostasen [ὑποστάσεσιν] bzw. Personen [προσώποις] angebetet wird, der sei mit dem Anathema belegt.“ 19 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 80. 20 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 82. 21 Greshake, dreieine Gott, S. 84.
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Einzelexistenz einer Sache (hypostasis) die Tatsache bezeichnet, daß etwas ist (d.h. seine ousia). Dies änderte sich nunmehr. Der Begriff hypostasis wurde von dem der ousia abgehoben und nunmehr mit dem Begriff der Person (prosopon) gleichgesetzt. Dies ist aber ein Beziehungsbegriff, und als solcher wurde er von der trinitarischen Theologie aufgegriffen. Damit kam zum ersten Mal ein Beziehungsbegriff in die Ontologie, während zugleich eine ontologische Kategorie wie hypostasis unter die Beziehungskategorien für die Existenz trat. Das Sein und das Sein in Beziehung wurden damit gleichbedeutend. Für das Sein eines Dings wurden damit zwei Dinge zugleich notwendig: Das Sein selbst (hypostasis) und das Sein in Beziehung (d.h. das Personsein). Nur in der Beziehung erscheint diese Gleichsetzung in ihrer ontologischen Bedeutung, und wenn eine Beziehung nicht eine derartige ontologisch bedeutsame Identität umschloß, konnte es keine Beziehung sein. Zweifellos handelt es sich dabei um eine Ontologie, die aus dem Sein Gottes abgeleitet ist.22
Alexandre Ganoczy nimmt Basilius von Caesarea als Paradigma der kappadokischen Theologie, um mit seiner Trinitätsaufarbeitung eine strikt relationale Ontologie auszuweisen, die er mit Basilius auch als ‚Synontie‘ bezeichnen kann.23 Basilius setzt bei seiner Untersuchung des göttlichen Wesens bei der erfahrenen Glaubens-, Gnaden- und Heiligungswirkung des Hl. Geistes an und führt von hier aus seine Erläuterung zu einem gemeinsamen Handeln und Wirken Gottes (insbesondere hinsichtlich der Schöpfung) an,24 dass Basilius von einer ‚Synergie‘ den Bogen zu einer wesenscharakterisierenden ‚Synontie‘ schlägt.25 Die Gleichursprünglichkeit und die Gleichrangigkeit der göttlichen Personen bestimmen das Sein Gottes als eine perichoretische, „communionale Einheit“:26 „ἐν τῇ κοινωνίᾳ τῆς ἐστιν ἠ νωσις.“27 Eine Einheit, welche die Grenzen der menschlichen Sprache erreicht und nur ansatzweise aussagbar ist: „Mit dem Vater und dem Sohn ist er [der Hl. Geist] so sehr eins, wie das einzige dem einzigen zugehört.“28 Statt von einem patrozentrischen Einheitsfundament auszugehen, wird bei Basilius die Relationalität zur Konstitutivbedingung erhoben: Gott ist nur dann wahrhafte Gemeinschaft, wenn die göttlichen Personen für einander und miteinander Personen sind. Über die Textoberfläche 22 Zizioulas, Ioannis D.: Wahrheit und Gemeinschaft. In der Sicht der griechischen Kirchenväter, in: KuD (1980) 26, S. 2-49; S. 19. Vgl. Dünzl, Geschichte, S. 116f. 23 Vgl. Basilius von Cäsarea: De Spiritu Santco. Über den Heiligen Geist. Übersetzt und eingeleitet von Hermann Josef Sieben SJ (FC; 12). Freiburg u.a. 1993, 26/63 Z. 24 (S. 266): „συνόντων“. Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 28. 24 Vgl. Basilius, De Spiritu Sancto, 16,37-40 (S. 182-199). 25 Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 28-30. 26 Ganoczy, Schöpfer, S. 31. 27 Basilius, De Spiritu Sancto, 18/45 Z.8f. (S. 210). „[…], so besteht bei der göttlichen und nicht zusammengesetzten Natur Einheit in der Gemeinschaft der Gottheit“ (ebd., S. 211). 28 Basilius, De Spiritu Sancto, 18/45 Z.8f. (S. 211).
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
hinaus kann dies weitergeführt werden, dass eine Person nur in Begegnung mit einer anderen Person diese im Vollsinn ist – eine Person im Alleinsein und Isolation ist dies nicht.29 Weitere Stufen der trinitarischen Relationsreflexion können im Westen in der Spätantike bei Papst Damasus, der in Annäherung an die östliche Theologie zu den terminologischen Festlegungen von Substanz zu ουσια und von Person zu ὕποστασις überging,30 und im Mittelalter bei Richard von St. Victor, Bonaventura und Thomas von Aquin gefunden werden, welche das augustinische Potenzial hinsichtlich der Gemeinschaftskonstitution angemessen einlösen.31 Die Gemeinschaftsdimension ist für Richard von St. Victor von konstitutiver Notwendigkeit, weil die Überfülle und der Überfluss der göttlichen Liebe nicht mit einer einzigen und alleinstehenden Person Gottes vereinbar wäre:32 Wenn wir in der wahren Gottheit nur eine Person ansetzen, so wie nur eine Substanz, dann wird diese offenbar niemanden haben, dem sie die unendliche Fülle ihres Überschwangs mitteilen kann. […] Nichts ist süßer, nichts erfreuender als die Liebe; das Leben des Geistes erfährt nichts Fröhlicheres als die Freuden der Liebe, genießt kein seligeres Glück. Und dieses Glück würde Gott ewig mangeln, wenn er, einen Mitliebenden entbehrend, in Ewigkeit auf dem Thron seiner einsamen Majestät verharrte. Daran läßt sich ermessen, wie unfaßlich ein solcher Mangel an Wohlwollen wäre, falls er seinen Reichtum geizend für sich selbst behielte, während er ihn mit so überschwenglicher Freude, mit je größerer Lust, falls er nur wollte, einem andern hinschenken könnte.33
Eine personelle Einzigkeit würde nach Richard zu einer existenziellen Einsamkeit Gottes führen, weil sein Liebesüberschuss nicht verschenkt werden kann.34 Erst in der Begegnung und der Gemeinschaft mit einer anderen Person findet eine Person zu sich selbst und erlangt dadurch ihr volles Personsein, was die vollkommene Gemeinschaft Gottes insbesondere auszeichnet:35 die Vollendung einer Person erfordert die Gemeinschaft einer andern Person. […] So mußte die ewige Person eine gleichewige haben; keine konnte der andern vorweg existieren, keine im nachhinein folgen. In der ewig-unveränderlichen 29 Dies wird ein entscheidender Aspekt sein, der in der Charakterisierung der menschlichen Personalität von entscheidender Wichtigkeit sein wird. 30 Vgl. Dünzl, Geschichte, S. 122f. 31 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 114-116. 32 Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 62. 33 Richard von Sankt-Victor: Die Dreieinigkeit. Übertragung und Anmerkung von Hans Urs von Balthasar (Christliche Meister; 4). Einsiedeln 22002, III/IV (S. 87f.). 34 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 105. Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 184. 35 Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 68.
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Gottheit kann nichts als veraltet abtreten, nichts als neu auftreten. So müssen göttliche Personen in jeder Hinsicht gleichewig sein.36
Die göttliche Liebe (caritas) ist aber nicht auf ein exklusives, exkludierendes Zweierverhältnis begrenzt – sie wäre dadurch binär strukturiert und würde jedes weitere Element im Außen der eigenen Liebe verorten –, sondern ist im und durch den Hl. Geist offen bzw. durch den Dritten zum Dritten hin geöffnet. Statt einer begrenzenden Innen-Außen-Unterscheidung ist Gott selbst der (personenhaft verstandene) Raum der unendlichen Liebe, der kein Außen kennt.37 Von dieser strengen Wechselseitigkeit Gottes aus versteht Ganoczy über den Ansatz Rombachs die Existenz einer Person gewissermaßen als ein ‚Sein vom Anderen‘ her – Existenz als Dasein jenseits des eigenen, isolierten Selbstandes. Vater, Sohn und Geist verdanken ihr jeweiliges Sein ihrer Synontie, indem sie gemeinsam einander urspringen und gleichursprünglich zueinander ein „kommunionales Von-einander-Sein“ haben.38 Von diesen Gedanken zieht Ganoczy den roten Faden der gemeinschaftlichen Wechselseitigkeit weiter zu Bonaventura, um mit diesem Liebe (caritas) als sich-selbst-schenkende Gegenseitigkeitsbeziehung zu verstehen. In diesem ursprünglichen Gegenseitigkeitsverhältnis stehen Identität und Selbstunterscheidung dynamisch und mit gleichem Geltungsrang zueinander – ein starres, unbewegliches Substanzdenken ist dabei eher hinderlich, wenn darunter ein undynamischer, überzeitlicher und durch seine Inhärenz nicht tangierbarer Wesenskern eines Dings verstanden wird.39 Dennoch sollte Bonaventura nicht vorschnell in seiner theologischen Eigenheit in den Ansatz eingeebnet werden, da bei ihm die göttlichen Hervorgänge nicht ausgeklammert werden.40 Greshake und Ganoczy legen von einer ähnlichen Herleitung den Fokus hinsichtlich des trinitarischen Wesens Gottes auf den Gemeinschaftsaspekt als Konstitutivum, um nicht über einen Ansatz, der sich entweder über einen Einheits- oder Dreiheitsmoment fundiert, die göttlichen Personen durch Prozessanalogien in eine Schieflage zueinander zu bringen: Die eine unmittelbare Gemeinschaft Gottes als Begründung ihrer (dreifachen) Gleichursprünglichkeit zueinander.41 36 Richard, Dreieinigkeit, III/VI (S. 90). 37 Vgl. Richard, Dreieinigkeit, III/III (S. 86f.). III/XIII-XXV (S. 98-110). Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 107. Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 65-67. 38 Ganoczy, Schöpfer, S. 70. Vgl. ebd., S. 229. 39 Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 78f. 40 Vgl. Bonaventura: Breviloquium. Iternarium mentis in Deum et reductione artium ad theologiam. Florenz 51938, III/1-9 (S. 37-40). 41 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 183-200. Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 92.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein Das uralte trinitätstheologische Dilemma, entweder von der substanziellen oder im Vater ursprünglich realisierten Einheit Gottes her zu denken und dann ‚sekundär‘ auf die personale Dreiheit zu stoßen (mit der ständigen Gefahr, diese mit einem subordinatianisitischen oder modalistischen Akzent zu versehen) oder von der personalen Dreiheit Gottes auszugehen und von ihr aus die substantielle Einheit zu betrachten (mit der Gefahr, tritheistische Assoziationen auszulösen), ist also zu überwinden durch das Paradigma Communio, das aus sich selbst heraus die reziproke Vermittlung von Einheit und Dreiheit ist. […] Eine solche Communio ist Gott.42
Ganoczy nimmt die Ansätze der Kappadokier, Richards und Bonaventuras zur Grundlage, um die Perspektive von der Quantität zur Qualität zu wechseln, dass sich in Gott aufgrund gegenseitiger Liebe personale Fülle ereignet – Fülle des eigenen Selbsts erlangt man nicht aus dem eigenen Selbststand, sondern wird durch die Begegnung und die Liebe mit dem Anderen möglich,43 was sich in exemplarischer Weise an Jesus Christus, dem Sohn, zeigt. Der Sohn ist nur er selbst, indem er vom und auf den Vater hin lebt – was umgekehrt auch für die anderen göttlichen Personen Geltung hat.44 Geschieht eine trinitätstheologische Betrachtung von einem Relationsfundament aus, steht diese Axiomatik vollkommen konträr zu einer modalistischen Gottesvorstellung. Diese Relationalität bringt, um die Beziehung nicht nur als temporären Aspekt zu verstehen, ein größtmögliches bzw. unendliches, nicht abgeschlossenes Maß an personeller Differenzierung (unverlierbare Eigenwirklichkeit im Raum der Alterität) mit sich.45 Eigenwirklichkeit (als innen) kann nicht gegen die stete Eingebundenheit in die Gemeinschaft (als außen) hinsichtlich der göttlichen Personenstruktur ausgespielt werden. Um dies zum Ausdruck zu bringen, greift Ganoczy auf den Neologismus der ‚Pluraleinheit‘ zurück.46 Die Liebe Gottes hat sich in der Frage um die innertrinitarische Einheit nicht nur von Seiten der Bibel, sondern auch durch die christliche Theologiegeschichte 42 Greshake, dreieine Gott, S. 183. Vgl. ebd., S. 184. 189. 191. 200. „Das göttliche Wesen hat also seinen Selbstand weder ‚in sich‘ noch über oder neben den drei Personen, sondern es ist dasjenige, was ‚in‘ und ‚zwischen‘ den drei Personen geschieht, besser: was auf je verschiedene Weise in und von den drei gemeinsam vollzogen wird: Es ist Inhalt ihres Personseins und ihrer interpersonalen Perichorese“ (ebd., S. 184). 43 Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 62. 44 Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 172f. Vom strukturontologischen Ansatz Rombachs aus möchte Ganoczy Selbstwerdung nicht alleine auf einen Identifizierungsprozess beschränkt wissen, sondern insbesondere von der (der Identität gegenüber größeren) Idemisation (Selbstwerdung durch den Anderen) verstehen: In der gemeinsamen Ich-Du-Beziehung in Liebe ist mehr als nur die Personen selbst, weil ihre Liebe zueinander einen Überschuss mit sich bringt, der die Gemeinschaft selbst ist. Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 157. 45 Vgl. Ganoczy, Schöpfer, S. 178. 46 Ganoczy, Schöpfer, S. 89-92. 226-228.
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hindurch als erkenntnisförderndes Paradigma erwiesen, um die Gleichzeitigkeit von Einheit und innerer Differenzierung im Leben Gottes benennen zu können. Dennoch sollte die (göttliche) Liebe nicht vorschnell in eine harmonisierende Glättung ihrer Alterität überführt werden. Denn Liebe ist kein harmloses Geschehen, das die beteiligten Personen unberührt lässt, sondern die Personen in ihrem Innersten betrifft und für sie eine radikale Herausforderung darstellt. Was schon für die menschliche Lebenswelt Geltung hat, zeigt sich für das göttliche Leben in einer umso größeren Relevanz. Daher knüpft Balthasar an die theologische Tradition an, wobei er aber, um der existenziellen Tiefe zwischen den göttlichen Personen gerecht zu werden, auf das Moment der innergöttlichen Kenosis verweist: Balthasar schließt sich wie auch Karl Rahner einer Korrespondenz von ökonomischer und immanenter Trinität an. Diese besagt, dass das Selbstverhältnis Gottes nicht in Differenz zu seinem Wirken nach außen in und an die Welt steht – Gott zeigt sich, wie er ist. Durch die Selbstentäußerung Jesu Christi am Kreuz teilt sich Gott selbst an den Menschen mit, um dadurch die Welt ins innergöttliche Leben einzubergen und daran Anteil zu geben.47 Statt das Verhältnis der innergöttlichen Personen auf ein unangespanntes und unkritisches Niveau anzusiedeln,48 sieht Balthasar das innertrinitarische Liebesgeschehen von einer radikalen Selbstentäußerung qualifiziert: In der innertrinitarischen Liebe begegnen sich zwar die göttlichen Personen auf Augenhöhe, wobei ihre Liebe als Selbstverschenken für einander derart weit geht, dass auch der Alterität der göttlichen Personen Raum gegeben wird. Die Radikalität der göttlichen Liebe gewährt dem innergöttlichen Gegenüber einen unbegrenzten Umfang, so dass diese Liebe keine Grenzen kennt und auch die Alterität des Anderen nicht ausschließt. Und nur in dieser Preisgabe des Eigenen, die die Trennung ernst nimmt (der Andere soll ja Er und nicht Ich sein!), in diesem ‚unter‘-gehen, damit der Andere in sich selber ‚auf‘-geht, ereignet sich die absolute Liebe, in der die Wesenseinheit verbürgt ist, kann sich dann im Gottmenschlichen jenes Opfer ereignen, 47 Vgl. Balthasar, Theodramatik IV, S. 361. 366. 48 Diese Position lässt u.U. durch eine kritische Augustinus-Lektüre bestätigt finden. Da das Hauptargument Augustins darin liegt, die innertrinitarische Einheit Gottes zu belegen, kann der Sohn als projektives alter ego des Vaters, wobei dem Sohn nur bedingt Eigenständigkeit und ein individueller Personenstatus zugesprochen werden können. Denn Augustinus nimmt den Ausgang seiner Untersuchung vom Menschen als Ebenbild Gottes, wobei er aber Ebenbildlichkeit nicht als Gemeinschaftsmoment versteht, sondern sie in der seelenbegabten Individualität des Einzelnen verfasst sieht. Ich danke Jakob Deibl für den kritischen Hinweis. Vgl. Augustinus, dreieinigen Gott, S. 15 (I/II). 123 (IX/I). 150152 (X/XI). 204 (XIV/III).
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3. Personalität und das vollendete Menschsein das Communio in Christus grundlegt, kann sich in aller Welt wahre Liebe samt ihrem Leiden als fruchtbar erweisen.49
Die innergöttliche Liebe soll in ihrer Alterität als Maßgabe dienen, um die Motive von Trinität, Erlösung und gelingendes Menschsein in Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen zu verbinden. Doch begrifflichen Schwierigkeiten, die sich automatisch bei der Beschäftigung mit der Trinitätslehre ergeben, zeigen sehr eindrucksvoll, dass diese keine evidente Logik ist, die aus der Offenbarung abgeleitet werden kann. Die Trinitätslehre ist vielmehr ‚eine Grenzaussage, eine verweisende Geste, die ins Unnennbare hinüberzeigt; nicht eine Definition, die eine Sache in die Fächer menschlichen Wissens eingrenzt; […].“50 Was für die Nicht-Totalisierbarkeit des menschlichen Antlitzes gilt, dass es nämlich zu groß ist, um begrifflich gefasst zu werden, gilt im gesteigerten Maße für das Treffen des Menschen auf Gott selbst. Deshalb darf die Reflektion (unter Zuhilfenahme philosophischer Kategorien) nicht zur begrifflichen Eingrenzung und Totalisierung führen. Eine Deutung Gottes steht demgemäß stets unter dem (phänomenologischen) Reduktionsanspruch, um die Asymmetrie zwischen erfahrener und gezeigter Wirklichkeit nicht gegenüber der begrifflichen Aufarbeitung zu nivellieren und daher auch nicht in eine gewaltsame Deutungshoheit umzuschlagen.51 Eine Begegnung des Menschen mit dem trinitarischen Gott ist heilsam-irritierend, ohne dies aber abschließend versprachlichen zu können.52 Im Rahmen einer Arbeit, die sich dezidiert um den Konnex zwischen göttlicher Personalität und Heilung der menschlichen Person durch das Heilsgeschick Jesu Christi bemüht, kann als Zwischenergebnis festgehalten werden, dass sich Gott als übervolles Gegenüber an den Menschen wendet und ihm eine heilsame Perspektive in der Begegnung eröffnet, die ihm Anteil an der göttlichen Liebe gewährt. An der geoffenbarten Beziehung von Vater, Sohn und Geist zeigt sich, dass wahres, volles Personsein nicht als existenzielle Insel in Einsamkeit geschieht, sondern Person nur im Gemeinschaftsmoment der Begegnung – im irritierend-erfüllenden Treffen auf das Antlitz des Anderen – seine Verwirklichung findet.53 Es ist daher schwierig, Gott als absolute Person oder als ‚absolutes Du‘ aufzufassen,54 weil zum einen der Personensingular 49 Balthasar, Theodramatik IV, S. 74. 50 Ratzinger, Einführung, S. 159f. 51 Vgl. Dirscherl, Sprechen Gottes, S. 47f. 52 Vgl. Balthasar, Glaubhaft, S. 70f. 53 Auf den geschöpflichen Bereich übertragen könnte man in der erfüllenden Begegnung von einem Einlösen einer apriorischen Potenzialität sprechen. 54 Vgl. Schmaus, GdK III, S. 166-168. Vgl. ders., GdK II, S. 170f.
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einen inneren Raum der Pluralität, ein göttliches Gewährenlassen der eigenen Alterität schwer anzeigen kann und weil zum anderen die Absolutheit von der etymologischen Grundlegung (ab-solus) eine strenge Trennung und dadurch eben keine Gemeinschaft (sowohl der göttlichen Personen wie auch die innere Einbergung der Schöpfung in Gott und die heilsgeschichtliche Begegnung) impliziert. Angemessener wäre es, sobald Trinitätsreflexion in personalen Kategorien geschieht, von Gott als ‚vollkommener und mangelfreier Personalität‘ zu sprechen. 3.2
Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen
Die Essenz des Menschen, was er ist und was sein Sein ausmacht, ist nicht unmittelbar einsichtig. Vielmehr ist das, was der Mensch in anthropologischer Weise zu seinem Wesen erklärt und definiert, im strengen Sinne historisch bedingt und unterliegt somit einer enormen Wandlungsfähigkeit, was den Inhalt dessen betrifft.55 Einen objektiven Zugriff auf sein eigenes Wesen hat der Mensch nicht – er steht zu sich selbst in keinem gegenständlichen, distanzierten Verhältnis, das es ihm ermöglichen könnte, einen neutralen, objektiven Blick auf sich selbst zu werfen. Er ist in einer subjektiven Verhaftung gegenüber seiner eigenen Perspektive eingeschlossen, was zu seiner speziellen Analyse des (eigenen) Menschseins führt. Sehr streng gesprochen führt eine narzisstische Verengung zur jeweiligen Definition des Menschseins, weswegen Foucault auch ungeschönt die bisherigen Leistungen der anthropologischen Studien dahingehend erklärt, dass sie nur das eigene, epochentypische Menschenbild widerspiegeln.56 „Der Mensch ist eine [selbstgegebene] Erfindung […].“57 So wie gewisse historische Dispositionen zu bestimmten Menschenbildern geführt haben, so ist es sehr wohl denkbar, dass sobald die aktuellen Dispositionen des Menschseins verloren gehen, „dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.“58 Foucault zeigt sehr klar, dass das Menschsein in seiner (nicht alleine epistemischen) Form hochgradig fragil ist, wodurch es auch leicht anfällig für 55 Vgl. Foucault, Michel: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, in: Ders.: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Bd. II: 1970-1975. Hg. von Daniel Defert und François Ewald unter Mitarbeit von Jaques Lagrange. Frankfurt 2002, S. 166-191; hier: S. 178-180. 56 Vgl. Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt 1971, S. 410-412. 57 Foucault, Ordnung der Dinge, S. 462. 58 Foucault, Ordnung der Dinge, S. 462.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
narzisstische Pathologien sein kann. Von innen heraus ist es dem Menschen nicht möglich, sich selbst zu verstehen – ganz davon zu schweigen, dass es ihm unmöglich ist, seine eigenen Unmöglichkeiten und Begrenztheiten zu heilen. Die (möglicherweise narzisstische) Innenperspektive verwehrt dem Menschen eine Aufklärung über das eigene Sein – die korrigierende Außenperspektive für das menschliche Selbstverständnis kommt ihm als Angebot gnadenhaft von göttlicher Seite zu: In der Selbstoffenbarung Gottes geschieht gleichermaßen eine Selbstaufklärung des Menschen.59 Die menschliche Natur Christi ist mehr als nur ein Medium für die Begegnung von Gott und Mensch. Sie ist Realsymbol, die durch die göttliche Annahme sowohl aufklärt als auch zum Neuen Adam heilt. Dieser Doppelaspekt geschieht aber nicht in und aus einer einsamen Geste Gottes von außen über den Menschen, sondern wendet sich (in Entsprechung zum gemeinschaftlichen göttlichen Wesen) in kommunikativer Art und Weise an den Menschen, so dass er neu zur Gemeinschaft mit Gott als Gnadengeschehen eingeladen wird. Wenn durch die Selbstoffenbarung in Jesus Christus auch der Monotheismus axiomatisch gültig bleibt, aber dieser trinitätstheologisch neu als gemeinschaftliche Dimension durchbuchstabiert wird, bringt dies Konsequenzen für das Verhältnis von Gott und seiner Schöpfung mit sich – im Speziellen mit weitreichenden Auswirkungen auf das Verhältnis von Gott und dem Menschen. „Gott hat den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, d.h. nach dem Bilde aller drei Personen, nach dem Bilde der Trinität.“60 Nimmt man diese Aussage als Grundlage der weiteren Ausführungen, ohne aber die patrozentrischen Sicht Augustins zu präferieren, sondern die Gemeinschaftsstruktur Gottes als maßgeblich anzulegen, ergeben sich neue Konsequenzen hinsichtlich des menschlichen Personenbegriffs. Die Anwendung des Personenbegriffs auf den einzelnen Menschen als Individuum geschah nicht in einem profanen Raum, sondern erhielt seine spezielle Aufladung der individuellen Würde eines Einzelnen durch den dezidiert biblischen Gottesbezug. Zwar stammt die etymologische Grundlage aus der polytheistischen Antike, doch seine eigentümliche Semantik, dass ‚Person‘ einen Menschen mit einmaliger Würde bezeichnet, stammt aus der alttestamentlichen Gottesbeziehung, wo Gott den Einzelnen bei seinem Namen ruft.61 59 Vgl. GS 22, 1. 3f. 60 Schmaus, psychologische Trinitätslehre, S. 198. 61 Vgl. Berning, Vincent: Die Idee der Person in der Philosophie. Ihre Bedeutung für die geschöpfliche Vernunft und die analoge Urgrunderkenntnis von Menschen, Welt und Gott. Philosophische Grundlegung einer personalen Anthropologie (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie, Soziologie der Religion und Ökumenik; 51). Paderborn u.a. 2007, S. 504f. Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 75-77. Grob vereinfacht gesagt, wurde in der
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Auch das moderne Personenverständnis, welches die Grundlage für ein personelles Rechts- und Würdeverständnis ist, fußt auch auf den Ausführungen der christlichen Kirchenvätern und deren Fortführung in der scholastischen Theologie.62 Als Fundament für die Entwicklung des individuellen Personenverständnisses kann daher von dogmatischer Seite die irritierende Begegnung von Gott und Mensch gelten, welche ihren entscheidenden Impuls von der Frage um die Gottheit Jesu Christi und die innertrinitarische Verfassung bekam. Sowohl die Menschlichkeit des Menschen wie auch seine Personalität sind nicht von innen heraus erschließ- oder deduzierbar, sondern (in ihrer spezifisch christlichen Spielart) nur durch die Gottesbegegnung, die Beziehung von Gott und Schöpfung und die anschließende Reflektion derselben erschließbar und auch aussagbar.63 Die Erkenntnis der Beziehungswirklichkeit Gottes wird somit zum maßgeblichen Interpretationsmoment für die Personalitätsauffassung des Menschen: Die Ebenbildlichkeit des Menschen lässt sich daher derart verstehen, dass Personsein (als Sein mit einem πρόσωπον) konstitutiv relational zu verstehen ist. Der Mensch als Abbild Gottes ist in seinem Personsein ein Beziehungswesen.64 So wie der Einzelne nicht sein eigenes Antlitz sich zeigen bzw. schauen kann, braucht es dazu ein personales Gegenüber, dem sich das Antlitz des jeweiligen präsentieren kann, um in Gemeinschaft Personsein zu verwirklichen.65 Personalität benötigt dadurch als Stätte, in der sie sich ereignen kann, die reduktive Haltung der Offenheit, um einen gewährten Raum des Zeigenkönnens bzw. des (griechisch-römischen) Antike das hinter dem Konkreten stehende Allgemeine höher geschätzt (z.B. die Idee des Schönen gegenüber einem konkreten Abbild des Schönen), was auch zu einer eigentümlichen Perspektive auf den Menschen führt, die das Allgemeine als bedeutender als das Konkrete ansetzt. Vgl. Balthasar, Theodramatik II/1, S. 368f.: „weil das von Gott dem Menschen zugesprochene Wort immer auch Teilgabe an Gottes Wesen ist, erhält das Individuum, das das Wort empfängt, eine neue Qualität: die der einmaligen Person. Diese Kategorie tritt erst im Biblisch-Christlichen ins Licht, auch das vorchristlich als Heros ausgezeichnete oder als König das ‚Groß-Ich‘ des Volkes vor Gott repräsentierende Individuum war nicht in diesem Sinne Person. Die Person leuchtet im Individuum dort auf, wo sie vom schlechthin einmaligen Gott ihren ebenso schlechthin einmaligen (weil von Gott gewählten) Namen zugesprochen erhält, […]. Der ‚neue Name‘ […] weist daraufhin, daß der Mensch, der bisher ein natürliches Individuum in der Gattung war, nunmehr in einen ‚übernatürlichen‘ unmittelbaren Bezug zu Gott tritt, eine persönliche Berufung und entsprechende Begabung erhält.“ 62 Vgl. Berning, Idee der Person, S. 506. 63 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 441. 64 Vgl. Dirscherl, Sprechen Gottes, S. 50. 65 Deswegen ist die Sprechweise ‚X ist eine Person‘ durch ihre statische Beschreibung eher hinderlich, um Personsein als dynamisch-interaktives Kommunikationsgeschehen aufzufassen.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
Involviertwerdens durch ein Nicht-Ich mit einem Antlitz bereitzustellen. Ein liebendes Vertrauen kann als Paradigma einer solchen Haltung gesehen werden, wie es sich bei Jesus mit seiner Vater-Anrede als ‚Abba‘ zeigt, die Ausdruck einer höchsten Intimität und Zuversicht in das Wohlwollen des Gegenübers ist.66 „Was Personalität im eigentlichen Sinn ist, verwirklicht sich in voller Weise nur in Gottes unendlichem Sein.“67 So realisiert sich Personalität im Vollsinn in der Beziehungswirklichkeit Gottes, während vom Menschen nur ein abgeleitetes Personsein aussagbar ist. Personsein ist daher kein statischer Befund, sondern eine prozesshafte Gabe, die durch ein Gegenüber ermöglicht wird.68 Durch den Gabe-Charakter des Personseins ist deshalb eine entsprechende (empfängliche, rezeptionsoffene) Haltung notwendig, weshalb auch Personsein auch zugleich stete Auf-Gabe ist, der Würde der Gabe (und des Gebers) zu entsprechen und fortwährend „(mehr) Person zu werden“.69 In Analogie zur Freiheit, die durch den Anderen heteronom evoziert wird, wird auch erst der Mensch durch den heteronomen Einbruch des Antlitzes des Anderen zur Person:70 Personsein ist die irritierende Gabe und Auf-Gabe durch das Antlitz des Anderen. Eine reine Gabe, die ohne Deutung und Verhalten ihr gegenüber auskäme, stellt eine Unmöglichkeit dar,71 denn jede Gabe ist in ihrer Gegebenheit ein Grenzphänomen, das als Einbruch von außen eine Beziehung (zum Geber) evoziert.72 So wie die Gabe einen Überschuss (über ihre eigene materielle Oberfläche und terminologische Beschreibbarkeit heraus) mit sich bringt, zu dem man sich verhalten muss, bringt auch das Antlitz des Anderen (als Gabe-Ort der Irritation) einen Überschuss mit sich, zu dem sich der Einzelne verhalten muss – geht er eine Beziehung (in rezeptioneller Offenheit) zu ihm ein oder verschließt er sich (in narzisstischer Weise – ergo: im Gegensatz zum Schöpferwillen) in sich selbst.73 66 Vgl. Kasper, Walter: Der Gott Jesu Christi (WKGS; 4). Freiburg/Basel/Wien 2008, S. 241f. 67 Greshake, dreieine Gott, S. 173. 68 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre, S. 104. [{20}, 18]. 227f. [{199}, 193]. 69 Greshake, dreiene Gott, S. 155. 70 Vgl. Levinas, TU, S. 23. 81. 148. 289. 442. 71 Vgl. Derrida, Falschgeld, 17-25. Dennoch versucht Marion, die reine Gabe in ihrer Gegebenheit trotz der von Derrida gezeigten Unmöglichkeit zu denken bzw. als reines und radikal reduziertes Phänomen zu denken. Die reine Gabe ist nicht unmöglich, sondern stellt sich vielmehr als ‚Unmögliche‘ dar, weil sie nie als reine Gabe an sich erfahren werden kann. Vgl. Hoffmann, Veronika: Christus – die Gabe. Zugänge zur Eucharistie. Freiburg/Basel/Wien 2016, S. 24. 72 Vgl. Dalferth, Ingolf U.: Umsonst. Eine Erinnerung an die kreative Passivität des Menschen. Tübingen 2011, S. 100-114. 73 Wobei diese das eigene Selbst verabsolutierende Verschlussgeste dann Sünde genannt werden kann. Vgl. Dirscherl, Sprechen Gottes, S. 51: „Es ist jener Kern, an dem die
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Deshalb erläutert Marion das alterierende Antlitz des Anderen als Aufruf und Anruf (im Sinne Heideggers) für den Einzelnen. Das Antlitz bringt eine irritierende Gegen-Intentionalität (im Sinne Levinas‘) mit sich, die den eigenen Horizont in Frage stellt und zu einem Verhalten aufruft: Denn als Antlitz, blickt es mich an, zwingt mich dazu, es als den zu betrachten, dem ich entsprechen muss. Aber wenn ich ihm entsprechen muss, dann muss ich ihm auch antworten, folglich habe ich einen Ruf erhalten (hinzunehmen). Das Antlitz vollzieht also einen Ruf. Es ruft mich als seinen Hingegebenen hervor.74
Die Irritation der Begegnung stellt durch die Alterität des Antlitzes den Einzelnen vor die Herausforderung, sich ständig neu gegenüber dem Anderen zu öffnen und sich nicht in einer (zur Statik tendierenden) Verschlussgeste in die eigene, abgeschlossene Innerlichkeit zu verkehren oder der Alterität des Anderen gewaltsam Grenzen zu setzen, damit das Irritationsmoment seines Antlitzes gemindert wird. „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Gen 1, 27) Die Ebenbildlichkeit des Menschen ist nicht auf eine Person als Einzelner anzuwenden, weil „Mann und Frau gleichermaßen Ebenbilder Gottes sind“.75 Es lässt sich sogar noch weiter gehen, dass die Ebenbildlichkeit von einer trinitarischen relecture aus im Gemeinschaftsmoment zu sehen ist: Der Mensch ist nur Mensch im eigentlichen Sinne, wenn er sich in der Gemeinschaft befindet – seine Erlösung und Vollendung (als Ziel seines schöpfungsbestimmten Menschseins) erfährt er aber erst in der Begegnung und in der Gemeinschaft mit dem trinitarischen Gott.76 Selbstwerdung ist nur im gemeinschaftlichen Horizont möglich; ein Selbst ohne den Anderen erscheint auf diesem Hintergrund (trotz seiner Versuchung der Selbstisolierung, der incurvatio in seipsum, der schuldhaften Verweigerung von Beziehung geschehen kann, wenn das Ich sich ab-solut setzt und von der Beziehung zum Anderen trennen will.“ 74 Marion, Gegeben sei, S. 440. Das Antlitz des Anderen erscheint daher als gesättigtes Phänomen, das in seinem Anschauungsüberschuss einen Anruf mit sich bringt. (vgl. ebd., S. 440f.). Auch wenn Marion an verschiedenen Stellen davon spricht, dass das Selbst sich zur Gänze vom Anderen als gegeben konstituiert, scheint die Lesart Puntels angemessener, die von einer prinzipiellen und nicht von einer totalen Gegebenheit des Selbst durch den Anderen ausgeht: „Ein X ‚empfängt sich selbst zur Gänze‘ in dem Sinne, dass er sein ganzes Sein, den Umstand, dass es überhaupt existiert oder ist, nachträglich bejaht – und in diesem Sinne ‚nachträglich akzeptiert‘“ (Puntel, fundamentale und umfassende Kritik, S. 79.). 75 Seebass, Genesis, S. 83. 76 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 189.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
scheinbaren Paradoxie) als widersprüchliche Aussage. Selbst- und Fremdbezug können durch die Aufarbeitung der konstitutiven Gemeinschaftssituation für die menschliche Personalität als dialektisch zueinander stehend betrachtet werden.77 Der Ort der Begegnung, an dem Fremd- und Selbstbezug aufeinander treffen, ist der Leib des Menschen (und nicht sein Körper).78 Er ist der Ort der sensorischen Affizierung, an dem das Antlitz in den Horizont des Einzelnen einbricht und von dem aus eine Haltung gegenüber dem Anderen (in Distanzierung oder Öffnung) eingenommen werden kann. Der Leib des Einzelnen ist daher nicht nur ein Grenzmarker, der ein Innen von einem Außen unterscheidet, sondern auch Gemeinschaft ermöglicht. Dies veranlasst Maurice Merleau-Ponty den (lebendigen) Leib als Vehikel zur Interkation mit der Mit- und Umwelt auszuzeichnen – die Leiblichkeit des Menschen ist gewissermaßen sein Existenzial des Daseins.79 „Die Leiblichkeit ermöglicht, ein Innen und Außen zu unterscheiden, Grenzen wahrzunehmen, Nähe zu leben als Nähe zwischen Getrennten.“80 3.3
Menschsein in erotischer Dynamik
Versteht man die menschliche Personalität durch ihre Antlitzhaftigkeit vor allem als eine leibliche Gestalt, und ist der Leib der dynamische Ort von Begegnung und Selbstwerdung, lässt sich eine erotische Dimension hinsichtlich 77 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 175. Von Gleichursprünglichkeit von Selbst- und Fremdbezug hinsichtlich menschlicher Personalität sollte aber eher Abstand genommen werden, weil damit die primäre Passivität des Einzelnen unterschlagen wird und die einbrechende Irritation des Antlitzes eines Nicht-Ich chronologisch nivelliert wird. 78 Es wird besonders auf die semantische Differenz hingewiesen, die den ‚Leib‘ (gr. σῶμα) vom ‚Körper‘ (gr. σάρξ) nach christlicher Anthropologie unterscheidet. Während der reine Körper die Materialität des Menschen ohne Beseelung zu beschreiben versucht (vgl. Mt 26, 41), will der Leib die Gesamtheit des Menschen (in Sinnlichkeit, Beseeltheit et cetera) als einheitliches Phänomen zum Ausdruck bringen (, ohne direkt dabei eine hylemorphistische Theorie zu implizieren). Vgl. Borsche, Tilman: Leib, Körper, in: HWPh (1980) 5, Sp. 173-178; hier: Sp. 173f. 177. Der Leib kann sich als Überschussphänomen mit einem Antlitz zeigen; der Körper kann dies nicht. Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 158-160. 79 Vgl. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede durch Rudolf Boehm (Phänomenologischpsychologische Forschungen; 7). Berlin 1966, S. 106. 170f. In sakramentaler Perspektive nimmt dies auch Knut Wenzel zum Ausgang seiner anthropologischen Darlegung, dass das menschliche Dasein entschieden durch Leiblichkeit bestimmt ist. Vgl. Wenzel, Knut: Sakramentales Selbst. Der Mensch als Zeichen des Heils. Freiburg/Basel/Wien 2003, S. 40. Ähnlich hierzu: Vgl. Ricœur, Fehlbarkeit des Menschen, S. 37. 80 Dirscherl, Sprechen Gottes, S. 51.
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dieses Komplexes schwer leugnen. Mehr als augenfällig wird dies, wenn man das trinitarische Leben unter dem Aspekt der Liebe (vgl. 1 Joh 4, 16b) zu beschreiben versucht und sich die Ebenbildlichkeit des Menschen darin niederschlägt, dass Gott den Menschen in einer geschlechtlichen Gemeinschaft (vgl. Gen 1, 27) geschaffen hat. Menschliche Begegnung findet nicht im luftleeren Raum und auch nicht als virtuelles Aufeinandertreffen zweier körperloser Gedankenwolken statt, sondern ist im radikalen Verständnis eine sinnliche Begebenheit. Es die Begegnung von sinnlichen Wesen. Diese Begegnung hat ihre Verortung in der Leiblichkeit des Menschen. Eine evidente Erklärung für die Existenz ist ihm selbst nicht unmittelbar (mit)gegeben – vielmehr ist dies eine klaffende Leerstelle im menschlichen Selbstverständnis, weswegen Martin Heidegger auch von der ‚Geworfenheit‘ in das jeweilige Dasein spricht.81 Der Ort des Menschen in der Welt ist sein Leib selbst, doch er ist es in einer primär passiven Weise, dass die Erfahrung der eigenen Existenz kein primär intern generiertes Moment ist,82 sondern durch den sinnlichen Eindruck von außen (in ähnlicher Denkbewegung wie bei Fichte) evoziert wird.83 Der Leib des Menschen ermöglicht eine prozessoffene Begegnung in „seiner vorintentionalen Empfänglichkeit als eine sinnliche Offenheit für das Unverständliche“ seines Daseins.84 Die Weltlichkeit des Menschen hat daher in seiner Leiblichkeit nicht nur einen erkenntnistheoretischen, sondern auch einen existenzialen Start- und Fixpunkt, weswegen Husserl den Leib entsprechend qualifizierend hervorhebt: Der Leib nun hat für sein Ich die einzigartige Auszeichnung, daß er den Nullpunkt all dieser Orientierungen in sich trägt. Einer seiner Raumpunkte, mag es 81 Vgl. Heidegger, SuZ, S. 134f. „Diesen in seinem Woher und Wohin verhüllten, aber an ihm selbst um so unverhüllter Seinscharakter des Daseins, dieses ‚Daß es ist‘ nennen wir die Geworfenheit dieses Seienden in sein Da, so zwar, daß es In-der-Welt-sein das Da ist. Der Ausdruck Geworfenheit soll die Faktizität der Überantwortung andeuten. […] Das Daß der Faktizität wird in einem Anschauen nie vorfindlich.“ (ebd., S. 135) 82 Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 149. 83 Vgl. Heidegger, SuZ, S. 163. Heidegger setzt hier primär das Hören an, das leiblich gebunden ist. Doch bevor Worte als Träger von Semantik verstanden werden können, ist das Antlitz des Anderen (z.B. der Eltern) vorgeordnet. Der Mensch ist daher durch seine ‚Gebürtigkeit‘ in sein Da-Sein gesetzt und in eine personell-sinnliche Struktur eingebunden. Leiblichkeit kann somit als Existenzial des menschlichen Daseins verstanden werden. Vgl. Liebsch, Burkhard: Paul Ricœur – Das leibliche Selbst begegnet dem Widerstand des Anderen, in: Alloa, Emmanuel u.a. (Hg.): Leiblichkeit. Geschichte und Aktualität eines Konzepts (UTB). Tübingen 2012, S. 273-287; hier: S. 276. 84 Espinet, David: Martin Heidegger – Der leibliche Sinn von Sein, in: Alloa, Emmanuel u.a. (Hg.): Leiblichkeit. Geschichte und Aktualität eines Konzepts (UTB). Tübingen 2012, S. 52-67; hier: S. 66.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein auch kein wirklich gesehener sein, ist immerfort im Modus des letztes zentralen Hier charakterisiert, nämlich in einem Hier, das kein anderes außer sich hat, in Beziehung auf welches ein ‚Dort‘ wäre. So besitzen alle Dinge der Umwelt ihre Orientierung zum Leibe, […].85
Die leibliche Offenheit und die (noch ziellose) Geworfenheit des Menschen zeigen aber auch in negativer Hinsicht seine eigene Begrenztheit an, dass der Mensch kein Souverän seines eigenen Lebens ist: Er befindet sich daher nach Heidegger in einer grundsätzlichen Sorge und Angst als Gestimmtheit seines eigenen Daseins.86 Die leibliche Manifestation der eigenen Begrenztheit und des Ungenügens gegenüber dem eigenen Leib lassen sich im Horizont der Begegnung mit George Bataille als Scham beschreiben – so kann es von der eigentlichen Offenheit und Rezeptivität durch die Erkenntnis der eigenen Ohnmacht und Verletzbarkeit in eine Begrenzung und Verschlossenheit umschlagen.87 Doch die Scham erzeugt nur eine temporäre Statik des Menschen in seinem Dasein: Er bleibt nicht in seiner Begrenztheit stehen, sondern ist nach Bataille durch eine Sehnsucht nach Kontinuität – als Überwindung der eigenen Kontingenz und Ohnmacht – gekennzeichnet. Wir sind diskontinuierliche Wesen, Individuen, die getrennt voneinander in einem unbegreiflichen Abenteuer sterben, aber wir haben Sehnsucht nach der verlorenen Kontinuität.88 […] es scheint dem Liebenden, daß einzig das geliebte Wesen in dieser Welt verwirklichen kann, was unsere Begrenzung verhindert, nämlich das volle Ineinanderübergehen, die Kontinuität zweier diskontinuierlicher Wesen. Die Leidenschaft verwickelt uns auf diese Weise in das Leiden, denn sie ist im Grunde das Streben nach etwas Unmöglichem und, oberflächlich gesehen, nach einer Übereinstimmung, die von Zufälligkeiten abhängt, Doch verspricht sie dem
85 Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Zweites Buch: Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution (Hua; IV). Den Haag 1952, S. 158. Vgl. Espinet, Heidegger, S. 59. Vgl. Nancy, Dekonstruktion des Christentums, S. 130. 86 Vgl. Heidegger, SuZ, S. 180-196. 87 Vgl. Bataille, George: Die Erotik. Neuübersetzt und mit einem Essay versehen von Gerd Bergfleth (Batterien; 43). München 1994, S. 272. Scham zeigt, dass der Mensch nicht naiv einen Leib hat, sondern auch nochmals reflexiv sich zu diesem verhalten kann: Der leibliche Mensch ist sowohl Subjekt als auch Objekt seiner selbst. Vgl. Marzano, Philosophie, S. 11f.: „[…] der menschliche Körper ist zugleich Körpersubjekt und Körperobjekt, ein Körper, den man ‚hat‘, und ein Körper, der man ‚ist‘“ (ebd., S. 11). 88 Bataille, Erotik, S. 17.
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Hauptleiden ein Ausweg. Wir leiden an unserer Isolierung in der diskontinuierlichen Individualität.89
Diese Kontinuität, Möglichkeit und Akt der Selbstüberschreitung, findet der Einzelne jedoch nicht in sich selbst und seiner eigenen Begrenztheit. Er findet diese (ansatzweise bzw. anteilhalber) im Anderen als geliebtem Gegenüber, wobei aber dafür die eigene Scham und die eigenen, selbstgesetzten Grenzen, die auch Schutz vor einer verwundbaren Nacktheit bieten,90 überschritten werden.91 In der Überschreitung und der Entgrenzung zum und an den Anderen kann der Einzelne die eigene Diskontinuität zwar nicht aufheben, aber jedenfalls in Negation setzen.92 Die Überwindung der eigenen subjektiven Geschlossenheit lässt sich mit Bataille als Erotik beschreiben – dies ist aber kein Unterfangen ohne jeglichen Widerstand, denn die eigene Hinderung an einer Öffnung liegt in der Verschlossenheit und Scham des Einzelnen: Entblößung und (verletzbare) Öffnung sind deswegen Konstitutionsmomente der erotischen Begegnung.93 Von dieser Grundlegung aus lässt sich der Mensch als dynamisches Wesen ausweisen – der Mensch ist nicht statisch, sondern ein konstitutiv Strebender, weswegen auch eine Identitätsaussage bei ihm im strengen Sinn nur schwerlich gemacht werden kann.94 Personale Identität ist dem Menschen als 89 Bataille, Erotik, S. 23. Der Grund des menschlichen Leidens liegt nach Bataille im entscheidenden Maße nicht in der Sterblichkeit des Menschen selbst, sondern vielmehr im existenziellen Alleinsein, wobei er die ‚Verweigerung der willentlichen Selbstbefangenheit‘ als Negationsgeste der eigene Ohnmacht und Verwundbarkeit nicht nivellieren, aber überschreiten kann (ebd., S. 27). 90 Vgl. Bataille, Erotik, S. 40f.: „Die Wahrheit der Verbote ist der Schlüssel zu unserer menschlichen Haltung. Wir müssen, wir können zuverlässig wissen, daß uns die Verbote nicht von außen auferlegt wurden. Dieses Wissen gewinnen wir in der Angst, im Augenblick, da wir das Verbot überschreiten, hauptsächlich im Moment des Unschlüssigseins, in dem es noch wirkt und wir trotzdem dem Antrieb nachgeben, dem es entgegenstand. […] Die innere Erfahrung der Erotik verlangt von dem, der sie macht, eine nicht weniger große Sensibilität für die Angst, die das Verbot begründet, wie für das Verlangen, das zu seiner Übertretung führt. Es ist die religiöse Sensibilität, die stets das Verlangen und den Schrecken, die intensive Lust und die Angst miteinander verbinden.“ 91 Vgl. Bataille, Erotik, S. 99f. 92 Vgl. Bataille, Erotik, S. 100. 93 Vgl. Bataille, Erotik, S. 20. 94 Es kann vielmehr mit Hegel von einer rekonstruierenden Identifizierung (als Prozess der Identitätsbildung) gesprochen werden, die ein Urteil über die Nicht-Differenz eines Dinges zu sich selbst beinhaltet, wobei gewisse (temporale o. ä.) Abweichungen als irrelevant bewertet werden: Ein Mensch ist nicht unmittelbar, was ihn ausmacht, sondern er kommt erst in einer Prozessbewegung aufhebender Art zu sich selbst, denn durch die Negation der Negation wird (mit hegelianischer Dialektik) ein Zusichselbstkommen ermöglicht.
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Aufgabe anheimgestellt, nach welcher er streben und sich sehnen kann. Die bisherige Darlegung legt es aber (v.a. mit Levinas) nahe, dass das menschliche Streben seinen Zielpunkt nicht in sich selbst findet: Der Einzelne besitzt weder in sich (schon stets) seine abgeschlossene Identität, noch ist er sein eigener Zielpunkt – er würde dadurch seine eigene Erfüllung und Vollendung aus sich selbst generieren: Er steht in Distanz zu seiner Vollendung und strebt dieser prozesshaft zu.95 Somit können wir die menschliche Identifizierung und Selbstwerdung nicht als autonom, sondern als heteronom kennzeichnen,96 die maßgeblich als leibliche vorliegt, da der Mensch ein leibliches Wesen ist. Das Streben nach leiblicher Selbstwerdung durch die überschreitende und distanzreduzierende Bewegung fällt daher leicht, mit dem Begriff der ‚Erotik‘ nach bataille’scher Prägung klassifiziert zu werden. Diese Distanzreduktion als leibliche Näherung ist eine erotische Bewegung, so dass man sich selbst voller und identischer im Anderen findet und zu sich selbst kommt:97 Der Mensch ist ein prozesshaft Begehrender, der aber in der Begierde nicht den Anderen an sich begehrt, sondern in der Begierde nach dem Anderen im Verständnis der Psychoanalyse nach Lacan sich selbst versucht zu finden.98 Die Erotik als Dezentrierung steht dem Identifizierungsverfahren und Finden eines archimedischen Punktes von René Descartes diametral entgegen. Statt sich auf die sinnliche Außenwelt zu stützen, misstraut dieser Descartes in einer vehementen Art, und vom Zweifel zerfressen stellt er vielmehr die Vgl. Steckeler-Weithofer, Pirmin: Identifizierung/Unterscheidung, in: Sandkühler, Hans Jörg (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Bd. 1. Hamburg 1999, S. 600-603. 95 Auch Aristoteles besaß hier einen sehr klaren Blick auf den Menschen und versteht ihn trotz seines substanzontologischen Theoriegebäudes als Strebenden nach Glückseligkeit. Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1095a-1099b. 96 Diese (gläubige) Anerkennung einer heteronomen Selbstwerdung steht daher konträr zu einem autonomen Subjekt der Transzendentalphilosophie. Vgl. Fößl, Freiheit als Paradigma, S. 233: „Im Grunde genommen würde dies aber bedeuten, dass mit dem Glauben das ‚philosophische Subjekt‘ selbst aufhört, weil seine auf der Grundlage eines methodischen Atheismus transzendentalphilosophisch eruierten Konstitutiva als zu leicht befunden worden sind und vollständig erschüttert wären.“ 97 Jean-Luc Marion versteht daher die Individualisierung auch als dativisches Geschehen, wobei der Mensch als Empfänger sich selbst vom Anderen empfängt – diese (erotische) Leerstelle und Abhängigkeit fasst er im Begriff der Begierde zusammen. Vgl. Marion, Erotische, S. 158-163: „Der Liebende individualisiert sich zunächst durch das Begehren, oder besser noch durch sein Begehren, das nur ihn und niemanden sonst kennzeichnet. […]; nichts gehört mehr zu mir als das, was ich begehre, weil genau dies mir fehlt. Folglich definiert mich im Innersten viel mehr das, was mir fehlt, als das, was ich besitze, denn das, was ich besitze, bleibt mir äußerlich, und das, was mir fehlt, findet sich in meinem Inneren, sodass ich also das, was ich besitze, jederzeit austauschen kann, nicht aber den Mangel, der in meinem Herzen nagt“ (ebd., S. 159.). 98 Vgl. Lacan, Schriften I, S. 108.
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gesamte Außenwelt unter Generalverdacht: Die sinnliche Außenwelt ist für ihn nicht wahrheitsfähig, weswegen er sich in einer Innerlichkeitsbewegung von dieser fortbewegt und alleine seine eigene, unmittelbare Geistigkeit als entscheidend gelten lassen kann.99 Konsequenterweise geht Descartes seinen Denkweg zu Ende und folgert, dass die Geistigkeit Träger seiner Identität und (über die eingelassene Idee Gottes) erkenntnisgarantierend ist, was zu einer dualistischen Trennung zwischen Geist und Körper führt.100 Trotz seiner Statik hinsichtlich der menschlichen Erkenntnis, Argumentation mit Begriffen und Mitteln, die erst durch Rezeption handhabbar sind, und seines unhaltbaren Dualismus zwischen Geist (res cogitans) und Materie bzw. Körper (res extensa) bekam das cartesische Erkenntnismodell enormen Zuspruch und konnte vollends erst durch die kantische Philosophie überwunden werden, wobei aber der philosophische Blick bis ins 20. Jahrhundert hinsichtlich Identitäts- und Erkenntnisfragen stets beim Subjekt als Einzelnen ansetzte. Ausgehend von einer Nicht-Identität des Einzelnen mit sich selbst zeigt Jean-Luc Marion auf, dass Selbstwerdung ein Geschehen ist, über das der Einzelne nicht souverän verfügen kann: Er ist von einem Gegenüber abhängig, welches ihm als Gabe eine Antwort auf die eigene Existenz geben kann, die der Einzelne sich selbst unmöglich geben könnte.101 Hinsichtlich der Frage nach der eigenen Identität wendet sich Marion explizit gegen Descartes und eine Selbstbeantwortung: Eine Selbstbegründung, wer man sei, führt nach Marion in vermeintlicher Selbstgewissheit dazu, dass man in einen narzisstischen Zirkelschluss gerät und in narzisstischer Abgeschlossenheit verfangen bleibt.102
99 Vgl. Descartes, René: Meditationen. Übersetzt und hg. von Christian Wohlers (PB; 596), S. 85 (78,2-78,20): „alleine daraus also, daß ich weiß, daß ich existiere, und ich bemerke, daß einstweilen schlichtweg nichts anderes zu meiner, bzw. zu meinem Wesen gehört, außer dem einen, daß ich ein denkendes Ding bin, schließe ich zurecht, daß mein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein. […] denn ich besitze einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst, insofern ich ein denkendes [cogitans], kein ausgedehntes [non extensa] Ding bin, und andererseits die deutliche Idee des Körpers, insofern er lediglich ein ausgedehntes, kein denkendes Ding ist –, ist es sicher, daß ich von meinem Körper tatsächlich unterschieden bin, und ohne ihn existieren kann.“ 100 Vgl. Descartes, Meditationen, S. 92f. (85,28-86,15): „Zwischen dem Geist und dem Körper besteht ein großer Unterschied darin, daß der Körper von seiner Natur her stets teilbar ist, der Geist aber völlig unteilbar. […] Und obwohl der gesamte Geist mit dem gesamten Körper vereint zu sein scheint, erkenne ich, daß auch dann dem Geist nichts entzogen ist, wenn ein Fuß, ein Arm oder ein beliebiger anderer Teil des Körpers abgetrennt ist.“ Vgl. Specht, Rainer: Leib-Seele-Verhältnis, in: HWPh (1980) 5, Sp. 182-202; hier: Sp.192f. 101 Vgl. Marion, Erotische, S. 64f. 102 Vgl. Marion, Erotische, S. 35. 40-45.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein Die Gewissheit meiner eigenen Existenz führt mir einfach nur meinen einsamen Versuch vor Augen, mich durch meine ganz individuelle Entscheidung und nach eigenem Belieben im Sein einzurichten; aber eine Gewissheit, die durch meinen eigenen Akt des Denkens hervorgerufen wird, bleibt immer noch meine Initiative, mein Werk und meine Angelegenheit – eine autistische Gewissheit und eine narzisstische Versicherung eines Spiegels, der immer nur wieder einen anderen Spiegel spiegelt, eine sich selbst widerspiegelnde Leere. […] Ich bin – ohne jeden Zweifel eine Gewissheit, aber um den Preis einer Abwesenheit jeder Gegebenheit. Ich bin – weniger die erste Wahrheit als die letzte Frucht des Zweifels selbst. Ich zweifele, und zumindest dieser Zweifel ist mir gewiss. […] Nur ein anderer als ich selbst könnte mich sichern, so wie ein von einem Bergsteiger engagierter Bergführer diesen sichert.103
Wissen bildet nur einen gegenwärtigen Erfahrungszustand ab, wobei die Bewegung, sich durch Wissen abzusichern, sich nach innen verkehrt und gegenüber dem neuen, fremden Außen sich in Distanz setzt. Wissen ist in der Identitätsfragestellung dadurch ausgezeichnet, dass es mit narzisstischen Tendenzen konform geht: „In allem Wissen geht es, letztendlich, um den Selbstgenuss.“104 Statt dem Programmsatz griechischer Philosophie (‚Erkenne dich selbst‘) zu folgen, der durch seine Kombination aus Wissens- bzw. Einsichtsfundierung und Innerlichkeitsbewegung nur den existenziellen Solipsismus verstärkt, gilt es, die Blickrichtung radikal zu ändern sowie die Gabe des Anderen zum Selbst hin anzunehmen, um die Statik des (erbsündlichen) Selbstverschlusses zu überwinden und der Prozessualität des Menschen gerecht zu werden.105 Eine Antwort auf die eigene Existenzfrage kann somit nicht von innen heraus gegeben werden, weil hierdurch nur eine scheinbare Gewissheit in autistischer Art generiert wird, die aber die eigene Kontingenz und Fragilität nicht überwinden kann – die entscheidende Antwort kommt von außen und kann nur als Gabe erhalten werden, was eine Einforderung oder ein gewaltsames Nehmen der Antwort als Gabe ausschließen. Epistemische Sicherheit und eine Antwort auf die Existenz- und Identitätsfrage können nur erhalten werden – als personale Gabe, die um ihrer selbst willen gegeben wird.106 Somit bestimmt Marion als maßgebliche epistemologische Frage: ‚Werde ich von anderswoher geliebt?‘107 In der frei gewährten Liebe vom Anderen erhält der Einzelne einen epistemologischen und identitätsgewährenden Fixpunkt, der die Mangelsituation von Unsicherheit und Verschlossenheit überwinden kann, weswegen 103 Marion, Erotische, S. 40f. 104 Marion, Erotische, S. 27. 105 Vgl. Marion, Erotische, S. 68-71. 106 Vgl. Marion, Erotische, S. 64f. 107 Marion, Erotische, S. 47. 36-48.
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Marion gegen die philosophische Tradition und explizit gegen Descartes den Menschen nicht als Denkenden, sondern als Liebenden versteht.108 Liebe als Gabe und Geschenk kann nicht eingefordert werden, sondern muss empfangen werden. Um Liebe als Gabe der Liebe verstehen und erkennen zu können, braucht es ein involviertes und kein neutrales Subjekt, das als „unbeteiligte[r] Beobachter oder als transzendentales Subjekt“ eine Vertretungsposition einnehmen kann.109 Liebe kann nicht vertreten und kann auch nur empfangen werden, weswegen es eine dezidiert offene und (im Sinne Husserls) reduktive Haltung braucht, um sich Liebe zeigen zu lassen: Die erotische Reduktion. Die erotische Reduktion setzt jede Identität mit sich selbst außer Kraft, die sich auf ein Denken seiner selbst gründen würde […] Indem ich mir die Frage stelle (mich in und als Frage stelle): ‚Werde ich geliebt?‘, entdecke ich mich in der ganz besonderen Situation desjenigen, der sich dem Gefühl und der Empfindung einer Affektion aussetzt: […] Die Frage ‚Werde ich geliebt‘ markiert also den Punkt, wo ich mich, und zwar als solcher affiziert entdecke, als unersetzbares Ich. […] In der erotischen Reduktion bin ich nicht das Seiende, das ich mir durch das Denken im Sein zuschreibe, sondern ich bin da, wo ich mich vorfinde, da, wo ein mögliches Anderswo mich affiziert – ich bin das Da, wo mich die Frage ‚Werde ich geliebt‘ einholt und ich von ihr aufgescheucht werde. Ich bin ein Da – nicht ein Da, wo Sein ist (ein Da-sein) –, aber ein Da, wo man mich lieben oder nicht lieben kann.110
Die reduzierte Rücknahme des eigenen Narzissmus, worunter auch der eigene Wissenshorizont fällt, eröffnet einen Raum, der nicht an den eigenen Vorstellungen Maß nimmt und nur diese gelten lassen will.111 Da Liebe als Gabe nicht 108 Vgl. Marion, Erotische, S. 19. 68. Ohne Liebe bleibt der Mensch im epistemologischen Autismus verhaftet, weil er keine Dezentrierung zulässt. Er findet bzw. er bekommt keinen archimedischen Punkt außerhalb seiner selbst gezeigt. Er bleibt ohne anerkennende Liebe in narzisstischer Orientierungslosigkeit gebunden. Vgl. ebd., S. 50-53. Hier zeigt sich eine parallele Denkbewegung von Marion und Lacan: „Es erscheint nirgendwo deutlicher, daß das Begehren des Menschen seinen Sinn im Begehren des anderen findet. Und das nicht so sehr, weil der andere den Schlüssel zum begehrten Objekt besitzt, sondern vielmehr weil sein erstes Objekt darin besteht, vom anderen anerkannt zu werden“ (Lacan, Schriften I, S. 108.). 109 Marion, Erotische, S. 22. Vgl. ders., Gegeben sei, S. 321-323. 110 Marion, Erotische, S. 61. 111 Vgl. Žižek, Slavoj: The fragile Absolute. Or. Why is the Christian legacy worth fighting for. London/New York 2000, S. 111-113. 121. Die Überführung des Anderen in einen totalisierten Wissenshorizont (mit Lacan gesprochen: Das Symbolische) würde den Anderen nur zum narzisstischen Spiegelbild der eigenen Person machen, weswegen Žižek dafür eintritt, dem Anderen eine Alterität zu belassen (mit Lacan gesprochen: sein Anteil am Realen). Nur dadurch erhält die Forderung ‚Liebe Deinen Nächsten‘ ihre Brisanz. Einen Nächsten
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in Selbstbestimmung eingefordert oder genommen werden kann, zeichnet sich die erotische Reduktion als umfassender Gewaltverzicht aus:112 Die Haltung der erotischen Reduktion zeichnet sich durch eine empfangende Passivität in Selbstrücknahme und Demut aus.113 Diese Rücknahme des eigenen Geltungsmaßstabes schafft einen Raum, in welchem sich der Andere als Geliebte zeigen kann – die Person als Andere kann in irritierend-alterierender Erscheinung ereignishaft in die Welt des Einzelnen einbrechen. Im Raum der erotischen Reduktion kann das Ereignis der Antlitzpräsentation stattfinden.114 Die Alterität des Antlitzes ist aber kein harmloses, harmonisierendes Unterfangen, weil es durch seine Gegenintentionalität eine Schockwirkung und Durchkreuzung (der narzisstisch-idolatrischen Weltsicht des Einzelnen bzw. des reduktiv-offenen Erotikers) mit sich bringt.115 Die Gewährung des erotizu lieben, der eine narzisstische Kopie meiner selbst ist, ist nicht schwer – dem Anderen aber Raum zu geben, sich in Alterität präsentieren zu können und ihn dennoch zu lieben, ist umso schwieriger. Vgl. ders., Lacan, S. 61-63. Vgl. Nietzsche, Zarathustra, S. 77-79: „Meine Brüder, zur Nächstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch zur Fernsten-Liebe.“ (ebd., S. 79). Die Fernsten-Liebe lässt sich mit Žižek als Aufkündigung einer (vermeintlichen) Liebe zu der eigenen narzisstischen Projektion verstehen – in der Fernsten-Liebe wird der Nächste zum Anderen. 112 Vgl. Marion, Erotische, S. 150. Durch den Gewaltverzicht steht das Erotikverständnis Marions im eklatanten Gegensatz zur Ansicht Batailles, der die erotische Bewegung der Überschreitung als gewaltvolles Geschehen aktiver Art versteht. Vgl. Bataille, Erotik, S. 8794. „Die Grundlage der Erotik bildet die Erfahrung einer Sprengung, einer Gewaltsamkeit im Augenblick der Explosion. […] Die Erotik als Ganzes stellt einen Verstoß gegen die Regel der Verbote dar: sie ist eine menschliche Aktivität.“ (ebd., S. 91.) Betrachtet man die Erotiktheorie Batailles im Gesamten stellt sich aber deutlich eine Inkonsistenz heraus, da nach Bataille Erotik primär durch Passivität und Gewährenlassen zu Stande kommt und daher keine Grundlage durch aktives Handeln besitzt: Volle erotische Begegnung findet demnach erst im Selbstverlust im Anderen statt. Vgl. Bataille, Erotik, S. 229. 242. Vgl. Bergfleth, Gerd: Leidenschaft und Weltinnigkeit. Zu Batailles Erotik der Entgrenzung, in: Bataille, George: Die Erotik. Neuübersetzt und mit einem Essay versehen von Gerd Bergfleth (Batterien; 43). München 1994, S. 313-401; hier: S. 371. 391. Der Inkonsistenz und des Gewaltaspektes wegen konzentriert sich die nachfolgende Betrachtung auf Marion und seine Aufarbeitung. 113 Vgl. Marion, Erotische, S. 150. Vgl. Han, Agonie, S. 8: „Ein besonderes Schwach-Werden erfasst das Subjekt der Liebe, das jedoch gleichzeitig von einem Gefühl der Stärke begleitet wird. Dieses Gefühl ist allerdings nicht die Eigenleistung des Einen, sondern die Gabe des Anderen.“ 114 Vgl. Marion, Erotische, S. 145f. 152. Somit kann auch ein Unterschied zwischen dem biologischen und dem erotischen Körper ausgemacht werden, wobei der biologische Körper Voraussetzung dafür ist, dass eine erotische Begegnung stattfinden kann. Vgl. Marzano, Philosophie, S. 92. 115 Vgl. Marion, Erotische, S. 183f. 243-248. Deswegen hat auch das Treffen auf den Anderen nicht nur erotischen, sondern auch einen epiphanischen Charakter: Durscheinen einer göttlichen Wirklichkeit, die den menschlichen, idolischen Horizont in Frage stellt. Vgl.
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schen Raumes gibt dem Geliebten die Möglichkeit, dass er sich als der Andere in seiner vollen Individualität zeigen kann – die erotische Kehre kommt mit einem neuen, offen-gestimmten Blick: In diesem Raum kann das Antlitz des Anderen sich präsentieren und zur Ikone (mit einem phänomenologischen Überschuss) werden:116 Im Schauen der Ikone wird die Selbstverschlossenheit überwunden und dem Selbstbegründungsgestus eine Absage durch eine passive Offenheit erteilt – die Ikone bricht mit einem phänomenologischen Überschuss (als gesättigtes Phänomen) in die Wirklichkeit des Einzelnen ein und bringt ein Sinnstiftungspotenzial (insbesondere für die eigene Identitätsfrage) mit sich, welches in Annahme und Reflexion die Welt transparent werden lässt.117 Damit hat das erotische Raumgewähren und das Sichzeigenlassen einen transzendierenden Charakter, in dem nicht nur die eigene Selbstverschlossenheit überschritten wird, sondern, indem auch die ikonische Präsentation des Antlitzes die Alterität einbrechen lässt, wird auch die reine Oberfläche überschritten, so dass eine größere Wirklichkeit durch die Oberfläche hindurch scheinen kann.118 Die größere Wirklichkeit, die durch das Antlitz des Anderen ereignishaft einbricht, lässt den Einzelnen durch die erotische Gabe zur Person werden.119 Aber wie durch den Begriff der Selbstwerdung schon angedeutet ist, wird der Mensch hierdurch nicht in eine Statik überführt, die die Gabe des Anderen ihm Marion, Gott ohne Sein, S. 82f. Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 347. Vgl. Levinas, TU, S. 45f. 51. 372f. 116 Vgl. Marion, Erotische, S. 120-123. 164. Der Andere mit seinem Antlitz bringt durch seine Alterität einen ikonischen Charakter mit; oder vielmehr weist sich sein Antlitz als Ikone aus, das einen phänomenologischen Überschuss (Einbruch der göttlichen Wirklichkeit) mit sich bringt. Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 389-391. 117 Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 40-47. Vgl. ders., Erotische, S. 282. 302. Vgl. Lévinas, Emmanuel. Zwischen uns. Versuch über das Denken an den Anderen. Aus dem Französischen. München/Wien 1995, S. 181. Vgl. Bergfleth, Leidenschaft, S. 377f. Ein Phänomen, das mehr zeigt, als man begrifflich einfassen kann, zeichnet sich als ‚gesättigtes Phänomens‘ aus, das sich nicht durch ein sinnliches Vakuum, sondern durch eine phänomenale Überfülle auszeichnet. 118 Vgl. Bataille, Erotik, S. 126. Hieran zeigt sich, dass Erotik nicht mit Pornographie verwechselt werden darf, weil Erotik ein distanziertes Sichzeigenlassen jenseits der Oberfläche mit sich bringt, das eine Bewegung innehat, die nicht bei der Oberfläche stehen bleibt, ohne sie zu negieren – Erotik steht für ein hochdynamisches Geschehen, dass einen unüberbrückbaren Teil an geschehender Alterität zum Konstitutivmoment hat. Fehlt dieser alteritätsgewährender Raum der primären Passivität und wird durch eine statische Oberflächenbetrachtung ohne jegliche Distanz und Dynamik (Verhüllung im Übergang zur Enthüllung) ersetzt, zeigt sich kein Antlitz mehr, sondern nur noch Objekt in undistanzierter, pornographischer Statik. 119 Vgl. Marion, Erotische, S. 177: „Der andere gibt mir infolgedessen das, was er nicht hat – er gibt mir meinen Leib. Und ich gebe ihm, was ich nicht habe – seinen Leib.“
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unverlierbar übereignet: Sein Dasein bleibt von Prozesshaftigkeit, Kontingenz und Fragilität geprägt, so dass auch die Gabe stete (zu verantwortende) Aufgabe für ihn bleibt. Sie ermöglicht eine neue prozesshafte Gemeinschaft. Der Aufbruch von der Verschlossenheit zur Offenheit hin kann erneut in die Verschlossenheit umbrechen, weil die erotische Öffnung auch eine verstärkte Verwundbarkeit des Menschen mit sich bringt: Die Erotik steht in der Möglichkeit von Gelingen oder Misslingen und kann dadurch dem Menschen seine Ohnmacht und Abhängigkeit neu bewusst werden lassen;120 er bleibt unter der Perspektive der Ohnmacht ein Sichsorgender.121 Das Bewusstwerden der Verwundbarkeit kann von der Sorge in Furcht umschlagen, die aus der Erfahrung der eigenen Fragilität und Verletzung hervorgeht, und als Konsequenz (erneute) Isolation und Selbstrechtfertigung (als Versuch einer illusorischen Abhängigkeitsüberwindung und Selbstgabe) mit sich bringt.122 Die Gabe des Anderen lässt sich nicht durch Eigeninitiative besorgen und lässt sich auch nicht als Vorsorge für die Zukunft aufbewahren.123 Sie kann nur ständig neu empfangen werden: Die ihr und dem Anderen (als Gebendem) gegenüber angemessene Haltung ist deswegen nicht nur die Offenheit, sondern stellt sich vielmehr als Haltung des Wartens und der Treue gegenüber dem Anderen dar. So ist die den Moment überdauernde erotische Reduktion nicht alleine punktuell; sie ist an das (hoffende) Warten und die Treue gebunden.124 Manifestation des Vertrauens und der Treue sind daher der Schwur und das Versprechen.125 Eine Aufkündigung der Treue und des Wartens findet sich anschließend in der Lüge und im Hass, der den Anderen sich nicht mehr durch die erotische Reduktion zeigen lässt, sondern ihn durch ein narzisstisches Phantom ersetzt.126 Ohne die erwartende und abstandswahrende Geste 120 Vgl. Marion, Erotische, S. 295. 121 Vgl. Heidegger, SuZ, S. 180-196. 122 Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 51. 169-173. 123 Dadurch hat die Gabe, in der lebenserfüllende Selbstwerdung gegeben wird, einen analogen Charakter zum biblischen Manna – es kommt vom Himmel als süße, lebensgewährende Speise jeden Tag neu, um die Israeliten zu versorgen und kann aber nicht in Vorsorge für den nächsten Tag (ausgenommen ist der Sabbat) aufbewahrt werden. Es untersteht keinerlei menschlicher Verfügbarkeit, weil es reine Gnadengabe ist. Vgl. Ex 16, 1-35a; Dtn 8, 2-6.16. 124 Im Warten bekommt die unstrukturierte, chronologische Zeit eine Sinnstruktur und ein Ziel, auf das der Einzelne hofft. Vgl. Marion, Erotische, S. 55-59. 274-279. Vgl. Han, Agonie, S. 23. 125 Vgl. Marion, Erotische, S. 233-235. 126 Vgl. Marion, Erotische, S. 258: Im Hass brechen die Verschlossenheit und die Selbstrechtfertigung sich neue und gleichermaßen altbekannte Bahnen, die (erneute) Isolation und Selbstverlust zur Konsequenz haben.
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gegenüber dem Antlitz, tritt man dem Anderen gegenüber gewalttätig auf und instrumentalisiert ihn, indem man in den Horizont der eigenen Verfügbarkeit überführt und keine erwartende Distanz (der Erotik) zu ihm beibehält: Indem der Andere zur instrumentalisierbaren Oberfläche reduziert wird, verschwindet sein Antlitz: Der Andere verliert seine Alterität und wird zum pornographischen Objekt.127 Die zugleich distanzwahrende und dynamisch-verbindende Sprache der Liebenden kann als Manifestation der Treue im Versprechen an den Anderen verstanden werden, die durch ihre metaphorisch-bildliche Offenheit einerseits einen Beziehungsraum schafft, in dem sich der Andere anerkannt wiederfinden kann und einen Ort hat, sein Leben existenziell auszurichten, und andererseits in der gegenwärtigen Achtung und im gegenseitigen Versprechen, Wirklichkeit füreinander stiften kann. Das Versprechen der Liebenden hat durch die Wirklichkeitsstiftung performativen Charakter und lässt eine (bisher unausgesprochene) Beziehung Realität werden.128 Die sprechenden Liebenden treten aber nicht durch ihr Versprechen aus der Kontingenz der Welt und deren Fragilität heraus, indem sie sprachlich eine neue Beziehungswirklichkeit evozieren – es ist vielmehr das Gegenteil zu attestieren, dass das Versprechen die Fragilität sowohl der Sprache als auch des Menschen evident werden lässt: Der Versprechende kann nicht in magischer Weise die Realität dem Gesprochenen anpassen; das Versprechen steht ständig in der Gefahr, zum Meineid oder zur Lüge zu werden.129 Der Versprechende bindet sich in einer Entblößungsgeste an sein eigenes Wort, er zeigt seine Verwundbarkeit und offenbart seine Liebe gegenüber dem Anderen: Er hofft und wartet auf 127 Vgl. Han, Agonie, S. 18-20. Erst durch die Distanz ist der Andere wahrnehmbar – er wird geachtet, indem man ihm Raum gibt. Vgl. Nancy, Dekonstruktion des Christentums, S. 144. Vgl. ders., Noli me tangere. Aus dem Französischen von Christoph Dittrich. Zürich/ Berlin 2008, S. 49f. 66. 128 Vgl. Meuffels, Otmar: Theologie der Liebe in postmoderner Zeit. Würzburg 2001, S. 77. 79. Vgl. Marion, Erotische, S. 214-217. „[…]; die Liebenden verspüren von daher auch keinerlei Bedürfnis, sich lange mit der Beschreibung von Gegenständen aufzuhalten, die Besonderheiten des Seienden darzulegen oder sich auf Sachverhalte zu beziehen; ja es ist vielmehr so, dass die erotische Reduktion sie davon befreit und sie sogar grundsätzlich davon abhält. […] Auf diese Weise befreien sie ihre Wörter aus jeder Verbindlichkeit der Welt gegenüber und als Erstes von der Pflicht, ein Wissen von ihr zu erlangen. […] Ihre Sprache befreit sich also zwangsläufig aus der Welt und löst damit auch sie selbst aus ihr heraus (und zweifellos hat die erotische Reduktion etwas mit der Dichtung gemeinsam, sodass jede Dichtung, in ihrem Grunde zumindest, von der Erotik herrüht und zu ihr zurückführt. Die Liebenden sprechen also, ohne etwas zu sagen, um die erotische Reduktion voll und ganz zu ihrem Abschluss zu bringen.“ (ebd., S. 215.) 129 Vgl. Agamben, Giorgio: Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides (Homo sacer; II.3). Aus dem Italienischen von Stefanie Günthner. Berlin 2008, S. 30f.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
die fides (den Glauben, das Vertrauen oder die Anerkennung) des Anderen.130 Der Versprechende bindet sich (als confessio) sowohl an sein eigenes Wort als auch an den Anderen, dem er sich verspricht. Er setzt sich um der Liebe und um des Anderen willen im Eid aufs Spiel.131 Durch diese Entscheidungsgeste, sich zu offenbaren und dem Anderen in präsentierter Verwundbarkeit ein Versprechen zu geben, kann man mit Žižek und Badiou herausstellen, dass das Liebesversprechen als subjektbildender Moment verstehbar ist.132 Das reziproke Liebesversprechen eröffnet einen schwebenden Raum, der mehr ist als die Summe und der semantische Inhalt der gesprochenen Worte. Die derart geäußerten Worte haben einen phänomenologischen Überschuss, weswegen auch die Worte für den Anderen als Angesprochenen zu solchen werden können, durch welche sich eine größere Wirklichkeit, die Liebe, zeigen kann.133 Der Überschuss in diesem Raum kann von einer engagierten Perspektive erkannt werden (und ist nicht von außen objektiv attestierbar); um diesen aber zu verstehen, braucht es noch eine reflektierte Deutung, die dem Phänomen in seiner reinen, unthematisierten Gegebenheit nicht inhärent ist. Der christlichen Theologie ist es möglich, diesen einbrechenden Überschuss gnadenhaft zu deuten, dass der dreieine Gott, der selbst die Liebe ist und den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, Grund und Inhalt dieser Erfahrung ist.134 Wenn im Liebesversprechen ein Raum entsteht, der Gott die Möglichkeit gibt, sich gnadenhaft durch das Antlitz des Anderen zu zeigen, ist der Andere nicht nur ein ausgewiesener Ort der Gotteserfahrung,135 sondern dann ist das reduktiv-erotische Geschehen zwischen den Liebenden ein exemplarischer Ort christlicher Mystik.136 130 Vgl. Agamben, Sakrament, S. 36f. Vgl. Ricœur, Die Fehlbarkeit des Menschen, S. 158-164. 131 Vgl. Agamben, Sakrament, S. 73. 89f. 132 Vgl. Žižek, Tücke, S. 175. Vgl. Badiou, SuE, S. 234. 249-251. 260. Vgl. ders., Paulus, S. 12. 22-25. 64-67. 133 Vgl. Marion, Erotische, S. 216f. Vgl. ders., Gott ohne Sein, S. 47. 224-231. 134 Vgl. Meuffels, Theologie der Liebe, S. 80-82. Vgl. Marion, Erotische S. 318f. 135 Vgl. Dirscherl, Sprechen Gottes, S. 48. 50. 52. Vgl. Marion, Erotische, S. 302. Deshalb ist es auch möglich von einer erotischen Herleitung der Ebenbildlichkeit des Menschen her, eine Analogie zwischen der erotischen Reduktion und dem Doppelgebot der Liebe (vgl. Mt 22, 34-40) auszuweisen. Der Andere wird zum Ort der Gottesbegegnung, weswegen Nächsten- und Gottesliebe nicht zu trennen sind. 136 Vgl. Marion, Erotische, S. 218. Vgl. Wendel, Saskia: Affektiv und inkarniert. Ansätze deutscher Mystik als subjekttheoretische Herausforderung. Regensburg 2002, S. 103-116. Wendel stellt die entscheidende Frage, wie man in der Spätmoderne trotz aller Kritik am Subjektbegriff festhalten kann. Dabei gründet sie ihren Subjektbegriff auf die Präreflexivität des Erlebens und des Erfühlens (vgl. ebd., S. 243-252. 266.), der durchaus seine Berechtigung hat, aber mit dem hier vertretenen Ansatz nur schwer zu harmonisieren ist.
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Der erotisch-geliebte Andere ist nicht in Ausschließlichkeit ein Ort der Gottesbegegnung und der Mystik, denn auch in der φιλια kann in (kontemplativer) Offenheit der freundschaftliche Andere zum Ort des Gnadeneinbruchs werden, durch dessen leibliches Antlitz die versöhnende Herrlichkeit Gottes sich heilend zeigen kann.137 In seinem Apostolischen Schreiben ‚Evangelii Gaudium‘ weist Papst Franziskus diese Brüderlichkeit als gnadenvollen Ort aus, der ein Heilmittel gegen die „Isolierung“ und einen „krankhaften Individualismus“ (EG 89) ist,138 denn eine Gesundung des Menschen kann sich nur in gemeinschaftlicher Art zueinander ereignen: Dort liegt die wahre Heilung, da die wirklich gesund und nicht krank machende Weise, mit anderen in Beziehung zu treten, eine mystische, kontemplative Brüderlichkeit ist, die die heilige Größe des Nächsten zu sehen weiß; die in jedem Menschen Gott zu entdecken weiß; die die Lästigkeiten des Zusammenlebens zu ertragen weiß, indem sie sich an die Liebe Gottes klammert; die das Herz für die göttliche Liebe zu öffnen versteht, um das Glück der anderen zu suchen, wie es ihr guter himmlischer Vater sucht. (EG 92)
Dieser Ort der Begegnung in Brüderlichkeit hat eine universelle Reichweite, weil sie sich nicht an singulären und exponierten Stellen vollzieht, sondern im unspektakulären Alltag ihren Platz hat: „Wandlung zur Brüderlichkeit geschieht ganz konkret und antizipiert, in jeder neuen Geste eine universale Utopie, die […] gleichzeitig profan und geistlich […] ist.“139 Erlösung und Vollendung haben einen präsentisch-eschatologischen Charakter und stehen in der Entfaltung – ein Schwebezustand, der weder reiner Beginn noch perfektives Ende ist, aber dadurch auch noch kein Ist-Zustand ist. Erlösung vollzieht sich nicht als göttliche Zwangsbeglückung (ohne Involvierung des Menschen), denn sie geschieht unter Achtung der Würde und der Freiheit des Menschen:140 Der Mensch ist selbst dazu aufgerufen, umzukehren und an der endzeitlichen Versöhnung mitzuwirken, was aber eine entschiedene Änderung seiner Perspektive notwendig macht: Ein neuer Blick auf den Nächsten als Anderen wird gebraucht. Im Blick der Zärtlichkeit komm kein 137 Vgl. Theobald, Christoph: „Mystik der Fraternité“. Kirche und Theologie im neuen Stil, in: Appel, Kurt/Deibl, Jakob Helmut (Hg.): Barmherzigkeit und zärtliche Liebe. Das theologische Programm von Papst Franziskus. Freiburg/Basel/Wien 2016, S. 21-38; hier: S. 25. Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 149. 138 Zitiert nach: Papst Franziskus. Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium. An die Bischöfe, an die Priester, an die Personen geweihten Lebens und die christgläubigen Laien über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (VAS; 194). Bonn 2013. Demnächst zitiert mit: EG. 139 Theobald, Mystik, S. 23. 140 Vgl. Kotsko, Politics of Redemption, S. 182f.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
Herrschaftsgestus zum Ausdruck, bei welchem sich der Menschen über seine Ohnmacht und die Unkontrollierbarkeit des Anderen (hinsichtlich eines narzisstischen Idealbildes) hinwegsetzen will.141 Die „Revolution der zärtlichen Liebe“ (EG 88), die durch die Inkarnation Jesu Christi möglich ist, beinhaltet eine optische Gerechtigkeit durch den zärtlichen Blick, die dem Nächsten in seiner unharmonischen und unwillkommenen Erscheinung dennoch Geltung verschafft und Anerkennung zukommen lässt, ohne seine Alterität einzuebnen.142 Eine Welt, die von Verschlossenheit und Isolation durch einen eigenmächtigen Herrschaftsgestus bestimmt ist, wird in ihrem (unerlösten) Ist-Zustand durch einen Blick und eine Praxis der Zärtlichkeit (vgl. EG 125. 264. 288) radikal in Frage gestellt. Die Zärtlichkeit kann trotz oder gerade wegen ihrer machtperspektivischen Niedrigkeit zu einer politischen Größe werden, die den ‚kompakten Monolith der Macht auf[bricht], wo die Subjekte in einer passiven Trauer dahinsiechen […].“143 Die christologisch-indizierte Zärtlichkeit ermöglicht es, den Anderen in seiner Leiblichkeit mit einem Antlitz sich neu zeigen zu lassen, um nicht durch eine Selbstermächtigungsgeste ein (illusorisches) Selbst zu erwirken, sondern durch den Anderen sich selbst zeigen und sich von der Gebundenheit einer narzisstischen Innerlichkeit befreien zu lassen. 3.4
Subjektivität, Personalität und Identität
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird ‚Subjekt‘ nahezu synonym zu ‚Person‘ verwendet; genauso wie in alltäglicher Sprachauffassung kein distinkter Unterschied zwischen ‚Subjektivität‘ und ‚Personalität‘ auszumachen ist. Zugegebenermaßen besitzen die jeweiligen Begriffe eine beträchtliche Schnittmenge, doch um in der Diskussion um die menschliche Identität auch präzise arbeiten zu können, lohnt es sich die jeweilige Semantik und den angegliederten Diskurs genauer in den Blick zu nehmen, um hieraus auch eine Differenz der Begriffe zueinander aufzeigen zu können.
141 Vgl. Guanzini, Isabella: Zärtlichkeit des Endlichen. Ästhetik und Politik der elementaren Relationen, in: Appel, Kurt/Deibl, Jakob Helmut (Hg.): Barmherzigkeit und zärtliche Liebe. Das theologische Programm von Papst Franziskus. Freiburg/Basel/Wien 2016, S. 207-217; hier: S. 211. Damit steht auch die Zärtlichkeit in enger Nähe zur Erotik und im Gegensatz zur Pornographie, die kein Berührtwerden zulässt, sondern in seiner Selbstberührung narzisstisch verschlossen ist. Vgl. Han, Agonie, S. 58f. 142 Vgl. Guanzini, Zärtlichkeit, S. 210-213. 216. 143 Guanzini, Zärtlichkeit, S. 216.
Subjektivität, Personalität und Identität
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Über Jahrhunderte hinweg stand das Subjekt für jene (autonome) Instanz, durch welche sich der Einzelne innerhalb der Gesellschaft oder in einem vergleichbaren Großhorizont verorten und sich gegenüber diesem verhalten konnte. Mit dem Subjektbegriff waren diskursiv auch weitere Vorstellungen gegeben, die dem Subjekt seine semantische Breite gaben: Würde, Autonomie, Moralität et cetera. Durch die romantische Subjektzentrierung und die Autonomiefixierung der Aufklärungsphilosophie wurde die Stellung des Subjekts bei Johann Gottlieb Fichte zum allesbestimmenden Moment in der Weltverortung: Das fichtesche All-Ich ist das Zentrum der Welt, wobei die heteronome Genese des Ichs durch das Nicht-Ich dieser Konzentration radikal entgegensteht. Bei Fichte ist alles um das Ich, und das Ich ist alles.144 Bei der Konstruktion einer solchen Hoheitsposition des Subjekts, das von Souveränität und Allmacht gekennzeichnet ist, wurden immense Punkte von Abhängigkeit, Ohnmacht und Heteronomie außer Acht gelassen, so dass die Subjektkritik Nietzsches unmissverständlich hinsichtlich der menschlichen Autonomie ausfällt. Das Subjektverständnis (insbesondere des 19. Jahrhunderts) zeigt sich für Nietzsche als die Manifestation des menschlichen Souveränitätsphantasmas („Subjekt- und Ich-Aberglaube“),145 während er das Subjekt unter den Aspekten von Unterworfenheit, Heteronomie und bewusstseinsprägender Leiblichkeit versteht:146 Unser Grad von Lebens- und Machtgefühl (Logik und Zusammenhang des Erlebten) giebt uns das Maaß von ‚Sein‘, ‚Realität‘, Nicht-Schein. Subjekt: das ist die Terminologie unsres Glaubens an eine Einheit unter all den verschiedenen Momenten höchsten Realitätsgefühls: wir verstehn diesen Glauben als Wirkung einer Ursache – wir glauben an unseren Glauben so weit, daß wir um seinetwillen die ‚Wahrheit‘, ‚Substanzialität‘ überhaupt imaginieren. ‚Subjekt‘ ist die Fiktion, als ob viele gleiche Zustände an uns die Wirkung eines Substrats wären: aber wir haben erst die ‚Gleichheit‘ dieser Zustände geschaffen; das Gleichsetzen und Zurechtmachen derselben ist der Thatbestand, nicht die Gleichheit (– diese ist vielmehr zu leugnen –).147 144 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre, S. 99 [{13}11]. 145 Nietzsche, Friedrich: Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (KSA; 5). München 1999, S. 9-243; hier: S. 11. 146 Vgl. Zima, Peter V.: Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne. Tübingen 42017, S, 131f. Vgl. Salehi, Djavid: Subjekt, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch, Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar 2011, S. 334f. 147 Nietzsche, Fragmente 1885-1887, S. 465. Vgl. Djuric, Mihailo: Nietzsche und die Metaphysik (Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung; 16). Berlin/New York 1985, S. 63. Auch wenn Nietzsche die neuzeitliche Subjektperspektive verwirft, beinhaltet sein Denken dennoch den Einbezug einer Ich-Instanz, die aber weder objektiv noch rein
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
Unter dem Einfluss Nietzsches und unter dem Anspruch der Aufklärung unredliche Vorannahmen und eingrenzende Mechanismen zu hinterfragen,148 stellte auch die Philosophie der Dekonstruktion und des Poststrukturalismus den autonomen Subjektstatus und dessen Vernünftigkeit in Frage. Ein Subjektverständnis, das von Autonomie, Unbedingtheit seiner Vernünftigkeit und Distanzierungsmöglichkeit gegenüber Freiheitseinschränkungen geprägt ist, verlor seit dem Ende des 19. Jahrhunderts deutlich an Plausibilität – es entleerte sich vielmehr dieses Verständnis im entscheidenden Maße,149 ohne aber selbst das Subjekt ohne Kampf aufzugeben. Der Aufklärungsanspruch gilt weiterhin; er wurde aber in seiner Dialektik erkannt: Wenn die Heideggersche Analyse des Bezuges zwischen Metaphysik, Humanismus und Technik Gültigkeit hat, war das Subjekt, das wir gegen die technische Enthumanisierung verteidigen sollten, eigentlich selbst die Wurzel dieser Enthumanisierung, da die Subjektivität, die sich nunmehr als Subjekt des Objektes bestimmt, eine reine Funktion der Welt der Objektivität ist und sogar dazu neigt, unaufhaltsam selbst Objekt der Manipulation zu werden. […] Der Ausgang aus dem Humanismus und aus der Metaphysik ist keine Überwindung, sondern eine Verwindung; die Subjektivität ist nicht etwas, das wir einfach liegenlassen können wie ein abgelegtes Kleid.150
Durch das Abtragen von Vorannahmen und geschichtlich bedingten Leitgedanken (Meta-Erzählungen)151 zeigt sich, dass eine objektive und evidente Weltdeutung mit einem Sinnzentrum nicht gegeben ist: Die menschliche Existenz ist durch radikale Kontingenz geprägt, und die Welt, in der der Mensch lebt, ist fragil und eindeutig. Diese Krise, als Implosion der (neuzeitlichen) Metaphysik, stellt sich für Vattimo als hausgemachtes Problem dar,152 indem das bürgerliche Subjekt die Welt verdinglichte, sich aus der dinglichen Welt als res cogitans ausklammerte und einen Dualismus von Subjekt und Objekt vernünftig ist, sondern leiblich und dezidiert interessegeleitet ist: Das Selbst. Vgl. Christians, Ingo: Selbst, in: Ottmann, Henning (Hg.): Nietzsche-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar 2011, S. 321-324; hier: S. 321-322. 148 Vgl. Engelmann, Peter: Einführung. Postmoderne und Dekonstruktion. Zwei Stichwörter zur zeitgenössischen Philosophie, in: Ders. (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart (RUB; 8668). Stuttgart 2007, S. 5-32; hier: S. 16. 149 Vgl. Zima, Theorie, S. 219f. 231. 150 Vattimo, Gianni: Das Ende der Moderne. Aus dem Italienischen übersetzt und hg. von Rafael Capurro (RUB; 8624): Stuttgart 1990, S. 53. 151 Vgl. Lyotard, Franςois: Das postmoderne Wissen (Edition Passagen). Wien 1986, S. 14. 152 Vgl. Vattimo, Ende der Moderne, S. 189f. So zeigt sich für Vattimo in dessen Lektüre Heideggers, dass die Metaphysik wie auch die Seinsvergessenheit dem Sein selbst als Geschick eingeschrieben ist.
Subjektivität, Personalität und Identität
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durch die res extensa erzeugte.153 Wegen einer notwendigen Verwindung des Subjekts, die weder das Subjekt in Gänze verwirft noch populär-hegelianisch aufhebt,154 plädiert Vattimo für ein von Nietzsche her entworfenes, schwaches Subjekt, das statt in einem verdinglichten Subjekt-Objekt-Dualismus seine Grundlegung in einer hermeneutischen Relationalität hat.155 Nimmt man hierzu noch den sekundären Status des eigenen Ichs, seine Heteronomie und seine kontingente Körperlichkeit wird die Ohnmacht des Subjekts eindeutig: Dieses Von-sich-Weggerissenwerden tief im eigenen Einssein, diese absolute Nicht- Übereinstimmung, diese Dia-Chronie des Jetzt bedeutet in der Gestalt des Einen, der vom Anderen durchdrungen ist. […] Die Subjektivität des Subjekts ist ebendies: Verwundbarkeit, dem Leiden ausgesetzt sein, Sensibilität, Passivität, die passiver ist als alle Passivität, unwiederbringliche Zeit, uneinholbare Dia-chronie der Geduld, Ausgesetztheit, die noch weiter auszusetzen ist, Ausgesetztheit, die auszudrücken ist und die insofern zu sagen und insofern zu geben ist.156 Der Andere zwingt sich mir auf als eine Forderung, die diese Freiheit dominiert, und von daher als etwas, das ursprünglicher ist als alles, was in mir vorgeht. Die außergewöhnliche Gegenwart des Anderen drückt sich darin aus, daß es mir ethisch unmöglich ist, ihn zu töten; dadurch bezeichnet er das Ende der Vermögen. Ich kann ihm gegenüber keine Macht mehr haben, weil er jede Idee, die ich von ihm haben kann, absolut überschreitet.157
Dieses Subjekt gilt es anders zu bestimmen: Sein autonom-statisches (ungeschichtliches) Sein wird als Phantasma und Projektion entlarvt. Das ironische 153 Vgl. Deibl, Jakob: Menschwerdung und Schwächung. Annäherung an ein Gespräch mit Gianni Vattimo (Religion and Transformation in Contemporary European Society; 5). Göttingen 2013, S. 229f. 154 Verwindung ist ein Terminus Heideggers, den dieser hinsichtlich seiner NietzscheInterpretation entwirft, um die Verwindung der Metaphysik durch Nietzsche aussagbar zu machen. Die Metaphysik ist aber ein hermeneutisches Traditionserbe, welches nicht selbst getilgt werden kann. Sie kann nicht überwunden werden, sondern bleibt im Andenken stets gegenwärtig und dennoch in Distanz. Sie wird einer Krankheit ähnlich verwunden, um daraus neues Potenzial zu schöpfen. Vgl. Heidegger, Martin: Überwindung der Metaphysik, in: Ders.: Vorträge und Aufsätze (GA; 7). Frankfurt 2000, S. 67-98; hier: S. 69: „Die Metaphysik lässt sich nicht wie eine Absicht abtun. Man kann sie keineswegs als eine nicht mehr geglaubte und nicht mehr vertretene Lehre hinter sich bringen.“ Vgl. Vattimo, Gianni: Abschied. Theologie, Metaphysik und die Philosophie heute. Aus dem Italienischen von René Scheu, Philipp Mayrhofer und Frederica Romani. Hg. und eingeleitet von Giovanni Leghissa. Wien 2003, S. 34-37. 117. Vgl. Deibl, Menschwerdung, S. 215. 155 Vgl. Deibl, Menschwerdung, S. 229-233. 105-107. 156 Levinas, Emmanuel: Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht. Aus dem Französischen übersetzt von Thomas Wiemer. Freiburg/München 1992, S. 121. Vgl. Marzano, Philosophie, S. 54. 157 Levinas, TU, S. 120.
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Stehen über den Dingen – vom cartesianischen cogito bis zu Fichtes All-Ich158 – wird als Illusion oder Projektion überführt, was die Inkonsistenz und Zerrissenheit des Subjekts (insbesondere des Subjekts Fichtes über die Grundlegung durch das Nicht-Ich) vor Augen führt. So zeigt sich bei Descartes das cogito nicht nur als leere (rein negative) Geste, sondern ist darüber hinaus eine leere Form und ein Riss in der Konsistenz der Ontologie;159 statt eines archimedischen Punktes weist sich das cartesianische Subjekt durch einen fundamentalen Mangel aus. Noch in deutlicherem Maße zeigt sich die Inkonsistenz des Ichs Fichtes, das alles in sich bergen und wissen will; selbst sein nicht harmonisierbarer Anstoß durch das Nicht-Ich soll ihm inhärent sein, weil es sein Anstoß ist: Es stimmt, dass Fichte selbst nicht in der Lage war, den präzisen Status des Anstoßes zu bestimmen […]. Was Fichte übersah, war, dass in der SubjektObjekt-Beziehung das Subjekt eine negative Entität, eine sich rein auf sich beziehende Negativität ist […]. Das heißt, obwohl Fichte wiederholt betont, dass das Subjekt kein Ding, sondern ein selbstbezüglicher Prozess, eine Tathandlung ist, fasst er es allzu positiv auf, wenn er erklärt, das absolute Ich (Subjekt) sei alle Realität – das Subjekt ist, im Gegenteil, ein Loch in der Realität. Als solches ist das Ich (Subjekt) nicht in der Position, seine Realität auf das Nicht-Ich (Objekt) zu ‚übertragen‘: es braucht vielmehr selbst ‚ein kleines bisschen Realität‘ (eines Objekts), um seine Mindestkonsistenz wiederzuerlangen. Das Subjekt kann folglich per definitionem nicht ‚vollständig‘ sein. Es ist in sich ‚durchkreuzt‘, es ist das paradoxe Resultat seinen Nicht-sein-Könnens.160
Es sollte daher nicht die sogenannte Postmoderne in ihrem popularphilosophischem Verständnis betrachtet, sondern als Weiterführung des Aufklärungsanspruches geachtet werden, wobei die dekonstruktivistische Reinigung als notwendiger Schritt für unbegründete oder unhaltbarer Vorannahmen erscheint: Das Aufzeigen von Fragilität und Inkonsistenzen sind unumgänglich, wenn es darum geht, kulturelle und intellektuelle Mechanismen zu ent-täuschen, die den Menschen entmündigen und seine Geworfenheit als Entwurfsexistenz verschleiern. Man begegnet der Dekonstruktion und dem Poststrukturalismus mit Unrecht, wenn man sie als décadence- oder
158 Vgl. Fichte, Wissenschaftslehre, S. 99 [{13}11]: „alles, was ist, ist nur insofern, als es im Ich gesetzt ist, und außer dem Ich ist nichts.“ 159 Vgl. Žižek, Slavoj: Tarrying with the Negative. Kant, Hegel, and the Critique of Ideology. Durham 1993, S. 12f. Vgl. Kotsko, Adam: Žižek and Theology. London/New York 2008, S. 51f. 160 Žižek, Weniger als nichts, S. 242.
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Verfallserscheinung brandmarkt, die zwangsläufig aporetische Indifferenzen oder Gleichgültigkeiten mit sich bringen.161 Dass eine Reinigung von Vorannahmen durch den Wegfall von selbstverständlichen Leitgedanken zu einer kritischen Situation führt, ist unbestritten; vorschnell urteilt man aber, wenn man die Linie von der sogenannte Postmoderne über die (wertneutrale) Indifferenz zum anschließenden Sinnvakuum zieht, wobei die sog. Postmoderne selbst für die Austauschbarkeit und das Marktverhältnis von Individuen, Beziehungen und Werten verantwortlich sei.162 Eine plausiblere Deutung scheint zu sein, dass durch die Erkenntnis des menschlichen Souveränitätsphantasma auch die Nicht-Evidenz einer letztbegründenden Sinnantwort folgt. Dass eine Evidenz nicht mehr gegeben ist (bzw. niemals war), bringt es auch mit sich, dass eine Wahrheitsforderung unter binärer Perspektive (absolut falsch vs. absolut richtig) unhaltbar wurde: Die Frage des Absoluten ist innerweltlich unentscheidbar – die Welt ist fragil und fragmentarisch. Diese Ernüchterung führte nicht zur Annahme einer ‚schwachen Subjektivität‘,163 sondern verstärkte eine Innerlichkeitsbewegung des Menschen: Es kam zu einer radikalisierten Subjektzentrierung in narzisstischer Ironie – Ironie als unengagierte, unauthentische und unwahrhaftige Distanzierungsgeste. Uneigentlichkeit und Narzissmus sind keine Produkte oder Modeerscheinungen der Postmoderne.164 Daher können auch ein 161 Hier scheint die Bewertung Zimas vorschnell gegenüber dem eigentlichen Anliegen der spätmodernen Philosophie. Vgl. Zima, Peter V.: Die Dekonstruktion. Einführung und Kritik (utb; 1805). Tübingen 22016, S. 353f. 162 Diese Ansicht lässt sich bei Zima finden: Vgl. ders., Theorie, S. 195-197. Die Austauschbarkeit und die Marktgestalt von Werten lassen sich als Prozessbeginn ab dem 16. Jahrhundert belegen. Die Radikalisierung dieser Entwicklung geschah durch das exzessive Marktkonkurrenzdenken des Hochkapitalismus, wobei das Geld als universal quantifizierbarer Tauschwert für alles (so auch Werte, Beziehungen und Ähnliches) einsteht. Vgl. Hahn, Hans Peter: Notizen zur Umwertung der Werte. Perspektiven auf ökonomische Konzepte im interdisziplinären Diskurs, in: Klein, Inga/Windmüller, Sonja (Hg.): Kultur der Ökonomie. Zur Materialität und Performanz des Wirtschaftlichen (Edition Kulturwissenschaft; 25). Bielefeld 2014, S. 17-36; hier: S. 24. Das Geld ist einer der maßgeblichen Faktoren, die zur Nivellierung der Alterität beigetragen haben, weil nur ein quantifizierbares Ding verwertbar ist: Es führt in zwischenmenschlicher Perspektive zur ‚Hölle des Gleichen‘ (Han, Agonie, S. 54.). Die Dekonstruktion kann daher als theoretische Reaktion darauf verstanden werden, einen Versuch zu wagen, eine angemessenere Form des Individuums in Freiheit zu denken. Vgl. Engelmann, Einführung, S. 9f. 163 Vgl. Vattimo, Glauben, S. 27f., 90-99. 164 Sie können vielmehr als Konsequenz einer existenziellen Grundverfassung verstanden werden. Vgl. Heidegger, SuZ, S 126f.: „Das Wer ist nicht dieser und nicht jener, nicht man selbst und nicht einige und nicht die Summe aller. Das ‚Wer‘ ist das Neutrum, das Man. […] In dieser Unauffälligkeit und Nichtfeststellbarkeit entfaltet das Man seine eigentliche Diktatur. […] Abständigkeit, Durchschnittlichkeit, Einebnung konstituieren als
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
petrakistischer oder allegorischer Barock unter einem vanitas-Vorzeichen wie ein Stoizismus wie auch der Epikureismus in dieser Hinsicht als Vorbereiter der Moderne mit einer Innerlichkeitsbewegung in ironischer Einfärbung gedeutet werden.165 Gegenteilig zur ausklammernden und ironischen Innerlichkeitsbewegung steht die engagierte Kritik, die eine dezidierte Haltung des Selbst erfordert und ohne eine Ich-Instanz unmöglich ist. Dass Michel Foucault seine Diskursanalysen nicht um der Verunsicherung willen betreibt, sondern dass sie aus einem emanzipatorischen Anliegen hervorgehen, zeigen seine späten Arbeiten. Im besonderen Maße sind hier der Vortrag ‚Was ist Kritik?‘ und seine Vorlesungen am Collège de France ‚Der Mut zur Wahrheit‘ zu nennen, die die Einnahme einer Haltung des Einzelnen als notwendig ausweisen. Kritik als „Nicht regiert werden wollen“166 zeigt sich für ihn in Kontinuität zur Emanzipationsbewegung der Aufklärung im Sinne Kants, dass hier keine stumpfe Ablehnung maßgeblich erschiene, sondern aufklärerische Kritik Reflexion der eigenen Lebenswelt mit anschließender Haltungseinnahme mit sich bringt.167 Von hier aus lässt sich auch mit Foucault folgern, dass Kritik ohne eine subjektivierende Geste der Positionierung, also Kritik ohne ein Subjekt bzw. eine engagierte Ich-Instanz, nicht möglich ist. Geht man noch von einem vor-kritischen Wahrheitsverständnis aus, das Wahrheit als Übereinstimmung von Tatsachen und intellektueller Anschauung (adaequatio rei ad intellectum) versteht,168 kann Wahrheit noch ein Begriff von Objektivität und Evidenz sein. Die kantische Kritik169 und die dekonstruktivistischen Analysen haben klar werden lassen, dass echte Objektivität Seinsweisen des Man das, was wir als ‚die Öffentlichkeit‘ kennen. […] Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich auch immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab. […] Das Man entlastet so das jeweilige Dasein in seiner Alltäglichkeit.“ Vgl. Kierkegaard, Sören: Die Krankheit zum Tode (Gesammelte Werke; 17). Simmerath 2003, S. 18. Demnächst zitiert mit: KzT. 165 So lässt sich mit Benjamin in der Allegorie des Barock die unendliche Signifikantenkette finden, die eine Bedeutungsauflösung konstatiert. Was Benjamin hier anzeigt, kann gleichermaßen bei Derrida und der différance gefunden werden. Vgl. Benjamin, Walter: Ursprung des deutschen Trauerspiels. Hg. v. Rolf Tiedemann (stw; 225). Frankfurt 1978, S. 206-211. Auch für Lacan ist der Narzissmus eine überzeitliche menschliche Pathologie und keine gesondert moderne-postmoderne Erscheinung. Vgl. Lacan, Seminar I, S. 167184 [31. März 1954]. 166 Foucault, Michel: Was ist Kritik?. Aus dem Französischen von Walter Seitter. Berlin 1992, S. 12-14. 167 Vgl. Foucault, Kritik, S. 16-18. 41. 168 Vgl. Heidegger, Wesen der Wahrheit, S. 179. 169 Insbesondere: KrV.
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und Evidenz in der menschlichen Lebenswelt leider projektiv und nicht real gegeben sind. Will man aber die Wahrheit als Anspruch nicht fallen lassen, kann dies über die Haltung und das Wahrsprechen eines einzelnen (schwachen) Subjekts gegenüber einem Anderen erfolgen, wobei sich in diesem eidgemäßen Wahrsprechen der Einzelne entblößt und angreifbar macht; also sich aufs Spiel setzt,170 aber als Einzelner erkennbar und anerkennbar wird. Im ‚martyrion tes aletheias‘171 als Manifestation der subjektiv-kritischen Haltung und der Beachtung der Wahrheit als Anspruch stellt [sich dies] notwendigerweise [als] einen Bruch mit Konventionen, Gewohnheiten und Werten der Gesellschaft dar. Durch seine sichtbare Form, durch seine beständige Praxis und seine unmittelbare Existenz muß er [der Einzelne] direkt die Möglichkeit und den offensichtlichen Wert einer anderen [subjektiven] Lebensführung aufzeigen, die das wahre Leben ist.172
Diese parrhesia (Wahrsprechen) erfordert deshalb entschiedenen Mut, weil sie den Einzelnen zwar als Subjekt präsentiert, welches aber nur einen schwachen und fragilen Status hat: das Wahrsprechen ist vielmehr dem Risiko und der Gefahr ausgesetzt, den Menschen zu sagen, was sie an Mut brauchen und was es sie kosten wird, um ihrem Leben einen gewissen Stil zu verleihen.173
Diesen Mut braucht es aber, um die Frage nach dem wahren Leben und der eigenen Identität als existenzielle Herausforderung ernst zu nehmen.174 Mut erscheint somit als konstitutiver Faktor, um eine subjektive und dadurch auch streit- und kritisierbare Position einzunehmen, die nicht in einer ironischen und/oder unkritisch-unreflexiven Haltung der Unentscheidbarkeit eingeebnet ist. Versteht man den Menschen nicht statisch, sondern als geschichtlichprozesshaftes Wesen, gilt es dies auch für seinen Subjektstatus als maßgeblich zu nehmen. Echte Subjektivität geschieht durch eine subjektive Selbstverortung und Positionsnahme in und gegenüber der Gesellschaft sowie einer akut anfragenden Idee (z.B. Kapitalismus, Liebe, Menschenwürde, Marxismus 170 Vgl. Agamben, Sakrament, S. 86. 89f. 171 Foucault, Michel: Der Mut zur Wahrheit. Vorlesung, S. 229. 172 Foucault, Mut zur Wahrheit, S. 242f. 173 Foucault, Mut zur Wahrheit, S. 212. 174 Vgl. Foucault, Mut zur Wahrheit, S. 286-295. Von der Kritik und der Wahrheit als Anspruchshorizont lässt sich eine Parallele zwischen Foucault und der Kritischen Theorie Adornos und Horkheimers erkennen. Vgl. Zima, Theorie, S. 231-234.
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et cetera). Für Alain Badiou und Slavoj Žižek sind der Subjektstatus eines Menschen dadurch gegeben, dass er diesen Status durch eine Subjektivierungsgeste der Positionsnahme einnimmt.175 Badiou führt hierzu Blaise Pascal mit seiner Wette an, um die Entscheidungsnotwendigkeit eindeutig aufzuzeigen: Der berühmte Text über die Wette […] besagt nur, dass die Wahl, insofern der Kern der Wahrheit darauf beruht, dass das Ereignis, in dem sie ihren Ursprung hat, unentscheidbar ist, ihrerseits in Bezug auf dieses Ereignis unausweichlich ist. Sobald eine Avantgarde von Eingreifenden – die wahren Christen – entschieden hat, dass Christus der Grund der Welt sei, können sie nicht mehr so tun, als ob Sie [sic] nicht hätten wählen können. Das eigentliche Wesen der Wette ist, dass gewettet werden muss, und nicht, dass man, nachdem man zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Wette notwendig ist, das Unendliche eher als das Nichts wählt (was sich von selbst versteht). […] Man ist gezwungen zu wählen.176
Die Subjektivierungsgeste der Entscheidung steht nicht gegenüber einem alltäglichen Phänomen aus, sondern geschieht gegenüber dem im Vorfeld unentscheidbaren und irritierenden Ereignis, das nicht aus dem gegebenen Welthorizont des Einzelnen ableitbar oder verständlich ist. Der unvorhersehbare, kontingente Einbruch des Ereignisses stellt eine maximale Irritation für den Menschen dar, dessen prä-subjektive Welt einfach geordnet und verständlich ist, und durch das Ereignis in Frage gestellt wird. Badiou und Žižek greifen, um die Verunsicherung und Irritation des Ereignisses durch seine nicht vollständig harmonisierbare Alterität darzustellen, auf den Begriff des Realen nach Lacan (aus dessen Wirklichkeitstriade) zurück: Es ist ein „ursprünglich Unwillkommenes“,177 weil es eine traumatische Erfahrung und eine Spaltung bzw. Entfremdung vom vorherigen, beruhigten und durch Wissen kontrollierbaren Horizont des Menschen mit sich bringt: „Das Wissen beruhigt die Passion des Seins.“178 Das Wissen unterliegt aber dem Ereignis – es erscheint dem Menschen, dem es sich präsentiert, illegal.179 Das Treffen auf das Reale und die Infragestellung der eigenen Welt evozieren Angst, denn sein Einbruch zeigt dem Einzelnen seine Unsouveränität – Angst als das Bewusstwerden der eigenen Ohnmacht und der Fragilität der eigenen, 175 Vgl. Žižek, Tücke, S. 185. Vgl. ders., Weniger als nichts, S. 110. 176 Badiou, SuE, S. 250f. Vgl. ders.: Theorie des Subjekts. Aus dem Französischen von Heinz Jatho (transpositionen). Zürich/Berlin 2014, S. 122f. Eine Nicht-Entscheidung, ein Verbleiben im Vagen und Unentschiedenen zeichnet einen prä-subjektiven Zustand oder eine ‚Entsubjektivierung‘ (ebd., S. 230.) aus. 177 Lacan, Seminar XI, S. 75. 178 Badiou, SuE, S. 332. Vgl. ders., Theorie, S. 38. 189: Das Ereignis bricht ein – es erscheint am Unort. Vgl. Žižek, Tücke, S. 193. 179 Vgl. Badiou, SuE, S. 323-332.
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alltäglichen Weltdeutung.180 Diesem Ereignis muss man sich gegenüber verhalten und eine Position einnehmen: Die Grundentscheidung als ethische und subjektivierende Geste ist dem Einzelnen anheimgestellt und kann nicht übertragen werden: Wird das Ereignis angenommen oder verharrt man wegen der Illegalität und der Unentscheidbarkeit in einer Distanzierungsgeste.181 Durch die Entscheidung dafür – trotz seiner Unentscheidbarkeit – kommt es vom Einzelnen zu einem Bekenntnis; er nimmt eine dezidierte Position ein, aber durch die Alterität und die Unbeherrschbarkeit entsteht hier kein Subjekt als Souverän, sondern es zeigt sich das Subjekt in seiner Abhängigkeit, perspektivischen Enge, Angst und Kontingenz:182 Das Subjekt ist schwach,183 aber in seinem Entscheidungsbekenntnis zeigt es, dass es dem Ereignis vertraut.184 Das Bekenntnis gegenüber dem Ereignis ist nicht punktuell gegeben, sondern wird prozesshaft verwirklicht, indem sich das Subjekt an das Ereignis bindet und in Treue von seiner überzeitlichen Gültigkeit ausgeht. Die Wahrheit des Ereignisses steht in der Klammer vom präsentischen Einbruch und ausstehendem Ausweis, weswegen die angemessene Sprache des Glaubens bzw. des Vertrauens an dessen Gültigkeit das Futur II ist.185 Einbruch, Irritation, Bekenntnis und Treue ermöglichen es dem Subjekt in der Rekomposition von ereignisloser Vergangenheit und ereignisvoller Gegenwart, ein neues Narrativ auszubilden, das über das Ereignis – als bisher unerkannt, aber überzeitlich gültig – ein nun erkanntes Sinnzentrum hat.186 Das Ereignis ist daher ein generisches Moment, das eine neue Deduktion und Sinnstruktur ermöglicht.187 Seine Richtigkeit ist nicht aus dem perspektivlosen Weltwissen erkennbar, sondern zeigt sich als unentscheidbar; mit der engagierten Entscheidung 180 Vgl. Badiou, Theorie, S. 195. 369. 181 Vgl. Badiou, Theorie, S. 230. 390. Vgl. ders., Sein, S. 234. 250f. 260. Vgl. Žižek, Tücke, S. 192. 182 Diese Reflexionsgeste der Subjektivierung fehlt leider im Personalitätskonzept Osters, der eine kindlich-naive Rezeptivität des Staunens als angemessene Haltung des Einzelnen als maßgeblich für die personale Erfahrung in der eigenen Lebenswelt erachtet. Eine Welt, die von unwillkommener und irritierender Alterität geprägt ist, kommt bei ihm nicht in den Blick. Vgl. Oster, Stefan: Person und Transsubstantiation. Mensch-Sein, Kirche-Sein und Eucharistie – eine ontologische Zusammenschau. Freiburg/Basel/Wien 2010, S. 80f. 178-183. 220-223 u.ö. 183 Vgl. Badiou, Theorie, S. 195. 369. Das Subjekt verweigert sich eines konstruierten und dadurch kontrollierbaren symbolischen Fundamentalphantasmas (das Symbolische) und entscheidet sich für das Trauma in der Begegnung mit dem Realen, das es nicht kontrollieren kann. Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 106f. 184 Vgl. Badiou, SuE, S. 378-380. 382. Vgl. ders., Theorie, S. 327f. „Das Vertrauen erlaubt … zu beziehen“ (ebd., S. 328.). 185 Vgl. Badiou, SuE, S. 444-446. Vgl. ders., Paulus, S. 68f. 186 Vgl. Badiou, SuE, S. 285. 445. Vgl. ders., Theorie, S. 326. 331. 351. 362f. 187 Vgl. Badiou, SuE, S. 285. 445.
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kommt es simultan zu einer neuen, erweiterten Perspektive (die eigentliche subjektive Perspektive), die das Alte, Voreignishafte und Alltägliche nicht aufkündigt, sondern in Treue neu anordnen und ein fokussierendes Sinnzentrum mit einer internen Plausibilität versehen kann – das Ereignis erhält durch die Bekenntnisgeste einen axiomatischen Status. Um aber diese Subjektivierungsgeste in ihrer existenziellen Dimension anschaulich aufzeigen zu können, greifen Badiou und Žižek auf Paulus als notwendige Figur zurück, mit welchem sie den Subjektivierungsprozess gegenüber dem Ereigniseinbruch plausibilisieren können.188 Das Treffen auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus ist eine radikale Irritationserfahrung, die sich nicht mit dem bisherigen Weltwissen harmonisieren lässt und daher weder verifiziert noch falsifiziert werden kann – also von den Kategorien des Wissen unentscheidbar ist und vielmehr als illegal erscheint. Kreuz und Auferstehung erscheinen der unentschiedenen, alltäglichen Perspektive als Torheit und als Skandalon (vgl. 1 Kor 1, 18-25), weil sie sich nicht durch (zeichenhaftes/prophetisches oder weisheitliches/philosophisches) Wissen beherrschen lassen kann.189 Das Ereignis ist prekär und subversiv – es kann nicht durch Wissen gezähmt werden, weswegen Badiou Paulus auch als Antiphilosophen präsentiert, der sich nicht von dem Autonomiegestus des Wissens bestimmen lässt, sondern sich zu dem heteronom einbrechenden Ereignis bekennt und in Treue an ihm festhält.190 Das Ereignis Christi fordert den Einzelnen in undelegierbarer Weise zur Entscheidung heraus, in der Bekenntnisgeste eine existenzielle Wahl zu treffen – Annahme in prekär-rezeptiver Offenheit oder Weigerung im narzisstischen Souveränitätsphantasma.191 Der Vorrang der Torheit vor der Weisheit, der Schwachheit vor der Stärke, organisiert das Verschwinden der Herrschaftsformel, ohne die die Philosophie nicht sein kann. Von nun an ist es nicht einmal mehr möglich, über die Philosophie [als Diskurs der objektiven Kriteriologie] zu diskutieren, festzustellen ist vielmehr ihre effektive Ungültigkeit, ebenso wie die jeder Figur von Herrschaft überhaupt.192
188 Es liegt durchaus ein gewisser Witz darin, dass zwei Atheisten nicht nur eine christliche Gründungsgestalt als Figur, sondern auch das christliche Narrativ der Kreuzigung und Auferstehung Christi brauchen, um eine säkulare Subjektivität auszuweisen, die nicht auf einem metaphysischen Substanzdenken fußt. 189 Vgl. Badiou, Paulus, S. 53-57. 59-61. 190 Vgl. Badiou, Paulus, S. 61. 65-69. 74f. 191 Vgl. Badiou, SuE, S. 378-380. 382. 445. Vgl. Badiou, Paulus, S. 95. 192 Badiou, Paulus, S. 74f.
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So sind die Begriffe πνευμα und σαρξ bei Paulus als Metaphern der existenziellen Entscheidung zu verstehen, die keine Leibfeindlichkeit mit sich bringen. Sie markieren eine geistige Offenheit oder eine fleischlich-narzisstische Verschlossenheit. Die notwendige Entscheidungsgeste, die eine Subjektivierung zur Folge hat, weil sie eine dezidierte Perspektive mit sich bringt und den Einzelnen aus der perspektivlosen Uneigentlichkeit (des Letzten Menschen) holt, verbindet Paulus mit Friedrich Nietzsche. Badiou kann über die Subjektivierung zeigen, dass Paulus und Nietzsche keine Antipoden völlig konträrer Lebenskonzepte sind, sondern parallele Ansichten vertreten: Will nicht Nietzsche selbst, nach der gegenwärtigen nihilistischen Dekadenz des Menschen ‚das Schwergewicht‘ seines Lebens verschieben? Und braucht er für diese Operation nicht drei miteinander verbundene Terme, deren Erfinder Paulus ist, nämlich die subjektive Verkündigung, die sich nur durch sich selbst autorisiert (die Person Zarathustras), die in zwei Stücke gebrochene Geschichte (die ‚große Politik‘) und, als Ende der Versklavung durch die Schuld und als Bejahung des Lebens, den neuen Menschen (den Übermenschen)? Die Schärfe Nietzsches gegen Paulus erklärt sich nur daraus, dass er weit mehr als sein Gegner sein Rivale ist.193
So ist es möglich, den eigentlichen Grund für die Verwerfung zwischen Nietzsche und Wagner in der Entscheidungsgeste des Existenzentwurfs anzunehmen. Nietzsche wirft Wagner „Falschheit“ und „Instinkt-Doppelzüngigkeit“ vor, der zwischen „Herren-Moral“ und „Evangelium der Niedrigen“ keinen Fundamentalunterschied erkennen.194 Wagner war für Nietzsche mit Hannah Arendt gesprochen kein Lügner, sondern kann als Verlogener gesehen werden, dem selbst die Differenz zur Unwahrheit nicht mehr bewusst ist:195 Wagner ist für Nietzsche das Paradigma des modernen Menschen.196 193 Badiou, Paulus, S. 78. Vgl. ebd., S. 91f. 194 Nietzsche, Friedrich: Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem (KSA; 6). München 1999, S. 9-53; hier: S. 51. 195 So gibt Arendt an, „daß nur der kaltblütige Lügner sich noch des Unterschieds zwischen Wahrheit und Unwahrheit bewußt ist, noch hinzufügen, daß der Wahrheit mit dem Lügner besser gedient ist als mit dem Verlogenen, der auf seine eigenen Lügen hereingefallen ist; sie ist doch nicht ganz und gar aus der Welt herausmanövriert, in dem Lügner selbst hat sie ihre letzte Zuflucht gefunden“ (Arendt, Hannah: Wahrheit und Lüge in der Politik. Zwei Essays. München 1972, S. 80.). 196 Vgl. Nietzsche, Fall Wagner, S. 52f.: „Der moderne Mensch stellt, biologisch, einen Widerspruch der Werthe dar, er sitzt zwischen den Stühlen, er sagt in Einem Athem Ja und Nein. […] Eine Diagnostik der modernen Seele – womit begönne sie? Mit einem resoluten Einschnitt in diese Instinkt-Widersprüchlichkeit, mit der Herauslösung ihrer Gegensatz-Werthe, mit der Vivisektion vollzogen an ihrem lehrreichsten Fall.“ Vgl. Zima, Theorie, S. 76.
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Eine bedeutsame Differenz zwischen Paulus und Nietzsche zeigt sich jedoch hinsichtlich der Zulassung von Alterität in der Begegnung: Für Paulus stellt Alterität kein Problem hinsichtlich ihrer Beherrschbarkeit dar, weil er einen Diskurs der Schwäche und der Unbeherrschung vertritt (vgl. 1 Kor 1, 27-31) – die Herrlichkeit des Kreuzes und der Auferstehung strahlen jenseits menschlicher Souveränitätsphantasmen, wie es Paulus in seiner Narrenrede in Zweiten Korintherbrief darlegt: Er aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. (2 Kor 12, 9f.)197
Vertrackter zeigt sich die Sache allerdings bei Nietzsche, der sich trotz der Überwindung, Verwindung oder Demontage der Ontotheologie in einer egologischen Schieflage befindet und dadurch befremdende Alterität kaum in den Blick bekommen kann. Demontage der Metaphysik geschieht von ihm natürlich nicht von einer objektiven, überzeitlichen Position; sonst steckte er in einem exemplarischen Zirkelschluss. Er verwindet die Metaphysik von einer egologisch-subjektiven Warte aus. Deshalb kommt es auch zur Kritik von Levinas an Nietzsche, dass eine wirklich Überwindung der Metaphysik, der Ontotheologie und des Subjekt-Objekt-Dualismus erst dann möglich wäre, wenn echte Alterität Raum erhält und eine egologische Verengung überwunden wird.198 Der schwache Status des Subjekts ist dadurch entscheidend markiert, dass der kontingente Einbruch des Ereignisses nicht erzwingbar, instrumentalisierbar oder kontrollierbar ist – das Ereignis (Einbruch des lacan’schen Realen) ist unwillkommen, weil es unbeherrschbar ist.199 Das Ereignis Christi ist daher reine Gnade – der kontigente Einbruch des Absoluten in die Fragilität der Welt, ohne eine evidente Deutung dem Einzelnen aufzuzwingen.200 Das christliche 197 Vgl. Klauck, Hans-Josef: 2. Korintherbrief (NEB; 8). Würzburg 21988, S. 95: „Die paradoxe Behauptung, daß sie [die Gnade] nicht dort [in Wundertaten, Ekstasen oder Charismen], sondern in menschlicher Schwachheit an ihr Ziel kommt, ist nichts weniger als ein christliches Grundgesetz, ist Magna Charta christlicher Existenz. Dieser Grundsatz hat sich an Jesus bewahrheitet, weil Gott ihn in seiner Kraft durch die Auferweckung aus dem Kreuzestod als Zeichen letzter Entäußerung errettet hat […].“ 198 Vgl. Böning, Thomas: Ecce homo philologicus, oder: Die Freundschaft zum Wort als Sprengsatz der Egologie. Nietzsche vom Alteritätsdenken her gelesen, in: NietzscheStudien (1999) 28, S. 1-37; hier: S. 1-5. Vgl. Pfeuffer, Silvio: Die Entgrenzung der Verantwortung. Nietzsche – Dostojewski – Levinas. Berlin 2008, S. 27f. 199 Vgl. Žižek, gnadenlose Liebe, S. 122. Vgl. Lacan, Seminar XI, S. 60f. 74-76. 200 Vgl. Badiou, Paulus, S. 58. 80. 89. 95. 97-99. 106. 133. Vgl. Žižek, gnadenlose Liebe, S. 146. 177.
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Subjekt entsteht nicht durch eine Innerlichkeitsbewegung, sondern ist dieser diametral entgegen gesetzt: Die Heilung der narzisstischen Selbstverschlossenheit beginnt mit dem „Schock der äußeren Begegnung“.201 Ein eklatanter Differenzpunkt hinsichtlich der Subjektwerdung durch die Begegnung tritt zwischen Badiou und dem christlichen Verständnis hervor: Während es für Badiou keine Schwierigkeiten bereitet, ein Ereignis in den Revolutionen von Frankreich (1789), Russland (1917) sowie vom Mai 1968 und gleichermaßen in der Auferstehung Christi zu sehen,202 hat das Ereignis Christi nicht nur einmaligen Charakter (vgl. DV 4) – es ist auch die Selbstoffenbarung Gottes (vgl. DV 6. 17): Er ist keine Idee. Er ist lebendig und zeigt dem Menschen sein irritierendes, aber heilbringendes Antlitz:203 So ist das Kreuz der ultimative (und unüberholbare) Offenbarungsort der Begegnung von Gott und Mensch, durch welches der Tempel als vermittelnder Ort entfunktionalisiert wurde (vgl. Mk 15, 38f.).204 Es lassen sich zwar bei Badiou, Žižek und auch Kierkegaard parallele Denkbewegungen von Ereignis, Entscheidung und Subjektivierung ausmachen, aber dennoch werden sie der Ebene, auf welcher Gott dem Menschen begegnet, nicht gerecht. Kierkegaard bestimmt den Menschen durch zwei grundlegende Momente: Der Mensch ist zum einen als geistiges Wesen reflexiv zu sich zu verorten, wobei er nochmals eine willentliche Positionierung zu sich vornehmen muss.205 Der Mensch steht nicht in Unmittelbarkeit zu sich selbst, sondern die reflexive Minimaldifferenz bedingt ein ‚schiefes‘ Verhältnis zu sich selbst. Dieses ‚schiefe‘ Verhältnis wird zum zweiten noch dadurch potenziert, dass das menschliche, individuelle Sein durch unbewusste oder bewusste Verzweiflung bestimmt ist.206 Personelle Desintegration ist daher ein grundlegendes Merkmal menschlichen Seins – Selbstwerdung vollzieht sich durch den Sprung in
201 Žižek, Lacan, S. 131. Vgl. ders., Ereignis, S. 42. Vgl. Badiou, Paulus, S 12. 22-25. 64-67. 202 Vgl. Badiou, Theorie, S. 172f. Vgl. ders., Sein, S. 206f. 232. 203 Das Kreuz wird von Žižek deutlich stärker in seiner Irritationskraft als Einbruch des Realen in den Fokus genommen, während Badiou sich mehr am Glanz der Auferstehung orientiert. Vgl. Kotsko, Žižek, S. 79. 204 Vgl. Gnilka, EKK II/2, S. 323f. 205 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 8: „Der Mensch ist Geist. […] Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das das im Verhältnis, daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält. Der Mensch ist eine Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen Zweien. So betrachtet, ist der Mensch noch kein Selbst.“ 206 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 18. Die Verzweiflung ist universelles Konstitutivum des Menschen, das nur dadurch nicht wäre, indem man die Verzweiflung im Glauben überwunden hätte und zu einer gelungen personellen Integrität gekommen wäre.
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den Glauben, wie es Kierkegaard an Abraham aufzeigt.207 Glauben als vertrauende und inhaltlich leere Hoffnungsgeste, die sich auf nichts stützt als auf das Vertrauen selbst, ist auch die Überwindung der Verzweiflung.208 Der Übergang von Verzweiflung zum Glauben besitzt daher eine besondere Brisanz, weil hier Gnade und Begegnung (als unmittelbare Beziehung zu Gott) im dezidiert christlichen Verständnis virulent werden. Kierkegaard versteht das Erwachen aus der unbewussten Verzweiflung zur bewussten Verzweiflung und Angst hin zum Glauben als ein passives Geschehen, das mit Alterität und Irritation in die Welt des Einzelnen einbricht und in der Angst-Evozierung ein dialektisches Geschehen auslöst: Angst, wobei bei ihm Angst und Verzweiflung in ihrer bewussten Erscheinung synonym gesehen werden können, unterscheidet sich von Furcht in der Hinsicht, dass Angst inhaltlich leer ist und die reine Möglichkeit (zum reflexiven Neuentwurf) in Gebundenheit an das eigene Leben (in dessen Kontigenz) anzeigt:209 die Angst dagegen ist die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit. Man wird so beim Tier keine Angst finden, eben weil es in seiner Natürlichkeit nicht als Geist bestimmt ist.210
Angst ist somit ein Grenzphänomen der radikalen Verunsicherung (über die eigene Kontingenz bzw. Endlichkeit), wobei Angst auch ein Reinigungsphänomen für die eigenen unhaltbaren Freiheitsphantasmen darstellt, wenn ‚sie alle Endlichkeiten verzehrt, alle Täuschungen an ihnen entdeckt.‘211 Angst und Bewusstheit über die eigene Verzweiflung als Erkennen der eigenen Sündigkeit sind eine felix culpa und dadurch dialektisch bestimmt,212 weil sie als Phänomene des Erwachens eine reflexive Entscheidungsmöglichkeit eröffnen: Zum Glauben. Doch wie dieses Erwachen als passives, gnadenhaftes Einbrechen bestimmt werden kann, bleibt bei Kierkegaard eigenartig unbestimmt: Das Verhalten gegenüber Christus ist vor allem ein Verhalten sich selbst gegenüber und eine reflexiv-geistige Neupositionierung zum eigenen Leben – es geht um 207 Vgl. Kierkegaard, FuZ, S. 30-32. 208 Vgl. Kierkegaard, FuZ, S. 34. 63. 209 Vgl. Lincoln, Ulrich: Wachen und Erwachen – Eschatologische Variationen bei Levinas und Kierkegaard, in: NZSTh (2015) 57/2, S. 179-199; hier: S. 191. 210 Kierkegaard, Sören: Der Begriff Angst (Gesammelte Werke und Tagebücher; 7). Simmerath 2003, S. 40. Demnächst zitiert mit: BA. 211 Kierkegaard, BA, S. 161. Vgl. Lincoln, Wachen, S. 192. 212 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 22: Es ist ein Unglück, nicht verzweifelt gewesen zu sein, weil erst aus der Verzweiflung selbst Heilung erwachsen kann. Verzweiflung und Angst sind deshalb als Sünde zu klassifizieren, weil sie eine nicht vertrauende Haltung der Distanz gegenüber Gott markieren. Vgl. Lincoln, Wachen, S. 193.
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den ‚Ernst der eigenen Existenz‘.213 Glaube ist in dieser Hinsicht eine radikalisierte Innerlichkeitsbewegung – und keine Dezentrierung.214 Einen externen, dezentrierenden Anstoß, wie durch das Nicht-Ich Fichtes, scheint bei Kierkegaard nicht denkbar – vielleicht auch in seiner Abneigung gegen den Deutschen Idealismus.215 Das Erwachen durch den dezentrierenden Einbruch von außen ist ein entscheidender Punkt im Werk von Levinas, der als Vorgang im Zwischenbereich von Aktivität und Passivität den Einzelnen aus der subjektlosen Anonymität, die weder Subjekt noch Objekt, weder Ich noch Anderer kennt, herausnimmt und die Möglichkeit eines Selbstvollzugs (nach innen und außen) ermöglicht.216 Es besitzt für Levinas eine größere Semantik als alleine die Beschränkung auf einen physiologischen Prozess, sondern er möchte die Wachsamkeit als ethische Haltung ausweisen, die dem Einzelnen eine lebenslange Aufgabe dem Anderen gegenüber bleibt, der ihn hat erwachen lassen. Diesem Anderen gilt es, in dessen Alterität verantwortlich zu begegnen und sich nicht im „dogmatischen Schlaf“ einzurichten,217 der durch trügerisches Scheinwissen markiert ist.218 Wachheit als Forderung ist ein Lebensproramm, das Levinas im Anschluss an Edmund Husserl und seine phänomenologische Reduktion entfaltet; dabei kritisiert, verschärft und hebt er die Egologik von dessen Reduktionsanspruch und Intentionalität auf:219 Alterität statt Intentionalität in reduktiv-rezeptiver Offenheit. Vermeintliche statische Selbstgewissheit wird durch das Eindringen des Anderen ‚als Explosion des Anderen im Selben‘ verloren.220 Das Selbst wird inkonsistent, aber auch prozesshaft offen und erfährt im Anderen sich selbst,221 wobei diese aufsprengende Inkonsistenz die 213 Beyrich, Tilman: Ist Glauben wiederholbar?. Derrida liest Kierkegaard (KierkegaardStudies. Monograph-Series; 6). Berlin/New York 2001, S. 55. 214 Vgl. Beyrich, Glauben, S. 185. 215 Die Gleichzeitigkeit des begegnenden Nächsten mit Christus ist durchaus derart lesbar, dass der Nächste die Spur Christi beinhaltet und dies auch so erkannt werden kann; nur bleibt Gott jeweils im Nächsten incognito. Vgl. Beyrich, Glauben, S. 304. Dennoch gilt es zu konstatieren, dass Subjektwerdung durch eine reflexive Innerlichkeitsbewegung grundlegt ist. Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 8. 216 Vgl. Levinas, Emmanuel: Vom Bewußtsein zur Wachheit. Im Anschluss an Husserl, in: Ders.: Wenn Gott ins Denken einfällt. Diskurs über die Betroffenheit von Transzendenz. Übersetzt von Thomas Wiener. Mit einem Vorwort von Bernhard Casper. Freiburg/ München 1985, S. 44-68; hier: S. 59-61. 65. Vgl. Lincoln, Wachen, S. 182. 184. 217 Levinas, Bewußtsein, S. 59. 218 Vgl. Lincoln, Wachen, S. 184. 219 Vgl. Levinas, Bewußtsein, S. 69. 220 Levinas, Bewußtsein, S. 70. 221 Vgl. Levinas, Bewußtsein, S. 70. Vgl. Lincoln, Wachen, S. 187.
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jeweilige Person gerade nicht von der Verantwortung entbindet, sondern sie erst vielmehr für die Verantwortung öffnet. Das Einbrechen des Anderen in die Welt des Einzelnen bringt einen nicht-theologischen, nicht-metaphysischen Transzendenzgedanken mit sich, den Levinas aber konsequent über biblische Bilder und Metaphern sowie alttestamentliche Gottesrede aufarbeitet. Die Parallelen vom Antlitz zur Ikone und zur erotischen Reduktion Marions liegen hier offen – auch Marion entwirft seine Phänomenologie vom Transzendenzeinbruch über die Alterität her, die trotz atheistischer Methodik Husserls mit christlichen Motiven versprachlicht wird. Dass Levinas seine Philosophie als Eschatologie begreift, lässt sich von theologischer Seite als konsequent verstehen.222 Selbstwerdung aus der narzisstischen Verschlossenheit durch den irritierenden, ereignishaften Einbruch des Antlitzes in die Welt des Einzelnen unter eschatologischem Anspruch: Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, wobei Paulus durch seine Entscheidung für den Gekreuzigten und Auferstandenen die Subjektivierungsgeste par excellence aufzeigt. Der Umweg über Kierkegaard und Levinas sollte gegenüber Žižek und Badiou vor allem zeigen, dass der Anspruch der christlichen Selbstwerdung nicht alleine unter einem Subjektivitätsverständnis abgehandelt werden kann, da Subjektivität in seiner diskursiven Aufarbeitung eine positionelle Verortung des Einzelnen in einem Großhorizont (Gesellschaft, Macht, Metaphysik, Freiheit et cetera) bedingt. Der christliche Selbstwerdungsanspruch als Überwindung erbsündlicher Egozentrik hat einen personalen Charakter: Die Selbstoffenbarung Jesu Christi. Paulus entscheidet sich in der Damaskus-Begegnung und dessen Konsequenzen nicht in erster Linie für eine Idee (Anbruch der messianischen Epoche et cetera), sondern er entscheidet und bekennt sich zu Jesus Christus als der wahrhafte Sohn Gottes.223 Das einbrechende und irritierende Antlitz Christi ist ein maximal herausfordernder Moment für die bisherige Lebenswelt Pauli; es lässt ihn aber in einer existenziellen Neuausrichtung ‚aktionsfähig‘ werden.224 In Jesus Christus fallen nicht alleine Form und Inhalt der eschatologischen Selbstoffenbarung Gottes zusammen, sondern er ist sowohl Idee (als übergreifender Sinnzusammenhang, ohne aber in die Metaphysik umzuschlagen) als auch Person (in seiner Antlitzhaftigkeit): Er ist der Ort der sich entfaltenden eschatologischen Gottesherrschaft und die personelle Nähe Gottes in der Welt. 222 Vgl. Lincoln, Wachen, S. 189. Hier mit Verweis auf: Levinas, TU. 223 Vgl. Pesch, Rudolf: Die Apostelgeschichte. 1. Teilband. Apg 1-12 (EKK; V/1). NeukirchenVluyn 1986, S. 299. 301. 309. Für die Historizität der Begebenheit (trotz literarischer Ausgestaltung) sprechen auch die Eigenberichte Pauli (vgl. Gal 1, 16f.) und die Harmonie mit sonstigen Begleitumständen der Wirktätigkeit Pauli. 224 Pesch, Apostelgeschichte, S. 303.
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Seine Präsenz zeigt die gnadenhafte Versöhnung von Gott und Mensch durch die neu gewonnene Nähe an. Statt einer philosophischen Aufarbeitung, welche nur eine der beiden Seiten (Idee und Sinnzusammenhang: Badiou und Žižek; Antlitz und Nähe: Levinas) jeweils in den Blick nimmt, findet sich in Jesus Christus Idee und Person in einer einmalig befremdenden Gestalt, die in ihrer Größe den menschlichen Horizont verwindet und neu anordnet. Die Größe dessen fordert in massiver Weise heraus und braucht, da sie dem Menschen als freiem Gegenüber begegnet, noch eine (annehmende) Positionierung. Vorbedingung für das Sehen bleibt eine Reduktionsgeste, die sich wie das Erwachen in der Schwebe (gnadenhafter) Passivität und (neu eröffneter) Aktivität ansiedelt.225 Gnadenhafte Eröffnung, reduktives Sichzeigenlassen sowie gläubiges Schauen der Gestalt Christi sind koexistent zueinander, worin die einmalige Einfassung des christlichen Subjekts zwischen Fremd- und Selbstbezug ihre Grundlegung hat: Es geht keineswegs nur um eine subjektive Schwäche des Glaubenden (und auch des Ungläubigen, der sich hier kaum unterscheidet), der es nicht schafft, sie [die Gestalt] zu sehen, sondern um eine ‚objektive‘ Überfülle (im Sinne Balthasars) der Herrlichkeit Gottes, die in unsere Phänomenalität eintritt, sie durchdringt und sie für sich selbst offenbar werden lässt. Die Gestalt Christi setzt unabdingbar als Form der Offenbarung des Vaters die Überschreitung der Intuition dessen voraus, das sich in ihr offenbart, genauerhin der Trinität. Das Staunen gehört also von sich her und a priori zur Phänomenalität der Offenbarung.226
Dieses Bild der Einfassung der Person in Fremd- und Selbstbezug zeigt, dass der Mensch in einer solipsistischen oder inselhaften Verengung nie Mensch im eigentlichen oder sogar vollendeten Sinn ist. Der Mensch wird und ist Person alleine im Horizont bzw. in der (kommunikativen) Begegnung mit dem Anderen – eine Person mit irritierendem Antlitz in Alterität. Als Person ist er nicht unmittelbar gegeben – er wird dies erst in der Begegnung, Reduktion und entscheidender Positionierung, weshalb es auch möglich ist, von dieser Darlegung aus zu schließen, dass ein Mensch in existenzieller Einsamkeit und narzisstischer Verschlossenheit keine Person ist. Personalität vollzieht sich demnach (ideell) als ein gegenseitiges Treffen auf das irritierende Antlitz des Anderen, das in seiner unbeherrschbaren Alterität aussteht, anerkannt zu
225 Ein ähnlicher Aspekt lässt sich bei Oster finden, der dies unter dem Aspekt der Kontemplation behandelt. Vgl. Oster, Person, S. 221f. 226 Marion, Jean-Luc: Das ‚Phänomen Christi‘ nach Hans Urs von Balthasar, in: Tück, JanHeiner/Striet, Magnus (Hg.): Die Kunst Gottes verstehen. Hans Urs von Balthasars theologische Provokation. Freiburg/Basel/Wien 2005, S. 49-53; hier: S. 53.
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werden.227 Reziproke Anerkennung als raumgebendes Gewähren für die Alterität des Anderen, die ihm weder eine beherrschende Vernünftigkeit überstülpt, noch mit einer selbstverleugnenden Unterwürfigkeit begegnet, kann so Grundlage für eine gelingende Gemeinschaft sein, die sich nicht nach funktionellen Maßstäben (Verwertbarkeit der Arbeitskraft, Zuarbeit für ein kollektives Gemeinwohl oder auch eine Anerkennungsgeste, um responsorisch selbst anerkannt zu werden) organisiert, sondern in liebender Offenheit dem Einzelnen die Möglichkeit zur Selbstwerdung anbietet – wobei dieser Anspruch für jeden der Gemeinschaft gilt.228 Axel Honneth geht mit und von dem Hegel der Jenaer Jahre davon aus, dass sich in der vom Anderen kommenden Liebe für den Einzelnen die Grunderfahrung des Anerkanntseins vollzieht – die liebende Anerkennung des Anderen als Person bricht in die Welt des Einzelnen ein und schafft ihm die Möglichkeit, ein Selbstverhältnis in Reflektion zu entwerfen: Liebe eröffnet heteronom die Möglichkeit zur Intersubjektivität.229 Die einbrechende Liebe der Person gegenüber ermöglicht nicht nur die Bildung eines Ich-Bewusstsein, sondern lässt den Einzelnen in Dezentrierung von einer Unmittelbarkeit der eigenen Perspektive in einen reflexiven Status – vom Ich zum Mich – übergehen; der unmittelbare (Eigen-) Horizont wird irritiert und überschritten:230
227 Diese Begegnung mit dem Anderen bringt aber auch keine abschließende Vervollständigung der eigenen Person mit sich. Die Fragilität der Welt wird nicht überwunden, weswegen auch Kurt Appel mit Hegel davon sprechen kann, „dass das Ich sich in ihnen [den Begegnungen] nicht im Letzten zu finden vermag. Es erfährt sich als entzogen und als negativ in Bezug auf die Welt, der es begegnet“ (Appel, Kurt: Gott – Mensch – Zeit. Geschichtphilosophisch-theologische Erwägungen zu Christentum und Neuem Humanismus im Ausgang von Bibel, Hegel und Musil, in: Ders. (Hg.): Preis der Sterblichkeit. Christentum und Neuer Humanismus (QD; 271). Freiburg/Basel/Wien 2015, S. 19-60; hier: S. 32.). 228 So entwirft Axel Honneth ein quasi-eschatologisches Gemeinschaftsbild der Anerkennung, wenn er eine solche umfassende Bestätigung und Würdigung der Einzelperson in den Blick nimmt, um „dem Einzelnen ein Stück seiner verlorengegangenen Selbstachtung“ zurückzugeben (Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Mit einem neuen Nachwort (stw; 1129). Frankfurt 82014, S. 263. Demnächst abgekürzt mit: KuA). 229 Vgl. Honneth, KuA, S. 63-66. 153. 230 Vgl. Honneth, KuA, S. 120f. Die Begegnung und Kommunikation mit einem (liebenden) Gegenüber kann so auch mit George Herbert Mead als entwicklungspsychologische Grundlage für eine Entwicklung angegeben werden. Vgl. Buber, Martin: Ich und Du. Gütersloh 162014, S. 29-31.
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Er kommt zum Bewußtsein, daß er ganz etwas Anderes tat, als er meinte: sein Meinen war das reine Beziehen seines Seins auf sich selbst, sein unbefangenes Fürsichsein.231
Aus der intersubjektiven Anerkennungsbeziehung kann ein gelingendes Selbst- und Fremdverhältnis erwachsen, wobei es zu einer gegenseitigen Freigabe des und Bindung an den Anderen kommt – man verpflichtet sich dem Anderen gegenüber, ohne ihn aber dominieren oder beherrschen zu wollen.232 Diese Anerkennung hat einen durchaus hohen Anspruch, der sich rein gesellschaftlich nicht ohne weiteres realisieren lässt. Der Jenaer Hegel sieht demnach den Kern aller Sittlichkeit in der (bedingungslosen) Liebe gegeben.233 Ein gelingendes Selbstverhältnis, das im Weiteren auch die Selbstachtung gegenüber der eigenen Existenz einschließt,234 ist somit heteronom grundgelegt und in einer Abhängigkeitsstruktur eingebunden – die Entwicklung einer gesunden und heilen Selbstbeziehung ist durch externe Anerkennung bedingt. Die
231 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Jenaer Realphilosophie. Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der Natur und des Geistes von 1805-1806. Hg. v. J. Hoffmeister (PhB; 67). Hamburg 1969, S. 210. Vgl. Honneth, KuA, S. 76. Wenn Honneth Bezug auf die Jenaer Realphilosphie mit ihrer egalitären Positionierung von Ich und Gegenüber nimmt, stellt sich doch auch hier die Frage, ob nicht auch hier durch die Egalität der Positionen, wirkliche Wahrnehmung von Alterität des Anderen unterbunden wird. Die Phänomenologie des Geistes nimmt Honneth bewusst nicht in den Blick, weil die Geistbildung metaphysisch grundgelegt ist. Schaut man aber auf die Bildung des Selbstbewusstsein, das in der Logik von Herr und Knecht auch Anerkennung kennt, findet sich dort die Wahrnehmung echter Alterität durch die Knechtsperspektive, während die Herrenperspektive ein uneigentliches Selbstbewusstsein darstellt: „Das unwesentliche Bewußtseyn ist hierin für den Herrn der Gegenstand, welcher die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst ausmacht. Aber es erhellt, daß dieser Gegenstand seinem Begriffe nicht entspricht, sondern daß darin, worin der Herr sich vollbracht hat, ihm vielmehr etwas ganz anderes geworden, als ein selbständiges Bewußtseyn. Nicht ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbständiges; […]. Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseyns ist demnach das knechtische Bewußtseyn. Dieses erscheint zwar zunächst außer sich und nicht als die Wahrheit des Selbstbewußtseyns. Aber wie die Herrschafft zeigte, daß ihr Wesen das verkehrte dessen ist, was sie seyn will, so wird auch wohl die Knechtschafft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegentheile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewußtseyn in sich gehen, und zur wahren Selbstständigkeit sich umkehren“ (Hegel, PhG, S. 114 [124-126].). 232 Vgl. Ricœur, Paul: Wege der Anerkennung. Erkennen, Wiedererkennen, Anerkennen. Aus dem Französischen von Ulrike Bokelmann und Barbara Heber-Schärer. Frankfurt 2006, S. 239. Vgl. Honneth, KuA, S. 173. 233 Vgl. Honneth, KuA, S. 174. 282. 234 Vgl. Honneth, KuA, S. 195. 209. 278.
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Bindung zeigt sich primär als Ermöglichungsgrund;235 sie hat aber zugleich als Schattenseite eine enorme Fragilität: Ein gesunder Selbstbezug kann scheitern und Anerkennung kann verweigert werden, weshalb Scham, Wut, psychische Desintegration und soziale Ausgrenzung mögliche Folgen sein können. Insofern hängt die Freiheit der Selbstverwirklichung von Voraussetzungen ab, die dem menschlichen Subjekt nicht selber zur Verfügung stehen, weil es sie allein mit Hilfe seiner Interaktionspartner zu erwerben vermag.236
Honneth möchte die gelingende Anerkennung über die Grenzen der engen Liebesbeziehung heraus universalisieren und zur Grundlage einer sozialen Gemeinschaft erklären, wobei die Anerkennung auf eine rechtliche Ebene gehoben wird. Er sieht die gegenseitige Anerkennung als Möglichkeit einer posttraditionellen (Arbeits-) Gemeinschaft, wobei die Anerkennung rechtlich verbindlich verankert wird und als postulatorische Maxime gewissermaßen den Charakter einer Staatsräson erhält.237 Sein Anerkennungsdenken bleibt aber in Schemata der Verzweckung und einer funktionalistischen Logik eingebunden: Jemand wird erkannt, weil er etwas leistet, und um reziprok selbst anerkannt zu werden.238 Anerkennung bleibt in diesem Versuch, eine Gemeinschaft über reziproke Prozesse zu denken, innerhalb der Logik von Fähigkeit und Leistung verhaftet: Dadurch erhält auch ein Anerkennungsprozess einen hohen Bedingungsgrad – auch wenn Anerkennung postulatorisch eingefordert wird. Es muss nicht anerkennt werden; dies sollte jedoch geschehen, um die Arbeitsfähigkeit des Gegenübers wertzuschätzen und seine potenzielle, reziproke Antwort in Anerkennung zu evozieren.239 Ein bedingungslose Anerkennung aus reiner Präsenz des Anderen lässt sich nicht oder nahezu unmöglich mit einer Zweckrationalität verknüpfen – Anerkennung wie auch deren Verweigerung folgen bei Honneth dezidiert einem Eigeninteresse.240 235 Vgl. Honneth, KuA, S. 41. 236 Honneth, KuA, S. 279. 237 Vgl. Honneth, KuA, S. 187. 282. 238 Vgl. Honneth, KuA, S. 196f. 203. 205-207. 326-328. 332f. 239 Vgl. Honneth, KuA, S. 326-328. 332f. Es stellt sich innerhalb dieser Logik die Frage, wie mit denjenigen umgegangen wird, welche unfähig sind, Leistung zu bringen oder eine artikulierte Antwort zu äußern. Phänomenologisch lässt sich sagen, dass auch ein Behinderter oder Arbeitsunfähiger ein Antlitz hat, das sich zweckfrei präsentiert und in seinem irritierenden Überschuss auch nicht in einer verwertbaren Logik eingefasst werden kann. Das Antlitz des Anderen hat – mit Marion gesprochen – eine ikonische Gestalt, durch die sich in einem reduiziert-offenen Blick Herrlichkeit zeigt. Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 390. 240 Dass die Erbsünde nicht alleine auf den individuellen Horizont beschränkt bleibt, sondern auch über-individuelle Folgen hat, gilt es gesondert in den Blick zu nehmen. Dies geschieht unter Punkt 5.3 ‚Der Ursprung des Bösen aus dem verschlossenen Selbst‘.
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Die Angewiesenheit bzw. die Bedürftigkeit des Menschen nach reziproker Anerkennung zeigt, dass die menschliche Existenz nicht nur prozesshaft verfasst ist, sondern ihr eine Leerstelle für den Anderen inhärent ist, die aus eigener Anstrengung nicht gefüllt werden kann – mit Lacan gesprochen fehlt dem Menschen sein objet a.241 Die Füllung dieser Leerstelle steht nicht in der souveränen Möglichkeit des Einzelnen; diese Wunde, wenn sie in pathologischen Begriffen beschrieben wird, kann nur in der Gemeinschaft mit dem Anderen – ansatzweise und nie vollständig – geschlossen werden: In einer narzisstischen Selbstermächtigung über diese Leerstelle bzw. Wunde würde der jeweilige sein eigenes Wesen verkennen und seine eigene Ohnmacht leugnen. Das volle Menschsein ist dem Menschen nicht in Unmittelbarkeit innerlich, sondern wird erst – ausstehend – in der dezentrierenden und anerkennenden Begegnung als Gabe zuteil. Diese Gabe kann sich der Einzelne nicht selbst geben, wie sich auch Baron Münchhausen nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann. Das aktuell mangelhafte Menschsein ist zur Vollendung ausstehend und prozesshaft unabgeschlossen, offen und unvollständig – eigentliches Menschsein und strenge Innerlichkeit stehen daher konträr zueinander. Eine substanzontologische Aufarbeitung dieses fundamentalen Mangels, der nur durch eine externe Gabe verwunden werden kann, lässt sich nur schwer mit einer prozesshaften Dezentrierung harmonisieren und bräuchte zur Plausibilisierung enorme korrigierende Zusatzannahmen, die den Substanzbegriffen retten sollten, weswegen bei dieser Darlegung von einer substanzontologischen Anthropologie, wie sie Stefan Oster vertritt,242 Abstand genommen wird.
241 Das Begehren nach dem Objekt klein a ist durch grundlegende Verlusterfahrung des Menschen geprägt, die nicht wieder in ihren Urzustand zurückgeführt werden kann. Der große Grund des Verlust (A/Groß A; der große Andere bzw. der Name-des-Vaters), der niemals aufgehoben werden kann, weil er das Reale ist und dieses niemals restlos in die Welt des Menschen (das Symbolische) überführt werden, führt zu einer Übertragung des großen Verlustes auf kleine Objekte (Objekt klein a). Vgl. Lacan, Jaques: Namen-des-Vaters. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek. Wien/Berlin 2013, S. 66-91. Vgl. ders., Seminar XX, S. 33. 90f. 94. 103. 136f. Vgl. Žižek, Lacan, S. 92f. 95. 242 Vgl. Oster, Person, S. 115-130. 325-383. Oster verwendet einen Substanzbegriff, der zwar deutlich relational verstanden wird (vgl. ebd., S. 127. 177. 332. 360-362.), aber durch die spezifisch relationale Aufarbeitung eine solche Unschärfe hinsichtlich der Substanz in ihrer historisch-diskursiven Verwendung erhält, dass bei ihm der Substanzbegriff nahezu metaphorischen Charakter innehat. Die Begegnung zweier Personen findet bei ihm seine angemessene Form in vertrauend kindlicher Naivität, wobei Heteronomie und Alterität durch den Anderen nicht in den Blick kommt. Ein nicht-beherrschbarer Überschuss des Anderen findet in seiner Arbeit keine Berücksichtigung.
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Diese externe Gabe vollen Menschseins kann nur von außen kommen: Sie kann ihm (von göttlicher Seite) geschenkt werden – volles Menschseins ist deshalb auch in den Gnadendiskurs eingebunden. Eine Gabe ohne Zwecke oder Verwertungsdenken steht damit quer zu einem Denken, das Anerkennung nur hinsichtlich einer reziproken oder zweckrationalistischen Einbindung kennt, wie sie in der gesellschaftlichen Anerkennungsmechanik von Honneth präsentiert wird.243 Liebe ist – in ihrer erotisch-reduzierten Gestalt nach Marion – nicht von Eigeninteressen geleitet,244 weil die sich zeigende reine erotische Gestalt des Anderen Grund genug zum Staunen ist: Der erotische Leib des Anderen lässt in seiner Alterität des Antlitzes das Erhabene in die eigene Welt einbrechen und fasziniert um seiner selbst willen – der Andere durchkreuzt die Welt.245 Wenn man verstanden hat, dass für den Liebenden kein Vergleich irgendeinen Sinn macht (denn der- oder diejenige, den/die er gesehen hat, ist nicht einfach mehr irgendwer), ist nur noch eine Antwort möglich: Der andere, der einzigartig geworden ist, nimmt nun selbst kraft seiner Rolle als Brennpunkt die Funktion des Grundes an, den der Liebende hat, um zu lieben. Der Liebende liebt das Geliebte, weil es das Einzigartige ist und weil es sich ihn zum Liebenden macht – weil er/sie es war, weil ich es war.246
Der Mensch als Person mit einem Antlitz hat seinen Wert in sich, weil der Überschuss des Antlitzes nicht beherrscht werden kann bzw. um der Alterität willen nicht beherrscht werden sollte. Eine Verwertungslogik, die die Person in ein System einspannt, nivelliert deren Alterität und reduziert sie auf eine dinghafte Ebene: Dies gehört zur Grundwahrheit der menschlichen Welt: Nur Es kann geordnet werden. Erst indem die Dinge aus unsrem Du zu unsrem Es werden, werden sie koordinierbar. Das Du kennt kein Koordinatensystem.247
Dieser Wertigkeit des Menschen an sich gilt es, mit Achtung zu begegnen.248 Dem Menschen ist der gebührende Respekt entgegen zu bringen, ohne aber diese Anerkennung in gleichem Maße in reziproker Weise für die eigene Person einzufordern. Die Forderung nach gerechter bzw. ausgleichender Aner243 Vgl. Honneth, KuA, S. 174. 182. 244 Vgl. Marion, Erotische, S. 106-108. 116-121. 245 Vgl. Marion, Erotische, S. 152f. Vgl. Han, Agonie, S. 24f. 246 Marion, Erotische, S. 122. 247 Buber, Ich und Du, S. 39. 248 Vgl. Ricœur, Wege, S. 248f: „Für Kant ist die Achtung die einzige Triebfeder, die die praktische Vernunft unmittelbar mit dem Gefühl aufprägt.“
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kennung erscheint zwar im ersten Moment als adäquater Anspruch, doch auf den zweiten Blick zeigt sich sehr klar, dass einer Gerechtigkeitsforderung nach Ausgleich ein stetes Gewaltmoment inhärent ist.249 Liebe ohne den Anspruch eines Ausgleichs äußert sich darin, den Anderen anzuerkennen, bevor man selbst anerkannt worden ist; in einer Art, die dem Anderen in seiner Würde und Alterität angemessen begegnet: Den Anderen lieben, bevor der Einzelne selbst geliebt wird. Die Liebe kündigt die Reziprozität des Tauschgeschäftes und der Ökonomie auf, weil sie sich an den Anderen zuerst verschenkt und sich nicht an die Bedingungen einer Gegengabe bindet.250 Die Liebe kennt kein Kalkül der Absicherung, was sie aber keinesfalls unvernünftig werden lässt, denn der Vernunft mangelt es vielmehr am Mut, der der Liebe in Gestalt der Wette inne ist: Die Vernunft ist mutlos. Der Liebende verachtet die Vernunft nicht; es nur einfach so, dass die Vernunft selbst fehlt, sobald es darum geht zu lieben. Der Liebe mangelt es an Vernunft, weil die Vernunft sich ihr entzieht, so wie sich einem der Boden unter den Füßen entzieht. Der Liebe mangelt es an Vernunft in dem Maße, wie es einem an Luft mangelt, je höher man auf einen Berg steigt. Die Liebe weist die Vernunft nicht zurück, sondern die Vernunft selbst weigert sich, bis dahin zu gehen, wo der Liebende hingeht. Die Vernunft verweigert dem Liebenden überhaupt nichts – nur, wenn es um die Liebe geht, dann kann sie nicht mehr tun, sie kann dort einfach nichts mehr dafür.251
Die epistemische Neuausrichtung der eigenen Rationalität durch die Liebe wagt es daher, die narzisstische Eingeschlossenheit in die eigene hermetische Vernunft in Frage zu stellen und eine andere Vernünftigkeit mit einem neuen Sinn, dem geliebten Anderen, zu denken: Wer für den Anderen aus dem Selbsteinschluss aufgebrochen wird, lässt sich aus der solipsistischen Logik der Erbsünde herausführen und für eine neue Logik der Schwachheit öffnen. Für die enge Vernünftigkeit ist die Liebe eine Kategorie, die unvernünftig erscheint, weil sie sich nicht innerhalb der selbst gesetzten Grenzen bewegt und daher von der Vernünftigkeit aus der nicht liebenden Perspektive zu Außen als Wahnsinn verkannt wird.252 249 Vgl. Ricœur, Wege, S. 276. Die Liebe hingegen zeigt sich und manifestiert sich nur im Gewaltverzicht. Vgl. ders., Symbolik des Bösen, S. 53f. 56. 92. Vgl. Marion, Erotische, S. 150. 250 Vgl. Marion, Erotische, S. 116-121. 251 Marion, Erotische, S. 119. 252 Vgl. Platon: Phaidros. Bearbeitet von Dietrich Kurz. Griechischer Text von Léon Robin, Auguste Diès und Josephe Souilhé. Deutsche Übersetzung von Dietrich Kurz u. Friedrich Schleichermacher, in: Ders.: Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch. Hg. v. Gunter Eigler. Fünfter Band. Darmstadt 62011, S. 1-193; hier: S. 67 (245b-245c): „Wir aber haben das Gegenteil erwiesen, daß zur größten Glückseligkeit die Götter diesen Wahnsinn [der
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3. Personalität und das vollendete Menschsein Das Ungenügen der Vernunft, über die Liebe Rechenschaft abzulegen, lässt also nicht nur das Prinzip vom unzureichenden Grund in Erscheinung treten, sondern es erhebt vor allem den Liebenden zum Grund seiner selbst. Die causa sui, die die Selbstliebe vergeblich für sich in Anspruch nahm […], verwandelt sich zu einer ratio sui; aber eine ratio sui, die sich, dieses Mal, entsprechend der radikalisierten erotischen Reduktion entfaltet – und also nicht mehr danach fragt: ‚Werde ich geliebt – von anderswoher?‘, sondern die als Person hinsteht und auf die Frage ‚Kann ich als Erster lieben?‘ eine Antwort gibt. Der Kreis um das Ego verschiebt sich in Richtung eines bestimmten anderen.253
Dieser immense Anspruch, auf den der Mensch in der Liebe trifft, stellt ihn vor ein Problem: Kann er jemals derart lieben, wie es dem Anderen angemessen wäre? Kann der Mensch ohne die Erwartung bzw. die Hoffnung auf eine Gegengabe auf Dauer lieben? Der platonische Eros zeigt in diesem Fall, dass menschliche Liebe grundsätzlich in einem Mangel bzw. in einer Leerstelle seinen Grund hat – der Eros ist durch Verlangen oder Begierde bzw. Sehnsucht fundiert,254 welches der Einzelne selbst nicht füllen oder abschließen kann.255 Nimmt man den platonischen Eros als Paradigma des menschlichen Liebens und den Anspruch der Achtung des Anderen und der erotischen Reduktion zueinander, ergibt sich (in erster Linie) keine Passung: Eine sehnsüchtige, verlangende Liebe kommt nicht ohne Erwartung aus. Doch stellt sich neben den Eros auch noch die Agape als Liebesform an, die ‚auf Fragen ohne Antwort [bleibt], weil ihr Rechtfertigung so fremd ist wie Aufmerksamkeit für sich selbst.‘256 Die Agape verschenkt sich freudevoll an ein Gegenüber ohne Erwartung einer Gegengabe. Sie ‚hält sich in der Beständigkeit, im Bleiben, ihre Gegenwart kennt weder Reue noch Erwartung.‘257 Liebe] verleihen. Und dieser Beweis wird den Vernünftlern unglaublich sein, den Weisen aber glaubhaft.“ 253 Marion, Erotische, S. 123. 254 Vgl. Vgl. Ricœur, Fehlbarkeit des Menschen, S. 27: Er spricht von der „Urwunde“ (ebd.) des Menschen, die im Eros und dessen Bezug zum Begehren zum Ausdruck kommen. 255 Vgl. Platon, Phaidros, 250a. 250d. 251a-251c. In der Liebe überschreitet derjenige die begrenzte Endlichkeit, indem er die einbrechende und durchscheinende Ewigkeit als Schönheit erblicken darf. „Was nun die Schönheit betrifft, so glänzte sie, wie gesagt, schon, als sie unter jenen war, und auch da wir hergekommen, haben wir sie aufgefaßt durch den hellsten unserer Sinne, aufs hellste uns entgegenschimmernd“ (ebd., S. 89 [250d]). Der parallele Gedanke bei: Marion, Erotische, S. 302f. Vgl. Platon: Sympossion. Bearbeitet von Dietrich Kurz. Griechischer Text von Léon Robin und Louis Méridier. Deutsche Übersetzung von Friedrich Schleichermacher, in: Ders.: Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch. Hg. v. Gunter Eigler. Dritter Band. Darmstadt 62011, S. 209-393; hier: S: 307-309 (200e-201b). S. 323 (204d). S. 337-339 (208c-208d). 256 Ricœur, Wege, S. 277. 257 Ricœur, Wege, S. 277. Vgl. ebd., S. 276f. Vgl. Askani, Schöpfung als Bekenntnis, S. 202-205.
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Indem Paul Ricœur die Agape im Umfeld der Bibel und deren thematischmotivischer Rezeption einordnet (ohne aber die Agape selbst im Horizont der systematischen Theologie zu untersuchen), ist der Weg der Agape für eine dogmatische Aufarbeitung angebahnt:258 Eine großherzige Liebe, die sich begierdefrei an den Nächsten verschenkt, ohne dabei in der Erwartungshaltung der Gegengabe zu stehen, zeichnet die Liebe Gottes aus, der nicht auf ein äußeres Gegenüber zur Komplettierung seiner selbst angewiesen ist. Der trinitarische Gott kann sich an die Welt verschenken, ohne selbst in einen Mangelzustand zu geraten, weil ihn die innergöttliche Liebe dynamisch erfüllt und heilig (im Sinne der Vollkommenheit) sein lässt. Die Liebe zwischen den göttlichen Personen eröffnet einen Raum des Liebens, in dem auch die Schöpfung selbst ihren Ort findet, ohne eingeengt, eingegrenzt oder dominiert zu werden.259 Die Agape Gottes bietet dem Menschen einen vorzeitlichen Rahmen, in dem er selbst sein und lieben darf, ohne selbst alle Kontingenzen, Sehnsüchte und Offenheiten des menschlichen Daseins beheben oder gar aufheben zu müssen.260 Die Gegebenheit der göttlichen Liebe stellt den Rahmen dar, in dem der Mensch selbst leben und lieben kann, in dem die Existenz des Menschen prinzipiell anerkannt ist und auch gelingen kann: Denn wenn Gott liebt (und er hört tatsächlich nie auf zu lieben), dann liebt er unendlich viel mehr als wir. Er liebt bis zur Vollendung, ohne Mangel, ohne Makel, vom Anfang bis zum Ende. Er liebt als Erster und als Letzter. Er liebt als Person. Und am Ende stelle ich nicht nur fest, dass mich ein anderer schon geliebt hat, noch bevor ich ihn liebe, und dass sich folglich dieser andere schon vor mir zum Liebenden gemacht hat […], sondern vor allem, dass dieser erste Liebende schon von jeher Gott geheißen hat. Die höchste Transzendenz Gottes, die einzige, die ihm niemals zur Unehre gereichen kann, rührt nicht her von seiner Macht, und auch nicht von seiner Weißheit, ja nicht einmal von seiner Unendlichkeit, sondern allein von seiner Liebe. Denn die Liebe allein genügt, um jede Unendlichkeit, jede Weisheit und jede Macht ins Werk zu setzen. Gott geht uns voraus und übersteigt uns, aber zuerst und vor allem darin, dass er uns unendlich viel mehr liebt, als wir lieben und ihn lieben. Gott überragt uns als der am meisten Liebende.261
Die Liebe Gottes begleitet den Menschen durch die Zeit und hält die Schöpfung heilvoll in seiner Nähe, aber dennoch folgt aus der Begleitung der Schöpfung und der rahmenden Liebe kein unmittelbares Schauen auf Gott. Folgt man 258 Vgl. Ricœur, Wege, S. 278-281. 259 Vgl. Askani, Schöpfung als Bekenntnis, S. 60f. 130f. 148-153. 260 Dies wäre nicht nur unmöglich und überfordernd, weil es einen anmaßenden Gestus des Menschen als Hybris anzeigen würde. 261 Marion, Erotische, S. 318f.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
Thomas von Aquin ist ein direktes, innerweltliches Schauen Gottes vielmehr unmöglich.262 Die Liebe Gottes und das Schauen des Nächsten in Liebe weisen eine theologische Interpretation des alterierenden Überschusses des Antlitzes meines Nächsten aus: Durch den Anderen hindurch zeigt sich als Überschuss in Herrlichkeit die Liebe Gottes, wobei dieser Überschuss den Anderen in seiner Einzigartigkeit nicht aufhebt. Die Herrlichkeit Gottes lässt die einzigartige Würde des Nächsten erkennbar werden – Gott inszeniert den Menschen mit seinem durchscheinenden Herrlichkeitseinbruch in angemessener Weise. Der Nächste wird zur Ikone Gottes, wenn man sich dies in liebender Reduktion zeigen lässt.263 Die Initiativbewegung der Liebesgeste bleibt weiterhin gültig, aber die Reihenfolge kehrt sich um: Der Einzelne ist bereits geliebt, ohne aber dies ihm im Zwang aufzubinden. Die Liebe Gottes ist eine Wirklichkeitsrahmung, die schon je gegeben die Welt durchwaltet und durchkreuzt: Sie bietet sich dem Menschen zur Selbstwerdung an.264 So ist die creatio continua auch die donatio continua. Die Liebe des Menschen sprengt die menschlich-vernünftigen Grenzen und wird zur Brücke der Transzendenz. Im Versprechen der Liebenden überschreitet sich die menschliche Sprache und wird gerade in ihrer Schwachheit und Fragilität zum Adieu.265 Menschliche Selbstwerdung geschieht als dezentrierendes Ereignis der Liebe mit dem Anderen, welcher zur Ikone Gottes wird und durch welchen die erfüllende Herrlichkeit Gottes hindurch scheint: Der Mensch kann in Fülle zu sich selbst kommen und seinen schöpfungsgemäßen Ort erkennen wie auch einnehmen. Das Paradigma als universale concretum, in dem menschliche Individualität und durchscheinende Herrlichkeit Gottes zusammenfallen, ist Jesus Christus, der die stets begleitende Liebe Gottes dem Menschen endzeitlich-neu vor Augen führt und in der Überschreitung menschlicher Erwartungen den menschlichen Erbsündennarzissmus aufbricht:266 In der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus bietet sich dieser dem Menschen heilvoll für eine neue Gemeinschaft an. Diese liebende Einladung bringt aber nicht ihre eigene evidente Deutung mit sich, sondern sie gibt dem Menschen auf, sich in einer reflexiven 262 Vgl. Thomas von Aquin: Gottes Dasein und Wesen. I. 1-13 (Die Deutsche Thomas-Ausgabe; Summa Theologica; 1). Salzburg/Leipzig 1934, S. 205 (q. XII, a. 1): „Kein geschaffener Verstand vermag Gott in seinem Wesen zu schauen.“ 263 Vgl. Marion, Erotische, S. 302. 305. 264 Vgl. Marion, Erotische, S. 308f. 265 Vgl. Marion, Erotische, S. 305. Vgl. Agamben, Sakrament, S. 64. 266 Vgl. Balthasar, Hans Urs von: Theodramatik. Bd. IV: Das Endspiel. Einsiedeln 1983, S. 104-106.
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Subjektivierungsgeste gegenüber der Liebe Christi zu positionieren und diese kommunikativ-offen zu deuten.267 Die Begegnung von Gott und Mensch führt nicht zu einem interpretativen wie auch existenziellen Automatismus, der die Uneindeutigkeit und Fragilität der menschlichen Lebenswelt aufheben würde. Auch die menschliche Existenz wird nicht dadurch statisch, dass sie durch die Gemeinschaft mit Gott eine vollendete, eschatologische Qualität erhält: Das menschliche Dasein bleibt dynamisch offen. Die Begleitung Gottes und die reflexive Subjektivierungsgeste eröffnen einen neuen Blick auf das eigene Leben, das nun in bewusster Nähe, Anerkennung und Liebe geschieht: Trotz aller Kontingenz wird es voller Hoffnung verstanden.268 Der neue, hoffnungsvolle Blick ermöglicht es, das eigene Leben in einer Rekomposition neu zu buchstabieren, die Vergangenheit einzubinden, sich in der begleiteten Gegenwart zu verorten und auf eine vollendete Zukunft zu vertrauen. Durch die perspektivische Synthese der eigenen Lebenserfahrung lässt sich ein prozesshaftes und konnektives Identitätsnarrativ ausbilden. Die narrative Identität braucht keinen Rückgriff auf substanzontologische Grundlegungen, um die Kontinuität des eigenen Lebens mit einer wandlungsfähigen Reflexivität zu verbinden.269 Der Einzelne kann die Spuren seiner Erfahrungen neu nehmen und zu einem Ganzen integrieren, das aber keine ausschließende Erzählung mit einem objektiven Endzweck der Geschichte totalisierender Spielart mit sich bringt.270 Der Einzelne steht in der Notwendigkeit sein ‚Ich‘ zu ergreifen, um seine Geschichte zu erzählen.271 Die eigene Geschichte befindet sich aber durch ihre textuelle Verwobenheit inmitten anderer Geschichten, so dass der Einzelne in einem quasi-universalen
267 Gläubige Deutung der Liebe Gottes muss kommunikativ-offen sein, damit auch in Deutung kirchliche Gemeinschaft der Gläubigen durch den perspektiv-öffnenden und untereinander verbindenden Hl. Geist möglich ist. Eine Deutung, die alleine ihre Richtigkeit gelten will, exkommuniziert sich selbst. Vgl. Klug, Sprache, S. 109-111. 268 Vgl. Eagleton, Terry: Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Berlin 2015, S. 229. 231. 269 Vgl. Ricœur, Wege, S. 134-136. Vgl. ders., Zeit und Erzählung III, S. 395. 270 Vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 314-317. 331f. „Der Ausgang aus dem Hegelianismus bedeutet, daß man darauf verzichtet, die höchste Fabel zu entziffern [und zu entwerfen].“ (ebd., S. 331f.) Der Einzelne nimmt daher nicht mehr den Ort einer punktuellen Funktion in einem System ein, die durch Einschluss und Ausschluss gekennzeichnet ist, sondern vielmehr durch vernetzte Relationalität im Ganzen der Struktur. Vgl. Rombach, Heinrich: Der Ursprung. Philosophie der Konkreativität von Mensch und Natur (Rombach Philosophie). Freiburg i.Br. 1994, 133. 271 Vgl. Agamben, Sakrament, S. 89.
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3. Personalität und das vollendete Menschsein
Textnetzwerk von Existenzerzählungen steht, die die Sprache, Motive und Bilder hervorgebracht haben, mit denen nun die eigene narrative Identität entworfen werden kann.272 So wie es eine Gegenwart nur geben kann, wenn es einen Sprecher mit einem ‚Ich‘ gibt,273 steht jede Erzählung aus, einem Gegenüber erzählt zu werden: In der Erzählung des eigenen Lebens kann eine existenzielle Verschlossenheit mehr und mehr abgebaut werden, weil man sich dem Anderen gegenüber öffnet und ihm einen eigenen synthetisierten Text der fragmentarischen Existenz als narratives Mosaik präsentiert.274 Der Sprecher bindet sich mit seiner Person und seiner Glaubwürdigkeit an seine geäußerte Erzählung – seine Erzählung ist die öffentliche und verstehbare Gestalt seiner Person. Der Einzelne kann selbst nicht für die Gültigkeit und Anerkennung seiner Geschichte sorgen. Er steht seiner Erzählung gegenüber in einer ohnmächtigen und abhängigen Position. Die Bewertung der Glaubwürdigkeit und die anschließende Anerkennung seiner Narration geschehen durch den hörenden Anderen, weswegen für den Erzählenden ein prekärer und schwacher Status einhergeht. Seine Erzählung verpflichtet ihn zur Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, denn seine Erzählung öffnet das zwischenmenschliche Feld der Anerkennung.275 In einem Raum der Kommunikation und der gegenseitigen Aufrichtigkeit (von sprechender und hörender Seite) kann diese Narration vernommen, verstanden und bestätigt werden: Der Einzelne erfährt durch die Anerkennung des Anderen eine externe Bestätigung der eigenen, prekären Identität und schwebt nicht mehr in epistemologischer und existenzieller Ungewissheit über das eigene Selbst- und Weltverständnis.276 Der Andere ist somit nicht alleine auf die Irritation in der Begegnung beschränkt, sondern er hat einen notwendigen Platz im Leben des Einzelnen, indem er dieses in Korrektur, Bestätigung und Anerkennung begleitet. Die 272 Vgl. Ricœur, Wege, S. 137f. Vgl. ders., Zeit und Erzählung III, S. 183. 273 Vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, S. 172f. Vgl. ders., Fehlbarkeit des Menschen, S. 48f. 58. 274 Was aber keinesfalls hier nahelegen soll, das Erzählen dem Hören gegenüber höher zu bewerten. Beide Handlungen sind notwendige Konstitutiva des Menschseins, wobei das Hören der Erzählung nicht nur chronologisch voranzustellen ist. Vgl. Heidegger, SuZ, S. 163. 275 Vgl. Ricœur, Wege, S. 164-166. Die Notwendigkeit von Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit, um eine authentische Subjektivierungsgeste gegenüber dem Anderen auszuweisen, verweist auch auf die ideale Kommunikationssituation nach Habermas. Vgl. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Frankfurt 41987, S. 149. 276 Der Identitätsprozess des Einzelnen kann so als narrativ-reflexive Aufarbeitung eines alterierenden Perzeption eines fremden Antlitzes gesehen werden, indem die eigene Kontinuität in ein Narrativ überführt wird, das nicht selbstevident ist, sondern einer anderen Person zur möglichen Anerkennung erzählt werden muss.
Subjektivität, Personalität und Identität
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gelingende Existenz geschieht in bleibender und zukunftsoffener Lebensgemeinschaft mit dem Anderen. Die Lebensgemeinschaft, die nicht rein innerweltlich abgeschlossen ist, sondern in Begleitung Christi ihre Narration zukunftsoffen nach innen und nach außen verkündet, ist die Kirche.
Kapitel 4
Gnade als Begegnung Im Laufe der Theologiegeschichte hat sich der Fokus hinsichtlich der Gnade auf die Thematiken von Freiheit und Rechtfertigung gerichtet, wobei vorrangig die Stellung des Menschen in Bezug auf die Gnade diskutiert wurde: Ungeschuldetheit, Passivität, Unfreiheit und mögliche Mitwirkung des Menschen im Gnadengeschehen waren bestimmende Punkte, die den Diskursprozess entscheidend gelenkt haben. Eine besondere Weichenstellung kam durch den Disput zwischen Augustinus und Pelagius zu Stande, wobei durch den Diskussionsfortgang die faktische Unfreiheit des Menschen und die notwendige Rechtfertigungsgnade die Themenschwerpunkte einnahmen. Als maßgeblicher Kirchenlehrer des Abendlandes prägte Augustinus auch nach dem Ende der Antike die weitere Diskurslandschaft um den Komplex der Gnade, die zu Beginn der Neuzeit eine weitere Hochphase erlebte, da durch die Reformation und die augustinisch beeinflusste Theologie Martin Luthers die Frage der Rechtfertigung bzw. der Rechtfertigungsgnade erneut den Alltag der Theologie bestimmte. Die Nachwehen in der nachreformatorischen und nachtridentinischen Zeit waren auch weiterhin von einem gnadentheologischen Diskussionszentrum geprägt, das die Streitigkeiten der Vorzeit unter veränderten Bedingungen weiterführte.1 Durch den Fortgang der jeweiligen Gnadendispute wurde der Fragegegenstand mehr und mehr eingeengt und zu einer mehr oder weniger technischmechanischen Fragestellung gewandelt,2 die die heilsgeschichtliche Gnadenerfahrung in der Begegnung mit Gott und die erlösende Selbstoffenbarung in Jesus Christus mit seinem Leben, Wirken, Leiden und Auferstehen aus dem Blick verlor: Gnade wurde mehr und mehr sachhaft, dinglich verstanden. Einer der maßgeblichen Gründe für diese Perspektivverschiebung der westlichen Theologie kann u. a. darin gesehen werden, dass nicht mehr der gesamte Mensch im Hinblick auf die Gnade untersucht wurde, sondern eine auf den 1 Vgl. Greshake, Gisbert/Faber, Eva-Maria: Gnade. V. Theologie- u. dogmengeschichtlich, in: LThK (32006) 4, Sp. 772-779; hier: Sp. 774-777. 2 Dies ist zum großen Teil durch die naturalisierte Lesart der Erbsündenerzählung bedingt, welche einer metaphorisch-narrativen Perspektive der Urgeschichte unharmonisierbar gegenüber steht. Vgl. Pröpper, Th A II, S. 998. 1020. So stellt die Naturalisierung der biblischen Urgeschichte auch einen der entscheidenden Gründe dar, warum ein Gnadenverständnis sich von der heilsgeschichtlichen Perspektive löste und Gnade mehr und mehr dinghaft begriffen wurde.
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4. Gnade als Begegnung
Einzelnen anthropologisch reduzierte Rechtsfragestellung diskutiert wurde, die die menschliche Natur in Sachen Schuld, Verdienst, (Un-) Freiheit und Verantwortung betrachtete.3 Die umfassend inkarnatorische Dimension Jesu Christi verschob sich aufgrund der paulinischen Reflexion zu einer mehr und mehr staurozentrischen Analyse, in deren Blick das rechtliche Moment vorherrschend war.4 Der hochkomplexen Semantik von ‚gratia‘, die als Signifikant den Gnadendiskurs des Westens ab der Spätantike bestimmte, steht in der alttestamentlichen Zeit ein ganzes Begriffsfeld gegenüber: ḥen, ḥæsæd, rāṣon, ṛahamin und ṣædæq, wobei hier Gnade in erster Linie als Gabe der göttlichen Nähe verstanden werden kann, aber nicht darauf beschränkt werden darf, weil mit der Nähe Gottes weitere Qualitäten seiner Heiligkeiten wie Erbarmen, Barmherzigkeit, Erwählung oder Gerechtigkeit innerweltlichen Einzug erhalten und damit von der Transzendenz in die Immanenz der konkreten Geschichte einbrechen.5 Die Gnade Gottes ist eine von ihm initiativ gegebene Gabe der Nähe an den Menschen, sein Volk und die Schöpfung, weswegen Gnade alttestamentlicherseits als „eine personale, auf Dauer angelegte Beziehung“ verstanden werden sollte.6 Seine Gnade ist eine Beziehungswirklichkeit zwischen ihm und seiner Schöpfung bzw. zwischen ihm und seinem Volk, die durch die heilsgeschichtliche Begleitung sowie durch seine rettenden und heilbringenden Taten wie auch seinen Segen ihre lebensweltliche Grundlage hat und daher erst durch den Indikativ der eingebrochenen Gnade zur Reflektion kam.7 Die Bildworte Christi von der angebrochenen und sich entfaltenden Gottesherrschaft stehen in Kontinuität zur alttestamentlichen Gnadensemantik und greifen deren Komplexität auf, ohne immer begrifflich explizit zu werden, wobei die semantische Mitte die Barmherzigkeit Gottes in ihrem endzeitlichen Offenbarwerden bildet.8 Einer der entscheidenden Anstoßpunkte gegenüber der Lehre und der Praxis Jesu war wohl die radikale Bedingungslosigkeit der göttlichen Barmherzigkeit, der keinerlei Voraussetzungen und Vorleistungen des Menschen zuvorkommen oder entsprechen mussten – Gottes Gnade bricht endzeitlich in die Welt ein und kann von menschlicher Seite weder verdient, be-/verrechnet noch erworben werden. Sie wendet sich frei und 3 Vgl. Greshake/Faber, Gnade, Sp. 773f. 4 Vgl. Werbick, Jürgen: Gnade (utb; 3842). Paderborn 2013, S. 32. 5 Vgl. Diedrich, Friedrich: Gnade. II. Altes Testament, in: LThK (32006) 4, Sp. 763-765. Vgl. Werbick, Gnade, S. 17-22. 6 Diedrich, Gnade, Sp. 763. 7 Vgl. Diedrich, Gnade, Sp. 763. 8 Vgl. Theobald, Michael: Gnade. IV. Neues Testament, in: LThK (32006) 4, Sp. 766-772; hier: Sp. 767. Vg. Werbick, Gnade, S. 24-26.
Gnade als Begegnung
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souverän-initiativ an den Menschen und eröffnet ihm eine neue versöhnte Zukunft, die auch nicht von menschlicher Gewalt und Ablehnung korrumpiert werden kann, wovon sein Kreuzestod mit anschließender Auferstehung paradigmatisch zeugt.9 Das begriffliche Aufscheinen des Terminus χάρις entstammt nicht der synoptischen Literatur, sondern wird durch die paulinische Theologie angegangen, die durch ihren Rechtfertigungsfokus entscheidend die weiteren gnadentheologischen Spekulationen bestimmen wird. Dennoch ist es entscheidend darauf hinzuweisen, dass auch bei Paulus der Indikativ der angebrochenen Gottesherrschaft sowie der bereits ausgegossenen Gnade den Rahmen aller Gnadenaussagen bilden. Gnade als Rechtfertigung, die eine Überwindung eines sündhaften und bösen, also ungerechtfertigten Zustandes mit sich bringt, ist durch die angebrochene Gottesherrschaft sowie das Kreuzes- wie Erweckungsgeschehen Christi grundgelegt:10 Es gibt eine strenge Trennung der Zeiten in ein Davor und ein Danach durch das Kreuz. Seine Berufung zum Apostel führt er alleine auf die Gnade Gottes zurück (vgl. Gal 1, 15; 1 Kor 15, 10), die durch die persönliche Begegnung mit dem erstandenen Herrn und dessen Nähe fundiert ist. Seine Berufung und Begegnung mit dem Herrn wird von Paulus (trotz aller gleichrangigen Autoritätsforderungen gegenüber der Jerusalemer Urgemeinde) nicht als Alleinstellungsmerkmal behandelt, sondern dieses wird in die Reihe der anderen Charismen und deren ekklesiologischer Bedeutung integriert (vgl. Röm 12, 3-6; 15, 15; 1 Kor 3, 10):11 Alle Charismen haben sich daran auszurichten, dass sie dem Aufbau der Gemeinde dienen sollen bzw. dafür bestimmt sind (vgl. 1 Kor 12, 7; 14, 4).12 Charismatische Gnadengaben haben rechtfertigenden wie auch gemeinschaftlichen Aspekt, indem die Gnade aus der Verstrickung des Bösen und der Selbstgerechtigkeit löst und eine heilvolle Zukunft für die Kirche Jesu Christi eröffnet.13 Eine individualistische Einseitigkeit ist trotz der durchaus modern zu nennenden paulinischen Subjektkonstitution gnadentheologisch nicht intendiert,14 denn eine (ekklesiologische) Zerteilung des Herrenleibes steht nicht im Sinne der kirchlichen Gemeinschaft (vgl. 1 Kor, 10-17): Charismen sind eine Gemeinschaftsgabe. 9 Vgl. Theobald, Gnade, Sp. 767f. 10 Vgl. Werbick, Gnade, S. 28-29. Vgl. Ganoczy, Aus seiner Fülle, S. 54-59. 11 Vgl. Werbick, Gnade, S. 26. 12 Vgl. Theobald, Gnade, Sp. 768f. 13 Vgl. Theobald, Gnade, Sp. 768-770. 14 Dies gilt sowohl für die paulinische Berufungsgnade wie auch für Charismen in der Gemeinde, weil bei beiden der Gemeinschaftsaspekt der Begegnung mit Christus bzw. mit dem Leib des Herrn als Raum der Gemeinde nicht unterschlagen werden kann oder nicht ausgeschlagen werden darf.
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4. Gnade als Begegnung
In der altkirchlichen Zeit wurde die gnadenhafte Erlösung in manchen Diskurssträngen von ihrer christologisch-ekklesiologischen Maßgabe gelöst und anschließend in ihrer Eröffnung eines gerechten, erlösten Lebens zu einem vorwiegend ethischen Aufruf bzw. Quasi-Imperativ umgestaltet, der eine christologische Schieflage mit sich brachte. Ein Beispiel gelungener Tarierung unter der Beachtung heilsgeschichtlicher Vorgaben kann bei Irenäus von Lyon gefunden werden, der eine heilsgeschichtliche Grundlegung mit einer daran anknüpfenden Ethik verband: Das Heilsgeschick Jesu Christi eröffnet ein neues gottgefälliges Leben in dessen Nähe, das von der Verstrickung in die Sündhaftigkeit befreit ist und von der sündhaften Unvollkommenheit (Gottesferne wie auch böse Taten) zur Vollkommenheit in der Teilhabe am göttlichen Leben führt:15 Es ist ja auch selbst zur ‚Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde‘ geworden, um die Sünde zu verurteilen und sie nach der Verurteilung aus dem Fleisch zu verbannen (vgl. Röm 8,3), den Menschen aber in seine Ähnlichkeit (mit Gott) zurückzurufen, ihn zur Nachahmung Gottes zu bestimmen (vgl. Eph 5,1) und in das Reich des Vaters aufsteigen zu lassen, um Gott zu schauen und ihm zu schenken, den Vater zu erfassen, das Wort Gottes, das im Menschen gewohnt hat (vgl. Joh 1, 14) und Sohn eines Menschen geworden ist, um den Menschen daran zu gewöhnen, Gott aufzunehmen, und Gott daran zu gewöhnen, nach dem Wohlgefallen des Vaters im Menschen zu wohnen.16
Die heilsgeschichtliche Erfahrung, die nicht auf Israel beschränkt bleibt, sondern sowohl die Kirche als auch die Schöpfung umfasst, macht deutlich, dass die primäre Gabe Gottes er selbst ist, weswegen hier in einem übergreifenden Verständnis Gnade als die (personale und kommunikative) Begegnungswirklichkeit und die Nähe Gottes verstanden wird. Von einer trinitarischen Grundlegung aus, die die innergöttliche Gemeinschaft als relationales Liebesgeschehen versteht (vgl. 1 Joh 4, 8.16b; Joh 10, 30; 11,27), kann der schöpfungstheologische Rahmen die Heilsgeschichte ohne Brüche mit der Selbstoffenbarung als Gnadengabe einfassen: Die Schöpfung entstammt dem ungezwungen Heilsratschluss Gottes, der die Welt aus seinem Willen heraus schafft und ihre Gutheit im Segen des siebten Schöpfungstages attestiert und anerkennt: Sie ist richtig in ihrem Sosein, und indem sich Gott von den Einzelwerken wegbewegt und zum Segen der Schöpfung selbst übergeht, zeigt der Segensgestus 15 Vgl. Greshake/Faber, Gnade, Sp. 772. Der göttliche Abstieg ermöglicht einen menschlichen Aufstieg in die göttliche Herrlichkeit (Vergöttlichung) des Menschen. Vgl. Werbick, Gnade, S. 35f. 16 Irenäus von Lyon: Adversus Haereses. Gegen die Häresien. III. Übersetzt und eingeleitet von Norbert Brox (FC; 8/3). Freiburg/Basel/Wien 1995, 20,2 (S. 249-251).
Gnade als Begegnung
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in urgeschichtlicher, überzeitlicher Hymnusform an, dass der Segen nicht auf einen Punkt des Abschlusses abzielt und beschränkt ist, sondern für die Welt überzeitliche und vielmehr begleitende Geltung hat:17 Die Schöpfung wird ins Sein gesetzt und mit Segen versehen – sie wird nicht in eine Distanz entlassen, sondern ihr wird geschichtlicher Raum gewährt, der von Liebe und Vertrauen göttlicherseits zeugt.18 Der Segen umfasst die Schöpfung und zeigt ihre Begleitung durch die Zeit an, so dass die Ewigkeit des Segens und die Überzeitlichkeit Gottes der Rahmen sind, in dem Schöpfung selbst ihren Platz findet.19 Die Christologie nimmt hinsichtlich der Gnade einen eminenten Platz ein, der den Fokus nicht alleine auf die Selbstoffenbarung Gottes mit Leben, Werk, Kreuz und Auferstehung legen sollte, sondern auch die christologischen Aussagen hinsichtlich der Schöpfung in den Blick nehmen sollte: Die Schöpfung hat ihren Ort nicht in einem außergöttlichen Raum, sondern sie ist selbst im innertrinitarischen Raum der Liebe, am Ort des Sohnes (vgl. Joh 1) angesiedelt. Die Schöpfung hat ihren Ort im Heilsratschluss in gnadenhafter Nähe zu Gott – im Inneren Gottes selbst. Dass dieser Näheverlust durch die Erbsünde nicht von göttlicher Seite gewollt ist, deutet nicht nur die Selbstoffenbarung Gottes in Liebe und die Verantwortungsübernahme in narrativer Art durch Gen 1,1-3,22 an, wobei die weiteren Perikopen die narrative Aufarbeitung der gnadenvollen Heilsgeschichte in Begleitung und Zuwachs an Nähe sind – trotz einer menschlichen Distanzierung aus Nichtvertrauen gegenüber dem Heilsratschluss Gottes begleitet dieser weiterhin seine Schöpfung und lässt sie seine Nähe erfahren. So kann der Heils- und Schöpfungsratschluss Gottes als der Wille zu einem gemeinsamen Leben von Gott und Mensch(en) verstanden werden: Ein Leben in voller personeller Qualität, das dem Menschen volles Personsein im Gegenüber und Angesicht Gottes ermöglicht. Gnade zeigt sich somit durch die heilsgeschichtliche Erfahrung in erster Linie als ein Relationsbegriff.20 Der Ort dieser Begegnung ist nicht ein eschatologisches Jenseits, das sich erst mit dem Untergang oder Ende der Welt oder des Menschen verwirklicht, sondern die endzeitliche Begegnung von Gott und Mensch ist ein radikal irdisches Geschehen, dessen unüberbietbarer Höhepunkt die Selbstoffenbarung Gottes als inkarnatorisches Geschehen in der Welt ist (vgl. DV 4). In Jesus Christus sind die menschliche und die göttliche Natur geeint, ohne vermischt 17 Vgl. Moltmann, Jürgen: Gott in der Schöpfung. Eine ökologische Schöpfungslehre. München 21985, S. 279-293. 18 Vgl. Askani, Schöpfung als Bekenntnis, S. 59-65. 19 Vgl. Moltmann, Gott in der Schöpfung, S 20f. 279-292. 20 Vgl. Faber, Eva-Maria: Gnade. V. Systematisch-theologisch, in: LThK (32006) 4, Sp. 779-785; hier: Sp. 783. Vgl. Ganoczy, Aus seiner Fülle, S. 307. 352-357.
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4. Gnade als Begegnung
zu werden – sie behalten ihren jeweiligen Eigengehalt (vgl. DH 300-302) und zeigen Jesus Christus als Paradigma des gerechten und gottesfürchtigen Menschen an: Beide Naturen erhalten dadurch ihn als Ort der Begegnung in einer ungehinderten Kommunikation (im Sinne Leos des Großen).21 Die Begegnung beider Naturen in Jesus Christus stellt durch die kenotische Inkarnation, Leiden wie Auferstehung ein hochdynamisches Geschehen dar, bei welchem beide Naturen in Jesus Christus miteinander kommunizieren und deshalb keinesfalls als ein statisches Gegenüber verstanden werden dürfen.22 Das Zusammenspiel von Christologie, Schöpfungslehre sowie Anthropologie zeigt in Folge, dass hier Kommunikation nicht von einem communialen Horizont getrennt werden sollte (vgl. GS 32). Gnade als heilende Selbstgabe Gottes an den Menschen (und an die Schöpfung) ist kein reines Individualgeschehen, sondern betrifft den Menschen als Gemeinschaftswesen,23 dessen Ebenbildlichkeit gerade in seiner Gemeinschaftsdimension füreinander (und für die Schöpfung) besteht.24 Indem Gott inkarnatorisch die menschliche Natur und das menschliche Dasein als Medium und Ort der Selbstoffenbarung annahm (vgl. DV 2), wurde die menschliche Natur derart gewürdigt, dass Transzendenz und Immanenz zwar unterschieden, aber nicht ausschließend von- bzw. zueinander getrennt gedacht werden können, denn durch Jesus Christus wird das menschliche Dasein zum Ort von endgültiger Offenbarungswahrheit (vgl. GS 22, 2-6). Diese epiphanische Qualität zeigt sich insbesondere am Antlitz des Menschen, denn mit der Inkarnation hat sich Gott mit jedem Menschen verbunden, wodurch das Antlitz als Ikone eine gesättigte Phänomenalität mit sich bringt:25 In der Begegnung mit dem Menschen begegnet der Mensch Gott. Dass der Mensch in seiner Antlitzhaftigkeit zu einem (exponierten) Ort der Gotteserfahrung durch Inkarnation und Auferstehung geworden ist, ist nicht unmittelbar objektiv und evident einsichtig, sondern zeigt sich vielmehr als Phänomen der Endzeit: Wie Erlösung nur im Glauben einsichtig und verstehbar ist (vgl. 1 Kor 1, 18-25), so lässt sich das (ikonische) Antlitz des Menschen in seinem nicht objektivierbaren Überschuss (als gesättigtes Phänomen) nur im Glauben als Ort der Gottesbegegnung und -erfahrung deuten. Das Antlitz des Menschen bricht in ikonischer Weise in die Welt des Menschen ein und 21 Vgl. DH 290-295 [tomus ad Flavianum]. 22 Vgl. Grillmeier, Alois: Jesus der Christus im Glauben der Kirche. Bd. 1: Von der apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalkedon 451. Freiburg/Basel/Wien 21982, S. 740f. Vgl. Arens, Herbert: Die christologische Sprache Leos des Großen. Analyse des Tomus an den Patriarchen Flavian (FthS; 122): Freiburg/Basel/Wien 1982, S. 345. 352f. 23 Vgl. Faber, Gnade, Sp. 784. Vgl. Ganoczy, Aus seiner Fülle, S. 335-338. 24 Vgl. Dirscherl, Sprechen Gottes, S. 50. 25 Vgl. Marion: Erotische, S. 302-306. Vgl. ders., Gott ohne Sein, S. 40f.
Gnade als Begegnung
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irritiert durch seine Undefinierbarkeit und Erhabenheit. Es fordert durch seine Gegenintentionalität heraus,26 wobei es gerade durch seinen Überschuss als Ort der Entbergung und der endzeitlichen Lichtung verstanden und gedeutet bzw. vielmehr geglaubt werden kann. Das ikonische Antlitz als Ort des Überschusses bleibt aber weiterhin ein prekäres Phänomen, das weder Evidenz noch Handhabbarkeit mit sich bringt. Es ist ein Grenzphänomen für den Menschen, weil es an der Grenze der menschlichen Erfahrbarkeit aufsteigt, diese markiert und überschreitet: Es fordert nicht alleine den Menschen zu einer Antwort, sondern im gleichen Zug überfordert es ihn auch.27 Das Aufscheinen und Einbrechen des Antlitzes gibt sich frei und ohne jede Kontrollierbarkeit durch den Beobachter, denn er kann es in primärer Passivität alleine empfangen.28 Der Überschuss des Antlitzes (bzw. des gesättigten Phänomens) irritiert in radikaler Weise, weil es nicht definiert oder objektiviert werden kann – es widersetzt sich einer menschlichen Kontrolle durch seine Gegenintentionalität und seinen Überschuss.29 Wie der Überschuss selbst nicht objektivierbar ist, kann dieser als Sättigung des Phänomens auch nicht durch eine Fokussierung als Einzelaspekt in den Blick genommen und damit eingegrenzt werden. Die Wahrnehmung des Erhabenen zeichnet sich durch die gegebene Überfülle demnach aus, dass darin kein Gegenstand in objektiver Weise vernommen wird, sondern dass Zuviel der Wahrnehmung (als befremdliche Wahrnehmung der gestörten und irritierten Wahrnehmung) selbst erfahren wird.30 Das Antlitz hat in seinem Einbruch in die jeweilige Lebenswelt des Einzelnen einen ereignishaften Charakter (im Sinne Badious); es bringt aber selbst keine Deutung mit sich. Es fordert zu einer Antwort, Positionierung und Deutung heraus, wodurch sich der Einzelne dem Antlitz gegenüber verhält und in der Lage ist, eine Subjektivierungsgeste auszuführen: Der Ruf gibt mich mir und als mich oder, kurz gesagt, er individualisiert mich, weil er mich von allem Eigentum bzw. von allem Besitz von Eigenem löst, indem er mir dieses gibt und einen Vorgriff dieses Eigenen auf sein Empfangen durch mich und als mich zulässt. […] Der Ruf – und nicht das Ich – entscheidet mir zuvor über mich. Ich ist nur, insofern es ein Ruf je schon beanspruchte und ihm es selbst folglich als mich/mir gab. Die Eigentlichkeit hat die allein ursprünglich gegebene Uneigentlichkeit nachträglich hinter sich verborgen.31
26 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 379f. 27 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 389-391. 28 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 160f. 224. 29 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 360f. 30 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 364f. 31 Marion, Gegeben sei, S. 446.
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4. Gnade als Begegnung
Mit der Deutung geht simultan eine Annahme des Phänomens einher – es tritt mit der Deutung des gesättigten Phänomens eine indirekte Sichtbarkeit hervor: Der unhörbare und ungegenständliche Anruf wird durch die Antwort sichtbar. In der deutenden Refiguration zeigt sich nicht der Überschuss selbst, dafür wird seine Wirkung am Einzelnen sichtbar: Der Hingegebene lokalisiert den Horizont ihrer Sichtbarkeit. Er lässt einen Ruf sehen, wenn er ihn innerhalb seiner eigenen Sichtbarkeit akzeptiert. Er manifestiert das Apriori im Prisma seines Aposteriori. Sich-Gegebenes (ein Ruf) wird Phänomen – zeigt sich – durch das, was ihm antwortet und es so in Szene setzt. […] Das ursprüngliche Wort wird von anderswoher gesagt, eventuell (dies ist aber keineswegs zwangsläufig) von einem zuvorkommenden Anderen. Ich kann es folglich nicht hören, weil es sich in einer noch nicht gehörten Sprache ausdrückt und vor allem, weil es in einem Raum ertönt, dessen Horizont ich nicht im Vorhinein festlegen kann. Kurz: Das ursprünglich gesagte Wort nimmt den Rang eines Rufes ein. Es ist eröffnend, aber bleibt unhörbar. Im Gegenteil: Die Antwort, die sich im Raum meines Verstandes und innerhalb seines Horizontes vernehmen lässt, vollzieht ein zweites Wort. Dieses wurde ursprünglich gehört, aber nicht selbst hervorgebracht, da es ja per definitionem nur Empfangenes sagt, so als würde es dies also ohne Eigenbeteiligung und zu sich selbst sagen. […] Der Hingegebene hat keine Sprache oder einen λόγος zur Eigenschaft, doch macht er die Entdeckung, damit dotiert worden zu sein, d.h. mit Gaben ausgestattet worden zu sein, die sich nur zeigen, wenn er sie an ihren unbekannten Ursprung zurückgibt. Daher gilt einzig die Antwort als performative Durchführung des Rufes, und daher macht der Hingegebene das, was sich ihm gibt, einzig dadurch sicht- und hörbar, dass er mit diesem im Vollzug der Antwort, die ‚hier bin ich‘ sagt, kor-respondiert. […] Ertönt ein Ruf nur in der Antwort, dann folgt daraus, dass die Antwort zu seiner phänomenologisch ersten, also zu seiner Erstmanifestation wird.32
Das Antlitz als gesättigtes Phänomen ist alleine für den denjenigen erfahrbar, der sich in Offenheit ihm gegenüber verhält, es erwartet und dessen Anruf beantwortet. Auf die Erlösung umgebrochen und mit der paulinischen Ereignislogik im Sinne Badious aufgearbeitet, zeigt sich die Erlösung nur für die Erlösten und ist für diese verständlich. Der Glaube ist nur für die Glaubenden stimmig und richtig bzw. glaubwürdig und logisch, weil sie den einbrechenden λογος sich zeigen und sagen lassen und in einer Refigurationsgeste als maßgeblich angenommen haben: Jesus von Nazareth ist der Sohn Gottes und der Erstandene ist der Gekreuzigte, was das Kreuz nicht zu einem Ort des Scheiterns, sondern zu einem Ort der Entbergung und Erlösung werden lässt. Was hier stirbt und von göttlicher Seite durchwandert wird, ist die Gottesferne eines narzisstischen Gottesbildes, das der Mensch konstruiert hat, damit es 32 Marion, Gegeben sei, S. 473f.
Die Selbstoffenbarung
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für ihn verfügbar, gefügig und handhabbar ist. Die Größe und Gnade Gottes zeigt sich darin, dass Gott dem Menschen auch in niedrigster und erniedrigter Form nahe sein will, kann und auch ist – Gott ist nicht ohnmächtig, er ist unmächtig.33 Das Allerheiligste des Tempels ist leer, weil Gott nicht mehr in der Distanz und in der Transzendenz zu verorten ist (vgl. Mk 15, 38); die Gnade Gottes zeigt sich am Kreuz und somit in der Unmittelbarkeit des Menschen. Am Kreuz stirbt nicht nur die Distanz von Gott und Mensch, sondern es stirbt auch ein allzu enges und menschlich verfügtes Gottesbild, indem das Kreuz zum Ort der Entbergung wahrer göttlicher Größe wird.34 4.1
Die Selbstoffenbarung
Damit findet mit dem Kreuz nicht alleine ein historischer Karfreitag statt, sondern durch das Kreuz geschieht auch ein spekulativer Karfreitag, der menschliche Idolatrie durchkreuzt und Gott Gott sein lassen kann.35 Die Offenbarung Gottes enthält in ihrer Gegenintentionalität die Anlage zur Desillusionierung verstellender Vorgaben und verbergender Gottesbilder.36 So kann vielmehr gesagt werden, dass die Selbstoffenbarung Gottes am Kreuz die Potenz zur Götzendämmerung innehat,37 was aber eine heilsame Desillusionierung zur Folge hat, die dem Menschen den Blick neu zentriert und anzeigt, dass die 33 Vgl. Balthasar, Hans Urs von: Theodramatik. Bd. III: Die Handlung. Einsiedeln 1980, S. 307f. 34 Wird Gott im begrenzenden Horizont des Tempels eingefasst und dort verortet, geschieht durch diese Lokalisierung im templum und sanctum als ‚Abgemessenes‘ und ‚Eingezäuntes‘ eine idolatrische Verkürzung Gottes, durch welche sich die Göttlichkeit Gottes nicht zeigen kann. Die Aufhebung des Jerusalemer Tempels kann somit auch als anti-idolatrische Geste Gottes verstanden werden. Vgl. Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Jean-Luc Marion. Studien zum Werk. Dresden 2013, S. 7-15; hier: S. 10. 35 Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 119. 121. 127. Vgl. Hegel, PhG, S. 419 (736-738). Vgl. Žižek, Slavoj: The fear of the four words. A modest plea for the hegelian reading of the christianity, in: Ders./Milbank, John: The monstrosity of Christ. Paradox or Dialetic? Hg. von. Creston Davis. Cambridge/London 2009, S. 24-109; hier: S. 37. 39. 74-76. 81. Vgl. Balthasar, Glaubhaft, S. 62. Die Durchstreichung Gottes wird von Marion übernommen, um eine Reduktion der eigenen Gottesprojektion zu ermöglichen. Marion selbst übernimmt diese Idee von Heidegger, der das Sein durchstreicht. 36 Die Selbstoffenbarung Jesu Christi besitzt daher ein immenses subversives Potenzial, das gängige Vorstellung der Göttlichkeit als zu dekonstruierende Verstellungen entblößt, weswegen hier auch die provokante These Jean-Luc Nancys ihre Richtigkeit aufweisen kann: „Das Christentum ist, durch und in sich selbst, eine Dekonstruktion und eine Autodekonstruktion“ (Nancy, Dekonstruktion des Christentums, S. 58.). 37 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 407.
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Begegnung mit Gott eine zutiefst irdische und diesseitige Dimension besitzt, die aber umso mehr die Relevanz für den jetzt lebenden Menschen anzeigt: „In der Auflösung der Hinterwelten und ihrer Nebelschleier liegt das Geheimnis des Heils.“38 Diese Subversion idolatrischer Gottesbilder führt aber dadurch auch zu einer Irritation, da der eigene symbolische Welthorizont auch durchkreuzt wird und von diesem Abschied genommen werden muss, weswegen Louis-Marie Chauvet im Anschluss an Jean-Luc Marion und Jacques Lacan konstatiert: Es ist ein langsamer Lernprozess des Loslassens, es ist eine ständige Trauerarbeit, bei der sich nach und nach in uns selbst ein ‚aufrichtiges‘ vorbehaltloses Einverständnis zum ‚vorhandenen Fehl‘ einstellt. In den Worten des Evangeliums ausgedrückt hieße es: Es ist der Weg der Umkehr hin zum Eingeständnis des Fehlens eines Gottes, der sich im Unter-Menschlichen dieses Gekreuzigten, den die Menschen zutiefst erniedrigt haben, ‚verflüchtigt‘, und wo der Glaube im paradoxalen Bewusstsein die Herrlichkeit Gottes bekennt. Der gekreuzigte Gott ist nicht gleichzusetzen mit dem Sein [bzw. dem symbolischen Seinshorizont], das man durchstreicht. Die kenotische Durchstreichung, die mit ihm durch das Kreuz geschieht, stellt weniger das Nicht-Seiende dar als vielmehr das Nicht-Andere. Die Mè-Ontologie, um die es hier geht, gehört nicht zur Kategorie der negativen Onto-(Theo)-Logie, sondern zur symbolischen Ordnung: Indem sie ihn bis dahingehend entstellen, dass jegliche Alterität aus ihm ausgelöscht wird, indem sie ihn auf ein Nicht-Antlitz, auf ein Nicht-Subjekt, auf ein ‚Objekt‘ des Spotts reduzierten (vgl. Jes 52, 14), haben die Menschen Jesus zu einem mè on gemacht (vgl. 1 Kor 1, 28). Paulus bringt dies auf kulturell geprägte Art und Weise zum Ausdruck, indem er dafür die Figur des Sklaven verwendet. Dass das Nicht-Antlitz des Gekreuzigten die ‚para-doxale‘ Spur des Angesichts der göttlichen Herrlichkeit sei, dass das Gesicht Gottes sich nur zeigt, indem es sich verwischt, dass Gott folglich weniger in der metaphysischen Ordnung des Unerkennbaren zu denken ist als vielmehr in der symbolischen und historischen Kategorie des Un-Kenntlichen (frz. mé-connaissable), das ist die Torheit, die der Theologe in seinem Diskurs auszudrücken versucht.39
Das endgültige Offenbarwerden Gottes bei seinem Volk, den Menschen und der Schöpfung ist daher kein Phänomen unmittelbarer Evidenz, weil dies als gesättigtes Phänomen die menschliche Perzeptionsfähigkeit übersteigt und nur an deren Rand erfahrbar ist.40 Ein direkter Ausweis der Göttlichkeit Jesu Christi ist nicht möglich; so präsentiert sich der historische Jesus auch nicht als der gekommene Messias oder als die Selbstoffenbarung Gottes. Er verkündigt 38 Nancy, Dekonstruktion des Christentums, S. 137. Vgl. ebd., S. 174f. 39 Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 85. Entscheidend für das Verständnis an diesem Punkt erscheint, dass Fehl bzw. Fehlen nicht mit Inexistenz Gottes synonym gesetzt werden darf. Vgl. ebd., S. 95-97. 40 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 506f.
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die angebrochene Königsherrschaft seines Vaters und lässt diese mit autoritativen Gesten (Gleichnisse, Heilung und Gastmähler) aufscheinen, wobei diese Gesten und Zeichen der sich entfaltenden Gottesherrschaft ebenfalls nicht selbstdeutend sind: Sie bleiben Zeichen (Signifikantenebene), die auf ein Bezeichnetes (Signifikatenebene) hinweisen und verweisen (Zeichen ≠ Ding). Dem Beobachtenden obliegt die Deutung der Gesten Jesu und die Entscheidung, ob sie in einer Fundamentalentscheidung dem Anbruch der endzeitlichen Gottesherrschaft Glauben schenken:41 Johannes hörte im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir einen Anstoß nimmt. (Mt 11, 2-6)
Durch die Fundamentalentscheidung gegenüber Jesu und die anschließende Deutung geht auch eine Positionierung einher: Glaubt man an Jesus als den Christus (vgl. Röm 10, 9f.) oder bleibt er durch die Ablehnungs- oder Unentschiedenheitsgeste nur Jesus von Nazareth, so dass alleine die menschliche Oberfläche anerkannt wird (vgl. Mk 3, 20f.). Das Kreuz wird durch die Annahme zur parallaktischen Gabe: Das Phänomen des Kreuzes bleibt bestehen, aber es eröffnet durch den Glauben einen neuen Verständnishorizont, dessen Ausmaße erst retrospektiv rekonfiguriert bzw. gedeutet werden können. Ein Beispiel von paradigmatischer Qualität für die parallaktische Gabe des Kreuzes und annehmend deutende Rekonfiguration sind die Emmaus-Jünger (vgl. Lk 24, 36-54), deren Glauben für sie selbst einen neuen Status von epistemischer Sicherheit bringt, deren Deutung dieser Einsicht fraglich, prekär und fragil bleibt, weswegen sie diese Einsicht auch als Frage formulieren (vgl. Lk 24, 32), die zur interpersonellen und intercommunialen Deutung offen bleibt und nicht durch eine interpretative Gewaltgeste vereindeutigt und in Statik überführt werden kann.42 Das Kreuz als parallaktische Gabe hat einen Ereignis-Status, indem es im Sinne Badious eine neue Logik als überzähliges, außenstehendes Element mit sich bringt.43 Das Kreuz wird durch seinen irritierenden Einbruch zu einem 41 Vgl. Gnilka, Matthäusevangelium, S. 406-409. Eigentlich wäre eine Selbstauskunft, wie „Ich bin es“ angemessen. Diese Erwartungshaltung wird aber bewusst enttäuscht, um zur existenziellen Stellungnahme herauszufordern: Der Einzelne soll selbst zum Zeugen werden. 42 Vgl. DH 806 (Lateran IV). Vgl. Klug, Sprache, Geist und Dogma, S. 63-66. 100f. 109. 43 Vgl. Badiou, SuE, S. 207.
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Rekonfigurations- bzw. Rekompositionspunkt, wobei das Kreuz es dem bekennenden Beobachter erlaubt, durch die Subjektivierungsgeste des Bekenntnisses in einen Subjektstatus zu wechseln und ein neues überzeitliches Narrativ auszubilden.44 Als generisches Moment (Einbruch des Logos) ermöglicht es dem deutenden Subjekt, eine neue und erweiterte Logik zu formulieren und eine aktualisierte, umfassendere Sinnstruktur auszubilden.45 Da das Ereignis durch seine neue Axiomatik eine Neukomposition und Rekonfiguration des bestehenden Horizonts ermöglicht, bleibt auch das Zeitverständnis des Einzelnen nicht unberührt: Die Zeit selbst wird in einen vorereignishaften und einen nachereignishaften Raum eingeteilt. Die angebrochene Endzeit ist dadurch durch das Ereignis der Selbstoffenbarung Gottes mitgegeben. Weil das Ereignis der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus nicht mehr steigerbare Qualität innehat, erfüllt sich durch die Fleischwerdung seines Sohnes sein ewiger Heilsratsschluss (vgl. Joh 1, 14-18), indem er seinem Volk und seiner Schöpfung seine Nähe neu und unüberbietbar anbietet und auch nahe ist.46 Der Prozess der (Wieder-) Annäherung von Gott zum von ihm entfremdeten Menschen findet in Jesus Christus seinen Abschluss. Der ewige Heilsratsschluss kommt durch ihn zur endgültigen Manifestation, wobei diese Manifestation nicht die Zeit abbrechen lässt, sondern diese in der endzeitlichen Entfaltung mit einer neuen Qualität versieht: Die endgültige Selbstoffenbarung Gottes gibt der Zeit eine völlig neue und einmalige Dimension. Für Badiou bringt das Ereignis (trotz der Rekomposition der Vergangenheit) keine neue Zeitqualität mit sich – die Zeit bleibt auf der Ebene der horizontalen Chronologie verfasst. Das entscheidende Subjekt spricht zwar vom Ereignis in der Hoffnung auf dessen Ausweis und Bestätigung im Futur II, jedoch lassen die gleichbleibende Zeitqualität und Badious atheistischer Horizont die Frage aufkommen, ob ein solcher Ausweis je stattfinden kann bzw. wird und ob dies überhaupt (in postmetaphysischer Konzeption) intendiert ist.47 Deutlich fruchtbarer und anschlussfähiger für die Aufarbeitung der Zeit im Hinblick auf die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus präsentiert sich die Zeitkonzeption von Giorgio Agamben, die er anhand des Römerbriefes Pauli erarbeitet. Durch den messianischen Einbruch Christi in die Welt vollzieht sich eine innere Wandlung der Zeit, die die Zeit nicht enden lässt, sondern 44 Vgl. Badiou, SuE, S. 285. 444f. Vgl. ders., Theorie, S. 326-328. 331. 351f. 362f. Vgl. ders., Paulus, S. 55-61. 45 Vgl. Badiou, SuE, S. 285. 445. 46 Vgl. Müller, Katholische Dogmatik, S. 254f. 316. 47 Vgl. Badiou, SuE, S. 446-456. Vgl. ders., Paulus, S. 115-119. Vgl. Finkelde, Politische Eschatologie, S. 48.
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eine qualitativ neue Spanne der Zeit mit sich bringt: Die Zeit des Endes.48 Die bisherige, profane Zeit wird durch den messianischen Zeitraum nicht aufgekündigt oder überwunden; sie bleibt auf ihrer Oberfläche gleich und zum vorherigen Zustand ununterscheidbar. Die messianische Zeit gibt der profanen, chronologischen Zeit eine relativierende und kairologische Vertiefung, indem sie die profane Zeit zusammendrängt und implodieren lässt.49 Im Anschluss an den Linguisten Gustave Guillaume beschreibt er die messianische Zeit als operative Zeit, in welcher der Einzelne sich in ein neues Verhältnis zur Zeit durch die eschatologische Selbstoffenbarung Gottes setzen kann: Sie ist aber auch nicht einfach ein von der chronologischen Zeit herausgehobenes Segment, das von der Auferstehung bis zum Ende der Zeit dauert: Sie ist vielmehr die operative Zeit, die in der chronologischen Zeit drängt, die diese im Innern bearbeitet und verwandelt, die Zeit, die wir benötigen, um die Zeit zu beenden – in diesem Sinne: die Zeit, die uns bleibt. Während unsere Darstellung der chronologischen Zeit als derjenigen Zeit, in der wir sind, uns von uns trennt und uns sozusagen in ohnmächtige Zuschauer unserer selbst verwandelt, die ohne Zeit die flüchtige Zeit betrachten, ist die messianische Zeit als operative Zeit, in der wir unsere Zeitdarstellung ergreifen und vollenden, die Zeit, die wir selbst sind – und daher die einzige reale Zeit, die einzige Zeit, die wir haben.50
Die operative Zeitlichkeit nimmt eine eschatologische Relativierung der gegenwärtigen Verhältnisse vor, ohne diese aufzukündigen oder abzuschaffen. Das Gegenwärtige wird im Anschluss an 1 Kor 7 unter den Status des ‚Als-obnicht‘ gestellt:51 So ist gegenwärtig die Gesellschaft in Klassen und asymmetrische Strukturen eingeteilt, die eine Separation der Menschen untereinander zur Folge hat. Dagegen relativiert die Begegnung mit Jesus Christus den irdischen Beruf durch die messianische Berufung in sein Volk, die Kirche:52 „Die 48 Vgl. Agamben, Giorgio: Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Aus dem Italienischen von Davide Giuriato (es; 2453). Frankfurt 42012, S. 75. 49 Vgl. Agamben, Zeit, die bleibt, S. 77. 82f. 50 Agamben, Zeit, die bleibt, S. 81. 51 Dabei verfällt Paulus keinem naiven Gnostizismus, der Weltflucht propagiert, sondern gibt zu verstehen, dass die eschatologische Freiheit, die sich in ihrer endgültigen Fülle unmittelbar vollenden wird, nicht neben oder außerhalb der Welt zu finden: Hier ist bereits der Ort der Vollendung. Vgl. Schrage, Wolfgang: Der erste Brief an die Korinther. 2. Teilband. 1 Kor 6, 12-11, 16 (EKK; VII/2). Neukirchen-Vluyn 1995, S. 173f. 52 Vgl. Agamben, Zeit, die bleibt, S. 33-46. An diesem Punkt gilt es, diesen Gedanken sehr kleinschrittig und in seinem weiteren Oeuvre hinsichtlich der Messianität zu beachten, weil nicht eindeutig ist, wie Agamben die Messianität Christi in der Differenz zwischen Judentum und Christentum betrachtet bzw. ob sich aus der messianischen Indifferenz eine nachfolgende, differenzierende Konsequenz vertreten lassen kann (vgl. Agamben, Zeit, die bleibt, S. 26-29. 149.). Dominik Finkelde weist darauf hin, dass Agamben Paulus
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messianische Berufung ist die Widerrufung jeder Berufung.“53 Die messianische Berufung setzt eine befreiende Potenz für den Einzelnen frei, die eine strikte Bindung an irdische Gegebenheiten (Beruf, Besitz, Stand et cetera) radikal in Frage stellt und so einen neuen Handlungs- und Gebrauchsspielraum eröffnet.54 Die messianische Berufung lässt nach Erwin Dirscherl den Einzelnen zu einem ver-rückten Subjekt werden, das durch die gewonnene Distanz zur Alltagsordnung eine neue Freiheit erfährt.55 Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken: auch wenn du frei werden kannst, lebe lieber als Sklave weiter. Denn wer im Herrn als Sklave berufen wurde, ist Freigelassener des Herrn. Ebenso ist einer, der als Freier berufen wurde, Sklave Christi. Um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Macht euch nicht zu Sklaven von Menschen. (1 Kor 7, 21-23)
Die messianische Berufung eröffnet durch die Relativierung der irdischen Verhältnisse eine enorme subversive Potenz, die einen neuen operativen Status der Erlösung und der existenziellen Neuverortung in der Welt zulässt.56 Die vor allem als Grenzfigur denkt, der nicht einfach der einen oder der anderen Seite zugeordnet werden kann. Im Hinblick auf die Moderne versucht Agamben im Homosacer-Projekt deren Grenz- und Schwellenstatus zu eruieren, wobei der Muselmann im Lager zum Paradigma des Menschen in der Moderne wird, über den eine Biomacht verfügt (vgl. Agamben, Giorgio: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Aus dem Italienischen von Hubert Thüring (es; 2068). Frankfurt 2002, S. 13. 16. 18.): „Wenn er [Agamben] das Leiden von Juden im Konzentrationslager, wie es der ‚Muselmann‘ als Typus und Grenzfigur verkörpert, mit dem Messianismus von Paulus in Beziehung setzt, so darf nicht vergessen werden, dass Agamben Paulus gerade nicht als Begründer der Ekklesia versteht, sondern ihn als Theoretiker (und Vollender?) des jüdischen Messianismus zu rehabilitieren versucht“ (Finkelde, Politische Eschatologie, S 59.). 53 Agamben, Zeit, die bleibt, S. 34. 54 Vgl. Agamben, Zeit, die bleibt, S. 37. Diese Potenz gibt dem Einzelnen die Möglichkeit, eine Entscheidungsgeste durchzuführen und diese anschließend in befreiten Handlungen als Konsequenz umzusetzen. Ein Potenzialseröffnung steht daher konträr zu einer Bevormundung. 55 Vgl. Dirscherl, Erwin: Wandlung als Transitus. Präsenz als vor-über-gehende Gegenwart, die bleibt, , in: Bruckmann, Florian (Hg.): Phänomenologie der Gabe. Neue Zugänge zum Mysterium der Eucharistie (QD; 270). Freiburg/Basel/Wien 2015, S. 243-267; hier: S. 258f. 262. 56 Die Angabe von ‚Potenz‘ wird hier unter Bezug auf Agamben dezidiert vorgenommen, um die Begegnung von Gott und Mensch auf Ebene der Augenhöhe auszuweisen. Eine reine Passivität wird der Ebenbildlichkeit des Menschen nicht gerecht, weswegen auch stets von einer primären Passivität ausgegangen wurde. Die gnadenhafte Erlösung zeigt sich in der hiesigen Deutung als erneuertes Nahekommen in höchster Intimität, was aber durch die strenge Lesart des protestantischen sola-gratia-Axioms derart nicht ausweisbar ist, da die Personalität des Menschen auf eine schiefe Ebene gerät und der Mensch in gewissem
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paulinische Ironie des ‚Als-ob-nicht‘ kann daher in einer Umschreibungsgeste den prozessualen Status der Christen als Erlöste gegenüber einer allzu engen irdischen Fixierung lösen.57 Irdische Verhältnisse haben daher für den Berufenen keinen Status der Endgültigkeit mehr. Ihre Bindungsmacht wurde durch die Unmacht Jesu Christi gebrochen, weil sie in ihrer Kontingenz ‚als Schein falscher Stabilität‘ erkannt wurden.58 Das ‚Als-ob-nicht‘ meint den Umschlagspunkt, an dem das Subjekt im Loslassen der Dinge nahezu allmächtig wird, wo es sich von allen weltlichen Werten, sogar von seiner eigenen Identität, lossagen kann. Agamben weist darauf hin, dass alle weltlichen Werte (Liebe, Besitz, etc.) im gewissen Sinn auf einem auf Chronologie Zeitverständnis beruhen, was den Schluss zulässt, dass diese Werte genau in dem Moment unter den Ausspruch des ‚Als-ob-nicht‘ gestellt werden können, wenn die Chronologie durch die messianische Zeit entmachtet wird. […] Es ist diese Erfahrung, die ein Leben in der Dimension des ‚Als-ob-nicht‘ möglich macht, da sie die Macht von Dingen des alltäglichen Lebens wie Liebe, Beziehung, Besitz dort bricht, wo der Einflussbereich der chronologischen Zeit auf diese Bereiche durch die Einbindung des Kairos ins Gegenteil verkehrt wird.59
Die erfüllte Zeit findet selbst als operative Zeit im Raum und Horizont der profanen und chronologischen Zeit statt, wobei beide Zeitformen nicht unter der Verfügungsgewalt des Einzelnen stehen, sondern nur in von außen kommender Gegebenheit erfahrbar sind. Doch spaltet sich die Zeit für das messianische Subjekt derart auf, dass es in einer Minimaldifferenz zur profanen Zeit sich verortet weiß und dadurch unzeitgemäß (im Sinne Nietzsches) wird.60 Das messianische Subjekt kann dadurch zum Zeitgenossen im eigentlichen Sinn werden, weil es durch die unzeitgemäße Minimaldifferenz in einer Reflexionsposition gegenüber der Zeit selbst stehen kann: Das messianische Subjekt geht nicht vollkommen in der Zeit auf und ist ihr dennoch nicht vollständig Sinne auf einen Objektstatus reduziert wird. Vgl. Menke, Karl-Heinz: Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus. Regensburg 2012, S. 127. 57 An diesem Punkt zeigt sich, dass Ironie im (christlichen) Glauben, wie ihn John D. Caputo versteht, ein konstitutiver Punkt ist. Die Auto-Dekonstruktion des Glaubens und der Relate, die mit dem Glauben gebunden sind, ist durch die unmögliche Gottesrelation grundgelegt, die alle endlichen Bezugspunkte in ihrer Endlichkeit erkannt und dadurch simultan relativiert. Vgl. Caputo, John D.: Looking the Impossible in the Eye: Kierkegaard, Derrida and the Repetition of Religion, in: Cappelørn, Niels Jørgen/Deuser, Herman/ Stewart, Jon (Hg.): Kierkegaard Studies. Yearbook 2002. Berlin/New York, S. 1-25; hier: S. 20-24. 58 Finkelde, Politische Eschatologie, S. 52. 59 Finkelde, Politische Eschatologie, S. 52f. 60 Vgl. Agamben, Giorgio: Nacktheiten. Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko. Berlin 2010, S. 22.
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enthoben, um in einer Phasenverschiebung (im Raum des Zwischen) die Zeitlichkeit der Zeit selbst erfahren zu können.61 In Weiterführung von Marions Darlegung kann die erfüllte Zeit als gesättigtes Phänomen beschrieben werden, welche nicht selbst zu beobachten ist, aber in indirekter Weise über deren Rezeption und Deutung eine QuasiVernehmbarkeit erhält (vgl. Mt 11, 26). Über den Empfang und die Annahme vollzieht sich eine parallaktische Perspektivverschiebung hin zu einem neuen, erlösten Blick: Sie ermöglicht ein neues Sehen und Denken des Menschseins in Offenheit für den Anderen, da die Einsicht in die eigenen (allzu narzisstischen) und die fremden, bindenden Belange in ihrem verschließenden Charakter eröffnet wurden – Erlösung geschieht nicht in einem zeitenthobenen Jenseits, sondern vollzieht sich gerade aktuell in der Entfaltung des Gottesreiches.62 4.2
Die bleibende Begegnung – die Gegenwart Christi in der Kirche63
Die Zeit des Endes bietet (in der Möglichkeit der Selbstverortung) dem Einzelnen eine geweitete Perspektive der Welt an, die die Dinge in ihrer Oberfläche relativieren und diese auch als Gabe erfahren lassen. Die erfüllte Zeit gibt sich als Gabe, welche ein neues Denken und Sehen ermöglicht:64 Die Dinge der Welt werden transparent und bleiben nicht auf die Horizontbeschränkung des Einzelnen verfasst. Diese Zeit des Endes kommt somit mit einem sakramentalen Charakter einher, weil sie nicht die Zeit ist, in der man auf das Ende hofft, sondern weil sie die Zeit ist, in der das Ende schon gegenwärtig und operativ durchscheint.65 Phänomenologisch kann der Umschlag der Perspektive von der verengten Oberfläche des Idols zur sich gebenden und zeigenden Ikone mit ihrem Überschusscharakter nur deskriptiv beschrieben werden, aber nicht im Horizont 61 Vgl. Agamben, Nacktheiten, S. 23: „Zeitgenossenschaft ist also ein spezielles Verhältnis zur Gegenwart: Man gehört ihr an, hält jedoch gleichzeitig Abstand zu ihr; genauer gesagt ist sie jenes Verhältnis zur Zeit, in dem man ihr durch eine Phasenverschiebung, durch einen Anachronismus angehört. Diejenigen, die restlos in ihrer Epoche aufgehen, die in jedem Punkt mit ihr übereinstimmen, sind nicht zeitgenössisch, weil sie sie gerade deshalb nicht sehen, nicht beobachten können.“ Vgl. ebd., S. 34. 62 Vgl. Agamben, Giorgio: Kirche und Reich. Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko. Berlin 2012, S. 18f. 22. 63 Es soll an dieser Stelle keine umfassende Ekklesiologie oder Sakramentenlehre vorgelegt werden. Es findet dadurch eine reduzierte Darstellung und nur ausgewählte Bezugnahme zum thematischen Horizont der Erbsündenlehre statt. 64 Vgl. Agamben, Kirche und Reich, S. 18f. 65 Vgl. Menke, Sakramentalität, S. 53. 163.
Die bleibende Begegnung
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der Theologie als Gnade gedeutet werden, weil es deren streng atheistischen Methodologie entgegen steht.66 Das Durchscheinen einer größeren Wirklichkeit als die Oberfläche, die als Erhabenheit ins Staunen versetzt, bricht nicht unmittelbar mit einer vorgegebenen Deutung (bzw. einer begrifflichen Eigendefinition) in die Welt des Einzelnen ein, sondern stellt in Umkehrung der Selbstverständlichkeit diese vielmehr in Frage: Sie kommt mit einer Gegenintentionalität einher.67 Das einbrechende Ereignis (nach Badiou) ermöglicht eine rekomponierende Deutung der Welt, wobei das Ereignis in seiner Deutung und Benennung zur Nahtstelle der gesamten Wirklichkeitsdeutung wird, weil es als überzähliges Element (in zahlentheoretischer Perspektive) einen Schwellenstatus innehat:68 Es bricht in die Welt ein, ohne in ihr aufzugehen, weswegen es im strengen Sinn als ein Grenzphänomen erscheint. Die Inkarnation Jesu Christi (mit Kreuzigung und Auferstehung) stellt für Christen das maßgebliche Ereignis (als Beginn der Endzeit) dar, das eine eminent neue Wirklichkeitsdeutung und -perspektive ermöglicht. Gott offenbart sich nicht nur in unüberbietbarer Weise selbst, sondern er verbindet sich selbst in untrennbarer Weise (entgegen dem Modalismus) mit dieser Offenbarungsgestalt. Die Welt wird dadurch zum bleibenden sakramentalen Ort der Gottesbegegnung, von dem sich Gott den Menschen durch die Oberfläche der Endlichkeit hindurch mitteilt.69 Die endliche Oberfläche des Dings bleibt in ihrem kontingenten Status bestehen, aber bleibt nicht auf diesen beschränkt: Die Mitteilung Gottes an den Menschen geschieht durch die endliche Oberfläche hindurch, überschreitet bzw. transzendiert diese und lässt über die Sakramentalität seine Selbstmitteilung an den Menschen transparent werden. Wie auch menschliche Selbstmitteilung an die nächste Person nie unmittelbar geschieht, sondern eine Materialität (wie Gesten, Zeichen oder Worte) benötigt und dadurch medial codiert ist, und zum Verstehen durch das Gegenüber decodiert, also gedeutet, werden muss, ist auch die Kommunikation zwischen Gott und Mensch nicht immateriell und unmittelbar evident. Darum hat die göttliche Selbstmitteilung auch eine materielle Seite (endliche Oberfläche; Signifikantenebene) und eine inhaltliche Seite (semantische Tiefe; Signifikatenebene), die den Menschen dialogisch auf (relativer) Augenhöhe anspricht, ihn zur Beziehung und
66 Vgl. Gondek/Tengelyi, Phänomenologie, S. 158. 165. 67 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 379f. Vgl. ders., Aspekte der Religionsphänomenologie, S. 25f. 34. 68 Vgl. Badiou, SuE, S. 207. 69 Vgl. Menke, Sakramentalität, S. 53. 59.
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zur Deutung der Mitteilung einlädt und dadurch einen responsorischen Raum der Gemeinschaft eröffnet.70 Die Transparenz der Selbstmitteilung Gottes an sein Volk und an die Schöpfung erfährt in der (analogen) Sakramentalität der Kirche (vgl. LG 12) und den Sakramenten der Kirche eine gnadenvolle Verdichtung. Durch die endliche Oberfläche der Kirche als Institution und der Sakramente (element- bzw. signum-Ebene) hindurch und darüber hinaus teilt sich Gott selbst an sein Gegenüber in verdichteter Weise an die Welt mit, so dass einsichtig wird, dass die Kirche selbst nicht das Heil ist, sondern die Kirche als Grund- oder Wurzelsakrament (im Sinne Rahners) ein von Gott initiativ begründeter Begegnungsraum ist,71 in dem er sich durch Sakramente mitteilend an den Menschen richtet.72 Die Kirche ist als ἐκκλησία das von Gott aus den Völkern hin zu einer Gemeinschaft in Universalität berufene Volk (vgl. LG 4), das der Welt die universelle Versöhnung von Gott und Mensch nicht nur anzeigen soll, sondern selbst Raum sein soll, in dem sich dies verwirklicht:73 Die Kirche ist selbst nicht Versöhnung und das Reich Gottes, weil sie von diesem her relativiert wird;74 aber ihre Sakramentalität erlaubt es ihr, in der Welt als vom Hl. Geist geeinten Raum der Erlösung bzw. als Leib Christi Gemeinschaft der Erlösten zu sein,75 ohne dabei Weltflucht in ein metaphysisches Jenseits zu proklamieren. Die subversive Relativierung gesellschaftlicher Aus- und Abgrenzungen (Reichtum, Stand, Beruf et cetera) leugnet nicht die Bindungs- und Knechtungskraft sozialer Missstände, aber stellt dieser Sozialität einen Kontrastraum entgegen, in dem sich die Erlösung Christi verwirklicht: Aus einem dezidierten Bekenntnis- und Bindungsakt heraus wird durch eine Subjektivierungsgeste der Angebots- und Einladungsstatus in Potenzialität zu einem Annahme- und Erlösungsstatus in Aktualisierung gewandelt – durch das Bekenntnis zu Jesus als Christus wird der Mensch geheilt.76 70 Vgl. Meuffels, Otmar: Kommunikative Sakramententheologie. Freiburg/Basel/Wien 1995, S. 65-67. 71 Vgl. Neuner, Peter: Ekklesiologie. Die Lehre von der Kirche, in: Beinert, Wolfgang (Hg.): Glaubenszugänge. Lehrbuch der katholischen Dogmatik. Bd. 2. Paderborn/München/ Wien/Zürich 1995, S. 399-578; hier: S. 517. 72 Vgl. Meuffels, Sakramentenlehre, S. 163. 73 Die Kirche hat als Leib Christi auch Anteil an seinem Geschick und seinem mysterium, weshalb sie zu einer Mysteriumsgestalt geformt ist. Vgl. Kehl, Kirche, S. 66. 294. 296. 74 Dies kommt im Bild vom Himmlischen Jerusalem zum Ausdruck, in dem eine Begegnung von Gott und Mensch ohne Tempel möglich ist. Vgl. Kehl, Kirche, S. 94. 75 Vgl. Kehl, Kirche, S. 67. 76 Im gegenwärtigen Horizont zeigt sich in dieser Hinsicht aber ein Problem: Die zeitgenössische Relativierung der institutionellen Bindung durch einen verstärkten Individualismus,
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Die irritierende Begegnung mit Gott in der Selbstoffenbarung Jesu Christi fordert heraus und steht dazu aus, angenommen und gedeutet oder in Distanzierung und Verschlossenheit verworfen zu werden. Die Bekenntnisgeste des Credo ermöglicht im Anschluss an Žižek und Badiou eine Subjektivierung, die eine vorsubjektive Verschlossenheit und Innerlichkeit hin zu einer Dezentrierung (im Sinne Levinas’) aufbricht und dem Menschen eine neue Perspektive und Ästhetik ermöglicht: Die herrliche Wirklichkeit der Welt (in ihrer Sakramentalität) wird vernehmbar, ohne vorschnell in unterkomplexe und gewaltsam-vereinseitigte Eindeutigkeiten überführt zu werden. Die Kirche ist der Raum der verdichteten Herrlichkeit Gottes, in dem der Gläubige auf die sakramental leibliche Gegenwart des Herrn trifft und dieser sich ihm und den anderen Gläubigen zur Gemeinschaft anbietet. Die dezentrierend irritierende Bewegung bringt das Potenzial für eine sakramentale Öffnung der Sinne mit sich, welche nicht selbst gegeben werden kann, sondern durch eine pneumatologische Gabe grundgelegt ist.77 Die Kirche ist somit Ort einer neuen Ästhetik und eines neuen Blicks, der nicht mehr davon bestimmt ist, nur das als schön und harmonisch gelten zu lassen, was innerhalb der menschlich konstruierten Trias des Guten, Wahren und Schönen kategorisierbar ist:78 Auch in der Gewalt und der Hässlichkeit des Kreuzes sowie des gequälten und geschundenen Körpers Jesu kann sich die Herrlichkeit Gottes zeigen, die die Endlichkeit der Welt überstrahlt und in Herrlichkeit neu einfärbt. Die transzendente Herrlichkeit, welche durch den Körper Jesu in seiner weltlichen Immanenz und Kontingenz aufscheint, nivelliert nicht dessen Wundmale, so dass diese nicht mehr sichtbar wären – sie bleiben erhalten und zeigen auch weiterhin die Spuren menschlicher Gewalt, wobei aber die menschliche Gewalt nicht das letzte Wort behält: Dies gehört der Herrlichkeit und der Erlösung Gottes.79
der eine autoritative Deutungsmacht anderer in Frage stellt und sich in einer potenzierten Ironiegeste von dieser Institution distanziert. Es kommt zu einem Status ‚zwischen den Stühlen‘ dieser Person, was mit Žižek und Badiou als Rückfall in einen präsubjektiven Zustand verstanden werden kann. Kehl führt hier im Anschluss an Hegel an, dass diese Ungebundenheit und Entinstitutionalisierung zum Verlust ‚konkreter Freiheit‘ führt. Vgl. Kehl, Kirche, S. 184. Es mag augenscheinlich so aussehen, als ob dadurch die abstrakte Freiheit zunähme, was aber nur so scheint, da abstrakte Freiheit rein virtuell und dadurch unausführbar bleibt. Um mehr Freiheit zu erlangen, muss diese wieder in erweiterte, aktualisierte konkrete Freiheit überführt werden. 77 Vgl. Bründl, Gottes Nähe, S. 19. 51. 53. 64. 78 Die Kalokagathie ist in diesem Fall nicht mehr das bestimmende Maß, wo sich etwas entbergen kann. Vgl. Liessmann, Konrad Paul: Schönheit (utb; 3048). Wien 2009, S. 13-26. 79 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 351. 357. Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 383.
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Trotz einer neuen Ästhetik bleibt die erkenntnistheoretische Sicherheit gegenüber der neuen Phänomenalität des Sakramentalen in ihrer Fragilität bestehen: Der Erlöste sieht im Glauben die Dinge anders und vernimmt einen Überschuss jenseits der Oberfläche, wobei er stets ein Emmaus-Jünger bleibt, der seine Erfahrung nicht definieren kann, sondern sie als Frage an die übrigen Gläubigen der Kirche als Deutegemeinschaft richten muss.80 Gewalt, Macht und (erzwungene oder unterkomplexe) Eindeutigkeiten durch einen menschlich narzisstischen Anspruch an Deutungshoheit wurden durch das Kreuz überwunden und einer Ästhetik von liebender Zärtlichkeit in Fragilität in der Kirche Raum gegeben: Im Raum der Kirche ist es durch die Begegnung möglich, menschliche Personalität in eschatologischer Gültigkeit zu entfalten, indem sie von allzu menschlichen Engführungen befreit wird.81 4.2.1 Leib und Glieder Die Erlösung und das Gottesreich stellen keine jenseitigen Größen dar, die erst eintreffen, wenn eine Trennung der Seele von dem hinfälligen Rest des irdisch-menschlichen Daseins nach gnostischer Spielart stattgefunden hat.82 Sowohl Erlösung als auch das Gottesreich weisen sich als dezidiert irdische Größen aus, indem irdische Kontingenz und Fragilität nicht genichtet werden, sondern im Anschluss an Nietzsche, Heidegger und Vattimo verwunden werden.83 Die inkarnatorische Nähe Gottes zu den Menschen geschieht nicht als pompöses Welttheater, sondern in seiner selbstoffenbarenden Ankunft nimmt er die Natur eines ohnmächtigen Kleinkindes an (vgl. Lk 2, 1-20) und kommt gerade als verwundbarer Mensch den Menschen nahe: Der Beginn der jesuanischen Dramatik wird von kleinen und schwachen Gesten geprägt, die gerade die Form eines Triumphzuges vermeiden: „Als Gott in Jesus Christus Mensch wird, setzt er sich freiwillig der menschlichen Vunerabilität aus.“84 Die Welt als Ort von Verwundbarkeit und Schwäche wird von göttlicher Seite zum Ort der Heilung geadelt, ohne diesen Ort selbst in einen Modus der Unverwundbarkeit zu überführen. Vunerabilität wie auch Fragilität bleiben Konstitutiva menschlichen Daseins, doch sie werden von göttlicher Seite verwunden. 80 Vgl. Meuffels, Gott erfahren, S. 55-59. 81 Vgl. Oster, Person, S. 494-511. 82 Mit einer Begrifflichkeit nach Heidegger kann hier gesagt werden, dass dann eine Eksistenz als Verhaltensmöglichkeit auch nicht mehr gegeben wäre, weil die Person kein Da mehr hätte: Weder Körper noch Raum, um sich zu verhalten. 83 Vgl. Deibl, Menschwerdung, S. 215. 84 Keul, Hildegund/Link, Pierre-Carl: Inklusion, Inkarnation und Anerkennung – mehr Mut für Verletzlichkeit, in: Link, Pierre-Carl/Stein, Roland (Hg.): Schulische Inklusion und Übergänge. Berlin 2017, S. 133-157; hier: S. 142.
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So bleibt auch nachösterlich der Leib des Herrn von den Wundmalen der Kreuzigung gekennzeichnet – Thomas bekommt den gemarterten Leib Jesu präsentiert (vgl. Joh 20, 24-29). Dass das paradigmatische Bild Pauli für die Kirche der Leib Christi ist (vgl. Röm 12, 4-6; 1 Kor 12, 12-27), zeigt auf tiefsinnige Weise, dass geschöpfliche Endlichkeit ein konstitutives Merkmal der Erlösungsgemeinschaft ist, die aber durch Dezentrierung der irritierenden Begegnung über eine neue Perspektive der Hoffnung verfügt: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2, 19f.)85 Durch die trinitarische Inversion des Ostergeschehens wird durch den Hl. Geist der Leib Christi zum Raum der geheilten Gemeinschaft bzw. der Gemeinschaft, welche Anteil an der göttlichen Heilung hat.86 Die Ästhetik der kirchlichen Körpers ist dadurch nicht von einer Schönheits- und Harmoniedimension bestimmt, sondern legt entschiedenen Wert auf eine Begegnungsgestalt mit dem erstandenen Herrn, der aber weiterhin Träger der Foltermale ist. Die Martermale des Herrn werden nicht durch eine Sublimierungsgeste vergeistigt, idealisiert oder gar der Vorläufigkeit unterstellt, dass Jesus Christus sie nur in seiner vorösterlichen Gestalt aufweist: Gegen eine solche Vergeistigungstendenz hat sich das Christentum seit Anbeginn gestellt und den Doketismus, dass Jesus Christus nur einen Scheinleib und nicht realiter gelitten habe, entschieden verurteilt.87 Die Inkarnation Christi nimmt den Menschen in seiner vollen Gebrechlichkeit an, die aber auch dadurch, weil sie nicht unverwundbar und hermetisch abgeschlossen ist, Offenheit zur Veränderung und zur Begegnung besitzt. Die Vorstellung der Kalokagathia (das harmonische Zusammenspiel 85 „Die neue Beziehung zwischen Christus und dem Getauften kann Paulus nur in paradoxen Ausdrücken beschreiben. […] Die neue Existenzweise wird nicht als Verschmelzung mit der Gottheit verstanden, sondern als ein Leben ‚im Fleisch‘ (griech.), d.h. unter den Bedingungen irdischer und versuchbarer Existenz, sowie als Leben im Glauben an Christus und, wie Paulus im Anschluß an eine urchristliche Glaubensformel präzisiert, an Christi liebende Todeshingabe zu unseren Gunsten, d.h. zu unserer Versöhnung […]“ (Egger, Wilhelm: Galaterbrief. Philliperbrief. Philemonbrief (NEB; 9/11/15). Würzburg 21988, S. 22.). 86 Vgl. Balthasar, Theodramatik II/2, S. 174f. 311-322. 87 Vgl. Brox, Norbert: ‚Doketismus‘ – eine Problemanzeige, in: ZKG (1984) 95, S. 301-314; hier: S. 306: „In einem engeren Begriff ist Doketismus die Doktrin, nach der die Erscheinung Christi, sein historisch-leibhaftiges Dagewesensein, also vor allem die menschliche Gestalt Jesu, insgesamt bloßer Schein, ohne wahrhafte Realität gewesen ist. Menschsein und Leiden Christi als reiner Schein: diese Idee diente dazu, Menschwerdung und Passion des jenseitigen Erlösers zu eliminieren, wo sie Anstoß bedeuteten. Speziell gegen (leibliche) Geburt und Passion wird polemisiert.“
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von äußerlicher Schönheit und innerlicher Gutheit) mit der geschundenen Christusgestalt überfordert und kann der Hässlichkeit des Kreuzes keine tiefere Ästhetik abgewinnen – sie bricht am Kreuz auf, wodurch ihre harmonische Geschlossenheit für eine größere Herrlichkeit Gottes geöffnet wird. Dabei wird die Schönheit der Schöpfung sowie des Menschen wie auch der menschlichen Artefakte (Kunst, Musik, Literatur et cetera) nicht für nichtig erklärt, sondern in ihrer Alleingültigkeit, die das Hässliche und den Hässlichen ausschloss, irritierend in Frage gestellt: Die ästhetische Grenze des harmonisch Schönen wird semipermeabel, und auch durch das Hässliche hindurch kann sich die Herrlichkeit zeigen, so dass auch hier die paulinische Wendung des ‚als-ob-nicht‘ angemessen erscheint: Das Hässliche wird nicht sublimiert, so dass es zum Schönen werden würde, aber in seiner Hässlichkeit ist eine größere Dimension vernehmbar, wenn eine sakramentalästhetische Offenheit beim Betrachtenden vorliegt. Oder anders gesagt: Die göttliche Schönheit umfasst auch das (vermeintlich) Hässliche, wobei die vom Menschen geachtete Schönheit nur einen Teilbereich der göttlichen Schönheit umfasst und das Kreuz diese Diskrepanz offenlegt.88 Diese Bereitschaft in der christlichen Kunst, die Drastik des Kreuzes, der Grablegung und der Auferstehung gerade in ihrer Verzerrung und Deformation des Körpers Christi nicht zu verschleiern oder abzumildern, gilt es im Hinblick auf die Geschichte der Kunst hervorzuheben. Das Kreuzesereignis, als irritierende Selbstpräsentation Gottes, findet daher nach Hegel in der verzerrten und deformierten Darstellung seinen angemessenen Ausdruck.89 Am Kreuz zerbricht die rein schöne Form der bisherigen Kunst und wird auf eine größere Darstellbarkeit hin überschritten.90 Obwohl die höchste Form der Geistrealisierung in der Geschichte nach Hegel in der Philosophie zu finden ist, gesteht er dennoch der Kunst ein beträchtliches Maß zu, die Wahrheit auszudrücken und abzubilden: Wir haben ferner zu bemerken, daß, wenn wir sagten, die Kunst sei eine Weise, dem Geist seine Interessen zum Bewußtsein zu bringen, [gilt aufs Absolute gesehen, daß] die Kunst nicht höchste Weise sei, die Wahrheit auszusprechen. […] Denn es gibt eine tiefere Existenz der Idee, die das Sinnliche nicht mehr 88 Vgl. Fields, Stephen: The Beauty of the Ugly. Balthasar, the Crucification, Analogy and God, in: International Journal of Systematic Theology (2007) 9/2, S.172-183; hier: S. 175-178. 89 Vgl. Franke, Ursula: Darstellung Gottes und der biblischen Bilderwelt. Schelling und Hegel über die christliche Malerei, in: Hoeps, Reinhard (Hg.): Handbuch der Bildtheologie. Bd. I: Bild-Konflikte. Paderborn u.a. 2007, S. 300-314; hier: S. 312. 90 Vgl. Gethmann-Siefert, Annemarie: Hegel über das Hässliche in der Kunst, in: Arndt, Andreas/Bal, Karol/Ottmann, Henning (Hg.): Hegel-Jahrbuch 2000. Bd. II: Hegels Ästhetik. Die Kunst der Politik – Die Politik der Kunst. Berlin 2000, S. 21-41; hier: S. 26. 29f.
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auszudrücken vermag, und dies ist der Inhalt unserer Religion, Bildung. Hier nimmt die Kunst eine andere Gestalt als auf früheren Stufen an. Und diese tiefere Idee, die christliche in ihrer höchsten Stufe, ist nicht fähig, sinnlich von der Kunst vorgestellt zu werden; denn sie ist dem Sinnlichen nicht verwandt und freundlich genug. […] wir beten kein Kunstwerk mehr an, und unser Verhältnis zum Kunstwerk ist besonnenerer Art. […] Wir stehen freier gegen dasselbe als früher, wo es der höchste Ausdruck der Idee war.91
Die Darstellung des Hässlichen, der erschreckenden-unschönen Irritation, gesteht Hegel aber nur der Poesie zu, weil dort die Irritation nicht statuarisch fixiert bleibt, sondern im Verlauf der Darstellung harmonisiert wird. Exemplarische Verwirklichung der nicht mehr schönen Kunst erkennt er in Schillers Dramen.92 Einen ästhetischen Karfreitag (in Analogie zum spekulativen Karfreitag) denkt Hegel nicht an; einer radikalen, irritierenden Christusdarstellung, die auch den Schrecken des Kreuzes in seiner prekären Gestalt ernst nimmt, steht er entschieden entgegen: Wenn wir auch von der Gestalt [des Göttlichen] ausgehen, so liegt in ihr die allgemeine Idee der Göttlichkeit, die Idee, daß Gott die Liebe sei. […] Der nähere Inhalt ist zuerst die Geschichte der göttlichen Versöhnung selbst, die Darstellung Christi in seiner Geschichte, seiner Gestalt. […] Christusköpfe sind hiermit kein klassisches Ideal. Die Schönheit Apolls ihnen einzubilden, würde als höchst unpassend erscheinen. Menschlicher Ernst muß sich in Christus ausdrücken und die Liebe, die die Mitte trifft zwischen Schönheit des Ideals und der natürlichen Gestalt. Häßlichkeit darf der Gestalt nicht beigemischt sein, aber sie verschmäht die ideale Schönheit und die Erhabenheit.93
Die enge Liaison von Kunst und Kirche, die mit Beginn der Christenheit koexistent ist, war in vielerlei Punkten von der jeweiligen Mode und dem zeitgenössischen Geschmack geprägt, doch hatte diese Konstellation stets in der Selbstoffenbarung Gottes ein kritisches Korrektiv, dass die Drastik des Kreuzes nicht unterschlagen werden darf und auch kann. Für Paul Tillich war es insbesondere die formelle Wucht des Expressionismus, die ihm in der Suche nach einer angemessenen Kategorie für die Offenbarung als ‚Durchbruch‘ gedankliche Hilfe bot.94 91 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von Heinrich Gustav Hotho. Hg. von Annemarie Gehtmann-Siefert (Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte; Bd. 2). Hamburg 1998, S. 5f. 92 Vgl. Gethmann-Siefert, Hegel über das Häßliche, S. 34. 37. 93 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, S. 186. 94 Vgl. Tillich, Paul: Ein Lebensbild in Dokumenten. Briefe, Tagebuch-Auszüge, Dokumente. Hg. von Renate Albrecht und Margot Hahl. Stuttgart/Frankfurt 1980, S. 177. Vgl. Stock, Alex: Religion und Kunst im Widerstreit. Konfliktzonen des 20. Jahrhunderts, in: Hoeps,
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Die Darstellung Christi als Schmerzensmann wie die Darstellung der Begegnung Christi mit dem ungläubigen Thomas, der Wundmale des Herrn als Identitätsmarker braucht, als auch das Kreuz als Identifikationssymbol der Christenheit zeigen an, dass alleine von der Ästhetik eindeutig wird, dass Fragilität und Hinfälligkeit des Menschen ein entscheidendes Thema kirchlichen Selbstverständnisses ist und bleiben wird. Die Schwachheit des Menschen (insbesondere gegenüber menschlicher Gewalt) wird von göttlicher Seite angenommen, in eine neue Form überführt und geheilt, ohne dass die Wundmale des Menschen ausgelöscht werden: Unverwundbarkeitsphantasien, die von einem menschlichen Souveränitätsstreben gespeist werden und als Konsequenz eine radikale Innerlichkeitsbewegung durch Anti-Dezentrierung an den Tag legen, erfahren durch das historische Kreuzigungsgeschehen und die Leib-Christi-Metaphorik eine irritierende Kontrastästhetik, die die Verletzbarkeit des Menschen als topos der Heilung ausweist. Von der trinitarischen Inversion aus wird durch den Hl. Geist der Leib Christi zum Raum der heilsgeschichtlichen Einbergung in die trinitarische Gemeinschaft, wodurch der Heilsratschluss Gottes, dem Menschen nahe sein zu wollen und ihm auch diese Nähe anzubieten, eine eschatologische Aufrichtung erfährt.95 Die Differenz zwischen dem corpus mysticum und dem corpus reale zeigt an, dass die Kirche nicht Gott selbst und auch keine Weiterführung bzw. Verlängerung der Inkarnation ist, weswegen das Bild von der Kirche als Leib Christi durch andere Bilder wie der Braut Christi oder dem Volk Gottes zu ergänzen ist: Dennoch kann daraus deutlich werden, dass der Leib Christi als Raum der sakramentalen Begegnung von Gott und Mensch sowie von Mensch und Mensch in neu aufscheinender Ebenbildlichkeit ist, weshalb die maßgebliche Zielgröße für die Kirche darin besteht, Ikone der Trinität für die Welt und untereinander zu sein. Sie zeigt idealiter an, dass Liebe (als relationales Verhältnis in Offenheit, Gewaltverzicht und ungeschuldeter Anerkennung) die entscheidende Dimension des Lebens ist.96 Liebe ist der letzte Sinn aller Wirklichkeit. Das bedeutet eine Revolution im Denken. Denn Liebe als Sinn des Seins bestimmen heißt, dass nicht die in sich stehende Substanz die Letztwirklichkeit ist, wie es die antike und die ihr folgende scholastische Metaphysik dachte. Sie bedeutet ebenso, dass auch nicht das Subjekt beziehungsweise die Subjektivität des Menschen der Ausgangspunkt und das Fundament aller Gewissheit ist, wie Descartes und die ihm folgende Neuzeit Reinhard (Hg.): Handbuch der Bildtheologie. Bd. I: Bild-Konflikte. Paderborn u.a. 2007, S. 339- 353; hier: S. 342. 95 Vgl. Meuffels, Sakramentenlehre, S. 35. 156. 159-161. Vgl. Kehl, Kirche, S, 64-67. 134. 96 Vgl. Kasper, Walter: Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung. Freiburg/Basel/ Wien 22011, S. 124f.
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meinte. Letztwirklich ist vielmehr die Relation. Denn in der Trinitätslehre werden die trinitarischen Personen als subsistente Relationen gedacht. Die Kirche nach dem Ur- und Vorbild der Trinität denken heißt darum, sie als relationale und communiale Wirklichkeit denken. Sie lebt nicht aus sich selbst, sondern aus der sich selbst mitteilenden Liebe des dreieinen Gottes, und sie lebt nicht für sich, sondern in der Kommunikation der Liebe nach innen und nach außen.97
Von dieser streng relationalen Struktur der Kirche wird ersichtlich, dass sie keinen Selbstand in einer statischen Identitätsfundierung besitzt, sondern sich ganz und gar von Gott als Gabe und als Raum der weiteren Gebung empfängt. Sie ist nicht – sie empfängt sich von Gott her in Sakramentalität und durch die Sakrament: Sie ist als Leib Christi eine sakramentale Gabe.98 Gregor Maria Hoff beschreibt daher den prekären, ihr selbst entzogenen Status als Prozesscharakteristikum, das durch den Karsamstag als kirchliches Paradigma angezeigt wird: Der Karsamstag ist ihr institutionalisierter Ausnahmefall. Kirche ist es mit ihm. Sie ist nicht Reich Gottes, sondern verweist auf es, indem sie es bezeugt, seine Wirklichkeit in der Welt freilegt, sein Ausstehen verbürgt. Das wiederum besitzt sakramentalen Charakter [.]99
Sie hat durch die Verortung in der messianischen Zeit, der Zeit des Endes, einen Passagenstatus, der sie heilsgeschichtlich zwischen Selbstoffenbarung und glorreicher Wiederkunft des Herrn, zwischen Kreuz und Himmlischen Jerusalem aufspannt.100 Die Kirche hat daher einen Platz im Zwischen, der ihr zwischen Golgota und der Vollendung einen Grenzraum in doppelter Distanz und doppelter Antizipation von vergangener Gründung und zukünftigem Abschluss zuweist, wie es in besonderer Weise im eucharistischen Geschehen manifest wird.101 Die Zwischenverortung der Kirche, die durch die Analogie der chalzedonischen Grammatik bestimmt ist,102 schafft einen Raum, der nicht nur durch kategoriale Grenzen markiert ist (göttlich/menschlich), sondern auch durch den Passagenstatus (sichtbar/unsichtbar, anwesend/abwesend, Mangel/Fülle) grenzüberschreitend ist: Der Mangel an Sichtbarkeit eröffnet durch die gnadenhafte Sakramentalästhetik eine Leerstelle, die als ‚Fehl Gottes‘ 97 Kasper, Kirche, S. 124. 98 Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 391. 99 Hoff, Gregor Maria: Ekklesiologie (Gegenwärtig Glauben Denken; 6). Paderborn/ München/Wien/Zürich 2011, S. 12. 100 Vgl. Hoff, Ekklesiologie, S. 23. 101 Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 375. 481. 102 Vgl. Hoff, Ekklesiologie, S. 99.
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(keine Inexistenz, sondern Absenz) die nötige Offenheit des Menschen zur Fremderfahrung zur Folge haben kann.103 So kann die Offenheit der phänomenologischen Reduktion ihr ekklesiologisches Analogon haben, indem ein Mangel an Perspektive Vorbereitung für eine Ästhetik der Fülle sein kann. Die Liturgie stellt als gemeinschaftliches Geschehen von Gott und Mensch einen nicht selbst zu schaffenden Rahmen, der der oberflächlichen Unsichtbarkeit und dem Fehl Gottes einen Raum gewährt, sich jenseits der Kategorien und der Definitionsmacht des Menschen zu bewegen, diese zu überschreiten und sich zu begegnen.104 Die liturgische Versammlung ist, von der pneumatologischen Zusammenführung getragen,105 als Leib Christi der bedeutendste symbolische Ort für die gnadenvolle Begegnung mit dem erstandenen Herrn.106 Sakramente zeigen sich daher nicht als Gnadenmittel dinglicher Art, sondern durch die sakramentalästhetische Perspektivöffnung bieten sie dem Gläubigen die Begegnung mit dem erstandenen Herrn und hierbei eine neue und gerechte sowie gerichtete Existenz an: Durch die Sakramente als göttliche Dezentrierung und Fremderfahrung in codierter Medialität spricht Gott den Menschen an, um ihn in Gemeinschaft zur Person werden zu lassen und mit ihm und den Gliedern des Leibes Christi eine communio in communicatio zu sein.107 Durch die Kirche und ihre Sakramente wird in entscheidender Weise die Ebenbildlichkeit des Menschen für einander wieder aufgerichtet, indem die sakramentale Öffnung den ikonischen Überschuss des Menschen wieder vernehmbar macht. Ein Verhalten als dialogische Beziehung gegenüber dem sakramentalen Anruf ist dazu unabdingbar, weil bei einer (narzisstischen) Verschlossenheit zwar das unverbrüchliche Angebot Gottes (opus operatum) weiterbesteht und dem Menschen angetragen wird, aber durch die 103 Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 180f. 188. Vgl. Bründl, Gottes Nähe, S. 14f. 39. 104 Die rituellen Abweichungen von Sprache und Gesten gegenüber der alltäglichen Verwendung, die dennoch verständlich bleiben müssen (actuosa participatio, SC 21), eröffnen einen Raum in der Liturgie, der neue Offenheit schenken kann, da die dortigen Worte und Handlungen nicht auf Nutzen und Effizienz abzielen. Die eminente Nicht-Beherrschbarkeit der Sprache, die durch die Abweichung mitangezeigt wird, gewährt der Sprache auch eine Eigenheit, Fremdheit und ästhetische Alterität, die einen Riss im symbolischen Netzwerk anzeigen kann, durch welchen sich der Überschuss des Realen (Lacan) und der Herrlichkeit (Balthasar) entbergen kann. Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 325f. 105 Vgl. Kehl, Kirche, S. 67. 394-401. Durch die pneumatologische Fundierung findet sich auch die Angabe der Kirche im Glaubensbekenntnis unmittelbar zur Angabe des Glaubens an den Heiligen Geist. 106 Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 190f. 435f. 482. 506. 514f. 522. Vgl. Hoff, Ekklesiologie, S. 29. Vgl. Fuchs, Otmar: Eucharistie als Zentrum katholischen Glaubens- und Kirchenverständnisses. Anspruch und Wirklichkeit, in: Söding, Thomas (Hg.): Eucharistie. Positionen katholischer Theologie. Regensburg 2002, S. 229-279; hier: S. 242-250. 107 Vgl. Meuffels, Sakramentenlehre, S. 58f. 62. 65-67. 70.
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Verschlossenheit der Weigerungsgeste die Wirksamkeit der potenziellen Perspektiveröffnung ausbleibt.108 Die Kirche als Grenzort, durch die die sakramentale Dimension der Zeit des Endes schon antizipierend durchscheint, hat als göttliche und unverbrüchliche Gabe den Hl. Geist zugesagt bekommen (vgl. Joh. 16, 4b-15), der die Einbergung in die innertrinitarische Liebe (vgl. Joh 17, 20-26) als zukünftig-eschatologische Gemeinschaft beginnen lässt.109 Im Rückgriff auf Hegel und dessen Rezeption durch die gegenwärtige Sozialphilosophie lässt sich die Kirche als endzeitliche Gemeinschaft der Anerkennung beschreiben, wobei aber Anerkennung nicht von utilitaristischen Faktoren oder einer sonstig gearteten Zweckrationalität bestimmt ist, sondern davon ausgerichtet ist, dass der Andere aufgrund seiner Antlitzhaftigkeit zweck- und funktionsfrei als Ebenbild Gottes vernommen werden kann bzw. wird.110 Die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens an Jesus Christus stellt der Welt ein Kontrastprogramm entgegen, ohne eine Kontrastoder Gegengesellschaft zu sein, da sie aus und für die Welt ist: Sie kündigt durch die Kreuzeslogik eine Ordnung und Stufung der menschlichen Produktivitäts-, Verwertbarkeits- und Schuld(en)logik auf, weil sie ein Raum der von außen geschenkten und dezentrierenden Gnade ist, welche nicht nach Maßstäben der menschlichen Instrumentalität beherrscht werden kann: Wer eine reine Gabe empfängt, wird nicht zum Schuldner und ist nicht gezwungen, in Zukunft etwas [sic!] anders als Gegengabe zu leisten. Ein solches Empfangen reiner Gabe ermöglicht vielmehr das ungeschuldete Weiterschenken. […] Es wird nicht gegeben, damit weitergegeben wird. Das wäre teleologisch-kausal gedacht. Sondern aus der Gabe, aus dem ersten Geschenk erwächst die Kraft selbst zum Schenkenden zu werden. […] Wer selbst unverschuldet empfangen hat, kann selbst zum Geber einer reinen Gabe werden.111
Da menschliche Ein- und Ausschlussverfahren durch eine göttliche Deutungshoheit nicht (mehr) greifen, entzieht dies als Gabe und Aufgabe (im Zueinander von Indikativ und Imperativ) der menschlichen Gewalt den funktionellen 108 Vgl. DH 1606. 1451. Wer ‚einen Riegel vorschiebt‘, also durch Verschlossenheit gegenüber dem Sakrament positioniert, wie es das Konzil von Trient als Minimalanforderung ausweist, empfängt dieses auch nicht. Weshalb Papst Innozenz III. an Ymbertus von Arles schreibt: „Jener aber, der niemals zustimmt, sondern nachhaltig widerspricht, empfängt weder die Prägung noch die Sache des Sakramentes, […].“ (DH 781); vgl. Meuffels, Sakramentenlehre, S. 258. 307f. Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 311. 422. 109 Vgl. Kehl, Kirche, S. 71. Mit Bezug auf Augustinus, De Trinitate, V/11-12. 110 Vgl. Honneth, KuA, S. 263f. 283. 111 Bruckmann, Florian: Gabe des Leibes, in: Ders. (Hg.): Phänomenologie der Gabe. Neue Zugänge zum Mysterium der Eucharistie (QD; 270). Freiburg/Basel/Wien 2015, S. 125-151; hier: S. 136.
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Boden und eröffnet einen Raum der universellen Anerkennung. Kirche bricht dadurch auch irritierend in die menschliche Welt ein, da sie sich durch ein revolutionäres Gemeinschaftskonzept der Liebe und Anerkennung präsentiert, das alle weltlichen Fundierungskonzepte (Nationalität, Sprache, Stand, Besitz et cetera) in Frage stellt, ohne diese zu negieren, und dadurch echte Universalität ausdrücken kann.112 Hat die Kirche als Maßgabe Ikone der Trinität zu sein und steht sie dadurch konträr zu einer monistischen Grundverfassung, wird eine größere semantische Breite der Katholizität (als eine der vier notae ecclesiae) deutlich: In der kirchlichen Gemeinschaft ist durch die trinitarische Fundierung ein Raum von Einheit und Vielfalt ermöglicht, der dem Einzelnen die Möglichkeit zur Subjektivierung und Begegnung mit einem personalen Gegenüber verschafft. Dieser Raum in der Einbergung Gottes kennt von seiner Fundierung kein Außen, weil es kein Außen zu Gott geben kann, das ihn begrenzen könnte, so dass hier Gott der Schöpfung einen Raum gewährt, der echte Alterität zulassen, aushalten und integrieren kann. Der kirchlichen Gemeinschaft ist ein Format bereitgestellt, bei dem Einheit und Vielfalt keine Kontradiktion zueinander darstellen, weil die Kirche als Leib Christi in der trinitarischen Gemeinschaft Anteil an der Einheit und der Pluralität Gottes hat.113 4.2.2 Die Taufe Dass Gnade und sakramental kommunikative Begegnung im strengen Bezug zueinander stehen, wird an der Taufe im Besonderen sinnenfällig. Paulus beschreibt den Statuswechsel vom Alten Adam zum Neuen Adam in drastischen Bildern des Mitsterbens mit Christus, also dezidierte Antizipation an seiner Tat, die eine rein symbolische und geistige Teilhabe überschreitet,114 zur Er112 Vgl. Gunjević, Boris: Beten und Wachen – Die messianische Subversion, in: Žižek, Slavoj/ ders.: God in pain. Inversionen der Apokalypse. Aus dem Englischen von Jürgen Schneider (LAIKAtheorie; 59). Hamburg 2015, S. 221-245; hier: S. 221-227. Vgl. Wohlmuth, Josef: Jom Kippur und Eucharistie – Ein Prospekt, in: Bruckmann, Florian (Hg.): Phänomenologie der Gabe. Neue Zugänge zum Mysterium der Eucharistie (QD; 270). Freiburg/Basel/ Wien 2015, S. 17-63, hier: S. 59. 113 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 498. Vgl. Kasper, Kirche, S. 125. 114 Entgegen einer populären Idee aus der jüdisch-hellenistischen und gnostischen Umwelt wird bei Paulus nicht zwischen einem irdischen, gefallenen Adam und einem himmlischen, unsterblichen Adam unterschieden. Vielmehr ist es plausibel, dass er in 1 Kor 15, 45-58 gegen diese polemisiert. In Röm wird die Logik von 1 Kor 15 mitbedacht, aber um die Universalität der Heilstat Christi ohne polemische Zuspitzung erweitert. Heil und Rechtfertigung stammen nicht aus dem Gesetzesgehorsam, mit dem der himmlische Adam in symbolischer Verbindung steht, sondern geschieht alleine aus der (irdischen!) Tat Christi. Vgl. Wilckens, Brief an die Römer I, S. 309-314.
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lösung der Welt und Entblößung menschlicher Gewalt und Boshaftigkeit (vgl. Röm 6, 1-14): Eine Macht der Sünde, die den Einzelnen unbeherrschbar vereinnahmt, ihn vereinzelt und ihn selbst ihr gegenüber ohnmächtig werden lässt (vgl. Röm 5, 12-21).115 Das irritierende Kreuzesgeschehen Christi ist kein Vorfall, dessen Wirkung rein auf das historische Geschehen begrenzt werden kann, da durch die Taufe dem Einzelnen in einer diachronischen Durchbrechung der chronologischen Zeit Anteil am Geschick und an der Unmacht Christi gewährt wird: In der Taufe geschieht eine rechtfertigende Aktualisierung des Angebots Christi an die Welt, indem eine Eingliederung in den Leib Christi geschieht. Im Anziehen Christi und im Ablegen des Alten Adam findet ein Statuswechsel statt, der durch Grenzmarkierungen bestimmt ist, indem die äußeren Grenzen markiert und gleichermaßen semipermeabel transparent werden, so dass durch eine sakramentalästhetische Perspektivöffnung eine breitere Wirklichkeit durchscheinen kann. Die sakramentale Transparenz der Grenzen zeigt sich darin, dass die profane und chronologische Zeit zur messianischen Zeit und zur eschatologischen Heilsgeschichte wird. Gleichermaßen geschieht eine Wandlung des (oberflächlichen) Körpers hin zum Leib, der Glied am Leib Christi wird, wie auch der störende Fremde zum Bruder im Glauben und als Ebenbild Gottes vernehmbar wird und die Welt als Schöpfung erscheinen kann. Das Angebot der Taufgnade ergeht an den Einzelnen in primärer Passivität, weil er das Angebot selbst nicht erfragen oder gar erzwingen kann, denn es ist eine geschenkte Gabe. In dieser Hinsicht sind die Ausgangsbedingungen für den zu taufenden Erwachsenen analog zu den Ausgangsbedingungen eines zu taufenden Kindes zu sehen, weil beide Positionen von Passivität geprägt sind. Folgt man der bisherigen Darlegung hinsichtlich der Selbstwerdung, welche von primärer Passivität und Heteronomie geprägt ist und erst in sekundär zu einem Selbstwerdungspotenzial eröffnet wird, kann hier auch die Kindertaufe, wie sie den eigentlichen Regelfall des Taufgeschehens darstellt, befürwortet werden:116 Das Angebot göttlicher Gnade erreicht den Einzelnen als Kind wie auch im Sinnbild des Kindes (hinsichtlich einer Aufrichtung aus einer Ohnmacht, die aus eigener Kraft nicht überwunden werden kann), die Anfrage der Annahme wird an die Eltern wie auch an die Paten gerichtet, die sich durch ihre Antwort an das Glaubens- und Lebensgeschick des Kindes existenziell 115 So kann hier die Sünde aus Ungehorsam gegenüber Gott als eine Vereinzelungshaltung verstanden werden, die sich gegenüber den Belangen und dem Geschick Anderer verschließt und alleine die eigenen Interessen als entscheidend ansieht. Vgl. Dtn 12, 8; 2 Kön 17, 14f.; Dan 9, 10-14; Jer 7, 21-28. 116 Dies soll keineswegs der Erwachsenentaufe ihre Berechtigung absprechen oder sie in ein gemindertes Verhältnis stellen, sondern vielmehr die (primäre) Passivität oder Rezeptivität als anthropologischen Marker ausweisen.
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binden und sich ihm und der Kirche gegenüber verpflichten:117 Ihr jeweils mit einem ‚Ich‘ bzw. ‚Wir‘ gesprochenes Credo wird zum Eid, mit dem sie sich selbst aufs Spiel setzen, aber auch wiederholt als aktualisierte Subjektivierungsgeste (der Pflichtübernahme) ihren Subjektstatus bekräftigen können. Wie die Vorgegebenheit der Sprache und der Sprachgemeinschaft das eigene Sprechenkönnen ermöglicht, wird der Glaube als Prozess durch die Eingliederung in und durch die Hilfe der Glieder am Leib Christi ermöglicht: Die sakramentalästhetische Perspektiveröffnung ist kein einmaliges Geschehen im Glauben, das analog zur Sprache pädagogische Vermittlung braucht und durch den Zeichencharakter der Sakramente erlernt und gedeutet werden muss. Die Taufe ist daher kein Individualgeschehen, sondern ein Sakrament der Kirche, das die Eingliederung in den Leib Christi als Lebensgemeinschaft zur Konsequenz hat. Die empfangene Gnade von Eingliederung, Glauben, Ästhetik und Erkenntnis für die Gottesbegegnung ist dem Einzelnen indikativisch und unverbrüchlich zugesagt (opus operatum), doch stellt die Gabe auch zugleich eine Aufgabe dar, die Gabe weiterzugeben (opus operans) und eine Taufethik auszubilden,118 um durchscheinbar Ebenbild für den Getauften (wie auch zur Kirche als auch zur Welt) zu sein.119 Im Übrigen wird dieser doppelte und simultane Wechsel der Beziehung zu Gott und zu dem anderen in der Taufe auf programmatische Weise bewirkt. Weil sie in der Tat eschatologisch ist, verbleibt es, sie in einer Ethik zu verwirklichen. Die Gnade wird als eine zu erfüllende Aufgabe gegeben. Daher geht der ‚dogmatische‘ Indikativ des ‚gestorben sein‘ mit dem ethischen Imperativ des ‚für die Sünde tot sein‘ (Röm 6, 11-12; Kol 3, 3-5) eine Verbindung ein. Die Taufgnade bezeichnet somit diese beständige symbolische Arbeit der Umkehr unserer selbst, durch die wir mithilfe des Heiligen Geistes ‚gläubig werden‘. Sie steht in Beziehung zur schmerzhaften ‚Durcharbeitung‘ des Feldes unseres Begehrens, wodurch wir Stück für Stück in das Ebenbild Christi erneuert und somit verändert werden. Diese Neuschöpfung durch die Taufe in den neuen Adam entspricht der Umkehr der ursprünglichen ‚Ent-Schöpfung‘ des alten Adam: Vom eifersüchtigen Sklaven eines Gottes, der pervertiert dargestellt wird als ein allmächtiger Meister, der eifersüchtig auf seine eigenen Vorteile bedacht ist – so wie es die Schlange in Gen 3, 1-5 einflüstert –, sieht sich unser Begehren umgekehrt in eine kindliche Dankbarkeit gegenüber dem Vater. Ebenso wird unser Begehren von der Gewalt gegen den anderen, der in der Vorstellung als Rivale betrachtet wird, den man unterwerfen und sogar töten muss (Kain und Abel, Gen 4) umgekehrt in einen 117 Vgl. Koch, Günter: Sakramentenlehre – Das Heil aus den Sakramenten, in: Beinert, Wolfgang (Hg.): Glaubenszugänge. Lehrbuch der Katholischen Dogmatik. Bd. 3. Paderborn u.a. 1995, S. 309-523; hier: S. 402. Vgl. Agamben, Sakrament, S. 83f. 86f. 89. 118 Vgl. Bruckmann, Gabe des Leibes, S. 136f. 119 Vgl. Meuffels, Sakramentenlehre, S. 296. 312f. Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 418-420.
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geschwisterlichen Bund – denn der Mythos der ursprünglichen Übertretung offenbart, dass dem verfälschten Bild eines eifersüchtigen Gottes ein verfälschtes Bild des anderen entspricht.120
Dadurch kann Selbstwerdung und Selbstempfang durch den Anderen als Bruder, in der Brudergemeinschaft der Kirche, stattfinden.121 So kreuzen sich vertikale als auch horizontale Linien, indem Gott ein unverbrüchliches und unkorrumpierbares Angebot macht und einen Raum stellt, in den er aus der steten Zusage an den Menschen ewig neu via sacramentum einbrechen kann und diesem begegnen kann (opus operatum/ex opere operato). Dieser Einbruch kann nicht vertikal betrachtet werden, da dies die Erkenntnisbedingungen des Menschen von Raum und Zeit außer Kraft setzen würde,122 sondern muss auf Augenhöhe des Menschen geschehen. Neben dem Sakrament im strengen Sinn begegnet der Mensch Gott in zeichenhafter Weise durch den geweihten Priester in representatio Christi capitis, wobei er zusammen mit den Eltern, Paten und der Gemeinde in pädagogischer Unterstützung einen lebendigen, sakramentalen und realsymbolischen Raum als Leib Christi bilden, in welchem sich das Sakrament in neuer Perspektivität vollzieht (ex opere operantis):
120 Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 420. Das Durchqueren des Phantasmas ist mitunter eine der entscheidenden Praktiken der lacan’schen Psychoanalyse bzw. -therapie. Durch das Durchqueren wird eine selbstgegebene bzw. gesellschaftlich entstandene Illusion überwunden und die fehlende Totalität der eigenen Existenz anerkannt, um dadurch eine freiere, aber deutlich nüchterne Existenz zu gewinnen. „Lacan bezeichnet die Aussetzung des phantasmatischen Rahmens als „Durchquerung des Phantasmas“ (la traversée du fantasme). Man muss akzeptieren, dass es keine verlorene Totalität gibt, die man wieder erlangen könnte. Das Begehren ist abhängig davon, dass es das begehrte Objekt niemals erreicht. Das Nichterreichen des Begehrten ist sichergestellt, da das, was eigentlich begehrt wird, das objet petit a, in der Realität nicht existiert. Jedes wirkliche Objekt erscheint im Vergleich mit dem phantasmatischen Objekt defizitär. Das Begehren kann niemals wirklich befriedigt werden; jedem begehrten Objekt fehlt ein kleiner Teil und die Abwesenheit dieses Teils hält das Begehren aufrecht. Das Phantasma wird in dem Moment durchquert, in dem das Subjekt die Suche nach dem unmöglichen Objekt aufgibt und akzeptiert, dass es ein solches Objekt überhaupt nicht gibt.“ (Heil, Aktualität, S. 80.) Vgl. Žižek, Tücke, S. 363-369. Im Fall der Erbsünde kann das menschliche Fundamentalphantasma, welches durchquert werden muss, mit der Souveränitätsillusion und vermeintlichen Deutungshoheit identifiziert werden, so dass der Mensch niemals die Vollständigkeit seiner Welt und seines Begehrens erzeugen, erlangen und abschließen kann. Im Falle der Sakramente gilt es auch hier, den Fehl Gottes, seine Unsichtbarkeit, anzuerkennen und sich aus der (reduzierten) Ernüchterung Gott sakramental zeigen zu lassen. 121 Vgl. Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 418-421. Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 466. 478f. 122 Vgl. Kant, KrV, A 22-24/B 37-39 (71f.).
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4. Gnade als Begegnung Indem Gott sich unverbrüchlich zusagt, wird der Mensch in freiheitlicher Entscheidung in die Kommunikation gerufen, weshalb er niemals Quelle des Heils sein kann. Vielmehr wird er von Gott zu dieser kommunikativen Gottesbegegnung, ohne Beeinträchtigung seiner Freiheit, ermächtigt, so daß im Zeichen/ Symbol als Kommunikationsmedium Gott (ex opere operatum) und der Mensch (ex opere operantis, getragen vom ex opere operatum) einander begegnen. Versagt der Mensch seine gläubige Bereitschaft, wird das opus operatum, Gottes kommunikativer An-Sprache, nicht aufgehoben, allerdings entbehrt diese einseitige Kommunikation Gottes der Frucht des Dialogs, der Begegnung. […] Opus operatum und operantis zielen somit auf eine kommunikative, sakramentale Mitte, in der Gott als Gott dem Menschen als Menschen begegnen kann.123
4.2.3 Die Eucharistie Den Rahmen, dass die Begegnung von Gott und Mensch sich vollziehen kann und dabei transparent wird und auch verstanden werden kann, bietet die Kirche, die göttlich initiiert ist, aber auch nicht auf die göttliche Dimension beschränkt werden kann. Sie ist ‚eine einzige komplexe Wirklichkeit‘, die analog der chalzedonischen Grammatik Göttliches und Menschliches zusammentreffen lässt (vgl. LG 8,1). Durch das Sakrament kommt es zu einer vermittelten Begegnung von Gott und Mensch, der sich in symbolisch codierter Kommunikation an den Menschen richtet. Zwar hat auch die Schöpfung eine sakramentale Dimension, durch welche sich die Herrlichkeit Gottes zeigt, dennoch ist innerhalb des kirchlichen Rahmens eine verdichtete Präsenz seiner Selbstmitteilung vernehmbar. So wird durch die Sakramentalität der Kirche die Selbstmitteilung Gottes transparenter und verdichteter als in der profanen Welt. Die höchste Verdichtung sakramentaler Herrlichkeit zeigt sich im eucharistischen Geschehen, das „Quelle und […] Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (LG 11,1) ist.124 „Das Sakrament der Eucharistie ist […] das Sakrament der Gabe par excellence.“125 Christus teilt sich seinen Jüngern und den Menschen mit, aber im Gegensatz zu einer alltäglichen Gabe, die nur in Korrelation mit dem Geber
123 Meuffels, Sakramentenlehre, S. 307f. 124 Vgl. PO 5,2: „Die übrigen Sakramente aber sowie auch alle kirchlichen Dienste und Werke des Apostolats hängen mit der Heiligen Eucharistie zusammen und werden auf sie hingeordnet. In der Heiligsten Eucharistie nämlich ist das ganze geistliche Gut der Kirche enthalten, nämlich Christus selbst, […].“ Zu einem ähnlichen Gedanken kommt Oster. Vgl. Oster, Person, S. 553. 125 Hoping, Helmut: Christus praesens. Die Gabe der Eucharistie und ihre Zeitlichkeit, in: Bruckmann, Florian: Phänomenologie der Gabe. Neue Zugänge zum Zugang der Eucharistie (QD; 270). Freiburg/Basel/Wien 2015, S. 197-218; hier: S. 205.
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steht und in ein Netz von Gabe und Gegengabe eingebunden ist,126 kommt es im Abendmahlsgeschehen zu einer Überschreitung des alltäglichen Gabenverständnisses: Statt nur zu einer Korrelation von Gabe und Geber kommt es zu einer Identifikation von Gabe und Geber. Mit dem Deutewort τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου deutet Jesus das Brot, das er bricht und austeilt, auf sich selbst, und zwar mit Emphase: Das bin ich selbst. […] Das Verständnis des Deutewortes erschließt sich, wenn beachtet wird, daß Jesus mit dem ausgeteilten Brot Segensgemeinschaft vermittelt. Er interpretiert sich als Quelle von Segen und Heil, als Heilsmittler. Er setzt die besondere Bedeutung seiner Person bei seiner Brotdeutung voraus. Die Jünger konnte verstehen: Dies bin ich, der Messias.127
Durch die eucharistischen Gaben teilt sich Jesus selbst in sakramentaler Art an seine Jünger und seine Gemeinde mit. Die eucharistischen Gaben zeigen als gesättigtes Phänomen die Realpräsenz Christi an bzw. vermitteln diese, wobei aber in Irritation durch Gegenintentionalität (gegen ein Alltagsverständnis) die menschliche Auffassungsgabe überschritten wird – Zeit und gegenständliche Oberfläche bleiben bestehen, werden aber von göttlicher Seite durch einen sakramentalen Überschuss relativiert und durchbrochen.128 Realpräsenz und Transsubstantiation stehen nicht nur vor dem Hintergrund der Selbstoffenbarung Gottes dazu aus, eine veränderte Dinglichkeit anzuzeigen, sondern auch trotz sichtbarer Absenz Christi seine sakramentale Anwesenheit in der und für die Gemeinschaft zu verwirklichen: Die Essenden gewinnen im Mahl eine neue Gemeinschaft mit ihm. Vom Becherwort her wird deutlich, daß es die Gemeinschaft mit ihm ist, der in den Tod geht. Von hier aus schließt sich das letzte Abendmahl an die Mähler an, die Jesus während seines Wirkens mit den Menschen, den Jüngern und den Sündern, gehalten hat. War er dort leibhaftig zugegen, vertritt ihn jetzt das Brot, das die Mahlteilnehmer gemeinsam essen. […] Die ihn genießen, verbinden sich nicht nur mit dem Christus passus, sondern haben Anteil an diesem Tod und Segen, den er freisetzt.129
Im Mahl wird eine neue Gemeinschaftsdimension präsent: Der Leib Christi, der nicht alleine auf die eucharistische Gabe beschränkt werden kann, sondern 126 Vgl. Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Mit einem Vorwort von E. E. Evans-Pritchard. Übersetzt von Eva Moldenhauer (stw; 743). Frankfurt 1990, S. 22. 118. 145. 127 Pesch, Rudolf: Das Markusevangelium. Zweiter Teil. Kommentar zu Kapitel 8,27-16,20 (HThK NT; II/2). Freiburg/Basel/Wien 2000, S. 357. 128 Vgl. Hoping, Christus praesens, S. 209f. Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 379f. 129 Gnilka, EKK II/2, S. 244.
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sich durch eine Mehrdimensionalität auszeichnet, wird zum Begegnungsort:130 Die irritierrende, anschauungsgesättigte Begegnung mit dem eucharistischen Leib eröffnet eine neue Ästhetik und eine neue Hermeutik,131 dass auch der getaufte Bruder als Glied Leib Christi und als Ebenbild Gottes erkannt werden kann.132 Ob dieser Einbruch Gottes in die Welt, um dem Menschen nahe zu sein, mit den Begriffen Transsubstantiation, Transsignifikation oder Transfinalisation versucht wird, begrifflich zu entfalten, ist oftmals eine zu enge Frage von Definition und abstrahierender Begrifflichkeit, die dem Ereignis Gottes nie gerecht werden kann. Vielmehr gilt es festzuhalten, dass durch das Ereignis eine Irritation des menschlichen Horizonts bedingt ist, die eine geschlossene Ontologie sprengt, was Transsubstantiation versucht aufzuarbeiten.133 Von dieser Grundlegung aus können Transsubstantiation, Transfinalisation und Transsignifaktion als Quasisynonyme betrachtet werden.134 Die Reduktion Gottes auf eine substantielle Wirklichkeit bzw. undynamische Anwesenheit wird der Größe Gottes nicht gerecht, sondern führt vielmehr auf eine schiefe Ebene, bei der die Lebendigkeit und die Dynamik der Begegnung verloren gehen. Es besteht die eminente Gefahr, Gott zu einem statischen Idol zu definieren.135 Der Begriff der Substanz kann nicht überwunden werden, denn er hat immer noch seine Bedeutung in der Philosophiegeschichte und dient auch noch als propädeutisches Instrument. Da aber das Ding an sich nicht erkannt werden kann,136 sondern ein Zugang bzw. ein Verständnis von ihm nur über (kontigente) Erfahrung und synthetische Urteile möglich ist, wird nie eine Substanz eines Dinges erkannt, sondern alleine Substanz versuchsweise rekonstruiert bzw. definiert: Wäre ein Sprechen von Akzidentien für die Phänomenologie noch angemessen, dann wäre hier der Schluss zu ziehen, dass sich Substanz nur als Akzidens des Akzidens zeigt, als Vorfall zweiten Grades. […] Allein der Vorfall zeigt sich, weil er allein sich gibt – was sich zeigt, das gibt sich.137
130 Vgl. Balthasar, Herrlichkeit I, S. 551f. 131 Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 232-236. 132 Vgl. Augustinus: Sermo 272 (PL 38; 1246-1248). 133 Vgl. Wohlmuth, Josef: Eucharistie als liturgische Feier der Gegenwart Jesu Christi. Realpräsenz und Transsubstantiation im Verständnis katholischer Theologie, in: Söding, Thomas (Hg.): Eucharistie. Positionen katholischer Theologie. Regensburg 2002, S. 87-119; hier: S. 117. 134 Vgl. Oster, Person, S. 633. 135 Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 251f. Vgl. ders., Gegeben sei, S. 385. 136 Vgl. Kant, KrV, A 30 /B 45 (S. 77); B 164 (S. 156); B 306 (S. 276); A 191/B 236 (S. 228). 137 Marion, Gegeben sei, S. 276. Vgl. Wohlmuth, Eucharistie, S. 104.
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Erfahrung ist ein (primär) passives Rezeptionsgeschehen, das vom Menschen in gemeinschaftlicher Deutung in der Sprache aufgearbeitet wird. Die Präsenz Christi wie auch die sakramentalästhetische Eröffnung des Blickes für die Deutung können nicht von menschlicher Seite bestimmt oder verlangt werden, sondern sind vielmehr unter dem Aspekt der pneumatologischen Fundierung zu sehen:138 Die Wandlung der Gaben geschieht nicht dadurch, dass der Zelebrant die Einsetzungsworte in magischer Weise rezitiert, sondern durch die Epiklese, dass Gott selbst durch den Hl. Geist die Gaben wandeln möge: So bitten wir dich, Vater: Der Geist heilige diese Gaben, damit sie uns werden Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus, der uns die Feier dieses Geheimnisses aufgetragen hat als Zeichen des ewigen Bundes.139 (IV. Hochgebet)
An die Bitte um die Wandlung der Gaben ist die Bitte um die Wandlung der Gemeinde angeschlossen, dass die Gemeinde selbst zum Leib des Herrn werde: So bringen wir dir seinen Leib und sein Blut dar, das Opfer, das dir wohlgefällt und der ganzen Welt Heil bringt. Sieh her auf die Opfergabe, die du selber deiner Kirche bereitet hast, und gib, dass alle, die Anteil erhalten an dem einen Brot und dem einen Kelch, ein Leib werden im Heiligen Geist, eine lebendige Opfergabe in Christus zum Lob deiner Herrlichkeit.140 (IV. Hochgebet)
Der Geist, der lebendig macht und die Oberfläche (des Buchstabens) überschreitet (vgl. 2 Kor 3,9), lässt die oberflächliche Wirklichkeit für die (Selbst-) Gabe Gottes transparent werden, weswegen in der Eucharistie durch und in der Gabe aufgrund des Hl. Geistes Begegnung mit Gott selbst geschieht, die der Mensch als gesättigtes Phänomen in einer Empfangshaltung des Dativs responsorisch empfangen und aktualisierend-heilend deuten kann:141 Der Heilige Geist ermöglicht sowohl die Erkenntnis als auch die Gemeinschaft 138 Vgl. Kehl, Kirche, S. 56. 66. 69. 74. „Aber zugleich gibt es auch die andere, eher erkenntnistheoretische Perspektive: nämlich den Hl. Geist als die gleichsam ‚transzendentale‘ Ermöglichung des Glaubens an Jesus Christus zu sehen. Daß der geschichtliche Jesus wirklich der Christus ist, also das Geschehen der Selbstmitteilung Gottes in Person, daß der Gekreuzigte von den Toten auferweckt und erhöht wurde, läßt sich nur im Hl. Geist erkennen […]; ohne diese Vorgabe des von Gott eröffneten und unsere Augen öffnenden Begegnungsraums ‚Hl. Geist‘ kann es keinen Glauben geben. Denn nur wer sich in die liebende Beziehung zwischen Vater und Sohn, in diesen sie verbindenden Geist hineinnehmen läßt, kann auch die Augen der Liebe geschenkt bekommen, mit denen er im geschichtlichen Jesus den ewigen Sohn des Vaters erkennen kann“ (ebd., S. 69.). 139 Die Heilige Messe. Lateinisch-deutsch. Der Messritus der katholischen Kirche. Hg. v. Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz. Heiligenkreuz 22013, S. 53. 140 Heilige Messe, S. 57. 59. Vgl. Hoping, Christus prasenes, S. 211. 141 Vgl. Hoping, Christus praesens, S. 202f.
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dahingehend, die Eucharistie als Leib und Blut Christi zu erkennen und in diesem Leib als Begegnungsraum gemeinschaftlich eingeborgen zu werden. Die Begegnung hat eine prekäre Gestalt, da sie für den Menschen ein unlösbares und nur aus der Distanz wie auch aus der Exteriorität empfangbares Phänomen darstellt – sie geschieht in der Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz sowie gegenständlicher Sichtbarkeit und herrlichem Überschuss. Die trinitarische Inversion, die die Himmelfahrt Christi mit der Sendung des Hl. Geistes zum transitorischen Geschehen werden lässt, führt damit zum zeitumspannenden Universalisierungsgeschehen, das nicht aus eigener Leistung einsichtig wird, sondern im Hl. Geist (von außen, aus der Exteriorität) antizipiert werden kann.142 Die Berechtigung zu dieser Deutung geht auf Jesus selbst und seine Einsetzungsworte zurück, die nicht nur als Deuteworte, denn vielmehr als Gabeworte zu verstehen sind:143 In der gesamten Geste von Sprechen und Geben teilt sich Jesus selbst an seine Jünger in einer neuen Gemeinschaft mit.144 Die Selbstgabe Christi in den eucharistischen Gaben bleibt nicht nur auf die Vergangenheit beschränkt, sondern, so wie als ein einbrechendes Ereignis von außen eine ontologische Geschlossenheit aufbricht, bringt auch die Selbstgabe eine Überschreitung des menschlichen Zeitverständnisses mit sich: Einbruch der Ewigkeit Gottes in die Lebenswelt des Menschen in bleibender Gültigkeit. Die verdichtete Präsenz Gottes durch das Sakrament führt zu einer Überschreitung der profanen Chronologie, indem die innerweltliche Beschränkung einen Riss durch die liturgische Abweichung erhält, die im Ritual den Rahmen für die sakramentale Anwesenheit stellt: Die Liturgie unterbricht die Zeit des Alltäglichen. Die Zeit der Liturgie ist die besondere, von Gottes Nähe gefüllte Zeit, welche die Zeit des Tages, des Jahres und des Lebens dadurch gliedert und ordnet, dass sie sich zugleich aus der alltäglichen Zeit heraushebt. In der Liturgie feiern wir die göttliche Nähe in menschlicher Gegenwart.145
Das Vergangene wird erinnert (signum rememorativum), die Gegenwart ist verdichtet durch Nähe gefüllt (signum demonstrativum) und die Vollendung in der Zukunft wird antizipiert (signum prognostivum).146 Die menschliche Zeitsynthesis wird sakramental überschritten, weil von göttlicher Seite die Grenze 142 Vgl. Hoping, Christus praesens, S. 200. 143 Vgl. Wohlmuth, Eucharistie, S. 97. 107. 144 Vgl. Bruckmann, Gabe des Leibes, S. 147. Mit Bezug auf Josef Wohlmuth. 145 Hoping, Christus praesens, S. 205. 146 Vgl. Hoping, Christus praesens, S. 204-206. Hoping nimmt hierbei Bezug auf Thomas (STh III, q. 60 a. 3; q. 73 a. 4) und Giorgio Agamben (Die Zeit, die bleibt).
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von Transzendenz und Immanenz sowie Endlichkeit und Ewigkeit eine Verschränkung und Verwindung erfahren, so dass Joseph Ratzinger sagen kann: „Liturgie ist die antizipierte Parusie, ist das Hereintreten des ‚schon‘ in unser ‚noch nicht‘, […].“147 Ordinarily we think of something as present precisely because it appears here and now, in this moment. But in eucharist, time is not ordered or determined by the present. Rather, in the eucharist, the present (the here and now) loses its privileged role as the fulcrum or center of gravity that determines time’s duration and significance.[…] By subverting the privileged role of the present, eucharist reveals that our understanding of time is badly flawed. […] The typical metaphysical notion of time understands the whole in terms of the present. But the ‘gifted’ notion of time understands the present in terms of the whole.148
Die Verwindung der Zeitstufen im eucharistischen Geschehen drückt sich auch im Bild des Himmlischen Hochzeitsmahls aus, dass in Universalisierung auch die Gemeinschaft der Gestorbenen miteinbezieht und dadurch eine unverbrüchliche und zeitstufenüberschreitende Gemeinschaft durch den erstandenen Herrn mit sich bringt.149 In der Eucharistie manifestiert sich die endzeitliche Gemeinschaft von Gott und Mensch – der Heilsratschluss Gottes wird in Letztgültigkeit und unkorrumpierbar aufgerichtet: Die Ermöglichung zu dieser endzeitlichen Gemeinschaft geschieht von göttlicher Seite durch das Opfer Jesu Christi. Die Vorstellung einer notwendigen Besänftigung Gottes hat ein allzu anthropomorphes Gottesbild vor Augen und verkennt auch dabei den Jerusalemer Tempel als Begegnungsort. Blut als Opfergabe ist ein Ausdruck einer demütigen Rückgabe, was Gott selbst gegeben und ermöglicht hat: Das Leben, wofür Blut als symbolischer Ausdruck steht. Durch ein Blutopfer und Sühne am Tempel ist ein Gott eingerichteter Rahmen geschaffen, um den Menschen erneut in eine versöhnte Gemeinschaft mit ihm zu ermöglichen, was durch Sühne, Reinigung, Opfer und göttlicher Annahme gegeben ist: Gewährung neuer Lebensmöglichkeiten.150 Diese Gemeinschaft von Gott und Mensch wird durch die Selbsthingabe 147 Ratzinger, Joseph: Ein neues Lied für den Herrn. Christusglaube und Liturgie in der Gegenwart. Freiburg/Basel/Wien 1995, S. 166. Vgl. Ratzinger, Josef: Eschatologie. Tod und ewiges Leben (Kleine Katholische Dogmatik; 9). Regensburg 1977, S. 167. 148 Mitchell, Nathan: Real presence. The work of Eucharist. Chicago 2001, S. 116. Mitchell nimmt für die Aufkündigung der alltäglichen Zeitperspektive Marion als maßgeblichen Referenzautor. 149 Vgl. Kehl, Kirche, S. 126-129. Vgl. Stuflesser, Martin: Eucharistie. Liturgische Feier und theologische Erschließung. Regensburg 2013, S. 248. 150 Vgl. Wohlmuth, Jom Kippur, S. 24f.
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Christi endzeitlich aufgerichtet und universalisiert, so dass der Tempel als Ort der Begegnung aufgehoben wird und der gebrochene Leib des Herrn (im Zusammenschluss von Abendmahl und Kreuzigung) als der letztgültige Ort von Begegnung und Rechtfertigung ist.151 Von der jährlichen Möglichkeit zur versöhnten Gemeinschaft am Jom Kippur durch die hohepriesterliche Besprengung der Kapporet (Deckelplatte der Bundeslade) kommt es zum endzeitlichen Wechsel: Jesus wird zum ewigen Hohepriester und bringt ein ewiges Opfer dar und kann durch seine göttliche Selbstgabe „ein für allemal den freien Zugang zum [aufgehobenen, eigentlichen] Allerheiligsten sicherstell[en]“ (vgl. Hebr 7,25-8,13; 9,11-10-18).152 Gott gibt dem Menschen, was dieser sich selbst nicht geben kann: Die göttliche Gemeinschaft und (durch die Begegnung aus der Exteriorität) sich selbst.153 Durch die irritierende Gabe, die als reine Gabe einen Ausbruch der ökonomischen Tausch- und Anerkennungsverstrickung mit sich bringt,154 kann das Souveränitätsphantasma und ein menschliches Dasein, das streng von der Sorge um sich selbst und die zu gebende Anerkennung durch den Anderen bestimmt ist, durchbrochen werden:155 Die krankhafte und krankmachende Sorge des Menschen als narzisstisch verschlossene Distanz zu Gott wird aufgehoben: Die erbsündliche Eingeschlossenheit erfährt einen derartigen Riss, der das Prinzip der Entfremdung von Gott und dem Anderen aufbrechen lässt. Im Kreuzesgeschehen und im Sakrament geschieht eine ungeschuldete und gnadenhafte Rechtfertigung des Menschen durch das Opfer Christi, indem seine Verschlossenheit zu einer neuen Gemeinschaft eröffnet wird, die ihn heilt und heiligt.156 Die Selbstwerdung durch Gemeinschaft mit Gott und durch seine Anerkennung kann nicht selbst gegeben werden oder in einem Werk erarbeitet werden – der Mensch kann sich dies nur zeigen lassen und in perspektivoffener
151 Vgl. Pesch, Markusevangelium II, S. 358f. 498f. Vgl. Wohlmuth, Jom Kippur, S. 44-48. 152 Wohlmuth, Jom Kippur, S. 57. Vgl. ebd., S. 56f. 153 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 466. 479. 154 Vgl. Balthasar, Glaubhaft, S. 67. 155 Vgl. Hoffmann, Christus, S. 36-38. Vgl. Bruckmann, Gabe des Leibes, S. 140. 156 Im Opfer Christi wird auch die iterierende Gewaltstruktur menschlichen Handelns bloßgestellt und das Opfer in seiner ganzen Schrecklichkeit gezeigt, ohne in ein verklärendes Narrativ zu verfallen, das die Gewalt sublimiert und dadurch (so weit wie möglich) unsichtbar macht. Für diesen Aspekt steht das Werk René Girards, der eine Apologie des Christentums vornimmt, indem die Offenlegung der Gewalt an Christus, dem Menschen selbst ein Spiegel der eigenen Gewalttätigkeit vorgehalten wird. Vgl. Girard, René: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Eine kritische Apologie des Christentums. München 2002.
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Demut empfangen.157 Selbstwerdung ist kein Verdienst; dazu ist diese Gemeinschaft durch ihren gnadenhaften Überschuss der Begegnung durch die endliche Oberfläche nicht definitorisch handhabbar oder einer Kontrolle unterwerfbar, sondern alleine in Offenheit schau- und annehmbar. Deswegen wird auch in bezeichnender Weise das rezeptive Nahekommen Gottes durch die Speise Eucharistie (= Danksagung) genannt. Das menschliche Dasein ist nicht statisch, denn der Mensch als Werdender hat eine dynamische Existenz, die von Rezeption und Ekstasis bestimmt ist. Ein Selbstverschluss nach außen kann somit als autoaggressive Geste verstanden werden, da der Mensch sich etwas vorenthält, was ihm erst Selbstwerdung ermöglicht. Mit Lacan gesprochen kann der Mensch als Begehrender verstanden werden, dessen Begehren als Ausweis von steter Unabgeschlossenheit zeugt und durch eigene Handlungen nicht gefüllt werden kann. Er strebt stets zu dem, was ihm fehlt: objet a/Objekt klein a.158 Von dort aus kann die menschliche Existenz dahingehend verstanden werden, dass er beim Versuch, dieses Objekt klein a selbst zu erlangen, einem illusorischen Trug und Verkennung seines eigenen Wesen erliegt und sich einem unmöglichen Unternehmen hingibt: dem Souveränitätsphantasma. Diese Verkennung nach innen hat gewaltsame Konsequenzen nach innen und nach außen, indem die eigene Ohnmacht nicht akzeptiert und vielmehr geleugnet wird (bzw. verdrängt wird), wie auch das Ziel des Begehrens, die Anerkennung durch den Anderen, versucht wird, durch eigene Handlungen zu erwirken.159 157 So auch Knut Wenzel, der sich an Peter Hünermann orientiert: „Dieses Zu-sich-Kommen des Menschlichen selbst, die konkret-individuelle Verwirklichung des Menschlichen in und durch Jesus geschieht nicht entsprechend der Deutungsform der Heimkehr, sondern als Preisgabe seiner selbst an die Anderen und an Gott und als ein von den Anderen und von Gott her Sich-erfüllen-Lassen. […] In solcher Umkehrung des Selbsterhaltungsimpulses in eine rückhaltlose Offenheit für ein Sich-erfüllen-Lassen […] geschieht Selbst-Vollzug als ‚eucharistische Bewegung‘, findet die ‚Gründung der Autonomie in Danksagung‘ statt.“ (Wenzel, Sakramentales Selbst, S. 38.) Vgl. ebd., S. 242. 158 Vgl. Lacan, Jaques: Namen-des-Vaters. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek. Wien/Berlin 2013, S. 66-91. Vgl. ders., Seminar XX, S. 33. 90f. 94. 103. 136f. Vgl. Žižek, Lacan, S. 92f. 95. 159 Vgl. Lacan, Jaques: Schriften II. Ausgewählt und hg. von Norbert Haas. Olten/Freiburg 1975, S. 43f. 189. Dass das eigene Begehren stetes Begehren ist, vom Anderen anerkennt zu werden, übernimmt Lacan aus der Hegel-Lektüre Alexandre Kojèves. „Denn die Begierde als Begierde, vor ihrer Befriedigung, ist in der Tat nichts als ein offenbar gewordenes Nichts, eine unwirkliche Leere. Da die Begierde die Offenbarung einer Leere, das Anwesen der Abwesenheit eines Wirklichen ist, ist sie wesentlich etwas anderes als die begehrte Sache, etwas anderes als ein statisches und daseiendes Wirkliches, das sich ewig in seiner Selbst-identität. Die Begierde, welche sich auf eine andere, als Begierde erfaßte Begierde richtet, wird daher durch ihre negierende und assimilierende Tat, die es befriedigt, ein wesentlich anderes Ich
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4. Gnade als Begegnung
Die Unabgeschlossenheit der menschlichen Selbstwerdung kann als Horizont verstanden werden, an dem die Eucharistie ihren Sinngehalt aufzeigen kann: Selbstwerdung durch die Begegnung und die Gemeinschaft mit dem Anderen selbst.160 Die Begegnung mit Gott in der Eucharistie und die Wandlung der Gläubigen in den Leib Christi, in dem sie sich selbst als Ebenbild Gottes sehen und anerkennen können, führt zu keinem vorzeitigen Abschluss, sondern steht im Horizont der sich dynamisch vollziehenden Vollendung. Die Selbstwerdung durch Gnade kann daher in ihrer prozessualen Struktur analog zum Manna Gottes in der Wüste verstanden werden.161 Das liturgisch eingefasste Brot stellt in gebrochener Abweichung zum alltäglichen Brot die menschliche Annahme der göttlichen Lebensgrundlage dar, die sich der Mensch selbst nicht geben kann, aber in kultureller Um- und Aufarbeitung annehmen darf, um nicht zu sterben: Eucharistie als Danksagung. Das Brot stellt somit zugleich metaphorisch die vorrangige Gabe Gottes und als Metonymie das Gesamt der Erde und der menschlichen Arbeit dar. Es verbindet somit den ‚Kult‘ und die ‚Kultur‘, […].162 Es kommt vor, dass es vor Gott gebracht wird als der höchste Ausdruck der Dankbarkeit und Anerkennung des Menschen; Anerkennung Gottes als Gott, das heißt als denjenigen, der aus dem Brot eine Gabe macht, und schließlich der Existenz an sich, da das Brot als repräsentativer Teil der ganzen Schöpfung wirkt; und zugleich als Anerkennung und Dankbarkeit gegenüber Gott. Das Brot ist niemals so sehr Brot wie in dieser anerkennenden Darbringung, wo es in sich den Himmel und die Erde versammelt, die gläubigen Menschen, die sich ‚unter-halten‘ (frz. s’entre-tiennent), indem sie es teilen und dem Geber, an den
schaffen als das animalische. […] Ebenso ist die Begierde, die sich auf ein natürliches Objekt richtet, nur in dem Maße menschlich, als sie durch die Begierde eines anderen, sie sich auf das gleiche Objekt bezieht, ‚vermittelt‘ wird: es ist menschlich zu begehren, was die anderen begehren, weil sie es begehren. […] Eine derartige Begierde kann nur menschlich sein, und die menschliche Wirklichkeit wird – soweit sie sich von der tierischen unterscheidet – nur durch Taten, die derartige Begierden befriedigen, geschaffen: die menschliche Geschichte ist die Geschichte begehrter Begierden“ (Kojève, Alexandre: Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes. Hg. v. Iring Fetscher. Erweiterte Ausgabe [stw; 97]. Frankfurt 52005, S. 22f.). 160 In der Diktion Lacans gesprochen findet hier über das Objekt klein a, in seiner symbolischen Wirklichkeit, ein Zugang und Überstieg zum großen Anderen, dem Realen, statt, das aber nie vollständig antizipiert werden kann. Vielmehr ist ein symbolischer Zugang (Name-des-Vaters) notwendig, um in die Nähe des Realen (der Vater/Gott) zu gelangen. 161 Vgl. Gunjević, Boris: Das fesselnde, romantische Abenteuer radikaler Orthodoxie – spirituelle Übungen, in: Žižek, Slavoj/ders.: God in pain. Inversionen der Apokalypse. Aus dem Englischen von Jürgen Schneider (LAIKAtheorie; 59). Hamburg 2015, S. 177-201; hier: S. 194. 162 Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 376.
Die bleibende Begegnung
187
sie sich als ‚an ihren Gott‘ wenden: Auf diese Weise entsteht mit ihm und untereinander eine neue Lebensgemeinschaft.163
Die durch die eucharistische Speise geschehende Begegnung bricht die menschlich-erbsündliche Haltung der Vereinzelung, Vereinsamung und Souveränitätsillusion auf. Sie entblößt die menschliche Ohnmacht, um diese zugleich zu neuer Erkenntnis und geheilter Gemeinschaft zu führen. Dem Menschen wird die eigene Fragilität und Gebrochenheit vor Augen geführt und dadurch seine eigene Gewalt entblößt: Gleichzeitig öffnen sich die Augen der Menschen: sie haben den Gerechten angeschuldigt, sie haben ihn gegeißelt, sie haben ihn in die Reiher der Sünder gestellt; aber das von Gott entgegengesetzte Gericht enthüllt die Wahrheit: Das Böse, mit dem sie den Gerechten belastet haben, ist nichts anderes als ihre eigene Schlechtigkeit.164 Christus hat einen gewaltlosen Gott offenbart im Sinne von Rachefreiheit und fehlender Rachsucht. Wenn es bei Christus Gewalt gibt, so ist es eine Gewalt ohne Opfer: Indem er die Gewalt der Menschen enthüllt, um sie zum Ziel zu führen, setzt er dem ein Ende.165
Das Opfer Christi fragt den Menschen an und ruft ihn zur gewaltfreien Verantwortung heraus – er muss in einer subjektivierenden Geste Stellung gegenüber Christus beziehen: Annahme seiner eigenen Fragilität und Gebrochenheit, so dass es zu einer Versöhnung mit Gott kommen kann; oder Verweigerung und anhaltende Verschlossenheit gegenüber der irritierenden Präsenz Gottes am Kreuz und im Brot. Das Kreuz ermöglicht dem Menschen eine Entscheidung, die als subjektivierende Geste ihm eine Ek-sistenz im strengen Sinne ermöglicht. Dieses neue Subjekt ist geheilt von einem Souveränitätsphantasma sowie Gewalt- und Machtphantasien, weil der Mensch durch das Kreuz in dessen kenotischer Struktur zu einer schwachen Subjektivität (Vattimo) berufen wird.166
163 Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 381. 164 Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 473. 165 Chauvet, Symbol und Sakrament, S. 298. Chauvet nimmt bei diesen Ausführungen explizit auf Girard Bezug und setzt dessen Gedanke von einer Aufkündigung der Gewaltstruktur menschlicher Handlung in Verbindung zu einer sakramentalen Neuwerdung des Menschen. 166 Vgl. Deibl, Menschwerdung, S. 229-233. 105-107.
188 4.3
4. Gnade als Begegnung
Die Begegnung Christi in den Marginalisierten
Das Dasein des Menschen wird zur Frage und zur Anfrage, wenn er auf das Antlitz des Anderen trifft, zu dem er sich verhalten muss. Auf sich selbst gestellt kann der Mensch diese Frage und deren existenzielle Bedeutung nicht lösen – als ein existenzieller Solitär bleibt er ohnmächtig und antwortlos: „Jeder Mensch bleibt sich selbst indessen eine ungelöste, ziemlich dunkel erfasste Frage.“ (GS 21,4) Die Klärung und Entbergung seiner eigenen Existenz, die ihm auch eine Deutung und Anerkennung des Anderen ermöglicht, ist durch die Selbstoffenbarung Gottes und den Glauben an Jesus Christus gegeben, weil dieser die dunkle Frage des Menschen transparent und luzide werden lässt: „Tatsächlich wird nur im Mysterium des fleischgewordenen Wortes das Mysterium des Menschen wahrhaft klar.“ (GS 22,1) Der Mensch in seiner Leibhaftigkeit ist kein rein intellektuelles Wesen, sondern bedarf zur Klärung seiner existenziellen Frage der sinnenhaften Begegnung, wie sie in der Kirche durch ihre sakramentale Struktur aufscheint. Neben der Deutung des eigenen und des gemein menschlichen Daseins kommt somit durch die sakramentale Begegnung eine Vergegenwärtigung dieser Botschaft mit lebenswichtiger Bedeutung zum Zuge. Die Relationalität der Kirche, die den Menschen in seiner Universalität als den Ort der kirchlichen Sendung hat,167 ist daher auch nicht nur nach innen, sondern auch nach außen entscheidend verwiesen, um dem fragenden Menschen in Freude und Hoffnung, Trauer und Angst (vgl. GS 1,1) nicht alleine eine intellektuelle Antwort anzubieten. Kirche steht in der Aufgabe, Ort für die „innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzes Menschengeschlechts“ (LG 1) zu sein. Die Kirche zeigt sich von dieser Grundbestimmung aus nicht als ein statisches Gebilde, denn sie hat eine entscheidend relationale und dynamisch-eschatologische Struktur. Die Kirche ist in einer Beschreibung eines perfektiven Zustandes mit einer strengen Grenzziehung von innen und außen in ihrem Wesen verkannt und würde sie sowohl hinsichtlich der relationalen Sendung als auch der eschatologischen Ausrichtung deutlich unterbestimmt lassen. Es gibt daher eine Hinordnung der Menschen auf Christus und die Kirche, weil sie der innigste und in der Transparenz luzideste Ort ist, an dem der Mensch auf Gott treffen kann, wobei dies keinesfalls eine Gnadenwirkung Gottes außerhalb der Kirche ausschließt (vgl. LG 16). Das Volk Gottes im universellen Sinn des Heilsratschlusses ist daher in Abstufungen der Sichtbarkeit
167 Vgl. Sander, Kommentar GS, S. 714.
Die Begegnung Christi in den Marginalisierten
189
und Intensität „die menschliche Gesellschaft schlechthin, insofern diese sich – explizit oder implizit – vom lebendigen Gott her versteht.“168 Wenn Christus seinen Jüngern als ultimatives eschatologisches Gebot Taten der Liebe in Analogie zu seiner Liebe aufgibt (vgl. Joh 13, 34) und der Geist als trinitarische Person die Liebe und die Bedingung für die Taten der Liebe ist, können Taten der Liebe ohne expliziten Christusbezug dennoch nicht ohne christologisch-pneumatologische Fundierung seitens der Theologie gedacht werden (vgl. GS 22,5). Wo Werke der Liebe getan werden, wird an der Vollendung der Gottesherrschaft mitgearbeitet – transparent und verständlich werden aber die Taten der Liebe erst in ihrer tiefsten Bestimmung durch ihren christologischen Bezug. Ansonsten bleibt die Liebe ein unverständliches und irrational anti-egoistisches Phänomen.169 Dass Rechtfertigung durch ein christologisches Axiom fundiert ist, steht außer Frage (vgl. Röm 3, 21f.; 11, 5; Eph 2, 8; Gal 2, 16; Apg 15, 11). Es gilt aber deshalb die Taten der Liebe in eine reflektierte Verhältnisbestimmung zur christologischen Axiomatik einzuordnen, um den Menschen nicht als radikal passives Wesen in Gänze auszuweisen, sondern vielmehr ist von einer primären Passivität auszugehen, die durch die Kenosis Christi zu einer neuen Handlungsfreiheit in Gemeinschaft eröffnet wurde. Die Präsenz Christi ist innerweltlich nicht auf das kirchlich-liturgische Geschehen eingeschränkt, sondern gibt sich dort vielmehr in seiner dichtesten, luzidesten und herrlichsten Sakramentalität. Das matthäische Weltgericht (Mt 25, 31-46) weist durch seine szenische Eigenart die gegenwärtigen Adressaten darauf hin, sich nicht innerkirchlich abzuschotten oder in falscher Heilsgewissheit vor der Welt zu verschließen.170 Der eschatologisch erscheinende Menschensohn, der eindeutig von der Gemeinde als Jesus Christus identifiziert werden kann, tritt als Richtergestalt auf und legt als Maßstab und Begründung seines Urteils die Werke der Liebe gegenüber den Marginalisierten an: Es sind Liebeswerke, die nicht alleine an die Ausgestoßenen gerichtet wurden, sondern die auch an Jesus Christus selbst verrichtet wurden, da er sich in Liebe und in Konsequenz zu seinem irdischen Handeln weiterhin mit den Ärmsten identifiziert und solidarisch mit ihnen ist:171 Maßstab des eschatologischen Gerichts wird die Liebe sein. Diese Liebeswerke können nicht von einer christologischen Dimension getrennt werden (so zeigt sich hier eindeutig, dass es 168 Hünermann, Kommentar LG, S. 400. Vgl. ebd., S. 398. 400. 169 Ähnlich bei: Balthasar, Glaubhaft, S. 33f. (Fn. 1). 170 Vgl. Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus. Mt 18, 1-25,46 (EKK; I/3). NeukirchenVlyun 1997, S. 543. 171 Vgl. Luz, Evangelium nach Matthäus, S. 541f.
190
4. Gnade als Begegnung
keinen Heilsweg oder Erlösung an Christus vorbei gibt), aber in pointierter Zuspitzung zeigt diese futurische Gerichtsschilderung auf, dass Werke der Liebe nicht zwingend an ein christologisches Bekenntnis gebunden sind.172 Den Gerichteten wird in überraschender Weise von Jesus Christus selbst eröffnet, dass sie durch ihre Taten Christus selbst begegnet sind (bzw. sich ihm gegenüber verschlossen haben). Diese in der Zukunft angesiedelte Szenerie eröffnet den Adressaten die verdichtete Zeitlichkeit ihrer eigenen Gegenwart,173 welche der Ort der eschatologischen Liebeswerke und das Einstehen für die sich vollziehende Entfaltung des Gottesreiches ist – der endzeitliche Ort, an dem die Macht der Sünde ihre Brechung und Aufhebung erfährt. Obwohl die Perikope selbst keine Gerichtsparänese im strengen Sinn ist, fordert sie durch ihren futurischen Einblick in die gerichtliche Kriteriologie implizit zu Werken der Liebe und zur Nachfolge Christi im alltäglichen Handeln auf.174 Die Jetztzeit hat eine außerordentliche Stellung inne, weil durch sie hindurch das sich entfaltende Reich Gottes sich zeigt und die Nähe Gottes zu seiner Schöpfung endzeitlich durchscheint. Um den Menschen in diese Vollendung miteinzubeziehen, wird er in die Nachfolge Christi mit Nachdruck berufen, wodurch sich die Drastik der Perikope erklärt: Die Identifizierung Jesu mit den notleidenden Brüdern wurzelt letztlich in der uneingeschränkten Zuwendung, die er diesen Menschen geschenkt hat. […] Weil die Barmherzigkeit [als bewusste oder unbewusste Nachfolge Christi] das Kriterium des Gerichts ist, wird der Text zum drängenden Imperativ an die Gemeinde, Barmherzigkeit zu üben.175
Über den Text hinaus lässt sich die Sorge um die Marginalisierten ablesen, denen er sich in besonders solidarischer Weise annimmt und sich an deren Schicksal bindet. Er stattet die Marginalisierten, die in ihrer Ohnmacht als Paradigma für den Menschen vor Gott gesehen werden können, mit einer außerordentlichen Würde aus: Auf ihrem Antlitz scheint das Antlitz Christi selbst durch, so dass ein Treffen auf sie zur sakramentalen Begegnung mit Jesus Christus selbst wird. Der Marginalisierte wird zur Ikone, auf dessen Antlitz die Ebenbildlichkeit Gottes zum Vorschein kommt.176 Um das Antlitz in seiner Überschussdimension der Ikonizität schauen zu können, braucht es kein explizit christologisches Bekenntnis – mit Marion gesprochen gibt sich 172 Vgl. Luz, Evangelium nach Matthäus, S. 540. Vgl. Kotsko, Politics of Redemption, S. 203. 173 Vgl. Luz, Evangelium nach Matthäus, S. 535. 174 Vgl. Luz, Evangelium nach Matthäus, S. 517. 535. Vgl. Gnilka, Matthäusevangelium, S. 375. 175 Gnilka, Matthäusevangelium, S. 375. 176 Vgl. Gnilka, Matthäusevangelium, S. 374. Vgl. Luz, Evangelium nach Matthäus, S. 539.
Die Begegnung Christi in den Marginalisierten
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das Antlitz selbst. Die Begegnung Christi im Marginalisierten hat aber für den Schauenden einen irritierenden Charakter, der ohne christologischen Bezug unklar, dunkel und undeutbar bleibt – das Antlitz bleibt im Geheimnishaften. Die Identifikation hat etwas Paradoxes, das nur im Glauben angenommen werden kann. In den Notleidenden erscheint die Herrlichkeit Christi. Menschliche Gemeinschaft, Gemeinschaft mit den Elenden erhält einen über sich hinausweisenden Sinn.177
Die volle Tiefe der Herrlichkeitsdimension der Notleidenden kann nur durch die Perspektivöffnung im Hl. Geist erfahren und daraus auch gedeutet werden. So übernimmt der Hl. Geist hier eine doppelte Funktion, indem er zum einen die erkenntnistheoretische Fundierung ermöglicht, den Anderen als Ikone Christi zu sehen und zu deuten. Zum anderen kann er als vinculum der trinitarischen Liebe die Personen in Liebe zusammenbinden, dass Werke der Liebe um ihrer selbst willen vorgenommen werden und nicht aus einer egozentrischen Lohn- oder Anerkennungserwartung getan werden.178 Die konkrete Not des Leidenden wird zum drängenden Phänomen einer Welt, in der sich die Erlösung des Menschen und das Raumgreifen des Gottesreiches entfalten und in der das Doppelgebot der Liebe (vgl. Mt 22, 37-40) als endzeitliche Maßgabe gilt: Der Ruf und die Befähigung zur Liebe machen dadurch die Verweigerung gegenüber dem Notleidenden als Sorge Gottes erkennbar, weswegen auch die Konsequenz des Gerichtes und des Heilsverlustes als Folge ausstehen.179 Durch die Kopplung von Nächsten- und Gottesliebe schließt sich derjenige, der in der zwischenmenschlichen Verweigerung verharrt, auch von der Nähe Gottes aus. Das endzeitliche Nahekommen Gottes führt durch die irritierend erlösende Präsenz Jesu Christi unter den Menschen zu einem sakramentalästhetischen Aufbruch, der die eigenen egozentrischen Grenzen der Selbstverschlossenheit überwindet und den Blick für den Nächsten öffnet, um durch die heteronome Erfahrung des Anderen ein Selbst zu werden. Das matthäische Weltgericht zeigt diese Relevanz der gegenwärtigen Begegnung mit dem Anderen aus christologischer Grundlegung in indirekter Weise an. Jesus ist […] derjenige, der neue Augen schenkt, die den armen Menschen und Gott neu sehen und erfahren lassen, und der Text [vom matthäischen Weltgericht] ist der Quellort einer Kraft, die das Weltgericht bestehen läßt.180 177 Gnilka, Matthäusevangelium, S. 378. 178 Vgl. Gnilka, Matthäusevangelium, S. 366. 179 Vgl. Gnilka, Matthäusevangelium, S. 366. 180 Luz, Evangelium nach Matthäus, S. 540.
192
4. Gnade als Begegnung
Die Heilung der Schöpfung erfolgt in Ausrichtung auf das Himmlische Jerusalem, in dem die erlöste Gemeinschaft von Gott und Mensch sowie von Mensch und Mensch ihren Ort hat: Das Gericht als Aufrichtung des Heilsratschlusses und der Schöpfungsordnung ist daher nicht aus einem rein individuellen Horizont bestimm- und verstehbar – die Gemeinschaftskomponente hat essentiell-konstitutiven Charakter, so dass das Gegenteil verengter Individualität maßgeblich ist. Nur im Horizont der erlösten Gemeinschaft ist eine erlöste Subjektivität, die von narzisstischer Egozentrik befreit ist, gegeben. Eine Erlösung jenseits der Alterität Christi als Paradigma des Neuen Adams stellt dazu vielmehr eine Kontradiktion dar. Im Passagenstatus der Endzeit gilt es deshalb die Ikonizität des Anderen im Alltag wie auch die verdichtete Präsenz Christi in der kirchlichen Sakramentalität zu begrüßen und anzunehmen. Das Schauen auf den Nächsten als Anderen, dessen Antlitz mir in ikonischer Weise die Herrlichkeit Christi aufscheinen lässt, hat deshalb einen dezidierten eschatologischen Status. Ein solipsistisches Christentum stellt demnach einen nicht weiter steigerbaren Selbstwiderspruch dar: Der Christ begegnet Christo im Nächsten, nicht hinter oder über ihm; so allein entspricht es der inkarnatorischen und leidenden Liebe dessen, der sich ohne Artikel ‚Menschen-Sohn‘ nennt (Jo 5, 27) und in jedem sich Nähernden der Allernächste ist. Die mir begegnende Zweieinigkeit von ‚irgendein Mensch‘ und ‚Menschensohn‘ ist im Glauben nur so aufzulösen, daß ich des Menschen Sünde im Menschensohn sehe, wo sie ihren wahren Platz erhalten hat, da dieser ‚zur Sünde gemacht wurde, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden‘ (2 Kor 5, 21), im Menschen selbst also die Rechtheit Christi sehe, als die Wahrheit dieses Menschen, die ihm gegeben ist und auf die hin er lebt. So ist diese Zweieinigkeit in der Tat ‚übers Kreuz‘ zu lesen. So aber, daß die Schuld am Kreuz getilgt ist, weil sie aus Liebe in Liebe verwandelt wurde. Die Augen, um den Nächsten in der Situation so zu sehen, sind mir selbst nur im Glauben geschenkt: im Glauben, daß ich selber kraft des Todes Christi für mich in Gott lebe, deshalb alle Dinge nach der Vorschrift dieser Liebe zu deuten habe.181
181 Balthasar, Glaubhaft, S. 76f.
Kapitel 5
Die Distanz von Gott und Mensch 5.1
Die Ironie und die Bindungslosigkeit
Eine binäre Aufteilung der Wirklichkeit in richtig und falsch sowie schön und hässlich wie auch gut und schlecht erzeugt eine immense Ausschlussdynamik, die alles, was nicht der geregelten Ordnung entspricht, dem Außen dieser Logik zuordnet. Das Falsche und Unlogische werden durch eine machtvolle und gewalthafte Logik ins Außen gestellt und zum Schweigen gebracht; in dieser Hinsicht zeigt sich der (als pathologisch klassifizierte) Wahnsinn als eines der eindrücklichsten Phänomene.1 Dieses Schweigen des Ausgestoßenen wird erzwungen; es wird der komplexen und irritierenden Weltwirklichkeit nicht gerecht und lässt die Weltanschauung auf einem unterkomplexen Niveau verweilen. Doch die menschliche Wirklichkeit widersetzt sich als sprachlich verfasste Welt der einengenden Evidenz- und Eindeutigkeitskategorisierung, weil Sprache nicht totalisiert und abgeschlossen werden kann: Der Sprache ist ein unabschließbares Überschussmoment inhärent.2 Deshalb ist es auch selbst der Philosophie nicht möglich als Wissenschaft des Denkens, wobei Sprache und Denken seit Herder und Kleist in Äquivalenz zueinander stehen und nicht voneinander separiert werden können, sich auf die statische Einschränkung einer binären Kategorisierung begrenzen zu lassen. Um der komplexen Weltwirklichkeit gerecht zu werden, muss die Philosophie in Selbstreflexion dem gewachsenen Rahmen der Philosophie entsteigen und diesen überschreiten, um weiterhin Philosophie betreiben zu können.3 Philosophie wird dadurch zu einem durchaus ironischen Unternehmen, ohne aber selbst in die Unernsthaftigkeit abzugleiten: Ironische Philosophie ist demnach dadurch bestimmt, dass sie in Radikalität an der Endgültigkeit eines eindeutigen Zusammenhangs von Signifikant und Signifikat zweifelt.4 1 Vgl. Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (stw; 39). Frankfurt 202013, S. 8. 51. 100. Vgl. Derrida, Jacques: Cogito und Geschichte des Wahnsinns, in: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Übersetzt von Rodolphe Gasché (stw; 177). Frankfurt 1976, S. 53-101; hier: S. 60-65. 87. 2 Vgl. Derrida, Gewalt und Metaphysik, S. 150. Vgl. Ders.: Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaft vom Menschen, in: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Übersetzt von Rodolphe Gasché (stw; 177). Frankfurt 1976, S. 422-442; hier: S. 424. 437. 3 Vgl. Derrida, Struktur, Zeichen und Spiel, S. 429f. 435. 4 Vgl. Rorty, Richard: Contingency, irony and solidarity. Cambridge 51993, S. 73-75. 82-85.
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5. Die Distanz von Gott und Mensch
Ironie ist die reflexive Anfrage, ob ein Gesagtes oder Geschriebenes in einer Eindeutigkeit haltbar ist oder vielmehr eine Mehrdimensionalität mit sich bringen kann. Statt einer gewaltsamen Eindeutigkeit anheim zu fallen, eröffnet die Ironie einen Zwischenraum der Sprache; bzw. die Mehrdimensionalität der Sprache kann von einer zwanghaften Eindeutigkeit wieder von der Ironie aufgebrochen werden. Die Ironie verweigert sich der binären Kategorisierung von Einschluss und Ausschluss und damit auch deren gewaltsamer Grundlage, ohne aber selbst zu einer tätlichen Gewalt zu greifen: Indem sie die binäre Trennung radikal anfragt, stellt sie deren Gültigkeit massiv in Frage und kann ein Zwischen eröffnen, weshalb sich die Ironie als Gewaltvermeidungsstrategie präsentieren kann. Die Ironie nimmt somit einen Uneigentlichkeitsgestus ein, indem sie zwischen Schwur und Lüge steht, aber dennoch etwas mit Bedeutung äußert: In Wirklichkeit ist die Ironie ein falsches Falschreden, eine Lüge, die sich selbst als Lüge zerstört, wenn sie ausgesprochen wird, und sie öffnet dem Getäuschten die Augen und belehrt den Getäuschten eines Besseren oder, eher, lässt dem angeblich getäuschten die Mittel, sich selbst eines Besseren zu belehren. [… ] Die Ironie will nicht geglaubt werden, sie will verstanden werden. Das heißt ‚interpretiert‘. Die Ironie lässt uns nicht glauben, was sie sagt, sondern, was sie denkt […].5
Da sich Ironie nicht dem Zwang der Eindeutigkeit beugt und einem starren Korsett binärer Zuordnung folgt, schenkt die Ironie eine neue Freiheit: Die Zurückweisung einer zwanghaften Logik stellt als Negationsgeste deren Gültigkeit in Frage, weswegen auch eine ironische Les- und Lebensart eine enorme Immunität gegenüber Fundamentalismen und anderer allzu engstirniger Weltperspektiven mit sich bringt. Eine gewaltsame Vereinseitigung und Vereindeutigung wird nicht zugelassen. In der Hinsicht kann auch das paulinische ‚als-ob-nicht‘ als ironische Infragestellung der aktuellen Situation in ihrer Statuszuschreibung gesehen werden – Paulus kann von einem größeren Horizont aus die Gegenwart beurteilen und hat mit dem Einbruch der erfüllten Zeit eine befreite und erlöste Perspektive zur Hand, welche die Alleingültigkeit einer bestehenden Ordnung kritisieren kann, ohne selbst auf eine gewaltsame Ordnung mit Gegengewalt antworten zu müssen. Die Ironie schafft daher Freiheit durch eine gewaltfreie Negationsgeste. Dies führt Paulus aber nicht dazu, in einen revolutionären Gestus gegenüber dem bestehenden (römischen) Staat zu verfallen. Eine 5 Jankélévitch, Vladimir: Die Ironie. Aus dem Französischen von Jürgen Braukel. Berlin 2012, S. 62.
Die Ironie und die Bindungslosigkeit
195
revolutionäre Haltung, die den Staat als eine vorläufige und (eigenständig) zu überwindende Größe gegenüber dem sich entfaltenden Reich Gottes ansähe und zum Handstreich gegenüber dem Staat tendiert, würde in binäre (mitunter apokalyptische) Denkmuster zurückfallen und die Gegenwart als dezidierten Ort der Gottesreichsentfaltung verkennen: Mitten in die Gegenwart ist die Sendung des Sohnes eingebrochen, die den Menschen und sein Herz durch den Hl. Geist erneuert (vgl. Gal 3, 26-4, 7). Die erfüllte, messianische Zeit wirkt in der gegenwärtigen Zeit und erzeugt eine perspektivische Verschiebung, die den gegenwärtigen Anbruch der Endzeit in der Jetztzeit erkennbar werden lässt.6 „[Die messianische Zeit] ist vielmehr eine Zeit, die der profanen Zeit gegenüber eine Verschiebung bewirkt und die Möglichkeit gibt, sie anders zu verstehen.“7 Das messianische Subjekt steht in der Spannung der Welt- und Heilsgeschichte, die sich zwar überlappen, aber nicht identisch sind, in einem Zwischenbereich, der neue Freiheiten eröffnet, ohne die Welt zu verwerfen. Daher empfiehlt auch Paulus, sogar Steuern zu zahlen (vgl. Röm 13, 1-7).8 So schätzt auch Sören Kierkegaard die Ironie als vorzügliche Möglichkeit zur Selbstreflexion, als eine einnehmbare Position zwischen substanzhafter Selbstverschlossenheit und unendlicher Unabschließbarkeit, wie auch als Chance den Fokus auf die eigene Existenz zu legen.9 Das entscheidende Paradigma der reflexiven Selbstbestimmung unter ironischem Vorzeichen sieht er mit Sokrates gegeben, dem er sich auch in seiner Dissertation widmet.10 Einer Ironie, die um ihrer selbst willen vorgenommen wird, tritt dagegen Kierkegaard entschieden entgegen, da für ihn Ironie eine Zweckgerichtetheit haben 6 Vgl. Agamben, Zeit, die bleibt, S. 52f. 80-84. 7 Cuvillier, Elian: Das apokalyptische Denken im Neuen Testament. Paulus und Johannes von Patmos als Beispiel, in: ZNT (2008) 22, S. 2-12; hier: S. 7. 8 Diese Relativierung gilt auch, wenn die eigentliche Textoberfläche es nicht nahelegt. Vgl. Wilckens, Ulrich: Der Brief an die Römer. Teilband III. Röm 12-16 (EKK; VI/3). Neukirchen-Vluyn 21989, S. 40f. Es empfiehlt sich daher, eine christologische Hermeneutik als lesartbestimmende Maßgabe heranzuziehen. 9 Vgl. Gräb-Schmidt, Elisabeth: Ironie als Existenzbestimmung der Unendlichkeit. Zur Differenz des Ironiebegriffs bei Sokrates und Kierkegaard, in: Cappelørn, Niels Jørn/Deuser, Herman/Söderquist, Brian K. (Hg.): Kierkegaard Studies Yearbook 2009. Kierkegaard’s Concept of irony. Berlin/New York 2009, S. 41-69; hier: S. 55. 61. Ironie zeigt sich auch in der schriftstellerischen Arbeit Kierkegaards als absolut notwendig, um die Multiperspektivität seiner Reflexionen auch formal ausdrücken zu können. Seine Pseudonymie hat keinen Selbstzweck, sondern dient dazu dezidierte Positionen existenzieller Art auch über Autorennamen bzw. –pseudonyme anzeigen zu können. Vgl. Caputo, John D.: How to read Kierkegaard. London 2006, S. 6. 74-78. 10 Vgl. Kierkegaard, Sören: Über den Begriff der Ironie. Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates (Gesammelte Werke und Tagebücher; Bd. 21). Simmerath 2004. Demnächst zitiert mit ‚BdI‘.
196
5. Die Distanz von Gott und Mensch
muss, um nicht in einer Unendlichkeitsbewegung der Negation völlig frei im Raum zu fallen, wie er es als Vorwurf an die Romantiker, insbesondere Schlegel, richtet:11 Ironie steht im Dienst der Existenzvergewisserung und hat nach der Kierkegaard-Lektüre Gräb-Schmidts eine derartige Auswirkung, dass sie dem cartesischen Zweifel in seiner Daseinsversicherung analog ist.12 Doch Kierkegaard steht nicht nur der Ironie an sich, sondern auch Sokrates dialektisch gegenüber: Ein geglücktes Dasein lässt sich bei Sokrates nicht attestieren – er ist nur negativ frei, ohne einen existenziellen Rahmen oder Absicherung zu haben.13 Eine Sonderform der Ironie, die sich nicht in der negativen Unendlichkeitsbewegung verliert, weil sie an einen existenziellen Bezugspunkt gebunden ist und sich nicht in einer perpetuierenden Innerlichkeitsbewegung verschließt, stellt die beherrschte Ironie dar.14 Diese Ironie besitzt ein befreiendes Moment, da sie die weltlichen Dinge weder rein negiert noch verabsolutiert – sie besitzt ein beherrschtes Maß der Distanzierung, indem sie sich von einem Referenzhorizont bestimmt sieht und sich zu diesem Horizont aus einer anerkennenden Passivität und Rezeptivität verhält und keinen Selbstermächtigungsgestus an den Tag legt.15 Samyn legt auch dar, inwiefern romantische Ironie keine sokratische Ironie ist, weil die sokratische Ironie sich nicht in einer unendlichen Negativitätsbewegung verliert – sokratische Ironie bleibt potenziell offen für ein Ereignis oder den Einbruch des Absoluten.16 Weil aber die beherrschte Ironie durch einen existenziell subjektiven Charakter bestimmt ist, rechnet Samyn die beherrschte Ironie der Religion bzw. dem Glauben in Absetzung von der Philosophie zu. Beherrschte Ironie steht in der Notwendigkeit eines nicht weiter begründungsfähigen Sinnzentrums, eines Axioms, das den Wert einer unmittelbaren Existenzorientierung bietet. Die beherrschte Ironie braucht – streng gesprochen – einen Glaubensgegenstand, weswegen auch Lacan den Namen-des-Vaters 11 Vgl. Kierkegaard, BdI, S. 266-271. Vgl. Gräb-Schmidt, Ironie als Existenzbestimmung, S. 49. 57. 12 Vgl. Gräb-Schmidt, Ironie als Existenzbestimmung, S. 49. 13 Vgl. Kierkegaard, BdI, S. 276. Vgl. Schwab, Philipp: Zwischen Sokrates und Hegel, Der Einzelne, die Weltgeschichte und die Form der Mitteilung in Kierkegaards Über den Begriff der Ironie, in: Cappelørn, Niels Jørn/Deuser, Herman/Söderquist, Brian K. (Hg.): Kierkegaard Studies Yearbook 2009. Kierkegaard’s Concept of irony. Berlin/New York 2009, S.127151; hier: S. 140. 14 Vgl. Kierkegaard, BdI, S. 332-335. 15 Vgl. Samyn, Liesbet: How to Cure Despait. On Irony and the Unhappy Consciousness, in: Cappelørn, Niels Jørn/Deuser, Herman/Söderquist, Brian K. (Hg.): Kierkegaard Studies Yearbook 2009. Kierkegaard’s Concept of irony. Berlin/New York 2009, S. 317-354; hier: S. 321. 325. 332. 16 Vgl. Samyn, How to Cure Despair, S. 332.
Die Ironie und die Bindungslosigkeit
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als notwendiges Symbolzentrum der Sprache ausweist. Der Name-des-Vaters kann nicht ironisiert werden, sondern bildet ein unzerstörbares Strukturzentrum, um überhaupt sprechen zu können.17 Dieser (wenn auch unthematisierte) Fixpunkt (des Glaubens bzw. der Sprache) bewahrt die Ironie davor, in die Unendlichkeitsbewegung der Negation zu fallen. For indeed, in On the Concept of Irony, it seems that Kierkegaard is precisely criticizing philosophy from the viewpoint of religion. Mastered irony actually creates a religious self that relates itself (phenomenon) to an actuality that is at the same time a necessary framework (essence) and a gift opening up possibilities (phenomenon). In that sense, the self under the guidance of mastered irony is a relation and strikingly resembles the authentic religious self as forged in The Sickness unto Death.18
Die beherrschte Ironie bringt damit die Möglichkeit einer Selbstläuterung mit sich, indem sie die Notwendigkeit der Reflexion und der Distanzierung gegenüber allen endlichen Dingen erkennt, ohne sich durch die reflektierende Negation in eine selbstermächtigte Position zu begeben: Die beherrschte Ironie zeichnet sich durch einen deutlich milderen Umgang mit der Welt aus,19 wie es an der paulinischen Ironie eindrücklich schaubar ist. Samyn stellt aber die wichtige Anfrage an die beherrschte Ironie, ob diese überhaupt noch als Ironie bezeichnet werden kann, weil sie durch die Distanzbewegung der Reflexion niemals ein Ausgleichsniveau erreichen kann. Beherrschte Ironie stellt vielmehr eine Unmöglichkeit dar, weil ihre innere Tendenz der Negation dahingeht, in die (unendliche) Negationsbewegung zu kippen und dadurch den Bezug und die Bindung zum Referenzhorizont zu verlieren.20 17 Vgl. Lacan, Jacques: Schriften II. Ausgewählt und hg. Von Norbert Haas. Olten/Freiburg 1975, S. 110f.: „Der symbolische Vater ist der Name des Vaters. Er ist das wesentliche vermittelnde Element der symbolischen Welt und ihrer Strukturierung. Es ist notwendig für jene Entwöhnung, die wesentlicher ist als die ursprüngliche Entwöhnung, durch die das Kind aus seiner schlichten und einfachen Verkupplung mit der mütterlichen Allmacht herauskommt. Der Name des Vaters ist wesentlich für jede Artikulation der menschlichen Sprache, und dies ist der Grund, warum der Ekklesiastes sagt – Die Torheit hat in seinem Herzen gesprochen: Es gibt keinen Gott. Warum sagt er, in seinem Herzen? Weil er nicht sagen kann, in seinem Mund.“ Vgl. Klug, Sprache, Geist, Dogma, S. 49f. 18 Samyn, How to Cure Despair, S. 320. 19 Vgl. Samyn, How to Cure Despair, S. 343. 350. 20 Vgl. Samyn, How to Cure Despair, S. 345-348. Zur Verteidigung der beherrschten Ironie ist hier mit John D. Caputo anzumerken, dass der Sprung in den Glauben und Glauben selbst die Erfahrung des Unmöglichen sind, welche nicht von einem objektiv-vernünftigen Standpunkt aus eingesehen werden können. Die Erfahrung des Unmöglichen stellt in
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Das Problem an der unendlichen, romantischen Ironie ist, dass sie ohne Referenzrahmen oder axiomatische Fundierung geschieht und dadurch nur im virtuellen Raum einer projektiven und sehnsüchtigen Wirklichkeit stattfindet: Es ging [insb. Schlegel und Fichte] hier nicht darum, die Subjektivität in Erscheinung treten zu lassen, denn die Subjektivität war in den Weltverhältnissen allbereits vorhanden; es ging vielmehr um eine überspannte Subjektivität, eine zweite Potenz der Subjektivität. Daraus ersieht man zugleich, daß diese Ironie durchaus unberechtigt gewesen ist, sowie daß Hegels Verhalten wider sie ganz und gar in Ordnung war.21
Um dies mit einem Gedanken der späteren Schriften zu verknüpfen, lässt sich dieser Punkt der negierenden, unendlichen Reflexionsgesten als Verzweiflung benennen: Romantische Ironie entsteht aus einem Mangel an Endlichkeit.22 Eine gelingende Existenz ist nicht durch eine reine Innerlichkeitsbewegung zu haben, die sich von der Außenwelt durch Negationsgeste abschließt, sondern Bezug zu einem außenstehenden Referenzpunkt nimmt: Der Sprung in den Glauben.23 Diesen Referenzpunkt als Horizont einer axiomatischen Absicherung kann in der Moderne nicht mehr die Philosophie gewährleisten, weswegen auch die romantische Ironie als Wiederkehr sokratischer Ironie zu keiner gelingenden Existenz führen kann. In der Moderne geschieht nach Kierkegaard ein geglücktes Dasein alleine im Referenzrahmen des Christentums.24 Ein nicht-verzweifeltes Dasein gelingt nur dem echten Christen.25 Der Ironiker, in seiner Unendlichkeitsbewegung der Negation, verliert sich selbst, weil er sich selbst in einer Innerlichkeitsbewegung vor der irritierenden Wirklichkeit der Welt verschließt und in eine projektive Virtualität flüchtet. Die befreiende Ironiegeste wendet sich gegen die eigene Person und führt zu einer existenziellen Verschlossenheit. Ohne einen axiomatischen Referenzpunt verliert sich die Ironie in einer Negationsschleife, die nur noch im unendlichen Selbstbezug funktioniert und keinen Halt mehr kennt. Ironie, die rein um ihrer selbst willen geschieht, findet auch keinen Inhalt mehr, dem sie Konsequenz die Selbstverständlichkeit und Normalität alltäglicher Begebenheiten in dekonstruktivistischer Weise in Frage. Glaube besitzt nach Caputo eine konstitutive Beziehung zur Dekonstruktion. Vgl. Caputo, Looking the Impossible in the Eye, S. 3f. 24. 21 Kierkegaard, Bd I, S. 280f. Vgl. Schwab, Zwischen Hegel und Sokrates, S. 142f. 22 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. S. 26. Neben dem Mangel an Endlichkeit gibt Kierkegaard weitere Mängel an, die Formen der Verzweiflung sind: Mangel an Unendlichkeit, Mangel an Notwendigkeit, Mangel an Möglichkeit. 23 Vgl. Kierkegaard, FuZ, S. 31. Vgl. Žižek, Tücke, S. 162. 185. Vgl. ders., Weniger als nichts, S. 1191. Vgl. Gräb-Schmidt, Ironie als Existenzbestimmung, S. 61. 24 Vgl. Gräb-Schmidt, Ironie als Existenzbestimmung, S.45. 25 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 18.
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reflektierend gegenüber treten kann und aus dieser Reflexion ein aktualisiertes Selbstverhältnis entnehmen kann – reine Ironie wird zur leeren Form und bringt die Gefahr mit sich, in der virtuellen Unendlichkeit der Selbstverschlossenheit verloren zu gehen. Hier haben wir somit die Ironie als die unendliche absolute Negativität. Sie ist Negativität, denn sie tut nichts als verneinen; sie ist unendlich, denn sie verneint nicht diese oder jene Erscheinung; sie ist absolut, denn dasjenige, kraft dessen sie verneint, ist ein Höheres, das jedoch nicht ist. Die Ironie richtet nichts auf; denn dasjenige, das errichtet werden soll, liegt hinter ihrem Rücken.26
Folgt man der Subjektbestimmung Badious und Žižeks, welche sich dadurch auszeichnet, dass das Subjekt erst durch die Entscheidungsgeste gegenüber einem anfragenden, irritierenden und herausfordernden Horizont bzw. Ereignis entsteht,27 wird die existenzielle Problematik der Unendlichkeitsgeste ersichtlich: Der Ironiker stellt nicht nur alles in Frage, sondern der Gestus der Infragestellung wird zur existenziellen Haltung. Eine engagierte Perspektive für ein Ereignis, die dieses Ereignis erst sichtbar werden lässt,28 kann nicht eingenommen werden. Der Ironiker bleibt in einem präsubjektiven Zustand gefangen. Doch die Konsequenzen sind weitreichender, als dass man sie nur auf einen gescheiterten Subjektivierungsprozess begrenzen könnte. Mit Vladimir Jankélévitch lässt sich dem Ironiker ein Sozialitäts- wie auch ein gleichzeitiger Identitätsverlust attestieren, der ihn zu einem metaphysischen Obdachlosen macht; oder um mit Nietzsche zu denken: Der Ironiker ist der Letzte Mensch – er ist klein, kalt und langweilig, weil er ohne Leidenschaft und für nichts lebt.29 Und der Ironiker ist nicht nur niemand, sondern […] es gibt vor ihm keinen mehr; es gibt weder Ich noch Du: Die unmittelbare Beziehung der Anrede des Du ans Ich wird durch diesen Rückzug des Partners annulliert. Der Ironiker ist weder dieser noch jener, und ebenso ist er nie jetzt, nunc, oder, besser, er ist nie, sondern wird sein oder ist gewesen; er lebt in der Vergangenheit wegen des Bedauerns oder in der Zukunft wegen der Hoffnung, […]. Das ironische Leben ist also eine ständige Reise von Modalität zu Modalität und von Kategorie zu Kategorie; es hat nur instabile Determinationen und wandernde Beiwörter. Der Ironiker, der Reisende der Traumreisen, ist immer ein anderer, immer woanders, immer später. […] Das ironische Leben ist also reine Negation und Relativität. Es 26 Kierkegaard, BdI, S. 266. Vgl. Jankélévitch, Ironie, S. 153. 155. 27 Vgl. Žižek, Tücke, S. 185. 187. 190. 249. 28 Vgl. Badiou, SuE, S. 224f. 232-236. 29 Vgl. Nietzsche, Also sprach Zarathustra, S. 18-21. „‘Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?‘ – so fragt der letzte Mensch und blinzelt. Die Erde ist klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht.“ (ebd., S. 19.) Vgl. Ruhstorfer, Konversionen, S. 187.
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5. Die Distanz von Gott und Mensch treibt zwischen besonderen Wirklichkeiten, ohne sich irgendwo niederzulassen, und sein Reichtum selbst ist nichts anderes als diese Weigerung, lieber ein Bild als die anderen Bilder anzunehmen; es spielt seinen Freunden wie seinen Feinden Streiche, und da es alle Welt verrät, bleibt es zwischen seinen Grillen allein, dürftig und enttäuscht.30
Statt Ironie als Reflexionshaltung zu gebrauchen, wird sie für den Ironiker zur Schutzhaltung, damit er sich in der Distanz aufhalten kann und niemals zu entscheiden braucht. Ek-sistenz braucht Entschiedenheit, um zur Eigentlichkeit zu gelangen, doch das Dasein bleibt sistiert und der Ironiker verweilt durch seine Schutzhaltung der Unentschiedenheit im Status des Man.31 Der Ironiker kennt keine Zeit – er spricht niemals sein ‚fiat‘ aus.32 Der Entscheidungsforderung der Existenz und der Anfrage der Begegnung bzw. des Ereignisses wird nicht nachgekommen, so bleibt man im Unernst, weil der inhaltsleere Zweifel keinen Halt bietet. Der Ironiker hält sich in einem virtuellen Dasein auf, dem der Bezug zur Wirklichkeit seiner Ek-sistenz mehr und mehr abhandenkommt. Die heteronome Anfrage fordert ihn zu einer Positionierung auf, doch um das Souveränitätsphantasma aufrecht zu halten, wird der Ironiegestus zu einer Schutzhaltung, welche Unentschlossenheit als modus vivendi zulässt. In einer aktuellen Kulturkritik geht Byung-Chul Han mit der Unentschlossenheit ins Gericht, ohne aber selbst moralinsauer die Schuldfrage in den Raum zu stellen. Die Unentschlossenheit zeigt sich für ihn nicht als Einzelerscheinung, sondern als gesamtgesellschaftliches Phänomen, dem er den Status des Symptoms, einer überindividuellen Depression, attestiert.33 Der Narzisst lässt die Heteronomie und die Alterität des Anderen nicht zu, weil es die eigene Autonomie bzw. das Souveränitätsphantasma in Frage stellen könnte.34 Weil der maßgebliche Horizont die eigene Innenwelt ist und ironische Distanzierung dies stets verstärkt, kann sich der Narzisst nicht zu einem Außen als Anderer in Beziehung setzen – er ist welt- und ortlos in sich gefangen.35
30 Jankélévitch, Ironie, S. 152f. Vgl. ebd., S. 155. 31 Vgl. Heidegger, SuZ, S. 113-117. 258-260. 297-299. 370. 424-426. 32 Vgl. Jankélévitch, Ironie, S. 156f. 160. Jankélévitch bezieht sich hier (S. 160) auf Offb 3, 15f., um die Fadheit des ironischen Daseins herauszustellen. „Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien“ (Offb 3, 15f.). 33 Vgl. Han, Agonie, S. 5-8. 58f. 34 Vgl. Han, Agonie, S. 7. 35 Vgl. Han, Agonie, S. 6f.
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Das depressiv-narzisstische Subjekt ist zu keinem Schluss fähig. Ohne Schluss aber verfließt und verschwimmt alles. So hat es kein stabiles Selbstbild, das ebenfalls eine Schlussform ist. Nicht zufällig gehört die Unentschlossenheit, die Unfähigkeit zum Ent-Schluss zur Symptomatik der Depression. Die Depression ist charakteristisch für eine Zeit, in der man im Exzess des Öffnens und Entgrenzens die Fähigkeit verlor, zu schließen und abzuschließen. Man verlernt das Sterben, weil man das Leben nicht abzuschließen vermag. Auch das Leistungssubjekt ist unfähig zum Schluss, zum Abschluss. Es zerbricht unter dem Zwang, immer mehr Leistungen hervorbringen zu müssen.36
Eine zärtliche Berührung von außen, die irritiert, öffnet und zur Selbstwerdung verhilft, wird nicht mehr zugelassen, weil der Mensch in seiner narzisstischen Verengung des Selbstbezugs (und auch der Selbstberührung) eingeschlossen ist: Der Kontakt und die Interaktion nach außen sind durch Selbstkontrolle und von einem Leistungs- und Effizienzparadigma überformt. Der Andere gerät nicht mehr als Anderer in den Blick, weil er bereits auf einen instrumentellen Objektstatus reduziert wurde und ein Raum, in dem dieser sich als Anderer in Alterität zeigen könnte, nicht gewährt wird. Dieser narzisstische Blick, der von einem maximalen Selbstbezug unter einem Leistungs- und Souveränitätsparadigma geprägt ist, begrenzt den Erscheinungshorizont des Gegenübers in entscheidender Weise – das Gegenüber kann nur noch als pornographisches Objekt auftreten: Vom pornographischen Bild geht kein Widerstand des Anderen oder auch des Realen aus. Ihm wohnt kein Anstand, keine Distanz inne. Pornographisch ist gerade die abwesende Berührung und Begegnung mit dem Anderen, nämlich die autoerotische Selbst-Berührung und Selbst-Affektion, die das Ego vor Fremdberührung oder Ergriffenheit schützt. So verstärkt die Pornographie die Narzissifizierung des Selbst.37
Der Exzess der ironischen Negationsbewegung, der aus einer reinen Weigerungsgeste gegenüber jeglichem Sinngehalt besteht und keinen Gültigkeitsrahmen oder referentiellen Punkt mehr annimmt, findet sich im Zynismus. Während die Ironie noch ein spielerisches und schwebendes Moment besitzt, in dem sie gegenüber der Außenwelt (relativ) offen, vorurteilsfrei und mehr fragend als antwortend auftreten kann, weist sich der Zynismus durch eine existenzielle Parallele zur Lüge aus: Lüge wie Zynismus sind von Verschlossenheit geprägt und maximal in die Innerlichkeit verkehrt – eine geöffnete
36 Han, Agonie, S. 34. 37 Han, Agonie, S. 58f.
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Bindung nach außen ist nicht vorgesehen. Ein Haltsuchen bei der Außenwelt ist nicht beabsichtigt.38 Die Ironie hat sich selbst verschlungen und ist in eine Negationsschleife geraten, die keine Bindung oder Konfession mehr akzeptiert: Die Verschlossenheit erlangt einen existenziellen Wert und überformt das eigene Dasein in einer neuen Gestimmtheit, deren Grund oftmals in einer tiefgreifenden Enttäuschung zu finden ist.39 Die Abkehr in die Innenwelt führt zu einem Verlust der Außenwelt: Der Einzelne vollzieht durch die Negationsschleife eine Selbstisolation, die als Konsequenz einen Selbstverlust bzw. eine Selbstverstümmelung mit sich bringt – incurvatio in se.40 Es kommt zu einem Verkennen der eigenen grundlegenden Relationalität und der Möglichkeit einer bindenden Subjektivierungsgeste, die es dem Einzelnen ermöglicht, das Wort zu ergreifen und eine Ich-Prädikation auszusagen. Der Einzelne vereinzelt sich derart, dass er sich dem Selbstverlust anheim gibt. Papst Franziskus erkennt diese Gefahr gerade in der Gegenwart, die durch eine abwendende Isolierung von der Mitwelt und von einer Hinwendung zur Konsumwelt geprägt ist.41 5.1.1 Die Verzweiflung Dass Liesbet Samyn die beherrschte Ironie durch ihren subjektiven Charakter der existenziellen Wahl als eine religiöse Angelegenheit ausweist,42 zeigt ebenfalls an, dass Ironie als subjektive Haltung der distanzierenden Negationsbewegung kein Phänomen ist, das hinreichend von der Philosophie behandelt werden kann. 38 Vgl. Jankélévitch, Ironie, S. 64-67. 39 Vgl. Jankélévitch, Ironie, S. 16f. 106: „Der Atheist, der seine Uhr herauszieht und Gott eine Viertelstunde gibt, um ihn mit dem Blitz zu treffen, ist vielleicht ein Verzweifelter, der insgeheim betet“ (ebd., S. 106f.). 40 Augustinus sieht darin den Kern der Sünde, dass es zu einer aversio a Deo durch den Menschen kommt, was auf eine conversio ad creaturam hinausläuft. Der Mensch wird zu einem homo curvatus. Vgl. Augustinus: De libero arbitrio – Der freie Wille. Zweisprachige Ausgabe. Eingeleitet, übersetzt und hg. v. Johannes Brachtendorf (Opera, 9B). Paderborn u.a. 2006, S. XXX (II, 53). Vgl. Dirscherl, Sprechen Gottes, S. 51. 41 Vgl. EG 3. Vgl. Deibl, Jakob: Evangelii Gaudium. Vom Lehrschreiben zum Freundschaftsbrief, in: Appel, Kurt/ders. (Hg.): Barmherzigkeit und zärtliche Liebe. Das theologische Programm von Papst Franziskus. Freiburg/Basel/Wien 2016, S. 218-230; hier: S. 223. Die Parallele von Konsumzentrierung und der Ausrichtung um das objet a sind überdeutlich, weshalb auch offensichtlich ist, warum Žižek seine Kultur- und Konsumkritik mit der der Psychoanalyse nach Lacan verbindet. 42 Vgl. Samyn, How to Cure Despair, S. 320f.
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Kierkegaards anthropologische Grundthese ist, dass der Mensch als Geist charakterisiert ist, der sich zu sich verhalten oder positionieren muss – erst durch dieses Selbstverhältnis gelangt er zu einem Selbst: Der Mensch ist Geist. Was aber ist Geist? Geist ist das Selbst. Was aber ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält. Der Mensch ist eine Synthesis von Unendlichkeit und Endlichkeit, von dem Zeitlichen und dem Ewigen, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz eine Synthesis. Eine Synthesis ist ein Verhältnis zwischen. Auf die Art betrachtet ist der Mensch noch kein Selbst.43
Der Mensch ist in einer steten Sollensforderung dazu angehalten, sich relational gegenüber seinem bedingenden Grund (ergo: Gott) zu positionieren und dadurch ein Selbst zu werden.44 Diese Forderung geht ihn in jedem Moment stets neu an, und selbst ein Ausweichen vor der Forderung der Selbstwahl ist eine Positionierung.45 Der Mensch ist zur Selbstwahl gefordert, und Angst markiert diese Unausweichlichkeit der Entscheidungsnotwendigkeit.46 Angst und Verzweiflung sind die Epiphänomene der Grundbestimmung des Menschen, sich entscheiden und existenziell positionieren zu müssen, ohne dabei souverän sein zu können.47 Die Forderung des Selbstvollzugs hat daher einen performativen Charakter. Der Selbstvollzug geschieht dadurch, dass er gefordert und aufgegeben ist – selbst die Verweigerung gegenüber der Forderung ist ein Selbstvollzug, wenn auch ein verkehrter und verfehlter Selbstvollzug.48 Der gelungene Selbstvollzug zeichnet sich dadurch aus, dass der Einzelne die eigene Rezeptivität, Bedingtheit und Heteronomie akzeptiert und in einer Anerkennungsgeste diesem Grund gegenüber verhält und relational ausrichtet:
43 Kierkegaard, KzT, S. 8. 44 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 9. 45 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 17. 115f. 46 Vgl. Axt-Piscalar, Christine: Die Krise der Freiheit. Überlegungen zur Sünde im Anschluss an Sören Kierkegaard, in: Hoping, Helmut/Schulz, Michael (Hg.): Unheilvolles Erbe?. Zur Theologie der Erbsünde (QD; 231). Freiburg/Basel/Wien 2009, S. 142-160; hier: S, 152f. 47 Vgl. Kierkegaard, BA, S. 42: „[…] wie verhält sich der Geist sich zu sich selbst und seiner Bedingung? Er verhält sich als Angst. Seiner selbst ledig werden kann der Geist nicht; sich selber ergreifen kann er auch nicht, so lange er sich selbst außerhalb seiner hat; ins Vegetative versinken kann der Mensch auch nicht; denn er ist ja bestimmt als Geist; die Angst fliehen kann er nicht, denn er liebt sie; eigentlich lieben kann er sie nicht, denn er liebt sie.“ 48 Vgl. Axt-Piscalar, Krise der Freiheit, S. 155.
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5. Die Distanz von Gott und Mensch Folgendes ist nämlich die Formel, welche den Zustand des Selbsts beschreibt, wenn die Verzweiflung ganz und gar getilgt ist: indem es sich zu sich verhält, und indem es es selbst sein will, gründet sich das Selbst durchsichtig in der Macht, welche es gesetzt hat.49
Das Selbst bei Kierkegaard kann daher auch nicht atheistisch verstanden werden, weil seine Gottesrelation in entscheidender Weise seine Würde und Dezentrierungsnotwendigkeit anzeigt.50 Ein selbstmächtiger Selbstvollzug verkennt die eigene Verdanktheit und Heteronomie und verfehlt damit den geforderten Selbstvollzug: Die Verkehrung in die Innerlichkeit schlägt durch das narzisstische Souveränitätsphantasma um in eine Selbstfesselung. Der Wunsch, sich selbst als Souverän autonom gründen zu können, wird daher als entscheidende Grundhaltung der Verzweiflung von Kierkegaard angegeben: Man selbst, in eigener neu gründender Setzung, sein zu wollen oder gar nicht man selbst sein zu wollen; das eigene Selbst abschaffen und in originärer Art neu zu schaffen.51 Doch die Unmöglichkeit der eigenen Selbstbegründung und Selbstdefinition läuft zwangsläufig auf ein Scheitern hinaus, das als Konsequenz den Status der Verzweiflung für den Einzelnen mit sich bringt. Den Grund der Weigerung gibt Kierkegaard mit Stolz, Trotz und (narzisstischer) Selbstliebe an, die einen existenziellen Selbsteinschluss und auch eine nachfolgende Behinderung und Selbstfesselung für eine erneute Anfrage zur Selbstwahl mit sich führen.52 Auch Hilfe von außen möchte bzw. kann jener nicht annehmen, weil dies zu einem Eingeständnis seiner fehlgeschlagenen, verkehrten Selbstsetzung führen und seine eigene Heteronomie bloßstellen würde: Deshalb ist ein Verweilen in der Verzweiflung für diesen ein akzeptablerer Zustand, als sich die eigene Ohnmacht eingestehen zu müssen. Doch das Anliegen desjenigen, sich durch selbstmächtigen Selbstvollzug zu begründen und gerade dadurch zu einem Selbst zu gelangen, scheitert in grundsätzlicher Art und führt durch die Insichkehrung zu dessen Gegenteil: Sowohl der Ironiker als auch dessen existenzielle Steigerung, der Verzweifelte, verlieren sich in sich selbst – die Welt und die Umwelt verschwinden durch die Insichkehrung und die Bindungslosigkeit.
49 Kierkegaard, KzT, S. 10. 50 Vgl. Junker, Tobias: Geglaubte Verzweiflung. Wider eine atheistische Lesart Kierkegaards und ihre Ursächlichkeitsrhetorik, in: Schulz, Heiko/Stewart, Jon/Verstrynge, Karl (Hg.): Kierkegaard Studies Yearbook 2016. Berlin/Boston 2016, S. 15-38; hier: S. 30. 51 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 51. 54. 62f. 68f. 52 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 64f. 71-73. 112.
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Alles außerhalb des eigenen Selbst wird gleichgültig und damit im existenziellen Sinn maximal relativiert.53 Insofern arbeitet das Selbst mit seinem verzweifelten Streben, es selbst sein zu wollen, sich in das Gegenteil hinein; es wird eigentlich kein Selbst. Es gibt in der ganzen Dialektik, innerhalb deren es handelt, nichts Festes; was das Selbst ist, steht in keinem Augenblicke fest, d.h. ewig fest. […] Es ist so weit davon, daß es dem Selbst gelänge, immer mehr es selbst zu werden, daß vielmehr bloß offenbar wird, es sei ein hypothetisches Selbst. Das Selbst ist sein eigner Herr, schlechthin (wie es heißt) sein eigner Herr, und eben dies ist die Verzweiflung, aber auch das, was es für seine Lust ansieht, seinen Genuß.54
Die gelungene Existenz ist somit dezidiert kein solipsistischer, selbstgenügsamer Zustand, bei dem auch eine Abkopplung von der Welt bzw. von einem Bezugshorizont möglich wäre – dies kennzeichnet vielmehr eine existenzielle Ironie, die aus der perpetuierenden Reflexionsbewegung in eine Vogelperspektive übergeht, die Erdung verliert und mit einer Tendenz zur Überheblichkeit einher geht.55 In bzw. aus der relationalen Ausrichtung auf Gott ist ein Gelingen der Existenz als Heraustreten aus einer verschlossenen Innerlichkeit möglich. Aus diesem Grund setzt auch Kierkegaard seine Geistbestimmung des Menschen explizit von der cogito-Bestimmung Descartes‘ ab, um zum einen die Selbstwahl bzw. -setzung und zum anderen die Relationalität stark zu machen.56 Dieses Transparentwerden auf Gott hin ist ein streng responsorischer Akt der Anerkennung von Seiten des Menschen,57 wobei diese 53 Vgl. Söderquist, Brian K.: The Religious ‘Suspension of the Ethical’ and the Ironic ‘Suspension of the Ethical’. The Problem of Actuality in Fear and Trembling, in: Cappelørn, Niels Jørn/Deuser, Herman/Stewart, Jon (Hg.): Kierkegaard Studies Yearbook 2002. Berlin/New York 2002, S. 259-276; hier: S. 263-265. Kierkegaard schließt an diesem Punkt trotz sonstiger Abneigung gegenüber Hegels Philosophie sich diesem an. Die Haltung des Ironikers ist nicht als moralisch indifferent, sondern als böse anzusehen, weil sich dieser in einer Fundamentalentscheidung gegen das (anfragende) Absolute entscheidet und die eigene Innerlichkeit als existenziellen Fixpunkt setzt. Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Ders.: Hauptwerke in sechs Bänden. Bd. 5. Hamburg 2015, S. 123-134 [§140]. 54 Kierkegaard, KzT, S. 69. 55 Vgl. Söderquist, Religious ‚Suspension of the Ethical‘, S. 260f. 275. Vgl. Dalferth, Ingolf U.: Becoming a Christian according to the Postscript. Kierkegaard’s Christian Hermeneutics of Existence, in: Cappelørn, Niels Jørn/Deuser, Herman (Hg.): Kierkegaard Studies Yearbook 2005. Berlin/New York 2005, S. 242-281; hier: S. 257. 56 Vgl. Junker, Geglaubte Verzweiflung, S. 25. 57 Vgl. Kierkegaard, Sören: Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken. Bd. 1 (Gesammelte Werke und Tagebücher; 10). Simmerath 2003, S. 179f. Demnächst zitiert mit: ‚UN I‘.
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Anerkennung von einer primären Passivität ausgeht und durch die hereinbrechende und als irritierend erfahrene Gnade begründet und getragen wird, so dass der Einzelne sich in einem subjektivierenden Entscheidungsakt zu Gott bekennen kann.58 Glaube zeichnet sich daher als ein Selbst-Gründen in Gott aus, wodurch der Mensch sich nicht solipsistisch-autonom versteht, sondern aus der Gemeinschaft mit Gott er selbst werden kann: „Glaube ist: daß das Selbst, indem es es selbst ist und es selbst sein will, durchsichtig sich gründet in Gott.“59 Es kommt zu einem Eingeständnis der eigenen Bedingtheit sowie der Anerkennung der Autonomie Gottes. Die Unmöglichkeit der Selbstheilung und Selbstrechtfertigung wird weder verdrängt noch geleugnet, sondern vielmehr wohlwollend eingestanden: Glaube ist ein Akt der Hoffnung,60 wobei die Hoffnung das Maß des Erwartbaren weit übersteigt und eine Hoffnung auf das Unmögliche ist, dass es nichts gibt, das der Allmacht Gottes entzogen ist.61 Es ist eine Hoffnung, deren Umfang dermaßen überwältigend groß ist, dass Kierkegaard als passende Prädikation ‚das Absurde‘ wählt.62 Diese Absurdität des (eigenen) Glaubens machte es Kierkegaard unmöglich, den eigenen Glauben vernünftig-kommunikativ an einen Dritten zu vermitteln,63 weswegen auch die Pseudonyme Kierkegaards eine dringende Notwendigkeit waren – was Kierkegaard nicht selbst sagen kann, muss ein Pseudonym für ihn mitteilen.64 Versteht man Ethik als eine vernünftige und kommunizierbare Handlungsreflexion, weicht Glauben, im Sinne Kierkegaards, genau davon ab, weil er in entscheidender Weise durch eine radikale Subjektivität bedingt ist.65 Diese radikale Subjektivität ist auch mitunter einer der Gründe, warum Ingolf U. Dalferth Kierkegaard in augustinischer (oder vielmehr augustinisch-
58 Vgl. Dalferth, Becoming a Christian, S. 247. 251. 59 Kierkegaard, KzT, S. 81. 60 Vgl. Dalferth, Becoming a Christian, S. 260. 61 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 37. 62 Vgl. Kierkegaard, FuZ, S. 33-36. 47. 49. Vgl. Caputo, Looking the Impossible in the Eye, S. 20. 63 Vgl. Kierkegaard, FuZ, S. 63. So gibt auch nach Dalferth in Bezug auf die ‚Unwissenschaftliche Nachschrift‘ an, dass nicht nur die eigene Glaubenserfahrung nicht unmittelbar kommuniziert werden kann, sondern dass auch das eigene Glaubensbewusstsein nur indirekt und nur über eine Negativfolie (wie ein früher Zeitpunkt der Verzweiflung) erfahrbar ist. Vgl. Dalferth, Becoming a Christian, S. 252f. 260. 64 Vgl. Caputo, How to read, S. 74-77. 65 Vgl. Žižek, Tücke, S. 162.
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protestantischer) Tradition verortet sieht: Gott kann demnach nur in der höchsteigenen, radikal subjektiven Innerlichkeit gefunden werden.66 Die Relationalität des Glaubens, sich in einer existenziellen Entscheidung Gott gegenüber zu bekennen, zeigt sich nach Kierkegaard im Kontext dieser Arbeit mit einer deutlichen Schlagseite hinsichtlich der Innerlichkeit. Die Innen-Außen-Differenz, die zwischen Glaubenshaltung und existenzieller Ironie getroffen wird, wirkt inkompatibel, wenn es um die Glaubenserfahrung selbst geht, da diese ebenfalls radikal innerlich verortet wird und nicht durch eine lebensweltliche Erfahrung durch ein Gegenüber bestimmt ist. Gott lässt sich nur im Innern des Einzelnen finden und gleichzeitig führt ein Rückzug in die eigene Innerlichkeit zum Selbst- und Weltverlust, wobei die ‚Umschaffung‘ des sündigen Einzelnen von außen geschieht und zu einer Aufhebung jedweder Selbstbehauptung führen sollte.67 Es wird zwar Sündenvergebung als Paradox versucht zu beschreiben, dennoch überzeugt die topologische Bestimmung Kierkegaards nicht. In dieser maximalen Verkürzung zeigt sich die Problematik von Kierkegaards Topologie. Liest man Kierkegaards Glaubens- und Erlösungsverständnis unter dezidiert christlicher Perspektive, zeigt sich durch die radikale Innerlichkeit bedingt eine christologische Schieflage: Er gibt zwar an, dass Christus die Offenbarung Gottes sei und dass Gott in Christus Menschen geworden sei, aber anschließend hält er fest, dass Jesus Christus ein Exempel für den Menschen
66 Vgl. Dalferth, Becoming a Christian, S. 269. Dass Kierkegaard von Augustinus beeinflusst ist, scheint offensichtlich. Dennoch ist die Frage, ob und in welchem Maße Augustinus gedanklicher Inspirator war, wissenschaftlich umstritten. Robert B. Puchniak kann aber sauber darlegen, dass das Anliegen Kierkegaards zur gelingenden Selbstwerdung nur über die Selbstgründung in Gott zum Anliegen Augustins seiner Selbstwerdung in den Cofessiones parallel und die Motive derart übereinstimmend sind, dass ein derartiger Zufall eher unplausibel ist. Vgl. Puchniak, Robert B: Kierkegaard’s ‚Self‘ and Augustine’s Influence, in: Schulz, Heiko/Stewart, Jon/Verstrynge, Karl (Hg.): Kierkegaard Studies Yearbook 2011. Berlin/Boston 2011, S. 181-194; hier: S. 182. 185. Dennoch entzweit beide Denker ein fundamentaler Unterschied in Hinsicht auf das Verhältnis von Glaube und Philosophie: Während Augustinus das Christentum für die höchstmögliche Philosophie durch die Inkarnation des Logos hält, bestreitet Kierkegaard eine Harmonierbarkeit von Glaube und Vernunft und sieht beide in einem inkommensurablen Verhältnis zueinander stehen. Vgl. ebd., S. 193. 67 Vgl. Axt- Piscalar, Christine: Schuldbewußtsein – Inkarnationsgedanke – Glaubenssprung. Überlegungen zur Unwissenschaftlichen Nachschrift als Denkprojekt, in: Cappelørn, Niels Jørgen/Deuser, Herman/Söderquist, Brian K. (Hg.): Kierkegaard Studies. Yearbook 2008. Berlin/New York, S. 224-241; hier: 239.
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ist, an dem sich ablesen lässt, was es heißt, Glauben zu haben, ohne Sünde zu sein und sich ganz auf Gott zu gründen.68 Die grundlegende Relationalität des menschlichen Seins ist deshalb auch dafür ausschlaggebend, dass die verinnerlichende Abschottung nicht nur als Einsamkeit bestimmt wird. Die radikalisierte Isolationsbewegung zeigt sich gerade unter Maßgabe der menschlichen Relationalität als Verkehrung gegenüber dem eigenen Existenzgrund. Den eigenen Existenzgrund nicht annehmen zu wollen und das eigene Dasein in einer Souveränitätsgeste selbst bestimmen zu wollen, gibt Kierkegaard mit Verzweiflung aus Stolz, Trotz und (narzisstischer) Selbstliebe an:69 Im Anschluss an ‚Der Begriff Angst‘ lässt sich über ‚Die Krankheit zum Tode‘ die Verzweiflung als die erbsündliche Grundbestimmung des Menschen aussagen; diese besteht unabhängig davon, ob sie für den Einzelnen bewusst oder unbewusst ist.70 Um die Verzweiflung in ihrer christlichen Dimension entscheidend zu behandeln, denn dies ist das Anliegen Kierkegaards, weswegen er auch auf die Pseudonymie zur Einnahme radikalisierter Positionen christlicher Art zurückgreift,71 wird diese als Sünde bestimmt. Aus dieser Grundlegung heraus folgt dann ebenso, dass Versöhnung und Erlösung keine psychologischen Geschehnisse sind, sondern als streng theologische Angelegenheiten behandelt werden müssen, die der Dogmatik zur Aufarbeitung anheimgestellt sind – so der Schlussgedanke in ‚Der Begriff Angst‘.72 Verzweiflung, als Phänomen des menschlichen Daseins, ist offen erkennbar, aber das Verständnis, warum der Mensch als solcher verzweifelt ist, und dass diese Verzweiflung aus der fehlenden Gottesrelation heraus zu bestimmen ist, ist alleine aus dem Glauben möglich.73 68 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 95f. Vgl. ders., BA, S. 31. 36. Vgl. Rolf, Sibylle: In sich verstrickte Freiheit. Søren Kierkegaards Konzept von der Genese der Sünde und seine Abhandlung des liberum arbitrium, in: KuD (54) 2008, S. 316-334; hier: S. 352, FN: 49. 69 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 51. 54. 62-65. 69-71. 112. 70 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 18. 22. 41. „Der Verzweifelte, der darüber unwissend ist, daß er verzweifelt ist, er ist, im Vergleich mit dem, der sich dessen bewußt ist, lediglich um ein Verneinendes weiter fort von Wahrheit und Erlösung. Die Verzweiflung selbst ist eine Negativität, und daß man über sie unwissend ist, eine neue Negativität. Um aber zur Wahrheit zu gelangen [,] muß man durch jeglich Negativität hindurch; […].“ (ebd., S. 41.) 71 Vgl. Liessmann, Konrad Paul: Sören Kierkegaard zur Einführung. Hamburg 42006, S. 35. 72 Vgl. Kierkegaard, BA, S. 169: „Hier endigt diese Überlegung, da, wo sie anhob, Sobald die Psychologie mit der Angst fertig ist, ist diese abzuliefern an die Dogmatik.“ Vgl. Rolf, In sich verstrickte Freiheit, S. 327. 73 Vgl. Axt-Piscalar, Christine: Das Selbst in der Selbstverstrickung. Eine vergleichende Betrachtung zu Schleiermachers und Kierkegaards Sündenlehre, in: Cappelørn, Niels Jørgen/Deuser, Herman/Stewart, Jon (Hg.): Kierkegaard Studies Yearbook 2004. Berlin/ New York, S. 452-472; hier: S. 456f.
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Sünde ist: vor Gott, oder mit dem Gedanken an Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen, oder verzweifelt man selbst sein wollen. Sünde ist somit die potenzierte Schwachheit oder der potenzierte Trotz: Sünde ist die Potenzierung der Verzweiflung. Das, worauf der Nachdruck liegt, ist: vor Gott, oder daß die Gottesvorstellung mit dabei ist; das, was dialektisch, ethisch, religiös die Sünde zu dem macht, was die Juristen ‚qualifizierte‘ Verzweiflung nennen, ist die Gottesvorstellung.74
Diese (Nicht-) Relation von Verzweiflung, Sünde und Erlösung zeigt sich aus der relationalen Grundbestimmung des Menschen und der Aufforderung zur existenziellen Synthese dahingehend, dass Verzweiflung, Sünde und Erlösung nicht als substanzieller Besitz oder Habe zu sehen sind, sondern dass die Existenz (als Ek-sistenz) ein ständiger Aktualisierungsprozess der Selbstwahl ist.75 Im Falle der Verzweiflung kommt es somit zu einer stets tieferen Verstrickung in die eigene Selbstverschlossenheit, aus der sich der Einzelne nicht durch einen souveränen Akt der Selbstwahl retten kann – der ethische Wille (der Sollensanspruch der existenziellen Synthese) aus eigener Kraft, eine gelingende Existenz zu bewerkstelligen, scheitert: Selbstrechtfertigung ist nicht möglich.76 Weil Sünde eine verkehrte Relationsbestimmung des Einzelnen vor Gott ist, ist diese nicht als Handlung markiert, sondern steht vorläufig zu einer jeden Handlung: Sünde ist eine (willentliche) Haltung gegenüber Gott, die sich erst sekundär in (sündigen) Handlungen niederschlägt.77 Verzweiflung und Sünde sind kein natürlicher Vorgang oder Zustand, der dem Menschen inhärent ist und zu seinem Wesen gehört. Kierkegaard sieht sie durch eine fundamentale Wahl gegenüber der unbedingten Sollensforderung, sich gegenüber dem Absoluten zu positionieren, grundgelegt.78 So geht Kierkegaard zu einer Schuldzuschreibung an den Einzelnen über, dieser Forderung der Fundamentalentscheidung gegenüber Gott nicht zu entsprechen und sich 74 Kierkegaard, KzT, S. 75. 75 Vgl. Axt-Piscalar, Schuldbewußtsein, S. 230f. Vgl. ders., Krise der Freiheit, S. 155. 76 Vgl. Axt-Piscalar, Schuldbewußtsein, S. 238. Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 169-171. 77 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 95-100. „Christlich verstanden liegt die Sünde somit im Willen, nicht in der Erkenntnis; und diese Willensverderbnis reicht über das Bewußtsein des Einzelnen hinaus. Dies ist das durchaus Folgerichtige; denn ansonst müßte ja hinsichtlich des Einzelnen die Frage sich erheben, wie die Sünde angefangen habe“ (ebd., S. 95.). 78 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 102. 115f. „Überhaupt ist es unglaublich, welch eine Verwirrung in das Religiöse gekommen ist, seitdem man im Verhältnis des Menschen zu Gott das ‚du sollst‘ abgeschafft hat, welche das einzige Regulativ ist. Dies ‚du sollst‘ gehört mit hinein in eine jede Bestimmung des Religiösen; an seiner Statt hat man die Gottesvorstellung oder die Vorstellung von Gott abenteuerlich gebraucht als eine Zutat (Ingredienz) zur menschliche Wichtigtuerei, dazu, sich selber wichtig zu werden Gott gegenüber“ (ebd., S. 115f.).
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in eine Innerlichkeitsposition (aus Selbstliebe) zu verkehren.79 Dennoch ist es dem Einzelnen (als natürlicher Mensch) nicht möglich, diese Synthese bzw. Positionierung gelingend zu vollziehen: Durch die unbedingte Angewiesenheit auf die Gnade Gottes (in Bezug auf die gelingende Existenz) kann von einer Verfallenheit des Menschen gesprochen werden.80 In ‚Der Begriff Angst‘ beschreibt Kierkegaard diese Aufgabe des Menschen mithilfe von Freiheitskategorien, wobei aber das freiheitliche Handeln des Menschen zwangsläufig in ein Scheitern mündet: Christine Axt-Piscalar beschreibt diese Konstellation als Anti-Nomie, denn der Mensch müsste der Forderung der Selbstwahl durch die eigene Freiheit nachkommen und auch nachkommen können. Dennoch hindert ihn die eigene Verstrickung in die eigene Verschlossenheit davor, diese Selbstwahl in Übereinstimmung mit der Forderung zu harmonisieren.81 Kierkegaard zeigt sich an dieser Stelle in größter Nähe zum klassischen Protestantismus (insbesondere zu Luther),82 da er an der Schuldigkeit des Menschen festhält und diese ihm in freier Wahl zuschreibt, ohne aber eine echte Freiheit des Menschen als freien Willen/liberum arbitrium bzw. transzendentale Freiheit zuzulassen: Ein liberum arbitrium sei seiner Ansicht vielmehr ein ‚Gedanken-Unding‘.83 Die Fundamentalentscheidung für oder gegen Gott ist nach Kierkegaard aber auch keine einmalige Wahl, da das Selbst Geist ist und stetig aufgefordert ist, sich selbst zu entwerfen und zu aktualisieren – weswegen menschliche Existenz auch nicht in statischen Substanzkategorien beschrieben werden kann. Aus dieser Grundlegung des ständigen Selbstentwurfs verstrickt sich der Einzelne stets tiefer in die eigene Verschlossenheit und wird der gnadenhaften Eröffnung umso bedürftiger.84 Er springt von Neuem in die Sünde.85 Dieser Sprung ist in seiner Art von niemand Dritten zu übernehmen, wie auch zu verantworten, da jeder sich einzeln vor Gott zu verantworten hat.86 In ‚Der Begriff Angst‘ geht Kierkegaard noch von einer Urstandslehre aus, die er in der ‚Krankheit zum Tode‘ nicht mehr weiterführt. Adam ist im ‚Begriff Angst‘ als ein exemplarischer Fall geschildert, bei dem die Selbstwahl zu einer innerlichen Verkehrung geführt hat – er hat als quasi-mythische Figur 79 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 102. 80 Vgl. Axt-Piscalar, Krise der Freiheit, S. 158f. 81 Vgl. Axt-Piscalar, Schuldbewußtsein, S. 232. 82 Vgl. Dietz, Walter: Servum arbitrium. Zur Konzeption des Willensunfreiheit bei Luther, Schopenhauer und Kierkegaard, in: NZSTh (2000) 42, S. 181-194; hier: S. 193. 83 Kierkegaard, BA, S. 48. 84 Vgl. Axt-Piscalar, Schuldbewußtsein, S. 230f. 85 Vgl. Kierkegaard, BA, S. 28. Vgl. ders. UN I, S. 261. 86 Vgl. Axt-Piscalar, Krise der Freiheit, S. 149.
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die Sündigkeit in die Welt gebracht, ohne aber die Sünde für alle anderen Menschen zum Schicksal werden zu lassen.87 Die faktische Verzweiflung des Menschen ist axiomatische Grundlage der Argumentation in ‚Die Krankheit zum Tode‘, die sein Sein grundbestimmt,88 was bedeutet, dass seine existenzielle Lage davon geprägt ist, sich immer schon gegen Gott entschieden zu haben, aber im Bewusstsein dieser Entscheidung gewissermaßen hinterher hinkt.89 Ob deshalb die Begriffswahl von ‚Angst‘ (mit einer Zukunfts- und Möglichkeitsperspektive) zu ‚Verzweiflung‘ (mit eher Bestandsfokussierung) geschah, ist spekulativ und soll hier nicht thematisiert werden – dennoch ist die Begriffsverschiebung beachtenswert. Wie es auch Kierkegaard in seinem Werk versucht, durch Auf- und Umarbeitung die existenzielle Selbstwerdung plausibler werden zu lassen, zeigt sich der Entscheidungsakt als existenzielle Mitte der menschlicher Ek-sistenz und roter Faden seiner Analyse. Der Akt der Wahl steht dem Einzelnen unvertretbar und unausweichlich an, weswegen Boris Groys neben Karl Marx Sören Kierkegaard als Gründungsgestalt der Anti-Philosophie angibt: Vor der eigentlichen Wahrheitssuche braucht es eine Fundamentalentscheidung für die Wahrheit, welche aber selbst weder einsichtig noch irgendwie im Voraus verstehbar erscheint, sondern eine dezionistische Wahl vorgenommen werden muss:90 Wenn Kierkegaard in seinen ‚Philosophischen Brocken‘ den Nachweis führt, dass der Moment der subjektiven Entscheidung […] nicht durch eine Figur der [platonischen] Wiedererinnerung des Ursprünglichen ersetzt werden kann, so will er in seiner darauffolgenden ‚Unwissenschaftlichen Nachschrift‘ demonstrieren, dass auch der erinnernde Rückgriff auf die philosophische oder religiöse Geschichte nicht imstande ist, von der individuellen Wahl zu entlasten. Für die Subjektivität als solche gibt es keine Geschichte, keinen Fortschritt, keine Akkumulation des Wissens. Die Subjektivität lebt in ihrer eigenen ungeschichtlichen Zeit des Zweifels. Wenn die Subjektivität aus dieser inneren Zeit durch den Akt der Wahl oder durch den existenziellen Sprung heraustritt, dann ist es ihre freie Entscheidung, die ihr durch keine Evidenz, keine Logik und keine Tradition aufgezwungen [und abgenommen] werden kann.91
Doch vor dem freimachenden Sprung in den Glauben, der als geistiger Entwurf ständig erneuert werden muss, ist schon immer ein Sprung in die Sünde 87 Vgl. Kierkegaard, BA, S. 30f. 88 Vgl. Kierkegaard, KzT, S. 18. 89 Vgl. Axt-Piscalar, Krise der Freiheit, S. 149. 90 Vgl. Groys, Boris: Einführung in die Anti-Philosophie (Edition Akzente). München 2009, S. 12f. 91 Groys, Einführung Anti-Philosophie, S. 36.
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geschehen, der sich mit jedem Augenblick neu aktualisiert: „Die Sünde aber wächst mit jedem Augenblick, da man nicht aus ihr herauskommt.“92 Doch nicht alleine die eigene Sünde wächst an, sondern gleichermaßen wächst auch durch die jeweilige Sünde der menschliche Raum der Sünde bzw. der Sündigkeit an, in welchen man hineingeboren wird – die menschliche Welt ist eine von Sünde geprägte Welt, wobei der Qualitätssprung der eigenen Sündigkeit von jedem Einzelnen selbst vollzogen wird. Die Menschen als Einzelne wie auch als Gattung sind in dialektischer Kopplung aufeinander bezogen und bilden ein Kontinuum der Sündenverstricktheit: Vermag irgend ein anderes Individuum des Geschlechts mit seiner Geschichte Bedeutung zu haben für die Geschichte des Geschlechts, so hat es auch Adam; hat Adam es nur durch jene erste Sünde, so wird der Begriff der Geschichte aufgehoben, das will heißen, so ist die Geschichte vorüber in dem Augenblick, da sie angefangen hat. Indem nun das Geschlecht nicht mit einem jeden Individuum von vorne beginnt, bekommt die Sündigkeit des Geschlechts freilich eine Geschichte. Diese schreitet indes in quantitativen Bestimmungen fort, während das Individuum mit dem Sprung der Qualität daran teilnimmt. Das Geschlecht beginnt daher nicht mit einem jeden Individuum von vorne; denn dann ist das Geschlecht überhaupt nicht da; aber ein jedes Individuum beginnt von vorne mit dem Geschlecht.93
Einen Monogenismuszusammenhang zwischen dem Einzelnen und Adam sieht Kierkegaard nicht gegeben. Es zeigt sich vielmehr, dass Adam der exemplarische Fall des menschlichen Daseins ist, an dem die eigene Subjektivität und Notwendigkeit zur Glaubenswahl abgelesen werden kann.94 5.2
Der Exzess der Deutungshoheit
Die menschliche Sprache ist ein dialektisches Phänomen, was bedeutet, dass ihr Vorzug auch zugleich ihr Nachteil ist und beide Aspekte stets aneinander gekoppelt auftreten. Die Uneindeutigkeit der Sprache (als ihr Nachteil) bringt 92 Kierkegaard, KzT, S. 106. Vgl. Axt-Piscalar, Krise der Freiheit, S. 149. 93 Kierkegaard, BA, S. 31. Vgl. Rolf, In sich verstrickte Freiheit, S. 320. 324. 94 Vgl. Axt-Piscalar, Krise der Freiheit, S. 150. Damit kommt Kierkegaard einer allzu naiven Bibellektüre zuvor, da er Adam als Typos des Menschen versteht, der ein Grundcharakteristikum des Menschen vor Gott verbildlichen kann und damit zwischen reiner profangeschichtlichen Historie und fiktivem Mythos steht. Die Frage nach dem historischen Gehalt Adams ist müßig, weil sie seine Bildlichkeit verkennt. Vgl. Wilckens, Brief an die Römer I, S. 305. 317-321.
Der Exzess der Deutungshoheit
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ihre Kommunikabilität (als ihr Vorteil) mit sich. Das Aussagen der Welt durch die Sprache geschieht nicht in unmittelbarer, identischer Art und Weise, als ob Sprache und Welt identisch wären.95 Es zeigt sich vielmehr, dass durch den unberuhigbaren Bedeutungsüberschuss eine Nichtidentität und eine nicht überbrückbare Grunddifferenz (différance) der Sprache inhärent sind.96 Es klafft zwischen Welt und Sprache eine tiefe Wunde,97 die der Wunde des Amfortas ähnlich ist: „die Wunde schliesst der Speer nur, der sie schlug.“98 Die Uneindeutigkeit von Sprache und Welt drängen dazu, dass es zu einem Deutungsgeschehen kommt, bei welchem versucht wird, diese irreduzible Kluft probeweise und stets vorläufig zu überbrücken, ohne dabei den Anspruch auf Endgültigkeit an den Tag legen zu können. Uneindeutigkeit braucht Deutung, doch diese Deutung kann in keinem anderen Medium als der Sprache selbst geschehen, weil sie das Aussage- und Verstehensmedium des Menschen par excellence ist, zu welchem er keine geeignete Alternative besitzt.99 Doch bevor es zu einer Deutegeste des Einzelnen kommt, zeigt sich auch hier die primäre Passivität des Menschen. Bevor der Mensch als Deutender ein Sprechender ist, muss er eine hörende Offenheit an den Tag legen: Das Hören auf … ist das existenzielle Offensein des Daseins als Mitsein für den Anderen. Das Hören konstituiert sogar die primäre und eigentliche Offenheit des Daseins für sein eigenes Seinkönnen, als Hören der Stimme des Freundes, den jedes Dasein bei sich trägt.100
Verschließt sich der Einzelne gegenüber dem Hören, indem er sich seiner ureigenen Rezeptivität verweigert, verliert er die Sprache als Kommunikationsmedium 95 Die Überführung von Welterfahrung in Sprache zeigt sich vielmehr von einer metaphorischen Gestalt geprägt. Weil Erfahrung keine Evidenz der Eindeutigkeit besitzt, zeichnet sich auch deren Versprachlichung durch eine Mehrdimensionalität aus. Vgl. Ricœur, lebendige Metapher, S. VI. 23. 187. 224f. 279. 96 Vgl. Derrida, Jacques: Die différance, in: Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Mit einer Einführung hg. von Peter Engelmann (RUB; 8668). Stuttgart 2007, S. 76-113; hier: S, 94f. 97 Vgl. Derrida, Jacques: Über den Namen. Drei Essays. Aus dem Französischen von Hans Dieter Gondek und Markus Sedlaczek. Wien 2000, S. 42f. 98 Wagner, Richard: Parsifall. Ein Bühnenweihfestspiel, in: Ders.: Dichtungen und Schriften. Jubiläumsausgabe in 10 Bänden. Bd. 3. Hg. von Dieter Borchmeyer. Frankfurt 1983, S. 330. 99 Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 392: „Vielmehr ist die Sprache das universale Medium, in dem sich das Verstehen selber vollzieht. Die Vollzugsweise des Verstehens ist die Auslegung. […] Alles Verstehen ist Auslegen, und alles Auslegen entfaltet sich im Medium einer Sprache, die den Gegenstand zu Worte kommen lassen will und doch zugleich die eigene Sprache des Auslegers ist.“ 100 Heidegger, SuZ, S. 163.
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bzw. kann sich diese niemals aneignen. Sprache zeigt sich daher als konstitutives Gemeinschaftsmoment, das dem Menschen eine jeweils versuchshafte Deutung der Welt ermöglicht, welche er sich aber nicht alleine geben kann, sondern die er durch ihren versuchshaften Status bedingt mit in die Gemeinschaft einbringen muss. Dort steht die jeweilige Deutung zur Überprüfung, Diskussion und Anerkennung aus – Deutung ist daher ein unbedingt gemeinschaftliches Unternehmen, das nicht durch einen Einzelnen in solipsistischer Art vorgenommen werden kann. Das Einbringen des jeweiligen Deutungsversuchs in den Raum des gemeinschaftlichen Deutungsdiskurses ermöglicht es aber auch dem Einzelnen, sich als Einzelner gegenüber der Gemeinschaft auszuweisen. Indem der Einzelne das Wort ergreift und seine Deutung der erfahrenen Weltwirklichkeit präsentiert, steigt er aus dem Man und der Anonymität heraus. Notwendige Bedingung, um eine Deutung auch als seine eigene Deutung zu markieren, ist, dass er diese mit einer Ich-Prädikation versieht: Der Mensch ist das Lebewesen, das, um sprechen zu können, ‚ich‘ sagen muß, das mithin ‚das Wort ergreifen‘, es annehmen und sich zu eigen machen muß.101
Die Deutung des Einzelnen, der sich durch seine Ich-Aussage gegenüber der Gemeinschaft äußert, ist nicht zwingend evident, sondern diese steht zur Anerkennung durch diese Gemeinschaft aus. Der Einzelne kann nicht in selbstmächtiger Weise die Wahrheit der eigenen Aussage garantieren: Der Sprechende tritt aus der Anonymität in die Öffentlichkeit, stellt sich dort bloß und macht sich angreifbar – sein Status als vertrauenswürdiger Mensch gerät an einen prekären Punkt, weil er sich durch seine Deutung als öffentliche Handlung (wie sie im Schwur am eindeutigsten sich zeigt) selbst aufs Spiel setzt.102 Seine Reputation und seine Glaubwürdigkeit (seine fides) befinden sich in einem nicht von eigener Hand kontrollierbaren Schwebezustand.103 Der Schritt in die Öffentlichkeit durch die Präsentation der eigenen Deutung geht simultan mit der Präsentation der eigenen Vulnerabilität Hand in Hand. Der Versuch, die Deutung mit einer Schlagkraft der indiskutablen Evidenz zu versehen und dabei gleichzeitig die eigene Verletzbarkeit in Souveränität zu transformieren, zeigt sich als dezidierter Gewaltakt, dessen Konsequenzen 101 Agamben, Sakrament der Sprache, S. 89. 102 Vgl. Agamben, Sakrament der Sprache, S. 86. 89f. In dieser Hinsicht ist ebenso anzumerken, dass auch den Glauben nicht ohne Zeugnis durch einen dezidierten Zeugen gibt. Es braucht notwendigerweise einen Einzelnen, der sich bekenntnishaft (bestmöglich in plausibler Weise) äußert und in Erscheinung tritt. Vgl. Meuffels, Gott erfahren, S. 84-86. 199f. 103 Vgl. Agamben, Sakrament der Sprache, S. 36f.
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nach außen wie nach innen reichen. Die überschüssige Andersheit zu nivellieren und in ein binäres Schema von wahr/falsch bzw. gültig/ungültig zu überführen, zeigt sich als totalisierender Dominanzakt der Deutungshoheit.104 Indem man versucht über die Deutungshoheit zu verfügen, will man selbstmächtig die Gültigkeitsbestimmungen festlegen können, was gilt und was ungültig ist und daher als falsch und ausgeschlossen zu gelten hat. Die Aneignung der Deutungshoheit stellt eine Macht usurpierende Souveränitätsgeste dar, die denjenigen, der souveräne Deutungskompetenz an sich ziehen will, aus der (zivilisierten) Gesellschaft herauszieht und an einen einsamen Ort stellt, der die Grenze zwischen Natur und Kultur markiert: Der Souverän ist der Leviathan.105 Der Ort der Souveränität und der damit verbundenen Deutungshoheit ist kein Ort der Gemeinschaft: Hier findet keine Diskussion, kein Aushalten von Unentscheidbarkeiten und die Akzeptanz von Alterität statt. Deutungshoheit ist ein Alleinstellungsmerkmal: Durch die Deutungshoheit stellt sich eine Person in die Position der Alleinigkeit, was als negative Konsequenz Einsamkeit mit sich bringt, weil der Jeweilige niemandem mehr auf Augenhöhe begegnen kann. Es folgt eine radikale Asymmetrie auf der Diskussionsebene, in welcher der (vermeintliche) Souverän die Herrenposition gegenüber den Knechten bleibend einnimmt. So zeigt sich in der Paradiesgeschichte auch eine Vereinsamung durch die selbstmächtige Ergreifung der Deutungshoheit: Die göttliche Ordnung war Adam präsentiert worden (vgl. Gen 2, 16f.; 3, 2f.). Der Baum kann in diesem Kontext als Freiheitsmarker gegenüber dem Deuteangebot Gottes gesehen werden, welches der Mensch in Frage stellt, als nicht gültig erachtet und durch das Essen in selbstmächtiger Deutungshoheit neu bestimmen will. Dadurch verschließt er sich gegenüber der Gemeinschaft Gottes und initiiert in Konsequenz aus eigenem Handeln die Vertreibung aus dem Paradies als excommunicatio.106 Die Vertreibung aus dem Paradies durch die Hand Gottes manifestiert bloß, was der Menschen durch sein quasi-deutungshoheitliches 104 Vgl. Derrida, Gewalt und Metaphysik, S. 141. Vgl. ders., Struktur, Zeichen und Spiel, S. 436. 105 Vgl. Agamben, Homo sacer, S. 46f. Der Leviathan wird von Thomas Hobbes als diejenige Gestalt genommen, welche ihren Naturzustand in seiner Rohheit und Brutalität behalten kann, während alle anderen Gesellschaftsmitglieder den Naturzustand verlassen und in eine zivilisierte Form übergehen. 106 Dass Gott nicht der primäre Handelnde in der Verbannung aus dem Paradies ist, zeigt Alison im Anschluss an Thomas (STh, Ia-IIae, q. 87, a. 7) auf: Weil die Menschheit sich gegen Gott und seine Angebot der Nähe wendet, zieht sich Gott von der Menschheit zurück, was Alison mit Thomas als Verlust der Urstandsgerechtigkeit deutet: „[…] there was no active privation of original justice on the part of God. It is rather the case that appropriation if what can be received only gratuitously is by defintition a self-privation of gratuity. Thomas is here on the very threshold of moving out of the sphere of any language of God
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Handeln längst bewirkt und beschlossen hat: Die Alleingültigkeit der eigenen Meinung, was zum Gemeinschaftsverlust führt. Auf die trinitarische Ebene übertragen zeigt sich durch die Anmaßung der Deutungshoheit und Weigerung hinsichtlich Heteronomie oder Aspekten alterierender Unbestimmbarkeit eine Verschlossenheit gegenüber dem Hl. Geist, der nach augustinischem Verständnis die Personen von Vater und Sohn in Liebe zusammenbindet.107 In analoger Übertragung auf den Menschen lässt der (narzisstische) Deutungssouverän die Liebe und die Gemeinschaft (in Fragilität, Vulnerabilität und auf Augenhöhe) im Hl. Geist nicht zu. Er schottet sich ab, besteht auf seiner exzeptionellen Eigenheit und öffnet sich nicht, um im Hl. Geist in die göttliche Gemeinschaft eingeborgen zu werden. Er wird absolut einsam, weil er sich nicht der Gemeinschaft mit dem Absoluten öffnet. Die Selbstverkehrung in die deutungshoheitliche Verschlossenheit bringt einen Gemeinschaftsverlust mit sich, welcher der Exkommunikation durch Häresie analog ist.108 Der Häretiker verschließt sich der kirchlichen (Deute-) Gemeinschaft, indem er alleine seine theologische Ansicht als die maßgebliche Perspektive gelten lässt und dafür Fremdperspektiven des kirchlichen Binnendiskurses nicht akzeptiert. Er verschließt sich der kirchlichen Gemeinschaft und dem geistgewirkten sensus fidelium, der verschiedene Theologien nebeneinander im Raum der Katholizität gelten lassen kann, sie auf ihrem spekulativen Weg zum Himmlischen Jerusalem begleitet und sie in der Zwischenzeit von göttlicher Seite trägt. Der Hl. Geist bindet als vinculum verschiedene Theologien zusammen und gewährt ihnen in trinitarischer Fundierung einen pluralitätsfähigen Raum, solange andere Perspektiven in Liebe geachtet und anerkannt werden. Der Häretiker schließt sich aus diesem geistig-kirchlichen punishing at all or any conception of sin in terms of an active punishment by God: […].“ (Alison, Joy of Being wrong, S. 301). 107 Vgl. Aurelius Augustinus: Über den dreieinigen Gott. Ausgewählt und übertragen von Michael Schmaus. Leipzig 1936, S. 78 (V. Buch, Kap. XI): „[…] da der Heilige Geist eine Beziehung zu Vater und Sohn in sich schließt; der Heilige Geist ist ja der Geist des Vaters und des Sohnes. […] Um also einen Namen zu gebrauchen, der Vater und Sohn gemeinsam ist und daher den Heiligen Geist als die Gemeinschaft der beiden darzutun vermag, heißt das Geschenk der beiden ‚Heiliger Geist‘.“ Augustinus hat selbst nie den Hl. Geist als vinculum der innergöttlichen Relationalität beschrieben, sondern eine solche Terminologie vielmehr gedanklich vorbereitet. Die einheitsstiftende Liebe, die im augustinischen Korpus als vinculum bezeichnet wird, bezieht sich nicht auf die göttliche, sondern auf die menschliche Relationalität. Vgl. Kany, Roland: Augustins Trinitätsdenken. Bilanz, Kritik und Weiterführung der modernen Forschung zu ‚De trinitate‘ (STAC; 22). Tübingen 2007, S. 130. 108 Zum Zusammenhang von Deutungshoheit und Häresie: Vgl. Klug, Sprache, Geist und Dogma, S. 109-115.
Das Böse und das verschlossene Selbst
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Raum selbst aus, indem er sich anmaßt der maßgebliche Hermeneut der Schrift selbst zu sein (statt der Logos bzw. der Geist selbst):109 Aus seiner narzisstischen Haltung heraus versperrt er sich gegenüber der göttlichen Liebe und der kirchlichen Gemeinschaft. Die formelle Exkommunikation manifestiert nur, was der Häretiker schon längst vollzogen hat. Der deutungshoheitliche Narzisst schließt sich selbst aus der (allgemeinen) menschlichen Gemeinschaft aus, indem er fremden Meinungen, Perspektiven und im umfassenden Sinn auch Personen nicht in Liebe begegnen kann, weil er dem Hl. Geist keinen Raum und keine Offenheit gewährt, sich zur Gemeinschaft verbinden zu lassen. Die Begegnung mit dem Anderen als Anderer wird unterbunden, weil die Alterität des Antlitzes in seiner verstörenden Präsenz nicht zugelassen wird und keinen Raum erhält, sich zu zeigen. Dem Gegenüber wird sich nur in einer Weise der Oberflächenbetrachtung verhalten, ohne die Tiefe des herrlichen Antlitzes als Ikone und Ebenbild Gottes zuzulassen, weil deren Alterität eine massive Infragestellung der eigenen Deutungshoheit und der Kontrollierbarkeit von zu deutenden Phänomenen wäre: Zulassen von Alterität und Zeigenlassen des Antlitzes geht einher mit der Zustimmung zur (relativen) Ohnmacht und rezeptiver Passivität. Indem sich der Einzelne in einer Geste der Deutungshoheit vor dem ikonischen Antlitz des Anderen verschließt, beraubt er sich ebenso der exemplarischen Präsenz Gottes, die durch das Antlitz des Menschen (als sein Ebenbild) in die Welt einbricht: Er erfährt Gott nicht, weil er in einer selbstgewählten Verschlossenheit verharrt und dadurch ein metaphysischer Obdachloser bleibt. 5.3
Das Böse und das verschlossene Selbst
Die Weigerung des Einzelnen, den Anderen sich in Alterität zeigen zu lassen, wie auch die eigene Heteronomie zu akzeptieren, bringt eine Selbstisolation mit sich, die nicht auf die aktuelle Situation beschränkt bleibt, sondern in einer sich selbst verstärkenden Rückkopplung das eigene Leben überformt und die gesellschaftlich-geschöpfliche Mitwelt prägt.110 Die stete Distanzierung vom mitgeschöpflichen Anderen wie auch vom eigenen Ur- und Lebensgrund erschafft eine Kluft, die den Einzelnen mehr und mehr vereinsamen lässt und ihn rein auf sich selbst zurückwirft: Fremde Hilfe wird nicht mehr erkannt und kann bzw. will nicht mehr angenommen werden – aus dem Hoheitsanspruch der eigenen Souveränität müsste dem Einzelnen alles möglich sein; weil er 109 Vgl. Novatian: De trinitate 29, 26 (CCL; 4, 72). Vgl. Marion, Gott ohne Sein, S. 217-223. 110 Vgl. Gründel, Schuld und Versöhnung, S. 124f.
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5. Die Distanz von Gott und Mensch
jedoch fremde Hilfe nur in einer Weise annehmen will, die von seiner eigenen Kontrolle und Bestimmung abhängig ist, wird keine perspektivöffnende Hilfe möglich: Der status quo wird zementiert. Was der Einzelne ist, was er sein kann und was er von der Welt erwarten kann, ist von seiner eigenen Leistung abhängig. Nur er selbst kann sich helfen, weil er Vertrauen alleine in sich selbst setzen kann, während er dem Anderen in Unvertrauen begegnet. Sein Leben wird durch ein Leistungsparadigma geprägt, in welchem er aus seiner Perspektive alles von ihm selbst erwirkt sieht – er rechtfertigt sein Dasein aus eigener Leistung. Dieses Dasein besitzt, weil er es nicht als heteronome Gabe empfangen kann, keinen Wert an sich, sondern muss erst in heroischer Leistung mit einer Lebenswertigkeit ausgestattet werden. Doch fremde Hilfe dazu fehlt, so dass die existenzielle Aufgabe zu einer maximalen Selbstüberforderung und zu einem unbewältigbaren Projekt anwächst. Der Einzelne wird von seinem eigenen Anspruch erdrückt und entwickelt eine depressive Weltgestimmtheit ausgehend von seinem Souveränitätsphantasma: Die Depression ist eine narzisstische Erkrankung. Zu ihr führt der überspannte, krankhaft übersteuerte Selbstbezug. Das narzisstisch-depressive Subjekt ist erschöpft und zermürbt von sich selbst. Es ist weltlos und verlassen vom Anderen. […] Das narzisstische Leistungssubjekt von heute ist vor allem auf den Erfolg aus. Erfolge bringen eine Bestätigung des Einen durch den Anderen mit sich. Dabei degradiert der Andere, seiner Andersheit beraubt, zum Spiegel des Einen, der diesen in seinem Ego bestätigt. Diese Anerkennungslogik verstrickt das narzisstische Leistungssubjekt noch tiefer in sein Ego. Dadurch entwickelt sich eine Erfolgsdepression. Das depressive Leistungssubjekt versinkt und ertrinkt in sich selbst.111
Der Wunsch nach absoluter Selbstbestimmung und autonomer Selbstrechtfertigung scheitert zwangläufig, da neben anderen gewichtigen Punkten der eigene Ursprung und das Lebensende nicht der souveränen Selbstwahl unterliegen.112 Folgt darauf eine Weigerung gegenüber der Heteronomie, kann es zum Exzess der Negativität kommen, die im Bösen als zerstörerischer Akt den Gipfel der Negativität erreicht: Böse Autonomie hat nur Negativität und Sinnverweigerung gegenüber einer heteronomen Weltordnung zum Inhalt – der letzte Akt zur Erlangung und im Durchsetzen eines Autonomieanspruchs endet in der Selbst- und Fremdzerstörung, wobei Terry Eagleton u.a. als 111 Han, Agonie, S. 7. 112 So zeigt sich nach Augustinus (vgl. ders., Gottesstaat, 14,13) der Ursprung der Sünde darin, die eigene Macht nicht als bedingte und gegebene Macht durch Gott verstehen zu wollen, sondern sich in prinzipieller Art selbst als bestimmende Instanz setzen zu wollen: superbia und perversa conversio. Vgl. Ruhstorfer, Konversionen, S. 300.
Das Böse und das verschlossene Selbst
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Paradigma purer Negativität die Hexen aus ‚Macbeth‘, Adrian Leverkühn aus Thomas Manns ‚Doktor Faustus‘ sowie Jago aus ‚Othollo‘ anführt.113 Ihr Dasein ist von keinem positiven Inhalt bestimmt, sondern findet sich ganz von der reinen Form des Negativitätsgestus geprägt, weshalb auch die Selbstbeschreibung Mephistos aus Goethes ‚Faust‘ auf die anderen Figuren übertragen werden kann: Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär’s, daß nichts entsünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, Mein eigentliches Element.114
Im Bösen und in bösen Handlungen, welche die Manifestation einer Fundamentalentscheidung gegenüber einem vorgegebenen Sinn- und Wertehorizont sind, zeigt sich der Versuch absoluter Deutungshoheit. Die Infragestellung bzw. die Anfrage an die eigene Selbstbestimmung wird nicht beantwortet; es kommt zu einer negierenden Weigerungsgeste, die die Anfrage mit sinnloser Gewalt zerstört, im durch das Zerschlagen der Anfrage die eigene Fragilität und Heteronomie zu verdrängen, wie auch einen Aktualisierungsakt des Souveränitätsphantasmas zu unternehmen.115 Es zeigt sich an der bösen Handlung, dass sie auf keinen ontologischen Grund zurückgreift, sondern aus einer reinen Negationsgeste gegenüber einer Anfrage eines fremden Sinnhorizonts besteht, der irritierend in die Welt des Einzelnen einbricht und ein Angebot einer Welt- und Existenzdeutung anträgt. Weil der eigene Anspruch von Sinndeutung und Souveränität unerfüllt bleibt, bleibt ein Sinnvakuum, das stets dazu ansteht, aus eigener Leistung und aus fortgesetztem Begehren ausgefüllt zu werden. Eine Zufriedenheit, Gelassenheit und Ruhenkönnen stellt sich nicht ein, sondern wird von eigenen Begehren in eine ‚schlechte Unendlichkeit‘ weiter getrieben.116 113 Vgl. Eagleton, Terry: Das Böse. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Berlin 22012, S. 82. 104-113. 114 Goethe, [Johann Wolfgang]: Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust. Hg. und kommentiert von Erich Trunz. München 1998, V. 1137-1344 (S. 47). Vgl. Eagleton, Böse, S. 79. 115 Vgl. Eagleton, Böse, S. 126-129. 116 Vgl. Eagleton, Böse, S. 140-142: „Friedrich Nietzsche schreibt, der Mensch würde lieber irgendetwas als gar nichts wollen. Genau dies ist die Krankheit, die laut Kierkegaard nicht vom Tod geheilt werden kann – nämlich die Krankheit, die in der Unfähigkeit zu sterben besteht. […] Das Hindernis auf dem Weg zu Freiheit und Glück ist folglich er selbst.“ (ebd.,
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Mit Lacan gesprochen zeigt sich an der menschlichen Situation die Unmöglichkeit in selbstmächtiger Weise den großen Anderen (als Sinntotalität) zu begreifen und das Reale im Symbolischen aufgehen zu lassen.117 Das Streben nach menschlicher Selbsterfüllung bleibt aber im Begehren bestehen und sucht stattdessen eine Partialerfüllung durch das Objekt klein a (objet a).118 Der Einzelne kommt von seiner narzisstischen Selbstverhaftung nicht los, lässt sich seinen Horizont nicht öffnen und bleibt auf seine projektiven Wunschphantasien (Souveränität, Autonomie, Selbstmächtigkeit et cetera) fixiert. Das Scheitern dieser Phantasien wird in entblößender Weise zu einer radikalen Kränkung der eigenen Selbstprojektion bzw. des Ich-Ideals, wobei die Antwort auf diese Kränkung nicht in reflexiv-aufarbeitender Weise geschieht. Die Antwort führt die Weigerung gegenüber der heteronomen Anfrage fort und verstärkt mit bösen Handlungen den Selbsteinschluss (incurvatio in seipsum) aufs Neue. Man will sich nicht fremdbestimmt helfen und schon gar nicht erlösen lassen, weil dies mit der Akzeptanz der eigenen Fragilität und Vulnerabilität einhergehen würde.119 Lieber bleibt man in selbstgewählter Verschlossenheit einsam, anstatt sich fremdbestimmt erlösen zu lassen, wobei aber die Selbstfixierung aus der Weigerungsgeste eine neue bzw. verstärkte Unfreiheit mit sich bringt.120 Die Verdammten verweigern die Erlösung, da diese sie um ihre pubertäre Auflehnung gegen die Gesamtheit der Wirklichkeit brächte. Das Böse ist gewissermaßen ein kosmisches Schmollen. Am heftigsten wütet es gegen jene, die es von seinem unerträglichen Elend befreien wollen.121 S. 143.) Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 289f. Auch Ricœur spricht hier im Zusammenhang mit einer Unendlichkeitsbewegung des Begehrens von ‚schlechter Unendlichkeit‘. 117 Vgl. Lacan, Seminar XI, S. 74-76. 118 Vgl. Žižek, Lacan, S. 92-95. Vgl. Ricœur, Fehlbarkeit des Menschen, S. 171. 119 Das Konstitutivum des Menschen als offene und begehrende Person hat als Schattenseite die stete Möglichkeit zum Bösen durch seine Schwäche und Fragilität bzw. zum Guten in der offenen und bereichernden Gemeinschaft. Es ist daher die entscheidende Frage, wie er mit dieser Möglichkeit umgeht. Ricœur sieht diese Schwäche dahingehend, dass sie die Möglichkeit des Bösen erklärt, aber nicht dessen Grund bzw. Herkunft. Vgl. Ricœur, Fehlbarkeit des Menschen, S. 111. 141f. 164-167 171f. 120 „Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde.“ (Röm 7, 19f.) Vgl. Ruhstorfer, Konversionen, S. 413: „Die Sünde und die Begierde sind identitätslose, anonyme Personifikationen, die als Gegenbestimmung zur Maßgabe in Christus im Widerspruch stehen. Das ‚Ich‘ des fleischlichen Menschen ist der Macht dieses ‚Es‘ unterworfen. […] Von ‚Außen‘ wirkt die Sünde am Menschen und bedrängt und lenkt den Willen.“ 121 Eagleton, Böse, S. 144. Vgl. Bründl, Masken, S. 50. 403.
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In christlicher Tradition, die sich trinitarisch fundiert weiß und Gott als Person erfährt, der in der Heilsgeschichte wie auch in der sakramentalen Präsenz der Kirche dem Menschen nahe ist, versteht man den Himmel als gemeinschaftlichen Raum, in dem der Mensch seine Vollendung in der Begegnung mit Gott erfährt. Dieser Raum ist nicht rein jenseitig bestimmt und nur post-mortal zugänglich und erfahrbar, sondern kann im kirchlichen Geschehen, zuhöchst in der Eucharistie, schon gegenwärtig antizipiert werden: Daher besteht schon jetzt Anteil am Himmel und an der Erlösung.122 So wie jetzt schon die Erlösung anteilhalber erfahren werden kann, so kann auch die aktuell geschehende Verweigerung gegenüber der Gottesbegegnung im eucharistischen Geschehen oder im Anderen als selbstgewählte Hölle verstanden werden. Die Entscheidung, sich gegenüber Gott zu öffnen oder in Selbstverschlossenheit zu verharren, wird gegenwärtig getroffen, so dass die eschatologische Frage eine präsentische Angelegenheit ist:123 Und wenn dich dein Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus; es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes zu kommen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt. (Mk 9, 47f.)124
Die Hölle ist ein Strafort, den man selbst gewählt hat und in den man aus der Sünde als Beziehungslosigkeit gegenüber Gott und dem Anderen als Ebenbild Gottes gelangt: Die Hölle ist die radikalisierte Einsamkeit, deren Raum von einem Sinnvakuum gefüllt ist und deren Ewigkeit von der sich verstärkenden Weigerung gegenüber dem irritierenden Erlösungs- und Selbstwerdungsangebot
122 Vgl. Finkenzeller, Josef: Eschatologie, in: Beinert, Wolfgang (Hg.): Glaubenszugänge. Lehrbuch der Dogmatik. Bd. 3. Paderborn u.a. 1995, S. 525-671; hier: S. 658f. 123 Vgl. Ratzinger, Joseph: Hölle, in: LThK (21960) 5, Sp. 446-449; hier: Sp. 448: „So darf gesagt werden, daß das Dogma von H[ölle] primär dem Menschen nicht informativ etwas vom Jenseits, sondern kerygmatisch etwas für sein jetziges Leben, ihn jetzt u. hier Betreffendes sagt […]. Die theol. Entfaltung des Dogmas kann demnach sinnvollerweise nicht erstrangig in Richtung einer gegenständl. Jenseitsspekulation geschehen, sondern wird sich vor allem um die Entfaltung des existenzbezogenen Sinnes der Aussage von der H[ölle] zu mühen haben.“ 124 Diese und die vorhergehenden Aussagen ‚bieten Regeln für das Diesseits, nicht auf Aufklärung über das Jenseits. Gott kann äußerste Warnungen und letzte Verheißungen versprechen. Die einen sollen uns in der Versuchung stark machen die anderen in der Anfechtung trösten.‘ (Gnilka, EKK II/2, S. 66.) Vgl. Bründl, Jürgen: In der Hölle, am ‚Ort‘ der Verdammten. Topographie des theologischen Schauplatzes böser Wirklichkeit, in: Hamm, Joachim/Robert, Jörg (Hg.): Unterwelten. Modelle und Transformationen (Würzburger Ringvorlesungen; 9). Würzburg 2014, S. 81-97; hier: S. 93.
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bestimmt ist:125 „Die radikale Einsamkeit ist vielmehr ein Charakteristikum der Verdammnis in der Hölle.“126 Weswegen Balthasar schreibt, dass: […] wir überzeugt sind, daß Gott mit seiner erlösenden Gnade niemand zum Heil zwingen will, daß nicht er, sondern der Mensch allein schuldig ist, wenn er Gottes Liebe zurückweist und dadurch verlorengeht […].127 Die Gnade ist der Geist Gottes, der sich zur Seele des Menschen herabsenkt. Sie kann darin keine Stätte finden, wenn sie nicht frei darin aufgenommen wird. Das ist eine harte Wahrheit. Sie besagt […] die prinzipielle Möglichkeit eines Sichausschließens von der Erlösung und dem Reich der Gnade. Sie besagt nicht eine Grenze der göttlichen Barmherzigkeit.128
Eagleton, der sich dezidiert zu einem katholischen Christentum und dessen Gottes- wie Schöpfungsverständnis bekennt, tritt daher dem geflügelten Wort Sartres aus ‚Huis clos‘ entgegen, das als unausgesprochene Gegenseite ein individualistisches Heilsverständnis mit sich bringt. Die christliche Heilsdimension kann nicht von einem christlichen Schöpfungshorizont gekoppelt werden – Erlösung stellt sich christlicherseits als gemeinschaftliches Geschehen dar (vgl. Joh 12, 32): Die Hölle sind nicht die anderen, wie Jean-Paul Sartre behauptet. Es ist genau umgekehrt: In der Hölle zu sein heißt, auf alle Ewigkeit an die trostloseste, langweiligste Gesellschaft überhaupt gefesselt zu sein: an sich selbst.129
Die eigene Welt ist vom eigenen Wert- und Gültigkeitshorizont bestimmt, der selbst geschaffen wurde und (Eigen-) Leistung zum maßgeblichen Paradigma hat. Die Maßgeblichkeit dieser narzisstischen Wertfixierung bringt eine binäre Unterscheidung mit sich: Konformität mit dem eigenen Horizont wird akzeptiert, während Abweichungen als falsch klassifiziert und in Konsequenz (durch böse Handlungen) bestraft werden. Selbstrechtfertigung durch Leistung und Verzweiflung am Sinnvakuum der Welt bedingen einander und stellen zwei Seiten einer Medaille dar. Man ist gefangen in einem Zirkelschluss, dessen Logik zwar konsistent ist, der sich aber durch seine ideologische Abschottung 125 Vgl. Ratzinger, Einführung, S. 283. Vgl. Müller, Gerhard Ludwig: Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie. Freiburg/Basel/Wien 1995, S. 563. 126 Schmaus, GdK I/1, S. 65. 127 Balthasar, Diskurs über die Hölle, S. 30f. Vgl. ebd., S. 29. 11. 128 Stein, Edith: Welt und Person. Beitrag zum christlichen Wahrheitsstreben (Edith Steins Werke; VI). Louvain/Freiburg 1962, S. 158. Vgl. Balthasar, Diskurs über die Hölle, S. 67. 129 Eagleton, Böse, S. 34. So zeigt sich die Ewigkeit der Hölle nicht als eine quantitative und damit zeitliche Dimension, sondern besteht vielmehr in einem qualitativen Ausmaß der Intensität. Vgl. Balthasar, Theodramatik IV, S. 280f. Vgl. Bründl, Masken, S. 293.
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auch kritikresistent verhält.130 Dieser Deutungshoheitsanspruch bringt dann auch die Verweigerung gegenüber einer fremden, von außen kommenden Hoffnung mit sich – man verzweifelt an der Sinnlosigkeit der Welt und bestraft sich selbst mit Einsamkeit. Die anfragende Transzendenz wird nicht als heilend, sondern als Terror empfunden.131 Weil eine positive (im wörtlichen Sinn: gesetzte bzw. vorgegebene) Sinnperspektive nicht akzeptiert werden kann, folgt als Antwort darauf ein negativer (ein zersetzender; im weiteren Sinn: ein diabolischer) Sinnhorizont: Die böse Handlung als verzweifelter Versuch einer unbedingten, wenn auch negativen Sinnstiftung und Selbstrechtfertigung.132 Sigmund Freud gibt nicht nur die Anerkennungsforderung an die eigene Person als Spezialfall des Narzissten an, sondern zeigt vielmehr auf, dass eine narzisstische Anlage dem Menschen als solchen inhärent ist.133 Doch gibt er 130 Vgl. Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. München/Berlin/Zürich 202017, S. 939-941. 131 So eine Formulierung von: Ries, Wiebrecht: Transzendenz als Terror. Eine religionsphilosophische Studie über Franz Kafka. Heidelberg 1977, S. 113. Auch wenn Ries mit der Formulierung einen bedeutsamen Aspekt des Werks Kafkas markieren kann, so scheint es dennoch angebrachter zu sein, die Schriften Kafkas nicht aus der Perspektive der Verzweiflung, denn vielmehr aus der Perspektive der Ironie zu lesen. Vgl. Klug, Florian: Über Kafka und kafkaesque Theologie. Oder das Problem der Sprache mit dem Absoluten, in: Jürgen Bründl/ders. (Hg.): Zentrum und Peripherie. Theologische Perspektiven auf Kirche und Gesellschaft. Festschrift für Otmar Meuffels (BamTS; 38). Bamberg 2017, S. 51-63. 132 Vgl. Eagleton, Böse, S. 79. 99. 104. „Das Gefühl, von der Last der Sinnhaftigkeit befreit zu sein, verschafft eine abartige Befriedigung. […] Die Hölle ist der endgültige Sieg des Nihilismus über den Idealismus. Er macht sich in dem höhnischen Jubel derer Luft, die eine paradoxe Erleichterung spüren, weil sie nicht mehr tiefer fallen können. Zugleich ist es das aberwitzige Gekreische der Verdammten, die frohlocken, weil sie sich im Besitz des letzten Geheimnisses wähnen – eines Geheimnisses, das zu erkennen die Weisesten wohl am wenigsten Absicht haben: dass nämlich nichts einen Sinn habe. […] Die Hölle ist das Reich des Irrsinnigen, Absurden, Monströsen, Traumatischen, Surrealen, Widerlichen und Kotigen, das Jacques Lacan nach griechischen Göttin des Unheils Ate nennt. Es ist eine Landschaft voller Trostlosigkeit und Verzweiflung – einer Verzweiflung allerdings, die ihre Bewohner nicht einen Augenblick missen möchten. Denn sie verschafft ihnen nicht nur einen Vorteil gegenüber Idealisten jeglicher Coleur, ihr Elend beweist ihnen auch, dass sie noch existieren“ (ebd., S. 99.). 133 Vgl. Freud, Sigmund: Zur Einführung des Narzissmus (1914), in: Ders.: Studienausgabe. Bd. III: Psychologie des Unbewußten. Frankfurt 1975, S. 37-68; hier: S. 54f. Zur Definition des Narzissmus: Vgl. ebd., S. 42. Der Narzissmus zeichnet sich nach Freud durch Größenwahn und einer (pathologischen) Introversion des Aufmerksamkeitsbezugs aus. Diese Pathologie entwickelt sich dadurch, dass es zu einer selbstbezüglichen Anwendung von Aufmerksamkeit und Libido auf die eigene Person kommt, was eigentlich der Außenwelt bzw. der Mitwelt vorgesehen war. Auch für Lacan ist der Narzissmus über die Freud-Lektüre dadurch bestimmt, von einer eminenten Selbstliebe bestimmt zu sein,
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aus der psychoanalytischen Praxis an, dass die Abwendung von der Außenin die Innenwelt nicht naturgegeben ist, sondern durch eine traumatische Erfahrung mit der Weltwirklichkeit bedingt ist: Die Irritation durch das Außen bringt die Person dazu, sich in die eigene Innerlichkeit zurückzuziehen.134 Doch die ursprüngliche Unversehrtheit kann nicht wieder hergestellt werden, sondern das Ich gerät mehr und mehr in einen fragmentarischen Status, der versucht wird durch narzisstische Verhaltensweisen zu überwinden bzw. wieder in einen ganzheitlichen Idealzustand zu überführen.135 Der Wirklichkeitszugang wird in Konsequenz stets subjektiver, indem eine Schematisierung und Filterung der Wirklichkeit in dem Maße vorgenommen wird, wie sie dem ausgebildeten Ich-Ideal entsprechen. Das eigene Selbstbild wird zum verstärkenden als auch ausblendenden und verdrängenden Faktor in der Wirklichkeitswahrnehmnung.136 Weiterführend gibt Freud im Hinblick auf den Todestrieb an, dass er darin gründet, Souveränität und Selbstbestimmung über das eigene Leben (wieder) haben zu wollen – insbesondere selbst das Ende des eigenen Lebens bestimmen zu können und nicht einer Fremdbestimmung zu unterliegen.137 In Stellvertreterhandlungen, bei denen die eigene Person absoluter Herr der Lage ist (wie auch in Handlungen aus dem Wiederholungszwang), lässt sich nach Freud plausibilisieren, dass dies Versuche der Rückgewinnung von Souveränität wie Versuche zur Abmilderung bzw. Aufhebung der von außen kommenden Irritation bzw. Infragestellung der eigenen Souveränität sind.138 Liest man die Konzepte des Narzissmus und des Todestriebs zusammen, dass beide Versuche sind, die eigene Souveränität wiederzuerlangen wie auch die Irritation der Welt durch Wiederholungs- wie auch Gewalthandlungen zu kompensieren, um jeweils ein Stück selbstbestimmter leben zu können, zeigt die im größeren projektiven Maße das Selbstbild der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfasst. Vgl. Lacan, Seminar I, S. 170. 134 Vgl. Freud, Einführung des Narzissmus, S. 49. 135 Vgl. Freud, Einführung des Narzissmus, S. 66f. Vgl. Lacan, Seminar I, S. 172. 136 Vgl. Freud, Einführung des Narzissmus, S. 60f. 137 Vgl. Freud, Sigmund: Jenseits des Lustprinzips (1920), in: Ders.: Studienausgabe. Bd. III: Psychologie des Unbewußten. Frankfurt 1975, S. 213-272; hier: S. 248f. 138 Vgl. Freud, Jenseits des Lustprinzips, S. 225-227. Im Speziellen gibt Freud das Beispiel von einem Kind an, dass die Erfahrung des Mutterentzugs, der für es schmerzhaft und nicht kontrollierbar war, dadurch zu kompensieren versuchte, indem es sein Spielzeug wegwirft, dies mit den Worten ‚Fort‘ kommentiert oder als expliziten Racheimpuls in den Krieg schickt, und anschließend in souveräner Geste das Spielzeug zurückzuholen und mit den Worten ‚Da‘ zu begrüßen. Indem das Kind aus der Passivität des Erlebens in eine Aktivität des Spielens übergeht, fügt es dem Spielgefährten das Unangenehme zu, das ihm selbst widerfahren war und rächt sich so an der Person durch den Stellvertreter (vgl. ebd., S. 227.).
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sich, dass der Todestrieb kein Streben in die Nichtexistenz ist: Es ist ein Drängen hin zum Leben, das aber nicht in seiner Vorgegebenheit akzeptiert werden kann, sondern durch eine Negativitätshaltung hin zur Selbstbestimmung überformt wird.139 Der Todestrieb zeigt sich der hegel’schen Negationsdialektik analog, indem versucht wird, ein Letztes und Absolutes (aus eigener Kraft) zu erreichen, aber dabei nie an ein Ende kommt und damit in der repetitiven Bewegung des Wiederholungszwangs gefangen bleibt:140 Weil die Positivität der Weltwirklichkeit nicht dem narzisstischen Autonomie- und Souveränitätsanspruch genügt, wird dieser mit über- und umformender Negativität begegnet. Die Autoaggression gegen die eigene Person ist daher nur ein Teilaspekt der Negativitätsbewegung, die ähnlich der Verzweiflung nach Kierkegaard ist, die es dem Einzelnen unmöglich macht, sich sowie die Welt anzuerkennen und gegenüber dem Seinsgrund, Gott, in ein geordnetes Verhältnis setzen zu können.141 Derjenige will lieber nichts sein, bevor er seine fremdbestimmte Vorgegebenheit annehmen wollte. Terry Eagleton sieht daher im gewalttätigen Exzess der subjektiven Negativität den Ursprung böser Handlungen und deren perversen Gefühl der Beglückung: Im Innersten der Persönlichkeit lauert ein Trieb, der das absolute Nichts will. Da gibt es etwas, das widernatürlich unseren Untergang fordert. Um uns vor der Verletzung zu schützen, die unsere Existenz bedeutet, sind wir sogar bereit, unser Verschwinden zu bejahen. Wer dem Einfluss des Todestriebs unterliegt, erlebt das ekstatische Gefühl der Befreiung, welches aus dem Gedanken erwächst, dass nichts wirklich wichtig ist. Das Vergnügen der Verdammten liegt darin, dass sie sich einen verdammten Dreck um all das scheren. Sogar der Egoismus wird hintangestellt – weil die Verdammten auf ihre verdrehte Weise an nichts Interesse haben als an dem Bestreben, sich mit dem Rest der Schöpfung zugrunde zu richten. Der Todestrieb ist eine delirant-orgiastische Revolte gegen Interesse, Wert, Sinn und Rationalität. Es ist das krankhafte Verlangen, die ganze Bagage im Namen von nichts zur Hölle zu schicken.142
Diese Negativitätshaltung vergrößert stets die Einsamkeit, in welcher der Einzelne gefangen bleibt.143 Er vereinsamt, verbittert und gerät in einen Strudel der A-sozialität, aus welchem er sich selbst nicht befreien kann und aus dem 139 Vgl. Žižek, Tücke, S. 405f. Vgl. ders., Weniger als nichts, S. 675. Vgl. ders., Parallaxe, S. 61-63. 140 Vgl. Žižek, Weniger als nichts, S. 675. 141 Vgl. Žižek, Tücke, S. 409. 142 Eagleton, Böse, S. 135f. 143 Er bleibt gefangen, weswegen auch die Bibel in Bildern des Loskaufs und der Befreiung spricht, um die Entfremdungssituation des Einzelnen zu sich selbst und der Gemeinschaft ausdrücken zu können. Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 110.
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heraus kein Subjektsein mehr möglich ist, weil eine Subjektivierungsgeste nicht mehr möglich, wie auch ein Personsein unmöglich wurde, weil es keine Person mehr gibt, der man sein ‚Ich‘ sagen und zeigen könnte, um anschließend die eigene Personalität jenseits von einer selbstrechtfertigenden Leistungs- und Leibenzökonomik anerkannt zu bekommen. Der Kern der H[ölle] muß zweifellos in der sog. poena damni gesehen werden, d.h. im Verlust des Inseins in der ewigen Liebe, im endgültigen Vorbeigeratensein an ihr in die Leere u. Selbstverschließung des bloß Eigenen hinein. So wie aber der Himmel nicht bloß das Ineins mit Gott, sondern die communio sanctorum u. das Ineinander der ganzen erlösten Welt bedeutet, so hat auch die H[ölle] eine kosmische Dimension: Das Mitsein der Welt, gegen deren Schöpfungssinn der Mensch sich in der eigenmächtigen Selbstverschließung gestellt hat, wird zur Qual.144
Die Konsequenzen dieses Vereinsamungsprozess bleiben nicht auf die enge und individuelle Lebenswelt des Einzelnen beschränkt, sondern haben, weil sie im Raum der Sozialität stattfinden, auch Auswirkungen auf diesen Raum: Die Sünde des Einzelnen prägt und überformt die Lebenswelt aller.145 So sehr das Souveränitätsphantasma wie auch die Autonomieillusion in ihrem projektiven Charakter (für den Einzelnen) erkannt werden, lässt sich auch plausibilisieren, dass eine antisoziale Handlung im Rückzug auf eine radikale Innerlichkeit soziale Konsequenzen für die Mitwelt mit sich führt und nicht auf einen individualistischen Rahmen beschränkt bleibt.146 Diese Verstrickung des Menschen, die den Einzelnen an die Gemeinschaft bindet, wie auch die Gemeinschaft nicht unabhängig vom Einzelnen sein lässt, ist die Auszeichnung des Menschen als soziales Wesen, dem alleine in Gemeinschaft Selbstwerdung und Gottesbegegnung gelingen kann, was durch seine Ebenbildlichkeit mit dem trinitarischen Gott bedingt ist. Dieses Dispositiv stellt aber auch die Grundgrammatik für die Erbsünde dar: Die Sünde des Einzelnen generiert ein soziales Netz, welches sich der Einzelne nochmals 144 Ratzinger, Hölle, Sp. 449. 145 Vgl. Kierkegaard, BA, S. 31. 146 Vgl. Eagleton, Böse, S. 51: „Die Erbsünde sagt uns, dass eine solche totale Autonomie ein Mythos ist. Insofern ist sie ein radikaler Begriff. Die Erbsünde stellt die individualistische Doktrin in Frage, nach der wir ganz allein die Eigentümer unseres Handelns sind.“ Dass Einsamkeit und Vereinsamung soziale Konsequenzen mit sich bringen, zeigt sich für Hannah Arendt als Grund und Quelle für (totale) Gewalt, indem Vereinsamung durch das Fehlen eines Sinnzentrums ein Sinnvakuum erzeugt, welches von gewalttätigen, selbsterzeugten Ideologien besetzt werden kann; und anschließend von einer Gewaltlogik deduktiv zu einem Gewaltakt übergeht. Vgl. Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 939. 974-979.
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selbst zu eigen macht. Die Erbsünde manifestiert sich in einem bzw. als ein Strukturraum, dessen beiden Pole Wahl und Verhängnis sind.147 Die Spannung zwischen Zurechenbarkeit und Unfreiheit des Menschen, von der die böse Handlung ausgeht, kann nicht gelöst werden: Auch wenn der Einzelne als Täter eine böse Tat vorgenommen hat, kann dies nicht allein das Böse an sich erklären, das Einzelnen zu einer bösen Tat verführt.148 Es gibt eine Zurechenbarkeit der einzelnen Tat, doch kann die einzelne Tat nicht als Gesamterklärung für den Großhorizont des Bösen und der destruktiven Negativität dienen.149 Die Erläuterung des Bösen als privatio boni fußt auf einem neu-platonischen Seinsverständnis, das von einer substanzontologischen Wirklichkeitsperspektive gespeist wird.150 Hier müssen zweierlei Punkte Beachtung finden: So gilt es zum einen, einer post-metaphysischen Anfrage von Seiten der Philosophie, die ein substanzontologisches Wirklichkeitsverständnis nur noch in eingeschränkten Maße vertreten kann, angemessen begegnen zu können. Zum anderen muss auch beachtet werden, dass ein Mangel an Gutem bzw. Mangel in einem Gut keine hinreichende Erklärung für den Ursprung des Bösen darstellt (diese Erklärung bleibt auf der Ebene des Ontischen stehen).151 Will man keinem metaphysischen Dualismus verfallen, der das Böse zum Prinzip seiner selbst erklärt, gelangt man an das Problem der Unerklärbarkeit des Bösen: Es ist etwas, was es nicht geben dürfte und dennoch sich faktisch in 147 Vgl. Eagleton, Böse, S. 47. Gerade aus dem Verständnis der Erbsünde als Dispositiv zeigt sich, dass ein selbstgewählter Ausbruch unmöglich ist, weil das Dispositiv nicht (von innen heraus) überschritten werden kann: Selbst der Ort des Widerstandes befindet sich innerhalb des Dispositivs: „Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht.“ (Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I [stw; 716]. Frankfurt 51991, S. 116.) Das Ereignis aber, das den immanenten Horizont der Verfassung (dispositive Grammatik) überschreitet, kann das Dispositiv aufheben und dem entschiedenen Subjekt ein Außen ermöglichen: Das Kreuz Christi eröffnet die Überschreitung der dispositiven Sündenverfallenheit. 148 Vgl. Bründl, Masken, S. 377. 149 Die Bilder der Bibel vom verdorbenen oder falschen Herzen (vgl. Jer 17, 9 u.ö) versuchen dies aufzuarbeiten. Paul Ricœur versucht dieses Spannungsverhältnis, über den gebundenen freien Willen bzw. unfreien Willen indirekt begrifflich zu fassen, ohne aber zu einer abschließenden Definition zu gelangen. Vgl. Ricœur, Symbolik des Bösen, S. 173. 175-181. Vgl. Bründl, Masken, S. 202. 150 Vgl. Bründl, Masken, S. 288. 151 Diese Erklärung bleibt unzureichend, auch wenn die privatio-boni-Theorie als suffiziente Erläuterung für das Phänomen des Bösen ausgegeben wird. Dies gilt insbesondere für Eagleton, der Ricœur kennt (vgl. Eagleton, Böse, S. 175.), aber dessen metaphorische Symboltheorie für eine Aufarbeitung des Geheimnisses des Bösen gerade als Literaturwissenschaftler übergeht.
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bösen Handlungen manifestiert. Diese Unerklärbarkeit des Bösen lässt sich keinem Prinzip oder Ursprung zuordnen, sondern zeichnet sich vielmehr durch seine selbst reproduzierende, rhizomartige Geflechtstruktur aus, bei dem Anfang und Ende (bzw. Prinzip und Manifestation) ununterscheidbar sind und daher gegenüber intellektuellen Lösungsangängen immun sind.152 Eine Funktionalisierung des Bösen sowohl in pädagogischer als auch ästhetischer Art verbietet sich, weil dadurch das Leid der Opfer und deren Ohnmacht völlig übergangen werden und man selbst die Opfer nicht als Personen, sondern nur als Objekte (in einem zu rechtfertigenden Gesamtzusammenhang) sieht.153 Da das Böse nicht in evidenter Weise definiert werden kann, aber dennoch vom Menschen verstanden werden will, braucht es einen Angang, der auf Evidenzen verzichtet, aber dennoch eine Erläuterung bietet. Dieser findet sich in der Metapher. Diese metaphorische Wirklichkeitsbeschreibung hinsichtlich des Bösen lässt im Bild des Teufels finden:154 Der Teufel ist eine Reflexionsfigur des Glaubens. Er spiegelt den ihm eigentümlichen Umgang mit dem Bösen wider: die Gestaltwerdung seines Geheimnisses zugleich vor und im Gegenüber zu Gott. Vor Gott, weil dem Glauben keine von diesem Fluchtpunkt unabhängige Perspektive möglich ist; und im Gegenüber zu ihm, weil das diabolische Sprachereignis das Wesen nicht des Guten, sondern des Bösen zum Thema hat. Der Teufel behauptet einen Eigenstand des Bösen, der zwar äußere Begrenzungen kennen mag, die Indienstnahme seiner verderblichen Faktizität aber prinzipiell ausschließt. Das Böse dient zu nichts, vor allem zu nichts Gutem.155
Er ist ein versuchendes und zersetzendes Etwas, das keinen Bestand in sich hat, sondern alleine aus der Negationsbewegung (des Unglaubens) gegenüber der endlichen Wirklichkeit und im Speziellen gegenüber Gott besteht. Der Teufel als metaphorische Aufführungsform der Wirklichkeit des bösen Geheimnisses stellt das Symbol des Glaubens für die schreckliche Wahrheit des Unglaubens dar, in dessen freiheitlich zu verantwortendem und deshalb schuldhaftem Abfall von Gott das Geschöpf den Bezug zu seiner heilvollen Lebensquelle selbstherrlich abzubrechen versucht und deshalb sich und die von ihm gestaltete Welt in eine gottlose und perverse Hölle verwandelt, aus der es von sich aus kein Entrinnen mehr geben kann.156
152 Vgl. Bründl, Masken, S. 294. 153 Vgl. Bründl, Masken, S. 291. 402. 154 Vgl. Bründl, Masken, S. 286f. 155 Bründl, Masken, S. 287. 156 Bründl, Masken, S. 401.
Die Erbsünde
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Dass die Teufelsfigur eine personale Erscheinung hat, wobei er aber nur aus einer Negationsexistenz besteht, macht einen Zwischenstatus metaphorischer Art aus, die zwischen Personalem und A-Personalem besteht.157 Diese gemeinschaftszerstörende und -zersetzende Dimension, welche die Einlassung mit dem Teufel mit sich bringt, zeichnet seinen Charakter als Un-Person aus.158 Derjenige, der Böses an ein Gegenüber richtet, nimmt diesen nicht als Anderen wahr – dessen Personalität und Alterität als Person mit einem Antlitz werden nicht beachtet oder gewalttätig übergangen. Die Täterperspektive lässt sich den Anderen nicht als Anderen zeigen und sieht ihn nur als Objekt der eigenen, selbstgefälligen und bösen Handlungen. Gemeinschaft in verbundener, zwischenmenschlicher Weise wird durch das Böse unterbrochen bzw. erst gar nicht zugelassen. Das Böse lässt den Einzelnen einsam werden, weswegen er sich selbst in die Einsamkeit der Hölle begibt, wobei er durch die narzisstische Selbstverschlossenheit eine Rettung von außen nicht zulässt und auch nicht zulassen will. Die Hölle zeigt sich als der existenzielle Zustand der verzweifelten Einsamkeit und Abgeschlossenheit gegenüber dem Heilsangebot in der Liebe Gottes: Gerade in der Verzweiflung an ihr [der Liebe Gottes] enthüllt der Teufel die Bösartigkeit des Geheimnisses, das die Wirklichkeit des Unglaubens in ihrem innersten Kern ausmacht: die selbstherrliche Ablehnung der kreaturlichen Erlösungsbedürftigkeit durch ein Geschöpf, das gegen seine wesenhafte Geschöpflichkeit existieren will, das heißt sich für ein Leben ohne oder gegen Gott entschieden hat und deshalb hoffnungslos in einer Hölle verkümmern muß, deren natürliche Gegebenheiten es überfordern oder zumindest auf sein Glücksstreben keine Rücksicht nehmen.159
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Die Erbsünde
Das Verhältnis der Erbsünde zum Bösen lässt sich in analoger Weise bestimmen, da beide in einem Zwischenbereich, zwischen Prinzip und Manifestation, anzusiedeln sind: Die Konkretion verweist auf einen Ursprung, doch dieser 157 Vgl. Bründl, Masken, S. 367: „Der Teufel als der Böse in Person zeigt, daß das Böse personal getan und verantwortet werden muß. Und zwar gerade dann, wenn man seinen heteronomen, überwältigenden Charakter anerkennt, also die bedrängende Wahrheit, daß der Mensch es in der Regel nicht allein verantworten kann. Entschuldigung und Verantwortungsflucht sind selbst teuflische Lügen. Sie versuchen darüber hinweg zu täuschen, daß der Mensch – er allein und radikal – der Täter des Bösen ist.“ 158 Vgl. Ratzinger, Dogma und Verkündigung, S. 229. Vgl. Bründl, Masken, S. 101. 376. 159 Bründl, Masken, S. 403. Vgl. ebd., S. 50.
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kann durch seinen Negativitäts- und Nichtigkeitscharakter nicht in positiver Weise bestimmt werden. Der Teufel dient als Reflexionsfigur, um das unanschaulich Nichtige metaphorisch-figurativ, aber nie abschließend-definitiv, begreifbar darzustellen.160 Auch die Erbsünde ist ein Reflexionsausdruck, der den Vorzustand zur Erlösung durch die Inkarnation und lebensweltliche Begegnung mit ihm in Jesus Christus versucht aufzuarbeiten, aber ihn nicht abschließend bestimmen kann.161 Sie ist ein dezidiert theologischer Ausdruck, indem sie Sünde als eine negative Grundbestimmung des Einzelnen vor Gott anzeigen will: Aus der Haltung folgen Taten eines Einzelnen, welche dieser in Zurechenbarkeit zu verantworten hat. An diesem Punkt zeigt sich die Grenzperspektive, welche die Erbsünde zu einem prekären Begriff werden lässt: Sie steht in der Spannung ein Grundverhältnis des Einzelnen vor Gott anzugeben, was seine weiteren Taten prägen und überformen wird, aber nicht durch ein fatum, Verhängnis oder böses Schicksal zu Stande kommt. Die Erbsünde steht im Verhältnis zum Einzelnen in einer Quasi-Zurechenbarkeit, wie es Rahner versucht, im analogen Sündenbegriff anzudeuten.162 Der christliche Glaube hat sein Spezifikum dadurch, dass er von der Fundamentalentscheidung abhängt, ob Gott in Jesus Christus in die Welt inkarniert ist, das Menschsein als bleibende Begegnungsebene gewählt hat, dadurch das Menschsein in höchstem Maße geadelt und die Ebenbildlichkeitsperspektive für den Menschen neu eröffnet sowie ihn von einer narzisstischen Selbstverschlossenheit befreit hat. Das Gegenstück zu dieser Fundamentalentscheidung für Gott zeigt sich in der Erbsünde: Als Fundamentalverweigerung gegenüber der Begegnung mit Gott und Erlösung durch ihn auf der Ebene der Innerweltlichkeit. Als negative Reflexionsgestalt zum Glauben und zur Erlösung durch Jesus Christus zeigt sie sich nicht auf der Ebene der individuell zurechenbaren Tat, sondern befindet sich auf einer Stufe, welche vor der einzelnen Tat anzusiedeln ist und dadurch das Handeln des Einzelnen prägt. Sie kann als präreflexive Haltung oder eine ästhetische Gestimmtheit verstanden werden, welche durch eine egologisch-narzisstische Selbstzentrierung mit sich bringen und Isolation gegenüber der Mitwelt sowie Verschlossenheit und Selbstrechtfertigung gegenüber Gott zur Folge haben. Die Grenzbegrifflichkeit der Erbsünde zeigt ihre Schwierigkeit hinsichtlich der Wahl- und Entscheidungsdimension an, dass sie nicht durch Nachahmung (vgl. DH 1513) übernommen wird, sondern dass der Einzelne in einen 160 Vgl. Bründl, Masken, S. 290-293. 161 Vgl. Alison, Joy of Being wrong, S 64: „The doctrine of original sin is a derivative doctrine.“ 162 Vgl. Rahner, Grundkurs, S. 118.
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Raum bzw. Horizont (im Sinne Gadamers) der Sündigkeit (als Erbe) eintritt, von dem es unmöglich ist, sich zu distanzieren:163 Dies lässt sich ein aktualisiertes Verständnis dessen ausweisen, was Trient unter der inclinatio durch die concupiscentia versteht (vgl. DH 1515).164 Der Mensch ist zwar nicht in einer korrumpierten Natur gefangen, was ihn deterministisch zur Sünden zwingen würde, aber sein faktisches Geborensein in die Welt bringt eine Geneigtheit mit sich, die aus dem Distanzstreben gegenüber Gott stammt und dazu führt dieses solipsistische Autonomiestreben fortzuführen.165 Das Selbstverständnis des Menschen, das unter einem Leistungs- und Selbstrechtfertigungsparadigma steht und somit eine narzisstische Zentrierung mit sich bringt, wird präreflexiv übernommen und sich so angeeignet, dass es für den restlichen Lebensentwurf (jenseits der gläubigen Eröffnung) zum bestimmenden Maßstab und damit zum eigenen Horizont wird. Die erbsündliche Verhaftung in Narzissmus und Selbstrechtfertigung wird zur jeweiligen Welt des Einzelnen im Sinne Heideggers:166 Der Mensch steht in einer nicht gottgewollten Distanz zu diesem, wobei er diese Distanz selbst nicht überwinden kann, sondern sich deren Überwindung gnadenhaft als Gabe schenken lassen kann. Er wird in diese Welt geboren, eignet sich diese an und verweilt in Distanz zu Gott. Um dies zu überwinden, braucht es die Begegnung mit Gott: Erfahrbar ist er unter der Bedingung der perspektivischen Eröffnung im Anderen und im Sakrament (zuhöchst in der Eucharistie, was aber auch die Gewichtigkeit der Taufe als Eintritt in den kirchlichen Raum anzeigt).167 Der Begriff der Erbsünde versucht, einen Zusammenhang zwischen der Tat des Einzelnen und dem Menschen als Gemeinschaftswesen aufzuzeigen, indem durch Begriffe wie analoge Sünde, strukturelle Sünde oder soziale Sünde das Dilemma bewusst wird, dass der Einzelne zwar für die sündige Tat zu verantworten ist, aber die Existenz der Sünde in ihrer Negierungs- und 163 Vgl. Kierkegaard, BA, S. 31. Vgl. Rolf, In sich verstrickte Freiheit, S. 320. 324. Einen ähnlichen Gedanken lässt sich bei Adam Kotsko finden, der aber in dieser Hinsicht nicht explizit auf die Erbsünde zu sprechen kommt, sondern nur von einer sündigen menschlichen Grundsituation ausgeht. Vgl. Kotsko, Politics of Redemption, S. 192f. 164 Vgl. Alison, Joy of Being wrong, S. 221. 279: „Trent was not seeking to canonize Augustine’s moral biology, but was seeking to exclude any morally neutral moment in any human’s life: from the beginning of our lives and without being intrinsically evil by nature we are preinvolved in sin. […] simply claiming that there is no such thing as a purely ‘natural’ human being; it is not as though we are first a biological or natural reality and then, later, become a cultural reality. All human beings are, from conception, always a completely cultural reality.“ (ebd., S. 279.) 165 Vgl. Alison, Joy of Being wrong, S. 279-283. 166 Vgl. Heidegger, SuZ, S. 64-66. 167 Vgl. Greshake, dreieine Gott, S. 331. 368.
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Negativitätsdimension größer als die Tat des Einzelnen ist und sich daher die Identifikation von Tat und Täter verbietet.168 Bilder und Figuren wie die paradiesische Schlange oder der Teufel wollen diese dem Menschen äußerlichen Versuchungsdimensionen versinnbildlichen, ohne eine definitive oder evidente Antwort zu liefern.169 Für dieses Zwischen von individuell zu kollektiv wie auch von Wahl zu Verhängnis stellt der Begriff der Erbsünde ein notwendiges Abstraktum dar, das als Reflexionsbegriff unumgänglich ist, um die Erlösungsdimension durch die Inkarnation, Sterben und Auferstehen Christi in ihrer Radikalität und Universalität anzeigen zu können. Notwendigkeit sollte sehr wörtlich verstanden sein, dass die Erbsünde eine Notdimension des Menschen begrifflich macht, welche er selbst nicht ändern kann, sondern dass er ganz und gar auf die Begegnung mit Gott als gnadenhafte Nähe angewiesen ist. Der Mensch trifft auf Gott nicht erst in einem postmortalen Jenseits, sondern Gott hat durch die Inkarnation die Endzeit bereits in der Jetztzeit der Schöpfung anbrechen lassen (vgl. Mk 1, 14f.) und die Ebene des Menschen als Begegnungshorizont gewählt, wo Gott auf den Menschen trifft: Der Mensch als Anderer wird zum Begegnungsort mit Gott (vgl. Mt 25, 40). Das Antlitz des Anderen und seine Ebenbildlichkeit fragen den Einzelnen in irritierender Weise an – das Antlitz des Anderen provoziert das Gefühl der Achtung (streng aposteriorisch durch die Begegnung; nicht apriorisch).170 Dieser Anfrage kann sich der Einzelne nicht entziehen, weil sie ereignishaft in die Lebenswelt des Menschen (wie ein Dieb; vgl. Mt 24, 33f.) einbricht und er sich zu dieser Anfrage in einer Haltung verantworten muss: Annahme der Alterität und Heteronomie des Antlitzes oder Weigerung und Reduktion des Anderen auf einen Objektstatus. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde versucht, die Erbsünde als die Unmöglichkeit zu verstehen, dieser Anfrage durch eine offene und angemessene Haltung begegnen zu können: Diese Unmöglichkeit wurde von Seiten Christi zu einer Gemeinschaftsdimension in Anerkennung, Freundschaft und (erotischer) Leiblichkeit neu eröffnet, wobei dies keine zwingende Überformung der menschlichen Natur darstellt. Der Beginn dieser Gemeinschaft ergeht als Angebot an den Einzelnen; weigert dieser sich die Gnade anzunehmen, kann die Gnade ihr Potenzial nicht entfalten, weshalb sich derjenige weiterhin aus der Gemeinschaft der innergöttlichen Liebesdimension ausschließt. Er bleibt in der erbsündlichen Verschlossenheit verhaftet. 168 Vgl. Bründl, Masken, S. 376. 169 Vgl. Bründl, Masken, S. 202f. 170 Vgl. Marion, Gegeben sei, S. 446. 473f.
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Aus menschlichem Narzissmus und dem Anspruch einer autonom-solipsistischen Deutungshoheit wird die Antwort und die Achtung an das anfragende Antlitz verweigert. Diese Weigerung bleibt aber nicht auf die Individualebene beschränkt, sondern wirkt sich, weil dies im sozialen Kontext stattfindet, auch auf die menschliche Umwelt aus: Die Weigerung bringt soziale Konsequenzen mit sich, da die menschliche Lebenswelt in einer textuellen, rhizomatischen Verwobenheit besteht, so dass der Radius der Weigerung das unmittelbare Umfeld überschreitet und sich in einem (gemeinschaftlichen) Horizont der Achtungsverweigerung und des narzisstischen Lebens manifestiert. Der Mensch (als Gemeinschaftswesen) perpetuiert durch die sündige Tat eine sündige Lebenswelt als Horizont, von welchem sich der Einzelne nicht präreflexiv distanzieren kann, sondern in diesen hineingeboren wird. Dieser Horizont lässt sich rein kausallogisch nicht erklären und lässt sich auch in Freiheitskategorien nicht evident und in Konsistenz darlegen.171 Aber den Erbsündenbegriff aus seiner Schwierigkeit aufzugeben,172 bricht nicht nur mit der biblischen Grundlage der prinzipiellen Unrechtfertigung des Menschen vor Gott (vgl. Röm 3), sondern auch mit der Rezeption der soteriologischen Grundannahme sowie der narrativen Identität des Christentums, das die Erbsünde als notwendige Reflexionsgestalt und Implikat der universellen Erlösung braucht: Das Christentum kann als Deutegemeinschaft der Christgläubigen verstanden werden, das sich auf dem Weg zum Reich des Vaters befindet.173 Dieser Weg ist durch eine pneumatologische Fundierung von einem hermeneutischen Fortschritt gekennzeichnet (vgl. Joh 16, 1-14; vgl. DV 4),174 wobei die maßgeblichen Wegpunkte des christlichen Narrativs und Deuteangangs durch lehramtliche Beschlüsse und deren Rezeption durch den sensus fidelium (vgl. LG 12) markiert werden. Die Intention der damaligen Konzilsväter (intentio auctoris) ist nicht in definierender Weise für die weitere Rezeption in ausschließlicher Lesart bestimmend, weil diese neben der prinzipiellen Unbeherrschbarkeit der menschlichen Sprache niemals vollständig rekonstruiert werden kann:175 Die Textoberfläche der dogmatischen Konstitution ist der 171 Dies merkt Georg Essen zu recht an, denn der an sich freie Mensch steht in einem aporetischen Verhältnis zu einer ihm vorausliegenden Grundstruktur der Unfreiheit bzw. Freiheit. Vgl. Essen, Da ist keiner, in: Th A II, S. 1150. 1154. 172 Vgl. Essen, Da ist keiner, in: Th A II, S. 1154. 173 Vgl. Meuffels, Gott erfahren, S. 55-59. 174 Vgl. Klug, Sprache, Geist, Dogma, S. 85. 95. 175 Eine solche Illusion der Beherrschbarkeit der Sprache, so dass der Mensch Souverän über die Sprache wäre, muss aufgegeben werden. Die Sprache befindet sich durch ihre gleichzeitige Dynamik und Fragilität stets in einem semantischen Wandel und in unaufgebbarer
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5. Die Distanz von Gott und Mensch
maßgebliche Bezugspunkt für die Rezeption und bringt einen Sinnüberschuss gegenüber der Schriftstellerintention mit sich. Der Textsinn kommt mit einem Eigengehalt daher (intentio operis),176 der auch für eine aktualisierte Deutung und Fortschreibung des christlichen Narrativs (als intentio lectoris) offensteht. Aus diesem Grund der dogmengeschichtlichen Entfaltung ist der autorisierte Konzilsbeschluss und dessen Rezeption die Verständnismaßgabe, unter welcher die Erbsünde zu deuten ist; und nicht das augustinische Erbe der Erbsündendebatte, das in manchen Punkten zu Überspitzungen, interpretatorischen Schieflagen und dadurch zu manchem Unheil geführt hat. Diese Deutung geschieht nicht über eine kausallogische Mechanik, sondern greift auf metaphorische Bilder und Figuren zurück, die nicht nur eine Eigenlogik, sondern durch ihre metaphorische Gestalt einen semantischen Überschuss besitzen (z.B. Adam als Kollektivgestalt), um eine menschlichen Wirklichkeit (der bösen Taten und einer grundsätzlichen Neigung zum narzisstischen Handeln) benennen zu können, ohne aber in eine definitorische Verengung zu geraten: So wird in der metaphorischen Benennung der bösen, menschlichen Tat (in der Paradieserzählung der Genesis) von Seiten des Menschen Verantwortung dadurch übernommen, dass der Ursprung des Bösen nicht funktionalisiert, Gott angerechnet oder einem dualistischen Prinzip zugeschrieben wird, sondern in metaphorischer Gestalt unter Verwendung mythischer Motive beschrieben wird, ohne selbst einen Mythos zu kreieren oder abzubilden. Das mythisch Vergangene besitzt keinen absoluten Stellenwert, denn das Zeit- und Geschichtsverständnis Israels besitzt eine teleologische Ausrichtung und weicht damit in eminenter Weise von einem zyklischen Zeit- und Geschichtsverständnis der altorientalischen Umwelt ab. Die endliche Gegenwart hat in ihrer boshaften Prägung und Verstrickung nicht das letzte Wort, weil man sich unter der Begleitung Gottes weiß und auf die Vollendung durch ihn hofft. Diese metaphorische Aufarbeitung der bösen, menschlichen Tat in mythischen Motiven stellt in dem Fall eine Antwort auf die Frage nach dem Bösen in der Welt dar, welche die Verantwortung nicht abweist und sich in einer autonom-solipsistischen Deutungshoheit verkehrt, die die böse Handlung für unzurechenbar hält und daher das Böse als fatalistisches Geschick abweist. Eine transzendental-ontologische Darlegung, warum das Böse in der Welt ist und wie es in die Welt gekommen ist, ist leider nicht möglich, da die Mehrdeutigkeit. Der Mensch hat keine Autorität über die Sprache – vielmehr ist der Autor tot, weil er nie gelebt hat. Vgl. Vgl. Barthes, Tod des Autors, S. 190-192. 176 Vgl. Eco, Umberto: Die Grenzen der Interpretation. München/Wien 1992, S. 35-39.
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Überschreitung der phänomenalen Welt ein Ausgriff auf die Außerzeitlichkeit darstellt: Raum und Zeit sind notwendige Formen der menschlichen Wahrnehmung und Konstitutivum der perspektivischen Verhaftung,177 weshalb sie in einem transzendental-ontologischen Ausgriff überschritten werden müssten. Die menschliche Perspektive der sinnlichen Wahrnehmung ist aber von der rahmenden Form durch Raum und Zeit bestimmt, wobei die primäre Passivität der menschlichen Ästhetik es mit sich bringt, dass apriorische Formung nicht weiter begründet werden kann, sondern als gegeben hingenommen werden muss. Eine raumlose und zeitfreie Wahrnehmung und Begrifflichkeit ist dem Menschen nicht möglich. Ein Begriff, der ohne zeitlich-räumliche Komponente auskommt, ist inhaltlich leer und anschauungslos; ein solcher Begriff ist ein reines Gedankending: Das Ding an sich ist aber selbst unschaubar – es ist ein formelles Korrelat, bleibt dadurch aber auch inhaltlich leer.178 Um dieser begrifflichen Leere zu entgehen und nicht schweigen zu müssen, bietet sich eine Darstellung an, die jenseits der Übereinstimmung von res und intellectum steht.179 Die Phänomene des Bösen und der erbsündlichen Verhaftung sind in der menschlichen Wirklichkeit vorhanden und können daher, weil sie mehr als nichts sind, nicht verschwiegen werden. Es braucht eine schiefe und eigenwillige Prädikation, die selbst das Unbeschreibbare begrifflich 177 Vgl. Kant, KrV, A 22, 23/B 37 (S. 71). Raum und Zeit sind apriorische Begriffe bzw. Formen, die selbst nicht geschaut werden können, sondern notwendig sind, um selbst etwas wahrnehmen zu können. Sie stellen den Rahmen dar, in dem Wahrnehmung stattfinden kann und durch ihre Vorgegebenheit nicht nochmals in einem transzendentalen Akt überschritten werden können. „Äußerlich kann die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig wie der Raum, als etwas in uns.“ 178 „Da nun eine solche, nämlich die intellektuelle [unsinnliche] Anschauung, schlechterdings außer unserem Erkenntnisvermögen liegt, so kann auch der Gebrauch der [transzendentalen] Kategorien keineswegs über die Grenze der Gegenstände der Erfahrung hinausreichen, und den Sinneswesen korrespondieren zwar Verstandeswesen, auch mag es Verstandeswesen geben, auf welche unser sinnliches Anschauungsvermögen gar keine Beziehung hat, aber unsere Verstandesbegriffe, als bloße Gedankenformen für sinnliche Anschauung, reichen nicht im mindesten auf diese hinaus; was uns also von uns Noumenon genannt wird, muß als ein solches nur in negativer Bedeutung verstanden werden“ (Kant, KrV, A 249/B 309 [S. 278]. Vgl. ebd., A 30/B 45 [S. 77], B 306-308 [S. 276f.].). 179 So präsentiert sich der klassische Wahrheitsbegriff der Adäquationstheorie. Das Merkmal der Übereinstimmung ist seit der Antike grundlegender Bestandteil des Wahrheitsverständnisses, wobei hier gilt, dass ein ausgesprochener Satz notwendig mit der benannten Wirklichkeit korrespondieren muss. Vgl. Aristoteles: Metaphysik. Nach der Übersetzung von Herman Bonitz. Bearbeitet von Horst Seidl, in: Ders.: Philosophische Schriften. In sechs Bänden. Bd. 5. Hamburg 1995, S. 196f. (1051b): „Nicht darum nämlich, weil unser Urteil, du seiest weiß, wahr ist, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies behaupten.“
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5. Die Distanz von Gott und Mensch
veranschaulichen kann, ohne es in eine allzu enge Definition zu überführen: Dies ist mit der Metapher in einem ironischen Sprechgestus möglich.180 Eine metaphorisch-ironisierende Aufarbeitung der altorientalischen Schöpfungsmythen versucht den Ursprung der Gewalt und des Bösen nicht definitorisch zu bestimmen und als notwendiges Ordnungskonstitutivum der geschöpflichen Welt auszuweisen, sondern kann durch die verstellte Prädikation das Phänomen benennen und durch die narrative Gestalt die menschliche Fehlbarkeit in (Teil-) Verantwortung nehmen. Zusammenfassend können der Ursprung der bösen Tat (und damit nicht des Bösen selbst) und das Charakteristikum der Erbsünde von einem christlichen Verständnis darin beschrieben werden, dass dies von einer Verweigerung heteronomer Selbstwerdung und Abgabe der solipsistischen Deutungshoheit an Gott herrührt, was die klassischen Termini von hybris, amor sui sowie incurvatio in seipsum umfasst.
180 Vgl. Ricœur, lebendige Metapher, S. VI. 23. 187. 224f. 279.
Kapitel 6
Fazit Der christliche Glaube weist sich durch eine besondere Eigenheit aus, die sein Verhältnis von Transzendenz und Immanenz betrifft: Das menschliche Leben geschieht aus christlicher Perspektive nicht unter einer absoluten Abwesenheit Gottes, sondern dieses wird trotz seiner vermeintlichen Unsichtbarkeit von Gottes Nähe begleitet und von seiner Herrlichkeit erfüllt. Durch die Einbergung der Schöpfung in das innertrinitarische Leben werden Frontstellungen von Gott und Schöpfung wie Innen und Außen als auch Transzendenz wie auch Immanenz relativiert, so dass die Grenzen der Schöpfung ein Raumgewähren Gottes für deren Selbstentfaltung und deren Eigenwürde stehen.1 Diese Grenzen sind nicht absolut und auch nicht unpassierbar, denn sie erlauben Gott, als dem Absoluten, in die Schöpfung in vermittelter, sakramentalkommunikativer Weise in die Welt einzubrechen und dem Menschen seine Nähe einladend anzubieten. Die Erfahrung der Begleitung Gottes durch die Zeit hindurch kann als einer der wichtigsten Marker in der Ausbildung des Selbstverständnisses des jüdischen Volkes gesehen werden, das sich von Urzeit an (retrospektiv) von Gott begleitet und trotz Verirrung in seiner Nähe befindlich weiß (vgl. 1.3.1 Urgeschichte und Mythos). Während das altorientalische Umfeld von einem zyklischen Zeit-, Welt- und Geschichtsverständnis geprägt war, bei dem die maßgebliche Referenz die ewig gültige (Ur-)Vergangenheit war und sich deshalb Fragen von Erlösung und Vollendung nicht (in gleicher Weise wie in Israel) gestellt haben, wusste sich Israel durch die Erfahrung und die Begegnung mit dem einen Gott in seiner Nähe befindlich. Diese Erkenntnis war nicht unmittelbar einsichtig, sondern wurde erst durch einen langwierigen Reflektionsprozess deutlich, dessen Zwischenstufen mit Polytheismus, Henotheismus und Monolatrie angegeben werden können. Dass nicht die Vergangenheit ausschließliche Gültigkeit besitzt, sondern man aus der Vergangenheit stammt und von ihr Orientierung erhält, zeigt Israels Umgang mit mythischen Formen und Motiven der altorientalischen Umwelt (vgl. 1.3.2 Paradies und Adam): Diese Formen und Motive werden verwendet, erhalten aber durch die Erfahrung und die Begleitung durch und mit dem einen Gott eine ironisierte Eigenheit. Die Urgeschichten werden wie ein Mythos erzählt, ohne selbst ein Mythos zu sein und ohne dies als auch liturgisch zu inszenieren oder zu reaktualisieren. 1 Vgl. Askani, Schöpfung als Bekenntnis, S. 60f. 71. 130f. 148-153.
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6. Fazit
Dies sind Erzählungen des Ursprungs, um in selbstreflektiver Art den einen, noch andauernden Weg mit Gott weiterzuerzählen und aus dem Erzählen heraus ein narratives Selbstbild zu entwerfen.2 Diese Erfahrung und Begegnung gilt daher als Paradigma für die weitere Analyse und Aufarbeitung der heilsamen Selbst- und Subjektwerdung wie deren Verkehrung: Selbstwerdung ist kein autonomes Geschehen, sondern zutiefst durch die Begegnung und die Anfrage durch den Anderen in Alterität bestimmt – der irritierende Andere bricht in die je eigene Welt ein und stellt diese sowie das eigene Selbstverständnis radikal in Frage. Er ermöglicht dem Einzelnen aber auch die Möglichkeit der Fremderfahrung und damit auch des Wissenszuwachses sowie der Selbstpositionierung. Der Mensch als Prozesswesen ist weder ab principio voll entwickelt noch lässt sich sein Dasein abschließend in einen perfekten Zustand überführen, denn er befindet sich in einem steten reflexiven Selbstverhältnis. Von Sören Kierkegaard aus ist es möglich, den Menschen als Selbst dadurch zu charakterisieren, dass er ein Selbst entwickelt, indem er sich in einen (ständig zu realisierenden) Akt der Selbstwahl zu sich selbst verhält.3 Erst durch die Wahl seiner selbst wird er ein Selbst bzw. verliert sich in die Uneigentlichkeit. Dass diese Notwendigkeit der Selbstwahl bzw. Selbstpositionierung kein Moment absoluter Innerlichkeit ist, wird dementsprechend an die Subjektbestimmung von Alain Badiou und Slavoj Žižek angeschlossen (vgl. 1.1.1 Das Ereignis bei Žižek und Badiou): Der Einzelne befindet sich in einem präsubjektiven Zustand der Unentschlossenheit und der Uneigentlichkeit. Das von außen in seine Welt einbrechende Ereignis drängt ihn zu einer Entscheidung – eine Positionierung gegenüber dem Ereignis, die entweder aus Annahme oder Verweigerung besteht. Durch die Annahmeentscheidung (als Subjektivierungsgeste) gegenüber dem Ereignis kommt es zu einer Dezentrierung der eigenen Perspektive, da das von außen einbrechende Ereignis unkontrollierbar und unvorhersehbar in den Horizont des Einzelnen einfällt. Es entstammt nicht seiner subjektiv konstruierten Welt, woraus sich seine Irritationsfähigkeit ergibt. Durch die Annahme des Ereignisses folgt aus der Subjektbestimmung Žižeks und Badious ein Subjektstatus des Einzelnen und die Überschreitung des allzu engen Horizonts zu einem neuen Sinnzentrum und erweiterten Welthorizont. Beide Philosophen geben (trotz eigener atheistischer Weltsicht)4 das Kreuz Jesu Christi als das ultimative Ereignis an, weswegen auch beide Paulus als
2 Vgl. Ricœur, Wege, S. 137f. Vgl. ders., Zeit und Erzählung III, S. 183. 3 Vgl. Kierkegaard, KzT. 4 Žižek entfernt sich in letzter Zeit von einem rein abstrakten Atheismus und gibt seine Verortung mit dem Paradox des christlichen Atheismus an.
6. Fazit
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paradigmatische Figur der Subjektwerdung angeben:5 Trotz radikaler Irritation und Unverständlichkeit bekennt sich Paulus zu dem erstandenen Christus und glaubt; sein alter Welthorizont wird nicht nivelliert, sondern dekonstruiert und zu einer neuen Logik (durch den Logos) und einer größeren, internen Plausibilität rekonfiguriert. Was sich sowohl bei Kierkegaard als auch bei Badiou und Žižek als unterbestimmt ausweist, ist die personale Komponente im Ereignishorizont wie in der Selbstwerdung, denn christlicherseits geschieht Glauben und Selbstwerdung nicht dadurch, dass man sich gegenüber dem Kreuz (als Ding) bekennt, sondern dadurch dass man an (die Person) Jesus Christus als Sohn Gottes glaubt, der am Kreuz gelitten hat und auferstanden ist. Selbstwerdung geschieht durch eine relationale Bestimmung gegenüber einer personalen Begegnung – der Einzelne wird er selbst durch eine relationale Beziehungswirklichkeit durch und mit dem Anderen. In trinitarischer relecture kann daher auch die Ebenbildlichkeit des Menschen aus einer Relationsbestimmung erfolgen (vgl. 3.2 Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen). Ebenbild Gottes ist der Mensch nicht als solipsistisch Einzelner, sondern er ist von einer trinitarischen Ontologie aus Ebenbild für und mit dem Anderen in einem Gemeinschaftsmoment, das eine existenzielle Einsamkeit überschreitet. Glauben und Selbstwerdung sind daher prinzipiell relationsbezogen und stehen somit einer Auffassung von Glauben und Selbstwerdung, die sich von einer Autonomie- und Innerlichkeitsgrundlegung bestimmt wissen, radikal entgegen: Durch den Anderen wird der Mensch als Einzelner erst er selbst. Versucht dieser sich rein durch und aus sich selbst zu ergründen und zu halten, verliert er sich aus einer selbstgewählten Verschlossenheit hin zu einer existenziellen Einsamkeit. Von dieser Grundlegung aus ist ersichtlich, dass Selbstwerdung kein (rein) intellektuelles Geschehen ist, das der Einzelne aus und mit seiner Innerlichkeit zu bewältigen hat, sondern Selbstwerdung präsentiert sich zutiefst als ästhetisches Geschehen: Das Treffen auf den Anderen in seiner irritierenden Dimension geschieht in Leiblichkeit, weswegen sich Selbstwerdung als eminent sinnliche Begebenheit bestimmen lässt. Durch die Erfahrung und Wahrnehmung des Anderen ist dem Einzelnen die überschreitende Möglichkeit zur entschiedenen Subjektivität eröffnet. Der Andere in seiner Alterität wird wahr genommen.6 Der intellektuelle Gehalt der Selbstwerdung geht durch die Leiblichkeit der Erfahrung nicht verloren, wird aber auf einen sekundären Rang der Plausibilisierung und der narrativen Entfaltung verwiesen. 5 Vgl. Badiou, Paulus. Vgl. Žižek, Tücke, S. 171-215. 6 „Was ist denn ‚wahrnehmen‘? Etwas-als-wahr-nehmen: Ja sagen zu Etwas“ (Nietzsche, KSA; 11, S. 464 (34 [132])).
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6. Fazit
Der Mensch zeigt sich von seiner Wesenheit, als personal und relational grundbestimmt. Der Einzelne kann demnach er selbst werden und in ein gelingendes Selbstverhältnis treten, wenn er diese heteronome Bestimmung selbst wie auch die damit verbundene Infragestellung seines subjektiv konstruierten Selbstbildes und Welthorizonts annimmt und sich demgegenüber verhält. Insbesondere besitzt dies theologische Relevanz, wenn die Grundrelation von Geschöpf und trinitarischem Schöpfer selbst personal bestimmt ist: Gott ist kein apersonales Etwas, sondern durch seine innertrinitarische Relationalität der göttlichen Personen zueinander zeichnet er sich als höchste Personalitätsform und -bestimmung aus. Daher ist es der menschlichen Selbstwerdung in schöpfungsgemäßer Grundlegung dadurch angetragen, sich der relationalen Struktur Gottes anzugleichen. Diese relationale Grundbestimmung bringt es auch mit sich, dass der theologische Gehalt der Sünde nicht primär in einer Handlung wurzelt, sondern Sünde darin besteht, sich in grundlegender Weise gegenüber der Relation und dem Gemeinschaftsangebot Gottes zu verweigern: Der Sünder verschließt sich in innerer Selbstgenügsamkeit und will in (im strengen Wortsinn) absoluter Selbstbestimmung über das eigene Dasein in pervertierter Autonomie verfügen. Die eigene Selbstwerdung wird dadurch radikal verfehlt, weil sich der Jeweilige dem narzisstischen Fundamentalphantasma der Souveränität und Ungebundenheit hingibt und eine Immunität gegenüber äußeren Anfragen ausbildet. Das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe (vgl. Mt 22, 37-40) ist als Imperativ die kondensierte Logik der Relationsbestimmung von Gott und Mensch in personaler Form: Die Beziehung des Einzelnen zu seinem Schöpfer kann nicht von der Ebene zu seinem menschlichen Gegenüber als Ebenbild Gottes getrennt werden – in der Begegnung mit dem menschlichen Anderen scheint in ikonischer Art die Herrlichkeit Gottes durch dessen Antlitz. Das Antlitz des Anderen kann daher (auch bei einer unthematisierten/ungedeuteten Erscheinungsqualität) zum Ort der Gottespräsenz in der Welt werden: Im Überschussmoment der Antlitzalterität kann dieses im Speziellen als Marker der göttlichen Nähe zum Menschen erkannt und verstanden werden. Umso größere Geltung besitzt die theologische Bestimmung des Antlitzes des Menschen als Phänomen der Herrlichkeit dadurch, dass der Sohn in die Schöpfung inkarniert ist und insbesondere die menschliche Natur von Neuem geadelt und in ihrer Ebenbildlichkeitsdimension präsentiert hat. Der Mensch bleibt mit seinem Antlitz die stete Spur Gottes in der Welt. Die Nähe Gottes zu den Menschen findet daher in der Antlitzhaftigkeit des Menschen einen Präsenzmarker, der mitten in der Alltäglichkeit seinen Ort hat. Die höchste Dichte der Präsenz und der Begegnungsintensität findet nach katholischem Verständnis in den Sakramenten der Kirche ihren Platz (vgl. 4.2
6. Fazit
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Die bleibende Begegnung). Sakramente sind nicht als dinghafte Vollzüge am Menschen zu verstehen, sondern weisen ihren spezifischen Eigengehalt dadurch aus, dass sie Kommunikationsmittel zwischen Gott und Menschen sind. Von Gott ausgehend sind sie eine endlich codierte Entität, die aber durch den göttlichen Ursprung einen sakramentalen Überschuss mit sich bringen: Dieser Überschuss als Selbstmitteilung ist aber nicht zwingend selbstevident, sondern will in einladender Weise vom jeweiligen Angesprochenen decodiert werden, damit das Begegnungspotenzial, das von göttlicher Seite ausgehend als Angebot in das Sakrament gelegt wird, aktualisiert wird und in Gegenseitigkeit eine Begegnungswirklichkeit realisiert wird. Zuhöchst ist dies in der Eucharistie ausweisbar, in der sich Jesus Christus in Selbstgabe kommunikativ an die Menschen verschenkt (vgl. Mk 14, 22-24) – in einer Art und Weise, bei der eine größere Relationalität nicht denkbar erscheint, weil die endliche Oberfläche zwar bestehen bleibt, aber über die endliche Oberfläche hinaus eine codierte Überschussdimension der Selbstgabe an den Einzelnen herangetragen wird. In der Eucharistie gibt sich Jesus Christus an den Menschen und bietet ihm in der Begegnung die Gemeinschaft mit ihm und darum auch den Zugang zur Erlösung und die Möglichkeit der eschatologischen Selbstwerdung an: In der Eucharistie geschieht eine erlösende Begegnung.7 Das Beziehungsverhältnis von Gott und Mensch sowie auch von Mensch und Mensch zueinander zeichnet sich demnach durch eine prinzipielle Verwobenheit und ein fundamentales Bezogensein aus. Die Relationen von Gott und Mensch (vom Menschen aus auf seinen Schöpfer hin) sowie vom Menschen untereinander sind daher nicht akzidentiell als Zusatz zu sehen, denn sie bestimmen das Dasein des Menschen, noch bevor es zu einer individuellen Vereinzelungshandlung kommen kann. Ebenso zeigt die menschliche Wirklichkeit, dass das menschliche Dasein von gebrochenen Beziehungen und einer fundamentalen Beziehungsunfähigkeit des Einzelnen geprägt und bestimmt ist. Die Welt des Menschen ist sein Daseinshorizont, in welchen er hineingeboren wird, der nicht nur handlungsprägend, sondern auch wahrnehmungs- und bewusstseinsformend ist. Dieser Horizont bringt daher selbstverständliche, im Sinne von unthematisierten, aber dennoch effektiven Hintergründigkeiten mit sich, die sich zu einer pathologischen Sorge um sich selbst, wie zu einer narzisstischen Eingeschlossenheit in die eigene Innerlichkeit verdichten können. Die Gebrochenheit und die Dialektik der menschlichen Existenz lassen sich insbesondere anhand des Umgangs mit der Ironie aufzeigen (vgl. 5.1 Die Ironie und die Bindungslosigkeit). Mit der paulinischen Geste des ‚als-ob-nicht‘ 7 Vgl. Ratzinger, Eschatologie, S. 167.
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6. Fazit
eröffnet sich dem Einzelnen durch die ironische Vermeidung von Einseitigkeiten eine neue Freiheit, indem allzu enge Gebundenheiten gelockert werden, ohne aber in einen destruktiven Modus übergehen zu müssen. Die Ironie zeigt sich als reflektierende Spielart des Uneigentlichen, die in ihrer sprachlichen Form einen Zwischenraum zwischen Schwur und Lüge einnehmen kann. Da sie zwar durch die Zurückweisungen von ausschließenden Eindeutigkeiten, die ein streng binäres Schema von Innen und Außen nach sich ziehen, eine Negationsdynamik mit sich führt, ist ihr primäres Anliegen nicht die Destruktion aus einer Gewalthaltung, sondern durch ihre reflektierende Infragestellung löst sie gerade auf nicht-gewaltsame Weise allzu enge Bindungen. Eine relativierende Negationsbewegung bestimmt die Eigenart einer solchen (kontrollierten) Ironie. Doch auch die Ironie kann in eine erneute Unfreiheit umschlagen, wenn durch den Einzelnen in einem Negationsexzess alles in Frage gestellt wird. Ein relationsgewährendes Sinnzentrum wird durch die umfassende Infragestellung abgelehnt, weshalb es zu einem Wechsel von relativer zu alles relativierender Ironie kommt: Absolute Ironie. Der Einzelne, der sich solcher universellen Ironie bedient, drückt dadurch einen (selbstgewählten) Absolutheitsgestus aus, der ein fremdgegebenes Sinnzentrum nicht akzeptieren will und stattdessen in einen Negationsexzess übergeht, der alle relationalen Bezüge zur Umwelt aufkündigt. In diesem Absolutheitsgestus präsentiert sich das perverse Spiegelbild menschlicher Autonomie, das mit Zynismus in seiner alltäglichen Bedeutung benannt werden kann. Statt ein angebotenes und vorgegebenes Sinnzentrum zu akzeptieren, verschließt sich der absolute Ironiker gegenüber seiner heteronomen Umwelt und sondert sich in Einsamkeit ab. Die Nichtakzeptanz fremder Sinnhorizonte zeigt seinen Anspruch narzisstischer Deutungshoheit an (vgl. 5.2 Der Exzess der Deutungshoheit), der darin gründet, nur selbstgeschaffene und selbstgegebene Sinnantworten zu akzeptieren. Weil aber aus der Stellung des Menschen in primärer Passivität eine radikale Autonomie nicht möglich ist und auch das menschliche Souveränitätsphantasma stets illusorisch bleibt, kann eine souveräne Sinngabe aus eigener Kraft nicht erfolgen: Die Negationsbewegung findet keinen Halt mehr und verliert sich in einer exzessiven Spirale. Statt einer Lösung von allzu engen Bindungen, die bewegungsunfähig machen, verliert sich der absolute Ironiker in die eigene Innerlichkeit und Einsamkeit, weil er sich von der heteronomen Außenwelt in Verfremdung solipsistisch abwendet. Die Akzeptanz fremder Sinnhorizonte bringt es mit sich, dass es zum Eingeständnis der eigenen Kontingenz kommen kann: Die eigene Endlichkeit, Fragilität und auch Vulnerabilität werden deutlich, indem erkannt wird, dass eine vermeintliche Souveränität gar nicht besteht und auch davor keinen Bestand
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hatte. Die Wendung nach außen und zum Anderen verhindert eine Verkehrung in die innere Geschlossenheit und kann durch ihre Grundhaltung eine existenzielle Statik des Abschlusses verhindern. Das Souveränitätsphantasma, welches auch einen Anspruch und ein Postulat von Unverwundbarkeit zur Konsequenz hat, strotzt dieser Öffnung – der Blick fällt auf das eigene Leben und verkehrt sich ins Innere. Die Chance der Begegnung kann nicht wahrgenommen werden und soll auch gar nicht geschehen, weil sie ein eminentes Risiko für die eigene Sinnperspektive darstellt. Diese Eingeschlossenheit als leidvolle Beziehungsunfähigkeit hält den Menschen davor ab, nicht nur er selbst zu werden, sondern sogar im größeren theologischen Sinn erlöst zu sein bzw. sich von außen kommend erlösen zu lassen. Vielmehr schlägt diese Beziehungsunfähigkeit um und verkehrt das Dasein des Menschen von einer konstitutiv relationalen Wirklichkeit in eine solipsistische, existenzielle Einsamkeit. Der verfangene Mensch versucht sich selbst zu befreien und zu erlösen, wobei er gerade gegen seine Relationalität arbeitet und erlöste Selbstwerdung stets ferner rückt. Die Unmöglichkeit des autonomen Selbstentwurfs und der Subjektwerdung sieht die Theologie nicht als schöpfungsgemäße Grundbestimmung des Menschen an, weswegen sie, um die Verderbtheit des (gequälten und noch viel mehr selbst quälenden) Daseins des Menschen benennen zu können, auf den Begriff der Erbsünde zurückgreift und notwendig auf ihn angewiesen ist. Die Erbsünde zeigt sich als notwendiger Reflexionsbegriff des christlichen Glaubens,8 aber ihr Problem stellt sich als Aporie für eine wissenschaftliche Aufarbeitung dar, da sich das Wesen der Erbsünde sowie der Ursprung des Bösen und der verweigernden Negativität nicht in ihrem Grundgehalt bestimmen lassen: Die Phänomene der erbsündlichen Verfasstheit des Menschen sind wahrnehmbar; sie überformen und prägen die Wahrnehmung und den Welthorizont des Einzelnen, wobei sich diese pervertiert ästhetische Grundverfassung des Menschen anschließend in Narzissmus induzierten Handlungen des Menschen manifestiert. Doch der ontologische Ursprung der Erbsünde wie auch des zersetzenden Negationsexzesses der bösen Haltung bleiben dunkel und uneinsichtig (vgl. 5.3 Das Böse und das verschlossene Selbst). Dennoch
8 Die Notwendigkeit des Erbsündenbegriffs kann in Analogie zur Notwendigkeit der Teufelsmetapher präsentiert werden, da auch die ontologische Herkunft des Bösen nicht in positiver Weise dargelegt werden kann, sondern vielmehr alleine in metaphorischer Prädikation in einer Reflektionsbegrifflichkeit angezeigt werden kann. Der Teufel ist nicht (im eigentlichen Sinn) Inhalt des christlichen Glaubens, aber dennoch drängen die bösen Phänomene der Welt dazu benannt zu werden, wobei aber ihr originärer Ursprung als bleibendes Geheimnis verborgen ist.
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muss dies benannt werden, um jedenfalls anzeigen zu können, dass es nicht nichts ist und sich in einer wahrnehmbaren Phänomengestalt präsentiert. Die Notwendigkeit des Erbsündenbegriffs (vgl. 5.4 Die Erbsünde), um das universelle Ausmaß der Erlösung des Menschen durch die Heilstat Christi anzeigen zu können, bringt es mit sich, dass der Begriff und dessen dogmengeschichtliche Rezeption unaufgebbar sind. Dennoch zeigt sich durch die vorgestellte Aufarbeitung, dass es im entscheidenden Maße ertragreicher und anschlussfähiger an post-metaphysische Diskussionen der Philosophie ist, nicht von der Negativbestimmung des Menschen durch erbsündliche Verfallenheit auszugehen, sondern die christologische Heils-, Hoffnungs- und Erlösungsperspektive als Ausgangspunkt zu nehmen, um zu bestimmen, zu was der Menschen eröffnet und erlöst wurde: Die Erlösung schenkt ihm in der gnadenhaften Begegnung mit Jesus Christus und der annehmenden Fundamentalentscheidung für dieses Ereignis einen neuen, versöhnten Blick, der offen ist für eine personelle Selbstwerdung. Diese vollzieht sich nicht in einer deutungshoheitlichen und solipsistischen Verschlossenheit. Selbstwerdung geschieht in einer heteronomen Begegnung, die irritierend in die Welt des Einzelnen einbricht und zur Selbstwerdung in Anerkennung einlädt. Um diese Begegnung erkennen und erfahren zu können, braucht es den versöhnten Blick, welchen sich der Mensch nicht nehmen, sondern alleine aus der Alterität schenken lassen kann. Dieser Zusammenhang von (endlicher/subjektiver) Perspektive, Erfahrung und zwischenmenschlicher Begegnung zeigt an, dass Selbstwerdung kein intellektuelles und autonomes Geschehen ist, sondern den Menschen in seiner Leiblichkeit wie auch in seiner Gemeinschaftsdimension fordert und auszeichnet. Genau diese Ebene der menschlichen Begegnung hat Gott in Schwachheit mit Inkarnation, Leben, Sterben und Auferstehen Christi gewählt, um den Menschen in seine gnadenhafte Nähe einzuladen. Diese Nähe war nicht auf den historischen Jesus beschränkt, denn durch die Inkarnation wurde die Ebene des Menschen neu geadelt und die Ebenbildlichkeit neu restituiert, so dass die Ewigkeit dann anteilhaft in die Welt einbricht, wenn die leibliche Begegnung in Offenheit und Anerkennung geschieht, so dass sich die Herrlichkeit Gottes auf dem Antlitz des Anderen zeigen kann und das Antlitz des Anderen zur Ikone Christi wird: Die Begegnung mit Christus ist von der präsentischeschatologischen Grundlegung des Gottesreiches nicht durch eine postmortale Zugänglichkeit begrenzt. Das Reich Gottes ist innerweltlich markiert (vgl. Mk 1, 14f.; Mt 11, 2-6). Die Begegnung mit ihm findet in der jetzigen Welt statt. Die größtmögliche Nähe mit Christus, die vor dem Jüngsten Tag möglich ist, findet sich nach katholischem Verständnis in der eucharistischen Begegnung, wo Gabe und Geber durch die Selbstgabe in den eucharistischen Gaben
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zusammenfallen, und die Begegnung mit dem erstandenen Herrn radikal zu eigen und durch das gemeinschaftliche Mahl verinnerlicht wird. Von einer neutralen Perspektive, die jenseits der gläubigen Fundamentalentscheidung steht, kann dies weder erkannt, erfahren oder gar verstanden werden. Es braucht die sakramentalästhetische Offenheit des versöhnten Blicks, um sich durch Brot und Wein hindurch Christus zeigen zu lassen. Besteht diese Offenheit, kann auch die Vollendung der Welt und die Angebrochenheit des Gottesreiches schon erfahren werden, so dass der Mensch nicht alleine in der Welt verweilt, sondern in der erfahrenen Liebe in das Innere des trinitarischen Gottes eingeborgen wird.
Abkürzungsverzeichnis Neben den nachfolgend aufgeführten Abkürzungen sind die weiteren Abkürzungen folgendem Buch entnommen: Schwertner, Siegfried M.: IATG2. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben. Berlin/New York 21992. BdI Kierkegaard, Sören: Über den Begriff der Ironie. Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates (Gesammelte Werke und Tagebücher; Bd. 21). Simmerath 2004. CIC Codex iuris canonici. Codex des kanonischen Rechts. Lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis. Hg. v. der Deutschen Bischofskonferenz. Kevelaer 72012. EG Papst Franziskus. Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium. An die Bischöfe, an die Priester, an die Personen geweihten Lebens und die christgläubigen Laien über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (VAS; 194). Bonn 2013. FuZ Kierkegaard, Sören: Furcht und Zittern (Gesammelte Werke und Tagebücher; 3). Simmerath 2004. GdK Schmaus, Michael: Glaube der Kirche. 6 Bde. St. Ottilien 21979-1982. Hua Husserl, Edmund: Husserliana. Gesammelte Werke. KKK Katechismus der Katholischen Kirche. KdU Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, in: Ders.: Werke in sechs Bänden. Hg. v. Weischedel, Wilhelm. Bd. V. Darmstadt 72011, S. 171-620. KpV Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, in: Ders.: Werke in sechs Bänden. Hg. v. Weischedel, Wilhelm. Bd. IV. Darmstadt 72011, S. 103-302. KrV Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, in: Ders.: Werke in sechs Bänden. Hg. v. Weischedel, Wilhelm. Bd. II. Darmstadt 72011. KuA Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Mit einem neuen Nachwort (stw; 1129). Frankfurt 82014. PhG Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes, in: Ders.: Hauptwerke in sechs Bänden. Bd. 2. Hamburg 2015. SuE Badiou, Alain: Das Sein und das Ereignis. Aus dem Französischen von Gernot Kamecke. Berlin 2005. SuZ Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 192006. ThA Pröpper, Thomas: Theologische Anthropologie. 2 Bde. Freiburg/Basel/Wien 2015. TU Levinas, Emmanuel: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriotität. Übersetzt von Nikolaus Krewani. Freiburg/München 52014. UN I Kierkegaard, Sören: Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken. Bd. 1 (Gesammelte Werke und Tagebücher; 10). Simmerath 2003.
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Personen- und Sachregister Adam 2, 39, 41-42, 44, 46, 60, 98, 120, 174-176, 192, 210, 212, 215, 231, 234, 237 Adorno, Theodor W. 34-35, 123 Ästhetik, ästhetisch 10, 14, 18, 70-71, 80, 83, 116, 165-172, 175-176, 180-181, 191, 228, 230, 235, 239, 243, 245 Agamben, Giorgio 20, 113-114, 123, 142-143, 158-162, 176, 182, 195, 214-215 Alferi, Thomas 12, 78 Alison, James 2-3, 70-71, 75, 215-216, 230-231 Alterität 69, 73-75, 77, 88, 94-97, 101, 109-111, 113, 116, 121, 124-125, 128, 130,-135, 137-139, 156, 172, 174, 192, 200-201, 215, 217, 229, 232, 238-240, 244 Arendt, Hannah 127, 223, 226 Arens, Herbert 152 Aristoteles 106, 235 Arneth, Martin 39, 41, 43 Askani, Hans-Christoph 31, 37, 40, 50, 59, 140-141, 151, 237 Appel, Kurt 115-116, 134, 202 Augustinus 2-4, 6, 38, 45-46, 56, 63, 82, 87, 88-89, 95, 147, 173, 180, 202, 207, 216, 218 Axt-Piscalar, Christine 203, 207-212 Badiou, Alain 7-11, 16, 18-21, 47, 82, 114, 124-129, 132-133, 153-154, 157-158, 163, 165, 199, 238-239 Balthasar, Hans Urs von 6, 10, 27, 31, 49-50, 54, 58, 64, 70, 78, 80, 82-84, 92, 95-96, 99, 101, 133, 142, 155-156, 165, 167-168, 172, 180, 184, 189, 192, 222 Barthes, Roland 28, 234 Basilius von Cäsarea 56, 90-91 Bataille, George 104-106, 110-111 Becker, Jürgen 23 Benjamin, Walter 49, 122 Bergfleth, Gerd 104, 110-111 Berning, Vincent 98-99 Beyrich, Tilman 131 Bieritz, Karl-Heinrich 36-37 Blumenberg, Hans 35, 37 Bonaventura 89, 92-94 Bovon, François 23 Böning, Thomas 128
Brachtendorf, Johannes 202 Brox, Norbert 150, 167 Bruckmann, Florian 160, 173-174, 176, 178, 182, 184 Bründl, Jürgen 39, 59, 82, 165, 172, 220-223, 227-230, 232 Buber, Martin 134, 138 Caputo, John D. 161, 195, 197-198, 206 Chauvet, Louis-Marie 36, 50, 102-103, 115, 125, 156, 171-173, 176-177, 186-187 Cuvillier, Elian 195 Dalferth, Ingolf U. 100, 205-207 Deibl, Jakob 95, 115-116, 119, 166, 187, 202 Derrida, Jacques 13, 43, 48-49, 73, 100, 122, 131, 161, 193, 213, 215 Descartes, René 106-107, 109, 120, 170, 205 Dirscherl, Erwin 86, 96, 99-100, 102, 114, 152, 160, 202 Dünzl, Franz 87, 91-92 Eagleton, Terry 143, 218-220, 222-223, 225-227 Eco, Umberto 234 Eliade, Mircea 32-33, 35-36 Engelmann, Peter 118, 121, 213 Ereignis 2, 6-11, 16-21, 27-31, 33-35, 45, 48-49, 62, 68, 80, 82-83, 85, 110-111, 124-126, 128-129, 132, 142, 153-154, 157-158, 163, 168, 180, 182, 196, 199, 200, 227-228, 232, 238-239, 244 Erhabene 15, 60, 71-72, 80, 83-84, 138, 153 Erotik 104-106, 110-113, 116 Ernst, Stefan 1, 40, 45, 65 Espinet, David 103-104 Essen, Georg 66-67, 69, 233 Exkommunikation 3, 216-217 Faber, Eva-Maria 63-64, 147-148, 150-152 Faust 219 Fichte, Johann Gottlieb 65, 67, 75, 100, 103, 117, 120, 131, 198 Fields, Stephen 168 Finkelde, Dominik 20, 158-161
268 Finkenzeller, Josef 221 Fößl, Thomas Peter 69-70, 106 Forte, Bruno 57, 59 Foucault, Michel 3-4, 97, 122-123, 193, 227 Franke, Ursula 168 Freud, Sigmund 75, 223-224 Fuchs, Otmar 172 Gabe 6-7, 12-19, 26, 50, 59, 64-65, 79-82, 100, 107-112, 137-141, 148-150, 152, 154, 157, 160, 162, 165, 167, 171, 173-176, 178-179, 181-186, 188, 218, 231, 241, 244 Gadamer, Hans-Georg 4-5, 27-28, 213, 231 Ganoczy, Alexandre 6, 57, 89, 91-94, 149, 151-152 Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara 12, 78, 155 Gethmann-Siefert, Annemarie 168-169 Girard, René 2, 184, 187 Gnade 1, 6, 10, 15, 19-20, 27, 29, 44, 46, 48-51, 59, 61-65, 70, 77, 81-84, 91, 98, 112, 114-115, 128, 130, 133, 138, 147-152, 155, 160, 163-164, 171-176, 184-186, 188, 206, 210, 222, 231-232, 244 Gnilka, Joachim 21-22, 24-26, 129, 157, 179, 190-191, 221 Goethe, Johann Wolfgang 219 Gräb-Schmidt, Elisabeth 195-196, 198 Greshake, Gisbert 55, 87-90, 92-94, 98, 100, 102, 147-148, 150, 165, 174, 231 Groys, Boris 211 Grillmeier, Alois 152 Guanzini, Isabella 116 Gunjević, Boris 174, 186 Habermas, Jürgen 144 Han, Byung-Chul 9, 200-201 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 9, 41, 62, 65, 105, 119-120, 134-135, 143, 155, 165, 168-169, 173, 185-186, 196, 198, 205, 225 Heidegger, Martin 6-8, 11-12, 14, 16, 30, 34, 45, 50-51, 69, 79-80, 101, 103-104, 112, 118-119, 121-122, 144, 155, 166, 200, 213, 231 Heteronomie, heteronom 73, 100, 106, 117, 119, 126, 134-135, 137, 175, 191, 200, 203-204, 216-220, 229, 232, 236, 240, 242, 244 Herrlichkeit 10, 22, 24, 26-27, 47-51, 60, 76, 82-84, 99, 101, 115, 128, 133, 136, 142, 150,
Personen- und Sachregister 156, 165, 168, 172, 178, 180-181, 191-191, 237, 240, 244 Hoff, Gregor Maria 171-172 Hoffmann, Veronika 100, 184 Hölle 54, 121, 221-223, 225-226, 228-229 Honneth, Axel 134-136, 138, 173 Hoping, Helmut 65-75, 178-179, 181-182, 203 Horkheimer, Max 32-35, 123 Hünermann, Peter 48, 60, 185, 189 Husserl, Edmund 12, 78-79, 81, 103-104, 109, 131-132 Ikone, ikonisch 17, 24, 30-31, 50-51, 59, 72, 78, 80-83, 111, 132, 136, 142, 152-153, 162, 170, 172, 174, 190-192, 217, 240, 244 Incurvatio 101, 202, 220, 236 Irenäus von Lyon 62, 150 Ironie, ironisch 19, 119, 121-123, 161, 165, 193-202, 204-205, 207, 223, 236-237, 241-242 Jamme, Christoph 34-37 Jankélévitch, Vladimir 194, 199-200, 202 Junker, Tobias 204-205 Kant, Immanuel 5, 15, 18, 65, 66, 69, 71-72, 77, 80, 82, 107, 120, 122, 138, 177, 180, 235 Kasper, Walter 57, 100, 170-171, 174 Kehl, Medard 9, 59-60, 62-63, 164-165, 170, 172-173, 181, 183 Kenosis, kenotisch 95, 152, 156, 187, 189 Kertelge, Karl 26 Keul, Hildegund 166 Kierkegaard, Sören 7, 27, 47, 49, 65, 122, 129-132, 161, 195-199, 203-212, 219, 225-226, 231, 238-239 Klauck, Hans-Josef 128 Klug, Florian 7, 27, 31, 143, 157, 197, 216, 223, 233 Knop, Julia 67 Koch, Günter 176 Kojève, Alexandre 185-186 Kotsko, Adam 45, 115, 120, 129, 190, 231 Lacan, Jaques 5, 19-20, 28, 49, 70, 75, 106, 109-110, 122, 124, 128-129, 137, 156, 172, 177, 185, 186, 196, 197, 202, 220, 223-224 Leib, leiblich 23-24, 26, 81, 82, 102-104, 106-107, 111, 115-118, 127, 138, 149, 164-167,
Personen- und Sachregister 170-177, 179-182, 184, 186, 188, 232, 239, 244 Lévi-Strauss, Claude 32, 34-35, 37 Levinas, Emmanuel 69, 71-77, 80, 100-101, 106, 111, 119, 128, 130-133, 165 Link, Pierre-Carl 166 Liebsch, Burkhard 13, 103 Liessmann, Konrad Paul 165, 208 Luther, Martin 147, 210 Luz, Ulrich 189-191 Lyotard, Franςois 118 Mauss, Marcel 179 Marion, Jean-Luc 6, 7, 12-18, 24, 31, 49, 50, 54, 59, 72, 74, 77-81, 83, 100-101, 106-114, 132-133, 136-142, 152-156, 162-163, 177, 179-180, 183-184, 190, 217, 232 Markschies, Christoph 87 Marx, Karl – Marxismus 6, 123, 211 Marzano, Michela 74, 104, 110, 119 Menke, Karl-Heinz 161-163 Merleau-Ponty, Maurice 102 Metapher 2, 30, 37, 57, 66, 127, 132, 213, 228, 236, 243 Meuffels, Hans Otmar VII 29, 31, 64, 113-114, 164, 166, 170, 172-173, 176, 178, 214, 223, 233 Mitchell, Nathan 183 Müller, Gerhard Ludwig 54, 158, 222 Mythos 32-39, 177, 212, 226, 234, 237 Nancy, Jean-Luc 76, 104, 113, 155-156 Narzissmus, narzisstisch 7, 97-98, 100, 107-110, 112, 116, 121-122, 126-127, 129, 132-133, 137, 139, 142, 154, 162, 166, 172, 184, 192, 200-201, 204, 208, 216-218, 220, 222-225, 231, 229-231, 233-234, 240-243 Neuner, Peter 164 Nietzsche, Friedrich 3, 18, 31, 69-70, 75, 97, 110, 117-119, 127-128, 161, 166, 199, 219, 239 Novatian 217 Oelmüller, Willi 53 Oster, Stefan 125, 133, 137, 166, 178, 180 Pannenberg, Wolfhart 36-37 Parallaxe 5-7, 29, 225
269 Passivität 13, 19, 49-50, 63, 65, 67, 74, 100, 102, 110-111, 119, 131, 133, 147, 153, 160, 175, 189, 196, 206, 213, 217, 224, 235, 242 Person, Personalität 1, 3, 5, 33, 39, 41, 46, 54-59, 61, 64, 67-71, 75, 77, 79, 81, 84-103, 105, 108-111, 115-116, 125, 127, 129, 132-134, 137-138, 140-141, 144, 148-151, 157, 160, 163, 165-166, 171-172, 174, 178-181, 189, 191, 198, 215-217, 220, 222-226, 228-229, 239-240, 244 Pesch, Rudolf 44-45, 132, 179, 184 Pfeuffer, Silvio 128 Platon 15, 49, 58, 73, 139-140, 211, 227 Pornographie 111, 116, 201 Phänomen, gesättigtes 14-17, 72, 74, 77, 80, 83, 101, 111, 152-154, 156, 162, 179, 181 Pröpper, Thomas 1, 63-67, 69-70, 147 Puntel, Lorenz 12, 83, 101 Rendtorff, Rolf 35-36 Rahner, Karl 1-3, 56, 64, 95, 164, 230 Ratzinger, Joseph 39, 54, 88, 96, 183, 221-222, 226, 229, 241 Rechtfertigung 2, 26, 45-46, 51, 61, 112, 140, 147, 149, 174, 184, 189, 206, 209, 218, 222-223, 230-231, 233 Ricœur, Paul 1, 28-32, 34, 36-37, 39, 46, 50, 71, 102, 103, 112, 114, 135, 138-141, 143-144, 209, 213, 220, 225, 227, 236, 238 Ries, Wiebrecht 223 Rombach, Heinrich 93-94, 143 Rolf, Sibylle 208, 212, 231 Ruhstorfer, Karlheinz 3-4, 24, 38, 45-46, 199, 218, 220 Ruster, Thomas 45 Sander, Hans-Joachim 61, 188 Schmaus, Michael 4, 54, 56-58, 62, 64, 88-89, 96, 98, 216, 222 Schnackenburg, Rudolf 25 Scholtissek, Klaus 58 Schönheit 140, 165, 167-169 Schrage, Wolfgang 44, 47, 159 Schwab, Philipp 196, 198 Selbst, Selbstheit, Selbstsein 7, 17, 49, 65, 68, 71, 75, 94-95, 100-103, 108, 116, 118, 122, 129, 131, 136, 185, 191, 203-206, 208, 210, 217, 238, 243
270 Siebenrock, Roman A. 48 Söderquist, Brian K. 195-196, 205, 207 Solipsismus, solipsistisch 6, 18, 29, 65, 67, 75, 78, 108, 133, 139, 192, 205-206, 214, 231, 233-236, 239, 242-244 Souveränität, souverän, Souveränitätsphan tasma 21, 29, 45-46, 51, 117, 121, 124, 126, 128, 170, 177, 184-185, 187, 200-201, 204, 208, 214-215, 217-220, 224-226, 240, 242-243 Stein, Edith 222 Steckeler-Weithofer, Pirmin 106 Stock, Alex 169 Studer, Basil 88-89 Stuflesser, Martin 183 Subjekt, Subjektivität 1, 5, 7-9, 11, 13, 17, 70, 78, 104, 106-107, 109, 110, 114, 116-126, 128-129, 131-133, 136, 156, 158, 160-161, 170, 177, 187, 192, 195, 198-199, 201, 206, 211-212, 218, 227, 239 Sünde 1-4, 38-39, 44-46, 59-61, 63, 66-67, 100, 130, 150, 175-176, 190, 192, 202-203, 208-212, 218-221, 226, 230-231, 240 Tertullian 86-87 TeSelle, Eugene 61 Teufel 39, 44, 228-230, 232, 243 Theobald, Christoph 115 Theobald, Michael 148 Thomas von Aquin 62, 89, 92, 142
Personen- und Sachregister Tillich, Paul 169 Tridentinum, Konzil von Trient 1, 3, 173, 231 Trinität 54, 56, 57, 64, 87-91, 94-98, 133, 170-171, 174, 216 Vattimo, Gianni 31, 47, 118-119, 121, 166, 187 Verzweiflung 129-130, 198, 202-206, 208-209, 211, 222-223, 225, 229 Wagner, Richard 127, 213 Wahrheit 4, 7, 9, 31-35, 46, 49-50, 59-60, 76, 82, 91, 105, 108, 117, 122-125, 127, 135, 138, 144, 168, 187, 192, 208, 211, 213-214, 222, 227-229, 235 Waldenfels, Hans 32, 34, 37 Wendel, Saskia 114 Wenzel, Knut 102, 185 Werbick, Jürgen 89, 148-150 Westermann 38-39, 41, 43 Wittgenstein, Ludwig 10 Wohlmuth, Josef 174, 180, 182-184 Zenger, Erich 22, 26 Zima, Peter V. 117-118, 121, 123, 127 Žižek, Slavoj 5, 7, 9-12, 18-21, 49, 62, 65, 67, 70, 109-110, 114, 120, 124-126, 128-129, 132-133, 137, 155, 165, 174, 177, 185-186, 198-199, 202, 206, 220, 225, 238-239 Zizioulas, Ioannis D. 90-91 Zynismus 201, 242