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German Pages 592 [593] Year 2021
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Umschlagabbildungen: links: Einzug der Araber in Akaba am 6. Juli 1917, © Giancarlo Costa / Bridgeman Images, rechts: britische und britisch-indische Truppen in Jerusalem, 1918, © Pictures from History / Bridgeman Images. Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
»Mitreißend und brillant« SUNDAY TELEGRAPH »Die maßgebliche Darstellung der Transformation des Nahen Ostens in der Zeit des Ersten Weltkriegs. … ein meisterhafter Überblick über Krieg und Niederlage mit einer klugen Interpretation des Völkermords an den Armeniern und der Entstehung der modernen Türkei.« JAY WINTER, YALE UNIVERSITY
wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4307-9
UNTERGANG DER UNTERGANG DES OSMANISCHEN REICHS
Eugene Rogan ist einer der besten Kenner des Nahen und Mittleren Ostens. Aufgewachsen im Mittleren Osten, spricht Rogan sowohl Arabisch als auch Türkisch. Der US-Amerikaner ist Direktor des Middle East Centre in St. Antony’s, dem »Babel der Oxford Colleges«. 2013 erschien auf Deutsch seine große Darstellung »Die Araber. Eine Geschichte von Unterdrückung und Aufbruch«.
Eugene Rogan schildert eindrucksvoll den Kampf und endgültigen Untergang des Osmanischen Reichs von 1908/1914 bis 1920. Der Kriegseintritt der Osmanen hat mehr als jedes andere Ereignis dafür gesorgt, dass der europäische Konflikt zu einem Weltkrieg wurde. Rogan zeigt, welche Bedeutung die osmanische Front sowohl in der Geschichte des Ersten Weltkriegs als auch für die Herausbildung des modernen Nahen Ostens hatte.
Eugene Rogan
DES OSMANISCHEN REICHS
Eugene Rogan
© Keith Barnes
Die vergessene Front im Nahen Osten
DER ERSTE WELTKRIEG IM NAHEN OSTEN 1914 –1920
Das Osmanische Reich, jahrhundertelang einer der mächtigsten Player Europas, reichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer noch von Bosnien bis zum Persischen Golf. Als es 1914 überraschend auf der Seite Deutschlands und ÖsterreichUngarns in den Krieg eintrat, veränderte dies die Kräfteverhältnisse und strategischen Überlegungen grundlegend! Hier, im Mittleren Osten, verlief nun – neben der Westfront – die wichtigste, aber wenig verstandene Front: Die beispiellose Invasion der Briten und Franzosen bei Gallipoli, die als Vorspiel zur Eroberung Istanbuls gedacht war, scheiterte zwar vollständig. Trotzdem aber war die Niederlage gegen die Entente-Mächte unausweichlich, und das Osmanische Reich musste den Weg freimachen für die Schaffung einer neuen Ordnung im Nahen Osten, die bis heute nachwirkt.
Eugene Rogan Der Untergang des Osmanischen Reichs
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Eugene Rogan
DER UNTERGANG DES OSMANISCHEN REICHS Der Erste Weltkrieg im Nahen Osten 1914–1920
Aus dem Englischen übersetzt von Tobias Gabel und Jörn Pinnow
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Isabelle Tui Woods Rogan gewidmet
Die englische Originalausgabe ist 2015 bei Allen Lane / Penguin unter dem Titel The Fall of the Ottomans. The Great War in the Middle East, 1914-1920 erschienen. © 2015 by Eugene Rogan Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. © der deutschen Ausgabe 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Eva Berié, Berlin Gestaltung und Satz: Arnold & Domnick, Leipzig Einbandgestaltung: Martin Veicht, Regensburg Einbandabbildungen: links: Einzug der Araber in Akaba am 6. Juli 1917, © Giancarlo Costa / Bridgeman Images, rechts: britische und britisch-indische Truppen in Jerusalem, 1918, © Pictures from History / Bridgeman Images. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4307-9 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-4301-7 eBook (epub): 978-3-8062-4302-4
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INHALT Vorbemerkung zur Nomenklatur
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Vorwort
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Kapitel 1: Eine Revolution und drei Kriege: 1908–1913
15
Kapitel 2: Der Frieden vor dem Weltkrieg
50
Kapitel 3: Der weltweite Ruf zu den Waffen
79
Kapitel 4: Die ersten Salven: Erzurum, Basra, Aden, Ägypten und das östliche Mittelmeer
106
Kapitel 5: Der Beginn des Dschihad: Osmanische Kriegszüge im Kaukasus und im Sinai
136
Kapitel 6: Der Angriff auf die Dardanellen
171
Kapitel 7: Die Vernichtung der Armenier
209
Kapitel 8: Der osmanische Triumph auf Gallipoli
241
Kapitel 9: Die Invasion Mesopotamiens
280
Kapitel 10: Die Belagerung von Kut
315
Kapitel 11: Der Arabische Aufstand
359
Kapitel 12: Osmanen in der Defensive: Bagdad, der Sinai und Jerusalem
408
Kapitel 13: Von Brest-Litowsk nach Moudros
466
Schluss: Der Untergang des Osmanischen Reichs
503
Anhang
533 Karten 534 Dank 542 Anmerkungen 545 Quellen und Literatur 571 Bildnachweis 581 Register 582
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VORBEMERKUNG ZUR NOMENKLATUR
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war es übliche Praxis, von der Türkei zu sprechen, wenn das Osmanische Reich gemeint war. Damit überging man die ethnische und religiöse Vielfalt des Reichs, in dem Araber, Kurden, Griechen und Armenier ebenso eine osmanische Identität beanspruchen konnten wie die Türken. Um die ermüdende Wiederholung des Wortes „osmanisch“ auf den folgenden Seiten zu vermeiden, wird hier von der alten Praxis Gebrauch gemacht werden und „osmanisch“ und „türkisch“ synonym Verwendung finden, vor allem wenn es um die Armee geht. Soll hingegen eine bestimmte ethnische oder religiöse Gemeinschaft von der türkischen Mehrheit unterschieden werden, wird von „osmanischen Arabern“ oder „osmanischen Armeniern“ die Rede sein. Tendenziell werden im Folgenden Städte auch mit ihren modernen türkischen Namen und nicht mit den Anfang des 20. Jahrhunderts noch verbreiteten europäischen Formen aufgeführt. Insofern finden sich hier eher „Istanbul“ und nicht „Konstantinopel“ sowie „Izmir“ statt „Smyrna“ oder „Trabzon“ anstelle von „Trapezunt“. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass die Leserinnen und Leser diese Städte auf einer modernen Karte schneller zuordnen können. Aus demselben Grund werden auch die arabischen Städte in diesem Buch bei ihren üblichen westlichen Namen genannt – also Beirut, Damaskus, Mekka und Medina anstatt Bayrut, Dimaschq, Makka oder Madina.
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VORWORT
Der Obergefreite John McDonald fiel am 28. Juni 1915 auf Gallipoli. Er wurde 19 Jahre alt und war, ohne es zu wissen, mein Großonkel. Nichts in seinem Leben hatte John McDonald auf diesen Tod in einem weit entfernten Land vorbereitet. Er stammte aus einem kleinen schottischen Dorf in der Nähe von Perth und ging auf das Dollar-Academy-Internat, wo er Charles Beveridge kennenlernte, der sein bester Freund werden sollte. Im Alter von 14 Jahren verließen die beiden die Schule, um sich Arbeit zu suchen: Sie zogen nach Glasgow und fanden eine Anstellung bei der North British Locomotive Company. Als im Sommer 1914 in Europa der Krieg ausbrach, schlossen sich Beveridge und McDonald gemeinsam den Scottish Rifles an (die auch als Cameronians bekannt sind). Die ungeduldigen Rekruten der 8th Scottish Rifles erhielten in den folgenden Monaten ihre Ausbildung und waren neidisch auf jene Bataillone, die schon vor ihnen nach Frankreich in die Schlacht ziehen durften. Erst im April 1915 wurde das 1/8th Battalion zum Dienst gerufen – allerdings nicht nach Frankreich, sondern zum Kampf gegen das Osmanische Reich. McDonald und Beveridge verabschiedeten sich am 17. Mai 1915 von ihren Freunden und Familien und brachen in den Krieg auf. Per Schiff gelangten sie auf die griechische Insel Limnos, die britischen und alliierten Truppen als Stützpunkt für den Angriff auf Gallipoli diente. Als die Freunde am 29. Mai in den Hafen von Moudros einfuhren – einen Monat nachdem mit der Landung auf Gallipoli begonnen worden war –, passierten sie eine riesige Armada von Kriegs- und Transportschiffen, die dort vor Anker lag. Die jungen Rekruten dürften ehrfürchtig die Dreadnoughts und Super-Dreadnoughts bestaunt haben – einige der damals größten Schiffe weltweit. Viele zeigten Spuren des heftigen Kampfs um die Dardanellen, da die Schiffsrümpfe und Schornsteine von türkischer Artillerie getroffen worden waren.
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8 Vorwort
Die Schotten bekamen zwei Wochen Zeit, um sich an den Sommer im östlichen Mittelmeer zu gewöhnen, und zogen dann in die Schlacht. Mitte Juni fuhren sie unter dem Jubel der Soldaten und Matrosen auf den noch nicht zum Einsatz befohlenen Schiffen aus Moudros ab. Nur jene, die schon auf Gallipoli gewesen waren und daher wussten, was auf die unschuldig dreinblickenden jungen Rekruten wartete, hielten ihre Begeisterung im Zaum. Ein Cameronian erinnerte sich: „Wir riefen zu einem Schiff voller kranker und verwundeter Australier hinüber: ‚Sind wir deswegen entmutigt? Nein!‘, als ein australischer Witzbold brüllend antwortete: ‚Nun, dann seid ihr es aber in Kürze.‘ Auch wenn unsere Jungs von dieser Antwort ein wenig verblüfft waren, so zeigten sie sich doch nicht von ihr überzeugt.“1 Am 14. Juni war das gesamte Bataillon sicher an Land. Vier Tage später rückten die 8th Scottish Rifles eine steile Klamm namens Gully Ravine zur Front hinauf. Durch das nie nachlassende Maschinengewehr- und Artilleriefeuer, für das Gallipoli bereits berüchtigt war, erlitten die Cameronians schon in den Schützengräben erste Verluste. Als den Scottish Rifles der Befehl zum Angriff auf die türkischen Stellungen erteilt wurde, hatten sie ihren jungenhaften Enthusiasmus bereits verloren. Ein Offizier hielt später fest: „Ob es eine Vorahnung war oder nur die Belastung durch die erst kurz zuvor übertragene Verantwortung, ich konnte jedenfalls [unter den Soldaten] keine Siegesgewissheit spüren.“2 Dem britischen Angriff vom 28. Juni war ein zweistündiger Beschuss durch Schiffskanonen vorausgegangen. Augenzeugen bezeichneten die Bombardierung als unwirksam – das Feuer war bei Weitem nicht ausreichend, um die entschlossenen osmanischen Soldaten aus ihren Verteidigungsstellungen zu vertreiben. Der britische Angriff begann wie geplant um 11 Uhr. Wie an der Westfront kletterten die Männer auf das schrille Pfeifsignal hin aus ihren Gräben. Als die Cameronians hinaufgestiegen waren, empfing sie das volle Feuer der osmanischen Soldaten, die, unbeeindruckt vom Bombardement der britischen Schiffe, in ihren Stellungen verharrten. Innerhalb von nur fünf Minuten waren die 1/8th Scottish Rifles praktisch ausgelöscht. John McDonald starb an seinen Verwundungen im Krankenlager vor Ort und wurde auf dem Lancashire Landing Cemetery beigesetzt. Charles Beveridge starb außerhalb der Reichweite der Krankenträger. Seine Überreste konnten erst nach dem Friedensschluss von 1918 geborgen werden, als seine Knochen bereits nicht
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Vorwort 9
mehr von denen der Männer zu unterscheiden waren, die neben ihm zu Tode gekommen waren. Er liegt in einem Massengrab; sein Name wurde in das große Mahnmal am Kap Helles eingraviert. Das Schicksal der beiden Cameronians brachte Schrecken und Trauer über ihre Freunde und Familien in Schottland. Die Dollar Academy veröffentliche in der Herbstausgabe ihrer Vierteljahreszeitschrift Nachrufe auf John McDonald und Charles Beveridge. Die Zeitschrift beschrieb die beiden jungen Männer als allerbeste Freunde: „Sie arbeiteten zusammen, sie lebten in den gleichen Zimmern, meldeten sich zusammen bei der Armee und ‚in ihrem Tod waren sie nicht getrennt‘.“ Der Nachruf endete mit den Worten: „Beide waren sie junge Männer von herausragendem Charakter und der Positionen, die sie einnahmen, würdig.“ Auch den trauernden Eltern sprach man Mitgefühl aus. Der Schmerz war größer, als dass ihn meine Urgroßeltern hätten schultern können. Nur ein Jahr nach dem Tod ihres einzigen Sohnes wagten die McDonalds den außergewöhnlichen Schritt und verließen noch während des Krieges Schottland, um sich in den Vereinigten Staaten niederzulassen. Im Juli 1916 – die deutschen U-Boot-Angriffe auf die AtlantikSchifffahrt waren gerade unterbrochen – nahmen sie zusammen mit ihren beiden Töchtern ein Schiff mit dem für sie ergreifenden Namen SS Cameronia und reisten nach New York. Sie kehrten nie nach Europa zurück. Schlussendlich landete die Familie in Oregon, wo meine Großmutter mütterlicherseits später heiratete und meine Mutter und meinen Onkel zur Welt brachte. Sie und all ihre Nachfahren verdanken ihr Leben dem verfrühten Tod von John McDonald. Meine persönliche Verbindung zum Ersten Weltkrieg ist alles andere als einzigartig. Eine 2013 im Vereinigten Königreich durchgeführte Umfrage der YouGov-Agentur fand heraus, dass 46 Prozent aller Briten ein Familienmitglied hatten oder in ihrem unmittelbaren Umfeld eine Person kannten, die im Ersten Weltkrieg gedient hatte. Solche persönlichen Verbindungen erklären auch noch mehr als ein Jahrhundert nach seinem Ausbruch die anhaltende Faszination für diesen Krieg. Das schiere Ausmaß der Mobilisierung und das Gemetzel trafen in den Ländern, die von dem Konflikt betroffen waren, so gut wie jede Familie.3 Ich erfuhr von der Geschichte meines Großonkels, als ich mich 2005 auf eine Reise nach Gallipoli vorbereitete. Meine Mutter Margaret, mein Sohn
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Richard und ich, die Vertreter dreier Generationen, brachen zu den Kriegsgräbern auf, um unseren Respekt zu bezeugen, und waren damit seit 90 Jahren die ersten Familienangehörigen, die John besuchten. Als wir über die gewundenen Straßen der Halbinsel Gallipoli zum Lancashire Landing Cemetery fuhren, bogen wir an einer Stelle falsch ab und landeten beim Nuri-Yamut-Denkmal, das an die türkischen Kriegstoten des 28. Juni erinnert – an genau jene Schlacht, in der John McDonald und Charles Beveridge ums Leben kamen. Das Denkmal für die türkischen Gefallenen der Schlacht um Gully Ravine, auf Türkisch Zığındere, war eine absolute Entdeckung für mich. Während die Einheit meines Großonkels etwa 1400 Männer verlor – etwa die Hälfte all ihrer Soldaten – und die britischen Verluste insgesamt rund 3800 Soldaten betrugen, kamen bis zu 14 000 Osmanen bei diesen Kämp�fen ums Leben. Das Nuri-Yamut-Denkmal ist das Massengrab für all diese osmanischen Soldaten, die unter einer schlichten Marmorgrabplatte mit der einfachen Aufschrift „Şehidlik 1915“ („Märtyrertod 1915“) beerdigt wurden. Alle Bücher, die ich über die Cameronians gelesen hatte, behandelten die furchtbare Verschwendung von britischem Leben an dem Tag, an dem auch mein Großonkel starb. Keine der englischen Quellen hatte die Tausenden türkischen Toten auch nur erwähnt. Es war ernüchternd, zu erkennen, dass die Zahl der trauernden türkischen Familien die Zahl jener, die in Schottland weinten, deutlich überstieg. Ich reiste von Gallipoli mit der Erkenntnis ab, wie wenig wir im Westen über die türkischen und arabischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg wissen. Die Unmenge der auf Englisch publizierten Bücher über die verschiedenen Fronten im Nahen Osten betrachteten ausschließlich britische oder alliierte Erlebnisse. Gallipoli galt als „Churchills Debakel“; Kut alAmara war die „Kapitulation von Townshend“; der Aufstand der Araber wurde von „Lawrence von Arabien“ angeführt; es ging um „Maudes Einzug“ in Bagdad und „Allenbys Eroberung“ von Jerusalem. Sozialhistoriker, die sich der Umkehrung der offiziellen Geschichtsbetrachtung, die immer von oben nach unten verlief, verschrieben hatten, erforschten die Erfahrungen der einfachen Soldaten. Sie lasen die Tagebücher und Briefe, die in den Archiven der privaten Unterlagen des Londoner Imperial War Museum, im Australian War Memorial in Canberra oder in der Alexander Turnbull Library in Wellington zu finden sind. Nach einem Jahrhundert
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Vorwort 11
der Forschung verfügen wir über ein umfassendes Wissen über die alliierte Seite der Schützengräben. Doch wir haben gerade erst begonnen, uns auch die andere Seite anzuschauen – die Erfahrungen der osmanischen Soldaten, die sich in einem verzweifelten Überlebenskampf gegen mächtige Invasoren befunden hatten. Es ist recht schwer, sich der osmanischen Front von der türkischen Seite der Schützengräben aus zu nähern. Auch wenn es Dutzende auf Türkisch oder Arabisch veröffentlichte Tagebücher und Autobiografien gibt, so verfügen nur wenige Wissenschaftler im Westen über die Sprachkenntnisse, diese auch zu lesen, und nur ein Bruchteil der veröffentlichten Primärquellen liegt in Übersetzungen vor. An Archivmaterialien zu gelangen scheint noch schwieriger. Das Türkische Archiv für militärische und strategische Studien in Ankara (Askeri Tarih ve Stratejic Etüt Başkanlığı Arşivi, kurz ATASE) besitzt die größte Sammlung an Primärmaterialien aus dem Ersten Weltkrieg im Nahen Osten. Doch der Zugang zum ATASE wird streng überwacht, und Forscher benötigen hierfür eine Sicherheitsfreigabe, deren Erteilung Monate dauern kann – und häufig genug verwehrt wird. Große Teile des Archivs sind für Wissenschaftler gesperrt, die zudem mit Einschränkungen beim Kopieren des Materials leben müssen. Einer Reihe türkischer und westlicher Forscher wurde dennoch Zutritt gewährt, und sie beginnen nun mit der Veröffentlichung wichtiger Analysen zu den osmanischen Erfahrungen im Weltkrieg. Andernorts im Nahen Osten wurden die Nationalarchive, sofern sie überhaupt existieren, erst deutlich nach dem Krieg gegründet und legen keinen besonderen Schwerpunkt auf den Weltkrieg.4 Die Vernachlässigung des Ersten Weltkriegs in arabischen Archiven spiegelt sich allgemein auch in den arabischen Gesellschaften wider. Anders als in der Türkei, in der das Schlachtfeld Gallipoli mit türkischen Mahnmalen übersät ist und jedes Jahr Gedenkveranstaltungen abgehalten werden, gibt es in den Städten und Dörfern der arabischen Welt keine Kriegsdenkmäler. Auch wenn so gut wie jeder moderne arabische Staat auf irgendeine Weise in den Weltkrieg hineingezogen worden ist, wird der Konflikt als ein Krieg der anderen erinnert – eine Zeit des Leidens, die dem arabischen Volk vom angeschlagenen Osmanischen Reich und dessen unbesonnener jungtürkischer Führung zugemutet wurde. In der arabischen Welt hat der Erste Weltkrieg Märtyrer hinterlassen (vor allem jene arabi-
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schen Aktivisten, die auf den zentralen Plätzen in Beirut und Damaskus gehängt wurden, welche man in beiden Städten später in „Märtyrerplatz“ umbenannte), aber keine Helden. Es wird Zeit, die osmanische Front an die richtige Stelle zu rücken und zwar sowohl in der Geschichte des Ersten Weltkriegs als auch in der des Nahen Ostens. Denn der Kriegseintritt der Osmanen hat mehr als jedes andere Ereignis dafür gesorgt, dass der europäische Konflikt zu einem Weltkrieg wurde. Im Gegensatz zu den kleineren Auseinandersetzungen im Fernen Osten oder Ostafrika wurden im Nahen Osten über die gesamten vier Jahre des Krieges hinweg große Schlachten geschlagen. Darüber hinaus waren die Schlachtfelder des Nahen Ostens häufig die internationalsten des Krieges: Australier und Neuseeländer, alle Völker aus Südasien, Nordafrikaner, Senegalesen und Sudanesen machten gemeinsame Sache mit Franzosen, Engländern, Walisern, Schotten und Iren gegen türkische, arabische, kurdische, armenische und tscherkessische Soldaten in der osmanischen Armee und ihre deutschen und österreichischen Verbündeten. Die osmanische Front war ein veritabler Turmbau zu Babel, ein so noch nie dagewesener Konflikt zwischen internationalen Armeen. Die meisten Kriegsplaner aufseiten der Entente hielten die Kämpfe im Osmanischen Reich für einen Nebenschauplatz, für kaum so bedeutend wie die Kriegsereignisse an der West- und Ostfront. Einflussreiche Briten wie Horatio Herbert Kitchener und Winston Churchill sprachen sich nur deshalb für einen Krieg gegen die Türken aus, da sie fälschlicherweise davon ausgingen, dies würde den Alliierten einen schnellen Sieg über die Mittelmächte bescheren und damit das Ende des Krieges beschleunigen. Dabei unterschätzten die Alliierten ihren Gegner und fanden sich bald in große Kriegszüge verwickelt – im Kaukasus, an den Dardanellen, in Mesopotamien und Palästina –, die Hunderttausende Männer von der Westfront abzogen und den Weltkrieg damit nur verlängerten. Das alliierte Versagen an der osmanischen Front löste schwere politische Krisen in der Heimat aus. Die fehlgeschlagene Gallipolioffensive zwang den liberalen britischen Premierminister Herbert Henry Asquith im Mai 1915 in eine Koalitionsregierung mit den Konservativen und trug zu Asquiths Sturz im darauffolgenden Jahr bei. Die britischen Niederlagen auf Gallipoli und in Mesopotamien führten zu zwei separaten Unter-
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suchungsausschüssen im britischen Parlament, deren Ergebnisse gleichermaßen vernichtend über die politischen wie militärischen Entscheider ausfielen. Nicht nur dass die Osmanen den europäischen Konflikt zu einem Weltkrieg werden ließen, der Weltkrieg formte auch den modernen Nahen Osten. Kein Teil dieser Region blieb von den Verwüstungen verschont. Aus der gesamten Türkei und den arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs sowie aus jedem Kolonialstaat in Nordafrika wurden Männer re krutiert. Auch die Zivilisten litten unter dem wirtschaftlichen Niedergang und den mit dem Krieg einhergehenden Epidemien. Gekämpft wurde auf den Gebieten der heutigen Staaten Ägypten, Jemen, Saudi-Arabien, Jordanien, Israel und Palästina, Syrien, Libanon, Irak, Türkei und Iran. Die Mehrzahl dieser Länder entwickelte eine Eigenstaatlichkeit als direkte Folge des Untergangs des Osmanischen Reichs, der mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs besiegelt war. Der Untergang des Osmanischen Reichs war ein epochales Ereignis. Mehr als sechs Jahrhunderte lang beherrschten die Osmanen das größte islamische Reich der Welt. Gegründet am Ende des 13. Jahrhunderts durch Stämme aus Zentralasien, erwies sich das osmanische Sultanat als jene Dynastie, die Byzanz sowohl in Kleinasien als auch auf dem Balkan herausfordern sollte. Mit der Eroberung der byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel 1453 durch Sultan Mehmed II. waren die Osmanen zur bedeutendsten Macht im Mittelmeerraum aufgestiegen. Mit Konstantinopel (später in Istanbul umbenannt) als ihrer Hauptstadt dehnten die Osmanen ihre Eroberungen rasch weiter aus. 1516 besiegte Selim I. das in Kairo ansässige Mamlukenreich und fügte Syrien, Ägypten und die Provinz Hedschas am Roten Meer dem osmanischen Besitz hinzu. 1529 war es dann Sultan Süleyman I. der Prächtige, der vor den Toren Wiens auftauchte und in ganz Europa für Schrecken sorgte. Bis zu ihrem letzten Angriff auf Wien 1683 expandierten die Osmanen weiter. Ihr Reich erstreckte sich über drei Kontinente und umfasste den Balkan, Kleinasien (bei den Türken unter dem Namen Anatolien bekannt), das Schwarze Meer und die meisten arabischen Länder vom Irak bis an die Grenze Marokkos. In den folgenden zwei Jahrhunderten wurden die Osmanen von der Dynamik Europas überrollt. Sie begannen, Kriege gegen ihre Nachbarn zu
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verlieren – gegen das Russische Reich unter Katharina der Großen und gegen die habsburgischen Kaiser, deren Hauptstadt Wien sie ehemals bedroht hatten. Seit 1699 wurde das osmanische Territorium durch äußeren Druck kleiner. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts verloren die Osmanen nach und nach Gebiete an neue nationalistische Bewegungen, die in ihren Balkanprovinzen auftauchten. Griechenland griff als Erstes nach der Unabhängigkeit, nachdem es acht Jahre gegen Istanbuls Vorherrschaft angekämpft hatte (1821–1829). Rumänien, Serbien und Montenegro sicherten sich 1878 ihre Unabhängigkeit, wohingegen Bosnien, die Herzegowina und Bulgarien sich zur selben Zeit mehr Autonomie verschaffen konnten. Die europäischen Großmächte streckten weiterhin die Hände nach osmanischem Gebiet aus, so beanspruchte Großbritannien zwischen 1878 und 1882 Zypern und Ägypten, Frankreich besetzte 1881 Tunesien und Russland annektierte 1878 drei Gebiete im osmanischen Kaukasus. Da es gegen innere wie äußere Bedrohungen um sein Staatsgebiet kämpfen musste, sagten politische Analysten zu Beginn des 20. Jahrhunderts den unmittelbar bevorstehenden Untergang des Osmanischen Reichs voraus. Eine Gruppe junger, patriotischer Offiziere, die sich selbst die Jungtürken nannten, hielt dagegen die Hoffnung hoch, das Reich durch eine Verfassungsreform wiederbeleben zu können. 1908 erhoben sie sich in einem verzweifelten Versuch, ihren Staat zu retten, gegen das autoritäre Regime von Sultan Abdülhamid II. (reg. 1876–1909). Mit dem Aufstieg der Jungtürken an die Macht begann für die Osmanen eine Phase bis dato unbekannter Turbulenzen, die das Reich schlussendlich in seinen letzten und größten Krieg hineinziehen sollten.
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KAPITEL 1 EINE REVOLUTION UND DREI KRIEGE: 1908–1913
Zwischen 1908 und 1913 geriet das Osmanische Reich von innen wie von außen unter enormen Druck. Mit der Revolution der Jungtürken 1908 wurden seine politischen Institutionen wie nie zuvor auf die Probe gestellt. Reformer im Inneren strebten danach, es ins 20. Jahrhundert zu führen. Zeitgleich entfachten europäische Kolonialmächte und die neu gebildeten Balkanstaaten Krieg gegen die Türken um das osmanische Territorium. Zudem bemühten sich armenische und arabische Reformer um größere Autonomie vom geschwächten türkischen Zentralstaat. All diese Entwicklungen sollten die Agenda der osmanischen Regierung bis 1914 bestimmen und die Grundlagen für die Rolle des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg legen.
* Der in die Jahre gekommene Sultan Abdülhamid II. berief am 23. Juli 1908 sein Kabinett zu einer Krisensitzung ein. Der autokratische Monarch stand der größten innenpolitischen Bedrohung seiner mehr als dreißigjährigen Herrschaft gegenüber. Die osmanische Armee in Makedonien – jener volatilen Balkanregion, aus der die modernen Staaten Griechenland, Bulgarien und Nordmazedonien hervorgehen sollten – hatte eine Rebellion angezettelt und verlangte die Wiederherstellung der Verfassung von 1876 und eine Rückkehr zur parlamentarischen Regierung. Der Sultan kannte die Inhalte dieser Verfassung besser als viele seiner Gegner. Ihre Verkündung war 1876 eine seiner ersten Maßnahmen, nachdem er den osmanischen Thron bestiegen hatte. Die Verfassung war zugleich der Höhepunkt eines vierzigjährigen, von der Regierung angeführten Reformprozesses geworden – eine Phase, die auch unter dem Namen Tanzimat bekannt wurde. Zu diesem
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16 Kapitel 1
Zeitpunkt galt der Sultan als aufgeklärter Reformer. Im Laufe seiner Herrschaft aber wandelte sich Abdülhamid vom Reformer zum Absolutisten. Die Wurzeln von Abdülhamids Absolutismus finden sich in einer Reihe von Krisen, mit welchen sich der junge Sultan gleich zu Beginn seiner Regierungszeit konfrontiert sah. Das Reich, das er von seinen Vorgängern übernommen hatte, befand sich in Unordnung. Die Staatskasse war 1875 für bankrott erklärt worden, woraufhin die europäischen Gläubiger rasch Wirtschaftssanktionen gegen die Regierung des Sultans forderten. Nachdem die Osmanen 1876 bulgarische Separatisten blutig zurückgeschlagen hatten – in der westlichen Presse war von „Gräueltaten in Bulgarien“ die Rede –, stand die europäische Öffentlichkeit den Osmanen zunehmend ablehnend gegenüber. Der Liberale William Gladstone sorgte in Großbritannien für die Verurteilung der Türkei, und gegen Russland braute sich ein Krieg zusammen. Dieser Druck ging an den Herrschern des Reichs nicht spurlos vorüber: Eine mächtige Gruppe reformorientierter Offiziere setzte Sultan Abdülaziz (reg. 1861–1876) ab, der nicht einmal eine Woche später tot in seinem Palast aufgefunden wurde – es sah nach einem Selbstmord aus, da die Adern an seinem Handgelenk aufgeschlitzt waren. Sein Nachfolger, Murad V., erlitt nach nur drei Monaten auf dem Thron einen Nervenzusammenbruch. Vor diesem unheilvollen Hintergrund bestieg am 31. August 1876 der dreiunddreißigjährige Abdülhamid II. den Thron. Mächtige Kabinettsminister drängten den neuen Sultan zur Einführung einer liberalen Verfassung und eines gewählten Parlaments mit muslimischen, christlichen und jüdischen Abgeordneten, um damit die weitere europäische Einmischung in die inneren osmanischen Angelegenheiten abzuwehren. Abdülhamid gab den Forderungen der Reformer in seiner Regierung nach, jedoch eher aus Pragmatismus denn aus echter Überzeugung. Er verkündete am 23. Dezember 1876 die osmanische Verfassung und eröffnete am 19. März 1877 die erste Sitzung des gewählten Parlaments. Kaum hatte sich die Versammlung zusammengefunden, als das Reich auch schon in einen zerstörerischen Krieg mit Russland gezogen wurde. Das Russische Reich verstand sich als Nachfolger von Byzanz und als geistiges Oberhaupt der östlich-orthodoxen Kirche. Auch Russland verfolgte expansionistische Ziele. Es begehrte die osmanische Hauptstadt Istanbul, die bis 1453 Zentrum der orthodoxen Christenheit sowie unter dem
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Namen Konstantinopel byzantinische Hauptstadt gewesen war. Dem Ansinnen Russlands lagen allerdings mehr als nur kulturelle Ambitionen zugrunde. Hätte sich Istanbul in ihrem Besitz befunden, hätten die Russen den geostrategisch wichtigen Bosporus und die Dardanellen kontrollieren können, über die ihre Häfen im Schwarzen Meer mit dem Mittelmeer verbunden waren. Im 19. Jahrhundert lag es jedoch im Interesse der europäischen Nachbarn Russlands, die Flotte des Zaren auf das Schwarze Meer zu begrenzen, weshalb sie die territoriale Integrität des Osmanischen Reichs bewahrt sehen wollten. Da sich die Übernahme Istanbuls und die Beherrschung der Meerenge nicht realisieren ließen, nutzten die Russen nationalistische Unabhängigkeitsbewegungen auf dem Balkan aus, um sich in osmanische Angelegenheiten einzumischen, während sie zugleich ihre Gebietsansprüche immer wieder durch Kriege untermauerten. Ende 1876 boten Unruhen in Serbien und Bulgarien Russland die Gelegenheit zu einem weiteren Expansionskrieg. Nachdem sie sich der österreichischen Neutralität versichert hatten und Rumänien den Durchmarsch russischer Truppen genehmigte, erklärte Russland im April 1877 den Osmanen den Krieg. Den Truppen des Zaren gelangen bei ihrem Zweifrontenangriff rasch Geländegewinne im osmanischen Teil des Balkans. Sie massakrierten auf ihrem Vormarsch durch den Kaukasus in Ostanatolien türkische und muslimische Bauern. In den osmanischen Gebieten löste der russische Angriff öffentliche Empörung aus. Sultan Abdülhamid II. setzte auf die islamische Karte, um sich für den Krieg gegen Russland die Unterstützung des Volkes zu sichern. Er schwang das Banner des Propheten Mohammed, das seit der Eroberung der arabischen Länder im 16. Jahrhundert in osmanischem Besitz war, und erklärte den Dschihad, den Heiligen Krieg, gegen die Russen. Die Bevölkerung versammelte sich hinter ihrem Krieger- Sultan, und viele meldeten sich freiwillig für den Militärdienst oder spendeten Geld für den Krieg. Die Truppen konnten dann auch zunächst den russischen Vormarsch auf osmanisches Territorium stoppen. Während Abdülhamid für seine Kriegsbemühungen öffentliche Unterstützung bekam, sahen die Parlamentsabgeordneten das Handeln der Regierung in diesem Konflikt zunehmend kritisch. Trotz des vom Sultan ausgerufenen Dschihad war den Russen gegen Ende 1877 ein weiterer Vormarsch gelungen, Ende Januar 1878 standen sie vor den Außenbezirken Istanbuls. Im Februar berief der Sultan ein Treffen mit Parlamentariern
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ein, um sich über die Fortsetzung des Krieges zu beraten. Ein Abgeordneter, der Vorsitzende der Bäcker-Gilde, tadelte den Sultan: „Sie haben zu spät um unsere Meinung gefragt; Sie hätten uns um Rat ersuchen sollen, als es noch möglich gewesen war, die Katastrophe zu vermeiden. Die Kammer weist alle Verantwortung für eine Situation zurück, mit der sie nichts zu tun hat.“ Dieser Einwurf des Bäckers überzeugte den Sultan offenbar davon, dass das Parlament für die nationale Sache eher ein Hindernis denn eine Unterstützung darstellte. Am nächsten Tag setzte Abdülhamid die Verfassung außer Kraft, löste das Parlament auf und stellte einige der kritischsten Abgeordneten unter Hausarrest. Abdülhamid übte von nun an direkte Kontrolle über die Staatsangelegenheiten aus. Zu diesem Zeitpunkt war die militärische Lage allerdings bereits hoffnungslos, und der junge Sultan musste im Januar 1878 – als das russische Heer vor den Toren seiner Hauptstadt stand – einen Waffenstillstand schließen.1 Als Folge der Niederlage gegen Russland im Jahre 1878 sahen sich die Osmanen gezwungen, die auf dem Berliner Kongress (Juni–Juli 1878) in einem Friedensvertrag vereinbarten starken Gebietsverluste hinzunehmen. Organisiert vom Deutschen Reich und mit Vertretern der europäischen Mächte Großbritannien, Frankreich, Österreich-Ungarn und Italien besetzt, sollte der Kongress nicht nur den Russisch-Türkischen Krieg beenden, sondern auch die zahlreichen Konflikte auf dem Balkan lösen. Die verabschiedeten Vertragsbedingungen erlegten den Osmanen den Verlust von zwei Fünfteln ihres Territoriums und einem Fünftel ihrer Bevölkerung auf dem Balkan und in Ostanatolien auf. Zu den abzutretenden Gebieten gehörten drei Provinzen in der Kaukasusregion des östlichen Anatoliens – Kars, Ardahan und Batumi (damals Batoum oder Batum genannt) –, die zum türkisch-muslimischen Kernland gehörten und mit deren Verlust sich die Osmanen nicht abfinden konnten. Diese Regionen sollten zum Elsass-Lothringen der Osmanen werden. Sie verloren noch weitere Gebiete an die europäischen Mächte, auch solche, die nicht im Vertrag von Berlin festgelegt worden waren. Großbritannien sicherte sich 1878 Zypern als Kolonie, Frankreich besetzte 1881 Tunesien, und nach seiner Intervention in der ägyptischen Krise von 1882 stellte Großbritannien die autonome osmanische Provinz unter britische Kolonialherrschaft. Diese Verluste dürften Sultan Abdülhamid II. in der Auffassung bestärkt haben, er müsse das Osmanische Reich mit strenger
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Hand regieren, um die weitere Zerstückelung seines Reichs durch gierige europäische Mächte zu verhindern. Zu seinen Gunsten lässt sich festhalten, dass Abdülhamid die osmanischen Gebiete zwischen 1882 und 1908 tatsächlich zusammenhielt. Die territoriale Integrität wurde jedoch auf Kosten politischer Bürgerrechte erkauft. Abdülhamids autokratischer Herrschaftsstil führte schließlich zum Entstehen einer zunehmend organisierten Oppositionsbewegung. Die Jungtürken waren eine vielgestaltige Koalition von Parteien, die das gemeinsame Ziel verband, Abdülhamids Absolutismus in die Schranken zu weisen, die Verfassung wieder in Kraft zu setzen und zur parlamentarischen Demokratie zurückzukehren. Unter dem Schirm der Jungtürken gehörte das Komitee für Einheit und Fortschritt (KEF), eine Anfang der 1900er-Jahre von Zivilisten und Militärs gegründete geheime Organisation, zu den bekanntesten Parteien. Obgleich das KEF in allen Teilen des Osmanischen Reichs vertreten war – in den arabischen Ländern, den türkischen Provinzen und auf dem Balkan – erlebte die Bewegung doch vor allem in den türkischen und arabischen Provinzen die stärkste Repression. Um 1908 bildeten die verbliebenen osmanischen Gebiete auf dem Balkan das Zentrum der KEF-Operationen – in Albanien, Makedonien und Thrakien.2 Im Juni 1908 deckten Spione im Dienste des Sultans eine KEF-Zelle in der osmanischen 3. Armee in Makedonien auf. Angesichts des drohenden Kriegsgerichts entschlossen sich die Militärs zu handeln. Am 3. Juli 1908 führte der KEF-Leiter Oberleutnant Ahmed Niyazi 200 bewaffnete Soldaten und zivile Unterstützer zum Aufstand und verlangte, der Sultan müsse die Verfassung von 1876 wieder einsetzen. Sie alle gingen davon aus, diese Revolte nicht zu überleben. Doch die Rebellen konnten die Öffentlichkeit auf ihre Seite ziehen, und die Bewegung gewann an Fahrt, da sie von immer größeren Teilen der Bevölkerung getragen wurde. Ganze Städte in Makedonien erhoben sich und erklärten, dass bei ihnen fortan wieder die Verfassung gelte. Ein jungtürkischer Hauptmann namens Damad İsmail Enver – der später als Enver bekannt werden sollte – setzte unter öffentlichem Beifall die Verfassung in den makedonischen Städten Köprülü und Tikveş wieder in Kraft. Die osmanische 3. Armee drohte mit einem Marsch auf Istanbul, um der Verfassung auch in der Hauptstadt des Reichs wieder Geltung zu verschaffen.
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Drei Wochen später hatte sich die revolutionäre Bewegung derart vergrößert, dass der Sultan sich nicht mehr auf die Loyalität seines Militärs verlassen konnte, um den Aufstand in Makedonien niederzuschlagen. Damit war es am 23. Juli Zeit für die bereits erwähnte Krisensitzung seines Kabinetts. Man traf sich im Yıldız-Palast, der auf der europäischen Seite Istanbuls auf einem Hügel und mit Blick auf den Bosporus errichtet worden war. Von der Erscheinung des fünfundsechzigjährigen Sultans eingeschüchtert, vermieden die Minister, die entscheidende Frage nach der Wiedereinsetzung der Verfassung anzusprechen. Sie beratschlagten stundenlang, wer an der Situation schuld sei, anstatt notwendige Lösungen für die Krise zu besprechen. Nachdem er sich einen Tag lang die Ausflüchte seiner Minister angehört hatte, beendete Abdülhamid die Diskussion. „Ich werde dem Strom folgen“, erklärte er seinem Kabinett. „Die Verfassung wurde unter meiner Regierung zum ersten Mal verkündet. Ich war es, der ihr Gültigkeit verschaffte. Aus Sicherheitsgründen wurde sie aufgehoben. Ich wünsche, dass meine Minister nun eine Erklärung vorbereiten“, mit der die Verfassung wieder in Kraft gesetzt wird. Die erleichterten Minister folgten den Befehlen des Sultans umgehend und schickten Telegramme in alle Provinzen des Reichs, um den Beginn einer zweiten Verfassungsära anzukündigen. Man feierte die Jungtürken, die den Sultan durch eine Revolution zur Rückkehr zur Verfassung gezwungen hatten.3 Es dauerte einen Moment, bis die Nachrichten bei allen angekommen waren. Die Zeitungen brachten die Neuigkeit ohne fette Überschriften oder Kommentare: „Das Parlament wurde auf Befehl seiner Kaiserlichen Majestät wieder zusammengerufen, in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Verfassung.“ Womöglich lag es am Umstand, dass nur wenige Menschen sich die Mühe machten, die stark zensierte Presse zu lesen, weshalb es volle 24 Stunden dauerte, bis die Öffentlichkeit auf diese Nachricht reagierte. Am 24. Juli liefen Menschenmassen in Istanbul und den Provinzstädten des Reichs zusammen, um die Rückkehr zum verfassungsgemäßen Leben zu feiern. Hauptmann Enver fuhr mit dem Zug ins Zentrum der jungtürkischen Bewegung, nach Saloniki (dem heutigen griechischen Thessaloniki), wo die jubelnde Menge ihn als „Streiter für die Freiheit“ hochleben ließ. Auf dem Bahnsteig begrüßten ihn sein Kollege, Hauptmann Ahmet Cemal, Militärinspektor der osmanischen Eisenbahn, sowie
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Mehmed Talât, ein Postangestellter. Beide waren im KEF aufgestiegen und sollten, genau wie Enver, später unter ihren mittleren Namen bekannt werden, Cemal und Talât. „Enver“, riefen sie, „du bist jetzt Napoleon!“4 In den folgenden Tagen schmückten die rot-weißen Fahnen mit der revolutionären Losung „Gerechtigkeit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ zahllose Straßen. Fotografien von Niyazi, Enver und weiteren „Freiheitshelden“ wurden im ganzen Reich auf den Marktplätzen aufgehängt. Reformer hielten öffentliche Reden über die Verfassung und ließen das Publikum an ihren Hoffnungen und Erwartungen teilhaben. Die von der Verfassungsrevolution geweckten Hoffnungen verbanden in einem Moment des gemeinsamen Patriotismus alle Teile der ansonsten gänzlich unterschiedlichen osmanischen Bevölkerung. Zu ihr gehörte eine große Bandbreite ethnischer Gruppen, darunter Türken, Albaner, Araber und Kurden sowie viele verschiedene Glaubensrichtungen – die sunnitische Mehrheit und schiitische Muslime, über ein Dutzend verschiedene christliche Glaubensgemeinschaften und beträchtliche jüdische Gemeinden. Bis zur Revolution waren die Versuche der Regierung, eine osmanische Nationalidentität zu stärken, an dieser Diversität gescheitert. Ein Politiker schrieb, die Araber „umarmten die Türken aus ganzem Herzen, im Glauben, dass es nicht länger Araber oder Türken oder Armenier oder Kurden in dem Staat gibt, sondern dass alle Osmanen geworden sind, mit denselben Rechten und Verantwortlichkeiten“.5 Die Freudenfeiern anlässlich der neu erworbenen Freiheiten wurden durch Vergeltungstaten gegen jene überschattet, die in Verdacht standen, für Abdülhamids repressiven Apparat zu arbeiten. Das Osmanische Reich war unter dem Sultan zu einem Polizeistaat geworden. Man hatte Oppositionelle inhaftiert und ausgewiesen, Zeitungen und Zeitschriften waren stark zensiert, und die Untertanen sahen sich zunächst um, bevor sie mit jemandem sprachen, so groß war die Angst vor den allgegenwärtigen Spitzeln der Regierung. Der aus dem palästinischen Nablus stammende Muhammad Izzat Darwaza beschrieb „den Ausbruch von Ressentiments in den ersten Tagen der Revolution gegen bedeutende und unbedeutende Regierungsvertreter, die als Spione, als korrupt oder als Unterdrücker bekannt waren“.6 Doch den meisten Menschen vermittelte die jungtürkische Revolution ein neues, absolut berauschendes Gefühl der Hoffnung und der Freiheit.
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Die Begeisterung wurde in Versen festgehalten, und sowohl im arabischen wie auch im türkischen Teil des Landes verfassten Dichter Oden, um die Jungtürken und ihre Revolution zu feiern. Dank euch erfreuen wir uns heute der Freiheit Ohne Sorgen oder Last brechen wir am Morgen auf und kehren abends heim Der freie Mann ist dem Gefängnis entkommen, das ihn erniedrigte Und der geliebte Exilierte findet ins Heimatland zurück Denn es gibt keine Spione, deren Verleumdung er fürchten muss Und keine Zeitung, die aufzuschlagen ihm Angst bereitet Wir schlafen nachts ohne Träume, die uns bedrohen Und stehen am Morgen ohne Furcht und Schrecken auf.7
* Doch die Revolution, die so viele Hoffnungen geweckt hatte, führte zur Desillusionierung. All jene, die auf eine politische Transformation gehofft hatten, wurden enttäuscht, als die Revolution keine entscheidenden Veränderungen in der Politik des Osmanischen Reichs zeitigte. Das KEF entschied sich, Sultan Abdülhamid II. auf dem Thron zu belassen. Ihm war es gelungen, sein Ansehen durch die Restaurierung der Verfassung zu erhöhen, zudem wurde er von einem Großteil der Bevölkerung sowohl als Sultan als auch als Kalif, also als geistlicher Führer der muslimischen Welt, verehrt. Eine Absetzung Abdülhamids hätte den Jungtürken 1908 mehr Probleme bereitet, als Sympathien eingebracht. Zudem waren die Führer des KEF in der Tat junge Türken. Ihre Gruppe bestand zumeist aus Offizieren der unteren Ränge und eher unbedeutenden Bürokraten Ende 20, Anfang 30, denen die Zuversicht fehlte, die Macht in die eigenen Hände zu nehmen. Sie überließen die Durchführung der Regierungsgeschäfte daher dem Großwesir (dem Regierungschef) Said Pascha und dessen Kabinett und verlegten sich auf die Rolle eines Aufsichtskomitees, welches sicherstellte, dass der Sultan und seine Regierung der Verfassung treu blieben. Sollten die Untertanen erwartet haben, dass die Verfassung ihre wirtschaftlichen Probleme lösen würde, wurden sie rasch eines Besseren belehrt. Die durch die Revolution in Gang gesetzte politische Instabilität sorgte für einen Vertrauensverlust in die türkische Währung. Im August
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und September 1908 stieg die Inflation auf 20 Prozent, wodurch die Arbeiterklasse unter enormen Druck geriet. Arbeiter forderten auf Demonstrationen bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen, doch die Staatskasse sah sich außerstande, ihren berechtigten Forderungen nachzukommen. Gewerkschafter stellten in den ersten sechs Monaten nach der Revolution mehr als 100 Streiks auf die Beine, was zu Gesetzesverschärfungen und einem harten Vorgehen der Regierung gegen die Arbeiter führte.8 Entscheidend war, dass all jene, die glaubten, eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie würde in Europa auf Zustimmung stoßen und die territoriale Integrität des Osmanischen Reichs sicherstellen, gedemütigt wurden. Die europäischen Nachbarn der Türkei nutzten die von der jungtürkischen Revolution verursachte Instabilität aus, um sich noch mehr osmanisches Territorium einzuverleiben. Am 5. Oktober 1908 erklärte die ehemalige osmanische Provinz Bulgarien ihre Unabhängigkeit. Am folgenden Tag kündigte die österreichisch-ungarische Habsburgermonarchie die Annexion der autonomen osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina an. Ebenfalls am 6. Oktober gab Kreta seine Vereinigung mit Griechenland bekannt. Die Hinwendung zur Demokratie hatte der Türkei keineswegs mehr Unterstützung durch die europäischen Mächte eingebracht, sondern das Reich noch verletzlicher werden lassen. Die Jungtürken wollten mittels des Parlaments die Kontrolle über die Revolution zurückgewinnen. Das KEF war eine der beiden Parteien, die bei der Ende November und Anfang Dezember 1908 abgehaltenen Wahl angetreten waren, und die Unionisten (wie die Mitglieder des KEF genannt wurden) bekamen im Unterhaus eine überwältigende Mehrheit. Viele unabhängige Kandidaten liefen daraufhin zum KEF über. Der Sultan eröffnete am 17. Dezember die erste Sitzung des Parlaments und hielt eine Rede, die seinen Einsatz für die Verfassung betonte. Die Vorsitzenden der beiden Kammern, des gewählten Unterhauses und des ernannten Oberhauses, erwiderten diese Rede mit eigenen Ansprachen, in denen sie Abdülhamid für seine Weisheit lobten, die verfassungsgemäße Regierung wieder eingesetzt zu haben. Dieser Austausch erweckte den Anschein einer harmonischen Beziehung zwischen dem KEF und dem Sultan. Doch absolutistische Herrscher pflegen ihre Meinung nicht über Nacht zu ändern, und Abdülhamid, keineswegs versöhnt mit den Beschränkungen
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seiner Macht durch die Verfassung und das Parlament, wartete nur auf einen geeigneten Augenblick, um sich der Jungtürken zu entledigen. Nachdem sich die anfängliche Begeisterung für die Revolution gelegt hatte, sah sich das KEF einer ernsthaften Opposition aus wichtigen Politikerkreisen und einflussreichen Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft gegenüber. Der Islam war Staatsreligion, und das religiöse Establishment verurteilte die in seinen Augen säkulare Kultur der Jungtürken. Innerhalb des Militärs gab es eine deutliche Spaltung zwischen den Offizieren, die Militärakademien besucht hatten und zu liberalen Reformen tendierten, und den einfachen Soldaten, die größeren Wert auf die Loyalität legten, die sie dem Sultan geschworen hatten. Innerhalb des Parlaments verdächtigten die Mitglieder der liberalen Fraktion das KEF autoritärer Tendenzen und nutzten ihre Verbindungen zur Presse und den europäischen Diplomaten – insbesondere zur britischen Botschaft –, um die Position des KEF im Unterhaus zu unterminieren. Abdülhamid II. ermutigte von seinem Palast aus in aller Heimlichkeit jene Gruppen, die sich dem KEF entgegenstellten. In der Nacht vom 12. auf den 13. April starteten die Feinde des KEF eine Konterrevolution. Soldaten des Sultan Abdülhamid treu ergebenen 1. Armeekorps erhoben sich gegen ihre Offiziere und verbündeten sich mit den Religionsführern der theologischen Hochschulen in der Hauptstadt. Gemeinsam zogen sie lautstark zum Parlament, wobei sie über Nacht immer mehr Zulauf von weiteren Islamgelehrten und meuternden Soldaten bekamen. Die Demonstranten verlangten ein neues Kabinett, die Verbannung einer Reihe von unionistischen Politikern und die Wiederherstellung des islamischen Rechts – obgleich im Land bereits seit Jahrzehnten eine Mischung unterschiedlichster Rechtsvorschriften galt. Die Unionisten flohen in Todesangst aus der Stadt. Das Kabinett bot seinen Rücktritt an. Der Sultan gab sich opportunistisch und kam den Forderungen des Mobs nach. Er sicherte sich damit erneut die Kontrolle über die Politik des Osmanischen Reichs. Doch Abdülhamids Wiedereinsetzung erwies sich als kurzlebig. Die osmanische 3. Armee in Makedonien verstand die Konterrevolution in Istanbul als Angriff auf die Verfassung, die in ihren Augen entscheidend für die politische Zukunft des Reichs war. Loyale Jungtürken in Makedonien mobilisierten für eine „Interventionsarmee“ genannte Truppe, welche unter Führung von Ahmed Niyazi nach Istanbul marschierte. Das Entsatzheer
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brach am 17. April von Thessaloniki aus auf. In den frühen Morgenstunden des 24. April besetzte die Interventionsarmee Istanbul, schlug die Revolte nieder, ohne auf große Gegenwehr zu stoßen, und verhängte das Kriegsrecht. Die beiden Kammern des Parlaments traten als Große Nationalversammlung zusammen und stimmten am 27. April dafür, Sultan Abdülhamid II. ab- und seinen jüngeren Bruder Mehmed als Sultan Mehmed V. Reşad (Mohammed V.) einzusetzen. Mit der Rückkehr des KEF an die Macht war die Konterrevolution niedergeschlagen – nach nur zwei Wochen.
* Die Konterrevolution offenbarte, welch tiefe Risse durch die osmanische Gesellschaft gingen – wobei der türkisch-armenische Antagonismus der gefährlichste war. Unmittelbar nachdem die Interventionsarmee die Macht des KEF in Istanbul wiederhergestellt hatte, massakrierten Muslime Tausende von Armeniern in der südöstlichen Stadt Adana. Die Ursachen dieses Pogroms reichen bis in die 1870er-Jahre zurück. Im Verlaufe des Ersten Weltkriegs sollte diese Feindschaft zum ersten Genozid des 20. Jahrhunderts ausarten. 1909 verdächtigten viele osmanische Türken die Armenier, eine Minderheitengemeinschaft mit nationalistischer Agenda zu sein, die sich vom Reich lossagen wollte. Als ethnische Gruppe mit eigener Sprache, eigener christlicher Liturgie und jahrhundertealter kommunaler Organisation unter den Osmanen als eigenständige millet, also Glaubensgemeinschaft, verfügten die Armenier über alle Eigenschaften, die eine nationalistische Bewegung im 19. Jahrhundert benötigte, außer einer: Sie waren nicht in einem geografischen Gebiet konzentriert. Das Volk der Armenier lebte im Russischen und Osmanischen Reich und innerhalb der osmanischen Gebiete verstreut in Anatolien, den Regionen an den Mittelmeerküsten und den wichtigsten Handelszentren des Reichs. Die größte Konzentration von Armeniern gab es in der Hauptstadt Istanbul. Ohne eine kritische Masse an einem bestimmten Ort konnten die Armenier niemals auf eine eigene Staatsgründung hoffen – es sei denn, sie sicherten sich die Unterstützung einer Großmacht. Auf dem Berliner Kongress von 1878 meldeten die Armenier zum ersten Mal Gebietsansprüche an. Teil der Friedensvereinbarung nach dem
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Russisch-Türkischen Krieg war die Abtretung dreier osmanischer Gebiete mit beträchtlicher armenischer Bevölkerung an Russland: Kars, Ardahan und Batumi. Hunderttausende Armenier kamen unter russische Herrschaft, dies bildete den Kontext für die armenische Forderung nach größerer Freiheit auf osmanischem Gebiet. Die armenische Delegation brachte in Berlin ihre Forderungen vor und sprach von den osmanischen Regionen Erzurum, Bitlis und Van als „von Armeniern bewohnten Provinzen“. Die Armenier strebten einen autonomen Status dieser Provinzen nach dem Vorbild des Mutesarriflik Libanonberg an, in dem die verschiedenen christlichen und muslimischen Gemeinschaften von einem christlichen Gouverneur regiert wurden. Die europäischen Mächte reagierten mit der Ergänzung eines Artikels im Vertrag von Berlin, mit dem die osmanische Regierung aufgefordert wurde, „ohne weiteren Zeitverlust die Verbesserungen und Reformen ins Leben zu rufen, welche die örtlichen Bedürfnisse in den von den Armeniern bewohnten Provinzen erfordern“ und sie vor Angriffen der muslimischen Bevölkerungsmehrheit zu schützen. Der Vertrag sah auch vor, dass Istanbul die europäischen Mächte regelmäßig über die hierzu ergriffenen Maßnahmen informierte.9 Die europäische Unterstützung für die christlichen nationalistischen Bewegungen auf dem Balkan hatte die Osmanen verständlicherweise auch in anderen strategischen Gebieten misstrauisch gegenüber ausländischen Absichten werden lassen. Der im Berliner Vertrag den armenischen kommunalen Bestrebungen neu zuerkannte Status im türkischen Kerngebiet Anatolien war eine erhebliche Bedrohung für das Osmanische Reich. Nachdem sie gerade erst Kars, Ardahan und Batumi als Kriegsentschädigung an Russland hatten abtreten müssen, konnten die Osmanen nicht zulassen, weitere Gebiete in Ostanatolien zu verlieren. Daraus folgte konsequenterweise, dass die Regierung Abdülhamid II. alles tat, um die im Entstehen begriffene armenische Bewegung und ihre Beziehungen zu Großbritannien und Russland zu unterdrücken. Als armenische Führer in den späten 1880er-Jahren damit begannen, politische Organisationen zu gründen, um ihre nationalen Bestrebungen zu verfolgen, behandelte die osmanische Regierung sie so wie jede andere inländische Oppositionsgruppe und schlug mit der gesamten Bandbreite der Repression zurück – Überwachung, Verhaftung, Freiheitsentzug und Exilierung.
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Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich zwei große armenische Nationalgesellschaften herausgebildet. Eine Gruppe armenischer Studenten in der Schweiz und Frankreich gründete 1887 in Genf die Huntschak-Partei (Huntschak bedeutet auf Armenisch „Glocke“). 1890 schlossen sich einige Aktivisten im Russischen Reich zur Armenischen Revolutionären Föderation zusammen, besser bekannt als Daschnak (eine Abkürzung von Daschnakzutjun – „Föderation“ auf Armenisch). Es handelte sich dabei um zwei sehr unterschiedliche Bewegungen mit divergierenden Ideologien und Methoden. Die Huntschaken debattierten über die relativen Erfolge des Sozialismus und der nationalen Befreiung, während die Daschnaken die Selbstverteidigung der armenischen Gemeinden in Russland und dem Osmanischen Reich förderten. Beide Gruppierungen setzten auch auf Gewalt, um die politischen Ziele der Armenier durchzusetzen. Sie verstanden sich selbst als Freiheitskämpfer, wohingegen die Osmanen sie als Terroristen brandmarkten. Die Aktivitäten der Huntschaken und der Daschnaken verschärften die Spannungen zwischen Muslimen und Christen in Ostanatolien – wobei die armenischen Aktivisten hofften, damit eine Einmischung der europäischen Nationen provozieren zu können und die Osmanen sich veranlasst sahen, die in ihren Augen aufstrebende Nationalbewegung zu unterdrücken. Die angespannte Situation führte unweigerlich zu Blutvergießen.10 Zwischen 1894 und 1896 waren die osmanischen Armenier das Ziel einer Reihe furchtbarer Massaker. Die Gewalt brach im Sommer 1894 in der Region Sason im südöstlichen Anatolien aus, als kurdische Nomaden armenische Dörfer angriffen, die sich geweigert hatten, zusätzlich zu den offiziellen Steuerzahlungen die traditionellen Schutzgelder zu zahlen. Armenische Aktivisten griffen das Anliegen der armenischen Bauern auf und ermutigten diese zu einer Revolte. Der britische Reisende und Geschäftsmann H. F. B. Lynch, der kurz vor den Massakern die Sason-Region bereiste, beschrieb die armenischen Agitatoren: „Das Ziel dieser Männer ist es, das armenische Anliegen dadurch wach zu halten, dass sie hier und da eine Flamme anzünden und dann Feuer! rufen. Der Ruf wird in der europäischen Presse aufgegriffen, und sobald die Menschen dann hinschauen, tappen sicherlich einige türkische Offizielle in die Falle und begehen Gräueltaten.“ Die Regierung schickte die 4. Armee, verstärkt durch ein kurdisches Kavallerieregiment, um die Ordnung wiederherzustellen.
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Das Ergebnis waren Tausende getöteter Armenier, was den europäischen Ruf nach einer Intervention zur Folge hatte, auf den die Huntschaken so sehr gehofft und den die Osmanen unbedingt hatten vermeiden wollen.11 Im September 1895 organisierte die Partei einen Marsch durch Istanbul, um für Reformen in Ostanatolien zu werben, das in Europa zunehmend als Türkisch-Armenien bezeichnet wurde. Die Demonstranten gaben sowohl der osmanischen Regierung als auch allen ausländischen Botschaften eine achtundvierzigstündige Vorwarnzeit und machten dann ihre Forderungen bekannt, zu denen die Ernennung eines christlichen Generalgouverneurs gehörte, der Reformen in Ostanatolien überwachen sollte, sowie das Recht der armenischen Dorfbewohner, sich mit Waffen gegen die gut bewaffneten kurdischen Nachbarn zu schützen. Mit einer Polizeikette schützten die Osmanen die sogenannte Hohe Pforte, das ummauerte Gelände, das die Büros des Regierungschefs und seines Kabinetts beherbergte (der Ausdruck „Hohe Pforte“ wird zugleich für die osmanische Regierung als solche verwendet, ganz ähnlich wie man mit „Whitehall“ auch die britische Regierung bezeichnet), um die Masse der armenischen Protestierer zurückzuhalten. Im Handgemenge wurde ein Polizist getötet, und im anschließenden Tumult schlossen sich Muslime gegen die Armenier zusammen und erschossen und erschlugen allein vor der Hohen Pforte 60 Demonstranten. Die europäischen Mächte protestierten gegen die Tötung friedlicher Demonstranten: Angesichts eines stetig steigenden internationalen Drucks erließ Sultan Abdülhamid am 17. Oktober 1895 ein Dekret, das Reformen in sechs ostanatolischen Provinzen mit armenischer Bevölkerung versprach: Erzurum, Van, Bitlis, Diyarbakır, MarmuretülAziz (armenisch Harput) und Sivas. Das Reformdekret des Sultans verstärkte hingegen die Ängste der Muslime in diesen sechs Provinzen. Sie verstanden die Maßnahmen als Vorspiel zu einer armenischen Unabhängigkeit in Ostanatolien, welche die muslimische Mehrheit zwingen würde, entweder unter einer christlichen Obrigkeit zu leben oder ihre Häuser und Dörfer zu verlassen, um auf muslimischem Land zu siedeln – wie es auch schon Tausende Muslime auf der Krim, im Kaukasus und dem Balkan hatten tun müssen, als die Osmanen diese Gebiete einer christlichen Herrschaft überließen. Osmanische Offizielle unternahmen nur wenig, um diese Ängste zu zerstreuen, und schon wenige Tage nach der Veröffentlichung des Dekrets kam es zu einer neuen
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und dieses Mal noch tödlicheren Welle an Massakern in den Städten und Dörfern Zentral- und Ostanatoliens. Im Februar 1896 schätzten amerikanische Missionare, dass nicht weniger als 37 000 Armenier ermordet worden und 300 000 obdachlos geworden waren. In anderen Schätzungen liegen die Opferzahlen zwischen 100 000 und 300 000 verletzten und getöteten Armeniern. Da die Region sehr isoliert war, dürfte man heute keine genaueren Zahlen über die Massaker von 1895 mehr ermitteln können. Doch das Ausmaß der Gewalt gegen die Armenier war in der osmanischen Geschichte eindeutig beispiellos.12 Ein terroristischer Angriff in Istanbul markierte den dritten und letzten Abschnitt in der Reihe der zwischen 1894 und 1896 an Armeniern verübten Grausamkeiten. Sechsundzwanzig als Gepäckträger verkleidete Daschnaken trugen am 26. August 1896 mit Waffen und Sprengstoff gefüllte Geldsäcke in die Hauptstelle der Ottomanischen Bank in Istanbul. Sie töteten zwei Wachleute, nahmen 150 Bankangestellte und Kunden als Geiseln und drohten damit, das gesamte Gebäude mit allen Menschen darin in die Luft zu sprengen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden – die Ernennung eines europäischen Hochkommissars zur Durchsetzung der Reformen in Ostanatolien sowie eine Generalamnestie für alle armenischen politischen Exilanten. Trotz ihres Namens war die Ottomanische Bank jedoch eine Institution in ausländischer Hand, fast ihre gesamten Aktien gehörten britischen und französischen Konzernen. Die Idee, mit dieser Aktion die europäischen Mächte zur Einmischung in die osmanisch-armenische Auseinandersetzung zu zwingen, ging nach hinten los. Man zwang die Terroristen zur Aufgabe der Geiselnahme, und sie verließen, ohne dass ihre Forderungen erfüllt worden wären, auf einem französischen Schiff das Osmanische Reich. Diese Aktion der Daschnaken wurde nicht nur von den europäischen Mächten verurteilt, sondern der Angriff auf die Bank löste zudem noch ein Pogrom an den Armeniern in Istanbul aus, bei dem 8000 Menschen ermordet wurden. Die in der Armenien-Frage uneinigen Europäer erzwangen keinerlei Veränderungen im Osmanischen Reich. Für die armenische Bewegung stellten die blutigen Ereignisse zwischen 1894 und 1896 nichts Geringeres als eine Katastrophe dar. In den folgenden Jahren änderten die Armenier daher ihre Taktik und entschlossen sich zu einer Zusammenarbeit mit den liberalen Parteien, die
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das Osmanische Reich reformieren wollten. Die Daschnaken nahmen, zusammen mit dem Komitee für Einheit und Fortschritt, am zweiten Kongress der osmanischen Oppositionsparteien teil, der 1907 in Paris stattfand. 1908 zeigten sie sich von der jungtürkischen Revolution begeistert und gingen aus ihr als legal anerkannte Gruppe hervor. Aus der armenischen Gemeinschaft bewarb sich eine Reihe von Kandidaten für die Parlamentswahl im selben Jahr, 14 von ihnen wurden in das Unterhaus gewählt. Viele hofften, dass die politischen Ziele der Armenier im Kontext der osmanischen Verfassung erreicht werden könnten, und warteten auf die ihnen darin versprochene Staatsbürgerschaft sowie auf eine dezentrale
Ein Minarett, von dem aus Türken auf Christen schossen. Im April 1909 zerstörte ein muslimischer Mob christliche Häuser und Geschäfte in Adana und Umgebung und tötete rund 20 000 Armenier. Bain News Service, eine amerikanische Fotoagentur, hielt die Ruinen der christlichen Viertel nach dem Adana-Massaker im Bild fest.
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Verwaltung. Nach der Konterrevolution von 1909 wurden diese Hoffnungen zunichtegemacht, als zwischen dem 25. und 28. April 1909 rund 20 000 Armenier in einem Blutrausch ermordet wurden.13 Zabel Jesajan, eine der prominentesten Figuren der armenischen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts, reiste kurz nach dem Adana-Massaker in die Stadt, um die Hilfsmaßnahmen zu unterstützen. Sie fand eine Stadt in Ruinen vor, bewohnt nur mehr von Witwen, Waisen und älteren Männern und Frauen, die durch das Erlebte traumatisiert waren. „Man kann die abscheuliche Realität nicht in einem Zug aufnehmen: Sie bleibt weit jenseits der Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft“, beschrieb sie das Grauen. „Selbst jene, die das Ereignis miterlebt haben, sind nicht in der Lage, das gesamte Bild zu schildern. Sie stottern, stöhnen, weinen und können am Ende nur von einzelnen Momenten erzählen.“ Einflussreiche Personen des gesellschaftlichen Lebens machten international auf die Massaker aufmerksam und sorgten für die öffentliche Verurteilung des Osmanischen Reichs.14 Die Jungtürken reagierten rasch und entsandten Cemal Pascha, der den Frieden in Adana wiederherstellen sollte, nachdem die Gewalt abgeklungen war. Die Unionisten mussten das Vertrauen der Daschnaken wieder zurückgewinnen, damit diese nicht weiter bei europäischen Mächten um Unterstützung der armenischen Bestrebungen ersuchten. Die Daschnaken erklärten sich einverstanden, die Kooperation mit dem KEF aufrechtzuerhalten, sofern die Regierung all jene verhaftete und bestrafte, die für das Massaker verantwortlich waren, den armenischen Überlebenden ihr Eigentum zurückerstattete, ihnen Steuererleichterungen gewährte und Geldmittel für die Armen bereitstellte. In seinen Erinnerungen behauptet Cemal, jedes zerstörte Haus in Adana innerhalb von vier Monaten wieder aufgebaut zu haben und „nicht weniger als dreißig Mohammedaner“ in Adana und 17 im nahe gelegenen Erzine hingerichtet zu haben, darunter „Mitglieder der ältesten und nobelsten Familien“. Diese Maßnahmen sollten die Armenier beruhigen und europäischen Interventionen zuvorkommen, und für den Augenblick verschafften sie den Jungtürken Zeit für den Umgang mit der Armenien-Frage.15
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Während die Osmanen in Ostanatolien um ihre territoriale Integrität kämpften, brach im Mittelmeer ein neuer Konflikt aus. Die Provinzen Bengasi und Tripolis im heutigen Libyen waren die letzten osmanischen Besitzungen in Nordafrika, nachdem die Franzosen 1830 Algerien und 1881 Tunesien besetzt und die Briten 1882 die Herrschaft in Ägypten über� nommen hatten. Mit Italien war ein neuer Staat entstanden – seine Vereinigung zu einem einzigen Königreich war erst 1871 abgeschlossen –, der nun auch Ansprüche auf ein Kolonialreich in Afrika erhob. Die Regierung von König Viktor Emanuel III. richtete ihr Augenmerk auf Libyen, um ihren imperialen Hunger zu stillen. Die Osmanen hatten 1911 keinen Anlass zu einem Krieg mit Italien geboten. Doch da die Briten und Franzosen im Vorfeld ihre Neutralität zugesagt hatten, wusste Rom, dass ihm bei der Durchsetzung seiner Kolonialambitionen in Nordafrika militärisch nichts im Wege stand. Unter dem Vorwand, die Waffenlieferung der Osmanen an ihre Garnisonen in Libyen seien eine Bedrohung für die Sicherheit der in Tripolis und Bengasi lebenden italienischen Staatsbürger, erklärte Italien am 29. September 1911 den Krieg und startete eine breit angelegte Invasion der libyschen Küstenstädte.16 Die osmanischen Stellungen in Libyen konnten nicht gehalten werden: Etwa 4200 türkische Soldaten waren ohne jegliche Flottenunterstützung in Garnisonen stationiert und die italienische Armee rückte mit mehr als 34 000 Mann vor. Der Kriegsminister gab gegenüber seinen eigenen Offizieren freimütig zu, dass Libyen nicht verteidigt werden konnte. Anfang Oktober 1911 fielen denn auch die Küstenstädte der osmanischen Provinzen Tripolis (Westlibyen) und Bengasi (Ostlibyen, auch als Kyrenaika bekannt) in die Hände der siegreichen italienischen Armee.17 Die Regierung und die Jungtürken vertraten radikal unterschiedliche Positionen, was diesen Einmarsch anging. Der Großwesir und seine Regierung glaubten nicht, dass sie Libyen retten könnten und zogen es folglich vor, das marginale nordafrikanische Territorium abzuschreiben, anstatt Truppen in einen Kampf zu schicken, den sie nicht gewinnen konnten. Die ultranationalistischen Jungtürken wollten einen kampflosen Verlust des osmanischen Gebietes hingegen nicht hinnehmen. Anfang Oktober 1911 reiste Hauptmann Enver nach Saloniki, um sich mit dem Zentralkomitee des KEF zu treffen. Bei dem fünfstündigen Gespräch gelang es ihm, seine Kollegen von der Aufnahme eines Guerilla-
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kriegs gegen die Italiener in Libyen zu überzeugen. Er skizzierte den Plan in einem Brief an seinen Freund aus Kindertagen und Pflegebruder, den deutschen Marineattaché Hans Humann: „Wir werden unsere Kräfte im [libyschen] Landesinneren zusammenziehen. Berittene Gruppen von Arabern, Untertanen des Landes, werden unter dem Kommando junger [osmanischer] Offiziere ganz in der Nähe der Italiener bleiben und sie Tag und Nacht bedrängen. Jeder [italienische] Soldat oder jede kleine Einheit wird überrascht und vernichtet werden. Sollte der Feind zu stark sein, ziehen sich die Gruppen ins offene Land zurück und werden später bei jeder Gelegenheit den Feind peinigen.“18 Nachdem er das KEF von seinem Vorhaben überzeugt hatte, reiste Enver nach Istanbul, wo er ein Schiff nach Alexandria bestieg. Dutzende junger Offiziere folgten ihm und nutzten Ägypten als Sprungbrett für ihren Guerillakrieg gegen Italien – unter ihnen ein junger Adjutant namens Mustafa Kemal, der spätere Atatürk. Andere kamen über Tunesien. Offiziell wurden diese jungen Offiziere von ihrer Regierung als „Abenteurer, die gegen den Wunsch der osmanischen Regierung handeln“ abgelehnt, doch in Wirklichkeit zahlte die osmanische Staatskasse den in Libyen dienenden Kommandeuren monatlich Geld aus. Sie nannten sich selbst fedaî-Offiziere, Kämpfer, die bereit waren, ihr Leben für die Sache zu geben.19 Von dem Moment an, als er Ende Oktober das Land betrat, warf sich Enver mit Leidenschaft und Einsatz in den libyschen Konflikt. Er zog sich arabische Kleidung über und ritt auf einem Kamel ins Landesinnere. Er schwelgte in der Entbehrung und Härte des Wüstenlebens und bewunderte den Mut der Beduinen, mit denen er über einen Dolmetscher kommunizieren musste, da er kein Arabisch sprach. Die Stammesangehörigen wiederum zollten Enver großen Respekt. Seine Verlobte war die Nichte von Sultan Mehmed V. Reşad (Mohammed V.), Prinzessin Emine Naciye Sultan. Auch wenn sie damals erst 13 Jahre alt war (sie heirateten 1914, als sie 17 war), stärkte doch diese Beziehung zur Familie des Sultans Envers Position unter den Libyern. „Hier bin ich der Schwiegersohn des Sultans, der Gesandte des Kalifen, der Befehle erteilt“, schrieb er. „Und es ist allein diese Beziehung, die mir hilft.“20 Enver beschränkte seinen Radius auf die östliche Provinz Bengasi. Die italienischen Soldaten waren in den drei Hafenstädten der Kyrenaika kon-
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zentriert – Bengasi, Darna und Tobruk. Der erbitterte Widerstand libyscher Volksstämme hatte die Italiener bislang davon abgehalten, weiter ins libysche Landesinnere vorzustoßen. Nachdem Enver die italienischen Stellungen ausgekundschaftet hatte, schlug er ein Lager auf dem oberhalb von Darna gelegenen Plateau auf. Die 10 000 Bewohner der Stadt waren unfreiwillige Gastgeber der 15 000 Infanteristen starken italienischen Invasionsarmee, welche nun zum bevorzugten Ziel von Envers Attacken werden sollte. Er versammelte jene demoralisierten osmanischen Soldaten hinter sich, die der Gefangennahme entkommen waren, rekrutierte Männer der einheimischen Stämme sowie Mitglieder der mächtigen SanūsīyaBruderschaft (ein mystisch-religiöser Orden, dessen Netzwerk aus Niederlassungen sich über das gesamte urbane wie ländliche Libyen erstreckte) und empfing andere jungtürkische fedaî-Offiziere in seinem Basislager in Ayn al-Mansur. Während seiner Zeit in Libyen – hier rekrutierte er lokale Kämpfer unter der Führung osmanischer Offiziere, nutzte die islamische Ablehnung einer Fremdherrschaft aus, um seine europäischen Feinde zu schwächen, und schuf ein effektives Geheimdienstnetzwerk – legte Enver die Grundlagen für einen neuen Geheimdienst, der sich im Weltkrieg als sehr einflussreich herausstellen sollte: die Teşkilât-ı Mahsusa („Spezialorganisation“). Laut Envers Berichten versammelten sich viele der arabischen Stämme Libyens hinter den osmanischen Freiwilligen. Sie schätzten die Art und Weise, wie sich die Jungtürken für die Sache des libyschen Volks einsetzten und ihr Leben riskierten, um ihre Freiheit zu sichern. Auch wenn sie keine gemeinsame Sprache hatten, so erwies sich der Islam doch als starkes Band zwischen den türkischsprachigen Jungtürken und den arabischsprachigen libyschen Stammesangehörigen. Enver beschrieb die arabischen Kämpfer in Libyen als „fanatische Muslime, die den Tod im Angesicht des Feindes als Geschenk Gottes ansehen“. Dies galt insbesondere für die mächtige Sanūsīya-Bruderschaft, deren Ergebenheit gegenüber dem osmanischen Sultan mit seiner Rolle als Kalif des Islam zusammenhing. Und auch Enver, der säkulare Jungtürke, lehnte diese Hingabe an den Islam nicht ab. Vielmehr sah er in der Religion eine stark mobilisierende Kraft, die Muslime hinter dem Sultan-Kalifen vereinte, um ihre Feinde zu schlagen – im Osmanischen Reich und der ganzen muslimischen Welt. Im Hinblick auf die Macht des Islam schrieb Enver: „Es gibt keine Nationalität im Islam. Dazu
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muss man nur auf das schauen, was in der islamischen Welt vor sich geht.“ Was Enver ganz sicher aus seiner Zeit in Libyen mitnahm, war die feste Überzeugung, dass das Osmanische Reich die Kraft besaß, den Islam gegen seine Feinde im Inneren wie Äußeren einzusetzen.21 Zwischen Oktober 1911 und November 1912 führten die jungtürkischen Offiziere und die arabischen Stammesangehörigen einen erstaunlich erfolgreichen Guerillakrieg gegen die Italiener. Trotz deren zahlenmäßiger Überlegenheit und moderneren Bewaffnung waren sie nicht in der Lage, sich aus ihren befestigten Stützpunkten an der Küste herauszubewegen und das libysche Hinterland zu besetzen. Arabische Gruppen fügten den Italienern hohe Verluste zu; im Verlauf dieses Jahres töteten sie 3400 Mann und verletzten mehr als 4000. Der Krieg belastete auch die italienische Staatskasse, wohingegen die Osmanen kaum mehr als 25 000 türkische Pfund pro Monat zahlen mussten, um Envers Belagerung von Darna zu finanzieren (das türkische Pfund war etwa 0,90 britische Pfund oder 4,40 US-Dollar wert). Für einen Augenblick sah es so aus, als würde das Kalkül der Jungtürken in Libyen aufgehen und als würden die Italiener zurück ins Meer getrieben werden.22 Da sie in Libyen nicht gewinnen konnten, verlagerten die Italiener den Konflikt an andere Fronten. Sie wussten, dass der Krieg nur dann enden würde, wenn die osmanische Regierung Libyen der italienischen Kontrolle in einem formellen Friedensvertrag überlassen würde. Um Istanbul zu einem solchen Frieden zu drängen, griffen italienische Kriegsschiffe osmanische Gebiete an der östlichen Mittelmeerküste an. Sie beschossen im März 1912 den Hafen von Beirut, und italienische Soldaten besetzten im Mai des Jahres den Dodekanes (eine Inselgruppe in der Ägäis mit der Hauptinsel Rhodos). Im Juli entsandte die italienische Marine Torpedoboote vor die Dardanellen. Und schließlich spielten die Italiener die Balkankarte. Griechenland, Serbien, Montenegro und Bulgarien schlossen Allianzen gegen ihr ehemaliges osmanisches Oberhaupt. Sie alle beanspruchten Gebiete im verbliebenen osmanischen Territorium auf dem Balkan – in Albanien, Makedonien und Thrakien. Die italienische Krone war durch eine Heirat mit König Nikola I. von Montenegro verwandt, weshalb sie die Montenegriner zur Kriegserklärung an das Osmanische Reich am 8. Oktober 1912 ermutigte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die anderen Balkanstaaten folgen würden.
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Der unmittelbar drohende Krieg auf dem Balkan löste eine Krise aus, die von Istanbul ausgehend bis nach Libyen zu spüren war. Indem man abgelegene Provinzen wie Tripolis und Bengasi verteidigte, hatte das Osmanische Reich das balkanische Kernland seines Schutzes beraubt. Der Idealismus machte augenblicklich einem neuen Realismus Platz. Zehn Tage, nachdem Montenegro den Krieg erklärt hatte, schloss das Osmanische Reich einen Friedensvertrag mit Italien, in dem man die libyschen Provinzen der italienischen Herrschaft überließ. Die fedaî-Offiziere dürften beschämt gewesen sein, ihre libyschen Kameraden im Stich lassen zu müssen, doch überließen sie den Guerillakrieg nun allein der SanūsīyaBruderschaft und eilten zurück nach Istanbul, wo sie sich dem nationalen Überlebenskampf anschlossen, der unter dem Namen „Erster Balkankrieg“ bekannt werden sollte.
* Die Balkanstaaten waren alle einmal Teil des Osmanischen Reichs gewesen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten die unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gemeinschaften Südosteuropas einen je eigenen Nationalismus. Die europäischen Mächte förderten nach Kräften diese nationalistischen Bewegungen, die sich vom Osmanischen Reich lossagen wollten und sich zu instabilen Satellitenstaaten entwickelten. Das Königreich Griechenland erreichte nach einem Jahrzehnt Krieg 1830 als Erstes die volle Unabhängigkeit. Serbien erhielt 1829 internationale Anerkennung als Fürstentum unter osmanischer Oberherrschaft und gewann 1878 beim Berliner Kongress die völlige Souveränität. Auch Montenegro erhielt in Berlin seine Unabhängigkeit, und Bulgarien sicherte seine Autonomie unter osmanischer Herrschaft, bis es im September 1908 gänzlich eigenständig wurde. Keiner der unabhängigen Balkanstaaten war mit dem Territorium zufrieden, das er kontrollierte. Die Osmanen wiederum standen den Ansprüchen der Bevölkerung ihrer früheren Besitzungen auf dem Balkan ablehnend gegenüber und unterschätzten die Gefahr für ihre Herrschaft über die letzten verbliebenen europäischen Provinzen. Die osmanische Selbstgefälligkeit zerplatzte, als die Balkanstaaten die Gelegenheit zur Gebietserweiterung ergriffen, die ihnen der Türkisch-Italienische Krieg bot. Im Oktober 1912 erklärten Montenegro, Serbien,
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Griechenland und Bulgarien in schneller Folge dem Osmanischen Reich den Krieg. Von Anfang an waren die Balkanverbündeten ihren früheren Herrschern zahlenmäßig und strategisch überlegen. Die vereinigten Streitkräfte der Balkanstaaten zählten 715 000 Mann, das Osmanische Reich dagegen hatte nur 320 000 Soldaten unter Waffen.23 Die Griechen nutzten ihre Überlegenheit zur See gegen die Osmanen. Sie annektierten nicht nur Kreta und eine Reihe von Ägäisinseln, sondern verhinderten mit ihrer Marine eine Verstärkung der osmanischen Truppen übers Meer. Am 8. November eroberten griechische Truppen Saloniki, den Geburtsort der jungtürkischen Revolution. Anschließend besetzten sie einen Großteil Südalbaniens. Serben und Montenegriner griffen Makedonien und Albanien vom Norden her an und vollendeten ihre Eroberung dieser Gebiete. Der Kosovo fiel am 23. Oktober in die Hände der Serben. Die Bulgaren lieferten sich die hitzigsten Gefechte mit den Türken. Es gelang ihnen, am 24. Oktober die erste osmanische Verteidigungslinie in Kırklareli und am 2. November die zweite Linie in Lüleburgaz zu durchbrechen, woraufhin sie sich nach Çatalca wandten, nur rund 70 Kilometer von Istanbul entfernt. Die osmanischen Verteidiger in Edirne (das ehemalige Adrianopel, eine Stadt in der heutigen Türkei an der griechischbulgarisch-türkischen Grenze) waren umzingelt und belagert, als die Hohe Pforte Anfang Dezember 1912 um einen Waffenstillstand bat. Kaum zwei Monate nachdem man Libyen an die Italiener hatte abgeben müssen, war die osmanische Armee in die Flucht geschlagen worden, und es sah aus, als würde man nun auch noch die letzten europäischen Provinzen verlieren. Die osmanische Regierung wurde vom liberalen Premierminister Kâmil Pascha angeführt. Das KEF und die Liberalen waren schon lange Rivalen, und Kâmil Pascha hatte sich bewusst dafür entschieden, niemanden aus dem KEF in sein Kabinett aufzunehmen. Angesichts der drohenden militärischen Niederlage vertraten die Liberalen und Unionisten diametral unterschiedliche Positionen: Die Liberalen sprachen sich für einen Friedensschluss aus, um weitere Gebietsverluste zu verhindern und Istanbul zu schützen. Die Unionisten hingegen riefen zu einer energischen Wiederaufnahme der Kriegsanstrengungen auf, um wichtiges osmanisches Gebiet zurückzuerobern – zuerst und vor allem Edirne. Als die
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Unionisten die Kriegführung kritisierten, befahl Kâmil Pascha ein hartes Durchgreifen gegen KEF-Verbände, verbot ihre Zeitungen und ließ eine Reihe Unionisten verhaften. Enver wurde bei seiner Rückkehr aus Libyen, wo er gegen die Italiener gekämpft hatte, in Istanbul von diesen militärischen und politischen Spannungen eingeholt. „Ich befinde mich in einer absolut feindlichen Umgebung“, schrieb er Ende Dezember 1912. „Das gesamte Kabinett, wie auch der Kriegsminister, sind ungemein freundlich, doch ich weiß, dass sie mich ausspionieren lassen.“ Er besuchte mehrmals die Front in Çatalca und gelangte zur Überzeugung, die Osmanen seien in einer deutlich besseren Lage als die Bulgaren, wurde also wenig überraschend zu einem ausgesprochenen Befürworter der Fortsetzung des Krieges und der Befreiung von Edirne. „Sollte das Kabinett Edirne ohne jegliche weitere Anstrengung übergeben, verlasse ich die Armee, werde öffentlich zum Krieg aufrufen und ich weiß nicht – oder anders: ich wage es nicht zu sagen –, was ich dann tun werde.“24 Überzeugt davon, dass Kâmil Pascha kurz davorstand, Frieden zu schließen, der den Verlust Edirnes an eine fremde Macht bedeutet hätte, griff Enver zu einer drastischen Maßnahme. Am 23. Januar 1913 galoppierten zehn bewaffnete Verschwörer über die gepflasterten Straßen Istanbuls in Richtung Hohe Pforte. Sie drangen in den Saal ein, in dem eine Kabinettssitzung stattfand und lieferten sich einen Schusswechsel mit den Wachen des Großwesirs. Vier Männer, darunter der Kriegsminister Nâzım Pascha, wurden getötet. Dann hielt Enver Kâmil Pascha eine Pistole an den Kopf und verlangte den Rücktritt des Großwesirs. „Nach einer Viertelstunde war alles vorüber“, gestand Enver später. Anschließend machte er sich auf den Weg zum Palast, um den Sultan über seine Aktion zu informieren und die Ernennung eines neuen Großwesirs zu fordern. Sultan Mehmed V. Reşad (Mohammed V.) beauftragte Mahmud Şevket Pascha, einen altgedienten Staatsmann und ehemaligen Marschall, mit der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Rund vier Stunden nach dem berüchtigten „Sturm auf die Hohe Pforte“ war ein neues Kabinett ernannt worden, das die politische Stabilität im kriegszerrütteten Osmanischen Reich wiederherstellen sollte.25 Auch wenn seine Mitglieder den Coup gegen Kâmil Paschas Regierung angeführt hatten, nutzte das KEF diese Gelegenheit noch immer
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nicht, um die politische Macht zu übernehmen. Mahmud Şevket Pascha sympathisierte mit dem KEF , war aber kein Unionist. Der neue Großwesir wurde ermutigt, eine überparteiliche Koalition zu bilden, um nach den Spaltungen und militärischen Niederlagen der jüngsten Vergangenheit wieder für Stabilität und Einheit zu sorgen. Nur drei Unionisten wurden Teil seines Kabinetts, und alle drei waren Moderate. Das spätere Triumvirat des Osmanischen Reichs – Talât, Enver und Cemal – blieb für den Moment noch außen vor. Cemal nahm den Posten des Militärgouverneurs von Istanbul an, Talât blieb Generalsekretär des KEF , und Enver zog in den Krieg. Als der Krieg wieder aufgenommen wurde, waren die Folgen für das Osmanische Reich äußerst negativ. Der im Dezember vereinbarte Waffenstillstand lief am 3. Februar 1913 aus, ohne dass eine Übereinkunft getroffen worden war. Da die wichtigsten Städte belagert waren und es keine Möglichkeit gab, sie mit Nachschub zu versorgen oder zu befreien, mussten die Osmanen hilflos mit ansehen, wie ihre letzten europäischen Besitzungen eine nach der anderen an die aufstrebenden Balkanstaaten fielen. Die Griechen eroberten am 6. März die makedonische Stadt Janina (Ioannina im heutigen Griechenland). Montenegrinische Truppen besiegten die osmanischen Verteidiger von İşkodra (Shkodër im heutigen Albanien). Doch die blutigste Niederlage erlitten die Osmanen, als die fast verhungerten Bewohner von Edirne sich am 28. März den Bulgaren ergeben mussten – ein Moment der tiefen nationalen Krise für das gesamte Osmanische Reich. Mahmud Şevket Pascha schlug kurz nach dem Fall von Edirne eine Waffenruhe vor. Ende Mai begannen in London Verhandlungen zwischen dem Osmanischen Reich und den Balkanstaaten, am 30. Mai 1913 wurde unter britischer Vermittlung ein Friedensvertrag geschlossen. Im Vertrag von London verzichtete die osmanische Regierung auf mehr als 155 000 Quadratkilometer Territorium und fast vier Millionen Menschen, als es alle europäischen Besitzungen jenseits der Grenzlinie Midia–Enoz, mit kleineren Ausnahmen in Ostthrakien, dem Hinterland von Istanbul, abtrat. Wie im Türkisch-Italienischen Krieg hatten die Osmanen eine totale Niederlage erlitten. Viel schwerer als der Verlust von Libyen wog jedoch der Verlust von Albanien, Makedonien und Thrakien. Seit diese europäischen Besitzungen
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fünf Jahrhunderte zuvor dem Byzantinischen Reich entrissen worden waren, hatten sie das wirtschaftliche und administrative Herz der osmanischen Welt gebildet. Die drei Provinzen gehörten zu den wohlhabendsten und fortschrittlichsten des Reichs. Die hohen Kosten des Ersten Balkankriegs und der Verlust der Einnahmen aus diesen Gebieten vergrößerten das Loch in der Staatskasse. Tausende Flüchtlinge brauchten Hilfe bei der Neuansiedlung, und in ihren armseligen Lagern wüteten Krankheiten. Die Regierung sah sich zudem mit immensen Ausgaben konfrontiert, um nach zwei verlorenen Kriegen den Verlust an Soldaten und Material wieder auszugleichen und die Armee neu aufzubauen. Das größte Problem für die Hohe Pforte war allerdings die öffentliche Moral. Es war schon schlimm genug, einen Krieg gegen eine recht weit entwickelte europäische Macht wie Italien zu verlieren, doch weder die osmanische Armee noch die Öffentlichkeit konnten eine Niederlage gegen die kleinen Balkanstaaten hinnehmen, die noch vor Kurzem Teil ihres Reichs gewesen waren. „Die Bulgaren, die Serben, die Griechen – unsere Untertanen, die wir fünf Jahrhunderte lang verachtet haben, haben uns besiegt“, schrieb Yusuf Akçura, ein jungtürkischer Intellektueller. „Diese Realität, die wir nicht einmal in unseren kühnsten Träumen hätten heraufbeschwören können, wird uns die Augen öffnen … falls wir nicht schon vollständig tot sind.“ Während des gesamten 19. Jahrhunderts hatten Europäer das Osmanische Reich als „den kranken Mann Europas“ bezeichnet. Selbst die optimistischsten Jungtürken konnten nach dem Ende des Ersten Balkankriegs das Ableben des kranken Mannes nicht mehr leugnen.26 Die Niederlage polarisierte die Politik in Istanbul. Das KEF hatte seinen Coup d᾽État gegen Kâmil Paschas liberale Regierung 1913 als notwendige Maßnahme gerechtfertigt, um den Verlust Edirnes zu verhindern. Nun, da Edirne verloren gegangenen war, zeigten sich die Liberalen entschlossen, alte Rechnungen zu begleichen und die Unionisten aus der Politik zu vertreiben. Cemal, ein führender Unionisten-Politiker und Militärgouverneur von Istanbul, beauftragte Agenten mit der Überwachung aller, die er einer Verschwörung gegen die (überparteiliche) Regierung verdächtigte. Trotz seiner Bemühungen war Cemal nicht in der Lage, den Großwesir zu beschützen: Am 11. Juni, nur wenige Tage nach Unterzeichnung des Vertrags von London, wurde Mahmud Şevket Pascha von Attentätern direkt vor der Hohen Pforte erschossen.
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Die Unionisten nutzten die Unruhen, die auf die Ermordung des Großwesirs folgten, zu ihrem politischen Vorteil. Cemal setzte Säuberungsaktionen in Gang, welche die Macht der Liberalen ein für alle Mal brachen. Viele wurden verhaftet, zwölf Anführern machte man einen schnellen Prozess und exekutierte sie am 24. Juni. Eine große Anzahl exilierter Oppositioneller wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt, Dutzende weiterer wurden ins Exil abgeschoben. Nachdem sie sich ihrer liberalen Gegner entledigt hatten, griffen die Unionisten nach der Macht. Seit der Revolution von 1908 hatten sich die Jungtürken stets verweigert, der Regierung anzugehören. 1913 waren sie nun entschlossen zu regieren. Der Sultan bat im Juni 1913 Said Halim Pascha, Mitglied der Unionisten und der ägyptischen Königsfamilie, eine neue Regierung zu bilden. In Said Halims Kabinett nahmen die einflussreichsten Jungtürken zum ersten Mal Führungspositionen ein. Enver, Talât und Cemal wurden in den Rang eines „Pascha“ erhoben, des höchsten militärischen und zivilen Rangs im Osmanischen Reich. Talât Pascha wurde Innenminister, Enver Pascha zu einem der mächtigsten Generale der Armee und im Januar 1914 zum Kriegsminister ernannt. Cemal Pascha blieb Gouverneur von Istanbul. Nach 1913 bildeten diese drei Männern das mächtige Triumvirat des Osmanischen Reichs, mächtiger als der Sultan oder dessen Großwesir. Das KEF stieg zur unangefochtenen Macht auf, als die von den Unionisten geführte Regierung im Juli 1913 Edirne zurückerlangte. Möglich wurde dies durch ein Geschenk von Bulgariens Rivalen auf dem Balkan: Die bestehende Aufteilung der Beute unter den Siegermächten des Ersten Balkankriegs wurde von den europäischen Mächten rückgängig gemacht, als man Albaniens Unabhängigkeitserklärung anerkannte. Insbesondere Österreich und Italien unterstützten die Eigenstaatlichkeit Albaniens als Puffer gegen Serbien, womit zugleich verhindert wurde, dass Serbien sich zu einer neuen Seemacht im Mittelmeer entwickeln konnte. Die europäischen Mächte zwangen Serbien und Montenegro zum Rückzug aus im Ersten Balkankrieg eroberten albanischen Gebieten. Die verärgerten Serben beanspruchten daraufhin makedonisches Gebiet, das von Bulgarien und Griechenland gehalten wurde. Die Bulgaren wiederum, fest davon überzeugt, dass sie am meisten geleistet hätten, um die Türken zu besiegen, weigerten sich, irgendein Stück Land an die Serben abzutreten und wollten auch von den russischen Vermittlungsbemühungen nichts wissen. In
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der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1913 griff Bulgarien serbische und griechische Stellungen in Makedonien an und löste damit den Zweiten Balkankrieg aus. Bulgarien stand nun mit einem Mal allen Nachbarstaaten auf dem Balkan allein gegenüber, da sich Rumänien und Montenegro mit Griechenland und Serbien verbündet hatten. Angesichts dieser Übermacht waren die Bulgaren gezwungen, Teile ihrer Truppen von der osmanischen Grenze an die Front gegen Griechenland und Serbien zu verlegen. Das war genau jene Öffnung, auf die Enver gehofft hatte – und doch traf er in Said Halim Paschas Regierung auf Widerstand, da man fürchtete, weitere militärische Abenteuer könnten den Untergang des Reichs bedeuten. „Wenn jene, die offiziell mit der Regierung beauftragt sind, nicht den Mut aufbringen, die Armee in die Schlacht zu beordern“, schrieb Enver, „dann werde ich dies ohne ihre Befehle tun.“ Schließlich erhielt Enver seine Befehle und rückte mit einer Kavallerie- und Infanterieabteilung über die jüngst demarkierte Grenze auf Edirne vor.27 Als sich die Truppen am 8. Juli Edirne näherten, gerieten sie unter Beschuss der bulgarischen Verteidiger. Enver hielt seine Soldaten so lange zurück, bis er sicher sein konnte, dass der Gegner die Stadt evakuieren würde, sodass er am folgenden Tag Edirne einnahm, ohne auf Widerstand zu stoßen. Er entsandte eine Kavallerieeinheit, die die Fliehenden verfolgen sollte, während er die Stellungen in der vom Krieg verwüsteten Stadt sicherte. Die Freude über die Befreiung Edirnes wurde von der humanitären Katastrophe überschattet, der die Soldaten nun ansichtig wurden. Enver beschrieb den schrecklichen Anblick von „armen Türken, die in ihren zerstörten Häusern kampierten, von Alten mit grauenhaften Narben, von Waisen, abhängig von der Wohltätigkeit der Regierung, und von Tausenden von Grausamkeiten, denen ich auf Schritt und Tritt begegnete“.28 Im Verlauf des Juli besetzten osmanische Truppen einen Großteil Ostthrakiens, während Bulgarien Niederlagen gegen seine Nachbarn auf dem Balkan hinnehmen musste. Am 10. August ersuchte Bulgarien um Frieden, wodurch Edirne und Ostthrakien an das Osmanische Reich fielen. Ein weiteres Mal feierte man Enver; der „Held der Freiheit“ war nun auch der „Befreier von Edirne“. Im gesamten Reich fielen die Reaktionen euphorisch aus. Das KEF erntete für die Sicherung dieses Sieges nach derart vielen schmachvollen Niederlagen ein noch nie dagewesenes Wohlwollen
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der Öffentlichkeit. Indem er festhielt, wie es ihm gelungen war, für seine Heldentat die Bewunderung der gesamten muslimischen Welt zu gewinnen, sonnte sich Enver in seinem jüngsten Triumph. „Ich bin glücklich wie ein Kind“, vertraute er seinem deutschen Freund Hans Humann an, „dass ich der Einzige gewesen bin, der Edirne in nur einer Nacht einnehmen konnte.“29
* Von Kriegen und politischen Unruhen gebeutelt, wurde das jungtürkische Regime den liberalen Idealen der Revolution von 1908 nicht gerecht. Die Unionisten antworteten auf äußere Bedrohungen und innere Herausforderungen mit einem noch festeren Zugriff auf jene Provinzen, die unzweifelhaft unter osmanischer Kontrolle standen. Die Regierung erließ eine Reihe von politischen Maßnahmen, mit denen die Zentrifugalkräfte bekämpft werden sollten, die das Land auseinanderzureißen drohten. So wurde etwa die Zentralregierung zu mehr Effizienz angehalten. Die Anwendung des Gesetzes, worunter auch solch unpopuläre Maßnahmen wie die Besteuerung und die Wehrpflicht fielen, wurde mit gleicher Strenge und ohne Ausnahmen in allen Provinzen des Reichs durchgesetzt. Und alle Osmanen waren angehalten, sich bei ihren offiziellen Kontakten mit dem Staat der türkischen Sprache zu bedienen. Diese Zentralisierungsmaßnahmen zielten auf die arabischen Provinzen ab: Man versuchte, das Aufblühen von nationalistischen Separatistenbewegungen zu verhindern, bei denen sich die Araber ein Beispiel an den Balkanstaaten und deren Unabhängigkeit nehmen könnten. Vor allem nach 1909 verdrängte das osmanische Türkisch nach und nach das Arabische aus Schulen, Gerichtshöfen und Ämtern in den Provinzen Großsyrien und Irak. Die höheren Verwaltungsposten gingen an türkische Funktionäre, wohingegen erfahrene arabische Mitarbeiter die übrig gebliebenen nachrangigen Posten übernehmen mussten. Wie vorhersehbar trieben diese Maßnahmen viele loyale arabische Untertanen, die nun von der autoritären Wendung der jungtürkischen Revolution enttäuscht waren, zur Bildung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich dieser „Türkisierung“ entgegenstellten. Sie waren noch nicht nationalistisch ausgerichtet, doch diese „arabischen“ Gesellschaften der Vorkriegszeiten
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strebten größere kulturelle und politische Rechte für die Araber innerhalb des Staatsgefüges des Osmanischen Reichs an. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs nahm die Zahl jener arabischen Aktivisten jedoch deutlich zu, die tatsächlich auf eine vollständige Unabhängigkeit hofften. Sowohl in Istanbul als auch in den arabischen Provinzen gründeten sich arabische Gesellschaften. Arabische Abgeordnete des osmanischen Parlaments spielten eine wichtige Rolle bei den Treffen des in Istanbul angesiedelten Bunds der arabisch-osmanischen Verbrüderung und des Literarischen Klubs, wo man kulturelle Fragen von allgemeinem Interesse besprach. Reformgesellschaften wurden darüber hinaus auch in Beirut und Basra gegründet, in Bagdad entstand der Nationale Wissenschaftsklub. Diese Gesellschaften trafen sich öffentlich und mit Wissen der Behörden, weshalb sie auch dem prüfenden Blick der Geheimpolizei ausgesetzt waren.30 Zwei der einflussreichsten arabischen Gesellschaften wurden jedoch außerhalb der Reichweite der osmanischen Zensur und Polizei gegründet. Die jungarabische Gesellschaft, auch bekannt als Al-Fatat (abgeleitet von deren arabischen Namen Jam‘iyya al-‘Arabiyya al-Fatat), wurde 1909 von einer Gruppe syrischer Muslime in Paris ins Leben gerufen. Al-Fatat strebte die Gleichstellung der Araber innerhalb des Osmanischen Reichs an, eines als binational türkisch-arabisch empfundenen Staates, vergleichbar mit dem österreichisch-ungarischen Habsburgerreich. Taufiq al- Natur, einer der Gründer der Partei, erinnerte sich: „Alles, was wir als Araber wollten, war, im Osmanischen Reich die gleichen Rechte und Pflichten zu haben wie die Türken und dass das Reich sich aus zwei großen Nationen zusammensetzte, den Türken und den Arabern.“31 In Kairo rief 1912 eine Reihe ähnlich gesinnter syrischer Emigranten die Osmanische Partei für administrative Dezentralisierung ins Leben. Durch ihre Ablehnung der jungtürkischen Zentralisierungspolitik waren die in Kairo ansässigen Araber der Meinung, das Osmanische Reich mit all seiner ethnischen Diversität könne nur mit einem föderalen System regiert werden, das den Provinzen nennenswerte Autonomie zugestand. Sie nannten den dezentralen Aufbau der Schweiz mit den autonomen Kantonen als Vorbild. Allerdings wollte die Dezentralisierungspartei die Einheit des Reichs unter dem osmanischen Sultanat aufrechterhalten und plädierte für den Gebrauch des Türkischen neben der lokalen Sprache jeder Provinz.
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Die Unionisten blickten mit zunehmender Sorge auf die Ausbreitung arabischer Gesellschaften. Auf dem Höhepunkt der Balkankriege hatten die Jungtürken kein Interesse daran, Forderungen nach einer Dezentralisierung oder einer Doppelmonarchie auszudiskutieren. Als die Beiruter Reformgesellschaft im Februar 1913 ein Manifest mit der Forderung nach einer Dezentralisierung der Verwaltung veröffentlichte, reagierten die Behörden scharf. Am 8. April 1913 schloss die Polizei die Büroräume der Reformgesellschaft und forderte die Organisation auf, sich aufzulösen. Die einflussreichen Mitglieder der Gesellschaft riefen daraufhin zu einem stadtweiten Streik auf und organisierten Petitionen an den Großwesir, um gegen diese Maßnahmen zu protestieren. Man verhaftete mehrere Mitglieder unter dem Vorwurf der Agitation. Die angespannte politische Lage in Beirut hielt eine Woche an, bis die Krise durch die Freilassung der Gefangenen und die Aufhebung des Streiks beendet wurde. Die Reformgesellschaft öffnete jedoch nie wieder ihre Tore, und ihre Mitglieder wurden gezwungen, sich heimlich zu treffen, da der Arabismus in den Untergrund ging. Angesichts der wachsenden osmanischen Opposition wandten sich die Vertreter der arabischen Sache an die internationale Gemeinschaft. Mitglieder von Al-Fatat in Paris luden zu einem Treffen in der französischen Hauptstadt ein, um in Freiheit über Politik diskutieren zu können, ohne Angst vor Repressionen durch die Osmanen haben zu müssen, und um internationale Unterstützung für ihre Forderungen zu erhalten. Einladungen wurden an arabisch-nationalistische Gesellschaften im Osmanischen Reich, in Ägypten, Europa und nach Amerika gesandt. Trotz großer Bemühungen des osmanischen Botschafters in Frankreich, das Treffen zu verhindern, kamen 23 Delegierte aus den arabischen Provinzen des Reichs in Paris zusammen – elf Muslime, elf Christen und ein Jude –, um am 18. Juni 1913 unter den Augen von 150 Beobachtern den Ersten Arabischen Kongress abzuhalten. Der in Bagdad geborene Taufiq al-Suwaidi war einer von nur zwei irakischen Delegierten beim Arabischen Kongress (Suwaidis Freund, der jüdische Delegierte Sulayman Anbar, stammte ebenfalls aus Bagdad). Alle anderen Teilnehmer vertraten Großsyrien. Al-Suwaidi war erst kurz zuvor auf die arabisch-nationalistische Politik aufmerksam geworden: „Ich wusste, ich war ein arabisch-osmanischer Muslim“, erklärte er später,
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„auch wenn ich nur eine sehr vage Vorstellung von mir selbst als Araber hatte.“ Er sprach fließend Türkisch, hatte 1912 in Istanbul sein Jurastudium abgeschlossen und war dann nach Paris gezogen, um seine Studien fortzusetzen. In Paris begegnete al-Suwaidi einigen Vertretern der arabischen Bewegung, die seine politischen Ansichten „zutiefst beeinflussten“. Er schloss sich Al-Fatat an und spielte eine Schlüsselrolle bei der Organisation des Arabischen Kongresses.32 „Der Erste Arabische Kongress erwies sich als Bühne für einen großen Streit zwischen drei Fraktionen“, erinnerte sich al-Suwaidi. Die erste Gruppe war die „muslimisch-arabische Jugend“, die darum bemüht war, „genau dieselben Rechte zu erhalten, wie sie auch den türkischen Untertanen des Reichs zugestanden wurden“. Zur zweiten Fraktion gehörten die christlichen Araber, „die voll bitterem Hass auf die Türken waren“. Al- Suwaidi lehnte die dritte Gruppe als „Unentschlossene“ ab, welche als Opportunisten nicht in der Lage waren, „zwischen der Loyalität zu den Türken und der Loyalität zu den Arabern zu wählen“, und sich schlussendlich jener Seite anschließen würden, die ihren materiellen Interessen am zuträglichsten erschien. Bei den sechstägigen Verhandlungen einigte man sich auf zehn Resolutionen, die der Reformagenda der Delegierten einen Rahmen gaben. Sie verlangten politische Rechte für die Araber und durch eine Dezentralisierung ihre aktive Beteiligung an der Verwaltung des Osmanischen Reichs. Sie forderten die Anerkennung des Arabischen als offizielle Sprache des Reichs, das Recht der arabischen Abgeordneten, im Parlament in ihrer Muttersprache zu sprechen. Sie sprachen sich dafür aus, den Militärdienst in der Heimatprovinz des jeweiligen Wehrpflichtigen ableisten zu können, abgesehen von „Ausnahmen aufgrund sehr außergewöhnlicher Umstände“. Der Kongress verabschiedete zudem eine Resolution, in der die Delegierten ihre „Sympathie mit den Forderungen der osmanischen Armenier nach einer Dezentralisierung“ ausdrückten. Schließlich einigten sie sich darauf, ihren Entscheidungen sowohl der Hohen Pforte als auch den mit dem Osmanischen Reich befreundeten Staaten mitzuteilen. Am Abend des 23. Juni war der Kongress zu Ende. Der Kongress hätte keinen Zeitpunkt finden können, der für die Verhandlungen mit den Jungtürken schwieriger gewesen wäre. Die Osmanen hatten am 30. Mai den Vertrag von London unterschreiben müssen, mit
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dem der Erste Balkankrieg endete und der die Abtretung von Albanien, Makedonien und Thrakien bedeutete. Am 11. Juni wurde Großwesir Mahmud Şevket Pascha erschossen. Als der Kongress in Paris zusammenkam, waren die Unionisten mit Säuberungsmaßnahmen gegen ihre liberalen Gegner im Parlament beschäftigt und griffen zum ersten Mal nach der Macht. Und doch stellte das Treffen in Paris eine derart große Bedrohung dar, dass man sie nicht einfach ignorieren konnte. Würden die Osmanen nicht reagieren, würden sich die Araber mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Bitte um Unterstützung an die europäischen Mächte wenden. Und Frankreich machte keinen Hehl aus seinem Interesse an Syrien und dem Libanon. Die Jungtürken schickten ihren Generalsekretär, Mithat Şükrü, der den Schaden begrenzen und mit den Delegierten verhandeln sollte, um sich über eine Reformagenda zu einigen. Taufiq al-Suwaidi war misstrauisch, was Mithat Şükrüs Mission anging, von dem er behauptete, er treffe sich mit den Unentschlossenen „mit der ausdrücklichen Absicht, besagte Teilnehmer zu kontaktieren und sie auf die Seite der osmanischen Regierung hinüberzuziehen“. Die osmanischen Vermittler konnten eine Reformvereinbarung erzielen, die in einigen Punkten den Resolutionen des Arabischen Kongresses entgegenkam. Das Pariser Abkommen schlug vor, die Beteiligung der Araber ebenso wie den Gebrauch des Arabischen auf alle Ebenen des osmanischen Staates auszuweiten, und bestätigte, dass Soldaten ihren Dienst „in nahe gelegenen Ländern“ ableisten sollten.33 Die Hohe Pforte lud die Delegierten des Arabischen Kongresses nach Istanbul ein, um das Pariser Abkommen zu feiern. Die drei Teilnehmer, die die Einladung annahmen, wurden auf das Herzlichste begrüßt, trafen den Kronprinzen, Sultan Mehmed V. Reşad, den Großwesir Halim Pascha und die drei Männer des Triumvirats, Enver, Talât und Cemal. Man servierte ihnen üppiges Essen und tauschte auf höchster Regierungsebene warme Worte über die türkisch-arabische Bruderschaft aus. Doch formelle Abendessen und elegante Reden konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regierung nichts unternahm, um die Reformagenda für die arabischen Länder umzusetzen. Taufiq al-Suwaidi schlussfolgerte: „Jene, die mit den inneren Staatsangelegenheiten des Osmanischen Reichs vertraut waren, zeigten sich überzeugt, dass diese Gesten nichts als Ablenkungsmanöver waren und, sobald die Zeit dafür reif war,
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zu harten Maßnahmen gegen alle umgewandelt würden, die den Arabischen Kongress organisiert hatten.“ Die Delegierten kehrten im September 1913 mit leeren Händen nach Beirut zurück. Die Erwartungen der arabischen Nationalisten, genährt durch große Betriebsamkeit, wurden schlussendlich enttäuscht. Und, wie al-Suwaidi im Nachhinein feststellen konnte, waren die Organisatoren des Arabischen Kongresses gebrandmarkt: Drei Jahre nach dem Arabischen Kongress endeten mehrere von ihnen wegen ihrer arabisch-nationalistischen Politik am Galgen.34
* Im Verlauf von nur fünf Jahren hatte das Osmanische Reich eine Revolution, drei große Kriege gegen ausländische Mächte und eine ganze Reihe innerer Unruhen durchlebt, angefangen bei Massakern an religiösen Minderheiten bis hin zu separatistischen Revolten – und jedes Mal drohte eine weitere Einmischung von außen. Man kann das Ausmaß der Verluste für die Osmanen kaum ermessen. Das Reich hatte seine letzten Gebiete in Nordafrika und auf dem Balkan, zusammen mit Millionen von Untertanen, an europäische Staaten verloren. Der daraus resultierende Notstand führte bei den Reformern dazu, dass sie ihren Liberalismus aufgaben, in der verzweifelten Hoffnung, das Reich so vor dem totalen Zusammenbruch bewahren zu können. Die Bewegung von 1908, die die Verfassung schützen und den Absolutismus des Sultans beenden wollte, war nach mehreren Krisen Ende 1913 zu einer noch autokratischeren Regierung geworden, geführt von drei idealistischen Unionisten: Enver, Talât und Cemal. Die Befreiung von Edirne nährte im Osmanischen Reich neue Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die Armee hatte ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, verlorenes Land zurückzuerobern. „Nun haben wir eine Armee, der wir voller Zuversicht die Interessen dieses Landes anvertrauen können“, jubelte Enver, „und die tausend Mal fähiger ist, ihre Pflicht zu tun, als noch zu Beginn dieses deprimierenden Krieges, trotz aller erlittener Verluste.“ Auch wenn die territorialen Verluste in Nordafrika und auf dem Balkan höchst schmerzlich waren, so war das Osmanische Reich daraus doch als zusammenhängendes Gebiet hervorgegangen, das die türkischen und arabischen Provinzen miteinander verband. Ein solches asia-
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tisch-muslimisches Reich dürfte in seiner Kohärenz und Logik internen wie externen Herausforderungen besser widerstehen als das alte Osmanische Reich.35 Die Unionisten hofften ebenfalls auf eine glücklichere Zukunft, erkannten jedoch zugleich die diesseits und jenseits der Landesgrenzen drohenden Gefahren. Sie befürchteten, die Araber könnten sich ihrer nationalistischen Bewegung verschreiben und sahen in den armenischen Forderungen eine existenzielle Bedrohung für das Osmanische Reich. Die Gebiete, die in Ostanatolien im Fokus der armenischen Reformforderungen standen, bildeten das Kernland der türkischen Provinzen. Die Zusammenarbeit der armenischen Gemeinden auf beiden Seiten der russisch-türkischen Grenze verschärfte die Gefahr eines armenischen Separatismus. In den Augen der Jungtürken war Russland die größte Bedrohung für das Überleben ihres Staates. Mit seinen Ansprüchen auf Gebiete in Ostanatolien, die Meerenge und die Hauptstadt zielte Russland unverhohlen auf den Untergang des Osmanischen Reichs. Diese Großmachtansprüche konnten die Osmanen nur in Partnerschaft mit einer freundlich gesonnenen europäischen Macht im Zaum halten. So begann das schicksalhafte Jahr 1914 mit der Suche nach einem Defensivbündnis. Und diese Suche sollte es am Ende in den Ersten Weltkrieg hineinziehen.
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KAPITEL 2 DER FRIEDEN VOR DEM WELTKRIEG
Im Frühling 1914 gewann das Osmanische Reich neue Zuversicht. Der Sieg im Zweiten Balkankrieg und die Rückeroberung von Edirne und Ostthrakien beflügelten den nationalen Optimismus. Nach Jahren der Kriegsentbehrungen profitierte die Wirtschaft als Erste vom Frieden: Demobilisierte Soldaten kehrten auf den Arbeitsmarkt zurück, und Bauern sagten Rekordernten voraus. Sowohl in den türkischen wie auch den arabischen Provinzen boomte die Bauwirtschaft. Sobald die Seestraßen frei von Kriegsschiffen und Minen waren, nahm der Handel wieder Fahrt auf. Mit der Ausweitung des internationalen Handels hielten moderne Erfindungen Einzug, die nun nicht mehr militärischen, sondern zivilen Zwecken dienten. Die Ankunft des Automobils beendete die Ruhe auf Istanbuls Straßen. Bis 1908 waren Autos im Osmanischen Reich verboten gewesen. Als sie im Zuge der jungtürkischen Revolution schließlich zugelassen wurden, trafen die Pioniere der Motorisierung auf vielerlei Hindernisse. Im Großen und Ganzen waren die Straßen des Reichs ungepflastert. Werkstätten für Reparaturen und Tankstellen waren selten und lagen weit auseinander. Und es gab keine Straßenverkehrsordnung, sodass die Autofahrer schon über grundlegende Dinge in Streit gerieten, wie etwa die Frage, auf welcher Seite der Straße man zu fahren habe. Es überrascht daher nicht, dass seit 1908 zunächst nur wenige Autos im Osmanischen Reich verkauft wurden. Ende 1913, als bereits eine Million Fahrzeuge auf den Straßen der Vereinigten Staaten von Amerika unterwegs waren, schätzten Mitarbeiter der US-Botschaft in Istanbul, dass es nicht mehr als 500 Automobile im gesamten Land gab – und davon allein 250 in der Hauptstadt. In einer abgelegenen Provinzstadt wie Bagdad konnte man die Anzahl der Autos wortwörtlich an einer Hand abzählen. Doch Mitte 1914 erlebte Istanbul die
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ersten Verkehrsstaus, als „Limousinen, Tourenwagen, Motorlastwagen, benzinbetriebene Lieferwagen und Krankenwagen“ um den verfügbaren Platz konkurrierten.1 Zur Zeit der Jungtürken tauchten auch die ersten Flugzeuge auf. Dabei steckte die Luftfahrt noch in den Kinderschuhen: Den Brüdern Wright war im Dezember 1903 der erste erfolgreiche Flug mit einem motorisierten Luftfahrzeug gelungen. Sechs Jahre später kam der Luftfahrtpionier Louis Blériot nach Istanbul, um das Wunder des Fliegens vorzuführen. Blériot war kurz zuvor dadurch berühmt geworden, dass er am 26. Juli 1909 als erster Mensch mit seinem Eindecker über den Ärmelkanal geflogen war. Sein Besuch in Istanbul war sehnlichst erwartet worden. Vor Ort ließen starke Winde Blériots Flugzeug allerdings in das Dach eines Istanbuler Hauses stürzen, und der Pilot verbrachte die folgenden drei Wochen in einem örtlichen Krankenhaus, um sich von seinen Verletzungen zu erholen.2 1911 schickte man die ersten türkischen Piloten zur Ausbildung nach Europa. Ab 1914 begannen türkische Flieger, den Himmel über dem Osmanischen Reich zu erobern. Im Februar startete Hauptmann Fethi Bey, begleitet von einem Mitarbeiter Enver Paschas, Sadık Bey, einen Flugversuch von Istanbul über Anatolien und Syrien bis nach Ägypten. Ihr Flugzeug, ein von Blériot entwickeltes Modell, trug den Namen Muavenet-i Milliye (Nationale Unterstützung) und legte den rund 40 Kilometer langen Flug von Tarsus nach Adana in 20 Minuten zurück, wobei es auf eine Höchstgeschwindigkeit von fast 100 Stundenkilometern kam. Zuschauer applaudierten, als die Maschine über ihre Köpfe hinwegflog. Fethi Bey und Sadık Bey erreichten Damaskus, doch auf dem Weiterflug nach Jerusalem kam es zu Motorproblemen, und die beiden Männer starben beim Absturz östlich des Sees Genezareth. Die beiden ersten gefallenen türkischen Militärpiloten wurden neben Sultan Saladins Grab in der UmayyadenMoschee von Damaskus beigesetzt. Eine zweite Flugmission scheiterte auf ähnliche Weise, bis es den beiden Piloten Salim Bey und Kemal Bey im Mai 1914 schließlich gelang, die komplette Strecke von Istanbul nach Ägypten zurückzulegen.3 Im Juni 1914 führte der amerikanische Pilot John Cooper vor Tausenden Zuschauern das Curtiss-Flugboot in Istanbul vor. Er startete mit dem Wasserflugzeug vom Marmarameer und flog 24 Kilometer in einer Höhe
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von 1000 Fuß (etwa 300 Meter), bevor er im Bosporus zwischen den europäischen und asiatischen Stadtteilen Istanbuls landete. Mitglieder der Regierung, des Parlaments und des Herrscherhauses verfolgten die Flugvorführung. Anschließend absolvierte Cooper sieben Flüge mit hohen Würdenträgern auf dem Passagiersitz „unter dem Applaus und der Bewunderung der Zuschauer, wobei für die meisten diese Art von Flugzeug eine gänzliche Neuheit war“, wie ein Augenzeuge berichtete. Alle großen Istanbuler Zeitungen brachten am folgenden Tag Artikel und Fotos des Ereignisses.4 Die Zunahme von motorisiertem Transport steigerte im Frühling 1914 zusätzlich den Optimismus im Osmanischen Reich. Die Regierung vereinbarte im Mai einen 100-Millionen-Dollar-Kredit mit Frankreich und sicherte sich damit die Finanzierung großer öffentlicher Bauvorhaben, die Elektrizität, Straßenbeleuchtung, Straßenbahnen, Überlandverbindungen und moderne Hafenanlagen in alle Provinzen des Landes bringen sollten. Die Verkündung des französischen Kredits führte zu weitverbreiteter Hoffnung auf einen wirtschaftlichen und industriellen Aufschwung. Die französischen Geldmittel bildeten den Höhepunkt von Friedensverhandlungen, mit denen die europäischen Mächte die noch offenen Differenzen zwischen dem Osmanischen Reich und seinen Nachbarn nach den Balkankriegen klären wollten. Die französische Finanzspritze versprach echtes ökonomisches Wachstum und diente als kräftiger Anreiz, sich mit dem Verlust von Albanien, Makedonien und Thrakien abzufinden. Doch selbst nachdem die Friedensverträge unterschrieben und der Kredit bewilligt waren, blieben zwischen Istanbul und Athen noch wichtige Fragen ungeklärt. Im Londoner Friedensvertrag, mit dem 1913 der Erste Balkankrieg beendet wurde, fielen drei ägäische Inseln an Griechenland. Chios und Lesbos, die die Einfahrt nach Smyrna (dem heutigen Izmir) kontrollierten, waren vom türkischen Festland aus mit bloßem Auge zu sehen. Limnos mit seinem Tiefwasserhafen Moudros liegt nicht einmal 80 Kilometer von der Meerenge der Dardanellen entfernt. Die Hohe Pforte akzeptierte den Verlust dieser Inseln nie und war nicht bereit, mit der griechischen Dominanz in ihren Küstengewässern zu leben. Während ihre Diplomaten um europäische Unterstützung für die Pläne der Regierung warben, die Ägäisinseln zurückzuerhalten, machten sich Militärs daran, das Ungleich-
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gewicht der Seestreitkräfte im östlichen Mittelmeer zu ihren Gunsten zu verändern. Die Regierung bestellte im August 1911 zwei moderne Großkampfschiffe vom britischen Rüstungshersteller Vickers Ltd., die im Juli 1914 geliefert werden sollten. Die Aufträge waren Teil einer britischen Marinemission, die bei der Modernisierung der Flotte helfen sollte. Der Kauf der Sultan Osman und der Reşadiye, benannt nach dem gleichnamigen Gründer des Osmanischen Reichs beziehungsweise nach dem derzeitigen Sultan Mehmed V. Reşad, rissen tiefe Löcher in die Staatskasse. Indem sie auf den Patriotismus ihrer Landleute setzte, finanzierte die Regierung die Schiffe zu großen Teilen über öffentliche Beiträge: Türkische Schulkinder forderte man auf, ihr Taschengeld zu spenden, und auf öffentlichen Plätzen wurden Stände aufgebaut, an denen loyale Untertanen für einen Betrag von fünf Piaster oder mehr eingeladen wurden, Nägel in massive Holzblöcke zu hämmern. Die Schiffe waren der ganze Stolz der Nation und halfen, die Marine des Reichs nach den Niederlagen in Libyen und dem Ersten Balkankrieg wiederaufzubauen. Griechenland und Russland hingegen betrachteten die Entwicklung mit wachsender Sorge, vor allem als die Kampfschiffe im Frühling 1914 kurz vor ihrer Fertigstellung standen. Die riesigen Schiffe würden der türkischen Marine die deutliche Überlegenheit über die russische Schwarzmeerflotte und die griechische Marine in der Ägäis sichern. Der Streit um die Ägäisinseln und die bevorstehende Auslieferung der Dreadnoughts steigerten 1914 die Gefahr eines Krieges zwischen Griechenland und der Türkei. Funktionäre in Griechenland forderten einen Präventivschlag, um die Osmanen zu besiegen, bevor sie die neuen Kriegsschiffe einsetzen konnten. Die Osmanen wiederum bereiteten sich erneut darauf vor, ihre Untertanen zum Kriegsdienst heranzuziehen, weshalb sie im April 1914 an die Dorfvorsteher im Reich Warnungen verschickten, es könne zu einer Mobilmachung kommen. Da darin die Treue zum Islam beschworen wurde, breiteten sich Gerüchte aus, ein Krieg gegen das christliche Griechenland stehe bevor.5 Die Aussicht auf einen erneuten Krieg zwischen Griechenland und der Türkei ließ in Sankt Petersburg die Alarmglocken läuten. Auch wenn die Russen nicht weniger besorgt waren über das Kräfteverhältnis zur See als die Griechen, so lag ihnen doch vor allem daran, dass die osmanischen
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Gewässer für den russischen Schwarzmeerhandel geöffnet blieben: 50 Prozent der russischen Exporte und damit 90 Prozent der russischen Getreideausfuhren verliefen durch die türkischen Meerengen. Ein erneuter Krieg in der Ägäis würde zur Schließung der Seewege führen und damit den russischen Handel behindern, mit katastrophalen Auswirkungen für die russische Wirtschaft. Folglich übte Russland diplomatischen Druck auf Griechenland aus, um einen Krieg mit der Türkei zu vermeiden, während es zugleich Großbritannien zur verzögerten Auslieferung der Schiffe an die osmanische Marine zu bewegen versuchte.6
* Der russischen Diplomatie lagen noch weitere Motive zugrunde. Überzeugt davon, dass der Untergang des Osmanischen Reichs unmittelbar bevorstehe, wollten der Zar und seine Regierung ihre Ansprüche auf Gebiete mit hohem strategischem Wert für Russland untermauern, für den Fall, dass es in der Zukunft zu einer Aufteilung des osmanischen Staatsgebiets durch die europäischen Mächte kommen sollte. Zu Russlands wichtigsten Zielen gehörten der Anspruch auf die Rückgewinnung Kon stantinopels für die orthodoxe Christenheit, nachdem die Stadt fast 500 Jahre lang unter türkisch-muslimischer Herrschaft gestanden hatte, sowie auf die Kontrolle der Meerengen, die das russische Schwarze Meer mit den Häfen im Mittelmeer verband. Sankt Petersburg zeigte sich daher entschlossen, jeden Krieg zu verhindern, der zur Verteilung von Gebieten an Griechenland oder Bulgarien führen könnte, die Russland beanspruchte. Der russische Ministerrat traf sich im Februar 1914, um über eine Besetzung Konstantinopels und der Meerengen zu beraten, und kam dabei überein, dass sich die beste Gelegenheit dazu im Kontext eines allgemeinen europäischen Krieges ergeben würde. Zar Nikolaus II. genehmigte die Empfehlungen seines Kabinetts im April 1914 und trug seiner Regierung auf, alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Istanbul und die Meerengen zu erobern.7 Neben den Plänen zur Annexion der osmanischen Hauptstadt entwickelten die Russen auch Vorschläge, ihre Position in Ostanatolien zu sichern. Die östlichen Ausläufer des Osmanischen Reichs hatten eine gemeinsame Grenze mit den instabilen russischen Kaukasusprovinzen und
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bildeten den Zugang zum Nordwestiran, wo sich Russland und Großbritannien argwöhnisch gegenüberstanden. Ostanatolien umfasste auch jene sechs Provinzen, die die europäischen Mächte als von den Armeniern bewohnte Gebiete identifiziert hatten: Erzurum, Van, Bitlis, Diyarbakır, Marmuretül-Aziz und Sivas. Etwa 1,25 Millionen Armenier lebten auf der russischen Seite der Grenze, rund eine Million in den sechs osmanischen Provinzen Ostanatoliens, die von der internationalen Gemeinschaft als Türkisch-Armenien anerkannt waren. Die Regierung des Zaren hatte seit 1878 die Verteidigung der Rechte der dort lebenden Armenier als Grund für die Einmischung in osmanische Angelegenheiten vorgeschoben. Diese russischen Ambitionen auf osmanisches Gebiet verstärkten die Spannungen zwischen Osmanen und Armeniern.8 Insbesondere in den Jahren nach der jungtürkischen Revolution waren zwischen Armeniern und Kurden bestehende Spannungen neu aufgeflammt. Einige Armenier, die aufgrund der Gewalttaten in den 1890erJahren geflohen waren, bemühten sich nach der Revolution von 1908 um die Rückerstattung ihrer Häuser. Manche kurdischen Stammesangehörige weigerten sich, die Ansprüche der früheren Besitzer anzuerkennen. Und schon 1909 führten diese Landstreitigkeiten zwischen Armeniern und Kurden zu Gewaltausbrüchen, bei denen die Kurden die Oberhand behielten. Die nomadischen Kurden waren deutlich besser bewaffnet als die sesshaften Armenier, und osmanische Funktionäre standen naturgemäß auf der Seite der Kurden und ergriffen nur selten Partei für die christlichen Armenier. Die Situation verschärfte sich, als osmanische Truppen aus Ostanatolien abgezogen und in die Kriege um Libyen und den Balkan entsandt wurden und man armenische Wehrpflichtige 1912 an die Balkanfront schickte. So mussten sich armenische Bauern ganz alleine gegen die Kurden wehren, während der Konflikt weiter an Brisanz zunahm.9 Russland nutzte das Machtvakuum im Juni 1913 und schlug Reformen für eine größere armenische Autonomie in Ostanatolien vor. Unter Berufung auf das Reformedikt Sultan Abdülhamids für die Armenier aus dem Jahre 1895 riefen die Russen zur Bildung zweier halbautonomer Provinzen auf, die aus den sechs östlichen Provinzen des Osmanischen Reichs bestehen und von ausländischen, von den Großmächten ernannten Generalgouverneuren regiert werden sollten. Der Vorschlag sah zudem Provinzräte vor, die aus ebenso vielen Muslimen wie Armeniern bestehen
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sollten. Europäische und osmanische Diplomaten hegten starke Bedenken, dass dies nur das Vorspiel zu einer Aufteilung Anatoliens sein könnte, wobei Russland Anspruch auf die östlichen Provinzen erheben würde. Sankt Petersburg untermauerte daraufhin seine diplomatischen Vorstöße durch einen Vorschlag zur Truppenstationierung entlang der russisch- türkischen Grenze und innerhalb des osmanischen Territoriums in der Stadt Erzurum – vorgeblich zur Verteidigung der Armenier. Um der Militarisierung der Situation zuvorzukommen, stimmte die Hohe Pforte einem überarbeiteten Reformvorschlag der Russen zu, der am 8. Februar 1914 unterzeichnet wurde. Der Reformvorschlag zur Armenier-Frage schob den Konflikt mit Russland allerdings nur auf und verschärfte schlussendlich sogar die jungtürkischen Schwierigkeiten mit den Armeniern. Denn die Regierung in Istanbul verstand den Reformplan als Auftakt zu einer armenischen Staatenbildung und damit als existenzielle Bedrohung. Die Jungtürken zeigten sich entschlossen, die Umsetzung dieser Pläne auf jeden Fall zu verhindern. Talât Pascha, Innenminister und Mitglied des herrschenden Triumvirats, entwickelte ungewöhnliche Pläne, um die Armenier aus den sechs Provinzen zu vertreiben und damit solche Reformen überflüssig werden zu lassen.10 Die Verhandlungen zwischen der jungtürkischen Regierung und den Russen ließen erkennen, wie sehr das Osmanische Reich auf der internationalen Bühne isoliert worden war. Die Hohe Pforte war sich der Gefahr, die Russland für die territoriale Integrität des Reichs darstellte, nur allzu bewusst. Doch während sich die Osmanen normalerweise auf Großbritannien oder Frankreich verlassen konnten, um Russlands Ambitionen zurückzuweisen, waren diese drei Mächte inzwischen in der Triple Entente verbündet. Weder Großbritannien noch Frankreich waren nun bereit, sich für die Osmanen einzusetzen. In derart gefährlichen Zeiten brauchte das Osmanische Reich jedoch einen starken Freund. Der naheliegendste Kandidat war das Deutsche Reich.
* Die Wurzeln der deutsch-osmanischen Freundschaft reichten tief. 1898 hatte Kaiser Wilhelm II. dem Osmanischen Reich einen Staatsbesuch ab-
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gestattet. Von Istanbul aus reiste er durch die türkischen und arabischen Provinzen und besuchte wichtige Städte und historische Orte. In Damaskus versprach der Kaiser mit berühmt gewordenen Worten insbesondere den Osmanen, aber auch den Muslimen weltweit Deutschlands ewige Freundschaft: „Möge der Sultan und mögen die 300 Millionen Mohammedaner, die, auf der Erde zerstreut lebend, in ihm ihren Kalifen verehren, dessen versichert sein, dass zu allen Zeiten der deutsche Kaiser ihr Freund sein wird!“11 Wilhelms Freundschaftsbekundung war nicht gänzlich selbstlos. Angesichts seiner Rivalität mit dem älteren, längst gefestigten British Empire erkannte der Kaiser die Gelegenheit für Deutschland, durch eine Partnerschaft mit dem Osmanischen Reich an Einfluss zu gewinnen. Wilhelm glaubte, die Freundschaft mit dem Sultan, der zudem als Kalif Schutzherr der muslimischen Religion war, würde Deutschland bei den Muslimen auf der ganzen Welt deutlich beliebter werden lassen als jede andere europäische Macht. Bei über 100 Millionen Muslimen unter britischer Herrschaft in Indien, am Persischen Golf und Ägypten erkannte Deutschland das Potenzial, den Islam als Waffe gegen die Briten einsetzen zu können, sollte sich ein entsprechender Bedarf ergeben. Zudem besetzte die Türkei eine für Deutschland geostrategisch wichtige Position. Zum Zeitpunkt des kaiserlichen Besuchs standen sich Großbritannien und Russland in einer intensiven Rivalität über die Vorherrschaft in Zentralasien gegenüber, die als „The Great Game“ (Das Große Spiel) bekannt wurde. Die türkischen Provinzen in Ostanatolien waren der Zugang sowohl nach Persien als auch nach Zentralasien. Deutschland könnte ein Mitspieler bei diesem Great Game werden und sowohl Großbritannien als auch Russland unter Druck setzen, sollte es eine Allianz mit den Osmanen eingehen. Die Südgrenze des Osmanischen Reichs lag am Persischen Golf. Das Deutsche Reich hoffte, hier in ein von den Briten eifersüchtig bewachtes Gewässer vordringen zu können. Im 19. Jahrhundert war es Großbritannien gelungen, die Osmanen und andere europäische Mächte gleichermaßen aus dieser Region herauszuhalten: Mit exklusiven Verträgen hatte es die arabischen Herrscher der „Trucial States“ (heute Teilstaaten der Vereinigten Arabischen Emirate) sowie von Oman, Katar, Bahrain und Kuwait an die britische Krone gebunden. Nach dem kaiserlichen
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Besuch im Osmanischen Reich 1898 bemühte sich das Deutsche Reich, seine neue Partnerschaft mit den Türken dahingehend zu nutzen, um Großbritanniens Monopol der Herrschaft über den Persischen Golf durch eine Eisenbahnverbindung zwischen Berlin und Bagdad herauszufordern. Im Dezember 1899 sicherte sich Deutschland die Konzession für den Bau einer Eisenbahnlinie durch die Türkei über Bagdad bis nach Basra am Persischen Golf. Die Bauarbeiten begannen 1903; 1914 verbanden die Schienen Istanbul mit Ankara und der Mittelmeerküste bei Adana. In Kilikien war man im Taurus- und Amanosgebirge (auch Nurgebirge) auf unerwartete Schwierigkeiten gestoßen und damit deutlich hinter den Zeitplan geraten. Während ein Großteil der Verbindung in Anatolien fertiggestellt war, befanden sich in Syrien und im Irak noch viele Abschnitte im Bau.12 Der erste Zug verließ den Bahnhof von Bagdad am 1. Juni 1914 ohne großes Aufheben. Die Strecke verlief rund 60 Kilometer gen Norden bis zu einem verlorenen Wüstenort namens Sumika. Unbeirrt vom fehlenden öffentlichen Interesse an dem Zug ins Nirgendwo druckte die Eisenbahngesellschaft Fahrpläne und legte sie in Ämtern, ausländischen Konsulaten, Klubs und Hotels aus. Die Arbeiten gingen zügig voran, im Oktober 1914 war die Strecke bis Samarra ausgebaut. Der Zug gen Norden verließ Bagdad einmal wöchentlich um 10 Uhr morgens und legte die 120 Kilometer lange Strecke in vier Stunden zurück, also mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Stundenkilometern. Der Gegenzug von Samarra nach Bagdad fuhr jeden Donnerstagmorgen um 10 Uhr los. Wenn auch der Traum einer direkten Verbindung zwischen Bagdad und Berlin noch lange keine Realität war, so half das Projekt doch dabei, das Deutsche und das Osmanische Reich während einer turbulenten Phase der europäischen Geschichte enger aneinanderzubinden.13 Die durch die Einsetzung einer deutschen Militärmission im Osmanischen Reich vertieften Beziehungen zwischen Berlin und Istanbul lösten Ende 1913 eine europäische Krise aus. Der Großwesir Said Halim Pascha hatte Kaiser Wilhelm II. um die Entsendung eines erfahrenen Generals gebeten: Dieser sollte mit einer Gruppe deutscher Offiziere der mittleren Befehlsebene die Reform und Reorganisation der osmanischen Armee beratend unterstützen. Der Kaiser nominierte den Preußen Otto Liman von Sanders, der zu diesem Zeitpunkt als Kommandeur der 22. Division des
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deutschen Heers in Kassel stationiert war. Er hatte einige Jahre im Generalstab gedient und war gereist, besaß jedoch keine besonderen Kenntnisse des Osmanischen Reichs. Liman nahm die Berufung, ohne zu zögern, an und fuhr Mitte Dezember 1913 mit dem Zug nach Istanbul. Kurz nach seiner Ankunft traf er mit Sultan Mehmed V. Reşad, dem Großwesir und dem führenden Triumvirat der Jungtürken zusammen. Der deutsche General zeigte sich beeindruckt vom „Charme“ und der „gewinnenden Persönlichkeit“ des Innenministers und bemerkte, Cemal Pascha, der Befehlshaber des 1. Armeekorps, vereine „große Intelligenz mit sehr bestimmtem Auftreten“. Liman überwarf sich jedoch fast augenblicklich mit Enver Pascha. Zweifellos war Enver, Monate zuvor noch als „Befreier Edirnes“ gefeiert, verärgert darüber, dass ein deutscher Offizier über die türkische Armee urteilen durfte. Wenn auch Liman den beklagenswerten Zustand, in dem sich die osmanische Armee mit ihren zerschlissenen Uniformen, verseuchten Unterkünften sowie schlecht ernährten und unterbezahlten Soldaten befand, sehr kritisch sah, schien er diesen Mangel nicht als Envers Versagen aufzufassen. Der deutsche General glaubte vielmehr, Enver sei schneller befördert worden, als es eigentlich seiner Erfahrung und seinen Fähigkeiten entsprach. Das trat im Januar 1914 zutage, als das KEF Enver zum Kriegsminister machte. Der verblüffte Sultan Mehmed V. Reşad schien Liman aus der Seele zu sprechen, als er von der Ernennung aus der Zeitung erfuhr und sagte: „Hier steht, daß Enver Kriegsminister geworden ist; das ist doch nicht möglich, er ist noch viel zu jung dafür.“14 Die russische Regierung hatte sich von Anfang an gegen die Schaffung einer deutschen Militärmission ausgesprochen. Der Widerstand aus Sankt Petersburg entwickelte sich zu einer Krise, als Cemal Pascha Liman das Kommando über das 1. Armeekorps der osmanischen Armee übergab. Nach russischer Meinung war dies gleichbedeutend mit einer deutschen Machtübernahme über ein Gebiet, an dem Russland verstärktes Interesse hatte. Die Regierung des Zaren drohte damit, die ostanatolische Stadt Erzurum zu besetzen, um eine solche Veränderung im Mächtegleichgewicht zu verhindern. Großbritannien und Frankreich waren entschlossen, derartige russische Vergeltungsmaßnahmen zu verhindern, hätten diese doch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer vorzeitigen Aufspaltung des Osmanischen Reichs geführt. Doch die Briten befanden sich in einer schwierigen Lage.
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Schließlich leitete seit 1912 der britische Admiral Arthur Limpus eine zweiundsiebzigköpfige Marinemission im Osmanischen Reich und war zudem Oberbefehlshaber der osmanischen Marine. Anstatt die Auflösung der deutschen Militärmission anzustreben, schlugen britische Diplomaten vor, Liman könne doch das 2. Armeekorps übernehmen und damit auf die Kontrolle über die Armee in Istanbul und den Meerengen verzichten. Liman, unwillig auf politischen Druck hin seinen Auftrag abzugeben, lehnte jegliche Bemühungen ab, sein Kommando auf ein anderes Korps übertragen zu lassen. Schließlich fand der Kaiser die Lösung, bei der Liman in einen Rang befördert wurde, der für das Kommando über ein Korps zu hoch war. Liman wurde Feldmarschall und das Kommando über das 1. Armeekorps an einen osmanischen Offizier weitergegeben. Deutschland und das Osmanische Reich hatten die Krise gemeinsam bewältigt, was die beiden Staaten noch enger zusammenrücken ließ.15
* Im Sommer 1914 blickte das Osmanische Reich optimistisch auf den Wirtschaftsboom und sorgte sich gleichzeitig wegen der kriselnden Außenbeziehungen. Dieser Widerspruch wurde, auf katastrophale Art und Weise, am 28. Juni 1914 mit der Ermordung des österreichischen Kronprinzen in der bosnischen Stadt Sarajevo aufgehoben. Das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand aktivierte ein Netz sowohl offener als auch geheimer Allianzen, die Europa in zwei feindliche Blöcke teilten. Die Tatsache, dass das Osmanische Reich außerhalb dieses trügerischen Bündnisnetzwerkes lag, konnte die Hohe Pforte nicht zufriedenstellen. Mit der aufziehenden Gefahr eines europäischen Krieges wuchsen die Befürchtungen vor einer russischen Annexion von Istanbul, den Meerengen und Ostanatolien – und damit die endgültige Aufspaltung des Osmanischen Reichs unter den Entente-Mächten. Von Frankreich war bekannt, dass es Syrien begehrte, Großbritannien hatte Interesse an Mesopotamien, und Griechenland wollte sich über die Ägäis hinaus ausdehnen. Ohne Unterstützung hatten die Osmanen keine Chance, ihr Territorium gegen so viele Feinde zu verteidigen. Die Führung war kriegsmüde und brauchte mehr Zeit, um Militär und Wirtschaft wiederaufzubauen. Sie hatte wenig Ehrgeiz, sich in einen grö-
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ßeren europäischen Konflikt einzuschalten. Vielmehr suchte sie einen Verbündeten, um das verwundbare Staatsgebiet vor den Folgen eines solchen Krieges zu schützen. Die Hinwendung der Osmanen zum Deutschen Reich war keinesfalls selbstverständlich. Interessanterweise war die Hohe Pforte während der Julikrise für ein Defensivbündnis mit jeder europäischen Macht offen. Die drei jungtürkischen Führer vertraten unterschiedliche Standpunkte, was potenzielle Verbündete anging. Enver und Talât neigten eher zu einer Allianz mit Deutschland, wohingegen Cemal der Meinung war, nur eine Entente-Macht könne die russischen Ambitionen auf osmanische Gebiete erfolgreich in Schach halten. Er selbst war frankophil, und es gab gute Gründe, sich für ein Defensivbündnis an Frankreich zu wenden: Frankreich war seit dem 100-Millionen-Dollar-Kredit im Mai 1914 der wichtigste Gläubiger der Osmanen. Sollte Frankreich ablehnen, sah Cemal in Großbritannien eine gute Alternative. Fast das gesamte 19. Jahrhundert hindurch war Großbritannien der zuverlässigste Fürsprecher der Bewahrung der territorialen Integrität des Osmanischen Reichs gewesen. In den letzten Jahren hatte Großbritannien mit der Limpus-Mission und dem Bau neuer Kriegsschiffe bei der Restrukturierung der osmanischen Marine geholfen. Seit er zum Marineminister ernannt worden war, hatte Cemal eng mit der britischen Marinemission zusammengearbeitet, deren Professionalität ihn beeindruckt hatte. Es war daher naheliegend, dass Cemal sowohl Briten als auch Franzosen als mögliche Verbündete des Osmanischen Reichs in Betracht zog. Anfang Juli 1914, kurz nach dem Attentat in Sarajevo, besuchte Cemal auf Einladung der Regierung Frankreich und nahm an einem Marinemanöver teil. Er nutzte seine Reise nach Europa für ein Treffen mit den osmanischen Offizieren, die Kontakt zu den britischen Werften hielten, die mit dem Bau der Kriegsschiffe beauftragt waren. Die Offiziere berichteten Cemal, dass „die Engländer in einem eigentümlichen Gemütszustand sind. Sie scheinen stets nach neuen Entschuldigungen für eine verspätete Fertigstellung und Auslieferung der Kriegsschiffe zu suchen.“ Cemal wies sein Offiziere an, nach England zurückzukehren und die Schiffe baldmöglichst zu übernehmen, damit man in den Werften Istanbuls die letzten Handgriffe dann selbst übernehmen könne.16 Nachdem er die französische Flotte besichtigt hatte, kehrte Cemal Pascha nach Paris zurück und besprach sich im Außenministerium. Bei einer
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Unterredung mit einem leitenden Mitarbeiter kam Cemal direkt auf den Punkt: „Sie müssen uns in die Entente aufnehmen und gleichzeitig vor den furchtbaren Gefahren beschützen, die uns vonseiten Russlands drohen.“ Im Gegenzug, so versprach Cemal, würde die Türkei ein treuer Verbündeter sein, der Frankreich und Großbritannien helfen werde, „einen eisernen Ring um die Mittelmächte zu schmieden“. Der französische Diplomat erwiderte vorsichtig, dass seine Regierung nur dann mit den Osmanen ein Bündnis eingehen könne, wenn die anderen Alliierten dem zustimmten, was „sehr zweifelhaft“ sei. Cemal deutete diese Antwort als Absage. „Ich verstand einwandfrei, dass Frankreich überzeugt war, es wäre unmöglich für uns, den eisernen Klauen Russlands zu entkommen und dass es uns unter keinen Umständen seine Hilfe gewähren würde.“ Am 18. Juli verließ Cemal Paris und kehrte mit leeren Händen nach Istanbul zurück. Am 28. Juli 1914, einen Monat nach dem Mord in Sarajevo, erklärte das Habsburgerreich Serbien den Krieg. Was als Konflikt auf dem Balkan begann, zog bald die größten Militärmächte Europas in einen totalen Krieg. Russland, durch ein Bündnis an Serbien geknüpft, bedrohte nun Österreich-Ungarn mit Krieg. Das Deutsche Reich stand seinem Partner Österreich bei, und die Alliierten Russlands, Großbritannien und Frankreich, zogen ebenfalls in die Schlacht. Am 4. August war die Triple Entente mit Deutschland und Österreich im Krieg.17 Der Kriegsausbruch in Europa löste im ganzen Osmanischen Reich Alarm aus – vom Kabinettstisch in der Hohen Pforte durch die Städte bis hin zu den ländlichen Regionen in Anatolien und den arabischen Gebieten. Die Notwendigkeit eines Defensivbündnisses, das die territoriale Integrität sichern sollte, wurde noch dringlicher. Die Jungtürken wussten aus Cemals Berichten, dass von Frankreich kein solches Bündnis zu erwarten war. Ihr Vertrauen in Großbritannien sollte bald auf ähnliche Weise enttäuscht werden. Am 1. August, drei Tage vor seiner Kriegserklärung an Deutschland, belegte Großbritannien die vom Osmanischen Reich bestellten zwei Kriegsschiffe mit Beschlag. Cemal Pascha war über diese Nachricht äußerst bestürzt, waren doch die neuen Schiffe als Stützpfeiler der maritimen Aufrüstung eingeplant. Er erinnerte sich an seine Gespräche mit den osmanischen Marineoffizieren in Paris und erkannte, dass die wiederholten
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britischen Verzögerungen „nichts als ein Vorwand gewesen sind, die … den von England lang gehegten Plan verrieten, sich diese Schiffe anzueignen“. Angesichts der Tatsache, dass die Schiffe bereits vollständig bezahlt worden waren, und zwar zu einem Großteil durch öffentliche Spenden, wurde die britische Beschlagnahmung als nationale Demütigung der Türkei aufgefasst. Damit war eine britisch-osmanische Verständigung unmöglich. Bereits am nächsten Tag, dem 2. August 1914, schloss das Osmanische Reich ein geheimes Bündnisabkommen mit Deutschland.18 Die Österreicher hatten Mitte Juli 1914 als Erste vorgeschlagen, das Osmanische Reich in die Allianz der Mittelmächte aufzunehmen. Wien hoffte, Serbien isolieren und Bulgarien neutralisieren zu können, indem man zu einer Einigung mit Istanbul kam. Die Deutschen verwarfen die Idee zunächst. Sowohl der deutsche Botschafter in Istanbul, Freiherr Hans von Wangenheim, als auch General Liman von Sanders, der Chef der deutschen Militärmission, glaubten, dass die Osmanen sich eher als militärische und diplomatische Belastung herausstellen könnten. Die Türkei, so schrieb Wangenheim am 18. Juli nach Berlin, „ist zweifellos heut noch vollkommen bündnisunfähig. Sie würde ihren Verbündeten nur Lasten auferlegen[,] ohne ihnen die geringsten Vorteile bieten zu können“.19 Enver, Talât und der Großwesir Said Halim Pascha diskutierten die Angelegenheit einer deutsch-osmanischen Allianz Ende Juli mit Wangenheim. Sie warnten den Botschafter, die Osmanen könnten gezwungen sein, die Unterstützung der Entente-Mächte durch ein Bündnis mit Griechenland zu suchen, sollte Deutschland sich nicht mit ihnen einigen. Als Wangenheim dies nach Berlin meldete, entschied Kaiser Wilhelm II. zugunsten eines Pakts mit dem Osmanischen Reich. Nachdem man zwei Jahrzehnte lang die deutsch-osmanische Freundschaft gepflegt hatte, erschreckte den Kaiser die Vorstellung, die Türken in die Arme der Russen oder Franzosen zu drängen. Am 24. Juli wies Wilhelm seinen Botschafter in Istanbul an, der Anfrage der Osmanen umgehend zu entsprechen. „Eine Ablehnung oder Brüskierung wäre gleich bedeutend mit Übergang derselben an Russo-Gallien“, erklärte der Kaiser, „und unser Einfluß ist ein für alle mal dahin.“20 Am 27. Juli hatten Deutsche und Osmanen die Bedingungen für ein geheimes Verteidigungsbündnis gegen Russland ausverhandelt. Die acht Artikel des verblüffend einfachen Dokuments würden nur dann in Kraft
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gesetzt, sollte Russland gegen eine der beiden Seiten Feindseligkeiten beginnen – was schon zum Zeitpunkt der Unterzeichnung höchst wahrscheinlich war, zumal Deutschland am 1. August Russland den Krieg erklärte. Entscheidend war, dass das Deutsche Reich vorgab, die territoriale Integrität des Osmanischen Reichs gegen russische Ansprüche verteidigen zu wollen. Durch den Vertrag gelangte die deutsche Militärmission unter die Autorität der Regierung in Istanbul, die im Gegenzug zusagte, dass die Mission „einen effektiven Einfluss auf die allgemeine Führung der Armee“ haben werde. Das Verteidigungsbündnis sollte bis Ende 1918 gelten – mit der Aussicht auf eine Verlängerung bei beiderseitigem Einverständnis. Eine Bedingung konnte Deutschland nicht durchsetzen, dass nämlich die Osmanen bei Kriegseintritt sofort militärische Operationen gegen Russland oder die Briten in Ägypten beginnen würden, um die muslimischen Untertanen ihres Reichs zur Erhebung gegen die Entente-Mächte zu bewegen.21 Am Abend der Unterzeichnung des Pakts mit Deutschland rief Kriegsminister Enver Pascha die allgemeine Mobilmachung aus. Alle Männer zwischen 20 und 45 mussten sich registrieren, Reservisten wurden zu ihren Einheiten gerufen. Die Mobilisierung traf die Bevölkerung wie ein Schlag, doch sie bewies ihren deutschen Verbündeten, dass die Jungtürken ihre Zusagen einhalten wollten. Die Osmanen hingegen, die so ungeduldig auf ein Verteidigungsbündnis gedrängt hatten, hatten es nicht eilig, in einen Weltkrieg einzutreten.
* Dem wirtschaftlichen Aufschwung der ersten Jahreshälfte 1914 folgte ein spektakulärer Crash im August. Da die jungen Männer zum Militärdienst einberufen wurden, fehlten Arbeiter auf den Feldern und in den Fabriken. Der einst so vielversprechende Handel brach angesichts der Befürchtung, dass alle Häfen wegen der Kämpfe geschlossen werden würden, ein. Die Quartiermeister der Armee fingen an, Lebensmittel, Vieh und Material für den Bedarf der Armee unter voller Mobilisierung zu beschlagnahmen. Türkische Familien entwarfen Pläne für den Notfall. Nach drei rasch aufeinanderfolgenden Kriegen wussten sie, wie stark ein weiterer Konflikt sich auf ihr Leben auswirken würde.
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Der in Istanbul geborene Irfan Orga war 1914 erst sechs Jahre alt. Der Krieg raubte ihm all den Wohlstand, den er in seinem jungen Leben kennengelernt hatte. Einige seiner frühesten Erinnerungen waren die an hitzige Familiendebatten nach dem Kriegsausbruch in Europa. Ihm stand noch deutlich vor Augen, wie er in diesem Sommer eines Abends aus dem Bett geklettert war, um die Erwachsenen zu belauschen. „Es war sehr still, und ich konnte jedes Wort der Unterhaltung verstehen. Mein Vater schien meine Großmutter überzeugen zu wollen, unser Haus zu verkaufen!“ „Unsinn!“, gab die Großmutter zurück. „Warum sollte ein Krieg in Europa irgendeine Auswirkung auf unser Leben haben?“ Orgas Vater überraschte seine Familie, als er sie von seiner Absicht unterrichtete, nicht nur das Haus der Familie, sondern ebenfalls das Teppich-Export-Geschäft veräußern zu wollen. „Der Verkauf ist nötig, wenn wir alle überleben wollen“, erklärte er. „Es gibt so viele Schwierigkeiten, Arbeit, Export, schlechter Ruf im Ausland; nun beendet der Krieg in Europa all meine Hoffnungen auf die Märkte dort. Sollte die Türkei in den Krieg ziehen – und ich glaube, das wird sie – werde ich fortgehen müssen.“ Sein erst sechsundzwanzigjähriger Vater wusste, dass er im Falle eines Krieges eingezogen werden würde. „Es ist besser, das alles schon jetzt loszuwerden. Und wenn ich eines Tages zurückkomme – nun, mit unserem Namen ist es einfach, das Geschäft neu aufzubauen.“ Die Familie schwieg entsetzt. „Dieses Gespräch war der erste Hinweis auf all die Veränderungen, die noch kommen sollten“, erkannte Orga. Zu gegebener Zeit wurden das Elternhaus und das Geschäft verkauft, um von dem Erlös Lebensmittel zu kaufen und Rücklagen zu bilden, die Orgas Vater für nötig hielt, um einen für die Türkei langen und zerstörerischen Krieg zu überstehen. Doch nicht einmal diese Vorsichtsmaßnahmen genügten, um die Familie vor extremer Armut zu schützen.22 Der Handel kam am 3. August zum Erliegen, nachdem die Regierung die Meerengen geschlossen hatte. Der Hafenmeister informierte alle ausländischen Regierungen, die osmanische Marine habe in den Meerengen des Bosporus und der Dardanellen Seeminen verlegt, alle Navigationslichter gelöscht und alle Signalbojen entfernt. Zwischen dem 4. August und dem 26. September organisierten die Osmanen einen Schlepperdienst, um Schiffe sicher durch die Minenfelder zu lenken. Am 27. Sep-
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tember endeten diese Lotsenfahrten, und die Meerengen wurden für die kommerzielle Schifffahrt endgültig geschlossen. Die Auswirkungen auf den osmanischen Handel waren sofort spürbar und katastrophal, aber auch die Russen litten unter der Schließung. Da das Schwarze Meer fortan von internationalen Gewässern und Handelsplätzen abgeschnitten war, blieben Hunderte russischer Schiffe voller Getreide und anderer Waren im Schwarzen Meer eingeschlossen.23 Die deutsche Marine war die Erste, die Zugang zu den gesperrten Gebieten verlangte. Kurz nach der Kriegserklärung an Frankreich machte sich die deutsche Mittelmeerdivision gen Nordafrika auf, um den feindlichen Truppentransport von Algerien nach Frankreich zu unterbinden. Die Goeben, ein schweres Kriegsschiff, und der leichte Kreuzer Breslau beschossen am 4. August die algerischen Küstenstädte Bône (heute Annaba) und Philippeville (heute Skikda). Der Angriff forderte Menschenleben und löste an der nordafrikanischen Küste Panik aus. Die Briten, die an ebendiesem Tag dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatten, befahlen ihrer Mittelmeerflotte, die deutschen Schiffe zu versenken. Die britischen Schiffe erhielten bei der Verfolgung der Goeben und der Breslau in das östliche Mittelmeer Unterstützung durch die geschwächte französische Marine. Die deutsche Admiralität hatte dem Kommandeur des Geschwaders, Konteradmiral Wilhelm Souchon (dessen französischer Nachname auf seine hugenottische Herkunft verweist), bereits befohlen, türkische Gewässer anzusteuern. In einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter und dem Chef der Militärmission, Liman von Sanders, am 1. August in Istanbul hatte Enver Pascha ausdrücklich die Überstellung deutscher Kriegsschiffe in osmanische Gewässer gefordert, bevor das Verteidigungsbündnis mit Deutschland in Kraft treten könne. Damit wollte er den Verlust der an diesem Tag von den Briten beschlagnahmten Dreadnoughts kompensieren und das osmanisch-russische Kräfteverhältnis im Schwarzen Meer zu seinen Gunsten verändern. Botschafter Wangenheim versicherte Berlins Zusage, vor allem weil man hier erwartete, die deutschen Schiffe könnten genutzt werden, um die Türkei in den Krieg hineinzuziehen und eine neue Front mit Russland zu eröffnen. Die Deutschen hatten also ein ausgesprochenes Interesse daran, ihre Schiffe in türkischen Hoheitsgewässern vor Anker gehen zu lassen. Sie
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wussten, dass ihre Schiffe den britischen und französischen unterlegen waren und dass die Goeben Probleme mit dem Kessel hatte. Im offenen Meer wären sie dem sicheren Untergang geweiht gewesen. Darüber hinaus war Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg der Meinung, bereits die Anwesenheit deutscher Kriegsschiffe in türkischen Gewässern werde die „Erhaltung der türkischen Neutralität unmöglich“ machen. Die unausweichliche Krise würde die Hohe Pforte zwingen, zum Geheimabkommen mit Deutschland zu stehen, was wiederum eine schnelle osmanische Antwort entweder gegen Russland im Osten oder gegen Großbritannien in Ägypten zur Folge haben müsse. In beiden Fällen würden die deutschen Schiffe in türkischen Gewässern neue Fronten gegen die Entente eröffnen und das Kräfteverhältnis zugunsten Deutschlands verändern.24 Die Osmanen nutzten die Schwierigkeit der deutsche Marine zu ihrem Vorteil. Auch wenn Enver die Entsendung deutscher Schiffe gefordert hatte, so war dies doch ohne Zustimmung der Regierung erfolgt, weshalb die Hohe Pforte den sich nähernden Kriegsschiffen zunächst die Hafeneinfahrt verweigerte. In einem frühmorgendlichen Treffen mit Botschafter Wangenheim gab Premierminister Said Halim am 6. August nach, formulierte aber die Bedingungen, unter denen der Goeben und der Breslau die Durchfahrt durch die Meerengen erlaubt würden. Said Halim bestand darauf, dass die deutschen Schiffe nichts unternehmen würden, um die os�manische Neutralität im sich schnell ausweitenden europäischen Konflikt zu gefährden. Dann zählte er sechs Forderungen an die Deutschen auf, womit zum ersten Mal die osmanischen Ziele im Ersten Weltkrieg formuliert wurden. Said Halim verlangte als Erstes, dass Deutschland den Osmanen bei der Aufhebung der Kapitulationen helfen müsse – die Kapitulationen waren eine Reihe bilateraler Verträge, die Europäern, die im Osmanischen Reich lebten, Handelsprivilegien und extraterritoriale Rechte zusprachen. Die Osmanen hatten diese Kapitulationen auf dem Höhepunkt ihrer Macht den damals schwächeren europäischen Staaten zugestanden, um die Handelsbeziehungen zu verbessern. Die frühesten Kapitulationen waren im 14. Jahrhundert an italienische Stadtstaaten gegangen, und das System war bis in 17. Jahrhundert auf die Briten und Franzosen ausgeweitet worden. Im 20. Jahrhundert hingegen, als das Osmanische Reich deutlich schwächer geworden war als seine europäischen Nachbarn, hatte die Ent-
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wicklung der Kapitulationen für ein Ungleichgewicht gesorgt, das die osmanische Souveränität in vielerlei Hinsicht beeinträchtigte. Die Osmanen hofften, ein großer europäischer Krieg könne sie davon befreien, und bemühten sich um Deutschlands Unterstützung für die unilaterale Aufkündigung, von der man wusste, dass sie an den europäischen Höfen und Regierungszentralen Entrüstung auslösen würde. Punkt zwei auf Said Halims Liste betraf die jüngsten Gebietsverluste nach den Balkankriegen. Die Osmanen wollten vor dem Beginn von Feindseligkeiten gegen die Triple Entente unbedingt Sicherheitsvereinbarungen mit Rumänien und Bulgarien treffen, um sicherzustellen, dass die Nachbarn vom Balkan weder Türkisch-Thrakien noch Istanbul bedrohten. Der Großwesir bemühte sich um deutsche Hilfe sowohl beim Abschluss der „unabdingbaren Einigung mit Rumänien und Bulgarien“ als auch bei der Verhandlung „eines gerechten Abkommens mit Bulgarien“ über die gleichmäßige Aufteilung „möglicher Kriegsgewinne“. Zudem müsse Deutschland zusichern, dass im Falle eines Kriegseintritts von Griechenland aufseiten der Entente und dessen Niederlage die drei Ägäisinseln Chios, Lesbos und Limnos wieder unter türkische Herrschaft gestellt würden. Die Regierung strebte außerdem Gebietsgewinne auf russische Kosten an. Die Hohe Pforte verlangte Deutschlands Zusicherung, dass man nach einem Sieg über die Entente „der Türkei eine kleine Veränderung ihrer östlichen Grenze“ zugestehe, bei der „die Türkei in direkten Kontakt mit den russischen Muslimen kommt“: Die Osmanen wollten die drei 1878 an Russland abgetretenen Provinzen zurück. Zudem forderten sie, Deutschland solle jeden Friedensvertrag mit den besiegten europäischen Mächten so lange hinauszögern, bis jedes osmanische Territorium, das womöglich während des Krieges besetzt worden war, von fremden Truppen frei wäre und wieder unter osmanischer Souveränität stünde – im Grunde eine Neuformulierung der Gebietsgarantien, die im deutsch-türkischen Allianzvertrag ganz zentral gewesen waren. Und schließlich bat Said Halim den deutschen Botschafter, dafür zu sorgen, dass die Türkei „eine angemessene Kriegsentschädigung“ für all seine Anstrengungen erhalte.25 Dem deutschen Botschafter blieb wenig anderes übrig, als den Forderungen des Großwesirs gleich vor Ort nachzugeben. Es war mitten in der Nacht, die deutschen Schiffe näherten sich schnell und ein Großteil der
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Forderungen hätte nur dann erfüllt werden müssen, sollten die Osmanen zu einem deutschen Sieg beigetragen haben. Doch indem Wangenheim osmanischen Forderungen nachgab, schuf er einen Präzedenzfall, bei dem der schwächere Partner wichtige Konzessionen bei seinem deutschen Verbündeten durchsetzen konnte, was sich bis zum Ende des Krieges noch öfter wiederholen sollte. Am Nachmittag des 10. August erschienen die deutschen Schiffe vor der türkischen Küste. Enver Pascha telegrafierte dem Kommandeur der Befestigungen an den Dardanellen, er solle der Breslau und der Goeben die Einfahrt in die Meerenge erlauben. Am nächsten Morgen lotste ein türkisches Torpedoboot das Schiff sicher durch die jüngst verminten Dardanellen. Kaum hatten die deutschen Schiffe die Dardanellen erreicht, legten der britische und der französische Botschafter beim Großwesir gegen die Entscheidung, den deutschen Schiffen das Ankern in osmanischen Gewässern zu erlauben, Protest ein. Dies verletze die osmanische Neutralität. An diesem Abend, dem 11. August, traf sich das jungtürkische Triumvirat im Haus des Großwesirs zum Abendessen. Nur Enver wusste zu diesem Zeitpunkt von den dramatischen Ereignissen, die sich kurz zuvor in den Dardanellen ereignet hatten. „Uns ist ein Sohn geboren worden!“, rief er zur allgemeinen Verblüffung seiner Kollegen mit eigentümlichem Lächeln. Enver, in vielerlei Hinsicht der entschiedenste Fürsprecher eines Bündnisses mit Deutschland, begrüßte die Ankunft der deutschen Schiffe mit dem gleichen Vergnügen, wie er auch die Geburt eines Sohnes bejubelt hätte. Während er seine Kollegen über die Ankunft der Breslau und der Goeben informierte, erläuterte er ihnen die politischen Probleme, vor denen das Reich nun stand. Laut Kriegsrecht hatte die Regierung zwei Optionen, um ihre Neutralität zu bewahren: Sie konnte verlangen, dass die deutschen Schiffe innerhalb von 24 Stunden die osmanischen Gewässer verlassen müssten, oder sie konnte die deutschen Schiffe entwaffnen und in einem Hafen festsetzen.26 Es kam nicht infrage, dass die Osmanen die Schiffe ihrer deutschen Verbündeten aus den türkischen Gewässern verbannten, um sie der sicheren Zerstörung durch die wartende britische und französische Flotte auszusetzen. Als der Großwesir und seine Minister daher das Thema einer Entwaffnung des Schiffes mit dem Botschafter diskutieren wollten, lehnte Wangenheim diese rundweg ab. Die Osmanen schlugen daher einen Kom-
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promiss vor. Die Deutschen sollten die Schiffe durch einen fiktiven Verkauf an die neuen türkischen Besitzer übergeben. Noch bevor der Botschafter dazu aus Berlin eine Antwort bekommen konnte, veröffentlichte Cemal Pascha am 11. August ein offizielles Kommuniqué, in dem der „Kauf “ der Goeben und Breslau durch die osmanische Regierung für 80 Millionen Reichsmark bekannt gegeben wurde – eine Zahl, die Cemal offenbar aus der Luft gegriffen hatte. Die deutschen Schiffe sollten die von den Briten beschlagnahmten Dreadnoughts Sultan Osman und Reşadiye ersetzen. Die Ankündigung des Schiffsverkaufs an die osmanische Marine war sowohl für die Jungtürken als auch für die verwirrte deutsche Regierung ein PR-Coup. Türkischer Zorn gegen Großbritannien wegen des „Diebstahls“ der Kriegsschiffe wandelte sich in Dankbarkeit gegenüber Deutschland für die Bereitstellung der modernen Kriegsschiffe, die die Marine so dringend benötigte. Aber auch die Jungtürken konnten einen Erfolg für sich verbuchen, hatten sie doch über die Briten und Franzosen triumphiert, indem sie ein modernes Kriegsschiff erlangt hatten, mit dem sie der russischen Schwarzmeerflotte überlegen waren. Botschafter Wangenheim musste seiner Regierung in Berlin nur noch den Fait accompli erklären, als die Goeben und die Breslau in Yavuz Sultan Selim und Midilli umbenannt wurden. Admiral Souchon erhielt das Oberkommando über die osmanische Marine, die deutschen Matrosen wurden in die osmanische Marine integriert. Doch das Beste aus osmanischer Sicht war, dass das deutsche Schiff das Kräfteverhältnis zur See zugunsten der Osmanen verschoben hatte und die Verbindung zu Deutschland vertieft worden war, ohne dass Istanbul gezwungen worden wäre, seine Neutralität in diesem sich ausweitenden, globalen Konflikt aufzugeben.
* Nachdem sie die Krisen im August 1914 überstanden hatten, befanden sich die Osmanen in einer vorteilhaften Lage. Ihnen war es gelungen, ein Bündnis mit einer großen europäischen Macht zu schmieden, um ihr Territorium vor einer russischen Aggression zu schützen. Sie hatten ihr Heer mobilisiert und damit die Europäer gezwungen, die Türkei wahrzunehmen. Sie hatten moderne Kriegsschiffe erworben, die das Machtver-
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hältnis sowohl in der Ägäis als auch im Schwarzen Meer zu ihren Gunsten drehte. Und bei all dem war es Istanbul gelungen, sich nicht in den Krieg selbst hineinziehen zu lassen. Im Idealfall würden die Osmanen ihre Neutralität so lange beibehalten, wie dieser europäische Konflikt andauerte, und es den Mittelmächten überlassen, die Armeen der Entente niederzuringen. Das hätte es den Türken erlaubt, schlicht abzuwarten und erst dann in das Gefecht einzugreifen, wenn ein österreichischdeutscher Sieg wahrscheinlich geworden wäre, um damit ihre Kriegsziele unter möglichst geringem Einsatz an Menschen und Material zu erreichen. Deutschland verlangte von seinem Verbündeten hingegen eine weit aktivere Rolle. Von dem Augenblick an, als die deutschen Schiffe in osmanischen Besitz übergegangen waren, drängte Berlin die Türken zum Kriegseintritt. Die einzige Frage, die die deutschen Militärstrategen umtrieb, war die, wie man den Partner am besten in die Kriegsanstrengungen einbinden könnte. Einige waren der Ansicht, die Türken sollten eine neue Front gegen die Russen eröffnen, um die russischen Attacken gegen die Mittelmächte abzuschwächen. So könnte man Teile der deutschen Armee an der Westfront gegen Großbritannien und Frankreich einsetzen. Jene, die den Osmanen näherstanden, verstanden das Zögern Istanbuls, die Russen anzugreifen. Das Osmanische Reich hatte seit 1711 jeden seiner Kriege gegen Russland verloren, und unmittelbar nach den Kriegen gegen Italien und auf dem Balkan war keine Zuversicht zu erkennen, dass man dieses Mal den gefährlichsten Gegner des Reichs würde besiegen können. Sollte die Türkei Russland 1914 angreifen und verlieren, stünde sie mit großer Wahrscheinlichkeit vor ihrer Aufspaltung. Andere vertraten die Ansicht, die Truppen wären am wirkungsvollsten bei einem raschen Angriff auf britische Stellungen in Ägypten einzusetzen. Könnten die Osmanen den Suezkanal einnehmen, würde man damit die britische Kommunikation mit Indien unterbrechen und den Nachschub an Mensch und Material nicht nur vom Subkontinent, sondern auch aus Australien und Neuseeland unterbinden. Die deutschen Kriegsplaner gaben sich keiner Illusion über die Stärke der britischen Verteidigungslinien entlang des Suezkanals hin. Dennoch waren sie überzeugt, die Osmanen verfügten über eine Geheimwaffe, mit der sich die britischen Stellungen schwächen ließen.
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Neben seiner Rolle als Herrscher des Osmanischen Reichs übte der Sultan auch das religiöse Amt des Kalifen aus, also des Führers der muslimischen Gemeinschaft weltweit. Die Deutschen wollten die religiöse Begeisterung der zwölf Millionen muslimischen Ägypter sowie der Millionen Muslime in den britischen und französischen Kolonien in Asien und Afrika nutzen, um die Entente-Mächte von innen heraus zu schwächen. Ein Angriff auf Ägypten, zusammen mit der Ausrufung eines Dschihad, eines heiligen islamischen Krieges, könnte einen Aufstand unter der unruhigen ägyptischen Bevölkerung auslösen, der es den Briten unmöglich machen würde, länger im Land zu bleiben – so die Überlegung. John Buchans erstmals 1916 veröffentlichter Erfolgsroman Grünmantel behandelt die europäische Faszination der latenten Kraft des islamischen Fanatismus. „Der Islam ist eine kriegerische Religion, und seine Verkünder stehen immer noch mit dem Koran in der einen und dem Schwert in der anderen Hand am Pult“, erklärt Sir Walter Bullivant, der führende Geheimdienstler in Buchans Buch – nur um gleich darauf zu fragen: „Wenn es nun wie für Noah einen Bündnisregenbogen gibt, der auch den fernsten Mohammedaner mit Träumen vom Paradies fanatisiert? Was dann, mein Freund?“ Varianten dieses fiktiven Gesprächs, das Buchan im britischen Außenministerium des Jahres 1915 ansiedelte, dürften tatsächlich in den Berliner Regierungsbüros geführt worden sein. Man nannte dies „Islampolitik“, und nicht wenige Deutsche glaubten, der wichtigste Beitrag des Osmanischen Reichs zum Krieg sei genau hier zu finden.27 Der Prophet der deutschen Islampolitik war Freiherr Max von Oppenheim. 1860 in eine Bankiersdynastie hineingeboren, hatte von Oppenheim ausreichend Vermögen, um sich sein privates Interesse am Orient zu finanzieren. 1883 unternahm er seine erste Reise in den Nahen Osten und sah sich sowohl als Wissenschaftler als auch als Abenteurer viel in der Region um. 1892 zog er nach Kairo, von wo aus er bis 1909 zahlreiche weitere Reisen unternahm. Er machte sich einen Namen als fleißiger Autor, und seine vierbändige Forschungsarbeit Die Beduinen ist bis heute ein Standardwerk über die arabischen Stämme. T. E. Lawrence, später als „Lawrence von Arabien“ bekannt, gehörte zu seinen Lesern. Obwohl deutsche Diplomaten ihn als „einheimisch geworden“ verunglimpften, gewann von Oppenheim das Vertrauen von Kaiser Wilhelm II., welcher dem einzelgängerischen Orientalisten 1900 den Titel eines Legationsrats verliehen
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hatte. In jedem Sommer, wenn von Oppenheim Deutschland besuchte, traf sich der Kaiser mit ihm zu einer kurzen Besprechung über den Zustand der muslimischen Welt – einen Teil jener Welt, an der Wilhelm seit seiner triumphalen Reise durch das Osmanische Reich 1898 persönliches Interesse gewonnen hatte. Von Oppenheim, dem britischen Empire gegenüber ablehnend eingestellt, war einer der Ersten, der Deutschlands aufstrebende Freundschaft mit der muslimischen Welt als Waffe gegen Großbritannien vorschlug. Schon 1906 stellte er fest: „Wir dürfen nicht vergessen, daß … der Islam in der Zukunft eine viel größere Rolle zu spielen berufen scheint, als in dem letzten Jahrhundert. … [D]ie kriegerische Kraft und die numerische Stärke gewisser islamischer Ländergebiete wird später einmal einzelnen europäischen Staaten gegenüber vielleicht eine sehr große Bedeutung haben.“ Der Baron wollte diese Stärke zu Deutschlands Vorteil nutzbar machen. Als im August 1914 der Krieg ausbrach, eröffnete von Oppenheim ein DschihadBüro in Berlin, um panislamisches Propagandamaterial herzustellen, das Revolten in Französisch-Nordafrika, im russischen Zentralasien und in Britisch-Indien, dem Kronjuwel des britischen Empires mit 80 Millionen Muslimen, anstiften sollte. Von Oppenheim versicherte dem Kanzler, dass selbst in dem Falle, dass die Muslime sich nicht erheben würden, schon allein durch die Möglichkeit einer muslimischen Revolte in Indien „für England die Notwendigkeit eines baldigen, uns genehmen Friedensschlusses gegeben sein“ würde.28 Auch wenn diese Taktik häufig als „Dschihad made in Germany“ abgetan wurde, glaubten doch viele offen säkulare Jungtürken ebenfalls, dass religiöser Fanatismus gegen die Entente eingesetzt werden könne. Enver hatte bei seinen Kämpfen 1911 in Libyen erkannt, welche Macht hinter dem Islam steckte. Noch vor seinem Aufbruch nach Libyen hatte er zu einem Guerillakrieg gegen die Italiener aufgerufen. Vor Ort angekommen, betrachtete er den Konflikt zunehmend aus dem Blickwinkel des Dschihad. In seinen Briefen beschrieb Enver libysche Freiwillige als „fanatische Muslime, die den Tod im Angesicht des Feindes als Geschenk Gottes ansehen“ und bemerkte wiederholt, dass sie ihm als Schwiegersohn des Kalifen besonders ergeben waren. Sein Kollege Cemal sah den Islam ebenfalls als verbindendes Element zwischen Arabern und Türken an und glaubte, ein Religionskrieg könne dieses Band stärken: „Die Mehrheit der Araber
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würde nicht zögern, in diesem großen Krieg ein Opfer für die Befreiung des muselmanischen Kalifats zu bringen.“ Einflussreiche Mitglieder der unionistischen Führungsriege zeigten sich also überzeugt, dass ein Dschihad, diese mächtige Waffe aus der Anfangszeit des Islam, in dem drohenden Konflikt mit den europäischen Großmächten als Kraftquelle wiederbelebt werden könnte.29 Welche Hoffnung auch immer die Jungtürken mit dem Dschihad verbanden, sie setzten sich weiter dafür ein, das Osmanische Reich so lange wie möglich aus dem Kriegsgeschehen herauszuhalten. Im August und September 1914 entschuldigten sich türkische Funktionäre immer wieder bei den zunehmend ungeduldigen Deutschen. Die Mobilmachung sei, so ihre Erklärung, noch nicht abgeschlossen. Müssten die Osmanen Russland angreifen, bevor die Armee ihre volle Einsatzbereitschaft erreicht hätte, drohe eine Niederlage, welche das Osmanische Reich eher zu einer Belastung denn zu einem Verbündeten der Mittelmächte machen würde. Die Osmanen machten den Deutschen klar, dass sie Russland noch immer als existenzielle Bedrohung für ihr Reich ansahen. Die Jungtürken ließen ihre neuen Alliierten allerdings nicht wissen, dass sie in ihrer Verzweiflung angesichts der russischen Bedrohung sogar den Russen selbst ein Geheimbündnis vorgeschlagen hatten – eines, das zwangsläufig zu einem Bruch mit Deutschland geführt hätte. Enver Pascha, der als engagiertester Anwalt der deutsch-türkischen Beziehungen galt, war der Erste, der einen geheimen Vertrag mit Russland vorschlug. Am 5. August, nur drei Tage nach dem Abschluss des Bündnisses mit den Deutschen, überraschte Enver den russischen Militärattaché in Istanbul, General M. N. Leontjew, mit dem Vorschlag für ein Defensivbündnis mit Russland. Großwesir Said Halim und Envers jungtürkischer Kollege Talât Pascha wurden in die Beratungen miteinbezogen und brachten den russischen Botschafter an der Hohen Pforte, Michail Nikolajewitsch de Giers, mit an den Verhandlungstisch. Sie bemühten sich um russische Garantien für die territoriale Integrität des Osmanischen Reichs und die Rückgabe der drei Ägäisinseln sowie des von Bulgarien besetzten Westthrakiens. Im Gegenzug wollten die Osmanen die Entente mit allen militärischen Mitteln unterstützen und alle deutschen Offiziere und Techniker ausweisen, die im Osmanischen Reich tätig waren. Enver, Talât und Said Halim konnten den russischen Botschafter und den Militär-
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attaché von der Ernsthaftigkeit ihrer Absichten überzeugen, sodass die beiden russischen Funktionäre sich für die vorgeschlagene Allianz mit der Türkei aussprachen.30 Der osmanische Botschafter in Sankt Petersburg, Fahreddin Bey, verfolgte den Ansatz einer türkisch-russischen Allianz mit der russischen Regierung weiter. Er erläuterte Außenminister Sergei Sasonow, die Osmanen wünschten territoriale Garantien und die russische Zusage, sich in Ostanatolien nicht weiter für die nationalen Bestrebungen der Armenier einzusetzen. Sasonow hingegen ließ sich weder von den Jungtürken noch von seinem Botschafter in Istanbul überzeugen. Er weigerte sich, das armenische Reformprojekt fallen zu lassen, und hatte nur wenig Zutrauen in Envers Versprechen, mit Deutschland zu brechen. Sasonow erklärte sich nur dazu bereit, mit Unterstützung durch Russlands Alliierte Großbritannien und Frankreich, eine Garantie der Entente-Mächte für die territoriale Integrität des Osmanischen Reichs auszusprechen, solange der Staat im Krieg neutral bleibe. Eine solche Garantie würde jedoch nicht bei der Wiedererlangung der Gebiete in der Ägäis und in Thrakien helfen und könnte das Osmanische Reich zudem nicht vor russischen Forderungen nach dem Krieg bewahren. Die Tatsache, dass Sasonow an dem armenischen Reformprojekt festhielt, verstärkte nur die osmanischen Ängste vor zukünftigen Plänen zur Aufspaltung des Reichs. Das deutsche Angebot schien weiterhin das bessere zu sein, und gegen Ende August kehrten die Osmanen zu ihrer speziellen Beziehung zu den Mittelmächten zurück. Dass die Jungtürken überhaupt die Russen in ihre Überlegungen miteinbezogen hatten, belegt, was sie alles zu tun bereit waren, um sich von dem europäischen Krieg fernzuhalten.
* Angesichts des Verlaufs der Kriegsereignisse im August und September 1914 hatten die Osmanen gute Gründe, sich den Eintritt in den Krieg sehr genau zu überlegen. Der deutsche Angriffskrieg hatte zur raschen Besetzung Belgiens und zum schnellen Vormarsch auf Paris geführt, wurde aber in der entscheidenden Schlacht an der Marne (5. bis 12. September) gestoppt. Die Feinde gruben erste Schützengräben, die sich fortan
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als eines der typischen Merkmale des Stellungskriegs an der Westfront herausstellen sollten. Das andere Kennzeichen des Weltkriegs zeichnete sich ebenfalls bereits im September 1914 ab: bisher nie dagewesene hohe Opferzahlen. Die Franzosen beklagten mehr als 385 000 Tote und Ver�wundete, bei den Deutschen waren es mehr als 260 000 allein an der West�front. Deutsche Truppen besiegten Ende August in der Schlacht von Tannenberg eine komplette russische Armee, was zu mehr als 50 000 Toten und 90 000 Gefangenen führte. Die Russen waren gegen die Österreicher erfolgreicher, die mehr als 320 000 Tote und 100 000 Gefangene in Gali� zien zählten (wobei auch die russischen Verluste in Galizien mit 200 000 Toten und 40 000 Kriegsgefangenen ungemein hoch waren). Österreich startete zudem im August 2014 einen Angriff auf Serbien, der scheiterte und bei dem die Habsburger mit 24 000 Gefallenen deutlich mehr Opfer zu beklagen hatten als Serbien, dessen Bevölkerungszahl weniger als ein Zehntel des österreichisch-ungarischen Reichs betrug. Die Briten verzeichneten bis November 90 000 Tote und Verletzte – mehr als alle Soldaten der ursprünglich eingesetzten sieben Divisionen des Britischen Expeditionskorps. In nicht einmal sechswöchigen Kämpfen hatten die Entente und die Mittelmächte mehr als eine Million Opfer zu beklagen. Das reichte aus, um die Jungtürken zum Innehalten zu bewegen.31 Die Geduld der Deutschen mit der osmanischen Prokrastination endete im September 1914. Da die deutschen Truppen an der Westfront festsaßen und die österreichische Armee durch die Kämpfe gegen Russland und Serbien stark geschwächt war, drängten die Mittelmächte die Osmanen dazu, eine neue Front gegen Russland zu eröffnen. Die Jungtürken versprachen weiterhin, in den Krieg einzugreifen, forderten aber zugleich mehr Finanzmittel und Kriegsmaterial. Mitte September verweigerte der deutsche Kriegsminister, General Erich von Falkenhayn, jedes weitere „Ersuchen der Türkei um Überlassung von Offizieren, Geschützen und Munition …, bevor die Türkei sich im Kriegszustand mit unseren Gegnern befindet. Mit dem Zeitpunkt des Beginns der Feindseligkeiten würde jedoch den Wünschen in denkbar weitestem Umfange entsprochen werden.“ Was Berlin betraf, so war der Transfer der Goeben und der Breslau an die osmanische Marine das perfekte Instrument, um Feindseligkeiten mit Russland zu beginnen und die Dominanz im Schwarzen Meer zu erringen. Ein Angriff auf Russland würde die türkische Neutralität beenden
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und die Osmanen in den Krieg hineinziehen. Zu diesem Zeitpunkt könnte der Sultan den Dschihad ausrufen, an dem große Hoffnungen der deutschen Strategen hingen, was die Unterminierung der Entente-Mächte durch ihre muslimischen Kolonien anging. Die Herausforderung für Deutschland bestand darin, die Osmanen zur Aufgabe ihres Zögerns und zum Angriff auf Russland zu zwingen.32 Ein wichtiges Hindernis für die Osmanen stellten ihre finanziellen Mittel dar. Sie benötigten erhebliche Zuschüsse, um ihr hohes Maß an Mobilmachung aufrechtzuerhalten und zu militärischen Maßnahmen übergehen zu können. Mitte Oktober bot Kriegsminister Enver Pascha bei Verhandlungen an, Russland augenblicklich auf dem Seeweg anzugreifen, sollte sein Land finanziell unterstützt werden. Enver sagte zudem zu, die Russen in Ostanatolien zu binden und britische Stellungen in Ägypten anzugreifen; außerdem würde der Sultan den Heiligen Krieg gegen die Entente ausrufen. Die Deutschen waren rasch mit dem Angebot einverstanden und schickten zwei Millionen türkische Pfund in Gold nach Istanbul, um die Feindseligkeiten gegen Russland auszulösen. Die Deutschen versprachen weitere drei Millionen Pfund über die nächsten acht Monate, nachdem die Osmanen formell den Krieg erklärt hätten. Diese Geldmittel gaben den osmanischen Militärstrategen die finanzielle Sicherheit, mit denen sie ihre eigenen anspruchsvollen Kriegsziele angehen konnten. Am 24. Oktober entwarf Marineminister Cemal Pascha jenen schicksalhaften Befehl, der Admiral Souchon autorisierte, ein Manöver im Schwarzen Meer durchzuführen. Enver Pascha gab Souchon einen zweiten Satz an Befehlen mit, die den Angriff der Flotte auf russische Marinekräfte anordneten. Der Admiral stimmte zu, Envers Befehle so lange verschlossen zu halten, bis er per Funk zu dessen Durchführung aufgefordert würde. Doch die Initiative lag nun nicht länger in den Händen des Osmanen, als die neu beflaggten deutschen Schiffe am 27. Oktober ins Schwarze Meer einliefen. Souchon mag dem Rang nach der zweithöchste Befehlshaber der osmanischen Marine gewesen sein, doch seine absolute Loyalität gehörte dem deutschen Kaiser. Als Enver Souchon keine Funkmeldung machte, übernahm der deutsche Admiral die Initiative und eröffnete am 29. Oktober die Schlacht gegen die Kaiserlich-Russische Schwarzmeerflotte vor der
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Krim, bei der er ein Kanonenboot und einen Minensucher versenkte. Die Yavuz Sultan Selim (die ehemalige Goeben) beschoss zudem die russische Stadt Sewastopol. Am nächsten Tag veröffentlichte die osmanische Regierung eine Erklärung, in der sie einen russischen Angriff auf die türkische Flotte verurteilte. Erst Russland, dann auch Großbritannien und Frankreich riefen ihre Botschafter aus Istanbul zurück und erklärten am 2. November den Krieg. Das Osmanische Reich befand sich im Krieg. Alles, was nun noch zu tun übrig blieb, war das Hissen der Flagge des Dschihad. Nicht zum ersten Mal nutzten die Osmanen die Religion, um ihre Untertanen für den Krieg zu mobilisieren. Erst 1877 hatte Sultan Abdülhamid II. mit dem Banner des Propheten Mohammed zum Dschihad gegen die Russen aufgerufen. Doch 1914 waren die Umstände andere. Dieses Mal würde der Sultan die Muslime des Osmanischen Reichs und der Länder jenseits der osmanischen Grenzen zu einem Krieg gegen Nichtmuslime aufrufen – zunächst gegen Russen, Briten, Franzosen, Serben und Montenegriner – jedoch nicht gegen die Verbündeten des Reichs, Deutschland und Österreich. Eine Gruppe von 29 Islamgelehrten traf sich in Istanbul, um fünf Rechtsauffassungen (Fatwas, oder auf Türkisch fetvas) zu beraten und zu entwerfen, mit denen der Dschihad erlaubt wurde. Die fünf Fatwas wurden formell vom Sultan genehmigt und am 11. November in einer nichtöffentlichen Sitzung führenden Politikern, Militärs und religiösen Autoritäten vorgestellt. Erst anschließend, am 14. November, rief man den Heiligen Krieg vor einer großen Menschenmenge aus, die sich im Namen des Sultans vor der Fatih-Moschee Mehmed des Eroberers versammelt hatte. Die Menschen stimmten jubelnd zu.33 Die osmanischen Autoritäten durften zuversichtlich sein, dass Araber und Türken innerhalb der Reichsgrenzen dem Ruf des Sultans folgen würden. Ob der Dschihad darüber hinaus in der ganzen Welt, die sich auf einen Krieg einstellte, auf Widerhall stoßen würde, blieb abzuwarten.
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KAPITEL 3 DER WELTWEITE RUF ZU DEN WAFFEN
In den ersten Augustwochen des Jahres 1914 verbreitete sich die Nachricht vom Krieg über Telegrafen in der ganzen Welt. Mit Pauken und Trompeten wurde die Kriegsbegeisterung auf allen fünf Kontinenten in Städten und Dörfern geweckt. Da ihre Staaten durch Geheimverträge und gegenseitige Beistandsabkommen aneinandergekettet waren, schien es selbstverständlich, dass die Männer Europas diesem Ruf folgten. Einige mit chauvinistischer Erregung, andere mit schweren Bedenken, in einen Krieg zu ziehen und gegen andere zu kämpfen, die ihnen bisher keinen Anlass gegeben hatten, sie zu hassen. Während sich Briten und Franzosen freiwillig meldeten, um gegen die Deutschen zu kämpfen, wandten sich die Regierungen in London und Paris auf der Suche nach Unterstützung auch an ihre Kolonialreiche. Obgleich sie noch weniger Anlass hatten, gegen die Mittelmächte in den Kampf zu ziehen, versammelten sich Kanadier, Australier und Neuseeländer dennoch mit einem ebenso großen Pflichtgefühl hinter der britischen Krone wie alle anderen Untertanen Georgs V. Schließlich waren die Männer dieser „White Dominions“ Siedler, die ihre Ursprünge bis zu den britischen Inseln zurückverfolgen konnten und den britischen König als Staatsoberhaupt anerkannten. Als ihr König rief, fühlten sich Kanadier, Australier und Neuseeländer zum Gehorsam verpflichtet. Von den Männern in Asien und Afrika ließ sich das nicht behaupten – für die Mehrheit der kolonialen Untertanen blieben Großbritannien und Frankreich ausländische und damit fremde Herrscher. Als die Briten sich an Indien wandten und Franzosen die afrikanischen Armeen zum Kampf aufriefen, gab es gute Gründe für die Planungsstäbe, an der Loyalität der Kolonien zu zweifeln. Deutschland unterstützte aktiv die kolonialen Rebellionen gegen die Entente-Mächte – insbesondere unter Muslimen. 1914
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lebte die Mehrheit der 240 Millionen Muslime in Kolonialreichen, und fast alle waren Untertanen der Entente-Mächte: 100 Millionen unter britischer Herrschaft, 20 Millionen in französischen Kolonien und weitere 20 Millionen im Russischen Reich. Der Kriegseintritt des Osmanischen Reichs im November 1914 an der Seite der Mittelmächte und der Aufruf des Sultans zum Dschihad gegen Großbritannien, Frankreich und Russland stellte die muslimische Loyalität der Entente gegenüber auf eine harte Probe. Hätten die Osmanen mit ihrem Aufruf an den weltweiten Islam Erfolg gehabt, hätten sie das Kräfteverhältnis zugunsten der Mittelmächte verändern können.1 Die Osmanen selbst standen dabei an der Heimatfront vor der großen Schwierigkeit, ihre kriegsmüde Gesellschaft zum Kampf gegen die größte Bedrohung zu mobilisieren, der das Reich in seiner sechshundertjährigen Geschichte je gegenübergestanden hatte. Nach den Kriegen in Libyen und auf dem Balkan waren Männer im wehrfähigen Alter aus dem Osmanischen Reich geflohen, um der Einberufung zum Militär zu entgehen. 1913 nahm die Emigration nach Nord- und Südamerika im Vergleich zu den Vorjahren um 70 Prozent zu. Amerikanische Botschaftsmitarbeiter gaben an, die meisten Migranten seien junge Männer, die dem Militärdienst entgehen wollten. Kriegsgerüchte in der ersten Hälfte des Jahres 1914 beschleunigten die Emigration junger Muslime, Christen und Juden aus dem ganzen Reich, bis die Regierung mit der Generalmobilmachung Männern im wehrfähigen Alter die Ausreise aus dem Land gänzlich untersagte.2 Am 1. August rief Kriegsminister Enver Pascha per Telegraf im ganzen Reich zu den Waffen. Dorfvorsteher und Vorsteher städtischer Wohnviertel hängten auf öffentlichen Plätzen und an Moscheetüren Plakate auf: „Die Mobilmachung wurde verkündet. Alle berechtigten Männer zu den Waffen!“ Alle Männer, sowohl Muslime wie Nichtmuslime, im Alter zwischen 21 und 45 bekamen fünf Tage Zeit, um sich beim nächstgelegenen Rekrutierungsbüro zu melden. Örtliche Funktionäre forderte man auf, Kriegsbegeisterung durch „das Schlagen von Trommeln und den Ausdruck von Glück und Freude“ zu wecken und den Eindruck von „Verzweiflung und Gleichgültigkeit“ zu vermeiden.3 So stark sie auch die Trommeln schlugen und ihrer Freude Ausdruck verliehen, die düsteren Vorahnungen arabischer Dorfbewohner konnten bei der Bekanntgabe der Mobilmachung nicht zerstreut werden. Ein schi-
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itischer Geistlicher im südlibanesischen Dorf Nabatiyya fasste die öffentliche Bestürzung in einem Tagebucheintrag vom 3. August 1914 so zusammen: Die Menschen waren durch die Nachricht [von der Generalmobilmachung] stark verwirrt und erregt. Sie kamen in kleinen Gruppen an öffentlichen Orten zusammen, überrascht und fassungslos, als würde der Tag des Jüngsten Gerichts bevorstehen. Einige wollten fliehen – doch wohin könnten sie gehen? Andere wollten sich entziehen, doch es gab keinen Ausweg. Dann hörten wir, dass zwischen Deutschland und Österreich auf der einen Seite und den Alliierten auf der anderen Seite der Krieg ausgebrochen war. Das verstärkte nur die Angst und die Sorge vor dem Ausbruch eines mörderischen Krieges, der die bebauten Äcker und das trockene Land verwüsten würde.4
Aus dem gesamten Reich sind ähnliche Reaktionen verzeichnet. In Aleppo schlossen als Folge der Mobilmachungsbefehle am 3. August die Geschäfte. Ein Bewohner schrieb dazu: „In der ganzen Stadt herrscht großes Unbehagen.“ Aus Trabzon, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer, berichtete der amerikanische Konsul: „Das Dekret zur Mobilmachung kam wie ein Donnerschlag.“ Auch wenn jedem, der sich der Einberufung widersetzte, die Todesstrafe drohte, wollten es doch viele junge Männer lieber darauf ankommen lassen und sich verstecken, als sich der Armee anzuschließen und dort dem sicheren Tod ins Auge zu sehen, wie sie glaubten.5 In der Sultanstadt Istanbul wurde der Ruf zu den Waffen in jedem Stadtviertel durch die städtischen Ausrufer, die Bekçi Baba bekanntgegeben. Tagsüber brachte der Bekçi Baba Wasser in seine Nachbarschaft; nachts diente er als Wachmann in den Straßen des Viertels. Es war der Bekçi Baba, der bei einem Feuer Alarm schlug, und es war der Bekçi Baba, der die Männer zum Krieg trieb. Irfan Orga erinnerte sich, wie sein Vater von einem Bekçi Baba zum Krieg gerufen wurde. Die im Sommer 1914 begonnene Mobilmachung wurde nach dem Kriegseintritt des Osmanischen Reichs ausgeweitet, sodass sogar ältere Männer einberufen wurden. Orga ging in den kalten November hinaus, um zusammen mit seinem Vater die Ankündigung des
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Ausrufers zu hören, und sah zu, wie ein Bekçi Baba um die Ecke kam, sich unter eine Straßenlampe stellte, um „seine erschütternden Nachrichten auszurufen“: „Männer, die zwischen 1880 und 1885 geboren wurden, müssen sich innerhalb von 48 Stunden beim Rekrutierungsbüro melden. Wer dem nicht Folge leistet, wird bestraft.“ Einer der Männer der Gegend rief zurück: „Was soll das heißen, Bekçi Baba?“ „Krieg! Krieg! Weißt du nicht, dass dein Land im Krieg ist?“, brüllte dieser zurück.6 In den Einberufungsbüros der Hauptstadt, in denen sich die wehrpflichtigen Männer drängten, ging es drunter und drüber. Offiziere schikanierten Zivilisten, die wie hungrige, hoffnungslose und apathische Rinder zusammengetrieben wurden, und brüllten Befehle. Es konnte mitunter Tage dauern, bis der Vorgang zur Registrierung eines Wehrpflichtigen abgeschlossen war. Hatte man sie dann einer Einheit zugeteilt, durften die Männer nach Hause gehen, ihre Habseligkeiten zusammensuchen und sich von ihren Familien verabschieden. In jedem Stadtbezirk ging anschließend eine lärmende Kapelle von Haus zu Haus, um die jungen Männer mit in den Krieg zu nehmen. Ein Soldat überreichte dabei dem neuen Rekruten, wenn er aus der Tür getreten kam, eine osmanische Flagge, während die anderen umhersprangen und zur Musik der Kapelle sangen, um das Wehklagen der Frauen zu übertönen. Die abreisenden Soldaten hatten ihr eigenes Klagelied. „Wenn sie ihre Häuser verließen, spielte die Kapelle ein Lied voll unglaublicher Traurigkeit“, erinnerte sich Orga. Alle stimmten in den Gesang mit ein: O ihr Krieger, wieder muss ich als einsamer Fremder hinausziehen Selbst Berge und Felsen können mein Seufzen und meine Tränen nicht tragen.7
Auf diese Weise von Haus zu Haus gehend, vergrößerten die Osmanen ihr stehendes Heer vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten im November 1914 von 200 000 auf fast 500 000 Soldaten und Offiziere. Im Verlaufe des Krieges sollten insgesamt etwa 2,8 Millionen Osmanen eingezogen werden – etwa 12 Prozent der Gesamtbevölkerung von circa 23 Millionen – auch wenn die Armee nie mehr als 800 000 Mann zugleich unter Waffen hatte.8
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Die Truppenstärke der anderen Mittelmächte und der Entente ließen die osmanische Armee winzig aussehen. Österreich rief 1914 etwa 3,5 Millionen Menschen zusammen – und lag dabei chronisch unter Sollstärke. Im Verlauf des Krieges mobilisierte Deutschland rund 13,2 Millionen Menschen, also 85 Prozent der männlichen Bevölkerung zwischen 17 und 50 Jahren; Russland konnte zwischen 14 und 15,5 Millionen Männer aufbieten; Frankreich verfügte über 8,4 Millionen Soldaten, von denen etwa 500 000 aus den Kolonien stammten; Großbritannien schickte mehr als 5,4 Millionen Männer in die Armee und die Royal Navy – etwa ein Drittel der männlichen Arbeitskraft aus Vorkriegszeiten. Angesichts dieser Zahlen wundert es nicht, dass die europäischen Mächte der osmanischen Militärmacht wenig zutrauten.9
* Die rasche Vergrößerung ihrer Truppen verlangte von der osmanischen Regierung immense finanzielle Anstrengungen. Dabei waren die wirtschaftlichen Auswirkungen der Mobilmachung verheerend. In der Landwirtschaft, dem Handel und der Industrie beschäftigte Männer wurden gezwungen, ihre Arbeitsplätze zu verlassen, um sich der Armee anzuschließen. Die verbliebene produktive Arbeitskraft lieferte kaum noch Einkünfte für die Regierung, da ehemalige Steuerzahler nun zu Soldaten geworden waren, die auf Bezahlung, Unterkunft und Verpflegung durch die Regierung angewiesen waren. Die Schließung der Dardanellen und die Kriegsgefahr sorgten für Stillstand in den Häfen. Hunderttausende Soldaten und der Transport von kriegswichtigem Material verstopften die für den Handel mit dem In- und Ausland so wichtigen Straßen und Eisenbahnverbindungen, weshalb es zu Lebensmittel- und Konsumgüterknappheit kam. Augenblicklich setzte eine Inflation ein, und es drohte Hunger in den Städten, da nervöse Untertanen mit dem Horten von Nahrungsmitteln begannen. Durch die schweren Beeinträchtigungen nahm die Produktivität ab und damit schmolzen zugleich auch die Staatseinnahmen. Zeitgenössische Schätzungen gehen von einem Rückgang der Einkünfte von 63,2 Millionen Dollar im zweiten Halbjahr 1913 auf 50,2 Millionen Dollar im zweiten Halbjahr 1914 aus, einer Verringerung um 20 Prozent. Da die Ausgaben
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die Einnahmen bei Weitem überstiegen, standen die Osmanen einem Haushaltsdefizit gegenüber, das nach Vermutungen von amerikanischen Konsulatsbeschäftigten 1914 mehr als 100 Millionen Dollar betragen haben dürfte – womit auf einen Streich der französische Kredit vom Mai 1914 aufgebraucht war.10 Das internationale Vertrauen in die osmanische Wirtschaft war an sich schon niedrig, bevor sich das Land zum Krieg entschloss. Kaum hatten die Osmanen die Mobilmachung ihrer Truppen verkündet, als europäische Banken bereits Kredite kündigten, die sie örtlichen Finanzinstitutionen gewährt hatten. In den arabischen und türkischen Handelsstädten verlangten Pariser Banken in der ersten Augustwoche 1914 die unverzügliche Rückzahlung noch offener Kredite in Gold. Der plötzliche Goldabfluss verursachte in Wirtschaftskreisen im gesamten Reich eine Panik. Kunden eilten zu Banken, um ihren Besitz noch zu retten. Allein in Istanbul zahlten Banken im August mehr als 9 Millionen Dollar an Kontoinhaber aus. Um die Kapitalflucht zu verhindern, führte die Zentralregierung am 3. August ein Moratorium für Banktransaktionen ein. Ursprünglich nur für einen Monat gedacht, wurde es vierteljährlich bis zum Ende des Krieges verlängert. Während des Moratoriums mussten Kreditnehmer nur 25 Prozent ihrer Verbindlichkeiten zurückzahlen, und Banken verboten Kontoinhabern, monatlich mehr als fünf Prozent ihrer Einlagen abzuheben. Diese Maßnahmen verringerten den Druck auf die Kreditnehmer, paralysierten aber gleichzeitig das Bankensystem und die Wirtschaft als Ganzes. Banken gaben fortan nur noch der Regierung Kredite. In Handelszentren wie Aleppo, Beirut, Harput, Izmir oder Istanbul führte das Moratorium zur Schließung „praktisch aller Geschäfte und Industrien“, wie amerikanische Konsularmitarbeiter in diesen Städten festhielten.11 Die Osmanen wandten sich an ihre Verbündeten in Deutschland und baten um finanzielle Unterstützung für ihre Kriegsanstrengungen. Im Gegenzug für den osmanischen Kriegseintritt hatte Deutschland zwei Millionen Pfund in Gold sofort und weitere drei Millionen Pfund zugesagt, die über die kommenden acht Monate verteilt werden sollten. Diese Zuschüsse halfen bei der Einrichtung von Reserven und erlaubten es der Regierung, durch Gold gedecktes Papiergeld zu drucken. Deutschland lieferte während des Krieges zudem Militärmaterial und Hilfe im Wert von geschätzten 29 Millionen Pfund, darunter so wichtige Dinge wie Waffen und Munition.12
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Die Staatskasse nahm in diesen Kriegszeiten Zuflucht zu außergewöhnlichen Maßnahmen, um die Staatseinkünfte zu erhöhen. Am 9. September erklärte das Osmanische Reich seine wirtschaftliche Unabhängigkeit von den europäischen Mächten, indem es unilateral die Kapitulationen aufhob – eines der ursprünglichen Kriegsziele der Hohen Pforte. Diese Maßnahme wurde in den europäischen Hauptstädten verurteilt und von der Öffentlichkeit begrüßt: Die Menschen schmückten ihre Häuser und Geschäfte mit Flaggen und Fahnen, um ihre Regierung zu feiern, die sich über die westlichen Mächte hinweggesetzt hatte. Die Abschaffung dieser Handelsprivilegien war der erste handfeste Vorteil des europäischen Konflikts für die Türkei, und der 9. September wurde zu einem Nationalfeiertag erklärt. In Edirne, Istanbul und Kütahya versammelten sich viele Menschen zu patriotischen Demonstrationen auf den Straßen. Nachdem die Kapitulationen außer Kraft gesetzt worden waren, verabschiedete man ein Gesetz, mit dem ab dem 1. Oktober 1914 nicht nur ausländische Bewohner und Firmen besteuert, sondern auch Tausende osmanische Untertanen zur Kasse gebeten wurden, die bislang dank ihres Status als Protegés der westlichen Mächte Steuerfreiheit genossen hatten. Damit wurden angeblich „mehrere Millionen Dollar“ in die Staatskasse gespült.13 Die Requisition war eine weitere Form der außergewöhnlichen Besteuerung, die Untertanen und Ausländer gleichermaßen traf. Laut Gesetz war die Regierung verpflichtet, faire Kompensationen für alle vom Staat beschlagnahmten Güter zu zahlen, doch in der Praxis setzte die Regierung meist die Preise fest und bot eher Quittungen als eine Bezahlung in bar als Gegenleistung an. Die Eigentümer mussten davon ausgehen, dass sie alles Beschlagnahmte verloren hatten. Die osmanischen Untertanen waren beispielsweise gezwungen, ihre Pferde als Transportmittel sowie den Viehbestand und Ernten zur Versorgung der Armee abzuliefern. Offiziere stürmten unangekündigt in Läden, um vor Ort jene Lebensmittel und Wirtschaftsgüter zu beschlagnahmen, die sie für kriegswichtig hielten. Die Requisition konnte auch wie eine Erpressung durchgeführt werden, da Ladenbesitzern befohlen wurde, Güter zu liefern, die sie gar nicht besaßen und daher erst einmal von staatlichen Lieferanten zu festgesetzten Preisen kaufen mussten. Auch ausländische Unternehmen im Osmanischen Reich verbuchten durch die Requisition große Verluste. In
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Syrien beschlagnahmte ein örtlicher Gouverneur Singer-Nähmaschinen als „Beitrag“ zur Uniformfabrik der Provinzregierung. In Adana und Bagdad requirierten die Gouverneure Hunderte Kerosinfässer der Standard Oil Company. Konsularmitarbeiter schätzten, die Regierung habe in den ersten sechs Monaten der Mobilmachung durch Requisitionen mehr als 50 Millionen Dollar eingenommen.14 Hauptziel der neuen Steuererhebungen waren jedoch die osmanischen Untertanen. Christen und Juden, die ebenfalls wehrpflichtig waren, denen die muslimischen Osmanen im Kampfeinsatz aber nicht gänzlich über den Weg trauten, erhielten die Möglichkeit, sich mit der Zahlung einer ungemein hohen Gebühr von 43 türkischen Pfund (189,20 Dollar) vom Militärdienst freizukaufen. Im April 1915 erhöhte die Regierung die Gebühr auf 50 Pfund (220 Dollar). Diese Abgabe brachte der Staatskasse in den neun Monaten nach Beginn der Mobilmachung geschätzte 12 Millionen Dollar ein. Die Regierung erhob zudem neue Steuern auf beliebte, wenn auch nicht lebenswichtige Konsumgüter wie Zucker, Kaffee, Tee, Zigaretten und alkoholische Getränke und erhöhte im Verlaufe des Krieges die jeweiligen Steuersätze immer wieder. Die Abgaben aus der Landwirtschaft wurden von zehn auf 12,5 Prozent angehoben. Andere bereits existierende Steuern wurden aus Kriegsgründen zum Teil um bis zu 70 Prozent erhöht und „freiwillige Beiträge“ für patriotische und militärische Hilfsorganisationen von Privat- und Geschäftsleuten gefordert.15 Diese außergewöhnlichen Steuern brachten dem osmanischen Reich kurzfristig Millionen Dollar ein, schädigten aber die Wirtschaft des Landes dauerhaft. 1914 waren die Osmanen jedoch nur an kurzfristigen Ergebnissen interessiert. Wie alle anderen Kriegsteilnehmer erwarteten auch sie zu Beginn des Konflikts ein schnelles und eindeutiges Ende. Sollten sie gewinnen, hätten sie alle Möglichkeiten, die Wirtschaft wiederaufzubauen; sollten sie besiegt werden, stünde ihnen sicherlich die Aufspaltung bevor, und die Besatzungsmächte würden die wirtschaftlichen Nöte des Landes erben. Die Osmanen hegten keine Illusionen über den ihnen bevorstehenden Kampf um Leben und Tod und wandten alles auf, was ihnen zur Verfügung stand, um den Sieg davonzutragen.16
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Als die osmanische Regierung Anfang August 1914 mobilmachte, forderten Briten und Franzosen ihre Kolonialreiche auf, Kriegshilfe zu leisten. Auf den französischen Aufruf hin machten sich Soldaten aus dem Senegal, aus Madagaskar und Indochina per Schiff auf den Weg zur Westfront. Das größte Kontingent stammte jedoch von der Armée d’Afrique. Zunächst an der Westfront eingesetzt, kämpften später Soldaten aus Nordafrika auch an der osmanischen Front – in Schützengräben auf beiden Seiten. Zur Afrikaarmee gehörten Kolonialregimenter aus Algerien, Tunesien und Marokko. Die Mobilmachung im kolonialen Kontext war besonders heikel: Die Franzosen mussten Nordafrikaner überreden, Krieg gegen Deutschland zu führen, das ihnen keinen Grund für eine Auseinandersetzung geliefert hatte, und ein Reich zu verteidigen, das sie in ihrem eigenen Heimatland zu Menschen zweiter Klasse abgestempelt hatte. Die Aufgabe wurde durch die deutsche Propaganda und die osmanische Ausrufung des Dschihad noch erschwert, der auf die islamische Loyalität abzielte und die Muslime Nordafrikas gegen die Franzosen aufbringen sollte. Die ersten Kolonialregimenter Nordafrikas entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts in Algerien. Die Zuaven, eine leichte Infanterieeinheit benannt nach dem Berberstamm der Zuaua, regte mit ihren schneidigen Uniformen aus gebauschter roter Hose, blauer Tunika und roter Kopfbedeckung namens chechia die Fantasie der Europäer an. In Europa und Amerika wurden Mitte des 19. Jahrhunderts Elite-Zuaven-Regimenter gegründet, bei denen westliche Soldaten nach algerischem Vorbild in exotischen Uniformen kämpften. Im Amerikanischen Bürgerkrieg kämpften Zuaven-Einheiten sowohl aufseiten der Unionisten als auch der Konföderierten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts ersetzten nach und nach französische Rekruten die Algerier, bis aus den Zuaven-Einheiten schließlich gänzlich europäische Einheiten geworden waren. Anfang des 20. Jahrhunderts existierten in Algerien fünf Zuaven-Regimenter und in Tunesien eines. Zu den weiteren europäischen Einheiten in der Afrikaarmee gehörten die Chasseurs d’Afrique, ein Kavalleriekorps, sowie die berühmte französische Fremdenlegion. Arabische und Berber-Soldaten, die von den Zuaven ausgeschlossen waren, wurden zur Bildung einheimischer Armeeeinheiten rekrutiert: die algerischen und tunesischen tirailleurs, also Schützen, bekannt unter dem Namen „Turkos“, und die Spahi-Kavallerie. Obwohl die Soldaten in diesen
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Einheiten fast ausschließlich Nordafrikaner waren, besetzte man die Offiziersränge ebenso ausschließlich mit Franzosen. Algerier konnten höchstens bis zum Rang eines Leutnants aufsteigen, wobei nie mehr als die Hälfte aller Leutnants Nordafrikaner sein durften (in der Realität erzielten die Algerier niemals auch nur eine Parität mit den französischen Leutnants). Die Franzosen genossen eine Vorrangstellung gegenüber Algeriern gleichen Rangs.17 Angesichts des kolonialen Kontexts und der Grenzen, welche die Franzosen den nordafrikanischen Soldaten aufzeigten, ist es bemerkenswert, dass sich Araber und Berber überhaupt zum Kriegseinsatz meldeten. Die Erfahrungen eines algerischen Veteranen legen nahe, dass die Armee als sicherer Arbeitsplatz in einem wirtschaftlichen Umfeld angesehen wurde, das ungelernten Arbeitern nur wenige Möglichkeiten bot. Mustafa Tabti, ein arabischer Stammesangehöriger aus dem Hinterland von Oran, der nie eine Schule besucht hatte, schloss sich 1892 als Sechzehnjähriger den algerischen Schützen an, angetrieben von Neugier und dem Wunsch, „mit Schießpulver zu spielen“. Als er seine erste Dienstzeit abgeleistet hatte, kehrte er als kleiner Lebensmittelhändler in sein Zivilistenleben zurück. Siebzehn Jahre lang mühte er sich im Spagat zwischen dem Laden und landwirtschaftlicher Arbeit ab, bevor er sich im Alter von 37 Jahren als Unteroffizier bei den 2. algerischen Schützen einschrieb. Als Anfang der 1910er-Jahre die Spannungen in Europa zunahmen, begannen die Franzosen intensiver in Nordafrika zu rekrutieren, sie boten den Arabern und Berbern verlockende Löhne und Boni an. Neben Essen, Unterkunft und einem regelmäßigen Gehalt versorgte die Armee die Männer auch mit einer gewissen Stellung innerhalb der Gesellschaft, wie sie weder ein kleiner Lebensmittelhändler noch ein Landpächter genossen.18 Bis in die 1910er-Jahre war die Afrikaarmee eine reine Freiwilligenarmee, die aus europäischen und einheimischen Gemeinschaften in Algerien, Tunesien und Marokko rekrutiert wurde. Als der Druck auf die französische Regierung wuchs, das Militär zu vergrößern, entschloss man sich 1912, in Nordafrika die Wehrpflicht einzuführen. Sowohl in Paris als auch in Algier gab es viele, die sich gegen die Maßnahme ausgesprochen hatten, da sie fürchteten, sie könnte bei den einheimischen Algeriern entweder zur Revolte oder, noch schlimmer, zur Forderung nach gleichen Staatsbürgerrechten als Gegenleistung für den geleisteten Wehrdienst führen. In
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diesem Fall überstimmten die Militärstrategen die Bedenken der Koloniallobby und setzten das Gesetzgebungsverfahren in Gang. Das Dekret vom 3. Februar 1912 begrenzte die Zahl der Wehrpflichtigen auf nur 2400 Mann, die per Los bestimmt werden sollten. Um sich die Zustimmung der muslimischen Notabeln zu sichern, sagten die Franzosen das Recht zum Ersatz zu: Wohlhabendere Algerier konnten eine Gebühr zahlen, um ihre Söhne vom Militärdienst befreien zu lassen. Durch das Recht auf Freistellung stieß das Gesetz bei allen weniger vermögenden Algeriern auf umso größere Ablehnung, weshalb sie gegen seine Einführung protestierten. „Wir sterben lieber, als dass wir uns unsere Kinder wegnehmen lassen“, riefen algerische Familien. Doch trotz aller Gegenwehr fand die MilitärdienstLotterie nach 1912 regelmäßig jährlich statt. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs 1914 dienten 29 000 Algerier im französischen Heer, 3900 davon waren Wehrpflichtige.19 Als die Nachricht von Deutschlands Kriegserklärung an Frankreich am 3. August 1914 Algerien erreichte, strömten Franzosen auf die Straßen Algiers, um in einer großen Demonstration ihren Patriotismus zu bekunden. Sie sangen die „Marseillaise“ und den „Chant du Départ“, ein weiteres Lied aus der französischen Revolutionszeit mit dem Refrain: Uns ruft die Republik Lasst uns siegen oder untergehen. Ein Franzose muss für sie leben, Für sie muss ein Franzose sterben.
Die Franzosen in Algerien passten die letzte Zeile an, um die einheimischen Algerier in diese Opferbereitschaft mit einzuschließen: „Für sie muss ein Franzose sterben, für sie muss ein Araber sterben.“ In diesem Augenblick der Begeisterung hielt der im algerischen Tlemcen geborene Messali Hadsch fest, wie sehr „all diese patriotischen Lieder die [arabischen Algerier] tief bewegten, musikalisch gesprochen“.20 Deutschland feuerte seine ersten Schüsse auf Frankreich, als die Schlachtschiffe Goeben und Breslau die Häfen Philippeville und Bône (heute Skikda und Annaba in Algerien) attackierten. Kurz vor Sonnenaufgang am 4. August gab die Breslau unter britischer Seeflagge 140 Salven auf das Zentrum von Bône ab und traf dabei Hafenanlagen, den
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Bahnhof, einige der Hauptstraßen der Stadt und ein Dampfschiff im Hafen. Ein Mann namens André Gaglione kam dabei ums Leben und war damit das erste französische Todesopfer des Weltkriegs. Eine Stunde später tauchte die Goeben unter russischer Flagge an der Küste vor Philippeville auf und schoss 20 Granaten auf die Stadt, wobei der Bahnhof, Kasernen und eine Gasanlage getroffen wurden und weitere 16 Menschen starben. Anschließend zogen sich beide Schiffe von der nordafrikanischen Küste zurück und wichen der Verfolgung durch britische und französische Schiffe in osmanische Gewässer aus. Hier sollten sie, wie erwähnt, eine entscheidende Rolle beim türkischen Kriegseintritt spielen. Die Deutschen gaben keinen Grund für den Angriff an, auch wenn man vermutete, sie wollten die Truppenbewegungen von Nordafrika nach Europa stören, und hofften, das algerische Vertrauen in Frankreich unterminieren zu können. Die deutschen Angriffe riefen in weiten Teilen der Bevölkerung Empörung hervor und trieben Europäer und gebürtige Algerier als Freiwillige in die Armee. Der Kriegsausbruch traf zufällig mit dem heiligen Monat Ramadan zusammen, in dem Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fasten. Die Rekrutierung von einheimischen Muslimen konnte daher frühestens gegen Ende August beginnen, nach dem Ende des Fastenmonats. Rekrutierungstrupps aus französischen und arabischen Soldaten fuhren an Markttagen durch Städte und Dörfer. Sie marschierten zu Trommelmusik und den schrillen Tönen der Ghaita, eines Doppelrohrblattinstruments, über die Plätze. Die rhythmische Musik und die bunten Uniformen lockten die Menschen heran, doch die Rekrutierungsoffiziere konzentrierten sich auf arbeitslose Männer und Bauern. „Der Oberfeldwedel brachte die Musik zum Verstummen, nachdem sie den erwünschten Effekt erbracht hatte“, erinnerte sich Messali Hadsch. „Ein arabischer Sergeant trat nun hervor und beschrieb mit großer Eloquenz all die Vorteile, von denen die Freiwilligen profitieren würden. Seine Vorschläge waren höchst attraktiv, vor allem für jene, die einen leeren Magen hatten.“ Deren Eltern hingegen „litten Qualen“ angesichts der Aussicht, ihre Söhne an einen Krieg im Ausland zu verlieren. Die schlimmsten Ängste vieler nordafrikanischer Eltern wurden schon gleich in den ersten Wochen Wirklichkeit. Die Afrikaarmee erlitt bereits unmittelbar nach Ausbruch des Krieges schwere Verluste. Unteroffizier
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Mustafa Tabti, der sich 1913 gemeldet hatte, gehörte zu den Ersten, die man in Frankreich auf das Schlachtfeld schickte. Er fasste seine Erfahrungen in Verse und diktierte sie einem algerischen Armeeübersetzer, während er sich in einem Krankenhaus von seinen Verwundungen erholte. Kurz nach den Ereignissen im September 1914 notiert, fanden seine Verse unter den nordafrikanischen Soldaten an der Westfront große Verbreitung. Tabti kann als einer der ersten Dichter des Weltkriegs bezeichnet werden.21 Er überquerte das Mittelmeer von der westalgerischen Hafenstadt Oran aus und fuhr ins französische Sète, wo die algerischen Schützen von Bord gingen und ihren Weg zum Schlachtfeld per Zug fortsetzten. Tabti feiert die Bravour, mit der die Algerier auf die bevorstehenden Kämpfe blickten: „Männer“, dachten wir bei uns selbst, „keine Angst, wir zeigen unsre Tapferkeit, hier werden wir uns vergnügen.“ „Wir Araber sind gemacht aus Großmut und Schießpulver!“
Die nordafrikanischen Truppen wurden an der belgischen Grenze eingesetzt, wo sie in der Schlacht um Charleroi am 21. August zum ersten Mal kämpfen mussten. Nichts hatte den nordafrikanischen Dichter auf die Grausamkeiten der Schlacht vorbereitet, die ihm nun begegneten. Hört euch meine Geschichte an, Freunde: Welch ein grauenhafter Tag für uns in Charleroi, meine Brüder! Mit Kanonen und einem sintflutartigen Hagel aus Kugeln deckten sie uns vom Nachmittagsgebet [Asr] bis zum Sonnenuntergangsgebet [Maghrib] ein.
Als die Schlacht am folgenden Tag weitertobte, stieg auf beiden Seiten die Zahl der Toten und Verletzten. „Die Toten lagen auf zahllosen Haufen“, erinnerte sich Tabti. „Sie legten den Muslim neben den Ungläubigen in ein gemeinsames Grab.“ Artillerie, geschossen von weit entfernt, steckte Erde und Steine gleichermaßen in Brand, meine Herren! Wir vergingen in großer Zahl, durch Bajonette und Kugeln, die von allen Seiten schwirrten.
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92 Kapitel 3 Sie ließen uns keine Atempause, sie folgten unseren Spuren sechs Tage nacheinander, meine Herren! Sie belegten uns mit dem Ungestüm eines Sturms, meine Herren! In Belgien gönnten sie uns keine Atempause.
Den Franzosen und ihren nordafrikanischen Truppen gelang es, den Deutschen Verluste zuzufügen, bevor sie sich zurückzogen. „Wir haben sie zerstört“, prahlte Tabti. „Wohin immer du deinen Schritt lenkst, betrittst du einen von ihnen [den Deutschen] belegten Friedhof.“ Die Erinnerung an die toten Nordafrikaner – „aus Oran, Tunis, Marokko und der Sahara“ – lastete jedoch schwer auf den Schultern des jungen algerischen Dichters. Der Anblick so vieler dahingeraffter junger Männer zerriss mir mein Herz. Meine Herren! Diese toten Helden ruhen in der Einsamkeit des Nirgendwo. Sie gingen dahin, ohne dass man für sie das Glaubensbekenntnis sprach, ihr Herren! Sie lagen den wilden Tieren, Adlern und Raubvögeln schutzlos ausgeliefert. Zu ihrem Andenken singe ich voller Trauer, ihr Herren! Wärt ihr auch aus Stein gemacht, so müsstet ihr doch Tränen für sie vergießen.
Die Schlacht von Charleroi erwies sich als sinnloses Gemetzel, das die Anzahl der nordafrikanischen Regimenter und die der regulären französischen Armee dezimierte. Bataillone mit 1200 Infanteristen wurden an einem einzigen Kampftag auf weniger als 500 Männer ausgedünnt – die anfänglichen Verlustraten unter den Turkos lagen bei bis zu 60 Prozent Tote und Verwundete. Nachdem die erfahrenen Soldaten gefallen waren, wurden sie von jungen Rekruten ohne adäquate Ausbildung ersetzt, die unter dem Geschützfeuer in Panik gerieten und noch höhere Verlustraten zu beklagen hatten. Als sich die Franzosen aus Charleroi zurückzogen, um sich für die Verteidigung von Paris neu zu gruppieren, entsandte man die nordafrikanischen Soldaten an die Marne, wo sie eine Schlüsselrolle beim Aufhalten des deutschen Vormarsches spielten – auch dieses Mal wieder unter furchtbaren Verlusten. Insgesamt starben rund 6500 nordafrikanische Soldaten allein zwischen August und Dezember 1914 und viele Tausende mehr wurden verwundet.22
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Die großen Verluste an der Westfront sprachen sich unvermeidlich bis nach Nordafrika herum. Solch hohe Todeszahlen nährten Gerüchte, nordafrikanische Soldaten würden als Kanonenfutter eingesetzt, um den französischen Soldaten die schlimmsten Kämpfe zu ersparen. Im September und Oktober 1914 kam es daher im ländlichen Algerien zu spontanen Protesten gegen die Rekrutierung und das Einziehen von Wehrpflichtigen. Familien weigerten sich, ihre Söhne an die Armee herauszugeben, und Banden griffen die Rekrutierungstrupps auf offenem Gelände an, um die jungen Soldaten zu befreien, bevor sie die Kasernen erreichten. Diese Unruhen führten den Franzosen vor Augen, welchen Ärger ein religiöser Aufstand in Form des von den Osmanen erklärten Dschihad hervorrufen könnte. Angesichts landesweiter Widerstände mussten die Behörden 1600 Soldaten von den europäischen Schlachtfeldern abziehen und nach Algerien beordern, wo sie die Ordnung wiederherstellen sollten. Mehrere dieser Soldaten wurden von den Aufständischen gefangen genommen und ermordet, bevor die Armee die Kontrolle zurückerlangte und wieder Nachschub für die Westfront rekrutiert werden konnte. Trotz des Widerstands vor Ort erwiesen sich die Rekrutierungsbemühungen als effektiv: Im Verlauf des Krieges dienten mehr als 300 000 Nordafrikaner – 180 000 Algerier, 80 000 Tunesier und 40 000 Marokkaner – in der französischen Armee, sowohl an der Westfront als auch im Kampf gegen die Osmanen.23
* Auch die Briten griffen auf ihr Weltreich zurück, um Truppen für den Krieg aufzustellen. Als Großbritannien Deutschland am 4. August 1914 den Krieg erklärte, folgten ihm drei seiner Dominions – Australien, Kanada und Neuseeland – noch am selben Tag. Sie alle mobilisierten ihre Soldaten, um Großbritannien auf der europäischen Bühne zu verteidigen. Die überwältigende Mehrheit der Kanadier kämpfte an der Westfront (abgesehen von einer Handvoll Soldaten, die auf Booten stationiert waren und in Mesopotamien kämpften oder für medizinische Einheiten in Saloniki arbeiteten). Die meisten Freiwilligen aus Australien und Neuseeland hingegen dienten zunächst an der osmanischen Front. Sie wurden zur selben Zeit mobilisiert wie die Türken, Araber und Nordafrikaner – Soldaten
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aus aller Welt, die aus dem europäischen Konflikt einen Weltkrieg machten. Auf der dem Krieg abgewandten Seite des Globus reagierten Australien und Neuseeland auf den Kriegsausbruch in Europa mit demselben Pflichtgefühl dem Empire gegenüber wie die Briten. Der damalige Führer der australischen Oppositionspartei, Andrew Fisher, griff die vorherrschende Stimmung auf, als er die Unterstützung seines Landes „bis zum letzten Mann und dem letzten Shilling“ versprach. Anfang August 1914 mobilisierte das Commonwealth of Australia die australische Imperial Force, und das Dominion Neuseeland versammelte die New Zealand Expeditionary Force. Die vereinten Truppen wurden als das berühmte Australian and New Zealand Army Corps (ANZAC) bekannt. Australien und Neuseeland hatten bereits im Zweiten Burenkrieg (1899–1902) Truppen zur Unterstützung der Briten entsandt. Doch diese erste Erfahrung der Kriegsführung im Ausland hatte sie in keiner Weise auf die Gewalt des Weltkriegs vorbereitet. Von den damals nach Südafrika geschickten 16 000 Australiern wurden nur 251 im Kampf getötet; mehr Soldaten (267 Mann insgesamt) starben an Krankheiten. Neuseeland erlebte Ähnliches: Von den 6500 bereitgestellten Soldaten fielen 70 in Schlachten, 23 starben bei Unfällen und 133 wurden von Krankheiten dahingerafft. In Erinnerung an den Burenkrieg meldeten sich sehr viele Neuseeländer und Australier freiwillig: Sie waren auf Abenteuer und die Reise in die Fremde aus und träumten zweifellos alle davon, ruhmreich nach Hause zurückzukehren.24 Zu den australischen und neuseeländischen Kontingenten gehörte sowohl Kavallerie als auch Infanterie. Die meisten Freiwilligen für die Kavallerie stammten aus ländlichen Gegenden und brachten ihre eigenen Pferde mit – einige der mehr als 16 Millionen im Ersten Weltkrieg eingesetzten Pferde. Die Kavallerie-Freiwilligen, die sich mit dem eigenen Pferd einschrieben, bekamen 30 Pfund ausbezahlt, wenn ihr Tier die Musterung bestand. Damit gehörte das Pferd der Armee und wurde mit einem regierungsamtlichen Abzeichen und einer in den Huf eingebrannten Nummer versehen. Ein solches Militärpferd, von den Kavalleristen auch „Remonte“ genannt, musste strenge Kriterien erfüllen: Es musste ein Wallach oder eine Stute, zwischen vier und sieben Jahren alt, muskulös, keinesfalls größer als 15,2 Handbreit (1,54 Meter) und gutmütig sein und im Ge-
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fecht ruhig bleiben. Diese Beschreibung passte perfekt auf die australischen New South Waler – eine Kreuzung aus Vollblut und Zugpferd.25 Die Männer der New Zealand Expeditionary Force stammten aus allen Teilen des Landes und allen Bevölkerungsschichten. Unter ihnen waren Bauern und Mechaniker, Schäfer und Buschleute, Büroangestellte und Lehrer, Börsenmakler und Bankangestellte. Sie alle schlossen sich der Armee an, weil ihre Freunde das ebenfalls taten. Einige lockte die Aussicht auf ein großes Abenteuer. Andere meldeten sich aus Patriotismus Großbritannien und dem British Empire gegenüber. Keiner von ihnen hatte die leiseste Ahnung, wo sie schließlich kämpfen sollten, doch nach sechs Wochen Ausbildung waren sie für den Kampf bereit. Trevor Holmden, ein junger Anwalt aus Auckland, erinnerte sich, wie er und seine Kameraden von ihrem Ausbildungslager auf dem One Tree Hill hinab zum Hafen marschierten, von wo sie abtransportiert wurden: Auckland zeigte sich in großer Zahl, als wir vorbeimarschierten, und auch wenn die meisten Menschen froh waren, die letzten Krawallmacher loszuwerden, die sie in unseren Reihen vermuteten, hielten wir uns alle doch für Helden, und ich glaube, wir alle verhielten uns auch als solche. Ich persönlich genoss den Marsch sehr, und die ganze Angelegenheit war sicherlich äußerst dramatisch und martialisch, als die Kapellen aufspielten und die Fahnen flatterten, während wir … von der Welt, die wir kannten, durch die großen Eisentore vor der Queen’s Wharf hindurch und damit zu den Schiffen gingen, die uns weiß Gott wohin bringen sollten.26
Aufgrund ihrer eher geringen Bevölkerungszahl konnten Australien und Neuseeland nur eine begrenzte Zahl an Truppen für den Krieg bereitstellen. 1914 lebten in Australien fünf Millionen Menschen, in Neuseeland nur eine Million. Zugelassen wurden zudem nur Australier zwischen 18 und 35 Jahren sowie Neuseeländer zwischen 21 und 40 Jahren, die mindestens 1,67 Meter groß und gesund waren. Ende August hatten die Australier 19 500 Männer aufgestellt (17 400 Infanteristen und 2100 Kavalleristen), befehligt von fast 900 Offizieren. Neben der kleinen Truppe aus 1400 Männern, die Deutsch-Samoa besetzen sollten, umfasste die New Zealand Expeditionary Force fast 8600 Mann und mehr als 3800 Pferde, die in weniger als drei Wochen aufgestellt worden waren.27
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Die Abfahrt der Truppentransportschiffe wurde durch Berichte verzögert, nach denen ein deutsches Marinegeschwader im Südpazifik operiere. Obwohl die Freiwilligen Ende September ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, legten die zehn Transportschiffe erst am 16. Oktober in Wellington ab, begleitet von einem japanischen Kriegsschiff und zwei britischen Booten. Trevor Holmden fand sich zusammen mit weiteren 1500 Mann und 600 Pferden „eingeklemmt wie Sardinen“ auf der Waimana wieder. Sie fuhren in Richtung Australien, um sich dort mit der Australian Imperial Force zu vereinen, und machten sich am 1. November von Hobart in Südwestaustralien auf den Weg, mit noch unbekanntem Ziel. Erst nachdem der ANZAC-Konvoi aufgebrochen war, trat das Osmanische Reich am 2. November in den Krieg ein. Anstatt nach Großbritannien zu fahren, sollten die Australier und Neuseeländer in Ägypten von Bord gehen, um an der Front im Nahen Osten zu kämpfen.
* Als Briten und Franzosen ihre Kolonialreiche für den europäischen Krieg einspannten, mussten sie die Loyalität ihrer muslimischen Untertanen auf den Prüfstand stellen. Die Algerier klagten bereits seit längerer Zeit über den Status quo, der den einheimischen Arabern und Berbern die Bürgerrechte verweigerte. Indische Muslime waren nach Jahrzehnten der Benachteiligung in der britischen Verwaltung nervös und gingen immer mehr dazu über, dem osmanischen Sultan als Kalif der weltweiten muslimischen Gemeinschaft Gehorsam zu versprechen. Drei Jahrzehnte britischer Besatzung hatten in Ägypten den Boden für eine nationalistische Bewegung bereitet, deren Forderungen nach Unabhängigkeit jedes Mal abgelehnt worden waren. Einige fürchteten aus gutem Grund, die Kolonialpolitik habe die Muslime in Indien und Nordafrika derart entfremdet, dass sie sich den Feinden Großbritanniens und Frankreichs anschließen könnten, in der Hoffnung, sich nach einem Sieg der Deutschen die Unabhängigkeit zu sichern.28 Als Knotenpunkt des britischen Weltreichs war Ägypten entscheidend für die Kriegsbemühungen. Der Suezkanal war Großbritanniens wichtigste Verbindung mit Indien, Australien und Neuseeland. Die ägyptischen Militärlager dienten sowohl als Ausbildungsstätten für die Kolonial-
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truppen als auch als Ausgangspunkte für Operationen im Nahen Osten. Sollten ägyptische Nationalisten den Krieg in Europa oder fromme Muslime die Ausrufung des Dschihad zum Anlass für einen Aufstand nehmen, könnten die Auswirkungen auf die gesamten britischen Kriegsanstren gungen desaströs sein. Im August 1914, als in Europa der Krieg ausbrach, hatte sich die ägyptische Regierung bereits in die Sommerpause zurückgezogen. Der Khedive (Vizekönig) Abbas Hilmi II. befand sich in Istanbul auf Urlaub, die gesetzgebende Versammlung war in den Parlamentsferien. Premierminister Hussein Ruschdi Pascha war gezwungen, in der schnell eskalierenden Krise Entscheidungen zu treffen, ohne sich mit seinem Staatsoberhaupt beraten zu können. Am 5. August drängten die Briten Hussein Ruschdi Pascha dazu, ein Dokument zu unterzeichnen, das faktisch auf eine Kriegserklärung an die Feinde des Königs hinauslief. Anstatt damit die ägyptische Loyalität zum britischen Krieg zu sichern, brachte die Nachricht des Dekrets das ägyptische Volk vielmehr gegen die Briten auf: „Das tiefsitzende Misstrauen, das in allen Bevölkerungsschichten gegenüber der Besatzungsmacht [Großbritannien] vorherrschte, steigerte sich zu einem Gefühl des bitteren, wenn auch stummen Hasses“, erinnerte sich ein damals in Ägypten stationierter britischer Offizier. „Durch eine unfreiwillige und verachtete Verbindung mit Großbritannien war Ägypten in einen Kampf hineingezogen worden, dessen Ursprung und Ziele dem Land verborgen blieben.“29 Zwischen August und Oktober verheimlichte die britische Zensur der ägyptischen Öffentlichkeit die schlimmsten Berichte von der Front. Auch Nachrichten aus Istanbul unterlagen der britischen Kontrolle – bis die Osmanen am 2. November 1914 in den Krieg eintraten. Obwohl es von den Briten besetzt war und seit 1882 de facto unter britischer Verwaltung stand, gehörte Ägypten formell gesehen noch zum Osmanischen Reich und das bereits seit 1517. Der Khedive war ein osmanischer Vizekönig, ernannt vom Sultan, und der osmanischen Regierung gegenüber tributpflichtig. Als Verbündete der Deutschen waren alle Osmanen nun Feinde der britischen Krone. Ägypten befand sich damit in einer widersprüchlichen Lage: zum einen ein treuer Vasallenstaat der Osmanen und zugleich, wegen des Dekrets vom 5. August, auf Geheiß der Briten ein Land im Kriegszustand mit den Osmanen. Großbritanniens Lage war nur unwesentlich einfacher: Der Kriegseintritt der Osmanen bedeutete, dass Großbritannien ein feind-
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liches Gebiet besetzt hielt und dass die 13 Millionen Einwohner Ägyptens mit einem Mal gegnerische Ausländer geworden waren. Noch am Tag des Kriegseintritts der Osmanen verhängten die Briten das Kriegsrecht über Ägypten. Es gab keine öffentlichen Reaktionen, die britischen Behörden blieben jedoch besorgt, was die ägyptische Loyalität betraf. Da aller Wahrscheinlichkeit nach die religiösen Bindungen der ägyptischen Soldaten stärker sein würden als ihr Respekt vor der Kolonialmacht, waren die Briten nicht bereit, sie in einen Krieg hineinzuziehen, und entschieden, sie insgesamt vom Krieg auszunehmen. Am 6. November versprach der Militärkommandeur in Ägypten, General Sir John Maxwell: „In Anerkennung des Respekts und der Verehrung, die dem Sultan von den Mohammedanern Ägyptens entgegengebracht werden, nimmt [Großbritannien] die gesamte Last des gegenwärtigen Krieges allein auf seine Schultern, ohne das ägyptische Volk hierbei um Hilfe zu bitten.“30 Der erfahrene ägyptische Politiker Ahmad Schafiq bemerkte, Maxwells Ankündigung habe in Ägypten „die öffentliche Meinung erschüttert“, die nach mehr als drei Jahrzehnten Besatzung den britischen Bestrebungen misstrauisch gegenüberstand. Die Briten verpflichteten sich zwar, das ägyptische Volk nicht in den Krieg zu ziehen, achteten aber streng darauf, dass dieses nicht dem Osmanischen Reich Beistand leistete. Allerdings mussten die Briten rasch erkennen, dass sie ihr Versprechen nicht halten konnten, die Last des Krieges ohne ägyptische Unterstützung ganz alleine zu tragen. Ägyptische Soldaten dienten schließlich bei der Verteidigung des Suezkanals, ägyptische Arbeiter wurden zu gegebener Zeit für Arbeitstrupps rekrutiert, die an der Westfront und im Nahen Osten eingesetzt wurden.31 Obwohl es den Briten gelungen war, die öffentliche Ordnung zu sichern, war das Problem der rechtlichen Widersprüche noch nicht gelöst, das durch ihre Anwesenheit in Ägypten entstanden war. Am 18. Dezember erklärte Großbritannien unilateral und offiziell Ägypten zu seinem Protektorat, womit nach 397 Jahren die türkische Herrschaft endete. Am folgenden Tag setzten die Briten den herrschenden Khediven Abbas Hilmi II. ab, den man verdächtigte, der osmanischen Sicht der Dinge zu nahezustehen, und setzte an seiner Stelle den ältesten Prinzen des ägyptischen Herrscherhauses, Hussein Kamil, auf den Thron. Nun, da Ägypten kein Vasallenstaat mehr war, verliehen die Briten dem neuen ägyptischen Herrscher den Titel „Sultan“ – eine Beförderung, die Hussein Kamil schmeichelte, stellte sie ihn
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doch auf eine Stufe mit dem osmanischen Sultan. Mit einem gefügigen König, der seine Position der Kolonialmacht verdankte, konnten sich die Briten nun auf die Sicherung Ägyptens, und insbesondere des Suezkanals, gegen osmanische Angriffe konzentrieren. Da zahlreiche britische Soldaten Ägypten bereits in Richtung Westfront verlassen hatten, wartete man auf die Verstärkung aus Australien, Neuseeland und Indien.
* Indien, seit 1858 unter Herrschaft der britischen Krone, war das Herzstück des britischen Weltreichs. Britisch-Indien wurde von einem Vizekönig regiert, dem Hunderte von Fürstenstaaten als ihrem Oberhaupt die Treue geschworen hatten. Mit einer eigenen öffentlichen Verwaltung und Armee war Indien ein eigener Staat innerhalb des britischen Kolonialgebildes. Ein Viertel der 225 Millionen Einwohner war muslimisch – mehr als 65 Millionen. Der deutsche Geheimdienst hatte die unzufriedenen indischen Muslime als Achillesferse des British Empire ausgemacht und hoffte, der osmanische Aufruf zum Dschihad provoziere Aufstände, die das Raj destabilisieren und Großbritanniens Niederlage an der Westfront beschleunigen würden.32 Als 1914 der Krieg begann, stand Großbritannien in Südasien vor zwei Aufgaben: einerseits so viele indische Soldaten zu rekrutieren wie möglich und andererseits die Loyalität der indischen Muslime gegenüber dem Empire zu bewahren und diese gegen die osmanische und deutsche Dschihad-Propaganda abzuschotten. Beide Herausforderungen im Blick, gab Georg V., der britische „König-Kaiser“, am 4. August eine Erklärung an die „Fürsten und Völker Indiens“ ab. Darin erläuterte er die britischen Gründe für die Kriegserklärung an Deutschland und bat um indische Unterstützung für den Krieg des Königreichs. Zur großen Erleichterung der Regierung reagierte die indische Herrschaftselite auf den Aufruf des Königs mit überschwänglichen Treueschwüren. „Die Loyalität der indischen Muslime zum König-Kaiser“, versicherte der Aga Khan, „steht fest gegen jeden Versuch der deutschen Diplomatie, im Nahen Osten oder sonst wo ein unechtes panislamisches Gefühl zugunsten der in Deutschland produzierten‚ gepanzerten Faust‘ zu erschaffen.“ Muslimische Fürsten in ganz Indien gaben ähnlich lautende Erklärungen ab.33
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Der osmanische Kriegseintritt und die Ausrufung des Dschihad durch den Sultan bedrohten die Ordnung in Britisch-Indien. Die Öffentlichkeit war gespalten in Loyalitätsbekundungen für den Sultan-Kalifen und den König-Kaiser. Um sich die Unterstützung der indischen Muslime zu sichern, versprach König Georg V., Großbritannien und seine Verbündeten würden Mekka und Medina – die beiden heiligen Stätten Arabiens –, Dschidda, die Hafenstadt im Roten Meer sowie die mesopotamischen Wallfahrtsstätten vor Angriffen schützen. Das königliche Versprechen sorgte dafür, dass die indischen Muslime ungebrochen die britischen Kriegsbemühungen unterstützten. Doch ebenso wie es ihrer Zusage erging, den Ägyptern die Zumutungen des Krieges zu ersparen, mussten die Briten bald feststellen, dass ihr Versprechen, den Hedschas vor den Gefahren des Konflikts zu bewahren, ins Wanken geriet. Nach der Zusicherung des Königs, die heiligen Stätten der Muslime zu schützen, stellten indisch-muslimische Notabeln großzügig ihre Hilfsbereitschaft für den britischen Kriegszug unter Beweis. Die Nawab aus Bhopal, Ranpur, Murshidabad und Dhaka sowie der Nizam von Hyderabad bestätigten, der Sultan habe die Muslime mit seinem „irrigen“ Aufruf zum Dschihad fehlgeleitet. Sie führten zudem aus, indische Muslime hätten die Pflicht, Großbritannien zu unterstützen. Der Aga Khan ging sogar so weit, dem osmanischen Anspruch auf das Kalifat seine Anerkennung zu entziehen: „Nun, da die Türkei sich derart katastrophal als Werkzeug in deutschen Händen herausgestellt hat, hat sie nicht nur sich selbst zugrunde gerichtet, sondern auch ihre Stellung als Treuhänder des Islam verspielt, und das Böse wird sie überrollen.“34 Der Rat der All-indischen Muslimliga verabschiedete im November 1914 eine Resolution mit der Feststellung, dass „die Teilnahme der Türkei im gegenwärtigen Krieg“ keinen Einfluss auf die „Loyalität und Ergebenheit“ der indischen Muslime dem britischen Empire gegenüber habe. Der Rat betonte seine Zuversicht, „dass kein Muslim in Indien auch nur um Haaresbreite von seiner überragenden Pflicht gegenüber seinem Souverän abweichen wird“, womit der König-Kaiser gemeint war. Ähnliche Resolutionen wurden im November 1914 bei Massenversammlungen von muslimischen Notabeln in ganz Indien verabschiedet.35 Nachdem sie sich der muslimischen Treue versichert hatten, fingen die Briten an, indische Truppen für den Krieg zu mobilisieren. In Indien mel-
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deten sich auf den Aufruf Georg V. hin mehr Freiwillige, als in allen anderen Kolonien und Dominions zusammen. Zwischen 1914 und Ende 1919 schrieben sich 950 000 Inder zum Militärdienst ein, weitere 450 000 dienten als Nichtkombattanten, womit rund 1,4 Millionen Mann ins Ausland geschickt wurden, um als Soldaten, Arbeiter, Mediziner oder sonstige Helfer den britischen Kriegseinsatz zu unterstützen. Soldaten der Indienarmee kämpften an allen Fronten – mehr als 130 000 allein an der Westfront. Ihren wichtigsten Beitrag zum Krieg der Briten leisteten sie jedoch im Nahen Osten, wo fast 80 Prozent der indischen Soldaten kämpften – auf Gallipoli (9400), in Aden und am Persischen Golf (50 000), in Ägypten (116 000) und vor allem in Mesopotamien (fast 590 000).36 Dem Beispiel Britisch-Indiens folgend, wo sich muslimische Führer eloquent und deutlich gegen die Ausrufung des Dschihad durch den Sultan ausgesprochen hatten, mobilisierten auch die Franzosen loyale muslimische Würdenträger, um dem osmanischen Kriegseintritt jegliche religiöse Begründung abzusprechen. Sie begannen oben an der Spitze: Die Franzosen sicherten sich die Zustimmung des Bey von Tunis und des Sultans von Marokko, die ihre Soldaten aufforderten, tapfer für die Franzosen zu kämpfen und ihr Volk aufriefen, sich den Kolonialbehörden zu unterwerfen und ihnen zu gehorchen. Die Muftis der zwei Rechtsschulen im sunnitischen Islam Algeriens, die Malikiten und Hanafiten, bezogen sich explizit auf die Lage der Muslime in Indien, im Kaukasus und in Ägypten, als sie sich gegen den Aufruf des Sultans zum Dschihad aussprachen. Weitere religiöse Führer – Leiter religiöser Bruderschaften, Richter und andere Würdenträger – sicherten der Sache der Alliierten ihre Unterstützung zu, verdammten die Deutschen und ihre jungtürkischen Protegés und lehnten den Anspruch des Sultans auf die Autorität des Kalifen und sein Recht, im Namen der muslimischen Gemeinschaft den Dschihad ausrufen zu können, ab. Die Kolonialbehörden veröffentlichten Dutzende solcher Erklärungen sowohl auf Arabisch als auch in sorgfältig bearbeiteten französischen Übersetzungen. Der Propagandakrieg für und gegen den osmanischen Dschihad wurde auch von europäischen Orientalisten geführt – britischen, französischen und deutschen.37
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Die Deutschen konnten einige Erfolge bei ihren Bemühungen verbuchen, feindliche muslimische Kämpfer zum Dschihad gegen Großbritannien und Frankreich zu gewinnen. Sie rekrutierten islamische Aktivisten wie Scheich Salih asch-Scharif für ihre Sache. Der in Tunis als Sohn algerischer Exilanten geborene Salih asch-Scharif war islamischer Gelehrter und Nachfahre des Propheten Mohammed. Er verließ 1900 sein Geburtsland aus Protest gegen die französische Herrschaft. Der Tunesier fiel der jungtürkischen Führung während des Libyenkriegs auf, als er unter Enver diente. Es war Salih asch-Scharif, der angeblich den Dschihad gegen Italien verkündete und dem Krieg damit eine offenkundig religiöse Färbung gab. Enver, der von der Macht des Islam zur Mobilisierung des Widerstands gegen die europäischen Übergriffe ohnehin beeindruckt war, rekrutierte asch-Scharif für seinen Geheimdienst, den Teşkilât-ı Mahsusa.38 Salih asch-Scharif ging 1914 nach Berlin und arbeitete dort für die neu geschaffene Propagandaeinheit des deutschen Außenministeriums, die Nachrichtenstelle für den Orient. Er besuchte die Westfront, um über die Schützengräben hinweg direkt auf muslimische Soldaten in Reihen der Briten und Franzosen einzuwirken. Er verfasste eine Reihe von Pamphleten, die sowohl auf Arabisch als auch in der Berbersprache zusammen mit dem Aufruf des Sultans zum Dschihad über den Kampflinien abgeworfen wurden, wo nordafrikanische Soldaten kämpften. Einige von ihnen desertierten daraufhin aus der französischen Armee.39 Nachdem die Deutschen die ersten muslimischen Gefangenen an der Westfront gemacht hatten – rund 800 bis Ende 1914 –, schufen sie in Wünsdorf bei Zossen eine spezielle Einrichtung, die als „Halbmondlager“ bekannt werden sollte. Der deutsche Kommandeur des Lagers sprach Arabisch mit den Gefangenen. Das Essen im Lager entsprach den muslimischen Speisevorschriften, und es gab zudem eine prunkvolle, von Kaiser Wilhelm II. persönlich finanzierte Moschee, um den spirituellen Bedürfnissen der muslimischen Kriegsgefangenen entgegenzukommen – und um die guten Absichten des Kaisers gegenüber der muslimischen Welt zu beweisen. Ahmed bin Hussein, ein älterer Bauer aus Marrakesch, war einer von acht marokkanischen Soldaten, die sich gemeinsam den deutschen Truppen auf den Schlachtfeldern in Belgien ergaben. Von dem Moment an, an dem sich die Männer als Muslime zu erkennen gaben, so erzählte er, „er-
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Gefangene in Wünsdorf. Die Deutschen errichteten in Wünsdorf bei Zossen ein spezielles Lager für muslimische Kriegsgefangene, in dem sie Freiwillige für den Kriegseinsatz der Osmanen rekrutierten. Viele von ihnen kämpften später in den Reihen der Osmanen an den Fronten im Nahen Osten. Hier ist eine Gruppe nordafrikanischer Soldaten zu sehen, die in den französischen Stellungen gefangen genommen worden war und nun von einem ihrer eigenen Offiziere im Lager Wünsdorf begutachtet wird.
wiesen sie [die deutschen Wachleute] uns gebührenden Respekt … Jeder klopfte uns auf die Schultern und reichte uns Essen und Trinken.“ Er wurde in ein besonderes Lager für muslimische Kriegsgefangene gebracht – zweifellos das Halbmondlager. „Sie taten uns sogar einen Gefallen und richteten uns eine Küche ein. Man servierte uns kein Schwein. Sie gaben uns gutes Fleisch, Pilaw, Kichererbsen etc. Jeder von uns bekam drei Laken, Unterwäsche und ein neues Paar Schuhe. Sie führten uns alle drei Tage zum Baden und schnitten uns die Haare.“ Die Lebensbedingungen in diesem Lager waren im Vergleich zu dem, was die Muslime in der
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f ranzösischen Armee und an der Front erlebt hatten, eine deutliche Verbesserung.40 Muslimische Gefangene zogen in einer Parade durch das Lager in Wünsdorf, um vor einem (im übertragenen Sinne) gefesselten Publikum den Dschihad zu propagieren. Salih asch-Scharif war häufig Gast dort und gab eine arabischsprachige Zeitung für die Insassen heraus, die, dem Anlass entsprechend, al-Dschihad hieß. Eine Reihe nordafrikanischer Muslime und Würdenträger reiste ebenfalls an, um die Gefangenen zu besuchen und sie für die Sache der Mittelmächte zu gewinnen. Diese Gäste hielten vor den Insassen Vorträge darüber, warum der Kampf an der Seite der Alliierten etwas war, was ihren religiösen Vorstellungen widersprach und weshalb der osmanische Dschihad gegen die Feinde des Islam (also Großbritannien und Frankreich) ihre religiöse Pflicht sei.41 Hunderte Kriegsgefangene meldeten sich freiwillig für die osmanische Armee – unter ihnen der marokkanische Bauer Ahmed bin Hussein. Nachdem er sechs Monate in dem Lager für muslimische Kriegsgefangene verbracht hatte, kam ein deutscher Offizier, begleitet von einem osmanischen Offizier namens Hikmet Efendi. „Wer unter euch nach Istanbul gehen möchte“, erklärten sie, „der hebe seine Hand.“ Umgehend meldeten sich zwölf marokkanische und algerische Soldaten. „Andere hatten Angst“, fügte Ahmed bin Hussein hinzu. Die Freiwilligen bekamen Zivilkleidung und Pässe und wurden nach Istanbul geschickt, um für die Osmanen zu kämpfen. Es lässt sich nicht sagen, wie viele muslimische Gefangene sich aus Überzeugung für den osmanischen Militärdienst meldeten und wie viele sich einfach nur meldeten, um das Kriegsgefangenenlager verlassen zu können. Was auch immer ihre Motive gewesen sein mögen, ein stetiger Strom indischer und nordafrikanischer Soldaten verließ Deutschland in Richtung Istanbul, um sich dem Krieg des Sultans anzuschließen. Nun zum zweiten Mal mobilisiert, dieses Mal jedoch als muslimische und nicht mehr als Kolonialsoldaten, stürzten sie sich erneut in den sich ausweitenden Weltkrieg, dieses Mal an dessen Fronten im Nahen Osten.42
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Als die Osmanen den Krieg erklärten, waren die Männer, die im Nahen Osten kämpfen sollten, bereits mobilisiert und auf ihrem Weg an die Fronten. Eine kleine Gruppe Nordafrikaner, die an der Westfront gefangen genommen worden war, hatte in deutschen Lagern die Seite gewechselt und schloss sich nun den Osmanen an. ANZAC-Kavallerie und -Infanterie waren auf dem Weg über den Indischen Ozean nach Ägypten. Indische Soldaten waren auf dem Persischen Golf unterwegs nach Mesopotamien oder fuhren am Jemen vorbei ebenfalls nach Ägypten. Osmanische Soldaten sammelten sich in Ostanatolien und Syrien, um gegen russische Stellungen im Kaukasus und die Briten in Ägypten vorgehen zu können. Europas Krieg war im Nahen Osten angekommen.
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KAPITEL 4 DIE ERSTEN SALVEN: ERZURUM, BASRA, ADEN, ÄGYPTEN UND DAS ÖSTLICHE MITTELMEER
Das Osmanische Reich war durch Kriege geformt worden, seine Grenzen hatten sich durch jahrhundertelange Eroberungen und Auseinandersetzungen gebildet. Doch nun, im November 1914, als die Osmanen in den ersten globalen Krieg eintraten, waren sie zum ersten Mal der Gefahr eines Krieges ausgesetzt, der zeitgleich an allen Fronten tobte. Mit über 12 000 Kilometern Grenzen und Küstenlinien, vom Schwarzen Meer über den Persischen Golf und das Rote Meer bis hin zum Mittelmeer, bot das Reich seinen Gegnern viele Angriffsmöglichkeiten. Kaum hatten die Osmanen den Krieg erklärt, als sie von den Alliierten auch bereits an unterschiedlichen Punkten ihres ausgedehnten Territoriums attackiert wurden. Kriegsschiffe der Entente-Mächte feuerten ihre ersten Salven ab, noch bevor der Krieg formell erklärt worden war: Britische Kriegsschiffe im Roten Meer beschossen am 1. November 1914 eine isoliert liegende Festung mit 100 Mann Besatzung an der Spitze des Golfs von Akaba. Zwei Tage später setzten vor den Dardanellen stationierte britische und französische Schiffe die äußeren Verteidigungslinien der Meerenge einem mörderischen Bombenhagel aus. In nur 20 Minuten Beschuss trafen die alliierten Schiffe ein Munitionslager, zerstörten die Festung Seddülbahir und vernichteten deren Kanonen. Die Osmanen waren nicht in der Lage, diese Angriffe zu parieren, wodurch augenblicklich die Verletzlichkeit ihrer Küstenlinie und die Überlegenheit der Alliierten zur See bewiesen war.1 Die Entente-Mächte hielten die Türkei für die Schwachstelle der Mittelmächte und für den am leichtesten zu besiegenden Kriegsgegner. Da der Konflikt an der West- sowie der deutsch-russischen Front zum Stillstand
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gekommen war, versprach allein die osmanische Front einen schnellen Sieg der Alliierten. Die Entente-Mächte zeigten sich zuversichtlich, dass die Türken unter einem konzertierten Zugriff der Briten, Franzosen und Russen schnell zusammenbrechen würden. In den ersten Tagen der osmanischen Kriegsteilnahme entsandten sowohl Russland als auch Großbritannien Truppen, um sich in der nur schwach verteidigten Peripherie des Osmanischen Reichs eine gute Ausgangsstellung zu sichern.
* Die Russen griffen als Erste die Osmanen mit Bodentruppen an. Gleich nachdem am 29. Oktober die Yavuz Sultan Selim (die ehemalige Goeben) und die Midilli (die ehemalige Breslau) seine Schwarzmeerhäfen und Schiffe beschossen hatten, schickte der Zar eine kleine Truppenabteilung an die Kaukasusgrenze in Ostanatolien. Der russische Geheimdienst hatte gemeldet, dass 70 000 bis 80 000 Soldaten im Gebiet rund um Erzurum für einen erfolgreichen Einsatz genügten, da die Osmanen nicht über ausreichende Kräfte verfügten, um die russischen Positionen im Kaukasus zu bedrohen. Folglich beschränkten die Russen ihre Ambitionen darauf, eine Pufferzone entlang der Grenze zu sichern, was es den Kommandeuren erlaubte, mehr Soldaten in die Schlachten gegen Deutschland und Österreich zu schicken. Der russische General Georgij Bergman führte im Morgengrauen des 2. November 1914 seine Soldaten auf osmanisches Staatsgebiet. In den folgenden drei Tagen rückten die Russen vor, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Am 5. November hatte ihre Vorhut im Vormarsch Gelände gesichert, das parallel zur rund 25 Kilometer dahinterliegenden Front verlief. Damit war Bergmans Auftrag erfüllt, und der General befahl seinen Truppen, die Stellungen zu verstärken, die sie auf den Hügeln oberhalb des Pasin-Tals besetzt hatten, rund 80 Kilometer von der befestigten Stadt Erzurum entfernt. Womöglich war es die Leichtigkeit, mit der die Russen türkisches Territorium erobert hatten, die dem russischen Kommandeur zu Kopf stieg, da er nun ohne Rücksprache entschied, über seine Befehle hinauszugehen und weiter in die Provinz Erzurum vorzudringen. Er wies seine Soldaten an, zum strategisch wichtigen Dorf Köprüköy vorzurücken, wo eine
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rücke über den Fluss Aras führte, auf halber Strecke zwischen der russiB schen Grenze und Erzurum. Bergmann wusste nicht, dass das türkische Oberkommando den russischen Vormarsch mit angespannter Sorge verfolgte. Am 4. November machte Kriegsminister Enver Pascha dem Kommandeur von Erzurum, Hasan Izzet Pascha, per Telegramm den Vorschlag, einen Gegenangriff gegen die vorrückenden Russen zu beginnen. Obwohl Hasan Izzet Pascha die Sorge umtrieb, dass seine 3. Armee unter Sollstärke lag, wusste er, dass es besser war, das Urteil seiner Vorgesetzten nicht infrage zu stellen. Folglich formierte er eine große Truppe, die sich den Russen entgegenstellen sollte, und die feindlichen Armeen trafen am Abend des 6. November am Ufer des Aras aufeinander. Dies sollte die erste osmanische Schlacht des Ersten Weltkriegs werden.2 Der Unteroffizier Ali Rıza Eti war als Sanitäter mit einer der Einheiten zum Kampf gegen die Russen bei Köprüköy entsandt worden. Der gebildete Mann stammte aus einem Dorf in der Nähe der osttürkischen Stadt Erzincan, war 27 Jahre alt, verheiratet und hatte einen Sohn, als er zum Militärdienst einberufen wurde. Mithin hatte Eti also jeden Grund, am Leben bleiben zu wollen, und doch zeigte er sich bereit, sein Leben für den Kampf gegen die Russen zu geben. Sein Vater, ein Veteran des russischtürkischen Krieges der Jahre 1877–1878, war von der damaligen osmanischen Niederlage schwer gezeichnet. Eti zog 1914 in den Krieg, um alte Rechnungen zu begleichen.3 Seine Einheit wurde in den Morgenstunden des 7. November in die Schlacht befohlen. Die Soldaten kamen auf der vom kalten Herbstregen schlammig gewordenen Straße nur langsam voran. Je näher sie an die Front bei Köprüköy heranrückten, umso heftiger wurde der Artilleriebeschuss, und Gewehrkugeln gingen auf die verängstigten Soldaten nieder. In seinem Tagebuch versuchte Eti, das Geräusch der Kugeln festzuhalten: cıv, cıv, cıv. „Da es mein erster Tag [im Gefecht] war, hatte ich große Angst zu sterben. Mit jedem cıv brach mir von Kopf bis Fuß der Schweiß aus.“ Als die Soldaten weiter vordrangen, konnten sie dem intensiven Beschuss kaum noch standhalten. Der Kampf dauerte bis spät in die Nacht. Um 3 Uhr morgens schlugen Eti und seine Kameraden ihr „halb geflicktes“ Zelt auf und versuchten, in der furchtbaren Kälte etwas Schlaf zu finden. „Wir zitterten bis zum Morgen“, schrieb er.
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Die Kämpfe gingen früh am nächsten Tag weiter. Die russische Artillerie setzte die türkischen Linien unter andauernden Schrapnellbeschuss, und die umhersausenden scharfen Metallsplitter mähten Männer und Arbeitstiere gleichermaßen nieder. „Während ich diese Zeilen schreibe, explodierte eine Schrapnellgranate ‚ciiib!‘ auf dem Hügel hinter mir. Die Toten liegen verstreut wie eine Trauerweide.“ Das Feuer war so intensiv, dass die Sanitäter nicht zu den Verwundeten gelangen konnten, weshalb Eti sich ein Mauser-Gewehr griff und sich dem Kampf an der Front anschloss. „Rıza Efendi, runter auf den Boden mit dir und bring Munition mit“, brüllte ihm sein Hauptmann zu. Ausgestattet mit zwei Kisten Munition und seinem Sanitätsmaterial zielte Eti und schoss auf die russischen Soldaten auf den gegenüberliegenden Hügeln. Mit der für ihn typischen Präzision hielt er fest, er habe 83 Schuss Munition abgefeuert, einen russischen Leutnant sowie drei weitere Soldaten getötet und fügte bedauernd hinzu: „Die anderen Schüsse waren verschwendet.“ Die türkischen Soldaten hielten ihre Stellung gegen einen russischen Versuch, sie zu umgehen. Ihr Hauptmann lief umher und verteilte Munition, um seine Männer zu ermutigen. „Ihre Kugeln können uns nichts anhaben“, rief er aus und bewies damit Mut im absolut unpassenden Augenblick. Denn in diesem Moment traf ihn ein Schuss in den Nacken, er stürzte auf die Knie und starb vor den Augen seiner geduckten Soldaten. „Auf geht’s, Kameraden, wir führen den Krieg nicht für diesen Hauptmann, sondern für Gott“, schrie ein weiterer Offizier und eröffnete das Feuer auf die Russen. Aufgerüttelt aus ihrer Mutlosigkeit kämpften die türkischen Soldaten um ihr Leben, und die Artillerie nahm die russischen Linien unter Beschuss. Eine Reihe gut gezielter Artilleriegranaten tötete und verwundete viele russische Soldaten und zwang die Überlebenden zum Rückzug. „Um zehn Uhr“, hielt Eti fest, „zog sich der Feind an allen Fronten zurück. Alle sind überglücklich.“ Als die Kämpfe schwächer wurden, nahm Eti seine Arbeit als Sanitäter wieder auf und brachte die Verwundeten vom Schlachtfeld zu den hinteren Linien. Die Sanitäter erkannten viele Freunde unter den Toten und Verletzten und zeigten sich vom Anblick der ersten Kriegsopfer erschüttert. Nachdem er seine Arbeit in den türkischen Stellungen erledigt hatte, begab sich Eti zu der ehemaligen russischen Stellung, um sich den Mann
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näher anzuschauen, den er getötet hatte. Der russische Leutnant lag noch da, wo er gefallen war. Eti zeigte keine Sympathie für „den Kerl“, den er erschossen hatte (er bezog sich durchgehend auf ihn mit dem eher abwertenden türkischen Ausdruck für „Mann“, herif), nahm ihm seinen Revolver, Tornister, die Brille und den Dolch ab. Im Tornister fand er ein Bündel Briefe, ein nach Lavendel duftendes Taschentuch, einen Handschuh, einen Flachmann sowie ein wenig russisches Geld. „Ein ziemliches Gottesgeschenk“, bemerkte Eti nachdenklich. Er schenkte die Brille seinem Regimentskommandeur, den Dolch dem Arzt und den Tornister dem Adjutanten des Kommandeurs. Mit Blick auf die Verluste seiner Einheit an ihrem ersten Einsatztag – ein Hauptmann und fünf als „Märtyrer“ gefallene Männer, dazu 36 Verwundete – kam Eti zu dem Urteil: „Wir haben den Traum von der Schlacht verloren, den wir bis zu diesem Morgen in uns getragen hatten.“ Dank ihres erbitterten Widerstands gelang es der türkischen Infanterie, die Stellungen zu halten. Die Russen wagten am 11. November einen letzten Angriff und verloren bei diesem Einsatz rund 40 Prozent ihrer Kräfte. Da ihre Munition zur Neige ging und die Osmanen auf beiden Flanken zu entschlossenen Gegenangriffen übergingen, waren die Russen unter feindlichem Beschuss zum Rückzug gezwungen. Bergmans Truppen gingen hinter die Stellungen zurück, die sie am 5. November gesichert hatten, etwa 25 Kilometer weit auf osmanischem Gebiet. Beide Parteien mussten einen hohen Preis für Bergmanns Abenteuer zahlen: Laut türkischen Angaben beklagten die Osmanen bei dieser November-Offensive mehr als 8000 Opfer (1983 Tote und 6170 Verwundete), dazu kamen 3070 gefangen genommene und fast 2800 fahnenflüchtige Soldaten. Die Russen verloren 1000 Mann in der Schlacht und zählten 4000 Verletzte; weitere 1000 Mann starben an Entkräftung. Nach den ersten blutigen Verlusten verstärkten beide Kontrahenten vor dem ersten Schneefall ihre Stellungen in der so gut wie unpassierbaren Berglandschaft des Kaukasus, da beide annahmen, der Gegner würde die Kämpfe frühestens im nächsten Frühjahr wieder aufnehmen. Enver Pascha, ermutigt durch „diesen verhältnismäßig befriedigenden Anfang“, sollte bald persönlich in den Kaukasus kommen, um den Kampf gegen Russland wiederaufzunehmen. Für den Augenblick jedoch war das osmanische Oberkommando mit einer britischen Invasion in Mesopotamien beschäftigt.4
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* Die Stadt Basra liegt an einer strategisch bedeutsamen Stelle des Schatt al-Arab, eines Flusses, der aus dem Zusammenfluss von Euphrat und Ti gris entsteht und in den Persischen Golf mündet. In Basra lag der letzte schiffbare Hafen für Ozeandampfer auf dem Schatt al-Arab; die Stadt war Handelszentrum zwischen Mesopotamien und dem Persischen Golf. Einige Kilometer südlich von Basra bildete der Schatt al-Arab zugleich die Grenze zwischen dem Persischen und Osmanischen Reich (so wie er heute die Grenze zwischen Iran und Irak bildet), wobei die Grenze in der Flussmitte lag. Die persischen Flussabschnitte waren dabei für die Briten von besonderem Interesse, hatte die Anglo-Persian Oil Company hier doch im Mai 1908 Erdöl in kommerziell verwertbarer Menge entdeckt. Im Mai 1901 hatte sich der in Devon geborene Millionär William Knox D’Arcy die Konzession für alle Ölfunde in Persien für die kommenden 60 Jahre gesichert. Seine Firma wurde von einem britischen Syndikat unterstützt und von der Royal Navy politisch gefördert, da diese durch die Umrüstung ihrer Flotte von Kohle auf Öl an einer verlässlichen Ölversorgung interessiert war. Nachdem man in der Nähe der südpersischen Stadt Ahvaz auf Erdöl gestoßen war, suchte die Anglo-Persian Oil Company nach einer geeigneten Stelle für eine Raffinerie mit Meerzugang, über den man das Petroleum exportieren konnte. Man entschied sich für die Abadan-Insel im Schatt al-Arab, 225 Kilometer südlich des Ölfelds. Abadan war ideal für die Errichtung einer Raffinerie, verfügte sie doch über einen direkten Zugang zu den Seestraßen. Der Besitzer der Insel, Scheich Khazal aus der nahe gelegenen Stadt Mohammerah (heute die iranische Stadt Chorramschahr), war ein britischer Protegé. Der arabischsprachige Scheich, der 20 000 Reiter unter seinem Kommando hatte, war ein einflussreicher örtlicher Führer. 1902 hatten die Briten zugesagt, seinen winzigen Staat zu beschützen, sollte Scheich Khazal im Gegenzug dem britischen Vertragssystem treu bleiben, das einen Großteil der arabischen Herrscher am Persischen Golf band. Nun, da man Erdöl entdeckt hatte, legte Großbritannien noch größeren Wert auf die Freundschaft mit dem Scheich. Der britische Abgesandte am Golf, Sir Percy Cox, wurde nach Mohammerah geschickt, um mit Khazal einen Pachtvertrag
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für das für eine Raffinerie, Lagertanks und Dockanlagen benötigte Land auf der Abadan-Insel zu verhandeln. Im Juli 1909 schlossen sie einen Zehn-Jahres-Vertrag für 6500 Pfund in bar und einen Kredit in Höhe von 10 000 Pfund. Die Pipeline wurde verlegt, die Raffinerie gebaut, und 1912 begann die Ölproduktion.5 Angesichts der wirtschaftlich-strategischen Bedeutung und einer schon lange etablierten Vormachtstellung am Persischen Golf war es fast natürlich, dass Großbritannien Mesopotamien als Preis bei einer möglichen Nachkriegsaufteilung des Osmanischen Reichs wählen würde. Noch bevor man Verhandlungen mit Russland und Frankreich begann, hatten die Briten bereits ein Expeditionskorps entsandt, das ihren Anspruch auf Basra wahren sollte. Im September und Oktober 1914 wurden unter strenger Geheimhaltung in London und Indien Pläne für eine Invasion Basras geschmiedet. Da die indischen Muslime den Sultan als Kalifen des Islam verehrten, fürchteten die Briten bei einem vorzeitigen Angriff auf dessen Territorium religiöse Ausschreitungen. Die Herausforderung bestand darin, britische Truppen noch vor einer osmanischen Kriegserklärung an Basra heranzuführen, ohne diese Entsendung wie einen feindlichen Akt gegen das noch immer neutrale Osmanische Reich wirken zu lassen. Das bedeutete, dass man die Entsendung sogar vor dem Kommandeur und den Mannschaften geheim halten musste, die an der Aktion teilnahmen. Als Brigadegeneral Walter Delamain am 16. Oktober in Bombay an Bord eines Schiffes ging, um als Teil der Indian Expeditionary Force (IEF) an die Westfront gebracht zu werden, erhielt er seine Befehle versiegelt und mit der strikten Anweisung, 72 Stunden abzuwarten. Nach drei Tagen auf See erfuhr Delamain, dass er eine Brigade der 6. Poona-Division der Indienarmee anführen sollte, als IEF D bezeichnet, um im Persischen Golf zu operieren. Die 5000 Soldaten und ihre Reittiere (1400 Pferde und Tragesel) waren auf vier Transportschiffe mit wenig Tiefgang aufgeteilt, mit denen sie in den flachen Gewässern des Golfs zu navigieren vermochten. Delamain sollte sich augenblicklich nach Bahrain begeben und dort auf weitere Befehle warten. Er traf am 23. Oktober mit seiner Brigade in Bahrain ein. Hier besprach er sich mit Sir Percy Cox, dem früheren Regierungsvertreter am Golf, der als leitender politischer Offizier der IEF D zugeteilt worden war. Erst
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nachdem Delamain Bahrain erreicht hatte, erfuhr er von seinem Auftrag, auf dem Schatt al-Arab für die Sicherheit der Ölraffinerie und der Tanks der Anglo-Persian Oil Company zu sorgen sowie türkische Angriffe auf die Pipeline zu verhindern. Delamain sollte die arabischen Verbündeten Großbritanniens an der Spitze des Golfs anwerben – Scheich Khazal und den kuwaitischen Herrscher Scheich Mubarak al-Sabah – und auch Abd al-Aziz al-Saud (Ibn Saud) in Ostarabien. Solange die Osmanen sich neutral verhielten, so lauteten Delamains Befehle, sollte er „ohne weiteren Befehl der Regierung von Indien jegliche feindliche Handlung gegen die Türken“ vermeiden. Sobald die Osmanen jedoch den Krieg erklärten, war Delamain frei, „jede militärische und politische Handlung vorzunehmen“, die seine Position stärken würde, „und, sofern möglich, Basra besetzen“. Nach sechs Tagen vor Anker befahl man Delamain am 29. Oktober, zur Mündung des Schatt al-Arab vorzudringen – just an dem Tag, an dem die osmanische Flotte die Feindseligkeiten gegen die Russen im Schwarzen Meer begann. Die Nachricht von der Abfahrt der Truppen aus Bahrain erreicht Basra wenig später, woraufhin man dort eiligst militärische und politische Vorbereitungen traf.6
* Als die britischen Truppentransporter in Bahrain eingetroffen waren, kursierten in Basra Gerüchte über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff. Jetzt, da der anfangs weit entfernte europäische Krieg auch vor ihre Haustür gelangt war, zeigten sich die Stadtbewohner verunsichert über das, was sie wollten. Der aus dem Amt scheidende britische Konsul Reader Bullard berichtete Ende Oktober von „starken antirussischen und antibritischen Gefühlen“ in Basra. Da die Stadt jedoch vom Handel lebte, würde ihr Wirtschaftsleben stark beeinträchtigt, sollte sie wegen der Feindseligkeiten zwischen den Osmanen und Briten vom Rest des Persischen Golfs abgeschnitten werden.7 Die Loyalität gegenüber den Osmanen war jedoch bestenfalls lauwarm. Viele der städtischen Würdenträger standen der jungtürkischen Politik offen ablehnend gegenüber, da diese in ihren Augen den arabischen Interessen widersprach. Eine Gruppe Gleichgesinnter hatte 1913 in Basra die Reformgesellschaft gegründet, eine der einflussreichsten arabischen
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Gesellschaften im Irak. Wie Al-Fatat und die Dezentralisierungspartei setzte sich auch die Reformgesellschaft für die kulturellen Rechte der Araber sowie eine größere Autonomie in einem dezentralisierten Osmanischen Reich ein. Der Führer der Bewegung war Sayyid Talib al-Naqib. Sayyid Talib war, als prominenteste Figur im Vorkriegs-Basra, 1908 zum ersten Mal in das osmanische Parlament gewählt worden. Nach einer anfänglichen Zusammenarbeit mit dem Komitee für Einheit und Fortschritt (KEF) entwickelte er sich zunehmend zum Fürsprecher der kulturellen und politischen Rechte der Araber und machte sich in seiner Zeit als Abgeordneter viele gefährliche Feinde in den Reihen des KEF. Die Unionisten, die davon ausgingen, dass Sayyid Talib die Loslösung Basras vom Reich anstrebte, bedrohten ihren Widersacher in aller Öffentlichkeit. Auch wenn die Kandidaten der Reformgesellschaft 1914 die osmanischen Parlamentswahlen in der Provinz Basra für sich entscheiden konnten, wagte es Sayyid Talib nicht, nach Istanbul zu reisen und seinen Sitz im Parlament einzunehmen, aus Angst, die Unionisten könnten ihn ermorden lassen.8 Sulayman Faydi, der ebenfalls aus Basra stammte und 1914 für die Reformgesellschaft ins Parlament gewählt wurde, erinnerte sich daran, wie die Briten Sayyid Talib für eine Zusammenarbeit bei der Besetzung Basras gewinnen wollten. Indem sie die Vermittlung ihres Verbündeten Scheich Khazal in Anspruch nahmen, luden die britischen Abgesandten Sayyid Talib zu einem Geheimtreffen nach Mohammerah ein, nur wenige Tage vor dem Eintreffen der IEF D am Schatt al-Arab. Als Gegenleistung für seine Kooperation boten sie Sayyid Talib an, ihn zum Generalgouverneur der Provinz Basra unter britischer Protektion zu machen, mit einigen Privilegien (zum Beispiel Steuerfreiheit) und Entwicklungshilfe. Sayyid Talib lehnte das Angebot ab: Er wolle nicht den einen fremden Herrn durch einen neuen ersetzen, die Osmanen durch die Briten.9 Anstatt wie seine Nachbarn das britische „Trucial“-System zu übernehmen, entschloss sich Sayyid Talib, sein Schicksal in die Hände der Osmanen zu legen. Seine Entscheidung wurde dadurch verkompliziert, dass die Unionisten einen Haftbefehl wegen Verrats gegen ihn erwirkt hatten. Im verzweifelten Versuch, seine Loyalität zu beweisen und sein Schicksal zu wenden, schickte er ein Telegramm an Enver Pascha, in dem er versprach, im Falle der Verteidigung von Basra gegen einen britischen Angriff
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dafür zu sorgen, dass der saudische Herrscher Abd al-Aziz al-Saud die Osmanen unterstütze. Die Unionisten hatten bei diesem Ansinnen nichts zu verlieren und schlugen vor, Sayyid Talib im Erfolgsfall mit dem Posten des Gouverneurs von Basra zu belohnen. Die um die arabischen Loyalitäten besorgten Briten arbeiteten zu diesem Zeitpunkt bereits daran, einer osmanischen Initiative zuvorzukommen, die versuchen könnte, die Scheichs am Golf auf die osmanische Seite zu ziehen und die arabischen Stämme für einen globalen Dschihad gegen die Entente zu vereinen. Am 31. Oktober hatte der Regierungsvertreter am Golf, Resident Stuart George Knox, eine Erklärung an die „Herrscher und Scheichs am Persischen Golf und ihre Untertanen“ veröffentlicht, in der der osmanische Kriegseintritt angekündigt wurde. „Ihre Beziehungen mit Großbritannien sind viele Jahre alt“, erinnerte Knox die arabischen Verbündeten der Briten, „und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Ihnen zu versichern, dass wir in diesem Kampf alles uns Mögliche unternehmen werden, um Ihre Freiheit und Religion zu bewahren.“ Um dies noch einmal zu bestärken, schlossen die Briten am 3. November ein formelles Abkommen, das die Unabhängigkeit Kuwaits vom Osmanischen Reich unter britischer Protektion anerkannte. Im Gegenzug sollte der Herrscher Kuwaits, Scheich Mubarak, versprechen, mit Scheich Kazal, Ibn Saud „und anderen zuverlässigen Scheichs“ zusammenzuarbeiten, um „Basra aus der türkischen Herrschaft“ zu befreien.10 Sir Percy Cox, der leitende Politikoffizier der IEF D, stand mit den arabischen Verbündeten der Briten in ständigem Kontakt und koordinierte die Maßnahmen, mit denen vor Ort die Unterstützung für die Invasion des südlichen Mesopotamien gesichert werden sollte. Am 5. November veröffentlichte er eine Proklamation an die arabischen Führer an der südlichen Küste des Golfs, in der er ihnen die Ankunft britischer Truppen ankündigte. Diese kämen zum Schatt al-Arab, so seine Formulierung, „um den [britischen] Handel sowie Freunde zu schützen und die feindlichen türkischen Truppen zu vertreiben“. Die Briten hatten den Golf mit ihren Verträgen bereits unter Dach und Fach, bevor Sayyid Talib al-Naqib überhaupt erst mit seinen Bemühungen begann, Ibn Saud für die osmanische Sache zu gewinnen.11 Als er von Basra aus nach Mohammerah, Kuwait und dann in den Nadschd fuhr, musste Sayyid Talib feststellen, dass jeder örtliche Führer
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der Golfregion seiner osmanischen Initiative ablehnend gegenüberstand. Scheich Khazal wollte seinen Freund Talib überreden, noch einmal über das britische Angebot nachzudenken. Und der Herrscher Kuwaits drohte schließlich damit, Sayyid Talib und seine Mitarbeiter auf britische Bitte hin unter Hausarrest zu stellen. „Wenn Sie versuchen, mich an der Ausreise aus Kuwait zu hindern“, gab der zornige Sayyid Talib zurück, „werde ich zwei Kugeln aus meinem Revolver abfeuern. Die erste auf Sie und die zweite auf mich selbst!“ Auch wenn es Sayyid Talib und einer kleinen Gruppe von Freunden gelang, aus Kuwait herauszukommen, so mussten sie doch neun Tage ununterbrochen reiten, um zu Ibn Saud in Buraida in der Provinz Qasim im nördlichen Zentralarabien zu gelangen.12 Der saudische Herrscher empfing seine Gäste mit Sympathie und Gastfreundlichkeit. Ibn Saud machte keinen Hehl daraus, dass er mit den Briten in Kontakt stand, die ihn zur Beibehaltung seiner Neutralität drängten (Großbritannien sollte die Beziehungen zu ihm erst 1915 mit Verträgen formalisieren). Ibn Saud war ganz offensichtlich hin und her gerissen. Angesichts der Bedeutung, die die Religion in seiner Dynastie besaß, konnte er es nicht zulassen, seine arabisch-muslimischen Brüder in Basra zugunsten der nichtmuslimischen Briten aufzugeben. Zugleich war Ibn Saud daran gelegen, die Briten nicht zu verärgern, waren sie doch im Golf mit großer Militärmacht vertreten. So schob er eine Entscheidung weiter hinaus, in der Hoffnung, dass sich das Problem mit der Zeit von selbst lösen würde, ohne dass er sich für eine Seite würde entscheiden müssen. Ibn Saud wartete neun Tage, bevor er eine Gruppe aus 500 Reitern zusammenstellte, um Richtung Norden zu reiten. Der saudische Führer, der im Notfall Tag und Nacht auf dem Rücken eines Pferdes sitzen konnte, reiste in Begleitung von Sayyid Talibs Delegation nicht mehr als vier Stunden am Tag. Als sie Ende November ihre erste Poststation erreichten, erfuhr die saudische Truppe, dass Basra bereits von den Briten erobert worden war. Diese Nachricht traf die Männer aus Basra „wie ein Blitzschlag“, so hielt es Sulayman Faydi fest. „Der Schock war insbesondere für Sayyid Talib groß, der wusste, wie sehr ihn die Engländer hassten.“ Diese Lösung der Krise dürfte wiederum für Ibn Saud eine Erleichterung gewesen sein. Er drückte den Männern aus Basra sein Mitgefühl aus und ritt zurück, um seine eigenen Angelegenheiten in Zentralarabien zu verfolgen.13
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Die Einnahme Basras machte aus Sayyid Talib einen Exilanten. Er hatte sein Versprechen gegenüber den Osmanen nicht gehalten und sich die Briten zu Feinden gemacht. Er ritt zurück nach Kuwait und ergab sich den Briten. Diese schickten ihn für die Dauer des Krieges nach Indien, wobei alle Beteiligten davon ausgingen, dass die Kämpfe schnell vorüber sein würden. Doch die Besetzung Basras war nur der Beginn eines Feldzugs in Mesopotamien, der weitaus länger dauern sollte, als Sayyid Talib je gedacht haben dürfte.
* Am 5. November erklärte Großbritannien dem Osmanischen Reich den Krieg. Im Morgengrauen des folgenden Tags erreichten britische Einheiten der Indian Expeditionary Force am Schatt al-Arab türkisches Territorium. Die Schaluppe HMS Odin, ein Kriegsschiff, auf dem neben einem Dampfkessel auch noch Segelmasten genutzt wurden, ging in der Mündung des Schatt al-Arab in Position und eröffnete das Feuer auf türkische Stellungen auf der Halbinsel Fao. Innerhalb einer Stunde hatten sie den Festungskommandanten getötet und die osmanischen Soldaten – insgesamt etwa 400 Mann – ihre Stellung aufgegeben. Delamain brachte 500 Männer an Land, um die Geschütze zu zerstören und über ein Unterwasserkabel eine Telegrafenleitung von Fao nach Indien zu sichern. Beides stellte sich als nicht so einfach heraus: Die starke Strömung störte die Landungsboote, und die schlammigen Ufer der Schatt-Mündung vergrößerten die Schwierigkeiten, Männer, Pferde und Kanonen ohne Kai oder Landungssteg an Land zu bringen. Dass der schnelle und entschlossene Zugriff dennoch ohne Verluste gelungen war, schien Gutes für den weiteren britischen Kriegszug zu verheißen.14 Delamain ließ eine Kompanie Soldaten für den Schutz der Telegrafenstation in Fao zurück und zog mit dem Rest seiner Brigade den Schatt alArab weiter hinauf, um die Ölanlage in Abadan zu sichern. Er ging mit seinen Männern in Saniyya, flussaufwärts von der Raffinerie, auf türkischer Seite des Flusses an Land. Ohne angemessene Schuten dauerte es zwei Tage, um Männer, Lasttiere und Material von den Transportschiffen an Land abzusetzen. Transportprobleme sollten den gesamten weiteren Mesopotamienfeldzug belasten: Ohne brauchbare Straßen musste alles auf dem Wasser
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transportiert werden; doch der Fluss war flach und voller Hindernisse, die von den Osmanen errichtet worden waren. Außerdem behinderten die schlammigen Flussbänke jede Bewegung auf die Schiffe hinauf oder von ihnen hinunter. Dennoch war die IEF D mit ihrem Lager in Saniyya gut positioniert, um Abadan vor Angriffen der Osmanen zu schützen. Brigadegeneral Delamain entschloss sich, weitere Verstärkung abzuwarten, bevor er versuchen wollte, weiter flussaufwärts auf Basra vorzurücken. Die Osmanen starteten am 11. November einen Angriff auf die Stellung der britisch-indischen Truppen und fügten der IEF D erste Verluste zu, bevor sie sich aufgrund der starken Gegenwehr zurückziehen mussten. Die indischen und britischen Mannschaften mussten sich in einem unbekannten Umfeld verteidigen, das große Bewegungen erschwerte. Plötzliche, heftige Regenfälle verwandelten die Ufer des Schatt al-Arab in Schlammfelder, während starke Winde Sandstürme aufwirbelten, die jede Sicht und jegliche Signalkommunikation unmöglich machten. Als eines der verwirrendsten Naturphänomene für die Soldaten erwiesen sich jedoch Luftspiegelungen, die Objekte an Stellen erscheinen ließen, an denen sie sich nicht befanden. Der Kriegsberichterstatter Edmund Candler, der die IEF D als „offizieller Augenzeuge“ begleitete, erinnerte sich, dass Trugbilder „es schwierig machten zu sagen, ob der Feind auf dem Pferd oder zu Fuß herankam, und überhaupt irgendeine Schätzung ihrer Anzahl zu geben. Es gibt in der Truppe kein Kavallerieregiment, das nicht schon einmal ein paar Schafe für Infanterie gehalten hätte.“ Die Vorsicht gebot es, abzuwarten, bis das Expeditionskorps verstärkt worden war, bevor man weiter den Schatt al-Arab hinauffuhr.15 Diese Verstärkung traf am 14. November ein. Generalleutnant Sir Arthur Barrett erreichte den Schatt al-Arab mit den Resten der 6. Indian Division und übernahm das Kommando über die IEF D. Nachdem nun ausreichend Soldaten versammelt waren, um sowohl Abadan zu schützen als auch auf Basra zu marschieren, zeigte sich Barrett zuversichtlich, dass er die Kämpfe ohne unangemessenes Risiko wiederaufnehmen konnte. Wichtige Unterstützung bekam er dabei von der Royal Navy, die eine Reihe von Flachwasser-Kriegsschiffen auf den Schatt al-Arab entsandt hatte. Die Schiffe konnten zum einen zum Truppentransport genutzt werden, waren mit ihren schweren Geschützen aber auch in der Lage, osmanische Stellungen zu beschießen. Die Osmanen gerieten durch das unver-
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mutete Auftauchen der Invasionsstreitmacht ins Straucheln, und Barrett wollte zuschlagen, bevor die Verteidiger eine Gelegenheit gehabt hatten, sich neu zu formieren und sich den Eindringlingen entgegenzustellen. Der britische Angriff begann einen Tag nach Barretts Ankunft und vertrieb die Verteidiger aus ihren Stellungen. Mehr als 160 Tote und Verwundete blieben auf dem Schlachtfeld zurück. Zwei Tage später, am 17. November, starteten die Briten bei Sahil unter heftigem Regen, dem Sandstürme folgten, den nächsten Vorstoß. Beide Seiten erlitten starke Verluste – fast 500 britische und indische Soldaten starben oder wurden verwundet, die Osmanen beklagten zwischen 1500 und 2000 Opfer –, bevor die britisch-indische Armee die osmanischen Stellungen erobern und die Verteidiger zum zweiten Mal zum Rückzug zwingen konnte. Barrett sprach davon, die Operation habe „die Überlegenheit unserer Truppen über die Türken bewiesen“ und dass die Osmanen nach ihren „starken Verlusten“ nun „demoralisiert“ seien.16 Nach dieser Serie rascher Niederlagen erkannten die Osmanen, dass ihre Stellung in Basra nicht zu halten sei, und verließen am 21. November die Stadt. Sobald die Regierungsvertreter abgezogen waren, tobten Marodeure durch den Ort, zerstörten Regierungsbüros und plünderten Geschäfte. John Van Ess, amtierender amerikanischer Konsul in Basra, schickte per Flusskurier einen Brief an den britischen Kommandeur und bat ihn, „ausreichend Männer zu schicken, um die Plünderungen zu verhindern“. Basra sei in völlige Gesetzlosigkeit verfallen: „Den gesamten gestrigen Tag haben die Araber den von der Regierung aufgegebenen Ort ausgeraubt, und es wird noch immer geschossen.“17 Die Schaluppen Espiègle und Odin der Royal Navy wurden umgehend nach Basra geschickt, um vom Wasser aus die Situation zu kontrollieren, bis die Truppen am folgenden Tag über den Landweg nachgerückt kamen. Am 23. November zog Barrett feierlich in Basra ein, hisste die britische Flagge über der Stadt und zeigte damit den Übergang der Stadt von der osmanischen zur britischen Kontrolle an. Sir Percy Cox entwarf eine mitreißende Erklärung, die er in seinem englisch klingenden Arabisch den versammelten Stadtbewohnern vorlas: „Die britische Regierung hat nun Basra besetzt. Obwohl mit der osmanischen Regierung weiterhin Kriegszustand herrscht, hegen wir keine Feindlichkeit oder böse Absichten gegenüber der Bevölkerung, der wir gute Freunde und Beschützer sein
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möchten. In dieser Region gibt es keine türkische Verwaltung mehr. An ihrer Stelle wurde die britische Flagge gehisst – unter der Sie alle Freiheit und Gerechtigkeit erfahren werden, sowohl was Ihre religiösen als auch was Ihre säkularen Angelegenheiten angeht.“ Cox’ Äußerungen verwirrten die Briten nicht weniger als die Einwohner Basras. Die Briten waren sich noch nicht sicher, wie viel Freiheit sie den Menschen in Basra tatsächlich gewähren wollten, und die Menschen in Basra konnten sich nicht sicher sein, wie lange die Briten tatsächlich bleiben würden. Nach jahrhundertelanger Herrschaft der Osmanen konnten sich viele nur schwer vorstellen, dass die Türken nicht doch eines Tages zurückkehren würden. Und solange die Möglichkeit noch bestand, dass die osmanische Herrschaft wiederhergestellt wurde, solange wollten die Stadtbewohner Abstand von den Briten halten – aus Angst vor späteren Repressionen.18 Nach der Einnahme von Basra hatten die Briten nun ihre Ziele in Mesopotamien erreicht. Sie hatten die Osmanen von der Spitze des Persischen Golfs vertrieben und konnten die strategisch wichtigen Ölanlagen in Abadan schützen. Sir Percy Cox trat vehement dafür ein, die sich zurückziehenden Osmanen zu verfolgen und Bagdad zu belagern, doch er wurde von den Militärstrategen und der Regierung in Indien überstimmt. Die Briten autorisierten vielmehr nur den kurzen Vormarsch auf die Stadt Al-Qurna am Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, womit der gesamte Schatt al-Arab unter britische Kontrolle gelangen würde. Der Feldzug gegen Al-Qurna begann am 3. Dezember. Schiffe der Royal Navy brachten Soldaten zu einem sicheren Landungsplatz 6,5 Kilometer südlich der Stadt. Als die Invasoren auf dem linken Ufer des Schatt al-Arab vorrückten, stießen sie auf zunehmend stärkere osmanische Verteidigung, der es gelang, die britisch-indischen Truppen zu stoppen, bevor sie sich über den Tigris zurückzogen. Offenbar ging es den osmanischen Truppen darum, Zeit zu gewinnen, indem sie den Fluss zwischen sich und die IEFAngreifer brachten. Doch als es den Invasoren gelang, eine Pontonbrücke über den Tigris aufzubauen, war die osmanische Stellung unhaltbar geworden. Am 6. Dezember, kurz vor Mitternacht, fuhr ein kleiner Flussdampfer mit drei türkischen Kommandeuren unter voller Beleuchtung und Einsatz aller Hörner auf die britischen Schiffe zu und signalisierte damit die Kapitulation. Am 9. Dezember übergab der Gouverneur der Provinz Basra, Subhi Bey, die Stadt Al-Qurna dem Kommandeur der In-
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dian Expeditionary Force und begab sich, zusammen mit 45 Offizieren und 989 Soldaten, in Kriegsgefangenschaft.19 Die britischen Operationen am Schatt al-Arab waren trügerisch einfach verlaufen. Schnelle Siege konnten mit erstaunlich geringen Opferzahlen errungen werden. Weniger als 100 britische und indische Soldaten waren bei den Kämpfen zwischen Fao und Al-Qurna gefallen, rund 675 verletzt worden. Die Osmanen hingegen beklagten etwa 3000 Tote und Verwundete – das Vierfache der britischen Opfer. Derart leicht errungene Erfolge vermittelten den Briten ein irreführendes Gefühl ihrer eigenen Überlegenheit und sorgten in der Folge dafür, dass sie die osmanischen Truppen unterschätzten.20 Nachdem sie ihre Stellung in Basra gesichert hatten, übernahmen die Briten die Verwaltung der Region. Als Besatzungsmacht waren sie laut Kriegsrecht dazu verpflichtet, die Institutionen des osmanischen Staats zu bewahren. Der Unwille der Einwohner, mit den neuen Autoritäten zu kooperieren, erschwerte diese Aufgabe jedoch. Die Briten interpretierten diese Widerspenstigkeit weiterhin als Angst vor einer möglichen Rückkehr der Osmanen. Dabei konnte sie ebenso gut einer Abneigung gegen fremdländische Besatzer entsprungen sein – einer Antipathie, die durch die britischen Sicherheitsmaßnahmen in Mesopotamien noch verstärkt wurde. William Bird, ein Soldat des Dorset Battalions in der IEF D, beschrieb, wie im Januar 1915 typischerweise die Durchsuchung eines Dorfes ablief: Britisch-indische Soldaten näherten sich im Morgengrauen einer Siedlung, traten alle Türen ein, die nicht nach dem ersten Klopfen geöffnet worden waren, „verhafteten alle männlichen Bewohner und durchsuchten dann alles und jeden nach Waffen“. Die Briten setzten auf harte Justiz gegen die des Widerstands gegen ihre Besatzung verdächtigen Dorfbewohner. „Jene, die fortzulaufen versuchten, wurden von unseren Männern geschnappt, die das Dorf umstellt hatten“, hielt Bird fest. „Sie wurden wie Kombattanten behandelt und fanden ihr Ende auf dem Schafott. Natürlich genau wie jene, die auf uns feuerten, entweder erschossen oder verhaftet und auf dem Marktplatz erhängt wurden.“ Solche Maßnahmen waren wenig geeignet, die Sympathie der Bewohner der Provinz Basra zu gewinnen.21 Die Briten hatten keine Vision, wie sie die Menschen von Basra für sich gewinnen wollten. Als der Vizekönig von Indien, Lord Hardinge, im
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Februar 1915 Basra und Al-Qurna besuchte, nahm er Cox’ umfassendes Versprechen von „Freiheit und Gerechtigkeit“ zurück und schlug stattdessen „eine freundlichere Verwaltung“ sowie die Wiederherstellung des Wohlstands vor. Anstelle von größerer Autonomie oder Selbstverwaltung schienen die britischen Besatzer eher eine britische Verwaltung anzubieten. Sayyid Talib al-Naqib hatte sich offenbar doch nicht getäuscht: Die Menschen von Basra wechselten nur die Herrscher, statt der Osmanen gaben nun die Briten den Ton an.22
* Nachdem sie Delamains Brigade zum Dienst im Persischen Golf verabschiedet hatte, setzte die Indian Expeditionary Force ihren Weg gen Ägypten fort. Die Flotte steuerte den arabischen Hafen von Aden an, bevor sie ins Rote Meer einfuhr. Der Hafen war das Zentrum einer winzigen Kolonie von rund 200 Quadratkilometern, welche die Briten 1839 erobert und ihrem indischen Reich eingegliedert hatten. Ursprünglich hatte die Royal Navy Aden als Stützpunkt für den Kampf gegen die Piraterie genutzt. Nach der Eröffnung des Suezkanals im Jahre 1869 diente die Stadt als Kohlestation für die Dampfschiffe, die zwischen Großbritannien und Indien verkehrten. Wie Hongkong entwickelte sich auch Aden zu einem der entscheidenden Standorte des britischen Seeimperiums und zu einem wichtigen eigenständigen Handelsplatz. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die Briten mit den Stämmen aus der Umgebung Adens eine Reihe von Verträgen geschlossen, um eine besondere Einflusszone, auch als Aden-Protektorat bekannt, zu schaffen. Das Protektorat umfasste neun eigenständige Kleinstaaten mit jeweils eigenen autonomen Herrschern – britische Protegés, deren Territorien an der südlichsten Spitze der Arabischen Halbinsel sich insgesamt auf bis zu 23 300 Quadratkilometer addierten. Das Aden-Protektorat grenzte an die osmanische Provinz Jemen. Zwischen 1902 und 1905 demarkierte eine britisch-türkische Grenzkommission den Verlauf der Grenze zwischen den beiden Territorien. Als die Osmanen 1914 den Krieg erklärten, standen sich hier mit einem Mal Feinde gegenüber und die Region wurde zum zweiten Schauplatz von Feindseligkeiten zwischen Großbritannien und dem Osmanischen Reich.
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Der südlichste Punkt Jemens und damit die Grenze zum britischen Aden-Protektorat bildete die Halbinsel von Scheich-Said an der Meerenge Bab al-Mandab. Auf den Hügeln der Halbinsel hatten die Türken eine Reihe von Festungen errichtet, um die Seewege zu sichern. Die Briten wiederum hatten die Insel Perim unter ihrer Kontrolle, einen 13 Quadratkilometer großen Felsen in der Meerenge Bab al-Mandab, etwa 160 Kilometer westlich von Aden. Anfang November meldete der britische Geheimdienst, die Türken würden Truppen auf Scheich-Said zusammenziehen. Er vermutete, die osmanischen Streitkräfte bereiteten einen Angriff auf die britischen Stellungen im Aden-Protektorat oder gar auf Perim vor. Angesichts der strategischen Bedeutung der Meerenge für die Kriegführung des britischen Weltreichs – alle Truppentransporte aus Neuseeland, Australien und Indien mussten Bab al-Mandab passieren, um den Suezkanal zu erreichen – entschlossen sich britische Militärstäbe, die osmanischen Truppen zu vertreiben und deren Geschütze auf Scheich-Said zu zerstören. Man beorderte am 2. November frische Truppen aus Indien nach Aden, um die britische Insel in der Meeresstraße abzusichern. Am Morgen des 10. November eröffneten britische Schiffe vor Perim das Feuer auf osmanische Stellungen auf den Hügeln von Scheich-Said. Leutnant H. V. Gell, ein Signalgeber des 69. Punjab-Regiments, wartete ungeduldig auf das Ende des Beschusses, um für seinen „ersten Einsatz“ an Land gehen zu können. Die Männer bestiegen Landungsboote und wurden von einem langsamen Schlepper ans Ufer gezogen, während türkische Schützen mit zunehmender Genauigkeit von den Hügeln oberhalb des Strands auf sie schossen. Als sie die letzten Meter zum Strand ruderten, schlug eine Granate knapp neben Gells Boot ein und tötete einen indischen Reservisten. Die anderen Männer erreichten das Ufer, wo sie sich versammelten und auf den Befehl warteten, die osmanischen Stellungen anzugreifen. „In diesem Moment wurde sehr wenig geschossen“, erinnerte sich Gell. „Nur hin und wieder ein paar verirrte Kugeln.“23 Als die britisch-indischen Truppen die ersten Hügelrücken erreicht hatten, stellten sie fest, dass die osmanischen Stellungen verlassen waren. Zweifellos hatten der Beschuss durch die britischen Schiffe zusammen mit dem Vorrücken der Landungsboote die Verteidiger davon überzeugt, dass sie ihre Stellungen nicht würden halten können. Die Menge der auf-
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gefundenen Kleidungsstücke, Waffen und Munition ließ darauf schließen, dass die Osmanen sich in Panik zurückgezogen hatten. „Schade war nur, dass sie davongekommen sind“, hielt Gell in seinem Tagebuch fest. „Wir schätzten, dass es etwa 500 Mann gewesen sein mussten.“ Gell wusste nichts über Opfer auf osmanischer Seite (er sah keine türkischen Toten), dafür berichtete er von fünf gefallenen und elf bei dem Einsatz verwundeten indischen und britischen Soldaten. Die britisch-indische Einheit verbrachte die Nacht auf Scheich-Said, zerstörte alle osmanischen Geschützstellungen und zog sich am 11. November auf ihre Schiffe zurück, um weiter westwärts nach Ägypten zu fahren. Auch wenn die Operation rund um Scheich-Said ein militärischer Erfolg gewesen war, so sorgte sie doch für politische Schwierigkeiten, die den Briten in Aden für den Rest des Krieges das Leben erschweren sollten. Die Militärführung in Indien hatte die Einsatzpläne entworfen, ohne die Behörden in Aden zu Rate zu ziehen, die mit delikaten diplomatischen Verhandlungen beauftragt waren, um die Osmanen im Jemen zu isolieren. Besonders intensive Gespräche waren mit Imam Yahya, dem Führer der schiitischen Zaydi-Gemeinschaft im Hochland nördlich von Sanaa (der Hauptstadt des heutigen Jemen), geführt worden. Der Imam hatte 1911 einen Waffenstillstand mit den Osmanen vereinbart und sich 1913 bereit erklärt, die Provinz Jemen in Zusammenarbeit mit Istanbul zu regieren. Auch wenn Imam Yahya nicht in der Lage war, mit den Osmanen zu brechen, so zeigte er sich doch interessiert daran, gute Beziehungen zu den Briten aufzubauen.24 Der Beschuss von Scheich-Said änderte alles. „Der Imam [Yahya] zeigte sich erzürnt, und der [osmanische] Generalgouverneur von Sana [sic] ließ ein Manifest verbreiten, in dem die eigentlichen Motive Großbritanniens genannt wurden, das nämlich auf eine Annexion aus sei“, schrieb Harold Jacob, ein Oberstleutnant der britischen Indienarmee. „Unser Vorgehen half der türkischen Propaganda.“ Der Imam seinerseits behauptete, „die Affäre rund um Scheich-Said [habe] überall arabischen Argwohn geweckt“. Anstatt die britische Lage im Südjemen zu stärken, machte der Angriff auf die Halbinsel von Scheich-Said Aden nur noch verletzlicher. Es war einfach gewesen, 500 Soldaten aus einer isoliert liegenden Küstenfestung zu vertreiben. Es sollte sich als deutlich schwieriger herausstellen, das 23 300 Quadratkilometer große Aden-Protektorat gegen die 14 000 in
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Jemen stationierten osmanischen Soldaten zu verteidigen, die zusätzlich durch die Gefolgsmänner von Imam Yahya verstärkt wurden.25 Die osmanischen Geschütze auf Scheich-Said hatten die britische Schifffahrt tatsächlich nie bedroht. Die Meerenge Bab al-Mandab ist an ihrer schmalsten Stelle 32 Kilometer breit, sodass britische Schiffe nie in Schussweite der türkischen Geschütze hatten fahren müssen. Türkische Seeminen und deutsche U-Boote stellten für den Schiffsverkehr weitaus größere Gefahren dar, und um dieser Bedrohung zu begegnen, benötigte man Seestreitkräfte, keine Landstreitkräfte. Die Royal Navy schickte Kriegsschiffe, um türkische Häfen entlang der Küste des Roten Meers zu blockieren und die Seewege für befreundeten Schiffsverkehr freizuhalten. Ihr Erfolg ließ sich an den großen Frachtschiffen und den Truppentransportern ablesen, die Güter und Soldaten durch das Rote Meer zum Suezkanal und in die Kriegsgebiete jenseits davon brachten.
* Seit September 1914 wurde Ägypten von Tausenden Soldaten aus Großbritannien und den Dominions regelrecht überflutet. Die East Lancashire Territorial Division, welche die an die Westfront aufbrechende Berufsarmee in Ägypten ablösen sollte, erreichte Ende September als Erste das Land. Die Indian Expeditionary Force aus Bombay kam Ende Oktober nach Ägypten, und ihre Soldaten wurden in den Städten der Suezkanalzone postiert. Ein erstes Kontingent von 30 000 ANZAC-Soldaten aus Neuseeland und Australien landete Anfang Dezember in Alexandria. Tausende Mann Verstärkung sollten in den nächsten Wochen und Monaten noch folgen. Die Zugverbindungen zwischen Alexandria und Kairo waren von Zügen verstopft, die ganze Armeen von Männern und Pferden zu den Lagern rund um Kairo brachten. Die australische Infanterie ließ sich in Mena westlich von Kairo in der Nähe der Pyramiden nieder, die Australian-Light-Horse-Truppe schlug ihr Lager im begrünten südlichen Vorort Maadi auf, und die Neuseeländer kampierten im Zeitoun-Camp nördlich von Kairo in der Nähe von Heliopolis. Der Zustrom der Kolonialtruppen half dabei, die angespannte Lage in Ägypten zu stabilisieren. Denn seit Ausbruch des Krieges war die britische Herrschaft in Ägypten durch eine ganze Reihe einschneidender Ereignisse
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erschüttert worden: die osmanische Kriegserklärung und der Aufruf des Kalifen zum Dschihad, die Aufkündigung der jahrhundertealten Verbindungen Ägyptens mit dem Osmanischen Reich, die Absetzung des Khediven Abbas Hilmi II. sowie der Aufstieg von Sultan Hussein Kamil unter britischer Protektion. Nach 32 Jahren britischer Okkupation war das ägyptische Volk unruhig geworden und blickte auf Deutschland als möglichen Befreier. Deutsche Siege über die Briten an der Westfront, wie etwa in der Schlacht bei Mons in Belgien (23.–24. August 1914) verstärkten solche Hoffnungen noch. Die britischen Behörden fürchteten eine Subversion durch deutsche und türkische Spione, eine Rebellion von ägyptischen Nationalisten sowie religiöse Aufstände der „erregbaren“ Masse.26 Das plötzliche Eintreffen Tausender ausländischer Soldaten machte der örtlichen Bevölkerung deutlich, dass die britische Position in Ägypten einfach zu stark war, als dass man sie hätte herausfordern können. Die ANZAC-Trainingslager brachten Zehntausende Kavalleristen und Infanteristen nach Kairo, die mit ihren Übungen und Manövern Wüstenstaub aufwirbelten. Um die Einwohner Kairos zu beeindrucken, die womöglich die Soldaten bei ihrer Ausbildung in den Vorortlagern noch nicht gesehen hatten, befahlen die britischen Behörden, neu eintreffende Truppenteile hätten durch das Stadtzentrum zu marschieren. „Wir hatten vor ein paar Tagen einen langen Marsch durch die verwinkelten Gassen Kairos“, schrieb Gordon Harper, ein Kavallerist aus Canterbury in Neuseeland in einem Brief in die Heimat. „Wir drangen in all die alten, ursprünglichen Stadtteile Kairos ein und marschierten durch lange Alleen und Slums und die unterschiedlichsten Gerüche.“ Harper verstand, welche politische Bedeutung diese Parade besaß: „Die Idee dahinter war, die Einheimischen, die hier einfach herumstreunen, mit unserer Stärke zu beeindrucken, da sie noch immer traditionelle und geistliche Verbindungen mit den Türken haben. … Der Effekt war sehr interessant. An unserem Weg standen mit dem Fez bekleidete Männer und verschleierte Frauen, die uns genau beobachteten, ohne den kleinsten Hinweis auf ein Lächeln oder Jubel, doch alles weist darauf hin, dass sie angesichts der britischen Herrschaft vor Angst erstarrt sind.“27 Die britischen und die Kolonialsoldaten wurden bei ihren Freigängen aus dem Lager zu Touristen. Soldaten posierten auf Pferden und Kamelen vor der Sphinx, umringt von Händlern mit kunstvollen Fälschungen pha-
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raonischer Antiquitäten. Sie wurden auf dem Basar in Geschäfte gelockt, deren Schilder den ANZAC-Humor aufgriffen: „Ihr müsst euch nicht woanders übers Ohr hauen lassen, Australier, ihr könnt auch einfach zu uns kommen!“ oder „Hier wird Englisch und Französisch gesprochen; wir verstehen auch Australisch.“ Der ägyptische Tourismussektor, der sich schon immer schnell an ein neues Klientel angepasst hat, benannte Hotels und Restaurants rasch nach allen möglichen australischen und neuseeländischen Städten um. Zu den neuen Treffpunkten gehörten die Balclutha Bar und die Waipukurau Reading Rooms.28 Die europäischen Stadtviertel rund um den Ezbekiya-Park waren wie gemacht für die ausländischen Soldaten in Kairo, die auf Vergnügung aus waren. Offiziere trafen sich in den Restaurants und auf den Terrassen der Grand Hotels rund um den Park wie dem berühmten Shepheards, dem New Hotel oder dem Bristol. Die einfachen Mannschaften frequentierten die Cafés und Bars in den engen Seitenstraßen nördlich des Parks, die auch als das „Red Blind Quarter“ oder das „Wozzer“ (nach dem arabischen Straßennamen Wasaa) bekannt war – das Rotlichtviertel. Die gut besuchten Bars und Bordelle des Red Blind Quarter, in denen Soldaten Abstand vom eintönigen Lagerleben und dem Wüstendrill suchten, erwiesen sich als explosive Umgebung. Erschöpft vom Warten auf ihren Kriegseinsatz, krank durch den „widerwärtig gefälschten Likör“, den man in billigen Kneipen verkaufte, und voller Groll auf die Prostituierten, bei denen sich viele Soldaten Geschlechtskrankheiten geholt hatten (gegen die es zur damaligen Zeit kaum Medikamente gab), entwickelten sich die Kolonialtruppen immer mehr zu einer Bedrohung für Recht und Ordnung, je länger sie in Kairo stationiert waren.29 ANZAC-Soldaten randalierten 1915 mindestens zwei Mal in großem Ausmaß. Am Vorabend ihres Abmarsches nach Gallipoli im April und noch einmal im Juli desselben Jahres griffen betrunkene Soldaten Bordelle im Red Blind Quarter an. Mehrere Gründe wurden für diesen Gewaltausbruch angeführt: Soldaten warfen Prostituierten Diebstahl vor, waren auf Rache für die übertragenen Geschlechtskrankheiten aus beziehungsweise klagten die Frauen an, einen Maori-Soldaten rassistisch angegriffen zu haben. Jedes Mal zerschlugen die Soldaten die persönliche Habe der Prostituierten und warfen Bettzeug sowie Möbel aus dem Fenster auf die Straße. Schränke und Truhen, die zu groß waren und nicht durchs Fenster
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passten, trugen sie auf die Dächer der fünfstöckigen Gebäude, um sie von dort hinabzuwerfen. Die Zuschauer des Spektakels türmten die Möbel dann auf und zündeten sie an. Das Feuer griff in der engen Straße schnell auf andere Gebäude über.30 Als die britischen Behörden angesichts der Ausschreitungen im April 1915 berittene Militärpolizei entsandten, um die Ordnung wiederherzustellen, begegnete diese einem betrunkenen und wütenden Mob, der sich weigerte, den Befehlen zu gehorchen. „Verschiedenste Gegenstände wurden auf die Polizei geworfen“, berichtete ein Augenzeuge, „Kessel, Möbelstücke.“ Die Polizei gab Warnschüsse über die Köpfe der Tobenden ab, bevor sie dann in die Menge schoss. „Vier oder fünf gingen zu Boden, die anderen standen der Polizei dennoch einfach gegenüber (die doch nur 4 Meter entfernt war), als wäre nichts geschehen.“ Feuerwehrwagen rückten aus, um die Flammen unter Kontrolle zu bringen. Als sie die Wasserstrahlen auf die randalierenden Soldaten richteten, gingen die Betrunkenen auf die Schläuche los und machten die Fahrzeuge funktionsuntüchtig. In diesem Moment wurden britische Soldaten zum Ort des Geschehens gerufen. Sie brachten ihre Gewehre in Anschlag: „Die hinterste Reihe stand, die zweite Reihe kniete, die vorderste Reihe lag auf dem Boden. Der befehlshabende Offizier warnte die Menge auf der Straße, er würde feuern lassen, sollte sich die Menge nicht sofort auflösen und auseinandergehen“, gab ein Augenzeuge zu Protokoll. „Drei Reihen von Männern so zu sehen, das ist nichts, was man erblicken möchte, wenn man selbst unbewaffnet ist.“ Die Unruhe endete gegen 20 Uhr, man zählte fünf verletzte und 50 arrestierte ANZAC-Soldaten. Die britischen Berichte enthalten keine Zahlen über ägyptische Opfer der April-Unruhen, auch wenn mehrere Häuser bis auf die Grundmauern abbrannten. Bei den Aufständen im Juli wurden sogar noch mehr Gebäude niedergebrannt.31 Unter den Bewohnern Kairos trugen diese gefährlichen Tumulte zu einer wachsenden Feindschaft gegen die Dominion-Truppen bei – und gegen die britische Besatzung, die sie nach Ägypten geführt hatte. In seinem Bericht über die Unruhen im Red Blind Quarter drückte der frühere ägyptische Politiker Ahmad Schafiq seine Bestürzung darüber aus, dass Soldaten ihren Kameraden tatenlos zusahen, wie sie Bordelle anzündeten, und dass die ANZAC-Soldaten sich so wenig Gedanken über das Leben der Frauen in diesen Häusern machten. „Hätten sich diese Ereignisse in
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anderen Umständen als dem Krieg zugetragen, hätten sie damit eine größere Revolte ausgelöst“, schlussfolgerte Schafiq. „Diese Soldaten, vor allem jene aus den Dominions, behandelten die Ägypter mit Grobheit und Verachtung.“32 Der Zustrom von Kolonialtruppen nach Ägypten sorgte also eher dafür, dass sich eine angespannte Situation noch verschlimmerte, anstatt dass er dabei half, sie zu beruhigen. Doch die Ägypter mussten auch in den kommenden Jahren noch Gastgeber für die britischen und kolonialen Truppen spielen. Das Land blieb wichtiger Stützpunkt, Trainingslager und medizinische Station für Soldaten, die in Ägypten, auf Gallipoli und in Palästina kämpfen sollten, in Kriegszügen, die bis zum Ende des Krieges andauerten. Die nördlichen Häfen Ägyptens, Alexandria und Port Said, dienten zudem als wichtige Marinebasen für britische und französische Schiffe, da sie deren Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer sicherstellten.
* Nach dem Kriegseintritt der Osmanen im November 1914 setzten Großbritannien und Frankreich eine Blockade der Ägäisküste durch, welche vom thrakischen Hafen Dedeağaç (dem heutigen Alexandroupoli im nordöstlichen Griechenland) bis hin zur Insel Samos, südlich des türkischen Hafens Smyrna (das heutige Izmir), reichte. Die vereinigte Flotte der Alliierten, bekannt als Eastern Mediterranean Squadron, erreichte eine Größe von 18 Kampfschiffen, 40 Zerstörern, 15 Torpedobooten, zwölf UBooten und 20 Monitoren (Kriegsschiffe mit wenig Tiefgang, aber schweren Geschützen, die notorisch seeuntüchtig waren). Das Geschwader war im Hafen Moudros auf der umstrittenen Insel Limnos angesiedelt, etwa 80 Kilometer von den Dardanellen entfernt.33 Zu Beginn des europäischen Konflikts war die osmanische Seeverteidigung entlang der Meerengen veraltet und unzulänglich. Kurz nachdem die Deutschen und Jungtürken am 2. August ihr Geheimbündnis geschlossen hatten, brachten daher deutsche Schiffe Männer und Material zu den Dardanellen, um die Verteidigung zu verstärken. Das alliierte Bombardement der Dardanellen am 3. November 1914, das einen Großteil der Seddülbahir-Festung an der Einfahrt der Seestraße zerstörte, warf diese Bemühungen ein gutes Stück zurück. Osmanen und Deutsche
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verdoppelten daraufhin ihre Anstrengungen. Hunderte deutscher Soldaten und Militäringenieure entwarfen und errichteten neue Batterien entlang der europäischen und asiatischen Küste und bauten schlagkräftige Geschütze auf, um Schiffe an der Einfahrt in die strategisch bedeutsame Meerenge zu hindern. Das in die Jahre gekommene Kriegsschiff Messoudieh, das 1876 gebaut worden war, aber über schwere Kanonen verfügte, ging in den Dardanellen vor Anker, die Kanonen aufs ägäische Meer gerichtet. Türkische Schiffe legten Hunderte von Minen in engen Reihen, die südwärts der Meerenge von Çanakkale bis zur Einfahrt ins Schwarze Meer am Bosporus reichten. Man platzierte kräftige Suchscheinwerfer auf den Landzungen, um nachts fahrende Schiffe erkennen zu können, und baute ein Marconi-Radiotelegrafiesystem auf, um zwischen den Militärposten mit modernsten Mitteln kommunizieren zu können. Die Osmanen konzentrierten ihre Mittelmeerflotte in den Dardanellen, um die Hauptstadt Istanbul vor alliierten Angriffen zu schützen. Die zwei deutschen Kriegsschiffe, die im August 1914 an die osmanische Flotte übergeben worden waren, die Yavuz Sultan Selim (die ehemalige Goeben) und die Midilli (die ehemalige Breslau), wurden an den Bosporus entsandt, um Istanbul vor Attacken aus dem Norden zu schützen und russische Häfen und Schiffe im Schwarzen Meer anzugreifen. Als die Türkei im November ihren Krieg begann, waren der Bosporus und die Dardanellen damit wesentlich besser geschützt als zuvor. Dennoch ahnten Deutsche und Osmanen, dass die Meerengen nicht undurchdringlich waren. Der die Arbeiten an den Verteidigungsanlagen überwachende deutsche Admiral berichtete im Dezember 1914, er sei der Überzeugung, eine alliierte Flotte könne unter dem Verlust von vier oder fünf Schiffen die Verteidigung der Dardanellen durchbrechen.34 Die osmanische Infanterie diente als letztes Abwehrmittel gegen eine mögliche alliierte Attacke auf Istanbul. Sowohl die Deutschen als auch die Osmanen glaubten, die Alliierten würden Bodentruppen brauchen, um Istanbul zu besetzen – dies sei allein mit Seestreitkräften nicht möglich. Um die Hauptstadt und ihr Hinterland zu beschützen, konzentrierten die Osmanen den größten Teil ihrer Armee an den Meerengen und in Thrakien. Dank der osmanischen 1. Armee (160 000 Mann), zu der die erfahrensten türkischen Soldaten gehörten, und der 2. Armee (80 000 Mann) konnten die Türken mit einer Truppe von fast 250 000 Mann aufwarten – etwa der
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Hälfte der im November 1914 mobilisierten Kräfte –, um die Hauptstadt gegen eine Landung der Entente zu verteidigen.35 Da sich die türkische Flotte auf die Meerengen konzentrierte, waren die Küstenstädte des Osmanischen Reichs an der Ägäis und dem Schwarzen Meer alliierten Angriffen fast schutzlos ausgeliefert. In beiden Meeren unterbrachen Kriegsschiffe der Entente die Wirtschaftsaktivitäten und Nachschubverbindungen. Russische Schiffe bombardierten am 17. November 1914 den Schwarzmeerhafen von Trabzon, lösten damit eine Panik aus und verursachten „starke Verluste an Menschenleben und Eigentum“, wie der amerikanische Konsul festhielt, der das Bombardement miterlebte. Zwischen November 1914 und März 1915 griffen die Russen Trabzon sechsmal an und versenkten dabei Schiffe, beschädigten die Stadt und trieben die Einwohner auf ihrer Suche nach Schutz aufs Land. Die Russen beschossen darüber hinaus die türkischen Kohleminen in Zonguldak, um damit eine wichtige Energiequelle für die türkischen und deutschen Schiffe zu unterbrechen. In der Ägäis eröffneten Briten und Franzosen das Feuer auf den Hafen von Izmir, wo eine Reihe von Handelsschiffen vor Anker lagen, die wegen der Blockade nicht auslaufen konnten. Als Vergeltungsmaßnahme beschlagnahmten die Osmanen drei britische Schiffe als Kriegsbeute und versenkten sie in der Hafeneinfahrt, um alliierten Kriegsschiffen die Einfahrt zu erschweren. Damit waren noch sechs andere Dampfschiffe für die Dauer des Krieges im Hafen festgesetzt – aus den Vereinigten Staaten, Griechenland, Bulgarien, den Niederlanden und Deutschland.36 In der Küstenregion Kilikien, wo das türkische Anatolien an Syrien grenzte, mussten die Osmanen um die Sicherheit ihrer Eisenbahnverbindungen fürchten. Nachdem übers Meer alle Nachschubmöglichkeiten gekappt worden waren, spielten Züge eine entscheidende Rolle für den Transport von Truppen, Material und Nachschub von den Provinzen an die Front – im Kaukasus, Mesopotamien und Syrien. Der Hafen von Mersin, über das benachbarte Adana mit der Bagdadbahn verbunden, hatte zu Beginn des Krieges keine Verteidigung zum Meer hin. Ende November 1914 sollen 16 000 Mann sowie große Mengen Munition über die Eisenbahnlinie Mersin–Adana verbracht worden sein. Da ihnen aber nichts zur Verfügung stand, womit sie die alliierten Schiffe hätten abschrecken können, mussten die Osmanen gezwungenermaßen zusehen,
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wie französische Kriegsschiffe ungestraft nach Mersin einfuhren, um Schiffe nach Gutdünken zu beschlagnahmen oder zu zerstören.37 Der Golf von Alexandrette (dem heutigen İskenderun), östlich von Mersin, war eine weitere Verbindungsschnittstelle zwischen Zug und Schiff. Die Bagdadbahn erreichte hier die Mittelmeerküste, auch wenn 1914 die Eisenbahnverbindung von Adana wegen noch unvollendeter Tunnel im Taurusgebirge und von Aleppo wegen laufender Arbeiten in den Amanosbergen abgeschnitten war. Das bedeutete, dass Passagiere und Fracht die Züge hier verlassen und um die Berge herum transportiert werden mussten, bevor sie, auf der anderen Seite der noch nicht fertiggestellten Tunnel, ihre Reise fortsetzen konnten. Ungeachtet dieser Unannehmlichkeiten diente Alexandrette für Zehntausende von türkischen Soldaten auf ihren Wegen zwischen Syrien, Mesopotamien und Anatolien als Transitpunkt. Im Dezember 1914 erreichte der britische Leichte Kreuzer HMS Doris den Golf von Alexandrette, um die Bahnlinie vom Meer aus zu beschießen. Am 20. Dezember, einem Sonntagmorgen, eröffnete das Kriegsschiff in der Nähe des Dorfes Dörtyol das Feuer. „Schuss um Schuss wurde auf die Eisenbahnlinie abgegeben“, berichtete H. E. Bishop, der amerikanische bevollmächtigte Konsularagent vor Ort, „und das Schiff fuhr langsam die Küste entlang auf Alexandrette zu.“ Kurz nach Mittag lief das Schiff unter weißer Flagge in den Hafen ein und schickte eine Abordnung an Land, um ein Ultimatum an die Verantwortlichen der Stadt zu überbringen. Darin hieß es, die Eisenbahnverbindung diene zum Transport von osmanischen Truppen an die Fronten, wo sie britische Soldaten bedrohten (insbesondere in Mesopotamien). Deshalb forderte der britische Befehlshaber, die osmanischen Behörden sollten alles vorrätige Material zum Eisenbahnbau sowie das gesamte gelagerte Kriegsmaterial einem britischen Landungstrupp übergeben, welcher die Gegenstände am Ufer zerstören würde. Sollten die Behörden sich dem verweigern, würde die Doris alle Verwaltungseinrichtungen, die Eisenbahnlinie und den Hafen mit ihren schweren Geschützen zerstören. Für jegliches zivile Todesopfer seien damit die osmanischen Behörden verantwortlich, da die Briten ihren Verpflichtungen aus der Haager Konvention von 1907 nachgekommen wären, indem sie vor dem Beschuss des unbefestigten Hafens gewarnt hätten.38 Cemal Pascha aus dem KEF-Triumvirat hatte kurz zuvor seinen neuen Posten als Militärbefehlshaber in Syrien angetreten. Als er durch den
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Distriktgouverneur in Alexandrette vom britischen Ultimatum erfuhr, reagierte er impulsiv mit einer Gegendrohung. Er weigerte sich, Vorräte oder Kriegsmaterial an den Kapitän der Doris auszuliefern. Als kriegführende Nation stimmte er zu, dass die Briten das Recht hätten, auf osmanische Regierungsgebäude zu schießen. Dennoch drohte er damit, für jedes durch die Royal Navy beschädigte Regierungsgebäude umgehend die augenblickliche Zerstörung einer Reihe von britischen Besitztümern und Institutionen in Syrien zu befehlen. Und in noch aufrührerischer Manier informierte Cemal den britischen Kommandeur, er habe seit Kriegsbeginn in Syrien zahlreiche britische Staatsangehörige interniert. Nun drohte er damit, für jeden Osmanen, der durch feindliche Handlungen der Doris gegen Alexandrette getötet werden würde, einen Engländer zu erschießen. Cemals provokative Antwort ließ den Zwischenfall von Alexandrette zu einer umfassenden Krise eskalieren, die erst durch amerikanische Vermittlung entschärft werden konnte. Die Vereinigten Staaten waren eine neutrale Macht (und blieben dies bis April 1917) und pflegten freundliche Beziehungen zum Osmanischen Reich. Die Amerikaner hatten sich zudem einverstanden erklärt, die Interessen der Entente auf osmanischem Gebiet zu vertreten. Sowohl die Briten als auch die Osmanen zeigten sich für eine amerikanische Vermittlung bereit, um sich aus der Pattsituation zwischen Ultimatum und angedrohter Vergeltung zu befreien. Der bevollmächtigte US -Konsularagent Bishop, der in Alexandrette mit türkischen und deutschen Funktionären zusammenarbeitete, vereinbarte zunächst einen vierundzwanzigstündigen Aufschub, um eine Resolution zu verhandeln. Da Cemal Pascha nicht bereit war, Zivilisten aus Alexandrette zu evakuieren, war der örtliche Gouverneur vor allem daran interessiert, ein Bombardement zu vermeiden. Der britische Kommandeur wiederum sorgte sich um die angekündigten Vergeltungsmaßnahmen an den britischen Staatsangehörigen. Bishop berichtete dem Kapitän der Doris, dass „in Alexandrette keine Soldaten sind und dass nach Angaben … der örtlichen Behörden alle Kriegsmunition bereits ins Landesinnere verschafft wurde“. (In einer vertraulichen Ergänzung hielt Bishop fest, er habe später entdeckt, „dass es zu diesem Zeitpunkt doch Kriegsmunition hier gab“.) Bishop schlug vor, man könne die Osmanen zur Zerstörung von zwei Lokomotiven überreden, die offenbar „das einzige in Alexandrette vorhandene Kriegsmaterial“ darstellten, womit der
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Auftrag der Doris erfüllt worden wäre, die militärischen Nachschubverbindungen zu unterbrechen. „Nach Verhandlungen zwischen einem Schiffsoffizier, dem Stadtgouverneur und dem Verfasser dieses Berichts“, schrieb Bishop später, „wurde beschlossen, dass man die Maschinen auf ein offenes Stück Land fahren und in Gegenwart eines Abgesandten des Schiffs und mir selbst in die Luft sprengen wolle.“ Die Doris lieferte den für diese Aufgabe benötigten Sprengstoff, und eine Gruppe von vier Abgeordneten – ein osmanischer Hauptmann, der Hafenmeister, ein Offizier der Doris und der amerikanische Konsularagent – trafen sich um 9:30 Uhr, um der Zerstörung zweier einsamer Lokomotiven beizuwohnen. Die Sprengladungen wurden gezündet, „glücklicherweise ohne jemanden zu verletzen“, und nach einer Begutachtung wurden die beiden Loks als „derart beschädigt“ bezeichnet, dass ihr „weiterer Einsatz ausgeschlossen war“. Konsularagent Bishop schloss seinen Bericht mit leichter Ironie: „Um 10:45 Uhr erreichten wir erneut den Eisenbahnkai, woraufhin der Kommandeur des britischen Landungstrupps dem Verfasser den Dank des Kapitäns übermittelte, dass man hier Zeuge von Fairplay geworden wäre. Die Briten bestiegen das Dampfschiff, verschwanden und der Zwischenfall war beendet.“ Eine tödlichere Demonstration ihrer Herrschaft über die Meere lieferten die Briten, als sie ein U-Boot beauftragten, die Messoudieh an ihrem Ankerplatz in den Dardanellen zu versenken. An einem außergewöhnlich klaren und ruhigen Sonntagmorgen im Dezember fuhr ein britisches UBoot unbemerkt durch das sechs Kilometer lange Minenfeld und feuerte dann einen Torpedo auf den in die Jahre gekommenen osmanischen Kreuzer. Um 11:55 Uhr erschütterte eine furchtbare Explosion die Messoudieh und ließ das Schiff unter einer Rauchwolke verschwinden. Als sich der Rauch gelegt hatte, feuerte die Messoudieh in blinder Rache zwei Salven aus ihren schweren Kanonen auf ihren unsichtbaren Angreifer, bevor sie zu sehr in Schlagseite geriet, um weiter zu schießen. Nach einem gewaltigen Ruck begann das osmanische Kriegsschiff zu sinken. Ein Augenzeuge gab an, der Kreuzer sei in knapp sieben Minuten gesunken. Da sie in flachen Gewässern und Ufernähe vor Anker lag, setzte die Messoudieh auf dem Meeresboden auf, und große Teile des Schiffsrumpfs ragten aus dem Wasser. Dutzende von Matrosen klammerten sich an den Geschützöffnungen und dem Schiffsbauch fest, weshalb sich viele Boote vom Ufer
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aus aufmachten, um Überlebende zu retten. Die Operation dauerte noch lange bis in die Nacht, auch da Ingenieure Rettungslöcher in den Schiffsrumpf bohrten. Zwischen 50 und 100 Männer sollen bei diesem Angriff getötet worden sein.39 Dass ein feindliches U-Boot erfolgreich durch ein dichtes Minenfeld manövrieren und ein großes Kriegsschiff versenken konnte, erwies sich als furchtbarer Schock für die osmanischen Behörden. Vizeadmiral Johannes Merten, der deutsche befehlshabende Offizier an den Dardanellen, musste zähneknirschend zugeben: „Das war ein verdammt kluger Schachzug.“ Doch vor allem war der Angriff auf die Messoudieh zusammen mit den anderen Bombardierungen der türkischen Stellungen an den Dardanellen eine Warnung für die Osmanen, dass sich die Alliierten auf größere Operationen in den Meerengen vorbereiteten.40
* Nach zwei Monaten Krieg war die Verletzlichkeit des Osmanischen Reichs sowohl der Entente als auch den Mittelmächten deutlich geworden. Die Türken hatten sich als unfähig erwiesen, all ihre Grenzen gleichzeitig vor Angriffen zu schützen. Angesichts der Größe des Reichs war es auch nicht realistisch zu erwarten, dass ihnen dies in Zukunft gelingen würde. In allen Himmelsrichtungen waren die Osmanen zum Rückzug gezwungen worden: im Kaukasus, in Basra, im Jemen sowie in der Ägäis und in Kilikien. Die Russen hatten Gebiete in Anatolien besetzt, während die Briten den Osmanen ihre autonome Provinz Ägypten entrissen, sie vom Persischen Golf vertrieben und sich die völlige Vormachtstellung auf dem Roten Meer und (in Zusammenarbeitet mit den Franzosen) auf dem Mittelmeer gesichert hatten. Mit Zehntausenden Kolonialsoldaten, die jeden Monat aus Australien, Neuseeland und Indien in Ägypten ankamen, und der wachsenden Präsenz von Seestreitkräften in der Ägäis glaubten sich die Entente-Mächte den Osmanen weit überlegen. Unter dem wachsenden Druck der Deutschen entschlossen sich die Osmanen, in die Offensive zu gehen. Sie benötigten Siege, um die Moral ihrer Soldaten wie auch die ihrer Untertanen aufrechtzuerhalten. Und sie mussten den Aufruf ihres Sultans zum Dschihad noch auf die Probe stellen.
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KAPITEL 5 DER BEGINN DES DSCHIHAD: OSMANISCHE KRIEGSZÜGE IM KAUKASUS UND IM SINAI
In den ersten Kriegswochen mussten die Osmanen an den äußersten Rändern ihres großen Reichs eine Reihe kleinerer Niederlagen einstecken. Abgesehen davon blieb ihre Armee jedoch weitestgehend intakt, und die Türken waren noch immer in der Lage, die Karte des Dschihad gegen die Alliierten auszuspielen. Tatsächlich ging das deutsche Oberkommando davon aus, der wichtigste Kriegsbeitrag der Osmanen bestünde weniger in der Schlagkraft der türkischen Armee selbst als vielmehr darin, dass durch osmanische Manöver bei all jenen Muslimen Unruhen ausgelöst würden, die unter französischer Herrschaft in Nordafrika, unter britischer Herrschaft in Ägypten und Indien sowie unter russischer Herrschaft in Kaukasus und Zentralasien lebten. Zumindest dürfte die Möglichkeit einer solchen Rebellion die Entente-Mächte dazu zwingen, eigene Truppen zur Sicherung des Friedens in muslimischen Gebieten in Asien und Afrika zu stationieren. Dadurch würde der Druck auf die Deutschen an der Westfront und auf die Deutschen und Österreicher an der Ostfront reduziert. Denn seit Mitte September 1914 war dieser Druck deutlich gestiegen. Die konzertierte britisch-französische Gegenoffensive an der Marne (5.– 12. September) hatte den deutschen Vormarsch zum Stehen gebracht und in einen Stellungskrieg verwandelt. Der Stillstand in Westeuropa zwang Deutschland zu einem Zweifrontenkrieg, dabei hatten die deutschen Kriegspläne eigentlich vorgesehen, nach einem schnellen Sieg über Frankreich mit der freigesetzten Armee die Österreicher zu unterstützen und das vereinte Gewicht der Truppen gegen Russland in Stellung zu bringen. Schließlich benötigten die Österreicher jede Hilfe, die sie an der Ostfront bekommen konnten: Im August und September 1914 hatte das öster-
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reichisch-ungarische Heer schwere Niederlagen gegen die Serben auf dem Balkan und gegen die Russen im östlichen Reichsgebiet Galizien erlitten. Allein dort waren 350 000 Österreicher gefallen. Da Österreich strauchelte, begannen die deutschen Stäbe, den Druck auf ihre osmanischen Verbündeten zu verstärken, Maßnahmen gegen Großbritannien und Russland zu ergreifen.1 Die Deutschen drängten ihre osmanischen Partner, an solchen Orten gegen Russen und Briten aktiv zu werden, an denen dies den deutschen und österreichischen Kriegsbemühungen am meisten helfen würde. General Liman von Sanders, Befehlshaber der deutschen Militärmission in der Türkei, regte an, fünf osmanische Armeekorps (etwa 150 000 Mann) über das Schwarze Meer nach Odessa zu schicken, wo sie österreichische Stellungen in Galizien unterstützen und die russischen Truppen zwischen Österreichern und Türken einkesseln könnten. Berlin hingegen favorisierte eine Expedition gegen britische Stellungen entlang des Suezkanals, um zum einen die Versorgung über den Seeweg zu unterbrechen und zum anderen die ägyptische Ablehnung der britischen Besatzung auszunutzen. Der Kaiser und seine Militärberater hofften, ein solcher Schlag gegen die Entente könnte die Muslime in Asien und Afrika dazu inspirieren, dem Ruf des Sultan-Kalifen zum Dschihad zu folgen.2 Die Jungtürken verfolgten ihre eigene Agenda und hofften, durch den Krieg verlorene Territorien sowohl in Ägypten als auch in Ostanatolien zurückgewinnen zu können. Das britisch besetzte Ägypten und die von den Russen 1878 eroberten „drei Provinzen“ (Elviye-i Selâse) waren in ihren Augen osmanisch-muslimisches Land. Die Jungtürken besaßen volles Vertrauen, dass ihre Soldaten standhaft für die Rückeroberung von osmanischem Territorium kämpfen würden, und hofften, ihr Erfolg könnte die Muslime vor Ort ermutigen, sich gegen Russen und Briten zu erheben.3 Mitte November 1914 lud Kriegsminister Enver Pascha Marineminister Cemal zu einem privaten Treffen zu sich nach Hause ein. „Ich möchte eine Offensive gegen den Suezkanal starten, um die Briten in Ägypten zu binden“, erläuterte Enver, „und sie damit nicht nur zwingen, viele indische Divisionen vor Ort zu lassen, die sie derzeit an die Westfront schicken, sondern zudem zu verhindern, dass sie eine Streitmacht versammeln können, um an den Dardanellen zu landen.“ Am Ende der Besprechung forderte der Kriegsminister Cemal auf, eine Armee in Syrien aufzustellen, um
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einen Angriff auf britische Stellungen im Sinai anzuführen. Cemal nahm diesen Auftrag eifrig an und versprach, innerhalb einer Woche aufzubrechen.4 Am 21. November bestieg Cemal im Istanbuler Bahnhof Haydarpaşa einen Zug, um nach Syrien zu reisen. Im Bahnhof drängten sich die Mitglieder des Kabinetts, führende Staatsmänner und das diplomatische Korps, um, in den beißenden Worten des US-Botschafters Henry Morgenthau, „diesem abreisenden Satrapen einen begeisterten Abschied“ zu bereiten. Mitgerissen von der Kriegsbegeisterung feierte die Menschenmenge Cemal voreilig als „Retter Ägyptens“. Kurz vor der Abfahrt des Zugs versprach Cemal seinen Anhängern, er werde erst zurückkehren, „wenn ich Ägypten erobert habe“. Morgenthau, kein Freund der Jungtürken, empfand „die ganze Darstellung … [als] irgendwie bombastisch“.5 Enver Pascha selbst übernahm den Angriff gegen Russland. Für die deutschen Pläne einer Operation am Nordufer des Schwarzen Meers, weit entfernt von osmanischem Gebiet, hatte er nichts übrig. Vielmehr fokussierte er sich auf die Rückgewinnung der „drei Provinzen“ in Ostanatolien. Enver glaubte zum einen, die beträchtliche muslimische Bevölkerung im Kaukasus würde begeistert auf eine osmanische Offensive reagieren. Zum anderen war er überzeugt, türkische Kräfte müssten Maßnahmen gegen die russische Kaukasusarmee ergreifen – schließlich hatten die Russen im Kaukasus ja bereits mit Feindseligkeiten gegen die Türken begonnen. Der kürzlich errungene Erfolg der Osmanen bei der Abwehr des russischen Vormarschs auf Köprüköy hatte Envers Ambitionen geweckt. Am 6. Dezember traf sich Enver mit Liman, um seine Abreise zum Schwarzmeerhafen Trabzon noch in derselben Nacht anzukündigen, von wo aus ein Angriff auf die Kaukasusregion geführt werden sollte. Liman erinnerte sich später: „Enver skizzierte mir an Hand der Karte eine von ihm bei der 3. Armee beabsichtigte Operation. Er wollte die Russen an der Hauptstraße frontal mit einem Armeekorps, dem 11., beschäftigen, während zwei Armeekorps, das 9. und 10., einen mehrtägigen Linksmarsch durch das Gebirge vollziehen sollten, um in der Gegend von Sarikamisch [Sarıkamış] den Russen in Flanke und Rücken zu fallen. Später sollte die 3. Armee dann Kars nehmen.“ Der von Enver vorgelegte Plan war sehr riskant. Das bergige Gelände und die unbefestigten Straßen behinderten die Truppenbewegungen, den Nachschub und die Kommunikation. Als Liman Ein-
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wände gegen den Plan erhob, erklärte Enver, dass sie „bereits alle berücksichtigt wären und daß alle Wege erkundet seien oder erkundet würden.“6 Am Ende des Gesprächs brachte Enver noch Berlins größte Hoffnung zur Sprache, einen osmanischen Dschihad. Wie sich der deutsche General erinnerte, „äußerte er ganz phantastische, aber bemerkenswerte Ideen. Er sagte mir, daß er im Auge habe, später über Afghanistan nach Indien zu marschieren. Hierauf verabschiedete er sich.“ Liman schätze Envers Erfolgschancen nicht sehr hoch ein, doch er stellte sich ihm auch nicht in den Weg. Zwei Männer aus dem führenden jungtürkischen Triumvirat machten sich auf, die ersten Bodenangriffe gegen die Entente-Mächte zu führen. Hätten sie sich auf ein einziges Ziel konzentriert, hätten sie womöglich eine größere Chance gehabt. Doch gleich zwei Großmächte überstürzt und ohne angemessene Vorbereitung anzugreifen, verdammte beide Feldzüge gleichermaßen zu einem katastrophalen Scheitern.
* Enver Pascha fuhr über das Schwarze Meer nach Trabzon, wo er am 8. Dezember von Bord ging. Begleitet von zwei seiner engsten deutschen Berater, Generalleutnant Friedrich Bronsart von Schellendorf und Major Otto von Feldmann, reiste er über Land weiter zum Hauptquartier der 3. Armee in der Garnisonsstadt Erzurum. Viele im osmanischen Oberkommando beschwerten sich, die Deutschen hätten zu großen Einfluss auf ihren Kriegsminister. Und tatsächlich lassen sich die Grundzüge von Envers wagemutigem Plan zum Schlag gegen die russische Kaukasusarmee durchaus auf seine deutschen Berater zurückführen. Ende August 1914 hatten deutsche Truppen beim ostpreußischen Tannenberg die Russen mit einer perfekten Flankenoperation besiegt: Während die Deutschen die russischen Einheiten an der Frontlinie beschäftigt hielten, entsandten sie Infanterie und Artillerie über Straßen und Schienen um die linke Flanke der Russen herum, womit sie diese von jeglicher Kommunikation und dem Nachschub abschnitten und die Männer des Zaren einschlossen. Als die Russen die Gefahr bemerkten, war es bereits zu spät. Die Deutschen vernichteten die 2. russische Armee, töteten
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30 000 Mann und führten 92 000 Russen in Kriegsgefangenschaft – der umfassendste Sieg der Deutschen im Ersten Weltkrieg. Enver hoffte, die deutsche Taktik aufgreifen zu können, um seine Armee zu einem ähnlichen Triumph über die russischen Truppen im Kaukasus zu führen.7 Der ungestüme Enver verdankte seine Karriere kühnen, hoch riskanten Initiativen. Als Anführer der historischen Revolution von 1908, als Architekt des von den Osmanen angeführten Dschihad 1911 in Libyen, als Führer des Sturms auf die Hohe Pforte von 1913, der den Premierminister mit Waffengewalt zum Rücktritt gezwungen hatte, sowie als „Befreier von Edirne“ im Zweiten Balkankrieg war Enver überzeugt, er sei als Mann der Tat erfolgreich und zweifelte nur wenig an seinem Urteilsvermögen und seinen Fähigkeiten. Er glaubte sicher, er könne eine Armee zum Sieg über Russland führen und dass ein solcher Sieg für die osmanischen Kriegsanstrengungen ungemein hilfreich wäre. Die Türken könnten so nicht nur das 1878 an Russland verloren gegangene Territorium zurückgewinnen, ein solcher Sieg würde auch weitere russische Ambitionen auf osmanisches Gebiet vereiteln – vor allem in den Meerengen und in Istanbul. Und, wie Enver gegenüber Liman andeutete, müsste ein ruhmreicher türkischer Sieg auf dem Schlachtfeld jenen islamischen Enthusiasmus auslösen, mit dem das Tor nach Afghanistan und Indien aufgestoßen werden würde. Die osmanischen Feldkommandeure zweifelten daran, dass der in Tannenberg im Hochsommer durchgeführte Schlachtplan sich auf die gänzlich anderen Gegebenheiten im Kaukasusgebirge im Winter anwenden ließ. Die Deutschen hatten sehr eng an ihren gut gefüllten Nachschublagern operiert und konnten sich auf Straßen und Schienenwege verlassen, um große Mengen an Männern und Material an Ort und Stelle zu transportieren und die Einkesselung der russischen Armee umzusetzen. Die ungepflasterten Straßen und Pfade im bergigen Hochland Ostanatoliens waren für Fahrzeuge im Winter praktisch unpassierbar. Auf Berggipfeln von bis zu 3000 Metern, bei Schneehöhen von bis zu 1,5 Metern und Temperaturen bis zu –20° Celsius konnten nur speziell ausgebildete Soldaten mit besonderer Ausrüstung überleben, geschweige denn einen erfolgreichen Krieg führen. Doch selbst die skeptischsten osmanischen Offiziere glaubten, dass Enver ausreichend vom Glück begünstigt sei und er daher auch gegen alle Widerstände einen Sieg erringen könne.8
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Im Verlauf des Sommers 1914 hatte Enver die osmanischen Truppen in der Kaukasusregion Ostanatoliens zur 3. Armee zusammengeführt, deren Hauptquartier in Erzurum lag. Im September war das 11. Korps mit seiner Basis in Van umstrukturiert worden, um sich dem 9. Korps in Erzurum anzuschließen, und im Oktober war das 10. Korps heimlich von Erzincan transferiert worden, um die 3. Armee auf Kampfstärke zu bringen. Als Enver im Dezember 1914 in Erzurum eintraf, umfasste die 3. Armee insgesamt etwa 150 000 Mann (darunter kurdische Kavalleriemilizen und andere Hilfstruppen). Damit waren die Türken in der Lage, etwa 100 000 Soldaten im Kampf gegen die Russen einzusetzen, während alle weiteren zurückblieben, um Erzurum und die Kaukasusgrenze vom Vansee bis ans Schwarze Meer zu schützen – eine fast 480 Kilometer lange Linie.9 Der Kommandeur der osmanischen 3. Armee, Hasan Izzet Pascha, hatte Envers Schlachtpläne durchgesehen und seine Vorschläge für den Angriff auf russische Stellungen gemacht. Er argumentierte, seine Männer bräuchten ausreichend Vorräte für einen Winterfeldzug, darunter Winterkleidung, genügend Verpflegung und Munitionsvorräte. Für Enver klangen solche logistischen Überlegungen wie die Verzögerungstaktik eines übervorsichtigen Befehlshabers. Er vertraute lieber einem ehrgeizigen Offizier namens Hafız Hakki Bey, der Enver in einem inoffiziellen Brief schrieb, er habe die Straßen und Pässe erkundet und sei überzeugt, sie könnten im Winter von der Infanterie mit Berggeschützen (leichter Artillerie, die auf Lasteseln transportiert werden konnte) genutzt werden. „Die Kommandeure hier unterstützen die Idee [eines Winterfeldzugs] nicht, da es ihnen an Ausdauer und Mut fehlt“, schrieb er an Enver. „Ich hingegen würde diese Aufgabe angehen, sollte mein Rang entsprechend angepasst werden.“10 Als Enver eintraf, um seinen Angriffsplan umzusetzen, bot Hasan Izzet Pascha seinen Rücktritt als Befehlshaber der 3. Armee an. Er glaubte schlicht nicht, dass ein solcher Feldzug ohne angemessene Vorräte für die Soldaten gelingen könne. Hasan Izzet Pascha war, vor allem wegen seiner Kenntnisse der Region, ein Verlust für die osmanischen Bemühungen im Kaukasus. Doch Enver hatte das Vertrauen in den General verloren und übernahm, nachdem er das Rücktrittsgesuch angenommen hatte, am 19. Dezember selbst den Oberbefehl über die 3. Armee. Er beförderte zudem den ehrgeizigen Hafız Hakki Bey und stellte ihn an die Spitze des
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10. Korps. Damit leiteten Offiziere mit wenig oder gar keiner Erfahrung bei offiziellen Kriegseinsätzen und nur sehr begrenztem Wissen über das gefährliche Terrain den Einsatz in verantwortlicher Stellung, als Enver am 22. Dezember den Befehl gab, mit dem schicksalsträchtigen Angriff auf den russischen Bahnhof bei Sarıkamış zu beginnen.
* Als Envers Kriegszug sich Ostanatolien näherte, gerieten die Armenier zwischen die Fronten und waren in ihrer Loyalität zwischen Russen und Osmanen hin und her gerissen. Seit 1878 war eine beachtliche Anzahl Armenier in den drei Provinzen Kars, Ardahan und Batumi nicht länger unter osmanischer, sondern nun unter russischer Herrschaft. Obgleich der Zar sich nicht zugänglicher für die Autonomiebestrebungen der Armenier gezeigt hatte als der Sultan, so spielte Sankt Petersburg beim Versuch, die Armenier gegen die muslimischen Türken aufzubringen, doch die Karte der gemeinsamen christlichen Identität (trotz aller Unterschiede in der Doktrin zwischen der russisch-orthodoxen und der armenisch-orthodoxen Kirche). Die russische und türkische Religionspolitik im Kaukasus weisen eine gewisse Symmetrie auf: So wie die Regierung des Zaren darauf hoffte, einen christlichen Aufstand gegen die Türken provozieren zu können, so bemühten sich die Osmanen darum, unter kaukasischen Muslimen die Solidarität für einen Dschihad gegen Russland nutzen zu können. Im russischen Kaukasus hatte der armenische Nationalrat bereits vor dem Ausbruch des Krieges eng mit der Regierung zusammengearbeitet und vier Freiwilligenregimenter aufgestellt, die bei einer russischen Invasion der Türkei mithelfen sollten. Russische Konsularmitarbeiter und der Militärgeheimdienst stimmten in ihrer Einschätzung überein, derartige armenische Freiwilligenverbände würden die osmanischen Christen dazu ermuntern, eine russische Invasion zu unterstützen. Im September 1914, also noch bevor der erwartete Kriegseintritt der Türkei Wirklichkeit wurde, befahl der russische Außenminister Sergei Sasonow, russische Waffen zu den osmanischen Armeniern zu schmuggeln. Eine Reihe prominenter osmanischer Armenier ging über die Grenze, um sich den russischen Truppen anzuschließen, doch weitaus mehr zögerten, da sie fürchteten, eine solche
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Beteiligung würde die Sicherheit der armenischen Zivilisten im Osmanischen Reich gefährden.11 In den Sommermonaten des Jahres 1914 behielten die osmanischen Behörden ein wachsames Auge auf die Armenier in Ostanatolien. Im Juli und August, als sich die Kriegsmobilmachung auf ihrem Höhepunkt befand, meldeten sich auch die armenischen Männer in Van, Trabzon und Erzurum zum Dienst, und die Zivilbevölkerung blieb, soweit bekannt, loyal. Dennoch gaben die Russen an, über 50 000 Deserteure aus der osmanischen Armee, vor allem Armenier, seien zwischen August und Oktober 1914 über die Grenze gekommen.12 Trotz wachsender Bedenken, was die Loyalität der Armenier anging, trafen sich die Jungtürken im Oktober in Erzurum mit den nationalistischen Parteien der Armenier, den Daschnaken und Huntschaken, um ihnen eine Allianz vorzuschlagen. Die Osmanen versprachen, eine autonome armenische Verwaltung einzurichten, die mehrere Provinzen in Ostanatolien sowie alle von Russisch-Armenien eroberten Gebiete umfassen sollte, sofern sich die armenischen Gemeinschaften sowohl in Russland als auch der Türkei am Kampf gegen Russland beteiligten. Die armenischen Nationalisten lehnten den Vorschlag ab und erklärten, die Armenier sollten loyal zu der Regierung stehen, auf deren Seite der russisch-osmanischen Grenze sie lebten. Diese an sich vernünftige Ansicht steigerte jedoch nur das osmanische Misstrauen bezüglich der armenischen Loyalitäten.13 Nach Ausbruch des Krieges verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Armeniern und Türken rapide. Unteroffizier Ali Rıza Eti, der während der Schlacht bei Köprüköy in einer Sanitätseinheit gedient hatte, zeigte sich den Armeniern gegenüber, die er an der Front traf, zunehmend feindselig. Ab Ende November setzten die Russen ihre armenischen Freiwilligeneinheiten in Ostanatolien ein. Diese trafen entlang des Flusses Aras auf osmanische Kräfte aus Van, einem wichtigen Zentrum der osmanischen Armenier-Gemeinschaft – zweifellos mit der Absicht, Armenier zur Desertion aus dem osmanischen Heer zu ermutigen. Viele taten dies auch: Unteroffizier Eti behauptete, die Armenier würden in Gruppen von 40 oder 50 Mann desertieren, um sich den Russen anzuschließen: „Offensichtlich werden sie den Feind über unsere Positionen informieren“, überlegte sich Eti.14
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Im November kam Etis Einheit durch einige verlassene Dörfer, deren armenische Bewohner sich den Russen angeschlossen hatten und deren muslimische Einwohner geflohen oder von den Angreifern ermordet worden waren. „Als sich die Armenier dieser Gegend der russischen Armee angeschlossen haben“, notierte er am 15. November in sein Tagebuch, „zeigten sie sich den armen Dorfbewohnern gegenüber sehr grausam.“ Er beschrieb entweihte Moscheen, in denen Tierkadaver lagen, und wie Seiten zerrissener Koranausgaben vom Wind durch leere Straßen getrieben wurden. Seine Wut ist im Text deutlich spürbar.15 Als sich die Geschichten von den armenischen Deserteuren herumsprachen, behandelten die türkischen Soldaten die Armenier an ihrer Seite zunehmend brutaler. Eti erwähnt nebenbei, wie sich die Waffe eines türkischen Soldaten „löste“ und einen armenischen Kameraden niederstreckte. In Etis Bericht klingt dies kaum wie ein Unfall. „Wir begruben den Kerl“, schrieb er teilnahmslos. Das Töten eigener Kameraden wurde offenbar nicht geahndet. Und immer häufiger wurden die Armenier nicht mal mehr als Kameraden der Osmanen gesehen.16
* In den letzten Tagen vor der türkischen Offensive im Kaukasus begutachtete Enver Pascha seine Mannschaften. Die Botschaft des Befehlshabers der 3. Armee an seine Soldaten klang ernüchternd. „Soldaten, ich habe euch alle gesehen. Ich sah, dass ihr weder Schuhe an euren Füßen noch Mäntel über euren Schultern habt. Und doch fürchtet sich der Feind vor euch. Wir werden schon bald angreifen und den Kaukasus einnehmen. Dort werdet ihr alles im Überfluss finden. Die gesamte muslimische Welt schaut auf euch.“17 Envers Optimismus hinsichtlich der Erfolgsaussichten seiner Armee speiste sich aus einer Reihe günstiger Entwicklungen an der Kaukasusfront. Da sich der Winter rasch näherte, glaubten die Russen nicht mehr an einen Angriffsversuch der Osmanen vor dem Frühling. Sie nutzen die Gelegenheit, um zusätzliche Truppen vom Kaukasus an andere Fronten zu verlegen, an denen die Soldaten dringender benötigt wurden. Den Türken wiederum war es gelungen, das 10. Korps ohne Wissen der Russen zu verschieben. Durch diese Truppenbewegungen erzielten die Osmanen eine
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zahlenmäßige Überlegenheit – ihren etwa 100 000 Mann standen mittlerweile weniger als 80 000 Russen gegenüber.18 Nun, da sich die Russen für den Winter eingerichtet hatten und ihre Aufmerksamkeit nachließ, hoffte Enver auf den Überraschungsmoment. Um diesen auszunutzen, mussten die osmanischen Soldaten das russisch besetzte Gebiet möglichst schnell durchqueren. Daher befahl Enver seinen Männern, die schwere Ausrüstung zurückzulassen und nur Waffen und Munition sowie ein Minimum an Nahrung mitzuführen. Indem er das Gepäck der Soldaten verringerte, sorgte Envers Befehl auch dafür, dass seine Einheiten keinen Treibstoff, keine Zelte und Bettdecken und nur halbe Rationen mitnahmen. Er setzte darauf, seine Männer in den russischen Dörfern unterwegs unterbringen und sie mit dem versorgen zu können, was sie auf ihrem Weg nach Sarıkamış eroberten. „Unsere Versorgungsbasis liegt vor uns“, lautete Envers Mantra.19 Der Großteil der russischen Truppen war auf osmanischem Territorium verteilt, entlang jener Ausbuchtung, die sie bei den Kämpfen im November erobert hatten. Ihr Versorgungslager in Sarıkamış war praktisch nicht bewacht, nur eine Handvoll Grenzwächter, einige wenige Milizionäre und Eisenbahnarbeiter waren zurückgeblieben, um die einzige Nachschub- und Kommunikationsverbindung zu sichern, die zugleich auch die einzige Rückzugsmöglichkeit durch die Täler in Richtung Kars war. Envers Wunschvorstellung sah folgendermaßen aus: Mit einer großen Gruppe die rechte russische Flanke umgehen, um den Gegner von der Eisenbahnlinie abzuschneiden und die Stadt Sarıkamış einzunehmen sowie die Kaukasusarmee einzukesseln, die sich dann, da sie keinen Ausweg mehr hatte, den Türken ergeben musste. Hatte Enver einmal Sarıkamış gesichert und die russische Kaukasusarmee geschlagen, konnten die Osmanen Kars, Ardahan und Batumi – die drei 1878 verloren gegangenen Gebiete – zurückgewinnen, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Ein derart umfassender Sieg der Osmanen sollte die muslimische Bevölkerung in Zentralasien, Afghanistan und Indien aufrütteln. Die Eroberung eines einzigen strategischen Eisenbahnabschnitts würde dem Osmanischen Reich und seinem ehrgeizigen jungtürkischen Generalissimus einzigartige Möglichkeiten eröffnen. In seinem am 19. Dezember bekannt gegebenen Schlachtplan hatte Enver jedem der drei Korps der 3. Armee (mit je 30 000 bis 35 000 Sol-
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daten) eigene Aufgaben zugeteilt. Das 11. Korps sollte die russischen Streitkräfte entlang deren südlicher Front beschäftigen, um damit Deckung für das 9. und 10. Korps zu geben, die sich west- beziehungsweise nordwärts auf Sarıkamış zubewegten. Das 9. Korps sollte einem nach innen gerichteten Bogen folgen und von Westen aus auf Sarıkamış zumarschieren, wohingegen das 10. Korps den äußeren Bogen gehen und eine Division (rund 10 000 Mann) nördlich nach Ardahan schicken und mit zwei Divisionen die Eisenbahnlinie abschneiden und dann von Norden aus nach Sarıkamış vorrücken sollte. Der Beginn der Maßnahmen war auf den 22. Dezember terminiert.20 Nach einer Phase für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Wetters brach der Winter plötzlich in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember herein. Ein großer Schneesturm kam auf, als die 3. Armee am Morgen des 22. Dezember aufbrach. Die Soldaten hatten nur ein wenig Brot als Verpflegung dabei, waren in leichten Uniformen ohne angemessenen Schutz gegen die Kälte gekleidet und trugen falsches Schuhwerk für die unwegsamen Straßen: Sie zogen unter den schwierigsten Bedingungen in die Schlacht, in der Enver übermenschliche Taten von ihnen verlangte. Die Einheiten des 11. Korps eröffneten das Feuer auf das Südufer des Aras, um die Russen vom Westen Sarıkamış’ abzulenken, wo das 9. und 10. Korps die russischen Stellungen umgehen sollten. Unteroffizier Ali Rıza Eti beobachtete vom Sanitätszelt aus, wie die Russen das Feuer erwiderten, bei den Türken schwere Verluste verursachten und sie schließlich zum Rückzug zwangen. Eti machte sich zunehmend Sorgen, die vorrückenden Russen könnten seine Sanitätseinheit gefangen nehmen. Eti hörte viele Geschichten von eintreffenden verwundeten Soldaten, die der Gefangennahme nur knapp entkommen waren. Als ein bislang von den Türken gehaltenes Dorf von den Russen erobert wurde, versteckte sich eine Gruppe aus 60 osmanischen Soldaten in einem Schuppen. Drei russische muslimische Soldaten eines Kasachen-Regiments entdeckten sie. Doch nachdem die Türken bewiesen hatten, dass sie Muslime waren – sie zeigten dazu ihre beschnittenen Penisse vor –, durften sie in ihrem Versteck bleiben. „Brüder, seid leise und wartet hier“, erklärten die Kasachen, „wir ziehen gleich ab.“ Eine solche Verbrüderung zwischen muslimischen Soldaten über die Kampflinien hinweg traf auf Etis volle Zustimmung.21
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Dass es bei christlichen Armeniern und Russen zu ähnlichen Verbrüderungen kam, verärgerte den Sanitätsoffizier Eti jedoch weiterhin. Am ersten Tag der Schlacht sah er, wie zwei osmanisch-armenische Soldaten zu den russischen Linien hinüberwechselten und wie ein dritter bei diesem Versuch getötet wurde. Türkische Soldaten warfen den Armeniern nicht nur Fahnenflucht vor, sondern auch, dass sie die Russen mit Geheiminformationen über die osmanischen Stellungen und Truppenstärke versorgten. „Ist es nicht ganz natürlich, dass die Russen von den Armeniern, die jeden Tag aus der Armee fliehen, Informationen beziehen?“, überlegte er verbittert. „Ich frage mich, ob den Armeniern nach dem Krieg nicht irgendetwas geschieht.“22 Die armenischen Soldaten in der osmanischen Armee lebten in unhaltbaren Zuständen. Sie wurden von Armeniern in russischen Uniformen aktiv abgeworben und wussten, dass sie in Lebensgefahr schwebten, wenn sie unter den osmanischen Soldaten lebten, deren Misstrauen zunehmend mörderischer wurde. Eti notierte, dass in jedem Bataillon zwischen drei und fünf Armenier „bei Unfällen“ erschossen worden waren und überlegte: „Wenn es so weitergeht, werden in den Bataillonen in einer Woche keine Armenier mehr übrig sein.“23 Das 11. Korps stieß auf heftigen Widerstand der russischen Einheiten. Die Frontlinie war zu lang, als dass die Türken von jeder Stellung aus mehr als nur einen bescheidenen Angriff durchführen konnten. Und so versagten sie nicht nur bei dem Versuch, die Russen nördlich des Aras zurückzudrängen, sondern wurden selbst zum Rückzug gezwungen, der sie in Richtung ihres Hauptquartiers in Köprüköy verschob. Obwohl seine Opferzahlen stiegen, gelang es dem 11. Korps, das Feuer der Russen auf sich zu ziehen, womit die nötige Ablenkung entstand, welche das 9. und 10. Korps für seine Flankenoperation benötigten. Am ersten Tag des Feldzugs erreichten diese beiden osmanischen Armeekorps beachtliche Fortschritte. Das 10. Korps, angeführt von Hafız Hakki Bey, eilte nordwärts, um Territorium auf der rechten russischen Seite zu erobern. Sie marschierten durch das russische Vormarschgebiet und gelangten im Norden über die Grenze, wo sie die nur leicht verteidigte Garnisonsstadt Oltu belagerten. Die osmanischen Truppen überraschten unterwegs einen russischen Offizier, der sich mit den 750 Mann unter seinem Befehl ergab. Doch auch die Osmanen erlebten einige unangenehme Überraschungen. Im dichten
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Nebel vor Oltu hielt ein türkisches Regiment ein anderes für russische Truppen und kämpfte vier Stunden lang gegen seine eigenen Kameraden, wobei 1000 Soldaten dem „Friendly Fire“ zum Opfer fielen. Am Ende des Tages hatten die Osmanen jedoch die Russen aus Oltu vertrieben. Zumindest hier fanden die Soldaten die versprochenen Vorräte und Unterkünfte, als die eroberte Stadt zum Plündern freigegeben wurde.24 Erwartungsgemäß zog es der eigensinnige Hafız Hakki nach seinem Sieg in Oltu vor, die sich zurückziehenden Russen mit all seinen Kräften zu verfolgen, anstatt seinen Weg Richtung Osten fortzusetzen, wo er sich Enver Pascha und dessen 9. Korps für den Angriff auf Sarıkamış anschließen sollte. Angesichts der schwierigen Kommunikationsmöglichkeiten im bergigen Terrain brachte seine spontane Planänderung den gesamten Feldzug in Gefahr. Enver Pascha zog mit dem 9. Korps unbemerkt Richtung Sarıkamış. Die entschlossenen Soldaten überwanden auf ihrem Weg über enge Bergpfade hohe Schneeverwehungen und legten in nur drei Tagen 74 Kilometer zurück. Allerdings forderte die Kälte ihren Zoll, da die Männer gezwungen waren, ohne Zelte im Freien zu schlafen. Sie trugen alles an Gestrüpp zusammen, was sie finden konnten, da sie trotz Minusgraden kein weiteres Feuerholz zur Verfügung hatten. Im Morgengrauen konnten man Gruppen von Männern im Kreis rund um die Reste eines Feuers liegen sehen, das nicht gegen die Kälte geholfen hatte; ihre Körper waren vom Frost bereits dunkel gefärbt. Mehr als ein Drittel des 9. Korps erreicht die Region um Sarıkamış erst gar nicht. Doch Enver trieb seine Männer weiter bis in die Außenbezirke von Sarıkamış, wo sie am 24. Dezember innehielten, um sich für den finalen Angriff auf die Garnisonsstadt zu sammeln. Die Türken hatten aus den Befragungen ihrer russischen Gefangenen erfahren, dass es gar keine Truppen zur Verteidigung von Sarıkamış gab, abgesehen von einigen Nachrückeinheiten ohne Artillerie. Als er erkannte, wie schwach diese strategisch bedeutsame Stadt verteidigt wurde, wuchs Envers Überzeugung, dass seine durchfrorenen und erschöpften Truppen einen totalen Sieg in Reichweite hatten.25 Den Russen wurde das ganze Ausmaß des türkischen Angriffs am 26. Dezember deutlich, als sie einen osmanischen Offizier gefangen nahmen und Kopien von Envers Kriegsplänen sicherstellen konnten. Nun er-
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fuhren sie, dass das 10. Korps der 3. Armee zugeteilt worden war und die Osmanen hinsichtlich der Kampfstärke einen nennenswerten Vorteil besaßen. Sie wussten nun über die Eroberung Oltus Bescheid und dass die osmanischen Truppen nicht nur auf Ardahan vorrückten, sondern in Kürze auch Sarıkamış erreichen würden. Die muslimische Bevölkerung zwischen dem Schwarzmeerhafen Batumi und Ardahan hatte sich gegen die Russen erhoben – genau mit der religiösen Begeisterung, auf die die Osmanen gehofft und vor der sich die Russen gefürchtet hatten. Die russischen Generale verfielen, so hielten es die Historiker des Feldzugs fest, „beinahe in Panik … waren sie doch überzeugt, dass Sarıkamış verloren und das Gros der Kaukasusarmee von ihren Rückzugsmöglichkeiten nach Kars abgeschnitten sei“. Die russischen Kommandeure befahlen einen völligen Rückzug im verzweifelten Versuch, ihre Armee zu retten beziehungsweise einen Teil von ihr vor einer vollständigen Niederlage zu bewahren.26 Nun kam das Glück den Russen zu Hilfe, und die türkischen Einsatzpläne wurden langsam entwirrt. Nach einem bemerkenswerten Beginn setzten nun das Wetter und menschliche Fehler der osmanischen Expedition schmerzhaft zu. Schneestürme tobten über den Gipfeln des Kaukasus und machten die Wege für die Marschierenden völlig unpassierbar. Ohne etwas sehen zu können und inmitten von Schneeverwehungen, welche die Wege verdeckten, verloren viele Männer ihre Einheiten aus dem Blick, wodurch die Ränge bereits ausgedünnt wurden. Es fehlten passierbare Straßen, und die extremen Wetterbedingungen taten ihr Übriges, außerdem machten die hohen Berge die Kommunikation unmöglich. Schlimmer war noch, dass einer von Envers Generalen, Hafız Hakki Bey, seine Befehle missachtet hatte und einer kleinen russischen Truppe folgte, was ihn Dutzende Kilometer von Sarıkamış fortführte. Enver schickte dringende Befehle an Hafız Hakki Bey, damit dieser seine Verfolgung abbrach und sich wieder an den ursprünglichen Plan hielt. Der Kommandeur des 10. Korps vertraute den Angriff auf Ardahan einem seiner Regimenter an (wie es der anfängliche Plan vorgesehen hatte) und führte persönlich die beiden anderen Regimenter des 10. Korps weiter, um sich Envers Angriff auf Sarıkamış anzuschließen. Hafız Hakki brach am 25. Dezember auf und versprach, Enver am folgenden Morgen einzuholen. Zu diesem Zeitpunkt war er fast 50 Kilometer von der Front vor Sarıkamış entfernt und musste das Hochgebirge von Allahüekber
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überqueren, das bis auf 3000 Meter Höhe reicht. Die folgenden 19 Stunden glichen einem Todesmarsch. Einer der Überlebenden beschrieb, welche Härten die Soldaten durchmachen mussten: „Wir kletterten unter großen Mühen hinauf, und doch in voller Ordnung und Disziplin. Wir waren erschöpft und ausgelaugt. Als wir die Hochebene erreichten, traf uns ein heftiger Schneesturm. Wir konnten nichts mehr sehen. Es war unmöglich, einander zu helfen oder auch nur miteinander zu sprechen. Die Truppen verloren jegliche Ordnung. Soldaten stürmten in alle Richtungen auseinander, um Schutz zu suchen und griffen jedes Haus an, aus dessen Kamin Rauch aufstieg. Die Offiziere bemühten sich sehr, doch sie konnten die Soldaten nicht zum Gehorsam zwingen.“ Die Kälte war größer, als ein Mensch aushalten konnte, und trieb einige von ihnen in den Wahnsinn: „Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich einen Soldaten am Straßenrand im Schnee sitzen saß. Er umarmte den Schnee, packte Handvoll um Handvoll und stopfte ihn sich in den Mund, während er zitterte und schrie. Ich wollte ihm helfen und ihn auf die Straße zurückführen, doch er brüllte nur weiter und türmte den Schnee auf, als würde er mich nicht sehen. Der arme Mann war wahnsinnig geworden. Auf diesem Weg ließen wir an einem einzigen Tag 10 000 Männer unter dem Schnee zurück.“27 Für den 25. Dezember berief Enver Pascha ein Treffen der türkischen Offiziere und deutschen Berater ein, um die Situation zu bewerten. Die Russen hatten angefangen, sich von der Front am Aras zurückzuziehen, um nach Sarıkamış zurückzukehren. Und per Eisenbahn war Verstärkung auf dem Weg, um den abziehenden Russen zu helfen, die immer noch überzeugt waren, ihre Situation sei aussichtslos. Während die meisten ihrer Befehlshaber noch unorganisiert waren, bedeutete dies, dass zahlreiche russische Soldaten von Norden als auch von Süden aus auf Sarıkamış zuströmten. Würden die Osmanen nicht bald handeln, so wäre die Gelegenheit vorbei, die Stadt einzunehmen, solange sie noch relativ schwach befestigt war. Bei dieser Zusammenkunft wurden die Kommandeure des 9. Korps, Ihsan Pascha und Şerif Ilden, von Enver und seinen deutschen Beratern streng befragt. Sie wollten wissen, wann die Expeditionstruppe in der Lage sein werde, Sarıkamış einzunehmen. Ihsan Pascha stellte seinen Oberkommandierenden die harten Fakten zur Lage der 3. Armee vor: Sie hat-
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ten jeglichen Kontakt zu Hafız Hakki und dem 10. Korps verloren, die derzeit über die Allahüekber-Berge unterwegs waren, und man konnte nicht mit Sicherheit vorhersagen, wann sie in Angriffsreichweite auf Sarıkamış sein würden. Allein das 9. Korps sei derzeitig verfügbar und nahe genug an der Stadt. „Ich weiß nicht, was die Bedingungen für einen Angriff sind“, schloss Ihsan Pascha. „Aber wenn Ihre Befehle mit einer einzelnen Division ausgeführt werden können, dann steht Ihnen die 29. Division zur Verfügung.“28 Nachdem er seine türkischen Offiziere angehört hatte, bat Enver seine deutschen Berater um ihre Meinung. Sie teilten gemeinsam mit ihm die Verantwortung für den ursprünglichen Schlachtplan und hatten seinen Ehrgeiz angestachelt, den deutschen Sieg bei Tannenberg an der Kaukasusfront nachzuahmen. Nun rieten sie Enver abzuwarten, bis Hafız Hakki mit seinen Männern eingetroffen sei, bevor er einen Angriff begann. Doch Enver wollte nicht abwarten. Er wusste, dass er, je länger er den Angriff hinauszögerte, umso mehr russischen Truppen gegenüberstehen würde. Außerdem könnten seine Soldaten, sobald sie Sarıkamış erobert hatten, in Häusern schlafen und etwas zu essen finden. Jede Nacht, die seine Armee im Freien verbrachte, bedeutete für Hunderte Männer den Kältetod. Seine Offiziere glaubten, Enver werde von einer unausgesprochenen Rivalität mit Hafız Hakki angetrieben und fürchtete, der Kommandeur des 10. Korps könnte Sarıkamış vor ihm erreichen und erobern. Enver, immer an vorderster Front, begehrte diese besondere Trophäe für seinen eigenen Ruhm. Am Ende überstimmte Enver Pascha all seine Berater und befahl seinen Truppen, den Angriff am folgenden Morgen, dem 26. Dezember, zu beginnen. Diese schicksalsträchtige Entscheidung sollte sich als Wendepunkt im osmanischen Feldzug herausstellen. Von diesem Moment an hatte keiner der Angriffe mehr ausreichend Kraft, um die von den Russen eroberten Gebiete tatsächlich zu beherrschen oder gegen russische Gegenangriffe zu verteidigen. Man muss es der Zähigkeit der osmanischen Soldaten anrechnen, dass jedes der Ziele in Envers unrealistischem Plan erreicht wurde – wie kurzlebig auch immer. Die Männer von Hafız Hakki erreichten, nachdem sie die furchteinflößenden Allahüekber-Berge überwunden hatten, die Eisenbahnlinie zwischen Kars und Sarıkamış und schnitten damit diese lebens-
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wichtige Verbindungslinie ab – sie waren allerdings nicht in der Lage, die Stellung gegen die russische Verstärkung aus Kars zu halten. Osmanische Truppen eroberten die Stadt Ardahan, allerdings auch sie mit zu wenig Mann, um die Stadt halten zu können, die innerhalb einer Woche wieder verloren ging. Die einstmals siegreichen türkischen Soldaten des 10. Korps fanden sich selbst umzingelt wieder und die 1200 Überlebenden der einstmals 5000 Mann mussten sich den Russen ergeben. Osmanischen Truppen gelang es sogar, in Sarıkamış einzudringen, auch wenn der Preis, den sie mit den vielen Opfern dafür zahlen mussten, diesen kurzfristigen Sieg zu teuer werden ließ. Die ersten Angriffe des 9. Korps auf die russischen Stellungen in Sarıkamış wurden am 26. Dezember von den Verteidigern unter hohen Verlusten abgewehrt. In dieser Nacht erreichten Hafız Hakki und die erschöpften Männer endlich ihre Stellung in der Nähe von Sarıkamış. Da das 9. Korps starke Verluste erlitten hatte und das 10. Korps nach seinem Gewaltmarsch in einem erbärmlichen Zustand war, entschloss sich Enver, seine Operationen um 36 Stunden aufzuschieben, um seine Kräfte zu konsolidieren.29 Die entscheidende Schlacht um Sarıkamış wurde am 29. Dezember gekämpft. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kälte die Soldaten auf osmanischer Seite weiter dezimiert. Von den ursprünglichen mehr als 50 000 Mann zählten das 9. und 10. Korps zusammen nun nicht mehr als 18 000 Soldaten, und diese Überlebenden waren nicht in einem Zustand, der große Schlachten erlaubte. In Sarıkamış befanden sich mittlerweile rund 13 000 russische Soldaten, die in ihren gut zu verteidigenden Stellungen über mehr Artillerie und Maschinengewehre verfügten als die Türken. Dank dieser schweren Waffen konnten die Russen den ganzen Tag über die türkischen Angriffe zurückschlagen. Enver wagte einen letzten Versuch, Sarıkamış mit einem nächtlichen Angriff am 29. Dezember zu erobern. Dieses Mal drangen seine Einheiten in die Garnisonsstadt ein und zwangen die russischen Verteidiger zum Kampf Mann gegen Mann, wobei sie im Dunkeln ihre Bajonette einsetzten. Die meisten türkischen Soldaten wurden getötet oder gefangen genommen, obwohl es einer entschlossenen Schwadron aus einigen Hundert Männern gelang, die russischen Kasernen im Stadtzentrum zu erobern. Für eine Nacht konnte eine kleine Einheit von Envers Armee von
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sich behaupten, einen kleinen Teil Sarıkamış’ besetzt gehalten zu haben. Am Morgen umstellten russische Truppen die Kaserne und zwangen die türkischen Soldaten zur Kapitulation. In dieser Offensive verloren die Türken eine vollständige Division. Den Russen wurde bald klar, wie schwach die osmanischen Angreifer waren. Nachdem sie sich von ihrem anfänglichen Schockzustand erholt hatten, gingen sie zur Offensive über. Nun war es die osmanische Armee anstelle der russischen, die von einer Einkesselung und Zerstörung bedroht war. In den ersten beiden Januarwochen 1915 trieben die Russen die Osmanen zurück und nahmen all die Gebiete wieder in Besitz, die sie in den Anfangstagen der Operation hatten abgeben müssen. Dabei besiegten sie die 3. Armee, Korps nach Korps: Das 9. Korps wurde am 4. Januar von den Russen umzingelt und zur Kapitulation gezwungen. Stabschef Şerif Ilden erinnerte sich, dass sich mit ihm nur 106 Offiziere und 80 Soldaten im Hauptquartier des 9. Korps befunden hatten, als sie sich den Russen ergaben. Hafız Hakki führte das 10. Korps unter feindlichem Beschuss zurück, konnte die völlige Vernichtung aber verhindern und brachte nach 16 Tagen rund 3000 Überlebende hinter die türkischen Linien in Sicherheit.30 Da das 9. und 10. Korps zusammengebrochen waren, musste das 11. Korps die Hauptlast des russischen Gegenangriffs schultern. Einen Moment lang, während ihres Rückzugs aus russischem Gebiet, sahen die Türken überrascht mit an, wie eine fremde Kavallerieeinheit die russische linke Flanke angriff und schlug. Es handelte sich um eine Gruppe tscherkessischer Dorfbewohner, die vom Aufruf des Sultans zum Dschihad gehört hatten und aufgebrochen waren, die Osmanen zu unterstützen: für den Sanitätsoffizier Ali Rıza Eti, der Augenzeuge des tscherkessischen Angriffs wurde, ein weiterer Beweis für die muslimische Solidarität im Weltkrieg. Das 11. Korps zog sich bis Mitte Januar hinter die türkischen Linien zurück und brachte noch 15 000 der ursprünglich 35 000 Soldaten mit. Doch die osmanische 3. Armee war zerstört. Von den fast 100 000 Soldaten, die in die Schlacht gezogen waren, kamen nur 18 000 gebrochene Männer nach Hause.31 Enver Pascha gelang es mit Mühe, der Gefangennahme zu entgehen; er kehrte in Ungnade nach Istanbul zurück, doch weder er noch Hafız Hakki
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wurden disziplinarisch wegen dem verurteilt, was einige ihrer Offiziere als strafbare Fahrlässigkeit ansahen. Tatsächlich beförderte Enver vor seiner Rückkehr in die Hauptstadt Hafız Hakki vom Oberst zum Generalmajor mit dem Titel eines Pascha und übertrug ihm das Kommando über die Reste der 3. Armee (Hafız Hakki Pascha starb zwei Monate später an Typhus). Die Niederlage war viel zu furchtbar für die Jungtürken, als dass sie sie hätten eingestehen können, und nach Liman von Sanders hielten sie die Vernichtung der 3. Armee sowohl vor den Deutschen als auch im Osmanischen Reich geheim: „Es war verboten, darüber zu sprechen“, schrieb er später. „Die gegen den Befehl Handelnden wurden festgenommen und bestraft.“32 Die Auswirkungen von Sarıkamış sollten während des gesamten weiteren Kriegs spürbar bleiben. Ohne eine wirkungsvolle Armee in Ostanatolien waren die Osmanen nicht in der Lage, ihr Territorium vor russischen Angriffen zu schützen. Die osmanische Verwundbarkeit verstärkte die Spannungen zwischen Türken, Kurden und Armeniern in der Grenzregion mit Russland. Und auch wenn die Muslime im Russischen Reich zu Beginn des Feldzugs nach Sarıkamış Begeisterung für den Dschihad gezeigt haben mochten, so wurde die Aussicht auf einen islamischen Aufstand an der Front durch die völlige Niederlage der Osmanen zunichtegemacht. Das Ausmaß des Rückschlags der Osmanen ermutigte die Verbündeten Russlands, Pläne für einen Angriff auf die Dardanellen weiterzuverfolgen, um Istanbul zu erobern und die Türken ein für alle Mal aus dem Krieg auszuschalten.33
* Einen Monat nach der Niederlage bei Sarıkamış führte Cemal Pascha einen Angriff auf die Briten am Suezkanal. Der Kontrast zwischen der ägyptischen Wüste und den Schneestürmen im Kaukasus könnte kaum größer sein, doch die trockene Ödnis des Sinai war einem Kriegszug nicht weniger feindlich als die hohen Gipfel rund um Sarıkamış. Nach seiner öffentlichen Äußerung an Istanbuls Bahnhof am 21. November 1914 hätte niemand Cemal vorwerfen können, seine Absicht einer Expedition gegen Ägypten geheim gehalten zu haben. Aber angesichts der Hindernisse, vor denen ein solcher Angriff stand, hielten die Briten Ce-
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mals Versprechen einer „Eroberung“ für leere Worte. Sie vermochten sich nicht vorzustellen, dass Cemal in Syrien eine Armee aufstellen konnte, die groß genug war, um die britischen Truppen in Ägypten in Bedrängnis zu bringen. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, eine bedeutende Streitmacht zusammenzustellen, so gab es doch keine wirklichen Straßen über den Sinai, der zudem kaum Nahrungsquellen und fast keine Vegetation bot. Die notwendige Logistik, um ein Heer bei der Durchquerung eines solch lebensfeindlichen Gebiets mit Lebensmitteln, Wasser und Munition zu versorgen, war abschreckend. Und selbst wenn all diese Komplikationen überwunden werden konnten und die Osmanen den Kanal erreichten, stünden sie immer noch vor einem Gewässer von mehreren Hundert Metern Breite und zwölf Metern Tiefe, das von Kriegsschiffen, gepanzerten Zügen und 50 000 Soldaten geschützt wurde. Die britischen Stellungen wirkten uneinnehmbar. Die britischen Überlegungen waren nicht falsch. Cemal hatte bei der Aufstellung einer Truppe in Syrien ernstliche Schwierigkeiten zu überwinden. Im Dezember 1914 benötigten die Osmanen all ihre Soldaten in Anatolien, um die unter Druck geratene Kaukasusfront zu verstärken sowie Istanbul und die Meerengen zu schützen. Cemal musste sich auf die regulären Soldaten in den arabischen Provinzen verlassen, verstärkt durch irreguläre freiwillige Kämpfer aus Beduinen, Drusen, tscherkessischen und anderen zugewanderten Gemeinschaften. Von den ihm zur Verfügung stehenden 50 000 Kämpfern konnte Cemal nicht mehr als 30 000 für den Suezfeldzug abziehen, da der Rest benötigt wurde, um die Garnisonen in den arabischen Provinzen zu besetzen. Zudem musste der osmanische Befehlshaber 5000 bis 10 000 Soldaten in Reserve halten, wollte er die ursprüngliche Streitmacht schützen beziehungsweise verstärken können. Was darauf hinauslief, dass Cemal nur 20 000 bis 25 000 Soldaten blieben, mit denen er sich auf eine verschanzte britische Streitmacht von mindestens der doppelten Größe stürzen wollte – ein selbstmörderisches Unterfangen.34 Aber Cemal vertraute auf sein Glück. „Ich hatte alles darauf gesetzt, die Engländer zu überraschen“, erinnerte sich Cemal später. Sollte er sie unvorbereitet treffen, so hoffte er, die Engländer an einem kleinen Stück des Kanals zur Kapitulation zwingen zu können, an einem Abschnitt, den die Osmanen dann mit „zwölftausend sicher auf der anderen Seite eingegrabenen Gewehren“ verteidigen und verstärken könnten. Von einem
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solchen Brückenkopf aus plante Cemal, die wichtige Stadt Ismailia zu besetzen und in der Folge die Anzahl der Soldaten auf dem Westufer auf 20 000 zu erhöhen. Er glaubte zudem, die osmanische Eroberung von Ismailia würde in Ägypten einen Volksaufstand gegen die britische Herrschaft auslösen – jenen Dschihad, den der Sultan befohlen hatte. Auf diesem Wege, so Cemal, „könnte Ägypten in verblüffend kurzer Zeit durch den Einsatz einer eher kleinen Truppe und mit unbedeutenden technischen Ressourcen befreit werden.“35 Cemals hastig erarbeiteter Plan erhielt die volle Unterstützung der Deutschen, die noch immer große Hoffnungen auf einen von den Osmanen angeführten Dschihad setzten. Zudem war es für das Deutsche Reich ungemein wichtig, den Suezkanal zu schließen. Zwischen dem 1. August und dem 31. Dezember 1914 durchquerten nicht weniger als 376 Transportschiffe den Kanal und brachten dabei 163 700 Soldaten an die Fronten der Alliierten. Auch wenn die Briten nicht völlig vom Kanal abhängig waren, was den Transport von Menschen anging – das Eisenbahnnetz, das Suez mit Kairo und den Mittelmeerhäfen verband, hätte hier ebenfalls gute Dienste leisten können –, so war er doch die Lebensader für alle Kriegsund Handelsschiffe, die aus dem Indischen Ozean kamen und das Mittelmeer ansteuerten. Solange der Kanal offen war, konnte Großbritannien aus seinem Empire vollen Nutzen für die Kriegsanstrengungen ziehen. Jeder osmanische Angriff auf Suez, der diesen Verkehr verlangsamte oder die Briten zwang, solche Truppen für die Verteidigung Ägyptens einzusetzen, die ansonsten an der Westfront hätten eingesetzt werden können, half den Deutschen unmittelbar.36 Kaum hatte Cemal am 6. Dezember Damaskus erreicht, machte er sich bereits daran, Männer und Ressourcen für die risikoreiche Durchquerung des Sinai zu mobilisieren. Seine regulären Truppen umfassten annähernd 35 000 Soldaten, vor allem junge Männer aus den arabischen Provinzen von Aleppo, Beirut, Damaskus sowie den autonomen Gebieten Libanonberg und Jerusalem. Um noch weitere Soldaten hinzuzugewinnen, appellierte Cemal an den Patriotismus der Stammesführer in den arabischen Ländern und versuchte, sie von der Teilnahme am Angriff auf die Briten und zur Befreiung Ägyptens von der Fremdherrschaft zu überzeugen. Der Drusenemir Amir Shakib Arslan war 1914 Abgeordneter im osmanischen Parlament. Als er von Cemals Plan hörte, bat Arslan in Istanbul
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um Entlassung aus seiner parlamentarischen Pflicht, um eine Freiwilligeneinheit von Drusen beim Sinaifeldzug anzuführen. Er traf sich mit Cemal und versprach ihm, 500 Mann für den Krieg aufzustellen, auch wenn der jungtürkische Befehlshaber nur um 100 gebeten hatte. Arslan zeigte sich nach dem Gespräch überzeugt, Cemal „glaubte, dass diese unorganisierten Freiwilligen keine große Hilfe im Krieg sein werden“. Arslan hingegen behauptete fest, seine drusischen Kämpfer würden alle Erwartungen übertreffen und die regulären Soldaten im Militärlager von Damaskus, was das Schießen und die Reitkunst anginge, in den Schatten stellen. Anstatt des ursprünglich angesetzten vierwöchigen Trainings wurden die drusischen Freiwilligen ohne Zeitverzug per Bahn entsandt, um sich dem Feldzug anzuschließen.37 Im Dezember 1914 und Januar 1915 versammelte sich eine heterogene Armee in der befestigten Wüstengrenzstadt Ma‘an (heute im südlichen Jordanien), etwa 470 Kilometer südlich von Damaskus. Ma‘an, das auf der Pilgerroute zwischen Damaskus und Mekka liegt, war zudem ein bedeutender Umschlagplatz auf der Hedschasbahn. Hier traf Arslan auf eine „Freiwilligeneinheit aus Medina sowie eine andere gemischte Einheit aus Türken aus Rumänen, syrischen Beduinen, Albanern und anderen“, darunter kurdische Kavallerie aus dem Salahiyya-Distrikt in Damaskus. Wahib Pascha, der Gouverneur und Militärbefehlshaber der Provinz Hedschas am Roten Meer (zu der auch Mekka und Medina gehörten, die Geburtsstätten des Islam), stand der größten Truppe in Ma‘an vor. Arslan gab an, Wahib Pascha bringe 9000 Soldaten aus der osmanischen Garnison in Mekka herbei, wobei allerdings insbesondere auffiel, wer nicht zu diesen Einberufenen gehörte: Cemal Pascha hatte Hussein ibn Ali geschrieben, dem höchsten religiösen Führer in Mekka, der heiligsten Stadt des Islam, um ihn um die Entsendung einer Truppe unter dem Kommando einer seiner Söhne zu bitten. Cemal hoffte, der Scherif würde somit der Suezexpedition religiöse Autorität verleihen und seine Loyalität zum Staat beweisen. Scherif Hussein antwortete höflich auf Cemals Bitte und schickte seinen Sohn Ali zusammen mit Wahib Pascha, als der Gouverneur aus Mekka aufbrach. Ali reiste jedoch nicht weiter als bis nach Medina, versprach allerdings zu Wahib Pascha aufzuschließen, sobald er seine Freiwilligeneinheit vervollständigt habe. Cemal notierte mit einiger Sorge, dass Scherif Husseins Sohn nie aus Medina weitergezogen sei.38
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Der Hauptteil der osmanischen Expeditionstruppe versammelte sich im Januar 1915 in Beerscheba (heute im südlichen Israel), in der Nähe der osmanisch-ägyptischen Grenze. Hier arbeiteten der osmanische und deutsche Stab daran, die Logistik der Expedition vorzubereiten. Der Stabschef des 8. türkischen Armeekorps, Oberstleutnant Friedrich Freiherr Kreß von Kressenstein, ließ zwischen Beerscheba und Ismailia, wo sich das Verwaltungshauptquartier des Suezkanals befand, etwa alle 25 Kilometer Versorgungsdepots anlegen. In jedem Depot gruben Ingenieure Brunnen und schaufelten Gräben, um den Winterregen aufzufangen und damit ausreichend Wasservorräte für die Armee bereitzuhalten. Außerdem wurden überall medizinische Einrichtungen und Nahrungslager vorbereitet. Aus ganz Syrien und Arabien beschlagnahmte man über 10 000 Kamele, um den Transport zwischen den Lagern zu ermöglichen. Und man legte provisorische Telegrafenleitungen für eine schnellere Kommunikation. Die größte Herausforderung, vor der die Osmanen standen, war der Transport von 25 Pontons, die zur Überquerung des Suezkanals gedacht waren. Die Pontons aus verzinktem Eisen waren zwischen 5,5 und 7 Metern lang und 1,5 Meter breit. Die osmanischen Soldaten zogen die flachbödigen Boote mithilfe von Kamelen und Maultieren auf speziell konzipierten Anhängern, indem sie Bretter auf den weichen Sand legten, mit denen das Steckenbleiben des Gefährts verhindert wurde. Die Soldaten übten, das unhandliche Fahrzeug über Land zu ziehen und mit den Booten Brücken zu bauen. Die Landstreitmacht, die in Syrien langsam Form annahm, wurde von den Briten zuerst nur wenig beachtet. Ein französischer Priester, den die Osmanen aus Jerusalem ausgewiesen hatten, konnte als Erster detaillierte Angaben über Cemals Vorbereitungen machen. Die Briten befragten den Priester am 30. Dezember in der Kanalzone. Er kannte die Syrische Wüste nach vielen Jahren archäologischer Arbeit sehr gut und sprach zudem fließend Arabisch. Er gab an, gesehen zu haben, wie in Damaskus und Jerusalem bis zu 25 000 Mann versammelt worden waren, dazu aufwendiges Material wie Boote, Kabel und Ausrüstung für Telegrafenanlagen, das ebenfalls Richtung Beerscheba abtransportiert wurde. Nach seinen Angaben seien Wasservorräte angelegt und in Damaskus gebackene Kekse auf Lager im Sinai verteilt worden. Zunächst hielten die Briten seine Be-
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obachtungen für lächerlich, doch je genauer seine Angaben wurden, umso ernster nahmen sie seine Berichte.39 Nun begannen Briten und Franzosen, zum ersten Mal seit Kriegsbeginn, im Nahen Osten Flugzeuge einzusetzen, um aus der Luft Bestätigungen für die Angaben des französischen Priesters zu erhalten. Zum Glück für die Osmanen waren die Gebiete im Zentrum des Sinai, wo der Boden am stabilsten und damit am besten zur Überquerung geeignet war, zugleich am weitesten vom Radius der Luftüberwachung entfernt, was für den Suezfeldzug noch am Vorabend seines Beginns ein überraschendes Maß an Geheimhaltung ermöglichte. Die in Ismailia stationierten britischen Flugzeuge verfügten nicht über ausreichend Reichweite, um das Zentrum des Sinai überfliegen zu können, und die französischen Wasserflugzeuge, die von Port Said und dem Golf von Akaba aus operierten, konnten nur die nördlichen und südlichen Ausläufer der Sinaihalbinsel beobachten, wo kleinere türkische Kontingente stationiert waren. Die Osmanen und Deutschen hatten noch keine Flugzeuge zur Unterstützung ihrer eigenen Truppen vorgesehen und überließen den Alliierten die Herrschaft über den Luftraum. Als am 14. Januar 1915 die erste Staffel osmanischer Kräfte Beerscheba in Richtung Kanal verließ, hatten die Briten kaum eine Vorstellung davon, um wie viele Soldaten es sich dabei handelte oder wohin sie unterwegs waren. Die Hauptstreitmacht der Osmanen marschierte durch das Zentrum des Sinai, wohingegen sich zwei kleinere Truppenteile abspalteten und von Al-Arisch ausgehend die Mittelmeerküste entlang beziehungsweise über die Wüstenfestung Qalaat al-Nakhl zogen. Jeder Mann trug eine kleine Ration aus Datteln, Keksen und Oliven mit sich, die nicht schwerer als ein Kilogramm sein durfte, und das Wasser wurde sorgfältig rationiert. Den Truppen waren die Winternächte zu kalt, um zu schlafen, also marschierten sie in der Nacht und ruhten sich tagsüber aus. Sie brauchten für die Durchquerung der Wüste zwölf Tage und verloren dabei keinen einzigen Mann und kein einziges Tier – was der vorausschauenden Planung zu verdanken war. In den letzten zehn Januartagen berichteten die Piloten französischer Wasserflugzeuge von alarmierenden Konzentrationen türkischer Truppen innerhalb jener Gebiete, die ihre Maschinen erreichen konnten. Die tieffliegenden Flugzeuge kamen mit Löchern in ihren Tragflächen zurück zu
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ihrer Basis, da die Bodentruppen sie beschossen hatten. Berichte von feindlichen Truppen, die sich an mehreren Punkten auf der Sinaihalbinsel zusammenzogen, veranlassten die Briten, ihre Verteidigungsanlagen entlang des Kanals zu verstärken.40 Der Suezkanal zwischen Port Said am Mittelmeer und Suez am Roten Meer hatte damals eine Länge von etwa 164 Kilometern. Dabei verbindet er zwei lange Salzwasserseen, deren 46 Kilometer lange sumpfige Ufer sich nicht für militärische Manöver eigneten. Britische Ingenieure hatten 16 Kilometer der tiefliegenden Ufer am Ostufer des Kanals geflutet, wodurch sie die Gesamtstrecke der zu verteidigenden Linie auf rund 100 Kilometer reduzierten. Die Briten entschlossen sich zudem, die Vertiefung an der nordöstlichen Seite des Kanals zu nutzen, um einen weiteren 32 Kilometer langen Abschnitt zu fluten und damit die zu verteidigende Strecke des Kanals auf nur 70 Kilometer zu verringern. Britische und französische Kriegsschiffe machten sich auf, um wichtige Stellen am Kanal zwischen El Qantara und Ismailia, nördlich des Timsahsees, und zwischen Tussum und Serapeum, nördlich des Großen Bittersees, zu besetzen, wo die Briten einen Angriff für sehr wahrscheinlich hielten. Indische Soldaten wurden dabei durch Australier und Neuseeländer, aber auch durch eine Batterie ägyptischer Artillerie verstärkt.41 Unsicher warteten die Briten darauf, was die Osmanen als Nächstes tun würden. H. V. Gell, der junge Signaloffizier, der am Zusammenstoß vor Aden beteiligt gewesen war, befand sich im nördlichen Suezkanal in der Nähe von El Qantara. Auch wenn er es kaum erwarten konnte, endlich „Taten zu sehen“, stellte Gell in seinem Tagebuch klar, dass weder er noch seine Befehlshaber eine Vorstellung davon hatten, auf was die Osmanen aus waren. Er hielt in den letzten Januartagen 1915 ein paar kleinere Scharmützel und eine Reihe von Fehlalarmen fest. Während einer Patrouille in einem gepanzerten Zug am Westufer des Kanals erhielt er eine dringende Nachricht aus dem Hauptquartier seiner Brigade: „Sofort ins Lager zurückkehren. Kantara [sic] wird nun tatsächlich von Feinden bedroht.“ Ein weiterer falscher Alarm. Als am 26. Januar britische Stellungen von türkischen Artilleriegeschützen beschossen wurden, entsandte man Gell zu einem Posten mehrere Kilometer südlich von El Qantara. „Man sagt mir, 3000 Feinde seien bei Ballah gesichtet worden.“ Obwohl sie über die Berichte von feindlichen Soldaten im Sinai zunehmend besorgt waren, wuss-
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ten die Briten nicht, wo sich die Osmanen befanden, wie viele Soldaten sie mitbrachten und wo sie angreifen wollten. Zumindest in dieser Hinsicht war Cemal Pascha seine Überraschung gelungen.42 Als Vorsichtsmaßnahme zogen die Briten ihre gesamten Truppen auf das Westufer des Suezkanals zurück. Sie ketteten in regelmäßigen Abständen Hunde am Ostufer fest, die bei jeder Regung bellten. Im Falle eines nächtlichen Angriffs würden Flugzeuge bei der Entdeckung von Truppenbewegungen nicht hilfreich sein, weshalb ganz altmodisch Wachhunde genügen mussten.43 Am 1. Februar gaben osmanische Kommandeure den Angriffsbefehl bekannt. Um das Überraschungsmoment zu wahren, „muss sowohl aufseiten der Offizieren wie der Soldaten absolutes Schweigen herrschen. Es darf nicht gehustet werden, und Befehle werden nicht mit lauter Stimme gegeben.“ Die Soldaten sollten erst die Überquerung vom Ost- ans Westufer abwarten, bevor sie ihre Waffen laden durften – vermutlich wollte man somit versehentliche Gewehrschüsse vermeiden, die die Briten alarmiert hätten. Auch Rauchen war verboten, eine harte Prüfung für die nervösen Soldaten. Alle osmanischen Truppen mussten als Erkennungszeichen ein weißes Band an ihrem Oberarm tragen, um den Beschuss durch eigene Truppen zu vermeiden. Und als Reminiszenz an den Dschihad-Symbolismus lautete das Codewort für den Angriff „Das Heilige Banner“. „Mit Allahs Gnade werden wir den Feind in der Nacht vom 2. auf den 3. Februar angreifen und den Kanal erobern“, erläuterten die Befehle. Während die Hauptstreitmacht bei Ismailia eine Überquerung versuchen sollte, wollten nördlich bei El Qantara und südlich bei Suez weitere Divisionen zuschlagen. Zudem befahl man einer Haubitzen-Batterie, am Timsahsee Stellung zu beziehen und feindliche Kriegsschiffe zu beschießen. „Wenn sie [die schwere Artillerie-Batterie] die Gelegenheit dazu bekommt, soll sie ein Schiff an der Einfahrt des Kanals versenken.“ Die Einnahme des Kanals war nur ein Teil der Operation. Schiffe zu versenken war hingegen eine deutlich realistischere Möglichkeit als die Eroberung der gut befestigten britischen Stellungen am Kanal.44 Am Tag vor dem Angriff kam ein heftiger Wind auf, und der folgende Sandsturm raubte jegliche Sicht. Ein französischer Offizier beklagte sich später: „Es war eine fruchtbare Qual, schon allein die Augen aufzuhalten.“
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Die osmanischen und deutschen Befehlshaber nutzen die Deckung durch den Sandsturm dazu, ihre Truppen in Richtung des Kanals bis südlich vor Ismailia vorrücken zu lassen, bevor sich der Wind legte und eine klare Nacht begann. Die Bedingungen für den Angriff waren ideal.45 „Wir erreichten den Kanal spät in der Nacht“, berichtete Fahmi al- Tarjaman, ein aus Damaskus stammender Veteran der Balkankriege, „und bewegten uns leise, auch rauchen und reden waren verboten.“ Niemand machte auf dem Sand auch nur ein einziges Laufgeräusch. Ein Deutscher kam vorbei. Wir sollten zwei der Metallboote ins Wasser lassen. Der Deutsche nahm eines mit ans andere Ufer hinüber und kehrte nach etwa einer Stunde zurück. Er nahm das zweite und füllte es mit Soldaten und nahm auch dieses mit ans andere Ufer. Als alle Boote voll waren, brachte er die Soldaten zur anderen Seite des Kanals. Auf diese Weise, indem er die vollen Boote hinüberbrachte und mit leeren Booten zurückkam, führte er zweihundertfünfzig Soldaten zur anderen Seite, wo sie Wache an der Stelle hielten und dafür sorgten, dass niemand die Arbeit störte.46
Die Überquerung nahm mehr Zeit in Anspruch als die osmanischen Befehlshaber veranschlagt hatten, und so war man auch bei Tagesanbruch noch dabei, die Pontonbrücke über den Suezkanal fertigzustellen. Dass es auf der Westseite des Kanals ruhig geblieben war, bestärkte die türkischen Angreifer in ihrer Überzeugung, auf einen ungeschützten Teil des Kanals gestoßen zu sein. Eine Gruppe von Dschihad-Freiwilligen aus Tripolis in Libyen, die sich selbst die „Meister des Islam“ nannten, durchbrach die Stille und brüllte sich Mut machende Losungen zu. Etwas entfernt schlugen Hunde an. Und plötzlich, während das sechste Boot an die Pontonbrücke angeschlossen wurde, brach auf dem Westufer des Kanals Maschinengewehrfeuer los.47 „Die Kugeln waren überall, schlugen ins Wasser ein und explodierten und ließen das Wasser des Kanals schäumen wie kochendes Wasser in einem Wasserkessel“, erinnerte sich Fahmi al-Tarjaman. „Die Boote wurden getroffen und begannen zu sinken, und die meisten unserer Männer konnten das Feuer nicht erwidern, wobei jene, die es konnten, durchaus zurückschossen. Jene, die schwimmen konnten, retteten ihr Leben, und jene, die es nicht konnten, gingen unter und sanken zusammen mit den
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Booten.“ Al-Tarjaman und eine Gruppe von Soldaten rannten von der exponierten Küstenlinie fort, „schneller als wir je gerannt waren“. Er erkannte einige gepanzerte Schiffe, die den Kanal hinauffuhren und ihre Kanonen auf die osmanischen Stellungen ausrichteten. „Von oben bombardierten uns Flugzeuge, genauso wie die Schiffe auf dem Wasser.“ Als mit der Kommunikation beauftragter Soldat baute al-Tarjaman seine Ausrüstung in der vergleichsweise sicheren Stellung in den Dünen jenseits des Kanals auf und „stellte Kontakt mit den Truppen hinter uns her, um sie von der Situation zu unterrichten, während die Geschütze am Kanal unablässig Granaten auf uns feuerten.“48 Ein Teil des schweren Feuers auf die osmanischen Stellungen kam von einer ägyptischen Artillerie-Batterie in einer Stellung hoch auf der Westseite des Kanals, von wo aus sie einen guten Überblick über die osmanische Pontonbrücke hatte. Ahmad Schafiq, der erfahrene ägyptische Staatsmann, berichtete davon, wie der Erste Leutnant Ahmad Efendi Hilmi seiner Batterie befahl, so lange zu warten, bis die Türken den Kanal überquert hatten, und dann erst das Feuer zu eröffnen, im anschließenden Kreuzfeuer allerdings selbst das Leben verlor. Hilmi war einer von drei bei der Verteidigung des Kanals getöteten Ägyptern, zwei weitere wurden verwundet. Die Mitglieder der 5. Artillerie-Batterie wurden später vom ägyptischen Sultan Fuad für ihr Heldentum ausgezeichnet. Doch Schafiq erinnerte seine Leser zugleich daran: „Die Teilnahme der ägyptischen Armee bei der Verteidigung Ägyptens widersprach dem englischen Versprechen [vom 6. November 1914], die Verantwortung für den Krieg ganz alleine zu tragen, ohne jegliche Unterstützung des ägyptischen Volks.“ So sehr die Ägypter auch den Heldenmut ihrer Soldaten feierten, so sehr waren sie doch darüber erzürnt, dass die Briten sie in einen Krieg hineingezogen hatten, an dem teilzunehmen Ägypten keinen Grund hatte.49 Im Verlauf der Schlacht vom 3. Februar zerstörten die britischen Kriegsschiffe alle osmanischen Pontons. Die türkischen Soldaten, die den Kanal hatten überqueren können, wurden entweder gefangen genommen oder getötet. Da sie nun ihr vorrangiges Ziel, einen Brückenkopf über den Kanal zu sichern, nicht mehr erreichen konnten, konzentrierten die Osmanen ihre Bemühungen darauf, ein alliiertes Schiff zu versenken, um den Wasserweg zu blockieren. Der schweren Haubitzen-Batterie gelangen Treffer auf die britische HMS Hardinge, und die Einschüsse in beide
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Schornsteine beschädigten ihre Steuerung sowie die vorderen Kanonen und legten die Funkverbindung des Schiffs lahm. Um die unmittelbare Gefahr des Sinkens abzuwenden, setzte die Hardinge Anker im Timsahsee, außerhalb der Reichweite der osmanischen Artillerie. Nun fokussierte sich die osmanische Batterie auf den französischen Kreuzer Requin und fügte dem Schiff mit gefährlicher Genauigkeit Schaden zu. Erst als die Franzosen leichten Rauch ausmachen konnten, waren sie in der Lage, das Feuer zu erwidern und die Haubitzen zum Schweigen zu bringen. In der Zwischenzeit hatte die leichtere Artillerie die britische Clio unter Beschuss genommen, die ebenfalls einige Treffer hinnehmen musste, bevor es ihr gelang, die gegnerischen Geschütze zu lokalisieren und zu zerstören.50 Am frühen Nachmittag waren alle Angriffe der Osmanen von den Briten zurückgeworfen und ein Großteil der türkischen Artillerie-Batterien zerstört worden. Cemal Pascha berief in seinem Hauptquartier eine Besprechung mit seinen türkischen und deutschen Offizieren ein. Der türkische Kommandeur des 8. Korps, Mersinli Cemal Bey, erklärte, die Armee sei nicht länger in der Lage, den Kampf fortzusetzen. Cemals deutscher Stabschef stimmte zu und schlug ein augenblickliches Ende der Schlacht vor. Nur Mersinli Cemal Beys deutscher Stabschef Kreß von Kressenstein bestand darauf, die Offensive bis zum letzten Mann fortzusetzen. Schnell wurde er von Cemal Pascha überstimmt, der es für wichtiger hielt, die 4. Armee für die Verteidigung Syriens zu schonen, und einen Rückzug zum Einbruch der Nacht befahl.51 Die Briten, die einen erneuten Angriff für den 4. Februar erwarteten, stellten an diesem Morgen überrascht fest, dass fast das gesamte türkische Heer über Nacht verschwunden war. Als die Briten am Ostufer des Kanals patrouillierten, griffen sie vereinzelte Abteilungen türkischer Soldaten auf, denen ihre Befehlshaber nichts vom Rückzug mitgeteilt hatten. Allerdings entschieden sich die Briten gegen eine Verfolgung der sich zurückziehenden Osmanen, da sie noch immer nicht einschätzen konnten, wie viele Truppen an diesem Angriff beteiligt waren, und befürchteten, die gesamte Expedition könne als eine Art Falle geplant worden sein, um die britischen Soldaten in den Weiten des Sinai in einen Hinterhalt zu locken. Die Osmanen wiederum zeigten sich erleichtert, dass sie nicht verfolgt wurden und machten sich langsam auf den Rückweg nach Beerscheba.
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Auf beiden Seiten waren die Opferzahlen vergleichsweise gering. Die Briten beklagten 162 Tote und 130 Verletzte beim Kampf um den Kanal. Bei den Osmanen lagen die Zahlen höher: Die Briten gaben an, 238 Osmanen begraben und 716 gefangen genommen zu haben, wobei man davon ausging, dass viele im Kanal ertrunken sein dürften. Cemal selbst führte 192 Tote, 381 Verwundete und 727 Vermisste auf.52
* Nach den Niederlagen im Kaukasus und am Suezkanal entschlossen sich die osmanischen Befehlshaber im Kriegsministerium, nun Basra von den Briten zurückzuerobern. Die Geschwindigkeit, mit der die britischindische Armee in den südlichen Irak vorgedrungen war, hatte die Jungtürken unvorbereitet getroffen und ihre Verwundbarkeit am Persischen Golf offenbart. Die Herausforderung bestand für sie jetzt darin, Basra einzunehmen und die Briten aus Mesopotamien zu vertreiben, und dies mit einer regulären, aber zugleich möglichst kleinen Streitkraft. Kriegsminister Enver Pascha beauftragte damit einen der führenden Offiziere seines Geheimdienstes, des Teşkilât-ı Mahsusa. Sein Name: Süleyman Askerî. 1884 in Prizren (im heutigen Kosovo) als Sohn eines osmanischen Generals geboren, schloss Süleyman Askerî die türkische Elite-Militärakademie ab und konnte als perfekter Soldat gelten – selbst sein Nachname Askerî bedeutete sowohl auf Türkisch als auch auf Arabisch „Militär“. Sein revolutionärer Lebenslauf war makellos: Als junger Offizier hatte Askerî in Monastir gedient (dem heutigen Bitola in Nordmazedonien) und sich 1908 an der jungtürkischen Revolution beteiligt. Anschließend diente er 1911 freiwillig als Offizier im libyschen Guerillakrieg gegen die Italiener. Hier arbeitete er als Verbindungsoffizier zwischen Envers Truppen in Derna und dem türkischen Stabschef in Bengasi. Während der Balkankriege schloss er sich dem Teşkilât-i Mahsusa an, wo er die Karriereleiter hinaufkletterte, bis er 1914 nach Enver zum zweiten Mann in der Kommandohierarchie geworden war. Zeitgenossen beschrieben ihn als unbesonnen und impulsiv, womit Askerî ein Befehlshaber genau nach Envers Geschmack gewesen sein dürfte. Er entwarf komplexe Kriegspläne und träumte von ruhmreichen Siegen über die Feinde des Reichs.53
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Zwischen 1909 und 1911 hatte Askerî die Gendarmerie in Bagdad befehligt. Und das machte ihn zum Zeitpunkt des osmanischen Kriegseintritts zum jungtürkischen Experten für Mesopotamien. Nach der britischindischen Eroberung von Basra und Al-Qurna drängte Askerî auf einen Gegenangriff, um die Invasoren ins Meer zurückzutreiben. Er zeigte sich überzeugt, ein erfolgreich abgeschlossener Kriegszug in Basra würde die Begeisterung aller Muslime zwischen der Arabischen Halbinsel und Zentralasien wecken, den osmanischen Dschihad-Plänen neues Leben einhauchen und Druck auf Britisch-Indien und den russischen Kaukasus ausüben. Da sowohl Enver als auch sein Kollege, Innenminister Talât Pascha, ihn für den geeigneten Mann für diesen Posten hielten, wurde Askerî am 3. Januar 1915 zum Gouverneur und Militärbefehlshaber von Basra ernannt. Der ehrgeizige Offizier brach umgehend nach Basra auf. Askerî sah sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, eine Truppe aufzustellen, die zu einem Sieg über die Briten in der Lage war, wobei er jedoch nur auf ein Minimum an regulären Soldaten zurückgreifen konnte. Sein Lösungsansatz bestand darin, bei den Stämmen in und um Basra Soldaten für eine zahlenmäßig große Truppe zu rekrutieren. Zweifellos hoffte Askerî darauf, erneut eine Dynamik auslösen zu können, wie er sie in Bengasi während des Libyenkriegs erlebt hatte, bei der sich Stämme erhoben hatte, um unter dem Banner des Sultans gegen die europäischen Kolonialtruppen zu kämpfen. Um dem religiösen Aspekt des Dschihad gegen die Feinde des Reichs noch mehr Nachdruck zu verleihen, wies er Zahlungen an die Stammesführer an. Er nahm sich hingegen keine oder nur wenig Zeit für die Ausbildung seiner Rekruten und marschierte bald gegen die Briten. Wenige Tage nach seiner Ankunft in Mesopotamien wurde Askerî am 20. Januar 1915 bei einem Gefecht mit den Briten am Tigris, 17 Kilometer nördlich von Al-Qurna, schwer verwundet. Zwar musste er zur Behandlung zurück nach Bagdad gebracht werden, doch der eifrige türkische Kommandeur war wegen seiner Verletzung nicht bereit, die Angriffsbemühungen zurückzustellen. Seine Offiziere rekrutierten weiterhin Stammesmitglieder für den Kampf der osmanischen Armee, und Askerî traf sich regelmäßig mit seinen Befehlshabern, um die Befreiung von Basra zu planen. Da sie wussten, dass die Briten den Großteil ihrer Truppen in Al-Qurna stationiert hatten – am strategisch wichtigen Zusammenfluss von Tigris und Euphrat zum Schatt al-Arab – und dass die Überflutungs-
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gebiete rund um Al-Qurna für die Infanterie praktisch unpassierbar waren, wollten Askerî und seine Offiziere stattdessen die kleinere britische Garnison und deren Hauptquartier in Basra angreifen. Der noch immer nicht vollständig genesene Askerî kehrte im April 1915 an die Front zurück, um den Angriff auf Basra zu befehligen. Er führte eine Truppe aus rund 4000 regulären türkischen Soldaten und rund 15 000 freiwilligen arabischen Kriegern an. Als dieses Heer westlich der britischen Stellungen an Al-Qurna vorbeizog, wurde es von Kundschaftern entdeckt, die am 11. April das britische Hauptquartier in Basra informierten. Eine vereinte britisch-indische Truppe mit 4600 Infanteristen und 750 Kavalleristen verschanzte sich in Schaiba (arabisch: Shuayba), westlich von Basra, in gut gesicherten Stellungen, um Süleyman Askerîs Männer abzuwehren. Die Osmanen richteten ihr Lager in den Wäldern südwestlich von Schaiba ein. Im Morgengrauen des 12. April griffen sie an, während der noch geschwächte Askerî die Schlacht von seiner Position in den Wäldern aus beobachtete. Mobile Artillerie feuerte auf britische Stellungen, und Maschinengewehre beschossen die Schützengräben, während Welle um Welle türkischer Infanterie versuchten, die britischen Linien zu durchbrechen. Als die Sonne aufging, feuerten beide Seiten auf Luftspiegelungen, da durch die Luftfeuchtigkeit und das grelle Sonnenlicht ihr Sehvermögen beeinträchtigt war. Die gut trainierten osmanischen Soldaten kämpften diszipliniert, doch je länger die Kämpfe anhielten, umso mehr Stammeskrieger verließen das Schlachtfeld.54 Süleymann Askerîs Glaube an die „Heiligen Krieger“ der Beduinen wurde enttäuscht. Die irakischen Stämme verspürten nur wenig Loyalität dem Sultan gegenüber oder erblickten in ihm kaum den Kalifen. Zudem kamen ihnen die Briten eher nicht wie eine Bedrohung vor, hatten sich doch viele der arabischen Herrscher an der Spitze des Persischen Golfs – wie die Scheichs von Kuwait, Katar und Bahrain – aktiv um britischen Schutz vor der osmanischen Herrschaft bemüht. Folglich hatten vor allem opportunistische Gründe dazu geführt, dass die Beduinen zusammen mit Süleyman Askerîs Truppen in den Krieg gezogen waren, und sie behielten sich jedes Recht vor, die Seiten zu wechseln, sobald das Schicksal eher die Briten begünstigte. Je länger der Durchbruch in der Schlacht auf sich warten ließ, umso weniger Stammeskrieger waren von der Bedeutung der osmanischen Sache überzeugt.
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Am folgenden Tag begannen die Briten mit einer Gegenoffensive. Da ihnen keine Flugzeuge zur Verfügung standen, hatten sie keine genaue Kenntnis vom Schlachtfeld (die Schlacht von Schaiba war eine der letzten, die eine britische Armee ohne vorherige Luftaufklärung führte). Der Staub, die Hitze und die Luftspiegelungen verwirrten die britischen Befehlshaber immer wieder. Sie konnten den Rückzug der regulären türkischen Truppen nicht erkennen, und die verbleibenden türkischen Soldaten kämpften mit größter Entschlossenheit. Der britische Kommandeur, Generalmajor Sir Charles John Mellis, stand kurz davor, den Rückzug zu befehlen, als ihn die Nachricht erreichte, seinen Truppen wäre der Durchbruch durch die türkischen Stellungen gelungen. „Niemals möchte ich diese unruhigen Momente noch einmal erleben müssen“, schrieb er anschließend seiner Frau. „Nachrichten von schweren Verlusten an allen Frontabschnitten trafen ein und dazu der Zweifel, ob ein Vorrücken überhaupt noch möglich sei. Ich musste meinen letzten Mann in den Kampf werfen – und noch immer war alles ungewiss.“55 Nach zweiundsiebzigstündigen Kämpfen ließen die erschöpften britisch-indischen Truppen die osmanische Armee ziehen. Beide Seiten hatten während dieser drei Tage schwere Verluste erlitten: Die Osmanen zählten 1000 Tote und Verwundete, während die Briten bei Schaiba 1200 Mann verloren. Die britischen Sanitäter mussten nach dem Ende der Schlacht den Opfern des Krieges ins Gesicht sehen. So erinnerte sich ein Sanitätsoffizier später, wie „Wagenladungen sowohl mit toten als auch mit verwundeten Türken herangefahren wurden. Es war schrecklicher, als sich mit Worten beschreiben lässt.“56 Auch wenn die Briten sie in Ruhe den Rückzug antreten ließen, so konnten sich die kampfmüden Türken nicht darüber freuen. Entlang der 145 Kilometer langen Straße zurück zu ihrer Garnison in Khamisiya überfielen beduinische Stammeskrieger die osmanische Infanterie. Die türkischen Offiziere zeigten sich überzeugt, die Angreifer seien dieselben „Freiwilligen“, die sie in der Schlacht von Schaiba im Stich gelassen hatten. Für Askerî kam zur Schmach der Niederlage nun noch die Perfidität der arabischen Stämme hinzu. Er versammelte seine türkischen Offiziere in Khamisiya, um seiner Wut über die Beduinen und deren Rolle in der Schlacht freien Lauf zu lassen. Es war nicht zu einer Wiederholung des Libyenkrieges gekommen, bei dem Jungtürken Seite an Seite mit den arabischen
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Stammeskriegern gegen einen ausländischen Feind gekämpft hatten. Es war nicht zu einem großen islamischen Aufstand aus dem befreiten Basra heraus gekommen, der über den Persischen Golf hinaus Indien in Brand zu stecken vermochte. Nun, da all seine Träume von Ruhm geplatzt waren, nahm sich Askerî mit seiner Pistole in Khamisiya das Leben. Schaiba war ein einschneidendes Ereignis. Die Osmanen sollten fortan keinen weiteren Versuch unternehmen, Basra zurückzuerobern, und die britischen Ölinteressen auf der persischen Seite des Schatt al-Arab waren für die Dauer des Krieges gesichert. Die Gefahr eines Aufstands der arabischen Stämme und der Städte gegen die britisch-indische Besetzung der Provinz Basra war, zumindest für den Moment, gebannt. Die deutschen und türkischen Hoffnungen, ein großer osmanischer Sieg könnte einen umfassenden Dschihad gegen die Entente-Mächte befördern, mussten ebenfalls begraben werden. Die Briten hingegen durften diesbezüglich beruhigt sein. Im Rückblick nannte ein britischer Befehlshaber Schaiba „eine der entscheidenden Schlachten des Krieges“.57 Das Zusammenspiel aus schweren Verlusten und der Selbsttötung ihres Kommandeurs untergrub die Moral in den Reihen der osmanischen Armee in Mesopotamien nachhaltig. Anstatt die Briten aus Basra zu vertreiben, hatte Süleyman Askerîs fehlgeschlagener Angriff Mesopotamien noch verwundbarer für eine weitere Invasion werden lassen. Die Indian Expeditionary Force, weiterhin in voller Kampfkraft und ermutigt von ihren Siegen, nutzte den Zustand der geschlagenen osmanischen Armee, um ihren Eroberungsfeldzug weiter in den Irak hineinzutragen. Im Mai rückte die britisch-indische Truppe auf Amara am Tigris und bis Nassirija am Euphrat vor. Die Osmanen mussten in aller Eile reagieren, um Bagdad vor einer Invasion zu schützen – eine Aufgabe, die durch die Niederlage von Schaiba und den Mangel an einsatzbereiten Soldaten umso schwieriger wurde. Und schließlich versuchte die osmanische Führung zugleich verzweifelt, ihre 3. Armee im Kaukasus neu aufzubauen.
* Zwischen Dezember 1914 und April 1915 ergriffen die Osmanen an drei Fronten erfolglos die Initiative. In der Schlacht bei Sarıkamış wurde die 3. türkische Armee fast vollständig aufgerieben, wohingegen Cemal Pascha
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durch den Rückzug vom Suezkanal nach dem ersten Angriff seine 4. Armee zumindest fast unbeschadet retten konnte. Süleyman Askerîs Bemühungen um eine Rückeroberung Basras schlugen ebenso fehl. Diese Feldzüge offenbarten, wie unrealistisch die Erwartungen der osmanischen Befehlshaber gewesen waren, aber auch, dass der durchschnittliche osmanische Soldat noch unter den schwierigsten Bedingungen unglaublich hartnäckig und diszipliniert kämpfte. Diese Schlachten ließen darüber hinaus deutlich werden, wie begrenzt der Aufruf des Sultans zum Dschihad wirkte. Dort, wo die osmanischen Truppen eine Niederlage erlitten, begannen die örtlichen Muslime auch keinen Aufstand gegen die EntenteMächte. Und die Alliierten wiederum zeigten sich überzeugt, dass sie, nachdem sie den Osmanen schwere Niederlagen zugefügt hatten, die Bedrohung durch einen Dschihad ein für alle Mal gebannt hatten. Ihr selbstgefälliges Urteil über die mangelnde Schlagkraft der osmanischen Armee veranlasste die Alliierten, einen großangelegten Angriff in Betracht zu ziehen, um die Türken endgültig aus dem Krieg auszuschalten. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Hauptstadt Istanbul sowie die Meerenge, die das Mittelmeer mit der alten Stadt verband – die Dardanellen. So war es also der türkische Angriff auf Sarıkamış, der den britischen Militärstab erst dazu anregte, eine Invasion der Meerenge ins Auge zu fassen.
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KAPITEL 6 DER ANGRIFF AUF DIE DARDANELLEN
Der britische Kriegsrat (War Council) trat am 2. Januar 1915 zusammen, um über ein dringendes Hilfegesuch des Obersten Befehlshabers der russischen Armee zu beraten. Von Premierminister Herbert Henry Asquith einberufen, bestand der Rat aus den wichtigsten Mitgliedern des Kabinetts und sollte die Entwicklungen der britischen Kriegsanstrengungen begleiten. Obgleich er also technisch gesehen nur ein Kabinettsausschuss war, hatte sich der Kriegsrat doch zu einem eigenständigen Entscheidungsgremium entwickelt, das politische Entscheidungen dem Kabinett nur mehr noch als Faits accomplis servierte. Schon die Zivilisten im Kriegsrat waren durchsetzungsstarke Persönlichkeiten: Marineminister Winston Churchill, Schatzkanzler David Lloyd George, Außenminister Sir Edward Grey und andere. Doch die dominante Stimme in dieser Runde gehörte einem Militär: Feldmarschall und Kriegsminister Horatio Herbert Kitchener. Lord Kitchener, dessen auffallender Schnurrbart mitsamt der Zeigefingergeste 1914 das beherrschende Motiv der britischen Rekrutierungsplakate war, galt als berühmtester Soldat des britischen Weltreichs. Er hatte Großbritannien zum Sieg in der Schlacht von Omdurman geführt und 1898 den Sudan zurückerobert. Er befehligte die britischen Truppen im Zweiten Burenkrieg (1899–1902) und diente bis 1909 als Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte in Indien. Unter den Zivilisten im Kriegsrat war er der Krieger. Bei besagtem Treffen am 2. Januar drehten sich die Beratungen um die unsichere Lage im russischen Kaukasus. Großfürst Nikolai, der Oberste Befehlshaber der russischen Streitkräfte, hatte sich in Sankt Petersburg mit dem britischen Militärattaché getroffen, um ihn von der prekären russischen Position zu unterrichten. Kurz zuvor waren die Nachrichten aus Sarıkamış eingetroffen, und die jüngsten Berichte vom 27. Dezember leg-
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ten nahe, dass die Türken im Begriff waren, eine russische Armee im Kaukasus einzuschließen. Nikolai ersuchte Kitchener, eine Offensive gegen die Osmanen zu beginnen, um den Druck auf die Russen zu verringern. Die Politiker in Whitehall konnten nicht wissen, dass zu diesem Zeitpunkt die russische Armee kurz vor dem vollständigen Sieg über Envers Truppen stand. Der Kriegsrat wollte die Bitte um alliierte Unterstützung nicht zurückweisen und kam überein, britische Truppen für eine Offensive gegen die Osmanen zu entsenden. Unmittelbar nach Ende der Zusammenkunft schickte Kitchener ein Telegramm nach Sankt Petersburg, um dem Großfürsten zuzusichern, man werde den „Türken eine Machtdemonstration liefern“. Mit dieser schicksalhaften Entscheidung hatten die Briten den Startschuss für den Dardanellenfeldzug gegeben.1
* Von Anfang an plädierte Kitchener für eine Operation der Seestreitkräfte gegen die Türken. Er war der Überzeugung, Großbritannien könne keine Soldaten an der Westfront entbehren; es ließe sich aber eine Reihe britischer und französischer Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer für einen Einsatz gegen die Osmanen zusammenfassen. Die Schwierigkeit bestand in der Auswahl eines Ziels, das die osmanischen Interessen derart stark in Gefahr brachte, dass Istanbul sich gezwungen sah, Truppen aus dem Kaukasus abzuziehen, um den Angriff abzuwehren. Die Royal Navy hatte zuvor bereits türkische Stellungen in Mesopotamien, Aden, am Golf von Akaba und am Golf von Alexandrette im nordöstlichen Mittelmeer angegriffen sowie die äußeren Befestigungen der Dardanellen bombardiert, ohne dass es zu nennenswerten Truppenbewegungen aufseiten der Osmanen gekommen wäre. Kitchener zeigte sich überzeugt, ein neuerlicher Angriff auf die Dardanellen könne wirkungsvoll sein, wenn damit die Hauptstadt selbst bedroht wäre. So schrieb Kitchener an Churchill: „Der einzige Ort, an dem eine Machtdemonstration einige Auswirkungen auf die Verstärkung der Truppen Richtung Osten hätte, sind die Dardanellen“ – die Einfahrt nach Istanbul.2 Kitchener wies Churchill als Marineminister an, mit seinen Admirälen die Machbarkeit einer solchen „Machtdemonstration“ an den Dardanellen zu erkunden. Seinen Marinekommandeuren im östlichen Mittelmeer
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gegenüber erhöhte Churchill den Einsatz noch und bat nicht nur um ihre Einschätzung zu einem Flottenbeschuss, sondern erkundigte sich auch nach der Möglichkeit, Istanbul selbst „allein durch den gewaltsamen Einsatz von Schiffen in der Meerenge“ zu bedrohen – mit anderen Worten: Es ging um eine Operation, bei der Kriegsschiffe in die schwer bewaffneten und verminten Dardanellen und dann ins Marmarameer eindringen sollten, um Istanbul anzugreifen. Die Dardanellen erstrecken sich auf einer Länge von 65 Kilometern zwischen dem Mittelmeer und dem Marmarameer. Um Istanbul vor einem Angriff vom Meer aus zu beschützen, hatten die Osmanen und Deutschen ihre Bemühungen auf eine 22 Kilometer lange Strecke zwischen dem Mittelmeer und der Meerenge konzentriert, an der das europäische und asiatische Ufer nur rund 1,5 Kilometer auseinanderliegen. An diesem strategischen Abschnitt der Meeresstraße hatte man die Geschützstellungen modernisiert und verstärkt. Die Osmanen und ihre deutschen Verbündeten hatten Scheinwerfer installiert, um nächtliche Operationen zu verhindern, außerdem waren unter Wasser Netze gespannt worden, um die Bewegung feindlicher U-Boote einzuschränken. Dazu kamen Hunderte von Minen, die die Meerenge fast unpassierbar machten. Admiral Sackville Carden, britischer Marinekommandeur im östlichen Mittelmeer, antwortete Churchill am 5. Januar, dass es nicht leicht werden würde, die osmanische Verteidigung zu durchbrechen. Die Straße könne dennoch „mit einer ausgedehnten Operation und einer großen Anzahl an Schiffen“ eingenommen werden. Admiral Carden entwickelte einen vierstufigen Plan: Zunächst müsse „eine Reduzierung der Festungen am Eingang“ erfolgen. Dies würde es den britischen und französischen Schiffen erlauben, die Mündung der Straße aufzubrechen und Schutz für die Minensuchboote zu gewährleisten, die eine sichere Durchfahrt garantieren sollten. Der zweite Schritt bestand aus der „Zerstörung der inneren Verteidigungsanlagen bis Kephez“, einem Punkt 6,5 Kilometer weit in der Meerenge gelegen. Nachdem die Briten den breiteren Teil der Straße gesichert hätten, müssten sie sich der engsten Stelle nähern, wo sich die Minenfelder konzentrierten und die Ufergeschütze dicht an den Schiffsrouten lagen. Im vierten und letzten Schritt würde die Flotte die verbleibenden Minenfelder räumen, die Verteidigungsanlagen an der Meerenge zerstören, um dann die verbleibenden 43,5 Kilometer der Dardanellen
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bis zur Einfahrt ins Marmarameer zurücklegen zu können. Carden gab an, diese ehrgeizigen Ziele innerhalb von Wochen und allein mit den Seestreitkräften erreichen zu können. Churchill legte Admiral Cardens Entwurf am 13. Januar dem Kriegsrat zur Genehmigung vor.3 Als sich der Kriegsrat zur Beratung des Plans traf, hatten die Russen Envers Armee an der Kaukasusfront bereits besiegt und benötigten die britische Hilfe nicht mehr. Doch die Vorstellung eines großen Sieges auf See in den Dardanellen und die Besetzung von Istanbul ließ Kitchener nicht mehr los. Da sich die Westfront in völligem Stillstand befand, lockte die Aussicht auf einen größeren Durchbruch im Osten. Die Reihe osmanischer Niederlagen zwischen November 1914 und Januar 1915 – in Mesopotamien, in Aden, im Golf von Alexandrette und bei Sarıkamış – schürten bei vielen in Whitehall die Erwartung, dass die Osmanen kurz vor dem Zusammenbruch stünden. Sollten die Alliierten in die Meeresstraße eindringen und Istanbul erobern können, wäre die Türkei endgültig besiegt. Istanbul stellte durchaus einen verlockenden Preis da, doch der größere Gewinn für die Kriegführung wäre die Seeverbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Stünden die Meerengen unter alliierter Kontrolle, könnten Briten und Franzosen Soldaten und Material über das Schwarze Meer liefern und mit ihren russischen Verbündeten koordinierte Angriffe auf Deutschland und Österreich führen. Russisches Getreide, das derzeit durch die Blockade der Seewege unerreichbar war, könnte britische und französische Truppen an der Westfront ernähren. Da er zugleich auch die Risiken sah, die ein solches Unternehmen mit sich brachte, versicherte Kitchener den eher skeptischen Kollegen im Kriegsrat, die Schiffe könnten im Falle einer Niederlage schnell zurückgezogen werden. Die Aussicht auf einen Feldzug, der keine Unterstützung durch Bodentruppen verlangte, waren ungemein verlockend. Da er auf einen Durchbruch hoffte, der das Kriegsende schneller herbeiführen würde, genehmigte der Kriegsrat am 13. Januar Admiral Cardens Plan. Die Royal Navy wurde beauftragt, „eine Flottenoperation im Februar vorzubereiten, bei der die Gallipolihalbinsel bombardiert und eingenommen werden soll, mit Konstantinopel als Ziel.“4 Gleich nachdem der Beschluss, eine neue Front im Nahen Osten zu eröffnen, getroffen worden war, informierten die Briten ihre Verbündeten. Churchill nahm Kontakt zu seinem französischen Kollegen auf und stellte
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das britische Vorhaben für die Dardanellen heraus. Die französische Regierung stimmte den Plänen in Gänze zu und versprach ein Marinegeschwader, das unter britischem Kommando am Feldzug teilnehmen sollte. Und am 19. Januar kündete Churchill dem Großfürsten Nikolai an, anstelle einer kleineren „Machtdemonstration“ würde Großbritannien nun versuchen, die Dardanellen zu erobern und nach Istanbul vorzudringen. Churchill bat die Russen, den britisch-französischen Feldzug mit einem zeitgleichen Angriff vom Schwarzen Meer aus auf die nördliche Meerenge des Bosporus zu unterstützen. Die Russen sagten zu, ihre Seestreitkräfte in den Bosporus zu entsenden, sobald die britische Flotte das Marmarameer erreicht hätte.
* Die Russen hatten ein sehr großes Eigeninteresse daran, dem alliierten Feldzug in den Meerengen zum Erfolg zu verhelfen. Sie hatten auf einen allgemeinen europäischen Konflikt gehofft, der ihnen die Möglichkeit bot, Istanbul und die Meeresstraßen in Besitz zu nehmen. Nun ergab sich diese Gelegenheit, und die Russen mussten befürchten, eine andere Macht – allen voran Griechenland – könnte Truppen nach Istanbul schicken, noch bevor Russland selbst seine Ansprüche gesichert hätte. Auch wenn die Russen Unterstützung für einen gemeinsamen Angriff auf die Meerengen zugesagt hatten, investierten sie doch weitaus mehr Energie in den Versuch, ihre Ansprüche auf Konstantinopel auf diplomatischem Wege zu sichern statt mit militärischen Mitteln.5 Die Planungen für die Gallipolioffensive führten unbeabsichtigt also dazu, dass es schon zu Kriegszeiten zu Beratungen unter den Alliierten über die Aufteilung des Osmanischen Reichs kam. Vor dem Hintergrund des britisch-französischen Angriffs auf die Dardanellen bemühte sich die Regierung des Zaren um die alliierte Anerkennung ihrer Ansprüche auf türkisches Territorium. Am 4. März 1915 schrieb der russische Außenminister Sergei Sasonow dem britischen und französischen Botschafter und bat um die Bestätigung, dass „die Frage von Konstantinopel und den Meerengen“ in Übereinstimmung mit den „altehrwürdigen Ansprüchen Russlands“ beantwortet werde. Sasonow führte die Grenzen des Gebietes aus, das Russland in Besitz zu nehmen wünschte: die Stadt Istanbul, die
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europäischen Ufer des Bosporus, das Marmarameer sowie die Dardanellen, außerdem das osmanische Thrakien bis zur Enos-Midia-Linie (der Grenze, die den besiegten Osmanen nach dem Ersten Balkankrieg 1912 aufgezwungen worden war). Damit wären die asiatische Seite der Meerengen, die asiatische Hälfte Istanbuls und die asiatischen Küsten des Marmarameers unter osmanischer Herrschaft geblieben, zugleich aber hätte die russische Vorherrschaft über die lebenswichtigen Wasserstraßen zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer als gesichert gelten können. Da die umfangreichen russischen Forderungen weder britische noch französische Interessen explizit gefährdeten, zeigten sich London und Paris entgegenkommend. Am 12. März gestanden die Briten Russland den „größten Preis des gesamten Kriegs“ zu, wie sie es genannt hatten, behielten sich aber das Recht vor, zu gegebener Zeit eigene Ansprüche auf osmanisches Territorium zu erheben. Frankreich wusste bereits, welche osmanischen Besitzungen es als Gegenleistung für die Anerkennung des russischen Anspruchs auf Konstantinopel und die Meerengen verlangen wollte: Syrien (inklusive Palästina), den Golf von Alexandrette sowie Kilikien (die Küstenregion rund um die südöstliche türkische Stadt Adana). Diese Forderungen und Großbritanniens vorläufige Zurückstellung eigener Interessen wurden in einer Reihe von Dokumenten festgehalten, die zwischen dem 4. März und 10. April 1915 ausgetauscht und unter dem Namen „Abkommen über Konstantinopel und die Meerengen“ bekannt wurden – der erste von mehreren Aufteilungsplänen für das Osmanische Reich, das sich als deutlich schwerer zu besiegen herausstellte, als seine Gegner je gedacht hätten.6
* Ende Januar und Anfang Februar verstärkten die Alliierten ihre Flotten vor den Meeresstraßen. In Absprache mit der griechischen Regierung wurde Briten und Franzosen der Hafen von Moudros auf der umstrittenen Insel Limnos, rund 80 Kilometer vor den Dardanellen, als Operationsbasis „überlassen“. Die Briten besetzten zudem die kleineren Inseln Imbros und Tenedos (heute unter ihren türkischen Namen Gökçeada und Bozcaada bekannt), die auf beiden Seiten der Dardanellenmündung in Sicht-
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weite der türkischen Küste lagen. Da die Türkei die griechischen Ansprüche auf diese im Ersten Balkankrieg annektierten Inseln nie anerkannt hatte, wurde die griechische Neutralität durch die Präsenz der Alliierten an der Mündung der Dardanellen nicht verletzt (Griechenland trat erst im Juni 1917 an der Seite der Entente-Mächte in den Krieg ein). Den alliierten Stäben wurde recht bald deutlich, dass sie für ihre Flottenoperationen in den Dardanellen doch einige Bodentruppen brauchen würden. Die britische Militäraufklärung gab an, es seien 40 000 Türken auf der Halbinsel Gallipoli stationiert. Selbst wenn sich diese osmanischen Soldaten angesichts eines überwältigenden Angriffs vom Meer aus zurückziehen würden, müssten die Briten und Franzosen die verlassenen Festungen entlang der Dardanellen sichern, um ungefährdete Seewege für die Alliierten zu gewährleisten. Zudem wäre eine Besatzungsarmee vonnöten, um nach dem Fall der Stadt in Istanbul einzumarschieren. Die Schwierigkeit lag darin, Lord Kitchener von der Notwendigkeit zu überzeugen, Infanterie von der Westfront zugunsten der Ostfront abzuziehen. Doch als sich Kitchener zunehmend mit den möglichen Vorteilen der Gallipolioffensive anfreundete, verstand er die Notwendigkeit, das Heer miteinzubeziehen. Er drängte Churchill jedoch weiterhin, zuerst und vor allem auf die Seestreitkräfte zu setzen. Kitchener betrachtete die Infanterieeinheiten als vorläufige Leihgabe für einen kurzen Feldzug in der Türkei, bevor sie an die Westfront zurückkehren sollten, wo sie, nach seiner Auffassung, dringender benötigt wurden. Die Bodentruppen sollten daher in Reserve gehalten werden, bis die Royal Navy die Meeresstraße erobert hatte. Auf dieser Grundlage befahl Kitchener Ende Februar den britischen Kommandeuren in Ägypten, 36 000 ANZAC-Männer zu den 10 000 Soldaten der Royal Navy Division in Moudros zu entsenden. Auch die Franzosen stellten Bodentruppen für den Dardanellenfeldzug zusammen. Das Corps Expéditionnaire d’Orient (das Östliche Expeditionskorps), zu dem europäische Einheiten, Kolonialsoldaten und ausländische Legionäre gehörten – insgesamt 18 000 Mann –, wurde in der ersten Märzwoche mobilisiert und an die Meerenge geschickt. Nun, da sich Zehntausende alliierte Soldaten und Matrosen vor den Dardanellen versammelten, wurde aus der „Machtdemonstration“ zusehends ein echter Feldzug – und zwar einer, den die Entente-Mächte nicht verlieren durften. Kitcheners Bemerkung, die Briten könnten einen erfolg-
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losen Angriff jederzeit ohne Prestigeverluste abbrechen, galt nun nicht mehr. Mit den ersten Schüssen gegen die äußeren Festungsanlagen an den Dardanellen im Februar 1915 eröffneten die Briten einen Feldzug, in dem alles aufgeboten wurde, was zur Verfügung stand, und aus dem sie sich nur unter großem Gesichtsverlust würden zurückziehen können.
* Im Tiefwasserhafen von Moudros versammelte sich eine beeindruckende Armada, die modernste Kriegstechnik an die Front im Nahen Osten brachte. Die Briten setzten ihr erstes Flugzeugmutterschiff an den Dardanellen ein: Die HMS Ark Royal war ein umgebautes Handelsschiff, das mit zwei Kränen ausgestattet worden war, um Wasserflugzeuge aus einer Werkstatt in ihrem Schiffsbauch zum Start auf die Wasseroberfläche zu setzen und sie nach der Landung wieder aufzunehmen. Die sechs Wasserflugzeuge der Ark Royal sollten während des Feldzugs Luftaufklärung leisten, bis auf Limnos und Tenedos Landebahnen für schwerere Flugzeuge mit größerer Reichweite gebaut werden konnten. Unter den 14 britischen und französischen Schlachtschiffen ragte die HMS Queen Elizabeth als größtes und modernstes Schiff heraus, ein „Super-Dreadnought“, das erst in diesem Jahr in Dienst gestellt worden war. Ihre acht 15-Zoll-Geschütze (38,1 Zentimeter) waren die stärksten Kanonen im östlichen Mittelmeer und konnten eine 1-Tonnen-Granate über eine Distanz von fast 30 Kilometern feuern. Die kleineren Dreadnoughts und älteren Schlachtschiffe besaßen 12-Zoll-Kanonen – mit kürzerer Reichweite, aber noch immer sehr gewaltig. Im Hafen waren weitere 72 Schiffe festgemacht, darunter Kreuzer, Zerstörer, U-Boote, Minensucher und Torpedoboote. Die gesammelte Feuerkraft der britisch-französischen Flotte belief sich auf 274 mittlere und schwere Kanonen. Am 19. Februar 1915 begann die Marineoperation. Das erste Ziel der alliierten Flotte war die Zerstörung der äußeren Festungen an den Dardanellen – rund um Seddülbahir auf der europäischen und um Kumkale auf der asiatischen Seite – und deren 19 veralteten Geschützen. Die modernen britischen Dreadnoughts hatten eine deutlich höhere Reichweite als die türkischen Kanonen. Sie beschossen die Forts völlig ungefährdet aus einer Entfernung zwischen acht und zwölf Kilometern. Nachdem sie eine Reihe
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anscheinend schwerer Treffer gelandet hatten, näherten sich die britischen Schiffe der Küste, um die Schäden zu begutachten. Erst in diesem Augenblick erwiderten die türkischen Schützen das Feuer und zwangen die britischen Schiffe zum Rückzug und damit zur Änderung ihrer Taktik. Die Nachricht vom alliierten Angriff auf die Meerenge, so wenig erfolgreich er auch endete, löste in Istanbul eine Panik aus. Die osmanische Regierung und der Palast planten, die Hauptstadt zu verlassen und sich in der anatolischen Stadt Eskişehir niederzulassen, auf halber Strecke zwischen Istanbul und Ankara. Das Schatzamt hatte bereits angefangen, Teile des Goldvorrats aus Sicherheitsgründen nach Anatolien auszulagern. Diese Reaktion der Türken bestätigte die Hoffnungen Londons, ein erfolgreiches Eindringen in die Meerengen könne eine politische Krise in Istanbul auslösen, die zum Sturz der Jungtürken und zu einer schnellen Kapitulation der Osmanen führen würde. Zumindest hatte Kitchener immer auf einen erfolgreichen Angriff auf Istanbul gesetzt, um solch eine Revolution auszulösen.7 Hoher Wellengang und schlechtes Wetter verzögerten die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten fünf Tage lang. Admiral Carden begann erst am 25. Februar wieder mit dem Beschuss der türkischen Stellungen, diesmal aus geringerer Entfernung. Dadurch setzte er seine Schiffe dem feindlichen Feuer aus, und die Dreadnought HMS Agamemnon wurde durch türkischen Beschuss schwer beschädigt. Dank des Bombardements dieses Tages gelang es den anderen Schiffen dennoch, die türkischen Geschütze in den äußeren Festungen auf der asiatischen und europäischen Seite der Dardanellenmündung zum Schweigen zu bringen. Die türkischen Verteidiger verließen unter dem scharfen Feuer der Alliierten ihre Stellungen. Als Landeeinheiten der Royal Marines die Südspitze der Halbinsel Gallipoli betraten, um die verbliebenen Geschütze zu zerstören, konnten sie sich, ohne auf Widerstand zu stoßen und in völliger Sicherheit, den Festungen nähern und nach deren Zerstörung wieder zu ihren Schiffen zurückkehren.8 Alliierte Schiffe konnten die Einfahrt zu den Dardanellen nun ohne Angst vor feindlichem Beschuss befahren. Damit stand es Admiral Carden frei, die zweite Stufe des Feldzugs einzuleiten: die Räumung der Minenfelder und die Zerstörung der inneren Verteidigungsanlagen von der Mündung bis nach Kephez. Hätten die Briten rasch reagiert, hätten sie
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festgestellt, dass die Dardanellen nur von wenigen türkischen Bodentruppen verteidigt wurden. Doch mangelhafte Aufklärung und schlechtes Wetter verzögerten die britischen Bemühungen und verschafften den Türken kostbare Zeit, um ihre Stellungen zu verstärken. Starke Winde und raue See hinderten die britischen und französischen Schiffe zwischen Ende Februar und Mitte März daran, die heikle Arbeit der Minenentschärfung anzugehen. Als das Wetter die Einfahrt der Minensucher erlaubte, drangen auch britische und französische Schlachtschiffe in die Meerenge vor, um die Trawler vor dem Beschuss von der Küste zu schützen. Die Alliierten waren bald frustriert von ihren Bemühungen, die befestigten Küstenbatterien an der inneren Küste der Dardanellen zu zerstören. Denn die osmanischen Geschütze waren klug platziert und vom Wasser aus praktisch unsichtbar – und unerreichbar. Die schweren Granaten der alliierten Kriegsschiffe gruben sich in die Erde rund um die Stellungen und verschütteten die Geschütze, ohne sie allerdings zu beschädigen. Hatten sich die Schiffe zurückgezogen, gruben Osmanen und Deutsche die Stellungen wieder aus und machten die Küstenbatterien für den nächsten Einsatz bereit.9 Mag dieses Duell der Briten und Franzosen mit den Küstenbatterien auch frustrierend gewesen sein, so stellten doch die modernen deutschen Geschütze für die alliierten Schiffe die größte Bedrohung dar. „Diese bösartigen Kanonen machen keinen Rauch, sind sehr klein, höchst beweglich, und ich habe keine Hinweise darauf, wie ich sie lokalisieren kann“, beschwerte sich ein französischer Marineoffizier. Die mobilen Haubitzen feuerten von jenseits der Hügel am Rand der Meerenge und ließen Schrapnelle auf die ungeschützten Decks der alliierten Schiffe regnen, was zu vielen Opfern führte. Ein direkter Treffer während einer Minenräumfahrt kostete 20 französische Matrosen auf dem Kreuzer Améthyst das Leben. Auch wenn britische Piloten die Position der Haubitzen an die Schiffe weitergeben konnten, hatten sich, bis der feindliche Beschuss einsetzte, die Mannschaften an den Geschützen bereits an einen neuen Ort begeben, um völlig ungestört das Feuer auf die einfahrenden Schiffe wieder aufzunehmen.10 Die Minensuchboote waren ebenso erfolglos bei der Suche nach Minen wie die Schlachtschiffe bei der Suche nach den mobilen Batterien. Die britische Aufklärung hatte berichtet, die Türken hätten Minen von der Mün-
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Türkische Batterie, Gallipoli. Osmanische Schützen setzten erfolgreich mobile Artillerie von den Hügeln an der Meerenge der Dardanellen ein. Die Folgen für die alliierten Schiffe waren verheerend. Wie ein französischer Marineoffizier bemerkte: „Diese bösartigen Kanonen machen keinen Rauch, sind sehr klein, höchst beweglich, und ich habe keine Hinweise darauf, wie ich sie lokalisieren kann.“
dung der Dardanellen bis zur Meerenge gelegt. Tatsächlich waren die Osmanen jedoch klug genug gewesen, ihre kostbaren Ressourcen weiter nördlich auf die engsten Stellen der Dardanellen zu konzentrieren, wodurch sie die Gewässer zwischen Kephez und der Meerenge für feindliche Schiffe praktisch unpassierbar machten. Das bedeutete, die Alliierten verbrachten Wochen damit, den breitesten Abschnitt der Dardanellen abzusuchen, an dem sich jedoch keine Minen befanden. Ein französischer Marineoffizier verdächtigte die Deutschen, die Alliierten absichtlich in die Irre geführt zu haben: „Trotz unserer sehr genauen Informationen (die wahrscheinlich von den Boches selbst stammen) über die Lage, Anzahl und Dichte der Minenlinie, haben wir noch keine einzige gefunden“, notierte er verärgert in sein Tagebuch. „Was zum Teufel also machen wir seit dem 25. Februar hier?“11
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In den vier Wochen seit Beginn der Operation hatte die alliierte Flotte nur wenig gegen die osmanischen Batterien erreicht, und die Minensucher kamen noch immer mit leeren Händen zurück. Winston Churchill in London wurde zusehends ungeduldig. „Wenn der Erfolg nicht ohne Verlust von Schiffen und Männern erzielt werden kann, so sind die Ergebnisse doch derart wichtig, dass sie einen solchen Verlust rechtfertigen“, telegrafierte er am 11. März an Admiral Carden. „Jede wohlüberlegte Handlung, die eine Entscheidung herbeiführt, wird von uns unterstützt, ganz gleich ob sie bedauernswerte Verluste mit sich bringt.“ Admiral Carden reagierte auf Churchills Druck, indem er am 15. März den Befehl gab, die inneren Festungen anzugreifen und in die Meerenge vorzustoßen. Er selbst war dem Druck allerdings nicht gewachsen: Carden kollabierte am 16. März und musste zur medizinischen Behandlung nach Malta gebracht werden. Das Kommando übernahm sein Stellvertreter, Vizeadmiral John M. de Robeck, der befahl, am Morgen des 18. März mit der Operation zu beginnen.12
* Am ruhigen und klaren Morgen des 18. März fuhr die britisch-französische Flotte in die Meerenge ein, um das zu beginnen, was ein deutscher Offizier als „die größte Schlacht, die bisher zwischen schwimmenden Panzern und Landbatterien getobt hat“ beschrieb. Um 11 Uhr führte die SuperDreadnought HMS Queen Elizabeth ein Geschwader der sechs größten britischen Schiffe in die Mündung der Straße und eröffnete das Feuer auf die osmanischen Festungen mit einer „wahrhaft furchteinflößenden Rate“, wie ein Augenzeuge bemerkte. Der Beschuss hielt lange an. „Die Festungen antworteten auf präzise Art und Weise, trotz der Tatsache … dass es unmöglich schien, wie Männer unter den Bedingungen überleben konnten, die in- und außerhalb der Festungen existierten.“ Die verlassenen Holzhäuser in den Städten Çanakkale und Kilitbahr gingen in Flammen auf und brannten den ganzen Tag. Fast 90 Minuten lang lieferten sich beide Seiten ein heftiges Gefecht, ohne dass es einer Partei gelang, einen entscheidenden Schlag zu setzen.13 Um 12:30 Uhr griffen vier französische Kriegsschiffe in den Kampf ein und übernahmen die Führung des Geschwaders in Richtung Kephez.
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Während sie weiter in die Meerenge hineinfuhren, gerieten sie in schweres Kreuzfeuer der Verteidiger. In der folgenden Stunde mussten die Suffren und die Bouvet schwere Treffer einstecken, erwiderten aber hartnäckig das Feuer. Als nach einer Stunde heftigen Beschusses das türkische Feuer schwächer zu werden schien, erhielt das französische Geschwader den Befehl, abzudrehen, um von frischen britischen Kräften ersetzt zu werden. Damit begann sich die Sache zuungunsten der Alliierten zu entwickeln. Als die Bouvet wendete, um aus der Meerenge herauszufahren, wurde sie von der starken Strömung flussabwärts getrieben und fuhr in der ErenköyBucht vor dem asiatischen Ufer der Dardanellen auf eine Seemine auf. Die Explosion riss ein großes Loch in den Rumpf des Kriegsschiffs, das sich augenblicklich nach Steuerbord schräg legte. Die Masten lagen horizontal, das Meerwasser sprudelte, während es in die Schornsteine des Schiffs eindrang, und die Bouvet kenterte nach zwei Minuten, wobei sich ihre drei
Der Untergang der Irresistible. Eine Kette von 20 osmanischen Minen in der ErenköyBucht versenkte vier alliierte Schiffe – darunter die HMS Irresistible – am 18. März 1915. Die Royal Navy konnte die meisten Besatzungsmitglieder der Irresistible retten, bevor türkische Geschütze das leckgeschlagene Boot endgültig versenkten.
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Propeller noch in der Luft weiterdrehten. Fast die gesamte Besatzung aus 724 Matrosen war im Schiffsrumpf gefangen, der urplötzlich zum Meeresboden sank. „Es sah aus, als könne niemand, nicht einmal Gott, die tödliche Bewegung des Schiffs aufhalten“, schrieb ein französischer Offizier in sein Tagebuch. „Und sollte ich 100 Jahre leben, so werde ich nie den schrecklichen Anblick vergessen, wie die Bouvet sank.“ Es ging alles ungemein schnell, nur 62 Mann überlebten.14 Die Minen in der Erenköy-Bucht trafen die Alliierten völlig unvorbereitet. Die Osmanen hatten in den Wochen der Minenräumungsversuche die Schiffsmanöver der Briten und Franzosen in dieser Bucht beobachtet und in der Nacht vom 7. auf den 8. März eine neue Kette von 20 Minen an die Einfahrt der Bucht gelegt. Diese waren der Aufmerksamkeit der alliierten Minensuchboote und der Luftaufklärung völlig entgangen. Da zunächst nicht klar war, was die Bouvet versenkt hatte – Artillerie, eine abgetriebene Mine oder ein vom Ufer abgeschossener Torpedo –, kamen in der Folge auch britische Schiffe in der Erenköy-Bucht zu Schaden. Gegen 16 Uhr fuhr das Schlachtschiff Inflexible auf eine Mine, und kurz darauf traf die Irresistible eine weitere, die ihr Ruder zerstörte und sie unkontrolliert davontreiben ließ. Die HMS Ocean, die der Irresistible zu Hilfe kommen wollte, fuhr ebenfalls auf eine Mine auf. Eine Kette aus 20 Minen hatte vier Schiffe aus dem Gefecht genommen. Türkische Kanoniere erkannten, dass ein Schiff gesunken und drei in Not geraten waren, weshalb sie, den Sieg in Reichweite, ihre Bemühungen verdoppelten und auf die gestrandeten Schiffe feuerten. Eine gut gezielte Granate traf das Magazin der französischen Suffren, was zu einer enormen Explosion führte, die zwölf Matrosen tötete und das Schiff um ein Haar versenkte, hätte man nicht eiligst die Magazine geflutet, um eine weitere Explosion zu verhindern. Die Gaulois war durch Artilleriebeschuss ebenfalls schwer beschädigt und lief langsam voller Wasser. Die Queen Elizabeth hatte fünf direkte Treffer hinnehmen müssen. Sobald die angeschlagene Inflexible sich aus der Meeresstraße zurückgezogen hatte und die überlebenden Crewmitglieder der Ocean und Irresistible aufgenommen worden waren, ließ Admiral de Robeck die Flagge zum allgemeinen Rückzug aller Schiffe hissen. Insbesondere eine Batterie war mit der Not der britisch-französischen Flotte überaus glücklich. Man hatte die Kanonen der vom Unglück ver-
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folgten Messoudieh, die im Dezember 1914 von einem britischen U-Boot torpediert worden war, vom Meeresboden gehoben und in eine improvisierte und nach dem gesunkenen Schiff benannten Festung eingebaut. Überlebende der Schiffsbesatzung, wieder in der Messoudieh- Batterie vereint, hatten auf die Angreifer gefeuert, bis ihre Munitionsvorräte fast vollständig erschöpft waren. Şefik Kaptan, der Geschützoffizier der Messoudieh, erinnerte sich an seine unbändige Freude, als er mit ansah, wie sich die besiegte alliierte Flotte zurückzog. „Die Schlacht war gewonnen. Wir hatten dabei geholfen, den Verlust unseres Schiffs zu rächen.“ Türkische Kanoniere feuerten so lange auf die treibenden Ocean und Irresistible, bis sich die beiden Schiffe zur Bouvet (und der Messoudieh) auf den Meeresboden dazugesellt hatten.15 Selbst nachdem sich die letzten alliierten Schiffe aus den Dardanellen gerettet hatten, konnten die Türken das Ausmaß und die Bedeutung ihrer Leistung kaum erfassen. Ihnen war tatsächlich der erste Sieg im Weltkrieg gelungen. Jubelnde Geschützmannschaften sprangen auf die Mauern ihrer Batterien und brüllten den traditionellen osmanischen Ruf: „Padişahım Çok Yaşa!“ – „Lang lebe mein Sultan!“ Die Reaktionen in Istanbul und anderen Städten des Osmanischen Reichs waren jedoch verhalten. Der amerikanische Botschafter in Istanbul beobachtete, dass die Polizei von Haus zu Haus gehen musste, um die Bewohner zum Aufhängen der Fahne und dem Feiern des Siegs aufzufordern. Es gab keine spontanen Kundgebungen oder Siegesparaden. Hakki Sunata, ein junger Leutnant der osmanischen Armee, erfuhr vom Sieg zur See, während er in einem Kaffeehaus saß und Briefe an Freunde schrieb. Später notierte er, dass er an diesem Tag „nur sehr wenig über die Schlacht wusste“ und „wir das Ausmaß des Verlusts unserer Feinde nicht erkannten. Ich vermute, selbst die Regierung konnte zunächst die wirkliche Bedeutung nicht erfassen und hielt sich deshalb zurück, ihn als großen Sieg darzustellen.“ Das Generalhauptquartier gab zwar eine Reihe von Berichten über die Kämpfe des Tages an die Presse in Istanbul weiter, in denen die Heftigkeit der alliierten Angriffe und das Heldentum der türkischen Truppen bei der Verteidigung des Heimatlands gegen die weltgrößte Flotte hervorgehoben wurden. Doch die Osmanen glaubten nicht so recht, dass die Schlacht schon vorüber sei, und erwarteten die Rückkehr der alliierten Schiffe und die Fortsetzung des Kampfs schon am nächsten Tag.16
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Die Briten und Franzosen waren fassungslos über das Ausmaß ihrer Niederlage. Drei Schlachtschiffe waren versenkt, drei weitere derart stark beschädigt worden, dass sie im Grunde nicht mehr eingesetzt werden konnten; mehr als 1000 Matrosen waren gestorben und Hunderte Männer verwundet worden. Die Gesamtstärke der alliierten Schlachtflotte war nach nur einem Tag um ein Drittel reduziert, ohne dass den osmanischen Stellungen nennenswerter Schaden hatte zugefügt werden können. Die Franzosen und Briten konnten es nicht wissen, doch die Osmanen kamen beinahe unversehrt aus der Schlacht: Die inneren Geschützbatterien waren zum Großteil intakt, die Minenfelder zwischen Kephez und der Meerenge noch unberührt, und sie hatten weniger als 150 Mann verloren. Die Niederlage vom 18. März bedeutete das Ende des alliierten Flotteneinsatzes in den Dardanellen und setzte den Plan für die Bodenoffensive in Gang.17
* In London kam am 19. März der Kriegsrat zusammen, um die Bilanz aus einer sehr unvorteilhaften Situation zu ziehen. Nach dem Debakel in den Dardanellen überzeugte Sir Ian Hamilton, Oberbefehlshaber der Infanterieeinheiten, zu denen die Mediterranean Expeditionary Force gehörte, Lord Kitchener davon, dass die Meerenge nicht allein mit Seestreitkräften eingenommen werden könnte. Eine starke Bodentruppe müsse zunächst die Halbinsel Gallipoli erobern, um die Geschütze auszuschalten und damit den Schiffen die Einfahrt in die Meerenge und das Vordringen nach Istanbul zu ermöglichen. Es stand außer Frage, dass die Briten nach einer solch furchtbaren Niederlage die Feindseligkeiten aufgeben könnten. Auch durfte die Royal Navy nicht ein weiteres Mal derart geschlagen werden. Obgleich er einem Einsatz des Heers jenseits der Westfront lange ablehnend gegenübergestanden hatte, so sah Kitchener nun keine andere Möglichkeit mehr. „Sie kennen meine Ansichten“, antwortete er Hamilton, „dass der Weg durch die Dardanellen erzwungen werden muss, und wenn große Militäroperationen auf Gallipoli notwendig sind, um uns den Weg frei zu machen, dann müssen sie unternommen und dann müssen sie durchgeführt werden.“ Kitchener teilte dem Feldzug 75 000 Infanteristen zu.18 In diesem Moment zog sich Russland vom alliierten Vormarsch auf die osmanische Hauptstadt zurück. Da es den britischen und französischen
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Schiffen nicht gelungen war, das Marmarameer zu erreichen, fühlten sich die Truppen des Zaren nicht mehr zu einem Angriff auf den Bosporus verpflichtet. Abgesehen von kleineren Scharmützeln an der Schwarzmeerküste unternahmen die Russen wenig, um die Alliierten in den Dardanellen zu entlasten. Die offizielle britische Geschichtsschreibung des Dardanellenfeldzugs hält großzügig fest, dass „die Angst vor einer russischen Landung fast bis Ende Juni drei türkische Divisionen am Bosporus einspannte“, Truppen, die ansonsten wohl zur Verteidigung der Dardanellen eingesetzt worden wären.19 Die Alliierten gaben sich selbst einen Monat Vorbereitungszeit für die Invasion Gallipolis. Das war bei Weitem nicht ausreichend, um das vorzubereiten und zu koordinieren, was sich als bis dahin größte über den Seeweg versuchte Landung herausstellen sollte. Die Stäbe der Alliierten wussten jedoch: Je länger sie für die Vorbereitung brauchten, umso besser könnten sich die Osmanen und ihre deutschen Alliierten auf das Zurückschlagen einer solchen Invasion einstellen. Aufgrund der Verzögerungen bei den Marineoperationen hatten die Türken bereits einen Monat Zeit gewonnen, ihre Stellungen auf der Halbinsel auszubauen. Die Herausforderung, vor der die britischen Kriegsplaner standen, lautete, in vier Wochen eine Offensive vorzubereiten, die genau jene Verteidigung überwinden konnte, welche die Osmanen und Deutschen im selben Zeitrahmen würden aufbauen können. Die Invasoren hatten dabei die größeren Hürden zu überwinden. Die für eine kombinierte See- und Bodenoperation notwendige Logistik ist ungemein komplex. Es mussten Schiffe für den Transport von Truppen, mobiler Artillerie, Munition, Arbeitstieren, Lebensmitteln, Wasser und Material für die Front organisiert werden. Eine Landung am Strand verlangt eine große Zahl an Landungsfahrzeugen und Schuten. Britische Offiziere durchkämmten viele Mittelmeerhäfen, um jedes verfügbare kleine Gefährt zu kaufen, und sie bezahlten in bar. (Die Bemühungen der Offiziere um die Beschaffung von Booten ließ bei der türkischen und deutschen Aufklärung die Alarmglocken läuten, wiesen sie doch auf eine Landungsoperation hin.) Molen und Pontons mussten gebaut und an die zur Landung vorgesehen Strände gebracht werden; Ingenieure des Militärs mussten den Bau dieser Hafenanlagen unter widrigen Umständen üben. Medizinisches Personal und Sanitätseinrichtungen mussten auf die Auf-
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nahme von Verwundeten vorbereitet werden, Krankenhausschiffe mussten so bereitgestellt werden, dass sie die ernsten Fälle zu den Sanitätszentren auf Malta und in Alexandria bringen konnten. Die Liste mit den Details, die alle für sich genommen entscheidend waren, schien unendlich lang zu sein. Auch die Vielgestalt der Invasionstruppe verkomplizierte die Planungen weiter. Kein Schlachtfeld im Ersten Weltkrieg sollte internationaler sein als das auf Gallipoli. Die Mediterranean Expeditionary Force zählte 75 000 Mann aus der ganzen Welt. Zu den britischen Soldaten – aus Wales, Irland, Schottland und England – kamen noch Australier und Neuseeländer hinzu (beide mit Pakeha- und Maori-Einheiten), dann Gurkhas und Sikhs, Franzosen und Fremdenlegionäre, die aus der ganzen Welt kamen, außerdem Kolonialtruppen aus Afrika – dem Senegal, Guinea, dem Sudan und dem Maghreb. Die Truppe war also auf Männer angewiesen, mit denen sie sich kaum verständigen konnte. Ohne einen klaren Schlachtplan, der die Bewegungen wirklich jeder Einheit genau vorgab, drohte die Expeditionsarmee sich in einer wahren babylonischen Sprachverwirrung aufzulösen.20 Auch wenn ihre Aufgabe leichter als die der Angreifer war, so ging es doch bei den osmanischen Verteidigern tatsächlich ums Ganze. Sie erkannten Gallipoli zu Recht als Kampf um das Überleben ihres Reichs. Enver Pascha, nun wieder zurück in Istanbul, nachdem er die 3. Armee im Kaukasus in die völlige Niederlage geführt hatte, wusste genau, dass er es sich nicht erlauben konnte, noch einmal zu unterliegen. Für einen Sieg waren eine perfekte Organisation und klare Kommunikationswege für die im weitläufigen Gebiet zwischen dem asiatischen und europäischen Ufer der Meerenge verteilten Einheiten vonnöten. In der letzten Märzwoche 1915 entschloss sich Enver, die unterschiedlichen Divisionen an den Dardanellen neu zu organisieren und in einer einheitlichen Truppe zusammenzufassen – in der 5. Armee. Trotz seiner früheren Differenzen mit dem Leiter der deutschen Militärmission in der Türkei schluckte Enver seinen Stolz hinunter und ernannte Otto Liman von Sanders zum Oberbefehlshaber dieser neuen 5. Armee, die mit der Verteidigung der Dardanellen beauftragt war. Liman brach augenblicklich auf, um in der Stadt Gallipoli sein Hauptquartier einzurichten. „Die Engländer ließen mir bis zu ihrer großen Landung volle vier Wochen Zeit. … Diese Zeit genügte ge-
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rade, um die nötigsten Maßregeln zu treffen“, schrieb Liman später in seinen Memoiren.21 Die osmanische 5. Armee verfügte über etwa 50 000 Mann, also nur über etwa zwei Drittel der Invasionstruppe. Doch man benötigt weniger Soldaten, um einen Strandabschnitt zu verteidigen, als man braucht, um ihn einzunehmen – wenn die Verteidiger denn an den richtigen Stellen positioniert sind. Es war für Liman schwierig zu erkennen, wohin die Briten ihre Soldaten am wahrscheinlichsten schicken würden, denn dort musste er die osmanischen Streitkräfte konzentrieren. Er entsandte zwei Divisionen (mit je rund 10 000 Mann) auf die asiatische Seite der Dardanellen und konzentrierte drei Divisionen auf der Halbinsel Gallipoli. Doch da diese fast 100 Kilometer lang ist, hatten die osmanischen Verantwortlichen viele verwundbare Stellen zu verteidigen. Nach sorgfältigen Überlegungen identifizierten Liman und seine türkischen Kommandeure drei Gebiete auf Gallipoli, die sich besonders für einen alliierten Angriff eigneten: Kap Helles, Arıburnu und Bulair. Der südlichste Punkt der Halbinsel bei Kap Helles legte eine Landung von See aus deshalb nahe, da alliierte Kriegsschiffe hier die Küste von drei Seiten aus beschießen konnten. Die Strände im Norden bei Arıburnu (die bald als ANZAC-Bucht bekannt werden sollten) boten einen gut zu erreichenden Bereich, der nur acht Kilometer von den Dardanellen entfernt war. Gelang es den Alliierten, die Strecke zwischen Arıburnu und der Stadt Maidos (das heutige Eceabat) an der Meerenge zu sichern, könnten sie die südlichen Teile der Halbinsel effektiv abriegeln und die osmanischen Verteidiger einschließen. Liman hingegen war überzeugt, dass Bulair, weit im Norden, wo sich die Halbinsel auf nur 3,2 Kilometer verengt, der verletzlichste Ort sei. Eine erfolgreiche Landung in Bulair würde die gesamte Halbinsel zerteilen und den Alliierten eine Stellung verschaffen, von der aus sie das Marmarameer beherrschen und damit die lebenswichtigen Schiffsverbindungen für Nachschub und Kommunikation der osmanischen 5. Armee abschneiden könnten. Nach dieser Bedrohungsanalyse entschloss sich Liman, je eine Division an jedem dieser drei heiklen Punkte zu stationieren – Kap Helles, Arıburnu und Bulair. Die osmanischen Offiziere befahlen ihren Männern, Verteidigungsgräben anzulegen und Drähte entlang der wichtigsten Strände zu spannen, um die erwartete Landung zu erschweren. Britische Flugzeuge flogen
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regelmäßig über Gallipoli und lenkten den Beschuss von den Kriegsschiffen auf diese Baustellen und türkische Truppenkonzentrationen, was die Osmanen dazu zwang, einen Großteil ihrer Arbeiten nachts zu erledigen. Bis Mitte April hatten die Verteidiger kilometerlange Gräben mit versteckten Maschinengewehren und Artillerie-Batterien bestückt, die eine Landung von See aus abwehren sollten. Die Arbeiten wurden bis zum Vorabend der Invasion fortgesetzt, die, schloss man aus der Masse an Schiffen und Soldaten im Hafen von Moudros, unmittelbar bevorstand.
* Nach der Eintönigkeit des Lagerlebens in Ägypten waren die meisten ANZAC-Soldaten froh, per Schiff nach Gallipoli gebracht zu werden. Die einzigen Soldaten, die etwas Bedauern verspürten, dürften die Kavalleristen gewesen sein, die ihre Pferde zurücklassen mussten. Angesichts der hügeligen Topografie Gallipolis war nicht zu erwarten, dass man mit Pferden angreifen konnte, weshalb die Tiere in Ägypten verblieben. Die Männer verfassten Briefe an die Heimat voller Vorfreude auf den erwarteten Ruhm auf dem Schlachtfeld. Unteroffizier Mostyn Pryce Jones vom New Zealand Canterbury Battalion beschrieb seiner Mutter den Anblick, der sich ihm am 16. April bei der Einfahrt seines Schiffes in den Hafen von Moudros bot – die Unmenge an Transportschiffen mit „britischen, französischen, australischen und neuseeländischen Truppen, alle begierig auf den Kampf “ sowie „Hunderte von Kreuzern, Dreadnoughts, Super-Dreadnoughts, U-Booten, Torpedozerstörern und Torpedobooten, die zusammen ein wunderschönes Bild ergeben“. Er zog Stolz und Zuversicht aus diesem Anblick der Stärke. „So versteht man die große Kraft und Macht UNSERES Reichs und man spürt gar einen Schauder des Stolzes, wenn man erkennt, dass man selbst Teil (auch wenn nur ein sehr unbedeutender Teil) dieser riesigen und herrlichen Bruderschaft von Völkern ist.“ Jones und seine Kameraden glaubten, es stünde ihnen das größte Abenteuer ihres Lebens bevor.22 Die Kommandeure der Mediterranean Expeditionary Force unterstützten aktiv die Vorstellung von der sich anbahnenden Schlacht als eine Art Abenteuer. In der Nacht vor der Landung wandte sich der Oberste Befehlshaber, Sir Ian Hamilton, mit einer Erklärung an „die Soldaten Frank-
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reichs und des Königs“, in der er die bevorstehende Schlacht als „ein im modernen Krieg noch nie dagewesenes Abenteuer“ beschrieb. In gewissem Maß sollte diese feierliche Erklärung auch den Mut der Männer heben. Daneben aber spiegelte sie auch die Illusion der Kommandeure wider, die in vielen Fällen ebenso unerfahren im „modernen Krieg“ waren wie die Männer, welche sie anführten. Für die Türken war Gallipoli kein Abenteuer. Für sie war es eine Frage von Leben oder Tod. Oberst Mustafa Kemal, Befehlshaber der osmanischen Truppen in Arıburnu, stärkte die Entschlusskraft seiner Offiziere mit seiner berühmt gewordenen Ansprache vor der Schlacht: „Ich befehle euch nicht anzugreifen. Ich befehle euch zu sterben. In der Zeit, die bis zu unserem Tod verstreicht, können andere Soldaten und Kommandeure nachrücken und unsere Plätze einnehmen.“ Für Zehntausende türkische Soldaten sollten sich die Worte des späteren Atatürk als tragisch prophetisch erweisen.23
* Als der Mond in den frühen Morgenstunden am Sonntag, dem 25. April, untergegangen war, näherten sich die alliierten Kriegsschiffe ihren Positionen, von denen aus die Truppenlandung beginnen sollte. Die Schiffe fuhren in absoluter Stille und verdunkelt, um den Türken nicht verfrüht ihre Ankunft zu verraten. Die tatsächlichen Landungsorte waren ein streng gehütetes Geheimnis unter den alliierten Kommandeuren geblieben. Sie hofften, mit List und dem Überraschungsmoment die Verteidiger überwinden und einen Strandabschnitt als Brückenkopf sichern zu können, um den Rest der Invasionstruppe in relativer Sicherheit anlanden zu können. Um die Osmanen zu täuschen, hatten die Briten und Franzosen Scheinangriffe an den nördlichen und südlichen Ausläufern der tatsächlichen Kampfzone vorbereitet. Die Franzosen schickten einige Schiffe in die Besika-Bucht an der asiatischen Küste südlich der Dardanellen, wo sie so taten, als würden sie eine große Landung vorbereiten, um die osmanischen Truppen weit von den tatsächlichen Landungsstränden fortzulocken. Die Briten handelten unwissentlich genauso, wie Liman von Sanders es befürchtet hatte, indem sie eine Landung am nördlichen Teil Gallipolis bei
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Bulair vortäuschten. Liman hatte eine Division zum Schutz von Bulair abgestellt und begab sich persönlich zu den vordersten Linien, um das britische Manöver zu beobachten. Diese Scheinlandungen banden zwei osmanische Divisionen, die ansonsten zum Ort der tatsächlichen Landung hätten entsandt werden können. Für die Landung hatte man die Mediterranean Expeditionary Force in drei Gruppen eingeteilt. Den Briten war die Hauptlandestelle rund um Kap Helles an der Südspitze von Gallipoli zugewiesen worden. Sie sollten an fünf verschiedenen Stränden rund um Kap Helles Landungen koordinieren. Die Franzosen wiederum hatten den Auftrag, das asiatische Ufer der Dardanellen rund um Kumkale zu sichern, damit die Osmanen nicht quer über die Meeresstraße auf die britischen Landungstruppen feuern konnten. Sobald die Briten ihre Strände besetzt hätten, wollten die Franzosen Kumkale verlassen und sich den Briten am Kap Helles anschließen. Die Australier und Neuseeländer sollten im Gebiet rund um Arıburnu eingesetzt werden, wo sie die türkische Verstärkung im Blick behalten und am Kap Helles die Osmanen in ihrem Rücken bedrohen sollten. Indem sie an derart vielen Stellen gleichzeitig attackierten, hofften die Alliierten, die Osmanen zu verwirren, damit diese in der Folge nicht wussten, wo sie ihre Kräfte konzentrieren müssten, um den Feind zurückzuwerfen. Außerdem wollte man in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Männer an Land bringen, um die osmanische Verteidigung zu überwältigen. In den letzten Stunden vor Sonnenaufgang kletterte die erste Welle Invasionssoldaten an Strickleitern von den hohen Decks der Kriegsschiffe in die Ruderboote, die sie an Land bringen sollten. Kleine Dampfboote zogen Ketten von vier Ruderbooten von den Schiffen Richtung Land, wobei die Matrosen die letzten 100 Meter zum Strand selbst rudern mussten. Die in ihren Landungsbooten eng aneinander gedrängten Soldaten waren Maschinengewehrfeuer und Schrapnellbeschuss schutzlos ausgeliefert. Um sie zu schützen, gaben britische und französische Kriegsschiffe ab 4:30 Uhr eine „Masse Feuer und Rauch“ auf die Strände ab. „Der Lärm war furchtbar und die Luft voller Pulver“, schrieb ein britischer Marineoffizier später. Die Kriegsschiffe hielten den Beschuss aufrecht, bis die Landungsboote nur noch rund 800 Meter vom Strand entfernt waren.24 Für die osmanischen Verteidiger, die den Angriff schon lange erwartet hatten, war die Kanonade der Schiffe der Ruf zu den Waffen: Türkische Of-
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fiziere griffen zu ihren Pfeifen und befahlen ihre Männer in die Verteidigungsstellungen. Das Feuer der angreifenden Schiffe konzentrierte sich auf eine Handvoll kleiner Strände, kam zeitgleich aus zwei oder drei Richtungen und verursachte schreckliche Schäden an den türkischen Stellungen. „Die Küstenlinie war mit schwarzem Rauch bedeckt, der blaue und grüne Flecken hatte“, erinnerte sich Major Mahmud Sabri. „Man konnte nichts erkennen.“ Major Sabri beschrieb, wie das Feuer der Schiffskanonen Geschützstellungen zerstörte, Verbindungsgräben aufriss und „Schützenlöcher, die Leben schützen sollten“, zu „Gräbern“ werden ließ. Schrapnellkugeln, „so groß wie Eier“, kostete vielen türkischen Soldaten, die in den Schützengräben ausharrten, das Leben. Doch es brach keine Panik unter den Verteidigern aus, vielmehr schien das schwere Feuer nur deren Entschlusskraft zu stärken, die Invasoren zurückzuwerfen. „Mit Toten und Verstümmelten an ihrer Seite und ohne Angst, einer Übermacht gegenüber zu stehen oder Furcht vor dieser Art des feindlichen Feuers, warteten unsere Männer den Moment ab, an dem sie selbst zur Waffe greifen konnten.“ Selbst nachdem die Kriegsschiffe den Beschuss eingestellt hatten, um den Landungsbooten das Anlegen am Strand zu ermöglichen, geduldeten sich die osmanischen Soldaten weiterhin und zielten in Ruhe.25 Der wichtigste britische Landungspunkt war der Strandabschnitt V zwischen der alten Festung Seddülbahir und dem verfallenen Leuchtturm am Kap Helles. Royal Marines waren am 25. Februar dort ungehindert gelandet, um nach dem Beschuss vom Meer aus die übrig gebliebenen Geschütze zu zerstören. Seit Februar hatten die Osmanen intensiv versucht, die Stellung auszubauen, die wie ein natürliches Amphitheater die Bucht überragte. Die Schwierigkeit für die britischen Militärstrategen bestand darin, genug Truppen an Land zu bringen, um die heftige Gegenwehr, die sie erwarteten, überwinden zu können. Schleppte man vier Ruderboote an den Strand, gelangten nur 120 bis 130 Soldaten an Land, und die Briten konnten nur sechs solcher Transporte an den V-Strand leisten – ein Maximum von 800 Mann. Die Invasoren mussten einen Weg finden, deutlich mehr Männer an diesen Strandabschnitt zu bringen. Die britischen Offiziere mit klassischer Bildung fanden bei Homer eine Lösung. Legenden und archäologische Ausgrabungen verorteten den Krieg um Troja in der Nähe der asiatischen Küste der Dardanellen. Kapitän
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Edward Unwin schlug vor, „nach dem Vorbild des hölzernen Pferdes von Troja [könnte] ein harmlos aussehendes Kohlenschiff, bestückt mit so vielen Männern, wie nur hineinpassen“, ans Ufer gebracht werden. Der Anblick eines Dampfschiffes, das mit voller Geschwindigkeit aufs Ufer zufährt, würde nicht nur die Verteidiger irritieren, zudem könnte das umgebaute Kohlenschiff auch bis zu 2100 Mann mitführen. Einmal auf Grund gelaufen, würde das Schiff auch als geschützte Landeplattform für die Soldaten und als Landungssteg für die spätere Operation dienen. Der Vorschlag wurde umgehend angenommen und das Kohlenschiff River Clyde entsprechend umgebaut. Sein Rumpf wurde verstärkt, schwere Geschütze auf dem Bug angebracht, um der Landungstruppe Deckung geben zu können, und Sicherheitsschleusen wurden in die Seite des Rumpfs geschnitten, um den transportierten Soldaten ein schnelles Aussteigen zu ermöglichen.26 Am Morgen des 25. April war die River Clyde mit Kapitän Unwin am Steuer zum Strandabschnitt V unterwegs. Er beobachtete, wie die leichten Dampfschiffe, die vor ihm losgefahren waren, mit der starken Strömung kämpften, um die Boote, die sie zogen, Richtung Land zu bringen. Der Strand war nach der Bombardierung noch immer in Rauch gehüllt und lag ruhig da. Neben Unwin stand Oberstleutnant Williams vom Generalstab auf der Brücke und führte ein minutengenaues Logbuch. Um 6:22 Uhr strandete die River Clyde genau an der vorgesehenen Stelle. „Kein Widerstand“, hielt Williams optimistisch fest. „Wir werden ohne Beschuss an Land gehen können.“ Das war zu voreilig. Drei Minuten später, als die Ruderboote den Strand erreichten, eröffneten die disziplinierten türkischen Verteidiger das Feuer. „Die Hölle brach über sie herein“, notierte Williams für 6:25 Uhr. Er sah entsetzt zu, wie ein Landungsfahrzeug an der River Clyde vorbeitrieb, in dem jeder Soldat und jeder Matrose tot war. Nur eine Handvoll der ersten 800 Mann kam unversehrt ans Ufer und konnte hinter der ersten Reihe Dünen Schutz suchen.27 Major Mahmud Sabri beschrieb die Szene aus der Perspektive der türkischen Schützengräben: Der Feind näherte sich in Rettungsbooten der Küste. Als sie in Reichweite waren, eröffneten unsere Männer das Feuer. Das Meer hatte an dieser Stelle schon immer dieselbe Farbe gehabt, doch nun färbte es sich rot vom Blut
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unserer Feinde. Jedes Mal, wenn das Blitzen [unserer] Gewehre erblickt worden war, bedeckte der Feind das Gebiet mit Artillerie und Maschinengewehrfeuer. Das änderte jedoch nichts an der Intensität unseres Beschusses. In der Hoffnung, dadurch ihr Leben zu retten, sprangen einige Feinde von den Rettungsbooten ins Meer. Von den Schiffen aus nutzen ihre Kommandeure Flaggen, um den Rettungsbooten zu befehlen, Schutz hinter Vorsprüngen zu suchen, doch es gab kein Entrinnen. Trotz der feindlichen Granaten und des Maschinengewehrfeuers trafen unsere Männer weiterhin ihre Ziele, und die Toten fielen ins Meer. Die Küste [am Strandabschnitt V] war voller Leichen, aufgereiht wie dicke Bohnen.28
Die River Clyde, eigentlich als trojanisches Pferd gedacht, war zu einem lahmenden Gaul geworden. Das Schiff war an einer Stelle auf Grund gelaufen, die zu tief war, um 2100 Mann an Land zu bringen, die ängstlich in ihrem Rumpf warteten. Die Crew hatte ein paar Leichter und ein kleines Dampfboot zu einer Pontonbrücke zusammengebunden, über die die Truppen von Schiff zu Schiff an Land rennen sollten. Die Mannschaft hatte große Schwierigkeiten, die Schiffe in der starken Strömung der Dardanellen in Position zu manövrieren. G. L. Drewry, ein erfahrener Matrose im Rang eines Midshipman auf der River Clyde, trotzte dem Feuer und sprang ins Wasser, um eine funktionierende Pontonbrücke aufzubauen. Der Beschuss vom Ufer aus war derart heftig, dass ein verwundeter Soldat, den Drewry hinaufheben wollte, in seinen Armen buchstäblich in Stücke geschossen wurde. Drewry konnte, so unglaublich es klingt, an der Pontonbrücke arbeiten, ohne getroffen zu werden. Während dieser Zeit richteten die türkischen Verteidiger ihre Gewehre auf das gestrandete Kohlenschiff. Zwei Granaten schlugen im Schiffsraum Nummer 4 ein und töteten mehrere Soldaten. Türkische Scharfschützen feuerten auf die Bullaugen und töteten jene, die einen Blick auf das Schlachtfeld hatten werfen wollen. So schlimm auch das Blutvergießen auf der River Clyde war, so erreichte der Blutzoll doch auf der Pontonbrücke seinen Höhepunkt. Die Türken feuerten ihre Gewehre auf den schmalen Übergang ab und mähten alle Männer der Munster and Dublin Fusiliers nieder, noch bevor diese überhaupt das Ufer erreicht hatten. „Ich blieb auf den Leichtern und versuchte, die Männer anzutreiben, die ans Land eilten, doch das war Mord und bald war der erste Leichter voller Toter und Verwundeter“, berichtete Drewry.
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Indem er beinahe die Worte von Mahmud Sabri wiederholte, fuhr Drewry entsetzt fort und beschrieb, wie sich das Meer durch das Blut der Soldaten rot färbte. „Wenn sie das Ufer erreichten, waren sie nur wenig besser dran, denn hier wurden sie ebenfalls erwischt, bevor sie sich eingraben konnten.“ Tausend Mann versuchten es über die Pontonbrücke, bevor ihre Kommandeure dieses Selbstmordkommando abbrachen. Die Handvoll, die es ans Ufer geschafft hatte, suchte hinter Sanddünen Schutz, wo sie auf den Einbruch der Nacht warteten. Die Strömung riss später die provisorische Pontonbrücke auseinander und zerstörte damit die Verbindung zum Land. Die noch im verstärkten Schiffsrumpf ausharrenden Soldaten warteten bis zum Abend und dem Nachlassen des Feuers, bevor sie die Brücke reparierten und ihre Aufgaben fortführten. Sie setzten sich dem Risiko des Feuers nur aus, um die Verwundeten von den Tendern zu bergen und ins Innere des Schiffs zu bringen.29 Auch am Strandabschnitt W erlitten die Briten schwere Verluste. Fast 1000 Briten saßen nervös auf den Bänken ihrer Landungsboote, während sie sich dem von der Bombardierung noch immer schwelenden Strand unterhalb des zerstörten Kap-Helles-Leuchtturms näherten. Ihnen stand eine Kompanie gut verborgener türkischer Soldaten gegenüber – insgesamt wohl etwa 150 Mann. Als die Ruderboote noch etwa 50 Meter vom Ufer entfernt waren, so erinnerte sich Major Haworth der Lancashire Fusiliers, „brach ein furchtbares Gewehr- und maximales Geschützfeuer von den Kliffs aus los“, die sich oberhalb der Bucht befanden. Er bemerkte, wie die „mutigen Matrosen“ weiterruderten, „während sie und unsere Männer getroffen wurden“. Als sich die Boote dem Strand weiter genähert hatten, befahl Major Haworth seinen Männern, die Boote zu verlassen, um im Wasser dem Beschuss zu entgehen. Damit befanden sie sich bis zur Brust im Meer. Viele der zuvor vom türkischen Feuer verletzten Soldaten gingen wegen ihres schweren Gepäcks unter (jeder Mann trug 200 Schuss Munition und Vorräte für drei Tage mit sich) und ertranken.30 Einmal auf dem Strandabschnitt W angekommen (der später in Lancashire Landing umbenannt wurde), geriet Haworths Kompanie in ein Kreuzfeuer. Einer der ihn begleitenden Hauptleute wurde tödlich getroffen. Nachdem sie den Ursprung der Schüsse in einer Stellung am Gipfel eines Hügels ausgemacht hatten, befahl Haworth seinen Soldaten, sie
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einzunehmen. Bei ihrem Weg bergan musste der britische Offizier mit ansehen, wie links und rechts von ihm Männer tot oder verwundet zu Boden gingen. Haworth selbst entging nur knapp dem Tod, als ein türkischer Soldat aus kurzer Entfernung auf ihn schoss und die Spitze seines rechten Ohrs traf. Der Brite erschoss den Mann mit seiner Pistole und setzte seinen Weg nach oben fort. „Gerade als ich den Schützengraben erreichte, kam es zu einer gewaltigen Explosion – der Graben war vermint, und ich sowie alle in meiner Nähe wurden rasch wieder an den Fuß der Klippe geworfen.“ Etwas benebelt versammelte Haworth die 40 Überlebenden seiner Kompanie, um am Fuß der Hügel Schutz zu suchen. Hier waren sie den Rest des Tages über Scharfschützen ausgeliefert; sechs weitere Männer wurden getötet oder verwundet, dann traf es auch Haworth selbst. Von seiner Verletzung gelähmt, musste Haworth in der schrecklichen Gegenwart von Toten und Verwundeten ausharren, bis die Sanitäter nach Sonnenuntergang den Strand erreichen konnten.31 Am Kap Helles hatten die Briten eine vergleichsweise einfache Landung. In der Morto-Bucht stand den Angreifern nur eine Handvoll türkischer Verteidiger gegenüber, wodurch sie ihre Stellung sichern konnten. Auch eine Landung am Strandabschnitt X hatten die Osmanen nicht berücksichtigt und nur einen Zug zur Bewachung positioniert. Die Invasoren konnten den Strand unter geringen Verlusten einnehmen. Die Truppen, die am Abschnitt Y ankamen, fanden ihn gänzlich verlassen vor. Innerhalb von 15 Minuten hatten 2000 Mann den Strand besetzt und erklommen die starke Steigung auf die Hochebene. Als sie jedoch südwärts marschieren wollten, um die britischen Stellungen rund um das Kap Helles zu verstärken, stießen sie auf die steile Klamm Zığındere, auch Gully Ravine genannt. Die von den britischen Strategen verwendeten Karten waren so ungenau, dass sie dieses unpassierbare Hindernis nicht einmal verzeichnet hatten. Damit war es der Landungstruppe nicht nur unmöglich, die bedrängten britischen Kräfte zu entlasten, sondern die britischen Einheiten hatten zudem die Schlucht im Rücken, als osmanische Soldaten am späteren Nachmittag einen scharfen Gegenangriff begannen. Gefangen auf dem Hochplateau, ohne Möglichkeit zum Rückzug und den entschlossenen türkischen Angriffen die ganze Nacht über ausgesetzt, erlitten die Briten mehr als 700 Opfer, bevor sie am folgenden Morgen den Strandabschnitt Y wieder räumen konnten.
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Während sich der Tag hinzog, landeten die nächsten Wellen der britischen Verstärkung. Die Angreifer begannen, die osmanischen Verteidiger vom Kap Helles zurückzudrängen, was den Druck auf die Strände V und W verringerte, an denen die Briten so herbe Verluste zu beklagen hatten. Als die Nacht hereingebrochen war, gingen frische britische Kräfte auch an diesen gefährlichen Stellen an Land. Die Besatzung der River Clyde setzte die Landungsbrücke wieder instand, und zwischen 20:00 und 22:30 Uhr konnten die Soldaten an den Verwundeten und Toten vorbei an Land gehen. Die Verteidiger setzten den Beschuss auf die Strände „mit Granaten, Schrapnell und allen möglichen anderen gefährlichen Dingen“ fort, doch das Feuer war inzwischen deutlich weniger intensiv und „es entstand nur wenig Schaden“, beobachtete der Midshipman Drewry von seiner Position auf der River Clyde aus. Nach einem furchtbaren Tag der Kämpfe sahen die Türken mit zunehmender Sorge, wie immer mehr frische britische Soldaten anlandeten. Einer der Verteidiger um Strand V schrieb seinem Vorgesetzten mit wachsender Dringlichkeit, er möge Verstärkung anfordern oder die Erlaubnis zum Rückzug geben. „Schicken Sie die Ärzte, um meine Verwundeten wegzubringen. Ach! Ach, mein Hauptmann, schicken Sie mir um Gottes Gnade Verstärkung, denn Hunderte Soldaten kommen an.“ Am Strandabschnitt W griffen türkische Truppen zweimal in der Nacht britische Stellungen an, wurden aber wieder auf ihre Position zurückgeworfen.32 Bei Sonnenaufgang am Montag, den 26. April, hielten die Briten vier der fünf Landungsbereiche; sie evakuierten den Abschnitt Y im Laufe des Vormittags, um die überlebenden Soldaten an anderen Stellen einzusetzen. Am Ende ihres ersten Tags auf Gallipoli war es den Briten gelungen, einen Brückenkopf zu sichern, doch zu einem erschreckend hohen Preis. Der intensive Widerstand der Osmanen hatte sie überrascht und verhindert, dass sie wie geplant die Anhöhe von Achi Baba (Elçı Tepe), acht Kilometer landeinwärts, erreichten. Und dabei blieb es: Trotz all der Soldaten und des im Laufe des Jahres 1915 auf Gallipoli eingesetzten Materials sollten die Briten Achi Baba niemals erreichen.
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Die französischen Truppen trafen anfangs auf nur geringen Widerstand, als sie an den Stränden von Kumkale landeten. Gegen 5:15 Uhr eröffnete die französische Flotte das Feuer auf die osmanischen Stellungen entlang der Küste. Die Kanonade dauerte länger als geplant, da die Strömung die Landungsboote erheblich verlangsamte (wie es auch den Briten am Kap Helles ergangen war). Die Franzosen nutzten die zweistündige Verzögerung der Landung zu ihrem Vorteil, zerschossen Kumkale völlig und trieben die Verteidiger zurück auf die Ostseite des Menderes-Flusses. Als die senegalesischen Truppen um 10:00 Uhr den Strand stürmten, feuerte nur noch ein Maschinengewehr auf die Männer, und auch dieses wurde schnell durch Geschosse von den Schiffen zum Schweigen gebracht. Französische Truppen besetzten um 11:15 Uhr die Stadt Kumkale und stellten damit sicher, dass die britische Landung am Kap Helles nicht von dieser Stellung aus unter Feuer geriet.33 Den ganzen weiteren Tag über landeten Soldaten in Kumkale. Gegen 17:30 Uhr waren alle Soldaten und die Artillerie an Land. Die Franzosen konsolidierten ihre Stellung in Kumkale, um sich den türkischen Truppen entgegenzustellen, die sich in der benachbarten Stadt Yenişehir zusammenzogen. Nach Einbruch der Dunkelheit begannen die Türken den ersten von vier Angriffen auf die französischen Stellungen. Die Vorstöße mit Bajonetten führten zu intensiven und chaotischen Mann-gegenMann-Kämpfen. Die Zahl der Toten stieg auf beiden Seiten. Während die Franzosen ihre Stellung in Kumkale halten konnten, stellten sie doch zunehmend den Sinn des Versuchs infrage, Yenişehir zu erobern. Die Besetzung der asiatischen Küste sollte nur übergangsweise sein, und jeder Gefallene in Kumkale war ein Soldat weniger, der die Briten auf Gallipoli unterstützen konnte, wo sie dringender benötigt wurden. Am Morgen des 26. April näherten sich 80 unbewaffnete osmanische Soldaten – Griechen und Armenier – den französischen Linien und schwenkten die weiße Fahne der Kapitulation. Sie wurden zu Kriegsgefangenen. Kurz darauf marschierten Hunderte türkische Soldaten ungedeckt auf die Franzosen zu, doch dieses Mal waren die Männer bewaffnet und hatte die Bajonette aufgesteckt. Die Franzosen glaubten, auch diese Soldaten wollten sich ergeben und erlaubten den Männer, sich zu nähern, um ihre Waffen niederzulegen. Ein französischer Offizier namens Rockel ging ihnen entgegen, um mit ihnen zu verhandeln, verschwand aber in der
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Menge und tauchte nie wieder auf. Türkische Soldaten nutzten die Verwirrung, um die französischen Linien zu überqueren und Stellungen innerhalb des besetzten Dorfes Kumkale einzunehmen. Andere überwältigten französische Soldaten und konnten zwei Maschinengewehre an sich reißen. Als Berichte über die Lage den französischen Kommandeur General Albert d’Amade erreichten, befahl er seinen Männern, das Feuer zu eröffnen. Nun fanden sich die Franzosen eingeklemmt zwischen dem Beschuss von Häusern hinter ihren eigenen Linien und Schusswechseln in gemischten Gruppen aus französischen und türkischen Soldaten wieder – das Chaos war perfekt. Die Franzosen kämpften bis zum frühen Nachmittag, um Kumkale erneut vollständig zu besetzen, und feuerten auf die von Türken besetzten Häuser. Später erschossen sie standrechtlich einen türkischen Offizier und acht Soldaten als Vergeltung für die (vermutete) Ermordung des Offiziers Rockel unter der weißen Flagge des Unterhändlers. Indem sie Verwirrung gesät hatten, war es den Türken gelungen, die Franzosen in Kumkale zu binden und den Angreifern schwere Verluste zuzufügen.34 Da die Franzosen immer mehr Mannschaften verloren und die Briten am Kap Helles dringend Verstärkung benötigten, entschieden die alliierten Kommandeure am 26. April, sich aus Kumkale zurückzuziehen. Im Schutz der Dunkelheit wurden alle französischen Soldaten und das Material wieder auf Schiffe verladen, zusammen mit 450 Kriegsgefangenen. Am Morgen des 27. April überquerte der Konvoi die Meeresstraße und betrat im Abschnitt V über die nun gesicherte Landungsbrücke der River Clyde Gallipoli. Die französischen Truppen waren rechts, also auf der östlichen Seite der alliierten Linien stationiert, von wo aus sie die Straße der Dardanellen überwachen konnten, während die Briten sich auf den westlichen Teil der Front konzentrierten, von wo aus sie die Ägäis im Blick behielten. Gemeinsam stabilisierten sie eine Kampflinie, um die starke osmanische Verteidigung anzugehen, die zwischen den Angreifern und der strategisch wichtigen, die Südspitze Gallipolis dominierenden Anhöhe Achi Baba lag.35
* Die erste Welle australischer Soldaten machte sich in der Dämmerung des 25. April auf den Weg zur Küste von Arıburnu. Der für die Landung vorgesehene Strandabschnitt lag nördlich eines unter dem Namen Gaba Tepe
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(Kabatepe) bekannten felsigen Vorsprungs. Doch auch in diesem Fall hatte man bei der Planung die starke Strömung vor Gallipoli falsch berechnet, weshalb die Dampfschiffe die von ihnen gezogenen vier Landungsboote weit vom Kurs abbrachten und 1,5 Kilometer nördlich der eigentlich geplanten Stelle in einer kleinen Bucht an Land setzten, die fortan den Namen ihrer Invasoren tragen sollte – die ANZAC-Bucht. Die rudernden Matrosen hatten Schwierigkeiten, im frühen Morgenlicht und vor einer unbekannten Küste ihre Position auszumachen. Das hatte zur Folge, dass die Truppen nach ihrer Landung eine gänzlich andere Landschaft vorfanden als geplant und vor einem weiteren Höhenkamm standen, den sie überqueren mussten, um das Hochplateau zu erreichen. Die aus diesem Fehler resultierende Verwirrung sollte die ANZAC-Truppen noch den gesamten Tag beschäftigen. Osmanische Wachposten erblickten die Leichter, als diese sich der Küste näherten. Der Journalist C. E. W. Bean, der die australischen Truppen als offizieller Historiker begleitete, hielt in seinem Tagebuch die Uhrzeit fest, 4:38 Uhr, als er die ersten Schüsse vom Ufer her hörte – „zunächst nur ein paar vereinzelte Schüsse, dann schwerer und dauerhaft“. Die „wie Sardinen in die Boote gezwängten“ Landungstruppen fühlten sich dem Gegner ausgeliefert, da „die Türken uns von der Spitze eines gro-
Australische und neuseeländische Truppen landen am Morgen des 25. April 1915 bei Ari Burun, nördlich von Gaba Tepe.
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ßen, entlang der Küste verlaufenden Hügels vergnügt niedermachten“, wie sich ein Australier aus der ersten Welle erinnerte. Die Soldaten beeilten sich, die Landungsboote zu verlassen, da sie miterleben mussten, wie Kameraden um sie herum verletzt und getötet wurden.36 Nachdem die Männer einmal an Land waren, löste sich der sorgfältig konzipierte Schlachtplan endgültig auf. Die von der Strömung fortgetriebenen Soldaten waren nicht nur am falschen Ort, sondern auch in der falschen Anordnung angelandet. Das heißt, Mannschaften wurden von ihren befehlshabenden Offizieren getrennt und Einheiten miteinander vermischt. Unter feindlichem Feuer, aber voller Begeisterung, schlossen sie sich dem nächstbesten Offizier an, pflanzten die Bajonette auf und erstürmten die erste Anhöhe des Hügels, um die Osmanen zurückzudrängen. Ein australischer Infanterist schrieb später nach Hause: „Die Kameraden jubelten über jeden eroberten Meter, und ich bin wirklich überzeugt, dies half, die Türken zu entmutigen, da sie, als wir fast den Gipfel erreicht hatten, aus ihren Gräben sprangen und wie die Hasen zur zweiten Grabenreihe liefen, etwa 800 Meter weit oder mehr.“ Der schnelle und erfolgreiche Bajonettangriff wiegte die australischen Soldaten in falscher Sicherheit, denn die Osmanen bereiteten bereits einen Gegenangriff vor, um die Invasoren zurückzuwerfen.37 Mustafa Kemal Beys Hauptquartier lag nur ein paar Kilometer von der ANZAC-Bucht entfernt. Als er von der Landung erfuhr, entsandte der osmanische Befehlshaber ein Kavallerieschwadron, das beobachten und berichten sollte. Um 6:30 Uhr erhielt er von seinem befehlshabenden Kommandeur die Anweisung, ein Bataillon (rund 1000 Mann) gegen die Invasoren zu schicken. Er wusste aber aufgrund seiner eigenen Aufklärungsbemühungen, dass er eine gesamte Division (rund 10 000 Mann) brauchen würde, um einen Angriff dieses Ausmaßes abzuwehren. Mustafa Kemal schickte seine Befehle an das osmanische 1. Infanterieregiment und ließ eine Batterie zusammenstellen, um die Schlacht vorzubereiten und begab sich dann persönlich an die Front, um sich einen Überblick zu verschaffen.38 Um 8 Uhr waren 8000 australische Soldaten in der ANZAC-Bucht gelandet. Um 10:45 Uhr erreichten die ersten neuseeländischen Truppen das Ufer. Die Invasoren waren nördlich und südlich der Landungsbereiche auf heftigen Widerstand gestoßen, wo gut positionierte osmanische Kano-
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niere mit Schrapnell- und Maschinengewehren eine tödliche Gefahr darstellten. Ein Landungsboot im Norden war von Maschinengewehrfeuer getroffen worden und von den 140 Mann Besatzung erreichten nur 18 lebend und unverletzt das Land. Jene Soldaten, deren Landungsstelle Gaba Tepe am nächsten lag, gerieten unter Schrapnellbeschuss der höher positionierten Osmanen. Dennoch gelang es der Hauptstreitmacht der ANZAC-Truppen, im Lauf des Vormittags die zentralen Bereiche des Strandes zu sichern und die Verteidiger aus dem ersten und zweiten Verteidigungsring oberhalb der Bucht zu vertreiben. Auf dem Weg zur Front begegnete Mustafa Kemal einer Gruppe von osmanischen Soldaten, die sich zurückzogen, da sie keine Munition mehr hatten. Er befahl ihnen, die Bajonette auf ihre nutzlosen Gewehre aufzupflanzen und in ihrer Stellung auszuharren. Der osmanische Kommandeur erkannte die Verwundbarkeit der ANZAC-Stellung. Obwohl ihnen die Landung vieler Soldaten gelungen war, befanden sich die Australier und Neuseeländer in „einer ungünstigen und sehr breiten Front … die von vielen Tälern zerteilt wurde, die Hindernisse darstellten. Daher war der Feind an diesem Teil der Front sehr schwach.“ Zudem hatte Mustafa Kemal größtes Vertrauen in die Kampfkraft seiner Soldaten. Bei der Vorbereitung der Truppen auf den Gegenangriff überlegte er: „Dies war kein gewöhnlicher Angriff. Jeder an dieser Attacke Beteiligte war hungrig auf den Sieg oder das Vorrücken und entschlossen zu sterben.“ Die Stärke des türkischen Gegenschlags traf die ANZAC-Truppen unvorbereitet. Kurz vor Mittag „begannen deutlich verstärkte [Osmanen] einen verzweifelten Gegenangriff, unterstützt von Artillerie und Maschinengewehren, und da sie unsere Lage ausgesprochen genau kannten, machten sie uns das Leben so schwer wie nie zuvor“, schrieb ein australischer Soldat später. Während frische neuseeländische Mannschaften die ANZAC-Stellungen verstärkten, gruben sich die Invasoren ein und „ließen sich [für ein Feuergefecht] nieder“, das „unablässig die ganze Nacht anhielt“. Die Osmanen profitierten von ihrer mobilen Artillerie und ließen Schrapnell und Maschinengewehrfeuer auf die Angreifer niedergehen, was deren Opferzahlen deutlich ansteigen ließ.39 Der neuseeländische Unteroffizier Mostyn Pryce Jones verlor am ersten Einsatztag rasch all seine Illusionen über dieses große Kriegsabenteuer. Er
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Mustafa Kemal. Der spätere Atatürk entwickelte sich während des Ersten Weltkriegs zu einem der bedeutendsten osmanischen Befehlshaber und kämpfte auf Gallipoli, in Edirne, im Kaukasus, in Palästina und Syrien. Er sollte nach dem Weltkrieg zum Gründungsvater der Türkischen Republik werden.
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war vormittags gelandet und kämpfte sich mit seiner Einheit unter heftigem Schrapnellbeschuss durch ein steiles Tal. „Unsere Männer fielen einer nach dem anderen, und dennoch setzten wir mutig den Kampf fort, bis wir schließlich die Schützenlinie erreicht hatten.“ Jones wurde durch die steigende Zahl von Opfern demoralisiert. „Man kann sich nicht vorstellen, wie furchtbar es ist, deine Zimmergenossen und Kameraden, die eben noch gelacht und gescherzt hatten, nun mit allen Arten schlimmer Wunden neben dir zu Boden gehen zu sehen.“ Am Ende des Tages traten nur 86 der anfänglich 256 Mann von Jones’ Einheit noch zum Appell an – alle anderen waren tot, verwundet, vermisst oder im Chaos der ANZACBucht einfach von dem Rest getrennt worden.40 Im Verlauf des Tages verließen immer mehr vereinzelte Soldaten die Kampflinie, um zur Küste zurückzukehren. Sie hatten ihr schweres Gepäck am Strand zurückgelassen, um die steilen Hänge an der Landungsstelle leichter erklimmen zu können. Nun suchten die nach einem Kampftag hungrigen und durstigen Soldaten auch nach ihren Munitionsvorräten. Diese erschöpften und desillusionierten Männer durchquerten die Haupttäler auf dem Weg zurück zum Strand – die Soldaten waren zu Versprengten geworden. Die türkischen Verteidiger nutzten die Verwirrung und Unordnung unter den feindlichen Truppen aus. Bei der wahrscheinlich mutigsten Tat des Tages durchbrachen einige osmanischen Soldaten die australischen Linien und gaben sich als indische Soldaten aus, die in der britischen Indienarmee kämpften. Da die Australier tatsächlich eine Abteilung der indischen Verstärkung erwarteten, funktionierte die List der Türken besser, als diese selbst wohl zu hoffen gewagt hatten. An der Front verbreitete sich das Gerücht, eine Abordnung von Indern sei eingetroffen und verlange eine Besprechung mit den australischen Offizieren. Ein Leutnant namens Elston, begleitet von einem Übersetzer, machte sich auf den Weg, um die „Inder“ zu treffen. Diese baten um ein Gespräch mit einem höherrangigen Offizier „um Dinge zu besprechen“, und ein Adjutant – Hauptmann McDonald – wurde geschickt, sich ihnen anzuschließen. „Kurz darauf traf die Nachricht ein, sie wollten den Oberst sprechen.“ Als der befehlshabende Offizier, Oberst Pope, eintraf, fand er Elston und McDonald „in einer Unterredung mit sechs Soldaten verwickelt, die Gewehre und Bajonette bereithielten“, und fing an, eine Falle zu vermuten. Als sich der Oberst
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der Gruppe näherte, umringten die türkischen Soldaten die Australier. Pope gelang es zwar noch, in der folgenden Schießerei zu entkommen, doch Elston, McDonald und der Übersetzer gerieten in Gefangenschaft. Von diesem Coup war am nächsten Tag in den Istanbuler Zeitungen zu lesen. Den Journalisten C. E. W. Bean faszinierte die Geschichte und er hielt fest: „Wie leicht war es doch für einen Orientalen, sich als Inder zu verkleiden und über den Strand zu spazieren – nicht ein einziger unserer Männer hätte ihn erkannt.“41 Am Ende des Tages waren rund 15 000 ANZAC-Männer rund um Arıburnu an Land gegangen. Ihre Opferquote lag bei 20 Prozent: Es waren 500 Soldaten getötet und 2500 verwundet worden. Sie hatten jeden verfügbaren Mann in die Schlacht geworfen und keine frischen Soldaten in Reserve. Im Verlauf der heftigen Gefechte des Tages konnte das ANZAC zwar einen Brückenkopf sichern, hatte aber aufgrund der starken türkischen Gegenwehr nicht einmal die Hälfte seiner Ziele erreicht. Da die Täler und Strände von versprengten Soldaten nur so wimmelten und damit zu wenige Soldaten vor Ort blieben, um die Frontlinie zu sichern, hielten die ANZAC-Kommandeure ihre Stellung für zunehmend unhaltbar. Sollten die Osmanen am nächsten Tag einen größeren Gegenschlag durchführen, so fürchteten sie, stünden die Chancen schlecht, dass eine Katastrophe noch abgewendet werden könne. Sie wägten ihre Optionen ab und baten dann um Boote, um alle Soldaten aus Arıburnu zu evakuieren.42 Sir Ian Hamilton, Oberbefehlshaber der Expeditionary Force, besprach sich in der Nacht vom 25. auf den 26. April mit seinen Kommandeuren, um alle Möglichkeiten zu evaluieren. Die Alliierten hatten sehr hohe Verluste erlitten, ihre Landungen aber dennoch vollständig durchführen können. Auch wenn an keinem der Abschnitte die hochgesteckten Tagesziele erreicht wurden, so glaubte Hamilton doch, dass nun, da die Alliierten an Land waren, das Schlimmste hinter ihnen lag. Vorliegenden Berichten konnte er entnehmen, dass auch die Osmanen große Verluste zu beklagen hatten und gezwungen worden waren, ihre Kräfte aufzuspalten, um die Alliierten an mehreren Stellen gleichzeitig bekämpfen zu können. Die Angreifer setzten darauf, durch den Ausbau ihrer Stellungen den Widerstand und die Moral der osmanischen Verteidiger zu brechen. Jeder Versuch, die ANZAC-Truppen wieder einzuschiffen – eine zweitägige Operation –, hätte den gegenteiligen Effekt gehabt und die Türken ermutigt. Zudem
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wären die sich zurückziehenden Truppen anfällig für einen osmanischen Angriff gewesen. Hamilton entschied, die Bitte der ANZAC-Kommandeure um Evakuierung ihrer Truppen abzulehnen. „Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich genau dort einzugraben und durchzuhalten“, erläuterte Hamilton weiter. „Machen Sie einen persönlichen Aufruf an Ihre Männer … damit diese sich besonders bemühen, ihre Stellungen zu halten.“ Um seine Auffassung noch deutlicher zu machen, fügte er in einem Postskriptum hinzu: „Sie haben den schwierigen Teil nun hinter sich. Nun müssen Sie nur noch graben, graben, graben, bis Sie sicher sind.“ Um das Fehlen der Feldartillerie auszugleichen, befahl Hamilton der Flotte, das Feuer auf die türkischen Stellungen jenseits der ANZAC-Linie zu eröffnen, um so den Australiern und Neuseeländern Zeit für die Sicherung ihrer Positionen zu verschaffen. Als am 26. April die Sonne aufging, blieb die befürchtete türkische Gegenoffensive aus. Beide Seiten, so schien es, benötigten Zeit, um sich zu reorganisieren, bevor sie in die Schlacht zurückkehren konnten.43
* Seit Beginn der Schlacht um Gallipoli wirkte es so, als wären die Osmanen und die Invasoren aus dem gleichen Holz geschnitzt. Beide Seiten erwiesen sich als hartnäckig und mutig in einem Kampf, der für fast alle Teilnehmenden die erste Schlacht ihres Lebens war. Doch die an diesem 25. April in Gang gesetzten Ereignisse sollten in den kommenden Monaten noch weitaus mehr Hartnäckigkeit und Mut erfordern, denn es folgten viele Wochen furchtbarer Gewalt. Die Kommandeure beider Seiten standen immer wieder vor schwierigen Entscheidungen und mussten den Einsatz ihrer Truppen an der Meerenge gegen wachsenden Druck verteidigen, da ihre Mannschaften an anderen Fronten ebenfalls gebraucht wurden. Auf alliierter Seite hatte die Westfront dabei stets eine höhere Priorität. Für die Osmanen hatten die Dardanellen höchste Priorität, ging es doch bei dieser Schlacht um das Überleben des Reichs. Die osmanischen Militärstrategen konnten sich jedoch nicht den Luxus erlauben, nur allein die Verteidigung dieser Meeresstraße im Blick zu behalten. Von mehreren Fronten gleichzeitig erreichten die Jungtürken dringende Appelle nach militärischen Ressourcen – besonders aus dem Kau-
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kasus, wo die russisch-armenische Zusammenarbeit die Osmanen in einer besonders verwundbaren Region bedrohte. Als Reaktion auf diese Bedrohung griffen die Jungtürken in der Folge zu Mitteln, die man seither als Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt.
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KAPITEL 7 DIE VERNICHTUNG DER ARMENIER
Im Frühjahr 1915 wurde das Osmanische Reich aus drei Himmelsrichtungen angegriffen. Seit die britisch-indischen Truppen in den letzten Monaten des Jahres 1914 Basra erobert hatten, bildeten sie im Süden des Landes eine massive Bedrohung. Im Osten befand sich die osmanische 3. Armee nach Enver Paschas gescheitertem Feldzug gegen die Russen im Dezember 1914 und Januar 1915 bei Sarıkamış in Auflösung. Und im Westen hatte die britische und französische Flotte schwere Angriffe auf die Dardanellen begonnen und es war der alliierten Infanterie gelungen, mehrere Strandabschnitte auf beiden Ufern der Meeresstraße zu erobern. Es gab also durchaus Gründe für jene Panik, die im März 1915 über der Hauptstadt des Reichs lag. Der Zusammenbruch des gesamten Landes schien unmittelbar bevorzustehen. Mit Beginn des Frühlings endete der Aufschub, den der Winter den Türken gewährt hatte. Der hohe Schnee im Kaukasus schmolz. Die Winterstürme in der Ägäis endeten und machten ruhigerem und stabilerem Wetter vor Gallipoli Platz. Die Feinde waren wieder auf dem Vormarsch, und im April 1915 wurde das Osmanische Reich mit den bisher schwersten Herausforderungen in seiner Geschichte konfrontiert. Die Jungtürken hatten nur sehr begrenzte Mittel, um diese Bedrohungen zu meistern. Sie bemühten sich darum, die 3. Armee neu aufzubauen, um den Kaukasus gegen Russland zu verteidigen, während sie zugleich jede verfügbare Einheit für die Verteidigung der Dardanellen brauchten, womit fast keine regulären Truppen mehr übrig waren, um die Briten aus Mesopotamien zu vertreiben. Die Osmanen mobilisierten ihre Bevölkerung für einen totalen Krieg, verstärkten die Wehrpflicht und griffen auf Polizisten und Gendarmen zurück, um die regulären Infanterieeinheiten aufzustocken (Gendarmen waren berittene Polizeieinheiten auf dem Land).
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Envers Geheimorganisation, die Teşkilât-ı Mahsusa, rekrutierte Kurden, beduinische Stammeskrieger und freigelassene Gefangene als irreguläre Kämpfer. Und als die Jungtürken im Frühjahr 1915 die gesamte armenische Bevölkerung des Osmanischen Reichs zu einer gefährlichen fünften Kolonne erklärten, mobilisierten die Unionisten sogar noch die einfachen Untertanen als Helfer bei der Vernichtung der Armenier.
* Nach der Niederlage gegen die russische Armee bei Sarıkamış wurden die Überlebenden der osmanischen 3. Armee durch einen unsichtbaren Feind weiter dezimiert – Krankheiten. Zwischen Oktober 1914 und Mai 1915 fielen bis zu 150 000 Soldaten und Zivilisten im Nordosten der Türkei Infektionen zum Opfer, also weit mehr als die 60 000 Soldaten, die in den eigentlichen Schlachten ums Leben kamen.1 Soldaten trugen eine Vielzahl ansteckender Krankheiten in sich. Nachdem sie wochenlang fast ungeschützt den Elementen ausgesetzt waren, war ihr Immunsystem stark geschwächt. Sie infizierten sich durch das verunreinigte Essen und Wasser, das sie sich beschafften, mit Typhus und Ruhr. Die ungewaschenen Soldaten wurden von Läusen und Flöhen heimgesucht, die zudem das Fleckfieber übertrugen. Während die Soldaten in den Dörfern und Städten Ostanatoliens stationiert waren, übertrugen sich die Erkrankungen von den Uniformierten auf die Zivilbevölkerung. Und indem sie von Soldaten auf Zivilisten und von Zivilisten auf Soldaten übertragen wurden, verbreiteten sich diese todbringenden Krankheiten und nahmen in den ersten Monaten des Jahres 1915 epidemische Ausmaße an. Die Gesundheitsbehörden in Erzurum, die bereits mit den Kriegsverwundeten ausgelastet waren, wurden von der neuen Krankheitswelle völlig überrannt. Da das örtliche Militärkrankenhaus nur Platz für 900 Patienten bot, waren die Behörden gezwungen, die Kranken und Verwundeten auch in Schulen, Moscheen und Amtsgebäuden in Erzurum unterzubringen. Bis zu 1000 neue Patienten wurden täglich zusätzlich aufgenommen, sodass die Anzahl der Pflegebedürftigen auf dem Höhepunkt der Krise auf bis zu 15 000 Menschen stieg. Lebensmittel und medizinische Vorräte waren rasch aufgebraucht, was das Elend der Kranken und Verwundeten nur noch verschärfte. Einige Patienten mussten zwei oder drei
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Tage ohne Essen ausharren; in Erzurum verhungerten Patienten in einem Krankenhaus. Die Behörden verfügten auch nicht über ausreichend Brennholz, um die improvisierten medizinischen Einrichtungen im tiefsten Winter zu heizen. Diese Umstände vergrößerten die Not der Kranken und Verwundeten – und führten zu einer erschreckend hohen Sterblichkeitsrate.2 Die amerikanische Missionarsschule in Erzurum war in eine 400-BettenKrankenstation umgewidmet worden, von der der Missionsarzt Dr. Edward Case glaubte, dass sie eher der Verbreitung denn der Behandlung von Krankheiten diente. Die Patienten lagen dicht an dicht auf Strohmatten auf dem Boden, sodass es unmöglich war, die Ansteckenden unter ihnen zu isolieren. Da keine Desinfektionsmittel oder andere sanitäre Möglichkeiten zur Bekämpfung der Krankheiten zur Verfügung standen, wurden die Krankenhäuser selbst schnell zu Ansteckungszentren. Zwischen Dezember 1914 und Januar 1915 berichtete Dr. Case von bis zu 60 000 Toten (Zivilisten und Soldaten) in Erzurum – einer Stadt, die vor dem Krieg selbst nur eine Einwohnerzahl von 60 000 gehabt hatte. Dabei war Erzurum kein Einzelfall. Der amerikanische Konsul in Trabzon schätzte, dass im Winter 1914/1915 in der Hafenstadt am Schwarzen Meer zwischen 5000 und 6000 Soldaten und Zivilisten an Fleckfieber starben. Ärzte vor Ort gaben an, die Sterblichkeitsrate bei dieser Krankheit habe auf dem Höhepunkt der Epidemie bis zu 80 Prozent betragen.3 Diese Umstände brachten neben den Patienten auch die Mediziner in Gefahr. Zu einem bestimmten Zeitpunkt waren zwischen 30 und 40 Ärzte in dem „ansteckenden Krankenhaus“ in Erzurum untergebracht, von denen laut Dr. Case „alle an Fleckfieber litten, und rund die Hälfte von ihnen, oder mehr, starben an der Krankheit“. Nach zwei Monaten in dieser gesundheitsgefährdenden Krankenhausabteilung zog sich Case selbst ebenfalls Fleckfieber zu, erholte sich aber von der Krankheit. Case hatte damit mehr Glück als andere: Der US-Konsul in Trabzon gab an, mehr als 300 Ärzte und medizinisches Personal seien zwischen Oktober 1914 und Mai 1915 im Nordosten der Türkei verstorben. Da immer mehr Gesundheitspersonal erkrankte und ausfiel, standen immer weniger Menschen vor Ort zur Verfügung, um die Kranken und Verwundeten zu versorgen. Im Winter 1915 schwebte der Tod drohend über den Lebenden. Dr. Case beschrieb das Grauen, das er in Erzurum mit ansehen musste: „Es gab
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derart viele Tote, dass man ihre Beisetzung am Tag verbot und sie nachts, nachdem man ihnen die Kleidung ausgezogen hatte, in Wagenladungen nackt zu den Gräben fuhr. Ich sah einen Graben oder vielmehr ein großes Loch, das zur Hälfte mit Toten in allen möglichen Körperhaltungen gefüllt war, gerade als hätte man sie wie Müll hineingeworfen, und sie zeigten nur halb bedeckt ihre Köpfe, Arme, Beine und sogar andere Teile des Körpers. Andere wurden später darüber geworfen und dann alle zugedeckt. Es war ein furchtbarer Anblick.“ Case sah auch zu, wie sterbende Männer in Massengräber gelegt wurden, damit sie ihr Leben dort aushauchten, wo man sie begraben würde. Angesichts der schieren Masse der Toten und Sterbenden hatten die Lebenden ihr Mitgefühl verloren.4 Der Sanitätsunteroffizier Ali Rıza Eti, der schon in Sarıkamış dabei gewesen war, wurde auf dem Höhepunkt der Epidemie an das Militärkrankenhaus in Erzurum versetzt. Man machte ihn zum Leiter der Quarantänestation, nachdem sich sein Vorgänger mit Fleckfieber infiziert hatte. Eti empfand die Arbeit als anstrengend und, angesichts seines täglichen Umgangs mit hoch ansteckenden Patienten, als gefährlich. Immer wieder beantragte er eine Versetzung, doch ohne Erfolg. Immer mehr Kranke und Verwundete kamen in das Krankenhaus und belegten augenblicklich jene Betten, die durch gerade verstorbene Patienten frei geworden waren. Nach seiner Zeit an der Front verstand Eti diese Männer und litt mit ihnen. Er wurde zunehmend wütend über das Leid des einfachen Soldaten. Und er konzentrierte seinen Zorn auf die Armenier als Sündenböcke für das Leid der Türken im Krieg. Schon während seiner Zeit in Sarıkamış hatte Eti eine tiefe Abneigung gegen die Armenier entwickelt. Er hatte ihnen regelmäßig fehlende Loyalität gegenüber den Osmanen, die Desertion zu den Russen und den Verrat von Informationen über die eigenen Stellungen vorgeworfen. Zudem war in seinen Aufzeichnungen vom „unbeabsichtigten“ Töten einiger armenischer Soldaten durch ihre osmanischen Kameraden zu lesen gewesen – mit offensichtlicher Genugtuung. Doch erst als er seinen Dienst im Krankenhaus antrat, ergab sich für Eti die Möglichkeit, seinen Hass offen auszuleben. Der Tod eines Soldaten aus Etis Heimatstadt sollte zum Katalysator seiner Wut auf die Armenier werden. Der verletzte Soldat erzählte Eti, er sei von der Front evakuiert worden, dann aber von einem armenischen
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Krankenträger, der in einer Transporteinheit diente, in einem abgelegenen Graben zurückgelassen worden. Nach zwei Tagen in extremer Kälte litt der Mann an Erfrierungen an Händen und Füßen. Die Ärzte in Erzurum versuchten, dem Soldaten durch die Amputation seiner Gliedmaße das Leben zu retten, doch der Verwundete starb einen Tag nach der Operation. „Denk dir, wie verachtenswert der armenische Soldat war“, der einen verwundeten Türken in dem Graben alleinließ, tobte Eti. „Können wir nach dem Krieg noch weiter Brüder und Kameraden sein? Was mich angeht: Nein! Es fällt mir leicht, mich zu rächen. Ich werde einfach drei oder vier Armeniern im Krankenhaus Gift einflößen.“5 Unteroffizier Eti entschied sich dann für Grausamkeit anstatt für Mord, um seinen persönlichen Rachefeldzug gegen die Armenier zu führen. Im Januar 1915 missbrauchte er seine Position im Sanitätswesen, um armenische Mitarbeiter zu entlassen und zu vertreiben. „Ich machte drei Armenier fertig, einen aus Van und einen aus Diyarbakır, indem ich sie ausziehen und ausrauben ließ [das heißt wohl, von ländlichen Marodeuren überfallen, die ihre Opfer in der Regel töteten]. Das nennt man türkische Rache“, freute er sich hämisch. Er entließ vier armenische Frauen und ersetzte sie durch Türkinnen. „Und ich teile die gefährlichsten Arbeiten den armenischen Krankenpflegern zu“, hielt er mit düsterer Zufriedenheit fest.6 Auch wenn er nie behauptete, selbst einen Armenier getötet zu haben, so wollte Ali Rıza Eti die Armenier zweifellos lieber tot als lebendig sehen. Damit stand er nicht allein. Die Niederlage bei Sarıkamış und die furchtbaren Auswirkungen der Infektionskrankheiten hatten die Osmanen an der Ostfront verwundbarer denn je gemacht. Die gespaltene Loyalität einiger Armenier machte in den Augen vieler Türken gleich alle Armenier verdächtig. Die jungtürkische Führung fing an, sich über eine dauerhafte Lösung des „armenischen Problems“ Gedanken zu machen.
* In ihrer kurzen Zeit an der Macht hatten die Jungtürken bereits massive Bevölkerungsverschiebungen veranlasst. Territoriale Verluste auf dem Balkan hatte zu einem Zustrom bettelarmer Muslime geführt, die auf osmanischem Gebiet Zuflucht suchten. Ohne die Ressourcen zur Bewältigung
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dieser humanitären Krise schuf die türkische Führung Platz für die Balkanflüchtlinge, indem sie Tausende osmanischer Christen nach Griechenland abschob. Ein Regierungskomitee leitete die Neuverteilung der Häuser, Felder und Werkstätten der deportierten Christen an die neu angesiedelten Balkanflüchtlinge. Dieser „Bevölkerungsaustausch“ wurde durch formelle Vereinbarungen zwischen der Hohen Pforte und den Balkanstaaten geregelt – eine ethnische Säuberung unter internationaler Zustimmung.7 Die Vertreibung ethnischer Griechen aus dem Osmanischen Reich diente gleich mehreren Zwecken. Die Deportationen machten nicht nur Wohnungen und Arbeitsplätze für die Umsiedlung der muslimischen Flüchtlinge aus dem Balkan frei, sondern erlaubt es den Osmanen zugleich, Tausende Untertanen loszuwerden, deren Loyalität man infrage stellte. Spannungen wegen der Ägäisinseln hatten im ersten Halbjahr 1914 die Gefahr eines Krieges zwischen Griechenland und der Türkei erneut erhöht und die verletzliche Lage der osmanischen Griechen vor Augen geführt. Der Bevölkerungsaustausch nach den Balkankriegen hatte eine international sanktionierte Lösung für das „Griechenproblem“ des Osmanischen Reichs geboten. Was als kontrollierter Austausch einer Grenzbevölkerung zwischen Krieg führenden Nationen begann, entwickelte sich zu einer systematischen Ausweisung ethnischer Griechen aus osmanischem Territorium. Auch wenn keine genauen Zahlen über die Deportationen vorliegen, dürften mehrere Hunderttausend griechisch-orthodoxer Christen vor und während des Ersten Weltkriegs gewaltsam umgesiedelt worden sein. Je tiefer in osmanischem Gebiet die Deportationen durchgeführt wurden, umso mehr musste die Regierung auf Gewalt und Einschüchterung setzen, um ihre Ziele zu erreichen. Griechisch-orthodoxe Christen aus Dörfern in Westanatolien, weit entfernt vom unruhigen Balkan, widersetzten sich den Bemühungen des Staates, sie zu entwurzeln. Gendarmen umstellten die Dörfer, schlugen die Männer, drohten mit der Entführung der Frauen und töteten sogar Menschen, die sich gegen die Deportation zur Wehr setzten. Ausländische Diplomaten, von der Gewalt gegen christliche Zivilisten alarmiert, berichteten von Dutzenden Toten in einigen Dörfern. Trotzdem konnte die Ausweisung der Griechen mit vergleichsweise geringen Opferzahlen durchgeführt werden, da es einen griechischen Staat gab, in den die Menschen deportiert werden konnten.
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Von den osmanischen Armeniern ließ sich das nicht sagen. Auch wenn sie in allen Provinzen des Osmanischen Reichs als Minderheit siedelten, konzentrierten sie sich doch in drei während des Ersten Weltkriegs besonders gefährdeten Regionen: Istanbul, von einer alliierten Invasion unmittelbar bedroht, war die Heimat der größten Gruppe. In Kilikien, am Golf von Alexandrette, verdächtigten die Osmanen die armenische Gemeinschaft, mit der alliierten Flotte gemeinsame Sache zu machen. Und im Kaukasus schadete das Verhalten einer Minderheit von armenischen Nationalisten, die sich dem russischen Feldzug gegen das Osmanische Reich anschlossen, dem Ruf der gesamten Gemeinschaft. Die Jungtürken waren überzeugt, dass von den Armeniern eine weitaus größere Gefahr für das Reich ausgehe als von den Griechen, schließlich hofften einige Armenier darauf, mithilfe der Alliierten eine unabhängige Heimstätte auf osmanischem Gebiet errichten zu können. Eine der ersten Handlungen der Regierung nach dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg war die Außerkraftsetzung der armenischen Reformvereinbarung mit Russland vom Februar 1914. Das Abkommen rief zur Neuorganisation der sechs östlichsten osmanischen Provinzen an der Grenze zu Russland auf und verlangte die Gründung zweier Verwaltungseinheiten unter der Leitung von ausländischen Gouverneuren, wodurch eine autonome Heimstätte für die Armenier geschaffen werden sollte. Die Osmanen hatten sich gegen diese Reformagenda gewehrt, die sie als Vorspiel zur Aufteilung des türkischen Kernlands Anatolien verstanden – ein Plan zur Gründung eines armenischen Staats mit beachtlicher muslimischer Minderheit unter russischem Patronat. Was sie unter Zwang im Februar 1914 unterschrieben hatten, annullierten die Osmanen erleichtert am 16. Dezember desselben Jahres.8 Nach der Sarıkamış-Niederlage fingen die Jungtürken an, über extremere Maßnahmen zur Lösung des Problems nachzudenken, um der Bedrohung ihres Territoriums zu begegnen, die ihrer Meinung nach von den nationalen Bestrebungen der Armenier ausging. Im Februar 1915 kam Dr. Bahattin Şakir, Operationsleiter des Geheimdienstes, des Teşkilât-ı Mahsusa, und Führungsmitglied des Komitees für Einheit und Fortschritt (KEF), von der Kaukasusfront nach Istanbul zurück. Ausgestattet mit vor Ort gesammelten Berichten und Dokumentationen traf sich Şakir mit dem mächtigen Innenminister Talât Pascha sowie einem weiteren Mitglied des
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Zentralkomitees, Dr. Mehmed Nâzım. Şakir sprach von der Notwendigkeit, den „Feind im Inneren“ aufgrund der „Widerstandshaltung, die die Armenier gegenüber der Türkei eingenommen haben und der Hilfe, die sie der russischen Armee liefern“, anzugehen. Auch wenn es keine Mitschrift ihres Treffens gibt – die Überlegungen zu solchen Grausamkeiten hinterlassen nur selten schriftliche Spuren –, so legen es osmanische Dokumente und Erinnerungen von Zeitgenossen doch nahe, dass diese drei jungtürkischen Funktionäre zwischen Februar und März 1915 die wichtigsten Entscheidungen zur Vernichtung der armenischen Gemeinschaft trafen.9
* Die unglückselige armenische Gemeinde in Istanbul spielte ihren Feinden in die Hände, als sie offen die Kriegsbemühungen der Alliierten gegen die Osmanen und Deutschen unterstützte. Krikor (Grigoris) Balakian hatte als armenischer Priester 1914 in Berlin Theologie studiert. Als der Krieg in Europa ausbrach, wollte Balakian sofort nach Istanbul zurückkehren. Die Armenier in Berlin versuchten, Balakian dies auszureden. „Viele rieten mir, in den Kaukasus zu gehen und mich armenischen Freiwilligenverbänden anzuschließen, um dann [zusammen mit der russischen Invasionsarmee] in das türkische Armenien einzumarschieren“, erinnerte er sich. Balakian wollte nichts mit den armenischen Brigaden in Russland zu tun haben, die er eher als Bedrohung denn als Unterstützung für die armenischen Gemeinden im Osten ansah, doch seine Freunde in Berlin bemühten sich, Balakians Bedenken zu zerstreuen. „Gefangen in ihrer nationalistischen Gesinnung wollten sie die einmalige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, das von den Türken begangene Unrecht am armenischen Volk wiedergutzumachen“, formulierte es Balakian.10 Bei seiner Ankunft in Istanbul sammelte Balakian Pluspunkte, indem er den osmanischen Einwanderungsbeamten erklärte, er kehre aus Berlin zurück, und seine Zustimmung zum deutschen Feldzug und den türkischdeutschen Beziehungen deutlich machte. Einer der Zollbeamten, der von Balakians Loyalitätsbekundungen erfreut war, gab dem armenischen Priester einen Rat: „Effendi, empfehlen Sie Ihren Landsleuten in Konstantinopel, deren Meinung von der Ihren stark abweicht, dass sie ihrer Liebe
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Krikor (Grigoris) Balakian. Der armenische Priester war einer der 240 armenischen Gemeindevorsteher, die in der Nacht des 24. April 1915 in Istanbul verhaftet wurden. Er überlebte die Todesmärsche und legte Zeugnis von einem Völkermord ab, den er das „armenische Golgatha“ nannte.
zu Russland abschwören. Sie sind in ihrer Zuneigung und Liebe für die Russen, Franzosen und Engländer so weit gegangen, dass die Armenier an dem Tag lächeln, an dem die Russen gewinnen … doch wenn die Russen besiegt wurden, sind sie traurig. Eine derart sichtbare Ehrlichkeit wird ihnen später viel Ärger bereiten.“ Bereits ein paar Tage nach seiner
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Ankunft musste Balakian sorgenvoll erkennen, dass sich die Beobachtungen des Zollbeamten bewahrheiteten, trugen die Istanbuler Armenier ihre Zufriedenheit mit den Kriegserfolgen der Alliierten doch allzu offen zur Schau. Auch beim Beginn der alliierten Angriffe auf die Dardanellen verbargen die Armenier ihre Vorfreude auf die unmittelbar bevorstehende Befreiung von türkischer Herrschaft nicht. „Waren die mächtigen englischen und französischen Flotten denn nicht schon in den Dardanellen?“, fragte Balakian rhetorisch. „Und stand Konstantinopel denn nicht schon in ein paar Tagen vor dem Fall?“ Er beobachtete bestürzt, wie sich Armenier jeden Tag in Vorfreude versammelten, um „die majestätische britische Flotte durch den Bosporus gleiten zu sehen, natürlich auf ihrem Weg, die Armenier zu retten“. Balakian erklärte, seine Landsleute „glaubten, die historische Stunde sei gekommen, in der ihre uralten Träume und Hoffnungen wahr würden“, was die osmanischen Armenier „in einen Zustand unvergleichlicher Euphorie“ versetzte, ausgerechnet in einem Moment, in dem die osmanischen Türken einer existenziellen Bedrohung gegenüberstanden. Hier findet sich die Formel für Gewalt.11 In Kilikien hatten Talât Pascha und seine Kollegen bereits erste Maßnahmen gegen die armenische Gemeinschaft ergriffen. Das Gebiet rund um Alexandrette war für einen Angriff von See aus besonders anfällig, wie die HMS Doris im Dezember 1914 mit ihren Attacken auf die Eisenbahnlinien und Schienenfahrzeuge in Dörtyol und Alexandrette bereits bewiesen hatte. Alliierte Kriegsschiffe blockierten und bombardierten weiterhin die Küste Kilikiens und hatten Spione an Land gebracht. Armenische Nationalisten wurden verdächtigt, diesen ausländischen Agenten zu helfen und sie mit Informationen über die in der Region stationierten osmanischen Truppen zu versorgen. Kriegsminister Enver Pascha beobachtete diese Entwicklungen mit zunehmender Sorge. „Meine einzige Hoffnung ist, dass der Feind unsere Schwäche [in Kilikien] noch nicht entdeckt hat“, vertraute Enver dem deutschen Feldmarschall Paul von Hindenburg an. Da sie nicht in der Lage waren, die Anzahl der Truppen in der Region zu erhöhen, entschlossen sich Enver und Talât zur gewaltsamen Umsiedlung der armenischen Gemeinschaft.12 Im Februar 1915 begannen die Osmanen, die Armenier aus Dörtyol und Alexandrette in die Region um Adana zu deportieren. Nach dem Vorbild
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des griechischen Bevölkerungsaustauschs siedelte man muslimische Flüchtlinge in den unter Zwang aufgegebenen armenischen Besitztümern an. Die Deportationen verringerten die türkischen Sicherheitsbedenken am Golf von Alexandrette. Doch man kümmerte sich nicht um das Wohlergehen der vertriebenen Armenier, die zum Überleben auf ihre in Adana bereits ansässigen Glaubensbrüder angewiesen waren. Diese staatliche Gleichgültigkeit rief Erinnerungen an Massaker in der Vergangenheit wach, und in den armenischen Gemeinschaften in Ostanatolien ging die Angst um.13 Armenier aus dem Dorf Zeytun (dem heutigen Süleymanlı), etwa 100 Kilometer nordöstlich von Dörtyol, reagierten auf diese ersten Deportationen mit der Vorbereitung eines Aufstands gegen die Osmanen. Mitte Februar reiste eine Gruppe armenischer Rebellen von Zeytun aus nach Tiflis, um die Russen um Waffen und Unterstützung zu bitten. Sie gaben an, 15 000 Mann für eine Rebellion gegen die Osmanen bereitstehen zu haben. Viele dürften noch der irrigen Überzeugung gewesen sein, ein großer Aufstand würde umgehend eine alliierte Intervention zugunsten der Armenier nach sich ziehen. Die Russen waren jedoch nicht in der Lage, Waffen zu liefern, geschweige denn Truppen nach Kilikien zu entsenden, das so weit von ihren eigenen Grenzen entfernt war.14 Ende Februar informierte eine Gruppe armenischer Würdenträger aus Zeytun die osmanischen Behörden, dass Aktivisten eine Revolte planten. Die christlichen Führer hofften, ihre Gemeinde durch diesen Loyalitätsbeweis vor einem Angriff bewahren zu können, doch ihre Hinweise wurden nur zum Auslöser genau jener Gewalt, die die Armenier am meisten gefürchtet hatten. Soldaten wurden nach Zeytun entsandt, um Massenverhaftungen durchzuführen. Viele junge Männer flüchteten von zu Hause aufs Land, wo sie sich wachsenden armenischen Rebellengruppen und Armeedeserteuren anschlossen und sich für eine Konfrontation mit ihrer Regierung bereit machten. Eine bewaffnete armenische Bande überfiel am 9. März in der Nähe von Zeytun Gendarmen, tötete einige Soldaten (in den Berichten ist die Rede von sechs bis 15 Toten) und nahm deren Waffen und Geld an sich. Dieser Angriff wurde als Vorwand genutzt, um nun die gesamte armenische Bevölkerung Zeytuns zu deportieren. Soldaten riegelten die Stadt ab und nahmen die armenischen Führungspersönlichkeiten unter Arrest.
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Zwischen April und Juli wurden alle Armenier aus Zeytun in die zentralanatolische Stadt Konya verschleppt, und man siedelte muslimische Immigranten an ihrer Stelle an. Ohne Hab und Gut und ohne ausreichend Nahrung oder Schutz unterwegs blieben mehr als 7000 Armenier obdachlos in Konya zurück. Etwa 1500 Armenier aus Zeytun verhungerten oder starben in diesem Sommer an Krankheiten, bevor die Verbliebenen eine zweite Deportation nach Syrien durchmachen mussten.15
* Am Vorabend der alliierten Landung auf Gallipoli im April 1915 wandten Talât Pascha und seine Kollegen ihre Aufmerksamkeit von Kilikien ab und Istanbul zu. Sie wollten die politische und kulturelle Führung der armenischen Gemeinschaft im Vorfeld einer möglichen Invasion der Hauptstadt ausschalten, um zu verhindern, dass die Armenier mit den Eindringlingen gemeinsame Sache machten. Türkische Polizisten verhafteten am 24. April in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 240 Persönlichkeiten – Politiker, Journalisten, Mitglieder armenischer Nationalistenparteien, Fachleute und religiöse Führer. Sie folgten dabei einer Liste, die mithilfe armenischer Kollaborateure entstanden war. Die Polizei hämmerte mitten in der Nacht an die Tür. Viele der Verhafteten trugen noch immer ihre Nachtwäsche, als sie das Gefängnis erreichten. Der armenische Priester Krikor Balakian war einer der in Gewahrsam genommenen Personen dieser Nacht. Wie alle anderen war er völlig überrumpelt worden. Polizisten hatten ihn zu einem „blutroten Bus“ begleitet, der in der Straße vor seinem Haus wartete. Der verhaftete Priester wurden mit acht Freunden per Fähre vom asiatischen zum europäischen Teil Istanbuls gebracht. „Die Nacht roch nach Tod; das Meer war rau, und unsere Herzen waren mit Angst gefüllt“, erinnerte er sich. Man brachte Balakian und seine Schicksalsgenossen zum Zentralgefängnis, wo sie auf andere armenische Gefangene trafen. „Hier sah ich lauter bekannte Gesichter – Revolutionäre und politische Führer, Personen der Öffentlichkeit, aber auch Parteilose und sogar Intellektuelle, die den Partisanenkampf ablehnten.“ Die ganze Nacht über trafen Busladungen neuer Häftlinge ein, alle „in einem Zustand geistlicher Qual, erschrocken durch das Unbekannte und
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auf der Suche nach Trost“. Am nächsten Tag konnten die armenischen Gefangenen in der Ferne die alliierten Kanonen beim Angriff auf Gallipoli donnern hören und wussten doch nicht, ob dieser bedrohliche Lärm ihren Untergang oder ihre Befreiung bedeutete.16 Für die Armenier war die Verhaftung ihrer politischen und intellektuellen Führungsschicht in Istanbul an diesem 24. April der Startschuss für die systematische Zerstörung der armenischen Gemeinschaft in Anatolien. Dieses Datum ist inzwischen international als Gedenktag für den Völkermord an den Armeniern anerkannt. Für die Osmanen hingegen hatte der Krieg gegen die Armenier bereits vier Tage zuvor begonnen, als diese in der ostanatolischen Stadt Van einen Aufstand einläuteten.17
* Van war eine bedeutende Marktstadt, aufgeteilt in armenische und muslimische Stadtviertel. In der Nähe des Vansees gelegen, war die Altstadt von einer Mauer mit vier Stadttoren umgeben und am Fuße eines großen Bergmassivs errichtet worden, das sich 200 Meter über die Ebene erhebt. Eine von Süleyman dem Prächtigen erbaute Zitadelle überragte und beherrschte die Stadt. Die engen, gewundenen Straßen waren mit zweistöckigen Häusern bebaut und führten zu Märkten, Moscheen und Kirchen. Im Südosten der Stadt standen einige Regierungsbauten, zudem eine Polizeistation und eine Gendarmerie. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatte sich Van über die Mauern der Altstadt hinaus in die fruchtbaren Gegenden im Osten ausgedehnt. Obstgärten und hohe Lehmziegelmauern begrenzten die Häuser in der sogenannten Gartenstadt. Eine Reihe ausländischer Konsulate – von Großbritannien, Frankreich, Iran, Italien und Russland – sowie eine katholische und protestantische Mission hatten sich in der Gartenstadt niedergelassen. Für eine Provinzstadt, deren Bevölkerungszahl von einem französischen Demografen in den 1890er-Jahren auf nur 30 000 Seelen geschätzt worden war (davon 16 000 Muslime, 13 500 Armenier und 500 Juden), galt sie als bemerkenswert kosmopolitisch. Die Menschen verband ein starkes Gefühl von Bürgerstolz. Gurgen Mahari, in der Stadt geboren, beschrieb Van in seinem klassischen Roman Brennende Obstgärten als „eine wunderbare grünhaarige Zauberin aus einem Märchen“.18
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Die armenische Gemeinde von Van und Umgebung war groß und politisch aktiv. Angesichts der strategischen Lage sowohl in der Nähe der persischen als auch der russischen Grenze war es unvermeidlich, dass Van sich zu einem Pulverfass des armenischen Problems entwickelte. Der Gouverneur von Van war Cevdet Pascha, ein engagierter Unionist und Schwager Envers. Im März 1915 befahl er Gendarmen, die umliegenden armenischen Dörfer nach versteckten Waffen zu durchsuchen und jeden zu verhaften, der verdächtigt wurde, gegen das Reich zu kämpfen. Diese Durchsuchungen führten zu grausamen Pogromen an Armeniern in den Dörfern rund um Van. Im Bemühen, die Führungsriege der armenischen Gemeinschaft auszuschalten, ordnete Cevdet vermutlich auch die Tötung der drei Führer der nationalistischen armenischen Daschnaken-Partei in Van an. Zwei der Funktionäre – Nikogaios Mikaelian, besser bekannt als Ischchan (das armenische Wort für „Fürst“) und Arschak Vramian, Abgeordneter des osmanischen Parlaments – wurden umgebracht. Der dritte Parteifunktionär, Aram Manukian, misstraute Cevdet und entschloss sich, der Einladung des Gouverneurs zu einem Treffen in dessen Büro nicht Folge zu leisten. Als er vom Verschwinden und dem vermutlichen Mord an seinen beiden Kameraden erfuhr, ging Aram in den Untergrund, um die Armenier von Van auf den Widerstand gegen das bevorstehende Massaker einzuschwören.19 Rafael de Nogales war ein venezolanischer Glücksritter, der sich eher aus Abenteuerlust denn aus Überzeugung der osmanischen Armee angeschlossen hatte. Enver Pascha lernte de Nogales in Istanbul kennen und bot ihm, kurz nach der Niederlage in Sarıkamış, einen Auftrag in der aufgeriebenen 3. Armee an. Im März erreichte der Venezolaner deren Hauptquartier in Erzurum, wo die Offiziere jedoch eher mit dem Kampf gegen Typhus als dem gegen die Russen beschäftigt waren. Da er jedoch auf Abenteuer aus war, meldete sich de Nogales für die Gendarmerie in Van, der einzigen Einheit, die im Kampf an der russischen Front aktiv war. Seine Reise von Erzurum nach Van führte de Nogales durch die heikle Konfliktzone zwischen Osmanen und Armeniern. Er traf genau an jenem Tag ein, als sich die Armenier von Van gegen die osmanische Herrschaft erhoben. Am 20. April stießen de Nogales und seine Eskorte auf einem Straßenabschnitt an der nordwestlichen Ecke des Vansees auf „die verstümmelten Leichen zahlreicher Armenier, die am Rande des Weges herumlagen“. Die
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Männer sahen Rauch aus den Dörfern am Südufer des Sees aufsteigen. „Da begriff ich“, schrieb er später, als hätte er dieses Ereignis schon lange erwartet: „Das Los war gefallen. Die armenische Revolution hatte ihren Anfang genommen.“20 Am nächsten Morgen wurde de Nogales Augenzeuge eines brutalen Massakers in den armenischen Stadtvierteln von Adilcevaz, am Nordufer des Vansees. Osmanische Offiziere brachen, „mit Hilfe der Kurden und sonstigen Gesindels“, in armenische Häuser und Geschäfte ein, um systematisch zu plündern und alle Männer zu töten. Als de Nogales sich in seiner Uniform eines osmanischen Offiziers einem der Verantwortlichen näherte und ein Ende des Tötens verlangte, musste er erstaunt vernehmen, was der Mann ihm antwortete: „Er … teilte mir zu meinem großen Erstaunen mit, daß er nur einem schriftlichen Befehl gehorche. Dieser war vom Generalgouverneur der Provinz [also von Cevdet Pascha] unterschrieben und besagte unter anderem, alle männlichen Armenier von 12 Jahren an aufwärts seien auszurotten“. Da de Nogales keine Autorität besaß, den Befehl eines zivilen Funktionärs außer Kraft zu setzen, zog er sich vom Ort des Massakers zurück, das noch weitere 90 Minuten andauerte.21 Von Adilcevaz aus überquerte de Nogales in einem Motorboot den Vansee und erreichte nach Einbruch der Nacht das Dorf Edremit in den Außenbezirken von Van: : „Wir … setzten unsere Fahrt an der Küste entlang fort, über deren Verlauf uns der den Himmel blutrot färbende Widerschein brennender Ortschaften aufklärte.“ Edremit war zum Kriegsgebiet geworden, hier standen Häuser und Kirchen in Flammen. Der Geruch von verbranntem Fleisch lag in der Luft, und das ratternde Gewehrfeuer verstärkte das Dröhnen der Zerstörung. Er verbrachte die Nacht in Edremit und wurde Zeuge von Schusswechseln zwischen kurdischen und türkischen Kämpfern auf der einen und den zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Armeniern auf der anderen Seite. Gegen Mittag machte sich de Nogales unter Begleitschutz von Edremit aus nach Van auf. „Rechts und links vom Wege flatterten krächzende Scharen schwarzer Raben, die den Hunden die verwesten Leichname der überall herumliegenden Armenier abzujagen suchten“, erinnerte er sich. Als er in Van eintraf, war der Aufstand bereits zwei Tage alt und die Altstadt in den Händen der armenischen Aufständischen. In der Zitadelle befanden sich jedoch noch türkische Soldaten, die die armenischen Stellungen Tag
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und Nacht mit Artilleriefeuer überzogen. Als Offizier der Artillerie gehörte dies nun zu den Aufgaben von de Nogales. Er richtete sein Hauptquartier in der Moschee der Festung ein und stieg auf das hohe Minarett, um zu überprüfen, wie präzise der Beschuss war. De Nogales kämpfte 21 Tage auf osmanischer Seite gegen die Armenier von Van. „Selten habe ich mit solcher Wut kämpfen sehen, wie während der Belagerung von [Van]“, erklärte er später. „Pardon wurde weder gefordert noch gegeben.“ Im Verlauf dieser Schlacht musste er mit ansehen, wie sowohl Armenier als auch Osmanen Gräueltaten begingen. In seinen Erinnerungen an die Belagerung von Van schwankt de Nogales zwischen Sympathie und Abscheu für beide Lager. Russische Einheiten kämpften sich währenddessen langsam von der persischen Grenze aus auf osmanisches Gebiet vor und trieben bei ihren Bemühungen, die armenischen Verteidiger in Van zu erreichen, die Osmanen vor sich her. Der Aufstand erleichterte es den Russen, strategisch wichtiges Gelände auf osmanischem Gebiet zu besetzen. Die näher rückenden russischen Truppen zwangen Cevdet Pascha, den Muslimen von Van am 12. Mai die Evakuierung zu befehlen, und der letzte osmanische Soldat zog sich am 17. Mai aus der Zitadelle zurück. Die Armenier in der Gartenstadt konnten damit endlich eine Verbindung zu ihren Landsleuten in der Altstadt herstellen. Gemeinsam legten sie Feuer in den muslimischen Wohnvierteln und an allen Regierungsgebäuden, noch bevor die ersten russischen Soldaten am 19. Mai eintrafen.22 Die Russen ernannten den Daschnaken Aram Manukian zum Gouverneur von Van. Manukian gründete eine armenische Stadtverwaltung, zu der eine Miliz und Polizei gehörten – Maßnahmen, die in den Worten eines armenischen Historikers „das armenische politische Bewusstsein stärkten und die Überzeugungen jener festigten, die ein befreites und autonomes Armenien unter russischem Protektorat heraufziehen sahen“ – mithin genau das, was die Osmanen am meisten fürchteten.23 Die Türken wiederum konnten sich mit dem Verlust von Van nicht abfinden und griffen unablässig russische und armenische Stellungen an. Die Russen, die ihre Front zu sehr ausgedehnt hatten, wurden zum Rückzug gezwungen. Am 31. Juli empfahlen sie den Armeniern, ihre Habseligkeiten zusammenzupacken und ihre Häuser zu verlassen. Geschätzte 100 000 Armenier rückten mit den Russen ab, was später unter dem Namen „Der
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Große Rückzug“ bekannt werden sollte. Russen und Osmanen kämpften weiterhin verbittert um Van, sodass die Stadt im Sommer 1915 dreimal den Besitzer wechselte, bis russische Kräfte sie im Herbst 1915 endgültig einnahmen und sicherten – wobei zu diesem Zeitpunkt kaum noch ein Gebäude stehen geblieben war und in Ostanatolien nur wenige Armenier überlebt hatten. Indem sie die russische Besetzung Vans erleichtert und dafür im Gegenzug das Recht zur Regierungsbildung in der Stadt erhalten hatten, bestätigten die Armenier die jungtürkischen Vermutungen, dass sie eine fünfte Kolonne bildeten und eine Bedrohung für die territoriale Integrität des Osmanischen Reichs darstellten. Zudem lagen der Zeitpunkt des Aufstands und die alliierte Landung auf Gallipoli so eng beieinander, dass die Jungtürken überzeugt waren, die Armenier und die Entente-Mächte hätten die Angriffe abgesprochen. Cemal Pascha hielt in seinen Erinnerungen fest: „Eine meiner Meinung nach unwiderlegbare Tatsache ist es, dass in dem Moment, in dem der Dardanellenfeldzug in eine Krise geriet, die französischen und englischen Befehlshaber der Streitkräfte im östlichen Mittelmeer den Armeniern befahlen, sich zu erheben.“ Auch wenn es keine Beweise gibt, die Cemals Unterstellungen stützen, so waren die Unionisten doch überzeugt, dass die Armenier mit den Alliierten verbündet waren. Nach dem Fall von Van setzten die Osmanen eine Reihe von Maßnahmen um, mit denen die Präsenz von Armeniern nicht nur in den sechs Provinzen Ostanatoliens, sondern in der gesamten asiatischen Türkei ausgelöscht werden sollte.24
* Die Deportation der Armenier wurde ganz offen durch Regierungsbefehle in Gang gesetzt. Die jungtürkische Führung hatte schon früh, am 1. März 1915, die Parlamentsferien ausgerufen, was Innenminister Talât Pascha und seinen Kollegen freie Hand ließ, ohne parlamentarische Debatte Gesetze zu erlassen. Am 26. Mai 1915, also noch in der Woche des russischen Einmarsches in Van, legte Talât dem Ministerrat ein Gesetz vor. Die Regierung billigte Talâts „Deportationsgesetz“ rasch. Es ermöglichte die vollständige Umsiedlung der armenischen Bevölkerung aus den sechs Provinzen in Ostanatolien an geheim gehaltene, weit von der russischen Front entfernte Orte.
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Ende Mai gab das Innenministerium Befehle an die Provinz- und Distriktgouverneure heraus, die Talâts Unterschrift trugen und die sofortige Deportation aller Armenier anordneten. In den Hauptstraßen der Städte und Dörfer hängte man Ankündigungen auf, mit denen der armenischen Gemeinschaft zwischen drei und fünf Tagen Zeit gegeben wurde, sich für einen Umzug bereit zu machen – der auf den Plakaten als vorübergehende Maßnahme für die Dauer des Krieges dargestellt wurde. Die Armenier wurden ermutigt, all ihren Besitz, den sie nicht mitführen konnten, der Regierung zur Aufbewahrung anzuvertrauen.25 Neben diesen in aller Öffentlichkeit erläuterten Maßnahmen einer erzwungenen Umsiedlung gaben die Jungtürken Geheimbefehle für den
Mehmed Talât Pascha. Als Mitglied des Triumvirats der Jungtürken, das die osmanische Politik nach 1913 bestimmte, autorisierte Talât, zunächst als Innenminister, später als Großwesir, jene Maßnahmen, die zum Völkermord an den Armeniern führten.
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Massenmord an den armenischen Deportierten heraus. Die Ermordung wurde nicht schriftlich angeordnet, sondern mündlich an die Provinzgouverneure weitergegeben, entweder von ihrem Verfasser, dem KEFZentralkomiteemitglied Dr. Bahattin Şakir oder einem anderen KEFFunktionär. Jedem Provinzgouverneur, der nach einer schriftlichen Bestätigung der Befehle verlangte oder sich dem Massenmord an unbewaffneten Zivilisten auf andere Art widersetzte, drohte die Absetzung oder gar die Ermordung. Als ein Distriktgouverneur der Provinz Diyarbakır einen schriftlichen Befehl anforderte, bevor er das Massaker an den Armeniern in seinem Distrikt durchführen lassen wollte, entließ man ihn, zitierte ihn nach Diyarbakır und ermordete ihn auf dem Weg dorthin.26 Gouverneure, die bereitwilliger mitwirkten, standen nun vor der Aufgabe, bewaffnete Gruppen für die Erschießung der Deportierten aufzustellen. Ihnen half Envers geheime Spezialorganisation, der Teşkilât-ı Mahsusa: Man mobilisierte kürzlich aus dem Gefängnis entlassene, gewalttätige Kriminelle, kurdische Gruppen, die eine lange Feindschaft mit den Armeniern verband, sowie in letzter Zeit aus dem Balkan oder dem russischen Kaukasus zugewanderte Muslime, um bei den Massakern zu helfen. Selbst einfache türkische Dorfbewohner sollen an der Ermordung der vertriebenen Armenier mitgewirkt haben: Einige, weil sie hofften, den Opfern Kleidung, Geld und Schmuck abnehmen zu können, die diese in ihr Exil hatten mitnehmen wollen, andere, weil sie von Regierungsvertretern überzeugt worden waren, die Ermordung von Armeniern trage zum osmanischen Dschihad gegen die Entente-Mächte bei. Der armeni� sche Priester Krikor Balakian berichtete von einem Gespräch mit einem türkischen Hauptmann, der behauptete, „Regierungsmitarbeiter“ hätten Gendarmen „in alle umliegenden türkischen Dörfer geschickt, um im Namen des Dschihad die muslimische Bevölkerung einzuladen, an dieser heiligen religiösen Pflicht [der Ermordung der Armenier] teilzunehmen“.27 Beweise für diesen „zweigleisigen Ansatz“ – offene Deportation und geheime Vernichtung – kamen durch Aussagen von Regierungsmitarbeitern nach dem Krieg ans Tageslicht. Ein Mitglied des Ministerrats sagte 1918 aus: „Ich habe ein paar Geheimnisse erfahren und bin auf interessante Dinge gestoßen. Die Deportationsbefehle wurden vom Innenminister [also Talât] über die offiziellen Kanäle verbreitet und in die Provinzen geschickt. Nach dieser Anordnung brachte das Zentralkomitee [des KEF] seine eigenen
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nheilvollen Befehle an alle Stellen in Umlauf, mit denen den Banden eru laubt wurde, ihre verabscheuungswürdige Aufgabe anzugehen. Damit standen die Banden vor Ort für das grauenhafte Abschlachten bereit.“28 In ganz Anatolien folgten die Massaker demselben Muster. Ein paar Tage nach der Veröffentlichung der Ausweisungsbefehle trieben Gendarmen mit aufgesetzten Bajonetten die Armenier aus ihren Häusern. Männer im Alter von zwölf Jahren und darüber wurden von den Frauen getrennt und ermordet. In kleineren Dörfern geschah dies oft in Hörweite der entsetzten Frauen, wohingegen man sie in größeren Städten ein Stück beiseite führte, damit es für die Morde keine Zeugen gab, vor allem keine aus dem Ausland. Nachdem man die armenischen Männer von ihnen getrennt hatte, brachte man Frauen und Kinder unter Bewachung aus der Stadt. Nach Berichten von Überlebenden fielen einige dieser Karawanen Überfällen und Massakern zum Opfer; andere mussten von Stadt zu Stadt marschieren, wobei die Kranken, Gebrechlichen und Älteren getötet wurden, wenn sie zu langsam waren. Das schlussendliche Ziel der Überlebenden waren Wüstensiedlungen in Syrien und im Irak: Deir ez-Zor (Der Zor auf Armenisch) und Mossul. Diese Orte erreichten die Armenier erst nach lebensgefährlichen Wanderungen durch die offene Wüste. Die Architekten des Völkermords – Talât sowie seine Berater Dr. Mehmed Nâzım und Dr. Bahattin Şakir – wollten sicherstellen, dass die Armenier vollständig aus den sechs östlichen Provinzen vertrieben wurden und in keinem Teil des Reichs mehr als zehn Prozent der Bevölkerung stellten. Damit könnten die Armenier nie mehr jene kritische Masse bilden, die für einen unabhängigen Staat auf osmanischem Territorium benötigt wurde. Um dieses Ziel zu erreichen, entschieden sich die Politiker für die Vernichtung des Großteils der osmanischen Armenier. Die Auslöschung erreichten sie zum einen durch die blutigen Massaker, die von bewaffneten Banden verübt wurden, zum anderen durch die zahlreichen Opfer bei den Todesmärschen durch die Wüste.29 Die Armenier aus Erzurum und Erzincan gehörten zu den ersten, die im Mai 1915 deportiert wurden. Nach einem zweimonatigen Marsch erreichten die Überlebenden die Stadt Harput, etwa 200 Kilometer von ihren Heimatorten entfernt. Der dortige US-amerikanische Konsul besuchte die Deportierten in einem Lager, das die Regierung ihnen für ihren kurzen Aufenthalt zur Verfügung stellte. „Unter ihnen sind nur sehr we-
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nige Männer, da die meisten unterwegs getötet wurden“, hielt Konsul Leslie Davis fest. „Man scheint hier einem System zu folgen, bei dem kurdische Banden sie an den Straßen erwarten, um vor allem die Männer zu töten.“ Die Frauen waren „fast ohne Ausnahme zerlumpt, dreckig, hungrig und krank. Was nicht überrascht angesichts der Tatsache, dass sie bereits fast zwei Monate unterwegs sind, ohne ihre Kleidung zu wechseln, ohne sich waschen zu können, ohne festes Dach über dem Kopf und mit nur wenig zu essen.“ Die ausgemergelten Frauen fielen über die Bewacher her, als diese ihnen Essen brachten, woraufhin sie mit Stöcken geschlagen wurden – „hart genug, um sie dadurch zu töten“. Verzweifelte Mütter boten dem amerikanischen Konsul ihre Kinder an, in der Hoffnung, ihnen damit weitere Grausamkeiten zu ersparen. „Fährt man auf diese Weise mit ihnen fort, ist es möglich, all diese Menschen in vergleichsweise kurzer Zeit loszuwerden“, überlegte Davis. „Das gesamte Unternehmen scheint das am besten organisierte und effektivste Massaker zu sein, das dieses Land je gesehen hat.“30 Im Juni dehnte Talât die Deportationspolitik auf „ausnahmslos alle Armenier“ aus. Städte wie Erzincan, Sivas, Kayseri, Adana, Diyarbakır und Aleppo wurden zu Aufnahmezentren für Wellen armenischer Deportierter auf ihrem Weg nach Deir ez-Zor, Mossul oder Urfa. Auf jeder Wegstrecke ereigneten sich Gräueltaten unvorstellbaren Ausmaßes. „Wir erlebten Tage mit solch unfassbarem Schrecken, dass es dem Geist unmöglich war, alles zu erfassen“, erinnerte sich Pater Balakian. „Jene von uns, die noch am Leben waren, blickten neidisch auf jene, die ihren unvermeidlichen Anteil an der Blutfolter und dem Tod bereits bezahlt hatten. Und so wurden wir Überlebende zu lebenden Märtyrern, die jeden Tag mehrere Tode starben und dann wieder ins Leben zurückkehrten.“31
* Krikor Balakian hatte sich fest vorgenommen, die Vernichtung der Armenier zu überleben, damit er für spätere Generationen Zeugnis vom Leiden seines Volkes ablegen konnte. Am Vorabend der Landung auf Gallipoli aus der Bequemlichkeit seines Hauses in Istanbul gerissen, wurde Balakian mit 150 weiteren Persönlichkeiten zur zentralanatolischen Stadt Çankiri verschleppt, nordöstlich von Ankara. Als Talât am 21. Juni den Befehl
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zur allgemeinen Deportation der Armenier gab, handelte Balakian mit den örtlichen Funktionären eine große Summe Bestechungsgeld in Höhe von 1500 Goldstücken aus, um die kleine Gruppe Armenier in Çankiri vor der Abschiebung zu retten. Diese Summe erkaufte dem armenischen Priester und seinen Glaubensbrüdern eine siebenmonatige Gnadenfrist, die ihnen die schlimmsten Monate der Massaker ersparte. Als sie im Februar 1916 schließlich nach Deir ez-Zor deportiert wurden, trafen Balakian und seine Gefährten unterwegs auf Banden und Dorfbewohner, die den Mord an den Armeniern inzwischen mit Gleichgültigkeit betrachteten. Bei ihrem Marsch entlang jener Straßen, auf denen bereits Tausende Armenier den Tod gefunden hatten, verwickelte Balakian die Offiziere, die sie begleiteten in Gespräche. Die Gendarmen beantworteten bereitwillig jede Frage, waren sie doch überzeugt, die von ihnen „Bewachten“ hätten ohnehin nicht mehr lang zu leben. Einer der mitteilsamsten war Hauptmann Shukri, der nach eigenen Angaben die Ermordung von 42 000 Armeniern beaufsichtigt hatte. „Bey, woher stammen all diese menschlichen Knochen am Straßenrand?“, erkundigte sich Balakian hinterlistig beim Hauptmann. „Das sind Knochen von Armeniern, die im August und September getötet wurden. Der Befehl dazu kam aus Konstantinopel. Auch wenn der Innenminister [also Talât] große Gräben für die Leichen hatte graben lassen, so spülten die Überschwemmungen im Winter den Schmutz wieder weg, und nun liegen die Knochen überall, wie du sehen kannst“, erwiderte Shukri. „Auf wessen Befehl hin wurden denn die Morde an den Armeniern begangen?“, hakte Balakian nach. „Die Befehle kamen vom Ittihad- [also Unions-]Zentralkomitee und dem Innenministerium in Konstantinopel“, erklärte der Soldat. „Am strengsten wurden sie von Kemal ausgeführt … dem Vizegouverneur von Yozgat. Als der in Van geboren Kemal hörte, dass die Armenier bei der Revolte in Van all seine Familienmitglieder ermordet hatten, sann er auf Rache und massakrierte alle Frauen und Kinder, zusammen mit den Männern.“32 Balakians Fragen verärgerten den Hauptmann nicht. Vielmehr schien er erfreut, sich die langen Stunden auf der Straße durch das Gespräch mit dem armenischen Priester verkürzen zu können, zumal er an das Böse ge-
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wöhnt war, von dem er berichtete: von den Tausenden zu Tode gehackten Männern und von den 6400 armenischen Frauen, die sie systematisch ihrer Besitztümer beraubt und dann zusammen mit den Kindern ermordet hatten, wobei er dies durchweg als „Reinigen“ (paklamak auf Türkisch) bezeichnete. Der massenmordende osmanische Offizier schien dem armenischen Priester sogar gewogen zu sein und bot ihm an, ihn vor allem Übel zu beschützen, sollte er sich nur zum Islam bekehren lassen. Durch seine Gespräche mit türkischen Offizieren erfuhr Balakian die Regierungsperspektive aller Aspekte der armenischen Tragödie. Im Austausch mit den Überlebenden unterwegs vertiefte der Priester zudem sein Wissen über die armenischen Erfahrungen des Genozids. Beide Perspektiven verwob er zu seinen bemerkenswerten Memoiren, die 1922 auf Armenisch erschienen und mit denen er seine Pflicht als Zeuge dessen erfüllte, was Balakian das „armenische Golgatha“ getauft hatte. Aber erst einmal musste Balakian den Todesmarsch überleben. Indem er freundliche Beziehungen zu seinen Aufsehern aufrechterhielt und, wie er selbst betonte, auf Gott vertraute, konzentrierte sich Balakian auf jeden einzelnen Tag, sich immer der Gefahr bewusst, plötzlich sterben zu müssen. Während ihres langen Zwangsmarschs wurden der Priester und seine Leidensgenossen mit dem vielfältigen Grauen konfrontiert, das über die osmanische Gemeinschaft der Armenier hereingebrochen war: die toten Körper, das Flehen der verhungernden Überlebenden, die Scham jener, die aus Angst vor dem Tod zum Islam konvertiert waren. Er hielt die Details in seinem Tagebuch fest, während sich sein Tross durch Anatolien und Kilikien in Richtung Syrische Wüste bewegte. Die Berichte anderer Überlebender des Völkermords an den Armeniern bestätigen das meiste von dem, was er beschrieb. Die Angst vor einem gewaltsamen Tod, der ohne Vorwarnung jederzeit eintreten konnte, vermengte sich mit den alltäglichen Erfahrungen der Brutalität, Erschöpfung und Entbehrung. Viele Armenier nahmen sich selbst das Leben, anstatt sich der Grausamkeit von Fremden auszuliefern. Selbst Krikor Balakian, der sich doch geschworen hatte zu überleben, wurde an den Rand des Selbstmords gedrängt. Als er und seine Gefährten am Fluss Halys von einer bewaffneten Bande bedroht wurden, kamen sie überein, im Falle einer „unausweichlichen Katastrophe“ in das wirbelnde Wasser zu springen, wie schon so viele vor ihnen. „Sicher würde sich
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dieses tiefe Grab Tausender Armenier nicht weigern, auch uns noch in seine wallende schmutzige Strömung aufzunehmen … und uns damit vor dem qualvollen und grausamen Tod in den Händen dieser türkischen Kriminellen zu bewahren.“ Es war nur Balakians Geistesgegenwart bei den Verhandlungen mit der Bande zu verdanken, dass die Karawane ihren Weg unbeschadet fortsetzen konnte.33 Manuel Kerkyasharian, der sich selbst meist nur M. K. nannte, war erst neun Jahre alt, als er mit ansehen musste, wie seine Mutter von einer Brücke in den wirbelnden Euphrat sprang. Aus Adana stammend, war M. K.s Familie zur mesopotamischen Siedlung Ras al-Ayn (im heutigen Syrien) befohlen worden. M. K. erlebte mit, wie seine Familie auf dem Weg von bewaffneten Banden ausgeraubt und von den Gendarmen verprügelt wurde, die sie begleiten sollten. Von den langen Märschen waren die Füße der Mutter schmerzhaft angeschwollen, doch sie wollte unbedingt mit der Karawane mithalten, da sie vom Schicksal jener wusste, die nicht mehr folgen konnten.34 Als ihr eines Nachts deutlich wurde, dass sie nicht weiter würde laufen können, richtete M. K.s Mutter eine furchtbare Bitte an ihren Ehemann: „Führ mich ans Flussufer. Ich werde mich selbst ins Wasser stürzen. Wenn ich hierbleibe, werden mich die Araber unter Folter töten.“ Ihr Mann weigerte sich, doch ein Nachbar verstand ihre Ängste und trug M. K.s Mutter auf dem Rücken ans Ufer des Euphrat. Ihr junger Sohn und ein Priester folgten ihnen an den Fluss, doch M. K. wandte seine Blicke ab, als sie sich ins Wasser stürzte. Als er noch einmal nach ihr sah, erblickte er sie für einen kurzen Augenblick, bevor die Strömung sie davonriss. Zwei Tage nach dem Tod seiner Frau starb M. K.s Vater nachts im Schlaf. Nun war der Junge ein Waise, um den sich niemand kümmerte. Die nackten Füße des Jungen schwollen so stark an, dass er nicht mehr laufen konnte. Er sah zu, wie Soldaten eine Reihe von Frauen und Kindern töteten, die von der Karawane zurückgelassen wurde, so wie er. Ihm nahm man bis auf die Unterwäsche noch die letzten Kleider ab und ließ ihn allein am Straßenrand zurück – hungrig, durstig und verängstigt. Krikor Balakian traf unterwegs zahlreiche solcher Waisenkinder. In Islahiye, wo M. K. zum Waisen wurde, begegnete er einem achtjährigen Jungen, der mit seiner elfjährigen Schwester bettelte. Das ältere Mädchen erklärte in „sauberem Schulkind-Armenisch“, wie alle anderen Mitglieder
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ihrer vierzehnköpfigen Familie gestorben waren, sodass die beiden Kinder nun alleine zurechtkommen mussten. „Wie sehr wünschte ich, wir hätten nicht überlebt“, schluchzte sie.35 Dem kleinen Manuel Kerkyasharian gelang es zu überleben. Er fand sich zwischen Arabern und Kurden wieder, zwischen Menschen, deren Sprache er nicht sprach und deren Handlungen er nicht verstand. Einige gaben ihm Essen und Kleidung; andere warfen mit Steinen nach ihm und raubten ihn aus. Er sah furchtbare Taten mit an und überquerte Ebenen, die mit armenischen Leichen übersät waren. Vier kurdische Frauen fanden und retteten ihn, als er über die offene Straße lief. Sie nahmen ihn mit zu sich nach Hause, wo er als Knecht arbeitete. Er blieb die weiteren Kriegsjahre in den kurdischen Dörfern an der türkisch-syrischen Grenze und lebte von der Freundlichkeit der Fremden – und floh vor ihrer Grausamkeit. Eines Abends sah M. K., wie ein Dorf auf einem Hügel in Flammen aufging. Der Kurde, bei dem er untergekommen war, erklärte, dies sei das assyrische Dorf Azak, eines von mehreren christlichen Dörfern, das zerstört wurde. „Hey, Kind von Ungläubigen. Siehst du das?“, freute sich der Kurde. „Alle Armenier der Türkei und alle Ungläubigen der Türkei wurden liquidiert. Das brennende Dorf ist ein ungläubiges [gavur] Dorf, und sie werden alle bei lebendigem Leib verbrennen.“ Der Kurde fügte hinzu, es lebten keine Christen mehr in der Türkei, um M. K. zu erschrecken. „Und ich glaubte es“, erinnerte er sich.36 Wie den Armeniern so wurde auch den assyrischen Christen des Osmanischen Reichs zu Beginn des Krieges vorgeworfen, mit den Russen gemeinsame Sache zu machen. Die Assyrer sind eine christliche ethnische Gruppe, die vom alten Aramäisch abstammende Dialekte sprechen. Jahrhundertelang hatten sie neben den kurdischen Gemeinden an der Grenzregion der heutigen Staaten Türkei, Syrien, Iran und Irak gelebt. Die Nestorianer, Chaldäer und syrisch-orthodoxen Christen sind die wichtigsten assyrischen Glaubensgemeinschaften. Die assyrischen Gemeinden im Osmanischen Reich litten unter den gleichen periodisch wiederkehrenden Massakern wie die Armenier, zu denen die Vorfälle von 1895 und 1896 sowie die Morde in Adana 1909 gehören. Bei ihrer Suche nach Schutz durch die Großmächte wandten sich die Assyrer ebenfalls an Russland. Nachdem die Osmanen in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren, warf man den Assyrern die Kollaboration
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mit den Entente-Mächten vor, und das jungtürkische Regime plante ihre Vernichtung. Von den rund 620 000 Assyrern, die vor dem Weltkrieg gelebt hatten, wurden im Verlauf des Ersten Weltkriegs rund 250 000 getötet. Dem Kind M. K. musste es glaubwürdig erschienen sein, dass die Assyrer und Armenier als Teil eines großen Plans vollständig aus den osmanischen Gebieten ausgelöscht worden waren.37 Bei seinem Pendeln zwischen den Dörfern im südöstlichen Anatolien begegnete M. K. einer Reihe von armenischen Kindern und jungen Frauen, die, genau wie er, bei den Kurden Zuflucht gefunden hatten. Viele waren bei den Todesmärschen aufgesammelt und zu den Häusern und Höfen der kurdischen Dörfer gebracht worden. M. K. traf mehrere junge armenische Frauen, die in die Familien ihrer kurdischen Beschützer eingeheiratet hatten. So überlebte auch Heranuş Gadarian den Völkermord. Heranuş war die Tochter einer angesehenen Familie aus dem anatolischen Dorf Habab, dessen große armenische Gemeinde aus mehr als 200 Haushalten bestand und über zwei Kirchen und ein Kloster verfügte. Ihr Vater und zwei Onkel waren 1913 in die Vereinigten Staaten ausgewandert, in dem Jahr, in dem Heranuş mit der Schule begann. Sobald sie schreiben gelernt hatte, verfasste sie einen Brief an ihren Vater, den dieser bis zu seinem Todestag im Geldbeutel mit sich trug: „Wir alle hoffen und beten, dass es dir gut geht“, schrieb sie im Namen all ihrer Geschwister. „Und wir gehen jeden Tag zur Schule, und wir bemühen uns sehr, gut erzogene Kinder zu sein“, hieß es dort in einer Sprache, die Pater Balakian als sauberes Schulkind-Armenisch bezeichnet hätte.38 In ihrem dritten Schuljahr überfielen Gendarmen Heranuş’ Dorf. Sie töteten den armenischen Dorfvorsteher vor den Augen der erschrockenen Dorfbewohner, bevor sie alle anderen Männer zusammentrieben. Ihr Großvater und drei Onkel wurden weggebracht; sie hörte nie wieder von ihnen. Die Gendarmen führten die Frauen des Dorfes anschließend in die nahe gelegene Marktstadt Palu, wo man sie in eine Kirche sperrte. Die Frauen hörten von draußen furchtbare Geräusche, weshalb ein Mädchen zu einem der hohen Fenster hinaufkletterte. Heranuş konnte nie vergessen, wie das Mädchen den schrecklichen Anblick beschrieb: „Sie schlitzen den Männern die Kehlen auf und werfen sie dann in den Fluss.“ Von Palu aus mussten die Frauen und Kinder aus Habab sich der großen Zahl Armenier auf den Todesmärschen durch Anatolien in Richtung
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Syrischer Wüste anschließen. „Während des Marschs“, erinnerte sich Heranuş später, „wollte meine Mutter unbedingt das Ende der Menschenmenge vermeiden, sodass sie sehr schnell lief, und da wir nicht mit ihr mithalten konnten, zog sie uns an ihren Händen mit. Am Ende des Zugs konnten wir Menschen hören, die weinten, schrien und flehten.“ Gegen Abend des ersten Tagesmarschs ging es Heranuş’ schwangerer Tante schlecht und sie fiel nach hinten zurück. Die Gendarmen töteten sie an Ort und Stelle mit ihren Bajonetten und ließen sie am Straßenrand zurück. „Die Alten, die Gebrechlichen, jene, die nicht mehr laufen konnten – während des ganzen Marschs töteten sie sie mit ihren Bajonetten und ließen sie zum Sterben zurück, genau dort, wo sie hingefallen waren.“ Auf ihrem Weg Richtung Diyarbakır überquerte die Karawane einen Fluss bei der Stadt Maden. Heranuş sah, wie ihre Großmutter väterlicherseits zwei ihrer zu Waisen gewordenen Enkelkinder, die nicht mehr laufen konnten, mit ins Wasser nahm und ihre Köpfe unter Wasser drückte, bis
Armenische Witwen, Türkei, September 1915. Nachrichten von systematischen Massakern an Armeniern drangen aus der Türkei ins Ausland und wurden im Herbst 1915 bereits von europäischen und amerikanischen Zeitungen aufgegriffen.
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sie selbst in dem Fluss unterging, in diesem „tiefen Grab von Tausenden Armeniern“, wie Krikor Balakian ihn genannt hatte. Als sie die Stadt Çermik Hamambaşı erreicht hatten, umkreisten die dortigen Bewohner die elenden Überlebenden und hielten nach gesunden Kindern Ausschau, die in ihren Häusern arbeiten könnten. Ein Gendarm verlangte vom Pferd herab Heranuş, während ein Mann aus dem benachbarten Dorf nach ihrem Bruder Horen fragte, doch ihre Mutter lehnte rundheraus ab: „Niemand kann sie mir wegnehmen. Ich gebe sie niemals auf “, schrie sie. Heranuş’ Großmutter mütterlicherseits versuchte, sie zu überreden, die Kinder zu deren eigener Sicherheit herauszugeben. „Mein Mädchen“, flehte sie Heranuş’ Mutter an, „die Kinder sterben, eines nach dem anderen. Niemand wird diesen Marsch überleben. Wenn du diesen Männern deine Kinder gibst, rettest du ihnen das Leben.“ Noch während die Frauen ihrer Familie diese schreckliche Diskussion führten, griffen die Männer sich einfach die Kinder – der Gendarm auf dem Pferd nahm sich Heranuş, der andere Mann packte Horen. Die Mutter hielt ihre Tochter fest, solange sie konnte, doch sobald sich ihr Griff gelockert hatte, verlor sie ihre Tochter für immer. Der Gendarm brachte Heranuş auf einen Bauernhof außerhalb von Çermik, wo bereits acht armenische Mädchen aus ihrem Heimatdorf Habab lebten, jedes aus dem Todesmarsch herausgeholt. Die Mädchen blieben in einer Obstplantage, wo sie ernährt und gut behandelt wurden. Am Abend kehrte der berittene Polizist zurück, um Heranuş mit zu seinem Haus nach Çermik zu nehmen. Seine Frau und er waren kinderlos geblieben, und der Gendarm behandelte sie wie seine eigene Tochter. Nur seine Frau war eifersüchtig auf die Zuneigung, die ihr Mann dem jungen armenischen Mädchen gegenüber zeigte, und erniedrigte Heranuş unablässig, indem sie sie daran erinnerte, dass sie nur ein Dienstmädchen war. Die beiden gaben Heranuş den türkischen Namen Seher und brachten ihr Türkisch bei. Auch wenn sie ihren Namen und ihre Identität verlor, so überlebte sie wenigstens. Zahllose ihrer Familienmitglieder kamen während der Deportation ums Leben, doch erstaunlich viele überstanden die Todesmärsche. Ihr Bruder Horen, am gleichen Tag verschleppt wie Heranuş, arbeitete in einem benachbarten Dorf, wo man ihn als Ahmet den Schäfer kannte. Eine ihrer Tanten, die hübscheste Schwester ihrer Mutter, die von
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einem kurdischen Reiter missbraucht und geheiratet worden war, überlebte nicht nur, sondern konnte sogar Heranuş in ihrem neuen Zuhause aufspüren. Am verblüffendsten war jedoch, dass ihre Mutter den Marsch nach Aleppo überstand, wo sie den Rest des Krieges über blieb und schließlich wieder mit ihrem Mann vereint wurde, der aus den Vereinigten Staaten angereist war, um Familienmitglieder zu suchen. Die Gadarians sollten ihre Tochter Heranuş jedoch nie wiedersehen.39 Heranuş vervollständigte den Prozess ihrer Türkisierung mit 16 Jahren, als sie einen der Cousins des Gendarmen heiratete. Ihre Eheurkunde führt sie als Seher auf, Tochter des Gendarmen Hüseyin und seiner Frau Esma. Seher verbrachte den Rest ihres Lebens als türkische Hausfrau und erzog ihre Kinder zu guten Muslimen. Krikor Balakian begegnete mehreren Armeniern, die zum Islam konvertiert waren, um der Ermordung zu entgehen. Dieser Wechsel fiel den Erwachsenen sehr schwer, Kinder hingegen waren anpassungsfähiger. Hunderte, wahrscheinlich Tausende junger Armenier integrierten sich in die türkische Gesellschaft, die ihre Herkunft fast vollständig vergaß – doch eben nur fast. Denn noch Jahre nach dem Krieg bezeichneten ethnische Türken diese Konvertiten als „die vom Schwert Verschonten“.40
* Pater Balakian entschloss sich, dem Todesmarsch zu entfliehen, bevor die tödliche Wüstendurchquerung nach Deir ez-Zor begann. Er traf zwei armenische Kutscher, die in einem osmanischen Transportkorps dienten und gerade aus Deir ez-Zor zurückkamen. Verblüfft, einen armenischen Priester am Leben zu finden, versuchten sie alles, was in ihrer Macht stand, um Balakian davon zu überzeugen, den Marsch gar nicht erst anzutreten. „Was kann ich dir erzählen, damit du es verstehst?“, fragte einer der beiden. „Es ist für die menschliche Sprache unmöglich zu beschreiben, was die erlebten, die nach Der Zor gingen.“ Dann versuchte es der armenische Kutscher trotzdem, den Schrecken in Worte zu fassen: Tausende von Familien machten sich auf den Weg von Aleppo, von wo aus sie nach Der Zor geschickt wurden, doch nicht einmal fünf Prozent kamen dort an. Denn Banden in der Wüste … in Gruppen, auf Pferden und mit
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238 Kapitel 7 Speeren bewaffnet, griffen diese wehrlosen Menschen an; sie töteten, sie misshandelten, sie vergewaltigten, sie plünderten, sie wählten jene aus, die ihnen gefielen, und brachten sie weg, und jene, die sich wehrten, wurden grausam gequält, bevor sie sich wieder davonmachten. Da es verboten und unmöglich war, umzukehren, hatten die Überlebenden keine andere Wahl, als weiterzugehen, bis sie neuen Angriffen und Plünderungen ausgesetzt waren. Nicht einmal fünf Prozent erreichten Der Zor.41
Da die Kutscher die Horrorgeschichten weiter ausführten, konnten sie den armenischen Priester schließlich davon überzeugen, dass seine einzige Überlebenschance in einer sorgfältig geplanten Flucht vor seinen osmanischen Entführern bestand. Nachdem er seinen engsten Begleitern das Vorhaben enthüllt hatte, entkam Pater Balakian Anfang April 1916 in Begleitung zweier armenischer Tabakschmuggler der Karawane, um im Nurgebirge Zuflucht zu suchen. Die deutsche Eisenbahngesellschaft war noch immer eifrig dabei, Tunnel durch das Nurgebirge zu treiben. Das Taurus- und das Nurgebirge hatten sich als letzte Hindernisse vor der Fertigstellung der Eisenbahnverbindung Berlin-Bagdad herausgestellt. Diese Linie war für die osmanischen Kriegsanstrengungen in Mesopotamien und Palästina entscheidend, und Kriegsminister Enver hatte dem deutschen Eisenbahnunternehmen freie Hand bei der Rekrutierung jener Arbeitskräfte gegeben, die sie für das Graben der langen Tunnel in den felsigen Bergen brauchte. Tausende Armenier, die den Todesmärschen entkommen waren, fanden bei den Tunnelarbeiten im Nurgebirge Unterschlupf. Balakian behauptet, bis zu 11 500 von ihnen arbeiteten Anfang 1916 für den Eisenbahnbau. Sie leisteten schwere Arbeit für Hungerlöhne, doch war die Arbeit für die Eisenbahn den Todesmärschen unbedingt vorzuziehen. Hier begann auch Krikor Balakian, der sein Priestergewand abgelegt und seinen Patriarchenbart abrasiert hatte, seine Flucht vor dem Genozid. Dank seiner guten Deutschkenntnisse erlangte Balakian bald den Schutz der österreichischen und deutschen Ingenieure, die den Bau begleiteten und ihm eine Aufgabe als Aufseher verschafften. Doch auch bei der Eisenbahn gab es keine hundertprozentige Sicherheit. Im Juni 1916 griffen türkische Offizielle fast alle armenischen Arbeiter auf, um sie augenblicklich zu deportieren, trotz der Proteste der deutschen Eisen-
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bahningenieure, die die armenischen Arbeiter als unerlässlich für die Fertigstellung der Verbindung erachteten. Balakian gehörte zu den 135 „Spezialisten“, die diesem letzten Todesmarsch entgingen. Die wenigen Armenier, die man von der Deportation ausgenommen hatte, gerieten zunehmend unter Druck, zum Islam zu konvertieren. Für Balakian war der Übertritt zu einem anderen Glauben keine Option. Mit Unterstützung seiner deutschen Kollegen und mit einer neuen deutschen Identität ausgestattet, floh der armenische Priester zu einer anderen Baustelle an der Strecke (Balakian beschrieb mit warmen Worten die humanitären Bemühungen der deutschen und österreichischen Zivilisten, bemerkte aber auch, dass das deutsche Militär den Armeniern gegenüber nicht weniger feindlich gesonnen war als die Jungtürken). Den Rest des Krieges bewegte sich Balakian heimlich oder unter falschem Namen, um der Deportation zu entgehen. Auf diese Weise überlebte der exilierte Priester die Maßnahmen, die nach seiner eigenen Schätzung bis Ende 1915 zur Auslöschung von drei Vierteln aller osmanischen Armenier geführt hatten.
* Es gibt keine allgemein anerkannten Zahlen darüber, wie viele osmanischen Christen während des Ersten Weltkriegs ums Leben kamen. Forderte der Bevölkerungsaustausch mit Griechenland vergleichsweise wenige Opfer, starben bei den 1915 begonnenen Deportationen Hunderttausende Armenier und Assyrer. Bis ins 21. Jahrhundert hinein hielten die Diskussionen darüber an, ob der Massenmord an den Armeniern zwischen 1915 und 1918 die unbeabsichtigte Folge des Krieges war oder die Konsequenz einer systematischen Vernichtungspolitik. Doch selbst jene, die den Völkermord an den Armeniern und Assyrern leugnen, geben zu, dass zwischen 600 000 und 850 000 Zivilisten als Ergebnis dieser während des Krieges ergriffenen Maßnahmen getötet wurden. Armenische Historiker sind hingegen überzeugt, dass durch die gezielte Politik des Staates zwischen 1 Million und 1,5 Millionen Armenier starben – was diese Taten zum ersten Genozid der Moderne werden lässt.42 Zweifellos haben Mitglieder sowohl der armenischen als auch der assyrischen Gemeinschaften gemeinsame Sache mit den Kriegsfeinden der Osmanen gemacht. Im Frühjahr 1915 musste das Osmanische Reich gleich-
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zeitig Angriffe an drei Fronten beantworten: an den Dardanellen, im Kaukasus und in Mesopotamien. Dies erklärt vielleicht, warum die Jungtürken eine so beispiellose Gewalt gegen ihre christlichen Untertanen lostraten, kann aber auf keinen Fall die Verbrechen gegen die Menschheit rechtfertigen, die daraus folgten. Die bittere Ironie ist, dass die Vernichtung der Armenier und anderer christlicher Gemeinden die Sicherheit des Osmanischen Reichs in keinerlei Hinsicht verbessert hat. Die Alliierten haben nie einen Angriff auf die Küste Kilikiens geplant, die die Deportation der Armenier vielleicht gerechtfertigt hätte. Die Deportationen unterminierten vielmehr die osmanischen Kämpfe in Mesopotamien, als man die an der Berlin-BagdadBahn arbeitenden Armenier zu Todesmärschen zwang. Die Vernichtung der armenischen Gemeinschaften in Ostanatolien verhinderte keineswegs den russischen Einmarsch in den Kaukasus. Die Truppen des Zaren stießen im Februar 1916 nur auf schwachen Widerstand, als sie die Festungsstadt Erzurum einnahmen. Später in diesem Jahr drang die russische Armee bis zum Schwarzmeerhafen Trabzon und der Handelsstadt Erzincan vor – auch diese Niederlagen konnte man nach den Deportationen nicht mehr auf armenische Kollaborateure schieben. Aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz gelang den Osmanen an den Dardanellen die Verteidigung ihres Landes gegen die vereinten Armeen Frankreichs, Großbritanniens und der Dominions und zwar aufgrund des Muts und der Entschlossenheit ihrer Soldaten – nicht aufgrund der Auslöschung von Minderheiten.
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KAPITEL 8 DER OSMANISCHE TRIUMPH AUF GALLIPOLI
Der Dardanellenfeldzug entwickelte sich rasch von einem Bewegungs- zu einem Stellungskrieg in Schützengräben. Den Alliierten war es gelungen, rund 50 000 einsatztaugliche Soldaten auf der Halbinsel zu landen, sieht man von den Toten und Verwundeten einmal ab. Allerdings hatten sie nicht alle anspruchsvollen Ziele erreicht, die von den Militärstäben aufgestellt worden waren: Demnach hätten die Briten die osmanischen Verteidiger zurückdrängen und etwa acht Kilometer landeinwärts die Anhöhe von Achi Baba einnehmen sollen, um von hier aus die Kontrolle über die türkischen Stellungen auf den Dardanellen zu erlangen. Den ANZACTruppen hatte man nicht nur aufgetragen, die Höhen rund um die Strände bei Arıburnu zu sichern, sondern auch die Hochebene bis Maidos zu erobern. Damit wären alle Kommunikations- und Nachschubverbindungen der Osmanen unterbrochen worden. Hätten sie diese Pläne vollständig umsetzen können, hätte dies die Alliierten in die Lage versetzt, die Küstenbatterien an den Dardanellen auszuschalten, wodurch die britischen und französischen Kriegsschiffe freie Einfahrt in die Meerenge erhalten hätten und Istanbul in Reichweite gerückt wäre. Doch die Alliierten stießen auf erbitterten Widerstand der türkischen Verteidiger, die rund um die ANZAC-Bucht und am Kap Helles Verteidigungslinien gruben und verbissen verhinderten, dass die Angreifer passierten. Drei Mal versuchten die Briten und Franzosen, die türkischen Linien an der Spitze der Halbinsel Gallipoli zu durchbrechen, um das strategisch wichtige Dorf Krithia und die Höhe Achi Baba zu erreichen. Und drei Mal scheiterten sie. In der ersten Schlacht um Krithia, am 28. April 1915, verloren die Briten und Franzosen 3000 Mann durch Verwundung oder Tod (eine Opferrate von 20 Prozent) und gewannen kein oder nur kaum Gelände hinzu. Ihren zweiten Versuch starteten die Alliierten nur neun Tage
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später (am 6. Mai), doch nach einer dreitägigen Schlacht und einem Vorrücken von rund 550 Metern mussten sie 6500 Opfer beklagen (etwa 30 Prozent der eingesetzten Kräfte). Die dritte und letzte Schlacht um Krithia (4. Juni) führte zu 4500 britischen und 2000 französischen Opfern, bei Geländegewinnen zwischen 220 und 450 Metern auf einer Frontlänge von 1,6 Kilometern. Der Weg nach Krithia kostete die Alliierten 20 000 Tote pro 1,5 Kilometer. Auf diese Weise konnten sie den Kampf schlicht nicht fortsetzen.1 Auch auf türkischer Seite forderte der Feldzug auf Gallipoli einen hohen Blutzoll. Die Verteidiger verloren etwa ebenso viele Männer wie die Alliierten bei den drei Schlachten um Krithia und noch weitaus mehr bei ihren eigenen Vorstößen gegen britische und französische Stellungen. Den Befehlen von Enver Pascha gehorchend, die Invasoren zurück ins Meer zu drängen, führten die Osmanen energische Angriffe gegen die Alliierten. Der erste Vormarsch auf britische Stellungen am Kap Helles in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai kostete 6000 osmanische Opfer, ein zweiter nächtlicher Angriff in derselben Gegend vom 3. auf den 4. Mai weitere 4000 Mann – Verluste von 40 Prozent in nur zehn Stunden. Die Osmanen begannen am 18. Mai einen weiteren schweren Angriff, bei dem sie 50 000 Infanteristen aufboten, um die Australier und Neuseeländer vom Strand in Arıburnu zu vertreiben. Britische Aufklärungsflugzeuge hatten im Vorfeld jedoch von dieser Truppenkonzentration Bericht erstattet, sodass die ANZAC-Soldaten vorbereitet waren. In der siebenstündigen Schlacht scheiterte die osmanische Initiative vollständig, und es blieben über 10 000 Verwundete und Tote im Gelände zwischen den feindlichen Linien zurück. Die Soldaten auf Gallipoli erfuhren nun, was ihre Kameraden an der Westfront bereits aus eigener bitterer Anschauung kannten: Angreifer hatten kaum eine Chance gegen gut postierte und eingegrabene Verteidiger mit Maschinengewehren.2 Nach einem Monat furchtbaren Blutvergießens war es zu einem Stillstand auf Gallipoli gekommen. Beide Seiten gruben sich ein, um jene Stellungen zu halten, um die Zehntausende gekämpft, für die sie schmerzende Wunden erlitten hatten und gestorben waren. Die Australier und Neuseeländer besetzten den winzigen Strandabschnitt in der ANZAC-Bucht, während Briten und Franzosen ihre Linie an der Spitze der Halbinsel, keine fünf Kilometer vom Kap Helles entfernt, gesichert hatten. Auch
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wenn die Osmanen die Angreifer nicht zurück ins Meer hatten treiben können, so verhinderten sie doch, dass die Alliierten die Anhöhen erreichten. Eingeschlossen in ihre engen Enklaven waren die Entente- Soldaten dem Beschuss durch reguläre Artillerie und aus Schrapnell- und Gewehrstellungen ausgeliefert und litten unter den fast unsichtbaren feindlichen Scharfschützen, wohingegen britische und französische Schiffe türkische Stellungen mit ihren schweren Geschützen bombardierten. Es war ein Stellungskrieg entflammt und mit ihm all das dazugehörige Grauen, das auch die Soldaten an der Westfront erfahren mussten.
* Die britische Regierung betrachtete die Situation auf Gallipoli mit zunehmender Sorge; der Feldzug verlief nicht wie geplant. Der von Winston Churchill befürwortete Marineangriff war am 18. März nach dem gescheiterten Versuch, die Meerenge einzunehmen, abgebrochen worden, und der begrenzte Einsatz am Boden, den Lord Kitchener genehmigt hatte, war an der entschlossenen osmanischen Verteidigung gescheitert. Die Opferzahlen stiegen, die Anzahl der einsatztauglichen Soldaten vor Ort war nicht ausreichend, um einen Sieg zu erreichen, und die Seestraßen zwischen Alexandria und Limnos (jener Insel, die den Alliierten als Hauptquartier für den Dardanellenfeldzug diente) erwiesen sich als nicht mehr sicher genug. Zum ersten Mal legten die Osmanen die Verwundbarkeit der britischen Kriegsschiffe am 13. Mai offen, als sie einen überraschenden Angriff auf die HMS Goliath führten. Das in die Jahre gekommene Schlachtschiff lag in der Morto-Bucht vor Anker (am südlichen Ende der Halbinsel Gallipoli an den Dardanellen gelegen), wo es den französischen Truppen Deckung gab, als das türkische Torpedoboot Muavenet-i Milliye durch die Dardanellen auf die alliierten Ankerplätze zufuhr. Da es langsam und mit dem Heck voraus unterwegs war, hielt es der wachhabende Offizier für ein britisches Boot. Dass er sich irrte, wurde deutlich, als das türkische Schiff drei Torpedos auf die Goliath abfeuerte. Das britische Schlachtschiff sank innerhalb von zwei Minuten und riss 570 der 700 Mann Besatzung mit in den Tod, wohingegen das türkische Torpedoboot unbeschadet entkommen konnte.
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Anlandung eines Artilleriegeschützes auf Gallipoli. Die logistischen Herausforderungen des Dardanellenfeldzugs waren außerordentlich hoch, da man Mannschaften und Material unter unablässigem Beschuss durch die osmanischen Verteidiger anliefern musste.
Die Ankunft deutscher U-Boote im Mai des Jahres veränderte das bis dahin vorherrschende maritime Ungleichgewicht vor den Dardanellen. Die Alliierten durften sich kaum darüber beschweren: Britische, französische und sogar australische U-Boote waren vor den Dardanellen im Einsatz, seit die Briten im Dezember 1914 das osmanische Schlachtschiff Messoudieh versenkt hatten. Ein australisches U-Boot, die AE2, konnte am 25. April 1915 die Unterwasserbarrieren räumen und in das Marmarameer einfahren. Zwei britischen Unterseebooten, der E11 und der E14, gelang es ebenfalls, die gefährliche Meerenge zu passieren, woraufhin sie mehrere Wochen lang im Marmarameer Transport- und Nachschubschiffe der osmanischen Streitkräfte für Gallipoli versenkten. Andererseits erlitten die Alliierten aufgrund der schwierigen Unterwasserbedingungen in der Meeresstraße und der Enge des Marmarameers auch hohe Verluste in ihrer U-Boot-Flotte. Ein türkisches Torpedoboot versenkte die australi-
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sche AE2 bereits zwei Tage nach ihrer Ankunft im Marmarameer, und im Mai verloren die Franzosen zwei U-Boote – die Saphir und die Joule – durch Unterwassernetze und Minen.3 Deutsche U-Boote hatten es in den offenen Gewässern der Ägäis wesentlich leichter, britische Schiffe anzugreifen. Am 25. Mai versenkte das deutsche U-Boot U-21 mit seinen Torpedos das britische Schlachtschiff Triumph, noch während dieses osmanische Stellungen bei der ANZAC-Bucht beschoss. Das Schiff wurde, von beiden Armeen gut sichtbar, kurz nach Mitternacht getroffen – nun eher ein Triumph für die Türken und ein heftiger Schlag für die Moral der Australier und Neuseeländer an Land. In den 20 Minuten, in denen die Triumph sank, konnte fast die gesamte Besatzung gerettet werden, nur 75 Matrosen und drei Offiziere starben im Wrack. Zwei Tage später versenkte dasselbe U-Boot die HMS Majestic vor Kap Helles, wobei 49 Mann ums Leben kamen. Der gekenterte Schiffsrumpf des Schlachtschiffs, von den am Meeresboden verhakten Masten des Schiffs aufgerichtet, erinnerte die Alliierten fortan an ihr Versagen in den Dardanellen. Denn nachdem drei ihrer Schiffe rasch hintereinander versenkt worden waren, sah sich die Royal Navy gezwungen, ihre schweren Schlachtschiffe von der Meerenge abzuziehen. Fortan musste der Nachschub für die Bodentruppen von Monitoren (Kriegsschiffe mit wenig Tiefgang, die für den Einsatz an Küsten gebaut worden waren) und kleineren Schiffen geliefert werden, die nicht so leicht von U-Booten angegriffen werden konnten. Doch die Bedrohung durch U-Boote blieb für die britischen und französischen Truppentransporte zwischen Alexandria und Moudros weiterhin akut und erschwerte den Feldzug zusätzlich.4
* Die Reihe von Fehlschlägen auf Gallipoli lösten in Großbritannien eine politische Krise aus. Im Mai 1915 wurde der liberale Premierminister Herbert Henry Asquith zu einer kriegsbedingten Koalition mit den Konservativen gezwungen. Sein neues Kabinett spiegelte die Veränderungen der politischen Umstände wieder: Arthur James Balfour, Mitglied der Konservativen Partei, übernahm Winston Churchills Platz als Marineminister. Churchill, dem man seine Rolle bei der erfolglosen Flottenoffensive auf die Dardanellen vorwarf, wurde zum Chancellor of the Duchy of Lancaster,
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dem Kanzler des Herzogtums Lancaster ernannt, was im Grunde auf ein Ministeramt ohne Verantwortungsbereich hinauslief. Mit dem Dardanellenkomitee schuf man ein neues Gremium zur Aufsicht über den Feldzug auf Gallipoli, das den früheren Kriegsrat ablöste. Das Komitee tagte am 7. Juni 1915 zum ersten Mal, um über das weitere Vorgehen bei der Invasion zu entscheiden. Lord Kitchener war noch immer Kriegsminister und noch immer die einflussreichste Stimme in dem Gremium. (Es erscheint ironisch, dass Churchill bis heute die Schuld an Gallipoli gegeben wird, wo doch Kitchener so eindeutig der wichtigste Entscheider des Feldzugs war.) Er stellte dem Dardanellenkomitee drei Optionen vor: Die Briten und ihre Verbündeten könnten die Gallipolioffensive insgesamt abbrechen. Sie könnten eine große Streitmacht entsenden, um die Halbinsel zu erobern. Oder sie könnten fortfahren, die kleine Expeditionsstreitmacht unter Sir Ian Hamilton in der Hoffnung zu verstärken, langsame aber stetige Fortschritt zu erzielen, bis Gallipoli schlussendlich erobert werden würde. Die Mitglieder des Komitees schlossen einen Rückzug von Gallipoli aus. Sie fürchteten, das Zugeständnis einer Niederlage könnte die unentschlossenen Balkanstaaten zu einer Entscheidung gegen die EntenteMächte und darüber hinaus „mit großer Wahrscheinlichkeit zu Aufständen überall in der muslimischen Welt“ führen, wie es ein offizieller britischer Historiker des Feldzugs formulierte. Aus dieser Überlegung lässt sich heraushören, wie sehr der osmanische Aufruf zum Dschihad die Verantwortlichen der Entente noch beschäftigte. Allerdings hatte das Komitee dann Schwierigkeiten, sich zwischen einem großangelegten Angriff und dem Status quo zu entscheiden, vor allem da es nicht wusste, wie groß eine Truppe sein musste, um die Türken auf Gallipoli zu bezwingen, und wie lange es dauern würde, eine solche Streitmacht zu entsenden. Jeder Tag Verzögerung verschaffte den Osmanen und ihren deutschen Verbündeten kostbare Zeit, in der sie ihre Verteidigungsanlagen ausbauen und Gallipoli noch uneinnehmbarer machen konnten.5 Am Ende entschied sich Kitchener für die Entsendung einer umfangreichen Verstärkung, um in den Dardanellen einen energischen Schlag ausführen zu können. Der Oberbefehlshaber der Mediterranean Expeditionary Force, Sir Ian Hamilton, hatte um drei frische Divisionen gebeten (im Ersten Weltkrieg bestand eine britische Division aus 10 000 bis
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15 000 Mann), um den alliierten Streitkräften den Ausbruch aus der ANZAC-Bucht und die vollständige Eroberung der Halbinsel zu ermöglichen. Das Dardanellenkomitee genehmigte in seiner Sitzung vom 7. Juni die Entsendung dieser drei Divisionen, und Ende Juni beschloss Kitchener, zwei zusätzliche Divisionen freizugeben – insgesamt also fünf Divisionen –, damit Hamilton jene große Truppe zur Verfügung stand, die er für einen Sieg auf Gallipoli brauchte. Die ersten Einheiten sollten die Front Anfang August erreichen.
* Den Sommer 1915 über hatten britische und französische Soldaten die unberührte Landschaft auf Gallipoli mit einem komplexen Netz aus Gräben überzogen. Im französischen Sektor marschierten die Soldaten in Richtung Front durch einen breiten Laufgraben, den man optimistisch „Avenue de Constantinople“ getauft hatte, während jener, der von der Front parallel zurück verlief, „Avenue de Paris“ genannt wurde. Auch die Engländer gaben ihren Gräben skurrile Namen. Die „Regent Street“ verlief südlich der Front am „Piccadilly Circus“ vorbei zur „Oxford Street“, und eine besonders komplexe Kreuzung von Gräben hieß nach der größten Eisenbahnkreuzung Londons „Clapham Junction“. Dutzende kleinerer Gräben wurden nach den Regimentern benannt, deren Männer hier kämpften und starben: „Lancashire Street“, „Munster Terrace“, „Essex Knoll“ oder „Worcester Flat“. Die ironischsten Namen fand man an vorderster Frontlinie: „Hyde Park Corner“, „Main Street“ und, besonders trostlos, „Hope Street“.6 Die skurrilen Namen konnten die Gewalt in den Gräben nicht verschleiern. All jene, die sowohl an der Westfront als auch auf Gallipoli gekämpft hatten, zeigten sich überzeugt, dass die türkische Front die weitaus gnadenlosere war. „Es ist hier viel schlimmer als in Frankreich, das sagen alle, die beide Fronten gesehen haben“, schrieb der französische Unteroffizier Jean Leymonnerie im Juni 1915 nach Hause. Die Briten waren derselben Meinung. „In Frankreich konnte ein Infanterist, abgesehen von den massiven Angriffen, viele Monate leben, ohne sein Gewehr abzufeuern oder auch nur das geringste Risiko einzugehen, von einer Gewehrkugel getötet zu werden“, behauptete A. P. Herbert. „Doch in jenen Hügelgräben von Gallipoli bekämpften die Türken und die Nichtjuden einander jeden
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Tag mit Gewehr und Bomben, und nachts krochen sie aus den Gräben und erstachen sich im Dunkel. Es gab kein Nachlassen im ständigen Beobachten und Lauschen und Nachdenken.“7 Das Leben in den Gräben war ein Angriff auf alle Sinne der Soldaten – das Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Fühlen. Der Krieg im Schützengraben unterminierte die physische und psychische Gesundheit aller, die nicht getötet oder verwundet wurden. Herberts Beschreibung der britischen Erfahrungen in den Schützengräben von Gallipoli war gleichermaßen gültig für die Türken. Angreifer wie Verteidiger teilten das Elend und das Grauen dieses Feldzugs. Von dem Augenblick an, an dem ein Soldat auf Gallipoli gelandet war, musste er mit dem entsetzlichen Lärm der Artillerie leben. Die Alliierten waren dem Beschuss besonders ausgesetzt. Seit die deutschen U-Boote die britischen Schlachtschiffe von der Mündung der Dardanellen vertrieben hatten, feuerten osmanische Kanoniere ungestraft von der asiatischen Seite der Meeresstraße, wobei sie insbesondere die französischen Stellungen trafen. Auf Gallipoli selbst hielten die Türken die Anhöhen oberhalb
Türkische Soldaten, Gallipoli. Kämpfer auf beiden Seiten der Gräben wurden mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit von Krankheiten wie von Kugeln getötet.
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von Kap Helles und der ANZAC-Bucht, von wo aus sie einen ständigen Regen von Schrapnell- und Artilleriefeuer niedergehen ließen. „Da wir an der Spitze von Alcitepe [Achi Baba] positioniert waren, konnten wir Artillerie abfeuern, wann immer wir wollten“, behauptete ein osmanischer Artillerieoffizier. „Wir konnten den Krieg so führen, wie es uns passte.“ Briten und Franzosen zeigten sich von ihren vergeblichen Versuchen frustriert, die osmanischen Geschützstellungen zu lokalisieren. Die Türken nutzten Camouflage, zündeten Rauchladungen, um das Feuer der Alliierten anzulocken, und ihre mobilen Haubitzen durchkreuzten die alliierten Bemühungen, das Geschützfeuer auszuschalten. Die Osmanen und ihre deutschen Verbündeten feuerten nach Belieben auf die am Kap Helles und in der ANZAC-Bucht dicht gedrängten Invasoren. Manchmal mit starkem Beschuss, dann wieder mit leichtem, mal aus der Nähe, mal aus größerer Entfernung peinigte die Artillerie die feindlichen Soldaten Tag und Nacht; eine unvorhersagbare Bedrohung, die auf beiden Seiten eine ständig wachsende Zahl von Opfern forderte.8 Im Verlauf der Gallipolioffensive schauten sich die Invasoren die Kunst der Scharfschützen von den Türken ab. Anfangs waren die alliierten Truppen durch diese unsichtbaren Killer verängstigt. Osmanische Scharfschützen, mit grün bemalten Gesichtern und in einem Gelände versteckt, das sie weitaus besser kannten als die Angreifer, schlichen sich sowohl am Kap Helles als auch in der ANZAC-Bucht hinter die feindlichen Linien, und „warteten dort ruhig ab, um so lange Ungläubige auszuschalten, bis auch sie selbst starben“, schrieb A. P. Herbert. „Es waren sehr mutige Männer.“ Diese Scharfschützen hatten eine verheerende Wirkung auf die Moral der Mannschaften. „Nichts in ihrer Ausbildung hatte sie darauf vorbereitet“, fuhr Herbert fort. „Sie hassten den Eindruck der ‚Blindheit‘, den sie erzeugten; es war demoralisierend, sich immerzu fragen zu müssen, ob man den Kopf tief genug hielt, immer gebückt zu laufen; es war ermüdend, immerzu aufmerksam sein zu müssen; und es war sehr gefährlich, diese Aufmerksamkeit für einen Augenblick aufzugeben.“ Ein Soldat fasste dies in die Verse: Immerzu die Scharfschützen schießen, Immerzu die Kugeln fliegen, Und die Männer fallen, einer nach dem andern.9
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Mit der Zeit erholten sich die Invasoren von ihrem anfänglichen Schrecken und wurden selbst zu tüchtigen Scharfschützen. So ergab es sich beispielsweise, dass sich Sergeant G. T. Clunie von den Wellington Mounted Rifles wenige Tage nach seiner Ankunft auf Gallipoli Mitte Mai 1915 einen Schusswechsel mit einem türkischen Scharfschützen lieferte. Am 16. Mai hielt er in seinem Tagebuch fest: „Ich hatte heute Morgen ein sehr interessantes Duell. Ich hatte kurz einmal meinen Kopf gehoben, worauf er mir um ein Haar abgeschossen worden wäre, also begab ich mich zu einer anderen Stellung und hielt Ausschau und tatsächlich erkannte ich ihn in einem Busch hinter den türkischen Gräben in etwa 180 Metern Entfernung. Ich machte mich an ihn heran, genauso wie er sich an mich. Wir dürften so etwa zehn Schuss aufeinander abgegeben haben, doch dann erwischte ich ihn und er starb, aber bis dahin, weiß Gott, war es ganz schön eng für mich.“ Clunie gab sich keine Mühe, seine Freude darüber zu verhehlen, dass er den gegnerischen Schützen getötet hatte. „Wir waren schockiert über die Tatsache, dass der Feind über solch gute Scharfschützen verfügte“, schrieb Ibrahim Arıkan in sein Tagebuch. „Auch wenn wir den Feind jagten, so jagte er doch auch uns.“ Die Angreifer mussten allerdings weiterhin ständig mit der Angst leben, dass unsichtbare Killer jeden Moment zuschlagen konnten.10 Eine der überraschendsten, von britischen und ANZAC-Truppen überlieferten Behauptungen ist, dass Frauen als Scharfschützinnen auf dem Schlachtfeld eingesetzt wurden. Es sind auf osmanischer Seite keine Aufzeichnungen darüber bekannt, dass während des Ersten Weltkriegs Frauen in der türkischen Armee gekämpft hätten, und angesichts der Geschlechtertrennung in der osmanischen Gesellschaft erscheint dies zumindest auch sehr unwahrscheinlich. Doch die hohe Anzahl britischer und australischneuseeländischer Berichte über getötete, verwundete oder gefangen genommene Scharfschützinnen macht es schwer, das Phänomen gänzlich als Soldatenmythos abzutun. Ein britischer Sanitäter hielt in seinem Tagebuch fest, eine verwundete türkische Scharfschützin sei ins Krankenlager am Kap Helles eingeliefert worden, da „sie eine Schussverletzung am Arm“ habe – auch wenn er nicht behauptete, die Frau mit eigenen Augen gesehen zu haben. Ein neuseeländischer Gefreiter lieferte einen Augenzeugenbericht: „Wir erwischten eine weibliche Scharfschützin, doch sie wurde erschossen, noch bevor wir wussten, dass sie eine Frau war. Es gab hier viele weibliche Scharfschützinnen. Sie können gut schießen.“ Der Ge-
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freite John Gray vom Wiltshire Regiment, der bei Operationen gegen Scharfschützen am Chocolate Hill, in der Nähe der ANZAC-Bucht, eingesetzt wurde, gab an, die Entdeckung von weiblichen Scharfschützen sei der „aller seltsamste Fund“ seiner Einheit gewesen. Er schrieb, dass die Frauen, direkt neben männlichen Kollegen, bewaffnet und versteckt in Bäumen sitzen würden. „Einige der Frauen trugen Hosen, wie Männer, und manche trugen lange, grau gefärbte Röcke. Sie waren unwahrscheinlich dünn, so als hätten sie seit Monaten nichts mehr gegessen.“ Es lässt sich nicht sagen, zumindest nicht auf Basis dieser Aussagen, ob Frauen tatsächlich an den Kampfhandlungen teilnahmen oder die Soldaten Gewalt gegen türkische Frauen rechtfertigten, indem sie sie zu Kriegsteilnehmerinnen machten.11 Neben der unablässigen Gefahr durch Artillerie und Scharfschützen verlegten Alliierte und Türken zudem regelmäßig Minen unter die Gräben des Feindes, um auch von unten töten zu können. Unteroffizier Leymonnerie, der in seinem Unterstand mit dem Kopf auf dem harten Boden schlief, wurde eines Nachts gegen Mitternacht geweckt, als er unter sich ein Geräusch bemerkte. Er hörte genauer hin und vernahm die regelmäßigen Schläge einer Hacke. „Das mussten die Türken sein“, schlussfolgerte er, „die einen Stichgraben anlegten, um unsere Stellung zu sprengen.“ Schnell suchte er sich einen sichereren Platz zum Schlafen. „Die Todesart, die ich am allermeisten fürchte, ist, hoch in die Luft und über die Gräben hinweg gesprengt zu werden.“ In diesem Abschnitt der Gräben konnte er nie ruhig schlafen, musste er doch immer Angst haben, die Türken könnten jeden Moment eine Sprengladung unter ihm zünden.12 Leutnant Mehmed Fasih hatte mehr Angst davor, lebendig begraben als durch eine Untergrundexplosion in den Himmel geschleudert zu werden. Der pedantisch genaue junge Offizier hielt in seinem Tagebuch fest, der Feind habe eine derart große Mine gezündet, dass er fühlte, wie der Boden unter ihm schwankte. „Das geschah an der Stelle, an der ich ein paar Tage zuvor [Grabe-]Geräusche gehört hatte“, erinnerte er sich. „7 Männer werden vermisst.“ Später am Nachmittag gelang es einem der Verschütteten, sich selbst aus dem Dreck herauszuwinden, zur großen Erleichterung des osmanischen Leutnants. „Es gibt keinen schlimmeren Tod als diesen“, überlegte Mehmed Fasih. „Bei vollem Bewusstsein langsam zu sterben! … Mein Gott, bewahre uns alle vor solch einem Schicksal.“13
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Die Wochen in den Gräben bestanden aus Phasen des Wartens, unterbrochen von größeren Angriffen. Die Osmanen und Alliierten ergriffen abwechselnd die Initiative, was die Soldaten auf beiden Seiten in den Zustand ständiger Anspannung versetzte. „Wir hatten Angst davor, angegriffen zu werden“, schrieb Jean Leymonnerie nach einigen Tagen Dienst an vorderster Front, „aber ich gebe zu, dass wir noch viel mehr Angst davor hatten, selbst anzugreifen.“ In diesem Stellungskrieg begab man sich in größte Gefahr, wenn man über das Niemandsland auf den Feind zustürmte, auch wenn es kaum weniger furchterregend war zu hören, wie der Feind auf die eigenen Linien zukam.14 Sergeant Moriarty von den Royal Munster Fusiliers überlebte den nächtlichen Angriff der Türken vom 1. Mai. „Sie krochen direkt bis an unsere Gräben heran (es waren Tausende von ihnen), und mit ihren Schreien und Rufen Allah, Allah ließen sie die Nacht grässlich werden.“ Die Munsters kämpften um ihr Leben, als Welle um Welle osmanischer Soldaten ihre Stellungen angriffen. „Als die Türken zum Nahkampf übergingen, nutzten die Teufel ihre Handgranaten, und man konnte unsere Toten nur noch an ihren Erkennungsmarken identifizieren“, also jenen runden Hundemarken, die britische Soldaten um ihren Hals trugen. Moriarty kämpfte die ganze Nacht über, um bei Tagesanbruch den schrecklichen Anblick von Hunderten toter Türken vor den britischen Schützengräben ansehen zu müssen. „Ich bin sicher, ich werde diese Nacht nicht vergessen, solange ich lebe.“15 Der australische Kriegsdichter Harley Matthews zeigte sich vom osmanischen Kriegsruf „Allah“ erschüttert, jenem ungewohnten Ausruf, der jedem alliierten Soldaten an die Nerven ging: Wir hörten, sie kamen am Hügel wieder zusammen Sie riefen und pfiffen, die Hörner bliesen. „Allah!“, schrien sie. Dann stampften die Stiefel. „Allah!“ Auf der Linken wurde heftig gefeuert, In einer Bö fuhr es über uns hinweg. „Haltet Stand! Hier kommen sie. Feuer!“ Und wieder Schossen wir auf Rufe und Schatten – und dann … vorbei. Sie sind alle verschwunden, alle aufgelöst wie zuvor.16
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Für jeden Soldaten war die Erfahrung, aus den Schützengräben zum Angriff herausstürmen zu müssen, die absolute Feuertaufe – und ein Trauma, das keiner der Überlebenden je vergaß. Der französische Unteroffizier Leymonnerie fasste es in die ironische Aussage: „Das Leben in den Gräben könnte eigentlich ganz angenehm sein, wären da nicht immer diese Bajonettangriffe, die doch furchtbar sind. Die Männer werden von Maschinengewehren und den exzellenten türkischen Schützen niedergemäht, kaum dass sie sich über die Grabenwehr erhoben haben.“17 Robert Eardley war ein Heeressoldat aus Manchester, der im Juni nach Gallipoli kam. Am 12. Juli nahm er zum ersten Mal an einem Angriff auf türkische Stellungen teil, und er erinnerte sich sehr genau an die letzten Sekunden vor dem riskanten Befehl: „Die Augenblicke schienen wie Stunden – die Anspannung – dann der Offizier, die Augen auf seine Uhr geheftet, sie folgen dem Zeiger (des Todes), der sich langsam, so langsam, und doch unaufhaltsam auf die Zerstörung zubewegt – vielleicht noch eine Sekunde zu leben – denn dies ist ein Opfer – dies ist der Moment, in dem alle Herzen traurig und schwer sind – dann hört man, wie jemand ein Gebet murmelt – neben sich bemerkt man, wie ein armer Kerl sich vor dem kommenden Moment fürchtet im Wissen, dass der ‚Tod‘ langsam,
ANZAC-Soldaten beim Bajonettangriff auf Gallipoli. Beim Stellungskrieg erlitt stets die angreifende Armee die höchsten Verluste.
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aber sicher von ‚dort drüben‘ herangekrochen kommt.“ Die verängstigten Soldaten versuchten, die Moral ihrer Kameraden mit leeren Worten zu heben, die der Schwere des Augenblicks völlig unangemessen waren. „Kopf hoch, Kumpel!“ „Schlag ein, alter Junge, und hoffe auf das Beste!“, und nach einer letzten Umarmung wird der Befehl erteilt. „Rüber, Männer, und viel Glück.“ Eardley kletterte aus der vergleichsweise großen Sicherheit des Schützengrabens hinaus in die Schusslinie. Er rannte über Niemandsland, das Bajonett aufgesteckt und verwundert über sein eigenes Überleben (er erlitt nur eine Fleischwunde am Bein und zerschrammte sich seine Nase an einem abgebrochenen Bajonett), während seine Kameraden tot oder verwundet neben ihm zu Boden gingen. Die Verletzten um Hilfe rufen zu hören und „einem sterbenden Kumpel noch ein Mal die Hand zu drücken, dies zum ersten Mal erlebt zu haben, werde ich mein Leben lang nicht vergessen – diese wenigen Augenblicke in der Hölle.“18 Nach jedem Angriff blieben Hunderte oder gar Tausende gefallener Soldaten auf dem Schlachtfeld zurück. Auf nackter Erde zwischen den feindlichen Linien liegend, in der drückenden Sommerhitze, verströmten die sich zersetzenden Körper auf der gesamten Halbinsel Gallipoli den Gestank des Todes. In den ersten Wochen des Konflikts verabredeten die Osmanen und Alliierten immer wieder örtliche Waffenruhen, um in den drei- bis vierstündigen Feuerpausen die Leichen bergen und begraben zu können. Am 24. Mai hielten die Briten und Osmanen eine neunstündige Waffenpause entlang der ANZAC-Front ein, nachdem ein groß angelegter türkischer Angriff für viele Tausend Tote gesorgt hatte. Beide Seiten waren sich einig, dass solche Waffenruhen notwendig waren, doch beide verdächtigten zugleich die andere Seite, die Unterbrechung zum eigenen Vorteil zu nutzen, indem man die gegnerischen Stellungen auskundschaftete sowie Männer und Material vor der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten in günstigere Positionen brachte. So kam es nach dem Waffenstillstand vom 24. Mai auch zu keiner weiteren Kampfpause, und die Toten wurden zunehmend zu einer Belastung für die Moral – und die Gesundheit – der Überlebenden. „Die Gräben sind dreckig, und an einigen Abschnitten der Grabenwehr liegen seit Tagen tote Männer so verschüttet, dass ihre Füße über den Wall
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hinausragen, und auf beiden Seiten vermodern Leichen unbestattet in der Gluthitze“, schrieb Bartle Bradshaw, ein junger Offizier des Border Regiment, in einem Brief nach Hause. „Wir tun unser Möglichstes, um sie mit Kalk zu bedecken, der Gestank ist furchtbar und wenn man sich klarmacht, dass man in einem halben Meter Abstand von den Toten schläft und dass man die Mahlzeiten am selben Ort isst, und wenn man nur für einen Augenblick aufhört, über sein Essen mit der Hand zu wedeln …“ Bradshaw vollendet seinen Satz nicht, wahrscheinlich da er nicht schreiben mochte, dass in dem Moment, in dem ein Soldat nicht mehr über sein Essen wedelte, es von Fliegen umschwärmt wurde – von jenen Fliegen, die auch auf den Leichen saßen.19 A. P. Herbert fasste mit dem Gedicht „Flies“ (Fliegen), entstanden 1915 auf Gallipoli, sein ganz persönliches Grauen in Worte: Die Fliegen! Oh, Gott, die Fliegen, Beschmutzen die heiligen Toten. Zu sehen, wie sie von der toten Männer Augen Herüber schwirren, um das Brot mit uns zu teilen. Ich kann nicht glauben, jemals zu vergessen Den Dreck und den Gestank des Krieges, Die Leichen auf den Wällen Und die Maden in den Gräben.20
Die zahllosen Insekten übertrugen Krankheiten von den Toten auf die Lebenden. Die Soldaten auf beiden Seiten der Front litten zudem unter einer großen Palette von Infektionen, die über die Luft oder das Wasser übertragen wurden. Da es keine richtigen Latrinen gab, mussten sich Soldaten, die Angst hatten, sich beim Verlassen der Gräben dem Feuer von Scharfschützen auszusetzen, in die Gräben entleeren: in die Gräben, in denen sie kämpften, aber auch aßen und schliefen. Durchfallerkrankungen erreichten epidemische Ausmaße. Raymond Weil, ein französischer Artillerieoffizier, hielt mit steigender Besorgnis fest, dass sich unter seinen Männern immer mehr Krankheiten ausbreiteten. Die den französischen Soldaten verabreichten Impfungen gegen Cholera und Typhus lieferten keinen Schutz vor Fieber und Magenproblemen. „In den letzten Tagen gab es so viele Erkrankungen, dass selbst die Offiziersränge auf ein Nichts re-
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duziert wurden“, hielt Weil in seinem Tagebuch fest. Trotz verschärften Bedingungen für eine Krankmeldung mussten Tausende Soldaten von der Front evakuiert werden, da sie dehydriert und zu schwach zum Laufen, geschweige denn zum Kämpfen waren. In der Mitte des Sommers wurden jeden Tag Hunderte kranker Männer von Gallipoli evakuiert. Man brachte sie in Krankenhäuser in Moudros, wo man sie so lange pflegte, bis sie stark genug waren, um in die Schlacht zurückzukehren.21 In unmittelbarer Nähe zu den Schützengräben zu leben und zu kämpfen, strapazierte die psychische Gesundheit der Soldaten. Im Gegensatz zur Westfront, wo sich die Soldaten ab und zu in die umliegenden, von den Kämpfen verschonten Städte und Dörfer zurückziehen konnten, gab es auf Gallipoli keine Möglichkeit, der Gewalt zu entkommen. Selbst jene, die zum Schwimmen ins Meer gingen und sich verzweifelt nach einer Kampfpause sehnten, waren willkürlichem Beschuss ausgesetzt, der Männer tötete oder verstümmelte. Nicht einmal im Schlaf konnten sie Frieden finden. Das unablässige Kreischen der Artillerie, das Trommeln der Einschläge und die ununterbrochenen Erfordernisse der Front erlaubten es niemandem, ruhig zu schlummern. In vielen Tagebucheinträgen der Soldaten finden sich Beschwerden darüber, dass sie nicht genug schliefen. „Meine Männer sind erschöpft“, schrieb Jean Leymonnerie, „und ich bin es ebenfalls, auch wenn ich noch durchhalte.“ Er hatte in dieser Nacht nur zwei Stunden geschlafen, zwischen 2:30 und 4:30 Uhr. Auf osmanischer Seite war das Bild das gleiche: „Habe in der ganzen Nacht nur zwei oder drei Stunden geschlafen und hatte entsetzliche Albträume“, hielt Mehmed Fasih fest.22 Im Verlauf der folgenden Wochen forderten die tagtägliche Todesangst und der Schlafentzug ihren Zoll, und eine immer größer werdende Zahl an Männern erlebte Nervenzusammenbrüche oder wurde zu Kriegszitterern. Ein Unteroffizier des britischen Heeresambulanzkorps sah seinen ersten „Nerven“-Fall am 14. Juni, also bereits sieben Wochen nach Beginn des Feldzugs. Henry Corbridge zeigte sich erschrocken von den „Nervenfällen, die erbärmlich anzusehen sind, mit ihrem leeren Blick und den glasigen Augen sowie einer partiellen Paralyse, manche rasen“. Ein riesiger Kerl, „der seinen Verstand verloren hatte, ohne dass er einen Kratzer abbekommen hätte“, musste während seiner Evakuierung auf das Krankenschiff von acht Männern festgehalten werden. Im Verlauf des Sommers be-
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richtete Corbridge von immer neuen Fällen von Kriegszitterern. Mitte August stellte er fünfmal mehr Betroffene mit psychischen Problemen als Verletzte fest.23 Auch osmanische Soldaten wurden zu Kriegszitterern. Ibrahim Arıkan, ein Freiwilliger aus der Gendarmerie, fand zu seiner Verblüffung seinen kampferprobten Kommandeur am ganzen Körper zitternd in einem Schützenloch sitzend. „Ibrahim, mein Sohn, wohin willst du?“, fragte ihn der Hauptmann. Arıkan erkannte, dass etwas mit dem Hauptmann nicht stimmte, beschimpfte dieser normalerweise seine Männer doch eher, sprach ihn nun aber mit „mein Sohn“ an. Der Hauptmann wusste nicht mehr, wo er war, und bat Arıkan, ihn zu begleiten. „Er hatte seinen Verstand und seine Willenskraft verloren“, erinnerte sich der Soldat. „Seine Hand zitterte so stark, dass er nicht mehr in der Lage war, ein Gewehr zu halten.“ Selbst die härtesten Männer zerbrachen unter dem erbarmungslosen Bombardement auf Gallipoli.24
* Die monatelangen Kämpfe prägten die Art und Weise, wie die Invasoren und Verteidiger einander sahen. Die Boulevardpresse und Propaganda der Alliierten hatte bereits in den ersten Kriegsmonaten tiefen Hass auf die Deutschen geschürt, doch für die britischen, die französischen und die ANZAC-Soldaten hatte es vor dem Krieg keinen Antagonismus zwischen ihren Ländern und den Osmanen gegeben. Alliierte Soldaten gaben den Türken Spitznamen. Die Briten sprachen von den Osmanen als „Abdul“ oder „Johnny Turk“; die Franzosen nannten sie „Monsieur Turc“. Auch die Osmanen fanden neue Bezeichnungen für ihre eigenen Kämpfer – Mehmedçik, also „kleiner Mehmed“ –, wobei sie für die Angreifer keine solche Zärtlichkeiten übrighatten, die sie schlicht „die Englischen“, „die Französischen“ oder einfach duşman, „den Feind“ nannten. Die Gräben lagen an manchen Stellen derart nah beieinander, dass die verfeindeten Lager die Unterhaltungen auf der jeweils anderen Seite hören konnten. Eine Folge der dicht benachbarten Unterkünfte war, dass die Männer den Feind mit menschlicheren Augen betrachteten, und in Phasen der Ruhe kam es vor, dass sie kleine Geschenke und Süßigkeiten zu den feindlichen Linien hinüberwarfen. Ein türkischer Soldat erinnerte
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sich daran, Zigaretten, Rosinen, Haselnüsse und Mandeln zu den ANZAC-Stellungen hinübergeworfen zu haben. Die Angreifer bedankten sich mit Obst- und Marmeladekonserven. Emin Çöl fand es beachtlich, dass niemals jemand Dreck auf die Geschenke schmierte oder eine solche Gabe mit einer Handgranate beantwortete. Dieser Austausch beruhte auf echtem Wohlwollen.25 Das darf jedoch nicht missverstanden werden: Die Alliierten und Osmanen führten einen totalen Krieg gegeneinander. Beide Seiten verübten Grausamkeiten, und doch zeigten sie hinter den feindlichen Linien Gesten des Mitgefühls. Sanitätsoffizier Henry Corbridge beschrieb einen osmanischen Gefangenen, der das Leben eines britischen Soldaten gerettet hatte. Der Brite, ein Sergeant des Essex Regiment, begleitete den verwundeten Türken bis zum Verbandsplatz, um sicherzustellen, dass sein
Ein Royal Irish Fusilier versucht, türkische Scharfschützen auf Gallipoli zu täuschen, indem er seinen Helm mithilfe des Gewehrs über den Rand des Schützengrabens hebt.
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Beschützer gut behandelt wurde. Der türkische Soldat hatte zuvor dem im Kreuzfeuer zwischen den Fronten gefangenen britischen Sergeant geholfen und war dabei an Arm und Bein getroffen worden. Corbridge und seine Krankenpfleger „sorgten dafür, dass es dem Türken an nichts mangelte“, während sie ihn in der Krankenstation pflegten.26 Dem Gefreiten Robert Eardley von den Lancashire Fusiliers widerfuhr das außergewöhnliche Erlebnis, im Verlauf des Gefechts denselben osmanischen Soldaten einmal zu retten und einmal von ihm gerettet zu werden. Anfang August griffen die Lancashires die türkischen Stellungen entlang der Straße nach Krithia an der Südspitze Gallipolis an. Der Gefreite Eardley war Teil jener Truppen, die bei diesem Bajonettangriff die türkische Front überrannten. Wieder einmal war er von seinem eigenen Überleben verblüfft, da er doch mit ansehen musste, wie Kameraden auf beiden Seiten getötet und verwundet wurden, als sie in das Niemandsland vorpreschten. Als er die osmanischen Stellungen erreicht hatte, traf Eardley auf einen britischen und einen verwundeten türkischen Soldaten, der schutzlos auf dem Boden lag. „Hey, geh mir aus dem Weg – der hier hat meinen Kumpel getötet und ich werde ihn jetzt abstechen“, drohte der Brite. Eardley erklärte seinem Kameraden, es sei feige, einen wehrlosen Mann zu töten. Er redete ihm gut zu: „Versetz dich einmal in seine Lage, Kumpel – man weiß ja nie – Kopf hoch, alter Junge – mach’s nicht, bist ein guter Kerl.“ Eardley gelang es, den wütenden Lancashire-Mann vom Töten des türkischen Soldaten abzubringen. Dann war er mit dem verwundeten Osmanen alleine im Graben. Die beiden Männer konnten nicht mit Worten kommunizieren, aber der Türke machte Eardley deutlich, er habe furchtbare Schmerzen. „Armer Kerl“, flüsterte Eardley bei sich, als er die klaffende Kopfwunde des Mannes verband. Er legte den verwundeten Soldaten an einer sicheren Stelle abseits der Schusslinie ab, schob einen Mantel als Kissen unter dessen Kopf und saß eine Zeitlang neben ihm, um „Zeichen und Blicke auszutauschen“. Als Eardley zum Wachdienst gerufen wurde, gab er dem Verletzten einen Schluck Wasser und eine Zigarette. „Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er die Freundlichkeit wertschätzte, und wie heißt es doch so schön: Vielleicht bekomme ich es eines Tages ja zurückgezahlt.“
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Die Lancashire Fusiliers konnten die türkische Stellung nicht lange halten. Ein massiver osmanischer Gegenangriff warf die britischen Truppen zurück in ihre ursprüngliche Stellung. Eardley wurde in einem der besetzten türkischen Gräben zurückgelassen, um den Rückzug seiner Kameraden zu decken. Er sah mit an, wie sein Gebiet von Hunderten osmanischer Soldaten überrannt wurde, die mit gezückten Bajonetten auf sie zukamen. „Die Aufregung war unbeschreiblich – Schweißtropfen auf meiner Stirn – unser Feind galoppierte an, um uns in einem großen Schwung vom Angesicht der Erde auszulöschen.“ Er wurde von einem türkischen Soldaten überrascht, der mit dem Bajonett voraus über die Grabenwehr sprang. „Ich spürte einen scharfen, bohrenden Schmerz – ein brennendes Gefühl an meiner linken Schulter. Ich wusste, das Bajonett hatte mich getroffen … Ich spürte ganz deutlich den Stoß und dann, wie es wieder zurückgezogen wurde.“ Eardley fiel mit dem Gesicht voran auf den Boden des Grabens, zwischen all die dort liegenden Toten und Verwundeten, und wurde durch den Schock und den Blutverlust ohnmächtig. Stunden später erwachte Eardley, als Erde auf seinen Rücken geschaufelt wurde. Er bemühte sich aufzustehen und erkannte, noch benommen und desorientiert, dass feindliche Bajonette auf seine Brust gerichtet waren. Es konnte keinen Zweifel geben, man wollte ihn töten. Doch noch bevor die Umstehenden die Gelegenheit hatten, zuzustoßen, sprang ein verwundeter Osmane mit Kopfverband in den Graben und stellte sich vor Eardley. Der Brite erkannte seinen Befreier sofort. Der verletzte Türke war selbst noch recht schwach – vermutlich war er von seinen Kameraden gerade eben beim Gegenangriff gerettet worden –, und doch klammerte er sich mit all seinen Kräften an Eardley und rief nach einem Vorgesetzten. Als der osmanische Offizier schließlich eingetroffen war, schilderte der Türke seine Geschichte. „Sie plapperten drauflos“, erinnerte sich Eardley, ohne auch nur ein Wort von dem zu verstehen, was sein Beschützer sagte. Am Gesicht des Offiziers konnte er jedoch ablesen, dass seine Überlebenschancen rapide stiegen. Endlich wandte sich der Offizier an ihn und erklärte ihm in gebrochenem Englisch: „‚Engländer, steh auf, niemand tut dir etwas – du wärst nur für diesen Soldaten gestorben – du gabst ihm Wasser, du gabst ihm Rauch und du stopptest Bluten [die Wunde am Kopf] – du bist ein sehr guter Engländer‘, dann klopfte er mir auf den Rücken.“ Bevor man ihn wegbrachte, verabschiedete sich Eardley von seinem
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türkischen Freund. „Ich schüttelte diesem Türken die Hand (und ich hätte alles gegeben, diesen Mann einmal wiederzusehen). Als sich unsere Hände berührten, konnte ich erkennen, dass er mich verstand, denn er hob die Augen und rief ‚Allah‘ und dann küsste er mich (ich kann diesen Kuss noch immer auf der Wange spüren, als wäre er dort eingegraben oder Teil meines Bluts geworden).“ Die beiden sollten sich nie wieder begegnen. Nun wurde Eardley durch eine Gruppe feindseliger osmanischer Soldaten geschoben und zu einem Meldegraben gebracht, wo man ihn verhörte. Später verpasste ihm ein wütender Soldat einen solchen Kinnhaken, dass er bewusstlos zu Boden ging. Er lag neben anderen verwundeten britischen Soldaten, als er wieder zu sich kam. Das war eine grobe Erinnerung daran, dass Eardleys englische Uniform ihn in den Augen der meisten türkischen Soldaten zum einmarschierenden Feind machte, zum duşman. Doch Eardleys Tage in der Schlacht waren damit zu Ende. Die nächsten drei Jahre verbrachte er abwechselnd in Gefangenschaft oder mit schwerer körperlicher Arbeit als osmanischer Kriegsgefangener.27
* Aufseiten der Angreifer forderte der Stellungskrieg immer mehr Opfer. Britische und französische Soldaten wurden unablässig durch feindliches Feuer getötet oder von den Osmanen gefangen genommen, zudem musste eine noch weitaus größere Zahl von Gallipoli evakuiert werden, um Wunden, Krankheiten oder das Kriegszittern zu behandeln. Die Krankenlager in Moudros, auf Malta und in Alexandria füllten sich, und immer neue Passagierschiffe wurden beschlagnahmt und zu schwimmenden Krankenhäusern umfunktioniert, damit man der steigenden Zahl von Kranken und Verletzten Herr werden konnte. Viele derjenigen, die in den Gräben ausharrten, waren wegen Durchfallerkrankungen zu geschwächt, um kämpfen zu können, doch konnte man sie in den ohnehin schon ausgedünnten alliierten Schützengräben nicht mehr entbehren. Enver Pascha seinerseits schickte weiterhin frische Truppen aus Anatolien und den arabischen Provinzen zur Verstärkung nach Gallipoli. Hätte es nicht die fünf neuen Divisionen gegeben, die Kitchener an die Dardanellen entsandte, hätte es schlecht um die Invasoren gestanden. Am 3. August trafen die ersten Einheiten von Kitcheners „Neuer Armee“ in der ANZAC-Bucht
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ein, um die neue Offensive zu unterstützen und die Einnahme von Gallipoli ein für alle Mal abzusichern. Der Befehlshaber der Mediterranean Expeditionary Force, Sir Ian Hamilton, hatte die Pläne für die August-Offensive wochenlang ausgearbeitet. Ihm war bewusst, dass sich die Alliierten sowohl am Kap Helles als auch in der ANZAC-Bucht in wenig aussichtsreichen Positionen befanden. Die Türken hielten jene Anhöhen besetzt, von denen aus man diese beiden alliierten Stellungen überblickte, und den Invasoren gelang es nicht, die türkischen Linien zu durchbrechen, um die dahinter liegenden Höhenlagen zu erstürmen. Die Briten mussten aus den beengten Stellungen ausbrechen, die sie seit der Landung am 25. April besetzt hielten, und Hamilton hatte beschlossen, seine Kräfte im Norden der Halbinsel Gallipoli einzusetzen, in der ANZAC- und der Suvla-Bucht. Die Pläne für die August-Offensive waren komplex. Der Feldzug sollte mit Ablenkungsangriffen beginnen, um die osmanischen Truppen vom Hauptschlachtfeld fernzuhalten. Alliierte Truppen am Kap Helles sollten einen Scheinangriff auf türkische Stellungen südlich von Krithia durchführen, damit Otto Liman von Sanders, der die osmanischen Kräfte an den Dardanellen kommandierende deutsche General, davon abgehalten würde, Soldaten vom Süden der Halbinsel abzuziehen und gegen die ANZAC-Truppen zu schicken. Die Angriffe am Kap Helles sollten ohne jegliche Verstärkung stattfinden, man verließ sich nur auf die bereits vor Ort befindlichen, kriegsmüden Truppen. Hamilton konzentrierte drei der neuen, von Kitchener zur Verfügung gestellten Divisionen an der Nordfront von Gallipoli. Er schickte zwei Divisionen an die nur schwach verteidigten Strände der Suvla-Bucht nördlich der ANZAC-Bucht. Sein Kalkül: Setzte er die frischen Soldaten an Stellen ein, an denen man sie am wenigsten erwartete, könnte er so viele von ihnen wie nur möglich unversehrt an Land bekommen. Hamilton wollte wieder Bewegung in die Gallipolioffensive bekommen, indem frische und gesunde Soldaten schnell durch offenes, nicht von Gräben durchzogenes Gelände marschierten und die türkischen Positionen auf den Anhöhen über der ANZAC-Bucht einnahmen, ein Gebiet, das die Türken Anafarta nannten. Eine weitere frische Division schickte man in die ANZAC-Gräben, damit sie von dort aus am Mehrfrontenangriff auf den Sari-Bair-Grat teilnahmen. Dieser Höhenzug, gekennzeichnet durch drei einzelne Gipfel – den Batt-
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leship Hill (Düz Tepe), den Chunuk Bair (Conkbayırı) und Hügel 971 (Kocaçimen Tepe) –, dominierte die ihn umgebende Landschaft und wurde von den alliierten Kommandeuren als Tor zu den Dardanellen verstanden. Der neuseeländische Major Fred Waite fasste die Überlegungen der Strategen folgendermaßen zusammen: „Holen wir uns den Höhenzug, dann gehört uns bald auch die Meerenge“, jener stark befestigte Abschnitt der Dardanellen. „Öffnen wir die Meerenge für die Navy, so gehört Konstantinopel uns!“ Sollte es gelingen, die Osmanen von diesen Anhöhen zu vertreiben, würden sie ihre Stellungen nicht länger halten können, und sobald die bei Suvla und der ANZAC-Bucht eingesetzten Divisionen sich vereinten, wäre die gesamte osmanische 5. Armee eingeschlossen und damit gezwungen, aufzugeben. „Der gesamte Plan ist von Sir Ian Hamilton auf bewundernswerte Art und Weise erdacht worden“, schrieb der australische Leutnant Oliver Hogue in einem Brief an seine Ehefrau Jean, „und der Stab hat ihn ausgezeichnet bis ins Detail ausgearbeitet. Nun müssen wir nur noch sehen, ob unsere Taktik ebenso gut ist wie unsere Strategie.“28 Die Briten begannen am 6. August mit den ersten Ablenkungsangriffen am Kap Helles. In dieser Schlacht wurde Robert Eardley gefangen genommen. Das Gemetzel, das er beim Angriff der Lancashires miterlebte, wiederholte sich so oder so ähnlich an der gesamten Front, da die osmanischen Kanoniere die Reihen der britischen Angreifer ins Visier nahmen. Am ersten Tag der Operationen verloren die Briten 2000 der 3000 beteiligten Männer, am 7. August erlitten sie weitere 1500 Opfer, ohne dass sie auch nur einen Meter vorangekommen wären. Auf türkischer Seite starben noch mehr Männer: Zwischen dem 6. und 13. August wurden 7500 Soldaten getötet, verletzt oder inhaftiert. Das Täuschungsmanöver misslang, da die Alliierten die osmanischen Truppen nicht von der Hauptfrontlinie fernhalten konnten. Liman interpretierte den Angriff am Kap Helles korrekt als Finte und entsandte Verstärkung vom südlichen Frontabschnitt in den Norden, um die dortigen Attacken abzuwehren.29 Ein zweites Ablenkungsmanöver, das bei Lone Pine südöstlich der ANZAC-Bucht geplant war, entwickelte sich für beide Seiten ebenso verlustreich. Die Australier begannen mit einem erfolgreichen Bajonettangriff, der die osmanische Frontlinie auf eine Position zurückdrängte, die die Türken Kanlısırt nannten (Blutiger Höhenzug). Zwischen dem 6. und 10. August lieferten sich Türken und Australier einen Nahkampf, der in
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das osmanische Gedächtnis als eine der am heftigsten umkämpften Schlachten des Dardanellenfeldzugs eingegangen ist. Auch in Australien ist die Erinnerung an Lone Pine noch immer lebendig. „Von all den Schlachten, die unsere Truppen rund um die ANZAC-Bucht gekämpft haben, tobte keine wilder und war keine blutige als jene, die wir bei Lone Pine ausfochten“, schrieb Kavallerist William Baylebridge. In türkischen Aufzeichnungen ist von fast 7500 Toten, Verletzten oder Vermissten die Rede. Die Australier sprachen von 1700 Opfern. Das in diesem Kampf hinzugewonnene Terrain rechtfertigte diese Verluste kaum, auch wenn es den Australiern zumindest hier gelang, eine nennenswerte Zahl von osmanischen Truppen zu binden, wodurch die Hauptoffensive weiter nördlich am Sari-Bair-Grat und der Suvla-Bucht erleichtert wurde.30 Bei drei weiteren Täuschungsangriffen lagen die australischen Opferzahlen bedeutend höher: Unzureichendes Artilleriefeuer hatte die osmanischen Maschinengewehrstellungen nicht ausgeschaltet, sodass beim mitternächtlichen Angriff auf eine als „German Officers’ Trench“ („deutscher Offiziersschützengraben“) bekannte türkische Stellung zwei Angriffswellen fast bis auf den letzten Mann erschossen wurden. Die Australian Light Horse konnten, ohne ihre Pferde, zwar drei türkische Schützengräben am Dead Man’s Ridge einnehmen, wurden dann aber von dort unter hohen Verlusten von den Osmanen bei einem Gegenangriff wieder vertrieben. Und schließlich kam es zu jenem australischen Angriff am Nek, der emblematisch für die kaltschnäuzige Verschwendung von Menschenleben auf Gallipoli steht. Nachdem australische Offiziere mit angesehen hatten, wie die erste Welle aus 150 Mann schon wenige Meter hinter dem Schützengraben von türkischem Feuer niedergemäht worden war, folgten sie blind ihren Befehlen und schickten zwei weitere Angriffsreihen aus den Gräben hinaus in den fast sicheren Tod. Von den 450 Mann, die versuchten, den Nek zu erstürmen, wurden mindestens 435 getötet oder verletzt, ohne dass auf türkischer Seite ein einziger Mann zu Schaden gekommen wäre. Hier mussten die Australier einen hohen Preis dafür zahlen, die Osmanen von dem Großangriff auf Sari Bair abzulenken.31 Der Hauptangriff der ANZAC-Truppen auf die drei Gipfel des SariBair-Höhenzugs begann am 6. August im Schutz der Dunkelheit. Vier Abteilungen machten sich in dieser Nacht auf den Weg durch die steilen Täler in der Umgebung des Hügels 971 und des Chunuk Bair. Nach zwei Näch-
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ten heftiger Kämpfe war es der vereinten Truppe aus Neuseeländern, Australiern, Gurkhas und Briten nicht gelungen, die Türken vom Hügel 971 zu vertreiben, doch zumindest konnten sie den mittleren Gipfel des Höhenzugs, Chunuk Bair, einnehmen. Doch vom noch höher gelegenen Hügel 971 belegten die Türken die Angreifer mit schwerem Artilleriefeuer, bis sie in einem entschlossenen Gegenangriff am Morgen des 10. August den Chunuk Bair wieder zurückerobern konnten. Nach den viertägigen Kämpfen warteten die ANZAC-Truppen vergeblich auf eine Ablösung durch die zwei Divisionen, die in Suvla gelandet waren und sich mit ihnen vereinen sollten. Nach den heute bekannten Schilderungen war die Landung in der Suvla-Bucht eine verpasste Gelegenheit. Den Briten gelang es zwar, zwei Divisionen – mehr als 20 000 Mann – mit relativ wenigen Verlusten an Land zu bringen, da der Strand mit höchstens 1500 osmanischen Soldaten verteidigt wurde. Doch eine mangelhafte Organisation und Verzögerungen machten im Zusammenspiel aus einer erfolgreichen Landung eine gescheiterte Offensive. In der Nacht des 6. August brachten britische Kriegsschiffe zwei Divisionen von Kitcheners neuer Armee rund um die Suvla-Bucht in Stellung, etwa acht Kilometer nördlich der ANZAC-Bucht. Die Bataillone, die am südlichen Horn der Bucht landeten, erlebten eine problemlose Überfahrt und konnten den Strand über die Rampen der modernen Landungsfahrzeuge trockenen Fußes erreichen. Doch jene Soldaten, die dem mittleren Strandabschnitt in der Suvla-Bucht zugeteilt worden waren, wurden in der mondlosen Nacht mit unerwarteten Gefahren konfrontiert. In der Dunkelheit verloren viele der Landungsfahrzeuge die Orientierung und steuerten südwärts der vorgesehenen Landungsstelle auf gefährliche Riffe zu. Nachdem sie auf Klippen und Riffe aufgefahren waren, mussten einige Soldaten ins Wasser steigen, das ihnen hier bis zum Hals reichte, um sich an Land vorzuarbeiten; andere kamen viele Stunden zu spät, weil man lange gebraucht hatte, um ihre Boote wieder flott zu machen. Und alle landeten sie am falschen Ort. Um die Schwierigkeiten noch zu vergrößern, hatten die Verteidiger Leuchtfeuer abgeschossen und dadurch drei vor Anker liegende britische Zerstörer mit Tausenden Soldaten an Bord entdeckt. Das osmanische Hauptquartier war alarmiert und das Überraschungsmoment vorüber, noch ehe die Landung überhaupt begonnen hatte.
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Als die Sonne aufging, verbrachten die Angreifer die kostbaren ersten Stunden damit, sich wieder neu zu gruppieren, anstatt umgehend die nur schwach verteidigte Anhöhe oberhalb der Suvla-Bucht anzugreifen. Mehrere ihrer Bataillone waren in der Nacht in Gefechte verwickelt gewesen und hatten Verluste erlitten, doch die Mehrzahl der Einheiten verfügte über volle Kampfstärke. Da es zu Verzögerungen beim Anlanden der Soldaten gekommen war, geriet in der Folge auch die Marine beim Liefern der Artillerie und des Proviants ins Hintertreffen. Da sie kaum Trinkwasser und keine unterstützenden Geschütze zur Verfügung hatten, entschlossen sich die britischen Offiziere, ihre Ziele herabzusetzen und sich auf die Sicherung der Anhöhen direkt am Landungsplatz zu beschränken – sie missachteten damit die Zielsetzung von Hamiltons sorgfältig ausgearbeitetem Plan. Noch entscheidender war jedoch, dass sie mit ihrem nicht genehmigten Zögern den Türken ermöglichten, Verstärkung heranzuführen. Liman zog Einheiten vom Kap Helles und von Bulair ab, um der Gefahr in Suvla zu trotzen. Und er ernannte den energischen Oberst Mustafa Kemal zum Kommandeur der Anafarta-Front, an der sowohl Suvla als auch die ANZAC-Bucht lagen. Nach 24 Stunden an Land entschieden die britischen Kommandeure, ihre Männer bräuchten einen Tag Pause. Die unerfahrenen Rekruten der Neuen Armee waren nach der schlaflosen Nacht der Landung und einem ganzen Tag der Gefechte erschöpft. Sie hatten rund 100 Offiziere und 1600 Soldaten durch Tod oder durch Verwundung verloren. Nahrung und Wasser wurden in der Sommerhitze knapp. Und ihre Artillerie war noch immer nicht vollständig entladen. Nachdem bei früheren Angriffen ohne ausreichend Artillerieschutz schon so viele Soldaten ums Leben gekommen waren, weigerten sich britische Offiziere, aus ihren gesicherten Stellungen am Strand auszurücken, solange ihre Männer noch nicht ausgeruht und mit den benötigten Mitteln ausgestattet worden waren, um das, was sie fälschlicherweise für stark gesicherte türkische Stellungen hielten, anzugreifen. Deshalb kämpften die Briten am 8. August nicht. Sie verbrachten den Tag vielmehr mit Schwimmen und Ausruhen. Hätten die britischen Befehlshaber augenblicklich den Angriff befohlen, wären ihre zugegebenermaßen erschöpften Truppen auf keinen nennenswerten Widerstand gestoßen. Wie Liman in seinen Erinnerungen schreibt, verschaffte ihm die Verzögerung genau jene Zeit, die er zur Herbeiführung
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neuer Truppen und zur Abwehr dieser neuerlichen Invasion brauchte. Die Briten sollten für ihren Tag Entspannung noch teuer bezahlen.32 Als die Schlacht am 9. August fortgesetzt wurde, hatten die Türken fast ebenso viele Soldaten vor Ort wie die Angreifer. Die Osmanen beherrschten weiterhin die Anhöhe, was ihnen einen taktischen Vorteil gegenüber den Invasoren verschaffte. Und die osmanischen Truppen bestanden aus erfahrenen Veteranen, die in ihrem Heimatland kämpften und unerfahrenen Rekruten mit unzuverlässigen Geländekarten gegenüberstanden. „Der Suvla-Plan, wie er vom Oberbefehlshaber [Sir Ian Hamilton] entwickelt worden war, erwies sich als zum Scheitern verurteilt“, fasste die offizielle britische Geschichtsschreibung den Feldzug zusammen.33 Briten und Osmanen lieferten sich am 9. und 10. August ohne Unterbrechung offene Gefechte, und beide Seiten hatten hohe Opferzahlen zu beklagen. Am 9. August war der Artilleriebeschuss einmal so intensiv, dass die trockenen Sträucher und Gräser, vom Wind noch angefacht, Feuer fingen und verwundete britische und türkische Soldaten bei lebendigem Leib verbrannten, ohne dass ihre Kameraden in der Lage gewesen wären, sich ihnen zu nähern. Auch wenn die Briten am 10. August weniger Soldaten verloren, so gelangen ihnen keine wesentlichen Fortschritte bei der Eroberung des von den Türken gehaltenen Geländes. Auch rückte die Entlastung für die belagerten ANZAC-Truppen, die um den Sari-Bair-Kamm kämpften, nicht näher heran. Nach viertägigen Kämpfen um die Anhöhe von Chunuk Bair zogen sich die Briten auf ihre ursprünglichen Stellungen in der ANZAC-Bucht zurück. Sie hatten 12 000 Mann verloren und keine weiteren Reserven, um den Kampf fortzusetzen. Nimmt man die drei Fronten zusammen, die zu Hamiltons „Ausbruchs“-Offensive gehörten – Kap Helles, ANZAC-Bucht und Suvla – hatten die Alliierten in nur vier Tagen 25 000 Opfer zu verschmerzen. Auch die Osmanen waren bis zum Äußersten angeschlagen, doch trotz ebenso hoher Verluste wie aufseiten der Alliierten gelang es ihnen, ihre Stellungen zu halten. Obwohl der gemeinsame Suvla-ANZAC-Angriff damit im Grunde schon am 10. August als gescheitert gelten musste, setzten die Alliierten ihre Offensive fort. Am 12. August verschwand eine Gruppe von 15 Offizieren und 250 Mann des Norfolk Regiment, die alle aus den königlichen Besitzungen in Sandringham stammten, spurlos; es wird vermutet, dass sie hinter die feindlichen Linien geraten waren und dort bis zum letzten Mann
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aufgerieben wurden. Am 15. August schließlich musste die Offensive endgültig abgebrochen werden: Die Osmanen hielten weiterhin an den drei Gallipolifronten die Anhöhen fest in ihrer Hand, und die Alliierten hatten mit ihrer verlängerten Frontlinie keine Lücke gefunden, um die entschlossen verteidigten Stellungen der Osmanen durchbrechen zu können.34 Die Offensive bei Suvla und der ANZAC-Bucht war damit endgültig gescheitert, und die Lage der Alliierten auf Gallipoli erwies sich nach den Angriffen geschwächter als zuvor. Hamilton gab an, seit dem 6. August 40 000 Mann verloren zu haben – Tote, Verletzte und Kranke –, womit ihm noch 68 000 Mann blieben, um eine nun deutlich längere Frontlinie zu besetzen. Zusammen mit der Suvla-Bucht erstreckte sich die alliierte Front nun über 21 Kilometer. Am 17. August forderte Hamilton weitere 45 000 Mann Verstärkung an, um seine ausgelaugten Einheiten wieder auf volle Kampfkraft bringen zu können. Kitchener, der überzeugt war, die vor Kurzem von ihm nach Gallipoli entsandten fünf Divisionen sollten mehr als genug sein, um den Kampf zu entscheiden, zeigte sich nicht bereit, der erneuten Anfrage nachzugeben. Er schrieb Hamilton am 20. August, um ihm zu erklären, es sei ein „großer Vorstoß“ an der Westfront geplant, und um ihn darauf hinzuweisen: „Es kann keine relevante Verstärkung vom Hauptschauplatz der Operationen in Frankreich abgezogen werden.“ Ohne Verstärkung, so erwiderte Hamilton, sei er gezwungen, entweder die ANZAC-Bucht oder Suvla aufzugeben.35
* Die Verluste der Alliierten auf Gallipoli und der fehlgeschlagene Versuch, die Dardanellen zu besetzen, wirkten sich zusehends auch auf die instabilen politischen Verhältnisse auf dem Balkan aus – zum Vorteil der Mittelmächte. Nach einem Jahr der Unentschlossenheit gab Bulgarien seine Neutralität auf und schloss im September 1915 einen Pakt mit Deutschland und Österreich. Der deutsche Vormarsch gegen Russland und der türkisch-deutsche Erfolg bei der Verteidigung der Meerenge überzeugte die bulgarische Regierung, dass die Mittelmächte in diesem Weltkrieg die Oberhand behalten würden. Bulgarien trat am 15. Oktober in den Krieg ein, als es sich dem deutsch-österreichischen Feldzug gegen Serbien anschloss.
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Der bulgarische Kriegseintritt stellte sich als katastrophal für die alliierten Anstrengungen an den Dardanellen heraus. Serbien und Griechenland verlangten 150 000 Soldaten zu ihrem Schutz gegen die Mittelmächte. Es musste kurzfristig eine französisch-britische Streitmacht aufgestellt und nach Saloniki (dem heutigen Thessaloniki) im nordöstlichen Griechenland entsandt werden. Die Einheiten dieser neuen Truppe wurden zum Großteil von Gallipoli abgezogen. Anstatt also nennenswerte Verstärkung zu erhalten, die er für die Verteidigung seiner Stellungen angefordert hatte, musste Hamilton den Abzug ganzer Divisionen aus seinen Garnisonen hinnehmen, da diese Männer zum Dienst auf den Balkan gerufen wurden. Die beträchtlichen Eroberungen der Mittelmächte in Serbien wirkten sich in der Folge auch auf die türkischen Stellungen auf Gallipoli aus. Nachdem am 5. November die serbische Stadt Niš erobert worden war, konnten Deutschland und Österreich eine direkte Eisenbahnverbindung zwischen Belgrad und Istanbul etablieren (auch wenn Schäden an den Schienen eine regelmäßige Verbindung bis Januar 1916 verzögerten). Die europäischen Verbündeten des Osmanischen Reichs waren nun in der Lage, zumindest Geschütze und Munition direkt an die Türken zu liefern, womit sich das Gleichgewicht auf Gallipoli dramatisch änderte. Die Briten und Franzosen beobachteten diese neue Entwicklung mit zunehmender Besorgnis. Ihre kriegsmüden und ausgelaugten Einheiten würden nun unter regelmäßigeren und stärkeren Beschuss geraten. Im Oktober 1915 musste die britische Regierung eine Entscheidung über den Einsatz an den Dardanellen treffen. Das Versagen der AugustOffensive hatte die alliierten Stellungen auf Gallipoli stark geschwächt. Nach den Verlusten an der Westfront und wegen der Vorbereitung eines neuen Feldzugs gegen Saloniki hatte man keine Soldaten zur freien Verfügung, die man an die Dardanellen hätte schicken können. Das Granatfeuer und die Scharfschützen kosteten weiterhin vielen alliierten Soldaten das Leben, und sich ausbreitende Krankheiten schwächten jene, die in den Gräben verblieben waren. Die Türken hingegen verstärkten ihre Stellungen weiterhin mit schlagkräftiger neuer Artillerie und frischen Truppen aus Anatolien. Nach Monaten furchtbarer Verluste mussten Briten und Franzosen nun der Möglichkeit einer umfassenden Niederlage ins Auge sehen. Es erschien besser, ihre Verluste durch eine erfolgreiche Evakuie-
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rung zu beschränken, als bei dem Versuch, eine nicht zu verteidigende Stellung zu halten, alles zu verlieren. Lord Kitchener erwähnte die Idee eines Rückzugs zum ersten Mal in einem Telegramm an Ian Hamilton vom 11. Oktober. „Wie hoch schätzen Sie die Verluste Ihrer Truppen, sollte eine Entscheidung über eine Evakuierung der Halbinsel Gallipoli getroffen und diese auf die umsichtigste Art und Weise durchgeführt werden?“ Hamilton war entsetzt: „Wenn sie das tun, verwandeln sie die Dardanellen in die blutigste Tragödie der Welt“, vertraute er seinen Offizieren an. Auch wenn die ersten Truppenkontingente unbemerkt abgezogen werden könnten, so fürchtete Hamilton doch, dass es unmöglich sein würde, die vollständige Evakuierung vor den türkischen Beobachtern geheim zu halten. Die zahlenmäßig reduzierten und am Ufer zurückgelassenen Soldaten würden dann von den Osmanen überwältigt und getötet werden. In seiner Antwort an Kitchener hielt Hamilton seine persönliche Einschätzung von 35 bis 45 Prozent Verlust aufseiten der Alliierten fest, fügte aber noch hinzu, sein Generalstab ginge von 50 Prozent Verlusten aus.36 Ungeachtet der pessimistischen Einschätzung Hamiltons hielt das Dardanellenkomitee (der Unterausschuss des britischen Kabinetts, der den Fortgang des Feldzugs überwachte) eine Evakuierung für zunehmend unausweichlich. Allerdings hatte sie nach den wiederholten Niederlagen kein großes Vertrauen mehr darin, dass Hamilton den Abzug erfolgreich würde durchführen können. Der Oberbefehlshaber der Mediterranean Expeditionary Force wurde am 16. Oktober von seinem Kommando entbunden, und General Sir Charles Monro trat an seine Stelle. Dennoch sprachen sich immer noch einige Komiteemitglieder – insbesondere Kitchener selbst –, für die Fortsetzung der Gallipolioffensive aus, da sie angesichts der Verhärtung an der Westfront die Eroberung der Dardanellen für die beste Möglichkeit hielten, die Mittelmächte zu schlagen, und ein Scheitern das Risiko barg, Russland zu isolieren und der sicheren Niederlage zu überlassen. Doch selbst die Verfechter der Gallipolistrategie mussten zugeben, dass eine neue Offensive so lange würde warten müssen, bis die Winterstürme vorüber waren. Dabei war nicht ausgemacht, dass die Alliierten ihre Stellungen gegen entschlossen vorgehende Osmanen in den kommenden Monaten würden halten können. Es müssten verstärkte Anstrengungen unternommen und Männer und Maschinen herangebracht
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werden, um die aktuellen Positionen zu sichern – Ressourcen, die an anderen Fronten verzweifelt gebraucht wurden. Die Kommandeure mussten eine Entscheidung treffen, und zwar schon bald. Als Sir Charles Monro Ende Oktober auf Gallipoli eintraf, war er schockiert von dem, was er in den drei alliierten Enklaven vorfand. „Es ist wie bei Alice im Wunderland“, hörte ein Stabsoffizier ihn sagen, „verquerer und verquerer.“ Am Kap Helles, der ANZAC-Bucht und Suvla erkundigte er sich bei den örtlichen Kommandeuren, ob sie glaubten, ihre Männer könnten die Stellungen auch gegen türkische Verstärkung durch schwere deutsche Geschütze halten. Die meisten seiner Divisionskommandeure konnten nur versprechen, dass ihre Männer ihr Bestes geben würden. Das genügte, um Monro zu überzeugen, dass eine Evakuierung die einzige Lösung sei. Nun musste er noch Kitchener überzeugen. Als Monro seine Ergebnisse nach Whitehall meldete, entschied das Dardanellenkomitee, Kitchener dorthin zu entsenden, damit er die Situation persönlich einschätzen könne.37 Kitchener, fest entschlossen, einen Rückzug auf alle Fälle zu vermeiden, fuhr per Schiff von Frankreich nach Gallipoli. Er bedauerte es, nicht schon früher mehr Truppen für diesen Feldzug bereitgestellt zu haben und war weiterhin überzeugt, ein Durchbruch sei an der Ostfront wahrscheinlicher als an der Westfront. Doch als er im Hauptquartier der Mediterranean Expeditionary Force in Moudros ankam, fand Kitchener sich von Fürsprechern einer Evakuierung umgeben. Es bedurfte nur eines Besuchs an den Fronten der Halbinsel Gallipoli, um den Kriegsminister von der Unvermeidbarkeit eines Rückzugs zu überzeugen. Am 13. November besuchte die treibende Kraft hinter dem Dardanellenfeldzug endlich jene Front, an die er so viele britische, französische und koloniale Truppen entsandt hatte. Falls sie Kitchener dies verübelten, dann zeigten die Soldaten es zumindest nicht, denn sie empfingen ihn an jeder seiner Stationen mit Jubelrufen. Er besuchte einmal rasch das Hauptquartier am Kap Helles und mischte sich unter französische Soldaten bei Seddülbahir. Er machte sich selbst auf den Weg und bestieg die steilen Hänge hinauf zum Russell’s Top und inspizierte die Frontlinie am Nek, wo so viele Männer der Australian Light Horses in den sinnlosen Tod getrieben worden waren. Von einem Hügel in der Suvla-Bucht aus schaute Kitchener über den Salzsee in Richtung des Sari-Bair-Höhenzugs – die
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schwer zu erreichenden Gipfel Kocaçimen Tepe und Chunuk Bair, wo die Neuseeländer das erreicht hatten, was viele für den größten, wenn auch kurzlebigen, Erfolg der gesamten Gallipolioffensive hielten. Er blickte über Gallipoli und verstand: „Das Land ist sehr viel schwieriger, als ich dachte“, schrieb Kitchener später an das Dardanellenkomitee, „und die türkischen Stellungen … sind natürliche Festungen, die, kann man sie nicht gleich zu Beginn mittels eines Überraschungsangriffs nehmen, gegen schwere Angriffe auch größerer Truppen, als hier eingesetzt wurden, gehalten werden können.“ Es bräuchte mehr Männer, als sich die Briten leisten konnten, um die Osmanen auf Gallipoli zu überwinden, und so blieb den Alliierten nur der Rückzug.38
* Die Evakuierung war leichter gesagt als getan. Die Winde im Spätherbst hatten an den Stellungen der Alliierten bereits verheerende Schäden angerichtet. Stürme trieben viele der labilen Landungsstege, die am Kap Helles, der ANZAC-Bucht und Suvla aufgebaut worden waren, davon, und der britische Zerstörer HMS Louis war in Suvla an Land gedrückt und zerstört worden. Der Novemberregen flutete die Gräben und sorgte auf beiden Seiten des Schlachtfelds für neues Leid bei den Soldaten. Sollte es nicht zu einem Wetterumschwung kommen, wäre es unmöglich, Menschen, Tiere und Geschütze auf die Boote zu bekommen. Die alliierten Kommandeure waren ganz besonders darum bemüht, ihre Pläne über die bevorstehende Evakuierung geheim zu halten. Sollten die Osmanen oder ihre deutschen Alliierten von dem Rückzug erfahren, so wurde eine großangelegte Attacke auf die zurückweichenden Kräfte befürchtet. Ihre brisante Aufgabe wurde durch die hitzig geführte Debatte im britischen Parlament in London gefährdet, bei der Abgeordnete eine eindeutige Stellungnahme der Regierung verlangten: Würden sie sich von Gallipoli zurückziehen oder nicht? Diese Debatten, über die in der britischen Presse berichtet wurde, schafften es auch in osmanische Zeitungen. „Der Feind flieht!“, rief ein junger Leutnant am 19. November gegenüber Mehmed Fasih aus. „Sie geben ihren Gallipolifeldzug auf.“ Fasih war zunächst skeptisch, zeigte sich dann aber immer überzeugter, dass die osmanischen Zeitungsberichte über die Parlamentsdebatten in England „den
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schlussendlichen Rückzug der Engländer aus Çanakkale“ ankündigten. Seine türkischen und deutschen Vorgesetzten lehnten die britischen Berichte allerdings als vorsätzliche Fehlinformationskampagne ab, die nur einen neuerlichen Angriff auf die Dardanellen verschleiern sollten. Und doch wuchs angesichts der in aller Öffentlichkeit geführten Diskussion über ein streng geheimes Militärmanöver die Sorge der britischen Kommandeure über die Gefahren einer Evakuierung.39 Auch wenn das Ende des Feldzugs in Sicht schien, so beschossen beide Armeen weiterhin die Schützengräben der anderen Seite, weshalb der Strom an Opfern nie abriss. Die Lebensumstände waren schrecklich, und die Moral erlahmte überall. Ende November war der Tiefpunkt erreicht, als ein Sturm drei Tage lang die Schützengräben überflutete und sich dann zum Schneesturm mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt entwickelte, woraufhin die dem Wetter am meisten ausgelieferten Mannschaften sich gefährliche Erfrierungen zuzogen. Sowohl Türken als auch
Evakuierung aus der Suvla-Bucht, 1915. Die britischen Truppen waren beim Abzug aus Gallipoli nicht weniger verwundbar, als sie es anfangs bei der Landung gewesen waren.
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Briten ertranken in überschwemmten Gräben bei Suvla. Die Türken hielten ihre Hoffnungen jedoch durch den Zustrom an schweren Waffen und Artillerie aufrecht, die aus Österreich und Deutschland eintrafen. Am 9. November hielt Leutnant Mehmed Fasih die „süße Neuigkeit“ in seinem Tagebuch fest, dass „dreihundert Eisenbahnwaggons“ mit Haubitzen und Munition aus Deutschland im Osmanischen Reich angekommen waren. „Anstelle von 22 Stunden sind wir nun in der Lage, [den] Feind 70 Stunden lang zu beschießen“, schrieb er. Das wachsende Ungleichgewicht beschleunigte auf alliierter Seite das Vorhaben, den Rückzug vom verlorenen Schlachtfeld anzupacken.40 Auf die heftigen Stürme Ende November folgten drei Wochen außergewöhnlich ruhiges Wetter. Am 7. Dezember traf das britische Kabinett die endgültige Entscheidung, Suvla und die ANZAC-Bucht zu räumen, die alliierten Stellungen am Kap Helles vorerst aber noch zu belassen. Die Ausschiffung begann fast augenblicklich. Am 9. Dezember befanden sich 77 000 britische und verbündete Soldaten an den Stränden der Suvla- und ANZAC-Bucht. Innerhalb von elf Tagen verschwanden alle britischen Truppen von den beiden nördlichen Strandköpfen. Die alliierten Kommandeure ergriffen eine Reihe von Maßnahmen, um die Evakuierung vor den Türken geheim zu halten. Alle Soldaten und die Artillerie wurden nach Einbruch der Dunkelheit abtransportiert. Die langen Dezembernächte boten dafür fast zwölf Stunden Schutz. Am Tag setzte der Royal Naval Air Service seine Luftpatrouillen über der ANZACBucht und Suvla fort, um feindliche Flugzeuge fernzuhalten. Mehmed Fasih beobachtete Mitte Dezember, wie vier alliierte Flugzeuge ein einziges deutsches Flugzeug abfingen, damit es nicht über die ANZAC-Bucht fliegen konnte. Auf diese Weise gelang es den Alliierten, noch vor dem Truppenabzug tonnenweise kostbares Kriegsmaterial von den Stränden auf Gallipoli fortzuschaffen.41 Die Briten taten alles, um den Eindruck von Normalität zu erwecken, auch indem die Aktivitäten am Strand und die Anzahl der ankommenden und abfahrenden Schiffe beibehalten wurden. Sie variierten die Stärke des Beschusses aus den Schützengräben, wo auf Phasen des intensiven Feuers lange Momente fast völliger Stille folgten, um die Osmanen im Unklaren zu lassen. Die Strategie ging auf. „Frontlinie vollständig ruhig“, notierte Fasih am Morgen des 24. November in sein Tagebuch. Am
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Abend war er dann völlig verwirrt. „Front ist ruhig. Sehr selten fallen Schüsse von der Infanterie. Fast keine Granaten.“ Am nächsten Tag waren die Offiziere und Mannschaften durch die fortgesetzte alliierte Zurückhaltung nervös. „Unsere Männer, vor allem die älteren Soldaten, machen sich Sorgen“, bemerkte Fasih am 25. November. „Sie haben versucht, den Feind zu provozieren, indem sie beim Feuern auf seine Positionen absichtlich Risiken eingegangen sind. Es gab keine Antwort.“ Die beunruhigten Osmanen schickten Patrouillen aus, um die Briten auszuspionieren und setzten das Feuer auf die Schützengräben fort, um eine Reaktion zu provozieren. Nach vier Tagen Ruhe eröffneten die Briten am 28. November ein intensives Sperrfeuer auf osmanische Stellungen. „Diese plötzliche Aktivität hat eine üble Wirkung auf mich“, hielt Fasih fest. „Die Gegenwart von etwas, das wir für verschwunden hielten, ist nicht etwas, worauf man sich freut!“ Glaubt man dem akribisch geführten Tagebuch, vermuteten die Türken, irritiert durch das unvorhersehbare Verhalten der Alliierten, nicht, dass im Hintergrund die Evakuierung vonstattenging. Wenn überhaupt, dann rechneten die Osmanen eher mit einem bevorstehenden neuen Angriff.42 Die letzten Etappen der Evakuierung aus der Suvla- und ANZACBucht dauerten zwei Nächte und waren in den frühen Morgenstunden des 20. Dezember vollendet. Man hatte mit bis zu 25 000 Opfern gerechnet, doch tatsächlich konnten alle Soldaten ohne einen einzigen Verlust abtransportiert werden. Der Rückzug war sorgfältig orchestriert worden, wobei Freiwillige die Gräben an der Front besetzten und hin und wieder Schüsse auf die osmanischen Stellungen abgaben, um den Eindruck von Normalität zu erwecken. Die Fluchtrouten waren mit Mehl auf dem dunklen Boden von Gallipoli markiert worden, um sicherzustellen, dass auch der letzte Mann im Dunkel seinen Weg zum Strand finden konnte. Als der letzte Soldat die Schiffe sicher erreicht hatte, eröffneten die alliierten Schiffe das Feuer auf die am Strand zurückgelassenen Waffen und die Munition, was zu einer gewaltigen Explosion führte. Die Türken reagierten und schossen auf die leeren Schützengräben und Strände, sehr zur bissigen Freude der sich zurückziehenden Angreifer. Die Entscheidung, auch Kap Helles zu evakuieren, wurde kurz nach der erfolgreichen Evakuierung der ANZAC - und Suvla-Bucht getroffen. Am 24. Dezember wurde der Befehl erteilt, sich auch von der Spitze der
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Halbinsel Gallipoli zurückzuziehen. Diese Aufgabe wurde nun durch den Erfolg der vorhergehenden Operation erschwert. Die Osmanen suchten nach Hinweisen auf einen Rückzug, und Liman von Sanders befahl, einen umfassenden Angriff zu starten, sollte es Anzeichen für eine Evakuierung geben. Dennoch konnten die Briten und Franzosen den kompletten Abzug ihrer Truppen während zweier Nächte durchführen, und am 9. Januar 1916 rückte um 3:45 Uhr der letzte Mann von den Dardanellen ab. Als nach den Evakuierungen die Sonne aufging, erkannten die türkischen Patrouillen verblüfft, dass der Feind seine Stellungen vollständig geräumt hatte. Die abziehenden ANZAC-Soldaten hatten jedoch einige böse Überraschungen zurückgelassen. „Ein paar Vorrichtungen, von denen manche mit Kerzen funktionierten, andere mit Wassereimern, waren so zusammengeflickt worden, dass sie alte und kaputte Gewehre abfeuerten, Stunden nachdem der letzte Mann die Gräben verlassen hatte“, schrieb ein Maschinengewehrschütze nach Hause. „Wir ließen Bomben, die durch eine Feder ausgelöst wurden, an den seltsamsten Stellen zurück. Zählt man all das zusammen, dürften die ersten Türken, die herüberkamen, sicher einige Verluste erlitten haben.“ Das hatten sie in der Tat. Ibrahim Arıkans Männer lösten eine Reihe versteckter Bomben aus, als sie die verlassenen Strände betraten. „Wir hatten viele Opfer“, beklagte er.43 Die Invasoren ließen beim Abzug Unmengen von Vorräten zurück, die für die unterkühlten und hungrigen osmanischen Soldaten eine willkommene Beute darstellten. Männer, die Leichen entkleidet hatten, um sich deren wärmende Kleidung überzuziehen, waren perplex, als sie vor Tausenden von Waffenröcken, Hosen und Jacken standen, die in Haufen am Strand zurückgelassen worden waren. Ibrahim Arıkan spazierte durch die verlassenen britischen Zelte und bestaunte die Vorräte, die die Angreifer nicht mehr mitgenommen hatten. Ein Zelt „war wie ein Markt, gefüllt mit Platten, Zink, Tellern, Fahrrädern, Motorrädern, Gabeln, Löffeln und so weiter“. Am Strand sah er „Essens- und Kleidungsnachschub, so hoch aufgetürmt wie Wohnhäuser. Es gab genug Vorräte, um die Bedürfnisse eines Armeekorps für ein ganzes Jahr zu decken.“ Hakki Sunata und seine Männer übernahmen eines der verlassenen Zelte und taten sich an britischer Marmelade, Käse, Öl und Milch gütlich.44 Die Männer in Emin Çöls Einheit waren am Morgen nach dem Abzug der Briten in Feierlaune. Einer der Soldaten, ein geborener Komiker, setzte
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einem Kameraden einen britischen Hut auf und tat so, als würde er ihn verhören. „Jonnie, warum bist du zurückgeblieben?“ Der „Brite“, der immer mehr in seine Rolle hineinfand, bat einen Kameraden, für ihn den „Dolmetscher“ zu spielen. „Ich bin eingeschlafen“, antwortete er zum allgemeinen Vergnügen. „Was hast du gemacht, als wir mit unserer neuen schweren Artillerie auf euch schossen?“, wollte der „Türke“ wissen. Der „Brite“ steckte als Antwort schweigend seinen Kopf zwischen die Knie. Dann hob er den Kopf wieder und erklärte kryptisch: „Hätten diese Geschütze noch einen oder zwei Tage länger gefeuert, dann wären es nicht wir gewesen, die von hier geflohen wären.“ „Wer wäre es denn sonst gewesen?“, hakte der türkische Fragesteller nach. „Es wären unsere Seelen gewesen.“ Daraufhin brachen alle Soldaten ringsum in hysterisches Gelächter aus – sie konnten kaum glauben, dass sie das Kriegsgemetzel überlebt und gewonnen hatten.45 Am 9. Januar um 8:45 Uhr schrieb Liman jubilierend an den osmanischen Kriegsminister, um ihn zu informieren. „Gott sei gedankt, die gesamte Halbinsel Gallipoli ist vom Feind gesäubert worden.“ Der Dardanellenfeldzug war zu Ende.
* Der Einsatz auf Gallipoli dauerte 259 Tage, von der Landung am 25. April 1915 bis zum endgültigen Abzug am 9. Januar 1916. Die Invasionskräfte, die Lord Kitchener hoffte, auf 75 000 Mann beschränken zu können, waren gegen Ende des Feldzugs auf fast eine halbe Million angestiegen – 410 000 Briten und 79 000 Franzosen. Die türkische Armee auf Gallipoli zählte auf dem Höhepunkt der Kampagne rund 310 000 Männer (von denen viele ein- oder mehrmals verwundet wurden und später an die Front zurückkehrten). Von den rund 800 000 Soldaten, die auf Gallipoli kämpften, wurden mehr als 500 000 entweder verwundet, gefangen genommen oder getötet. Die Opferzahlen waren während des achteinhalbmonatigen Kampfes um die Vorherrschaft über die Dardanellen auf beiden Seiten etwa gleich hoch:
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205 000 Briten und Soldaten aus den Dominions, 47 000 Franzosen und Kämpfer aus ihrem Kolonialreich sowie zwischen 250 000 und 290 000 Osmanen. Es starben 140 000 Menschen: 86 500 Türken, 42 000 Briten und Männer aus den Dominions sowie 14 000 Franzosen und Kolonialsoldaten.46 Diese Verluste lasteten schwer auf den Briten, für die Gallipoli eine vollständige Niederlage war. Der Feldzug kostete Menschenleben und Material, während der totale Krieg an der Hauptfront in Frankreich tobte. Istanbul wurde nicht erobert, weder das Osmanische Reich noch die deutschen Verbündeten kollabierten und es gab keine Verbindung zwischen Russland und den Entente-Mächten über das Schwarze Meer hinweg. Anstatt das Ende des Weltkriegs schneller herbeizuführen, hatte Gallipoli es deutlich hinausgezögert. Die türkisch-deutsche Allianz war stark wie nie zuvor. Die direkte Eisenbahnverbindung erleichterte den Nachschub an Menschen, Geld und Waffen. Und die Angst der alliierten Kriegsstrategen vor einem Dschihad unter den Muslimen in ihren Kolonialreichen war nach dem brillanten osmanischen Sieg noch größer. Um den Feind besiegen zu können, mussten die Briten noch mehr Armeen mobilisieren – am raschesten in Mesopotamien. Für die Türken kompensierte dieser historische Sieg die hohen Verluste von Gallipoli. Indem sie die Meerenge gegen die Alliierten verteidigen konnten, trat die osmanische Armee aus dem Schatten, den die Balkankriege von 1912 und 1913 geworfen hatten, und befreite sie von den Niederlagen in Basra, Sarıkamış und am Suezkanal, mit denen der Krieg begonnen hatte. Der Sieg auf Gallipoli bewies, dass die Türken in der Lage waren, gegen die größten Mächte dieser Zeit zu kämpfen und sie in einem modernen Feldzug zu besiegen. Darüber hinaus bildete sich auf Gallipoli eine neue Generation von militärischen Befehlshabern heraus, die die Osmanen zu weiteren Siegen gegen die Briten führen würde. Als sie sich aus den Schützengräben zurückzogen, hinterließen die Briten und die ANZAC-Soldaten Notizen für die Osmanen, in denen sie versprachen, dass man sich wiedersehen würde. Ein australischer Kriegsdichter fasste den widerwilligen Respekt seiner Landsleute für die Türken, die sie zurückgeschlagen hatten, in Worte: Ich glaube, die Türken respektieren uns, wie auch wir die Türken respektieren;
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Der osmanische Triumph auf Gallipoli 279
Abdul ist ein guter, saubrer Kämpfer, wir rangen mit ihm, und wir wissen es. Wir haben ihm einen Zettel hinterlassen, um ihm dies auszurichten. Genauer, nicht um „Goodbye“, sondern um „Au revoir“ zu sagen! Wir werden uns hier oder dort wiedersehen, noch vor Ende des Krieges! Doch ich hoffe, es wird ein größerer Ort sein, mit deutlich mehr Platz auf der Karte, Und dass die Flieger über der Schlacht an diesem Tag ein Stückchen davon sehen können!47
Das waren mehr als nur leere Worte. Viele der britischen und osmanischen Soldaten, die auf Gallipoli gekämpft hatten, sollten sich in Palästina wieder gegenüberstehen, noch bevor der Krieg zu Ende war.
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KAPITEL 9 DIE INVASION MESOPOTAMIENS
Der Sieg auf Gallipoli setzte Tausende osmanischer Soldaten für den Einsatz an anderen, wichtigen Fronten frei. Da die Hauptstadt des Reichs nun gesichert war, konnte Enver Pascha endlich den dringenden Bitten seiner Stabsoffiziere nachkommen, die Verstärkungen forderten. So erhielt die stark geschwächte osmanische Armee im Kaukasus sieben Infanteriedivisionen zur Abwehr der russischen Bedrohung. Die Truppen Cemal Paschas in Syrien und Palästina waren durch Verlegungen an die Dardanellen ausgedünnt worden; jetzt wurden vier Divisionen in die Levante entsandt, um die 4. Armee wieder auf Sollstärke zu bringen. In Mesopotamien hatten die Türken schlecht ausgebildete und ausgerüstete Truppen gegen die britisch-indische Kriegsmaschine ins Feld geführt. Die Verlegung zweier erfahrener Divisionen von Gallipoli nach Bagdad würde, wie man hoffte, das Kräfteverhältnis in Mesopotamien zugunsten des Osmanischen Reichs verschieben.1 Die Situation der türkischen Truppen in Mesopotamien hatte sich nach der Niederlage Süleyman Askerîs bei Schaiba im April 1915 in besorgniserregender Weise verschlechtert. Zu massiven Verlusten auf dem Schlachtfeld kam eine hohe Desertionsrate unter den irakischen Rekruten, was die Lage weiter verschärfte und dafür sorgte, dass die osmanischen Truppen bald weit unter ihrer Sollstärke standen. Ihren Kommandeuren in Mesopotamien blieb nichts anderes übrig, als von Stadt zu Stadt zu ziehen und – unter Androhung abschreckender Strafen – überall die Fahnenflüchtigen zusammenzutreiben. Die türkischen Offiziere, die ihre arabischen Rekruten selbst im besten Fall als unzuverlässig einschätzten, machten sich keine Illusionen über den militärischen Wert von Deserteuren, die man mit Gewalt an die Waffe zurückgezwungen hatte. Über den erbitterten Widerstand indes, mit dem die fahnenflüchtigen Iraker den osmanischen
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Rekrutierungstrupps entgegentraten, als diese sie zur Fahne des Sultans zurücktreiben wollten, konnten sie nur staunen.2 Ab Mai 1915 erhoben sich die Städte und Siedlungen am mittleren Euphrat in einer Reihe von Aufständen, die während der letzten beiden Jahre osmanischer Herrschaft über den Südirak nicht mehr abreißen sollte. Die erste dieser Revolten brach in der schiitischen Pilgerstadt Nadschaf aus, wo Hunderte irakischer Deserteure in den Mauern der heiligen Stadt Zuflucht gesucht hatten. Die schiitischen Gemeinschaften des Iraks hatten ihre sunnitisch-osmanischen Herrscher mit der Zeit immer vehementer abgelehnt und ihnen vorgeworfen, sie in einen Weltkrieg hineingezogen zu haben, der sich nun immer stärker auch auf ihre Lebenswelt auswirkte. Das harte Durchgreifen der osmanischen Obrigkeit gegen die Deserteure verschärfte eine ohnehin angespannte Lage. Als dann der osmanische Gouverneur in Bagdad einen großen Truppenverband unter dem Befehl eines irakischstämmigen Offiziers namens Izzet Bey nach Nadschaf entsandte, um die „Drückeberger“ zusammenzutreiben, die sich in der dortigen Altstadt versteckt hielten, eskalierte die Situation, und aus Unmut wurde offener Aufruhr. Der osmanische Kommandeur stellte allen Deserteuren, die binnen drei Tagen freiwillig zur Truppe zurückkehrten, einen Straferlass in Aussicht. Wenn man bedenkt, dass auf Desertion normalerweise die Todesstrafe stand, hatte Izzet Bey allen Grund zu der Hoffnung, dass seine irakischen Landsleute dieses Angebot annehmen würden. Allerdings waren die meisten der Fahnenflüchtigen bereits vor seiner Ankunft aus Nadschaf geflohen, sodass nur sehr wenige in der Stadt verblieben waren, die sich nun hätten ergeben können – vielleicht sogar überhaupt keine mehr. Nach drei Tagen beschloss Izzet Bey, seine Männer nach Nadschaf hineinzuschicken, um sie dort Haus für Haus nach Deserteuren durchsuchen zu lassen. Als die osmanischen Soldaten sogar den Frauen unter ihre Schleier schauten, um auszuschließen, dass es sich um verkleidete Männer handelte, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Die Bewohner von Nadschaf protestierten gegen diesen Angriff auf die Ehre ihrer Frauen und warteten nur noch auf den richtigen Moment, um sich dafür zu rächen.3 Spät am 22. Mai 1915 stürmte ein Trupp von Deserteuren, aus allen Rohren feuernd, nach Nadschaf hinein und begann eine Belagerung der Ver-
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waltungsgebäude und Militärkasernen. Die Bewohner der Stadt verbündeten sich mit den Aufrührern, während immer mehr Deserteure aus dem Umland nach Nadschaf strömten, um dort den verhassten Osmanen, die das irakische Volk gegen seinen Willen in einen Weltkrieg verstrickt hatten, endlich die Stirn zu bieten. Drei Tage lang tobte die Schlacht, während derer die Aufständischen systematisch Regierungseinrichtungen zerstörten und die Akten der osmanischen Verwaltung vernichteten. Sämtliche Verbindungen zwischen Nadschaf und den anderen Verwaltungszentren der Region wurden unterbrochen – das übernahmen Stammesmitglieder aus dem Umland, die Telegrafenleitungen durchtrennten und die Masten umwarfen. Als nur noch wenige osmanische Soldaten und Beamte übrig waren, die in einigen wenigen Regierungsgebäuden belagert wurden, ließen die Oberen der einzelnen Stadtviertel von Nadschaf Ausrufer durch die Straßen ziehen, welche die Kaufleute aufforderten, ihre Läden zu öffnen und zu ihren Alltagsgeschäften zurückzukehren. Der Gouverneur von Bagdad war durch diese Ereignisse zutiefst beunruhigt und entsandte eine Delegation, die mit den Bewohnern von Nadschaf verhandeln sollte. Bei einem Treffen mit den Stadtoberen erinnerten die osmanischen Gesandten daran, dass das Osmanische Reich sich gerade in einem „Krieg auf Leben und Tod“ gegen ungläubige Invasoren befinde und dass es die religiöse Pflicht eines jeden Muslims sei, zu diesem Kampf seinen Beitrag zu leisten. Die Bewohner von Nadschaf ihrerseits vertraten die Auffassung, die Osmanen seien für ihre schwierige Lage ganz und gar allein verantwortlich; alle Forderungen der osmanischen Delegation wiesen sie kategorisch zurück. Am Ende blieb den osmanischen Vertretern nichts weiter übrig, als den freien Abzug ihrer bedrängten Soldaten und Beamten aus Nadschaf sowie eine minimale Verwaltungspräsenz in der heiligen Stadt auszuhandeln, damit zumindest der schöne Schein gewahrt bleiben konnte, Nadschaf stehe noch immer unter osmanischer Herrschaft. Tatsächlich übernahmen die Bewohner von Nadschaf selbst den größten Teil der Verwaltungsgeschäfte, wodurch ihre Stadt vom osmanischen Herrschaftsapparat weitgehend unabhängig wurde. Durch das Beispiel von Nadschaf ermutigt, erhoben sich im Sommer 1915 noch mehrere andere wichtige Städte im mittleren Euphrattal gegen die osmanische Herrschaft. Für die Bewohner von Kerbela, einer weiteren
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heiligen Stadt der Schiiten, wurde der Aufstand gegen die Obrigkeit zu einer Frage ihres Bürgerstolzes: „Sind die Leute in Nadschaf vielleicht besser als wir oder mutiger oder tapferer?“, fragte man in Kerbela rhetorisch. Auch hier war es wieder eine Gruppe von Deserteuren, die am 27. Juni einen Aufstand anfing und städtische Gebäude und Schulen, ja sogar ein gerade erst erbautes Krankenhaus niederbrannte. In einem der neueren Stadtviertel wurden rund 200 Häuser ein Raub der Flammen; ihre – zumeist persischen – Bewohner mussten in der Altstadt Zuflucht suchen. Dann begannen die Aufständischen und Beduinen aus der Umgebung, sich über die Aufteilung der Beute zu streiten. Kerbela versank im Chaos. Und wie zuvor schon in Nadschaf sahen sich die osmanischen Machthaber gezwungen, den kontrollierten Übergang der Stadt in eine weitgehende Selbstverwaltung auszuhandeln.4 In der Stadt Hilla leisteten die osmanischen Truppen verzweifelte Gegenwehr, waren den über sie hereinbrechenden Angriffen der Beduinen und Deserteure jedoch zahlenmäßig weit unterlegen. In Samawa brachen die Stadtoberen den Treueeid, den sie dem Bezirksgouverneur auf den Koran geleistet hatten, als sie im August 1915 vom Heranrücken der britischen Truppen erfuhren. Eine Abteilung von 90 einheimischen Soldaten desertierte geschlossen, während sich die Bewohner der Stadt und anwesende Beduinen gegen die türkischen Soldaten wandten, die bei ihnen stationiert waren. Eine ganze Kavallerieeinheit von 180 Mann wurde um ihre Waffen, Pferde und Uniformen erleichtert und splitternackt aus der Stadt getrieben. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich in Kufa, Schamia und Tuwair. Letztlich sollten ihre vergeblichen Bemühungen, einheimische Deserteure wieder zum Kriegsdienst zu zwingen, die Osmanen das gesamte Euphratbecken kosten.
* Während die Osmanen sich mit Aufständen im Inneren konfrontiert sahen, setzten die Briten ihren unnachgiebigen Vormarsch durch Mesopotamien fort. Nach ihrem Sieg bei Schaiba im April 1915 war die britischindische Expeditionsarmee mit frischen Truppen und einem neuen Kommandeur, General Sir John Nixon, versorgt worden. Dieser hatte den Befehl erhalten, die ganze osmanische Provinz Basra zu erobern, und
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machte sich deshalb bereit, den Tigris hinauf vorzustoßen, um den strategisch wichtigen Flusshafen Amara einzunehmen.5 Amara mit seinen damals rund 10 000 Einwohnern liegt fast 150 Kilometer nördlich von Basra. Nach einer Vorbereitungs- und Planungszeit von mehreren Wochen befahl Nixon seiner 6. Division unter dem Befehl von Generalmajor Charles Townshend, zum Angriff überzugehen. Um nördlich von Al-Qurna die türkischen Linien zu durchbrechen, setzte Townshend Hunderte von kleinen Flussbooten der Einheimischen ein, die als behelfsmäßige Truppentransporter dienten. Als Geleitschutz fungierten britische Dampfschiffe, die mit Kanonen und Maschinengewehren ausgestattet waren. Diese merkwürdige Armada, die schnell den Spitznamen „Townshends Regatta“ erhielt, machte sich im Morgengrauen des 31. Mai auf den Weg nach Amara. Im Zusammenspiel des Artilleriebeschusses durch die größeren Schiffe mit den geballten Angriffswellen der Landungstruppen in den kleinen Booten gelang es den Briten, nördlich von Al-Qurna durch die osmanischen Linien zu brechen und flussaufwärts vorzustoßen, ohne dass die Verteidiger, die nun zum Rückzug übergingen, die geringste Gegenwehr geleistet hätten. Vielmehr fanden die vorrückenden Briten sich unvermittelt in „Freundesland“ wieder: In den arabischen Dörfern entlang des Tigris wurden weiße Fahnen gehisst, um anzuzeigen, dass man den neuen Eroberern mit Wohlwollen begegnete. Der osmanische Rückzug verlief derweil zunehmend ungeordnet und demoralisiert. Am 3. Juni erreichte die Vorhut von Townshends Regatta den Stadtrand von Amara, wo sie auf rund 3000 türkische Soldaten traf, die noch versuchten, vor dem Eintreffen der britisch-indischen Truppen abzuziehen. Einem britischen Flussdampfer mit gerade einmal acht Mann Besatzung und einer Zwölfpfünder-Kanone an Bord gelang es, bis nach Amara hineinzufahren, ohne dass die türkischen Verteidiger der Stadt eingegriffen hätten. Vielmehr versetzte das plötzliche Auftauchen eines Schiffs unter britischer Flagge den Türken einen solchen Schock, dass elf Offiziere und 250 Soldaten sich auf der Stelle ergaben, während über 2000 weitere osmanische Soldaten sich flussaufwärts absetzten. Später am selben Nachmittag traf Townshend auf einem Dampfschiff ein und hisste über dem Zollhaus von Amara den Union Jack: Eine siegesgewisse Geste, mit der die Stadt für erobert erklärt wurde, bevor der Großteil von Towns-
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hends 15 000 Männern sie auch nur erreicht hatte. Dass Hunderte von türkischen und arabischen Soldaten sich einer kleinen Vorhut ergaben, die sie ohne Weiteres hätten schlagen können, zeigt, wie schlimm es um die osmanische Truppenmoral inzwischen bestellt war.6 Nach der Einnahme von Amara beabsichtigte Nixon, den Euphrat hin auf vorzurücken, um auch Nassirija zu besetzen und so die britische Eroberung der Provinz Basra abzuschließen. Nassirija war damals eine noch junge Stadt, gegründet in den 1870er-Jahren als zentraler Handelsplatz der mächtigen Muntafik-Stammesföderation. Wie auch Amara hatte es rund 10 000 Einwohner. Nixon hoffte, durch einen Sieg über die Türken die mächtigen Beduinenstämme des Euphratbeckens auf seine Seite ziehen zu können. Die osmanische Garnison von Nassirija, glaubte er, stellte eine ständige Bedrohung für die britischen Truppen in Al-Qurna und Basra dar. Am 27. Juni begannen Nixons Soldaten, befehligt von General George Gorringe, ihren Vormarsch auf Nassirija. Der Unterlauf des Euphrat war wesentlich schwieriger zu befahren als der Tigris. Im Verlauf eines typischen Sommers fiel der Flusspegel von etwa 150 Zentimetern im Juni bis Mitte Juli auf nur 90 Zentimeter ab; im August war der Euphrat dann meist nicht mehr schiffbar. Um unter diesen Umständen über ausreichend Schiffe mit geringem Tiefgang zu verfügen, sahen die Briten sich gezwungen, einige völlig veraltete Raddampfer wieder in Dienst zu nehmen, die ihre Truppen flussaufwärts in Richtung Nassirija befördern sollten. Eines dieser Schiffe, die Shushan, hatte ihren ersten Einsatz 1885 bei der unglücklichen Entlastungsaktion für den in Khartum eingeschlossenen General Charles Gordon gehabt. Nun mühten sich diese britischen „Oldtimer-Dampfer“ also ab, um sich durch das sumpfige Euphratgebiet vorzuarbeiten, durch schlecht markierte Kanäle, die von Woche zu Woche seichter wurden. Trotz der Aufstände, die in Nadschaf und Kerbela losgebrochen waren, stellten die Osmanen am Unterlauf des Euphrat eine beherzte Verteidigung gegen die britischen Invasoren auf die Beine. Anfangs waren sie den Angreifern sogar zahlenmäßig überlegen: Rund 4200 türkische Soldaten, die von Beduinen aus der Umgebung verstärkt wurden, hatten sich vor Nassirija in gut befestigten Stellungen verschanzt. Gorringe, der gegen eine Überzahl nicht antreten wollte, forderte Verstärkung an und blieb bis in die dritte Juliwoche an Ort und Stelle. Dann hatte seine Truppe mit
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4600 Infanteristen ihre volle Stärke erreicht. Zwischenzeitlich hatten das Absinken des Euphratpegels und die damit verbundene Sperrung einiger Flussabschnitte bereits im Verlauf des Juli dafür gesorgt, dass die angeforderten Verstärkungen nur langsam vorankamen. Da nun keine weiteren Truppenzugänge auf dem Flussweg mehr erfolgen konnten, musste Gorringe mit den Kräften, die ihm zur Verfügung standen, das Beste aus der Situation machen. Bereits Anfang Juli hatten die Briten erste Angriffe auf osmanische Stellungen vor Nassirija unternommen. Ali Dschaudat, gebürtig aus Mossul im Nordirak, war einer der Verteidiger, die sich dem britischen Vormarsch in den Weg stellten. Dschaudat war ein Berufssoldat, er hatte sowohl die Bagdader Militärschule als auch die renommierte Militärakademie in Istanbul, die Habiye, absolviert, bevor er in die osmanische Armee eingetreten war. Trotz dieser gründlichen militärischen Ausbildung war seine Loyalität jedoch gespalten. Mit der Zeit hatte ihn die jungtürkische Regierung zunehmend enttäuscht, und wie viele Angehörige der gebildeten Elite in den arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs wünschte er sich eine größere Unabhängigkeit der Araber von der Zentralregierung des Sultans. Dschaudat war ein Gründungsmitglied der Geheimgesellschaft Al-Ahd („Der Bund“), die nach dem Arabischen Kongress von Paris im Jahr 1913 gegründet worden war. Der Bund war das militärische Pendant zur Jungarabischen Gesellschaft Al-Fatat und vor allem im Irak stark vertreten, wo er zahlreiche junge arabische Offiziere anzog, oftmals die vielversprechendsten ihrer Generation. Wie auch Al-Fatat und die Dezentralisierungspartei setzte sich Al-Ahd nicht für eine völlige Unabhängigkeit ein, sondern – aus Angst vor einem „Zugriff “ der europäischen Kolonialmächte – für die arabische Autonomie innerhalb eines reformierten Osmanenstaates. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, warf Dschaudat sich mit derselben Loyalität und Entschlossenheit in die Verteidigung des Osmanischen Reichs gegen die Entente-Mächte wie seine türkischen Mitstreiter. Im Jahr 1915 hatte Ali Dschaudat unter Süleyman Askerî in der Schlacht von Schaiba gekämpft. Mit Askerî hatte er sich nach Nassirija zurückgezogen und war, nach dem Freitod seines Kommandeurs, mit dem Kommando einer osmanischen Einheit betraut worden, die nahe der Stadt stationiert war. Den osmanischen Kräften um Nassirija stand der einflussreiche
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Beduinenführer Adschaimi al-Sadun zur Seite, dessen Stammeskrieger die stark ausgedünnten Reihen der Osmanen auffüllten, als diese sich den britischen Invasoren entgegenstellten. Die Beduinen baten die Osmanen, sie mit Munition zu versorgen, und es war Dschaudats Aufgabe, den Kriegern alles zu verschaffen, was sie zur Verteidigung von Nassirija benötigten. Als Gorringes Truppen die türkischen Stellungen am Euphrat angriffen, musste Dschaudat mit ansehen, wie die beduinischen Freischärler zuerst die Lage einschätzten – und sich dann gegen ihre osmanischen Verbündeten wandten. Vor seinen Augen griffen Stammeskrieger osmanische Soldaten an, um ihnen Gewehre und Munition abzunehmen. Und er sah, wie seine Leute unter dem heftigen Beschuss der Briten tot oder verwundet zu Boden stürzten. „Die osmanischen Soldaten waren zwischen zwei Fronten gefangen“, schrieb Dschaudat später, „zwischen den Beduinen und den Briten.“ Dschaudat selbst wurde vom Hauptteil der Truppe abgeschnitten und von Beduinenkriegern überfallen, die ihn entwaffneten und ausraubten, bevor ihn dann die Briten in dem Dorf Suq al-Schuyuk nahe Nassirija gefangen nahmen.7 Nach Dschaudats Erfahrungen zu urteilen, waren die Osmanen keinesfalls in der Lage, den Unterlauf des Euphrat gegen einen energischen Angriff der Briten zu verteidigen. Sie verfügten ganz einfach nicht über ausreichend reguläre Soldaten, um die Invasoren abzuwehren – und die Beduinen schlugen sich immer auf diejenige Seite, die sie für die stärkere hielten. Unter türkischen Offizieren war es zwar üblich, arabische und beduinische Truppen als unzuverlässig und feige zu kritisieren. Dschaudats Erinnerungen jedoch sind umso aussagekräftiger, weil ihr Verfasser ja ein gebürtiger Iraker mit starken Sympathien für die arabische Sache war. Die Briten brachten Dschaudat nach Basra, wo er zunächst als Kriegsgefangener festgehalten wurde, bis man in späteren Kriegsjahren schließlich Verwendung für arabische Aktivisten hatte. Der britische Angriff auf Nassirija selbst begann am 24. Juli mit Artilleriesalven, die von Dampfschiffen auf dem Euphrat abgegeben wurden. Daraufhin stürmten mehrere Wellen von britischen und indischen Truppen mit aufgepflanzten Bajonetten die Schützengräben der osmanischen Verteidiger. Diese hielten zunächst stand und zwangen die Angreifer in einen verbissenen Kampf um jeden Fußbreit Boden. Bis zum Einbruch der Dunkelheit tobte die Schlacht. Im Schutz der Nacht zogen
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sich die Türken zurück, nachdem sie insgesamt 2000 Mann verloren hatten und 950 weitere in britische Gefangenschaft geraten waren. Im Morgengrauen des nächsten Tages ruderte eine Delegation von Stadtbewohnern zu den britischen Schiffen hinaus und bot den Briten die Kapitulation von Nassirija an. Da sie am Vortag selbst schwere Verluste erlitten hatten, waren diese froh, nicht weiter kämpfen zu müssen, und nahmen die Kapitulation an.8 Durch die Einnahme von Nassirija hatten die Briten die gesamte Provinz Basra unter ihre Kontrolle gebracht. Und doch wollte General Nixon weiter vorstoßen, um auch noch die strategisch wichtige Stadt Kut alAmara zu erobern. Kut, das in einer Schleife des Tigris gelegen ist, war der Endpunkt des Schatt al-Hajj, eines Kanals, der den Tigris mit dem Euphrat gleich südlich von Nassirija verbindet. Aus den Berichten der britischen Militäraufklärung ging hervor, dass die 2000 osmanischen Soldaten, die aus Nassirija abgerückt waren, sich nun nach Kut zurückgezogen hatten. Zusammen mit der dortigen Garnison von 5000 Mann stellten sie eine potenzielle Bedrohung für die britischen Stellungen sowohl in Amara als auch in Nassirija dar. Nixon war deshalb der Ansicht, dass die britische Kontrolle über die Provinz Basra nicht vollständig gesichert werden könne, solange die Osmanen Kut hielten. Inzwischen wuchsen die Unstimmigkeiten zwischen der britischen Regierung in London und in Indien, was die weitere Kriegsstrategie im Nahen Osten betraf. Zwar war Britisch-Indien ein integraler Bestandteil des britischen Weltreichs, hatte aber doch seine eigene Regierung und Verwaltung unter dem Vizekönig Lord Hardinge sowie seine eigene Armee. Diese Armee stand treu in Diensten des Empire und entsandte Truppen an die Westfront und nach Gallipoli. In Mesopotamien führte sie den britischen Feldzug an. Allerdings musste die indische Kolonialregierung eine gewisse Truppenstärke in den Garnisonen auf dem Subkontinent sicherstellen, um die innere Sicherheit gewährleisten zu können. Nachdem deutsche Agenten in Persien und Afghanistan aufgetaucht waren, die einen Dschihad in den nordwestlichen Provinzen Britisch-Indiens anzuzetteln drohten, war dem Vizekönig alles daran gelegen, etwaige Unruhestifter durch eine ausreichend große Militärpräsenz abzuschrecken. Angesichts der großen Bedeutung Indiens für das britische Weltreich teilte man in London diese Besorgnis vollauf.
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Sobald es jedoch um die Entsendung von Truppen ging, waren die britisch-indische Kolonialregierung und die britische Regierung in London geteilter Meinung. Aus Londoner Perspektive hatte noch immer die Westfront oberste Priorität; Gallipoli war schon weniger wichtig und Irak ein bloßer Nebenschauplatz. Für die Kolonialregierung in Indien jedoch war Mesopotamien wesentlich wichtiger als für London. Jeglicher Gebietsgewinn im Irak vergrößerte die Einflusssphäre des Raj am Persischen Golf, und manch einer der politischen Funktionäre, die im Gefolge der indischen Expeditionsarmee in Mesopotamien tätig waren, träumte wohl davon, dass eines nicht allzu fernen Tages der gesamte Irak unter die Kontrolle der britisch-indischen Kolonialregierung kommen könnte. Deshalb sollten nach Meinung des Vizekönigs – wenn er auch wegen der besagten Sicherheitsbedenken nicht willens war, größere Truppenverbände aus Indien an den Golf zu verlegen – indische Regimenter von der Westfront abgezogen werden, um die Gebietsgewinne der britisch-indischen Kolonialtruppen in Mesopotamien abzusichern und weiter auszudehnen. Die Regierungsvertreter in London jedoch, die mit dem Status quo im Irak alles in allem zufrieden waren, plädierten stattdessen dafür, „in Mesopotamien auf Nummer sicher zu gehen“, wie es der Staatssekretär für Indien, Lord Crewe, formulierte.9 Nach der Eroberung von Nassirija setzte sich die britisch-indische Regierung in London dafür ein, auch die Einnahme von Kut als eine „strategische Notwendigkeit“ zu genehmigen. Weiter forderte der Vizekönig, eine indische Armeeeinheit – die zum damaligen Zeitpunkt am Suezkanal stationierte 28. Brigade – in die Region zu entsenden, um Nixons Truppenstärke vor dem entscheidenden Angriff auf Kut zu erhöhen. Dies war zwar keine unvernünftige Forderung; wegen der unsicheren britischen Position im Südjemen konnte man in London jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht darauf eingehen.10
* Tatsächlich nämlich wurde die 28. Indian Brigade im Jemen dringend gebraucht, um zu verhindern, dass der strategisch wichtige Hafen von Aden in türkische Hände fiel. Der britische Angriff auf die Halbinsel von Scheich-Said im November 1914 hatte lediglich dazu geführt, dass die
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Briten im Jemen nun schlechter dastanden als zuvor. Die Verantwortlichen in Indien und in London hatten beschlossen, die türkischen Geschützstellungen über der Zufahrt zum Roten Meer zerstören zu lassen, ohne zuvor den britischen Residenten in Aden konsultiert zu haben. Britische Kolonialbeamte im Jemen hielten den Angriff für eine schlechte Idee, weil er den in Sanaa residierenden Herrscher Imam Yahya vor den Kopf stieß, der darin einen Überfall auf sein eigenes Herrschaftsgebiet sah. Obgleich Imam Yahya offiziell als Verbündeter des Osmanischen Reichs auftrat, hatten die Briten doch gehofft, ihre freundschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechterhalten zu können. Diese Hoffnung zerschlug sich im Februar 1915, als der Imam in einem Schreiben an Oberst Harold Jacob, den stellvertretenden britischen Residenten in Aden, seine unerschütterliche Loyalität zu den Osmanen erklärte – und damit auch, indirekt, seine Feindschaft gegenüber den Briten.11 Im Februar 1915 drangen türkische Verbände, unterstützt von Imam Yahya, auf das Gebiet des britischen Protektorats Aden vor. Anfangs schätzten die britischen Kolonialbeamten die türkischen Truppenbewegungen als wenig bedrohlich ein und fühlten sich in Aden vollkommen sicher. Da jedoch die osmanische Militärpräsenz im Jemen immer weiter zunahm und türkische Agenten immer mehr Stammesführer auf ihre Seite bringen konnten, gerieten die Briten schließlich doch in Sorge. Im Juni wurde die osmanische Truppenstärke von der britischen Militäraufklärung mit sechs Bataillonen angegeben (ein osmanisches Bataillon zählte 350 bis 500 Soldaten) – damit waren die Briten in der Unterzahl. Am 1. Juli griffen die Osmanen einen der wichtigsten britischen Verbündeten in der Stadt Lahidsch an, die keine 50 Kilometer von Aden entfernt liegt.12 Der Sultan von Lahidsch, Sir Ali al-Abdali, herrschte über einen von mehreren halbautonomen Kleinstaaten auf dem Gebiet des britischen Protektorats Aden. Obwohl er noch kein ganzes Jahr auf dem Thron saß, betrachteten die Briten ihn dennoch als einen ihrer wichtigsten Verbündeten im Südjemen. Als Lahidsch nun eine osmanische Invasion drohte, mobilisierte der britische Resident in Aden seine kleine und unerfahrene Garnison, um die türkischen Angreifer zurückzuschlagen. In der Nacht vom 3. auf den 4. Juli brach ein Voraustrupp von 250 indischen Soldaten mit Maschinengewehren und Zehnpfünder-Geschützen in Richtung Lahidsch
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auf; am frühen Morgen erreichten sie die Stadt. Der Hauptteil der Truppe – Waliser und Inder – folgten nur wenige Stunden später, musste deshalb jedoch in der extremen Hitze eines jemenitischen Sommertags marschieren. Zwei der walisischen Soldaten starben unterwegs an einem Hitzeschlag, und selbst unter den indischen Soldaten brachen einige zusammen. Noch vor Sonnenuntergang am Abend des 4. Juli wankten die vollkommen Erschöpften nach Lahidsch hinein und fanden die Stadt in einem absoluten Chaos vor. Als die Nacht über Lahidsch hineinbrach, feuerten arabische Stammeskrieger, treue Anhänger des Sultans, mit ihren Gewehren in den Nachthimmel. Genau in diesem Augenblick tauchte plötzlich eine Abteilung türkischer Soldaten auf dem Hauptplatz im Zentrum der Stadt auf – dass dort britische Kräfte anwesend waren, ahnten sie nicht. Die Briten nahmen den befehlshabenden Kommandanten des osmanischen Trupps, Major Rauf Bey, gefangen und brachten etliche türkische Maschinengewehre an sich, bevor deren Besitzer reagieren konnten. Sobald die Türken jedoch begriffen hatten, in welcher Situation sie sich befanden, gingen sie in die Offensive und begannen einen Bajonettangriff auf die britischen Truppen. In dem Tumult, der nun folgte, hielt ein indischer Soldat den Sultan von Lahidsch für einen Türken und tötete ausgerechnet den Verbündeten, den die Briten hatten schützen wollen. Die 400 britischen und britisch-indischen Soldaten, die sich in Lahidsch befanden, waren gegenüber den anrückenden osmanischen Truppen und ihren Stammesverbündeten weit in der Unterzahl. Hastig leiteten sie einen Rückzug ein. Geschwächt von dem Gewaltmarsch nach Lahidsch und ihrem Kampf gegen die Türken, der die ganze Nacht angehalten hatte, erreichte die britische Kolonne Aden nur mit Mühe und Not – und mit 40 türkischen Gefangenen, wobei sie selbst 50 Mann im Kampf und 30 weitere durch Hitzschlag verloren hatten. Außerdem hatten die Briten all ihre Maschinengewehre in Lahidsch zurücklassen müssen, dazu zwei ihrer Feldgeschütze, drei Viertel ihrer Munition und ihre gesamte sonstige Ausrüstung. Und die Türken hatten Lahidsch besetzt, das nur einen Steinwurf von Aden entfernt lag. So stand dem osmanischen Heer die Straße nach Aden offen. Bald rückten türkische Truppen von Lahidsch bis in die Siedlung Scheich Uthman vor, die gegenüber dem Hafen von Aden liegt. Wie der Kommandeur der
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28th Indian Brigade, Generalmajor Sir George Younghusband, bemerkte, standen die Osmanen in Scheich Uthman „in Schussweite der Hafenbauten, Schiffe, Wohnquartiere, des Klubs und des Sitzes der Kolonialverwaltung sowie der Schiffe im Hafen“. Und was noch schlimmer war: Die Brunnen und das Klärwerk, die ganz Aden mit Trinkwasser versorgten, befanden sich in Scheich Uthman. Sollte es den Briten nicht gelingen, die Osmanen wieder aus der angrenzenden Siedlung zu vertreiben, würde ihre Position in Aden absolut unhaltbar. Dabei schien der Verlust Adens, das sowohl für die Sicherheit der britischen Seewege als auch für das Prestige der Briten in der arabischen Welt von höchster Bedeutung war, eigentlich undenkbar.13 Die britisch-indische Kolonialregierung stellte nun ein dringendes Hilfeersuchen und bat um Verstärkungen aus Ägypten, um die britische Stellung in Aden zu festigen. Die Regierung in London kam dem umgehend nach, und am 13. Juli 1915 erhielt General Younghusband den Befehl, mit seiner 28. Indian Brigade unverzüglich nach Aden aufzubrechen. Diese Entsatztruppen erreichten Aden fünf Tage später; im Schutz der Dunkelheit gingen sie an Land, um ihr Eintreffen vor den Türken geheimzuhalten. Am 21. Juli überquerten britische Truppen den Fahrdamm, der Aden mit Scheich Uthman verbindet, und drängten die osmanischen Besatzer durch ihren Überraschungsangriff bis nach Lahidsch zurück. Während die britischen Verluste minimal ausfielen, hatten die Osmanen 50 Tote und mehrere Hundert Gefangene zu verzeichnen. Younghusband befestigte die britische Stellung in Scheich Uthman, um den Ort zu halten. Nachdem er nun die Kontrolle über die Wasserversorgung von Aden zurückerlangt hatte, wollte er keinesfalls seine Verteidigungslinien überdehnen oder das Leben seiner Männer durch eine vorschnelle Offensive aufs Spiel setzen. „Erstens ist es zu heiß und zweitens erscheint es unklug, zum jetzigen Zeitpunkt eine sichere Festung zu verlassen, um in der Wüste auf riskante Abenteuer zu gehen“, schrieb er an den britischen Oberkommandierenden in Ägypten. Dies war also die Situation Ende Juli, als Lord Hardinge die Entsendung der 28. Indian Brigade an die Mesopotamienfront erbat, wo sie an der Eroberung von Kut al-Amara mitwirken sollte. Dieses Ansinnen lehnte das Kriegskabinett in London selbstverständlich ab: Bei 4000 osmanischen Soldaten in Lahidsch war die Garnison in Aden mit ihren 1400 Mann ohnehin kaum
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ausreichend, um den strategisch bedeutenden Hafen ohne weitere Verstärkung zu halten – eine prekäre, unangenehme Situation, die sich bis zum Ende des Krieges nicht ändern sollte.14 Weiter verschärft wurde die Lage im Jemen dadurch, dass die Türken – wie schon auf Gallipoli – die Kontrolle über die Front an sich gerissen hatten. Die Briten hingegen waren, wie sich gezeigt hatte, zu schwach, um die lokalen Herrscher und das Territorium ihres Protektorats Aden zu schützen. Was den Verantwortlichen in London, Kairo und Shimla (dem Sommersitz der britisch-indischen Regierung) jedoch noch größeres Kopfzerbrechen bereitete als der Gebietsverlust, war der damit verbundene Gesichtsverlust des britischen Weltreichs in der arabischen und überhaupt in der muslimischen Welt. Wie der amtierende britische Resident in Aden, Harold Jacob, festhielt, war das britische „Unvermögen, die Türken vor Aden zu besiegen, der Hauptgrund für unseren Ansehensverlust in jenem Land [Jemen]“. Die Briten, denen natürlich die deutsch-osmanische Dschihad-Propaganda stets vor Augen stand, mussten in ihrem Scheitern in Aden einen Sieg ihrer Feinde sehen, der die Stellung der Entente-Mächte in der gesamten muslimischen Welt schwächte.15
* Selbst ohne die Unterstützung durch weitere Verstärkungen für Mesopotamien hatte General Nixon den Vizekönig davon überzeugt, dass die Indienarmee Kut al-Amara auch mit ihren gegenwärtigen Kräften würde einnehmen können. Die türkischen Streitkräfte im Irak, argumentierte Nixon, befänden sich nach einer Reihe von verlorenen Schlachten fast schon in Auflösung. Die britisch-indischen Truppen hingegen hätten an Erfahrung gewonnen und sich durch wiederholte Siege auch das entsprechende Selbstvertrauen erkämpft. Wenn man ihnen nun ein wenig Zeit ließe, damit sie ihr Fieber auskurierten (selbst Townshend war nach der Eroberung von Amara erkrankt und zur weiteren Genesung nach Indien zurückgekehrt), so hatte Nixon keine Zweifel, dass seine Männer ihren scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch den Tigris hinauf noch weiter fortsetzen würden. Er schlug deshalb vor, mit dem Angriff auf Kut bis zum September 1915 zu warten, und Lord Hardinge gab seine Einwilligung für die nächste Phase des Mesopotamienfeldzugs.
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Den Befehl bei der Einnahme von Kut sollte Generalmajor Townshend innehaben, der mit seiner sogenannten Regatta-Armada bereits Amara so mühelos erobert hatte. Gleichwohl hatte Townshend ernste Bedenken, was die weitere Ausdehnung der britischen Verteidigungslinien betraf. „Wo werden wir in Mesopotamien aufhören?“, fragte er besorgt. Seine Sorge war nicht unbegründet. Nach annähernd einem Jahr in Mesopotamien benötigte die Indienarmee Verstärkung, und Townshend machte sich völlig zu Recht Gedanken über seine Versorgungslinien, da die britischen Truppen immer tiefer in das weitläufige Gebiet vorstießen. Jeder weitere Vorstoß, jede neue Eroberung sorgte zudem für längere Nachschubwege und der Transport war nur auf dem Fluss möglich. Die Flussschiffe jedoch, die der britisch-indischen Armee zur Verfügung standen, waren zu solchen Zwecken kaum zu gebrauchen. Wenn nun die Versorgungs- und Nachschubwege ab Basra auf das Doppelte ihrer bisherigen Länge ausgedehnt würden – und noch dazu ohne adäquate Transportmittel –, so brächte dies das gesamte Expeditionsheer in Gefahr. Während seines Genesungsurlaubs in Indien traf Townshend mit Sir Beauchamp Duff zusammen, dem Oberkommandierenden der Indienarmee, der ihm versprach: „Keinen Zoll weit sollen Sie über Kut hinaus vorrücken, ohne dass ich Ihnen die entsprechenden Verstärkungen zukommen lasse!“ Unter diesen Voraussetzungen nahm Townshend Nixons Befehl an, den Vormarsch auf Kut anzuführen. Am 1. September begann er seinen Marsch flussaufwärts.16 Allerdings hätte Townshend größeren Anlass zur Sorge gehabt, als ihm zum damaligen Zeitpunkt bewusst war. Schließlich hatten die osmanischen Truppen in Mesopotamien einen dynamischen neuen Oberbefehlshaber. Nurettin Bey war ein kampferprobter General, der vor dem Ausbruch des Weltkriegs bereits im türkisch-griechischen Krieg von 1897 gedient und Aufstände in Makedonien und im Jemen niedergeschlagen hatte. Der polyglotte General – Nurettin sprach auch Arabisch, Französisch, Deutsch und Russisch – war, wie ein Militärhistoriker es formuliert hat, „ein außergewöhnlich talentierter Mann“. Nachdem man ihm die Aufgabe übertragen hatte, Bagdad vor der britischen Indienarmee zu schützen, arbeitete Nurettin unermüdlich, um seine ausgedünnten Divisionen wieder kampftauglich zu machen, und veranlasste in diesem Zusammenhang auch die Verlegung weiterer Einheiten nach Mesopotamien. Damit war in Mesopotamien eine gefährliche neue Dynamik zuungunsten
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der Briten entstanden: Die osmanische Militärpräsenz wuchs an, während die der Briten beständig schrumpfte.17
* Den Himmel über dem Tigris durchzogen Flugzeuge, deren britische und australische Piloten die türkischen Stellungen rund um Kut al-Amara auskundschaften sollten. Diese Luftaufklärung war für Townshend und seinen Stab, die gemeinsam ihre Offensive vorbereiteten, von höchstem Wert. Sie sahen ganz genau, wo die türkischen Truppen sich eingegraben hatten und konnten die Positionen der feindlichen Geschützstellungen mit einer viel höheren Präzision bestimmen, als dies in Mesopotamien zuvor möglich gewesen war. Zugleich waren diese Aufklärungsmissionen hochgefährlich: Die Maschinen waren in der heißen, staubigen Wüstenluft störungsanfällig, und wenn die Piloten zu nahe an die gegnerischen Stellungen heranflogen, um einen genaueren Eindruck zu bekommen, gerieten sie in die Reichweite der türkischen Scharfschützen, die an den Flugzeugen schwere Schäden verursachen konnten. Am 16. September wurde ein britisches Flugzeug auf diese Weise zur Landung hinter den osmanischen Linien gezwungen; der Pilot, ein Australier, und sein Beobachter, ein Engländer, wurden gefangen genommen.18 Wie die Luftaufklärung ergab, hatten die Türken an einem Punkt rund zwölf Kilometer flussabwärts von Kut, der Al-Sinn genannt wurde, starke Verteidigungsstellungen errichtet. Über Kilometer hinweg erstreckten sich ihre Schützengräben beiderseits des Tigris inmitten von unwegsamem Sumpfland, was die angreifenden Briten dazu zwingen sollte, entweder einen Frontalangriff über offenes Gelände zu wagen oder kilometerweite Umwege durch den Sumpf in Kauf zu nehmen, um die osmanischen Stellungen zu umgehen. Eine Sperre auf dem Fluss verhinderte, dass britische Schiffe mit aufmontierten Deckgeschützen in Richtung Kut vordrangen. Nurettin hatte seinen Männern versichert, dass ihre Verteidigungsstellungen uneinnehmbar seien und die Briten sie niemals überwinden würden. Die Gesamtstärke der osmanischen Kräfte bei Al-Sinn schätzte man von britischer Seite auf etwa 6000 Mann Infanterie, von denen ein Viertel Türken und drei Viertel Araber waren. Townshend war zuversichtlich,
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dass seine Streitmacht von 11 000 Mann, deren Schlagkraft durch Artillerie und Maschinengewehre noch erhöht wurde, mehr als ausreichend sein würde, um die osmanischen Stellungen zu überrennen. Einige seiner Untergebenen waren jedoch weniger hoffnungsfroh: „Feindliche Stellungen gesehen“, notierte etwa der Hauptmann Reynolds Lecky in seinem Tagebuch, „sehr groß, stark verschanzt, viel Stacheldraht – noch mehr Drecksarbeit für einige von uns“.19 Über Nacht nahmen die britischen Truppen ihre Positionen ein, um dann im Morgengrauen des 28. September ihren breit gefächerten Angriff auf die osmanischen Stellungen zu beginnen. Im Schlachtplan war eine präzise Aufgabenteilung vorgesehen: Manche Einheiten sollten das osmanische Feuer auf sich ziehen, während andere die Gelegenheit nutzten sollten, um die feindlichen Stellungen in weitem Bogen zu umgehen. Allerdings hatten einige britische Abteilungen im spärlichen Licht des anbrechenden Tages die Orientierung verloren und waren mit einiger Verzögerung durch das Sumpfland vorgerückt. So konnten die Briten ihren Angriff erst im hellen Tageslicht eröffnen und verloren so nicht nur das wichtige Überraschungsmoment, sondern sahen sich zudem einem heftigen Beschuss durch schwere Artillerie und Maschinengewehrfeuer ausgesetzt. „Garstigen Tag gehabt“, hielt Hauptmann Lecky in seinem Tagebuch fest, „viele Männer verloren. An einer Stelle haben uns die Türken mit ihren Schrapnellgeschossen ganz ordentlich erwischt. Hatten sich offenbar auf den Fuß genau eingeschossen und setzten uns die Dinger direkt auf den Kopf. … Vielleicht fünf Yards [ca. 4,50 m] von mir entfernt hat eines von unseren Maschinengewehren einen Volltreffer kassiert, die Lafette ist vollkommen zertrümmert worden. Haben die ganze Nacht damit zugebracht uns einzugraben, und als es dämmerte, waren wir todmüde.“ Wie Leckys Bericht bestätigt, leisteten die osmanischen Verteidiger erbitterte Gegenwehr auf der ganzen Linie und fügten den schutzlos vorrückenden Briten schwere Verluste zu. Vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang belegten die beiden Seiten einander mit einem heftigen Bombardement. Aber während die erschöpften Briten sich schließlich eingruben, um ihre Geländegewinne über die Nacht zu retten, zogen die Osmanen sich still und leise in die Stadt Kut zurück. Hauptmann Lecky notierte anerkennend: „Die Türken haben sich über Nacht abgesetzt, meisterhafter Rückzug, haben nicht das Geringste zurückgelassen.“
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Die Briten brauchten mehrere Tage, um von den verlassenen osmanischen Stellungen bei Al-Sinn bis nach Kut vorzurücken. Die osmanische Schiffssperre über den Fluss blieb noch lange, nachdem sie durchbrochen war, ein ernst zu nehmendes Navigationshindernis; der niedrige Wasserstand des Tigris tat ein Übriges, um den Schiffsverkehr zu erschweren. Auch gab es auf britischer Seite sehr viel mehr Verwundete, als die Strategen zuvor eingeplant hatten, und diese mussten flussabwärts in die Lazarette von Amara und Basra gebracht werden, bevor die Briten ihren Kampf um Kut fortsetzen konnten.20 Am Ende zwangen die Osmanen ihre britischen Gegner jedoch nicht, weiter um Kut zu kämpfen. Am 29. September meldete die britische Luftaufklärung, dass der Feind die Stadt verlassen und sich geordnet flussaufwärts in Richtung Bagdad zurückgezogen habe. Das war einerseits eine gute Nachricht, weil die Briten Kut al-Amara nun ohne Gegenwehr besetzen konnten. Andererseits aber hatte Townshend keinen Sieg errungen, denn die Osmanen hatten sich mitsamt ihrer Artillerie und dem Großteil ihrer Truppen unversehrt abgesetzt. Und jedes Mal, wenn es den Briten in Mesopotamien misslang, die Osmanen zu umzingeln und endgültig zu schlagen, erhielten diese Gelegenheit, sich neu zu formieren, wodurch die Indienarmee immer tiefer in das Innere des Iraks hineingezogen und ihre Versorgungs- und Kommunikationslinien immer länger wurden. Je mehr Schlachten die britisch-indische Expeditionsarmee im Irak gewann, desto verwundbarer wurde sie.
* Etwa zeitgleich mit dem britischen Sieg bei Kut im Oktober 1915 begann man sich in London einzugestehen, dass die Gallipolioffensive gescheitert war. Viele Politiker befürchteten, dass eine britische Niederlage an den Dardanellen das Ansehen Großbritanniens in der muslimischen Welt beschädigen könnte. Das britische Kabinett war der Ansicht, dass ein Scheitern bei Gallipoli den Kriegsgegnern einen Propagandasieg für deren dschihadistische Kampagnen bescheren könnte. Unweigerlich betrachteten manche Politiker die Besetzung Bagdads als eine Art „Gegengift“, mit dem die möglicherweise rufschädigenden „Symptome“ eines Abzugs von Gallipoli gelindert werden könnten.
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Die Kommandeure im Feld waren geteilter Meinung. General Nixon war nicht nur der Ansicht, dass seine Truppen Bagdad einnehmen konnten, sondern er war überzeugt davon, dass sie es einnehmen mussten, wollten sie in Mesopotamien jemals einen sicheren Stand haben. Generalmajor Townshend, der die 6. Poona-Division bei Amara und Kut zum Sieg geführt hatte, plädierte dafür, dass die Briten erst einmal ihre Kontrolle über das riesige Gebiet stabilisieren sollten, das sie bereits erobert hatten. Zwar seien seine Soldaten durchaus in der Lage, Bagdad zu erobern, meinte Townshend; aber um es zu halten, würden sie beträchtliche Verstärkungen benötigen – von den Schwierigkeiten des Nachschubs zwischen Bagdad und Basra ganz zu schweigen, der über Hunderte von Kilometern auf dem tückischen Tigris verlaufen müsste. Zwei volle Divisionen frischer, unverbrauchter Truppen wären vonnöten, so Townshend, um diese Operation erfolgreich zu bewältigen. Am 21. Oktober beriet das Dardanellenkomitee, der ständige Ausschuss der britischen Regierung für die Kriegführung im Nahen Osten, über die Handlungsoptionen in Mesopotamien. Lord Curzon machte sich Townshends Position zu eigen und plädierte dafür, zuerst einmal die britischen Gebietsgewinne zwischen Basra und Kut zu konsolidieren. Ein durchaus einflussreiches Dreigespann von Ministern stimmte hingegen Nixon zu und forderte die umgehende Besetzung Bagdads. Dabei handelte es sich um den Außenminister Lord Grey, den Marineminister Arthur Balfour sowie Winston Churchill (der zwar nach dem Desaster auf Gallipoli auf den niederen Kabinettsposten des Kanzlers des Herzogtums Lancaster degradiert worden war, dessen Stimme innerhalb der Regierung aber noch immer großes Gewicht hatte). Kriegsminister Lord Kitchener sprach sich für einen Mittelweg zwischen diesen beiden Positionen aus, indem er einen Überfall zur Zerschlagung der osmanischen Kräfte in Bagdad vorschlug, dem dann jedoch ein strategischer Rückzug der britischen Truppen auf geeignetere Verteidigungsstellungen folgen sollte. „Wenn wir Bagdad besetzen und Gallipoli evakuieren“, so Kitchener, „könnte eine Streitmacht von 60 000 bis 70 000 Türken entsandt werden“, um Bagdad zurückzuerobern, und um die Stadt gegen eine solche Streitmacht zu behaupten, würde Townshend mehr als nur zwei Divisionen benötigen. Vielleicht lag es daran, dass Kitcheners Einfluss im Kabinett nach dem wiederholten Scheitern an den Dardanellen bereits abnahm, aber er konnte für
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diese Kompromisslösung nur wenig Zustimmung gewinnen. Wie der offizielle Historiker des Mesopotamienfeldzugs festhielt, sahen die Politiker in der Einnahme Bagdads eine Gelegenheit „für einen großen Erfolg, wie wir ihn bislang noch nirgends errungen hatten, und die politischen (ja sogar die militärischen) Vorteile, die sich daraus im ganzen Orient ergeben würden, konnten kaum überschätzt werden“.21 Am Ende war es dem Dardanellenkomitee nicht möglich, zu einer Entscheidung zu gelangen. Indem seine Mitglieder einem Vormarsch auf Bagdad jedoch nicht explizit einen Riegel vorschoben, hießen sie implizit jegliches Vorgehen gut, das die Resolutesten unter ihnen schließlich beginnen sollten. Und die Resolutesten – General Nixon und der Vizekönig Lord Hardinge sowie deren Unterstützer im Kabinett: Grey, Balfour und Churchill – waren dafür, Bagdad zu erobern. Der Staatssekretär für Indien, Austen Chamberlain, fügte sich und sandte mit dem Segen des Kabinetts am 23. Oktober ein Telegramm an Lord Hardinge, in dem General Nixon autorisiert wurde, Bagdad zu besetzen. Die Mitteilung enthielt zudem das Versprechen, so bald wie möglich zwei indische Divisionen von Frankreich nach Mesopotamien zu verlegen.22
* Zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges verfügte die osmanische Mesopotamienarmee über die nötigen Kommandeure und Truppen, um dem britisch-indischen Invasionsheer die Stirn zu bieten. Im September 1915 kam es zu einer Neuordnung der osmanischen Kräfte in Mesopotamien und Persien als 6. Armee, zu deren Oberbefehlshaber der altgediente preußische Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz ernannt wurde. Der zweiundsiebzigjährige Goltz und sein preußischer Stab wurden in Bagdad wie Helden empfangen, als sie im Dezember 1915 die Stadt erreichten. Gegenüber seinen Vorgängern im Irak verfügte der preußische Kommandeur über eine ganze Reihe von Vorteilen. Die ihm unterstellten türkischen Generale hatten zuletzt wertvolle Kampferfahrung gewonnen, und mit dem Eintreffen zweier frischer Divisionen in Mesopotamien erreichte die osmanische 6. Armee langsam, aber sicher einen Gleichstand mit den Briten. Die kampferprobte 51. Division, in der ausschließlich
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Türken aus Anatolien dienten, war disziplinierter als alle Einheiten, denen die britische Indienarmee im Irak bislang begegnet war. Das Eintreffen dieser frischen Truppen im Herbst 1915 machte den Einwohnern Bagdads ziemlichen Eindruck, wie ein Zeitzeuge berichtet: „Der Stadtschreier zog über die Märkte von Al-Kazimija [einem Stadtviertel von Bagdad] und rief die Leute auf, sich am Flussufer zu versammeln und die eintreffenden türkischen Soldaten zu begrüßen. Und als sie dort ankamen, sahen sie den ganzen Fluss mit einer Unmenge von Flößen bedeckt, ein jedes von ihnen voller Soldaten. Die Truppen gingen von ihren Flößen an Land und marschierten in Reih und Glied zu den Klängen ihrer Musik davon. Die Menge der Zuschauer erhob ihre Stimmen und jubelten ihnen zu; die Frauen jauchzten mit lauten Zungentrillern, um die Soldaten zu begrüßen.“ Die Machtbalance in Mesopotamien hatte begonnen, sich zu verschieben, und die Osmanen erfreuten sich bald eines zahlenmäßigen und qualitativen Vorteils gegenüber den kampfesmüden Soldaten der britisch-indischen Armee.23 Townshends Aufgabe war es, mit den ihm zur Verfügung stehenden Kräften – alles in allem rund 14 000 Mann – Bagdad einzunehmen. Noch einmal 7500 britische Soldaten lagen entlang des Tigris zwischen Basra und Kut al-Amara sowie in Nassirija am Euphrat in Garnison. Mit dem Eintreffen der versprochenen indischen Divisionen in Basra war nicht vor Januar 1916 zu rechnen. Und obwohl ihre Reihe von Siegen den britischindischen Truppen Selbstvertrauen eingeflößt hatte, hatten doch die Monate des Marschierens und Kämpfens ihren Tribut gefordert, verschärft noch durch die Strapazen eines irakischen Sommers und die grassierenden Krankheiten. Viele der Einheiten unter Townshends Kommando lagen deutlich unter Sollstärke, und langsam machte der General sich über die Loyalitäten seiner muslimisch-indischen Soldaten Sorgen. Die osmanische Propaganda machte sich genau dieses Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft des Islam zunutze und war bemüht, damit einen Keil in die Reihen des Gegners zu treiben. Die Bagdader Regierungsdruckerei produzierte Flugblätter in Hindi und Urdu, in denen die indischen Muslime dazu aufgerufen wurden, der „Armee der Ungläubigen“ den Rücken zu kehren und sich stattdessen ihren Glaubensbrüdern in der osmanischen Armee anzuschließen. Auch erinnerten sie die muslimischen Soldaten daran, dass Salman Pak, wo die Türken sich zur Ver-
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teidigung Bagdads verschanzt hatten, der ehrwürdige Begräbnisort Salmans war, einem der treuesten Gefährten des Propheten Mohammed (pak bedeutet im Persischen wie im Türkischen „rein“, „Salman Pak“ ist also „Salman der Reine“).24 Diese Flugblätter hatten eine gewisse Wirkung, denn die britischen Generale mussten feststellen, dass ihre muslimischen Sepoys sich immer widerstrebender zeigten, wenn es darum ging, gegen die „heilige Stätte“ von Salman Pak vorzurücken. Schon gab es erste Berichte über vereinzelte Meutereien. Im Oktober 1915 vermerkte Hauptmann Lecky, dass vier muslimische Soldaten, die nahe den türkischen Linien Feldwache gehalten hatten, zum Feind übergelaufen waren, nachdem sie zuerst ihrem befehlshabenden Offizier die Kehle durchgeschnitten und dann auf die britischen Stellungen geschossen hatten. Nach diesem Vorfall wurde das 20. PunjabRegiment „wegen Desertionen“ zum Dienst in Aden abgestellt. Die Briten befürchteten weitere Meutereien als Reaktion auf die osmanische Propaganda, die sich auf die Bedeutung des Grabmals von Salman gleichsam eingeschossen hatte. Um die religiöse Bedeutung des Ortes herunterzuspielen, bezeichneten die Briten Salman Pak systematisch mit seinem klassisch-sassanidischen Namen, Ktesiphon.25 Mitten im Herzen der osmanischen Verteidigungsstellungen befand sich der Taq-e Kosra, der nach seinem mutmaßlichen sassanidischen Erbauer benannte „Bogen des Chosrau“. Dieses riesige Monument aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. gilt noch heute als das größte Backsteingewölbe, das jemals erbaut wurde. Über Monate hatten die Türken rund um den Bogen ihre Stellungen angelegt. Ihre Verteidigungslinie erstreckte sich in der Breite über fast zehn Kilometer, auf die sich 15 befestigte Erdwerke oder Redouten verteilten, die mit Geschützen und Maschinengewehren versehen waren. Ein komplexes Netz aus Melde- und Verbindungsgräben ermöglichte die rasche Verlegung von Truppen und Material an die Frontlinie und zurück; riesige Wasserkrüge, die in regelmäßigen Abständen aufgestellt waren, sorgten dafür, dass die Verteidiger keinen Durst leiden mussten. Gut drei Kilometer hinter der Front bildete ein weiteres, ebenso sorgfältig angelegtes Grabensystem die zweite türkische Verteidigungslinie. Hier hielt sich die kampferprobte 51. Division als Reserve bereit. Alles in allem waren die Befestigungen von Salman Pak so uneinnehmbar, wie es der osmanische Befehlshaber Nurettin und sein Stab eben in der kurzen
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Zeit zwischen ihrem Rückzug aus Kut im Oktober 1915 und dem britischen Vorstoß im Folgemonat bewerkstelligen konnten. Der britischen Führung lagen keine verlässlichen Informationen über die Stärke der osmanischen Truppen vor, die zur Verteidigung Bagdads eingesetzt waren. Im Vorlauf zu dem Angriff auf Salman Pak bewegten sich die Schätzungen der türkischen Kampfstärke zwischen 11 000 und 13 000 Mann. Anfang November gingen bei Nixon und Townshend erste, widersprüchliche Meldungen über osmanische Verstärkungen ein, die entweder aus Syrien oder aus dem Kaukasus nach Bagdad geschickt worden seien; die britischen Generale hielten sie für unglaubwürdig. Die Unsicherheit wurde noch auf die Spitze getrieben durch Nixons Anordnung vom 13. November, alle Erkundungsflüge über den feindlichen Linien einzustellen, nachdem ein weiteres seiner kostbaren Flugzeuge dem türkischen Abwehrfeuer zum Opfer gefallen war. Nixon und Townshend gingen davon aus, dass ihre Truppenstärke entweder der osmanischen entsprach oder aber leicht darunterlag. Da die Türken jedoch ihrer Erfahrung nach rasch die Nerven verloren, sobald sie in der Defensive unter Druck gerieten, waren die britischen Kommandeure zuversichtlich, dass sie sich selbst gegen eine leichte osmanische Übermacht würden durchsetzen können.26 Am Vorabend der Schlacht im November 1915 beorderte Townshend zwei Flugzeuge zu einem letzten, weiträumigen Aufklärungsflug über den gegnerischen Stellungen. Der erste Pilot kehrte wohlbehalten zurück und meldete keinerlei Veränderungen bei den osmanischen Linien. Der zweite, der östlich von Ktesiphon unterwegs gewesen war, hatte mit wachsender Besorgnis feststellen müssen, dass es am Boden zu erheblichen Veränderungen gekommen war, die allesamt auf das Eintreffen massiver Verstärkungen hindeuteten. Er flog also eine Schleife, um einen zweiten, genaueren Blick zu riskieren – da schossen ihm türkische Soldaten ein Loch in den Motor und zwangen ihn damit zu einer Landung hinter den feindlichen Linien, wo er gefangen genommen wurde. Bei seiner Vernehmung verweigerte der Pilot den Türken jegliche Antwort, musste ihnen jedoch die Karte aushändigen, auf der er die Position ihrer 51. Division markiert hatte – der erste handfeste Nachweis der osmanischen Verstärkungen. Wie ein türkischer Offizier festhielt: „Die Karte, die jene unschätzbaren Informationen enthielt, fiel nicht etwa in die Hände des feindlichen Kommandeurs …, sondern in die des türkischen.“27
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Der Abschuss des zweiten britischen Flugzeugs verhinderte nicht nur, dass Townshend von der gefährlichen Übermacht der Osmanen erfuhr – immerhin hatten diese eine Streitmacht von über 20 000 Mann zusammengezogen –, sondern stärkte auch den Kampfgeist unter den türkischen Soldaten. „Dieses kleine Ereignis wurde als ein günstiges Vorzeichen dafür aufgefasst, dass das Glück des Feindes sich nun wenden sollte“, notierte derselbe türkische Offizier. Und das sollte es auch.
* In den frühen Morgenstunden des 22. November rückten die Briten gegen die osmanische Verteidigungslinie vor. Insgesamt vier Abteilungen gingen zum Angriff über und glaubten dabei den Überraschungsvorteil noch immer auf ihrer Seite. Dieser Irrtum wurde rasch offenbar, denn die osmanischen Verteidiger eröffneten das Feuer mit Maschinengewehren und Geschützen, sobald die Briten in Reichweite kamen. „Beinah sofort unter Geschützfeuer“, hielt Hauptmann Lecky in seinem Tagebuch fest, gleich neben einer Liste seiner Kameraden, die in der ersten Angriffswelle getötet worden waren. „Ständiges Gewehrfeuer bis etwa vier Uhr nachmittags. Überaus heftiges Gefecht.“ Über Stunden lieferten sich Briten und Osmanen einen erbitterten Nahkampf mit Bajonettangriffen auf engstem Raum, bis es den britischen Kräften schließlich gelang, die osmanischen Schützengräben der ersten Linie einzunehmen. Kaum waren diese jedoch erstürmt, da begannen die Osmanen schon einen heftigen Gegenangriff, bei dem einige ihrer erfahrensten Soldaten aus der 51. Division zum Einsatz kamen. Die Kämpfe wüteten bis weit in die Nacht, und beide Seiten hatten schreckliche Verluste zu beklagen. „Ein entsetzlicher Tag“, resümierte Lecky, „überall Tote und Verwundete und keine Möglichkeit, sie wegzuschaffen.“ Bis zum Ende des ersten Kampftags stieg die Verlustquote bei den Briten auf 40 Prozent ihrer Gesamtstärke an; die Osmanen verloren sogar 50 Prozent ihrer Soldaten. Die Kommandeure auf beiden Seiten wussten weder ein noch aus.28 Am 23. November gingen die Kämpfe weiter. Für beide Armeen wurde die Situation ihrer Verwundeten immer kritischer. „Den ganzen Tag Verwundete hereinbekommen“, notierte Hauptmann Lecky, „Hunderte noch
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immer nicht versorgt, keine Tragen für sie, kein Morphium, kein Opium, nichts.“ Und doch führten beide Seiten bis tief in die Nacht einen verbissenen Kampf Mann gegen Mann. „Gegen 10 Uhr abends“, hielt Lecky fest, „wurden wir heftig angegriffen, als wir gerade am Graben der Dorsets vorbeikrochen. Den Verwundeten ging es verdammt dreckig, lagen allesamt noch hinter den Gräben im Freien. Unsere Stellungen waren ganz nah, feuerten aus kürzester Distanz, und man konnte die [türkischen] Offiziere hören, wie sie den Feind antrieben, eine wirklich teuflische Nacht.“ Drei Tage lang hielten die Osmanen das britisch-indische Heer in Schach. Den Briten gelang es zwar erneut, die vorderste osmanische Linie zu erstürmen, aber es fehlten ihnen die Kräfte, um auch die zweite Verteidigungslinie zu überrennen. Die Zahl der Verwundeten ohne medizinische Versorgung wurde insbesondere für die Briten zu einem dramatischen Problem (die Osmanen konnten ihre Verwundeten in das nahe gelegene Bagdad evakuieren). Auf britischer Seite hatte man nicht mit derart hohen Verlusten gerechnet, weshalb keine auch nur annähernd aus-
Osmanische Infanterie in Mesopotamien geht zum Gegenangriff über. Zur Verteidigung von Bagdad setzten die Türken erfahrene Frontsoldaten ein, deren heftige Gegenangriffe die britischen Invasoren immer wieder erstaunten. In der Entscheidungsschlacht von Salman Pak hatten beide Seiten im November 1915 Verluste von 40 bis 50 Prozent der eingesetzten Truppen zu beklagen.
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reichenden Vorbereitungen getroffen worden waren, um die Tausenden von teils grauenvoll verstümmelten Soldaten zu behandeln. Hauptmann Lecky erwähnt, wie „Männer mit zertrümmerten Beinen oder ganz ohne Beine auf großen Mänteln herbeigetragen [wurden]. Was die gelitten haben, kann man nicht beschreiben.“ Das erbarmungslose Schlachten, das erbärmliche Stöhnen und Ächzen der Verwundeten sowie Gerüchte über weitere türkische Verstärkungen – das alles trug seinen Teil dazu bei, dass die Moral von Townshends Truppe immer weiter sank. Am 25. November schließlich sahen Townshend und sein Stab ein, dass ihre Position nicht zu halten war. Die Indienarmee war zahlenmäßig unterlegen und über das Maß des Erträglichen hinaus beansprucht worden. Mit einer begrenzten Anzahl von Truppen waren die Briten in die Schlacht gezogen; sie hatten keine Reserven oder Verstärkungen vorgehalten. Tatsächlich konnte die frühestmögliche Verstärkung Mesopotamien nicht vor Januar 1916 erreichen. Um die britischen Stellungen zwischen Basra und Kut al-Amara zu verteidigen, mussten sie so viele Soldaten wie möglich diensttauglich halten. Die Verwundeten mussten so schnell wie möglich evakuiert werden. Townshend benötigte jedes ihm zur Verfügung stehende Flussschiff, um die Tausenden von Verwundeten flussabwärts transportieren zu lassen. Damit blieb den körperlich Tauglichen, die nach drei Tagen intensiver Kämpfe gleichwohl am Ende ihrer Kräfte waren, nichts anderes übrig, als sich dem Alptraum eines jeden Soldaten zu stellen: einem Rückzug unter Feindbeschuss.
* Der britische Rückzug aus Salman Pak stellte einen entscheidenden Wendepunkt des Mesopotamienfeldzugs dar. Die osmanische Gegenseite verlor keine Zeit und ging gleich in die Offensive – sowohl auf dem Schlachtfeld als auch im Propagandakrieg. Die Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und seinen irakischen Untertanen hatten mit dem Vorrücken der Briten den Tigris hinauf im September und Oktober 1915 ihren Tiefpunkt erreicht. Die Bewohner Bagdads begannen sogar, in aller Öffentlichkeit den Kalifen und Sultan Mehmed V. Reşad (Mohammed V.) und seine Soldaten zu verhöhnen, wie etwa in den folgenden Spottversen:
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306 Kapitel 9 „Reşad, du Sohn einer Eule [die als Unglücksvogel galt], deine Heere sind geschlagen! Reşad, du Nichtsnutz, deine Heere nehmen Reißaus!“29
Da die Städte am mittleren Euphrat immer unerschrockener gegen die osmanische Herrschaft rebellierten und auch die Bevölkerung Bagdads den fremden Herren inzwischen mit offener Missachtung begegnete, beschlossen die Osmanen, ihre Dschihad-Bemühungen wieder aufzunehmen, wobei dieses Mal der unzufriedene schiitische Bevölkerungsteil des Iraks im Zentrum ihrer Anstrengungen stand. Insbesondere machte die osmanische Regierung sich die ausgeprägte schiitische Volksfrömmigkeit zunutze, indem sie das „Edle Banner des Imams Ali“ aufziehen ließ, um die irakischen Schiiten für ihren allseits ungeliebten Krieg zu gewinnen.30 Ali ibn Abi Talib, der Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, war zugleich der vierte Kalif des Islam gewesen. Seit dem ersten Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung hatten die schiitischen Muslime den „Imam Ali“ und seine Nachfolger als die einzig rechtmäßigen Oberhäupter der muslimischen Gemeinschaft angesehen (tatsächlich leitet sich die Bezeichnung „Schiiten“ von der arabischen Benennung von Alis Anhängern als Schiat Ali ab, das heißt „Partei Alis“). Dies hatte zur Folge, dass die Schiiten für alle Äußerungen und Weisungen des (sunnitisch-)osmanischen Sultans unempfänglich waren, wenn dieser als Kalif und damit als spiritueller Führer aller Muslime weltweit auftrat. Die Osmanen hofften nun, die irakischen Schiiten gerade aufgrund ihrer Verehrung des vierten Kalifen zum Eintritt in den Kampf gegen die britischen Invasoren zu bewegen. Zu diesem Zweck schreckten sie noch nicht einmal vor dem Kunstgriff zurück, eine imposante Fahne ins Spiel zu bringen, eine Reliquie, deren Wunderkräfte aus ihrer Verbindung zu dem Kalifen (oder, wie die Schiiten ihn bevorzugt nennen, dem Imam) Ali herrührten. An den heiligen Stätten der Schiiten im Irak machten Regierungsvertreter die Runde und verbreiteten die Nachricht, das Edle Banner sei eine Art Geheimwaffe, die glaubenstreuen muslimischen Heerführern in jeder Schlacht gegen die Ungläubigen den Sieg beschert habe, die diese im Zeichen des Imams Ali geschlagen hätten. Das Edle Banner des Imams Ali wurde einem hochrangigen osmanischen Beamten anvertraut, der es, begleitet von einer Abteilung der Kaval-
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lerie, im Herbst 1915 von Istanbul in den Irak überführte. Gerüchten zufolge verteilte die Delegation unterwegs auch Gold, um den Osmanen auch die Unterstützung der materialistischeren Beduinenführer entlang des Weges zu sichern. Zunächst kamen sie nach Nadschaf, Begräbnisort des Imams und politisches Zentrum des irakischen Schiitentums. Im Mai 1915 war dort ein Aufstand gegen die osmanische Regierung ausgebrochen. Jetzt wollten die Osmanen das Edle Banner über der Moschee hissen, in der sich Alis Grabmal befindet – und das noch dazu im Muharram, dem ersten Monat des islamischen Kalenders, der insbesondere den Schiiten als der heiligste gilt. Am elften Tag des Muharram (das entspricht dem 19. November im westlichen Kalender) wurde das Banner in Nadschaf den begeisterten Massen präsentiert. Schiitische Würdenträger hielten salbungsvolle Reden, in denen sie zu einem erneuten Dschihad gegen die ungläubigen Briten aufriefen, gegen die „Anbeter des Kreuzes“, wie sie sagten – womit nicht nur die christliche Religion der meisten im engeren Sinne britischen Soldaten gemeint war, sondern auch Erinnerungen an die Kreuzzüge des Mittelalters wachgerufen wurden, als christliche Kreuzfahrer im östlichen Mittelmeerraum gegen Muslime gekämpft hatten. Das Kriegsglück der Osmanen gab dem Mythos vom „Banner des Imams Ali“ weitere Nahrung: Binnen der zehn Tage, die das Banner für seine Reise von Nadschaf nach Bagdad benötigte, errang die osmanische Armee ihren ersten Sieg über die Briten. Der stellvertretende osmanische Gouverneur in Bagdad zögerte nicht, in seiner Ansprache an die Menschenmassen, die zur Begrüßung des mystischen Banners auf die Straße gegangen waren, eine entsprechende Verbindung herzustellen: „Kaum hatte dieses Edle Banner Nadschaf verlassen, da wurde der Feind auch schon aufgehalten und scheiterte mit seinem großspurigen Angriff auf Salman Pak“, tönte Schafiq Bey, und der tosende Beifall der Menge gab ihm recht. Dass die osmanische Armee die Briten von ihrer Stadt ferngehalten hatte, war eine Ermutigung für die besorgte Bagdader Bevölkerung, die nun wieder auf einen Sieg zu hoffen wagte – auch wenn es dabei göttlichen Eingreifens bedurfte.
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Während ihre Regierung im Irak das Edle Banner des Imams Ali aufziehen ließ, hatte eine Gruppe osmanischer Offiziere in der libyschen Wüste ihren Dschihad wieder aufgenommen. Im Mai 1915 war Italien auf der Seite der Entente in den Weltkrieg eingetreten. Die Jungtürken ergriffen diese Gelegenheit, um die ohnehin prekäre Position Italiens in Libyen zu untergraben; zur Abtretung des Landes war das Osmanische Reich nach dem Türkisch-Italienischen Krieg von 1911/12 gezwungen worden. Indem sie religiöse Extremisten im Grenzgebiet zwischen Libyen und Ägypten unterstützten, hofften die Osmanen und ihre deutschen Verbündeten, Großbritannien sowie Italien mittels ihrer nordafrikanischen Kolonien zu schwächen. Ihr Partner im Dschihad war der Führer der religiös konservativen Sanūsīya-Bruderschaft, Sayyid Ahmad al-Scharif al-Sanūsi.31 Sayyid Ahmad hatte im Türkisch-Italienischen Krieg die Truppen der Sanūsīya kommandiert. Das Machtzentrum dieses mächtigen Ordens in der Tradition des Sufismus (oder der islamischen Mystik) lag in Libyen, aber ein Netz von Ordensniederlassungen überzog ganz Nordafrika, und Mitglieder der Bruderschaft fanden sich in der ganzen arabischen Welt. Sayyid Ahmad, Oberhaupt des Ordens seit 1902, hatte den Kampf gegen die Italiener weiter fortgesetzt, nachdem die Osmanen Libyen 1912 an Rom abgetreten hatten. Durch sein hohes Ansehen als Kopf eines transnationalen muslimischen Ordens und sein Renommee als entschiedener Widersacher fremder Invasoren war Sayyid Ahmad ein wertvoller, mächtiger Verbündeter des Osmanischen Reichs in dessen Bemühen um einen neuen Dschihad. Im Januar 1915 machten sich zwei einflussreiche osmanische Offiziere auf die gefährliche Reise von Istanbul nach Libyen. Führender Kopf der Mission war Nuri Bey, ein Bruder des osmanischen Kriegsministers Enver Pascha. Begleitet wurde er von Dschafar al-Askari, der aus der nordirakischen Stadt Mossul stammte. Dschafar al-Askari, ein Absolvent der kaiserlich-osmanischen Militärakademie, dessen Ausbildung ihn zuletzt nach Berlin geführt hatte, war außerdem ein lokales Gründungsmitglied der arabischen Geheimgesellschaft Al-Ahd („Der Bund“) in Mossul. Wie viele seiner Mitstreiter unter den osmanischen Offizieren, die sich für die arabische Sache einsetzten, war er ein erbitterter Gegner der britischen und französischen Bestrebungen, die arabischen Territorien des Osmanischen Reichs unter sich aufzuteilen. Ihm war also daran gelegen, das Os-
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manische Reich gegen europäische Übergriffe zu verteidigen; aber er verteidigte auch die Rechte der Araber gegen die türkische Vorherrschaft. Dschafar al-Askari war durchaus zufrieden mit seiner Mission zur Unterstützung des Sanūsīya-Ordens. Nuri Bey und Dschafar al-Askari fuhren zunächst nach Athen, wo sie ein kleines Dampfschiff und einige Waffen erwarben, die sie nach Libyen mitnehmen wollten. Um feindlichen Kriegsschiffen im östlichen Mittelmeer auszuweichen, steuerten sie zunächst Kreta an, um eine günstige Gelegenheit für die letzte Etappe an die libysche Küste abzuwarten. Ihren Skipper wiesen sie an, er solle sie an einem abgelegenen Stück Strand zwischen der libyschen Stadt Tobruk und dem ägyptischen Grenzort Sallum an Land setzen. Im Februar 1915 gingen sie also an der libyschen Küste von Bord, gut 30 Kilometer von der ägyptischen Grenze entfernt, und nahmen unverzüglich Kontakt mit Sayyid Ahmad auf.32 Wie die osmanischen Gesandten feststellten, musste der Führer der Sanūsīya einen schwierigen Balanceakt vollbringen: Einerseits sollte er gute Beziehungen zu den Briten in Ägypten aufrechterhalten, um den einzigen Nachschubweg für seinen Orden offenzuhalten, der im Westen von den feindlichen Italienern und im Süden, im Tschad, von den Franzosen umzingelt war. Die Briten umwarben Sayyid Ahmad in aller Offenheit, um den Frieden an der ägyptischen Westgrenze zu bewahren. Andererseits erinnerten ihn nun zwei osmanische Offiziere an seine Pflicht als einflussreicher Muslimführer, den Dschihad gegen die fremden Invasoren voranzutreiben. „Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass er im Grunde seines Herzens zu den Osmanen hielt“, behauptete Dschafar al-Askari später, „doch blieb es stets unmöglich, die düstere, argwöhnische und nervöse Grundstimmung im Herzen jenes Araberführers zu zerstreuen.“ Als Armee gaben die Sanūsīya-Anhänger ein höchst ungewöhnliches Bild ab. Manche waren stammesmäßig organisiert. Andere wieder kamen frisch von der theologischen Ausbildung an einem der Ordenszentren, darunter auch die 400 Mann starke Elitetruppe der Muhafiziyya, die sich ausschließlich aus Religionsgelehrten zusammensetzte und als Sayyid Ahmads Leibwache fungierte. „Wie sie beständig den Koran rezitierten, während sie Wache hielten, in einem laut dröhnenden, kehligen Tonfall, war wahrlich eine überwältigende Frömmigkeitsbekundung, und alle, die ihrer Zeuge wurden, waren im Innersten angerührt“, erinnerte sich Dscha-
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far al-Askari später. Ihm oblag es, zusammen mit rund 20 anderen arabischen und türkischen Offizieren diese Freischärler in eine reguläre Armee zu verwandeln und sie dann im Westen Ägyptens auf die Briten loszulassen. Angesichts ihrer Leistungen auf dem Schlachtfeld sollten später selbst die Briten anerkennend feststellen, dass Dschafar al-Askari „ein hervorragender Truppenausbilder“ war.33 Nach Monaten, die sie im Osten Libyens zugebracht hatten, wurden die osmanischen Befehlshaber langsam ungeduldig: Wann würden die Sanū sīya endlich zum Angriff übergehen? Entnervt von der Unentschlossenheit Sayyid Ahmads stiftete Nuri Bey einige Untergebene des SanūsīyaFührers an, Ende November 1915 britische Stellungen zu überfallen. Sayyid Ahmad war außer sich vor Wut darüber, dass seine Anhänger ohne seine Erlaubnis gehandelt hatten; die Osmanen hingegen waren hochzufrieden, als die Vorstöße der Sanūsīya-Einheiten am 22. November die britischen Truppen zum Rückzug bewogen. So verließen die Briten ihren Grenzposten in Sallum und zogen sich fast 200 Kilometer weit nach Osten, in die Hafenstadt Marsa Matruh, zurück. Die Sanūsīya-Bewegung erhielt weiteren Vorschub, als sich Beduinen vom Stamm der Aulad Ali dem Angriff auf die britischen Stützpunkte anschlossen. Eine Abteilung des Egyptian Camel Corps der britischen Streitkräfte in Ägypten wechselte die Seiten und schloss sich dem wachsenden arabischen Widerstand gegen die Kolonialmacht an. Auch 14 einheimische Offiziere und 120 Soldaten der britisch-ägyptischen Küstenwache liefen mitsamt ihren Waffen, Ausrüstung und Transportkamelen zu den Sanūsīya über. Nach diesen Fällen von Fahnenflucht zogen die Briten vorsichtshalber einige ägyptische Artillerieeinheiten, deren Loyalität ihnen „zweifelhaft“ erschien, aus Marsa Matruh ab. All diese Entwicklungen ermutigten die Osmanen dazu, einen breit angelegten ägyptischen Aufstand gegen die britische Kolonialherrschaft zu provozieren; unter den SanūsīyaKämpfern steigerten sie damit die Kampfmoral. Die Briten handelten umgehend, um die Gefahr einzudämmen, die der Sanūsīya-Dschihad für sie bedeutete. Rund 1400 britische, australische, neuseeländische und indische Soldaten wurden nach Marsa Matruh entsandt, um dort in der neu eingerichteten Western Frontier Force („Westliche Grenztruppe“) Dienst zu tun. Verstärkt wurden sie durch Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und Flugzeuge. Ihre Mission bestand darin, die bri-
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tische Kontrolle über die libysche Grenze wiederzuerlangen und Sayyid Ahmad an der Entfesselung eines großen Aufstandes in Ägypten und der ganzen arabischen Welt zu hindern, dies insbesondere in dem verhängnisvollen Monat Dezember 1915, als sich die Briten sowohl vor Gallipoli als auch in Mesopotamien ganz besonders verwundbar fühlten. Am 11. Dezember rückten Einheiten der neuen Grenztruppe von Marsa Matruh aus, um arabische Kräfte anzugreifen, die gut 25 Kilometer weiter westlich lagerten. Sobald die britische Infanterie in Schussreichweite der Sanūsīya gelangte, eröffneten diese das Feuer und hielten die Briten durch ihren Beschuss so lange nieder, bis deren Artillerie und Kavallerie ihnen Entsatz brachte. Die Kämpfe dauerten zwei Tage lang, wobei die Araber ihre Angriffe mit größter Disziplin ausführten. Durch den präzisen Artilleriebeschuss der Briten wurden sie schließlich auseinandergetrieben und am 13. Dezember durch leichte australische Kavallerie endgültig in die Flucht geschlagen. In diesem ersten Scharmützel erlitten beide Seiten nur vergleichsweise geringe Verluste, wiewohl der Chef der britischen Militäraufklärung im Grenzgebiet getötet wurde.34 Am frühen Weihnachtsmorgen 1915 unternahmen die Briten einen zweiten Überraschungsangriff auf Stellungen der Sanūsīya-Verbände. Nun rief das plötzliche Auftauchen feindlicher Kräfte unter den arabischen Stammeskriegern eine Panik hervor. Als Dschafar al-Askari sich bis an die Front vorgearbeitet hatte, kam ihm der Rückzug seiner Soldaten, wie er selbst festhielt, „sehr viel eher ungeordnet als geordnet vor“. Nachdem er sich tunlichst darum bemüht hatte, die Disziplin in seiner Truppe wiederherzustellen, kam er bei Sonnenaufgang zu der folgenden düsteren Beurteilung der Lage: „Jetzt konnte ich sehen, dass unsere Stellung nach allen Seiten vom Feind umstellt war.“ Im Einzelnen konnte er zwei Infanteriebataillons ausmachen, die sich von Westen näherten, dazu eine große Menge Kavallerie auf seiner rechten Flanke und eine ebenso stattliche Kolonne, die entlang der Straße von Marsa Matruh annähernd in seine Richtung marschierte. Dazu kam noch ein britisches Kriegsschiff, das in der Bucht vor Anker gegangen war und sich nun mit wachsender Genauigkeit auf die arabischen Stellungen einschoss. „Es war ein wahrlich entsetzlicher Anblick“, musste Dschafar al-Askari bekennen, „und ich hatte die größten Schwierigkeiten, meine Männer auf ihren Posten zu halten.“
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Binnen eines Tages intensiver Kämpfe gelang es den Briten, die arabischen Kräfte von ihren Hügelstellungen zu vertreiben. Dschafar al-Askari entging nur knapp der Gefangennahme – sein Zelt und all seine Papiere fielen neuseeländischen Soldaten in die Hände. „Bei Sonnenuntergang traten wir den Rückzug an“, hielt er fest, „wobei wir unsere Toten und Verwundeten der Gnade des Feindes überlassen mussten. Unsere gesamten Vorräte an Lebensmitteln und Munition waren entweder aufgebraucht oder verloren.“ Die Kampfmoral der Araber nahm durch diese Niederlage schweren Schaden, und ihre osmanischen Vorgesetzten verzeichneten ein „stetiges Rinnsal von Desertionen“. Die Briten hatten sich den Sieg gesichert, aber zerschlagen hatten sie das Sanūsīya-Heer noch nicht, das zwischenzeitlich auf rund 5000 Mann angewachsen war. Da seine arabischen Stammeskrieger jetzt die gesamte Küste von Sallum bis zur britischen Garnisonsstadt Marsa Matruh kontrollierten, hielt Sayyid Ahmad einige wichtige Trümpfe in der Hand. Deutsche U-Boote kreuzten vor den Küsten Libyens und Ägyptens und versorgten die osmanischen Offiziere, die dem Sanūsīya-Feldzug beratend zur Seite standen, mit Waffen, Munition und Bargeld. Außerdem hatten die Nachrichten vom britischen Rückzug vor Gallipoli sowie den diversen Rückschlägen in Mesopotamien dafür gesorgt, dass inzwischen viele Ägypter voller Hoffnung auf die Sanūsīya-Revolte blickten – voller Hoffnung darauf, nun endlich von der verhassten britischen Kolonialherrschaft befreit zu werden.
* Die britischen Kriegsstrategen waren wesentlich besorgter über die Rückschläge, die ihre Truppen in Mesopotamien erlitten hatten, als über die Herausforderung, vor die sie eine Handvoll Sanūsīya-Eiferer in der Westlichen Wüste Ägyptens stellten. Die zuvor unbesiegte 6. Poona-Division war bei Salman Pak zurückgeschlagen und in einen Rückzug unter Feindbeschuss gezwungen worden. Und den anderen britischen Befehlshabern fehlten die Kräfte, um Townshends besiegter Armee schützend beizustehen. Solange nicht die versprochenen Verstärkungen in Basra eintrafen, hatten die Briten kaum genug Männer, um auch nur die Eroberungen aus dem ersten Jahr ihres Feldzugs zu behaupten.
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Nach einer brutalen Woche, die sie unter Dauerfeuer marschierend zugebracht hatten, zogen Townshends erschöpfte indische und britische Soldaten schließlich am 2. Dezember endlich wieder durch die vertrauten Straßen von Kut al-Amara. Die in einer engen Tigrisschleife gelegene Stadt erfreute sich als Zentrum des regionalen Getreidehandels eines beachtlichen Wohlstands; auf internationaler Ebene besaß der Handel mit Süßholzwurzel einige Bedeutung. Mehrere Stockwerke hoch erhoben sich die aus Lehmziegeln erbauten Häuser der Stadt, die meist um einen Innenhof herum errichtet waren. Aufwändige Schnitzarbeiten zierten Gebälk und Balustraden. Unter den größten öffentlichen Gebäuden von Kut waren mehrere Regierungsbauten, zwei Moscheen (eine davon mit einem eleganten Minarett) sowie eine weitläufige Markthalle. Letztere requirierten die Briten, um sie als Lazarett zu nutzen. Eine ebenfalls aus Lehmziegeln errichtete Festung, die nordöstlich der Stadt über dem Fluss aufragte, wurde zum Eckpfeiler der britischen Verteidigungslinie, die sich am linken Tigrisufer quer über den Rand der Landzunge zog, auf der Kut sich in die Biegung des Flusses schmiegt. Manche von Townshends Offizieren stellten offen die Frage, ob es tatsächlich so klug gewesen sei, sich ausgerechnet nach Kut zurückzuziehen. Immerhin wartete die Stadt aufgrund ihrer Lage nur darauf, von den Osmanen umzingelt zu werden. Das brachte nicht nur Townshends Armee, sondern auch die Zivilbevölkerung von Kut in Todesgefahr. Zwar hatte die Stadtbevölkerung sich den Briten kampflos ergeben; bei einer langwierigen Belagerung konnte man sich ihrer Unterstützung aber nicht sicher sein. Nachdem sie die beiden Alternativen abgewogen hatten, entweder alle Zivilisten aus der Stadt zu entfernen – und damit eine humanitäre Katastrophe mit 7000 Obdachlosen zu riskieren –, oder aber den Einwohnern alle Härten einer Belagerung zuzumuten, kamen Townshend und sein Stab zu dem Schluss, dass ein Verbleib der Stadtbewohner in ihren Häusern das geringere Übel darstelle. Damit lagen sie, wie sich im weiteren Verlauf zeigen sollte, falsch. Townshend hatte sich mit der Unvermeidlichkeit einer Belagerung abgefunden und glaubte, diese werde nur von kurzer Dauer sein. Unter seinem Befehl hatte er 11 600 Soldaten, die sich aus den Überlebenden von Salman Pak und der Garnison von Kut zusammensetzte, sowie 3350 Nichtkombattanten – alle zusammen verfügten sie über Rationen für 60 Tage.
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Der General war zuversichtlich, dass seine Truppen einige Wochen gut würden überstehen können, bis dann im Januar die versprochene Verstärkung Mesopotamien erreichen und ihm und seinen Leuten Entsatz verschaffen würde, um dann die Eroberung des Iraks wiederaufzunehmen. Am 5. Dezember erreichte ein Vortrupp der türkischen Streitmacht Kut. Bald begannen Nurettin Beys Truppen, rund um die Stadt ihre Stellungen zu beziehen. Bis zum 8. Dezember wurde Kut vollkommen eingeschlossen. Nachdem sie ein ganzes Jahr lang in ihrem Kampf gegen die Indian Expeditionary Force D immer neue Gebietsverluste hatten einstecken müssen, war es den Osmanen schließlich gelungen, das Schlachtenglück zu ihren Gunsten zu wenden. Jetzt, da das Edle Banner des Imams Ali über dem Tigris wehte, schien der osmanische Sieg zum Greifen nah.
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KAPITEL 10 DIE BELAGERUNG VON KUT
Von dem Moment an, in dem die Jungtürken in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren, hatten die Briten das Osmanische Reich als das schwächste Glied in der Befehlskette der Mittelmächte eingeschätzt. Nach der festen Überzeugung der Londoner Kriegsplaner würde ein rascher Sieg über die Osmanen für den Durchbruch sorgen, der den Entente-Mächten an der Westfront bislang versagt geblieben war. Während der ersten sechs Kriegsmonate ließ das Auftreten der osmanischen Armee kaum vermuten, dass diese Einschätzung falsch sein könnte. Ungestraft gingen alliierte Kriegsschiffe gegen Ziele an den Küsten des Osmanischen Reichs vor; die Briten hatten die Provinz Basra relativ mühelos erobert; die von den Osmanen selbst angestrengten Kampagnen im Kaukasus und auf dem Sinai hingegen waren erbärmlich gescheitert. Der Gallipolifeldzug erwies sich als ein wichtiger Wendepunkt. Selbst unter dem unerbittlichen Druck der Alliierten waren die Türken nicht von der Stelle gewichen und hatten den Invasoren eine schmachvolle Evakuierung aufgezwungen. Plötzlich fanden sich die Briten in der Defensive wieder und sahen sich genötigt, zuvor eroberte Gebiete wieder den vorrückenden Osmanen zu überlassen. Türkische Truppen waren in das britische Protektorat Südjemen einmarschiert und bedrohten dort den unverzichtbaren Hafen von Aden. Libysche Stammeskrieger hatten unter dem Kommando osmanischer Offiziere die Westgrenze Ägyptens überrannt und die Briten gezwungen, fast 200 Kilometer Küstenlinie aufzugeben. Und in Mesopotamien hatte Nurettin Bey in Kut al-Amara eine ganze britische Division eingekesselt. An und für sich stellte keiner dieser osmanischen Vorstöße eine ernste Bedrohung der alliierten Kriegsanstrengungen dar. Die Briten waren zuversichtlich, sich am Ende gegen die arabischen Stammeskrieger im Jemen
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und in der Westlichen Wüste von Ägypten durchsetzen zu können. Die Belagerung von Kut betrachteten sie als eine unerfreuliche Verzögerung, einen zeitweiligen Aufschub vor der ungefährdeten Eroberung Bagdads. Sehr viel wichtiger war aus britischer Sicht die Frage, wie sich die Niederlage von Gallipoli sowie die Rückschläge im Jemen, in Libyen und Mesopotamien auf die öffentliche Meinung in der weiteren muslimischen Welt auswirkten. In London ging man davon aus, dass deutsche PropagandaExperten im ganzen Nahen Osten und in Südasien jeden einzelnen osmanischen Sieg für ihre Zwecke ausschlachten würden. Deshalb fürchtete die britische Führung religiösen Fanatismus an der Front und Aufstände der muslimischen Bevölkerung in den Kolonien. So gesehen hatten die Briten und die Deutschen stärker auf die Aufrufe zum Dschihad durch den Kalifen reagiert als dessen osmanische Untertanen oder die Muslime überall im Nahen Osten, in Nordafrika und Südasien.1 Um das Risiko eines Dschihad ein für alle Mal auszuschalten, glaubten die Briten, würden sie ihre Dominanz über die Osmanen noch einmal unter Beweis stellen müssen – indem sie das verlorene Territorium zurückeroberten, den bedrängten Verteidigern von Kut zu Hilfe kamen und ihren Eroberungsfeldzug durch die osmanischen Herrschaftsgebiete wieder aufnahmen. Unter allen Umständen musste verhindert werden, dass den Türken noch irgendwelche weiteren Siege glückten. Und doch waren den Briten, die ja an der Westfront einen unerbittlichen Abnutzungskrieg zu führen hatten, bei der Versorgung der osmanischen Front mit Truppen und Material reelle Grenzen gesetzt. Im Februar 1916 begannen die Deutschen bei Verdun eine neue Großoffensive gegen die Franzosen. Der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn begann diesen „Zermürbungskrieg“, wie er ihn nannte, nicht so sehr, um Verdun einzunehmen, sondern vielmehr, um die französische Armee bei der Verteidigung ihrer Stellungen ausbluten zu lassen. Unter dem schweren Trommelfeuer der deutschen Artillerie, das in manchen Frontabschnitten eine Frequenz von bis zu 40 Granaten pro Minute erreichte, hielten die Franzosen der deutschen Offensive ganze zehn Monate lang stand. Als die Deutschen im Dezember 1916 den Angriff abbrachen, hatten sie mit insgesamt 337 000 Toten und Verwundeten beinahe genauso viele Verluste erlitten wie die Franzosen mit 377 000 Toten und Verwundeten. Die Briten mussten ihre Truppenstärke an der Westfront auf-
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rechterhalten, um ihre französischen Verbündeten zu unterstützen und die Deutschen an dem entscheidenden Durchbruch zu hindern, der ihnen den Sieg beschert hätte. Das Dilemma, vor dem die Strategen in Paris und London standen, war nun, dass sie die Verteilung der verfügbaren Truppen präzise ausbalancieren mussten, um einerseits einen größeren osmanischen Sieg zu verhindern, der den Dschihad neu entfacht hätte, ohne andererseits zu viele Kräfte von der Westfront abzuziehen, wo ein Kampf auf Leben und Tod tobte. Im Fall der Belagerung von Kut sollte ihnen dieser Balanceakt misslingen.
* Die Gefahren eines Lebens im Belagerungszustand waren den Verteidigern von Kut al-Amara unmittelbar bewusst, die sich gefühlt haben müssen wie die sprichwörtlichen Spatzen, auf die man mit Kanonen schießt. „Die Türken fingen an, die Stadt mit Granaten zu überschütten“, erinnerte sich später G. L. Heawood, ein junger Offizier bei der Oxfordshire and Buckinghamshire Light Infantry, „und als sie näher herangerückt waren, belegten sie alle flachen Geländeabschnitte mit Maschinengewehrfeuer; von demselben Tag an wurde auch der Scharfschützenbeschuss am Flussufer ein ernsthaftes Problem“. Während die Briten sich noch abmühten, ihre Schützengräben gegen das erbarmungslose Feuer zu vertiefen, schoben die Osmanen ihre Stichgräben immer weiter in Richtung der britischen Linien vor. „In diesen ersten Wochen unternahmen die Türken keinen wirklichen Angriff, aber sie kamen sehr nah heran, und so gab es bei uns mehrere ziemlich bange Nächte“, gestand Heawood – immerhin waren die türkischen Linien inzwischen bis auf etwa 100 Meter an die britischen Stellungen herangerückt.2 Feldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz, der deutsche Kommandeur der osmanischen 6. Armee, kam zu einem Frontbesuch nach Kut und besprach mit Nurettin Bey das weitere Vorgehen. In puncto Strategie waren die beiden Männer grundverschiedener Ansicht. Nurettin Bey, ein durch und durch kämpferischer General, wollte die Stadt erstürmen und die Briten lieber heute als morgen schlagen. Goltz, der fest entschlossen war, seine Truppen vor unnötigen Verlusten zu bewahren, plädierte dafür,
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die Belagerung zu verschärfen, um die Briten durch Aushungern zur Kapitulation zu zwingen. Da die beiden Kommandeure ihre Meinungsverschiedenheit nicht beilegen konnten, wartete Nurettin einfach ab, bis Goltz wieder abrückte, um die persische Front zu inspizieren; dann ließ er seine Männer zum Sturm antreten.3 An Heiligabend befahl Nurettin Bey den Angriff auf Kut. Die osmanische Artillerie sprengte riesige Löcher in die Ziegelwände der Festungsanlage, während britische und indische Soldaten verzweifelt versuchten, die Wellen der unerschrockenen türkischen Infanterie zurückzuschlagen, die nun in ihre Schützengräben stürmten. Heawoods Einheit bekam die volle Wucht der türkischen Offensive zu spüren: „Nach Einbruch der Dunkelheit griffen sie weiter an und belegten uns die ganze Nacht über mit ihren Granaten. … In einer Bastion der Festung hatten sie Fuß gefasst und eine behelfsmäßige Barrikade aus Strohballen, Blechkanistern, Mehlsäcken und Sonstigem errichtet, was eben greifbar war. Da lag nun der Feind auf der einen Seite und unsere Leute lagen auf der anderen, und fast die ganze Nacht über schlugen rund um diese Barrikade die Granaten ein, und die meisten größeren Verluste über Weihnachten gab es an dieser Stelle.“ Auf beiden Seiten waren die Verluste enorm, aber wie so oft im Ersten Weltkrieg galt auch hier: Die Angreifer traf es am schwersten. Im Morgengrauen des Weihnachtstages häuften sich vor Kut die toten und verwundeten Türken auf dem gesamten Areal von den britischen Schützengräben bis zu den osmanischen Linien. Zahlreiche überlebende Briten haben in ihren Erinnerungen beschrieben, wie sie versuchten, türkischen Verwundeten im Niemandsland beizustehen, dabei jedoch vom Gewehrfeuer, das zwischen den feindlichen Linien hin und her peitschte, abgehalten wurden. Am Ende warfen sie denjenigen türkischen Soldaten, die in Reichweite lagen, Brotstücke und Wasserflaschen zu und ertrugen das Stöhnen der Sterbenden, bis schließlich der Tod eine gespenstische Stille über dem Schlachtfeld aufziehen ließ. Wochen später, das neue Jahr war längst angebrochen, lagen viele der osmanischen Gefallenen noch immer dort, wo sie an Heiligabend umgekommen waren. Nach der Schlacht vom 24. Dezember unternahm Nurettin Bey keinerlei weitere Anstrengungen, die britischen Stellungen zu erstürmen. Vielmehr schwenkte er nun auf die Linie des Generalmarschalls Goltz ein und befahl stattdessen, die Belagerung zu verschärfen: Kut sollte von sämt-
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lichen Versorgungslinien abgeschnitten und seine Befestigungen unter ständiges Artillerie-, Maschinengewehr- und Scharfschützenfeuer genommen werden. Doch als Goltz von der Persienfront zurückkehrte, war er entsetzt über die schweren Verluste, die das osmanische Heer bei seinem Angriff am Heiligabend erlitten hatte, und betrieb umgehend Nurettin Beys Versetzung an die Kaukasusfront. Schon Anfang Januar wurde dieser durch den bestens vernetzten Halil Bey, einen Vetter des Kriegsministers Enver Pascha, ersetzt. Auch die Briten hatten über Weihnachten Verluste erlitten, und der Kommandant von Kut, Generalmajor Charles Townshend, stellte bereits die Frage, wie lange er und seine Leute einer solchen Belagerung würden standhalten können. Ausgehend von der Erfahrung seiner ersten Wochen in Kut kalkulierte der General, dass Tagesverluste von mehr als 75 Toten, Verwundeten und Kranken die Stärke seiner Garnison von gegenwärtig 7800 tauglichen Männern bis zum 1. Januar 1916 auf 6600 und bis zum 15. Januar auf sogar nur 5400 kampftaugliche Soldaten würden sinken lassen. Townshend, der noch immer in funktelegrafischem Kontakt mit dem britischen Hauptquartier stand, überzeugte seine Vorgesetzten schließlich davon, schnell zu handeln, um seine Leute zu retten, solange diese dabei noch mithelfen konnten.4 Schon wurden britische Verstärkungen in Mesopotamien zusammengezogen. Als Erstes traf die 28. Brigade unter General George Younghusband ein. Da ihrem vorherigen Einsatzort Aden gegenwärtig kein osmanischer Angriff mehr drohte, wurden Younghusbands Männer in Mesopotamien, wo die Lage durchaus kritisch war, dringender gebraucht. Am 2. Dezember gingen sie in Basra an Land. Der frisch antretende Kommandeur des Entsatzheers, Generalleutnant Sir Fenton Aylmer, traf noch in derselben Woche ein. General John Nixon, oberster Befehlshaber der Mesopotamian Expeditionary Force (MEF), übergab Aylmer am 8. Dezember seinen Einsatzbefehl: Er sollte die Osmanen am Tigris schlagen und Townshend in Kut Entsatz verschaffen. Von einer Eroberung Bagdads war vorerst keine Rede mehr. Da sich zur selben Zeit zwei indische Divisionen auf dem Weg von Frankreich nach Mesopotamien befanden, war Aylmer zuversichtlich, dass er bis zum Februar 1916 die nötige Truppenstärke erlangt haben würde, um seine Ziele zu erreichen. Der bedrängte Townshend jedoch
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glaubte nicht, dass er ohne Unterstützung noch bis Februar würde durchhalten können. Mit jeder Woche, die verstrich, sah er seine Kräfte schwinden, während die osmanischen Belagerer sich eines steten Zustroms von Verstärkungen erfreuten. Die Zeit drängte. Unbedingt musste der britische Gegenschlag erfolgen, bevor die indische Garnison in Kut von den überlegenen osmanischen Kräften aufgerieben wurde. Angesichts der zu erwartenden politischen Konsequenzen einer Niederlage in Mesopotamien so bald nach der verheerenden Schlappe von Gallipoli teilte das britische Oberkommando schon bald Townshends Befürchtungen. Am 3. Januar 1916 wies Aylmer, dem gerade einmal drei Brigaden mit insgesamt rund 12 000 Mann zur Verfügung standen, General Younghusband an, gegen die osmanischen Stellungen am Tigris vorzurücken. Younghusband, der ganz und gar nicht erfreut darüber war, den Feind anzugreifen, bevor das Entsatzheer seine volle Stärke erreicht hatte, erklärte später in seinen Memoiren, bei diesem Angriffsbefehl habe es sich um „einen sehr schwerwiegenden Fehler“ gehandelt: „Dieser voreilige Angriff war die Saat, aus der all die zahlreichen Tragödien der kommenden vier Monate erwachsen sollten.“5
* Die osmanische Armee hatte im Gebiet zwischen Aylmers Entsatzheer und Townshends Garnison in Kut mehrere Verteidigungslinien eingerichtet. Zur Verstärkung der Garnison von Bagdad waren zwei osmanische Divisionen in Marsch gesetzt worden. Bis Januar 1916 hatte die 6. Armee damit eine zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber den britischen Truppen am Tigris erlangt; britischen Schätzungen zufolge verfügten die Türken über rund 27 000 Mann im Feld, während die Kräfte von Aylmers Entsatztruppe und Townshends bedrängten Einheiten zusammengenommen die Zahl von 23 000 Mann nicht überstiegen. Wenn die Briten sich siegesgewiss gaben, dann nur, weil sie ihren Feind noch immer unterschätzten. Am 7. Januar hatten Aylmers Truppen in der Nähe des rund 40 Kilometer flussabwärts von Kut gelegenen Dorfes Scheich Saad ihren ersten Feindkontakt. Die türkischen Schützengräben erstreckten sich beiderseits des Flusses kilometerweit, was die Briten zwang, Frontalangriffe über of-
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fenes Gelände zu unternehmen, während heftiges und präzises Gewehr-, Maschinengewehr- und Geschützfeuer auf sie einprasselte. Während vier Tagen heftiger Kämpfe erlitten die britisch-indischen Truppen Verluste von über 4000 Mann, bevor es ihnen schließlich gelang, die türkischen Gräben zu erstürmen. Trotz dieses hohen Blutzolls sprach man auf britischer Seite von einem Sieg und richtete in Scheich Saad ein Basislager ein. Aylmer telegrafierte an General Townshend in Kut – der die ganze Belagerung über telegrafischen Kontakt mit der Außenwelt hielt –, um ihm mitzuteilen, dass seine Entsatztruppen auf beiden Ufern des Flusses vorrückten. Nach einer Belagerung von 35 Tagen sorgte diese Nachricht unter den in Kut eingekesselten Soldaten für „großen Jubel“, wie der Feldkaplan Harold Spooner in seinem Tagebuch festhielt.6 Vier Tage darauf verwickelten Aylmers Truppen die Osmanen an einem Al-Wadi genannten Nebenfluss des Tigris in ein Gefecht. Bei heftigem Wind und Starkregen gelang es den Briten, die Osmanen ein weiteres Mal zurückzudrängen. Allerdings verloren sie dabei 1600 Mann, Tote und Verwundete, wodurch Aylmers Truppe auf nur noch 9000 Mann zusammenschmolz. Dennoch rückten sie weiter vor, in Richtung der bislang imposantesten osmanischen Befestigungen bei Hanna, auf einem schmalen Geländestreifen zwischen dem Tigris und einem undurchdringlichen Sumpf. Am 21. Januar gab Aylmer seinen Soldaten den Befehl zum Frontalangriff, der über offenes Gelände gegen die osmanischen Stellungen geführt werden musste. Nach tagelangem Regen rutschten und stolperten die Angreifer über den matschigen Boden, während heftiges türkisches Gewehrfeuer ihnen entgegenschlug und noch nicht einmal ein Gebüsch als Deckung in Sicht war. Zum ersten Mal auf dem gesamten Mesopotamienfeldzug erlitten die Briten höhere Verluste, als sie selbst dem Gegner zufügen konnten. Nach einer Schlacht von zwei Tagen blieb ihnen nichts anderes übrig, als aufzugeben und sich von „der Hanna-Stellung unseligen Angedenkens“, wie es bei General Younghusband heißt, zurückzuziehen. Nachdem sein erster Versuch zur Rettung Kuts fehlgeschlagen war, musste General Aylmer das Eintreffen weiterer Verstärkungen abwarten, um seine ausgedünnten Reihen wieder zu füllen, bevor er einen zweiten Versuch unternehmen konnte.7 „Es sieht wohl leider so aus, dass unsere Entsatztruppe nicht stark genug ist, um durchzudringen, und sich deshalb nun eingräbt … und weitere
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Verstärkungen abwartet“, notierte der in Kut festsitzende Feldkaplan Spooner am 23. Januar in seinem Tagebuch. Nachdem die Hoffnung auf baldige Rettung sie begeistert hatte, mussten die belagerten Truppen sich nun mit dem Gedanken anfreunden, noch weitere Wochen ausharren zu müssen. „Schlechte Aussichten, da die Türken bis dahin zweifellos große Verstärkungen erhalten werden“, prophezeite Spooner, „doch sind wir etwa niedergeschlagen? No-o-o-o“, schloss er in bester britischer Tradition der „Stiff upper lip“. Hinter den dunklen Regenwolken, die Aylmers Entsatzbemühungen zunichte gemacht hatten, zeigte sich bereits ein Silberstreifen am Horizont: Die heftigen Niederschläge hatten den Tigris anschwellen lassen, wodurch sowohl die türkischen als auch die britischen Schützengräben vor Kut geflutet wurden und beide Seiten gezwungen waren, sich auf Positionen zurückzuziehen, zwischen denen fast 2000 Meter unüberwindlicher Wasserfläche lagen. Die Feuchtigkeit sorgte zwar allenthalben für Unbehagen, verhinderte jedoch auch türkische Sturm- oder Überraschungsangriffe, solange der Wasserpegel nicht wieder gesunken war. Townshend stand nun vor der Herausforderung, seine Männer solange kampftauglich zu halten, bis der Fluss sich zurückgezogen hatte und die britische Verstärkung eingetroffen war. Townshends vorrangiges Ziel war es, den Verbrauch seiner Truppe zu reduzieren. Am 22. Januar ordnete er an, dass von nun an sämtliche Rationen zu halbieren seien. Diese Einschränkung traf nicht nur seine Soldaten, sondern auch die 6000 Einwohner von Kut; schließlich mussten sie alle von demselben beschränkten Vorrat leben. Dann befahl der General Hausdurchsuchungen, bei denen britische Soldaten Lebensmittelvorräte aufspüren und beschlagnahmen sollten. Dabei fanden Townshends Leute 900 Tonnen Gerste, 100 Tonnen Weizen und 19 Tonnen Ghee (Butterschmalz). Zwar riefen die Hausdurchsuchungen unter der Einwohnerschaft von Kut bittere Empörung hervor; jedoch sorgten die beschlagnahmten Lebensmittel dafür – wenn man sie mit den britischen Vorräten ergänzte und Soldaten wie Stadtbewohnern als Halbration zuteilte –, dass die Vorräte nun nicht mehr 22, sondern ganze 84 Tage reichen würden.8 Die strengere Rationierung ihrer Nahrung war lediglich der jüngste einer Reihe von Tiefschlägen, die der Bevölkerung von Kut zugemutet worden waren. Ihre Stände in der großen Markthalle der Stadt waren be-
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schlagnahmt worden, um dort ein Lazarett für kranke und verwundete Soldaten einzurichten. Ihre Häuser waren nicht sicher vor dem Zugriff der Briten, da deren Soldaten regelmäßig Löcher in die Wände schlugen, um Durchgänge zu schaffen, die vor dem türkischen Gewehrfeuer geschützt waren. Außerdem rissen sie die eingangs erwähnten Schnitzarbeiten von den Häusern, um sie als Brennholz zu verfeuern. Auch waren die Zivilisten demselben tödlichen Feuer ausgesetzt wie die Soldaten, was Alltagsverrichtungen zu einem lebensgefährlichen Wagnis werden ließ. Reverend Spooner hatte selbst miterlebt, wie heftig der Schmerz und die Trauer der Stadtbewohner waren, nachdem eine Frau aus ihrer Mitte beim Wasserholen am Fluss erschossen worden war. Die Unglückliche war eine von beinahe 900 zivilen Opfern der Belagerung. Die Bewohner von Kut befanden sich in einem Dilemma: Die Briten warfen ihnen Spionage für die Osmanen vor, die Osmanen sahen sie als Kollaborateure, weil sie den Briten in ihrer Stadt Zuflucht gewährt hatten. Die türkischen Belagerer zögerten nicht, auf jeden Zivilisten zu schießen, der aus Kut zu fliehen versuchte. Die Einwohner von Kut hatten nur einen Nutzen für die Osmanen: Sie trugen dazu bei, dass die begrenzten Vorräte der britischen Garnison schneller zur Neige gingen. Die strenge Rationierung traf alle Soldaten in Kut hart, aber manche traf sie härter als andere. Die indischen Hindu-Soldaten waren Vegetarier, die – aus Glaubens- und aus Geschmacksgründen – die Fleischration ablehnten, welche die zunehmend ausgedünnten Brot- und Gemüsevorräte ergänzte. Nachdem die britischen Truppen ihre Vorräte an Rind- und Lammfleisch aufgebraucht hatten und dazu übergegangen waren, zur Verpflegung ihrer Truppen die Arbeitspferde und Maultiere zu schlachten, verweigerten auch die muslimischen Soldaten den Fleischverzehr. Anfangs hatte Townshend für seine indischen Truppen einen höheren Mehlund Gemüseanteil vorgesehen und von religiösen Autoritäten in Indien die ausdrückliche Erlaubnis eingeholt – für die Hindus wie für die Muslime unter seinen Soldaten –, dass sie unter diesen Umständen die Fleischrationen verzehren durften. Dennoch forderte die Nahrungsknappheit ihren Tribut. Die indischen Soldaten, die Tag für Tag weniger Kalorien aufnahmen als die Engländer, bekamen die Auswirkungen von Kälte und Nässe ganz besonders zu spüren, wurden krank und starben weitaus häufiger als ihre fleischessenden Kameraden.
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Die Osmanen waren weiterhin bestrebt, sich die ethnischen Trennlinien in Townshends Truppe zunutze zu machen. Als die britisch-indischen Soldaten auf Erkundung in die türkischen Schützengräben vorstießen, die wegen der heftigen Regenfälle aufgegeben worden waren, fanden sie dort Tausende Flugblätter in Hindi und Urdu, die aus der osmanischen Regierungsdruckerei in Bagdad stammten. Dem Feldkaplan Spooner zufolge waren diese Flugblätter um Steine gewickelt worden, um sie in die britischen Linien werfen zu können, und forderten „die eingeborenen [d. h. indischen] Truppen auf, ihre Offiziere (englisch) zu töten, zu meutern und zu den Türken überzulaufen, um dort unter Allahs Schutz zu sein; es hieß dort auch, sie würden viel besser behandelt und bezahlt werden“. Eine kleine Minderheit unter den indischen Soldaten nahm die türkische Einladung an. Bereits Ende Dezember berichtete Townshend von „gewissen unschönen Vorfällen“ bei der indischen Truppe. Andere Soldaten wurden da schon deutlicher: „Mehrere Male während der Belagerung habe ich von Indern (Mohammedanern) gehört, die unsere Gräben verlassen haben und zu den Türken desertiert sind“, erinnerte sich etwa der britische Artillerist W. D. „Gunner“ Lee, „aber einige, die beim Fluchtversuch von unseren Linien gefasst worden waren, hat man vor ihren Regimentern standrechtlich erschossen.“ Den Quellen nach zu urteilen waren es nur wenige indische Soldaten, die tatsächlich zur osmanischen Seite überliefen – nicht mehr als die 72 Männer, die am Ende der Belagerung als „vermisst“ geführt wurden. Dennoch war auch klar, dass nicht jeder Inder willens war, für das britische Weltreich sein Leben zu lassen.9
* Während es den britischen Streitkräften nicht gelingen wollte, ihren belagerten Kameraden in Kut Verstärkung zu verschaffen, sahen sich die Verantwortlichen in Ägypten noch immer mit einer Krise an ihrer westlichen, der libyschen Grenze konfrontiert. Im Januar 1916 drängte Sir John Maxwell, der britische Oberkommandierende in Ägypten, das Londoner Kriegsministerium, eine Kampagne zur Rückeroberung der Gebiete zu genehmigen, die zwei Monate zuvor an die Sanūsīya-Bruderschaft verloren gegangen waren. Die Behauptung des britischen Herrschaftsanspruchs in
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der Westlichen Wüste war zwar militärisch noch nicht dringend geboten, so Maxwell, aber doch politisch ratsam: Schließlich hatte die Evakuierung der britischen Truppen von Gallipoli zusammen mit dem Vormarsch der Sanūsīya-Bruderschaft in der Westlichen Wüste ägyptischen Nationalisten Auftrieb gegeben, die nun nachdrücklicher als zuvor die Stärke und Entschlossenheit der britischen Kolonialmacht infrage stellten. Mit der Erlaubnis seiner Londoner Vorgesetzten stellte Maxwell die Western Frontier Force auf, um die britische Vorherrschaft in dem ägyptischen Territorium bis zur libyschen Grenze wiederherzustellen. Maxwell nutzte die Tatsache aus, dass ihm seit dem Desaster von Gallipoli eine wachsende Anzahl von Truppen aus allen Teilen des britischen Weltreichs zu Gebote stand. So zog er eine große und bunt gemischte Streitmacht zusammen, deren Soldaten – mehrheitlich Infanterie – britischen, indischen, ANZAC- und sogar südafrikanischen Einheiten entstammten. Diese Western Frontier Force verband modernste Kriegstechnologie (Luftaufklärung, gepanzerte Fahrzeuge) mit Kavallerie zu Pferd und auf Kamelen, die besser für den Einsatz in der Sandwüste geeignet waren; traditionelle und moderne Kriegführung standen hier Seite an Seite. Die arabischen Stammeskrieger im Gefolge von Sayyid Ahmad al-Scharif al-Sanūsi wurden von osmanischen Offizieren unter der Leitung von Nuri Bey (einem Bruder des Kriegsministers Enver Pascha) und dem Iraker Dschafar al-Askari ausgebildet und befehligt. Das osmanische Oberkommando hatte Nuri und Dschafar den unmissverständlichen Befehl mit auf den Weg gegeben, „in das ägyptische Territorium einzudringen und dort Verwirrung, Angst und Schrecken zu verbreiten, um auf diese Weise so viele britische Kräfte wie möglich zu binden“. Die Osmanen und ihre deutschen Verbündeten sahen in der religiösen Autorität, die Sayyid Ahmad als Anführer der mystischen Sanūsīya-Bruderschaft zukam, einen großen Aktivposten in ihren Bemühungen zum Dschihad. Ihre Erfolge gegen Ende des Jahres 1915 beunruhigten die Briten und begeisterten ägyptische Nationalisten.10 Im Januar 1916 lagen Truppen der Sanūsīya-Bruderschaft bei Bir Tunis, gut 30 Kilometer südwestlich der britischen Garnison von Marsa Matruh. Als er ein britisches Flugzeug über seinen Stellungen auftauchen sah, wusste Dschafar al-Askari, dass ein Angriff unmittelbar bevorstand. Er postierte Wachen rund um das Sanūsīya-Lager und schärfte ihnen äußerste Wach-
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samkeit ein. Nachdem es in der Nacht vom 22. Januar sintflutartige Regenfälle gegeben hatte, weckte einer von Askaris türkischen Offizieren den Kommandeur im Morgengrauen, um ihn zu alarmieren: „Eine lange feindliche Kolonne aus Infanterie, Kavallerie, Artillerie und gepanzerten Motorwagen“ rücke in Richtung des Sanūsīya-Lagers vor. In der Nacht hatten die Türken den Starkregen verflucht; jetzt erwies er sich als ein Segen: Die britischen Panzerwagen blieben im Schlamm stecken und verschafften den Arabern damit einen kleinen Aufschub, um sich zum Kampf zu rüsten. Am 23. Januar wüteten die Kämpfe bei Bir Tunis den ganzen Tag. Die von den Osmanen ins Feld geführten Freischärler überraschten die Briten mit ihrer hohen Disziplin unter Feindbeschuss. Nuri selbst ritt mit einer Maschinengewehrabteilung auf Kamelen eine Attacke gegen die rechte britische Flanke, während Dschafar al-Askari einen Vorstoß auf die britische Kavallerie anführte. Sayyid Ahmad, der Anführer der SanūsīyaBruderschaft, zog sich mit dem Großteil seiner Leibwache auf eine sichere Position gut 35 Kilometer weiter südlich zurück. Die Sanūsīya-Kampflinie wurde dünner und dünner, da sie sich im Laufe eines einzigen Tages auf mehr als sieben Kilometer Länge ausdehnte, was es den britischen Kräften erlaubte, zum verlassenen Basislager der Araber vorzustoßen und dieses zu besetzen. Die Zelte mitsamt Ausrüstung wurden in Brand gesteckt, aber doch war Sayyid Ahmads Heer wieder einmal entkommen, ohne größere Verluste erlitten zu haben.11 General Maxwell verfügte über mehr als genug Truppen, um gegen die Bedrohung durch die Sanūsīya-Bruderschaft vorzugehen. Das türkischarabische Heer hingegen wurde schwächer und schwächer, je länger die Kämpfe sich hinzogen. „Unsere Kampfstärke war von den erlittenen Unbilden stark gemindert worden“, erinnerte sich Dschafar al-Askari später. „Die Kämpfer schlossen sich uns an oder verschwanden, je nachdem, wie viel Verpflegung und Munition wir gerade hatten. So etwas wie einen festen Kern der Truppe gab es nicht, und noch weniger eine Möglichkeit, diese Heiligen Krieger aufzuhalten, wenn sie nicht mehr bleiben wollten.“ Auch hier bestätigte sich die alte Erfahrung, dass arabische Stammeskrieger launische Soldaten abgeben. Nach ihrem Rückzug aus Bir Tunis trennten sich die Wege Sayyid Ahmads und seiner Sanūsīya-Bruderschaft von denen Nuris und Dschafars. Die Kämpfer der Bruderschaft zogen nach Süden, um dort die Oasen-
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städte der Westlichen Wüste zu erobern, von Siwa nahe der libyschen Grenze bis nach Farafra und Bahariya, wo sie sich in unmittelbarer, potenziell gefährlicher Nähe zum Niltal, aber doch außerhalb der Reichweite der britischen Truppen befanden. Dschafar und Nuri setzten in der Zwischenzeit ihre frühere Taktik fort, den Briten entlang der Mittelmeerküste so lästig wie nur möglich zu werden. Mit weniger als 1200 Soldaten, nur einem einzigen Schnellfeuergeschütz und gerade einmal drei Maschinengewehren stellte das osmanisch geführte Heer nun aber eine immer geringere Bedrohung für die erstarkende britische Armee dar. Die Briten verfolgten die abziehenden Araber bis nach Aqaqir, rund 25 Kilometer südlich des Küstendorfs Sidi Barrani gelegen. Hier sollte Dschafar al-Askari – der das natürlich noch nicht ahnte – am 26. Februar zu seinem letzten Gefecht gegen die Briten antreten. Während feindliche Kräfte die türkisch-arabischen Stellungen umstellten, trat Nuri Bey mit seinem regulären Armeebataillon den Rückzug an, um sich der Gefangennahme zu entziehen. Mit Dschafar war das nicht abgesprochen; er wurde von Nuri im Stich gelassen und sah mit seiner kleinen Abteilung ganz allein der britischen Übermacht entgegen. Im letzten Augenblick konnte noch ein Bote durchdringen, um dem ungläubigen Dschafar die Nachricht von Nuris Abzug zu überbringen; dann schloss sich der Ring der britischen Kräfte um sie. Das hitzige Gefecht, das nun entbrannte, wirkte wie eine Szene aus dem Krimkrieg gut 60 Jahre zuvor: Mit gezogenem, hoch in die Luft gereckten Säbel ritten die Kavallerieoffiziere dem Feind entgegen. Nachdem er durch einen Säbelhieb eine schwere Verwundung am rechten Arm erlitten hatte, musste Dschafar gezwungenermaßen zu Fuß weiterkämpfen, denn sein treues Ross, eine Stute, war unter ihm getötet worden. Binnen Kurzem ereilte den britischen Kommandeur, Oberst Hugh Souter, dasselbe Schicksal, als sein Pferd tödlich getroffen und er selbst vor Dschafars Füße geschleudert wurde. „Bevor ich auch nur eine einzige Bewegung machen konnte“, schrieb Dschafar später, „umringten mich die feindlichen Reiter von allen Seiten und ich brach wegen des großen Blutverlustes bewusstlos zusammen.“ Dschafar al-Askari wurde gefangen genommen und seinem hohen Rang entsprechend mit allen Ehren behandelt. Die Schlacht von Aqaqir markierte den Endpunkt der Bedrohung der britischen Kolonialherrschaft durch die türkische Kräften und die Sanūsīya-
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Bruderschaft in der Westlichen Wüste. Ohne auf weitere Gegenwehr zu stoßen, rückte die Western Frontier Force bis nach Sallum vor und nahm diesen Hafen erneut in Besitz, wodurch die vorherige Grenze zu Libyen wieder zurückgewonnen war. „Das Ergebnis in Ägypten war ganz ausgezeichnet“, notierten die offiziellen britischen Geschichtsschreiber, „und die Unruhe im Bezirk Alexandria [wo es zu Pro-Sanūsīya-Demonstrationen gekommen war] wurde stark gedämpft.“ Da ihr Ansehen und ihre Stellung in der nördlichen Küstenregion nun wiederhergestellt waren, konnten die Briten sich auf die Rückeroberung der westlich gelegenen Oasen konzentrieren. Zwischen März 1916 und Februar 1917 sollte es ihnen gelingen, Sayyid Ahmad und seine Anhänger Schritt für Schritt aus einer Oase nach der anderen zu vertreiben.12 In Kairo erholte sich Dschafar al-Askari in einem Lazarett, das dem Kriegsgefangenenlager von Maadi angegliedert war, von seinen Verwundungen. Der Sultan von Ägypten, Hussein Kamil, und der britische Oberkommandierende, Sir John Maxwell, empfingen ihn. Zu seiner großen Überraschung traf er zahlreiche Freunde und Kameraden wieder – auch sie arabische Offiziere der osmanischen Armee –, die im Verlauf der Feldzüge in Mesopotamien und auf dem Sinai in britische Gefangenschaft geraten waren. Viele von ihnen teilten seine politischen Vorstellungen und panarabischen Ideale, so etwa sein alter Freund und Kollege Nuri al-Said, den die Briten in Basra gefangen genommen hatten. Auf britischer Seite versprach man sich viel davon, die nationalistischen Aspirationen dieser Männer für die eigenen Kriegsziele auszunutzen. Da die Gefahr eines großflächigen Sanūsīya-Dschihad in Ägypten nun eingedämmt war, konnten die britischen Kriegsstrategen sich wieder voll und ganz darauf konzentrieren, Generalmajor Townshend und seine Truppen in Kut al-Amara zu retten.
* Im Verlauf der Belagerung kam es immer wieder vor, dass beide Parteien die Feindseligkeiten zumindest zeitweilig etwas abschwächten. Nach einem besonders heftigen Wolkenbruch kamen die völlig verfrorenen „Tommys“ einmal aus ihren vollgelaufenen Gräben gestiegen, um sich bei einem spontanen Fußballspiel wieder aufzuwärmen – als ob es die stän-
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dige Todesgefahr durch türkisches Gewehrfeuer überhaupt nicht gäbe. Reverend Spooner behauptete sogar: „Die türkischen Scharfschützen fanden das Spiel so spannend, dass sie das Feuer einstellten und unseren Jungs stattdessen lieber zusahen“, bis schließlich der Abpfiff ertönte. Eine andere von Spooners Anekdoten überliefert ein seltenes Beispiel dessen, was man vielleicht als „Schützengrabenhumor“ bezeichnen könnte. Ein türkischer Soldat, der gerade fleißig mit Ausschachtungsarbeiten beschäftigt war, winkte mit seiner Schaufel ab und an zu den britischen Linien hinüber, als wollte er sagen: „Hallo, ihr Briten!“ Nach einiger Zeit nahm einer der britischen Soldaten sein Gewehr und schoss kurzerhand durch das provokante Schaufelblatt. „Eine Zeitlang ruhten daraufhin die Erdarbeiten“, erzählt Spooner, „bevor schließlich langsam, beinahe schleppend, die Schaufel abermals über den Graben hervorlugte – versehen mit einer Bandage.“13 Solche „Aussetzer“ in den Kampfhandlungen waren jedoch die absolute Ausnahme – in der Regel verfolgten die Osmanen unermüdlich ihr Ziel, die Belagerung von Kut weiter zu verschärfen. Eines Morgens, es war Mitte Februar 1916, blickten britische Soldaten und Bewohner von Kut gebannt gen Himmel, wo ein tieffliegender Fokker-Eindecker über den Dächern der Stadt seine Kreise zog. „Alle waren vollkommen gefesselt, da es sich offenbar um ein sehr schnelles Flugzeug handelte“, erinnerte sich der Major Alex Anderson. „Die Maschine zog eine Schleife über dem südlichen Teil der Stadt und dann, als sie bereits wieder Richtung Nordwesten umgeschwenkt war, konnte man sehen, wie etwas zu Boden geworfen wurde, das einen Augenblick lang in der Sonne glänzte. Tatsächlich geschah dies vier Mal, sodass das Interesse am Boden immer weiter zunahm.“ Bis zu jenem Moment waren Flugzeuge ausschließlich für die Luftaufklärung eingesetzt worden. Nun wurden die Einwohner von Kut Zeugen des ersten Luftangriffs. Als die Sprengbomben am Boden auftrafen, waren die Soldaten zu perplex, um zu reagieren: Ein Geschütz wurde zerstört, einige Wachtposten in ihren Schützengräben verschüttet, ein Wohnhaus erhielt einen Volltreffer, aber wie durch ein Wunder wurde keiner der Bewohner getötet. Von diesem Tag an flogen Eindecker-Flugzeuge (die von den Briten den Spitznamen „Fritz“ erhielten, weil man davon ausging, dass die Piloten Deutsche waren) regelmäßige Angriffe auf Kut, wobei sie Sprengbomben
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von bis zu 100 Pfund Gewicht abwarfen. Eine der Bomben, die „Fritz“ auf Kut abwarf, traf das britische Lazarett in der Markthalle; 18 Tote und 30 Verwundete waren die Folge. Die Luftangriffe trugen zur Verschärfung der Belagerungssituation erheblich bei.14 Nach wochenlangem unermüdlichen Kugel- und Granatenhagel breitete sich am 18. Februar schließlich eine geradezu unnatürliche Stille über Kut aus. Die Briten waren zunächst verwirrt und fürchteten dann, das Schweigen der Waffen könnte nur das Vorspiel zu einem erneuten Sturmangriff darstellen. Erst am Tag darauf begriffen sie, dass die Gefechtspause auf den Schock zurückzuführen war, den die Nachricht vom Fall Erzurums auf osmanischer Seite ausgelöst hatte.
* Der russische Oberkommandierende im Kaukasus, General Nikolai Nikolajewitsch Judenitsch hatte die unvermeidlichen Truppenverschiebungen bereits vorausgesehen, die nach dem alliierten Rückzug von Gallipoli beginnen sollten. Er prophezeite, Enver Pascha werde diese Gelegenheit nutzen, um die osmanische 3. Armee wiederaufzubauen. Noch lag jede der elf Divisionen, die zur Verteidigung der osmanischen Kaukasusgrenze abgestellt waren, unter Sollstärke – und musste Hunderte von Kilometern im unwegsamen Berggelände sichern. Judenitsch beschloss also anzugreifen, solange die Osmanen noch geschwächt waren, und die 3. Armee zu zerschlagen, bevor Enver die Chance bekam, sie zu verstärken. General Judenitsch begann die Planung seines Feldzugs unter striktester Geheimhaltung. Er teilte seinen Offizieren jeweils nur so viele Details mit, wie diese zur Ausführung ihrer Aufgaben benötigten; die einfachen Soldaten wurden gänzlich im Unklaren gelassen. Um die Aufmerksamkeit sowohl der osmanischen als auch seiner eigenen Soldaten abzulenken, versprach er für die russisch-orthodoxen Weihnachts- und Neujahrstage vom 7. bis zum 14. Januar 1916 große Feierlichkeiten. Auch ließ er zur weiteren Verwirrung der osmanischen Militäraufklärung das Gerücht verbreiten, die Russen planten eine Invasion Persiens. Diese Desinformationskampagne zeigte die beabsichtigte Wirkung, und die Osmanen richteten sich für den Winter ein, weil sie fest davon ausgingen, die Russen würden nicht vor dem Frühjahr angreifen – und bis dahin sollten die osmanischen
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Truppen ja auf ihre volle Kampfstärke gebracht worden sein. Zweifellos glaubten die türkischen Befehlshaber, auf russischer Seite teile man ihre Abneigung gegen den Winterkrieg im Kaukasus, eine Abneigung, die sich nach der Erfahrung von Sarıkamış im Dezember 1914 noch verstärkt hatte.15 Die Russen hatten aus Envers schlecht geplantem Angriff auf Sarıkamış fraglos ihre Lehren gezogen. So orderte Judenitsch im Zuge seiner Vorbereitungen zum Angriff warme Winteruniformen für seine Infanterie. Alle Soldaten erhielten Pelzmäntel, gefütterte Hosen, Filzstiefel, warme Hemden, dicke Handschuhe und Mützen. Sogar Feuerholz bestellte der General, damit jeder einzelne Soldat zwei handliche Scheite bei sich tragen konnte, die ihm zum Schutz vor der extremen Kälte dienen sollten, durch die so viele osmanische Soldaten im kargen Kaukasusgebirge umgekommen waren. Vor allem aber hatte Judenitsch bemerkt, wie leicht man einen nichtsahnenden Gegner im tiefsten Winter überraschen konnte. Enver hatte die Russen bei Sarıkamış vollkommen überrumpelt, und aus der Panik, die hierauf folgte, wäre beinahe eine russische Kapitulation geworden. Judenitsch hoffte nun, durch sorgfältige Vorbereitung und totale Geheimhaltung zum Erfolg zu gelangen, wo die Osmanen gescheitert waren. Als die Russen am 10. Januar 1916 ihre Offensive begannen, kam der Krieg zum dritten Mal nach Köprüköy. In den Anfangstagen der Kampfhandlungen, im November 1914, hatten die Osmanen hier zaristische Truppen zurückgedrängt; im Januar 1915 hatte sich die geschlagene 3. Armee hier wieder gesammelt, nachdem sie bei Sarıkamış gescheitert war. Köprüköy, die strategisch wichtige Stadt am Fluss Aras, bewachte den östlichen Zugang nach Erzurum. Wegen der starken Konzentration osmanischer Truppen in der Gegend von Köprüköy eröffnete Judenitsch seinen Feldzug am 10. Januar mit einem Ablenkungsangriff nördlich der Stadt, dem am 12. Januar ein weiterer Ablenkungsangriff entlang des Aras folgte. Die Osmanen wehrten sich entschlossen und warfen fünf ihrer neun im Raum Köprüköy liegenden Divisionen in den Abwehrkampf gegen die Russen. So waren in Köprüköy selbst nur noch vier Divisionen vor Ort, als der russische General am 14. Januar den Befehl zum Hauptangriff auf die Stadt gab. Wiederum wehrten sich die Türken nach Kräften, aber als sich eine völlige Umzingelung durch die angreifenden Russen abzeichnete, zog
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sich die osmanische Garnison von Köprüköy in der Nacht von 16. Januar aus der Stadt zurück. Am nächsten Tag marschierten die Russen in Köprüköy ein. Die Niederlage von Köprüköy forderte von der osmanischen 3. Armee einen hohen Tribut. Von ursprünglich 65 000 Soldaten an der Kaukasusfront kamen nach dem Rückzug nur mehr 40 000 Mann in Erzurum an – und bezogen hier Stellungen, von denen man auf osmanischer Seite glaubte, sie seien uneinnehmbar. Zwei Befestigungsringe – mit alles in allem gut 15 modernsten Bastionen und Batterien – umgaben die Stadt und schützten sie gegen einen Angriff aus Richtung Osten. Außerdem hatte Enver bis Mitte Januar sieben Divisionen von den Dardanellen hierher beordert, um die 3. Armee zu verstärken. Die ersten dieser Verstärkungstruppen wurden in Erzurum für Anfang März erwartet. Damit, waren die osmanischen Planer zuversichtlich, würden sie die russische Kaukasusarmee im Frühjahr zurückschlagen können. Die Russen allerdings waren entschlossen, Erzurum einzunehmen, bevor die osmanische 3. Armee ihre Verstärkungen erhielt.16 Anstatt sich nun Hals über Kopf auf die starken osmanischen Stellungen zu stürzen, bereitete Judenitsch den Angriff auf Erzurum minutiös vor. Zuerst befahl er, die Straße von Köprüköy verbreitern zu lassen, damit die Artillerie auf motorisierten Fahrzeugen an die Front gebracht werden konnte. Die Schienen der russischen Eisenbahn wurden von Sarıkamış bis an die Vorkriegsgrenze zur Türkei, nach Karaurgan, ausgebaut. Die sibirische Fliegertruppe wurde mit 20 Maschinen an die Kaukasusfront verlegt, um dort erstmals Luftaufklärung durchzuführen. Während diese vorbereitenden Maßnahmen bereits anliefen, verpassten Judenitsch und seine Stabsoffiziere ihren Angriffsplänen den letzten Schliff. Die osmanischen Befestigungsanlagen um Erzurum waren angelegt worden, um die Stadt gegen einen Angriff aus Richtung Köprüköy zu verteidigen. Schwere Verluste, wie sie bei einem forcierten Frontalangriff zu erwarten gewesen wären, wollten Judenitsch und sein Stab vermeiden, und so richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf das bergige Gebiet nördlich von Erzurum, in dem die Osmanen, ganz im Vertrauen auf das unwegsame Gelände, nur wenige Befestigungen errichtet hatten. Bereits die Einnahme von vier befestigten Stellungen im Nordosten der Stadt konnte den Zugang nach Erzurum von Norden her sichern.
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Ihren Angriff am 11. Februar eröffneten die Russen mit einem Sperrfeuer ihrer Artillerie, dann folgten nächtliche Sturmangriffe auf zwei der nördlichsten osmanischen Abwehrstellungen um Erzurum. Ein armenischer Offizier, Oberst Pirumian, befehligte den Angriff auf das Fort Dalangöz, das erst nach stundenlangem, blutigem Nahkampf eingenommen werden konnte. Am darauffolgenden Tag setzten die Russen ihren Angriff fort und erstürmten entlang der äußeren Verteidigungslinie von Erzurum der Reihe nach ein osmanisches Fort nach dem anderen. Schon begannen die ersten Verteidiger, ihre Stellungen aufzugeben und sich in die Stadt zurückzuziehen. Am 15. Februar meldete die russische Luftaufklärung massive Truppenbewegungen innerhalb von Erzurum sowie die Abfahrt von Frachtzügen in Richtung Westen. Jetzt war klar, dass der Verteidigungsring um Erzurum nach dem Schock des russischen Ansturms gänzlich zusammengebrochen war und die Osmanen auf ganzer Linie den Rückzug angetreten hatten. Am Morgen des 16. Februar galoppierte ein Kosakenregiment nach Erzurum hinein. Nach einem 18 Monate andauernden, weitgehend stagnierenden Grabenkrieg und schrecklichen Verlusten an der West- wie auch an der Ostfront begeisterte dieser Moment die Russen und ihre Verbündeten. Endlich gab es einen ruhmreichen Augenblick des Triumphes, in dem kühne, siegreiche Reiter den Feind in die Flucht schlugen. Die russischen Truppen strömten in die einst stolze Festung Erzurum, wo sie immerhin noch 5000 osmanische Gefangene machten. Nimmt man die osmanischen Verluste von 10 000 Mann sowie vielleicht 10 000 Deserteure hinzu, so war die osmanische 3. Armee auf eine effektive Stärke von gerade einmal 25 000 Mann zusammengeschmolzen. Für Judenitsch war es ein voller Erfolg: Er hatte die 3. Armee zerschlagen und die russische Eroberung weit in türkisches Gebiet ausgedehnt, bevor die osmanischen Verstärkungen für die Kaukasusfront auch nur aufgebrochen waren. Die russische Kaukasusarmee nutzte das Chaos in der osmanischen Truppe aus, um ihren Gebietsgewinn noch zu vergrößern, und nahm zwischen dem 16. Februar und dem 3. März auch Muş und Bitlis in der Nähe des Vansees ein. Am 8. März eroberten die Russen den Schwarzmeerhafen Rize; am 18. April fiel auch Trabzon, das alte Trapezunt. Als die türkischen Verstärkungen dann endlich im Osten Anatoliens eintrafen, fanden sie ihre geschlagenen Kameraden in völliger Auflösung vor.
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Kein Wunder also, dass die osmanischen Truppen in Mesopotamien unter Schock die Waffen schweigen ließen, einen ganzen Tag lang, als die Nachricht vom Fall Erzurums bei ihnen eintraf. Vom größten Gebietsverlust des ganzen bisherigen Krieges ernüchtert, verdoppelten sie dann jedoch ihre Anstrengungen zur Eroberung von Kut. Jedes Mal, wenn die Türken dem anrückenden britischen Entsatzheer einen Rückschlag zufügten, stellten sie hinterher große Schilder auf, die in französischer Sprache beschriftet waren: „Kut ist besiegt. Höchste Zeit, nach Hause zu gehen!“ Die Briten aber wollten sich nicht geschlagen geben und stellten ihrerseits Plakate auf: „War Erzurum das wert? Passt bloß auf!“17
* Im Verlauf des Monats Februar traf die Verstärkung der Mesopotamian Expeditionary Force (MEF) aus Frankreich ein und ging in Basra an Land. Die Einheiten kamen nach und nach an; oft waren sie in der Eile des Transports von ihrer Artillerie oder ihren Pferden getrennt worden. Durch das Durcheinander auf den Docks war Basra zu einem Flaschenhals geworden, in dem einzelne Einheiten bisweilen wochenlang feststeckten, um ihre Kanonen und Pferde zusammenzustellen, bevor sie in Richtung Front aufbrechen konnten. Der Mangel an brauchbaren Transportmöglichkeiten auf dem Fluss hatte zur Folge, dass ein Großteil der Truppe die gut 300 Kilometer von Basra nach Kut zu Fuß zurücklegen musste. General Aylmer, der Befehlshaber des britischen Entsatzheers für Mesopotamien, erhielt also die versprochenen zwei Divisionen zur Auffüllung seiner ausgedünnten Reihen – aber er erhielt sie viel zu langsam und unregelmäßig, als dass er auf diese Weise eine zahlenmäßige Überlegenheit über die Türken hätte erreichen können. Aylmer stand vor einer schwierigen Entscheidung. Idealerweise hätte er abgewartet, bis alle seine Verstärkungen eingetroffen waren, um erst dann die Türken anzugreifen. Jetzt allerdings wurde die osmanische 6. Armee mit jeder Woche, die verstrich, durch frisch eintreffende Truppen verstärkt, während Generalmajor Townshend und seine Männer in Kut wegen des Mangels an Lebensmitteln und Medizin immer schwächer und kränker wurden. Aylers Dilemma bestand nun darin, dass er den optimalen Zeitpunkt abpassen musste, um zuzuschlagen, und das auf der Grundlage
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lückenhafter Informationen zur relativen Stärke des Gegners. Schließlich beschloss er Anfang März 1916, die Offensive fortzuführen, als die Belagerung von Kut gerade in ihren dritten Monat eintrat. Doch anstatt einfach da weiterzumachen, wo er – am Tigris – aufgehört hatte, entschied sich Aylmer für einen kühnen Überraschungsangriff über Land in Richtung des südlich von Kut gelegenen Kanals Schatt al-Hajj. Sein Angriffsziel waren die strategisch günstig gelegenen Höhenstellungen der osmanischen Armee bei Dudschaila, die letzte größere Bastion des Feindes auf dem Weg nach Kut. Um seinen wertvollen Überraschungsvorteil nicht zu verspielen, wollte Aylmer mit seinen Männern über Nacht anmarschieren, um Dudschaila dann im Morgengrauen angreifen zu können. Nach der Einnahme dieses strategisch wichtigen Ortes hoffte er, Townshends Truppen einen sicheren Abzug zu sichern: vom südlichen Umland von Kut über den Tigris und damit in den Schutz des Entsatzheers. Hätten Aylmers Soldaten sich an diesen Plan gehalten, hätten sie durchaus Erfolg haben können, denn in der Nacht des 7. März, als das Tigris-Korps sich auf seinen Weg in die Schlacht machte, waren die türkischen Stellungen von Dudschaila nur äußerst spärlich besetzt. Allerdings kamen die orientierungslosen Briten, deren Nachtmarsch sie im Dunkeln über unwegsames und ihnen unbekanntes Gelände führte, auf ihrem Weg zu langsam voran. Bei Sonnenaufgang am 8. März befanden sich die Angreifer noch immer gut dreieinhalb Kilometer von der Redoute Dudschaila entfernt. Die britischen Kommandeure gingen davon aus, dass die Türken ihre anrückenden Kolonnen in der Weite der Ebene und im frühen Morgenlicht bereits entdeckt haben mussten. Da er deshalb glaubte, den Überraschungsvorteil bereits verloren zu haben, fürchtete Aylmer, dass er seine Männer durch weiteres Vorrücken einem heftigen Kugelhagel aus den türkischen Stellungen aussetzen würde. Der britische General ahnte nicht, dass die feindlichen Schützengräben leer und die osmanischen Truppen überhaupt nicht bereit waren, einem Angriff etwas entgegenzusetzen. Allerdings wusste Aylmer aus bitterer Erfahrung, wie schwer die Verluste sein konnten, wenn man gut befestigte osmanische Stellungen über flaches Gelände im Sturm angreifen ließ. Er wies seine Offiziere deshalb an, ihre Leute warten zu lassen und zunächst die osmanischen Stellungen
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mit heftigem Artilleriebeschuss zu belegen, um sie auszuschalten, bevor die eigenen Soldaten den Befehl zum Sturmangriff erhielten. Um 7 Uhr früh eröffneten die britischen Kanoniere das Feuer und erhielten den Beschuss drei Stunden lang aufrecht. Dieses Vorgehen bewirkte jedoch nicht den Feuerschutz für seine Soldaten, den Aylmer beabsichtigt hatte, sondern alarmierte, ganz im Gegenteil, die feindlichen Kommandeure, die nun wussten, dass ein britischer Angriff unmittelbar bevorstand. Als Reaktion verlegten sie sämtliche verfügbaren Kräfte nach Dudschaila. Als die britische Infanterie dann endlich zum Sturmangriff antrat, waren die vormals leeren Schützengräben von Dudschaila dicht besetzt. Ali Ihsan Bey befehligte die osmanischen Truppen im Raum südlich von Kut. Er war im Februar 1915 aus dem Kaukasus hierhergekommen und hatte den ganzen ersten Monat in Mesopotamien damit verbracht, seine Männer für den Kampf in dieser unwirtlichen neuen Umgebung auszubilden. Als er am Abend des 7. März zu Bett gegangen war, hatten noch keinerlei Berichte über irgendwelche ungewöhnlichen Feindbewegungen vorgelegen. Erst am nächsten Morgen wurde er von der britischen Offensive in Kenntnis gesetzt, als einer seiner Bataillonskommandeure ihm von dem plötzlichen Losbrechen des britischen Sperrfeuers berichtete. Sobald er den Ernst der Lage erkannt hatte, beriet sich Ali Ihsan mit den kommandierenden Offizieren seiner Gebirgsartillerie- und Maschinengewehrkompanien. Auf einer Karte zeigte er ihnen die Stellungen der britischen Truppen. „Ich befahl ihnen, die feindliche Artillerie ihrerseits zu beschießen und auf alle feindlichen Soldaten zu feuern, sobald diese sich [in Richtung der türkischen Linien] in Bewegung setzten.“ Dann gab er dem Kommandeur der osmanischen 35. Division seine Befehle, einem Verband, der sich ausschließlich aus irakischen Wehrpflichtigen zusammensetzte, deren „Disziplin, Moral und Ausbildung“ Ali Ihsan zweifelhaft erschienen. Sie erhielten die Order, bis zum letzten Mann die Hügel nördlich von Dudschaila zu verteidigen. „Ich sagte ihnen, dass ich jeglichen Fluchtversuch mit Erschießen ahnden würde, und da mir mein Ruf von der Kaukasusfront vorangeeilt war, glaubte mir jedermann.“ Seine zuverlässigen anatolischen Truppen positionierte Ali Ihsan genau in der Mitte der Befestigungsanlage, weil er keinen Zweifel daran hatte, dass diese die Stellung halten würden.18
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Ali Ihsan Bey schickte jede ihm verfügbare Einheit in die Befestigungen von Dudschaila, während die britische Artillerie ihr Sperrfeuer aufrechterhielt. „Der Feind ließ seine Infanterie nicht vorrücken, während seine Artillerie noch auf uns feuerte“, vermerkte der osmanische Befehlshaber. „Wir profitierten von diesem Fehler, und all unsere Truppen konnten [innerhalb der Befestigungen] ankommen“, bevor die britische Infanterie ihren Sturmangriff begann. Nach eigener Aussage war der Kommandeur den britischen Generalen überaus dankbar, dass sie ihm drei Stunden Zeit verschafft hatten, um seine Leute auf ihre Positionen zu bringen. Abidin Ege, ein Veteran von Gallipoli, dessen Einheit nun nach Mesopotamien verlegt worden war, stand auf osmanischer Seite an vorderster Front, als die britische Infanterie ihren Angriff begann. Er sah zu, wie Tausende von englischen und indischen Soldaten über die Ebene vorrückten, und fragte sich, wie er so viele Angreifer mit nur einem Bataillon aufhalten sollte. „Die Entfernung zwischen uns und dem Feind betrug nur etwa 800 Meter. Beide Seiten eröffneten das Feuer und die Schlacht begann. Der Feind bemühte sich nach Kräften, uns zu erreichen, aber die britischen Kräfte schmolzen unter der Hitze unseres Feuers zusammen.“ Aber auch die türkischen Verlustzahlen stiegen an – um ihn herum fielen die „Märtyrer“, wie Ege festhielt. Dennoch gelang es den Türken standzuhalten, bis am Nachmittag Verstärkung eintraf. Gegen Abend mussten die Briten ihren Angriff schließlich erschöpft abbrechen und zogen sich zurück. „Wir errangen einen vollständigen Sieg über den Feind“, prahlte Ege, „doch haben wir dabei unser halbes Bataillon verloren.“19 Der gescheiterte britische Sturmangriff auf Dudschaila, in der Türkei bekannt als die Schlacht am Hügel Sabis, stellte einen entscheidenden Sieg für die Osmanen dar. Die britischen Verluste lagen beinahe dreimal höher als die osmanischen. Das schiere Ausmaß dieses Triumphs sollte dem türkischen Kampfgeist gehörigen Auftrieb geben – und ließ die Briten daran zweifeln, ob sie Townshend und seine immer schwächer werdende Garnison in Kut jemals würden retten können. Nirgendwo machten sich diese Zweifel stärker, ja verzweifelter bemerkbar als in Kut selbst. „Nachdem wir unsere schwere Artillerie 3 Tage und 3 Nächte lang beinahe ohne Unterlass hatten feuern hören“, vertraute der Feldkaplan Spooner seinem Tagebuch an, „gehört hatten, wie sie näher und näher rückte – hier war alles zum Aufbruch bereit – die Brücke bereit für den Ausfall etc. – war es regelrecht
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grausam zu erfahren, dass der Entsatztrupp abermals gescheitert war“.20 Der osmanische Befehlshaber Halil Bey versuchte, aus dem Stimmungseinbruch der Verteidiger von Kut noch weiteren Gewinn zu schlagen. Am 10. März sandte er einen Boten zu Generalmajor Townshend und lud diesen ein, sich zu ergeben. „Sie haben Ihre militärische Pflicht auf heldenhafte Weise erfüllt“, schrieb Halil auf Französisch. „Von nun an ist es nicht mehr wahrscheinlich, dass sie tatsächlich Entsatz erhalten werden. Nach allem, was mir Ihre Deserteure berichten, haben Sie keine Verpflegung mehr und viele Ihrer Leute leiden an Krankheiten. Es steht Ihnen frei, Ihre Gegenwehr in Kut aufrechtzuerhalten oder sich meinen Truppen zu ergeben, die beständig größer und stärker werden.“ Townshend schlug Halils Angebot aus – aber zu denken gab es ihm dennoch. In seinem nächsten Bericht nach London bat der britische Kommandant von Kut um Erlaubnis, Verhandlungen mit den Türken aufzunehmen, sollte eine Rettung aus seiner misslichen Lage nicht bis zum 17. April in Aussicht gestellt werden können, denn dann wären die Lebensmittelvorräte der Belagerten fast gänzlich aufgezehrt.21
* Die gedrückte Stimmung sprang von Mesopotamien bis nach Whitehall über. Gerade einmal drei Monate nach dem schmachvollen Rückzug von Gallipoli stand den Briten nun im Irak eine weitere katastrophale Niederlage bevor. Die Besorgnis des Londoner Kriegskomitees (wie das vormalige Dardanellenkomitee inzwischen hieß) gingen weit über das Wohlergehen Townshends und seiner Soldaten hinaus und betraf ganz generell die Stellung Großbritanniens in der muslimischen Welt. Die britische Regierung befürchtete, dass weitere osmanische Siege zu panislamischen Aufständen in Indien und im arabischen Raum führen könnten. Um einer solchen Katastrophe zuvorzukommen, war das britische Kriegskabinett gewillt, selbst die verwegensten, realitätsfernsten Pläne in Betracht zu ziehen. Lord Kitchener schlug zwei Maßnahmen vor – eine utopischer als die andere –, um den freien Abzug Generalmajor Townshends und seiner Truppen zu erreichen. Vielleicht hatte sich Kitchener von den Volksaufständen gegen die osmanische Herrschaft inspirieren lassen, die das mittlere Euphratgebiet erschüttert hatten (in Nadschaf und Kerbela, den heili-
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gen Städten der Schiiten, und ihrem Umland); jedenfalls schlug er nun vor, man solle Provokateure entsenden, um Massenaufstände gegen die Osmanen anzustiften und so hinter den türkischen Linien für Unruhe zu sorgen. Wenn diese Bewegungen dann groß genug geworden seien, würde Halil Bey vielleicht gezwungen, Truppen von Kut abzuziehen, um eine Revolte im Inneren der osmanischen Armee zu unterdrücken – und dadurch würden seine Verteidigungslinien dann hinreichend geschwächt, um dem britischen Entsatzheer einen Durchbruch zu ermöglichen. Kitcheners zweiter Plan war sogar noch unausgegorener. Weil er überzeugt davon war, dass jedem türkischen Amtsträger ein hohes Maß an Bestechlichkeit gewissermaßen angeboren sei, schlug er vor, man solle doch einfach einem ranghohen osmanischen Kommandeur ein üppiges Bestechungsgeld zukommen lassen, damit dieser wegschaute, während Townshend mitsamt seiner ganzen Truppe unbehelligt aus Kut abzog. Kitchener forderte die Beamten im Kairoer Büro des britischen Militärnachrichtendienstes auf, ihm ihren besten Mann für diese Mission zur Verfügung zu stellen – sowohl für das Anzetteln eines Volksaufstandes als auch zur Bestechung eines hohen osmanischen Befehlshabers. Da niemand aus der dortigen Führungsebene seine Reputation mit einem derart schlecht durchdachten Auftrag aufs Spiel setzen wollte, erging er schließlich an einen rangniederen Nachrichtenoffizier, einen Hauptmann namens T. E. Lawrence. Lawrence sprach Arabisch, unterhielt weitreichende Kontakte zu den arabischen Offizieren der osmanischen Armee, die sich in Ägypten in britischer Kriegsgefangenschaft befanden – darunter auch Dschafar al-Askari und Nuri al-Said –, und er verfügte über das nötige Quantum an Selbstbewusstsein, dessen es bedurfte, um sich bei einer derart aussichtslosen Mission noch Chancen auf Erfolg auszumalen.22 Am 22. März ging Lawrence in Ägypten an Bord eines Schiffes, das er am 5. April in Basra wieder verließ. Gerade war das britische Entsatzheer, das mit General George Gorringe einen neuen Befehlshaber bekommen hatte, im Begriff, einen erneuten Anlauf zum Durchbrechen der osmanischen Linien zu unternehmen; auch dieser Versuch sollte, wie alle vorherigen, fehlschlagen. Lawrence wusste, dass ihm zum Anzetteln eines allgemeinen Araberaufstands kaum Zeit blieb, sollte dieser Aufstand auch nur die geringste Auswirkung auf die kritische Situation in Kut haben. Nach mehreren Lagebesprechungen mit den Vertretern des britischen
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Militärnachrichtendienstes im Irak, darunter Sir Percy Cox und Gertrude Bell, vereinbarte Lawrence persönliche Treffen mit einflussreichen Vertretern der arabischen Bewegung in Basra. Seine erste Verabredung war mit einem Mann namens Sulayman Faydi. Sulayman Faydi, ein Vordenker der arabischen Bewegung und ehemaliger Abgeordneter aus Basra im osmanischen Parlament, hatte eng mit dem führenden politischen Würdenträger von Basra, Al-Sayyid Talib alNaqib, zusammengearbeitet und diesem auf seiner verhängnisvollen Mission im Oktober und November 1914 nach Buraida im nördlichen Zentralarabien zur Seite gestanden, um Ibn Saud für die Unterstützung der osmanischen Kriegsbemühungen zu gewinnen. Nachdem er Sayyid Talib nach Kuwait begleitet hatte, wo dieser sich den Briten stellte und ins Exil nach Indien gehen musste, war Faydi an seinen Wohnort in das britisch besetzte Basra zurückgekehrt. Abgeschnitten sowohl von der osmanischen Welt als auch von seinen früheren Freunden und Mitstreitern in der arabischen Bewegung, hatte Faydi ein kleines Gewerbe eröffnet und der großen Politik den Rücken gekehrt.23 Schon bevor er Ägypten in Richtung Irak verlassen hatte, war Lawrence in Kairo mit Nuri al-Said und anderen osmanischen Kriegsgefangenen zusammengetroffen, die, wie man wusste, der arabischen Bewegung nahestanden. Als Lawrence bei diesen Gelegenheiten Mitglieder der Geheimgesellschaft Al-Ahd gebeten hatte, ihm mögliche Ansprechpartner im Irak zu empfehlen, sprachen alle in den höchsten Tönen von Faydi. Lawrence notierte sich alles gewissenhaft. Als die beiden Männer nun in Basra zusammentrafen, war er bestens vorbereitet. Lawrence vereinbarte ein Treffen mit Faydi in den Räumlichkeiten des britischen Militärnachrichtendienstes in Basra. Der Iraker war gleichermaßen beeindruckt von dem guten Aussehen des britischen Offiziers und von dessen flüssigem Arabisch (das einen starken Kairoer Akzent hatte). Dennoch wurde Faydi mit jedem Wort, das Lawrence sprach, unbehaglicher. Dieser englische Offizier wusste entschieden zu viel über den irakisch-arabischen Nationalisten Faydi, als dass dieser dabei hätte gelassen bleiben können.24 „Bitte entschuldigen Sie die Frage“, wagte es Faydi schließlich einzuhaken, „aber sind wir uns schon einmal begegnet? Falls ja, so kann ich mich leider nicht mehr an die Gelegenheit erinnern.“
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„Nein“, antwortete Lawrence, „wir sind uns noch nicht begegnet; aber ich weiß alles über Sie und Ihre Aktivitäten.“ „Woher kennen Sie mich dann und von welchen Aktivitäten sprechen Sie?“, versetzte der völlig perplexe Faydi daraufhin. Erst als Lawrence ihm seine Kontaktleute unter den osmanischen Kriegsgefangenen in Kairo nannte, die wie Faydi für die arabische Sache gestritten hatten, verstand dieser, warum der Engländer derart viel über seine Vergangenheit wusste. Schließlich kam Lawrence auf den Punkt. Die Araber, führte er aus, wollten ihre Unabhängigkeit von der türkischen Herrschaft. Die Briten, die mit dem Osmanischen Reich im Krieg lagen, wollten den Arabern dabei helfen, diese Unabhängigkeit zu erlangen – um damit zugleich ihre eigenen Kriegsziele gegen die Osmanen zu verfolgen. Die britische Regierung sei bereit, Waffen und Gold zur Verfügung zu stellen, damit ein Volksaufstand gegen die osmanische Herrschaft im Irak zustande käme. „Und weil ich von Ihren Fähigkeiten derart überzeugt bin“, schloss Lawrence, „möchte ich, dass Sie diesen Aufstand organisieren.“ Faydi war vollkommen entgeistert. „Sie irren sich sehr, Sir, wenn sie mir diese gewaltige Aufgabe übertragen wollen. Ich verfüge hier in Basra über keinerlei Einfluss, kein mächtiger Stamm steht hinter mir. Niemand würde sich einem Mann wie mir anschließen.“ Der exilierte Sayyid Talib, erklärte Faydi, sei für ein solches Vorhaben wesentlich besser geeignet. Diesen Vorschlag jedoch wies Lawrence – der genau wusste, dass die britische Regierung einer Freilassung Sayyid Talibs, in ihren Augen ein gefährlicher Nationalist, niemals zustimmen würde – kategorisch zurück. Außerdem hatte Lawrence nur eine sehr kurze Liste von potenziellen Anführern eines arabischen Aufstandes im Irak. Er wollte unbedingt Faydi für seine Sache gewinnen. Auch nach einer langen und offenen Unterredung war Faydi noch immer nicht von Lawrence’ Vorschlag überzeugt. Das einzige Zugeständnis, das der britische Offizier erreichen konnte, war Faydis Zusage, sich mit dreien von Lawrence’ panarabischen Kontaktmännern zu treffen, ehemaligen osmanischen Offizieren, die sich in Basra in britischer Kriegsgefangenschaft befanden. Deren Meinung wollte Faydi auch noch hören, bevor er dann seine endgültige Entscheidung traf. Einer dieser Kriegsgefangenen war Ali Dschaudat, den die Briten im Juli 1915 am Euphrat gefangen genommen hatten.
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Die irakisch-arabischen Nationalisten verbrachten vier Stunden zusammen und debattierten währenddessen über Lawrence’ außerordentliches Ansinnen, mit britischer Unterstützung einen arabischen Stammesaufstand gegen die osmanische Herrschaft zu beginnen. Sie hatten keinen Grund, den Briten zu trauen; schließlich warf deren koloniale Präsenz in Ägypten und Indien ein fragwürdiges Licht auf Lawrence’ Beteuerung, Großbritannien verfolge im Irak eine gänzlich uneigennützige Politik. Noch weniger konnten sie allerdings den anderen Arabern trauen, insbesondere den beduinischen Stammeskriegern. Dschaudats eigene Erfahrungen mit der Heimtücke der Beduinen während des Euphratfeldzugs dürften dafür gesorgt haben, dass er jeglichem Vorhaben skeptisch gegenüberstand, an dem auch arabische Stammeskrieger beteiligt waren. Am Ende ihres Gesprächs drängten die drei Offiziere Faydi deshalb, Lawrence’ Vorschlag klar und deutlich abzulehnen. Faydi kehrte also zu dem britischen Nachrichtenoffizier zurück, um ihm eine endgültige Absage zu erteilen. Dennoch gingen die beiden Männer in freundschaftlichem Einvernehmen auseinander. In seinem anschließend verfassten Bericht beschreibt Lawrence seinen Gesprächspartner „Suleiman Feizi“ als „zu nervös, als dass er irgendwelche Aussichten böte“, den geplanten Aufstand anzuführen. Und obwohl Lawrence dies schriftlich nicht so äußerte, machte Faydis Absage den ersten von Lord Kitcheners fantastischen Vorschlägen – die Anstiftung eines arabischen Aufstandes hinter den osmanischen Linien, um den Belagerungsdruck auf Kut zu mindern – zunichte. Am nächsten Tag brach Lawrence auf einem Flussdampfer in Richtung Front auf – und überlegte schon einmal, wie er wohl am besten einen osmanischen Kommandeur bestechen könnte.25
* Am 5. April 1916 griff das britische Entsatzheer, das seit Aylmers Scheitern bei Dudschaila von General George Gorringe befehligt wurde, erneut die osmanischen Stellungen vor Kut an. Es gelang Gorringes Männern, die Türken von dem engen Hohlweg bei Hanna zurückzudrängen, wo Aylmers Truppen im Januar nicht mehr weitergekommen waren – dann wurden sie ihrerseits aufgehalten, gerade einmal zwölf Kilometer flussaufwärts bei Sannaiyat. Hier erlitten die Briten schwere Verluste und waren ge-
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zwungen, noch einmal acht Tage abzuwarten, bis sie ihren Vorstoß fortsetzen konnten; ein Erfolg erschien jedoch immer unwahrscheinlicher. In Kut wurde die Lage immer verzweifelter. Inzwischen zeigten die belagerten Soldaten deutliche Zeichen von Unterernährung. Im Verlauf der Wochen war ihre tägliche Brotration auf nur mehr sechs Unzen, umgerechnet 170 Gramm, gekürzt worden; dazu kam noch ein Pfund Pferdefleisch pro Tag, das jedoch nur die britischen Soldaten annahmen. „So schlecht und ausgemergelt unsere britischen Soldaten auch aussehen“, hielt Reverend Spooner am 9. April fest, „die indischen Truppen sehen noch wesentlich schlimmer aus.“ Nach dem Rückschlag des Entsatzheers bei Sannaiyat kürzte Townshend die Rationen noch einmal auf fünf Unzen (140 Gramm) Brot und Fleisch. Bis zum 12. April begannen dann auch die Hindus und Muslime der britischen Truppe – mit der ausdrücklichen Erlaubnis religiöser Autoritäten aus ihrem Heimatland –, Pferdefleisch zu essen. Wie Townshend der Führungsspitze des Entsatzheers mitteilte, würden seine Lebensmittelvorräte bis zum 23. April aufgebraucht sein. Zwar verfüge er noch über genug Pferde, um darüber hinaus bis zum 29. April Fleisch ausgeben zu können; danach jedoch werde es innerhalb der Stadtmauern von Kut überhaupt nichts mehr zu essen geben. Um Zeit für weitere militärische Operationen zu gewinnen, verfielen die Briten auf kreative Lösungen, um Vorräte nach Kut zu befördern. Die Garnison war bereits Zeuge eines Luftangriffs geworden; nun sollten die Verteidiger von Kut die ersten sein, für die Lebensmittel aus der Luft abgeworfen wurden. Allerdings war dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt: durch das ungünstige Wetter, die engen Zuladungsgrenzen der frühen Flugzeuge und die ungenügende Zielgenauigkeit der Piloten. „Den ganzen Tag Aeroplane, die Nachschub abwerfen“, notierte Spooner am 16. April, „auch Wasseraeroplane, aber diese sind ‚schlechte Werfer, und die Hälfte ihrer Pakete landet entweder im Tigris oder in den türkischen Schützengräben.“ Abidin Ege, der das Ganze von den türkischen Linien aus beobachtete, hielt fest, dass jeder „Aeroplan“ drei Säcke mit Proviant transportierte und dass am 16. April von morgens bis abends Flugzeuge unterwegs gewesen waren, um Vorräte abzuwerfen. „Zwei Sack Mehl wurden in unsere Gräben abgeworfen“, wie er mitteilt, was Spooners Bemerkung über die „schlechten Werfer“ bestätigen dürfte. An jenem Tag gelangen den Piloten 14 Abwürfe, aber die insgesamt 2500 Pfund an
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Lebensmitteln, die dabei nach Kut gelangten, entsprachen, verteilte man sie auf 13 000 Soldaten und 6000 Zivilisten, weniger als 140 Gramm pro Kopf. Durch eine Luftbrücke allein würde man die in Kut Eingeschlossenen nicht retten können.26 Dann machte die Entsatztruppe zu einem letzten Vorstoß auf Kut mobil. Am 17. April wurde ein britischer Angriff auf die osmanischen Stellungen bei Bait Isa durch einen übermächtigen Gegenangriff zurückgeschlagen. Abidin Ege beschreibt, wie die britischen Truppen angesichts des türkischen Ansturms „kollabierten“: „Der Feind weicht zurück und wir setzen hinterher. Wir rückten vor, bis wir den feindlichen Hauptgraben erreicht hatten.“ Nachdem es bei Bait Isa aufgehalten worden war, unternahm das Entsatzheer am 22. April seinen letzten Durchbruchsversuch, einen blutigen Sturmangriff auf die osmanischen Stellungen bei Sannaiyat, gut 25 Kilometer von Kut entfernt, der jedoch von den Türken energisch zurückgeschlagen wurde. Bis zum späteren Nachmittag hatten beide Seiten einen Waffenstillstand vereinbart, um ihre Verwundeten abtransportieren zu können. Diese Rettungsarbeiten dauerten bis zum Sonnenuntergang an, und türkische wie britische Krankenträger taten ihr Bestes, um ihre Kameraden wohlbehalten hinter die eigenen Linien zu befördern. Fast schien es, als hätten beide Seiten eingesehen, dass die Zeit für Feindseligkeiten nun vorbei war. Im Verlauf der viermonatigen Kämpfe zur Befreiung der belagerten Garnison von Kut mit ihren 13 000 Mann hatte das britische Entsatzheer Verluste von mehr als 23 000 Mann erlitten. Am 22. April ließen General Gorringe und sein Stab das Feuer einstellen. Ihre erschöpften und demoralisierten Männer hatten getan, was sie konnten. In dem verzweifelten Versuch, doch noch etwas Zeit zu gewinnen, verstärkten die Briten einen Flussdampfer mit Panzerplatten aus Stahl, um an der osmanischen Blockade vorbei Proviant und Arzneimittel nach Kut zu transportieren. Die Julnar war jedoch durch ihre Panzerung und eine Zuladung von 240 Tonnen Nachschub – genug, um die Garnison von Kut drei Wochen lang zu versorgen – so schwer geworden, dass sie flussaufwärts nur eine Geschwindigkeit von gerade einmal fünf Knoten erreichte. Mit einer Besatzung aus Freiwilligen fuhr das Versorgungsschiff in der Nacht des 24. April los. Die Verteidiger von Kut hatte man über das Kommen der Julnar in Kenntnis gesetzt und ihnen aufgetragen, dem Schiff mit
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den Kanonen der Garnison Feuerschutz zu geben – die Julnar musste die türkischen Schützengräben entlang des Flusses unbeschadet passieren. Aber der Dampfer gelangte noch nicht einmal in die Schussreichweite der Artillerie von Kut. Die Osmanen hatten ein Drahtseil über den Tigris gespannt und die schwerfällige Julnar verfing sich darin wie ein Fisch im Netz, gut acht Kilometer vor ihrem Ziel. Major G. L. Heawood war bei den Kanonieren von Kut im Einsatz, als diese auf das Eintreffen des Dampfers warteten. „Wir hörten das mitlaufende Geleitfeuer aus Gewehren und Geschützen und konnten auch sehen, wie es immer weiter vorrückte – aber dann blieb es, etwa vier Meilen [6,5 Kilometer] östlich, plötzlich stehen, und sofort fürchteten wir das Schlimmste.“ Die Osmanen kaperten das Schiff und beschlagnahmten seine kostbare Fracht. Der Kapitän der Julnar wurde standrechtlich erschossen, die Mannschaft gefangen genommen, und damit war das Schicksal von Kut besiegelt. Am 26. April wurde Townshend autorisiert, mit Halil Bey Verhandlungen über die Kapitulationsbedingungen aufzunehmen.
* Die monatelange Belagerung hatte auch von Townshend ihren Tribut gefordert, und der General war nicht in der Lage, die Kapitulationsverhandlungen mit den Türken persönlich zu führen. „Ich bin krank an Körper und Seele“, schrieb er an seinen Vorgesetzten, General Percy Lake, der General John Nixon als obersten Befehlshaber der Mesopotamian Expeditionary Force (MEF) abgelöst hatte. „Ich habe meinen Teil der Verantwortung getragen und bin nun der Ansicht, dass Sie diese Verhandlungen führen sollten.“ Tatsächlich legte niemand aus der britischen Führungsriege großen Wert darauf, sich an Verhandlungen zu beteiligen, die unweigerlich in einer beispiellosen Demütigung enden würden. Anstatt sich also die Hände mit einer Kapitulation schmutzig zu machen, wies Lake Townshend an, die Gespräche mit Halil aufzunehmen und bot ihm dazu Unterstützung an: Hauptmann Lawrence vom Kairoer Büro des Militärnachrichtendienstes sowie Hauptmann Aubrey Herbert, ein hervorragendes Sprachtalent, dessen Heldentaten im Geheimdienst legendär waren.27
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Bei seinem ersten Zusammentreffen mit Halil am 27. April versuchte Townshend, das freie Geleit für seine Truppen mit Geld und Trophäen zu erkaufen. Wenn Halil es den britisch-indischen Soldaten gestatte, auf Parole abzuziehen (das heißt auf ihr Versprechen hin, die osmanischen Truppen nicht mehr anzugreifen), werde er, Townshend, dem Kommandeur die 40 Geschütze der Garnison überlassen und dazu noch eine Million Pfund Sterling zahlen. Halil erklärte, er müsse dieses Angebot zur Entscheidung an Enver Pascha weiterleiten, ließ aber bereits durchblicken, dass er selbst eine bedingungslose Kapitulation vorziehen würde. Entmutigt kehrte Townshend nach Kut zurück, weil er wusste, dass Enver und seinen deutschen Militärberatern ein absoluter Triumph viel wichtiger war als jede etwaige Beute. „Das hat man davon, wenn man halb verhungert zu verhandeln beginnt“, schrieb er an Lake und versuchte noch einmal, den Ranghöheren zur Übernahme der Verhandlungen zu bewegen. Aber der Oberbefehlshaber der Mesopotamian Expeditionary Force lehnte es strikt ab, persönlich in diese Angelegenheit verwickelt zu werden, und bot stattdessen noch einmal die Dienste der Hauptleute Herbert und Lawrence an. Im Morgengrauen des 29. April machten sich die jungen Nachrichtenoffiziere auf den Weg zu ihrer Unterredung mit Halil Bey. Mit einer weißen Fahne näherten sie sich den türkischen Schützengräben, wo sie stundenlang warten mussten, sich die Zeit aber immerhin im freundlichen Gespräch mit den feindlichen Soldaten vertreiben konnten. „Die Türken zeigten uns ihre Orden, und es verdross uns nicht wenig, dass wir mit ihnen nicht mithalten konnten“, murrte Herbert später. Schließlich verband man Lawrence, Herbert und ihrem Vorgesetzten, Oberst Edward Beach, die Augen und brachte sie durch die türkischen Linien zu Halils Hauptquartier. Beach und Herbert hatte man auf Pferde gesetzt, aber Lawrence, der wegen einer Verletzung am Knie nicht reiten konnte, wurde von seinen Kameraden getrennt. Er traf deshalb erst bei Halil ein, als Herbert die Verhandlung mit dem osmanischen Kommandeur bereits begonnen hatte.28 Weil er fließend Französisch sprach, war Herbert der Wortführer der britischen Delegation. Halil und er waren sich vor dem Krieg schon einmal auf einem Ball in der britischen Botschaft in Istanbul begegnet. „Er war noch ein recht junger Mann, bedenkt man seine hohe Stellung – etwa 35 Jahre alt, schätze ich –, und ein gut aussehender Mann noch dazu:
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Augen, die einen Löwen hätten zähmen mögen, ein markantes Kinn und ein Mund wie eine Fallgrube“, hielt Herbert fest. Die Briten eröffneten das Gespräch mit einem Gnadengesuch für die arabischen Einwohner von Kut. „Ich sagte ihm, dass die Araber unter Townshend nur das getan hätten, was schwache Leute immer tun: … weil sie ihn fürchteten, hatten sie ihm Dienst geleistet.“ Halil stellte klar, dass die einheimischen Bewohner von Kut, da sie osmanische Untertanen waren, die Briten nichts angingen. Ominöserweise weigerte er sich, irgendwelche Zusagen zu geben, dass es in der Stadt „kein Aufknüpfen und auch keine Verfolgungen“ geben werde. Herbert wartete ab, bis Lawrence eingetroffen war, bevor er auf die Bedingungen von Townshends Kapitulation zu sprechen kam. Der osmanische Kommandeur zerschlug jegliche Hoffnung der Briten, sich Townshends Abzug aus Kut mit Geld erkaufen zu können. Um das heikle Thema eines Bestechungsgeldes möglichst unverfänglich anzuschneiden, wies Beach Herbert an, „zu sagen, dass wir gern für den Unterhalt der Zivilisten und der Araber von Kut zahlen wollten“. Ganz im Einklang mit Halils offenkundiger Geringschätzung der Einwohner von Kut, die er als Kollaborateure der Briten betrachtete, „schob [er] diesen [missglückten Verhandlungsversuch] umstandslos beiseite“. Eine Sache verlangte Halil von den Briten. Er wollte, dass sie Schiffe zur Verfügung stellten, um Townshend und seine Männer nach Bagdad zu transportieren. „Andernfalls müssten sie zu Fuß marschieren“, meinte Halil, „und das würde sie wohl hart treffen.“ Halil versprach, den Briten die Flussschiffe zurückzugeben, sobald die Gefangenen nach Bagdad gebracht worden waren. In einem auf Englisch geführten Wortwechsel mit Herbert und Lawrence erklärte Oberst Beach, dass das britische Entsatzheer noch nicht einmal über genügend Schiffe für seine eigenen Leute verfügte und sie auf Halils Forderung deshalb keinesfalls eingehen konnten; Herbert solle schlicht antworten, dass man das Anliegen an General Lake weiterleiten werde. Zweifellos verstanden Halil oder einer der Männer in seinem Gefolge genug Englisch, um den Kern dessen zu erfassen, was Beach da gerade gesagt hatte. Und wenn die Briten selbst sich so wenig um den sicheren Transport ihrer kranken und notleidenden Soldaten kümmerten, dann konnte man von den Osmanen kaum erwarten, dass sie mehr Mitleid aufbrachten.
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Nur einmal im Laufe der Verhandlungen wurde der osmanische Kommandeur ungehalten. Man hatte ihm gemeldet, dass Townshend am Morgen desselben Tages die Zerstörung seiner gesamten Artillerie angeordnet hatte. „Da wurde Khalil [sic] zornig und gab sich keine Mühe, dies zu verbergen“, berichtet Herbert. „Er hege große Bewunderung für Townshend, sagte er, aber offenbar war er doch sehr enttäuscht darüber, dass er die Geschütze nun nicht bekommen würde.“ Es überrascht nicht, dass Townshend seine Kanonen nicht in feindliche Hände fallen lassen wollte, damit sie nicht gegen britische Soldaten eingesetzt werden konnten. Indem er die Geschütze jedoch unbrauchbar machen ließ, hatte er Halil eine Trophäe vorenthalten, und diese Kränkung sorgte dafür, dass die Haltung des osmanischen Kommandeurs sich verhärtete. Die rangniederen britischen Offiziere befanden sich nicht in der Position, um mit dem siegreichen osmanischen Befehlshaber zu feilschen. Nachdem Kitcheners „finanzieller Anreiz“ abgewiesen worden war, hatten Herbert und Lawrence nichts Weiteres zu bieten. Ihnen war nicht bewusst, dass Townshend, dessen eigener Versuch, Halil zu bestechen, zwei Tage zuvor fehlgeschlagen war, am selben Morgen seine bedingungslose Kapitulation zugesagt hatte. Kut war bereits in osmanischer Hand; Townshend und seine Männer waren bereits Kriegsgefangene der Osmanen. Seinen britischen Gästen gegenüber erwähnte Halil diese bedeutsamen Entwicklungen mit keinem Wort. Als er feststellte, dass die Hauptleute Lawrence und Herbert keine besonderen Befugnisse besaßen und auch nichts Neues anzubieten hatten, beendete er die Unterredung mit einem Gähnen. „Er entschuldigte sich und sagte, dass noch eine Menge Arbeit auf ihn warte“, notierte Herbert in seinem Tagebuch. In der Tat: Halil hatte einen ereignisreichen Tag hinter sich.
* Am Mittag des 29. April versammelten sich die ausgehungerten und abgemagerten Soldaten der Garnison von Kut, um sich in die Gefangenschaft der siegreichen Türken zu begeben. „So endete nun eine lange Zeit des Kämpfens, Wartens und Hoffens, von Anspannung, Angst und Hunger“, schrieb der Major Alex Anderson. „Das Unmögliche, Undenkbare war geschehen und man fühlte sich wie gelähmt.“ Dennoch mischte sich in den
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Schock auch so etwas wie ein Gefühl der Erleichterung: Nach einer Belagerung von 145 Tagen mit unerbittlichem Kugelhagel und zunehmendem Hunger waren die britischen und indischen Soldaten froh, das Ende dieser Schicksalszeit zu erleben. Die Bedingungen im Kriegsgefangenenlager, dachten sie, konnten gar nicht schlimmer sein als das, was sie bereits durchgestanden hatten. Der Niedergeschlagenheit der Briten entsprach die Begeisterung der Türken. „Jedermann strahlt vor Freude und Glück“, hielt Abidin Ege, der Veteran von Gallipoli, am 29. April in seinem Tagebuch fest. „Heute wurde der ‚Kut-Bayram‘ [„Kut-Feiertag“] ausgerufen, der fortan ein Staatsfeiertag sein soll.“ Das schiere Ausmaß des osmanischen Sieges verschlug ihm die Sprache: Fünf Generale, 400 Offiziere und beinahe 13 000 Mannschaften hatte man gefangen genommen. „Noch niemals zuvor hatten die Engländer eine solche Niederlage erlitten.“ Eges Aussage trifft durchaus zu: Mit einem Verlust von insgesamt 13 309 Männern (277 britische Offiziere, 204 indische Offiziere, 2592 britische und 6988 indische Soldaten sowie 3248 Angehörige des Indian Labour Corps und anderer Hilfseinheiten) war die Niederlage von Kut die schlimmste Kapitulation in der Geschichte der britischen Armee.29 Um die Mittagszeit des 29. April wurden die britischen und indischen Soldaten langsam ungeduldig – wo blieben die osmanischen Truppen? Gegen 13 Uhr erhob sich lautes Geschrei – „Da kommen sie!“ – und alle drängelten, um einen Blick zu erhaschen. „Gunner“ Lee, der von einer Geschützstellung aus zuschaute, sah, wie „ganze Kolonnen von denen“ durch die verwüstete Festung von Kut vorrückten, „dunkle Massen von Soldaten, die zu rennen schienen. Noch waren sie ein ganzes Stück von uns entfernt. … Ich staunte, wie ungeduldig sie schienen, endlich zu uns zu kommen“, schrieb Lee. „Nur die scharfen Kommandos ihrer Offiziere hielten sie davon ab, ohne jede Disziplin nach Kut hineinzuströmen.“ Die türkischen Soldaten brauchten nicht lange, um sich mit den Briten zu verbrüdern, gegen die sie so lange gekämpft hatten. Sie verteilten Zigaretten an die „Tommys“ – selbst an die, die zu schwach zum Rauchen waren. „Gunner“ Lee mobilisierte jeden verfügbaren Sprachbrocken – „Französisch, Türkisch, Arabisch mit einem Schuss Londoner Cockney“ –, um mit seinen Bewachern zu kommunizieren. Wie er feststellte, waren viele der bei Kut eingesetzten osmanischen Soldaten Veteranen von
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Gallipoli, die nach Australiern suchten. Vielleicht als Reaktion auf die vom ANZAC vor der Evakuierung in ihren Schützengräben zurückgelassenen Briefe wirkten die türkischen Soldaten „sehr darauf bedacht, ihre Bekanntschaft mit unseren Kolonialtruppen aufzufrischen, und hatten wohl vor, einen weiteren ‚Kleinkrieg‘ mit ihnen anzufangen“. Auch die britischen Offiziere begannen ausführliche Gespräche mit ihren türkischen Kollegen. T. R. Wells, ein Offizier des Royal Flying Corps, unterhielt sich mit zwei türkischen Offizieren von halb acht Uhr abends bis Mitternacht, wobei „viele interessante Details über die jüngsten Geschehnisse“ zur Sprache kamen.30 Den Einwohnern von Kut brachte das Ende der Belagerung nur neue Schrecken. Wie Hauptmann Herbert schon befürchtet hatte, machten die Türken kurzen Prozess mit ihnen. Reverend Spooner berichtet, dass viele von denen, die man der Kollaboration mit den Briten verdächtigte, an Dreiecksgalgen aufgeknüpft wurden, wo man sie „langsam ersticken ließ. Es waren diverse Juden oder Araber, die für uns gedolmetscht hatten oder von denen die Türken glaubten, dass sie uns auf irgendeine Weise unterstützt hätten. Unter ihnen befanden sich auch der Scheich von Kut-elAmara und seine Söhne.“ „Gunner“ Lee zeigte sich erschüttert über „das Weinen und schreckliche Wehklagen der arabischen Frauen und Kinder“ in den Tagen, nachdem die osmanischen Truppen in die Stadt einmarschiert waren. Als die britischen Kriegsgefangenen vier Tage später aus der Stadt geführt wurden, meinte ein Offizier, es sei die Hälfte der Stadtbevölkerung erschossen oder gehängt worden und „an den Bäumen baumelten überall die Leichen“.31 Die britischen und osmanischen Kommandeure vereinbarten einen Austausch ihrer Invaliden. Rund 1100 kranke oder verwundete Briten wurden gegen eine ähnliche Anzahl türkischer Soldaten ausgetauscht. Den restlichen Kriegsgefangenen sagte man, sie sollten ihre Sachen packen und sich zum Abmarsch in Richtung Bagdad bereit machen. Einfache Soldaten durften zwei Decken und eine Uniform zum Wechseln mitnehmen, während Offizieren bis zu 200 Pfund an Ausrüstung und Zeltmaterial zugestanden wurden. Die Offiziere und die verbliebenen, nicht ausgetauschten Invaliden wurden für die Reise nach Bagdad auf Flussdampfer verladen – viele von ihnen auf die unglückselige Julnar. Wegen des Mangels an Schiffen – und dem Widerwillen der Briten, weitere Transport-
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mittel zur Verfügung zu stellen – waren die meisten einfachen Soldaten gezwungen, die gut 160 Kilometer in die Gefangenschaft nach Bagdad zu Fuß zurückzulegen. Der türkische Kommandant ließ Befehle ausgeben, die den britischen Soldaten von ihren Offizieren verlesen werden sollten. Darin hieß es, dass sie sich auf einen Marsch von mehreren 100 Meilen durch die Wüste einstellen und deshalb so wenig Gepäck wie möglich mitnehmen sollten. Wer das Marschtempo nicht halten konnte, für den würde es keinerlei Transportmöglichkeit oder sonstige Hilfe geben – und auch keinen Schutz vor den Beduinen, die allen Nachzüglern ein grausames Ende bereiten würden. „Als wir das hörten“, erinnerte sich „Gunner“ Lee später, „wusste jeder Einzelne von uns, dass er auf diesem langen Marsch mit dem Schlimmsten rechnen musste.“ Dann wurden die Offiziere von ihren Männern getrennt. Für die einfachen Soldaten war das ein schrecklicher Moment. „Einige der älteren Soldaten weinten, als sie an uns vorbeimarschierten“, schrieb Leutnant L. S. Bell Syer in sein Tagebuch, „insbesondere diejenigen aus Rajputana, die meinten, wenn man sie von ihren britischen Offizieren fortbrächte, verlören sie damit zugleich jede Chance auf Schonung.“32 Als die ersten britischen Gefangenen in Bagdad eintrafen, fanden sie die Stadt in einer ausgelassenen Feststimmung vor. Talib Mushtaq besuchte damals eine Oberschule der Stadt. Als irakischer Araber war er doch ein glühender osmanischer Patriot, der es gar nicht abwarten konnte, zur Armee zu gehen, um sein Vaterland gegen Invasoren zu verteidigen. Auch er befand sich in der Menschenmenge, die das Eintreffen der britischen Kriegsgefangenen erwartete. „Ganz Irak feierte“, erinnerte er sich, „und Bagdad war mit Fahnen und Lampions und Palmzweigen herausgeputzt.“ Er sah zu, wie die Dampfschiffe, auf denen ein Teil der Gefangenen nach Bagdad gebracht worden war, eines nach dem anderen entlang des Flussufers anlegten und festgemacht wurden. „Es war mir ein Leichtes, auf eines dieser Schiffe zu klettern und jene unglücklichen Gefangenen mit meinen eigenen Augen zu sehen. Sie hatten gegen Leute kämpfen müssen, gegen die sie nicht die geringste Feindseligkeit empfanden.“ Er ging zu einem englischen Sergeanten, den er an Deck vorfand; der Mann war „ganz abgemagert und erschöpft, sein Körper ausgemergelt von den Auswirkungen des monatelangen Hungers in der belagerten Stadt Kut“. Zwar sprach
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Mushtaq kein Englisch, aber, wie er feststellte, beherrschte der englische Soldat ein paar Brocken Arabisch. „Wie geht es Ihnen?“, fragte Mushtaq. „Gut, gut“, erwiderte der Engländer auf Arabisch. „Was halten sie von der türkischen Armee?“, hakte Mushtaq nach. „Die Engländer bumm … bumm stärker, aber kein Brot“, antwortete der Mann in seinem gebrochenen Arabisch. „Ich verstand, was er mir sagen wollte“, fügt Mushtaq in seinem Bericht hinzu, „dass die Engländer nämlich die stärkeren Waffen und die stärkere Artillerie gehabt hätten, sich aber schließlich ergeben mussten, weil ihre Lebensmittelvorräte erschöpft waren.“33 In Bagdad wurden die Gefangenen nach Rang und Herkunft sortiert. Enver Pascha kam, um sie zu inspizieren, und gab ihnen dabei ein Versprechen, das schon bald berüchtigt werden sollte: „Ihre Mühsal hat nun ein Ende, meine lieben Freunde“, versicherte er den geschwächten, ausgehungerten Gefangenen. „Man wird sie als Ehrengäste des Sultans behandeln.“ Wie jedoch bald deutlich werden sollte, wurden nicht alle Ehrengäste des Sultans gleich behandelt.34 Am besten behandelt wurden die Muslime unter den indischen Offizieren. Sie wurden von ihren britischen und hinduistischen Offizierskollegen abgesondert, in den komfortabelsten Quartieren untergebracht, mit gutem Essen und Zigaretten versorgt und zum Gebet in die Moscheen der Stadt gebracht. „Die Türken scheinen ihnen auf den Pelz zu rücken“, vermerkte Leutnant Bell Syer mit berechtigtem Misstrauen. Jeder britisch-indische Offizier, der zum Dienst in der osmanischen Armee bewegt werden konnte, war ein Propagandasieg für den Dschihad des Sultans.35 Ganz ähnliche Erfahrungen hatte das Bataillon algerischer Rekruten gemacht, das in Bagdad stationiert worden war, um die Anziehungskraft des Sultans auf die Muslime der europäischen Kolonialmächte zu unterstreichen. Diese nordafrikanischen Soldaten waren eigentlich von der französischen Armee zum Einsatz an der Westfront rekrutiert worden. Nachdem sie in Belgien und Frankreich in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, hatte man ihnen in einem rein muslimischen Kriegsgefangenenlager, dem sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf bei Zossen, besondere Privilegien gewährt. Und nachdem sie in Berlin von türkischen Offizieren angeworben worden waren, fanden sich nun rund
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3000 Algerier als Soldaten des Sultans in Bagdad wieder, wo sie unmittelbar neben dem britischen Kriegsgefangenenlager untergebracht waren. Wohl nur wenige Soldaten haben im Ersten Weltkrieg vergleichbare Erfahrungen gemacht wie diese Nordafrikaner, die in Afrika, Europa und Asien sowohl auf der Seite der Entente als auch auf der Seite der Mittelmächte dienten.36 Kaum waren sie allerdings in Bagdad angekommen, stellten manche der algerischen Soldaten ihre Entscheidung für den Seitenwechsel infrage. Einige von ihnen wurden beim amerikanischen Konsul in Bagdad vorstellig und baten um Hilfe. „Manche sagen, sie seien auf das Versprechen des Sultans hin hierhergekommen, dass man sie ganz großartig behandeln werde und sie gegen ‚Ungläubige‘ kämpfen würden“, berichtete der Konsul Charles Brissel, „und andere sagen, die Deutschen hätten sie hierhergeschickt. Worin sie jedoch alle übereinstimmen, ist, dass sie sich betrogen fühlen.“ Für Kriegsfreiwillige in osmanischer Uniform konnte der amerikanische Konsul nichts tun – außer ihnen ein wenig Kleingeld zuzustecken. Ein großer Teil jener algerischen Rekruten wurde später zum Kampf gegen die Russen an die persische Front abkommandiert.37 Die muslimischen Offiziere aus Indien hingegen wurden sehr viel besser behandelt als der gemeine algerische Gefreite – und diese Rücksichtnahme sollte sich für das Vorhaben eines osmanischen Dschihad bestens auszahlen. Im August 1916 vermeldete die irakische Presse, der Sultan habe eine Abordnung von 70 indisch-muslimischen Offizieren empfangen, die in Kut gefangen genommen worden waren. Als ein Zeichen seines persönlichen Respekts gab der Sultan ihnen ihre Säbel zurück und erklärte, „im Feldzug gegen das Reich des Kalifen“ seien sie nur widerwillige Krieger gewesen. „Dieser Gunstbeweis des Sultans berührte sie so sehr“, heißt es in dem Artikel, „dass sie allesamt den Wunsch äußerten, fortan dem [Osmanischen] Reich zu dienen.“ Wenn diese Geschichte wahr ist, dann war es den Osmanen gelungen, fast alle indisch-muslimischen Offiziere, die in Kut gefangen genommen waren, für ihre Sache zu gewinnen (in Kut waren nur 204 indische Offiziere, Muslime und Hindus zusammengenommen, in Gefangenschaft geraten).38 Die 277 britischen Offiziere wurden gut behandelt; je nach Rang gewährte man ihnen gewisse Privilegien. Jeder Offizier erhielt von der osmanischen Verwaltung eine regelmäßige Geldzahlung zur Deckung seines
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Lebensunterhalts, dazu einen Diener, der für ihn Einkäufe erledigte und kochte. Die Unterbringung war schlicht, aber immerhin hatten die Offiziere ein Dach über dem Kopf und zumindest ein wenig Komfort. Auf dem Weitertransport von Bagdad zu ihrem endgültigen Internierungsort in Anatolien wurden die Offiziere per Zug, Dampfschiff und zu Pferde transportiert. Nachdem sie ihr Ehrenwort gegeben hatten, keinen Fluchtversuch zu unternehmen – „auf Parole“, wie es beim Militär heißt –, genossen die Offiziere in den Städten, in denen sie festgehalten wurden, große Bewegungsfreiheit. Sie durften sogar Post und Carepakete aus der Heimat empfangen.39 E. H. Jones, ein junger Leutnant, der in der zentralanatolischen Stadt Yozgat interniert war, hat ausführlich beschrieben, wie die britischen Offiziere ihre Tage in der Gefangenschaft zubrachten. „Unser Hauptproblem war es, die Zeit totzuschlagen“, schrieb er. „Wir veranstalteten Turniere im Viererhockey oder gingen (wenn die Türken es erlaubten) spazieren, machten Picknicks, gingen Ski- oder Schlittenfahren. In unseren vier Wänden vertrieben wir uns die Zeit damit, dass wir Theaterstücke schrieben, komische oder ernste, Melodramen, Possen und Pantomimen aufführten. Wir hatten ein Orchester mit Instrumenten, die im Lager angefertigt worden waren, einen Männerchor, der das Singen ebenfalls erst im Lager eingeübt hatte, und genug Musiker, um für Chor und Orchester etwas zu komponieren.“40 Die Behandlung der britischen Offiziere stand im krassen Gegensatz zu der Brutalität, der die einfachen Soldaten ausgesetzt waren. Ihre Geschichte ist weniger gut dokumentiert, weil nur wenige die Todesmärsche durch die Wüste überlebt haben und davon berichten konnten. Die wenigen, die davonkamen, wollten an das Grauen, das sie erlebt hatten, oft gar nicht mehr denken, geschweige denn davon erzählen. „Von den Qualen und den brutalen Misshandlungen, welche die [britischen] Truppen auf diesem Marsch durchlitten, oder von den schrecklichen Szenen, die wir auf unserem Weg durch die leidgeprüften Armeniergebiete mit angesehen haben, will ich hier nicht weiter sprechen“, schreibt etwa „Gunner“ Lee in der Schlussbemerkung zu seinem Erlebnisbericht der Belagerung. Der Oberfeldwebel J. McK. Sloss des Australian Flying Corps gab sich mitteilsamer: „Zu sehen, wie unsere Jungs mit Peitschen- und Kolbenhieben vorangetrieben wurden, war ein schrecklicher Anblick. Manche von ihnen
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wurden geschlagen und geschlagen, bis sie zu Boden gingen. Einer von der Marinebrigade ist nie wieder aufgestanden. Wenn man dagegen etwas sagte, bekam man es selbst mit der Peitsche.“ Auf diesem „Todesmarsch“ vertraute der Feldwebel Jerry Long einem mitfühlenden osmanischen Offizier seine Ängste an: „Ich sagte ihm, dass bei unserer Truppe nur noch weniger als die Hälfte übrig waren … und wir glaubten schon langsam, die türkische Regierung wollte uns durch die Gegend marschieren lassen, bis wir alle tot waren.“41 Man hat die Behandlung der Kriegsgefangenen von Kut nicht selten mit den Todesmärschen der Armenier verglichen, und nicht zuletzt die Überlebenden selbst haben diese Parallele gezogen. Die britischen Soldaten zogen durch dieselben unwirtlichen Gebiete, bewacht von osmanischen Aufpassern, denen ihr Schicksal vollkommen gleichgültig war, und ohne das Lebensnotwendigste: Wasser, Nahrung, Kleidung zum Schutz vor der Sonne oder angemessenes Schuhwerk, um das raue Terrain bewältigen zu können – all das fehlte. Dorfbewohner und Beduinen konnten sich ungestraft an ihnen vergehen; insbesondere die Schwächsten, die man zum Sterben am Straßenrand zurückgelassen hatte, wurden von ihnen ausgeraubt. Und doch waren die Todesmärsche von Kut und jene der Armenier nicht zu vergleichen. Die Osmanen trieben die Armenier im Zuge einer koordinierten Vernichtungskampagne durch die Syrische Wüste. Über die Kriegsgefangenen von Kut wurden kein vergleichbares Todesurteil gesprochen, aber man gab sich auch keinerlei Mühe, ihre Leben zu bewahren. In den meisten Fällen scheint es so gewesen zu sein, dass die osmanischen Wachmannschaften sich um Leben oder Tod der ihnen anvertrauten Gefangenen überhaupt nicht scherten. Diese Gleichgültigkeit ist leicht zu erklären. Die Tausenden von kranken und ausgehungerten Briten und Indern, die nach der Belagerung von Kut in Gewahrsam kamen, waren eine Belastung für die osmanischen Ressourcen. Den Osmanen fehlten schlicht die Mittel, um eine derart große Anzahl stark hilfsbedürftiger Gefangener zu versorgen. Es fehlte ihnen ja schon an Proviant und Arzneimitteln für die eigenen Soldaten und sie fühlten sich nicht für das Wohlergehen feindlicher Kämpfer verantwortlich, die noch vor Kurzem als Invasoren durch ihr Territorium marschiert waren. Diejenigen Gefangenen, die aufgrund ihres geschwächten Zustandes nicht mehr
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weiterkonnten, überließen die Osmanen dem sicheren Tod – und das waren die meisten. Von den 2592 gemeinen britischen Soldaten, die in Kut gefangen genommen wurden, starben über 1700 in der Kriegsgefangenschaft oder auf den Todesmärschen – annähernd 70 Prozent. Im Fall der indischen Mannschaften sind die Angaben weniger präzise, jedoch starben mindestens 2500 der 9300 gefangenen Inder in osmanischem Gewahrsam.42 Die Überlebenden von Kut wurden zu Arbeiten an der im Bau befindlichen Eisenbahnlinie von Anatolien nach Bagdad – der sogenannten Bagdadbahn – eingesetzt. Die indischen Kriegsgefangenen zog man an dem Kopfbahnhof Ras al-Ayn zusammen, während die britischen Soldaten auf den Tunnelbaustellen im Taurus- und im Amanosgebirge eingesetzt wurden. Die Arbeiten an den Eisenbahntunneln waren praktisch zum Erliegen gekommen, seitdem man die Armenier zusammengetrieben und in die Todeszonen der Syrischen Wüste deportiert hatte. Im Sommer 1916 begegnete der armenische Priester Krikor (Grigoris) Balakian am Bahnhof Bahçe im Amanosgebirge einer Abteilung britischer und indischer Kriegsgefangener aus Kut. Der erste Trupp von 200 Soldaten kam nach Einbruch der Dunkelheit in Bahçe an. Die Männer hätten sich durch die Dunkelheit bewegt wie „lebendige Gespenster … bucklig, zerlumpt und staubbedeckt, nur noch Haut und Knochen“, erinnerte der Armenier sich später. Die Männer hätten Balakian und einigen anderen Männern, die sie auf der Baustelle antrafen, zugerufen: „Sind bei euch auch Armenier? Bitte, gebt uns doch etwas Brot. Wir haben seit Tagen nichts mehr gegessen.“ Balakian und seinen Kameraden entging nicht, wie eigenartig diese Situation war: „Uns machte sprachlos, dass sie Englisch sprachen … dass es Briten waren … ferne Freunde, die unser Schicksal teilten, uns um Brot baten … Das war nun in der Tat eine Ironie des Schicksals!“43 Weil sie bei ihrem Eintreffen keinesfalls in der Lage waren, in den Tunneln schwere Zwangsarbeit zu leisten, gewährte man den Männern eine Woche Ruhe, um ihre Kräfte zu sammeln. Während dieser Zeit trafen sich Balakian und sein kleines Grüppchen überlebender Armenier mit den britischen Gefangenen, die sie in jeder Hinsicht als ihre Gefährten und Leidensgenossen betrachteten, und unterhielten sich mit ihnen. „Als die britischen Offiziere ihre herzzerreißenden Erzählungen vom Leiden in der Wüste beendet hatten, berichteten sie uns auch – mit großer Anteil-
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nahme – von den schrecklichen Szenen [von massakrierten Armeniern], die sie in Der Zor [Deir ez-Zor] gesehen hatten.“ Balakian schließt mit der Bemerkung, dass die Osmanen „ihre britischen Gefangenen genauso behandelt haben wie die vielen Tausend deportierten Armenier – ohne jede Furcht, für ihr Handeln jemals zur Verantwortung gezogen zu werden“.
* Zur Verantwortung gezogen wurde hingegen das britische Kabinett, als die Nachricht von der Kapitulation Kuts die Londoner Presse erreichte. So bald nach dem Fiasko von Gallipoli sorgte die Niederlage von Kut dafür, dass der Druck auf die Regierung des liberalen Premierministers Herbert Henry Asquith noch einmal beträchtlich zunahm. Insbesondere wurde die Forderung laut, die Regierung solle nicht nur eine, sondern zwei Untersuchungskommissionen ins Leben rufen: eine für die Dardanellen und eine für Mesopotamien. Am 21. August 1916 nahm die Mesopotamienkommission ihre Arbeit auf. Im Verlauf der nächsten zehn Monate trat sie sechzigmal zusammen, bevor sie schließlich ihren Bericht vorlegte. Dieser fällte ein derart vernichtendes Urteil über die Arbeit sowohl des Londoner Kabinetts als auch der britisch-indischen Regierung, dass die betroffenen Politiker die Veröffentlichung um zwei Monate hinauszögerten. „Ich muss mit Bedauern feststellen“, schloss Lord Curzon, der einflussreiche frühere Vizekönig von Indien und Mitglied des Kriegskabinetts, „dass eine schockierendere Enthüllung von Pfuscherei und Inkompetenz im Dienst – nach meiner Meinung – noch nicht vorgekommen ist, jedenfalls nicht seit dem Krimkrieg.“44 Der Bericht der Mesopotamienkommission wurde schließlich am 27. Juni 1917 veröffentlicht und in der darauffolgenden Woche in hitzigen Parlamentsdebatten erörtert. Als ein Ergebnis dieser Debatten reichte der Staatssekretär für Indien, Austen Chamberlain, seinen Rücktritt ein. Ironischerweise war Bagdad zu diesem Zeitpunkt jedoch schon in britischer Hand. Aber selbst dieser verzögerte Sieg sollte die 40 000 Männer nicht zurückbringen, die auf dem miserabel geführten Mesopotamienfeldzug bis zum Fall von Kut verloren worden waren. Wie im Fall der Toten und Verwundeten von Gallipoli, so galt auch hier, dass ihr Opfer den Krieg eher verlängern als verkürzen sollte.
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Ganz egal, was die Konsequenzen in Westminster waren: Die Kriegsplaner fürchteten die Erschütterungen in der gesamten muslimischen Welt, die zwei derart überwältigende osmanische Siege über die Briten auslösen mochten. In Kairo arbeitete das Arab Office mit Hochdruck daran, der religiösen Autorität des Sultans und Kalifen etwas entgegenzusetzen. Hierzu verfolgte man ein strategisches Bündnis mit der nächsthöheren religiösen Autorität im osmanischen Herrschaftsgebiet und der ganzen islamischen Welt: dem Scherifen von Mekka, Hussein ibn Ali, einem der haschemitischen Nachfahren des Propheten Mohammed.
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KAPITEL 11 DER ARABISCHE AUFSTAND
Das Kriegsbündnis der Briten mit dem Scherifen von Mekka kam erst nach monatelangen, zunehmend angespannten Verhandlungen zustande, bei denen beide Seiten von Ängsten getrieben wurden. Scherif Hussein ibn Ali hatte allen Grund zu der Annahme, dass die Jungtürken seinen Sturz, womöglich sogar seine Ermordung betrieben. Außerdem benötigte er, wollte er sein ambitioniertes Ziel eines unabhängigen arabischen Königreichs auf vormals osmanischem Territorium erreichen, die Unterstützung einer der Großmächte. Die Briten ihrerseits befürchteten, dass ihre jüngste Serie von Niederlagen gegen die Osmanen die Muslime in den Kolonialgebieten dazu bringen könnte, sich gegen die Entente-Mächte zu erheben. Die Militärstrategen in Kairo und Whitehall hofften nun, dass ein Bündnis der Briten mit dem Hüter der heiligsten Stätten des Islam die Anziehungskraft des Dschihad neutralisieren würde, den der osmanische Sultan-Kalif zu führen gedachte – und das zu einem Zeitpunkt, da der militärische Ruf der Briten so miserabel war wie seit Beginn des Krieges nicht.
* Das Emirat von Mekka, dessen arabische Herrscher aufgrund ihrer Abstammung vom Propheten Mohammed den Titel „Scherif “ führen durften und die heiligste Stätte des Islam mitsamt der alljährlichen Pilgerfahrt kontrollierten, war eine einmalige Erscheinung in der arabischen und der gesamten islamischen Welt. Die Emire von Mekka, die vom osmanischen Sultan eingesetzt wurden, kamen als religiöse Autorität gleich nach dem Sultan in seiner Rolle als Kalif. Trotz der offenkundigen religiösen Dimension der Scherifenwürde waren die Emire von Mekka doch auch zutiefst politische Herrscher und Machtmenschen. Geschickt spielten die Osmanen
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die Ambitionen rivalisierender Zweige der herrschenden Haschemitendynastie gegeneinander aus, um zu verhindern, dass der jeweilige Amtsinhaber zu große Unabhängigkeit von Istanbul gewann. Schließlich hätte ein charismatischer, religiös legitimierter Araberfürst für die osmanische Herrschaft in Arabien eine ernst zu nehmende Bedrohung dargestellt.1 Dem Scherifen Hussein waren osmanische Intrigen also nicht fremd. Er selbst war 1853 in Istanbul geboren, wo sein Vater als Geisel des Sultans festgehalten wurde. Nach dem Tod des Vaters kam er 1861 in die osmanische Provinz Hedschas im Westen der Arabischen Halbinsel, wo die heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina, liegen. Dort sollte er unter Beduinen aufwachsen, wie es bei den Scherifen von Mekka Brauch war. Nachdem er 1893 seinerseits – wie sein Vater vor ihm – ins Exil nach Istanbul „eingeladen“ worden war, zog Hussein seine vier Söhne – Ali, Abdullah, Faisal und Said – in der Hauptstadt des Osmanischen Reichs groß, in einer Residenz direkt am Bosporus. Nach der jungtürkischen Revolution von 1908 setzte Sultan Abdülhamid II. den Scherifen Hussein als Emir von Mekka ein, um zu verhindern, dass das revolutionäre Komitee für Einheit und Fortschritt (KEF) einen eigenen Kandidaten auf diesen Posten brachte. Obwohl Hussein also ein Kompromisskandidat war, überstand er den Sturz Abdülhamids im Jahre 1909 und konnte seine Stellung in Mekka sogar noch festigen. Nach dem Aufstieg des Triumvirats aus Ismail Enver Pascha, Ahmet Cemal Pascha und Mehmed Talât Pascha im Jahr 1913 begannen sich die Beziehungen zwischen Hussein und dem KEF zu verschlechtern. Von seiner Residenz in Mekka aus leistete der Scherif aktiven Widerstand gegen die jungtürkischen Maßnahmen zur Zentralisierung der osmanischen Herrschaft im Hedschas. So behinderte er jegliche Bemühungen, ein neues Gesetz zur Verwaltungsreform auf die Provinz Hedschas anzuwenden und kämpfte außerdem unermüdlich gegen die Erweiterung der Hedschasbahn von Medina bis nach Mekka. Derartige Neuerungen würden, wie er fürchtete, die Autonomie des Emirs von Mekka untergraben beziehungsweise – im Falle des Eisenbahnausbaus – der örtlichen Wirtschaft schaden. Schließlich würden dadurch die Kameltreiber arbeitslos, die bislang muslimische Pilger gegen Bezahlung von Medina nach Mekka und zurück transportiert hatten. Scherif Hussein war sich bewusst, dass er mit seinem Widerstand gegen diese Initiativen der osmanischen Zentralregierung
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seine Absetzung geradezu herausforderte. Anstatt sich aber dem Druck aus Istanbul zu beugen, begann der Scherif vielmehr, über eine offene Rebellion nachzudenken. Weil er wusste, dass Großbritannien den Herrscher von Kuwait unterstützt hatte, als dieser 1899 seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erlangen wollte, schickte Scherif Hussein seinen Sohn Abdullah nach Kairo, um diskrete Verhandlungen mit den dortigen Vertretern der britischen Krone aufzunehmen. Im Februar und April 1914 traf Scherif Abdullah mit Lord Kitchener zusammen, der damals als britischer Generalkonsul in Ägypten amtierte, sowie mit Kitcheners Orientsekretär, Ronald Storrs. Abdullah nutzte die Gelegenheit, um die britische Haltung bezüglich der zunehmenden Spannungen zwischen Istanbul und Mekka zu sondieren. „Als ich ihn fragte, ob der Scherif mit Hilfe aus Großbritannien rechnen durfte, falls es tatsächlich zu einem Bruch [mit dem Osmanischen Reich] kommen sollte“, erinnerte sich Abdullah später, „verneinte Kitchener dies unter Verweis auf das freundschaftliche Verhältnis der Briten zur Hohen Pforte, und außerdem handele es sich bei dem Konflikt um eine innere Angelegenheit, bei der es nicht statthaft sei, dass eine auswärtige Macht sich einmische.“ Abdullah beeilte sich, Kitchener daran zu erinnern, dass auch ein freundschaftliches Verhältnis die Briten nicht davon abgehalten hatte, sich 1899 in die innere Angelegenheit zwischen Istanbul und Kuwait einzumischen. Dieser geistreiche Einwand brachte Kitchener zum Lachen – aber nicht dazu, seine Haltung zu ändern, und so erhob der Generalkonsul sich zum Abschied. Dennoch waren sowohl Kitchener als auch Storrs von Abdullah tief beeindruckt und sollten sich an seinen Besuch erinnern, als einige Monate später, nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, das Verhältnis zwischen Großbritannien und dem Osmanischen Reich nicht mehr ganz so freundschaftlich war wie zuvor.2 Im September 1914 rechneten die Briten jeden Tag damit, dass das Osmanische Reich an der Seite Deutschlands in den Krieg eintreten würde. Ein ehrwürdiger muslimischer Verbündeter wie der Scherif von Mekka konnte in einer solchen Situation einen unschätzbaren Vorteil im Kampf gegen die Osmanen bedeuten. Storrs bemerkte gegenüber seinen Vorgesetzten, „dass wir durch eine rechtzeitige Kontaktaufnahme mit Mekka uns womöglich nicht nur die Neutralität, sondern sogar die Unterstützung Arabiens im Fall einer osmanischen Aggression sichern könnten“. Er
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schrieb in dieser Sache auch an Kitchener, der nach London zurückbeordert und zum neuen Kriegsminister ernannt worden war, und schlug ihm vor, den Kontakt mit den Scherifen von Mekka zu erneuern. Kitchener antwortete umgehend und wies Storrs an, einen vertrauenswürdigen Boten zu Abdullah zu schicken, um erfragen zu lassen, ob im Fall einer osmanischen Kriegserklärung „er und sein Vater und die Araber des He dschas für uns oder gegen uns sein würden“.3 Nach dem Kriegseintritt umwarben sowohl die Türken als auch die Briten den Emir von Mekka mit Eifer. Nach dem Wunsch der Ersteren sollte Scherif Hussein als höchstrangiger muslimischer Würdenträger der arabischen Welt den Dschihad des osmanischen Sultans durch seine Empfehlung unterstützen. Der Scherif jedoch spielte auf Zeit, erklärte seine persönliche Loyalität gegenüber dem Sultan, aber weigerte sich, eine offizielle Verlautbarung in dieser Sache abzugeben, wohl weil er feindliche Vergeltungsmaßnahmen fürchtete. Eine Blockade der Häfen am Roten Meer durch die Royal Navy, so lautete seine Begründung, würde die lebenswichtige Versorgung des Hedschas mit Nahrungsmitteln abschneiden, eine Hungersnot und Stammesaufstände heraufbeschwören. Das war zwar eine clevere Ausrede, aber die Weigerung des Scherifen brachte die Jungtürken in ernste Schwierigkeiten. In der osmanischen Presse lancierten sie frei erfundene Meldungen darüber, dass Scherif Hussein „im ganzen Hedschas zum Heiligen Krieg aufgerufen“ habe und „die Stämme allenthalben seinem Ruf [folgten]“. Insgeheim jedoch planten sie bereits Husseins Absetzung.4 Während die Jungtürken also Scherif Hussein mit Druck dazu bringen wollten, den osmanischen Dschihad zu unterstützen, waren die Briten, in den Worten eines frühen arabischen Nationalisten, fest entschlossen, „dem Aufruf zum Heiligen Krieg seinen hauptsächlichen Stachel zu ziehen“, indem sie kurzerhand selbst mit Scherif Hussain eine Vereinbarung trafen. Im November 1914 schrieb Storrs in Kitcheners Namen an Scherif Husseins Sohn Abdullah, um ein Geheimbündnis zu schließen: Wenn der Scherif und seine arabischen Gefolgsleute die Briten in ihrem Kampf gegen das Osmanische Reich unterstützten, versprach Kitchener ihnen, dass Großbritannien als Garant der arabischen Unabhängigkeit auftreten und den Arabern Schutz gegen Angriffe von außen gewähren werde. Scherif Hussein ließ seinen Sohn daraufhin antworten, dass die Haschemiten
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zwar nichts tun würden, was Großbritannien schaden könne; dass jedoch die Absicht, nicht mit den Osmanen zu brechen, seine Handlungsmöglichkeiten im Moment stark einschränke.5 Die Haschemiten gaben sich also den Briten gegenüber genauso unverbindlich, wie sie den Jungtürken begegnet waren. Für den Fall, dass er sich gegen die osmanische Herrschaft erheben und dabei scheitern sollte, erwartete Hussein der sichere Tod. Er musste deshalb ausreichende Kräfte um sich scharen, um das Gelingen seiner Rebellion sicherzustellen. Außerdem musste der Emir die Ziele und die Reichweite seiner Unabhängigkeitsbewegung klar umreißen: Wollte er ausschließlich die Unabhängigkeit des Hedschas gewinnen? Oder strebte er nach Höherem und wollte weitere Teile der arabischen Welt unter seiner Führung vereinen? Diese Fragen musste er beantworten, bevor er detailliertere Verhandlungen mit den Briten aufnehmen konnte.
* Die Familie Al-Bakri genoss in den besseren Kreisen von Damaskus hohes Ansehen. Und die Al-Bakris waren alte Freunde der haschemitischen Scherifen von Mekka. Als der Sohn Fauzi al-Bakri zum Militärdienst in der osmanischen Armee eingezogen werden sollte, nutzte seine Familie ihren Einfluss, um Fauzi der Leibwache des Emirs von Mekka zuteilen zu lassen. Dort würde er zwar fern der Heimat Dienst tun – doch immerhin noch weiter entfernt von jenen unheilvollen Fronten, an denen immer mehr arabische Wehrpflichtige den Tod fanden: im Kaukasus, in Mesopotamien und an den Dardanellen. Im Januar 1915, unmittelbar vor Fauzis Abreise in Richtung Hedschas, wurde er durch die Vermittlung seines Bruders Nasib in die arabische Geheimgesellschaft Al-Fatat, die Jungarabische Gesellschaft, aufgenommen. Al-Fatat war 1909 in Paris gegründet worden und hatte eine entscheidende Rolle bei der Organisation des Ersten Arabischen Kongresses von 1913 gespielt. In der Zwischenzeit war die Gesellschaft auch in Syrien aktiv, von der osmanischen Repression jedoch in den Untergrund gedrängt worden. So geheim war diese Geheimgesellschaft, dass selbst der ältere Bruder nichts von den politischen Umtrieben des jüngeren geahnt hatte. Die jungen syrischen Nationalisten vertrauten Fauzi eine mündliche
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Scherif Hussein ibn Ali von Mekka (um 1854–1931). Nach einem ausführlichen Briefwechsel mit britischen Regierungsvertretern in Ägypten verkündete Scherif Hussein schließlich am 5. Juni 1916 den Arabischen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft.
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Botschaft an den Scherifen Hussein an, die zu gefährlich schien, als dass man sie hätte schriftlich übermitteln können.6 In der letzten Januarwoche traf Fauzi al-Bakri in Mekka ein. Er wartete ab, bis er mit dem Scherifen allein war; dann flüsterte er dem Emir seine Botschaft ins Ohr: Die führenden Köpfe der nationalistischen Bewegungen in Syrien und im Irak planten einen Aufstand gegen die Osmanen, ihr Ziel war die arabische Unabhängigkeit. Viele der Beteiligten waren hohe Offiziere der osmanischen Armee. Wäre Scherif Hussein bereit, die Revolte anzuführen, und wenn ja, würde er eine Delegation in Mekka willkommen heißen, der die Koordinierung des ganzen Vorhabens übertragen werden sollte? Starren Blickes schaute der Emir aus dem Fenster und antwortete nicht, ganz so, als hätte er die Frage nicht gehört. Der leise Bote zog sich taktvoll zurück, um den ehrwürdigen Scherifen die Sache in aller Ruhe überdenken zu lassen. Kurz nachdem Fauzi al-Bakri seine Botschaft überbracht hatte, erhielt Scherif Hussein eindeutige Beweise dafür, dass die Jungtürken ein Komplott gegen ihn schmiedeten. Einige seiner Leibwächter hatten eine Truhe durchsucht, in der die Korrespondenz des osmanischen Gouverneurs der Provinz Hedschas, Vehib Pascha, transportiert wurde. Dabei stießen sie auf Regierungsdokumente, in denen der Sturz und die Ermordung Scherif Husseins skizziert wurden. Diese Enthüllung brachte den einundsechzigjährigen Herrscher von Mekka dazu, seine Neutralität in dem gegenwärtigen Krieg noch einmal zu überdenken. Er musste sich entscheiden zwischen der bedingungslosen Loyalität gegenüber dem Osmanischen Reich – oder einer Revolte, die im Bündnis mit Großbritannien begonnen werden sollte. Doch bevor er diese Entscheidung traf, wollte er noch detailliertere Informationen. Also entsandte Sherif Hussein seinen Sohn Faisal auf eine Erkundungsmission nach Damaskus und Istanbul. Der von Natur aus diplomatische Faisal war der ideale Kandidat für diesen Auftrag. Er war allgemein als Unterstützer der osmanischen Herrschaft bekannt, als ein loyaler – wenn auch bisweilen kritischer – Untertan des Osmanischen Reichs, der sogar als Abgeordneter des Hedschas im osmanischen Parlament gesessen hatte. Offiziell hieß es, Faisal solle in Istanbul mit dem Sultan und dem Großwesir zusammentreffen, um die Beschwerde seines Vaters gegen Vehip Pascha und das jungtürkische Komplott zum Sturz des Scherifen
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vorzubringen. An ihrer Reaktion auf den Protest würde der scharfsinnige Faisal ablesen können, wie es um die Zukunft seines Vaters innerhalb des osmanischen Herrschaftssystems bestellt war. Allerdings waren Faisals Besuche in Damaskus, jeweils auf der Hin- und auf der Rückreise zwischen Mekka und der Hauptstadt, für den Emir ebenso wichtig. Dort sollte Faisal Kontakt zu den Mitgliedern der arabischen Geheimgesellschaften aufnehmen, um sich die Angaben Fauzi al-Bakris bestätigen zu lassen und abschätzen zu können, wie aussichtsreich der angekündigte Aufstand tatsächlich war.7 Ende März 1915 kam Faisal auf dem Weg nach Istanbul zum ersten Mal nach Damaskus. Cemal Pascha, der Generalgouverneur von Syrien und Kommandeur der osmanischen 4. Armee, lud den Sohn des Emirs ein, in seiner Residenz zu logieren. Faisal lehnte mit der Entschuldigung ab, dass er bereits das gastfreundliche Angebot der Familie Al-Bakri angenommen habe. Seine Tage in Damaskus verbrachte er im Gespräch mit osmanischen Beamten und Regierungsvertretern, wobei vor allem der bisherige Kriegsverlauf zur Sprache kam. Cemal war erst kürzlich von seinem ersten, gescheiterten Vorstoß auf den Suezkanal zurückgekehrt und wollte sich nun die Unterstützung der Haschemiten für einen zweiten Angriff sichern. Am Abend traf Faisal sich dann in der relativen Sicherheit der Villa Bakri mit den führenden Köpfen der arabischen Geheimgesellschaften. Weil sie überzeugt waren, dass er ihrer Sache ohnehin mit Wohlwollen begegnen würde, teilten die Nationalisten dem jungen Scherifen aus Mekka freimütig ihre Pläne mit. Sie wollten den Bruch mit dem Osmanischen Reich herbeiführen, fürchteten jedoch die territorialen Begehrlichkeiten der europäischen Mächte. Insbesondere Frankreich hatte aus seinen Ambitionen in Syrien keinen Hehl gemacht. Deshalb forderten sie, bevor sie sich gegen die Osmanen erhoben, zunächst eine Garantie ihrer Unabhängigkeit. Faisal revanchierte sich für die Offenherzigkeit seiner Gesprächspartner, indem er ihnen – zumindest in groben Zügen – die Geheimverhandlungen der Haschemiten mit den Briten schilderte und dabei auch Kitcheners Angebot nicht unerwähnt ließ, Großbritannien werde im Gegenzug für ein antiosmanisches Bündnis die arabische Unabhängigkeit garantieren. Als er nach Istanbul weiterreiste, war Faisal sowohl in die militärische Geheimgesellschaft Al-Ahd als auch in deren zi-
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viles Pendant Al-Fatat aufgenommen worden. Die Nationalisten von Damaskus konnten in seiner Abwesenheit schon einmal darüber nachdenken, was das britische Unterstützungsangebot für einen Aufstand der Araber gegen die osmanische Herrschaft bedeuten mochte. In Istanbul traf Faisal mit dem Sultan und seinem Großwesir zusammen, aber auch mit den führenden Köpfen der Jungtürken. Es war Anfang Mai 1915 und die Stimmung in der Hauptstadt war angespannt. Am Kap Helles und in der später sogenannten ANZAC-Bucht hatten die Alliierten erste Brückenköpfe errichtet, und die jungtürkische Regierung hatte ihre ersten Maßnahmen gegen die osmanischen Armenier in Gang gesetzt. Den Arabern trauten die Jungtürken nur wenig mehr Loyalität zu als den Armeniern. Vor diesem Hintergrund trug Faisal die Beschwerde seines Vaters gegen den osmanischen Gouverneur des Hedschas vor. Die osmanischen Machthaber drückten Faisal ihr Bedauern über das „Missverständnis“ im Zusammenhang mit den Briefen von Vehip Pascha aus; ganz ausräumen mochten sie die Bedrohung für Scherif Husseins Herrschaft jedoch nicht. Talât und Enver drängten die Haschemiten, sich in diesem Krieg vorbehaltlos und mit ganzer Kraft auf der osmanischen Seite zu engagieren. Wenn der Emir von Mekka den Aufruf des Sultans zum Dschihad unterstütze und seine Stammeskrieger zum Einsatz in einem erneuten Sinaifeldzug mobilisiere – sagte man Faisal –, dann könnten Scherif Husseins körperliche Unversehrtheit und die Sicherheit seines Herrschaftsanspruchs in Mekka garantiert werden. Enver und Talât setzten auch Briefe auf, in denen diese Punkte noch einmal bekräftigt wurden und die er seinem Vater überbringen sollte. Der junge Scherif verließ Istanbul Mitte Mai 1915 mit einer klaren Vorstellung von der Position der osmanischen Regierung: Entweder Scherif Hussein würde dem Sultan gegenüber absolut loyal sein – oder er drohte ermordet zu werden. Bei seiner Rückkehr nach Damaskus stellte Faisal fest, dass die arabischen Nationalisten in seiner Abwesenheit nicht untätig gewesen waren. Die Mitglieder der Geheimgesellschaften waren nun der Ansicht, dass Lord Kitcheners Versprechen zum Schutz der arabischen Unabhängigkeit zwar unter Umständen ausreichen mochte, um einen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft zu rechtfertigen; aber sie forderten darüber hinaus noch eine unmissverständliche, verbindliche Zusicherung eines klar definierten Territoriums. Ihre Bedingungen hatten sie in einem Schrift-
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stück niedergelegt, das unter der Bezeichnung „Damaskus-Protokoll“ in die Geschichte eingehen sollte. Das Damaskus-Protokoll legte die Grenzen der arabischen Welt anhand natürlicher Grenzen fest. Die nördliche Grenze verlief von Mersin an der kilikischen Küste über die Ebenen am Fuße des anatolischen Plateaus, entlang einer gedachten Linie, welche die heute in der südlichen Türkei gelegenen Städte Adana, Birecik, Urfa und Mardin berührte, bis hinüber zur persischen Grenze. Im Osten folgte die Begrenzung der persisch-osmanischen Grenze gen Süden bis zum Persischen Golf. Das Arabische Meer und der Indische Ozean bestimmten die Südgrenze der arabischen Welt, während das Rote Meer und das Mittelmeer seine westlichen Ränder markierten. Die arabischen Nationalisten beanspruchten zwar das gesamte Großsyrien, Mesopotamien und die Arabische Halbinsel für sich, waren aber immerhin bereit, der britischen Kolonialmacht auch weiterhin den Hafen von Aden zuzugestehen. Auch postulierte das Damaskus-Protokoll eine Sonderbeziehung zwischen Großbritannien und den Arabern, die durch ein Defensivbündnis festgeschrieben und um eine „wirtschaftliche Bevorzugung“ ergänzt werden sollte.8 Die Köpfe der arabischen Bewegung autorisierten Scherif Hussein, die arabische Unabhängigkeit gemäß den im Damaskus-Protokoll festgehaltenen Leitlinien mit den Briten auszuhandeln. Wenn es ihm gelänge, die britische Zustimmung zu den dort geäußerten Gebietsforderungen zu erhalten, versprachen sie im Gegenzug, seinem Aufruf zur Revolte Folge zu leisten und den Emir von Mekka als „König der Araber“ anzuerkennen, sobald der Aufstand erfolgreich beendet war. Faisal legte das DamaskusProtokoll zu den Schreiben an seinen Vater, die er in Istanbul von Enver und Talât erhalten hatte. Da seine Mission nun erfüllt war, kehrte er mit allen Informationen nach Mekka zurück, die sein Vater benötigte, um sich für eine von zwei Seiten zu entscheiden: für ein osmanisches Kriegsbündnis oder für den arabischen Unabhängigkeitskampf. Nach Faisals Ankunft in Mekka am 20. Juni 1915 rief Scherif Hussein seine Söhne zum Kriegsrat zusammen. Eine ganze Woche lang wägten sie die Risiken ab, die mit einer Parteinahme im Weltkrieg verbunden wären. Schließlich beschlossen sie, zuerst den Wortlaut des Damaskus-Protokolls den britischen Verhandlungspartnern in Kairo vorzulegen, bevor sie ihre folgenreiche Entscheidung zwischen osmanischem Dschihad und arabischem Aufstand trafen.
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Scherif Husseins Sohn Abdullah war es, der einen Brief an seinen Kontaktmann in Kairo, den Orientsekretär Ronald Storrs, aufsetzte. Abdullah erklärte jetzt, er spreche im Namen „der gesamten arabischen Nation“, wenn er die Briten um ihre Unterstützung der arabischen Unabhängigkeit vom osmanischen Reich bitte. Doch zunächst bat er darum, dass die Briten gewisse „absolute Grundsätze“ akzeptierten, die als Basis für ein noch auszuhandelndes Kriegsbündnis dienen sollten. In seinem Schreiben vom 14. Juli 1915 gab Abdullah die Bedingungen des DamaskusProtokolls wortgetreu wieder und ersuchte „die Regierung von Großbritannien, sie binnen dreißig Tagen positiv oder negativ zu beantworten“. So begann der Briefwechsel, in dem zwischen Mekka und Kairo Vorschläge und Gegenvorschläge ausgetauscht wurden, und der inzwischen als die Hussein-McMahon-Korrespondenz bekannt ist. Am Ende sollte die weitreichendste – und die umstrittenste – Vereinbarung stehen, die Großbritannien im Ersten Weltkrieg für den postosmanischen Nahen Osten geschlossen hat.9
* Sowohl der Inhalt als auch der spezifische Zeitpunkt einzelner Briefe der Hussein-McMahon-Korrespondenz waren durch die jeweils herrschenden Erfordernisse des Krieges beeinflusst. Als Abdullahs Schreiben im Juli 1915 bei Ronald Storrs eintraf, waren die Briten noch immer zuversichtlich, dass sie die Osmanen auf Gallipoli schlagen und die Hauptstadt des Osmanischen Reichs erobern würden. Und sie hielten die Gebietsforderungen des Scherifen für exzessiv. „Seine Ansprüche sind in jeglicher Hinsicht überzogen“, schrieb der britische Hochkommissar für Ägypten, Sir Henry McMahon, nach London. Und doch zwang das Scheitern der August-Offensive vor Gallipoli die Briten zu einer Neubewertung ihrer Kriegsstrategie im Osten. In London war man sehr darauf bedacht, die Tür nach Mekka offenzuhalten, zu Scherif Hussein und seinen Söhnen und zu der überaus verlockenden Aussicht auf einen großen Aufstand im Inneren des Osmanischen Reichs.10 Seine Antwort auf Abdullahs Brief adressierte McMahon an den Emir von Mekka persönlich: „Wir haben die Ehre, Ihnen für den freimütigen Ausdruck Ihrer aufrichtigen Sympathien England gegenüber zu danken“,
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begann er sein Schreiben vom 30. August. Dann wiederholte er Kitcheners Versprechen auf Unterstützung „für die Unabhängigkeit Arabiens und seiner Einwohner, zusammen mit unserer Anerkennung des arabischen Kalifats, sobald dieses ausgerufen sein wird“. McMahon vermied es jedoch tunlichst, sich in Diskussionen über Grenzfragen verwickeln zu lassen, da es, wie er schrieb, „voreilig wäre, unsere Zeit mit der Erörterung solcher Details zu verschwenden, während der Krieg noch tobt“. Der Tonfall von Scherif Husseins Antwort an McMahon, die postwendend am 9. September erfolgte, ließ an der Position des Emirs keinen Zweifel aufkommen. Der Scherif verwahrte sich gegen die „Mehrdeutigkeit“ und den „kalten Ton der Zurückhaltung“, mit denen der Hochkommissar sich der Festlegung auf künftige arabische Grenzen entzogen hatte. Persönliche Ambitionen stritt er ab und betonte, er spreche für alle Araber. „Ich bin zuversichtlich, dass Eure Exzellenz nicht daran zweifeln werden, dass nicht ich persönlich es bin, der jene Grenzen einfordert, die allein unsere Rasse [d. h. die Araber] einschließen sollen, sondern dass sie vielmehr allesamt auf Vorschläge aus dem Volk zurückgehen“, beharrte Sherif Hussein auf seine gewundene Art. Die Behauptung des Scherifen, für alle Araber zu sprechen, wurde schon bald von unerwarteter Seite bestätigt. Im August 1915 lief ein arabischer Leutnant der osmanischen Armee bei Gallipoli zu den Briten über. Muhammad Scharif al-Faruqi, ein Mitglied von Al-Ahd aus dem nordirakischen Mossul, kannte die Details des Damaskus-Protokolls und wusste, dass der Emir von Mekka sich in Verhandlungen mit dem britischen Hochkommissar in Kairo befand. Er bestätigte auch, dass diejenigen arabischen Offiziere, die Mitglieder der Geheimgesellschaften waren, dem Sultan ihre Loyalität entzogen und stattdessen dem Scherifen Hussein die Treue geschworen hatten; er sollte sie durch einen Aufstand zur arabischen Unabhängigkeit führen. Bis Oktober war Scharif al-Faruqi dann aus einem Kriegsgefangenenlager an den Dardanellen nach Kairo verlegt worden, wo er von britischen Nachrichtenoffizieren befragt werden sollte. Alles, was Scharif al-Faruqi bei dieser Gelegenheit aussagte, brachte die Briten schließlich zu der Überzeugung, dass Sherif Hussein tatsächlich der Anführer einer breiten arabischen Widerstandsbewegung war, die nur darauf wartete, sich zu einer Revolte gegen das Osmanische Reich zu erheben.11
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Da die Position der Alliierten an den Dardanellen langsam, aber sicher unhaltbar wurde, nahmen die britischen Kolonialbeamten in Kairo ihre Verhandlungen mit den Haschemiten wieder auf – mit größerer Dringlichkeit als zuvor. Die Evakuierung von Gallipoli bescherte den Türken einen bedeutenden Sieg und machte auf osmanischer Seite ganze Divisionen zur Verlegung an andere Fronten frei. Unter diesen Rahmenbedingungen gewann die Einigung mit den Haschemiten besondere Bedeutung. Sir Henry McMahon begriff, dass er auf die Gebietsforderungen des Scherifen würde eingehen müssen, wenn er ein Abkommen treffen wollte. In seinem Brief vom 24. Oktober 1915 bemühte sich der Hochkommissar, die britischen und französischen Interessen im Nahen Osten mit den territorialen Ambitionen des Damaskus-Protokolls in Einklang zu bringen. Die oberste Priorität der britischen Regierung bestand darin, ihre Sonderbeziehung mit den arabischen Scheichtümern am Persischen Golf nicht zu gefährden. Die Herrscher von Oman, der sogenannten Trucial States, von Katar, Bahrain und Kuwait, aber auch Ibn Saud im inneren und im östlichen Teil der Arabischen Halbinsel, waren Protegés der Briten, gebunden an vertragliche Verpflichtungen, die teils bis in das frühe 19. Jahrhundert zurückreichten. Sir Henry McMahon konnte also, wenn er die Unterstützung seiner Regierung für die vom Scherifen vorgeschlagene Grenzgestaltung versprach, dies nur „unbeschadet unserer bestehenden Verträge mit arabischen Stammesführern“ tun. Durch ihren Mesopotamienfeldzug hatten die Briten die osmanischen Provinzen Basra und Bagdad in ihren eigenen Interessenbereich am Persischen Golf hineingezogen. Ohne nun einen explizit kolonialen Anspruch auf Irak zu erheben, sprach Sir Henry doch davon, dass „die etablierte Position und die bestehenden Interessen Großbritanniens“ es notwendig machten, „besondere Verwaltungsmaßnahmen“ zu treffen, um die Provinzen Bagdad und Basra „vor Aggressionen von außen“ zu schützen sowie „das Wohlergehen der ansässigen Bevölkerung sicherzustellen und unsere beiderseitigen ökonomischen Interessen zu wahren“ – das hieß, kurz gesagt, Mesopotamien sollte in das britische Vertragssystem am Persischen Golf eingegliedert werden. Schließlich musste Sir Henry noch sicherstellen, dass er den Arabern gegenüber keine Zusagen machte, die im Widerspruch zu bereits ge-
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schlossenen Vereinbarungen Großbritanniens mit Frankreich standen. Bereits im März 1915 hatte die französische Regierung Anspruch auf Syrien erhoben, das sie nach Kriegsende annektieren wollte, dazu die Region um den Golf von Alexandrette und Kilikien bis zum Taurusgebirge. Die britischen und russischen Verbündeten hatten diese Forderungen aus Paris offiziell anerkannt. McMahon wusste sehr wohl, dass die vollständige Umsetzung der französischen Pläne jede Einigung mit Scherif Hussein zunichte machen würde – und dass umgekehrt jede Beschneidung der französischen Ansprüche den Zorn der Pariser Regierung heraufbeschwören würde.12 Wo deutliche Worte nur Schaden anrichten konnten, entschied Sir Henry McMahon sich für vage Formulierungen. Seine Regierung, führte der Hochkommissar aus, werde den arabischen Gebietsforderungen ihren Segen in einigen Regionen nicht geben können; insbesondere „die beiden Bezirke Mersina [heute Mersin] und Alexandrette [İskenderun] sowie jene Teile Syriens, die westlich der Bezirke Damaskus, Homs, Hama und Aleppo liegen“, sollten den Arabern mit der fadenscheinigen Begründung, die betreffenden Gebiete seien „nicht rein arabisch“, vorenthalten bleiben. Es war dieser leicht durchschaubare Versuch, gewisse arabische Territorien aus der Zusage an den Scherifen herauszuhalten, der die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien, Frankreich und der arabischen Welt nachhaltig belasten sollte – nicht zuletzt, weil strittig blieb, ob nach McMahons unklarer Formulierung Palästina zu jenen Gebieten zählte, die unter eine unabhängige arabische Herrschaft gestellt werden sollten, oder nicht. Aber dies war die Zusage, die der britische Hochkommissar dem Scherifen Hussein machte. „Vorbehaltlich der obigen Einschränkungen“, erklärte Sir Henry, „ist Großbritannien bereit, die Unabhängigkeit der Araber in allen Gebieten, die innerhalb der vom Scherifen von Mekka eingeforderten Grenzen liegen, anzuerkennen und zu unterstützen.“ In den folgenden Schreiben, die vom 5. November 1915 bis zum 10. März 1916 zwischen Mekka und Kairo ausgetauscht wurden, schloss Sir Henry McMahon mit dem Scherifen von Mekka ein Bündnis für die Dauer des Krieges. In die Wochen dieses Briefwechsels fielen die britischen Niederlagen sowohl an den Dardanellen als auch in Mesopotamien. McMahons Brief vom 14. Dezember folgte auf die Entscheidung des briti-
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schen Kabinetts (am 7. Dezember), die Suvla- und ANZAC-Stellungen auf Gallipoli zu räumen, aber auch auf den Beginn der Belagerung von Kut alAmara (am 8. Dezember). Der Brief des Hochkommissars vom 25. Januar 1916 folgte auf die abschließende Evakuierung von Gallipoli (am 9. Januar). Es überrascht wenig, dass McMahons letztes Schreiben (mit Datum vom 10. März) die britischen Siege über die Sanūsīya-Bruderschaft in Ägypten und den russischen Sieg von Erzurum vermerkt, ohne jedoch die bevorstehende Kapitulation von Kut zu erwähnen. McMahons Schreibhand muss schwer geworden sein, als er an die lange Reihe von britischen Niederlagen dachte. Weil er wusste, dass seine britischen Verhandlungspartner in schwerer Bedrängnis waren, verhandelte Scherif Hussein so hart er nur konnte. Anstatt schlicht eine Anerkennung der arabischen Unabhängigkeit zu verlangen, schrieb der Emir jetzt immer häufiger von einem „arabischen Königreich“ und von sich selbst als dessen künftigem Herrscher. Dennoch machte der Emir von Mekka auch bedeutende territoriale Zugeständnisse. Er beanspruchte zwar „die irakischen vilayets [Provinzen]“ als integrale Bestandteile eines künftigen arabischen Königreichs, willigte jedoch ein, „all jene Bezirke, die gegenwärtig von britischen Truppen besetzt sind … für eine kurze Zeit“ unter britischer Verwaltung zu belassen, wenn im Gegenzug „dem arabischen Königreich eine angemessene Summe als Entschädigung für diese Besatzungszeit“ gezahlt werde. Die französischen Ansprüche in Syrien waren für den Emir schon schwerer zu akzeptieren. Die syrischen Provinzen waren, darauf bestand Scherif Hussein, „rein arabisch“ und konnten deshalb dem arabischen Königreich nicht vorenthalten werden. Dennoch gestand der Scherif im Zuge des Briefwechsels seinen Wunsch ein, „alles zu vermeiden, was dem Bündnis zwischen Großbritannien und Frankreich schaden oder die Vereinbarungen beeinträchtigen könnte, die sie während des gegenwärtigen, unglückseligen Krieges getroffen haben“. Allerdings warnte er McMahon auch, dass „wir Sie bei der ersten Gelegenheit nach Kriegsende … um die Herausgabe jener Gebiete bitten werden – von Beirut und seinen Küsten –, die wir einstweilen Frankreich überlassen wollen“. Der Rest des Briefwechsels befasste sich mit den materiellen Erfordernissen eines großen Aufstandes: Gold, Getreide und Gewehre, um den bevorstehenden Kampf der Araber gegen die Türken zum Erfolg zu führen.
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Sir Henry McMahon hätte es besser nicht machen können: Es war ihm gelungen, eine Vereinbarung mit dem Scherifen von Mekka zu treffen, die jedoch das von den Franzosen beanspruchte syrische Territorium genauso ausklammerte wie die irakischen Provinzen, welche die Briten für sich behalten wollten. Die Tatsache, dass die in der Hussein-McMahon-Korrespondenz ausgehandelten Grenzen so vage blieben, erwies sich für die britisch-arabischen Beziehungen in Kriegszeiten als ein echter Vorteil. Im Interesse der britisch-französischen Beziehungen jedoch würde man für die Aufteilung der arabischen Territorien nach dem Krieg eine präzisere Vereinbarung treffen müssen.
* Die britische Regierung war gehalten, für ihre Versprechen an Scherif Hussein die Zustimmung der Franzosen einzuholen. Der britische Außenminister, Sir Edward Grey, hatte die französischen Sonderinteressen in Syrien schon früher anerkannt. Im Oktober 1915 bat das britische Außenministerium darum, dass die französische Regierung eine Abordnung von Unterhändlern nach London schicken solle, damit die Ansprüche Frankreichs in Syrien durch die Festlegung von Grenzverläufen klar definiert werden konnten. Der französische Außenminister bestimmte seinen früheren Generalkonsul in Beirut, Charles François Georges-Picot, für diese Aufgabe. Sein Verhandlungspartner auf britischer Seite war Sir Mark Sykes, der Nahostberater Lord Kitcheners. Zusammen sollten sie für die Zeit nach dem Krieg eine für beide Seiten akzeptable Aufteilung der arabischen Länder ausarbeiten.13 Die Tatsache, dass Briten und Franzosen Land unter sich aufteilten, das Scherif Hussein für sein künftiges arabisches Königreich beanspruchte, hat viele Historiker dazu bewogen, das Sykes-Picot-Abkommen als ein besonders abstoßendes Beispiel kolonialer Hinterlist zu brandmarken – und keiner hat dies wohl eloquenter getan als der palästinensische Historiker George Antonius, der schrieb: „Das Sykes-Picot-Abkommen ist ein schockierendes Dokument. Nicht nur als ein Erzeugnis übelster Gier – will sagen, einer Gier, die mit Misstrauen einhergeht und deshalb geradewegs in die Dummheit führt; sondern es ist auch das abschreckende Beispiel eines bestürzenden Doppelspiels.“ Und doch war für Großbritannien und
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Frankreich, deren koloniale Rivalitäten sie in der Vergangenheit bis an den Rand eines Krieges geführt hatten, das Sykes-Picot-Abkommen von grundlegender Bedeutung – damit Frankreich einmal seine Gebietsansprüche in Kilikien und Syrien präzise definierte und Großbritannien seine Ansprüche in Mesopotamien absteckte. Und das waren eben genau die Gebiete, die Sir Henry McMahon aus seiner Zusage an den Scherifen Hussein hatte heraushalten wollen.14 Über das Sykes-Picot-Abkommen sind viele falsche Vorstellungen im Umlauf. Auch mehr als 100 Jahre später glauben viele immer noch, das Abkommen habe die Grenzen des heutigen Nahen Ostens festgeschrieben. Tatsächlich aber hat die von Sykes und Picot entworfene Karte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Nahen Osten von heute. Stattdessen legte sie in Syrien und Mesopotamien koloniale Einflusssphären fest, in denen Frankreich und Großbritannien nach Belieben „jede direkte oder indirekte Regierung oder Aufsicht einrichten [konnten], die ihnen richtig [erschien]“.15 In der „Blauen Zone“ vertrat Frankreich seinen Anspruch auf die östliche Mittelmeerküste von Mersin bis Adana, weiter um den Golf von Alexandrette und dann südlich an den Küsten des heutigen Syrien und Libanons entlang bis zum alten Hafen von Tyros. Die Franzosen beanspruchten außerdem einen weiträumigen Teil Ostanatoliens bis zu einem Punkt nördlich von Sivas und östlich von Diyarbakır und Mardin – alle drei Städte liegen heute deutlich innerhalb der Republik Türkei. In der „Roten Zone“ hingegen sicherten sich die Briten ihr Einflussgebiet in Mesopotamien, das die beiden irakischen Provinzen Basra und Bagdad umfasste. Die unermesslichen Weiten zwischen diesen blau und rot markierten Zonen wurden wiederum aufgeteilt in eine „A-Zone“ und eine „B-Zone“, in denen Frankreich beziehungsweise Großbritannien einen eher informellen Einfluss ausüben sollten. In der A-Zone kamen die größeren Städte im syrischen Landesinneren – Aleppo, Homs, Hama und Damaskus, aber auch Mossul im Nordirak – unter indirekte französische Herrschaft. Die Briten hingegen machten ihren Einfluss in der B-Zone geltend, die sich über die Wüstengebiete des nördlichen Arabien vom Irak bis zur ägyptischen Sinaigrenze erstreckte. Diese beiden Zonen sollten Teil „eines unabhängigen Araberstaates oder einer Föderation arabischer Staaten“
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sein und als solche „unter die Oberherrschaft eines arabischen Fürsten“ gestellt werden – eine Formulierung, die bei Weitem nicht an die Zusagen McMahons an den Scherifen Hussein herankam. Die einzige Region, über die sich Briten und Franzosen nicht einig wurden, war Palästina. Es gelang ihnen nicht, ihre widerstreitenden Ansprüche miteinander zu vereinbaren, und sie mussten außerdem noch damit rechnen, dass durch die Begehrlichkeiten Russlands die Verhandlungen noch komplizierter werden würden. Sykes und Picot beschlossen, Palästina auf ihrer Karte braun einzufärben, um es von den blauen und roten Zonen abzusetzen, und regten an, es unter eine „internationale Verwaltung“ zu stellen, deren endgültige Gestalt in Gesprächen mit Russland, den „anderen Alliierten und den Vertretern des Scherifen von Mekka“ ausgehandelt werden sollte – dies war die einzige explizite Erwähnung von Scherif Hussein im Text des Sykes-Picot-Abkommens. Im März 1916 reisten Sykes und Picot nach Russland, um den Segen ihres Entente-Verbündeten für den entworfenen Teilungsplan einzuholen. Zusätzlich zu den früheren russischen Ansprüchen auf die Dardanellen und den Bosporus sowie auf Konstantinopel, die allesamt in dem geheimen Abkommen über Konstantinopel und die Meerengen von 1915 bestätigt worden waren, wollten die Unterhändler des Zaren nun auch, dass Großbritannien und Frankreich die russische Annexion all jener türkischen Gebiete anerkannte, die von der russischen Armee in jüngster Zeit erobert worden waren: Erzurum und der Schwarzmeerhafen Trabzon, die verwüstete Stadt Van sowie Bitlis. Dies sollte der Preis für ihr Einverständnis mit den Bedingungen des Sykes-Picot-Abkommens sein. Als sie die russische Zustimmung bis Mai 1916 erwirkt hatten, war den Alliierten eine umfassende Regelung für die Aufteilung des Osmanischen Reichs in der Zeit nach dem Krieg gelungen. Und zumindest für den Moment war es ihnen sogar gelungen, die ganze Angelegenheit vor ihren arabischen Verbündeten, Scherif Hussein und seinen Söhnen, geheim zu halten.
* In den ersten Monaten des Jahres 1916, während die Entente-Mächte noch ihre geheimen Pläne für die Zeit nach dem Krieg schmiedeten, wurde der Druck auf Scherif Hussein und seine Söhne immer größer. Cemal Pascha,
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der Oberbefehlshaber der osmanischen Truppen in Syrien, bereitete einen erneuten Angriff auf britische Stellungen in Ägypten vor und forderte, dass die Haschemiten hierzu Hilfstruppen von Stammeskriegern ausheben sollten, um ihre Loyalität zum Osmanischen Reich unter Beweis zu stellen. Der Kommandeur der osmanischen 4. Armee hatte begonnen, die Absichten der Haschemiten – und die Vertrauenswürdigkeit der Araber überhaupt – in Zweifel zu ziehen. Unter dem immensen Druck eines totalen Krieges verhärtete sich Cemals autoritäre Herrschaft über Syrien zu einem Terrorregime, dessen Auswirkungen den osmanischen Machtanspruch in den arabischen Provinzen weiter aushöhlen sollten. Zu Beginn seiner Amtszeit als Generalgouverneur der syrischen Provinzen stieß Cemal Pascha auf zwingende Beweise für die arabische Illoyalität gegenüber dem Sultan. Nachdem das Osmanische Reich in den Krieg eingetreten war, ordneten die Verantwortlichen vor Ort die Beschlagnahme der britischen und französischen Konsulatsarchive an, von deren Inhalt man sich geheimdienstliche Erkenntnisse erhoffte. In Beirut wie in Damaskus fuhren die osmanischen Entscheidungsträger eine reiche Ernte ein. In den Akten der französischen Konsulate waren umfangreiche Briefwechsel mit Angehörigen der arabischen Geheimgesellschaften abgelegt – darunter viele Teilnehmer des Arabischen Kongresses von 1913 in Paris –, die sich um französische Unterstützung für die arabische Sache bemühten. Die Forderungen reichten dabei von einer größeren Autonomie der Araber im Osmanischen Reich bis hin zu einer völligen Unabhängigkeit unter französischer Protektion. Zahlreiche prominente Persönlichkeiten – Muslime wie Christen – wurden durch diese Dokumente belastet; die Liste der Namen las sich wie ein Who’s who der gebildeten syrischen Elite, darunter Parlamentsabgeordnete, Journalisten, religiöse Würdenträger und Armeeoffiziere. Anfangs hatte Cemal Pascha beschlossen, die belastenden Dokumente schlicht zu ignorieren. Er war nach Syrien gekommen, um ein osmanisches Heer bei seinem effektvollen Angriff auf den Suezkanal anzuführen, der einen Aufstand gegen die britische Kolonialherrschaft in Ägypten provozieren sollte. Er hielt die arabisch-nationalistische Bewegung für eine politische Randerscheinung, die durch osmanische Militärerfolge neutralisiert werden würde. Politische Gerichtsprozesse konnten dagegen nur zu einer Schwächung der öffentlichen Moral führen – und das zu einem Zeitpunkt,
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da Cemal gerade auf ein klares, zielgerichtetes Zusammenwirken aller Kräfte setzte, um das britisch besetzte Ägypten angreifen zu können.16 Das Fehlschlagen des osmanischen Vorstoßes auf den Suezkanal im Februar 1915 führte dazu, dass sich Cemals Haltung den arabischen Nationalisten gegenüber verhärtete. Zahlreiche arabische Kämpfer, die ihre Beteiligung am Krieg auf osmanischer Seite zugesagt hatten, waren zunächst einmal im Hintergrund geblieben und hatten Cemals demütigenden Rückzug vom Sinai aus sicherer Entfernung mitverfolgt. Auch die Haschemiten hatten an diesem Feldzug nicht teilgenommen, nachdem es ihnen nicht gelungen war, die Stämme des Hedschas für die Sache des Sultans zu mobilisieren. Außerdem hatte der osmanische Misserfolg dazu geführt, dass öffentlich Zweifel über die Zukunftsaussichten des Reichs laut geworden waren. Ihsan Turdschman, ein arabischer Soldat der osmanischen 4. Armee, der aus einer Familie der Jerusalemer Mittelschicht stammte, hielt in seinem Tagebuch eine Unterhaltung mit drei Freunden fest, von denen zwei osmanische Armeeoffiziere waren. Ende März 1915, nach dem fehlgeschlagenen Vorstoß auf den Suezkanal, diskutierten die vier Männer über den Verlauf „dieses elenden Krieges“ sowie „das Schicksal dieses [osmanischen] Staates. Wir stimmten mehr oder weniger darin überein, dass die Tage dieses Staates gezählt sind und seine Zerteilung unmittelbar bevorsteht“. Und während ganz normale arabische Untertanen des Sultans den Untergang des Osmanischen Reichs bereits aufziehen sahen, wurde die Gefahr durch die Geheimgesellschaften immer größer. Also beschloss Cemal Pascha, der Gefahr durch die arabische Bewegung ein Ende zu machen.17 Falih Rıfkı, ein brillanter junger Journalist aus Istanbul, erlebte Cemal Paschas hartes Durchgreifen aus nächster Nähe mit. Rıfkı hatte sich im Großwesirat nach oben gedient und durch seine wöchentliche Kolumne in der führenden Istanbuler Tageszeitung Tanin die Aufmerksamkeit der jungtürkischen Führung erregt. Als Berichterstatter in den Balkankriegen lernte er Enver Pascha kennen. Nach seinem Amtsantritt als Innenminister ernannte Talât Pascha Rıfkı zu seinem Privatsekretär. Als Cemal Istanbul verließ, um seinen Posten als Generalgouverneur von Syrien und Kommandeur der 4. Armee anzutreten, ersuchte er ausdrücklich darum, dass Rıfkı als Leiter der Nachrichtenabteilung seines Generalstabs abgestellt wurde. Irgendwann im Laufe des Jahres 1915 traf Rıfkı in Jerusalem ein.
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Cemals Hauptquartier war 1915 ein deutsches Gästehaus auf dem Ölberg, mit einem weiten Ausblick über die ummauerte Stadt Jerusalem. Der General stand mit dem Rücken zu Rıfkı, der sich zu einer nervösen Schar gesellt hatte, die vor Cemals Tür wartete. Cemal war aufgebracht, überflog Briefe, unterzeichnete Dokumente und bellte seinen Untergebenen Befehle zu. „Mein Adjutant soll die Delegation aus Nablus herschaffen!“, befahl er. Die verängstige Gruppe von 20 Männern, angesehene Bürger ihrer Stadt, hielt an der Schwelle zu Cemals Büro kurz inne, um noch ein schnelles Gebet zu sprechen. Dann nahmen sie vor dem großen Fenster Aufstellung, durch das man Jerusalem und seine Umgebung sehen konnte. Falls Cemal ihr Eintreten überhaupt zur Kenntnis genommen hatte, ließ er es sich nicht anmerken, sondern widmete sich weiter seinen Unterlagen. Rıfkı wusste nicht, wessen die Männer angeklagt waren, aber ihren angsterfüllten Mienen konnte er entnehmen, dass sie um ihr Leben fürchteten. Nachdem er die ehrbaren Bürger aus Nablus eine Weile – für sie bestimmt eine Ewigkeit – hatte warten lassen, knallte der Generalgouverneur ein Bündel Papiere auf die Schreibtischplatte und drehte sich zu ihnen um. „Ist Ihnen die Schwere der Verbrechen bewusst, die Sie gegen den Hohen [osmanischen] Staat begangen haben?“, fragte er herrisch. „In Gottes Namen, vergebt uns“, stammelten die Männer verzweifelt. Mit einem Blick brachte Cemal sie zum Schweigen. „Wissen Sie, welche Strafe auf derartige Vergehen steht?“, fuhr der Pascha fort. „Sie haben alle den Strick verdient.“ Rıfkı sah, wie das Blut aus den angsterfüllten Gesichtern wich. „Ja, den Strick sage ich – aber danken Sie lieber der Hohen Pforte für ihre Gnade und Großzügigkeit. Für den Moment soll es mir genug sein, wenn Sie und Ihre Familien in die Verbannung nach Anatolien geschickt werden.“ Erleichtert darüber, dass ihnen der Galgen erspart geblieben war, warfen die Honoratioren sich zu Boden und dankten Gott für ihre wunderbare Errettung. „Sie können gehen“, meinte Cemal Pascha noch. Die Audienz war beendet. Aufgeschreckt hasteten die Männer aus dem Raum. Cemal Pascha wartete nicht ab, bis sein Büro wieder leer war, sondern drehte sich mit einem strahlenden Lächeln zu Rıfkı um und hieß ihn auf seinem neuen Posten willkommen. Er musste bemerkt haben, dass der Journalist von der Szene, die er gerade miterlebt hatte, verstört war – ehr-
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würdige Bürger aus Nablus waren für ungenannte Verbrechen mit einer willkürlichen Strafe belegt worden. „Was erwarten Sie denn!“, meinte Cemal Pascha mit einem Schulterzucken. „Hier muss man sich so benehmen!“18 Ab 1915 begann die osmanische Obrigkeit, zahlreiche Araber von zweifelhafter Loyalität ins Exil zu schicken. Einen Großteil der Verantwortung für diese Strategie trug Cemal Pascha. „Egal wo Sie hinschauen, überall gibt es Leute, die ich persönlich verbannt habe“, rühmte er sich einmal Falih Rıfkı gegenüber und lächelte. Besonders verdächtig waren Männer, denen man arabisch-nationalistische Neigungen nachsagte, sowie arabische Christen, deren Kirchen bislang unter dem Schutz der Großmächte Russland oder Frankreich gestanden hatten. Anders als im Fall der deportierten Armenier bedeutete eine solche Verbannung aus den arabischen Provinzen keineswegs den Auftakt zu Massenmord und Todesmärschen. Stattdessen war es eine Taktik, um die Bedrohung zu neutralisieren, die für den Staat von einem Individuum ausging, das man von seinen „gefährlichen“ Freunden und Mitstreitern isolieren musste. Die Exilierten waren gezwungen, von ihren persönlichen Ressourcen zu leben, und sobald diese aufgebraucht waren, gerieten sie in eine völlige Abhängigkeit von der osmanischen Regierung. Ihre Freunde und Verwandten taten alles, um ihre Loyalität dem Sultan gegenüber unter Beweis zu stellen – damit ihre Lieben bald aus der Verbannung zurückkehrten. Bis zum Ende des Krieges hatten die Behörden geschätzt 50 000 Menschen ins Exil geschickt.19 Durch die neue Exilierungsstrategie wurde die Dorfbevölkerung, die bereits zahlreiche Wehrpflichtige gestellt hatte, noch weiter ausgedünnt. Die Auswirkungen auf Handel und Landwirtschaft waren verheerend: Läden mussten schließen und Felder lagen brach, während die Höfe von überlasteten Frauen, Kindern und Älteren bewirtschaftet wurden. Als ob die Katastrophe des Krieges nicht genug gewesen wäre, schien auch die Natur sich gegen den Menschen zu wenden, als riesige Schwärme von Wanderheuschrecken in Syrien einfielen. „Überall im Land greifen die Heuschrecken an“, notierte Ihsan Turdschman im März 1915 in sein Tagebuch. „Die Invasion der Heuschrecken begann vor sieben Tagen; den ganzen Himmel bedeckten sie. Heute hat es zwei Stunden gedauert, bis die Heuschreckenwolke über der Stadt [Jerusalem] vorbeigezogen war. Gott
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schütze uns vor den drei Plagen: Krieg, Heuschrecken und Seuchen, denn sie greifen überall im Land um sich.“ Syrien war auch in der Vergangenheit immer wieder von Heuschrecken heimgesucht worden, aber die Plage von 1915 war beispiellos, sowohl in ihrer Intensität als auch in ihrer geografischen Ausdehnung. In dem verzweifelten Versuch, dem Schädlingsheer Einhalt zu gebieten, wiesen die osmanischen Behörden alle Einwohner zwischen 15 und 60 Jahren an, 20 Kilogramm Heuschreckeneier pro Woche einzusammeln, die in Regierungsdepots zur Vernichtung abgeliefert werden mussten. Wer dieser Anordnung nicht nachkam, musste mit empfindlichen Geldstrafen rechnen. Die Bewohner von Jerusalem nahmen diesen Aufruf ernst. Sechs Wochen nachdem die ersten Schwärme gesichtet worden waren, bemerkte Turdschman, dass die Läden von Jerusalem geschlossen blieben, „weil die meisten Leute unterwegs waren, um Heuschreckeneier einzusammeln“. Allerdings waren die Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Plage vollkommen unzureichend. Den ganzen Sommer hindurch und bis weit in die Herbstmonate hinein verheerten riesige Wolken von Insekten die Felder und Obstgärten der ganzen Region. Die Ernte war größtenteils dahin; je nach Gegend wurden in Syrien Verluste von 75 bis 90 Prozent der Erträge gemeldet. Das wenige, was übrigblieb, wurde als Proviant der osmanischen Armee zugeführt – oder von einigen Glücklichen gehortet. Eine ernste Lebensmittelknappheit war die unausweichliche Folge. Der Hunger hielt Einzug in den Städten und Dörfern Palästinas, Syriens und des Libanons. Im Dezember 1915 gab es auf den Märkten von Jerusalem kein Mehl mehr. „Schwärzere Tage habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen“, hielt Ihsan Turdschman in seinem Tagebuch fest. „Seit letztem Samstag sind Mehl und Brot praktisch verschwunden. Viele haben jetzt schon seit Tagen kein Brot mehr gegessen.“ Nahe dem Damaskustor erlebte er, wie eine große Menschenmenge – Männer, Frauen und Kinder – um Mehl rangelte. Nachdem immer mehr Hungrige herbeigeströmt waren, brach schließlich ein Handgemenge aus. „Ein Leben ohne Reis, Zucker und Kerosin haben wir bisher noch ertragen. Aber wie sollen wir ohne Brot leben?“ Im Jahr 1916 wurde der Hunger zur Not. Die Heuschreckenplage, die Kriegsrequisitionen und das Horten Einzelner sorgten im Zusammenspiel
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mit Transport- und Verteilungsproblemen für eine Hungerskatastrophe, die bis zum Kriegsende zwischen 300 000 und 500 000 Zivilisten in Syrien und im Libanon das Leben kosten sollte. Auf syrischem Gebiet wurden die Hungersnot und die anderen Härten der Kriegsjahre sogar gleichbedeutend mit dem Krieg selbst; die Menschen nannten das alles zusammen Seferberlik, das ist das türkische Wort für „allgemeine Mobilmachung“. Der Weltkrieg, das war Seferberlik, war eine ganze Kette von Unheil, die mit der allgemeinen Mobilmachung begonnen und geradewegs zu Missernten, Inflation, Seuchen, Hunger und Tod geführt hatte. Auch unzählige Nichtkombattanten, mehr als jemals zuvor, verloren so ihr Leben.20 Ein syrischer Emigrant, der im April 1916 auf geheimer Mission im französischen Auftrag durch Syrien und den Libanon reiste, erlebte das Leiden aus nächster Nähe mit. Er traf auf Überlebende, die ihre todgeweihten Dörfer auf der Suche nach Nahrung verlassen hatten. Er traf auf zahlreiche Skelette von Opfern der Hungersnot, die man unbegraben einfach dort am Wegesrand zurückgelassen hatte, wo sie zusammengebrochen waren. Im Gespräch mit einem desillusionierten arabischen Offizier in Damaskus beschuldigte er die osmanische Regierung, diese Hungersnot gezielt provoziert zu haben, um das Reich von seinen „treulosen“ christlichen Untertanen zu säubern. „Die Armenier haben sie schon über die Klinge springen lassen, und so wollen sie jetzt auch die [christlichen] Libanesen durch Hunger auslöschen, damit sie ihren türkischen Herren nie wieder zur Last fallen.“21 Enver Pascha bestand dennoch darauf, dass „die alliierte Seeblockade“, die in den ersten Kriegsmonaten errichtet worden war, „die eigentliche Schuld an dieser Hungersnot“ trug. Britische und französische Kanonenboote hinderten sämtliche anderen Schiffe daran, in syrische Häfen einzulaufen – selbst solche, die Hilfsgüter an Bord hatten. Dem Vernehmen nach wandte sich Enver im Jahr 1916 an den Vatikan, um die Verteilung von Lebensmittelspenden in Syrien und im Libanon abzusprechen. Im Gespräch mit dem päpstlichen Gesandten in Istanbul gestand Enver ein, dass die Osmanen nicht über genügende Nahrungsvorräte verfügten, um in Syrien sowohl die Armee als auch die Zivilbevölkerung zu versorgen. Er drängte deshalb den Vatikan, Briten und Franzosen davon zu überzeugen, dass sie wenigstens ein Schiff mit Lebensmitteln pro Monat durch ihre
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Blockade ließen. Der Papst sollte eine Instanz zur Verteilung dieser Hilfsgüter bestimmen, damit die Alliierten sicher sein konnten, dass sie nicht den türkischen Soldaten zugutekamen. Aus dieser „Vatikan-Initiative“ Envers wurde jedoch nichts. Wie viele Osmanen war Enver überzeugt davon, dass die Alliierten die Syrer mit voller Absicht aushungerten, entweder um den Widerstand gegen eine Invasion schon im Vorfeld zu schwächen oder um einen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft auszulösen.22 Enver hatte guten Grund, einen Aufstand in den syrischen Provinzen zu fürchten. Die hohen osmanischen Kriegsverluste hatten zusammen mit den Entbehrungen des Krieges viele arabische Untertanen gegen die Regierung des Sultans aufgebracht. Als Gouverneur von Syrien war es Cemal Paschas Aufgabe, diese arabische Bedrohung niederzuhalten. Er hoffte, durch abschreckende Strafen gegen Individuen jeder arabischen Bewegung gleichsam den Kopf abschlagen zu können, die sich ansonsten mit den Feinden des Osmanischen Reichs hätte verbünden können. Und er wollte die syrischen Eliten durch Abschreckung davon abhalten, sich im separatistischen Sinne politisch zu betätigen. Schließlich war, wie der türkische Journalist Falih Rıfkı vermutete, „[das Komitee für] Einheit und Fortschritt der Todfeind aller Nationalisten und Unabhängigkeitsbewegungen unter den Minderheiten [im Osmanischen Reich], ob Albaner oder Armenier, Griechen oder Araber“.23
* Im Juni 1915 befahl Kemal Pascha die erste Welle von Festnahmen arabisch-nationalistischer Aktivisten. Er richtete ein Militärgericht ein, vor dem die Männer angeklagt wurden, das bis August 1915 seine Beweisaufnahme abgeschlossen hatte. Cemal Pascha wies die Richter an, gegen alle Angeklagten, die der Mitgliedschaft in einer arabischen Geheimgesellschaft schuldig befunden worden waren, die Todesstrafe zu verhängen. Dasselbe galt für alle Angeklagten, die man wegen ihrer Verschwörung mit den Franzosen gegen das Osmanische Reich verurteilte. Insgesamt wurden 13 Angeklagte schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. (Zwei Todesurteile wurden später in lebenslange Gefängnisstrafen umgewandelt.) Die ersten Hinrichtungen durch den Strang fanden in Beirut am 21. August 1915 statt. Osmanische Soldaten und Polizisten riegelten den zentral
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gelegenen Al-Burdsch-Platz für den Verkehr ab, während die Verurteilten im Dunkel der Nacht zum Galgen geführt wurden. Die Nachricht von diesen Hinrichtungen verbreitete sich in den arabischen Provinzen des Reichs wie ein Lauffeuer. Ende des Monats erreichte sie, mündlich weitergegeben, auch Jerusalem. „Ich kannte keinen jener Patrioten“, schrieb Ihsan Turdschman am 1. September in sein Tagebuch, „aber die Nachricht von ihrem Tod erschütterte mich zutiefst“. Turdschman fühlte sich jenen Arabern, die von den Türken gehenkt worden waren, durch ein Band der nationalen Zugehörigkeit verbunden. „Lebt wohl, meine tapferen Landsleute“, rief er ihnen hinterher. „Mögen unsere Seelen einander begegnen, sobald eure edlen Ziele erreicht sind.“24 Wie sich herausstellte, waren die Hinrichtungen vom August 1915 lediglich der Beginn einer Schreckensherrschaft. Schon im September 1915 ordnete Cemal Pascha die Festnahme von Dutzenden weiterer Männer an, deren Namen in den Dokumenten aufgetaucht waren, die man im französischen Konsulat beschlagnahmt hatte. Die Gefangenen wurden in die Stadt Aley verschleppt, die im Libanongebirge auf halbem Weg von Beirut nach Damaskus gelegen ist. Zwischen den Sitzungen des Militärgerichts wurden die Angeklagten gefoltert, damit sie Pläne sowie Namen weiterer Mitglieder ihrer Geheimbünde preisgaben. Wer jetzt noch nicht festgenommen war, ging in den Untergrund oder versuchte, das Land zu verlassen. Die osmanische Repression zeigte Wirkung. Im Damaskus-Protokoll vom Mai 1915 noch hatten die Araber so selbstbewusst die Grenzen ihrer Unabhängigkeit bestimmt – was wiederum die Grundlage für die territorialen Ansprüche des Scherifen Hussein in der Hussein-McMahonKorrespondenz gewesen war –; nun war diese zuvor stolze Bewegung binnen weniger Wochen gebrochen und auf der Flucht.
* Damaskus war eine gefährliche Stadt, als Scherif Husseins Sohn Faisal im Januar 1916 dorthin zurückkehrte. Sein Ziel war es, gemeinsam mit den Verfassern des Damaskus-Protokolls einen Aufstand vorzubereiten. Faisal hatte alle Vorkehrungen getroffen. Er reiste mit einem Gefolge aus 50 Bewaffneten, die er den misstrauischen osmanischen Beamten gegenüber als die Vorhut jener Hedschas-Miliz darstellte, deren Aushebung sein Vater,
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Scherif Hussein, für den nächsten osmanischen Vorstoß auf den Suezkanal versprochen hatte. Cemal Pascha hieß Faisal und seine Männer willkommen und lud seine haschemitischen Gäste ein, alle Annehmlichkeiten der Gouverneursresidenz zu genießen. Bei seinen Besuchen im Haus der Familie Al-Bakri, deren Sohn Nasib dem Fahndungsnetz von Cemals Häschern entkommen war, erfuhr Faisal vom Schicksal der arabischen Nationalisten von Damaskus – von den Verlegungen arabischer Regimenter in Gegenden fern ihrer Heimat und auf
Enver Pascha (Mitte) und Cemal Pascha (links von Enver) im Februar 1916 in Jerusalem. Die zwei führenden Jungtürken reisten Anfang 1916 durch Syrien, Palästina und den Hedschas, um den Stand der Kriegsbereitschaft in den arabischen Provinzen zu bewerten.
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die blutigen Schlachtfelder von Gallipoli und Mesopotamien; von den Zivilisten, die mitsamt ihren Familien nach Anatolien verbannt worden waren; von den Dutzenden prominenter Bürger der Stadt, denen man vor dem Militärtribunal in Aley wegen Hochverrats den Prozess machte. Angesichts dieser radikal veränderten politischen Situation legte Faisal alle Pläne für einen Aufstand beiseite. Stattdessen versuchte er, sich Cemal Paschas Vertrauen zu erarbeiten und die Freilassung der inhaftierten Aktivisten zu erreichen. Allerdings wurden seine Bemühungen von der immer heftiger werdenden Abneigung seines Vaters gegen die führenden Köpfe der Jungtürken untergraben. Die jungtürkische Führung drängte Scherif Hussein, zu ihrem nächsten Angriff auf den Suezkanal ein Kontingent von freiwilligen Stammeskriegern beizusteuern. Im Februar 1916 reisten Enver und Cemal mit dem Zug nach Medina, um die haschemitischen Truppen zu inspizieren und darauf zu drängen, dass nun Mudschahidin („Dschihad-Soldaten“) aus den heiligen Gegenden des Islam in den Kampf ziehen müssten. Im Gegenzug schrieb der Emir im Folgemonat an Enver Pascha und teilte ihm seine Bedingungen für eine Teilnahme am Dschihad des Sultans mit. Dem Wortlaut nach ähnelte Scherif Husseins Brief eher dem Werk eines arabischen Nationalisten als der Bittschrift eines treuen Dieners seines Sultans. So forderte Hussein eine Amnestie für alle Araber, die als politische Gefangene bereits vor Gericht standen. Er forderte eine dezentralisierte Verwaltung für Großsyrien, die von der Zentralregierung in Istanbul unabhängig sein sollte. Und er forderte, dass das Emirat von Mekka in seiner Familie erblich werden solle, und zwar unter Wiederherstellung sämtlicher Privilegien, die früher mit diesem Titel verbunden gewesen waren. Enver antwortete mit brutaler Direktheit: „Derlei Angelegenheiten liegen außerhalb Eures Zuständigkeitsbereichs, und es wird Euch überhaupt nichts bringen, wenn Ihr auch weiterhin danach verlangt“, warnte er den Emir. Enver erinnerte Hussein auch an seine Pflicht, dem Osmanischen Reich Soldaten zur Verfügung zu stellen, die sein Sohn Faisal befehligen sollte, „welcher bis zum Ende des Krieges ein Gast der 4. Armee bleiben wird“. Der Scherif ließ sich von Envers kaum verhohlener Drohung, Faisal als Geisel zu nehmen, nicht beirren und überließ seinen Sohn den Jungtürken; seine Bedingungen änderte er nicht. Er hatte zu diesem Zeitpunkt
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noch keine Vorstellung davon, wie brutal die Jungtürken gegen alle diejenigen vorgehen sollten, die sie arabisch-separatistischer Umtriebe verdächtigten.25 Im April 1916 schloss das osmanische Militärgericht von Aley wiederum seine Beweisaufnahme ab. Dutzende Angeklagte wurden wegen „hochverräterischer Teilnahme an Aktivitäten zur Abspaltung Syriens, Palästinas und des Iraks vom Sultanat sowie deren Umformung zu einem unabhängigen Staat“ verurteilt. Zwar wusste jedermann, dass auf Hochverrat die Todesstrafe stand; jedoch entstammten so viele der Verurteilten prominenten Familien, hatten als Mitglieder der Abgeordnetenkammer oder des Senats hohe Ämter innegehabt, dass es vollkommen undenkbar erschien, die Regierung könnte derart bedeutende Männer aufhängen lassen wie gewöhnliche Verbrecher.26 Die Haschemiten setzten sich entschieden für die in Aley Verurteilten ein. Scherif Hussein schickte dem Sultan, Cemal Pascha und Talât Pascha Telegramme, in denen er sie um Gnade bat und – mit der Begründung: „Blut fordert Blut“ – davor warnte, die Todesstrafe zu vollstrecken. Auch Faisal, der sich noch in Damaskus befand, setzte sich bei seinen regelmäßigen Treffen mit Cemal Pascha für die Verurteilten ein. Jedoch stießen sämtliche Gnadengesuche bei dem führenden Jungtürken auf taube Ohren, denn Cemal war bereits fest entschlossen, ein Exempel zu statuieren, dessen abschreckende Wirkung den arabischen Separatismus ein für alle Mal zerschlagen sollte. Ohne jede Vorwarnung wurden am 6. Mai 1916, noch vor Morgengrauen, auf den Hauptplätzen von Beirut und Damaskus 21 Verurteilte gehängt. Selbst der türkische Journalist Falih Rıfkı, der die Hinrichtungen in Beirut miterlebte, empfand Sympathie, ja sogar Bewunderung für die Gehenkten. „Die meisten, die man in Beirut aufgeknüpft hat, waren junge Nationalisten“, erinnerte er sich. „Von ihren Zellen bis zum Galgen schritten sie mit hocherhobenem Kopf und sangen dabei die arabische Hymne.“ Später am selben Tag fuhr Rıfkı nach Damaskus, wo bereits vor Sonnenaufgang sieben Männer gehängt worden waren. Wie erstaunt war er, als er feststellte, dass führende Bewohner von Damaskus dennoch ein Bankett zu Ehren Cemal Paschas ausrichteten, gerade einmal 15 Stunden, nachdem die Nationalisten am Galgen geendet waren. „Keinerlei Trauer in Damaskus“, sinnierte Rıfkı, „Dichter, gewerbsmäßige Schmeichler, Redner – alle
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beschwören sie die Dankbarkeit des Landes gegenüber dem großen Mann, der Arabien vor seinen ungehorsamen Kindern gerettet hat.“27 Für die arabischen Nationalisten war Cemal Pascha freilich kein Held. Nach den Hinrichtungen tauften sie ihn Cemal Pascha al-Saffah, das heißt „der Blutrünstige“. In den Augen der Haschemiten war Cemal nicht besser als ein Mörder. Faisal war gerade im Haus der Familie Al-Bakri zu Gast, als ein atemloser Bote die Nachricht von den Hinrichtungen überbrachte. Die Regierung hatte eine Sonderausgabe ihres offiziellen Amtsblattes drucken lassen, in welcher die Namen und die todeswürdigen Vergehen jedes einzelnen Verurteilten aufgelistet waren. Faisal brach das schockierte Schweigen, indem er seine Kopfbedeckung zu Boden warf und, einen Racheschwur auf den Lippen, heftig darauf trat: „Der Tod ist süß geworden, o ihr Araber!“28
* Es gab für Faisal nun keinen Grund mehr, länger in Damaskus zu verweilen. Cemals repressives Regime schloss jegliche politischen Aktivitäten in den syrischen Provinzen von vornherein aus. Eine offene Revolte war indes nur im Hedschas denkbar, wo die arabischen Stammeskrieger den vereinzelten osmanischen Truppen zahlenmäßig überlegen waren. Bevor er jedoch in den Hedschas zurückkehren konnte, musste Faisal zuerst die Erlaubnis Cemal Paschas zum Verlassen von Damaskus einholen. Bei dem geringsten Zweifel an seiner Loyalität, fürchtete Faisal, würde ihm und seinen Leuten das gleiche Schicksal drohen wie ihren toten Freunden: Cemal würde sie ohne Zögern hängen lassen.29 Faisal bediente sich einer List, um Cemal Paschas Erlaubnis zur Rückkehr in den Hedschas zu erhalten. Der Haschemitenprinz behauptete, er habe eine Nachricht seines Vaters erhalten, der zufolge das Kontingent von Freiwilligen aus dem Hedschas nun seine volle Kampfstärke erreicht habe und bereit sei, sich Cemals Truppen in Syrien anzuschließen. Zweifellos glaubten die Jungtürken daraufhin, Scherif Hussein sei durch die Hinrichtungen von Beirut und Damaskus derart eingeschüchtert worden, dass er sich nun vollständig dem Willen des Sultans fügte. Faisal wurde also autorisiert, nach Medina zurückzukehren, um die Mudschahidin aus dem Hedschas persönlich nach Damaskus zu holen.
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Ganz überzeugt war Cemal Pascha von Faisals Geschichte allerdings nicht. Zu energisch hatte der junge Scherif sich für die verurteilten arabischen Nationalisten eingesetzt. Auch hatte der Kommandeur der osmanischen Garnison in Medina den Scherifen Ali, Husseins ältesten Sohn, und die Hedschas-Miliz beschuldigt, sich in Angelegenheiten des osmanischen Militärs einzumischen. Und die letzten Schreiben des Scherifen Hussein an Enver und Cemal grenzten schon an Hochverrat. Aber letztlich überwogen die Vorteile, die Cemal sich von der Unterstützung des Emirs von Mekka für den osmanischen Dschihad erhoffte, die Risiken, die mit einer Rückkehr der Geisel Faisal in den Hedschas einhergingen. Faisal verließ Damaskus am 16. Mai. Vor seiner Abreise überreichte ihm Cemal Pascha noch ein Geschenk. Es handelte sich um ein britisches Gewehr, eine Repetierbüchse vom Typ Lee-Enfield, das siegreiche osmanische Soldaten bei Gallipoli von einem Soldaten des 1. Essex-Regiments erbeutet hatten. Auf dem Lauf war eine goldene Inschrift angebracht worden: „Beute vom Dardanellenfeldzug“ stand dort in den schwungvollen Schriftzeichen des osmanischen Türkisch. Diese Kriegstrophäe sollte zweifellos den Glauben des Haschemitenprinzen an einen osmanischen Sieg in diesem Krieg bestärken. Schon bald jedoch sollte Faisal dasselbe Gewehr gegen die osmanische Herrschaft richten.30 Als eine Vorsichtsmaßnahme gegen etwaige haschemitische Betrugsversuche beschloss Cemal, einen seiner zuverlässigsten Generale, Fahri Pascha, als neuen Kommandanten der Garnison von Medina zu entsenden. Fahri war „allgemein bekannt für seine Verlässlichkeit und Vaterlandsliebe“, wie Cemal erklärte. Andere warfen ihm Gräueltaten gegen armenische Zivilisten vor. Beim ersten Anzeichen von Unruhe sollte Fahri den Scherifen und seine Söhne festnehmen lassen und die Verwaltung von Mekka der Autorität des osmanischen Gouverneurs von Medina unterstellen.31
* Am Vorabend des Arabischen Aufstandes hatte das britisch-haschemi tische Bündnis der jeweils anderen Seite weitaus weniger zu bieten, als die Bündnispartner sich bei der Aufnahme ihrer Verhandlungen erhofft hatten. Die Briten waren nicht die unbesiegbare Macht, als die sie Anfang 1915
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beim Aufbruch zur Eroberung Konstantinopels dagestanden hatten. Die Deutschen hatten ihnen an der Westfront verheerende Verluste zugefügt, ja selbst gegen die Osmanen hatten sie einige demütigende Niederlagen erlitten. Scherif Hussein und seine Söhne hatten allen Grund zu der Frage, ob sie mit diesem Verbündeten tatsächlich die richtige Wahl getroffen hatten. Auch die Haschemiten befanden sich nun in einer schwachen Verhandlungsposition: In ihrem gesamten Briefwechsel mit dem britischen Hochkommissar in Ägypten hatten sich Scherif Hussein und seine Söhne als die Anführer einer großen, panarabischen Bewegung dargestellt. Bis zum Mai 1916 war jedoch klar geworden, dass es zumindest in Syrien und im Irak keinen breiten Volksaufstand geben würde. Das Beste, was die Scherifen nun tun konnten, war, die osmanische Herrschaft im Hedschas herauszufordern. Ob ihnen das gelingen würde, hing vor allem davon ab, ob sie die notorisch undisziplinierten Beduinen für ihre Sache mobilisieren konnten. Einiges spricht dafür, dass das Bündnis zwischen Großbritannien und den Scherifen von Mekka nur deshalb überlebte, weil im Sommer 1916 beide Seiten einander mehr brauchten als je zuvor. Scherif Husseins ohnehin angespannten Beziehungen zu den Jungtürken standen kurz vor dem Abbruch; er wusste, dass sie die erste passende Gelegenheit ergreifen würden, ihn und seine Söhne abzusetzen, ja sogar zu ermorden. Die Briten wiederum brauchten die religiöse Autorität des Scherifen, um den osmanischen Dschihad zu schwächen, den die jüngsten türkischen Siege, wie man in Kairo und Whitehall fürchtete, wohl eher gestärkt hatten. Ganz egal, was ein Aufstand unter haschemitischer Führung letztlich erreichen würde: Wenigstens würde er die osmanische Kriegsmaschine schwächen und die Türken zwingen, Truppen und Ressourcen zur Befriedung des Hedschas – und womöglich noch weiterer arabischer Provinzen – abzustellen. Sowohl die Briten als auch die Haschemiten wollten den Aufstand möglichst bald beginnen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Nach Faisals Rückkehr in den Hedschas sollten beide Seiten nicht mehr lange zu warten haben.
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Am 5. Juni stieß Faisal bei Medina zu seinem Bruder Ali, um mit der Offensive gegen die größte osmanische Garnison im Hedschas zu beginnen. Fahri Pascha war bereits eingetroffen, um deren Kommando zu übernehmen; er befehligte mehr als 11 000 Soldaten. Da die Haschemiten lediglich über die 1500 freiwilligen Stammeskrieger verfügten, die Ali für den Feldzug auf dem Sinai mobilisiert hatte, waren die Brüder militärisch nicht so aufgestellt, als dass sie die Stadt mit ihrem strategisch wichtigen Endbahnhof der Hedschasbahn einfach hätten einnehmen können. Stattdessen sorgten sie dafür, dass Fahri Paschas Truppen an Medina gebunden blieben, was es ihrem Vater und den anderen Brüdern erlaubte, im rund 350 Kilometer südlich gelegenen Mekka verhältnismäßig ungestört vorzugehen. Nach viertägigen Scharmützeln im Umland von Medina machten die Haschemiten ihre Absichten deutlich. Am 9. Juni sandte Scherif Husseins ältester Sohn, Ali, Cemal Pascha ein Ultimatum, in dem er eine Reihe von Forderungen stellte, deren Erfüllung den Osmanen die Loyalität der haschemitischen Herrscherfamilie auch in Zukunft sichern sollte. Bedachte man allerdings die knappe Frist, die Ali den Jungtürken für ihre Antwort gesetzt hatte, konnte es mit dieser Loyalität nicht allzu weit her sein: „Vierundzwanzig Stunden nach dem Erhalt dieses Briefes wird zwischen den beiden Nationen“ – gemeint sind Türken und Araber – „der Kriegszustand eintreten“, warnte Ali.32 Scherif Hussein blieb es überlassen, von seinem Palast in der heiligen Stadt Mekka aus den Startschuss zum Arabischen Aufstand abzufeuern. Am 10. Juni 1916 nahm der Emir ein Gewehr – gut möglich, dass es sich um die Kriegstrophäe von Gallipoli handelte, die Cemal Pascha seinem Sohn Faisal überreicht hatte – und gab einen Schuss in Richtung der osmanischen Kaserne ab. Damit war der Aufstand eröffnet. Im Namen aller Araber hatten die Haschemiten den Türken den Krieg erklärt. Wie die arabische Welt darauf reagieren sollte, musste sich erst noch zeigen.33
* Binnen drei Tagen hatten haschemitische Kräfte den Großteil Mekkas unter ihre Kontrolle gebracht. Der Gouverneur Ghalib Pascha befand sich bereits in seiner Sommerresidenz in Ta’if, im Hochland rund 100 Kilo-
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meter östlich von Mekka gelegen. Den überwiegenden Teil seiner Garnison hatte er mitgenommen und nur 1400 Soldaten zum Schutz der heiligen Stadt zurückgelassen. Ein Fort auf einer Anhöhe bei Mekka setzte sich vier Wochen lang gegen die Kämpfer des Emirs zur Wehr und feuerte in die Stadt hinunter. Mehrere Granaten trafen die Große Moschee, wobei auch der Baldachin über der Kaaba, dem wichtigsten Heiligtum des Islam, in Brand geriet. Splitter einer weiteren Granate tilgten den Namen des dritten Kalifen, Uthman ibn Affan, aus einer Inschrift an der Fassade des Gebäudes. Da der Namensgeber der osmanischen Dynastie ebenfalls Uthman (auf Türkisch: Osman) geheißen hatte, behauptete Scherif Husseins Sohn Abdullah, die Einwohner von Mekka hätten dies als „ein Vorzeichen für den baldigen Sturz der osmanischen Macht angesehen“. Schließlich mussten sich auch die in dem Hügelfort belagerten Kanoniere am 9. Juli ergeben, weil sie keine Nahrung und keine Munition mehr hatten. Damit war ganz Mekka in haschemitischer Hand.34 Kurz nachdem Scherif Hussein am 10. Juni seinen Startschuss abgegeben hatte, griffen 4000 beduinische Reiter vom Stamm der Beni Harb unter dem Kommando ihres Anführers Scherif Mushin den Hafen Dschidda am Roten Meer an. Die 1500 Mann starke osmanische Garnison der Stadt konnte die Angreifer anfangs mit Maschinengewehr- und Kanonenfeuer zurückschlagen, wobei auch der Kampfgeist der Beduinen schweren Schaden nahm. Zwei Kriegsschiffe der Royal Navy unterstützten jedoch den arabischen Angriff und belegten die osmanischen Stellungen mit kontinuierlichem Feuer. Auch britische Flugzeuge kamen zum Einsatz, bombardierten und beschossen die türkischen Truppen. Dergestalt in die Zange genommen – an Land, von See und aus der Luft – musste die Garnison von Dschidda am 16. Juni kapitulieren. Der zweite Sohn Scherif Husseins, Abdullah, hatte sich kurz vor dem Ausbruch der Revolte mit einem kleinen Trupp von etwa 70 Getreuen auf Kamelen in die Umgebung von Ta’if zurückgezogen. Der Gouverneur Ghalib Pascha lud Abdullah in seinen Palast ein, weil er mit ihm die kursierenden Gerüchte über einen unmittelbar bevorstehenden Aufstand erörtern wollte. „Sie sehen ja, wie die Leute von Ta’if ihre Häuser verlassen, mit ihren Kindern im Schlepptau und so viel sie von ihrem Besitz eben tragen können“, bemerkte der Gouverneur. Indem er einen Koran aus seinem Bücherregel nahm, drängte er Abdullah, ihm „die Wahrheit über diese Ge-
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rüchte einer Rebellion“ zu sagen. Abdullah rettete sich aus der schwierigen Situation mit einem Bluff: „Entweder sind sie nicht wahr, diese Gerüchte, oder aber es handelt sich um eine Revolte gegen Sie und gegen den Scherifen, oder es ist ein Aufstand des Scherifen und des Volkes gegen Sie. Wenn die letzte Möglichkeit die zutreffende wäre, hätte ich mich dann jetzt hier in Ihre Hand begeben?“35 Als Abdullah die Residenz des Gouverneurs verlassen hatte, gab er seinen Männern den Befehl, die Telegrafenleitung nach Ta’if zu kappen und etwaige Boten am Verlassen der Stadt zu hindern. Am 10. Juni um Mitternacht gab er seinen Truppen, die noch durch Stammeskrieger aus der Umgebung verstärkt worden waren, den Befehl zum Angriff auf die osmanischen Stellungen. „Unser Ansturm war von großer Brutalität gekennzeichnet“, erinnerte er sich später. Rasch gelang es den Beduinen, die türkische Frontlinie zu durchbrechen, woraufhin sie „mit einigen Gefangenen und etwas Beute“ wieder zurückkehrten. Als bei Sonnenaufgang die türkische Artillerie begann, auf die Stellungen der Araber zu feuern, war es mit der beduinischen Disziplin allerdings vorbei. Viele der Wüstensöhne „desertierten in heillosem Durcheinander und nahmen den schnellsten Weg nach Hause“. Weil Abdullah fürchtete, dass seine Truppe völlig kollabieren könnte, falls er einen weiteren Sturmangriff riskierte, stellte er sie neu auf, um Ta’if stattdessen zu belagern. Beduinische Freischärler mit Gewehren waren osmanischen Berufssoldaten mit Feldgeschützen und Maschinengewehren natürlich nicht gewachsen. Nach einer fünfwöchigen Pattsituation entsandten schließlich die Briten einige Batterien Feldartillerie aus Ägypten nach Ta’if, um Abdullahs Position zu stärken (das war ein weiterer Bruch des 1914 von General Sir John Maxwell gegebenen Versprechens, die Ägypter aus der britischen Kriegführung herauszuhalten). Mitte Juli also begannen die ägyptischen Kanoniere mit einem nachdrücklichen Beschuss der Stadt, der die osmanischen Verteidiger von Ta’if schließlich überwältigte. Bis zum 21. September hielten sie noch durch, dann war Ghalib Pascha zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen. „Tags darauf wurde die osmanische Fahne über der Festung offiziell eingeholt und die arabische Fahne gehisst“, hielt Abdullah fest. „Es war wirklich ein sehr eindrucksvoller Anblick.“ Der Gouverneur, den die Erfahrungen von Belagerung und Niederlage merklich erschüttert hatten, konnte sich der haschemitischen Sicht
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der Dinge – die Eroberung von Ta’if als historischer Augenblick – natürlich nicht anschließen: „Es ist eine unglaubliche Katastrophe“, klagte Ghalib Pascha. „Wir waren Brüder, und jetzt sind wir Feinde.“36 Bis Ende September 1916 hatten Scherif Hussein und seine Söhne Mekka und Ta’if erobert, dazu noch die Häfen Dschidda, Rabigh und Yanbu am Roten Meer. Sie hatten mehr als 6000 osmanische Soldaten gefangen genommen, wobei es auf beiden Seiten nur verhältnismäßig geringe Verluste gegeben hatte. Im Monat darauf erklärte Scherif Hussein sich kurzerhand zum „König der arabischen Länder“, während seine Söhne den Prinzentitel „Emir“ annahmen. (Bei den Briten rief diese Entwicklung Unbehagen hervor; sie waren lediglich bereit, Hussein als König des Hedschas anzuerkennen.) Die Nachricht vom Aufstand im Hedschas verbreitete sich in der arabischen Welt wie ein Lauffeuer und sorgte für wachsende Begeisterung bei all denen, die von der osmanischen Kriegführung in den letzten Jahren desillusioniert worden waren. In Jerusalem, wo die Behörden alle Nachrichten von der Revolte über Wochen hinweg unterdrückten, notierte Ihsan Turdschman das verheißungsvolle Ereignis am 10. Juli in seinem Tagebuch. „Scherif Hussein Pascha hat eine offene Rebellion gegen den Staat begonnen“, schrieb er ungläubig. „Könnte dies etwa der Anfang sein?“ Es fiel Turdschman schwer, seinen Enthusiasmus zu verbergen. „Jeder Araber sollte sich über diese Nachricht freuen. Wie könnten wir diesen Staat weiter unterstützen, nachdem er die Besten unserer Jugend ermordet hat? Auf den öffentlichen Plätzen sind sie aufgehängt worden wie gemeine Verbrecher und Wegelagerer. Gott segne den Scherifen des He dschas und stärke seinen Arm! Und möge euer Feldzug sich in alle Winkel Arabiens ausbreiten, bis wir jenen verfluchten Staat los sind.“37 Muhammad Ali al-Adschluni war ein junger Offizier in einem syrischen Regiment, das in Anatolien stationiert war. Nach Adschlunis Erfahrung hatte der Krieg Osmanen gegen Osmanen aufgebracht. Türkische Soldaten weigerten sich, mit ihren arabischen Kameraden Umgang zu pflegen – weder in der Moschee noch im Offizierskasino wollten sie mit ihnen zusammentreffen – und machten rassistische Bemerkungen über deren Hautfarbe; die Araber wurden von den Türken als „die Schwarzen“ verhöhnt. Auch das Leid, das die osmanische Regierung über unbescholtene Zivilisten gebracht hatte, stieß Adschluni ab. Von seinem Pos-
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ten in Tarsus an der kilikischen Küste hatte er mit angesehen, wie die Verwaltung Cemal Paschas ganze Zugladungen von Syrern in die Verbannung schickte. „Wir sahen den Schmerz und die Sorge, die in jedes einzelne jener Gesichter eingegraben waren“, erinnerte er sich. Noch schlimmer waren nur die Kolonnen von deportierten Armeniern – Frauen, Kinder und alte Leute, die in der entgegengesetzten Richtung in die Syrische Wüste zogen, angetrieben von Wachmannschaften, „in deren Herzen das Erbarmen niemals Einzug gehalten hat“. Vor dem Hintergrund dieser kriegsbedingten Desillusionierung gegenüber dem Osmanischen Reich ist es nur verständlich, dass Adschluni auf die Nachricht von Scherif Husseins Revolte mit Euphorie reagierte: „Dies hat nun unser erschüttertes Selbstvertrauen wieder aufgerichtet, Hoffnung und Stärke in Fülle gebracht. Für die Araber war es wie der Anbruch eines neuen Tages.“ An Ort und Stelle schwor Adschluni, sich irgendwie in den Hedschas durchzuschlagen, koste es, was es wolle, um sich den Aufständischen anzuschließen.38 Die Nachricht von der haschemitischen Revolte löste unter den arabischen Offizieren der osmanischen Armee hitzige Debatten aus. Einer von Adschlunis engsten Freunden versuchte, ihm seine Desertionspläne auszureden. Indem ihre Anhänger mit den britischen Imperialisten gemeinsame Sache machten und dabei noch die völlige Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich forderten, führte der skeptische Kamerad aus, gab die Rebellion des Scherifen die arabische Welt dem europäischen Machthunger preis. Selbst unter den proarabisch eingestellten Offizieren der Armee gab es viele, die lieber in einem reformierten Osmanischen Reich leben wollten, das seinen arabischen Provinzen eine größere Autonomie gewährte. Sie sprachen etwa von einer türkisch-arabischen Doppelmonarchie nach dem Vorbild Österreich-Ungarns. Adschluni zog die Argumente seines Freundes zwar sorgfältig in Betracht, blieb aber dennoch ein überzeugter Anhänger des aufständischen Scherifen. Wie ihre Meinungsverschiedenheit allerdings verdeutlicht, waren nicht alle arabischen Untertanen des Sultans von der Rebellion im Hedschas begeistert. Auch in der weiteren muslimischen Welt spaltete der Aufstand der Haschemiten die öffentliche Meinung. Die muslimische Presse in Indien beispielsweise kritisierte den Scherifen dafür, dass er die Araber zur Revolte gegen ihren Kalifen angestiftet hatte. In den Moscheen der krisengeplagten
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Nordwestprovinzen Britisch-Indiens ertönten die Flüche der Imame gegen den Scherifen Hussein und seine Söhne. Am 27. Juni verabschiedete die All-indische Muslimliga eine Resolution, in der die haschemitische Rebellion auf das Schärfste verurteilt und sogar ausgeführt wurde, Scherif Hussein habe mit seinem Vorgehen Anlass zu einem Dschihad gegeben. Britische Kolonialbeamte in Indien, die sich stets gegen die Verhandlungen des Hochkommissars in Ägypten, Sir Henry McMahon, mit dem Scherifen ausgesprochen hatten, äußerten jetzt die Einschätzung, der Aufstand sei fehlgeschlagen, ja gewissermaßen nach hinten losgegangen, und dass die indischen Muslime nun eher dazu neigten, das Osmanische Reich zu unterstützen.39
* In der näheren Umgebung ihrer arabischen Heimat sahen sich die Haschemiten mit größeren Problemen konfrontiert. Nach ihren anfänglichen Erfolgen hielten König Hussein und seine Söhne Städte und Häfen in der Gegend von Mekka sowie entlang der Küste des Roten Meers; aber es fehlten ihnen die nötigen Truppen, um diese Eroberungen auch dauerhaft zu sichern. Der anfängliche Enthusiasmus der beduinischen Freiwilligen verflüchtigte sich rasch. Nachdem die Autorität des Scherifen von Mekka sowie die Aussicht auf reiche Beute aus der Plünderung osmanischen Regierungseigentums sie für den Aufstand gewonnen hatten, empfanden sie nun keine ideologische Verpflichtung mehr, die sie dauerhaft an die arabische Unabhängigkeitsbewegung gebunden hätte. Als die ersten Schlachten siegreich geschlagen, die ersten Städte erobert und geplündert waren, nahmen die Stammeskrieger ihre Beute und ritten nach Hause. Das zwang König Husseins Söhne dazu, jeden verfügbaren Freund um Hilfe zu bitten, jeden noch ausstehenden Gefallen einzufordern, um frische Stammeskrieger anzuwerben – und dazu mussten sie ihnen Gewehre und einen regelmäßigen Sold versprechen, was einzig und allein die Briten bieten konnten. In Medina hielt sich Fahri Pascha zu einem Gegenangriff bereit. Sein Heer hatte seine volle Kampfstärke erreicht und auch die Kommunikation mit Damaskus lief hervorragend. Mangels Dynamit hatten die Aufständischen keinerlei Möglichkeit, die Geleise der Hedschasbahn zu unter-
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brechen, die für den kontinuierlichen Nachschub in Fahris Garnison sorgte. Am 1. August entstieg dem Versorgungszug ein neuer Emir von Mekka, der mit allen offiziellen Ehren empfangen wurde. Die Jungtürken hatten den Scherifen Ali Haydar, seines Zeichens Oberhaupt eines rivalisierenden Zweiges der Haschemitendynastie, am 2. Juli zum Nachfolger des abtrünnigen Hussein ernannt. Fahri Pascha beabsichtigte, den Neuankömmling rechtzeitig vor dem Beginn der Pilgersaison (Hadsch) Anfang Oktober in Amt und Würden zu setzen. Zwei Wege führten von Medina nach Mekka. Die Route durch das Landesinnere war zwar die direktere, führte jedoch durch ein schwieriges Wüstenterrain ohne jegliches Trinkwasser, das für eine Armee de facto nicht zu passieren war. Die Küstenroute, die über die Häfen Yanbu und Rabigh am Roten Meer verlief, war zwar wesentlich länger, führte dafür an etlichen Wasserstellen vorbei, an denen die marschierenden Soldaten sich versorgen konnten. Um Mekka zu schützen, mussten die Haschemiten Yanbu und Rabigh kontrollieren. Als die Osmanen Anfang August von Medina ausrückten, bezog Faisal Stellung, um die Straße nach Yanbu zu blockieren, und sein Bruder Ali besetzte Rabigh. Damit befanden sie sich zwar an den richtigen Stellen, benötigten aber zusätzlich zu den ihnen verfügbaren Stammeskriegern auch noch reguläre, gut ausgebildete Soldaten, wenn sie sich tatsächlich gegen die anrückenden Osmanen durchsetzen wollten. Sofern sie nicht bald entsprechende Verstärkungen erhielten, drohte den Haschemiten eine Niederlage – mit katastrophalen Konsequenzen für die arabischen wie auch für die britischen Interessen. Die britischen Militärstrategen in London, Kairo und Shimla (der Sommerhauptstadt British-Indiens) mussten also die Risiken und Vorteile einer Entsendung britischer Truppen zur Verstärkung der Haschemiten gegeneinander abwägen. Die britisch-indische Regierung war der Auffassung, dass eine Verlegung britischer Einheiten in den Hedschas eine heftige Reaktion der indischen Muslime auslösen würde, weil es sich in ihren Augen um „ungläubige“ Soldaten handele, die den heiligen Boden des Hedschas „entweihten“, um gegen die rechtgläubigen Heerscharen des Kalifen ins Feld zu ziehen. Das Arab Office in Kairo hielt dagegen, dass die Truppen des Scherifen kurz vor dem Zusammenbruch stünden und ein osmanischer Triumph in Mekka den Briten einen bedenklichen Gesichtsverlust in ihren muslimischen Kolonialgebieten zufügen würde. So oder so
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liefen die Briten, wenn sie sich im Hedschas exponierten, Gefahr, einen Dschihad zu entfachen. Als Kompromisslösung galt, das Heer des Scherifen mit muslimischen Freiwilligen zu verstärken. Naheliegende Rekrutierungsfelder für muslimische Soldaten bildeten die britischen Kriegsgefangenenlager in Indien und Ägypten. Bei ihren Vernehmungen arabisch-osmanischer Kriegsgefangener stießen die Briten in vielen Fällen auf Männer, die überzeugte Anhänger der arabisch- nationalistischen Sache waren. Muhammad Scharif al-Faruqi, dessen Aussagen die Behauptung Scherif Husseins entscheidend stützten, er spreche für eine breite arabische Bewegung, ist oben bereits erwähnt worden. Dazu gehörten auch Nuri al-Said und Ali Dschaudat, zwei irakische Offiziere, die in Mesopotamien in britische Kriegsgefangenschaft geraten waren, oder Dschafar al-Askari, der beim Feldzug gegen die Sanūsīya-Bruderschaft nahe der ägyptisch-libyschen Grenze gefangen genommen wurde. Als Scharif Hussein die arabische Unabhängigkeit ausrief, genügte das vielen dieser Offiziere, um dem Sultan die Gefolgschaft aufzukündigen und sich dem haschemitischen Aufstand anzuschließen. Nuri al-Said führte den ersten Expeditionstrupp an, der am 1. August 1916 von Ägypten in den Hedschas aufbrach. Ali Dschaudat, der auf Parole nach Basra entlassen worden war, wurde von britischen Offizieren angeworben und nach Indien geschickt, wo er andere Kriegsgefangene des Mesopotamienfeldzugs davon überzeugen sollte, sich dem Heer des Scherifen anzuschließen. Es gelang Dschaudat schließlich, 35 Offiziere und 350 Soldaten zur freiwilligen Teilnahme am Arabischen Aufstand zu überzeugen. Gemeinsam verließen sie Anfang September Bombay (Mumbai) und wurden bei ihrem Eintreffen in Rabigh von Nuri al-Said in Empfang genommen.40 Nicht alle arabischen Kriegsgefangenen der Briten waren jedoch glühende Anhänger des arabischen Sache. Nachdem nämlich jene ersten Abordnungen „ideologisch gefestigter“ arabischer Nationalisten in Richtung Hedschas aufgebrochen waren, schickten die Briten weitere potenzielle Rekruten aus den Reihen ihrer arabischen Gefangenen hinterher – mit durchaus gemischten Ergebnissen. Ende November verließen zwei Schiffe mit 90 Offizieren und 2100 Mannschaften an Bord den Hafen von Bombay. Als sie vor Rabigh anlangten, mussten die Werber des Scherifen jedoch bestürzt feststellen, dass nur noch sechs Offiziere und 27 einfache Soldaten sich dem Heer der Aufständischen anschließen wollten. Die Üb-
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rigen lehnten es entweder ab, gegen ihre muslimischen Glaubensbrüder zu den Waffen zu greifen, oder sie fürchteten, im Fall einer erneuten Gefangennahme, die türkische Vergeltung für ihren Verrat. Nachdem zehn Tage lang arabische Freiwillige, die bereits auf der Seite des Scherifen standen, unermüdlich – aber erfolglos – auf die Unwilligen eingeredet hatten, blieb den Transportschiffen schließlich nichts anderes übrig, als ihren Kurs das Rote Meer hinauf fortzusetzen, um die verhinderten Rekruten in ägyptischen Kriegsgefangenenlagern abzuliefern. Arabische Offiziere und Soldaten, die das Heer des Sultans verlassen hatten, um sich jenem des Scherifen anzuschließen, leisteten einen überproportionalen Beitrag zum Gelingen des Arabischen Aufstandes, gemessen an ihrer vergleichsweise kleinen Zahl. Ihre militärische Ausbildung und ihre arabische Muttersprache machten sie zu idealen Ausbildern und Kommandeuren der beduinischen Rekruten. Und doch bedeutete ihre geringe Zahl, dass sie den Truppen Fahri Paschas nichts entgegenzusetzen hatten, die ihren Vormarsch auf Yanbu und Rabigh fast ungehindert fortsetzen konnten. Da der Beginn der muslimischen Pilgersaison bevorstand, dachte man im britischen Kriegsministerium doch wieder darüber nach, britische Truppen zur Unterstützung des bedrängten Haschemitenheers zu entsenden. Als dann Frankreich anbot, Soldaten zur Unterstützung der Aufständischen in den Hedschas zu schicken, wussten die Briten, dass sie schnell handeln mussten. Die Franzosen machten sich die Pilgersaison der Hadsch zunutze, um den nordafrikanischen Mekkapilgern eine bewaffnete Eskorte an die Seite zu stellen. Aus diesem Geleitschutz wurde schließlich eine regelrechte Militärexpedition in den Hedschas einschließlich des Angebots an den Scherifen, seinen bedrängten Truppen Waffenhilfe zu leisten. Das militärische Eingreifen der Franzosen ließ in britischen Kolonialkreisen sämtliche Alarmglocken schrillen. Der britische Hochkommissar in Kairo, Sir Henry McMahon, telegrafierte umgehend nach London, um das französische Unterstützungsangebot „zutiefst zu missbilligen […], da es uns der immensen politischen Vorteile beraubt, die ein Erfolg des Scherifen uns langfristig bescheren würde“. Tatsächlich waren die Franzosen weniger daran interessiert, sich Vorteile auf der Arabischen Halbinsel zu sichern, als vielmehr daran, ihre bestehenden Interessen in Syrien zu schützen, die sie durch die Kampagne des Scherifen bedroht sahen. Also entsandten sie
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Offiziere nach Arabien, die ein wachsames Auge auf die Briten haben und sicherstellen sollten, dass Frankreich all das auch bekam, was ihm durch das Sykes-Picot-Abkommen zugesagt worden war.41 Das Kommando der französischen Militärmission übernahm der Oberst Edouard Brémond, der sich bei seiner früheren Verwendung in Marokko ausgezeichnet hatte und fließend Arabisch sprach. Am 21. September traf er an der Spitze einer gemischten Delegation aus Militärs und Zivilisten und 200 nordafrikanischen Pilgern in Dschidda ein. Dem wollte der Hochkommissar in Kairo nicht nachstehen und schickte Ronald Storrs los, der die offizielle ägyptische Abordnung auf der Pilgerreise begleiten sollte. Das gab Storrs die Gelegenheit, sowohl mit Oberst Brémond als auch mit den haschemitischen Kommandeuren im Feld einige Gespräche über militärstrategische Fragen zu führen. Wie sich herausstellte, waren alle seine Gesprächspartner fest davon überzeugt, dass die Truppen des Scherifen noch immer zu schwach seien, um Fahri Pascha und seinen osmanischen Berufssoldaten Paroli bieten zu können. Wenn nun arabische Soldaten nicht in ausreichender Zahl aus britischen Kriegsgefangenenlagern rekrutiert werden konnten, bestand die nächstbeste Option darin, den Arabischen Aufstand durch ein Expeditionsheer muslimischer Kolonialtruppen zu unterstützen. Also kommandierten die Briten ägyptische Artilleriesoldaten in den Hedschas ab – damit waren ihre früheren Versprechungen an die Ägypter unter den Zwängen eines totalen Krieges endgültig gebrochen worden. Eine erste Abteilung von 250 Mann ging über den Sudan nach Osten. Bis Dezember würde das gesamte ägyptische Kontingent eine Stärke von mehr als 960 Soldaten erreicht haben.42 Trotz der vielen nordafrikanischen Muslime, die in der französischen Armee Dienst taten, sollte die französische Militärmission die britische niemals übertreffen. Als das britische Kriegsministerium in Paris anfragte, ob die Franzosen nicht eine Batterie muslimische Artillerie sowie die größtmögliche Anzahl von militärischen Spezialisten – MG-Schützen, Pioniere, Fernmelder (vor allem solche mit guten Arabischkenntnissen) und Truppenärzte – beisteuern könnten, mussten diese peinlich berührt zugeben, dass es bei den muslimischen Kolonialtruppen der französischen Republik an derartigen Fachkenntnissen mangelte. Ende 1916 umfasste die französische Militärmission in Arabien gerade einmal zwölf Offiziere (fast
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ausschließlich Franzosen) und weniger als 100 Infanteristen (fast ausschließlich muslimische Nordafrikaner). Auf dem Höhepunkt ihrer Stärke zählte die französische Expeditionstruppe insgesamt 42 Offiziere und 983 Mannschaften, von denen viele im ägyptischen Port Said verblieben, ohne jemals auch nur einen Fuß auf arabischen Boden zu setzen.43 Obwohl diese Kolonialsoldaten einen wichtigen Beitrag zum arabischen Unabhängigkeitskampf leisteten – denn sie neutralisierten die osmanische Überlegenheit in puncto Artillerie und Maschinengewehren –, blieben sie doch stets zu wenige, um die aufziehende Bedrohung durch die osmanischen Truppen aus Medina zu kontern. Diese setzten nämlich den ganzen Herbst 1916 hindurch ihren unerbittlichen Vormarsch in Richtung der haschemitischen Stellungen an der Küste fort. Anfang November wurde die osmanische Bedrohung schließlich kritisch, als eine türkische Abteilung Faisal und seine Leute aus ihrem Lager bei Hamra im hügeligen Hinterland des Hafens Rabigh vertrieb. Weil wiederum nicht genügend muslimische Soldaten zur Verfügung standen, erwog man in Kairo und London erneut die Vor- und Nachteile einer Entsendung regulärer britischer Truppen, um das Heer der Aufständischen zu unterstützen. Vertreter der britischen Armee sprachen sich dagegen aus, weil man zur Verteidigung der Küste gegen die Truppen Fahri Paschas – wie sie meinten – mehr Soldaten brauchen würde, als sie erübrigen konnten. In London behauptete Sir William Robertson, der Chef des Imperialen Generalstabs, es wären 15 000 britische Soldaten nötig, um allein den kleinen Hafen Rabigh zu halten. Der Oberkommandierende der britischen Armee in Ägypten, Generalleutnant Sir Archibald Murray, glaubte nicht, dass er eine derartige Truppe würde aufbringen können, ohne zugleich die Sicherheit des Suezkanals zu gefährden. Er beschloss also, den einzigen seiner untergebenen Offiziere um Rat zu fragen, der Faisal persönlich getroffen hatte und überdies die Situation in Rabigh und Yanbu aus eigener Anschauung kannte: Hauptmann T. E. Lawrence. Lawrence befand sich inzwischen – nachdem sein Versuch, bei der Rettung von Townshends Männern aus dem belagerten Kut behilflich zu sein, unter keinem guten Stern gestanden hatte – wieder in Kairo. Seine erste Reise in den Hedschas unternahm er im Oktober 1916. Als Nachrichtenoffizier des Arab Office hatte er sich kurzerhand selbst auf eine der Missionen des Orientsekretärs Ronald Storrs nach Dschidda eingeladen. Dort
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hatte er die Gelegenheit genutzt, ins Landesinnere zu reisen, um dort mit den Söhnen des Scherifen Hussein zusammenzutreffen und deren Stellungen zu inspizieren. Von Lawrence’ militärstrategischen Fähigkeiten hatten seine Vorgesetzten keine hohe Meinung, aber sie schätzten seine profunde Kenntnis von Land und Leuten und glaubten zudem – nach seiner Exkursion von Rabigh bis in Faisals Feldlager bei Hamra –, dass er die entscheidenden Informationen würde liefern können, auf deren Grundlage die schwierige Entscheidung für oder gegen eine Entsendung britischer Truppen in den Hedschas zu fällen war. In seinem Buch Die sieben Säulen der Weisheit, der klassischen Darstellung des Arabischen Aufstandes, liefert Lawrence einen einzigartigen Augenzeugenbericht von der Situation der haschemitischen Stellungen während jener verzweifelten Monate im Herbst 1916. In Rabigh traf er mit Ali und mehreren arabischen Offizieren zusammen, die vormals in osmanischen Diensten gestanden hatten: Nuri al-Said aus dem Irak, Aziz Ali alMisri aus Ägypten und Faiz al-Ghusain aus Syrien. Ihre Aufgabe im He dschas war es, die regulären Armeeeinheiten des Scherifen auszubilden. Nach einem Kamelritt von mehreren Tagen erreichte Lawrence Faisals Lager bei Hamra. Den jungen Scherifen fand er entmutigt vor, seine Leute gleichfalls demoralisiert. Waffen, Munition, Geld – ihnen mangelte es an allem. Die bislang einzige Unterstützung, die Faisals Truppe erhalten hatte, war eine Batterie Artillerie aus Ägypten, und bei deren Geschützbesatzungen herrschte „[Unmut] darüber, so weit fort in die Wüste in einen überflüssigen und beschwerlichen Krieg geschickt worden zu sein“. Er schloss daraus, dass auswärtige Soldaten – ganz egal, ob nun Muslime oder Europäer – zur Unterstützung des Feldzugs im Hedschas schlecht geeignet waren. Als seine Vorgesetzten in Kairo ihn um eine Einschätzung baten, riet Lawrence davon ab, britische Truppen in den Hedschas zu entsenden. Ein britisches Expeditionsheer jedweder Art würde nur den Verdacht erregen, die Briten hegten imperiale Ambitionen auf der Arabischen Halbinsel. Und außerdem war es seine „Anschauung, dass die Stämme Rabigh monatelang allein verteidigen könnten, wenn wir ihnen mit Rat und Geschützen aushülfen, dass sie aber mit Sicherheit sich wieder in ihre Zelte zerstreuen würden, sobald sie von der Landung fremder Truppen hörten“.44
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Stattdessen empfahl Lawrence, Ali und Faisal das nötige Gold zukommen zu lassen, damit sie ihre Beduinenkrieger in Sold halten konnten (denn „nur so konnte das Wunder vollbracht werden, eine aus Stämmen bestehende Truppe fünf Monate hindurch im Felde zu halten“, meinte Lawrence), und die britische Intervention ansonsten auf Luftunterstützung und technische Beratung zu beschränken. Lawrence’ Vorgesetzte fanden seine Auffassung – dass man den Arabischen Aufstand am besten den Arabern überlassen sollte – ausgesprochen opportun und beschlossen, das britische Engagement im Hedschas entsprechend eng zu begrenzen.45
* Als Lawrence Anfang Dezember nach Arabien zurückkehrte, hatte sich die Situation dermaßen verschlechtert, dass er die Zweckmäßigkeit seiner eigenen Empfehlung infrage gestellt haben dürfte. Ein türkischer Überraschungsangriff traf das arabische Heer völlig unvorbereitet, und die Truppe der Beduinenkrieger „zerstob“, in Lawrence’ eigenen Worten, „in lose Haufen, die in wilder Flucht durch die Nacht auf Yanbu jagten“. Da die Straße nach Yanbu den türkischen Truppen nun vollkommen offenstand, war Faisal mit 5000 Reitern herbeigeeilt, um die Lücke zu schließen. Damit hatte er den türkischen Vormarsch zwar verzögert, aber seine eigene Position war unhaltbar. Es war den Türken nämlich gelungen, Faisals Kräfte von den Truppen seines Bruders Ali im weiter südlich gelegenen Rabigh zu isolieren. Dergestalt voneinander getrennt, war keiner der beiden arabischen Verbände stark genug, um sich gegen die osmanische Armee zur Wehr zu setzen. Und wenn die Türken erst einmal die Küste des Roten Meers zurückerobert hätten, würde sie nichts mehr daran hindern, Scherif Husseins Anhänger auch aus Mekka selbst zu vertreiben.46 Lawrence ritt in Faisals Gefolge, als dieser seine Kräfte neu ordnete, um sich in den Dattelhain von Nakhl Mubarak zurückzuziehen, der nur etwa sechs Kamelstunden von Yanbu entfernt lag. Während dieser Zeit schlug der Haschemitenprinz Lawrence erstmals vor, er solle sich wie ein Araber kleiden, damit die arabischen Stammeskrieger ihn behandelten, als ob er „wirklich einer der Führer“ war, und er sich frei im Lager bewegen konnte, ohne durch seine derangierte britische Offiziersuniform unter den Beduinen „Aufsehen zu erregen“. Faisal ließ Lawrence ein Hochzeitsgewand
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anlegen, das er selbst von einer Tante geschenkt bekommen hatte – zweifellos eine besondere Auszeichnung, die aber nicht dafür gesorgt haben dürfte, dass der Engländer unter den Beduinen tatsächlich weniger auffiel. Faisal gab Lawrence auch ein Gewehr – die Gallipolitrophäe, die er selbst Monate zuvor in Damaskus von Cemal Pascha bekommen hatte. Unverzüglich brannte Lawrence seine Initialen und das Datum in den Schaft der Lee-Enfield-Repetierbüchse: „T. E. L., 4–12–16“. Dann verließ er Faisal und ritt zurück nach Yanbu, um dort Alarm zu schlagen. Nach seiner Ankunft im Hafen telegrafierte Lawrence an die Schiffskommandanten der Royal Navy auf dem Roten Meer, um ihnen mitzuteilen, dass Yanbu „ernstlich bedroht“ sei. Kapitän William Boyle versprach, die vor dem Hafen befindlichen britischen Schiffe binnen 24 Stunden zu mobilisieren. Und Boyle sollte sein Wort halten, indem er eine eindrucksvolle Flottille aus immerhin fünf Kriegsschiffen zur Verteidigung von Yanbu aufbot. Das waren nun schwerlich Linienschiffe – Boyle beschreibt sein eigenes, die Fox, als „beinahe das langsamste und älteste Schiff, das wohl ein Kapitän in der Kriegsmarine Seiner Majestät befehligt“ –, aber ihre Bordgeschütze waren allemal schlagkräftiger als die türkische Feldartillerie. Während diese Schiffe der Royal Navy sich also vor Yanbu formierten, unternahmen die Türken einen weiteren erfolgreichen Angriff auf Faisals Truppe. Drei Bataillone osmanischer Infanterie stürmten – mit dem Feuerschutz ihrer Feldartillerie – auf Nakhl Mubarak, und das ohnehin nicht gerade disziplinierte Beduinenheer ließ alle Ordnung fahren. Beherzt nahmen die ägyptischen Kanoniere den Feind unter Beschuss und machten dabei das Beste aus der schadhaften Artillerie, die dem haschemitischen Heer von den Briten zur Verfügung gestellt worden war – „auf jeden Fall unbrauchbarer Plunder, aber noch gut genug, meinte man, für die wilden Araber“, heißt es bei Lawrence. In Ermangelung von Richtvisieren, Entfernungsmessern, Schusstabellen und ausreichend Sprenggranaten bestand die abschreckende Wirkung der arabischen Artillerie im Wesentlichen darin, dass sie ordentlich Krach machte. Das ließ die vorrückenden Osmanen innehalten und flößte den Arabern auf ihrem Rückzug neuen Mut ein, was es Faisal ermöglichte, seine Kräfte ohne nennenswerte Verluste aus Nakhl Mubarak abzuziehen. Sie setzten sich nach Yanbu ab und überließen den osmanischen Truppen das gesamte Hochland. „Der letzte
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Akt unseres Krieges schien begonnen zu haben“, erinnerte sich Lawrence später. Die Straßen von Yanbu waren überfüllt von Tausenden arabischer Kämpfer, die sich hier für ihr letztes Gefecht verschanzen wollten. Die Erdwälle, mit deren Hilfe die Verteidiger den osmanischen Vormarsch zu verlangsamen suchten, schienen kaum geeignet, um einen entschlossenen Sturmangriff aufzuhalten. Die einzig echte Abschreckung gegen eine osmanische Eroberung und Besetzung Yanbus war die Royal Navy. Ihre imposanten Schiffe lagen vor der Küste, sämtliche Geschütze in Richtung Land gerichtet, und die gespenstischen Leuchtfinger ihrer Suchscheinwerfer, die in der Dunkelheit kreuz und quer über die Ebene liefen, ließen einen Angriff auf die Stadt, ob bei Tag oder bei Nacht, wenig ratsam erscheinen. Als sie am 11. Dezember schließlich Yanbu erreichten, waren die osmanischen Truppen vollkommen erschöpft. Zwar war ihnen eine ganze Reihe von Siegen gegen Faisals Männer gelungen, aber das wochenlange Umherziehen im unwirtlichen arabischen Hochland hatte doch seinen Tribut gefordert. Krankheiten hatten zu zahlreichen Ausfällen in den Reihen der Soldaten geführt, und die Lasttiere der Truppe waren durch Überanstrengung und Unterernährung geschwächt. Beduinische Stammeskrieger griffen immer wieder die osmanische Nachhut an und störten die Nachschublinien. Den Arabern hätten sie noch weiter nachsetzen können – aber einen Angriff auf die Royal Navy konnte sich die Truppe nicht erlauben. Hunderte Kilometer von ihrem Stützpunkt in Medina entfernt hätten die abgeschnittenen osmanischen Bataillone im Falle ernsthafter Verluste vor Yanbu durchaus nicht mit Verstärkung rechnen dürfen; vielmehr wären sie dann zur Kapitulation gezwungen. „Also machten sie kehrt“, hielt Lawrence fest, „und in dieser Nacht, glaube ich, haben sie ihren Krieg verloren.“47
* Binnen Kurzem waren die osmanischen Truppen von Yanbu zurückgedrängt. Britische Flugzeuge unterzogen das türkische Feldlager bei Nakhl Mubarak einem anhaltenden Bombardement. Anstatt einen weiteren Verschleiß ihrer Kräfte zu riskieren, begannen die Osmanen deshalb,
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sich auf Stellungen rund um Medina zurückzuziehen. Und dort nagelte Scherif Husseins Sohn Abdullah sie fest. Seine eigene Truppe war zu klein, um Medina zu belagern, aber groß genug, um den osmanischen Aktionsradius auf die unmittelbare Umgebung der Stadt zu beschränken. Dort sollten Fahri Pascha und seine Männer den Rest des Krieges verbringen. Anstatt ihre Kräfte durch einen direkten Angriff auf die osmanischen Verteidigungslinien um Medina aufs Spiel zu setzen, entschieden sich die Haschemiten für einen Bewegungskrieg. In Absprache mit ihren britischen und französischen Beratern beabsichtigten die Anführer der Aufständischen, entlang der Küste des Roten Meers nach Norden vorzustoßen, um den Hafen Al-Wadschh einzunehmen. Dieser Vorstoß, den die Royal Navy durch die Versorgung der arabischen Truppe von See unterstützte, sollte letztlich auch Angriffe auf die Hedschasbahn ermöglichen, um die einzige Versorgungslinie der Stadt Medina ein für alle Mal zu durchtrennen. Was man mit konventionellen Mitteln nicht erobern konnte, das bezwang man am besten durch eine Guerillataktik. Mit Erleichterung sahen die britischen Kriegsplaner den Rückzug der Osmanen, der es den Haschemiten ermöglichte, ihre Gebietsgewinne im Hedschas zu sichern. Den Türken war ein wichtiger Sieg verweigert worden, durch den andernfalls ihr Aufruf zum Dschihad – das heißt zu einer osmanischen Rückeroberung Mekkas und der strategisch wichtigen Städte des Hedschas – bestärkt worden wäre. Dass die Aufständischen den He dschas ohne die Entsendung britischer Truppen erobert und gesichert hatten, war ein weiterer Bonus. Damit waren nicht nur gewisse indisch- muslimische Bedenken ausgeräumt: Die Briten verfügten Ende 1916 ganz einfach über keinerlei Reserven mehr. Am 1. Juli hatten sie an der Westfront eine Großoffensive gegen die deutschen Stellungen an der Somme begonnen und dabei ihren höchsten Tagesverlust des gesamten Krieges erlitten: 58 000 Tote und Verwundete an einem einzigen Sommertag. Wie auch vor Verdun handelte es sich bei der Schlacht an der Somme um eine Abnutzungs- und Zermürbungsschlacht, die sich über Monate hinzog, ohne ein greifbares Resultat zu erzielen. Mitte November 1916 waren auf britischer Seite 420 000 Mann Verluste zu beklagen, bei den Franzosen noch einmal 194 000 Tote und Verwundete. Die Schätzungen der deutschen Opferzahlen an der Somme reichen von 465 000 bis 650 000 Mann. Angesichts derartiger Verluste an der Westfront waren die Briten nicht ge-
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willt, Truppen aus Europa auf die Schlachtfelder des Nahen Ostens zu verlegen. Den Briten war es also erspart geblieben, Scherif Hussein im Hedschas mit Bodentruppen zu unterstützen; in materieller Hinsicht unterstützten sie ihre arabischen Bündnispartner aber gern. Bis Ende 1916 hatte die britische Regierung den Haschemiten Gold im Gegenwert von fast einer Million Pfund Sterling zur Verfügung gestellt. Auch eine Fliegerstaffel mitsamt britischen Piloten wurde nach Arabien geschickt – teils zur Luftaufklärung, teils aber auch, um die osmanischen Flugzeuge aus deutscher Produktion von Luftangriffen auf die Beduinen abzuhalten, die dagegen eine nur zu verständliche Abscheu entwickelt hatten. Zusammen mit den Franzosen stellten die Briten außerdem so viele muslimische Soldaten, wie sie aufbieten konnten, dazu noch eine Handvoll europäischer Offiziere als technische Berater und Experten etwa in der Kunst der Eisenbahnsabotage. Sobald das Gespenst einer haschemitischen Niederlage gebannt war, konnten die britischen und französischen Strategen den Arabischen Aufstand als einen wertvollen Vorteil ihrer Kriegsanstrengungen betrachten. Bereits im Juli 1916 hatte das britische Kriegskomitee seine neuen strategischen Ziele für die Truppen in Ägypten aufgrund der frühen haschemitischen Gebietsgewinne im Hedschas formuliert. Das Komitee wies den Oberkommandierenden in Ägypten, General Murray, an, das britische Einflussgebiet entlang einer Linie zu konsolidieren, die von Al-Arisch an der ägyptischen Mittelmeerküste bis zu der winzigen Hafenstadt Akaba am östlichen Ausläufer des Roten Meers quer über den nördlichen Teil der Sinaihalbinsel verlief. Nach Ansicht der britischen Kriegsplaner würden diese Maßnahmen „die Kommunikation zwischen Syrien und dem He dschas unterbinden und zudem die syrischen Araber ermutigen“, sich dem Arabischen Aufstand anzuschließen. So begann also die folgenreiche Verbindung zwischen der haschemitischen Rebellion in Arabien und dem britischen Feldzug in Palästina, die in ihrem Zusammenspiel zum Untergang des Osmanischen Reichs führen sollte.48
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KAPITEL 12 OSMANEN IN DER DEFENSIVE: BAGDAD, DER SINAI UND JERUSALEM
Mit dem Ausbruch des Arabischen Aufstandes im Hedschas konzentrierten die Strategen beider Seiten ihre Aufmerksamkeit nun auf die Region Syrien. Die Entente-Mächte waren bestrebt, Syrien (womit zu jener Zeit das gesamte Territorium der heutigen Staaten Syrien, Libanon, Israel, Palästina und Jordanien bezeichnet wurde) in eine breitere arabische Revolte mit hineinzuziehen, um den Haschemiten damit Aufwind zu verschaffen und die Osmanen in einen Kampf auf feindlichem Gebiet zu zwingen. Die Mittelmächte andererseits waren sich ihrer Stellung in Syrien sicher. Von ihrem ersten Vorstoß auf den Suezkanal im Februar 1915 einmal abgesehen, hatte die osmanische 4. Armee bislang noch keinerlei Kampfeinsatz zu bewältigen gehabt und stand in voller Mannstärke bereit. Die Osmanen gingen davon aus, dass ihre Kräfte in Syrien ausreichen würden, um die Rebellion der Haschemiten im Hedschas einzudämmen und dazu den britischen Verkehr durch den Suezkanal zu bedrohen, der türkischen Angriffen über die Sinaihalbinsel noch immer schutzlos ausgeliefert war. Wenn auch Cemal Paschas erster Angriff auf den Suezkanal letztlich scheiterte, eroberte das osmanische Militär dabei doch immerhin den allergrößten Teil des Sinai zurück. Und obwohl die Sinaihalbinsel eigentlich ein integraler Bestandteil des britisch besetzten Ägypten war, war das Kriegskomitee in London dennoch nicht gewillt, die notwendigen Truppen einzusetzen, um den größtenteils unbewohnten Sinai wieder zurückzugewinnen und gegen künftige türkische Angriffe zu verteidigen. Für die Briten besaß es oberste Priorität, die Stabilität im Niltal aufrechtzuerhalten und das ungestörte Fließen von Truppen und Material durch den Suezkanal sicherzustellen. Das westliche Ufer des Kanals wurde so zur vorders-
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ten Verteidigungslinie der Briten in Ägypten, und die Osmanen blieben auf dem restlichen Sinai ungestört. Bis Anfang 1916 hatten die Türken den Sinai zum Stütz- und Ausgangspunkt ihrer ständigen Überfälle auf britische Kräfte entlang des Suezkanals ausgebaut. Cemal Pascha hatte als Kommandeur der osmanischen 4. Armee eng mit seinen deutschen Beratern zusammengearbeitet, um eine Stärkung der osmanischen Positionen zu erreichen. So ließ er die Eisenbahnlinie von Beerscheba, dem kleinen, südöstlich von Gaza im Landesinneren gelegenen Marktflecken, bis nach Al-Audscha an der Grenze zu Ägypten und dann noch weiter bis auf den Sinai verlängern. Diese Eisenbahnlinie ermöglichte den raschen Transport von Truppen und Material bis ins Innere der Sinaihalbinsel. Dort ließ Cemal ein Netz von Stützpunkten errichten, deren Brunnen Wasser für die Soldaten und ihre Reit- und Transporttiere lieferten. Diese osmanischen Militärstützpunkte waren durch Straßen miteinander verbunden, auf denen eine Eliteeinheit unter dem Kommando eines deutschen Offiziers durch den ganzen Sinai patrouillierte. Cemal träumte nun nicht mehr davon, die Briten aus ganz Ägypten zu vertreiben. Stattdessen plante er, nur so weit vorzurücken, bis seine Artillerie in Schussweite des Suezkanals kam. So konnten die Osmanen den Schiffsverkehr auf dem Kanal angreifen und diese lebenswichtige Verkehrsader des britischen Empire unterbrechen, ohne näher als acht Kilometer heranzurücken. Der britische Transport- und Kommunikationsweg würde empfindlich getroffen werden, ohne die osmanischen Soldaten dem Feuer der starken britischen Grenzbefestigungen auszusetzen. Als Enver Pascha im Februar 1916 die osmanisch-ägyptische Grenze inspizierte, hieß er diesen strategischen Vorschlag Cemals gut und versprach ihm Verstärkungen. Der Kriegsminister sollte sein Wort halten. Nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt Istanbul befahl Enver die Verlegung der kampferprobten 3. Infanteriedivision der osmanischen Armee von Gallipoli nach Palästina. Außerdem sicherte er Cemal die Unterstützung mit Kriegsmaterial durch die anderen Mittelmächte zu. Im April 1916 verlegte das Deutsche Reich eine Flugstaffel zum osmanischen Hauptquartier in Beerscheba. Die hochmodernen Maschinen – schlagkräftige Eindecker der Hersteller Rumpler und Fokker, die sich bereits an der Westfront bewährt hatten – verschafften
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den Osmanen bald die absolute Lufthoheit über dem Sinai. Gegen Ende desselben Monats entsandten die Österreicher zwei Batterien Feldartillerie an die Sinaifront. Deren 15-cm-Haubitzen gaben den osmanischen Truppen die nötige Feuerkraft, um die Briten auch am Boden herauszufordern. Ausgerüstet mit der neuesten Militärtechnologie, begann Cemal nun mit der ernsthaften Planung seines zweiten Angriffs auf den Suezkanal.1 In der Zwischenzeit waren die Briten ob der türkischen Bedrohung des Suezkanalgebiets immer besorgter geworden. Im Februar 1916 schlug der Kommandeur der Egyptian Expeditionary Force (EEF ), Generalleutnant Sir Archibald Murray, eine Strategie der „aktiven Verteidigung“ vor, womit zunächst einmal die Befestigung strategisch wichtiger Oasen und Straßenkreuzungen auf dem nördlichen Sinai gemeint war. Murrays Plan sah auch die Besetzung der rund 50 Kilometer östlich des Suezkanals gelegenen Oase Qatiya vor. Qatiya gehörte zu einem Netz von Brackwasserlöchern und besaß in der Einöde des größtenteils wasserlosen Sinai entscheidende strategische Bedeutung. Nachdem die Oase erst einmal erobert war, schlug Murray vor, sollten die Briten entlang der Mittelmeerküste bis zum Hafen Al-Arisch vorstoßen und dann einen Korridor ins Landesinnere besetzen, der sich von Al-Arisch bis nach Al-Kussaima südlich von Beerscheba erstreckte. Murrays zwingendes Hauptargument war, dass man sehr viel weniger Truppen und Material benötigen würde, um die Türken auf einem gut 70 Kilometer breiten Frontverlauf zwischen Al-Arisch und Al-Kussaima in Schach zu halten, als wenn man den damals etwas mehr als doppelt so langen Verlauf des Suezkanals selbst zu verteidigen hätte.2 Der Chef des Imperialen Generalstabs, General Sir William Robertson, erkannte, dass es vorteilhaft sein würde, den osmanischen Truppen die Oasen auf dem Sinai vorzuenthalten. Angesichts herber Rückschläge für die Briten an der Westfront sowie der nicht enden wollenden Mühen zur Rettung der unglückseligen Garnison von Kut war der General allerdings nicht gewillt, für einen Feldzug auf dem Sinai oder in Palästina größere britische Kräfte einzusetzen, als die bereits in Ägypten befindlichen Truppen aus eigener Kraft zur Verfügung stellen konnten. Am 27. Februar 1916 autorisierte Robertson die Besetzung von Qatiya mitsamt den umliegenden Oasen und schob die Entscheidung zu einem Vorstoß nach AlArisch erst einmal auf.
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Im März 1916 begannen die Briten mit dem Bau einer Normalspurbahn von El Qantara am Suezkanal nach Osten, in Richtung Qatiya. Neben der Bahnstrecke wurde zugleich eine Rohrleitung verlegt, welche die Versorgung mit Trinkwasser sicherstellen sollte. In der erbarmungslosen Wüstenhitze gingen die 13 000 Mann des Egyptian Labour Corps an die Arbeit. Ihre Verträge waren befristet und ihre Aufgabe ein Knochenjob: Entlang einer alten Karawanenroute errichteten sie die Bahnstrecke und die Wasserleitung mit einer Geschwindigkeit von gut sechseinhalb Kilometern in der Woche; schon Ende April erreichten sie den äußeren Rand der Oase Qatiya. Die Osmanen handelten rasch, um den britischen Vorstoß zunichte zu machen. Der deutsche Kommandeur des 1. Türkischen Expeditionskorps, Oberst Friedrich Freiherr Kreß von Kressenstein, führte 3500 Mann zu einem kühnen Überfall auf die britischen Truppen, die zur Sicherung der Bahnstrecke abgestellt waren. Im Morgengrauen des 23. April fegten die Osmanen durch die britischen Stellungen in den Oasen rund um Qatiya. Durch ihren Angriff im Dunst des frühen Morgens hatten die Angreifer die Überraschung vollends auf ihrer Seite. Nach heftigen Kämpfen von einigen Stunden Dauer musste sich beinahe ein ganzes britisches Kavallerieregiment dem Feind ergeben. Der offiziellen britischen Darstellung zufolge entgingen nur ein Offizier und 80 Mann der Gefangennahme (ein durchschnittliches Kavallerieregiment umfasste etwa 25 Offiziere und 525 Mannschaften). Ungestraft zog sich Kreß’ Truppe aus Qatiya zurück. Der Überfall konnte zwar die Eisenbahnbauarbeiten nicht lange aufhalten, aber es war den Türken doch gelungen, die Briten aus dem Konzept zu bringen, und wie Cemal Pascha festhielt, „steigerte [der Angriff] das Selbstvertrauen unserer Truppe ganz beträchtlich“.3 Im Anschluss an den osmanischen Vorstoß auf Qatiya erfolgte ein Gegenstoß der Briten über den Nordsinai, der von Reitern der Mounted Division der ANZAC angeführt wurde. Dieser Verband, der sich aus der New Zealand Mounted Brigade und Einheiten der leichten australischen Reiterei (Australian Light Horse) zusammensetzte, bestand aus schlachterprobten Veteranen und frischgebackenen Rekruten. Die berittene Truppe war im unwegsamen Wüstenterrain, wo Kraftfahrzeuge nicht weiterkamen, unverzichtbar. Tatsächlich sahen sich die Briten gezwungen, ihre Kavallerie noch um Kamelreitereinheiten zu ergänzen, damit sie den
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Osmanen nachsetzen konnten, wenn diese sich auf die weitläufigen Sandflächen der Region begaben. Der Sinaifeldzug als ganzer zeichnete sich daher durch einen ganz eigentümlichen, kontrastreichen Zusammenklang aus: von modernster Luftkriegstechnik aus dem 20. Jahrhundert, Kavallerietaktiken des 19. Jahrhunderts sowie den uralten Bräuchen der beduinischen Kriegführung mit Kamelen.4 Selbst in der mörderischen Hitze des Wüstensommers 1916 schritten die Arbeiten an der britischen Eisenbahnlinie und der Wasserleitung stetig voran. Unter den hohen Temperaturen von oft mehr als 50 °C, unter dem Trinkwassermangel und den Stechfliegenschwärmen, die zwischen Mensch und Tier keinen Unterschied machten, litten Arbeiter, Soldaten und Pferde gleichermaßen. Die Menschen konnten sich wenigstens mit der Überlegung trösten, dass die feindlichen Osmanen mitten im Hochsommer wohl keinen weiteren Angriff wagen würden. Dennoch blieb die britische Kavallerie in höchster Alarmbereitschaft und führte Patrouillen tief in die Wüste hinein, um dafür zu sorgen, dass sich die Schmach von Qatiya nicht wiederholte. Nachdem es bei dem langerwarteten zweiten Angriff auf den Suezkanal nun bereits mehrere Verzögerungen gegeben hatte, wurden die Osmanen und ihre deutschen Verbündeten langsam ungeduldig. Cemal hatte die zweite Sinaikampagne in der Hoffnung aufgeschoben, Scherif Hussein würde doch noch ein Kontingent von Freiwilligen aus dem Hedschas beisteuern. Der Ausbruch des Arabischen Aufstands im Juni 1916 zerschlug diese Hoffnung und eröffnete den Osmanen sogar noch eine weitere feindliche Front. Cemal glaubte, dass ein Erfolg gegen die Briten auf dem Sinai die Anziehungskraft der haschemitischen Revolte in den arabischen Provinzen schwächen würde, und gab Oberst Kreß von Kressenstein deshalb grünes Licht für die langerwartete zweite Offensive – mitten im Hochsommer, wenn die Briten sie am wenigsten erwarteten. In den frühen Morgenstunden des 3. August griffen die Türken britische Stellungen bei Romani, in der Nähe von Qatiya, an. Da Kreß gerade einmal 16 000 Soldaten zur Verfügung standen, war das osmanische Angriffsheer wesentlich kleiner, als die Briten erwartet hatten. In einem bemerkenswerten Kraftakt hatten die Soldaten allerdings Feldgeschütze über den Wüstensand transportiert, um ihre geringe Zahl durch überlegene Feuerkraft wettzumachen. Um die Briten zu überrumpeln, hatte Kreß sei-
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nen Vorstoß exakt so abgestimmt, dass er mit der Rückkehr einer Pa trouille der australischen leichten Reiterei zusammenfiel – er folgte den Reitern also im wahrsten Sinne des Wortes auf den Fersen in ihr Lager zurück. Wenn es ihnen auch nicht gelang, die Australier völlig zu überraschen, so waren die osmanischen Soldaten dem ANZAC-Vorposten doch klar überlegen und schlugen seine Besatzung in die Flucht, womit sie noch vor Sonnenaufgang eine strategisch günstige Anhöhe erobert hatten. Sobald sie alarmiert waren, schickten die Briten alle verfügbaren Kräfte als Verstärkung nach Romani, um die angreifenden Türken zurückzuschlagen. Im Verlauf des Tages gingen die Wasser- und Munitionsvorräte der osmanischen Soldaten zur Neige, und Hunderte mussten sich ergeben. Bemerkenswerterweise gelang es Oberst Kreß von Kressenstein, die meisten seiner Soldaten sowie seine schwere Feldartillerie unbeschadet aus einer aussichtslosen Schlacht herauszuziehen. Dann ging er mit seinen erschöpften Leuten direkt in einen eiligen Rückzug über, während die ANZAC-Kavallerie ihnen nachsetzte. Die britischen Kommandeure waren fest entschlossen, Kreß’ Expeditionskorps zu zerschlagen und die Überlebenden gefangen zu nehmen, und ließen deshalb ihre Flugzeuge aufsteigen, die den Verfolgern den Weg weisen sollten. Bei den Brunnen von Bir al-Abd gelang es den Osmanen jedoch, einen letzten britischen Angriff zurückzuschlagen, woraufhin sie ihren Rückzug ungestört bis in das sichere, von türkischen Truppen gehaltene Al-Arisch fortsetzen konnten. In dieser Schlacht von Romani hatten die Osmanen eine bittere Niederlage einstecken müssen. Ihre Verluste beliefen sich auf schätzungsweise 1500 Tote und Verwundete, 4000 weitere Soldaten waren in britische Gefangenschaft geraten, während die Briten ihrerseits knapp über 200 Tote und 900 Verwundete zu beklagen hatten. Dennoch sah man den Sieg von Romani auf britischer Seite als einen unvollständigen Triumph an. Insbesondere erschien es den britischen Befehlshabern als ein entscheidendes Versäumnis, dass man Kreß erlaubt hatte, sich mit dem Großteil seiner Truppe und der Artillerie unbeschadet abzusetzen, nachdem er doch schon die Art von Schlappe erlitten hatte, bei der die völlige Vernichtung seiner Truppe so gut wie ausgemacht schien. Während die Schlacht von Romani der letzte osmanische Angriff auf britische Stellungen in Ägypten bleiben sollte, waren den Türken doch immer noch genügend Kräfte – und Kanonen – geblieben, um ihre palästinensische Grenze zu verteidigen.5
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* Der britische Vormarsch auf dem Sinai im Sommer 1916 fiel mit dem Ausbruch des Arabischen Aufstandes im Hedschas zusammen. Man darf nicht vergessen, dass die Aufständischen in den ersten beiden Monaten ihrer Revolte erstaunliche Erfolge verbuchen konnten: Haschemitische Kräfte schlugen die Osmanen bei Mekka, Ta’if, Dschidda, Rabigh und Yanbu. Das Londoner Kriegskomitee erkannte langsam, welches Potenzial eine Abstimmung des Arabischen Aufstandes mit dem britischen Sinaifeldzug barg: Man würde die osmanische Position in Palästina und dem südlichen Syrien unhaltbar werden lassen. Während der Chef des Imperialen Generalstabes im Februar 1916 lediglich eng auf Qatiya begrenzte Operationen zur Verteidigung des Suezkanals autorisiert hatte, wies das Kriegskomitee Murrays Streitkräfte im Juli 1916 an, den Sinai von Al-Arisch bis Akaba, einen Hafen am Roten Meer, zu besetzen, „da eine Streitmacht, die an jenen Orten sich festgesetzt hätte, eine direkte Bedrohung der türkischen Kommunikationswege zwischen Syrien und dem Hedschas darstellen und überdies die Araber Syriens [zur Rebellion gegen das Osmanische Reich] ermutigen würde“.6 General Murray, ein strenger Methodiker, rückte im Gleichschritt mit dem voranschreitenden Eisenbahn- und Wasserleitungsbau auf den Sinai vor. Im Dezember 1916 hatte die Bahnlinie bereits die Brunnen von Mazar erreicht, gut 65 Kilometer von Al-Arisch entfernt. Nun konnten die Briten ihren Angriff auf die osmanische Garnison von Al-Arisch vorbereiten: Alle nötigen Vorräte waren am vorläufigen Endbahnhof der späteren Sinaibahn eingetroffen, auch genügend Kamele standen zur Verfügung, um eine ganze Armee bei ihrem Kampf in der menschenfeindlichen Wüste mit Nahrung, Wasser und Munition zu versorgen. Die osmanischen Kommandeure sahen die Situation in Al-Arisch mit wachsender Sorge. Ihre Luftaufklärung hatte das Vorrücken der britischen Eisenbahnstrecke verfolgt sowie die jüngsten Truppenmassierungen und Nachschublieferungen offengelegt. Außerdem war den osmanischen Verantwortlichen nur zu bewusst, dass ihre Garnison mühelos von den Bordgeschützen der britischen Kriegsschiffe erreicht werden konnte, die vor der Küste des Sinai kreuzten. Die 1600 Mann starke Garnison durfte kaum
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hoffen, sich gegen einen solchen Beschuss und zugleich den Ansturm von mehr als vier Divisionen britischer Infanterie durchzusetzen. Am Vorabend des britischen Angriffs zogen die Osmanen sich von Al-Arisch auf besser befestige Positionen entlang der palästinensischen Grenze zurück. Die Aufklärer des Royal Flying Corps meldeten, dass die türkischen Stellungen verlassen seien, und am 21. Dezember rückten die ersten britischen Truppen nach Al-Arisch ein. Die strategisch bedeutende Stadt wurde ohne Gegenwehr eingenommen. Dennoch war die britische Position alles andere als sicher. Die Luftaufklärung hatte nämlich auch ergeben, dass sich ein Stück weiter oben im Tal von Al-Arisch bei dem Dorf Magdhaba schwer befestigte osmanische Stellungen befanden. Solange diese Stellungen bestehen blieben, würden sie eine Bedrohung im Rücken der britischen Linien darstellen. Also wurden am 23. Dezember die ANZAC-Kavallerie und die Imperial Camel Brigade in Marsch gesetzt, um die Türken aus Magdhaba zu vertreiben. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit: Da es zwischen Al-Arisch und Magdhaba keinerlei Wasserstelle gab, mussten die Reiter das Dorf vor Sonnenuntergang eingenommen haben; andernfalls hätten sie, völlig dehydriert, den Rückzug nach Al-Arisch antreten müssen, wo die nächsten Brunnen waren. Am frühen Nachmittag, als ihr besorgter Kommandeur, der australische General Sir Harry Chauvel, den Angriff schon fast abblasen wollte, stieß ein gemeinsamer Sturmangriff der Kavallerie und der Kamelreiter schließlich doch durch die osmanischen Linien.7 „Zu unserer Überraschung“, erinnerte sich einer der Kamelreiter des Imperial Camel Corps später, „sprangen etliche der Türken aus ihren Schützengräben, um uns die Hand zu schütteln!“ Es war ein seltsamer Moment der Verbrüderung zwischen Männern, die sich zuletzt an den Dardanellen gegenübergestanden hatten. „Schlag ein, altes Haus“, sagte ein australischer Schütze zu einem türkischen Gefangenen, der an seiner Uniform den „Gallipolistern“ trug. „Ich war auch da, und das war wirklich ein Höllenloch – mein herzliches Mitgefühl!“ Mit diesen Worten steckte der Australier sich die osmanische Auszeichnung an die eigene Brust und knöpfte dem Gefangenen auch noch seinen Tabakbeutel ab, bevor er zum Angriff auf die nächste Stellung weiterzog. Im Verlauf der vollständigen Besetzung des oberen Wadi Al-Arisch ergaben sich fast 1300 osmanische Soldaten den vorrückenden Briten.8
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Am 9. Januar 1917 schlossen die britischen Truppen mit der Einnahme der Stadt Rafah an der osmanisch-ägyptischen Grenze die Rückeroberung des Sinai ab. Nach einem Tag heftiger Kämpfe war es den Soldaten der ANZAC-Reiterei schließlich gelungen, die osmanischen Schützengräben einzukreisen und ihre Besatzungen zur Aufgabe zu zwingen. Nach ihrem Rückzug aus Rafah gaben die Osmanen jegliche Ambitionen in Ägypten auf und festigten stattdessen lieber ihre Position in Palästina.9 Über der gesamten Unternehmung der EEF hing indes ein riesiges Fragezeichen. Im Dezember 1916 kam nach einer Kabinettskrise über Fragen der Kriegführung mit David Lloyd George ein neuer britischer Premierminister ins Amt. Lloyd George war ein Liberaler wie sein Amtsvorgänger Herbert Henry Asquith und stand an der Spitze einer liberalkonservativen Koalitionsregierung; jetzt wollte er durch einen raschen und eindeutigen militärischen Triumph sowohl sein Kabinett als auch die britische Öffentlichkeit hinter sich bringen. Er sprach sich für eine energische Kampagne gegen die Osmanen in Palästina aus, vor allem, weil er glaubte, dass eine Eroberung Jerusalems durch britische Truppen der öffentlichen Meinung in Großbritannien die Ermunterung bescheren würde, die sie nach den verheerenden Verlusten vor Verdun und an der Somme dringend nötig hatte. Die britische Generalität hingegen wollte nur sehr ungern weitere Truppen auf Schlachtfelder fern der Westfront verlegen, denn dort – in Europa – würde der Krieg nach ihrer Überzeugung letztlich entschieden werden. Die wichtigste Aufgabe der EEF, brachten die Generale vor, sei die Verteidigung Ägyptens. Schließlich setzten die Militärs sich durch, und zwei Tage nach dem Sieg der EEF in Rafah wies das Kriegskabinett General Murray an, alle größeren Operationen in Palästina bis zum Herbst 1917 ruhen zu lassen und stattdessen eine seiner Divisionen zur Verlegung nach Frankreich bereitzumachen. Nachdem sie nun vom Sinai vertrieben worden waren, errichteten die Osmanen eine Verteidigungslinie, die von Gaza an der Mittelmeerküste landeinwärts bis zur Oasenstadt Beerscheba verlief. Zwischen Januar und März 1917 wurden osmanische Truppen als Verstärkung an diese gut 30 Kilometer lange Frontlinie verlegt, die das südliche Palästina beschützen sollte. Eine Kavallerieeinheit aus dem Kaukasus und eine Infanteriedivision aus Thrakien schlossen sich Cemals Heer an: Unter allen Umständen sollte Palästina vor einem künftigen Angriff der Briten geschützt werden.10
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* Während die EEF Anfang 1917 an der Grenze zu Palästina ins Stocken geriet, nahm die Mesopotamian Expeditionary Force (MEF) ihre Offensive am Tigris wieder auf. Was als ein behutsames Vorrücken zur allmählichen Ermüdung der osmanischen 6. Armee begonnen hatte, sollte mit dem ersten wirklichen Triumph der Briten im Nahen Osten enden – der Eroberung von Bagdad. Nach den wiederholten Versuchen zur Rettung der Garnison von Kut waren sowohl die britischen als auch die osmanischen Truppen in der Region am Ende ihrer Kräfte, als Generalmajor Charles Townshend schließlich im April 1916 seine Kapitulation erklärte. Die Briten hatten ihr Ziel verfehlt; nun standen ihnen weder die nötigen Mittel zur Verfügung noch gab es einen hinreichenden Anreiz, der sie zu einem erneuten Angriff auf die osmanischen Stellungen am Tigris hätte bewegen können. Die Türken ihrerseits waren zu ermattet, als dass sie selbst gegen die geschwächten britischen Truppen eine eigene Offensive begonnen hätten. Beide Seiten bauten also ihre bestehenden Positionen aus, kümmerten sich um ihre Kranken und Verwundeten und verfielen in eine relative Untätigkeit, während ihre jeweiligen Oberkommandos mit ärgeren Bedrohungen an anderen Fronten beschäftigt waren. Fast unmittelbar nach ihrem Sieg in Kut sahen die Osmanen sich mit der Gefahr eines russischen Vorstoßes auf Bagdad konfrontiert. Anfang Mai 1916 besetzten Truppen des Oberbefehlshabers der russischen Streitkräfte in Persien, General Nikolai Baratow, die Grenzstadt Qasr-e Schirin und bedrohten die türkischen Stellungen jenseits der Grenze in Khaniqin – nur rund 160 Kilometer von Bagdad entfernt. Halil Pascha, der für seinen Sieg bei Kut mit dem Kommando der osmanischen 6. Armee belohnt worden war, verlegte seine Truppen von der Tigrisfront nach Norden, um Khaniqin zu verteidigen. Im Raum Kut blieben nur etwa 12 000 Mann zurück. Die Briten sorgten dafür, dass Halils Aufgabe leichter wurde. Sir William Robertson, der Chef des Imperialen Generalstabs, bekräftigte nach der Niederlage von Kut, dass die britischen Kriegsziele in Mesopotamien „defensive“ seien, und teilte dem MEF-Kommandeur mit: „Wir messen
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weder dem Besitz von Kut noch der Besetzung Bagdads die geringste Bedeutung bei.“ Vielmehr empfahl er, die Briten sollten „eine so exponierte Stellung halten, wie sich taktisch gerade noch sichern lässt“, um die schädlichen Auswirkungen der Schlappe von Kut auf die britische Reputation möglichst gering zu halten – und um die Osmanen dazu zu zwingen, Truppen am Tigris zu halten, die sie andernfalls zur Abwehr eines russischen Vorstoßes auf Bagdad hätten einsetzen können. Aber Robertson hatte keinerlei Interesse daran, die osmanischen Stellungen am Tigris aus eigener Initiative anzugreifen.11 Da die Briten nun einen passiven Kurs verfolgten, warf Halil alles, was er hatte, den Russen entgegen und brachte Baratow am 1. Juni 1916 bei Khaniqin zum Stehen, drängte die russischen Truppen sogar zurück und besetzte die persischen Städte Kermanschah (am 1. Juli) und Hamdan (am 10. August). Dieser plötzliche Einfall der Osmanen nach Persien beunruhigte sowohl die Russen als auch die Briten; Halil Paschas Verteidigungsstellungen um Bagdad waren darüber jedoch gefährlich unterbesetzt. Ganz sollten sie sich nicht mehr erholen, und Halil sollte bei dem Versuch, die durch Verstärkungen aus Indien und Ägypten wieder kampfeslustig gewordenen Briten in Schach zu halten, noch Hören und Sehen vergehen. Im August bekam die MEF einen neuen Kommandeur. Generalmajor Sir Stanley Maude war in Frankreich verwundet worden und bei der Evakuierung von Gallipoli der letzte britische Soldat gewesen, der die SuvlaBucht verließ. Maude eilte der Ruf eines aggressiven Kommandeurs voraus, und er war fest entschlossen, an der Tigrisfront die Offensive zurückzugewinnen. Den ganzen Sommer und Herbst 1916 hindurch zog er in Mesopotamien eine beachtliche Streitmacht zusammen. Er sicherte sich zwei frische Infanteriedivisionen, durch deren Zugang die MEF eine Kampfstärke von über 160 000 Mann erreichte, wovon mehr als 50 000 Mann entlang der Tigrisfront eingesetzt waren (der Rest verteilte sich auf die britischen Positionen im Raum Basra und am Euphrat). In demselben Maß, in dem Maudes Heer anwuchs, schwand Halils dahin. Durch Krankheiten, Fahnenflucht und Verluste in ihren regelmäßigen Scharmützeln mit den Briten war die osmanische 6. Armee langsam, aber sicher aufgerieben worden – doch am schwersten wog das Ausbleiben von Verstärkungen. Maudes Kundschafter berichteten, dass um Kut kaum
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20 000 osmanische Soldaten stationiert seien, dabei waren es in Wirklichkeit sogar noch wesentlich weniger – vielleicht sogar nur 10 500.12 Auf dem vorgeschobenen Stützpunkt der Briten in Scheich Saad nahe Kut ging es im Herbst 1916 zu wie in einem Bienenstock. Durch neue Flussschiffe war die Transportkapazität von Basra bis zur Schiffbarkeitsgrenze des Tigris auf mehr als 700 Tonnen pro Tag angestiegen. Um nun schneller Nachschub und Material bis zur Front bei Kut weitertransportieren zu können, bauten die Briten eine Feldbahnlinie von Scheich Saad bis an den Schatt al-Hajj (den Verbindungskanal zwischen dem Tigris bei Kut und dem Euphrat bei Nassirija). Diese Bahnlinie, die sich außer Schussreichweite der osmanischen Artillerie befand, war im September 1916 einsatzbereit und erreichte Anfang 1917 das Ufer des Schatt al-Hajj. Um den Transport von Proviant und Munition vom Endbahnhof an die Front zu verbessern, orderte Maude Hunderte Lastwagen der Firma Ford, die sich als überraschend leistungsfähig erwiesen – selbst dann noch, wenn Starkregen das Gelände in eine einzige Schlammwüste verwandelt hatte. Trotz solcher Überlegenheiten blieb das Londoner Kriegskomitee doch auf der Hut. Der Chef des Imperialen Generalstabs, General Robertson, war überzeugt, dass Bagdad nur schwer einzunehmen und noch viel schwerer zu halten sein würde, bedachte man die Länge der Versorgungs- und Kommunikationslinien bis zum Persischen Golf. Außerdem tat Robertson die Einnahme Bagdads als unwichtig ab; diese werde „keinen spürbaren Effekt auf das Kriegsgeschehen“ haben. Noch im September 1916 schlossen Robertsons Befehle an Maude einen Vorstoß auf Bagdad ausdrücklich aus. Aber der MEF -Kommandeur behielt seine eigenen Schlachtpläne für sich. Im November erwirkte er die Erlaubnis, gegen osmanische Stellungen am Schatt al-Hajj vorzugehen. Er lehnte es jedoch ab, ein genaues Datum für den Beginn der Offensive zu nennen und hielt sein Vorhaben selbst vor seinem eigenen Stab und anderen Untergebenen geheim. Wie sich herausstellen sollte, mussten sie nicht mehr lange warten. Am 10. Dezember kabelte General Maude an seine Vorgesetzten in Indien und London, um ihnen mitzuteilen, dass seine Vorbereitungen abgeschlossen seien und der Beginn der Operation gegen den Schatt al-Hajj unmittelbar bevorstehe. Wenn sie schon die kurze Frist der Mitteilung erstaunt haben dürfte, so dürfte der Grund für Maudes Eile das Kriegs-
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komitee noch stärker überrascht haben: Der MEF-Kommandeur war abergläubisch. Maude war fest davon überzeugt, dass die 13 seine Glückszahl sei und hatte deshalb beschlossen, seine Offensive am 13. Dezember zu beginnen, wobei seine 13. Division die Vorhut bildete.13 Die dritte und letzte Schlacht um die bereits heillos verwüstete Stadt Kut begann also am 13. Dezember mit dem Beschuss der britischen Artillerie. Über zwei Monate sollte die Kampagne sich hinziehen, deren Aktivitäten sich über eine Frontlinie von 30 Kilometern Länge entfalteten. Bei ihren Frontalangriffen auf gut befestigte türkische Stellungen erlitten Maudes Männer schwere Verluste, während die überlegene britische Artillerie in die Reihen der Osmanen immer wieder große Lücken riss. Dennoch hielten die Türken stand und konterten den Vorstoß der Briten mit bemerkenswerter Zähigkeit und Gegenangriffen. Mitte Februar 1917 schlugen die Osmanen einen britischen Frontalangriff auf die Schützengräben bei Sannaiyat zurück und zwangen die Angreifer, die dabei schreckliche Verluste erlitten, zum Rückzug. Die Schlacht um Kut erreichte ihren Höhepunkt am 23. Februar, als es den Briten gelang, einen Brückenkopf über dem Tigris zu bilden. Um die Verteidiger abzulenken, befahl Maude Angriffe auf die osmanischen Gräben bei Sannaiyat und in der Nähe von Kut selbst. Als dann die feindlichen Truppen an diesen beiden Punkten zusammengezogen waren, um die Briten zurückzuschlagen, gelang es Maude, die Türken acht Kilometer stromaufwärts von Kut zu überrumpeln, indem er einen Vortrupp an der Flussbiegung von Schumran einen Brückenkopf errichten ließ. Die Handvoll türkischer Verteidiger, die dort anwesend waren, wehrten sich nach Kräften, wurden jedoch bald durch britisches Artilleriefeuer aus nächster Nähe überwältigt. Als die osmanischen Kommandeure die Gefahr erkannten, war es bereits zu spät: Sie konnten nun nicht mehr genug Männer losschicken, um die Flut von feindlichen Truppen aufzuhalten, die über die Pontonbrücke strömten. Während britische Kavallerie, Infanterie und Artillerie sich beeilte, den Fluss zu überqueren, mussten die osmanischen Kommandeure einsehen, dass ihre Position unhaltbar geworden war. Im Angesicht einer drohenden Umzingelung und Gefangennahme ordnete Halil Pascha den sofortigen Rückzug an – und zwar von sämtlichen Stellungen, die seine Truppen auf einer Frontlänge von 32 Kilometern am linken Ufer des Tigris hielten. Der
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Erfolg dieses osmanischen Rückzugs verdankte sich vor allem der großen Disziplin, mit der er ausgeführt wurde. Der Hauptteil der Truppe zog mitsamt seinen Geschützen ab; von ihren Vorräten nahmen die Soldaten so viel mit, wie sie tragen konnten. Eine Nachhut sicherte die Abzugsroute, bis das Gros der Truppe vorübergezogen war, und schloss sich ihr dann an, um sie nach hinten gegen britische Angriffe abzusichern. Arnold Wilson, ein politischer Offizier aus Britisch-Indien, schätzte die Kopfstärke der abziehenden osmanischen Kolonne auf nicht mehr als 6200 Mann, während ihre britischen Verfolger mehr als 46 000 Mann Infanterie und Kavallerie aufboten.14 Während die britisch-indischen Truppen das linke Ufer des Tigris besetzten, führte Kapitän W. Nunn von der Royal Navy seine Kanonenboote den Fluss hinauf bis nach Kut al-Amara, wo sie am Abend des 24. Februar vor Anker gingen. Am nächsten Morgen schickte Nunn einen Erkundungstrupp an Land. Sie fanden alles verlassen vor und hissten den Union Jack. Zwar hatte die verwüstete Stadt in ihrem gegenwärtigen Zustand keinen größeren strategischen Wert als jede andere Tigrisschleife auch; für Maude und seine Männer jedoch besaß sie einen großen symbolischen Wert. Wenn über den Ruinen von Kut wieder die britische Fahne wehte, dann schien das wenigstens eine kleine Wiedergutmachung jener Fehler, die zehn Monate zuvor zu Townshends Kapitulation geführt hatten. Für die Bewohner von Kut jedoch, die zuerst die Belagerung und dann, nach Townshends Aufgabe, die harten osmanischen Vergeltungsmaßnahmen hatten ertragen müssen, war jeder Fahnenwechsel gleichbedeutend mit Tod und Zerstörung gewesen. Sie dürften die Rückkehr der Briten deshalb nicht gerade mit Zuversicht gesehen haben. Nachdem sie der britischen Infanterie und Kavallerie erfolgreich entkommen waren, wurden die abrückenden osmanischen Truppen nun von der Royal Navy angegriffen. Bereits Hunderte Meilen vom Meer entfernt, dampften die fünf Kanonenboote in Kapitän Nunns Geschwader nun mit voller Kraft stromaufwärts, um Halils 13. Armeekorps einzuholen. In einer Haarnadelschleife des Tigris stießen sie auf die osmanische Nachhut, die sich dort eingegraben hatte. Über mehrere Flusskilometer hinweg sahen die britischen Kanonenboote sich nun heftigem Geschütz- und Maschinengewehrfeuer aus nächster Nähe ausgesetzt. Alle fünf Schiffe erhielten Volltreffer und ihre Besatzungen erlitten schwere Verluste, aber dennoch
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gelang es ihnen, die Stellungen der Nachhut zu passieren und das abziehende osmanische Heer weiter zu verfolgen. Auf einem Abschnitt des Flusses, an dem dieser parallel zur Abzugsroute der Osmanen verlief, holte Nunns Geschwader sie ein. Aus allen Rohren feuernd, richteten die Briten unter den erschöpften und demoralisierten türkischen Soldaten ein Blutbad an. Ein alliierter Pilot, der das Gebiet überflog, beschrieb den Anblick als „ein unglaubliches, schreckliches Spektakel. Leichen und Maultierkadaver, herrenlose Geschütze, Wagen und Vorräte lagen überall auf der Straße verteilt. An vielen der Wagen war die weiße Fahne gehisst. Männer und Tiere lagen, erschöpft und ausgehungert, ebenfalls am Boden. Wie wenige von diesen – wenn überhaupt! – werden die ‚Aufmerksamkeiten‘ der arabischen Stammeskrieger überlebt haben, die ihnen wie Wölfe überall um die Fersen streiften. Angewidert machte ich kehrt.“15 Als die Sonne unterging, holte das britische Geschwader schließlich auch türkische Flussschiffe auf dem Rückzug ein. Es gelang den Briten, sämtliche dieser Schiffe entweder zu kapern oder zu zerstören; darunter waren auch einige ursprünglich britische Dampfer, die von den Osmanen zu einem früheren Zeitpunkt der Kampagne erbeutet worden waren. Das türkische Lazarettschiff Basra hisste die weiße Fahne und überließ mehrere Hundert schwerverwundete türkische Soldaten – nun Kriegsgefangene – sowie einige Briten der britischen Fürsorge. Als der Tag zur Neige ging, ließ Nunn das Geschwader vor Anker gehen, damit seine Männer sich um ihre eigenen Toten und Verwundeten kümmern und ihre arg mitgenommenen Schiffe notdürftig flicken konnten. Sie hatten etliche Kilometer Vorsprung vor den nachrückenden britischen Soldaten an Land.16 Binnen zweieinhalb Monaten hatte General Maude mit seinem Vorstoß die Verteidigungslinien Halil Paschas zerschlagen. Er war durch türkische Stellungen gebrochen, die zuvor uneinnehmbar schienen, hatte rund 7500 Gefangene gemacht und die vier osmanischen Divisionen an der Tigrisfront auf weniger als 5000 Mann dezimiert, während seine eigene Truppe noch beinahe in voller Stärke stand. Seine Kanonenboote beherrschten den Tigris und seine Flugzeuge den Himmel darüber. Maude wusste, dass die Osmanen nicht genügend Soldaten hatten, um Bagdad gegen einen entschlossenen britischen Vorstoß zu verteidigen. Allerdings
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galt für ihn immer noch der Befehl aus London, der einen solchen Vorstoß ausdrücklich untersagte. So blieb dem MEF-Kommandeur nichts anderes übrig, als Bericht nach London zu erstatten und um neue Befehle zu bitten.
* Die Verantwortlichen in London begrüßten die guten Nachrichten aus Mesopotamien, waren jedoch geteilter Meinung darüber, wie man aus Maudes Erfolgen den größtmöglichen Gewinn ziehen sollte. Noch immer verdüsterte der lange Schatten der Kapitulation von Kut die britischen Ambitionen im Zweistromland, und der Chef des Imperialen Generalstabs war ein risikoscheuer Mann. Er sah ein, dass Maudes Armee Bagdad durchaus erobern konnte; aber er zweifelte daran, ob sie die Stadt dann auch würde halten können: Der General fürchtete, dass die Osmanen mit massiven Verstärkungen zurückkehren und eine isolierte britische Garnison von Bagdad einer weiteren Belagerung unterwerfen würden. Da das britische Oberkommando an keiner Front Truppen erübrigen konnte und man in London außerdem den großen „Imageschaden“ fürchtete, den eine weitere demütigende Niederlage der Briten gegen die „Heiligen Krieger“ des Sultan-Kalifen verursachen mochte, war General Robertson lediglich gewillt, Maude mit der „Etablierung des britischen Einflusses im vilayet [der Provinz] Bagdad“ zu beauftragen. Während Robertsons telegrafisch knapper Befehl an Maude lautete: „Drängen Sie Feind Richtung Bagdad“, und er den Feldkommandeur sogar anwies, die Stadt mit seiner Kavallerie auch einmal zu „überfallen“, wenn die Gelegenheit günstig erschien, warnte Robertsons Direktive vom 28. Februar doch ausdrücklich davor, „sich später aus irgendeinem Grund zum Rückzug zwingen zu lassen“, und zwar wegen des „unerwünschten politischen Effekts“, den ein solcher Rückzug womöglich hervorriefe.17 In dem Austausch von Telegrammen, der sich nun entspann, sprach sich der britische Oberkommandierende in Indien, General Charles Monro, begeistert für eine rasche Einnahme Bagdads aus, solange die türkischen Truppen sich noch in Unordnung befanden. Schließlich würde man den Türken damit einen strategischen Sammelpunkt nehmen, von dem aus sie die britischen Interessen in Basra und Persien bedrohen
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konnten, und umgekehrt würde eine Eroberung Bagdads das Prestige Großbritanniens in der islamischen Welt erheblich steigern. Auch Maude bemühte sich, Robertson zu überzeugen, indem er ihm die militärischen Vorteile darlegte, welche die Briten durch die Besetzung Bagdads für ihre Position im Irak erlangen konnten. Doch im Londoner Kriegskomitee bewegte noch ein weiterer Punkt die Gemüter: Die Russen planten eine Frühjahrsoffensive in Mesopotamien mit Angriffen auf Mossul, Samarra und Bagdad. Wenn die Russen als Erste nach Bagdad kämen, meinte ein britischer Regierungsvertreter, „dann wäre das Sykes-Picot-Abkommen hinfällig“.18 Das Gewicht dieser Argumente brachte General Robertson dazu, seine Befehle an Maude zu überdenken. In einem Telegramm an den MEFKommandeur vom 3. März gestand er ein, dass „die Durchführbarkeit einer sofortigen Besetzung Bagdads … vermutlich größer“ sei, als er zunächst angenommen habe. Zwar befahl er Maude auch jetzt nicht direkt, Bagdad anzugreifen, aber er willigte ein, die letzte Entscheidung in dieser Sache Maude selbst zu überlassen; dabei bekräftigte er jedoch all seine früheren Bedenken: „Kurz gesagt, sollte es unser Ziel sein, größtmöglichen Gewinn aus Ihrem Sieg neulich zu schlagen, es dabei aber nicht zu übertreiben, damit nicht das alte Kommunikationsproblem wieder auftritt oder wir, nach einer definitiven Eroberung Bagdads, später zum Rückzug gezwungen werden.“ Nach dieser Pause zur Klärung seiner Marschbefehle führte Maude sein Heer flussaufwärts in Richtung Bagdad. Am 6. März erreichten sie Salman Pak, wo Townshend Ende 1915 hatte den Rückzug antreten müssen, stießen dabei jedoch auf keinerlei Gegenwehr. Sie bestaunten den mächtigen Chosraubogen von Ktesiphon, der als auffälligster Orientierungspunkt in einigem Umkreis die Umgebung überragte, und inspizierten das weitläufige Netz von Schützengräben, das osmanische Soldaten hier zur Verteidigung Bagdads angelegt und nun verlassen hatten. Die türkischen Befehlshaber hatten beschlossen, ihre Kräfte stattdessen am Fluss Diyala zu konzentrieren, einem Zufluss des Tigris, der flussabwärts von Bagdad in diesen mündete. Von der Heftigkeit der türkischen Gegenwehr am Diyala wurden die Briten überrascht; drei Tage lang wurde Maudes Kolonne dort aufgehalten, und beide Seiten erlitten schwere Verluste. Jedoch waren die Abwehrkämpfe am Diyala kaum mehr als ein Verzögerungsmanöver:
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Halil war bereits bewusst, dass er Bagdad gegen Maudes überlegene Truppenstärke und Feuerkraft nicht würde verteidigen können. In Bagdad gaben sich die Beamten der osmanischen Zivil- und Militärverwaltungen derweil alle Mühe, die Ordnung in der Stadt aufrechtzuerhalten, während sie gleichzeitig schon deren Evakuierung vorbereiteten. Für Talib Mushtaq, den Bagdader Schuljungen, der nach dem osmanischen Triumph von Kut mit britischen Kriegsgefangenen geplaudert hatte, war es unvorstellbar, dass die Türken Bagdad einer fremden Besatzungsmacht überlassen könnten. Am Vorabend der Evakuierung wurden Mushtaq und sein Bruder in das Büro des stellvertretenden Gouverneurs, einem alten Freund der Familie, gerufen. Dieser schickte die beiden Jungen unter Polizeischutz in die nahe gelegene Stadt Baquba, wo der Vater der beiden einen Posten in der Zivilverwaltung innehatte. „Auf seinem Gesicht zeichneten sich Schmerz und Bewegtheit ab“, berichtet Talib Mushtaq. „Wir evakuieren nun Bagdad“, erklärte der Vizegouverneur, „und die türkische Armee befindet sich an allen Fronten auf dem Rückzug. Die Engländer werden vermutlich morgen oder übermorgen nach Bagdad einmarschieren.“ Mushtaq konnte es nicht glauben: „Wie konnten wir nur Bagdad evakuieren?“, fragte sich der junge Patriot. „Wie konnten wir es den Hufen englischer Pferde gestatten, den geheiligten Boden unserer Heimat zu entweihen?“ Aber der stellvertretende Gouverneur blieb hart: Die beiden Jungen wurden von der Schule genommen und mit einer bewaffneten Eskorte zu ihren verzweifelten Eltern nach Baquba gebracht.19 Bereits am 11. März, kurz nach Mitternacht, wurde die Illusion von Normalität schlagartig zerstört, als die Osmanen und ihre deutschen Verbündeten damit begannen, militärische Einrichtungen in Bagdad zu zerstören. Deutsche Ingenieure kappten die Stahltaue, mit denen die Telegrafenmasten gesichert waren, woraufhin diese krachend zu Boden stürzten. Heftige Explosionen erschütterten die Stadt, als die Lastenkräne und Wassertürme der Baghdad Railway Company gesprengt wurden. Eines nach dem anderen wurden auch die großen Verwaltungsgebäude gesprengt, die Pontonbrücke über den Tigris wurde in Brand gesetzt. Oscar Heizer, der amerikanische Konsul in Bagdad, sah der systematischen Zerstörung der Stadt von seiner Dachterrasse aus zu. Mit dem Rückzug der Osmanen setzte Anarchie ein: „Die Plünderung des Marktes und der
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Basare durch die Kurden und die arabische Unterschicht begann unverzüglich“, notierte er für das Konsulatsprotokoll.20 Bis zum Morgen hatten die Plünderungen ein solches Ausmaß angenommen, dass Konsul Heizer sich in Begleitung eines bewaffneten Konsulatsbediensteten aufmachte, um der britischen Vorhut entgegenzureiten. Gegen 9:30 Uhr stießen sie endlich auf eine Abteilung indischer Ulanen unter dem Kommando eines britischen Majors und führten sie in das Stadtzentrum. Die Straßen waren voller Menschen, hielt Heizer fest, „von denen wohl viele kurz zuvor noch geplündert hatten, aber jetzt schauten sie tugendhaft drein und jubelten den Soldaten zu“. Die Reiter stießen bis zu den großen Basaren vor, wo sie Männer, Frauen und Kinder vorfanden, die gerade damit beschäftigt waren, die letzten Ladenregale auszuräumen. An vielen Häusern hatten die Plünderer auch Fensterrahmen und Türen herausgebrochen und Holzarbeiten von den Gebäuden abgerissen. Der Major zog seinen Revolver und gab mehrere Schüsse in die Luft ab, woraufhin die Menge der Plünderer auseinanderstob. Die Kaval-
Der Fall von Bagdad. Einzug der britischen Kräfte nach Bagdad am 11. März 1917.
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leristen verpassten ihnen noch einige Hiebe, als sie an den neuen Herren von Bagdad vorbei das Weite suchten. General Maude wartete ab, bis der Aufruhr beendet und die Stadt gesichert war, bevor er am Nachmittag unauffällig in die Stadt kam. Der Union Jack, den euphorische britische Soldaten einige Stunden zuvor über der Zitadelle gehisst hatten, wurde eingeholt, nur um kurz darauf auf dem Uhrturm der türkischen Kaserne abermals gehisst zu werden, nachdem Maude in Bagdad eingetroffen war. Eine offizielle Stellungnahme sollte der Eroberer von Bagdad allerdings erst mit der Genehmigung seiner Regierung abgeben können. Zu Hause in London beauftragte das britische Kabinett den Nahostberater Lord Kitcheners, Sir Mark Sykes (der auch das Sykes-Picot-Abkommen mitverfasst hatte), damit, eine förmliche Erklärung in Maudes Namen aufzusetzen. Dem daraufhin entstandenen Text entströmt, wie Arnold Wilson etwas säuerlich bemerkt hat, „aus jeder Zeile Sykes’ markanter, überschwänglicher Orientalismus“.21 Die Proklamation begann im hochpathetischen Ton mit der Versicherung an die Adresse der Einwohner von Bagdad: „Unsere Truppen kommen in eure Städte und in euer Land nicht als Eroberer oder als Feinde, sondern als Befreier.“ Seit den Tagen des Hülegü [eines mongolischen Khans und Eroberers im 13. Jahrhundert] sind eure Stadt und euer ganzes Land der Tyrannei von Fremden unterworfen gewesen, eure Paläste sind zu Ruinen verfallen, eure Gärten liegen wüst und brach, und eure Vorväter, wie auch ihr selbst, haben in den Ketten der Knechtschaft geschmachtet! Eure Söhne hat man in Kriege verschleppt, die ihr nicht gewollt habt, gesetzlose, ungerechte Männer haben euch eure Reichtümer genommen und sie fern von hier verprasst.22
Maudes Proklamation wurde in englischer und arabischer Sprache gedruckt und überall in Bagdad verteilt – aber auch sie vermochte die Iraker nicht davon zu überzeugen, dass es sich bei den Briten um irgendetwas anderes handelte als die vorerst letzten in einer langen Reihe fremder Eroberer, die ihr Land einer Willkürherrschaft unterwerfen wollten. Talib Mushtaq erinnerte sich später: „Nach seiner Ankunft in Bagdad erklärte General Maude, dass er nicht als ein Eroberer, sondern als ein Retter und Befreier zu uns gekommen sei. Welch schändliche Lügen und welcher
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Betrug, denn die Leute von Bagdad und dem ganzen Irak sahen ja mit eigenen Augen, dass die Engländer die Iraker wie Sklaven oder Gefangene behandelten. Wo war also die Freiheit? Und wo war die Rettung?“23 Mit derlei Details hielt sich das britische Kriegskomitee nicht auf. Nach einer Reihe katastrophaler Niederlagen an der osmanischen Front war den Briten endlich ein bedeutender Sieg gelungen. Zwar kam Bagdad im großen Gesamtbild der britischen Kriegsanstrengungen – wenn überhaupt – nur eine sehr geringe strategische Bedeutung zu, aber die Briten konnten jeden Sieg gut gebrauchen, und Bagdad, die Stadt aus Tausendundeiner Nacht, war eine Trophäe wie aus Aladins Schatzhöhle. Für die Osmanen hingegen bedeutete der Verlust Bagdads einen herben Rückschlag. Die vormalige Hauptstadt des Abbasiden-Kalifats (750 bis 1258 n. Chr.) war nicht zuletzt auch der geplante Endbahnhof der Berlin-Bagdad-Bahn (oder schlicht „Bagdadbahn“) und der Ausgangspunkt osmanischer Ambitionen für die Nachkriegsordnung am Persischen Golf. Mit dem Verlust von Bagdad war nach den Gebietsabtretungen an die Russen in Ostanatolien (einschließlich der Garnisonsstadt Erzurum und des Schwarzmeerhafens Trabzon), nach der Eroberung von Mekka und Dschidda durch die haschemitischen Rebellen im Hedschas sowie den jüngsten Rückschlägen auf dem Sinai wieder einmal deutlich geworden, dass die Osmanen sich an allen Fronten im Rückzug befanden.
* Der britische Triumph von Bagdad ermunterte das Londoner Kriegskabinett, seine bisherige Strategie in Ägypten noch einmal zu überdenken. Seitdem die Egyptian Expeditionary Force im Januar 1917 die Sinai-Grenzstadt Rafah eingenommen hatte, galt für sie der Befehl, alle weiteren Operationen bis zum Herbst des Jahres auszusetzen. Allerdings waren sich die alliierten Strategen inzwischen unsicher geworden, ob sie in ihrer Kriegführung nicht doch besser einen anderen Ansatz verfolgen sollten. Am 26. Februar 1917 waren in der Hafenstadt Calais am Ärmelkanal britische und französische Generale zusammengekommen, um gemeinsam ihre Gesamtstrategie im Weltkrieg zu überarbeiten. In der Absicht, die Initiative zurückzugewinnen, beschlossen die Alliierten, die Mittelmächte im Zuge einer koordinierten Frühjahrsoffensive an mehreren Fronten gleich-
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zeitig anzugreifen: an der Westfront, in Mazedonien und in Mesopotamien. Dass Maude nun am 11. März Bagdad eingenommen hatte, war für eine Beteiligung der EEF an der geplanten Offensive ideal. Die Alliierten bekamen weiteren Auftrieb, als die Vereinigten Staaten am 2. April 1917 dem Deutschen Reich den Krieg erklärten und damit an ihrer Seite in den Konflikt eintraten. Es war nicht gerade einfach gewesen, den amerikanischen Isolationismus zu überwinden. Immerhin hatte noch Woodrow Wilsons Kampagne, die zu seiner erfolgreichen Wiederwahl im Jahr 1916 führte, unter dem Slogan gestanden: He kept us out of the war – „Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten!“ Amerikas Kriegseintritt auf der alliierten Seite ging zu gleichen Teilen zurück auf den uneingeschränkten U-Boot-Krieg der Deutschen im Atlantik (bei der Versenkung des Passagierschiffs RMS Lusitania vor der irischen Küste am 7. Mai 1915 befanden sich unter den 1201 Todesopfern auch 128 US-Bürger) und auf das Bekanntwerden der deutschen Annäherungsversuche an Mexiko mit der Absicht, für den Fall eines US-Kriegseintritts ein Bündnis abzuschließen. Obgleich die Vereinigten Staaten 1917 alles andere als eine militärische Großmacht waren – ihre Armee in Friedenszeiten zählte unter 100 000 Mann –, gaben das enorme industrielle Potenzial und die große Bevölkerungszahl der USA den Entente-Mächten doch Anlass zu der Hoffnung, ihr Kriegsglück an der Westfront könnte sich durch die USBeteiligung wenden. Und das wiederum ließ die britischen Kriegsplaner über neue Vorhaben im Nahen Osten nachdenken.24 Die EEF jedenfalls war einsatzbereit. Ihr Eisenbahnbau war in den ersten Monaten des Jahres 1917 zügig vorangeschritten; in der zweiten Märzhälfte wurde schließlich das rund 25 Kilometer südlich von Gaza gelegene Khan Yunis erreicht. Der Bau der Wasserleitung folgte mit geringem Abstand. In unmittelbarer Nähe der Front hatten die Briten große Vorräte an Munition und Proviant angelegt, was es den Kommandeuren erlaubte, sich auf eine Offensive noch im März vorzubereiten. Den osmanischen Verteidigern des betreffenden Frontabschnittes waren die Briten zahlenmäßig weit überlegen; sie verfügten über 11 000 Mann Kavallerie und 12 000 Mann Infanterie, dazu kam noch eine weitere Division mit 8000 Mann, die in Reserve lag. Die osmanische Garnison von Gaza war dagegen gerade einmal 4000 Mann stark, wenn auch 15 000 weitere Soldaten nur einige Kilometer hinter der Front positioniert waren.
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General Murray und sein Stab arbeiteten einen Schlachtplan aus, der sich an Murrays früherer Strategie auf dem Sinai orientierte. Die ANZACKavallerie sollte Gaza von Norden, Osten und Südosten her umzingeln, um den Türken den Rückzugsweg zu versperren und gleichzeitig das Anrücken von Verstärkung zu verhindern. Die britische Infanterie bezog südlich der Stadt Stellung, um von dort einen direkten Stoßangriff auf Gaza durchzuführen. Wie bereits die Schlachten auf dem Sinai, so sollte auch der Kampf um Gaza zu einem Wettlauf gegen die Zeit werden. Wenn sie die Stadt nicht bis zum Sonnenuntergang erobert hatten, würden die erschöpften, durstigen Briten sich meilenweit bis zum Endpunkt ihrer Feldbahn zurückziehen müssen, um dort ihre Wasservorräte aufzufüllen. In den frühen Morgenstunden des 26. März machte sich die britische Kavallerie auf, um Gaza einzukreisen. Bis 10:30 Uhr war die Stadt vollständig von feindlichen Truppen umstellt. Die britische Infanterie hingegen wurde auf ihrem Vormarsch von einem dichten Nebel aufgehalten, und so konnte der Befehl zum Angriff erst zur Mittagszeit erfolgen. Die britische Artillerie eröffnete das Feuer und verwüstete die Küstenstadt mit ihren rund 40 000 Einwohnern. Der angreifenden Infanterie schlug unablässiges Maschinengewehr- und Scharfschützenfeuer aus den türkischen Linien entgegen; auch das unwegsame, von dichten Kaktushecken durchzogene Gelände erschwerte das britische Vordringen. Und doch gelang es Einheiten der ANZAC-Reiterei, von Norden und Osten auf Gaza vorzustoßen, während die Osmanen sich noch ganz auf den Infanterieangriff aus südlicher Richtung konzentrierten. Gegen 18:30 Uhr standen die Osmanen, deren Verteidigungsstellungen dem Druck der Angreifer nicht mehr gewachsen waren, kurz vor der Kapitulation. Aber in anderer Hinsicht hatten die Türken Glück: Durch einen Ausfall ihrer Kommunikation war den britischen Kommandeuren überhaupt nicht bewusst, wie nah ihre Männer dem Sieg bereits gekommen waren. Bis zum späten Nachmittag hatten die britischen Truppen in einer Reihe von schweren Gefechten im Umland von Gaza schwere Verluste erlitten und ihre Kommandeure gaben den Befehl zum Rückzug. Sie befürchteten, dass ihre Männer nach den unvorhergesehenen Verzögerungen zu Beginn der Schlacht nicht mehr genug Zeit haben würden, um ihr Ziel – die Eroberung von Gaza – noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen zu können. Dazu kam die Sorge, eintreffende osmanische Ver-
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stärkungen könnten die Briten im unwirtlichen Gelände gleichsam festhalten. Ohne Trinkwasser und Munition wären dann weder die Soldaten noch ihre Pferde in der Lage, einen zweiten Kampftag durchzustehen. Anstatt also eine Niederlage zu riskieren, gaben die britischen Generale lieber die hart erfochtenen Gewinne dieses Tages auf, um ihre Truppen zu schonen. Unter den Soldaten auf beiden Seiten war das Erstaunen groß, als der britische Angriff auf Gaza urplötzlich abgebrochen wurde und die Angreifer den Rückzug antraten. Damit setzten sich die Briten einem osmanischen Gegenangriff aus, und tatsächlich erlitten sie auf ihrem Rückzug so schwere Verluste, dass der Zorn der Soldaten über die Preisgabe des mühevoll erkämpften Geländes umso verständlicher erscheint. Aus osmanischer Sicht handelte es sich bei dem Rückzug der Briten um nicht weniger als ein Wunder, und die Kommandeure zögerten nicht, die strategisch wertvollen Höhenpositionen zurückzugewinnen. Am Ende der Schlacht vom 27. März überstiegen die britischen Verluste an Toten und Verwundeten die der Osmanen.25 Über Gaza hing der Schatten von Gallipoli. „Was meint ihr also“, fragte ein türkischer Journalist einen verwundeten osmanischen Soldaten nach der Schlacht, „glaubt ihr, dass sie zurückkommen werden?“ „Die können nicht zurückkommen, effendi“, antwortete der Soldat mit ernster Miene. „Die haben gesehen, welches Regiment wir sind.“ Was der türkische Soldat meinte, war, dass die Briten in seinem Regiment eine jener Einheiten erkannt hätten, denen sie auf Gallipoli unterlegen waren – und davon hatten sie wirklich genug.26 In seinen Berichten nach London spielte General Murray die schlechten Nachrichten eher herunter und bauschte dafür die britischen Gebietsgewinne beim ersten Vorstoß auf Gaza auf. Murray behauptete, seine Männer seien gut 25 Kilometer vorgerückt und hätten dem Gegner dabei „überaus schwere Verluste [von] 6000 bis 7000 Mann beigebracht“ – in Wahrheit hatte die Zahl der türkischen Verluste unter 2500 gelegen. Die Londoner Zeitungen lechzten jedoch nach guten Nachrichten von der Front und übernahmen Murrays Zahlen deshalb ohne weitere Nachfragen. Die Soldaten im Feld wussten es besser. Briscoe Moore, ein neuseeländischer Leutnant der Auckland Mounted Rifles, stieß kurz nach der Schlacht auf eine Nachricht, die aus einem feindlichen Flugzeug
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Siegreiche osmanische Soldaten präsentieren ihren Kameraden nach der Ersten Schlacht um Gaza im März 1917 ihre Regimentsfahne.
abgeworfen worden war, um eines endgültig klarzustellen: „Ihr habt vielleicht die Presseschlacht gewonnen – aber wir haben euch in Gaza geschlagen!“27 Das britische Kriegskabinett sollte Murray schließlich zwingen, Farbe zu bekennen. General Robertson, der Chef des Imperialen Generalstabs, teilte Murray mit, dass in Anbetracht von Maudes jüngster Eroberung von Bagdad und Murrays eigenem „Erfolg“ vor Gaza die Befehle für die EEF
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wie folgt abgeändert würden: Murrays vorrangiges Ziel sei es nun, die türkischen Kräfte südlich von Jerusalem zu schlagen, um schließlich die heilige Stadt selbst einzunehmen. In seinem Telegramm an Murray vom 2. April 1917 unterstrich Robertson die große symbolische Bedeutung, die eine Eroberung Jerusalems in den Augen der kriegsmüden britischen Öffentlichkeit haben würde: „Kriegskabinett deshalb höchst bestrebt, dass Ihre Operationen mit aller Kraft ausgeführt werden.“ Im Gegenzug versprach Robertson, jegliches Kriegsmaterial zu liefern, das Murray zur Umsetzung dieses Planes benötigte. Dem zurückhaltenden Tonfall und den vielen Vorbehalten nach zu urteilen, die General Murray in seiner Korrespondenz mit London vorbrachte, war er selbst nicht gerade überzeugt davon, dass er die Osmanen in Palästina würde schlagen können – von einer Eroberung Jerusalems ganz zu schweigen. Seine ganze Strategie im staubigen Südpalästina hatte bislang darauf beruht, dass er Schritt für Schritt entlang der im Bau befindlichen Eisenbahnlinie und Wasserleitung vorrückte. Selbst wenn es ihm gelänge, an Gaza vorbeizukommen – was durch das Eintreffen osmanischer Verstärkungen im Anschluss an die Erste Schlacht um Gaza noch schwieriger geworden war –, selbst wenn er Gaza also passieren sollte, hatte er doch schwerwiegende Bedenken, was die schnelle Überdehnung seiner Nachschublinien und die Wasserversorgung seiner Zehntausenden von Männern, Reit- und Lasttieren anging. Jedoch: Der Befehl aus London hätte gar nicht klarer formuliert sein können, und so begann Murray mit den Vorbereitungen für einen zweiten Angriff auf die osmanischen Stellungen bei Gaza. Da die Osmanen nun wussten, wo sich die Briten zum Angriff zusammengezogen hatten, richteten sie ihre ganze Aufmerksamkeit darauf, dem Feind zwischen Gaza und Beerscheba den Weg zu versperren. Wie Cemal Pascha sich erinnerte: „Ich beschloss, jene Frontlinie zu halten und die Engländer unter allen Umständen am Durchbruch zu hindern, indem ich die Gesamtheit der türkischen Kräfte dort zusammenzog.“ In den drei Wochen seit der ersten Schlacht hatte Cemal seine inzwischen eingetroffenen Verstärkungen entlang der Linie Gaza–Beerscheba verteilt, wo sie eine Reihe von Erdwällen und Schützengräben errichteten, von denen aus alle Wege in Richtung Gaza mit Maschinengewehren und Kanonen unter Feuer genommen werden konnten.28
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Die Erfahrung hatte die britischen Kommandeure bereits gelehrt, dass im Grabenkrieg in aller Regel die Verteidiger es waren, die das Glück auf ihrer Seite hatten. Um die Chancen seiner Truppe auf einen Durchbruch durch die türkischen Linien zu erhöhen, führte General Murray einige der schrecklichsten Waffen ins Feld, die das britische Arsenal zu bieten hatte. Für das einleitende Bombardement der osmanischen Stellungen ließ er 4000 Gasgranaten bereitstellen. Obwohl seit der Zweiten Flandernschlacht im April 1915 auf beiden Seiten des Konflikts immer wieder Giftgas zum Einsatz gekommen war, waren die Osmanen von dieser fürchterlichen Waffe bislang verschont geblieben. An die britischen Soldaten wurden vor dem Angriff Gasmasken ausgegeben; ihre osmanischen Gegner hatten natürlich keine. Außerdem wurden in aller Heimlichkeit acht britische „Tanks“ – frühe Panzer – an die Sinaifront verlegt, um die Infanterie bei ihrem Vorstoß auf die stark befestigten türkischen Linien zu unterstützen. „Wir hatten schon viel von diesen gewaltigen Kriegsmaschinen gehört“, berichtete ein Australier des Imperial Camel Corps später, „und waren außer uns vor Freude, als sie endlich eintrafen, denn wir waren überzeugt, dass ihr bloßer Einsatz dem Feind das Blut in den Adern gefrieren lassen würde.“29 Die Zweite Schlacht um Gaza setzte am 17. April 1917 mit dem Trommelfeuer der britischen Artillerie ein. Die abgeschossenen Gasgranaten waren gegen einen eng begrenzten Grabenabschnitt gerichtet, erwiesen sich jedoch als wenig effektiv. Auch das heftige Bombardement von Gaza durch britische Schlachtschiffe, die vor der Küste lagen, konnte die Verteidiger der Stadt nicht erschüttern. Als die britische Infanterie dann endlich auf die türkischen Linien losstürmte, schlug ihr ein unerbittliches Maschinengewehr- und Kanonenfeuer entgegen. Frank Reid, ein australischer Soldat des Imperial Camel Corps, stieg von seinem Reittier, um „unter sehr schwerem Gewehr- und Maschinengewehrfeuer“ in den Kampf zu ziehen. Er sah, wie seine Kameraden um ihn her fielen, von der Wucht der über ihren Köpfen explodierenden Granaten zu Boden geschmettert. Plötzlich hörte er die Männer zu seiner Linken in lautes Triumphgeheul ausbrechen und erblickte einen der acht britischen Tanks, der in voller Fahrt auf die türkischen Schützengräben zuhielt. Reid ging fest davon aus, dass „sobald der Tank den vordersten Graben erreicht hatte, die Türken sich sofort ergeben würden“. Stattdessen
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Australische Soldaten des Imperial Camel Corps in der Nähe von Rafa, Ägypten, am 26. Januar 1918.
zielten die osmanischen Soldaten sorgfältig und feuerten mit allem, was sie hatten, auf das stählerne Ungetüm. „Großkalibrige Geschosse prasselten auf die Panzerplatten des Tanks ein und wurden als Querschläger in alle Richtungen gestreut. Aber der Tank fuhr einfach weiter.“ Gewissermaßen im Windschatten des Tanks erreichten die Kamelreiter die vorderste Linie der gegnerischen Schützengräben, wo sie auf eine Handvoll türkischer Soldaten stießen, die zu stark verwundet waren, als dass sie hätten fliehen können. Reid erinnerte sich an diese Konfrontation Auge in Auge mit dem Feind – Australier hier, dort Türken – als einen Konflikt widerstreitender Instinkte. Zwei Kamelreiter kamen zu einem verwundeten türkischen Soldaten, der die Arme über der Brust gekreuzt hielt. „Stich die Sau [mit dem Bajonett] ab!“, brüllte der erste Kamelreiter. „Nein“, rief der zweite, „gebt dem armen Teufel doch eine Chance!“ Reid sah zu, wie ein dritter seiner Kameraden einem anderen verwundeten Türken das Gewehr entriss und kurz innehielt. Aber statt den blutüberströmten Mann zu töten, beugte der Australier sich zu ihm
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hinunter und reichte ihm seine Wasserflasche. „Armer Kerl! Will doch nur leben, wie wir auch …“ Dann nahm er sein eigenes Verbandszeug und versorgte die Kopfverletzung des Türken. Das Mitgefühl, das in dieser Geste zum Ausdruck kam, bekam jedoch erste Kratzer, als ein ebenfalls verwundeter türkischer Offizier herbeigehumpelt kam, um dem Australier zu danken. „Good“, sagte der Offizier in stark gebrochenem Englisch und klopfte dem Australier auf die Schulter. „Good-verdammt“, blaffte ihn der Kamelreiter an. „Zieh Leine, ich hab’ zu tun!“ Reid folgte dem vorrückenden Tank. Dessen Besatzung schien allerdings die Orientierung verloren zu haben und begann, scheinbar ziellos durch die Gegend zu fahren. Nachdem er mehrere Granattreffer abbekommen hatte, explodierte der Tank und ging in Flammen auf. Von einer Sekunde auf die nächste sahen sich die australischen Kamelreiter und die englischen Infanteristen, die in seiner Deckung vorgerückt waren, dem heftigen Feuer der türkischen Schützengräben ausgesetzt. Rund um Reid stürzten Tote und Verwundete zu Boden. Es gelang dem Trupp, die osmanische Redoute zu stürmen, bevor ein türkischer Gegenstoß sie dort festsitzen ließ. Schließlich wurden die Kamelreiter, die englische Infanterie und die australische leichte Reiterei allesamt zurückgetrieben.30 Im Verlauf der dreitägigen Schlacht hielten die Osmanen ihre Linien und trieben die Briten schließlich unter schweren Verlusten in den Rückzug. Keine der britischen „Geheimwaffen“ hatte bei den Türken besonderen Eindruck gemacht, die das Gas überhaupt nicht bemerkt hatten und von acht britischen Tanks drei zerstörten. Der türkische Journalist Falih Rıfkı schrieb in lyrischem Tonfall über die ausgebrannten Gerippe der „toten Schlachtpanzer“, die das Feld von Gaza mit ihren „zerfetzten und leeren Riesenhüllen“ übersät hätten. Als die britischen Generale eine erste Bilanz ihrer Verluste zogen, sahen sie sich gezwungen, den Vorstoß abzubrechen und eine zweite Niederlage zu kassieren, die sogar noch schlimmer als die erste war. Bis zum Abend des 19. April waren auf britischer Seite 6444 Verluste zu beklagen – das Dreifache der 2013 Toten, Verwundeten und Vermissten aufseiten der Osmanen.31 Der Palästinafeldzug war – fürs Erste – zum Stillstand gekommen. Murrays doppeltes Versagen vor Gaza kostete ihn seinen Posten. Im Juli 1917
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wurde er von General Sir Edmund Allenby abgelöst, dem der britische Premierminister David Lloyd George den scheinbar unmöglichen Auftrag mitgegeben hatte, Jerusalem noch vor Weihnachten zu erobern. Cemal Pascha befand sich in einer stärkeren Position: Seine Truppen hielten die wasserreichen Gebiete Palästinas und hatten die britischen Truppen zurück auf den Sinai – und damit buchstäblich in die Wüste – geschickt. Außerdem hatten die Osmanen verhindert, dass die Briten Kontakt zu den aufständischen Arabern aufnehmen konnten. Solange es gelang, die EEF und das Heer der Aufständischen getrennt voneinander zu halten, hatten die Osmanen die besten Chancen, ihre Position in Syrien und Palästina zu halten.
* Während die Osmanen die Egyptian Expeditionary Force in Schach hielten, sahen sie sich einer erneuten Bedrohung durch das arabische Heer im Hedschas ausgesetzt. Da die osmanischen Kräfte nun ganz auf Medina beschränkt waren, hatten die Haschemiten freie Hand, um ihre Herrschaft auch auf den Rest des Hedschas auszudehnen und dann nach Norden in Richtung Syrien vorzustoßen. Doch zunächst hatte der Kommandeur des Aufständischenheers, Scherif Husseins Sohn Faisal, den Hafen AlWadschh am Roten Meer ins Visier genommen. Seine britischen Berater waren damit einverstanden. Schließlich war die Versorgungslinie von Suez nach Al-Wadschh gut 320 Kilometer kürzer als die von Suez nach Yanbu, und außerdem hätte das haschemitische Heer von dort beste Angriffsmöglichkeiten auf einen 400 Kilometer langen Streckenabschnitt der Hedschasbahn. Durch eine Unterbrechung der Bahnlinie würden zugleich die Nachschub- und Kommunikationslinien der in Medina eingeschlossenen Osmanen abgeschnitten, was deren Kapitulation beschleunigen mochte. Für Faisal bot der Vormarsch auf Al-Wadschh zudem die Gelegenheit, frische Kräfte anzuwerben. Wenn er verhindern wollte, dass der Aufstand in sich zusammenbrach, musste er früher oder später die Unterstützung weiterer Beduinenstämme gewinnen. Und eines wusste er mit Sicherheit: Wenn er an der Spitze eines 11 000 Mann starken Heers nach Norden zog, würde er bei den dortigen Beduinenführern gehörigen Eindruck machen,
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und neue Stämme würden sich ihm anschließen. Auch hoffte er, die 800 türkischen Verteidiger von Al-Wadschh durch die schiere Größe seines Heers überwältigen zu können, sie zur Kapitulation zu zwingen und die Stadt kampflos einzunehmen. Die Royal Navy stimmte sich eng mit den Arabern ab. Um sicherzustellen, dass die Aufständischen genügend Wasser hatten, setzte das Kriegsschiff HMS Hardinge Wassertanks mit gut 20 000 Litern Trinkwasser an einem zuvor vereinbarten Ort unmittelbar südlich von Al-Wadschh ab. An Bord befand sich auch eine Vorhut von 400 Stammeskriegern, die genau nördlich von Al-Wadschh an Land gehen sollten. Da Faisals Hauptmacht von Süden her anrückte, würde diese Vorhut dann die Osmanen daran hindern können, die Garnison von Al-Wadschh zu verstärken oder sich aus der Stadt zurückzuziehen. Faisal und die Briten vereinbarten, sich im Morgengrauen des 23. Januar 1917 vor Al-Wadschh zu treffen. Die kleine Beduinenvorhut ging also nördlich von Al-Wadschh an Land, begleitet von 200 britischen Marinesoldaten und Seeleuten der Hardinge. Sie lagen genau im Zeitplan. Von Faisal oder seinem Heer jedoch fehlte jede Spur. Davon ließen sich die Beduinen nicht beirren; etwa 100 von ihnen ritten auf die Stadt zu, um deren türkische Verteidiger anzugreifen. Da der Großteil der osmanischen Garnison sich bereits in ein altes Fort etwa zehn Kilometer weit im Landesinneren zurückgezogen hatte, brachen die Angreifer rasch durch die türkischen Linien und konnten Al-Wadschh plündern, bevor der Rest des arabischen Heers eintraf. Die letzten Verteidiger der Stadt suchten in der Moschee von Al-Wadschh Zuflucht und hielten dort aus, bis das Gebäude von den Granaten der britischen Schiffsgeschütze getroffen wurde. Anschließend richteten die Briten ihre Kanonen auf das alte Fort und trieben die osmanischen Soldaten in einen überstürzten Rückzug. Als Faisal am 25. Januar endlich eintraf, zwei Tage nach dem vereinbarten Beginn des Angriffs, war Al-Wadschh bereits sicher in arabischer Hand. Die britisch-arabische Machtdemonstration hatte sich ausgezahlt, denn nun standen die Stammesführer aus dem gesamten nördlichen He dschas bei Faisal Schlange, um dem haschemitischen Aufstand ihre Unterstützung anzubieten.32 Nachdem sie sich in Al-Wadschh eingerichtet hatten, machten sich Faisal und seine britischen Berater an die Arbeit, die Hedschasbahn zu unterbrechen. Am 20. Februar gelang es dem ersten Überfallkommando der
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Aufständischen, eine Sprengladung unter einem osmanischen Zug zu zünden, wodurch die Lokomotive zerstört wurde. Dieser Angriff hatte eine unmittelbare Wirkung auf den Kampfgeist der Verantwortlichen in Damaskus und in Medina. Cemal Pascha befahl dem Kommandanten von Medina, Fahri Pascha, die Stadt umgehend zu räumen. Die Briten ihrerseits, denen es gelungen war, Cemals Botschaft abzufangen, wiesen ihre Offiziere im Hedschas an, die Angriffe auf die Bahnlinie zu verstärken, um einen osmanischen Rückzug zu vereiteln. Solange sie in Medina festsaß, stellte Fahris Garnison von 11 000 Mann wenigstens keine Bedrohung für arabische oder britische Truppen an anderen Orten dar. Da zur selben Zeit General Murrays Egyptian Expeditionary Force sich zu ihrem ersten Angriff auf Gaza rüstete, wollten die Briten unter allen Umständen verhindern, dass Cemal die Garnison von Medina zur Verstärkung seiner Positionen in Palästina einsetzte. Den ganzen März hindurch brachten britische Pioniere und ihre ortskundigen arabischen Begleiter an strategischen Punkten entlang der Hedschasbahn Sprengladungen an. Ende März durfte sich sogar T. E. Lawrence, der eigentlich als Verbindungsoffizier zwischen dem britischen Oberkommando in Kairo und Faisal eingesetzt war, an der Sprengung eines abgelegenen Bahnhaltepunktes versuchen. Ausgerüstet mit einem Gebirgsgeschütz, Maschinengewehren und Sprengstoff, gelang es Lawrence und seinem Trupp, den Zugverkehr auf der Hedschasbahn drei Tage lang zu unterbrechen, so groß war das Chaos, das sie anrichteten. Im Zusammenspiel mit Fahri Paschas Entschlossenheit, die heilige Stadt zu verteidigen, sorgten die Angriffe auf die Eisenbahnlinie dafür, dass die Osmanen sich nicht aus Medina zurückzogen. Zu einer dauerhaften Unterbrechung der Nachschub- und Kommunikationslinien entlang der Strecke Damaskus–Medina kam es jedoch nicht. Die Osmanen stellten einen großen Einfallsreichtum unter Beweis, spürten Minen auf, bevor diese zündeten, und reparierten die Schäden erfolgreicher Explosionen im Handumdrehen. Eines war klar: Der Krieg im Hedschas würde nicht allein auf den Schienen der Hedschasbahn gewonnen werden.33 Während die britischen Offiziere also an ihren Sprengkünsten feilten, machte sich Faisal an den Aufbau einer regulären Armee – Disziplin war es, was seinen arabischen Kriegern bislang fehlte. Also rekrutierte er Dschafar al-Askari, den osmanischen Offizier, den die Briten bei ihrer
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Kampagne gegen die Sanūsīya-Bruderschaft in Ägypten gefangen genommen hatten. Dschafar sollte, wie Faisal es ausdrückte, „eine reguläre Armee schaffen, die imstande ist, ihre militärischen Pflichten auf angemessene Weise zu erfüllen“. Dabei standen dem gebürtigen Iraker einige alte Bekannte aus seiner Heimat zur Seite, oftmals Mitglieder der arabischen Geheimgesellschaft Al-Ahd, der zahlreiche Offiziere angehörten. Diese Männer, die für die arabische Unabhängigkeit brannten, zählten bald zu Faisals treuesten Anhängern.34 Bald trafen große Mengen an britischen Waffen- und Vorratslieferungen in dem immer größer werdenden Hauptquartier der Aufständischen in Al-Wadschh ein – unter anderem eine Ladung mit 30 000 Gewehren und 15 Millionen Schuss Munition. Auch Panzerkraftwagen der Marke Rolls Royce wurden dort entladen und patrouillierten schon bald als eine mobile, feuerstarke Eingreiftruppe über die öden Ebenen im Umland von AlWadschh. Das Royal Flying Corps legte eine Reihe von Start- und Landebahnen an, um die Hedschasbahn auch aus der Luft bombardieren zu können. Große Mengen an Gold und Getreide kamen ebenfalls in AlWadschh an – das immer noch wachsende Araberheer musste bezahlt und verköstigt werden. Nachdem er solche Verstärkungen erhalten hatte, begann Faisal mit dem Gedanken zu spielen, seine Linien über den Hedschas hinaus bis in das südliche Syrien vorzuschieben. Zur Vorbereitung dieses kühnen Vorstoßes nach Norden schickte Faisal drei seiner zuverlässigsten Untergebenen auf eine Erkundungsreise: Scherif Nasir ibn Ali, ein enger Vertrauter Faisals aus der Oberschicht Medinas; Auda Abu Tayi, seines Zeichens Anführer des mächtigen HoweitatStammesverbandes; und Nasib al-Bakri, dessen Familie Faisal in Damaskus überhaupt erst mit der arabischen Unabhängigkeitsbewegung in Kontakt gebracht hatte. Am 19. Mai brachen die drei Männer in Richtung Wadi Sirhan auf; durch dieses große Trockental verlief schon seit Jahrhunderten die wichtigste Karawanenroute aus dem Inneren der Arabischen Halbinsel nach Norden, in die Syrische Wüste. Jeder von ihnen hatte einen eigenen Auftrag: Scherif Nasir sollte als Faisals persönlicher Abgesandter die Loyalität der syrischen Beduinenstämme gewinnen. Auda sollte mit seinen Howeitat-Stammesbrüdern Kontakt aufnehmen, um für die anstehenden Operationen der Aufständischen im südlichen Syrien die für den Transport und die Verpflegung benötigten Kamele und Schafe
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bereitzustellen. Bakri schließlich sollte die arabischen Nationalisten in und um Damaskus kontaktieren und um ihre Unterstützung für einen allgemeinen Aufstand werben.35 T. E. Lawrence bat darum, die kleine Expedition begleiten zu dürfen. Drei Tage vor dem geplanten Aufbruch war er mit Sir Mark Sykes zusammengetroffen, der in den Hedschas gereist war, um die Haschemiten über die Vertragsbedingungen des Sykes-Picot-Abkommens zu unterrichten. Sollte er diese Gelegenheit genutzt haben, auch Lawrence davon zu berichten – was durchaus wahrscheinlich ist –, dann dürfte der idealistische junge Offizier über das Doppelspiel seiner britischen Regierung entsetzt gewesen sein. Lawrence’ Handeln und auch seine Schriften lassen keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, die Araber bei der Eroberung Syriens zu unterstützen, bevor die Franzosen es sich unter den Nagel reißen konnten. Scherif Nasirs Expedition bot ihm die Gelegenheit, dieser Entschlossenheit auch Taten folgen zu lassen.36 Nach einer beschwerlichen Reise quer durch die Wüste erreichte die Expedition das Wadi Sirhan. Nach drei Tagen bei den Howeitat trennten sich ihre Wege, und die Männer machten sich auf, um – jeder für sich – ihre jeweilige Mission zu erfüllen. Nasib al-Bakri ritt nach Damaskus, um mit den dortigen Vertretern der arabischen Unabhängigkeitsbewegung zusammenzuarbeiten. Lawrence erkundete die Gegend um Damaskus und bemühte sich, möglichst viel Unterstützung für den Aufstand zu gewinnen – als kleine Zugabe gelang es ihm sogar noch, eine Eisenbahnbrücke der Strecke Beirut–Damaskus zu sprengen. Scherif Nasir und Auda Abu Tayi gaben sich alle Mühe, Stammeskrieger für ihre Sache zu rekrutieren. Am 18. Juni trafen Nasir, Auda und Lawrence am Eingang des Wadi Sirhan wieder zusammen (Al-Bakri hatte beschlossen, in Damaskus zu bleiben). Durch die gemeinsamen Anstrengungen von Auda und Nasir hatten sich gut 560 Howeitat-Krieger dem Aufstand angeschlossen. Das waren noch zu wenige, um einen großen osmanischen Stützpunkt wie etwa das Eisenbahndepot von Maan (im heutigen Jordanien) anzugreifen. Stattdessen rückte der überschaubare Trupp Ende Juni auf Akaba am Roten Meer vor. Die Hafenstadt Akaba liegt an der Spitze des gleichnamigen Golfes am östlichen Ausläufer des Roten Meers, der die Sinaihalbinsel vom Hedschas trennt. Ein verschlafenes Nest – aber von immensem strategischen Wert.
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Durch seine Einnahme würden die britischen Truppen in Ägypten und auf dem Sinai eine direkte Verbindung zu dem Heer der Aufständischen erhalten. Mit der Eroberung von Akaba würde der gesamte Hedschas – mit der Ausnahme von Medina – unter haschemitischer Kontrolle stehen. Und für das Heer des Scherifen war Akaba das südliche Tor nach Syrien. Seit Kriegsausbruch, als die Briten Akaba ungehindert hatten von See beschießen können, hatten die Osmanen starke Küstenbefestigungen errichtet, um den kleinen Hafen zu schützen. Mit einem Angriff von der Landseite hatten sie jedoch nicht gerechnet – und genau diese Schwachstelle sollte der berittene Stoßtrupp unter der Führung von Scherif Nasir ausnutzen. Unter Umgehung der Garnison von Maan querten die 600 Beduinenkrieger die Strecke der Hedschasbahn weiter südlich auf Höhe der Bahnstation Ghadir al-Hadsch, die sie plünderten. Lawrence ließ die Bahnstrecke so schwer beschädigen wie möglich, um das Anrücken osmanischer Verstärkungen aus Maan zu verzögern. Später behauptete er, insgesamt „zehn Brücken und viele Gleise“ zerstört zu haben, bevor sein Sprengstoffvorrat zur Neige ging.37 Am 2. Juli umzingelten Scherif Nasirs Männer an einem Ort namens Abu al-Lisan ein türkisches Bataillon, dass losgeschickt worden war, um den Zugang nach Akaba zu sichern. Nachdem sie die osmanischen Soldaten über Stunden hinweg aus dem Hinterhalt beschossen hatten, stürmte schließlich Auda mit seinen Stammeskriegern auf die Türken los. Den Soldaten gefror angesichts der herangaloppierenden Beduinen das Blut in den Adern – dann suchten sie ihr Heil in der Flucht. Nach Lawrence’ Angaben blieben 300 Türken tot oder tödlich verwundet auf dem Schlachtfeld zurück; gerade einmal 160 Überlebende wurden gefangen genommen. Nur zwei Beduinen ließen ihr Leben. Dieser arabische Militärerfolg gegen die Osmanen ermutigte auch andere Beduinen, sich dem haschemitischen Aufstand anzuschließen, und der kleine Stoßtrupp wurde immer größer. Die Araber brachten einen türkischen Gefangenen dazu, in ihrem Namen Briefe an die Kommandanten der drei isolierten Vorposten der osmanischen Armee zwischen Abu al-Lisan und Akaba aufzusetzen. Darin versprachen sie all jenen gute Behandlung, die sich ihnen kampflos ergaben – wer jedoch Widerstand leiste, werde kein Erbarmen finden. Der erste osmanische Stützpunkt streckte ohne Gegenwehr die Waffen. Der
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zweite widersetzte sich, wurde jedoch von den Arabern erstürmt, ohne dass diese dabei auch nur einen einzigen Mann verloren. Der dritte türkische Vorposten wollte erst verhandeln, begann sich dann zu verteidigen – und kapitulierte schließlich, als die Araber aus sämtlichen Richtungen das Feuer eröffneten. Nachdem auch dieses letzte Hindernis beseitigt war, „jagte“ Scherif Nasirs kleine Armee „durch treibenden Sandsturm nach Akaba hinab“, das nur gut sechs Kilometer entfernt lag, „und am 6. Juli schnurstracks in die aufspritzende See hinein“, jubilierte Lawrence, „genau zwei Monate nach dem Aufbruch aus Al-Wadschh“.38 Der Sieg von Akaba war der bis dato größte Triumph des Arabischen Aufstandes. Scherif Nasir schrieb noch am selben Tag einen Bericht an Faisal, in dem er den furchtlosen Einsatz der Beduinenkrieger hervorhob. Lawrence, der erkannt hatte, dass dieser Sieg auch für die britischen Strategen ein entscheidender war, brach unverzüglich über den Sinai nach Kairo auf, begleitet von einer Eskorte aus acht Freiwilligen.
Der Einzug der Araber nach Akaba am 6. Juli 1917. T. E. Lawrence machte diese legendäre Aufnahme an dem Tag, an dem die Truppen des Scherifen von Mekka Akaba einnahmen, wodurch der haschemitische Aufstand im Hedschas zu einem wahrhaft „Arabischen Aufstand“ wurde.
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Am 10. Juli betrat ein leicht zerlumpt wirkender Araber in den typischen Gewändern und dem Kopfputz der Beduinen das britische Hauptquartier in Kairo. Als er den Mund öffnete und in lupenreinem OxfordEnglisch zu sprechen begann, löste er allseitiges Erstaunen aus. Seine Vorgesetzten hatten ihn nicht erkannt – und Lawrence weidete sich an ihrer Verblüffung. Das war der Augenblick, in dem aus dem wackeren Hauptmann T. E. Lawrence der gefeierte „Lawrence von Arabien“ wurde. Wie sehr seine Vorgesetzten den unvorschriftsmäßigen Aufzug auch missbilligen mochten: Lawrence’ Nachricht vom Sieg der Araber bei Akaba machte ihn über Nacht zum Helden. Noch am selben Abend sandte Sir Reginald Wingate, der britische Hochkommissar in Kairo, ein eilig formuliertes Telegramm an den Chef des Imperialen Generalstabs, Sir William Robertson. Dem Wortlaut nach muss entweder Lawrence – oder aber Wingate selbst – die Gebietsgewinne der Araber noch etwas übertrieben haben: „Hauptmann Lawrence heute in Kairo auf Landweg von Akaba eingetroffen. Türkische Posten zwischen Tafila, Maan und Akaba in arabischer Hand.“39 Für den neuen Befehlshaber der Egyptian Expeditionary Force, General Sir Edmund Allenby, barg der arabische Sieg bei Akaba das Potenzial, die Position der Briten auf dem Sinai auf eine ganz neue Grundlage zu stellen. Er lud deshalb Lawrence ein, ihn am 12. Juli über die jüngsten Entwicklungen persönlich zu unterrichten. Nachdem er dem General also berichtet hatte, wie die Besetzung von Akaba abgelaufen war, ging Lawrence – der im Übrigen noch immer seine Beduinengewänder trug – genauer auf seine Ideen zum großen Aufstand der Araber gegen die Osmanen ein, der von Maan im Süden bis nach Hama im Norden verlaufen und den türkischen Eisenbahnverkehr nach Medina, Damaskus und Palästina unterbrechen sollte. Um den Einsatz der Araber zu unterstützen, bat Lawrence Allenby, mit seinen Truppen in Palästina einzumarschieren und die Kräfte Cemal Paschas dort festzunageln. Der General wollte sich jedoch nicht festlegen. „Gut“, sagte Allenby zum Abschied, „ich werde für Sie tun, was ich kann.“40 Insgeheim war Allenby einigermaßen begeistert davon, was Lawrence und die aufständischen Araber für ihn und die EEF würden tun können. In der Woche darauf schrieb er an das Kriegskomitee in London, um Lawrence’ Vorschlag einer Kooperation zwischen den Arabern und der briti-
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schen Palästinakampagne gutzuheißen. Ein solcher Zweifrontenangriff auf die Osmanen, meinte Allenby, könnte womöglich „den Zusammenbruch der türkischen Militärmacht im Hedschas sowie in Syrien herbeiführen und damit weitreichende Folgen nach sich ziehen, sowohl politische als auch militärische“. Um seinen Teil des Plans ausführen zu können, würde Allenby natürlich Verstärkung benötigen. Also erbat er sich – und bekam – zwei frische Divisionen für die EEF. Und schließlich schlug Allenby vor – um die reibungslose Kommunikation und Abstimmung zwischen den beiden Streitmächten sicherzustellen –, dass auch Faisal und seine Krieger seinem, Allenbys, Kommando unterstellt werden sollten. Also wurde Lawrence nach Al-Wadschh und Dschidda geschickt, um hierzu das Einverständnis Faisals und Scherif Husseins einzuholen.41 Im August 1917 hatte General Allenby einen Feldzug an zwei Fronten fest unter seinem Kommando: Sowohl in Syrien als auch in Palästina sollten die Osmanen endgültig geschlagen werden. Also richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Palästinafront und machte seine Truppen bereit für einen dritten Vorstoß auf Gaza.
* Nach der Kapitulation von Akaba versuchten die Osmanen, die Araber mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sie bemühten sich aktiv um die Unterstützung der führenden Beduinenstämme in Transjordanien (wie die Briten die südlichen Ausläufer des osmanischen Syrien östlich des Jordans nannten) und hoben unter der ansässigen Bevölkerung bewaffnete Milizen aus, die ihre überbeanspruchten regulären Einheiten entlasten sollten. Indem sie die Araber Transjordaniens gegen Faisals Heer aufbrachten, wollten die Osmanen erreichen, dass die Haschemiten in der Folge auf feindlichem Territorium würden kämpfen müssen.42 Allerdings war den osmanischen Bemühungen um lokale Milizen nur gemischter Erfolg beschieden. In den nördlichen Bezirken des Ostjordanlandes, wo alle jungen Männer bereits zur Armee eingezogen worden waren, blieben für die neuen Freiwilligenverbände nur noch die Alten übrig. Der osmanische Offizier, der in Irbid die dortigen „Mudschahidin“ (Dschihad-Kämpfer) inspizieren sollte, war fassungslos, als er eine Abteilung älterer Herren vorfand, „von denen die meisten schon einiger-
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maßen gebrechlich waren“. Die Militärverwaltung ordnete also an, das Korps von Irbid aufzulösen; seine Mitglieder sollten stattdessen eine Freistellungssteuer zahlen.43 In Amman, der heutigen Hauptstadt des Königreichs Jordanien, reagierte die tscherkessische Minderheit mit Enthusiasmus auf den osmanischen Ruf zu den Waffen. Die Tscherkessen waren im späten 19. Jahrhundert als Flüchtlinge nach Transjordanien gekommen; die vorrückenden Russen hatten sie aus dem Kaukasus vertrieben. Aufgrund ihres Status als Neusiedler im Land am Jordan waren sie vom Militärdienst eigentlich ausgenommen. Allerdings waren die Tscherkessen glühende osmanische Patrioten, und im November 1916 schickte ihr Oberhaupt, Mirza Wasfi, ein Bittgesuch nach Istanbul, in dem er beim Sultan um Erlaubnis bat, eine Kavallerieeinheit aus Freiwilligen aufzustellen, „die bereit sein werden, ihr Leben für das Vaterland zu opfern“. Diese freiwillige tscherkessische Reiterei zählte über 150 Kämpfer und spielte eine durchaus aktive Rolle bei der Verteidigung der Hedschasbahn und im Kampf gegen den Arabischen Aufstand.44 Eine dritte Freiwilligentruppe wurde im südlich gelegenen Karak aufgestellt, wo ein osmanischer Vizegouverneur seinen Amtssitz hatte. Das Städtchen auf einem Hügel, das in eine alte Kreuzfahrerfestung hineingebaut worden war, war im Jahr 1910 das Zentrum einer größeren Stammesrevolte gewesen, die von den Osmanen mit großer Gewalt niedergeschlagen worden war. Die Einwohner von Karak liebten die Osmanen also nicht, fürchteten sie aber und zeigten sich im gesamten Ersten Weltkrieg als treue Untertanen des Sultans. Nach dem Ausbruch des Arabischen Aufstandes begab sich Cemal Pascha höchstpersönlich nach Karak, um die Bewohner der Stadt daran zu erinnern, dass es „die Pflicht eines jeden osmanischen Untertanen war, den Staat zu schützen“, und forderte sie zur Bildung einer Miliz auf, die das umliegende Territorium verteidigen sollte. Angehörige verschiedenster Stämme und Clans, Muslime wie Christen, meldeten sich freiwillig, um in dieser Einheit unter dem Befehl eines osmanischen Obersten Dienst zu tun.45 Auch die Loyalität der Beduinenstämme entlang der transjordanischen Grenze wollten sich die Osmanen sichern. Cemal Pascha lud ihre führenden Köpfe ein, auf Staatskosten mit dem Zug nach Damaskus zu reisen, wo sie in Hotels untergebracht und rundum verwöhnt wurden. Nachdem er
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sie für ihre „erwiesene Freundschaft und ihren Dienst für den Sultan“ belobigt hatte, überschüttete Cemal die Scheichs mit Orden und anderen Auszeichnungen. Auf diese Weise umwarben die Osmanen Angehörige der Ruwallah, Billi, Bani Atiyya und Howeitat – und hatten damit auch einigen Erfolg. Während manche besonders einflussreichen Beduinenführer wie etwa Auda Abu Tayi (der einen osmanischen Orden der 4. Klasse verliehen bekommen hatte) sich auf die Seite der Haschemiten schlugen, blieben andere dem Sultan treu ergeben. Tatsächlich war selbst Auda sich nicht ganz sicher, zu wem er halten sollte: T. E. Lawrence hielt dem Howeitat-Krieger dessen Korrespondenz mit Cemal Pascha vor, in der Auda einen Seitenwechsel angeboten hatte. Im Wettbewerb um die Loyalität der Beduinen wäre es ein Fehler gewesen, die Osmanen zu unterschätzen.46 Bereits unmittelbar nach dem Fall von Akaba im Juli 1917 stellten die Osmanen die Zuverlässigkeit der Araber auf die Probe. Weil er fürchtete, der aufsehenerregende Sieg der Haschemiten könnte am Ende auch die Araber in Transjordanien zu einem Aufstand gegen die osmanische Obrigkeit bewegen, befahl Cemal Pascha den transjordanischen Stammesmilizen kurzerhand, Faisals Heer bei Akaba anzugreifen. Er versprach den beduinischen Freiwilligen jegliche Unterstützung, welche die osmanische Armee ihnen bieten konnte: Infanterie und Kavallerie, Artillerie und Luftunterstützung. Dann verteilten die Osmanen an jeden Beduinenführer und seine Leute Proviant und Pferdefutter für fünf Tage. Jeder Reiter erhielt zudem drei türkische Pfund in Gold, jeder Anführer fünf Pfund in Gold. Die Beduinen zeigten sich begeistert und zogen aus Karak los, um sich Mitte Juli in der Garnisonsstadt Maan wieder zu versammeln. Odeh al-Goussous war ein angesehener Mann in Karak und hatte sich als Beamter der osmanischen Zivilverwaltung einen Namen gemacht. Da er fließend Türkisch sprach, diente er oft als Dolmetscher zwischen Regierungsbeamten und der örtlichen Bevölkerung. Der Scherif von Mekka übte auf Goussous, der Christ war, keine besondere Anziehungskraft aus, und deshalb stand er den Avancen, die Scherif Hussein den Bewohnern Transjordaniens machte, eher distanziert gegenüber. Goussous spielte bei der Aufstellung der Miliz von Karak eine tragende Rolle. Neben den mehr als 400 muslimischen Freiwilligen mobilisierte er auch 80 Christen zum Dienst in dem Bataillon, das nach Akaba geschickt werden sollte,
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und diente als ihr Kommandeur, als sie am 17. Juli 1917 in die Schlacht zogen. Goussous konnte förmlich zusehen, wie der Enthusiasmus der Stammeskrieger auf diesem Feldzug nachließ. Er kannte die Angehörigen der Howeitat und der Bani Sakr und verstand ihre Zurückhaltung vor dem anstehenden Kampf nur zu gut. Rivalisierende Zweige beider Stämme, vertreten unter anderem durch Auda Abu Tayi von den Howeitat, hatten sich auf Faisals Seite geschlagen. Wenn die Männer aus Karak nun Angehörige ihrer eigenen Stämme auf dem Schlachtfeld töteten, konnte das Blutfehden nach sich ziehen, die über Generationen anhalten würden. Goussous war auch bewusst, dass die Stammesmilizen ohne all die Unterstützung in den Kampf zogen, die Cemal Pascha ihnen versprochen hatte: Wo waren die ausgebildeten Infanteristen? Wo war die osmanische Artillerie? Von Flugzeugen ganz zu schweigen … Tatsächlich wollte Cemal Zwietracht zwischen den Araberstämmen Transjordaniens und den Unterstützern des haschemitischen Aufstandes säen, ohne dabei seine begrenzten Kräfte und Ressourcen aus der Garnison von Maan aufs Spiel zu setzen. Schließlich griff die Miliz aus Karak eine Abteilung des Aufständischenheers bei Al-Quwayra an, einer kleinen Telegrafenstation 40 Kilometer nordöstlich von Akaba. Die Beduinen der Howeitat und Bani Sakr schauten von den umgebenden Hügeln aus zu, ohne selbst in den Kampf einzugreifen. Drei Stunden dauerte das Gefecht, und schließlich konnten die Männer aus Karak den Sieg für sich beanspruchen, nachdem sie neun der Gegner getötet und den Rest in die Flucht geschlagen hatten. Außerdem fielen ihnen mehr als 1000 Schafe und 30 Esel in die Hände, dazu einige Kamele und zehn Zelte. Im Triumph kehrten sie nach Maan zurück. Nach alter Beduinentradition, in der alle Fragen des Plünderns klar geregelt waren, betrachteten sie die eroberten Nutztiere als ihre gerechte Beute. Fünfhundert Schafe überließen sie der osmanischen Armee als Geschenk und trieben den Rest der Herde heim nach Karak, als Lohn für ihre siegreiche Attacke. Dieser Sieg war zwar belanglos – Faisals Kämpfer nahmen Al-Quwayra schon kurz darauf wieder in Besitz –, doch war es den Osmanen gelungen, einen Keil zwischen die einheimische Bevölkerung und das haschemitische Heer zu treiben, und diese Spaltung sollte bis zum Ende des Krieges andauern.47
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* Am 24. Juni 1917 rief der Kriegsminister, Enver Pascha, seine Generale im nordsyrischen Aleppo zusammen. Halil Pascha, der Kommandeur der osmanische 6. Armee in Mesopotamien, Mustafa Kemal Pascha, der Held von Gallipoli, Izzet Pascha, der Kommandeur der Kaukasusarmee, und Cemal Pascha, Gouverneur von Syrien und Kommandeur der 4. Armee, waren bei dieser außerordentlichen Zusammenkunft alle zugegen. Wie Cemal in seinen Memoiren bemerkte, war „das Zusammentreffen von vier Armeekommandeuren unter dem Vorsitz des Generalstabschefs keineswegs alltäglich“.48 Enver schlug den Armeeoberen eine kühne neue Initiative vor: „Ich erwäge eine Offensive zur Rückeroberung von Bagdad“, ließ er die Anwesenden wissen. Zu diesem Zweck regte er die Schaffung eines neuen Truppenverbandes an, der unter deutschem Kommando stehen und „Yıldırım-Gruppe“ heißen sollte, nach dem türkischen Wort für „Blitz“. Strukturelles Vorbild sollte die Gliederung einer deutschen Heeresgruppe sein, wie sie 1916/17 an der Westfront neu geschaffen worden waren. Die Yıldırım-Gruppe – „Heeresgruppe F“ war ihre offizielle Bezeichnung auf deutscher Seite – sollte die 6. Armee Halil Paschas mit einer neu aufgestellten 7. Armee unter dem Kommando Mustafa Kemals sowie einer ganzen deutschen Infanteriedivision vereinen. Als ihr Oberbefehlshaber war der deutsche General Erich von Falkenhayn vorgesehen, dessen jüngste Erfolge in Rumänien seinen angeschlagenen Ruf – der Durchbruch durch die französischen Linien bei Verdun war ihm 1916 misslungen – wieder etwas aufgebessert hatten. Die deutsche Reichsregierung versprach Gold im Gegenwert von fünf Millionen Pfund Sterling – Mitte 1917 eine ungeheure Summe –, um sicherzustellen, dass es der Heeresgruppe Yıldırım an nichts fehlte. Die Armeekommandeure waren von Envers Vorschlag vollkommen überrascht. Eine Offensive zur Rückeroberung von Bagdad erschien ihnen geradezu tollkühn, da das Osmanische Reich doch an so vielen anderen Fronten massiv bedroht wurde. Und die Aussicht, einem deutschen Oberbefehlshaber unterstellt zu werden, entsetzte sie. Der Stab der Heeresgruppe Yıldırım sollte ganz überwiegend aus Deutschen bestehen: Neben
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65 fremden Offizieren würden dort lediglich neun Türken Dienst tun. Dabei waren im Verlauf des Krieges die Beziehungen zwischen Deutschen und Türken merklich abgekühlt. Aus den Tagebüchern einzelner türkischer Soldaten – Offiziere wie Mannschaften – lässt sich der Ärger ablesen, den sie über die von ihnen als arrogant wahrgenommenen Deutschen empfanden. Mustafa Kemal warnte Enver, die Türkei verwandle sich zusehends in eine „Kolonie der Deutschen“. Selbst Otto Liman von Sanders, der Chef der deutschen Militärmission im Osmanischen Reich, hielt es für einen Fehler, Offiziere aus Deutschland kommen zu lassen, die keinerlei Kenntnisse über das Osmanische Reich oder die türkische Kultur besaßen. Und wenn Befehle stets von einem Dolmetscher weitergegeben werden mussten, war die Gefahr groß, dass jegliches Wohlwollen der deutschen Offiziere in diesem Übersetzungsprozess verloren ging. Doch selbst durch den Widerspruch seiner sämtlichen Generale ließ Enver sich nicht von seinem Plan abbringen. Im Verlauf der Sommermonate 1917 begann die Aufstellung der Heeresgruppe Yıldırım in Aleppo; eingesetzt werden sollte sie schließlich in Mesopotamien. Cemal wurde derweil nicht müde, Aufklärungsberichte vorzulegen, aus denen der britische Aufmarsch entlang der Front von Gaza nach Beerscheba hervorging – Grund genug, meinte er, die osmanische Strategie noch einmal zu überdenken. Zum Dank für seine Mühe wurde er seines Kommandos an der Palästinafront enthoben, das stattdessen Erich von Falkenhayn übernahm. Der deutsche General jedoch hatte ein offenes Ohr für Cemals Bedenken. Spätestens Ende September war auch Falkenhayn davon überzeugt, dass die Briten Palästina bedrohten, und brachte seinerseits Enver dazu, die Heeresgruppe Yıldırım zur Abwehr dieser Bedrohung einzusetzen. Am 30. September begann der neue Truppenverband seinen Marsch nach Süden, in Richtung der palästinensischen Front. Etwa zur selben Zeit, als die deutschen und türkischen Verbände in Aleppo zusammengezogen wurden, trafen auch Allenbys erste Verstärkungen in Ägypten ein. Auf politischer Ebene wollte man, dass Allenby der kriegsmüden britischen Öffentlichkeit die Eroberung von Jerusalem als Weihnachtsgeschenk bescherte. Das britische Oberkommando verlangte, Allenby solle mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das Bestmögliche erreichen; weitere Verstärkungen waren eher nicht zu erwarten, das ließ man ihn deutlich wissen. Allenbys Auftrag ähnelte dem,
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den General Stanley Maude vor seinem Angriff auf Bagdad erhalten hatte: Er sollte durch die türkischen Linien stoßen und die Türken dann so weit verfolgen, wie seine Mittel es ihm erlaubten – auf keinen Fall jedoch seine Linien überdehnen. Eine Niederlage, einen Rückzug oder gar eine Kapitulation wie in Kut durfte es unter keinen Umständen geben. Die Egyptian Expeditionary Force war den osmanischen Verteidigern in und um Gaza deutlich überlegen. Auf osmanischer Seite standen rund 40 000 Infanteristen im Feld – die Briten hatten doppelt so viele –, dazu 1500 Reiter (ein Achtel der britischen Kavallerie) und eine Artillerie, die um ein ganzes Drittel schwächer war als die britische. Eine bloße zahlenmäßige Überlegenheit reichte jedoch nicht aus. Schließlich hatten die Briten die ersten beiden Schlachten um Gaza verloren, weil ihre Frontalangriffe auf hartnäckig verteidigte Schützengräben gescheitert waren. In den Monaten, die seither vergangen waren, hatten die Türken unermüdlich an der weiteren Befestigung ihrer Stellungen gearbeitet. Um derart solide Verteidigungslinien zu überwinden, musste Allenby zu einer Kriegslist greifen. Die Dritte Schlacht um Gaza beruhte auf einem komplexen Plan voller Finten und Kniffe. Die britische Militäraufklärung hatte ergeben, dass die osmanischen Verteidigungsstellungen bei Gaza am stärksten waren – und bei Beerscheba am schwächsten. Rund um Beerscheba verließen die Osmanen sich nämlich auf das unwegsame Gelände, von dem sie glaubten, dass es einen gegnerischen Vorstoß verhindern würde. Allenby beschloss deshalb, genau dort zuzuschlagen, denn wenn es ihm gelänge, Beerscheba einzunehmen, hätte er seinen Truppen nicht nur eine verlässliche Trinkwasserquelle gesichert, sondern konnte zugleich die osmanischen Stellungen um Gaza umgehen. Allenbys Schlachtplan sah einleitende Angriffe im Raum Gaza vor, um die Osmanen zu einer Massierung ihrer Kräfte in diesem Bereich zu provozieren und Beerscheba desto anfälliger für einen Überraschungsangriff zu machen. Die Briten scheuten keine Mühen, um die osmanischen Kommandeure auf eine falsche Fährte zu locken. Der Chef des britischen Militärgeheimdienstes, Oberst Richard Meinertzhagen, ritt auf die türkischen Linien zu, bis er von osmanischer Kavallerie abgefangen wurde. Er provozierte einen Schusswechsel mit den feindlichen Reitern und lockte sie dann auf eine Verfolgungsjagd, in deren Verlauf er einen blutver-
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schmierten Beutel mit fingierten Dokumenten über einen angeblichen britischen Angriff auf Gaza fallen ließ. Der britische Geheimdienst brachte außerdem Gerüchte über eine bevorstehende Landung der Briten nördlich von Gaza in Umlauf. Aus türkischer Sicht schien die Anwesenheit britischer Kriegsschiffe vor der Küste nur für die Glaubwürdigkeit jener Gerüchte zu sprechen.49 Seine tatsächlichen Befehle teilte Allenby der Truppe am 22. Oktober mit, zehn Tage vor dem geplanten Beginn der Operation. Nach und nach sollten die Einheiten der britischen Infanterie und Kavallerie ihre Positionen vor Beerscheba einnehmen, um die Verteidiger nicht durch einen plötzlichen großen Truppenaufmarsch Verdacht schöpfen zu lassen. Bis zum 30. Oktober waren alle Angreifer in Stellung. Im Morgengrauen des folgenden Tages schlugen sie zu, als das plötzlich einsetzende Trommelfeuer der britischen Artillerie die osmanischen Verteidiger von Beerscheba aufschrecken ließ. Emin Çöl, ein Veteran des Gallipolifeldzugs, war einer der türkischen Soldaten in den Schützengräben vor Beerscheba. „Wir wurden vom Donnern der Kanonen geweckt“, erinnerte er sich, „aber geschlafen hatten wir ohnehin nicht.“ Die türkischen Stellungen um Beerscheba waren in einem beklagenswerten Zustand. Ihre schmalen Schützengräben waren zu flach, um nennenswerten Schutz zu bieten. Jeder einzelne der etwa 50 Meter langen Gräben war zudem von den anderen osmanischen Positionen isoliert. Auch gab es keine Laufgräben für den sicheren Austausch von Menschen und Material zwischen der Front und dem Hinterland. Da die osmanischen Befestigungen also keinen ausreichenden Schutz gegen den feindlichen Artilleriebeschuss boten, stiegen die Opferzahlen rasch: Tote und Verwundete versperrten überall in den Gräben den Weg, aber die Überlebenden und Unverletzten hatten keinerlei Möglichkeit, sie sicher zu evakuieren. Kein Wunder also, das Çöl überhaupt nicht nach Kämpfen zumute war. „Was für eine Art von Krieg führen wir hier überhaupt?“, fragte er sich. „Die [osmanische] Armee hat keinerlei einsatzbereite Artillerie, keine funktionsfähigen Maschinengewehre, keine Flugzeuge, keine Offiziere im Feld, keine Verteidigungslinien, keine Reserve, kein Feldtelefon. Unsere Soldaten kämpfen jeder für sich, völlig isoliert voneinander, und die Kampfmoral ist auf dem Tiefpunkt. Wahrlich, diese Armee hat nichts von dem, was [zu einem Sieg] nötig wäre.“50
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So demoralisiert sie auch sein mochten, leisteten die Türken doch eine verbissene Gegenwehr. Der britischen Infanterie schlug heftiges türkisches Gewehrfeuer entgegen, bevor sie ihre zugewiesenen Positionen am frühen Nachmittag schließlich doch noch erreichten. Angesichts der fortgesetzten feindlichen Gegenwehr rückten sie jedoch nicht weiter vor. Stattdessen gruben sich die Infanteristen auf den Hügeln südlich von Beerscheba ein, um dort auf weitere Befehle zu warten. Der Erfolg des gesamten Angriffs hing letztlich von der britischen Kavallerie ab. Das Desert Mounted Corps, dessen Soldaten über Nacht 40 Kilometer herbeigeritten waren, hatte die Aufgabe, Beerscheba im Bogen zu umgehen, um dann von Nordosten in die Stadt einzufallen. Wieder einmal war es die drohende Wasserknappheit, die das Korps unter Zeitdruck setzte: Wenn sie Beerscheba und seine Brunnen nicht bis Sonnenuntergang erobern konnten, dann würden weder Ross noch Reiter, vom Durst geschwächt, einen zweiten Kampftag überstehen. Im Laufe des Vormittags geriet die ANZAC-Kavallerie jedoch unter schweres türkisches Maschinengewehrfeuer, das ihren Vormarsch erheblich bremste und die gesamte Offensive in Gefahr brachte. Und als der Nachmittag schon vorangeschritten war, schienen die Reiter kaum noch Chancen auf einen Durchbruch vor Sonnenuntergang zu haben. General Sir Harry Chauvel, der Kommandeur des Desert Mounted Corps, beschloss deshalb, von dem vereinbarten Plan abzuweichen und einen direkten Vorstoß seiner Kavallerie auf jene türkischen Stellungen zu riskieren, die den Zugang zur Stadt sicherten. Nur eine halbe Stunde, bevor die Herbstsonne über Beerscheba versank, begaben sich die Soldaten der 4. Brigade der Australian Light Horse auf ihre Angriffspositionen. Dann trabten gut 800 Reiter in zwei großen Abteilungen im Abstand von 400 Metern geradewegs auf die türkischen Stellungen zu. Es war der größte Reiterangriff des Ersten Weltkriegs – und vermutlich der größte derartige Angriff seit einem ganzen Jahrhundert (selbst an dem berühmt-berüchtigten „Todesritt der leichten Brigade“ während des Krimkrieges 1854 nahmen weniger als 700 Kavalleristen teil). Als sie in Schussweite der türkischen Stellungen kamen, fielen die Australier erst in einen leichten, dann in einen vollen Galopp. Die osmanischen Verteidiger hatten große Mühe, auf derart rasant heranstürmende Ziele treffsicher zu feuern. Emin Çöl sah zu, wie die geg-
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nerische Kavallerie mit donnernden Hufen auf seine eigene Position zupreschte. Hunderte von Reitern setzten im Flug über die erste türkische Grabenlinie und zwangen Çöl und seine Kameraden, in Deckung zu gehen, damit sie nicht zertrampelt wurden. Erste Reiter sprangen von ihren Pferden und gingen zum Nahkampf über. Çöl feuerte weiter auf die Briten, solange sie in Sicht waren. Plötzlich jedoch sah er, wiewohl bei Bewusstsein, mit einem Mal gar nichts mehr. Çöl war verwundet worden und fühlte, wie Blut ihm über das Gesicht rann. Inmitten des Schlachtgetümmels legten ihm seine Kameraden einen Verband an und brachten ihn zu einer einigermaßen geschützten Stelle, bevor sie sich ergaben. „Sie sagten mir, dass zwei britische Soldaten auf uns zukämen. Sie nahmen mich bei der Hand und halfen mir aus dem Graben.“ Damit war Emin Çöl ein Kriegsgefangener der Briten. Seine Freiheit sollte er ein Jahr später wiedererlangen, doch sein Augenlicht hatte er für immer verloren.51 Die Briten stürmten auf ihrem Parforceritt nach Beerscheba rastlos vorwärts, weil sie befürchteten, die Osmanen, die inzwischen erkennbar den Rückzug angetreten hatten, könnten vor ihrem Abmarsch die Trinkwasserbrunnen der Stadt unbrauchbar machen. Kurz darauf wurde Beerscheba von einer Reihe heftiger Explosionen erschüttert: Die Türken hatten ihr Munitionslager in die Luft gejagt, desgleichen die Waggons und Lokomotiven des Bahndepots, damit sie nicht in britische Hände fielen. Bei der Sprengung zweier Brunnen konnten die Reiter ebenfalls nur noch zusehen, bevor ihnen die Sicherung der restlichen Trinkwasserquellen von Beerscheba gelang. In der einbrechenden Dunkelheit fielen britische Truppen von allen Seiten in die Stadt ein, während die Osmanen verzweifelt versuchten, sich abzusetzen. Bis Mitternacht war ganz Beerscheba von den Briten besetzt; die überlebenden Türken entkamen im Schutz der Dunkelheit. Die Befehlshaber der Heeresgruppe Yıldırım waren angesichts des plötzlichen Verlustes von Beerscheba nach nur eintägigem Kampf wie vom Donner gerührt. Diejenigen osmanischen Soldaten, die sich einer Gefangennahme durch die Briten entziehen konnten, wichen nach Gaza aus, dessen Befestigungen schon zweimal einem britischen Angriff standgehalten hatten. Allerdings war auch Gaza kein sicherer Zufluchtsort, denn die Briten unterzogen die Stadt nun dem heftigsten Trommelfeuer, das im Ersten Weltkrieg außerhalb der europäischen Kriegsschauplätze überhaupt je stattfand. Zwischen dem 27. und dem 31. Oktober regneten
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aus britischen Artilleriestellungen und Schiffsgeschützen mehr als 15 000 Granaten auf die osmanischen Stellungen in und um Gaza. Die Verstärkungstruppen, die unterdessen nach Gaza geschickt wurden, begaben sich geradewegs in eine Hölle auf Erden.52 Am 1. und 2. November griff britische Infanterie die unmittelbar vor Gaza gelegenen osmanischen Verteidigungsstellungen an. Das war jedoch
Die Ruinen der Großen Moschee von Gaza (1917). Bereits vor den drei britischen Angriffen auf Gaza hatten die Osmanen die Bewohner der Stadt zwangsevakuiert. In der Folge erlitt die Stadt den heftigsten Artilleriebeschuss, der im Ersten Weltkrieg außerhalb des europäischen Kriegsschauplatzes stattfand.
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eine Finte, die den Verteidigern der Stadt vortäuschen sollte, die Briten beabsichtigten einen Frontalangriff. Als weiteres Ablenkungsmoment führte die britische Kavallerie zwischen Beerscheba und der weiter nördlich auf einer Anhöhe gelegenen Stadt Hebron Manöver durch, was die Osmanen einen direkten Vorstoß der Briten auf Jerusalem befürchten ließ. Die Kommandeure der Heeresgruppe Yıldırım reagierten mit der Entsendung von Truppen zur Verteidigung von Gaza und Hebron, wodurch wesentliche Stellungen auf der 40 Kilometer langen Verteidigungslinie zwischen Gaza und Beerscheba nur noch spärlich besetzt waren. Und genau das war Allenbys eigentliches Ziel gewesen: Er hatte die Türken dazu bringen wollen, ihre zentralen Stellungen auszudünnen, um mit dem Hauptteil seiner Streitmacht durch die entstehende Lücke stoßen zu können. Am 6. November ging die Dritte Schlacht um Gaza in ihre letzte Runde, als Allenby den Großteil seiner Truppen die türkischen Positionen auf halbem Weg zwischen Gaza und Beescheba angreifen ließ. Einen Tag lang tobte ein heftiges Gefecht, dann gelang es den Briten, die türkischen Linien an mehreren strategischen Punkten entlang eines gut zwölf Kilometer langen Frontabschnitts zu durchbrechen und fast 15 Kilometer weit auf osmanisches Territorium vorzustoßen. Die Heftigkeit der türkischen Gegenwehr versetzte sie dennoch in Erstaunen. Zwei Tage lang wurde eine Abteilung australischer Kamelreiter des Imperial Camel Corps bei Tal al-Khuwailfa genau nördlich von Beerscheba von osmanischen Kräften niedergehalten. Zwar kämpften sie Seite an Seite mit einer Infanterieeinheit aus Wales, mussten aber dennoch ihre schlimmsten Verluste des gesamten Palästinafeldzugs hinnehmen. Frank Reid hielt die Namen der Kameraden fest, die an diesen zwei bitteren Tagen aus nächster Nähe getötet wurden: Feldwebel Dan Pollard, Kopfschuss; Feldwebel Arthur Oxford, Schuss mitten ins Gesicht; Frank Matzonas, der erst 1914 aus dem lettischen Riga nach Australien immigriert war, Hirnschuss; Reg Reid, der sich verlaufen hatte und in einem türkischen Schützengraben mit dem Bajonett erstochen wurde – die Liste ist schier endlos. „Ein anderer Kamelreiter, ein Mann namens Neilsen, lag stundenlang verwundet im offenen Gelände gleich bei den türkischen Gräben. Jedes Mal, wenn er um Hilfe rief, verpassten die Türken ihm eine Kugel, bis er voller Blei steckte. Mörderische Halunken waren sie, diese Türken von Tal al-Khuwailfa.“ Gewiss: Könnten wir in den Erinnerungen
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eines der türkischen Soldaten lesen, fiele deren Urteil über die „blutrünstigen Briten“ wohl ähnlich aus.53 Bis zum 7. November bliesen die Osmanen auf ganzer Linie zum Rückzug. Allenbys aufwendiger Plan war in allen Einzelheiten aufgegangen. Seine Truppen rückten in Gaza ein, ohne auf Gegenwehr zu stoßen – tatsächlich stießen sie auf überhaupt niemanden, denn die osmanischen Soldaten hatten die Einwohner von Gaza schon vor dem Beginn der Kampfhandlungen aus der Stadt getrieben. Nun marschierten die Briten schmale Pfade entlang, die einmal Gassen mit Häusern gewesen waren: Auf beiden Seiten erhoben sich nur noch Schutthaufen – es stand kein einziges Haus mehr. Gaza war zur Geisterstadt geworden, zum Gespenst einer Stadt. Nachdem sie ihre Positionen bei Gaza eingebüßt hatten, bemühten sich die Osmanen nach Kräften, sich neu zu formieren und eine Defensivlinie zu errichten, welche die EEF aufhalten sollte, bevor sie Jerusalem erreichte. Allerdings war die Heeresgruppe Yıldırım noch immer nicht voll einsatzfähig, und Allenbys Truppe, die nur vergleichsweise wenige Einbußen verzeichnet hatte, walzte inzwischen mit einer Wucht voran, die keine Macht der Welt hätte aufhalten können. Die ANZAC Mounted Division verfolgte die Türken die Mittelmeerküste hinauf, während es britischen Kräften am 14. November gelang, einen strategisch entscheidenden Eisenbahnknotenpunkt südlich von Jerusalem einzunehmen. Am folgenden Tag besetzte die ANZAC Mounted Division Ramla und Lydda (Lod), während die Australian Mounted Division den Ort Latrun einnahm. Zwei Tage darauf stand die New Zealand Brigade im Hafen von Jaffa. Nachdem britische Kräfte die Stadt im Süden und Westen abgeschnitten hatten, war Jerusalem nicht mehr zu verteidigen.
* Am 9. November, zwei Tage nachdem Allenbys Soldaten in Gaza einmarschiert waren, berichtete der in London erscheinende Jewish Chronicle über eine Neuerung in der britischen Palästinapolitik. In einem knappen Brief an Lord (Walter) Rothschild, der das Datum vom 2. November trug, gab der britische Außenminister Arthur Balfour die später nach ihm benannte Deklaration ab:
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458 Kapitel 12 Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei, wohlverstanden, nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern in Frage stellen könnte.
Diese „Balfour-Deklaration“ stellte eine ganz außerordentliche Selbstverpflichtung vonseiten der britischen Regierung dar. Immerhin waren britische Truppen gerade erst in Palästina einmarschiert und noch lange nicht in Jerusalem – aber dennoch war man in London offenbar siegessicher genug, um derartige Versprechungen mit Blick auf – vorerst noch – osmanisches Staatsgebiet abzugeben. Natürlich hatten die Briten schon seit Kriegsbeginn immer wieder über osmanisches Staatsgebiet verhandelt. In diesem Sinne stellte die BalfourDeklaration lediglich das neueste in einer ganzen Reihe von Vorhaben zur Gebietsaufteilung dar, die seit dem Kriegseintritt Großbritanniens entstanden waren: vom Abkommen über Konstantinopel und die Meerengen vom März 1915 über die Hussein-McMahon-Korrespondenz der Jahre 1915/16 bis hin zum Sykes-Picot-Abkommen aus dem Jahr 1916. Allerdings waren alle diese früheren Teilungspläne geheim gehalten worden. Die Balfour-Deklaration hingegen wurde in der Londoner Presse publik gemacht. Außerdem sah es ganz so aus, als hätte Balfour durch sein Versprechen, die britische Regierung werde „ihr Bestes tun“, um dem jüdischen Volk eine nationale Heimstatt zu verschaffen, die früheren Vereinbarungen der Briten mit Scherif Hussein und mit Frankreich schlicht missachtet. Um die Sache noch komplizierter zu machen, hatte Sir Mark Sykes, der Verfasser des Sykes-Picot-Abkommens, die britische Regierung dazu gedrängt, die jüdische Nationalbewegung zu unterstützen. Sykes war es, der bei jener Sitzung des britischen Kriegskabinetts am 31. Oktober 1917 den Raum verließ, um dem Zionistenführer Chaim Weizmann mitzuteilen, dass die „Deklaration“ angenommen worden war: „Dr. Weizmann, es ist ein Junge!“, soll Sykes ausgerufen haben, als er auf den späteren israelischen Staatspräsidenten zukam, der nervös vor dem Sitzungssaal des Kabinetts wartete.54
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Die Balfour-Deklaration war – wie die anderen Teilungspläne für das Osmanische Reich auch – zuallererst ein Produkt kriegsbedingter Erwägungen. Man beachte etwa, dass es das britische Kriegskabinett war, das die Erklärung verabschiedete – und zwar nicht so sehr, um die zionistische Bewegung zu unterstützen, sondern vielmehr, um selbst die Unterstützung der jüdischen Gemeinschaft für die britischen Kriegsanstrengungen zu gewinnen. Weizmann und seine Anhänger hatten mehrere einflussreiche Kabinettsmitglieder davon überzeugen können, dass der Zionismus nicht bloß das Sprachrohr einer kleinen, nationalistischen Minderheit unter den europäischen Juden war, sondern tatsächlich den politischen und wirtschaftlichen Einfluss der gesamten jüdischen Diaspora repräsentierte – gewissermaßen als die Kehrseite des uralten antisemitischen Mythos von der „jüdischen Weltverschwörung“ zur Kontrolle des weltweiten Finanzverkehrs. Von ihrem Einsatz für den Zionismus erhoffte sich die britische Regierung ihrerseits die Unterstützung einflussreicher Juden in den Vereinigten Staaten und in Russland. Die Amerikaner waren Nachzügler, als sie 1917 in den Krieg eintraten; zuvor hatte der traditionelle amerikanische Isolationismus sie zögern lassen. Das Engagement des russischen Verbündeten wiederum stand seit der Februarrevolution und der Abdankung des Zaren im März 1917 infrage. Juden, glaubte man, hätten einen nicht unerheblichen Einfluss auf den US -Präsidenten Woodrow Wilson sowie auf die Übergangsregierung des Ministerpräsidenten Alexander Kerenski in Russland. Wenn nun durch eine jüdische Einflussnahme die Kriegsteilnahme dieser beiden Mächte auch weiterhin sichergestellt werden konnte, dann war es im Interesse Großbritanniens, den Zionismus zu unterstützen. Schließlich wollten viele Mitglieder des Kriegskabinetts die Bedingungen früherer Übereinkünfte revidieren, und insbesondere die Bedingungen des Sykes-Picot-Abkommens. Immer mehr – einflussreiche – Stimmen wurden laut, die der Meinung waren, Sykes habe den Franzosen allzu große Zugeständnisse gemacht. Die Briten hätten zu schwer um Palästina kämpfen müssen, hieß es, als dass sie das Territorium nach Kriegsende kurzerhand einer nur vage definierten internationalen Verwaltung überlassen sollten. Außerdem hatte Großbritannien während des Krieges die Erfahrung gemacht, dass die Präsenz einer feindlichen
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Macht in Palästina sehr schnell in eine Bedrohung des Suezkanals umschlagen konnte. Deshalb wollten die Briten sicherstellen, dass Palästina bei Kriegsende unter britische Verwaltung käme. Die Zionisten waren bei diesem Vorhaben so etwas wie die natürlichen Verbündeten Londons; die Verwirklichung ihrer politischen Ambitionen ohne die Unterstützung einer Großmacht war undenkbar. Nur bei oberflächlicher Betrachtung bot also Lord Balfour den Zionisten Palästina als Geschenk an. In Wirklichkeit bediente sich die Regierung Lloyd George der zionistischen Bewegung, um Palästina für den britischen Herrschaftsbereich zu sichern.
* Am 9. Dezember 1917 kapitulierte Jerusalem. Die Osmanen hatten sich alle Mühe gegeben, die Stadt zu verteidigen, doch Allenbys Vormarsch war unaufhaltsam gewesen. Zwar waren seine Truppen erschöpft von wochenlangen Kämpfen, während deren die diensttauglichen Männer nur einen einzigen Ruhetag (am 17. November) gehabt hatten; auf diese Weise ließ der britische General den Osmanen jedoch keine Zeit, um ihre Verteidigungsstellungen vorzubereiten. Allenby hatte sich – ganz richtig – überlegt, dass seine Erfolgsaussichten besser und die Gefahr hoher britischer Verluste niedriger sein würden, wenn seine Leute die Osmanen unter Druck setzten, solange diese sich noch auf der Flucht befanden und durch Niederlagen demoralisiert waren.55 Keine der beiden Seiten wollte gern in Jerusalem kämpfen. Weder die Briten noch die Osmanen noch die Deutschen wollten sich der internationalen Ächtung aussetzen, die Kämpfe in der heiligen Stadt oder gar die Beschädigung jüdischer, islamischer oder christlicher Heiligtümer zweifellos nach sich gezogen hätten. Während also britische Kräfte nach und nach die südlichen, westlichen und nördlichen Zugänge nach Jerusalem besetzten, beschlossen die Osmanen und ihre deutschen Verbündeten, sich mit dem unversehrten Rest ihrer 7. Armee nach Osten abzusetzen. Der Rückzug aus Jerusalem begann nach Sonnenuntergang am Abend des 8. Dezember und war im Lauf der Nacht abgeschlossen. Als am 9. Dezember 1917 die Sonne über Jerusalem aufging, war die 401 Jahre währende osmanische Herrschaft über die Stadt beendet.
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Der Bürgermeister von Jerusalem trifft am 9. Dezember 1917 zum ersten Mal auf britische Soldaten. Der Bürgermeister Hussein Salim al-Husseini (Mitte, mit Gehstock und Zigarette) machte sich mit einer weißen Fahne auf den Weg und ging den britischen Streitkräften von Jerusalem aus entgegen, um die friedliche Übergabe der Stadt sicherzustellen. Die ersten Briten, die er traf (die hier abgebildeten Feldwebel Sedgewick und Hurcomb), waren nicht hochrangig genug, um die Kapitulation entgegenzunehmen.
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Die letzte Amtshandlung des scheidenden Gouverneurs von Jerusalem war es, eine Kapitulationserklärung aufzusetzen, in welcher er die heilige Stadt der britischen Regierung anvertraute. Der Gouverneur hinterlegte das Schreiben im Haus des Bürgermeisters von Jerusalem, Hussein Salim al-Husseini, der einer der angesehensten Familien der Stadt entstammte. Der Bürgermeister, der des Englischen mächtig war, traf bei seinem Gang aus der Stadt zunächst auf eine Reihe britischer Soldaten und Offiziere, deren Rang jedoch zu niedrig war, als dass sie die Kapitulation der Stadt hätten offiziell entgegennehmen können. Erst am späteren Nachmittag autorisierte Allenby Generalmajor Shea, der sich noch im britischen Hauptquartier in Jaffa befand, die Kapitulation an seiner statt anzunehmen.56 Am 11. Dezember 1917 zog General Allenby feierlich in Jerusalem ein. Das „Kinematographische Komitee“ des britischen Kriegsministeriums ließ das sorgfältig inszenierte Ereignis auf Film festhalten, um sicherzustellen, dass dieser bislang größte britische Triumph des gesamten Kriegs ein möglichst breites Publikum fand. Immerhin war dies „Lloyd Georges Weihnachtsgeschenk an die ganze Nation“. Wie schon General Maudes Proklamation nach der Einnahme von Bagdad, so war auch Allenbys Redetext in London verfasst und telegrafisch nach Palästina übermittelt worden. Man hatte den Oberbefehlshaber der Egyptian Expeditionary Force sogar angewiesen, beim Betreten der heiligen Stadt vom Pferd zu steigen und zu Fuß weiterzugehen – eine Demutsgeste, die wohl vor allem das christliche Publikum ansprechen sollte. Das ganze Schauspiel war jedoch nicht nur zur Freude der Zuschauer in Jerusalem derart detailliert vorbereitet worden, sondern auch mit Blick auf die offizielle Stellungnahme des Premierministers im britischen Unterhaus. Einen derartigen PR-Coup wollte Lloyd George nicht vergeudet sehen und bestand deshalb darauf, dass jedes auch noch so winzige Detail dieses historischen Augenblicks absolut stimmig war. Bei seinem Einzug nach Jerusalem durchschritt Allenby auch eine Ehrenformation, in der all jene Länder vertreten waren, deren Soldaten auf britischer Seite in Palästina gekämpft hatten: England, Wales und Schottland, Indien, Australien und Neuseeland. Zwanzig französische und 20 italienische Soldaten repräsentierten die Verbündeten Großbritanniens. Unter den Ehrengästen in Allenbys Gefolge befanden sich T. E. Lawrence, der zu Gesprächen über die künftige strategische Abstimmung zwischen
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Im britisch besetzten Jerusalem wird die Proklamation General Allenbys verlesen. Der genau choreografierte Einzug des britischen Oberkommandierenden nach Jerusalem wurde auf Film festgehalten, um die Stimmung an der kriegsmüden britischen Heimatfront zu heben.
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dem Arabischen Aufstand und der EEF nach Jerusalem gekommen war, und Charles François Georges-Picot, der Mitverfasser des Sykes-Picot- Abkommens. Allenby verlas seine Proklamation in englischer Sprache und wartete dann geduldig ab, während sie am Fuße der Davidszitadelle auch auf Arabisch, Hebräisch, Französisch, Italienisch, Griechisch und Russisch verlesen wurde. Es war eine kurze Ansprache: Jerusalem stehe nun unter Kriegsrecht, aber seine Bewohner könnten auch weiterhin ihren „rechtmäßigen Verrichtungen [nachgehen], ohne dabei Störungen zu befürchten“, und die heiligen Stätten „der drei Religionen“ würden „nach dem bestehenden Brauch gewahrt und beschützt werden, in Achtung der religiösen Überzeugungen all jener, denen sie nach ihrem Glauben heilig sind“. Um diesen letzten Punkt zu unterstreichen, empfing Allenby dann die säkularen und die religiösen Würdenträger der Stadt – eine ganze Parade von Patriarchen, Rabbinern, Muftis und Metropoliten in wallenden Gewändern und mit langen Bärten. Am Ende der Films sieht man noch, wie die Zuschauermassen sich in den Straßen Jerusalems drängen, von Soldatenketten mühsam in Schach gehalten, dazu Maultierwagen, Motorräder und Motorkraftwagen der britischen Besatzer.57
* Der Fall Jerusalems stellte einen entscheidenden Wendepunkt des Weltkriegs im Nahen Osten dar. Bis zum Ende des Jahres 1917 hatten die Osmanen drei Städte von höchstem symbolischen Wert aufgeben müssen: Mekka, Bagdad und Jerusalem. Diese Verluste – insbesondere jene der beiden heiligen Städte Mekka und Jerusalem – hatten dem osmanischen Dschihad einen schweren Schlag versetzt. Die britischen Kolonialbeamten und Militärs in Ägypten und Indien hatten nun keine Angst mehr davor, dass Rückschläge der Briten auf dem Schlachtfeld zu einem plötzlichen Anstieg des religiösen Fanatismus führen könnten. Was aber noch wichtiger war: Nach den deutlichen Siegen der Osmanen über britische Truppen in Kut und in Gaza waren die osmanischen Linien in Mesopotamien und Palästina nun durchbrochen; die größere und besser ausgerüstete Streitmacht der Briten hatte ihre Gegner in den Rückzug getrieben. Und noch dazu hatten die Briten in Palästina Kontakt zum Heer der haschemitisch-
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arabischen Aufständischen aufnehmen können, welches nach seiner Eroberung von Akaba nun auch osmanische Positionen im Inneren Syriens bedrohte. Ende 1917 waren die Osmanen noch nicht geschlagen – aber ihre Ambitionen in diesem Krieg waren doch deutlich kleiner geworden: Für sie ging es nicht mehr um einen Sieg, sondern nur noch um das bloße Überleben.
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KAPITEL 13 VON BREST-LITOWSK NACH MOUDROS
Im November 1917 kamen in Russland die Bolschewiki an die Macht und baten die Mittelmächte umgehend um einen Waffenstillstand – eine völlig überraschende Schicksalswende, die den Osmanen womöglich die Rettung bringen würde, nachdem ihr Kriegsglück mit dem Verlust Jerusalems seinen Tiefpunkt erreicht hatte. Die Entbehrungen des Krieges hatten zum Sturz der Zarenmonarchie in der Februarrevolution geführt (der Name beruht auf dem damals in Russland noch gebräuchlichen julianischen Kalender; nach unserer gregorianischen Zeitrechnung fand die „Februarrevolution“ tatsächlich im März 1917 statt). Am 15. März dankte Zar Nikolaus II. ab und eine Übergangsregierung unter der Führung Alexander Kerenskis übernahm die Macht. Die Alliierten glaubten zunächst, die Revolution würde der russischen Kriegsbeteiligung neuen Schub verleihen, obgleich sich die politische Instabilität von Anfang an negativ auf die Disziplin der russischen Truppen auswirkte. Als allererste Maßnahme der neuen Regierung (Order Nr. 1 vom 14. März 1917) wurde den russischen Offizieren ihre Autorität über die gemeinen Soldaten entzogen, die fortan von selbstgewählten „Soldatenräten“ kommandiert werden sollten. Die russischen Besatzungstruppen auf vormals osmanischem Territorium setzten diese Anweisungen rasch um – und ein absolutes Chaos war die Folge. „Heute kam es infolge der Revolution in Petrograd zu wiederholten und langwierigen Versammlungen der [russischen] Soldaten“, notierte etwa der amerikanische Konsul in Trabzon am Schwarzen Meer in seinem Konsulatsprotokoll vom 23. März 1917. „Als Konsequenz dieser Kundgebungen wurden weithin Ausschreitungen befürchtet. Die meisten Läden blieben geschlossen. Nachdem ein Exekutivkomitee gewählt worden war, das in der Überzahl aus Soldaten besteht, kehrte weitgehende Ruhe ein.“1
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In den Frühlings- und Sommermonaten 1917 kehrte in den osttürkischen Gebieten, die unter russischer Besatzung standen, eine geradezu unheimliche Ruhe ein. Die angeschlagene osmanische Kaukasusarmee, die 3. Armee, war dankbar für die Atempause und hielt ihre Positionen, ohne den gesamten Rest des Jahres über auch nur einen einzigen ernstgemeinten Schuss abzugeben. Die russischen Soldaten debattierten untereinander darüber, wie es in ihrer Heimat nun politisch weitergehen sollte. Auf diese Frage richteten sie ihre gesamte Aufmerksamkeit. Viele von ihnen wollten zudem wissen, was sie überhaupt auf osmanischem Territorium zu suchen hätten. Mit ihrer Machtübernahme am 7. November 1917 – der „Oktoberrevolution“ nach dem julianischen Kalender – zerstreuten die Bolschewiki alle verbliebenen Zweifel der russischen Soldaten. Weil sie den Krieg, der ihnen als ein imperialistisches Unternehmen galt, schnellstmöglich beenden wollten, forderten die Bolschewiki einen „Frieden ohne Annexionen und Kontributionen“. Die Jungtürken konnten ihr Glück kaum fassen. Schließlich war es gerade die Furcht vor den territorialen Ambitionen Russlands an den Meerengen sowie auf Istanbul selbst gewesen, die das Osmanische Reich zu seinem Kriegsbündnis mit dem Deutschen Reich getrieben hatte. Im Verlauf des Krieges hatte die russische Armee die osmanischen Verteidigungsanlagen auf dem Kaukasus zerstört und weite Teile des östlichen Anatolien besetzt. Doch jetzt gab es da plötzlich eine neue russische Regierung, die versprach, sich so bald wie möglich aus dem Krieg zurückzuziehen und alle ihre Gebietsgewinne wieder aufzugeben. Die jungtürkische Regierung traf sich mit Abgesandten der russischen Kaukasusarmee in der besetzten Stadt Erzincan; am 18. Dezember wurde eine förmliche Waffenruhe geschlossen. Vom Schwarzen Meer bis zum Vansee stellten russische und osmanische Soldaten die Kampfhandlungen ein, während ihre politischen Führer über einen Waffenstillstand verhandelten. Als dieser schließlich geschlossen war, entstand in den russisch besetzten Gebieten Ostanatoliens ein Machtvakuum. Die russischen Soldaten in Trabzon agierten unabhängig von ihrer Regierung in Petrograd. Ein demokratisch gewählter „Soldaten-, Arbeiter- und Bauernrat“ beanspruchte die Macht und Autorität in der Stadt, hatte jedoch keinerlei Mittel, um diese auszuüben. Je länger die Soldaten ohne Hierarchie und Disziplin blieben, desto undisziplinierter und unruhiger wurden sie.
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Ende Dezember 1917 begannen russische Soldaten in Trabzon, kurzerhand Schiffe zu beschlagnahmen, mit denen sie über das Schwarze Meer in ihre Heimat zurückkehren wollten. Viele der nun Abrückenden hatten über Monate keinen Sold erhalten und plünderten die Läden der Stadt, um sich für die Heimreise mit Proviant zu versehen. Am 31. Dezember wurde das Kriegsrecht verhängt, ohne dass die Ordnung im Hafen wiederhergestellt worden wäre. Und herrschte in der Stadt schon Unruhe, so war das Chaos im Umland noch größer, denn dort tauchten von allen Seiten bewaffnete türkische Banden auf, die in das von den abrückenden Russen hinterlassene Vakuum stießen. „Schusswechsel, Plünderungen und Panik sind an der Tagesordnung“, berichtete der amerikanische Konsul Ende Januar 1918. „Die türkischen Banden werden immer dreister, die russischen Soldaten immer unausstehlicher.“ So befreiend der Waffenstillstand für die Soldaten der osmanischen Armee auch gewesen sein mag: Die Städte unter russischer Besatzung sehnten sich nach einer Wiederherstellung stabiler Herrschaftsstrukturen, und die würde es ohne einen Friedensvertrag nicht geben. Die Verhandlungsführer der Mittelmächte trafen mit den Vertretern der Bolschewiki-Regierung im Hauptquartier des deutschen Oberbefehlshabers des Ostheeres im weißrussischen Brest-Litowsk zusammen. Während die Russen hofften, Territorium zurückzugewinnen, dass sie an das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn verloren hatten, konnten auf der Seite der Mittelmächte einzig die Osmanen etwas gewinnen, sollte das Bolschewiki-Versprechen eines Friedens ohne Annexionen Wirklichkeit werden. Die Jungtürken jedenfalls wollten am Verhandlungstisch nicht nur die Grenzen von 1914 wiederherstellen, sondern zudem auch noch die Elviye-i Selâse zurückgewinnen, die „drei Provinzen“, die 1878 von Russland annektiert worden waren: Kars, Ardahan und Batumi. Nach zwei ergebnislosen Verhandlungsrunden nahmen die deutschen Truppen den Krieg gegen die Russen wieder auf und begannen am 18. Februar 1918 einen Vormarsch auf Petrograd. Wladimir Lenin, der sich den Deutschen vollkommen schutzlos ausgeliefert sah, wies die russischen Unterhändler an, sofort einen Friedensschluss mit den Mittelmächten zu vereinbaren, unter welchen Bedingungen auch immer. Nachdem die russische Verhandlungsposition sich derart verschlechtert hatte, konnten die Osmanen nicht nur die Wiederherstellung ihrer Grenzen von 1914, son-
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dern auch den vollständigen Abzug der Russen aus den drei besagten Gebieten erreichen. Die endgültige Entscheidung über deren Schicksal sollte in einem Referendum gefällt werden, mit dessen Durchführung die osmanische Regierung betraut wurde. Die Jungtürken waren also die Hauptnutznießer des Friedens von Brest-Litowsk, der am 3. März unterzeichnet wurde. Am Tag nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages verkündete die jungtürkische Regierung diese Neuigkeiten in der Abgeordnetenkammer. Die Politiker feierten den Frieden mit Russland als Vorspiel zu einem allgemeinen Friedensschluss und dem Ende des Krieges. Die günstigen Bedingungen des Vertrags von Brest-Litowsk, durch den das Osmanische Reich lange verlorene Territorien zurückerhielt, versöhnten die Türken mit den schrecklichen Opfern, die dieser Krieg ihnen abverlangt hatte. Zudem begrub er ein für alle Mal die „historischen“ Ansprüche Russlands auf Konstantinopel und die Meerengen. Zusammen beförderten all diese Gewinne die Hoffnung, die Osmanen könnten letztlich doch noch siegreich aus dem Weltkrieg hervorgehen.
* Die Bolschewiki gaben sich alle Mühe, die Politik der abgesetzten Zarenregierung zu diskreditieren. Leo Trotzki, nach der Machtübernahme der Bolschewiki zunächst Volkskommissar für Äußeres, hatte im November 1917 in der sowjetischen Tageszeitung Iswestija die „schmutzigste Wäsche“ des alten Regimes „gewaschen“. Am aufsehenerregendsten war dabei die Veröffentlichung des Sykes-Picot-Abkommens, jenes geheimen Dreiervertrags zur Aufteilung des Osmanischen Reichs. Ausländische Korrespondenten in Moskau bekamen von diesen Enthüllungen Wind und kabelten sie umgehend an ihre begierigen Redaktionen in der Heimat. In der englischsprachigen Welt war es der Manchester Guardian, der am 26. und 28. November das Sykes-Picot-Abkommen erstmals enthüllte. Die osmanische Regierung machte sich diese Aufdeckung zunutze, um den „abtrünnigen“ Emir von Mekka, Scherif Hussein, und seinen Sohn Faisal als Befehlshaber des Aufständischenheers zu verunglimpfen. In einer Rede, die er am 4. Dezember 1917, nur wenige Tage vor dem Fall Jerusalems, in Beirut hielt, gab Cemal Pascha einem fassungslosen
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Publikum die Vertragsbedingungen des Sykes-Picot-Abkommens bekannt. Indem er Sherif Hussein und seine Söhne als die naiven Marionetten Großbritanniens darstellte, schob Cemal die volle Verantwortung dafür, „dass der Feind nun vor den Toren Jerusalems steht“, den Anführern des Arabischen Aufstandes in die Schuhe. „Hätte es auch nur die geringste Aussicht darauf gegeben, dass [Scherif Husseins] Träume von der Unabhängigkeit einmal in Erfüllung gehen würden, dann hätte ich dem Aufstand im Hedschas vielleicht ein Fünkchen Verstand zugestanden. Aber nun sind ja die wahren Absichten der Briten bekannt; es hat nicht lange gedauert, bis sie ans Licht gekommen sind. Und so wird der Scherif Hussein nun also die Schmach erleiden müssen, dass er die hohe Würde, die ihm der Kalif des Islam verliehen hat, verschachert hat, um zu einem Sklaven der Briten zu werden.“ Die osmanische Regierung verteilte Abschriften dieser Rede in arabischer Übersetzung an die syrische Presse, wo dieser sensationellen Meldung große Aufmerksamkeit zuteilwurde. Exemplare der Zeitungen aus Beirut und Damaskus wurden per Zug nach Medina geschickt und sogar nach Mekka hineingeschmuggelt, um die Demütigung der Haschemiten perfekt zu machen.2 Scherif Hussein und seinem Sohn Faisal war der britisch-französische Teilungsplan nicht gänzlich unbekannt. Immerhin waren Sir Mark Sykes und François Georges-Picot zu Jahresbeginn eigens nach Dschidda gereist, um den Scherifen und seinen Sohn über die Vertragsbedingungen zu unterrichten. Allerdings hatten die beiden Diplomaten sich dabei absichtlich vage geäußert, weil sie wussten, dass eine vollständige Enthüllung ihrer Pläne das britisch-arabische Bündnis gefährden würde. Sykes hatte den Scherifen glauben lassen, dass die Briten lediglich eine kurzzeitige Besetzung des Iraks planten und ihm zudem für die Dauer ihres Aufenthalts im Land eine Art Pachtzins zahlen würden. Und er hatte den Scherifen angeregt, die französische Präsenz in Syrien als ebenso einen Kurzzeit-Pachtvertrag zu betrachten, der ohnehin nur ein kleines Gebiet an der syrischen Küste betreffe. Aus Cemal Paschas Rede erfuhr Scherif Hussein nun einiges mehr über die territorialen Ambitionen seiner britischen und französischen Verbündeten, als diese ihm selbst mitgeteilt hatten.3 Cemal Pascha hoffte, mithilfe des Sykes-Picot-Abkommens die Haschemiten von ihrem Aufstand abbringen zu können: Alles sollte vergeben und vergessen sein, solange sie nur in den Schoß des Osmanischen Reichs
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zurückkehrten. Eine solche Versöhnung hätte auf die osmanische Position in Syrien und im Irak dramatische Auswirkungen gehabt, schließlich hätten die inzwischen gut ausgerüsteten arabischen Krieger, die der Scherif zum Kampf gegen die Osmanen rekrutiert hatte, stattdessen gegen die Briten kämpfen können. Fahri Paschas Männer hätten gleichfalls wieder außerhalb von Medina operieren und – zusammen mit der osmanischen Kaukasusarmee, die wegen des Waffenstillstands mit Russland keine Aufgabe mehr hatte – Bagdad und Jerusalem von den Briten zurückerobern können. Wenn es ihnen gelänge, die Loyalität der Araber zurückzugewinnen, glaubten die Jungtürken, dann hätte das Osmanische Reich immerhin noch eine echte Chance, den Krieg zu überstehen. Im Dezember 1917 schickte Cemal Pascha einen Geheimboten mit einem Schreiben an Faisal nach Akaba. Der jungtürkische Führer bot den Arabern volle Autonomie innerhalb des Osmanischen Reichs an – wahre Autonomie anstelle der ausländischen Bevormundung à la Sykes-Picot –, wenn die Haschemiten im Gegenzug dem Sultan die Treue schwören würden. Faisal antwortete nicht auf Cemals Brief, sondern leitete ihn stattdessen an seinen Vater weiter. Der Scherif wiederum schickte ihn an Sir Reginald Wingate, den britischen Hochkommissar in Ägypten. Betrachtete er die Balfour-Deklaration und das Sykes-Picot-Abkommen, so glaubte Scherif Hussein, dass seine britischen Verbündeten ihm eine Erklärung schuldeten. Die britischen Beamten in Ägypten befanden sich in einer unangenehmen Lage. Sie waren an der Formulierung der geheimen Teilungspläne überhaupt nicht beteiligt gewesen, sollten nun jedoch im Namen der britischen Regierung dafür geradestehen. Es stand einiges auf dem Spiel, schließlich gefährdeten die jüngsten, fatalen Enthüllungen das Gelingen der britischen Feldzüge in Mesopotamien und Palästina und drohten zudem, das britisch-haschemitische Bündnis sowie den Arabischen Aufstand zu Fall zu bringen – und das, als der Aufstand gerade an Dynamik zulegte. Der Chef des britischen Arab Office in Kairo, Kapitänleutnant D. G. Hogarth, ging in einem an den Scherifen adressierten Schreiben vom Januar 1918 auf dessen Bedenken hinsichtlich der Balfour-Deklaration ein. Hogarth bekräftigte noch einmal die feste Entschlossenheit der Alliierten, „dass die arabische Rasse alle Möglichkeiten bekommen soll, wieder als
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Nation auf der Weltbühne zu erscheinen“ und dass in Palästina „kein Volk einem anderen untertan“ sein solle. Allerdings befürworte „die Meinung der Juden in aller Welt … eine Rückkehr der Juden nach Palästina“, und die britische Regierung unterstütze derartige Bestrebungen. „Das Weltjudentum“, versicherte Hogarth seinem arabischen Verbündeten, besaß in vielen Staaten „politischen Einfluss“, und die Araber sollten das Wohlwollen, das ihnen die Juden entgegenbrachten, nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.4 Bevor er die Fragen des Scherifen über das Sykes-Picot-Abkommen beantwortete, holte Wingate den Rat des britischen Außenministeriums ein. Am 8. Februar 1918 antwortete London mit einem Paradebeispiel diplomatischer Doppelzüngigkeit: Die britische Regierung dankte dem Scherifen dafür, dass er Cemals Brief weitergeleitet hatte, wertete diesen jedoch als einen leicht zu durchschauenden Versuch, zwischen den Haschemiten und den Alliierten „Zweifel und Verdacht zu säen“ – kurz, man bekräftigte das von der Regierung Seiner Majestät gegebene „Versprechen hinsichtlich der Befreiung der arabischen Völker“.5 Womöglich empfand der Scherif eine gewisse Beunruhigung darüber, dass die Briten damit den Inhalt der Aufteilungspläne weder bestätigt noch dementiert hatten, aber ohnehin waren er und seine Söhne inzwischen schon zu weit gegangen, als dass sie von ihrem Aufstand gegen den Sultan noch hätten abrücken können. Cemals Brief an Scherif Hussein blieb also ohne Antwort. Der Emir und seine Söhne führten weiterhin ihren verbissenen Kampf gegen das Osmanische Reich und klammerten sich dabei an jede noch so kleine Stellungnahme der Briten, in der diese ihre Unterstützung für den arabischen Unabhängigkeitskampf kundtaten. Auf dem Schlachtfeld, hofften die Haschemiten, würden sie erringen, was Briten wie Franzosen ihnen, wie es schien, durch ihre Geheimdiplomatie vorenthalten wollten.
* Seit der osmanischen Kapitulation von Akaba im Juli 1917 hatte sich der Hauptschauplatz des Arabischen Aufstandes aus dem Hedschas in die südlichen Grenzgebiete Syriens verlagert. Dort war Faisal noch immer dabei, sein reguläres Heer unter dem Befehl Dschafar al-Askaris aufzustellen und
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dazu noch weitere Stammeskrieger anzuwerben. Briten und Franzosen sollten – unterstützt durch Kolonialtruppen aus Ägypten und Algerien –, technische Expertise und moderne Feuerkraft beisteuern. Mittels einer Abteilung Panzerkraftwagen, einer Staffel Flugzeuge sowie einer Batterie Zehnpfünder-Geschütze zur Bombardierung der türkischen Linien wurde das Araberheer militärtechnisch auf den neuesten Stand gebracht. Von Akaba aus wäre ein Angriff auf die starke osmanische Garnison von Maan das Naheliegendste gewesen. Der Ort war eine der Pilgerstationen auf dem Weg von Damaskus nach Mekka und markierte die traditionelle Grenze zwischen Syrien und dem Hedschas. Auch befand sich in Maan einer der größeren Bahnhöfe der Hedschasbahn sowie eben eine große Militärgarnison. Im August 1917 schätzte T. E. Lawrence die osmanischen Truppen dort auf „sechstausend Mann Infanterie und je ein Regiment Kavallerie und berittene Infanterie; [der Kommandant] hatte Maan so stark ausgebaut, dass es auch mit modernen Hilfsmitteln für uneinnehmbar gelten konnte“. Kurz: Faisal und seine Guerillatruppe konnten sich keine große Chancen ausrechnen, Maan zu erobern.6 Da auf ihnen nun der Druck lastete, als General Sir Edmund Allenbys „rechter Flügel“ nach Norden vorzustoßen, ließen die Araber Maan zunächst links liegen, um stattdessen das Hügelland im Umkreis des Jordantals zu besetzen. Unter der Führung von Faisals jüngstem Bruder Said eroberten sie die Stadt Schaubak (Shawbak / Shoubak) mit ihrer mächtigen Kreuzfahrerburg und besetzten am 15. Januar 1918 das osmanische Verwaltungszentrum Tafila, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Der Kommandant der örtlichen Garnison, Zaki al-Halabi, lief mitsamt seinen 240 Soldaten zu den Aufständischen über. Damit wollte sich die türkische Armeeführung jedoch nicht abfinden und befahl am 26. Januar einen energischen Versuch, das auf einer Anhöhe gelegene Tafila zurückzuerobern. Dieser Angriff wurde von den Aufständischen und ihren neuen Verbündeten jedoch zurückgeschlagen, wobei die Osmanen schwere Verluste erlitten. Innerhalb der nächsten sechs Wochen sollte Tafila noch zweimal die Besatzer wechseln: Am 6. März zogen die Osmanen erneut in der Stadt ein, mussten sie aber am 18. März wiederum den Arabern überlassen.7 In Palästina setzte die Egyptian Expeditionary Force (EEF) ihre Offensive fort. Der britische Premierminister David Lloyd George hatte Gene-
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ral Allenby angewiesen, den Kampf in Palästina im Februar 1918 wieder aufzunehmen und den Osmanen einen entscheidenden Schlag zu versetzen, der sie zwingen sollte, die Waffen zu strecken. Anstatt tiefer nach Palästina vorzustoßen beschloss Allenby, seinen Angriff im Osten durchzuführen. Sein Ziel war das jenseits des Jordans gelegene Amman, wo er hoffte, sich mit dem Heer der Aufständischen zusammenschließen und die strategisch entscheidenden osmanischen Eisenbahnverbindungen nach Maan und nach Medina kappen zu können. Da südlich von Amman ein Heer von geschätzt 20 000 türkischen Soldaten zusammengezogen war, wollte Allenby zunächst die Bedrohung auf seinem rechten Flügel neutralisieren, bevor er schließlich auf Damaskus vorstieß. Allenby beschloss, zunächst Jericho im Jordantal zu besetzen, um eine Ausgangsbasis für seine Operationen in Transjordanien zu erhalten. Am 19. Februar begannen seine Soldaten ihren langsamen, aber wohlüberlegten Vormarsch die steilen Hänge des Jordantals hinunter in Richtung Jericho. Auf den schmalen Bergpfaden war für Kraftwagen oder Karren kein Durchkommen, und die Kolonne der britischen Infanterie und Kavallerie dehnte sich über eine Länge von mehr als acht Kilometern aus. Die türkische Artillerie konnte den Vormarsch der Briten zwar bremsen, aber nicht aufhalten, und so zogen Allenbys Kräfte am Morgen des 21. Februar in Jericho ein. In den Köpfen der Männer schwirrten die biblischen Erzählungen von Josua und den Posaunen von Jericho umher, doch wurden die ANZACReiter schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht: „Von allen Städten des Orients, durch die unsere Männer gekommen sind“, berichtete ein neuseeländischer Kavallerieoffizier später, „war Jericho bei Weitem die schmutzigste und am widerlichsten stinkende.“8 Bevor seine Truppen über den Jordan setzten, sorgte Allenby für eine Sicherheitszone entlang der nordpalästinischen Front. Die EEF rückte gut elf Kilometer nach Norden vor, um sich die Höhenpositionen rund um das Wadi Audscha zu sichern. Damit sorgten die Briten dafür, dass ihre Basis in Jericho außerhalb der Reichweite osmanischer Artillerie war und zwangen die Türken zudem, einen großen Umweg in Kauf zu nehmen, wollten sie ihre Stellungen in Transjordanien mit Truppen aus Palästina verstärken. Die Operation begann am 8. März und dauerte vier Tage. Zähneknirschend zogen sich die Osmanen, die eine größere Konfrontation vermeiden wollten, zurück. Als die Briten dann eine sichere Linie vom
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Mittelmeer bis an den Jordan hielten, traf Allenby die letzten Vorbereitungen zum Einmarsch in Transjordanien. Die britischen Befehlshaber stimmten ihre Schlachtpläne mit den arabischen Verbündeten ab; als Verbindungsoffizier im Heer der Aufständischen diente Oberstleutnant Alan Dawnay, der Chef des neugeschaffenen Gefechtsstabes Hedschas. Allenbys Plan zufolge sollten die Araber Maan angreifen, um die dortige Garnison in Schach zu halten, während die EEF Amman einnahm. Faisal traf sich mit seinen Offizieren, um sich über das genaue Vorgehen zu verständigen. Ein Trupp sollte die Hedschasbahn südlich von Maan angreifen und die Gleise unbrauchbar machen. Ein zweiter Trupp sollte dasselbe nördlich von Maan ausführen. Dschafar al-Askari sollte den Hauptteil des Araberheers zu einem Frontalangriff auf die osmanischen Stellungen von Maan anführen; weil die Bahnverbindung in beide Richtungen unterbrochen sein würde, könnte die Garnison unmöglich Verstärkungen erhalten. Auf diese Weise konnte von der Garnison von Maan auch keine Bedrohung für das britische Vorgehen gegen das weiter nördlich gelegene Amman ausgehen. T. E. Lawrence sollte in Transjordanien mit Allenbys Truppen Kontakt aufnehmen und den mächtigen Beduinenstamm der Bani Sakr dazu bewegen, die britischen Stellungen gegen die Türken zu verstärken. Zum Gelingen dieses ambitionierten Plans war es unerlässlich, dass jede der beteiligten Parteien ihre Aufgabe absolut rechtzeitig erfüllte, denn zwischen den einzelnen Truppenteilen gab es keine Kommunikation. Zwar hatten die Briten Brieftauben in den Nahen Osten mitgebracht, aber dennoch gab es keinerlei Möglichkeit der kontinuierlichen Abstimmung zwischen den einzelnen Sabotagetrupps der Aufständischen, die entlang eines 80 Kilometer langen Streckenabschnitts der Hedschasbahn operierten, geschweige denn zwischen Arabern und Briten, die durch Hunderte von Kilometern offenen Geländes voneinander getrennt waren. Wenn unter diesen Umständen einem der Bündnispartner seine Aufgabe misslang, dann erfuhr der andere davon exakt so schnell, wie ein fähiger Reiter galoppieren konnte. Gerüchte und gezielte Desinformation durch feindliche Agenten sorgten dafür, dass der „Nebel des Krieges“ noch dichter wurde.9 Der arabische Vorstoß auf Maan war ein absolutes Debakel. Im März 1918 wurde der südliche Teil Transjordaniens von heftigen, für die Jahreszeit
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viel zu kalten Regengüssen heimgesucht. Dschafar al-Askari, der mit dem Stoßtrupp unterwegs war, um die Eisenbahnstrecke südlich von Maan zu zerstören, erinnerte sich später daran, wie „ein sintflutartiger Platzregen uns bis auf die Haut durchnässte, sodass ein weiterer Vormarsch unmöglich wurde. Die Kamele und die Lasttiere glitten im Schlamm aus, und unsere Männer wurden über Nacht derart von den Elementen geplagt, dass einige von ihnen an den Folgen der bitteren Kälte und des Regens starben“. Schließlich wurde der Angriff in Erwartung besserer Wetterbedingungen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.10 Die Briten, die von den Problemen ihrer arabischen Verbündeten vor Maan nichts ahnten, setzten am 21. März über den Jordan. Sie erklommen die steilen Pfade aus dem Flusstal bis auf die transjordanische Hochebene und rückten auf die Stadt Salt vor. Salt war der Sitz eines osmanischen Bezirksgouverneurs und die größte Stadt östlich des Jordans; rund 15 000 Muslime und Christen lebten hier. Bei ihrem Vormarsch am 25. März hielten die britischen Soldaten plötzlich inne, als sie heftige Gewehrsalven hörten. Allerdings handelte es sich dabei nicht um das Abwehrfeuer, mit dem sie gerechnet hatten, sondern vielmehr stieß ihre Vorhut auf die feiernden Stadtbewohner, die vor Freude über den Abzug der Osmanen – und wohl auch darüber, dass sie nun die Bezirksverwaltung plündern konnten – in die Luft feuerten. „Sie hatten das Gebäude [der Bezirksverwaltung] bereits vollkommen ausgeschlachtet“, hielt ein verblüffter Soldat in seinem Tagebuch fest, „sogar das Dach abgedeckt und alle Holzteile abgeschlagen; allein die Mauern standen noch.“ Die Einwohner von Salt glaubten, dass die britische Besatzung für sie das Ende des Krieges bedeuten würde. Deshalb freuten sie sich über ihre neugewonnene Freiheit, die jedoch, wie sich herausstellen sollte, nur von kurzer Dauer sein würde.11 Die Osmanen waren kampflos aus Salt abgezogen, um sich stattdessen zur Verteidigung von Amman neu zu formieren. Der neue Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Yıldırım in Palästina und Transjordanien war kein Geringerer als Otto Liman von Sanders, der seit 1913 der deutschen Militärmission im Osmanischen Reich vorgestanden hatte. Seine große Erfahrung erwies sich nun als ungeheuer wertvoll, und dem Respekt, mit dem er seinen osmanischen Offizieren und Mannschaften begegnete, entsprach das Vertrauen, dass jene ihm schenkten. Liman war auf die volle Kooperation seiner Truppen angewiesen. Sollten die Briten
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Amman mit seinen strategisch wichtigen Eisenbahnanlagen einnehmen, dann wären die osmanischen Positionen weiter südlich an der Hedschasbahn unhaltbar und 20 000 Soldaten in Medina und Maan vollkommen isoliert. Die Verteidigung von Amman sollte deshalb für die türkischen Truppen sowohl im Hedschas als auch in Transjordanien zu einem Kampf auf Leben und Tod werden. Auf die Nachricht, dass die Briten Salt eingenommen hatten, reagierte Liman, indem er alle verfügbaren Truppen nach Amman beorderte. Zwar verzögerten Beschädigungen an der Bahnlinie diese Verlegungen, aber mit der Zeit kamen doch Hunderte von Soldaten aus Damaskus nach Amman. Neunhundert kamen aus Maan; ihr Marsch war von den Arabern nicht behindert worden. Türkische Kavallerie aus Palästina querte den Jordan an einer Furt flussaufwärts in Richtung der britischen Positionen, um die feindlichen Kommunikationswege zu stören. Die Briten beabsichtigten, ihre Stellungen in Salt mit Infanterie zu sichern und Amman mit ihrer Kavallerie anzugreifen. Ihre ersten Ziele waren ein Viadukt und ein Tunnel bei Amman, deren Zerstörung den Eisenbahnverkehr auf Monate unterbrechen würde. Anschließend sollte ein in Salt stationiertes, starkes Infanteriekontingent die osmanischen Reparaturtrupps daran hindern, die Schäden an der Bahnstrecke zu beheben. Außerdem sollten diese Soldaten die Kommunikationswege zwischen Damaskus und den Garnisonen südlich von Amman stören. Wenn die Briten und ihre Verbündeten damit erfolgreich waren, würden die Osmanen sich in das Gebiet nördlich von Amman zurückziehen müssen, womit sie Medina sowie die südliche Hälfte Transjordaniens de facto den Haschemiten überlassen hätten. Auf ihrem Vormarsch von Salt nach Amman gerieten die Briten am 27. März in ein ähnliches Unwetter, wie es die arabischen Operationen weiter südlich durchkreuzt hatte. Aus Wegen wurden Schlammgruben, in denen weder Mensch noch Tier mit der gewohnten Geschwindigkeit vorankamen – an Fahrzeugverkehr war überhaupt nicht zu denken. Waffen und Munition mussten von Waggons auf Kamele umgeladen werden, um an die Front zu gelangen. „Sogar die Kamele konnten diesen Boden, auf dem sie dauernd ausglitten, kaum überwinden. Wir fingen ein englisches Funkentelegramm [sic] auf, in dem hierüber lebhaft Klage geführt wurde.“ Indem sie den britischen Funkverkehr abhörten, erhielten die Deutschen eine recht
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gute Vorstellung davon, was ihre Gegner vorhatten, und konnten ihre eigenen Verteidigungsstellungen entsprechend darauf vorbereiten.12 Die 2000 osmanischen Verteidiger von Amman bezogen Positionen, aus denen sie sämtliche Zugänge zur Stadt kontrollierten. Ihre Stellungen waren gut geschützt, ihre Bewaffnung mit 70 Maschinengewehren und zehn Geschützen respektabel – und sie genossen den traditionellen Vorteil des Verteidigers im Grabenkrieg. Die 3000 britischen Soldaten näherten sich Amman durchnässt und müde. Sie hatten einen strapaziösen Marsch hinter sich, auf dem einige Soldaten an Unterkühlung gestorben waren. Der starke Regen hatte verhindert, dass die Artillerie bis an die Front gelangen konnte, und der Nachschub an Maschinengewehren und Munition beschränkte sich auf das, was auf den Rücken der Kamele hatte transportiert werden können (auf den steilen, von Regen unterspülten Pfaden aus dem Tal hinauf waren zahlreiche Tiere verendet).13 Drei Tage lang wehrten die Türken die energischen Vorstöße der EEFTruppen – Kavallerie und Infanterie – ab. Allerdings mussten die Verteidiger von Amman unter denselben widrigen Wetterbedingungen kämpfen wie ihre britischen Widersacher, und so erlitten auch die osmanischen Truppen schwere Verluste und ihre Kräfte ließen nach. Um jeglichem Defätismus in seinen Reihen vorzubeugen, gab Liman „den direkten Befehl zum äußersten Widerstand ohne jede Rücksicht“. Er erinnerte seine Offiziere daran, dass täglich frische Verstärkungen aus Damaskus und Maan einträfen, mit deren Hilfe sie diesen Sturm – im doppelten Wortsinn – überstehen würden.14 Obgleich die Türken ihre eigene Lage als durchaus kritisch einschätzten, befanden sich die Angreifer doch in einer noch wesentlich schlimmeren Position. Die ANZAC-Reiter, die vom unaufhörlichen Starkregen vollkommen durchnässt waren, mussten im Freien übernachten und litten unter der bitteren Nachtkälte. Die vom Regen rutschigen Verkehrspfade der Umgebung konnten von Kamelen und Pferden nur mit Mühe begangen werden, was es den Briten noch schwerer machte, ihre Voraustruppen mit ausreichend Munition und Verpflegung zu versorgen. Auch wurde es immer schwieriger, die stetig wachsende Zahl von Verwundeten zu evakuieren. Selbst nach mehreren Tagen intensiver Kämpfe wirkten die Türken nicht so, als würden sie bald aufgeben. Außerdem wurde die Rückzugslinie der Briten von türkischer Kavallerie bedroht, die britische Stel-
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lungen am Jordan und in Salt immer wieder attackierten. Am Nachmittag des 30. März gestanden sich die britischen Befehlshaber ein, dass sie Amman so nicht würden einnehmen können und befahlen einen Rückzug auf ganzer Linie. Die Osmanen verfolgten die zurückweichenden britischen Truppen von Amman bis nach Salt. Als die Briten dort begannen, ihre Verwundeten zu evakuieren und ihre Vorräte transportfertig zu machen, brach unter den Einwohnern der Stadt Panik aus. Die geplünderte Ruine der vormaligen Bezirkskommandantur wirkte wie ein Mahnmal ihrer Untreue dem Osmanischen Reich gegenüber, und sie wussten, dass ihnen sichere Vergeltung drohte, sollten die Türken zurückkommen. Also verließen rund 5500 Christen und 300 Muslime ihre Häuser und traten mit den Briten den Rückzug nach Jerusalem an. Ein britischer Soldat hielt in seinem Tagebuch fest, welches Elend sich inmitten des chaotischen Truppenabzugs abspielte: „Ein junger Mann trägt seinen Großvater auf dem Rücken. Er trägt ihn 13 Meilen [ca. 21 Kilometer] weit!!! Frauen und Männer und Kinder gehen tief zusammengekrümmt unter den enormen Bündeln, die sie schleppen, und wie um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, tragen sie noch eine Pfanne oder eine Waschwanne auf dem Kopf. Ochsen laufen Panzerwagen in die Quere, Kamele stolpern über völlig überlastete Esel.“15 In der britischen Presse wurde der „Überfall“ auf Amman als ein Erfolg dargestellt. Die Soldaten, die im Schlamm und eisigen Regen gekämpft hatten, wobei 200 von ihnen gestorben und 1000 verwundet worden waren, wussten es besser. Ein neuseeländischer Kavallerist brachte die Sache auf den Punkt: „Der Schaden, den wir dem Feind zufügen konnten, stand in keinem Verhältnis zu den immensen Verlusten auf britischer Seite.“ Schlagzeilen, die Allenbys angeblichen Triumph hinausposaunten, „sorgten dafür, dass die Berichterstattung dem, der die Wahrheit kannte, einigermaßen lächerlich erschien“.16
* Während die britischen Kräfte sich aus Transjordanien zurückzogen, nahm Faisals Armee ihre Operationen gegen Maan wieder auf. Die jüngste osmanische Truppenverlegung nach Amman hatte die Stärke der Garnison von Maan erheblich reduziert, wodurch die Chancen der Araber, die
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beinahe uneinnehmbare Stadt doch zu erobern, immerhin etwas stiegen. Der Plan war wieder einmal, Maan im Norden und Süden abzuschneiden und dann einen Frontalangriff auf das Stadtzentrum zu unternehmen. Als Stabschef des Araberheers führte Dschafar al-Askari am 12. April den Überfall auf die nördlich gelegene Bahnstation Jarduna an. Seinem Befehl unterstanden ein Bataillon Infanterie, ein Feldgeschütz sowie 400 beduinische Reiter. Im Morgengrauen rückten sie auf den Bahnhof vor und eröffneten mit ihrer Achtzehnpfünder-Kanone das Feuer. Der angreifenden Infanterie schlug heftiges Gewehrfeuer der osmanischen Verteidiger entgegen. Askari wartete und wartete auf das Eintreffen seiner Beduinenkavallerie, die durch ihren Angriff die Infanterie entlasten sollten. Er fand sie schließlich „irgendwo im Nichts ziellos umherirrend“ und feuerte sie mit „einer leidenschaftlichen Ansprache [zum Handeln an], in welcher er ihnen vorhielt, dass ihre Kameraden umgebracht würden, wenn sie ihnen nicht jetzt gleich mit einem Entlastungsangriff zu Hilfe kämen“. Daraufhin erstürmten die Stammeskrieger den Bahnhof und zwangen die 200 Verteidiger zur Kapitulation. Die Beduinen plünderten das Areal und nahmen Waffen, Munition und andere militärische Ausrüstungsgüter an sich. T. E. Lawrence und Hubert Young tauchten am späteren Abend auf, um die Eisenbahnbrücke südlich von Jarduna in die Luft zu sprengen, wodurch Maan aus nördlicher Richtung abgeschnitten wurde.17 Noch in derselben Nacht führte Nuri al-Said eine Attacke auf die Bahnstation Ghadir al-Hadsch südlich von Maan an. Muhammad Ali al-Adsch luni befehligte eine der daran beteiligten Infanteriekompanien, die wegen persönlicher Streitigkeiten zwischen zwei Offizieren in zwei Lager gespalten war, was die Kampfkraft beeinträchtigte. Und wie Askari sah sich Adschluni gezwungen, eine „leidenschaftliche Ansprache“ zu halten, um den Stoßtrupp zur Raison zu bringen. Unterstützt wurde der Angriff von einer Batterie französischer Artillerie nebst einem MG-Trupp, dazu kamen noch mehrere Hundert Beduinenreiter unter dem Befehl des legendären Auda Abu Tayi vom Stamm der Howeitat. Wie schon in Jarduna schlugen die Angreifer im Morgengrauen zu; zur Vorbereitung hatte ihre Artillerie den Bahnhof zwei Stunden lang „sturmreif “ geschossen. Die meisten Verteidiger streckten schon früh am Tag die Waffen, aber ein Schützengraben mit osmanischen Soldaten hielt noch stundenlang durch, bevor seine Besatzung schließlich kapitulierte.
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Bei Ghadir al-Hadsch kam der tiefe Hass zum Vorschein, den der Arabische Aufstand hervorgerufen hatte. Einer der arabischen Anführer hielt den 300 osmanischen Gefangenen eine Gräueltat vor, den die Türken gegen einen Hauptmann seiner Truppe begangen haben sollten; dieser war angeblich nach seiner Gefangennahme gefoltert und dann lebendig verbrannt worden. Also befahl der Araber den gefangenen Türken, sie sollten vier aus ihren Reihen bestimmen, die exekutiert werden sollten, um den schrecklichen Tod des Hauptmanns zu sühnen. Bevor dieses Vorhaben in die Tat umsetzen werden konnte, griffen jedoch andere arabische Offiziere ein und sorgten dafür, dass die Kriegsgefangenen ordentlich behandelt wurden. Dann ging der Stoßtrupp wieder an seine eigentliche Arbeit, sprengte fünf Brücken und machte gut 900 Meter Eisenbahngleise unbrauchbar, wodurch Maan auch aus Richtung Süden isoliert wurde.18 Da Maan nun von der Außenwelt abgeschnitten war, konnte das Araberheer mit seinem Angriff auf die Garnisonsstadt selbst beginnen. Am 13. April besetzten sie westlich von Maan die Anhöhe von Simna. Zwei Tage später stürmten sie den Bahnhof von Maan. Es war der blutigste Zusammenstoß des gesamten Arabischen Aufstands. Vier Tage lang tobte die Schlacht um den Bahnhof, auf beiden Seiten gab es schwere Verluste. Dschafar al-Askari urteilte mit scharfen Worten über die Artillerie, die von einem Offizier der französischen Militärmission im Hedschas, Hauptmann Rosario Pisani, kommandiert wurde und schon am ersten Kampftag keine Munition mehr hatte (nach Askaris Darstellung ging die Munition tatsächlich schon nach einer einzigen Stunde zur Neige). Der arabische Befehlshaber setzte nur wenig Vertrauen in seine französischen Bündnispartner, denen er vorwarf, sie bemühten sich mit größerem Enthusiasmus um die Sicherung des französischen Anteils am Sykes-PicotAbkommen als um die Unterstützung des arabischen Unabhängigkeitskampfes. „Hauptmann Pisani wurde nicht müde, uns daran zu erinnern, dass er uns lediglich bis zur syrischen Grenze begleiten werde und dass die Franzosen den Arabern jenseits dieser Grenze nicht würden beistehen können“, erinnerte sich Askari später. „Pisanis Erklärungen spiegelten zweifellos die bösen Absichten der Franzosen wider.“ T. E. Lawrence, der die Schlacht um Maan als Augenzeuge miterlebte, gab Pisani einen gewissen Vertrauensvorschuss: „Wir trafen Pisani händeringend und in Verzweiflung“,
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schrieb Lawrence, „da er alle verfügbare Munition verschossen hatte. Er sagte, er habe Nuri beschworen, nicht gerade in diesem Augenblick, wo es ihm gänzlich an Munition fehle, anzugreifen.“ Emir Faisal sollte später dem französischen Kriegsministerium ein Telegramm schicken, in dem er ausdrücklich für die „gute Arbeit“ dankte, welche das französische Kontingent in Maan geleistet habe, und seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass „all jene Kanoniere ihre gebührende Belohnung erhalten werden“. Der Anführer des Arabischen Aufstandes war diplomatischer als seine Offiziere.19 Nach drei Tagen schwerer Kämpfe war es den Arabern schließlich gelungen, drei osmanische Grabenreihen rund um Maan zu erobern. Die osmanischen Befehlshaber der Stadt wussten, dass sie aufgrund der unterbrochenen Eisenbahnlinien keinerlei Verstärkungen oder Munitionsnachschub zu erwarten hatten. Einige der Offiziere riefen zu einem Kampf bis auf den letzten Mann auf; andere wollten Kapitulationsverhandlungen mit den Arabern aufnehmen. Die Einwohner von Maan, die wussten, dass die siegreichen Beduinen ihre Häuser und Läden plündern würden, ermunterten die Osmanen, weiterzukämpfen. Am vierten Kampftag schlossen sich 500 Stadtbewohner den osmanischen Soldaten an und verliehen dem Kampf gegen die zunehmend erschöpften Araber neuen Schwung. An diesem vierten Kampftag war das Araberheer ohnehin stark angeschlagen. Seine Kämpfer hatten tagelang ohne Feuerschutz der Artillerie auskommen müssen, während die Maschinengewehre und Kanonen der Osmanen sie ungehindert unter Beschuss nehmen konnten. Die beduinische Kavallerie hatte schon zwei Tage zuvor den Rückzug angetreten – was die regulären Soldaten als ein Misstrauensvotum aufgefasst hatten. Unter ihnen hatte die Truppendisziplin bereits erheblichen Schaden genommen, nachdem mehr als die Hälfte der Offiziere getötet oder verwundet worden war. Schweren Herzens befahl Askari den Rückzug. Nach den Maßstäben der Westfront waren die Verluste der Araber bei Maan vielleicht nicht hoch – 90 Aufständische waren getötet und 200 verwundet worden –, aber es waren doch die schwersten Verluste, die sie seit dem Beginn des Aufstandes erlitten hatten. Angesichts dieser beispiellosen Niederlage hatten Emir Faisal und sein Stabschef alle Mühe, die Kampfmoral in ihrer geschlagenen Truppe wiederherzustellen. Faisal richtete eine mitreißende Ansprache an das versammelte Heer, und Dschafar al-Askari erinnerte seine Männer daran,
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dass ein Rückzug keine Niederlage war und dass sie, wenn ihnen nur wieder ausreichende Artillerieunterstützung zur Verfügung stünde, ihre Siegesserie fortsetzen und Maan erobern würden. Nach der Aussage eines Offiziers, der Ohrenzeuge dieser Reden war, trugen sie zur Wiederherstellung der Kampfmoral bei den syrischen und irakischen Soldaten des Aufständischenheers bei. Der Schaden, den das Ansehen der Haschemiten in Transjordanien genommen hatte, würde um einiges schwerer zu beheben sein.20
* Am 21. März 1918 war den Truppen des Deutschen Reichs an der Westfront ein bedeutender Durchbruch gelungen. Der Separatfrieden mit Russland hatte es den Mittelmächten ermöglicht, Kräfte von der Ost- an die Westfront zu verlegen, was ihnen eine kurzfristige zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber den Entente-Mächten verschaffte. Das deutsche Oberkommando war entschlossen zu handeln, bevor die Amerikaner, die im Jahr zuvor in den Krieg eingetreten waren, genügend Truppen nach Europa verlegt haben würden, um dieses momentane Kräfteverhältnis entscheidend zu beeinflussen. Das deutsche „Unternehmen Michael“ richtete sich nun gegen einen vergleichsweise schwach gesicherten Punkt in den britischen Linien bei Saint-Quentin in Nordfrankreich. Mit dem überwältigenden Beschuss einer „Feuerwalze“ gingen die deutschen Sturmtruppen zum Angriff über und trieben die unterlegenen Briten schon bald vor sich her. Am Ende des ersten Kampftages waren die Deutschen bis zu 13 Kilometer weit vorgerückt und hatten ein Gebiet von fast 260 Quadratkilometern Fläche erobert. Diese Gebietsgewinne hatten jedoch ihren Preis, denn die deutschen Verluste waren beträchtlich. Noch schrecklicher waren jedoch die Verluste auf britischer Seite: über 38 000 Mann am Ende des ersten Tages, darunter 21 000, die in deutsche Gefangenschaft gerieten.21 Bei der Egyptian Expeditionary Force (EEF ) machten sich die Auswirkungen der deutschen Frühjahrsoffensive beinahe unmittelbar bemerkbar. Am 27. März wies das britische Kriegskabinett Edmund Allenby an, in Palästina zur Taktik einer „aktiven Defensive“ überzugehen und seine Infanteriedivisionen zur sofortigen Einschiffung nach Frankreich bereit-
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zumachen. Bis zur Jahresmitte 1918 wurden rund 60 000 kampferprobte Infanteristen aus Ägypten und Palästina nach Frankreich geschickt. Ersetzt wurden sie durch frische Rekruten aus Indien – unerfahrene Soldaten, die erst noch gründlich ausgebildet werden mussten, bis sie tatsächlich einsatzfähig waren.22 Bevor er jedoch zur „aktiven Defensive“ überging und seine besten Truppen nach Frankreich verlegen ließ, unternahm Allenby einen letzten Vorstoß nach Transjordanien. Nicht zuletzt aufgrund des engen zeitlichen Rahmens war diese Kampagne schlecht vorbereitet und wurde zu einem ungünstigen Zeitpunkt ausgeführt. Allem Anschein nach ließ Allenby seine Männer geradewegs in eine Falle marschieren. Allenbys Plan sah vor, dass seine Kavallerie die wichtigsten Furten über den Jordan sichern sollte, dazu die drei wichtigsten Pfade, die aus dem Flusstal auf die Hochebene von Amman führten. Anschließend sollten berittene Truppen den Aufstieg wagen, um erneut die Stadt Salt zu besetzen. Nachdem sie ihre Position in Salt so gesichert hatten, dass ein osmanischer Gegenschlag keine Bedrohung mehr darstellte, sollte die ANZAC-Kavallerie dann wieder in das Jordantal zurückgaloppieren, die türkische Garnison von Schunat Nimrin von hinten angreifen und zur Aufgabe zwingen. Allenbys Leute hatten bereits mit dem mächtigen Stammesverband der Bani Sakr ausgehandelt, dass dessen Krieger den entscheidenden vierten Pfad zwischen dem Tal und der Hochebene blockieren und die Umzingelung der osmanischen Truppen zwischen Salt und dem Jordan damit vollenden würden. Auf der Grundlage dieser starken Ausgangssituation, meinte Allenby, hätten die Briten gute Chancen, Amman und die Hochebene einzunehmen.23 Seine Offiziere allerdings hielten den Plan für wenig praktikabel. General Sir Harry Chauvel, der Kommandeur des australischen Desert Mounted Corps, war überzeugt davon, dass die Osmanen mit einem solchen Angriff bereits rechneten. Bedenkt man, dass der britische Funkverkehr immer wieder von deutschen Spezialisten abgehört wurde, dürfte Chauvel mit dieser Einschätzung recht gehabt haben. Denkbar wäre auch, dass die Beduinen den britischen Schlachtplan an die Osmanen verrieten. Chauvel hatte große Bedenken angesichts der zentralen Rolle, welche die Beduinen bei Allenbys Vorhaben spielen sollten. Der australische General hielt die Stammeskrieger nämlich – in der Hitze des Gefechts – für unzuverlässig.
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Tatsächlich zählten die Bani Sakr zu jenen Stammesgruppen in Transjordanien, deren Loyalitäten zwischen den Haschemiten und den Osmanen gespalten waren. Wenn Allenbys Leute nun zufällig mit einem Zweig der Bani Sakr verhandelt hatten, der eher den Osmanen zuneigte, dann würden dessen Anführer den britischen Schlachtplan unverzüglich an Liman von Sanders weitergegeben haben. Aus zwei Gründen erscheint ein solcher Verrat durch die Bani Sakr nicht unwahrscheinlich: Erstens spielten die Stammeskrieger eine entscheidende Rolle bei der zeitlichen Festlegung von Allenbys Offensive; für eine Blockade des Weges nach Schunat Nimrin, sagten sie, könnten sie nur bis zum 4. Mai zur Verfügung stehen. Ihre angeblichen Gründe für diese willkürlich erscheinende Einschränkung klingen wenig überzeugend – sie behaupteten, nach diesem Datum müssten sie ihr Lager an einem anderen Ort aufschlagen, um ihre Vorräte aufzufüllen. Indem sie Allenby zwangen, seinen Angriff bis zu einem bestimmten Datum durchzuführen – und wesentlich früher, als der General es eigentlich beabsichtigt hatte –, scheinen die Beduinen den Osmanen in die Hände gespielt zu haben. Was aber, zweitens, noch viel verdächtiger erscheint, ist die Tatsache, dass die Bani Sakr an dem vereinbarten Ort und Datum überhaupt nicht erschienen, um den strategisch entscheidenden Weg nach Schunat Nimrin zu blockieren. Damit war das britische Vorhaben zum Scheitern verurteilt, bevor es überhaupt begonnen hatte.24
* Die ersten australischen Kavallerieeinheiten querten den Jordan noch vor Sonnenaufgang am Morgen des 30. April und bezogen die im Schlachtplan für sie vorgesehenen Positionen. Bis 8:30 Uhr hatte die Nachricht von dem britischen Angriff Liman von Sanders erreicht; der von ihm daraufhin befohlene Gegenstoß traf die Invasoren vollkommen unvorbereitet. Liman war es gelungen, unter absoluter Geheimhaltung beträchtliche Verstärkungen nach Palästina zu verlegen, darunter auch eine Kavalleriebrigade aus dem Kaukasus und mehrere deutsche Infanterieeinheiten. Die deutschen und osmanischen Kräfte hatten außerdem eine Pontonbrücke vorbereitet und in einem Versteck bereitgehalten, damit diese Verstärkungstruppen bedarfsweise rasch von einem Jordanufer auf das andere
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gelangen konnten. Auf Limans Befehl hin begannen sie, den Fluss zu überqueren, um sich den Briten in den Weg zu stellen. Allenbys Reiterei, die sich mit einem Mal in der Unterzahl wiederfand, blieb nichts anderes übrig, als zwei der vier Pfade, die aus dem Jordantal nach Salt hinaufführten, aufzugeben. Und der Weg nach Schunat Nimrin konnte von den Türken weiterhin ungehindert genutzt werden – von den Bani Sakr keine Spur. Somit blieb nur ein einziger Pfad übrig, auf dem die Briten nach Salt gelangen – oder sich von dort zurückziehen – konnten. Und dieser letzte verbleibende Weg wurde nun akut bedroht von osmanischen und deutschen Truppen, die viel stärker waren, als Allenby es erwartet hatte. Von jenseits des Jordan kamen frische Truppen, die der EEF auf ihren bedrängten Stellungen Entlastung verschaffen sollten. Diese gerieten in heftige Kämpfe mit osmanischen Kräften, die drohten, die Briten von ihrer Hauptmacht abzuschneiden und zu schlagen. Nach vier Tagen – Munition und Proviant gingen schon zur Neige –, bat Chauvel Allenby um die Erlaubnis zum Rückzug. So wurde Salt ein zweites Mal von den Briten aufgegeben, und bis Mitternacht am 4. Mai befanden sich alle überlebenden britischen Soldaten wieder auf palästinischem Boden. Allerdings hatte die EEF große Verluste erlitten: 214 Männer waren getötet und 1300 verwundet worden. Wieder einmal war es einer der beteiligten Soldaten, der die Sache auf den Punkt brachte: „Die zweite Salt-Nummer war eine absolute Stümperei.“25
* In den fünf Monaten, die seit dem Fall von Jerusalem vergangen waren, hatte das osmanische Kriegsglück sich auf eine geradezu erstaunliche Weise zum Besseren gewandt. Durch den Frieden mit Russland hatten die Osmanen zuvor verlorene Gebiete im Osten Anatoliens zurückgewonnen und überdies militärische Bedrohungslagen auf dem Kaukasus und in Mesopotamien entschärft. Durch die Enthüllung ihrer geheimen Aufteilungspläne für die Zeit nach dem Krieg waren die Briten, Franzosen und Haschemiten in Misskredit geraten. Die Heeresgruppe Yıldırım hatte die Angriffe der Araber auf Maan sowie gleich zwei Vorstöße Allenbys auf Amman erfolgreich abgefangen. Und nachdem die deutsche Frühjahrs-
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offensive an der Westfront nun durch die britischen und französischen Linien gebrochen war, schienen auch die Osmanen in diesem Weltkrieg auf der Siegerseite zu stehen. Die Auswirkung dieser Entwicklungen auf die öffentliche Meinung in Transjordanien war immens. In Salt meldeten sich Bewohner der Stadt freiwillig zur osmanischen Armee, wie ein Agent des französischen Geheimdienstes berichtete: „Die Vorsteher und Ältesten in den Dörfern verzeichnen zahlreiche Freiwillige, die sich zum Militärdienst melden. Die Einwohner sagen: Wenn die Engländer sich schon von einer derart kleinen türkischen Truppe aus Salt haben vertreiben lassen, dann werden sie gegen die Osmanen künftig nicht mehr viel ausrichten können, denn deren Kräfte wachsen an. Deshalb müssen wir uns mit den Türken gut stellen und ihr Wohlwollen gewinnen.“ Auch das Vertrauen der Leute in Faisals Heer war erschüttert worden. Fortan stießen seine Appelle an die Stämme des mittleren Jordantals auf taube Ohren. Wie ein einheimischer Informant des französischen Geheimdienstes erklärte: „Die Araber hätten Faisal wie folgt geantwortet: ‚Du hast Tafileh [Tafila] eingenommen und dich zurückgezogen; die Engländer haben Salt zwei Mal eingenommen und sich zurückgezogen. Wenn wir nun den Türken den Krieg erklären, so fürchten wir, dass ihr zuerst diese Truppen massakrieren werdet, die im Moment bei uns stationiert sind – nur um uns dann wieder im Stich zu lassen.‘“26 Da Allenby nun seine erfahrenen Soldaten nach Frankreich verabschieden und unerfahrene Kräfte in seine Reihen aufnehmen musste, sah er sich gezwungen, alle weiteren Aktionen in Palästina allermindestens auf den Herbst 1918 zu verschieben. Nach diesem in vielerlei Hinsicht katastrophalen Frühjahr war das einzig positive Ergebnis aus Sicht der EEF, dass durch die zwei Vorstöße auf Amman die Osmanen dazu gebracht worden waren, Truppen aus Palästina abzuziehen, um ihre Positionen in Transjordanien zu verstärken. Das konnte Allenby nur recht sein, denn der entscheidende Vorstoß der EEF würde in Palästina erfolgen, nicht in Transjordanien.
* Während die türkische Armee noch bemüht war, Allenbys Kräften in Palästina etwas entgegenzusetzen, unternahm Enver Pascha einen ver-
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zweifelten Versuch, die Position des Osmanischen Reichs im Kaukasus zu stabilisieren. Nach dem Frieden von Brest-Litowsk im März 1918 sahen er und seine Mitstreiter die einmalige Gelegenheit, verlorene Gebiete zurückzugewinnen, solange Russland noch durch Revolution und Bürgerkrieg geschwächt war. Obwohl die Osmanen sich also offiziell nicht mehr im Krieg mit Russland befanden, hatte Enver seine Soldaten an der Ostfront noch nie zuvor derart dringend gebraucht. Schon im Februar 1918 war die osmanische Armee vorgestoßen, um Gebiete zurückzugewinnen, die im Kriegsverlauf von den Russen besetzt worden waren. Das Machtvakuum in Trabzon wurde schließlich am 24. Februar gefüllt, als türkische Truppen kampflos in die Stadt einzogen. Mehr noch: Eine russische Militärblaskapelle spielte auf, um sie willkommen zu heißen. Die energiegeladenen Rückeroberer eilten gleich weiter nach Erzurum, das sie am 11. März erstürmten. Die türkischen Soldaten, die schon seit einiger Zeit auf halbe Ration gesetzt waren, staunten nicht schlecht angesichts der großen Vorratsmengen, die von den Russen bei ihrem Abzug zurückgelassen worden waren – mehr als genug, um das hungrige Heer auf seinem Vormarsch bis an die alte osmanische Grenze von 1914 zu verpflegen, die sie am 24. März erreichen sollten.27 Als die Türken die Grenze von 1914 überschritten, um die drei im Jahr 1878 von den Russen annektierten, mit dem Vertrag von Brest-Litowsk jedoch zurückgewonnen Provinzen in Besitz zu nehmen, standen sie vor einem Dilemma: Einerseits war ihnen die Wiederherstellung des osmanischen Territoriums eine nationale Herzensangelegenheit, die höchste Priorität genießen sollte. Andererseits war es doch auch im osmanischen Interesse, zwischen dem eigenen Reich und dem der Russen eine Reihe von „Pufferstaaten“ zu schaffen: Georgien, Armenien und Aserbaidschan – drei vergleichsweise schwache neue Staaten, die nach dem Zusammenbruch des Zarenreichs entstanden waren – sollten jedenfalls ungefährlichere Nachbarn sein als Russland selbst. Die Herausforderung bestand nun darin, vormals osmanische Territorien – Batumi in Georgien, Kars und Ardahan in Armenien – zurückzugewinnen, ohne die neuen Nachbarn an der Kaukasusgrenze dabei zu destabilisieren. Am 19. April rückten türkische Truppen in Batumi ein; am 25. April besetzten sie Kars. Dann begannen sie mit der Vorbereitung jenes Volksentscheids, der – gemäß dem Frieden von Brest-Litowsk – die Annexion der
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beiden Provinzen durch das Osmanische Reich legitimieren sollte. Die Durchführung des Plebiszits oblag ebenfalls der osmanischen Armee, unter der Aufsicht eines Komitees aus Beamten der türkischen Zivilverwaltung. Nachdem die Stimmen der ausschließlich männlichen Wahlberechtigten ausgezählt waren, stand das einigermaßen vorhersehbare Ergebnis fest: 97,5 Prozent der Abstimmenden hatten sich für den Anschluss der Provinzen an das Osmanische Reich ausgesprochen. Formal vollzogen wurde die Annexion am 11. August 1918 durch ein Dekret des Sultans, in dem Mehmed VI. Vahideddin (der seinem Halbbruder Mehmed V. Reşad im Juli als Sultan nachgefolgt war) dem Wunsch der Bewohner jener Gegenden entsprach, sich wieder dem „unter göttlichem Schutz stehenden“ Osmanischen Reich anschließen zu dürfen. Als die Osmanen allerdings über die drei Provinzen hinausgingen und auf die aserbaidschanische Hauptstadt Baku vorstießen, erregten sie damit nicht allein den Unmut ihrer deutschen Bündnispartner, sondern zugleich auch den der Bolschewiki und der Briten. Schließlich war das ölreiche Baku so etwas wie das „ganz große Los“ auf dem Kaukasus. Die Deutschen hatten schon seit Kriegsausbruch ein begehrliches Auge auf die Stadt am Kaspischen Meer geworfen, und im Sommer 1918 hatten sie die dortigen Ölreserven nötiger denn je. Die Briten wiederum, die von Persien her auf Baku vorrückten, waren fest entschlossen, die Stadt weder in deutsche noch in türkische Hände fallen zu lassen. Vorerst waren es die Bolschewiki, die in Baku eine – wenn auch labile – Machtposition innehatten. Genau genommen herrschten sie mittels eines brutalen Revolutionsregimes, das sie gemeinsam mit der armenisch- nationalistischen Daschnak-Partei errichtet hatten und das als die „Kommune von Baku“ bekannt war. Im März 1918 hatten die Truppen der Kommune in einem Pogrom gegen die aserbaidschanisch-muslimische Bevölkerungsmehrheit eine große Zahl von Muslimen getötet (Schätzungen gehen von bis zu 12 000 Opfern aus). Daraufhin verließ die Hälfte der überlebenden Muslime die Stadt, um im vergleichsweise sichereren Umland Zuflucht zu suchen. Als sie einen Hilferuf nach Istanbul sandten, war Enver Pascha gern bereit, ihnen Unterstützung zu schicken – und das kaspische Erdöl unter osmanische Kontrolle zu bringen. Am 4. Juni 1918 schlossen Osmanen und Aserbaidschaner einen Bündnis- und Freundschaftsvertrag. Die Aserbaidschaner baten insbesondere
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um osmanische Militärunterstützung bei der Befreiung Aserbaidschans von der Herrschaft der Bolschewiki. Die Deutschen sahen den Vorstoß ihrer türkischen Verbündeten auf Baku gar nicht gern. Von Berlin aus verfolgten die Chefs der Obersten Heeresleitung, Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, die Geschehnisse und rieten Enver mit Nachdruck, seine Truppen wieder auf den in Brest-Litowsk vereinbarten Grenzverlauf zurückzuziehen und die Kaukasusdivisionen an die arabische Front zu verlegen, wo sie dringender gebraucht würden. Enver schlug ihren „Rat“ – tatsächlich eher eine drohende Ermahnung – ungeniert in den Wind und rückte weiter vor. Solange in Palästina alles ruhig war, wollte Enver die Gelegenheit nutzen, auf einer rasch sich verändernden weltpolitischen Bühne die Interessen des Osmanischen Reichs bestmöglich durchzusetzen. Von Baku aus, meinte Enver außerdem, würde er seine Truppen südwärts nach Mesopotamien verlegen können, um Bagdad zurückzuerobern. Als Sturmspitze der geplanten „Befreiung“ von Baku stellte Enver ein Korps aus kaukasischen Freiwilligen auf, die sogenannte Islamische Armee im Kaukasus. Zu deren Befehlshaber ernannte er seinen Halbbruder Nuri Pascha, der in den Jahren 1915/16 auf dem Feldzug gegen die SanūsīyaBruderschaft in der Westlichen Wüste Ägyptens an der Seite von Dschafar al-Askari gekämpft hatte. Nachdem Nuri Paschas Rekrutierungsbemühungen vor Ort jedoch nur auf ein verhaltenes Echo gestoßen waren, sah Enver sich gezwungen, zur Verstärkung der Islamischen Armee eine ganze osmanische Infanteriedivision in den Kaukasus zu verlegen. Ein erster Anlauf zur Eroberung von Baku scheiterte am 5. August am Abwehrfeuer der russischen Artillerie und dem plötzlichen Auftauchen einer britischen Einheit. Nuri bat eindringlich um Verstärkungen, und Enver sandte ihm zwei weitere Regimenter, um die Eroberung Bakus zu ermöglichen. Den Türken gelang es schließlich am 15. September, die Stadt zu besetzen – nicht etwa, um Baku dem Osmanischen Reich einzuverleiben, sondern vielmehr, weil sie sicherstellen wollten, dass der neue Staat Aserbaidschan ein loyaler Vasall des Sultans auf dem postzaristischen Kaukasus würde. Erfolgreich hatte Enver ehemals osmanische Gebiete im Kaukasus zurückgewonnen und die neuen Nachbarstaaten östlich von Anatolien zum Vorteil des Osmanischen Reiches geformt. Hätten die Osmanen den Ersten Weltkrieg gewonnen, dann wäre er vermutlich als ein visionärer
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Staatsmann gefeiert worden, der die Grenzen seines Vaterlandes nach Osten gesichert hatte. Tatsächlich brachen jedoch, nur wenige Tage nach dem Einmarsch der Osmanen in Baku, die Truppen General Allenbys durch die osmanischen Linien in Palästina. Enver war es gewesen, der türkische Soldaten von den unsicheren Fronten in Mesopotamien und Palästina abgezogen hatte, um sie stattdessen in den Kaukasus zu schicken. Und genau deshalb ist Envers Kaukasuskampagne nicht als die große Rettung des Osmanischen Reichs in die Geschichte eingegangen, sondern als ein leichtsinniges Unternehmen, das ganz entscheidend zu seinem Untergang beigetragen hat.28
* Bis zum Sommer 1918 war es den Alliierten gelungen, den deutschen Durchbruch an der Westfront aufzuhalten. Erneut ermunterte die britische Regierung Allenby, seine Offensive an der Mesopotamienfront fortzusetzen – solange er dabei mit seinen bestehenden Ressourcen auskäme. Mitte Juli teilte Allenby dem Kriegsministerium schließlich mit, dass er beabsichtige, seine Operationen im Herbst wieder aufzunehmen. Und dann begann für den Kommandeur der EEF die tatsächliche Planungsarbeit. Allenby war ein Meister der Täuschung. In der Schlacht von Beescheba vom 31. Oktober 1917 hatte er alles aufgeboten, um den Osmanen weiszumachen, er plane einen dritten Angriff auf Gaza – und damit den Gegner dazu gebracht, seine Verteidigungsstellungen genau da auszudünnen, wo er seinen tatsächlichen Angriff beabsichtigte. Und jetzt gab er sich ebenso große Mühe, seine Planungen für einen Großangriff an der Mittelmeerküste Palästinas zu verbergen, indem er den Osmanen mit großem Aufwand vorgaukelte, er habe einen dritten Angriff auf Amman im Sinn. Wenn seine Truppen nicht gerade mit ihrer Grundausbildung beschäftigt waren, die sie auf den anstehenden Feldzug vorbereiten sollte, ließ Allenby sie Pferdeattrappen in Lebensgröße aus Holz und Segeltuch bauen – insgesamt 15 000 Stück. Dann begann er nach und nach im Schutz der Dunkelheit, Kavallerie- und Infanterieeinheiten aus dem Jordantal und dem judäischen Bergland an die Küste zu verlegen, wo sie in sorgfältig getarnten Zelten untergebracht wurden, damit die deutsche Luftauf-
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klärung sie nicht entdecken konnte. Die Pferdeattrappen nahmen den Platz der echten Tiere ein, während Soldaten auf Maultierschlitten über den ausgedörrten Boden des Jordantals fuhren, um so die Staubwolken zu simulieren, die bei Kavalleriemanövern entstanden. Britische Pioniere schlugen in Windeseile neue Brücken über den Jordan und aus einem ansonsten verlassenen Hauptquartier wurden auch Funksprüche abgesetzt. Dem Heer der Araber kam bei diesem Ablenkungsmanöver, mit dem die Aufmerksamkeit der Osmanen nach Transjordanien gelenkt werden sollte, eine entscheidende Rolle zu. Dschafar al-Askaris reguläre Armee hatte inzwischen eine Stärke von mehr als 8000 Mann erreicht, die durch britische Panzerkraftwagen, französische Artillerie, ägyptische Kamelreiter sowie australische und britische Flugzeuge verstärkt wurden. Scherif Nasir hatte zudem Tausende von beduinischen Freischärlern mobilisiert, die den Arabischen Aufstand ebenfalls unterstützen wollten. Anfang September – Askari und der Großteil seiner Truppen blieben noch um Maan in Stellung – wurde eine 1000 Mann starke Abteilung des Araberheers in der Oase Al-Azraq stationiert, etwa 80 Kilometer östlich von Amman. Das plötzliche Erscheinen der Aufständischen an diesem Ort gab den Gerüchten über einen bevorstehenden Angriff der Araber auf Amman neue Nahrung, dabei hatten Faisals Männer in Wahrheit den Auftrag erhalten, den Eisenbahnknoten von Daraa unbrauchbar zu machen, an dem die Hedschasbahn auf die Strecke nach Haifa traf. Am 16. September begann die Royal Air Force eine Serie von Luftangriffen auf Daraa – sowohl um die osmanischen Kommunikationslinien zu unterbrechen, als auch um Liman von Sanders zu einer Konzentrierung seiner Verteidigungskräfte auf die Hedschasbahn zu bewegen. Eine arabische Abteilung unter der Führung T. E. Lawrence’ griff, verstärkt durch Panzerwagen, die Eisenbahnstrecke südlich von Daraa an, wo es ihnen gelang, eine Brücke zu zerstören. Am darauffolgenden Tag konnte der Hauptteil des Araberheers beinahe ungehindert die Strecke nördlich von Daraa attackieren. Osmanische Kräfte eilten herbei, um die Gleise zu reparieren, Liman forderte Verstärkungen aus der Hafenstadt Haifa an, um die Garnison von Daraa zu verstärken – und spielte damit unwissentlich genau die Rolle, die Allenby ihm zugedacht hatte. In seiner Entschlossenheit, die Details des Angriffsvorhabens geheim zu halten, wartete Allenby bis drei Tage vor der Stunde null, ehe er seinen
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Brigade- und Regimentskommandeuren die wirklichen Ziele der Offensive eröffnete. Zu diesem Zeitpunkt war es ihm bereits gelungen, rund 35 000 Mann Infanterie und 9000 Mann Kavallerie, dazu fast 400 Stück schwere Artillerie, auf einem gut 25 Kilometer langen Frontabschnitt an der Mittelmeerküste unmittelbar nördlich von Jaffa zusammenzuziehen. Die Türken hatten dagegen an der Küste nicht mehr als 10 000 Mann und 130 Geschütze in Stellung – sie rechneten ja mit einem britischen Angriff in Transjordanien und hatten ihre Kräfte deshalb dort konzentriert.29 Zwei Tage vor dem Beginn der Offensive lief ein britisch-indischer Soldat auf die osmanische Seite über. Bei seiner Vernehmung durch osmanische und deutsche Offiziere verriet er alles, was er über das bevorstehende Unternehmen wusste – dass nämlich die Briten vorhatten, mit einem Vorstoß ab dem 19. September die osmanischen Linien am Mittelmeer zu durchstoßen. Und dieser Offensive, hielt Liman fest, wollte der Deserteur „sich entziehen“. Allerdings waren Allenbys Täuschungsmanöver derart überzeugend gewesen, dass Liman und seine Offiziere den Bericht des Deserteurs als gezielte Desinformation einschätzten. Die Massierung arabischer Truppen in Al-Azraq sowie die Angriffe auf Daraa ließen Liman zu der Überzeugung gelangen, dass die Alliierten vor allem seine hauptsächliche Kommunikationslinie, die Hedschasbahn, zerstören wollten, und also verstärkte er seine Positionen in Transjordanien noch weiter.30 Kurz vor Tagesanbruch am 19. September machten die Briten ihre wahren Absichten offenbar, als ein heftiges Trommelfeuer auf die osmanischen Schützengräben nördlich von Jaffa einsetzte. Für viele der noch unerfahrenen indischen Rekruten war dieses erste Kampferlebnis, bei dem die massierte britische Artillerie mit einer Feuerrate von bis zu 1000 Granaten pro Minute angriff, wahrhaft überwältigend. „Der Beschuss durch die Kanonen und Maschinengewehre war sehr heftig“, schrieb ein SikhSoldat an seinen Vater. „Unsere Ohren konnten nicht mehr hören, und Brüder hätten einander dort nicht mehr erkannt. Die Erde selbst bebte und zitterte unter diesen Schlägen.“31 Als das Trommelfeuer nachgelassen hatte, stürmten britische und indische Infanteristen die verwüsteten osmanischen Gräben. Nach kurzem Nahkampf in der dritten und vierten Grabenreihe flohen die Türken, die konnten – und die es nicht konnten, ergaben sich. In den ersten zweieinhalb Stunden der Offensive war die britisch-indische Infanterie durch die
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türkischen Linien gebrochen und fast sieben Kilometer weit vorgestoßen. Damit war der Weg frei für den Einmarsch der Kavallerie in das nördliche Palästina. Indische und ANZAC-Reitertruppen strömten durch die von der Infanterie geschlagene Bresche und begannen eine Reihe von Manövern, um die osmanische 7. und 8. Armee zu umzingeln und strategisch wichtige Ortschaften zu besetzen. Eines ihrer ersten Ziele war die Stadt Tulkarm, ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Taufiq al-Suwaidi, der als Student im Paris der Vorkriegszeit mitgeholfen hatte, den Arabischen Kongress von 1913 zu organisieren, tat als osmanischer Offizier Schreibstubendienst in Tulkarm, als die Schlacht um die Stadt losbrach. Er und seine Kameraden erwachten „voller Panik“, als der Lärm des Artilleriebombardements sie aus dem Schlaf riss. Er stieg auf das Dach des Hauses und konnte sehen, wie die türkische und die britische Artillerie sich in gut 15 Kilometern Entfernung einen Feuerwechsel lieferten – „ein schreckliches Feuerband zog sich die gesamte Front entlang, indem beide Seiten die jeweils andere mit wilder Verbissenheit bombardierten“. Kurz nach Sonnenaufgang strömten osmanische Soldaten auf dem Rückzug nach Tulkarm hinein, und „britische Truppen, die plötzlich von überallher auftauchten, nahmen diese Überreste der türkischen Streitmacht gefangen“.32 Als britische Flieger begannen, Tulkarm aus der Luft zu bombardieren, flohen die Einwohner in panischer Angst aus der Stadt. Suwaidi zog sich gemeinsam mit ihnen in ein benachbartes Dorf zurück, wo er sich seiner Offiziersuniform entledigte und stattdessen die Kleidung eines palästinensischen Kleinbauern anzog. So wurde Suwaidi einer von immer mehr Deserteuren, die der osmanischen Armee den Rücken kehrten. Er blieb auf britisch besetztem Gebiet, als die Reste der türkischen Truppe sich auf einen ungeordneten Rückzug begaben, und verließ damit den Krieg des Sultans, während er eigentlich schon davon träumte, in seine Heimatstadt Bagdad zurückzukehren. Die britische Kavallerie preschte quer durch den Norden Palästinas und besetzte unterwegs strategisch wichtige Orte und Verkehrsknotenpunkte, um die Einkesselung der osmanischen 7. und 8. Armee zu vollenden – dem verbliebenen Kern der einstmals stolzen Heeresgruppe Yıldırım. Bei Tagesanbruch des 20. September waren Beisan und Afula in britischer Hand. Durch Luftangriffe der Royal Air Force und des Australian Flying
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Corps waren die osmanischen Telefonleitungen zerstört worden. Dadurch hatten die türkischen und deutschen Offiziere nun keinerlei Möglichkeit mehr, britische Vorstöße oder osmanische Verluste zu melden. Vierundzwanzig Stunden nach Beginn der Offensive wurde Otto Liman von Sanders in seinem Hauptquartier in Nazareth durch das plötzliche Auftauchen britischer Kräfte am Rand der Stadt vollkommen überrascht. Der deutsche Oberbefehlshaber entging nur knapp seiner Gefangennahme durch die Briten, da diese bei ihrem weiteren Vordringen durch Straßenkämpfe gebremst wurden. „Am seltsamsten von allem ist jedoch“, schrieb ein indischer Soldat in die Heimat, „dass einige der feindlichen Flugzeuge hier [d. h. in Nazareth] erobert und ihre Piloten gefangen genommen wurden, das heißt unsere Kavallerie war geschickt genug, Vögel mit der bloßen Hand zu fangen“. Trotz hartnäckiger Gegenwehr hatten die Briten Nazareth bis zum 21. September erobert.33 Bis zum dritten Kampftag waren britische Kräfte in allen wichtigen Orten des palästinischen Hügellandes eingerückt und hatten zudem die wichtige Eisenbahnbrücke über den Jordan bei Dschisr al-Madschami unter ihre Kontrolle gebracht. Nachdem sie auf diese Weise alle Fluchtwege aus dem Land westlich des Jordans nach Transjordanien abgeschnitten hatten, konnten die Briten darangehen, die Zehntausende Kriegsgefangene zu erfassen, die ihnen aus den vormaligen, spätestens am 21. September untergegangenen 7. und 8. Armee des Osmanischen Reichs zuströmten. Alles, was zur vollständigen Eroberung Palästinas nun noch fehlte, waren die nördlichen Hafenstädte Akko und Haifa, die am 23. September von britischen und indischen Kavallerieeinheiten besetzt wurden. Nachdem Palästina fest in britischer Hand war, wandte Allenby sich wieder Transjordanien zu. Der New Zealand Mounted Brigade gelang es rasch, Salt und Amman zu erobern (am 23. bzw. 25. September). Die 4000 Mann starke Garnison von Maan, deren Rückzug nach Amman bereits befohlen war – als ein letzter, verzweifelter Versuch, die osmanische 4. Armee zur Verteidigung von Damaskus zusammenzuziehen –, wurde unterwegs von der Second Australian Light Horse Brigade abgefangen. Die türkischen Soldaten willigten zwar ein, sich zu ergeben, aber umgeben von feindseligen arabischen Stammeskriegern weigerten sie sich, ihre Waffen niederzulegen. Also zogen die Gefangenen und ihre Wächter – allesamt unter Waffen – gemeinsam nach Amman. Dort fühlten sich die
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Türken schließlich ausreichend sicher vor einem plötzlichen Überfall der Beduinen und gaben ihre Gewehre ab. Während die verbliebenen osmanischen Kräfte nach Damaskus zurückwichen, schlossen sich Allenbys EEF und das Araberheer zusammen, um gemeinsam einen Vorstoß auf die syrische Hauptstadt zu unternehmen. In der Nacht vom 26./27. September erstürmten die Araber Daraa; am darauffolgenden Tag stießen die Briten dort zu ihnen. Unverzüglich rückten sie gemeinsam in Richtung Damaskus vor, wobei die indische und die ANZAC-Kavallerie in einem weiten Bogen aus Nordpalästina herbeigeritten kamen, um die osmanischen Rückzugslinien Richtung Beirut im Westen beziehungsweise Homs im Norden abzuschneiden. Aus Daraa stießen Araber und Briten mit vereinten Kräften auf das genau im Norden liegende Damaskus vor, wobei sie auf den rund 110 Kilometern die Reste der osmanischen 4. Armee unerbittlich verfolgten. Am 30. September standen die Verbündeten in den Vororten von Damaskus. Mit dem Einmarsch der Briten in Damaskus spitzte sich der politische Grundkonflikt des Palästinafeldzugs ernstlich zu. In Anbetracht der zahlreichen Teilungspläne für Palästina und die angrenzenden Gebiete, die im Verlauf des Krieges ausgehandelt worden waren, konnten politische Erwägungen General Allenby niemals ganz fernliegen. Im Juni empfing er zwei jüdische Bataillone der Royal Fusiliers, die mit dem ausdrücklichen Ziel aufgestellt worden waren, den zionistischen Anspruch auf Palästina durch Tapferkeit und Opferbereitschaft auf dem Schlachtfeld zu untermauern. Die Franzosen steuerten das Détachement Français de Palestine et de Syrie bei, um sicherzustellen, dass auch der langjährige französische Anspruch auf Syrien nicht in Vergessenheit geriet. Ein Regiment des französischen Verbands setzte sich ausschließlich aus armenischen Flüchtlingen zusammen, die von den Franzosen vom berüchtigten „Mosesberg“, dem Musa Dagh, gerettet worden waren, den die Türken vierzig Tage lang belagert hatten. In vorderster Kampflinie befand sich Emir Faisal, der in Begleitung seines Dolmetschers und Fürsprechers T. E. Lawrence die Ansprüche der Haschemiten auf Syrien als Teil eines großen arabischen Königreichs verfechten wollte. Die interessierten Parteien der HusseinMcMahon-Korrespondenz, des Sykes-Picot-Abkommens und der Balfour-Deklaration rangelten um die besten Plätze, als der Feldzug vor den Toren von Damaskus auf seinen Höhepunkt zusteuerte.34
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Um ihre haschemitischen Verbündeten zu belohnen, gestanden die Briten dem Araberheer unter der Führung Emir Faisals die Ehre zu, die Kapitulation von Damaskus entgegenzunehmen. Allerdings waren es Reiter der Third Australian Light Horse Brigade, die als Erste in die Stadt einzogen. Ihre Kavallerieeinheit hatte die Erlaubnis erhalten, im Morgengrauen des 1. Oktober das Stadtzentrum von Damaskus zu durchqueren, um die osmanische Rückzugslinie abzuschneiden, die entlang der Hauptund Ausfallstraße in nördlicher Richtung nach Homs verlief. Es wäre nicht nötig gewesen: Die letzten osmanischen Truppen hatten bereits am Abend zuvor einen Zug nach Rayak bestiegen und Damaskus in der Hand eines Komitees aus ehrwürdigen Bürgern der Stadt zurückgelassen. In Erwartung von Faisals Einzug waren bereits türkische Fahnen durch solche in den Farben der Scherifen von Mekka ersetzt worden. Rasch zogen sich die Australier aus der Stadt zurück, um die ihnen zugewiesenen Positionen einzunehmen und Damaskus dem Heer der Aufständischen als den „offiziellen Eroberern“ zu überlassen. Sherif Nasir, der vom Beginn des Aufstandes an auf der Seite der Haschemiten gekämpft hatte, zog im Namen Husseins, des Scherifen von Mekka und selbst ernannten Königs der Araber, in Damaskus ein. Begleitet wurde er von Auda Abu Tayi und Nuri Schaalan, den beiden mächtigsten Beduinenscheichs, die sich Faisals Feldzug angeschlossen hatten. Sie ritten an der Spitze von etwa 1500 beduinischen Stammeskriegern. Die Einwohner von Damaskus säumten die Straßen, um das Heer der Haschemiten als ihre Befreier willkommen zu heißen, allein die Kaufleute waren nervös. Und dazu hatten sie guten Grund: Wie befürchtet, begannen die Beduinen bald nach ihrem Einzug in die Stadt mit ihren traditionellen Plünderungen. Unterdessen zogen die Briten und ihre sonstigen Verbündeten in die befreite Stadt ein, überwältigt von den Menschenmassen und dem allgemeinen Hochgefühl einer Bevölkerung, die den Abzug der osmanischen Truppen völlig zu Recht als Schlusspunkt eines langen und entsetzlichen Kriegs sah.35 Die Feierlichkeiten dauerten noch zwei Tage an, zunächst mit dem Einzug General Allenbys in die Stadt und dann schließlich, am 3. Oktober 1918, mit der Ankunft Emir Faisals höchstpersönlich. Hubert Young, ein britischer Offizier, der als eine Art „Stellvertreter“ von T. E. Lawrence zum Heer der Aufständischen abgeordnet worden war, fuhr Faisal in dem
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großen roten Mercedes entgegen, den Liman in Damaskus zurückgelassen hatte. Er traf den Araberfürsten „an der Spitze einer großen Reiterschar“, mit der er „enge Straßen entlang[ritt], die dicht von jubelnden Damaszenern gesäumt waren“. Young bot Faisal an, ihn im Mercedes in das Stadtzentrum zu fahren, doch dieser lehnte ab: Der künftige König wollte lieber auf einem Araberhengst nach Damaskus einziehen als in einer deutschen Limousine. Faisal ritt geradewegs zu dem treffend benannten Hotel Victoria, wo sein historisches erstes Zusammentreffen mit General Allenby stattfand. Was ein feierlicher Moment hätte sein sollen, wurde jedoch von der Frage nach der Gebietsaufteilung nach dem Krieg überschattet. Allenby nutzte die Gelegenheit, um – mit der Hilfe seines Dolmetschers Lawrence – Emir Faisal in allen Einzelheiten mitzuteilen, wie die Verwaltung des Nahen Ostens künftig geregelt sein würde. Im Einklang mit der Balfour-Deklaration sollten die Araber keinerlei Verwaltungseinfluss in Palästina erhalten. Aus Rücksicht auf die im Sykes-Picot-Abkommen niedergelegten Interessen Frankreichs würde ihnen der Libanon ebenfalls vorenthalten bleiben, denn diesen wollten die Franzosen selbst verwalten. Und schließlich würde, solange der Krieg andauerte, Allenby persönlich den Oberbefehl über das gesamte von den Streitkräften der Entente kontrollierte arabische Territorium innehaben.36 Faisal begab sich nach seinem Treffen mit Allenby im Hotel Victoria geradewegs zum Rathaus von Damaskus, um die Huldigung der Damaszener Öffentlichkeit entgegenzunehmen – doch fragt man sich unwillkürlich, wie es sich für ihn angefühlt haben mag, nach jener ernüchternden Unterredung mit Allenby als der „Befreier von Damaskus“ gefeiert zu werden. Für den Rest des Monats setzten die Briten den abrückenden Osmanen nach und eroberten alle bedeutenden Städte Syriens und des Libanons. Den Verfolgten gelang es nicht, eine Defensivlinie zu errichten, um so dem britischen Bewegungskrieg, der mit der Offensive vom 19. September losgebrochen war, Einhalt zu gebieten. Der Fall Aleppos am 26. Oktober markierte das Ende einer Kampagne, die auf ganzer Linie erfolgreich gewesen war. Die Zerschlagung der osmanischen Armeen in Syrien sollte das Osmanische Reich endgültig zur Aufgabe zwingen. Und dieses große Ziel war mit vergleichsweise wenigen alliierten Verlusten erreicht worden – insgesamt waren nur 5666 Tote, Verwundete und Vermisste zu beklagen. Zu
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den türkischen Verlusten in jenen Wochen gibt es keine offiziellen Angaben; die Briten jedenfalls behaupteten, 75 000 Gefangene gemacht zu haben.37
* Zum Zeitpunkt der osmanischen Niederlage in Syrien schien der Untergang der Mittelmächte bereits unabwendbar. Immer mehr Staaten weltweit traten aufseiten der Entente in den Krieg ein. Im Juli 1917 erklärte Griechenland den Mittelmächten den Krieg, im August folgte China. Auch mehrere Staaten Südamerikas erklärten entweder dem Deutschen Reich den Krieg oder brachen jeglichen offiziellen Kontakt mit Deutschland ab. Entscheidender für den Verlauf des letzten Kriegsjahres war jedoch das Eintreffen des amerikanischen Expeditionsheers an der Westfront, das die Machtbalance zugunsten der Entente verschob. In den 18 Monaten, die auf die Kriegserklärung der Vereinigten Staaten an das Deutsche Reich folgten, wuchs die US-Armee von 100 000 auf vier Millionen Mann an, von denen ganze zwei Millionen nach Übersee verlegt wurden. Deutschland und seine Verbündeten waren nach vier Jahren erbarmungslosen Schlachtens in jeder Hinsicht erschöpft, sie konnten weder die Männer noch das Material aufbringen, um der amerikanischen Bedrohung etwas entgegenzusetzen. Als Erstes knickte Bulgarien ein, indem es am 30. September 1918 einen Waffenstillstand mit dem französischen Kommandanten von Saloniki schloss. Durch die bulgarische Kapitulation war der Verbindungsweg zwischen Deutschland und der Türkei abgeschnitten, und der beständige Strom von Waffen und sonstigem Nachschub, der das Osmanische Reich so lange kampfbereit gehalten hatte, versiegte. Aber auch für die Deutschen selbst war ein Ende abzusehen. Eine Reihe alliierter Erfolge an der Westfront hatte dafür gesorgt, dass die deutschen Truppen sich auf dem Rückzug befanden. Als die Jungtürken erfuhren, dass ihre deutschen Verbündeten sich an den US-Präsidenten Woodrow Wilson gewandt hatten, um mit seiner Vermittlung einen Waffenstillstand mit Frankreich und Großbritannien aushandeln zu können, wussten auch die Osmanen, dass ihnen keine andere Wahl mehr blieb: Auch sie mussten um Frieden bitten. Die Regierung in Istanbul befand sich in hellem Aufruhr. Am 8. Oktober trat das Kabinett des Unionistenregimes unter der Führung von Talât Pascha
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zurück. Das herrschende Triumvirat – der Großwesir Talât, der Kriegsminister Enver und der frühere Oberkommandierende in Syrien und jetzige Marineminister Cemal –, die zusammen die Verantwortung für die politische und militärische Strategie des Osmanischen Reichs in den Kriegsjahren trugen, hätten die Aushandlung eines Waffenstillstandes mit den siegreichen Alliierten nur noch komplizierter gemacht, als sie ohnehin schon war. Eine Woche lang blieb das Osmanische Reich ohne jegliche Regierung, da sich kein Staatsmann von Format finden ließ, der das Reich in die Kapitulation führen wollte. Schließlich willigte Ahmet Izzet Pascha, der vormalige Oberkommandierende der osmanischen Kaukasusarmee, ein, eine neue Regierung zu bilden und Friedensverhandlungen einzuleiten. Die neue Regierung entsandte ihren höchstrangigen Kriegsgefangenen, um die Gespräche mit den Briten über eine Waffenruhe einzuleiten: Generalmajor Charles Townshend, der frühere Kommandant der belagerten Garnison von Kut al-Amara, hatte den Rest des Krieges behaglich in einer Villa auf einer der Prinzeninseln im Marmarameer vor Istanbul verbringen dürfen. Man hatte es Townshend zum Vorwurf gemacht, dass er auf die Gastfreundlichkeit des Kriegsgegners so bereitwillig eingegangen war, gerade weil die anderen Überlebenden von Kut ein so grausames Schicksal hatten erleiden müssen. Nun wurde er jedenfalls auf die Insel Lesbos geschickt, wo er den Wunsch der osmanischen Führung übermitteln sollte, sich aus dem Krieg zurückzuziehen.38 Der Kommandeur der britischen Mittelmeerflotte, Admiral Sir Somerset A. Gough-Calthorpe, lud eine osmanische Delegation auf die Insel Limnos ein, wo ihnen die Bedingungen des Waffenstillstandes mitgeteilt werden sollten. Dass die Wahl ausgerechnet auf diesen Treffpunkt gefallen war, muss den Osmanen einen Stich versetzt haben: Erst 1912, im Ersten Balkankrieg, war Limnos von den Griechen erobert worden; der Hafen Moudros hatte den Briten während des Gallipolifeldzugs als Flottenstützpunkt gedient. Die Vertragsbedingungen wurden innerhalb von vier Tagen ausgehandelt, und schon am 30. Oktober unterzeichneten die britischen und osmanischen Abgesandten an Bord der vom Kampf gezeichneten HMS Agamemnon – einer „Veteranin“ von Gallipoli – die Waffenstillstandsurkunde. Die Vertragsbedingungen an sich waren nicht übermäßig streng. Admiral Gough-Calthorpe bestand auf der vollständigen Kapitulation des
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Osmanischen Reichs, überließ es jedoch den Politikern, den Türken im Rahmen eines endgültigen Friedensvertrages noch drakonischere Maßnahmen aufzuerlegen. Die Osmanen mussten die Meerengen für die alliierte Flotte freigeben, eine sichere Durchfahrt durch die dortigen Minenfelder gewährleisten und die Küstenforts an den Dardanellen der Kontrolle der Alliierten unterstellen. Sämtliche osmanische Soldaten waren mit sofortiger Wirkung zu demobilisieren, alle Kriegsschiffe an die Briten und Franzosen zu übergeben. Die osmanischen Kommunikations- und Verkehrsnetze – sämtliche Eisenbahn-, Telegrafen- und Funkeinrichtungen – sollten der Aufsicht der Alliierten unterstellt werden. Die deutschen und österreichischen Truppen auf dem Gebiet des Osmanischen Reichs hatten einen Monat Zeit, um dieses zu verlassen. Kriegsgefangene aus den Reihen der alliierten Mächte sowie etwaige noch in Internierungslagern verbliebene Armenier sollten nach Istanbul gebracht und den Alliierten dort „bedingungslos übergeben“ werden; die osmanischen Kriegsgefangenen hingegen sollten in den Händen der Alliierten bleiben.39 Teile des Waffenstillstandsabkommens von Moudros dürften bei den osmanischen Verantwortlichen Zukunftsängste geschürt haben: Zweimal wurden die Armenier erwähnt, wie zur Erinnerung an die Adresse der Verantwortlichen, dass man sie für ihre im Krieg verübten Menschheitsverbrechen zur Verantwortung ziehen werde. Und es war – zumindest andeutungsweise – von künftigen Gebietsaufteilungen die Rede: etwa in der Forderung eines osmanischen Truppenabzugs aus Kilikien, auf das die Franzosen ein Auge geworfen hatten; oder bei der ausdrücklichen Einräumung des alliierten Anrechts, „jegliche strategischen Punkte“ zu besetzen, wenn es zu ihrer eigenen Sicherheit nötig war; und nicht zuletzt in der Zusicherung, die Alliierten dürften jederzeit beliebige Teile der sechs „armenischen vilayets“ besetzen, falls dort „Unruhen“ aufträten. Indem sie dieses Dokument unterzeichneten, räumten die türkischen Delegierten – gezwungenermaßen, aber faktisch wirksam – ein, dass die Armenier einen stärkeren Anspruch auf die sechs ostanatolischen Provinzen hatten als die Osmanen selbst. In Übereinstimmung mit den Vertragsbedingungen wurden alle Kampfhandlungen zwischen dem Osmanischen Reich und den Alliierten am 31. Oktober 1918 um 12 Uhr mittags eingestellt. Für die Osmanen endete der Erste Weltkrieg fast genau ein Jahr, nachdem er für die Russen zu
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Ende gegangen war – aber nur elf Tage vor der Kapitulation des Deutschen Reichs am 11. November. Indem sie bis in die letzten Kriegstage durchgehalten hatten, war den Osmanen in den Augen der Weltöffentlichkeit eine große Überraschung gelungen – doch hatten sie mit ihrer Hartnäckigkeit nichts erreicht. Je länger der Krieg sich hingezogen hatte, desto größeres Elend hatte er gebracht und desto größer war nun, im Augenblick der Niederlage, die allgemeine Verzweiflung. Am Ende der Feindseligkeiten feierten die Soldaten, dass sie überlebt hatten – und sie träumten davon, nach Hause zurückzukehren. „Jetzt sind das Wasser, das brausen musste, und der Wind, der toben musste, beide verstummt“, schrieb ein indischer Soldat seinem Bruder auf Urdu. „Jetzt dürfen wir auf vollkommene Ruhe hoffen und [darauf, dass] wir im Frieden nach Indien heimkehren können.“ Damit sprach er die gemeinsame Hoffnung all jener Soldaten aus, die aus allen Teilen der Welt hergekommen waren, um im Ersten Weltkrieg an den osmanischen Fronten zu kämpfen – und zu überleben.40
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SCHLUSS DER UNTERGANG DES OSMANISCHEN REICHS
Die Osmanen hatten den Weltkrieg verloren. Das war eine nationale Katastrophe, doch sie war nicht ohne Beispiel: Seit 1699 hatten die Osmanen die meisten ihrer Kriege verloren, aber ihr Reich hatte dennoch überdauert. Allerdings waren sie noch nie mit einer solchen Ballung verschiedenster Interessen konfrontiert gewesen wie in den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg. In der Klemme zwischen den widerstreitenden Forderungen der Siegermächte auf der einen und der türkischen Nationalisten auf der anderen Seite, war der Sturz der Osmanenherrschaft letztlich eher ein Resultat der Friedensbedingungen – und nicht so sehr eine Folge ihrer bitteren Niederlage.
* Am 13. November 1918 durchquerte eine alliierte Flotte die erst kürzlich geräumten Minenfelder an den Dardanellen und nahm Kurs auf Istanbul. Die osmanische Haupt- und Residenzstadt, deren Einnahme den ganzen Krieg über hatte verhindert werden können, war nun den ankommenden Siegern wehrlos ausgeliefert. Insgesamt 42 Schiffe, angeführt von dem Schlachtschiff HMS Agamemnon, fuhren geradewegs auf den Dolmabahçe-Palast zu, der am Ufer des Bosporus emporragte. Als dann noch ein Geschwader von Doppeldeckern über die britischen, französischen, italienischen und griechischen Kriegsschiffe hinwegflog, war das Spektakel komplett. Admiral Somerset Gough-Calthorpe und die anderen Offiziere gingen an Land, um die Stadt offiziell in Besitz zu nehmen. Zu den Klängen der Militärkapellen marschierten die Soldaten der Entente durch die Straßen von Istanbul. Die christliche Bevölkerung der Stadt hieß sie als Helden willkommen.
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Auch Krikor Balakian befand sich in der Menschenmenge, die sich das Eintreffen der Flotte von den Hügeln Istanbuls aus ansah. Entgegen allen Erwartungen hatte der armenische Priester den Völkermord überlebt und war schließlich im September 1918 in seine Geburtsstadt Istanbul zurückgekehrt. Da er noch immer Angst vor einer erneuten Festnahme hatte, war Balakian während der nächsten beiden Monate im Untergrund geblieben, hatte sich abwechselnd in den Wohnungen seiner Mutter und seiner Schwester aufgehalten, die ihn zuvor schon lange für tot gehalten hatten. Die Tage verbrachte er damit, seinen Bericht über das „armenische Golgotha“ niederzuschreiben, worin all das Leid einging, das er mit eigenen Augen gesehen hatte, und anderes, von dem ihm berichtet worden war. Er wollte dieses Protokoll verfassen, solange die Erinnerung an die Gräuel noch frisch war. Aber die Ankunft der alliierten Flotte wollte er sich nicht entgehen lassen, denn das war schließlich der Moment, in dem das Leiden der Armenier endlich vorbei sein sollte. Auf seinem Weg vom asiatischen in den europäischen Teil der Stadt trug Balakian sicherheitshalber einen Reitermantel mit großem Kragen sowie einen Zylinder, um nicht erkannt zu werden. Der türkische Fährmann, der ihn über den Bosporus ruderte, ahnte nicht, dass in seinem Boot ein armenischer Priester saß. „Ach, Effendi“, jammerte er, „was sind das für schlechte Zeiten, in denen wir leben! Welches Unglück ist uns beschieden! Talât und Enver haben das Vaterland zugrunde gerichtet, sind mit ihrer Beute auf und davon und haben uns unserem Schicksal überlassen. Wer hätte denn gedacht, dass eine feindliche Flotte einmal so feierlich nach Konstantinopel einfahren würde und dass wir Muslime dabei bloße Zuschauer wären?“ Balakian war selbst überrascht, als er sich dem Mann Trost zusprechen hörte: „Auch diese schlechten Zeiten werden vorübergehen.“1 Ebenfalls in der Menschenmenge befand sich an jenem Tag der deutsche General Otto Liman von Sanders. Fünf Jahre lang hatte er an der Spitze der deutschen Militärmission im Osmanischen Reich gedient, zuletzt als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Yıldırım in Palästina. In Nazareth war er im September nur knapp der Gefangennahme entgangen und hatte sich dann mit seinen Leuten durch Syrien zurückgezogen, während ihnen die Briten dicht auf den Fersen waren. In Adana hatte er das Kommando über die verbliebenen Truppen an den türkischen General
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Mustafa Kemal Pascha übergeben, den Helden von Gallipoli. Dann kehrte Liman nach Istanbul zurück, um die Rückführung der deutschen Truppen aus dem Osmanischen Reich in die Heimat zu beaufsichtigen, so wie es die Bestimmungen des Waffenstillstands vorsahen. Obwohl die beiden Männer ganz unterschiedliche Perspektiven auf die Ereignisse jenes Tages hatten, ähneln sich die Beschreibungen, die Liman und Balakian von der Stadt Istanbul im Augenblick ihrer Einnahme durch die alliierte Flotte geben, auf geradezu verblüffende Weise. Griechische, französische, britische und italienische Flaggen schmückten die Häuser. Mädchen aus der christlichen Minderheit empfingen die siegreichen Soldaten auf ihrem Marsch durch die Straßen mit Blumen, während Männer ihre Hüte in die Luft warfen und sich vor Freude in den Armen lagen. Im weiteren Verlauf des Tages floss auch der Wein in Strömen und beförderte die Verbrüderung von Stadtbewohnern und Besatzern. Sowohl Liman als auch Balakian war das weinselige Gelage zuwider: „Dass diesen Kundgebungen eine große Würde innegewohnt hätte, wird niemand behaupten können“, rümpfte der General die Nase, während der Priester sein Bedauern darüber äußerte, dass „die türkische Hauptstadt zu einem wahren Babylon geworden war“.2 Während die Christen von Istanbul feierten, beobachtete die muslimische Bevölkerungsmehrheit durch verschlossene Fensterläden, wie die alliierten Soldaten sich ihrer Stadt bemächtigten. Demütigung und Verzweiflung hatten sie stumm gemacht. Ihre Wut richtete sich, so wie die des Fährmanns, der Balakian über den Bosporus gebracht hatte, eher gegen die Anführer des Komitees für Einheit und Fortschritt (KEF), die, nachdem sie einer unwilligen Bevölkerung das ganze Elend des Krieges aufgezwungen hatten, unmittelbar nach Inkrafttreten des Waffenstillstands geflohen waren. Mitten in der Nacht des 1. November waren die Mitglieder der jungtürkischen Führungsriege unter völliger Geheimhaltung an Bord eines deutschen Kriegsschiffes gegangen. Mehmed Talât, Ismail Enver und Ahmet Cemal fuhren, in Begleitung von vieren ihrer engsten Mitarbeiter, nach Odessa und reisten dann auf dem Landweg weiter bis nach Berlin. Ihre deutschen Verbündeten hatten diese Flucht organisiert, weil sie befürchteten, dass den führenden Unionisten vonseiten der Alliierten eine Siegerjustiz drohen würde. Also gewährten sie den Flüchtigen Asyl. Die
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osmanische Presse hingegen verlieh der allgemeinen Empörung über das Entkommen der KEF-Triumvirn Ausdruck, denn schließlich hatten sie es dem türkischen Volk überlassen, die Folgen ihrer Kriegspolitik und Gräueltaten – und insbesondere der Massenmorde an den Armeniern – zu tragen.3 Im osmanischen Parlament wie in der türkischen Presse tobte im November 1918 eine offene Debatte über die Massaker an den Armeniern. Bis heute gibt es keine allgemein akzeptierte Zahl der Gesamtopfer türkischer Kriegsgräuel gegen die armenische Bevölkerung. In den Parlamentsdebatten nannten die Abgeordneten unterschiedliche Zahlen, die zwischen 800 000 und 1,5 Millionen getöteter armenischer Zivilisten lagen. Unabhängig davon, ob man sich nun eine eher niedrige oder eine eher höhere Schätzung zu eigen machte – oder irgendetwas dazwischen –, so war doch klar, dass der Genozid einen langen Schatten auf die Friedensverhandlungen mit den siegreichen Entente-Mächten werfen würde. Die Entente verurteilte die osmanische Regierung für den Völkermord an den Armeniern ausdrücklich. Insbesondere Großbritannien und die Vereinigten Staaten nahmen hierbei kein Blatt vor den Mund und forderten ausgleichende Gerechtigkeit für die türkischen Kriegsverbrechen gegen die Menschheit. Um eine allzu drakonische Friedensregelung zu vermeiden, beschloss die neue osmanische Regierung die Einrichtung von Militärtribunalen zur Verurteilung derjenigen, denen man die Vernichtung der Armenier vorwarf. Sie hofften, die Missbilligung der internationalen Gemeinschaft so auf die jungtürkische Führungsriege richten zu können, damit nicht das türkische Volk als Ganzes bestraft werde. Zwischen Januar und März 1919 ordneten die osmanischen Behörden die Festnahme von rund 300 türkischen Entscheidungsträgern an. Unter den Inhaftierten waren Provinzgouverneure und unionistische Parlamentsabgeordnete, aber auch rangniedere Beamte der Lokalverwaltung. Doch obwohl die Polizei ohne Vorwarnung zuschlug, meist mitten in der Nacht, konnte vielen – genau wie dem KEF-Triumvirat und seinen Ratgebern, die sich bereits im Exil befanden – nur in Abwesenheit der Prozess gemacht werden. Das wichtigste Militärtribunal trat in Istanbul zusammen. Seine Verhandlungen waren öffentlich; sowohl die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Beweise als auch die Urteile der Richter wurden im offiziellen Amtsblatt Takvîm-i Vekâyi publik gemacht.
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In den Anklageschriften wurde die volle Verantwortung für den Massenmord an der armenischen Zivilbevölkerung der jungtürkischen Führung zugeschrieben. Wie die Staatsanwaltschaft geltend machte, „wurden diese Massaker auf den Befehl und im vollen Wissen von Talât, Enver und Cemal ausgeführt“. Sie zitierte einen Beamten aus Aleppo, der angab, er habe „den Befehl zur Auslöschung [der Armenier von] Talât persönlich erhalten“, und überzeugt war, „das Wohlergehen des ganzen Landes“ hänge von der Vernichtung der armenischen Bevölkerung ab. In einem Telegramm, das dem Gericht als Beweisstück vorgelegt wurde, verlangte Dr. Bahattin Şakir, der mutmaßliche Hauptverantwortliche des Genozids, von dem Gouverneur von Mamuretül-Aziz (armenisch Harput) einen „ehrlichen Bericht“ über die „Liquidierung“ der Armenier in seiner Provinz: „Werden die Unruhestifter, deren Austreibung und Verbannung Sie mir gemeldet haben, vernichtet, oder werden sie nur fortgejagt und weggebracht?“4 Zeugenaussagen brachten zutage, wie der Genozid organisiert worden war: Auf den offiziellen, gedruckten Deportationsbefehl folgte die mündliche Aufforderung, die Deportierten zu ermorden. Aus dem vorgelegten Beweismaterial ging auch hervor, dass man verurteilte Mörder aus den Gefängnissen geholt hatte, die als Banden mobilisiert wurden, um als „Menschenschlächter“ die eigentlichen Massaker zu verüben. Die Staatsanwälte konnten schlüssig nachweisen, dass diese Mörderbanden auf Betreiben von Envers geheimer „Spezialorganisation“ Teşkilât-ı Mahsusa aufgestellt und eingesetzt worden waren. Und sie trugen umfangreiche Nachweise von Massenerschießungen zusammen, dazu die Aussagen einzelner Verantwortlicher, die sich brüsteten, Tausende von Armeniern getötet zu haben, sowie Unterlagen von Provinzverwaltungen, aus denen die Deportation von Hunderttausenden hervorging.5 Nach monatelanger Verhandlung verhängten die Tribunale schließlich die Todesstrafe gegen 18 Angeklagte wegen ihrer Beteiligung an den Massakern. Talât, Enver und Cemal gehörten zu den Verurteilten, daneben auch solche KEF-Schlüsselfiguren wie Dr. Bahattin Şakir und Dr. Mehmed Nâzım, die ihren Anführern ins Exil gefolgt waren. Da über 15 Prozesse der zum Tode Verurteilten in Abwesenheit verhandelt worden waren, endeten letztlich nur drei der Angeklagten – vergleichsweise rangniedere Beamte – tatsächlich am Galgen. Mehmed Kemal, der stellvertretende Gouverneur der zentralanatolischen Provinz Yozgat, der nach den
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Angaben Krikor Balakians für den Tod von 42 000 Armeniern verantwortlich war, wurde am 10. April 1919 gehängt. Der Kommandant der Gendarmerie von Erzincan, Hafız Abdullah Avni, wurde am 22. Juli 1920 hingerichtet. Die dritte und letzte Hinrichtung in diesem Zusammenhang folgte am 5. August 1920 mit der Vollstreckung des Todesurteils gegen den Bezirksvorsteher von Bayburt, Behramzade Nusret.6 Bis zum August 1920 war klar geworden, dass auch die Militärtribunale die Hauptverantwortlichen für den Völkermord an den Armeniern nicht würden zur Rechenschaft ziehen können. Ebenso klar war, dass auch die stattgefundenen Prozesse dem Osmanischen Reich eine drakonische Friedensregelung nicht ersparen würden. Sobald sie nicht mehr nützlich erschienen, verfielen die Militärtribunale in Untätigkeit. Aber immerhin handelt es sich bei den von ihnen hinterlassenen Prozessakten um das bis heute umfangreichste Beweismaterial, das türkische Regierungsstellen über die Vorbereitung und Durchführung des Genozids an den Armeniern zusammengetragen haben. Diese Unterlagen sind im osmanischen Türkisch verfasst und seit 1919 für jedermann zugänglich. Sie strafen all jene Lügen, die eine Beteiligung der jungtürkischen Regierung an der Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich noch immer leugnen.
* Weil sie nicht länger mit ansehen konnten, wie die Anführer der Jungtürken im Exil ihrer gerechten Strafe entgingen, nahm eine Gruppe militanter Armenier aus den Reihen der Daschnak-Partei das Gesetz schließlich in ihre eigenen Hände. Zwischen März 1921 und Juli 1922 gaben die Daschnaken eine Reihe von Attentaten auf die führenden Köpfe der Jungtürken in Auftrag. In Anlehnung an die griechische Göttin der Vergeltung nannten sie ihr Unternehmen „Operation Nemesis“.7 Als Erstes schlugen die Attentäter in Berlin zu, wo viele der führenden Jungtürken Zuflucht gesucht hatten. Am 15. März 1921 wurde Talât Pascha von einem fünfundzwanzigjährigen Überlebenden des Völkermords namens Soghomon Tehlirian, der aus Erzincan stammte, auf offener Straße erschossen. Der Todesschütze wurde festgenommen, in Berlin vor Gericht gestellt und schließlich freigesprochen, da er aufgrund des Traumas, das er durch die Massaker und den Verlust seiner Familie erlitten hatte, nicht
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zurechnungsfähig gewesen sei. Bei einem zweiten Attentat wurden am 17. April 1922 in Berlin sowohl Dr. Bahattin Şakir als auch Cemal Azmi, der brutale Gouverneur der Provinz Trabzon, erschossen. Einer der beteiligten Attentäter, der einundzwanzigjährige Arschawir Schiragian, der aus Istanbul stammte, hatte bereits am 6. Dezember 1921 in Rom den einstigen Großwesir Said Halim Pascha ermordet. Die beiden verbleibenden Mitglieder des KEF-Triumvirats, Cemal und Enver, fanden den Tod im Kaukasus beziehungsweise in Zentralasien. Armenische Attentäter spürten Cemal Pascha, der im Krieg osmanischer Generalgouverneur in Syrien gewesen war, im georgischen Tiflis auf, wo er am 21. Juli 1922 erschossen wurde. Es hätte ihn bestimmt überrascht zu hören, dass seine Mörder keine Araber waren, sondern Armenier. Immerhin hatte Cemal, der in Syrien wegen der von ihm befohlenen Hinrichtung arabischer Nationalisten weithin verhasst war, dafür gesorgt, dass aus dem Norden deportierte Armenier zur Ansiedlung über die syrischen Provinzen verteilt wurden – rund 60 000 waren es schon bis zum Januar 1916 gewesen. Allerdings warfen andere Maßnahmen, mit denen die armenischen Überlebenden der Todesmärsche zum Islam bekehrt werden sollten – was faktisch auf eine Auslöschung des armenischen Volkes mit anderen Mitteln hinauslief – ein eher trübes Licht auf seine humanitäre „Mildtätigkeit“. Als Einziger des vormals herrschenden Dreigestirns entging Enver Pascha den armenischen Rächern. Er führte sein letztes Gefecht bei Duschanbe, im tadschikisch-usbekischen Grenzgebiet, wo er im August 1922 an der Spitze einer muslimischen Miliz im Kampf gegen die Bolschewiki fiel.8 Bis zum Jahr 1926 waren zehn der 18 Männer, die das Istanbuler Militärtribunal wegen ihrer Beteiligung am Völkermord an den Armeniern zum Tode verurteilt hatte, tatsächlich tot. Die verbliebenen acht – Massenmörder vom unteren Ende der Kommandokette – entgingen der Hinrichtung, doch ihre Todesurteile sollten sie für den Rest ihres Lebens zu Getriebenen machen.
* Die Osmanen konnten letztlich die Vertragsbedingungen, die ihnen die Alliierten bei der Pariser Friedenskonferenz von 1919/20 auferlegen soll-
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ten, nicht zu ihren Gunsten abschwächen. Von Kriegsbeginn an hatten Großbritannien, Frankreich und Russland über die künftige Aufteilung der osmanischen Territorien verhandelt. Obgleich Russland seine Ansprüche nach der Revolution der Bolschewiki zurückgezogen hatte, waren neue Bündnispartner an seine Stelle getreten: Italien und Griechenland, die beide erst vergleichsweise spät an der osmanischen Front in Erscheinung getreten waren (Italien hatte der Türkei im August 1915 den Krieg erklärt, Griechenland erst im Juni 1917), waren kaum weniger begierig, osmanische Gebiete in Besitz zu nehmen, als die Regierung des letzten Zaren es gewesen war. Im April 1919 gingen im türkischen Mittelmeerhafen Antalya italienische Truppen an Land; am 15. Mai besetzten die Griechen den Hafen von Smyrna (Izmir). Als die osmanische Verhandlungsdelegation bei der Pariser Friedenskonferenz im Juni 1919 vor den „Rat der Vier“ (Großbritannien, Italien, Frankreich und die USA) trat, durften ihre Mitglieder kaum darauf hoffen, mit Wohlwollen angehört zu werden. Unter Berufung auf „die Prinzipien des Präsidenten Wilson“ – der zwölfte Artikel aus Woodrow Wilsons berühmtem Vierzehn-Punkte-Programm forderte „eine unbedingte Selbstständigkeit“ für die „türkischen Teile des gegenwärtigen Osmanischen Reichs“ – trugen sie ihre Vision für das Osmanische Reich der Nachkriegszeit vor. Im Grunde versuchten die Delegierten, sämtliche osmanischen Territorien in den Grenzen vom Oktober 1914 zu erhalten, wobei es einerseits Zonen türkischer Direktherrschaft geben sollte (in Anatolien und Thrakien), andererseits weitgehend autonome Gebiete, in denen unter osmanischer Oberhoheit lokale Herrscher ein großes Maß an Eigenständigkeit gewinnen sollten (so in den arabischen Provinzen sowie auf den strittigen Inseln im Ägäischen Meer). „Es gibt niemanden in der Türkei“, schloss das Kommuniqué der osmanischen Delegation, „der sich des großen Ernstes der Lage nicht bewusst wäre.“ Und weiter: „Jedoch sind die Vorstellungen des osmanischen Volkes klar bestimmt: Eine Zerteilung seines Reichs oder dessen geteilte Verwaltung unter verschiedenen Mandaten wird es nicht hinnehmen.“9 Fünf Tage, nachdem die osmanische Delegation diese Stellungnahme abgegeben hatte, unterzeichneten die Alliierten und das Deutsche Reich am 28. Juni 1919 den Versailler Vertrag. Dieser setzte einen hohen Maßstab für die harten Bedingungen, die den besiegten Mittelmächten von den al-
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liierten Siegern auferlegt werden sollten. Das Deutsche Reich wurde gezwungen, die Verantwortung für alle Verluste und Schäden auf sich zu nehmen, die der Weltkrieg verursacht hatte. Das deutsche Militär sollte aufgelöst werden. Außerdem stand Deutschland vor beträchtlichen Gebietsverlusten von mehr als 65 000 Quadratkilometern; und es sollte die beispiellose Reparationssumme von insgesamt rund 132 Milliarden Goldmark zahlen.10 Die Vertragsbedingungen, die den anderen Verlierern auferlegt wurden, waren kaum weniger drakonisch. Der Frieden mit Österreich, der am 10. September 1919 in Saint-Germain-en-Laye geschlossen wurde, sah die Auflösung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie vor, zwang auch Österreich zur Übernahme der Kriegsschuld, erlegte dem Land hohe Reparationsleistungen auf und verteilte vormals österreichisch-ungarische Gebiete auf eine ganze Reihe von Nachfolgestaaten, darunter Ungarn, die Tschechoslowakei, Polen und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (das 1929 in „Königreich Jugoslawien“ umbenannt wurde). Im November 1919 schlossen die alliierten Mächte mit Bulgarien den Vertrag von Neuilly-sur-Seine. In der bulgarischen Nationalgeschichtsschreibung gilt dieser als die „zweite Katastrophe der Nation“ (die erste war die Niederlage Bulgariens im Zweiten Balkankrieg von 1913 gewesen). Der Vertrag zwang Bulgarien zu Gebietsabtretungen in Westthrakien (die letztlich Griechenland zugutekamen) sowie an seiner Westgrenze zu Serbien und erlegte dem Land zudem Reparationszahlungen in Höhe von 400 Millionen US-Dollar auf. Der am 4. Juni 1920 mit Ungarn geschlossene „Vertrag von Trianon“ (der im Grand Trianon von Versailles unterzeichnet wurde) ließ den einstigen ungarischen Teil Österreich-Ungarns auf gerade einmal 28 Prozent seiner Vorkriegsgröße zusammenschrumpfen und belastete auch diesen neuen Binnenstaat mit hohen Reparationszahlungen. Es war kaum davon auszugehen, dass man mit dem Osmanischen Reich großzügiger verfahren würde als mit seinen Kriegsverbündeten. Tatsächlich umfasste der mit dem Deutschen Reich geschlossene Versailler Vertrag auch die Satzung des neu zu schaffenden Völkerbundes und sanktionierte damit auf internationaler Ebene ein Mandatssystem, das ausdrücklich auch zur Zerteilung des Osmanischen Reichs erdacht worden war. In Artikel 22 der Satzung hieß es: „Gewisse Gemeinwesen, die
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ehemals zum Türkischen Reiche gehörten, haben eine solche Entwicklungsstufe erreicht, dass sie in ihrem Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden können, unter der Bedingung, dass die Ratschläge und die Unterstützung eines Mandats ihre Verwaltung bis zu dem Zeitpunkt leiten, wo sie imstande sein werden, sich selbst zu leiten.“11 Nachdem die türkische Delegation aus Paris nach Istanbul zurückgekehrt war, legten die Siegermächte in einer letzten Verhandlungsrunde die endgültige Verteilung der osmanischen Territorien fest. Im April 1920 trafen sich die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich und Italien in dem italienischen Badeort Sanremo, um die Widersprüche zwischen der Hussein-McMahon-Korrespondenz, dem Sykes-Picot- Abkommen und der Balfour-Deklaration aufzulösen. Nach sechstägigen Verhandlungen vereinbarten die drei Mächte – Japan nahm die Rolle eines unbeteiligten Beobachters ein –, dass Großbritannien Mandatsmacht in Palästina (einschließlich Transjordaniens) und Mesopotamien werden sollte, während Frankreich das Mandat über Syrien (einschließlich des Libanons) erhalten würde. Die italienische Regierung behielt sich ihre förmliche Zustimmung zu dieser Regelung solange vor, bis ihre eigenen Gebietsansprüche in Anatolien erfüllt sein würden. Sobald die Alliierten sich über die Aufteilung der arabischen Territorien einig geworden waren, wandten sie sich wieder ihren Friedensverhandlungen mit dem Osmanischen Reich zu. Die Vertragsbedingungen, die der Hohen Pforte im Mai 1920 erstmals mitgeteilt wurden, hätten für die Türken nicht nachteiliger ausfallen können: Abgesehen davon, dass sämtliche arabischen Provinzen des Reichs europäischen Mandatsmächten übertragen werden sollten, sah der Vertragsentwurf eine Aufteilung Anatoliens und dabei auch die Zuweisung von Gebieten mit türkischer Mehrheitsbevölkerung an vormals untertane Völker oder feindliche Nachbarstaaten vor. Ostanatolien sollte zwischen den Armeniern und den Kurden aufgeteilt werden. Die nordöstlichen Provinzen Trabzon, Erzurum, Bitlis und Van wurden zur armenischen Einflusssphäre erklärt. Diesen vier Provinzen wurde das Recht eingeräumt, in einem Loslösungsprozess unter Vermittlung der Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich zu erlangen und sich stattdessen der neuen Kaukasusrepublik Armenien anzuschließen, deren Hauptstadt Eriwan (Jerewan) sein sollte.
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Den Kurden wurde ein kleineres Gebiet am Südrand der armenischen Zone angeboten, das rund um die Stadt Diyarbakır lag. Unter den Bedingungen des Vertrages sollten auch die Kurden vollkommen frei entscheiden können, ob sie aus dem Osmanischen Reich ausscheiden und einen eigenen, unabhängigen Staat errichten wollten. In Westanatolien wurden die Hafenstadt Smyrna (das heutige Izmir) und ihr Umland unter griechische Verwaltung gestellt. Die griechische Regierung erhielt den Auftrag, die dort ansässigen Griechen bei der Wahl einer Delegiertenversammlung zu unterstützen, die dann befugt sein sollte, über einen künftigen Beitritt Smyrnas zum Königreich Griechenland zu entscheiden. Der größte Teil des türkischen Ostthrakiens einschließlich der Stadt Adrianopel (dem heutigen Edirne, das die Osmanen im Ersten Balkankrieg verloren und im Zweiten zurückerobert hatten) wurde ebenfalls an die Griechen abgetreten. Die Osmanen verloren sogar die Kontrolle über die strategisch wichtigen Meerengen, die das Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbinden: Der Bosporus, die Dardanellen und das Marmarameer sollten einer internationalen Kommission unterstellt werden, der die Türkei nur dann beitreten durfte, wenn ihr auch der Beitritt zum Völkerbund gestattet wurde.12 Aber die Aufteilung Anatoliens war damit noch nicht beendet. In einem Separatabkommen zwischen Großbritannien, Frankreich und Italien wurde die kilikische Küste bis tief ins Landesinnere hinein nach Sivas zum französischen Einflussgebiet erklärt. Die italienischen Ansprüche in Südwestanatolien, einschließlich der Hafenstadt Antalya und der Stadt Konya im Landesinneren, wurden ebenfalls berücksichtigt. Obgleich sie nominell noch immer Teil des Osmanischen Reichs blieb, wurde die türkische Südküste so de facto zu einer inoffiziellen Kolonie der Franzosen beziehungsweise Italiener.13 Den Türken ließ der Vertragsentwurf ein nur sehr eingeschränktes Territorium. Das Osmanische Reich wurde effektiv auf all jene Teile (Zentral-)Anatoliens reduziert, die sonst niemand wollte: Bursa, Ankara und der Schwarzmeerhafen Samsun, dazu Istanbul als Hauptstadt. Aber selbst Istanbul sollten die Türken nur unter Vorbehalt bekommen: Für den Fall, dass sie ihre Vertragsverpflichtungen nicht einhielten, drohten die Siegermächte damit, der Nachkriegstürkei dieses Zugeständnis ganz einfach wieder zu entziehen.
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Die Bedingungen des Friedensvertrages erregten überall im Osmanischen Reich heftigen Widerspruch. Die Anwesenheit fremder Truppen auf türkischem Boden hatte bereits erhebliche Verstimmung hervorgerufen. Im Mai 1919 war Mustafa Kemal Pascha, der Held von Gallipoli und angesehenste Heerführer der Nation, nach Samsun geschickt worden, wo er die Demobilisierung der osmanischen Truppen nach Maßgabe der Vertragsbedingungen beaufsichtigen sollte. Nach der Besetzung Kilikiens und Smyrnas durch die Italiener beziehungsweise Griechen im April und Mai 1919 beschloss Mustafa Kemal jedoch, den Demobilisierungsbefehl zu missachten, und begann stattdessen eine Widerstandsbewegung gegen die Invasion Anatoliens. In der zentralanatolischen Stadt Ankara richtete er sein Hauptquartier ein; die dort von ihm begründete Türkische Nationalbewegung wuchs bald zu einer ernst zu nehmenden Konkurrentin der osmanischen Regierung in Istanbul heran, da beide beanspruchten, die politischen Ansprüche des türkischen Volkes zu vertreten. Zwischen Juli und September 1919 berief die Türkische Nationalbewegung zwei Kongresse ein, einen in Erzurum und einen in Sivas, bei der ihre Prinzipien in einem Dokument niedergelegt wurden, das als „Nationalpakt“ bekannt wurde: Ein „gerechter und dauerhafter Friedensschluss“ sollte mit den Interessen eines „stabilen osmanischen Sultanats“ in Übereinstimmung gebracht werden, und zwar durch eine unmissverständliche Formulierung gewisser Grundsätze. Die Architekten des Nationalpakts akzeptierten den Verlust der arabischen Provinzen und waren durchaus offen für Kompromisse, solange die freie Durchfahrt der Meerengen gewährleistet bliebe. Was sie jedoch strikt ablehnten, war eine Aufteilung jener Gebiete, „deren Bevölkerung mehrheitlich aus osmanischen [d. h. türkischen] Muslimen besteht, die ihrer Religion, Rasse und ihrem Streben nach eine Einheit bilden“, und sie führten aus, dass die besagten Gebiete „ein Ganzes formen, das aus keinerlei Gründen zerteilt werden darf “. In einer seiner letzten Sitzungen schlug sich auch die Abgeordnetenkammer in Istanbul auf die Seite der Nationalbewegung in Ankara und nahm den Nationalpakt im Januar 1920 mit überwältigender Mehrheit an.14 So populär die Politik der Nationalisten auch unter den Parlamentariern war – die Hohe Pforte sah in jener Türkischen Nationalbewegung aus Zentralanatolien eine gefährliche Bedrohung ihrer Autorität. In der natio-
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nalen Krise, die auf das Bekanntwerden der alliierten Friedensbedingungen im Mai 1920 folgte, glaubte die osmanische Regierung, sie hätte keine andere Wahl, als mit den Siegermächten zu kooperieren. Indem sie die harten Bedingungen der Alliierten auf kurze Sicht akzeptierte, hoffte die Hohe Pforte, sich langfristig günstigere Bedingungen erkaufen zu können. Die Vertreter der Türkischen Nationalbewegung hingegen glaubten, dass die Osmanen niemals das Territorium oder die Herrschaftsrechte zurückerhalten würden, die sie mit dem Friedensschluss aufgegeben hatten. Mustafa Kemal und seine Parteigänger forderten die Zurückweisung der drakonischen Vertragsbedingungen sowie den Widerstand gegen jegliche Ansätze zur Zerteilung Anatoliens. Bei der Hohen Pforte war man der Auffassung, dass der von Mustafa Kemal und der Türkischen Nationalbewegung vertretene Konfrontationskurs in Anbetracht des erbarmungswürdigen Zustandes des osmanischen Militärs und Wirtschaftslebens nur in die Katastrophe führen konnte. Wenn sie Gegenwehr leisteten, könnten die Osmanen sogar ihre Hauptstadt Istanbul verlieren – so stand es im Friedensvertrag. Die Regierung klagte deshalb Mustafa Kemal und mehrere andere Anführer der Nationalisten wegen Hochverrats an, und im Mai 1920 verurteilte dasselbe Militärtribunal, vor dem auch die Prozesse um die Massaker an den Armeniern geführt worden waren, den „Helden von Gallipoli“ in Abwesenheit zum Tode. Die Geschichte sollte den Irrtum des Großwesirs und seines Kabinetts erweisen: Einzig und allein der Widerstand gegen die Vertragsbedingungen konnte die türkische Souveränität bewahren, und Mustafa Kemal war kein Verräter: Als ein begeisterter osmanischer Patriot hatte Mustafa Kemal sein gesamtes Tun und Handeln stets daran ausgerichtet, ob es zur Erhaltung des Sultan-Staates beitragen konnte. Der Nationalpakt verwendete sogar den Begriff „Osmanen“ – und nicht „Türken“ –, um sein Staatsvolk zu bezeichnen. Die Grenze des Zumutbaren war für die Kemalisten überschritten, als die Regierung dem türkischen Volk die drakonischen Friedensbedingungen der Alliierten zumutete und eine Zerteilung Anatoliens unter ausländischer Besatzung zuließ. Indem sie am 10. August 1920 den Vertrag von Sèvres unterzeichneten, provozierten die Vertreter der Hohen Pforte einen unheilbaren Riss zwischen den „Osmanen“ und den türkischen Nationalisten. Fortan taten die Kemalisten alles, um sowohl die
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Friedensregelung von Sèvres als auch die Regierung, die sie zu verantwor ten hatte, zu Fall zu bringen. Bis 1922 hatten die Kemalisten – nach einem heftigen Dreifrontenkrieg (gegen die Armenier im Kaukasus, die Franzosen in Kilikien und die Griechen im westlichen Anatolien) – einen vollständigen Sieg über alle fremden Armeen in Anatolien errungen. Und nachdem sie am 11. Oktober 1922 einen Waffenstillstand mit Griechenland geschlossen hatte, stimmte die türkische Große Nationalversammlung am 1. November für die Abschaffung des osmanischen Sultanats. Nach gerade einmal vier Jahren auf dem Thron wurde Mehmed VI. als letzter osmanischer Sultan am 17. November an Bord eines Schiffs der britischen Kriegsmarine ins Exil nach Malta geschickt. Im Juli 1923 unterzeichnete die neue türkische Nationalregierung in Lausanne in der Schweiz einen zweiten Friedensvertrag, der den Vertrag von Sèvres ersetzte und die unabhängige Türkei im Großen und Ganzen innerhalb ihrer noch heute bestehenden Staatsgrenzen anerkannte. Auf der Grundlage jener internationalen Anerkennung wurde am 29. Oktober 1923 die Türkische Republik ausgerufen; Mustafa Kemal wurde ihr erster Präsident. In Anerkennung seiner führenden Rolle bei der Schaffung der modernen Türkei verlieh das türkische Parlament Mustafa Kemal später den ehrenvollen Beinamen „Atatürk“ (das heißt wörtlich: „Vater der Türken“). Hätte die Regierung des Sultans sich Atatürks Nationalbewegung zunutze gemacht und sich geweigert, das alliierte Diktat von Sèvres anzunehmen, wäre ein Weiterbestehen des Osmanischen Reichs in den Grenzen der heutigen Republik Türkei durchaus denkbar gewesen. So katastrophal ihre Niederlage im Weltkrieg auch gewesen sein mochte – es war ihre willfährige Annahme der drakonischen Friedensbedingungen, die die Osmanen letztlich zu Fall brachte.
* Als die Feindseligkeiten im Oktober 1918 endlich beendet worden waren, konnten es die Soldaten aller Kriegsparteien kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Die ersten, die vom Kriegsschauplatz im Nahen Osten heimkehrten, waren die Soldaten der besiegten Mittelmächte. In Überein-
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stimmung mit den Bedingungen des Waffenstillstands leitete Otto Liman von Sanders die Rückführung der deutschen Soldaten aus dem osmanischen Herrschaftsgebiet ein. Anfangs wurden deutsche und österreichische Truppen, die sich bereits in Istanbul befanden, nach Odessa eingeschifft, um von dort auf dem Landweg durch die Ukraine in die Heimat zu reisen. Die 1200 deutschen und österreichischen Soldaten der 6. Armee in Mesopotamien brauchten jedoch Wochen, um auch nur nach Istanbul zu gelangen, und den Soldaten, die in Syrien und Palästina gekämpft hatten, ging es nicht viel anders. Liman schätzte, dass bis Ende Dezember 1918 gut 10 000 Mann auf eine Überfahrt würden warten müssen. Er organisierte fünf Dampfschiffe, mit denen sie von Istanbul direkt nach Deutschland gebracht werden konnten, und Ende Januar 1919 ging Liman selbst mit 120 Offizieren und 1800 Mann an Bord, um die lange Reise zurück in ihre vom Krieg erschütterte Heimat anzutreten. So endete also das Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und dem Osmanischen Reich.15 Zahlreiche osmanische Truppen befanden sich noch auf von den Alliierten besetztem Territorium. Fahri Pascha, dem Kommandanten der Garnison von Medina, kam die besondere Ehre zu, sich als letzter türkischer General den Siegermächten zu ergeben. Zwar war die Garnison von Medina schon in den letzten Monaten des Krieges schwer belagert worden, hatte jedoch ihre Vorräte streng rationiert und jede Aufforderung zur Kapitulation abgewiesen. Nach dem Waffenstillstand schrieb der britische Hochkommissar in Ägypten, Sir Reginald Wingate, an Fahri, um ihn zur Aufgabe zu bewegen. Der halsstarrige türkische General lehnte auch diesmal ab und gab zur Antwort: „Ich bin ein Osmanli [Osmane]. Ich bin Moslem. Ich bin der Sohn des Bali Bey und ich bin Soldat.“ Als ergebener Diener des Sultans und tiefer Verehrer der Prophetenmoschee von Medina würde er niemals seinen Säbel einem Engländer übergeben.16 Zehn Wochen nach dem Waffenstillstand hatte die Garnison sich immer noch nicht ergeben. Als arabische Truppen drohten, die Stadt zu stürmen, verschanzte sich Fahri Pascha mit Kisten voller Pulver und Granaten in der Prophetenmoschee und drohte seinerseits, eher das Heiligtum in die Luft zu jagen als zu kapitulieren. Seine Männer jedoch, die von den wochenlangen Entbehrungen demoralisiert waren und wussten, dass der Krieg vorbei war, ließen ihren General im Stich und ergaben sich in Scharen den Arabern. Endlich ließ sich der unbeugsame Fahri Pascha am
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10. Januar 1919 überreden, die heilige Stadt Medina den Haschemiten zu überlassen. „Bedrückt und grollend“ sei Fahri aus der Stadt gekommen, heißt es in den Memoiren des späteren jordanischen Königs Abdullah, „finstere Blick warf er umher, wie ein Löwe im Käfig, der keinen Ausweg mehr sieht“. Fahri Pascha wurde mit allen militärischen Ehren im Hafen von Yanbu verabschiedet, wo er an Bord eines britischen Zerstörers ging, der ihn in seine Kriegsgefangenschaft nach Ägypten bringen sollte. Im Verlauf der nächsten Wochen fand – unter der Aufsicht des Emirs Abdullah – die Evakuierung der verbliebenen osmanischen Truppen statt; dabei wurden die Araber, die in der Garnison gedient hatten, nicht ohne einen gewissen Zwang in das Heer der Haschemiten eingegliedert, während die türkischen Soldaten nach Ägypten geschickt wurden, wo man sie in Kriegsgefangenenlagern festhielt, bis sie wieder in die Türkei zurückkehren konnten. Die französische Kolonialmacht ließ die nordafrikanischen Soldaten, die sich aus deutschen Kriegsgefangenenlagern für die Armee des Sultans hatten rekrutieren lassen, für ihre Treulosigkeit bezahlen. Schon seit der Besetzung Bagdads durch die Briten unter Generalmajor Stanley Maude im Jahr 1917 waren Tausende von Nordafrikanern, die aufseiten der Osmanen gekämpft hatten, in britische Gefangenenlager gekommen. Diese wurden nun nach Frankreich heimgeführt. Dort wurden im Süden des Landes mehrere Lager eingerichtet, in denen die „eingeborenen Truppen“ aus Tunesien, Algerien und Marokko interniert wurden. Denen, deren Loyalität zweifelhaft erschien, untersagten die Franzosen die Heimkehr nach Nordafrika; auch mit anderen Muslimen in Frankreich durften sie keinen Umgang haben. Von allen Veteranen des Ersten Weltkriegs hatten wohl nur wenige an so vielen Fronten gekämpft – und hatten dabei so wenig zu gewinnen –, wie jene Kriegsgefangenen aus Nordafrika.17 Die Soldaten der Alliierten blieben auch lange nach dem Waffenstillstand noch aktiv – als Besatzungsarmee. Die arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs wurden einer Militärverwaltung unterstellt, der Occupied Enemy Territory Administration. Unweigerlich kam es dabei zu Spannungen zwischen Einheimischen, denen der Gedanke einer fremden Besatzung verhasst war, und britischen oder Kolonialtruppen, die der Krieg hart gemacht hatte und die voller Ungeduld auf ihre Heimreise warteten.
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In Palästina löste die Tötung eines neuseeländischen Unteroffiziers durch einen einheimischen Dorfbewohner Mitte Dezember eine blutige Vergeltungsaktion – ein wahres Massaker – aus. Nach unterschiedlichen Angaben umstellten zwischen 60 und 200 neuseeländische Soldaten das Dorf Sarafand, wo der Mörder des Feldwebels Zuflucht gesucht haben sollte. Zuerst jagten die Soldaten die Frauen, Kinder und Alten von Sarafand aus dem Dorf und griffen dann die Männer an. Nach Angaben neuseeländischer Quellen töteten oder verwundeten die rachsüchtigen Männer mehr als 30 Dorfbewohner, um schließlich das Dorf sowie ein nahe gelegenes Zeltlager in Brand zu stecken.18 General Edmund Allenby ordnete eine förmliche Untersuchung des Zwischenfalls an. Unter den ANZAC-Soldaten, die in den Einheiten rund um Sarafand stationiert waren, hatte sich jedoch ein hartnäckiges Schweigekomplott gebildet – niemand wollte in dieser Sache aussagen. Dem Vernehmen nach tobte Allenby vor Zorn angesichts dieser Gehorsamsverweigerung seiner Truppen. Aber anstelle einer Kollektivbestrafung der Neuseeländer, die womöglich noch weitere Meuterei hervorgerufen hätte, beschloss der britische General, die betreffenden ANZAC-Einheiten ganz einfach wieder zurück an die ägyptische Grenze bei Rafah zu verlegen. Das war die erste Stufe ihrer bereits geplanten Demobilisierung und Rückkehr nach Neuseeland beziehungsweise Australien. In Rafah begann die Armee mit der Tötung der Pferde, auf denen die Kavalleristen der ANZAC-Reiterei den größten Teil des Krieges verbracht hatten. Genauer gesagt wurden die meisten getötet; einige Pferde wurden auch für die Besatzungstruppen zurückgestellt und eine kleinere Anzahl, die noch bei guter Gesundheit waren, wurden verkauft. Die einfachen Kavalleristen bekamen die unterschiedlichsten Begründungen für dieses Vorgehen zu hören: dass nicht genügend Schiffe verfügbar seien, um sowohl die Männer als auch ihre Pferde zurückzutransportieren; dass die Pferde in einem zu schlechten Zustand seien, um ihnen die lange Seereise zuzumuten; und dass die Tiere womöglich ansteckende Krankheiten aus dem Nahen Osten nach Australien und Neuseeland einschleppen würden, was die dortigen Bestände gefährde. Das alles überzeugte die Reiter jedoch nicht, und sie nahmen die unerwartete Anordnung mit großem Missmut auf. „Wie da die Männer von ihren Pferden Abschied nehmen mussten, das war wirklich ergreifend anzusehen“, erinnerte sich Sergeant C. G. Nicol
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von den Auckland Mounted Rifles. Nach jahrelangem gemeinsamen Leben im Feld hatten viele der Reiter eine engere Bindung zu ihren Pferden als zu ihren Mitmenschen.19 Obwohl dies strikt untersagt war, zogen es viele Reiter vor, ihre eigenen Pferde selbst zu töten, als sie auf den Viehmarkt oder zum Abdecker zu schicken. Der Soldat und Journalist Oliver Hogue, ein Veteran sowohl des Gallipoli- als auch des Palästinafeldzugs, dessen Pseudonym „Trooper Bluegum“ (etwa: „Kamerad Eukalyptus“) seine australische Herkunft erkennen ließ, hat die Gefühle eines typischen ANZAC-Reiters für seinen „Waler“ – die häufigste Rasse unter den australischen Kavalleriepferden wird nach ihrer Herkunft aus New South Wales so genannt – in einem Gedicht eingefangen. Es heißt „The Horses Stay Behind“ („Die Pferde bleiben hier“) und verbindet tiefe Wehmut mit grimmigem Humor: I don’t think I could stand the thought of my old fancy hack Just crawling round old Cairo with a ’Gyppo on his back. Perhaps some English tourist out in Palestine may find My broken-hearted waler with a wooden plough behind. No; I think I’d better shoot him and tell a little lie: „He floundered in a wombat hole and then lay down to die.“ Maybe I’ll get court-martialled; but I’m damned if I’m inclined To go back to Australia and leave my horse behind. [Wer kriecht denn da durch Kairo mit ’nem ’Gypter auf dem Rücken? Mein treuer alter Gaul? Schon der Gedanke ist bedrückend! Oder dass irgendwo in Palästina ein Tourist den armen alten Waler sieht, der ackert und nichts frisst. Nein, ich schieß’ ihn lieber selber tot und weiß schon zwei Notlügen: „Gestürzt ist er am Wombatloch – und blieb dann einfach liegen!“ Kann sein, ich komm’ vors Kriegsgericht; doch will verdammt ich sein, wenn ich heim nach Australien geh’ und mein Pferd bleibt allein!]20
Eigentlich sollten die ANZAC-Truppen Ägypten Mitte März 1919 in Richtung ihrer Heimat verlassen. Bevor sie sich jedoch einschiffen konnten,
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brach in Ägypten ein landesweiter Aufstand los, der die Abreise der Aus tralier und Neuseeländer noch ein wenig verzögerte.21
* In Ägypten und den arabischen Territorien gab es nach dem Weltkrieg große Erwartungen auf ein bevorstehendes Zeitalter der Unabhängigkeit. Der zwölfte von Woodrow Wilsons „Vierzehn Punkten“ sicherte den Arabern sowie den anderen untertanen Völkern des Osmanischen Reichs „eine zuverlässige Sicherheit des Lebens und eine völlig ungestörte Gelegenheit zur selbständigen Entwicklung“ zu. Sowohl in Syrien als auch in Mesopotamien waren Aktivisten damit beschäftigt, unterschiedliche politische Visionen für die Zukunft ihrer Länder zu diskutieren – für eine Zukunft, in der die Zwänge und Einschränkungen von Jahrzehnten osmanischer Repression endlich Geschichte sein würden. In Ägypten wussten die politischen Eliten genau, was sie wollten: Nach einer 36 Jahre dauernden britischen Besatzung wollten sie die völlige Unabhängigkeit ihres Landes.22 Also wandte sich eine Gruppe prominenter ägyptischer Nationalisten an die britischen Behörden in Kairo und bat um die Erlaubnis, bei der Pariser Friedenskonferenz ihre Argumente für die Unabhängigkeit Ägyptens vortragen zu dürfen. Sir Reginald Wingate, der britische Hochkommissar, empfing die Delegation unter der Führung des erfahrenen Politikers Saad Zaghlul am 13. November 1918, zwei Tage, nachdem der Waffenstillstand mit dem Deutschen Reich in Kraft getreten war. Wingate hörte sich an, was die Ägypter zu sagen hatten – und verweigerte ihnen die gewünschte Teilnahme an der Friedenskonferenz dann umgehend und mit deutlichen Worten: Die Pariser Friedenskonferenz solle über das Schicksal der Weltkriegsverlierer befinden; mit Ägypten habe das in keiner Weise zu tun. Als Zaghlul und seine Mitstreiter ihre Anstrengungen fortsetzten, wurden sie am 8. März 1919 festgenommen und nach Malta deportiert. Am Tag darauf kam es überall in Ägypten zu wütenden Demonstrationen, die sich in Windeseile über das ganze Land ausbreiteten und alle Gesellschaftsschichten auf die Straße brachten: Sie alle forderten Unabhängigkeit. Jetzt griffen die Ägypter in Stadt und Land jedes sichtbare Zeichen der britischen Kolonialherrschaft an: Eisenbahnlinien und Telegrafenleitungen wurden sabotiert, Regierungsgebäude in Brand gesetzt und
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Verwaltungssitze von riesigen Menschenmengen belagert. Die Briten setzten Soldaten ein, um die Ordnung wiederherzustellen – aber Soldaten sind wie der sprichwörtliche „grobe Keil“, wenn im Umgang mit großen Menschenmengen eigentlich Fingerspitzengefühl gefragt ist. Steigende Opferzahlen waren die Folge. Die Ägypter beschuldigten die britischen Soldaten, Gräueltaten begangen zu haben – sie hätten auf Demonstranten scharf geschossen, ganze Dörfer niedergebrannt, ja sogar Frauen vergewaltigt. Bis Ende März waren bei gewaltsamen Auseinandersetzungen 800 Ägypter getötet und 1600 weitere verletzt worden.23 Um die Ruhe wiederherzustellen, erlaubten die Briten Zaghlul, nach Ägypten zurückzukehren und im April 1919 an der Spitze einer ägyptischen Delegation nach Paris zu reisen. Schon zuvor hatte allerdings der britische Premierminister David Lloyd George seine französischen und amerikanischen Verbündeten davon überzeugen können, dass die ägyptische Frage „eine imperiale und keine internationale“ sei, dass sie das britische Weltreich betreffe, nicht jedoch die internationale Staatengemeinschaft. Am Tag, an dem die ägyptische Delegation in Paris eintraf, erkannte der US-Präsident Wilson das britische Protektorat über Ägypten an – und den Ägyptern wurde nie eine formelle Anhörung vor der Friedenskonferenz gewährt. Der Weltkrieg mochte vorbei sein, aber die britische Herrschaft in Ägypten blieb bestehen. Auch die Vertreter von Emir Faisals arabischer Regierung in Damaskus mussten sich auf einen eher kühlen Empfang in Paris gefasst machen. Der Haschemitenprinz glaubte, dass er als Unterstützer der Alliierten und als Anführer des Arabischen Aufstandes gegen das Osmanische Reich ein Anrecht darauf habe, nun seinerseits von der Entente unterstützt zu werden. Seine Forderungen kollidierten jedoch mit den französischen Ansprüchen auf Syrien. Im Januar 1919 trug Faisal in Paris dem „Rat der Zehn“ sein Plädoyer für die arabische Unabhängigkeit vor. Verglichen mit dem riesigen Territorium, das Sir Henry McMahon dem Scherifen Hussein in ihrer berühmten Korrespondenz versprochen hatte, war Faisals Position äußerst moderat: Er verlangte die sofortige und vollständige Unabhängigkeit für zwei arabische Königreiche in Großsyrien (auf dem Gebiet der heutigen Staaten Syrien, Libanon, Jordanien, Israel und dem Palästinensischen Autonomiegebiet) und dem Hedschas, über den ja sein Vater Emir Hussein herrschte.
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Faisal erklärte sich einverstanden damit, dass die widerstreitenden Ansprüche der Araber und der Zionisten in Palästina durch ausländische Vermittlung beigelegt werden sollten. Auch erkannte er den britischen
Emir Faisal, 1919. Der Anführer des Arabischen Aufstandes brachte auf der Friedenskonferenz die Forderungen der Araber vor, wobei ihm T. E. Lawrence als Dolmetscher diente. Allerdings gelang es Faisal nicht, sein kurzlebiges syrisches Königreich vor dem Großmachtstreben Frankreichs zu bewahren.
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Anspruch auf Mesopotamien an, gab sich jedoch überzeugt, dass auch diese Gebiete schließlich einmal jenem unabhängigen arabischen Staat beitreten würden, von dessen Schaffung er die Verantwortlichen der Friedenskonferenz zu überzeugen hoffte. Zwar gab Faisal sich letztlich mit weniger zufrieden, als die Haschemiten aufgrund der Versprechungen ihrer britischen Bündnispartner erwartet hatten – forderte jedoch zugleich mehr, als die Briten ihm tatsächlich geben konnten: Der britische Premierminister David Lloyd George war auf die Zustimmung Frankreichs angewiesen, um die britischen Ansprüche auf Mesopotamien und in Palästina durchsetzen zu können. Und schon seit den ersten Kriegstagen hatten die Franzosen deutlich gesagt, dass der Preis für jene Zustimmung Syrien sein würde. Da es unmöglich war, diese widerstreitenden Ansprüche auf Syrien miteinander zu versöhnen, entschieden sich die Briten für ihren wichtigsten Verbündeten – Frankreich – und damit gegen Faisal, der sehen musste, wie er allein zurechtkam. Am 1. November 1919 zogen die Briten ihre Soldaten aus Syrien ab und überstellten das Land der französischen Militärverwaltung. Der Syrische Nationalkongress, eine Versammlung gewählter Vertreter, die Faisals Anhänger aus den verschiedenen Teilen Großsyriens zusammengerufen hatten, reagierte darauf am 8. März 1920, indem er Faisal zum König eines unabhängigen Syriens proklamierte. Aber Faisals syrisches Königreich sollte nicht überleben. Frankreich entsandte ein Kolonialheer aus dem Libanon, um Damaskus zu besetzen. Als sie an einem Pass auf der Straße, die von Beirut nach Damaskus über das Gebirge führt, auf die Überreste von Faisals Armee stießen, bereitete es den Franzosen keine Mühe, die wohl eher symbolisch zu verstehende „Verteidigungsmacht“ von 2000 Mann zu überwinden: Am 24. Juli 1920 wurden die Araber bei Khan Maysalun vernichtend geschlagen, und die Franzosen rückten in Damaskus ein, ohne auf Gegenwehr zu stoßen, und bereiteten Faisals kurzlebigem Königreich damit ein Ende. Die zerschlagenen Hoffnungen des Arabischen Aufstands nahm Faisal mit ins Exil. Mit dem Sturz von Faisals Regierung in Damaskus blieb es den Palästinensern überlassen, sich auf eigene Faust gegen die britische Besatzung – und gegen die Balfour-Deklaration – zu wehren. Würdenträger aus kleineren und größeren Städten Palästinas hatten im Syrischen Nationalkongress
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eine wichtige Rolle gespielt, und die Stadtbürger und Dorfbewohner, die sie vertraten, teilten ihre Sicht der Dinge der amerikanischen Untersuchungskommission mit, die im Sommer 1919 von der Pariser Friedenskonferenz in den Nahen Osten entsandt wurde. Vom 10. Juni bis zum 21. Juli reisten die Mitglieder der King-Crane-Kommission kreuz und quer durch Großsyrien, um Beweismaterial zu sammeln und die öffentliche Meinung über die politische Zukunft der Region zu sondieren. Klar wurde dabei, dass eine deutliche Mehrheit unter den Arabern Palästinas am liebsten zu Untertanen von Faisals arabischem Königreich geworden wären. Außerdem sprach sich, wie die King-Crane-Kommission meldete, die arabische Bevölkerung Palästinas „mit Nachdruck gegen das zionistische Projekt als Ganzes“ aus, ja es gebe „keinen anderen Punkt, in dem die gesamte Bevölkerung Palästinas noch stärker übereinstimmte“.24 Die Spannungen nahmen zu, als 1920 die jüdische Einwanderung nach Palästina Fahrt aufnahm; dies war nicht zuletzt auf die in der Balfour- Deklaration zugesagte Unterstützung Großbritanniens zurückzuführen. Zwischen 1919 und 1921 strömten über 18 500 zionistische Einwanderer in das Land. In der ersten Aprilwoche 1920 brachen in Jerusalem gewaltsame Unruhen aus. Fünf Juden und vier Araber wurden getötet, mehr als 200 Menschen wurden verletzt. Noch schlimmere Gewaltexzesse folgten 1921, als arabische Stadtbewohner sich in eine Auseinandersetzung zwischen jüdischen Kommunisten und Zionisten einmischten, die im Hafen von Jaffa bei einem Aufmarsch zum 1. Mai ihren Anfang genommen hatte. Bei den Ausschreitungen, die nun folgten, wurden 47 Juden und 48 Araber getötet und über 200 Personen verletzt. Schon jetzt waren die Widersprüche nicht mehr zu übersehen, die durch die Balfour-Deklaration in die Welt gebracht worden waren: Die Juden sollten eine „nationale Heimstatt“ erhalten, jedoch sollte dies keinerlei negative Auswirkungen auf die Rechte und Interessen der ortsansässigen nichtjüdischen Bevölkerung haben. Die politischen Eliten im Irak verfolgten die Entwicklungen in Ägypten und Syrien mit wachsender Besorgnis hinsichtlich ihrer eigenen Zukunft. Im November 1918 hatten Briten und Franzosen sie noch einmal beruhigt, indem sie ihre Unterstützung für die „Errichtung nationaler Regierungen und Verwaltungen“ in der arabischen Welt bekundeten, und dieses Ziel sollte durch einen selbstbestimmten Prozess erreicht werden. Als dann aber die Monate ins Land gingen, ohne dass irgendein Fortschritt in
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Richtung der versprochenen Selbstverwaltung zu erkennen gewesen wäre, wurden die Iraker zunehmend argwöhnisch. Und die Nachricht vom April 1920, dass die Großmächte in Sanremo vereinbart hatten, Irak zum britischen Mandatsgebiet zu erklären, bestätigte die schlimmsten Befürchtungen der Iraker.25 Ende Juni 1920 brachen überall im Irak Aufstände gegen die britische Herrschaft los. Die Aufständischen waren diszipliniert und gut organisiert, ihr Vorgehen bedrohte die Briten in Basra, Bagdad und Mossul, aber das Zentrum der Rebellion lag rund um dieselben heiligen Städte der Schiiten am mittleren Euphrat, die sich im Weltkrieg gegen die Herrschaft der Osmanen erhoben hatten. Als sich der Aufruhr immer weiter ausbreitete, sahen sich die Briten gezwungen, zusätzliche Truppen nach Mesopotamien zu entsenden, um die erbitterte Gegenwehr der Iraker an allen Fronten niederzuschlagen. In aller Eile wurden Verstärkungen aus Indien herbeigebracht, um die 60 000 Veteranen des Mesopotamienfeldzugs zu unterstützen, die auf ihre Demobilisierung gewartet hatten. Bis Oktober hatten die Briten im Irak wieder 100 000 Mann im Einsatz. Durch Luftangriffe und schweren Artilleriebeschuss gelang es ihnen, die mittlere Euphratregion zurückzuerobern. Ihre Taktik der verbrannten Erde brach den irakischen Widerstand. „In den letzten Tagen ist viel Blut vergossen worden, bevölkerungsreiche Städte sind dem Erdboden gleichgemacht worden, Heiligtümer sind entweiht und besudelt worden, dass die Menschheit darüber wehklagen mag“, schrieb ein Journalist in Nadschaf im Oktober 1920. Bis zur endgültigen Niederschlagung des Aufstandes Ende Oktober gaben die Briten ihre eigenen Verluste mit 2200 Toten und Verwundeten an, während schätzungsweise 8450 irakische Opfer zu beklagen waren.26 Scherif Hussein, der König des Hedschas, verfolgte die Entwicklungen in Syrien, Palästina und im Irak mit dem wachsenden Gefühl, betrogen worden zu sein. Er besaß Abschriften von jedem einzelnen Brief, den er mit Sir Henry McMahon gewechselt hatte, und war der Ansicht, dass die Briten kein einziges der vielen Versprechen gehalten hätten, die dort gegeben worden waren. König der Araber hatte Hussein werden wollen – jetzt sah er sich auf seinen kleinen Hedschas zurückgeworfen, und selbst da war er seines Lebens nicht sicher. Eine rivalisierende Königsdynastie im benachbarten Zentralarabien drohte, den Hedschas zu überrennen. Ihr
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Anführer war Abd al-Aziz al-Saud, im Westen besser bekannt als „Ibn Saud“. Und um den Ganzen noch die Krone aufzusetzen, war Ibn Saud von den Briten mit einem Bündnisvertrag belohnt worden und erhielt zudem noch eine üppige monatliche Geldzahlung aus dem britischen Schatzamt. Allerdings waren auch die Briten besorgt über die Zukunft des He dschas. Während sie mit Ibn Saud schon im Jahr 1915 einen förmlichen Bündnisvertrag geschlossen hatten, war ihre Beziehung zu den Haschemiten im Rahmen eines Kriegsbündnisses geknüpft worden. Sobald der Krieg zu Ende war, endete auch das Bündnis. Entweder der alte König des Hedschas würde also einen neuen Vertrag mit Großbritannien schließen, oder die Briten würden keinerlei rechtliche Basis haben, sein Territorium zu verteidigen. Aber wenn sie König Hussein dazu bringen wollten, einen Bündnisvertrag zu unterzeichnen, mussten sie ihn erst dazu bringen, die in Sanremo formulierte Nachkriegsordnung zu akzeptieren. Im Sommer 1921 erhielt T. E. Lawrence den unmöglichen Auftrag, mit dem verbitterten König die Einzelheiten eines Vertrags zwischen Großbritannien und dem Hedschas auszuhandeln. Als Lawrence mit König Hussein zusammentraf, hatten die Briten schon einiges unternommen, um Sir Henry McMahons gebrochene Versprechen doch noch irgendwie einzulösen. Winston Churchill, der inzwischen Kolonialminister geworden war, hatte im März 1921 in Kairo ein geheimes Treffen einberufen, bei dem es um die politische Zukunft der neuen britischen Mandatsgebiete im Nahen Osten gehen sollte. Bei diesem Treffen vereinbarten die anwesenden britischen Entscheidungsträger, König Husseins Sohn Faisal als König des Iraks einzusetzen und seinen Bruder Abdullah zum Herrscher des vorerst noch nicht abschließend definierten Reichs Transjordanien zu machen (das erst 1923 offiziell von Palästina getrennt wurde). Als dann haschemitische Monarchen für sämtliche britischen Mandate mit Ausnahme Palästinas vorgesehen waren, konnte Churchill immerhin behaupten, er habe dem Geist, wenn auch nicht dem Buchstaben der Hussein-McMahon-Korrespondenz gemäß gehandelt. Zwischen Juli und September 1921 bemühte sich Lawrence vergebens, einen perfekten Ausgleich zwischen den Interessen König Husseins und denen der Briten im Nahen Osten der Nachkriegszeit zu finden. Hussein lehnte es ab, seine eigenen Ansprüche auf den Hedschas zu beschränken.
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Er verwahrte sich gegen eine Abspaltung Syriens und des Libanons vom Rest der arabischen Welt und war dagegen, dass beide einem französischen Mandat unterstellt werden sollten. Auch die britischen Mandate im Irak und in Transjordanien lehnte er ab, selbst wenn diese Mandatsgebiete nominell von seinen Söhnen regiert werden sollten. Und er weigerte sich, das britische Versprechen zur Schaffung einer „nationalen Heimstatt“ für das jüdische Volk in Palästina zu unterstützen. Da König Hussein sich also außerstande sah, auch nur gewisse Teile der von den Briten angestrebten Nachkriegsregelung zu akzeptieren, gab es keinerlei Verhandlungsspielraum für einen Bündnisvertrag. Mit leeren Händen kehrte Lawrence nach London zurück. Im Jahr 1923 unternahmen die Briten einen letzten Versuch, mit dem Königreich Hedschas ein Bündnis zu schließen, dem sich der verbitterte alte König aber verweigerte. Damit verspielte er die Chance auf britischen Schutz genau in dem Moment, als Ibn Saud sich anschickte, die Provinz am Roten Meer zu erobern. Am 6. Oktober 1924 dankte Hussein zugunsten seines ältesten Sohnes Ali ab und ging ins Exil. König Alis Herrschaft endete nur ein gutes Jahr später, Ende 1925, als die Saudis ihre Eroberung des Hedschas abschließen konnten. Wie schon die Osmanen vor ihnen, schlugen auch die Haschemiten ihr letztes Gefecht in Medina. Im Dezember 1925 mussten sie die heilige Stadt den Saudis überlassen – fast genau sieben Jahre nach der Kapitulation des osmanischen Stadtkommandanten Fahri Pascha.
* Letzten Endes war die osmanische Front im Ersten Weltkrieg maßgeblicher, als die Zeitgenossen dies jemals erwartet hätten. Die alliierten Strategen hatten geglaubt, ihr rascher Sieg über ein ohnehin geschwächtes Osmanisches Reich – den „kranken Mann am Bosporus“ – könnte womöglich den Zusammenbruch der Mittelmächte beschleunigen. Stattdessen sahen sie sich in eine Reihe von Feldzügen hineingezogen, die beinahe den gesamten restlichen Krieg über andauern sollten. Die Schlachten im Kaukasus und in Persien; der gescheiterte Versuch, die Dardanellen zu durchbrechen; die Rückschläge in Mesopotamien und der lange, mühselige Feldzug über den Sinai, durch Palästina und Syrien – alle banden sie
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Hunderttausende von Soldaten und wichtiges Kriegsmaterial, die somit an den Hauptschauplätzen des Ersten Weltkriegs – der West- und der Ostfront – fehlten. Anstatt das Kriegsende zu beschleunigen, führte die osmanische Front also eher zu einer Verlängerung des Krieges. Ein großer Teil der alliierten Kriegsbemühungen im Nahen Osten wurde von einer, wie sich herausstellte, unbegründeten Angst vor dem Dschihad angetrieben. Während die Muslime in den Kolonien sich – im Großen und Ganzen – von den Appellen des osmanischen Sultan-Kalifen völlig unbeeindruckt zeigten, meinten die europäischen Kolonialmächte dennoch bei jedem größeren Sieg der Türken, bei jedem Rückschlag der Alliierten im Nahen Osten, dass diese nun den befürchteten großen Aufstand der Muslime in Indien und Nordafrika auslösen würden. Ironischerweise schenkten also die „ungläubigen“ Alliierten dem Ruf des Kalifen größere Beachtung als dessen muslimisches Zielpublikum. Auch 100 Jahre später irrt man im Westen, wenn man „den Muslimen“ eine Neigung zum kollektiven Fanatismus unterstellt. Wie der „Krieg gegen den Terrorismus“ nach dem 11. September 2001 gezeigt hat, haben die politisch Verantwortlichen im Westen noch immer ähnliche Vorstellungen vom Dschihad wie ihre Vorgänger in den Jahren 1914 bis 1918. Schon der Erste Weltkrieg selbst hatte einen enormen Einfluss auf die Entstehung des modernen Nahen Ostens. Nach dem Untergang des Osmanischen Reichs trat der europäische Imperialismus an die Stelle der Sultansherrschaft. Nach vier gemeinsamen Jahrhunderten in einem Vielvölker-Großreich unter osmanisch-muslimischer Oberhoheit fanden sich die Araber mit einem Mal auf eine Reihe neuer Staaten verteilt, die unter der Kontrolle Frankreichs oder Großbritanniens standen. Einige wenige Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs erlangten ihre Unabhängigkeit in Grenzen, die sie selbst sich gegeben hatten: Die Türkei, Iran und SaudiArabien sind die wichtigsten unter ihnen. Den meisten Staaten in der Region wurden ihre Grenzen und Herrschaftssysteme jedoch im Zuge der Friedensregelung nach dem Ersten Weltkrieg von den europäischen Großmächten aufgedrückt. Die Aufteilung des Osmanischen Reichs nach dem Krieg sorgte schon in dessen Verlauf für intensive Verhandlungen zwischen den alliierten Mächten. Im Rückblick ergeben die verschiedenen Teilungsvereinbarungen nur dann noch Sinn, wenn man sie im Kontext ihrer Ent-
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stehungssituation im Weltkrieg betrachtet: das geheime Abkommen über Konstantinopel und die Meerengen von 1915, als die Alliierten noch mit einer schnellen Eroberung Istanbuls rechneten; die Hussein-McMahonKorrespondenz aus den Jahren 1915/16, als die Briten einen muslimischen Verbündeten gegen den osmanischen Dschihad brauchten; die BalfourDeklaration von 1917, als die Briten den Vertragstext des Sykes-Picot- Abkommens so abändern wollten, dass dabei Palästina für sie abfiel. Diese in der Rückschau haarsträubenden Vereinbarungen, die wohl nur in Kriegszeiten so zustande kommen konnten, wurden einzig und allein mit dem Ziel getroffen, die imperiale Einflusssphäre Frankreichs und Großbritanniens weiter auszudehnen. Wäre es den europäischen Großmächten tatsächlich darum gegangen, einen stabilen Nahen Osten zu entwerfen, so muss man annehmen, dass sie die Grenzen wohl ganz anders gezogen hätten. Dennoch haben sich ebendiese Grenzen als erstaunlich langlebig erwiesen – genauso langlebig sind aber auch die Konflikte, die sich an ihnen entzündet haben. Die Kurden, die auf die Staatsgebiete der Türkei, Irans, Iraks und Syriens verteilt wurden, waren in den letzten 100 Jahren in Konflikte mit allen diesen Gastländern verstrickt, haben um ihre kulturellen und politischen Rechte kämpfen müssen. Der Libanon, von den Franzosen 1920 als christlicher Staat aus der Taufe gehoben, versank in einer Reihe von Bürgerkriegen, als seine staatlichen Strukturen mit dem demografischen Wandel nicht mehr Schritt halten konnten und die Zahl der Muslime im Land schließlich die der Christen überstieg. Syrien, das sich nie mit der Schaffung des Staates Libanon hatte abfinden können – syrischen Nationalisten galt das libanesische Territorium als ein integraler Teil ihres eigenen Landes –, sandte schließlich 1976 Truppen, um den vom Bürgerkrieg erschütterten Libanon zu besetzen. Beinahe 30 Jahre sollte diese syrische Besatzung andauern. Auch der Irak hat, trotz aller natürlichen und menschlichen Ressourcen, so etwas wie Frieden oder Stabilität in seinen Grenzen von 1920 nie gekannt: Im Zweiten Weltkrieg kam es zu einem Militärputsch und anschließend zu einer militärischen Auseinandersetzung mit den Briten; es folgten 1958 eine Revolution – neben einer ganzen Reihe kleinerer Staatsstreiche –, ein blutiger Krieg mit dem Iran in den Jahren 1980 bis 1988 sowie ein scheinbar endloser Kreislauf aus Krieg und Gewalt seit der In-
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vasion Saddam Husseins in Kuwait 1991 und der US-Invasion von 2003, die Saddams Herrschaft stürzte. Kein anderes Vermächtnis des Ersten Weltkriegs hat jedoch den Nahen Osten deutlicher und dauerhafter zum Kriegs- und Krisenherd werden lassen als der arabisch-israelische Konflikt. Vier größere Kriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn – in den Jahren 1948, 1956, 1967 und 1973 – haben der ganzen Region eine Reihe schier unlösbarer Probleme beschert, die auch Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten im Jahr 1979 beziehungsweise zwischen Israel und Jordanien im Jahr 1994 nicht haben aus der Welt schaffen können. Palästinensische Flüchtlinge leben noch heute verteilt auf den Libanon, Syrien und Jordanien; Israel hält noch immer die syrischen Golanhöhen sowie das Gebiet der Shebaa-Farmen im südlichen Libanon besetzt und hat seine Kontrolle über die palästinensischen Autonomiegebiete im Westjordanland und im Gazastreifen noch immer nicht aufgegeben. Während Israel und seine arabischen Nachbarn für ihr eigenes Handeln hauptsächlich selbst verantwortlich sind, lassen sich die Ursprünge des Nahostkonflikts in direkter Linie bis zu den fundamentalen Widersprüchen der Balfour-Deklaration zurückverfolgen. Die Legitimität der Grenzen im Nahen Osten ist seit der Zeit ihrer Festlegung immer wieder infrage gestellt worden. In den 1940er- und 1950erJahren forderten arabische Nationalisten (Panarabisten) ganz offen, dass die arabischen Staaten sich zusammenschließen sollten, um ihre verhassten Grenzen loszuwerden, die von vielen Arabern als ein Erbe des Imperialismus abgelehnt wurden. Vertreter des Panislamismus wiederum haben sich – mit derselben Zielsetzung – für eine stärkere Vereinigung der islamischen Welt ausgesprochen. Im Jahr 2014 teilte eine Miliz namens „Islamischer Staat“ ihren Anhängern über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, sie sei im Begriff, „Sykes-Picot [zu] zerschlagen“: Gemeint war die Ausrufung eines Kalifats, das sich über weite Teile Nordsyriens und des Iraks erstreckte. Auch 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sind die Grenzen im Nahen Osten weiterhin umstritten – und machen die Region zum Pulverfass.27
*
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Die einhundertste Wiederkehr des Ersten Weltkriegs ist im Nahen Osten öffentlich kaum zur Kenntnis genommen worden. Von Gallipoli einmal abgesehen, wo türkische und ANZAC-Veteranenverbände seit Jahrzehnten Gedenkveranstaltungen für ihre Gefallenen abhalten, sind die Mühen und Opfer jener wahrhaft „globalisierten“ Armeen, die an der osmanischen Front im Einsatz waren, weitgehend in Vergessenheit geraten – zu dringlich sind of andere, heutige Belange. Revolutionärer Aufruhr in Ägypten, Bürgerkriege in Syrien und im Irak, die andauernde Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern: Das waren die Themen, die den Nahen Osten 100 Jahre nach Ausbruch des Weltkriegs bewegten. In vielen anderen Teilen der Erde jedoch hat man den Ersten Weltkrieg nicht vergessen, und so ist es wichtig, dass man auch die entscheidende Rolle nicht vergisst, welche die Osmanen und ihr Reich in diesem Krieg gespielt haben. Schließlich war es erst die osmanische Front mit ihren Schlachtfeldern auf asiatischem Boden und ihren Soldaten aus allen Teilen der Erde, die aus dem „Großen Krieg“ auf dem europäischen Schauplatz einen tatsächlichen, ersten Weltkrieg machte. Und schließlich wirken im Nahen Osten, sosehr wie nirgendwo sonst auf der Welt, die bitteren Folgen jenes Weltkriegs noch bis heute nach.
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maximale Ausdehnung der aliierten Landgewinne
✖ Landungsplätze
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DANK Die Recherche und das Schreiben dieses Buches sind durch die großzügige Unterstützung der British Academy und des Arts and Humanities Research Council (AHRC) überhaupt erst möglich geworden. Ich bin der British Academy und der Association of Jewish Refugees überaus dankbar dafür, dass sie mir das „Thank-Offering to Britain“-Stipendium des Jahres 2011/12 zugesprochen haben. Ebenso zu Dank verpflichtet bin ich dem AHRC für die Gewährung eines Senior Research Fellowship im akademischen Jahr 2012/13. Wie schon bei meinem letzten Buch, Die Araber, habe ich von dem Fachwissen und Zuspruch der vielen Nahostexperten profitiert, die an der Universität Oxford lehren und forschen. Einen großen Teil des vorliegenden Buches habe ich zunächst im Hörsaal meinen Oxforder Studenten vorgestellt; von ihrer Kritik hat das spätere Manuskript sehr profitiert, und ich danke ihnen von Herzen. Ebenso danken möchte ich meinen Kollegen vom Nahostzentrum der Universität Oxford: Walter Armbrust, Celia Kerslake, Laurent Mignon, Tariq Ramadan, Philip Robins, Avi Shlaim und Michael Willis. Eine ganze Reihe von Freunden, Verwandten und Kollegen, denen meine Forschungsinteressen nicht verborgen geblieben sind, haben mich auf Bücher und Quellenmaterial hingewiesen, die ganz entscheidend zu der vorliegenden Darstellung beigetragen haben. Danken möchte ich Toufoul Abou-Hodeib und Adam Mestyan für eine Reihe von arabischen Quellen zum Ersten Weltkrieg in Syrien; Ali Allawi für seine Hilfe bei der Quellensuche zu Mesopotamien; Yoav Alon und Fayez al-Tarawneh für ihre Hinweise auf Memoiren aus dem Arabischen Aufstand und Tui Clark für die Lektüreempfehlung von Studien zu den Kriegserfahrungen neuseeländischer Soldaten im Nahen Osten. Jill, Herzogin von Hamilton, hat mir ihre Bibliothek sowie ihre eigenen, vorzüglichen Forschungsarbeiten zu den ANZACund den britischen Truppen im Nahen Osten zur Verfügung gestellt. Henry Laurens hat mir dankenswerterweise eine Abschrift französischer Geheimdienstberichte zukommen lassen, die der Dominikanerpater und Orientalist Antonin Jaussen zusammengestellt hat. Margaret MacMillan, die ja selbst mit der Arbeit an ihrer eigenen, außerordentlichen Studie über die Ur-
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sprünge des Ersten Weltkriegs (The War that Ended Peace) beschäftigt war, hat mir jeden Aufsatz über die osmanische Kriegsbeteiligung weitergeleitet, der ihr untergekommen ist. Martin Bunton und Hussein Omar haben mir wertvolles Quellenmaterial zur ägyptischen Beteiligung an der Kriegführung Großbritanniens zur Verfügung gestellt. Ausdrücklich möchte ich auch meiner Mutter, Margaret Rogan, für ihre Nachforschungen zum Leben und Sterben meines Großonkels John McDonald auf Gallipoli danken. Bei meiner Beschäftigung mit den Kriegstagebüchern türkischer Veteranen des Ersten Weltkriegs konnte ich mich zum Glück auf die Unterstützung zweier brillanter Nachwuchsforscher auf dem Gebiet der spätosmanischen Geschichte verlassen: Djene Bajalan und Kerem Tınaz, die beide als Doktoranden nach Oxford gekommen sind und für mich die Buchhandlungen von Istanbul durchkämmt haben, immer auf der Suche nach veröffentlichten Memoiren von türkischen Soldaten und Offizieren des Ersten Weltkriegs, die inzwischen immer häufiger ans Licht kommen. Djene hat außerdem bei den Recherchen für die ersten beiden Kapitel dieses Buches geholfen, Kerem bei der Recherche für die Kapitel 3 bis 13. Ohne diese beiden hätte ich es nicht geschafft. Wir Historiker sind angewiesen auf Archivarinnen und Bibliothekarinnen, die uns das „Rohmaterial“ für unsere Arbeit beschaffen. Ganz besonders danken möchte ich in diesem Zusammenhang Mastan Ebtehaj, der Bibliothekarin des Oxforder Nahostzentrums, und Debbie Usher, der Archivarin des Zentrums, für ihre großzügige Unterstützung. Auch dem Archivteam des US-Nationalarchivs in College Park, Maryland, ihren Kolleginnen und Kollegen vom Imperial War Museum in London, die auch während der umfassenden Umbauarbeiten an ihrem Museum den Lesebetrieb aufrechterhalten haben, sowie den überaus effizienten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Alexander Turnbull Library im neuseeländischen Wellington möchte ich danken. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen haben das Exposé für mein Buch sowie die Rohfassungen verschiedener Kapitel gelesen und mir mit Anmerkungen und Korrekturen zur Seite gestanden. Inbesondere danken möchte ich Frederick Anscombe, Ben Fortna, Roger Owen, Joseph Sassoon und Ngaire Woods. Meiner Agentin Felicity Bryan und meinem Agenten George Lucas bin ich zutiefst dankbar für die große Weisheit und Erfahrung, mit der sie
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mich und mein Buch von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung begleitet haben. Die Zusammenarbeit mit Lara Heimert und Simon Winder ist eigentlich das Schönste daran, wenn man bei Allen Lane und Basic Books seine Bücher veröffentlicht. Die beiden gehören wirklich zu den herausragenden Vertretern ihrer Zunft. Mein größter Dank aber gebührt meiner Familie für all die Liebe und Ermutigung, die sie mir haben zuteilwerden lassen, selbst dann, als meine konzentrierte Arbeit an diesem Buch auf ihre Kosten gegangen ist. Ngaire war meine engste Gefährtin, Kapitel für Kapitel; Richard hat mich beglückt mit der großen Freude, die er an allem Arabischen hat; und Isabelle war mein Leucht- und Orientierungsfeuer, denn dieses Buch ist auch ihr Buch.
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ANMERKUNGEN Vorwort 1 Colonel J. M. Findlay, With the 8th Scottish Rifles, 1914–1919 (London: Blockie, 1926), S. 21. 2 Findlay, With the 8th Scottish Rifles, S. 34. 3 Das British Council beauftragte die YouGovAgentur, im September 2013, eine Onlineumfrage unter der erwachsenen Bevölkerung in Ägypten, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Russland und der Türkei durchzuführen. Die Ergebnisse finden sich in dem Bericht „Remember the World as Well as the War: Warum die globale Reichweite und das bleibende Erbe des Ersten Weltkrieges bis heute von Bedeutung sind“, British Council, Februar 2014, https://www.britishcouncil. org/research-policy-insight/policy-reports/ remember-the-world. 4 Einige bedeutende Tagebücher sind zuletzt aus dem Türkischen und Arabischen übersetzt worden, darunter Leutnant Mehmed Fasihs Gallipoli 1915: Bloody Ridge (Lone Pine) Diary of Lt. Mehmed Fasih (Istanbul: Denizler Kitabevi, 2001); Falih Rıfkı Atays Lebenserinnerungen aus dem Jahr 1981, Zeytindağı, liegen in einer hervorragenden
französischen Übersetzung vor: Le mont des Oliviers: L’empire Ottoman et le Moyen-Orient, 1914–1918 (Paris: Turquoise, 2009); das Tagebuch des Jerusalemer Soldaten Ihsan Turdschman wurde von Salim Tamari übersetzt und unter dem Titel Year of the Locust: A Soldier’s Diary and the Erasure of Palestine’s Ottoman Past (Berkeley: University of California Press, 2011) veröffentlicht. Zu den neueren Studien, die sich auf das Militärarchiv in Ankara stützen, gehören Mustafa Aksakal, The Ottoman Road to War in 1914: The Ottoman Empire and the First World War (Cambridge: Cambridge University Press, 2008); M. Talha Çiçek, War and State Formation in Syria: Cemal Pasha’s Governorate During World War I, 1914–17 (London: Routledge, 2014); Edward J. Erickson, Ordered to Die: A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport, CT: Greenwood Press, 2001); Hikmet Özdemir, The Ottoman Army, 1914–1918: Disease and Death on the Battlefield (Salt Lake City: University of Utah Press, 2008).
Kapitel 1: Eine Revolution und drei Kriege: 1908–1913 1 Der Vorsitzende der Bäcker-Gilde wird zitiert in Stanford J. Shaw und Ezel Kural Shaw, History of the Ottoman Empire and Modern Turkey (Cambridge: Cambridge University Press, 1985), Bd. 2, S. 187. 2 Zu den Jungtürken siehe Feroz Ahmad, The Young Turks: The Committee of Union and Progress in Turkish Politics, 1908–1914 (Oxford: Oxford University Press, 1969); M. Sükrü Hanioğlu, Preparation for a Revolution: The Young Turks, 1902–1908 (New York: Oxford University Press, 2001); Erik J. Zürcher, Turkey: A Modern History (London: I. B. Tauris, 1993). 3 Abdülhamid II. wird zitiert von François Georgeon, Abdülhamid II: Le sultan calife (Paris: Fayard, 2003), S. 401. 4 Nach einem Zeitungsbericht, zitiert von Georgeon, Abdülhamid II, S. 404; Cemal und Talât zitiert von Andrew Mango, Atatürk (London: John Murray, 1999), S. 80. 5 Anonym, Thawrat al-’Arab [Die Revolution der Araber] (Kairo: Matba’a al-Muqattam, 1916), S. 49. 6 Zitiert nach Muhammad Izzat Darwaza in Nash’at al-Haraka al-’Arabiyya al-Haditha [Die Bildung der modernen arabischen Bewegung], 2. Aufl. (Sidon und Beirut: Manshurat al-Maktaba al-’Asriyya, 1971), S. 277. 7 Darwaza, Nash’at al-Haraka, S. 286.
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8 Zürcher, Turkey, S. 98. 9 Artikel 61 aus „Vertrag von Berlin“, in The Middle East and North Africa in World Politics, hg. von J. C. Hurewitz (New Haven, CT: Yale University Press, 1975), Bd. 1, S. 413f.; vgl. auch H. F. B. Lynch, Armenia: Travels and Studies, Bd. 2: The Turkish Provinces (London: Longmans, Green and Co., 1901), S. 408–411. 10 Dikran Mesob Kaligian, Armenian Organization and Ideology Under Ottoman Rule, 1908–1914 (New Brunswick, NJ: Transaction Publishers, 2011), S. 1f. 11 Lynch, Armenia, Bd. 2, S. 157f. 12 Georgeon, Abdülhamid II, S. 291–295. 13 Cemal Pascha sprach von 17 000 getöteten Armeniern; Djemal Pasha, Memories of a Turkish Statesman, 1913–1919 (London: Hutchinson, o.J.), S. 261. Der armenische Abgeordnete Zohrab Efendi, der in der offiziellen Kommission zur Aufarbeitung der Massaker mitwirkte, bezifferte die Anzahl der toten Armenier auf 20 000. „Young Turk-Armenian Relations during the Second Constitutional Period, 1908–1914“, in From Empire to Republic: Essays on the Late Ottoman Empire and Modern Turkey, von Feroz Ahmad (Istanbul: Bilgi University Press, 2008), Bd. 2, S. 186; vgl. auch Kaligian, Armenian Organization, S. 36, für die Behauptung, dass zwischen 10 000 und 20 000
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546 Anhang Armenier beim Massaker von Adana ums Leben kamen. 14 Zabel Essayan, Dans les ruines: Les massacres d’Adana, avril 1909 [In den Ruinen: Die Adana-Massaker, April 1909] (Paris: Libella, 2011), übersetzt aus dem 1911 erschienenen armenischen Original. Zitat auf S. 40. 15 Kaligian, Armenian Organization, S. 45–47; Djemal Pasha, Memories of a Turkish Statesman, S. 262. 16 Zur italienischen Invasion Libyens vgl. Jamil Abun-Nasr, A History of the Maghrib (Cambridge: Cambridge University Press, 1971), S. 308–312; Mango, Atatürk, S. 101f. 17 Ein türkischer Kriegsveteran gab an, die Osmanen hätten nur über 1000 Mann verfügt. Italienische Quellen sprechen von 4200 Türken in Tripolitanien und der Kyrenaika. Philip H. Stoddard, „The Ottoman Government and the Arabs, 1911 to 1918: A Preliminary Study of the Teşkilât-i Mahsusa“ (Diss. phil., Princeton University, 1963), S. 205f., Fußnote 174; vgl. auch E. E. Evans-Pritchard, The Sanusi of Cyrenaica (Oxford: Oxford University Press, 1954), S. 104–124. 18 M. Sükrü Hanioğlu (Hg.), Kendi Mektuplarinda Enver Paşa [Enver Pascha in seinen eigenen Briefen] (Istanbul: Der Yayinlari, 1989), S. 75–78. 19 Mango, Atatürk, S. 102. 20 Hanioğlu, Kendi Mektuplarinda Enver Paşa, S. 92–94; vgl. auch Georges Rémond, Aux campes turco-arabes: Notes de route et de guerre en Tripolitaine et en Cyréanaique [In den türkischarabischen Lagern: Aufzeichnungen zur Reise und dem Krieg in Tripolitanien und der Kyrenaika] (Paris: Hachette, 1913). 21 Hanioğlu, Kendi Mektuplarinda Enver Paşa, S. 148–153, 185–188, 196–198; vgl. auch G. F. Abbott, The Holy War in Tripoli (London: Edward Arnold, 1912). 22 Abun-Nasr, History of the Maghrib, S. 310. 23 L. S. Stavrianos, The Balkans Since 1453
(London: Hurst, 2000), S. 535–537. 24 Hanioğlu, Kendi Mektuplarinda Enver Paşa, Briefe vom 28. Dezember 1912 und 12. Januar 1913, S. 216f., 224. 25 Enver berichtete von den Ereignissen am 23. Januar in einer Reihe von Briefen zwischen dem 23. und 28. Januar 1913. Hanioğlu, Kendi Mektuplarinda Enver Paşa, S. 224–231. Vgl. auch Ahmad, The Young Turks, S. 117–123. 26 Zitiert in Niyazi Berkes, The Development of Secularism in Turkey (New York: Routledge, 1998), S. 358. 27 Hanioğlu, Kendi Mektuplarinda Enver Paşa, S. 247f. 28 Hanioğlu, Kendi Mektuplarinda Enver Paşa, Brief vom 2. August 1913, S. 249f. 29 Ebd. 30 Zu den Ursprüngen, Zielen und Mitgliedern dieser und anderer arabischer Gesellschaften in der Vorkriegszeit vgl. George Antonius, The Arab Awakening (London: Hamish Hamilton, 1938), S. 101–125; Eliezer Tauber, The Emergence of the Arab Movements (London: Frank Cass, 1993). 31 Zitiert in Zeine N. Zeine, The Emergence of Arab Nationalism, 3. Auflage (New York: Caravan Books, 1973), S. 84. 32 Tawfiq al-Suwaydi, My Memoirs: Half a Century of the History of Iraq and the Arab Cause (Boulder, CO: Lynne Reiner, 2013), S. 60. Zu Suwaidis Bericht über den Arabischen Kongress vgl. S. 62–68. 33 Zum Pariser Abkommen vgl. Tauber, Emergence of the Arab Movements, S. 198–212. 34 Suwaydi, My Memoirs, S. 68. Abd al-Hamid al-Zahrawi von der Dezentralisierungspartei sowie Muhammad al-Mihmisani und Abd al-Ghani al-Uraysi, beide Mitglieder von Al-Fatat, wurden im Mai 1916 von den osmanischen Behörden hingerichtet. 35 Hanioğlu, Kendi Mektuplarinda Enver Paşa, Brief vom 2. August 1913, S. 249f.
Kapitel 2: Der Frieden vor dem Weltkrieg 1 NARA, Istanbul Bd. 284, stellvertretender US-Generalkonsul George W. Young, „Automobiles“, 3. Juli 1914. 2 Brian A. Elliot, Blériot: Herald of an Age (Stroud, UK: Tempus, 2000), S. 165. 3 NARA, Istanbul Bd. 285, US-Vizekonsul in Mersin an das Generalkonsulat, Istanbul, 16. Februar 1914. 4 NARA, Istanbul Bd. 285, Generalkonsul Ravndal, „Successful demonstration of ‚Curtiss Flying Boat‘ at Constantinople“, 15. Juni 1914. 5 NARA, Istanbul Bd. 282, Bericht aus Jerusalem vom 29. April 1914, darin eine Übersetzung des von
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den Mobilmachungsbehörden in Jaffa verschickten Hinweises an die Dorfvorsteher in Palästina. 6 Mustafa Aksakal, The Ottoman Road to War in 1914: The Ottoman Empire and the First World War (Cambridge: Cambridge University Press, 2008), S. 42–56. 7 Michael A. Reynolds, Shattering Empires: The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires, 1908–1918 (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), S. 36–41. 8 Justin McCarthy, Muslims and Minorities: The Population of Ottoman Anatolia and the End of the Empire (New York: New York University Press,
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Anmerkungen 547 1983), S. 47–88. Osmanische Zählungen legen für die Jahre 1911 und 1912 für diese sechs Provinzen eine armenische Bevölkerungszahl von 865 000 Menschen nahe, wohingegen das Armenische Patriarchat für das Jahr 1912 auf 1,018 Millionen in diesen sechs Provinzen kommt. Mamuretül-Aziz wurde von den Armeniern als Harput bezeichnet. Die Provinz heißt heute Elazığ. 9 Roderic H. Davison, „The Armenian Crisis, 1912–1914“, American Historical Review 53 (April 1948), S. 481–505. 10 Taner Akçam, The Young Turks’ Crime Against Humanity: The Armenian Genocide and Ethnic Cleansing in the Ottoman Empire (Princeton, NJ: Princeton University Press, 2012), S. 129–135. 11 Wilhelm II., „Tischrede in Damaskus (8. November 1898)“, in: Ernst Johann (Hg.), Reden des Kaisers. Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II. (München: dtv, 1966), S. 81. 12 NARA, Istanbul Bd. 295, Bericht aus Mersin, 3. Juli 1915 und aus Konstantinopel, „Baghtche Tunnel“, 3. September 1915; Sean McMeekin, The Berlin-Baghdad Express: The Ottoman Empire and Germany’s Bid for World Power, 1898–1918 (London: Allen Lane, 2010), S. 233–258. 13 NARA, Bagdad, Kasten 19, Konsul Brissels Berichte vom 2. Juni 1914 und dem 10. Oktober 1914. 14 Zitiert in Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei (Berlin: A. Scherl, 1922), S. 14–17. 15 Aksakal, The Ottoman Road to War, S. 80–83; Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 6f. 16 Djemal Pasha, Memories of a Turkish Statesman, 1913–1919 (London: Hutchinson, o.J.), S. 99–106. 17 Italien, obgleich Mitglied der Triple Entente, war mit Deutschland und Österreich nur durch ein Defensivbündnis verbunden. Da Deutschland und Österreich in die Offensive gegangen waren, trat Italien 1914 nicht in den Krieg ein. Als es dann 1915 doch den Krieg erklärte, schloss es sich den Entente-Mächten an. 18 Djemal Pasha, Memories of a Turkish Statesman, S. 116f. 19 PAAA, R 19866, Wangenheim an Auswärtiges Amt, 18. Juli 1914, Nr. 349. Die Übersetzer danken Herrn Dr. Martin Kröger vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (Berlin) für seine bereitwillige Hilfe bei der Recherche der hier und im Folgenden zitierten Quellen aus dem PAAA. 20 PAAA, R 22402, Wedel an Auswärtiges Amt, 24. Juli 1914, Nr. 130. PAAA, R1913, Jagow an Wilhelm II., 24. Juli 1914, Nr. 122. 21 „Secret Treaty of Defensive Alliance: Germany and the Ottoman Empire, 2 August 1914“, in The Middle East and North Africa in World Politics, hg.
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von J. C. Hurewitz (New Haven, CT: Yale University Press, 1979), Bd. 2, S. 1f. 22 Irfan Orga, Portrait of a Turkish Family (1950; Neuausgabe London: Eland, 1988), S. 47f. Orga verließ sich nicht allein auf sein eigenes Erinnerungsvermögen, um dieses Gespräch wiederzugeben, sondern gab zu, „dass meine Mutter in vielen Jahren das meiste davon Stück für Stück für mich wieder zusammengesetzt hat“ (S. 46). 23 NARA, Istanbul Bd. 285, Heizer an Morgenthau, 4. August 1914; Telegramme von Konsul Grech, Dardanellen, 4. und 27. August 1914. 24 PAAA, R 22402, Bethmann Hollweg an Konstantinopel, 10. August 1914, Nr. 350. 25 Ulrich Trumpener, Germany and the Ottoman Empire, 1914–1918 (Princeton, NJ: Princeton University Press, 1968), S. 28; Aksakal, The Ottoman Road to War, S. 115. 26 Djemal Pasha, Memories of a Turkish Statesman, S. 118f.; Halil Menteşe, Osmanli Mebusan Meclisi Reisi Halil Menteşe’nin Anilari [Memoiren des Sprechers des Osmanischen Parlaments Halil Menteşe] (Istanbul: Amaç Basimevi, 1996), S. 189–191. 27 John Buchan, Grünmantel, übers. v. Martha Hackel (Zürich: Diogenes, 1971), S. 13. Zur Islampolitik vgl. Tilman Lüdke, Jihad Made in Germany: Ottoman and German Propaganda and Intelligence Operations in the First World War (Münster: LIT, 2005), S. 33f. 28 PAAA, R 14562, Oppenheim aus Kairo an Auswärtiges Amt, 8. August 1906, Nr. 307. 29 Envers Bemerkungen wurden bereits in Kapitel 1 (Endnote 21) herangezogen; Djemal Pasha, Memories of a Turkish Statesman, S. 144. Zur unionistischen Sicht auf den Dschihad vgl. Philip H. Stoddard, „The Ottoman Government and the Arabs, 1911 to 1918: A Preliminary Study of the Teşkilât-i Mahsusa“ (Diss. phil., Princeton University, 1963), S. 23–26. 30 Aksakal, der auch die russischen Diplomatenberichte heranzieht, dokumentiert die osmanischen Vorschläge an die Russen in The Ottoman Road to War, S. 126–135. Sean McMeekin bewertet Envers Vorschläge als „Testballon voll atemberaubendem Zynismus“ in The Russian Origins of the First World War (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2011), S. 106f. 31 Hew Strachan, The First World War, Bd. 1: To Arms (Oxford: Oxford University Press, 2001), S. 230–278. Zu den österreichischen Verlusten gegen Russland und Serbien vgl. David Stevenson, 1914–1918: The History of the First World War (London: Penguin, 2005), S. 70–73. Vgl. auch D. E. Showalter, „Manoeuvre Warfare: The Eastern and
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548 Anhang Western Fronts, 1914–1915“, in The Oxford Illustrated History of the First World War, hg. von Hew Strachan (Oxford: Oxford University Press, 2000), S. 39–53.
32 PAAA, R 22402, Jagow an Wangenheim, 10. September 1914, Nr. 121. 33 Mustafa Aksakal, „Holy War Made in Germany? Ottoman Origins of the 1914 Jihad“, War in History 18 (2011), S. 184–199.
Kapitel 3: Der weltweite Ruf zu den Waffen 1 Hew Strachan, The First World War (London: Pocket Books, 2006), S. 97. 2 NARA, Istanbul Bd. 280, „Annual Report on the Commerce and Industries of Turkey for the Calendar Year 1913“, 29. Mai 1914; vgl. auch die Meldungen in Bd. 280 aus Tripoli in Syrien, Smyrna (dem heutigen Izmir), Jerusalem und Trabzon, die alle von der Emigration von Männern im wehrfähigen Alter berichten. Istanbul Bd. 292, „Report on Commerce and Industries for Calendar Year 1914“, Jerusalem, 15. März 1915. 3 NARA, Istanbul Bd. 282, der Bericht aus Jerusalem vom 29. April 1914 enthält eine Übersetzung der Anweisungen vom 25. April 1914, die vom „Chef der Soldatensammlung im Büro Jaffa“ an die Muhtar, die Dorfvorsteher, in Palästina geschickt wurden; Yigit Akin, „The Ottoman Home Front during World War I: Everyday Politics, Society, and Culture“ (Diss. phil., Ohio State University, 2011), S. 22; Kopien der Mobilmachungsplakate sind abgedruckt in Mehmet Besikçi, „Between Voluntarism and Resistance: The Ottoman Mobilization of Manpower in the First World War“ (Diss. phil., Bogaziçi University, 2009), S. 407–409. 4 Ahmad Rida, Hawadith Jabal ’Amil, 1914–1922 [Ereignisse von Jabal Amil] (Beirut: Dar Annahar, 2009), S. 35. 5 NARA, Istanbul Bd. 282, Bericht vom US-Konsul in Aleppo vom 3. August 1914; Bd. 292, Bericht vom US-Vizekonsul in Trebizond (Trabzon) vom 31. März 1915. 6 Irfan Orga, Portrait of a Turkish Family (1950; Neuauflage London: Eland, 1988), S. 65f. 7 „Ey gaziler yol göründü, Yine garib serime, Dağlar, taşlar dayanamaz, Benim ahu zarima.“ Orga, Portrait of a Turkish Family, S. 67, 71. 8 Edward J. Erickson, Ordered to Die: A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport, CT: Greenwood Press, 2001), S. 7; Şevket Pamuk, „The Ottoman Economy in World War I“, in The Economics of World War I, hg. von Stephen Broadberry und Mark Harrison (Cambridge: Cambridge University Press, 2005), S. 117; Beşikçi, „Between Voluntarism and Resistance“, S. 141. 9 David Stevenson, 1914–1918: The History of the First World War (London: Penguin, 2005), S. 198–205. 10 NARA, Istanbul Bd. 292, „Special Report on Turkish Economics“, 8. Mai 1915.
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11 NARA, Istanbul Bd. 282, Bericht aus Aleppo, 3. August 1914; Istanbul Bd. 292, „Trade and Commerce at Beirut for the Year 1914, and January 1915“, 15. April 1915; „Annual Report on Commerce and Industries for 1914“, Harput, 1. Januar 1915; Istanbul Bd. 295, „Trade depression in Turkey Caused by European War“, Smyrna (Izmir), 26. Februar 1915. 12 Pamuk, „The Ottoman Economy in World War I“, S. 117. 13 Beşikçi, „Between Voluntarism and Resistance“, S. 73–76; NARA, Istanbul Bd. 292, „Special Report on Turkish Economics“, Istanbul, 8. Mai 1915. 14 NARA, Istanbul Bd. 279, Brief von Hakki Pascha, Gouverneur von Adana, an den US-Konsul in Mersin, datiert auf den 6. Aghustos 1330; für die Beschreibung einer Ladenplünderung und Erpressung vgl. Bd. 279, Brief des US-Konsuls in Jerusalem, 19. September 1914; Briefwechsel mit der Singer Manufacturing Company, September und Oktober 1914; Brief des osmanischen Gouverneurs in Adana an das US-Konsulat in Mersin, August 1914; Bericht des US-Konsuls in Bagdad vom 5. Oktober 1914. Vgl. auch Istanbul Bd. 292, „Special Report on Turkish Economics“, 8. Mai 1915. 15 Erik Jan Zürcher, „Between death and desertion: The Experience of the Ottoman Soldier in World War I“, Turcica 28 (1996), S. 235–258; Pamuk, „The Ottoman Economy in World War I“, S. 126; NARA, Istanbul Bd. 292, „Special Report on Turkish Economics“, Istanbul, 8. Mai 1915; Istanbul Bd. 294, „Increased Cost of living in Constantinople“, 2. Dezember 1915. 16 Ahmed Emin, Turkey in the World War (New Haven, CT: Yale University Press, 1930), S. 107. 17 Ein algerischer Hauptmann aus adeliger Familie, Khaled El Hachemi, konnte an der elitären französischen Militärakademie Saint-Cyr studieren und scheint damit eine der seltenen Ausnahmen dieser Regel zu sein. Gilbert Meynier, L’Algérie révélée: La guerre de 1914–1918 et le premier quart du XXe siècle (Geneva: Droz, 1981), S. 85–87. 18 Sein vollständiger Name lautete in französischer Umschrift Mostapha Ould Kaddour Tabti. Mohammed Soualah, „Nos troupes d’Afrique et l’Allemagne“, Revue africaine 60 (1919), S. 495f. 19 Meynier, L’Algérie révélée, S. 98–103. 20 Jean Mélia, L’Algérie et la guerre (1914–1918) (Paris: Plon, 1918), S. 28–32. Der Text lautet auf Französisch: „La République nous appelle, Sachons
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Anmerkungen 549 vaincre ou sachons périr, Un Français doit vivre pour elle, Pour elle un Français doit mourir.“ Der letzte Vers wurde, so erinnerte sich Messali, umgedichtet zu: „Pour elle un Arabe doit mourir.“ Messali Hadsch, Les mémoires de Messali Hadj, 1898–1938 (Paris: J. C. Lattès, 1982), S. 76. 21 Ebd., S. 70. Tabtis Gedicht mit allen 65 Strophen findet sich auf Arabisch und in französischer Übersetzung in Soualah, „Nos troupes d’Afrique et l’Allemagne“, S. 494–520. 22 Meynier, L’Algérie révélée, S. 271–274. 23 Ebd., S. 280–282; Mélia, L’Algérie et la guerre, S. 257–260, 270–276; Augustin Bernard, L’Afrique du nord pendant la guerre (Paris: Les presses universitaires de France, 1926), S. 94, Tabelle II. 24 Peter Dennis u. a. (Hg.), The Oxford Companion to Australian Military History (Melbourne: Oxford University Press, 1995), S. 104–109; Cedric Mentiplay, A Fighting Quality: New Zealanders at War (Wellington: A. H. & A. W. Reed, 1979), S. 13. 25 James McMillan, „40,000 Horsemen: A Memoir“, Archives New Zealand, Alexander Turnbull library, MS X-5251; Terry Kinloch, Devils on Horses: In the Words of the Anzacs in the Middle East, 1916–19 (Auckland: Exisle Publishing, 2007), S. 32–34; Roland Perry, The Australian Light Horse (Sydney: Hachette Australia, 2009), S. 38–43. 26 Gründe für ihre freiwillige Meldung zum Kriegsdienst beschreiben zwölf Veteranen der New Zealand Expeditionary Force in ihren Interviews mit Maurice Shadbolt, Voices of Gallipoli (Auckland: Hodder and Stoughton, 1988). Trevor Holmdens Unterlagen finden sich in der Alexander Turnbull Library, Wellington, Neuseeland, MS-Papers 2223. 27 Jeffrey Grey, A Military History of Australia, 3. Aufl. (Cambridge: Cambridge University Press, 2008), S. 88; Christopher Pugsley, The ANZAC Experience: New Zealand, Australia and Empire in the First World War (Auckland: Reed, 2004), S. 52–55, 63; Fred Waite, The New Zealanders at Gallipoli (Auckland: Whitcombe and Tombs, 1919), S. 10–19. 28 Zu den Einstellungen der Inder in Bezug auf die Briten und Osmanen vgl. Algernon Rumbold, Watershed in India, 1914–1922 (London: Athlone Press, 1979), S. 9f. 29 P. G. Elgood, Egypt and the Army (Oxford: Oxford University Press, 1924), S. 42f. 30 Zitiert in Robin Kilson, „Calling Up the Empire: The British Military Use of nonwhite labor in France, 1916–1920“ (Diss. phil., Harvard University, 1990), S. 262f. 31 Ahmad Shafiq, Hawliyat Masr al-siyasiyya [Die politischen Annalen Ägyptens] (Kairo: Matba’a Shafiq Pasha, 1926), Bd. 1, S. 47f.
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32 Peter Hopkirk, On Secret Service East of Constantinople: The Plot to Bring Down the British Empire (London: John Murray, 2006), S. 66–84; Sean McMeekin, The Berlin-Baghdad Express: The Ottoman Empire and Germany’s Bid for World Power, 1898–1918 (London: Allen Lane, 2010), S. 90–92. 33 Zitiert in Budheswar Pati, India and the First World War (New Delhi: Atlantic Publishers, 1996), S. 12. 34 Ebd., S. 15f. 35 Ebd., S. 18–21. 36 Judith Brown, Modern India: The Origins of an Asian Democracy, 2. Auflage (Oxford: Oxford University Press, 1994), S. 195; Robert Holland, „The British Empire and the Great War, 1914–1918“, in The Oxford History of the British Empire, Bd. 4: The Twentieth Century, hg. von Judith Brown und William Roger Louis (Oxford: Oxford University Press, 1999), S. 117; Pati, India and the First World War, S. 32–38. 37 Dutzende solcher Aussagen wie die der beiden Muftis finden sich in der Revue du monde musulman 29 (Dezember 1914), einer Sonderausgabe, die den französischen Muslimen und dem Krieg gewidmet war. Hier sind Loyalitätsbekundungen von religiösen Persönlichkeiten Nordafrikas in Arabisch und Französisch abgedruckt. 38 James McDougall, History and the Culture of Nationalism in Algeria (Cambridge: Cambridge University Press, 2006), S. 36–43; Peter Heine, „Salih Ash-Sharif at-Tunisi, a north African nationalist in Berlin during the First World War“, Revue de l’Occident musulman et de la Mediterranée 33 (1982), S. 89–95. 39 Tilman Lüdke, Jihad Made in Germany: Ottoman and German Propaganda and Intelligence Operations in the First World War (Münster: LIT, 2005), S. 117–125; Heine, „Salih Ash-Sharif at-Tunisi“, S. 90. 40 Aus dem Befragungsprotokoll der osmanischen Behörden, das in den türkischen Militärarchiven in Ankara aufbewahrt wird, abgedruckt in Ahmet Tetik, Y. Serdar Demirtaş und Sema Demirtaş (Hg.), Çanakkale Muharebeleri’nin Esirleri—Ifadeler ve Mektuplar [Gefangene des Gallipolifeldzugs: Zeugenaussagen und Briefe] (Ankara: Genelkurmay Basımevi, 2009), Bd. 1, S.93f. 41 Unter den angereisten Würdenträgern war Amir Ali Pascha, algerischer Exilant und Veteran des Libyenkriegs 1911, der Sohn des berühmten algerischen Widerstandskämpfers Amir Abd al-Qadir. Mélia, L’Algérie et la guerre, S. 230–237; Heine, „Salih Ash-Sharif at-Tunisi“, S. 91.
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550 Anhang 42 In seinem Aufsatz über Salih Asch-Scharif legt Peter Heine dar, dass die Unterlagen der Deutschen keinen Beweis dafür liefern, dass die Gefangenen gezwungen worden waren. Allerdings fand er „Berichte von jenen, die bereit zum Kampf
auf türkischer Seite waren“ und ihrem Ärger über „die Verzögerung ihres Abmarsches in die Türkei“ Luft machten. Heine, „Salih Ash-Sharif at-Tunisi“, S. 94, Fußnote 12. Die Aussage von Ahmed bin Hussein stützt dies.
Kapitel 4: Die ersten Salven: Erzurum, Basra, Aden, Ägypten und das östliche Mittelmeer 1 C. F. Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli (London: William Heinemann, 1929), Bd. 1, S. 34f. 2 W. E. D. Allen und Paul Muratoff, Caucasian Battlefields: A History of the Wars on the Turco-Caucasian Border, 1828–1921 (Cambridge: Cambridge University Press, 1953), S. 245–247. 3 Ali Rıza Eti, Bir onbaşının doğu cephesi günlüğü, 1914–1915 [Tagebuch eines Unteroffiziers an der Ostfront, 1914–1915] (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 2009); zu seinem Bericht über die Schlacht bei Köprüköy vgl. S. 37–42. 4 Die osmanischen Opferzahlen stammen aus Edward J. Erickson, Ordered to Die: A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport, CT: Greenwood Press, 2001), S. 72, Fußnote 4. Die Angaben zu den russischen Verlusten stammen aus M. Larcher, La guerre turque dans la guerre mondiale (Paris: Etienne Chiron et Berger-Levrault, 1926), S. 381. Enver wird zitiert in Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei (Berlin: A. Scherl, 1922), S. 51. 5 Philip Graves, The Life of Sir Percy Cox (London: Hutchinson, 1941), S. 120–126; Daniel Yergin, The Prize (New York: Free Press, 1992), S. 134–149. 6 Delamains Befehle sind abgedruckt in E. G. Keogh, The River in the Desert (Melbourne: Wilke & Co., 1955), S. 39f. 7 Bullards Einschätzung wird zitiert in Arnold T. Wilson, Loyalties Mesopotamia, 1914–1917 (London: Oxford University Press, 1930), S. 4. 8 Zur Reformgesellschaft in Basra und Sayyid Talib al-Naqib vgl. Eliezer Tauber, The Emergence of the Arab Movements (London: Frank Cass, 1993). Für ein zeitgenössisches englisches Porträt von Sayyid Talib vgl. Wilson, Loyalties Mesopotamia, S. 18. 9 Basil Sulayman Faydi (Hg.), Mudhakkirat Sulayman Faydi [Die Erinnerungen von Sulayman Faydi] (London: Dar al-Saqi, 1998), S. 194–196. 10 Knoxs Erklärung vom 31. Oktober 1914 findet sich abgedruckt in Wilson, Loyalties Mesopotamia, S. 309; „The United Kingdom’s Recognition of Kuwayt as an Independent State Under British Protection, 3 November 1914“, abgeduckt in Hurewitz, Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 6f. 11 Cox’ Erklärung vom 5. November 1914 findet sich in Wilson, Loyalties Mesopotamia, S. 310f. 12 Faydi, Mudhakkirat, S. 199.
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13 Ebd., S. 203. 14 F. J. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, 1914–1918 (London: HMSO, 1923), Bd. 1, S. 106–153; Charles Townshend, When God Made Hell: The British Invasion of Mesopotamia and the Creation of Iraq, 1914–1921 (London: Faber and Faber, 2010), S. 3–10. 15 Edmund Candler, The Long Road to Baghdad (London: Cassell and Co., 1919), Bd. 1, S. 111. 16 Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 117–127; Ron Wilcox, Battles on the Tigris: The Mesopotamian Campaign of the First World War (Barnsley, UK: Pen & Sword Books, 2006), S. 2–26; Townshend, When God Made Hell, S. 30–40. 17 NARA, Basra, Kasten 005, Brief von John Van Ess datiert aus Basra, 21. November 1914. 18 Die Erklärung von Sir Percy Cox an die Menschen in Basra vom 22. November 1914 findet sich in Wilson, Loyalties Mesopotamia, S. 311. 19 Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 151f. 20 Die Opferzahlen stammen aus den Tabellen in Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 106–153. 21 IWM Dokumente 828, Tagebuch von Private W. R. Bird, Eintrag vom 14. Januar 1915. 22 Townshend, When God Made Hell, S. 66. 23 IWM, P 158, Dokumente 10048, Nachlass von Oberstleutnant H. V. Gell, Tagebucheinträge vom 10. und 11. November 1914. 24 G. Wyman Bury, Arabia Infelix, or the Turks in Yamen (London: Macmillan, 1915), S. 16–19. 25 Harold F. Jacob, Kings of Arabia: The Rise and Set of the Turkish Sovranty in the Arabian Peninsula (London: Mills & Boon, 1923), S. 158–161. 26 W. T. Massey, The Desert Campaigns (London: Constable, 1918), S. 1–3. 27 Brief datiert aus dem Zeitoun-Camp, 4. Januar 1915, in Glyn Harper (Hg.), Letters from Gallipoli: New Zealand Soldiers Write Home (Auckland: Auckland University Press, 2011), S. 47f.; vgl. auch die Memoiren von Trevor Holmden, Kap. 3, Alexander Turnbull Library, Wellington, New Zealand, MS-Papers 2223. 28 Ian Jones, The Australian Light Horse (Sydney: Time-Life Books [Australia], 1987), S. 25; Fred Waite, The New Zealanders at Gallipoli (Auckland: Whitcombe and Tombs, 1919), S. 38. 29 C. E. W. Bean, der offizielle Historiker der Australian Imperial Force, beschrieb den Red
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Anmerkungen 551 Blind District und die Unruhen vom 2. April 1915 in seinem persönlichen Tagebuch vom März und April 1915, S. 22–31. Die Tagebücher befinden sich heute im Australian War Monument und können online unter www.awm.gov.au/collection/records/ awm38 abgerufen werden (fortan als C. E. W. Bean Tagebücher zitiert). 30 Zu australischen und neuseeländischen Berichten über die Unruhen und ihre Ursachen vgl. Harper, Letters from Gallipoli, S. 50f.; C. E. W. Bean Tagebücher, März–April 1915, S. 30; Trevor Holmden Memoirs, Kap. 3, S. 3–5. 31 Zitiert in C. E. W. Bean Tagebücher, März– April 1915, S. 25–28. 32 Ahmad Shafiq, Hawliyat Masr al-siyasiyya [Die politischen Annalen Ägyptens], Teil I (Kairo: Matba’a Shafiq Pasha, 1926), S. 84. Vgl. auch Latifa Muhammad Salim, Masr fi’l-harb al-’alimiyya al-ula [Ägypten im Ersten Weltkrieg] (Kairo: Dar al-Shorouk, 2009), S. 239–243. 33 Larcher, La guerre turque, S. 172. 34 NARA, Istanbul Bd. 282, Alfred Grechs Bericht von den Dardanellen, 31. August 1914; C. F. Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli (London: William Heinemann, 1929), Bd. 1, S. 32–36; Mustafa Aksakal, The Ottoman Road to War in 1914: The Ottoman Empire and the First World War (Cambridge: Cambridge University Press, 2008), S. 136f.
35 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 64f.; Erickson, Ordered to Die, S. 75–82. 36 NARA, Istanbul vol. 292, Bericht des US-Vizekonsuls, Trebizond, 31. März 1915. 37 NARA, Istanbul Bd. 281, Bericht des US-Konsuls, Mersin, 2. November 1914; Bd. 282, Bericht des US-Konsuls, Mersin, 30. November 1914; Bd. 293, Bericht des US-Konsuls, Mersin, 5. März 1915. 38 NARA, Istanbul Bd. 293 enthält eine Reihe von Berichten, Telegrammen und Dokumenten mit Bezug auf den Zwischenfall in Alexandrette, darunter Berichte von US-Konsul Jackson in Aleppo vom 21. Dezember 1914 und dem 8. Januar 1915 sowie vom bevollmächtigten US-Konsularagent H. E. Bishop aus Alexandrette vom 24. Dezember 1914, dem 26. Dezember 1914 und dem 12. Januar 1915. 39 NARA, Istanbul Bd. 281, Augenzeugenbericht von C. Van H. Engert vom Sinken der Messoudieh in den Dardanellen, 14. Dezember 1914. 40 C. Van H. Engert zitiert Vizeadmiral Merten in seinem Bericht vom 14. Dezember 1914. Zur Perspektive des osmanischen Generalhauptquartiers auf die Versenkung der Messoudieh und die alliierten Pläne für die Dardanellen vgl. die Memoiren von General Ali Ihsan Sâbis, Birinci Dünya Harbi [Der Erste Weltkrieg] (Istanbul: Nehir Yayinlari, 1992), Bd. 2, S. 261f.
Kapitel 5: Der Beginn des Dschihad: Osmanische Kriegszüge im Kaukasus und im Sinai 1 Hew Strachan, The First World War, Bd. 1: To Arms (Oxford: Oxford University Press, 2003), S. 335–357. 2 Ulrich Trumpener, Germany and the Ottoman Empire, 1914–1918 (Princeton, NJ: Princeton University Press, 1968), S. 36f.; Mustafa Aksakal, The Ottoman Road to War, in 1914: The Ottoman Empire and the First World War (Cambridge: Cambridge University Press, 2008), S. 136f., S. 145–155. 3 Zu den Zielen bei der Rückeroberung der drei 1878 verlorenen Provinzen vgl. Michael A. Reynolds, Shattering Empires: The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires, 1908–1918 (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), S. 171; M. Larcher, La guerre turque dans la guerre mondiale (Paris: Etienne Chiron et Berger-Levrault, 1926), S. 383; Edward J. Erickson, Ordered to Die: A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport, CT: Greenwood Press, 2001), S. 53. 4 Djemal Pasha, Memories of a Turkish Statesman, 1913–1919 (London: Hutchinson, o.J.), S. 137f. 5 Henry Morgenthau, Ambassador Morgenthau’s
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Story (1918; Nachdruck Reading, UK: Taderon Press, 2000), S. 114. 6 Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei (Berlin: A. Scherl, 1922), S. 52f. 7 Strachan, The First World War, Bd. 1, S. 323–331; Sean McMeekin, The Russian Origins of the First World War (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2011), S. 85f. 8 Vgl. zum Beispiel Ali Ihsan Sâbis, der damals im allgemeinen Hauptquartier in Istanbul diente und sowohl seine Ängste als auch seinen Glauben an Envers Glück zum Ausdruck brachte in Harp Hatıralarım: Birinci Cihan Harbi [Meine Kriegserinnerungen: Der Erste Weltkrieg] (Istanbul: Nehir Yayınları, 1992), Bd. 2, S. 247. 9 Larcher, La guerre turque, S. 378f.; Erickson, Ordered to Die, S. 57. 10 Sâbis, Harp Hatıralarım, Bd. 2, S. 238. 11 Reynolds, Shattering Empires, S. 115–117; McMeekin, Russian Origins, S. 154–156. 12 McMeekin, Russian Origins, S. 154. 13 M. Philips Price, War and Revolution in Asiatic Russia (London: George Allen & Unwin Ltd., 1918), S. 55 und Kapitel 8; Enver Paschas Bericht wurde
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552 Anhang zitiert aus den Dokumenten in türkischen Militärarchiven von Reynolds, Shattering Empires, S. 116. 14 Ali Rıza Eti, Bir onbaşının doğu cephesi günlüğü, 1914–1915 [Tagebuch eines Unteroffiziers an der Ostfront, 1914–1915] (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 2009), S. 60; Erickson, Ordered to Die, S. 46 und 54. Vgl. auch Köprülü Şerif Ilden, Sarıkamış (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 1999), S. 124, wo er erklärt, 30 armenische Deserteure aus Van hätten in der Nacht vom 16. auf den 17. November die Seiten gewechselt und die Russen mit Informationen darüber versorgt, wo die Schwachstellen der osmanischen Linie entlang des Aras seien. 15 Eti, Bir onbaşının . . . günlüğü, S. 51 und 60–66. 16 Ebd., S. 60. 17 Ilden, Sarıkamış, S. 146f. 18 Die Schätzungen zu den Truppenzahlen variieren stark von Quelle zu Quelle. Die hier im Text angeführten Zahlen stammen aus W. E. D. Allen und Paul Muratoff, Caucasian Battlefields: A History of the Wars on the Turco-Caucasian Border, 1828–1921 (Cambridge: Cambridge University Press, 1953), S. 252. Larcher gibt eine Spannbreite von Zahlen für osmanische und russische Armeen im Kaukasus an, die bei der osmanischen 3. Armee bis zu einer Größe von 150 000 Mann reicht, von denen rund 90 000 bewaffnet und für die Schlacht trainiert waren, und nennt 60 000 Soldaten auf russischer Seite. Larcher, La guerre turque, S. 283. 19 Allen und Muratoff, Caucasian Battlefields, S. 253. 20 Envers Befehle finden sich abgedruckt in Ilden, Sarıkamış, S. 151f., und Larcher, La guerre turque, S. 383f. 21 Eti, Bir onbaşının . . . günlüğü, S.102f. 22 Ebd., S.104. 23 Ebd. 24 Der Angriff auf Oltu fand am 23. Dezember statt. Für einen Bericht über die Kämpfe zwischen der osmanischen 31. und 32. Division vgl. Fevzi Çakmak, Büyük Harp’te Şark Cephesi Harekâtı [Operationen an der Ostfront im Großen Krieg] (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 2010), S. 76; vgl. Ilden, Sarıkamiş, S. 167f. für die Behauptung, 2000 Osmanen seien von ihren eigenen Streitkräften getötet worden; vgl. auch Allen und Muratoff, Caucasian Battlefields, S. 257; Larcher, La guerre turque, S. 386. 25 Allen und Muratoff, Caucasian Battlefields, S. 258; Çakmak, Büyük Harp, S. 77. 26 Allen und Muratoff, Caucasian Battlefields, S. 260–268; vgl. auch Larcher, La guerre turque, S. 387f. 27 Ilden, Sarıkamış, S. 212f. 28 Ebd., S. 177–179.
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29 Für einen detaillierten Bericht aus erster Hand über die Kämpfe am 26. Dezember vgl. Ilden, Sarıkamış, S. 191–201. 30 Ebd., S. 231; Allen und Muratoff, Caucasian Battlefields, S. 278. 31 Eti, Bir onbaşının . . . günlüğü, S. 121f.; von den geschätzten 77 000 osmanischen Opfern bei Sarıkamış waren rund 60 000 gefallen, der Rest geriet in Gefangenschaft. Çakmak, Büyük Harp, S. 113f; Allen und Muratoff, Caucasian Battlefields, S. 283f. 32 Zur schärfsten Kritik an Envers und Hakki Hafız’ Leitung des Kriegszugs vgl. insbesondere die Memoiren des Stabschefs des 9. Korps, Şerif Ilden: Ilden, Sarıkamış, S. 149, 158f., 174f., 208, 216–218, 232; Sâbis, Harp Hatıralarım, S. 302–317; Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 55. 33 Allen und Muratoff, Caucasian Battlefields, S.286f. 34 Georges Douin, L’attaque du canal de Suez (3 Février 1915) (Paris: Librairie Delagrave, 1922), S. 45f. 35 Djemal Pasha, Memories, S. 154. 36 Douin, L’attaque, S. 60. 37 Arslans Bericht über seine Beteiligung am Sinaifeldzug ist nachzulesen in Shakib Arslan, Sira Dhatiyya [Autobiographie] (Beirut: Dar al-Tali’a, 1969), S. 141–147. 38 Djemal Pasha, Memories, S. 152. 39 Bei dem Priester handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den Dominikanerpater Antonin Jaussen, der für die Dauer des Krieges als französischer Geheimdienstmitarbeiter in Port Said diente. Jaussen unternahm archäologische Forschungen im Hedschas und verfasste eine ethnografische Studie über die Beduinen im südlichen Jordanien. Douin, L’attaque, S. 77–79. Zu Jaussen vgl. Henry Laurens, „Jaussen et les services de renseignement français (1915–1919)“, in Antonin Jaussen: Sciences sociales occidentales et patrimoine arabe, hg. von Géraldine Chatelard und Mohammed Tarawneh (Amman: CERMOC, 1999), S. 23–35. 40 Douin, L’attaque, S. 79f.; George McMunn und Cyril Falls, Military Operations: Eypt and Palestine from the Outbreak of War with Germany to June 1917 (London: HMSO: 1928), S. 29. 41 McMunn und Falls, Military Operations, S. 25. 42 IWM, P 158, Nachlass von Oberstleutnant H. V. Gell, Dokumente 10048, Tagebucheinträge vom 24. bis zum 28. Januar 1915. 43 NARA, Istanbul Bd. 293, „The Egyptian Campaign of the Turkish Army“, Bericht von US-Vizekonsul S. Edelman, Jerusalem, 20. März 1915. 44 IWM, RN, P 389, Unterlagen des Kommandeurs H. V. Coates, Dokumente 10871, Über-
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Anmerkungen 553 setzung der Befehle der osmanischen Armee für den Angriff auf den Suezkanal, 1. Februar 1915. 45 Douin, L’attaque, S. 92. 46 Fahmi al-Tarjaman erzählte seiner Tochter, Siham Tergeman, von seinen Kriegserfahrungen in Daughter of Damascus (Austin: Center for Middle Eastern Studies, 1994), S. 166–199. Das Zitat findet sich auf S. 180. 47 Sowohl Douin, L’attaque, S. 96, als auch McMunn und Falls, Military Operations, S. 39, erwähnen, wie die „Dschihad-Freiwilligen“ das Schweigen gebrochen und die Hunde gebellt hätten; vgl. die übersetzte Kopie der osmanischen Schlachtbefehle an die Meister des Islam (Mujahid) aus dem afrikanischen Tripolis, denen man eine Stellung in der Nähe von Serapeum zugeteilt hatte, wo die Überquerung stattfand; IWM, RN P 389, Unterlagen von Kommandeur H. V. Coates. 48 Tergeman, Daughter of Damascus, S. 181. 49 Ahmad Shafiq, Hawliyat Masr al-siyasiyya [Die politischen Annalen Ägyptens] (Kairo: Shafiq Pasha Press, 1926), Bd. 1, S. 81. 50 Douin, L’attaque, S. 100–102; McMunn und Falls, Military Operations, S. 43–45. 51 Ali Ihsan Sâbis, Birinci Dünya Harbi, S. 346f.; Djemal Pasha, Memories, S. 157. 52 McMunn und Falls, Military Operations, S. 50; Djemal Pasha, Memories, S. 159. 53 Zu Süleyman Askerî vgl. Philip H. Stoddard, „The Ottoman Government and the Arabs, 1911 to 1918: A Preliminary Study of the Teşkilât-i Mahsusa“ (Diss. phil., Princeton University, 1963), S. 119–130 sowie die zusammenfassende Übersetzung des türkischen Armeepamphlets von Muhammad Amin, „The Turco-British Campaign in Mesopotamia and Our Mistakes“, in F. J.
Moberly, The Campaign in Mesopotamia, 1914–1918, (London: HMSO, 1923), Bd. 1, S. 352–355. 54 Berichte von arabischen Teilnehmern an der Schlacht von Schaiba bestätigen die schlechte Moral und die hohe Desertionsrate; vgl. Jamil Abu Tubaykh (Hg.), Mudhakkirat al-Sayyid Muhsin Abu Tubaykh (1910–1960) [Die Memoiren von al-Sayyid Muhsin Abu Tubaykh] (Amman: al-Mu’assisa al-’Arabiyya li’l-Dirasat wa’l-Nashr, 2001), S. 40–45. 55 Arnold T. Wilson, Loyalties Mesopotamia, 1914–1917 (London: Oxford University Press, 1930), S. 34; Charles Townshend, When God Made Hell: The British Invasion of Mesopotamia and the Creation of Iraq, 1914–1921 (London: Faber and Faber, 2010), S. 88. 56 Edward J. Erickson zitiert offizielle osmanische Zahlen in Ordered to Die, S. 110f.; F. J. Moberly führt in der offiziellen britischen Geschichtsschreibung 161 Tote und 901 Verwundete auf, dazu 6000 tote und verwundete Osmanen, darunter 2000 arabische Stammeskrieger – was bedeuten würde, dass die Araber eine deutlich aktivere Rolle in den Kämpfen gespielt hätten, als es britische oder türkische Quellen erwähnen; Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 217. Wilson, in Loyalties Mesopotamia, S. 34, gibt die britischen Opferzahlen mit 1257 und türkische „in etwa der doppelten Anzahl“ an. Das Zitat von W. C. Spackman stammt aus Townshend, When God Made Hell, S. 89. 57 Sir George McMunn zitiert in Townshend, When God Made Hell, S. 80; Wilson, in Loyalties Mesopotamia, S. 34, erklärte, Schaiba sei „die erste und entscheidende Schlacht an dieser Front“ gewesen.
Kapitel 6: Der Angriff auf die Dardanellen 1 Sean McMeekin, The Russian Origins of the First World War (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2011), S. 129f. 2 C. F. Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli (London: William Heinemann, 1929), Bd. 1, S. 51–53. 3 Ebd., Bd. 1, S. 57. 4 Henry W. Nevinson, The Dardanelles Campaign (London: Nisbet & Co., 1918), S. 33; Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 59. 5 Griechenland machte, ebenso wie Russland, historische und religiöse Ansprüche auf Konstantinopel geltend und bot an, bedeutende Infanteriestreitkräfte zu entsenden, um den alliierten Vorstoß auf die Meeresstraße zu unterstützen, was Großbritannien unter Rücksicht auf russische Empfindlichkeiten jedoch ablehnte. Vgl. McMeekin, Russian Origins; Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1.
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6 „The Constantinople Agreement“, in The Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2: 1914–1945, hg. von J. C. Hurewitz (New Haven, CT: Yale University Press, 1979), S. 16–21. 7 Henry Morgenthau, Ambassador Morgenthau’s Story (1918; Nachdruck Reading, UK: Taderon Press, 2000), S. 123–134. 8 Die Schäden an der Agamemnon waren noch am 15. April erkennbar, als ein neuseeländischer Soldat bemerkte, „ihr wurde einer der Masten zerschossen und einer ihrer Schornsteine eingedrückt“. Glyn Harper (Hg.), Letters from Gallipoli: New Zealand Soldiers Write Home (Auckland: Auckland University Press, 2011), S. 59. 9 US-Botschafter Morgenthau, der Mitte März die Straße zusammen mit osmanischen Offiziellen besuchte, konnte erkennen, dass die türkischen Stellungen den alliierten Beschuss praktisch unbeschadet überstanden hatten. Morgenthau,
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554 Anhang Ambassador Morgenthau’s Story, S. 135–149. 10 Capitaine de Corvette X und Claude Farrère, „Journal de bord de l’expédition des Dardanelles (1915)“, Les œuvres libres 17 (1922), S. 218f. 11 Capitaine de Corvette X und Farrère, „Journal de bord“, S. 214f. (Hervorhebung im Original). Der anonym gebliebene erste Autor scheint auf dem französischen Schlachtschiff Suffren gedient zu haben; Kapitän Claude Farrère überlebte den Untergang der Bouvet am 18. März 1915. 12 Nevinson, The Dardanelles Campaign, S. 57f. 13 Hans Kannengießer, Gallipoli. Bedeutung und Verlauf der Kämpfe 1915 (Berlin: Schlieffen, 1927), S. 63. George Schreiner, ein Journalist von Associate Press, beschrieb die Auswirkungen des alliierten Bombardements, zitiert in Tim Travers, Gallipoli 1915 (Stroud, UK: Tempus, 2004), S. 33. 14 Farrère, der den Untergang der Bouvet überlebte, spricht davon, dass nur 62 der 724 Mann an Bord gerettet werden konnten. Capitaine de Corvette X und Farrère, „Journal de bord“, S. 235–238. 15 Zitiert im Vorwort des Herausgebers zu Mehmed Fasih, Gallipoli 1915: Bloody Ridge (Lone Pine) Diary of Lt. Mehmed Fasih (Istanbul: Denizler Kitabevi, 2001), S. 6. 16 I. Hakkı Sunata, Gelibolu’dan kafkaslara: Birinci Dünya Savaşı anılarım [Von Gallipoli bis zum Kaukasus: Meine Erinnerungen aus dem Ersten Weltkrieg] (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 2003), S. 84f.; Beispiele für die Regierungsberichte, die in der Presse aufgegriffen wurden, finden sich etwa in der halb-offiziellen Istanbuler Tageszeitung Ikdâm, abgedruckt in Murat Çulcu, Ikdâm Gazetesi’nde Çanakkale Cephesi [Die Dardanellenfront in der Zeitung Ikdâm] (Istanbul: Denizler Kitabevi, 2004), Bd. 1, S. 160–165. 17 Kannengießer, Gallipoli, S. 63–65. 18 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 98f. 19 Ebd., Bd. 1, S. 124f. 20 Einige der von den Türken gefangen genommenen senegalesischen Mannschaften stammten eigentlich aus dem Sudan. Muhammad Kamara erklärte seinem türkischen Übersetzer: „Ich bin Sudanese. Doch heute nennen die Franzosen alle Schwarzen Senegalesen. … Es gibt viele Sudanesen [in der französischen Armee].“ Ahmet Tetik, Y. Serdar Demirtaş und Sema Demirtaş (Hg.), Çanakkale Muharebeleri’nin Esirleri—Ifadeler ve Mektuplar [Gefangene des Gallipolifeldzugs: Zeugenaussagen und Briefe] (Ankara: Genelkurmay Basımevi, 2009), Bd. 1, S. 22. 21 Nach Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 74–78, traf Enver diese Entscheidung erst nach intensiven Bemühungen der deutschen Verbündeten.
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22 Harper, Letters from Gallipoli, S. 58–64; Hervorhebung im Original. 23 IWM, „Ataturk’s Memoirs of the Anafartalar Battles“ (K 03/1686). 24 IWM, Nachlass von Leutnant G. L. Drewry, Dokumente 10946, Brief vom 12. Mai 1915. 25 Mahmut Sabri Bey, „Seddülbahir Muharebesi Hatıraları“ [Erinnerungen an die Schlacht bei Seddülbahir] in Çanakkale Hatıraları (Istanbul: Arma Yayınları, 2003), Bd. 3, S.67f. 26 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 132. Vgl. auch IWM, Nachlass von Kapitän E. Unwin, Dokumente 13473. 27 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 232. 28 Sabri, „Seddülbahir Muharebesi“, S. 68f. 29 D. Moriarty, ein Unteroffizier der Royal Munster Fusiliers, überlebte die Landung, wurde aber von feindlichem Feuer zwischen 7 und 17 Uhr niedergehalten. Er gab an, 17 Mitglieder seines Bataillons seien getötet und 200 bei der Landung verwundet worden. IWM, Nachlass von D. Moriarty, Dokumente 11752, Tagebucheintrag vom 25. und 26. April. Vgl. auch IWM, Nachlass von Leutnant G. L. Drewry, Dokumente 10946, Brief vom 12. Mai 1915. Drewry, Kapitän Unwin und einige weitere Besatzungsmitglieder der River Clyde wurden für ihre Leistungen während der Landung mit dem Victoria-Kreuz ausgezeichnet. 30 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 227. 31 IWM, Nachlass von Major R. Haworth, Dokumente 16475, Brief vom 3. Mai 1915. 32 Aus einem türkischen Dokument, das britische Soldaten in der Festung Seddülbahir Fort beschlagnahmen konnten, zitiert in Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 254. 33 Diese Schilderung der französischen „Ablenkung“ bei Kumkale beruht auf X. Torau-Bayle, La campagne des Dardanelles (Paris: E. Chiron, 1920), S. 61–64; François Charles-Roux, L’expédition des Dardanelles au jour le jour (Paris: Armand Colin, 1920); Association nationale pour le souvenir des Dardanelles et fronts d’orient, Dardanelles Orient Levant, 1915–1921 (Paris: L’Harmattan, 2005); Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 257–264. 34 Travers, Gallipoli 1915, S. 76f. 35 Türkische Quellen beziffern die Verluste in Kumkale mit 17 Offizieren und 45 einfachen Soldaten zudem sollen 23 Offiziere und 740 Soldaten verletzt worden sein; fünf Offiziere und 500 Mann galten als gefangen genommen oder vermisst. Die Franzosen führten 786 Opfer auf – 20 Offiziere und 766 tote, verwundete oder vermisste Soldaten. Edward J. Erickson, Gallipoli: The Ottoman Campaign (Barnsley, UK: Pen & Sword Military, 2010), S. 85.
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Anmerkungen 555 36 Die im Original handschriftlich verfassten Kriegstagebücher von C. E. W. Bean wurden digitalisiert und sind über die Webseite des Australian War Memorial (AWM) abrufbar (https://www.awm.gov.au/collection/C1378235); C. E. W. Bean Tagebuch, AWM item 3DRL606/5/1, April–Mai 1915, S. 18f. Unter dem Namen „Malcolm“ verschickter, anonymer Brief an seinen Cousin aus dem Regierungskrankenhaus in Alexandria, 2. Mai 1915. IWM, zwei Briefe aus Alexandria (australischer Soldat), Dokumente 10360. 37 IWM, Brief des australischen Soldaten „Malcolm“ vom 2. Mai 1915, Dokumente 10360. 38 Diese und alle folgenden Erläuterungen zu Mustafa Kemal stammen aus IWM, „Ataturk’s Memoirs of the Anafartalar Battles“ (K 03/1686). 39 IWM, Brief des australischen Soldaten „Malcolm“ vom 2. Mai 1915, Dokumente 10360.
40 Mostyn Pryce Jones, Brief an seine Mutter, ohne Datum, in Harper, Letters from Gallipoli, S. 89f. Seine Erfahrungen waren kein Einzelfall, andere neuseeländische „Letters from Gallipoli“ beschreiben die Erlebnisse als „schrecklich“ und „als wäre man in den Tiefen der Hölle gewesen“. 41 C. E. W. Bean recherchierte die gesamte Geschichte und zitierte ausführlich aus dem vom Oberst Pope vorgelegten Bericht. C. E. W. Bean Tagebuch, AWM item 3DRL606/5/1, April– Mai 1915, S. 30f., S. 39. 42 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 196–198. C. E. W. Bean konnte mit anhören, wie australische Kommandeure genau diese Punkte besprachen. C. E. W. Bean Tagebuch, AWM item 3DRL606/5/1, April– Mai 1915, S. 30f., 40. 43 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 269f.
Kapitel 7: Die Vernichtung der Armenier 1 NARA, Istanbul Bd. 294, „Consul Heizer Report on Typhus Fever, Trebizond [Trabzon]“, 22. Mai 1915. 2 Hikmet Özdemir, The Ottoman Army, 1914–1918: Disease and Death on the Battlefield (Salt Lake City: University of Utah Press, 2008), S. 51. 3 NARA, Istanbul Bd. 294, „Consul Heizer Report on Typhus Fever, Trebizond [Trabzon]“, 22. Mai 1915. 4 NARA, Istanbul Bd. 294, Bericht von Dr. Edward P. Case, Missionsarzt in Erzurum, Türkei, 16. Mai 1915. 5 Um es genauer zu fassen: Eti überlegte, seinen Feinden süblime, also Quecksilber(II)-chlorid, zu verabreichen, eine hochgiftige Verbindung, die man auch zur Behandlung von Syphilis einsetzte. Ali Rıza Eti, Bir onbaşının doğu cephesi günlüğü, 1914–1915 [Tagebuch eines Unteroffiziers an der Ostfront, 1914–1915] (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 2009), S. 135. 6 Eti, Bir onbaşının . . . günlüğü, S. 140, Tagebucheintrag vom 31. Januar 1915. 7 Taner Akçam, The Young Turks’ Crime Against Humanity: The Armenian Genocide and Ethnic Cleansing in the Ottoman Empire (Princeton, NJ: Princeton University Press, 2012), S. 63–96. Ryan Gingeras untersucht die Deportationen und den Bevölkerungsaustausch entlang der Südküste des Marmarameers in Sorrowful Shores: Violence, Ethnicity, and the End of the Ottoman Empire (Oxford: Oxford University Press, 2009), S. 12–54. 8 Der Hintergrund der armenischen Reformvereinbarung mit Russland vom Februar 1914 und deren Bedingungen werden in Kapitel 2 erläutert. 9 Akçam, Young Turks’ Crime Against Humanity, S. 175, S. 183f.; vgl. auch die Memoiren des armenischen Priesters Krikor (Grigoris) Balakian,
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Armenian Golgotha: A Memoir of the Armenian Genocide, 1915–1918 (New York: Vintage, 2010), S. 46. 10 Balakian, Armenian Golgotha, S. 22f. 11 Ebd., S. 28, S. 32–34. 12 Der Zwischenfall von Alexandrette wird in Kapitel 4 geschildert. Aram Arkun, „Zeytun and the Commencement of the Armenian Genocide“, in A Question of Genocide: Armenians and Turks at the End of the Ottoman Empire, hg. von Ronald Grigor Suny, Fatma Muge Gocek und Morman M. Naimark (Oxford: Oxford University Press, 2011), S. 223. 13 Donald Bloxham, The Great Game of Genocide: Imperialism, Nationalism, and the Destruction of the Ottoman Armenians (Oxford: Oxford University Press, 2005), S. 78–83. 14 Sean McMeekin, The Russian Origins of the First World War (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2011), S. 165f. 15 Akçam, in Young Turks’ Crime Against Humanity, S. 56, gibt an, die Umsiedlung der muslimischen Immigranten nach Zeytun habe am 20. April begonnen, nur zwölf Tage nach dem Beginn der Deportation der Armenier. Arkun, „Zeytun“, S. 229–237. US-Botschafter Henry Morgenthau schrieb im Juli 1915 von „5000 Armeniern aus Zeitoun und Sultanie, die keinerlei Nahrung erhalten“, in Ambassador Morgenthau’s Story (1918; Nachdruck Reading, UK: Taderon Press, 2000), S. 230. 16 Balakian, Armenian Golgotha, S. 45, 56f. 17 Die türkische Regierung und die offizielle Historikerkommission, die von der Türkischen Historischen Gesellschaft (Türk Tarih Kurumu) gestellt wurde, weisen noch immer die Verwendung des Begriffs „Völkermord“ zurück, um
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556 Anhang die Massaker an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 zu beschreiben. Inzwischen bemühen sich aber immer mehr türkische Wissenschaftler und Intellektuelle um eine Öffnung der Debatte, darunter Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk sowie eine Reihe von Historikern und Journalisten, die ich beim Verfassen dieses Buchs konsultiert habe: Taner Akçam, Fatma Müge Göçek, Baskın Oran, Uğur Ümit Üngör und andere. Um ihre mutigen Bestrebungen für eine ehrliche Aufarbeitung der türkischen Vergangenheit zu unterstützen, aber auch aus Überzeugung, bezeichne ich die Vernichtung der Armenier zu Kriegszeiten hier als Genozid. In Übereinstimmung mit der UN-Konvention zum Völkermord von 1948 glaube ich, dass die vorliegenden Beweise die Behauptung stützen, dass die osmanische Regierung verantwortlich war für „Handlungen, begangen in der Absicht“, die armenische Gemeinschaft Anatoliens als eigenständige nationale und religiöse Gruppe „ganz oder teilweise zu zerstören“. 18 Die Bevölkerungszahlen stammen aus Justin McCarthy et al., The Armenian Rebellion at Van (Salt Lake City: University of Utah Press, 2006), S. 3–7. McCarthy, selbst ein Demograf, gab an, bei Vital Cuinets Zahlen aus den 1890er-Jahren handele es sich um „eine niedrige Schätzung“. Er führt osmanische Zahlen für den Distrikt Van an, zu dem neben der Stadt auch die umliegenden Dörfer gehören, bei denen für das Jahr 1912 von 45 000 Muslimen, 34 000 Armeniern und 1000 weiteren Bewohnern die Rede ist. Hierbei seien allerdings Frauen, Kinder, Soldaten, Verwaltungsangestellte und andere nicht berücksichtigt. Gurgen Mahari wurde 1903 in Van geboren. Seine Familie zog nach dem Aufstand von Van nach Russland, und er verbrachte den Rest seines Lebens in der Sowjetunion, wo er 1966 den damals kontrovers diskutierten Roman Brennende Obstgärten veröffentlichte. Es liegt eine englische Übersetzung (Burning Orchards) im Verlag Black Apollo Press aus dem Jahr 2007 vor; das Zitat findet sich auf S. 49. 19 Michael A. Reynolds, Shattering Empires: The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires, 1908–1918 (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), S. 145–147. Anahide Ter Minassian, „Van 1915“, in Armenian Van/ Vaspurakan, hg. von Richard G. Hovannisian (Costa Mesa, CA: Mazda, 2000), S. 217f.; McCarthy et al., The Armenian Rebellion, S. 200. 20 Rafael de Nogales, Vier Jahre unter dem Halbmond, übers. v. N. N. (Berlin: R. Hobbing, 1925), S. 44. Für eine kritische Untersuchung von de Nogales und seines Buches vgl. Kim McQuaid, The Real and Assumed Personalities of Famous Men: Rafael de Nogales, T. E. Lawrence, and the
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Birth of the Modern Era, 1914–1937 (London: Gomidas Institute, 2010). 21 Hier und im Folgenden de Nogales, Vier Jahre unter dem Halbmond, S. 45–53; Hervorhebung im Original. 22 Reynolds, Shattering Empires, S. 145f.; McCarthy et al., The Armenian Rebellion, S. 221. 23 Ter Minassian, „Van 1915“, S. 242. 24 Djemal Pasha, Memories of a Turkish Statesman, 1913–1919 (London: Hutchinson & Co., o.J.), S. 299; Bloxham, Great Game of Genocide, S. 84–90. 25 Taner Akçam, A Shameful Act: The Armenian Genocide and the Question of Turkish Responsibility (London: Constable, 2007), S. 168f. 26 Akçam, Young Turks’ Crime Against Humanity, S. 193–196. Balakian nennt in Armenian Golgotha, S. 82f., 104, 106f., die Namen mehrerer osmanischer Funktionäre, die entweder zurücktraten oder entlassen wurden, da sie nicht bereit waren, Armenier umzubringen, darunter die Gouverneure von Ankara, Aleppo und Kastamonu. 27 Akçam, Young Turks’ Crime Against Humanity, S. 410–413. Balakian berichtet in Armenian Golgotha, S. 95, 100, von mehreren Gesprächen mit Türken, die ihre Rolle beim Massaker an den Armeniern als Teilnahme am Dschihad verstanden, wodurch ihnen der Zugang zum Paradies offenstünde. In dem Gespräch mit dem Hauptmann rechtfertigte der Offizier seine eigenen Taten beim Massenmord dadurch, dass er sie als Erfüllung seiner religiösen Pflicht darstellte (S. 144, 146). 28 Taner Akçam dokumentiert in Young Turks’ Crime Against Humanity, S. 193–202, ausführlich diesen „zweigleisigen Ansatz“, sowohl aus osmanischen wie auch aus deutschen Quellen. Das Zitat stammt aus Reşid Akif Paschas Aussage vor der osmanischen Abgeordnetenkammer vom 21. November 1918, zu finden in Akçam, A Shameful Act, S. 175, sowie in einer leicht abweichenden Übersetzung in Young Turks’ Crime Against Humanity, S. 193f. 29 Zum „10-Prozent-Prinzip“ vgl. Fuat Dündar, „Pouring a People into the desert: The ‚Definitive Solution‘ of the Unionists to the Armenian Question“, in Suny, Göçek und Naimark (Hg.), Question of Genocide, S. 282. Akçam liefert in Young Turks’ Crime Against Humanity, S. 242–263, die ausführlichste Analyse dessen, was er die „5 bis 10 Prozent-Regelung“ nennt. 30 NARA, Istanbul Bd. 309, Bericht von Leslie Davis, US-Konsul in Harput, 11. Juli 1915. 31 Balakian, Armenian Golgotha, S. 109. 32 Ebd., S. 139f. 33 Ebd., S. 167. 34 Baskın Oran, MK: Récit d’un déporté arménien 1915 (Paris: Turquoise, 2008), S. 37–51.
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Anmerkungen 557 35 Balakian, Armenian Golgotha, S. 247–249. 36 Oran, MK, S. 59. Das Dorf Azak wurde inzwischen in İdil umbenannt. 37 Bloxham, Great Game of Genocide, S. 97f.; Paul Gaunt argumentiert in „The Ottoman Treatment of the Assyrians“, in Suny, Göçek und Naimark, Question of Genocide, S. 244–259, dass die Schätzung von 250 000 Opfern zu niedrig liegen könnte und vermutet, dass bis zu 300 000 Assyrer umgekommen sein dürften. Einige heutige türkische Gelehrte leugnen die assyrischen Hinweise auf einen Genozid; vgl. Bülent Özdemir, Assyrian Identity and the Great War: Nestorian, Chaldean and Syrian Christians in the 20th Century (Dunbeath, UK: Whittles Publishing, 2012). 38 Fethiye Çetin, My Grandmother: A Memoir (London: Verso, 2008), S. 8f., Brief an ihren Vater. Habab wurde in Ekinözü umbenannt und liegt zwischen Harput und Palu in der Osttürkei. 39 Heranuş’ Vater kam aus den Vereinigten Staaten nach Syrien, um seine verstreute Familie wieder zu vereinen. 1920 fand er seine Frau unter den armenischen Flüchtlingen in Aleppo. Dann heuerte er Schmuggler an, die die Route der aus Habab Deportierten ausfindig machen sollten, wodurch er 1928 seinem Sohn Horen begegnete. Horen ermutigte daraufhin seine Schwester und deren Mann, eine Reise nach Aleppo zur Familienzusammenführung zu unternehmen. Doch Heranuş’/Sehers Mann untersagte ihr die Reise und so sollte sie ihre Eltern nie wiedersehen. Horen zog schließlich mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten, wo die überlebenden Mitglieder der Gadarian-Familie vergeblich versuchten, Kontakt mit der verlorenen Tochter aufzunehmen. Mitte der 1970er-Jahre vertraute Seher die Geschichte ihrer erstaunten Enkelin Fethiye Çetin an, die bis dahin nichts von den armenischen Ursprüngen ihrer Großmutter geahnt hatte. Als junge Anwältin in Ankara gelang es
Çetin schließlich, Kontakt mit den amerikanischen Gadarians herzustellen, wenn auch zu spät, als dass ihre in die Jahre gekommene Großmutter noch einmal die Reise zu ihrem Bruder Horen hätte unternehmen können. Bei den Gesprächen mit ihrer Großmutter und ihren anschließenden Besuchen bei den amerikanischen Gadarians gelang es Çetin, die bemerkenswerte und tragische Geschichte vom Überleben von Heranuş/Seher zu rekonstruieren. 2004 erschien ihr Buch in der Türkei und erhielt begeisterte Kritiken. Als das Buch vier Jahre später auch auf Englisch erschien, hatte die türkische Originalausgabe bereits sieben Auflagen erlebt. 40 Çetin, My Grandmother, S. 102. 41 Balakian, Armenian Golgotha, S. 250. 42 Der Demograf Justin McCarthy, der überzeugt ist, die Massaker zu Kriegszeiten stellten keinen Völkermord dar, kommt nach osmanischen Zensusangaben zum Ergebnis, das zwischen 600 000 und 850 000 Armenier im Verlauf des Krieges starben; vgl. Justin McCarthy, Muslims and Minorities: The Population of Ottoman Anatolia and the End of the Empire (New York: New York University Press, 1983), S. 121–130; Justin McCarthy, „The Population of Ottoman Armenians“, in The Armenians in the Late Ottoman Period, hg. von Türkkaya Ataöv (Ankara: Turkish Historical Society, 2001), S. 76–82. Historiker des armenischen Genozids, wie Richard Hovannisian und Vahakn Dadrian, formulieren als Ergebnis ihrer Forschungen, dass mehr als eine Million Armenier Opfer eines geplanten Genozids wurden; vgl. dazu den Aufsatz der beiden Wissenschaftler in Richard Hovannisian (Hg.), The Armenian Genocide: History, Politics, Ethics (Houndmills, UK: Macmillan Palgrave, 1992); Donald Bolxham, The Great Game of Genocide: Imperialism, Nationalism, and the Destruction of the Ottoman Armenians (Oxford: Oxford University Press, 2005).
Kapitel 8: Der osmanische Triumph auf Gallipoli 1 Die Zahlen der Toten und Verwundeten stammen aus C. F. Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli (London: Heinemann, 1929), Bd. 1, S. 294, 347; ebd. (London: Heinemann, 1932), Bd. 2, S. 53. 2 Edward J. Erickson, Gallipoli: The Ottoman Campaign (Barnsley, UK: Pen & Sword Military, 2010), S. 92–114. 3 Zum U-Boot-Feldzug vgl. Henry W. Nevinson, The Dardanelles Campaign (London: Nisbet & Co., 1918), S. 145f., 163–166; P. E. Guépratte, L’expédition des Dardanelles, 1914–1915 (Paris: 1935), S. 116–125. Im Verlauf der Kämpfe verloren die Alliierten noch weitere U-Boote. Die Mariotte verfing sich im Juli 1915 in U-Boot-Netzen, woraufhin 32 Mann Besatzung in Kriegsgefangenschaft gerieten; vgl.
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Ahmet Tetik, Y. Serdar Demirtaş und Sema Demirtaş (Hg.), Çanakkale Muharebeleri’nin Esirleri [Kriegsgefangene bei der Schlacht um Çanakkale] (Ankara: Genelkurmay Basımevi, 2009), Bd. 1, S. 198–216. 4 Im Juni 1915 versenkte die U-21 ein französisches Transportschiff, am 13. August torpedierte ein deutsches U-Boot den britischen Transporter Royal Edward, von dessen 1400 Mann starker Besatzung nur ein Drittel aus dem Meer gerettet werden konnte. Im Herbst 1915 kreisten nicht weniger als 14 deutsche U-Boote im östlichen Mittelmeer. Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 2, S. 37–39. 5 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 1, S. 364.
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558 Anhang 6 Nevinson legt eine detaillierte Karte der Gräben im Juli 1915 in der Kartensammlung am Ende seines Buches The Dardanelles Campaign vor. 7 Jean Leymonnerie, Journal d’un poilu sur le front d’orient (Paris: Pygmalion, 2003), S. 109. A. P. Herberts bemerkenswerter Roman The Secret Battle wurde 1919 von Methuen in London veröffentlicht und erhielt sehr positive Kritiken (Winston Churchill schrieb das Vorwort zu einer späteren Ausgabe des Buchs). Herbert griff beim Verfassen auf seine eigenen Erfahrungen mit der Royal Navy Division auf Gallipoli und in Frankreich zurück. Er schrieb den Roman 1917, während er sich von einer Verwundung erholte; die Zitate stammen aus der Ausgabe von 1919, S. 48. 8 Mehmet Sinan Ozgen, Bolvadınlı Mehmet Sinan Bey’in harp hatiraları [Bolvadinli Mehmet Sinan Beys Kriegserinnerungen] (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 2011), S. 26f. 9 Herbert, The Secret Battle, S. 49–51; der englische Kriegsdichter John Still geriet später in Gefangenschaft und schrieb diese Verse 1916 im Kriegsgefangenenlager Afyon Karahisar. Jill Hamilton, From Gallipoli to Gaza: The Desert Poets of World War One (Sydney: Simon & Schuster Australia, 2003), S. 107. 10 Kevin Clunie und Ron Austin (Hg.), From Gallipoli to Palestine: The War Writings of Sergeant GT Clunie of the Wellington Mounted Rifles, 1914–1919 (McCrae, Australia: Slouch Hat Publications, 2009), S. 29f., Tagebucheintrag vom 16. Mai 1915. Ibrahim Arıkan, Harp Hatıralarım [Meine Kriegserinnerungen] (Istanbul: Timaş Yayınları, 2007), S. 53. 11 IWM, Nachlass von H. Corbridge, Dokument 16453, Beschreibung von Scharfschützen am Kap Helles im Tagebucheintrag vom 27. April 1915. Die Erwähnung der verwundeten Scharfschützin stammt aus seinem Tagebucheintrag vom 14. Mai 1915. Private Reginald Stevens’ Brief vom 30. Juni 1915 findet sich in Glyn Harper (Hg.), Letters from Gallipoli: New Zealand Soldiers Write Home (Auckland: Auckland University Press, 2011), S. 149. Für andere Erwähnungen von weiblichen Scharfschützinnen vgl. Trooper Alfred Burton Mossmans Brief an seine Eltern vom 20. Mai (S. 136) und Private John Thomas Atkins’ Brief in die Heimat vom 11. Juni 1915 (S. 148). Private Grays Bericht wurde veröffentlicht in The Register, Adelaide vom 24. Mai 1916, nachgeschlagen im Verzeichnis digitalisierter Zeitungen der National Library of Australia’s Trove (https://trove.nla.gov. au/newspaper/). Am 16. Juli 1915 veröffentlichte die Londoner Times auf S. 4 einen Bericht über eine Scharfschützin, die von den Alliierten in der Nähe des W-Strands gefangen genommen worden war. 12 Leymonnerie, Journal d’un poilu, S. 110f.
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13 Mehmed Fasih, Gallipoli 1915: Bloody Ridge (Lone Pine) Diary of Lt. Mehmed Fasih (Istanbul: Denizler Kitabevi, 2001), S. 86f. 14 Brief vom 20. Juni 1915, in Leymonnerie, Journal d’un poilu, S. 107. 15 IWM, Nachlass von D. Moriarty, Dokumente 11752, Tagebucheinträge vom 1. und 2. Mai 1915. Der letzte Eintrag in das Tagebuch stammt vom 13. Juli 1915. 16 Harley Matthews, „Two Brothers“, abgedruckt in Hamilton, From Gallipoli to Gaza, S. 120f. 17 Leymonnerie, Journal d’un poilu, S. 105. 18 IWM, Nachlass von R. Eardley, Dokumente 20218, maschinengeschriebene Erinnerungen, S. 25f. 19 IWM, Nachlass von B. Bradshaw, Dokumente 14940. Bradshaws Brief war in Form eines Tagebuchs verfasst. Dieser Eintrag stammt aus der Zeit zwischen dem 6. und 9. Juni. Bradshaw fiel im Kampf am 10. Juni 1915. 20 A. P. Herbert, abgedruckt in Hamilton, From Gallipoli to Gaza, S. 79. 21 Tagebuch von Raymond Weil, abgedruckt in Association nationale pour le souvenir des Dardanelles et fronts d’orient, Dardanelles Orient Levant, 1915–1921 (Paris: L’Harmattan, 2005), S. 42. Vgl. auch das Tagebuch von Ernest-Albert Stocanne in ebd., S. 56, 60. Tim Travers, Gallipoli 1915 (Stroud, UK: Tempus, 2004), S. 269. 22 Leymonnerie, Journal d’un poilu, S. 122; Fasih, Gallipoli 1915, S. 66. 23 IWM, Nachlass von H. Corbridge, Dokumente 16453, Tagebucheinträge vom 14. Juni, 28. Juni, 12. Juli und 7. August. Am 14. August hielt er fest: „17 W[ounded], 85 M[ental] cases today“ („17 V[erwundete], 85 P[sychische Fälle] heute.“) Zum Bericht über die Evakuierung eines Kriegszitterers vgl. IWM, Nachlass von M. O. F. England, Dokumente 13759. 24 Arıkan, Harp Hatıralarım, S. 54f. 25 Emin Çöl, Çanakkale Sina Savaşları: bir erin anıları [Der Dardanellen- und der Sinai-Feldzug: Erinnerungen eines Mannes] (Istanbul: Nöbetçi Yayınevi, 2009), S. 53. 26 IWM, Nachlass von H. Corbridge, Dokumente 16453, Tagebucheintrag vom 7. August 1915. 27 IWM, Nachlass von R. Eardley, Dokumente 20218, Erinnerungen, S. 29–33. Ein kurzer Bericht von Eardleys Verhör durch die osmanischen Offiziere findet sich im Türkischen Militärarchiv in Ankara; danach hat er ausgesagt: „Die 1. und 2. Kompanie unseres Bataillons wurden am 8. August während eines Angriffs auf Alçıtepe besiegt. Ich geriet während des Gegenangriffs der türkischen Kräfte in Gefangenschaft.“ Das Originaldokument, die Abschrift und Übersetzung sind abgedruckt in Tetik, Demirtaş und Demirtaş, Çanakkale
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Anmerkungen 559 Muharebeleri’nin Esirleri, Bd. 2, S. 735f. Auch wenn im englischen Original und dem osmanischen Türkischen Eardleys Name gut lesbar festgehalten wurde, haben die Herausgeber das kursive „E“ für ein „S“ gehalten und den Namen des Soldaten im Buch fälschlicherweise mit „Sardley“ angegeben. 28 Fred Waite, The New Zealanders at Gallipoli (Auckland: Whitcombe and Tombs, 1919), S. 219. Oliver Hogue, „Love Letter XXXI“, 7. August 1915, abgedruckt in Jim Haynes (Hg.), Cobbers: Stories of Gallipoli 1915 (Sydney: ABC Books, 2005), S. 256. 29 Erickson, Gallipoli: The Ottoman Campaign, S. 140–144; Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 2, S. 168–177. 30 Erickson, Gallipoli: The Ottoman Campaign, S. 147f. William Baylebridge, „Lone Pine“, abgedruckt in Haynes, Cobbers, S. 249–252. 31 Waite, The New Zealanders at Gallipoli, S. 200f. Peter Weirs Film Gallipoli aus dem Jahr 1981 erzählt die tragische Geschichte der australischen Soldaten am Nek. Auch wenn einige australische Offiziere die Angriffsbefehle infrage stellten, so wurden sie doch von ihren Vorgesetzten überstimmt. 32 Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei (Berlin: A. Scherl, 1922), S. 114f. 33 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 2, S. 282. 34 Das Verschwinden der 1/5th Norfolk, bekannt als Sandringham Company, führte zum Entstehen der Schlachtfeldlegende, sie seien in einer Wolke verschwunden. Ihre Geschichte wurde in dem umstrittenen Film All the King’s Men aus dem Jahr 1999 und im türkischen Bestsellerroman von Buket Uzuner, Uzun Beyaz Bulut - Gelibolu verarbeitet, auf Englisch unter dem Titel The Long White Cloud - Gallipoli erschienen. (Istanbul: Everest, 2002). 35 Ian Hamilton, Gallipoli Diary (New York: George H. Doran, 1920), Bd. 2, S. 132–136. 36 Ebd., Bd. 2, S. 249–253. 37 Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 2, S. 402.
38 Nevinson, The Dardanelles Campaign, S. 379f.; Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 2, S. 417. 39 Fasih, Gallipoli 1915, S. 104, 130. 40 Britische Quellen berichten von 200 ertrunkenen oder erfrorenen Männern während des Sturms vom 26. bis 28. November und von über 5000 Fällen von Erfrierungen. Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 2, S. 434. I. Hakkı Sunata berichtet in Gelibolu’dan kafkaslara: Birinci Dünya Savaşı anılarım [Von Gallipoli bis zum Kaukasus: Meine Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg] (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 2003), S. 184, dass eine Reihe osmanischer Soldaten in den Gräben ertranken. Fasih, Gallipoli 1915, Einträge vom 9. November (S. 74), 14. November (S. 87), 19. November (S. 102), 24. November (S. 122) und 2. Dezember (S. 157f.). 41 Ebd. S. 199, Tagebucheintrag vom 15. Dezember. 42 Ebd., S. 121, 124, 126, 148. Hakki Sunata hielt in seinem Tagebuch fest, dass seine Offiziere beim Anblick der vielen Schiffe vor der Suvla-Bucht einen neuen alliierten Angriff erwarteten. „Vor fünf Stunden erwarteten wir eine feindliche Landung. Nun plötzlich laufen sie davon.“ Sunata, Gelibolu’dan kafkaslara, S. 198. 43 Brief von Douglas Rawei McLean, NZ Machine Gun Corps, an seinen Vater vom 4. Januar 1916, abgedruckt in Harper, Letters from Gallipoli, S. 290; Arıkan, Harp Hatıralarım, S. 61. 44 Arıkan, Harp Hatıralarım, S. 64; Sunata, Gelibolu’dan kafkaslara, S. 200. 45 Çöl, Çanakkale, S. 62f. 46 Die offiziellen britischen Zahlen stammen aus Aspinall-Oglander, Military Operations: Gallipoli, Bd. 2, S. 484. Die türkischen Angaben wurden entnommen aus Edward J. Erickson, Ordered to Die: A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport, CT: Greenwood Press, 2001), S. 94f. 47 Das Gedicht wurde vom anonymen „Argent“ verfasst und abgedruckt in Haynes, Cobbers, S. 314f.
Kapitel 9: Die Invasion Mesopotamiens 1 Edward J. Erickson, Ordered to Die: A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport, CT: Greenwood Press, 2001), S. 123. 2 Die Schlacht von Schaiba im April 1915 wird in Kapitel 5 geschildert. 3 Zu den Aufständen am Mittellauf des Euphrat siehe ‘Ali al-Wardi, Lamahat ijtima’iyya min tarikh al-’Iraq al-hadith [Soziale Aspekte der neueren Geschichte Iraks] (Bagdad: Al-Maktaba al-Wataniyya, 1974), Bd. 4, S. 187–219; Ghassan R. Atiyyah, Iraq, 1908–1921: A Political Study (Beirut: Arab Institute for Research and Publishing, 1973), S. 80f.
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4 Wardi, Lamahat, Bd. 4, S. 193. 5 Nixons Befehle vom 24., 30. und 31. März 1915 sind abgedruckt in F. J. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, 1914–1918 (London: HMSO, 1923), Bd. 1, S. 194f. 6 Die britischen Verluste beim Vorstoß auf Amara waren nur sehr gering – vier Tote und 21 Verwundete –, während die Osmanen 120 Tote und Verwundete zu beklagen hatten und fast 1800 ihrer Soldaten in Gefangenschaft gerieten. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 260–262, 265.
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560 Anhang 7 Ali Dschaudat, Dhikrayati, 1900–1958 [Meine Erinnerungen, 1900–1958] (Beirut: Al-Wafa’, 1968), S. 31–36. 8 Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 297, verzeichnet 533 britische Verluste. Hauptmann R. L. Lecky, ein Offizier der britisch-indischen Armee, beziffert die britischen Verluste sogar auf 1200 Tote und Verwundete; IWM, Hauptmann R. l. Lecky, Dokument 21099, Tagebucheintrag vom 24. Juli 1915. 9 Crewe zitiert bei Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 303f. 10 Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 303f. 11 Der Angriff auf die Halbinsel von Scheich-Said wird in Kapitel 4 geschildert. 12 Zu den britisch-osmanischen Feindseligkeiten im Südjemen siehe Robin Bidwell, „The Turkish Attack on Aden 1915–1918“, Arabian Studies 6 (1982), S. 171–194; Harold F. Jacob, Kings of Arabia (London: Mills and Boon, 1923), S. 168–172; G. Wyman Bury, Pan-Islam (London: Macmillan, 1919), S. 40–50; George Younghusband, Forty Years a Soldier (London: Herbert Jenkins, 1923), S. 274–277. 13 Younghusband, Forty Years a Soldier, S. 274. 14 Bidwell, „Turkish Attack on Aden 1915–1918“, S. 180. 15 Jacob, Kings of Arabia, S. 180. 16 Sowohl Townshend als auch Duff werden zitiert bei Charles Townshend, When God Made Hell: The British Invasion of Mesopotamia and the Creation of Iraq, 1914–1921 (London: Faber and Faber, 2010), S. 120. Es sollte vielleicht erwähnt werden, dass der Historiker Charles Townshend, der When God Made Hell geschrieben hat, nicht mit Generalmajor Charles Townshend verwandt ist, der die britische 6. Division in Mesopotamien kommandiert hat. 17 Edward J. Erickson, Gallipoli and the Middle East, 1914–1918: From the Dardanelles to Mesopotamia (London: Amber Books, 2008), S. 133. 18 Oberfeldwebel J. McK. Sloss, Australian Flying Corps, nennt als den Piloten Leutnant Harold Treloar und als den Beobachter einen Hauptmann Atkins. Sloss zufolge waren an der Maschine Motorprobleme aufgetreten; nach anderen Angaben wurde sie jedoch abgeschossen. IWM, Nachlass von J. McK. Sloss, MSM Australian Flying Corps, Dokument 13102. 19 Hauptmann Reynolds Lamont Lecky, ein Reserveoffizier der britisch-indischen Armee, war während des Mesopotamien-Feldzugs dem 120. Rajputana-Infanterieregiment zugeteilt. IWM, Dokument 21099. 20 Zwar wurden weniger als 100 britische Soldaten getötet, über 1100 jedoch verwundet, viele
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von ihnen schwer. Auf osmanischer Seite waren 2800 Tote und Verwundete zu beklagen; 1150 osmanische Soldaten wurden gefangen genommen. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 1, S. 337. 21 Kitchener wird zitiert bei Townshend, When God Made Hell, S. 140f.; F. J. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, 1914–1918 (London: HMSO, 1924), Bd. 2, S. 15. 22 Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 28. 23 Wardi, Lamahat, Bd. 4, S. 224. 24 Salman, der Barbier des Propheten, ist auch als Salman al-Farsi („Salman der Perser“) bekannt. Wardi, Lamahat, Bd. 4, S. 224. 25 IWM, Lecky-Tagebuch, Eintrag vom 29. Oktober 1915. 26 Erickson, Ordered to Die, S. 112f.; Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 49–58. 27 Aus dem Artikel des Stabsmajors Mehmed Amin, zitiert bei Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 59. 28 IWM, Lecky-Tagebuch, Eintrag vom 22. November 1915. Allein am ersten Kampftag, dem 22. November, verloren die Briten 240 Offiziere und 4200 Soldaten (Tote und Verwundete zusammengenommen); auf osmanischer Seite waren es 4500 Tote, 4500 Verwundete und 1200 Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft gerieten. Erickson, Ordered to Die, S. 113. 29 Im arabischen Original reimen sich die beiden Vershälften jeweils: Rashad, ya ibn al-buma, ‘asakirak mahzuma/Rashad, ya ibn al-khayiba, ‘asakirak ha li-sayiba. Wardi, Lamahat, Bd. 4, S. 233. 30 Die Informationen zum „Edlen Banner des Imams Ali“ (auf Arabisch: al-’alam al-haydari al-sharif) entnehme ich Wardi, Lamahat, Bd. 4, S. 233–242. „Haydar“ ist ein Name, der mit dem Kalifen Ali assoziiert ist. 31 Zu den osmanischen Bemühungen, einen Dschihad in Libyen zu entfachen, siehe Sean McMeekin, The Berlin-Baghdad Express: The Ottoman Empire and Germany’s Bid for World Power, 1898–1918 (London: Allen Lane, 2010), S. 259–274; P. G. Elgood, Egypt and the Army (Oxford: Oxford University Press, 1924), S. 270–274; Latifa Muhammad Salim, Masr fi’l-harb al-’alimiyya al-ula [Ägypten im Ersten Weltkrieg] (Kairo: Dar al-Shorouk, 2009), S. 290–296. 32 Dschafar al-Askaris Darstellung der libyschen Kampagne von 1915 findet sich in seinen Memoiren: A Soldier’s Story: From Ottoman Rule to Independent Iraq (London: Arabian Publishing, 2003), S. 54–85. 33 George McMunn und Cyril Falls, Military Operations: Egypt and Palestine from the Outbreak of War with Germany to June 1917 (London: HMSO: 1928), S. 106.
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Anmerkungen 561 34 Die positive Bewertung von Dschafar al-Askari als „ein hervorragender Truppenausbilder“ findet sich bei McMunn und Falls, Military Operations, S. 112. Die offizielle britische Darstellung des Feldzugs beziffert die Verluste der Briten am 11. und 13. Dezember auf 33 Tote und 47 Verwundete,
während die Sanūsīya-Bruderschaft etwa 250 Kämpfer verloren haben soll, obwohl Dschafar al-Askari lediglich 17 gefallene und 30 verwundete Araber verzeichnet. Der getötete britische Nachrichtenoffizier war Oberstleutnant C. L. Snow von der ägyptischen Küstenwache.
Kapitel 10: Die Belagerung von Kut 1 Zu den deutschen Bemühungen, einen Dschihad auszulösen siehe Peter Hopkirk, On Secret Service East of Constantinople: The Plot to Bring Down the British Empire (London: John Murray, 1994); Sean McMeekin, The Berlin-Baghdad Express: The Ottoman Empire and Germany’s Bid for World Power, 1898–1918 (London: Allen Lane, 2010). 2 IWM, Nachlass von Major G. l. Heawood, Dokument 7666. Heawood verfasste seine Darstellung der Ereignisse im Jahr 1917. 3 ‘Ali al-Wardi, Lamahat ijtima’iyya min tarikh al-’Iraq al-hadith [Soziale Aspekte der neueren Geschichte Iraks] (Bagdad: al-Maktaba al-Wataniyya, 1974), Bd. 4, S. 231. Wardi zufolge rührten die Spannungen zwischen den beiden Generalen von der Tatsache her, dass Nurettin sich gegen die Ernennung eines Nichtmuslims zum Befehlshaber der osmanischen 6. Armee ausgesprochen hatte. 4 F. J. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, 1914–1918 (London: HMSO, 1924), Bd. 2, S. 194. 5 George Younghusband, Forty Years a Soldier (London: Herbert Jenkins, 1923), S. 284f. 6 IWM, Nachlass von Reverend H. Spooner, Dokument 7308, Eintrag vom 9. Januar 1916. 7 Der erste Angriff auf Hanna fand am 20.–21. Januar 1916 statt. Die Briten erlitten Verluste in Höhe von 2741 Mann und schätzten die osmanischen Verluste auf etwa 2000 Mann. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 275f.; Younghusband, Forty Years a Soldier, S. 290f. 8 Die Hausdurchsuchungen fanden am 24. Januar statt. Charles Townshend, When God Made Hell: The British Invasion of Mesopotamia and the Creation of Iraq, 1914–1921 (London: Faber and Faber, 2010), S. 215. 9 Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 200. Reverend Spooner notierte am 30. März 1916, eine Kompanie des 24. Punjab-Regiments sei „wegen Unzufriedenheit entwaffnet“ worden und dass „etliche Mohammedaner zum Feind übergelaufen“ seien. IWM, Nachlass von W. D. Lee von der Royal Garrison Artillery, Dokument 1297. 10 Dschafars Darstellung der Sanūsīya-Kampagne findet sich in Jafar [Dschafar] al-Askari, A Soldier’s Story: From Ottoman Rule to Independent Iraq (London: Arabian Publishing, 2003), S. 85–93.
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11 Am 23. Januar verloren die Briten bei Bir Tunis 312 Mann (Tote und Verwundete) und schätzten die Verluste der Araber auf 200 Tote und 500 Verwundete; George McMunn und Cyril Falls bezeichnen das Gefecht als „die Halazin-Affäre“: Military Operations: Egypt and Palestine from the Outbreak of War with Germany to June 1917 (London: HMSO, 1928), S. 122. 12 McMunn und Falls, Military Operations, S. 134. 13 Reverend Spooner berichtet am 26. Januar 1916 von dem Fußballspiel und am 1. Februar von dem „verarzteten“ Spaten. 14 IWM, Nachlass von Major Alex Anderson, Dokument 9724, S. 57–59; in seiner Schilderung des ersten Luftangriffs bemerkt Anderson, der Pilot sei „bereits als Fritz bekannt“ gewesen; sein Bericht über die Bombardierung des Lazaretts findet sich auf S. 74f. Siehe auch Reverend Spooners Tagebucheintrag vom 18. März, wo es nach der gewissenhaften Auflistung der Verlustzahlen nur heißt: „schreckliche Szenen“. 15 Zu der Einnahme von Erzurum durch die Russen siehe W. E. D. Allen und Paul Muratoff, Caucasian Battlefields: A History of the Wars on the Turco-Caucasian Border, 1828–1921 (Cambridge: Cambridge University Press, 1953), S. 320–372; Michael Reynolds, Shattering Empires: The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires, 1908–1918 (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), S. 134–139; Sean McMeekin, The Russian Origins of the First World War (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2011), S. 191–193; Edward J. Erickson, Ordered to Die: A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport, CT: Greenwood Press, 2001), S. 120–137. 16 Allen und Muratoff geben in Caucasian Battlefields, S. 342, an, die osmanischen Verluste bei Köprüköy hätten „fast 15 000“ im Kampf Getötete, Verwundete und Erfrorene betragen, dazu 5000 Mann, die gefangen genommen wurden, sowie „etwa dieselbe Anzahl von Deserteuren“, alles in allem also rund 25 000 Mann. Auf russischer Seite waren die Verluste ebenfalls beträchtlich: 10 000 Tote und Verwundete, dazu 2000 Soldaten, die wegen Erfrierungen behandelt werden mussten. 17 Younghusband, Forty Years a Soldier, S. 297. 18 Ali Ihsan Bey sollte später den türkischen Namen von Dudschaila, „Sabis-Hügel“, als Familiennamen annehmen: Ali Ihsan Sâbis, Birinci
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562 Anhang Dünya Harbi [Der Erste Weltkrieg] (Istanbul: Nehir Yayınları, 2002), Bd. 3, S. 121–127. 19 Abidin Ege, Harp Günlükleri [Kriegstagebücher] (Istanbul: Türkiye Iş Bankası Kültür Yayınları, 2011), S. 275–278. 20 Die Briten verloren 3474, die Osmanen 1285 Mann, siehe Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 525. 21 Russell Braddon, The Siege (New York: Viking, 1969), S. 207f. 22 Zu Lawrence’ Mission in Mesopotamien siehe Jeremy Wilson, Lawrence of Arabia: The Authorized Biography of T. E. Lawrence (London: Heinemann, 1989), S. 253–278; Townshend, When God Made Hell, S. 250–253. 23 Vom politischen Aktivismus Sulayman Faydis und Sayyid Talibs vor dem Krieg ist in Kapitel 4 ausführlicher die Rede. 24 In seinen Memoiren liefert Sulayman Faydi einen detaillierten Bericht von dem Treffen mit T. E. Lawrence, der als ein Dialog zwischen den beiden Männern gestaltet ist: Mudhakkirat Sulayman Faydi [Die Erinnerungen des Sulayman Faydi] (London: Saqi Books, 1998), S. 221–242. 25 Wilson, Lawrence of Arabia, S. 268. 26 Ege, Harp Günlükleri, S. 294 27 Zitiert bei Townshend, When God Made Hell, S. 250–253. 28 Scott Anderson, Lawrence in Arabia (London: Atlantic Books, 2014), S. 176–178. Herberts Darstellung der Verhandlungen mit Halil findet sich bei Aubrey Herbert, Mons, Anzac and Kut (London: Hutchinson, o. J. [1930]), S. 248–256. 29 Ege, Harp Günlükleri, S. 307; Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 459. Vor der Einnahme von Kut durch die Osmanen war die Kapitulation des Generals Cornwallis mit mehr als 7500 Soldaten bei Yorktown (1781) die größte der britischen Militärgeschichte gewesen. Und Townshends „Rekord“ sollte durch die Kapitulation der Festung Singapur im Jahr 1942 überboten werden, bei der 80 000 britische, indische und australische Soldaten in japanische Kriegsgefangenschaft kamen. 30 IWM, Nachlass von Major T. R. Wells, Dokument 7667, Tagebucheintrag vom 29. April 1916. 31 Zivile Opferzahlen nach Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 459. Reverend Spooners Darstellung entnehme ich der Quelle IWM, „Report Based on the diary of the Rev. Harold Spooner, April 29th, 1916 to Nov. 1918“, Dokument 7308. Siehe auch IWM, Diary of Captain Reynolds Lamont Lecky, Dokument 21099, Tagebucheintrag vom 2. Mai 1916. 32 IWM, Nachlass von Leutnant (später Oberstleutnant) L. S. Bell Syer, Dokument 7469,
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Tagebucheintrag vom 6. Mai 1916. 33 Talib Mushtaq, Awraq ayyami, 1900–1958 [Einige Kapitel aus meinem Leben, 1900–1958] (Beirut: Dar al-Tali’a, 1968), Bd. 1, S. 15. Mushtaq zufolge sagte der britische Soldat auf Arabisch: „Al-Inkliz damdam aqwa, lakin khubz maku.“ 34 So zitiert bei Sergeant P. W. Long, Other Ranks of Kut (London: Williams and Norgate, 1938), S. 34. 35 IWM, Tagebuch von Leutnant L. S. Bell Syer, Eintrag vom 14. Mai 1916. Siehe auch die privaten Unterlagen von Major T. R. Wells, der behauptet, die Türken hätten den indischen Muslimen eine „Vorzugsbehandlung“ gewährt (8. Mai und 4. Juni), sowie das Tagebuch von Reverend Spooner, Eintrag vom 17. Mai. 36 Das „Halbmondlager“ wird in Kapitel 3 genauer vorgestellt. P. W. Long schreibt in Other Ranks of Kut, S. 33, in der Nähe der kriegsgefangenen Briten in Bagdad habe ein „ganzes Bataillon Algerier“ gelagert. Da sie zuvor in französischen Diensten gestanden hatten, berichtet Long, „behaupteten sie, unsere Freunde zu sein“ – aber die Briten „gingen auf ihre Avancen nicht ein“. Die Nordafrikaner wurden später nach Persien geschickt, „um für die Türken gegen die Russen zu kämpfen“. 37 NARA, Bagdad Bd. 25, Brissel-Report, datiert Bagdad, 9. August 1916. 38 Der Artikel aus der Zeitung Sada-i Islam vom 29. Temmuz 1332 (11. August 1916) hat sich in den Unterlagen des Bagdader US-Konsulats erhalten, NARA, Bagdad Bd. 25. Der offiziellen britischen Darstellung zufolge empfing der Sultan tatsächlich muslimische Offiziere der britisch-indischen Armee und gab ihnen ihre Säbel zurück; dort heißt es allerdings auch, die Osmanen hätten „alle, die sich weigerten“, fortan dem Sultan zu dienen, wieder festgenommen. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 2, S. 466. 39 Zahlreiche Offiziere haben detaillierte Aufzeichnungen aus ihrer Zeit in osmanischer Kriegsgefangenschaft hinterlassen; siehe etwa Major E. W. C. Sandes, In Kut and Captivity with the Sixth Indian Division (London: John Murray, 1919); Hauptmann E. O. Mousley, The Secrets of a Kuttite: An Authentic Story of Kut, Adventures in Captivity and Stamboul Intrigue (London: John Lane, 1921); W. C. Spackman, Captured at Kut: Prisoner of the Turks (Barnsley, UK: Pen & Sword, 2008). 40 E. H. Jones, The Road to En-Dor (London: John Lane The Bodley Head, 1921), S. 123. 41 IWM, Nachlass von J. McK. Sloss, MSM Australian Flying Corps, Dokument 13102; der Unteroffizier P. W. „Jerry“ Long hat in Other Ranks of Kut, S. 103, die erste Darstellung des Falls von Kut aus der Perspektive der einfachen britischen Soldaten vorgelegt.
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Anmerkungen 563 42 Arnold T. Wilson, Loyalties Mesopotamia, 1914–1917 (Oxford: Oxford University Press, 1930), S. 140. 43 So gibt Krikor (Grigoris) Balakian in Armenian Golgotha: A Memoir of the Armenian Genocide, 1915–1918 (New York: Vintage Books, 2010), S. 294–298, an, den britischen Soldaten etwa zwei bis drei Wochen nach der Deportation der
Armenier aus Bahçe begegnet zu sein; da diese Deportation Anfang Juni 1916 stattfand, lässt sich folgern, dass die britischen Überlebenden aus Kut den Bahnhof Ende Juni oder Anfang Juli 1916 erreichten. 44 Curzon zitiert bei Townshend, When God Made Hell, S. 335.
Kapitel 11: Der Arabische Aufstand 1 Wenn von einem „Emirat Mekka“ die Rede ist, bezieht sich dies auf den Herrschertitel „Emir von Mekka“. Ein „Emir“ ist ein Fürst, Prinz oder militärischer Befehlshaber. Den über Mekka herrschenden Fürsten kann man wahlweise als den Emir oder den (Groß-)Scherifen von Mekka bezeichnen. 2 Abdullahs Bericht ist enthalten in seinen Erinnerungen: Memoirs of King Abdullah of Transjordan (New York: Philosophical Library, 1950), S. 112f.; siehe auch Ronald Storrs, Orientations (London: Readers Union, 1939), S. 129f.; George Antonius, The Arab Awakening (London: Hamish Hamilton, 1938), S. 126–128. Antonius, der selbst ein glühender arabischer Nationalist war, stützte seine Darstellung des Arabischen Aufstands zu einem großen Teil auf persönliche Gespräche mit den führenden Mitgliedern der haschemitischen Herrscherfamilie sowie auf Originaldokumente aus deren Privatbesitz. 3 Storrs, Orientations, S. 155f. 4 Übersetzt aus der in Beirut erschienenen Zeitung Al-Ittihad al-’Uthmani [Die osmanische Union], 29. Dezember 1914, zitiert bei Antonius, Arab Awakening, S. 145. 5 Zitiert nach Antonius, Arab Awakening, S. 140. Antonius gründete seine Darstellung auf ausführliche Gespräche mit Scherif Hussein und seinen Söhnen Abdullah und Faisal: C. Ernest Dawn, From Ottomanism to Arabism: Essays on the Origins of Arab Nationalism (Urbana: University of Illinois Press, 1973), S. 26. 6 Die Organisation Al-Fatat und ihre Rolle beim Ersten Arabischen Kongress in Paris wird in Kapitel 1 behandelt. 7 Diese Darstellung von Faisals Reise nach Istanbul und Damaskus beruht auf Dawn, From Ottomanism to Arabism, S. 27–30, Antonius, Arab Awakening, S. 150–159, und Ali A. Allawi, Faisal I of Iraq (New Haven, CT: Yale University Press, 2014). 8 Antonius, Arab Awakening, S. 157f. 9 Eine englische Übersetzung der Hussein-McMahon-Korrespondenz ist abgedruckt in The Middle East and North Africa in World Politics: A Documentary Record, hg. v. J. C. Hurewitz (New
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Haven, CT: Yale University Press, 1979), Bd. 2, S. 46–56. 10 McMahons Brief nach London wird zitiert bei Jonathan Schneer, The Balfour Declaration: The Origins of the Arab Israeli Conflict (New York: Random House, 2010), S. 59. 11 Zu den Enthüllungen Scharif al-Faruqis siehe Scott Anderson, Lawrence in Arabia: War, Deceit, Imperial Folly and the Making of the Modern Middle East (London: Atlantic Books, 2013), S. 139–143; Antonius, Arab Awakening, S. 169; David Fromkin, A Peace to End All Peace (London: Andre Deutsch, 1989), S. 176–178 sowie Schneer, Balfour Declaration, S. 60–63. Scherif Hussein erwähnte Muhammad Scharif al-Faruqi namentlich in seinem Brief an McMahon vom 1. Januar 1916, woraus sich schließen lässt, dass er von der Abtrünnigkeit des arabischen Offiziers unterrichtet worden war, vermutlich durch McMahons Kurier. 12 Diese französischen Gebietsansprüche in „Großsyrien“ wurden in einem Brief formuliert, den der französische Botschafter in Petrograd am 1./14. März 1915 an den russischen Außenminister schrieb; abgedruckt in Hurewitz (Hg.), Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 19. 13 Fromkin, Peace to End All Peace, S. 188–193. 14 Antonius, Arab Awakening, S. 248. 15 Der Vertragstext des Sykes-Picot-Abkommens ist abgedruckt bei Hurewitz (Hg.), Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 60–64. 16 Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, 1913–1919 (London: Hutchinson & Co., o. J.), S. 197–199. 17 Turdschmans Freunde entstammten Familien der Jerusalemer Oberschicht: Hasan Khalidi und Omar Salih Barghouti waren beide Offiziere der osmanischen Armee; Khalil Sakakini war ein Lehrer, der ebenfalls ein Tagebuch führte. Salim Tamari, Year of the Locust: A Soldier’s Diary and the Erasure of Palestine’s Ottoman Past (Berkeley: University of California Press, 2011), S. 91. 18 Falih Rıfkı Atay, Le mont des Oliviers [Der Ölberg] (Paris: Turquoise, 2009), S. 29f.; dieses Buch wurde zuerst 1932 in türkischer Sprache unter dem Titel Zeytindağı veröffentlicht.
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564 Anhang 19 Eliezer Tauber, The Arab Movements in World War I (London: Frank Cass, 1993), S. 38. 20 George Antonius gibt in Arab Awakening, S. 241, an, die Zahl von 300 000 Hungertoten sei „über jeden Zweifel erhaben“, und äußert sogar die Vermutung, dass es bis zu 350 000 Opfer gegeben haben könnte. Linda Schatkowski Schilcher, „The Famine of 1915–1918 in Greater Syria“, in Problems of the Modern Middle East in Historical Perspective, hg. v. John Spagnolo (Reading, UK: Ithaca Press, 1992), S. 229–258, argumentiert unter Berufung auf deutsche Konsulatsakten, die Gesamtzahl der Toten, die der Hungersnot und den damit einhergehenden Seuchen zum Opfer fielen, „könnte bis zum Ende des Jahre 1918 bis zu 500 000 betragen haben“. Zur Volkserinnerung an Seferberlik in Syrien und im Libanon siehe Najwa al-Qattan, „Safarbarlik: Ottoman Syria and the Great War“, in From the Syrian Land to the States of Syria and Lebanon, hg. v. Thomas Philipp und Christoph Schumann (Beirut: Orient-Institut, 2004), S. 163–174. 21 Q. B. Khuwayri, al-Rihla al-suriyya fi’l-harb al-’umumiyya 1916 [Die syrische Reise durch den allgemeinen Krieg, 1916] (Kairo: al-Matba’a al-Yusufiyya, 1921), S. 34f. 22 Die Initiative Envers sowie weitere Versuche der Entente-Mächte, humanitäre Hilfe über die alliierte Seeblockade hinweg zu verhindern, werden dargestellt bei Shakib Arslan, Sira Dhatiyya [Autobiografie] (Beirut: Dar al-Tali’a, 1969), S. 225–236. 23 Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, S. 213; Rıfkı Atay, Le mont des Oliviers, S. 75f. 24 Tamari, Year of the Locust, S. 130–132. 25 Telegramm von Scherif Hussein an Enver Pascha sowie dessen Antwort, abgedruckt bei Sulayman Musa, Al-Thawra al-’arabiyya al-kubra: watha’iq wa asanid [Der große arabische Aufstand: Dokumente und Aufzeichnungen] (Amman: Kulturministerium, 1966), S. 52f.; Cemal Pascha und Scherif Abdullah haben abweichende Darstellungen des Wortwechsels zwischen Scherif Hussein und Enver Pascha geliefert; siehe Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, S. 215, sowie König Abdullah, Memoirs of King Abdullah of Transjordan, S. 136f.; siehe auch Tauber, Arab Movements in World War I, S. 80. 26 Antonius, Arab Awakening, S. 190. 27 Rıfkı Atay, Le mont des Oliviers, S. 73–79. Natürlich sind die Huldigungen der arabischen Zeitgenossen für die in Beirut und Damaskus Gehängten noch wesentlich anrührender: Dr. Ahmad Qadri, der als syrisches Mitglied von Al-Fatat wegen des Verdachts auf „arabistische Umtriebe“ zweimal von den osmanischen Machthabern festgenommen und wieder
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freigelassen wurde, gibt in Mudhakkirati ‘an al-thawra al-’arabiyya al-kubra [Meine Erinnerungen an den großen arabischen Aufstand] (Damaskus: Ibn Zaydun, 1956), S. 55f., die heldenhaften letzten Worte vieler der in Beirut Hingerichteten wieder. 28 Später im selben Jahr veröffentlichte Cemal Pascha ein Buch, mit dem das Vorgehen des Militärtribunals von Aley gerechtfertigt werden sollte; es erschien in türkischer, arabischer und französischer Sprache: La vérité sur la question syrienne (Istanbul: Tanine, 1916), liefert kurze Beschreibungen von acht arabischen Geheimgesellschaften, dazu den Inhalt von Dokumenten, die in den französischen Konsulaten in Beirut und Damaskus beschlagnahmt worden waren, und nennt die Namen und Vergehen der von dem Tribunal Verurteilten. George Antonius bekam die Beschreibung von Faisals Reaktion auf die Hinrichtungen vermutlich von diesem selbst zu hören. Antonius, Arab Awakening, S. 191, weist darauf hin, wie schwer es sei, die emotionale Wucht des arabischen „Taba al- mawt, ya ‘arab“ in einer Übersetzung wiederzugeben, da die Wendung „gewissermaßen alle Araber dazu aufruft, zu den Waffen zu greifen und unter Einsatz ihres Lebens die Hingerichteten blutig zu rächen“. 29 Cemal Pascha äußerte später offen sein Bedauern darüber, Faisal, seine Brüder und ihren Vater Scherif Hussein nicht wegen Hochverrats verhaftet zu haben; siehe Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, S. 220–222. 30 Das Gewehr befindet sich heute im Imperial War Museum in London. Zu seiner Geschichte siehe Haluk Oral, Gallipoli 1915 Through Turkish Eyes (Istanbul: Bahcesehir University Press, 2012), S. 233–236. 31 Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, S. 223. T. E. Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit, übers. v. Dagobert von Mikusch (München: Paul List, 1936), Kap. 13, S. 83, gibt an, Fakhri Pascha sei an Armeniermassakern beteiligt gewesen. Christophe Leclerc, Avec T. E. Lawrence en Arabie: La mission militaire française au Hedjaz, 1916–1920 (Paris: L’Harmattan, 1998), S. 28, bringt Fakhri mit den Armeniermassakern in Adana und Zeitun im Jahr 1909 in Verbindung. 32 König Abdullah, Memoirs of King Abdullah of Transjordan, S. 138. 33 Der türkische Historiker Haluk Oral gibt in seinem Buch Gallipoli 1915, S. 236, an, Scherif Hussein habe die Gallipolitrophäe, die Cemal Pascha Faisal zum Geschenk gemacht hatte, benutzt, um den „Eröffnungsschuss“ des Aufstandes abzufeuern; in den Unterlagen des Imperial War Museum findet sich hierzu jedoch nichts.
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Anmerkungen 565 34 König Abdullah, Memoirs of King Abdullah of Transjordan, S. 143 35 Ebd., S. 144–146. 36 Abdullahs Darstellung der Belagerung von Ta’if findet sich in den Memoirs of King Abdullah, S. 143–153. 37 Turdschman, Year of the Locust, S. 155f. 38 Muhammad Ali al-’Ajluni [Adschluni], Dhikrayat ’an al-thawra al-’arabiyya al-kubra [Erinnerungen an den großen arabischen Aufstand] (Amman: Dar al-Karmil, 2002), S. 22–25; zur Ausrufung des Arabischen Aufstandes und zu den Debatten über dessen Erfolgsaussichten und Risiken, siehe S. 27f.; Adschluni stammte gebürtig aus dem Bezirk Adschlun, der zur Provinz Syrien des Osmanischen Reichs gehörte, heute jedoch im Norden Jordaniens liegt. 39 Zu den Reaktionen in Indien siehe James Barr, Setting the Desert on Fire: T. E. Lawrence and Britain’s Secret War in Arabia, 1916–1918 (New York: W. W. Norton, 2008), S. 41f. 40 Zur Mobilisierung arabischer Offiziere der osmanischen Armee für die Sache der Haschemiten siehe Tauber, The Arab Movements in World War I, S. 102–117. Auf die Festnahme Dschafar al-Askaris in der Westlichen Wüste bin ich in Kapitel 10 genauer eingegangen; seine Loyalität zu den Haschemiten thematisiert er in seinen Memoiren: A Soldier’s Story: From Ottoman Rule to Independent Iraq (London: Arabian Publishing, 2003), S. 108–112. Zu Ali Dschaudats Gefangennahme bei Nassirija siehe Kapitel 9, zu seiner Gefangenschaft in Basra siehe Kapitel 10; sein Bericht über die Rekrutierungsbemühungen in den Kriegsgefangenenlagern findet sich in Ali Jawdat [Dschaudat], Dhikrayati, 1900–1958 [Meine
Erinnerungen, 1900–1958] (Beirut: Al-Wafa’, 1967), S. 37–40. 41 McMahons Telegramm vom 13. September 1916 ist abgedruckt bei Barr, Setting the Desert on Fire, S. 56. Zu dem französischen Bemühen, das Sykes-Picot-Abkommen zu erhalten, siehe Leclerc, Avec T. E. Lawrence en Arabie, S. 19. Zur Brémond-Mission siehe auch Robin Bidwell, „The Brémond Mission in the Hijaz, 1916–17: A Study in Inter-allied Co-operation“, in Arabian and Islamic Studies, hg. v. Robin Bidwell und Rex Smith (London: Longman, 1983), S. 182–195. 42 Bidwell, „Brémond Mission“, S. 186. 43 Edouard Brémond, Le Hedjaz dans la guerre mondiale (Paris: Payot, 1931), S. 61–64, 106f.; die gesamte französische Militärmission, deren Hauptquartier sich in Ägypten befand, umfasste insgesamt 42 Offiziere und 983 Mannschaften, siehe Brémond, Le Hedjaz, S. 64. 44 Lawrence, Sieben Säulen der Weisheit, Kap. 16, S. 107 und Kap. 13, S. 81. 45 Ebd., Kap. 15, S. 96. Lawrence’ Bericht vom 18. November 1916 wird zitiert bei Barr, Setting the Desert on Fire, S. 77f.; siehe auch Andersons Analyse von Lawrence’ Bericht in Lawrence in Arabia, S. 223–226. 46 Lawrence’ Darstellung der Ereignisse vom Dezember 1916 findet sich in Sieben Säulen der Weisheit, Kap. 18–21, S. 113–137. 47 Ebd., Kap. 20, S. 131. 48 Die Empfehlungen des Kriegskomitees nach seiner Sitzung vom 6. Juli 1916 sind abgedruckt bei George McMunn und Cyril Falls, Military Operations: Egypt and Palestine from the Outbreak of War with Germany to June 1917 (London: HMSO, 1928), S. 230–232.
Kapitel 12: Osmanen in der Defensive: Bagdad, der Sinai und Jerusalem 1 Zum Einsatz deutscher Flugzeuge in Palästina siehe Desmond Seward, Wings over the Desert: In Action with an RFC Pilot in Palestine, 1916–1918 (Sparkford, UK: Haynes Publishing, 2009), S. 29–32. Zu der österreichischen Artillerie siehe Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, 1913–1919 (London: Hutchinson, o. J.), S. 169. 2 Der vollständige Text von Murrays Vorschlag vom 15. Februar 1916 ist abgedruckt bei George McMunn und Cyril Falls, Military Operations: Egypt and Palestine from the Outbreak of War with Germany to June 1917 (London: HMSO, 1928), S. 170–174. 3 Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, S. 170; zur „Qatiya-Affäre“ siehe McMunn und Falls, Military Operations, S. 162– 170, sowie Anthony Bruce, The Last Crusade: The
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Palestine Campaign in the First World War (London: John Murray, 2002), S. 37–40. 4 Zum Imperial Camel Corps siehe Frank Reid, The Fighting Cameliers (1934; Ndr. Milton Keynes, UK: Leonaur, 2005); Geoffrey Inchbald, With the Imperial Camel Corps in the Great War (Milton Keynes, UK: Leonaur, 2005). 5 McMunn und Falls, Military Operations, S. 199. 6 Empfehlungen des Kriegskomitees, 6. Juli 1916, abgedruckt bei McMunn und Falls, Military Operations, S. 230–232. 7 Inchbald, With the Imperial Camel Corps, S. 113. 8 Reid, The Fighting Cameliers, S. 50–52; McMunn und Falls, Military Operations, S. 257. 9 Die Briten meldeten die Gefangennahme von 1635 osmanischen Offizieren und Mannschaften und schätzten die osmanischen Verluste in der Schlacht um Rafah auf 200 getötete Soldaten. Die
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566 Anhang britischen Verluste beliefen sich auf 71 getötete und 415 verwundete Soldaten: McMunn und Falls, Military Operations, S. 270. 10 Edward J. Erickson, Ordered to Die: A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport, CT: Greenwood Press, 2001), S. 161. 11 CIGS-Telegramm an den Oberbefehlshaber Indien vom 30. April 1916, abgedruckt bei F. J. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, 1914–1918 (London: HMSO, 1923–1927), Bd. 3, S. 3f. 12 Erickson, Ordered to Die, S. 164–166. 13 Charles Townshend, When God Made Hell: The British Invasion of Mesopotamia and the Creation of Iraq, 1914–1921 (London: Faber and Faber, 2010), S. 344f. 14 Arnold T. Wilson, Loyalties Mesopotamia, 1914–1917 (Oxford: Oxford University Press, 1930), S. 222. 15 Oberstleutnant J. E. Tenant, zitiert bei Wilson, Loyalties Mesopotamia, S. 223. 16 Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 3, S. 193–195; Wilson, Loyalties Mesopotamia, S. 222f.; Townshend, When God Made Hell, S. 355–357. 17 Der Schriftwechsel zwischen Maude, Robertson und Monro ist abgedruckt bei Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 3, S. 204–211. 18 Wilson, Loyalties Mesopotamia, S. 216. 19 Talib Mushtaq, Awraq ayyami, 1900–1958 [Einige Kapitel aus meinem Leben, 1900–1958] (Beirut: Dar al-Tali’a, 1968), S. 17f. 20 NARA, Bagdad Bd. 28, Transkription aus Konsul Heizers Aufzeichnungen, 10.–13. März 1917. 21 Eine detaillierte Analyse von Maudes Proklamation und ihren Schwächen findet sich bei Wilson, Loyalties Mesopotamia, S. 237–241. 22 Der vollständige Text der Proklamation ist abgedruckt bei Moberly, The Campaign in Mesopotamia, Bd. 3, S. 404f., Anhang 38. 23 Mushtaq, Awraq ayyami, S. 19. 24 Hew Strachan, The First World War (London: Pocket Books, 2003), S. 215–223. Die Vereinigten Staaten erklärten dem Osmanischen Reich nie den Krieg, zogen jedoch nach ihrer Kriegserklärung an das Deutsche Reich sämtliche Diplomaten aus dem osmanischen Herrschaftsbereich ab. 25 Die Briten meldeten knapp 4000 Mann Verluste, darunter 523 Tote und 2932 Verwundete, obwohl Liman von Sanders angab, die Türken hätten nach der Ersten Schlacht um Gaza „etwa 1500 tote Engländer begraben“. Die osmanischen Verluste lagen unter 2500 Mann, darunter 301 Tote und 1085 Verwundete. Siehe McMunn und Falls, Military Operations, S. 315, S. 322; Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei (Berlin: Scherl, 1919), S. 211. 26 Falih Rıfkı Atay, Le mont des Oliviers [Der Ölberg] (Paris: Turquoise, 2009), S. 205f.
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27 A. Briscoe Moore, The Mounted Riflemen in Sinai and Palestine (Auckland: Whitcombe and Tombs, o. J. [1920]), S. 67. 28 Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, S. 179. 29 Reid, The Fighting Cameliers, S. 98; Reid teilt auch mit, dass ihm vor der zweiten Schlacht um Gaza eine Gasmaske ausgegeben wurde (S. 97). Nach der offiziellen britischen Darstellung der Geschehnisse kam Giftgas an der Palästinafront erstmals in der zweiten Schlacht um Gaza zum Einsatz: McMunn und Falls, Military Operations, S. 328. 30 Reid, The Fighting Cameliers, S. 102–110. 31 Rıfkı Atay, Le mont des Oliviers, S. 213f.; McMunn und Falls, Military Operations, S. 348, S. 350. 32 James Barr, Setting the Desert on Fire: T. E. Lawrence and Britain’s Secret War in Arabia, 1916–1918 (New York: W. W. Norton, 2008), S. 90–106. 33 Lawrence’ erster Angriff auf die Hedschasbahn fand am 29./30. März an der Station Abu al-Naam statt: T. E. Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit, übers. v. Dagobert von Mikusch (München: Paul List, 1936), Kap. 34, S. 219–227. 34 Jafar [Dschafar] al-Askari, A Soldier’s Story: From Ottoman Rule to Independent Iraq (London: Arabian Publishing, 2003), S. 112–114. In Kapitel 10 wird geschildert, wie es zu Al-Askaris Gefangennahme in der Westlichen Wüste Ägyptens kam. 35 Ali Allawi, Faisal I of Iraq (New Haven, CT: Yale University Press, 2014), S. 94f. 36 Barr, Setting the Desert on Fire, S. 135. Sykes, der von Picot begleitet wurde, traf am 18. Mai 1917 in Dschidda mit Faisal und Sherif Hussein zusammen, um dem Scherifen die Details des Sykes-Picot-Abkommens mitzuteilen; dabei suggerierten sie ihm für die Zukunft jedoch ein größeres Maß an arabischer Autonomie unter französischer Verwaltung, als jemals beabsichtigt war: ebd., S. 138–141. 37 Lawrence, Sieben Säulen der Weisheit, Kap. 52, S. 350. 38 Ebd., Kap. 54, S. 359–367, Zitat auf S. 367. 39 Zum großen Verdruss aller arabischen Historiker wird Lawrence das Verdienst der Eroberung von Akaba zugeschrieben – oder vielmehr hat er selbst es sich zugeschrieben. Wie schreibt er doch in den Sieben Säulen der Weisheit? – „Akaba war nach meinen Plänen und auf meine Initiative hin erobert worden“ (Kap. 57, S. 379). Ali Allawi hat in seinem Buch Faisal I of Iraq, S. 95f., angemerkt, dass Scherif Nasir in seinem Bericht an Faisal vom 6. Juli „mit keinem Wort die Beteiligung Lawrence’ an der Planung oder Organisation des Angriffs erwähnte“. Lawrence, meint Allawi, hat seine eigene Rolle wohl ordentlich aufgebauscht, „in
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Anmerkungen 567 dem vollen Bewusstsein, dass die anderen Beteiligten, die ja zumeist Araber waren, nicht in der Position sein würden, ihm zu widersprechen oder seine Version der Ereignisse zurechtzurücken“. Siehe auch Suleiman Musa, T. E. Lawrence: An Arab View (Oxford: Oxford University Press, 1966). Wingate zitiert bei Barr, Setting the Desert on Fire, S. 160f. 40 Lawrence, Sieben Säulen der Weisheit, Kap. 56, S. 379. 41 Zitiert bei Barr, Setting the Desert on Fire, S. 166. 42 Eugene Rogan, Frontiers of the State in the Late Ottoman Empire: Transjordan, 1851– 1920 (Cambridge: Cambridge University Press, 1999), S. 224–229. 43 Aus den unveröffentlichten Erinnerungen von Salih al-Tall, dem Mann aus Irbid, dem man die Aushebung der Miliz befohlen hatte (S. 236f.). Dem verstorbenen Mulhim al-Tall bin ich zutiefst dankbar dafür, dass ich die Aufzeichnungen seines Großvaters – ein Dokument von unschätzbarem Wert – kopieren durfte. 44 Der Nachlass des Kommandeurs des tscherkessischen Freiwilligenkorps, Mirza Wasfi, befinden sich im jordanischen Nationalarchiv in Amman. Zur tscherkessischen Kavallerie im Besonderen siehe MW 5/17, Dokumente 6 und 10 vom 3.–10. November 1916. 45 Odeh al-Goussous, Mudhakkirat ‘Awda Salman al-Qusus al-Halasa [Memoiren des Odeh al-Goussous al-Halasa, 1877–1943] (Amman: o. V., 2006), S. 84. 46 Dieses Werben um die Stammesführer, um den haschemitischen Einfluss zurückzudrängen, beschreibt Odeh al-Goussous in Mudhakkirat ‘Awda Salman al-Qusus al-Halasa, S. 84. Im Osmanischen Archiv in Istanbul finden sich noch immer die Verleihungsbestätigungen für Orden, die an Stammesführer im südlichen Syrien verliehen wurden; siehe die dortigen Signaturen DH-KMS 41/43 und 41/46 (August und September 1916). Zu Lawrence’ Konfrontation mit Auda siehe Lawrence, Sieben Säulen der Weisheit, Kap. 57, S. 384; Barr, Setting the Desert on Fire, S. 169f. 47 Dieser Angriff ereignete sich kurz nach dem 17. Juli 1917. In Lawrence’ Sieben Säulen der Weisheit wird er nicht erwähnt, wahrscheinlich,
weil Lawrence sich zum fraglichen Zeitpunkt in Kairo aufhielt. Goussous, Mudhakkirat ‘Awda Salman al-Qusus al-Halasa, S. 86–88. In anderem Zusammenhang hat Lawrence allerdings durchaus über die Loyalität einzelner Beduinenstämme zu den Osmanen berichtet, siehe T. E. Lawrence, „Tribal Politics in Feisal’s Area“, Arab Bulletin Supplementary Papers 5 (24. Juni 1918), S. 1–5. 48 Zu der Unterredung vom 24. Juni 1917 und der Schaffung der Heeresgruppe Yıldırım siehe Djemal Pasha [Cemal Pascha], Memories of a Turkish Statesman, S. 182–193; Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 219–229; Erickson, Ordered to Die, S. 166–172. 49 Bruce, The Last Crusade, S. 119f. 50 Emin Çöl, Çanakkale Sina Savaşları: bir erin anıları [Der Dardanellen- und der Sinai-Feldzug: Erinnerungen eines Mannes] (Istanbul: Nöbetçi Yayınevi, 2009), S. 103f. 51 Çöl, Çanakkale Sina Savaşları, S. 106–108. Zum Reiterangriff der 4. Brigade der Australian Light Horse siehe Roland Perry, The Australian Light Horse (Sydney: Hachette Australia, 2010), S. 3–13. 52 Cyril Falls und A. F. Becke, Military Operations: Egypt and Palestine from the Outbreak of War with Germany to June 1917, (London: HMSO, 1930), Bd. 1, S. 65. 53 Reid, The Fighting Cameliers, S. 139–147. 54 Chaim Weizmann, Memoiren. Das Werden des Staates Israel, übers. v. Thea-Maria Lenz (Hamburg: Toth, 1951), S. 309. ; Tom Segev, One Palestine, Complete: Jews and Arabs under the British Mandate (London: Abacus Books, 2001), S. 43–50; Jonathan Schneer, The Balfour Declaration: The Origins of the Arab-Israeli Conflict (New York: Random House, 2010), S. 333–346. 55 Im Verlauf des Palästinafeldzugs erlitten beide Seiten schwere Verluste. Bis zur Eroberung Jerusalems hatten die Briten 18 928 Tote und Verwundete zu beklagen, die Osmanen insgesamt 28 443 Mann. Zusätzlich meldete Allenby fast 12 000 türkische Kriegsgefangene. Bruce, The Last Crusade, S. 165. 56 Segev, One Palestine, Complete, S. 50–54. 57 Das Imperial War Museum besitzt ein Exemplar des dreizehnminütigen Stummfilms vom „Einzug General Allenbys in Jerusalem“, der online angesehen werden kann.
Kapitel 13: Von Brest-Litowsk nach Moudros 1 NARA, Trabzon, Türkei, Bd. 30, Diverse Aufzeichnungen 1913–1918, Eintrag vom 23. März 1917. Die Amerikaner schlossen ihr Konsulat auch während der russischen Besetzung Trabzons nicht, und der Konsul führte ein knappes Protokoll über die politischen Entwicklungen in seinem Auf-
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zeichnungsbuch, dem die folgenden Zitate entnommen sind. Siehe auch Michael A. Reynolds, Shattering Empires: The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires, 1908–1918 (Princeton, NJ: Princeton University Press, 2011), S. 167– 190; McMeekin, Russian Origins, S. 224–235.
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568 Anhang 2 Zur Veröffentlichung des Sykes-Picot-Abkommens durch die Russen sowie Cemal Paschas Annäherungsversuche an die Haschemiten siehe George Antonius, The Arab Awakening (London: Hamish and Hamilton, 1938), S. 253–258; Ali Allawi, Faisal I of Iraq (New Haven, CT: Yale University Press, 2014), S. 108–112. Cemals Bemerkungen über Vereinbarungen zwischen Großbritannien, Frankreich, Russland und Italien lassen vermuten, dass die Bolschewiki auch den Inhalt der 1917 getroffenen Vereinbarung von Saint-Jean-de-Maurienne öffentlich gemacht hatten, mit der die Italiener ihre Gebietsansprüche in Anatolien angemeldet hatten. 3 Scott Anderson zufolge hatte T. E. Lawrence Details des Sykes-Picot-Abkommens Faisal womöglich schon im Februar 1917 mitgeteilt; hierfür gibt es jedoch lediglich Indizienbeweise: siehe Scott Anderson, Lawrence in Arabia: War, Deceit, Imperial Folly and the Making of the Modern Middle East (London: Atlantic Books, 2013), S. 270–272; zum Besuch von Sir Mark Sykes und Georges Picot in Dschidda und ihrem Treffen mit Scherif Hussein: siehe ebd., S. 314–319. 4 Die „Hogarth Message“ vom Januar 1918, abgedruckt bei J. C. Hurewitz (Hg.), The Middle East and North Africa in World Politics (New Haven, CT: Yale University Press, 1979), Bd. 2, S. 110f. 5 „Mitteilung der britischen Regierung an den König des Hedschas vom 8. Februar 1918“, abgedruckt bei Antonius, Arab Awakening, S. 431f. 6 T. E. Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit, übers. v. Dagobert von Mikusch (München: Paul List, 1936), Kap. 60, S. 401f. 7 Muhammad Ali al-Adschluni war aus der osmanischen Armee desertiert, um sich dem Arabischen Aufstand anzuschließen. Er nahm an der Verteidigung von Tafila teil, die er in seinen Memoiren beschreibt: Dhikrayat ’an al-thawra al-’arabiyya al-kubra [Erinnerungen an den großen arabischen Aufstand] (Amman: Dar al-Karmil, 2002), S. 58f.; auf osmanischer Seite wurden 200 Mann getötet und 250 gefangen genommen; die Araber hatten 25 Tote und 40 Verwundete zu beklagen. James Barr, Setting the Desert on Fire: T. E. Lawrence and Britain’s Secret War in Arabia, 1916–1918 (New York: W. W. Norton, 2008), S. 225–227. 8 Oberstleutnant Guy Powles, zitiert bei Terry Kinloch, Devils on Horses: In the Words of the Anzacs in the Middle East, 1916–19 (Auckland: Exisle Publishing, 2007), S. 252. 9 Alec Kirkbride, damals als britischer Militärberater beim Heer der Araber eingesetzt, berichtet in An Awakening: The Arab Campaign, 1917–18 (Tavistock, UK: University Press of Arabia, 1971), S. 21, dass man ihm befohlen hatte, in Akaba einen Taubenschlag einzurichten, und dass „man
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mir angekündigt hatte, die nötigen Tauben zur Verfügung zu stellen, die ich brauchte, um meine Berichte abzusetzen“. 10 Jafar [Dschafar] al-Askari, A Soldier’s Story: From Ottoman Rule to Independent Iraq (London: Arabian Publishing, 2003), S. 138. 11 Bernard Blaser, Kilts Across the Jordan (London: Witherby, 1926), S. 208. 12 Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei (Berlin: Scherl, 1919), S. 266–268. 13 Cyril Falls und A. F. Becke, Military Operations: Egypt and Palestine from the Outbreak of War with Germany to June 1917 (London: HMSO, 1930), Bd. 2, Teil 1, S. 348; A. Briscoe Moore, The Mounted Riflemen in Sinai and Palestine (Auckland: Whitcombe and Tombs, 1920), S. 115. 14 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 268. 15 IWM, Nachlass von D. H. Calcutt, Tagebucheintrag vom 1. April 1918; siehe auch das Tagebuch von J. Wilson, S. 35. D. G. Hogarth, „The Refugees from Es-Salt“, Arab Bulletin (21. April 1918), S. 125; Blaser, Kilts Across the Jordan, S. 216. 16 Moore, The Mounted Riflemen, S. 115. Die offiziellen Verlustzahlen von 200 Toten und 1000 Verwundeten auf britischer bzw. 400 Toten und 1000 Verwundeten auf osmanischer Seite wurden übernommen von W. T. Massey, Allenby’s Final Triumph (London: Constable, 1920), und von Falls und Becke, Military Operations, Bd. 1, S. 347. 17 Askari, A Soldier’s Story, S. 138f. 18 ’Ajluni [Adschluni], Dhikrayat, S. 67f.; Barr, Setting the Desert on Fire, S. 236. 19 Askari, A Soldier’s Story, S. 136f., 142–146; Lawrence, Sieben Säulen der Weisheit, Kap. 94, S. 634; Edmond Brémond, Le Hedjaz dans la guerre mondiale (Paris: Payot, 1931), S. 268f. 20 Sowohl die Anekdote über den Widerstand der Bewohner von Maan gegenüber dem Araberheer als auch die Anfeuerungsreden nach dem Rückzug aus Maan finden sich bei Tahsin Ali in Mudhakkirat Tahsin ’Ali, 1890–1970 [Die Memoiren von Tahsin Ali, 1890–1970] (Beirut: Al-Mu’assasat al-’Arabiyya li’l-dirasat wa’l-nashr, 2004), S. 70f. 21 David Stevenson, 1914–1918: The History of the First World War (London: Penguin, 2005), S. 402–409. 22 Falls und Becke, Military Operations, Bd. 2, Teil 2, S. 411–421. 23 Kinloch, Devils on Horses, S. 282f. 24 Falls und Becke, Military Operations, Bd. 2, Teil 1, S. 365f. 25 IWM, Nachlass von D. H. Calcutt, Tagebucheintrag vom 6. Mai 1918, S. 49f.; weitere Augenzeugenberichte über den zweiten Vorstoß nach Transjordanien finden sich im Tagebuch von A. L. Smith; bei W. N. Hendry, „Experiences with the London Scottish, 1914–18“; im zweiten Band der Aufzeichnungen von Hauptmann A. C.
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Anmerkungen 569 Alan-Williams (dem Loseblatt-Tagebuch „Second Attempt to Capture Amman April 29th 1918“); siehe auch das Tagebuch von J. Wilson, S. 36–38. 26 Französisches Militärarchiv, Vincennes, SS Marine Q 86, 21. Mai 1918, Nr. 23, „Jaussen“; Französisches Militärarchiv, Vincennes, SS Marine Q 86, 29. Mai 1918, Nr. 31, „Salem ebn Aisa, Tawfik el-Halibi“. 27 Die folgende Analyse stützt sich auf die herausragende Studie von Michael Reynold, Shattering Empires, S. 191–251, und auf den Klassiker von Allen und Muratoff, Caucasian Battlefields, S. 457–496. 28 Keiner sah die Kaukasuskampagne kritischer als Liman von Sanders, der in seinem Buch Fünf Jahre Türkei, S. 321–325, die Ansicht äußert, dass die zur Eroberung von Kars, Ardahan, Batumi und Baku aufgebotenen Ressourcen im Überlebenskampf der Osmanen in Palästina und Mesopotamien besser eingesetzt gewesen wären. 29 Anthony Bruce, The Last Crusade: The Palestine Campaign in the First World War (London: John Murray, 2002), S. 215. 30 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 345. 31 Anonymisierter Brief eines indischen Soldaten mit Datum vom 28. Oktober 1918, von der britischen Militärzensur übersetzt und in einer Sammlung von Briefen indischer Soldaten aus Palästina gebunden. Universitätsbibliothek Cambridge, Nachlass von D. C. Phillott, GB 012 MS.Add.6170, S. 80–82. 32 Tawfiq al-Suwaydi, My Memoirs: Half a Century
of the History of Iraq and the Arab Cause (Boulder, CO: Lynne Rienner, 2013), S. 71. 33 Universitätsbibliothek Cambridge, Nachlass von D. C. Phillott, Brief vom 20. Oktober 1918, S. 106–110. 34 Zu dem 38. und dem 39. Bataillon der Royal Fusiliers (die „jüdischen Bataillone“ oder „Jewish Legion“), siehe J. H. Patterson, With the Judaeans in the Palestine Campaign (London: Hutchinson, 1922). Zu den französischen Truppen, die am Palästinafeldzug teilnahmen, siehe Falls und Becke, Military Operations, Bd. 2, Teil 2, S. 419, 473. 35 Als arabische Augenzeugenberichte vom Einmarsch in Damaskus siehe Tahsin Ali, Mudhakkirat, S. 78–82; Ali Jawdat [Dschaudat], Dhikrayat, S. 66–72; ’Ajluni [Adschluni], Dhikrayat, S. 81–83. 36 Hubert Young, The Independent Arab (London: John Murray, 1933), S. 256f. 37 Falls und Becke, Military Operations, Bd. 2, Teil 2, S. 618; Erickson, Ordered to Die, S. 201. 38 Das Leiden britischer und indischer Kriegsgefangener nach der Belagerung von Kut wird in Kapitel 10 beschrieben. Charles Townshend, My Campaign in Mesopotamia (London: Thornton Butterworth, 1920), S. 374–385. 39 Die Waffenstillstandsbedingungen sind abgedruckt bei Hurewitz, The Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 128–130. 40 Universitätsbibliothek Cambridge, Nachlass von D. C. Phillott, GB 012 MS.Add.6170, Brief vom 27. Oktober 1918, S. 78.
Schluss: Der Untergang des Osmanischen Reichs 1 Grigoris [Krikor] Balakian, Armenian Golgotha (New York: Vintage, 2010), S. 414. 2 Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei (Berlin: Scherl, 1919), S. 402; Balakian, Armenian Golgotha, S. 414–416. 3 Vahakn N. Dadrian und Taner Akçam, Judgment at Istanbul: The Armenian Genocide Trials (New York: Berghahn Books, 2011), S. 25f. 4 Dadrian und Akçam, Judgment at Istanbul, S. 250–280. 5 Aus der Transkription der zentralen Anklageschrift vom 12. April 1919, die in Takvîm-i Vekâyi 3540 (27. Nisan 1335/27. April 1919) veröffentlicht wurde; vollständig ins Englische übersetzt bei Dadrian und Akçam, Judgment at Istanbul, S. 271–282. 6 Dadrian und Akçam, Judgment at Istanbul, S. 195–197; zum Abgleich mit Balakians Überlegungen zu den Prozessen vgl. Armenian Golgotha, S. 426f. 7 Jacques Derogy, Opération némésis: Les vengeurs arméniens [Operation Nemesis: Die armenischen Rächer] (Paris: Fayard, 1986).
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8 Eine aktuelle Studie zu Cemals Armenierpolitik, die osmanische Archivbestände auswertet, liefert M. Talha Çiçek, War and State Formation in Syria: Cemal Pasha’s Governorate During World War I, 1914–17 (London: Routledge, 2014), S. 106–141. Zum Tod Envers siehe David Fromkin, A Peace to End All Peace: Creating the Modern Middle East, 1914–1922 (London: André Deutsch, 1989), S. 487f. 9 „Ottoman Memorandum to the Supreme Council of the Paris Peace Conference, 23 June 1919“, abgedruckt in Hurewitz, The Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 174–176. 10 Die Vertragsbedingungen der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg werden analysiert von Margaret MacMillan, Peacemakers: The Paris Conference of 1919 and Its Attempt to End War (London: John Murray, 2001). 11 „Article 22 of the Covenant of the league of nations, 28 June 1919“, abgedruckt in Hurewitz, Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 179f. 12 „Political Clauses of the Treaty of Sèvres, 10 August 1920“, abgedruckt in Hurewitz, Middle East
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570 Anhang and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 219–225. 13 „Tripartite (Sèvres) Agreement on Anatolia: The British Empire, France and Italy, 10 August 1920“, abgedruckt in Hurewitz, Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 225–228. 14 „The Turkish National Pact, 28 January 1920“, abgedruckt in Hurewitz, Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 209–211. 15 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 404–406. 16 Zitiert in König Abdullah, Memoirs of King Abdullah of Transjordan (New York: Philosophical Library, 1950), S. 174. Zur Kapitulation Fahri Paschas siehe ebenfalls König Abdullahs Memoiren, S. 174–180; sowie James Barr, Setting the Desert on Fire: T. E. Lawrence and Britain’s Secret War in Arabia, 1916–1918 (New York: W. W. Norton, 2008), S. 308f. 17 Zu den Gefangenenlagern für nordafrikanische Soldaten, deren Loyalität nicht zweifelsfrei feststand („Centres de regroupement de repatriés indigènes“) siehe Thomas de Georges, „A Bitter Homecoming: Tunisian Veterans of the First and Second World Wars“ (Diss. phil. Harvard University, 2006), S. 45. 18 A. H. Wilkie, Official War History of the Wellington Mounted Rifles Regiment (Auckland: Whitcombe and Tombs, 1924), S. 235f.; C. Guy Powles, The New Zealanders in Sinai and Palestine (Auckland: Whitcombe and Tombs, 1922), S. 266f.; Roland Perry, The Australian Light Horse (Sydney: Hachette Australia, 2010), S. 492–496. 19 C. G. Nicol, Story of Two Campaigns: Official War History of the Auckland Mounted Rifles Regiment, 1914–1919 (Auckland: Wilson and Horton, 1921), S. 242–244. 20 Abgedruckt bei H. S. Gullett und C. Barrett (Hg.), Australia in Palestine (Sydney: Angus & Robertson, 1919), S. 78 (Übers. T. G.). Vgl. auch das ähnlich sentimentale Gedicht „Old Horse o’ Mine“ (etwa: „Mein gutes altes Pferd“), abgedruckt ebd., S. 149. 21 Im Hochsommer 1919 konnten die ANZACTruppen dann endlich an Bord gehen: Die erste Abteilung neuseeländischer Soldaten stach am 30. Juni in See; der Rest folgte am 23. Juli. 22 Eine detailliertere Analyse der Nachkriegsregelung habe ich in Kapitel 6 meines Buches Die Araber: Eine Geschichte von Unterdrückung und Aufbruch, übers. v. Hans Freundl, Norbert Juraschitz und Oliver Grasmück (Berlin: Propyläen, 2012) vorgelegt. Siehe auch Kristian Coates Ulrichsen, The First World War in the Middle East (London: Hurst and Company, 2014), S. 173–201.
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23 Ägyptische Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz, White Book: Collection of Official Correspondence from November 11, 1918 to July 14, 1919 (Paris: Privatdruck, 1919). 24 Im Abschlussbericht der Kommission war vermerkt, dass sich 222 der 260 in Palästina eingereichten Petitionen – also mehr als 85 Prozent – gegen das zionistische Programm aussprachen. „Das ist in der ganzen Region der größte Prozentsatz, [der sich] für einen einzelnen Punkt [ausspricht]“, heißt es dort: „Recommendations of the King-Crane Commission on Syria and Palestine, 28 August 1919“, abgedruckt in Hurewitz, Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 191–199. 25 „Anglo-French declaration, 7 November 1918“, abgedruckt in Hurewitz, Middle East and North Africa in World Politics, Bd. 2, S. 112. 26 Aus der in Nadschaf erschienenen Zeitung Al-Istiqlal vom 6. Oktober 1920, zitiert bei ‘Abd al-Razzaq al-Hasani, Al-‘Iraq fi dawray al-ihtilal wa’l intidab [Irak in der Besatzungs- und der Mandatszeit] (Sidon: Al-’Irfan 1935), S. 117f. 27 Roula Khalaf zitiert die Twitter-Nachricht des IS in ihrem Artikel „Colonial Powers did not Set the Middle East Ablaze“ in der Financial Times vom 29. Juni 2014.
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QUELLEN UND LITERATUR Archivalische Quellen Archives New Zealand, Alexander Turnbull Library, Wellington, Neuseeland Trevor Holmden Papers, MS-Papers 2223 Cecil Manson Papers über den Dienst beim Royal Flying Corps 90-410 Francis McFarlane Papers, MS-Papers 2409 James McMillan, „40,000 Horsemen: A Memoir“ [40 000 Reiter: Ein Memoir], MS X-5251 Australian War Memorial (AWM), Canberra, Australien Tagebuch von C.E.W. Bean, online verfügbar unter www.awm.gov.au/collection/records/awm38. Cambridge University Library, Cambridge, Großbritannien D.C. Phillott Papers, MS.Add.6170 The US National Archives and Records Administration (NARA) [US-Nationalarchiv], College Park, Maryland, USA Bestandsgruppe 84, US-Konsulararchive Bagdad: Kästen 016–019 (1913–1914) Bände 0016–0030 (1915–1918) Basra: Kästen 002 – 005 (1913–1918) Band 0003 (1910–1918) Beirut: Bände 0008-0010 (1910–1924), 0018 (1916–1917), 0180-0181 (1914), 0184, 0185 (1915), 0191 (1916), 0458 (1917–1919) Dardanellen: Band 0005 (1914) Istanbul: Bände 0277-0285 (1914) Bände 0292-0295 (1915) Bände 0307-0309 (1916) Bände 0315-0317 (1917) Ourfa (Urfa): Band 0004 (1915) Trebizond (Trabzon): Band 0030 (1913–1918) Imperial War Museum (IWM), London, Großbritannien Private Papers Collection [Sammlung private Nachlässe] Anonymer Bericht über die ANZAC-Landung auf Gallipoli, April 1915 (Doc.8684) Anonymer Bericht über die Evakuierung von Gallipoli, Januar 1915 (Doc.17036) Major Sir Alexander Anderton (Doc.9724) Atatürks Erinnerungen an die Kämpfe bei Anafartalar (K 03/1686) Oberstleutnant L.S. Bell Syer (Doc.7469) W.R. Bird (Doc.828) B. Bradshaw (Doc.14940) Erbeutete türkische Dokumente, Erster Weltkrieg (Doc.12809) Kapitän H.V. Coates, Royal Navy (Doc.10871) Sanitätsoffizier Henry Corbridge (Doc.16453) Leutnant G.L. Drewry, VC (Doc.10946) Robert Eardley (Doc.20218) M.O.F. England (Doc.13759)
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572 Anhang Oberstleutnant H.V. Gell (Doc.10048) Major R. Haworth (Doc.16475) Major G.L. Heawood (Doc.7666) Hauptmann R.L. Lecky (Doc.21099) W.D. Lee (Doc.1297) Brief eines türkischen Offiziers, 1915 (Doc.13066) D. Moriarty (Doc.11752) Hauptmann A.T.L. Richardson (Doc.7381) Oberst R.B.S. Sewell (Doc.14742) Major D.A. Simmons (Doc.21098) J. McK. Sloss (Doc.13102) Rev. H. Spooner (Doc.7308) Major J.G. Stilwell (Doc.15567) J. Taberner (Doc.16631) Zwei Briefe eines australischen Soldaten aus Alexandria (Doc.10360) Major T.R. Wells (Doc.7667) Middle East Centre Archive (MECA), St Antony’s College, Oxford, Großbritannien Sammlung J. D. Crowdy Sammlung Sir Wyndham Deedes Sammlung Harold Dickson Sammlung Sir Harold Frederick Downie Sammlung Cecil Edmunds Sammlung Sir Rupert Hay Sammlung Sir Francis Shepherd Sammlung A.L.F. Smith Sammlung A.L. Tibawi Sammlung Sir Ronald Wingate
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580 Anhang Tamari, Salim und Issam Nassar (Hg.), The Storyteller of Jerusalem: The Life and Times of Wasif Jawhariyyeh, 1904-1948 (Northampton, Mass.: Olive Branch Press, 2014). Tauber, Eliezer, The Emergence of the Arab Movements (London: Frank Cass, 1993). Tergeman, Siham, Daughter of Damascus (Austin: Center for Middle Eastern Studies, 1994). Tetik, Ahmet, Y. Serdar Demirtaş und Sema Demirtaş (Hg.), Çanakkale Muharabeleri’nin Esirleri–Ifadeler ve Mektuplar [Gefangene des Gallipolifeldzugs: Zeugenaussagen und Briefe], 2 Bde. (Ankara: Genelkurmay Basimevi, 2009). Torau-Bayle, X., La Campagne des Dardanelles (Paris: E. Chiron, 1920). Townshend, Charles, When God Made Hell: The British Invasion of Mesopotamia and the Creation of Iraq, 1914-1921 (London: Faber and Faber, 2010). Tozer, Henry Fanshawe, Turkish Armenia and Eastern Asia Minor (London: Longmans, Green and Co., 1881). Travers, Tim, Gallipoli 1915 (Stroud: Tempus, 2004). Trumpener, Ulrich, Germany and the Ottoman Empire, 1914-1918 (Princeton: Princeton University Press, 1968). Ulrichsen, Kristian Coates, The First World War in the Middle East (London: Hurst and Company, 2014). Uyar, Mesut, „Ottoman Arab Officers between nationalism and loyalty during the FirstWorld War“, War in History 20,4 (2013), S. 526–544. Üzen, Ismet, 1. Dünya Harbinde Sina Cephesi ve Çöl Hatıraları [Erinnerungen an die Sinaifront und die Wüste im Ersten Weltkrieg] (Istanbul: Selis Kitaplar, 2007). Uzuner, Buket, The Long White Cloud—Gallipoli (Istanbul: Everest, 2002). Waite, Fred, The New Zealanders at Gallipoli (Auckland: Whitcombe and Tombs, 1919). Wardi, ‘Ali al-, Lamahat ijtima’iyya min tarikh al-’Iraq al-hadith [Soziale Aspekte der neueren Geschichte Iraks], Bd. 4 (Bagdad: al-Maktaba al-Wataniyya, 1974). Wavell, Archibald, Allenby: A study in greatness (London: George C. Harrap, 1940). Weizmann, Chaim, Memoiren. Das Werden des Staates Israel, übers. v. Thea-Maria Lenz (Hamburg: Toth, 1951). Westlake, Ray, British Regiments at Gallipoli (London: Leo Cooper, 1996). Wilcox, Ron, Battles on the Tigris: The Mesopotamian Campaign of the First World War (Barnsley: Pen & Sword Books, 2006). Wilkie, A.H. Official War History of the Wellington Mounted Rifles Regiment (Auckland: Whitcombe and Tombs, 1924). Wilson, Arnold T., Loyalties Mesopotamia, 1914-1917 (London: Oxford University Press, 1936). Wilson, Jeremy, Lawrence of Arabia: The Authorised Biography of T.E. Lawrence (London: Heinemann, 1989). Wilson, Robert, Palestine 1917 (Tunbridge Wells: Costello, 1987). Witts, Frederick, The Mespot Letters of a Cotswold Soldier (Chalford: Amberley, 2009). Woodward, David R., Hell in the Holy Land: World War I in the Middle East (Lexington: University of Kentucky, 2006). Yergin, Daniel, The Prize (New York: Free Press, 1992). Young, Hubert, The Independent Arab (London: John Murray, 1933). Younghusband, George, Forty Years a Soldier (London: Herbert Jenkins, 1923). Zeine, Zeine N., The Emergence of Arab Nationalism, 3. Aufl. (New York: Caravan Books,1973). Zürcher, Erik Jan, „Between death and desertion: The Experience of the Ottoman Soldier in World War I“, Turcica 28 (1996), S. 235–258. Zürcher, Erik Jan, Turkey: A Modern History (London: I.B. Tauris, 1993).
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BILDNACHWEIS S. 30 © akg-images/Science Source; S. 103 © akg-images/UIG/Buyenlarge; S. 181 © akg-images/UIG/Underwood Archives; S. 183 © akg-images/Science Source; S. 201 © akg-images; S. 204 © akg-images; S. 217 © akg-images/Pictures From History; S. 226 © akg-images/Pictures From History; S. 235 © akg-images; S. 244 © akg-images/Science Source; S. 248 © akg-images/Science Source; S. 253 © akg-images/Pictures From History; S. 258 © Heritage Images/Historica Graphica Collection/akg-images; S. 273 © akg-images/ UIG/Universal History Archive/UIG; S. 304 © akg-images; S. 364 © akg-images/De Agostini/Biblioteca Ambrosiana; S. 385 © akg-images/Pictures From History; S. 426 © akg-images/TT News Agency/ SCANPIX HISTORICAL; S. 432 © akg-images/Pictures From History; S. 435 © akg-images; S. 443 © Giancarlo Costa/Bridgeman Images; S. 455 © akg-images/Liszt Collection; S. 461 © akg-images/Pictures From History; S. 463 © akg-images/Liszt Collection; S. 523 © Heritage Images/Ashmolean Museum, University of Oxford/akg-images
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REGISTER Abadan-Insel, Raffinerie auf 111 f., 117 f., 120 Abbas Hilmi II. (Khedive von Ägypten) 97, 99, 126 Abdali, Sir Ali al- (Sultan von Lahidsch) 290 f. Abdülaziz (osman. Sultan) 16 Abdülhamid II. (osman. Sultan) 14–26, 28, 55, 78, 360 Abdullah Avni, Hafız 508 Achi Baba (Elçı Tepe) 198, 200, 241, 249 Adana 25, 30 f., 51, 58, 86, 131 f., 176, 218 f., 229, 232 f., 368, 375, 504 Aden-Protektorat 122–124, 290, 293 Adschluni, Muhammad Ali al- 394 f., 480 Afrikaarmee (Armée d’Afrique) 87 f., 90 Ägäisinseln, Streit um 52 f. Ägäisküste, Blockade der 129, 131 Ägypten, britisch besetztes 14, 96–99, 125–129, 135, 154–165, 324–328, 339–342, 372 f., 393 f., 400 f., 409–413 Ahmad al-Sanūsī, Sayyid 308–312, 325–328 Akaba, Besetzung durch die Araber 441–445, 447 f. Akçura, Yusuf 40 Albanien 19, 35, 37, 39, 41, 47, 52 Aleppo 81, 84, 132, 156, 229, 237, 372, 375, 449 f., 498, 507 Aley, Gefangene von 384, 386 f. Algerien 32, 66, 87–89, 93, 101, 473, 518 Algerische Schützen (Tirailleurs) 87 f., 91 algerische Zuaven 87 Ali ibn Abi Talib, Kalif 306 f. All-indische Muslimliga 100, 396 Allahüekber-Gebirge 149–152 Allenby, General Sir Edmund 10, 437, 444 f., 450–452, 456 f., 460–464, 473–475, 479, 483–487, 491–493, 495–498, 519 alliierte Flotte, Ankunft in Istanbul 503–505 alliierte Truppen 83; siehe auch einzelne Feldzüge Alliierte 10 f., 77, 106 f., 129 f., 135, 170, 172–208, 215–218, 225, 233 f., 246, 315, 428 f., 499–502, 517–521, 529; siehe auch Aufteilung des Osmanischen Reiches Amara, Einnahme durch die Briten 284 f. Amman 446, 474–479, 484, 486 f., 491 f., 495 Anatolien 13, 17 f., 25–29, 32, 49, 51, 54–58, 60, 62, 75, 77, 105, 107, 131 f., 135, 137 f., 140–143, 154 f., 179, 210, 214 f., 219, 221, 225, 228, 231, 234, 340, 261, 269, 300, 333, 354, 356, 375, 379, 386, 394, 428, 467, 486, 490, 510, 512–516 Anbar, Sulayman 45 Anderson, Major Alex 329, 348 Anglo-Persian Oil Company 111, 113
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Antonius, George 374 ANZAC (Australian and New Zealand Army Corps) 94, 96, 125–128, 177, 190, 201, 203, 206 f., 241 f., 250, 253 f., 257 f., 262, 264 f., 267, 276, 278, 325, 350, 373, 430, 519 f., 532 ANZAC-Bucht 189, 201 f., 205, 241 f., 245, 247, 249, 251, 261–268, 271 f., 274 f., 367 ANZAC-Reiterei 105, 411, 413, 415, 416, 430, 453, 457, 474, 478, 484, 494, 496, 519 f. Apostolischer Nuntius in Istanbul 382 Aqaqir, Schlacht von 327 f. Arab Office (Kairo) 358, 397, 401, 471, Araber, osmanische 11, 34, 43–48, 88 f., 286, 324–328, 347, 363, 367, 377, 382–388, 396, 494, 497 f., 512, 517–519, 522–524, 528; siehe auch Arabischer Aufstand, Haschemitenheer arabische Kriegsgefangene, Rekrutierung durch die Briten 398 f. arabische Nationalisten 44, 48, 287, 328, 340–342, 362, 367 f., 377, 378, 383, 385–390, 398, 441, 509, 531 arabische Scheichtümer, Beziehungen zu den Briten 371 arabische Separatisten 387 arabische Sprache 11, 43, 102, 464 Arabischer Aufstand 339, 341 f., 359–408, 412, 414, 443, 446, 464 f., 470–472, 481 f., 492, 522–524; siehe auch britisch-arabisches Bündnis im Arabischen Aufstand; Haschemitenheer Ardahan 18, 26, 142, 145 f., 149, 152, 468, 488 Arisch, Al- 159, 407, 410, 413–415 Arıburnu 189, 191 f., 200, 206, 241 f. Arıkan, Ibrahim 250, 257, 276 3. Armee, osmanische 19, 24, 108, 138 f., 141, 144–146, 149 f., 153 f., 169, 188, 209 f., 222, 330–333, 467 5. Armee, osmanische 188 f., 263, 1. Armeekorps, osmanisches 24, 59 f., 130 13. Armeekorps, osmanisches 421 2. Armeekorps, osmanisches 60, 130 Armenien, türkisches 28, 55, 143, 216, 488, 512 Armenier, osmanische 18, 25–31, 55 f., 75, 142–144, 147, 145, 199, 210, 212 f., 215–230, 234–240, 354–357, 367, 380, 395, 489, 496, 501, 504, 506–509 Armeniergenozid siehe Genozid an den Armeniern armenische Reformvereinbarung 215 armenische Revolution 25–31 Armenische Revolutionäre Föderation siehe Daschnaken.
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Register 583 armenische Soldaten 142–144, 147, 212 f. armenische Waisenkinder, Genozidberichte durch überlebende 225–237 Armenischer Nationalrat 142 Arslan, Amir Shakib 156 f. aserbaidschanische Muslime 489 Askari, Dschafar al- 308–312, 325–328, 339, 398, 439, 472, 475 f., 480–482, 490, 492 Askeri Tarih ve Stratejic Etüt Başkanlığı Arşivi (ATASE) siehe Türkisches Archiv für militärische und strategische Studien (Ankara) Askerî, Süleyman 165–170, 280, 286 Asquith, Herbert Henry (britischer Premierminister) 12, 171, 245, 357, 416, assyrische Christen, Massaker an 233 f. Attentat auf Enver (fehlgeschlagen) 509 auf Franz Ferdinand 60 auf Şevket Pascha (Großwesir) 40, 47 Auckland Mounted Rifles 431, 520, Auda Abu Tayi 440 f., 447 f., 480, 497 Aufteilung des Osmanischen Reiches 112 f., 175 f., 215, 374–376, 457–460, 471 f., 496, 498 f., 509–516, 524–526, 529–531; siehe auch Sykes-Picot-Abkommen Ausrufer, städtischer (Bekçi Baba) 81 f., 282 Australian Flying Corps 354 f. Australian Light Horse Brigade 125, 264, 271, 411, 413, 436, 453, 495, 497 australische Truppen 94, 125, 190, 200–203, 205, 244, 250, 252, 263 f., 278, 295, 310 f., 415, 434–436, 456, 484 f., 492, 520; siehe auch ANZAC Autos 50 Aylmer, General Sir Fenton 319–322, 334–336, 342 Azak (Dorf, heute İdil) 233 Bab al-Mandab (Meerenge) 123, 125 Bäcker-Gilde (Istanbul) 18 Bagdad 10, 44 f., 50, 58, 86, 120, 166, 169, 238, 240, 280–282, 286, 294, 297–302, 304–307, 316, 319 f., 324, 347, 350–354, 356 f., 371, 375, 408, 417–419, 422–429, 432, 449, 451, 462, 464, 471, 490, 494, 518, 526 Bagdadbahn 131 f., 238, 240, 356, 428 Bahrain 57, 112 f., 167, 371 Bait Isa 344 Bakri, Familie Al- 363, 366, 385, 388, 440 Bakri, Fauzi al- 363, 365f Bakri, Nasib al- 363, 385, 440 f. Baku 489–491 Baku, Kommune von 489 Balakian, Krikor (Grigoris) 216–218, 220, 227, 229–232, 234, 236–239, 356 f., 504 f., 508 Balfour-Deklaration 458 f., 471, 496, 498, 512, 524 f., 530 f.
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Balfour, Lord Arthur James 245, 298 f., 457, 460 Balkan 13–15, 17–19, 26, 28, 35–37, 39–43, 48, 55, 62, 68, 71, 80, 137, 213 f., 227, 246, 268 f. Balkankrieg, Erster 36, 40 f., 47, 52 f., 176 f., 500, 513 Balkankrieg, Zweiter 42, 50, 140, 511 Balkankriege 45, 52, 68, 162, 165, 214, 278, 378 Bani Sakr (Stammesföderation) 448, 475, 484–486 Baratow, General Nikolai 417 f. Barrett, Arthur, Generalleutnant Sir 118 f. Basra 44, 58, 106, 111–122, 135, 165–167, 169 f., 209, 278, 283–285, 287 f., 294, 297 f., 300, 305, 312, 315, 319, 328, 334, 339–341, 371, 375, 398, 418 f., 422 f., 526 Batumi 18, 26, 142, 145, 149, 468, 488 Baylebridge, William 264 Beach, Oberst Edward 346 f. Bean, C. E. W. 201, 206 Beduinen 33, 72, 155, 157, 167 f., 210, 283, 285, 287, 307, 310, 342, 351, 355, 360, 390, 392 f., 396, 399, 403–405, 407, 412, 437 f., 440, 442–448, 475, 480, 482, 484 f., 492, 496 f. Beerscheba 158 f., 164, 409 f., 416, 433, 450–454, 456 Beirut 6, 12, 35, 44 f., 48, 84, 156, 373 f., 377, 383 f., 387 f., 441, 469 f., 496, 524 Beirut, Reformgesellschaft in 44 f. Bekçi Baba siehe Ausrufer, städtischer belgische Grenze 91 Bell Syer, L. S., Leutnant 351 f. Bell, Gertrude 340 Bergman, Georgij 107 f., 110 Berlin 18, 26, 36, 58, 63, 66, 70–73, 76, 102, 137, 139, 216, 308, 352, 490, 505, 508 f. Berlin-Bagdad-Bahn siehe Bagdadbahn Berliner Kongress (1878) 18, 25, 36 Beschuss durch eigene Truppen 148, 161 Besteuerung im Krieg, osmanische 43 Bethmann Hollweg, Theobald von (Reichskanzler) 67 Beveridge, Charles 7–10 Bevölkerungsaustausch 214, 219, 239 Bin Hussein, Ahmed 103 f. Bir Tunis, Kampagne der Sanūsīya bei 325–327 Bird, William 121 Bishop, H. E. (US-Konsularagent) 132–134 Blériot, Louis 51 Bolschewiki 466–469, 489 f., 509 f. Bosporus 17, 20, 52, 65, 130, 175 f., 187, 218, 360, 376, 503–505, 513, 528 Boyle, Kapitän William 404 Brémond, Oberst Edouard 400 Breslau und Goeben (deutsche Schlachtschiffe) 66 f., 69 f., 76, 78, 89 f., 107, 130 Brest-Litowsk, Vertrag von 466, 468 f., 488, 490 Brissel, Konsul Charles 353
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584 Anhang britisch-arabisches Bündnis im Arabischen Aufstand 389 f., 393 f., 400–403, 404–407, 474–483; siehe auch Arabischer Aufstand, Hussein-McMahon-Korrespondenz britisch-indische Armee 118–121, 123 f., 167–169, 209, 280, 284, 289, 291, 293 f., 297, 299 f., 304, 321, 324, 346, 352, 421, 493 britisch-indische Regierung 289, 292 f., 357, 397 britisch-türkische Grenzkommission 122 britische Kriegsgefangene 353–357 britische Kriegsplaner 12, 123, 170, 187, 241, 315, 358, 406 f., 429 britischer Resident in Aden 290, 293 britisches Kriegskabinett 292, 338, 357, 416, 428, 432 f. 458 f., 483 britisches Kriegskomitee 338, 407 f., 414, 419, 424, 428, 444 britisches Protektorat über Ägypten 99, 522 britisches War Council (Kriegsrat) 171 f., 174, 186, 246 British Empire 57, 73, 93–95, 97, 99, 101, 123, 156, 171, 288, 293, 324 f., 409, 522 Bronsart von Schellendorf, Friedrich (deutscher Militärberater) 139 Buchan, John 72 Bulair 189, 192, 266 Bulgarien 14–17, 23, 35–37, 41 f., 54, 63, 68, 74, 131, 268, 499, 511 Bullard, Reader (britischer Konsul) 113 Burenkrieg 94, 171 Calthorpe, Admiral Sir Somerset A. Gough- 500, 503 Candler, Edmund 118 Çankiri, Deportation aus 229 f. Carden, Sackville (Admiral) 173 f., 179, 182 Case, Edward (Arzt) 211 f. Cemal Bey, Mersinli 164 Cemal Pascha, Ahmet 20 f., 31, 39–41, 47 f., 59, 61 f., 70, 73, 77, 132 f., 137 f., 154–158, 161, 164 f., 169, 225, 280, 360, 366, 376–380, 383–389, 391, 395, 404, 408–412, 416, 433, 437, 439, 444, 446–450, 469–472, 500, 505, 507, 509 Cevdet Pascha (Gouverneur von Van) 222–224 Chamberlain, Austen 299, 357 Charleroi, Schlacht um 91–93 Chauvel, General Sir Harry 415, 453, 484, 486 China 499 Chosraubogen (Ktesiphon, heute Salman Pak) 424 Christen und Muslime in Anatolien 27, 30 Christen, osmanische 27, 30, 45, 80, 86, 142, 214, 233, 239, 377, 380, 446, 447, 479, 505 Chunuk Bair (Conkbayırı) 263–265, 267, 272 Churchill, Winston 10, 12, 171–175, 177, 182, 243, 245 f., 298 f., 527 Çöl, Emin 258, 276, 452–454
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Corbridge, Henry (Sanitätsoffizier) 256–259 Corps Expéditionnaire d’Orient 177 Cox, Sir Percy 111 f., 115, 119 f., 122, 340 Crewe, Lord 289 Curtiss-Flugboot 51 Curzon, Lord 298, 357 d’Amade, General Albert 200 Damaskus 6, 12, 51, 57, 156–158, 162, 363, 365–372, 375, 377, 381 f., 384 f., 387–389, 396, 404, 439–441, 444, 446, 470, 473 f., 477 f., 495–498, 522, 524 Damaskus-Protokoll 368–371, 384 Dardanellen (Meerenge) 7, 12, 17, 35, 42, 65, 69, 83, 106, 129 f., 134 f., 137, 154, 170–183, 185–189, 191–193, 195, 200, 207, 209, 218, 225, 240 f., 243–246, 248, 261–264, 268–271, 273, 276 f., 280, 297 f., 332, 357, 363, 370–372, 376, 389, 415, 501, 503, 513, 528; siehe auch Gallipolihalbinsel Dardanellenkomitee 246 f., 270–272, 298 f., 338 Dardanellen, Landungen an den 171–186 Darwaza, Muhammad Izzat 21, Daschnaken 27, 29–31, 143, 222, 224, 489, 508 Davis, Leslie 229 Deir ez-Zor (Der Zor) 228–230, 237 f., 357 Delamain, Brigadegeneral Walter 112 f., 117 f., 122 Deportation der osmanischen Griechen 213–216; siehe auch Genozid an den Armeniern; Deportationsgesetz, Talâts Deportationsgesetz, Talâts 225 Desert Mounted Corps 453, 484 deutsch-osmanische Freundschaft 56–59, 63 f., 293 deutsche Militärmission im Osmanischen Reich 58–60, 63 f., 84 f., 137, 188, 450, 476 f., 504 Deutschland, Deutsches Reich 18, 56–58, 60–64, 66–71, 73–75, 77–79, 81, 83 f., 87, 89, 93, 100, 104, 107, 126, 131, 136, 156, 174, 268 f., 274, 361, 409, 429, 449 f., 467 f., 483, 499, 502, 510 f., 517, 521 Dichter des Weltkriegs 53, 91, 252, 278 Diyala 424 Drewry, G. L. 195 f., 198 Drusen 155–157 Dschaudat, Ali 286 f., 341 f., 398 Dschidda 100, 392, 394, 400 f., 414, 428, 445, 470 Dschihad 17, 72–74, 77 f., 80, 87, 93, 97, 99–102, 104, 115, 126, 135–137, 139 f., 142, 153 f., 156, 161 f., 166, 169 f., 227, 246, 278, 288, 293, 297, 306–310, 316 f., 325, 328, 352 f., 359, 362, 367 f., 386, 389 f., 396, 398, 406, 445, 464, 529 f. Dudschaila (Schlacht am Hügel Sabis) 335–337, 342 Eardley, Robert 253 f., 259–261, 263 Eastern Mediterranean Squadron (vereinigte Flotte der Alliierten) 129
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Register 585 Edirne (Adrianopel) 37–43, 48, 50, 59, 85, 140, 204, 513 Edles Banner des Imams Ali 306–308, 314 EEF siehe Egyptian Expeditionary Force Ege, Abidin 337, 343 f., 349 Egyptian Expeditionary Force (EEF) 410, 416 f., 428 f., 432, 437, 439, 444 f., 451, 457 462, 464, 473–475, 478, 483, 486 f., 491, 496 Egyptian Labour Corps 411 Eisenbahn 20, 58, 83, 131 f., 134, 145 f., 150 f., 156, 218, 238, 239, 247, 269, 274, 278, 332, 356, 360, 407, 409, 411 f., 414, 429, 433, 439, 441, 444, 457, 474, 476 f., 480–482, 492, 495, 501, 521 El Qantara 160 f., 411 Ententemächte siehe Alliierte; Triple Entente Enver, Ismail („Enver“) (Enver Pascha) 19–21, 33–35, 38 f., 41–43, 47 f., 51, 59, 61, 63 f., 66 f., 69, 73–75, 77, 80, 102, 108, 110, 114, 137–142, 144–146, 148–154, 165 f., 172, 174, 188, 209 f., 218, 222, 227, 238, 242, 261, 280, 308, 319, 325, 330–332, 346, 352, 360, 367 f., 378, 382 f., 385 f., 389, 409, 449 f., 487–491, 500, 504 f., 507, 509 Erenköy-Bucht, Seeminen in der 183 f. Erfrierungen 213, 273 Erster Arabischer Kongress 45–48, 286, 363, 377, 494 Erster Weltkrieg siehe Weltkrieg Erzurum 26, 28, 55 f., 59, 106–108, 139, 141, 143, 210–213, 222, 228, 240, 330–334, 373, 376, 428, 488, 512, 514 Eti, Ali Rıza (Sanitäter) 108–110, 143 f., 146 f., 153, 212 f. Euphrat 111, 120, 166, 169, 232, 283, 285–288, 300, 341 f., 418 f. Euphrat, mittlerer 281 f., 306, 338, 526 europäische Mächte 25–29, 41 f., 60 f. Fahreddin Bey 75 Fahri Pascha 389, 391, 396 f., 399–401, 406, 439, 471, 517 f., 528 Fairplay-Zwischenfall 132–134 Falih Rıfkı 378, 380, 383, 387, 436 Falkenhayn, General Erich von 76, 316, 449 f. Fao, Telegrafenstation auf der Halbinsel 117, 121 Faruqi, Muhammad Scharif al- 370, ,398 Fasih, Mehmed (Leutnant) 251, 256, 272, 274 f. Fatat, Al- (Jungarabische Gesellschaft) 44–46, 114, 286, 363, 367 Faydi, Sulayman 114, 116, 340–342 Februarrevolution 459, 466 fedaî-Offiziere 33 f., 36 Feldmann, Major Otto von (deutscher Militärberater) 139 Fethi Bey 51 Fisher, Andrew 94 Fleckfieber 210–212 Flüchtlinge, muslimische 214, 219
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Frankreich 7, 14, 18, 27, 45, 47, 52, 56, 59–62, 66, 71, 75, 78–80, 83, 89–91, 97, 102, 104, 112, 129, 136, 176, 221 ,240, 247, 268, 271, 278, 299, 319, 334, 352, 366, 372–376, 380, 399 f., 416, 418, 458, 483 f., 487, 498 f., 510, 512 f., 518, 523 f., 529 f. Franz Ferdinand (Erzherzog) siehe Attentat auf französische Offiziere als Vorgesetzte algerischer Truppen 87 f. führende Jungtürken 59, 139, 367, 385–387, 508 Fußball 328 Gadarian, Heranuş (Waise) 234, 237 Galizien 76, 137 Gallipolihalbinsel 7–12, 101, 127, 129, 174 f., 177, 179, 181, 186–192, 198–201, 204, 207, 209, 220 f., 225, 229, 241–250, 253–259, 261 f., 264, 268–280, 288 f., 293, 297 f., 311 f., 315 f., 320, 325, 330, 337 f., 349 f., 357, 369–371, 373, 386, 389, 391, 404, 409, 415, 418, 431, 449, 452, 500, 505, 514 f., 520, 532, 543 Gasmasken 434 Gaza, Dritte Schlacht um 445, 451–457 Gaza, Erste Schlacht um 429–434 Gaza, Zweite Schlacht um 434–437 Gell, Leutnant H. V. 123 f., 160 Genozid an den Armeniern und Deportationen 27–29, 209–240, 506–509 Genozid an den assyrischen Christen 233–235 Georg V., König-Kaiser, Erklärung an die indischen Muslime durch 79, 99–101 George, David Lloyd 171, 416, 437, 460, 462, 473, 522, 524 Georges-Picot, Charles François 374, 464, 470; siehe auch Sykes-Picot-Abkommen Geschlechtskrankheiten 127 Ghadir al-Hadsch, Bahnstation 442, 480 f. Ghalib Pascha (Gouverneur von Ta’if) 391–394 Ghusain, Faiz al- 402 Giers, Michail Nikolajewitsch De 74 Gladstone, William 16 Goeben (deutsches Schlachtschiff) siehe Breslau und Goeben Golf von Alexandrette (Iskenderun) 132 f., 172, 174, 176, 215, 218 f., 372, 375 Goltz, Colmar Freiherr von der 299, 317–319 Gorringe, General Sir George 285–287, 339, 342, 344 Goussous, Odeh al- 447 f. Grabenkrieg 333, 434, 478 Gray, John Frank (Gefreiter) 251 Grey, Sir Edward 171, 298 f., 374 Griechenland 14 f., 23, 35–37, 39, 41 f., 52–54, 60, 63, 68, 129, 131, 175, 177, 214, 239, 269, 499, 510 f., 513, 516 griechisch-orthodoxe Christen, Zwangsumsiedlung 214 Großbritannien 14, 16, 18, 26, 54–62, 67, 70 f., 73,
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586 Anhang 75, 78–80, 83, 93–100, 102, 104, 107, 111–113, 115–117, 122, 124 f., 129, 137, 156, 171 f., 175 f., 221, 240, 245, 297, 308, 338, 342, 361–363, 365 f., 368 f., 371–376, 390, 416, 424, 458 f., 462, 470, 499, 506, 510, 512 f., 525, 527, 529 f., 543 Große Nationalversammlung, türkische 25, 516 „Großer Rückzug“ in Van 224 Gully Ravine 8, 10, 197 Haager Konvention (1907) 132 Habab 234, 236 Habsburgerreich 14, 23, 44, 62, 76 Hadsch, Messali 89 f. Hakki Bey, Hafız 141, 147, 149 Halbmondlager (Zossen) 102–104, 352 Halil Bey (Halil Pascha) 319, 338 f., 345 f., 417 f., 420, 422, 449 Halim Pascha, Said 41 f., 47, 58, 63, 509 Hamilton, Sir Ian 186, 190, 206 f., 246 f., 262 f., 266–270 Hamra 401 f. Handel 25, 50, 54, 64–67, 83–85, 111, 113, 115, 122, 131, 156, 178, 240, 285, 313, 380 Hardinge, Vizekönig Lord 121, 288, 292 f., 299 Harput (Elâziğ) 28, 84, 228, 507 Haschemitendynastie 360, 397 Haschemitenheer 391–396, 399, 437–449, 497, 518; siehe auch Arabischer Aufstand; britisch-arabisches Bündnis im Arabischen Aufstand Haubitzen 161, 163 f., 180, 249, 274, 410 Haworth, Major 196 f. Haydar, Sherif Ali 397 Heawood, Major G. L. 317 f., 345 Hedschas 13, 100, 157, 360, 362 f., 365, 367, 378, 384 f., 388–391, 394 f., 397–403, 406–408, 412, 414, 428, 437–443, 445, 470, 472 f., 475, 477, 481, 522, 526–528 Hedschasbahn 157, 360, 391, 396, 406, 437–440, 442, 446, 473, 475, 477, 492 f. Heeresgruppe Yıldırım 449 f., 454, 456 f., 476, 486, 494, 504 Heimkehr der Soldaten 502, 505, 516–518 Heizer, Oscar 425 f. Herbert, Hauptmann Aubrey 345–348, 350 Heuschreckenplagen in Syrien 380 f. Hilmi, Ahmad Efendi 163 Hindenburg, Paul von 218, 490 Hinrichtungen 383 f., 387 f., 508 f. Hitzeschlag 291 HMS Odin (hybrides Kriegsschiff) 117, 119 Hogue, Oliver 263, 520 Hohe Pforte 28, 37 f., 40, 46 f., 52, 56, 60–62, 67 f., 74, 85, 140, 214, 361, 379, 512, 514 f. Holmden, Trevor 95 f. Howeitat-Stammesverband 440 f., 447 f., 480 Humann, Hans 33, 43
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Hungersnot in Syrien 382 Hungertod 39, 211, 220, 231, 346 Huntschak-Partei in Genf 27 f., 143 Hussein ibn Ali, Scherif und Emir von Mekka 157, 358 f., 364, ; siehe auch HusseinMcMahon-Korrespondenz Hussein-McMahon-Korrespondenz 369, 374, 384, 458, 496, 512, 527, 530 Hussein, Ali 360, 391, 397, 402 f., 528 Hussein, Emir Abdullah, 360–363, 369, 392 f., 406, 518, 527 Hussein, Saddam 531 Hussein, Sherif Faisal 360, 365–368, 384–391, 397, 401–405, 437–440, 443, 445, 447 f., 469–473, 475, 479, 482, 487, 492, 496–498, 522–525, 527 Husseini, Hussein Salim al- 461 f. Ibn Saud 113, 115 f., 340, 371, 527 f. IEF siehe Indian Expeditionary Force Ihsan Bey, Ali 336 f. Imam Yahya (Führer der Zaydi-Gemeinschaft im Jemen) 124 f., 290 Imperial Camel Corps 415, 434 f., 456 Imperialer Generalstab (Gorßbritannien) 401, 410, 414, 417, 419, 423, 432, 444 Indian Expeditionary Force (IEF) 112, 114 f., 117 f., 121 f., 125, 169, 314 Indien 57, 71, 73, 79, 96 f., 99–101, 112 f., 117, 120–124, 135 f., 139 f., 145, 169, 171, 288–290, 293 f., 299, 323, 338, 340, 342, 353, 357, 395 f., 398, 418 f., 423, 462, 464, 484, 502, 526, 529 Indienarmee 101, 112, 124, 205, 293 f., 297, 300, 305; siehe auch britisch-indische Armee indische Muslime 96, 99–101, 112, 300, 396 f. Interventionsarmee (Jungtürken) 24 f. Irak 13, 43, 45, 58, 111, 114, 165, 167, 169, 228, 233, 280–282, 286 f., 289, 293, 297, 299 f., 305–308, 314, 325, 336, 338, 340–342, 351, 353, 365, 371, 375, 387, 390, 402, 424, 428, 470 f., 525–528, 530–532;siehe auch Basra; Kut al-Amara irakische Soldaten im osmanischen Heer 280 f., 336, 398 Ischchan Nikogaios („Fürst Nikogaios“) siehe Mikaelian, Nikogaios Islam 24, 34 f., 53, 57, 72–74, 80, 100–102, 104, 112, 157, 162, 231, 237, 239, 300, 306, 359 f., 386, 392, 424, 470, 509, 531 islamische Loyalitäten 80, 87, 96 islamischer Fanatismus, Instrumentalisierung im Weltkrieg 34, 72 f., 316, 464, 529; siehe auch Dschihad Islamischer Staat (IS) 531 Islampolitik deutsche 72 Istanbul (Konstantinopel) 6, 13 f., 16 f., 19 f., 24–26, 28 f., 33, 35–41, 44, 46 f., 50–52, 54, 56–66, 68, 70 f., 74 f., 77 f., 81, 84 f., 97, 104 f., 114, 124, 130, 138, 140, 153–156, 170, 172–177,
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Register 587 179, 185, 188, 206, 215–218, 220–222, 229 f., 241, 263, 269, 278, 286, 307 f., 346, 360 f., 365–368, 376, 378, 382, 386, 390, 409, 458, 467, 469, 489, 499–501, 503–506, 509, 512–515, 517, 530, 543 Italien 18, 32–41, 67, 71, 73, 102, 165, 221, 308 f., 462, 464, 503, 505, 510, 512–514 Izzet Pascha, Ahmet 500 Izzet Pascha, Hasan 108, 141, 449 Jacob, Oberst Harold (britischer Diplomat in Aden) 124, 290, 293 Japan 96, 512 Jemen 13, 105, 122–125, 135, 289–291, 293 f., 315 f. Jericho 474 Jerusalem 10, 51, 156, 158, 378–381, 384 f., 394, 408, 416, 433, 437, 450, 456–458, 460–464, 466, 469–471, 479, 486, 525 Jesajan, Zabel 31 Juden im Osmanischen Reich, Besteuerung 86 Judenitsch, Nikolai Nikolajewitsch 330–333 jüdischer Nationalismus 458 f. Jungarabische Gesellschaft siehe Fatat, AlJungtürken 11, 14 f., 19–24, 30–32, 34 f., 37, 40 f., 43–47, 49–51, 55 f., 59, 61 f., 64, 69 f., 73–76, 101 f., 113, 129, 137–139, 143, 145, 154, 157, 165 f., 168, 179, 207–210, 213, 215 f., 225 f., 234, 239 f., 286, 308, 315, 359 f., 362 f., 365, 367, 378, 385–388, 390 f., 397, 467–469, 471, 499, 505–508; siehe auch Cemal Pascha, Ahmed; Enver, Ismail; Talâ Paschat Jungtürkische Revolution 21, 23, 30, 37, 43, 50, 55, 165, 360; siehe auch Komitee für Einheit und Fortschritt (KEF) Kairo 13, 44, 72, 125–128, 156, 293, 328, 339–341, 345, 358, 361, 368–372, 390, 397, 399–402, 439, 443 f., 471, 520 f., 527 Kairoer Büro des britischen Militärnachrichtendienstes 339, 345 Kâmil Pascha (Großwesir) 37 f. Kamil, Hussein (ägypt. Sultan) 99, 126, 328 Kap Helles 9, 189, 192 f., 196–200, 241 f., 245, 249 f., 262 f., 266 f., 271 f., 274 f., 367 Kapitulationen des Osmanischen Reiches, Abschaffung der 85 Karak 446–448 Kars 18, 26, 138, 142, 145, 149, 151 f., 468, 488 Kaukasus 12, 14, 28, 101, 110, 131, 135, 140–142, 144, 149, 151, 154 f., 165, 172, 174, 204, 209, 215 f., 240, 302, 315, 319, 330–333, 336, 363, 416, 446, 467, 485 f., 488–491, 509, 512, 516, 528 Kaukasus, Islamische Armee im 490 Kaukasus, russisch besetzter 17 f., 54, 105, 107, 136, 138, 142, 166, 171. 227, 330, 490 Kaukasusarmee, osmanische 169, 188, 280, 449, 467, 471, 490, 500 Kaukasusarmee, russische 138–140, 145, 149, 172, 332 f., 467
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KEF siehe Komitee für Einheit und Fortschritt Kemal Pascha, Mustafa (Atatürk) 33, 51, 191, 202–204, 266, 383, 449 f., 505, 514–516 Kerbela 282 f., 285, 338 Kerenski, Alexander 459, 466 Kerkyasharian, Manuel (M. K.) 232–234 Khazal, Scheich 111, 113 f., 116 Kilikien 58, 131, 135, 176, 215, 218–220, 231, 240, 372, 375, 501, 514, 516 King-Crane-Kommission 525 Kitchener, Horatio Herbert 12, 171 f., 174, 177, 179, 186, 243, 246 f., 261 f., 265, 268, 270–272, 277, 298, 338 f., 342, 348, 361 f., 366 f., 370, 374, 427 Knox D’Arcy, William 111, 115 Kolonialismus 13, 15, 18, 32, 79 f. Komitee für Einheit und Fortschritt (KEF) 19, 21–25, 30–33, 37–42, 59, 114, 132, 215, 227, 360, 383, 505–507, 509; siehe auch Jungtürken Konstantinopel siehe Istanbul Konstantinopel und die Meerengen, Abkommen über 176, 376, 458, 530 Konterrevolution durch Gegner des KEF 24 f., 31 Konya, Deportation von Armeniern nach 220 Köprüköy 107 f., 138, 143, 147, 331 f. Kosovo 37, 165 Krankenhaus von Erzurum 211 f. Krankheiten 40, 94, 127, 210 f., 213, 220, 248, 255, 261, 269, 300, 338, 405, 418, 519 Kressenstein, Friedrich Freiherr Kreß von 158, 164, 411–413 „Kriegszitterer“ (shell shock) 256 f., 261 Kriegsgefangene 76, 83, 103 f., 121, 140, 199 f., 261, 287, 328, 339–341, 348–353, 355 f., 370, 398–400, 422, 425, 454, 481, 495, 500 f., 518 Krithia 241 f., 259, 262 Kumkale 178, 192, 199 f. Kurden 6, 12, 21, 27 f., 55, 141, 154, 157, 210, 223, 227, 229, 233 f., 237, 426, 512 f., 530 Küstenbatterien 180, 241 Kut al-Amara 10, 288, 292 f., 295, 297, 300, 305, 313, 315, 317, 328, 373, 421, 500 Kuwait 57, 113, 115–117, 167, 340, 361, 371, 531
Lahidsch 290–292 Lake, General Percy 345–347 Lancashire Landing siehe Strandabschnitt W Lawrence, Hauptmann T. E. 10, 72, 339–342, 345–348, 401–405, 439, 441–445, 447, 462, 473, 475, 480–482, 492, 496–498, 523, 527 f. Lecky, Hauptmann Reynolds Lamont 296, 301, 303–305 Lee-Enfield-Repetierbüchse 389, 404 Lee, W. D. („Gunner“) 324, 349–351, 354 Lenin, Wladimir 468 Leymonnerie, Jean 247, 251–253, 256 Libanon 13, 26, 47, 156, 375, 381 f., 384, 408, 498, 512, 522, 524, 528, 530 f.
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588 Anhang Liberale 16, 37, 40 f., 416 Libyen 32–39, 53, 55, 73, 80, 102, 140, 162, 166, 168, 308–310, 312, 316, 328 Liman von Sanders, General Otto 58–60, 63, 66, 137–140, 154, 188 f., 191 f., 262 f., 266, 276 f., 450, 476–478, 485 f., 492 f., 495, 498, 504 f., 517 Limpus, Admiral Arthur 60 f. Lone Pine 263 f. Ludendorff, Erich 490 Luftaufklärung 168, 178, 184, 295, 297, 325, 329, 332 f., 407, 414 f. Luftspiegelungen 118, 167 f. Lynch, H. F. B. 27 M. K. siehe Kerkyasharian, Manuel Maan 441 f., 444, 447 f., 473–483, 486, 492, 495 Magdhaba 415 Mahari, Gurgen 221 Malta 182, 188, 261, 516, 521 Manukian, Aram 222, 224 Marmarameer 51, 173–176, 187, 189, 244 f., 500, 513 Märtyrerplatz 12 Massaker 27, 29–31, 48, 219, 222 f., 227–230, 233, 235, 506–508, 515, 519 Matthews, Harley (Kriegsdichter) 252 Maude, General Sir Stanley 10, 418–425, 427, 429, 432, 451, 462, 518 Maxwell, General Sir John 98, 324–326, 328, 393 Mazedonien 429; siehe auch Nordmazedonien McDonald, John 7–10, 543 McMahon, Sir Henry 369–376, 396, 399, 522, 526 f.; siehe auch Hussein-McMahon-Korres pondenz Medina 6, 100, 157, 360, 386, 388 f., 391, 396 f., 401, 405 f., 437, 439 f., 442, 444, 470 f., 474, 477, 517 f., 528 Mediterranean Expeditionary Force 186, 188, 190, 192, 246, 262, 270 f. medizinische Versorgung 94, 129, 158, 182, 187, 210 f., 304 MEF siehe Mesopotamian Expeditionary Force Mehmed Reşad (Kronprinz) 47 Mehmed V. Reşad (osman. Sultan) 25, 33, 38, 53, 59, 305, 489 Mehmed VI. Vahideddin (osman. Sultan) 489, 516 Meinertzhagen, Oberst Richard 451 Mekka, Emirat 359, 386 Mekka 6, 100, 157, 358–370, 372, 374, 376, 386, 389–392, 394, 396 f., 399, 403, 406, 414, 428, 443, 447, 464, 469 f., 473, 497; siehe auch Sherif Hussein ibn Ali Mellis, Generalmajor Sir Charles John 168 Mesopotamian Expeditionary Force (MEF) 319, 334, 345 f., 417–420, 423 f.
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Mesopotamien, britische Truppen in 283–358; siehe auch Kut al-Amara Mesopotamienkommission 357 Mikaelian, Nikogaios („Fürst Nikogaios“) 222 Militärdienst 17, 46, 64, 80, 86, 89, 101, 104, 108, 363, 446, 487 Militärtribunal zum Armeniergenozid 506, 508 f., 515 Minen 50, 65, 78, 125, 130, 134 f., 173, 178–184, 186, 245, 251, 439, 501, 503 Misri, Aziz Ali al- 402 Mittelmächte 12, 62 f., 71, 74–76, 79 f., 83, 104, 106, 135, 268–270, 315, 353, 407–409, 428, 466, 468, 483, 499, 510, 516, 528 Mittelmeer 8, 13, 17, 25, 32, 35, 41, 53 f., 58, 66, 91, 106, 129 f., 132, 135, 156, 159 f., 170, 172–174, 176, 178, 187, 225, 307, 309, 327, 368, 375, 407, 410, 416, 457, 475, 491, 493, 500, 510, 513 Mobilmachung 9, 53, 64, 74, 77, 80 f., 83 f., 86 f., 102, 143, 382 Mohammed (Prophet) 17, 78, 102, 301, 306, 358 f. Monro, General Charles 270 f., 423 Morgenthau, Henry (US-Botschafter) 138 Moudros, Hafen von 7 f., 52, 129, 176–178, 190, 245, 256, 261, 271, 500 Moudros, Waffenstillstand von 501 Mudschahidin aus dem Hedschas 386, 388 Monro, Charles, General 270 f., 423 Murad V. (osman. Sultan) 16 Murray, Generalleutnant Sir Archibald 401, 407, 410, 414, 416, 430–434, 436, 439 Mushtaq, Talib (Schüler aus Bagdad) 351 f., 425 Muslime 21, 25, 27 f., 34, 44 f., 55, 57, 68, 72 f., 78–80, 87, 90, 96 f., 99–101, 103 f., 112, 136 f., 142, 146, 154, 166, 170, 213, 221, 224, 227, 237, 278, 300, 306 f., 316, 323, 343, 352 f., 359, 377, 396 f., 400, 402, 446, 476, 479, 489, 504, 514, 518, 529 f. muslimische Kriegsgefangene 102–104, 352 Naciye, Prinzessin Emine 33 Nadschaf 281–283, 285, 307, 338, 526 Naher Osten 10–13, 72, 96–98, 100 f., 103, 105, 159, 174, 178, 288, 298, 316, 369, 371, 375, 417, 429, 464, 475, 498, 516, 519, 525, 527, 529–532, 542 Nakhl Mubarak 403–405 Nasir ibn Ali, Scherif 440–443, 492, 497 Nassirija 169, 285–289, 300, 419 Nationalismus 14, 17, 25 f., 32, 36, 43, 45, 48 f., 96 f., 126, 143, 215 f., 218, 220, 222, 325, 328, 340–342, 362 f., 365–368, 377 f., 380, 383, 385–389, 398, 441, 459, 489, 503, 509, 514 f., 521, 530 f. Nationalpakt 514 f. Natur, Taufiq al- 44 Nazareth, britische Einnahme von 495
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Register 589 Nâzim Pascha 38 Nazım, Mehmed (Mitglied des KEF) 216, 228, 507 Nek, australischer Angriff auf 264, 271 neuseeländische Soldaten, Massaker von Sarafand durch 519; siehe auch ANZAC New Zealand Expeditionary Force 94–96 New Zealand Mounted Brigade 411, 495 Nikola I. (König von Montenegro) 35 Nikolai (Großfürst) 171 f., 175 Nikolaus II. (russ. Zar) 54, 466 Nixon, General Sir John 283–285, 288 f., 293 f., 298 f., 302, 319, 345 Niyazi, Ahmed 19, 21, 24 Nogales, Rafael de 222–224 Nordafrika 13, 32, 48, 66, 73, 87 f., 90, 93, 96, 136, 308, 316, 518, 529 nordafrikanische Soldaten 87 f., 91–94, 102–105, 352 f., 401, 518 Nordmazedonien 15, 165 Norfolk Regiment (Sandringham Company), Verschwinden des 267 f. Nurettin Bey 294 f., 301, 314 f., 317–319 Nuri al-Said 328, 339 f., 398, 402, 480, 482, Nuri Bey (Bruder Enver Paschas) 308–310, 325–327, 490 Occupied Enemy Territory Administration (OETA) 518 Oktoberrevolution 467 Öl 111, 113, 276, 489 Oltu 147–149 Operation Nemesis 508 Oppenheim, Max Freiherr von 72 f. Orga, Irfan 65, 81f osmanische Armee 12, 15, 19, 24, 37, 40, 58 f., 83, 104, 130, 137, 141, 143, 147, 153, 164, 166, 168–170, 185, 189, 209 f., 222, 249, 263, 278, 280, 286, 299 f., 307, 315, 317 f., 320, 328, 330, 332–335, 339, 352, 363, 365 f., 370, 377 f., 381, 395, 403, 408 f., 417–419, 442, 447–449, 452, 468, 474, 487–489, 494–496, 498 osmanische Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz 510 Osmanische Dezentralisierungspartei (1912) 44, 114, 286 osmanische Expeditionstruppe 150, 158, 398 Osmanisches Reich 6 f., 11–15, 17–19, 21–27, 29–31, 34–42, 44–64, 67, 71–75, 78, 80 f., 85 f., 96–98, 106 f., 111 f., 114 f., 117, 122, 126, 131, 133, 135, 143, 145, 154, 175 f., 185, 209 f., 214 f., 225, 233, 240, 269, 274, 278. 280, 282, 286, 290, 305, 308, 315, 341, 353, 360–362, 365 f., 369 f., 376–278, 383, 386, 395 f., 407, 414, 449 f., 459, 467, 469–472, 476, 479, 488–491, 495, 498–501, 503–505, 507–514, 516–518, 521, 528 f.
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Österreich 12, 17, 23, 41, 44, 60, 62 f., 71, 76, 78, 81, 83, 107, 136 f., 174, 268 f., 274, 410, 501, 511, 517 Österreich-Ungarn 18, 62, 395, 468, 511 Palästina 12 f., 129, 176, 204, 238, 279 f., 372, 376, 381, 385, 387, 407–410, 414, 416 f., 433, 437, 439, 444 f., 450, 457–460, 462, 464, 471–474, 476 f., 483–485, 487, 490 f., 494–496, 498, 504, 512, 517, 519 f., 523–528, 530 Palästinafeldzug, britischer 416 f., 430–437, 456, 496, 520 Pariser Abkommen 47 Pariser Friedenskonferenz 509 f., 521–525 Parlament, osmanisches 44, 114, 156, 222, 340, 365, 506 Persien (heute Iran) 13, 55, 57, 111, 221, 233, 288, 299, 319, 330, 417 f., 423, 489, 528–530 Persischer Golf 57 f., 101, 105 f., 111–113, 115, 120, 122, 135, 165, 167, 169, 289, 368, 371, 419, 428 Pferde 85, 94, 96, 112, 116 f., 125 f., 190, 194, 238, 264, 283, 323, 334, 343, 346, 354, 412, 425, 431, 447, 454, 478, 491 f., 519 f. Piloten, türkische 51 Pipeline, britische im Sinai 112 f. Pirumian, Oberst 333 Pisani, Hauptmann Rosario 481, Pontonbrücke am Strandabschnitt W 195 f. Pontonbrücke über den Suezkanal 158, 162 f., Propagandakrieg 73, 87, 99, 102, 124, 257, 293, 297, 300 f., 305, 316, 352 Pryce Jones, Mostyn 190, 203, psychische Gesundheit der Soldaten 248, 256 Qatiya, osmanischer Sieg bei 410–412, 414 Qurna, Al- 120–122, 166 f., 284 f. Quwayra, Schlacht von Al- 448, Rabigh 394, 397–399, 401–403, 414 Rafah, britische Einnahme von 416, 428 Ramadan 90, 542 Ramla 457 Rationierung von Lebensmitteln 159, 322 f., 517 Reiterangriff des Ersten Weltkriegs, größter 453 f. Rekrutierungstrupps 90, 93, 281, Requisitionen durch Besteuerung 85 f. Robeck, J. M. de (Admiral) 182, 184 Robertson, General Sir William 401, 410, 417–419, 423 f., 432 f., 444 Romani, Schlacht von 412 f. Rotes Meer 13, 100, 106, 122, 125, 135, 157, 160, 290, 362, 368, 392, 394, 396 f., 399, 403 f., 406 f., 414, 437, 441, 528 Rothschild, Walter 457 Rotlichtviertel von Kairo 127
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590 Anhang Royal Air Force 492, 494 Royal Flying Corps 350, 415, 440 Royal Fusiliers 496 Royal Navy 83, 111, 118–120, 122, 125, 133, 172, 174, 177, 183, 186, 245, 362, 392, 404–406, 421, 438 Royal Navy Division in Moudros 177 Ruschdi Pascha, Hussein 97 Russisch-Türkischer Krieg 18, 26 Russland 14, 16–18, 26 f., 49, 53–57, 59, 62–64, 66–68, 71, 74–78, 80, 83, 107, 110, 112, 136–138, 140, 142 f., 154, 175 f., 186, 209, 215–217, 221, 233, 268, 270, 278, 376, 380, 459, 466–469, 471, 483, 486, 488, 510 Sabri, Major Mahmud 193 f., 196 Sadık Bey 51 Şakir, Bahattin 215 f., 227 f., 507, 509 Salim Bey 51 Sallum 309 f., 312, 328 Salman Pak 300–302, 304 f., 307, 312 f., 424 Salt, Schlachten um 476 f., 479, 484, 486 f., 495 Sanremo 512, 526 f. Sandringham Company siehe Norfolk Regiment Sanūsīya-Dschihads 310, 328 Sanūsīya-Orden (Sufiorden) 309 Sarafand, Massaker von 519 Sarıkamış, osmanische Niederlage in 145–154, 209 f., 212 f., 215, 222, 278, 331 f. Sasonow, Sergei 75, 142, 175 Sayyid Talib al-Naqib 114–117, 122, 340 f. Schafiq, Ahmad 98, 128 f., 163 Schaiba, osmanische Niederlage bei 167–169, 280, 283, 286 Scharif, Salih asch- 102, 104 Schatt al-Arab 111, 113–115, 117 f., 120 f., 166, 169 Schatt al-Hajj 288, 335, 419 Scheich-Said, Halbinsel von 123–125, 289 Schiiten 21, 124, 281, 283, 306 f., 339, 526 Schiragian, Arschawir 509 Schwarzes Meer 13, 17, 54, 66, 71, 76 f., 81, 106, 113, 130 f., 137–139, 141, 174–176, 211, 278, 466–468, 513 Scottish Rifles (Cameronians) 7–10 Seeweg, Versorgung und Kommunikation über den 37, 54, 77, 123, 125, 131, 137, 174, 177, 187, 241, 292 Seferberlik („allgemeine Mobilmachung“) 64, 382 Selbsttötungen von Armeniern 231 f. senegalesische Truppen 199 Serbien 14, 17, 35 f., 41 f., 62 f., 76, 268 f., 511 serbische Unabhängigkeit 36 Şevket Pascha, Mahmud (Großwesir) 38–40, 47 Shea, Generalmajor 462 Sibirische Fliegertruppe 332 Sinai 136, 138, 154–160, 164, 315, 328, 367, 375, 378,
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391, 407–412, 414, 416, 428, 430, 434, 437, 441–444, 528 Sinaibahn 414 Soldaten 126–129, 210, 516–521 Soldatinnen, angebliche 250 f. Somme, deutscher Sieg in der Schlacht an der 406, 416 Souchon, Admiral Wilhelm 66, 70, 77 Spooner, Reverend Harold 321–324, 329, 337, 343, 350 Stammeskrieger 167 f., 210, 287, 291, 312, 315, 325 f., 342, 367, 388, 391, 393, 396, 403, 405, 422, 441, 448, 472, 480, 484 f.; siehe auch Beduinen Storrs, Ronald 361 f., 369, 400 f. Strandabschnitt W (Landung bei Gallipoli) 196, 198 Subhi Bey 120 Südamerika 80, 499 Südirak 165, 281 Südjemen 124, 289 f., 315 Suezkanal 71, 97–99, 122 f., 125, 137, 154, 156, 158, 160–162, 165, 170, 278, 289, 366, 377 f., 385 f., 401, 408–412, 414, 460 Şükrü, Mithat 47 Sultanat, Abschaffung 516 Sunata, Hakki 185, 276 Suvla-Bucht 262–268, 271, 273, 275, 418 Suwaidi, Taufiq al- 45, 47, 494 Sykes-Picot-Abkommen 374–376, 400, 424, 427, 441, 458 f., 464, 469–472, 481, 496, 498, 512, 530 f. Sykes, Sir Mark 374–376, 427, 441, 458 f., 470 Syrien 13, 47, 51, 58, 60, 86105, 131–133, 137 f., 155, 158, 176, 204, 220, 228, 232 f., 280, 302, 363, 365 f., 372–375, 377 f., 380–383, 385, 388, 390, 399, 402, 407 f., 414, 437, 440, 442, 445, 449, 470 f., 473, 496, 498–500, 504, 509, 512, 517, 521 f., 524–526, 528, 530–532, 542 Syrische Wüste, Todesmärsche der Armenier durch die 217, 228, 231, 234–239, 354–356, 395, 509 Syrischer Nationalkongress 524 Ta‘if , Belagerung von 391–394 Tabti, Mustafa 88, 90–92 Tafila 444, 473, 487 Talât Pascha, Mehmed 21, 39, 41, 47 f., 56, 61, 63, 74, 166, 215, 218, 220, 225–230, 360, 367 f., 378, 387, 499 f., 504 f., 507 f. Tannenberg 76, 139 f., 151 Tanzimat-Reformen 15 Teşkilât-i Mahsusa („Spezialorganisation“, osman. Geheimpolizei) 34, 102, 165, 210, 215, 227, 507 Thrakien 19, 35, 39, 42, 47, 52, 68, 74 f., 130, 176, 416, 510 f., 513
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Register 591 Tigris 111, 120, 166, 169, 284 f., 288, 293, 295, 297 f., 300, 305, 313 f., 319–322, 335, 343, 345, 417–422, 424 f. Tigris Korps 335 Todesmarsch 150, 217, 228, 231, 234–240, 354–356, 380, 509; siehe auch Genozid an den Armeniern Townshend, Generalmajor Charles 10, 284, 293–295, 297 f., 300, 302 f., 305, 312 f., 319–324, 328, 334 f., 337–339, 343, 345–348, 401, 417, 421, 424, 500 „Townshends Regatta“ 284, 294 Trabzon 6, 81, 131, 138 f., 143, 211, 240, 333, 376, 428, 466–468, 488, 509, 512 Transjordanien 445–448, 474–477, 479, 483–485, 487, 492 f., 495, 512, 527 f. Triple Entente 56, 62, 68 Triumvirat (KEF) 39, 41, 47, 56, 59, 69, 132, 139, 226, 360, 500, 506, 509 Trotzki, Leo 469 Tscherkessen 12, 153, 155, 446 Tulkarm 494 Tunesien 14, 18, 32 f., 87 f., 518 Tunnelbaustellen 132, 238, 356 Turdschman, Ihsan 378, 380 f., 384, 394 Türkei siehe Türkisch-Italienischer Krieg; Osmanisches Reich; Russisch-Türkischer Krieg türkisch-armenischer Konflikt 25–31 Türkisch-Italienischer Krieg 36, 39, 308 türkische Kriegsmarine 131 Türkische Nationalbewegung 514–516 Türkische Republik 204, 516 türkische Währung 22 Türkisches Archiv für militärische und strategische Studien (ATASE, Ankara) 11 Türkisierung der armenischen Bevölkerung 43, 237 Typhus 154, 210, 222, 255 U-Boot-Krieg 429 U-Boote, deutsche 9, 125, 244 f., 248, 312, 429 Union Jack 284, 421, 427 Unionisten 23 f., 31, 37–41, 43, 45, 47–49, 74, 87, 114 f., 210, 222, 225, 499, 505 f. Unternehmen Michael 483 Unwin, Edward (Kapitän der Royal Navy) 194 US-amerikanisches Expeditionsheer 499 USA siehe Vereinigte Staaten Van Ess, John 119 Van, armenischer Aufstand und Massaker an Armeniern in 221–225, 230, Vehip Pascha 365, 367 Verdun 316, 406, 416, 449 Vereinigte Staaten (USA) 9, 50, 131, 133, 234, 237, 429, 459, 499, 506, 510, 512
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Verfassungsrevolution, osmanische 21 Versorgungswege im Ersten Weltkrieg 131, 137 Verträge 52, 57, 67, 79, 115 f., 122, 371, 411, 469, 501, 513 f. Vierzehn Punkte, Präsident Wilsons 510, 521 Völkerbundes, Satzung des 511 f. Völkermordgedenktag (Armenien, 24. April) 221 Vramian, Arschak 222 Wadi Sirhan 440 f. Wadschh, Al- 406, 437 f., 440, 443, 445 Waffenstillstand zwischen Russland und den Mittelmächten 466–468, 471 Wahib Pascha 157 Wangenheim, Hans Freiherr von 63, 66 f., 69 f. Wehrpflicht 43, 46, 55, 82, 86, 88 f., 93, 209, 336, 363, 380; siehe auch Mobilmachung Wells, T. R. 350 Weltkrieg 9–13, 15, 25, 34, 44, 64, 67, 76, 89–91, 94, 98, 105, 108, 140, 153, 185, 188, 204, 214 f., 233 f., 239, 246, 250, 268, 278, 281 f., 286, 294, 308, 315, 318, 353, 361, 368 f., 382, 428, 446, 453–455, 464, 469, 487, 490, 501–503, 511, 516, 518, 521 f., 526, 528–532, 542 f. Western Frontier Force 310, 325, 328 Westfront 8, 12, 71, 76, 87, 91, 93 f., 98 f., 101 f., 105, 112, 125 f., 136 f., 156, 172, 174, 177, 186, 207, 242 f., 247, 256, 268–271, 288 f., 315–317, 352, 390, 406, 409 f., 416, 429, 449, 482 f., 487, 491, 499 Wilhelm II. (dt. Kaiser) 56–58, 63, 72 f., 103 Wilson, Arnold 421, 427 Wilson, Woodrow 429, 459, 499, 510, 521 f. Wingate, Sir Reginald 444, 471 f., 517, 521 Yanbu 394, 397, 399, 401, 403–405, 414, 437, 518 YouGov-Agentur 9 Younghusband, Generalmajor Sir George 292, 319–321 Zaghlul, Saad 521 f. Zeytun (heute Süleymanlı) 219 f. Zionismus 458–460, 496, 523, 525 Zossen siehe Halbmondlager Zuaua (Berberstamm) 87 Zuavenregimenter siehe algerische Zuaven Zulassung zum Militärdienst 95 f. Zweiter Kongress der osmanischen Oppositionsparteien (Paris 1907) 30 Zypern 14, 18
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DER
Umschlagabbildungen: links: Einzug der Araber in Akaba am 6. Juli 1917, © Giancarlo Costa / Bridgeman Images, rechts: britische und britisch-indische Truppen in Jerusalem, 1918, © Pictures from History / Bridgeman Images. Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
»Mitreißend und brillant« SUNDAY TELEGRAPH »Die maßgebliche Darstellung der Transformation des Nahen Ostens in der Zeit des Ersten Weltkriegs. … ein meisterhafter Überblick über Krieg und Niederlage mit einer klugen Interpretation des Völkermords an den Armeniern und der Entstehung der modernen Türkei.« JAY WINTER, YALE UNIVERSITY
wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4307-9
UNTERGANG DER UNTERGANG DES OSMANISCHEN REICHS
Eugene Rogan ist einer der besten Kenner des Nahen und Mittleren Ostens. Aufgewachsen im Mittleren Osten, spricht Rogan sowohl Arabisch als auch Türkisch. Der US-Amerikaner ist Direktor des Middle East Centre in St. Antony’s, dem »Babel der Oxford Colleges«. 2013 erschien auf Deutsch seine große Darstellung »Die Araber. Eine Geschichte von Unterdrückung und Aufbruch«.
Eugene Rogan schildert eindrucksvoll den Kampf und endgültigen Untergang des Osmanischen Reichs von 1908/1914 bis 1920. Der Kriegseintritt der Osmanen hat mehr als jedes andere Ereignis dafür gesorgt, dass der europäische Konflikt zu einem Weltkrieg wurde. Rogan zeigt, welche Bedeutung die osmanische Front sowohl in der Geschichte des Ersten Weltkriegs als auch für die Herausbildung des modernen Nahen Ostens hatte.
Eugene Rogan
DES OSMANISCHEN REICHS
Eugene Rogan
© Keith Barnes
Die vergessene Front im Nahen Osten
DER ERSTE WELTKRIEG IM NAHEN OSTEN 1914 –1920
Das Osmanische Reich, jahrhundertelang einer der mächtigsten Player Europas, reichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer noch von Bosnien bis zum Persischen Golf. Als es 1914 überraschend auf der Seite Deutschlands und ÖsterreichUngarns in den Krieg eintrat, veränderte dies die Kräfteverhältnisse und strategischen Überlegungen grundlegend! Hier, im Mittleren Osten, verlief nun – neben der Westfront – die wichtigste, aber wenig verstandene Front: Die beispiellose Invasion der Briten und Franzosen bei Gallipoli, die als Vorspiel zur Eroberung Istanbuls gedacht war, scheiterte zwar vollständig. Trotzdem aber war die Niederlage gegen die Entente-Mächte unausweichlich, und das Osmanische Reich musste den Weg freimachen für die Schaffung einer neuen Ordnung im Nahen Osten, die bis heute nachwirkt.